Kommissar X - Rendezvous mit einem Killer von A. F. Morland ISBN: 3-8328-1123-0
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Kommissar X - Rendezvous mit einem Killer von A. F. Morland ISBN: 3-8328-1123-0
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Verdrossen ließ Jo Walker die Nightclubtür hinter sich zufallen. Wieder Fehlanzeige. Auch hier hatte ihm niemand sagen können - oder wollen -, wo er Howie Messina, den er wegen eines Pelzdiebstahls suchte, finden könnte. Lustlos schlenderte Kommissar X über den finsteren Parkplatz. Als er seinen silbergrauen Mercedes 450 SEL erreichte, geriet plötzlich Bewegung in die Dunkelheit. Ein Mann, mit einer schweren Waffe in der Faust, glitt auf Jo Walker zu. Howie Messina. In seinen schwarzen Augen glitzerte blanker Haß. "Ich hab' gehört, du suchst mich, Schnüffler!" sagte er - und in seiner Stimme war etwas, was Jo einen eisigen Schauer über den Rücken jagte. "Okay. Hier bin ich!" Der Gangster hob blitzschnell die Waffe. Kommissar X ließ sich fallen. Seine Rechte zuckte zur Automatic. Als er sie zur Hälfte aus der Schulterhalfter gerissen hatte, entlud sich Messinas Kanone mit ohrenbetäubendem Krachen. Ein furchtbarer Schlag traf Jo Walkers Brust. Kein Schmerz. Nur ein taubes Gefühl. Als ob alles zu Ende wäre. Jo spürte nichts mehr. Er sah nichts mehr, hörte nichts mehr. Jemand schien einen großen schwarzen Mantel über ihn gebreitet zu haben. Das war das letzte, was er mitbekam, dann kam das Aus.
* Ein höhnischer Ausdruck lag auf Messinas derben Zügen. Er wollte seinen Colt aus nächster Nähe noch einmal abfeuern, aber da stachen zwei Lichtlanzen durch das Dunkel. Das Geräusch eines herannahenden Wagens war zu hören. Messina schnellte zurück, ehe die gleißenden Lichtfinger ihn erwischten, ihn dem schützenden Dunkel entrissen. Der Plymouth würde ausrollen, zum Stehen kommen. Als nächstes würde der Fahrer dann den Schnüffler auf dem Boden liegen sehen. Messina erachtete es für klüger, sich beizeiten abzusetzen. Geduckt huschte er zwischen den abgestellten Wagen hindurch. Wenige Sekunden später erreichte er das Ende des Parkplatzes. Vorsichtig richtete er sich auf. Der Plymouth hatte inzwischen angehalten. Blubbernd erstarb der Motor. Die Handbremse ratschte. Stille. Aber nur für einen ganz kurzen Augenblick. Dann schwangen die bei den Türen auf. Die Stimmen eines Mädchens und eines Mannes waren zu hören. Messina drückte sich in die verfilzten Büsche hinein, die den Parkplatz an dieser Seite als lebender Zaun begrenzten. Messina war zu weit von dem Plymouth entfernt, als daß ihn das Rascheln und Brechen der Zweige hätte verraten können. Das Mädchen kicherte. "Zwei oder drei Bloody Marys könnte ich schon noch vertragen." "Du hast doch schon vier in den Venen", lachte der Mann. "Seit wann rechnest du nach, wieviel ich trinke?" fragte das Mädchen. Es klang nicht vorwurfsvoll, sondern amüsiert. "He, Johnny, ich hab' mich doch hoffentlich mit keinem Geizkragen eingelassen." "Meinetwegen kannst du trinken, soviel du willst." Copyright 2001 by readersplanet
"Ich bin dann auch besonders nett zu dir, wenn ich blau bin. Ich brauche das." "Und was meint deine Leber dazu?" "Leber?" fragte das Mädchen klecksend. "Wo hat man die denn?" Die beiden lachten. Der Mann nahm das Mädchen um die Mitte und wollte mit ihr zur Bar gehen. Da blieb das Girl plötzlich mit einem heiseren Aufschrei stehen. "Johnny, da liegt einer!" "Yeah!" Johnny knurrte ingrimmig. Er mochte keinen Ärger. Und wenn da einer lag, dann gab das Ärger. Auf jeden Fall aber konnte er das abblasen, was er sich für diese Nacht mit seiner Puppe vorgenommen hatte. Aber daran war nun nichts mehr zu ändern. Dalag tatsächlich einer. Es ging nicht an, daß sie ihn einfach unbeachtet ließen, deshalb beugte sich Johnny über den Mann, um ihn sich anzusehen. Als er sich aufrichtete, stieß er die Luftgeräuschvoll aus. Howie Messina spitzte die Ohren. "Was ist mit ihm, Johnny?" fragte das Mädchen. Und Messing hörte Johnnys Antwort: "Ich glaube, der lebt nicht mehr!" "O mein Gott." "Der kann dem jetzt auch nicht mehr helfen. Den hat jemand erschossen."
* Bevor eine Frau ins Bett geht, hat sie noch eine ganze Menge wichtiger Dinge zu erledigen. April Bondy war darin keine Ausnahme. Zunächst hatte sie sich mit mehreren Yoga-Übungen vollkommen entkrampft. Danach hatte sie kühlen Karottensaft geschlürft. Und nun war sie beim Abschminken und Auftragen der Nacht-Nährcreme; die - so versprach es jedenfalls die Werbung die Fältchenbildung wirkungsvoll verhinderte. Dabei war April erst vierundzwanzig Jahre alt, und von Fältchen war weit und breit noch nichts zu sehen. Endlich schraubte sie den Tiegel zu. Ihr Gesicht glänzte wie eine Speckschwarte. Sie kämmte ihr hellblondes Haar noch einmal durch und begab sich dann, rechtschaffen müde, ins Schlafzimmer. In dem Moment, wo sie das Bett mit ihrem schlanken Körper soweit angewärmt hatte, um das Liegen unter der Decke zu genießen, schlug im Wohnzimmer das Telefon an. Ein Mann an ihrer Stelle hätte jetzt geflucht. April fühlte sich zwar in vielerlei Hinsicht emanzipiert, aber auf den Fluch verzichtete sie. Verstimmt schlug sie die Decke zurück. Ihr hauchzartes Nighty umwehte ihre atemberaubende Figur, als sie ins Wohnzimmer eilte und den Hörer aus der Gabel riß. "Bondy!" fauchte sie aggressiv. "Hier St.-James-Hospital. Einen Moment, ich verbinde mit Dr. Bates", sagte eine spröde Mädchenstimme schnell. Dann knackte es in der Leitung. In Aprils Kopf überstürzten sich die Gedanken. Dieser Anruf konnte tausend Gründe haben, aber April dachte nur an einen: Jo war etwas zugestoßen. Sie spürte, wie sich ihr Herz zusammenkrampfte und unruhig zu schlagen anfing. Gespannt lauschte sie in den Hörer. "Hallo!" Das war jetzt Breck Bates, der Arzt. Ein netter Kerl, der mit seinem Skalpell an Walkers Körper schon kreuz und quer herumgesäbelt hatte. "Ja?" hauchte April. "Ja, Breck?" "Hast du schon geschlafen, April?" "Ich wollte es gerade versuchen." "Das tut mir leid." "Was ist passiert, Breck?" fragte April Bondy nervös. Auf ihrer sonst makellos glatten Stirn zeigten sich Sorgenfalten. Die Ungewißheit war ihr unerträglich. "Ist etwas...mit Jo?" Copyright 2001 by readersplanet
Dr. Bates räusperte sich kurz. "Breck, bitte sag's mir schnell. Ich kriege beinahe keine Luft mehr." April fuhr sich benommen über die Augen. Natürlich war mit Jo etwas nicht in Ordnung. Breck hätte sie sonst nicht um diese Zeit angerufen. Er räusperte sich noch einmal. "Tut mir leid, April. Diesmal scheint unser Freund zu leichtsinnig gewesen zu sein." "Sag mir endlich, wie es Jo geht, Breck, ich halte diese Ungewißheit nicht länger aus." "Er wurde vor fünfundvierzig Minuten hier mit einer Schußverletzung eingeliefert. Sah ziemlich schlimm aus. Ich habe sofort operiert." "Und nun?" fragte April gepreßt. Das ganze Wohnzimmer fuhr in diesem Augenblick um sie herum Karussell. Jo schwer verletzt. Wie oft hatte sie das schon befürchtet. Sie hatte gewußt, daß es eines Tages passieren würde. Kein Mensch hat immer nur Glück. Seit sie Jo kannte, hatte sie sich vor diesem Moment gefürchtet. Und nun war er da, dieser grausam quälende Moment... "Jetzt können wir ihm nur noch die Daumen halten", sagte Breck. April hatte das Gefühl, jemand hätte sie mit Eiswasser übergossen. "Wo liegt Jo?" fragte sie hastig. "Auf der Intensivstation." "Ich komme sofort", schrie April und warf den Hörer auf die Gabel.
* April stürmte in das Krankenhaus. Am Tag war hier viel Betrieb. Jetzt, mitten in der Nacht, hockte der Mann, der die Glastür im Auge behalten sollte, auf einem Stuhl und blätterte mit apathischen Zügen in der letzten Nummer vom Playboy. Soeben klappte er das Pinup-Bild auf. Die kaffeebraune Schönheit schien ihn mit gespreizten Beinen zu etwas auffordern zu wollen, wozu er seit Jahren nicht mehr fähig .war. Mit geschürzten Lippen betrachtete er das Bild des Girls, als ihn Aprils schnell trippelnde Schritte hochschrecken ließen. Verlegen warf er die Zeitschrift auf den Boden. Es war verteufelt, daß sie offenblieb. Das kaffeebraune Mädchen lächelte nun April Bondy an. "Intensivstation", sagte Walkers Sekretärin hastig. "Achter Stock", antwortete der Weißhaarige. "Ich war noch nie da." "Ist leicht zu finden. Es gibt Markierungen auf dem Boden. Sie brauchen bloß dem roten Strich nachzugehen." Das machte April, nachdem sie der Fahrstuhl zur achten Etage hinaufgebracht hatte. Mit sorgenumwölkter Miene lief sie dem roten Strich nach. Eine Tür ging auf. Ein mittelgroßer Mann trat auf den Korridor: Dr. Breck Bates. Er hatte das Gesicht eines schlimmen Jungen, war ungemein sympathisch, und der Schalk blitzte normalerweise aus seinen dunklen Augen. Diesmal jedoch war er besorgniserregend ernst. April lief atemlos auf ihn zu. "Mein Gott, Breck..." "Mein Anruf hat dich sehr erschreckt, nicht wahr?" "Ja", gab April mit flatterndem Blick zu. "Das tut mir furchtbar leid." "Es war richtig, daß du mich angerufen hast, Breck. Ich wäre böse mit dir gewesen, wenn du es unterlassen hättest", sagte April mit belegter Stimme. "Du mußt mir alles erzählen..." "Er liegt jetzt unterm Sauerstoffzelt." Copyright 2001 by readersplanet
April fuhr sich erschrocken an die Lippen. Ihre Augen drückten größte Bestürzung aus. "Steht es wirklich so schlimm um Jo?" Bates zündete sich eine Zigarette an. April lehnte das angebotene Stäbchen mit einem nervösen Kopfschütteln ab. Ihre Augen hingen an Bates' Mund. Ungeduldig wartete sie auf den Bericht des Arztes. "Du weißt, ich habe ihn nicht erst einmal zusammengeflickt, aber diesmal stand es - ich muß es leider sagen - schlimmer um ihn als all die anderen Male." "Wird er..." "Er wird", sagte Bates und legte dem zitternden Mädchen die Hand auf den Arm. "Wir beide haben Glück. Jo ist aus einem verdammt guten Holz geschnitzt. Dieses Material gibt es nicht oft." "Wo hat es ihn erwischt, Breck?" "Brustschuß." April hielt den Atem an. Sie wurde blaß. Bates schüttelte den Kopf. "Sein Herz hat nichts abbekommen." Der Arzt berichtete vom Verlauf der Operation, die er als zufriedenstellend bezeichnete. "War er bei Bewußtsein, als er hier eingeliefert wurde?" fragte April heiser. "Nein. Aber er kam - kurz bevor wir ihn narkotisierten - für einen Augenblick zu sich." Aprils große Augen erforschten das Gesicht des Arztes. "Und? Hat er irgend etwas gesagt? Konnte er reden? Hat er euch gesagt, wer ihn niedergeschossen hat?" "Er sagte Messina. Sonst nichts." April senkte den Blick. Mit gedämpfter Stimme sagte sie: "Howie Messina. Er hatte ihn also gefunden." Dr. Bates nannte die Bar vor der es Walker erwischt hatte. Dann fragte er: "Wer ist dieser Howie Messina?" "Jo war hinter dem Kerl her, weil er ein paar Pelze geklaut hatte", erklärte April Bondy. "Messina ist ein ganz übler Typ. Er landet von Zeit zu Zeit einen Coup. Mit dem Geld, das dabei herausspringt, macht er sich ein schönes Leben. Und wenn das Geld alle ist, macht er sich an das nächste Ding." April straffte ihren Rücken. Sie hob den Kopf. Entschlossenheit prägte ihre Züge. "Bring mich jetzt bitte zu Jo, Breck", verlangte sie tapfer. Bates nickte. "Aber du darfst nicht erschrecken. Am besten, du ignorierst die vielen Schläuche und Apparate, von denen er umgeben ist." "Ich werd's versuchen", nickte April. Bates führte sie zu ihrem "Chef", wie sie ihn hin und wieder gern nannte. Obwohl sie sich fest vorgenommen hatte, nicht zu erschrecken, passierte es doch, als sie hinter Breck Bates in das Krankenzimmer trat. Der Mann, der dort unter der Nylonhaut lag, hatte nur noch entfernte Ähnlichkeit mit jenem sonnengebräunten, vitalen Kommissar X, den die Unterwelt fürchtete. Zum erstenmal in seinem Leben war dieser Kommissar X schwer angeschlagen. "Möchtest du ein Glas Wasser haben?" erkundigte sich Bates mitfühlend. April schüttelte den Kopf. "Vielen Dank, Breck. Nicht nötig." "Er steht noch unter Narkose", sagte der Arzt. April schaute ihn bettelnd an. "Darf ich bei Jo bleiben?" Bates schmunzelte. "Du bist zwar nicht seine Frau, aber wir wollen in deinem Fall eine Ausnahme machen." April setzte sich auf einen weißen Stuhl neben das Bett. "Ich danke dir, Breck", seufzte sie schwer. Der Arzt lächelte aufmunternd. "Keine Sorge, April. Ich mach' ihn dir wieder wie neu." Bates wies auf einen Klingelknopf. "Wenn ihr zwei irgend etwas haben wollt, braucht ihr nur zu läuten. Es soll euch hier bei uns an nichts fehlen."
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"Lieb von dir, Breck. Wir werden aber trotzdem versuchen, nicht mehr wiederzukommen, wenn wir erst mal hier raus sind."
* Messina hatte sich rechtzeitig verdrückt. Für ihn stand fest, daß er Jo Walker geschafft hatte. Vergnügt trommelte er den Takt zur Musik, die aus dem Autoradio kam, auf das Lenkrad. Ein lausiger Spannemann weniger auf dieser Welt. Howie Messina rechnete sich das als hohen Verdienst an. Ein Orden hätte ihm dafür gebührt. Und es gab gewiß zahlreiche Ganoven in dieser Stadt, die ihm diesen Orden liebend gern an die Brust geheftet hätten, denn Jo Walker war einer von den ganz Hartnäckigen gewesen. Lästig wie ein Pestfloh. Penetrant ehrlich. Widerlich unbestechlich. Und von so viel Edelmut beseelt, daß es schon zum Kotzen war. Messina grinste. "Was fällt dir denn ein?" fragte er sich selbst. "Halt doch auf dieses Schnüfflerschwein keinen Nachruf. Vergiß ihn einfach. Mehr ist der Saukerl doch nicht wert." Der Gangster verlangsamte das Tempo. Er zog den Wagen in eine enge Kurve, fuhr die düstere Straße noch etwa hundert Meter entlang und setzte das Fahrzeug dann in die erstbeste Parklücke zurück. Er schob den Colt ins Handschuhfach und schloß es ab, ehe er ausstieg. Gleich darauf verschwand er in einem schäbigen Haus. Hier wohnte Phyllis Falk, sein Mädchen. Als ihm zu Ohren gekommen war, daß ihm Kommissar X auf den Fersen war, hatte er seine Wohnung schnellstens verlassen, um hier sein Hauptquartier aufzuschlagen. Sehr zur Freude von Phyllis, die von ihm sowieso niemals genug bekommen konnte. Sie war verrückt nach ihm und liebte ihn mit einer geradezu kindlichen Naivität. Messina lief die Treppe hoch und klopfte. Phyllis öffnete sofort. Sie war ein rothaariges Girl mit grün schimmernden Augen und einem nichtssagenden Gesicht. Ihre Vorzüge lagen etwas tiefer. Sie hatte formvollendete Brüste, eine unwahrscheinlich schmale Taille und aufregend wohlgerundete Hüften. Als er eintrat, legte sie ihre Arme um seinen Nacken. Dazu mußte sie sich auf die Zehenspitzen stellen. Er ließ sich von ihr grinsend küssen. "Du bist verrückt, Baby", sagte er amüsiert. "Warum?" "Weil du noch auf bist." "Ich wollte noch mit dir reden", sagte Phyllis. Sie trug einen bodenlangen geblümten Schlafrock. Der Ausschnitt klaffte weit auf. Messina konnte sehen, daß sie darunter nichts als ihre weiche warme Haut trug. Er starrte ihren Busen ungeniert an. "Mach mir was zu trinken", verlangte Messina. Er drückte sie von sich. Phyllis eilte zur Bar. Während sie zwei Gläser mit Scotch füllte, fragte sie: "Hast du diesem Walker jetzt endlich klargemacht, daß du mit dem Pelzdiebstahl nichts zu tun hast, Howie?" Er ließ sich in einen tiefen Samtsessel plumpsen und nickte grinsend. "Hab' ich, Schatz." Phyllis warf ihre rote Mähne mit einem schnellen Kopfschwung in den Nacken. Sie brachte ihm seinen Drink und setzte sich auf seine Knie. "Und?" fragte sie gespannt. "Glaubt er dir endlich?" Messina strahlte über das ganze breite Gesicht. Er trank gierig. "Klar glaubt er mir jetzt. Mein Argument hat ihn regelrecht umgehauen." "Wird er dich jetzt in Ruhe lassen?" "Er wird mir nicht mehr in die Quere kommen, das steht fest." Grinsend nahm Messina seinem Mädchen das Glas aus der Hand. Sie hatte noch nicht mal an ihrem Scotch genippt. Er trank ihn aus und stellte das leere Glas dann neben das seine auf den Couchtisch. Immer Copyright 2001 by readersplanet
noch grinsend öffnete er den Bindegürtel ihres Schlafrocks. Er schälte sie langsam aus dem Stoff. Phyllis schloß benommen die Augen. Er liebkoste ihre Brüste, hob sie mit einem jähen Ruck hoch und trug sie nach nebenan ins Schlafzimmer. Dort schenkte er ihr alles das, was sie von ihm haben wollte. Eine Stunde danach kleidete er sich an. Phyllis setzte sich nackt im Bett auf und schaute ihm dabei verwundert zu. "Gehst du noch mal weg, Howie?" "Tut mir leid, Baby, aber darum komme ich nicht herum." Als er seine beiden Reisetaschen aus dem Schrank nahm, mit denen er hier bei Phyllis eingezogen war, sprang sie erschrocken aus dem Bett. "Howie, was hat das zu bedeuten? Wieso nimmst du die Reisetaschen? Du....du hast doch nicht etwa die Absicht, mich zu verlassen?" Messina wandte sich lachend um. "Wie kannst du bloß so etwas Verrücktes denken, Baby? Ich brauche dich. Ich kann ohne dich nicht mehr leben, wie oft habe ich dir das schon gesagt?" Phyllis senkte verlegen den Blick. "Das sagt ihr alle. Diese Lüge geht euch ziemlich glatt über die Lippen." Messina faßte das Mädchen an den nackten Schultern. Entrüstet blickte er ihr in die Augen. "Hör mal, habe ich dich schon mal belogen, Baby?" "Ich...weiß es nicht, Howie." "Aber ich weiß es. Niemals habe ich auch nur ein Wort zu dir gesagt, das nicht wahr war." "O Howie", seufzte Phyllis und sank an Messinas Brust. "Ich bin nicht besonders klug. Ich weiß nur, daß ich dich nicht verlieren möchte." "Du verlierst mich nicht, Baby. Ich schwör's dir." "Wozu brauchst du die Reisetaschen, Howie?" "Ich muß weg." "Wohin?" "Geschäftlich. Chicago. Toronto... Alles in allem schätze ich, daß ich nicht länger als eine Woche fortbleibe. Ist das denn gar so lang?" Phyllis nickte. "Eine Woche ist für mich eine Ewigkeit, Howie. Ich meine, wenn ich sie ohne dich verbringen muß." Er lachte. "Ich bringe dir was Schönes mit, okay?" "Warum mußt du mitten in der Nacht weg, Howie? Es... es ist doch alles in Ordnung, oder?" "Aber ja. Mach dir keine Sorgen. Es ist alles bestens. Sieh mal, ich mußte zuerst die Sache mit Walker bereinigen. Und ich wollte nicht abreisen, ohne dich noch mal in meine Arme genommen zu haben, verstehst du? Deshalb habe ich meine Abreise bis zum letztmöglichen Termin verschoben." "Warum hast du mir nicht früher gesagt, daß du weg mußt, Howie?" Er küßte sie auf die warmen Lippen. "Ich wollte nicht, daß du traurig bist." Sie bekam noch einen Kuß. "Bleib mir treu, hörst du?" "Du weißt, daß es für mich keinen anderen Mann gibt, Howie." Messina deutete einen Kinnhaken an. "Bist ein feiner Kerl, Phyllis. Mit dir kann man Pferde stehlen." Er wies auf das Bett. "Wenn ich zurückkomme, machen wir da weiter, wo wir vorhin aufgehört haben, okay?" "Okay", sagte Phyllis. Sie brachte ihn an die Tür. "Paß gut auf dich auf, Howie." "Mach' ich ganz bestimmt", grinste Messina. Dann schleppte er seine beiden Reisetaschen aus der Wohnung.
