Altans Aichinger Resilienztörderung mit Kindern
Alfans Aicrlinger
Resilienzförderung mit Kindern Kinderpsychadrama B...
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Altans Aichinger Resilienztörderung mit Kindern
Alfans Aicrlinger
Resilienzförderung mit Kindern Kinderpsychadrama Band 2
VS VERLAG
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. AUflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften I Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Kea S. Brahms / Eva Brechtel-Wahl VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Satz: Janssen peters, TEXTUndREDE Druck und buchbinderische Verarbeitung: Ten Brink, Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-17468-6
Meinem Freund Walter Holl gewidmet, mit dem ich das Kinderpsychodrama entwickeln konnte und der mir mit Rat und Tat zur Seite stand.
Inhalt
1
Einleitung
11
2
Von der Pathogenese zur Salutogenese
17
2.1 Der Strukturwandel des Aufwachsens
17
2.2 Entwicklungsressourcen und Chancenungleichheit
18
2.3 Prävention, Gesundheitsförderung und Resilienz
22
3
2.3.1 Gesundheitsbezogene Prävention
22
2.3.2 Gesundheitsförderung
25
2.3.3 Resilienz
26
2.3.4 Die salutogenetische Perspektive
31
Resilienzförderung im Kindergarten
33
3.1 Spielkompetenz von Kindern fördern - eine ressourcenzentrierte Fortbildung für Erzieherinnen ..
37
3.1.1 Darstellung des Konzeptes
39
3.1.2 Projektauswertung
51
3.1.3 Neue Konzeption
51
3.2 Entwicklungsorientierte Prävention aggressiven Verhaltens
54
3.2.1 Die Gruppenzusammenstellung
57
3.2.2 Setting
58
3.2.3 Chaos und Ordnung - die Anfangsphase
59
3.2.4 Entwicklung von gegenseitiger Hilfe
68
8
4
5
Inhalt
3.2.5 Förderung der Beziehungsfähigkeit
71
3.2.6 Der Wechsel an die Beratungsstelle
76
3.2.7 Weitere Gruppenprojekte
77
Resilienzförderung an Schulen
79
4.1 Gewaltprävention mit Schulklassen
79
4.1.1 Empirische Forschungsergebnisse
79
4.1.2 Projektbegründung
85
4.1.3 Darstellung des Präventionsprojektes
85
4.1.4 Setting
87
4.1.5 Die vier Bausteine
88
4.1.6 Auswirkungen des Projekts
122
4.1.7 Beziehungsstiftende Spiele in Grundschulen
123
4.1.8 Beziehungsstiftende Spiele bei Konflikten in Klassen
125
4.2 Förderung gewaltpräventiver Kompetenzen der Lehrkräfte
135
4.2.1 Beziehungsstiftende Geschichten
137
4.2.2 Konfliktthematisierende Geschichten
138
Resilienzförderung bei Risikogruppen
145
5.1. Kinder aus suchtbelasteten Familien
145
5.1.1 Die Lebenssituation dieser Kinder: Risiken und Ressourcen ....................................................................................... 145 5.1.2 Resilienzförderung durch ein kinderpsychodramatisches Gruppenangebot 5.2 Kinder aus Trennungs - Scheidungsfamilien
151 158
5.2.1 Die Lebenssituation dieser Kinder: Risiken und Ressourcen ....................................................................................... 158 5.2.2 Resilienzförderung durch ein kinderpsychodramatisches Gruppenangebot
165
Inhalt
9
5.3 Resilienzförderung bei weiteren Risikogruppen
179
5.3.1 Kinderpsychodrama mit Kindern, die Gewalt in der Familie erlebt haben
179
5.3.2 Kinderpsychodrama mit kranken Kindern und ihren Geschwistern
180
5.3.3 Kinderpsychodrama mit Geschwistern von autistischen Kindern
181
5.3.4 Kinderpsychodrama in der Prävention von sexueller Gewalt
181
5.3.5 Kinderpsychodrama mit Kindern von psychisch kranken Eltern
182
6
Ausblick
183
7
Literatur
185
1 Einleitung
Zunehmend wird in den letzten Jahren die Frage diskutiert, wie Kinder und Jugendliche sich in unserer Gesellschaft gesund entwickeln können, welche Kräfte sie benötigen, um trotz widriger Umstände zu gedeihen und selbst aus belastenden Lebenssituationen gestärkt hervorzugehen. Pädagogen wie Psychologen sind gefragt, wie sie Kinder darin unterstützen können, solch entscheidendes Bewältigungsverhalten zu entwickeln, um den Herausforderungen des Lebens standzuhalten und aus den Lebensbelastungen gestärkt und bereichert heranzuwachsen. Und welche hinreichenden personalen und sozialen Ressourcen Kindern zu vermitteln sind, damit sie kritische Lebensereignisse und Lebensumbrüche gelingend beWältigen. Diese Fragestellung führte zu einem Paradigmenwechsel weg von einem problemorientierten Defizitmodell hin zu einem ressourcenorientierten Kompetenzmodell. Für Kinder können dann bessere Chancen des Aufwachsens entstehen, "wenn es gelingt, entwicklungsfördemde Settings zu schaffen und Beratungsangebote für die flexible Gestaltung des Passungsverhältnisses zwischen Ressourcen und Umwelten machen zu können" (Fingerle 2007, S. 308). Dieses Konzept der Resilienz hat viele Bezüge zum Konzept der Gesundheitsförderung und Salutogenese, das im 13. Kinder- und Jugendbericht (2009) favorisiert und zum ersten Mal zum Gegenstand eines Kinder- und Jugendberichts der Bundesregierung gemacht wurde. Hinter diesen Konzepten steht ein ähnliches Menschenbild, nämlich dass die Überzeugung, selbst handlungsfähig zu sein, und die Fähigkeit, situationsangemessen zu handeln, für die Gesundheitserhaltung entscheidend sind. Wie Antonovsky (1997) mit seiner salutogenetischen Sicht, verwies Moreno sehr früh auf jene gesunderhaltenden Faktoren, die Menschen dazu verhelfen, erfolgreich mit den Belastungen im Verlaufe ihres Lebens umzugehen. Dem Psychodrama liegt daher eine Gesundheitstheorie zugrunde und nicht wie in den klassischen Psychotherapierichtungen eine Krankheitstheorie (Buer 1992a). Für Moreno ist der Mensch gesund, der zur Begegnung, zu flexiblem Rollenspiel und zum spontanen, kreativen, schöpferischen und angemessenen Handeln in seinem sozialen Umfeld fähig ist.
A. Aichinger, Resilienztörderung mit Kindern, DOI 10.1007/ 978-3-531-93012-1_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften I Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
12
1 Einleitung "Spontaneität wirkt in der Gegenwart, jetzt und hier, sie treibt den Einzelnen zu angemessenen Reaktionen auf eine neue Situation oder zu neuen Reaktionen auf eine alte Situation." (Moreno 1974, S. 13)
Gesundheit beinhaltet also in psychodramatischer Sicht das Vorhandensein von Spontaneität und interpersonaler Rollenkompetenz, "die sich als Fähigkeit äußern, auf interpersonale und situative Anforderungen mit jeweils aktualisierbaren Rollen angemessen reagieren zu können. Dies schließt die Neuschöpfung von Rollen oder die neue Bewertung bisheriger Rollen aufgrund von Spontaneität mit ein." (Burmeister 2009, S. 364) D.h., nur wenn Heranwachsende über genügend Kreativität verfügen, über kreative Anpassung und kreative Veränderung, können sie die Herausforderungen des Lebens meistem. Daher ist es Ziel, die Potentiale für Spontaneität und Kreativität mit dem Psychodrama zu aktivieren. "Gesundheit impliziert das Vorhandensein von Spontaneität und Kreativität. Diese wird dabei nicht nur im Sinne einer schöpferischen Lösungs- und Leistungsfähigkeit, sondern auch im Sinne einer lebenspraktischen Bewältigungskompetenz gesehen. Gleichzeitig hängt Gesundheit in der psychodramatischen Perspektive aber auch von den Grundlagen und dem ,Schicksalsaspekt' menschlicher Existenz ab: Je nach Qualität und Potenzial für gelingende Beziehungen und Begegnungen(.....) variiert auch das Ausmaß an Gesundheit" (Burmeister 2004, S. 85f). Denn wenn Moreno von Krankheit spricht, "so hat er primär Phänomene nicht glückender Einbindung in soziale Kontexte vor Augen" (Hutter und Schwehm 2009, S. 145). Pathologie im Sinne des Psychodramas ist daher immer Beziehungspathologie, misslingende Beziehungskoordination des Individuums mit seiner Umwelt. Die Betonung der Begegnung und der Einbezug in das Umfeld, die in Morenos Theorie des sozialen Atoms für die Persönlichkeit konstituierend sind, beinhalten den gesellschaftlichen Einfluss auf das Konzept der Gesundheit. Angemessenes Reagieren ist nämlich, was den Bedürfnissen des Individuums und den Erfordernissen der Umwelt entspricht. In späteren Schriften beschreibt Moreno, wie die Gesellschaft an ihrer Kohäsionsschwäche leidet und auf unterschiedlichen Ebenen Menschen in prekäre Lebensbedingungen bringt. Diese Menschen beschreibt er als soziometrisches Proletariat. "Das älteste und größte Proletariat der menschlichen Gesellschaft ist das soziometrische Proletariat. Es besteht aus all den Menschen, die unter der einen oder der anderen Form des Elends leiden, unter psychischem Elend, sozialem Elend, ökonomischem Elend, politischem Elend, rassischem Elend oder religiösem Elend." (Moreno 1981, S. 221, zit. nach Hutter & Schwehm 2009, S. 151)
1 Einleitung
13
Mit Buer (1992b, S. 276f) lässt sich festhalten: 1.
2.
3.
Moreno fasst wie in der modemen Gesundheitsförderung Gesundheit und Krankheit nicht als klar getrennte Zustände des Menschen, sondern als Prozesse der Erkrankung und Gesundung, die immer zugleich auftreten. Damit wird gesellschaftlichen Stigmatisierungsprozessen weitgehend der Boden entzogen. Sein Fokus liegt auf der Gesundung, der Anregung schöpferischer Prozesse, nicht auf der Analyse der Erkrankung. Damit setzt das Psychodrama auf die Selbstheilungskräfte in gegenseitiger Unterstützung, in der einer dem anderen Helfer ist. Diese Prozesse erfassen den ganzen Menschen als somato-psychisch-soziale Einheit.
Diese Sicht Morenos enthält eine "erhebliche Sprengkraft" (Buer 1992b, S.277) gegenüber einer psychopathologischen Orientierung, deren Umsetzung auch für die Psychodramatiker eine Herausforderung ist. Außerdem hat Moreno (1974) mit seiner Vision einer "therapeutischen Weltordnung" sich für eine Humanisierung der Welt eingesetzt und zur Mitwirkung aufgerufen. Mit dem Soziodrama hat er ein ideales Instrument entwickelt, um gesellschaftliches Leben mit zu gestalten (Wittinger 2005, S. 7ff). Daher war es für Moreno von Anfang an ein zentrales Anliegen, personale und soziale Ressourcen zu stärken. Ja, man kann zu Recht behaupten, "dass Psychodrama mit Präventionsarbeit für Kinder begonnen hat" (Kleinhanns 2008, S. 238). Morenos Stegreifspiel mit Kindern im Wiener Augarten zu Beginn des vorigen Jahrhunderts wird nämlich von Stimmer (2004, S. 18f) in heutigem Fachjargon als niedrigschwelliges Angebot der primären Prävention und seine Arbeit in Schulen und einem Mädchenheim in Hudson anfangs der dreißiger Jahre in den USA als Empowerment und Netzwerkarbeit gedeutet. Wir haben an der Psychologischen Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche der Caritas Ulm seit 1993 begonnen, mit der kinderpsychodramatischen Methode die Resilienz der Kinder in Kindertagesstätten, in Schulen und von Risikogruppen zu unterstützen. und haben damit frühzeitig eine salutogenetische Orientierung eingeschlagen. Mit dem Kinderpsychodrama (Aichinger & Holl 2010, 2. Auflage) haben wir einen ressourcenorientierten Ansatz entwickelt, der einen lebendigen und kindgerechten Zugang zu Kindern und ihren Stärken bietet, kreative Handlungsbereitschaft fördert und eine positive Entwicklung von Kindern begünstigt. Im psychodramatischen Symbolspiel erlebt das Kind eine Erweiterung seiner eige-
14
1 Einleitung
nen Handlungsmöglichkeiten. Dieser erlebte Zuwachs an eigener Selbstwirksamkeit führt zu einem Zuwachs an Spontaneität. "In der einmal erreichten Spontaneitätslage wird das schöpferische Potenzial für alternative Handlungsmuster frei: Interpersonales Rollenverhalten kann- einmal aus seiner Automatisierung gelöst- ...um neue Rollenkonfigurationen erweitert werden, die erlebte und erfahrene Beziehung erhält eine neue Bewertung, da sich der emotionale Bezug zum Anderen und/oder zur eigenen Person in der Beziehung verändert hat." (Burmeister 2009, S. 367)
Und dies stärkt die Widerstandsfähigkeit von Kindern. Außerdem fördern wir mit dem Fokus auf Beziehungen den bedeutendsten Schutzfaktor für junge Menschen, das Gefühl der Verbundenheit mit anderen Kindern und wichtigen Erwachsenen und die soziale Unterstützung, deren Heilwirkung in der Geschichte von Harry Potter, dem "Hohelied der Freundschaft" Oung 2004)/ eindrücklich beschrieben wird. Daher zielt das Kinderpsychodrama als prozesszentrierte Resilienzförderung auf die Stärkung schützender Systeme, auf personaler Ebene auf die Unterstützung der protektiven Systeme der Selbstregulation, der Informationsverarbeitung, der Bewältigungsmotivation und der Bindung, und auf sozialer Ebene auf die Stärkung der sozialen Unterstützungsnetze (vgl. Kleinhanns 2008). In diesem Buch möchte ich aufzeigen, welch reichhaltigen Möglichkeiten das Kin-
derpsychodrama bietet, Kinder zu stärken und zu fördern, damit sie ihre Entwicklungsaufgaben bewältigen und ihre Grundbedürfnisse befriedigen können. Zu den Grundbedürfnissen eines Kindes gehören nach Klemenz (2007/ S.68) das Bindungsbedürfnis und das Bedürfnis nach sozialer Eingebundenheit und Zugehörigkeit, das Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung und Selbstwertschutz, das Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle, das Bedürfnis nach Kompetenz und Wirksamkeit, das Bedürfnis nach Autonomie und Selbstbestimmung und das Bedürfnis nach Lustgewinn und Unlustvermeidung. Diese Grundbedürfnisse werden in der kinderpsychodramatischen Resilienzförderung durchgängig angesprochen. Im psychodramatischen Spiel werden dem Kind Möglichkeiten eröffnet, diese Bedürfnisse zu befriedigen, wie Weiss (2010/ S.26ff) detailliert ausführt. Vor allem das psychodramatische Symbolspiel ermöglicht Kindern, in einem "flow-Erleben", wie Csiklszentrnihalyi betont, unterschiedliche Ressourcen zu entwickeln: "In solchen Spielsituationen gelingt das Abschalten vom Alltag, unangenehme Gedanken und Gefühle werden ausgeblendet, die Kinder erleben positive Selbstgefühle, haben einfach nur Spaß und genießen Glücksempfindungen. In diesem Fließerleben gehen auch Kontrollerfahrungen ein, weil ,flow' erst dann erlebt wird, wenn Aussicht besteht, die
1 Einleitung
15
Anforderungen weitgehend zu beherrschen und Handlungsergebnisse als Effekte eigenen Tuns bewertet werden können." (Csiklszentmihalyi 1985, zit. nach Weiss 2010, S. 36)
Um Grundbedürfnisse zu erfüllen, brauchen Kinder aber umfassende Person-Umwelt- Ressourcen. Und aus den befriedigten Grundbedfufnissen heraus erwachsen wiederum Ressourcen, anstehende Entwicklungsaufgaben bewältigen zu können. Daher ist zur Ressourcenaktivierung und Resilienzförderung auch unbedingt notwendig, die Beziehungskompetenz von Mediatoren zu stärken. Im folgenden Kapitel zeige ich zunächst den Strukturwandel des Aufwachsens von Kindern und Jugendlichen in unserer Gesellschaft auf und führe aus, was sie für ein gesundes Aufwachsen an Fähigkeiten und Stärken benötigen. Anschließend beschreibe ich die Entwicklung der Prävention von der Pathogenese zur Salutogenese. Im 3. und 4. Kapitel stelle ich dar, wie kinderpsychodramatisch Resilienzförderung in der Kindertagesstätte und in der Schule durchgeführt werden kann. Diese Kapitel sind eine überarbeitete und erweiterte Fassung meines Beitrages in dem vergriffenen Buch von Aichinger & Holl (2002). Am Beispiel einer Fortbildung für ErzieherInnen "Die Spielkompetenz von Kindern fördern" illustriere ich in Kapitel 3, wie eine Ressourcenförderung auf der Beziehungsebene stattfindet. Anhand eines entwicklungsorientierten Projektes zeige ich anschließend auf, wie aggressive Kindergartenkinder gefördert werden, soziale Fertigkeiten zu entwickeln, beziehungs- und gemeinschaftsfähiger zu werden und so negative Entwicklungsverläufe verhindert werden. In Kapitel 4 stelle ich dann ein gewaltpräventives Projekt mit Schulklassen vor und eine Resilienzförderung auf der Beziehungsebene, in der Lehrerinnen in einer Fortbildung lernen, wie sie die Beziehungs- und Konfliktfähigkeit von Kindern fördern können. Im 5. Kapitel führe ich exemplarisch an zwei Risikogruppen, an Kindern aus suchtbelasteten Familien und an Kindern aus Trennungs-Scheidungsfamilien, aus, wie kinderpsychodramatisch Resilienzförderung mit Risikogruppen gestaltet werden kann. Abschließend stelle ich weitere Gruppenangebote für Kinder in Risikokonstellationen vor. Mein besonderer Dank gilt meinen Kolleginnen und Kollegen. Frau Schultheis danke ich für die Anregungen und die gemeinsame Durchführung des Fortbildungsprojektes für ErzieherInnen "Die Spielkompetenz von Kindern fördern", die sie seit vielen Jahren noch im Ruhestand weiterführt. Frau Reisinger habe ich zu danken für die Überlegungen und gemeinsame Durchführung des Projektes mit aggressiven Kindern. Sie führt seit vielen Jahren zusammen mit Herrn Schönle dieses Projekt in sozialen Brennpunktkindergärten weiter. Mit Herrn Holl habe ich die Projekte in der Schule entwickelt und viele Jahre durchgeführt. Ihm gilt mein Dank für die lange Wegbegleitung, Überlegungen und
16
1 Einleitung
Erfahrungen, die in dieses Buch eingeflossen sind. Mit Frau Reisinger und Herrn Schönle führte ich nach dem Ausscheiden von Herrn Holl in den letzten zehn Jahren zahlreiche Schulprojekte durch, wofür ich ihnen dankbar bin. Dank sagen möchte ich auch der Leitung der Caritas Ulm, Herrn Pohl und Herrn Bruder, für ihre Unterstützung. Frau Brahms vom Lektorat im VS Verlag hat mich ermutigt, dieses Buch zu schreiben, und hat mich gut betreut. Dafür möchte ich meinen Dank aussprechen. Herrn Christoph Hutter danke ich für Anregungen zu Morenos Schriften.
2 Von der Pathogenese zur Salutogenese
2.1 Der Strukturwandel des Aufwachsens In der Fachdiskussion werden die strukturellen Veränderungen des Aufwachsens von Kindern und Jugendlichen mit Begriffen wie "entgrenzt", "individualisiert", "pluralisiert" oder "verdichtet" umschrieben (Lüders 2007, Seckinger 2007). Kinder und Jugendliche wachsen heute in einer "fluiden Gesellschaft" (Bauman 2008) auf, die durch die Pluralisierung der Lebensstile, Werthaltungen und Ziele gekennzeichnet ist. Sie ist immer weniger eine "einbettende Kultur"(Keupp 2008, 2009a) und bietet weniger Begleitschutz für das Erwachsenwerden. Das Aufwachsen unter den Bedingungen dieser spätmodernen Gesellschaft ist ein Aufwachsen in eine globalisierte, hochgradig vernetzte und beschleunigte Welt hinein mit einer deutlichen Zunahme der lingualen und kulturellen Diversität, in eine Welt, die zunehmend "unlesbar" (Sennett 1998) geworden ist, für die bisherige Erfahrungen nicht ausreichen, um zu einer stimmigen Interpretation oder einer verlässlichen Prognose zu kommen. Wer Geregeltheit und Übersichtlichkeit braucht, wer auf Gewissheiten, klare Rahmenbedingungen, Anweisungen und sichere Verhältnisse angewiesen ist, gerät rasch in Not. Daher ist die Gesellschaft auch in den Grundfragen verunsichert, welche Lernerfahrungen und Kompetenzen Kinder für eine erfolgreiche Lebensbewältigung brauchen. Die Anforderungen zur erfolgreichen Lebensbewältigung und die Lern- und Bildungserwartungen stellen für alle Kinder und Jugendlichen, ihre Familien und ihre pädagogischen Umwelten neue Herausforderungen dar, zumal Beschleunigung, Verkürzung, Dynamisierung und Verdichtung hinzu kommen. "Kinder und Jugendliche müssen heute stabile und kohärente Identitäten ausbilden, was angesichts der ,flüchtigen Modeme' (Baumann 2003) immer schwieriger wird. Sie müssen in kürzerer Zeit mehr Wissen und mehr Kompetenzen erwerben als noch vor zwanzig Jahren. Anders formuliert: Die typischen Entwicklungsaufgaben des Kindesund Jugendalters sind für die Mehrheit der Kinder und Jugendlichen angewachsen und müssen schneller erledigt werden." (Lüders 2007, 5.5)
A. Aichinger, Resilienztörderung mit Kindern, DOI 10.1007/ 978-3-531-93012-1_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften I Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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2 Von der Pathogenese zur Salutogenese
Gegenüber katastrophischen Deutungen ist jedoch mit Blick auf die empiriegestützten Daten zu betonen, dass aufgrund förderlicher Voraussetzungen und Rahmenbedingungen etwa 80 Prozent der Kinder und Jugendlichen in der Lage sind, die Herausforderungen ohne größere Auffälligkeiten zu bewältigen. Kinder und Jugendliche wachsen in ihrer großen Mehrheit gesund, selbstbewusst und kompetent auf und dürfen daher nicht unter einer generalisierten Risikoperspektive betrachtet werden. Dies bestätigt auch die 16. Shell- Jugendstudie (2010) Mehr als 90% der befragten Jugendlichen bekunden, gut mit ihren Eltern auszukommen, und fast drei Viertel aller Jugendlichen würden ihre eigenen Kinder so erziehen, wie sie erzogen wurden. Auch die 2. World Vision Kinderstudie (2010) erbringt den Nachweis, dass die große Mehrheit der befragten 6- bis lI-jährigen mit ihren Lebensverhältnissen in Familie, Freizeit, Freundeskreis und Schule zufrieden sind und sich wohl fühlen. Auf der Grundlage dieser vorliegenden Daten kommt Spiewak (2008) zu der Aussage, dass Kinder von heute gesünder leben, schlauer als früher sind und sicherer leben. "Zu keiner anderen Zeit ging es der Mehrzahl der Kinder in diesem Lande so gut wie heute, widmeten sich Eltern so intensiv um ihren Nachwuchs, leben die Generationen so harmonisch zusammen wie im Jahre 2008." (2008/ S. 2)
Das Aufwachsen heute beinhaltet aber "riskante Chancen" (Keupp 2009b, 201Oa). Einerseits eröffnen sich in diesen Wandlungsprozessen neue Gestaltungsmöglichkeiten im eigenen Lebensentwurf und in der alltäglichen Lebensführung. Andererseits wachsen aber auch die Risiken des Scheiterns. Diese Chancen zu nutzen, Selbstwirksamkeit und Handlungsmächtigkeit zu erfahren, setzen jedoch Ressourcen voraus, über die viele Heranwachsende nicht verfügen. 2.2 Entwicklungsressourcen und Chancenungleichheit Welche Ressourcen benötigen Kinder und Jugendliche, um selbstbestimmt und selbstwirksam ihren eigenen Weg in einer so komplex gewordenen Netzwerkgesellschaft gehen zu können? Die Herausforderungen einer globalisierten Welt verlangen von Heranwachsenden spezifische Fähigkeiten und Fertigkeiten, die Lerner und sein Team (2003) als die ,,5 C" der positiven Entwicklung bezeichnen: •
Das erste C zielt auf die Verbesserung der sozialen, schulischen, kognitiven und beruflichen Kompetenzen der Kinder.
2.2 Entwicklungsressourcen und Chancenung1eichheit
19
•
Beim zweite C geht es um die Förderung des Vertrauens, die Erhöhung des Selbstwertgefühls, der Selbsteinschätzung, des Selbstvertrauens, der Identität und des Glaubens an die Zukunft.
•
Das dritte C umfasst die Amegung und Unterstützung von sozialen Bindungen, den Aufbau und die Stärkung von Beziehungen eines Kindes oder Jugendlichen zu anderen Menschen und Institutionen wie der Schule. Das vierte C zielt auf die Erhöhung der Selbstkontrolle und Selbstbeherrschung, die Verminderung von gesundheitsschädigendem (Problem-)Verhalten, die Achtung von kulturellen und gesellschaftlichen Regeln und Normen sowie Gerechtigkeitssinn (Moral) und Spiritualität.
•
•
Das fünfte C beinhaltet die Entwicklung von Fürsorge und Mitgefühl, die Erhöhung der Empathiefähigkeit von Kindern und Jugendlichen und ihrer Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen (Roth, Brooks-Gunn 2003, S. 205, zit. nach 13. Kinder- und Jugendbericht 2009, S. 46).
Auch Keupp (2010a) führt aus, wie Kinder und Jugendliche in einem gesellschaftlichen Übergangsprozess, der als "Freisetzung" des Individuums, Enttraditionalisierung, Verlust der Mitte oder transzendentale "Obdachlosigkeit" beschrieben werden kann, viel stärker aus sich selbst heraus und in immer kürzerer Zeit ihre personale Identität entwerfen müssen. Verlangt wird von Kindern und Jugendlichen eine individuelle Verknüpfungsarbeit, eine "Patchwork-Identität". "Heute kommt es auf die individuelle Passungs-und Identitätsarbeit an, also auf die Fähigkeit zur Selbstorganisation, zum ,Selbsttätigwerden' oder zur ,Selbsteinbettung'." (S. 104) Um selbstbestimmt und selbstwirksam eigene Wege in dieser komplexen Gesellschaft gehen zu können, werden nach Keupp sieben Ressourcen benötigt: 2. 3.
Urvertrauen zum Leben Dialektik von Bezogenheit und Autonomie Entwicklung von Lebenskohärenz
4. 5. 6.
Schöpfung sozialer Ressourcen durch Netzwerkbildung Materielles Kapital als Bedingung für Beziehungskapital Demokratische Alltagskultur durch Partizipation
7.
Selbstwirksamkeit durch Engagement
1.
Es gibt aber auch eine Anzahl von Kindern und Jugendlichen, die überfordert sind und an den Risiken der spätrnodernen Gesellschaft scheitern, vor allem die Kinder am unteren Rand der Gesellschaft, die Familien, in denen sich Armut, Arbeitslosigkeit und Vernachlässigung ballen.
20
2 Von der Pathogenese zur Salutogenese
Untermauert wurde dies durch die Daten des Kinder-und Jugendgesundheitssurvey (KiGG5-Studie) des Robert-Koch-Institutes (2007). Im Rahmen der "neuen Morbitität" stellt sie zwei wesentliche Veränderungen des Krankheitsspektrums fest: die Verschiebung von akuten zu chronischen Erkrankungen und von somatischen zu psychischen Störungen. Dies hat Folgen zum einen auf die aktuelle körperliche, psychische und soziale Lebensqualität und Leistungsfähigkeit von Heranwachsenden. Zum anderen "kommt der Beachtung der Lebensverlaufsperspektive in der Genese von Gesundheit und Krankheit eine wachsende Bedeutung zu, da ein Großteil der im Erwachsenenalter manifest werdenden somatischen und psychischen Erkrankungen ihren Ursprung in Auffälligkeiten des Kindes- und Jugendalters hat"( 13.Kinder- und Jugendbericht 2009, S. 78). Die BELLA-Studie ( Ravens-Sieberer et a1.2007b), die spezifischer für unseren Bereich an einer repräsentativen Unterstichprobe der KiGGS detailliert die psychische Gesundheit untersuchte, zeigte bei 21,8% der untersuchten Kinder und Jugendlichen psychische Auffälligkeiten, wobei 12,2% als behandlungsbedürftig eingeschätzt wurden. Am häufigsten traten Ängste (10%), Störungen des Sozialverhaltens (7,6%), Depressionen (5,4%) und Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitätsstörungen (2,2%) auf. Deutlich häufiger kamen Kinder mit psychischen Auffälligkeiten aber aus konfliktbelasteten Familien, unglücklichen Partnerschaften der Eltern und psychopathologischen Symptomen der Eltern. Und umso mehr Risiken auftreten, umso mehr steigt auch die Wahrscheinlichkeit an, dass Kinder psychische Auffälligkeiten mit "Teufelskreisläufen" entwickeln. Besonders hervorzuheben ist die Wirkung des Sozialstatus: Während bei Kindern und Jugendlichen mit hohem Sozialstatus die allgemeine Prävalenz bei 16,5% lag, wurde bei Heranwachsenden mit niedrigem sozialen Status beinahe der doppelte Wert (31,3%) erreicht (Ravens-Sieberer et al. 2007b, S. 875f). Der geringe soziale Status zeigt sich deutlich in einer Erhöhung der seelischen Belastungen: um ca 60% bei den Ängsten, in einer Verdoppelung bei Störungen des Sozialverhaltens und Depression und einer Vervierfachung bei ADHS. Diese Kluft findet sich auch bei der 16. Shell Jugendstudie (2010), wonach etwa 20% der Jugend sozial abgehängt sind, und bei der 2. World Vision Kinderstudie (2010), nach der sich 20% der 6- bis ll-jährigen Befragten massiv benachteiligt fühlen. Hurrelmann fasst bei der Vorstellung der Studie zusammen: "Es ist erschreckend zu sehen, wie sich schon in Deutschland eine Vier-Fünftel-Kindergesellschaft herausbildet. Die Kinder aus dem benachteiligten unteren Fünftel sehen ihre Zukunft negativ und trauen sich keine erfolgreiche Schullaufbahn zu. Es fehlt ihnen an Rückhalt, an Anregungen und an gezielter Förderung. In der Konsequenz ist
2.2 Entwicklungsressourcen und Chancenungleichheit
21
der Alltag dieser Kinder bei einem großen Teil einseitig auf Fernsehen oder auf sonstigen Medienkonsum ausgerichtet." (Hurrelmann 2010)
Langzeitarbeitslosigkeit und Armut gehen mit einer deutlichen Verschlechterung von Teilhabemöglichkeiten einher. Neben einem fehlenden Berufsabschluss und niedrigem Bildungsniveau sind auch unsichere Beschäftigung, Krankheit, Migrationshintergrund und Behinderung Faktoren, die Erfahrungen von Marginalisierung mit sich bringen und verstärken. Rosa (2005, S. 136) belegt in ihrer wichtigen Studie, dass von den Verdichtungsprozessen in der Jugendphase vor allem diejenigen betroffen sind, die am Rande der Gesellschaft leben. Für diese verfestigen sich die bestehenden sozialen Grenzen. Denn wer bei der verdichteten gesellschaftlichen Entwicklung auch nur phasenweise nicht mithalten kann, wird so weit abgehängt, dass ein Aufholen kaum mehr möglich erscheint. Heranwachsende, die in einer Familie mit einem solchen Exklusionsrisiko bzw. einer dauerhaften Exklusionserfahrung aufwachsen, sind gefährdet, dieses "soziale Erbe" anzutreten. Aber nicht Armut an sich, sondern die Ungleichheit und die damit verbundene Ausgrenzung gefährden, wie der englische Gesundheitsforscher Wilkinson (2001) belegt: "Unter den entwickelten Ländern weisen nicht die reichsten den besten Gesundheitszustand auf, sondern jene, in denen die Einkommensunterschiede zwischen Reich und Arm am geringsten sind." (5. XIX)
Wilkinson fragt sich, warum die Niederlande, Deutschland oder Österreich die gleiche durchschnittliche Lebenserwartung haben wie etwa Costa Rica oder Kuba, obwohl deren Pro-Kopf-Einkommen nur etwa ein Zehntel des Pro-Kopf-Einkommens der reichen Länder beträgt. Und seine Erklärung ist, dass es nicht um einen objektiven materiellen Standard geht, sondern um die Verteilungsgerechtigkeit innerhalb einer Gesellschaft. Er argumentiert weiter, dass "gesunde, egalitäre Gesellschaften über einen größeren sozialen Zusammenhalt (verfügen). Das gemeinschaftliche Leben ist stärker ausgeprägt und nicht so leicht zu erschüttern. (...) Größere Ungleichheit bedeutet eine psychologische Last, die das Wohlbefinden der gesamten Gesellschaft beeinträchtigt. Aus den Verbreitungsmustem der modernen Krankheiten geht hervor, dass der entscheidende Punkt in diesem Zusammenhang nicht mehr länger der materielle Lebensstandard ist. Heute geht es vielmehr um die psychosoziale Lebensqualität, die durch materielle Gleichheit unterstützt werden muss." (5. XIX)
Eine in materielle Unterschiede zerfallende Gesellschaft verliert nach seiner gut belegten These ihren inneren Zusammenhalt, ihr "soziales Kapital", ihre Solidaritätsressourcen, die eine entscheidende Voraussetzung für die individuelle Lebens-
22
2 Von der Pathogenese zur Salutogenese
bewältigung darstellen. Auch Bude & Lantermann (2006), die den Umgang mit prekären Lebenslagen untersucht haben, sehen im Gefühl, nicht mehr richtig zur Gesellschaft zu gehören, von ihren Prozessen und Ressourcen ausgeschlossen zu sein, eine Schlüsse1erfahrung im Prozess der Bewältigung prekärer Lebensanforderungen. Wer sich gesellschaftlich ausgeschlossen empfindet, neigt in prekären und unsicher gewordenen Lebenssituationen zu intensiven Belastungsreaktionen und reagiert mit einem deutlichen Nachlassen von Selbstsorge und zu Resignation. Daher hält Bauman (2009) die Fragen nach der Eingliederung der Entwurzelten, die Thematisierung des Zeitalters der Trennung und die Sezession der Erfolgreichen zentral für die Gemeinschaft in der "flüchtigen Modeme" auf der Suche nach Sicherheit in einer bedrohten Welt. Und er fordert eine "ethische Gemeinschaft", die sich durch Gleichheit der Ressourcen und auch kollektive Absicherung individueller Defizite und Schicksalsschläge auszeichnet. Auch für den 13. Kinder- und Jugendbericht gehört die Befähigungsgerechtigkeit als Ziel der Gesundheitsförderung Heranwachsender zur Basisphilosophie (Keupp 2010b). Nimmt man diese Aussagen ernst, hat dies eine große Auswirkung auf die Prävention und Gesundheitsförderung. 2.3 Prävention, Gesundheitsförderung und Resilienz 2.3.1
Gesundheitsbezogene Prävention
Prävention zielt darauf, "bekannte Risiken zu vermeiden oder abzubauen, um damit spezifische Krankheiten zu verhindern" (Faltermaier 2005, S. 299). Weil Prävention dabei auf unterschiedliche Aspekte bezogen werden kann, gibt es folgende Differenzierungen: Am bekanntesten ist die von Caplan (1964) eingeführte klassische Aufteilung in primäre, sekundäre und tertiäre Prävention, die Etappen einer "Krankheitskarriere" unterscheidet: •
Primäre Prävention soll ganz allgemein und im Vorfeld, also bevor Krankheitssymptome sichtbar werden oder Gefährdungslagen sich zuspitzen könnten, das Auftreten von Krankheiten und Störungen verhindern. Primäre Prävention in diesem weiten Sinn bezieht sich jedoch nicht nur auf die Vorbeugung konkreter Krankheiten, sondern auch auf die Verbesserung gesundheitsrelevanter Lebensbedingungen oder Verhältnisse in Familie, Kommune, Bildungs-, Arbeits- und Freizeiteinrichtungen. Primäre Prävention hat daher besonders viele Schnittstellen zur Gesundheitsförderung.
