Wiss. Ass. Dr. Bernhard Hardtung
Repetitorium im Strafrecht Sachbeschädigung (§ 303 StGB) Stand: Juli 1998
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I. Fremde Sache Sachen sind körperliche Gegenstände (siehe § 90 BGB). Auch Tiere sind Sachen iSd §§ 242, 303. Zwei Begründungen werden gegeben: 1. Das Strafrecht bildet seine Begriffe eigenständig und unabhängig vom Zivilrecht. Deshalb ist § 90a BGB für das Strafrecht unbeachtlich. Tiere waren schon immer Sachen; daran hat sich im Strafrecht trotz § 90a BGB nichts geändert. - So zB Tröndle48, § 242 Rn 2. 2. § 90a BGB gilt auch für das Strafrecht. Nach dessen Satz 1 sind Tiere keine Sachen. Nach Satz 3 sind aber die für Sachen geltenden Vorschriften, also auch §§ 242, 303 StGB, auf Tiere entsprechend anzuwenden. Diese Analogie ist kein Verstoß gegen Art. 103 II GG, denn sie ist gesetzlich bestimmt. - So zB Lackner/Kühl22, § 242 Rn 2.
§ 303 setzt keine bewegliche Sache voraus. Die Norm erfasst also auch die Beschädigung von Gebäuden und unbebauten Grundstücken, zB das Ausgießen von Altöl auf einem Acker. Zur Fremdheit siehe das große Skript "Strafrecht BT" zu § 242.
II. Beschädigen 1. Beschädigen ist nach der gängigen Definition das Einwirken auf die Sache, das die Sachsubstanz oder die bestimmungsgemäße Brauchbarkeit der Sache mehr als nur unerheblich beeinträchtigt. Die bestimmungsgemäße Brauchbarkeit ist auch dann beeinträchtigt, wenn der Täter das Zusammenspiel mehrerer beweglicher Teile einer Sache verhindert. Das muss nicht durch
Beschädigen oder Demontieren eines der Teile (extrem: Zerlegen einer Uhr) geschehen, sondern kann auch durch das Hinzufügen störender Substanzen erreicht werden. Fall 1: Der Rennfahrer H schüttet Sand ins Getriebe seines Konkurrenten Sch. Die Beeinträchtigung der Sachsubstanz oder der bestimmungsgemäßen Brauchbarkeit muss mehr als nur unerheblich sein. In einem ersten Schritt muss man - wie immer - fragen, ob die Funktionsbeeinträchtigung für sich genommen nur bagatellarisch ist. Das wäre etwa zu bejahen, wenn der Täter von der Seite eines Groschenromans die untere äußere Ecke abschneidet, ohne dabei etwas vom Text wegzunehmen. Wenn die Funktion mehr als nur bagatellarisch beeinträchtigt ist, muss man in einem zweiten Schritt fragen, ob vielleicht der Aufwand zur Wiederherstellung der Funktionstauglichkeit nur bagatellarisch ist. Das zeigt Fall 2: T verstellt den Außenspiegel an Os Wagen. Ein verstellter Außenspiegel beeinträchtigt die Verkehrstauglichkeit und damit die Funktion eines Wagens mehr als nur bagatellarisch. Aber es ist ein Akt von Sekunden und nur geringster Kraft, den Spiegel in die gebotene Position zurückzubringen. Man würde dementsprechend auch alltagssprachlich niemals sagen, der Spiegel oder der Wagen sei "beschädigt" worden. Weil sich die Frage nach dem Bagatellcharakter immer nach dem Grad der Funktionsbeeinträchtigung und nach dem Aufwand der Störungsbeseitigung richtet, scheint mir in der eingangs genannten Definition das Merkmal der Substanzverletzung entbehrlich zu sein: Eine Substanzverletzung ist nur dann eine Sachbeschädigung, wenn durch sie die bestimmungsgemäße Brauchbarkeit mehr als nur unerheblich beeinträchtigt ist. Man kann also gleich sagen: Sachbeschädigung ist die mehr als nur unerhebliche Beeinträchtigung der bestimmungsgemäßen Brauchbarkeit der Sache. - Bleiben Sie in Ihrem Gutachten lieber bei der gängigen Definition! Aber machen Sie sich klar, dass das Entscheidende die Funktionsbeeinträchtigung ist!
Wann die Bagatellgrenze überschritten wird, ist - wie immer - vage. Vergleichen Sie! Fall 3: (BGHSt 13, 207 ff.) T lässt die Luft aus allen vier Reifen an O's Wagen. Fall 4: T lässt die Luft aus einem der vier Reifen an O's Wagen. a) O hat kein Reserverad. b) O hat ein Reserverad. Fall 5: T lässt die Luft aus einem Reifen an O's Fahrrad. a) O hat am Fahrrad keine Luftpumpe. b) (BayObLG, JR 1988, 217 f.) O hat am Fahrrad eine Luftpumpe. Man ist sich darüber einig, dass die Funktionsbeeinträchtigung in Fall 3, Fall 4 a und Fall 5 a erheblich, in Fall 2 hingegen unerheblich ist. Für den Fall 4 b hat der BGH (ebd) die Erheblichkeit verneint; Geerds (JR 1988, 218) hat sie bejaht. Auch im Fall 5 b würde der BGH die Erheblichkeit verneinen (so auch Geerds, ebd; Wessels, BT/220, Rn 30); das BayObLG (ebd) hat sie bejaht.
2. Sachen haben meist eine praktische Funktion: Ein Auto soll fahren, ein Messer soll schneiden, eine Kuh soll Milch geben. Sachen können aber daneben oder auch nur die Bestimmung haben, schön zu sein (ästhetische Funktion) oder sonst wie auf den Betrachter zu wirken. Der BGH lässt als Funktionsbestimmung im Sinne der o. g. Definition aber nicht genügen, dass die Sache "nach ästhetischen Gesichtspunkten gestaltet worden ist und nach ihrer Zweckbestimmung eigene Ansehnlichkeit hat"; er verlangt vielmehr, dass "die Gebrauchsbestimmung eines Gegenstandes ... offensichtlich mit seinem ästhetischen Zweck zusammenhängt" wie etwa bei einer Statue, einem Gemälde oder einem Baudenkmal (BGHSt 29, 129, 134). Seine Begründung lautet: "Der Gesichtspunkt der Brauchbarkeitsminderung würde entleert und damit als Hilfsmittel bei der Auslegung des Merkmals 'beschädigt' untauglich werden, wollte man die vom Eigentümer beabsichtigte äußere Erscheinung einer Sache stets als bestimmungsgemäße Brauchbarkeit verstehen." (BGH, aaO, S. 133). Außerdem beruft er sich auf den Wortsinn. Aber das ist zu streng. Fall 6: E will seinen Garten mit einer 70 Meter langen Mauer befrieden. Als er in einem Gartenkatalog eine Mauer aus unbehauenen Natursteinen sieht, gefällt ihm das sehr. Er lässt solch eine Mauer errichten. In einer Sommernacht malen X, Y und Z die gesamte Außenseite der Mauer mit roter Lackfarbe an, die tief in die Natursteine einzieht. Abwandlung: T sprüht auf einem Quadratmeter eine gelbe Sonne auf die Mauer. Die Bestimmung des E, seine Mauer solle schön aussehen, ist eine Zweckbestimmung wie jede andere auch. Also muss sie ebenso wie die Bestimmung, Unbefugte abzuhalten, berücksichtigt werden. Bei einer so massiven Beeinträchtigung der ästhetischen Funktion wie im Fall 6 ist es auch mit dem allgemeinen Sprachgebrauch gut vereinbar, von einer "Beschädigung" der Mauer zu sprechen. Freilich hat der BGH darin Recht, dass eine Beeinträchtigung der äußeren Erscheinung nicht stets eine Sachbeschädigung ist. Aber das liegt nur an der allgemeinen Bagatellgrenze. Das zeigt sich daran, dass man in der Abwandlung schon sprachlich eher zur Verneinung einer "Beschädigung" neigt; denn dort ist die Beeinträchtigung der optisch-ästhetischen Funktion der Mauer recht gering. Je wichtiger die äußere Erscheinung ist, um so eher ist die Bagatellgrenze überschritten. So wäre es eine Sachbeschädigung, wenn jemand der Mona Lisa von Leonardo ein Auge schwarz ausmalen würde. 3. Keine Sachbeschädigung liegt vor, wenn der Täter nur die Funktion der Sache, nicht aber die Sache selbst beeinträchtigt. Fall 7: T öffnet in O's Wohnung den Käfig, in dem O's sprechender Papagei sitzt. Der Vogel fliegt durch das geöffnete Zimmerfenster und ist weg. Fall 8: Der König K schleudert den goldenen Becher des Jünglings J ins Meer (Schiller: Der Taucher). Weder die Sachsubstanz des Käfigs, des Vogels, des Bechers ist beeinträchtigt noch deren bestimmungsgemäße Brauchbarkeit: Der Käfig kann immer noch Vögel gefangen halten; der Papagei ist immer noch prächtig bunt und kann noch sprechen; der Becher ist immer noch schön und als Trinkgefäß brauchbar. Dass die Sachen unerreichbar sind, so dass ihre Brauchbarkeit nicht ausgenutzt
werden kann, steht auf einem anderen Blatt. In solchen Fällen verunklart die Definition mehr als dass sie hilft. Orientiert man sich nämlich am gesetzlichen Begriff, so ist sofort klar, dass Käfig, Papagei und Becher nicht "beschädigt" sind. Hier ist die Grenze des Wortsinnes erreicht. Dass dem Gesetzgeber diese Grenze bewusst war, zeigen zahlreiche andere Vorschriften, die neben dem Merkmal des Beschädigens das des Entziehens kennen (zB §§ 73 II, 133 I, 136 I, II, 274 I Nr. 1, 303b I Nr. 2, 315 I Nr. 1). Auch § 145 II Nr. 2 macht deutlich, dass ein "Beseitigen" (dh ein Entfernen, das die Nutzung der bestimmungsgemäßen Funktion verhindert) noch nicht für ein "Beschädigen" iSd § 303 genügen kann; denn sonst würde immer die Subsidiaritätsklausel am Ende des § 145 II eingreifen. Beachten Sie aber, dass Sachentziehungen häufig eine Beschädigung zur Folge haben. So mag etwa im Fall 7 der im Januar freigelassene Papagei draußen erfrieren; im Fall 8 mag der goldene Becher in der donnernden Brandung Schrammen und Beulen bekommen, also in seiner ästhetischen oder sogar praktischen Funktion leiden. Freilich gerät man hier leicht in Beweisschwierigkeiten. Faustregel: Nehmen Sie solche späten Schäden nur an, wenn Ihr Sachverhalt Hinweise darauf enthält. 4. Manche halten die eingangs genannte Definition für zu eng. Sie verstehen unter Beschädigung "jede Veränderung des Zustands einer Sache, an dessen Aufrechterhaltung der Sachherr ein Interesse hat" (Maurach/Schroeder, BT 18, 36/11). Das wird etwa relevant im Fall 9: (nach BGHSt 29, 129 ff.) A hat ein 40 x 60 cm großes buntes Plakat an einen Verteilerkasten der Deutschen Bundespost geklebt. Der Kasten war nicht nach ästhetischen Gesichtspunkten, sondern allein nach technischen Erfordernissen gestaltet. Das Plakat beeinträchtigte weder die Sachsubstanz des Kastens noch seine fernmeldetechnische Brauchbarkeit. Man erkennt dem Kasten keine beachtliche ästhetische Funktion zu, so dass sich eine Beeinträchtigung der bestimmungsgemäßen Brauchbarkeit nicht feststellen lässt. Mit dem Kriterium der Zustandsveränderung hingegen wäre § 303 zu bejahen. Schroeder (aaO, Rn 17) bekennt sich in Konsequenz seines Kriteriums dazu, auch in folgenden Fällen eine Sachbeschädigung zu bejahen: "Einreißen eines fremden Holzstapels, ebenso allerdings das pedantische Aufschichten eines Holzstapels, den der Eigentümer in malerischer Unordnung liegen haben möchte; ... das Mischen eines Schönfelder; das Zuschlagen eines Buches, in dem der Leser nach langer Suche die ersehnte Seite gefunden hat ..." Zur Begründung dieser sehr weit gehenden Definition heißt es, das Erfordernis einer Funktionsbeeinträchtigung schränke den Eigentumsschutz ohne sachliche Notwendigkeit zu sehr ein; außerdem gebe es keine klare Grenze, wo eine ästhetische Funktion anzuerkennen sei (S/S-Stree25, § 303 Rn 8c). Das erste hat nichts mit Gesetzesauslegung zu tun, sondern mit Rechtspolitik. Das zweite ist auch kein echter Einwand, denn auf klare Grenzen müssen wir Rechtsanwender bei fast allen Merkmalen verzichten; so zB bei der soeben behandelten Bagatellgrenze. Gegen die weite Definition spricht schon der Wortsinn. Man kann seriöserweise nicht mehr sagen, das zugeschlagene Buch sei "beschädigt". Ein Nutzungsschaden ist nun einmal etwas anderes als ein Sachschaden. Auch diese Wortsinngrenze war dem Gesetzgeber klar. Das zeigt sich daran, dass er in einigen anderen Strafnormen neben dem Beschädigen das Verändern (zB §§ 87 II Nr. 2, 303b I Nr. 2, 316b I, 317 I)
oder das Unkenntlichmachen (zB §§ 90a II, 104 I, 136 II) nennt; in § 134 findet sich auch die Tathandlung des Verunstaltens.
III. Zerstören Zerstören ist ein Beschädigen, das die bestimmungsgemäße Brauchbarkeit der Sache völlig aufhebt.
IV. "rechtswidrig" Ist kein Tatbestandsmerkmal, sondern nur der überflüssige Hinweis darauf, dass nach dem Tatbestand noch die Rechtswidrigkeit zu prüfen ist.
IV. Verfolgungsvoraussetzungen, § 303c Die einfache Sachbeschädigung des § 303 wird nur auf Antrag oder bei Bejahung des "besonderen öffentlichen Interesses" verfolgt. Fall 10: Wie Fall 8. Aber K verspricht J seine Tochter zur Frau, wenn J den Becher aus dem Meer holt. Da treibt's ihn, den köstlichen Preis zu erwerben, und stürzt hinunter auf Leben und Sterben. Die Wasser rauschen herauf und nieder, den J bringt keines wieder (Schiller: Der Taucher). Im Fall 10 kann niemand wegen der etwaigen Sachbeschädigung am goldenen Becher Strafantrag stellen: Antragsberechtigt war nur der Verletzte (§ 77 I), also J. Der ist im Meer gestorben. Sein Antragsrecht ist nicht auf etwaige Angehörige übergegangen; lesen Sie § 77 II 1: Übergang des Antragsrechts nur "in den Fällen, die das Gesetz bestimmt". Eine solche Bestimmung findet sich zB in § 194 I 5, nicht aber in § 303c.
[email protected],25.08.1998.
Wiss. Ass. Dr. Bernhard Hardtung
Repetitorium im Strafrecht BT Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte u.a. (§§ 113, 114) Hausfriedensbruch und schwerer Hausfriedensbruch (§§ 123, 124) Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimbereiches (§§ 201-206) Stand: Oktober 1998
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Das Skript ist nach den neuen Rechtschreibregeln geschrieben. Passagen im kleineren Schriftbild sind vertiefende Hinweise.
1. Teil: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte u. a. (§§ 113, 114) A. Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, § 113 I. Tatbestand
1. Amtsträger oder Soldat der Bundeswehr Opfer muss ein Amtsträger (s. § 11 I Nr. 2 und 3) oder ein Soldat der Bundeswehr sein. Beachte § 114, der den Kreis der möglichen Opfer erweitert!
2. Vollstreckungshandlung Das Opfer muss als Diensthandlung eine Vollstreckung von Gesetzen usw. durchführen, zu der es berufen ist. a) Vollstreckungshandlung: "Jede Handlung einer dazu berufenen Person, welche die Verwirklichung des ... notfalls zwangsweise durchsetzbaren Staatswillens bezweckt" (BGH, NJW 1982, 2081), und zwar zur Regelung eines Einzelfalles (S/S-Eser25, § 113 Rn 10; Wessels, BT/121, Rn 614). Beispiele: Pfändungen durch den Gerichtsvollzieher, Festnahmen durch die Polizei. Nicht schlichte Gesetzesanwendung, z. B. Streifenfahrten, Beschuldigtenvernehmungen. Fall 1: (BGHSt 25, 313 ff.) Der Polizeibeamte P, der in Uniform eine allgemeine Verkehrskontrolle durchführte, forderte den Autofahrer A durch Zeichen mit einem Anhaltestab zum Halten auf. A sah das Zeichen. Weil er aber betrunken und deshalb fahruntüchtig war, beschloss er, sich der Kontrolle zu entziehen. Er beschleunigte, fuhr direkt auf den in seiner Fahrspur stehenden P zu und zwang diesen so, zur Seite zu springen und den Weg freizugeben. BGH, aaO., S. 315: "Wenn ein Polizeibeamter bei einer allgemeinen Verkehrskontrolle einen Verkehrsteilnehmer zum Anhalten auffordert, so ist das ... eine ... Vollstreckungshandlung ... Die Polizeibeamten, die eine allgemeine Verkehrskontrolle durchführen, handeln auf Grund eigener, selbständiger Entschließung zur unmittelbaren Verwirklichung des Gesetzeswillens." b) Nach dem Gesetzeswortlaut muss der Amtsträger bzw. Soldat "bei der Vornahme" der Diensthandlung vom Täter behelligt werden. Dazu Fall 2: Dem Schuldner S droht die Zwangsvollstreckung. Als er durchs Fenster den Gerichtsvollzieher G vorfahren sieht, schließt er die Wohnungstür ab. G begehrt und bemüht sich um Zutritt, kann aber nichts erreichen. Solche und ähnliche Fälle hat man im Auge, wenn man allgemein sagt, es genüge, dass die Diensthandlung unmittelbar bevorsteht (S/S-Eser25, § 113 Rn 15; Wessels, BT/121, Rn 615). Präziser sagt dazu BGHSt 18, 135: Es genügt, "daß der Täter die eigene Kraftentfaltung schon vor dem Beginn der Amtshandlung vorgenommen hat, wenn sie sich nur noch als Widerstandsleistung gegen den Beamten im Zeitpunkt seines Tätigwerdens auswirkt ... Dieses vorweggenommene tätige Handeln stellt sich immer dann als Widerstandsleistung i. S. von § 113 StGB dar, wenn es im Hinblick auf die spätere Amtshandlung zu deren Verhinderung oder Erschwerung vorgenommen wird" (Hervorhebungen von mir). Also: Die Tathandlung (des gewaltsamen Widerstandleistens oder des tätlichen Angreifens) kann der Täter schon vor Beginn der Vollstreckungmaßnahme begehen; der Taterfolg (der erzeugte Widerstand oder die Tätlichkeit) muss dagegen "bei Vornahme" der Vollstreckungsmaßnahme eintreten.
3. Tathandlung
a) Widerstand leisten Jedes Handeln (kein bloßes Unterlassen), das die Vornahme der Vollstreckungsmaßnahme verhindern oder erschweren soll (BGHSt 18, 134; S/S-Eser25, § 113 Rn 40; Wessels, BT/121, Rn 617). Mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt: Siehe § 240. b) Tätlicher Angriff Jede in feindseliger Absicht unmittelbar auf den Körper des Betroffenen zielende Einwirkung. Das Schlagen genügt also, ein Treffen ist nicht nötig.
4. Rechtsmäßigkeit der Diensthandlung, Abs. 3 Fall 3: (BayObLG, JR 1989, 24 f.) Die Eheleute M und F stritten sich so sehr, dass F die Polizei holte. M behauptete gegenüber den Polizeibeamten, F habe ihn bestohlen, und wollte sein Geld von ihr zurück. Die Beamten konnten "der erregt und unklar vorgetragenen Beschuldigung keine sinnvolle Sachverhaltsschilderung entnehmen". Als M der F Gewalt androhte, nahmen die Beamten sie mit in den Wagen und fuhren los. M sprang vor das Auto, so dass der Beamte scharf abbremsen musste. a) Dogmatische Einordnung und Gutachtenaufbau V. a. die Rechtsprechung hält die Rechtsmäßigkeit der Diensthandlung für eine objektive Strafbarkeitsbedingung (z. B. BGHSt 4, 163; KG, NJW 1972, 782; Wessels, BT/121, Rn 622). Andere sehen darin ein Tatbestandsmerkmal (z. B. S/S-Eser25, § 113 Rn 20), wieder andere einen Rechtfertigungsgrund (z. B. Tröndle48, § 113 Rn 10). Der Streit ist für die Beurteilung der Strafbarkeit belanglos (so auch SKStGB-Horn, § 113 Rn 22; Wessels, BT/121, Rn 623). Er muss im Gutachten nicht entschieden werden, weil alle Ansichten zu demselben Ergebnis führen. Es genügt also vollkommen, den dogmatischen Streit kurz zu erwähnen, und zwar am besten im objektiven Tatbestand, weil die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung nach der zweitgenannten Ansicht schon dorthin gehört. b) Rechtmäßigkeit als besondere "strafrechtliche Rechtmäßigkeit" Die h. A. steht auf dem Standpunkt, dass § 113 III einen besonderen "strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff" zu Grunde legt, bei dem sie auch oft von der "formellen Rechtmäßigkeit" spricht. Zu seiner Beschreibung findet man meist die eine oder andere von zwei Formulierungen, deren eine eher kasuistisch-anschaulich ist und deren andere das eigentliche Kriterium deutlicher macht. Die kasuistische lautet: "Die Rechtmäßigkeit der Vollzugshandlung hängt ... ab ... von der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit des Beamten zum Eingreifen, von den gesetzlichen Förmlichkeiten, soweit solche vorgeschrieben sind, von dem vom zuständigen Vorgesetzten erteilten Auftrag (Befehl) oder, soweit der Beamte nach eigenem Ermessen handelt, von der Ordnungsmäßigkeit der Ermessensausübung"
(BGHSt 4, 164). Die abstraktere, gehaltvollere lautet: "Rechtmäßigkeit im Sinne des § 113 StGB setzt grundsätzlich nicht materielle Richtigkeit voraus. Vielmehr kommt es nur darauf an, ob die Vollstreckungshandlung formal der Rechtsordnung entspricht und der Amtsträger sie im Bewußtsein seiner Verantwortung und unter bestmöglicher pflichtgemäßer Abwägung aller ihm erkennbaren Umstände für sachlich gerechtfertigt und erforderlich halten durfte" (BayObLG, JR 1989, 24; ebenso BGHSt 21, 363; VRS 38, 116 f.; Tröndle48, § 113 Rn 11 ff.; Wessels, BT/121, Rn 624 ff.). Im Einzelnen ist manches unklar (s. z. B. S/S-Eser25, § 113 Rn 21 ff.). Der "strafrechtliche Rechtswidrigkeitsbegriff" ist auch nicht unbestritten (s. z. B. SKStGB-Horn, § 113 Rn 9 ff.). Er beruht aber auf einem überzeugenden Gedanken: Wenn einem Bürger seitens des Staates Unrecht geschieht, soll er nicht zur Selbsthilfe greifen, sondern sich der vorgesehenen staatlichen Rechtsbehelfe bedienen. Dieser Grundsatz gilt auch für Vollstreckungshandlungen, die "rechtswidrig" im üblichen öffentlich-rechtlichen Sinne sind. Wer sich gegen solche Maßnahmen mit dem Faustrecht wehrt, begeht strafbares Unrecht (er wird freilich noch von § 113 privilegiert, weil er dann, wenn es § 113 nicht gäbe, aus dem höheren Strafrahmen des § 240 bestraft würde). Es muss also noch eine Besonderheit bei dem im üblichen öffentlich-rechtlichen Sinne "rechtswidrig" handelnden Amtsträger hinzukommen, die ihn so schlecht dastehen lässt, dass er persönlich gewaltsamen Widerstand und tätlichen Angriff ertragen muss. Diese Besonderheit ist in dem Umstand zu finden, dass der Amtsträger sorgfaltspflichtwidrig handelt. Denn dann ist er persönlich verantwortlich für den Konflikt mit dem Bürger (ähnlich z. B. BGHSt 4, 164; OLG Köln, NStZ 1986, 235; Wessels, BT/121, Rn 625). - Das ist in der Sache dieselbe Überlegung, wie man sie auch bei dem "rechtswidrigen Angriff" in § 32 II anstellt, wenn man sagt, die Schärfe des Notwehrrechts sei nur gegenüber demjenigen angemessen, der das Rechtsgut eines anderen sorgfaltspflichtwidrig angreift (vgl. dazu etwa Roxin, AT I3, 15/14 und 16). Im Fall 3 hat das BayObLG (aaO, S. 24) die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung bejaht: "Zwar geben die Feststellungen keinen Aufschluß darüber, ob die ... Ehefrau des Angeklagten diesem durch verbotene Eigenmacht (§ 858 I BGB) Geld weggenommen hatte und dem Angeklagten gemäß § 859 II BGB ein Selbsthilferecht zustand. Selbst wenn die Polizeibeamten jedoch hinsichtlich des vom Angeklagten 'erregt und unklar vorgetragenen' Sachverhalts einem Irrtum unterlagen, ließ dies die Rechtmäßigkeit ihrer zum Schutz der Ehefrau getroffenen Maßnahme unberührt, da für ein grobes Verschulden der Beamten ... nichts ersichtlich ist." - Mich stört daran nur der Maßstab des "groben Verschuldens"; mir scheint, jede auch nur leichte Sorgfaltspflichtverletzung muss nach dem oben Gesagten konsequenterweise die Diensthandlung "rechtswidrig" i. S. des § 113 III machen.
5. Subjektiver Tatbestand Mit Blick auf die in Abs. 1 enthaltenen objektiven Tatbestandsmerkmale gelten - ganz normal - §§ 15 und 16.
II. Besondere Irrtumsregel in Abs. 4
Mit Blick auf die in Abs. 3 genannte Rechtmäßigkeit der Diensthandlung (egal wie man sie dogmatisch beurteilt, s. o. unter I 4 a) regelt Abs. 4 Besonderheiten. Sie im subjektiven Tatbestand zu untersuchen, passt nicht gut, weil der Vorsatz hinsichtlich der Rechtmäßigkeit keine Strafbarkeitsvoraussetzung ist. Vielmehr ordnet Abs. 4 in den meisten seiner Varianten nur die Möglichkeit von Strafmilderung oder Absehen von Strafe an. Deshalb erscheint es mir stimmiger, den gesamten Abs. 4 im Gutachten erst hinter der Schuld zu behandeln. - Abs. 4 enthält insgesamt fünf Alternativen. Lesen!
III. Regelbeispiele, Abs. 2 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 (Verursachung der Gefahr des Todes oder einer schweren Körperverletzung) setzt Vorsatz voraus, und zwar gemäß § 15 analog (keine direkte Anwendung des § 15, weil es hier in § 113 II nur um Regelbeispiele und nicht um echte Tatbestandsmerkmale geht). § 18 analog greift nicht ein, weil die in § 113 II 2 Nr. 2 beschriebene bloße "Gefahr" keine besondere "Folge" i. S. des § 18 ist; dort sind mit "Folge" nur Rechtsgutsverletzungen, nicht auch bloße Rechtsgutsgefährdungen gemeint (vgl. Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 13/9064, S. 23, und BGHSt 26, 181 [dessen Begründung über den Wortlaut freilich nicht überzeugt]).
IV. Verhältnis des § 113 zu § 240 Wenn der Täter aus § 113 zu bestrafen ist, scheidet eine gleichzeitige Bestrafung desselben Unrechts aus § 240 aus. § 113 ist dann spezieller und verdrängt den allgemeineren § 240 (sog. Sperrwirkung der Privilegierung). Vgl. BGHSt 35, 236; S/S-Eser25, § 113 Rn 68; SKStGB-Horn, § 113 Rn 23. Aber was gilt, wenn der Täter nicht aus § 113 strafbar ist, weil sein Verhalten hinter dem dort beschriebenen zurückbleibt? Fall 4: (nach OLG Hamm, NStZ 1995, 547 f.) Der Demonstrant D blockiert mit anderen die Autobahn A 1. Obwohl sie von Polizeibeamten zum Verlassen der Autobahn aufgefordert werden, bleiben D und die anderen an Ort und Stelle. Als sich die Beamten anschicken, die Demonstranten unter Anwendung von unmittlebarem Zwang wegzuschaffen, droht D damit, sich im Falle eines gewaltsamen Vorgehens der Polizei mit Benzin aus einem mitgebrachten Kanister zu übergießen und zu verbrennen. Die Beamten sehen deshalb von einer gewaltsamen Räumung der A 1 ab. D hat keine "Drohung mit Gewalt" angewandt, denn er drohte nicht damit, gegenüber den vollstreckenden Beamten Gewalt anzuwenden; er ist deshalb nicht aus § 113 strafbar. Wohl aber ist § 240 erfüllt. Ist D daraus zu bestrafen? Die einen verneinen das (z. B. BGHSt 30, 236; S/S-Eser25, § 113 Rn 68; SKStGB-Horn, §113 Rn 23). Die anderen bejahen eine Strafbarkeit aus § 240, wollen sie aber beschränken auf den Strafrahmen des § 113 und wollen auch die Abs. 3 und 4 des § 113 beachten (z. B. OLG Hamm, ebd.; Lackner/Kühl22, § 113 Rn 26; Tröndle48, § 113 Rn 1). Die erstgenannte Ansicht überzeugt: Auf dem Wege der zweitgenannten würde die Strafbarkeit weiter ausgedehnt, als sie speziell in einer Vollstreckungssituation nach § 113 reichen soll (Eser, ebd.).
B. Widerstand gegen Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen, § 114 Abs. 1 greift nur selten, Abs. 2 schon eher. Beispiele: Bei Hausdurchsuchungen zugezogene Zeugen (vgl. § 105 II StPO, § 759 ZPO); Mitarbeiter einer Abschleppfirma, die unter der Aufsicht eines Polizeibeamten einen ordnungswidrig geparkten Wagen an den Haken nehmen.
2. Teil: Hausfriedensbruch, schwerer Hausfriedensbruch (§§ 123, 124) A. Hausfriedensbruch, § 123 I. Tatobjekte Wohnung: Auch Nebenräume wie Treppen, Keller, Wasch- und Trockenräume. Auch z. B. Wohnwagen, Campingzelte. Befriedetes Besitztum: Grundstück, das in äußerlich erkennbarer Weise mittels zusammenhängender, nicht unbedingt lückenloser Schutzwehren gegen das beliebige Betreten durch andere gesichert ist (hL, z. B. OLG Hamm, NJW 1982, 2677). "Gesichert" ist nicht wörtlich gemeint; es reicht, dass der Hausrechtsinhaber mit den Schutzwehren seinen Ausschlusswillen hinreichend manifestiert. Deshalb ist z. B. der nur von Büschen und Sträuchern umgebene Garten ein befriedetes Besitztum. Abgeschlossene Räume, welche zum öffentlichen Dienst oder Verkehr bestimmt sind: Z. B. Behördenräume, Kirchen, Bahnhofshallen, Straßenbahnen.
II. Tathandlungen 1. Eindringen (§ 123 I Alt. 1) "Eindringen" ist das Betreten ohne den Willen des Berechtigten. a) Betreten Mit "Betreten" ist jedes Hineingelangen gemeint. Es genügt, wenn der Täter mit einem Teil seines Körpers in den geschützten Raum gelangt.
Nach ganz h. L. kann ein Täter auch "durch einen anderen" eindringen (§ 25 I Alt. 2), indem etwa T seinen sechsjährigen Sohn S auf die Gartenterasse der Nachbarn schickt; nach ganz h. L. kann ein Täter außerdem durch Unterlassen eindringen (§§ 123, 13), indem etwa T geschehen lässt, dass S aus eigenem Antrieb dorthin geht (s. nur S/S-Lenckner25, § 123 Rn 13, 35). Ich halte das für falsch. Nach § 123 wird nur bestraft, "wer ... eindringt". In den genannten Beispielen ist aber nicht T eingedrungen, sondern nur S. Zwar ist es sprachlich noch möglich, unter "eindringen" auch "eindringen mit etwas oder mit jemandem" zu verstehen ("Hitler drang mit seinen Truppen in Polen ein", obwohl er selbst in Berlin blieb; "Der Zahnarzt drang mit der Zange in die Mundhöhle des Patienten ein"). Dann müsste es allerdings auch ein Hausfriedensbruch sein, wenn T seinen Hund, eine Kugel oder ein anderes sächliches Werkzeug auf die Terassse der Nachbarn schickt. Das aber will keiner. Konsequenterweise darf man dann auch nicht genügen lassen, wenn T ein menschliches Werkzeug dorthin schickt. - Auch nach meiner restriktiven Deutung kann ein Hausfriedensbruch in mittelbarer Täterschaft und auch durch Unterlassen begangen werden, es muss dabei eben nur der Täter selber in den geschützten Raum gelangen. Beispiele: Der vor dem Haus verunglückte T lässt es geschehen, dass zwei Sanitäter ihn auf einer Trage zum Nachbarhaus tragen, und zwar durch den umzäunten Vorgarten; oder er weist die Sanitäter dazu an.
Fall 5: A hat im Hotel das Zimmer 206. An der Rezeption lässt er sich aus Versehen den Schlüssel für das Zimmer 208 geben, betritt das Zimmer, setzt sich und sieht fern. Als er nach Minuten seinen Irrtum bemerkt, bleibt er und sieht die Sendung zu Ende. A ist objektiv in das Hotelzimmer, eine Wohnung, eingedrungen, als er es betrat; aber er handelte ohne Vorsatz. Nach h. M. hat er aber ein "Eindringen durch Unterlassen" begangen, als er seinen Irrtum bemerkte und das Zimmer nicht verließ (z. B. BGHSt 21, 225 f.; S/S-Lenckner25, § 123 Rn 13; LK-Schäfer10, § 123 Rn 29; a. A. z. B. Herzberg/Hardtung, JuS 1994, 492 f.; SKStGB-Rudolphi, § 123 Rn 19). Begründung der h. M.: § 123 sei ein Dauerdelikt und werde deshalb in jeder Sekunde des Darinseins (neu) verwirklicht. Aber damit wird das zu Beweisende vorausgesetzt. Denn § 123 I Alt. 1 wäre ja nur dann ein Dauerdelikt, wenn man für jede Sekunde des Darinseins sagen könnte, dass der Täter in den geschützten Raum (neu) "eindringt". Das aber kann man nicht, damit würde man die Wortsinngrenze überschreiten. Vielmehr muss man einsehen, dass der "Erfolg", der zum Tatbestand des § 123 I Alt. 1 gehört und um dessen Nichtabwendung es in § 13 geht, nur das Hineingelangen ist (nicht: jedes Darinsein). Also begeht ein Eindringen durch Unterlassen auch nur derjenige, der es unterlässt, diesen Erfolg des Hineingelangens abzuwenden. Im Fall 5 ist dieser Erfolg aber schon längst eingetreten, er kann also von A gar nicht mehr abgewendet werden. Sein Hinausgehen wäre eben kein Abwenden eines Betretens. b) Ohne den Willen des Berechtigten Berechtigter ist der Inhaber des Hausrechts. Seine Zustimmung bezeichnet man als "tatbestandsausschließendes Einverständnis". Fall 6: Trickdiebin T klingelt bei Rentner R, täuscht ihm vor, sie habe Durst, und bittet um ein Glas Wasser. R glaubt ihr, geht mit ihr in seine Küche und gibt ihr zu trinken. T findet keine günstige Gelegenheit, um nach Wertsachen zu suchen, und verlässt nach wenigen Minuten die Wohnung. Ist T in die Wohnung des R eingedrungen? Die meisten verneinen ein Eindringen schon dann, wenn
der Berechtigte mit dem Betreten tatsächlich einverstanden ist, selbst wenn das Einverständnis - wie bei R - auf einer Täuschung beruht (z. B. S/S-Lenckner25, § 123 Rn 22, Wessels, BT/121, Rn 578 f.). Die schwächer vertretene Gegenansicht (z. B. OLG München, ebd.; SKStGB-Rudolphi, § 123 Rn 18) sucht nach dem "wahren" Willen, wie ihn der Berechtigte ohne Täuschung gebildet hätte. Das überzeugt nicht: § 123 schützt das Rechtsgut "Hausrecht". Wenn der Hausrechtsinhaber R sein Hausrecht preisgibt und das auch weiß, kann die Täterin T dieses Rechtsgut nicht mehr verletzen, sie richtet kein Erfolgsunrecht mehr an. Daran ändert der Irrtum, dem der R unterliegt, nichts. Denn er lässt ihn ja nicht verkennen, dass er sein Hausrecht preisgibt (kein rechtsgutsbezogener Irrtum). c) Widerrechtlich Das Wort "widerrechtlich" ist kein Tatbestandsmerkmal, sondern lediglich ein (überflüssiger) Hinweis darauf, dass nur eine rechtswidrige Tat strafbar ist.
2. Verweilen (§ 123 I Alt. 2) Wichtig: Wer ohne Befugnis in einem der Tatobjekte verweilt, macht sich noch nicht nach § 123 I Alt. 2 strafbar. Er wird es erst dann, wenn er sich "auf die Aufforderung des Berechtigten nicht entfernt". Deshalb hat A im Fall 5 auch keinen Hausfriedensbruch durch Verweilen begangen.
B. Schwerer Hausfriedensbruch, § 124 Menschenmenge: größere, nicht sofort überschaubare Anzahl von Personen, bei der es auf das Hinzukommen oder Weggehen eines Einzelnen nicht ankommt (BGHSt 33, 308). Nach BGHSt 33, 308, schon 15-20 Personen; nach BGH, NStZ 1994, 483 unter besonderen Umständen ("auf die räumliche Enge zurückführende Unübersichtlichkeit") schon 10 Personen. Zusammenrotten: räumliche Vereinigung, deren die Mehrheit beherrschender friedenstörender Wille äußerlich erkennbar wird (BGH, NJW 1954, 1694). Öffentlich: Wenn sich der Rotte eine unbestimmte Zahl beliebiger Personen anschließen kann (S/SLenckner25, § 124 Rn 5). In die Wohnung usw. eindringen: Wie in § 123. Absicht, Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen mit vereinten Kräften zu begehen: Gemeint ist "echte" Absicht (dolus directus 1. Grades). Sie muss im Moment des Eindringens vorliegen. Wichtig: Die Menschenmenge muss diese Absicht haben, nicht unbedingt der einzelne Täter (h. M.; z. B. BGH, NJW 1954, 1694; S/S-Lenckner25, § 124 Rn 20; anders etwa SKStGB-Rudolphi, § 124 Rn 15; Wessels, BT/121, Rn 596): "Der innere Tatbestand erfordert ... zwar nicht, daß der Täter die friedensstörenden Ziele der zusammengerotteten Menschenmenge billigt. Er setzt aber voraus, daß er sich der jene Ziele fördernden, die Gefährlichkeit vergrößernden Wirkung seines Verhaltens bewußt ist" (BGH, ebd.). Diese Voraussetzung fehlt bei dem, der teilnimmt, um abzuwiegeln, und
(hoffentlich) bei Pressevertretern. Teilnahme an diesen Handlungen: Am Zusammenrotten und am Eindringen.
3. Teil: Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimbereiches (§§ 201206) A. Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes, § 201 I. Abs. 1 Nr. 1 Das nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen: Maßgeblich ist, ob der Zuhörerkreis begrenzt oder für beliebige Dritte offen ist. Auf einen Tonträger aufnehmen: Nur die unmittelbare Aufnahme. Nicht die spätere Anfertigung einer Kopie (beachte aber "gebrauchen" und "zugänglich machen" in Nr. 2). Unbefugt: Nach h. M. kein Tatbestandsmerkmal, sondern lediglich ein (überflüssiger) Hinweis darauf, dass nur eine rechtswidrige Tat strafbar ist (z. B. KG, JR 1981, 254). Als Befugnis kommt v. a. Einwilligung in Betracht. Aber auch alle anderen Rechtfertigungsgründe sind denkbar, als besondere kommen strafprozessuale Maßnahmen nach §§ 100a StPO in Frage.
II. Abs. 1 Nr. 2 Eine "so hergestellte" Aufnahme ist nach h. M nur eine nach Nr. 1 unbefugt hergestellte Aufnahme (z. B. KG, JR 1981, 255; OLG Düsseldorf, NJW 1995, 975; SKStGB-Samson, § 201 Rn 10 f.). Aufnahme gebrauchen: Abspielen zum Anhören und auch (str.) zum Kopieren. Auch das Abspielen einer Kopie, denn auch auf der Kopie ist dieselbe "Aufnahme" wie auf dem Originaltonträger (S/SLenckner25, § 201 Rn 17; SKStGB-Samson, § 201 Rn 12). Aufnahme einem Dritten zugänglich machen: Einem Dritten den Gebrauch ermöglichen. Auch das Zugänglichmachen einer Kopie; Begründung soeben beim Gebrauchen.
III. Abs. 2 S. 1 Nr. 1
Nicht zu seiner Kenntnis bestimmt: Wenn der Täter das gesprochene Wort weder hören noch später mitgeteilt bekommen soll. Maßgeblich ist der Wille des Verfügungsberechtigten, also des Sprechenden. Abhören: Nur das unmittelbare Mithören (vgl. "aufnehmen" in Abs. 1 Nr. 1). Abhörgerät: Vorrichtung, die die natürliche Reichweite der Äußerung künstlich vergrößert. Nicht aber eine übliche und von der Post zugelassene Mithöreinrichtung (BGHSt 39, 343), v. a. an einem handelsüblichen Telefon.
IV. Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Erfasst nach h. M. nur das unbefugt aufgenommene oder abgehörte Wort (Lackner/Kühl22, § 201 Rn 9a; Tröndle48, § 201 Rn 6). Beachte S. 2 und 3!
V. Qualifikation in Abs. 3 Amtsträger, für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter: Legaldefinition in § 11 I Nr. 2 bis 4.
B. Verletzung des Briefgeheimnisses, § 202 I. Abs. 1 Nr. 1 Brief: An einen anderen gerichtete schriftliche Mitteilung. Schriftstück: Jede durch Schriftzeichen verkörperte Gedankenerklärung. Gemäß Abs. 3 stehen Abbildungen den Schriftstücken gleich. Nicht zur Kenntnis des Täters bestimmt: Die Bestimmung trifft derjenige, der ein Recht am gedanklichen Inhalt des Schriftstückes hat (s. S/S-Lenckner25, § 202 Rn 8). Verschlossen: Der Verschluss muss sich unmittelbar an dem Schriftstück befinden (beachte aber Abs. 2). Öffnen: Kenntnisnahme ist nicht erforderlich. Unbefugt: Nach h. M. kein Tatbestandsmerkmal, sondern lediglich ein (überflüssiger) Hinweis darauf, dass nur eine rechtswidrige Tat strafbar ist (z. B. S/S-Lenckner25, § 202 Rn 12; Tröndle48, § 202 Rn 12).
II. Abs. 1 Nr. 2 Vom Inhalt Kentnis verschaffen: Bloße visuelle Wahrnehmung genügt nicht für eine Kenntnis "vom Inhalt"; so zu Recht S/S-Lenckner25, § 202 Rn 10 (anders z. B. Lackner/Kühl22, § 202 Rn 4, Wessels, BT/121, Rn 545). Wohl aber genügt es, wenn der Täter nur einen Teil des Inhalts versteht. Anwendung technischer Mittel: Nicht schon, wenn der Täter das Schriftstück gegen eine Lampe hält.
III. Abs. 2 Vom Inhalt Kenntnis verschaffen: Wie in Abs. 1 Nr. 2. Behältnis öffnen: Das Öffnen muss zum Zwecke der Kenntnisverschaffung geschehen ("dazu").
C. Ausspähen von Daten, § 202a Daten: Beachte Abs. 2!. Nicht für den Täter bestimmt: Wenn die Daten nach dem Willen des Verfügungsberechtigten im Zeitpunkt der Tathandlung dem Täter nicht zur Verfügung stehen sollen (S/S-Lenckner25, § 202a Rn 6; Lackner/Kühl22, § 202a Rn 3; str., anders z. B. SKStGB-Samson, § 202a Rn 9). Verfügungsberechtigter ist nicht derjenige, den die Daten betreffen, sondern derjenige, bei dem sie gespeichert sind oder von dem sie übermittelt werden. Gegen unberechtigten Zugang besonders gesichert: Objektiv muss der Zugang mindestens mehr als nur unerheblich erschwert sein; subjektiv muss der Verfügungsberechtigte mit dieser Erschwerung den Ausschluss Unberechtigter beabsichtigt haben. Beispiele: Diskette im Tresor, Passwort, Verschlüsselung. Sich oder einem anderen verschaffen: Durch unmittelbare Wahrnehmung, durch Erlangen des fremden Datenträgers oder durch Abspeichern auf einem eigenen Datenträger. Dabei muss die Zugangssicherung (z. B. eine Verschlüsselung) überwunden werden. Unbefugt: Kein Tatbestandsmerkmal, sondern lediglich ein (überflüssiger) Hinweis darauf, dass nur eine rechtswidrige Tat strafbar ist (z. B. SKStGB-Samson, § 202a Rn 13; Tröndle48, § 202a Rn 9).
D. Verletzung von Privatgeheimnissen, § 203 I. Abs. 1
Geheimnis: Tatsache, die nur einem beschränkten Personenkreis bekannt ist und an deren Geheimhaltung derjenige, den sie betrifft, ein schutzwürdiges Interesse hat (BGH, NJW 1995, 2301; S/S-Lenckner25, § 203 Rn 5; Wessels, BT/121, Rn 554). Anvertrauen: Unter Umständen mitteilen, aus denen sich der Wunsch nach Geheimhaltung ergibt. Dem Täter als Arzt usw. anvertraut oder bekannt werden: Das Anvertrauen und sonstige Bekanntwerden muss im inneren Zusammenhang mit der Ausübung des Berufes stehen. Offenbaren: Mündlich oder schriftlich, wobei Zugang genügt. Auch der Geheimnisträger muss offenbart werden, also derjenige, den die geheime Tatsache betrifft. Unbefugt: Nach h. M. kein Tatbestandsmerkmal, sondern lediglich ein (überflüssiger) Hinweis darauf, dass nur eine rechtswidrige Tat strafbar ist (z. B. SKStGB-Samson, § 203 Rn 36; Tröndle48, § 203 Rn 27).
II. Abs. 2 Beachte S. 2: Den Geheimnissen stehen gleich "Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse eines anderen, die für Aufgaben der öffentlichen Verwaltung erfaßt worden sind".
III. Qualifikationen in Abs. 5 Handeln gegen Entgelt, in Bereicherungs- oder in Schädigungsabsicht.
E. Verwertung fremder Geheimnisse, § 204 Verwertung: Eigene wirtschaftliche Nutzung des in dem Geheimnis verkörperten Wertes zum Zwecke der Gewinnerzielung. Nach h. L. nicht aber durch Offenbaren (dann greift § 203 IV); S/S-Lenckner25, § 204 Rn 5; Wessels, BT/121, Rn 562.
F. Strafantrag, § 205 Alle Taten nach §§ 201 bis 204 werden nur auf Antrag verfolgt, außer § 201 III (Täter ist Amtsträger oder besonders Verpflichteter). Stirbt der Verletzte, so geht das Antragsrecht meist auf die Angehörigen über (Abs. 2).
G. Verletzung des Post- oder Fernmeldegeheimnisses, § 206
§ 206 entspricht weitgehend dem früheren § 354, so dass Rechtsprechung und Literatur dazu herangezogen werden. Beachte: "Infolge der Umstrukturierung des Post- und Telekommunikationswesens verliert die Strafvorschrift gegen die Verletzung des Post- bzw. Fernmeldegeheimnisses ihren Charakter als Amtsdelikt, was zu ihrer Verlagerung in den fünfzehnten Abschnitt des Besonderen Teiles des Strafgesetzbuches führt" (Gesetzentwurf der Bundesregierung nebst Begründung, BT-Drs. 13/8016, S. 28 f.). "Tatsache, die dem Post- oder Fernmeldegeheimnis unterliegt": Näher erklärt in Abs. 5. "Inhaber": "Sind natürliche Personen in ihrer Eigenschaft als Träger einzelkaufmännischer Unternehmen oder als (Mit-)Eigner von Personenhandels- oder Kapitalgesellschaften u. ä., soweit diese ihrerseits als Unternehmensträger fungieren" (GesE, S. 29). "Beschäftigte": "Sämtliche Mitarbeiter ..., gleich ob sie in privatrechtlichen oder (auslaufenden) öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnissen stehen" (GesE, S. 29). Zu Abs. 3 Nr. 1: Gemeint sind "vor allem Beschäftigte innerhalb der verbleibenden Hoheitsverwaltung des Bundes im Post- und Telekommunikationsbereich, so beim Bundesamt für Post- und Telekommunikation bzw. der künftigen Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post" (GesE, S. 29).
[email protected], 28.10.1998.
Wiss. Ass. Dr. Bernhard Hardtung
Repetitorium im Strafrecht BT Aussagedelikte (§§ 153-163 StGB) Falsche Verdächtigung (§ 164 StGB) Vortäuschen einer Straftat (§ 145 d StGB) Stand: Oktober 1998
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Das Skript ist nach den neuen Rechtschreibregeln geschrieben. Passagen im kleineren Schriftbild sind vertiefende Hinweise.
1. Teil: Falsche uneidliche Aussage und Meineid (§§ 153-163) A. § 153 - Falsche uneidliche Aussage I. Gericht oder eine andere zur eidlichen Vernehmung von Zeugen oder SVerst zuständigen Stelle 1. Gericht Gemeint ist nur ein staatliches Gericht, kein bloß privates Schiedsgericht (§§ 1025 ff. ZPO), denn das Gesetz trennt beides begrifflich (vgl zB §§ 11 I Nr. 3, 331 II StGB, 1036 ZPO).
Das Gericht muss zur eidlichen Vernehmung von Zeugen oder SVerst zuständig sein (hM); das folgt aus der Textfassung des § 153 ("anderen" ohne nachfolgendes Komma). Aber der GesGeb ging nach der Fassung des § 153 zugleich davon aus, dass ein Gericht immer "zuständig" iSd § 153 ist. Merke: Zuständigkeit ist nicht Zulässigkeit. Hilfsfrage: Wenn eine Vereidigung zulässig wäre - wer wäre dann dafür zuständig? Fall 1: Der 15-jährige K sagt als Zeuge in einem Strafprozess falsch aus. Fall 2: (nach OLG Frankfurt, NJW 1952, 902 f.) K erhebt Zivilklage gegen B und beantragt Prozesskostenhilfe. Im PKH-Bewilligungsverfahren vernimmt der Richter die Zeugin Z. Z lügt. Sowohl im Fall 1 als auch im Fall 2 ist eine Vereidigung zwar nicht zulässig (§§ 60 Nr. 1 StPO, 118 II 3 ZPO); aber dennoch ist das Gericht jeweils "zuständig" iSd § 153. Für Fall 1 folgt das sogar zwingend aus § 157 II.
2. eine andere zur eidlichen Vernehmung von Zeugen oder SVerst zuständige Stelle Fall 3: Staatsanwalt S vernimmt im Ermittlungsverfahren gegen B den Zeugen Z. Z lügt. Fall 4: Kaufmann K will eine Forderung gegen das belgische Unternehmen U einbringen. Um seiner Auslegung des Verpflichtungsvertrages Nachdruck zu verleihen, geht er mit seinem Angestellten A, der an den Vertragsverhandlungen teilgenommen hatte, zum Notar N. N vernimmt A über die Vertragsverhandlungen und über die Erstellung des Vertragstextes. Solch eine Vernehmung ist zwar nicht nötig, aber nützlich. A lügt. Suchen Sie die Ermächtigungsgrundlage! Fehlt sie, so ist die Stelle unzuständig. Zuständig ist zB der parlamentarische Untersuchungsausschuss (Art. 44 II GG); der Notar ist es gemäß § 22 I BNotO(1) nur dann, wenn es zur Wahrnehmung von Rechten im Ausland erforderlich ist (also nicht im Fall 4). Nicht zuständig sind zB StA (§ 161a I 3 StPO) und Polizei (Umkehrschluss aus § 163a V StPO).(2)
II. Zeuge oder Sachverständiger Maßgebend ist der jeweilige Vernehmungsgegenstand. 1. Zeuge Gegenstand seiner Vernehmung sind ●
Person (§§ 68 StPO, 395 II ZPO) und ❍ Sache (§§ 69 StPO, 396 ZPO), dh hier die konkrete Wahrnehmung von Tatsachen.
Vgl §§ 54 I, IV ("Umstände", "Tatsachen"), 68 I 2 ("Wahrnehmungen ... gemacht") StPO; 373 ("Tatsachen, über
welche die Vernehmung des Zeugen stattfinden soll"), 378 ("Aussage über seine Wahrnehmungen") ZPO. 2. SVerst Gegenstand seiner Vernehmung sind ● ●
Person (§§ 72 mit 68 StPO, 402 mit 395 II ZPO) und Sache (§§ 72 mit 69 StPO, 402 mit 396 ZPO), dh hier ❍ die Beurteilung von Tatsachen.
Vgl §§ 75 ("Wissenschaft, Kunst oder Gewerbe, deren Kenntnis Voraussetzung der Begutachtung ist") StPO; 404a III ("welche Tatsachen der SVerst der Begutachtung zugrunde legen soll") ZPO. ●
die konkrete Wahrnehmung von sog Befundtatsachen = Tatsachen, die der SVerst bei Ausführung seines Auftrags aufgrund seiner besonderen Sachkunde feststellt, zB Wahrnehmungen bei der Leichenöffnung oder an der Unfallstelle.
Abzugrenzen von Zusatztatsachen = Tatsachen, zu deren Ermittlung keine bes Sachkunde erforderlich ist; insoweit sagt der SVerst als Zeuge aus.
3. Abgrenzung von Zeuge und Angeklagtem Fall 5: A und B sind wegen gemeinschaftlichen Diebstahls angeklagt. Richter R ruft A in den Zeugenstand und fragt ihn, was B in der Tatnacht getan habe. A lügt, B habe mit ihm zu Hause Fußball geguckt. Fall 6: (nach BGH, StV 1984, 361) Wie Fall 5; aber das Verfahren gegen den schwer erkrankten A wurde abgetrennt und nach § 205 StPO vorläufig eingestellt. Ein (Mit-)Beschuldigter kann kein Zeuge sein (Fall 5); allg Meinung: BGHSt 10, 8 (11 f.); SKStGBRudolphi § 153 Rn 3. Aber Fall 6 enthält ein strafprozessuales Problem, das sich auf § 153 auswirkt: 1.A.: A ist bei Verfahrenseinstellung (auch bei nur vorläufiger) formell kein (Mit-)Beschuldigter mehr (BGH, ebd; SKStGB-Rudolphi § 153 Rn 3). 2.A.: A ist trotz Verfahrenseinstellung materiell immer noch (Mit-)Beschuldigter. Kritik: § 60 Nr. 2 StPO zeigt, dass ein Tatverdächtiger durchaus Zeuge gegen einen anderen sein kann.
III. Aussage 1. Definition Aussage ist jedes Verhalten mit Erklärungswert. Auch Schrift- und Gebärdensprache genügt, das zeigt § 186 GVG (Taube, Stumme). "Aussagen durch Unterlassen" geht nicht, denn Schweigen ist entweder
gar keine oder eine konkludente Aussage. Ob in einem Schweigen eine konkludente Aussage liegt, ergibt sich aus dem Vernehmungsgegenstand. Er bestimmt sich nach dem "Gegenstand der Untersuchung" (§ 69 I 2 StPO) bzw den im Beweisbeschluss bezeichneten streitigen Tatsachen (§§ 359 Nr. 1, 377 II Nr. 2 ZPO) sowie dem Inhalt aller weiteren Fragen (vgl §§ 69 II, 240 StPO, 396 f. ZPO). Fall 7: Der Richter bittet den Zeugen Z, über ein Gespräch zwischen Kl und Bekl auszusagen. a) Z schweigt trotz mehrfacher Aufforderung des Richters hartnäckig. b) Z sagt wahrheitswidrig, er habe nichts gehört. c) Z berichtet einige Minuten über das mitangehörte Gespräch. Über die darin besprochene Zahlungsfrist schweigt er, obwohl er Kl und Bekl darüber hat sprechen hören. Im Fall 7 a keine Aussage; im Fall 7 b eine ausdrückliche Aussage; im Fall 7 c eine konkludente Aussage ("Mehr weiß ich darüber nicht"). Fall 8: In der mündlichen Verhandlung droht der StA dem Zeugen Z, ihn "in Beugehaft" zu nehmen, wenn er nicht sofort bestätige, den Angeklagten am Tatort gesehen zu haben. Z gibt verängstigt die gewünschte Auskunft. Der StA wendet verbotene Vernehmungsmethoden an (§§ 69 III, 136a I 3 StPO). Nach hM ist die Auskunft des Z mangels freier Willensbildung schon keine Aussage; OLG Köln, StV 1987, 537 f.; LK-Willms11 Vor § 153 Rn 30. Das Ergebnis stimmt, die Begründung aber nicht: Wenn Z nicht vom StA, sondern etwa vom großen Bruder des Opfers durch vorherige Androhung von Schlägen zu seiner Aussage genötigt worden wäre, würde man trotz unfreier Willensbildung eine Falschaussage bejahen. Präziser ist deshalb im Fall 8 die Begründung, dass die Auskunft des Z nach dem Empfängerhorizont keinen Erklärungswert hat, weil die Zuhörer ja merken, dass Z gar nicht meint, was er sagt. Fall 9: (nach BGHSt 25, 244 ff.) K klagt gegen V auf Feststellung der Vaterschaft. Um die
Vaterschaftsvermutung des § 1600o BGB zu entkräften, trägt V vor, dass X während der Empfängniszeit der M beigewohnt habe, und benennt die Kindesmutter M als Zeugin dafür. Zeugin M verneint die Frage wahrheitsgemäß, verschweigt aber, dass sie in dieser Zeit mit Y geschlechtlich verkehrt hat. Nach allg Ansicht keine konkludente Falschaussage, weil das Verschwiegene außerhalb des Vernehmungsgegenstandes liegt (vgl nur BGHSt 25, 244 ff; SKStGB-Rudolphi Vor § 153 Rn 26 f).
2. Tatbestandliche Aussage trotz Schweigerecht des Erklärenden und trotz Unzulässigkeit der Vereidigung im konkreten Einzelfall Fall 10: Der Richter fragt den Zeugen Torwart T, wer alles an der Schlägerei zwischen den Fußballmannschaften beteiligt gewesen sei. T nennt 10 Personen und verschweigt dabei seine eigene Beteiligung. T hat gemäß § 55 I StPO ein Schweigerecht. Aber das gibt ihm kein Lügerecht, denn Nichtinformation ist etwas anderes als Desinformation. Ein Aussagender darf nämlich nicht ohne Weiteres schweigen, sondern muss sich auf sein Recht berufen (§ 56 StPO). Und daraus darf das Gericht seine Schlüsse
ziehen. T darf gemäß § 60 Nr. 2 StPO nicht vereidigt werden. Aber den Tatbestand des § 153 erfüllt er dennoch. Denn die Zulässigkeit der Vereidigung im konkreten Fall ist kein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal. § 157 II zeigt nämlich, dass die Unzulässigkeit der Vereidigung (dort freilich gemäß § 60 Nr. 1 StPO) nicht die Tatbestandserfüllung hindert (vgl schon Fall 1).
3. Tatbestandliche Aussage trotz prozessualer Unverwertbarkeit der Aussage Fall 11: (nach BGHSt 16, 232 ff.) Z soll im Zivilprozess als Zeuge vernommen werden. Er schreibt dem Richter R, dass er keine Zeit habe, und gibt schriftlich falsche Auskunft über das Beweisthema. R lässt Z dennoch zum Termin kommen. Dort erklärt Z in seiner Vernehmung nur, er bleibe bei seinen schriftlichen Ausführungen. Der Sachverhalt wird nicht weiter besprochen, auch wird sein Schreiben nicht verlesen. - Vgl § 396 ZPO. hM: Tatbestandliche Aussage (BGH ebd; KG Berlin, JR 1978, 77 f.; S/S-Lenckner25 Vor § 153 Rn 23; LK-Willms11 Vor § 153 Rn 29 f.). Begründung: Eine rechtlich unverwertbare Aussage kann in der Rechtswirklichkeit durchaus zur Entscheidungsgrundlage werden, zB wenn der Mangel verborgen bleibt; ihre Falschheit beeinträchtigt dann die faktische Rechtspflege. MM: Keine tatbestandliche Aussage (zB SKStGB-Rudolphi Vor § 153 Rn 34 f.). Begründung: § 153 schütze nicht die faktische, sondern nur die verfahrensrechtlich korrekte Rechtspflege; wenn eine unverwertbare und falsche Aussage bei der Entscheidungsfindung verwertet werde, so trage "allein der Richter" die Verantwortung für die Gefährdung der fehlerfreien Entscheidung. - Kritik: 1. Wenn die Wahrheitsfindung zwei Gefahren ausgesetzt ist (unzulässige Verwertung und Falschheit), so sind die Urheber dieser Mängel (Richter und Zeuge) jeweils für ihren Gefährdungsbeitrag verantwortlich; die Mitverantwortung des Richters ändert nichts an der des Zeugen. 2. § 157 I zeigt, dass auch im Falle eines wegen § 60 Nr. 2 StPO prozessual unverwertbaren Eides der Schwörende dennoch den Tatbestand des Meineides (§ 154) erfüllt (dazu genauer bei Fall 26).
4. Keine Aussage "als Zeuge oder SVerst" bei Erklärungen außerhalb des Vernehmungsgegenstandes Fall 12: Wie Fall 9 (Feststellung der Vaterschaft), aber M lügt im Zeugenstand: a) "Der V hat aber mit Frau F geschlafen!" b) "Ich habe nicht mit X verkehrt. Ich war nur mit V zusammen." hM: Lügen außerhalb des Vernehmungsgegenstandes erfüllen nicht den Tatbestand des § 153; BGHSt 25, 244 ff.; NStZ 1982, 464; OLG Hamburg, NJW 1981, 237; S/S-Lenckner25 Vor § 153 Rn 14 f; LKWillms11 Vor § 153 Rn 20, 25-28. Begründung: 1. Mangels Aussagepflicht bestehe keine Wahrheitspflicht. Kritik: Es gibt keinen solchen allgemeinen Grundsatz, wie Fall 10 zeigt. 2. § 153 erfasst nur Aussagen, die der Erklärende "als Zeuge oder SVerst" macht; und der Umfang des Zeugenstatus bestimmt sich nach dem Vernehmungsgegenstand. MM: Maßgebend sei, ob die Aussage prozessual verwertbar und damit geeignet sei, die korrekte Entscheidung zu gefährden (SKStGB-Rudolphi Vor § 153 Rn 25). Der Unterschied zur hM ist unklar; er hängt davon ab, ob der
Vernehmende bei seiner Entscheidungsfindung die "nebenbei" mitgeteilten Tatsachen verwerten darf.(3) - Kritik: Wie bei Fall 11.
5. Keine tatbestandliche Aussage als Zeuge oder SVerst bei völlig unwesentlichen Erklärungen Fall 13: Zeuge Z wird vom Richter aufgefordert, alles zu sagen, was er von dem Brief weiß, in dem A den O beleidigt haben soll. Z berichtet ausführlich vom Inhalt des Briefes. Er verschweigt, dass der Brief a) mit blauer Tinte auf grauem Umweltschutzpapier geschrieben worden ist. b) nach Kuhmist gestunken hat. Abwandlung: Z lügt, der Brief sei mit schwarzem Kugelschreiber auf weißem Büttenpapier geschrieben worden. Das Verschweigen eines Umstandes (Fall 13 a und b) gilt nach hM nur dann als (konkludente) Aussage, wenn der verschwiegene Umstand für die Beantwortung der konkreten Beweisfrage nicht völlig unwesentlich ist; näher SKStGBRudolphi Vor § 153 Rn 28, LK-Willms11 Vor § 153 Rn 23 f. (RSpr formuliert oft ungenau, der Umstand müsse "entscheidungserheblich" sein; zB BGHSt 7, 127). Das ist der allgemeine Gedanke der Bagatellgrenze: Entscheidungsunerhebliche Informationen liegen außerhalb des Vernehmungsgegenstandes, denn der Richter will vom Zeugen und SVerst nicht alles, sondern nur das Interessante hören. Die Grenze ist wie immer vage. Derselbe Gedanke muss dann konsequenterweise auch bei ausdrücklichen Erklärungen (Fall 13 Abwandlung) gelten (ist hier aber nicht so anerkannt): Auch sie können entscheidungsunerheblich sein und damit außerhalb des Vernehmungsgegenstandes liegen (vgl S/S-Lenckner25 Vor § 153 Rn 15; LK-Willms11 Vor § 153 Rn 25).
IV. Falschheit der Aussage Fall 14: A hat eines Abends O geschlagen. Monate später wird Z darüber als Zeuge vernommen. a) Obwohl Z damals nichts gesehen hat, sagt er aus: "A hat O nicht angerührt." b) Z hat damals alles genau gesehen. As Bruder T redet dem Z jedoch kurz vor der Verhandlung ein, in Wirklichkeit habe O den A geschlagen. Der leichtgläubige Z sagt aus: "Nicht A hat O, sondern O hat A geschlagen." c) Z hat damals im allgemeinen Handgemenge nur flüchtig wahrgenommen, dass A den O geschlagen hat. Diese Wahrnehmung verblasste in den Turbulenzen jedoch gleich wieder. In der Verhandlung ringt Z um seine Erinnerung und sagt schließlich überzeugt: "A hat O nicht geschlagen." d) Damals war es so dunkel, dass Z die Silhouetten von A und O verwechselt hat. Deshalb sagt er: "Nicht A hat O, sondern O hat A geschlagen." e) Z hat alles genau gesehen, erinnert sich mühevoll und sagt: "Ja, A hat O geschlagen. f) T, der Bruder des A, hat den Z direkt vor der Vernehmung durch pausenloses verworrenes Gerede konfus gemacht. Z verwechselt deshalb beim Sprechen die Namen von A und O und sagt: "O hat A geschlagen." g) Obwohl Z damals nichts gesehen hat, sagt er aus: "Ja, A hat O geschlagen. Ich hab's ganz deutlich gesehen und erinnere mich genau."(4) Fall 15: Der SVerst S bekommt vom Gericht den Auftrag, O körperlich zu untersuchen und die Schwere seiner Beschädigung zu bestimmen. S untersucht O unsorgfältig und stellt deshalb in seinem Gutachten einen zu geringen Beschädigungsgrad fest.
1. Deutungsmöglichkeiten
a) Eine Aussage ist falsch, wenn ihr Inhalt nicht mit dem aktuellen Vorstellungsbild des Aussagenden übereinstimmt (Widerspruch zwischen Aussageinhalt und aktueller Erinnerung); streng subjektive Theorie. Vgl Fall 14 a und b. b) Eine Aussage ist falsch, wenn ihr Inhalt nicht mit dem aktuell pflichtgemäß reproduzierbaren/erreichbaren Vorstellungsbild des Aussagenden übereinstimmt, also dem Vorstellungsbild, das bei gewissenhafter Erforschung der eigenen Erinnerung entsteht (Widerspruch zwischen Aussageinhalt und bestmöglicher Erinnerung); Pflichttheorie = modifizierte subj Theorie; zB LK-Willms11 Vor § 153 Rn 8-14. Vgl Fall 14 b und c. c) Eine Aussage ist falsch, wenn ihr Inhalt nicht mit dem wirklichen damaligen Erlebnisbild des Aussagenden übereinstimmt bzw - falls der Aussagende damals optimal wahrnehmen musste (va SVerst) - wenn sie nicht mit dem damals optimal Wahrnehmbaren übereinstimmt (Widerspruch zwischen Aussageinhalt und damaliger Wahrnehmung bzw bestmöglicher Wahrnehmung); Erlebnistheorie = modifizierte objektive Theorie; SKStGB-Rudolphi Vor § 153 Rn 36-46. Vgl Fall 14 c, d und Fall 15.
d) Eine Aussage ist falsch, wenn ihr Inhalt nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt; Aussagegegenstand können äußere und innere, vergangene und gegenwärtige Tatsachen sein (Widerspruch zwischen Aussageinhalt und Wirklichkeit); herrschende objektive Theorie, zB BGHSt 7, 147 ff.; OLG Koblenz, JR 1984, 422 (423); S/S-Lenckner25 Vor § 153 Rn 3-6. Vgl Fall 14 d und e. Beachten Sie: Nach der herrschenden objektiven Theorie ist zwar das Merkmal "falsch" häufiger zu bejahen als nach den anderen Theorien, nicht aber der Tatbestand: Immer wenn die Pflicht- und die Erlebnistheorie das Merkmal "falsch" verneinen, fehlt es - auch nach der objektiven Theorie - mangels Sorgfaltspflichtverletzung jedenfalls an der objektiven Zurechnung (ausführlicher bei Fall 43). Und immer wenn die subjektive Theorie das Merkmal "falsch" verneint, fehlt - auch nach der objektiven Theorie - jedenfalls der Vorsatz. Machen Sie sich das anhand der Tabelle in Fußnote 4 klar!
2. Auslegung a) Wortlaut: Alle Deutungen liegen innerhalb des möglichen Wortsinns. b) Wortlaut: Der natürliche Sprachgebrauch drängt dazu, das Ausgesagte an der Realität zu messen. Also: Argument für die objektive Theorie. c) Systematik: §§ 160, 163 wären nach der subjektiven Theorie fast nie verwirklicht, nämlich nie bei den üblichen Inhaltsirrtümern (Fall 14 b), sondern nur bei den ganz seltenen Hör- und Erklärungsirrtümern (Fall 14 f). Man darf aber dem GesGeb nicht unterstellen, er habe Normen ohne Anwendungsbereich schaffen wollen. - Also: Starkes Argument gegen die subjektive Theorie. d) Systematik: In § 163 hat der GesGeb die Tatbestandsmerkmale "falsch" und "aus Fahrlässigkeit" (= sorgfaltspflichtwidrig) getrennt, ihnen damit also einen unterschiedlichen Sinn gegeben. Also kann man sorgfaltspflichtgemäß falsch aussagen (Fall 14 c). Auch die Eidesformeln in §§ 66c StPO, 392 ZPO unterscheiden zwischen der Wahrheit einerseits und dem besten Wissen andererseits. - Also: Argument gegen die Pflichttheorie. e) Systematik: § 160 wäre nach der Pflichttheorie nicht erfüllt, wenn der Hintermann den Aussagenden so sehr manipuliert, dass dieser trotz aller Sorgfalt etwas Falsches aussagt. § 160 wäre aber bei milderen Beeinflussungen
erfüllt. Das wäre unstimmig. - Also: Argument gegen die Pflichttheorie. f) Systematik/Telos: §§ 153 ff. schützen die Wahrheitsfindung nur in der Gestalt, wie sie sich nach den Verfahrensvorschriften (zB StPO, ZPO) vollzieht. Deshalb besteht eine Gefahr für das Schutzgut Wahrheitsfindung nur, wenn der Aussagende seine Aussagepflicht verletzt. Also: Wer im Einklang mit seinen Pflichten, also sorgfältig (vgl Eidesformel in §§ 66c, 79 StPO, 392, 410 ZPO: "nach bestem Wissen") aussagt, erfüllt nicht den Tatbestand des § 153 (Fall 14 c). - Ist das ein Argument für die Pflichttheorie? Nein: Man muss die Aussagepflichten nicht gerade beim Tatbestandsmerkmal "falsch" berücksichtigen. Man kann sehr gut sagen, dass eine objektiv falsche Aussage die Wahrheitsfindung gefährdet und deshalb einen Erfolgsunwert darstellt. Die Verfahrensnormen über die Pflicht des Aussagenden sind der Sorgfaltsmaßstab, an dem die falsche Erklärung zu messen ist; sie entscheiden somit über den Handlungsunwert. Deshalb sind §§ 153 ff. nicht erfüllt, wenn der Aussagende sich alle Mühe gibt, richtig auszusagen. Denn dann beruht seine falsche Aussage nicht auf einem Sorgfaltspflichtverstoß und ist ihm deshalb - auch beim Vorsatzdelikt - nicht objektiv zurechenbar. g) Systematik: Das Strafrecht darf von niemandem Unerfüllbares verlangen; deshalb darf es vom Aussagenden keine Auskünfte über die objektive Wirklichkeit verlangen, sondern nur über seine Wahrnehmungen von der Wirklichkeit (Fall 14 d). - Ist das ein Argument für die Erlebnistheorie? Nein: Auch nach der objektiven Theorie bestimmt § 153: "Sage nicht vor Gericht als Zeuge sorgfaltspflichtwidrig falsch aus." Ausführlich soeben unter f).
3. Subsumtion Man muss nicht nur das gesetzliche Merkmal "falsch" auslegen. Man muss darüber hinaus auch jede Aussage auslegen. Es ist nämlich nicht ohne Weiteres klar, wie die Zeugenaussage "A hat O geschlagen" zu verstehen ist. Man kann sie - den vier Theorien zur Falschheit entsprechend - auf vierfache Weise verstehen: a) "A hat O wirklich geschlagen." b) "Nach meiner damaligen Wahrnehmung hat A den O geschlagen." c) "Nach meiner gewissenhaften Erinnerung hat A den O geschlagen." d) "Nach meinem aktuellen Vorstellungsbild hat A den O geschlagen." Der GesGeb hat die Rechtsmacht, Auslegungsregeln vorzuschreiben. Das hat er zB in §§ 133, 157 BGB für Willenserklärungen getan. In §§ 153 ff. StGB finden sich keine so expliziten Regeln über die Auslegung von Aussagen, wohl aber implizite. So zeigt sich am Fall 14 b nicht nur, dass § 160, 163 gegen die subjektive Theorie sprechen, sondern auch, dass die Erklärung "O hat A geschlagen" nicht verstanden werden soll als "Nach meinem aktuellen Vorstellungsbild hat O den A geschlagen." Denn die so verstandene Aussage wäre ja - auch an der oben für richtig befundenen objektiven Theorie wahr: Z hat ja wirklich das aktuelle Vorstellungsbild, dass O den A geschlagen habe; er behauptet mithin eine wahre innere Tatsache. Das genannte Verständnis der Aussage würde also ebenso zur ganz unpassenden Verneinung der §§ 160, 163 führen wie die subjektive Theorie (dazu soeben unter 2 c). Am Fall 14 c zeigt sich, dass zB § 163 auch dagegen spricht, die Aussage "A hat O nicht geschlagen" zu deuten als "Nach meiner gewissenhaften Erinnerung hat A den O nicht geschlagen". Denn die so verstandene Aussage wäre - auch nach der objektiven Theorie - allein wegen der Sorgfalt des Z wahr, obwohl § 163 zwischen der Falschheit einerseits
und der Sorgfaltspflichtverletzung = Fahrlässigkeit andererseits unterscheidet. Auch die Eidesformeln (§§ 66c StGB, 392 ZPO) sprechen gegen die genannte Deutung der Aussage. Denn wenn schon zu jeder Aussage der Zusatz "nach bestem Wissen" hinzugedacht werden müsste, wäre nicht mehr einleuchtend, warum die Eidesformel dann noch einmal die Worte "nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt" enthält. Dazu soeben unter 2. d). Nicht einmal eine Deutung der Aussage "A hat O geschlagen" im Sinne der Erlebnistheorie ("Nach meiner damaligen Wahrnehmung hat A den O geschlagen") sieht das Gesetz vor. Denn für diese Abkehr vom Wortsinn der Erklärung besteht ebensowenig ein Bedürfnis wie für die Erlebnistheorie selbst. Dazu soeben unter 2. g).