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* Howie Messina! April Bondy nagte nervös an ihrer Unterlippe. Sie konnte kaum noch an etwas anderes denken. Entweder dachte sie an Jo. Ober an diesen Messina, dem es fast geglückt wäre, Kommissar X ins Grab zu schießen. Zwei Tage waren seither vergangen. Jo Walker lag nicht mehr im Sauerstoffzelt. Es war auch nicht mehr nötig, daß er auf der Intensivstation lag. Er mußte einem Patienten Platz machen, der den Aufenthalt in dieser Abteilung dringender nötig hatte. Sooft sie konnte, war April bei Jo. Daneben hielt sie Walkers Detektei gut in Schuß. Sie spannte vor allem Wilkie Lenning für die administrativen Arbeiten ein. Das schmeckte, dem Jungen zwar nicht, aber wenn April ihm klarmachte, daß er die Arbeit nicht für sie, sondern für Jo verrichtete, machte er alles, ohne zu murren. Captain Rowland und Lieutenant Myers besuchten Jo am zweiten Tag im Hospital. Mehrere Klienten ließen es sich ebenfalls nicht nehmen, dem Detektiv persönlich die besten Genesungswünsche zu entbieten. Und während Jo Walker im Begriff war, sich mit Dr. Breck Bates fürsorglicher Hilfe langsam wieder hochzukämpfen, machte sich April Bondy stillschweigend daran, jenen Mann aufzustöbern, der Jo diese schwere Niederlage bereitet hatte. Howie Messina! Jo hatte versucht, die Spur des Gangsters in einer der zahlreichen Bars zu finden, in denen er bekannt war. April Bondy wollte nicht denselben Weg gehen. Es gab auch noch eine andere Möglichkeit, an Howie Messina heranzukommen, und diese Möglichkeit hieß Phyllis Falk. Das Problem bestand lediglich darin, daß keiner wußte, wo Phyllis im Augenblick wohnte. Zwischen Krankenhausbesuchen und einer jeweils recht kurzen Anwesenheit im Büro schwirrte April Bondy kreuz und quer durch die Stadt. Die hübsche blonde Detektiv-Volontärin stellte unter Beweis, daß sie unter Jo Walkers sachkundiger Anleitung bereits ziemlich viel gelernt hatte. Am Anfang der langen Kette - von der April hoffte, sie würde schließlich vor Phyllis' Wohnungstür enden - stand eines von diesen Kinos, in denen zwei Filme in einem Programm gezeigt werden. Hier hatte Phyllis Falk als Kassiererin gearbeitet. Das Kino war auf Pornofilme spezialisiert und sein Publikum bestand ausschließlich aus Männern. Es war durchlaufend Einlaß. Rechts neben der Kinokasse befand sich der enge Vorführraum. Im Glaskäfig der Kinokasse saß ein Mann, der Frankensteins Bruder hätte sein können. Er griente dreckig. "Auch mal angucken, was es so alles zu sehen gibt, Miß?" April schüttelte erschrocken den Kopf. Ihre Wangen röteten sich leicht. "Ich habe leider meine Brille nicht bei mir." "In der ersten Reihe können Sie unsere Stars anfassen." "Lieber nicht. Sonst bauen die mich am Ende noch in ihr Programm ein." Der Mann im Käfig lachte schallend. "Sind Sie der Kinobesitzer?" fragte April. "Allerdings. Suchen Sie vielleicht einen Job? Können Sie gern haben. Ich brauche 'ne tüchtige Kassiererin." April lachte. "Sie werden's nicht glauben, aber wir beide haben was gemeinsam." "So?" staunte der Mann im Glaskasten. "Was denn?" "Wir suchen beide eine Kassiererin", antwortete April. "Die, die ich zuletzt hatte, hat sich vor einem Monat empfohlen", sagte der Kinobesitzer. "Seither hocke ich in diesem verdammten Ding, in dem man Platzangst kriegt." "Sie hieß Phyllis Falk, nicht wahr?" "Ja. Kennen Sie sie?" "Nicht persönlich. Warum hat sie gekündigt?" wollte April wissen. Copyright 2001 by readersplanet
Der Kinobesitzer spitzte die Lippen, als wollte er pfeifen. "Sie hat keinen Grund genannt." "Ich nehme an, sie hat einen besseren Job gefunden." Der Kinobesitzer zog die Mundwinkel verächtlich nach unten. "Wenn Sie meinen, daß Zigarettengirl in einem stinkigen Nachtlokal ein besserer Job ist..." April bat den Mann um den Namen der Bar. "'Libido' heißt der Schuppen", sagte der Kinobesitzer. "Sie meinen wohl, Lido'." "Nein. ,Libido'." Der Kinobesitzer grinste über das ganze Gesicht. "Sie können sich denken, daß Phyllis da nicht mal als Zigarettengirl ein ruhiges, unangetastetes Leben führen kann." Der Kinobesitzer wußte zum Glück auch die Adresse der Bar, und April machte sich sogleich auf den Weg dorthin. In den knallroten Schaukästen waren hübsche nackte Mädchen zu sehen. Aufkleber verkündeten in Schockfarben, daß hier die heißesten Shows von New York gezeigt wurden. Gleich im Vorraum wimmelte es von Phallussymbolen. Rechts ging es in den Keller hinunter. Rotes Licht ergoß sich über die steile Treppe. Wer da hinunterstieg, konnte sich die schärfsten Pornostreifen ansehen, die zur Zeit auf dem Markt waren. April ließ die Treppe links liegen. Dumpf dröhnte der Baß aus der mächtigen Lautsprecherbox über dem Eingang. Die Luft war denkbar schlecht. Zigarettengirls in zweckentfremdeten Schwimmanzügen trugen auf einem Bauchladen ihr Angebot spazieren. Auf einer Tanzfläche standen Männer mit Mädchen umher. Sie bewegten sich kaum, knutschten sich ununterbrochen ungeniert ab, waren mit ihren Händen nicht immer da, wo es die Moral gestattete. April spürte die Blicke von Männern auf sich gerichtet. Ekelhafte Blicke. Sie fühlte sich nicht wohl in diesem Lokal, das so widerlich vordergründig auf den zweitstärksten Trieb des Menschen abgestimmt war. Sie war froh, daß die Beleuchtung ziemlich schummerig war. So konnte niemand ihre Verlegenheit bemerken, die sich in Form einer zarten Röte auf ihre Wangen gelegt hatte. April hob die Hand, als eines der Zigarettengirls sie mit einem kurzen Blick streifte. Die hübsche Puppe setzte sich sofort in Bewegung. Das Dekollete ihres Schwimmanzuges war reichlich gefüllt. April kaufte eine Packung Pall Mall, obwohl sie noch Zigaretten in ihrer Handtasche hatte. Sie gab dem Girl so viel Trinkgeld, daß es sich ihr gegenüber verpflichtet fühlen mußte. Das Mädchen schaute April mit einem kalten Blick an. April lächelte. "Keine Sorge, ich habe nicht die Absicht, Sie zu fragen, was Sie nach Arbeitsschluß machen, meine Liebe. Auch mir sind Männer lieber." Der kalte Blick erwärmte sich etwas. "Was kann ich für Sie tun?" "Ich arbeite für das Anwaltsbüro Brown, Smith & Miller. Und ich sollte Phyllis Falk so rasch wie möglich auftreiben. Sie wissen nicht zufällig ihre Adresse?" "Phyllis Falk?" "Man hat mir gesagt, sie hätte hier einen Job als Zigarettengirl", sagte April. "Ach, Sie meinen die Rothaarige, die bloß eine Woche hier war." "Das ist Phyllis", nickte April. "Wo die wohnt weiß ich nicht. Tut mir leid." "Warum hat sie nicht länger als eine Woche hier gearbeitet?" "Muß ihr wohl nicht so recht gefallen haben", meinte das Zigarettengirl achselzuckend. Ihr Busen wogte synchron dazu einmal rauf und einmal runter. "Wo verdient sich Phyllis jetzt ihre erste Million?" Das Mädchen lachte. Sie erzählte von zwei anderen Zigarettengirls, denen sich Phyllis angeschlossen hätte. Alle drei hätten sich um den Job eines Tanzgirls beworben. Alle drei Copyright 2001 by readersplanet
hätten den Job bekommen. April bekam die Adresse, und sie beschloß, ihr Glück dort sofort zu versuchen. So ging es weiter. Vier Tage war April Bondy unterwegs. Jo Walker hatte keine Ahnung davon. Sie ließ niemals eine Besuchszeit aus, brachte ihm stets mit, worum er sie am Vortag gebeten hatte, saß neben seinem Bett und erzählte ihm, wie langweilig es in der Detektei ohne ihn wäre. Und sobald die Besuchszeit aus war, hetzte die hübsche Detektiv-Volontärin wieder weiter durch die Stadt, um endlich jenes Mädchen auszuforschen, das mit Howie Messina liiert war. An diesem vierten Tag besuchte April Bondy ein Restaurant, in dem Phyllis Falk drei Tage lang in der Küche ausgeholfen hatte. Der Koch war ein praller Fettsack mit Schweinchenaugen, die ihm die dicken Backen beim Lachen beinahe völlig zudrückten. Er war kurzatmig, und ein permanenter Schweißfilm lag über seinem runden Gesicht. Sein Name war Nicker. Und er machte diesem Namen alle Ehre, denn er nickte fast ununterbrochen. "Phyllis Falk. Ein nichtssagendes Gesicht. Aber ihre Figur - oh Mann!" sagte Nicker, während er mit seinen schwammigen Händen Phyllis Anatomie in der Luft zu modellieren versuchte. Vor allem mit ihren Brüsten gab er sich größte Mühe. "Ihre Figur ist aber auch nicht übel", sagte Nicker danach und nickte dazu mit glotzenden Augen. "Danke für die Blumen", erwiderte April unterkühlt. "Habe ich Ihnen eigentlich schon gesagt, daß ich mit einem Berufsboxer verlobt bin?" Der Koch hörte sofort zu glotzen auf. Ausnahmsweise schüttelte Mr. Nicker mal den Kopf. "Tja. Ich fürchte, ich bin Ihnen keine große Hilfe, Miß Bondy. Ich weiß wirklich nicht, wo Phyllis wohnt. Aber vielleicht kann Ihnen Tonio behilflich sein." "Tonio?" fragte April. "Tonio Jurado. Einer unserer Kellner. Gebürtiger Italiener. Der windigste Bursche, den ich jemals kennengelernt habe. Mädchen, vor dem müssen Sie sich schwer in acht nehmen. Der ist hinter jedem Weiberrock her." "War er auch hinter Phyllis Falk her?" "Das ist doch für Tonio Ehrensache", grinste der Koch. April bat Mr. Nicker, er möge sie mit dem Italiener zusammenbringen. Augenblicke später stand April mit dem jungen, attraktiven, schwarzhaarigen Kellner im Vorraum des Restaurants. Tonios Augen glühten. Die Leidenschaft brachte sogleich sein Blut in Wallung. April sagte amüsiert: "Bevor Sie anfangen, Ihr Pulver vergeblich zu verschießen, möchte ich Ihnen sagen, daß solche schmachtenden Papagalli-Blicke bei mir nicht ankommen. Darüber hinaus sind Sie absolut nicht mein Typ. Und es gibt jemanden, den ich so gern habe, daß ich mir nicht vorstellen könnte, ihn mit Ihnen zu betrügen. Können wir nun vernünftig miteinander reden?" Tonio stoppte sogleich seinen Adrenalinausstoß. Seine dunklen Augen verloren den hungrigen Glanz. Tonio wurde merklich schnell wieder normal. "Also schön, Miß Bondy, ich respektiere das, was Sie gesagt haben," aber nicht, ohne gegen die Form zu protestieren, wie Sie es gesagt haben." "Ich dachte, das wäre nötig. Verzeihen Sie." Tonio Jurado zuckte die Achseln. "Es geht um Phyllis. Mr. Nicker sagte mir, Sie wüßten, wo sie zu Hause ist," erklärte April Bondy. Tonio drehte die Augen zur Decke. "Ach. Phyllis. Auch sie hat mich abblitzen lassen. Ist kein gutes Jahr für mich." April lachte. "Sie Ärmster. Wenn Sie davon bloß keinen Komplex kriegen. Wo wohnt Phyllis?" "Drüben in Bay Ridge. 155. Straße 187." April freute sich über diese Antwort, hinter der sie so lange her war, so sehr, daß sie überschwänglich ausrief: "Tonio, ich könnte mich beinahe dazu überwinden, Sie auf beide Wangen zu küssen."
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* Phyllis Falk betrachtete April Bondy mit unverhohlener Feindseligkeit. Kaum war der Name Jo Walker gefallen, schaltete Phyllis unverzüglich auf totale Ablehnung um. "So!" stieß sie giftig hervor. "Für Mr. Walker arbeiten Sie also. Für diesen verflixten Walker, der meinem Howie keine Ruhe läßt. Ich verstehe nicht, weshalb Sie zu mir kommen, Miß Bondy. Ich dachte, zwischen Howie und Walker wäre alles geregelt." April schüttelte mit einem kalten Lächeln den Kopf. "Das ist ganz und gar nicht der Fall, Miß Falk." Phyllis trug ein einfaches braunes Jerseykleid, das sich wie eine zweite Haut an ihren makellosen Körper legte. April konnte die Konturen von Phyllis' Slip sehen. Konturen vom BH gab es keine, denn Phyllis haßte diese Dinger und trug sie niemals. Die harten Spitzen ihrer Brüste bohrten sich frech in das Gewebe. "Hören Sie, Miß Bondy!" stieß Phyllis nun ärgerlich hervor. "Mein Howie ist kein Pelzdieb. Warum hört Walker nicht auf, ihn zu verfolgen? Howie Messina ist ein herzensguter Mensch!" April hätte beinahe laut herausgelacht. Phyllis war wirklich so naiv; das zu glauben, was sie behauptete. "Howie hat noch niemals etwas Unrechtes getan, Miß Bondy!" Messina verdiente ein Mädchen wie Phyllis Falk nicht. Sie verteidigte ihren Liebhaber mit Klauen und Zähnen. Aber Howie Messina war diesen Einsatz nicht wert. "Walker ist auf dem Holzweg, wenn er immer noch der Meinung ist, er könne Howie den Pelzdiebstahl in die Schuhe schieben!" ereiferte sich Phyllis weiter. "Wann wird er das endlich einsehen? Wann werdet ihr Howie endlich in Ruhe lassen?" Aprils Augen wurden schmal. "Es ist bestimmt ein schöner Zug von Ihnen, daß Sie sich so heroisch vor Messina stellen, Miß Falk, aber sind Sie wirklich der Meinung, daß ein übler Verbrecher diesen Schutz verdient?" Phyllis blieb für einen Moment die Luft weg. "Howie ein übler Verbrecher?" fauchte das Mädchen dann in hochloderndem Zorn. "Miß Bondy, ich muß Sie schon sehr bitten, sich etwas zu mäßigen!" Nun war es auch mit Aprils Beherrschung fast vorbei. "Sind Sie so blind, Phyllis, oder sehen Sie wirklich nicht, was mit Howie Messina los ist?" "Er ist kein Verbrecher!" schrie Phyllis zornig. "Er ist sogar einer von der schlimmsten Sorte. Mein Gott, wie ist es möglich, daß er Sie so leicht hinters Licht führen konnte? Wissen Sie, weshalb ich zu Ihnen gekommen bin, Phyllis? Ich bin hier, weil Ihr ach so lammfrommer Howie beinahe einen eiskalten Mord begangen hätte." "Das glaube ich Ihnen nicht!" stieß Phyllis Falk wild hervor. "Das ist nie im Leben wahr!" "Walker war ihm auf den Fersen. Ihrem Howie war das lästig. Er wollte sich Walker ein für allemal vom Hals schaffen. Er hat ihm in der Nacht auf einem finsteren Parkplatz aufgelauert und ihn niedergeschossen." "Das kann nicht wahr sein!" schrie Phyllis zornig. "Howie besitzt keine Waffe." "Lieber Himmel", seufzte April. "Was sind Sie naiv." "Ich habe nie eine Waffe bei ihm gesehen." "Und auf die Idee, daß er sie vor Ihnen stets verborgen hielt, sind Sie wohl noch nicht von alleine gekommen, was?" erwiderte April Bondy scharf. "Er hat Walker nicht niedergeschossen. Niemals. Diese haltlosen Anschuldigungen können Sie unmöglich beweisen, Miß Bondy!" "Walker hat ihn gesehen. Er stand ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüber." Copyright 2001 by readersplanet
"Sie sagten, Walker wäre auf einem finsteren Parkplatz niedergeschossen worden. Wer weiß, wen er dort gesehen hat." April spürte, wie die Aufregung in ihren Schläfen tickte. War dieses Mädchen tatsächlich so maßlos von Messinas Unschuld überzeugt? Oder stand sie einfach vor ihm, weil sie ihn liebte und weil es ihr nichts ausmachte, mit einem Kerl zusammenzusein, der beinahe zum Killer geworden wäre. "Wo ist Messina?" fragte April Bondy eindringlich. "Ich weiß es nicht!" zischte Phyllis aggressiv. Ihre Augen waren ununterbrochen in Bewegung. Zumeist mied sie Aprils Blick. "Sie sollten es mir sagen, Phyllis", drängte April. "Ich weiß es wirklich nicht. Er mußte dringend geschäftlich verreisen." "Geschäftlich? Was für Geschäfte?" "Dafür interessiere ich mich nicht." "Das sollten Sie aber. Dann wüßten Sie nämlich, was für ein übler Bursche Ihr Howie wirklich ist." Phyllis zuckte zusammen, als hätte sie von April eine Ohrfeige bekommen. "Ich verbiete Ihnen, so über Howie Messina zu sprechen!" Einen Augenblick sah es so aus, als wollte sich das Mädchen auf April stürzen und ihr das Gesicht zerkratzen. Mühsam beherrschte sich Phyllis. Mit heiserer Stimme sagte sie: "Ich weiß zwar nicht, was für Geschäfte Howie tätigt, aber ich weiß, daß sie auf keiner ungesetzlichen Basis abgewickelt werden." Es war die Liebe. Sie machte Phyllis total blind. "Er ist gut zu mir", fügte das Mädchen den vorangegangenen Worten hinzu. "Sie wissen ja nicht, wie gut und sanft er zu mir ist. Deshalb haben Sie kein Recht, so häßlich über ihn zu reden. Ein Mensch wie er ist nicht in der Lage, etwas Unrechtes zu tun." "Wann kommt er von seiner Geschäftsreise zurück?" wollte April wissen. "Ich weiß es nicht." "Rufen Sie mich an, wenn er sich bei Ihnen wieder blicken läßt, Phyllis. Detektei Walker. Die Nummer steht im Telefonbuch." In Phyllis' Augen blitzte es. "Das werde ich ganz bestimmt nicht tun!" fauchte sie wütend, und April Bondy konnte sicher sein, daß Phyllis ihr soeben ein Versprechen gegeben hatte.
* Drei Tage verstrichen. Kein Anruf von Phyllis Falk. Kein Lebenszeichen von Howie Messina. Das Getriebe, das April Bondy so mühsam in Schwung gehalten hatte, war zum Stillstand gekommen. April duschte. Nachdenklich stand sie unter den nadelfeinen Brausestrahlen. Die weiche Fülle ihres blonden Haares war unter einer lindgrünen Duschhaube verborgen. Im Wohnzimmer lief das Radio. Stereo-Musik strömte aus den Boxen in den Raum und durch die ganze Wohnung. April drehte die Dusche ab und schlüpfte in ihren flauschigen Frotteemantel. Dean Martin sang im Radio. Dann kamen die Nachrichten: Henry Kissinger, Gerald Ford, Jimmy Carter... April hörte nur mit halbem Ohr zu. Sie stutzte erst, als die Meldung von einem Flugzeugabsturz kam. Eine Boeing war mit 115 Passagieren in den Atlantic gestürzt. Keine Überlebenden. Die Ursache des Absturzes war noch nicht geklärt. Es wurde aber ein Terroristenanschlag vermutet. Möglicherweise hatte sich eine Bombe an Bord befunden... Danach kamen die Wetteraussichten. April begab sich in die Küche und bereitete das Frühstück. Sie dachte noch eine ganze Weile an den gemeldeten Absturz. Als sie dann auf dem Weg zum St.-James-Hospital war, dachte sie nur noch an Jo. Copyright 2001 by readersplanet
Sie klopfte zuerst an die Tür von Dr. Bates' Büro. "Ja!" kam es von drinnen. April trat ein. "Guten Morgen, Breck." "Ah, April." "Wie geht's ihm heute?" Bates grinste. "Wir haben bereits unsere liebe Not mit ihm. Er nörgelt ununterbrochen. Nichts ist ihm recht, und wenn wir ihn zurechtweisen, sagt er keck: ,Wenn ich euch lästig falle, braucht ihr's nur zu sagen. Dann geh' ich eben nach Hause." Bates ging mit April zu Jos Krankenzimmer. Walker saß im Bett und wies grinsend auf den Arzt. "Halt mir diesen Folterknecht vom Leib, April." "Was tut er dir denn?" fragte April schmunzelnd. "Wenn ich nicht so gut erzogen wäre, würde ich dir mein Gesäß zeigen. Ganz zerstochen ist mein Allerwertester schon. Und es geschieht auf seine Veranlassung hin. Die Krankenschwestern hier sind schlimmer als Wespen. Die stechen bei jeder Gelegenheit." "Wie geht's deiner Brust?" fragte April. Jo grinste breit. "Hör mal, solche Fragen stellt man nicht, Mädchen. Was würdest du sagen, wenn ich dich so was fragen würde?" Dr. Bates grinste ebenfalls. "Ist er nicht wieder ganz der alte?" "Das sagst du jetzt!" knurrte Jo Walker. "Aber wenn wir allein sind, kannst du mir gar nicht oft genug einreden, wie dreckig es mir immer noch zu gehen hat." Jo verzog das Gesicht, als hätte er Essig getrunken. "Ich will hier raus, April. Aber denkst du, dieser hartherzige Bursche läßt mich gehen?" "Er wird seine Gründe haben, dich hierzubehalten", sagte April lächelnd. "Er braucht jemanden, den er ärgern kann, das ist alles. Ich bin gesund. Wenn du's möglich machst, daß Breck meine Klamotten rausrückt, gehen wir beide heute noch im Battery Park spazieren." Bates rieb sich die Nase. "Er ist der schwierigste Patient im ganzen Haus." "Darauf habe ich als dein Freund doch wohl ein Recht, oder?" blaffte Jo. "Glaub mir, du bleibst keine Minute länger hier drinnen, wie's unbedingt nötig ist", grinste Bates. "Wie lange hast du noch vor, mir das Leben zu vergällen?" erkundigte sich Jo. "Zwei Wochen mindestens noch." Jo stöhnte: "Das halte ich nicht aus." "Dafür bist du danach aber besser als neu", sagte Dr. Bates. Jo wies mit dem Zeigefinger auf den Arzt. "Wir sprechen uns noch, wenn wir unter vier Augen sind." Zu April gewandt fragte Kommissar X: "Hört man was von Howie Messina?" April warf dem Arzt einen kurzen Blick zu. Bates verstand. Er nickte. "Ich gehe. Eure Geschäfte interessieren mich nicht." Als Breck Bates draußen war, musterte April den Detektiv eine Weile schweigend. Er hatte abgenommen. Sein Gesicht war eckig, die Augen lagen in schattigen Höhlen. Wenn Jo lächelte, konnte er einen darüber hinwegtäuschen, doch wenn er einen Moment ernst war, konnte man ihm ganz genau ansehen, wie schlimm es ihn diesmal erwischt hatte. April zögerte. Jo wußte nicht, daß sie versucht hatte, Howie Messina auszuforschen, aber er ahnte es. Ihm konnte man einfach nichts vormachen. Deshalb holte sie nun tief Luft und beichtete ihm, daß sie versucht hatte, Messina zu finden. Er schloß die Augen, als sie mit ihrem Bericht fertig war, und sagte leise: "Ich bin froh, daß du Messina nicht gefunden hast. Sonst hätte er dir möglicherweise ebenfalls zu einem Aufenthalt in der Intensivstation verholfen."
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* Achtundvierzig Stunden später schwang die Tür zu April Bondys Vorzimmer auf. Wilkie Lenning hatte sich an diesem Tag nicht freimachen können. Er und seine Gitarre wurden in einem der größten New Yorker Tonstudios gebraucht. April beendete gerade ein Telefongespräch mit dem District Attorney, ließ den Hörer in die Gabel klappern und hob den Kopf, um zu sehen, wer eingetreten war. Ihre hübschen blauen Augen weiteten sich vor Staunen. Vor ihr stand Phyllis Falk. Sie schien geweint zu haben. Ihre Augen waren rot gerändert. Sie wirkte blaß, die Lippen bebten, ihr Blick war von düsterer Schwermut überschattet. Sie setzte sich auf den Besucherstuhl, ohne auf eine diesbezügliche Aufforderung zu warten. Mit zitternden Fingern klappte sie ihre tiefe Handtasche auf. Dann putzte sie sich mit einem verwelkten Papiertaschentuch geräuschvoll die Nase. "Ehrlich gesagt, daß Sie hier herkommen würden, hätte ich nicht erwartet, Miß Falk", sagte April, während sie das Mädchen neugierig musterte. "Was führt Sie zu mir?" "Können Sie es sich nicht denken?" "Howie Messina?" fragte April hoffnungsvoll. Phyllis schüttelte wortlos den Kopf. "Hat er Sie sitzengelassen?" fragte April weiter, denn diese Frage schien ihr bei Phyllis' Aussehen naheliegend. Phyllis hob den tränenverhangenen Blick. Sie schaute April vorwurfsvoll an und preßte heiser hervor: "Er ist tot. Jawohl. Howie Messina lebt nicht mehr! Ich bin zu Ihnen gekommen, um Ihnen zu sagen, dass Sie ihn nun nicht mehr zu suchen brauchen!"
* Sie konnte sich nicht mehr länger beherrschen, schluchzte laut auf und wischte die aus den Augen schießenden Tränen unbeholfen mit dem Papiertaschentuch ab. Der Verlust des Geliebten schmerzte Phyllis sehr. Ihr Gesicht war von tiefem Kummer geprägt. Howie Messina, der Mann, an den sie ihre ganze Liebe gehängt hatte, lebte nicht mehr. Die Welt war auf einmal so entsetzlich leer für sie. Solange er nur nicht bei ihr gewesen war, hatte sie sich auf den Tag gefreut, an dem er sie wieder in die Arme nehmen würde. Doch nun würde es dazu nie mehr wieder kommen. Das machte sie so unglücklich, wie sie es noch niemals gewesen war. "Wie ist es passiert?" fragte April Bondy, nachdem sich ihre hochschlagende Überraschung etwas gelegt hatte. "Bei einem Flugzeugabsturz ist er ums Leben gekommen", antwortete Phyllis. Sie holte ihre Zigaretten aus der Handtasche und fing nervös zu rauchen an. "Die Maschine ist mit 115 Passagieren in den Atlantik gestürzt." April erinnerte sich sofort an die Radionachricht. "Davon habe ich gehört. Es soll eine Bombe an Bord gewesen sein." Phyllis nickte verzweifelt. "Diese gottverfluchten Terroristen. Nichts ist vor ihnen sicher. Sie legen Bomben in Warenhäuser, in Untergrundbahnen, in Flugzeuge." Das Mädchen hob erregt die Stimme. "Man sollte mit ihnen allen kurzen Prozeß machen, dann würden sie eines Tages den Mut zu solchen gemeinen Taten verlieren." Howie Messina tot. Irgendwie konnte sich April Bondy mit dieser Tatsache nicht anfreunden. Ihr ganzes Denken und ihr Tun waren auf Messina ausgerichtet gewesen. Sie hatte ihn sich kaufen wollen, wie das so schön heißt. Sie hatte ihn für das zur Verantwortung ziehen wollen, was er Jo angetan hatte. Jetzt fühlte sie sich durch Messinas unerwarteten Tod um diese Genugtuung geprellt. Copyright 2001 by readersplanet
"Sie nannten ihn einen Verbrecher!" sagte Phyllis anklagend. Sie nahm einen hastigen Zug von der Zigarette, blies den Rauch an April vorbei, starrte April feindselig an. "Aber das war er nicht. Er war ein guter Kerl. Er hat auch während seiner Abwesenheit an mich gedacht. Ich kann es Ihnen beweisen. Bevor er ins Flugzeug stieg, hat er zu meinen Gunsten eine Lebensversicherung abgeschlossen. Man hat mich benachrichtigt. Ich kriege 30.000 Dollar." Phyllis schluchzte. "Ich wollte ich könnte tauschen. Mir liegt nichts an diesem Geld. Ich hätte lieber Howie zurück. Nicht alles Geld dieser Welt kann mir meinen Howie ersetzen."