2.3 Prävention, Gesundheitsförderung und Resilienz
23
•
Als sekundäre Prävention werden spezifische Interventionen bezeichnet, die auf erste Syrnptomatiken, Risikoindikatoren bzw. sich abzeichnende Gefährdungslagen reagieren. Es bedarf also einerseits entsprechender Hinweise oder belastender Bedingungen, die für eine drohende bzw. sich abzeichnende gesundheitliche Belastung sprechen. Andererseits müssen diese so frühzeitig vorliegen, dass die Intervention noch in der Lage ist, nicht nur zu heilen, sondern die gesundheitlichen Belastungen zu verhindern oder mindestens zu mildem. Hier liegt die eigentliche Zuständigkeit von gesundheitsbezogener Prävention, und gerade in diesem Feld haben präventive Strategien große Erfolge erzielt.
•
Tertiäre Prävention fasst Maßnahmen zusammen, die Folgeprobleme oder Chronifizierungen von Krankheiten oder Störungen verhindern sollen. Prävention in diesem Sinne setzt also nach der Erkrankung bzw. der Sichtbarwerdung von Belastungen ein und zielt darauf, entweder das Wiederauftreten oder die Verfestigung zu vermeiden bzw. die Folgen zu mildem.
Präventionsansätze können spezifischer oder unspezifischer Natur sein. Nach der gängigen Einteilung des Institute of Medicine (Mrazek & Haggerty 1994) werden Maßnahmen nach der Zielgruppe unterschieden, für die sie gedacht sind:
•
Universelle Prävention zielt auf eine Gesamtpopulation, die nicht auf Risikomerkmale selektiert wurde, und soll die Inzidenz von Krankheiten oder Störungen reduzieren (z.B. Schulprogramme, Massen-Medienkampagnen wie die australische Fernsehserie "Families"). Die Gefahr einer Stigrnatisierung von Risikoteilnehmern ist dabei klein und die Akzeptanz der Maßnahme entsprechend groß. Ein weiterer Vorteil universeller Präventionsinterventionen ist die Chance, mithilfe einer Intervention verschiedene Risikofaktoren positiv zu beeinflussen, da Risikofaktoren für Störungen wie Drogenmissbrauch, Delinquenz, Schulversagen oder aggressives Verhalten ähnlich sind und oft eine beträchtliche Komorbitität vorliegt (Brezinka 2003, S. 72).
•
Die selektive Prävention ist auf spezifische Gruppen mit einem erhöhten biologischen, psychischen oder sozialen Risiko für bestimmte Störungen gerichtet (z.B. Kinder aus Migrantenfamilien, Kinder psychisch kranker Eltern) und soll bei diesen die Inzidenz gezielt verringern. Ausgehend von bekannten bzw. gut belegten Risikofaktoren bzw. -bedingungen zielen die jeweiligen Angebote auf die Vermeidung bzw. Verringerung der Risiken und der Auftretenswahrscheinlichkeit bei den jeweiligen Risikogruppen (z.B. Programme zum Schutz vor Kindeswohlgefärdung).
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•
2 Von der Pathogenese zur Salutogenese
Die indizierte Prävention schließlich zielt auf Personen mit einem sehr hohen Risiko ab, die bereits bestimmte Merkmale einer Störung entwickelt haben und zusätzliche Risikofaktoren aufweisen wie eine hyperkinetische Störung, schlechte Schulleistungen und ungünstige familiäre Bedingungen. Vermieden werden soll bei dieser Gruppe Komorbidität, also Begleiterkankungen (z.B. Angebote bei Schulkindern mit Depressionen) und Schlimmeres wie eine antisoziale Persönlichkeit. Indizierte Prävention entspricht einer klinischen Behandlung.
Alle Präventionskonzepte gehen davon aus, dass durch aktives Handeln in der Zukunft möglicherweise eintretende unerwünschte Zustände oder Ereignisse verhindert bzw. abgemildert werden können. Für diesen risikoorientierten Zugang ist das WISsen um die von der entwicklungspsychologischen und klinischen Forschung identifizierten Risiko- und Schutzfaktoren von großer Bedeutung. Epidemiologische Längsschnittstudien zur Entwicklungspsychopathologie wie die Dunedin Study in Neuseeland (Newman, Mofitt, Caspi et al. 1996), die Kurpfalzerhebung in Deutschland (Esser, Ihle, Schmidt & Blanz 2000) und die Mannheimer und Rostocker Risikokinderstudie (Laucht, Esser & Schmidt 1999, 2000; Meyer-Probst & Reis 1999) belegten entwicklungshemmende Auswirkungen von Risiken und Stress auf die kindliche Entwicklung. Diese Risilcojaktoren steigern die Wahrscheinlichkeit eines problematischen Entwicklungsverlaufs (vgl. Brezinka 2003, S. 72). Voraussetzung ist eine Vulnerabilität des Kindes gegenüber genetisch biologischen und umgebungsbezogenen Faktoren, die das Risiko für eine feh1angepasste Entwicklung erhöhen. Zu den biologischen Risikojaktoren zählen das Geschlecht (die Inzidenz von Verhaltensproblemen ist bei Jungen drei- bis viermal höher) sowie prä- und perinatale Risiken wie Nikotin-, Drogen- und Alkoholmissbrauch während der Schwangerschaft, aber auch die genetische Ausstattung. Zu den psychischen Risikojaktoren gehören ein schwieriges Temperament, niedrige Intelligenz, unzureichende Impulskontrolle, Emotionsregulation und verzerrte Informationsverarbeitung, wodurch die Entwicklung angemessenen Sozialverhaltens behindert wird. Zu den sozial-ökologischen Risikojaktoren zählen eine unsichere Bindung, eine restriktive, inkonsistente Erziehung, ein Mangel an Wärme und Unterstützung, Misshandlung, soziale Ablehnung durch Gleichaltrige, schlechte Schulleistungen, aber auch Arbeitslosigkeit und Armut. Zu den Risikofaktoren aufseiten des Kindes kommen noch Phasen gesteigerter Verletzlichkeit, die vor allem in Entwicklungsübergängen, wie z.B. beim Eintritt in den Kindergarten oder beim Wechsel von der Grund- in die weiterführende Schule auftreten{vgl. auch Ihle et al. 2002).
2.3 Prävention, Gesundheitsförderung und Resilienz
25
SchutzJaktoren dagegen kommen als grundlegende Ressourcen für eine gelingende Entwicklung von Kindern zum einen die wichtige Rolle von generell förderlichen Bedingungen in unterschiedlichen Entwicklungsdirnensionen zu. Zum anderen können sie als Puffer ungünstige Folgen von bestehenden Entwicklungsrisiken mildern. Einige zentrale Schutzfaktoren werden unter S. 12f aufgeführt. 2.3.2
Gesundheitsf6rderung
Im Unterschied zur Präventionsdiskussion verfolgt das Konzept der Gesundheitsförderung "die Förderung von selbstbestimmten Lebensweisen, Kompetenzen, von Wohlbefinden und Lebensqualität, aber auch die Pflege von förderlichen materiellen, sozialen und ökologischen Ressourcen und die Reduktion gesellschaftlich ungleich verteilter Risiken, Stressoren und Belastungen"(13. Kinder-und Jugendbericht 2009, S. 53) Die Erreichung des bestmöglichen Gesundheitszustandes aller Völker forderte die WHO 1948 als Menschenrecht. Sie definierte Gesundheit als "ein Zustand völligen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit oder Gebrechen" (zit. nach dem 13. Kinder- und Jugendbericht 2009, S. 54). Entscheidend ist hier einerseits die Abkehr von einer Negativ-Definition von Gesundheit als Symptomfreiheit hin zu einer Positiv-Definition und andererseits die Einbeziehung des psychischen und sozialen Wohlbefindens über das körperliche Wohlbefinden hinaus. Eine Weiterentwicklung wurde durch das Konzept der Gesundheitsförderung in der Ottawa-Charta 1986 erreicht, die fordert, dass zur Erreichung dieses Zustandes sowohl Einzelne als auch Gruppen ihre Bedürfnisse befriedigen, ihre Wünsche und Hoffnungen wahrnehmen und verwirklichen sowie ihre Umwelt meistern oder verändern können. Mit der WHO-Strategie "Gesundheit für alle im 21. Jahrhundert", die 1998 von der Weltgesundheitsversammlung verabschiedet wurde und die auf der 1978 verabschiedeten "Alma Ata Deklaration" beruht, soll ein Grad an Gesundheit erreicht werden, der es allen Menschen ermöglicht ein sozial und wirtschaftlich produktives Leben zu führen. Gesundheit wird somit als ein wesentlicher Bestandteil der menschlichen Entwicklung wahrgenommen (vgl13. Kinder- und Jugendbericht 2009, S. 54). Dieses gesundheitspolitische Leitbild der WHO bedeutet einen Paradigmenwechsel von der Verhütung von Krankheiten zur Förderung von Gesundheit. Auch die Europäische Union "verfolgt in ihren aktuellen gesundheitspolitischen Positionierungen diese programmatische Aufgabenstellung, z.B. im "Grünbuch" (Kommission der Europäischen Union 2005 im"Weißbuch" (Kommission der Europäischen Union 2007) oder auch im "Konsensuspapier: Psychische Gesundheit
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2 Von der Pathogenese zur Salutogenese
in den Bereichen Jugend und Bildung" Gane-Uopis & Braddick 2008)" (13. Kinder-und Jugendbericht 2009/ S. 56). Die Prinzipien der Gesundheitsförderung werden vom Ansatz der New Public Health konsequent umgesetzt (MacDonald 2005). Diese starke Betonung des Aspektes der Gesundheitsförderung der WHO hat ihre Entsprechung in der von der sozialwissenschaftlichen Gesundheitsforschung entwickelten Sichtweise, die neben Belastungen und Risiken auch den Ressourcen und Schutzfaktoren eine wesentliche Bedeutung für Gesundheit und Wohlbefinden beimisst. 2.3.3
Resilienz
Viele Kinder werden heute mit Unsicherheiten, Belastungen und schwierigen Lebensbedingungen konfrontiert. Und dennoch entwickeln sich einige trotz dieser erhöhten Entwicklungsrisiken in ihrer Biographie erstaunlich positiv und kompetent. Was diese Kinder "stark" macht und wie wir Kinder darin unterstützen können/ solche entscheidenden Bewältigungskompetenzen zu entwickeln, wird in jüngster Zeit unter dem Begriff "Resilienz" diskutiert. Nach Wustrnann (2005/ 2006) bezeichnet Resilienz allgemein die Fähigkeit, erfolgreich mit belastenden Lebenssituationen und negativen Folgen von Stress umzugehen, sich von einer schwierigen Lebenssituation "nicht unterkriegen zu lassen" bzw. "nicht daran zu zerbrechen". Resilienz meint damit eine psychische Widerstandsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen gegenüber biologischen, psychologischen und psychosozialen Entwicklungsrisiken, oder, wie Welter-Enderlin (2008/ S.13) ausführt, um die Fähigkeit, "Krisen im Lebenszyklus unter Rückgriff auf persönliche und sozial vermittelte Ressourcen zu meistem und als Anlass für Entwicklung zu nutzen". An die Bedeutung von Resilienz sind zwei wesentliche Bedingungen geknüpft: Zum einen das Vorhandensein einer signifikanten Bedrohung für die kindliche Entwicklung und zum anderen die erfolgreiche Bewältigung dieser belastenden Lebensumstände. Resilienz bedeutet dabei den "Erhalt der Funktionsfähigkeit trotz vorliegender beeinträchtigender Umstände" und die "Wiederherstellung normaler Funktionsfähigkeit nach erlittenem Trauma" (Staudinger & Greve 2001/ S. 101) Im Mittelpunkt der Resilienzforschung stehen dabei folgende drei Erscheinungsformen: 1.
die positive, gesunde Entwicklung trotz hohem Risikostatus, beispielsweise bei chronischer Armut/ elterlicher Psychopathologie oder sehr junger Elternschaft (gemeint sind damit auch sog. Multiproblemmilieus);
2.3 Prävention, Gesundheitsförderung und Resilienz
27
2.
die beständige Kompetenz unter extremen Stressbedingungen, wie elterlicher Trennung und Scheidung oder Wiederheirat eines Elternteils (sog. kritische Lebensereignisse);
3.
die positive bzw. schnelle Erholung von traumatischen Erlebnissen wie der Tod eines Elternteils, Gewalterfahrungen, Naturkatastrophen oder Kriegsund Terrorerlebnisse (vgl. z.B. Werner 2000).
Resilienz bezieht sich nicht allein auf die Abwesenheit von psychischen Störungen, sondern schließt den Erwerb bzw. Erhalt altersangemessener Fähigkeiten mit ein und damit die erfolgreiche Bewältigung von altersspezifischen Entwicklungsaufgaben trotz Risikobelastung, wie z.B. die Entwicklung von Autonomie. Denn die positive Bewältigung einer solchen Entwicklungsaufgabe ist eine entscheidende Basis dafür, wie nachfolgende, spätere Aufgaben gemeistert werden. 2.3.3.1
Charakteristika von Resilienz
Im Vergleich zu früheren Ansätzen versteht man heute unter Resilienz kein angeborenes, stabiles und generell einsetzbares Persönlichkeitsmerkmal, sondern eine Kapazität, die im Verlauf der Entwicklung im Kontext der Kind-Umwelt-Interaktion erworben wird (vgl z.B. Rutter 2000). Resilienz bedeutet auch keine stabile Immunität, sondern kann über Zeit und Situationen hinweg variieren. Resilienz ist also keine "lebenslange Fähigkeit", wovon man noch zu Beginn der Resilienzforschung Ende der 1970er Jahre ausgegangen ist, was sich in der Literatur in Bezeichnungen wie "die Wunderkinder", die "Superkids", "unbesiegbar" und "unverwüstlich" widerspiegelte (vgl z.B. Anthony 1974, Werner & Smith 1982). Heute hat die Forschung gezeigt, dass Kinder zu einem Zeitpunkt resilient, zu einem späteren Zeitpunkt aber auch verletzbar sein können. Ausschlaggebend dafür sind u.a. Phasen erhöhter Verletzbarkeit und Entwicklungsübergänge, bei denen Kinder besonders anfällig sind, weil sie dabei mit völlig neuen Entwicklungsaufgaben konfrontiert werden, wie beim Übergang vom Kindergarten in die Grundschule oder in der Pubertät. Während dieser Phasen können Risikobedingungen eine stärkere WIrkung auf das Kind ausüben. Resilienz ist daher als Prozess zu begreifen, "als spezifische Weise von Handlungen und Orientierungen, die insbesondere bei Übergängen im individuellen Lebenszyklus und im Familienzyklus bedeutsam werden" (Hildenbrand 2008, S. 23). Diese Betrachtungsweise ist auch wichtig für die Einschätzung resilienter Eigenschaften. Denn, was in einer bestimmten Altersphase resilient ist, wie z.B. die Familienkohäsion, die kleine Kinder schützt, kann in einer späteren Phase sich als Einschränkung auswirken, wenn beispielsweise Ablösungsprozesse im Jugendalter anstehen. Andererseits können aber auch Risikofaktoren im Kindesalter pro-
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2 Von der Pathogenese zur 5alutogenese
tektive Qualitäten besitzen. So können Kinder, die in einer rauen Umgebung aufwachsen, womöglich für spätere Belastungen besser gerüstet sein als Kinder aus wohlbehütetem Milieu. Außerdem sind Schutzeffekte auch stärker im sozialen Kontext zu betrachten, denn je nach Risikosituation zeigen sie öfters unterschiedliche Wirkungen wie z.B. die Peer-Beziehungen. Gelten diese als wichtige Schutzfaktoren bei der Bewältigung von Belastungen, so können bei Jugendlichen aus sozialen Brennpunkten und Straßenkindern Peer-Beziehungen auch mit abweichendem Verhalten verbunden sein. Resilienz umfasst nach heutigen Erkenntnissen ein hoch komplexes Zusammenspiel sowohl aus Merkmalen des Kindes als auch seiner Lebensumwelt. Die Wurzeln für die Entstehung von Resilienz liegen in besonderen "schützenden Faktoren" innerhalb oder außerhalb des Kindes. Resilienz bezieht sich daher "auf einen dynamischen, transaktionalen Austauschprozess zwischen Kind und Umwelt" (Wustmann 2005, S. 193). Und sie ist eine relationale, auf schwierige Lebensumstände und schützende Faktoren bezogene, und relative Größe, d.h., es gibt keine absolute Invu1nerabilität (GabrieI2005, S. 207). Gabriel warnt vor dem Missbrauch eines verkürzt aufgegriffenen Resilienzkonzeptes und der Gefahr, die soziale Dimension zu vernachlässigen. Denn wer einsam und allein ist, wird es schwer haben, resilient zu sein bzw. zu werden. Auch Rutter (2000, S. 25) weist vor dem Hintergrund seiner langjährigen Forschungserfahrungen auf die Gefahr einer falschen Konzeptionierung ("Misconception") der neueren Resilienzforschung hin, wenn genetische Faktoren überbetont und sozialer Einflüsse vernachlässigt werden. Werner, eine Pionierin der Resilienzforschung, wird ebenfalls nicht müde, die Bedeutung "unterstützender Interaktionen im Sozialen" für Ressourcenprozess hervorzuheben und damit zugleich eine Brücke zur Bindungsforschung zu schlagen: "Die Lebensgeschichten der widerstandsfähigen Kinder in unserer Längsschnittstudie lehren uns, dass sich Kompetenz, Vertrauen und Fürsorge auch unter sehr ungünstigen Lebensbedingungen entwickeln können, wenn sie Erwachsene treffen, die ihnen eine sichere Basis bieten, auf der sie Vertrauen, Autonomie und Initiative entwickeln können." (Werner 1997, 5.202)
2.3.3.2
Empirische Forschungsergebnisse
Viele Forscher kamen zu relativ übereinstimmenden Befunden, welche Faktoren die Resilienz charakterisieren bzw. welche an der Entstehung maßgeblich beteiligt sind: Als bedeutsame Untersuchungen können hier die "Mannheimer Risikokinderstudie" (vgl. Laucht, Schmidt & Esser 2000), die "Bielefelder Invu1nerabilitätsstudie" (vgl. Lösel & Bender 1999), die Minnesota-Studie (Egeland 2002, Sroufe
2.3 Prävention, Gesundheitsförderung und Resilienz
29
2005) und die sog. Pionierstudie der Resilienzforschung, die Längsschnittstudie unter Leitung von Emmy Wemer und Ruth Smith (2001) auf der Hawaiianischen Insel Kauai hervorgehoben werden. Bei dieser letztgenannten Studie hat man den kompletten Geburtsjahrgang von 1955 auf der Insel Kauai, d.h. 698 Kinder, über 40 Jahre hinweg begleitet. Auf der Suche nach den Wurzeln für diese günstigen Entwicklungsverläufe konnten folgende personale, familiäre und soziale Ressourcen identifiziert werden:
•
•
Personale Ressourcen des Kindes In den meisten Untersuchungen zeigte sich, dass die resilienten Kinder eine hohe Sozialkompetenz und ein positives Selbstkonzept besaßen, mit dem Erfolg eigener Handlungen rechneten, Problernsituationen aktiv angingen, ihre eigenen Ressourcen und Talente effektiv ausnutzten und auch an eigene Kontrollmöglichkeiten und Selbstwirksamkeit glaubten. Diese Fähigkeiten und Kompetenzen trugen dazu bei, dass sie Stressereignisse und Problernsituationen eher als Herausforderung als als Belastung wahrnahmen. Schutzfaktoren in der Familie Die meisten resilienten Kinder konnten trotz widriger Lebensurnstände eine enge, positiv-emotionale und stabile Beziehung zu mindestens einer Bezugsperson aufbauen, die ihnen eine konstante und kompetente Betreuung sowie Anregungen bot. Diese Bezugsperson ging adäquat und feinfühlig auf die Bedürfnisse und Signale des Kindes ein, wodurch das Kind ein sicheres Bindungsmuster entwickeln konnte. Hierarchisiert man die protektiven Faktoren, so ist der prägnanteste Schutzfaktor die verlässliche Bindungsbeziehung zu einer stabilen Bezugsperson, der in der Person Resilienzfaktoren erzeugt, aktive Resilienzprozesse ermöglicht und gegen Risiken ein Puffer bildet (Papousek et al. 2003, S. 136, Brisch 2003). Sicher gebundene Kinder haben deutliche Entwicklungsvorteile, da es starke Zusammenhänge zwischen Bindungserfahrungen und der Herausbildung personaler und sozialer Kompetenzen gibt (Hopf 2005). Sicher Bindung dient dem Aufbau von Kompetenzen des Kindes bei der Gefühlsregulation, was eine elementare Grundlage sozialer Anpassung z.B. im Kindergarten ist (vgL Gloger-Tippelt et al. 2007). Sichere Bindung erzeugt zentrale und umfassende physiologische Entspannung bei Belastungen, was z.B. bei Stressreaktionen im Kindergarten oder Schule wichtig ist. Sichere Bindung ermöglicht das Erkunden der Welt. Sie bildet die Fähigkeit aus, sich Hilfe zu holen. Sie erhöht die psychische und neurobiologische Grundlage
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2 Von der Pathogenese zur Salutogenese
für gelingende Anpassungsprozesse wie Empathie und Kompromissfähigkeit. Sie beeinflusst die soziale Wahrnehmung und Beziehungsprozesse, die wieder soziale Realität herstellen. Sie hat großen Einfluss auf die Gestaltung von Beziehungen und die Integration in die Gleichaltrigengruppe. Und sie schafft die Grundlage für ein flexibles, positives Selbstkonzept (vgl. SeiffgeKrenke & Becker-Stoll2004). In engem Zusammenhang mit der Bindung an Bezugspersonen standen auch Merkmale des Erziehungsklirnas und des autoritativen Erziehungsstils. In den meisten Studien hat sich ein Beziehungsmuster als schützend bewährt, das sich durch Wertschätzung, Respekt und Akzeptanz dem Kind gegenüber, durch unterstützendes und strukturierendes Erziehungsverhalten auszeichnet. Als schützend erwiesen sich auch unterstützende Geschwisterbeziehungen und familiärer Zusammenhalt.
•
Schutzfaktoren im sozialen Umfeld Viele resiliente Kinder verfügten auch außerhalb ihrer Familie über entscheidende Quellen emotionaler und sozialer Unterstützung. Sie trafen auf Lehrer, die ihnen Aufmerksamkeit entgegenbrachten, sich für sie einsetzten, sie herausforderten und ihnen Mut zusprachen. Diese unterstützenden Personen außerhalb der Familie trugen nicht nur zur unmittelbaren Problemreduzierung bei, sondern dienten gleichzeitig auch als Modelle für ein aktives und konstruktives Bewältigungsverhalten sowie für prosoziale Handlungsweisen. Ein weiterer schützender Effekt ging von positiven Peer-Kontakten und Freundschaftsbeziehungen aus. Auch positive Erfahrungen in den Bildungseinrichtungen und ein Eingebundensein in soziale Netzwerke war wichtig.
In ihrer Broschüre: "The road to resilience" nennt die Amerikanische Psychologenvereinigung sieben Wege, die zum Ziel der Resilienz führen: 1.
Soziale Kontakte aufbauen,
2.
Krisen nicht als unüberwindbares Problem betrachten,
3.
realistische Züge entwickeln,
4.
die Opferrolle verlassen und aktiv werden,
5.
an die eigene Kompetenz glauben,
6.
eine Lösungsperspektive einnehmen und
7.
für sich selbst sorgen (www.apahelpcenter.org).
2.3 Prävention, Gesundheitsförderung und Resilienz
2.3.4
31
Die salutogenetische Perspektive
Den differenziertesten Ansatz zur Gesundheitsförderung liefert nach Keupp (Bericht der Sachverständigenkommission für den 13. Kinder- und Jugendbericht 2009a) das Konzept des israelische Medizinsoziologe Aaron Antonovsky (1997). Mit seinem Modell der Salutogenese will er, ähnlich wie die Resilienzforschung, eine Antwort auf die für ihn zentrale Fragestellung geben: Warum bleiben Menschen trotz vieler potenziell gesundheitsgefährdender Einflüsse gesund? Er geht davon aus, dass der menschliche Organismus als System ständig Einflüssen und Prozessen ausgesetzt ist, die eine Störung seiner Gesundheit bewirken. Gesundheit ist kein stabiler Gleichgewichtszustand, sondern muss in der Auseinandersetzung mit äußeren und inneren Einflüssen (Stressoren) kontinuierlich neu hergestellt werden. Ob sich diese Stressoren pathogen, neutral oder gesund auf den Organismus auswirken, hängt davon ab, wie mit dem durch die Stressoren hervorgerufenen Spannungszustand umgegangen wird. Nach dem salutogenetischen Modell sind es vor allem die generalisierten Widerstandsressourcen, die bedeutsam sind, um Schutz und Widerstand gegenüber Stressoren aufzubauen. Als Kraftquellen einer positiven Entwicklung beeinflussen sie wesentlich den Erhalt oder die Verbesserung von Gesundheit, Lebenszufriedenheit und Lebensqualität. Diese Widerstandsressourcen sind im Individuum, im sozialen Nahraum, auf gesellschaftlicher und kultureller Ebene angesiedelt (vgl. Keupp 201Ob). Fehlen diese Widerstandsressourcen, spricht Antonovsky von generalisierten Widerstandsdefiziten, die die Wahrscheinlichkeit gesundheitlicher Beeinträchtigungen erhöhen. Allerdings geht er auch davon aus, dass die Widerstandsressourcen allein nicht ausschlaggebend für die Bewältigung von Problemen sind. Ein Teil der Probleme ergibt sich daraus, dass die vorhandenen Ressourcen nicht ausreichend genutzt werden. Man muss nämlich Ressourcen erkennen und die Fähigkeit besitzen, die richtigen zu aktivieren und für sich nutzbringend einzusetzen. Diese Fähigkeit bzw. dieses Grundgefühl, das Antonovsky als Kohärenzgefühl bezeichnet, ist der zentrale Baustein im Modell der Salutogenese: Das Kohärenzgefühl, das Ergebnis eines individuellen Lern- und Entwicklungsprozesses, beschreibt eine generelle Lebenseinstellung des Individuums, in dem sich ein umfassendes und überdauerndes Gefühl des Vertrauens ausdrückt, dass •
Ereignisse, die einem im Leben passieren, strukturiert, vorhersagbar und erklärbar sind (Verstehensebene);
•
man in der Lage ist, den gestellten Anforderungen gerecht zu werden und sie konstruktiv bewältigen zu können (Bewältigungsebene);
32
•
2 Von der Pathogenese zur Salutogenese
und diese Anforderungen Herausforderungen darstellen, für die es sich zu engagieren und anzustrengen lohnt (Sinnebene).
Das Kohärenzgefühl kann auch als Handlungsbefähigung beschrieben werden, das auf der Einschätzung dessen basiert, "was ist, was man hat, was man kann und wozu man fähig ist" (vgl Grundmann 2006, S. 155ff). Also auf: • •
dem Erkennen der eigenen Situation und eines Handlungsbedarfes, dem Erkennen und Abschätzen der verfügbaren individuellen und in der Konstellation gegebenen Handlungsoptionen und -ressourcen,
• •
der Überzeugung, selbst handlungsfähig zu sein, und der Fähigkeit, kontextangemessen zu handeln (Grundrnann 2006).
Diese Einsicht, dass die Überzeugung, selbst handlungsfähig zu sein, als eine zentrale "Variable" für die Bewältigung der Handlungsanforderungen des Lebens gilt, ist nicht neu. Die Arbeiten von Bandura aus den achtziger Jahren zu den Selbstwirksamkeitserwartungen, dem viel zitierten "locus of control" (Bandura 1997) oder etwas später von Flammer (1995) lieferten bereits die zentralen Thesen und empirischen Argumente. Das Modell der Salutogenese ist nach Bengel et al.(1998) in der Lage, den "häufig theoriearmen und aktivistisch aneinander gereihten, präventiven Aktivitäten (....) eine Rahmentheorie, die ressourcenorientierte, kompetenzsteigemde und unspezifische Präventionsmaßnahmen stützt"(S. 70), zu geben. Die Stärkung der Handlungsfähigkeit, das primäre Ziel der salutogenetischen Förderpraxis, wird im Empowermentkonzept weitergeführt (13. Kinder-und Jugendbericht 2009, S. 70ff). Das bedeutet aber nicht, dass es bei Empowermentstrategien nur um die Stärkung personengebundener Ressourcen geht, wie Keupp hervorhebt. "Gerade um die individuelle Handlungsfähigkeit stärken zu können, bedarf es der Netzwerke, die in der Lage sind, Individuen in ihrer Lebensbewältigung emotional und alltagspraktisch zu unterstützen und gemeinsame Interessen wirksam zu verbinden."(13. Kinder-und Jugendbericht 2009, S. 72)
3 Resilienzförderung im Kindergarten
Eines der wichtigsten Ziele der Resilienzforschung ist es, Rückschlüsse für die Prävention zu gewinnen, wie es z.B. Scheithauer et al. (2003a) für die Prävention von aggressiv-disozialem Verhalten von Kindern taten. Indem Schutzfaktoren identifiziert werden, können davon ausgehend neue Ansatzpunkte für die Entwicklung präventiver Interventionen gefunden werden, um nach belastenden Erlebnissen das Risiko für eine negative Entwicklung zu verringern und die Ressourcen zu stärken, die Heranwachsende sowohl in der Auseinandersetzung mit den Risiken und Belastungen als auch für die produktive Gestaltung ihrer eigenen Lebensprojekte benötigen. Dies heißt aber nicht, die individuellen Risikolagen kindlicher Entwicklung, die deutliche Zunahme materieller Not und sozialer Gefährdung und die gesellschaftliche Bedeutung dieser Problemlagen zu verharmlosen. Auch widerstandsfähige Kinder können, das betont gerade die neuere Resilienzforschung, nicht allein aus ihren Stärken heraus heutige Risikolagen bewältigen, sie benötigen der Unterstützung der Eltern und Erzieher. Nach Schorn (2008, S. 14) sollten daher Angebote, die die kindliche Widerstandsfähigkeit stärken, so verfasst sein: •
Angebote sollten möglichst frühzeitig gemacht werden, um Kinder frühestmöglich für Stress- und Problemsituationen zu stärken und zu verhindern, dass sie unangemessene Entwicklungswege beschreiten.