Die den §§ 153 ff. implizite Auslegungsregel für Aussagen lautet somit, den Aussagenden beim Wort zu nehmen. Die Aussage "So war es" soll auch verstanden werden wie "So war es" und soll nicht relativiert werden durch nur gedachte Zusätze wie "nach bestem Wissen meine ich" oder "nach meiner aktuellen Vorstellung". Aber beachten Sie, dass ein Aussagender durchaus auch über seine eigene Wahrnehmungs- und Erinnerungsleistung aussagen kann. So ist im Fall 14 g zwar die erste Aussage des Z objektiv wahr ("A hat O geschlagen"). Die zweite aber ("Ich hab's ganz deutlich gesehen und erinnere mich genau") ist objektiv falsch. Dafür ist Z aus § 153 zu bestrafen. Das ist auch in der Sache angemessen. Denn Z schreibt seiner Sachaussage mit den unwahren Bekräftigungen einen Beweiswert zu, den sie tatsächlich nicht hat. Diese Bekräftigung führt das Gericht zwar zur Wahrheit. Aber der Angeklagte hat nach den Regeln des Prozessrechts einen Anspruch darauf, nur auf Grund korrekter Beweise verurteilt zu werden.
V. "uneidlich": kein Tatbestandsmerkmal Das Wort ist nur ein Hinweis auf die Subsidiarität des § 153 zu § 154 (vgl BGHSt 8, 301, 311). Denn nachdem die Gerichte reichlich Gebrauch von den neuen Verfahrensvorschriften machten, wonach von einer Vereidigung abgesehen werden konnte, wollte der GesGeb die Strafbarkeitslücke schließen.
VI. Vollendung: mit Abschluss der Vernehmung Fall 16: Z wird am 21.2. im Strafprozess gegen A als Zeuge vernommen und sagt falsch aus. Nach ihm sagen die Zeugen X und Y aus. Dann wird die Verhandlung vertagt auf den 27.2. An diesem Termin tauchen neue Fragen auf, zu denen Z erneut als Zeuge vernommen wird. Z lügt wieder. Nach Erhebung weiterer Beweismittel geht die Beweisaufnahme ihrem Ende zu. Nach Zustimmung aller Beteiligten beschließt und verkündet der Richter: "Die Zeugen X, Y und Z bleiben unvereidigt." Fall 17: (BGH, NJW 1960, 731) "B sagte ... zunächst ... falsch aus. Anschließend machte der Zeuge F eine gegenteilige Aussage. Darauf wurde B vom Vorsitzenden nochmals vorgerufen und ihm die Aussage F vorgehalten. B bestritt zunächst die Richtigkeit der Bekundung Fs. Auf nochmaligen Vorhalt berichtigte er jedoch seine Aussage und sagte nunmehr die Wahrheit ... Dann erst wurde beschlossen, B unvereidigt zu lassen."
Die Tat ist erst mit Abschluss der Vernehmung vollendet. "Sie ist abgeschlossen, wenn der Richter zu erkennen gegeben hat, daß er(5) von dem Zeugen keine weitere Auskunft über den Vernehmungsgegenstand erwartet, und der Zeuge, daß er seinerseits nichts mehr bekunden und das bisher Bekundete als seine verantwortliche Aussage gelten lassen will" (BGHSt 8, 301, 314). Begründung: § 153 sollte nicht die Strafbarkeit im Vergleich zu § 154 vorverlagern, sondern nur auf die Voraussetzung des Schwörens verzichten; deshalb muss die Vollendung des § 153 möglichst nahe an der des § 154 sein. Im Fall 16 ist Z jeweils zu verschiedenen Gegenständen vernommen worden; er hat also zwei Straftaten nach § 153 begangen. Anders im Fall 17: Hier hat B zweimal zu demselben Vernehmungsgegenstand ausgesagt. Hier ist der nachträgliche gerichtliche Beschluss darüber, dass B unvereidigt bleiben soll, ein gewichtiges Indiz dafür, dass erst in diesem Moment das Gericht entscheidet, keine weiteren Fragen zu diesem Vernehmungsgegenstand an B zu stellen (vgl BGH, NJW 1960, 731).
VII. Vorsatz Fall 18: Politiker P sagt vor einem Untersuchungsausschuss des Bundestages als Zeuge bewusst falsch aus. Er ist überzeugt, ein Untersuchungsausschuss sei für eidliche Vernehmung nicht zuständig. Der Ausschuss ist es aber doch (Art. 44 II GG). 1. A: Tatbestandsumstandsirrtum (§ 16); zB BGHSt 12, 56, 58; 24, 38; Herzberg, JuS 1980, 469, 474 ff. 2. A: Verbotsirrtum (§ 17); zB S/S-Lenckner25 Vor § 153 Rn 32, § 154 Rn 15; SKStGB-Rudolphi § 153 Rn 6. Im Fall 18 steckt ein allgemeines Problem der Vorsatzlehre. Für die erstgenannte Ansicht spricht: P erkennt richtig, was das Merkmal "Zuständigkeit zur Abnahme von Eiden" bedeutet ("Parallelwertung"); er irrt nur über den Umstand, ob diese Zuständigkeit besteht. Das ist nicht anders als bei einem Irrtum über den Umstand der Fremdheit bei einer Sachbeschädigung, wenn zB jemand eine fremde Sache zerstört und sie dabei für seine eigene hält. Umgekehrt stellt sich dasselbe Problem bei § 22: Hat der Täter die "Vorstellung von der ... Verwirklichung des Tatbestandes" (= Tatentschluss)? Dazu Fall 19: Politiker P sagt im Ermittlungsverfahren vor Staatsanwalt S falsch aus. S will ihn zur Wahrheit drängen und nimmt ihm einen Eid ab. P schwört, weil er glaubt, S sei zur eidlichen Vernehmung von Zeugen zuständig. Das ist S aber nicht (§ 161a I 3 StPO).
VIII. Täterschaft und Teilnahme Mittelbare Täterschaft (§ 25 I Alt. 2) ist bei § 153 nicht möglich, denn GesGeb hält die Aussagedelikte für eigenhändige Delikte, wie die Existenz des § 160 belegt (vgl Fall 14 b).
Fall 20: (OLG Hamm, NJW 1992, 1977 f., vereinfacht) A ist wegen einer gefährlichen Körperverletzung angeklagt, die er gemeinsam mit dem unbekannt gebliebenen Z tatsächlich begangen hat. Im Prozess benennt A den Z als Entlastungszeugen. Z lügt, Opfer O habe A angegriffen und A habe sich nur gewehrt. Ist A strafbar wegen Anstiftung/Beihilfe zur Falschaussage des Z durch Benennung des Z zum Zeugen? Nach allg Ansicht nein, denn: 1. Die Benennung von Zeugen ist ein zulässiges Verteidigungsmittel (also: keine unerlaubte Risikosetzung). 2. Z ist eigenverantwortlich (Kritik: Die Eigenverantwortlichkeit des Haupttäters hindert nicht die Verwirklichung der Teilnahmetatbestände [§§ 26, 27], sondern ist gerade deren Voraussetzung). Ist A strafbar wegen Beihilfe durch Unterlassen einer Richtigstellung der Falschaussage? Das ist vom OLG Hamm (ebd) bejaht worden; das LG Münster hat die Frage in einem vergleichbaren Fall verneint (StV 1994, 134 f.). RSpr: Eine Garantenpflicht aus Ingerenz besteht dann, wenn das vorangegangene gefahrbegründende - wenn auch rechtmäßige - Verhalten den Zeugen in eine "prozessunangemessene, besondere Gefahr der Falschaussage" bringt. Diese Voraussetzungen sind im Fall 20 nach OLG (ebd) erfüllt, denn: 1. Zs Entscheidung, falsch auszusagen, sei nicht freiverantwortlich gewesen wegen der Zwangslage, nur durch eine wahrheitswidrige Aussage eine Selbstbelastung zu vermeiden (Kritik: Widersprüchlich, denn das OLG bejahte bei Prüfung der aktiven Beihilfe Eigenverantwortlichkeit des Z, s.o.). 2. Das Verhalten des A sei in seinem kriminellen Gehalt einer Anstiftungshandlung vergleichbar (Kritik: Der kriminelle Gehalt der Anstiftungshandlung reicht doch gerade nicht für eine Bestrafung aus!). GgA: 1. Ingerenz verlangt pflichtwidriges Vorverhalten (str). 2. §§ 55, 60 Nr. 2 StPO zeigen, dass solch eine Zwangslage gerade nicht prozessinadäquat ist. 3. Auch der Zeuge in einer "prozessinadäquaten" Situation bleibt für seine Aussage eigenverantwortlich, wie § 157 zeigt (Kritik: Das spricht nicht gegen Beihilfe, s.o.).
IX. Konkurrenzen Fall 21: Z sagt in einem Zivilprozess vor dem AG Bochum zweimal zu je verschiedenen Beweisthemen als Zeuge falsch aus. RSpr: Realkonkurrenz (Fortsetzungszusammenhang - so noch zB BGHSt 8, 301, 315 - nach neuer RSpr abzulehnen). Lit: Rechtliche Handlungseinheit wegen einheitlichen Deliktserfolges; unklar, ob einheitlicher Vorsatz erforderlich; vgl S/S-Stree25 Vor § 52 Rn 17; S/S-Lenckner25 § 153 Rn 14. Begründung: 1. Alle Aussagen, die einer Entscheidung zugrunde liegen, sind einheitliches Material für eine einheitlich vorzunehmende Tatsachenfeststellung. 2. Die Zäsuren zwischen den Vernehmungen sind rein verfahrensbedingt und insoweit für § 153 zufällig. - Bedenken: 1. Wahrheitsfindung wird durch jede falsche Angabe abstrakt gefährdet; ob das in einer Entscheidung geschieht, ist nach der Gesetzesfassung irrelevant. 2. Zufall ist auch, ob das Gericht eine oder mehrere Entscheidungen trifft (siehe §§ 300 ff ZPO: Teilurteile, Zwischenurteile, Grundurteile ...); daran stört sich Lit nicht.
B. § 154 - Meineid I. Vor Gericht oder vor einer anderen zur Abnahme
von Eiden zuständigen Stelle Fall 22: Wie Fall 2 (Zeugin Z lügt im PKH-Verfahren), aber Z wird vereidigt. Auch das Gericht muss zur Abnahme von Eiden zuständig sein; Begründung: 1. Wortlaut ("anderen" ohne nachfolgendes Komma). 2. Der alte § 154 sprach nur von der zuständigen Stelle und meinte damit auch die Gerichte (so heute noch § 156); es gibt keinen Hinweis darauf, dass der GesGeb das in der Sache ändern wollte. Die Zuständigkeit besteht nach hL, wenn in dem fraglichen Verfahren ein Eid nach der verfahrensrechtlichen Stellung des Aussagenden vom Gesetz vorgesehen ist. Man versteht die Zuständigkeit also enger als bei § 153, was in RSpr und Lit undeutlich bleibt. Die Begründung für die unterschiedliche Deutung lautet: In § 153 ist die Zuständigkeit ein Tatbestandsmerkmal, das die Fälle der möglichen Falschaussagen lediglich eingrenzt; in § 154 betrifft dieses Tatbestandsmerkmal hingegen unmittelbar das Unrecht des Meineids: "Es kann nicht angenommen werden, dass das Strafgesetz die Reinheit eines Schwures sichern will, den die Rechtsordnung überhaupt nicht kennt" (BGHSt 3, 248, 249). - Im Fall 22 ist deshalb § 154 mangels Zuständigkeit zu verneinen (S/SLenckner25 § 154 Rn 8; wohl auch OLG Frankfurt, NJW 1952, 902 f.); nur § 153 ist gegeben.
II. Falsch schwören 1. Schwören a) Allgemeines Zeuge: Nacheid, nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen zu haben (§§ 59 ff. StPO, 391 ZPO). Der Eid umfasst also Angaben zur Person und zur Sache. Partei: (nur im Zivilprozess) Nacheid wie Zeuge (§ 452 ZPO). SVerst: Nacheid (§ 79 StPO) bzw Nach- oder Voreid (§ 410 ZPO), das Gutachten unparteiisch und nach bestem Wissen und Gewissen erstattet zu haben bzw erstatten zu werden. Der Eid umfasst also nur Angaben zur Sache. Hinsichtlich der Angaben zur Person ist nach hM eine Vereidigung als Zeuge möglich. Fall 23: (nach RGSt 20, 235) A hat in der Hauptverhandlung gegen die Eheleute H als SVerst auf Frage wahrheitswidrig angegeben, er sei nicht vorbestraft. - Vgl § 79 II StPO.
b) Nichteid und fehlerhafter Eid Zum "schwören" iSd § 154 genügt es, wenn die wesentlichen Förmlichkeiten beachtet sind: Eidesleistung aufgrund Entscheidung des Vernehmenden; vom Vernehmenden förmlich entgegengenommen; Worte "Ich schwöre". Ausführlicher S/S-Lenckner25 Vor § 153 Rn 21. Fall 24: Zeuge Z sagt nach seiner Aussage im Strafprozess: "Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe." Richter R sagt:
"Nun mal langsam. Beschlossen und verkündet: Der Zeuge soll vereidigt werden. Bitte heben Sie die rechte Hand. Sie schwören bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden, dass Sie nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen haben." Z kreuzt die Finger der linken Hand hinter dem Rücken und antwortet: "So wahr mir Gott helfe." Fall 25: Dolmetscher D übersetzt absichtlich falsch. Danach wird er vom Richter vereidigt. - Vgl § 189 GVG. Im Fall 24 hat Z keinen Eid geleistet. Im Fall 25 ist die Vertauschung von Vor- und Nacheid nach allg Ansicht unwesentlich; zB RGSt 70, 366 f.
c) Tatbestandlicher Schwur trotz Unzulässigkeit der Vereidigung im konkreten Einzelfall Fall 26: Wie Fall 10 (Torwart T lügt im Strafprozess), aber T wird vereidigt. Fall 27: Wie Fall 1 (der 15-jährige K lügt im Strafprozess), aber K wird vereidigt. hM: Der Tatbestand ist erfüllt, weil die Unzulässigkeit der Vereidigung im konkreten Einzelfall unbeachtlich ist; BGHSt 8, 186 ff.; 10, 142 (144); 23, 30 ff.; S/S-Lenckner25 § 154 Rn 8; LK-Willms11 § 154 Rn 9. MM: Der Tatbestand ist nicht erfüllt, weil die Aussage nur bei Zulässigkeit der Vereidigung prozessual als eidliche verwertet werden darf; SKStGB-Rudolphi Vor § 153 Rn 32, § 154 Rn 6. Für die hM sprechen die Überlegungen zu Fall 11. Außerdem zeigt § 157 I, dass sich ein Tatverdächtiger wie T im Fall 26 trotz des Vereidigungsverbotes (§ 60 Nr. 2 StPO) sehr wohl eines Meineides schuldig machen kann; BGHSt 8, 186 ff.; 23, 30 ff. Das ist mit § 157 II vereinbar: Die Vorschrift zeigt zwar, dass der gemäß § 60 Nr. 1 StPO eidesunmündige K sich nicht eines Meineids schuldig machen kann (Fall 27). Daraus folgt aber nicht, dass schon der objektive Tatbestand verneint werden müsste. Näher liegt, Ks Reife (§ 3 JGG) und damit die Schuld zu verneinen; S/S-Lenckner25 Vor § 153 Rn 25.
2. Falsch schwört, wer eine falsche Aussage beschwört. 3. Vollendung Beim Voreid: Mit Vollendung der falschen Aussage (siehe zu § 153 unter A VI). Beim Nacheid: Mit Vollendung der Eidesformel.
III. Konkurrenzen: § 154 verdrängt als lex specialis § 153
Fall 28: Z sagt am 1.2. als Zeuge vor dem Amtsgericht uneidlich falsch aus. Im selben Verfahren sagt er am 6.2. aufgrund eines neuen Entschlusses zu einer anderen Beweisfrage erneut uneidlich falsch aus. Am 13.2. wird er auf beide Aussagen nachträglich vereidigt. - Vgl Fall 21.
C. § 155 - Eidesgleiche Bekräftigung I. Den Eid ersetzende Bekräftigung Lies §§ 66d, 72 StPO, 484 ZPO, 189 GVG. Das Wort "Ja" muss den Ausführungen zu § 154 (B II 1 b, Fall 24) entsprechend als wesentliche Förmlichkeit angesehen werden; aber aA zB S/S-Lenckner25 § 155 Rn 3.
II. Berufung auf einen früheren Eid oder auf eine frühere Bekräftigung Wesentlich ist eine eigene Erklärung des Aussagenden; ein Hinweis des Richters genügt nicht; BGHSt 4, 140 (141). Der frühere Eid muss tatsächlich geleistet worden sein. Es gibt 3 Fälle: Berufung auf einen ... 1. früheren speziellen Eid; §§ 67, 72 StPO, 398 II, 402, 451 ZPO; 2. allgemeinen SVerst-Eid; §§ 79 III StPO, 410 II ZPO; 3. Diensteid; § 386 II ZPO. Fall 29: Z sagt im Ermittlungsverfahren gegen A falsch aus und beschwört seine Aussage. Später sagt er in der mündlichen Verhandlung erneut falsch aus und versichert die Richtigkeit seiner Aussage unter Berufung auf den früher geleisteten Eid. - Vgl § 67 StPO. 1. A: Die Berufung auf den früheren Eid muss im konkreten Einzelfall verfahrensrechtlich zulässig sein; Tröndle48 § 155 Rn 3; SKStGB-Rudolphi § 155 Rn 4; LK-Willms11 § 155 Rn 2 f. Begründung: Eine verfahrensrechtlich unzulässige Berufung ist unwirksam und "kann nicht als vollendeter Meineid bewertet werden". Kritik: Bei § 154 sieht man es anders; dort verlangt man für die Tatbestandserfüllung nicht, dass ein Eid im konkreten Einzelfall zulässig ist (oben Fall 26 und Fall 27). 2. A: Berufung muss nur in dem Verfahren der betreffenden Art gesetzlich überhaupt vorgesehen sein; Lackner/Kühl22 § 155 Rn 3; S/S-Lenckner25 § 155 Rn 5. Begründung: Wie bei § 154 (oben Fall 26 und Fall 27). Nach dieser vorzugswürdigen Ansicht ist Z im Fall 29 strafbar.
D. § 156 - Falsche Versicherung an Eides Statt I. Zur Abnahme einer Versicherung an Eides Statt
zuständige Behörde 1. Behörde ist auch ein Gericht, § 11 I Nr. 7. 2. Zuständigkeit zur Abnahme hL: Drei Voraussetzungen sind zu prüfen (BGHSt 17, 303; GA 1973, 109 f.; StV 1985, 55, 505): 1. Die Behörde muss allgemein zuständig sein, dh sie muss überhaupt irgendwie zur Entgegennahme von eidesstattlichen Versicherungen zuständig sein. 2. Die Behörde muss besonders zuständig sein, dh die betreffende Versicherung muss über den Gegenstand, auf den sie sich bezieht, und in dem Verfahren, zu dem sie eingereicht wird, abgegeben werden dürfen. (Meint nicht die Zulässigkeit der eidesstattlichen Versicherung im konkreten Einzelfall!) 3. Die Versicherung darf nicht rechtlich völlig wirkungslos sein, dh sie muss geeignet sein, die Entscheidung zu beeinflussen. Fall 30: (OLG Düsseldorf, NStZ 1982, 290) "Bei ... A wurde im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens ein Sparbuch ... beschlagnahmt, das ein Guthaben von 116.385,28 DM aufwies. Dieses Sparbuch gehörte ... dem A. Dieser wollte über das ... Geld verfügen. Er erstattete daher bei einer Filiale der Stadt-Sparkasse D ... eine ... Verlustmeldung ... und ... gab ... an, sein Sparkassenbuch sei anläßlich eines Umzuges abhanden gekommen. Die Richtigkeit aller Angaben versicherte er an Eides Statt." Die besondere Zuständigkeit ist der wichtige Prüfungspunkt. Im Fall 30 etwa hat das OLG zur allgemeinen Zuständigkeit ausgeführt, sie folge aus § 27 I VwVfG(6). Das hilft nicht weiter: Selbst wenn die allgemeine Zuständigkeit gegeben ist - entscheidend ist immer die besondere. Sie ergibt sich im Fall 30 aus § 16 II Nr. 1 SparkVO(7). Auch die rechtliche Bedeutung (dritte Voraussetzung) hängt von der besonderen Zuständigkeit ab: Wenn nämlich eine Versicherung an Eides Statt in einem behördlichen Verfahren vorgesehen ist, dann ist sie damit auch geeignet, die Entscheidung in diesem Verfahren zu beeinflussen. Zur rechtlichen Bedeutung hat das OLG denn auch nichts gesagt. Mit der besonderen Zuständigkeit ist dasselbe gemeint wie mit der "zuständigen Stelle" in § 154 (dazu Fall 21 und Fall 26 f.); zur Begründung s. dort. Häufig gibt es dafür ausdrückliche Vorschriften. Beachten Sie, dass die Behörde zur Abnahme der eidesstattlichen Versicherung zuständig sein muss, nicht zur Aufnahme! Deshalb hat sich nur E im Fall 31 nach § 156 strafbar gemacht, nicht aber A im Fall 32. Fall 31: E versichert vor dem Notar N an Eides Statt, dass ihm nichts bekannt sei, was der Richtigkeit seiner Angaben im Antrag auf Erteilung des Erbscheins entgegensteht. Das ist eine Lüge. - Vgl § 2356 II 1 BGB(8).
Fall 32: (BGH, GA 1971, 180 f.) A gibt beim Notar N über Fragen der Mitgliedschaft bei einer im Genossenschaftsregister eingetragenen Volksbank eine unzutreffende eidesstattliche Erklärung ab. - Vgl § 22 II BNotO(9). Umstritten ist, ob die Zulässigkeit stets in einer Rechtsvorschrift geregelt sein muss. Kasuistisch. Grobe Regeln (zB S/S-Lenckner25 § 156 Rn 12-14): Im Strafverfahren: Beschuldigter darf nie eine eidesstattliche Versicherung abgeben; so zB BGHSt 25, 89 (92); GA 1973, 109 (110). StA und Polizei dürfen keine eidesstattliche Versicherung entgegennehmen. Richter darf eidesstattl Vers nur über solche Tatsachen abnehmen, die allein für Neben- oder Zwischenentscheidungen bedeutsam sind (zB Fortdauer der U-Haft, vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis), also dort, wo Freibeweis möglich ist; für die eigentliche Entscheidung (va Schuld- und Strafausspruch), also beim Strengbeweis, sieht die StPO dagegen die eidesstattl Vers nicht vor (BGH, GA 1973, 109, 110). Im Zivilprozess: Parteien können eidesstattl Vers abgeben. Oft besondere gesetzliche Regelung, va § 294 ZPO (Glaubhaftmachung). Nicht beim Strengbeweis.
II. Eine eidesstattliche Versicherung abgeben Mündliche oder schriftliche (Zugang erforderlich!) persönliche eindeutige Erklärung, die Wahrheit einer Aussage werde versichert und diese Versicherung werde an Stelle eines Eides abgegeben; die Wortwahl ist egal.
III. Falsch versichert, wer eine falsche Aussage versichert (entsprechend zu § 154). IV. Unter Berufung auf eine eidesstattliche Versicherung falsch aussagen Wie zu § 155 Nr. 2 (oben C II).
E. § 157 - Aussagenotstand I. Abs. 1: Unwahrheit gesagt, um von einem Angehörigen oder von sich selbst die Gefahr abzuwenden, bestraft ... zu werden
§ 157 I ist ein Strafausschließungs- bzw ein benannter Strafmilderungsgrund. Die Vorschrift ist also erst nach der Schuld zu prüfen. 1. Zeuge oder SVerst: Nicht analog Partei, denn sie ist mangels Aussagepflicht nicht im Konflikt. 2. Meineid oder falsche uneidliche Aussage Nach hL ist § 157 nicht bei § 163 anwendbar (S/S-Lenckner25 § 157 Rn 5; SKStGB-Rudolphi § 157 Rn 4; LKWillms11 § 157 Rn 4). Das überzeugt: § 163 II verweist nur auf § 158; zudem ist bei § 163 ohnehin die gesetzliche Mindeststrafe möglich. - § 157 ist nicht analog bei einer falschen Versicherung an Eides Statt (§ 156) anwendbar. § 156 ist vom GesGeb ausdrücklich nicht in 157 genannt worden; zudem ist bei § 156 ohnehin die gesetzliche Mindeststrafe möglich. 3. um: Rein subjektive Deutung. Die Vorstellung des Täters zählt, auch seine Irrtümer. Mitmotiv genügt. 4. Angehöriger Siehe § 11 I Nr. 1. Analog Partner der nichtehelichen Lebensgemeinschaft? Ja: SKStGB-Rudolphi § 157 Rn 1 mwN. Nein: BayObLG, NJW 1986, 202 (203); S/S-Lenckner25 § 157 Rn 6. 5. bestraft ... werden Die vorgestellte Straftat muss nach hL vor der Falschaussage liegen (zB BGHSt 8, 301, 317; SKStGB-Rudolphi § 157 Rn 8). Begründung: 1. Das sei logisch. Aber das stimmt nicht, wie folgendes Gegenbeispiel zeigt: Z sagt vor Gericht als Zeuge falsch aus, er habe mit der Bande des Angeklagten nicht verabredet, sich nächste Woche in der Düsseldorfer Altstadt zu treffen; er tut das, um den für dann geplanten Bankraub durchzuführen und deswegen nicht bestraft zu werden. 2. Täter befindet sich mit Blick auf eine erst zukünftige Straftat nicht im Konflikt. Das überzeugt: An sich kommt statt der Tatbestandsrestriktion zwar auch eine Berücksichtigung beim Rechtsfolgeermessen in Betracht; es lässt sich aber wohl kein Fall denken, wo eine Strafmilderung mit Blick auf eine erst zukünftige Straftat angezeigt wäre. Fall 33: Z sagt uneidlich falsch aus. Später soll er die Aussage beeiden. Das tut er, um nicht wegen der Falschaussage bestraft zu werden. Im Fall 33 ist § 157 I nach allg Ansicht unanwendbar (zB BGHSt 8, 301, 319 ff.; S/S-Lenckner25 § 157 Rn 8; SKStGBRudolphi § 157 Rn 9; LK-Willms11 § 157 Rn 5). Zur Begründung heißt es: 1. Falschaussage und Meineid bilden eine tatbestandliche Einheit, so dass es keine dem Meineid vorausgegangene Straftat gibt. Kritik: Würde Z jetzt die Wahrheit sagen, gäbe es keinen Meineid, der die frühere Falschaussage mit dem wahren Eid zu einer Einheit verbände; also schwört Z sehr wohl falsch, um nicht wegen einer vorausgegangenen Tat bestraft zu werden. 2. Z sei nicht im Konflikt, weil er seine falsche Angabe berichtigen könne mit der Rechtsfolge des § 158. Kritik:
Erstens erreicht Z mit der Berichtigung nur eine Ermessensentscheidung des Gerichtes darüber, ob seine Strafe ausgeschlossen oder gemildert wird. Zweitens kennt Z § 158 vermutlich gar nicht, sieht sich also durchaus im Konflikt. 3. Die von § 157 I vorausgesetzte Schuldminderung liege nur dann vor, wenn das zweite Delikt mit dem ersten keine Einheit bilde. Kritik: Die Schuldminderung liegt in der Angst vor Strafe; und für die uneidliche Falschaussage droht Strafe, ganz egal ob sie mit dem Meineid eine Tat bildet oder nicht. 4. § 153 wurde eingeführt, um die Strafbarkeit auszudehnen; über §§ 153, 157 die Strafbarkeit wegen Meineides zu mildern, verkehre die Absicht des GesGeb ins Gegenteil. Kritik: 1. Das Gericht hat das Ermessen, von einer Strafmilderung abzusehen. 2. Wenn die zweite Tat nur eine die erste Lüge bestätigende uneidliche Falschaussage ist, greift das Argument nicht; eine Ungleichbehandlung der Fälle leuchtet aber nicht ein. 3. Mit der Schaffung des § 153 hat der GesGeb nun einmal auch neue Strafe und damit neue Angst vor Strafe geschaffen. 6. Gefahr Fall 34: (BGHSt 7, 2 ff.) Z hat früher einmal eine Straftat begangen. A weiß das. Als Z im Strafprozess gegen A als Zeuge aussagen soll, verlangt A von Z eine günstige Aussage, andernfalls werde A den Z wegen der damaligen Straftat anzeigen. Z sagt falsch aus. Nach hL ist eine unmittelbare Gefahr nötig, dh gerade die Aussage muss so belastend sein, dass sie ohne Umwege zur Strafverfolgung führt (BGH ebd; S/S-Lenckner25 § 157 Rn 9; SKStGB-Rudolphi § 157 Rn 12). Begründung: Sinn und Zweck, die Zwangslage des Täters zu berücksichtigen. Kritik: Z ist im Fall 34 auch in einer Zwangslage. 7. abwenden Verringerung der Gefahr genügt. Ebenso genügt nach hL die Abwendung der vollen drohenden Strafe, also die Verringerung der drohenden Strafe; BGHSt 29, 298 (299 f.); str. 8. Einschränkung bei schuldhafter Herbeiführung des Aussagenotstandes? hM: Nein; BGHSt 7, 332 f.; 8, 301 (318); StV 1987, 195 (196). MM: Zwar nicht bei schuldhafter Herbeiführung der Vortat, denn sie setzt Verschulden ja gerade voraus; wohl aber bei schuldhafter Herbeiführung der Gefahr, aussagen zu müssen; S/S-Lenckner25 § 157 Rn 11; ähnlich SKStGB-Rudolphi § 157 Rn 14. Begründung: Gedanke des § 35 I 2. Kritik: GesGeb hat § 35 I 2 gerade nicht übernommen.
II. Abs. 2: uneidliche falsche Aussage eines noch nicht Eidesmündigen Die Vorschrift erfasst unstreitig Personen unter 16 Jahren (§§ 60 Nr. 1 Alt. 1 StPO, 393 Alt. 1 ZPO, sog Eidesunmündige). Fraglich ist, ob sie auch für die anderen Personen der §§ 60 StPO, 393 ZPO (sog Eidesunfähige) gilt. Gegen eine direkte Anwendung spricht die Formulierung "noch nicht Eidesmündiger". Aber es ist kein Sachgrund für eine Ungleichbehandlung erkennbar; daher ist m. E. eine Analogie zu § 157 II angebracht (so auch S/S-Lenckner25 § 157 Rn 14).
F. § 158 - Berichtigung einer falschen Aussage I. Meineid, falsche Versicherung an Eides Statt oder falsche uneidliche Aussage Analog auch Verleitung zur Falschaussage (§ 160), denn der Zweck des § 158, die Wahrheit zu fördern, gilt hier ebenso. - Alle Delikte auch als Versuch; § 158 ist dann neben § 24 anwendbar.
II. Täter Analog auch Teilnehmer, denn der Zweck des § 158, die Wahrheit zu fördern, gilt hier ebenso (Gedanke des § 28 II). Vgl BGHSt 4, 172 (179); S/S-Lenckner25 § 158 Rn 2; SKStGB-Rudolphi § 158 Rn 2.
III. Berichtigung der falschen Angabe Fall 35: (nach OLG Hamburg, JR 1981, 383 f.) Polizeibeamter W verneint als Zeuge wahrheitswidrig die Frage, ob er mit seinem Kollegen Sch über das Verhalten des B gesprochen habe. Als W später erneut vernommen wird und der Richter ihm mit einem Strafverfahren wegen Falschaussage droht, erklärt W, sehr wohl habe er mit Sch über B gesprochen, das habe er auch bei der ersten Vernehmung schon so gesagt. Der Aussagende muss sich vom Inhalt der falschen Aussage distanzieren und sie durch eine wahre Aussage ersetzen; er muss dabei keine Falschaussage gestehen; er muss auch nicht freiwillig handeln (BGHSt 4, 172 (175); S/S-Lenckner25 § 158 Rn 5; LK-Willms11 § 158 Rn 2. Er muss sich gegenüber einer der in Abs. 3 genannten Stellen erklären. Genügt es, dass der Aussagende bei der Berichtigung das Beste sagt, was er weiß, auch wenn es immer noch nicht die Wahrheit ist? 1. A: Nein (BGHSt 9, 99 ff.); Begründung: Wortlaut. 2. A: Ja (zB S/S-Lenckner25 § 158 Rn 5; SKStGB-Rudolphi § 158 Rn 3); Begründung: Der Aussagende muss nur nachholen, was er schon beim ersten Mal hätte sagen müssen.
IV. Rechtzeitigkeit, Abs. 2 1. Berichtigung bei der Entscheidung noch verwertbar
Fall 36: (BGH, JZ 1954, 171) Im Ermittlungsverfahren gegen A sagte Z als Zeuge falsch aus. Später berichtigte er die falschen Angaben. Kurz zuvor hatte die StA das Ermittlungsverfahren gegen A eingestellt. "Entscheidung" ist die die Instanz abschließende Sachentscheidung. Noch verwertbar: Der Zugang der Berichtigung muss vor der Entscheidung erfolgen. Im Fall 36 schließt die Einstellung nicht die Instanz ab (BGH ebd).
2. Aus der Tat kein Nachteil für einen anderen entstanden Fall 37: (RGSt 17, 307 f.) Wie Fall 36, aber kurz zuvor hatte die StA Anklage erhoben, und das Hauptverfahren war gegen A eröffnet worden. "Nachteil" ist eine nicht nur unerhebliche Beeinträchtigung in rechtlich geschützten Interessen. Er muss "aus der Tat ... entstanden" sein; deshalb ist (Mit-)Ursächlichkeit erforderlich. Im Fall 37 sind diese Voraussetzungen erfüllt.
3. Noch keine Anzeige erstattet und noch keine Untersuchung eingeleitet Fall 38: (nach RGSt 7, 154 ff.) In der Strafsache gegen W und G wegen gewerbsmäßigen Glücksspiels sagte A als Zeuge wörtlich aus: "Ich habe mich am Spiele nicht beteiligt." Auf Antrag der StA ließ der Richter diese Aussage wörtlich protokollieren. Später wurde A erneut vernommen und sagte nun aus: "Ich habe ein- oder zweimal gesetzt und dann aufgehört. Ich glaubte, dass dies kein Mitspielen sei." Gegenstand der Anzeige/Untersuchung muss gerade das Aussagedelikt sein. Deshalb hat das RG (ebd) zu Recht entschieden, dass im Fall 38 eine rechtzeitige Berichtigung erfolgt sei; denn die Protokollierung war keine Anzeige und die StA untersuchte noch nicht. Falls die Anzeige schon erstattet oder die Untersuchung schon eingeleitet ist: Ist die Berichtigung dennoch rechtzeitig, wenn Täter von der Anzeige/Untersuchung nichts weiß? Nach hL ja (zB S/S-Lenckner25 § 158 Rn 7; SKStGBRudolphi § 158 Rn 6; LK-Willms11 § 158 Rn 9; aA zB Tröndle48 § 158 Rn 6); Begründung: Dieser Satzteil ist nur eine Vertypung des Freiwilligkeitsgedankens.
G. § 159 - Versuch der Anstiftung zur Falschaussage Fall 39: Zeuge X soll im Strafprozess gegen den Angeklagten A demnächst unter Eid aussagen. As Freund F erklärt sich gegenüber A bereit, dem X Geld für einen Meineid anzubieten. a) F spricht mit X. X lehnt das Ansinnen entrüstet ab. b) F schafft es nicht, mit X vor dessen Aussage zu sprechen. Abwandlung: Es ist von vornherein klar, dass X uneidlich aussagen wird. Strafbarkeit des F: Grundfall: a) §§ 154, 30 I 1 Alt. 1. b) §§ 154, 30 II Alt. 1 Var. 2. Abwandlung: a) §§ 153, 30 I 1 Alt. 1, 159. b) -, weil § 159 nicht auf § 30 II verweist.
Fall 40: A überredet Z, im Bauprozess gegen B zu Bs Gunsten falsch auszusagen. Als Z seine Aussage macht, lügt er. Richter R glaubt ihm nicht, hält ihm die Aussagen der anderen Zeugen vor und drängt ihn zur Wahrheit. Z bekommt Angst und korrigiert sich. Z hat eine falsche uneidliche Aussage versucht, aber noch nicht vollendet, weil die Vernehmung noch nicht abgeschlossen war. Der Versuch ist nicht strafbar, also bleibt Z straflos. Man ist sich aber darüber einig, dass A gemäß §§ 153, 30 I 1 Alt. 1, 159 zu bestrafen ist. Fall 41: Politiker P sagt im Ermittlungsverfahren vor Staatsanwalt S uneidlich falsch aus. P glaubt irrtümlich, S sei zur eidlichen Vernehmung von Zeugen zuständig. Zu der Falschaussage hatte ihm sein Berater B geraten, der sich in demselben Irrtum befand. P hat eine falsche uneidliche Aussage versucht (dazu oben Fall 19); dieser Versuch ist straflos. Ist B strafbar gemäß §§ 153, 30 I 1 Alt. 1, 159? 1. A: Ja; zB BGHSt 17, 303 (305); S/S-Lenckner25 § 159 Rn 4; SKStGB-Rudolphi § 159 Rn 3. 2. A: Nein; zB BGHSt 24, 38 ff. (zu § 156); LK-Willms11 § 159 Rn 1. An sich spricht nichts gegen die Tatbestandserfüllung: B hat versucht (dh gemäß § 22: nach seiner Vorstellung unmittelbar dazu angesetzt), P zu einer falschen uneidlichen Aussage anzustiften. Also ordnet § 159 an, § 30 "entsprechend" anzuwenden. Das bedeutet, dort das Wort "Verbrechen" durch "§ 153" zu ersetzen. Zu § 30 ist es allgemein anerkannt, dass die vorgestellte Haupttat objektiv ein Verbrechen sein muss; ob der Täter die Haupttat für ein Verbrechen iSd § 12 hält, ist danach belanglos. Also muss die (vorgestellte) Haupttat bei § 159 entsprechend objektiv ein Vergehen nach § 153 sein. Aber diese Voraussetzung ist erfüllt: B stellt sich Umstände vor, die objektiv §§ 153, 26 ausmachen (dazu oben Fall 19). Gegen eine Bestrafung des B wird eingewandt, es dürfe nicht sein, dass der Teilnehmer stärker hafte als der Täter. Deshalb müsse der Teilnehmer B straflos bleiben, weil P einen untauglichen Versuch begehe. Aber das überzeugt nicht. Auch der taugliche Versuch des § 153 ist straflos; und doch stellt § 159 die Anstiftung dazu eindeutig unter Strafe; das zeigte Fall 40.
H. § 160 - Verleitung zur Falschaussage Fall 42: Z sagt vor Gericht falsch aus, weil A ihm dazu geraten hat. a) Z handelt unvorsätzlich; A weiß das. b) Z handelt vorsätzlich, A weiß das nicht, er hält Z für gutgläubig. c) Z handelt vorsätzlich; A weiß das. d) Z handelt unvorsätzlich; A weiß das nicht, er hält Z für bösgläubig.
I. Ableistung Fall 42 a ist der Normalfall einer Verleitung zur Falschaussage. Z ist allenfalls aus § 163 strafbar; A
wird nach § 160 I bestraft. Zur Klarstellung: Nach gängiger Formulierung ist die Erfüllung des objektiven Tatbestandes eines der §§ 153-156 erforderlich. Damit meint man aber nicht, dass die Ableistung auch sorgfaltspflichtwidrig = unerlaubt riskant sein müsse.
Fall 42 b bereitet im objektiven Tatbestand des § 160 Probleme. Z ist nach § 153 strafbar. Wird A aus § 160 I bestraft? hL: Der Ableistende kann vorsätzlich = bösgläubig handeln, also ist § 160 vollendet; so zB BGHSt 21, 116 (117 f.); S/S-Lenckner25 § 160 Rn 9; SKStGB-Rudolphi § 160 Rn 4. Dafür spricht der Wortsinn: "Verleiten" ist jedes Veranlassen (vgl § 357). Es gibt keinen Grund, den Wortlaut einzuengen. Denn § 160 soll Strafbarkeitslücken schließen; deshalb wäre es falsch, wie bei echter mittelbarer Täterschaft Tatherrschaft zu verlangen. MM: Der Ableistende muss unvorsätzlich = gutgläubig handeln, deshalb ist § 160 nur versucht; so zB RGSt 11, 418 (420 f.); Tröndle48 § 160 Rn 3; wohl auch LK-Willms11 § 160 Rn 1 f. Begründung: 1. Eine vorsätzliche Aussage sei etwas anderes als eine unvorsätzliche. Kritik: a) Vorsatz und Fahrlässigkeit sind kein aliud, denn die Vorsatztat schließt als maius die unvorsätzliche Tat ein (str); b) Ob aliud oder nicht, § 159 unterscheidet nun einmal nicht zwischen vorsätzlicher und fahrlässiger Aussage des Verleiteten. 2. Bei vorsätzlicher Falschaussage fehle die Kausalität der Einwirkung des Hintermannes. Kritik: Der Entschluss zur Ableistung kann durchaus auf den Einwirkungen des Hintermannes beruhen (psychische Kausalität).
II. Verleiten Jede Einwirkung auf den anderen, die zurechenbar kausal für dessen Ableistung ist.
III. Vorsatz Ganz hM: Täter muss sich eine unvorsätzliche = gutgläubige Ableistung vorstellen. Begründung: Stellt sich der Verleitende eine vorsätzliche Ableistung vor, so ist er wegen vollendeter oder - wenn er irrt jedenfalls wegen versuchter Anstiftung strafbar; § 160 greife aber schon tatbestandlich nur bei Strafbarkeitslücken (teleologische Reduktion); S/S-Lenckner25 § 160 Rn 8; SKStGB-Rudolphi § 160 Rn 7. MM: Täter kann sich auch eine vorsätzliche = bösgläubige Ableistung vorstellen. § 160 tritt dann hinter eine vollendete Anstiftung zurück und tritt zur Klarstellung in Idealkonkurrenz neben eine versuchte; Hruschka/Kässer, JuS 1972, 709 (713 f.). Begründung: "Verleiten" ist jedes Veranlassen schlechthin. Der Vorsatz muss sich nach § 16 auf den objektiven Tatbestand beziehen, und der lässt eine bösgläubige Ableistung genügen. Im Fall 42 c können Sie die Auslegungskontroverse auf sich beruhen lassen. Z ist aus § 153 strafbar; A ist es jedenfalls aus §§ 153, 26. Ob § 160 I schon tatbestandlich nicht erfüllt ist oder erst als subsidiär zurücktritt, brauchen Sie nicht zu entscheiden; so oder so ist A nicht nach § 160 I strafbar.
Im Fall 42 d hingegen wirkt sich die Kontroverse auch im Ergebnis aus. Z ist nicht nach § 153, sondern allenfalls aus § 163 strafbar. A ist nach hM nur aus §§ 153, 30 I 1 Alt. 1, 159 strafbar. Nach der m.E. vorzugswürdigen Gegenansicht tritt die Strafbarkeit aus § 160 I in Tateinheit daneben. Nur so wird klargestellt, dass die versuchte Anstiftung zur Falschaussage auch tatsächlich den Erfolg einer falschen Aussage hatte. Hinweis: Die gleichen Auslegungsschwierigkeiten stellen sich bei § 271 mit Blick auf die Abgrenzung zu § 348.
I. § 163 - Fahrlässiger Falscheid; fahrlässige falsche Versicherung an Eides Statt Wichtig: § 163 bezieht nicht § 153 ein. Die fahrlässige falsche uneidliche Aussage ist also straflos. § 163 ist in den Vorsatzdelikten der §§ 154-156 voll enthalten, da auch diese im objektiven Tatbestand voraussetzen, dass der Täter unerlaubt riskant = sorgfaltspflichtwidrig = fahrlässig handelt und dass sich diese unerlaubt geschaffene Gefahr verwirklicht (Risikozusammenhang, Rwk-Zusammenhang, "aus" Fahrlässigkeit begangen). Fall 43: (nach LK-Willms11 § 163 Rn 2) Schuldner S legt ein Verzeichnis seines Vermögens vor und versichert zu Protokoll an Eides Statt, dass er die von ihm verlangten Angaben nach bestem Wissen und Gewissen richtig und vollständig gemacht habe. Das Vermögensverzeichnis ist unvollständig, weil wenige Tage zuvor eine Großtante des S gestorben und ihr Vermögen auf den gesetzlichen Erben S übergegangen ist. S weiß davon nichts. - Vgl § 807 ZPO. § 156 scheitert nicht erst am Vorsatz, sondern schon - ebenso wie § 163 - im objektiven Tatbestand mangels Pflichtwidrigkeit. Die Versicherungsformel in § 807 II 1 ZPO ("nach bestem Wissen") deutet das an.
Fahrlässigkeit ist möglich in Bezug auf: 1. Die Zuständigkeit der Stelle zur Abnahme von Eiden bzw eidesstattlichen Versicherungen. 2. Den Umfang des Eides bzw der eidesstattlichen Versicherung (zB hins der Angaben zur Person). 3. Die Falschheit des Eides bzw der eidesstattlichen Versicherung. Sorgfaltspflichtverstöße: a) Grds nicht mangelhafte damalige Wahrnehmung, denn damals bestand keine Sorgfaltspflicht. Wohl aber zB bei den Befundtatsachen des SVerst. b) Mangelhafte Vorbereitung auf die Erklärung? - Bei SVerst: Ja; va Erstellung des Gutachtens. - Bei der Partei: Nach hM ja; va Pflicht zu Erkundigungen bei eidesstattlichen Versicherung.
- Bei Zeugen: Nach ghL grds nein (zweifelhaft wegen § 378 ZPO); wohl aber bei Wahrnehmungen in amtlicher Eigenschaft, zB Polizist (als Ausnahme vom Grundsatz zweifelhaft). c) Mangelhafte Anspannung des Gedächtnisses während der Aussage. d) Nichtberücksichtigung erkennbarer Fehlerquellen der eigenen Wahrnehmung (zB Dunkelheit) während der Aussage. c) Fehlerhafte Wiedergabe der eigenen Erinnerung (zB durch missverständliche Formulierungen) während der Aussage.
2. Teil: Falsche Verdächtigung (§ 164) A. § 164 Abs. 1 I. Empfohlener Aufbau der Tatbestandsprüfung 1. Objektiver Tatbestand a) "einen anderen" b) "einer rechtswidrigen Tat oder der Verletzung einer Dienstpflicht" c) "verdächtigen" d) "bei einer Behörde oder ... oder öffentlich" 2. Subjektiver Tatbestand a) allgemeiner Vorsatz, §§ 15, 16 b) "wider besseres Wissen" c) "Absicht ..., ein behördliches Verfahren oder ... herbeizuführen oder ... zu lassen"
II. Anderer Eine bestimmte, lebende, ermittelbare Person.
III. Rechtswidrige Tat, Verletzung einer Dienstpflicht Rechtswidrige Tat: straftatbestandsmäßige, rechtswidrige Tat (§ 11 I Nr. 5). Also zB keine OWi! Dienstpflicht: Pflicht der Beamten und Soldaten. Nach hM keine Amtspflicht (zB bei Anwälten).
IV. Verdächtigen Grunddefinition: Erregen, Bestärken oder Umlenken eines Verdachtes. Zusätzlich: ●
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Konkrete Eignung: Die Verdächtigung muss konkret geeignet sein, ein behördliches Verfahren oder andere behördliche Maßnahmen gegen den anderen herbeizuführen oder fortdauern zu lassen. Denn diese Voraussetzung ist in § 164 II enthalten, der sie nach seinem Wortlaut ("sonstige Behauptung ..., die geeignet ist ...") zu einer Voraussetzung auch des Abs. 1 macht und der außerdem dasselbe Strafmaß wie Abs. 1 hat. - Behördliche Verfahren sind insb Strafverfahren und Disziplinarverfahren. Behauptung von Tatsachen: Die Verdächtigung muss aus Tatsachen bestehen. Das folgt ebenfalls aus § 164 II ("sonstige Behauptung tatsächlicher Art"). Außerdem besteht nur so die konkrete Eignung, ein Verfahren herbeizuführen (vgl § 152 II StPO: "zureichende tatsächliche Anhaltspunkte"). Falschheit der Verdächtigung: Die Verdächtigung muss falsch sein. Das folgt aus der gesetzlichen Überschrift ("falsche Verdächtigung") und den Worten "wider besseres Wissen".
1. Problem: Schaffen einer verdachterregenden Beweislage (isolierte Beweismittelfiktion) Fall 44: (nach BGHSt 9, 240 ff.) Die Polizei hat zur Ermittlung eines Diebes in der Firma F Fangbriefe ausgelegt, die einen Geldschein enthalten und mit einem Farbmittel versehen sind. T, die davon weiß, entnimmt mit Handschuhen einem Umschlag das Geld und legt den Umschlag auf den Schreibtisch des ihr verhassten O. Tags darauf nimmt O den leeren Umschlag in die Hand und wirft ihn fort. Die Polizei findet an seinen Händen den Farbstoff. ghL: "verdächtigen" meint die Aufstellung von Behauptungen und auch das Schaffen einer verdächtigenden Beweislage; zB BGHSt 9, 240 ff.; S/S-Lenckner25 § 164 Rn 8; SKStGB-Rudolphi § 164 Rn 7. MM: "verdächtigen" meint nur die Aufstellung von Behauptungen; zB Langer, Lackner-FS, S. 541 ff. Auslegung: 1. Wortsinn: Die Grenze des möglichen Wortsinns überschreitet keine der beiden Deutungen.
Näher am typischen Sinn des Wortes "verdächtigen" liegt aber die engere Deutung der MM. 2. Systematik: Wenn Abs. 2 eine "sonstige Behauptung" voraussetzt, muss folglich auch Abs. 1 eine "Behauptung" voraussetzen. 3. Systematik: Die Modalitäten "öffentlich" und "durch Verbreiten von Schriften" (§ 165) lassen sich nur bei der Aufstellung von Behauptungen verwirklichen, nicht bei Schaffung einer verdächtigenden Beweislage. 4. Telos: Das Schaffen einer verdachterregenden Beweislage sei für den Betroffenen mindestens so gefährlich wie eine Tatsachenbehauptung und müsse deshalb nach der ratio des § 164 einbezogen werden. - Dieser Gedankengang überzeugt nicht, denn er ist eine beliebige ratio-Argumentation. § 164 schützt zwar die Rechtspflege und den Betroffenen (zum geschützten Rechtsgut genauer unten Fall 47), aber eben nur vor den besonderen Gefahren gerade einer Verdächtigung (fragmentarischer Charakter des StGB, "Gegenratio" der Limitierung). Zum Vergleich: Das Zerstören einer fremden Sache ist für den Eigentümer mindestens so schädlich wie die Wegnahme der Sache, kann aber dennoch nicht "nach der ratio des § 242" einbezogen werden. - Im Übrigen greift im Fall 44 immerhin § 145d ein; damit ist dem Strafbedürfnis Rechnung getragen.
2. Problem: Maßstab der Falschheit Fall 45: (nach BGHSt 35, 50 ff.) Warenhausdetektiv D beobachtet die F, die sich auffällig benimmt. An der Kasse stellt F eine Flasche Wein auf das Laufband, auf der ein Preisetikett mit zu niedrigem Preis klebt. Der Kassiererin K fällt das auf. D und K rufen die Polizei. Später sagt D wider besseres Wissen aus, er habe gesehen, dass F den richtigen Preisaufkleber gegen den falschen ausgewechselt habe. Ob F das wirklich getan hat, lässt sich nicht mehr klären. Wohl aber stellt sich heraus, dass D gelogen hat. D hat den Verdacht einer Urkundenfälschung gegen F erregt, und zwar durch die Behauptung der Tatsache, er habe sie das Etikett auswechseln sehen. Hat er F "falsch" verdächtigt? Das hängt davon ab, woran die Falschheit zu messen ist: 1. A: An der behaupteten rechtswidrigen Tat (der "Beschuldigung"); zB BGHSt 35, 50 (52 ff.); Tröndle48 § 164 Rn 6; Schilling, GA 1984, 345 ff. Daran gemessen hat D die F nicht falsch verdächtigt, denn F hat (in dubio pro D) die Preisaufkleber ausgewechselt und damit eine Urkundenfälschung begangen. 2. A: An den behaupteten Tatsachen (der "Verdachtsmaterie"); zB Deutscher, JuS 1988, 526 ff.; Fezer, NStZ 1988, 177 f.; Geilen, Jura 1984, 300 (302 f.); LK-Herdegen § 164 Rn 9 f.; Lackner/Kühl22 § 164 Rn 7; Langer, GA 1987, 289 (302); S/S-Lenckner25 § 164 Rn 16; SKStGB-Rudolphi § 164 Rn 16 f. Daran gemessen hat D die F falsch verdächtigt, denn er hat nicht gesehen, dass F die Preisaufkleber ausgewechselt hat. Auslegung: 1. Wortlaut: Der BGH betont, dass Opfer müsse "einer rechtswidrigen Tat" falsch verdächtigt werden, nicht irgendwelcher Beweistatsachen, und folgert daraus, also komme es für die Falschheit auf die behauptete rechtswidrige Tat an. Aber dieser Schluss trägt nicht. Der Ansatz des BGH besagt nichts darüber, wie "wider besseres Wissen ... verdächtigen" zu deuten ist. Es kann durchaus "wissentlich mit falschen Behauptungen oder sonst unkorrekt verdächtigen" heißen.
2. Systematik: In Abs. 2 ist die Falschheit eindeutig und unstreitig auf "Behauptungen
tatsächlicher Art aufstellt" bezogen. Nach Abs. 2 wird also bestraft, wer bei einer tatsächlich begangenen OWi falsche Beweisbehauptungen aufstellt. Für eine abweichende Deutung in Abs. 1 ist kein Grund zu finden. Diese Deutung passt auch besser zu § 187, wo ebenfalls eine "unwahre Tatsache behauptet" werden muss. 3. Telos: Manche machen geltend, auch der wirklich Schuldige habe einen Anspruch darauf, nicht auf Grund falschen Beweismaterials in ein Verfahren verwickelt zu werden. - Das stimmt zwar, besagt aber nichts für die Frage, ob gerade § 164 diesen Anspruch schützt. Zum Vergleich: Der Eigentümer einer Waschmaschine hat auch einen Anspruch darauf, dass niemand das Gerät gegen seinen Willen in Gebrauch nimmt; und doch erfasst § 248b den unbefugten Gebrauch einer Waschmaschine eindeutig nicht.
3. Problem: Leugnen der eigenen Täterschaft nebst positiver Beschuldigung Fall 46: (BayObLG, JR 1986, 28) A wurde wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteilt. In der Hauptverhandlung bekundete G, dass A zur Tatzeit gefahren war. Demgegenüber leugnete A die Tat und erklärte: "Ich beschuldige Herrn G, eine falsche Aussage gemacht zu haben." Verdächtigen durch Leugnen? Nach hM nein, weil ein Angeklagter nach den Regeln des Strafverfahrens seine Täterschaft leugnen darf; zB BayObLG, JR 1986, 28; LK-Herdegen § 164 Rn 6; S/S-Lenckner25 § 164 Rn 5; SKStGB-Rudolphi § 164 Rn 9. Das ist der allgemeine Gedanke der erlaubten Risikoschaffung: A handelte nicht sorgfaltspflichtwidrig. Verdächtigen durch Beschuldigung des G? 1. A: (LK-Herdegen § 164 Rn 6; S/S-Lenckner25 § 164 Rn 5; SKStGB-Rudolphi § 164 Rn 9) Nein. As Verhalten ist weder ein Hervorrufen noch ein Steigern des Verdachts gegen G, weil die Beschuldigung nicht über die Verbalisierung der logischen Konsequenz des Leugnens hinausgeht. 2. A: (OLG Hamm, NJW 1965, 62; Langer, Lackner-FS, S. 541, 563) Ja. In der positiven Beschuldigung liege gegenüber dem zulässigen Leugnen ein unzulässiges "Mehr". Denn mit dem ausdrücklichen Bezichtigen wird die Verdachtsgrundlage erweitert, "indem die äußere Tatbegehung und die innere Tatsache der Überzeugung des Bezichtigenden hiervon behauptet werden und damit die Sachverhaltsbasis für einen verfahrensveranlassenden Verdacht beim Adressaten um diese Umstände ergänzt wird." - Kritik: Die innere Überzeugung des Anzeigenden ist für die Behörden kein Anlass, den Beschuldigten für verdächtiger zu halten. Zwar liegt in der Beschuldigung auch die Behauptung, der andere habe vorsätzlich und schuldhaft gehandelt. Das ist noch nicht die logische Konsequenz des Leugnens; denn der andere kann ja in bestem Glauben objektiv falsch ausgesagt haben. Insoweit kann die Behörde der Anschuldigung aber keine Tatsachen entnehmen, die diesen Vorwurf stützen.
V. Behörde usw. Behörde: va Polizei, Staatsanwaltschaft. Aber auch Gerichte (wegen § 11 I Nr. 7). Zur Entgegennahme von Anzeigen zuständiger Amtsträger oder militärischer Vorgesetzter: der einzelne Polizeibeamte, Staatsanwalt, Disziplinarvorgesetzter.
Öffentlich: vor einem größeren, nach Zahl und Individualität unbestimmten Personenkreis.
VI. Subjektiver Tatbestand 1. Allgemeiner Vorsatz, §§ 15, 16 2. Wider besseres Wissen Erforderlich ist sicheres Wissen (= dolus directus 2. Grades) von der Falschheit.
3. Absicht, ein behördliches Verfahren ... Nach ganz hM genügt sicheres Wissen (= dolus directus 2. Grades).
VII. Rechtswidrigkeit: Einwilligung des Verdächtigten Fall 47: R hat einen Raub begangen. Um den Verdacht von ihm zu lenken, sagt T der Polizei, er habe den O am Tatort gesehen. O hat sich damit einverstanden erklärt. Er will die Ermittlungen auf sich konzentrieren und erst so spät wie möglich sein sicheres Alibi präsentieren. Wirksam einwilligen kann nur derjenige, der über das geschützte Rechtsgut disponieren darf. Deshalb muss das von § 164 geschützte Rechtsgut bestimmt werden: 1. A: Nur die staatliche Rechtspflege wird vor unnützer Inanspruchnahme und ansehensschädlichen Ermittlungen geschützt (Rechtspflegetheorie); zB SKStGB-Rudolphi § 164 Rn 1. 2. A: Nur der Verdächtigte wird vor behördlichen Maßnahmen geschützt ((Individualtheorie); zB Vormbaum, Strafrechtlicher Schutz des Strafurteils, S. 449-459. 3. A: Rechtspflege und Verdächtigter werden gemeinsam geschützt (Kumulationstheorie); zB Frank, StGB, 18. Aufl. 1931, § 164 Anm. I. pr. und 1. 4. A: Rechtspflege und Verdächtigter werden jeweils schon einzeln geschützt (Alternativitätstheorie); hL, zB BGHSt 9, 240 (242); 18, 333; S/S-Lenckner25 § 164 Rn 1. 1. Frage: Schützt § 164 den Verdächtigten? Anderenfalls wäre seine Einwilligung unbeachtlich. 1. Wortlaut: Die Passagen "einen anderen" und "Verfahren ... gegen ihn" wären unverständlich, wenn es nur um die RPflege ginge. Denn die ist auch beeinträchtigt, wenn man ein Verfahren gegen sich selber oder gegen Unbekannt initiiert.
2. Systematik: § 165 spricht - wie § 200 - von dem "anderen" als dem "Verletzten". Der Begriff wird bei Personen, die bloß von einem Schutzreflex begünstigt werden, nicht verwendet. 3. Systematik: § 164 hat neben § 145d nur dann eine Existenzberechtigung, wenn er etwas anderes schützt als die dort geschützte Rechtspflege. 4. Systematik: Der 10. Abschnitt sei eingebettet in Straftaten gegen "überindividuelle" Rechtsgüter. Folglich werde auch in § 164 das Individuum nicht geschützt. - Das überzeugt nicht. § 123 zB steht im 7. Abschnitt "Straftaten gegen die öffentliche Ordnung", schützt aber unbestritten das individuelle Hausrecht.
=> § 164 schützt den Verdächtigten. 2. Frage: Schützt § 164 auch die Rechtspflege? Dann genügt Os Einwilligung vielleicht nicht. 1. Systematik: § 145d ordnet Subsidiarität zu § 164 an. Also muss das Unrecht des § 145d in dem des § 164 enthalten sein. Das ist ähnlich wie beim Verhältnis des § 316 zu § 315c. 2. Systematik: Würde § 164 nur den Verdächtigten schützen, wäre das identische Strafmaß in Abs. 1 und Abs. 2 nicht zu begründen, denn die Verdächtigung einer Straftat wiege schwerer als die einer OWi. - Das überzeugt nicht. Denn auch die Beeinträchtigung der Strafrechtspflege wiegt schwerer als die Beeinträchtigung der OWiRechtspflege. Die Strafmaßidentität lässt sich also auch so nicht besser erklären.
=> § 164 schützt auch die Rechtspflege. 3. Frage: Schützt § 164 den Verdächtigten und die Rechtspflege nur kumulativ oder auch alternativ? Nur bei Kumulation rechtfertigt die Einwilligung. 1. Wortlaut: § 164 I enthält die Tatbestandsmerkmale "einen anderen" und "bei einer Behörde ..." kumulativ und nicht alternativ. 2. Normtheoretisch: So wie sich ein Tatbestand aus seinen Tatbestandsmerkmalen zusammensetzt, so setzt sich auch das Gesamtunrecht eines Tatbestandes zusammen aus dem jeweiligen Unrecht, das in den einzelnen Tatbestandsmerkmalen beschrieben ist. Wenn das in dem Tatbestandsmerkmal "einen anderen" eingefangene Unrecht wegen der Einwilligung des Verdächtigten entfällt, fehlt ein Stück vom Gesamtunrecht des Tatbestandes. Das ist genau wie in § 242, wo die Zustimmung des Eigentümers das im Merkmal "fremd" steckende Unrecht und die des Gewahrsamsinhabers das im Merkmal "wegnehmen" steckende Unrecht entfallen lässt. 3. Normtheoretisch: Die Alternativitätslehre betrachte § 164 nicht mehr als "einheitlichen Unwerttypus" (SKStGBRudolphi § 164 Rn 2). - Kritik: Eine Handlung kann ohne Weiteres deshalb strafbedroht sein, weil sie unterschiedliche Rechtsgüter gefährdet; vgl § 315c: Leben, Leib oder Eigentum. 4. Systematik: Würde § 164 stets auch den Verdächtigten schützen, wäre das identische Strafmaß in Abs. 1 und Abs. 2 nicht zu begründen. Denn die Verdächtigung einer Straftat wiege schwerer als die einer OWi, und die RPflegebeeinträchtigung wäre stets gleich. - Kritik: Auch die Beeinträchtigung der Strafrechtspflege wiegt schwerer als die Beeinträchtigung der OWi-Verfolgung. Die Strafmaßidentität lässt sich also auch so nicht besser erklären (siehe schon oben unter b zur 2. Frage).
5. Systematik: § 145d erklärt die Beeinträchtigung der Strafrechtspflege für weniger strafwürdig ("bis zu drei Jahren"). Dazu passt nicht, trotz Einwilligung des Verdächtigten aus § 164 mit "bis zu fünf Jahren" zu strafen. 6. Rechtsfolge: ❍
Bei S/S-Lenckner25 § 164 Rn 1 heißt es: Nur bei Alternativität lasse sich der Tatbestand bejahen bei Verdächtigungen vor einer ausländischen (und daher nicht geschützten) Behörde, und das sei
❍
wünschenswert. Bei SKStGB-Rudolphi § 164 Rn 2 hingegen heißt es: Bei Alternativität wäre der Tatbestand auch bei Verdächtigungen vor einer ausländischen Behörde erfüllt, und das sei "entgegen ... seinem Sinn und Zweck". - Solche Argumentationen führen zu nichts und heben einander auf, wie die beiden Nachweise zeigen. Wenn die Auslegung zu dem einen oder dem anderen Ergebnis führt, dann ist das eben so. Man darf nicht eine Vorschrift anders auslegen, bloß weil das Ergebnis missfällt; das wäre "teleologische Auslegung" der übelsten Sorte. Bei Kumulation müsste man den Tatbestand bei Einwilligung des Verdächtigten verneinen und hätte nur § 145d bzw (bei OWi) Straflosigkeit. Das soll nach SKStGB-Rudolphi § 164 Rn 2 für die Alternativitätslehre sprechen. Aber wieso? Dieses Ergebnis ist doch nicht so unerträglich, dass man daraus ein argumentum ad absurdum schmieden könnte. Im Gegenteil spricht die Systematik gerade für Straflosigkeit beim einverständlichen Vortäuschen einer OWi. Denn der GesGeb hat in § 145d gezeigt, dass er nur die Strafrechtspflege für sich allein schützen will, nicht aber die Bußgeldrechtspflege.
=> § 164 schützt beide Rechtsgüter kumulativ.
B. § 164 Abs. 2 Sonstige Behauptung tatsächlicher Art: Die Beschränkung des Abs. 1 (rechtswidrige Straftat, Dienstpflichtverletzung) wird damit aufgehoben. Das ist insb für OWi relevant. Sonst ist Abs. 2 wie Abs. 1.
3. Teil: Vortäuschen einer Straftat (§ 145 d) A. Behörde oder zur Entgegennahme von Anzeigen zuständige Stelle Behörde: va Polizei, Staatsanwaltschaft. Aber auch Gerichte (wegen § 11 I Nr. 7). Zur Entgegennahme von Anzeigen zuständige Stelle: zB militärische Dienststellen. Aber zB auch der einzelne Polizeibeamte, etwa auf der Streife.
B. Rechtswidrige Tat Nur eine straftatbestandsmäßige, rechtswidrige Tat (§ 11 I Nr. 5). Also zB keine OWi!
C. Täuschungshandlung (Abs. 1 und Abs. 2) Vor allem durch falsche Behauptungen. Aber auch durch das Schaffen verdachterregender
Beweislagen; das ist hier - anders als bei § 164 - unproblematisch. Siehe oben Fall 44! Abs. 1 erfasst nach seinem Wortlaut eindeutig nur die positive Täuschung. Deshalb ist es systematisch geboten, auch den offener formulierten Abs. 2 so zu verstehen: Der Täter muss einen Unbeteiligten als beteiligt hinstellen; es genügt nicht, einen Beteiligten als unbeteiligt hinzustellen (BGHSt 19, 308; S/SStree25, § 145d Rn 14).
D. Problem bei Abs. 2: Muss die behauptete rechtswidrige Tat wirklich begangen worden sein? Fall 48: (nach OLG Hamm, NJW 1963, 2138) V, der Vater des Angeklagten A, fuhr in schwer alkoholisiertem Zustand mit seinem Wagen vom Schützenfest nach Hause und geriet dabei in den Straßengraben. A, der ebenfalls schwer betrunken war, wurde sogleich benachrichtigt, kam dorthin und gab sich gegenüber den kurz darauf eintreffenden Polizeibeamten als der Fahrer aus. Erst als gegen ihn Anklage wegen Trunkenheit im Verkehr (§ 316) erhoben wurde, stellte er den Sachverhalt richtig. 1. A.: Es muss wirklich eine rechtswidrige Tat begangen worden sein; OLG Hamburg, MDR 1949, 309; OLG Celle, NJW 1961, 1417; KG, JR 1989, 26; Tröndle48, § 145d Rn 7. 2. A.: Es muss keine rechtswidrige Tat begangen worden sein, aber der Täter muss die Tatbegehung irrig annehmen; OLG Hamm, NJW 1963, 2138; S/S-Stree25, § 145d Rn 13; Wessels, BT/121, Rn 695; ähnlich SKStGB-Rudolphi, § 145d Rn 12. Der Wortlaut ist für das weitergehende Verständnis offen. Für die 2. Ansicht spricht, dass im Fall 48 die Strafverfolgungsbehörden genauso unnütz in Anspruch genommen worden sind wie in den eindeutigen Fällen des Abs. 2 Nr. 1.
E. Formelle Subsidiarität zu §§ 164, 258, 258a Nach allgemeiner Ansicht ist § 145d nur subsidiär, wenn der Täter aus einer der genannten anderen Strafnormen wirklich bestraft wird.
Fußnoten (1) § 22 I BNotO: "Zur Abnahme von Eiden sowie zu eidlichen Vernehmungen sind die Notare nur zuständig, wenn der Eid oder die eidliche Vernehmung nach dem Recht eines ausländischen Staates oder nach den Bestimmungen einer ausländischen Behörde oder sonst zur Wahrnehmung von Rechten im Ausland erforderlich ist."
(2) Richterliche Vernehmung ist nach § 161a I 3 StPO möglich; vgl auch §§ 168c II, 251 I pr. StPO. (3) Das darf er wohl nicht ohne Weiteres. Vielmehr muss er den Vernehmungsgegenstand auf die Neuigkeit ausdehnen (zB durch gezielte Nachfrage) und den Zeugen seine jetzt zum Vernehmungsgegenstand gewordene Neuigkeit wiederholen lassen; vgl zB BGHSt 25, 244 (246); Stein/Jonas-Schumann, ZPO20 § 396 Rn 1; Zöller-Greger19 § 396 Rn 3. Im Zivilprozess benötigt der Richter vorher sogar noch Parteivortrag und Beweisantrag hinsichtlich der Neuigkeit; vgl §§ 138, 139, 359 und zB 371, 373 ZPO ("Beibringungsgrundsatz"); anders freilich in Familiensachen: §§ 616 I, 640 I ZPO. (4) Fall: Subj Theorie: Pflichttheorie: Erl-Theorie: Obj Theorie:
16 a f f f f
16 b r [f] [f] [f]
16 c r r [(f)] [(f)]
16 d r r r [(f)]
16 e r r r r
16 f f f f f
16 g f/f f/f f/f r/f
15 r r f f
(f) bedeutet: Die Aussage ist zwar falsch, aber es fehlt an der objektiven Zurechnung, weil T sorgfaltsgemäß gehandelt hat. [f] bedeutet: Die Aussage ist zwar falsch, aber es fehlt am Vorsatz. (5) Sowie die anderen Frageberechtigten, siehe §§ 240 StPO, 397 ZPO. (6) § 27 I VwVfG NW: "Die Behörde darf bei der Ermittlung des Sachverhalts eine Versicherung an Eides Statt nur verlangen und abnehmen, wenn die Abnahme der Versicherung über den betreffenden Gegenstand und in dem betreffenden Verfahren durch Gesetz oder Rechtsverordnung vorgesehen und die Behörde durch Rechtsvorschrift für zuständig erklärt worden ist." (7) § 16 II Nr. 1 SparkVO (Hippel-Rehborn 140a): "... der Antragsteller hat den Verlust der Sparurkunde und die Tatsachen, aus denen ... er seine Berechtigung herleitet, glaubhaft zu machen. Zur Glaubhaftmachung können auch eidesstattliche Versicherungen gegenüber dem Vorstand abgegeben werden." Die Stadtsparkasse ist auch eine Behörde; § 2 SparkG (Hippel-Rehborn 140): " Die von Gemeinden ... errichteten Sparkassen sind rechtsfähige Anstalten des öffentlichen Rechts." Also hat sich A aus § 156 strafbar gemacht. (8) "Zum Nachweise ... hat der Antragsteller vor Gericht oder vor einem Notar an Eides Statt zu versichern, daß ihm nichts bekannt ist, was der Richtigkeit seiner Angaben entgegensteht." (9) "Die Aufnahme eidesstattlicher Versicherungen steht den Notaren in allen Fällen zu, in denen einer
Behörde oder sonstigen Dienststelle eine tatsächliche Behauptung oder Aussage glaubhaft gemacht werden soll."
[email protected], 28.10.1998.
Wiss. Ass. Dr. Bernhard Hardtung
Repetitorium im Strafrecht BT Nötigung (§ 240 StGB) Bedrohung (§ 241 StGB) Stand: Dezember 1999
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Das Skript ist nach den neuen Rechtschreibregeln geschrieben. Passagen im kleineren Schriftbild sind vertiefende Hinweise.
A. Nötigung, § 240 I. Das Nötigen zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung Fall 1: Student S bewegt seine Freundin F, mit ihm ins Kino in den Horrorstreifen "Blair Witch Project" zu gehen. Er kann das nur erreichen, indem er ihr vorspiegelt, es werde "Notting Hill" mit Julia Roberts und Hugh Grant gegeben. Zu einer "Handlung", dem Enderfolg des § 240, wird F von S bewogen. Es ist auch zumindest gut vertretbar zu sagen, dass S die F dazu "nötigt", denn er erzeugt genau den Druck, dessen es bedarf, F zum Kinobesuch zu bestimmen. – S hat aber nicht "mit Gewalt oder durch Drohung" genötigt. Fall 2: F will von sich aus ins Kino, um "Notting Hill" zu sehen. S bewegt sie, zu Hause zu bleiben, durch die Lüge, der Film sei abgesetzt. Wie oben, nur dass F zu einer "Unterlassung" genötigt wird. Fall 3: Im Fall 1 sitzt F mit S im Kinosaal und erfährt erst hier, dass "Blair Witch Project" auf dem Programm steht. Sie will hinaus, wird daran aber von S immer wieder
mit eisernem Griff gehindert. Das abgenötigte Verhalten ist hier am treffendsten als "Duldung" einzuordnen. Freilich kann man jede "Duldung" in eine "Unterlassung" uminterpretieren, denn wann immer das Opfer etwas erduldet, unterlässt es Gegenmaßnahmen. Faustregel: Nötigung zur Unterlassung, wenn das Opfer nicht tut, was es will; Nötigung zur Duldung, wenn das Opfer hinnimmt, was es nicht will. Beides trifft oft zusammen, z. B. bei F, die sowohl das Gewollte (Hinausgehen) nicht tut wie das Ungewollte (Hören der Musik) hinnimmt. Fall 4: Der schmächtige Herr B steht auf dem Fünf-Meter-Turm und traut sich nicht zu springen. Da schubst ihn der Jugendliche J ins Wasser. Nach ganz h. A. wird das Merkmal "Handlung" in § 240 auch durch eine Körperbewegung erfüllt, die das Opfer nicht willentlich gesteuert hat. Darum kann man die Vorwärtsbewegung des B als abgenötigte Handlung ansehen. Entsprechend kann man eine "Unterlassung" i. S. des § 240 – abweichend von § 13 – auch dann annehmen, wenn die unterbliebene Handlung dem Opfer unmöglich war. Darum hat J den B hier auch zur Unterlassung des Stehenbleibens und Umkehrens genötigt. – Mit welchem Erst-recht-Argument kann man diese extensive Deutung begründen? Stellen Sie sich vor, J hätte keine vis absoluta angewandt, sondern den B durch Androhung von Prügeln zum Absprung gebracht! Genau wie eine "Handlung" ist – im spezifischen Sinne des § 240 – auch eine "Duldung" des O anzunehmen, nämlich das Erdulden des Sturzes und des Aufpralls. Bei der Entscheidung für einen der drei Erfolge – Handlung, Duldung, Unterlassung – geht es nicht um exkludierende Abgrenzung, sondern um typisierende Zuordnung: Man wählt den Aspekt, der im Fall am nächsten liegt (im Fall 4: Handlung) und vernachlässigt (meist) die anderen Gesichtspunkte.