* Drei Tage nach diesem Besuch in Jo Walkers Büro begab sich Phyllis Falk zur Versicherung. Es war ein kalter, windiger Tag. Am Himmel jagten graue Wolken hintereinander her. Papierfetzen sausten die Straßen entlang. Mehliger Staub wurde aus der Gosse hochgewirbelt. Phyllis krallte ihre Finger in den Mantel und zog ihn am Hals so fest zu, wie sie nur konnte. Ihr Gesicht war angespannt. Es entspannte sich erst, als sie den marmornen Versicherungspalast betrat. Einem Mann, den sie für kompetent hielt, zeigte sie das Schreiben, das sie bekommen hatte. "Neunzehnter Stock, Zimmer 1908, Miß", sagte der Mann freundlich. "Vielen Dank", sagte Phyllis. Sie wandte sich um und lief zu den zwei Dutzend Lifts. Acht Leute drängten sich mit ihr in die Kabine. Die meisten davon stiegen vor ihr aus. Dann kam der 19. Stock. Zaghaft trat sie in den Korridor. Ihr ratloser Blick wanderte über zahlreichen Glastüren. Dahinter war nervöses Schreibmaschinengeklapper zu hören. Phyllis konzentrierte sich auf die Zimmernummern. Vor 1908 blieb sie kurz stehen. Bevor sie sich ein Herz faßte, um anzuklopfen und einzutreten, schaute sie den Korridor noch einmal hinauf und hinunter. Dann holte sie tief Luft und klopfte. Niemand forderte sie auf, einzutreten. Sofort wuchs ihre Unsicherheit. Zögernd öffnete sie die Tür. Ein etwa achtzehnjähriges Mädchen saß an einem Schreibtisch, hinter dem sie beinahe verschwand. Sie trug einen weißen Pulli und eine goldene Uhr an einer Halskette, mit der sie gedankenverloren spielte, während sie telefonierte und zum Fenster hinaussah. Daß Phyllis da war, hatte sie noch nicht bemerkt. Sie lachte verlegen in die Membrane. "Oh, Jack, dieses Angebot macht man doch einer Dame nicht."... "Natürlich bin ich eine Dame."... "Es gibt auch in meinem Alter schon Damen."
* Das Mädchen alberte eine Weile mit dem Freund herum, ehe es mitbekam, daß jemand im Raum war, der das Gespräch mithörte. Ein Ruck ging durch ihren schlanken Körper. Sie sagte: "Du, ich muß Schluß machen. Vielleicht rufe ich dich später noch mal an." Dann legte sie hastig auf, drehte sich um und fragte Phyllis nach ihren Wünschen. Phyllis sagte nichts, sondern zeigte den Brief her. Das junge Mädchen erhob sich und begab sich nach nebenan. Sie bat Phyllis, zu warten. Das Schreiben nahm sie mit. Als sie wiederkam, lächelte sie freundlich. Wenig später saß Phyllis einem etwa fünfundvierzigjährigen Mann gegenüber. Seine Schläfen waren leicht angegraut. Er sah gut aus, war hervorragend und äußerst korrekt gekleidet. Er fand bewegte Worte, sprach ihr sein Beileid aus, sprach davon, wie erschütternd solche Ereignisse immer wären, versuchte ihr Worte des Trostes mit auf den Weg zu geben und unterzeichnete schließlich, nachdem Phyllis sich ausgewiesen hatte, ein Formular. Sie nahm es mit einem fragenden Blick entgegen.
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Der Versicherungsmann sagte: "Damit können Sie sich im dritten Stock Ihr Geld abholen, Miß Falk." Er drückte ihr zum Abschied innig die Hand und vergaß nicht zu erwähnen, daß seine Versicherungsgesellschaft jederzeit für sie da wäre. Dann fuhr Phyllis zum dritten Stock hinunter, erhielt da einen Barscheck über 30.000 Dollar, den sie gleich in der nächsten Bankfiliale in Dollarnoten umtauschte. Sie hatte echtes Geld sehen wollen. Nun sah sie es. Lauter schöne, glatte 1000-DollarScheine. Sie trug sie in einer großen Einkaufstüte nach Hause. 30.000 Dollar! dachte sie. Wie leicht ist es doch, den Wert eines Menschen in Zahlen auszudrücken. 30.000 Dollar - das war ein Synonym für Howie Messina. Benommen schloß Phyllis die Wohnungstür auf. Sie seufzte schwer. Auf jeden Fall würde sie von hier wegziehen. Mit dem Geld konnte sie sich eine schönere Wohnung leisten. Wegziehen. Weg aus Bay Ridge. Weg aus Brooklyn. Weg überhaupt aus New York. Denn diese Stadt würde sie ihr Leben lang an Howie Messina erinnern, und das könnte sie auf die Dauer nicht ertragen. Phyllis stieß die Tür mit dem Fuß zu und stellte die Tüte mit dem Geld ab. In diesem Moment bemerkte sie, daß sich jemand in ihrem Wohnzimmer regte. Sie erschrak heftig. Schritte kamen auf die halb geschlossene Tür zu. Die Tür schwang auf. Und Howie Messina trat ihr mit einem breiten Lächeln entgegen.
* "Howie!" stieß Phyllis fassungslos hervor. "Howie!" Sie krächzte es begeistert heraus, schnellte vorwärts und warf sich weinend in seine ausgebreiteten Arme. Sie küßte ihn wie verrückt. Er spürte ihre salzigen Tränen auf seinen Lippen und lachte. Er tätschelte ihren Po und streichelte zärtlich ihr rotes Haar. "Nun komm doch endlich wieder zu dir, Baby", lachte er. Phyllis drückte ihn an sich, so fest sie konnte. "Howie! Howie! Howie! Ich bin ja so unsagbar glücklich. Wie ist das möglich? Wieso lebst du?" Er drückte sie grinsend von sich. "Als ich von hier wegging, versprach ich, dir etwas mitzubringen." Er holte ein lederbezogenes Etui aus der Hosentasche und klappte es auf. Phyllis riß die Augen auf. "Eine goldene Uhr. Oh, Howie, das wäre doch nicht nötig gewesen." "Leg sie gleich an." Phyllis machte das. Ihre tränennassen Augen glänzten vor Freude. "Sie ist wunderschön, Howie." Er begab sich mit ihr ins Wohnzimmer. Sie sah ihn fassungslos an. Kopfschüttelnd meinte sie: "Ich kann es immer noch nicht begreifen. Es ist,... es ist ein Wunder. Es ist wie ein Traum, Howie. Ich war so furchtbar unglücklich... Und jetzt bin ich so entsetzlich glücklich... Als ich die Nachricht von deinem Tod bekam, war ich nahe daran, aus dem Fenster zu springen. Ich konnte es nicht fassen! Howie, wie kann es ein so herrliches Wunder geben? Sag mir, daß ich nicht träume. Bitte, bitte, sag es mir." Messina kniff sie grinsend in den Hintern. Sie quietschte. "Na", lachte er. "Ist das ein Traum? Bist du von einem Traum schon mal so in den Allerwertesten gekniffen worden?" "Howie, wieso... lebst du?" "Die Meldung, daß ich tot bin, beruht auf einem simplen Irrtum", sagte Messina. "Ursprünglich wollte ich mit dieser Maschine, die in den Atlantik stürzte, fliegen. Im hetzten Moment kam mir dann aber etwas dazwischen. Ich überließ meinen Platz einem Bekannten. Er flog mit meinem Ticket... Das ist das ganze Geheimnis dieses Wunders." Copyright 2001 by readersplanet
"Wieso hast du dich nicht gleich nach dem Absturz bei mir gemeldet?" fragte Phyllis vorwurfsvoll. "Du hättest dir doch denken können, wie mich diese Nachricht hernehmen würde." "Offengestanden, ich habe von dem Flugzeugabsturz erst gestern durch Zufall erfahren, Baby. Denkst du, ich hätte sonst gezögert, sofort zu dir zu kommen?" Phyllis weinte ihm vor Glück die Hemdbrust naß. "Ich komme soeben von der Versicherung. Ich habe das Geld bekommen, das du für mich bestimmt hast. Ich werde es heute noch zurückbringen." Messina verlangte, das Geld zu sehen. Phyllis holte die Banknoten. Er breitete sie mit einem gierigen Glitzern in den Augen auf dem Tisch aus. "Dreißigtausend Dollar!" sagte er heiser. "Was für ein erhebender Anblick." "Es gehört uns nicht, Howie." "Die Versicherungsgesellschaft hat es dir doch gegeben. Also gehört es dir." "Man hat es mir gegeben, weil du nicht mehr am Leben warst. Jetzt lebst du aber wieder. Folglich haben wir kein Recht auf dieses Geld." Howie Messina grinste. "Hör mal, niemand ist so verrückt, 30.000 Dollar zurückzugeben, Baby." "Ich schon." "Überleg doch mal, was wir mit diesem Geld alles anstellen könnten." "Es ist unrechtmäßig erworbenes Geld, Howie. Ich mag es nicht." "Aber ich mag es!" sagte Messina ernst. Phyllis schaute ihn erstaunt an. "Howie!" sagte sie erschrocken. Messina lachte verlegen. "Geld stinkt doch nicht, Baby. Und diese Versicherungsgesellschaften haben soviel davon, daß ihre Tresore aus den Fugen platzen. Es wäre doch unsinnig, diesen Leuten etwas zurückzugeben, wovon sie sich so leichten Herzens getrennt haben." Phyllis blinzelte nervös mit den Augen. "Howie, das, was du vorhast, nennt man Versicherungsbetrug." "Werden wir nicht alle laufend betrogen?" fragte Messina mit einem unschuldigen Lächeln. "Ich mache bei so etwas nicht mit, Howie!" stellte Phyllis mit trotziger Stimme klar. "Du weißt, daß du von mir vieles verlangen kannst, aber nicht so etwas! Kein Verbrechen. Und eine Versicherung zu betrügen noch dazu um eine solche Summe -, das ist ein Verbrechen!" Howie nahm das Mädchen in seine Arme. "Sei doch kein dummes Kind, Phyllis..." "Das bin ich nicht." Phyllis versuchte sich aus seiner Umarmung herauszuwinden. Er ließ es nicht zu. "Dieses Geld gehört uns nicht." "Mein Gott, bist du schwierig", sagte Messina verstimmt. "Na schön; wenn du es nicht haben willst, dann beanspruche ich es eben für mich allein..." "Ich muß es zurückbringen, Howie, sonst mache ich mich strafbar." Messina lachte blechern. "Du kannst es nicht zurückbringen, Baby, denn ich gebe es nicht mehr her." Phyllis riß sich von ihm los. "Ich habe dir schon mal gesagt, daß ich dabei nicht mitmache!" "Du hast keine andere Wahl", sagte Messina mit einem kalten Lächeln um die Lippen. "Ich gebe das Geld nicht mehr zurück. Was willst du dagegen unternehmen? Mich anzeigen? Würdest du das wirklich tun? Würdest du mich ins Gefängnis bringen wollen, Phyllis? Ich kann mir nicht vorstellen, daß du so herzlos sein könntest. Das bringst du doch nicht fertig." Phyllis rang die Hände. "Howie, so nimm doch Vernunft an. Sie werden dahinterkommen, daß du nicht tot bist..."
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"Hör mal, New York ist ein einziger riesiger Schlupfwinkel. Hier kann sogar der meistgesuchte Verbrecher ziemlich ungeniert die Fifth Avenue entlangschlendern. Diese Stadt ist voll von Gesichtern. Wem sollte in dieser riesigen Menschenmenge schon meine Visage auffallen?" Ein harter Zug legte sich um Messinas Mund. "Das Geld bleibt hier", sagte er scharf. "Und damit hat sich's." Phyllis wich vor Messina mit kleinen Schritten zurück. Wut blitzte ihm aus ihren Augen entgegen. "Tut mir leid, Howie. Aber genau das wird nicht geschehen." Messina schoß eine Zornwelle in den Kopf. Er lief rot an. Jähzorn war seit seiner frühesten Jugend sein größter Fehler gewesen. "Verflucht noch mal, soll ich denn alles umsonst gemacht haben?" schrie er so laut, daß ihm die Adern weit aus dem Hals traten. "Gemacht?" fragte Phyllis konsterniert. "Was hast du denn gemacht?" "Meine Güte, bist du vielleicht naiv!" blaffte Messina gereizt. "Ich mußte die Bombe besorgen und den Mann, der statt mir die Reise in die Hölle machte. Das hat mich eine hübsche Stange Geld gekostet!" Phyllis stand wie gelähmt da. "115 Menschenleben!" stöhnte sie entsetzt. "115 Menschenleben hast du wegen dieser gottverdammten 30.000 Dollar geopfert! Howie, sag, daß das nicht wahr ist! Herrgott, Howie, sag, daß das eine verrückte Lüge ist!" Messina schüttelte mit verkniffenem Mund den Kopf. "Nein, Baby. Es ist keine Lüge. Es ist die Wahrheit." Phyllis begrub ihr Gesicht in den zitternden Händen. "Mein Gott," stammelte sie. "Mein. Gott, du bist wahnsinnig, Howie!"
* Sie lief zur Hausbar und goß ein Whiskyglas bis an den Rand mit Scotch voll. Gierig trank sie. Aber schon nach dem vierten kräftigen Schluck ekelte sie sich vor dem Zeug. Sie warf das Glas schluchzend auf den Boden. Der Whisky klatschte auf den Teppich. Das Glas blieb heil. Es polterte unter die Kommode. "Verstehst du jetzt, weshalb wir das Geld behalten werden?" fragte Messina mit spröder Stimme. Phyllis starrte ihn entgeistert an. Das war der Mann, dem sie nicht die kleinste Straftat zugetraut hatte; O Himmel, wie entsetzlich enttäuscht war sie jetzt von ihm. Heiser preßte sie hervor: "Sie hatte also doch recht. Ich wollte ihr nicht glauben, hielt alles für eine infame Lüge, aber sie sagte die Wahrheit. Es stimmt, was sie behauptete: Du bist ein Verbrecher der übelsten Sorte." "Wer hat das gesagt?" fragte Messina mit schmalen Augen. Er lief auf Phyllis zu, packte sie an den Schultern und schüttelte sie kräftig. "Wer hat das behauptet? Wer? Wer?" "April Bondy. Sie war hier." Messina stieß die Luft geräuschvoll aus. "Was hat sie alles gesagt? Erzähle! Los, Phyllis. Erzähle!" Phyllis berichtete ihm alles. Es war für ihn neu, zu hören, daß Jo Walker den Mordanschlag überlebt hatte. "Warum hast du auf Walker geschossen, Howie?" fragte Phyllis mit blassen Wangen. "Zu mir hast du gesagt, du würdest mit ihm reden." "Mit diesem Schwein kann man nicht reden. Eine Kugel, das kapiert er am schnellsten! Du weißt doch, daß er mir auf den Fersen war. Ich wußte ihn mir vom Hals schaffen. Teufel, ich Copyright 2001 by readersplanet
gäbe wer weiß was darum, wenn ihn meine Kugel erledigt hätte." Phyllis schüttelte verstört den Kopf. "Wie kann ein Mensch nur so entsetzlich kalt sein, Howie." Messina grinste spöttisch. "Jeder kann eben nicht so edel sein wie du oder Walker." Phyllis ging an ihm vorbei. Sie raffte alles Geld in die Einkaufstüte. "Was machst du da?" fragte Messina gereizt. "Ich tue das einzig Richtige. Ich bringe dieses Geld der Versicherung zurück." "Das wirst du bleiben lassen!" fauchte Messina zornig. "Laß die Finger von meinem Geld! Verdammt noch mal, in diesen Dingen verstehe ich absolut keinen Spaß, Phyllis." Das Mädchen schaute Messina unerschrocken an. Sie liebte ihn nicht mehr. Etwas war ganz plötzlich in ihr zerbrochen. Was sie für Howie Messina empfunden hatte, existierte auf einmal nicht mehr. Die Nachricht von seinem Tod hatte sie nicht so sehr erschüttert wie diese Enttäuschung. Das letzte Banknotenbündel flog in die Tüte. Howie Messina stellte sich breitbeinig in den Türrahmen. Seine Augen waren jetzt schmale Schlitze. Er atmete heftig. "Hier kommst du nicht raus, Baby. Nicht mit meinem Geld!" "Laß mich vorbei!" sagte Phyllis ungerührt. Messina schüttelte stumm den Kopf. Phyllis machte zwei entschlossene Schritte auf ihn zu. Da holte er blitzschnell aus. In der nächsten Sekunde brannte ihre Wangen von der kräftigen Ohrfeige, die er ihr gegeben hatte. Er schlug gleich noch einmal zu. Phyllis wankte zurück. Er ging ihr mit blutunterlaufenen Augen nach. Da bekam sie Angst vor ihm und wollte gellend um Hilfe schreien. Doch Messina ließ das nicht zu. Er legte seine Hände um ihren Hals und drückte so lange zu, bis die Beine unter ihrem Körper wegknickten. Mit blicklosen Augen starrte sie ihn an. Er knurrte: "Tut mir leid, Baby. Das wollte ich nicht. Aber es ließ sich - verdammt noch mal nicht vermeiden!"
* Er wartete auf den Abend. Rauchend saß er im Wohnzimmer. Da wo Phyllis zu Boden gesunken war, lag sie immer noch. Jetzt war sie bereits kalt. Messina drückte die Zigarette im Aschenbecher aus und blieb noch eine Weile in der Dämmerung reglos sitzen. Eine gespenstische Stille hatte sich in der Wohnung ausgebreitet. Hin und wieder knackte irgendwo ein Brett. Draußen in der Küche tickte die Uhr mit monotonen Schlägen. Messina war nicht traurig darüber, daß es mit Phyllis so gekommen war. Er hatte sich ohnedies von ihr trennen wollen. 15.000 Dollar als Trostpflaster hätten seiner Meinung nach reichen müssen. Nun gut. Dann war es eben auf diese Weise geschehen. Auch nicht schlecht. Nun hatte er die doppelte Summe zur Verfügung. Endlich war es dunkel genug. Messina trat ans Fenster und blickte zur Straße hinunter. Jetzt konnte er es wagen. Schnell beseitigte er alle seine Spuren in der Wohnung. Dann schaffte er Phyllis' Leichnam zu dem geklauten Wagen hinunter, mit dem er gekommen war. Hastig warf er die Tote in den Kofferraum. Dann setzte er sich hinter das Lenkrad und fuhr los. Acht Straßen weiter gab es eine Baustelle. Hier hielt er kurz an. Er schleppte Eisen, Schalsteine und mehrere Nylonstricke zum Kofferraum und fuhr dann weiter. In der Nähe der Verrazano-Narrows Bridge entdeckte er einige unbeaufsichtigte Motorboote. Er suchte sich das richtige aus, trug Phyllis an Bord, holte den gesamten Ballast nach und fuhr mit der Toten ein Stück aus der Lower New York Bay hinaus. Rasch, aber trotzdem gewissenhaft, packte er die Leiche samt Eisen und Schalsteinen zu einem schweren Paket zusammen.
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Dabei kam er ins Schwitzen. Als die Nylonstricke festgezurrt waren, richtete er sich seufzend auf. Er wischte sich mit dem Ärmel den Schweißfilm von der Stirn. Seine Augen suchten die Dunkelheit ab, die auf dem glatten, stillen Wasser lag. Kein einziges Boot war in der Nähe. Die Gelegenheit war günstig. Messina bückte sich. Er schob die Tote keuchend über den Bootsrand hinaus. Der beschwerte Körper bekam Übergewicht und plumpste sogleich ins Wasser. Das Mädchen verschwand in der Tiefe. Ein paar Luftblasen blubberten noch. Danach herrschte wieder Stille.
* In der letzten Woche hatte sich Jo Walker so oft wie möglich - und natürlich unter gestrenger ärztlicher Kontrolle - im Krankenhausturnsaal aufgehalten. Und er hatte so viel Kondition wie nur irgend möglich für sich herausgeschunden. Dr. Bates hatte den "schwierigsten Patienten vom ganzen Haus" von den Krankenschwestern mästen lassen. Und als sich nach vier Wochen die Hospitaltore für Jo Walker öffneten, konnte ihm keiner mehr ansehen, daß sein Leben an einem seidenen Faden gehangen hatte, als man ihn hier eingeliefert hatte. Nicht mal blaß war er. Die gesunde Bräune stammte von der täglichen Höhensonnenbestrahlung, die ihm Breck Bates zusätzlich verordnet hatte. April Bondy strahlte über das ganze Gesicht, als sie Jo abholte. Dr. Bates brachte den Detektiv und seine bezaubernde Sekretärin in die Aula. Da drückten sich die Männer fest die Hand. "Rechne nicht so bald wieder mit mir", sagte Jo Walker grinsend. "Es hat mir bei euch absolut nicht gefallen." Bates schmunzelte. "Darf ich deinen Namen zu Reklamezwecken benützen?" "Wenn du mich am Profit beteiligst - Ja." Bates sah April an und meinte lachend: "Ich hätte ihm, als ich seine Brust offen hatte, die Profitgier gleich mit herausschneiden sollen." Bates wandte sich wieder an Jo und fügte seinen Worten ernst hinzu: "Paß in Zukunft etwas besser auf dich auf, verstanden? Es gibt Verletzungen, die man nicht einmal mit einem Wunder heilen kann." Jo und April verließen das Hospital. Walker sog die abgashaltige Luft ein und meinte schmunzelnd: "Es stinkt zwar, aber es ist die Freiheit, die ich endlich wieder atmen darf." Sie bestiegen ein Taxi. April nannte dem Fahrer Jos Adresse, doch Kommissar X disponierte während der Fahrt um. "Fifth Avenue", sagte er, und der Cab Driver nickte. "Sie kennen doch Delvac & Sons, die renommierteste Juwelierfirma New Yorks." "Klar kenn' ich die, Sir." "Da wollen wir hin", nickte Jo. April schaute ihn von der Seite erstaunt an. "Bist du sicher, Jo, daß wir da hinwollen?" "Absolut sicher." Grinsend legte Kommissar X seiner Assistentin die Hand auf den Arm. "Du hast meinen Laden während meiner Abwesenheit so prima geführt, daß ich dir dafür etwas schenken möchte." "Ich hab' doch nichts weiter als meinen Job getan, Jo." Walker hob die Hand. "Keine Widerrede. Du suchst dir bei Delvac & Sons etwas Hübsches aus." Die Fassade des Gebäudes, in dem die bekannte Juwelierfirma etabliert war, wirkte schlicht und doch vornehm. Kein unnützer Pomp. Dezent zu sein, war hier geradezu ein Dogma. Auch für die Angestellten. Mit einem von ihnen war Jo Walker befreundet. Der Mann hieß Laurence Reed und hatte eine leitende Position in dieser großen, seriösen Firma inne. "So, da wären wir", sagte der Taxifahrer und notierte die Fahrt. April bezahlte. Sie stiegen aus. Jo betrat mit seiner Assistentin das vornehme Haus. Er ließ sich von einem blaßgesichtigen Burschen bei Laurence Reed melden. Sie wurden sogleich empfangen. Copyright 2001 by readersplanet
Reeds Büro lag im dritten Stock. Die Wände waren holzgetäfelt, der Teppich war so strapazierfähig, daß ihn nicht einmal eine Elefantenherde hätte niedertrampeln können. Die Einrichtung war teuer und gediegen. Reed schnellte von seinen Schreibtischsessel hoch. Er war so groß wie Jo und auch so alt wie er. Sie brachten beide ungefähr das gleiche Gewicht auf die Waage nur... bei Jo waren das Muskeln, während Reeds Gewicht mehr um die Leibesmitte saß. "Jo!" rief Reed begeistert aus. "Was für eine Freude, dich wiederzusehen." "Ich bin in der Siebten zu Hause. Du läßt dich da ja nie blicken." Reed hob entschuldigend die Schultern. "Zuviel zu tun." Er wandte sich an April. "Sie sind seine Sekretärin, nicht wahr? Wir haben schon einige Male miteinander telefoniert." "Sie ist nicht nur meine Sekretärin", korrigierte Jo den Freund. "Sie wird von mir darüber hinaus auch zur Detektivin ausgebildet." "Sie werden die charmanteste Detektivin von ganz New York sein, Miß Bondy", sagte Reed lachend. "Bitte setzt euch. Was möchtet ihr trinken?" "Mach dir keine Umstände", sagte Jo und fläzte sich in die Sitzgruppe. "Whisky?" fragte Reed den Detektiv. "Sherry?" fragte er Walkers Assistentin. Sie nickten beide gleichzeitig. Reed drückte auf einen Knopf der Sprechanlage und bestellte zwei Whisky und einen Sherry. Eine hübsche Sekretärin brachte die Drinks zwei Minuten später. Reed sprudelte vor Herzlichkeit nur so über. Jo fragte: "Wie geht es der kleinen Maggie?" Reeds Augen leuchteten. Das taten sie immer, wenn ihn jemand nach seiner zehnjährigen Tochter fragte. "Maggie wird langsam eine kleine Dame." "Und Katy?" fragte Jo. "Sie ist wohlauf." Reed lachte. "Sie hat den besten Ehemann, den sie kriegen konnte." Jo schmunzelte. "Weiß sie das auch?" "Na hör mal", gab Reed mit gespielter Entrüstung zurück. Dann wollte er hören, wie es Jo immer ging. Walker erzählte von seinem vierwöchigen Krankenhausaufenthalt. Laurence Reed hörte mit besorgter Miene zu. "Heute bist du rausgekommen?" fragte Reed, als Jo mit seiner Geschichte fertig war: Jo nickte. "Und wie fühlst du dich?" fragte Reed voller Anteilnahme. "Ich fühle mich gut. Wirklich okay. Breck Bates ist ein hervorragender Arzt. Außer Schnupfen kann der alles kurieren." "Du mußt mal wieder zu uns kommen, Jo", sagte Reed herzlich. "Und deine reizende Assistentin bringst du mit, klar? Katy würde sich über euren Besuch bestimmt sehr freuen." Jo nickte. "Okay, Laurence. Wir werden es irgendwann in den nächsten Tagen möglich machen." "Du rufst mich dann vorher kurz an, ja?" "Mach' ich, Laurence. Und nun zum Geschäft." Jo wies auf April. "Dieses Mädchen hier hat während ich untätig im Krankenhaus herumliegen mußte - so viel für mich getan, daß ich nun gern etwas für sie tun möchte. Sie soll sich bei euch was Hübsches aussuchen." Reed begab sich mit ihnen in den Verkaufsraum. Nach langem Hin und Her entschied sich April Bondy für ein paar entzückende Ohrringe aus Platin. Jo schüttelte dem leitenden Angestellten von Delvac & Sons zum Abschied die Hand. Reed hob den Zeigefinger: "Nicht vergessen, was du versprochen hast." Jo schüttelte schmunzelnd den Kopf. "Ganz bestimmt nicht." Sie freuten sich alle drei auf das Wiedersehen. Sie konnten zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen, daß dieses Wiedersehen unter recht unerfreulichen Aspekten zustande kommen würde...