•
Sie sollten nicht einmalig, sondern im biographischen Lebenslauf immer wieder erfolgen, da der Erwerb von Ressourcen nicht abschließend für das gesamte Leben geschieht. Sie sollten niedrigschwellig und aufsuchend ausgerichtet sein.
• •
Es sollte sowohl zielgruppenspezifische als auch integrative Angebote geben und freiwillige wie verpflichtende.
•
Hilfreich und sinnvoll ist weiterhin eine Sozialraumorientierung, da soziale Problemlagen räumlich kulminieren, und die Schaffung von Netzwerken.
A. Aichinger, Resilienztörderung mit Kindern, DOI 10.1007/ 978-3-531-93012-1_3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften I Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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3 Resilienzförderung im Kindergarten
Nun stellt sich die entscheidende Frage, wie solche Bewältigungskompetenzen und schützende Bedingungen wirksam gefördert werden können. Wo kann Resilienzförderung in den verschiedenen Bildungs- und Erziehungskontexten konkret ansetzen? Zentral sind hier zwei Ebenen:
1. Resilienzforderung aufindividueller Ebene Hier setzt man beim Kind an und unterstützt es dabei, wichtige personale und soziale Kompetenzen zu entwickeln. Die Untersuchungsergebnisse aller Resilienzstudien verweisen nämlich darauf, dass resiliente Kinder mit dem Erfolg eigener Handlungen rechnen, Problernsituationen aktiv angehen, ihre eigenen Ressourcen effektiv nutzen, an eigene Kontrollmöglichkeiten glauben, aber auch realistisch erkennen können, wann etwas für sie unbeeinflussbar ist. Diese Fähigkeiten tragen dazu bei, dass Stressereignisse oder Problernsituationen weniger als Belastung als als Herausforderung wahrgenommen werden. Dadurch werden mehr aktiv-problemorientierte und weniger passiv-vermeidende Bewältigungsstrategien aktiviert. Und dies führt wiederum dazu, dass sich Kinder ihrem Schicksal nicht hilflos ausgeliefert, sondern sich handlungsfähig fühlen. Neben universellen präventiven Strategien werden daher vor allem risikozentrierte Strategien eingesetzt, die darauf abzielen, Gefährdung durch spezielle Angebote für Risikogruppen, wie z.B. Migrantenkinder oder sozial stark benachteiligte Kinder, zu reduzieren. 2. Resilienzf6rderung aufder Beziehungsebene Hier geht es darum, die Beziehungs- und Erziehungskompetenzen der kindlichen Bezugspersonen zu stärken (Mediatorenwirkung), die wiederum bedeutsam für die sozio-emotionale Entwicklung des Kindes sind. Will man "starke" Kinder, dann muss ein zentrales Anliegen die Stärkung elterlicher Be- und Erziehungskompetenz sein und zwar von Anfang an (z.B. "Freiheit in Grenzen" von Schneewind 2003 oder TripieP von Sanders 1999, vgl. Schorn 2007 und Tschöpe- Scheffler 2003), um Eltern beim Aufbau einer positiven und sicheren Bindung zu unterstützen. Wichtig sind hier vor allem bindungstheoretisch konzeptualisierte Angebote(z.B. STEEP von Erickson und Egeland 2006, SAFE von Brisch 2010 oder "Guter Start ins Kinderleben" von Fegert und Ziegenhain 2010). Unterstützungsangebote innerhalb der Familie sind wohl ausgesprochen wichtig, doch zeigen Erfahrungen auch, dass Bemühungen hier an Grenzen stoßen. Es gelingt eben nicht immer, Eltern zu gewinnen, und selbst wenn, ist das, was erreicht werden kann, nicht immer hinreichend. Daher stellt sich die Frage, was außerfamiliale Bildungseinrichtungen, wie Kitas und Schulen, zur Stärkung der kindlichen Widerstandsfähigkeit beitragen können. Denn die Ergebnisse der Resilienz-
2.3 Prävention, Gesundheitsförderung und Resilienz
35
forschung zeigen deutlich, dass die Erwachsenen-Kind-Interaktion entscheidend ist, damit Kinder Bewältigungskompetenzen entwickeln können. Zum Einsatz kommen dann ressourcenzentrierte Strategien, die das Ziel haben, die Wirksamkeit vorhandener personaler und sozialer Ressourcen im Leben des Kindes zu erhöhen. Dabei geht es um Kompetenzsteigerung sowohl beim Kind als auch bei den ErzieherInnen und LehrerInnen. Resilienz soll dadurch sowohl auf der individuellen Ebene als auch auf der Beziehungsebene gefördert werden (vgL Kormann 2007). Denn nur in der aktiven und direkten Interaktion mit anderen Menschen entwickeln Kinder ein Gefühl von Handlungskompetenz, eigener Gestaltungsfähigkeit und Bedeutsamkeit. "Aus den Befunden der Resilienzforschung lässt sich die Forderung ableiten, allen Kindern und speziell den Risikokindern frühzeitig, lang andauernd und intensiv Möglichkeiten anzubieten, dass sie diese wichtigen Basiskompetenzen erwerben können, die für die Bewältigung schwieriger Lebensumstände förderlich sind." (Wustmann 2005, S. 204)
Alle Erziehenden können mit ihrem Handeln im alltäglichen Umfeld dazu beitragen, •
dass Kinder Vertrauen in die eigene Kraft und die eigenen Fähigkeiten gewinnen,
•
dass sie sich selbst als wertvoll erleben und
•
dass sie durch ihre eigenen Handlungen Veränderung bewirken.
Jede Intervention, die Resilienz fördern möchte, muss daher im Zusammenhang mit einer bedeutsamen Bezugsperson stehen, die verlässlich und ganz am Kind interessiert ist. Gerade Fachkräfte wie LehrerInnen und ErzieherInnen, die nahe am Kind sind, können eine Haltung einnehmen, die der Resilienz verpflichtet ist (vgl. Wustrnann 2004a, 2004b). Auch Emmy Werner fasst die Ergebnisse ihrer jahrelangen Forschungen wie folgt zusammen: "Die Lebensgeschichten der widerstandsfähigen Kinder lehren uns, dass sich Kompetenz, Vertrauen und Fürsorge auch unter sehr ungünstigen Lebensbedingungen entwickeln können, wenn sie Erwachsene treffen, die ihnen eine sichere Basis bieten, auf der sich Vertrauen, Autonomie und Initiative entwickeln können." (Werner 1997, S. 202)
Durch den Eintritt in eine Kindertagesstätte erfahren die meisten Kinder zwischen drei und vier Jahren eine wesentliche Erweiterung ihres Umfeldes. Dieser Eintritt stellt einerseits einen Einschnitt, andererseits aber auch einen wichtigen Entwicklungsschritt im Leben von Kindern dar. Kinder müssen den Übergang vom Vertrauten zum Fremden, auf sich allein gestellt, beWältigen. Sie bedürfen dabei der Unterstützung der Erwachsenen, die die Entdeckungsfreude, die Rückversicherung und die Auseinandersetzung mit Gleichaltrigen fördern. Wichtig für eine positive
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3 Resilienzförderung im Kindergarten
Entwicklung in dieser Alterstufe ist es, dass Kinder dabei die Überzeugung von der eigenen Kompetenz erwerben, herausfordernde Situationen aktiv und positiv bewältigen zu können. Für die Mehrheit der Kinder sind nach den Befunden diese günstigen Bedingungen gegeben. Wo Eltern aber, zumeist aufgrund prekärer Lebenslagen, die Entwicklungsbedürfnisse ihrer Kinder nur begrenzt befriedigen können, kommt es zu Entwicklungsauffälligkeiten und -störungen, die wiederum den Erwerb sozialer Kompetenzen und Achtsamkeit sich und anderen gegenüber deutlich erschweren (Gadow 2007). Die Resilienzforschung bestätigt, dass Kindertagesstätte und Schule allein durch ihren zeitlichen Anteil am Leben eines Kindes wesentlichen Einfluss auf die kindliche Biografie haben und bei guter Qualität die Widerstandskraft der Kinder gegenüber ihren belastenden Lebenswelten schützen können. Gerade der Kindergarten, aber auch die Schule, erreichen Kinder über einen längeren Zeitraum in einem entwicklungspsychologisch wichtigen Alter, in dem der Bezug zwischen Erzieherinnen und Kindern noch eng ist und Erzieherinnen einen großen Einfluss auf die Entwicklung der Kinder haben. Dadurch kann Resi1ienzförderung über einen langen Zeitraum vorgenommen werden, die viele Kinder erreicht und dadurch wenig stigmatisierende Wirkung hat (Rönnau 2006). Außerdem ermöglicht das soziale Umfeld in Kindergärten und Schule, das Gelernte sofort in immer neuen konkreten sozialen Situationen zu erproben. Nach Zimmer (2002) erfüllt der Kindergarten als Setting vier wesentliche Grundlagen von Resilienzstrategien: •
Durch ihn wird nahezu die gesamte Population einer Altersgruppe erreicht,
• •
durch ihn können frühzeitig Maßnahmen beginnen, durch ihn werden Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit anderen Institutionen eröffnet,
•
über ihn lassen sich Beziehungen zu anderen Settings wie das der Familie aufbauen.
Außerdem wird im Kindergarten wie auch in der Schule ein soziales Handlungsfeid bereitgestellt, in dem Kinder sich ausprobieren, Freundschaften aufbauen, Bindungsverhalten und Beziehungskompetenzen entwickeln. Die Beziehungsfähigkeit, die sich in Kitas entwickelt, schafft die Voraussetzung für die Kinder, auch im späteren Leben unterstützende und tragfähige Beziehungen einzugehen. Dies hat sich als eine wichtige Grundlage von Resilienz erwiesen. Kindergarten und Schule werden dann zu einem Schutzfaktor kindlicher Entwicklung, wenn sie Bedingungen schaffen, die Kindern dabei helfen, Beziehungskompetenzen zu entwickeln und auszuprobieren. Denn Kinder, die gute und vielfältige soziale Beziehungen in der
3.1 Spielkompetenz von Kindern fördern
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Welt der Gleichaltrigen aufbauen, haben bessere Chancen für ihre Entwicklung, als schlecht integrierte Kinder. Will man Resilienzförderung im Kindergarten betreiben, ist nach Rönnau (2006) eine integrierte Vorgehensweise Erfolg versprechend, die neben einer Stärkung der Kinder auch ihre Erzieherinnen einbezieht. Denn die Kinder orientieren sich an dem Verhalten der ErzieherInnen, ob und wie sie auf Vorgänge in der Kindergartengruppe reagieren. 3.1 Spielkompetenz von Kindern fördern - eine ressourcenzentrierte Fortbildung für Erzieherinnen Das Spielen gehört so sehr zu Kindern, dass es als Zentrum ihrer kulturellen Tätigkeit (Schäfer 1995) gesehen werden kann. Die Entwicklungspsychologen sind sich darin einig, dass es entwicklungs- und funktionsfördemd ist. "Das Üben motorischer Fähigkeiten, die Anforderungen, die das Spielen an die Sinne, an die Problemlösungsfähigkeit und die Kreativität sowie an soziale Kooperation und den Ausdruck von Emotionen stellt, sind für das Aufwachsen der Kinder von großer Bedeutung." (10. Kinder- und Jugendbericht 1998, S. 49).
Nach Gerter (1999) beinhaltet das Rollenspiel immer einen übergeordneten Gegenstandsbezug, eine Daseinsthematik, eine existentielle Thematik, wie z.B. groß sein oder Macht und Kontrolle wie die Erwachsenen besitzen wollen. Es übernimmt Aufgaben der Lebensbewältigung zu einem Zeitpunkt, da andere Techniken und Möglichkeiten dem Kind noch nicht zur Verfügung stehen. Dies geschieht auf dreierlei Weise: als Nachgestaltung, als Umgestaltung und als vollständiges Verlassen der Alltagsrealität. Eine erste Form der Realitätsbewältigung ist das Nachspielen bzw. Nachgestalten der Realität. Im Nachspielen von Alltagshandlungen (z.B. Puppe pflegen) oder besonderer Eindrücke (z.B. Fernsehfilme) spielen Kinder eine erfahrene Realität, die sie nicht sofort verarbeiten können, immer wieder nach und bewältigen sie so. Diese Realitätsnachbildung im Spiel ermöglicht ein Zurechtfinden in einer unverständlichen Realität und gibt Orientierung und Sicherheit in der Welt, in der man lebt. Die zweite Form der Realitätsbewältigung ist als Transformation der Realität zu beobachten und dient der Bewältigung der Alltagsrealität, in der zentrale Anliegen wie Macht, Kontrolle, Sicherheit und Bindung nicht hinreichend gewährleistet sind. Vor allem im freien Spiel drücken Kinder aus, mit welchen Themen sie sich beschäftigen, was sie bedrängt. Sie zeigen und bearbeiten hier ungelöste Probleme, psychische Verletzungen und Ängste. Ihre Spiele enthalten auch Versuche, Fehlen-
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3 Resilienzförderung im Kindergarten
des zu erlangen, etwa soziale Anerkennung. Durch das Spiel korrigiert das Kind diese Unvollkommenheiten des Daseins. Eine dritte Form der Realitätsbewältigung ist der radikale Realitätswechsel. Das Kind begibt sich in eine andere Welt als Kompensation des Alltags: Das Mädchen, das sich in eine Prinzessin verwandelt, der Junge, der als Terminator Allmacht erhält, und das Kind, das die Rolle mit einem Dinosaurier wechselt, spielen in fantasierten Lebensräumen, die völlig verschieden von der Alltagswelt sind. Diese Gegenwelt bildet ein Refugium, in das die Umwelt mit ihren Anforderungen, Geboten und Verboten keinen Zutritt hat. Diese drei Formen der Daseinsbewältigung gehen ineinander über und können sogar in ein- und demselben Spiel vorkommen. Um von Gleichaltrigen angenommen und geschätzt zu werden, einen guten Platz in der Spielgruppe zu erhalten und Freundschaften schließen zu können, ist es von großer Bedeutung, dass ein Kind mit anderen spielen kann. Zunehmend bringen jedoch Kinder, besonders aus sozial benachteiligten Milieus weniger Spielfähigkeit mit, wenn sie in die Kindertagesstätten kommen. Ihnen fehlen Voraussetzungen für ein erfolgreiches Miteinander, und sie vermögen sich nicht in die Kooperations- und Spielprozesse unter Gleichaltrigen einzuordnen. Sie können mit anderen nicht spielen, stören oder zerstören deshalb das Spiel der anderen. Infolge ihres unangemessenen Spielverhaltens werden sie verstärkt von anderen zurückgewiesen und abgelehnt. Und die Zurückweisung durch andere mündet schließlich in einen Teufelskreis aus Aggression und Ablehnung, der die Verhaltensprobleme der zurückgewiesenen Kinder weiter verschlimmert und ihre Selbstachtung sinken lässt.. Da nach der entwicklungspsychologischen Literatur (z.B. Harris 2000) der Gruppe der Gleichaltrigen bereits schon im Vorschulalter eine entscheidende Rolle für den Aufbau sozialer Kompetenz zukommt, geht ihnen ein wichtiges Lernfeld für soziale Kompetenz verloren. Durch diese Entwicklung kommt den Kindertagesstätten zunehmend die Aufgabe zu, Kinder spiel- und damit gemeinschaftsfähiger zu machen. Bei Verhaltensbeobachtungen von Kindern in Kindertagesstätten fiel uns jedoch auf, dass Erzieherinnen selten mitspielen. Sie fordern Kinder mit rigidem Spielverhalten vielleicht auf, etwas anderes zu spielen, machen Spielvorschläge, aber sie übernehmen höchst selten eine Rolle, um ein Spiel zu bereichern oder zu erweitern, Kinder mit wenig Kreativität und eingeengtem Spielverhalten zu neuen Spielideen anzuregen oder Kinder aus Konfliktsituationen spielend heraus zu helfen. Diese Beobachtung führte uns zur Entwicklung eines resilienzfördernden Fortbildungsangebotes, das sich an das gesamte Fachteam von Kindertagesstätten richtete (Aichinger & Ho1l2002). Ein ganzes Team für die Teilnahme zu gewinnen, ist
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nicht einfach, weil auch weniger motivierte Erzieherinnen zur Mitarbeit gewonnen werden müssen. Nehmen alle teil, wird eine bessere Wirkung erzielt, da das gesamte Team das Gelernte ausprobieren und die Erzieherinnen sich gegenseitig unterstützen können. Nimmt nur eine Mitarbeiterin aus einer Kindertagesstätte an der Fortbildung teil, ist die Gefahr groß, dass ihr Wunsch, etwas Neues in den Kindergarten einzuführen, von den anderen blockiert oder im Alltag ohne Unterstützung schnell zum Erliegen kommt. Diese Resilienzförderung hat das Ziel, die Wirksamkeit vorhandener personaler und sozialer Ressourcen im Leben des Kindes zu erhöhen. Es geht dabei um Kompetenzsteigerung sowohl beim Kind (individuelle Ebene) als auch bei den Erzieherinnen (Beziehungsebene). Zu den Aufgaben von ErzieherInnen gehört es nämlich, Spielaktivitäten der Kinder anzuregen, zu fördern, auszugestalten und zu begrenzen. In einer spielerischen Grundhaltung zum Leben in Kindergärten, Horten oder auch Heimen können sie gemeinsam mit den Kindern alltägliche Begebenheiten in ein Spiel verwandeln. Das Hüpfen von Kindern kann zu einer Artistenshow werden, das Mittagessen findet in edler Gesellschaft an Bord eines Kreuzschiffes statt, das Verstecken im Garten als Abenteuer im dichten Dschungel und das Anziehen als Modeshow. Wenn Erzieherinnen die alltäglichen kleinen Spielideen der Kinder aufgreifen, fortführen oder anregen, können Kinder Spielkompetenz entwickeln.
3.1.1
Darstellung des Konzeptes
In sechs Fortbildungsseminaren werden Erzieherinnen befähigt, mit der kinderpsychodramatischen Methode die soziale Kompetenz der Kinder, ihre Beziehungsund Konfliktfähigkeit im Spiel aufzubauen oder zu stärken. Sie lernen, wie sie über die psychodramatische Methode die Kreativität von sozial unsicheren Kindern erweitern, die in Spielsituationen scheu, ängstlich und gehemmt reagieren. Und wie sie Kindern mit Kontaktvermeidung oder impulsive, motorisch unruhige oder aggressive Kindern zu gelingenden Spielkooperationen mit anderen Kindern verhelfen und ihre situationsangemessenen sozial- interaktiven Fertigkeiten im Spiel fördern können. Der Kurs verteilt sich auf zwei Blöcke mit insgesamt sechs zweistündigen Seminaren in der Kindertagesstätte. Im ersten Block mit drei Seminaren, die im 14-tägigen Abstand stattfinden, ist Inhalt der Fortbildung, wie die Erzieherinnen das eingeengte Spielverhalten oder die negativen Interaktionsmuster von Kindern psychodramatisch erweitern oder verändern können. Indem sie die Spielbedürfnisse der Kinder achten, Raum dafür geben und über die psychodramatische Methode neue Ideen und Perspektiven in das Spiel der Kinder einführen, können sie einen-
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3 Resilienzförderung im Kindergarten
gende Spielmuster und Rollenkonserven aufbrechen und Kinder zu spontan-kreativen Interaktionen führen. An einigen Beispielen möchte ich aufzeigen, wie diese Ziele konkret umgesetzt werden:
Beispiel 1:
"Spiel mal was anderes!" oder "Halt! Polizeikontrolle!"
Eine Erzieherin berichtet, dass ein 4-jähriger türkischer Junge, Sesa, stereotyp mit einem Spielzeugauto allein im Zimmer auf und ab fahre, und sie ihn regelrecht zu anderen Tätigkeiten zwingen müsse. Frau Schultheis, meine Mitarbeiterin, bittet sie, die Rolle mit dem Jungen zu wechseln und interviewt "ihn" dann, wie er heißt, wie lang er schon in Deutschland ist, ob er die Sprache beherrscht, und wie es ihm im Kindergarten geht, um die Erzieherin sich in den Jungen einfühlen zu lassen. Nachdem die Erzieherin dadurch angewärmt wurde, fordert Frau Schultheis sie auf, als Sesa mit einem Auto auf und ab zu fahren. Dann versucht sie, Sesas Spielverhalten zu erweitern, indem sie in der Rolle einer Polizistin auftritt und eine Verkehrskontrolle vornimmt. Sie überprüft das (imaginierte) Auto und den Führerschein des Fahrers und erkundigt sich, wohin die Fahrt geht. Sie warnt den Fahrer vor der kurvemeichen Strecke, auf der sich schon viele Unfälle ereignet haben. Die Erzieherin greift in der Rolle von Sesa diese Spielidee sofort auf, rast in die Kurve, gerät ins Schleudern und überschlägt sich. Als Polizistin kommt Frau Schultheis mit "Tatütata" im Polizeiauto angebraust, um dem Opfer zu helfen. Sie beschreibt die starken Verletzungen des Fahrers und den großen Schaden des Autos und ruft sofort Feuerwehr, Notarzt und Abschleppwagen an. Sie steigt dann kurzzeitig aus ihrer Rolle aus, geht zu anderen Kindern (Erzieherinnen) hin, die in der Nähe auch mit Autos spielen, und fragt sie, ob sie mit Feuerwehr, Krankenwagen und Abschleppauto zu Hilfe kämen, es habe sich ein schwerer Unfall ereignet. Die "Kinder" steigen sofort auf dieses Angebot ein und kommen mit Blaulicht angefahren. Die Feuerwehrmänner löschen das brennende Auto, der Notarzt nimmt die erste Notversorgung des Schwerstverletzten vor und der Abschleppdienst transportiert das total zerstörte Auto ab. Nachdem die Kinder voll in Aktion sind und Sesa in Spielbeziehungen zu anderen Kindern gebracht wurde, fädelt sich Frau Schultheis aus dem Spiel aus. Für die Erzieherinnen ist es wichtig, zu erleben, dass auch über kurze Interventionen die beengten oder verkümmerten Handlungsmöglichkeiten der Kinder erweitert und die Kreativität gefördert werden können, ohne dass sie die ganze Zeit mitspielen müssen.
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Um auch noch zu zeigen, wie dieses Spiel in ein Rollenspiel überführt werden kann, lasse ich die Szene bis zum Unfall wiederholen und frage dann Sesa, ob er vielleicht den Schwerverletzten spielen möchte, der mit dem Krankenwagen ins Krankenhaus gebracht, dort behandelt und gesund gepflegt würde. Als er einverstanden ist, bauen wir mit Stühlen einen Krankenwagen und eine Klinik auf. Die Kinder sind sofort bereit, Notärzte und ein Operationsteam zu spielen. Als Pfleger begleite ich die Notärzte und unterstütze sie durch Fragen (z.B. "Frau Doktor, müssen wir dem Verletzten den Puls messen?" oder "Herr Doktor, muss der Verletzte mit Sauerstoff beatmet werden?"), damit die Kinder ihre Rollen ausfüllen können. Als der Verletzte in die Klinik eingeliefert wird und die Operation voll im Gang ist, ziehe ich mich zurück und lasse die Kinder allein weiterspielen. Nach Abbruch des Spiels berichten die Erzieherinnen im Rollenfeedback. was sie in den Rollen im Spiel erlebt und erfahren haben. Die Erzieherin, die Sesa spielte, berichtet, ihr sei nichts anderes eingefallen, als auf und ab zu fahren. Als Frau Schultheis als Polizistin ihr neue Spielideen eröffnete, sei sie richtig froh gewesen. Sie habe die Ideen gut aufnehmen und ausgestalten können und sei dadurch auch in Beziehung zu den anderen Kindern gekommen. Auch die anderen Erzieherinnen berichten, wie sehr die Spielidee des Unfalls und der Rettung sie als Kinder angesprochen habe. Sie könnten sich gut vorstellen, dass es den Kindern in ihrem Kindergarten genauso ergehe. Die Erzieherin nimmt sich vor, diese Idee gleich am nächsten Tag umzusetzen. In der nächsten Sitzung berichtet sie, wie gut die Intervention bei Sesa gewirkt habe, und wie sie mit weiteren Interventionen das Rollenrepertoire von Sesa in der Zwischenzeit ausbauen konnte.
Beispiel 2:
Das gehemmte Mädchen oder Eine Prinzessin besucht den weltberühmten Zirkus
Eine andere Erzieherin erzählt, in ihrer Gruppe befinde sich ein gehemmtes Mädchen, das meist bei den Rollenspielen der anderen Kinder nur zuschaue. Sie wisse gar nicht, wie sie ihr helfen könne. Wenn sie sie, wie in den letzten Tagen, als die Mädchen Zirkus spielten, aufforderte, mitzuspielen, und ihr auch Möglichkeiten, im Zirkus mitzuspielen, aufzeigte, habe sie sich noch mehr verkrampft und verschlossen. Nachdem die Erzieherin die Rolle des Mädchens, Judith, übernommen hat, und die anderen Erzieherinnen als Kinder Zirkus zu spielen beginnen, stellt sich Judith an den Rand und schaut dem Treiben der anderen Mädchen traurig zu. Ich komme als Fernsehreporter, "erkenne" Judith als Prinzessin und filme sie mit meiner Kamera (ein Kissen). Ich kommentiere
3 Resilienzförderung im Kindergarten
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bewundernd, der Zirkus habe einen hohen Besuch erhalten, die wunderschöne Prinzessin besuche die Premiere des weltberühmten Zirkus Sarasanni. Nachdem durch das bewundernde Spiegeln des Reporters Judith zunehmend in die Rolle der Prinzessin hineinwuchs, schwenke ich die Kamera auch auf die Manege und kommentiere in einem "bewundernden Spiegeln"( Aichinger & Holl 2010, S. 68f) die Kunststücke der graziösen Artisten und der prächtigen Pferde. Dies ist für das Zusammenspiel der Kinder wichtig, weil die Kunststücke fast nur in der Fantasie stattfinden - Kinder können ja nicht auf Hochseilen tanzen oder auf dem Trapez durch die Luft fliegen. Alle Kinder genießen die ersehnte Bewunderung und lassen sich zunehmend auf ihre Größenfantasien ein. Eine weitere Interventionsmöglichkeit demonstriert anschließend Frau Schultheis. Sie kommt als "stützender Doppelgänger"(Aichinger & Ho1l201O, S. 73f) in der Rolle einer Dienerin zur Prinzessin, reicht ihr gekühlte Getränke und Eis und erkundigt sich nach weiteren Wünschen (z.B. ob ihr Sportauto schon vorgefahren werden soll). Im anschließenden Rollenfeedback berichtet die Erzieherin, dass sie als Judith durch das bewundernde Spiegeln des Reporters auch in eine Rolle gebracht worden sei, sich dadurch in das Spiel einbezogen und nicht mehr als außenstehende Zuschauerin fühlte. Nur zuzuschauen sei langweilig gewesen, sobald sie sich aber als Prinzessin gefühlt habe, sei alles spannender geworden. Da ähnliche Situationen im Kindergarten häufig vorkommen, üben die Erzieherinnen in kleinen Übungssequenzen diese Intervention des spiegelnden Doppelns in der Rolle des Fernsehreporters. Und sie nehmen sich vor, diese Intervention umzusetzen, um den Selbstwert der Kinder zu stärken. Zu einem späteren Zeitpunkt berichten sie von guten Erfahrungen mit dieser Intervention. Sie habe dazu geführt, dass die Kinder kreativ das bisherige Zirkusspiel ausbauten. Außerdem konnten gehemmte Kinder über das bewundernde Spiegeln mehr ins Spiel der anderen Kinder und auch in Kontakt mit den Erzieherinnen kommen.
Beispiel 3:
Die armen Kleinen oder Schlittenhunde im Schneesturm
Eine Erzieherin empört sich darüber, dass die älteren Kindergartenkinder die jüngeren häufig in ihre Spiele einspannen und über diese bestimmen. So müssten zurzeit die Kleineren als Hunde die Größeren auf einem Teppich durch den Raum ziehen. WIr teilen die Erzieherinnen in ältere und jüngere Kinder auf und lassen sie die Szene nachspielen. Ich interveniere dann mit der Ankündigung, ein heftiger Schneesturm ziehe auf. Die Eskimos müssten mit ihren Schlittenhunden
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schnell in einer Mulde Schutz suchen und aneinander gekauert den Schneesturm abwarten. Ich spiele dann den Schneesturm, wehe mit weißen Tüchern über sie und decke die Eskimos und Hunde, die in einer Höhle (unter einem Tisch) Schutz suchen, mit dem Schnee (weißes Tuch) zu. Nachdem der Sturm nachgelassen hat, befreien sich Hunde und Eskimos vom Schnee. Hier steigt Frau Schultheis mit einer weiteren Intervention ein, die prosoziales Verhalten anregen solL Als Eskimofrau, die auch vom Schneesturm überrascht wurde, stößt sie auf die Gruppe und bittet um Essen. Ihre Hunde, die nicht so gut gehorchten wie diese Hunde hier, seien mit dem ganzen Proviant ausgerissen. Die Eskimos laden sie zum Essen ein. Beim Essen fragt Frau Schultheis, ob die prächtigen Hunde nicht auch gefüttert und trocken gerieben werden müssten. Es wäre ja jammerschade, wenn diese wunderschönen und klugen Schlittenhunde krank würden. Mit dieser Frage bringt sie eine neue Spielhandlung in Gang: Die Großen fangen an, die Kleinen zu versorgen und zu pflegen. In der nächsten Sitzung berichtet die Erzieherin, sie habe mit dieser Intervention bei den Kindern ein kreatives Spielgeschehen eröffnen können. Über viele Tage hätten die Kinder spannende Geschichten von Eskimos und Schlittenhunden am Nordpol gespielt. Die Großen hätten sogar die Rollen mit den Kleinen gewechselt, um auch schnelle Schlittenhunde spielen zu können, die auch versorgt und gepflegt werden wollen.
Beispiel 4:
" Waffen gibt's hier nicht/" oder "Zu Hilfe! Rettet die Prinzessin aus den
Klauen des Drachen!"
Eine Erzieherin ärgert sich darüber, dass die Jungen in ihrer Gruppe immer wieder mit Baufixelementen Pistolen, Gewehre oder Schwerte zusammenschrauben und Krieg spielen. Komme sie dazu, dann würden die Jungen das Spiel schnell verändern und so tun, als ob die Waffen Bohrer oder Flugzeuge wären. Sie fühle sich verschaukelt und werde ärgerlich. Außerdem passe es ihr auch nicht, dass die Jungen immer Krieg spielen wollen. Das sei im Kindergarten verboten. WIr lassen die Erzieherin die Situation rekonstruieren. Als die Jungen am Kämpfen sind, interveniert Frau Schultheis. Sie sagt, sie sei eine Königin, eilt zu den vier älteren Jungen und bittet sie, die bei ihrem Erscheinen schnell die Gewehre in Flugzeuge umwandeln, um Hilfe: "Ihr tapferen Ritter, meine Tochter, die Prinzessin, ist von einem vierköpfigen, schrecklichen Drachen geraubt und in seine Höhle verschleppt worden. Ich rufe euch, die heldenhaftesten Ritter der Welt um Hilfe, um meine arme Tochter zu retten!"