II. Die Nötigung "mit Gewalt" Fall 5: M will seine Freundin F daran hindern, mit dem Auto zu ihrem neuen Verehrer zu fahren. a) Er schließt sie in einem Zimmer ein. b) Er durchtrennt die Zündleitung an Fs Landrover. c) Er schließt das Ausfahrtstor und behält den Schlüssel. d) Er legt sich vor Fs Landrover und bleibt dort liegen trotz ihrer Aufforderung, er solle weggehen. Das RG hat anfangs Gewalt nur angenommen, wenn der Täter in beträchtlichem Umfang körperliche Kraft aufgewandt hatte. Diese müsste man wohl jedenfalls in Fall 5 a, b und d verneinen. In der neuen strafrechtlichen Diskussion galt dieses Erfordernis als obsolet. Der Sitzblockaden-Beschluss des BVerfG (E 92, 1, 17-19) gibt diesem Erfordernis, wenn auch höchst unklar, eine gewisse Relevanz zurück. In Konsequenz des Beschlusses müsste der Senat in Variante d eine Nötigung durch Gewalt verneinen, weil Ms Einwirkung auf F "lediglich in körperlicher Anwesenheit besteht und die Zwangswirkung auf den Genötigten nur psychischer Natur ist" (S. 18).
Auch heute noch stark vertreten wird, dass die Nötigung mit Gewalt eine körperliche Einwirkung auf das Opfer voraussetze. Dieses Erfordernis verliert sich aber ins Beliebige und Ungreifbare. So würden fast alle, die es verfechten, im Fall 5 a eine körperliche Einwirkung auf F gegeben sehen. Von diesem Standpunkt aus kann man die Einwirkung dann aber in den Varianten b und c nicht verneinen, denn in allen drei Fällen wird eine Barriere errichtet, die es F physisch unmöglich macht, sich mit ihrem Körper in der gewünschten Weise fortzubewegen. U. E. ist für die nötigende Gewalt weder körperliche Kraft beim Täter noch körperliche Einwirkung auf das Opfer zu fordern. Es muss (im Sinne des sog. vergeistigten Gewaltbegriffs) jedes Schaffen von Tatsachen genügen, das antreibenden oder lähmenden Zwang bewirkt; auszunehmen ist nur diejenige Tatsachenschaffung, die eine bloße Täuschung oder Drohung darstellt (z.B. bei Verhinderung lauter Musik: Gewalt beim Durchschneiden des Kabels; keine Gewalt bei Drohung mit Prügeln oder bei Vortäuschung, die CD sei verliehen). In allen vier Varianten in Fall 5 ist danach Gewalt zu bejahen, auch in der Variante d, denn es gibt keinen Sachgrund, zwischen den beiden Vernunftzwängen zu unterscheiden: dem, zur Vermeidung von Sachschäden nicht gegen das Tor, und dem, zur Vermeidung von Gesundheitsschäden nicht über Ms Körper hinweg zu fahren. Fall 6: O verdächtigt T beim Pokern des Falschspiels. T sieht sich ertappt und ist deshalb umso wütender. a) Er nimmt das Bierglas und schleudert O den Inhalt überraschend ins Gesicht. b) Er fasst O bei den Haaren, hält ihn daran fest und gießt ihm den Inhalt des Bierglases ins Gesicht. In beiden Varianten ist sowohl "Gewalt" gegeben wie eine "Duldung". Diese liegt in der Hinnahme des Bierschwalles, jene im Schleudern des Bieres und – bei der Variante b – im Packen der Haare. § 240 verlangt aber, dass die Nötigung zur Duldung "mit" Gewalt verübt wird. Daraus folgt die allgemein übliche Deutung, dass das Erdulden der Gewalt selber nicht zugleich die Duldung sein kann, die durch die Gewalt erst abgenötigt wird. Diese restriktive Deutung ist auch mit Blick auf die Ergebnisse plausibel, denn es kann kaum richtig sein, z.B. in jeder absichtlichen Körperverletzung oder Sachbeschädigung zugleich ein Delikt nach § 240 zu sehen. Also Nötigung nur in Fall 6 b, nicht in Variante a.
Fall 7: R muss dringend zum Bahnhof, um mit dem IC zu verreisen. Als er im Taxi vor dem Bahnhofsgebäude ankommt, hat er nur noch zwei Minuten Zeit bis zur Zugabfahrt. Er fordert den Taxifahrer T auf, anzuhalten und ihn aussteigen zu lassen. T erwidert mit Recht, ein Anhalten sei hier nicht erlaubt; er könne ihn erst auf einem Parkplatz in 500 m Entfernung herauslassen. R protestiert wütend, erreicht aber nichts und verpasst seinen Zug. Wie jedes andere Handlungsmerkmal setzt auch das des Nötigens mit Gewalt eine Pflichtverletzung des Täters voraus; in gängiger Terminologie: Die objektive Zurechnung verlangt eine unerlaubte Risikoschaffung. Das heißt hier: T müsste gerade im Hinblick auf die Schaffung von Tatsachen, die den lähmenden Zwang bewirken, pflichtwidrig (= unerlaubt riskant) gehandelt haben. Ts Verhalten war aber im Gegenteil in jeder Hinsicht pflichtgemäß.
III. Die Nötigung durch "Drohung mit einem empfindlichen Übel"
1. Reine Drohung – nötigende Drohung – Warnung (zugleich zu § 241: Bedrohung) Fall 8: M hat erfahren, dass L mit Ms Frau ein Verhältnis hatte. Obwohl er weiß, dass sie mit L Schluss gemacht hat, ist M so erzürnt, dass er L anruft und ankündigt, ihn umzubringen. M "bedroht" L mit der Begehung eines Verbrechens (§ 241 I). Entgegen manchen zu engen Definitionen (vgl. etwa S/S-Eser25 Vor § 234 Rn 30) spricht nichts dagegen, sie als "Drohung mit einem empfindlichen Übel" i. S. des § 240 I genügen zu lassen. Es ist unbegründet, als Drohung eine Übelsankündigungen zu verlangen, die eine Nötigung bezweckt. Wohl aber ist die übliche Trennung zwischen Drohung und bloßer Warnung zutreffend (vgl. § 241, wo in Abs. 2 die warnende Täuschung von der Bedrohung unterschieden wird). Zur Veranschaulichung Fall 9: T hat einen bestimmten Parkplatz im Auge und sieht unwillig zu, wie O ihn einnimmt. Er vertreibt O durch die Ankündigung, a) er selber werde O in der zweiten Reihe zuparken. b) O werde hier höchstwahrscheinlich von anderen Autofahrern zugeparkt. Nur im Fall 9 a nötigt T den O durch "Drohung", weil er das Übel in der Hand zu haben behauptet. Im Fall 9 b erzeugt er zwar in O den gleichen Druck (von einem Nötigen kann man hier also durchaus sprechen, vgl. oben Fall 1), aber nicht durch "Drohung", sondern durch "Warnung", denn er behauptet nicht, auf das Zuparken Einfluss zu haben. – Spielt es für Fall 9 a eine Rolle, ob T die angebliche Absicht wirklich hat oder nur vortäuscht? Nein. Argumente: Wortsinn, systematischer Vergleich mit § 241 II. 2. Wertungsprobleme beim Merkmal "Drohung mit einem empfindlichen Übel" Das vom Täter angekündigte, für den anderen ungünstige Verhalten kann ein Tun oder ein Unterlassen sein; außerdem kann es dem Täter rechtlich verboten, geboten oder freigestellt sein. Spielen solche Unterschiede für das Merkmal "Drohung mit einem empfindlichen Übel" eine Rolle? a) Die Fallkonstellationen aa) Ankündigung eines rechtlich verbotenen Verhaltens Fall 10: Der Schriftsteller Erich Mühsam wird dadurch zum Singen des Horst-WesselLiedes gebracht, dass man ihm ankündigt, andernfalls werde er erschossen. – Ankündigung eines rechtlich verbotenen Handelns. Fall 11: P hat vertraglich die Pflege des siechen S übernommen. Sie erreicht ihre Einsetzung als Alleinerbin, indem sie S ankündigt, ihn sonst verhungern zu lassen. –
Ankündigung eines rechtlich verbotenen Unterlassens. bb) Ankündigung eines rechtlich gebotenen Verhaltens Fall 12: Zwei Polizisten ertappen die 18-jährige Dealerin D auf frischer Tat. Nach Lage der Dinge sind sie verpflichtet, D festzunehmen und auf der Wache zu verhören. Auf der Fahrt kommt ihnen der Gedanke, D die Freilassung gegen geschlechtliche Hingabe anzubieten. D lässt sich unter dem Druck drohender Bestrafung voller Abscheu auf den Handel ein. – Ankündigung eines rechtlich gebotenen Handelns. Fall 13: Die S ist nach einer Vergewaltigung in der 14. Woche schwanger. Nach langem Suchen findet sie den Arzt A, der sich zum Abbruch der Schwangerschaft bereit erklärt, für diese Leistung aber 80.000 DM fordert. In ihrer Not opfert S alle Ersparnisse. – Ankündigung eines rechtlich gebotenen Unterlassens. cc) Ankündigung eines rechtlich freigestellten Verhaltens Fall 14: Frau F kann ihrem Verlobten V schwere Wirtschaftsdelikte nachweisen. Als V sich von ihr lossagt, stellt sie ihm die Strafanzeige in Aussicht. V muss um seine Existenz fürchten und schließt widerwillig die Ehe. – Ankündigung eines rechtlich freigestellten Handelns. Fall 15: Dem Chirurgen C winkt ein fürstliches Honorar, wenn er einem reichen Patienten binnen kurzer Zeit durch Transplantation einer Niere zum Leben ohne Dialyse verhilft. C untersucht verschiedene Menschen und befindet den Asylbewerber A für geeignet. A sträubt sich zunächst, willigt aber ein, als C ihm 25.000 DM bietet. – Ankündigung eines rechtlich freigestellten Unterlassens. b) Meinungsstand und eigene Lösung aa) Rspr. (BGHSt 31, 195, 198 ff.) und h. L. bejahen die "Drohung mit einem empfindlichen Übel" in allen sechs Fällen, aber sie problematisieren in mehreren die Verwerflichkeit i. S. des § 240 II. bb) Eine Gegenansicht vertritt die These, die Ankündigung eines Handelns sei zwar immer, die eines Unterlassens aber nur dann "Drohung mit einem empfindlichen Übel", wenn das Unterlassen verboten sei (Fall 11). Die Ankündigung eines erlaubten Unterlassens (Fall 13, Fall 15) sei hingegen keine tatbestandliche Drohung, denn "wer die freiwillige Beseitigung eines den anderen belastenden Übels ankündigt ..., erweitert die Freiheit des anderen (beschränkt sie also nicht!) auch dann, wenn er daran Bedingungen knüpft" (SKStGB-Horn# § 240 Rn 16). – Diese Gruppenbildung halten wir im Kern für zutreffend (sogleich unter dd). Horns Begründung passt dazu aber nicht. Es ist inkonsequent, eine "Drohung mit Handeln" auch bei der Ankündigung eines erlaubten Handelns (Fall 12, Fall 14) zu bejahen, denn darin liegt ebenso eine Erweiterung der Freiheit des anderen. cc) Eine andere Ansicht ist konsequent und sieht eine tatbestandliche Drohung mit einem
empfindlichen Übel nur in der Ankündigung eines verbotenen Verhaltens (Fall 10, Fall 11); vgl. Jakobs, in: Peters-FS, 1974, 69 ff. (v. a. 81 ff.). – Es ist aber nicht richtig, in den anderen vier Fällen (Fall 12 bis Fall 15) die Erweiterung der Freiheit als entscheidend anzusehen. Sie ergibt sich nur aus dem Vergleich mit einer Unfreiheit, die hypothetisch geblieben ist. Solche Vergleiche sind aber generell unstatthaft: Wer aus Freundlichkeit die Hühner des Nachbarn füttert und damit vor dem Verhungern bewahrt, darf nicht eigenmächtig eines schlachten mit der Begründung, dass er ja zum Füttern nicht verpflichtet war und sein Unterlassen des Fütterns dem Nachbarn einen größeren Schaden als das Schlachten zugefügt hätte. Und wer den von anderen in ein enges Verließ Eingesperrten freiwillig sucht und befreit, darf ihn nicht anschließend für einige Stunden in ein geräumiges Zimmer sperren, nur weil er dem Opfer per Saldo mehr Freiheit verschafft. Im Fall 14 hat sich Vs (größere) Unfreiheit, ausweglos das Übel der Anzeige zu erleiden, nicht konkret realisiert. Sehr wohl realisiert hat sich aber die andere Unfreiheit, unter dem Druck drohender Anzeige F zu heiraten. Diese Sicht wird vom Gesetz bestätigt, denn § 154c StPO belegt zwingend den Standpunkt des Gesetzgebers, dass die Ankündigung eines erlaubten Verhaltens (Erstattung der Strafanzeige) sehr wohl eine nötigende Drohung mit einem empfindlichen Übel sein kann. dd) Es zeigt sich also, dass starr formale Unterscheidungen das Problem nicht sachgerecht lösen. U. E. liegt der richtige Schlüssel in einer wertenden Betrachtung: Es muss sich das in Aussicht Gestellte als "Übel" und die Inaussichtstellung als "Drohung" bewerten lassen. Dafür gelten zwei Faustregeln. Erstens: Die Ankündigung, eine Handlung vorzunehmen, die das Opfer belastet, ist fast immer Drohung mit einem Übel; so in Fall 10, Fall 12 und Fall 14. Denn der Täter erzeugt Angst durch Ankündigen einer Situationsverschlechterung, die ihm als sein Werk zuzurechnen wäre. – Ausnahmen sind wohl denkbar, aber höchst selten. Zweifelhaft ist etwa die Beurteilung der Tat eines Vollzugsbeamten, der einem Gefangenen die vorschriftsmäßige allabendliche Einschließung für den Fall ankündigt, dass ihm der Häftling kein Rauschgift überlässt. Hier ist fraglich, ob der Gefangene den alltäglichen Einschluss überhaupt noch als "Übel" erlebt und ob er sich durch die Ankündigung "bedroht" fühlt. Zweitens: Die Ankündigung, eine Handlung zu unterlassen, die das Opfer begünstigen würde, ist a) bei verbotenem Unterlassen meistens Drohung mit einem Übel (Fall 11). Zweifelhaft ist das hingegen im Fall 16: Der Gläubiger G hat die Forderung gegen die säumige Schuldnerin S mangels Beweisbarkeit bereits "abgeschrieben", als S auftaucht und ankündigt, die Forderung bleibe weiterhin unbezahlt, es sei denn, G stelle ihren Sohn als Lehrling ein. Auch hier ist fraglich, ob G die Nichtbezahlung überhaupt noch als Übel erlebt und ob er sich durch die Ankündigung bedroht fühlt.
b) bei gebotenem und erlaubtem Unterlassen meist keine Drohung mit einem Übel (Fall 13, Fall 15). Denn grundsätzlich kann jemandem die Not eines anderen, die er lediglich nicht beseitigt oder nicht mindert, nur dann als sein Werk, als von ihm geschaffenes Übel
zugerechnet werden, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, dass die Not endet oder gemindert wird. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kann man erwägen im Fall 17: A, der eine Bekannte B jahrelang regelmäßig mit Rauschgift versorgt hat, knüpft daran eines Tages die Bedingung sexueller Hingabe.
Hier ist fraglich, ob nicht die ständige Übung eine so verfestigte Exspektanz geschaffen hat, dass man die Vorenthaltung des Rauschgiftes als Verschlechterung der Lage und damit als Übel und die Ankündigung der Abkehr vom bisherigen Verhalten als Drohung bewerten muss.
IV. Zusammentreffen von Gewalt und Drohung Studentische Arbeiten erwecken oft den Eindruck, der Verfasser glaube, Gewalt und Drohung schlössen einander aus, so dass er den vom Täter geübten Zwang nicht beiden Alternativen zugleich subsumieren dürfe. Jedoch: Wer den wegeberechtigten Nachbarn durch Faustschläge oder durch Hetzen seines Hundes vom Grundstück vertreibt, nötigt sowohl durch Gewalt (vis compulsiva) wie durch die konkludente Drohung mit dem Übel eines (weiteren) Körperschadens. Bei der praktischen Frage, für welche Alternative man sich entscheiden soll, gelten ähnliche Überlegungen wie bei der Einordnung des Opferverhaltens in die Begriffe "Handlung, Duldung oder Unterlassung": Man gebe dem Merkmal der Gewalt grundsätzlichen Vorrang, weil sie als das gewichtigere Zwangsmittel gilt. Man kann darum die Fausthiebe im Beispiel als Gewalt bewerten und den Drohungsaspekt unerwähnt lassen. Anders aber wohl in der zweiten Variante. Die im Hundeangriff liegende Gewalt des körperlich passiv bleibenden Hundehalters ist so undeutlich und streitig, dass man zur Absicherung des § 240 auch die Drohung bejahen sollte. – Gerade jetzt kann diese Überlegung besonders wichtig werden, nämlich dann, wenn sich die Frage der Gewaltverneinung aufgrund § 31 BVerfGG stellt. Fall 18: Greenpeace-Aktivisten verhindern das Fällen einer alten Linde beim Straßenbau, indem sie mit großer körperlicher Anstrengung auf die Äste klettern und sich daran festklammern. BVerfGE 92, 1 (18) beschränkt im Sitzblockadebeschluss die Gewaltverneinung auf den "Bereich, in dem die Gewalt lediglich in körperlicher Anwesenheit besteht und die Zwangswirkung auf den Genötigten nur psychischer Natur ist". Dies kann man so verstehen, dass dann, wenn die körperliche Anwesenheit mehr Anstrengung kostet als schlichtes Stehen oder Sitzen, die Gewalt (trotz nur psychischer Zwangswirkung auf das Opfer) bejaht werden darf. Ob man sich nun so oder so entscheidet, in jedem Fall empfiehlt sich die (Zusatz-)Begründung mit der Drohungsalternative.
V. Der subjektive Tatbestand Fall 19: A verletzt B im Streit vorsätzlich durch einen Messerstich und ist sich darüber im Klaren, dass B deswegen später zum Arzt gehen wird. B tut das tatsächlich.
Hat sich A gemäß § 240 strafbar gemacht? Die richtige Lösung ergibt sich durch Einschränkung des subjektiven Tatbestandes, die man mit § 240 II gut begründen kann: Der Täter muss das dem Opfer abgenötigte Verhalten beabsichtigen.
VI. Die Rechtswidrigkeit bei der Nötigung § 240 enthält mit seinem Abs. 2 eine Regelung, die nach ihrem Wortlaut nicht den Tatbestand, sondern die Rechtswidrigkeit betrifft. Das Gesetz verwendet mit dem Begriff "verwerflich" ein äußerst offenes und verschwommenes Kriterium. Deshalb ist es üblich und empfehlenswert, erst die allgemeinen Rechtfertigungsgründe zu untersuchen und nur bei ihrer Verneinung danach noch die Verwerflichkeit zu prüfen. 1. Rechtfertigungsgründe Fall 20: S arbeitet in einem Nachtlokal. Als er mit dem Auto von Hause losfährt, sieht er seinen betrunkenen Vater V heimwanken. Aus schlimmer Erfahrung schwant ihm Böses. In die Wohnung zurückgekehrt, kommt er gerade noch rechtzeitig, um seine Mutter vor schwerer Misshandlung zu schützen. Er schlägt V nieder, zerrt ihn ins Schlafzimmer und schließt ihn dort ein. § 32 ergibt, dass S im Recht war, also nicht "verwerflich" handelte. Schließt das bereits die Pflichtwidrigkeit (Stichwort: objektive Zurechnung) und damit das Nötigen mit Gewalt aus? Nein; bei der Prüfung des Tatbestandsmerkmals der Pflichtwidrigkeit muss man diejenigen Umstände ausblenden, die zu den Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes gehören. Genau genommen wird die Pflichtwidrigkeit im Tatbestand nur unter dem Vorbehalt festgestellt, dass kein Rechtfertigungsgrund eingreift. Was halten Sie auf dieser Basis von der verbreiteten Aussage, § 240 I sei, im Gegensatz etwa zu §§ 223, 239 und fast allen anderen Delikten, ein "offener Tatbestand" ohne "Indizwirkung", der eine besondere Rechtswidrigkeitsprüfung verlange? U. E. ist davon nichts zu halten. Alle Delikte sind "offen" insofern, als sie mit dem Merkmal der Pflichtverletzung die Wertung fordern, ob das Täterverhalten eine spezifisch strafrechtliche, also gesteigerte Missbilligung verdient. Zum Beispiel ist das Einsperren eines Menschen für ein paar Sekunden zwar verboten, aber noch keine Freiheitsberaubung i. S. des § 239, selbst wenn das Opfer dadurch seinen Zug verpasst.
2. Die Verwerflichkeit Zur Umschreibung des mit "Verwerflichkeit" Gemeinten kann man sich der vom BGH geprägten Formel bedienen, dass das Täterverhalten "einen erhöhten Grad sittlicher Missbilligung" (BGHSt 17, 328, 332) aufweisen müsse. Diese Formulierung macht deutlich, dass es sich bei dem Merkmal "verwerflich" in der Sache um nichts anderes handelt als um eine Ausprägung des allgemeinen Bagatellprinzips, das man sonst schon bei der Auslegung von Tatbestandsmerkmalen berücksichtigt ("körperliche Misshandlungen" z. B. müssen das körperliche Wohlbefinden "mehr als nur unerheblich" beeinträchtigen). Weil aber dieser Gedanke in § 240 II als besondere Rechtswidrigkeitsvoraussetzung benannt wird, ist es üblich, bei der Nötigung erst hier und nicht schon im Tatbestand darauf einzugehen.
Fall 21: Onkel O hat an seiner achtjährigen Nichte N sexuelle Handlungen vorgenommen. Als Ns Vater V davon erfährt, stellt er O zur Rede. O gelobt unter Tränen, so etwas nie wieder zu tun. V droht ihm dennoch eine Strafanzeige an, es sei denn, er zahle 3.000 DM an den Verein "Zartbitter", der sich um sexuell missbrauchte Kinder kümmert. O zahlt aus Angst vor der Anzeige. Wäre es richtig, hier bereits, wie oben im Fall 7, die Pflichtwidrigkeit (objektive Zurechnung des Nötigungserfolges) zu verneinen? Greift für V ein Rechtfertigungsgrund ein? Handelt V verwerflich? § 240 II setzt voraus, dass die Verknüpfung von Nötigungsmittel und angestrebtem Zweck verwerflich ist. Das ist (wohl) immer so, wenn schon das Mittel oder der Zweck für sich allein verwerflich ist. Sind aber beide in Ordnung, kann immer noch die Verknüpfung verwerflich sein (sog. Zweck-Mittel-Relation). Kriterium dafür ist, ob Mittel und Zweck in einem akzeptablen Zusammenhang miteinander stehen oder ob der Täter das Mittel "beliebig" für seinen Zweck einsetzt (sog. Inkonnexität). Im Fall 21 stehen Mittel und Zweck in einem sehr verständlichen Zusammenhang. Fall 22: Die Prostituierte P kassiert im Voraus den vereinbarten Lohn. Als der Freier F schon stark erregt ist, kommt ihr der Gedanke, den Preis zu erhöhen. F weigert sich zu zahlen, P verweigert den Geschlechtsverkehr. Als F daraufhin Rückzahlung des Geldes verlangt, verweigert sie auch dies. Daraufhin zerrt F die P wütend an den Haaren. P bekommt Angst und gibt das Geld zurück. Selbst wenn F keinen Rückzahlungsanspruch hat (vgl. § 817 S. 2 BGB), ist es problematisch, ob F eine strafbare Nötigung begeht. Der BGH hat selbst für diesen Fall von Gewaltanwendung den "erhöhten Grad" sittlicher Missbilligung und damit die Verwerflichkeit verneint. – Ob F nach §§ 223, 242 strafbar ist, steht auf einem anderen Blatt.
VI. Vorrang der §§ 113, 114 Eine Nötigung nach § 240 kann zugleich eine Straftat nach § 113 oder § 114 sein (Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte oder Personen, die ihnen gleichstehen). Dann tritt § 240 auf der Konkurrenzebene dahinter zurück, denn §§ 113, 114 sind gegenüber § 240 Privilegierungen. – Genauer dazu im Skript zu §§ 113, 114.
B. Bedrohung, § 241 Verbrechen: Siehe § 12 I, III! Siehe außerdem oben Fall 8 und Fall 9!
C. Anhang AT: Nötigungsnotstand Die Handlung, die ein Täter seinem Opfer abnötigt, kann einen Straftatbestand verwirklichen. Dann stellt sich die Frage, ob das Opfer wegen der erlittenen Nötigung vielleicht aus § 34 gerechtfertigt oder wenigstens aus § 35 entschuldigt ist.
Fall 23: N droht dem T an, dessen kleinen Sohn S zu erschießen. So bringt er ihn dazu, a) nachts die Bildersammlung aus der Villa des O zu stehlen und dem N zu geben. b) die Villa des O in Brand zu setzen, und zwar an einem Wochenende, an dem alle Bewohner der Villa im Urlaub sind. c) den O mit einer Autobombe zu töten. T hat in jeder der drei Varianten einen Straftatbestand verwirklicht. Fraglich und umstritten ist, ob er aus § 34 gerechtfertigt ist. Eine gegenwärtige, nicht anders abwendbare Gefahr für das Leben des S bestand. Aber überwiegt das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich? Und sind die Taten des T ein "angemessenes Mittel", die Gefahr abzuwenden (S. 2)? Im Fall 23 c steht Leben gegen Leben. Das ist gleichwertig. T ist also eindeutig nicht gerechtfertigt. Im Fall 23 a und b würden viele sagen, das Interesse am Leben des S überwiege wesentlich das Interesse des O, von Hausfriedensbrüchen und Diebstählen (Var. a) oder auch (schweren) Brandstiftungen (Var. b) verschont zu bleiben; z. B. Jakobs, AT2 13/14; SKStGB-Samson# § 34 Rn 31. Andere argumentieren, T sei nicht gerechtfertigt, weil er "auf die Seite des Unrechts tritt" (z. B. S/SLenckner25 § 34 Rn 41b; Wessels/Beulke, AT29 Rn 443). Hält man diesen Gedanken für richtig, kann man mit ihm entweder das überwiegende Interesse oder die Angemessenheit verneinen. Beide Merkmale sind aber solche, die eine Abwägung verlangen. Deshalb ist es nicht einleuchtend, das Stehen auf der Seite des Unrechts immer zur Verneinung der Rechtfertigung führen zu lassen, denn dieser Aspekt kann ja nur ein Abwägungsposten unter vielen sein. Manche wollen deshalb auch unterscheiden: Bei "kleinen Delikten" (Var. a) soll der Genötigte aus § 34 gerechtfertigt sein können, bei "schweren Delikten" (Var. b) nicht; so z. B. Roxin, AT I3 16/58-61; ähnlich wohl LK-Hirsch11 § 34 Rn 69a. Aber was soll es überhaupt bedeuten, dass der Genötigte "auf die Seite des Unrechts tritt"? Für den Genötigten (T) macht es doch keinen Unterschied, ob sein Sohn S durch die Hand des N oder durch eine Naturkatastrophe zu sterben droht. Für das Opfer O freilich besteht ein Unterschied. Es wird nämlich ganz gewiss vom Nötiger N rechtswidrig angegriffen. Ihm gegenüber hat O das scharfe Notwehrrecht, und zwar – wie man gemeinhin sagt – weil er nicht nur seine eigenen Rechtsgüter, sondern zudem die Rechtsordnung verteidigt. Will man dem O aber auch gegenüber dem genötigten T das Notwehrrecht zugestehen (d. h.: den Angriff des T für rechtswidrig erklären, d. h. dem T die Rechtfertigung aus § 34 versagen), dann müsste man begründen können, warum auch ihm gegenüber die Rechtsordnung verteidigt wird. Das aber kann nicht gelingen, denn man gerät in einen Kreisschluss: Die Rechtsordnung soll gegenüber dem T zu verteidigen sein, weil T den O rechtswidrig angreife; Ts Angriff soll rechtswidrig sein, weil T nicht aus § 34 gerechtfertigt sei; T soll nicht aus § 34 gerechtfertigt sein, weil er auf die Seite des Unrechts getreten sein, was nichts anderes bedeutet, als dass ihm gegenüber die Rechtsordnung zu verteidigen sei; usw. Diese Begründungsschwäche wird kaschiert mit der polemischen Formulierung, der Genötigte "trete" auf die Seite des Unrechts; das klingt so, als könne man ihm das zum Vorwurf machen. Im Fall 23 etwa ist es aber zutreffender zu sagen, T werde von N auf die Seite des Unrechts "gezerrt". Er kann dafür ebenso wenig, wie wenn er von N auf O geworfen und dabei O verletzt würde; in diesem Fall ist man sich darüber einig, dass O gegen N mangels eines rechtswidrigen Angriffs keine Notwehr üben darf (s. nur S/S-Lenckner25 § 32 Rn 31)
Wer eine Rechtfertigung des T verneint, kommt immerhin zu einer Entschuldigung aus § 35.
Wiss. Ass. Dr. Bernhard Hardtung
Repetitorium im Strafrecht BT Diebstahl und Unterschlagung (§§ 242-248a StGB) Jagdwilderei (§ 292 StGB) Stand: Dezember 1999
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Das Skript ist nach den neuen Rechtschreibregeln geschrieben. Passagen im kleineren Schriftbild sind vertiefende Hinweise.
I. Diebstahl – § 242 1. Fremde bewegliche Sache Fall 1: A ist Miteigentümer einer Gärtnerei, die er zusammen mit B betreibt. B will daraus eine prachtvolle Edeltanne gewinnbringend als Weihnachtsbaum verkaufen. A weiß das, sägt aber nachts heimlich den Baum ab und schafft ihn in seinen Keller, um ihn selbst Heiligabend aufzustellen. Nimmt A eine "bewegliche Sache" an sich, obwohl der Baum zunächst fest im Erdreich verwurzelt ist? Ja, denn beweglich ist eine Sache, wenn sie fortbewegt werden kann. Ist der Baum "fremd", obwohl er, wie alles in der Gärtnerei, auch dem A gehört? Die wichtige und häufig geforderte Definition der Fremdheit macht erfahrungsgemäß bis ins Examen hinein Schwierigkeiten. Prägen Sie sich bitte ausschließlich die folgende einfache, weil positive Formulierung ein: Fremd ist eine Sache, wenn sie Eigentum eines anderen ist (S/S-Eser25, § 242 Rn 12; SKStGB-Hoyer1999, § 242 Rn 11; LKRuß11, § 242 Rn 6). Danach ist sie also auch dann fremd, wenn sie z.B. Miteigentum ist. Es ist deshalb überflüssig, Sonderformen des Eigentums in der Definition zu benennen. Verbreitet ist auch die negative Formulierung, fremd sei eine Sache, die nicht im Eigentum des Täters stehe und nicht
herrenlos sei. Aber erstens zeigt die Lehr- und Prüfungserfahrung, dass der zweite Teil dieser Definition gerne vergessen wird. Zweitens ist sie nicht vollständig, also falsch. Denn es gibt auch Sachen, die nicht eigentumsfähig ("verkehrsfähig") sind (S/S-Eser25, § 242 Rn 19 ff.). Dazu gehört zB das viele Wasser, das den Rhein hinunter fließt, (andere verneinen schon seine Sacheigenschaft, so LK-Ruß11, § 242 Rn 1; aber wieder anders in Rn 8: nicht eigentumsfähig) und der menschliche Leichnam, der beerdigt wird. Diese Sachen wären nach der genannten Definition fremd, denn Herrenlosigkeit setzt Eigentumsfähigkeit voraus (s. § 958 I BGB).
2. Wegnahme Die Wegnahme wird üblicherweise definiert als Bruch fremden und Begründung neuen Gewahrsams. a) Fremder Gewahrsam Fall 2: Bauer B ist Eigentümer einer Schafherde. Die Tiere bleiben auch nachts auf einer Weide, die dem B gehört, aber 5 km von seinem Bauernhof entfernt liegt. H, ein Liebhaber von Hammelfleisch, holt sich in der Nacht, während B zu Hause fest schläft, ein Schaf und schlachtet es in seinem Keller. Fall 3: Frau Höhlenrauch ist nach mehreren Schlaganfällen absolut keines Gedankens mehr fähig und lebt, ans Bett gebunden, in einem Pflegeheim. Einige Tage vor ihrem Tod schleicht Frau Hs frühere Hausangestellte in die leere Wohnung und nimmt verschiedene Wertsachen mit, um sie für sich zu behalten (vgl. BayObLG, JR 1961, 188 f.). Allgemein wird angenommen, dass B im Fall 2 trotz weiter Entfernung und festem Schlaf Gewahrsam an dem Schaf hat. Dagegen hat im Fall 3 das Gericht den Gewahrsam der H verneint; doch wurde er in der nachfolgenden literarischen Diskussion allgemein bejaht. Das kann man aber aus der Standarddefinition nicht ableiten: Gewahrsam sei "ein tatsächliches, von einem Herrschaftswillen getragenes Herrschaftsverhältnis" (Lackner/Kühl23, § 242 Rn 8a). Diese Formel ist zugeschnitten auf ganz zentrale Fälle wie das Buch in der Hand des Lesers und darum brauchbar nur als JedenfallsDefinition. In den problematischen Fällen führt sie eher in die Irre als zur richtigen Lösung, nämlich dann, wenn niemand einen leichteren Zugriff auf die Sache hat als der Täter (Fall 2) oder wenn nur der Täter einen wirklichen Herrschaftswillen hat (Fall 3). Ein nicht irreführendes und zugleich handhabbares Kriterium für die Entscheidung über das Vorliegen von Gewahrsam ist bisher unseres Wissens nicht formuliert worden. In der Sache stellen alle ab auf eine soziale Zuordnung. Darum geht es ebenso beim Besitz (siehe §§ 855, 856 II BGB) und bei der Eigentumsvermutung des § 1006 BGB: Unter bestimmten Voraussetzungen wird jemandem der Besitz bzw. auch das Eigentum zugeschrieben. Der Unterschied besteht nur darin, dass das BGB für seine sozialen Zuordnungen gesetzliche Voraussetzungen aufstellt, während das StGB dies nicht tut. Daraus mag es sich erklären, dass die problematischen Gewahrsamsfragen im Strafrecht weitgehend willkürlich gelöst erscheinen und man in einer unübersehbaren Kasuistik leicht die Orientierung verliert. Zufallsentscheidungen der Gerichte gewinnen infolgedessen besonderes Gewicht. Um diese Willkürlichkeit zu verringern, bietet sich an, auch im Strafrecht die bürgerlich-rechtlichen Vorschriften über den Besitz zu Grunde zu legen, soweit sie den tatsächlichen und unmittelbaren Besitz betreffen. Das sind die §§ 854,
855, 856 BGB (nicht aber §§ 857, 868 BGB: Erben- und mittelbarer Besitz). Dass die gemeinte Beziehung zwischen Person und Sache im BGB "Besitz" heißt, in der Strafrechtsdogmatik aber "Gewahrsam" genannt wird, besagt nichts. Gemeint ist in der Sache dasselbe. Warum sollte auch das Strafrecht, das doch auch sonst die in anderen Rechtsgebieten vorgefundenen Rechtspositionen (zB das Eigentum, § 903 BGB) absichert (zB in §§ 242, 303), gerade den zivilrechtlichen Besitz nicht und statt dessen nur etwas ähnliches schützen? Außerdem spricht das Strafgesetz selbst von "Besitz", nämlich in § 252. Sie sollten sich aber hüten, in Ihren Prüfungsleistungen zu erklären, Gewahrsam und bürgerlich-rechtlicher tatsächlicher unmittelbarer Besitz seien dasselbe (obwohl Sie damit in der Sache Recht hätten). Denn man muss wohl annehmen, dass die meisten Prüfer das so nicht gelten lassen, weil man sich angewöhnt hat, beides für Verschiedenes zu halten. Sie müssen sich vorsichtiger ausdrücken: Sie dürfen und sollten darauf hinweisen, dass es sich jedenfalls um etwas sehr Ähnliches handelt (so zB Wessels/Hillenkamp, BT/222, Rn 81; Mitsch, BT 2/1, 1/41) und auf diesem Wege die Wertungen der §§ 854 bis 856 BGB heranziehen, in schriftlichen Arbeiten etwa mit einem "(vgl. auch § 856 BGB)". So findet man es gelegentlich, zB bei RGSt 48, 384 (385); Wessels/Hillenkamp, BT/222, Rn 80.
Fall 4: T ist Angestellter der Speditionsfirma S. Er schafft eigennützig Waren, die zu befördern die Firma beauftragt ist, in sein Haus. a) T ist Prokurist. Betriebsinhaber ist I, der aber nur sporadisch nach dem Rechten sieht und im Übrigen T gewähren lässt. b) Die Firma ist eine GmbH. T ist ihr einziger Geschäftsführer. Über den Protest des Lagerverwalters L setzt er sich hinweg. c) T ist Fahrer. Als ihm während einer Speditionsfahrt der Gedanke kommt, sich zu bereichern, fährt er zu sich nach Hause und schafft dort einen Teil der Ware in den Keller. Im Fall 4 a neigen wir dazu, gemäß gängiger Wertung den I als Gewahrsamsinhaber und T als bloßen Gewahrsamsdiener anzusehen. Als Faustregel für soziale Abhängigkeitsverhältnisse kann man sich merken: Hat der eine die stärkere tatsächliche Zugriffsmöglichkeit, der andere aber die bessere rechtliche Befugnis, so wird von der hA in der Regel die bessere rechtliche Befugnis für ausschlaggebend gehalten (SKStGB-Hoyer1999, § 242 Rn 37). Das entspricht der bürgerlichrechtlichen Sicht, wonach I Besitzer und T Besitzdiener ist (§ 855 BGB). Für überflüssig und irreführend halten wir die dieselbe Differenzierung ausdrückende Bezeichnung des I als "übergeordneten" und des T als "untergeordneten Mitgewahrsamsinhaber": Der untergeordnete Mitgewahrsamsinhaber entspricht dem Besitzdiener; und sowenig man diesem (Mit-)Besitz zuspricht, sowenig sollte man jenem (Mit)Gewahrsam zusprechen.
Gewahrsamsinhaber kann immer nur eine natürliche Person sein. Deshalb hat im Fall 4 b nicht etwa "die GmbH" den Gewahrsam (vielleicht aber Besitz; vgl. z.B. Erman-Werner, BGB9, § 854 Rn 6) T hat eine bessere rechtliche Befugnis als L, obwohl L den besseren tatsächlichen Zugriff auf das Lager hat. Deshalb hat T Gewahrsam und L nicht. Zur Faustregel der besseren rechtlichen Befugnis und auch zu § 855 BGB passt es eher, im Fall 4 c dem Inhaber der Spedition den Gewahrsam zu- und ihn dem T abzusprechen. Nach gängiger Ansicht kommt es in solchen Fällen aber auch auf die tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit des Geschäftsherrn an. Als Kriterien hierfür werden genannt, ob die Fahrtroute festgelegt ist und ob es sich um Nah- (Orts-
) oder Fernverkehr handelt. Das ist erstens im Vergleich zu Fall 4 a und b eine Sonderkonstruktion, für die eine Begründung fehlt. Zweitens wirken die Kriterien seltsam zufällig: Was in Berlin noch Nahoder Ortsverkehr ist, gilt in Oer-Erkenschwick schon als Fernverkehr; unklar ist etwa auch, ob die telefonische Erreichbarkeit (Handy!) genügen soll oder nicht. Fall 5: Der Jogger J fährt mit seinem Pkw und parkt ihn am Rande des Waldes. Beim Laufen wird ihm zu warm, und er versteckt sein Sweatshirt im Gebüsch. Als er sich mehrere Kilometer weit entfernt hat, entdeckt T beim Austreten das Kleidungsstück und behält es für sich. Am Waldrand knackt er Js Auto und entwendet daraus das unter dem Sitz versteckte Portmonee. Den Gewahrsam am Auto verliert J nach wohl allgemeiner Ansicht nicht dadurch, dass er sich viele Kilometer weit entfernt und vielleicht stundenlang wegbleibt. Wir neigen dahin, uns dies mit der sozialen Üblichkeit des Abstellens von Fahrzeugen zu erklären, so dass der Gewahrsam selbst dann fortbesteht, wenn der Schlüssel versehentlich stecken bleibt (siehe dazu auch § 856 II BGB). Umgekehrt ergibt diese Sicht, dass keinen Gewahrsam behält, wer beispielsweise einen Fernsehapparat schleppt, am Straßenrand absetzt und sich weit entfernt, um eine Sackkarre zu holen. – Spricht man dem J Gewahrsam am Auto zu, so hat er ihn selbstverständlich auch an den Sachen im Auto (Gewahrsamssphäre, vergleichbar der des eigenen Körpers mit dessen unmittelbarer Umgebung: "Enklaventheorie"). Ebenso besteht der Gewahrsam an einem Fahrrad fort, das in normaler Weise irgendwo abgestellt ist. Hingegen wohl nicht an Dingen, die man auf der Motorhaube seines Autos ablegt, vielleicht aber doch noch an festgezurrten Sachen auf dem Dachgepäckträger und dem Gepäckträger des Fahrrads. Die Rechtsordnung gewährt den erhöhten Schutz des § 242 nur dem, der seinen Herrschaftswillen hinreichend deutlich macht, indem er sich nach anerkannten Verhaltensmustern richtet (vgl. § 123 I, wo das Besitztum den Hausrechtsschutz nur genießt, wenn es "befriedet" ist, wenn also der Inhaber des Hausrechts seinen Ausschlusswillen in sozial üblicher Weise, nämlich zB durch Einzäunung kenntlich macht). Nach allem nimmt T das Sweatshirt nicht weg. Selbst wenn die Sicherung durch Verstecken höchst wirksam ist, ist sie kein anerkanntes Verhaltensmuster. Fall 6: Bauer B hat eine schwere Eisenkette beim Schlosser herstellen lassen und trägt sie über die Landstraße zu seinem weit entfernten Gehöft. Unterwegs wird sie ihm so schwer und lästig, dass er sie um einen Baum legt und das Vorhängeschloss abschließt. Er will sie am nächsten Tag mit dem Traktor abholen. Am Abend bemerkt der Autofahrer A die Kette, durchtrennt mit einem starken Bolzenschneider ein Glied und eignet sie sich zu. Der Gewahrsam des B lässt sich hier nicht mit dem Gedanken des anerkannten Verhaltensmusters begründen. Man kann sich aber gut auf den Standpunkt stellen, hier bestehe noch ein "tatsächliches, von einem Herrschaftswillen getragenes Herrschaftsverhältnis" zwischen B und der Kette. Denn B hat hier zwar nicht den direkten Zugriff, wohl aber dank des Schlüssels einen leichteren Zugriff als A. – Merken Sie sich also: Eine faktisch starke Absicherung im Niemandsland hat die gleiche gewahrsamserhaltende Wirkung wie die Inanspruchnahme eines üblichen Verhaltensmusters. Fall 7: S hat erfahren, dass einige Kilometer von seinem Haus entfernt Taubenzüchter ihre Tiere aufsteigen und ins achthundert Kilometer entfernte Wanne-Eickel
heimfliegen lassen. Er legt sich mit seiner Flinte auf die Lauer und schießt einige Tauben herunter, als der Schwarm sein Grundstück überfliegt. Dann rupft und brät er sie. Ist S strafbar nach § 242 I StGB? Siehe dazu RGSt 48, 384 (385 aE). b) Bruch fremden Gewahrsams Bruch fremden Gewahrsams wird allgemein definiert als Aufhebung fremden Gewahrsams ohne Einverständnis des Gewahrsamsinhabers. Auch das kann man im Besitzrecht des BGB wiederfinden, nämlich in § 858 I ("Wer dem Besitzer ohne dessen Willen den Besitz entzieht ...")
aa) Aufhebung fremden Gewahrsams Fall 8: Die 75-jährige Rentnerin R hat im SB-Laden einen Flachmann in die Innentasche ihres Mantels verschwinden lassen. Der Ladendetektiv L hat sie beobachtet. Er stellt sie vor der Kasse zur Rede. R bricht in Tränen aus und gibt den Flachmann heraus. Wer hatte ursprünglich Gewahrsam am Flachmann? Hat R diesen Gewahrsam aufgehoben, obwohl sie noch im SB-Laden war und praktisch keine Chance hatte, ihn mit der Beute zu verlassen? Antworten Sie selbst aufgrund der vorangegangenen Überlegungen! Fall 9: T geriert sich im Kaufhaus als ehrlicher Kunde und probiert Kleidungsstücke an, die er in Wirklichkeit stehlen will. a) Er probiert in der Kabine einen Pullover an und zieht dann seinen Mantel darüber. b) Er zieht eine Lederjacke über. Als T dem Ausgang zustrebt, wird er vom aufmerksamen Verkäufer eingeholt und gestellt. Im Fall 9 a würde man wohl allgemein Gewahrsam des T bejahen, weil T den Pullover als Unterkleidung noch entschiedener in der Tabusphäre seines Körpers untergebracht hat, als wenn er ihn nur in der Tasche mit sich trüge. Für Fall 9 b zeichnet sich das Kriterium des "unbefangenen Betrachters" ab; vgl. Wessels/Hillenkamp, BT/222, Rn 113, 117. Wenn von diesem Standpunkt aus der Vorgang unauffällig ist, dann hat T Gewahrsam, also vor allem, wenn er die Etiketten beseitigt hat oder geschickt verbirgt. Andernfalls (die Etiketten baumeln im Luftzug) gibt man der Haussphäre mehr Gewicht als der Körpersphäre. bb) Ohne Einverständnis des Gewahrsamsinhabers ●
Maßgeblich ist der Wille des Gewahrsamsinhabers.
Fall 10: G hat für einen Umzug einen Kleintransporter gemietet. X bietet ihm an, das Auto nachts wegzuholen, es nach Polen zu veräußern und den Erlös zu teilen. G erklärt sich einverstanden, und X handelt wie verabredet. ●
Erste Voraussetzung für ein tatbestandsausschließendes Einverständnis des Gewahrsamsinhabers ist, dass er den Gewahrsam tatsächlich preisgeben will. Fall 11: K will sich in einem Tabak- und Zeitschriftenladen eine Schachtel Zigaretten kaufen. Als er einen Moment unbeobachtet ist, nimmt er eine Zeitung aus dem Ständer und klemmt sie sich unter den Arm. An der Kasse bezahlt er nur die Zigaretten. Auf die Frage, was mit der Zeitung sei, behauptet K, sie am Kiosk gegenüber gekauft zu haben. Die Angestellte A glaubt das. K verlässt mit der Zeitung das Geschäft. Fall 12: Die 19-jährige O will von ihren Eltern weg in eine nahegelegene Kleinwohnung umziehen. Sie hat von Sixt einen Transporter gemietet. Als sie das am Vorabend in der Disco dem Zufallsbekannten Z berichtet, erklärt er sich bereit, für O den Wagen zu fahren. Am nächsten Morgen belädt Z mit O das Auto, lässt sich den Wohnungsschlüssel geben und fährt los. Wie beabsichtigt, verschwindet er mit Os Sachen auf Nimmerwiedersehen. Den Wagen stellt er später bei Sixt ab.
Nehmen K und Z die Zeitung bzw. die Sachen im Auto weg? Ja, die Gewahrsamsaufhebung ist hier zugleich Gewahrsamsbruch. Zwar sind A bzw. O mit dem äußeren Vorgang der Sachentfernung einverstanden. Aber sie haben der Gewahrsamsaufhebung nicht zugestimmt. A wusste gar nicht, dass ein anderer als K Gewahrsam hatte, und O glaubte, ihr Gewahrsam werde lediglich gelockert. Fall 13: Der Kaufmann K hat sich durch seine Kunstsammelleidenschaft wirtschaftlich ruiniert und wird von soviel Gläubigern bedrängt, dass er den Überblick verloren hat. X nutzt die Gelegenheit, sich gegenüber K als Gerichtsvollzieher auszugeben und die Pfändung einer im Tresor verschlossenen Münzsammlung vorzutäuschen. Er fordert K auf, den Tresor zu öffnen und ihm die Münzsammlung herauszugeben; andernfalls werde er den Tresor mit polizeilicher Gewalt aufbrechen. K beugt sich dem Druck und übergibt X die Münzsammlung. U. E. fehlt es hier schon am Einverständnis überhaupt (K duldet bloß), so dass sich die Frage nach dessen Wirksamkeit gar nicht stellt. K mag sich immerhin entscheiden, keinen Widerstand zu leisten; aber diese Entscheidung bedeutet nicht, dass er mit dem Gewahrsamswechsel einverstanden wäre. Insofern liegt es hier genau wie im Fall 14: Frau A beobachtet durchs Fenster, wie ein Unbekannter ihre Gartenzwerge im Vorgarten einsammelt und sich anschickt, sie in den geöffneten Kofferraum seines Pkws zu tragen. Sie ist überzeugt, durch energisches Hinauslaufen dem T Einhalt gebieten zu können. Weil sie aber gerade durch Lockenwickler und Gurkenmaske verunstaltet ist, will sie sich nicht zeigen und nimmt den Verlust der Gartenzwerge in Kauf. Sie merkt sich das Kennzeichen und stellt später Strafantrag. Kein Einverständnis der A, sondern bloße Duldung: Wer etwas geschehen lässt, was er verhindern könnte, ist nicht
notwendig auch einverstanden mit dem Geschehenden.
Die h. L. würde im Fall 13 ein rein faktisches Einverständnis des K zunächst noch annehmen. ●
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Dann gelangt man zur zweiten Voraussetzung: Das tatsächliche Einverständnis muss rechtlich wirksam sein. Die h. L. bejaht die Wirksamkeit eines Einverständnisses immer dann, wenn der Gewahrsamsinhaber glaubt, er habe die Wahl, ob er den Gewahrsam preisgibt oder nicht, selbst wenn er bei seiner Entscheidung unfrei ist (nämlich weil er einem Irrtum unterliegt oder Zwang ausgesetzt ist). Nur wenn der Zwang so stark ist, dass der Gewahrsamsinhaber keine Wahl mehr zu haben glaubt (so sieht man das üblicherweise im Fall 13), hält man das Einverständnis für unwirksam. Siehe zB BGHSt 18, 221, 223; SKStGB-Hoyer1999, § 242 Rn 51. Kompliziert und umstritten sind Konstellationen im Dreipersonenverhältnis wie Fall 15: Frau W, eine reiche Weingutsbesitzerin, ist mit dem jüngeren M befreundet und war monatelang einverstanden, dass ihr Angestellter, der Kellermeister K, dem M auf dessen Verlangen hin Wein aushändigte. Eines Tages zerbricht die Freundschaft, und W verbietet dem M, sich auf ihrem Besitztum noch einmal blicken zu lassen. M lässt sich trotzdem vom arglosen K zehn Flaschen geben.
Die h. L. fragt in solchen Fällen danach, ob der sachnähere Mitgewahrsamsinhaber (als solchen sähe sie hier K an) wirksam zugestimmt hat und ob dem anderen Mitgewahrsamsinhaber (nach h. L. hier W) diese Zustimmung zuzurechnen ist. War das tatsächliche Einverständnis des K trotz seines Irrtums wirksam? U. E. ja. Denn der Irrtum verstellte dem K nicht den Blick darauf, dass der Gewahrsam auf M überging (kein rechtsgutsbezogener Irrtum). Die h. A. kommt mit ihrem Kriterium (Glaube des Gewahrsamsinhabers an Wahlmöglichkeit, s. o.) zu demselben Ergebnis. Ist Ks Einverständnis der W zurechenbar? Fast alle suchen dafür ein Kriterium, das zugleich die Frage nach einer Vermögensverfügung beim Betrug (§ 263) beantwortet; denn weit verbreitet ist das Bemühen, Diebstahl und Sachbetrug schon tatbestandlich überschneidungsfrei von einander abzugrenzen. Und im Fall 15 kann man ja auch prüfen, ob M vielleicht einen (Dreiecks-)Betrug begangen hat. Die h. L. sagt, der Wille des K sei der W dann zuzurechnen, wenn er in einem besonderen Näheverhältnis zu ihrem Vermögen gestanden habe ("Lagertheorie": BGHSt 18, 221, 223 f.; Wessels/Hillenkamp, BT/222, Rn 641, 644). Das war hier den Fall: W hatte den Gewahrsam, K war Gewahrsamsdiener (vgl. oben Fall 4). Eine Gegenansicht fragt danach, ob der Sachnähere (hier K) eine rechtliche Befugnis zur Verfügung über die Sache hatte ("Ermächtigungs-" oder "Befugnistheorie": Herzberg, ZStW 89 (1977), 367 (387 ff.); SKStGB-Samson/Günther1996, § 263 Rn 94). Dieser Ansatz führt zur Bejahung eines Gewahrsamsbruches: W hatte dem K zwar ursprünglich eine Vollmacht sogar zur Übereignung von Wein an M erteilt (§§ 929, 164, 167 BGB), diese dann aber gegenüber M widerrufen (§§ 168 S. 2 und
3, 167 I). Macht man sich eine tatbestandliche Exklusivität von Diebstahl und Sachbetrug zum Ziel, ist das Kriterium der rechtlichen Befugnis vorzugswürdig. Denn es gewährleistet eine bessere Abgrenzung; ausführlicher dazu im Skript "Betrug und Untreue" Fälle 12 und 13 sowie LK-Lackner10, § 263 Rn 110-115; s. auch SKStGB-Samson/Günther1996, § 263 Rn 94. Das Bemühung um tatbestandliche Exklusivität von Diebstahl und Sachbetrug ist unnötig und bereitet Probleme. So führt es bei § 263 zu inneren Widersprüchen zum Forderungsbetrug (dazu im Skript "Betrug und Untreue" Fall 10) und zwingt bei § 242 zu Differenzierungen und Komplizierungen, die in § 242 gar nicht angelegt sind und dem Zweck des § 242, neben dem zivilrechtlichen Eigentum auch den zivilrechtlichen Besitz abzusichern, nicht dient. Näher dazu Herzberg, ZStW 89 (1977), 367 ff., v. a. 396 mit Fn 67. – Der Verzicht auf das Exklusivitätsdogma läuft im Fall 15 auf eine kumulative Bejahung von Diebstahl und Betrug hinaus. Auf der Konkurrenzebene tritt § 263 dann hinter § 242 wegen Konsumtion oder jedenfalls materieller Subsidiarität ("mitbestrafte Begleittat") zurück.
Egal ob man das Exklusivitätsdogma ablehnt oder befürwortet: Bei der Entscheidung über das Merkmal der Wegnahme ist das Kriterium der rechtlichen Befugnis vorzugswürdig, weil es viel besser zum Zivilrecht passt. Wer etwa einen Ladenangestellten zu Herausgaben von Sachen ermächtigt, muss eine weisungsgemäße Herausgabe als "Übergabe" zB iSd § 929 (also: Aufgabe des eigenen und Einräumung neuen Besitzes) gegen sich gelten lassen, auch wenn er einen konkreten anderen Willen gebildet hat (vgl. BGH, 8. Zivilsenat, NJW 1975, 2191); Bsp: Der Filialleiter F sieht, wie die Kassiererin dem Kunden K Waren verkauft; F missbilligt das, weil er K nicht leiden kann – dennoch zivilrechtlich wirksame "Übergabe" nebst "Einigung" und somit Eigentumserwerb des K gemäß § 929 BGB. Deshalb konsequenterweise auch keine "Wegnahme" iSd § 242 StGB. Dazu auch Herzberg, ZStW 89 (1977), 367 (392 ff.) mit einem ähnlichen Bsp auf S. 394, das ich aber wegen der Bösgläubigkeit des Erwerbers anders löse. Eine besondere Relevanz der mit Fall 15 aufgeworfenen Frage zeigt sich in Fall 16: Wie Fall 15. M hat die Flaschen in seine Reisetasche gepackt und geht zu seinem Auto. Ein anderer Angestellter, der das Verbot der W kennt, läuft hinter ihm her und fordert den Wein zurück. Der bärenstarke M droht, ihn zusammenzuschlagen. A zieht sich ängstlich zurück, und M fährt los. Die Relevanz liegt darin, dass die herrschende Verneinung eines Diebstahls (zugunsten des § 263) die Anwendung der scharfen §§ 252, 250, 251 sperrt. M kann nach h. A. also nur nach §§ 263, 240, 53 bestraft werden, es sei denn, man sieht eine räuberische Erpressung darin, dass M den A dazu zwingt, die weitere Verfolgung des Rückgabeanspruchs zu unterlassen; gegen eine Erpressung in solchen Fällen BGH, NJW 1984, 501: Kein weiterer Vermögensschaden nach vollendetem Betrug. – Die Entscheidung zwischen Diebstahl und Betrug ist auch deshalb von großer praktischer Bedeutung, weil man in vielen Bereichen nur gegen Diebstahl, nicht aber gegen Betrug versichert ist.
c) Begründung neuen Gewahrsams Ein verbreiteter Fehler in studentischen Arbeiten ist es, in vermeintlich gebotener Anpassung an die zweigeteilte Definition der Wegnahme auch konkret den Vorgang zeitlich zu strecken und die Neubegründung des Gewahrsams später anzusetzen als den Gewahrsamsbruch. So würden viele etwa im Fall 14 den "Bruch" im Einsammeln, die "Begründung" aber erst im Verstauen der Gartenzwerge
im Kofferraum sehen. Das beruht auf Missverständnis. Es tritt im Normalfall kein Zwischenzustand der Gewahrsamslosigkeit ein. – Nur ausnahmsweise liegt es anders, zB im Fall 17: Polier P transportiert für den Bauunternehmer M in dessen Lkw Kalksandsteine vom Baustoffhändler zu einer Baustelle. Verabredungsgemäß lädt er unbeobachtet an einsamer Stelle eine Menge Steine am Straßenrand im Gebüsch ab und fährt dann weiter. Fünf Minuten später erscheint Ps Sohn S, lädt die Steine in Ps Kombi und bringt sie auf das Grundstück seines Vaters, wo dieser sie für seinen Anbau verwendet.
3. Handeln in Zueignungsabsicht Fall 18: Die Medizinstudentin M hat von ihren reichen Eltern zu Weihnachten u. a. den "Pschyrembel" und eine 50-DM-werte Telefonkarte geschenkt bekommen. Beides wird ihr in ihrer Wohngemeinschaft eines Abends weggenommen. a) Der Besucher B, der selbst Medizin studiert, entwendet den Pschyrembel, weil er ihn für eine Arbeit braucht, und bringt ihn danach wie geplant mit der Bitte um Entschuldigung zurück. b) Der WG-Partner W nimmt die Karte heimlich aus Ms Portmonee und telefoniert sie durch ein Gespräch nach Kalifornien leer. Dann steckt er sie unbemerkt zurück ins Portmonee. c) W telefoniert die Karte nicht leer, sondern wartet, bis M sie vermisst und für verloren hält. Dann bietet er ihr die entwendete Karte, scheinbar als seine eigene, für 40 DM zum Kauf an. d) Kommilitone B wirft, wie beabsichtigt, den Pschyrembel sofort in einen nahen Altpapiercontainer, weil M sein Liebeswerben verschmäht hat und er sich an ihr rächen will. e) W entwendet die Karte, um sie sogleich seiner viel bedürftigeren Freundin F zukommen zu lassen. Es liegt nahe, für die Zueignungsabsicht zu fordern, dass der Täter die faktische Position anstrebt, die rechtlich der Eigentümer hat. Das heißt, er muss danach streben, de facto "mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen" zu können (§ 903 S. 1 BGB). Das ist eine Gesetzesaussage, womit sich die Komponenten der Aneignungsabsicht und des Enteignungsvorsatzes, die in Lehrbüchern und Examensarbeiten meist nur behauptet werden, immerhin abstützen lassen: Zueignung besteht aus Aneignung und Enteignung. Aneignung der Sache bedeutet, die Sache wie ein Eigentümer zu nutzen; Enteignung bedeutet, den wahren Eigentümer von der Nutzung der Sache auszuschließen, ihn aus seiner Eigentümerposition zu verdrängen (genauer im Folgenden). Zueignungsabsicht besteht aus Aneignungsabsicht und Enteignungsvorsatz. Für die Enteignung genügt Eventualvorsatz deshalb, weil der Gesetzgeber in § 242 jedenfalls den Fall erfassen wollte, den wir als typisches Tatbild eines Diebstahl im Kopf haben. Und der typische Dieb erstrebt zwar die Sache für sich oder einen anderen. Es kommt ihm aber nicht darauf an, den Eigentümer zu schädigen; insoweit hat er nur Eventualvorsatz.
Im Fall 18 a hat B nicht den Vorsatz, die Eigentümerin M zu enteignen, sie faktisch aus ihrer Eigentümerposition zu verdrängen; er will den Pschyrembel ja zurückgeben. Eher kann man sagen, er verschaffe sich eigenmächtig die Position eines Entleihers. In solchen Fällen spricht man von bloßer Gebrauchsanmaßung ("furtum usus"). Die Gebrauchsanmaßung ist meist straflos. Wichtigste Ausnahme: § 248b (unbefugter Gebrauch eines Fahrzeugs). Siehe auch § 290 (unbefugter Gebrauch von Pfandsachen).
Der beim Wegnehmen vorhandene Rückgabewille schließt allerdings die Zueignungsabsicht nicht schlechthin aus, weil auch eine Weggabe, an wen auch immer, als Ausfluss der Eigentümermacht zu bewerten sein kann. Diese Wertung ist dann geboten, wenn Gebrauch oder Nutzung nach Dauer und/oder Intensität ein besonders großes Gewicht haben. Anhaltspunkte: Veralten des Buches durch Neuauflage, Verlust des Neuwerts (jemand entwendet in der Buchhandlung ein Buch, liest es und stellt es später heimlich zurück), Entwendung eines Rasenmähers für den ganzen Sommer, vgl. ferner Fall 18 b, Fall 18 c sowie Fall 19. Deshalb ist ungenau, was man häufig liest, nämlich dass der Dieb den Vorsatz haben müsse, den Eigentümer "auf Dauer" zu enteignen (z. B. Lackner/Kühl23, § 242 Rn 21). Ähnlich wie Fall 18 a liegt Fall 19: Der Cronenberger Schüler S entführt unbeobachtet den Cockerspaniel der in Ronsdorf wohnenden Witwe W. Er will sie am nächsten Tag anrufen und einen Finderlohn ergaunern mit der Behauptung, der Hund sei ihm in Cronenberg zugelaufen. Noch am Abend entdecken seine Eltern den Hund und stellen S zur Rede. S beichtet unter Tränen und sieht sein Vorhaben gescheitert. Hat S Zueignungsabsicht? Nein; S maßt sich ja ganz deutlich keine Eigentümerposition an, sondern nur die eines "ehrlichen Finders". Auch der hat nicht den Vorsatz, die Eigentümerin zu enteignen.
Im Fall 18 b ist die Zueignungsabsicht zu bejahen, weil W die Eigentümerposition erstrebt; er will den Wert vollständig aufbrauchen und der M nur ein Stück Plastik zurückgeben. Ähnlich liegt es im Fall 18 c, nur dass W eine andere Art der wirtschaftlichen Verwertung plant. Bei der Rückgabe tritt er M gegenüber nicht als Quasi-Entleiher, sondern als Eigentümer auf. Schwierig ist die Beurteilung im Fall 18 d. Es liegt nahe zu sagen, dass die Beschädigung oder gar Zerstörung einer Sache nur dem Eigentümer zusteht, so dass der Wille, mit einer fremden Sache so zu verfahren, Zueignungsabsicht bedeutet. Üblicherweise sieht man es aber anders. Man verlangt für die beabsichtigte Aneignung einen (nicht rein destruktiven, sondern) positiven Umgang mit der Sache. Deshalb verneint man im Fall 18 d § 242 und misst die Tat allein an § 303. Dafür lässt sich anführen, dass eine Sachwegnahme nebst Sachzerstörung kein größeres Unrecht schafft als die Sachzerstörung allein. So macht es im Tatunwert keinen Unterschied, ob B den Pschyrembel heimlich im Kamin der M verbrennt oder ihn zum Altpapiercontainer bringt, also wegnimmt, und dort der Vernichtung ausliefert. Darum wäre es unangemessen, im zweiten Fall den höheren Strafrahmen des § 242 zu öffnen, der im ersten mangels Wegnahme fraglos verschlossen bleibt. Außerdem drückt sich in der gesetzlichen Besserstellung des rein destruktiven Sachzerstörers (niedrigere Strafdrohung in § 303!) in der Tat die fragwürdige, aber hinzunehmende Wertung des Strafgesetzgebers aus, dass in der
Aneignungsabsicht des Diebes ein zusätzliches Unrechts- und Schuldquantum zu finden sei (ein Erklärungsversuch findet sich bei Mitsch, BT 2/1, 1/119). Das wird auch in § 248c deutlich, wo in Abs. 1 die Zueignungsabsicht schlimmer bewertet wird als in Abs. 3 die Schädigungsabsicht. Die Ausführungen zur Zueignungsabsicht zeigen, dass wir nichts davon halten, an die Probleme mit Standardformeln heranzugehen, wie sie in den üblichen Darstellungen zur "Substanztheorie", "Sachwerttheorie", "Vereinigungstheorie" auftauchen. Die Aspekte der Substanz- oder Sachwertzueignung fügen sich – wie gezeigt – ganz von selbst ein in eine Auslegung, deren Ausgangspunkt das Gesetz (§ 903 S. 1 BGB) ist. Außerdem ist es sehr irreführend, wenn man in einer Falllösung so tut, als stünden sich im Verständnis des Zueignungsbegriffs verschiedene Theorien gegenüber, zwischen denen es zu wählen gelte. Fall 18 e hat bis zum Inkrafttreten des 6. Strafrechtsreformgesetzes am 1. April 1998 Schwierigkeiten bereitet. Denn bis dahin war ein Dieb nur derjenige, der die Absicht hatte, die weggenommene Sache sich rechtswidrig zuzueignen. Deshalb kommt es nach altem Recht darauf an: Klar wäre der Fall, wenn W vor F als Eigentümer aufzutreten gedenkt (Schenkung als Ausfluss der Eigentümermacht). Umgekehrt klar wäre der Fall auch, wenn W entsprechend der Aufforderung der F gehandelt hätte, denn dann will er nicht nach Belieben mit der Sache verfahren können, sondern strebt nur eine einzige, von F festgelegte Verwertungsart an; er zieht gleichsam die Sache nicht durch sein Eigentum hindurch, sondern an diesem vorbei. Schwierig ist die Entscheidung, wenn W von sich aus handelt und der F die Wahrheit sagt. Wir neigen dazu, in dieser Konstellation die Sichzueignungsabsicht zu bejahen. Auch in anderen Fällen der Verwertung lässt man es ja keine Rolle spielen, dass der Täter sich dazu bekennt, wie er an die Sache gekommen ist, z.B. wenn er sie offen als Diebesgut einem Hehler anbietet.
Seit Inkrafttreten des 6. Strafrechtsreformgesetzes muss der Dieb nicht die Absicht haben, die Sache sich zu zueignen. Vielmehr genügt nun auch die Absicht, die Sache einem Dritten zuzueignen. Deshalb ist W im Fall 18 e nach neuem Recht klar ein Dieb.
4. Sonderproblem: Diebstahl in mittelbarer Täterschaft (§ 25 I Alt. 2) bei dolos-absichtslosem Werkzeug Es lassen sich aber auch Beispiele finden, in denen die Zueignungsabsicht fehlt, so etwa Fall 20: Frau F will ihren 40. Geburtstag mit Champagner feiern. Sie weiß, dass ihr Nachbar N einen großen Vorrat in seinem Keller gelagert hat und dass Familie N über das Wochenende verreist ist. Sie beauftragt ihre 19-jährige Tochter T, das Kellerfenster einzuschlagen, sich durch die Öffnung zu zwängen, im Keller nach dem Champagner zu suchen und ihr davon zehn Flaschen bringen. T macht das, aber nur, damit N, den sie nicht leiden kann, sich über den Verlust des Champagners ärgert. Dass ihre Mutter die Flaschen bekommt, ist der T klar, aber egal. a) Strafbarkeit der T: Sie hat eine Sachbeschädigung und einen Hausfriedensbruch begangen, aber keinen Diebstahl. Denn dazu müsste sie in der Absicht gehandelt haben, sich oder einem Dritten die Sachen rechtswidrig zuzueignen. T erkannte und wollte zwar die dauerhafte Enteignung des N. Eine Aneignung erstrebte sie jedoch weder für sich noch für ihre Mutter F. Hinsichtlich der eigentümergleichen Stellung der F hatte T laut Sachverhalt nur sicheres Wissen (sog. dolus directus 2. Grades), aber eben keine Absicht (sog. dolus directus 1. Grades). Sie hat aber vielleicht eine Beihilfe zu einem Diebstahl der F begangen. Zunächst ist diese Haupttat zu prüfen.
b) Strafbarkeit der F: Sie hat T zur Sachbeschädigung und zum Hausfriedensbruch angestiftet. Hat F auch einen Diebstahl in mittelbarer Täterschaft (§§ 242, 25 I Alt. 2) begangen? aa) Die Flaschen waren auch für F fremde Sachen. Durch ihren Auftrag an T hat sie den Wegnahmeerfolg zurechenbar verursacht. F müßte die Wegnahme zunächst objektiv "durch einen anderen" begangen haben (§ 25 I Alt. 2). Die subjektive Theorie (dazu näher unten b cc) bejaht das ohne Weiteres, denn sie lässt dafür jeden Kausalbeitrag genügen. Das Lager der Tatherrschaftslehre ist gespalten. Die einen verlangen eine Überlegenheit des Hintermannes, die sich nicht schon aus der Nichtstrafbarkeit des Vordermannes ergibt (zB SKStGB-Samson, § 25 Rn 106, 107, 109). Danach wäre die mittelbare Täterschaft der F zu verneinen: T handelte frei und verantwortlich; ihr fehlte nur die Zueignungsabsicht. Die anderen fassen die Tatherrschaft – jedenfalls in Fällen wie diesem (Stichwort: "dolos-absichtsloses Werkzeug") – normativ in dem Sinne auf, dass der Strafbarkeitsmangel beim Vordermann genügt (zB Jescheck/Weigend, AT5, S. 669 f.). Die zweite Ansicht ist u. E. vorzugswürdig. Der Grund findet sich letztlich in § 26. Diese Vorschrift zeigt, indem sie dem Anstifter dieselbe Strafe wie dem Täter androht, dass das Bestimmen eines anderen zur verantwortlichen Deliktsbegehung der eigenen Deliktsbegehung materiell gleichwertig ist. Die Abgrenzung von Täterschaft und Anstiftung ist also nur formal-typisierend. Wenn T Zueignungsabsicht gehabt und damit eine dem § 26 genügende Haupttat begangen hätte, wäre F als Anstifterin "gleich einem Täter" zu bestrafen. Wenn dagegen – wie hier mangels Zueignungsabsicht – das die Anstiftung nur formal typisierende Merkmal der Haupttat nicht erfüllt ist, ändert das nichts am Gewicht von Fs Tatbeitrag. Weil nun aber § 26 nicht greift, spricht alles dafür, die Wegnahmeverursachung in Zueignungsabsicht als täterschaftlichen Diebstahl zu erfassen. (Hilfreich zur Lösung vieler Problemfälle ist u. E. die Einsicht, dass die Tatherrschaft des Hintermannes nicht positiv aus irgendeiner Überlegenheit in seiner Person, sondern negativ aus einem strafrechtlichen Defizit in der Person des Vordermannes erwächst. Nehmen Sie etwa den Fall, dass A den B dazu bestimmt, den C zu verprügeln, und sowohl A wie B als 13-jährige Kinder oder wegen Schwachsinns schuldunfähig sind. A ist dem B dann nicht überlegen, hat aber dennoch die sog. Tatherrschaft und ist ein – nach § 19 bzw. § 20 strafloser – mittelbarer Täter.)
bb) (1) F handelte vorsätzlich, auch im Hinblick auf das Begehen "durch einen anderen" (Tatherrschaft). Denn man muss den Sachverhalt lebensnah so deuten, dass F zumindest für möglich hielt, dass T keine Zueignungsabsicht hatte. (Man kann in einem Prüfungsgutachten den Tatherrschaftsvorsatz auch begründen, indem man sich auf die Regel beruft: Wo der Sachverhalt nichts Gegenteiliges sagt, ist davon auszugehen, dass die Vorstellung eines Beteiligten mit den objektiven Gegebenheiten übereinstimmt.)
(2) F hatte auch die Absicht, den Champagner sich (oder jedenfalls ihren Gästen) rechtswidrig zuzueignen. (3) Nach der subjektiven Theorie müsste F noch zusätzlich Täterwillen gehabt haben. Ob ein Beteiligter diesen animus auctoris habe, sei "nach den gesamten Umständen, die von seiner Vorstellung umfasst sind, in wertender Betrachtung zu beurteilen"; "Anhaltspunkte" seien insbesondere zu sehen "im Grad des eigenen Interesses an der Tat" sowie "im Umfang der Tatbeteiligung und in der Tatherrschaft oder wenigstens im Willen zur Tatherrschaft, so dass
Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich auch von seinem Willen abhängen" (BGHSt 36, 367). Ob nach diesen Indizien der Täterwille i. c. bejaht oder verneint werden muss, ist äußerst unsicher. Die Entscheidung kann in Wahrheit aus den Vorgaben dieser Lehre nicht abgeleitet werden (ähnlich SKStGB-Samson1993, § 25 Rn 107). Diese Beliebigkeit ist ein wichtiges Argument gegen die Animuslehre. Vermeiden Sie es, der subjektiven Theorie zuzugestehen, man könne aus ihren "Kriterien" Entscheidungen ableiten! Sie verspielen damit einen schwerwiegenden Einwand gegen sie, nämlich den der Beliebigkeit ihrer Ergebnisse und des Fehlens jeglicher Kraft, die Praxis anzuleiten und damit Rechtssicherheit zu schaffen. Gegen die Lehre vom Täterwillen spricht außerdem der Wortlaut des § 25: Wer etwa vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft eigenhändig einen Menschen erwürgt, hat die Straftat des Totschlags nach § 25 I Alt. 1 selbst begangen, ohne dass noch Spielraum für die Verneinung der Täterschaft wegen fehlenden Täterwillens wäre. – Bezeichnend ist, dass die Täterschaftsverleugnungen in den Gerichtsurteilen immer nur bei Tötungsdelikten auftauchen. Offenbar verneinen die Gerichte dann den Täterwillen allein zu dem Zweck, die Strafe aus § 211 zu vermeiden, und gewichten die Indizien so, wie sie es zu diesem Zweck brauchen. – Die Animustheorie führt für sich ins Feld: "Wenn bei der Verursachung alle Bedingungen gleichwertig sind, so ... kann eine Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme nicht nach dem Gewicht der Tatbeiträge erfolgen ... So bleibt nur eine Abgrenzung im subjektiven Bereich" (Weber, in: Baumann/Weber/ Mitsch, AT10, 29/38). Aber das ist nicht stichhaltig: Die Verfechter dieses Argumentes verleugnen die inzwischen gesicherte Erkenntnis, dass die sogenannte Äquivalenz aller Bedingungen eine verschiedene Gewichtung keineswegs ausschließt; das zeigt die Lehre von der objektiven Zurechnung.
c) Strafbarkeit der T: Falls man – wie hier – die mittelbare Täterschaft der F bejaht, muss man daran denken, dass für das Werkzeug (hier die T) eine Strafbarkeit wegen Beihilfe zum in mittelbarer Täterschaft begangenen Diebstahl durch Hinausschaffen der Flaschen vorliegt (§§ 242 I, 25 I Alt. 2, 27): Der Diebstahl der F ist eine vorsätzlich begangene rechtswidrige Tat. Dazu hat T vorsätzlich durch die Wegnahme Hilfe geleistet. Weil T im Gegensatz zu F die Komponente der Aneignungsabsicht nicht aufwies und damit bei ihr das Merkmal der Zueignungsabsicht fehlt, könnte man die Frage aufwerfen, ob für T durch § 28 I eine zweite Strafmilderung (neben der aus § 27 II 2) vorgeschrieben wird. Ob die Erörterung dieser Frage vom Prüfer erwartet oder als überflüssig missbilligt wird, ist schwer abzuschätzen. Rspr und hA sehen in der Zueignungsabsicht kein besonderes persönliches Merkmal (bpM). M. E. ist die Aneignungsabsicht ein bpM, denn sie ist unrechts- und schuldrelevant, wie § 248c I, III deutlich macht. Da sie bei T fehlt, kommt eine Strafmilderung nach § 28 I an sich in Betracht. Aber unabhängig von der Eigenschaft der Aneignungsabsicht, ein bpM zu sein, muss die Anwendung des § 28 I u. E. auch deshalb verneint werden, weil sonst derselbe Sachgrund zweimal strafmildernd verwertet würde (vgl. §§ 46 III, 50): Schon die erste Strafmilderung bei T nach § 27 II 2 beruht ja auf nichts anderem als dem Fehlen der Aneignungsabsicht. Wir neigen eher dahin, von der Erörterung des § 28 I in Fällen wie diesem abzuraten. Zumindest gilt das für Klausuren, weil man mit § 28 I Probleme aufwirft, die man im Rahmen einer Klausur kaum bewältigen kann.