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* Carmen Hood hatte jene Rasse, von der sich die Männer in Scharen angezogen fühlten. Ihr rabenschwarzes Haar fiel in weichen Wellen auf die wohlgerundeten Schultern. Hinter ihrem hübschen Gesicht verbarg sich nur dürftig der Ausdruck einer wilden, zügellosen Leidenschaft. In ihrem Blick lag so viel Feuer, daß sie damit jeden Mann in Brand setzen konnte. Ihr sündhaft schöner Mund war ein einziges atemloses Versprechen. Der Nightclub, in dem sie als Sängerin auftrat, nannte sich "Joker". Sie war seit zwei Jahren mit Jefferson Hood verheiratet. Hood managte sie nicht schlecht seit vier Jahren. Die Angebote, die er ihr auf den Tisch des Hauses legte, konnten sich sehen lassen. Und sie wurden immer besser, je länger Carmen im Geschäft war. Sie liebte ihren Mann. Aber sie tat es auf ihre Weise, und sie liebte neben ihm noch viele andere Männer. Jefferson hatte Kenntnis davon, doch es störte ihn nicht. Für ihn war Carmen eine gottbegnadete Künstlerin. Solche Menschen durfte man nicht mit normalen Maßstäben messen. Carmen brauchte diese gelegentliche Abwechslung. Und sie haßte das Gefühl, an irgend jemanden gebunden zu sein. Sie brauchte ihre Freiheit, um sich künstlerisch entfalten zu können. Sie brauchte diese Freiheit auch und vor allem in der Ehe, die für sie nicht zum Kerker werden durfte. Jefferson Hood machte ihr in dieser Hinsicht keinerlei Schwierigkeiten. Er respektierte Carmens Wünsche, und er peinigte sie niemals mit irgendwelchen Eifersuchtsszenen, die letzten Endes nichts eingebracht, sondern nur an Carmens künstlerischer Substanz gezehrt hätten. Howie Messina saß in lässiger Haltung auf einem der Barhocker und hörte sich mit halb geschlossenen Augen an, was Carmen dort oben auf der Bühne sang. Der Nightclub war wie immer gut besucht. Viele Gäste waren nur gekommen, um Carmen singen zu hören. Sie war wirklich eine hervorragende Künstlerin, und sie hatte noch eine steile Karriere vor sich, wenn sie so weitermachte. Carmen ging in ihren Liedern auf. Sie trällerte sie nicht nur hölzern herunter, sondern sie erlebte den Text auf eine faszinierende Weise mit. Hood saß neben Messina. Er war nicht sonderlich attraktiv, war hager, hatte dünnes, schütteres Haar und eine lange, spitze Nase. "Die singt alles an die Wand, was derzeit bei uns in Amerika dick im Geschäft ist", behauptete Jefferson Hood. "Das sage ich nicht deshalb, weil sie meine Frau ist oder weil ich ihr Manager bin, sondern weil es stimmt." "Sie ist wirklich Spitze", nickte Messina. "Sie können sich zu Carmen gratulieren, Jeff." "Ihre LP klettert gerade die Verkaufsleiter hoch. Ist erst seit einer Woche auf dem Markt und steht schon auf Platz zwanzig. Natürlich geben wir uns damit nicht zufrieden. Ich möchte sie in einem halben Jahr auf dem Broadway groß rausbringen. Die planen da ein neues Musical. Soll besser einschlagen als seinerzeit ,My Fair Lady'. Und sie haben noch keine Sängerin gefunden, der sie die Rolle mit gutem Gewissen geben können. Sobald das Stück auf dem Broadway ein Erfolg ist, werden sich die Filmleute darum reißen, und wenn das erst mal passiert ist, ist Carmen über Nacht ein weitbekannter Star." Messina grinste. "Ich halte ihr dafür die Daumen." Hood nickte zuversichtlich. "Sie schafft es. Da bin ich ganz sicher." Er rutschte vom Hocker. Sein Blick fiel noch einmal auf die Quarz-Uhr, die er am Handgelenk trug. "Für mich ist es Zeit. Ich verdrück' mich. Habe morgen mit einem verdammt harten Verhandlungspartner in den Ring zu klettern. Amüsieren Sie sich noch gut." "Vielen Dank. Und viel Glück für morgen." "Danke," sagte Jefferson Hood und strebte auf den Ausgang zu. Messina grinste hinter dem Mann her. Da geht er, dachte er, und hat keinen blassen Schimmer, daß er sich gerade mit dem neuesten Liebhaber seiner mannstollen Frau unterhalten hat. Copyright 2001 by readersplanet
* Nach ihrem Auftritt empfing Carmen den neuen Liebhaber in ihrer Garderobe. Messina trat mit einem selbstsicheren Lächeln ein und drückte die Tür hinter sich zu. "Schließ ab!" verlangte sie schwer atmend von ihm. Er drehte den Schlüssel im Schloß herum. "Zu," sagte er schmunzelnd. "Jetzt stört uns keiner", keuchte Carmen leidenschaftlich. Sie schlang ihm wild die Arme um den Hals. Noch trug sie das elegante Kleid im Las-Vegas-Stil. Während sie sich erwartungsvoll und vor Erregung heftig zitternd an ihn preßte, zog Messina ihr das Kleid aus. Die Garderobe war klein. Trotzdem hatte Carmen darauf bestanden, daß man ihr eine Couch hereinstellte. Sie müsse sich zwischen den Auftritten hinlegen können, hatte sie gesagt. Hinlegen. Das stimmte. Aber sie tat dies niemals allein. Bekannt war sie mit Howie Messina schon seit einem halben Jahr. Ihr Liebhaber war er erst seit einer Woche, und sie wußte heute mehr von ihm, als Phyllis Falk jemals gewußt hatte. Er hatte schnell erkannt, daß er ihr bedingungslos vertrauen konnte, und so hatte er ihr gebeichtet, daß er bereits verschiedene Male Straftaten begangen hatte, von der Polizei aber noch niemals erwischt worden war. Carmen fand es aufregend, einen Verbrecher zum Freund zu haben. Davon, daß er 115 Menschen mit einer Bombe getötet hatte, sprach er selbstverständlich nicht. Auch nicht von dem, was er mit Phyllis Falk gemacht hatte. Es gab genügend andere Dinge zu erzählen, die ihn in Carmens Achtung mächtig steigen ließen. Vor zwei Tagen hatte sie sich ganz von selbst angeboten, ihm bei seinem nächsten Coup behilflich zu sein. Sie hatte sogar den Vorschlag gemacht, irgend etwas für ihn auszubaldowern, und heute hatte sie ihn in dem Hotel, in dem er unter falschem Namen wohnte, angerufen, weil sie der Meinung war, ihm den Coup seines Lebens anbieten zu können. Während er sie leidenschaftlich an sich preßte, flüsterte sie ihm atemlos ins Ohr: "Ich habe etwas für dich, Howie. Etwas, das dich mit einem Schlag reich machen würde." "Was ist es?" fragte Messina keuchend. Carmen schüttelte mit einem verschmitzten Lächeln den Kopf. Sie wies mit dem Kinn auf die Couch. "Du wirst dir den Tip dort verdienen. Du mußt dir sehr, sehr viel Mühe geben, Howie, sonst verrate ich dir kein Wort." "Du Luder", knurrte er grinsend. Dann hob er sie hoch und warf sie auf die Couch... Und er gab sich sehr, sehr viel Mühe. Mit keinem anderen Mann war Carmen jemals so zufrieden gewesen wie mit ihm. Später verlangte er: "Laß hören, was du für mich hast." Carmen zündete zwei Zigaretten zur gleichen Zeit an und reichte ihm dann eine. "Wie sehr bist du an Diamanten interessiert, Howie?" fragte sie ihn mit einem schelmischen Augenzwinkern. "Industriediamanten?" "Nicht doch. Die lupenreinsten, schönsten Diamanten, die du dir denken kannst." "Wieviel sind sie wert?" "Annähernd eine Million Dollar." Messina setzte sich mit einem Ruck auf. Seine Augen funkelten begeistert. "Mädchen, daran bin ich verdammt stark interessiert!" stieß er erregt aus. "Diese Diamanten werden regelmäßig für einen der größten Juweliere von New York angeliefert", erzählte Carmen Hood. "Woher weißt du davon?" fragte Messina. Sein Mund war ganz trocken, "Einer unserer Gäste hat ein bißchen viel geplaudert, als er betrunken war." Messina schüttelte lachend den Kopf. "Was Gäste nicht so alles tun." Mit ernster Miene fragte er: "Wie heißt die Juwelierfirma?" Copyright 2001 by readersplanet
"Delvac & Sons." "Das aktivste Unternehmen in letzter Zeit", nickte Messina mit geschürzter Lippe. "Ich weiß nicht, ob dir bekannt ist, daß mein Mann mit irgend so einer Hupfdohle ein Kind hat", sagte Carmen und nahm wieder einen Zug von ihrer Zigarette. "Ist mir neu", erwiderte Messina. Carmen nickte. "Es ist ein Mädchen. Sie ist zehn Jahre alt. Die Mutter kümmert sich nicht genug um die Kleine, deshalb hat Jefferson sie in ein Halbinternat gesteckt. Sie kann da eine ganze Menge lernen. Wer weiß, vielleicht wird doch noch ein ganz brauchbarer Mensch aus ihr. Jedenfalls geht Jeffersons Kleine mit der Tochter eines gewissen Laurence Reed in dieselbe Klasse. Und nun schließt sich der Kreis, den Laurence Reed, ist einer der leitenden Angestellten von Delvac & Sons." Messina rieb sich begeistert die Hände. "Au, verdammt!" Er hatte bereits begriffen, worauf ihn Carmen stoßen wollte. Sie sprach es nun noch aus: "Wenn du dir Maggie Reed für eine kleine Weile ausleihst, frißt dir Laurence Reed aus der Hand." Messina nickte hastig. "Komm!" keuchte er ungeduldig. "Komm, Baby. Erzähl mir mehr über die Sache!"
* April Bondy trat mit weinerlicher Miene in Jo Walkers Büro. Kommissar X blickte von der Zeitung auf. "Was hast du denn?" "Mir tun die Füße weh. Den ganzen Tag bin ich aus den Schuhen nicht rausgekommen." "Ja, ja. Ein Gehalt will verdient sein", grinste Jo. Ekel", gab April zurück. Sie schlüpfte aus den Schuhen und setzte sich auf den Besucherstuhl, der vor Walkers Schreibtisch stand. "Was kann ich für Sie tun, Ma'am?" fragte Jo und legte die Zeitung weg. "Du brauchst mir nur zuzuhören. Die Arbeit erledige neuerdings ohnedies ich für dich." Jo grinste. "Ich bin ein kranker Mensch." "Dann mußt du noch mal zu Breck Bates zurück." "So krank bin ich nun auch wieder nicht. Was für Neuigkeiten hast du? Laß hören." "Ich komme soeben von dieser Versicherungsgesellschaft, bei der Howie Messina sein Leben auf 30.000 Dollar versichern ließ, bevor er das Flugzeug bestieg, das dann von einer Bombe zerfetzt wurde und in den Atlantik stürzte." Jo hob einen Finger. "Ob er tatsächlich an Bord war, muß erst noch bewiesen werden." "Sein Name stand auf der Passagierliste. Und sein Platz war besetzt." "Okay. Sein Platz war besetzt. Aber war er besetzt von Howie Messina?" "Was für eine Antwort soll ich dir darauf geben?" "Die richtige", lächelte Jo. "Da, wo die Maschine ins Meer gestürzt ist, haben die Haie ganze Arbeit geleistet. Von den 115 Passagieren blieb so gut wie gar nichts übrig", erzählte April. "Die Versicherungsgesellschaft ist daher gezwungen, anzunehmen, daß sich auch Howie Messina unter den Toten befunden hat. Denkst du, sonst wären die 30.000 Dollar an Phyllis Falk ausgezahlt worden? Ich kenne keine Versicherung, die gern zahlt. Wenn auch nur der geringste Zweifel darüber bestanden hätte, daß Howie Messina wirklich tot ist, hätte die Versicherung keinen löcherigen Cent herausgerückt. Ich finde, langsam sollten auch wir uns mit dem Gedanken vertraut machen, daß Howie Messina tatsächlich abzuschreiben ist." Copyright 2001 by readersplanet
Jo spielte mit seinem Tischfeuerzeug. "Mir will das nicht so recht schmecken, April." "Ich weiß. Du verläßt dich wieder einmal auf deinen Instinkt. Er sagt dir, daß Messina mal wieder ein ganz linkes Ding gedreht hat, und du bist bereit, das zu glauben. Aber kann sich denn dein Instinkt nicht mal irren, Jo?" "Natürlich kann er das." Kommissar X rümpfte die Nase. "Mir paßt, das aber alles viel zu glatt zusammen: Messina schießt mich nieder. Anschließend verschwindet er von der Bildfläche. Vielleicht hat er die Absicht, für immer oder zumindest für längere Zeit unterzutauchen. Am besten klappt so etwas, wenn man alle Welt glauben macht, man wäre tot. Hinter einem Toten jagt keiner mehr her. Der wird in Ruhe gelassen. Darüber hinaus gibt es 30.000 Dollar Handgeld, die von der Freundin kassiert werden. Darüber kann Messina jederzeit verfügen. Des weiteren ist heutzutage eine Bombe in einem Flugzeug ein Ding, das man jederzeit irgendwelchen Terroristen unterjubeln kann. Kein Mensch zweifelt an dieser Möglichkeit. Es gehen ja unentwegt auf der ganzen Welt irgendwelche Terroristenbomben in die Luft. Was mich an dieser Sache stört, ist der Umstand, daß sich bis zur Stunde noch keine Terroristengruppe gemeldet hat, um für diesen Bombenanschlag die Verantwortung zu übernehmen, wie das in vielen anderen Fällen geschehen ist. Das ist der Hauptgrund, weshalb ich mich weigere, anzunehmen, daß Howie Messina in dieser Boeing gesessen hat und zu den Opfern des Absturzes gehört. Mir sagt mein Gefühl, daß Messina die Maschine in die Luft gejagt hat, damit er mal wieder ein bißchen Geld in seinen Sparstrumpf kriegt. Die ganze Angelegenheit stinkt meines Erachtens ganz kräftig nach Versicherungsbetrug. Noch kann ich das nicht beweisen, deshalb bin ich der Meinung, wir sollten uns - vorläufig aus der Ferne - ein wenig um Phyllis Falk kümmern, denn sie hat das Geld, das Howie Messina haben will. Wenn er am Leben ist, wird er es sich früher oder später bei ihr abholen." "Wenn er am Leben ist!" sagte April Bondy ungläubig, denn sie konnte sich nicht dazu überwinden, diese Meinung mit Jo Walker zu teilen. Jo nickte langsam. "Er lebt, April. Ich kann ihn fast körperlich spüren. Es würde mich nicht wundern, wenn er schon bald wieder von sich reden machte."
* Manche Leute nennen es den sechsten Sinn, und es ist ein großer Vorteil, wenn ein Privatdetektiv darüber verfügt. Jo weigerte sich, zu glauben, daß Messina tot war. Und dieses Sich-Weigern rief in Kommissar X den Eindruck hervor, er könne Howie Messina spüren. Für Jo stand unumstößlich fest, daß sich Messina in New York aufhielt. Alles andere hätte man ihm erst beweisen müssen. Und Messina war tatsächlich in New York. Er war gerade dabei, sein größtes Ding auszuhecken. Wieder war er in einem gestohlenen Wagen unterwegs. Er fuhr das Vehikel an die hohe Schulmauer heran, holte ein Fernglas aus der Nylontüte, die auf dem Beifahrersitz lag, sprang dann auf die Motorhaube des Fahrzeugs und stieg mit dem nächsten Schritt auf das Dach. Auf dem Internatshof wimmelte es von Kindern. Das gab ein Geschrei. Die Buben rauften. Die Mädchen standen in Gruppen beisammen oder spielten Haschmich. Das Lehrpersonal beaufsichtigte die Kinder, im Vertrauen darauf, daß ohnedies nichts passieren konnte, mit großer Oberflächlichkeit. Carmen hatte Maggie Reed hervorragend beschrieben. Sie hatte auch erwähnt, daß Maggie sich nicht so gern mit ihren vielen Schulkameradinnen abgab. Maggie Reed war ein ruhiges Mädchen. Ein wenig scheu. Auch kontaktarm. Sie hatte nicht viele Freundinnen, stand gern abseits vom Trubel, träumte vor sich hin. Messina entdeckte sie nach kurzem Suchen. Maggie war ein mageres blondes Mädchen mit blassen Wangen, aufgeworfenen Lippen und einer netten Stupsnase. Sie trug eine lichtblaue Masche im Haar. Und sie stand allein bei einem Rosenstrauch, dessen Blätter sie zu faszinieren schienen. Messina hatte sofort eine Idee. Ja. So wollte er es machen. Und zwar morgen. Um dieselbe Zeit. Copyright 2001 by readersplanet
* Maggie ließ sich Zeit. Sie mußte nicht unbedingt die erste im Internatshof sein. Während ihre Mitschülerinnen die Treppe hinunterjagten, machte Maggie Reed bedächtige Schritte. Die Lammfelljacke, die sie trug, paßte ihr hervorragend. Mama hatte sie für sie ausgesucht. Zwei Stunden hatten sie sich in der Boutique aufgehalten bis sie das passende gefunden hatten. Maggie lächelte verträumt. Die Verkäuferin war schon ärgerlich gewesen. Aber Mama hatte nicht lockergelassen. Mama war lieb. Maggie liebte sie mit der ganzen Kindlichkeit ihres Herzens. Auch Dad liebte sie. Aber nicht so sehr wie Mutter. Vielleicht kam das daher, daß er nicht so viel Zeit für sie hatte wie Ma. Einer der Lehrer lief an Maggie vorüber. Er strich flüchtig über ihr Haar. Sie mochte ihn von allen Lehrern am liebsten. Deshalb wurde sie jetzt auch rot. "Na, Maggie", sagte er lächelnd. Dann eilte er weiter. Kein Mensch hat Zeit, dachte Maggie. Wenn ich groß bin, werde ich mich um nichts so sehr kümmern, als darum, daß ich viel Zeit habe. Sie trat in den Schulhof hinaus. Jemand stieß sie an. Ein Junge. Sie ignorierte ihn, begab sich zu den Rosenhecken. Ein Mann im grünen Overall machte sich an den Hecken zu schaffen. Er schnipselte mit seiner Gartenschere daran herum. Maggie zögerte. Sollte sie weitergehen? Der Mann schaute sie an und lächelte freundlich. Das gab den Ausschlag, daß Maggie ihren Weg fortsetzte. "Rosen sind was Herrliches", brabbelte der Mann. "Aber man muß sie von Zeit zu Zeit stutzen, sonst verwildern sie, und dann sind sie nicht mehr schön anzusehen." Maggie sagte nichts. Sie blickte auf ihre Schuhe. Die anderen Kinder konnten kein Wort von dem hören, was der Mann sagte. Dazu waren sie zu weit entfernt. "Ich liebe die Rosen. Du vielleicht auch?" fragte der Mann. Seine Schere klapperte wieder. "Ich liebe alle Blumen", sagte Maggie, als sie ihre Scheu überwunden hatte. "Ich auch. Aber die Rosen sind mir von allen am liebsten. Es heißt nicht umsonst: Die Rose ist die Königin der Blumen." Der Gärtner lächelte wieder. "Möchtest du, daß ich dir ein bißchen was von der Gärtnerei beibringe?" "O ja. Das würde mich interessieren." "Dann sag mir zuerst mal deinen Namen, kleines Fräulein. Ich möchte wissen, mit wem ich's zu tun habe." "Ich bin Maggie Reed." "Freut mich, mein kleines Fräulein. Und mein Name ist Hank Meredith. Es genügt, wenn du Hank zu mir sagst." "Okay, Hank." "Ist es dir erlaubt, den Schulhof zu verlassen, Maggie?" "Eigentlich nicht. Die Strafen sind sehr hart, wenn wir's trotzdem tun." Der Gärtner kicherte. "Wenn's keiner sieht, kann dich keiner dafür bestrafen, hab' ich recht? Ich meine, wir tun schließlich nichts Unrechtes, wenn wir uns ein paar Meter weiter über meine Gartenarbeit unterhalten, oder? Ich muß schließlich weiterarbeiten. Sollte es aber doch einer bemerken, daß du mich ein Stückchen begleitet hast, nehm' ich die Sache auf meine Kappe. Dann sollen die mich mal zu bestrafen versuchen." Maggie lachte amüsiert. Der Gärtner gefiel ihr. Sie hatte Vertrauen zu ihm. Er blinzelte mit einem Auge. "Was ist? Gehen wir?" "Gern, Hank." "Hübsche Jacke hast du da an." "Die hat meine Mama für mich ausgesucht." "Deine Mama hat einen guten Geschmack. Vergiß nicht, ihr das von mir zu bestellen."
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Er ließ sie vor sich hergehen. Sie war so voll Vertrauen zu ihm, daß ihr nicht in den Sinn kam, dieser Gärtner könnte ihr etwas Böses antun wollen. Er wartete auf den Augenblick, wo sie vom Schulhof her nicht mehr gesehen werden konnten. Maggie streckte die Hand aus und ließ sie über die Blätter der Rosensträucher schleifen. Da drehte der Mann hinter ihr die Gartenschere blitzschnell um. Er holte aus uns schlug zu. Maggie seufzte. Dann fiel sie steif wie ein Brett um.