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3 Resilienzförderung im Kindergarten
Als die Jungen auf dieses Spielangebot anspringen, fragt Frau Schultheis in der Rolle der Erzieherin, wo denn die Höhle des Drachen sein soll Die Kinder richten unter einem Tisch die Höhle ein, einige Stühle mit einem grünen Tuch darüber sollen den Drachen andeuten, und Frau Schultheis baut ihren lhronsaal auf. Eine Erzieherin wechselt spontan die Rolle mit einem Mädchen und übernimmt die Rolle der gefangenen Prinzessin. Nach dem Aufbau der Szenerie fordert die Königin die Ritter auf, sich mit Schwert, Rüstung und Schild auszurüsten. Die Kinder schrauben mit Baufix Schwerte zusammen, Frau Schultheis bekleidet sie mit Tüchern, die die Rüstung darstellen soll, und gibt ihnen Kissen als Schilde. Als Königin bittet sie dann die Ritter, sich leise dem Drachen zu nähern und abzuwarten, bis dieser eingeschlafen sei, um die Prinzessinnen nicht zu gefährden. Die Kinder schleichen sich an den Drachen an, stürzen auf ihn und schlagen ihn mit ihren Schwertern in Teile. Sie retten die Prinzessin und bringen sie im Triumph zur Königin. Voll Freude schließt diese ihre Tochter in ihre Arme und lobt die heldenhaften Ritter. Als Dank und Auszeichnung überreicht sie jedem einen goldenen Orden (gelbe Baufixsteine). Anschließend an diese Spielaktion zeige ich eine weitere Spielintervention, die aber von den Erzieherinnen einen größeren Spieleinsatz verlangt und bei der sie auch mehr Körperlichkeit aushalten müssen. Ich frage als Erzieher die Kinder, ob ich die Rolle des Drachen spielen soll. Diese Intervention, sich als Feind anzubieten und die Aggression auf sich zu ziehen, ist für Erzieherinnen meist sehr schwierig, da sie nicht eine "böse" Rolle übernehmen möchten und sich vor dem Kämpfen scheuen. In die Rolle des Außenfeindes zu gehen, bietet aber eine gute Möglichkeit, die Spielspannung zu erhöhen und den Kindern mehr das Gefühl der Kontrolle und Selbstwirksamkeit zu vermitteln, was wichtige Schutzfaktoren sind. Um die Kinder in der Rolle der Ritter mehr aufzuwerten, ihnen das Gefühl, Helden zu sein, zu vermitteln du so ihren Selbstwert zu stärken, mache ich mich zu einem wilden Drachen, dosiere aber die Wildheit so, wie es die Kinder ertragen können, ohne Angst zu bekommen, indem ich nachfrage, ob der Drachen wilder oder weniger wild sein soll. Den Spannungsbogen erhöhe ich, indem ich, während die Ritter sich anschleichen, aufwache und mich frage, was das für ein Geräusch war, das mich geweckt hat. Da müsste ich doch mal nachschauen. Nun müssen sich die Ritter schnell verstecken und abwarten, bis ich wieder eingeschlafen bin. Diese Ausweitung des Spannungsbogens ist besonders für impulsive Kinder wichtig. Für die Prinzessin ist es ebenfalls aufregender, von einem echten Drachen gefangen und bewacht zu werden. Auch kann
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der Kampf dadurch spannender werden und die Kinder sich als Helden aufgewertet fühlen, wenn sie den Drachen nicht sofort überwältigen, sondern zuerst Hindernisse überwinden müssen. Im Rollenfeedback berichten die Erzieherinnen aus der Rolle der Jungen, wie viel Spaß es gemacht habe, mit dem Drachen zu kämpfen, und wie gut sie sich als Helden gefühlt haben. Um bei Erzieherinnen mehr Verständnis für die Kampfspiele der Jungen zu wecken, zeigen wir ihnen anhand des Spiels auf, wie Kinder ihre Erfahrungen der Hilflosigkeit und Ohnmacht im Rollenwechsel mit Heldenfiguren darstellen und bearbeiten können. Verständnis für das Als-ob-Spiel des Kämpfens zu wecken, ist entscheidend, damit die Erzieherinnen einen anderen Zugang zu den "wilderen" Jungen, vor allem im letzten Kindergartenjahr, gewinnen. Außerdem ist es ausschlaggebend, ob sie das Bewegungsbedürfnis der Kinder befriedigen können, wie es auch der 13. Kinder-und Jugendbericht fordert (2009, S. 93): "Ein positives Körperempfinden und genügend freie Bewegungsmöglichkeiten haben zudem eine wichtige Bedeutung für Stressabbau. Gerade in der Phase der Vorschulzeit, in der die Kinder die Welt noch vor allem durch konkretes Handeln im Wortsinn ,begreifen' und erst auf dem Weg zum überlegenden Handeln sind, stellt der Stressabbau durch Bewegung zwar ein regressives Moment dar, kann aber dort, wo es noch an Worten, Orientierung und alternativen Handlungsrnöglichkeiten fehlt, das einzige Mittel des Umgangs mit Problemen sein."
Nach dieser ersten Fortbildungseinheit entscheiden sich die Erzieherinnen, das Projekt "Spielzeugfreier Kindergarten" anzuschließen. Drei Monate lang führen sie das Projekt "Spielzeugfreien Kindergarten" ein, um dem Rollenspiel der Kinder mehr Raum zu geben. Dieses Projekt ist auch einer der profiliertesten suchtpräventiven Ansätze im Kindergartenbereich. Für den begrenzten Zeitraum werden vorgefertigtes Spielzeug und Materialien entfernt, um Kindern einen neuen Spiel- und Erfahrungsraum zu schaffen, in dem sie ihre eigenen Fähigkeiten, ihren eigen Rhythmus, ihre eigenen Grenzen und Möglichkeiten erfahren können. "Durch die temporäre Entfernung des Spielzeugs erhalten so die Kinder die Chance sich stärker auf Gruppenprozesse einzulassen, verschiedene Positionen in der Gruppe zu erproben und sich in anderen Rollen zu versuchen." (www.spielzeugfreierkindergarten.de, 2001, S. 2)
Nach diesem Projekt berichten die Erzieherinnen in der zweiten Einheit begeistert, welch spannende Spiele die Kinder gespielt haben, und wie es ihnen immer wie-
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der gelungen sei, in Rollen zu gehen, um das Spiel der Kinder kreativ zu erweitern. Ganz stolz erzählen sie auch, dass sie Spiele mit aggressivem Inhalt zulassen und sogar anreichern konnten, z.B. als die Kinder, auch Mädchen, über eine längere Zeit Piraten spielten. Diese Kämpfe hätten sie nicht mehr erschreckt, sie hätten sogar mitgespielt und gewagt, sich als Gegenüber für die Piraten anzubieten. Sie seien in die Rollen von reichen Kaufleuten auf einem Frachtschiff mit wertvoller Fracht geschlüpft und hätten sich von den Piraten überwältigen und ausrauben lassen. Die verschiedenen Möglichkeiten der Spielinterventionen in den bisherigen Seminaren habe ihnen zum einen sehr geholfen, das Spiel der Kinder besser zu verstehen, zum anderen auch ermutigt, in Rollen das Spiel der Kinder kreativ anzureichern. Im zweiten Block legen wir den Schwerpunkt der Fortbildung auf Spielinterventionen bei Konflikten oder schwierigen Konstellationen. Wie das Forschungsprojekt "Konfliktverhalten von Kindern in Kindertagesstätten" des Deutschen Jugendinstituts (Dittrich u. Schneider 2000) zeigte, benötigen Kinder in Kindertagesstätten eine große soziale Kompetenz, um unterschiedliche Spielideen miteinander in Einklang zu bringen und gegensätzliche Interessen auszugleichen oder durch unkonventionelle Lösungen zu integrieren. Da einige Kinder eine zu geringe soziale Kompetenz mitbringen, kommt es im Kinderalltag zu Konflikten, bei denen die Erzieherinnen eingreifen müssen. Dabei intervenieren sie meist verbal und unterbrechen die Spielhandlung der Kinder. Unser Bemühen in den drei Seminaren des zweiten Blocks zielt daher darauf, den Erzieherinnen zu vermitteln, wie sie auf der Handlungsebene in Rollen den Kindern helfen können, den Konflikt im Spiel zu lösen und die Fähigkeit von Kindern spielerisch zu fördern, mit Differenzen, Unstimmigkeiten und unvereinbarten Interessensgegensätzen konstruktiv umzugehen.
Beispiel 1:
"Nein, ich ziehe das Seil und nicht du!" oder Ein schwieriger Auftrag
Eine Erzieherin schildert einen Konflikt, der sich immer wieder auf dem Holzturm im Kindergarten entzündet. Auf dem Turm, an dem ein Seil befestigt ist, entstehe häufig Streit unter den Kindern, wer eine Last hochziehen dürfe. Wir lassen zwei Erzieherinnen als Kinder in Streit geraten, wer mit dem Seil einen Korb hochziehen darf. Ich komme als Fahrer eines Schwertransporters, rufe den beiden zu, ich hätte ein riesiges Glasdach, das auf den 30. Stock des Hochhauses aufgesetzt werden müsse. Ob es hier erfahrene Kranführer gebe, die so eine schwere Aufgabe bewältigen können? Da müsse man nämlich den Kran millimetergenau lenken und die Last ganz vorsichtig hochziehen. Sofort rufen beide: "Ja, ich kann das!" Ich zeige mich erleichtert: "Gott sei dank gibt es hier
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zwei fähige Kranführer, diese Schwerstarbeit kann einer allein auch gar nicht schaffen. Da brauche ich mindestens zwei, einen, der den Kran bedient, und einen zweiten, der Anweisungen gibt, wie er gelenkt werden muss. Bei der letzten Baustelle gab es eine Katastrophe, als nur ein Kranführer es allein probierte." Als die beiden Jungen darauf eingehen und die Aufgaben absprechen, fahre ich den Schwertransporter (Stuhl) unter den Kran, befestige die Glaskuppel (Matte) und rufe dem einen Kranführer zu, er könne nun seinem Kumpel das Kommando geben: "Vorsichtig anziehen." Während der eine zieht, gibt der andere Anweisung. Um ihnen das Gefühl zu geben, eine schwer Last hochzuziehen, die vorsichtig zu handhaben ist, kommentiere ich von unten das Geschehen und bewundere die fähigen Kranführer, wie gut sie zusammenarbeiten und so eine schwierige Arbeit bewältigen. Als sie es geschafft haben, lobe ich sie, so gute Kranführer, die auch noch so gut zusammen einen Kran bedienen können, hätte ich noch nie auf einer Baustelle angetroffen. Im Rollenfeedback betonen die beiden Erzieherinnen, wie es sie erleichtert habe, eine Lösungsidee zu erhalten, wie sie ohne Gesichtsverlust aus ihrem Machtkampf herauskommen konnten. Außerdem habe es viel mehr Spaß gemacht, die Rolle eines Kranführers zu übernehmen und die Größenfantasie auszuspielen, ein riesiges Glasdach auf den 30. Stock eines Hochhauses zu befördern, als nur einen Korb hochzuziehen.
Beispiel 2:
"Der Antonio hat mir mein Bobbycar weggenommen!" oder Autodieb nach rasanter Verfolgungsjagd gestoppt!
Immer wieder beklage sich ein Kind, so berichten verschiedene Erzieherinnen, dass ein anderes Kind ihm ein Spielzeug weggenommen habe. Wir stellen eine Situation nach, in der Lars klagend zur Erzieherin kommt, weil Antonio ihm das Bobbycar weggenommen hat. Statt wie die Erzieherin zu Antonio zu gehen und ihn zu ermahnen, dass das nicht gehe, übernimmt Frau Schultheis die Rolle der Polizistin, die ein Protokoll über einen Autodiebstahl aufnimmt. Als Lars auf das Spielangebot einsteigt, geht Frau Schultheis mit ihm zu Antonio und fragt, ob sie zusammen spielen könnten, dass die Polizei die Verfolgung des Autodiebs aufnehmen würde, es zu einer tollkühnen Verfolgungsjagd komme, bis der Dieb dann von der Polizei durch eine Straßensperre gestoppt werde. Da beide Jungen einverstanden sind, fährt Frau Schultheis mit Lars, der auch Polizist geworden ist, mit Blaulicht Antonio nach und fordert ihn auf, sofort an den Straßenrand zu fahren und anzuhalten. Da der, wie abgesprochen, nicht anhält, kommt es zu einer wilden Verfolgungsjagd. Antonio kann zunächst die Polizei abhängen. Die Polizisten bauen dann eine Straßensperre auf und können ihn
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stoppen. Er wird zum Verhör ins Polizeipräsidium gebracht. Antonio erweitert das Spiel mit seinem Vorschlag, er würde eingesperrt werden, könnte aber dann ausbrechen. Lars ist sofort bereit, eine weitere Verfolgungsjagd zu spielen. Inzwischen ist er an dem Bobbycar gar nicht mehr interessiert. Im Rollenfeedback berichten beide Erzieherinnen, wie sehr ihnen das Spiel Spaß gemacht habe, sodass der Groll auf einander verschwunden seL Im Gegenteil/ die gemeinsame gute Spielerfahrung habe sie miteinander verbunden, sodass sie gerne weitergespielt haben. Nach dem Spiel lassen wir die Erzieherinnen für die anderen Streitigkeiten Bilder finden und Rollen wählen, in denen sie Kinder helfen könnten, den Konflikt im Spiel zu lösen. Damit werden die Erzieherinnen angeregt, eigene Bilder und Rollen für Konfliktsituationen zu entwickeln.
Beispiel 3:
"Müsst ihr Sandra immer ausschließen!" oder Not verbindet
Eine Erzieherin erzählt von einer schwierigen Mädchenkonstellation in ihrer Gruppe. Judith und Ayse würden Sandra immer wieder ausschließen und über sie herziehen. Sie habe versucht, den beiden ins Gewissen zu reden, aber es nutze nicht viel. Ihr tue Sandra, die dann wie ein begossener Pudel dastehe und sich nicht zu helfen wisse, leid. Auf die beiden ausgrenzenden Mädchen werde sie zunehmend wütend, da sie beide gemein finde. Wir lassen die Erzieherin zusammen mit einer anderen Erzieherin in die Rolle der"Täterinnen" gehen, eine dritte Erzieherin übernimmt die Rolle des "Opfers". Dann beginnen die beiden Mädchen mit ihrem Spiel, das sie häufig spielen und bei dem sie Sandra nicht dabei haben wollen, nämlich Seiltänzerinnen im Zirkus. Nachdem sie Sandra weggeschickt haben, und diese betroffen in der Nähe stehen bleibt, sage ich zu den Mädchen, ein gefährlicher Tiger sei im Zirkus ausgebrochen/ gehe dann in die Rolle des Tigers und umschleiche die Mädchen. Ich steige kurz aus der Rolle aus und frage die drei Mädchen, ob es sein könnte, dass ich mich an Sandra anschleichen würde, dass sie aber gerade noch, bevor ich sie anfallen könnte, entkomme und sich mit den beiden Seiltänzerinnen im Garderobenwagen verschanze. Als alle zustimmen, schleiche ich mich an, mache einen Sprung in Richtung auf Sandra zu/ die aber entkommen kann/ und verfolge die Mädchen, die im letzten Augenblick im Garderobenwagen (hinter Stühlen) Zuflucht finden. Ich schleiche um den Wagen, und die Mädchen genießen es, aus dem sicheren Versteck heraus den Löwen zu reizen. Einige Erzieherinnen, die es nicht mehr auf den Stühlen aushalten, sagen, sie seien Jungen der Kindergartengruppe, kommen in der Rolle von wilden
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Raubtieren hinzu und möchten die Mädchen angreifen. Ich unterbreche kurz das Spiel, um mit den Jungen und Mädchen zusammen abzusprechen, wie die Geschichte weitergehen könnte. Die Mädchen sind nur bereit, weiter mitzuspielen, wenn die Jungen als Tiere nicht in den Zirkuswagen eindringen. Die Jungen akzeptieren diese Begrenzung, sie springen dann fauchend um den Wagen und schlagen mit den Tatzen an die Holzwand (Stühle). Als die Jungen heftiger werden und Grenzüberschreitungen abzusehen sind, steige ich aus der Rolle aus und frage, ob es sein könnte, dass die drei Tänzerinnen die Raubtiere mit Fleischbrocken in den Käfig locken könnten. Dazu sind die Jungen bereit. Ich wechsle die Rolle und beglückwünsche als Zirkusdirektor die mutigen Tänzerinnen. Sie seien nicht nur graziöse, schöne Tänzerinnen, sondern auch so mutig, dass sie die wildesten Raubtiere in den Käfig zurückbringen und so eine Katastrophe verhindern konnten. Den brüllenden Tieren werfe ich Fleischbrocken zu und bewundere ihre Kraft und Geschmeidigkeit. Da die Erzieherinnen immer wieder die Sorge äußerten, ein Spiel könnte zu wild werden und entgleisen, zeige ich mit einer weiteren Intervention, wie von einer wilderen Spielsituation zu einer friedlicheren und ruhigeren übergeleitet werden kann. Ich frage, ob es sein könnte, dass sich die Tänzerinnen mit den Löwen anfreunden und sie füttern, und diese es dann zulassen würden, dass die Tänzerinnen ihr Fell bürsten, dass es in der Sonne glänze. Da alle einverstanden sind, entsteht eine friedliche Pflege- und Fütterungssituation. Ich lasse dann Nacht werden, die Tänzerinnen und die wilden Raubtiere legen sich im Käfig zum Schlafen nieder. In der anschließenden Nachbesprechung erzählen die Erzieherinnen, diese Intervention mit dem Außenfeind habe sie zusammengeführt, ja sie hätten sich zu dritt sogar stärker und sicherer gefühlt. Wichtig finden sie auch die Spielabsprache mit den Jungen. Im Kindergarten passiere es häufig, dass die Jungen die Mädchen bedrohen. In der Realsituation hätten sie sicherlich die Jungen ausgebremst und von den Mädchen getrennt. Mit der Absprache hätten die Jungs einerseits wild sein dürfen, andererseits sei aber dadurch für die Mädchen ein sicherer Rahmen entstanden, so dass sie am Zusammenspiel mit den Jungen Spaß haben konnten und nicht Opfer wurden.
Beispiel 4:
"Müsst ihr immer diese schrecklichen Pokemons spielen!" oder"Wenn jetzt Maschock und Turtok mir zu Hilfe kämen!"
Zwei Jungs, erzählt eine Erzieherin, kommen häufig schon völlig aufgedreht in den Kindergarten und spielen dann gleich Pokemons. Dabei werden sie noch
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3 Resilienzförderung im Kindergarten
heftiger und lauter und attackieren sich gegenseitig als Kampftiere. Zum einen nerve sie der Lärm, zum anderen finde sie Pokemons schrecklich und abstoßend. WIr lassen die Erzieherin die Situation rekonstruieren. Sie tauscht die Rolle mit Andi, dem lautesten Jungen. Eine zweite Erzieherin übernimmt die Rolle von Ferhat. Sie verwandeln sich dann in Maschock und Turtok und greifen sich laut brüllend an. Ich interveniere, indem ich in der Nähe mit Stühlen einen großen Truck aufbaue, der im Sumpf (schwarzes Tuch) steckt. Als Trucker rede ich dann laut vor mich hin: "So ein Mist, jetzt habe ich nicht aufgepasst und bin in den Sumpf gefahren. (Ich gebe Gas und mache dabei Motorgeräusche). So was Blödes, ich stecke fest, aus dem Sumpf komme ich nie wieder heraus. (Ich schaue mich um). Da kämpfen ja Turtok und Maschock. haben die riesige Kräfte! Wenn die mir helfen würden, da wäre mein Truck ruck zuck aus dem Sumpf. Ob ich es wohl wagen kann, die Kampftiere um Hilfe zu bitten, die sehen so gefährlich aus?" Auf dieses laute Selbstgespräch reagieren die Jungen. Sie kommen mit Drohgebärden auf mich zu. "Habt Erbarmen, ihr gewaltigen Pokemons", flehe ich, "ich wage kaum zu fragen, aber könnt ihr meinen riesigen Laster aus dem Sumpf ziehen? Ich stecke fest, und der Truck versinkt langsam im Sumpf?" Als sie gnädig nicken und sich an die Arbeit machen, setze ich mich in meinem Truck und bewundere, wie geschickt und mit wieviel Kraft sie meinen schweren Lastwagen aus dem Sumpf ziehen. Ich bedanke mich und frage, ob ich ihnen etwas von meiner Fracht schenken dürfe, ich hätte Tonnen von gegrillten Hähnchen geladen. Schnell machen sich die Pokemons über meine Fracht her und schlingen Hunderte von Hähnchen hinunter. Wieder bewundere ich, wieviel diese Pokemons essen können, kein Wunder seien die so stark. Im Rollenfeedback berichten die Erzieherinnen, wie gut es ihnen getan habe, so bewundert, aber auch mit ihrer Stärke gebraucht zu werden. Wir sprechen dann verschiedene Möglichkeiten durch, wie sie die stereotypen Kampfspiele der Kinder in prosoziales Verhalten umlenken können. Außerdem üben wir Interventionen, wie sie Kinder auch anregen können, beim Kämpfen nicht immer nur laut zu sein (z.B.lautlos anschleichen, um feindliche Monster zu überraschen). Anschließend bearbeiten wir mit den Erzieherinnen, warum Kinder von den Fernsehhelden so fasziniert sind, und welche Bedeutung die Identifikation mit diesen Fantasiehelden hat. Auch bei diesen Seminaren melden die Erzieherinnen immer wieder beeindruckt zurück. wie gut ihre Kindergartenkinder auf diese Interventionen anspra-
3.1 Spielkompetenz von Kindern fördern
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chen, und welch kreativen Spiele dadurch in Gang kamen, wenn sie sich trauten, in Rollen zu intervenieren. Von den Erzieherinnen kommen aber immer wieder Einwände gegen das Mitspielen. Sie müssten doch auf alle Kinder achten, für alle da sein und könnten sich nicht auf ein Spiel mit wenigen Kindern einlassen. Wir müssen immer wieder betonen, dass es nur um ein kurzfristiges Mitspielen geht, dass sie sich, sobald ein Spiel in Gang kommt, langsam wieder herausziehen können. Auch weisen wir sie darauf hin, dass Kinder mit Störungen ihre Aufmerksamkeit erzwingen und sie sich dann, wenn auch in negativer Weise, mit ihnen beschäftigen müssen. Daher sei es doch sinnvoller, sich den betreffenden Kindern frühzeitiger zuzuwenden, bevor sie mit ihrem Problemverhalten die Aufmerksamkeit der Erzieherinnen erzwingen. 3.1.2
Projektauswertung
Die Erzieherinnen erlebten das Projekt als sehr hilfreich. Sie spielten, auch wenn sie sich immer noch dazu überwinden mussten, häufiger mit den Kindern, die Unterstützung zur Erweiterung ihrer Kreativität benötigen, und versuchten vermehrt, bei Streitigkeiten oder Konflikten in Rollen den Kindern Hilfestellung zu geben. Mit den psychodramatischen Interventionen konnten sie zur Erweiterung des Verhaltensspektrurns und Entwicklung sozialer Fähigkeiten beitragen und die Spontaneität und Kreativität fördern, das "Finden neuer Antworten auf alte Situationen" und das Entwickeln adäquater, kreativer Antworten auf neue Situationen, wie Moreno es ausdrückt. Da von den Erzieherinnen immer wieder der Wunsch vorgetragen wurde, uns zusätzlich zu den Seminaren direkt beim Spielen mit den Kindern im Kindergarten zu beobachten und über das Modelllernen zu profitieren, erweiterten wir unser Projekt. 3.1.3
Neue Konzeption
Unser neues Angebot für Kindertagesstätten besteht aus drei Bausteinen: 1.
2.
Eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter der Erziehungsberatungsstelle wird über einen Zeitraum von zwölf Wochen wöchentlich zwei Stunden in den Kindergarten gehen und beim Freispiel mit den Kindern spielen, deren Beziehung- und Konfliktfähigkeit im Spiel gefördert werden soll. Die Erzieherinnen können dabei mitspielen und am Modell lernen. Parallel dazu erhalten alle Erzieherinnen der Einrichtung 14-tägig eine zweistündige Fortbildung in der Kinderpsychodramatischen Spielmethode.
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3 Resilienzförderung im Kindergarten
3.
In zwei Elternabenden erfahren Eltern Hilfe und Anregungen für das Spielen
in der Familie. Dabei übernehmen zwei MitarbeiterInnen der Beratungsstelle die Rolle des Kindes und die des Vaters oder der Mutter und zeigen anhand einiger Spielsituationen auf, welche Schwierigkeiten Eltern häufig mit den Rollenspielen ihrer Kinder haben (z.B. das Spiel der Kinder zu dominieren oder es als Blödsinn abzuwerten). Anschließend zeigen wir, wie Eltern kreativ mit Kindern spielen und, wenn nötig, das Spiel der Kinder kreativ erweitern können. Diese Aufgabe, den Eltern die Bedeutung des Spiels für die Entwicklung der Kinder, besonders für die Entwicklung der Kontrollüberzeugung und der Selbstwirksamkeit, zu vermitteln, ist gar nicht so einfach. "Der spielt ja nur", ist eine häufige, abwertende Äußerung von Eltern. Eine Aufwertung erfährt das Spiel aber durch die Resilienzforschung und die Hirnforschung. Sie zeigen auf, dass im Spiel Kinder sich als Gestalter und Schöpfer erleben können, was die Selbstwirksamkeit und die Kontrollüberzeugung stärkt. Außerdem können sie Wertschätzung dabei erfahren, was ihr Selbstwert stärkt.
Anhand einiger Beispiele möchte ich aufzeigen, wie wir dies den Eltern vermitteln:
Beispiel 1:
Bewältigung von Alltagsproblemen
Ich spiele einen 5-jährigen Jungen, der von stärkeren Jungen im Kindergarten gehänselt wurde, nach Hause kommt, mit dem Playmobilritter in goldener Rüstung gegen eine Schar feindlicher Ritter kämpft und alle tötet. Die Mutter (Frau Reisinger) kommt hinzu und tadelt den Jungen: "Musst du immer so schreckliche Kämpfe spielen. Komm, spiel etwas Schönes!" Nach dieser Spielszene erklären wir Eltern kurz, wie Kinder mit zwei Kunstgriffen im Spiel Probleme bewältigen, indem sie das Problem externalisieren und auf die Symbolebene bringen, und indem sie über einen Rollenwechsel vom ohnmächtigen, hilflosen Kind in die wirkmächtige Rolle eines Helden wechseln. Und wir zeigen auf, welche Reaktion der Eltern dabei hilfreich wäre. Anschließend spielen wir eine Szene, in der die Mutter eine verständnisvollere Haltung einnimmt: Die Mutter bewundert den Mut des goldenen Ritters, gegen eine so große Übermacht den Kampf aufzunehmen. Wie er das nur schaffe, da müsse er ja gewaltige Kräfte besitzen. Und sie fragt ihn, ob sie als "roter Ritter" mit ihm in den Kampf ziehen soll, so allein zu kämpfen müsse ja sehr anstrengend sein.
3.1 Spielkompetenz von Kindern fördern
Beispiel 2:
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Das Bedürfnis nach Selbstwirksamkeit befriedigen
Frau Reisinger spielt ein Kindergartenkind. Sie will vor dem Abendbrot noch einen Freund besuchen, was der Vater (ich) aber verbietet. Sie spielt dann mit einem Folkmanis-Dinosaurier und nähert sich dem Vater, der Zeitung liest. Sie beißt mit dem Dino in seine Hand. Der Vater schiebt sie verärgert weg und sagt: "Lass den Quatsch!" Da sie mit dem Dino weiter angreift, packt er den Dino, zieht ihn ihr von der Hand und sagt, der sei jetzt erledigt. Nach dieser Spielszene machen wir den Eltern verständlich, wie ein Kind mit Erfahrungen von Schwäche, Hilflosigkeit und Ohnmacht über den Rollenwechsel mit mächtigen Figuren wieder Wirksamkeit und Kontrolle erleben. Und wir erarbeiten mit den Eltern, welche Reaktion des Vaters die Selbstwirksamkeitserfahrung stärken würde. Dies zeigen wir in der anschließenden Szene: Der Vater zeigt Angst und versteckt sich vor dem Dino. Als der Dino ihn aufspürt und beißt, jammert er. Er fragt nach, ob seine Hand schon abgebissen oder nur verwundet sei Und er bettelt um Gnade. Das Kind gibt die Spielanweisung, er solle kämpfen, dürfe aber nicht gewinnen. Nach einem Kampf, den das Kind reguliert, lässt er sich zum Schluss vom Dino besiegen.
Beispiel 3:
Das Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung befriedigen
Frau Reisinger spielt ein Mädchen, das von seiner älteren Schwester ausgelacht wurde, dass sie noch nicht rechnen kann. Sie kommt dann als Pferd mit einem Halstuch der Mutter in die Hose gesteckt angetänzelt. Die Mutter (ich) ärgert sich, dass die Tochter schon wieder etwas aus dem Kleiderschrank heraus gezogen hat. Das Kind wiehert als Pferd und will Kunststücke zeigen, was die Mutter in ihrem Ärger nicht mehr wahrnehmen kann. Nach dieser Szene legen wir dar, wie Kinder immer wieder erleben, dass ihr Können und ihr Wert in Frage gestellt werden. Und wie Kinder dann, um ihren Selbstwert zu stärken, in Rollen schlüpfen, in denen sie sich wertvoll und großartig fühlen. Gemeinsam erarbeiten wir dann, welche Reaktion der Eltern Kinder im Spiel benötigen, damit ihr Selbstwert gestärkt wird. In der anschließenden Szene zeige ich als Mutter meine Bewunderung, welch prächtiges Araberpferd vor mir tänzelt, wie sein Fell in der Sonne glänzt. Das müsse ja ein wertvolles, berühmtes Zirkuspferd sein. Ob das mir wohl seine Kunststücke zeige? Und ich bestaune und bewundere jede Aktion des Kindes.
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3 Resilienzförderung im Kindergarten
Über solche kurze Szenen fördern wir bei Eltern ein besseres Verständnis für die Bedeutung des Spiels, dass Spiel der "Königsweg der Kinder" (Moreno) ist, lebenswichtig und entwicklungsnotwendig. 3.2 Entwicklungsorientierte Prävention aggressiven Verhaltens Der Forschungsschwerpunkt der Resilienzforschung hat sich in den letzten Jahren weg von einer Orientierung auf allgemeine Schutzfaktoren hin zu differentiellen Entwicklungsprozessen verlagert und geht der Frage nach, welche speziellen Schutzfaktoren für unterschiedliche Problemfelder von Bedeutung sind. Für eine entwicklungsorientierte Prävention sind daher Interventionen wichtig, die das Ziel haben, jene alterspezifischen Risikobedingungen zu vermindern und altersspezifische Schutzbedingungen und Resilienz zu fördern, die wichtigen Einfluss auf die weitere Entwicklung eines Kindes haben. In die Konzeption entwicklungsorientierter Präventionsprogramme müssen grundlegende entwicklungspsychologische Erkenntnisse einfließen wie • •
das Wissen um die "normgerechte" kindliche Entwicklung, die Berücksichtigung möglicher Variationen im kindlichen Entwicklungsstand innerhalb einer Altersgruppe,
•
die Berücksichtigung der unterschiedlichen Bedeutung von Störungen in Abhängigkeit von der jeweiligen Altersstufe und
•
die Berücksichtigung des Einflusses von Entwicklungsübergängen und wichtigen Entwicklungsschritten sowie Entwicklungsaufgaben (Scheithauer et al. 2003a, S. 85).