5. Die Rechtswidrigkeit der beabsichtigten Zueignung Fall 21: K hat von V dessen Hund gekauft und schon bezahlt. V kann sich von dem Tier aber nicht trennen und hat es trotz Mahnung noch nicht übergeben. K ist darüber so verärgert, dass er sich eines Nachts auf Vs Hof schleicht und den Hund mitnimmt.
Wie ist die Zivilrechtslage vor und wie ist sie nach Mitnahme des Hundes? Ist das Handeln des K rechtmäßig oder rechtswidrig? Lesen Sie §§ 433 I 1, 858, 861 I, 863, 864 II BGB. Erfüllt es den Tatbestand des Diebstahls? Nein, weil K einen fälligen, einredefreien Anspruch auf Übereignung des Hundes hat und seine beabsichtigte Zueignung deshalb nicht rechtswidrig ist. Fall 22: Nachdem K endlich das Eigentum erworben hat, quält er den Hund, indem er ihn an eine ganz kurze Kette legt. V protestiert mehrfach, aber ohne Erfolg. In Ks Abwesenheit befreit er das Tier und nimmt es in der Absicht mit nach Hause, es für immer zu behalten. Der Tatbestand des § 242 ist erfüllt, weil V auf die (Rück-)Übereignung des Tieres keinen fälligen, einredefreien Anspruch hat. Es ist aber vertretbar und u. E. richtig, die Rechtswidrigkeit der Tat, d.h. die der Wegnahme (!), nach § 34 zu verneinen. Auf einem anderen Blatt steht die Frage, ob das spätere Fürsichbehalten als Unterschlagung strafbares Unrecht ist. Fall 21 und Fall 22 zeigen also, dass eine Wegnahme in Zueignungsabsicht einerseits tatbestandslos, aber rechtswidrig, andererseits auch tatbestandserfüllend, aber rechtmäßig sein kann. Fall 23: Frau F hat sich in ein Aquarell verliebt, das sie bei der Galeristin G gesehen hat. Ihr Mann M erklärt es für unerschwinglich, als F den Preis nennt. Heimlich beauftragt er jedoch G, das Bild zu rahmen. Er bezahlt es und vereinbart mit G, dass sie es an F übereignen solle, wenn diese an ihrem Geburtstag in der Galerie erscheine. M malt einen schönen Gutschein, vergisst aber, ihn F zu schenken. Von ihrem Anspruch nichts ahnend, geht F an ihrem Geburtstag noch einmal in die Galerie und sieht dort das gerahmte Aquarell auf dem Tisch liegen. Zufällig ist niemand da. F nutzt die günstige Gelegenheit, steckt das Bild in die Tasche und verschwindet unbemerkt. Vollendeter oder versuchter Diebstahl? Für Vollendung spricht der Gesetzestext. Denn die fragliche Rechtswidrigkeit ist Bestandteil eines Absichtsmerkmals, welches der Täter auch dann erfüllen kann, wenn er objektiv den Übereignungsanspruch hat. Ohne sich mit diesem Wortlautargument auseinanderzusetzen, nehmen aber so gut wie alle Versuch an und stufen damit die Rechtswidrigkeit der beabsichtigten Zueignung als objektives Tatbestandsmerkmal ein. Die Darstellung ist verwirrend, weil eben diese Einordnung immer im Rahmen der Ausführungen zum subjektiven Tatbestand geschieht. Die Verwirrung zeigt sich auch in studentischen Arbeiten. Der Verfasser kehrt innerhalb des subjektiven Tatbestandes in den objektiven zurück, ohne es selbst klar zu erkennen. – In der Sache halten wir die objektivierende Lesart für vorzugswürdig. Hätte F Bescheid gewusst, wäre ihre Tat zwar verbotene Eigenmacht, aber kein deliktisches Unrecht gewesen (vgl. Fall 21). Solches schafft hier allein ihre (Fehl-)Vorstellung. Dann liegt es aber nach allgemeinen Regeln entschieden näher, das deliktische Unrecht als bloßes Versuchsunrecht einzustufen. Das gleiche Problem, aber diesmal ohne praktische Relevanz, begegnet uns im Fall 24: V hat seine Tochter T testamentarisch als Alleinerbin eingesetzt und seinen Sohn, den Notar N, mit seiner wertvollen Briefmarkensammlung als Vermächtnis bedacht. Später widerruft er das Vermächtnis, verheimlicht dies aber vor N. Nach Vs Tod bezieht T das geerbte Haus. N, mit T zerstritten, hat noch einen Schlüssel und holt in Ts Abwesenheit die Briefmarkensammlung heraus.
Wenn man sich, wie ganz herrschend und auch hier vorgezogen, für die objektive Lesart entscheidet, ist die von N beabsichtigte Zueignung zwar objektiv rechtswidrig, aber N weiß das nicht; er befindet sich also in einem vorsatzausschließenden Tatumstandsirrtum (§ 16 I 1). Um sich das auch formal deutlicher zu machen, empfiehlt es sich, § 242 I im Geiste wie folgt umzuformulieren: "Wer eine fremde bewegliche Sache, auf deren Übereignung er keinen fälligen und einredefreien Anspruch hat, in der Absicht wegnimmt, dieselbe sich zuzueignen, ..." – Unter Umständen, vor allem in Hausarbeiten, kann man sogar den Leser an dem präzisierenden Gedankengang teilhaben lassen. Man kann schon bei Prüfung des objektiven Tatbestandes schreiben: "Voraussetzung ist ferner, dass N keinen fälligen und einredefreien Übereignungsanspruch hat. Diese Voraussetzung wird allgemein dem Wort ‘rechtswidrig’ in § 242 I entnommen und als Untermerkmal der Zueignungsabsicht betrachtet. Es scheint darum zum subjektiven Tatbestand zu gehören. Doch ist man sich in der Sache einig, dass es ein objektives Merkmal ist. Man liest also § 242 I, als laute er: ..."
6. Strafschärfung gemäß § 243, v. a. Regelbeispiele § 243 ist kein Tatbestand, also keine Qualifikation zu § 242, sondern eine Strafzumessungsvorschrift, eine Strafschärfung für besonders schwere Fälle (vgl § 12 III). Die Grundregel steht in Abs. 1 S. 1: In "besonders schweren Fällen" wird der Diebstahl schwerer bestraft. Die Regelbeispiele in Abs. 1 S. 2 ("benannte" besonders schwere Fälle) sind in keiner Richtung bindend: Erstens kann ein Richter trotz Vorliegen eines Regelbeispiels einen besonders schweren Fall verneinen, nämlich wenn der Sachverhalt besondere entlastende Umstände enthält. Zweitens kann ein Richter auch ohne Vorliegen eines Regelbeispiels einen besonders schweren Fall bejahen ("unbenannter" besonders schwerer Fall), nämlich wenn der Sachverhalt besondere Umstände enthält, die vergleichbar schlimm wie die in den Regelbeispielen genannten Strafschärfungsgründe sind (sog. Analogiewirkung der Regelbeispiele; BGHSt 23, 254, 257; 29, 319, 322; S/S-Eser25 § 243 Rn 42a; Tröndle/Fischer49 § 243 Rn 5). In der ersten Staatsprüfung sind grundsätzlich nur benannte Strafzumessungsvorschriften zu prüfen, also hier nur die Regelbeispiele in Abs. 1 S. 2. iVm Abs. 2. a) Regelbeispiel Nr. 1: Einbruchs- und Einsteigediebstahl ●
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Gebäude: Ein durch Wände und Dach begrenztes, mit dem Erdboden fest – wenn auch nur durch die eigene Schwere – verbundenes Bauwerk, das den Eintritt von Menschen gestattet und Unbefugte abhalten soll sowie geeignet und bestimmt ist, dem Schutz von Menschen und Sachen zu dienen, (BGHSt 1, 158, 163; S/S-Eser25, § 243 Rn 7; SKStGB-Hoyer1999, § 243 Rn 15). – Achtung: Für Wohnungen existiert ein Sonder-Tatbestand in § 244 I Nr. 3! Dienst- oder Geschäftsraum: Räumlichkeit, die hauptsächlich für eine gewisse Zeit oder dauernd zum Betriebe von Geschäften irgendwelcher, nicht notwendig erwerbswirtschaftlicher Art bestimmt ist (Lackner/Kühl23 § 243 Rn 9 iVm § 123 Rn 3). Umschlossener Raum: Jedes durch (zumindest teilweise künstliche) Hindernisse gegen das Eindringen von Unbefugten geschütztes Raumgebilde, das von Menschen betreten werden kann, gleichgültig, ob es mit dem Boden verbunden ist (BGHSt 1, 158, 164; S/S-Eser25, § 243 Rn 8). – "Umschlossen" ist nicht "verschlossen"! Einbrechen: Das Öffnen von Umschließungen, die dem Eintritt in den geschützten Raum entgegenstehen, und zwar mit Gewalt, d. h. unter Anwendung nicht unerheblicher Anstrengungen; eine Substanzverletzung ist nicht nötig (s. S/S-Eser25 § 243 Rn 11). Der Täter
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muss den Raum nicht betreten und nicht einmal in ihn hineinlangen; es genügt zB, wenn er die Beute mit Werkzeugen (etwa Greifzangen) herausholt (BGH, NStZ 1985, 217 f.; Tröndle/Fischer49, § 243 Rn 7). Einsteigen: Das Hineingelangen in den geschützten Raum auf einem dafür regelmäßig nicht bestimmten Wege, und zwar in Überwindung der den Zugang erschwerenden Hindernisse durch Entfaltung einer gewissen Geschicklichkeit oder Kraft (zB S/S-Eser25 § 243 Rn 12). Bloßes Hineinlangen genügt nicht (BGHSt 10, 132 f.); der Täter muss sich im geschützten Raum einen Stützpunkt verschafft haben (OLG Hamm, NJW 1960, 1359; SKStGB-Hoyer1999, § 243 Rn 189). Eindringen: Mit einem falschen Schlüssel: "Schlüssel" können auch Code-Schlüssel sein, die man in ein Lesegerät führt. "Falsch" ist ein Schlüssel, wenn er zur Tatzeit vom Berechtigten nicht bestimmt ist zur Öffnung des Schlosses. Verlorene oder gestohlene Schlüssel verlieren ihre Bestimmung erst, wenn der Besitzer den Verlust bemerkt und den Schlüssel deshalb entwidmet (BGHSt 21, 189 ff.). Es genügt nicht, dass der Täter einen echten Schlüssel ohne Befugnis benutzt. "Mit": Der Täter muss den umschlossenen Raum unmittelbar mit dem falschen Schlüssel öffnen. Es genügt nicht, wenn er sich mit dem falschen Schlüssel Zugang zum Raum mit dem echten Schlüssel verschafft und dann mit diesem zur Diebesbeute gelangt (S/S-Eser25, § 243 Rn 16). Mit einem anderen nicht zur ordnungsmäßigen Öffnung bestimmten Werkzeug: Zum Beispiel ein Dietrich. Sich in dem Raum verborgen halten: Einerlei ist, ob der Täter beim vorherigen Betreten des Raumes rechtmäßig oder rechtswidrig gehandelt hat. Zur Ausführung der Tat: Der Täter muss bei Vornahme des im Regelbeispiel genannten Handlungsmerkmals Diebstahlsvorsatz haben. Ist also ein subjektives Merkmal. Es kann an sich vor oder nach den objektiven Merkmalen geprüft werden, weil man beim Prüfungspunkt "Strafzumessung" nicht streng wie im Tatbestand Objektives und Subjektives trennt. Dennoch ist eine Angleichung ratsam. Prüfen Sie also dieses Merkmal nach den objektiven. b) Regelbeispiel Nr. 2: besondere Wegnahmesicherung
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Verschlossenes Behältnis: Behältnis = umschlossener Raum, der zur Verwahrung und Sicherung von Sachen dient, jedoch nicht dazu bestimmt ist, von Menschen betreten zu werden (S/S-Eser25 § 243 Rn 22). Bsp: Tresor, Schublade. Andere Schutzvorrichtung: Etwa Fahrradketten. Gegen Wegnahme besonders gesichert: Fall 25: Der Filialleiter F eines Supermarktes trägt in einer Plastiktüte zwei Geldbomben mit den Tageseinnahmen zur Bank. Von hinten nähert sich D, entreißt F die Tüte und läuft weg.
1. A., zB S/S-Eser25 § 243 Rn 25; SKStGB-Hoyer1999 § 243 Rn 31: Das verschlossene Behältnis erschwert nur die Verwertung der Sache, nicht ihre Wegnahme; keine gesteigerte kriminelle Energie.
2. A., zB BGHSt 24, 248 f.; Tröndle/Fischer49 243/25; LK-Ruß11 243/19: Das Fehlen einer den Gewahrsam schützenden Funktion sei von untergeordneter Bedeutung; die Gesetzgebungsmaterialien nennen den Fall, "dass der Dieb die verschlossene Kassette aus einem Haus stiehlt und erst an einen anderen Ort aufbricht". Die zweite Ansicht hat in der Sache Recht, beschreitet aber den falschen Weg. Das Fehlen einer Schutzfunktion kann schon deshalb nicht "von untergeordneter Bedeutung" sein, weil diese Schutzfunktion das einzige ist, was der Wortlaut als Strafschärfungsumstand beschreibt. Weil es dem Gesetzgeber nicht gelungen ist, seine Vorstellungen Normtext werden zu lassen, ist der Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 103 II) für die Auslegung beachtlicher als der Wille des Gesetzgebers. Deshalb muss man das Regelbeispiel verneinen. Man kann aber einen unbenannten besonders schweren Fall gemäß Abs. 1 S. 1 bejahen und so dem Willen des Gesetzgebers gerecht werden. Es gibt ja auch in der Tat keinen hinreichend deutlichen Unterschied in der kriminellen Energie zwischen dem Täter, der etwa eine Kommode vor Ort aufbricht und leert und einem, der die Kommode mitnimmt und dann erst leert. c) Regelbeispiel Nr. 3: Gewerbsmäßigkeit "Gewerbsmäßigkeit liegt vor, wenn der Täter in der Absicht handelt, sich durch wiederholte Tatbegehung eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen ... Liegt ein solches Gewinnstreben vor, ist schon die erste der ins Auge gefassten Tathandlungen als gewerbsmäßig anzusehen" (BGH, NStZ 1995, 85 zu § 260; S/S-Stree25 vor § 52 Rn 95). Dass schon die erste Handlung genügen soll, hält SKStGB-Samson1986, § 260 Rn 3, für "mit dem Wortlaut nicht vereinbar" und verlangt deshalb "die mehrfache Begehung von Handlungen"; ebenso Tröndle/Fischer49, § 243 Rn 26. Das Wortlautbedenken teilt die ghL zu Recht nicht: Auch von demjenigen, der ein ehrliches Gewerbe betreibt, sagt man schon an dessen ersten Arbeitstag, dass er "gewerbsmäßig" tätig wird.
Merke: "Gewerbsmäßig" ist nach dem soeben Gesagten ein Absichtsmerkmal und gehört deshalb in der Deliktsprüfung in den subjektiven Tatbestand hinter den Vorsatz. d) Regelbeispiel Nr. 4: "Kirchendiebstahl" Beispiele für Sachen, die dem Gottesdienst gewidmet sind oder der religiösen Verehrung dienen: Kelche, Bibel, Gebetsbücher, Weihwasserbecken; Altarbilder. Nicht das normale Inventar, wie zB die Sitzbänke, und bloße Hilfsmittel (zB Gesangsbücher). e) Regelbeispiel Nr. 5: "gemeinschädlicher Diebstahl" Die Sammlungen können auch im Privateigentum stehen. Mit "Privatsammlungen" bezeichnet man allerdings Sammlungen, die nicht allgemein zugänglich sind. f) Regelbeispiel Nr. 6: "Schmarotzerdiebstahl"
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Hilflos ist, wer sich nicht gegen die seinem Eigentum konkret drohende Gefahr helfen kann. Unglücksfall (wie in § 323c): Plötzlich eintretendes Ereignis, das erhebliche Gefahr für Menschen oder Sachen hervorruft (zB Tröndle/Fischer49, § 243 Rn 35 iVm § 323c Rn 2a). "Gemeine" Gefahr (wie in § 323c): Gefahr für unbestimmt viele Personen (Tröndle/Fischer49, § 243 Rn 36).
g) Regelbeispiel Nr. 7: Diebstahl von Waffen oder Sprengstoff ● ●
Sprengstoff enthaltende Kriegswaffen: Zum Beispiel Handgranaten, Panzerfäuste und Minen. Beachte: Die Geringwertigkeitsklausel des Abs. 2 gilt für dieses Regelbeispiel nicht.
h) § 243 Abs. 2: Geringwertigkeitsklausel ●
"Geringwertigkeit": Meist werden als Wertgrenze 50 DM genannt; OLG Düsseldorf, NJW 1987, 1958; S/S-Eser25 § 243 Rn 51 iVm § 248a Rn 10.
Gelegentlich findet man höhere Werte, so zB bei Joecks, Studienkommentar StGB, § 243 Rn 39 iVm § 248a Rn 6: "Vor dem Hintergrund steigender Einkommen und Lebenshaltungskosten scheint es heute gerechtfertigt, einen Betrag von DM 100 zugrunde zu legen."
Bei mehreren Beutestücken ist der Gesamtwert maßgeblich. ●
"Beziehen": Nach h. L. ist dafür erforderlich, dass die Sache objektiv geringwertig ist und der Täter das auch erkennt; S/S-Eser25, § 243 Rn 52.
Vereinzelt wird vertreten, es komme nur auf die objektive (Braunsteffen, NJW 1975, 1570 f.) oder nur auf die subjektive (Gribbohm, NJW 1975, 1153 f.) Geringwertigkeit an. Die h. L. führt zur Begründung an, § 243 bewege sich auf der Strafzumessungsebene, für die nicht nur Gesichtspunkte des Erfolgsunwertes, sondern auch solche des Handlungsunwertes maßgeblich sind (so Eser ebd.). Aber das ist gar kein Argument. Denn Erfolgs- und Handlungsunwert sind fraglos auch schon für Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld maßgeblich. Und dort zeigt sich deutlich, dass schon das Fehlen nur eines der Unwerte zur Verneinung der Strafbarkeit aus dem vollendeten Vorsatzdelikt führt. Warum das bei den Regelbeispielen anders sein sollte, wird nirgends begründet. Im Gegenteil findet man betont, die Regelbeispiele seien "tatbestandsähnlich" (BGHSt 33, 370, 374; ähnlich BGHSt 26, 167, 173; S/S-Eser25, § 243 Rn 2), woraus von der hL sogar gefolgert wird, dass die in den Regelbeispielen genannten objektiven Umstände "analog § 16" vom Vorsatz getragen sein müssen (BGHSt 26, 244 ff.; S/S-Cramer25, § 15 Rn 27; S/S-Eser25, § 243 Rn 43; Wessels/Hillenkamp, BT/222, Rn 210). Dann aber ist es nur konsequent, ein Regelbeispiel schon dann zu verneinen, wenn entweder der Handlungs- oder der Erfolgsunwert fehlt, also schon dann, wenn die Sache entweder objektiv oder nach der Tätervorstellung geringwertig ist – es fehlt dann eben ein Stück des erforderlichen Unrechts. Dafür spricht auch folgende Überlegung: Die Geringwertigkeitsklausel "hinter die Klammer" in einen Absatz 2 zu schreiben ersparte dem Gesetzgeber in jedes Regelbeispiel zu schreiben: "Wer eine nicht geringwertige Sache stiehlt und dabei ..." Bei dieser Fassung zeigt sich deutlicher, dass zur Bejahung des Regelbeispiels die Nichtgeringwertigkeit objektiv vorliegen und außerdem (analog § 16) vom Tätervorsatz umfasst sein muss. Aus dem Gesagten folgt: Wer eine nicht geringwertige Sache etwa im Wege eines Einbruchsdiebstahls entwendet, sie aber für geringwertig hält, hat das Regelbeispiel nur "fahrlässig" verwirklicht, und das genügt nicht; er ist also nur aus §
242 zu bestrafen. Umgekehrt: Wer eine geringwertige Sache etwa im Wege eines Einbruchsdiebstahls entwendet, sie aber für nicht geringwertig hält, hat das Regelbeispiel nur "versucht" (so lagen die Sachverhalte in BGHSt 26, 104 ff.; NStZ 1987, 71). Dann müssen konsequenterweise die Grundsätze über den Versuch bei Regelbeispielen gelten; siehe dazu sogleich unter i dd.
i) Versuch bei Regelbeispielen Im Zusammenspiel von Diebstahl und Regelbeispiel gibt es vier mögliche Kombinationen. Sie werden hier dargestellt am Beispiel von BGHSt 33, 370 ff. (entspricht Fall 28). aa) Diebstahl vollendet, Regelbeispiel vollendet Fall 26: A stemmte an einem aus mehreren kleineren Butzenfenstern bestehenden Seitenfenster einer Gaststätte die Bleieinfassung auf, nahm mehrere Butzenscheiben aus ihrer Umfassung, gelangte durch die so geschaffene Öffnung in die Gaststätte und nahm Gegenstände im Wert von etwa 200 DM mit. Unproblematisch. Diebstahl in einem besonders schweren Fall wegen Verwirklichung des Regelbeispiels "Einsteigediebstahl", also Strafbarkeit gemäß §§ 242, 243 I 2 Nr. 1. bb) Diebstahl versucht, Regelbeispiel vollendet Fall 27: Kurz bevor A die Gaststätte mit seiner Beute verlassen wollte, erschien die Polizei und unterband die Fortführung der Tat. Unproblematisch und ghL (BGH, NStZ 1985, 217, 218 l. Sp. o.; S/S-Eser25, § 243 Rn 44; Wessels/Hillenkamp, BT/222, Rn 204): A hat einen Diebstahl versucht. Weil er dabei das Regelbeispiel vorsätzlich verwirklicht hat, wird er bestraft wegen versuchten Diebstahls in einem besonders schweren Fall, §§ 242, 22, 243. Begründung: In § 23 II liegt der unausgesprochene Satz: "Die Strafe für den Versuch richtet sich nach der Strafdrohung für die vollendete Tat." (BGHSt 33, 370, 374). Hätte A seinen Diebstahl vollendet, wäre er nach § 243 bestraft worden. Also gilt diese Strafe auch für seinen bloßen Versuch. cc) Diebstahl versucht, Regelbeispiel "versucht" Fall 28: A hatte die Bleiumbördelung erst von einer noch im Fenster sitzenden Scheibe gelöst, als die Polizei erschien und dadurch die Fortführung der Tat unterband. A hat nach hL zum Diebstahl bereits unmittelbar angesetzt, als er zur Verwirklichung des Regelbeispiels "ansetzte"; zB BGHSt 33, 370 ff. (stillschweigend); S/S-Eser25 § 22 Rn 44, § 242 Rn 68; Tröndle/Fischer49 § 22 Rn 12. Das halte ich für zu pauschal. Vollkommen richtig sind die Ausführungen von Mitsch in Baumann/Weber/Mitsch10 26/52: "Keine Tatbestandsmerkmale sind die Regelbeispiele des § 243 I. Daher ist zB das den § 243 I 2 Nr. 1 erfüllende Aufbrechen einer Wohnungstür" (jetzt: Gebäudetür)
"noch keine Handlung, die ein Merkmal des objektiven Diebstahlstatbestandes verwirklicht und schon aus diesem Grund als versuchter Diebstahl qualifiziert werden könnte. Diebstahlsversuch ist diese Handlung nur, wenn ihr die tatbestandsmäßige Wegnahme unmittelbar nachfolgen soll. Das unmittelbare Ansetzen zur Verwirklichung eines Regelbeispiels ist als solches kein Diebstahlsversuch. Fällt es aber mit dem unmittelbaren Ansetzen zur Wegnahme zusammen, erfüllt es den objektiven Tatbestand des versuchten Diebstahls." Daran gemessen muss man sagen, dass das lösen der ersten Bleiumbördelung dem Wegnehmen noch nicht unmittelbar vorgelagert war. Vielmehr waren noch zahlreiche Zwischenschritte bis zum Einstecken/Abtransportieren nötig: Orientieren, Suchen, Zurechtlegen. Man würde ja auch bei einem Ladendieb nicht schon das Betreten des Geschäftes als unmittelbares Ansetzen bewerten. Nimmt man mit der hL ein unmittelbares Ansetzen an, dann hat A sich wegen Diebstahlsversuches strafbar gemacht. Ist seine Strafe aus § 243 zu schärfen? Zunächst: A hat das Regelbeispiel des § 243 I 2 Nr. 1 (Einsteigediebstahl) nicht verwirklicht, denn dessen Wortlaut setzt Vollendung von Diebstahl und Einsteigen klar voraus. Eine Bestimmung, wonach der "Versuch" eines Regelbeispiels für die Strafschärfung genügt, gibt es nicht; insbesondere gelten §§ 22, 23 nur für Tatbestandsmerkmale und nicht für Regelbeispiele (so auch BGHSt 33, 370, 373 f.). Deshalb lehnt die hL eine Strafschärfung aus dem Regelbeispiel zu Recht ab; zB BayObLG, NJW 1980, 2207; S/S-Eser25, § 243 Rn 44; Wessels/Hillenkamp, BT/222, Rn 202. Dennoch will BGHSt 33, 370 (376) bestrafen wegen versuchten Diebstahls in einem versuchtem besonders schweren Fall (§§ 242, 243, 22), und zwar mit der Begründung: "Dass § 243 StGB keine besondere Bestimmung über den Versuch enthält, ist unerheblich, weil dessen Strafbarkeit in § 242 Abs. 2 StGB vorgesehen ist." Aber das stimmt nicht. §§ 22, 23, 242 II gelten nun einmal nur für die Tatbestandsmerkmale des § 242, was der BGH – wie gesagt – selber aaO auf S. 373 f. anerkennt. Darüber hilft die "Tatbestandsähnlichkeit" der Regelbeispiele nicht hinweg: Nähe ist eben nicht Gleichheit. Außerdem weist der BGH darauf hin, dass das Regelbeispiel früher eine Qualifikation gewesen sei, so dass die Annahme eines strafbaren Versuches unproblematisch war; mit der Umwandlung in ein bloßes Regelbeispiel habe der Gesetzgeber nur die Rechtsanwendung flexibler machen, nicht aber das Strafrecht täterfreundlicher machen wollen. Das ist ein guter Auslegungsgesichtspunkt. Dieses Ziel kann aber auf einem anderen Wege dogmatisch viel befriedigender erreicht werden, nämlich über die Bejahung eines unbenannten besonders schweren Falles nach Satz 1 des § 243 I (so denn auch die hL; zB BayObLG, NJW 1980, 2207; S/S-Eser25 § 243 Rn 44; dagegen wohl Wessels/Hillenkamp, BT/222, Rn 205 aE, 207 aE). Ein solcher unbenannter besonders schwerer Fall liegt vor, wenn der Unwert einem Regelbeispiel gleichkommt (dazu schon oben unter 6 am Anfang). Das ist beim bloßen Versuch eines Regelbeispiels dann der Fall, wenn dieser Versuch in seinem Unwert der Vollendung des Regelbeispiels so ähnlich ist, dass ein Richter bei diesem Versuch – als strafbar gedacht – nicht von der Strafmilderungsmöglichkeit des § 23 II Gebrauch machen würde (vgl OLG Köln, MDR 1973, 779 l Sp). Das kann man hier bejahen: Dass der Erfolgsunwert ausgeblieben ist, verdankt sich allein dem zufälligen Erscheinen der Polizei (vgl OLG Köln, ebd). Danach ist A zu bestrafen wegen eines versuchten Diebstahls in einem besonders schweren Fall (§§ 242, 22, 243).
dd) Diebstahl vollendet, Regelbeispiel "versucht" Fall 29: A hatte die Bleiumbördelung erst von einer noch im Fenster sitzenden Scheibe gelöst, als er in einer Arbeitspause bemerkte, dass die Tür unverschlossen war. Er ging in die Gaststätte und nahm Beute mit. A hat einen vollendeten Diebstahl begangen. Nach der soeben zu Fall 28 dargestellten hL kann A nicht wegen des Regelbeispiels in § 243 I Nr. 1 (Einsteigediebstahl) bestraft werden, und zwar weder wegen Vollendung noch wegen "Versuches" dieses Regelbeispiels; wohl aber kommt wiederum ein unbenannter besonders schwerer Fall in Betracht, also Strafbarkeit wegen Diebstahls in einem besonders schweren Fall (§§ 242, 243). Die soeben genannte BGH-Sicht hat zur zwingenden Konsequenz, auch dann die Regelwirkung zu bejahen, wenn der Diebstahl vollendet ist. A hätte also im Fall 29 einen vollendeten Diebstahl in einem versuchten besonders schweren Fall begangen. Wie wäre sein Strafmaß zu berechnen? § 23 II käme nicht zur Anwendung, weil der Tatbestand des Diebstahls ja nicht nur versucht, sondern vollendet ist. Eine andere Strafmilderungsvorschrift gibt es nicht. A müsste also im Fall 29 zwingend aus dem ungemilderten Strafrahmen des § 243 bestraft werden (eine bloße Geldstrafe wäre nicht mehr möglich!). Eine Ausnahme gäbe es nur, wenn schon die geplante Verwirklichung des Regelbeispiels einen ausnahmsweise nicht besonders schweren Fall ausmachen würde; die – möglicherweise bedeutend entlastenden! – Besonderheiten, die im Zurückbleiben des Versuchs gegenüber der geplanten Verwirklichung liegen, dürften hingegen nicht berücksichtigt werden! Auch das zeigt, dass die flexible Lösung über Satz 1 des § 243 I (unbenannter besonders schwerer Fall) vorzugswürdig ist.
II. Diebstahl mit Waffen; Bandendiebstahl; Wohnungseinbruchsdiebstahl – § 244 1. Diebstahl mit Waffen, § 244 I Nr. 1 a) Buchst. a: Beisichführen einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs aa) Allgemeines Fall 30: (Nach BayObLG, NJW 1999, 2535 f.) A entwendete im Ladengeschäft der Firma S Waren im Werte von 36,06 DM. Dabei befand sich in seinem verschlossenen Rucksack, den er auf dem Rücken trug, ein feststehendes "Stiefelmesser" mit einer Klingenlänge von 8,5 cm. Hat A über den Diebstahl (§ 242) hinaus auch einen Diebstahl mit Waffen begangen? Allg. wird auf die Definition der Waffe im technischen Sinne zurückgegriffen, also auf § 1 WaffG; BGHSt 43, 269; SKStGB-Hoyer1999 § 244 Rn 10; Lackner/Kühl23 § 244 Rn 3; Tröndle/Fischer49 § 244 Rn 3. Daraus bildet man die Definition: Waffen sind Werkzeuge, die schon ihrer Herstellung nach dazu bestimmt und geeignet sind, erhebliche Verletzungen herbeizuführen. Das Stiefelmesser im Fall 30 erfüllt diese Voraussetzungen.
Keine Waffen sind zB Schweizer Offiziersmesser (zu entnehmen BGHSt 43, 267 f.), Fahrten- und
Taschenmesser, Beile, Sensen (Bsp. bei Tröndle/Fischer49, § 244 Rn 3), weil ihnen die anfängliche Bestimmung fehlt. Waffe ist Unterbegriff zum gefährlichen Werkzeug ("Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug"). Deshalb muss die Waffe ebenfalls gefährlich sein. Unklar ist, wie sich diese Gefährlichkeit bestimmt (s. dazu Tröndle/Fischer49 § 244 Rn 4). Der Gesetzgeber nannte konkret als Beispiele für ein gefährliches Werkzeug: Handgranate, Tapetenmesser, Salzsäure; zur abstrakten Klärung der Gefährlichkeit wollte er auf die zu § 224 I Nr. 2 anerkannte Definition zurückgreifen (Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 13/9064, S. 18). Sie lautet: Gefährlich ist ein Werkzeug, wenn es nach seiner objektiven Beschaffenheit und nach der Art seiner Benutzung im Einzelfall geeignet ist, erhebliche Verletzungen zuzufügen (Tröndle/Fischer49 § 224 Rn 9). So denn auch BGH, JR 1999, 32: Alle Tatmittel, "die nach ihrer objektiven Beschaffenheit und nach der Art ihrer Benutzung im konkreten Einzelfall geeignet sind, erhebliche Verletzungen zuzufügen." Das passt aber gar nicht zu § 244 I Nr. 1, weil es hier nur um das Beisichführen geht, so dass nicht die Verwendung zur Bestimmung der Gefährlichkeit herangezogen werden kann. Der Rückgriff passt nur, wo von der "Verwendung" des gefährlichen Werkzeugs die Rede ist, also in §§ 177 IV Nr. 1, 250 II Nr. 1; Schroth, NJW 1998, 2863.
Teilweise wird deshalb Verwendungsabsicht verlangt (zB SKStGB-Günther1998 § 250 Rn 8, 11). Aber der Vergleich mit § 244 I Nr. 1 Buchst. b zeigt ganz deutlich, dass im Buchst. a keine Absicht verlangt wird (so zu Recht Schroth, NJW 1998, 2864). Manche behaupten, dann läge im Wegnehmen auch schon das unmittelbare Ansetzen zum Versuch eines schweren Raubes nach § 250 II Nr. 1 (so Schlothauer/Sättele, StV 1998, 507). Das überzeugt nicht; für das unmittelbare Ansetzen zum (schweren) Raub muss der Nötigungsakt unmittelbar bevorstehen.
Andere Definitionsbemühungen lautet deshalb: Gefährlich sind Werkzeuge, "denen nach allgemeiner Anschauung eine besondere Gefährlichkeit innewohnt und zu denen erfahrungsgemäß Täter greifen, wenn sie in Bedrängnis geraten" (Schroth, NJW 1998, 2864; Hervorhebung von mir). Oder: Gefährlich ist ein Werkzeug, das typischerweise die Überlegung nahe legt, sich im Bedrängnisfall mit seiner Hilfe gewaltsam durchzusetzen (SKStGB-Hoyer1999 § 244 Rn 12); in dieser Definition fehlt allerdings – wohl aus Versehen – die Eignung, erhebliche Verletzungen herbeizuführen. Ähnlich lauten die Formulierungen der neueren Rechtsprechung. So heißt es beim BayObLG, aaO (2536), § 244 I Nr. 1 Buchst. a erfasse alle Tatmittel, die "nach ihrer objektiven Beschaffenheit und nach der Möglichkeit ihrer Benutzung im konkreten Fall geeignet sind, erhebliche Verletzungen zuzufügen" (Hervorhebung von mir). Es beruft sich dabei auf eine entsprechende Aussage des BGH, NJW 1998, 2915 (2916) zu § 250 II Nr. 1: "Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug" muss "objektiv gefährlich und geeignet sein ..., erhebliche Verletzungen zu verursachen. Die Gefährlichkeit ... kann sich auch aus der konkreten Art ... (der) Verwendung im Einzelfall ergeben".
Abweichende Stimmen in der Literatur: Dencker, JR 1999, 35: "Allein anhand seiner ‘objektiven Beschaffenheit’ zu definieren; diese bereits muss den Gegenstand als ‘gefährlich’ erscheinen lassen ... abstrakt zu bestimmen, in jeder Hinsicht also unabhängig von der konkreten Verwendung, sei eine solche nur geplant oder sei es tatsächlich zu ihr gekommen." – Schlothauer/Sättele, StV 1998, 508: Gefährlich ist ein Werkzeug erst dann, "wenn es für den Täter/Beteiligten in der konkreten Situation keine andere Verwendung haben kann als die, Leibes- oder Lebensgefahr zu begründen."
Stellungnahme: Ziel der Auslegung muss sein, so nahe wie möglich an die Definition zu § 224 heranzukommen, weil der Gesetzgeber das wollte. Und man darf – wegen der systematischen Bezüge – keine Verwendungsabsicht verlangen. Dann muss eben die in § 224 gemeinte Gefährlichkeit nicht im Verwenden, sondern im Beisichführen liegen. Also kann man sagen (abgewandelt nach Tröndle/Fischer49, § 224 Rn 9, zum gefährlichen Werkzeug in § 224): Gefährlich sind Waffe und Werkzeug, wenn sie nach ihrer objektiven Beschaffenheit und nach den Umständen des Beisichführens im Einzelfall geeignet sind, erhebliche Verletzungen zuzufügen. Deshalb kann man die Merkmale "gefährliche(s) Waffe/Werkzeug" und "Beisichführen" nicht mehr voneinander getrennt prüfen. Aber das macht nichts. Bei § 224 I Nr. 2 prüft man "gefährliches Werkzeug" und "mittels" auch nicht getrennt.
Das Merkmal "Beisichführen einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs" ist nur dann gegeben, wenn der Täter sich jederzeit ohne nennenswerten Zeitaufwand der Waffe oder des Werkzeugs bedienen kann; BGHSt 31, 105; Tröndle/Fischer49 § 244 Rn 7; SKStGB-Hoyer1999 § 244 Rn 16 (muss "zur Verfügung stehen"). Deshalb hat das BayObLG, ebd, § 244 verneint: Keine hinreichende Gefährlichkeit mangels Gebrauchsmöglichkeit, denn das Messer war im verschlossenen Rucksack auf dem Rücken. Zu den Gefahrumständen gehört auch, ob und wie der Täter das Werkzeug einzusetzen gedenkt, sei es mit Absicht oder auch nur mit Eventualvorsatz. Eine rein objektive "Einsatzwahrscheinlichkeit" genügt zwar für den objektiven Tb; aber der Tätervorsatz muss sich darauf erstrecken. bb) Sonderproblem: "Berufs-Waffenträger" Fall 31: Der Polizist P geht mit Uniform und geladener Dienstpistole Streife. Als er anlässlich eines Ladendiebstahls in ein Kaufhaus gerufen wird, benutzt er selber die Gelegenheit, unbemerkt drei CDs von Wolfgang Petri einzustecken. Die bisher (unter aa) genannten Voraussetzungen des § 244 I Nr. 1 Buchst. a sind gegeben. Dennoch ist umstritten, ob in solch einem Fall der objektive Tatbestand erfüllt ist (dafür zB BGHSt 30, 44, 45 f.; SKStGB-Hoyer1999, § 244 Rn 23; dagegen zB S/S-Eser25, § 244 Rn 5). In jedem Straftatbestand steckt nämlich die Voraussetzung der objektiven Zurechnung. Man muss im Fall 31 also fragen, ob P unerlaubt riskant gehandelt hat. Daran könnte man zweifeln, weil ein Polizist ja im Dienst eine Dienstwaffe bei sich tragen darf und P auch in der Sekunde des Diebstahls im Dienst verbleibt. Dennoch ist u. E. die unerlaubte Risikoschaffung zu bejahen. Man darf aus der grundsätzlichen Erlaubtheit einer Risikoschaffung nicht ableiten, dass die Risikoschaffung unter allen Umständen erlaubt sei. Der Verkauf von Messern etwa ist grundsätzlich erlaubt, aber z. B. dann unerlaubt, wenn
sich vor dem Geschäft zwei Straßenbanden schlagen und einer der Kämpfer das Messer zu kaufen wünscht. Ebenso ist zwar die Gefahrerhöhung durch Beisichführen einer Schusswaffe gelegentlich erlaubt, nämlich bei einem Polizisten im Dienst, aber unerlaubt bei Begehung eines Diebstahls. Der Gesetzgeber hat nun einmal in § 244 I Nr. 1 Buchst. a , wie sich aus dem Vergleich mit Buchst. b ergibt, bei Waffen (und anderen gefährlichen Werkzeugen) auch das geringe Risiko als unerlaubt abgestempelt, wie es bei dem besteht, der nicht die Absicht hat, die Waffe (bzw das andere gefährliche Werkzeug) zu verwenden. Allerdings gilt auch bei § 244 die allgemeine Regel, dass die objektive Zurechnung – hier des Beisichführens der Waffe – in Fällen extremer Unwahrscheinlichkeit entfällt. Das ist der Grund dafür, dass § 244 I Nr. 1 Buchst. a nicht gegeben ist im Geilenschen Beispiel des Soldaten, der aus einem Panzer heraus Kirschen stiehlt. b) Buchst. b "Die Qualifikationstatbestände des Diebstahls mit Waffen sind in § 244 Abs. 1 Nr. 1 ... den ... tatbestandlichen Erweiterungen des Raubes mit Waffen (vgl. § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchstaben a und b ...) anzupassen" (Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 13/9064 zu Nr. 49). Das bedeutet: "Werkzeug oder Mittel" ist nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers auch die Scheinwaffe; BT-Drs. 13/9064, S. 18. Ausführlicher und mit einem Bsp dazu im Skript "Raub und Erpressung" bei Fall 14. Buchst. b erfasst nach seinem eindeutigen Wortlaut sogar nur ungefährliche Werkzeuge ("sonst ein Werkzeug ...").
2. Bandendiebstahl – § 244 I Nr. 2 a) Eine "Bande" sind nach wohl hL mindestens zwei Personen, die sich mit dem ernsthaften Willen zusammengetan haben, künftig für eine gewisse Dauer selbstständige, noch unbestimmte Straftaten zu begehen (BGH, NStZ 1995, 85; S/S-Eser25, § 244 Rn 23). Andere verlangen mindestens drei Personen (LK-Ruß11, § 244 Rn 11; SKStGB-Hoyer1999, § 244 Rn 30, 31). Der Wortsinn ist für beide Deutungen offen. Die wohl hL führt als Argument an, dass es nicht auf die Vielzahl, sondern auf die gefährliche Willensbildung ankomme. Die Gegenansicht führt an, dass die erhöhte Gefährlichkeit einer Bande "vom ‘Korpsgeist’ einer mehrgliedrigen Gruppe herrührt, deren Existenz nicht vom Ausscheiden eines Mitglieds abhängig ist" (Ruß, ebd; Hoyer, ebd). b) Unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitglieds: Hier genügt nach ghL ein weiteres Mitglied.
3. Wohnungseinbruchsdiebstahl – § 244 I Nr. 3 Genau wie das Regelbeispiel in § 243 I 2 Nr. 1, nur muss der umschlossene Raum eine Wohnung sein. Manche deuten "Wohnung" wie in § 123; so zB SKStGB-Hoyer1999, § 244 Rn 38; Küper, BT3, S. 431. Danach gehören auch Nebenräume dazu wie etwa Keller, Boden, Garage. Andere möchten "Wohnung" in § 244 enger deuten, nämlich als "Räumlichkeiten ..., die als Mittelpunkt des privaten Lebens Selbstentfaltung, -entlastung und vertrauliche Kommunikation gewährleisten" (Wessels/Hillenkamp, BT/222, Rn 267; ähnlich Lackner/Kühl23 § 244 Rn 11; Joecks,
Studienkommentar StGB, § 244 Rn 24). Als Grund nennen sie das hohe Strafmaß, das Fehlen einer Geringwertigkeitsklausel, die Unausweichlichkeit der Rechtsfolge und das Motiv des Gesetzgebers, dass der Wohnungseinbruchsdiebstahl "tief in die Intimsphäre des Opfers eindringt" (BT-Drs. 13/8587, S. 43). Diese Überlegung ist materiell überzeugend. Ihr entgegen steht allerdings der Befund, dass der Gesetzgeber "die bisher in § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 enthaltene Regelung zum Einbruchsdiebstahl in Wohnungen ... in § 244 Abs. 1 eingestellt" hat (BT-Drs., ebd), also am Inhalt der Vorschrift nichts ändern wollte, auch nicht am Merkmal "Wohnung". Ich möchte der materiellen Überlegung mehr Gewicht geben als der historischen.
III. Schwerer Bandendiebstahl – § 244a Ist ein Verbrechen! Der Tatbestand kombiniert Voraussetzungen der §§ 243, 244; siehe dort.
IV. Unterschlagung – § 246 Zu alten Fassung des § 246 war manches umstritten. Die neue Fassung hat einige Probleme beseitigt, aber auch neue aufgeworfen, um deren Lösung man nun ringt. Alte Fassung und Wille des Reformgesetzgebers sind Auslegungshilfen. § 246 lautete bis zum 31.3.1998: "(1) Wer eine fremde bewegliche Sache, die er in Besitz oder Gewahrsam hat, sich rechtswidrig zueignet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe und, wenn die Sache ihm anvertraut ist, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar." Die amtliche Begründung für die Änderung lautet auszugsweise (BT-Drs. 13/7164, S. 43 f.): "Der geltende § 246 sieht als Unterschlagung nur den Fall an, dass der Täter eine fremde bewegliche Sache, die er in Besitz oder Gewahrsam hat, sich selbst rechtswidrig zueignet. Durch diese Einschränkungen entstehen Strafbarkeitslücken, die durch eine ausdehnende Auslegung der Vorschrift nicht oder nur mit erheblichen Schwierigkeiten überbrückt werden können (vgl. zur sog. kleinen und großen berichtigenden Auslegung Ruß, in: LK, StGB, 11. Auflage, § 246 Rn 10, ferner zur Problematik der Drittzueignung die Kontroverse zwischen dem 4. und 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs: ... 4. Strafsenat ... BGHSt 40, 8; ... 5. Strafsenat ... NStZ 1995, 131 ff. ... sowie die Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen des BGH ... BGHSt 41, 187 ... Der Entwurf verzichtet daher nach dem Vorbild des § 240 E 1962 (Begründung S. 401, 408 f.) auf das Erfordernis, dass der Täter die Sache in Besitz oder Gewahrsam hat; andererseits ergänzt er den Tatbestand um die Fälle einer Drittzueignung. Zur Unterschlagung soll es mithin ausreichen, dass jemand eine fremde bewegliche Sache sich oder einer dritten Person rechtswidrig zueignet."
1. Fremde bewegliche Sache Wie bei § 242.
2. Sich oder einem Dritten zueignen a) Die Bedeutung des Merkmals "zueignet" Zueignung im Sinne des § 246 ist nach deutlich überwiegender Ansicht die Manifestation des Zueignungswillens (zB Lackner/Kühl23, § 246 Rn 4). Darum eignet sich ein Entleiher das fremde Buch durch Eindrücken seines Namensstempels auch dann zu, wenn ihm der zufällig herein kommende Eigentümer das Buch sofort danach entreißt. Das Handlungsmerkmal "zueignet" in § 246 enthält nach dieser Ansicht mit dem Zueignungswillen ein subjektives und mit dessen äußerlicher Manifestation ein objektives Element. Es gehört also zu den sog. objektiv-subjektiven Mischmerkmalen. Solche Mischmerkmale prüft man vollen Umfangs bereits im objektiven Tatbestand (zB Wessels/Hillenkamp, BT/222, Rn 280). Umstritten ist in diesem Lager, ob "zweideutige Handlungen" als Manifestationen des Zueignungswillens genügen. Fall 32: Der Kurgast K hat beim Spaziergang im Wald seinen Schirm auf einer Bank liegen lassen. Der Wanderer W erblickt den Schirm und will ihn für sich haben. Er nimmt ihn mit. Die sog. weite Manifestationstheorie begnügt sich mit jeder Betätigung des Zueignungswillens durch eine nach außen erkennbare Handlung; nach dieser Ansicht "muss ... genügen, dass der Strafrichter den Sinn einer nach außen erkennbaren Handlung nachher (zB auf Grund eines Geständnisses) ermittelt" (Tröndle/Fischer49, § 246 Rn 12). Nach dieser Lehre ist eine Zueignung des W zu bejahen. – Die sog. strenge oder enge Manifestationstheorie verlangt eine "Betätigung des Zueignungswillens in objektiv erkennbarer Weise" (S/S-Eser25, § 246 Rn 11; Wessels/Hillenkamp, BT/222, Rn 280). Sie würde eine Zueignung des W verneinen, weil W ja auch – wie ein ehrlicher Finder – auf dem Weg zum Fundbüro sein könnte. Manche Autoren setzen anders an und deuten das Merkmal "zueignet" primär objektiv. Sehr weit geht dabei SKStGB-Hoyer1999, § 246 Rn 19-22 (auch mit Darstellung ähnlicher Positionen): "Für eine vollendete Unterschlagung muss ... neben einer mindestens vorübergehenden Aneignung auch eine dauernde Enteignung des Opfers erfolgt sein" (Rn 22). Dafür genüge das Einstecken einer Fundsache nicht (Rn 27). Stellungnahme: Der Wortlaut des § 246 verlangt eindeutig eine wirkliche Zueignung, nicht nur die – wenn auch in einer Handlung manifestierte – bloße Absicht, sich zuzueignen. Das tut der Wortlaut in so deutlicher Abkehr von der Formulierung in § 242 ("Absicht ..., ... zuzueignen"), dass man keine Unaufmerksamkeit des Gesetzgebers unterstellen kann. Die Vorgaben des Wortlautes passen auch in der Sache: § 246 soll Verletzungen des Rechtsgutes "Eigentum" mit Strafe bedrohen; dass ergibt sich aus der systematischen Stellung, dem Vergleich mit § 242 und der Erklärung des Gesetzgebers, § 246 sei ein Auffangtatbestand für alle anderen Eigentumsdelikte (BT-Drs. 13/7164, S. 44). Das Rechtsgut "Eigentum" wird in § 903 BGB beschrieben: "Der Eigentümer einer Sache kann, soweit nicht das
Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen." Diese rechtliche Position verletzt gewiss derjenige, der sich (oder einem Dritten) diese rechtliche Position verschafft (Aneignungskomponente) und sie damit dem alten Eigentümer entzieht (Enteignungskomponente). Aber auch schon derjenige verletzt die rechtliche Position, der sich (oder einem Dritten) die faktische Position verschafft, "mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen" zu können, und sie damit dem Eigentümer entzieht. Weniger darf man aber nicht genügen lassen. Zu diesem objektiven Element muss außerdem noch das subjektive hinzukommen, dass der Täter die Sache "als ihm gehörend" ansieht (vgl. § 872 BGB: Eigenbesitz). Ein ehrlicher Mieter oder Verwahrer etwa hat zwar die beschriebene faktische Position inne; aber solange er die Sache im Fremdbesitz hat, hat er sie sich gewiss nicht "zugeeignet". Dieser Wille darf schließlich nicht rein innerlich geblieben, sondern muss betätigt worden sein; das hat zwei Gründe: Erstens zeigt das Sachenrecht, dass Veränderungen immer nur durch einen betätigten Willen herbeigeführt werden können, nämlich entweder durch Willens-Erklärungen (zB § 930 BGB) oder durch willensgetragene Realakte (zB §§ 958, 960 BGB); zweitens ist "zueignet" in § 246 StGB ein Handlungs-Merkmal, das deutsche Strafrecht bestraft an keiner Stelle allein einen bösen Willen (auch beim Versuch muss der böse Wille betätigt werden, § 22: "unmittelbar ansetzt"). Gegen die objektive Deutung wird angeführt, dann sei der Tatbestand häufig erst viele Jahre nach der Tathandlung verwirklicht, weil man die Dauerhaftigkeit der objektiven Enteignung abwarten müsse (Mitsch, BT 2/1, 2/35). Das halte ich für ein Missverständnis. Noch einmal: Eigentümer ist, wer die (rechtliche) Macht hat, nach Belieben mit der Sache zu verfahren und andere (auch dauerhaft) auszuschließen. Unterschlagungstäter ist, wer die (faktische) Macht und den Willen hat, nach Belieben mit der Sache zu verfahren und andere (auch dauerhaft) auszuschließen. Aber der Eigentümer muss nicht andere dauerhaft ausschließen, er darf es nur. Also genügt – entsprechend – für den Unterschlagungstäter, dass er Macht und Willen hat, andere dauerhaft auszuschließen, aber auch er muss es nicht tun. Für die Bejahung einer Unterschlagung braucht man also nicht abzuwarten, bis die Dauerhaftigkeit der Enteignung vorliegt; es genügt, dass beim Täter Macht und Wille dazu vorliegen. Noch genauer: Der Unterschlagungstäter muss nicht wirklich den Willen haben, andere dauerhaft auszuschließen. Es genügt der Wille, auf Dauer selber darüber zu entscheiden, ob er andere ausschließen will oder nicht.
Auch nach diesem Ansatz ist das Merkmal "zueignet" ein objektiv-subjektives Mischmerkmal und wird komplett im objektiven Tatbestand geprüft (s. schon oben). Im Fall 32 hat W Eigentümermacht erlangt und Eigentümerwillen. Er hat sich also den Schirm zugeeignet. In einem Strafprozess gegen W müsste man ihm Eigentümermacht und -willen beweisen. Gab es einen Tatzeugen, wäre die Eigentümermacht leicht zu beweisen: Der Zeuge hat gesehen, dass W den Schirm an sich nahm. Der Wille ist so aber nicht zu beweisen; ihn konnte der Zeuge nicht sehen. Falls W den Willen leugnet und behauptet, er habe zum Fundbüro gehen wollen, gerät das Gericht in Beweisschwierigkeiten. In dieser prozessualen Schwierigkeit liegt die Wurzel der strengen Manifestationstheorie (s. o.). Es ist aber methodisch unsauber, prozessuale Anforderungen (hier: die Beweisbarkeit des inneren Willens) in materiell-rechtliche umzumünzen (hier: Manifestation in objektiv erkennbarer Weise). Denn materiell macht es keinen Unterschied, ob W sich den Schirm erkennbar oder heimlich zueignet. Das zeigt deutlich die Parallele zum Diebstahl: Die Wegnahme ist eine Zueignungshandlung par excellence, und man ist sich einig darüber, dass die Wegnahmehandlung nicht den Zueignungswillen des Diebes in objektiv erkennbarer Weise manifestieren muss.
Im Ergebnis hat also die objektive Theorie Recht, soweit sie eine tatsächliche Zueignung verlangt. Die
(weite) Manifestationstheorie hat Recht, soweit sie einen betätigten Zueignungswillen verlangt. Das Zueignungsmerkmal ist demnach so zu verstehen: Der Täter eignet sich eine Sache zu, wenn er erstens die Sache "als ihm gehörend" ansieht und zweitens die rechtliche oder zumindest faktische Eigentümerposition sich verschafft oder erhält, das heißt mit der Sache irgendwie verfährt oder andere von der Einwirkung ausschließt (§ 903 BGB). Der Täter eignet einem Dritten eine Sache zu, wenn erstens der Dritte die Sache "als ihm gehörend" ansieht und zweitens der Täter dem Dritten die rechtliche oder zumindest faktische Eigentümerposition verschafft oder erhält. Eindeutig Zueignungen sind – wie gesagt – Akte, mit denen der Täter tatsächlich dem Eigentümer dessen Eigentumsrecht entzieht und es zu sich oder einem Dritten gelangen lässt. Beispiele sind Verbindung nach § 947 II BGB, Vermischung nach §§ 948 iVm 947 II BGB, Verarbeitung nach § 950 BGB. Rechtsgeschäftliche Verfügungen sind ganz unproblematisch Drittzueignungen, vor allem Eigentumsübertragungen nach §§ 932 ff. BGB. Fall 33: L hat sich von E ein Fahrrad geliehen. Als K sich dafür interessiert, gibt L sich als Eigentümer aus, schließt mit K einen Kaufvertrag und übereignet ihm das Rad nach §§ 929, 932 BGB. Ein Beispiel für die Entziehung der faktischen Eigentümermacht beim Eigentümer und ihre Begründung beim Täter oder einem Dritten wäre Fall 33, wenn K bösgläubig (§ 932 I 1 Halbs. 2, II BGB) oder das Fahrrad dem E abhanden gekommen (§ 935 I 1 BGB) wäre. Auch zB Verzehr und Verbrauch sind taugliche Unterschlagungshandlungen. b) Wegfall des Merkmals "in Besitz oder Gewahrsam" Früher sprach § 246 von einer Sache, die der Täter "in Besitz oder Gewahrsam hat". Darauf hat man verzichtet, um Strafbarkeitslücken zu vermeiden. Zur Begründung berief man sich auf den Entwurf zu einem Strafgesetzbuch von 1962 (E 62). Er kann also als Interpretationshilfe des heutigen § 246 herangezogen werden. Im E 62 wurden vier Fallgruppen genannt, die man durch Streichung des Passus "in Besitz oder Gewahrsam hat" von § 246 erfasst sehen wollte (E 62, BT-Drs. IV/650, S. 408 f.). Das waren einmal die Fälle der Fundunterschlagung (hier Fall 32) und der Leichenfledderei. In beiden Konstellationen verschafft sich der Täter erst durch die Zueignungshandlung Gewahrsam. Sie unterfallen nun problemlos dem § 246. Eine dritte Konstellation beschreibt Fall 34: Kassierer K fordert seinen Freund F auf, er solle aus der von K verwalteten Kasse einen Geldbetrag nehmen. F tut das. K hat nach gängiger Ansicht eine Unterschlagung begangen, weil er an dem Geld Gewahrsam hatte und es sich mit der Aufforderung an F zugeeignet hat. F sollte nach altem Recht kein Mittäter sein, weil er keinen Gewahrsam am Geld hatte. F hat nach gängiger Ansicht auch keinen Diebstahl
begangen, weil K mit der Gewahrsamsaufhebung einverstanden war. – Nach heutigem Recht hat auch F ganz unproblematisch eine Unterschlagung begangen, weil es auf die Gewahrsamsverhältnisse während der Tathandlung nicht mehr ankommt. Ich hingegen sehe K, der zivilrechtlich nur Besitzdiener ist, auch strafrechtlich als bloßen Gewahrsamsdiener ohne eigenen Gewahrsam an. Auf dieser Basis hat F einen Diebstahl begangen, weil er das Geld dem Gewahrsamsherrn weggenommen hat. Die gleichzeitig verwirklichte Unterschlagung tritt hinter dem Diebstahl zurück. – K hat F zum Diebstahl angestiftet; dahinter tritt Ks Unterschlagung zurück.
Die vierte Konstellation zeigt sich in Fall 35: M hat sich von E ein Fahrrad gemietet und es dann seinem Bekannten B geliehen. B fragt, ob er das Fahrrad von M kaufen könne. M tritt als Eigentümer auf, verkauft das Rad an B und übereignet es ihm. M setzt sich faktisch genauso an die Stelle des Eigentümers wie L im Fall 33. Der Unterschied ist nur, dass er dort unmittelbarer Besitzer des Rades war und hier im Fall 35 nur mittelbarer Besitzer ist (§ 868 BGB). Dieser Unterschied bereitete nach altem Recht Mühe (war dort im Normtext mit "Besitz" auch der mittelbare gemeint?); dem heutigen Recht unterfällt das Tun des M problemlos. Durch die Neufassung geraten aber andere Fälle in den Blick, die man gewiss nicht als Unterschlagungen erfassen wollte, so zum Beispiel Fall 36: X ruft aus Bochum ihren Freund Y in Essen an und "schenkt" ihm eigenmächtig das Fahrrad ihres Bruders Z aus Dortmund. Man ist sich darüber einig, dass dies ebensowenig Unterschlagung wie Diebstahl ist. Die Begründungen variieren. Wer einem objektiven Ansatz folgt, kann schlicht feststellen, dass X die faktische Eigentümerposition nicht innehatte und sie durch das Telefonat weder sich noch dem Dritten (Z) verschafft hat. Die von den Manifestationslehren (auch der strengen!) aufgestellten Anforderungen an ein "Zueignen" sind zwar erfüllt, denn X hat sich in objektiv erkennbarer Weise die Eigentümerposition angemaßt. Aber die Anhänger der Manifestationslehren schränken das Merkmal weiter ein (zB Wessels/Hillenkamp, BT/222, Rn 293) und sagen (in der Sache zu Recht): Das frühere Merkmal "in Besitz oder Gewahrsam hat" war nicht funktionslos, sondern nur zu eng; das neue Recht wollte nur die Enge beseitigen; der brauchbare Bedeutungsrest muss nun dem Merkmal "zueignet" zugeschlagen werden; dieser Bedeutungsrest ist, dass der Täter eine Herrschaftsbeziehung zu der Sache haben oder durch die Tat begründen muss. Die Erforderlichkeit dieser Ergänzung des Merkmals "zueignet" macht übrigens deutlich, dass nach dem neuen Recht die objektiven Theorien das Merkmal besser beschreiben. c) Wiederholbarkeit der Zueignung Fall 37: Der Kfz-Schlosser S stiehlt aus der Werkstatt seines Arbeitgebers einen Kanister mit Motoröl und stellt ihn zunächst bei sich in der Garage ab. Am nächsten Wochenende bockt er seinen Pkw auf und verwendet die Beute für den fälligen
Ölwechsel. Hat S nach dem Diebstahl auch noch eine Unterschlagung begangen? Das ist streitig. Dass S sich durch den Ölwechsel das Motoröl "zueignet", wird v. a. von der Rspr verneint (BGHSt 14, 38, 43 ff.); von der hL wird es bejaht (zB Mitsch, BT 2/1, 2/52 ff.; Wessels/Hillenkamp, BT/222, Rn 301-303). U. E. spricht mehr für die hL. Denn Zueignung – einerlei, ob man sie als Manifestation eines Zueignungswillens oder objektiv versteht –, ist ein sorgfaltspflichtwidriger Akt der Eigenbesitzanmaßung, der jedes Mal von neuem geschieht, wenn der Täter sich über das Eigentumsrecht des anderen hinwegsetzt. Meist kommt es auf die Frage, ob man sich eine Sache mehrfach "zueignen" kann, nicht an. Denn wenn man zB im Fall 37 mit der hL eine tatbestandliche, rechtswidrige und schuldhafte Unterschlagung bejaht, tritt sie als mitbestrafte Nachtat hinter dem Diebstahl zurück. Diese Subsidiarität ist im geltenden § 246 I am Ende formell angeordnet (siehe unten 5). Im Fallgutachten darf man sich mit dem Hinweis begnügen, das Tatbestands- und Konkurrenzlösung beide zur Straflosigkeit führen, und den Streit unentschieden lassen. – Manchmal kommt es aber auf die richtige Auslegung an, zB in Fall 38: S erzählt seinem Nachbarn N schmunzelnd, wie er an das Öl gekommen ist, und bittet ihn, beim Ölwechsel behilflich zu sein. N tut S den Gefallen.
3. Rechtswidrigkeit der Zueignung Die Rechtswidrigkeit der Zueignung ist ein objektives Tatbestandsmerkmal (hL; zB SKStGBHoyer1999, § 246 Rn 33 Wessels/Hillenkamp, BT/222, Rn 294; anders etwa Mitsch, BT 2/1, 2/58); das zeigen der Wortlaut und der Vergleich mit § 242. Die Zueignung ist nur rechtmäßig, wenn der Täter einen fälligen und einredefreien Anspruch auf Übereignung der Sache hat (vgl § 242).
4. Die Unterschlagung bei der "Diebesfalle" Fall 39: E hält seinen Kollegen K für den Täter mehrerer Diebstähle in der Firma. Er stellt K eine Falle, indem er eine versteckte Kamera installiert, sein Portmonee auf den Schreibtisch legt und den Raum verlässt. In der Tat kommt K und steckt das Portmonee vor laufender Kamera ein. K hat keinen vollendeten Diebstahl begangen, weil er den Gewahrsam des E nicht gegen dessen Willen aufgehoben, also nicht "weggenommen" hat; wohl aber hat er einen Diebstahl versucht. Bei § 246 ist streitig, ob das Einverständnis mit der Gewahrsamsaufhebung auch bei der Unterschlagung zur Straflosigkeit führt. Manche verneinen, dass der Fallensteller mit der Zueignung einverstanden sei (zB OLG Celle, JR 1987, 253, 254 l. Sp. u.). Aber das überzeugt nicht, sobald man sich klar macht, dass "Zueignung" ja nicht "Eigentumserlangung" bedeutet, sondern "Manifestation des Zueignungswillens" bzw "willensgetragene Verschaffung der faktischen Eigentümerposition". Dann zeigt sich, dass der
Fallensteller genau das vom Verdächtigten will. Sodann ist fraglich, wo die Eigentümerzustimmung relevant wird. Das objektive Merkmal "zueignet" wird herkömmlich nicht so gedeutet, dass es ein Handeln ohne Willen des Eigentümers zur Voraussetzung hätte; ein tatbestandsausschließendes Einverständnis wie beim Merkmal "wegnimmt" in § 242 kommt also nicht in Betracht. Manche wollen die Rechtswidrigkeit der Zueignung verneinen (zB Wessels/Hillenkamp, BT/222, Rn 294). Sachlich ist das in Ordnung, aber die Anbindung an das spezielle tatbestandliche Rechtswidrigkeitsmerkmal ist bedenklich. Nach allgemeiner Dogmatik liegt eine Einwilligung des E in die Zueignung vor; man sollte sie – wie jeden anderen Rechtfertigungsgrund auch – aus dem Tatbestand heraushalten. K ist also objektiv gerechtfertigt. Weil er das nicht weiß, stellt er sich vor, eine Unterschlagung ohne Einwilligung des Opfers zu begehen, wird also wegen versuchter Unterschlagung bestraft.
5. Subsidiaritätsklausel Aus § 246 wird nur bestraft, "wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist." "Tat" ist nicht im engen Sinne von Tateinheit gemeint, sondern in einem weiteren Sinn, der zeitlich vor-, parallel- oder nachgelagerte Verwirklichungen anderer Tatbestände umfasst. Dass der Gesetzgeber das Wort "Tat" überhaupt in diesem weiten Sinn verwendet, zeigt sich besonders deutlich in § 265 I am Ende, wo mit "Tat" unstreitig der Betrug gegenüber der Versicherung gemeint ist, der erst begangen wird, wenn der Tatbestand des Versicherungsmissbrauchs längst verwirklicht ist. Dass der Gesetzgeber das Wort "Tat" gerade auch bei § 246 in diesem weiten Sinn verwendet, machen die Gesetzgebungsmaterialien deutlich (BT-Drs. 13/8587, S. 43 f.), wo gesagt wird, § 246 trete u. a. hinter Betrug und Erpressung zurück. Das geht nur bei einer weiten Deutung des Merkmals "Tat", denn Betrug und Erpressung werden nicht durch einen Zueignungs-, sondern einen Täuschungs- bzw. Nötigungsakt begangen.
6. Anvertrautsein – § 246 II § 246 II ist ein Qualifikationstatbestand. Die Subsidiaritätsklausel des Abs. 1 gilt auch für Abs. 2, denn Abs. 2 gilt nur "in den Fällen des Absatzes 1". Fall 40: E ist fanatischer Anhänger eines Fußballclubs der Verbandsliga. Am Freitag vor einem wichtigen Auswärtsspiel übergibt er dem Vorstandsmitglied V einen CartierFüller mit der Bitte, ihn vor dem Spiel dem Schiedsrichter zu schenken, damit dieser den Auswärtssieg begünstige. V verspricht das, entschließt sich aber noch am selben Tag um und schenkt den Füller seinem Freund. Tatsächlich wird das Spiel gewonnen und E schöpft keinen Verdacht. Ist der Füller, obwohl zu einem sittenwidrigen Zweck übergeben, dem V "anvertraut"? Der Wortlaut spricht für die Bejahung, weil E nach dem Alltagssprachsinn dem V darin vertraut, dass er mit der Sache wie besprochen verfahren oder sie zurückgeben werde (so die übliche Definition; zB BGHSt 16, 280, 282; Wessels/Hillenkamp, BT/222, Rn 295). Fall 40 weist allerdings die Besonderheit auf, dass die Beauftragung des V sittenwidrig war. Die einen bejahen dennoch ein Anvertrautsein (zB
BGH, NJW 1954, 889; LK-Ruß11, § 246 Rn 26), die anderen verneinen es (zB S/S-Eser25, § 246 Rn 30; SKStGB-Hoyer1999, § 246 Rn 47). Eine juristische Betrachtung legt die Verneinung näher. Zivilrechtlich hätte E den Füller von V nach der Übergabe nur aufgrund § 985 BGB herausverlangen können. Ein vertraglicher Anspruch bestand nicht, sei es mangels Vertrages, sei es wegen § 138 BGB. Einem Anspruch aus §§ 812, 817 S. 1 BGB stünde § 817 S. 2 BGB entgegen. Darin drückt sich aus, dass das spezifisch Sittenwidrige zu Lasten des E geht. Dem entspricht es, wenn man strafrechtlich auch nur das nackte Eigentum und nicht auch noch das Vertrauen des E schützt, d. h. allein den Grundtatbestand des § 246 I anwendet.
V. Strafverfolgungsvoraussetzungen – §§ 247, 248a 1. Haus- und Familiendiebstahl – § 247 Ist ein reines Antragsdelikt. Gilt für alle Diebstähle und Unterschlagungen (Umkehrschluss aus § 248a). Angehöriger: § 11 I Nr. 1. Vormund: §§ 1773 ff. BGB. Betreuer: §§ 1896 ff. BGB. Häusliche Gemeinschaft: Nach hL jede auf freiwilligem Entschluss beruhende und auf ein Zusammenleben von gewisser Dauer angelegte Wohngemeinschaften (BGHSt 29, 54, 56 f.; S/S-Eser25, § 247 Rn 6 f.). Verletzter: Jedenfalls der Eigentümer. Beim Diebstahl nach hL auch der Gewahrsamsinhaber, denn die Verletzung seines Gewahrsams ist Tatbestandsvoraussetzung (so BGHSt 10, 401; 29, 319, 323). – Steht nur ein Verletzter in keinem der genannten Verhältnisse, ist die Tat nach hA auch ohne Antrag verfolgbar; Lackner/Kühl23, § 247 Rn 2. Fall 41: (vereinfacht nach BGHSt, 10, 400 ff.) E war verreist, seine Hausgehilfin H hütete seine Wohnung. A, der Sohn des E, entwendete aus der Wohnung einen Fotoapparat des E. Zivilrechtlich war allein E Besitzer, H war nur Besitzdienerin. Deshalb sollte man auch im Strafrecht allein E als Eigentümer und Gewahrsamsinhaber ansehen und H nur als Gewahrsamsdienerin. Dann war allein A Verletzter, und zwar hinsichtlich beider Rechtsgüter; somit greift § 248a. – Der BGH hingegen hat H als untergeordnete Mitgewahrsamsinhaberin angesehen und sich so vor das selber geschaffene Problem gestellt, ob § 248a vielleicht deshalb nicht greife, weil A zur in ihrem Gewahrsam verletzten H in keinem der genannten Verhältnisse stand. Der BGH hat die Frage im Ergebnis zu Recht verneint mit der Begründung, bei rechtlichen Divergenzen zwischen unterund übergeordnetem Mitgewahrsamsinhaber komme es immer auf den übergeordneten an. Diese Überlegung ist gängig; sie wird auch bei der Frage nach einem Gewahrsamsbruch angestellt, wenn unter- und übergeordneter Mitgewahrsamsinhaber einen unterschiedlichen Willen haben.
Die genauesten und richtigsten, wenn auch nicht immer der hL folgenden Ausführung zu Konstellationen mit mehreren Verletzten finden sich m. E. bei SKStGB-Hoyer1999, § 247 Rn 4-7.
2. Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen – § 248a ●
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Ist kein reines Antragsdelikt: Strafverfolgung auch möglich bei Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses. Geringwertigkeit: Wie in § 243 II. "Fälle des § 242": Ein besonders schwerer Fall des Diebstahls gemäß § 243 ist nach
herrschender und richtiger Ansicht kein "Fall des § 242"; BGHSt 26, 104 (105); S/S-Eser25, § 248a Rn 4; Tröndle/Fischer49 § 248a Rn 3; Wessels/Hillenkamp, BT/222, Rn 310. SKStGB-Hoyer1999, § 248a Rn 6 hält mit einer systematischen Erwägung dagegen. Aber sein Argument ist schon für sich nicht überzeugend. Außerdem hat die hL den eindeutigen und überlegten Willen des Gesetzgebers auf ihrer Seite: Im ursprünglichen Entwurf zu § 248a wurde § 243 noch ausdrücklich genannt (BT-Drs. 7/550, S. 24); man nahm ihn dann heraus, um stattdessen § 243 mit einer eigenen Geringwertigkeitsklausel zu versehen (BT-Drs. 7/550, S. 473 f. unter Nr. 21 Buchst. b, S. 495; BT-Drs. 7/1261, S. 17 f. zu Art. 18 Nr. 111 am Ende). – Der Streit hat bei den Regelbeispielen Nr. 1 bis 6 keine Relevanz; denn bei Geringwertigkeit liegen diese Regelbeispiele nicht vor und bei Nichtgeringwertigkeit liegt § 248a nicht vor. Der Streit gewinnt nur Bedeutung bei Regelbeispiel Nr. 7 und unbenannten besonders schweren Fällen (§ 243 I 1), wenn die Tatbeute geringwertig ist.
VI. Unbefugter Gebrauch eines Fahrzeugs – § 248b ●
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Kraftfahrzeug: Definiert in § 248b Abs. 4. Darunter fallen auch die mit einem Hilfsmotor ausgestatteten Segelboote und Fahrräder. In Gebrauch nehmen: Unstreitig das In-Gang-Setzen zum Zwecke der Fortbewegung. Genügt auch ein In-Gang-Halten? Fall 42: Die Sekretärin S des E glaubt, er habe nichts dagegen, dass sie am Wochende den Firmenlieferwagen benutzt, um damit ihren Freund in Münster zu besuchen. Als E am Samstag davon erfährt, ruft er S über das Autotelefon an und verlangt empört, sie solle keinen Meter mehr weiterfahren, er werde das Fahrzeug abholen lassen. Als E anruft, a) befindet sich S gerade auf der A 43 Richtung Münster kurz vor einer Ausfahrt. b) steht sie an einer Autobahntankstelle. c) parkt sie schon bei ihrem Freund vor der Haustür. S hält die Reaktion des E für überzogen und fährt in Varianten a und b weiter nach Münster und in Variante c am Sonntag von Münster wieder zurück nach Bochum.