* Messina fing das kleine magere Mädchen hastig auf. Er blickte zurück. Niemand kümmerte sich um ihn. Rasch ließ er die Gartenschere in seinem Overall verschwinden. Dann riß er den schlaffen Mädchenkörper hoch und drängelte sich damit ins Gebüsch. Rasch erreichte er die Mauer, die das Internatsgelände umgab. Hier war alles für den Rückweg vorbereitet. Eine Strickleiter hing herab. Howie Messina lud sich Maggie Reed auf die Schulter und turnte mit der leichten Last bebende zur Mauerkrone hinauf. Bevor er auf der anderen Seite auf die Straße sprang, sandte er wieder einen prüfenden Blick nach beiden Richtungen. Anschließend holte er die Strickleiter ein. Zwei Minuten später öffnete er den Wagenschlag eines gestohlenen Barracuda. Er schob das bewußtlose Mädchen auf die Sitzbank im Fond. Dann schwang er sich hinter das Volant. Mit gekonntem Griff schloß er die Zündung kurz. Diese Handgriffe waren ihm seit langem in Fleisch und Blut übergegangen. Sie waren ihm so vertraut wie einem anderen Autofahrer das Starten mit dem Zündschlüssel. Jetzt gab er mit Gefühl Gas. Er löste die Handbremse. Ein Blick in den Rückspiegel. Alles war bestens. Der Barracuda rollte langsam an. Messina lächelte zufrieden. Das war wieder mal eine Aktion nach seinem Geschmack gewesen. Ganz ohne Probleme. Im Internat würden sie noch lange nicht wissen, was sich praktisch vor ihren Nasen abgespielt hatte. Zwei Straßen weiter drückte Messina ein bißchen mehr auf die Tube. Er hielt sich aber peinlich genau unter dem Speed Limit, um keiner Verkehrsstreife unangenehm aufzufallen.
* Laurence Reed öffnete die Zigarrenkiste. Er nahm einen von den in Aluminium verpackten Tabakstäben heraus. Das Anzünden wurde eine kleine Zeremonie, bei der sich Reed selbst durch das Klingeln des Telefons nicht stören ließ. Erst als die Zigarre ihre schöne, runde Glutkrone hatte, nahm Reed den Hörer ab. "Ja, bitte? Hier Reed." Schnelles Atmen am anderen Ende der Leitung. "Hallo!" sagte Reed drängend. Der andere holte rasch Luft. "Hören Sie zu, Reed!" sagte er dann mit einem Ton, der so scharf war, daß Laurence Reed konsterniert die Zigarre aus dem Mund nahm und aufmerksam hinhörte. "Hören Sie genau zu!" verlangte der Anrufer. "Wer spricht da?" wollte Reed wissen. "Halten Sie den Mund, Reed. Jetzt rede ich. Und nur ich. Kapiert?" "Verdammt noch mal..." "Schnauze!" schrie der Anrufer wütend. "Ich möchte, daß wir beide miteinander ein Geschäft machen, Reed! Verwechseln Sie mich nicht mit einem Bittsteller. Wenn ich sage ich möchte, dann ist das für Sie ein Befehl..." Reed war über diese Worte so maßlos entrüstet, daß er den Hörer sofort auf die Gabel werfen wollte. Aber irgend etwas in seinem Inneren riet ihm, es nicht zu tun. "Mann, Sie sind wohl total übergeschnappt!" knurrte Reed verärgert. "Wie kommen Sie dazu, in diesem Ton mit mir zu reden?" Copyright 2001 by readersplanet
"Verflucht noch mal, werden Sie jetzt endlich den Mund halten?" "Nein!" schrie Reed furchtlos zurück. "Wer sind Sie? Was wollen Sie von mir?" "Was ich will ist ganz schnell erklärt." Der Mann lachte schnarrend. Sie werden die nächste Diamantenlieferung für mich umdirigieren. Das ist es, was ich will." Reed wurde rot vor Zorn. Ehe er jedoch losbrüllen konnte, fuhr der Anrufer mit eiskalter Stimme fort: "Und damit Sie nicht Nein sagen können, habe ich mir Ihre kleine Maggie unter den Nagel gerissen." Klick. Aus. Reed starrte den Hörer bestürzt an. Seine Eingeweide krampften sich schmerzhaft zusammen. Maggie!
* Mit zitternden Fingern schlug Laurence Reed die Telefonkladde auf. Er brauchte jetzt ganz schnell die Nummer des Internats. Da war sie schon. Schweiß stand Reed auf der Stirn. Seine Lippen waren plötzlich hart und spröde. Er leckte nervös darüber. In seinem Kopf pochte ein wahnsinniger Schmerz. Maggie! Maggie! Maggie! Das Hämmern wurde immer schlimmer. Es war kaum noch auszuhalten. Benommen wählte Reed die Telefonnummer. Er hoffte, daß er die richtigen Ziffern in den Apparat getippt hatte. Mit bis zum Zerreißen angespannten Nerven wartete er darauf, daß am andern Ende der Leitung jemand abhob. Endlich kam die Verbindung zustande. Reed war mit Cesar Harvey, dem Internatsleiter, verbunden. Er nannte hastig seinen Namen. "Ah, Mr. Reed", sagte Harvey. Es hörte sich an, als würde Harvey genau wissen, mit wem er sprach, dabei hatte Reed mit ihm so gut wie nie zu tun. Reed sagte, welcher Klasse seine Tochter angehörte und bat dann mit belegter Stimme: "Dürfte ich Maggie wohl einen Augenblick sprechen, Mr. Harvey?" "Mitten im Unterricht?" fragte Cesar Harvey entrüstet. So etwas schien in den vielen Jahren, in denen er nun schon das Internat leitete noch niemals vorgekommen zu sein. Das ist aber gar nicht üblich, Mr. Reed." "Tut mir leid!" keuchte Reed nervös. "Es ist wirklich sehr dringend, Mr. Harvey. Glauben Sie mir, ich würde nicht anrufen, wenn..." Etwas in Reeds Stimme schien Harvey zu bestätigen, daß es sich tatsächlich um eine ernste Angelegenheit handelte. "Na schön, Mr. Reed", meinte Harvey entgegenkommend. "Wir wollen mal eine Ausnahme machen..." "Vielen Dank, Mr. Harvey." "Wenn so etwas nicht zur Regel wird..." "Ganz bestimmt nicht, Mr. Harvey!" preßte Reed mit zugeschnürter Kehle hervor. Er zappelte mit den Füßen. Er wischte sich mit der Linken den lästigen Schweiß vom Gesicht, während er den Hörer mit der Rechten fest an sein Ohr preßte. So fest, daß es schmerzte. "Wenn Sie sich einen Augenblick gedulden wollen, Mr. Reed", sagte der Internatsleiter. "Selbstverständlich", erwiderte Laurence Reed. Am anderen Ende wurde der Hörer neben den Apparat gelegt. Ein deutliches Klappern war zu vernehmen. Mach! dachte Reed aufgewühlt. Mach schnell! Bitte beeile dich! Laß mich mit Maggie sprechen. Nur ein einziges Wort. Ich will nur ihre Stimme hören, damit ich weiß, daß mich dieser gottverdammte Kerl vorhin angelogen hat. Mach schnell! Reed starrte auf die Uhr, die auf seinem Schreibtisch stand. Ein teures Stück. Es sah aus wie ein Schrein. In der Mitte die Uhr. Links und rechts ein Flügel aus Glas, hinter dem sich je ein Foto von Maggie und Katy befanden. Beide lächelten ihn an. Die Frau und die Tochter. Reed öffnete den Hemdkragen, der ihn zu erwürgen drohte. Lieber Himmel, wie lange dauerte das denn noch?
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Ein Geräusch im Hörer. Dann die Stimme von Mr. Harvey, und zwar ziemlich ernst. "Tut mir leid, Mr. Reed, es ist nicht möglich, Maggie an den Apparat zu holen." Reed trafen die Worte wie ein Keulenschlag. "Wieso nicht?" krächzte er entsetzt. "Ihre Tochter ist nach der Paus nicht in ihre Klasse zurückgekehrt..." Vielleicht redete Cesar Harvey noch weiter. Reed wußte es nicht. E warf den Hörer in die Gabel und begrub sein Gesicht schluchzend in dei Händen. Es stimmte also. Der Kerl hatte nicht gelogen. Es stimmte Maggie - war entführt worden.
* Katy Reed wedelte mit beiden Händen, damit der Nagellack schneller trocknete. Sie war eine hübsche brünette Frau. Die sorgfältig angewandte Diät hielt sie gertenschlank Sie betrieb viel Sport, war Mitglied eines renommierten Frauenvereins und hielt ganz nebenbei das hübsche Einfamilienhaus samt Garten hervorragend in Schuß. Sie trug ein himmelblaues Wollkostüm. Die kleine Brosche mit den blitzenden Diamantsplittern hatte sie von Laurence zum zehnten Hochzeitstag geschenkt bekommen. Das Telefon schlug an. Katy nahm den Hörer mit gespreizten Fingern ab. "Reed." "Katy!" keuchte ihr Mann. Sie hatte ihn noch nie so aufgeregt erlebt. "Ist etwas passiert, Laurence?" fragte sie deshalb sogleich besorgt. ,O Gott, Katy, ich weiß nicht, wie ich's dir beibringen soll..." Katy spielte nervös mit der Telefonschnur. "Verflucht noch mal, warum habe ich dich überhaupt angerufen?" ächzte Reed. "Jetzt reiße ich dich auch noch mit in diese bohrende Angst hinein." "Laurence!" platzte Katy bestürzt heraus. "Laurence, bitte sag mir auf der Stelle, was geschehen ist!" Die junge Frau fing innerlich an zu beben. Sie machte sich auf eine schlimme Nachricht gefaßt, und damit tat sie recht. "Katy..." stöhnte Laurence Reed am anderen Ende. "Katy... Unsere kleine Maggie wurde gekidnappt!" Ein Messerstich ins Herz konnte nicht schmerzhafter sein. Katy wurde mit einem Schlag leichenblaß.
* April Bondy prüfte den Sitz ihrer Nylons und erhob sich dann, um Jo ein paar Schriftstücke zur Unterschrift vorzulegen. Sie war auf halbem Wege zu seinem Büro, als das Telefon hinter ihr klingelte. Also wandte sie sich um und kehrte an ihrem Schreibtisch zurück. Ohne Eile nahm sie den Hörer auf. "Detektei Walker. Büro für private Ermittlungen..." Eine gehetzte Frauenstimme: "Hier spricht Katy Reed. Können Sie mir bitte unverzüglich Jo Walker geben? Es ist sehr dringend!" "Einen Augenblick, Mrs. Reed." April drückte auf den Knopf, der sie mit Walkers Arbeitszimmer verband. "Ja?" meldete sich Kommissar X. "Jo, ich habe Katy Reed an der Strippe. Sie wirkt schrecklich konfus." "Stell durch", sagte Jo hastig. "Und hör mit." "Okay", sagte April. Sie drückte auf zwei andere Tasten und blieb am Apparat. Sie hörte Jo sagen: "Na, Katy. Was hast du auf dem Herzen?" Copyright 2001 by readersplanet
"Jo!" seufzte Katy Reed. Es klang unsagbar unglücklich. "Jo, es ist etwas ganz Furchtbares passiert." "So? Was denn?" "Laurence hat mich soeben angerufen. Maggie ist entführt worden:" "Aus dem Internat?" fragte Jo mit erhobener Stimme. "Ja." "Wie ist denn so etwas möglich?" "Das weiß ich nicht. Ich weiß überhaupt kaum etwas über die Sache. Laurence wollte mir nichts Genaues sagen. Er hat mich im ersten Schock angerufen, hat es aber dann sofort bedauert. Ich bat ihn, mir zu sagen, wer Maggie entführt hat und warum, aber er hat ohne ein weiteres Wort aufgelegt. O Jo, ich werde mit meiner Angst kaum mehr fertig. Ich bin nicht fähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Ich weiß nur, daß in solchen Fällen die Polizei nicht eingeschaltet werden darf, deshalb wende ich mich an dich. Hilf uns, Jo. Ich flehe dich an. Tu um alles in der Welt etwas für Maggie. Wenn ihr etwas zustößt...Wenn Maggie diese Entführung nicht überlebt...Mein Gott, ich würd's dann auch nicht überleben." "Es war vollkommen richtig, mich anzurufen", sagte Jo. Er bemühte sich, mit, ruhigen Worten zu sprechen, um Katy zu besänftigen. "Mach dir bitte keine allzu großen Sorgen um Maggie. Du kriegst sie wohlbehalten wieder. Ich werde mich sofort um die Sache kümmern. Du hörst wieder von mir." Jo legte auf. Er stürmte aus seinem Arbeitszimmer. April Bondy ließ gerade den Hörer in die Gabel sinken. "Alles mitgehört?" fragte Kommissar X. "Ja", antwortete April. "Dann komm. Hänge das Schildchen KOMME GLEICH an die Tür. Wir schließen den Betrieb vorübergehend." April zog ihre pelzgefütterte Jeansjacke an. "Was haben wir vor?" Jo fuhr in seinen Mantel. Er wies auf April. "Katy braucht jetzt jemanden, der sich um sie kümmert. Ein Mensch, der so große Angst hat wie sie, sollte nicht allein sein. Du wirst dich um sie kümmern. Versuch sie zu beruhigen. Rede ihr ein, sie braucht sich keine Sorgen um Maggie zu machen. Wir biegen das schon wieder gerade. Aber sei um alles in der Welt überzeugend, sonst glaubt sie dir kein Wort." Ratlos und ruhelos rannte Laurence Reed in seinem Büro auf und ab. Er wußte nicht, was er tun sollte. Die Polizei einzuschalten, kam für ihn nicht in Frage. Er wollte Maggies Leben unter keinen Umständen gefährden. Aber wie ging es nun weiter? Vermutlich würde dieser verfluchte Kidnapper noch einmal anrufen. Teufel, warum tat er es nicht schon? Jede Sekunde war wie ein Stich mit einer glühenden Nadel: Reed hastete zur eingebauten Bar. Er riß die Tür auf und goß sich einen Bourbon ins Glas. Als er ihn trank, schlug das Telefon an. Er zuckte zusammen. Der Bourbon rann ihm über das Kinn. Mit einem Herz, das wie ein Dampfhammer gegen die Rippen schlug, lief Reed zum Schreibtisch. "Reed!" Da war der Satan wieder. Reed schnürte es die Kehle zu. Der Mann sagte: "Ich nehme an, Sie haben sich vergewissert, daß ich vorhin die Wahrheit gesagt habe." "Ja. Ja, ich habe das Internat angerufen ", preßte Reed heiser hervor. "Maggie ist nach der Pause nicht mehr in ihre Klasse zurückgekehrt." Der Mann lachte. "Weil ich sie mir geholt habe." "Die Kinder werden doch beaufsichtigt..." "Glauben Sie mir, es war ganz leicht." "Hören Sie, wenn Maggie etwas passiert, dann..." Der Mann brach in ein spöttisches Gelächter aus. "Wollen Sie selten dämlicher Hammel mir etwa drohen?" Copyright 2001 by readersplanet
"Ich liebe meine Tochter über alles." Ein schöner Zug von Ihnen", höhnte der Anrufer. "Wenn Sie ihr auch nur ein Haar krümmen..." "Mann, jetzt halten Sie mal die Luft an, ja?" kam es schneidend durch den Hörer, und Reed verstummte sofort erschrocken. "Was ich von Ihnen will, habe ich bereits angedeutet. Jetzt folgen die Details. Und wenn Sie wirklich so verschossen sind in Ihre kleine Tochter, dann kann ich Ihnen nur den guten Rat geben, genau das zu tun, was ich von Ihnen verlange. Andernfalls sehen Sie das magere Hühnchen nicht mehr wieder." Reed wankte. Die Aufregung machte ihn schwindelig. Er setzte sich auf die Schreibtischkante, um nicht umzukippen. Benommen fuhr er sich über die flatternden Augen. Die Zeitungen waren voll von Berichten über Entführungen. Tag für Tag wurde irgendwo auf der Welt irgend jemand gekidnappt. Bisher hatte es immer die anderen getroffen, und Reed hatte sich kaum mal Gedanken darüber gemacht, wie diesen Leuten zumute sein mochte. Jetzt war er mit diesem Schock selbst konfrontiert. Und er erkannte, wie grauenvoll das war. Der Anrufer sagte mit eisiger Stimme: "Heute abend, um zwanzig Uhr, trifft euer Bote mit einer neuen Diamantenlieferung auf dem Kennedy Airport ein." Liebe Güte, woher weiß er das? fragte sich Laurence Reed konsterniert. "Sie werden dem Mann die Diamanten abnehmen!" sagte der Kidnapper. "Nein!" schrie Reed verzweifelt. "Nein! Das dürfen Sie von mir nicht verlangen!" "Verdammt noch mal, ich verlang's aber von Ihnen! Machen Sie bloß keine Zicken, Bester. Denken Sie an Maggie. Ich drehe ihr den dürren Hals um, wenn Sie nicht spuren!" Schwarze Flocken tanzten vor Reeds starren Augen. "Sie werden die Diamanten in eine Schließfach geben!" fuhr der Gangster mit harter Stimme fort. "Und den Schlüssel bringen Sie zum Informationsschalter. Bis hierher alles klar, Reed? "Ja. Ja, alles klar", krächzte Laurence Reed. Gütiger Himmel, was war er nur für ein hilfloses, armseliges Würstchen. Es war ihm nicht möglich, einfach in die Sprechrillen zu brüllen, der Kerl möge sich zum Teufel scheren, denn Maggie würde das zu büßen haben. Maggie! Die Sorge um das Mädchen machte Reed halb verrückt. Er schluckte hastig und versuchte mit einer schnellen Handbewegung die Falten seines Gesichts zu glätten. "Sie werden den Schließfachschlüssel unter dem Namen Ihrer Tochter hinterlegen!" sagte der Anrufer. "Maggie Reed. Verstanden?" "Ja", stöhnte Reed. "Ja." "Zu niemandem ein Wort!" "Zu niemandem!" sagte Reed. Dabei zog sich seine Kopfhaut schmerzhaft zusammen. Herrje, er hatte bereits mit Katy über die Entführung gesprochen. Wenn sie bloß keine Dummheit machte. O Schrecken ohne Ende wenn sie die Polizei verständigte...Nicht auszudenken. "Es sollte Ihnen verdammt viel daran liegen, daß ich nicht kassiert werde, Reed", sagte der Anrufer spöttisch. "Denn wenn mich die Bullen schnappen, ist das für Maggie der sichere Tod. Niemand außer mir weiß, wo sie sich befindet. Und ich würd's nicht sagen. Das arme Ding müßte qualvoll verhungern." Was war das nur für ein grausamer Teufel! "Ich werde nichts tun, was das Leben meiner Tochter gefährden könnte", versprach Reed. "Das ist sehr vernünftig von Ihnen", kicherte der Gangster. Dann legte er auf. Reed drückte den Hörer in die Gabel. Da schwang die Tür auf und Jo Walker trat ein. Reeds Antlitz verfärbte sich und wurde zu einer grauen, undurchdringlichen Maske.
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* Reed tobte. Er rannte in seinem Büro mit schnellen Schritten hin und her. Er schrie, daß ihm die Adern weit aus dem Hals traten. "Es geht um das Leben meiner Tochter, Jo. Begreif das doch! Maggie ist verdammt schlimm dran. Der Kerl ließ keinen Zweifel darüber offen, was er mit Maggie anstellen wird, wenn ich nicht genau das tue, was ich ausführen, was der Mann mir aufgetragen hat." Jo zündete sich eine Pall Mall an. Er versuchte, Ruhe auszuströmen. Obwohl er genauso aufgeregt war wie Reed, waren seine Bewegungen gelassen und langsam. "Ich habe nicht die Absicht, Maggies Leben zu gefährden, Laurence", sagte Kommissar X ernst. "Trotzdem sollten wir versuchen, dem Kidnapper das Handwerk zu legen." "Das werden wir nicht tun!" schrie Reed bestürzt. "Er könnte merken, daß wir etwas gegen ihn im Schilde führen, und dann könnte kein Mensch mehr etwas für Maggie tun." "Sag mir, was er von dir verlangt hat, Laurence." "Nein. Jo. Nein. Ich sage kein Wort. Mein Gott, wie konnte Katy nur so unvernünftig sein, dich anzurufen!" "Katy kommt zu Hause fast um vor Angst." "Denkst du, mir geht es anders?" keuchte Reed, während er sich mit einer fahrigen Bewegung über die Augen wischte. "Jo, du darfst mich nicht weiter mit deinen Fragen quälen. Es ist alles so schon schlimm genug für mich. Hab ein Einsehen." "Sag mal, wofür hältst du mich eigentlich Laurence?" fragte Jo ärgerlich. Ich bin ein alter Hase in diesem harten Geschäft. Dies ist nicht der erste Fall von Kidnapping, mit dem ich konfrontiert bin. Ich habe schon eine ganze Menge Entführte wohlbehalten zu ihren Angehörigen zurückgebracht. Aber, verdammt noch mal, die hatten alle wesentlich mehr Vertrauen zu mir als du!" Reed blieb stehen. Wie ein begossener Pudel stand er mitten im Raum. Der Kopf war geneigt. Er starrte auf seine Schuhspitzen. Es war kaum zu hören, was er murmelte: "Entschuldige, Jo. Ich weiß, daß du der beste Detektiv in der Stadt bist. Ich kenne deine Erfolge. Aber ich kenne auch deine Mißerfolge. Erst neulich hat dich so ein Kerl niedergeknallt. Wir haben alle mal unseren schlechten Tag. Und ich will nicht, daß Maggie einen solchen schlechten Tag erwischt, kannst du das denn nicht verstehen? Was nützt es mir, wenn du hinterher sagst, du hast Pech gehabt? Was nützt es Maggie, wenn sie tot ist? Nein, Jo. Ich bitte dich inständig, nicht weiter in mich zu dringen. Ich darf und werde dir nichts sagen. Und ich erwarte von dir, daß du dich aus dieser Sache raushältst, ist das klar? Ich habe dich nicht gebeten, zu mir zu kommen. Ich will nicht, daß du dich dieses Falles annimmst. So sehr ich dein freiwilliges, vorbehaltloses Engagement als Freund auch schätze - ich kann es nicht gebrauchen. Ich sag's noch einmal mit aller Deutlichkeit, Jo: Halte dich aus dieser Sache raus. Versuche nicht, hinter mir herzuspionieren. Laß mich in Ruhe das tun, was dieser verdammte Kerl von mir verlangt. Dann werde ich Maggie wohlbehalten zurückbekommen. Und nur daran liegt mir wirklich etwas."
* Jo traf mit dem Internatsleiter gleich zu Beginn eine genau abgesteckte Abmachung: Kein Kontakt zur Polizei. Wenn der Zeitpunkt gekommen war, sich an die Polizei zu wenden, würde Jo das selbst in die Hand nehmen. Cesar Harvey war zum Glück ein recht einsichtiger Mann. Er brachte gut und gern zwei Zentner auf die Waage. Da er nicht sehr groß war, wirkte er beinahe mehr breit als hoch. Pfeiferauchend saß er hinter seinem mit allen möglichen Papieren chaotisch bedeckten Schreibtisch. Hinter ihm hing das große gerahmte Foto des Internatsgründers an der weißen Wand. Mit sorgenverhangenem Blick schüttelte Harvey den Kopf. "Eine Entführung... am hellichten Tag... innerhalb der Internatsmauern...Diese Verbrecher werden immer dreister. Wenn das Copyright 2001 by readersplanet
publik wird, wird unser Internat bald den schlechtesten Ruf in der Stadt haben." "Ich werde es nicht publik machen, Mr. Harvey", sage Jo. "Und Mr. Reed wird ebenfalls nicht viel daran liegen, die Sache an die große Glocke zu hängen. Wer beaufsichtigte die Kinder während der Pause?" "Die jeweilige Klassenlehrkraft." "Und wer war das bei Maggie Reed?" "Norma Kane." "Kann ich ein paar Worte mit ihr sprechen?" "Selbstverständlich", sagte Harvey. Ergriff zum Telefon und wählte einen Hausanschluß. Kurz darauf öffnete sich die Tür. Eine junge Frau trat ein. Nahezu alles an ihr war grau. Der Rock, der Pullover, der ihr um zwei Nummern zu groß war, wodurch ihr kleiner Busen vollends verschwand. Sie legte keinen Wert auf ein auffallendes Make-up, deshalb wirkte sie farblos. Die randlose Brille paßte nicht zu ihrem schmalen Gesicht, in dem die grünen Augen zu eng beisammenstanden. Cesar Harvey weihte die Lehrerin kurz ein. Norma Kane nickte zu seinen Ausführungen. Dann wandte sie Jo ihr Gesicht zu und wartete darauf, daß er das Wort an sie richtete. Die schnelle Handbewegung zur Brille machte deutlich, daß sie nervös und unsicher war. "Ihnen oblag es also, ein Auge auf die Kinder zu haben, Miß Kane", begann Jo Walker. Die Lehrerin nickte schnell. Sie räusperte sich und sagte: "So ist es." "Und haben Sie das auch getan?" Norma Kane warf dem Internatsleiter einen kürzen scheuen Blick zu. Sie hob verlegen die Achseln. "Nun ja. Mehr oder weniger." "Bitte mißverstehen Sie meine Frage nicht", sagte Jo. "Mir geht es nicht darum, Ihnen nachzuweisen, daß Sie ihre Aufsichtspflicht vernachlässigt haben. Ein Kind wurde gekidnappt. Und ich hoffe, daß Sie mir sagen können, von wem." Norma Kane hob erneut verlegen die Achseln. "Ich wollte, ich könnte das, Mr. Walker" "Was haben Sie während der Pause gemacht, Miß Kane?" fragte Jo. "Im Grunde genommen gar nichts. Vielleicht habe ich mich mit ein paar Kindern unterhalten." "Ist Ihnen niemand aufgefallen, der nicht auf den Schulhof gehörte?" wollte Jo wissen. "Nein." "Haben Sie Maggie Reed gesehen?" "Ich denke schon. Sie sondert sich immer etwas von den andern ab, ist ein stilles Mädchen, das gern für sich allein ist. Ich entsinne mich, daß Maggie sich mit dem Gärtner unterhielt." Cesar Harvey warf sich mit einem jähen Ruck nach vorn. "Moment, Miß Kane, was sagen Sie da?" "Maggie sprach mit dem Gärtner." Harvey schüttelte energisch den Kopf. "Das ist nicht möglich..." "Es war aber so, Mr. Harvey!" erwiderte die Lehrerin beharrlich. "Einen Augenblick", schaltete sich Jo Walker dazwischen. Er wandte sich an Cesar Harvey. "Wieso ist das nicht möglich?" "Ich habe den Gärtner nicht bestellt. Das wollte ich erst in zwei Wochen tun." "Heißt das, Sie lassen sämtliche Gartenarbeiten von einer bestimmten Gärtnerei durchführen?" Harvey nickte. "Und diese Leute kommen nur über Auftrag zu uns." Der Gärtner! dachte Jo. Er bat Norma Kane, den Mann so genau wie möglich zu beschreiben. Und er erlebte dabei eine wahrhaft riesige Überraschung. Die Lehrerin schien den Mann mit ihren Augen fotografiert zu haben. Die Beschreibung war hervorragend. Copyright 2001 by readersplanet
Der Gärtner! Das war niemand anders als... Howie Messina!