Nimmt man diese entwicklungsorientierten Ziele ernst, dann bietet sich das Kindergartenalter als optimaler Zeitraum für Präventionen und Resilienzförderung an. Der Eintritt in den Kindergarten stellt für Kinder einen Entwicklungsübergang dar. Kinder müssen dabei bestimmte Entwicklungsaufgaben meistem, wie z.B. eine Beziehung zu neuen Bezugspersonen aufbauen, sich in die Gleichaltrigengruppe eingliedern und prosoziale Fertigkeiten entwickeln. Die Gleichaltrigengruppe im Kindergarten bietet im Idealfall die besten Voraussetzungen für Kinder, sich auszuprobieren und zu entwickeln. Die Beziehungen zu den Gleichaltrigen stellen nach Ahnert in ihrer Expertise zum 12. Kinder-und Jugendbericht "entwicklungsfördernde Faktoren dar, die in Kindereinrichtungen in einer besonderen Weise auf die wachsenden kindlichen Entwicklungsansprüche einwirken und damit andere Entwicklungsimpulse setzen, als sie in der heutigen Kleinfamilie (mit Einzelkindern) vorzufinden sind" (Ahnert 2005, S. 34). Gerade unter dem
3.2 Entwicklungsorientierte Prävention aggressiven Verhaltens
55
Aspekt von Exploration und Selbsterkunden des Kindes wird "die Kindergruppe zu einem besonderen Anziehungspunkt in der sozialen Welt des Kindes und die Peers gleichzeitig auch zu einer wichtigen Entwicklungsressource"(Ahnert 20OS, S. 36). Dass es dabei immer wieder zu aggressiven verbalen oder tätlichen Auseinandersetzungen kommt, ist verständlich. Von diesen Streitigkeiten in der Entwicklung von Konfliktlösungsverhalten sind die Formen der Aggression abzugrenzen, mit denen Kindergartenkinder unkontrolliert und heftig andere angreifen, Sachen beschädigen, die Spiele der anderen zerstören, andere Kinder in Angst versetzen und das Gruppenklima stören (Willner 1991). Da aggressive Kinder von den anderen meist abgelehnt werden, entsteht schnell ein Teufelskreis von Ablehnung und Aggression, ein hoher Risikofaktor bezogen auf mögliche psychische Erkrankungen und Verhaltensstörungen. "Schlechte Beziehungen zu anderen Kindern führen bei vielen Kindern nicht nur kurzzeitig zu Schwierigkeiten, sondern können langfristige Entwicklungsstörungen verursachen/ die sich bis ins Erwachsenenalter verfestigen können." (Mücke 2006, S. 26)
In der Braunschweiger Kindergartenstudie fand Kuschei et aL (2008) eine Präva-
lenzrate von 36/6% bei externalisierenden Störungen. Daher ist eine selektive präventive Maßnahme dringend gefordert, um gefährliche Entwicklungsverläufe zu verhindern. Entsprechend den Ergebnisse der Entwicklungspsychopathologie haben wir uns daher zu einem kindergartenzentrierten Präventionsmodell in "sozialen Brennpunkten" entschlossen, um aggressive Verhaltensweisen von Kindern speziell in diesem Lebensbereich, wo die Kinder einen Großteil des Tages verbringen/ direkt zu beeinflussen und Resilienz zu fördern. Aggressives Verhalten ist die stabilste Form von auffälligem Sozialverhalten und kann bereits sehr früh auftreten. Aggression zählt auch zu den häufigsten Anlässen/ im Kinder- und Jugendalter psychotherapeutische oder psychiatrische Hilfe aufzusuchen. Nach Loeber (1990) und Dumas (1992) weisen Kinder dann eine ungünstige Entwicklung auf, wenn sie •
seit ihrer frühen Kindheit durch aggressives Verhalten auffallen,
•
dieses Verhalten sehr häufig und
• •
vielfältig sowie in vielen Lebensbereichen(im Elternhaus, in der Schule, bei Gleichaltrigen) äußern.
Die prognostische Relevanz dieser Faktoren konnte in zahlreichen Studien nachgewiesen werden. So zeigt z.B. die Mannheimer Längsschnittstudie (Laucht, Esser und Schmidt 1999/ S. 71ff) auf, dass mehr als 50% der 8-jährigen Kinder mit aggres-
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3 Resilienzförderung im Kindergarten
sivem Verhalten noch mit 18 Jahren als aggressiv eingestuft werden. D.h. Kinder, die schon in jungen Jahren aggressives Verhalten zeigen ("early starters"), entwickeln meist auch zahlreiche, schwerwiegende und vielfältige Verhaltensprobleme mit einem chronischen Verlauf und stellen eine besondere Risikogruppe dar. Loeber (1990) hat ein Entwicklungsmodell aggressiven Verhaltens entwickelt, das die Ausdrucksform des aggressiven Verhaltens über die Entwicklungsspannen beschreibt und aufzeigt, wie mit jeder Stufe die auftretenden Probleme schwerwiegender und damit auch änderungsresistenter werden. Je früher eine Störung beginnt und je länger sie besteht, desto ungünstiger ist der Entwicklungsverlauf des Kindes. Das Störungsbild differenziert sich aus und wird therapeutisch schwer zu beeinflussen. Eron (1990) zieht nach fast 3D-jähriger Forschung die Schlussfolgerung, dass sich aggressives Verhalten ohne entgegenwirkende Interventionen ca. um das 8. Lebensjahr herum herauskristallisiert und sich dann zunehmend verfestigt. Umso mehr Bedeutung kommt der frühen Intervention zu. Nach Loeber und Farrington (1998) wirkt eine Intervention umso effektiver, je früher einer negativen Entwicklung entgegengewirkt wird. Entwicklungspsychopathologische Befunde legen nahe, gezielte Interventionen bereits im Kindergartenalter durchzuführen, da die Zeitspanne vom Kindergarten an bis in die ersten Schuljahre hinein als besonders günstiger Zeitpunkt sich erweist, Störungen des Sozialverhaltens effektiv vorzubeugen (vgL Tremblay et al. 1999). Schon 1946 forderte Moreno Spontaneitäts- und Kreativitätsförderung an Schulen/ da für ihn Kreativität und Spontaneität "die letztendliche Quelle aller Existenz und aller Werte" ist (Moreno 1991/ S. 24). Morenos Überlegungen zu Spontaneität und Kreativität hat Schacht (2003/ 2009) mit aktuellen wissenschaftlichen Ansätzen der Selbstorganisation und der Pragmatismus verbunden und zu einer eigenen Konzeption erweitert. Wir haben unser gruppentherapeutisches Setting (Aichinger & Ho1l2010) in die Lebenswelt von Kindern übertragen, die in Armut und sozial benachteiligenden Lebens- und ProblemIagen aufwachsen und mit dem herkömmlichen Angebot der Erziehungsberatung nicht erreicht werden. Bei diesen Kindern treffen eine Vielzahl von ökonomischen und familialen Risiko- und BeIastungsfaktoren zusammen, kompensierende Schutzfaktoren sind dagegen eher selten. Sie haben daher ein hohes Risiko für mangelhafte soziale Einordnung und psychische Beeinträchtigung, wie Studien belegen, die eine geringere soziale Kompetenz von Kindern aus sozial benachteiligten Familien aufzeigen. In ihrer Forschung dokumentieren Chasse et al. (2010/ S. 60ff) anschaulich, dass Kinderarmut beschrieben werden kann als eine signifikante, dauerhafte und im sozialen Vergleich von den Kindern schmerzlich erfahrene Einschränkung aller fünf Spielraum-Dimensionen der Lebenslage, des
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Einkommens- und Versorgungsspielraumes, des Lern- und Erfahrungsspielraumes, des Kontakt- und Kooperationsspielraumes, des Regenerations- und Mußespielraumes und des Gestaltungs- und Entscheidungsspielraumes (vgL dazu auch die Studie über "Arme Kinder und ihre Familien in Baden-Württemberg" des Caritasverbandes der Diözese Rottenburg-Stuttgart (Schäfer-Walkmann et.al. 2009) und den Europakongress 2010: Leben in Fülle- Europa sozial und gerecht gestalten). Da mit einer kontinuierlichen Zusammenarbeit mit den Eltern nicht zu rechnen ist, verzichten wir wie Rahm (1999) in ihrer Gruppentherapie mit marginalisierten Kindern auf eine Elternarbeit, wie sie sonst in der Kindertherapie als state of art gefordert ist. Von den Eltern erbitten wir nur die Zustimmung zur Teilnahme ihrer Kinder und informieren sie über die Intention dieses Präventionsprojektes. Im Laufe der Arbeit kommt es aber immer wieder zwischen Tür und Angel beim Abholen der Kinder zu informellen Gesprächen oder später auch zu vereinbarten Beratungsgesprächen. Wir stellen keine Forderungen an die Eltern, verzichten daher auch auf anamnestische und diagnostische Datenerhebung. Von den Erzieherinnen erhalten wir aber einige Hinweise zum familiären Hintergrund der Kinder. Das Präventionsprojekt zielt darauf, die Beziehungs- und Konfliktfähigkeit der Kinder zu fördern. Über das psychodramatische Symbolspiel sollen die Kinder Vertrauen in die eigene Kraft und die eigenen Fähigkeiten gewinnen, sich selbst als wertvoll erleben, sich selbstwirksam zu fühlen und gute Beziehungen zu den Gleichaltrigen aufzubauen. Wir setzen dafür zwanzig Sitzungen an, wöchentlich je eine Stunde. Aufgenommen werden Kinder ab vier Jahren, da nach Fried (2004, S. 57) Kindergartenkinder erst ab etwa vier Jahren im gemeinsamen Spiel einen gemeinsamen "dramatischen Rahmen", eine "shared imagination world" ko-konstruieren können. Da Kindergartenkinder aufgrund ihres Entwicklungsstandes in hohem Maße davon abhängig sind, die Gruppe jederzeit überschauen zu können, um die Reaktionen der anderen Gruppenmitgliedern zu erfassen, nehmen wir nicht mehr als vier Kinder auf. Nach Beobachtungen von Brandes (2008, S. 21) bilden Kinder im Kindergarten spontan und eigenständig auch am häufigsten Gruppen in dieser Gruppengröße. Anhand einer Gruppe, die Frau Reisinger und ich leiteten, möchte ich Schwerpunkte dieser präventiven Arbeit aufzeigen. 3.2.1
Die Gruppenzusammenstellung
Die Erzieherinnen, die schon längere Zeit Supervision erhalten hatten, wählten für dieses Projekt vier Kinder aus zwei Kindergartengruppen aus, die durch starke Ag-
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gressionen auffielen. Alle vier Kinder befanden sich im letzten Kindergartenjahr und kamen aus Familien mit sozial benachteiligenden Lebens- und Problemlagen: •
Kilian wechselte im Kindergarten zwischen starken aggressiven und depressiven Reaktionen (diese Komorbidität ist nach Kusch und Petermann (1998) häufig anzutreffen), nachdem seine Mutter nach einem Kuraufenthalt nicht mehr nach Hause zurückgekommen ist, und er vom Vater, der selber mit der Trennung nicht klar kam, unzureichend versorgt wurde. Kilian berichtete zum Beispiel im Kindergarten immer wieder von Besuchen in Kneipen. In unserer Gruppe wechselte er zwischen anklammerndem und aggressivem Verhalten.
•
Tobias zeigte starke impulsive Aggressivität, war unkontrolliert, reizbar mit hohem Erregungsniveau und motorischer Unruhe. Die Erzieherinnen vermuteten Gewalterfahrungen durch den Vater. In unserer Gruppe reagierte Tobias auf kleine Widerstände der Kinder, z.B., wenn sie einen anderen Spielvorschlag als er hatten, sehr heftig. Er fing an zu toben, spuckte und rotzte auf den Boden und riss alles ein.
•
Ergun, ein türkischer Junge, zeigte instrumentelle Aggression. Er provozierte gezielt andere, schlug sie hinterhältig in unbeobachteten Augenblicken und zeigte eine niedrige Erregbarkeit. Nach Aussagen der Erzieherinnen wurde er zuhause wie ein Pascha behandelt. In unserer Gruppe versuchte er besonders Tobias zu provozieren. Als dieser z.B. stolz berichtete, dass er in einer Fußballmannschaft spiele, sagte Ergun: "Wenn hier das Tor (zeigt in die linke Ecke), dann du schießen da (und zeigte in die rechte Ecke)." Oder er stieß Kilian in einem unbeobachteten Augenblick vom Tisch, dass dieser sich eine leichte Gehirnerschütterung zuzog, oder schlug Daniel absichtlich mit einem Seil ins Gesicht. Daniel war stark übergewichtig und ungelenk und häufig Opfer von Gewalt, besonders von Ergun, der ihn zu Beginn der Gruppe immer wieder schlug, wenn wir ihm den Rücken zukehrten, ohne dass dieser ihm einen Anlass gegeben hätte. Im Kindergarten schluckte er viel, explodierte irgendwann und schlug dann unkontrolliert und heftig zu. Nach Aussagen der Erzieherinnen taten sich die Eltern in der Erziehung mit Grenzsetzung sehr schwer.
•
3.2.2
Setting
Die Gruppe fand in einem Gruppemaum der katholischen Jugend im Keller des Kindergartens statt. Er war mit Stühlen und Tischen möbliert, das Fehlen von Polstern, wie wir sie in der Beratungsstelle für die Gruppentherapie zur Verfügung ha-
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ben, machte sich in dieser Gruppe bald sehr negativ bemerkbar. Zum Verkleiden und Ausschmücken des Raumes brachten wir von der Beratungsstelle Tücher, Seile und Baufix mit. Die Gruppe fand wöchentlich eine Stunde vor der Mittagspause statt. 3.2.3
Chaos und Ordnung - die Anfangsphase
Auf die verunsichernde neue Situation der Gruppe reagierten die Kinder massiv. Vor allem in der Initial- und Abschlussphase der ersten Stunden zeigten sie ihr ganzes aggressives Repertoire. Als wir sie in ihrer Gruppe abholten, rannten sie sofort los, versteckten sich im Keller oder überschütteten uns mit dem Material, das dort abgestellt war. Ergun holte auch aus dem Fensterschacht Kies und bewarf uns damit. Hatten wir die Kinder endlich "eingefangen" und in den Gruppenraum gebracht, schlugen sie mit den Sitzkissen, die wir auf dem Boden ausgelegt hatten, aufeinander ein und beschimpften sich mit übelsten Ausdrücken. Unseren Spielvorschlag, beziehungsstiftende Tier- oder Abenteuergeschichten zu spielen, lehnten sie ab und beharrten darauf, Helden aus Fernsehserien zu spielen. Waren wir endlich soweit, dass die Kinder ihre Spielwünsche äußern konnten, bekam Tobias meist einen Wutausbruch, wenn ein anderes Kind eine andere Spielidee vorschlug. Er rotzte auf den Boden, schmiss alles um, tobte und weinte. Gelang es uns, die Kinder auf die Symbolebene und ins Spiel zu bringen, veränderte sich ihr Verhalten deutlich. Ihre aggressiven Handlungen nahmen ab und konstruktives Verhalten nahm zu. Die Ankündigung des Stundenendes löste aber wieder chaotisches Verhalten aus. Die Kinder rissen alle Kulissen herunter, warfen Stühle um, bewarfen sich mit Tüchern und Kissen oder beschimpften sich gegenseitig. In dieser Anfangsphase waren wir nach jeder Stunde schweißgebadet und erschöpft vor Anstrengung, zum einen die Kinder vor ihren aggressiven Ausbrüchen zu schützen, zum anderen unsere Gegenübertragungsgefühle der Ohnmacht, Hilflosigkeit und Wut zu kontrollieren. Trotz 25 Jahren Gruppenerfahrung fühlte ich mich häufig hilflos wie ein Anfänger. Mit ihrem problematischen Verhalten in der Anfangs- und Schlussphase zeigten die Kinder ihre Bindungsproblematik. Anfang und Ende der Stunde bedeutete für sie eine Stresssituation, die ihr Bindungsbedürfnis aktivierte. Ihr Verhalten lieferte uns daher wichtige Information über die Art ihrer Bindungsorganisation (vgl Hedervari-Heller 1999). So klammerte sich Kilian meist ängstlich- depressiv an uns fest und stieß uns dann aber wieder unvermittelt wütend weg. Tobias war meist völlig desorganisiert und hoch erregt, Ergun dagegen zerstörte sehr gezielt und Daniel reagierte meist verwirrt. Damit zeigten sie, wie schwer ihnen Abschied, Trennung und Wiederannäherung fiel Diese fehlende Bindungssicherheit übte wie-
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derum, wie die Bindungsforschung zeigt, einen negativen Einfluss auf die soziale Kompetenz in der Gleicha1trigengruppe aus (vgl Kleiner 2008). In dieser die Kinder beunruhigenden Situation bemühten wir uns/ uns den Kindern als "sichere Basis" anzubieten und ihnen als Doppelgänger, als "innerer Beistand und Gefährte" Halt zu geben. Jeder von uns holte ab der zweiten Stunde je zwei Kinder aus der Kindergartengruppe ab, hielt sie links und rechts an der Hand und soweit auseinander, dass sie sich nicht mehr schlagen konnten, und führte sie in den Gruppenraum. Dort setzten wir uns auf die Kissen, hielten je ein Kind links und rechts im Arm, äußerten unser Verständnis für ihre Verunsicherung und sagten, dass wir ihnen dabei helfen möchten, gut zusammen spielen zu können. Wir würden als "Sitz-Hilfen" sie halten, damit sie in Ruhe eine gemeinsame Spielidee entwickeln können. Als "Nicht- Sch1agen-Und-Nicht-Beschimpfen-Hilfe" möchten wir sie außerdem daran hindern, anderen weh zu tun und deshalb abgelehnt zu werden. Außerdem räumten wir, nachdem Ergun Kilian vom Tisch gestoßen hatte, alle Möbel aus dem Zimmer, die zu Verletzungen führen konnten. Da das Symbolspiel weniger Beunruhigung auslöste und die Kinder im Spiel konstruktiveres Verhalten zeigten, bemühten wir uns/ möglichst schnell zum Spiel zu kommen und halfen den Kindern, rasch ein Spielthema zu finden. Deshalb spannten wir auch schon vor Stundenanfang Seile von Wand zu Wand, um beim Aufbau der Szenerie rasch Tücher darüber legen zu können. An einigen Stunden möchte ich nun aufzeigen, wie wir die aggressiven Störungen der Kinder angingen und ihre Beziehungsfähigkeit aufbauten.
Wie Lucky Luke dem Pferdedieb das Reiten beibringt In der Anfangsphase (1.- 4. Stunde) versuchten wir über die Intervention des Außenfeindes (Aichinger & Holl 2010/ S. 180ff) die Aggressionen der Kinder aus der Gruppe herauszunehmen und auf den bedrohlichen Außenfeind zu lenken. Von den Kindern bekam ich diese negative Übertragungsrolle des Feindes übertragen. Frau Reisinger übernahm die Rolle einer "guten, versorgenden Mutter", die die "Helden" ausrüstete, pflegte und versorgte. Die psychodrarnatische Spiegeltechnik war eine weitere wichtige Intervention (Aichinger & Ho1l201O, S. 68f). Als "gute Mutter" bewunderte Frau Reisinger die Helden und hoben ihre positiven Fähigkeiten hervor. Auch ich anerkannte in der Rolle des Außenfeindes die Stärken der Gegner. Diese Spiegelrollen ermöglichten uns/ Bewunderung auszudrücken, den "Glanz im Auge der Mutter und des Vater" zu zeigen und in der symbolischen Wunscherfüllung die in ihrem Selbstwert verunsicherten Kinder aufzuwerten. Dieses bewundernde Eingehen auf die Grö-
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ßenfantasien ist vor allem bei Kindern mit narzisstischen Fehlentwicklungen, wie sie bei aggressiven Kindern häufig anzutreffen sind, sehr wichtig. Eine dritte Intervention, den Rollenwechsel (Aichinger & Holl 2010, S. 57ff), vollzogen die Kinder von sich aus, indem sie vergangene und gegenwärtige Konflikte in der Rollenübertragung aktualisierten und reinszenierten, jedoch in einer Rollenumkehr, in der sie gewissermaßen den Spieß umdrehten, die Position des Mächtigen einnahmen und den Therapeuten die Position des Ohnmächtigen zuschoben. Diesem Rollenwechsel, der seine anthropologische Wurzel in den hybriden Wesen hat, kommt die wichtige entwicklungspsychologische Funktion zu, Kinder in ihrer Beziehung mit anderen ihre eigene Wirkmacht und Vertrauen in die eigene Handlungskompetenz spüren oder, wie Moreno sagt, den Aspekt des Schöpfers zu ihrem eigenen Leben finden zu lassen. Dieser Entwicklung einer Selbstwirksamkeitsüberzeugung ist für ein gelingendes Leben und für die Entwicklung von Identität von besonderer Bedeutung (Flammer 1995), was auch die Resilienzforschung bestätigt.
Beispiel: 2. Stunde Nachdem wir die Kinder abgeholt haben und sie in unseren Armen im Kreis auf dem Sitzkissen halten, schlägt Tobias auf unsere Frage, was wir heute zusammen spielen könnten, vor, er möchte Lucky Luke sein, kann diese Spielidee aber nicht weiter ausführen. Kilian und Daniel schließen sich sofort diesem Spielwunsch an und möchten auch Lucky Luke sein. Darauf fängt Tobias zu toben an. Wir versuchen ihn zu beruhigen. Er habe vielleicht Angst, andere könnten ihm seine starke Rolle wegnehmen. Jeder dürfe hier aber über seine Rolle selbst bestimmen. Und wenn er Lucky Luke sein möchte, dürfe er das. Vielleicht fänden die anderen seine Idee so gut, dass sie mitspielen möchten. Ob er sich vielleicht vorstellen könne, dass die anderen Freunde von Lucky Luke seien, vielleicht auch so ähnlich heißen würden, wie z.B. Licky Like oder Locky Loke. Auf diesen Kompromiss können sich alle einlassen. Ergun grenzt sich dann doch ab und will lieber ein bissiger Hund sein. Dies scheint Tobias wieder zu bedrohen, und er beschimpft ihn als Ficker u.ä. Um die Bedrohung aus der Gruppe herauszunehmen und auf mich zu ziehen, biete ich mich als Außenfeind an und frage, ob es sein könnte, dass der bissige Hund und die starken Cowboys eine große Pferderanch mit wertvollen Pferden bewachen. In der Nacht würde ich als Pferdedieb angeschlichen kommen, die wertvollen Pferde stehlen wollen. Der wachsame Hund würde dies aber sofort bemerken und die Cowboys wecken und mit ihnen zusammen den Pferdedieb fangen und einsperren. Die-
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ser Spielvorschlag, der Erguns Aggressionen auf mich lenkt, entspannt Tobias. Alle stimmten dem Vorschlag zu. Um die Kinder in ihren Rollen stützen und sie auch versorgen zu können, bietet Frau Reisinger an, sie könne die Besitzerin der Pferderanch sein. Sie wäre glücklich, so tapfere Cowboys und so einen wachsamen Hund auf ihrer Farm zu haben. Nach der Rollenwahl und der Themenfindung bauen wir die Kulissen auf. Auch hier brauchen die Kinder unsere Unterstützung. Sie wollen eigentlich gleich mit dem Spiel loslegen. Da die Kulissen aber Struktur schaffen, für nötige Begrenzungen sorgen, aber auch Schutz und Rückzug ermöglichen, beharren wir darauf, dass jeder Cowboy sein Zimmer auf der Ranch hat und der Hund seine Hundehütte. Wir teilen den Raum auf und halten die Mitte als Begegnungsraum frei. Links neben dem Schlafzimmer der Farmerin bauen die Cowboys einen gemeinsamen Schlafraum mit Stühlen und Tüchern auf. Rechts davon in der Küche errichtet Ergun seine Hundehütte. An der anschließenden Wand richten wir den Pferdestall ein, mit Tüchern bedeckte Stühle werden zu Pferde. Über die Seile, mit denen wir vor der Stunde den Raum abgeteilt haben, hänge ich große, grüne Tücher, die den Wald andeuten sollen. Dahinter baue ich das Versteck des pferdediebes. Das Spiel eröffnen wir mit dem Verwandlungsritual: "Nach dem Verwandlungsgeräusch (Regenrohr) verwandelt ihr euch in Cowboys und Hund und wir uns in Farmerin und Pferdedieb. (Und nach dem Geräusch) Es ist noch Nacht, alle liegen in ihrem Lager und schlafen. Langsam geht nun die Sonne auf und der Tag beginnt." Dadurch kommen die Kinder eher zur Ruhe und legen nicht gleich los. Die Farmerin steht auf und versorgt den Hund und die Cowboys mit einem guten Frühstück und fragt dann die Cowboys, ob sie vorhaben, in die Prärie zu reiten und Wildpferde zu fangen. Sofort gehen sie auf diese Spielidee ein. Tobias holt ein Seil und will wie ein Cowboy das Lasso schwingen. Dabei achtet er nicht darauf, dass Daniel hinter ihm steht, sodass dieser das Lasso ins Gesicht geschlagen bekommt. Er weint und wird von Frau Reisinger getröstet. Als Spielleiter bitte ich Tobias, das Seil nur so kurz zu halten und zu schwingen, dass er niemand damit treffen kann. Tobias ist aber so in seiner Lucky Luke- Fantasie gefangen, dass er nichts hört und das Seil weiter schwingt. Als ich ihn begrenze, bekommt er einen Wutausbruch. Da nun auch die anderen Cowboys Lassos haben wollen, wechsle ich rasch in die Rolle eines benachbarten Cowboys und zeige ihnen, wie Cowboys Lassos schwingen, ohne andere zu verletzen. Ich stelle dann Stühle als Wildpferde auf, die die Cowboys einfangen und stolz der Farmerin bringen. Währenddessen hat
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die Farmerin den Hund imaginierte Füchse verjagen lassen, die ihre Hühner stehlen wollten. Sie lobt ihn dafür und gibt ihm einen dicken Knochen. Als die Cowboys mit den Pferden angeritten kommen, bewundert sie ihren Mut und ihre Geschicklichkeit, so prächtige, wilde Pferde eingefangen zu haben. Nachdem alle mit Bärenschinken gestärkt wurden, kündigt Frau Reisinger an, dass es nun Nacht werde und alle sich schlafen legen. Weil jedes Kind den Räuber als erstes zu fangen vor hat, geraten sie in Streit. Als Spielleiter gehe ich dazwischen, spreche an, dass jeder von ihnen der Held sein möchte, der den Pferdedieb überwältigt, und frage sie, wie es denn gehen könnte, dass alle zusammen Helden sein können und mit vereinten Kräften den gefährlichen Pferdedieb gefangen nehmen. Tobias und Ergun beharren aber auf der Konkurrenz, jeder will den Dieb allein zur Strecke bringen. Da sie nicht ohne Hilfe aus ihrer festgefahrenen Position herauskommen, biete ich eine Lösung an: Könnte es sein, so frage ich, dass die Cowboys wissen, dass der Pferdedieb ein ganz gefährlicher, schon lang gesuchter Dieb ist, der bisher immer entkommen konnte. Diese Cowboys und der Hund hier seien aber sehr klug und hätten sich folgenden schlauen Plan ausgedacht: Sie legen ihre Lassos vor dem Stall aus, so dass der Dieb hinein tritt, der Hund schnappt ihm dann das Gewehr weg und die Cowboys fesseln ihn, ohne dass er noch einen Schuss abfeuern kann. Auf diesen Plan können sich die Kinder einlassen. Ergun will jedoch als Hund auch eine Falle stellen. Um dieses erste Zusammenspiel zu ermöglichen, stimme ich zu und sage, dass der Hund ja seine Hundeleine auslegen könne, obwohl wir sonst die Kinder mit einem Hinweis, wie z.B.: "Ein Hund kann keine Falle bauen, er kann aber den Räuber anspringen und zubeißen", auf die Realität der Rolle verweisen würden. Die Kinder lassen sich von Frau Reisinger Schlingen machen, legen sie aus und sagen, ich müsste in jede Falle hineintreten. Sie verstecken sich dann im Pferdestall. Um den geringen Spannungsbogen der Kinder zu erweitern, schleiche ich mich langsam an die Farm heran, rede leise vor mich hin, dass ich nun bald die teuersten Pferde rauben werde, auf der Farm sei es ja schon dunkel und still. Als ein Kind sich bewegt, stutze ich und frage: "War da was?" Sofort halten alle still. "Nein, vielleicht war es nur eine Maus", sage ich und trete dann, um den Spannungsbogen nicht zu überziehen, in die Falle. Ich stolpere, falle auch mit den Händen in die beiden anderen Fallen und ziehe alle vier Fallen über meine Füße und Hände. Sofort ziehen die Kinder ihre Lassos zu, stürzen aus ihrem Versteck und fesseln mich. Von dem Lärm geweckt eilt die Farmerin herbei und lobt den Hund und die Cowboys, dass sie so wachsam waren, den Dieb sofort zu bemerken, und so schlau, sich nicht in eine gefährliche Schießerei mit dem Dieb einzulassen. So schlaue Cowboys
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habe sie noch nie auf der Farm gehabt. Auf dieses Lob, das ich als Dieb noch unterstütze, indem ich laut vor mich hin schimpfe, dass mich bisher noch keiner überlistet und überwältigt habe, strahlen die Kinder. Da sie mich alle mit ihren Lassos halten, sind darüber miteinander verbunden und für einige Zeit aufeinander bezogen. Sie bauen ein Gefängnis, werfen mich hinein und legen mich bis zum Ende der Stunde immer wieder rein. Sie bringen mir z.B. Essen, in dem aber Kacke versteckt ist, und Trinken, das sich als Pisse herausstellt, so dass ich alles auskotzen muss. Sie stellen mich unter eine Dusche. Als ich mich auf das kühle Wasser freue, kommen statt Wasser Kugeln aus der Dusche und verletzen mich. Die Cowboys, inzwischen hat Ergun auch die Cowboyrolle angenommen, stehen vor dem Gefängnis und freuen sich über mein Klagen und Jammern. Sie steigern ihre "Folter", wobei Tobias und Ergun immer wieder die So-tun-als-ob- Regel vergessen und mich wirklich schlagen. Im Essen verstecken sie Glasscherben, die mich verletzen, im Getränk ist Gift, aus der Dusche kommen Bomben, die mich zerfetzen u.ä. Jammernd gestehe ich meine Schuld ein, nun müsste ich büßen, dass ich die Cowboys überfallen und bestehlen wollte. Dieses Eingeständnis meiner Schuld und die Anerkennung einer verdienten Strafe genießen die Kinder sichtlich. Zehn Minuten vor Stundenende kündigt Frau Reisinger an, dass das Spiel nun zu Ende gehe. Sie führt das Abschlussritual ein: Es werde Nacht, die Cowboys legen sich ins Bett Und träumen von ihren Heldentaten. Nach dem Zurückverwandlungsgeräusch werden sie sich wieder in die Kinder zurück verwandeln. Doch nur Daniel geht ins Haus, die anderen steigen sofort aus dem Spiel aus, reißen die Tücher herunter, werfen alle Kulissen um und toben im Raum herum. Wir müssen sie festhalten und sie rechts und links in den Arm nehmen. Wir äußern unser Verständnis, dass Abschied und Trennung manchmal unerträglich sind. Die Gesprächsrunde fassen wir sehr kurz. Wir loben jedes Kind, welch toller Cowboy oder Hund es gewesen ist, und heben gelungene Spielinteraktionen hervor. Dann bringen wir die Kinder wieder, an der Hand haltend, hoch zu den Müttern, die sie vom Kindergarten abholen. Anschließend räumen wir ohne die Kinder den Raum auf. In den nächsten beiden Stunden wiederholten die Kinder dieses Spiel, wobei sie schnell auf die Gefangennahme zusteuerten und mich ausgiebig bestraften. Dann ließen sie mich aus dem Gefängnis zusehen, wie sie als Cowboy um die Wette reiten. Die Farmerin und ich bewunderten ihre Geschicklichkeit, wie gut sie ihre wilden Pferde beherrschen und lenken, wie sie allen Hindernissen ausweichen, und
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ihre Kraft, sich so lange im Sattel zu halten. Dieses bewundernde Spiegeln, diesen "Glanz im Auge der Eltern", genossen die Kinder sehr und konnten nicht genug davon bekommen. Daher wiederholten sie diese Szenen immer wieder, sie ritten Rennen und zeigten dabei Kunststücke. Als ich in der 4. Stunde im Gefängnis äußerte, wie sehr ich mir wünschte, diese tollen Reiter zu Freunden zu gewinnen, gestatten sie mir großzügig, mit zu reiten, ich darf es aber nicht so gut wie die Cowboys können. Ich musste viel langsamer sein/ vom Pferd fallen und mich ungeschickt anstellen. Die Cowboys machten sich über mich lustig, wie blöd und dumm ich sei, und schickten mich zur Strafe wieder ins Gefängnis. Dadurch brachten sie mich dazu/ in der Gegenübertragungsreaktion zu spüren, wie es ist, sich minderwertig und unterlegen zu fühlen. In meiner Rolle spiegelte (Aichinger & Holl 2010/ S. 64f) ich die Scham, die Unterlegenheit, Hilflosigkeit und Ohnmacht, die die Kinder im realen Leben verspüren, indem ich im Selbstgespräch aussprach, wie schlimm es ist, etwas nicht zu können und dafür beschämt zu werden. So gut wie die berühmten Cowboys könnte ich es nie schaffen. Aber lernen würde ich schon gern von ihnen. Auf dieses Selbstgespräch (Aichinger & Holl 2010/ S. 71f) hin zeigte mir Tobias, wie man reitet, ohne herunter zu fallen. Dabei gab er sich Mühe, mir geduldig alles zu zeigen. Auch die anderen Kinder beteiligten sich an meiner Unterrichtung und machten mir vor, wie man Kunststücke auf dem galoppierenden Pferd vorführen kann. Da das Zusammenspielt der Kinder nur über kurze Phasen gelang, es immer noch zu vielen aggressiven Zwischenfällen und Störungen kam, beschlossen wir, beide Leiter auch im Spiel Hilfs-Ich Funktionen zu übernehmen und aus einer helfenden Position heraus uns als stützende Doppelgänger (Aichinger & Ho1l2010, S. 73ff) für die Kinder anzubieten. Daher intervenierte ich nicht mehr aus der Außenfeindposition, sondern bot einen imaginären Feind an, auf den die Kinder ihre Aggressionen ablenken konnten. Wir dagegen übernahmen Rollen, die sich für die stützende Doppelgängerfunktion eigneten und die ihre anthropologische Wurzel in der Erfahrung, durch magische Verbündete, durch Schutzgeister geschützt zu sein, hat. Außerdem zeigten wir feinfühliges, empathisches Verhalten, um die Einfühlung der Kinder füreinander zu fördern, was eine wichtige Ressource für eine positive Entwicklung ist (vgL das fünfte "C" von Lerner, 2003)