Die hM würde in allen drei Varianten ein In-Gebrauch-Nehmen iSd § 248b bejahen: Zweck des § 248b sei es, "Schwarzfahrten" zu verhindern, und es spiele daher keine Rolle, ob das Fahrzeug widerrechtlich in Gang gesetzt wird oder widerrechtlich in Gang gehalten werde (zB BGHSt 11, 47, 50; LK-Ruß11, § 248b Rn 4). In Fall 42 a sperrt sich aber der Wortlaut; S "nimmt" nicht in Gebrauch, sondern "hält" das Fahrzeug in Gebrauch (vgl. zur parallelen Problematik bei § 123 im Skript Hausfriedensbruch zum Merkmal "eindringt"). Der Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 II GG gebietet somit Straflosigkeit in Variante a. Dazu passt es am besten, auch in Variante b den Tatbestand zu verneinen, denn die gesamte Fahrt ist ein einheitliches Benutzen als Mittel zur Beförderung nach Münster. Anders aber in Variante c die Rückfahrt nach Bochum, die ein neues In-Gebrauch-Nehmen ist (vgl. SKStGB-Hoyer1999, § 248b Rn 10-15).
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Gegen den Willen des Berechtigten: Erfordert kein ausdrückliches Verbot. Ausreichend ist, dass sich der entgegenstehende Wille aus den Umständen ergibt, etwa wenn Student S sein Fahrrad ungesichert vor den Hörsaal stellt. Anders aber, wenn der Finder eines Rades es zum Eigentümer zurückfährt. Subsidiaritätsklausel Fall 43: Der 17-jährige S bricht den Audi 100 des E auf. Nachdem er damit zwei Stunden durch die Stadt gefahren ist, übersieht er an einem Zebrastreifen die O und erfasst sie mit dem Kotflügel. O stirbt an den Folgen des Unfalls.
Verwirklicht sind jedenfalls §§ 248b, 222. Bilden beide Gesetzesverletzungen eine Tat iSd § 248b, so dass § 248b zurücktritt? Der BGH bejaht das, weil er den Begriff als "prozessuale (Tat-)Einheit" interpretiert und ein engeres Verständnis neuerdings für unvereinbar hält mit der aus Art. 97 I GG folgenden Bindung des Richters an das Gesetz (BGH, JZ 1998, 470 f. mit Anm. Rudolphi). Wie schließen uns der Kritik Rudolphis an (aaO.): "Eine Tat" liegt nur vor, wenn sich Unrechts- und Schuldgehalt der Delikte zumindest partiell decken. Dafür ist Voraussetzung, dass sich beide Deikte gegen das gleiche Rechtsgut wenden. So liegt es im Fall 43 nicht. Hat sich S auch wegen Benzindiebstahls strafbar gemacht (§ 242)? Die Subsidiaritätsklausel des § 248b greift nicht ein, weil § 242 die höhere Strafe androht. Um § 248b einen nennenswerten Anwendungsbereich zu erhalten, verneinen manche schon den Tatbestand des § 242 bei Benzindiebstahl im Falle der Gebrauchsanmaßung (teleologische Reduktion) und stellen damit zwischen § 248b und § 242 ein Ausschlussverhältnis her (BGHSt 14, 386, 388; Lackner/Kühl23, § 248b Rn 6). Exklusivität zwischen Tatbeständen ist aber weder erforderlich noch wünschenswert (vgl. NK-Puppe1995, Vor § 52 Rn 50-58). Vorzugswürdig ist, § 242 erst auf Konkurrenzebene als regelmäßige Begleittat ("Konsumtion") zurücktreten zu lassen (Ranft, JA 1984, 277, 281 f.). In einem Fallgutachten brauchen Sie diesen Streit nicht zu entscheiden, weil eine Strafbarkeit aus § 242 so oder so nicht besteht.
VII. Entziehung elektrischer Energie – § 248c Fall 44: (nach Herzberg/Hardtung, JuS 1994, 492) A will sich in seinem Hotelzimmer die Übertragung des Spiels Sampras/Agassi ansehen. Als er merkt, dass sein Fernseher kaputt ist, geht er in das Nachbarzimmer und sieht sich das Match dort an. ●
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Elektrische Anlage oder Einrichtung: Jedes technische Gerät, das der Erzeugung, Ansammlung, Aufbewahrung oder Übertragung elektrischer Energie zu dienen bestimmt ist; etwa Generatoren, Batterien, ein Stromnetz (SKStGB-Hoyer1999, § 248c Rn 4). Fremd ist die elektrische Energie, wenn ein anderer die (Mit-)Verfügungsbefugnis darüber hat (Herzberg/Hardtung, JuS 1994, 492, 494; SKStGB-Hoyer1999, § 248c Rn 3). Das entspricht der Definition der Fremdheit bei § 242, nur dass es bei § 248c mangels Sacheigenschaft des Stromes nicht um das Rechtsgut "Eigentum" geht. Entziehen: Den Energievorrat ohne den Willen des Verfügungsberechtigten mindern (S/SEser25, § 248c Rn 6-8). Anders noch Herzberg/Hardtung, JuS 1994, 492, 493, 494 und zB Lackner/Kühl23, § 248c Rn 2, wonach es hier noch nicht auf den Willen des Berechtigten ankomme. Aber erstens verwendet der Gesetzgeber das Wort "entziehen" an anderer Stelle auch so, dass damit ein Verhalten ohne Willen des Berechtigten gemeint ist, so zB in § 235 (s. nur Lackner/Kühl23 § 235 Rn 3) und in § 133 I (SKStGB-Rudolphi1998, § 133 Rn 10). Zweitens wollte der Gesetzgeber den § 248c dem § 242 möglichst genau nachbilden; auch das spricht dafür, dass Handlungsmerkmal "entziehen" dem des "wegnehmen" möglichst ähnlich zu deuten.
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Mittels eines Leiters, der zur ordnungsgemäßen Entnahme ... nicht bestimmt ist: Leiter ist alles, was dazu geeignet ist, Elektrizität aufzunehmen und weiterzuleiten (S/S-Eser25, § 248c Rn 9; enger SKStGB-Hoyer1999, § 248c Rn 5, der körperlichen Kontakt zwischen Anlage und "Leiter" verlangt). Die Bestimmung zur ordnungsgemäßen Entnahme trifft der Verfügungsberechtigte (S/S-Eser25, § 248c Rn 10; LK-Ruß11, § 248c Rn 5). Enger SKStGB-Hoyer1999, § 248c Rn 6 f.: Der Berechtigte müsse mit der konkreten Energieentnahme einverstanden sein, weil anderenfalls "die Verfügungsbefugnis des Berechtigten gleichermaßen verletzt" werde; es erscheine nämlich unplausibel danach zu unterscheiden, ob der Täter in der Wohnung eines anderen dessen Elektrogerät benutze (§ 248c nicht erfüllt) oder ein mitgebrachtes eigenes (§ 248c erfüllt). Der Gesetzgeber hat aber nach dem Wortlaut eindeutig auf die abstrakte Bestimmung des Leiters geblickt. Das Merkmal hat sein Vorbild in dem "nicht zur ordnungsmäßigen Öffnung bestimmten Werkzeug" in § 243 I 2 Nr. 2 (Kommissionsbericht, RT-Drs. 671, Bd. 176, S. 4033); auch dort blickt man auf die abstrakte Bestimmung und nicht auf die konkrete Verwendung.
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Während Abs. 1 Zueignungsabsicht.verlangt, fordert Abs. 3 Schädigungsabsicht, also die Absicht, die Energie ohne Nutzungsabsicht zu entziehen. Für die Rechtswidrigkeit der beabsichtigten Zueignung in Abs. 1 gelten die Ausführungen zu § 242 entsprechend. Beachten Sie: Der Versuch ist nur bei Abs. 1 (Zueignungsabsicht) strafbar.
VIII. Jagdwilderei – § 292 ● ●
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Abs. 1 Nr. 1 Wild: Wild lebende, dem Jagdrecht unterliegende Tiere (§ 1 I BJagdG). Sie sind entweder in § 2 I BJagdG oder aufgrund der Ermächtigung des § 2 II BJagdG im Landesrecht genannt. Wild leben Tiere, wenn sie sich in Freiheit befinden. Sie sind dann herrenlos (vgl. § 960 I BGB); damit ist § 292 klar von §§ 242, 246 abgegrenzt, die eine "fremde" Sache zum Tatobjekt haben. Nachstellen: Handlung, mit der der Täter iSd § 22 unmittelbar ansetzt zum Fangen, Erlegen oder Zueignen (SKStGB-Hoyer1999, § 292 Rn 13). Fangen: Sich des lebenden Tieres bemächtigen (Lackner/Kühl23, § 292 Rn 2). Erlegen: Töten (Lackner/Kühl23, § 292 Rn 2). Sich oder einem Dritten zueignen: Wie bei § 246 (vgl. im Skript unter IV 2); Lackner/Kühl23, § 292 Rn 2; Tröndle/Fischer49, § 292 Rn 13. Abs. 1 Nr. 2 Sache, die dem Jagdrecht unterliegt: Nur ein in § 1 V BJagdG genannter lebloser körperlicher Gegenstand. Beschädigen, zerstören: Wie in § 303. Unter Verletzung fremden Jagdrechts oder Jagdausübungsrechts Aus dem Zusammenspiel der §§ 1 I 1, 3 I 1 und 2, 4, 6, 7 IV 1, 8 V, 11 I 1 und 2 BJagdG ergibt sich die Unterscheidung (SKStGB-Hoyer1999, § 292 Rn 4 f.):
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Jagdrecht ist die ausschließlich dem Eigentümer zustehende Befugnis, auf seinem Grund und Boden Wild zu hegen, zu jagen und sich anzueignen. Jagdausübungsrecht ist die Befugnis, von dem Jagdrecht des Eigentümers konkret Gebrauch zu machen. Dritte können jedes dieser beiden Rechte verletzen. Auch kann der Inhaber des Jagdrechts das Jagdausübungsrecht verletzen, nämlich wenn er es verpachtet hat (§ 11 I BJagdG). Siehe die Übersicht bei SKStGB-Hoyer1999, § 292 Rn 6-10.
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Manchmal ist Strafantrag erforderlich. Siehe § 294!
IX. Anhang AT: Der Tatumstandsirrtum (§ 16 I 1) bei normativen Tatbestandsmerkmalen Hinweis: Der folgende Text ist ein Auszug aus dem Beitrag "Grundfälle zur Abgrenzung von Tatumstandsirrtum und Verbotsirrtum" von Herzberg/Hardtung in JuS 1999, 1073 ff.
1. Unterscheidung zwischen deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen? Häufig wird unterschieden zwischen "deskriptiven" (= beschreibenden) und "normativen" (wertausfüllungsbedürftigen) Tatbestandsmerkmalen (zB Jescheck/Weigend, AT5, S. 269 f.). Zur ersten Gruppe zählt man etwa Merkmale wie "Mensch" (§ 212), "Sache" (§ 242) und "beschädigen" (§ 303); zur zweiten zählt man "fremd" (§ 242), "Amtsträger" (§ 331) oder auch "zur Abnahme von Eiden zuständige Stelle" (§ 154). Daran ist richtig, dass die "deskriptiven" Merkmale meist ziemlich anschaulich sind und etwas beschreiben, was uns als schlicht sinnlich wahrnehmbar erscheint: Dieser Passant da ist ein "Mensch", dieses Auto da ist eine "Sache", dieses Zerstechen des Reifens "beschädigt" das Auto. Die normativen Merkmale hingegen sind meist nicht so anschaulich und beschreiben auch nichts sinnlich Wahrnehmbares: Die Fremdheit sieht man dem Auto nicht an; man erschließt sie nur aus dem, was man sieht. Aber genau genommen sind alle Tatbestandsmerkmale normativ. Auch wenn man einen Menschen leibhaftig vor sich sieht und als Menschen erkennt, beruht diese Erkenntnis nicht allein auf sinnlicher Wahrnehmung. Man bewertet vielmehr die sinnlich wahrgenommenen Gegebenheiten – natürlich blitzschnell und ohne sich dessen bewusst zu werden – und entscheidet, dass sie ausreichen, dem Gegenstand die Menschqualität zuzuerkennen. Auch muss der Normanwender bei jedem Merkmal dessen Grenzen bestimmen; und dort sind auch die "deskriptiven" Merkmale gar nicht mehr anschaulich (ähnlich zB Wessels/Beulke29 Rn 130-132). Wann zB beginnt und endet das Menschsein? Sind Tiere Sachen? Ist es ein Beschädigen, wenn man die Luft aus einem Fahrradreifen lässt? Die Unterscheidung von deskriptiven und normativen Merkmalen ist also eher irreführend als erhellend.
2. Gesetzliche Merkmale und tatsächliche Umstände
Wichtig und gesetzesnah ist dagegen die Unterscheidung von Umständen und Merkmalen. Umstände sind wirkliche Gegebenheiten; gesetzliche Merkmale beschreiben diese wirklichen Gegebenheiten. Umstände verwirklichen Tatbestandsmerkmale (vgl. die Formulierung in § 16 II); Tatbestandsmerkmale erfassen die Umstände gesetzlich. Lesen Sie auch § 267 I StPO: Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe "die für erwiesen erachteten Tatsachen" (= Umstände) "angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden". Fall 45: Der 20-jährige B vollzieht mit seiner 17-jährigen Halbschwester S den Beischlaf. Die beiden leben seit Kindestagen voneinander getrennt. a) Sie haben sich in der Disco kennen gelernt und wissen nichts von ihrer Verwandtschaft. b) B weiß, dass er und S denselben Vater haben, nicht aber, dass sie deshalb schon "leibliche Geschwister" (§ 173 II 2) sind. In der Variante a handelt B aufgrund seines Tatumstandsirrtums ohne Vorsatz (§ 16 I 1). In der Variante b kennt er den Umstand, dass er und S Personen mit einem gemeinsamen Elternteil sind, d. h. er erkennt den Umstand der leiblichen Geschwisterschaft der Sache nach. Was er nicht kennt, ist die Definition des Merkmals "leibliche Geschwister" in § 173 II 2, nämlich: "Personen mit mindestens einem gemeinsamen Elternteil". Auch damit verkennt er allerdings einen "Umstand", nämlich den, dass seine Tat vom Gesetzgeber zum Unrecht (des Geschwisterbeischlafs) gestempelt worden ist. Aber ihn darf man nicht zu den zum gesetzlichen Tatbestand gehörenden Umständen iSd § 16 I 1 rechnen. Vielmehr stellt diese Unkenntnis einen bloßen Verbotsirrtum (§ 17 S. 1) dar. Einen Verbotsirrtum, wie er in Fall 45 b vorliegt, nennt man oft "Subsumtionsirrtum" (genauer wäre: Definitionsirrtum), um ihn abzugrenzen von dem etwas anders gelagerten Irrtum, in dem sich ein Täter befindet, der nicht einmal weiß, dass Geschwisterbeischlaf überhaupt verboten ist. Man kann so unterscheiden. Aber die Unterscheidung ist unwichtig. Es kommt allein darauf an, ob aus dem Subsumtionsirrtum (d. h. hier aus der falschen Definierung des Begriffs "leibliche Geschwister") ein Verbotsirrtum folgt.
Fall 46: Nachdem beim Patienten P der Herztod eingetreten ist, schaltet die Krankenschwester S die Herz-Lungen-Maschine ab, weil sie P schon wegen des Herzstillstandes für tot hält. In einem ersten Schritt muss man den Inhalt des gesetzlichen Merkmals "Mensch" in § 212 I bestimmen. Hat man sich dabei entschieden, für das Ende des Menschseins auf den Hirntod abzustellen (das Merkmal also u. a. mit diesem Kriterium zu definieren), so ist damit geklärt, dass zu den tatbestandlichen Umständen des § 212 I ein Tatopfer gehört, bei dem noch Hirnströme fließen. Wenn S diesen Umstand kannte, handelte sie vorsätzlich und befand sich allenfalls im Verbotsirrtum. Fall 47: A wirft die ihm und seiner Frau gehörenden Sektgläser an die Wand. Er weiß, dass er das wegen des Miteigentums seiner Frau nicht darf, meint aber, die Gläser seien – wegen seines Miteigentums – für ihn nicht fremd. Das Merkmal "fremd" in § 303 I beschreibt den Umstand, dass die Sache (wenigstens zum Teil) im
Eigentum eines anderen steht. Diesen Umstand kennt A, weil er weiß, dass die Gläser nicht ihm allein, sondern auch seiner Frau gehören. Er hat also Vorsatz. Nach hL befindet er sich nicht einmal im Verbotsirrtum (§ 17), weil er immerhin die Einsicht hat, Unrecht zu tun; sein Irrtum ist nach dieser Ansicht nur ein unbeachtlicher Strafbarkeitsirrtum.
Anders liegt es im Fall 48: T hat durch Testament E zum Alleinerben eingesetzt, aber sein Auto dem V vermacht. T stirbt. V liest das Testament und glaubt, er sei nun Alleineigentümer des Wagens. Als E das Auto trotz Mahnung nicht herausgibt, montiert V nachts heimlich alle Räder ab. Der Wagen stand allein im Eigentum des E (vgl. §§ 1922, 1939 BGB). V hat also eine fremde Sache beschädigt. Aber hatte er auch Vorsatz? V kennt zwar alle tatsächlichen Umstände, die das Eigentum des E begründen (Tod des T, Inhalt des Testamentes). Dennoch weiß er nicht, dass der Wagen Eigentum des E ist. Er verkennt hier also nicht die Definition des Merkmals ("im Eigentum eines anderen stehend"), sondern den vom Merkmal beschriebenen Umstand der Fremdheit und handelt deshalb ohne deliktischen Vorsatz. Das ist bei diesem Merkmal so gut wie einhellig anerkannt. Man muss also genau unterscheiden zwischen den Umständen, die zum Tatbestand gehören (Tatbestandsumstände: dass die Sache im Eigentum eines anderen steht), und solchen, aus denen die Tatbestandsumstände erst folgen (man kann sie "Vorfeldumstände" nennen). Wer diese kennt, kann dennoch jene verkennen und deshalb ohne Vorsatz handeln; denn § 16 I 1 stellt ja auf die Kenntnis der Tatbestandsumstände selber ab. Den Irrtum über tatbestandliche Umstände (Tatumstandsirrtum) und den Irrtum über tatbestandliche Merkmale (Verbotsirrtum) muss man nicht nur bei der Prüfung eines vollendeten Delikts sauber trennen (§ 16 I 1 oder § 17?), sondern auch bei der Prüfung eines Versuches ("untauglicher Versuch" oder "Wahndelikt"?). Fall 49: Die frischgebackene Kölner Diplomvolkswirtin V verkauft telefonisch ihr Buch "Volkswirtschaftslehre" von P. A. Samuelson für 100 DM an den Studenten K. Vereinbart ist, dass K sich das Buch am nächsten Vormittag abholt. Als kurz nach dem Telefonat der Student S vorbeikommt und ihr 150 DM "cash" für dasselbe Buch bietet, geht V darauf ein und übergibt es ihm. Dabei ist sie der Ansicht, das Buch gehöre bereits K. V hat keine vollendete Unterschlagung (§ 246) begangen, weil das Buch für sie (noch) nicht fremd war. Denn sie hatte es an K erst verkauft (§ 433 BGB), noch nicht übereignet (§ 929 BGB). Hatte V aber die von § 22 vorausgesetzte "Vorstellung von der ... Verwirklichung des Tatbestandes" (= Tatentschluss)? Ja, denn sie stellte sich den Umstand vor, das Buch stehe im Eigentum des K. Sie hat also den strafbaren Versuch einer Unterschlagung (§ 246 I, III) begangen.
3. Die Heranziehung gesetzlicher Definitionen zur Auslegung von
Merkmalen Wer sich bei seiner Lösung auf eine Definition festlegt, beschreibt mit ihr die realen Umstände, die der Täter kennen muss, um Vorsatz im Sinne des § 16 I 1 zu haben. Auf dieser Grundeinsicht beruht die Lösung von Fall 45 bis Fall 49. Hierhin gehört auch das Schulbeispiel des unredlichen Gastes, der Striche auf dem Bierdeckel unkenntlich macht und dabei zwar weiß, dass er dem Wirt eine Beweismöglichkeit nimmt, aber nicht begreift, dass der Bierdeckel wegen seiner Beweiskraft eine "Urkunde" im Sinne der §§ 267, 274 ist. Normalerweise steht uns zur Auslegung eines Merkmals keine gesetzliche Definition zur Verfügung. Dann muss man mit den anerkannten Auslegungsmethoden den Sinn des Merkmals ermitteln. Ausnahmsweise leistet das Gesetz einen Teil der Auslegungsarbeit selber, indem es ein Merkmal definiert. Diese Definition kann im selben Paragrafen wie das Merkmal stehen, so zB die Definition der technischen Aufzeichnung in § 268 II. Sie kann aber auch davon weit entfernt sein. So ist das Merkmal "Angehöriger", das in § 235 auftaucht, nicht dort, sondern in § 11 definiert. Fall 50: O, der Onkel der siebenjährigen K, besucht eine Familienfeier bei den Ks. Als alle im Garten spielen, geht er mit K zu seinem Wagen, bewegt sie zum Einsteigen und fährt mit ihr davon, weil er meint, er und seine Frau könnten der kleinen K bessere Eltern sein. Dabei glaubt er, als Onkel ein Angehöriger der K zu sein. O hat den objektiven Tatbestand des § 235 I Nr. 2 verwirklicht, denn gemäß § 11 I Nr. 1 sind nur Verwandte gerader Linie Angehörige. H hatte aber nur dann Vorsatz, wenn er alle Umstände, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören, gekannt hat (§ 16 I 1). Man könnte erwägen, dass O den Umstand "ohne dessen Angehöriger zu sein" verkannt habe, denn er hielt sich ja für einen Angehörigen. So sieht es aber niemand. Man ist sich darüber einig, dass das Wort "Angehöriger" in § 235 I Nr. 2 nicht unmittelbar den Umstand, Angehöriger zu sein, beschreibt. Vielmehr tut es das nur mittelbar. Es steht nämlich als Sammelmerkmal für die in § 11 I Nr. 1 genannten Personen. Das bedeutet, man muss das Merkmal "Angehöriger" in § 235 ersetzen durch die Untermerkmale in § 11 I Nr. 1. So gelesen bedeutet die Passage "ohne dessen Angehöriger zu sein" in § 235: "... ohne dessen Verwandter oder Verschwägerter gerader Linie, dessen Ehegatte, Verlobter, Geschwister ... (usw.) zu sein ..." Das erst sind dann die Merkmale, die unmittelbar die realen Umstände beschreiben, nämlich Verwandter oder Verschwägerter gerader Linie, Ehegatte, Verlobter, Geschwister usw. zu sein. – O kannte den Umstand, dass er bloß Onkel der K, also nicht in gerader Linie mit ihr verwandt war. Deshalb hatte er Vorsatz. Die Definitionen für die Merkmale "technische Aufzeichnung" und "Angehöriger" unterscheiden sind noch in einer anderen Hinsicht: Die erste Definition zählt nicht auf, was alles eine technische Aufzeichnung ist, sondern bleibt auf der abstrakten Ebene des Merkmals (abstrakte Definition). Die zweite hingegen verlässt die abstrakte Ebene des Merkmals "Angehöriger", indem sie abschließend aufzählt, wer alles Angehöriger ist (aufzählende Definition). – Ein Merkmal wie "Angehöriger" kann man gut ein Sammelmerkmal nennen, weil es in sich die Untermerkmale der aufzählenden Definition versammelt.
4. Problem: Wann ist ein Merkmal ein Sammelmerkmal?
Ob ein gesetzliches Merkmal ein Sammelmerkmal ist, muss man bei jedem Merkmal gesondert durch Auslegung ermitteln. Problematisch, umstritten und immer wieder examensrelevant ist, ob das Merkmal "zuständige Stelle" in §§ 153, 154 ein Sammelmerkmal ist. Fall 51: Politiker P sagt vor einem Untersuchungsausschuss des Bundestages als Zeuge aus und schwört bewusst falsch. Er glaubt, ein solcher Ausschuss dürfe keine Eide abnehmen. Darf er aber doch (Art. 44 II GG iVm §§ 59 ff. StPO). Manche würden bei P mit Blick auf das Merkmal "vor einer ... zur Abnahme von Eiden ... zuständigen Stelle" in § 154 Vorsatz bejahen, weil er den Umstand, vor einem Untersuchungsausschuss zu stehen, kennt. Diese Ansicht fasst also "zuständige Stelle" als ein Sammelmerkmal auf, vergleichbar dem Sammelmerkmal "Angehöriger" in § 235 I Nr. 2 StGB. Ein Unterschied zwischen beiden Merkmalen besteht allerdings darin, daß "Angehöriger" vom Gesetz selbst in § 11 I Nr. 1 StGB aufzählend definiert wird, während sich für "zuständige Stelle" nur verstreute Aussagen finden, aus denen sich direkt oder mittelbar ergibt, dass diese und jene Stelle Eide abnehmen darf. Dieser Unterschied verbietet es aber nicht, "zuständige Stelle" als Sammelmerkmal aufzufassen. ZB das Merkmal "Verbrechen" in § 30 I 1 ist auch nirgends im Gesetz aufzählend definiert und ist trotzdem nach allgA ein Sammelmerkmal. Fall 52: A versucht, den B zu einem schweren Bandendiebstahl anzustiften. B hat keine Lust. Erst im Ermittlungsverfahren erfährt A zu seiner Überraschung, dass der schwere Bandendiebstahl nach § 244a mit Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr bestraft wird. A hat einen anderen zu bestimmen versucht, ein "Verbrechen" zu begehen (§ 30 I Alt. 1). Man verlangt nicht, dass A die Vorstellung hatte, die gewünschte Tat sei "im Mindesmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber" (§ 12 I) bedroht.
Aber es gibt andere Gründe, "zuständige Stelle" nicht als Sammelmerkmal zu deuten. Diese Lesart führt nämlich zu unstimmigen Ergebnissen, weil sie nicht zu der Sichtweise passt, die bei Fall 48 ("fremde" Sache) allgemein anerkannt ist. Auch in § 154 geht es bei dem fraglichen Merkmal ("zur Abnahme von Eiden zuständige Stelle") – wie bei dem in § 242 – um die Kennzeichnung des geschützten Rechtsgutes: Solange P nicht weiß, dass der Untersuchungsausschuss zur Eidesabnahme zuständig ist, bleibt ihm die spezifische Rechtsgutsverletzung, vor der § 154 StGB schützen soll, verborgen. Dem P stellt sich der Ausschuss als genauso wenig schutzwürdig dar wie etwa ein Finanzbeamter, der sich anmaßt, Eide abzunehmen. Dem P fehlt somit die Kenntnis, vor einer zuständigen Stelle auszusagen; er handelt ohne Vorsatz. Wer das überzeugend findet, muss auch den Mut zur Konsequenz aufbringen. Fall 53: Politiker P sagt im Ermittlungsverfahren vor Staatsanwalt S falsch aus. S will ihn zur Wahrheit drängen und nimmt ihm einen Eid ab. P schwört, weil er glaubt, S sei zur eidlichen Vernehmung von Zeugen zuständig.
Das ist S aber nicht (§ 161a I 3 StPO). Deshalb hat P keinen Meineid (§ 154) begangen. Hat P aber die von § 22 für einen Versuch vorausgesetzte "Vorstellung von der ... Verwirklichung des Tatbestandes" (= Tatentschluss)? Ja, denn er stellte sich den – das Rechtsgut konstituierenden – Umstand vor, Staatsanwalt S sei eine zur Abnahme von Eiden zuständige Stelle (§ 154 I).
Wiss. Ass. Dr. Bernhard Hardtung
Repetitorium im Strafrecht BT Raub und Erpressung (§§ 249-256 StGB, ohne § 252 StGB) Stand: Dezember 1999
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Das Skript ist nach den neuen Rechtschreibregeln geschrieben. Passagen im kleineren Schriftbild sind vertiefende Hinweise.
I. Raub, § 249 1. Die Wegnahme Fall 1: R erzwingt von E die Übergabe der Brieftasche, indem er ihm eine geladene Pistole auf die Brust setzt. Nimmt R die Brieftasche weg, obwohl E sie ihm übergibt? R hat einen Gewahrsamswechsel bewirkt. Eine Wegnahme ist das nur, wenn R Es Gewahrsam gebrochen, d. h. ohne wirksames Einverständnis aufgehoben hat. Dies erscheint fraglich, weil E das Geld übergibt. Die Rspr. will darüber – anders als bei § 242! – das äußere Erscheinungsbild entscheiden lassen (BGHSt 7, 252 ff.; 41, 123, 126; NStZ 1999, 350 f.). Verschafft sich der Täter die Sache selbst, soll "Wegnahme", vollzieht der Sachherr den Gewahrsamswechsel, soll eine bloße "Weggabe" vorliegen. Sie beruft sich dabei auf Gründe der Praktikabilität und darauf, dass sich anders als bei § 242 die Abgrenzung zum Betrug nicht stelle. Die herrschende Lehre hält dagegen die innere Willensrichtung des Opfers für maßgeblich, doch streiten ihre Anhänger über die näheren Anforderungen an das Einverständnis. Die meisten fordern
eine "freiwillige" Opferzustimmung; z. B. Wessels/Hillenkamp, BT/222 Rn 731. Diese sei gegeben, wenn das Opfer sich als "causa" der Gewahrsamsverschiebung empfinde, also glaube, eine "echte Wahl zwischen Alternativen" zu haben (also wie bei § 242). Eine Variante ist die Lehre von der Notwendigkeit der Opfermitwirkung. Nach ihr liegt ein Einverständnis vor, wenn das Opfer meint, der Täter könne ihm die Sache nur mit seiner Mitwirkung entziehen; s. Otto, ZStW 79 (1967), 59 (86 f.). Gelegentlich wird zwischen beiden Ansichtn nicht unterschieden (z. B. bei Lackner/Kühl23 § 255 Rn 2). Aber ein Unterschied besteht dann, wenn das Opfer die Sache zwar auf jeden Fall verliert (es hat keine Wahl), dabei aber nicht (aktiv) mitwirken muss, weil der Täter sich die Sache selber nimmt und er das Opfer nur von Gegenwehr abhält.
Überzeugen kann am ehesten die herrschende Lösung. Sinnvoll lässt sich das Merkmal der Wegnahme – bei §§ 242 und 249 gleichermaßen! – nur so verstehen, dass es das Interesse des Gewahrsamsinhabers am Behalten des Gewahrsams schützt. Über dessen Verletzung vermag aber weder das äußere Erscheinungsbild noch die Notwendigkeit der Opfermitwirkung bei einem Gewahrsamswechsel Auskunft zu geben. Vom Ansatz her ist also das Abstellen auf die innere Willensrichtung und die Freiwilligkeit der Opferzustimmung richtig. Allerdings wird Freiwilligkeit von der h. L. auch da angenommen, wo sie u. E. verneint werden muss. Dadurch gerät man in Widerspruch zu den Regeln der Zurechnung des Opferverhaltens in den Fällen der mittelbaren Täterschaft, in denen der Täter das Opfer als Werkzeug gegen Dritte oder gegen das Opfer selber einsetzt. Hier ist es einhellige Auffassung, dass jedenfalls bei Überschreitung der Schwelle des § 35 (weiter noch die h. L., die Einwilligungsregeln anwendet) das Opfer im rechtlichen Sinne unfrei und daher sein Verhalten dem Täter gem. § 25 I Alt. 2 zuzurechnen ist. Fall 2: T schlägt O, bis O dem X etwas für T wegnimmt, dem X etwas von sich selber gibt und sich "einverstanden" damit erklärt, dass T sich eine von Os Sachen selber nimmt. Diese Unstimmigkeiten lassen sich nur vermeiden, wenn man die Grenze rechtlicher Freiverantwortlichkeit bei § 249 in derselben Weise zieht (eingehend dargestellt und begründet bei Herzberg/Schlehofer, JuS 1990, 559 ff. m.w.N.).
Unser Ergebnis und auch das der h.L. ist im Fall 1 also die Bejahung von Wegnahme und Raub. Eine andere Frage ist, ob R auch eine räuberische Erpressung (§§ 253, 255) begangen hat. Diese Frage sollte man aber erst behandeln, nachdem man in der hier vorgeführten Weise die Prüfung zu § 249 abgeschlossen hat. Es ist ein im Gutachten ebenso verbreiteter wie verhängnisvoller Fehler, die Frage sogleich als Alternative zu formulieren, etwa mit den Worten: "Es stellt sich hier die Frage nach der Abgrenzung von Raub und Erpressung. Die Rechtsprechung vertritt den Standpunkt ..." Die Möglichkeit eines Entweder-oder zwischen Raub und Erpressung entsteht ohnehin nur nach der soeben dargestellten h. M. zum Merkmal "wegnimmt" und der zusätzlichen (ebenfalls umstrittenen, dazu unter III 1) Annahme, §§ 253, 255 enthielten ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der Vermögensverfügung (dazu unten ab Fall 18). Fall 3: A hat seinen Porsche gegen Diebstahl versichert und möchte sich von der Versicherungssumme ein neues Auto kaufen. Darum fährt er in eine berüchtigte Gegend, hält an und wartet auf einen Überfall. Nach einigen Minuten kommt tatsächlich Carnapper C. Er reißt A, wie von diesem erhofft, aus dem Wagen und fährt selbst damit weg.
Der Fall deckt auf, wie irreführend das Kriterium des BGH ist. Denn "nach dem äußeren Erscheinungsbild" ist hier ja fraglos eine Wegnahme gegeben, so dass vom Standpunkt des BGH aus die Annahme eines vollendeten Raubes bedrohlich nahe liegt. Bei strenger Subsumtion zeigt sich jedoch, dass schon das Grunddelikt des § 242 nicht erfüllt ist: Der Gewahrsamswechsel ist wegen As freiem Einverständnis keine Wegnahme. C stellt sich eine solche nur vor und begeht darum lediglich einen Raubversuch. Fall 4: Der Gangster G hat die 5-jährige Tochter des V vom Spielplatz entführt und droht V telefonisch Ts sofortige Erschießung an, wenn er nicht binnen einer Stunde 10.000 DM zahle. V gehorcht und deponiert das Geld an der verabredeten Stelle. Später holt G es ab. Nimmt G das Geld (in mittelbarer Täterschaft) weg und begeht er damit einen Raub? Die Antwort kann bei § 249 nicht anders lauten als bei § 242. Für die h. L. liegt die Verneinung der Wegnahme näher, weil V durchaus die Wahl hatte, das Geld zu behalten (siehe etwa S/S-Eser25 § 242 Rn 35; Lackner/Kühl23 § 242 Rn 14; SKStGB-Hoyer1999 § 242 Rn 51; s. aber auch LK-Ruß11 § 242 Rn 39: Vorstellung des Opfers, Widerstand sei zwecklos oder "untunlich"). Wir hingegen möchten sie bejahen: G nimmt das Geld durch einen anderen, nämlich V, weg, weil Vs äußerliches Einverständnis wegen der unfrei machenden Drohung unwirksam ist. – Es ist aber logisch nichts dagegen einzuwenden und aus taktischen Gründen sogar ratsam, hier jedenfalls zunächst das gleichfalls begangene Delikt der räuberischen Erpressung darzulegen. Was sollte man danach mit dem Raub machen, der hier auf Basis der h. Lit. nach Bejahung der Erpressung nun logisch und nach der Rspr. mangels Weg-"Nehmen" ausgeschlossen ist? Wir empfehlen, zwischen Klausur und Hausarbeit zu differenzieren. In der Klausur sollte man den Raub gegen besseres Wissen totschweigen. In der Hausarbeit sollte man dagegen die Chance nutzen, auf der Basis unserer Darlegungen zu Fall 1 und Fall 4 zu begründen, dass neben der Erpressung auch ein Raub vorliegt. Noch etwas verwickelter liegen die Dinge, wenn außer dem Täter und dem Opfer noch eine dritte Person am Geschehen beteiligt ist (Stichwort: Dreiecksbetrug, Raub in mittelbarer Täterschaft). Siehe dazu unten bei Fall 20!
2. Gewalt gegen eine Person Fall 5: A und B wollen nachts den Esel des E von der Weide stehlen. Weil sich der Esel sträubt, gelingt es ihnen nur mit äußerster Anstrengung, ihn von der Stelle zu bewegen und wegzuschaffen. A und B haben den Esel mit Gewalt weggenommen. Sie üben aber keine "Gewalt gegen eine Person". Fall 6: Der Zeitschriftenwerber Z findet die Haustür offen und hört die Hausfrau H im Bügelkeller arbeiten. Er schleicht hinab, sperrt H ein und entwendet danach in aller Ruhe Wertsachen. Wegnahme "mit Gewalt gegen eine Person"? Für die Konstellation im Fall 6 bejaht von BGHSt 20, 194 f. Dafür spricht, dass Z direkt zwar nur auf Sachen einwirkt, indirekt aber auf Hs Fortbewegungsfreiheit. Also ist H körperlich betroffen. Dafür, dies genügen zu lassen, spricht die
Drohungsalternative, in der Leib und Leben genannt sind, in Zusammenschau mit § 35 sowie Art. 2 II GG, die diesen Rechtsgütern die körperliche Fortbewegungsfreiheit gleichrangig zur Seite stellen. Fall 7: E will mit seinem Auto von Hause losfahren. Als er den Zündschlüssel schon ins Lenkradschloss gesteckt hat, geht er noch einmal ins Haus, um seinen Regenschirm zu holen. Frau T will das Auto stehlen und setzt sich auf den Fahrersitz. Da kommt E zurück, erblickt T und läuft zum Auto, um T herauszuzerren. T verriegelt die Fahrertür und fährt los. Richtigerweise ist hier eine mit Gewalt verübte Nötigung zur Unterlassung des Herauszerrens zu bejahen (vgl. OLG Düsseldorf, NZV 1996, 459). Aber liegt auch "Gewalt gegen eine Person" vor? Nein. E ist in keinem "personalen" Schutzgut (Leben, Leib, Fortbewegungsfreiheit) beeinträchtigt. Denn bloßes Ausperren ist etwas anderes als Einsperren (Fall 6); es ist kein so beachtlicher Eingriff in die körperliche Fortbewegungsfreiheit (vgl. § 239). Fall 8: Gangster G bewegt den Juwelier J, den Tresor zu öffnen und ihm wertvollen Schmuck herauszugeben. Sein Druckmittel ist die Misshandlung a) der kleinen Tochter des J. b) der kleinen Pudelhündin des J. G nimmt den Schmuck mit Gewalt weg (vis compulsiva). Aber nur im Fall 8 a ist sein Mittel die "Gewalt gegen eine Person". Im Fall 8 b begeht G also keinen Raub, sondern Erpressung und Diebstahl (vgl. dazu die studentische Falllösung von Thiel, Jura 1989, 454 ff.). Fall 9: N erwartet, im Testament seines Onkels O mit dessen wertvoller Briefmarkensammlung als Vermächtnis bedacht zu sein, weil O ihm dies mehrfach zugesichert hat. Nach Os Tod erfährt N zu seiner Enttäuschung, dass seine Schwester S Alleinerbin und für ihn kein Vermächtnis ausgesetzt ist. In der Gesellschaft vieler anderer Gäste beschimpft er in beleidigender Weise seine Schwester, deren Konfliktscheu und Nachgiebigkeit er kennt. Er setzt S dadurch absichtlich so unter Druck, dass sie ihm schließlich die Briefmarkensammlung herausgibt. § 242? Nach der Rspr. nicht mangels Weg-"Nehmen"; nach der h. Lit. nicht wegen Wahlmöglichkeit. Nach unserer Ansicht ja, nämich Diebstahl in mittelbarer Täterschaft. – § 249? Auch nötigende Gewalt ist gegeben. Wendet N aber auch Gewalt gegen eine Person an? Nein, wie sich aus dem oben Gesagten ergibt. Man darf sich von dem Begriff "Person" nicht verleiten lassen, jede Gewalt genügen zu lassen, die sich gegen ein sog. höchst-"persönliches" Rechtsgut richtet.
Fall 10: Frau F spaziert mit ihrer Krokotasche in der Hand durch den Park. R nähert sich auf seinem Fahrrad von hinten, schnappt sich die Tasche und fährt schnell weiter. R begeht nur einen Diebstahl. Als Mittel zur Wegnahme setzt er nicht einmal nötigende Gewalt (§ 240), geschweige denn Gewalt gegen eine Person (§ 249) ein. Vielmehr sind seine Tatmittel List und Überraschung.
3. Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben Fall 11: Der Handballspieler H hat den Verein gewechselt und gegen die Frau des früheren Kameraden M noch eine verjährte Forderung. Als er sie in der Woche vor einem Spiel seiner neuen gegen die alte Mannschaft zufällig trifft, verlangt er wütend Bezahlung und droht damit, andernfalls werde er im Spiel den M brutal foulen. F will ihren Mann vor Schaden bewahren und gibt H widerwillig das Geld. H droht mit Leibesgefahr. Für §§ 249, 255 spielt es keine Rolle, wessen Leib der Täter bedroht, ob den des Adressaten selber oder den eines anderen. Allerdings fehlt es an der Gegenwärtigkeit der Gefahr. Dies bedeutet, dass H nur aus § 253 (u. E. auch aus § 242) bestraft werden kann. Das Merkmal der Gegenwärtigkeit erklärt sich aus der besonderen Drucksituation des Raubes: Fehlt die Gegenwärtigkeit, so hat das Opfer zwischen Drohung und angekündigter Gefahrverwirklichung Möglichkeiten, der Drucksituation zu entkommen.
4. "mit Gewalt" und "unter Anwendung von Drohungen" Fall 12: Der Einbrecher A findet den Wohnungsinhaber W auf dem Sofa liegend. Um ungestört einpacken zu können, fesselt und knebelt er W. In Wahrheit droht dem A keinerlei Behinderung, weil W seinen Rausch ausschläft. Fraglich ist, ob A die Sachen "mit Gewalt" weggenommen hat. Dies setzt voraus, dass er die Gewalt als Mittel der Wegnahme einsetzte. Nach seiner Vorstellung hat A den W gefesselt, um die Wegnahme zu ermöglichen. Objektiv war dies aber nicht erforderlich. In der Literatur verneinen in solchen Fällen manche den geforderten Zusammenhang, weil zwischen Gewalt und Wegnahme kein objektiver Kausalzusammenhang bestehe. Nach Rspr. und h. L. genügt, dass die Gewaltanwendung oder Drohung subjektiv dem Täter zur Wegnahme dienen soll (siehe zum Streit S/S-Eser25 § 249 Rn 7). Dieser "Finalzusammenhang" ist ein subjektives Merkmal und gehört deshalb an sich hinter den Vorsatz. Dennoch ist es üblich, ihn schon im objektiven Tatbestand zu prüfen. U. E. ist im Fall 12 am Vorliegen der objektiven Kausalität nicht zu zweifeln: Ohne den Einsatz des Nötigungsmittels hätte sich A nicht zur Wegnahme entschlossen. Dieser Ursachenzusammenhang mag psychisch vermittelt sein. Man stellt aber auch sonst bei der Kausalitätsprüfung nicht allein auf Äußerlichkeiten ab. Verfügt etwa ein Betrugsopfer aufgrund des Irrtums, so spielt für die Kausalität nach allgemeiner Auffassung keine Rolle, dass es die Vermögensverfügung bei gehöriger Sachaufklärung aus anderen Gründen – vielleicht oder mit Sicherheit – auch vorgenommen hätte. Prüft man dort die Kausalität gleichsam "durch den Kopf" des Opfers, so muss man auch hier die objektiv gegebene psychische Ursächlichkeit entscheiden lassen.
Fall 13: Der homosexuelle Schauspieler S lebt allein in seiner Villa. Er trifft sich dort morgens um 10 Uhr mit dem Callboy C. C tötet S, um in der nächsten Nacht unbemerkt die Wertgegenstände aus dem Haus zu holen. Sein Plan gelingt. Begründen Sie zunächst, warum hier eine Wegnahme vorliegt! Liegt auch ein Raub vor? U.E. ja, obwohl die Wegnahme sich erst in einigem zeitlichen Abstand vollendet. – Starke Bedenken ergibt das Defizit an Unmittelbarkeit im folgenden
Fall 14: X weiß, dass die Hausangestellte H zur Zeit allein das Haus ihrer Herrschaft hütet, weil diese auf Reisen ist. Er überfällt H auf der Straße und bewirkt mit Absicht ihre Einlieferung ins Krankenhaus. X wartet nun zwei Wochen und entwendet dann aus dem unbewachten Haus Wertsachen. Der Unterschied zu Fall 13 besteht darin, dass die Gewalt des X den Gewahrsam an den Wertsachen nicht aufhebt. Die Wegnahme liegt also insgesamt in großem zeitlichen Abstand zur Gewalt. Deshalb fehlt der unmittelbare Zusammenhang (auch in zeitlicher Hinsicht) zwischen Gewalt und Wegnahme, der überwiegend gefordert wird (vgl. LK-Herdegen11 § 249 Rn 15). Diese Restriktion wird vom Gesetzeswortlaut nicht einmal angedeutet. Man kann sie aber als Typisierung des Straftatbestandes akzeptieren, weil man vermuten darf, dass Konstellationen wie im Fall 14 nicht dem "Tatbild" unterfallen, das der Gesetzgeber mit § 249 beschreiben wollte.
II. Raubqualifikationen, §§ 250, 251 1. Beisichführen einer Waffe oder eines gefährlichen Werkzeuges (§ 250 I Nr. 1 Buchst. a) Siehe dazu im Skript "Diebstahl und Unterschlagung" zu § 244 I Nr. 1 Buchst. a unter II 1 a ab Fall 30!
2. Beisichführen sonst eines Werkzeugs oder Mittels, um Widerstand ... zu verhindern oder zu überwinden (§ 250 I Nr. 1 Buchst. b) "Nach dem nunmehr vorgeschlagenen Regelungskonzept ... erhält ... Buchstabe b ... die Funktion eines Auffangtatbestandes. Erfasst werden sollen zum einen die sogenannten Scheinwaffen (z. B. eine Spielzeugpistole) und solche Gegenstände, die – wie z. B. ein Kabelstück oder ein Tuch (vgl. hierzu BGH NJW 1989, S. 2549/2550) – zur gewaltsamen Überwindung eingesetzt werden sollen, ohne hierbei objektiv wenigstens Leibesgefahr zu begründen. Es wird davon ausgegangen, dass die einschränkende neuere Rechtsprechung des BGH (St 38, 116, 117 bis 119 ["kurzes gebogenes Plastikrohr von ca. 3 cm Durchmesser"]; NStZ 1997, S. 184/185 ["Lippenpflegestift ‘Labello’"] auch bei der Auslegung von § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b Beachtung finden wird" (Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 13/9064, S. 18; siehe auch Regierungsentwurf, BT-Drs. 13/8587, S. 44, 45.). Fall 15: Der drogenabhängige D stellt sich bei Banküberfällen bewaffnet und erreicht dadurch, dass ihm Geld gegeben wird. a) Er richtet eine ungeladene Pistole auf den Kassierer K; Munition hat er nicht dabei (nach LG Köln, NStZ 1993, 43 f.). b) Er benutzt eine täuschend echte Pistolenattrappe. c) Er beult seine Jacke von innen mit einem Plastikrohr aus und täuscht so eine Schusswaffe vor (nach BGHSt 38, 116 ff.).
§ 250 I Nr. 1 Buchst. a ist nach allg. A. nicht erfüllt, auch nicht im Fall 15 a. Denn wie bei § 244 I Nr. 1 Buchst. a ist auch hier Voraussetzung, dass die Waffe einsatzbereit ist. § 250 I Nr. 1 Buchst. b würde der BGH in Fall 15 a und b bejahen, in Fall 15 c verneinen. Er meint, die Vorschrift verlange – im Gegensatz zu Buchst. a – keine objektive Gefährlichkeit des Mittels, so dass auch eine Scheinwaffe die gesetzlichen Voraussetzungen erfülle. Das Mittel müsse allerdings "ohne weiteres", schon "seiner Art nach", d. h. durch sinnliche Wahrnehmung dem Opfer gefährlich erscheinen, nicht erst dadurch, dass der Täter die Gefährlichkeit des Mittels (wenn auch nur konkludent) behauptet (Fall 15 c). Das alles hat der BGH zur alten Rechtslage (§ 250 I Nr. 2 a. F.) gesagt. Die ganz h. L. und manche Gerichte (lesen Sie LG Köln, NStZ 1993, 43 f.!) hielten den alten Wortlaut für zu weit und befürworteten (zu Recht) eine teleologische Reduktion: Das Mittel sollte objektiv gefährlich sein; Scheinwaffen genügten nicht. Das Hauptargument lautete: Zwar ist es so, dass § 244 I Nr. 2 a. F. neben den echten Waffen auch Scheinwaffen erfasst, denn dann ist nicht nur Eigentum (§ 242), sondern auch Willensfreiheit betroffen, und das rechtfertigt die Strafschärfung. § 249 hingegen schützt nicht nur Eigentum, sondern zugleich Willensfreiheit; deshalb wird Raub ja schärfer bestraft als Diebstahl. Die weitere Strafschärfung in § 250 I Nr. 2 a. F. lässt sich deshalb nicht mit einem geplanten Angriff auf die Willensfreiheit begründen, sondern nur mit der erhöhten objektiven Gefährlichkeit des geplanten Mitteleinsatzes. – Diese systematischen Erwägungen zum Strafmaßvergleich stimmen noch immer. Aber der Gesetzgeber hat sich ganz deutlich für die Sicht des BGH entschieden (vgl. das Zitat oben). Dieser Gesichtspunkt der historischen Auslegung ist stärker als der systematische. Der hätte nur Vorrang, wenn die Entscheidung des Gesetzgebers vor Art. 3 I GG keinen Bestand hätte. Aber das ist nicht der Fall; willkürlich kann man sie nicht nennen.
3. Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung (§ 250 I Nr. 1 Buchst. c) Regierungsentwurf (BT-Drs. 13/8587, S. 44 r. Sp. und S. 27 f.): Der Begriff der "schweren Gesundheitsschädigung" findet sich auch z. B. in § 218 II Nr. 2. Er "reicht weiter als der in § 226 abschließend umschriebene objektive Tatbestand der schweren Körperverletzung. Es ... reicht ... z. B. aus, dass das Opfer in eine ernste langwierige Krankheit verfällt oder seine Arbeitskraft erheblich beeinträchtigt wird".
4. Bandenraub (§ 250 I Nr. 2) Siehe im Skript "Diebstahl und Unterschlagung" zu § 244 I Nr. 2 unter II 2 (S. 20)!
5. Verwenden einer Waffe oder eines gefährlichen Werkzeuges (§ 250 II Nr. 1) Regierungsentwurf (BT-Drs. 13/8587, S. 45): Der Täter verwendet das Objekt schon dann bei der Tat, wenn er es "zur Drohung mit Gewalt einsetzt". Vgl. BGHSt 26, 180 zu § 113 II 2 Nr. 1!
6. Schwere körperliche Misshandlung bei der Tat oder Verursachung einer Todesgefahr durch die Tat (§ 250 II Nr. 3)
Fall 16: T beraubt Frau O und schlägt sie dabei brutal zusammen. Sie erleidet schwere Kopfverletzungen und überlebt nur knapp. Über die Gefährlichkeit seiner Schläge war sich T nicht im Klaren, hätte das aber durchaus sein können. § 250 II Nr. 3 ist ein reines Vorsatzdelikt, d. h.: Der Vorsatz muss sich auch auf die schwere körperliche Misshandlung bzw. auf die Todesverursachung beziehen. Begründung: Nach § 15 ist immer Vorsatz erforderlich, außer das Gesetz begnügt sich ausdrücklich mit Fahrlässigkeit. In § 250 tut es das nicht. Und auch § 18 (als generelle Ausnahme) greift nicht ein. In § 250 II Nr. 3 Buchst. a geht es um eine körperliche Misshandlung "bei der Tat"; § 18 erfasst aber nur eine "Folge der Tat". In Buchst. b geht es um die "Gefahr des Todes"; § 18 meint mit "Folge" aber nur Rechtsgutsverletzungen, nicht auch bloße Rechtsgutsgefährdungen (vgl. Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 13/9064, S. 23, und BGHSt 26, 181 [dessen Begründung über den Wortlaut freilich nicht überzeugt]).
7. Wenigstens leichtfertige Verursachung des Todes eines anderen Menschen (§ 251) Fall 17: Im Fall 15 a ist der Kassierer K herzkrank. K erleidet vor Schreck seinen dritten Herzinfarkt und fällt bei der Geldübergabe tot um. a) Mit dieser Weiterung hatte D nicht im Entferntesten gerechnet. b) D kannte die Herzkrankheit des K und war sich des Risikos bewusst. Im Fall 17 a hat D keinen Raub mit Todesfolge (§ 251), begangen, weil er nicht "leichtfertig" den Tod des K verursacht hat. Es fehlt wegen der extremen Unwahrscheinlichkeit ja schon an der Fahrlässigkeit überhaupt. Im Fall 17 b hat D Ks Tod leichtfertig verursacht. Dass er vielleicht bedingten Tötungsvorsatz hatte, ändert an der Tatbestandserfüllung nichts, denn § 251 lautet neuerdings, der Täter müsse "wenigstens leichtfertig" gehandelt haben.
III. Erpressung und räuberische Erpressung, §§ 253, 255 1. Vermögensverfügung als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal? Fall 18: Der steckbrieflich gesuchte Verbrecher V fühlt sich erkannt und will ins Ausland fliehen. Er zerrt die Pkw-Eigentümerin E aus dem Auto. a) V fährt, wie er E beruhigend zusichert, bis zum Bahnhof der Nachbarstadt und dann mit dem Zug weiter. b) V fährt mit dem Auto ins Ausland und benutzt es dort bis zur Schrottreife. Die Rspr. (z. B. BGHSt 25, 227 f.) versteht die Merkmale des § 253 nicht anders als bei § 240; ein
ungeschriebenes Merkmal der Vermögensverfügung verlangt sie nicht. Sie würde also im Fall 18 in beiden Varianten eine (sogar räuberische) Erpressung bejahen. Dem populären Tatbild der Erpressung entspricht die Nachteilszufügung durch vis absoluta allerdings nicht. Darum will die h. L. die Merkmale "zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung" abweichend von § 240 verengen und vis absoluta nicht genügen lassen. Die h. L. hat außerdem das Ziel, Raub und räuberische Erpressung überschneidungsfrei von einander abzugrenzen. Zur Restriktion des § 253 bietet sich ein Merkmal an, das bei § 263 dem Begriff nach allgemein anerkannt ist: das ungeschriebene Merkmal der Vermögensverfügung. Die h. L. (z. B. S/S-Eser25 § 253 Rn 8) verfährt so und würde im Fall 18 die §§ 253, 255 verneinen. Denn bei allem Streit darüber, wann eine Vermögensverfügung vorliege, verlangt man doch allgemein mindestens ein willentliches Verhalten des Opfers. Die h. L. würde im Fall 18 b wegen Raubes (§ 249) bestrafen, im Fall 18 a nur wegen § 248b (unbefugter Gebrauch eines Fahrzeugs) in Tateinheit mit § 240. Die Ansicht der Rspr. ist schon wegen des deckungsgleichen Wortlautes der §§ 240, 253, 255 überzeugend. Außerdem spricht dafür die Gleichstellung des räuberischen Erpressers mit dem Räuber: Für § 249 genügt zweifellos das stärkste Tatmittel der vis absoluta. Angesichts der gleichen Strafhöhe des § 255 liegt es nahe, dass er ebenso die härtesten Tatmittel erfasst. Danach ist in beiden Varianten § 255 tatbestandlich erfüllt. Wegen dieses Deliktes zu bestrafen wäre V aber nur im Fall 18 a. Im Fall 18 b lägen sowohl Raub wie räuberische Erpressung vor, und auf der Konkurrenzebene würde die Rspr. zu Recht § 249 den Vorrang geben. Machen Sie sich daran klar, dass die Rspr. nicht behauptet, für eine Erpressung sei ein äußerliches Geben nötig. Der BGH sagt nur umgekehrt, für einen Raub sei ein äußerliches Nehmen erforderlich. Liegt ein äußerliches Nehmen vor, scheitert § 249 aber z. B. an dem Enteignungsvorsatz, hindert das "Nehmen" nicht an der Annahme einer Erpressung (BGH, NStZ-RR 1999, 103). Nach der Rspr. ist jeder Raub zugleich eine Erpressung, er verdränge sie aber auf der Konkurrenzebene wegen Spezialität. Die Annahme von Spezialität ist etwas voreilig. Denn in seltenen Fällen geht mit dem Raub keine Erpressung einher, nämlich beim Raub wertloser Sachen. Statt Spezialität ist also Konsumtion die richtige Konkurrenzform. Die h. L. führt als Argument gegen die Rspr. an: Lasse man für § 253 genügen, dass eine einfache Nötigung z. B. zur Duldung einer Wegnahme erfolgt, so kreiere man den "kleinen Raub", den der Strafgesetzgeber offenbar nicht gewollt habe, denn er habe in § 249 nur die Wegnahme mit qualifizierter Nötigung erfasst. Man unterlaufe also eine gesetzliche Privilegierung. Ebenso komme man z. B. bei einfachen Gebrauchsanmaßungen mittels einfacher Nötigung zu einer Erpressung (so im Fall 18 a, wenn V keine Gewalt gegen eine Person angewendet hätte). – Aber das überzeugt nicht: Wenn der Gesetzgeber mit § 253 einen Tatbestand schafft, in dem Vermögensschutz und Willensfreiheitsschutz zusammentreffen, dann kann man nicht einfach behaupten, bestimmte Fälle dürften dieser Norm nicht unterfallen, bloß weil diese Fälle nicht auch noch einer anderen Norm (hier: § 249) unterfallen. Die Strafmaßsteigerung, die in der Anwendung des § 253 gegenüber §§ 248a, 240, 52 liegt, ist doch durchaus angemessen, weil es sich eben um qualifiziertes Unrecht, nämlich Gebrauchsanmaßung plus Nötigung, handelt. Die Strafe dafür ist übrigens nicht höher als die für Diebstahl (vgl. das Strafmaß der §§ 242, 253).
Fall 19: Wie Fall 18 a, aber V zwingt E mit vorgehaltener Pistole zur Herausgabe ihrer Wagenschlüssel, als sie gerade Münzen in die Parkuhr wirft.
Ist auf der Basis der h. L. eine "Vermögensverfügung" anzunehmen? Das ist nach dem gegenwärtigen Stand der Diskussion in höchstem Maße unklar. Zwar verlangt die h. L. eine unmittelbare Vermögensverfügung (S/S-Eser25 ebd.). Ob aber im Fall 19 die Unmittelbarkeit bejaht oder verneint werden würde, ist schwer zu sagen. Beachten Sie im Übrigen in § 255 die Verweisung auf die §§ 250, 251!
2. Dreieckserpressung und Raub in mittelbarer Täterschaft Fall 20: (vereinfacht nach BGHSt 41, 123 ff.) T ging zu O, um ihn wegen seines Verhaltens am Vortag zur Rede zu stellen. Dort war auch L, die Lebensgefährtin des O. T bedrohte O mit einem Stilett und stach es ihm schließlich aus Wut und Erregung in den Bauch. O sank zu Boden. Einer plötzlichen Idee folgend, forderte T nun die L auf, dem am Boden liegenden O die Uhr vom Handgelenk zu nehmen und ihm zu geben. Er fügte hinzu, die L könne sich sonst auch schnell das Messer einfangen. Eingeschüchtert erfüllte L Ts Forderung. T verließ die Wohnung. a) Eine räuberische Erpressung des T lässt sich nicht mit dem Niederstechen des O begründen, denn im Moment des Stechens hatte T noch keinen Vorsatz, sich die Uhr zu verschaffen. Aber ist eine räuberische Erpressung darin zu sehen, dass T die L unter Drohungen dazu brachte, ihm die Uhr zu geben? T hat L unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Ls Leib zu einer Handlung (Hergabe der Uhr) genötigt und dadurch dem Vermögen eines anderen (dem O) Nachteil zugefügt. Die h. L. sieht aber in §§ 253, 255 das ungeschriebene Merkmal der Vermögensverfügung (oben unter 1). Sie würde eine Vermögensverfügung der L verneinen, weil L glaubte, keine Wahl zu haben. Ob L überhaupt eine für O wirksame Vermögensverfügung hätte vornehmen können, bestimmt die h. L. wie bei § 263 (Betrug): Die einen verlangen ein "Näheverhältnis" (z. B. Lackner/Kühl23 § 253 Rn 6); andere lassen maßgeblich sein, ob der Verfügende eine "rechtliche Befugnis" zur Vermögensverfügung hat (z. B. SKStGB-Samson1986 § 253 Rn 8a.
Die Rechtsprechung verlangt keine Vermögensverfügung. Wohl aber verlangt sie – als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal – ein Näheverhältnis: "Erpressung bedeutet die erzwungene Preisgabe von eigenen oder fremden Vermögenswerten, deren Schutz der Genötigte wahrnehmen kann und will. Allerdings braucht diese Preisgabe – anders als beim Betrug – nicht in Form einer Vermögensverfügung zu erfolgen ... Eine Dreieckserpressung setzt daher weder eine rechtliche Verfügungsmacht noch eine tatsächliche Herrschaftsgewalt des Genötigten über die fremden Vermögensgegenstände im Sinne einer Gewahrsamsdienerschaft voraus ... Dennoch kann nicht jedes einem Dritten abgenötigte vermögensschädigende Verhalten eine Strafbarkeit wegen Erpressung begründen; vielmehr muss zwischen dem Genötigten und dem in seinem Vermögen Geschädigten ein Näheverhältnis dergestalt bestehen, dass das Nötigungsopfer spätestens im Zeitpunkt der Tatbegehung auf der Seite des Vermögensinhabers steht. Gerade darin, dass der Täter die von einem Dritten im Interesse des Vermögensinhabers wahrgenommene
Schutzfunktion mit Nötigungsmitteln aufhebt, liegt der Unrechtsgehalt der Dreieckserpressung ... Steht der Dritte, den der Täter in Bereicherungsabsicht zur Wegnahme zwingt, den Vermögensinteressen des Geschädigten hingegen gleichgültig gegenüber, so ist er lediglich wegen Nötigung in Tateinheit mit Anstiftung zum Diebstahl oder Diebstahl in mittelbarer Täterschaft zu bestrafen" (BGHSt 41, 125 f.; s. auch SKStGB-Günther1998 § 253 Rn 18).
Diese Einschränkung überzeugt. Sie wahrt nämlich bei der Erpressung das typische Tatbild, das der Gesetzgeber vor Augen hatte, als er § 253 formulierte. – Ein Beispiel, in dem der Dritte nicht auf der Seite des Opfers steht, ist das, in dem der Täter D einen Jungen J unter Schlägen dazu zwingt, einen fremden Garten zu betreten und ihm eine Motorheckenschere herauszuholen: Keine Erpressung (und auch kein Raub), sondern Diebstahl in mittelbarer Täterschaft in Tateinheit mit Nötigung. – Im Fall 20 hat der BGH das Näheverhältnis bejaht, weil davon auszugehen sei, dass L "ohne die Drohung ... zum Schutze der persönlichen Habe ihres Lebensgefährten bereit gewesen wäre" (BGH, aaO, S. 126). b) Hat T einen Raub begangen? Dazu müsste er weggenommen haben. Die Rechtsprechung blickt dafür auf das äußere Erscheinungsbild: Wenn der Täter die Beute sich nur hat geben lassen, liegt allein räuberische Erpressung vor; hat er sie sich genommen, liegt auch Raub vor und verdrängt § 255 (dazu und zur Kritik daran oben I 1). Weil L im Lager des Opfers stand und sie dem T die Uhr gegeben hat, verneinte der BGH im Fall 20 Raub (aaO, S. 126). Im Beispiel mit der Motorheckenschere hat J zwar auch dem D die Heckenschere gegeben. Aber J steht nicht im Lager des Opfers, sondern als Ds Werkzeug auf dessen Seite, so dass Js Wegnehmen dem D als sein Wegnehmen zugerechnet wird.
Die h. L. bejaht eine Wegnahme, wenn der Herausgebende glaubt, ohnehin keine Wahl zu haben. Das führt im Fall 20 zur Bejahung eines Raubes. c) Merken Sie sich: Das Näheverhältnis zwischen Genötigtem und Vermögensgeschädigtem ist Voraussetzung sowohl für Raub wie auch für räuberische Erpressung. Fehlt sie, kommen nur Diebstahl und Nötigung in Betracht. Besteht die Nähebeziehung, muss man – wie in Fällen mit nur zwei Personen – fragen, ob eine Wegnahme (dann Raub) vorliegt oder nicht (dann räuberische Erpressung) und den Meinungsstreit dazu darlegen. Nur wegen dieser Meinungsverschiedenheit lösen Rspr. und h. L. den Fall 20 unterschiedlich. Das Näheverhältnis verlangen alle.
IV. Anhang AT: Beteiligung am Versuch und Versuch der Beteiligung Beteiligungsformen sind Täterschaft und Teilnahme (s. § 28 II), Teilnahmeformen sind Anstiftung und Beihilfe (s. § 28 I). Halten Sie unbedingt die folgenden zwei Konstellationen auseinander: ●
●
Beteiligung am Versuch (sogleich unter 1): Ein strafbarer Versuch ist begangen worden und jemand ist daran als Täter, Anstifter oder Gehilfe beteiligt. Versuch der Beteiligung (sodann unter 2): Ein strafbarer Versuch ist nicht begangen worden, aber jemand hat darauf hingewirkt, dass es zu einer Straftat kommt.
1. Beteiligung am Versuch
a) Täterschaftliche Beteiligung am Versuch (§§ 22, 25) Ob jemand einen Versuch in Alleintäterschaft, mittelbarer Täterschaft oder Mittäterschaft begangen hat, richtet sich nach §§ 22, 25. Das ist bereits behandelt worden. b) Teilnahme am Versuch (§§ 22, 26 und §§ 22, 27) Fall 21: T, A und G gehen nachts durch die Stadt. T will Zigaretten, hat aber kein Geld mehr. A zeigt auf den Passanten O, der gerade vor einem Zigarettenautomaten steht und das Münzgeld schon in der Hand hat, und sagt: "Nimmet dir doch von ihm da!" T gefällt die Idee. Er stellt sich dem O in den Weg, sagt: "Ich brauch ma eben dat Geld." und ergreift Os Hand, um ihm das Geld zu entwinden. Als O sich erfolgreich wehrt, bemüht sich G, ihn festzuhalten. Aber O schlägt beide mit gekonnten Karateschlägen nieder und geht gemächlich davon. A hat das genau so kommen sehen, weil er den O und dessen Karatekünste kannte. Dass G sich einmischen würde, hat A jedoch nicht bedacht. T hat sich eines versuchten Raubes strafbar gemacht, denn er wollte dem O mit Gewalt dessen Geldmünzen wegnehmen, und hat mit seinem Satz und dem Zugreifen unmittelbar dazu angesetzt. G hat dem T vorsätzlich zu dessen Raubversuch Hilfe geleistet und damit alle Voraussetzungen des § 27 verwirklicht. Die einzige Besonderheit gegenüber den typischen Fällen einer Beihilfe ist die, dass die "vorsätzlich begangene rechtswidrige Tat" des T (sog. Haupttat), von der §§ 26, 27 sprechen, hier keine Vollendungstat (§ 249) ist, sondern eine bloße Versuchstat (§§ 249, 22). §§ 26, 27 setzen eine "rechtswidrige Tat" voraus. Das ist gemäß § 11 I Nr. 5 nur eine solche, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht. Der bloße Versuch beispielsweise eines Raubes verwirklicht nicht den Tatbestand des § 249. Aber er verwirklicht den Versuchstatbestand, der in §§ 249, 22, 23 I beschrieben ist: §§ 249, 22 sagen, was ein Raubversuch ist, und § 23 I bestimmt, dass der Raubversuch als Verbrechensversuch (§ 12 I, II) strafbar ist. – Zum Vergleich: Der Versuch einer Beleidigung (§§ 185, 22) ist nicht strafbar und also wegen § 11 I Nr. 5 auch keine "rechtswidrige Tat" i. S. der §§ 26, 27.
A wäre, § 26 wörtlich genommen, wegen Anstiftung zum Raubversuch zu bestrafen. Denn er hat den T ja vorsätzlich zu dessen Raubversuch bestimmt. § 26 ist in seiner Anlehnung an den "Haupttatbestand" (hier §§ 249, 22) unselbstständig ("akzessorisch"): Er verlangt nur, dass der eine die tatbestandsmäßig-rechtswidrige Haupttat vorsätzlich begeht und dass der andere ihn dazu vorsätzlich bestimmt hat. Demnach wäre es ohne Bedeutung, dass A für seine Person den für T zu fordernden Vollendungsvorsatz nicht hat. Das befremdet. Denn wenn A die Tat in die eigene Hand genommen, also selber auf O eingedrungen wäre, bliebe er ja straflos, weil er, der Os Unüberwindbarkeit kannte, nicht die Vorstellung hatte, § 249 zu vollenden. Für den Anstifter auf den Vollendungsvorsatz zu verzichten hätte freilich Sinn, wenn der Strafgrund der Anstiftung darin läge, dass der Anstifter den Täter in strafrechtliche Schuld führt. Aber diese Erklärung, die sog. Schuldteilnahmetheorie, ist schon deshalb unhaltbar, weil §§ 26, 27 (vgl. auch § 29) eine schuldhaft begangene Haupttat ja gerade nicht verlangen. Ist somit der Strafgrund für Täter und Teilnehmer gleich, dann ist die für A so ungünstige "akzessorische" Lösung nicht einleuchtend.
Man kann auch erwägen, § 28 I anzuwenden. Denn dass der Täter Vollendungsvorsatz hat, ist eine persönliche, für den Täter individuell festzustellende Voraussetzung, die seine Strafbarkeit begründet und somit § 28 I an sich subsumiert werden könnte. Indes wäre dann die akzessorische Lösung im Prinzip beibehalten und nur in ihrer Auswirkung abgeschwächt (bloße Strafmilderung bei A). Außerdem hatte der Gesetzgeber bei § 28 I allein solche Merkmale im Auge, in denen sich eine Sonderpflicht ausdrückt; Beispiel: A besticht Richter T und bewegt ihn zu einer Rechtsbeugung (§ 336). Um derartige Fälle ging es bei Einführung des § 28 I. An seine Anwendung auf A im Fall 21 war nicht gedacht.
Nach nahezu allgemeiner Ansicht soll der A als Anstifter so stehen, wie er als Täter stünde. Weil er als Täter mangels Vollendungsvorsatzes straflos wäre, soll er es als Anstifter aus demselben Grund sein. Man verlangt also für eine Bestrafung aus § 26 als ungeschriebenes Merkmal Vollendungsvorsatz des Anstifters (Kühl, AT2 20/201 ff.; LK-Roxin11 § 26 Rn 67 ff.). Empfehlung zum Aufbau: Prüfen Sie das ungeschriebene Merkmal des Vollendungsvorsatzes erst am Ende des subjektiven Tatbestandes in § 26. Denn die Strafbarkeit kann ja schon an einem geschriebenen Merkmal scheitern. So ist es z. B. bei der Frage, ob A den G zur Raubbeihilfe angestiftet hat: Objektiv hat er ihn zur tatbestandsmäßig-rechtswidrigen Tat (§§ 249, 22, 27) bestimmt, aber er tat es laut Sachverhalt nicht vorsätzlich. ●
Der Vollendungsvorsatz fehlt auch dem "agent provocateur", dem "Lockspitzel", also demjenigen, der einen anderen zum Versuch animiert, eine Straftat zu begehen, um ihn dann dabei festnehmen zu lassen, so dass es nicht mehr zur Vollendung kommt. Umstritten ist die rechtliche Beurteilung dann, wenn der Lockspitzel einen Schritt weiter geht: Er will sogar noch die Vollendung der Haupttat, plant aber, das betroffene Rechtsgut dennoch zu schützen. Fall 22: A ist Undercoveragent und bringt die Diebesbande von X, Y und Z dazu, nachts ein Zigarettenlager leer zu räumen. Auf seine Veranlassung hin wartet am geplanten Versteck die Polizei, die den dreien die Beute im Lastwagen ab- und sie selber festnimmt.