* Katy Reed schlug die schlanken Beine übereinander. Sie hatte sich umgezogen, trug jetzt ein leichtes Kleid, und trotzdem war ihr immer noch schrecklich heiß. Ihr Körper stand unter einem zehrenden Fieber. Mit tränenverhangenem Blick sah sie auf ihre Armbanduhr. April Bondy saß ihr gegenüber. Katy sah Walkers Assistentin an und seufzte. "In einer halben Stunde hätte ich aus dem Haus gehen müssen, um Maggie abzuholen." Katy schluckte. "Wie es ihr im Moment wohl gehen mag?" "Sie wird ein bißchen Angst haben. Das ist alles," versuchte April die furchtbare Situation zu unterspielen. Katy sprang auf. Sie massierte ihre Arme, denn auf einmal war ihr entsetzlich kalt. Ihr nervöser Blick fiel auf das Telefon. "Gott, warum ruft Laurence nicht noch einmal an?" "Er hat sich jetzt vermutlich mit anderen Dingen zu befassen." "Ich sterbe vor Sorge um mein Kind." Katys Miene war jetzt weinerlich. Sie wandte sich um und schaute April in die Augen. "Ich habe Furchtbares mitgemacht bei ihrer Geburt. Trotzdem wollte ich sie haben. Trotz der wahnsinnigen Schmerzen habe ich mich auf mein Kind gefreut. Niemand darf es mir jetzt wegnehmen. Niemand. Niemand!" Katy fing an zu weinen. April trat zu ihr und legte ihr die Arme um die Schultern. "Nicht weinen, Mrs. Reed. Sie müssen jetzt versuchen, sehr tapfer zu sein. Es wird alles gut werden. Sie werden sehen. Jo Walker ist ein erfahrener Detektiv. Er wird Ihnen Maggie wohlbehalten zurückbringen. Sie brauchen keine Angst zu haben. Kommen Sie. Setzen Sie sich wieder. Versuchen Sie sich zu entspannen. Jo schafft das schon. Sie müssen nur Vertrauen zu ihm haben. Er hat schon ganz andere Dinge zuwege gebracht."
* Der Neubau war 13 Stockwerke hoch. Er war so gut wie bezugsfertig. In einer Woche würden die ersten Mieter einziehen. Und im Penthouse würde man möglicherweise die Leiche eines zehnjährigen, gefesselten und geknebelten Mädchens entdecken. Maggie lag zusammengeschnürt auf dem glatten Klebeparkettboden. Da im ganzen Bau nirgendwo eine Heizung an war, fror das Mädchen jämmerlich. Maggie zitterte am ganzen mageren Leib. Sie hatte Kopfschmerzen, die von der Stelle ausgingen, wo sie die Gartenschere getroffen hatte. Übelkeit würgte sie. Der Knebel drohte sie beinahe zu ersticken. Sie fühlte sich elend. Tränen rollten unentwegt aus ihren weit aufgerissenen, furchtsam blickenden Kinderaugen. Sie war mutterseelenallein in dem riesigen Penthouse. Verzweifelt hatte sie, seit sie das Bewußtsein wiedererlangt hatte, versucht, sich von den stramm sitzenden Fesseln zu befreien. Es war ihr nicht möglich gewesen. Trotzdem versuchte sie es nun wieder. Die Anstrengung entkräftete das magere Mädchen. Die namenlose Furcht tat ein Übriges. Sie dachte voller Wehmut an ihre Mutter und auch an ihren Vater, der so stark war - und ihr doch nicht helfen konnte, weil er nicht wußte, wohin sie dieser heimtückische Gärtner verschleppt hatte. Maggie wußte selbst nicht einmal, wo sie sich befand. Die schreckliche Beklemmung erdrückte sie fast. Hatte der Mann sie hier ausgesetzt? Mußte sie hier langsam sterben? Kam denn niemand, um sie zu retten? Copyright 2001 by readersplanet
Ihre Hilflosigkeit, die Einsamkeit, die sich in alle Gedanken mit spitzen Zähnen schmerzhaft hineinnagte, machten ihr große Angst. Angst, mit der sie kaum noch fertigzuwerden vermochte...
* Howie Messina. Für Jo Walleer war dieser Name so etwas wie ein Schlachtruf. Sein Gefühl hatte ihn also nicht getrogen. Messina war nicht mit dieser Boeing in den Atlantik gestürzt. Er lebte, und er hatte schon wieder ein neues Verbrechen verübt. Dies sollte seine letzte Untat sein, dafür wollte Kommissar X sorgen. Da war noch eine verdammt große Rechnung offen. Die wollte Jo Walker dem kaltschnäuzigen Kerl jetzt nicht nur präsentieren, sondern auch so lange um die Ohren schlagen, bis Messina ihm sagte, wo er Maggie Reed versteckt hatte. Jo setzte sich sogleich in seinen Mercedes. Phyllis Falks Wohnung befand sich in Bay Ridge 155, Straße 1876. Das hatte Kommissar X noch nicht vergessen. Er trat kräftig aufs Gaspedal. Zwanzig Minuten später war Jo am Ziel. Er suchte vergeblich nach einer Klingel und klopfte. Das wiederholte er viermal. Nichts passierte. Wütend hämmerte er mit der Faust an die Tür. Erfolg: derselbe. Aus der Nachbarwohnung wimmerte Musik. Kurzentschlossen klopfte Jo. Ein mißtrauisches Augenpaar musterte ihn gleich darauf. Jo versuchte mit einem freundlichen Lächeln Punkte zu gewinnen. Das Mädchen, ein fahles Etwas mit großen Augen und schlechtem Atem, trug eine durchsichtige Bluse und nichts darunter. Die Brustspitzen schimmerten wie dunkelbraune Knöpfe durch den hauchdünnen Stoff. Jo wies seine Detektivlizenz vor, damit die Kleine nicht dachte, er wolle sie zu irgendeinem Abonnement überreden. Das Mißtrauen erlosch in ihren Augen. Walker wies mit dem Daumen auf die andere Tür. "Ich suche Phyllis Falk. Sie wissen nicht zufällig, wo sie ist?" Das Mädchen hob die Schultern. Die kleine dunkelbraunen Knöpfe unter ihrer Bluse machten die Bewegung mit. "Ich habe Phyllis seit Wochen nicht mehr gesehen." "Sie wohnt aber doch noch da, oder?" "Ausgezogen ist sie jedenfalls nicht." "Vielleicht verreist?" "Kann sein," sagte das Mädchen. Jo beschrieb Messina und fragte die Kleine dann, ob sie diesen Mann schon mal gesehen hätte. Sie nickte. "Ja. Der ging hier eine Zeitlang aus und ein." "Und jetzt?" fragte Jo. "Jetzt nicht mehr." "Seit wann genau nicht mehr?" "Genau kann ich's nicht sagen", antwortete das Mädchen mit geschürzter Lippe. "Aber es ist ungefähr genauso lange her, wie ich Phyllis nicht mehr zu Gesicht gekriegt habe. Ist etwas nicht in Ordnung mit den beiden? Warum suchen Sie sie?" "Ich hätte nur eine Aussage von Phyllis gebraucht", log Jo. Er reichte dem Mädchen seine Karte. "Würden Sie mich anrufen, wenn Phyllis wieder zu Hause ist?" "Okay." "Oder wenn dieser Mann hier aufkreuzt." "Ich ruf' Sie an, wenn das passiert. Ganz bestimmt." Jo schmunzelte. "Es gibt ja doch noch hilfsbereite Menschen in dieser Stadt." Als er auf die Straße trat, kratzte er sich nachdenklich hinter dem Ohr. Mit mechanischen Schritten begab er sich zu seinem silbergrauen 450 SEL. Seine Gedanken waren weit weg - bei Howie Messina. Jo schloß den Mercedes auf und setzte sich in den Wagen. Mit zusammengezogenen Augen wälzte er seine Probleme. Zwei Möglichkeiten drängten sich ihm auf: Entweder Phyllis Falk war gemeinsam mit Howie Copyright 2001 by readersplanet
Messina abgehauen... Oder er hatte sich auf seine Weise von ihr getrennt, um das von der Versicherungsgesellschaft ausbezahlte Geld für sieh allein zu haben. Mürrisch startete Kommissar X den Motor. Wo steckt Messina im Moment? Wie war es möglich, an ihn heranzukommen? Und zwar so heranzukommen, daß er Maggie nichts tun konnte. Ein verteufelter Job war das. Ein falscher Schritt nur - und Maggie Reed war nicht mehr zu retten.
* Er sah das bleiche Gesicht von Katy am Fenster, als er aus dem Mercedes stieg. Katy bewegte die Lippen. Vermutlich sagte sie etwas zu April Bondy. Dann sah Jo auch Aprils Gesicht. Er ging auf das nette Einfamilienhaus zu. Es war nicht nötig, zu klingeln. April öffnete ihm sofort. Er sah sie an und fragte: "Wie geht es Katy?" "Sie versucht sich tapfer zu halten. Aber es geht ihr dreckig." Jo betrat das Wohnzimmer. Katy kam mit unsicheren Schritten auf ihn zu. Sie seufzte schwer und sank ihm dann mit einem unendlich wehmütigen Blick in die Arme. April Bondy war ausnahmsweise mal nicht eifersüchtig. Sie hatte Verständnis für Katys Lage. Katy mußte jetzt jemanden haben, an den sie sich lehnen konnte, der sie in die starken Arme nahm, der ihr neuen Mut gab. Mut, den sie so bitter nötig hatte. Jo fragte über Katys Schulter hinweg: "Hat sich Laurence noch mal gemeldet, April?" Walkers Assistentin schüttelte stumm den Kopf. Jo strich behutsam über Katys volles Haar. "Sei unbesorgt, Katy. Das kriegen wir schon wieder hin." Er führte sie zum Sofa und drückte sie in die Polster. Ihre Schultern sanken nach vorn. Sie sah an Leib und Seele gebrochen aus. Ihr Blick war auf den Teppich geheftet. "Ich war im Internat", erzählte Jo. April Bondy hörte ihm aufmerksam zu. Walker sagte speziell zu ihr: "Ich weiß, wer's getan hat." "Wirklich?" stieß April erstaunt hervor. Auch Katy Reed hob den Blick. "Wer?" fragte April. "Howie, Messina!" April Bondy stockte der Atem. Bevor sie ihn mit Fragen bombardieren konnte, legte Jo gleich von selbst los. Er erwähnte vor allem Norma Kanes präzise Personenbeschreibung, und erklärte des weiteren, in welcher Verkleidung sich der Kidnapper an sein Opfer herangemacht hatte. Danach setzte sich Jo zu Katy auf das Sofa. Er legte seinen Arm um ihre Schultern und sagte mit eindringlicher Stimme: "Versuch jetzt für ein paar Minuten nicht an Maggie zu denken, glaubst du, daß du das schaffen kannst?" "Du verlangst Unmögliches von mir, Jo." "Versuche es, Katy. Du mußt es versuchen. Du kannst Maggie damit unter Umständen sehr viel helfen." Katy Reed holte tief Luft. "Okay, Jo. Ich probier's." "Konzentriere dich auf den Job deines Mannes", verlangte Jo Walker. Seine Stimme klang suggestiv. "Was für Aufgaben hat Laurence?" "Er ist vor allem dafür verantwortlich, daß der Betrieb reibungslos läuft." "Spricht er mit dir über seine Arbeit?" wollte Jo wissen. Copyright 2001 by readersplanet
"Manchmal." "Hör mir gut zu, Katy", verlangte Jo mit fester Stimme. "Ihr seid keine armen, aber auch keine Gott weiß wie reichen Leute. Ein Vermögen an Lösegeld ist von euch nicht zu holen. Das weiß Howie Messina natürlich. Trotzdem hat er Maggie entführt. Folglich hat er die Absicht, Laurence unter Druck zu setzen. Denk nach, Katy. Denk gut nach. Was läuft in der Firma heute, morgen oder übermorgen? Passiert irgend etwas Außergewöhnliches?" Katy schüttelte langsam den Kopf. "Laurence hat nichts Außergewöhnliches erwähnt." "Hätte er dir davon erzählt, wenn es so etwas gegeben hätte?" "Ich glaube ja." Katy nagte an ihrer Unterlippe, während sie Löcher in den Teppich starrte. Jo ließ ihr keine Ruhe. Er stellte ihr immer neue Fragen. Und plötzlich hatte er Katy Reed da, wo er sie brauchte. Es blitzte kurz in ihren Augen. "Es werden regelmäßig Diamanten aus Amsterdam angeliefert. Das ist nichts Außergewöhnliches, deshalb dachte ich nicht sofort daran. Laurence erwähnte nur so ganz nebenbei, daß heute mal wieder eine solche Lieferung fällig wäre. Diamanten im Wert von nahezu einer Million Dollar." Jo schluckte aufgeregt. Das war es. Das war der Grund. Das Motiv für die Entführung! "Wer bringt die Diamanten?" fragte Jo hastig. "Ein Bote der Firma Delvac & Sons." "Kennst du seinen Namen?" "Nein." "Aber Laurence ist mit ihm sicherlich bestens bekannt", ereiferte sich Kommissar X. "Der Mann trifft auf dem Kennedy Airport ein, stimmt's?" "Ja." "Wann?" fragte Jo wie aus der Pistole geschossen. "Das weiß ich leider nicht", antwortete Katy Reed. "Das werden wir gleich haben", sagte April Bondy. Sie ging zum Telefon und rief beim Airport an. Während sie den Hörer in die Gabel zurücklegte, sagte sie: "Zwanzig Uhr." Katy schaute auf ihre Uhr und dann in Jos Augen. "Wollt ihr da hinfahren?" Walker nickte. "Das schafft ihr nicht mehr!" sagte Katy kopfschüttelnd. "Wir müssen es trotzdem versuchen" gab Jo zurück. "Können wir dich für eine Stunde allein lassen, Katy?" "Ich komm' schon zurecht, Jo." "Ich glaube", sagte Kommissar X, während er seinen Mantel über die breiten Schultern warf, "jetzt kann ich in Howie Messina wie in einem offenen Buch lesen. Er ist scharf auf die Diamanten. Laurence soll sie ihm beschaffen. Und damit er das tut, hat er sich Maggie geholt." Jo und April eilten aus dem Haus. Katy Reed rief ihnen, in der Tür stehend nach: "Vergeßt bitte nicht, auf Maggies Leben Rücksicht zu nehmen." "Ganz bestimmt nicht", erwiderte Jo. Dann setzte er sich in den Silbernen.
* Er kam sich wie ein Verbrecher vor. Und es war auch ein Verbrechen, das er vorhatte, aber er tat es nicht aus freien Stücken, sondern unter Zwang. Das war die einzige Rechtfertigung, die er vor sich selber hatte. Mit brennenden Augen betrat er die riesige Ankunftshalle des Flughafengebäudes. Er ging mit schleppenden Schritten. Seine Beine waren in den Gelenken seltsam ausgeleiert. Laurence Reed hatte das Gefühl, über Daunendecken zu gehen. Jeder Schritt klang dumpf. Alles klang dumpf. So als trüge er Ohrenschützer. Er befand sich in einer furchtbaren, tranceähnlichen Verfassung. Viele Menschen gingen an ihm vorbei. Einige von ihnen blieben stehen, schauten ihm verwundert nach. Schweißtröpfchen glänzten auf seiner Stirn. Er versuchte sich zusammenzureißen. Es gelang ihm kaum. Dabei war es so wichtig, daß der Bote nicht sofort mitbekam, was los war. Reed konnte nicht auf ihn zugehen, ihm die Diamanten abnehmen und sagen: "Sie brauchen sich nicht mehr weiter um den Koffer zu kümmern, Mr. Barner..."
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Mit einem weißen Taschentuch wischte sich Reed den Schweiß von der Stirn. Er kämmte sein Haar. Dann straffte er den Rücken und hob den Kopf. So hoffte er, John Barner wenigstens für ganz kurze Zeit täuschen zu können. Da kam schon die Ankündigung, daß die Kursmaschine aus Amsterdam soeben gelandet sei. Reed kribbelte es in den Fingern. Die Walther PPK, die in seinem Hosenbund steckte, drückte ihm in den Magen. Als leitendem Angestellten der Juwelierfirma Delvac & Sons war es ihm nicht schwergefallen, einen Waffenschein zu bekommen. Und was machte er nun mit dieser Waffe? Er beging damit ein Verbrechen. War das nicht zum Heulen? Ein Mann, der nichts so sehr verabscheute wie das Verbrechen, war gezwungen, eines zu begehen. Benommen lehnte er sich an einen tonnenförmigen Reklameaufbau. Mit zitternder Hand fuhr er sich über die Augen. Reiß dich jetzt endlich zusammen! sagte er wütend zu sich. Du mußt es durchstehen. Barner darf dich nicht durchschauen. Denn wenn er dich durchschaut, ist Maggie verloren. Mehrmals atmete Laurence Reed kräftig durch. Die Angst um Maggie half ihm, sich zu beherrschen. Noch einmal wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Dann ging er weiter. Mit unruhigen Augen suchte er das rosige Gesicht von John Barner. Da tauchte es in der Menge schon auf. Barner trug stets teure Anzüge und die verrücktesten Krawatten, die man sich vorstellen kann. Er hatte abstehende Ohren und schmale Fuchszähne. Als er Reed erblickte, strahlte er über das ganze Gesicht. "Hallo, Mr. Reed." "Na, Mr. Barner, wie war der Flug?" "Wie immer. Stinklangweilig. Eine kleine Turbulenz über dem Ozean. Nichts Aufregendes. Aber ein paar feine Herrschaften haben ganz unfein in die Tüten gekotzt." Reed zwang sich zu einem kurzen Lachen. Er starrte auf die Kette, die das Handgelenk Barners mit dem schwarzen Handkoffer verband. Diesen Koffer mußte er haben. Um jeden Preis. Reed hoffte, Barner würde so vernünftig sein, um ihm keine Schwierigkeiten zu machen. "Was machen Sie eigentlich hier auf dem Flugplatz, Mr. Reed?" fragte der Bote. "Ich hol' Sie ab." "Ist ja ganz was Neues." Reed hob die Schultern. "Hat sich unser Chef einfallen lassen. Eine neue Sicherheitsmaßnahme, verstehen Sie? Wir können nicht gut genug auf unsere Steinchen aufpassen." Sie gingen nebeneinander durch die Halle. In Reeds Kopf überschlugen sich die Gedanken. Er war so aufgeregt, daß er am ganzen Leib zitterte. Erneut brach ihm der Schweiß aus allen Poren. Und sein Magen krampfte sich mit einemmal schmerzhaft zusammen. Er stöhnte. Er hatte Barner eine jäh auftretende Übelkeit vorschwindeln wollen, nun konnte er mit einer echten Übelkeit aufwarten. John Barner blickte ihn besorgt an. "Meine Güte, Mr. Reed. Sie sehen ja entsetzlich aus. Was haben Sie denn? Sind Sie krank? Natürlich sind Sie krank. Mann, Sie hätten nicht hierher kommen dürfen. So wie Sie aussehen, gehören Sie sofort ins Bett." "Ich leg' mich ins Bett", stöhnte Laurence Reed mit schmerzverzerrtem Gesicht. "Wenn wir das hinter uns haben." Er stützte sich auf Barner. "Bis zum Waschraum schaff' ich's noch. Ein bißchen kaltes Wasser ins Gesicht wird mir guttun." "Haben Sie das öfter, Mr. Reed?" "Nein. Heute zum erstenmal." John Barner schleppte Reed hilfsbereit zu den Toiletten. Er stieß die Tür auf. Reed schaute sich schnell um. Ein Mann stand vor der Spiegelfront und kämmte seine strähnigen Locken. Jetzt schob er den Kamm in die Innentasche seiner Lederjacke und verließ den Waschraum. Das war die Situation, wie Reed sie brauchte. Blitzschnell riß er sich von Barner los. Er zog die Walther PPK. Barner war so perplex, daß ihm das Kinn auf die Brust fiel.
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"Los, Barner!" keuchte Reed. Er lehnte sich gegen die Waschraumtür, damit niemand ohne weiteres eintreten konnte. "Her mit dem Koffer. Schnell. Ich habe nicht viel Zeit. Machen Sie die Kette von Ihrem Handgelenk ab. Ich bitte Sie, machen Sie mir keine Schwierigkeiten." Barner fand seine Sprache wieder. "Mann, Reed. Jemand in Ihrer Position kann so was Verrücktes doch nicht machen!" "Ich muß!" stöhnte Reed verzweifelt. "Verdammt, Barner, halten Sie mich nicht mit langen Reden hin. Ich brauche die Steine. Und zwar auf der Stelle." Barner straffte den Rücken und schob sein Kinn trotzig vor. "Sie wissen, warum man mir den Job des Boten übertragen hat. Weil sich die Firma hundertprozentig auf mich verlassen kann. Ich würde mich eher erschießen lassen, als mich von diesem Koffer zu trennen." "Mensch, seien Sie doch vernünftig, Barner." Reed spürte, wie ihm das Herz hoch oben im Hals schlug. Er japste nach Luft. "Sie geben mir jetzt den Koffer." Barner schüttelte furchtlos den Kopf. "Nein, Reed. Das tu' ich nicht!" "Verdammt noch mal, versuchen Sie doch nicht den Helden zu spielen. Das ist doch idiotisch, Barner!" schrie Reed verzweifelt. Sein Gesicht verzerrte sich. "Mann, Sie wissen nicht, in was für einer beschissenen Lage ich mich befinde. Ich kann auf Ihren Stolz und auf Ihre Loyalität zur Firma keine Rücksicht nehmen. Ich beschwöre Sie, zwingen Sie mich nicht zum Äußersten! Geben Sie mir den Koffer." Laurence Reed hob die Waffe. Er zielte auf Barners Brust. Er wußte nicht, ob er abdrücken würde. Er wußte überhaupt nichts mehr. Etwas mußte aber in seinen Augen sein, was Barner Angst machte. Denn plötzlich entspannte sich der Bote schnaufend. "Ein Mann in Ihrer Position", sagte Barner kopfschüttelnd. "Ich kann es immer noch nicht fassen." "Den Koffer, Barner!" "Ja. Der Schlüssel steckt in meiner Westentasche. Darf ich hineinfassen?" "Okay. Aber keine Tricks!" Reed wirkte gespannt wie eine zusammengedrückte Sprungfeder. Barner holte den Schlüssel aus der Westentasche und löste die Sicherheitskette von seinem Handgelenk. "Stellen Sie den Koffer nieder," verlangte Laurence Reed. Barner kam auch dieser Aufforderung nach. Reed wies auf eine Klosettkabine. "Da hinein!" Barners Augen weiteten sich furchtvoll. "Mensch, Reed, machen Sie sich nicht noch unglücklicher. Wenn Sie mich umbringen..." "Ich bring' Sie nicht um. Ich bin kein Killer. Nun machen Sie schon. Gehen Sie da hinein." Barner betrat die Kabine mit weichen Knien. "Umdrehen!" befahl Reed mit heiserer Stimme. "Schneller. Schneller. Ich muß sicher sein, daß Sie nicht gleich Alarm schlagen." Barner wandte sich um und schloß, ergeben in sein unvermeidbares Schicksal, die Augen. So wartete er auf den bewußtseinraubenden Schlag. Reed holte aus und schlug in derselben Sekunde zu. Barner fiel über die Muschel und regte sich nicht mehr. Reed schloß die Kabinentür von innen, überkletterte sie dann, ergriff den Diamantenkoffer und verließ gehetzt den Waschraum. Dabei prallte er mit einem Mann zusammen, der im Begriff war, die Toiletten aufzusuchen, Schwein gehabt! dachte Reed. "Idiot!" sagte der Mann ungehalten. Können Sie nicht aufpassen?" "'tschuldigung!" stieß Reed aufgeregt hervor und eilte weiter. Hinter dem Informationsschalter saß ein nettes Mädchen, dessen Gesicht einer lebensgroßen Puppe glich. Sie hatte etwas zuviel Make up aufgetragen, die Konturen der Lippen waren zu korrekt gezeichnet, desgleichen die Augenbrauen und die Wimpern. Als Reed sich dem Schalter näherte, lächelte sie ihn an. Reed stieß mit dem Knie gegen das Pult. "Was kann ich für Sie tun?" fragte das Mädchen entgegenkommend. Ihre Stimme war das Melodiöseste, was Laurence Reed je gehört hatte. "Ach bitte, könnten Sie diesen Schließfachschlüssel für eine Weile in Verwahrung nehmen?" Copyright 2001 by readersplanet
"Aber gern." "Ich werde ihn später abholen lassen." "Von Ihrer Frau?" "Nein. Von einem Freund. Er wird Ihnen den Namen Maggie Reed nennen, und Sie werden ihm den Schlüssel aushändigen, okay?" "Ganz wie Sie möchten", sagte das Mädchen. "Vielen Dank", quetschte Reed heraus, dann wandte er sich um und eilte aus dem Flughafengebäude. Er wollte nicht sehen, was nun weiter passierte. Er hatte seine Arbeit gemacht. Jetzt wußte er schnellstens zu Katy nach Hause fahren. Und dann würde das lange Warten beginnen. Das Warten auf Maggie.