Beispiel: Die 5. Stunde Die Kinder möchten Ritter sein und gegen einander kämpfen. Da sie sofort aufeinander losgehen, machen wir den Spielvorschlag, ein riesiger Drache, den wir mit Stühlen und Tüchern im Raum aufbauen könnten, bedrohe das Königreich und verwüste alles. Wir/ das Königspaar, würden die tapfersten Ritter aus al-
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ler Welt zu Hilfe rufen. Und diese würden dann in einem gefährlichen Kampf gemeinsam den Drachen besiegen. Mit dieser Umgestaltung ihrer Ritteridee sind die Kinder einverstanden. Gemeinsam bauen wir einen riesigen Drachen (mit Stühlen und einem grünenTuch)auf. Da die Kinder beim Verkleiden in den vorhergehenden Stunden öfters in Konflikt geraten sind und sich schlugen und beschimpften, übernehmen wir gleich in der Bauphase eine stützende Doppelgängerrolle. Frau Reisinger bietet sich als königliche Hofschneiderin an und kleidet die Ritter ein. Sie genießen es, von ihr mit farbigen Samtmänteln behängt zu werden. Ich mache mich zum Waffenschmied und schmiede harte Schwerter (feste Stoffe) und Schilde (Kissen). In diesen Rollen gelingt es uns besser, den Kindern Struktur und Hilfestellung zu geben, sie für das Spiel anzuwärmen, ihr Verhaltensrepertoire als Ritter zu erweitern und sie bei Entgleisungen zu stoppen Als Kilian z.B. Daniel beschimpft, rede ich als Waffenschmied laut vor mich hin: "Um Gotteswillen, was ist denn in den tapferen Ritter gefahren, er redet heute wie ein Stallbursche und nicht wie ein edler Ritter." Nachdem die Kinder als Ritter gekleidet und ausgerüstet sind, wechseln wir die Rollen und rufen als Königspaar die Ritter auf unsere Burg. Ein schrecklicher Drache verwüste unser Land. Unsere ganze Armee sei schon von ihm gefressen worden. Jetzt hätten wir nur noch die Hoffnung, dass sie, die tapfersten Ritter aus aller Welt, das Königsreich retten können. Sofort stürmen die Kinder los und schlagen auf den Drachen ein. Ergun und Tobias achten nicht auf die anderen, treffen Kilian und Daniel dabei und tun ihnen weh. Um das Spiel nicht gleich zu unterbrechen und damit wieder Chaos auszulösen, versuchen wir auf der Symbolebene zu intervenieren. Wir kommentieren als Königspaar das Geschehen: Die Ritter seien so ungestüm und kampfbegierig, dass sie sich gegenseitig im Eifer des Gefechtes gefährden. Besorgt eilen wir zu den Verletzten. Sie lassen sich ins Königsschloss tragen und von der Königin pflegen und versorgen. Während dessen löst sich die Verschnürung von Tobias Schwert auf. Er schreit und tobt. Wieder versuche ich auf der Symbolebene zu intervenieren. Ich komme als Waffenschmied und frage, ob der harte Panzer des Drachen das harte Eisenschwert zerbrechen ließ. Ich müsste für ihn wohl einen besonders unzerbrechlichen Stahl finden und die härteste Klinge schmieden, die es bisher gegeben habe. Auf diese Intervention hin beruhigt sich Tobias wieder. Als Ergun und Tobias sehen, wie Daniel und Kilian es genießen, verpflegt und versorgt zu werden, sagen sie, sie seien auch vom Drachen verletzt worden. Ich eile den beiden Rittern zu Hilfe, schleppe die Verwundeten zur Königin und lasse sie verbinden und pflegen. Als König versuche ich zur Förderung der
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Mentalisierung empathisch auf die Verletzungen einzugehen. Die Ritter müssten ja große Schmerzen ertragen, trotzdem komme keine Klage über ihre lippen. Bei solchen Wunden würde ich vor Schmerzen aufschreien. Und ich zeige meine Besorgnis, dass die Ritter hoffentlich bald wieder genesen. Es wäre für die Königin und für mich schrecklich, diese tapferen und mutigen Ritter zu verlieren. Das ganze Königreich würde wehklagen und trauern, sollten sie den schrecklichen Verletzungen erliegen. Dieses Mitleid und die Sorge genießen die Kinder sichtlich und gesunden nicht so schnell. Um weiteres chaotisches Kämpfen zu verhindern und die Kinder aufeinander zu beziehen, berichte ich den Rittern, dem Drachen seien inzwischen vier Köpfe gewachsen ,und er könne nur besiegt werden, wenn die Ritter sich unbemerkt anschleichen und den Drachen auf mein Zeichen hin gemeinsam angreifen und jeder zur gleichen Zeit ihm einen Kopf abschlage. Beim Anschleichen äußere ich meine Angst vor dem Drachen, ich würde schon die Hitze seines Feuers spüren und seinen giftigen Atem riechen. In einem stützenden Doppeln bewundere ich, wie ruhig dagegen die Ritter bleiben, wie vorsichtig und leise sie sich anschleichen und sich nicht zu unüberlegten Handlungen hinreißen lassen. Auf mein Zeichen hin fallen sie über den Drachen her, schlagen ihm die Köpfe ab und zerteilen seinen riesigen Leib. Nach dieser Heldentat laden wir die Ritter auf unser Schloss zu einem großen Fest ein. Ich schlage die siegreichen Ritter zu Rittern der Tafelrunde und hefte jedem einen Tapferkeitsorden an die Brust. Mit strahlenden Augen halten die Kinder still, bis ich jedem den Orden überreicht habe. Die Königin äußert dabei ihre Bewunderung, sie sei stolz auf ihre Ritter, solch tapfere Helden seien auf der ganzen Welt nicht mehr zu finden. Dieses Spiel variierten die Kinder in den nächsten Stunden. Obwohl es über die Ich-Stärkung des stützenden Doppelgängers den Kindern besser gelang, über einige Zeit eine gute Spiel- und Interaktionserfahrung zu machen, kam es doch immer wieder zu heftigen Aufeinandersetzungen. Bei diesen Konflikten versuchten wir auch, durch Spiegeln (Aichinger & Holl 2010, S. 64ff) die verzerrte Informationsverarbeitung der Kinder zu verändern und "soziale Achtsamkeit" zu entwickeln, was der 13. Kinder-und Jugendbericht (2009, S. 92) als wichtige Kompetenzerweiterung im Kindergarten sieht:
Beispiele: Tobias wird beim Kampf gegen den Drachen von Daniel versehentlich getroffen. Er unterstellt diesem sofort böse Absichten und schlägt auf ihn ein. Als König
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trenne ich die streitenden Ritter und spiegle sein inneres Arbeitsmodell, indem ich laut vor mich hin spreche: "Der schwarze Ritter (Tobias trug ein schwarzes Tuch) kann sich wohl gar nicht vorstellen, dass der grüne Ritter (Daniel hatte ein grünes Tuch umgehängt) sein Freund ist und ihn nicht absichtlich verletzten will Vielleicht hat er auch gar nicht gesehen, dass dessen Schwert an dem Panzer des Drachen abgeglitten ist und ihn versehentlich getroffen hat." Als bei Ergun im Kampf die Verschnürung des Stoffes aufgeht, den ich ihm als Schwert gewunden hatte, beschimpft er mich unflätig und schlägt auf mich ein. Als Waffenschmied wundere ich mich, dass der rote Ritter mir böse Absichten unterstellt. Ob er, der doch sonst so scharfe Augen habe, gar nicht gesehen habe, wie lange ich an seinem Schwert geschmiedet und mich bemüht habe, ihm ein besonders harte Klinge zu fertigen. Daniel und Kilian fechten als Ritter im Spaß miteinander. Da greift Tobias ein und schlägt auf Daniel ein. Ich gehe als König dazwischen und sage: "Der schwarze Ritter kann es wohl nicht brauchen, wenn die Ritter sich bekämpfen. Vielleicht hat er in seinem Eifer aber gar nicht bemerkt, dass der grüne und der blaue Ritter gar nicht ernsthaft kämpfen, sondern sich anlächeln, fröhliche Augen haben und nicht eine grimmige, finstere Miene und einen herabgezogenen Mundwinkel" In einer anderen Spielsequenz lassen sich Daniel und Kilian im Kampf mit dem Drachen verletzt zu Boden fallen und stoßen dabei Tobias Pferd um (ein Stuhl mit einem schwarzen Tuch darüber), so dass das Tuch mit dem Zügel (Seil) abrutschen. Wütend schlägt Tobias auf die beiden ein. Frau Reisinger geht sofort dazwischen, stoppt Tobias und hält ihn fest, weil er weiter auf die anderen einschlagen will Da beschimpft er Frau Reisinger und schlägt mit den Füßen nach ihr. Als König äußere ich mein Erstaunen und frage mich, warum der schwarze Ritter nicht glaubt, dass die Königin ihm helfen möchte und verhindern wolle, dass die anderen Ritter auf den schwarzen Ritter sauer werden und ihm die Waffenbruderschaft aufkündigen. Ob er wohl so schlechte Erfahrungen an anderen Höfen gemacht habe? 3.2.4
Entwicklung von gegenseitiger Hilfe
In der nächsten Gruppenphase legten wir den Schwerpunkt auf die Entwicklung
von Solidarität. Da die Entwicklung von Solidarität unter Gleichaltrigen und von hilfreichen Peerbeziehungen ein hoher Schutzfaktor ist, versuchten wir durch beziehungsstiftende Interventionen (Aichinger & Holl2010, S. 190ff) die Kinder aufeinander zu beziehen und gegenseitige Hilfe anzuregen. Auch bemühten wir uns
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um die Auflösung von rigiden Interaktionsmustern und eine Erweiterung des Rollenrepertoires. Als aber eine Stunde ausfallen musste, veränderte sich das Spiel. Kilian weigerte sich zwei Sitzungen lang mitzukommen und blieb trotz unserer Bemühungen und Bitten in seiner Kindergartengruppe. Auch die anderen Kinder wurden wieder chaotischer. Sie rissen sich schon auf dem Weg in den Keller los, versteckten sich, so dass wir sie suchen mussten, bewarfen uns mit Material und waren kaum zu einer Anfangsrunde zu bewegen.
Beispiel: 9. Stunde: Nachdem Kilian in seiner Kindergartengruppe blieb und die Kinder in der Anfangsphase wieder sehr unruhig waren, schlägt Tobias vor, Asterix und Obelix zu spielen. Er sei Obelix. Ergun wertet seine Idee sofort als blöd ab und greift wieder auf ein altes Rollenverhalten zurück. Er sei ein bissiger Hund, und gibt sich als Hund den Vornamen von Tobias Vater, was wir aber nicht wissen. Sofort flippt Tobias aus, er rotzt auf den Boden, heult und tobt. Nachdem wir Tobias beruhigen konnten, fragen wir ihn, was ihn so sehr ärgere. Er antwortet, was für ihn neu ist, er wolle nicht, dass Ergun als Hund so heiße wie sein Vater. Als wir Ergun bitten, Tobias Wunsch zu respektieren, geht er überraschenderweise sofort darauf ein und schließt sich sogar Tobias Spielwunsch an. Er will Idefix sein, nachdem Daniel die Rolle von Asterix gewählt hat. Mich machen sie zum feindlichen Cäsar. Frau Reisinger bietet an, Miraculix zu sein, der ihnen den Zaubertrank zubereite, dem alle zustimmen. Zusammen mit Frau Reisinger bauen sie dann ihr gallisches Dorf auf, ich errichte - getrennt durch einen Wald (ich spanne ein Seil quer durch den Raum und hänge grüne Tücher darüber) auf der anderen Seite des Zimmers - das römische Lager. Kaum hat Frau Reisinger als Miraculix den Galliern den Stärkungstrank gebraut, ziehen sie in die Schlacht und besiegen mich als Römerheer. Ich gehe bei jedem auf seine Größenfantasie ein, fliege durch die Luft oder sinke k.o. zu Boden. Zum Schluss fliehe ich als Cäsar voll Schrecken vor diesen mächtigen Galliern, verschanze mich im Lager und spreche bewundernd über die Stärke dieser Helden. Auch Frau Reisinger als Miraculix bewundert ihre Gallier und stärkt sie mit einem Zaubertrank. Nachdem sich diese Szene einige Mal wiederholt hat, versuche ich, ihr starres Muster zu unterbrechen und ihr Spielhandeln der Realität anzunähern, indem sie auch als Superhelden mit Widrigkeiten zu kämpfen haben, ein Stück ihrer illusionären Allmacht aufgeben müssen und daher auf gegenseitige Hilfe angewiesen sind. Ich frage sie, ob es sein könnte, dass bei einigen Galliern
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die Wirkung des Zaubertranks nachlasse, sie von den Römern gefangen, ihnen aber von den anderen Galliern heimlich ein Zaubertrank zugesteckt würde und sie sich befreien könnten. Tobias und Ergun nehmen diese Idee sofort auf und möchten gefangen werden. Frau Reisinger schlägt vor, dass Asterix (Daniel) ihnen den Trank zustecke. Als im Kampf bei den beiden Galliern die Kraft nachlässt, überwältige ich sie, fessele sie und schleppe sie ins Gefängnis. Als Feldherr triumphiere ich, jetzt sei uns der Sieg gewiss, endlich seien wir stärker als die Gallier. Ich befehle den imaginären Wachen, gut aufzupassen. Als Wache patrouilliere ich dann vor dem Gefängnis auf und ab, so dass Ergun und Tobias sich nicht selbst befreien können und die Kinder einen größeren Spannungsbogen aushalten müssen. In der Zwischenzeit hat Miraculix einen neuen Trank gekocht und schleicht sich mit Asterix an das römische Lager. Daniel kann ihnen aber nicht gleich den Trank reichen, weil ich nachsehe, ob die Gallier noch gut gefesselt sind. Und ich höre auch Geräusche und lausche, ob das wohl die Gallier seier oder nur Wildschweine im Wald. Die Kinder halten diese Spannung gut aus und kichern vor sich hin. In einem unbemerkten Augenblick steckt Asterix Obelix und Idem den Trank zu. Sie sprengen ihre Fesseln, demolieren das Gefängnis und kämpfen mich als römisches Heer nieder. Um auch anderes Verhalten als nur Zusammenschlagen zu eröffnen, sagt Frau Reisinger als Miraculix, ihr seien die Zauberblätter, die Misteln, ausgegangen. Die Gallier müssten zusammen im Wald neue suchen. Die Römer dürften es aber ja nicht bemerken. Als ich als Römer die Mistelsuchenden Gallier im Wald entdecke und ahne, dass ihnen der Zaubertrank ausgegangen sein könnte, versuche ich sie am Suchen zu hindern. Die Kinder geben die Spielanweisung: "Du tätest uns aber nicht sehen." Ich durchsuche den Wald, kann sie aber nicht finden. Dieses Versteckenspie1en genießen die Kinder, sie kichern unter den Büschen (Decken), wenn ich neben ihnen stehe, sie nicht entdecke und vor mich hinschimpfe, dass die Gallier wie vom Erdboden verschwunden seien. Es wäre eine Katastrophe, wenn die sich auch noch unsichtbar machen könnten. Der Druide bittet seine Gallier, mich wegzulocken, damit er in Ruhe die Blätter pflücken könne. Die Gallier verteilen sich im Wald und locken mich weg. Sobald ich in die eine Ecke renne, ruft aus der anderen Ecke ein anderer Gallier. So lassen sie mich mit großem Genuss hin und her hetzen, ohne dass ich einen Gallier erwische. Inzwischen hat der Druide genug Blätter, sie ziehen sich in ihr Lager zurück und kochen schnell einen neuen Trank. Dann überfallen sie mich und machen mich nieder. In der nächsten Stunde wiederholen sie dieses Spiel. Wieder versuchen wir, neue Ideen zu säen, um bei den Kindern differenziertere Spielmuster auf-
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zubauen. Ob es sein könnte, frage ich zum Beispiel, dass Cäsar ein neues Heer anfordere, da im alten Heer alle Soldaten verletzt oder aus Angst vor den mächtigen Gal1iern geflohen seien. Die Gallier würden aber den Boten abfangen, als Römer verkleidet ins römische Lager kommen, nachts das Tor öffnen, die anderen Gal1ier reinlassen und dann Cäsar gefangen nehmen. Diesen Vorschlag greifen die Kinder sofort auf. Ergun und Daniel verkleiden sich als Römer und pochen an das Tor. Ich öffne das Tor, nachdem ich überprüft habe, dass es römische Legionäre sind. In einem immanenten Spiegeln (ich zeige die Angst, die die Kinder verleugnen) erzähle ich als mächtiger Cäsar den Soldaten, dass ich früher keine Schlacht verloren habe, diese Gal1ier mir aber das Fürchten gelehrt haben. Ich würde meine Angst den Ga11iern natürlich nicht zeigen, sonst würden sie mich noch auslachen. Doch vor jeder Schlacht hätte ich die Hosen volL Bei diesem Eingeständnis meiner Angst kichern die Kinder vor sich hin. Ich verkünde dann den neuen Soldaten meinen Kriegsplan, wie wir am nächsten Tag das Gallierdorf überfallen und einnehmen werden. Die beiden verkleideten Römer können ihr Grinsen kaum unterdrücken und zwinkern sich immer wieder zu, bleiben aber in ihren Rollen und halten die Spannung aus, erst nachts das Tor zu öffnen und mich nicht gleich zu überwältigen. Als ich dann mit dem Gedanken an den morgigen Überraschungscoup einschlafe, öffnen sie leise das Tor und lassen Obelix (Tobias) ein. Zusammen überraschen sie den schlafenden Cäsar, fesseln ihn, besiegen das ganze römische Heer und schleppen Cäsar im Siegeszug in ihr Lager. Der Druide muss ihre Wunden verarzten und ein Festmahl bereiten. 3.2.5
Förderung der Beziehungsfähigkeit
Die Heroen- und Heldengeschichten boten Kindern schon immer individuelle und vielfältige Identifikationsmöglichkeiten und ein weites Feld zum spielerischen Ausprobieren. Daher greifen Kinder auch in präventiven Gruppen aus der Welt der ihnen zur Verfügung stehenden medialen Vorbilder auf die Femsehhelden zurück, die ihnen für die Inszenierungen ihrer inneren Welten brauchbar erscheinen. Sie wählen diese Figuren voll Macht und Stärke aus und füllen sie nach eigenen Bedürfnissen mit Leben, um mit ihnen gewünschte Fantasie- und Handlungsmuster zu inszenieren. Sie versehen die Medienvorlagen mit eignen szenischen Bedeutungen, gestalten sie um, entwickeln sie weiter und erfinden sie neu. Warum üben diese modernen mythischen Gestalten aus Fernsehserien eine so starke Faszination auf Kinder aus? Warum sind Kinder so fasziniert von den neu-
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en Fantasiehelden wie He-Man, Ghostbusters, Batman, Power Ranchers, Turtles, Terminator, Spiderman, Flash Gordon, Superrnan oder Pokemon und Digimon? Ausgerüstet mit allen erdenklichen Fähigkeiten und futuristischer Technik können diese Kraftpakete furchtlos den Kampf gegen die Macht des Bösen aufnehmen. Ihre übermenschlichen Fähigkeiten kommen zum einen den geheimen Allmachtsfantasien der Kinder entgegen, die sie zur Kompensation von real erfahrener Minderwertigkeit, Unsicherheit und Schwäche gebrauchen. Indem sie in den Gruppenstunden die Rollen dieser starken Heldenfiguren übernehmen und die Heldengeschichten ausspielen, schaffen sie Gegenbilder zu den Gefühlen von Wertlosigkeit, Hilflosigkeit und Verlassenheit und ermöglichen so den handelnden Umgang mit der bedrohlichen inneren Welt (vgl. Heinemann 1993). Das Alsob-Spiel ermöglicht ihnen Allmacht und vollkommene Kontrolle über die Umwelt. Zum anderen verkörpern diese Supermänner die progressive Seite der kindlichen Entwicklung, den Verselbstständigungsimpuls. Ausgerüstet mit allen erdenklichen Fähigkeiten müssen diese Helden keine Gefahr scheuen und können sich allem Unbekannten und Fremden ohne Angst und Bedenken nähern (von Hänisch 1982). Diese Femsehhelden werden aber von den Kindern nicht nur zu ihrer innerseelischen Inszenierung benützt, diese Heldenfiguren haben auch eine Rückwirkung auf die Kinder, sie beeinflussen ihr Denk- Wahrnehmungs- und Erlebnismuster (Zaepfel &Metzmacher 1999). Die modemen Helden unterscheiden sich nämlich ganz wesentlich von den Helden in den Märchen und Mythen. Gerade diese Abweichungen zeigen spezifische, unserer Zeit zuzuschreibende Veränderungen. Konnten die alten Helden noch Schwäche eingestehen und bedurften sie der Hilfe, halfen andern und bekamen Hilfe von anderen, so zeigen die modemen Helden oft keine Beziehungsfähigkeit und Partnerschaft. Bei ihnen steht die Technik und körperliche Stärke anstelle von menschlichen Beziehungen. Die Unverwundbarkeit, das Fehlen von Bedürfnissen und Gefühlen verkörpert die perfekte Größenfantasie. Der modeme Held kann alle Gefahren verleugnen, da er wie z.B.: Terminator durch eine "Hyperlegierung" unverwundbar ist, keine Bedürfnisse und sich immer völlig unter Kontrolle hat. Er ist von nichts und niemanden abhängig (Reifschneider 1998) Diese fehlende Beziehungsfähigkeit der heutigen Fantasiehelden kommt Kindern, die Beziehungsschwierigkeiten haben, entgegen, verstärkt jedoch zugleich ihre Beziehungslosigkeit. Jedes Kind spielt dann in der Gruppen einen völlig autarken, grandiosen Helden, der nichts und niemanden braucht, der mit niemanden in Beziehung steht, der nur noch ein Opfer als Gegenüber braucht, um sich über dieses aufzuwerten. Daher ist es eine wichtige Aufgabe innerhalb der präventiven Gruppe, neue Beziehungsmöglichkeiten zu finden, Kinder in ihren omnipotenten Heldenrol-
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len wieder in Beziehung zueinander zu bringen, die Solidarität und hilfreiche Beziehung untereinander zu entwickeln und dadurch einen wichtigen Schutzfaktor aufzubauen. "Je belastender und belasteter die Familien- und Lebenssituation von Kindern ist, desto wichtiger wird die Fähigkeit, außerhalb der Familie, insbesondere mit Gleichaltrigen und ,Gleichgestellten', Freundschaften (im Sinne eines unterstützenden sozialen Netzes) entwickeln und aufrecht erhalten zu können. Die Bedeutung von Peer-Einflüssen ist hinlänglich erforscht und erfährt zunehmend in der wissenschaftlichen Diskussion mehr Aufmerksamkeit. Im Kontext von Kindergruppentherapie und präventiven Gruppen wurde jedoch Solidaritätsentwicklung bisher wenig beachtet, obwohl die Resilienzforschung darin einen wichtigen Schutzfaktor sieht. Wir haben in unserer Arbeit die Erfahrung gemacht, dass hier ein besonderes Potential gruppentherapeutischer und präventiver Arbeit genutzt werden kann. Im Verlauf des Gruppenprozesses werden die Kinder füreinander zunehmend wichtig: Sie achten und helfen einander mehr. Sie entwickeln Solidarität, lernen voneinander und erfahren zunehmend ihre eigene Selbstwirksamkeit." (Rahm & Kirsch 2000, S. 35) Die Erfahrung des Sich-Gegenseitig-Helfen-Könnens, die kooperative gegenseitige Hilfe ist für Moreno (1973) ein wesentlicher Faktor der Gruppentherapie. Anband der folgenden Stunden sollen nun einige Interventionsmöglichkeiten aufgezeigt werden, um Erfahrungen von Aufeinanderbezogensein zu vermitteln. Gerade für die Kinder in unserer Gruppe war die Erfahrung neu, dass es überhaupt möglich ist, für ein anderes Kind wichtig zu sein, einander etwas geben und helfen zu können, hatten sie doch bisher in der Kindergartengruppe eher die Erfahrung gemacht, als Störer ausgegrenzt und ausgeschlossen zu werden.
Beispiel: 11. Stunde In dieser Stunde wird Kilian, nachdem er Frau Reisinger wieder unbeachtet vor der Tür stehen ließ, von der Erzieherin während der Eingangsrunde in den Gruppenraum gebracht. Er klammert sich sofort an Frau Reisinger fest und legt sich während der Eingangsrunde wie ein Baby in ihren Schoß. Sie spricht an, was sie in ihrer konkordanten Gegenübertragungsreaktion gespürt hat: sie habe gemerkt, wie es ist, sehnsüchtig zu warten, und dann enttäuscht zu werden, wenn der Erwartete nicht kommt. Tobias will heute Turtles spielen, Ergun dagegen Power Rangers. Kilian und Daniel können sich beides vorstellen. Tobias beschimpft Ergun, und im Nu sind beide wieder im heftigen Streit. Als wir sie stoppen, zieht sich Tobias wütend zurück. Ich gehe zu ihm und biete mich als Hilfs-Ich an: ich würde gern sein Unterhändler sein. Ich frage ihn, was ihm an seinem Vorschlag so wichtig ist, damit ich dies Ergun vermitteln könne. Auf dieses Hilfsangebot hin
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kann er sagen, er möchte einen Panzer tragen. Diesen Wunsch übermittle ich Ergun und frage ihn/ was ihm an seinem Spielvorschlag wichtig ist. Er meint, die Power Rangers würden gegen Monster kämpfen und wären verschiedenfarbig gekleidet. Als ich seinen Wunsch Tobias vortrage, erklärt der sich bereit, gegen Monster zu kämpfen, beharrt aber auf Turtles. Ob nicht Power Rangers und Turtles zusammen gegen Monster kämpfen könnten, frage ich nach. Tobias besteht aber auf Turtles. Erst als ich die beiden Namen zu Powerturtles zusammenfüge/ die einen Panzer und verschiedenfarbige Kopfbinden tragen, lassen sich Ergun und Tobias auf diesen Kompromiss ein. Daniel und Kilian sind ebenfalls einverstanden. Mich machen sie zu einem Schleimmonster, Frau Reisinger soll ihre Köchin und Ärztin sein. Während Frau Reisinger jedem Powerturtle einen Panzer (Kissen) auf den Rücken bindet, ein Tuch in unterschiedlicher Farbe um den Kopf knüpft und eine Laserkanone (ein mit einem Seil umwickeltes Tuch) baut, errichte ich die Kulissen: die Höhle mit einem vorgelagerten Sumpf für das Monster und eine Höhle mit Krankenlager und Küche für die Powerturtles. Kaum komme ich als Monster aus meiner Höhle gekrochen, greifen mich die Powerturtles an. Mit ihren Laserkanonen verbrennen sie meinen Schleim und schlagen mich mit Karate zusammen. Ich schleppe mich verwundet in meine Höhle, während die Powerturtles triumphierend in ihre Höhle zurückkehren und sich von ihrer Köchin mit einem Stärkungsmahl vorsorgen lassen. Vor der nächsten Spielsequenz verändere ich meine Rolle und sage den Kindern, ich sei nun ein anderes, grünes Schleimmonster, das nicht von Laserkanonen zerstört werden könnte und das sie mit grünem Schleim (grünes Tuch) einzuschleimen versuche. Wenn ich einen Powerturtle mit diesem Schleim überziehe/ könne er nur befreit werden, wenn ihm ein anderer Powerturtle heimlich mit einem Entschleimer ( weißes Tuch) zu Hilfe komme. Mit dieser Rollenveränderung versuche ich die Allmacht des Einzelnen zu begrenzen und über eine vorsichtige Einführung von Widerständen hilfreiches Verhalten unter den Kindern anzuregen. Tobias und Ergun erklären sich bereit, gefangen zu werden. Als sie sich mir nähern, schleime ich sie ein und trage sie in meine Höhle, was sie gut zulassen können. Ich freue mich über meinen Fang und spreche vor mich hin/ dass ich sie erst weich schleimen müsse, bevor ich sie fressen könne. Das würde noch einige Zeit dauern, inzwischen könnte ich noch ein Schläfchen machen. Ich lege mich hin und schnarche. Kilian und Daniel schleichen sich an, legen leise das Antischleimtuch über die Gefangenen, entschleimen diese und schleppen sie, da sie sich noch kraftlos geben, in ihre Höhle. Dort werden sie von der Kö-
3.2 Entwicklungsorientierte Prävention aggressiven Verhaltens
75
chin, die die mutigen Retter lobt, verarztet und gepflegt. Nachdem die beiden genesen sind, möchten sie wieder gegen das Monster kämpfen und gefangen werden. Daniel möchte dieses Mal auch eingeschleimt werden, nur Kilian weigert sich, vom Schleim getroffen zu werden. Die drei Jungen genießen es, von mir eingeschleimt und in die Höhle getragen zu werden, und sie kuscheln sich unter dem grünen Tuch aneinander. Um ihr Verhaltensrepertoire zu erweitern und andere Fähigkeiten als Waffen- oder Körpergewalt ins Spiel zu bringen, mache ich den Spielvorsch1ag: Das Monster prüfe, ob die Gefangenen schon weich genug zum Fressen seien, die Powerturtles seien aber so schlau und streckten dem Monster einen Knochen (Klammer) hin. Und weil das Monster nicht gut sehe, bemerke es die List nicht und ärgere sich, dass die Turtles immer noch so hart seien. Diese Idee greifen die Kinder sofort auf und genießen es, das Monster wiederholt reinzulegen. Als ich mich dann entnervt schlafen lege, befreit Kilian sie. Frau Reisinger muss mit ihm zusammen alle drei in ihre Höhle schleppen, weil sie schon ganz weich geschleimt seien. Tobias, der immer mehr seine schwache und bedürftige Seite zeigen kann, und später auch Ergun wollen von ihr gepflegt werden. Sie legen sich in die Höhle und werden von der Köchin mit Entschleimer zugedeckt und verarztet. Daniel und Kilian überfallen währenddessen das Monster im Schlaf und schlagen es zusammen. Tobias gibt dann die Spielanweisung, er könne nur vom Schleimmonster gerettet werden. Zusammen mit Frau Reisinger fangen Daniel und Kilian mich, fesseln und schleppen mich in ihre Höhle. Tobias und Ergun liegen wie tot auf ihrem Lager, und Tobias fragt mich vorwurfsvoll: "Warum hast du mich so schwach gemacht?" Als Leiter frage ich ihn leise: "Was tät ich sagen?" Er antwortet: "Du musst sagen, dass du mein Freund werden willst und mir ein Stärkungspulver geben:' Als Monster bitte ich sie um Vergebung: "Andere Monster haben mich wütend gemacht. Diese Wut habe ich an euch ausgelassen. Das tut mir leid. Eigentlich wäre ich lieber euer Freund. Aber ich glaube nicht, dass ihr mir so schnell vergeben könnt, was ich euch angetan habe. Ich möchte das aber wiedergutmachen." Ich ziehe ein Stärkungsmittel hervor, das Knochen hart machen kann, und gebe es der Köchin, damit sie für alle eine Stärkungssuppe kocht. Als sie Tobias und Ergun die Suppe einflößt, werden sie sofort wieder gesund. Nach diesem Spiel verhalten sich die Kinder in der Schlussrunde zum ersten Mal ruhiger. Dieses Thema variierten die Kinder in den nächsten Stunden. Mal sind sie Power Rangers, dann wieder Turtles, die gefährliche Monster bezwingen. Ab und zu kommt es auch wieder zu heftigen Auseinandersetzungen, ob sie Batman, Superman, Spider-
3 Resilienzförderung im Kindergarten
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man, A-Team oder Flash Gordon sind. Um sie aufeinander zu beziehen, ihnen das Gefühl zu vermitteln, aufeinander angewiesen zu sein, und hilfreiche Beziehungserfahrung zu ermöglichen, schufen wir immer wieder Bedingungen, die ein Zusammenspiel/ ein kooperatives Verhalten erforderten. So erkundigte ich mich z.B. in einer Stunde als Kommandant der Außerirdischen, die die Welt in ihre Macht bekommen wollten, bei meinen imaginierten Kundschaftern, wie wir die starken Power Rangers besiegen können. Den Funkspruch wiederholte ich laut: "Was/ jeder der Power Rangers kämpft für sich allein? Das ist unsere Chance! Wir bauen ein stärkeres Schutzschild, das ein einzelner Power Ranger mit seiner Laserkanone nicht zerstören kann. Da müssten sie sich schon mit ihren Laserkanonen zusammen schließen und gemeinsam zur gleichen Zeit losschießen. Aber auf diese Idee kommen die nie. Jetzt können wir sie endlich besiegen!" Mit dieser hypothetischen Lösung, die ich in der Rolle des Außenfeindes vorbrachte, versuchte ich, ihr egozentrisches Spielverhalten zu unterbrechen und ihre Aufmerksamkeit auf ein Miteinander zu lenken. In einem äußerst mühsamen Prozess mit vielen Störungen und Einbrüchen gelang es uns in kleinen Schritten, dass die Kinder zunehmend besser zusammen spielen konnten und positive Spielerfahrungen miteinander machten. Diese positiven Erfahrungen konnten die Kinder auch auf ihre Gruppe übertragen. Da sich auch ihre Spontaneität, Kreativität und ihr Rollenrepertoire erweitert hatte, nahmen ihre Störungen ab, und es kam zu einer zunehmend besseren Integration in ihre Kindergartengruppe, was wiederum die Kinder motivierte, prosoziales Verhalten weiter zu entwickeln. Diese positive Entwicklung entlastete auch die Erzieherinnen/ sie waren daher von dieser präventiven Arbeit sehr angetan.