X, Y und Z haben spätestens in dem Moment, als sie die Zigaretten in ihren Lastwagen luden und damit Gewahrsam daran begründeten, einen vollendeten Bandendiebstahl (§ 244 I Nr. 2) begangen. – Ist A wegen Anstiftung dazu strafbar? Die geschriebenen Voraussetzungen des § 26 sind erfüllt. Auch Vollendungsvorsatz hat A gehabt. Die meisten halten ihn dennoch für nicht strafbar. Ihre Begründung dafür divergiert. Entweder sagen sie, A habe nicht den Vorsatz gehabt, dass es zur materiellen Beendigung des Delikts kommen werde (z. B. S/S-Cramer25 § 26 Rn 20; Kühl, AT2 20/205); das ist eine Begründung, die man für nahezu alle Delikte fruchtbar machen kann. Oder sie verlangen auch für den Anstifter des Diebes, dass er den Vorsatz dauerhafter Enteignung hat (z. B. LK-Roxin11 § 26 Rn 81; SKStGB-Samson1993 vor § 26 Rn 50); nach dieser Ansicht muss man für jedes Delikt gesondert überprüfen, welche Strafbarkeitsvoraussetzungen des Täters für den Anstifter zu übernehmen angemessen ist. Die letztgenannte Ansicht halte ich für vorzugswürdig, weil sie die Voraussetzungen der Anstiftung am präzisesten an die der Täterschaft koppelt. c) Rücktritt von der Teilnahme am Versuch (§ 24 II)
aa) Nach § 24 II 1 wird wegen Versuches nicht bestraft, wer freiwillig die Vollendung verhindert. Damit werden alle Fälle erfasst, die beim Alleintäter unter § 24 I 1 Alt. 1 und 2 fallen. Das dazu Gesagte gilt auch hier. Fall 23: G will als Gehilfe des Einbrechers T diesem durchs Telefon die Zahlenkombination für den Tresor durchgeben, die T direkt nach Gs Diktat einstellen soll. Nach der ersten Ziffer besinnt sich G und hört auf. T muss unverrichteter Dinge abziehen. Die einzige Besonderheit ist terminologischer Art, nämlich die, dass im Sinne des 24 II 1 auch derjenige die Vollendung "verhindert", der die weitere Ausführung der Tat schlicht aufgibt, so dass seine Mitbeteiligten die Tat nicht mehr erfolgreich abschließen; so z. B. G im Fall 23.
bb) Nach § 24 II 2 Alt. 1 wird wegen Versuches nicht bestraft, wer sich freiwillig und ernsthaft bemüht, die Vollendung der Tat zu verhindern, wenn sie ohne sein Zutun nicht vollendet wird. Das entspricht § 24 I 2. Das dazu Gesagte gilt auch hier. Fall 24: Wie Fall 23; aber G wähnt nur, die richtige Kombination zu kennen. Tatsächlich sind die Zahlen falsch. G hat die Vollendung der Tat nicht verhindert, weil der Diebstahl auch bei vollständiger Nennung der vermeintlich richtigen Zahlenkombination nicht vollendet worden wäre. Ein Rücktritt nach § 24 II 1 scheidet also mangels Verursachung der Nichtvollendung aus. Berücksichtigt man aber die Vorstellung des G, die richtige Kombination zu kennen, so hat er das zur Nichtvollendung Optimale geleistet. Man muss deshalb sein schlichtes Aufhören als "ernsthaftes Bemühen, die Vollendung der Tat zu verhindern" ansehen. Weil G sich freiwillig bemühte und die Vollendung ohne sein Zutun ausblieb, ist ein Rücktritt nach § 24 II 2 Alt. 1 zu bejahen. cc) Nach § 24 II 2 Alt. 2 wird wegen Versuches nicht bestraft, wer sich freiwillig und ernsthaft bemüht, die Vollendung der Tat zu verhindern, wenn sie unabhängig von seinem früheren Tatbeitrag begangen wird. Fall 25: Nachdem G die Nennung der weiteren fünf Zahlen verweigert und aufgelegt hat, beschließt T, auf gut Glück eine Kombination einzustellen. Das Unwahrscheinliche geschieht: Die Kombination stimmt. T öffnet den Tresor, nimmt die Juwelen an sich und macht sich davon. Fall 26: M will heimlich mit dem Manta des abwesenden E nach Köln fahren. Er bittet seine Freundin F, die früher mit E verlobt war und noch in dessen Wohnung kann, ihm die Wagenschlüssel zu verschaffen. F tut das, bereut es aber alsbald und läuft M nach. Sie entreißt ihm die Schlüssel, als er gerade aufschließen will. M müht sich nun, insoweit von G weder unterstützt noch behindert, mit eigenen Werkzeugen, die er vorsorglich gleich mitgebracht hat, die Sicherungen zu überwinden. Nach einigen Minuten gelingt ihm das. Er fährt los (vgl. Herzberg, NJW 1991, 1639, dort Fall 22). Nach h. A. ist F zwar nicht wegen Beihilfe zum vollendeten Delikt (§ 248b) strafbar, weil ihr Beitrag nach der Rücknahme sich im Erfolg nicht ausgewirkt hat; die Vollendung darf ihr deshalb nicht angelastet werden. Allerdings
sei die vollendete Tat des M dieselbe, zu deren Versuch F Beihilfe geleistet habe. Also liege kein genügender Rücktritt vor: F hätte nach § 24 II die Vollendung dieser Tat verhindern oder sie zu verhindern sich zumindest ernsthaft bemühen müssen. Das habe sie mit bloßer Annullierung ihrer Hilfe nicht geleistet. Sie bleibe wegen Beihilfe zum Versuch strafbar (Gores, Der Rücktritt des Tatbeteiligten, 1982, S. 217 ff.; Tröndle/Fischer49 § 24 Rn 16; S/S- Eser25 § 24 Rn 101). Wir halten das für falsch. F hat die Tatvollendung, die ihr zuzurechnen gewesen wäre, nämlich die Tatvollendung durch Aufschließen des Wagens, freiwillig (und durch optimale Leistung) verhindert. Das muss als Rücktritt genügen. Denn wem ein bestimmtes Geschehen – mag er es auch mitverursacht haben – nicht zuzurechnen ist, den darf es nicht belasten. Die h. L. tut aber genau das: Sie lastet der F eine fremde Handlung an, die ihr nicht zurechenbar ist. Denn F hat keinen Anteil daran, dass M sich des Wagens mit Hilfe seiner eigenen Werkzeuge bemächtigt; und dennoch soll dieses Handeln die G strafbar machen, wenn auch nur wegen Versuches.
2. Versuch der Beteiligung (§ 30) a) Versuch der Anstiftung (§ 30 I) Fall 27: Zunächst wie Fall 21. Aber A hielt, als er T den Vorschlag machte, für gut möglich, dass G dem T helfen werde. Aber T erkennt wider As Erwarten den O als Karateprofi und findet As Idee deshalb gar nicht gut. Er lässt O in Ruhe. Im Fall 27 sind T und G straflos. Mangels Haupttat hat A sich nicht aus § 26 strafbar gemacht. Wohl aber aus § 30 I 1 Alt. 1: Er hat versucht, den T dazu zu bestimmen, einen Raub, also ein Verbrechen zu begehen. Allerdings ist As Strafe zwingend zu mildern (§ 30 I 2). – Beachten Sie: Der Versuch der Anstiftung ist nur bei Verbrechen strafbar. – Der Versuch der Anstiftung zur Beihilfe, den A im Hinblick auf G begangen hat, ist straflos. b) Versuch der Beihilfe (straflos) Fall 28: M erklärt, er werde rauben gehen. Seine Frau F gibt ihm zur Erleichterung eine Pistole mit. Noch während M einem Opfer auflauert, schießt er sich aus Versehen in den Fuß. Er lässt das Rauben sein und humpelt ins Krankenhaus. Im Fall 28 ist M ebenfalls straflos, weil er noch nicht unmittelbar angesetzt hat zum Raubversuch. Mangels Haupttat hat F sich nicht aus § 27 strafbar gemacht. Auch § 30 scheidet aus: Die versuchte Beihilfe ist immer straflos. c) Sonstige strafbare Verhaltensweisen vor Versuchsbeginn (§ 30 II) § 30 II beschreibt alternativ sechs Verhaltensweisen, die, wenn es zur Tatbegehung käme, Täterschaft oder Anstiftung begründen würden. Fall 29: A sagt zu seiner armen Schwester S, wenn sie wolle, werde er für sie a) am Wochenende den reichen O ausrauben. b) den X dazu überreden, am Wochenende den reichen O auszurauben.
S zeigt sich erfreut und nimmt As Vorschlag dankend an.. A hat sich bereit erklärt, ein Verbrechen zu begehen (Fall 29 a) bzw. zu ihm anzustiften (Fall 29 b). S hat das Erbieten eines anderen angenommen, ein Verbrechen zu begehen (Fall 29 a) bzw. zu ihm anzustiften (Fall 29 b). Fall 30: A und S entwickelt im Gespräch den Plan, gemeinsam a) am Wochenende den reichen O ausrauben. b) den X zu überreden, am Wochenende den reichen O auszurauben. A und S haben jeweils mit einem anderen verabredet, ein Verbrechen zu begehen (Fall 30 a) oder zu ihm anzustiften (Fall 30 b).
Wichtig: Zu allen sechs Tatvarianten gehört, dass derjenige, der sich bereit erklärt usw., es wirklich ernst meint, also nicht die Erklärung nur zum Schein abgibt (s. nur Wessels/Beulke, AT29 Rn 564). Das steht zwar nicht deutlich in § 30 II, ergibt sich aber z. B. aus § 31 I Nr. 2 ("Vorhaben"). d) Rücktritt (§ 31) § 31 nennt für jede der in § 30 genannten Formen des Beteiligungversuches eine Rücktrittsmöglichkeit. Die Vorschrift enthält überwiegend Voraussetzungen, die schon bei § 24 behandelt worden sind. Lesen!
Wiss. Ass. Dr. Bernhard Hardtung
Repetitorium im Strafrecht BT Begünstigung und Hehlerei (§§ 257-262 StGB) Stand: Oktober 1998
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A. § 257 - Begünstigung I. Rechtswidrige Tat eines anderen Die sogenannte "Vortat" muss eine straftatbestandsmäßige rechtswidrige Tat sein; schuldhaft muss sie nicht begangen sein (§ 11 I Nr. 5). Die Tat kann im Prinzip jeden Tatbestand verwirklichen; aber typischerweise erfüllt sie den eines Eigentums- oder Vermögensdelikts.
II. Vorteile der Tat Der Begünstiger muss dem Vortäter objektiv helfen, "die Vorteile der Tat" zu sichern (Begründung dafür unter III bei Fall 5). Das geht nur, wenn es Vorteile gibt, die man sichern kann. Zum objektiven Tatbestand gehört also, dass der Vortäter tatsächlich einen Vorteil erlangt hat. Es müssen gemäß § 257 I "Vorteile der Tat" sein. Das betont man üblicherweise mit der Formulierung, die Vorteile müssten unmittelbar aus der Vortat stammen. Die Grenze zu bloß mittelbaren Vorteilen ist höchst unklar.
Fall 1: (BGHSt 36, 277 ff) K erlangte aus Betrug Verrechnungsschecks im Wert von 400.000 DM. Er ließ die Beträge auf seinem Frankfurter Bankkonto gutschreiben und überwies sie dann auf ein Konto in Luxemburg. Dort ließ er Aktien und Staatsanleihen kaufen und anschließend wieder verkaufen. In Ks Auftrag hob A 400.000 DM in bar ab und übergab K das Geld in Monaco. K wollte, wie A wusste, das Geld so in ein anderes Land transferieren, dass der Weg nicht zu verfolgen war. Der BGH (aaO, S. 280 ff) bejaht hier die Unmittelbarkeit. Das begründet er zum einen mit dem üblichen Argument, § 257 spreche im Gegensatz zu § 259 nicht von einer erlangten "Sache", sondern "ganz allgemein von den 'Vorteilen der Tat', die beliebiger Natur sein können" (S. 281). Daran ist nur so viel richtig, dass angesichts der Vielseitigkeit der möglichen Vortaten die daraus erlangten Vorteile in der Tat "beliebiger Natur" sein können. Aber damit ist die Verwendung des weiten Ausdrucks "Vorteil" auch schon erklärt. Es wäre willkürlich, wollte man daraus auch noch ableiten, der erlangte Vorteil könne sich wandeln und dennoch ein unmittelbarer Vorteil der Tat bleiben. Es stünde auch in einem Widerspruch zu § 73, der in Abs. 1 von dem aus einer Tat Erlangten spricht und in Abs. 2 davon dessen Surrogate unterscheidet. Zum anderen will der BGH (ebd) den "Vorteil" je nach der begangenen Vortat bestimmen, im Fall 1 also gemäß § 263 sehr abstrakt als Vermögensvorteil verstehen. Auch das überzeugt nicht: Erstens würde welche Transaktion auch immer den Vermögenszuwachs bei K erhalten; der unmittelbare Vorteil aus der Tat wäre also auf Jahre hinaus so gut wie nie zu verneinen. Zweitens dürfte man konsequenterweise bei gestohlenen Verrechnungsschecks schon die Gutschriften auf Ks Frankfurter Konto nicht mehr als unmittelbare "Vorteile der Tat" ansehen, denn in § 242 geht es nicht - wie in § 263 - um das Vermögen, sondern - wie in § 259 - um Sachen, also um die einzelnen Verrechnungsschecks. Dass aber die jeweilige Vortat (mal Betrug, mal Diebstahl) zu derart unterschiedlichen Folgen für § 257 führen soll, leuchtet nicht ein. Man muss also einen für alle Vortaten gleichen Maßstab für das Merkmal "Vorteile der Tat" finden. Zum Fall 1: K hat aus den Betrügereien die Vorteile erlangt, Verrechnungsschecks in den Händen zu halten, also verbriefte Ansprüche gegen die bezogenen Banken auf Zahlung. Mit der Gutschrift haben sich diese Ansprüche erledigt. K hat freilich neue Ansprüche, jetzt gegen seine Frankfurter Bank aus dem Girovertrag. Aber diese anderen Ansprüche sind andere Vorteile als die aus der Tat erlangten. Freilich wäre es eine Begünstigung, wenn A für K die Einziehung der Verrechnungsschecks vorgenommen hätte, obwohl die Schecks selber dadurch ja wertlos geworden wären. Denn die Geltendmachung und Durchsetzung von Ansprüchen darf man ohne Weiteres als ein "Sichern" dieser Vorteile verstehen: Einen Anspruch kann man nicht besser sichern als dadurch, dass man ihn zur Erfüllung bringt.
Ebenso ist zu entscheiden im Fall 2: (nach RGSt 58, 117 f, 154 ff) V hat Geld unterschlagen und durch Betrug Sachen erlangt. Das Geld wechselt er um. A versteckt für V das eingewechselte Geld. Außerdem hilft er ihm beim Verkauf der Betrugsbeute an den Hehler H und bringt später auch einen Teil des Kaufpreises von H zu V. Das RG hat in dem Verhalten des A mit Recht keine Begünstigung gesehen, denn dazu genügt "nicht
ein Beistand zur bloßen Verwertung der strafbar erlangten Sache und ebensowenig ein Beistand zur Sicherung ihres Erlöses" (RGSt 58, 154, 155). "Diese Auslegung mag vielleicht nicht immer den Bedürfnissen des täglichen Lebens gerecht werden, fußt aber auf dem klaren und bestimmten Wortlaut des Gesetzes" (RGSt 58, 117 f). Ähnlich eng wie das RG versteht die Unmittelbarkeit zB SKStGB-Samson § 257 Rn 17; ähnlich weit wie der BGH sehen es zB LK-Ruß11, § 257 Rn 11; S/S-Stree25, § 257 Rn 23. Siehe auch BGH, NStZ 1997, 22, wo der 3. Strafsenat einem engen Verständnis zuneigt.
III. Hilfe leisten Fall 3: V hat einen roten Jaguar gestohlen. T lackiert ihm den Wagen blau. Dennoch wird der Wagen tags darauf von der Polizei sichergestellt Fall 4: V hat einen 1000-DM-Schein gestohlen und in sein Portmonee gesteckt. Als eine Taschendiebin Vs Portmonee aus dessen Hosentasche ziehen will, hält Vs Freund B sie davon ab. Hilfeleisten ist ein Verhalten, das ex ante objektiv geeignet ist (vgl Fall 3), dem Vortäter die Vorteile der Tat davor zu sichern, dass der rechtmäßige Zustand wiederhergestellt wird (vgl Fall 4) . Das kann durch Rat oder Tat geschehen. Begründung: Der objektive Tatbestand lässt mit den Worten "Hilfe leistet" genügen, dass der Begünstiger dem Vortäter irgendwie hilft. Dass aber nicht jede irgendwie geartete Hilfe genügen kann, zeigt Fall 5: Y hat gestohlen. Tags darauf hilft X dem Y beim Holzhacken. Dabei fasst er die Absicht, dem Y beim Vergraben der Diebesbeute zu helfen. Hier steht das objektive Helfen in keinem inneren Zusammenhang mit der Absicht, die Vorteile zu sichern, und es leuchtet unmittelbar ein, dass der Gesetzgeber solche Fälle nicht mit § 257 gemeint hat. Deshalb verlangt man zu Recht, dass die Hilfeleistung gerade zur Vorteilssicherung geeignet ist (vgl. Fall 3). Hingegen gibt es keinen Sachgrund, den Wortlaut auch noch so weit einzuschränken, dass man ein gelungenes Hilfeleisten verlangt. § 259 (Hehlerei) macht deutlich, dass der Gesetzgeber ein weiteres Unrecht darin sieht, dass zB eine gestohlene Sache noch weiter vom Berechtigten wegkommt. Das leuchtet ein, weil die Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes dadurch erschwert wird. Wer also einem Dieb dabei hilft, eine solche Unrechtsintensivierung zu verhindern (Fall 4), trägt nicht zur Schaffung eines neuen Unwertes bei, sondern handelt wertvoll. Und auch derjenige, der einem Dieb dabei hilft, die gestohlene Sache zB vor Verderbnis zu bewahren, dient dem Erhalt der gestohlenen Sache, handelt also wertvoll. Ein Unwert liegt also nur darin, die Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes zu erschweren. Fall 6: (BGHSt 4, 132 ff, vereinfacht) M entwendete 6 t Schrott von einem Schrottlager des H und
brachte die Beute 500 m fort zu einem Versteck. Am folgenden Tat fuhr K auf Bitten des M mit seinem Lastwagen dorthin, lud den Schrott auf und brachte ihn zu einem anderen, sichereren Platz. K hat dem M nach Vollendung, aber vor Beendigung des Diebstahls geholfen. Nach hM ist eine Beihilfe (§ 27) auch noch bis zur Beendigung der Haupttat möglich ("sukzessive Beihilfe"; so zB BGH, aaO S. 133; S/S-Cramer25, § 27 Rn 17; Wessels, AT27, Rn 583). Kritik: Die "rechtswidrige
Tat", von der § 27 spricht, ist "nur" (§ 11 I Nr. 5) genau das Verhalten, das einen Straftatbestand verwirklicht. Ist also bei einem Diebstahl mit der Wegnahme der Tatbestand verwirklicht, so mag das weitere Sichern der Beute zwar eine (zivil-) rechtswidrige Tat sein, aber es verwirklicht nicht mehr den Tatbestand des § 242; damit kann es nach den klaren Worten des Gesetzes in §§ 27, 11 I Nr. 5 nicht mehr Bezugspunkt der Hilfeleistung eines Gehilfen sein. Außerdem ist der Moment der "materiellen Beendigung" so unbestimmt, dass verfassungsrechtliche Bedenken laut werden (gegen sukzessive Beihilfe auch Jakobs2, 22/41; LK-Roxin11, § 27 Rn 35; LK-Ruß11, § 257 Rn 5; SKStGBSamson, § 27 Rn 18, § 257 Rn 26). Lehnt man die Möglichkeit einer sukzessiven Beihilfe ab, entstehen keine Schwierigkeiten bei der Abgrenzung zur Begünstigung: Wirkt sich der Beitrag des Beteiligten vor der Tatbestandsverwirklichung aus, so liegt Beihilfe vor; wirkt er sich - wie im Fall 6 - erst danach aus, ist es Begünstigung. Die hM steht dagegen im Fall 6 vor der Wahl. "Entscheidend für die Abgrenzung sind die Vorstellung und der Wille des Täters, mit denen er seinen Beistand leistet" (BGH, ebd; ebenso zB Wessels, BT 220, Rn 746; kritisch S/S-Stree25, § 257 Rn 8). Im Fall 6 hat der BGH die Ansicht der Vorinstanz gebilligt, K habe mit Begünstigungsabsicht gehandelt - wohl weil K dem M die Vorteile des Diebstahls sichern wollte. Das halte ich für eine beliebige Zuschreibung. Mit dem gleichen Recht könnte man nämlich sagen, K habe in Beihilfeabsicht gehandelt, weil er die Beendigung des Diebstahls (was ja nun einmal dasselbe ist wie die Sicherung der Beute!) unterstützen wollte.
IV. Absicht, dem anderen die Vorteile der Tat zu sichern Die hM verlangt echte Absicht (dolus directus 1. Grades); Wissentlichkeit (dolus directus 2. Grades) lässt sie nicht genügen. Für die Vorteilssicherungsabsicht gelten dieselben Anforderungen wie für das objektive Hilfeleisten, dh: Der Begünstiger muss die Absicht haben, dem Vortäter die Vorteile der Tat davor zu sichern, dass der rechtmäßige Zustand wiederhergestellt wird. Dafür gilt dieselbe Begründung wie oben unter III am Ende. Diese Absicht fehlt im Fall 7: V hat eine Golduhr gestohlen. Der eingeweihte T kauft sie ihm für 700 DM ab. Hier hat sich T nur aus § 259 wegen Hehlerei strafbar gemacht ("ankauft").
V. Persönlicher Strafausschließungsgrund in Abs. 3: Beteiligung an der Vortat Beachten Sie die Ausnahme in Satz 2! Dazu Fall 8: Täter T und Gehilfe G haben einen Diebstahl begangen und die Beute in der Nähe des Tatortes versteckt. Später bittet G den an der Vortat unbeteiligten B, die Beute dem T zu bringen. B tut das.
VI. Verfolgungsvoraussetzungen, Abs. 4 Satz 1 versteht sich von selbst. Satz 2 ist schwerer zu verstehen. Dazu Fall 9: D hat Sachen im Wert von 80 DM gestohlen. B hilft ihm dabei, die Hälfte der Beute dem Zugriff der Polizei zu entziehen. § 248a "sinngemäß" anzuwenden bedeutet zunächst: Es kommt auf den Wert der Vorteile an, zu deren Sicherung der Begünstiger Hilfe leistet (so die gleich Genannten); es kommt nicht auf den Wert der gesamten Vortatbeute an (so aber Tröndle48, § 257 Rn 14a). Im Fall 9 ist also zur Strafverfolgung Strafantrag oder Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses nötig. Eine andere Frage ist, ob § 257 IV 2 nur geringwertige Vermögensvorteile aus einem Eigentums- oder Vermögensdelikt meint (so zB S/S-Stree25, § 257 Rn 38; Wessels, BT 220, Rn 762) oder ob auch geringwertige Nichtvermögensvorteile gemeint sind (so zB Lackner/Kühl22, § 257 Rn 10; LK-Ruß11, § 257 Rn 27). Die Beschränkung auf Vermögensvorteile überzeugt: Würde man § 257 IV 2 auch bei geringfügigen Nichtvermögensvorteilen anwenden, hätte man die besonderen Strafverfolgungsvoraussetzungen an das allgemeine Bagatellprinzip gekoppelt. Das hat der Gesetzgeber aber bei den Nichtvermögensdelikten nirgends getan. Also wäre es unsystematisch, es gerade bei § 257 zu tun. Vielmehr zeigen §§ 248a, 259 II, 263 IV, 265a III, 266 III, 266b II, dass der Gesetzgeber nur bei Eigentums- und Vermögensdelikten die Geringwertigkeit des angerichteten Schadens für strafverfolgungsrelevant hielt. Auch die Rede in § 248a von "geringwertiger" (statt: "geringfügiger") Beute spricht dafür, dass der Gesetzgeber nur Vermögenswerte im Blick hatte.
B. § 258 - Strafvereitelung I. Verfolgungsvereitelung, Abs. 1 1. Rechtswidrige Tat eines anderen Die rechtswidrige Tat muss gemäß § 11 I Nr. 5 einen Straftatbestand verwirklichen; eine Ordnungswidrigkeit etwa genügt also nicht. Die rechtswidrige Tat muss wirklich begangen worden sein, denn nur dann ist die Verhängung einer Sanktion "dem Strafgesetz gemäß". Ob der andere eine rechtswidrige Tat begangen hat, müssen Sie in Ihrem Gutachten selbstständig prüfen, auch wenn im Sachverhalt mitgeteilt ist, dass der andere wegen dieser Tat verurteilt worden ist. Denn im Verfahren wegen Verfolgungsvereitelung ist der Richter nicht an ein vorangegangenes Urteil über die Vortat gebunden.
2. Möglichkeit der Bestrafung oder Verhängung einer Maßnahme wegen der rechtswidrigen Tat
Es müssen alle Voraussetzungen der jeweiligen Sanktion vorliegen. Die Bestrafbarkeit der rechtswidrigen Tat zB setzt Schuld voraus, außerdem das Vorliegen von objektiven Bedingungen der Strafbarkeit und das Fehlen von Strafausschließungs- und -aufhebungsgründen; sodann auch Verfolgungsvoraussetzungen wie zB einen Strafantrag. Die tatbestandlich erfassten "Maßnahmen" sind genannt in § 11 I Nr. 8.
3. Ganz vereiteln a) Üblicherweise läßt man für ein Vereiteln iSd § 258 I genügen, dass "der staatliche Verfolgungsanspruch für geraume Zeit nicht zur Durchsetzung kommt" (LK-Ruß11, § 258 Rn 10 mit zahlreichen Nachweisen für die ganz herrschende Lehre). Dafür kann man immerhin auf die Materialien verweisen, wonach der Gesetzgeber eine geraume Verzögerung genügen lassen wollte (RegE, BT-Drs. 7/550, S. 249). Die "geraume Zeit" ist beispielsweise bei 7 Tagen verneint und bei 10 Tagen bejaht worden (KG, NStZ 1988, 178; OLG Stuttgart, NJW 1976, 2084); weitere Nachweise bei S/S-Stree25, § 258 Rn 16. Fall 10: V wird wegen eines Raubes polizeilich gesucht. Er versteckt sich bei T. T streitet gegenüber der Polizei mehrfach ab, den Aufenthaltsort des V zu kennen. Nach zwei Wochen durchsucht die Polizei die Wohnung des T und nimmt V fest. Auch wenn man mit der hM eine bloße zeitliche Verzögerung als ein "Vereiteln" ansieht, muss nach dem weiteren Wortlaut des § 258 I vereitelt werden, dass ein anderer "bestraft" wird, dh (wie sich aus dem Zusammenspiel mit § 258 II ergibt): dass gegen einen anderen (durch Urteil oder Strafbefehl) eine Strafe verhängt wird. Dafür genügt es nicht, wenn einzelne Maßnahmen der Strafverfolgung sich verzögern. Das entspricht dem Willen des Gesetzgebers (RegE, ebd) und wird auch vom BGH betont. Der hat in JR 1985, 24 (25) trotz Verzögerung der Festnahme um 8 Tage und in wistra 1995, 143 trotz Verzögerung der Ermittlungen um 12 Tage nicht als bewiesen angesehen, dass dadurch auch die Bestrafung für geraume Zeit verzögert worden sei. - Deshalb ist jedenfalls die eingangs wiedergegebene übliche Definition des Vereitelns ungenau. Man sollte genauer vom "staatlichen Anspruch auf Bestrafung oder auf Verhängung einer Maßnahme" sprechen. Weil im Fall 10 nicht mitgeteilt ist, dass der Gang des Ermittlungsverfahrens gegen V so ins Stocken geraten ist, daß Vs Verurteilung sich verzögerte, muss nach dem soeben Gesagten in dubio pro reo ein Vereitelungserfolg verneint werden. Vertiefung: Die übliche Deutung, dass eine geraume Verzögerung ein Vereiteln sei, ist in neuerer Zeit zu Recht bestritten worden (SKStGB-Samson, § 258 Rn 25-31; Vormbaum, Der strafrechtliche Schutz des Strafurteils, 1987, S. 394-413). Man kann nämlich schon grundsätzlich nicht sagen, dass von dem Wort "vereiteln" eine bloße zeitliche Verzögerung abgedeckt ist. Zum typischen Wortsinn gehört das sicherlich nicht. Und in der alltagssprachlichen Verwendung finden sich nicht einmal entlegene Beispiele dafür. Auch im gesetzlichen Sprachgebrauch läßt sich diese Deutung nicht belegen: In § 74c I etwa nennt das Gesetz als Beispiele für das "Vereiteln" der Einziehung eines Gegenstandes nur Verwertung, Veräußerung und Verbrauch, also Maßnahmen, die eine Einziehung unmöglich machen. So muss man ehrlicherweise sagen, dass die Lesart, eine zeitliche Verzögerung sei ein Vereiteln, die Wortlautgrenze überschreitet. So sieht es übrigens auch Tröndle, freilich nicht bei der Strafvereitelung (Tröndle48, § 258 Rn 5), wohl aber beim "Vereiteln" von Feststellungen zum Unfall in § 142 III 2 (§ 142 Rn 50). - An der Sperre
des Wortsinns ändert sich nichts dadurch, dass § 258 I auch verpönt, nur "zum Teil" zu vereiteln. Dieser Passus zielt auf den Umfang der Bestrafung (dazu sogleich unter 4 bei Fall 11); eine zeitliche Verzögerung klingt auch darin sprachlich nicht einmal an. Allerdings darf man für ein Vereiteln kein endgültiges Unmöglichmachen verlangen. Denn das ergäbe absurde Ergebnisse: Wegen Strafvereitelung könnte erst bestraft werden, wenn die Vortat verjährt ist (§ 78 III), wegen Mord und Völkermord, die gemäß § 78 II nicht verjähren, sogar erst dann, wenn der Vortäter tot ist oder so sterbenskrank, dass ihm nie mehr der Prozess gemacht werden kann. § 258 I soll also erkennbar nicht nur die "abstrakte Bestrafung" absichern, also dass gegen einen anderen irgendwann und irgendwie die angemessene Strafe verhängt wird. Vielmehr soll die Vorschrift die "konkrete Bestrafung" schützen, also auch den Gang des Verfahrens bis hin zur Bestrafung. Dieses gesetzgeberische Ziel (RegE, ebd) muss man im Rahmen des sprachlich Möglichen verwirklichen. Und das ist auch weitgehend möglich. Denn ein so strenges Verständnis, dass zu den genannten absurden Ergebnisse führen würde, gebietet der Wortlaut nicht. Ein Beispiel: Nach dem natürlichen Wortsinn hat die Kavallerie den Fall des Forts zwar nicht schon dann "vereitelt", wenn sie die im Morgengrauen angreifenden Indianer immerhin bis zum späten Abend abwehren kann und das Fort erst dann fällt. Hält die Kavallerie aber stand und ziehen die Angreifer ab, so darf sie sich durchaus rühmen, den Fall des Forts "vereitelt" zu haben, auch wenn die Angreifer in der nächsten Woche wiederkommen und dann das Fort einnehmen. Auch § 74c I meint ersichtlich kein endgültiges Vereiteln, denn wenn der Täter eine einzuziehende Sache vor der Einziehung "veräußert", ist ja immer noch möglich, dass er sie zurückkauft; dann kann sie wieder eingezogen werden. Für § 258 I genügt also ein "vorläufiges" Vereiteln der Bestrafung. Der Unterschied zu einer bloßen zeitlichen Verzögerung der Bestrafung zeigt sich anschaulich im Beispiel aus dem Wilden Westen: Solange die Indianer sich noch hinreichend konkret um den Fall des Forts bemühen, trotz Kampfpausen und Sammlung zum neuen Angriff, wird der Fall des Forts durch die Verteidiger nur verzögert, nicht aber vereitelt. Selbst wenn von mehreren Angriffen an verschiedenen Stellen der eine am Südtor endgültig zurückgeschlagen wird, die anderen aber noch fortdauern, ist der Fall des Forts nicht "vereitelt" (wohl ist es der eine Angriff am Südtor). Bei der Bestrafung kann man es sehen wie beim Fall des Forts: Solange die Ermittlungsbehörden noch hinreichend auf die Bestrafung des Vortäters hinwirken, solange sie also noch hinreichend konkrete Maßnahmen zur Ermittlung oder Aufgreifung des Vortäters, zur Sammlung von Beweisen oder zur Durchführung der Hauptverhandlung usw ergreifen, solange kann man nur von einer Verzögerung der Bestrafung sprechen, aber nicht von einer (wenn auch nur vorläufigen) Vereitelung. Ein Belastungszeuge etwa, der nicht zur Hauptverhandlung kommt, vereitelt die Bestrafung nicht, sondern verzögert sie, egal um wie viele Wochen oder gar Monate seine Renitenz den Urteilsspruch hinausschiebt. Auch wer die aussichtsreichsten Spuren verwischt, so dass Staatsanwaltschaft und Polizei mit den zweitbesten Spuren Vorlieb nehmen müssen und den Vortäter deshalb erst deutlich später ausfindig machen, verzögert nur. Hingegen: Wer bewirkt, dass alle hinreichend konkreten Maßnahmen zur Ermittlung oder Aufgreifung des Vortäters usw. nutzlos werden, der verzögert nicht nur, sondern "vereitelt". Dass tut zB, wer einen Untersuchungshäftling befreit; denn nun muss der schon ergriffene Täter ganz neu wieder aufgegriffen werden. Ebenso "vereitelt", wer den einzigen bekannten Tatzeugen erschießt, wenn es sonst keine hinreichenden Beweismittel gibt; das gilt auch dann, wenn die Ermittlungsbehörden später durch einen Aufruf in den Medien oder auch durch Zufall einen neuen Zeugen bekommen. Diese Unterscheidung zwischen bloßer Verzögerung und vorläufiger Vereitelung beruht nicht nur auf sprachlichen Überlegungen, sondern auch auf inhaltlichen. Denn auch mit Blick auf den Schutz des Verfahrensganges ist es ein Unterschied, ob die laufenden Ermittlungen nur erschwert werden und deshalb länger dauern (bloße Verzögerung), oder ob die Ermittlungen so beeinträchtigt werden, dass sie "von vorn" beginnen müssen (vorläufige Vereitelung). Die Bewertung, wann die Strafverfolgung gegen den Vortäters noch hinreichend konkret fortdauert, so dass der Täter die Bestrafung nur verzögert, und wann die Strafverfolgungsmaßnahmen so aussichtslos werden, dass der Täter die Bestrafung vereitelt, ist zwangsläufig vage. Aber immerhin ist damit ein Kriterium vorgegeben, dass über den reinen Zeitfaktor ("geraume Zeit") deutlich hinaus geht.
b) Beachten Sie bei § 258 die allgemeine Voraussetzung der objektiven Zurechnung: Der Täter muss die Gefahr des Vereitelungserfolges unerlaubt schaffen. Deshalb ist es kein "Vereiteln" iSd § 258 I, wenn ein Rechtsanwalt mit prozessual zulässigen Mitteln auf den Freispruch seines Mandanten
hinwirkt, auch wenn er von dessen Schuld überzeugt ist (anschaulich bei Wessels, BT 121, Rn 711).
4. Zum Teil vereiteln Ein Teilvereiteln liegt vor, wenn die Strafe milder ausfällt, als sie eigentlich sein müsste. Fall 11: V hat dem O aufgelauert und ihn dann verprügelt. Vs Bruder T droht dem O weitere Prügel an, wenn er als Zeuge gegen V aussage. O behauptet vor Gericht, er könne sich an den Vorfall nicht mehr erinnern. Das Gericht ist aufgrund anderer Beweismittel dennoch von der Täterschaft des V überzeugt, kann ihm allerdings den hinterlistigen Überfall nicht nachweisen. V wird nur wegen einfacher Körperverletzung verurteilt.
5. Vereiteln durch Unterlassen Fall 12: (nach BGH, NJW 1993, 544 f) Polizist P besucht abends außer Dienst eine Bar. Dort erkennt er deutlich, dass die Betreiberin in strafbarer Art und Weise die Prostitution fördert (§ 180a I Nr. 2). Dennoch macht er seiner Dienststelle keine Mitteilung. Ein strafbares Vereiteln durch Unterlassen ist möglich. Es setzt voraus, dass der Unterlassende eine Garantenpflicht hat, also "rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintrittt" (§ 13 I). Im Fall 12 kommt eine Pflicht des Polizisten P aus § 163 I StPO in Betracht. Danach haben die "Behörden und Beamten des Polizeidienstes" von sich aus (also ohne Ersuchen der Staatsanwaltschaft) den Sachverhalt zu erforschen, sobald sie den Anfangsverdacht einer Straftat (also zureichende tatsächliche Anhaltspunkte, § 152 II StPO) haben (dazu etwa KK-Wache3, § 163 Rn 1). § 163 I StPO begründet allerdings eine Dienstpflicht des Polizeibeamten. Daraus folgt: Außer Dienst muss ein Beamter keine Straftaten verfolgen, einerlei ob er von der Straftat erst in seiner Freizeit erfahren oder ob er seine Kenntnis davon aus dem Dienst mitgebracht hat. Ist ein Beamter im Dienst und erlangt er dabei Kenntnis von einer Straftat, muss er gemäß § 163 I StPO die Strafverfolgung aufnehmen, also mindestens der Staatsanwaltschaft eine Mitteilung machen. Problematisch ist nur die Konstellation, dass ein Beamter von einer Straftat außer Dienst Kenntnis erlangt und dann diese Kenntnis mit in den Dienst nimmt. Nach § 163 I StPO müsste er an sich tätig werden, denn im Dienst muss er ja bei Anfangsverdacht einschreiten. Man ist sich aber darüber einig, dass diese Rechtspflicht zu weit geht. Denn einem Beamten ist "im Rahmen seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 1, 2 GG ein geschützter Bereich menschlicher Beziehungen zuzubilligen, der durch Berufspflichten jedenfalls nur begrenzt eingeschränkt werden kann" (BGH, aaO, S. 545). Deshalb wird allgemein eine teleologische Reduktion des § 258 befürwortet (ähnlich wie bei §§ 185, 186 für Beleidigungen und üble Nachreden in besonders engen Lebensbereichen). Uneinigkeit besteht erst bei der Frage, wie weit der geschützte Bereich menschlicher Beziehungen geht: Herrschend ist die Ansicht, insoweit bedürfe es "der Abwägung im Einzelfall, ob das öffentliche Interesse privaten Belangen vorgeht. Hierbei ist von entscheidender Bedeutung, ob durch die Straftat Rechtsgüter ... betroffen sind, denen ... ein besonderes Gewicht zukommt. Dies kann auch außerhalb
des Katalogs des § 138 StGB bei schweren Straftaten wie z. B. schweren Körperverletzungen, erheblichen Straftaten gegen die Umwelt, Delikten mit hohem wirtschaftlichen Schaden oder besonderem Unrechtsgehalt der Fall sein" (BGH, ebd, Hervorhebungen von mir; so auch zB S/SStree25, § 258a Rn 11). Einige (zB SKStGB-Samson, § 258a Rn 11-14) möchten die Pflicht zum Einschreiten immer verneinen, weil die Differenzierung der hM so unscharfe Kriterien habe, dass die private Kommunikation des Polizisten oder Staatsanwalts immer noch gestört, deren Persönlichkeitsrecht also noch immer nicht gewahrt sei. Dieses Bedenken überzeugt. Es kann aber schon dadurch ausgeräumt werden, dass man eine klare Grenze zieht, die möglichst nahe an die materiell ideale, aber eben zu vage Grenze herankommt. Dazu kann man sich streng an den Katalog des § 138 binden. Dass man dabei nicht alle Fälle erfasst, wo man in freier Abwägung der Strafverfolgung den Vorzug vor dem Persönlichkeitsrecht des Amtsträgers geben würde, kann ohne Weiteres hingenommen werden. Man nimmt ja auch im unmittelbaren Anwendungsbereich des § 138 hin, dass nur bei den dort genannten Taten eine Anzeigepflicht besteht, obwohl man auch bei manchen dort nicht genannten Taten (zB bei den im obigen BGH-Zitat genannten) in freier Abwägung eine Anzeigepflicht befürworten würde. Solche Vorgaben des Gesetzgebers dienen der Bestimmtheit und der Rechtssicherheit.
6. Täterschaftliche Strafvereitelung, Beihilfe dazu und straflose Mitwirkung an Selbstschutzmaßnahmen des Vortäters Häufig wirken mehrere Personen an der Vereitelung der Bestrafung des Vortäters mit. Unter ihnen kann auch der Vortäter sein. Klar ist: 1. Der Vortäter (V), der seine eigene Bestrafung vereitelt, ist kein Täter des § 258, denn er vereitelt nicht, dass ein "anderer" bestraft wird. Stiftet V einen Täter (T) zur Strafvereitelung an oder hilft er ihm dabei, ist V immer noch straflos, nämlich wegen § 258 V (siehe unten III). 2. Eine andere Person, die den T anstiftet (A) oder ihm hilft (G), ist aus §§ 258, 26 bzw. § 258, 27 strafbar. 3. Weckt A in V den Entschluss, sich selber vor Bestrafung zu schützen, oder bestärkt G diesen Entschluss, so können sie nicht wegen Anstiftung bzw. Beihilfe bestraft werden, weil die Haupttat fehlt: V hat sich ja nicht aus § 258 strafbar gemacht. Umstritten ist aber der Fall, dass G dem V bei dessen straflosen Selbstschutzmaßnahmen hilft. Als Gehilfe kann G sicherlich nicht bestraft werden, weil die Haupttat fehlt. Die meisten bejahen aber täterschaftliche Strafvereitelung des G: "Wer ... über das bloße Veranlassen (Stärken) des Selbstschutzes hinausgeht, zB dem Vortäter bei Verdunkelungsmaßnahmen behilflich ist ..., ihm Geld ... für die Flucht aushändigt, ist wegen Strafvereitelung strafbar" (S/S-Stree25, § 258 Rn 33; s. auch Wessels, BT 121, Rn 706). Die Gegenansicht verneint Täterschaft des G (z. B. SKStGB-Samson, § 258 Rn 42-44, bitte lesen), und zwar zu Recht. Denn wenn G, solange er dem T dabei Hilfe leistet, die Bestrafung des V zu vereiteln, nur als Gehilfe bestraft wird, dann leuchtet es nicht ein, ihn viel schärfer als Täter zu
bestrafen, wenn er exakt dieselbe Hilfe direkt dem V leistet.
7. Absichtlich oder wissentlich Die besonderen Vorsatzformen der Absichtlichkeit und Wissentlichkeit beziehen sich nur auf das Vereiteln. Hinsichtlich der Begehung einer rechtswidrigen Tat und der Möglichkeit, eine Strafe oder Maßnahme zu verhängen, genügt also Eventualvorsatz.
II. Vollstreckungsvereitelung, Abs. 2 1. Hier kommt es nach dem klaren Wortlaut nicht darauf an, ob der andere eine rechtswidrige Tat begangen hat, sondern darauf, ob gegen ihn eine Strafe oder Maßnahme "verhängt" worden ist. Im Gutachten dürfen Sie also - anders als bei der Verfolgungsvereitelung - nicht prüfen, ob der andere wirklich eine rechtswidrige Tat begangen hat. Fall 13: V wird zu Unrecht eines Totschlages verdächtigt und zu sieben Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Er sitzt im Gefängnis seine Haftstrafe ab. Nach drei Jahren durchbricht sein Freund T mit einem gestohlenen Panzer die Gefängnismauer, lässt V einsteigen und bringt ihn in die Freiheit. V bleibt untergetaucht. 2. Umstritten ist, ob die Bezahlung einer Geldstrafe durch Dritte eine Vollstreckungsvereitelung ist oder nicht. Fall 14: (BGHSt 37, 226 ff, vereinfacht) Gegen den Betriebsleiter B eines Abwasserverbandes wurde eine Geldstrafe verhängt. A führte als Verbandsvorsteher den Beschluss herbei, dass der Verband die Geldstrafe bezahle, und verfügte die Überweisung des Betrages an die Gerichtskasse. Manche sehen in keiner Zahlung eine Vollstreckungsvereitelung, andere nur in der unmittelbaren Zahlung seitens des Dritten (wie im Fall 14), wieder andere in jeder Zahlung (also auch bei vorherigen Darlehen und Schenkungen); Nachweise beim BGH, aaO, S. 227 ff. Der BGH hat sich überzeugend der ersten Ansicht angeschlossen: "Bei einer Verurteilung zu Freiheitsstrafe ist der Verurteilte verpflichtet, die (zeitweise) Entziehung eines höchstpersönlichen, unübertragbaren Rechts, des Rechts auf persönliche Freiheit, hinzunehmen. Wurde der Angeklagte zu einer Geldstrafe verurteilt, so hat er einen bestimmten Geldbetrag - eine vertretbare Sache - an die Gerichtskasse zu zahlen. Die Vollstreckungsbehörden haben die Freiheitsentziehung oder die Zahlung der Geldstrafe durchzusetzen. Nicht mit Vollstreckungsmaßnahmen durchsetzbar ist hingegen die weitgehend vom Willen des Verurteilten abhängige 'persönliche Betroffenheit'. Sie ist nicht vollstreckbar und deshalb nicht Angriffsobjekt der Strafvereitelung.(1) Aus diesem Grund begeht Vollstreckungsvereitelung nur, wer durch Störung der äußeren Abläufe (Übernahme oder Überstellung des Verurteilten in den Vollzug, Beitreibung von Geldstrafen) bewirkt, daß eine gegen einen anderen verhängte Strafe oder Maßnahme ... nicht verwirklicht werden kann. Ein Dritter, der - ohne in den äußeren Ablauf der Vollstreckung einzugreifen - nur dazu beiträgt, daß der Verurteilte von der Strafe nicht oder weniger 'persönlich
betroffen' ist, vereitelt den staatlichen Strafanspruch nicht ... Die Auslegung einer strafrechtlichen Norm findet ihre Grenze ... am Wortlaut und seinem möglichen Sinn ... Nichts im Wortlaut des § 258 Abs. 2 StGB deutet an, daß derjenige die Vollstreckung einer Geldstrafe vereitelt, der ... dafür sorgt, daß die Strafe bezahlt wird, auch wenn es dabei nicht zu einer Beeinträchtigung (Vermögensminderung) des Verurteilten kommt" (aaO, S. 229 f, 230; Hervorhebungen und Fußnote von mir). - Schlagwort: Vollstreckungsvereitelung ist etwas anderes als Strafzweckvereitelung.
III. Persönliche Strafausschließungsgründe, Abs. 5 und 6 Typischer Fall des Abs. 5: Der Vortäter stiftet einen anderen zur Strafvereitelung an und bleibt wegen Abs. 5 straflos. - Zu Abs. 6: Der Begriff "Angehöriger" ist bestimmt in § 11 I Nr. 1.
C. § 258a - Strafvereitelung im Amt I. Tatbestand Der Begriff "Amtsträger" ist bestimmt in § 11 I Nr. 2. Der Amtsträger muss nach dem klaren Wortlaut "zur Mitwirkung bei dem ...Verfahren berufen" sein. Der Wortsinn ist eindeutig: Der Amtsträger muss sachlich, örtlich und nach dem innerdienstlichen Geschäftsverteilungsplan zuständig zur Mitwirkung an "dem" konkreten Verfahren sein (so zB SKStGB-Samson, § 258a Rn 5,6). Die hM missachtet das und lässt genügen, dass "die konkrete Amtsstellung des Täters ihm die Möglichkeit gibt, in das Verfahren einzugreifen, sei es auch unter Verletzung innerdienstlicher Zuständigkeiten oder sogar in einer strafbaren Weise, so zB, wenn ein Polizeibeamter einem Kollegen die von diesem bearbeitete Akte wegnimmt" (S/S-Stree25, § 258a Rn 4).
II. Ausschlussklausel in Abs. 3 Lesen!
D. § 259 - Hehlerei Der Gesetzgeber sah "mit der Rechtsprechung ... das Wesen der Hehlerei ... in der Aufrechterhaltung der durch die Vortat geschaffenen rechtswidrigen Vermögenslage, die durch das Weiterschieben der durch die Vortat erlangten Sache im Einverständnis mit dem Vortäter erreicht wird" (Begr. des RegEntwurfs zu § 259, BT-Drs. 7/550, S. 232; Hervorhebungen von mir). Dieser gesetzgeberische Wille ist bei der Auslegung aller Tatbestandsalternativen zu berücksichtigen.
I. Sache, die ein anderer gestohlen oder sonst
durch eine gegen fremdes Vermögen gerichtete rechtswidrige Tat erlangt hat 1. "Sache" ist wie in §§ 242, 246, 303 zu verstehen, dh als körperlicher Gegenstand (§ 90 BGB). § 259 ist insoweit also enger als § 257, der jeden "Vorteil" genügen lässt. Die Sache muss weder fremd noch beweglich sein. 2. Eine "gegen fremdes Vermögen gerichtete rechtswidrige Tat" ist eine straftatbestandliche rechtswidrige Tat (§ 11 I Nr. 5), die im konkreten Fall fremde Vermögensinteressen verletzt. Sie muss kein Eigentums- oder Vermögensdelikt im üblichen Sinne sein. Diesen Anforderungen genügt zB die Nötigung im Fall 15: (nach BGH bei Dallinger, MDR 1972, 569, 571) V schlägt O zusammen und nimmt ihm 400 DM weg. Er glaubt dabei irrig, diese Geldscheine stünden ihm zu. Die Hälfte von dem Geld schenkt er H, der die Wegnahme mit angesehen hatte. 3. Die "Sache, die ein anderer gestohlen ... hat", ist eindeutig nur die unmittelbare Tatbeute. Dieses Unmittelbarkeitserfordernis gilt auch für die "Sache, die ein anderer sonst durch eine ... Tat erlangt hat". Das legt zum einen der Wortlaut nahe; denn das "sonst" bezieht sich auf "gestohlen" ("gestohlen oder sonst erlangt"), meint also einen dem Diebstahl vergleichbaren Akt der Erlangung. Zweitens gibt es keinen Sachgrund, beim Diebstahl ein Unmittelbarkeitserfordernis aufzustellen und bei allen anderen Delikten nicht. Fall 16: J hat 300 DM gestohlen. Davon kauft er sich einen Getto-Blaster. Den schenkt er seiner
Freundin U. U weiß über alles Bescheid. Die sog "Ersatzhehlerei" an dem Getto-Blaster ist nach dem soeben Gesagten straflos. - Aber die Verwertung einer unmittelbar erlangten Sache kann ebenfalls eine Straftat sein; dann ist die unmittelbar aus ihr erlangte Sache tauglicher Gegenstand einer Hehlerei. Im Fall 16 ist freilich der Kauf des Getto-Blaster rechtlich in Ordnung, denn J hat dem Käufer gemäß §§ 929, 932, 935 II BGB Eigentum an dem Geld verschafft. Anders aber im Fall 17: Y hat eine Bohrmaschine gestohlen und auf einem Flohmarkt für 100 DM an den gutgläubigen Kunden K verkauft. Das Geld gibt er später seiner von ihm getrennt lebenden Ehefrau E als Unterhalt. E erahnt die Herkunft des Geldes. Die Verwertung der Bohrmaschine ist ein Betrug, denn Y konnte dem K wegen § 935 I 1 BGB nicht wie behauptet - Eigentum an ihr verschaffen. Die aus diesem Betrug unmittelbar erlangten Geldscheine hat sich E verschafft. 4. Hehlen kann man nur Sachen, die ein anderer gestohlen oder sonst "erlangt hat". Aus der Verwendung des Perfekts folgt sprachlich zwingend, dass die Vortat begangen sein, der Tatbestand also vollendet sein muss.
So sieht es auch die hL (zB BGH, NStZ 1994, 486; OLG Düsseldorf, NStZ 1991, 285; LK-Ruß11, § 259 Rn 11). Die Gegenansicht lässt ausreichen, "daß die Übertragung der Sache sich für den Vortäter als eine rechtswidrige Tat darstellt, daß also die Vortat durch die Verfügung zugunsten des Hehlers begangen wird" (S/S-Stree25, § 259 Rn 15 mwN).
Üblicherweise lässt man für diese Vorzeitigkeit aber Sekunden genügen. Fall 18: (BGHSt 13, 404 ff, vereinfacht) D will von J Schrott stehlen, um ihn an H weiterzuverkaufen. a) H fährt mit seinem Lastwagen zur Firma des J. Dort übergibt er das Fahrzeug an D. D fährt auf Js Fabrikhof, belädt den Wagen mit der Beute und fährt wieder heraus. Dann überlässt er den Lkw dem H. b) Wie a), aber H fährt mit hinein und hilft beim Aufladen. Der BGH hat in beiden Varianten eine Hehlerei des H bejaht. In der Variante a ist das deutlich: Erst hat D den Schrott mit Zueignungsabsicht in seinen eigenen Gewahrsam verbracht, weil er den Gewahrsam am Lastwagen hatte. Erst draußen hat H die Beute in Eigenbesitz genommen. In der Variante b hat der BGH argumentiert: Zunächst habe H dem D nur geholfen, sei also nur Gehilfe beim Diebstahl des D gewesen. Also habe in diesem Moment nicht H, sondern allein D Gewahrsam am Wagen und folglich auch an dessen Inhalt gehabt. Daher habe H frühestens in dem Augenblick eine eigene Herrschaftsgewalt als Hehler begründet, "als ihm die Sachen ... zur eigenen Verfügungsgewalt übertragen wurden" (aaO, S. 406). - Vgl auch BGH, NJW 1959l, 1377 f. Vertiefung: Man muss aber aufpassen, dass man die Voraussetzung "erlangt hat" nicht aushöhlt. Diese Gefahr besteht aus folgendem Grund: Jede Hehlereihandlung (ankaufen, sich sonst verschaffen, absetzen, absetzen helfen) setzt voraus, dass der Hehler im Einverständnis mit dem Vortäter, der die Sache in seinem Gewahrsam hat, handelt (dazu schon oben vor I und sogleich unter II 3, III 3, IV 2). Diese Kundgabe des Einverständisses ist aber immer eine Zueignung iSd § 246. Weil es immer vor der Hehlereihandlung erteilt werden muss, wenn auch nur ganz kurz davor, wäre immer zu bejahen, dass der Vortäter die Sache durch Unterschlagung erlangt hat. Fall 19: (OLG Stuttgart, NStZ 1991, 285, vereinfacht) D hatte fremde Telefonapparate in seinem Gewahrsam. Er bot sie dem A zum Kauf an, der sofort darauf einging. Die Geräte wurden sofort übergeben und bezahlt. Damit hätte man die Voraussetzung "erlangt hat" so interpretiert, dass sie immer erfüllt wäre. Damit hätte sie jede eingrenzende Funktion verloren. Weil aber ein Tatbestandsmerkmal eingrenzende Funktion haben muss, darf man das Merkmal "erlangt hat" eben nicht so wie beschrieben verstehen. Man muss also mindestens diejenigen Fälle ausgrenzen, in denen die Zueignung beim Vortäter und die Eigenbesitzerlangung des anderen nach einer natürlichen Betrachtung in einem Akt zusammenfallen (ähnlich auch Begr. des Reg-Entw., BT-Drs. 7/550, S. 252). Mit dieser Begründung hat denn auch das OLG im Fall 19 mE zu Recht eine Hehlerei verneint. Fall 20: (OLG Düsseldorf, NJW 1990, 1492 ff, stark vereinfacht) L war als alleinverantwortliche Finanzbuchhalterin bei der Firma A beschäftigt. Der Geschäftsführer B überließ ihr einige von ihm schon unterzeichnete Blankoschecks. L vervollständigte die Schecks und übergab sie ihrer Bekannten S. S nahm die Schecks in Kenntnis aller Umstände und nutzte sie für die Sanierung ihrer Damenboutique. L hat mit der Übergabe der Blankoschecks eine Untreue gemäß § 266 I Alt. 2 (Treubruchstatbestand) begangen. Aber das OLG betont zu Recht, die Vollendung der Untreue liege nicht vor, sondern erst in der Hehlereihandlung der S, nämlich dem Sichverschaffen (aaO, S. 1493 r Sp).(2) Es hat deshalb eine Hehlerei der S verneint. - Spätestens im Anbieten und Überreichen der Schecks lag aber schon eine Unterschlagung der L. Würde man das für L als Erlangthaben iSd § 259 genügen lassen, wäre eine Hehlerei der S zu bejahen. Auch dieser Fall (in dem das OLG an
§ 246 gar nicht gedacht hat!) zeigt also, dass die sorglose hM, Ernst genommen, das Merkmal "erlangt hat" aushöhlen würde.
5. Die Voraussetzung, dass "ein anderer" die Sache gestohlen oder sonst ... erlangt haben muss, ist sprachlich weniger klar, als allgemein behauptet wird. a) Aus diesen Worten, so heißt es oft, folge "eindeutig", dass eine Hehlerei weder vom Täter noch vom Mittäter der Vortat begangen werden könne. Fall 21: T und M spiegeln der O gemeinschaftlich vor, sie schulde dem T 200 DM. O glaubt das und gibt T zwei Hundermarkscheine. Später gibt T dem M einen davon. Der Wortlaut des § 259 I steht einer Bestrafung des M wegen Hehlerei aber keineswegs entgegen: Das Geld, das er von T bekommen hat, war ja wirklich "eine Sache, die ein anderer ... durch eine gegen fremdes Vermögen gerichtete rechtswidrige Tat erlangt hat", denn T hatte es durch Betrug erlangt. - Der Wortlaut schließt nicht einmal den Alleintäter der Vortat als Hehler aus, nämlich dann nicht, wenn er die Sache durch die Vortat einem anderen verschafft. Dann hat nämlich immer dieser andere die Sache "durch eine gegen fremdes Vermögen gerichtete Tat erlangt", so zum Beispiel im Fall 22: T spiegelt der O vor, sie schulde dem A 1000 DM und solle ihm das Geld in den Briefkasten werfen. O glaubt das und befolgt die Aufforderung. Später gibt A dem T einen der zwei 500-DM-Scheine. Allerdings ist belegt, dass der Gesetzgeber den T nicht als Hehler bestraft wissen wollte: "Durch die Worte 'ein anderer' wird ... deutlich gemacht, daß beispielsweise der Dieb selbst keine Hehlerei an den von ihm gestohlenen Sachen begehen kann" (Begr. des Reg-Entwurfs zu § 259, BT-Drs. 7/550, S. 252). Das muss bei der Interpretation des zu weit geratenen Wortlautes maßgeblich sein. - Der Mittäter ist in den Materialien nicht ausdrücklich erwähnt. Weil aber dort nach dem soeben zitierten Satz sogleich vom Anstifter und vom Gehilfen die Rede ist, für die anderes gelten soll, muss man wohl annehmen, dass der erste Satz mit "Dieb" jede Täterschaftsform meint, also neben der unmittelbaren und mittelbaren Alleintäterschaft auch die Mittäterschaft.
b) Nach überwiegender Ansicht (BGHSt 7, 134; 33, 50 (52); LK-Ruß11, § 259 Rn 42; diff. S/SStree25, § 259 Rn 55-57) kann eine Hehlerei vom Anstifter oder Gehilfen des Vortäters begangen werden. Der Wortlaut legt das nahe und war vom Gesetzgeber auch so gemeint: "Der Möglichkeit, den Anstifter eines Diebstahls oder den Gehilfen eines Diebes wie bisher als Hehler zu bestrafen, steht diese Fassung nicht entgegen, da der Dieb im Verhältnis zum Anstifter und Gehilfen ... 'ein anderer' ist" (Begr. des Reg-Entwurfs zu § 259, BT-Drs. 7/550, S. 252). Hinzu kommt, dass § 259 eben keine Vorschrift enthält, die dem § 257 III vergleichbar wäre; hier liegt eine Analogie fern und ein Umkehrschluss nahe, denn der Begünstiger hilft dem Vortäter, die Beute zu behalten, und ist deshalb dem Gehilfen, der dem Täter die Beute zu bekommen hilft, sehr ähnlich, wohingegen der Hehler ihm allenfalls hilft, die Beute wieder loszuwerden (Absetzen, Absatzhilfe). Letztlich wäre es auch in der Sache unpassend, zum Beispiel das Mitglied einer Hehlerbande nicht aus der Strafschärfung des § 260 I Nr. 2 bestrafen zu können, bloß weil es vor dem Ankauf der Diebesbeute auch noch dem Vortäter beim Diebstahl geholfen hat, wofür ihm auch noch eine zwingende Strafmilderung zusteht (§ 27 II 2). 6. Die geschriebenen Voraussetzungen der Hehlerei sind erfüllt im
Fall 23: D hat E ein Fahrrad gestohlen. Er wird als Täter ermittelt und E erhält sein Fahrrad zurück. Später erzählt er K die ganze Geschichte. K kauft E das Fahrrad zu einem günstigen Preis ab. Dennoch wäre die Bejahung des § 259 absurd und gegen den Willen des Gesetzgebers (s. oben unter D vor I). Man muss vielmehr in den Tatbestand die ungeschriebene Voraussetzung hineinlesen, dass auf Grund der Vortat eine rechtswidrige Vermögenslage fortbestehen muss. - Daran kann es zB wegen § 950 BGB fehlen. Fall 24: (nach BayObLG, JZ 1979, 694) G hatte ein Führerscheinformular gestohlen. Er klebte ein Lichtbild des A ein, trug den Namen "St" und die Stadt München als Aussteller ein. Dazu fügte er Imitate der amtlichen Stempel. Diese unechte Führerscheinurkunde kaufte ihm der eingeweihte A für 500 DM ab. Das Formular war gestohlen. Aber G hat aus dieser Sache eine neue hergestellt, nämlich eine unechte Urkunde. Deshalb ist § 950 BGB zu beachten. Danach hat G an der neuen Sache Eigentum erworben, "sofern nicht der Wert der Verarbeitung oder der Umbildung erheblich geringer ist als der Wert des Stoffes." Ob das so war, hat das OLG freilich offengelassen und die Sache an die Vorinstanz zurückverwiesen. Auch in den anderen praktischen Fällen, wo § 950 BGB beachtlich wurde, haben die Gerichte die Hehlerei nicht mangels Fortbestehens der rechtswidrigen Vermögenslage verneint. In RGSt 53, 167 f (Diebstahl "elektrotechnischer Bedarfsgegenstände" und deren Verwendung zu einer "elektrischen Beleuchtungsanlage") hat das Gericht festgestellt, dass dem Begünstigten die einzelnen Teile zugekommen seien, nicht erst die fertige Beleuchtungsanlage; in RGSt 57, 159 ff (Diebstahl von Altarschnitzereien und späteres Zerschneiden in einzelne Bildgruppen) wurde der Wert der Verarbeitung als "erheblich geringer" angesehen.
II. Ankaufen oder sonst sich oder einem Dritten verschaffen 1. Das gesetzliche Merkmal "sich verschafft" ist blass. Ihm lässt sich nur entnehmen, dass der Täter Besitz an der Sache erlangen muss. Man ist sich aber darüber hinaus einig, dass die Erlangung der eigentümergleichen Verfügungsmacht erforderlich ist, dh die Erlangung von Eigenbesitz iSd § 872 BGB. Das lässt sich mit dem Tatbild der Hehlerei begründen. Dass der Gesetzgeber dieses Tatbild zu Grunde gelegt hat, zeigt zum einen die oben unter D vor I zitierte Passage aus den Gesetzgebungsmaterialien, zum anderen der gesetzlich benannte Sonderfall des Verschaffens, nämlich das Ankaufen, und zum dritten die Verwendung des Wortes Hehlerei in der gesetzlichen Überschrift des § 259. Diese Deutung passt auch besser zu §§ 242, 246, wo der Täter ebenfalls eine eigentümergleiche Stellung erlangen wollen muss. Fall 25: V hat O ein Bild gestohlen. V gibt es T. Beide sind sich einig, dass T das Bild ... a) nur für V
verwahren wird. b) dem O zurückgeben wird. c) verbrennen wird (vgl BGHSt 15, 53, 56). d) einfach so behalten darf. e) verkaufen und den Erlös behalten wird. f) behalten und dem V dafür 900 DM zahlen wird.
In den Varianten a) bis c) hat T keine eigentümergleiche Verfügungsmacht erlangt, wohl aber in den Varianten d) bis f). In der letztgenannten greift das speziellere Merkmal des Ankaufens. 2. Das Sichverschaffen muss die rechtswidrige Besitzlage fortbestehen lassen (zur Begründung siehe oben unter D vor I und Fall 23). Daran fehlt es etwa, wenn der Eigentümer die gestohlene Sache zurückkauft. Fall 26: D hat dem O ein kostbares Buch gestohlen. T, der es für D zu Geld machen soll, gibt es dem O gegen Zahlung von 5.000 DM zurück. O hat keine Hehlerei durch Sichverschaffen begangen. Zur Frage, ob T das Buch "abgesetzt" hat, später unter III 2. 3. Darüber hinaus muss der Hehler den Eigenbesitz nach hM im Wege des abgeleiteten Erwerbs, dh durch "einverständliches Geben und Nehmen" erlangen (zB LK-Ruß11, § 259 Rn 17; S/S-Stree25, § 259 Rn 42; Wessels, BT 220, Rn 792; aA SKStGB-Samson, § 259 Rn 33); vergleichbar dem derivativen Erwerb, den man im Zivilrecht von originären unterscheidet. Diese Voraussetzung lässt sich ebenfalls mit dem Willen des Gesetzgebers begründen, das typische Tatbild der Hehlerei zu wahren (s. oben unter D vor I). Fall 27: D hat dem O eine Lkw-Ladung italienischer Herrenschuhe gestohlen. a) R, dem D das erzählt hat, raubt dem D ein Paar. b) K kauft dem D ein Paar ab. Obwohl D auf Nachfrage des K beteuert, die Schuhe seien sein Eigentum, hält K für gut möglich, Diebesbeute zu kaufen. c) E presst dem D ein Paar Schuhe ab, indem er ihm mit einer Anzeige droht. Im Fall 27 a scheitert eine Hehlerei an der genannten Voraussetzung. - Sie ist gegeben im Fall 27 b; denn es ist nicht nötig, dass beide sich darüber einig sind, mit rechtswidrig erlangten Sachen umzugehen (Stichwort: kein "Unrechtspakt"). - Im Fall 27 c würde die hM das Einverständnis des Vortäters noch bejahen. Ihr zufolge ist es "ohne Bedeutung ..., ob der Vortäter durch Täuschung oder Nötigung zur Übertragung der Herrschaftsgewalt veranlaßt wurde ... es ist ... nicht notwendig, daß das Einverständnis ... über sein tatsächliches Bestehen hinaus noch frei von Willensmängeln ist" (LKRuß11, § 259 Rn 17 mit Nachw. zum Meinungsstand). Das ist mit dem Wortlaut am besten verträglich. Denn ein "Ankauf" kommt schon dann zu Stande, wenn der Vortäter zur Abgabe seiner zustimmenden Willenserklärung durch Täuschung oder Drohung bestimmt worden ist (§ 123 I BGB gibt ihm nur ein Anfechtungsrecht). 4. Ankaufen ist ein Spezialfall des Verschaffens ("sonst sich verschafft") und muss deshalb die unter 1 bis 3 genannten Voraussetzungen erfüllen. Deshalb genügt nicht das Verpflichtungsgeschäft gemäß § 433 BGB, sondern es muss die dingliche Übergabe hinzukommen (vgl Fall 25 f).
III. Absetzen 1. Auch das Merkmal "absetzen" hat nach seinem Wortsinn nur schwache Konturen. Im natürlichen Sprachgebrauch bedeutet es so viel wie "verkaufen" ("Die Firma hat ihr neues Produkt glänzend
abgesetzt."). Absetzen bedeutet also jedenfalls die Übertragung der eigentümergleichen Verfügungsmacht auf einen Dritten. Zum Absetzen gehört nach dem Wortsinn auch der Absetzungserfolg, dass der Dritte den Eigenbesitz erlangt hat. Das ist sprachlich genauso zwingend wie der Eintritt des Erfolges beim Töten (§ 212) und Beschädigen (§§ 223, 303). Deshalb ist Hehlerei zu verneinen im Fall 28: (BGHSt 27, 45 ff, vereinfacht) Z hatte vier wertvolle Ölgemälde gestohlen. Der eingeweihte A übernahm die Gemälde, um sie für Z an einen Schweizer Tuchhändler zu veräußern. Noch bevor es zur Übergabe kam, wurde er festgenommen. So sieht es jedenfalls die hL (Nachweise zB bei S/S-Stree25, § 259 Rn 32). Hingegen lassen BGHSt 27, 45, 48-51; Tröndle48, § 259 Rn 18; Wessels, BT 220, Rn 803, 805-809, auch das bloße Tätigwerden zum Absatz genügen und behaupten - ohne sprachlichen Beleg -, der Wortsinn sei dabei gewahrt. Sie können sich zwar auf den Willen des Gesetzgebers berufen, der mit der Neuformulierung in der Sache nichts anderes sagen wollte als mit dem alten Merkmal "Mitwirken zum Absatz". Und auch in der Sache ist es durchaus plausibel, schon ein Mitwirken zum Absatz strafbar zu stellen, obwohl das Mitwirken zum Ankaufen oder sonstigen Verschaffen straflos ist (dazu Wessels, aaO, Rn 808). Aber das ändert nichts an der Sperre des Wortlauts (Art. 103 II GG). 2. Wie das Sichverschaffen (oben II 2) muss auch das Absetzen die rechtswidrige Besitzlage fortbestehen lassen. Deshalb hat T im Fall 26 das Bild nicht "abgesetzt". Manche wollen das Verhalten des T für ein Absetzen genügen lassen, weil die Rückgabe "nicht zwecks Wiederherstellung der ursprünglichen Eigentümerposition geschieht" (Wessels, aaO, Rn 809). Aber das ist inkonsequent. Ein hehlerisches Ankaufen wird in diesem Fall einhellig verneint (oben II 3). Dann muss man es aber auch beim Absetzen so sehen. Der Eigentümer O bekommt schließlich sein - noch fortbestehendes! - ursprüngliches Eigentum zurück. Dass D und T einen Gewinn aus der Rückgabe der Sache ziehen, steht auf einem anderen Blatt; dieser Unwert muss beim Absetzen genauso außer Betracht bleiben wie beim Ankaufen, für ihn steht § 253 bereit. - Für die hL siehe S/SStree25, § 259 Rn 33. 3. Das Absetzen muss im Interesse und mit Einverständnis des Vortäters geschehen. Zur Begründung siehe oben II 3. Fall 29: (Vgl Fall 25) V hat O ein Bild gestohlen. V und T vereinbaren, dass T das Bild an irgendjemanden verkaufen und den Erlös dem V geben soll. a) So geschieht es. b) T will das Geld für sich. 4. Die meisten verlangen für ein Absetzen die wirtschaftliche Verwertung durch "entgeltliche Verwertung ...insbesondere Verkauf, Tausch oder Verpfändung" (BGH, NJW 1976, 1950; siehe auch Tröndle48, § 259 Rn 18; Wessels, aaO, Rn 809). Danach liegt kein Absetzen vor im Fall 30: D hat eine wertvolle Videokamera gestohlen. Er bittet T, die Kamera demjenigen Beamten des Bauamtes zu schenken, bei dem man später "am meisten davon habe". T schenkt die Kamera dem
B. Die Verneinung des Absetzens ist in der Sache wenig überzeugend (dazu S/S-Stree25, § 259 Rn 32): Wenn nicht nur derjenige ein Hehler ist, der sich die Sache gegen Entgelt verschafft ("ankauft"), sondern auch derjenige, der sie sich unentgeltlich ("sonst") verschafft, dann passt dazu nur, dass auch derjenige ein Hehler ist, der die Sache unentgeltlich absetzt. Die Frage ist nur, ob dieses Verständnis noch von dem Wortsinn des Merkmals "absetzen" gedeckt ist (Art. 103 II GG). Das möchte ich verneinen. 5. Der Gesetzgeber hat dem Absetzenhelfen das Absetzen gegenübergestellt. Damit wollte er deutlich machen, dass auch das selbstständige Tätigwerden eine Hehlerei ist (BT-Drs. 7/550, S. 253). Vgl dagegen unten Fall 32.
IV. Absetzen helfen 1. Die Absatzhilfe setzt einen Absetzungserfolg voraus, also die Übertragung der eigentümergleichen Verfügungsmacht auf einen Dritten unter Fortbestehen der rechtswidrigen Besitzlage (str, dazu oben unter III 1 und 2). "absetzen helfen" bedeutet nämlich sprachlich dasselbe wie "beim Absetzen helfen". Das ist etwas anderes als "zum Absetzen helfen"; nur diese Formulierung würde auch den Fall erfassen, dass man sich ohne Erfolg um einen Absatz bemüht hat (vgl. oben III 1). Deshalb kann man im Fall 28 bei A auch kein Absetzenhelfen bejahen. 2. Auch die Absatzhilfe muss im Interesse und mit Einverständnis des Vortäters geschehen. Zur Begründung siehe oben II 3. Daran fehlt es bei M im Fall 31: (BGHSt 27, 45 ff, vereinfacht) Wie Fall 28. Aber vor dem Kontakt des Z mit A hatte Z die Gemälde dem M zum Kauf angeboten. M, der erkannte, dass es sich um Diebesgut handelte, und deshalb mit der Sache nichts zu tun haben wollte, lehnte ab. Er schickte aber später den A zu Z und war sich dabei darüber klar, dass Z den A in den Absatz der Gemälde einschalten würde. Bald darauf wurde das Gemälde an den Schweizer übergeben. M ist nicht strafbar wegen Absatzhilfe. Wohl aber ist er es wegen Beihilfe zum Absetzen des A (§§ 259, 27). Der Unterschied ist wichtig, weil die Strafe des Gehilfen gemäß § 27 II 2 gemildert werden muss. 3. Auch bei der Absatzhilfe muss die Sache entgeltlich verwertet werden (dazu oben III 4). 4. Der Unterschied zum Absetzen ist, dass derjenige, der nur unselbstständig tätig wird, nicht "absetzt", sondern "absetzen hilft" (siehe oben III 5). Fall 32: (Vgl Fall 25) V hat O ein Bild gestohlen. V und T vereinbaren, dass T das Bild dem Interessenten I zeigen und ein Treffen von V und I arrangieren soll. So geschieht es. V übergibt das
Bild gegen Barzahlung an I.
V. Qualifikationen (§§ 260, 260a) 1. Gewerbsmäßige Hehlerei (§ 260 I Nr. 1) "Gewerbsmäßigkeit liegt vor, wenn der Täter in der Absicht handelt, sich durch wiederholte Tatbegehung eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen ... Liegt ein solches Gewinnstreben vor, ist schon die erste der ins Auge gefassten Tathandlungen als gewerbsmäßig anzusehen" (BGH, NStZ 1995, 85; hL, so zB auch S/S-Stree25, § 260 Rn 3). Dass schon die erste Hehlereihandlung genügen soll, hält SKStGB-Samson, § 260 Rn 3, für "mit dem Wortlaut nicht vereinbar" und verlangt deshalb "die mehrfache Begehung von Hehlereihandlungen". Das Wortlautbedenken teile ich nicht: Auch von demjenigen, der ein ehrliches Gewerbe betreibt, sagt man schon an dessen ersten Arbeitstag, dass er "gewerbsmäßig" tätig wird.
Merke: "Gewerbsmäßig" ist nach dem soeben Gesagten ein Absichtsmerkmal und gehört deshalb in der Deliktsprüfung in den subjektiven Tatbestand hinter den Vorsatz. Vgl. im Übrigen das gleich lautende Regelbeispiel in § 243 I 2 Nr. 3.
2. Bandenhehlerei (§ 260 I Nr. 2) a) Eine "Bande" sind nach hL mindestens zwei Personen, die sich mit dem ernsthaften Willen zusammengetan haben, künftig für eine gewisse Dauer selbstständige Straftaten zu begehen (BGH, NStZ 1995, 85; S/S-Stree25, § 260 Rn 2a). Andere verlangen mindestens drei Personen (LK-Ruß11, § 244 Rn 11; SKStGB-Samson, § 244 Rn 19). Der Wortsinn ist für beide Deutungen offen. Die hL führt als Argument an, dass es nicht auf die Vielzahl, sondern auf die gefährliche Willensbildung ankomme. Die Gegenansicht führt an, dass die erhöhte Gefährlichkeit einer Bande "vom 'Korpsgeist' einer mehrgliedrigen Gruppe herrührt, deren Existenz nicht vom Ausscheiden eines Mitglieds abhängig ist" (Ruß, ebd). b) Unterschiede zu § 244 I Nr. 2: Anders als dort ist neben Diebstahl und Raub auch die Hehlerei eine taugliche Bandentat. Und wichtig: § 260 I Nr. 2 macht nicht zur Voraussetzung die Mitwirkung eines anderen Bandesmitglieds.
3. Gewerbsmäßige Bandenhehlerei (§ 260a) Ist eine Kombination aus § 260 I Nr. 1 und 2. Die Tat ist Verbrechen (s. § 12 I, III).
E. § 261 - Geldwäsche; Verschleierung
unrechtmäßiger Vermögenswerte I. Absatz 1 1. "Gegenstand" ist jedes Rechtsobjekt, also jede Sache (vgl. § 90 BGB) und jedes Recht (Rechte sind "unkörperliche Gegenstände"). 2. "Aus einer in Satz 2 genannten rechtswidrigen Tat" muss der Gegenstand herrühren. 3. "Herrühren" ist nach dem Willen des Gesetzgebers sehr weit zu verstehen. Zum einen sind damit nicht nur Beutegegenstände gemeint, sondern auch zB für die Begehung der Vortat gewährte Belohnungen. Zum anderen müssen die Gegenstände nicht unmittelbar aus der Vortat stammen, sondern dürfen auch durch zahlreiche Transaktionen daraus stammen. Beispiel: Die 400.000 DM Buchgeld am Ende von Fall 1 waren ein "Gegenstand, der aus einer in Satz 2 genannten rechtswidrigen Tat eines anderen herrührt", nämlich aus Betrug (§ 261 I 2 Nr. 3).
4. Tathandlungen Die Handlungsmerkmale überschneiden sich, und zwar auch mit denen des Abs. 2. a) Verbergen: zB verstecken, vergraben. b) Herkunft verschleiern: zB Falschbuchungen, Vermischung mit "sauberem" Geld. c) Ermittlung der Herkunft, Auffinden usw. vereiteln oder gefährden: zB falsche Angaben gegenüber Ermittlungsbehörden, Beiseiteschaffen belastender Dokumente.