* Sie erreichten den Airport ziemlich abgehetzt. April Bondy saß wie auf glühenden Kohlen neben Jo Walker. Kommissar X zwang sich eisern zur Ruhe. Er stoppte den Mercedes auf dem riesigen Parkareal. Sie stiegen hastig aus. Gleichzeitig warfen sie die Türen zu. Dann eilten sie auf einen der Eingänge zu. Plötzlich rief April: "Reed!" Jo schaute in die Richtung, in die April wies. Tatsächlich. Dort lief Laurence. Walker schwenkte sofort ab. Er stellte Reed noch in derselben Minute. Laurence Reed starrte ihn entgeistert an. "Jo!" stammelte er verstört. Sein Blick wanderte weiter zu April Bondy. Dann kehrten seine Augen zu Walker zurück. "Verdammt noch mal, wie kommt ihr hierher? Ich habe dir gesagt, du sollst dich aus dieser Sache raushalten, Jo !" "Das kann ich nicht, Laurence. Der Kerl, der deine kleine Maggie entführt hat, heißt Howie Messina. Er ist der Gangster, dessen Kugel mich für vier Wochen ins Krankenhaus gebracht hat!" "Wie hast du das herausgekriegt?" "Ich war im Internat." "Und wie konntest du wissen, daß ich hier bin?" "Messina ist scharf auf die Diamanten, hab' ich recht?" "Ja." Hast du sie ihm übergeben?" fragte Jo schnell. Reed preßte die Lippen zusammen und schüttelte verzweifelt den Kopf. "Jo, ich darf dir nichts sagen. Verdammt noch mal, versteh mich doch. Maggie ist in seiner Hand. Er bringt sie um, wenn ich auch nur den Versuch unternehme, querzufunken!" "Ich will dir mal die Augen über diesen Messina öffnen, Laurence", sagte Jo scharf. "Der Bursche hat kürzlich ein Flugzeug mit 115 Passagieren in die Luft gejagt, damit die Versicherungsgesellschaft 30.000 Dollar an seine Freundin auszahlt. Das Mädchen ist seither spurlos verschwunden. Ich bin fast sicher, daß sie ihre Bekanntschaft mit Howie Messina nicht überlebt hat. Der Typ geht über Leichen. Er hat versucht, mich zu killen. Findest du nicht, daß es endlich an der Zeit ist, diesen Wahnsinnigen zu stoppen. Wer weiß, was dem noch alles in den Sinn kommt. Wir müssen ihn unschädlich machen, Laurence. Er hat schon genug verbrochen!" Laurence Reed schüttelte erneut heftig den Kopf. "Ohne mich, Jo! Rechne nicht mit meiner Hilfe. Wenn er für 30.000 Dollar schon 115 Menschen umgebracht hat, kannst du dir ausmalen, was er machen würde, wenn jemand versucht, ihm eine Million abzujagen. Das kann ich Maggie nicht antun. Ich will nicht, daß er sie mir stückweise mit der Post ins Haus schickt. Kannst du das denn nicht verstehen, Jo?" "April und ich würden alles Erdenkliche tun, um dir Maggie unversehrt zurückzubringen, Laurence."
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Reed winkt zornig ab. "Ach was. Das sind doch bloß schöne Worte, Jo. Du weißt, daß du ein solches Versprechen nur halten kannst, wenn du Glück hast. Was wird aber aus Maggie, wenn du Pech hast? Du hast schon einmal Pech gehabt. Er hätte dich um ein Haar gekillt. Wenn du ihm noch mal in die Quere kommst, hält er sich nicht an dich, sondern an meine Maggie!" Jo wurde wütend. "Verdammt noch mal, Laurence, während wir hier herumpalavern haut er seelenruhig mit den Diamanten ab." "Er soll sie haben. Sie sind versichert." "Willst du diesem eiskalten Verbrecher wirklich diesen Triumph gönnen?" "Solange er Maggie in seiner Gewalt hat, werde ich nichts gegen ihn unternehmen." "Was macht dich so sicher, daß er dir Maggie zurückgibt?" fragte Jo schroff. Reed starrte ihn bestürzt an. "O Gott, Jo!" ächzte er. Seine Augen flatterten. Sein Gesicht verzerrte sich vor Angst. "Jo!" "Sag mir haarklein, was hier läuft, Laurence!" bohrte Walker weiter. "April und ich möchten dir helfen, sieh das doch ein. Wir haben nicht die Absicht, Maggies Leben zu gefährden. Wir wollen dir Maggie zurückbringen. Vielleicht gelingt es uns noch, seine Spur aufzunehmen. Glaub mir, ich kann ihn ein ganzes Jahr lang beschatten, ohne daß er es merkt. Wir kriegen ihn. Und wir holen Maggie von da fort, wo sie jetzt ist. Denk doch an die entsetzliche Angst, die das arme Ding auszustehen hat. Kürz diese Angst ab. Sag uns, welches Spiel dich Howie Messina zu spielen gezwungen hat. Sag es uns schnell, denn mit jeder Minute, die du wartest, schrumpft die Chance, die wir Maggie bieten können." Reed schaute April Bondy und Jo Walker unschlüssig an. Es war ihm anzusehen, wie gern er geredet hätte, aber noch hockte ihm die quälende Angst im Nacken, daß er Maggie schon mit den ersten Worten, die über seine bebenden Lippen kamen ins Grab redete. "Laurence, es ist keine Zeit zu verlieren!" redete Jo dem Freund zum letztenmal ins Gewissen. Und da konnte sich Reed nicht mehr länger beherrschen. Alles, was Jo von ihm wissen wollte, sprudelte nur so aus ihm heraus. Er hoffte inständigst, richtig zu handeln. April Bondy machte sich unverzüglich auf den Weg zu den Schließfächern. Reed hatte die Diamanten in Fach 80 deponiert. April blieb vier Minuten weg. Atemlos kam sie wieder. "Fach 80 ist bereits leer", sagte sie keuchend. Jo blickte Laurence wütend an. "Verdammt. Wenn du früher geredet hättest, Laurence, wären wir dem Kerl jetzt auf den Fersen."
* Howie Messina strahlte. Carmen lag nackt in seinen Armen. Er liebkoste ihre samtweiche Haut, war mit seinen Gedanken jedoch nicht ganz bei ihr. Sie bemerkte das sofort, und sie wußte auch, wieso er sich nicht voll auf sie konzentrieren konnte. Die Diamanten spukten ihm im Kopf herum. Er hatte noch nicht über den Coup mit ihr gesprochen, aber sie hatte gleich, als er ihre Garderobe betreten hatte, gemerkt, daß die Sache ein voller Erfolg geworden war. Und sie hatte ihm dazu verholfen. Irgendwie war sie stolz darauf. Sie neidete ihm die Million nicht. In ein bis zwei Jahren würde auch sie reich sein, denn ihr Weg führte ziemlich steil nach oben. Wenn nichts dazwischenkam, gehörte sie in längstens zwei Jahren zu den amerikanischen Superstars. Und lange vorher schon würde ein wohltuender Geldregen einsetzen. Zu tröpfeln hatte es ja bereits begonnen. Nein, sie neidete Howie die Million nicht. Im Gegenteil, es erfüllte sie mit ehrlicher Genugtuung, zu wissen, daß sie die Fähigkeit hatte, auch auf einer anderen Ebene rasch zu Geld zu kommen. Jemand klopfte an die abgeschlossene Garderobentür. "Ja?" rief Carmen Hood. "Mach dich fertig, Baby. Dein Publikum will dich bewundern. Copyright 2001 by readersplanet
"Okay, Jimmy. Ich frische nur noch schnell mein Make-up auf." Messina küßte ihren Busen. Sie drängte ihn zurück. "Tut mir leid, mein Junge. Aber die Arbeit darf darunter nicht leiden." Sie erhob sich. Er schaute ihr nach. Sie war wundervoll gewachsen. Kein Gramm Fett war an ihrem Körper zu entdecken, aber sie war überall da herrlich rund, wo eine schöne, begehrenswerte Frau rund sein muß. Während sie sich anzog, bat sie ihn, ihr einen Drink zu machen. Er goß Whisky in zwei Gläser. Sie trank und fragte ihn dann: "Hast du mir nichts zu erzählen, Howie?" Er grinste über das ganze breite Gesicht. "Yeah. Vielleicht hast du wirklich ein Recht darauf, es zu erfahren. Die Sache hat wie am Schnürchen geklappt." "Du hast die Diamanten?" "Ich hab' sie. Und es war kinderleicht." Messina trat hinter die rassige Sängerin. Er schlang von hinten seine Arme um sie und preßte sie an sich, während er sie im Spiegel betrachtete. "Du bist meine gute Fee, Baby. Du hast mich zum reichen Mann gemacht. Vielleicht sollten wir zwei uns zusammentun. Was meinst du. Wären wir nicht unschlagbar? Wir würden noch so manches tolle Ding aushecken..." Carmen schüttelte mit ernster Miene den Kopf. "Ich möchte mir mein Geld nicht auf diese Weise verdienen, Howie." "Warum denn nicht? Ist doch egal, wie man an die Moneten rankommt. Hauptsache man hat sie." "Ich bin anderer Ansicht. Ich will als Künstlerin Erfolg haben, verstehst du? Ich brauche den Applaus. Geld allein genügt mir nicht. Ich will von meinem ,Publikum anerkannt werden. Und ich will keine Angst haben müssen, daß mir die Polizei das Geld, das ich auf meinem Konto habe, eines Tages wieder wegnimmt. Außerdem liebe ich meinen Mann." "Diesen Hampelmann?" lachte Messina verständnislos. "Ich möchte nicht, daß du so über Jefferson sprichst, Howie. Er ist ein guter, toleranter Mensch. Und er ist als Manager für mich unwahrscheinlich wertvoll. Kein Mann wird es fertig bringen, mich zu überreden, daß ich mich von Jefferson trenne. Wir sind ein Erfolgsteam. So ein Gespann darf man nicht auseinanderreißen..." "Auch wir wären ein Erfolgsteam", grinste Messina. "Ja. Aber auf einer anderen Ebene. Und das würde mir nicht behagen." Carmen machte sich für den Auftritt fertig. "Ich werde wahrscheinlich weggehen", sagte Messina. "Weißt du schon wohin?" "Es gäbe ein paar Möglichkeiten..." Carmen schaute durch den Spiegel in Messinas Gesicht. "Dann sehen wir uns heute also zum letztenmal." "Traurig?" "Ein bißchen." Messina lachte. "Ich bin sicher, du wirst dich schnell getröstet haben. Es stehen genug Kerle auf deiner Warteliste." Carmen seufzte. "Ich glaube, ich werde nach dir eine kleine Pause einlegen. Vielleicht sollte ich mich Jefferson mehr als bisher widmen. Er ist ein feiner Kerl. Eigentlich verdient er's nicht, andauernd betrogen zu werden." "He!" lachte Messina laut. "Du hast doch nicht etwa vor, seriös zu werden." "Es würde meiner weiteren Karriere sehr nützlich sein." Messina schüttelte den Kopf. "Das hältst du nicht durch. Nicht ein Vulkan wie du, Baby. Jefferson allein wird mit dir nicht fertig." Copyright 2001 by readersplanet
Carmen hob die Schultern. "Dann werde ich eben versuchen, mich einzuschränken. Sex ist schließlich nicht alles im Leben." Sie legte den Augenbrauenstift auf den Tisch zurück. Messina schlug sich grinsend auf die Schenkel. "Weißt du, daß Reed mich aufs Kreuz zu legen versucht hat?" Carmen wandte sich erstaunt um. "Ich dachte, die Sache wäre vollkommen glattgegangen." "Ist sie auch. Aber Reed wollte mir ein Bein stellen. Er hat den schärfsten Spürhund von New York zum Airport bestellt. Zum Glück etwas zu spät. Ich hatte genügend Zeit, die Diamanten aus dem Schließfach zu holen und zu verduften." Jetzt wurde Messinas Gesicht ernst. "Aber allein die Tatsache, daß er's versucht hat, ärgert mich. Verdammt, ich sollte ihm eine Lektion erteilen." Mit schmalen Augen nickte der Gangster. "Ja. Ich werde ihm diese Lektion erteilen." "Du hast die Diamanten. Laß Reed jetzt zufrieden." "Er hat versucht, Howie Messina anzuschmieren!" knurrte der Verbrecher ärgerlich. "Dafür muß ich ihn bestrafen!" Carmen schaute Messina beunruhigt an. "Howie, was hast du vor?" "Er kriegt seine Maggie nicht wieder", sagte der Gangster eiskalt. Carmen stockte der Atem. Ihre Augen weiteten sich vor Bestürzung. "Howie, das kannst du doch nicht machen!" "Und wie ich das kann!" trompetete Messina mit verkanteten Zügen. "Das arme Mädchen!" "Ach, wer schert sich denn um das magere Gestell? Verdammt noch Mal, Strafe muß sein! Der Kerl hat sie verdient! Er soll sie nun kriegen!" Jimmy klopfte noch mal an die Garderobentür. "Dein Auftritt, Carmen!" Die Sängerin wandte sich erschrocken um. "Ich komme, Jimmy!" rief sie. Und zu Messina sagte sie atemlos: "Warte auf mich, Howie. Bitte wart hier auf mich. Ich singe meine fünf Lieder und komme dann gleich wieder zurück, okay? Wir...wir müssen noch mal in aller Ruhe darüber reden." Ziemlich nervös verließ Carmen Hood ihre Garderobe. Messina goß sich noch einen Whisky ins Glas. Er schüttelte grinsend den Kopf. "Diese Weiber. Wenn es um ein Kind geht, wird ihr Herz so weich wie Butter in der Sonne."
* Kommissar X hatte den ohnmächtigen Diamantenboten aus der Klosettkabine geholt und im nächsten Krankenhaus abgeliefert. Nun befand er sich im Einfamilienhaus der Reeds. April Bondy saß im bequemen Sessel und versuchte, mitzubekommen, wie der Eiswürfel in ihrem Whisky langsam schmolz, aber das ging so langsam, daß es einfach nicht zu beobachten war. Keiner sagte ein Wort. Es war totenstill im Living-room. Nur ab und zu hörte man entweder Katy oder Laurence Reed tief durchatmen. Reed brach schließlich das Schweigen, das ihn peinigte. "Es ist nicht auszuhalten!" Er sprang auf und lief unruhig auf und ab. Katy sah ihm mit blassem Gesicht dabei zu. Reed blieb vor dem Telefon stehen. Mit flatternden Augen starrte er den Apparat an. Dann drehte er sich zu Jo um. "Er hat doch jetzt, was er haben wollte! Warum gibt er uns Maggie nicht zurück?" "Vielleicht setzt er sie vor dem Haus ab", meinte April Bondy. "Das ist schon einige Male passiert." Sie sagte das, um in Reeds Herz ein neues Hoffnungsflämmchen anzuzünden. Er eilte sofort zum Fenster, fegte den Vorhang zur Seite, preßte die Nase ans Glas und schirmte die Augen mit den Händen ab. Die Straße war menschenleer. "Nichts!" keuchte Laurence Reed. Er ließ den Vorhang zurückfallen. "Ich, werde langsam wahnsinnig", stieß er knirschend hervor. Er schlug sich mit beiden Fäusten auf den Kopf. Copyright 2001 by readersplanet
"Dieses endlose Warten macht mich verrückt. Warum ruft er denn nicht endlich an?" "Nimm dir was zu trinken und reiß dich zusammen, Laurence!" sagte Jo mit fester Stimme. Er erreichte damit aber genau das Gegenteil. Reed blickte ihn mit zornfunkelnden Augen an. "Du hast leicht reden. Du hast keine Tochter, die sich in Lebensgefahr befindet. Du hast überhaupt kein Kind, Jo..." Walker sprang nun ebenfalls auf. "Verdammt noch mal, willst du nicht endlich ruhig sein? Du steckst mit deiner Unruhe Katy an! Was hast du vor, willst du das hier in ein Tollhaus verwandeln?" Jo machte eine Handbewegung, die das gesamte Einfamilienhaus einschloß. "Ist es zuviel verlangt, wenn ich dich bitte, Rücksicht auf die Nerven deiner Frau zu nehmen? Wer hat denn Schuld, daß es zu dieser Situation gekommen ist? Du! Nur du, Laurence., Wenn du dich beim Kennedy Airport nicht so lange hättest bitten lassen, hätten wir Messina jetzt wahrscheinlich Maggie und die Diamanten schon abgenommen, und der Gangster säße bereits auf dem Vernehmungsstuhl der Polizei!"
* Ihr Publikum hatte nicht gemerkt, wie nervös sie war. Sie war mit ihren Gedanken nicht ganz bei ihren Songs gewesen, hatte sich einfach mit ihrer Routine über die Runden geschwindelt. Gleich nach dem Auftritt war sie in ihre Garderobe zurückgekehrt. Ein schwerreicher Industrieller - der obendrein blendend aussah - hatte ihr durch einen der Kellner bestellen lassen, er würde sie gern kennenlernen und etwas mit ihr trinken. Im allgemeinen schlug sie solche Einladungen nicht aus. Doch diesmal bekam ihr Verehrer einen Korb. Sie mußte immerzu an das kleine unschuldige Ding denken. Maggie Reed. Und sie, Carmen, hatte das arme Mädchen in diese entsetzliche Lage gebracht. Carmen wollte Howie ausreden, was er vorhatte. Sie hatte zwar selbst keine Kinder, aber der Mutterinstinkt war genauso bei ihr ausgebildet wie bei jeder anderen Frau. Maggie durfte nicht sterben. Maggie brauchte Carmens Hilfe. Und Carmen wollte sich voll für das bedauernswerte Geschöpf einsetzen. Carmen riß die Garderobentür auf. Enttäuscht sah sie sich in dem leeren Raum um. Howie Messina war nicht mehr da. Panik erfaßte Carmen. Sie hatte keine Ahnung, wo Messina das Kind versteckt hatte. Ohne Messina war es unmöglich, Maggie Reed wiederzufinden. Carmen überlief es bei diesem Gedanken eiskalt. Jetzt erst fiel ihr auf, daß Messina mit ihrem Lippenstift etwas auf den Spiegel geschrieben hatte. Adieu und vielen Dank für den wertvollen Tip. H.M. Carmen schlug die Hände vors Gesicht. Sie hatte Mitleid mit Maggie Reed. Gott, wie sollte sie der Kleinen nur helfen? Sie machte sich Vorwürfe, weil es ihre Idee gewesen war, das Kind zu kidnappen. Ausleihen hatte sie es genannt, und so hatte sie es auch gemeint. Das Wort Ausleihen beinhaltete jedoch für Carmen gleichzeitig den Begriff Zurückgeben. Geliehenes gibt man zurück. Messina durfte das arme Mädchen nicht behalten. Nein, bei dieser Schweinerei wollte Carmen nicht mitmachen. Daß es so kam, hatte sie nie gewollt. Hastig zog sie sich um. Jetzt hatte sie die Aussprache mit einem Menschen, der ihr Verständnis entgegenbringen konnte, bitter nötig. Es gab für sie keinen verständigeren Menschen als ihren Mann. Jefferson würde ihr einen Rat wissen. Jefferson wußte immer, was zu tun war. Und er würde ihr helfen. Sie war ganz sicher. Wie von Furien gehetzt, verließ sie den Nightclub. Augenblicke später raste sie in ihrem kleinen Sportwagen nach Hause. Atemlos erreichte sie die Wohnungstür. Sie läutete Sturm. Jefferson machte auf. Seine Augen weiteten sich erschrocken. "Carmen. Wieso bist du nicht im Club?" So war Jefferson. Er dachte immer zuerst an ihre Karriere. Und er dachte auch immer an die Verträge, die sie zu erfüllen hatte. Sie hatte noch einen Auftritt. Sie konnte nicht einfach heimgehen, weil sie keine Lust mehr hatte, zu singen. Copyright 2001 by readersplanet
Carmen schwankte, als sie die Wohnung betrat. "Jefferson...; stöhnte sie. "Jefferson..." "Lieber Himmel, ist dir nicht gut?" rief Hood verwirrt aus. Er stützte seine Frau, brachte sie ins modern eingerichtete Wohnzimmer, ließ sie erst los, als sie in einem der Sessel saß. "Gib mir was zu trinken, Jefferson", bat Carmen mit bleichen Zügen. "Ja. Ja, sofort." Hood eilte zur Hausbar. Er kam mit zwei Gläsern wieder. "Soll ich einen Arzt rufen? Ist etwas mit deiner Gesundheit nicht in Ordnung?" Carmen klopfte mit einer müden Handbewegung auf die Sessellehne. "Komm, Jeff. Setz dich zu mir. Ich habe dir sehr viel zu beichten."
* Sie nahm kein Blatt vor den Mund. Sie stand zu dem, was sie getan hatte, nahm auf die eigene Person keine Rücksicht. Carmen sagte ihrem Mann viele Dinge, die er bereits wußte. Sie erzählte ihm aber auch einiges, wovon er bislang keine Kenntnis gehabt hatte. Er hörte mit stoischer Ruhe zu. Carmen bewunderte ihn. Kein Mensch hatte mehr Großmut als Jefferson. Und niemand hätte für ihre Lage mehr Verständnis aufbringen können als er. Als sie ihm alles gesagt hatte, fühlte sie sich wesentlich erleichtert. Jetzt war alles raus. Es gab kein Geheimnis mehr zwischen ihr und Jefferson. Sie fand, das war eine, gute Basis, um neu anzufangen. Sie wollte von nun an versuchen, Jefferson eine treue Ehefrau zu sein. Er war ein edler, gütiger Mensch. Ein verständnisvoller Freund. Er verdiente es, geliebt zu werden. "Mit einem Gangster", sagte er. Nur an seiner Stimme erkannte Carmen, daß er erregt war. "Du hast mit einem Gangster gemeinsame Sache gemacht. Du hast ihm den Tip gegeben, wie er spielend an Diamanten im Wert von nahezu einer Million kommen kann. Carmen, wenn das publik wird, ist es aus und vorbei mit deiner Karriere, hast du dir denn das nicht überlegt? Wie konntest du dich zu so etwas hergeben?" Er bekrittelte mit keinem Wort, daß sie mit Messina geschlafen hatte. Er ritt nur darauf herum, daß sie ihre Karriere so leichtfertig aufs Spiel gesetzt hatte. Das machte sie wütend. "Denk doch nicht immer nur an meine Karriere!" schrie sie zornig. "Denk an Maggie Reed, Jefferson. Ihr Leben ist in Gefahr. Ich will jetzt von dir keine Kritik hören. Du mußt helfen, verstehst du? Helfen!" Hood nickte. Die Backenmuskeln zuckten kurz. "Wo wohnt dieser Messina?" "Hotel Washington. Brooklyn." Carmen nannte die genaue Anschrift. "Er ist da unter falschem Namen abgestiegen. Harald Messer nennt er sich." .,Du fährst jetzt unverzüglich zum Club zurück", entschied Jefferson Hood ernst. "Um alles Weitere kümmere ich mich." Carmen nickte hastig. Sie erhob sich und schlang ihre Arme um Hoods Hals. "Ich habe vieles falsch gemacht, Jeff. Du hast mit mir sehr viel Geduld gehabt. Es wird Zeit, daß ich vernünftig werde. Laß uns noch mal ganz von vorn anfangen, okay? Laß uns einen dicken Strich unter die Vergangenheit ziehen. Ich meine es ehrlich. Und ich glaube, ich könnte das schaffen, was ich mir vorgenommen habe." Hood küßte sie. "Paß auf dich auf, Jeff", sagte Carmen bittend. "Howie Messina ist ein gefährlicher Bursche, das ist mir jetzt erst so richtig klargeworden. Ich möchte dich auf keinen Fall verlieren." Hood lächelte kurz und trocken. "Es wird schon schiefgehen. Zeig du dich nur wieder deinem Publikum."