3.2.6
Der Wechsel an die Beratungsstelle
Da am Ende des Projekt ein Wechsel in die Schule anstand, schlugen wir den Eltern vor, die Gruppe für ein halbes Jahr an der Beratungsstelle weiterzuführen, um die Kinder in dieser Übergangssituation stützend begleiten zu können. Erguns Eltern lehnten ab, er solle jetzt lernen und nicht mehr spielen. Daniel kam, wenn auch unregelmäßig, einige Stunden, blieb dann aber ganz weg. Bei einem Anruf sagte die Mutter, es gehe ihm gut/ er brauche die Gruppe nicht mehr. Nur Kilian und Tobias führten zunächst regelmäßig die Gruppe fort. Tobias Teilnahme wurde dann auch unregelmäßig. Gegen Ende, als Frau Reisinger sich in der Elternberatung behutsam dem Gewaltthema annäherte, wurde auch er nicht mehr zur Gruppe gebracht. Nur Kilians Großeltern brachten die Beständigkeit auf, ihn regelmäßig in die Gruppe zu bringen. Diese weiteren Stunden führten bei ihm nicht nur zu einer besseren Konflikt - und Beziehungsfähigkeit, sondern ermöglichten ihm auch eine Aussöh-
3.2 Entwicklungsorientierte Prävention aggressiven Verhaltens
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nung mit seiner Mutter. Ein Ausschnitt aus der letzten Stunde, in der er allein mit Frau Reisinger und mir zusammen spielte, mag dies zeigen: Die Schätze der Seeräuberin Jenny
Kilian entscheidet sich für ein Piratenspiel Er möchte der Piratenkapitän sein, ich sei sein Matrose. Wir würden zusammen das Schiff der Seeräuberin Jenny, Frau Reisinger, überfallen. Dabei sagte er: "Jenny heißt auch meine Mutter." Während er früher kaum fähig war, sich ein Haus oder eine Höhle schön einzurichten, baut er nun sehr sorgfältig unser Schiff auf. Im Bauch des Schiffes richtet er uns eine dunkle, kuschelige Höhle ein, in der wir schlafen. In der Nacht schwimmen wir dann heimlich zum feindlichen Schiff, überfallen es und rauben es aus. Zuerst holt Kilian sich nur die Schätze und Waffen der Seeräuberin. Dann fängt er an, ihr Schiff abzubauen, um die Teile (polster) in unser Schiff einzubauen, so dass es stabiler, größer und noch schöner und gemütlicher wird. Ich bewundere meinen Kapitän, dieser könne nicht nur kämpfen, schwimmen, tauchen, sondern auch ein prächtiges Schiff bauen. Da sagt Kilian: "Das habe ich in der Schule gelernt, in der echten." Als das Schiff fertig gestellt ist, holt er Jenny auf sein Schiff, sperrt sie neben seiner Sch1afhöhle in die Kombüse ein und lässt sie von Haifischen bewachen. Damit ist nicht nur ihr Schiff, sondern auch sie in sein Schiff "eingebaut", integriert, wohl am Rand und noch nicht im Zentrum des Schiffes. Mit dieser frühen präventiven Maßnahme im Kindergarten konnten wir bei Kindern mit aggressiver Problematik verhindern, dass es zu einem aggressiven Entwicklungsverlauf mit schwerwiegenden und vielfältigen Verhaltensproblemen kam. Über das psychodramatische Symbolspiel wurden sie beziehungs- und konfliktfähiger, wurden dadurch von den Gleichaltrigen nicht mehr zurückgewiesen und abgelehnt. So konnte der Teufelskreis von Aggression und Ablehnung durchbrochen und das Selbstwertgefühl der Kinder gestärkt werden. Drei Jahre nach Beendigung des Projekts äußerten sich die Eltern von Kilian, Tobias und Daniel bei einer Nachbefragung positiv über die soziale Entwicklung ihrer Kinder. Sie kämen in der Schule und in der Freizeit mit anderen Kindern gut zurecht. Nur Ergun zeigte noch soziale Auffälligkeiten. Schon kurz vor unserer Nachbefragung meldete ihn seine Mutter auf Anraten der Schule an unserer Erziehungsberatungsstelle an.
3.2.7
Weitere Gruppenprojekte
Inzwischen haben wir diese Resilienzförderung ausgebaut und über viele Jahre hinweg in Kindergärten in sozialen Brennpunkten Halbjahresgruppen für verhalten-
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3 Resilienzförderung im Kindergarten
sauffällige Kinder durchgeführt. Wichtig ist uns, dass auch gehemmte Kinder, die nicht störend auffallen und daher leicht übersehen werden, in diese Gruppenarbeit aufgenommen werden. Für internalisierende Störungen fand Kuschei et al. (2008) in der Braunschweiger Kindergartenstudie nämlich eine Prävalenzrate von 22,6%. Präventive psychodramatische Gruppen bieten inzwischen weitere Erziehungsberatungsstellen an. So führt z.B. die Erziehungsberatungsstelle der Caritas in Düsseldorf in Kindertagesstätten in sozialen Brennpunkten Kindergruppen als einen von drei Bausteinen in ihrem Projekt Therapie-mobil mit einer Dauer von einem halben Jahr und einem Jahr durch (Lüke & Müller 2006). Weitere beeindruckende Möglichkeiten der präventiven Arbeit in Kindergärten finden sich in Weiss (2010, S. 175ff). In einem Schulkindergarten für Erziehungshilfe für Kinder mit besonderem Förderungsbedarf schildert sie am Beispiel eines 5-jährigen Jungen mit starken Kontaktproblemen in einer Kindergruppe aus mehrfach belasteten Familien eindrücklich die Zusammenhänge zwischen kindlichen Entwicklungsthemen und den kinderpsychodramatischen Interventionen, besonders die Entwicklung seiner Peergruppenkompetenz über eine fünfmonatige Projektzeit hinweg. Auch beschreibt sie die Förderung der sozialen Kompetenz von verhaltensauffälligen Kindern in einer Kindertagesstätte im Rollenspiel mit Handpuppen über zwölf Spieleinheiten und zeigt auf, "dass auch ein zeitlich begrenztes Projekt wesentliche Entwicklungsimpulse geben kann, die über die beteiligten Kinder hinaus gehen. Je mehr die Teilnehmer ihre neu erworbenen Spielkompetenzen verinnerlicht haben, desto eher können sie sie in den Alltagsspielen mit den anderen Kindern als Kompetenz einbringen und sich damit zu beliebten und geschätzten Spielpartnern machen." (Weiss 2010, S. 192)
Über ein weiteres kinderpsychodramatisches Gruppenprojekt zur Unterstützung von Integrationsprozessen von seelisch behinderten Kindern in einer Kindertagesstätte berichtet Weiss (2010). Am Beispiel eines aggressiven 5-jährigen Jungen, der aus einem Kindergarten ausgeschlossen wurde, stellt sie vor, wie dieser Junge in einem integrativen Konzept "Von der Kleingruppe zur Großgruppe" lernt, soziale Kompetenzen aufzubauen, die sich auf die Großgruppe übertragen lassen. An einem weiteren Beispiel einer Gruppe in einem Schulkindergarten für vom Schulbesuch zurückgestellte Kinder führt Weiss aus, wie einem aggressiven Junge, der als Störenfried zum Außenseiter geworden ist, im Laufe von zwölf Sitzungen geholfen wird, positive Beziehungserfahrungen mit den anderen Kindern zu machen, und seine soziale Kompetenz gefördert wird.
4 Resilienzförderung an Schulen
Entwicklung vollzieht sich auch in der Schule in Beziehungen. Schule und die Gleichaltrigengruppe treten in dieser Entwicklungsphase als weitere Sozialisationsinstanzen hinzu. Für Kinder birgt das System Schule mit seinen vielfältigen Anforderungen nicht nur Risiken, sondern kann sich auch vor allem auf die Kinder förderlich auswirken, die psychosozialen Risiken wie Armut ausgesetzt sind. LehrerInnen können wichtige Bezugspersonen für Kinder mit einem schwierigen familiären Hintergrund werden und so ein Gegengewicht für psychosozial belastete Heranwachsende werden (Opp & Fingerle 2007). Besonders wichtig ist die Schule für die Ausdifferenzierung von sozialer Kompetenz und die Entwicklung von Fähigkeiten, andere Kinder als Freunde gewinnen zu können. In freundschaftlichen Beziehungen können Kinder soziale Kompetenzen ausbauen, Entwicklungsaufgaben wie die Auseinandersetzung mit der eigenen und fremden Geschlechtsrolle meistem und individuelle Bedürfnisse wie nach Wertschätzung der eigenen Person befriedigen. Gute Beziehungen und Freundschaften stellen damit eine entscheidende Entwicklungsressource dar, die den Mangel an gelungener Beziehung zu den eigenen Eltern in einem erheblichen Ausmaß kompensieren können (Criss et al. 2002). "Soziale Unterstützung durch positive Gleichaltrigenbeziehungen besitzt für die weitere Entwicklung und die soziale Kompetenz von Heranwachsenden einen hohen Vorhersagewert. Die Bedeutung von positiven Sozialbeziehungen zu Gleichaltrigen als Schutzfaktor liegt darin, dass sie Nähe und Akzeptanz bieten, welche die Entwicklung eines positiven Selbstwertgefühls maßgeblich beeinflussen." (13. Kinder-und Jugendbericht, 5.103)
4.1 Gewaltprävention mit Schulklassen
4.1.1
Empirische Forschungsergebnisse "Aggressives Verhalten bei Kindern und Jugendlichen gilt nicht nur in Deutschland seit langem als ernstzunehmendes gesellschaftliches Problem." (Petermann & Natzke 2007, S. 1)
A. Aichinger, Resilienztörderung mit Kindern, DOI 10.1007/ 978-3-531-93012-1_4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften I Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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4 Resilienzförderung an Schulen
Aggressiv-oppositionelles Verhalten stellt eine der häufigsten Formen auffälligen Sozialverhaltens bei Kindern und Jugendlichen dar. Obwohl Angaben zur Prävalenz deutlich variieren und kontrovers diskutiert werden, kann bei 7-8% der Kinder und Jugendlichen ab sieben Jahren in Deutschland von einer Störung des Sozialverhaltens ausgegangen werden, wobei das Auftreten von aggressiv geprägten Verhaltensauffälligkeiten mit zunehmendem Alter steigt. Aktuelle Ergebnisse für Deutschland liefert der von 2003 bis 2006 durchgeführte Kinder-und Jugendgesundheitssurvey, in dem etwa 6600 Jungen und Mädchen über Gewalterlebnisse als Täter und Opfer berichteten, wobei Haupt-und Gesamtschüler sowie Jugendliche mit Migrationshintergrund dies häufiger taten (Schlack & Hölling 2007). In einer repräsentativen Unterstichprobe dieser Studie zeigten 6-7% dieser Kinder und Jugendliche Aggressivität (Ravens-Sieberer et al 2007b). Dieser Verbreitungsgrad kommt dem im Kinderpanel des Deutschen Jugendinstituts ermittelten Grad nahe. Von der Altersgruppe der 11- bis 13-jährigen Kinder im Jahr 2005 schätzten sich selbst 5,5% als sehr aggressiv ein. Berücksichtigt man auch noch die tendenziell aggressiven, kommt man auf 15,3% der Jungen und 11% der Mädchen Oung & Wah12008). Studien zum Verlauf belegen zudem, dass aggressives Verhalten sehr stabil ist und sich von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter fortsetzen kann. Kinder mit aggressiv / oppositionellem Verhalten weisen ein erhöhtes Risiko für ein dissoziales und delinquentes Verhalten im Jugendalter auf (Scheithauer & Petermann 2002). Für Webster-Stratton und Taylor (2001) sind die wichtigsten risikoerhöhenden Faktoren für das Auftreten aggressiv-dissozialer Verhaltensstörungen im Jugendalter: • • • •
ein frühes Auftreten der Symptomatik, Beziehungen zu massiv auffälligen Gleichaltrigen, überstrenges und inkonsistentes Erziehungsverhalten der Eltern sowie mangelnde elterliche Aufsicht kindlicher Aktivitäten, Schulversagen sowie mangelnde Einbindung der Schüler in die Schule.
Außerdem ist belegt, dass bereits ab dem Vorschulalter, spätestens aber mit dem Grundschulalter zusätzlich auftretende Auffälligkeiten zu beobachten sind: So gehen im Vor- und Grundschulalter Verhaltensprobleme des aggressiv-oppositionellen Spektrums vor allem mit Aufmerksamkeitsdefizit- /Hyperaktivitätsstörungen einher. Daher werden im Rahmen der Präventionsforschung zu aggressiv-dissozialen Verhaltensstörungen möglichst frühzeitig einsetzende Maßnahmen gefordert (z.B. Webster-Stratton & Taylor 2001), zumal in unterschiedlichen Studien aufgezeigt wird, dass gewalttätige Jugendliche mit einer Wahrscheinlichkeit von nahezu 50% bereits im Alter von sechs Jahren, und jünger identifiziert werden können (z.B. Tremblay et al. 1999).
4.1 Gewaltprävention mit Schulklassen
81
Besonders sinnvoll für die Durchführung von Präventionsmaßnahmen erweist sich die Zeit kurz vor oder kurz nach Entwic1
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4 Resilienzförderung an Schulen
per SMS sein. Auch werden auf Plattformen wie SchülerVZ für ungeliebte Mitschüler Hass-Gruppen eingerichtet, mit der Handykarnera peinliche Bilder aufgenommen/ veröffentlicht oder weitergereicht (sogenannte Happy Slapping). Das Opfer kann also niemals und nirgends sicher sein - auch nicht zu Hause im eigenen Zimmer (Ortega et aL 2007). Untersuchungen (z.B. Olweus 1977; 1978) bestätigen auch, dass viele Kinder und Jugendliche über lange Zeit gezielt gemobbt werden und kaum eine Chance haben, dieser Situation ohne Hilfe zu entrinnen. Diese psychische Belastungen haben massive Folgen für das Opfer, wie Scheithauer et aL (2003b) ausführen: Gefühle der Unkontrollierbarkeit, externale Kontrollüberzeugung, negatives Selbstwertgefühl, Isolation, Einsamkeit und Beziehungsprob1eme, Angstsymptome, Traurigkeit bis hin zu Depressionen, psychosomatische Beschwerden, Suizidgedanken und -versuche, Leistungsabfall in der Schule und Meiden der Schule. Diese hohen Entwicklungsrisiken führten zur Entwicklung von schulischen Interventions- und Präventionsprogrammen, wie das von Olweus (2006)/ "Faustlos" (Cierpka 2001) oder fairplayer-manual (Scheithauer & Bull2008), und unterschiedlichen Maßnahmetypen gegen Bullying (vgl. Scheithauer et aL 2003b). Dass Kinder die Schulzeit in Angst und Unsicherheit überstehen müssen und ihr Selbstwertgefühl durch Erniedrigungen zerstören lassen müssen, widerspricht auch fundamental demokratischen Grundsätzen. Aber auch die aggressiven Schüler benötigen Hilfe, denn psychologische Forschungsergebnisse bestätigen, dass aggressives Verhalten ein stabiles Reaktionsmuster ist. So fand Olweus (2006) heraus, dass 35-40% der Schüler, die in den Klassen 6 bis 9 als Täter auffielen, bis zum Alter von 24 Jahren drei- oder mehrmals wegen Straftaten verurteilt wurden. Auch die Stabilität von Gewalttätigkeit über lange Zeit hinweg macht die Entwicklung zielgerichteter Maßnahmen gegen Gewalt an Schulen notwendig, um negative Entwicklungsverläufe zu verhindern Präventive Maßnahmen sind zudem wichtig, weil Kinder in eine plurale Gesellschaft hineinwachsen, in der sie mit Menschen zusammenleben, die ganz unterschiedliche Auffassungen von Lebenszielen und -stilen, Glauben und Sinngebung haben. Und sie erhalten keine Sicherheit mehr in Form von klaren und verbindlichen Werte- und Verhaltensorientierungen und müssen mit Mehrdeutigkeiten, Widersprüchlichkeiten und Mehrwertigkeiten zu Recht kommen. In der pluralistischen Gesellschaft mit ihren vielen Teilkulturen und einer zunehmenden Komplexität ist es schwierig, einheitliche Lösungen für alle Beteiligten zu finden. Daher müssen Kinder heute vermehrt lernen, Dissens zu ertragen, Konflikte auszutragen und auszuhalten, ohne dem Gegenüber sofort mit Gewalt zu drohen. Damit die Pluralität nicht zu Verunsicherung und Vereinzelung führt, benötigen Kinder
4.1 Gewaltprävention mit Schulklassen
83
nicht nur der Hilfestellung ihrer Familie, sondern auch der Schule. Erziehung für das Leben in einer heterogenen und pluralen Gesellschaft ist auch nach der Sachverständigenkommission des 10. Kinder- und Jugendberichtes der Bundesregierung daher nicht mehr über eine alte Werteentwicklung zu leisten. Zentrale Forderung an modeme Erziehung ist vielmehr aus ihrer Sicht, Formen konstruktiver Konfliktbearbeitung und soziale Kompetenz zu vermitteln. "Erziehung für das Leben in einer heterogenen und pluralen Gesellschaft ist Bemühung um Konsens, verlangt ständiges Aushandeln, in der Familie wie in den Bildungsinstitutionen." (1998, S. 105)
Deshalb müssen gerade auch die Bemühungen zur Gewaltprävention diesen Bereich der Kooperation, des Aushandelns und der Formen konstruktiver Konfliktbearbeitung beachten. Bei der Vermittlung sozialer und emotionaler Kompetenz kommt gerade der Schule neben der Familie eine ergänzende Aufgabe zu. Schule als sozial- emotionaler Lern- und Erfahrungsraum ist ein Ort, wo Kinder über viele Jahre regelmäßig mit Gleichaltrigen zusammen kommen, ihre Freundschaften pflegen und sich um Anerkennung bemühen. Gerade in den letzten Jahren wurde diese Funktion der Schule, Peergruppen bereitzustellen, in der Jugend- und Schulforschung hervorgehoben. "Angesichts der Rückgangs der Kinderzahlen ist Schule heute derjenige Lebensraum, der allen Kindern Gruppen von Gleichaltrigen und damit Peer- bezogene Möglichkeiten der sozialen Entwicklung bereitstellt" (w. Schubart, 1998, S. 6).
Die enorm prägende Kraft von Peergruppen auf das Leben von Kindern, vor allem was den Umgang mit Aggression und den Aufbau kooperativen Verhaltens angeht, hat die Sozialisationsforschung herausgestellt. Daher empfiehlt die Sachverständigenkommission: "Tageseinrichtungen und Schulen müssen es als eine ihrer zentralen Aufgaben begreifen, mit den Kindern Fähigkeiten zu argumentativem Aushandeln, zu Toleranz und zu Kompromiss zu entwickeln. Konflikt, Gewalt und ihre Überwindung sind regelmäßig zum Thema zu machen." (1998, S. 132)
Außerdem ist zu beachten, dass Gewalt in Schulen von einem Gruppenprozess bestimmt wird. Gewalt geschieht meist in Gruppen. Angesichts der Schwierigkeiten dieser Aufgabe muss Schule psychologische Hilfe erfahren, so auch die Forderung der Sachverständigenkommission, die durch eine institutionalisierte Kooperation zwischen Schule und Jugendhilfe in Vernetzungsprojekten zu erreichen ist. Auch der 13. Kinder- und Jugendbericht betont
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4 Resilienzförderung an Schulen
die Verantwortung von Jugendhilfe und Gesundheitssystem für alle Kinder und Jugendliche in der gesundheitsbezogenen Prävention. Dabei verfügt Erziehungsberatung über wichtige Kompetenzen an den Schnittstellen der Systeme, wie die bke aufzeigt (2009). Dem Hilfeersuchen von Schulen sind wir in unserer Beratungsstelle frühzeitig nachgekommen, haben ein Gewaltpräventionsprojekt entwickelt und seit 1993 verschiedenen Grund- und Hauptschulen angeboten (vgl. Aichinger 1995/ Wittinger 2009). In einer Hauptschule in einem sozialen Brennpunkt ist unser Präventionsprogramm seit 1993 zu einem festen Bestandteil des Unterrichts mit den 5. Klassen geworden (vgl. Aichinger 1999). Wir arbeiten vorwiegend mit Hauptschulen in sozialen Brennpunkten, die nach Untersuchung ein höheres Gewaltaufkommen aufweisen/ häufiger SchülerInnen haben, die einer mangelnden Erziehungskompetenz der Eltern und vielen Familienproblemen ausgesetzt sind, die eine starke Risikobelastung erfahren und wenig Schutzfaktoren zur Verfügung haben. Ausgehend von den Ergebnissen der Resilienzforschung machten wir die Förderung der Widerstandsressourcen zu den Zielen unseres Programms und stärken die fünf Fertigkeiten, die Lerner (2003) als zentral für eine positive Entwicklung in einer globalisierten Welt wertete, nämlich soziale Kompetenz, Erhöhung des Selbstwertgefühls und der Selbstkontrolle und Selbstwirksamkeit, Entwicklung von Empathie und Stärkung von Beziehungen. Im Unterschied zu eher "personenfokussierten" Ansätzen haben wir einen interaktions- und beziehungsfokussierten Ansatz, um die Interaktions- und Beziehungsprozesse zwischen den Schülern, aber auch zwischen Lehrern und Schülern zu fördern, zumal Mobbing und Aggression unter Schülern kein isolierter Prozess ist, der sich nur zwischen Täter und Opfer abspielt, sondern in einem Gruppenkontext stattfindet, in den fast die gesamte Klasse involviert ist, wie die neuere Forschung bestätigt: "Unsere Studie zeigt zum ersten Mal/ dass auch deutsche Schüler genau definierte Rollen beim Bullying einnehmen. Weil fast die ganze Klasse beteiligt ist, genügt es nicht, nur Opfer und Täter zu charakterisieren, ihre Beziehung zu beschreiben und die möglichen Konsequenzen dieser Aggressionen gegen Schwächere zu erfassen." (Schäfer 2003) Die einzelnen Schüler lassen sich, wenn auch nicht immer ausschließlich, verschiedenen Rollen beim Bullying zuteilen: sich heraushaltende Außenstehende, Opfer, potenzielle Verteidiger des Opfers, Täter und Assistenten und Verstärker des Täters (Schäfer & Kom 2004a). Schäfer und Kom finden daher alle Strategien gegen aggressives Verhalten sinnvoll, die die unbeteiligten Zuschauer zum einschreitenden Eingreifen bewegen und zum Helfer machen. Um Unterstützung und Hilfeanbieten zu implementieren, haben wir daher in unseren beziehungsstiftenden Geschichten die gegenseitige Hilfe zum zentralen Thema
4.1 Gewaltprävention mit Schulklassen
85
gemacht. Außerdem stärken wir in den Geschichten, in denen Verletzte einfühlsam gerettet und versorgt werden, das soziale Einfühlungsvermögen der Schüler, an dem es nach Scheithauer et al (2007) gerade den Bullying-TäterInnen mangelt. 4.1.2
Projektbegründung
Wir arbeiteten zunächst vor allem mit 5. Hauptschulklassen, da in Baden-Württemberg in der 5. Klasse Kinder aus verschiedenen Grundschulen zusammenkommen und sich neu zusammenfinden müssen. Diese Übergangssituation ist mit einigen Risiken verbunden. Die Angst, nicht die richtigen Freunde zu finden, den Anschluss an eine Gruppe im Klassenverband zu verpassen, beunruhigt die Kinder. In dieser Anfangszeit baut sich jede Klasse ihre eigene Atmosphäre, ihre Klassenkultur und Klassengemeinschaft auf. Mehr oder minder unterschwellig werden Machtkämpfe ausgetragen und Riten entwickelt, wie mit den Schwächen und dem Versagen von Mitschülern umgegangen wird und wie Konflikte ausgetragen werden. Wenn dieser soziale Prozess und die Entwicklung der Klassengemeinschaft vom Lehrer nicht begleitet und gestaltet werden, können sich erhebliche Konflikte aufbauen. Gewalt, Ausschluss von dem sozialen Netzwerk der Klasse, schwache Schulleistungen und mangelnder Selbstwert führen dann dazu, dass Kinder und Jugendliche unter diesen Bedingungen langfristig zu Risikogruppen werden. Um diesen Prozess des Zusammenwachsens einer Klasse zu fördern und einen kooperativen, konstruktiven Umgang miteinander zu entwickeln, haben wir unser Programm entwickelt (Aichinger 1995, 1999,2002). Außerdem kommt die Mehrzahl der SchülerInnen aus benachteiligten Lebenslagen mit multiplen Risikolagen. Sie leben in Armut, belastenden innerfamiliären Beziehungen und haben einen Migrationshintergrund. Die Eltern sind meist bildungsfern, sind häufig von Arbeitslosigkeit betroffen und wenden ungünstige Erziehungspraktiken an. Und mangelt es den Eltern an Geld, Bildung und Arbeit, dann haben Kinder besonders schlechte Aussichten auf einen erfolgreichen Start ins Leben, wie Leu und Prein (2010) aufzeigen. 4.1.3
Darstellung des Präventionsprojektes
Wir arbeiten in unserem Präventionsprojekt mit der Methode des Kinderpsychodramas (vgl Aichinger & Holl 2010), die wir für diese Arbeit mit größeren Gruppen einigen Veränderungen unterziehen mussten. Im psychodramatischen Symbolspiel kann das Kind seine eigene Wirklichkeit darstellen, gerade so wie es sie gegenwärtig erlebt, erfährt, fühlt und interpretiert. Außerdem ist das psychodramatische Spiel Aneignung und Gestaltung der Wirklichkeit und dies auf eine Wei-
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4 Resilienzförderung an Schulen
se, die Spaß macht, auch wenn Konfliktsituationen dargestellt werden (vgl. Fryszer 1995). Kindern ist eine Kreativität zueigen, im Spiel aus bedrohlichen oder leidvollen Situationen das Lustvolle und Angenehme herauszuholen. Durch die freie Gestaltung der Erfahrungen im Spiel gewinnt das Kind ein hohes Maß an Selbstsicherheit und Kontrollfähigkeit über die erlebten Geschehnisse. "Diese Kontrollfähigkeit führt dazu, dass sich das Kind nicht mehr als ,Opfer' oder passives, wehrloses Wesen seiner Umwelt erlebt, sondern als ein aktiv gestaltender, die Geschehnisse im,Griff' habender Mensch." (schmidtchen 1996, S. 135)
Dieses Gefühl der Kontrolle und der Selbstwirksamkeit ist eng mit der psychischen Gesundheit verbunden, wie die Resilienzforschung beweist. Indem das Kind im Spiel seinem eigenen Leben gegenüber die Perspektive des schöpferisch Tätigen gewinnt, entsteht nach Moreno die bedeutsamste Wirkung der Spieltätigkeit (1946, S. 28).In den Spielhandlungen findet es Zugang zu seiner Spontaneität und Kreativität, entdeckt kreative Lösungen und erweitert seine Rollenmuster. Zugleich können Kinder in der "Als-ob-Realität" des Spiels über ihre Lebensrealität hinausgehen und Rollen ausprobieren, die ihr bisheriges Leben nicht ermöglicht hat. Daher ist das Spiel die wichtigste Form der Realitäts - und Daseinsbewältigung in der Kindheit. Sie wird im Spiel auf dreierlei Weise versucht: "als Nachgestaltung von Realität, als Umgestaltung von Realität und als vollständiges Verlassen der Alltagsrealität" (Oerter 1999,S.258). Außerdem ist das psychodramatische Spiel immer auch soziale Interaktion und kann nur in kreativer Kooperation gelingen. In einem kontinuierlichen Abstimmungsprozess zwischen den beteiligten Interaktionspartnern, in einem Aushandeln, in einem innerlichen Einstimmen und aufeinander Abstimmen der Rollen in einer Rollendynarnik wird Sozialverhalten praktiziert. Nur wenn die Kinder im Spiel korrespondieren und kooperieren, gelingt das Symbolspiel. In diesem gemeinsamen Abstimmungsprozess entwickeln sich die Beziehungsfähigkeiten der Kinder. Krappmann (1993, 1996) weist auf den selbstsozialisatorischen Effekt dieser Aushandlungsprozesse hin: "Im Spiel sind Kinder ständig dabei, etwas auszuhandeln, denn sie treffen untereinander auf unterschiedliche Spielideen, Meinungen, Ziele, Fähigkeiten und Erwartungen. Damit ein Spiel gelingt, müssen sie unterschiedliche Spielideen miteinander in Einklang bringen und gegensätzliche Interessen ausgleichen oder durch unkonventionelle Lösungen integrieren." (5. 26)
So müssen die SchülerInnen in ihren Untergruppen aushandeln, wie sie die Kulissen aufbauen, wie z.B. der Berg gestaltet werden soll, den sie als Bergsteiger be-
4.1 Gewaltprävention mit Schulklassen
87
zwingen werden, sie müssen das Material untereinander aufteilen, dass z.B. der Overheadprojektor für die Röntgenärzte besser geeignet wäre als für die Bergsteiger, und sie müssen sich in den Rollen aufeinander beziehen. So kann eine Ärztin sich nur dann sehr kompetent fühlen, wenn der verletzte Bergsteiger auf ihre Operation angemessen reagiert. Im Unterschied zur Gruppentherapie begrenzen wir uns bei der Arbeit mit der Schulklasse aber auf das Hier und Jetzt des aktuellen Gruppengeschehens und der aktuellen Gruppendynamik und klammem die Bearbeitung biographischer Probleme der Kinder aus.