II. Absatz 2 1. Das Tatobjekt ist fast dasselbe wie in Abs. 1 (oben I 1 bis 3). Aber es befindet sich eine wichtige Einschränkung in Abs. 6! "Gegenstand erlangen" bedeutet dort Verfügungsmacht bekommen, also Gewahrsam an Sachen und Dispositionsmacht über Rechte. "Staftat" meint nur eine Straftat nach § 261 (Lackner-Kühl22, § 261 Rn 6; S/S-Stree25, § 261 Rn 14).
2. Tathandlungen Die Handlungsmerkmale überschneiden sich, und zwar auch mit denen des Abs. 1. 1. Sich oder einem Dritten verschaffen: Wie bei der Hehlerei (§ 259). 2. Verwahren: den Gegenstand im Gewahrsam haben, um ihn für einen Dritten oder für eigene
spätere (sonst schon Nr. 1) Verwendung zu erhalten. Wichtig: Verwahren ist Dauerdelikt. Es würde also für eine Strafbarkeit eigentlich genügen, wenn der Täter erst im Laufe der Verwahrung von der Herkunft des Gegenstandes erfährt und dann weiter verwahrt. Aber § 261 II Nr. 2 schließt das aus: Die Kenntnis muss schon bei Erlangung des Gegenstandes da sein. 3. Verwenden: Auch hier gilt die besondere Vorsatzvoraussetzung.
III. Beispiele Fall 33: V hat aus Drogenhandel 100.000 DM Bargeld eingenommen. Sein Anwalt G zahlt den Betrag auf verschiedene Girokonten von V und G ein. Er kauft davon Wertpapiere, verkauft diese an die Deutsche Bank und kauft vom Erlös Volkswagenaktien. Die Transaktionen werden ausermittelt, dem G kann jedoch keine Begünstigungsabsicht nachgewiesen werden. Eine Strafbarkeit des G wegen Begünstigung scheitert am Nachweis der nötigen Absicht. Hehlerei kann man nur an Sachen begehen. Aber § 261 greift: Die 100.000 DM sind ein Gegenstand, der aus der in Satz 2 Nr. 2 Nr. 1 genannten rechtswidrigen Tat des V herrührt, nämlich aus § 29 I 1 Nr. 1 BtMG. G hat dessen Herkunft verschleiert sowie die Ermittlung der Herkunft und das Auffinden gefährdet. Fall 34: V hat Goldschmuck geraubt. T bewahrt die Beute heimlich für V auf. Eine Strafbarkeit des T wegen Hehlerei scheitert daran, dass T keine eigentümergleiche Verfügungsmacht erlangt hat, denn er verwahrt den Schmuck nicht für sich selber. Aber § 261 greift: Der Goldschmuck ist ein Gegenstand, der aus einer in Satz 2 Nr. 1 genannten rechtswidrigen Tat des V herrührt, nämlich aus einem Raub (§ 249). T hat vielleicht diesen Gegenstand verborgen (je nach Art der Aufbewahrung) und vermutlich sein Auffinden gefährdet (je nach den konkreten Umständen); jedenfalls hat er ihn verwahrt (Abs. 2 Nr. 2). Eine etwaige Begünstigung (je nach Begünstigungsabsicht) steht zu § 261 in Tateinheit (S/S-Stree25, § 261 Rn 27).
IV. Weitere Vorschriften Regelbeispiele in Abs. 4 S. 2: "gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande". VorsatzLeichtfertigkeits-Kombination in Abs. 5. Lesen! Tätige Reue in Abs. 9. Lesen! Strafmilderung oder Absehen von Strafe in Abs. 10. Lesen!
Fußnoten
(1) Denn Vollstreckung einer Geldstrafe ist nichts anderes als die Beitreibung des Zahlungsanspruches. Lesen Sie § 459 StPO und § 1 I Nr. 1 der Justizbeitreibungsordnung! (2) § 266 ist hier mE schon deshalb keine taugliche Hehlereivortat, weil L aus der Untreue gar keine Sache erlangt hat. Nur S hat aus der Untreue die Schecks erlangt. Also fehlt es an der Voraussetzung des § 259, dass "ein anderer" eine Sache erlangt hat. Damit kommt es nicht mehr auf die Frage an, wann jemand sie erlangt hat.
[email protected], 28.10.1998.
Wiss. Ass. Dr. Bernhard Hardtung
Repetitorium im Strafrecht BT Betrug und Untreue (§§ 263-266b StGB) Stand: Dezember 1999
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Das Skript ist nach den neuen Rechtschreibregeln geschrieben. Passagen im kleineren Schriftbild sind vertiefende Hinweise.
A. Betrug, § 263 I. "Vorspiegelung falscher oder ... Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen" (sog. Täuschung über Tatsachen) Fall 1: Der notorische Heiratsschwindler H hat eine reiche Witwe W zur Freundin gewonnen und bittet sie nach kurzer Zeit um ein Darlehen. W zögert. Als H dann aber sagt: "Glaub mir doch! Ich bin ein ehrlicher Mensch; ich zahle Dir das Geld ganz bestimmt in einem Monat zurück!", vertraut sie ihm und gibt das Geld her. Wie geplant taucht H unter und kehrt nie wieder zurück. Spiegelt H falsche Tatsachen vor? "Tatsachen" sind nach der gängigen Definition vergangene und gegenwärtige Geschehnisse und Zustände der Außenwelt und des menschlichen Innenlebens. – Üblich ist die These, dass man von den Tatsachenbehauptungen die Werturteile trennen kann und muss; danach wäre hier die erste Behauptung ("Ich bin ein ehrlicher Mensch.") keine Vorspiegelung falscher Tatsachen. In Wahrheit geht es aber gar nicht um die Eingrenzung des Tatsachenbegriffs, sondern um die der "Täuschung": Handlungsmerkmale müssen in § 263 wie überall sonst auf sorgfaltspflichtwidriges Verhalten begrenzt werden (Stichwort: objektive Zurechnung). Falsche Tatsachenbehauptungen in Gestalt von Wertaussagen (z.B. übertreibende Warenanpreisung) gelten weithin als sozialadäquat.
Fall 2: Rechtsanwalt R fordert von X die Bezahlung von Ehemäklerlohn ein, indem er – trotz der Existenz des § 656 I BGB – einen durchsetzbaren Anspruch behauptet. X lässt sich bluffen und zahlt. Nach OLG Stuttgart, NJW 1979, 2573 f. keine Tatsachenbehauptung, sondern ein Werturteil in Gestalt einer reinen Rechtsbehauptung; im gleichen Sinne BGH, JR 1958, 106. Die Kritik daran, die für Autoritätsfälle Ausnahmen machen will, trifft nicht den Kern der Sache. Auch hier kommt es vielmehr darauf an, ob R pflichtwidrig handelt. Vgl. dazu § 43a III BRAO. Es ist weit verbreitet, bei § 263 nicht die gesetzlichen Merkmale ("durch Vorspiegelung ...") zu prüfen, sondern an ihre Stelle den Begriff der "Täuschung über Tatsachen" zu setzen, wobei unter Täuschung die Einwirkung auf die Vorstellung eines anderen ist (zB Tröndle/Fischer49, § 263 Rn 6). So dürfen Sie durchaus in Ihrem Gutachten verfahren. Sie sollten sich aber darüber im Klaren sein, dass dieses Vorgehen die Gefahr eines Verstoßes gegen Art. 103 II GG heraufbeschwören kann: Was mit dem blassen Wort "Täuschung" vereinbar ist, muss noch lange nicht mit den Worten des Gesetzes vereinbar sein. Als Referendar müssen Sie sich übrigens ohnehin am Wortlaut des § 263 I orientieren und sich entscheiden, welche der dort genannten Modalitäten verwirklicht ist. Denn bei der Anfertigung einer Anklageschrift müssen Sie "die gesetzlichen Merkmale der Straftat" nennen (§ 200 I 1 StPO). Wir ziehen deshalb eine gesetzesnahe Prüfung des § 263 vor. Fall 3: Hausfrau H kauft in der Boutique der B eine Seidenbluse und bezahlt mit einem 1000-DM-Schein. Als sie nach Erhalt der Bluse das Wechselgeld einsteckt, bemerkt sie, dass B ihr 100 DM zuviel herausgegeben hat. Sie sagt nichts und geht. Man kann Hs Einstecken als ein aktives Tun zunächst messen an der Alternative des Vorspiegelns falscher Tatsachen. Dabei ist entscheidend, ob man ihrem Tun den Erklärungswert beimessen kann, das Wechselgeld "stimme". Mit der bloßen Entgegennahme einer Leistung bringt der Empfänger aber nach üblicher Wertung noch nicht zum Ausdruck, dass ihm diese Leistung geschuldet sei (vgl. OLG Köln, NJW 1987, 2527, 2528). – Man kann Hs Tun auch an der Alternative des Unterdrückens wahrer Tatsachen messen. Von einem Unterdrücken spricht man, wenn man vorbeugend gegen etwas einschreitet, was sichtbar zu werden droht (vgl. auch § 274). Hier kann man deshalb kaum ein Unterdrücken annehmen. – H hat auch nicht durch Unterlassen vorgespiegelt oder unterdrückt. Es fehlt nach h.A. an der rechtlichen Einstandspflicht im Sinne von § 13, denn allein durch § 242 BGB (Treu und Glauben) kann sie nicht begründet werden. Fall 4: A steigt ohne Fahrkarte in Bochum in den Großraumwagen erster Klasse des IC und fährt bis Essen. a) Der Schaffner S macht auf diesem Abschnitt keinen Kontrollgang. b) S geht durch den Wagen und fragt, ob noch jemand zugestiegen sei. A meldet sich nicht. Vorspiegelung einer falschen, Unterdrückung einer wahren Tatsache? Bedenken Sie, dass man Erklärungen nicht nur ausdrücklich in Worten abgeben kann, sondern auch durch sein Verhalten, z. B. durch Gestik und Mimik (sog. stillschweigende oder konkludente Erklärung). – Vgl. auch § 265a!
II. "einen Irrtum erregt oder unterhält" Unterstellt, jemand nimmt schon im Fall 4 a (fälschlich!) eine Täuschung an: Könnte er dann wenigstens den Irrtum verneinen, weil es sich um einen Fall bloßen Nichtwissens (sog. ignorantia facti) handelt? Die h. A. unterscheidet so: Sie verlangt für einen Irrtum eine positive Fehlvorstellung (zB Lackner/Kühl23, § 263 Rn 18). Die würde sie dem S nur im Fall 4 b zuschreiben, und zwar mit der Behauptung, S reagiere auf das allgemeine Schweigen im Wagen mit der Vorstellung, es sei "alles in Ordnung". Diese Zuschreibung ist realitätsfern; eigentlich müsste die h. A. von ihrem Standpunkt aus in den Varianten a und b einen Irrtum verneinen. Aber ihre Prämisse, bloßes Nichtwissen sei kein "Irrtum" i. S. des § 263 I, ist kaum einleuchtend. Denn erstens verwendet das Gesetz den Begriff des Irrtums ausdrücklich für Fälle schlichter Unkenntnis (§§ 16, 17); zweitens wird der Ansatz nicht durchgehalten, z. B. in Fällen von Renten- und Kindergeldverschaffung durch Verschweigen anspruchsvernichtender Ereignisse. Fall 5: Herr T bietet Frau F an ihrer Haustür einen geringwertigen Teppich für 1.000 DM zum Kauf an. Er behauptet, der Teppich sei ein echter Perser und 10.000 DM wert; nur aus Not müsse er ihn so billig verkaufen. F bezweifelt die Angaben, hofft aber, dass sie wahr sind, und will sich für diesen Fall das "Schnäppchen" nicht entgehen lassen. Sie zahlt 1.000 DM und bekommt den Teppich, der in Wirklichkeit höchstens hundert wert ist. Hat T trotz des verbliebenen Zweifels einen Irrtum erregt? Kann man einen Irrtum hier aus viktimologischen Gründen verneinen, etwa wegen der Eigenverantwortlichkeit des mündigen Menschen oder aus dem Gedanken der Subsidiarität des Strafrechts? Vgl. dazu auch Fall 6: Metzgermeister M beliefert Gastwirtschaften. Nachdem der Gastwirt G die letzte Lieferung bezahlt hat, übersendet M ihm die gleiche Rechnung noch einmal. Er spekuliert auf irrtümlich erneute Bezahlung und will gegebenenfalls die Sache als ein Versehen entschuldigen. Wider Erwarten bezahlt G. G ist so blauäugig, dass er nicht einmal zweifelt. Dennoch würden im Fall 6 auch diejenigen einen Betrug an ihm bejahen, die in Fall 5 einen Betrug verneinen wollen, obwohl bei G dieselben viktimologischen Gründe wie bei F vorliegen. Das zeigt, dass es auf sie nicht ankommt.
III. Tatbestandsrestriktion durch das ungeschriebene Merkmal der Vermögensverfügung Es ist ganz herrschende Ansicht, dass man in den Tatbestand des § 263 das ungeschriebene Merkmal der Vermögensverfügung hineinlesen muss. Klärungsbedürftig sind die Elemente "Vermögen" und "Verfügung". 1. Das Verfügungserfordernis ●
Unter einer Vermögens-Verfügung versteht man "jedes Handeln, Dulden oder Unterlassen
des Getäuschten, das unmittelbar eine Vermögensminderung bei dem Getäuschten selbst oder einer dritten Person herbeiführt" (BGHSt 14, 170, 171). Fall 7: Der Mieter M spiegelt seiner 80-jährigen und halbblinden Vermieterin V vor, er habe an einen ihrer früheren Mieter einen Glückwunsch geschrieben, und bittet sie, ihn mitzuunterschreiben. V merkt nicht, dass sie eine Quittung unterzeichnet und dadurch unzutreffenderweise bestätigt, 500 DM Julimiete empfangen zu haben. Bei dem sog. Forderungsbetrug wird das Merkmal "Vermögensverfügung" kaum einmal verneint. Man lässt dafür nämlich auch ein Verhalten genügen, bei dem der Getäuschte gar nicht wusste, dass er über sein Vermögen verfügt ("unbewusste Vermögensverfügung"). – Eine ausgrenzende Wirkung hat das ungeschriebene Merkmal nur in Fällen der folgenden Art. Fall 8: Prokurist P will seinem Kegelbruder K den Erlass einer hohen Forderung der Firma aus Warenlieferung zum Geburtstag "schenken". Er lädt ihn zu sich ins Büro und will vor seinen Augen den Erlass unter Anerkennung irgendwelcher erfundener Mängel schriftlich erklären. Als K bei ihm sitzt und P mit dem Schreiben beginnt, kommt sein Chef C herein, macht Anstalten, sich dazuzusetzen und fragt, worum es gehe. P lügt ihm vor, mit K für das Kegelclubjubiläum zu planen. Wie vorausgesehen, geht C daraufhin gelangweilt hinaus, so dass P unbehelligt den Erlass beurkunden kann. Warum fehlt hier eine Vermögensverfügung? Lesen Sie noch einmal die Definition vor Fall 7! – Ganz ähnlich liegt der folgende Fall 9. Dabei geht es allerdings um einen sog. Sachbetrug. Fall 9: Der Student S hat es auf einen neuen Schönke/Schröder abgesehen. Er weiß, dass Professor P ein Privatexemplar in seinem Dienstzimmer stehen hat und kennt Ps Angewohnheit, bei kurzer Abwesenheit das Zimmer nicht abzuschließen. Eines Morgens, als er P noch allein am Lehrstuhl weiß, ruft er ihn an, stellt sich als Mitarbeiter im Dekanat vor und bittet P, zu einem kurzen Gespräch zum Dekan zu kommen. P geht und S nutzt die Gelegenheit, das Buch aus dem Zimmer zu holen und für sich zu behalten. An Fall 8 und Fall 9 zeigt sich der berechtigte Kern der Lehre von der Vermögensverfügung, nämlich das typische Tatbild des Betruges zu wahren. ●
Viele geben aber dem ungeschriebenen Merkmal "Vermögensverfügung" beim Sachbetrug einen weiteren Zweck. Das zeigt Fall 10: A und B wohnen benachbart in einem Mietshaus und benutzen einen gemeinschaftlichen Kellerraum. Am Polterabend der Tochter des A hilft B bei der Bewirtung. Im Keller tut A, als habe er zwei Kästen Moritz Fiege nur kurzfristig in Bs Bereich verschoben, um Platz zu gewinnen. In Wirklichkeit gehört das Bier dem B. Er glaubt aber dem A und trägt die Kästen in As Wohnung.
Ist § 263 I seinem Wortlaut nach erfüllt? Hat B, gemessen an der Definition vor Fall 7, über sein
Vermögen verfügt? Gibt es einen Grund, Betrug dennoch zu verneinen? Die h. L. sagt: Ja. Denn im Fall 10 hat A einen Diebstahl "durch einen anderen" (§§ 242, 25 I Alt. 1) begangen; und die h. L. hält es für geboten, Diebstahl und Betrug schon tatbestandlich überschneidungsfrei abzugrenzen (Dogma der tatbestandlichen Exklusivität). Deshalb verlangt sie für den Sachbetrug eine bewusste Vermögensverfügung. Das ist u. E. widersprüchlich und verdient keine Zustimmung: Man darf nicht ein und dasselbe Merkmal "Vermögensverfügung" beim Forderungsbetrug so und beim Sachbetrug anders deuten. Wir halten es für konsequent, neben dem Diebstahl auch Betrug zu bejahen. § 263 tritt u. E. freilich auf der Konkurrenzebene wegen materieller Subsidiarität hinter § 242 zurück: Der Betrug ist hier eine mitbestrafte Begleittat, wie er im Fall eines sog. Sicherungsbetruges (Ableugnen des Diebstahls gegenüber dem nachfragenden Opfer) anerkanntermaßen eine mitbestrafte Nachtat ist. Diese Konkurrenzlösung ist allerdings streitig. Andere, die wie wir das Exklusivitätsdogma verwerfen, nehmen Idealkonkurrenz an. Fall 11: Der Kaufmann K hat sich durch seine Kunstsammelleidenschaft wirtschaftlich ruiniert und wird von soviel Gläubigern bedrängt, dass er den Überblick verloren hat. X nutzt die Gelegenheit, sich gegenüber K als Gerichtsvollzieher auszugeben und die Pfändung einer im Tresor verschlossenen Münzsammlung vorzutäuschen. Er fordert K auf, den Tresor zu öffnen und ihm die Münzsammlung herauszugeben; andernfalls werde er den Tresor mit polizeilicher Gewalt aufbrechen. K beugt sich dem Druck und übergibt X die Münzsammlung. Zunächst zu § 242: X hat die Münzsammlung, also fremde bewegliche Sachen, dem K weggenommen und damit gestohlen, denn K war mit der Aufhebung seines Gewahrsams nicht freien Willens einverstanden (vgl. z. B. Wessels, BT/220, Rn 103). – U. E. ist außerdem § 263 erfüllt. Nach üblicher Sicht ist er jedoch mangels Vermögensverfügung zu verneinen. Man verlangt nämlich für den Sachbetrug auch noch eine freiwillige bewusste Vermögensverfügung (wobei die Freiwilligkeit natürlich nicht gerade am Irrtum des Verfügenden scheitern kann). Damit ist die Abgrenzung zur "Wegnahme" in § 242 weitgehend geleistet: Ein Gewahrsams-Bruch setzt die Aufhebung des fremden Gewahrsams ohne den freiwilligen bewussten Willen des Gewahrsamsinhabers voraus. Auch diese Einschränkung halten wir aus dem o.g. Grund für nicht angebracht. Praktischer Ratschlag: Beginnen Sie bei problematischen Konstellationen wie in Fall 10 und Fall 11 mit § 242! Befassen Sie sich besonders sorgfältig mit der Frage des Gewahrsamsbruches (Aufhebung fremden Gewahrsams ohne Einverständnis)! Klären Sie dabei vor allem, ob der Wille des Getäuschten die Aufhebung seines Gewahrsams noch deckt! Dabei kommen all die Aspekte zur Sprache, die üblicherweise sogleich im Rahmen einer "Abgrenzung" von Diebstahl und Betrug behandelt werden, nämlich das Bewusstsein, Gewahrsam zu verlieren, also über Vermögen zu verfügen, und die Freiwilligkeit dieser bewussten Verfügung über den Gewahrsamn, also über das Vermögen. Bei Verneinung des Diebstahls können Sie § 263 ganz unbesorgt prüfen. Bei Bejahung von § 242 kommt es darauf an: Haben Sie, wie häufig in einer Klausur, wenig Zeit, so lassen Sie den Betrug einfach weg. Haben Sie viel Zeit und trauen Sie sich eine starke Argumentation zu, so sollten Sie diese zu Papier bringen und sich nicht scheuen, das Exklusivitätsdogma zu verwerfen und beide Delikte nebeneinander zu bejahen. Kernstück der Argumentation muss die Aufdeckung des Widerspruchs zu den anerkannten Lösungen in den Fällen des Forderungsbetruges sein. ●
In den folgenden zwei Fällen sind drei Personen beteiligt. Die h. L. bemüht sich in solchen
Fällen darum, den Trickdiebstahl vom Dreiecksbetrug abzugrenzen. Fall 12: Die Studentin S zieht aus der WG aus, worin sie u.a. mit ihrem Ex-Freund F zusammengelebt hat. In Abwesenheit der Mitbewohner lässt sie sich von einem Bekannten B ihre Sachen in einen Kleintransporter tragen. Dabei gibt sie auch eine 24bändige Enzyklopädie, die sie vor Jahren dem F geschenkt hat, als ihr Eigentum aus. B glaubt ihr und schafft die Bücher ins Auto. Fall 13: Jurastudent J hat in der Universitätsbuchhandlung des U den neuesten Palandt gekauft. Am Abend kommt ihm der Gedanke, die Kosten möglichst wieder hereinzuholen. Er geht am nächsten Morgen zur Angestellten F, die sich seines Kaufes entsinnt, und behauptet mit gespielter Empörung, in seinem Exemplar fehlten ein paar Dutzend Seiten. F glaubt das und gibt ihm ein anderes Exemplar gegen das Versprechen, das mangelhafte am nächsten Tag zurückzubringen. J nimmt das Buch und hält sein Versprechen nicht ein. Das erste Exemplar verkauft er später an einen Kommilitonen. a) Das Verhalten der F ist von den kulanten Anweisungen des U gedeckt. b) U hat für derartige Fälle strikte Anweisung gegeben, das Austauschexemplar nur Zug um Zug gegen Rückgabe des beschädigten Buches und Vorlage der Quittung herauszugeben. Zunächst zu § 242: Im Fall 12 begeht S eindeutig einen Diebstahl "durch einen anderen" (§§ 242, 25 I Alt. 2), im Fall 13 a dagegen eindeutig nicht, weil der Gewahrsahm mit Willen des U wechselt. Im Fall 13 b neigen wir zur Bejahung eines Diebstahls, weil sich U das Einverständnis der F nicht zurechnen lassen muss, so dass die Aufhebung seines Gewahrsams gegen seinen Willen geschah, also ein Gewahrsamsbruch vorliegt. Zu § 263: Ist im Fall 12 und im Fall 13 eine Vermögensverfügung gegeben? Dass Verfügender und Geschädigter verschiedene Personen sein können, ist unstreitig. Gefordert wird aber zu Recht eine besondere Beziehung zwischen Verfügendem und Geschädigtem. Meist begnügt man sich mit der vagen und recht frei interpretierbaren Voraussetzung, dass beide "im selben Lager" stehen; danach ist eine Vermögensverfügung zu verneinen im Fall 12, hingegen zu bejahen im Fall 13 a und auch im Fall 13 b. Andere fordern, der Verfügende müsse eine "rechtliche Befugnis" zur Einwirkung auf das Fremdvermögen haben; danach ist eine Vermögensverfügung im Fall 12 und auch im Fall 13 b klar zu verneinen, hingegen im Fall 13 a zu bejahen. Diese Ansicht gewährleistet also eine bessere Abgrenzung zum Diebstahl. Ausführlicher dazu LK-Lackner, § 263 Rn 110-115; s. auch SKStGBSamson/Günther1996, § 263 Rn 94 und im Skript "Diebstahl und Unterschlagung" ab Fall 15. Auch von unserem Standpunkt aus muss man eine besondere Beziehung fordern, nämlich mit Rücksicht auf die Wahrung des typischen Tatbildes (s. o.). In der Sache halten wir die zweitgenannte Ansicht ("rechtliche Befugnis") für vorzugswürdig, aber nicht deshalb, weil sie eine überschneidungsfreie Abgrenzung zum Diebstahl leistet, sondern aus einem anderen Grund: Wenn
man schon zur Wahrung des Tatbildes eine unmittelbare Vermögensverfügung verlangt, dann muss es auch eine des Vermögensinhabers selbst sein; die Vermögensverfügung eines anderen genügt deshalb nur, wenn der Vermögensinhaber sie sich zurechnen lassen muss. Und das muss er nur, wenn der Verfügende zur Verfügung rechtlich befugt ist. 2. Vermögensbezug und vermögensmindernde Wirkung der Verfügung Was "Vermögen" ist, wird in den meisten Lehrbüchern und Kommentaren erst bei dem Merkmal "Vermögensschaden" behandelt. In einem Fallgutachten stellt sich diese Frage aber schon hier beim Merkmal der "Vermögens"-Verfügung und muss deshalb auch schon hier geklärt werden. ●
Fraglich ist zunächst, ob der Vermögensbegriff rein wirtschaftlich, rein juristisch oder unter Berücksichtigung beider Aspekte zu bestimmen ist. Fall 14: F hat falsche 100-DM-Scheine hergestellt, die ihm hervorragend gelungen sind und im Geschäftsverkehr kaum jemandem auffallen würden. Dem T gelingt es, F die Scheine für einen minimalen Betrag abzukaufen, indem er ihm vorspiegelt, die Polizei sei dem F schon auf den Fersen.
Es wäre höchst befremdlich, zu sagen, T habe das Vermögen des F beschädigt. Wir sehen den Grund darin, dass F sein faktisches Potential, mit Hilfe der Blüten Gewinn zu machen, von Rechts wegen in keiner Weise nutzen darf. Eine rein faktische, rein wirtschaftliche Interpretation des gesetzlichen Merkmals "Vermögen" wäre nicht angemessen, eben weil es sich um einen rechtlichen Begriff handelt. Fall 15: D hat E ein Notebook gestohlen. Als er seinem Kumpel K davon erzählt, möchte der es für sich haben und spiegelt dem D vor, er sei bereit, ihm dafür in zwei Wochen 1000 DM zu geben, wenn er es jetzt schon bekomme. D ist einverstanden und gibt K das Gerät. In Wirklichkeit will K die Zahlung unter Hinweis auf die Herkunft des Notebooks verweigern. Abwandlung: K nimmt D das Notebook weg, um es für sich zu behalten. Der Besitz des Notebooks hat für D ein faktisches Potential, also einen wirtschaftlichen Wert. Die Rechtsordnung missbilligt diesen rechtswidrigen Besitz zwar (§ 858 I, II BGB) und verpflichtet D, das Notebook dem E zurückzugeben (§ 985 BGB; § 823 I BGB; § 823 II BGB i. V. m. § 242 StGB). Aber damit erklärt sie zugleich, dass er das Notebook in genau dieser einen Weise sehr wohl nutzen darf (sogar muss). Deshalb schützt sie den rechtswidrigen Besitz des D ja auch: In der Abwandlung etwa kann sich D gegen die verbotene Eigenmacht des K wehren und Wiedereinräumung des Besitzes verlangen (§§ 859 I, 861 I BGB); dazu passt es, dass K in der Abwandlung nach allg. Ansicht einen Diebstahl begeht. Wenn aber der faktische rechtswidrige Besitz des D vom bürgerlichen Recht geschützt wird und bei § 242 geschützter "Gewahrsam" ist, muss er konsequenterweise bei § 263 geschütztes "Vermögen" sein. Das leuchtet auch in der Sache ein: Es lohnt, den rechtswidrigen Besitz des D zu schützen, denn damit schützt man letztlich den Anspruch des E, das Notebook von D herauszuverlangen, und schützt das "Vermögen" des D, eben dieses Herausgabeverlangen zu erfüllen.
Wir bevorzugen also folgende Definition: "Vermögen" im Sinne des § 263 ist ein wirtschaftlicher Wert, den der Inhaber dieses Wertes von Rechts wegen in mindestens einer Hinsicht als wirtschaftlichen Wert nutzen darf. Damit gehören wir zu den Vertretern eines sog. juristisch-ökonomischen Vermögensbegriffs. In diesem Meinungslager, in dem freilich manches umstritten bleibt, steht auch die Rechtsprechung. Meist liest man zwar, sie vertrete einen (rein) wirtschaftlichen Vermögensbegriff, etwa unter Hinweis auf BGHSt 16, 220 (221), wo es heißt: "Vermögen ist die Summe aller geldwerten Güter nach Abzug der Verbindlichkeiten." In den Entscheidungen aber, wo es darauf ankommt, sagt der BGH etwa: "Zwar kann ... die Möglichkeit, die eigene Arbeitskraft zur Erbringung von Dienstleistungen einzusetzen, zum Vermögen ... gehören, wenn solche Leistungen üblicher Weise nur gegen Entgelt erbracht werden ... Das gilt aber nicht für Leistungen, die verbotenen oder unsittlichen Zwecken dienen ... Das Strafrecht würde sich in Widerspruch zur übrigen Rechtsordnung setzen, wenn es im Rahmen des Betrugstatbestandes nichtigen Ansprüchen Schutz gewährte, die aus verbotenen oder unsittlichen Rechtsgeschäften hergeleitet werden" (BGH, NStZ 1987, 407). Diese Ausführungen hat der BGH unter dem Leitsatz gemacht: "Wer eine Prostituierte um den vereinbarten Lohn prellt, begeht keinen Betrug." Genauso hat das OLG Hamm, NStZ 1990, 342, im folgenden Fall entschieden. Fall 16: Die A "veröffentlicht in der Sex-Zeitung St. Pauli-Nachrichten Anzeigen, in denen sie Männern anbietet, mit ihnen gegen Entgelt telefonische Sexgespräche zu führen (von der Anzeigeerstatterin genannt ‘Beratungsgespräche mit erotischem Inhalt’). Von diesem Angebot machte der Beschuldigte Gebrauch, zahlte aber anschließend nicht das vereinbarte Entgelt von 50 DM." Ist die sexuelle Arbeitsleistung der A "Vermögen"? Sie ist zweifellos ein wirtschaftlicher Wert. Nach gängiger Rechtsprechung (OLG Hamm, ebd.) und Anschauung ist es aber sittenwidrig und deshalb von Rechts wegen (§ 138 I BGB) unzulässig, sie in irgendeiner Hinsicht als wirtschaftlichen Wert einzusetzen. Das unterscheidet diesen Fall vom Fall 15. – Umgekehrt ist es weitgehend anerkannt und auch nach dem soeben Gesagten richtig, dass sich eine Prostituierte nach § 263 strafbar macht, wenn sie unter Vorspiegelung ihrer Bereitschaft einem Freier Geld abschwindelt (vgl. nur BGH, MDR 1975, 23). Denn das Geld des Freiers ist ein vom Recht anerkannter wirtschaftlicher Wert. ●
Bereits soeben wurde gesagt, dass die "Möglichkeit, die eigene Arbeitskraft zur Erbringung von Dienstleistungen einzusetzen", grundsätzlich zum Vermögen gehört, "wenn solche Leistungen üblicher Weise nur gegen Entgelt erbracht werden" (BGH, ebd). Fall 17: Der Dramatiker und Lyriker Lothar Frohwein wird gelegentlich gebeten, für Geld aus seinen Werken zu lesen. Renate Lohse, die ein Kränzchen musisch interessierter Damen anführt, handelt eine Lesung für 1.000 DM aus, hat aber nicht vor, das Geld zu bezahlen. So getäuscht, hält F die Lesung an einem Abend, wo er ohne den Vertrag nichts verdient hätte.
F erbringt aufgrund der Täuschung eine geistig-künstlerische Arbeitsleistung, der auch ein rechtlich anerkannter wirtschaftlicher Wert zukommt. Man kann also sagen, dass F etwas aus seinem Vermögen herausgibt. Die unstreitige Bejahung des Betruges in solchen Fällen drückt aus, dass man die
Herausgabe dieser Arbeitsleistung als Vermögensschaden genügen lässt. Ein handgreifliches "Ärmerwerden" ist also nicht erforderlich. Fall 18: A will das Geld für ein Beethoven-Konzert in der Kölner Philharmonie sparen. Er zeigt dem Kontrolleur K am Eingang eine ungültige alte Karte. K bemerkt nichts und reißt die Karte ein. A genießt das Konzert später auf einem freien Platz. Hier kann man auf die künstlerische Arbeitsleistung der Musiker nicht abstellen. Denn sie wird nicht "dadurch" (§ 263 I) verursacht, dass A den K täuscht: Das Orchester hätte auf jeden Fall gespielt, unabhängig von einem Irrtum des K. Als auf dem Irrtum beruhende Vermögensverfügung kommt daher nur das Verhalten des K in Betracht, also die Einlassgewährung. Diese Sicht ist aber auch durchaus angebracht. Es kann keinen Unterschied machen, ob man sich durch Täuschung eine Eintrittskarte, also den Anspruch auf Einlass, oder den Einlass selbst verschafft. Bei einer Karte, der ein Preis von 60 DM aufgedruckt ist, besteht aber kein Zweifel, dass sie eben diesen Vermögenswert hat. – Der Vergleich mit dem Fall der Kartenerschleichung zeigt übrigens ebenfalls deutlich, dass der Schaden kein "Ärmerwerden" voraussetzt. Denn zweifellos ist es ein Betrug, mit Falschgeld eine Eintrittskarte zu einem Bundesligaspiel zu erwerben, das nicht ausverkauft ist. ●
In der Sache ändert sich daran nichts, wenn man statt auf die Leistung (Vertragserfüllung) auf das Versprechen (Vertragseingehung) abstellt. Fall 19: Juwelier J bietet der Kundin K eine Brosche mit bloßen Bergkristallen als Brillantbrosche für 10.000 DM an. K glaubt ihm und kauft. Vereinbart ist Zahlung der 10.000 DM und Übereignung der Brosche in einer Woche.
Schon mit Abschluss des Verpflichtungsvertrages liegt ein vollendeter Betrug vor (sog. Eingehungsbetrug). Er tritt aber als mitbestrafte Vortat hinter den in der Erfüllung liegenden Betrug zurück. Man kann letzteren als Erfüllungsbetrug bezeichnen. Viele reservieren diesen Begriff aber für den Fall, dass dem in der Erfüllung liegenden Betrug kein Eingehungsbetrug voraufgegangen ist. Ein solcher "reiner" Erfüllungsbetrug findet sich im Fall 20: Wie Fall 19, aber J hat K – in redlicher Absicht – eine echte Brillantbrosche verkauft. Als K sie nach einer Woche bezahlen und abholen will, gibt J ihr ein täuschend echt aussehendes Falsifikat. Zwar stellt sich auch hier abstrakt die Frage, ob schon das Verpflichtungsgeschäft das Vermögen des K mindert; aber sie ist uninteressant, weil zu diesem Zeitpunkt schon mangels Täuschung kein Betrug in Betracht kommt. Das Delikt liegt hier also allein als Erfüllungsbetrug vor. Fall 21: Wie Fall 19, aber K will die Brosche gleich bezahlen und in Empfang nehmen. Als sie das Geld herausholt, schämt sich J und tut, als entdecke er selbst erst jetzt die Unechtheit. Hier zeigt sich besonders deutlich die praktische Relevanz der Konstruktion des Eingehungsbetruges. Denn folgerichtig muss man seine Vollendung bejahen, so dass J von diesem Eingehungsbetrug nicht
strafbefreiend zurückgetreten ist, als er erst vor der Annahme des Geldes zurückscheute.
IV. Die Beschädigung des Vermögens eines anderen (Vermögensschaden) Als "Vermögensverfügung" lässt die übliche Definition dieses Begriffes nur eine solche Verfügung gelten, die das betroffene Vermögen mindert (s. die Definition oben vor Fall 7). Bei dem nächsten Merkmal, dem des Vermögensschadens, kann demnach sinnvollerweise nur noch gefragt werden, ob die Vermögensminderung durch einen Vermögenszuwachs ausgeglichen worden ist (Kompensation) oder nicht. ●
Fehlt die Kompensation im folgenden Beispiel? Fall 22: Der Kunde K blättert in der Buchhandlung des B in einem neu erschienenen Roman. B tritt heran und lügt K vor, der Roman sei am letzten Donnerstag vom Literarischen Quartett im ZDF besprochen und insbesondere von Reich-Ranicki in den höchsten Tönen gepriesen worden. Daraufhin legt K spontan 39,50 DM auf den Ladentisch und lässt sich das Buch einpacken. K liest den Roman mit Genuss und bereut die Ausgabe nicht.
Problematisch ist die Frage im Fall 23: Z sucht Abonnenten für anspruchsvolle künstlerische und wissenschaftliche Journale. Verzweifelt über seine Erfolglosigkeit, wendet er sich an ungebildete Bürger und täuscht ihnen durch Vorzeigen anderer Zeitschriften einen sie interessierenden Inhalt vor. Auf diese Weise bringt er die Hausfrau H dazu, "Bild der Wissenschaft" zu bestellen, obwohl die Zeitschrift für H nach ihrem Bildungsstand ungeeignet ist. Vereinbart ist der übliche Abonnementpreis. H unterschreibt eine Vertragsurkunde, welche die gesetzlich vorgeschriebene Belehrung enthält (vgl. § 2 HaustürWG). H erhält die Hefte und bezahlt sie im Glauben, dies zu müssen. Hat Z das Vermögen der H beschädigt, obwohl sie für ihr Geld Zeitschriften erhält, die im Handel die gezahlte Summe auch kosten, also "ihr Geld wert" sind? Die traditionelle Dominanz des wirtschaftlichen Vermögensbegriffes hat dazu geführt, dass man üblicherweise lehrt, der Schaden sei objektiv zu bestimmen, der sog. individuelle Schadenseinschlag sei nur ein Korrektiv und spiele nur ausnahmsweise eine Rolle. U.E. bedarf es hier einer deutlichen Akzentverschiebung: Umgekehrt sollte man es als den Grundsatz betrachten, dass es für die Frage des Ausgleichs der Vermögensminderung auf die Bewertung durch den Betroffenen ankommt. Danach fehlt es allemal an der Kompensation, wenn man an der Nutzung der Gegenleistung kein Interesse hat, im Fall 23 also einerlei, ob H keinen Geist, keine Zeit oder keine Lust zur Lektüre von "Bild der Wissenschaft" hat. Das wird deutlich im Fall 24: Der Zirkusdirektor Z geht von Haus zu Haus und bringt durch Drohung mit Prügeln Eintrittskarten an den Mann. Hier wird wohl kaum jemand daran zweifeln, dass dieses Abnötigen von Geld "dem Vermögen des Genötigten ... Nachteil zufügt", also Erpressung ist. Obwohl die Karten rein wirtschaftlich ihr Geld
wert sind, schaffen sie keinen Ausgleich. Bei Konstellationen wie in Fall 23 empfehlen wir als taktischen Rat zum Fallgutachten: Erklären Sie zunächst die objektive Schadensbestimmung zum Grundsatz; weisen Sie dann darauf hin, dass nach überwiegender Ansicht von diesem Grundsatz Ausnahmen gemacht werden müssen, die im Einzelnen umstritten sind; erklären Sie dann die Konstellation Ihres Falles zu einer solchen gebotenen Ausnahme, und zwar am besten mit der vorgeführten Verschiebung des Falles vom Betrug zur Erpressung (Fall 24). Unerheblich sind nur "neben der Sache liegende" Interessen, d. h. solche, die nichts mit dem Interesse an der Nutzung der Gegenleistung zu tun haben. So ist K im Fall 22 nicht geschädigt; es berührt seinen Nutzen am Buch nicht, dass keine Besprechung im ZDF stattgefunden hat. In diesem Sinne kann man eine gängige Formulierung gelten lassen wie die folgende von Cramer, in: Schönke/Schröder25, § 263 Rn 124: "Dagegen ist die rein subjektive Wertschätzung des Getäuschten ohne Bedeutung. Was er als Schaden ansieht und ob er sich geschädigt fühlt, kann keine Rolle spielen." ●
Gelegentlich stellt sich die Frage, ob der Abschluss eines Vertrages, obwohl er noch keine Verbindlichkeit begründet, einen Schaden bedeutet. Fall 25: Wie Fall 23, aber H widerruft zwei Tage nach Vertragsabschluss (vgl. § 1 I Nr. 1 HaustürWG).
Das Problem wird üblicherweise unter dem Stichwort der schadensgleichen Vermögensgefährdung behandelt. Zum Maßstab kann man die Frage machen, ob die Aussicht auf das Wirksamwerden des Vertrages und damit auf die spätere Zahlung als Anwartschaft oder wenigstens als Expektanz schon Gegenstand des Wirtschaftsverkehrs sein kann. Dies ist nur anzunehmen, wenn es so gut wie sicher ist, dass es zur Verbindlichkeit kommt. Die Aussicht auf Erwerb, die aus einem schwebend unwirksamen Haustürgeschäft erwächst, hat diese Qualität wohl kaum. – Ein Gegenbeispiel bietet Fall 26: S ist ein zwar manchmal saumseliger, aber im übrigen redlicher Schuldner, der sich in seinem ganzen Geschäftsleben noch niemals auf Verjährung berufen hat. G hat gegen ihn eine Forderung in Höhe von 2.300 DM, die seit kurzem verjährt ist. In einem finanziellen Engpass verkauft er sie für 2.000 DM an Z. Dabei lügt er ihm vor, die Forderung sei nicht verjährt. Denn obwohl überzeugt von der Zahlungsbereitschaft des S, fürchtet er zu Recht, dass Z eine verjährte Forderung nicht würde kaufen wollen. S zahlt später anstandslos an Z. ●
Stark umstritten sind Konstellationen wie im Fall 27: T klingelt bei S und sagt ihm, er sammele im Auftrag des Roten Kreuzes Geld für hungernde Kinder in Nordkorea. Er legt ihm eine Spendenliste vor, in die er fünf fiktive Spender und jeweils hohe Beträge eingetragen hat. S will nicht dahinter zurückstehen und zahlt 100 DM. a) T sammelt wirklich für das Rote Kreuz. Ohne die gefälschte Spendenliste hätte S nur
20 DM gezahlt. b) T hat den guten Zweck nur vorgetäuscht und will das Geld für sich behalten. Im Fall 27 a vertreten viele die Ansicht, der Abfluss der 100 DM sei kein Schaden, weil kompensiert durch die Erreichung des sozialen Zweckes, Not zu lindern. U.E. verträgt sich das nicht mit einem sinnvoll eingegrenzten Vermögensbegriff. Einen guten, altruistischen Zweck zu erreichen schafft für das erbrachte Vermögensopfer nicht schon einen Ausgleich innerhalb des Vermögens, sondern erst "oberhalb" seiner. Gutes zu tun kommt nicht meinem Vermögen, sondern anderen Menschen zugute und schafft mir selbst allenfalls Freude oder so etwas wie moralische Genugtuung. So ist im Fall 27 das Vermögen des S in Höhe der 100 DM vermindert und nach Nordkorea verschoben. Uns erscheint es als eine gekünstelte ad-hoc-Konstruktion, anzunehmen, dass diese Verminderung kompensiert worden sei dadurch, dass dem S der gleiche Vermögenswert wieder zugeflossen sei, so dass sich der Betrag von 100 DM gewissermaßen verdoppelt habe. Ersichtlich dient diese Konstruktion nur dem Zweck, einen Betrug im Fall 27 a über die Verneinung eines Schadens abzulehnen und im Fall 27 b über seine Bejahung anzunehmen. Dass man damit eine nicht ins System passende Sonderdogmatik für § 263 schafft, erweist wiederum die Verschiebung des Falles vom Betrug zur Erpressung. Fall 28: X klingelt bei Y, sagt ihm, er sammele im Auftrag des Roten Kreuzes Geld für nordkoreanische Kinder, und droht ihm Prügel an für den Fall, dass Y nicht 100 DM zahle. Y zahlt. a) X sammelt wirklich für das Rote Kreuz. Ohne die Drohung hätte Y nur 20 DM gezahlt. b) X hat den guten Zweck nur vorgetäuscht und will das Geld für sich behalten. Niemand käme auf den Gedanken, im Fall 28 a den Vermögensschaden bei Y mit der Begründung zu verneinen, Y habe mit der Zahlung einen anerkannten sozialen Zweck erreicht. Das muss dann auch im Fall 27 a gelten, denn der Vermögensbegriff ist in §§ 253, 263 gleich. Im Fall 27 liegt das Problem in Wahrheit an anderer Stelle: Das tatbestandliche Unrecht des Betruges ist – sei es im Tatbestand oder in der Rechtswidrigkeit – zu verneinen, wenn S in seinen Vermögensschaden wirksam eingewilligt hat, d.h. wenn seine bewusste Selbstschädigung freiverantwortlich war. So fügt sich der in Rede stehende Streit zu § 263 ein in die allgemeine Einwilligungslehre. Es geht – wieder einmal – nur scheinbar um ein Sonderproblem. Trotz dieser Problempräzisierung ist die Lösung offen. Folgt man der vordringenden Lehre von der Rechtsgutsbezogenheit des Irrtums, auf die es auch in Fällen der Täuschung ankommen soll, ist das Betrugsunrecht in beiden Varianten von Fall 27 zu verneinen. Dagegen ist es in beiden Varianten zu bejahen, wenn man mit der Rechtsprechung in Fällen arglistiger Täuschung allemal eine unwirksame Einwilligung annimmt. Beide Sichtweisen sind vertretbar. Uns erscheint die erstgenannte vorzugswürdig. – Egal, auf welchen Standpunkt man sich stellt: Die verbreitete Differenzierung zwischen beiden Fallvarianten ist systemwidrig.
V. "in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen" (Bereicherungsabsicht)
1. "Absicht" Fall 29: X täuscht Y vor, einen Anspruch gegen ihn zu haben. Y glaubt ihm und sendet das vermeintlich Geschuldete ab. Es kommt aber bei X nicht an. Scheitert daran ein Betrug, der oft als "Vermögensverschiebungsdelikt" bezeichnet wird? Fall 30: Frau F bezieht als Angestellte ihres Mannes Reisespesen aus dem Vermögen seiner Firma. Statt der verlangten Kundenbesuche in Süddeutschland hat sie das letzte Mal Urlaub bei ihrem Liebhaber gemacht. Um keinen Verdacht zu erregen, präsentiert sie ihrem Mann eine Abrechnung. Dieser beauftragt einen Angestellten, den Betrag auf Fs Konto zu überweisen. Hat F die Bereicherung beabsichtigt? 2. Stoffgleichheit von Vermögensvorteil und -schaden Fall 31: Der Oberst O lässt seine Dogge nachts im Garten. Das ständige Hundegebell ärgert Nachbar N so sehr, dass er Os Sohn S eine Belohnung für die Beendigung verspricht. S, Student der Veterinärmedizin, macht seinem Vater O weis, der Hund habe die Tollwut und müsse sofort erschossen werden. O tut das. Kann man einen Betrug des S zum Nachteil des O im subjektiven Tatbestand damit begründen, dass S die Belohnung erstrebt, oder muss der erstrebte Vermögensvorteil die Kehrseite des Vermögensschadens sein? Eine derartige "Stoffgleichheit" wird allgemein gefordert. Der Wortlaut enthält dafür nicht einmal eine Andeutung. Man kann das ungeschriebene Merkmal wieder nur mit dem Gedanken des populären Tatbildes rechtfertigen. Fall 32: (vgl. Fall 23) Z dreht H ein für sie nutzloses Abonnement an. Später präsentiert er seiner Firma, einem seriösen Zeitschriftenverlag, den angeblich einwandfreien Vertrag und kassiert dafür seine Provision. Z hat einen Betrug zum Nachteil der H begangen. Wie begründen Sie die Stoffgleichheit? – Hat Z auch einen Betrug zum Nachteil der Firma begangen? Ja; die Vermögensminderung durch Auszahlung wird nicht voll ausgeglichen. Denn der Verlag erhält nur einen Anspruch gegen H, der auch nach Ablauf der Widerrufsfrist durch Anfechtung vernichtet werden kann. 3. Die Rechtswidrigkeit des Vermögensvorteils Fall 33: G gewährt S öfter Darlehen gegen Schuldschein. Bei einer Summe von 1.000 DM hat er vergessen, den Schuldschein von S unterschreiben zu lassen. Er befürchtet zu Recht, dass S bei einer Rückforderung ohne Schuldschein bezweifeln und bestreiten würde, das Geld erhalten zu haben. Deshalb fälscht er den Namenszug des S auf einem üblichen Formular und präsentiert das Papier seinem Schuldner. Dieser merkt nichts und
zahlt. Entgegen früher vertretenen Lösungen in der Rspr. sind hier eine vermögensmindernde Verfügung und ein Vermögensschaden zu bejahen. Zwar bekommt S als Gegenwert die Befreiung von einer materiellrechtlich gegebenen Verbindlichkeit. Doch hat dieses Freiwerden wegen der Unbeweisbarkeit der Schuld einen geringeren Wert. Vielmehr geht es hier um die Frage, ob der erstrebte Vermögensvorteil "rechtswidrig" war. Die allgemeine Ansicht verneint die Rechtswidrigkeit des Vermögensvorteils schon, wenn der Täter auf den Vorteil einen Anspruch hat, dem materiell-rechtlich nichts entgegensteht; die prozessuale Durchsetzbarkeit wird für die Rechtmäßigkeit des Vorteils nicht gefordert. Nach dem üblichen Schlagwort ist der Anspruch immer dann materiell-rechtlich gegeben, wenn er "fällig und einredefrei" ist. Diese Kennzeichnung kann irreführen, weil auch rein prozessuale Hindernisse oft "Einrede" genannt werden. Hätte G die Täuschung erst verübt, nachdem seine Klage gegen S rechtskräftig abgewiesen worden wäre, so stünde seinem Begehren die Einrede des rechtskräftigen Urteils entgegen. Im Sinne des Schlagwortes wäre seine Forderung aber einredefrei.
Fall 34: Der Alleinerbe E findet im Nachlass seines Vaters V einen Schuldschein, wonach S dem V die Rückzahlung eines Darlehens von 100 DM schuldet. Aus einem Vermerk in Vs Notizbuch schließt E, dass S das Geld schon längst zurückbezahlt habe und der Schuldschein versehentlich bei V verblieben sei. E spekuliert aber auf die Vergesslichkeit des S und fordert unter Vorlage des Schuldscheins das Geld. In Wahrheit besteht die Schuld noch, und S tilgt sie durch seine Zahlung. Fraglich erscheint hier zunächst der Vermögensschaden des S. Schon er ist u.E. zu verneinen. Zwar war die gewissermaßen schlafende Verbindlichkeit eine geringere Vermögensbelastung, als es der Abfluss des entsprechenden Betrages gewesen wäre. Aber als sich durch Es Aufforderung gegenüber dem zahlungswilligen S die Verbindlichkeit aktualisierte, gewann sie das volle Gewicht in Höhe von 100 DM, so dass S durch die Befreiung davon auch einen vollen Ausgleich erfuhr. Viele meinen jedoch irrig, dass das Freiwerden von einer bloßen Verbindlichkeit stets weniger wiege als der reale Abfluss der Leistung. Wer es so sieht, kann erst beim Merkmal der Rechtswidrigkeit des erstrebten Vermögensvorteils ansetzen. Danach entfällt der vollendete Betrug nur dann, wenn man das nach dem Gesetzeswortlaut eher subjektiv gefasste Merkmal objektiv versteht, das heißt: Man muss verlangen, dass der Vorteil dann, wenn er einträte, ein objektiv rechtswidriger wäre. So sieht man es allgemein. Diese Sichtweise enspricht genau derjenigen zum Merkmal der Rechtswidrigkeit der beabsichtigten Zueignung in § 242. Einerlei, ob man den Schaden oder die Rechtswidrigkeit des erstrebten Vermögensvorteils verneint, so oder so hat E nur einen Betrugsversuch begangen.
VI. § 263 III 2: Regelbeispiele für den besonders schweren Fall – Auswahl 1. Gewerbsmäßiger Betrug (Nr. 1 Alt. 1) "Gewerbsmäßigkeit liegt vor, wenn der Täter in der Absicht handelt, sich durch wiederholte Tatbegehung eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu
verschaffen ... Liegt ein solches Gewinnstreben vor, ist schon die erste der ins Auge gefassten Tathandlungen als gewerbsmäßig anzusehen" (BGH, NStZ 1995, 85; hL). Dass schon die erste Handlung genügen soll, hält SKStGB-Samson1986, § 260 Rn 3, für "mit dem Wortlaut nicht vereinbar" und verlangt deshalb "die mehrfache Begehung von Handlungen". Das Wortlautbedenken teile ich nicht: Auch von demjenigen, der ein ehrliches Gewerbe betreibt, sagt man schon an dessen ersten Arbeitstag, dass er "gewerbsmäßig" tätig wird.
Merke: "Gewerbsmäßig" ist nach dem soeben Gesagten ein Absichtsmerkmal und gehört deshalb in der Deliktsprüfung in den subjektiven Tatbestand hinter den Vorsatz. Vgl. das gleich lautende Regelbeispiel in § 243 I 2 Nr. 3! 2. Bandenbetrug (Nr. 1 Alt. 2) a) Eine "Bande" sind nach wohl hL mindestens zwei Personen, die sich mit dem ernsthaften Willen zusammengetan haben, künftig für eine gewisse Dauer selbstständige, noch unbestimmte Straftaten zu begehen (BGH, NStZ 1995, 85; S/S-Eser25, § 244 Rn 23; S/S-Stree25, § 260 Rn 2a). Andere verlangen mindestens drei Personen (LK-Ruß11, § 244 Rn 11; SKStGB-Hoyer1999, § 244 Rn 30, 31). Der Wortsinn ist für beide Deutungen offen. Die wohl hL führt als Argument an, dass es nicht auf die Vielzahl, sondern auf die gefährliche Willensbildung ankomme. Die Gegenansicht führt an, dass die erhöhte Gefährlichkeit einer Bande "vom ‘Korpsgeist’ einer mehrgliedrigen Gruppe herrührt, deren Existenz nicht vom Ausscheiden eines Mitglieds abhängig ist" (Ruß, ebd; Hoyer, ebd). b) Unterschiede zu § 244 I Nr. 2: Anders als dort sind nur Betrug und Urkundenfälschung taugliche Bandentaten. Und wichtig: § 263 III Nr. 1 macht nicht zur Voraussetzung die Mitwirkung eines anderen Bandesmitglieds. 3. Herbeiführung eines Vermögensverlustes großen Ausmaßes (Nr. 2 Alt. 1) Die durchschnittliche Schadenshöhe muss erheblich überschritten werden; so Tröndle/Fischer49, § 263 Rn 49, mit dem Hinweis, die "Grenze dürfte für § 263 jedenfalls nicht unter 20.000 DM anzusetzen sein". 4. Absicht, durch die fortgesetzte Begehung von Betrug eine große Zahl von Menschen in die Gefahr des Verlustes von Vermögenswerten zu bringen (Nr. 2 Alt. 2) Große Zahl von Menschen: Ein vergleichbares Merkmal gibt es in §§ 283a S. 2 Nr. 2, 283d III 2 Nr. 2 ("viele Personen"). Dort findet sich die Festlegung, man werde "eine Zahl von weniger als 10 Personen in der Regel nicht genügen lassen können" (LK-Tiedemann11, § 283a Rn 9). 5. Vortäuschung eines Versicherungsfalles, nachdem ... (Nr. 5) Sache von bedeutendem Wert: Das Merkmal ist aus § 315c I bekannt. Dafür lässt man zur Zeit 1.400 DM nicht mehr genügen (BayObLG, NJW 1998, 1966; Lackner/Kühl23, § 315c Rn 24). Die meisten
nennen einen Mindestwert von 1.500 DM (S/S-Cramer25, Vor § 306 Rn 15; Tröndle/Fischer49, § 315 Rn 16); andere schlagen 2.000 DM vor (SKStGB-Horn1995, Vor § 306 Rn 11). In Brand setzen, durch eine Brandlegung ganz oder teilweise zerstören: Siehe § 306.
VII. § 263 V: Qualifikation des gewerbsmäßigen Bandenbetruges Ist eine Kombination der Alternativen in Abs. 3 S. 2 Nr. 1, nennt aber mehr Delikte als mögliche Bandentaten.
B. Computerbetrug, § 263a "Aufgrund der parallelen Ausgestaltung zu § 263 StGB hat sich die Auslegung des § 263a StGB zu dessen Eingrenzung an der Auslegung des § 263 StGB zu orientieren" (OLG Köln, NStZ 1991, 587; BT-Drs 10/5058, S. 30). Man kann auch gut die Prüfungsreihenfolge des § 263 übernehmen.
I. "Täuschende" Handlung 1. Unrichtige Gestaltung des Programms Fall 35: Der Bankangestellte B ändert das Zinsberechnungsprogramm so, dass alle Beträge auf volle Pfennige abgerundet und die Überschüsse auf ein von ihm eingerichtetes Konto überwiesen werden. Über die Deutung des Merkmals "unrichtig" besteht keine Einigkeit: 1. A.: Objektiv unrichtig, d. h. gemessen an der objektiven Rechtslage (hM, zB SKStGBGünther1996 § 263a Rn 14; Wessels/Hillenkamp, BT/221, Rn 606). 2. A.: Subjektiv unrichtig, d. h. gemessen am Willen des Systembetreibers (S/SCramer25 § 263a Rn 6). Das entspricht nach Cramer, ebd., dem Willen des Gesetzgebers und scheint mir auch die präzisere Anbindung an § 263 zu sein, weil man sich vorstellen muss, der Täter sage zu dem Computer wie zu einem Angestellten: "Dein Chef möchte, dass du Folgendes tust: ..." 2. Verwendung unrichtiger oder unvollständiger Daten (sog. Inputmanipulation) Daten: Informationen (SKStGB-Günther1996 § 263a Rn 7). Beachte § 202a II! Unrichtig: Der Wirklichkeit nicht entsprechend (S/S-Cramer25, § 263a Rn 7; SKStGB-Günther1996, § 263a Rn 15). Unvollständig: Die Wirklichkeit nicht ausreichend erkennen lassend (S/S-Cramer25 § 263a Rn 7).
Verwenden: Einbringen in den Computer (S/S-Cramer25 § 263a Rn 7); genauer wohl: Einbringen in den DV-Vorgang. Fall 36: Der Lohnbuchhalter L, der einen Gehaltsvorschuss von 4.000 DM erhalten hat, gibt den Vorschuss nur in halber Höhe in die Buchhaltung ein. Einen Monat später gibt er fälschlich ein, er habe 1.000 DM zurückgezahlt. 3. Unbefugte Verwendung von Daten Unproblematisch bei Verwendung fremder Daten ohne Willen des Verfügungsberechtigten. Fall 37: T hat zufällig die Geheimnummer der Euroscheckkarte seines Arbeitskollegen O erfahren. Er bringt die Karte an sich und hebt abends an einem Geldautomaten 400 DM ab. Am nächsten Tag steckt er die Karte, wie geplant, wieder in As Tasche. Streitig bei Verwendung eigener Daten und bei erlaubter Verwendung fremder Daten zu absprachewidrigen ("vertragswidrigen") Zwecken: Fall 38: (OLG Köln, NStZ 1991, 586) J, die im Krankenhaus lag, gab A die Scheckkarte zu ihrem Konto bei der Sparkasse H mit der Bitte, 150 DM abzuheben und mit diesem Betrag die erste Rate auf eine fällige Geldstrafe bei der StA Aachen einzuzahlen. Sie nannte ihm dazu auch ihre PIN-Nummer. A hob bei insgesamt 6 Gelegenheiten jeweils 400 DM vom Konto der J ab. Die Rate zahlte er. Die restlichen 2250 DM behielt er für sich. 1. A.: Genügt; Arg: "Unbefugt" ist schon jede Verwendung, die nicht dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des geschädigten Rechtsgutsinhabers entspricht (zB BGHSt 40, 335). Kritik: Das passt weder zu der Anlehnung an § 263 noch zur Verwendung unrichtiger oder unvollständiger Daten. 2. A.: Genügt nicht; Arg: "Erforderlich ist eine ‘Reduktion auf betrugsspezifische’ Fälle ... Eine rechtssichere Begrenzung ist nur durch strikte Anbindung an den Betrug möglich ... Erfasst werden die Fälle, die im Betrugsbereich dadurch gekennzeichnet sind, dass der Täter durch konkludentes Verhalten seine Berechtigung zur Inanspruchnahme der Computerleistung vorspiegelt" (OLG Köln, NStZ 1991, 587; hL, s. SKStGBGünther1996, § 263a Rn 18 mwN). Die Verwendung muss also unbefugt sein, im Fall 38: die Verschaffung der Möglichkeit des Zugriffs auf das Konto; nicht kommt es darauf an, ob der Zugriff selbst erlaubt ist oder nicht. 4. Sonst unbefugte Einwirkung auf den Ablauf eines Datenverarbeitungsvorganges Beispiel: Konsolmanipulationen (S/S-Cramer25 § 263a Rn 12; SKStGB-Günther1996, § 263a Rn 21).
II. Dadurch Beeinflussung des Ergebnisses eines DV-Vorgangs
Entspricht dem Irrtum und der Vermögensverfügung bei § 263. 1. DV-Vorgang Muss ein vermögensrelevanter DV-Vorgang sein; außerdem muss das DV-Ergebnis unmittelbar eine Vermögensdisposition hervorrufen, also ohne Zwischenschaltung einer Kontrollperson (zB S/SCramer25 § 263a Rn 23, 24; SKStGB-Günther1996, § 263a Rn 23, 24). Arg: "Dadurch" muss das Vermögen eines anderen beschädigt werden; Nachbildung des Betrugs. 2. Beeinflussung Sicherlich der Eingriff in einen laufenden DV-Vorgang. Aber nach ganz hM auch die Auslösung eines DV-Vorganges (zB BGHSt 38, 121; S/S-Cramer25 § 263a Rn 10; SKStGB-Günther1996, § 263a Rn 23). Arg: Der Wortlaut lässt dieses Verständnis zu, denn Einfluss auf ein DV-Ergebnis nimmt auch derjenige, der den Vorgang in Gang setzt. Bei einer engen Deutung hätte die Alternative "unbefugte Verwendung von Daten" kaum noch einen Anwendungsbereich; denn die "geheimen" Daten, die man unbefugt benutzt, sind ja gerade die zugangsberechtigenden, also die den DV-Vorgang auslösenden Daten.
III. Dadurch Beschädigung des Vermögens eines anderen "Anderer" muss nicht der Systembetreiber sein (S/S-Cramer25 § 263a Rn 25).
C. Subventionsbetrug, § 264 I. Vorsatz-Tatbestand (Abs. 1)
Subvention: Legaldefinition in Abs. 7. Subventionserhebliche Tatsache: Legaldefinition in Abs. 8. Umstritten ist die Bedeutung des Merkmals "vorteilhaft": Fall 39: (BGHSt 36, 373 ff.) A lieferte ein milchpulverähnliches Produkt (Milchpulver mit milchfremdem Fett und künstlichen Zusätzen) nach Polen. Für diese Ausfuhr hätte er EG-Subventionen (Ausfuhrerstattung und Währungsausgleich) in Höhe von etwa 100.000 DM erhalten können. Er beantragte jedoch Subventionen für die Ausfuhr von Milchpulver mit einem Fettgehalt von mindestens 25,1 %, obwohl sein Produkt die dafür erforderlichen Voraussetzung nicht erfüllte. In den Anträgen machte er über den Fettanteil falsche Angaben und verschwieg die Zusatzstoffe. Er erhielt Subventionen in Höhe von rund 273.000 DM. 1. A.: Die Angaben müssen geeignet sein, das Subventionsverfahren günstig zu beeinflussen (zB BGH, ebd). 2. A.: Die Angaben müssen geeignet sein, dass Subventionsverfahren günstiger zu
beeinflussen, als es dem Subventionsnehmer nach der materiellen Rechtslage gebührt (so die hL, zB S/S-Lenckner25, § 264 Rn 47). Arg: Vorfeld des Betruges. Also nur bei beabsichtiger rechtswidrigen Vermögensvorteilen. Nach der 1. A. waren die Angaben des A in Höhe der vollen 273.000 DM vorteilhaft, nach der 2. A. nur in Höhe von 173.000 DM. Der Unterschied ist wichtig für das Ausmaß von Unrecht und Schuld und damit auch für die Höhe der Strafe. II. Weitere Regelungen Regelbeispiele in Abs. 2. Qualifikation in Abs. 3. Leichtfertigkeitsvarianten in Abs. 4. Tätige Reue in Abs. 5. Alles lesen!
D. Versicherungsmissbrauch, § 265 Absichtsmerkmal "um ... Leistungen aus der Versicherung zu verschaffen": Die beabsichtigten Leistungen müssen nicht rechtswidrig sein (BT-Drs. 13/9064, S. 19 f.)! Subsidiaritätsklausel: Die "Tat" meint auch einen dem Versicherungsmissbrauch nachfolgenden Betrug (BT-Drs. 13/9064, S. 20).
E. Erschleichen von Leistungen, § 265a I. Automat Fall 40: T löst an einer Tankstelle mit einem Draht den Mechanismus eines Selbstbedienungsstaubsaugers aus und säubert seinen Wagen. Fall 41: T löst mit einem Draht den Freigabemechanismus an einem Zigarettenautomaten aus und zieht sich eine Packung. Nach hM ist "Automat" nur der Leistungsautomat (Fall 40), nicht der Warenautomat (Fall 41); so zB S/S-Lenckner25, § 265a Rn 4 mwN. Arg: Hier greife stets § 242, so dass der als bloßer Auffangtatbestand gedachte § 265a schon tatbestandlich nicht greife. Nach der Gegenansicht ist § 265a im Fall 41 sehr wohl gegeben, tritt aber hinter § 242 zurück (Wessels/Hillemkamp, BT/221, Rn 674) – Ich halte diese Sichtweise für vorzugswürdig. Die formelle Anordnung der Subsidiarität stellt ausreichend sicher, dass niemand "doppelt" bestraft wird; über diese Konkurrenzlösung hinaus auch schon den Tatbestand zu verneinen gibt es keinen Grund. – Im Gutachten kann der Streit dahinstehen, wenn (wie im Fall 41) am Ende alle zur Verneinung der Strafbarkeit aus § 265a kommen.
II. Die Beförderung durch ein Verkehrsmittel erschleichen Fall 42: "Der Angekl. hat in der Zeit vom 10.11.1987 bis 2.3.1988 wenigstens achtmal
die Stuttgarter Straßenbahn benutzt, ohne einen Fahrschein gelöst zu haben." (OLG Stuttgart, NJW 1990, 924 f.) 1. A.: "Erschleichen" ist "jedes der Ordnung widersprechende Verhalten, durch das sich der Täter in den Genuss der Leistung bringt und bei welchem er sich entweder mit dem Anschein der Ordnungsmäßigkeit umgibt oder ... Kontrollmaßnahmen umgeht oder ausschaltet" (OLG Stuttgart, ebd; hM); dafür soll bereits genügen, dass der Täter ein Verkehrsmittel unentgeltlich benutzt, ohne seine Unbefugtheit offen zu dokumentieren. 2. A.: "Erschleichen" ist ein Verhalten, durch das sich der Täter in den Genuss der Leistung bringt und das auf die Ausschaltung oder Umgehung möglicher Kontrollen gerichtet ist; das unauffällige Benutzen eines Verkehrsmittels genügt nicht (zB SKStGBGünther1996, § 265a Rn 18). Arg: Typischer Wortsinn; Sinn und Zweck, nur betrugsähnliche Angriffe zu erfassen; Wille des Gesetzgebers, der in der Amtl. Begr. auch nur den Fall nannte, dass der Täter "offen durch die Sperre geht, sich dabei aber so benimmt, als habe er das Eintrittsgeld entrichtet" (zit. nach LK-Tiedemann11, § 265a Rn 35; Hervorhebung von mir).
III. Wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist Greift nur, wenn aus dem schwereren Delikt wirklich bestraft wird.
F. Kreditbetrug, § 265b Fall 43: (nach BGHSt 30, 285 ff.) A, Geschäftsführer einer Mineralölfirma, wies in den Bilanzen für 1974 und 1975 überhöhte Forderungen gegenüber Kunden und zu niedrige Verbindlichkeiten gegenüber Lieferanten aus, wodurch jede der beiden Bilanzen ein um etwa 1,4 Millionen DM zu günstiges Bild bot. Dann legte er sie zusammen mit einem Kreditantrag der Bank B vor, um die B zu veranlassen, einen schon gewährten Kredit zu verlängern und auszuweiten. Er hielt zwar für möglich, dass seine Firma den Kredit nicht würde zurückzahlen können. vertraute aber darauf, die Bank werde sich in voller Höhe an den Sicherheiten befriedigen. Die Bank hatte bei ihrer Entscheidung über den Kredit den Bilanzen "jegliches Gütesiegel" abgesprochen, weil deren Unterlagen allein von A zusammengestellt worden waren, und hatte sich nur an anderen Unterlagen orientiert. Die Bank gewährte den Kredit und fiel im bald darauf eröffneten Konkursverfahren in voller Höhe aus. Betrug (§ 263) liegt nicht vor, weil A sich keinen Vermögensschaden vorgestellt hatte. Wohl aber hat der BGH – entgegen der Vorinstanz – eine Strafbarkeit aus § 265b I Nr. 1 Buchst. a bejaht. Insbesondere seien die Bilanzunterlagen "für die Entscheidung ... erheblich" gewesen; denn das sei ex ante im Moment der Vorlegung zu bestimmen.
G. Untreue, § 266 I. Der Missbrauchstatbestand, § 266 I Alt. 1
1. Die "Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten" Häufig wird jemand tätig, um über das Vermögen eines anderen zu verfügen, z. B. um ein Buch des anderen einem Dritten zu übereignen. Oft wird man auch tätig, um einen anderen zu verpflichten, z. B. wenn ein Vertreter für den Vertretenen einen Kaufvertrag abschließt. Bei solchen Tätigkeiten stellen sich zivilrechtlich zwei Fragen. Erstens: Konnte der Handelnde über das fremde Vermögen verfügen oder den anderen verpflichten, d. h. hatte er die Rechtsmacht dazu? Das ist die Frage nach dem "Außenverhältnis". Zweitens: Durfte der Handelnde das? Das ist die Frage nach dem "Innenverhältnis". In § 266 I Alt. 1 geht es darum, dass der Täter rechtswirksam für den anderen handelt, obwohl er das nicht durfte, und ihm damit Schaden zufügt. Prägen Sie sich die übliche Charakterisierung der Missbrauchsuntreue mit den Worten ein: "Handeln im Rahmen des rechtlichen Könnens (Außenverhältnis) unter Überschreitung des rechtlichen Dürfens (Innenverhältnis)"; Krüger, Strafrecht BT 16 (1998), S. 198; s. auch BGHSt 5, 61 (63). a) § 266 meint mit der "Befugnis" das, was man im Zivilrecht die "Rechtsmacht" oder das "rechtliche Können im Außenverhältnis" nennt (s. o.). Begründung: "Befugnis" klingt zwar, wörtlich genommen, mehr nach dem "rechtlichen Dürfen im Innenverhältnis". Dieses Dürfen kann aber nicht "missbraucht" werden. Weil § 266 I Alt. 1 vom Missbrauch der Befugnis spricht, muss mit "Befugnis" die "Rechtsmacht" gemeint sein. – Diese Begründung müssen Sie in einem Gutachten dem Prüfer nicht bieten. Er glaubt Ihnen auch so, dass mit "Befugnis" die "Rechtsmacht" gemeint ist.
Fall 44: Nach dem Verkehrsunfalltod ihres Vaters ist die siebzehnjährige M Vollwaise und Alleinerbin. Gleich nach dem Erbfall beauftragt sie ihren Freund F, die ererbte Briefmarkensammlung in ihrem Namen für mindestens 50.000 DM zu verkaufen. Sie schreibt ihm eine Vollmacht, worin die Mindestsumme nicht erwähnt ist. F veräußert das Objekt im Namen der M an seinen alten Schulkameraden S. Aus alter Verbundenheit verlangt er nur 40.000 DM und liefert das Geld bei M ab. F hat nicht die "Befugnis", über Ms Vermögen zu verfügen und sie zu verpflichten (§ 107 BGB). Zwar ist das Rechtsgeschäft der Bevollmächtigung nur schwebend unwirksam, so dass bei Eintritt der Wirksamkeit die Befugnis entstünde. Aber als F verkaufte, war sie nicht vorhanden. – Auf einem anderen Blatt steht, ob F nach dem Treubruchstatbestand strafbar geworden ist (s. dazu unten II). Fall 45: Der alleinerziehende Geschäftsmann U steckt in einem finanziellen Engpass. In seiner Not veräußert er im eigenen Namen a) den Schmuck seiner achtjährigen Tochter, den sie von ihrer verstorbenen Mutter, der Ehefrau des U, geerbt hat, und b) eine PC-Anlage des V, die er unter Eigentumsvorbehalt erworben und erst zu einem Viertel bezahlt hat. Hinsichtlich des Schmuckes (Fall 45 a) ergibt sich für U eine Verfügungsbefugnis aus § 1626 I BGB.