*
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"Ein Wagen!" rief April Bondy. Sie stand am Fenster. Laurence Reed eilte mit schnellen Schritten zu ihr. Ein Mann kam auf das Haus zu. Er war hager, hatte dünnes, schütteres Haar und eine lange, spitze Nase. "Das ist Jefferson Hood", sagte Reed verwundert. "Seine Tochter ist eine Klassenkameradin von Maggie." Hood läutete. Jo ließ ihn ein. Hood blickte den Privatdetektiv irritiert an. Er sah einen Moment so aus, als zweifelte er daran, das richtige Haus betreten zu haben. Als hinter Walker Katy Reed erschien, sagte Hood zu ihr: "Ich habe dringend mit Ihnen und Ihrem Mann zu reden." Im Wohnzimmer übernahm es Laurence Reed, April Bondy und Jo Walker vorzustellen. Hood musterte Kommissar X daraufhin mit interessierten Augen. Carmen hatte ihm erst vor wenigen Augenblicken von diesem Mann erzählt. Das sollte der beste Privatdetektiv von New York sein. Es war sehr gut, daß dieser Mann sich in Reeds Haus befand. Maggie Reed hatte es bitter nötig, daß sich der beste Detektiv um sie kümmerte. "Mir ist bekannt, Mr. Reed, daß Ihre Tochter entführt wurde", sagte Jefferson Hood einleitend. Reed blickte ihn verblüfft an. "Woher wissen Sie...?" Hood legte mit allem dem los, was er von Carmen erfahren hatte. Er nannte auch den Namen jenes Mannes, der, als er volltrunken war, Carmen .von den regelmäßigen Diamantenlieferungen erzählt hatte. Reed kniff die Augen zusammen. Kibi Sinclair. Mit seiner Redseligkeit hatte das ganze Unheil seinen Lauf genommen. Kibi Sinclair. Die Sache sollte für ihn nicht ohne Folgen bleiben. Hood hatte seine Rede geschickt aufgebaut. Sie hörte sich wie das Plädoyer eines Verteidigers an. Jetzt kam der Manager zum Schlußwort: "Was meine Frau getan hat, ist unverzeihlich, das läßt sich nicht wegleugnen...Trotzdem bitte ich Sie händeringend, ihr eine Chance zu geben." ' Laurence Reed lief rot an. "Mann, Sie scheinen nicht zu wissen, welches Ansinnen Sie da an uns stellen!" "In der Bibel heißt es: Wer frei von Fehl, der werfe den ersten Stein, Mr. Reed", sagte Jefferson Hood ruhig. "Verdammt noch mal, verschonen Sie mich mit Bibelsprüchen!" schrie Reed mit wutverzerrtem Gesicht. "Ihre Frau hat sich an einem hundsgemeinen Verbrechen beteiligt..." "Dieser Messina hat ihr den Kopf verdreht!" stellte sich Hood schützend vor Carmen. "Sie wurde ein Opfer ihrer Leidenschaft, können Sie denn so etwas nicht verstehen?" "Nein!" schrie Reed gereizt. "Verflucht, nein, das kann ich nicht verstehen. Vielleicht hätte ich mehr Verständnis dafür, wenn sich dieser Gangster Ihre Tochter geholt hätte, Mr. Hood. Hier geht es aber um mein Kind. Um unsere Maggie geht es. Deshalb werde ich alles daransetzen, daß Ihre Frau das bekommt, was ihr gebührt!" Hoods Miene wurde eisig. "Ich weiß, wo sich Howie Messina aufhält, Mr. Reed. Aber ich bin nur dann bereit, es Ihnen zu sagen, wenn Sie mir in die Hand versprechen, keine strafrechtlichen Schritte gegen meine Frau einzuleiten!" "Sie sind verrückt!" schrie Reed außer sich vor Zorn. "Was Ihre Frau meiner Familie angetan hat, darf nicht einfach unter den Teppich gekehrt werden!" Reed fletschte die Zähne. "Verflucht, wenn Sie jetzt nicht auf der Stelle sagen, wo sich dieser Messina aufhält, prügle ich's aus Ihnen heraus!" Hood schob trotzig das Kinn vor. "Sie können es ja versuchen, Mr. Reed!" Laurence Reed stürzte sich im selben Moment auf Hood. Ehe er jedoch zuschlagen konnte, warf sich Jo Walker dazwischen. "Laurence!" brüllte Kommissar X dem aufgebrachten Freund ins zornrote Gesicht. "Laurence, nimm jetzt Vernunft an!" "Laß mich!" schrie Reed. "Verdammt, laß mich, Jo. Ich schlage dem Kerl die Visage ein!" "Du wirst dich ruhig verhalten?" erwiderte Jo scharf. Er drängte Reed vier Schritte zurück und wandte sich dann zu Hood um.
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Jefferson Hood bebte. Mit heiserer Stimme sagte er: "Es wäre gut, wenn wir uns schnell einigen würden. Howie Messina wird nicht mehr allzu lange in New York bleiben. Sie können sich frei entscheiden, Mr. Reed. Möchten Sie Maggie zurückhaben... oder ist es Ihnen lieber, wenn meine Frau eingesperrt wird?" "Laurence!" schluchzte Katy plötzlich verzweifelt auf. "Verzichte auf diese Rache. Maggie ist uns wichtig, Mr. Hood. Nur Maggie. Wir werden nichts. gegen Ihre Frau unternehmen. Auch Walker nicht. Niemand. Nicht wahr, Laurence? Niemand!" Katy eilte zu ihrem Mann. Sie blickte ihn flehend an. "Sag es ihm, Laurence. Sag ihm um Himmels willen, daß wir nichts gegen Carmen Hood unternehmen werden." Reed nickte mit grauen Zügen. "Okay, Hood. Sie haben uns in der Hand. Carmen hat nichts zu befürchten." "Habe ich Ihr Wort?" fragte Hood mit schmalen Augen. "Verdammt noch mal, ja. Das haben Sie!" schrie Reed wutentbrannt. "Und nun sagen Sie uns endlich, wo dieser dreckige Mistkerl steckt!" "Hotel Washington in Brooklyn!" sagte Jefferson Hood. Er nannte die Anschrift und den falschen Namen, unter dem Howie Messina dort abgestiegen war. Jo und April machten sich sofort auf den Weg. Als Walker die Maschine seines Mercedes startete, sagte er zu April: "Jetzt haben wir nur noch ein Problem: Wir müssen Howie Messina auf jeden Fall lebend kriegen, sonst hat Maggie keine Chance, gefunden zu werden."
* Hinter dem Empfangspult des Hotels saß ein grauhaariger Mann. Er schmökerte in einem Buch von Henry Miller. Die obszönsten Stellen las er zweimal und grinste dabei begeistert vor sich hin. Als Howie Messina das Hotel betrat, legte der Grauhaarige das Buch aufs "Gesicht" und erhob sich. Er nickte dem Gangster freundlich lächelnd zu. "Guten Abend, Mr. Messer." "Guten Abend, Mr. Duff." "Haben Sie sich gut amüsiert?" fragte Lee Duff mit einem schelmischen Augenzwinkern. "Es war wieder mal phänomenal", grinste Messina. "New York ist eine irre Stadt. Ein Parade-Sündenpfuhl. Hier kommt jeder auf seine Kosten. Ich verstehe die Typen nicht, die extra nach Bangkok fliegen. Das gibt's doch alles hier auch. Und oft noch viel besser." Der Grauhaarige lachte meckernd. "Man muß nur die richtigen Adressen kennen, was, Mr. Messer?" Messina klopfte Duff auf die Schulter. "Und die kennen Sie zum Glück." "Wenn Sie mal wieder einen Tip haben möchten. Ich stehe Ihnen jederzeit gern zur Verfügung, Mr. Messer." "Tut mir leid, daß ich Ihnen keinen weiteren Tip mehr abkaufen kann, Mr. Duff." Der Grauhaarige staunte. "Heißt das, daß Sie uns schon wieder verlassen, Mr. Messer?" Messina hob die Schultern. "Tja. Was soll man machen? Ich muß wegen einer dringenden Familienangelegenheit früher als ursprünglich geplant abreisen. Ich gehe jetzt auf mein Zimmer und packe meine Klamotten ein. Sie haben inzwischen die Güte, meine Rechnung fertig zu machen, okay?" "Ich besorg' das sofort", nickte Duff pflichteifrig. Messing verlangte seinen Schlüssel und lief die Treppe zum ersten Stock hoch. Nachdem er sich in sein Zimmer eingeschlossen hatte, holte er den Koffer mit den Diamanten aus dem Schrank. Er legte ihn auf das Bett und klappte den Deckel dann mit glänzenden Augen hoch. Lange ließ er die glitzernde Pracht auf sich einwirken. Jeder Diamant war in eine seiner Form angepaßten Vertiefung im mitternachtsblauen Samt gebettet. Messing lachte in sich hinein. Wegen einer dringenden Familienangelegenheit hatte er gesagt. Das hörte sich immer gut an und machte niemanden Copyright 2001 by readersplanet
mißtrauisch. Die dringende Familienangelegenheit glitzerte hier vor ihm. Diamanten im Wert von fast einer Million Dollar. Messina fuhr sich mit beiden Händen über das breite Gesicht. Was war das doch für ein atemberaubender Anblick. Blitzend reflektierten diese kleinen Steinchen das Licht der Deckenleuchte. Fast schien es, als befände sich Leben in diesen funkelnden, strahlenden Dingern. Messina riß sich nach einer Weile von diesem herrlichen Anblick los. Er holte die Schatulle, in der sich sein Elektrorasierer befand. Er nahm den Apparat aus dem Etui, legte Watte hinein und bettete dann die Diamanten behutsam in die weiße Watte. Gepackt war schnell. Und nun, dachte der Gangster begeistert, auf nach Panama City. Ein paar Bekannte - Gangster wie er - hatten sich in Panama City niedergelassen. Er hatte vor, mit ihnen Kontakt aufzunehmen und über sie einen Teil der Diamanten abzustoßen. Wenn er sie dabei gut verdienen ließ, würden sie bestimmt nicht versuchen, ihn übers Ohr zu hauen. Begeistert rieb sich Messina die Hände. Du hast ausgesorgt! sagte er im Geist zu sich. Du bist jetzt reich! Du brauchst dein Geld nur noch so günstig wie möglich anzulegen, dann vermehrt es sich fast von allein. Grinsend dachte er an seine Zukunft, die er sich märchenhaft rosig vorstellte. An Maggie Reed verschwendete er in diesen Augenblicken keinen einzigen Gedanken mehr.
* Während Kommissar X den 450 SEL durch Brooklyn drosch, warf er April Bondy einen besorgten Blick zu. Howie Messina war ein gefährlicher, schießwütiger Teufel. Jo fragte sich unwillkürlich, ob es richtig gewesen war, April zum Hotel Washington mitzunehmen. Aber hätte sich dieser Blondschopf, der manchmal so entsetzlich stur sein konnte, abweisen lassen? Wohl kaum. Wenn Jo sie nicht mitgenommen hätte, hätte sie vermutlich das nächste Taxi angehalten, um trotzdem dabeizusein, wenn es Howie Messina an den Kragen ging. Jo wies mit dem Kinn auf das Handschuhfach. "Mach es aufs" verlangte er. Seine Assistentin gehorchte. Ihr Blick fiel auf die Reserve-Automatic, die Jo dort aufbewahrte. "Nimm sie heraus!" sagte Jo. April griff nach der schweren Pistole. Jo seufzte. "Messina wirft leider nicht mit Wattebällchen um sich." Er deutete auf die Waffe. "Hoffentlich hast du noch nicht verlernt, wie man damit umgeht. Ich hab's dir mindestens hundertmal gezeigt." April schmunzelte. "Keine Sorge, Jo. Ich werd' mir damit schon nicht den großen Zeh abschießen." "Das will ich hoffen. Und merk dir eins: Du darfst nur im äußersten Notfall von der Waffe Gebrauch machen." April warf ihm einen ärgerlichen Blick zu. "Hör mal, du redest mit mir, als wäre ich eine blutige Anfängerin." Jo grinste. "Okay. Blutig wird gestrichen." "Ich bin auch keine Anfängerin. Ich habe meine Feuertaufe schon lange hinter mir." Jo nickte. "Na schön. Dann bist du eben eine alte Häsin in dieser Branche, was mich jedoch niemals daran hindern wird, um dich zu zittern!" April schob die Automatic in ihre pelzgefütterte Jeansjacke. Zwei Minuten später waren sie am Ziel. Jo stürmte vor seiner Assistentin in das Hotel. Lee Duff war wieder in seinen Henry Miller vertieft. Jo klopfte ungeduldig auf das Pult. Duff schnellte hoch und legte das Buch weg. "Sie wünschen?" fragte er verwirrt. Walkers Gesichtsausdruck weckte großen Unbehagen in ihm. "Harald Messer", sagte Jo mit harter Stimme. "Wie ist seine Zimmernummer?" "109. Aber..." Jo wies mit dem Finger auf das Telefon. "Sie rufen ihn nicht an, klar?" "Aber..." Copyright 2001 by readersplanet
Messina sah sich noch einmal um. Den Diamantenkoffer hatte er in den Schrank gelegt. Der sollte die Reise nach Panama City nicht mitmachen. Alles andere war fein säuberlich in die beiden Reisetaschen gepackt. Messina blickte auf die Armbanduhr. Er hatte noch sehr viel Zeit. Der Jet nach Panama City startete erst um zwei Uhr früh. Jetzt war es kurz vor Mitternacht. Messina dachte an morgen. Ein neuer Tag. Ein neues Land. Ein neues Leben. Nur wenige Gangster konnten von sich behaupten, daß sie es so schnell geschafft hatten. Die meisten blieben schon auf der Strecke, wenn ihre Coups noch in den Kinderschuhen steckten. Messina ließ die Ereignisse der jüngsten Vergangenheit noch einmal kurz Revue passieren. Grinsend dachte er an jene Nacht, in der er Jo Walker beinahe totgeschossen hatte. Phyllis Falk fiel ihm ein. Ach Gott, die naive Phyllis. Sie war aus allen Wolken gefallen, als sie endlich begriffen hatte, daß er von Verbrechen lebte. 15.000 Dollar hätte sie von ihm haben können, das blöde Weibsstück. Doch nein, davon hatte sie nichts wissen wollen. Es war nur recht und billig, daß sie jetzt den Meeresgrund verzierte. Sie hatte es nicht anders verdient. Er nahm die Reisetaschen auf. Maggie Reed? Sie tat ihm nicht leid. Nicht er, sondern ihr verdammter Vater, der besonders schlau sein wollte, trug Schuld daran, daß die Kleine sterben mußte. Ihr Tod sollte nicht sein, sondern Laurence Reeds Gewissen belasten. Messina öffnete die Tür. Duff würde mit der Rechnung inzwischen fertig sein. Der Gangster trug die Reisetaschen den Korridor entlang. Er erreichte die Treppe. Da übersprang sein Herz plötzlich einen Schlag. Ein Mann und ein Mädchen sprachen mit Duff. Ein Mann und ein Mädchen: Jo Walker und seine gottverfluchte Assistentin. Messina zuckte zurück. Aber Kommissar X hatte ihn schon entdeckt.
* "Da ist er!" rief Walker aufgeregt aus. Er zog die Automatic aus der Schulterhalfter. Lee Duff raufte sich die grauen Haare. "Um Himmels willen!" stöhnte er bestürzt. Messing war nicht mehr zu sehen. Jo rannte auf die Treppe zu. "He!" schrie Duff verstört. "Sind Sie wahnsinnig geworden? Was wollen Sie denn mit der Pistole?" Jo erreichte das Ende der Treppe. Mit wutverzerrtem Gesicht eröffnete Howie Messina das Feuer. Eine Kugel nach der anderen spie die Colt Commander des Gangsters Walker entgegen. "O Gott, sie schießen sich!" jammerte Duff voller Entsetzen und rang die Hände. Seine gehetzten Blicke suchten April Bondy. Das Mädchen war nicht mehr da. Die Tür pendelte noch. Sie mußte das Hotel verlassen haben. Duff war unfähig, etwas zu tun. Er hörte das Geknalle, zuckte bei jedem Schuß zusammen, stand fassungslos hinter seinem Pult und war so bestürzt, wie er es noch nie in seinem Leben gewesen war. Jo zielte auf die Beine des Gangsters. Das war ein Handikap. Während Messina den ganzen Körper des Gegners als Ziel zur Verfügung hatte, durfte Jo nur auf die Beine des Gangsters schießen. Er verfehlte sie. Messina war auf dem Rückzug. Jetzt blitzte seine Commander wieder auf. Walker hechtete vorwärts, rollte über den Boden, federte auf die Beine, feuerte zurück. Messina schleuderte atemlos die Tür hinter sich zu. Ehe Kommissar X die Tür erreichte, drehte Howie Messina den Schlüssel im Schloß herum. Dann rannte er ohne seine schweren Reisetaschen auf das Fenster zu. Nervös schob der Gangster das Fenster hoch. Im nächsten Augenblick kroch er über die staubige Fensterbank nach draußen.
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Jo trat einen Schritt von der Tür zurück. Er hob das rechte Bein und rammte es viermal genau da gegen das Holz, wo sich das Schloß befand. Knirschend brach das Holz. Jo schnellte in das Hotelzimmer. Er ging in die Hocke. Seine Automatic strich blitzschnell durch den Raum. Der Vorhang bauschte sich vor dem offenen Fenster. Jo wußte welchen Weg Howie Messina eingeschlagen hatte.
* April Bondy war aus dem Hotel gestürmt, als oben der erste Schuß gefallen war. Es war nicht nötig, daß sie sich an Walkers Seite stellte. Sie wären einander dort oben wahrscheinlich sogar hinderlich gewesen. Viel wichtiger erschien es der blonden Detektiv-Volontärin - falls es einen Fluchtweg für Howie Messina gab diesen rechtzeitig abzuriegeln. Sie wandte sich nach links. Augenblicke später verschwand sie in einem finsteren Durchlaß, und wenige Sekunden danach erreichte sie die Rückfront des Hotels. Der buttergelbe Halbmond sorgte dafür, daß April nicht blind durch die Dunkelheit tappen mußte. Schwer lag Jos Reserve-Automatic in ihrer Hand. April vernahm ein Knirschen. Sie hob den Blick und sah... Howie Messina. Sein Gesicht war von namenloser Wut verzerrt. Er tastete sich auf dem schmalen Sims vom Fenster weg. April hörte die wuchtigen Tritte, mit denen Jo das Türschloß überwinden wollte. Die Aufregung hämmerte wild in Aprils Schläfen. Zum. erstenmal in ihrem Leben stand sie einem so gefährlichen Gangster wie Howie Messina Auge in Auge gegenüber. Krachend brach die Tür auf. Gleichzeitig richtete Messina den Colt Commander auf Walkers Assistentin.
* Wie ein Wirbelwind fegte Kommissar X durch das Zimmer. Er erreichte das Fenster, beugte sich nach draußen und erkannte auf den ersten Blick, wie kritisch die Lage war. Sein Herz krampfte sich jäh zusammen. Ehe Messina den Stecher seiner Waffe durchziehen konnte, brüllte Walker den Namen des Gangsters. Howie Messina zuckte sofort herum. Seine Commander schwenkte in Jos Richtung. Die beiden Waffen entluden sich fast zur selben Zeit. Messinas Kugel strich knapp an Walkers Wange vorbei. Jo spürte ihre sengende Hitze. Und im selben Moment sah er, welche Wirkung sein Schuß hatte. Jos Kugel war dem Gangster in den linken Oberschenkel gefahren. Messina stieß einen grellen Schmerzensschrei aus. Er glitt vom Sims mit beiden Beinen ab und sauste wie ein Stein in die Tiefe. Der Gangster schrie auf, dann schlug sein Körper auf. Howie Messina versuchte, hochzukommen, aber er schaffte es nicht. Stöhnend sank er zurück. April Bondy rannte auf Messina zu. Ehe er begriff, was sie vorhatte, entriß sie ihm die Commander. Jo stemmte sich vom Fenster ab. Er jagte aus dem Zimmer, stürmte die Treppe hinunter und keuchte aus dem Hotel. Lee Duff stand immer noch fassungslos hinter seinem Pult. Jo gelangte auf demselben Weg zur Hotel-Rückfront, den vor ihm April eingeschlagen hatte. Schon von weitem hörte er Messinas Stöhnen. "Diesmal hat's den Richtigen erwischt!" zischte Kommissar X, als er auf Messina hinabsah. Dem Gangster ging es dreckig. Aber Jo hatte kein Mitleid mit ihm. Er dachte an die vier Wochen im Krankenhaus. Die waren auch kein Honiglecken gewesen. Messina versuchte verzweifelt, sich zu erheben. Er preßte dabei die Zähne so fest zusammen, daß es laut knirschte. April Bondy überlief es kalt. Jo starrte den Gangster mit harten Augen an. Copyright 2001 by readersplanet
"Verdammt, Walker ich bin schwer verletzt!" röchelte Messina. "Das sehe ich," erwiderte Jo kalt. "Ich brauche einen Arzt!" "Wo ist Maggie Reed?" fragte Kommissar X mit schneidender Stimme. "Was kümmert mich das kleine Gör. Ich brauche einen Arzt, verflucht noch mal!" "Erst höre ich von Ihnen, wo Sie Maggie versteckt haben." "Nein, Walker. Nein! Ich will, daß Sie einen Krankenwagen hierher bestellen! Zum Henker, ich habe gräßliche Schmerzen!" Jo beugte sich zu Messina hinunter und starrte ihn an. "Messina, du kannst von Glück sagen, daß ich trotz allem immer noch weiß, was richtig und was falsch ist. Aber wenn du mir nicht auf der Stelle sagst, wo du Maggie Reed versteckt hast, kann es passieren, daß ich für einen ganz kurzen Moment vergesse, was erlaubt ist und was nicht." "Einen Arzt! Einen Arzt!" plärrte Messina mit schmerzverzerrtem Gesicht. "Ich lasse keinen Arzt an dich ran, Messina, solange du mir nicht gesagt hast, was ich wissen will, das schwöre ich dir bei allem, was mir heilig ist!" schrie Jo dem Verbrecher wütend ins Gesicht. Die nächste Schmerzwelle war so furchtbar, daß Howie Messina nicht länger schweigen konnte. Er brüllte das Versteck mit weit aufgerissenem Mund heraus. Jo wandte sich an April. "Verständige Polizei und Ambulanz. Ich hole Maggie."
* Völlig außer Atem erreichte Kommissar X das Penthouse im 13. Stock. Er hörte Maggie schluchzen, lief zu ihr hin, durchschnitt die Fesseln mit seinem Messer, nahm dem völlig verstörten Mädchen den Knebel aus dem Mund, nahm sie auf seine Arme und trug sie die dreizehn Etagen bis zu seinem Wagen hinunter. Sie weinte während der ganzen Fahrt. Ihr Körper war ziemlich unterkühlt. Jo hatte seinen Mantel über sie geworfen. Unbeschreibliche Szenen spielten sich im Haus von Laurence und Katy Reed kurz darauf ab. Jo stand ergriffen abseits. Ihm ging so schnell nichts an die Nieren. Aber diesmal passierte es. Dreißig Minuten später traf April Bondy mit den Diamanten ein. Reed drückte Jo Walker benommen die Hand. "Ich glaube, ich muß mich bei dir entschuldigen, Jo. Ich hatte wirklich nicht genug Vertrauen zu dir und deiner Assistentin." "Denk wenigstens beim nächsten mal daran", sagte Jo ernst. "Ich hoffe, es wird kein Nächstes Mal geben." "Das hoffe ich auch", sagte Kommissar X. Reed schaute Jo mit flehenden Augen an. "Ich muß mich jetzt der Polizei stellen. Kommst du mit? Ich habe bitter jemand nötig, der für mich ein gutes Wort einlegt." Jo legte seine Arme um April Bondys und um Laurence Reeds Schultern, nickte und sagte: "Dann laßt uns mal den unvermeidlichen Schritt tun. Schlimmer als es gewesen ist, kann es jetzt nicht mehr kommen."
ENDE
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