Was die PC-Anlage angeht (Fall 45 b), könnte man erwägen, dass U gleichfalls eine Befugnis aus Gesetz habe, nämlich aus § 932 BGB. Üblicherweise wird aber gelehrt, dass die auf Gutglaubensvorschriften beruhende Rechtsmacht keine "Befugnis" i.S.d. § 266 bedeute. Wir billigen das Ergebnis (Verneinung des § 266), missbilligen aber die Begründung. Denn auch über die PCAnlage verfügt U nun einmal rechtlich wirksam, er hat also die Rechtsmacht dazu. Besser zur Ablehnung des Deliktes eignet sich eine spätere Voraussetzung des Missbrauchstatbestandes (dazu unter 3): U hat nicht die Vermögensinteressen des V zu "betreuen". Das entspricht auch besser der materiellen Begründung, mit der man die Fälle des § 932 BGB ausgrenzt; vgl. S/S-Lenckner25, § 266 Rn 4: Die Rechtsmacht müsse dem Täter "gerade mit Rücksicht auf ein Verhältnis verliehen sein, das der Betreuung der Vermögensinteressen des Geschäftsherrn dient". b) Die Aufzählung "durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumt" bedeutet nicht, dass manche rechtsgültigen Befugnisse aus dem Tatbestand ausgegrenzt sind. Sie will nur verdeutlichen, dass die Verfügungs- oder Verpflichtungsbefugnis eine rechtliche sein muss. Wenn also z.B. jemandem eine Verfügungsmacht nicht durch behördlichen Auftrag, sondern bloß durch behördliche Gestattung eingeräumt wird, dann spricht nichts dagegen, diese Befugnis auf "Rechtsgeschäft" zurückzuführen. 2. Das Missbrauchen der Befugnis Fall 46: Sohn S hat zur Betreuung seiner 85-jährigen Mutter M Frau H als Haushälterin angestellt. Er vertraut ihr mehrere blanko unterschriebene Scheckformulare an, die sie entsprechend den für seine Mutter getätigten Ausgaben ausfüllen und bei seiner Bank einlösen soll. a) H hebt für sich insgesamt 8.000 DM zu viel ab. b) Außerdem gibt sie einen Blankoscheck ihrem Freund, der sich damit 1.000 DM verschafft. H hat die Rechtsmacht, also im Sinne des § 266 die "Befugnis", die Scheckformulare selber auszufüllen und das Geld abzuheben. Diese Befugnis gebraucht sie im Fall 46 a. Soweit sie dabei den von S im Innenverhältnis gezogenen Rahmen (Aufwendungen für M) überschreitet, ist ihr Gebrauch ein Missbrauch der Befugnis. – Hingegen lag Hs Weitergabe des Blankoschecks an F (Fall 46 b) schon nicht im Rahmen des außenrechtlichen Könnens, war also kein Befugnismissbrauch. Wiederum steht auf einem anderen Blatt, ob dieser Akt der Treubruchsalternative unterfällt. 3. Dem Nachteil zufügen, dessen Vermögensinteressen der Täter zu betreuen hat a) Einigkeit besteht darin, dass mit Nachteilszufügung dasselbe gemeint ist wie mit der Zufügung eines Vermögensnachteils bei § 253 und der Vermögensbeschädigung in § 263. b) Umstritten ist dagegen die Frage, ob die Voraussetzung "dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat" für den Missbrauchstatbestand überhaupt gilt. Fall 47: Herr H hat ein Konto bei der Sparkasse. Er weiß, dass er seinen Überziehungskredit ausgeschöpft hat. Doch er besitzt noch einige ec-Formulare und die
ec-Karte. In der Wuppertaler Herrenboutique Lindemann kauft er für 1.190 DM einen Ledermantel und bezahlt ihn mit drei Euroschecks. Die Sparkasse schreibt nach Vorlage der Schecks dem L 1.190 DM gut. Otto z.B. verneint die gestellte Frage u. a. mit der Begründung, dass der Missbrauchstatbestand hinreichend scharfe Konturen habe und die missbrauchte Befugnis allein schon das besondere Näheverhältnis zwischen Täter und Opfer schaffe (BT5 54/4-11). Die h.A. sieht es mit Recht anders. Mit dem Satzbau des § 266 I vereinbar wäre Ottos Sicht nur dann, wenn er auch das Merkmal der Nachteilszufügung als für den Missbrauchstatbestand ungültig ansähe, was sich aber aus sachlichen Gründen verbietet und was Otto auch nicht tut. Dann aber muss er den letzten Halbsatz des § 266 I ("und dadurch ... Nachteil zufügt") komplett zum Tatbestandsmerkmal der Missbrauchsalternative machen. Außerdem ergibt sich ein systematisches Argument aus dem neuen § 266b. Der in Rede stehende Streit hat sich gerade entzündet an Fällen des Scheckkartenmissbrauchs, wo die Vermögensbetreuungspflicht des Karteninhabers zu verneinen ist; genau auf diese Fälle aber ist § 266b gemünzt, so dass man nun dem von Otto mit Recht betonten Strafbedürfnis Genüge tun kann, ohne den Text des § 266 I zu vergewaltigen. Außerdem zeigt § 266b, dass nach Meinung des Gesetzgebers in den Fällen des Missbrauchs einer Befugnis, mit der keine Betreuungspflicht einhergeht, auch nur geringere Strafe angezeigt ist. Durch die Schaffung des § 266b hat der Streit an praktischer Bedeutung verloren. In unserem Beispiel des Scheckkartenmissbrauchs kann man ihn bei einem Fallgutachten auf sich beruhen lassen unter Hinweis darauf, dass die vielleicht gegebene Missbrauchsuntreue hinter § 266b als der lex specialis zurückträte. Zum Fall 47: Hier fehlt es an einer Pflicht des H, die Vermögensinteressen der Sparkasse zu betreuen. Der Grund liegt darin, dass dem H die Möglichkeit, die Sparkasse durch Garantieverträge zu verpflichten, im eigenen Interesse und nicht in dem der Sparkasse eingeräumt ist. c) Eine andere Frage ist, ob bei einer im Interesse des Geschädigten eingeräumten, also fremdnützigen Befugnis die Betreuungspflicht allemal gegeben ist. Fall 48: Der Kleinunternehmer U beauftragt seinen Freund F mit dem Kauf eines Lieferwagens. Dabei schreibt er vor, dass F einen ganz betimmten Typ bei dem Händler H kaufen solle, und zwar nur dann, wenn H mindestens den üblichen 10%-igen Nachlass vom Listenpreis gewähre. Er schreibt dem F eine Vollmachtsurkunde. a) Im Vertrauen auf F schreibt U nur ganz allgemein, F sei bevollmächtigt, im Namen des U einen Lieferwagen zu kaufen. b) Die Urkunde beschränkt den F exakt gemäß der mündlichen Absprache. F geht zu dem ihm bekannten Händler X. Dort kauft er im Namen des U und unter Berufung auf seine Vollmacht zum Listenpreis einen Lieferwagen anderen Typs. Im Fall 48 a hat F seine Befugnis missbraucht und dem U Nachteil zugefügt. Die Frage ist, ob man auch sagen kann, F habe die Vermögensinteressen des M zu betreuen gehabt. Die Zweifel ergeben sich daraus, dass F im Innenverhältnis keinen Entscheidungsspielraum hatte, dass ihm also die
Selbständigkeit fehlte. Die h.A. würde darum die Betreuungspflicht und damit § 266 verneinen. Sie gibt nämlich diesem Merkmal in der Missbrauchsalternative denselben Sinn wie in der Treubruchsalternative. Und für die letztere sind sich alle einig, dass sie einer weiteren Einschränkung bedarf: Es muss zur Fremdnützigkeit hinzukommen, dass der Verpflichtete im Innenverhältnis einen beträchtlichen Dispositionsspielraum hat. Die Verneinung des § 266 im Fall 48 a ist aber unbefriedigend, weil F den U im Rahmen seiner außenrechtlichen Befugnis schädigend verpflichtet. Um den Missbrauchstatbestand zu bejahen, geht S/S-Lenckner25, § 266 Rn 2, den Weg, für die Betreuungspflicht die Fremdnützigkeit genügen zu lassen. Damit nimmt er in Kauf, dass sich das Selbständigkeitserfordernis auf den Treubruchstatbestand beschränkt, wo es hineingelesen wird in das Merkmal "die ihm ... obliegende Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen". Diese Wahrnehmungspflicht hat also bei Lenckner einen anderen, restriktiveren Sinn als die – für beide Alternativen gültige – Betreuungspflicht. Uns scheint Lenckners Lösung im Ergebnis richtig, in der Begründung aber nicht überzeugend. Die verglichenen Merkmale liegen im Wortsinn so nahe beieinander, dass sie auch juristisch das Gleiche bedeuten sollten. Am plausibelsten erscheint uns zur Bejahung der Missbrauchsuntreue die folgende Begründung: F hat sehr wohl die Vermögensinteressen des U zu betreuen. Denn es obliegt ihm die für U wichtige Einhaltung der innenrechtlichen Vorgaben. Von "einiger Bedeutung" ist diese Pflicht allemal, denn sie besteht hier ja darin, die gewaltige Außenrechtsmacht nicht zu missbrauchen. Das griffige Kriterium des Dispositionsspielraumes ist dementsprechend zu verstehen: Maßgeblich ist für ihn u.E. das außenrechtliche Können und nicht das innenrechtliche Dürfen. d) Zur Bejahung der Betreuungspflicht und der Missbrauchsuntreue kommt es also auf zweierlei an: Erstens darauf, dass dem Täter die Befugnis im Interesse des Geschädigten eingeräumt war (Fremdnützigkeit); das ist z.B. bei der Befugnis, die § 932 BGB oder eine Scheckkarte verschafft, nicht der Fall. Zweitens darauf, dass der Befugte (u.E.: im Außenverhältnis) eine Dispositionsmacht von beträchtlichem Umfang hat; daran fehlt es z.B. im Fall 48 b. Dort fehlt es übrigens auch schon an dem Befugnismissbrauch. Denn F hatte ja nicht einmal die außenrechtliche Macht, den U gegenüber X zu verpflichten (falsus procurator, § 177 BGB). Weil man im Gutachten üblicherweise schon dieses Merkmal verneint, stellt sich im Fall 48 b wie auch in Fall 44 und Fall 46 b die Frage, ob der Treubruchstatbestand erfüllt ist.
II. Der Treubruchstatbestand, § 266 I Alt. 2 Im Fall 44 besteht die Rechtspflicht des F, Ms Vermögensinteressen wahrzunehmen, weder kraft Gesetzes, behördlichen Auftrags noch Rechtsgeschäftes (s.o. 1 a). § 266 I Alt. 2 lässt aber genügen, dass dem Täter eine Wahrnehmungspflicht kraft "eines Treueverhältnisses" obliegt. Der Vergleich mit dem Missbrauchstatbestand zeigt, dass eine Wahrnehmungspflicht i. S. des § 266 I Alt. 2 auch dann bestehen kann, wenn dem Täter keine Außenrechtsmacht ("Befugnis" i. S. des § 266 I Alt. 1) verliehen ist, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten. Zugleich zeigt die Formulierung des Treubruchstatbestandes, dass es auch Treueverhältnisse geben muss, die nicht auf
Gesetz, behördlichem Auftrag oder Rechtsgeschäft beruhen. Deshalb droht Uferlosigkeit: Es wäre z. B. eine Untreue, wenn A bei seinem besten Freund B übernachtet und ihn bei dieser Gelegenheit bestieht. Dieser Weite muss man nach richtiger und allgemeiner Ansicht durch restriktive Auslegung begegnen. Vorbildlich und lehrreich ist die starke Einschränkung, die S/S- Lenckner25, § 266 Rn 30, vornimmt (Hervorhebungen von uns): "Gemeint sind damit ... nicht ethisch-moralische Verpflichtungen aus Verwandtschaft, alter Freundschaft usw. ..., auch nicht Schadensabwendungspflichten auf Grund von Ingerenz ..., sondern allein die Fälle, in denen ein Betreuungsverhältnis z. B. wegen Nichtigkeit des auf seine Begründung gerichteten Vertrages usw. zivilrechtlich nicht wirksam entstanden oder z. Z. der Tat bereits erloschen ist ... Da der Treubruchstatbestand sich nur gegen Angriffe ‘aus dem eigenen Lager’ des Geschädigten richtet, ist ... ferner erforderlich, dass der Täter trotz des Fehlens eines rechtlich wirksamen Betreuungsverhältnisses seine Tätigkeit nach dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Vermögensinhabers aufnehmen bzw. fortführen sollte und so eine entsprechende Einwirkungsmöglichkeit auf dessen Vermögen er- bzw. behalten hat ... Im übrigen setzt sich das einer Treupflicht zugrunde liegende Rechtsverhältnis bei seinem Erlöschen nicht von selbst in einem tatsächlichen Treueverhältnis fort; auch unter diesem Gesichtspunkt ist daher die Verletzung bloßer Rückabwicklungspflichten – z.B. Nichterfüllung einer Herausgabepflicht nach § 667 BGB – oder der Verstoß gegen ein für die Zeit nach Vertragsbeendigung vereinbartes Wettbewerbsverbot nicht nach § 266 strafbar." Im Fall 44 genügt das Anvertrauen der Briefmarkensammlung zum Zwecke des Verkaufs diesen Anforderungen. Im Fall 45 tritt der mit Blick auf den Schmuck (Fall 45 a) erfüllte Treubruchstatbestand hinter dem speziellen Missbrauchstatbestand zurück. Mit Blick auf die PC-Anlage (Fall 45 b) fehlen Wahrnehmungs- und Betreuungspflicht mangels Fremdnützigkeit. Im Fall 46 ist man auf das "Treueverhältnis" nicht angewiesen. Die Wahrnehmungs- und Betreuungspflicht der H ist rechtsgeschäftlich begründet. Sie ist ihr rechtlich im Interesse des Sohnes auferlegt; und die H hat auch einen beträchtlichen Spielraum, der sich aus ihrem außenrechtlichen Können ergibt. Mit Blick sowohl auf die 8.000 DM (Fall 46 a) wie die 1.000 DM (Fall 46 b) ist darum der Treubruchstatbestand erfüllt. Hinsichtlich der 8.000 DM räumt man aber der insoweit gleichfalls erfüllten Missbrauchsalternative (s.o.) den Vorrang ein, weil sie spezieller ist. Im Fall 47 hat H gegenüber der Sparkasse mangels Fremdnützigkeit keine Pflicht zur Wahrnehmung oder Betreuung ihrer Vermögensinteressen (s.o. unter I 3 a). Deshalb scheidet nicht nur der Missbrauchs-, sondern auch der Treubruchstatbestand aus. Auch im Fall 48 a ist neben dem speziellen Missbrauchs- der allgemeine Treubruchstatbestand verwirklicht. Im Fall 48 b hingegen fehlt es, wie schon gesagt (unter I 3 c), an der Wahrnehmungsund Betreuungspflicht, so dass hier weder die Missbrauchs- noch die Treubruchsalternative erfüllt ist.
III. Anhang AT: Betreuungspflicht als besonderes persönliches Merkmal i. S. des § 28 § 266 setzt tatbestandlich voraus, dass der Täter die Pflicht hat, die Vermögensinteressen des Geschädigten zu betreuen. Ohne diese Pflicht ist der Schädiger straflos. Die Pflicht ist also ein strafbegründendes persönliches Merkmal. Nimmt an der Untreue eine weitere Person teil, etwa als Anstifter, und fehlt ihr die Betreuungspflicht, so stellt sich die Rechtsfrage, ob ihr gemäß § 28 I eine Strafmilderung zusteht. Fall 49: Frau A überredet ihren Freund, den Prokuristen T, Geld seiner Firma zu veruntreuen. T hat eine Untreue begangen, A hat T dazu angestiftet. Ist ihre Strafe gemäß § 28 I zu mildern, d. h. ist die Betreuungspflicht ein besonderes persönliches Merkmal i. S. dieser Vorschrift? Die h. A. bejaht das (BGHSt 26, 54; StV 1995, 73; LK-Hübner10, § 266 Rn 105; LK-Roxin11, § 28 Rn 60; SKStGBSamson/Günther1996 § 266 Rn 51; Tröndle/Fischer49 § 266 Rn 15). Wenige verneinen (S/SLenckner25, § 266 Rn 52; unentschlossen zeigt sich S/S-Cramer25, § 28 Rn 17): Die Betreuungspflicht sei kein besonderes persönliches Merkmal, weil "sich die Beschränkung des Täterkreises ... auf Personen mit bestimmten Dispositionsmöglichkeiten allein aus der besonderen Anfälligkeit des Vermögens ihnen gegenüber erklärt und nicht etwa auf dem Gedanken eines nur von ihnen zu verwirklichenden, von der Rechtsgutsverletzung unabhängigen personalen Unrechts beruht" (Lenckner, ebd.). Das ist nicht plausibel. Denn § 266 spricht eindeutig von der Betreuungspflicht und nicht nur von der Zugriffsmacht. Die besondere Anfälligkeit des Vermögens folgt aber schon aus der Zugriffsmacht. Wenn der Gesetzgeber darüber hinaus auch noch eine Betreuungspflicht zur Tatbestandsvoraussetzung macht, muss er damit ein weiteres Stück Unrecht im Blick gehabt haben; das kann nur dasjenige sein, dass der Täter seine persönliche Pflicht oder auch das in ihn gesetzte Vertrauen verletzt. Weil die nicht betreuungspflichtige Anstifterin A dieses Stück Unrecht nicht verwirklicht hat, ist es angemessen, ihre Strafe zu mildern, also § 28 I anzuwenden.
H. Missbrauch von Scheck- und Kreditkarten, § 266b I. Aussteller Dasjenige Geld- bzw Kreditinstitut, das die Karte ausgegeben hat.
II. Missbrauch der durch Überlassung einer Scheckkarte oder einer Kreditkarte eingeräumten Möglichkeit, den Aussteller zu einer Zahlung zu veranlassen 1. Normalfall Fall 50: T ist in Geldnöten, sein Postgirokonto bereits bis zum Limit überzogen. Als er eine neue Stereoanlage kauft, zahlt er mit fünf Euroschecks zu je 400 DM. Tags darauf
sieht er in der Musikabteilung eines Kaufhauses ein Tenorsaxofon. Er sagt sich: "Die Freiheit nehm’ ich mir!", kauft es und bezahlt mit seiner VISA-Card. Postbank und VISA müssen für die Verbindlichkeiten aufkommen, obwohl Ts Konten keine Deckung aufweisen. 2. Erfasst § 266b auch "Kreditkarten" im Zwei-Partner-System?
Fall 51: (BGHSt 38, 281 ff.) A hatte eine AIR-Plus-Kreditkarte der Deutschen Lufthansa AG. Diese Kundenkarte dient zum Nachweis über die Eröffnung eines Kundenkontos mit bestimmtem Kreditrahmen, der es den Filialen der Lufthansa AG ermöglicht, bestimmte Leistungen nicht gegen Zahlung, sondern gegen Rechnung zu erbringen, ohne jeweils erneut eine Prüfung der Kreditwürdigkeit vornehmen zu müssen. A benutzte diese Karte in 44 Fällen, um Leistungen der Lufthansa AG in Anspruch zu nehmen, ohne zahlungsfähig und -willig zu sein. Die hM verneint die Frage (zB BGH, ebd); einige bejahen sie (zB Ranft, JuS 1988, 680 f.). Für die hM sprechen der Wille des Gesetzgebers (ihm ging es um "echte" Kreditkarten im Drei-Partner-System) und der Wortlaut, wonach der Aussteller zu einer "Zahlung" veranlasst werden muss, also zu einer Geldleistung, nicht zu irgendeiner sonstigen Leistung. 3. Fällt der Gebrauch einer Scheckkarte als Codekarte unter § 266b? Fall 52: T aus Fall 50 hebt mit seiner Euroscheckkarte an einem Geldautomaten der Postbank 600 DM ab. Außerdem hebt er mit der Karte von einem Geldautomaten der Deutschen Bank weitere 400 DM ab. Die Postbank erstattet der Deutschen Bank die 400 DM. Die insgesamt 1000 DM kann sich nicht von T zurückerlangen. Viele verneinen die Frage (zB Tröndle/Fischer49 § 266b Rn 1); andere bejahen sie (zB Mitsch, JZ 1994, 881, r. Sp. o,). Man wird unterscheiden müssen (so ausdrücklich Maurach/Maiwald, BT 18, 45/78; s. auch OLG Stuttgart, NJW 1988, 982; S/S-Lenckner25, § 266b Rn 8): Am Geldautomaten der Deutschen Bank hat T seine Scheckkarte wirklich als Scheckkarte gebraucht; denn die Deutsche Bank zahlt die 400 DM pro Buchungsvorgang ja nur, weil die Postbank ihr die Rückzahlung garantiert. Dieses Verhalten des T muss § 266b genauso unterfallen wie eine Abhebung am Kassenschalter der Deutschen Bank gegen Vorlage eines Euroschecks. Am Geldautomaten der Postbank hingegen hat T seine Scheckkarte nicht als Scheckkarte, sondern nur als Codekarte gebraucht. Das unterfällt zwar auch dem Wortlaut des § 266b. Aber wir schränken den zu weit geratenen Wortlaut ja auch sonst ein, wenn er einen nötigen inneren Zusammenhang nicht deutlich genug beschreibt. Hier bei § 266b ging es dem Gesetzgeber gerade um den Missbrauch der Garantiehaftung. Daran fehlt es hier. Es ist für Ts Tat ganz unerheblich, dass die Karte des T nicht eine reine Codekarte ("Bankkarte") ist, sondern zugleich die Garantiefunktion einer Scheckkarte hatte, weil er diese Funktion gegenüber der Postbank nicht genutzt hat.
Prof. Dr. Rolf D. Herzberg, Wiss. Ass. Dr. Bernhard Hardtung
Repetitorium im Strafrecht Urkundenfälschung (§§ 267-281 StGB) Stand: April 1997
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A. § 267 - Urkundenfälschung I. Urkunde Die übliche Definition der "Urkunde" lautet: verkörperte Gedankenerklärung, die zum Beweis im Rechtsverkehr geeignet und bestimmt ist und ihren Aussteller erkennen lässt. Das ist aber eine Definition für die "echte Urkunde". Fall 1: G hat bei der darlehensweisen Hingabe von 1.000 DM an S versäumt, sich einen Schuldschein ausstellen lassen. Aus Sorge, S werde die Schuld bestreiten, schreibt G zu Hause mit der Schreibmaschine einen Schuldschein und unterzeichnet ihn mit dem Namen des S, indem er seine Handschrift nachahmt. Nach der genannten Definition ist hier das Merkmal "Urkunde" zu verneinen, weil die verkörperte Gedankenerklärung gerade nicht "ihren Aussteller", also den G, erkennen lässt. Aber natürlich ist der zweite Schuldschein eine "unechte Urkunde". Wer also bei Prüfung des § 267 I mit dem Merkmal "Urkunde" beginnt und die o. g. Definition verwendet, kommt in Schwierigkeiten. Denn um zum Merkmal "unecht" zu gelangen, muss er ja das Merkmal "Urkunde" bejahen. Das kann er nur, indem er - entgegen der vorangestellten Definition! - für die Ausstellererkennbarkeit genügen lässt, dass die Gedankenerklärung "irgend jemanden" als Aussteller erscheinen lässt. Diesen methodischen Fehler vermeidet, wer das Merkmal "Urkunde" schon so definiert, dass es als Oberbegriff nicht nur die "echte", sondern auch die "unechte Urkunde" erfasst (siehe zB Mitsch, NStZ 1994, 88, 89 l. Sp.). Auf der Basis der o. g. üblichen Definition lautet diese Definition:
Eine "Urkunde" ist eine verkörperte Gedankenerklärung, die zum Beweis im Rechtsverkehr geeignet und bestimmt ist und jemanden als Aussteller erscheinen lässt. Man kann auch an der o. g. üblichen Definition festhalten und sich auf den Standpunkt stellen, die "unechte Urkunde" sei gar keine Urkunde, sondern etwas, das nur den Anschein erweckt eine Urkunde zu sein (so etwa NK-Puppe, § 267 Rn 21, 75). Bei dieser Lesart ist das Wort "echte" in "echte Urkunde" sachlich überflüssig und dient nur der sprachlich deutlicheren Abgrenzung von der "unechten Urkunde". - Wenn man es so sieht, muss man die "unechte Urkunde" - auf der Basis der o. g. üblichen Definition - definieren als "verkörperte Gedankenerklärung, die zum Beweis im Rechtsverkehr geeignet und bestimmt ist und jemanden als Aussteller erscheinen lässt, der nicht der wahre Aussteller ist". Im Gutachten zu Fall 1 dürfte man dann nicht mit dem isolierten Merkmal "Urkunde" beginnen, sondern man müsste als erstes Merkmal die Worte "unechte Urkunde" gebündelt prüfen. Wir halten diese Sicht für vorzugswürdig. Sie passt besser zu § 274 I Nr. 1, wo mit dem Merkmal "Urkunde" auch nur "echte Urkunden" gemeint sind, und zu § 268 I Nr. 1, wo der unechten technischen Aufzeichnung einfach die "technische Aufzeichnung" (und nicht die "echte technische Aufzeichnung") gegenübergestellt ist. Diese Sicht weicht aber stärker vom Üblichen ab als diejenige, die der oben kursiv gedruckte Definition zu Grunde liegt. Sie ist deshalb u. E. für Prüfungsarbeiten nicht so gut geeignet.
1. Verkörperte Gedankenerklärung ("Perpetuierungsfunktion") a) Gedankenerklärung Herleitung der Voraussetzung: §§ 415 ff ZPO beschreiben den Prototyp einer Urkunde; Unterscheidung von technischen Aufzeichnungen (§ 268 II). aa) Gedanke
Schon der gedankliche Inhalt fehlt beim bloßen Augenscheinsobjekt/natürlichen Zeichen/Anzeichen/Indiz (zB Fingerabdruck, Blutspur, Beule im Auto). Er ist vorhanden bei den sog. Kennzeichen/Identitätszeichen/Identifizierungszeichen/ Unterscheidungszeichen (zB Hausnummern, Fahrgestellnummern). Denn sie enthalten zB jedenfalls den Gedanken: "Dieses Fahrgestell trägt die Nummer ..." Dasselbe gilt für Eigentumszeichen ("Dieses Rind gehört ...") und Herkunftszeichen ("Dieses Bild stammt vom Künstler ..."; "Dieser Stift stammt von der Firma Faber Castell"). Alles umstritten; in Wahrheit liegen die Probleme erst bei der Beweisbestimmung (unten 2 b a. E.) und der Ausstellerbezeichnung (unten 3). Auch technische Aufzeichnungen (zB EKG, Fahrtenschreiberdiagramme) haben einen gedanklichen Inhalt; man kann ihn ja aus ihnen "ablesen". Die hM kennt Gesamturkunden, die unter folgenden Voraussetzungen existieren: 1. Mechanische Verbindung mehrerer Einzelurkunden; 2. Verbindung gemäß Gesetz, rechtsgeschäftlicher Vereinbarung oder Verkehrssitte; 3. Gedanklicher Inhalt, der über die Summe der Einzelerklärungen hinausgeht (sog Abgeschlossenheits- und Vollständigkeitserklärung). Fall 2: G erteilt N den Auftrag, auf einem Trödelmarkt antiquarische Bücher zu verkaufen. Er gibt N
einige Kisten mit einer unbestimmten Anzahl von Büchern und dazu einen Stoß Rechnungsformulare. Er sagt ihm, N solle über jedes verkaufte Buch eine Rechnung ausstellen, später die Durchschriften zusammenheften und dem G das Konvolut gemeinsam mit den unverkauften Büchern und dem eingenommenen Geld zurückgeben. N befolgt Gs Vorgaben. Weil er nach dem Trödelmarkt keine Zeit mehr hat, bittet er seinen Bekannten B, dem G alles zu bringen. B tut das, trennt aber einige Durchschriften über eine Gesamtsumme von 100 DM aus dem Bündel heraus und behält 100 DM für sich. Abwandlung: N addiert zusätzlich auf einem Blatt alle Rechnungsbeträge, schreibt neben die Summe "insgesamt" und heftet dieses Blatt obenauf. B verändert dieses Blatt so, dass die Summe 100 DM niedriger ist. Kritik: Im Fall 2 wird G die Heftung zwar als Indiz für die Vollständigkeit werten. Aber das macht die Zusammenheftung nur zu einem Augenscheinsobjekt. In ihr den gedanklichen Inhalt "Hier sind die Rechnungen aller verkauften Bücher zusammengefasst" oder gar eine so lautende Erklärung des N zu sehen, ist - wie meist in Fällen der "zusammengesetzten Urkunde" - eine unzulässige Fiktion. B hat deshalb keine echte Urkunde verfälscht und auch keine unechte Urkunde hergestellt, sondern allenfalls eine Urkundenunterdrückung (§ 274 I Nr. 1) begangen. In der Abwandlung hingegen liegt in dem Abrechnungsblatt die (mindestens konkludente) Abgeschlossenheits- und Vollständigkeitserklärung. Das Abrechnungsblatt i. V. mit den Durchschriften ist also eine zusammengesetzte Urkunde (dazu näher sogleich unter b bei Fall 8). B hat sie verfälscht und dabei zugleich eine unechte zusammengesetzte Urkunde hergestellt. - Die Rechtsfigur der Gesamturkunde ist also entweder unzulässig oder überflüssig. Ausführlicher NK-Puppe § 267 Rn 40, 41; SKStGBSamson § 267 Rn 69. bb) Gedankenerklärung
Im einfachsten Fall ist es so, dass sich ein Mensch den verkörperten gedanklichen Inhalt konkret denkt. Aber das muss nicht so sein. Oft ist es auch nur so, dass ein Mensch sich den verkörperten gedanklichen Inhalt zu Eigen macht, sich zu ihm bekennt. Das genügt. Fall 3: Notar N entwirft für K einen Grundstückskaufvertrag, bei dem er an vielen komplizierten Stellen lange über die korrekte Formulierung der gewünschten Rechtsaussagen nachdenkt. K unterschreibt den Vertrag, ohne ihn zu lesen. N fasst zahlreiche Gedanken, die er sich nicht zu Eigen macht; K macht sich Gedanken zu Eigen, die er selber niemals gefasst hat ("welche auch immer es sind"). Genau genommen ist aber nicht einmal das nötig. Eine Urkunde kann nämlich sogar dann entstehen, wenn der Aussteller sich den gedanklichen Inhalt nicht zu Eigen macht, aber dennoch zurechnen lassen muss. Das zeigt Fall 4: U verbringt seinen Sommerurlaub in Thüringen. Als er sich in seiner Pension P wie jedes Jahr in die Namensliste des Gästebuches eintragen will, setzt er seinen Namen aus Versehen auf eine Liste, die verbindliche Anmeldungen für einen Busausflug zur Wartburg enthält. a) Als U einen Tag vor Beginn der Fahrt seinen Irrtum bemerkt, macht er seinen Namen mit einem dicken schwarzen Filzstift unleserlich. Veranstalter V hatte schon vorher die Eintragungen gezählt und
danach eine feste Anzahl von Mittagessen in einem Eisenacher Lokal vorbestellt. V bleibt auf den Kosten für eine Mahlzeit sitzen und wüsste gern, gegen wen er Ansprüche geltend machen kann. b) P setzt heimlich vor Us Namen den Vermerk "2 x", weil er von V für jede verbindliche Anmeldung eine Provision erhält. U hat beim Unterschreiben ohne Erklärungsbewusstsein gehandelt: Er wollte sich nicht die Erklärung zu Eigen machen, die über der Namensliste stand, welche auch immer es sei; vielmehr wollte er nur erklären, als Gast in der Pension P gewesen zu sein. Trotzdem liegt es näher, im Fall 4 a eine "Urkunde" iSd § 274 I Nr. 1 anzunehmen. Denn nach hM im Zivilrecht hat U trotz fehlendem Erklärungsbewusstsein eine wirksame Willenserklärung abgegeben; er hat nur ein Anfechtungsrecht analog § 119 I Alt. 2 BGB (vgl Palandt-Heinrichs, vor § 116 Rn 17). Dazu passt es besser, im Fall 4 a Vs und Ps Interesse am Bestand der beweiskräftigen Unterschrift mit der Strafdrohung des § 274 zu schützen und Us Filzstiftstriche als Urkundenvernichtung anzusehen. - Das gilt dann ebenso im Fall 4 b (§ 267 I Alt. 2: Verfälschen einer echten Urkunde). Dort käme man allerdings mit dem Kriterium des Sich-zu-Eigen-Machens zurecht, weil P den Namenszug des U ja gerade als Gedankenerklärung will und durch den Zusatz "2 x" nach ganz hM jedenfalls eine unechte Urkunde hergestellt hat (§ 267 I Alt. 1). Die Gedankenerklärung fehlt oft bei der technischen Aufzeichnung. Denn oft gibt es keinen Menschen, der sich diesen gedanklichen Inhalt zu Eigen macht oder sonst zurechnen lassen muss. Aber man kann sich die in einer technischen Aufzeichnung liegende Erklärung zu Eigen machen, sei es nach oder auch vor Entstehung der technischen Aufzeichnung; dann liegt darin eine Gedankenerklärung, obwohl der "Erklärende" sie vielleicht gar nicht kennt. Ob sich mit einer technischen Aufzeichnung zugleich eine Gedankenerklärung i. S. des Urkundsbegriffes verbindet, kommt auf den Einzelfall an. Fall 5: Kardiologe K macht bei seinem alten Patienten P eine Routineuntersuchung, in deren Rahmen er u. a. ein EKG anfertigt. Fall 6: Assessor A entwirft am Computer für die Party zu seinem zweiten Staatsexamen eine gelungene Einladung, die auch schon seine Unterschrift enthält. Er fertigt mehrere Ausdrucke und später noch einige Kopien und schickt alle Exemplare an die Gäste. Fall 7: Die Telekom verschickt an ihren Kunden K eine maschinell erstellte Telefonrechnung.(1) Mit "Erkärender" ist dieselbe Person gemeint wie mit "Aussteller". Man müsste eigentlich schon hier, beim Untermerkmal der Gedankenerklärung, herausarbeiten, wer der Erklärende/Aussteller ist. Beim Untermerkmal der Ausstellerbezeichnung wäre dann festzustellen, wer als Erklärender/Aussteller erscheint; bei den Merkmalen "echt" und "unecht" wäre dann nur noch in einem Satz zu sagen, ob der scheinbare Erkärende/Aussteller der wirkliche ist oder nicht. - So verfährt man aber üblicherweise nicht. Gängig ist es, sich hier beim Untermerkmal der Gedankenerklärung mit der mehr oder weniger deutlichen Feststellung zu begnügen, dass der gedankliche Inhalt von irgendeinem Menschen stammt, und erst bei den Merkmalen "echt" und "unecht" den wirklichen Erklärenden/Aussteller genau zu bestimmen. Diesem konventionellen Aufbau folgt unsere Darstellung.
b) Verkörperung Der Gedanke muss dauerhaft visuell mittels Symbolen wahrnehmbar sein. Herleitung der Voraussetzung: §§ 249 StPO, 164 II GVG (Urkunden als "Schriftstücke") als Prototyp; Unterscheidung von anderen "Daten" in §§ 269, 274 Nr. 1 und 2 mit § 202a II ("unmittelbar wahrnehmbar"). Für die Wahrnehmbarkeit mittels Symbolen genügen auch Fremdsprachen, Abkürzungen, Hieroglyphen, Noten, Emoticons usw; das folgt aus der gesetzliche Wertung in § 268 II ("allgemein oder für Eingeweihte erkennen läßt"). Mittels Symbolen wahrnehmbar sind auch gesprochene Worte, Morselaute, Tonbandaufzeichnungen usw; aber man verlangt eine visuelle Wahrnehmbarkeit. Die nötige Dauerhaftigkeit der visuellen Wahrnehmbarkeit fehlt nach üblicher Sicht zB Zeichen auf Sand, Schnee und Computerbildschirmen; sie besteht schon zB bei Bleistiftstrichen. Eine feste Zeitdauer fordert man für die Dauerhaftigkeit nicht. Es kommt also auf die Umstände des Einzelfalles an. Maßgeblich muss sein, ob die Verkörperung so dauerhaft ist, dass die Gefahr besteht, sie könne im Rechtsverkehr zum Beweis eingesetzt werden. Mehrere Gedankenerklärungen können auf derselben Sache verkörpert sein. Beispiele: Urlaubsantrag und -bewilligung auf einem Blatt; Zweit- und Drittvotum einer Examenshausarbeit auf einem Blatt; Angebot und Annahme auf einem Kaufvertrag. Die verkörperte Gedankenerklärung kann sich auf eine Sache beziehen, die mit ihr verbunden ist (zusammengesetzte Urkunde). Beispiele: Preisetikett auf der Ware ("Diese Ware kostet ..."); Stempel auf dem am Wagen verschraubten Kfz-Kennzeichen ("Dieses Fahrzeug ist unter diesem Kennzeichen zugelassen"). Weil der Aussageteil "diese Sache" zur verkörperten Gedankenerklärung gehört, muss auch er verkörpert, also dauerhaft sein. Deshalb verlangt man bei zusammengesetzten Urkunden eine "feste Verbindung". Konsequenterweise darf man für diese Festigkeit der Verbindung nicht mehr verlangen als für die allgemeine Dauerhaftigkeit, also ziemlich wenig. Die Grenzziehung ist unscharf. Fall 8: T überklebt im Kaufhaus das Preisschild auf der Plastikverpackung eines Hemdes mit einem Etikett, das einen niedrigeren Preis ausweist. a) Die Plastikverpackung ist zugeschweißt. b) Die Plastikverpackung wird von einem Klebestreifen zugehalten. c) Die Platikverpackung ist offen.(2) Zur Abgrenzung: Ist das Stück der Gedankenerklärung, das den Bezug zum Objekt herstellt, nicht verkörpert, so kann das Bezugsobjekt verändert werden, ohne dass dadurch die verkörperte Gedankenerklärung verändert würde; Beispiel: V erklärt "Hiermit verkaufe ich an K die Waren in der Garage Nr. 24." und X nimmt danach Sachen aus der Garage.
2. Zum Beweis im Rechtsverkehr geeignet und bestimmt ("Beweisfunktion")
a) Beweiseignung Herleitung der Voraussetzung: Die Absicht "zur Täuschung im Rechtsverkehr" legt es nahe, schon objektiv eine gewisse Beweiserheblichkeit der Gedankenerklärung zu verlangen; denn es ist nicht recht einzusehen, warum für die Strafbarkeit eine rein subjektive (also nur nach der Vorstellung des Täters gegebene) Gefährdung des Rechtsverkehrs genügen sollte. Dazu passt auch die Erwähnung der Beweiserheblichkeit in § 269 I.
Die hM stellt sehr geringe Anforderungen. Es genügt, dass die verkörperte Gedankenerklärung irgendwie - wenn auch neben anderen Mitteln - zum Beweis für irgendeine gegenwärtig oder künftig rechtserhebliche Tatsache brauchbar ist. Beispiele: Kaufvertrag, Testament, Baugenehmigung, Prüfungsarbeit, Liebesbrief (nämlich ggf zum Beweis eines Ehebruchs); sogar die "Siegerurkunde" bei den Bundesjugendspielen (denn sie sportliche Leistung kann durchaus einmal rechtserheblich werden). Die Beweiseignung besteht also fast immer. Sie fehlt aber bei schlechten Fälschungen! Beispiele: TippEx-Spuren, deutlich andere Schrift, zusammengeklebte Textstücke (Collagen), andere Färbung bei blauer Kugelschreiberschrift. Denn dann glaubt kein Betrachter, dass diese sichtlich manipulierte Gedankenerkärung vom behaupteten Aussteller stammt. Nach einer MM ist die Voraussetzung der Beweiseignung entbehrlich; zB NK-Puppe § 267 Rn 22; SKStGB-Samson § 267 Rn 29; LK-Tröndle § 267 Rn 66. Denn es "existiert unter den leblosen Gegenständen auf der Erde kein einziger, der nicht unter Umständen beweisfähig für irgend eine Thatsache sein könnte, dem also nicht die Eigenschaft der Beweisfähigkeit oder des Geeignetseins zum Beweise ... zukäme" (RGSt 17, 103, 105). - Das überzeugt nicht. Es muss gerade die Gedankenerklärung sein, in der die Beweiseignung zu finden ist; es genügt nicht, dass die Verkörperung sonst wie beweisgeeignet ist (etwa als Augenscheinsbeweis für einen Handschriftenvergleich). Dass aber alle verkörperten Gedankenerklärungen als solche beweisgeeignet sind, kann man nicht sagen (dazu soeben). Die Voraussetzung der Beweiseignung ist also nicht entbehrlich.
b) Beweisbestimmung Herleitung der Voraussetzung: Erwähnung der Beweisbestimmung in der Definition der technischen Aufzeichnung in § 268 II.
Der Begriff ist irreführend. Man verlangt keine echte "Bestimmung", sondern lässt genügen, dass jemand die Vorstellung hat, "ein anderer werde mit der Urkunde Beweis erbringen ... (bzw) der Empfänger werde an die Mitteilung eine rechtliche Reaktion knüpfen" (Schönke/Schröder-Cramer, § 267 Rn 14). Die Beweisbestimmung kann der verkörperten Gedankenerklärung vom Aussteller oder einem Dritten (also auch dem Täter) gegeben werden, und zwar schon bei der Herstellung ("Absichtsurkunde", zB Baugenehmigung) oder auch erst später ("Zufallsurkunde", zB Liebesbrief), wie der Vergleich mit § 268 II a. E. zeigt. Fall 9: A schreibt am Mittwoch vor Ostern seiner Schwester S eine Ansichtskarte aus Neuharlingersiel, in der er auch knapp von der Überschwemmung berichtet, die eine Springflut zwei Tage zuvor angerichtet hatte. Im Herbst gerät A in den Verdacht, an eben diesem Mittwoch seinen
Bruder B in Unterbierwang getötet zu haben. Zur Entlastung beruft er sich gegenüber der Polizei unter anderem auf die Ansichtskarte. Er telefoniert mit S und bittet sie, die Karte bereitzuhalten, falls sie den Urlaubsgruß noch habe. a) S zerreißt die Karte und wirft sie fort. b) S ändert das Datum vom "3. April" in "8. April". Abwandlung: B ist am 8. April getötet worden. Um seine Position zu verbessern, besorgt sich A die Karte von S, ändert die "3" in eine "8" und gibt die Karte der Polizei. Die Ansichtskarte war von Beginn an geeignet zu beweisen, dass A in ihr von der Springflut in Neuharlingersiel berichtet hat. Zu diesem Beweis war sie aber nicht bestimmt. Die Beweisbestimmung entstand erst, als A den Gedanken bekam, sich auf die Ansichtskarte zu berufen ("Zufallsurkunde"); es spielt keine Rolle, ob A sie "vorgelegt" hat (so aber zB Schönke/SchröderCramer § 267 Rn 14 unter fälschlicher Berufung auf BGHSt 3, 82, 85). Im Fall 9 a ist das für § 274 I Nr. 1 wichtig. Im Fall 9 b ist es für § 267 I unwichtig, weil S, von As Beweiszielen wissend, jedenfalls eine unechte Urkunde hergestellt hat ("Absichtsurkunde"), so dass offenbleiben kann, ob sie (auch) eine echte Urkunde verfälscht hat. In der Abwandlung zu Fall 9 ist es für § 267 I wichtig, weil A keine unechte Urkunde hergestellt, sondern allenfalls eine echte Urkunde verfälscht hat (dazu ausführlicher unter V). Genauer zur "Beweisbestimmung": Nahezu jede verkörperte Gedankenerklärung hat Beweiseignung (nur eine schlechte Fälschung nicht), denn sie ist mindestens geeignet zu beweisen, dass sie abgegeben worden ist (s. o. unter a). Aber zur Nutzung dieser Beweiseignung besteht häufig nicht der geringste Anlass. Deshalb ist es sinnvoll, die Manipulation einer verkörperten Gedankenerklärung erst dann zu bestrafen, wenn zur Beweiseignung die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Beweisanlasses hinzutritt. Dieses Erfordernis des Beweisanlasses ist der wahre Kern des gängigen Merkmals der "Beweisbestimmung": Eine Urkunde besteht von Anfang an ("Absichtsurkunde"), wenn schon bei Abgabe der Gedankenerklärung die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Beweisanlasses besteht; so zB bei Testamenten, Vertragsurkunden, Urteilen, Verfügungen, aber auch bei beleidigenden oder erpresserischen Schreiben. Die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Beweisanlasses kann aber auch zunächst fehlen, so etwa bei Urlaubsgrüßen auf Ansichtskarten oder bei Liebesbriefen. Sie kann dann unter besonderen Umständen später entstehen ("Zufallsurkunde"), zB wenn es in einem Strafverfahren um ein Alibi (Fall 9) oder in einem Scheidungsverfahren um die Zerrütung der Ehe geht. Die übliche Bezeichnung "Beweisbestimmung" ist wenig glücklich, denn sie suggeriert, dass irgendjemand sich (subjektiv) vorstellen müsse, die Gedankenerklärung werde als Beweis nützlich. Es handelt sich aber um einen (objektiven) Gedanken: Man darf eine verkörperte Gedankenerklärung solange manipulieren, wie die Wahrscheinlichkeit vernachlässigenswert gering ist, dass im Rechtsverkehr Anlass zur Nutzung ihrer Beweiseignung entsteht. Die hier bevorzugte Objektivierung der Beweisbestimmung führt nicht zu anderen Ergebnissen, sondern nur zu klareren Begründungen. Angenommen, S hätte im Fall 9 a schon von dem Verfahren gegen A gewusst und die Karte zerrissen, bevor A auf den Gedanken kam, sie als Entlastungsindiz zu verwenden: Dann läge die objektiv verstandene Beweisbestimmung dennoch vor. Die subjektiv verstandene Beweisbestimmung hingegen könnte jetzt nicht mehr - wie oben - mit As Vorstellung begründet werden. Man würde aber genügen lassen, dass die Täterin S sich vorstellte, ein anderer (nämlich A) werde mit der Ansichtskarte Beweis erbringen. So oder so wäre also die Urkundseigenschaft der Ansichtskarte zu bejahen. Die - ganz gängige - Lehre von der subjektiv verstandenen Beweisbestimmung ist aber unsystematisch, weil sie als "Beweisbestimmung" den Vorsatz hinsichtlich des Beweisanlasses ansieht, also diesen Teil
des Tätervorsatz in den objektiven Tatbestand hineinbringt. Sie zäumt also das Pferd gleichsam von hinten auf. Aus der Objektivierung folgt: Die noch so kleine Wahrscheinlichkeit eines Beweisanlasses genügt für die "Beweisbestimmung", wenn sich irgendwo in der Rechtsordnung ein Hinweis darauf findet, dass diese Wahrscheinlichkeit eines Beweisanlasses rechtlich geschützt wird. So hat der Firmenname auf einer Ware ("Faber Castell") wegen § 25d I Nr. 1 WarenzeichenG stets "Beweisbestimmung" (sog. Beweiszeichen; BGHSt 2, 370 f. hingegen lehnte die Urkundseigenschaft ab); freilich wäre § 267 subsidiär zu § 25d WarenzeichenG.
3. Jemanden als Aussteller erscheinen lassen ("Garantiefunktion") Herleitung der Voraussetzung: §§ 415 ff ZPO als Prototyp. Der Aussteller ist dieselbe Person wie der Erkärende, also derjenige, der sich den verkörperten gedanklichen Inhalt zurechnen lassen muss; s. o. unter 1 a bb bis Fall 4. Genau das ist gemeint (vgl Wessels, BT 120, Rn 805) mit der unscharfen, aber üblichen Formulierung der sog Geistigkeitstheorie:
Aussteller ist derjenige, von dem die verkörperte Erklärung geistig herrührt. Fall 10: K ist Kunde bei einem Öko-Versandhandel. Er hat sich an der rechten Hand verletzt und bittet deshalb seinen Arbeitskollegen A, einen Bestellschein nach Ks Vorgaben auszufüllen, mit Ks Namen zu unterschreiben und abzusenden. A tut das. Nur K ist Aussteller. A hingegen gibt keine Willenserklärung ab; er ist - in zivilrechtlicher Terminologie - nur Ks Bote; vgl. den Wortlaut des § 120 BGB: "Eine Willenserklärung, welche durch die ... verwendete Person ... übermittelt worden ist ..." Deutlicher: Aussteller ist derjenige, von dem die jeweilige Verkörperung der Erklärung geistig herrührt. Nicht etwa kommt es darauf an, von wem die Erklärung selber geistig herrührt. (Im Normalfall einer echten Urkunde freilich stammen Erklärung und Verkörperung von derselben Person.) Fall 11: S erklärt mündlich: "Ich schulde G 100 DM." Daraufhin schreibt G heimlich auf ein Blatt Papier: "Ich schulde G 100 DM." und setzt die Unterschrift des S darunter.(3) Nach üblicher Formulierung muss "aus der verkörperten Gedankenerklärung" jemand als Aussteller erscheinen. Meist ist das auch so. Dennoch ist die übliche Formulierung ungenau, denn man lässt genügen, dass "irgendwie" jemand als Aussteller erscheint; die Hinweise auf einen Aussteller müssen sich nicht einmal zum Teil aus der Gedankenerklärung ergeben. Extremes Beispiel: Striche auf dem Bierdeckel. Deshalb ist es genauer und besser zu sagen: "verkörperte Gedankenerklärung, ... die der Rechtsverkehr jemandem als Aussteller zuordnet". Beispiele für die Ausstellerbezeichnung: Unterschrift; Behördenschreiben aus dem Computer (vgl § 37 IV VwVfG); Aussteller erscheint im Briefkopf oder im Text; Verwendung eines Künstler- oder Spitznamens; Beglaubigungsvermerk auf Abschriften und Fotokopien. Meist: komplett, also einschließlich der Unterschrift gedruckte Schreiben (vgl Fall 6); Telefax. Nicht: die Unterschrift
"Napoleon"; einfache Fotokopien und einfache Abschriften (denn sie lassen nicht erkennen, von wem diese Verkörperung stammt).
II. Unecht Gängige Definition: Die Urkunde ist unecht, wenn der scheinbare Aussteller nicht der wirkliche ist ("Identitätstäuschung"). Es kommt nicht darauf an, ob die Erklärung inhaltlich wahr oder unwahr ("schriftliche Lüge") ist. Begründung: Der Rechtsverkehr vertraut darauf, dass er den Aussteller an der Erklärung festhalten kann, dass er sie dem Aussteller als seine Erklärung zurechnen kann. Dieses Vertrauen will § 267 sichern, wie der Passus "zur Täuschung im Rechtsverkehr" zeigt. Genauer: Das Merkmal "unecht" muss so gedeutet werden, dass es zu dem Absichtsmerkmal "zur Täuschung im Rechtsverkehr" passt. Bei Vorlage einer unechten Urkunde wird der Rechtsverkehr über diejenigen Inhalte getäuscht, die er der Urkunde als bewiesen entnimmt. Was das im einzelnen ist, zeigen §§ 415 ff ZPO: Gibt jemand eine Willenserklärung schriftlich ab, so beweist die Urkunde, dass der Aussteller diese Erklärung abgegeben hat (§§ 416, 417 ZPO); die Frage nach der inhaltlichen "Wahrheit" stellt sich hier gar nicht, weil eine "Willens"erklärung nicht wahr oder unwahr sein kann. Beurkundet ein Privater eine Tatsache (Wissenserklärung), so beweist die Urkunde ebenfalls nur, dass er diese Erklärung abgegeben hat (§ 416 ZPO), und nicht, dass die behauptete Tatsache wahr ist; eine Tatsachenbehauptung wird ja nicht dadurch glaubhafter, dass man sie aufschreibt. Beurkundet eine Behörde eine Tatsache, so beweist diese öffentliche Urkunde zwar gemäß §§ 415, 418 ZPO die darin bezeugten Tatsachen; aber sie beweist natürlich auch, dass die Behörde die Erklärung abgegeben hat. Die gemeinsame Beweisrichtung aller Urkunden ist also: Sie beweisen dem Leser, dass der Aussteller die verkörperte Gedankenerklärung abgegeben hat. Die öffentlichen Urkunden beweisen freilich noch mehr, nämlich die inhaltliche Wahrheit. Zu ihrem Schutz kennt das StGB aber Sondervorschriften, zB §§ 271 ff, 277 ff, 348. Deshalb liegt es nahe, dass diese inhaltliche Wahrheit nicht auch noch durch § 267 geschützt werden soll. - Also: Weil § 267 den Rechtsverkehr vor Täuschungen über den Aussteller einer Urkunde schützen will, ist eine Urkunde dann "unecht", wenn die Erklärung nicht von dem stammt, der als ihr Aussteller erscheint.
Der wirkliche Aussteller (= der Erklärende) ist also derjenige, der sich die verkörperte Gedankenerklärung zurechnen lassen muss (siehe schon oben unter I 1 a bb bis Fall 4 und unter I 3 aE). Deshalb ist eine Urkunde echt, wenn der als Aussteller Erscheinende sich die Erklärung zurechnen lassen muss; sie ist unecht, wenn der als Aussteller Erscheinende sich die Erklärung nicht zurechnen lassen muss. Man muss also streng die zivil- und öffentlichrechtlichen Vorschriften über die Zurechnung von Erklärungen anwenden. Fall 12: T schreibt an O: "... bitte ich Sie hiermit, endlich die noch ausstehende Rechnung in Höhe von 8.970 DM zu begleichen. Hochachtungsvoll T." Dabei weiß er, dass O längst gezahlt hat. O bemerkt den Schwindel und zahlt nicht. Fall 13: H ist arm. Ihm steht zwar Wohngeld zu, er stellt aber keinen Antrag, weil er sich schämt. Seine Schwester S hat dafür kein Verständnis. Heimlich stellt sie schriftlich den Antrag und unterschreibt mit Hs Namen. Als der zuständige Sachbearbeiter B wegen einer Rückfrage bei H anruft, klärt sich alles auf. B redet dem H dennoch zu, er solle das Wohngeld ruhig nehmen, es stehe ihm schließlich zu. H lässt sich überzeugen und stellt selber einen Antrag. Bald darauf erhält er monatlich Wohngeld.
Fall 14: S hat sich von G 58.000 DM geliehen und dem G einen Schuldschein ausgestellt. G verändert die Zahl in "258.000 DM", um gegen S auf Zahlung zu klagen.(4) Weil sich der Aussteller nicht nur aus dem in der Gedankenerklärung mitgeteilten Namen, sondern aus allen Umständen ergibt, kann trotz Verwendung des eigenen Namens eine unechte Urkunde entstehen. Fall 15: R bestellt bei Versandhäusern hochwertige Waren und bezahlt nie. Um weiterhin Waren zu erhalten, variiert er bei den Bestellungen seine Kundenangaben: a) Er verändert die Schreibweise seines Namens. b) Er gibt eine andere Adresse an. c) Er gibt ein anderes Geburtsdatum an. d) Er gibt neben seinem Rufnamen zusätzlich seinen zweiten Vornamen an.(5) BGHSt 40, 203, 204 ff: "Entscheidend ist ... die Täuschung über die Identität des Ausstellers, nicht über seinen Namen ... Der Anschrift, dem Geburtsdatum und weiteren Vornamen kommt im Geschäftsverkehr im Hinblick auf die Identität eines Vertragspartners und zu dessen Identifizierung häufig keine besondere Bedeutung zu, da Ruf- und Familienname grundsätzlich genügen. Etwas anderes muss aber gelten, wenn die beteiligten Verkehrskreise eine Summe von Merkmalen zur Kennzeichnung einer bestimmten Person verwenden." - Kritik: Bestellurkunden beweisen nur, dass "die in ihnen enthaltenen Erklärungen von den Ausstellern abgegeben sind" (§ 416 ZPO). Solange R also trotz der Variation seiner Angaben noch als Aussteller erkennbar bleibt, kann der Rechtsverkehr über die Angaben in den Bestellscheinen ihn als denjenigen ermitteln, dem diese Bestellungen zivilrechtlich zuzurechnen sind; solange sind die Bestellungen echte Urkunden. Es kommt also darauf an, ob durch die Variation der Angaben R unauffindbar ist oder die Verwechslung des R mit einer anderen Person droht. Das wäre zB im Fall 15 b nur dann so, wenn unter der angegebenen falschen Adresse jemand gleichen Namens wohnen würde; davon sagt der Sachverhalt nichts. - Die in den Variationen liegende Behauptung, R wohne hier oder da, sei so oder so alt, sei ein neuer Kunde und nicht mit früheren Bestellern identisch, ist also bloß eine für § 267 unbeachtliche schriftliche Lüge. Speziell zu Fall 15 d führt der BGH aus (S. 206): "Die Hinzufügung anderer Vornamen ... bedeutete ... eine Identitätstäuschung ... Dem steht nicht entgegen, ... dass das Schriftstück ... an sich ... echt war ... Denn ... der Verwendungszweck ... war ... auf die Täuschung des Rechtsverkehrs angelegt. Die Verlässlichkeit des Beweisverkehrs ... wird durch ein solches Vorgehen ebenso tangiert wie durch den Gebrauch eines unrichtigen Namens ..." Der BGH subsumiert also den Gebrauch einer echten Urkunde zur Täuschung im Rechtsverkehr unter § 267! Das sollten Sie in Prüfungsarbeiten besser nicht tun.
Fall 16: T bewirkt, dass O einen Schulderlass unterschreibt, indem er dem O ... a) weismacht, das Schreiben sei eine Mahnung, b) sagt, im Straßenverkehr könne dem O oder seiner Familie "immer mal was passieren", c) den linken Arm schmerzhaft auf den Rücken dreht, d) mit Gewalt die Schreibhand führt (unrealistisch). O ist im Fall 16 a-c nicht nur scheinbarer, sondern zugleich wirklicher Aussteller, denn der Schulderlass ist ihm gemäß § 123 I BGB als rechtswirksame Willenserklärung zuzurechnen. Nur im Fall 16 d ist O nicht der wirkliche Aussteller (vis absoluta); aber eine unechte Urkunde entsteht wohl
nie, weil das Krikelkrakel nicht beweisgeeignet ist. Bei Verwendung eines fremden Namens entsteht meist eine unechte Urkunde, aber nicht immer. Vergleichen Sie! Fall 17: P kauft eine Antiquität. Im Vertrag schreibt er, im Namen und mit Vollmacht des H zu handeln, und unterschreibt mit "P". Er hat aber gar keine Vertretungsmacht. Fall 18: V kauft auch eine Antiquität. Aber er gibt im Vertrag keine Hinweise auf Vertretung und Vollmacht, sondern unterschreibt mit dem Namen "H". a) Er hat keine Vertretungsmacht. b) Er hat Vollmacht von H. Fall 19: A ist Kommanditist der Firma F ohne Handlungsvollmacht. Er unterzeichnet Wechsel mit seinem Namen und fügt den Firmenstempel hinzu. (BGHSt 17, 11 ff) Im Fall 17 (offene Stellvertretung) erzeugt P nur eine schriftliche Lüge, weil er sich korrekt als P zu erkennen gibt und nur über seine Vertretungsmacht lügt. Vgl. § 164 I 1 BGB, wonach der Vertreter eine eigene Willenserklärung abgibt ("Eine Willenserklärung, die jemand ... abgibt ..."). Die Erklärung ist also dem Vertreter als seine zuzurechnen; aber sie "wirkt ... für und gegen den Vertretenen." Im Fall 18 a (verdeckte Stellvertretung) hingegen begeht er eine Urkundenfälschung, weil er nicht vortäuscht, dass er Vertretungsmacht habe, sondern dass V Aussteller sei. Konsequenterweise muss man auch im Fall 19 mit der hM Urkundenfälschung bejahen, weil A nicht nur seine Vertretungsmacht behauptet, sondern weil darüber hinaus die "Firma F" selber als Ausstellerin erscheint und ihr die Erklärung des A mangels Handlungsvollmacht nicht zugerechnet werden kann. Im Fall 18 b hingegen liegt eine echte Urkunde vor, weil V den H nach zivilrechtlichen Regeln wirksam vertritt; damit erscheint in dem Kaufvertrag genau derjenige als Aussteller, der dem Rechtsverkehr für die Willenserklärung haftet, nämlich H (vgl Fall 10). - Die hL würde hier zu demselben Ergebnis kommen, aber mit einer anderen Begründung. Sie stellt für die Zulässigkeit des Handelns unter fremdem Namen drei Voraussetzungen auf: 1. Wille des Namensträgers, sich vom Handelnden vertreten zu lassen; 2. Wille des Handelnden, den Namensträger zu vertreten; 3. rechtsgeschäftliche oder gesetzliche Befugnis des Handelnden, den Namensträger zu vertreten (Vertretungsmacht). Wir schließen uns der Kritik von Puppe, in: Nomos Kommentar (NK), § 267 Rn 63-66, an diesen drei Voraussetzungen an: Zu 1. Ob der Namensträger sich die verkörperte Erklärung zurechnen lassen muss, hängt bei rechtsgeschäftlicher Vertretungsmacht grundsätzlich nicht von seinem inneren, sondern von seinem erklärten Willen ab (siehe nur § 116 S. 1 BGB); bei gesetzlicher Vertretungsmacht (zB § 1629 BGB) kommt es nicht einmal auf den erklärten Willen an. Zu 2.: Die Zurechnung der verkörperten Erklärung zum Namensträger hängt auch nicht ab vom inneren Willen des Handelnden. Zu 3.: Dieses Kriterium halten wir für richtig. Aber: Erstens darf man es nicht dahin missverstehen, dass man aus einem Eigenhändigkeitserfordernis (zB beim Testament, § 2247 I BGB) folgert, dem Handelnden fehle die Vertretungsmacht (so aber die hL). Richtig ist, dass er durchaus Vertretungsmacht haben kann; und dann ist zB das Testament auch dem Namensträger zuzurechnen. Nur ist dieses Testament dann mangels Eigenhändigkeit nichtig. Zweitens: Die
Zurechnung einer verkörperten Erklärung zum Namensträger muss nicht auf einer Vertretungsmacht des Handelnden beruhen; sie kann auch aus Rechtsscheins- bzw Gutglaubensvorschriften folgen (dazu Fall 21). Mit dem Kriterium, ob die verkörperte Erkärung dem Namensträger zugerechnet wird, ergeben sich auch klare Lösungen in den Fällen der Blankettfälschung. Fall 20: Ähnlich wie Fall 10. Aber K hatte vor seiner Verletzung an der rechten Hand den Bestellschein des Versandhandels schon unterschrieben. Er bittet seinen Arbeitskollegen A, in den Bestellschein zwei T-Shirts, Größe L, mit Delfinmotiv einzutragen und ihn abzusenden. A denkt sich, wegen Ks Körperfülle sei Größe L zu eng und das Delfinmotiv unpassend, außerdem sei der Sommer vorbei. Deshalb bestellt er zwei Sweatshirts, Größe XL, mit Walmotiv. Fall 21: X gibt Y einen Blankoscheck und vereinbart mit ihm, dass Y eine Summe von höchstens 1.000 DM eintragen kann. Y trägt 5.000 DM ein und übergibt den Scheck später an den gutgläubigen Z. Im Fall 20 kann dem K die Bestellung der zwei Sweatshirts nicht zugerechnet werden; A hat eine unechte Urkunde hergestellt (so auch die hL). Im Fall 21 hingegen wird dem X die Anweisung, 5.000 DM zu zahlen, wegen Art. 13 ScheckG zugerechnet; Y hat folglich eine echte Urkunde hergestellt (anders wohl die hL, die - wie soeben gesagt - auf die Zurechnung aus Rechtsschein und gutem Glauben nicht eingeht); wie hier NK-Puppe, § 267 Rn 78 aE, 80.
III. Herstellen Jedes Handeln, das zurechenbar kausal zur Existenz einer unechten Urkunde führt. Nach allgA auch bei Veränderung einer schon existierenden Urkunde (vgl Fall 14). Näher liegt aber wohl die Annahme, dass der Gesetzgeber Herstellen und Verfälschen im typischen Wortsinn gemeint hat, so dass die Veränderung einer bestehenden Urkunde nur Verfälschen einer echten und nicht Herstellen einer unechten Urkunde ist. Denn erstens spricht § 267 ja auch von der kompletten Urkunde, die hergestellt oder verfälscht wird, und bezieht diese Tathandlungen nicht auf einzelne von mehreren in der Urkunde verkörperten Gedankenerklärungen. Zweitens wären die Alternativen "echte Urkunde verfälscht" und "verfälschte Urkunde gebraucht" sonst überflüssig (anders freilich die hM, siehe sogleich unter V Fall 22). - So sieht es aber niemand.
IV. Echt Gängige Definition: Die Urkunde ist echt, wenn der scheinbare Aussteller der wirkliche ist. Einzelheiten oben beim Merkmal "unecht" (unter II).
V. Verfälschen Die Veränderung der als Aussteller erscheinenden Person ist immer ein Verfälschen. Die Veränderung
der Gedankenerklärung eines anderen Ausstellers ist ebenfalls immer ein Verfälschen. Umstritten ist, ob die Veränderung einer eigenen Gedankenerklärung ein Verfälschen ist. Fall 22: Wie Fall 14, aber G macht nichts, sondern S verändert die Zahl heimlich auf "8.000 DM", damit G bei einer Zahlungsklage keine Beweise hat.(6) Nach der RSpr und einem großen, vielleicht überwiegenden Teil der Lehre kann auch der wahre Aussteller seine eigene, echte Urkunde "verfälschen", aber erst, wenn seine Abänderungsbefugnis endet (zB BGHSt 13, 382, 387); mit diesem Kriterium ist dasselbe gemeint wie mit "Urkunde ..., welche ihm entweder überhaupt nicht oder nicht ausschließlich gehört" in § 274 I Nr. 1 (ausführlicher unten). Nach der starken GgA geht das nicht (zB Schönke/Schröder-Cramer § 267 Rn 68). Der Wortsinn erfasst die Verfälschung einer eigenen Urkunde ohne Schwierigkeiten. Dennoch spricht mehr für die restriktive Deutung. Denn die herrschende Lesart passt nicht gut zu dem von § 267 angestrebten Schutz des Rechtsverkehrs vor Täuschungen, die aus der Beweiseignung von Urkunden resultieren (näher oben unter II am Anfang im Kleindruck). Wer nämlich seine eigene Urkunde verändert, bewirkt zweierlei. Zum einen schafft er eine neue eigene Erklärung: Das ist allenfalls eine schriftliche Lüge und stellt kein größeres Unrecht dar als die Erzeugung einer schriftlichen Lüge aus dem Nichts. Zum anderen beseitigt er seine alte Erklärung: Das ist genau der Fall einer Urkundenunterdrückung gemäß § 274 I Nr. 1 und verdient nach der dortigen gesetzlichen Vorgabe nur Strafe, wenn der Täter nicht mehr die alleinige Verfügungsbefugnis hat (deshalb will die hM dieses einschränkende Kriterium ja auch in § 267 einbauen, obwohl es dort nicht steht). Wenn aber § 274 I Nr. 1 vorgibt, wann die Veränderung einer eigenen Urkunde Strafunrecht sein soll, liegt es entschieden näher, dieses Verhalten dann auch sogleich und nur an dieser Strafvorschrift zu messen. Man kann die hL auch nicht mit der Überlegung stützen, dass der Rechtsverkehr über die Entstehungszeit der Urkunde getäuscht werde, weil ja unter dem alten Datum eine neue Erklärung abgegeben werde. Denn auch die Erklärung, man habe die Urkunde zu einer bestimmten Zeit errichtet, ist nur eine schriftliche Lüge; man könnte ja ebensogut eine Urkunde bei ihrer Herstellung falsch datieren. Die zweite Alternative des § 267 ist bei dieser engen Deutung freilich nach h. A. überflüssig, weil jedes Verfälschen in diesem engen Sinne nach allgA zugleich das Herstellen einer unechten Urkunde ist (dazu oben III). Aber das spricht nicht gegen die enge Deutung. Denn der Gesetzgeber macht hin und wieder mehr Worte als nötig; so ist zB in § 303 das Zerstören neben dem Beschädigen genannt, obwohl jede Zerstörung zugleich eine massive Beschädigung ist.
VI. Gebrauchen Die Urkunde einem anderen so zugänglich machen, dass er von ihr Kenntnis nehmen kann. Beispiele: Vorlage oder Zusendung der Urkunde, Fahren mit falschen Kfz-Kennzeichen. Fall 23: T fälscht eine Urkunde. a) Er macht davon eine Kopie und legt diese einem anderen vor. b) Er legt die unechte Urkunde in sein Faxgerät und sendet einem anderen ein Fax. Der Wortsinn lässt auch ein mittelbares Gebrauchen genügen, selbst nach seinem typischen Wortsinn.
Die hM hält keine Restriktion für geboten, zB BGHSt 5, 291 ff; 24, 140 (142); StV 1994, 18; LKTröndle § 267 Rn 169. Ihre Begründung lautet: Die Möglichkeit zur sinnlichen Wahrnehmung der Urkunde sei zwar nötig; dabei sei aber egal, wie wahrgenommen werden könne (optisch, akustisch); deshalb genüge die optische Wiedergabe mittels Fotokopie. Nach der GgA muss die Urkunde selber dem anderen zugänglich sein; zB Lackner-Kühl, § 267 Rn 23; SKStGB-Samson § 267 Rn 83; vgl auch S/S-Cramer § 267 Rn 76 ("Möglichkeit, die Urkunde einzusehen"). Arg: 1. Das mittelbare Gebrauchen via Kopie habe keinen höheren Unwert als die Verwendung der Kopie zB einer geklebten Vorlage (also mangels Beweiseignung einer Nichturkunde). Kritik: Das unbefriedigende Ergebnis der Straflosigkeit muss man bei Verwendung einer geklebten Vorlage hinnehmen; aber bei der Kopie von einer Urkunde zwingt der Wortsinn gerade nicht zu dieser unbefriedigenden Auslegung. Paralleles Beispiel: Die Zueignung einer Sache, die man in Gewahrsam hat, hat keinen höheren Unwert als die Zueignung einer Sache, die man nicht in Gewahrsam hat; dennoch lässt die Textfassung des § 246 I die Bestrafung nur des einen und nicht des anderen zu, also bestraft man nur das eine und nicht das andere. 2. Die der Urkundenschaffung vergleichbare Gefahr liege erst im Zurverfügungstellen der Verkörperung, die der Adressat ansehen, befühlen, beriechen usw kann. Kritik: Nein; die Urkundenschaffung erzeugt noch recht geringe Gefahren, denn der Gebrauch kann noch auf sich warten lassen. Zwar ist der unmittelbare Gebrauch gefährlicher als der mittelbare, aber das besagt nichts. Beide Formen sind gefährlicher als das bloße Herstellen.
VII. Zur Täuschung im Rechtsverkehr Wille, einen anderen über die Echtheit der Urkunde zu täuschen und ihn so zu einem rechtserheblichen Verhalten zu veranlassen. In der deutschen Sprache wird der Ausdruck "zur" im gegebenen Kontext nur zur Kennzeichnung von Absicht verwendet. Entgegen diesem Wortsinn lässt die h. L. auch direkten Vorsatz genügen.
B. § 268 - Fälschung technischer Aufzeichnungen I. Technische Aufzeichnung (tA) Definition in Abs. 2. Typische Beispiele: EKG, Fahrtenschreiberdiagramm. Die hM unterscheidet so: ●
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Keine tA produzieren Geräte, die auf Null zurückgehen (zB Waagen, Spannungsmessgeräte); Arg: Diese Anzeigegeräte bewirken keine "Aufzeichnung". Keine tA produzieren Geräte, die fortlaufend weiterzählen (zB Wasseruhren, Strom- und Kilometerzähler); Arg: Wie soeben; keine Ablösbarkeit der Aufzeichnung vom Gerät. - Das Wortlautargument überzeugt nicht; man kann zB bei Kilometerzählern ohne weiteres von einer Aufzeichnung der gefahrenen Wegstrecke sprechen. Auch ist die geschaffene Darstellung von Werten, Zuständen oder Abläufen durchaus so dauerhaft verkörpert, wie man das für Urkunden
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genügen lässt. Deshalb sieht eine MM solche Aufzeichnungen zu Recht als tA an (zB SKStGBSamson, § 268 Rn 12). Keine tA produzieren (elektrische) Schreibmaschinen und Textverarbeitungsprogramme; Arg: Aus den Gesetzgebungsmaterialien ergibt sich, dass der GesGeb mit dem Merkmal "selbsttätig" eine nennenswerte Eigenleistung des Gerätes verlangt hat. Häufige Formulierung: "Der Output darf nicht identisch mit dem Input sein." Die Grenzen sind vage. Nach hM keine tA bei Aufzeichnungen von Fotokopiergeräten, Fotooder Filmkameras (str), wohl aber bei vollautomatischen Kameras wie bei der Verkehrsüberwachung (weil sie selbsttätig auslösen). Beim Telefax: Keine tA ist der fernkopierte Text, wohl aber der Übertragungsbericht (Absenderkennung, Datum, Uhrzeit).
II. Unecht Eine unechte tA ist eine Darstellung, die nicht von dem technischen Gerät stammt, von dem sie zu stammen scheint. Beispiele: ●
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Die Darstellung entstammt gar keinem technischen Gerät, der Täter hat sie von Hand hergestellt. Die Darstellung stammt von einem anderen Gerätetyp (hM, str); etwa: Die Nadel eines Fahrtenschreibertyps schreibt kleinere Ausschläge auf kleinere Schaublätter als ein anderer Gerätetyp. Das nutzt der Täter so, dass er kleine Ausschläge auf dem großen Schaublatt aufzeichnen lässt und so niedrigere Geschwindigkeiten vortäuscht. Keine unechte tA, wenn die tA von einem anderen Gerät desselben Typs stammt, als sie zu stammen scheint; Arg: Keine Irreführung des Rechtsverkehrs über die Aufzeichnungsleistung (insb Genauigkeit der Messung und der Darstellung) der tA.
III. Herstellen, Verfälschen, Gebrauchen zur Täuschung im Rechtsverkehr Die übrigen Merkmale sind so wie bei § 267 zu verstehen.
IV. Abs. 3: Besondere Tathandlung Fall 24: F fährt einen Lkw, in den ein EG-Kontrollgerät eingebaut ist, das die Fahrtdauer auf einem Schaublatt aufzeichnet. Während einer Fahrt öffnet F das Gerät und stellt die Zeituhr um eine Stunde zurück. (BayObLG, JZ 1986, 604). Man streitet darüber, ob die in Abs. 3 genannte Tathandlung ein Unterfall des Herstellens einer tA ist. Dieser Streit ist für Urteile und Gutachten belanglos.
C. § 274 I Nr. 1 -
Urkundenunterdrückung I. Urkunde oder technische Aufzeichnung Meint nur echte Urkunden und tA; siehe zB Dreher/Tröndle, § 274 Rn 1a.
II. "welche ihm entweder überhaupt nicht oder nicht ausschließlich gehört" Meint nicht das Eigentum, sondern das Beweisführungsrecht. Wann hat ein anderer das Beweisführungrecht? 1. Aus Eigentum, § 903 BGB. 2. Auch ohne Eigentum. Beleg: § 422 ZPO. ❍ Insbesondere § 810 BGB (Urkunde in seinem Interesse errichtet, Urkunde bekundet RVerhältnis zwischen ihm und einem anderen ...) ❍ Andere BGB-Vorschriften, zB § 371 BGB (Schuldscheinherausgabe); siehe Schönfelder-Fn zu § 422 ZPO. ❍ Siehe noch §§ 421, 423 ZPO.
III. Vernichten, Beschädigen, Unterdrücken Fall 25: Wie Fall 14, aber G macht nichts, sondern S zerreist den Schuldschein heimlich. Siehe auch Fall 22: S hat zwar vielleicht nicht das Blatt Papier beschädigt, aber jedenfalls die verkörperte Gedankenerklärung, also die Urkunde; darauf kommt es nach den Worten des § 274 I Nr. 1 an.
IV. Absicht, einem anderen Nachteil zuzufügen Der Täter muss beabsichtigen, "die Benutzung gerade des gedanklichen Inhalts der Urkunde" zu vereiteln (Schönke/Schröder-Cramer, § 274 Rn 16). Also: Absicht, einen Beweisnachteil zuzufügen. Fall 26: T verbrennt eine Urkunde, die ihm nicht gehört, damit seinem Gegenüber der beißende Qualm in die Augen steigt. Die hM Meinung verlangt entgegen dem Wortsinn keine echte Absicht (dolus directus 1. Grades), sondern lässt Wissentlichkeit (dolus directus 2. Grades) genügen.
Fußnoten 1. 2. 3. 4. 5.
Fall 5: -. Fall 6: +. Fall 7: + ("welche Rechnungsangaben auch immer"). a: +. b: +. c: -. Aussteller ist G; S erscheint als Aussteller. Fall 12: Schriftliche Lüge, aber echt. Fall 13: Wahr, aber unecht. Fall 14: Erst echt, dann unecht. a: Solange echt, wie der Name ähnlich bleibt. b: Erst unecht bei Verwechslung mit Namensvetter unter der angegebenen Adresse. c: Erst unecht bei weiteren Namensträgern im Haus (zB gleichnamigem Sohn). d: Echt. 6. Beachte § 810 BGB.
[email protected],16.04.1997.