4.1.4
Setting
Die Sitzungen finden im Klassenzimmer statt oder auch in einem größeren Raum wie dem Musik- oder Gymnastikraum, der den Kinder genügend Bewegungsfreiheit für die Inszenierungen der Geschichten bietet und so gelegen ist, dass durch den Geräuschpegel andere Klassen nicht gestört werden. Die Kinder können das Mobiliar des Zimmers (Stühle, Bänke, Kartenständer u.a.) zum Spielen benützen. Was die Einbeziehung verschiedenster Mobiliarstücke betrifft, sind sie oft sehr kreativ. Wir bringen außerdem große Tücher, weiche Seile und Baufixmaterial mit. Die Ausstattung ist recht beschränkt, um die Kinder mehr auf ihre Fantasie und die Interaktionen zu zentrieren. Geleitet werden die Gruppen von zwei Mitarbeitern der Beratungsstelle. Außerdem haben wir zur Bedingung gemacht, dass die Klassenlehrer mitspielen, da Erziehung nur über Beziehung möglich ist (Amold 2007). "Die zentrale Erziehungsfrage ist...die nach der Beziehung zwischen den Erziehenden und den Kindern und Jugendlichen. Grundlegend für eine tragfähige Beziehung sind dabei die bedingungslose Wertschätzung und das ermutigende und zugewandte Reagieren. Nur so können sich Kinder und Jugendliche in ihrer eigentlichen Substanz spüren und auch das Gefühl entwickeln, dass sie eine tiefe Berechtigung haben, so zu sein, wie sie sind." (5. 88)
Auch die Resilienzforschung betont die Notwendigkeit des Einbezugs der Lehrerinnen: "Resilienz ist ohne die unterstützende Interaktion im Sozialen nicht zu denken." (GabrieI2005, S. 213) Erwünscht ist außerdem, dass andere Fachlehrer und der Schulsozialarbeiter mitspielen, damit sie sich in den Spielen als wichtige Bezugspersonen den Kindern präsentieren können, die echtes Interesse am Wachstum und der Entwicklung ihrer SchülerInnen haben. Diese entwicklungsorientierte Prävention lebt nämlich davon, dass sich möglichst viele Lehrerinnen engagieren, die dann über die ge-
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meinsame Spielerfahrung eine entscheidende Perspektivenerweiterung ihres pädagogischen Handelns erfahren, indem die Förderung von Schülern mit ihrer gesamten Persönlichkeit stärker betont wird. Und die Erfolge sind dann am größten, wenn die LehrerInnen diese Prävention zu ihrem Anliegen machen und sie in den Schulalltag hinein nehmen. Wie bei Gewaltpräventionstrainings bleibt die Veränderung begrenzt, wenn nur externe Personen das Projekt durchführen (GasteigerKlicpera & Klein 2006, S. 155). Daher ist uns wichtig, dass diese entwicklungsorientierte Präventionsmaßnahme eine feste Verankerung in der Schule erhält und die Förderung der sozialen und emotionalen Kompetenz und die Beziehungsarbeit ein regelhaften Bestandteil des schulischen Curriculums wird, wie es uns in einer Brennpunktschule seit 1993 gelungen ist. Dieses Einbeziehen der Lehrerinnen ist aber häufig gar nicht einfach. Obwohl wir vor dem Projekt den beteiligten Lehrerinnen erklären, warum es wesentlich ist, dass sie mitspielen, und mit ihnen auch vorbereiten, in welchen Rollen sie wie die Kinder stärken können, kam es immer wieder vor, dass sie sich entzogen, einen anderen Termin wahrnahmen oder früher aus dem Spiel gingen. Oft fiel es ihnen auch schwer, in ihren Rollen die Kinder zu unterstützen, zu bewundern oder zu pflegen. Immer wieder geschah es, dass sie als Lehrerinnen das Spiel der Kinder kritisch bewerteten oder nur beobachten wollten. Wir mussten ihnen, ohne sie zu kränken, in unseren Rollen Hilfen geben, um sie wieder ins Spiel einzubeziehen. Als z.B. zwei Lehrerinnen miteinander redeten, während die Kinder als verletzte Bergsteiger auf den Operationstischen lagen, ging ich als Pfleger auf sie zu und sagte: "Krankenschwestern, ein schwer verletzter Bergsteiger braucht dringend Ihre Hilfe, er ist wieder ins Koma gefallen", oder zu einem Lehrer, der als Träger grob die abgestürzten Bergsteiger an den Füßen aus den Tüchern herauszog, sagte ich als Pfleger: "Herr Träger, da liegen Schwerverletzte, die müssen wir sehr behutsam zum Hubschrauber tragen." Im Spiel bekommen die LehrerInnen stützende und fürsorgliche Rollen in untergeordneten Positionen, um in einer Hilfs-Ich-Funktion z.B. als Krankenschwester den Ärzten zu assistieren und ihnen über Anregungen zu helfen, sich als kompetente Ärzte zu erfahren. Außerdem können sie in diesen Rollen den Kindern Nähe, Stärkung und Versorgung geben. Auch ist es wichtig, dass sie in den Rollen von Präsidenten oder anderen Autoritäten den Kindern die gebührende Anerkennung und Auszeichnung geben.
4.1.5
Die vier Bausteine
Die vier Bausteine, die wir im Laufe unserer Arbeit mit Schulklassen entwickelt und verändert haben, kommen je nach Möglichkeit und Bedürfnis der Schule und un-
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serer Kapazität unterschiedlich zum Einsatz. Wenn möglich arbeiten wir mit dem ganzen Programm. Häufig wählen aber Schulen, vor allem Grundschulen, nur den Baustein der beziehungsstiftenden Geschichten aus. Vor dem Projekt stellen wir uns den Kindern vor und erklären ihnen das Projekt mit seiner Zielsetzung, eine gute Klassengemeinschaft zu fördern. 4.1.5.1
Baustein: Psychodramatische Inszenierung von Ideal-Selbst-Fantasien zur Stärkung des Selbstwertgefühls
Zu Beginn des Schuljahres beginnen wir mit einer positiven Selbstdarstellung der Kinder und möchten über Ideal-Selbst-Fantasien kompensatorisch ein Gegenbild zu ihrem Gefühl der Wertlosigkeit und Minderwertigkeit schaffen. Über die symbolische Wunscherfüllung und die positive Spiegelung hoffen wir, das angeschlagene Selbstwertgefühl der Kinder wieder aufzuwerten und in dem bewundernden Eingehen auf die ersehnten Szenen den geringen Selbstwert zu stärken (vgl. Heinemann 1993). Da alle Kinder in der Klasse bei den einzelnen Ideal-Selbst-Fantasien mitspielen und sich bemühen, dass jede Geschichte gelingt und der "Protagonist" der Geschichte die Anerkennung und Aufwertung erfährt, die er ersehnt, erleben die Kinder von Anfang an ihre Mitschüler nicht als diejenigen, die ihren Selbstwert bedrohen, sondern als die, die es aufbauen. Dies ist auch deshalb unerlässlich, da viele gewalttätige Kinder aus einer verlorengegangenen Hoffung auf Bestätigung und Zugehörigkeit aggressiv werden und über Gewalt ihren Selbstwert auftanken. Gelingen diese Spiele dann tragen sie zur Entwicklung eines sozialen Verhaltenskodex bei: Ich werte nicht andere ab, um mich aufzuwerten; im Gegenteil, ich erhalte Wert, indem ich mich für andere einsetze. Damit die Kinder in Ruhe, ohne Druck oder Störungen der Klasse, ihre Ideal-Selbst-Fantasien entwickeln können, ziehen wir uns jeden Tag mit drei bis vier Kindern nach einer festgelegten Reihenfolge eine halbe Stunde in einen anderen Raum zurück und erarbeiten mit ihnen die Szenen, die sie anschließend mit der Klasse spielen möchten. Es kann auch jeden Tag nur eine Geschichte entwickelt oder, wenn die Klasse zu groß ist, zwei bis drei Kinder in einer gemeinsamen Heldengeschichte zusammengefasst werden. In dieser Vorbereitungsrunde fragen wir nacheinander jedes Kind, ob es sich eine Rolle oder einen Beruf vorstellen könne, in der es sich anerkannt und beachtet fühle und in der es zugleich anderen helfe oder sich für andere einsetze. Mit dieser Eingrenzung möchten wir den Blick der Kinder darauf lenken, dass Größe und Beachtung über den Einsatz für andere zu erreichen ist und nicht über Besiegen, Abwertung, Unterdrückung und Bedrohung. Fällt dem Kind eine Rolle ein, so helfen wir ihm bei der Ausgestaltung einer zu dieser Fantasie passenden Sze-
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neo Da Kinder häufig, vor allem am ersten Tag, sich schwer tun, eine "Größenfantasie" zu finden oder zuzulassen und erst recht nicht wissen, wie sie diese mit der ganzen Klasse ausspielen können, benötigen sie unsere Unterstützung.
Beispiel: Mutige Kinderkrankenschwester rettet Kinder aus brennendem Bus Öznur, einem sehr schüchternen Mädchen, fällt auf meine Frage zunächst nichts ein. Egal, ob ich erfrage, was sie sich erträume, was sie gern machen würde oder was sie gern mal sein möchte, ihre Antwort ist immer: "Nichts." Erst auf die Frage, ob sie vielleicht jemand kenne, der einen Beruf habe, der ihr auch gefallen würde, antwortet sie: "Eine Nachbarin, die ist Krankenschwester. Das wär' ich auch gern." Als ich nachfrage, was für eine Krankenschwester sie gerne sein möchte, sagt sie, eine Kinderkrankenschwester, aber sie könne ja nie eine werden, sie sei viel zu schlecht in der Schule. Ob sie sich eine Situation vorstellen könne, in der sie als Kinderkrankenschwester all die Anerkennung und Beachtung erfahre, die sie sich wünsche, frage ich weiter. Nach langem Zögern kommt von ihr: "Ich könnte Kinder retten." Um sie zu ermuntern, ihre Größenwünsche mehr zuzulassen, zeige ich einige Möglichkeiten auf, wie sie als Retterin auftreten könnte. Bei der Spielidee, sie könnte Kinder aus einem verunglückten Schulbus in letzter Sekunde retten, bevor der Bus in Flammen aufgeht, geht ein Strahlen über ihr Gesicht. Ja, das möchte sie gerne spielen. Könnte es sein, so rege ich an, dass sie für die mutige Rettung der Kinder vom Oberbürgermeister der Stadt Ulm die goldene Bürgermedaille erhalte und Presse, Rundfunk und Fernsehen darüber berichten? Auch bei dieser Idee nickt Öznur strahlend. Hat jedes Kind seine Geschichte gefunden und zu einer spielbaren Szene ausgestaltet, legen wir die Reihenfolge fest, in der die Geschichten gespielt werden. Wir achten dabei auf einen guten Wechsel von ruhigen und lebhaften Geschichten. Vor allem die letzte Geschichte sollte, da nach drei Spielen die Kinder oft schon in ihrer Konzentration nachgelassen haben, eine Geschichte mit viel "action" und Spannung sein. Aus früheren Projekten wissen wir, dass nur dann Störungen in der Klasse zu vermeiden sind, wenn alle Schüler mitspielen dürfen und attraktive Rollen haben. Daher versuchen wir, die Szenen so anzureichern, dass alle Kinder mitspielen können. Mit Öznur entwerfe ich folgende Geschichte: Öznur wird von einem noch unerfahrenen Pfleger, den W. Holl spielen wird, zur Arbeit abgeholt (da Öznur sehr gehemmt wirkte, führen wir diese stützende Doppelgänger-Rolle (Aichinger & Holl201O, S. 73ff) des Pflegers ein, damit W. Holl in dieser Rolle Öznur im Spiel
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begleiten und dafür sorgen wird, dass sie ihre gewünschte Rolle ausführen und er sie zugleich in dieser Spiegelrolle des Unerfahrenen bewundern kann). Auf der Fahrt sehen sie vor sich einen Schulbus mit Schulkindern, der ins Schleudern gerät und über eine Böschung kippt. Unter Einsatz ihres Lebens kann sie zusammen mit dem Pfleger die Kinder aus dem Bus schleppen, bevor er Feuer fängt, und die verletzten Kinder versorgen, bis der Krankenwagen, die Feuerwehr und Polizei eintrifft. Nachdem alle Kinder diesen Unfall dank ihrer Hilfestellung ohne große Verletzungen überstanden haben, wird sie am nächsten Tag ins Rathaus eingeladen. In Anwesenheit von Presse, Rundfunk und Fernsehen erhält sie aus der Hand des Oberbürgermeisters die Bürgermedaille in Gold für ihre heldenhafte Tat. Mit dieser Ausgestaltung der Szenen schaffen wir für die Klasse ein größeres Rollenangebot und damit die Möglichkeit, dass alle mitspielen können. Anschließend gehen wir mit den Kindern in die Klasse zurück. Wir bitten die Klasse, bei den Geschichten, die die Kinder heute vorstellen, ernsthaft mitzuspielen, damit sie gelingen und jedes Kind die Beachtung und Anerkennung erfährt, die seiner Geschichte entspricht. Dann fragen wir das Kind, dessen Geschichte zuerst gespielt werden soll, ob es selbst seine Geschichte erzählen möchte, oder ob wir sie vortragen sollen. Meist ziehen es die Kinder vor, dass wir die Geschichte möglichst spannend erzählen. Ist die Geschichte erzählt, zählen wir die Rollen auf, die die anderen Kinder wählen können. In Öznurs Geschichte biete ich folgende Rollen an: Ein Bus mit dem Fahrer und
sechs Schulkindern, ein Feuerwehrauto mit drei Feuerwehrleuten, die den Brand löschen, ein Krankenwagen mit vier Notärzten, die die Verwundeten verarzten, ein Polizeiauto mit drei Polizisten, die die Unfallstelle absperren und den Unfall aufnehmen. Für die zweite Szene benötigten wir sechs Kinder, die Fernseh- und Zeitungsreporter spielen.
Erst wenn wir die verschiedenen Rollen aufgezeigt haben, lassen wir die Kinder wählen, indem wir die Kinder sich zu den verschiedenen Rollen stellen lassen. Dabei achten wir darauf, dass nicht immer die aktiven Kinder die besten Rollen besetzen. Wenn zu viele Kinder die gleiche Rolle wählen, handeln wir mit ihnen aus, ob nicht auch noch eine andere Rolle für sie attraktiv sein könnte. Es darf aber kein Kind zu einer Rolle gezwungen werden, da es sonst die Spiellust verliert und in Gefahr gerät, das Spiel zu sabotieren. Vielmehr ist mit dem betreffenden Kind nach einer passenden Rolle zu suchen, vielleicht auch eine, die wir bisher noch nicht auf-
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geführt haben. Die mitspielende Lehrerin erhält immer die Rolle, in der sie zum Schluss die Auszeichnung überreichen kann, bei Öznurs Spiel also die Rolle der Oberbürgermeisterin. Damit erleben die Kinder die Lehrerin, was sie meist bisher in ihrer Schulkarriere nie erlebt haben, als Person, die ihnen höchste Anerkennung und Lob entgegenbringt. Es ist oft beeindruckend, welches Leuchten in den Augen der Kinder entsteht, wenn sie aus der Hand der Lehrerin einen Orden, Pokal oder eine andere Auszeichnung erhalten. W. Holl und ich nehmen unterschiedliche Positionen ein und wählen Rollen aus, in denen wir gut intervenieren können. Einer von uns übernimmt in der Außenposition eine Rolle, in der er gut das Gesamtgeschehen überschauen und Regie führen kann. Diese Position begünstigt, Ideen für weitere Inszenierungen zu finden. In Öznurs Geschichte übernehme ich in der ersten Szene die Rolle der Einsatzleitung, die die Feuerwehr, den Krankenwagen und die Polizei im geeigneten Moment zum Einsatz bringen kann. Diese Rolle ermöglicht mir, die anderen Kinder solange zurückzuhalten, bis Öznur die Kinder aus dem Bus gerettet hat, um erst dann Polizei, Feuerwehr und Ärzte zum Noteinsatz zu rufen. Da die Kinder sich oft sehr schwer tun, abzuwarten, und am liebsten loslegen würden, benötigen sie unsere Hilfe, um sich zurückzunehmen und dem "Protagonisten" den Vorrang zu lassen. Daher muss der Leiter in der Außenposition ausbalancieren, welchen Raum der Protagonist zur Erfüllung seiner Wunschfantasie benötigt, und wie viel die Mitspieler zum Zug kommen müssen, damit sie das Spiel auch gut finden. Denn nur dann, wenn ihnen das Spiel auch Spaß macht und sie genügend Beachtung erfahren, können sie dem Protagonisten die nötige Anerkennung geben. In der zweiten Szene lenke ich als Aufnahmeleiter den Einsatz der Kameraleute, der Ton- und Lichtingenieure, damit sie sich auf Öznur zentrieren und ihr das Gefühl vermitteln, im Rampenlicht zu stehen. Der zweite Leiter dagegen übernimmt immer in der Position der Nähe eine HilfsIch-Rolle für den Protagonisten. Gerade Kinder, die wenige Ideen haben, wie sie ihre Wunschrollen ausgestalten können - und in der Hauptschule ist dies häufig anzutreffen -, benötigen dies Hilfe. Mit der Technik des stützenden Doppelgängers können wir die Kreativität der Kinder erweitern oder wieder mehr zur Entfaltung bringen, wenn sie eingeengt und beschränkt ist. Will ein Kind eine Rolle ausspielen, für die es keine hinreichende Rollenperformanz hat, so können wir über stützendes Doppeln das Kind in seiner Intention unterstützen und so zu einer Erwei-
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terung seines Rollenrepertoires beitragen. Der Doppelgänger wird für das Kind zum inneren Beistand, zum inneren Gefährten, der die Selbstwirksamkeit erhöht. In Öznurs Geschichte übernimmt W. Holl die Rolle des unerfahrenen Pflegers. Da Öznur kaum Vorstellungen hat/ was sie als Krankenschwester tun könnte, und ohne Hilfe wieder die Erfahrung machen würde, zu versagen, stützt W. Holl sie in seiner Hilfs-Ich-Rolle des stützenden Doppelgängers. So fragt er als unerfahrener Pfleger beim verunglückten Bus ankommend: "Was sollen wir tun? Wie kommen wir nun in den Bus? Sollen wir vielleicht die Fenster einschlagen/ um die Kinder zu retten?" Oder später bei der Versorgung der Kinder: "Kann es sein, dass dieses Kind einen Schock hat, es zittert so und redet so wirr?" Oder: "Könnten Sie diese klaffende Wunde abbinden?" "Hat dieses Kind noch einen Puls? Könnten Sie ihn vielleicht messen?" Mit diesem stützenden Doppeln hilft er ihr/ die Rolle der guten Krankenschwester besser auszufüllen und sich kompetenter und erfahrener als der Pfleger zu fühlen, da sie ihm ja Anweisungen geben muss. Zugleich kann er als unerfahrener Pfleger an der erfahrenden Krankenschwester bewundernd hoch schauen, wie ruhig sie bleibt, wie gut sie weiß, was zu tun ist und wie erfolgreich sie die verletzen Kinder ärztlich versorgt, und damit ihr Selbstwertgefühl stärken. Über das Spiegeln, über laute, bewundernde Kommentare können wir die großartige Tat zurückspiegeln und bewundernd kommentieren (vgl. Aichinger & Holl2010, S. 68ff). In diesem Korrespondenzprozess können die Kinder sich positiv sehen, weil sie bewundernd von uns angesehen werden. Indem wir ihre "Grandiosität" widerspiegeln, stärken wir ihr Selbstwertgefühl. Gerade in jüngerer Zeit wird aufgrund der Säuglingsforschung die "Kraft liebevoller Blicke", das Spiegeln als zentrale Komponente des therapiewirksamen Faktors "emotionale Annahme und Stütze" als wichtige Grundlage für heilende und entwicklungsfördernde Handlungen gesehen und genützt. "Eine Psychotherapie, die vom Wesen des spiegelnden Blickes nichts weiß und die konfrontierende/ aber auch identitätsstiftende Spiegelerfahrung vermeidet und beides nicht in die therapeutischen Prozesse einbezieht, geht an zentralen Dimensionen menschlichen Miteinanders und menschlicher Selbstfindung vorbei. In den Spiegelungen wird mir durch das liebevolle, wertschätzende Erkennen von Menschen, die mir nahe sind, und durch das akzeptierende Selbsterkennen beim Betrachten des eigenen Gesichtes ein sicheres Identitätserleben möglich." (Petzold 1995/ S. 458f)
Die Babyforschung zeigt, dass der Mensch angeschaut werden muss, um zur Person zu werden.
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4 Resilienzförderung an Schulen "Selbsterleben, Identitätssicherheit, Selbstgefühl und SelbstwertgefühI sind vermittelt durch liebevolles, wertschätzendes, identifizierendes Angeschautwerden." (S. 443)
Sind alle Rollen besetzt, besprechen wir kurz mit den einzelnen Untergruppen, wie sie ihre Rollen ausgestalten können. Dies muss je nach Kreativität der Kinder mehr oder minder ausführlich erfolgen, da Kinder, die kein großes Rollenrepertoire besitzen, zu stören beginnen oder ihre Rollen ins Lächerliche ziehen. Anschließend teilen wir den Raum auf und zeigen, wo z.B. der Bus sich befindet, wo der Polizeiwagen, das Feuerwehrauto und der Krankenwagen steht. Danach lassen wir die Kinder mit dem vorhandenem Material die "Kulissen" aufbauen. In Öznurs Spiel bauen der Busfahrer und die Schulkinder mit Stühlen und Bän-
ken den Bus, die Feuerwehrleute nehmen die Seile als Schläuche, ein rotes Tuch für das Feuer und legen ein weiteres rotes Tuch über die umgekippten Bänke, die das Feuerwehrauto darstellen. Die Polizisten basteln sich mit Baufix Pistolen und eine Kelle, ein grünes Tuch über Stühle wird zum Auto. Die Ärzte machen weiße Tücher zu Bahren, Seile zu Infusionsschläuchen, den Kartenständer zum Infusionsständer, den Overhead-Projektor zum Röntgengerät und Baufixteile zu Spritzen. Das Fernsehteam baut sich aus Kissen eine Kamera, Seile werden zu Fernsehkabeln, Bleistifte zu Mikrofonen, der Besen zum Aufnahmegerät, der Papiereimer zur Beleuchtung.
Sind die Kulissen gebaut, kann das Spiel beginnen. Damit das Spiel keine Eigendynamik erhält und die Kinder nicht vergessen, dass sie in diesem "protagonistenzentrierten Spiel" sich auf das betreffende Kind einstellen müssen und sich nicht in ihrem Spiel verlieren dürfen, begrenzen wir die erste Spielszene "Unfall und Rettung". Wir steuern schnell auf die heldenhafte Tat zu. Haben wir den Eindruck, dass der Protagonist seine Größe zeigen konnte und die Mitspieler auch so viel zum Spiel beitragen durften, dass sie zufrieden sind, machen wir einen Schnitt und stoppen das Spiel. Dann richten wir die zweite Szene ein, in Öznurs Spiel das Zimmer der Oberbürgermeisterin mit dem Femsehteam. Nach dem Aktionsteil dient die zweite Szene der Anerkennung und dem Lob, indem der Protagonist eine Auszeichnung für seine große Tat überreicht bekommt, die durch Anwesenheit von Presse, Rundfunk und Fernsehen und Beifall der Gäste zu einer intensiven Bewunderungsszene ausgebaut wird. Insgesamt steht für die Inszenierung jedes Spiels ca. 30 Minuten zur Verfügung. Wir beenden das Spiel, lassen die Spieler ihre Rollen ablegen und bestätigen den Protagonisten, dass ihm ein sehr schönes Spiel gelungen sei Dann sprechen wir allen Mitspielern die Anerkennung aus, dass sie mit ihrem Beitrag so gut zum
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Gelingen des Spiel beigetragen haben. Diese Bestätigung ist sehr wichtig, weil es für Kinder oft sehr großer Anstrengung bedarf sich zurückzunehmen und dem Protagonisten die "Ehre" zu geben. Danach werden die Kulissen zusammen abgebaut. Nach einer kurzen Pause kann das zweite Spiel beginnen. Damit sich dieser erste Baustein positiv auf das Klassenklima auswirken kann, müssen einige Fehler vermieden werden. Bei der Entwicklung der Geschichte darf nicht zugelassen werden, dass Kinder Geschichten wählen, in denen sie sich auf Kosten anderer aufwerten. Gerade die Analyse von Gewalttätern zeigt, dass sie ihr Selbstwertgefühl auftanken, indem sie andere abwerten und zerstören. Natürlich kommt es bei Jungen häufiger vor, dass sie Größenfiguren aus Fernsehserien nachspielen möchten. Mit der Veränderung: Power statt Gewalt versuchen wir den Helden zum Retter der Schwachen und zum heldenhaften Vorbild zu machen. Ein türkischer Junge will Wrestling spielen und als Türkisch-Figther den goldenen Gürtel in der Weltmeisterschaft gegen den American-Figther gewinnen. Diesen Spielwunsch lasse ich nicht zu mit der Begründung, dass es für andere Kinder sehr schwer sei, die Verlierer zu spielen, und ich auch nicht wüsste, ob sie dazu bereit seien. Außerdem würden die Besiegten sich kaum über seinen Erfolg freuen und ihm daher auch keine Anerkennung geben. Da er aber auf seine Wrestling-Rolle so fixiert ist, dass er keine andere Rolle wählen will, versuche ich seine eingeengte Rollenflexibilität zu erweitern. Ich frage ihn/ ob es sein könnte, dass er als weltbekannter Türkisch- Figther gerade dazu komme, wie sich bei einem parkenden Schwertransporter die Bremsen lösen und er auf einen Schulhof mit vielen Schülern zu rollt. Er springe heldenmütig dazwischen und könne mit seiner Körperkraft den Schwertransporter aufhalten und so in letzter Sekunde eine Katastrophe vermeiden. Da der Junge spürt, dass in dieser Szene mehr Aufwertung als in seiner steckt, stimmt er dieser Idee zu/ und wir können sie gemeinsam zu einer Szene ausgestalten. Auch sportliche Wettkämpfe haben ihre Tücken, da sich auch Silber- und Bronzemedaillen Gewinner häufig als Verlierer fühlen und nach dem Spiel sauer auf den Gewinner sind. Außerdem kann es passieren, dass das Publikum auf den Rängen dem Zweitplazierten mehr zujubelt, wenn diese Rolle ein beliebtes Kind innehat und der Goldmedaillengewinner ein ungeliebtes Kind ist. Schwierig gestalten sich auch Fußballweltmeisterschaften, die wir in früheren Projekten zugelassen haben. Auch wenn abgesprochen war, dass z.B. Manuele für Italien das Siegestor schießt, so vergasen sich die Gegner, die türkische Mannschaft, und kämpften erbittert
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um den Sieg. Außerdem war nicht zu lenken, dass Manuele zum entscheidenden Schuss kam. und dann auch noch das Tor traf. Nach diesen negativen Erfahrungen haben wir in den folgenden Projekten deutlich das Thema eingeschränkt und die Größenhandlungen auf prosoziales Verhalten beschränkt. Ein weiteres Problem taucht immer wieder auf, wenn aggressive Jungen als Mitspieler keine Rollen finden, ihre Kraft in prosozialem Verhalten zu zeigen. Sie werden schnell zu Störenfrieden, wenn wir für sie nicht eine Handlung finden, in der sie ihre Aggression kanalisieren und zugleich ins Spiel des Protagonisten einbinden können. Als bei Öznurs Spiel drei aggressive Jungen als Polizisten Pistolen aus Baufix basteln, müssen wir damit rechnen, dass für sie Verkehr anhalten und Unfall aufnehmen zu langweilig und unbefriedigend ist und sie das Spiel mit Schießereien spannender machen werden. Daher wird es wichtig, ihnen Brücken zu bauen, wie sie ihre aufgestaute Aggression in das Spiel ohne Störung einbauen können. So biete ich ihnen einen "Nebenschauplatz" an: Die Polizisten würden an Lackspuren rausbekommen, dass das flüchtige, den Unfall verursachende Auto gesuchten Verbrechern gehöre. Sie würden sofort die Verfolgung dieser - imaginierten - Verbrecher aufnehmen, das Haus umstellen, es stürmen und die Verbrecher verhaften. Ohne dass Öznur bei ihrer Rettung gestört wird, können durch diesen Nebenschauplatz diese aggressiven Jungen ins Spiel integriert werden. Jeder Versuch, den Spielwunsch von Kindern nur zu unterbinden, führt zu Widerstand, Blockade und Provokation. Daher ist es wichtig, mit dem "Schwung" zu gehen und Möglichkeiten zu eröffnen, wie Mitspieler ihre gewünschte Rolle in das Protagonistenspiel einbauen können. So kann z.B. das Bedürfnis von Kindern, laut zu sein, genutzt werden, indem sie zu Motoren eines PS-starken Autos werden, schießfreudige Jungen können zu Bodyguards für Stars gemacht werden, unruhige Kinder zu Motorradfahrern, die eine wichtige Nachricht schnell überbringen müssen. Da Schule immer weniger Raum und Möglichkeit zur Befriedigung des Bedürfnisses nach affektiver Bewegungs-Erfahrung lässt, müssen wir dem Bewegungsbedürfnis von Schülern Rechnung tragen und ihnen im Spiel Möglichkeiten schaffen, wie sie Aggressionen und motorischen Betätigungsdrang gesteuert abarbeiten und körperliche Fähigkeiten positiv einsetzen können. Denn es ist immer wieder erschreckend, mit zu bekommen, wie schlecht Schule mit Jungen zwischen 6-12 Jahren zurecht kommt und sie ausgrenzt, wie diese lauten und bewegungsaktiven Jungen in der Schule beschnitten und abgewertet werden. Hurrelrnann beklagt im Zeitinterview vom 05.08.2010, dass typische Jungenmerkmale in der Schule nicht gewürdigt werden, dass Jungen als störend wahrgenommen werden und
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typisches Jungenverhalten nur sanktioniert wird. Er fordert eine Männerbewegung mit Jungenförderung, damit Jungen nicht die Verlierer des Bildungssystems bleiben. Für das Gelingen des protagonistenzentrierten Spiels ist es außerdem von großer Bedeutung, dass die Mitspieler, auch wenn sie nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen, genug Anerkennung und Beachtung erhalten. So ist es beim Spiel von Öznur wichtig, dass für den Festakt im Rathaus auch die Schulkinder mit dem Busfahrer, die Feuerwehrleute, die Polizisten und Notärzte eingeladen werden, von der Presse fotografiert werden und nach der Ehrung von Öznur auch den Dank und die Anerkennung der Oberbügermeisterin für ihren großartigen Einsatz erhalten Nach dieser ersten Phase bitten wir die Lehrer, zur Verankerung die Kinder ihre Geschichten aufschreiben und ein Bild davon malen zu lassen. Diese Geschichten und Bilder werden dann im Klassenzimmer aufgehängt, so dass eine Galerie von bedeutenden, hilfsbereiten Größen, HeIdinnen und Helden entsteht. Doch soll das positive Erlebnis der Inszenierung nicht durch zu schulbetonte Nacharbeit zunichte gemacht werden. Indem die Klasse bei diesem ersten Baustein Geschichten erlebt, in denen die Stärken des Protagonisten bewusst in Szene gesetzt werden, kann die salutogenetische Kraft des Psychodramas effektiv genutzt werden. Die Kinder tanken an den Quellen ihrer kompetenten Möglichkeiten auf und können gestärkt wieder in ihren konflikthaften Alltag zurückkehren. Die positive Beachtung und Anerkennung zu Beginn der gemeinsamen Schulzeit führt nicht zu abgehobenen Größenfantasien. Im Gegenteil zeichneten sich die Klassen, die diesen Baustein durchführten, durch mehr gegenseitige Achtung und Anerkennung und durch starke Selbstakzeptanz und Selbstsicherheit aus. Diese Wunscherfüllungen bedingen nämlich ein Sättigungserlebnis, "das, und das ist die Stärke des Psychodramas, als Erinnerungspotential (Depotwirkung von Bildern) besonders wirksam bleibt, da es bildhaft und körpererlebnisnah verankert ist" (Stimmer 2000, S. 43), was auch die EmbodimentForschung (Storch 2006) bestätigt. Dies zeigt auch das kleine Beispiel: Als die Klassenlehrerin nach einem Baustein einen Fragebogen austeilte, schrieb ein gehemmtes Mädchen, das aus Russland emigriert war: "Also ich finde war echt wunderschon. Ich diese Theater will jeden Tag machen. Mir ist ganz das Prinzessin zu sein gefallen. Dort war ich größte." Als ich sechs Jahre später in eine Metzgerei einkaufen ging, lächelte mich eine junge Verkäuferin an und sagte: "Kennen Sie mich noch?" Ich erinnerte mich und sagte: "Sie waren doch
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damals eine wunderschöne Prinzessin, die armen Kindern half." Da ging ein Strahlen über ihr Gesicht, und sie sagte glücklich: "Ja!" 4.1.5.2
Baustein: Psychodramatische Symbolspiele zur Förderung einer prosozialen Beziehung
Anstelle traditioneller personenfokussierter Ansätze fördern wir in unserem beziehungsorientierten Ansatz die vorfindbaren Interaktions- und Beziehungsprozesse zwischen Kindern und Kindern und LehrerIn. Beziehung und Gegenseitigkeit sind ja im Resilienzkonzept wichtige Leitideen. Außerdem richten wir den Blick bei diesem Baustein nicht auf die Defizite der Kinder, vielmehr erfahren sich die Kinder in diesen beziehungsstiftenden Spielen als Handelnde, die wichtiges bewirken können, nämlich anderen zu Hilfe zu kommen und zu retten, wofür sie dann große Anerkennung erhalten. Für Petzold (2007) ist das existenzielle Bedürfnis nach Zugehörigkeit bislang in seiner positiven salutogenetischen Relevanz wenig beachtet worden. "Diese Erkenntnisse können für die Prävention und Gesundheitsförderung in sozialen und kulturellen Systemen angewandt werden, indem man allen Mitgliedern Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung im Rahmen der Zugehörigkeit ermöglicht." (Petzold 2007, S. 5)
Im zweiten Teil des Projektes teilen wir ca. zwei Monate später die Klassen in zwei bis dreei Untergruppen auf, je nach Klassengröße, so dass nicht mehr als zwölf Kinder in der Gruppe sind. Diese Aufteilung nehmen wir deshalb vor, weil in den Hauptschulen viele Kinder über eine geringe soziale Kompetenz und ein eingeschränktes Rollenrepertoire verfügen, und wir ihnen daher in einem überschaubaren Interaktionsfeld mehr Unterstützung und Hilfe zum Aufbau ihrer Beziehungs- und Konfliktfähigkeit anbieten können. Studien zeigen auch, dass kooperatives Verhalten leichter in überschaubareren Zusammenhängen entsteht. Bei der Zusammenstellung der Gruppe achten wir auf ein ausgewogenes Verhältnis von Jungen und Mädchen und bringen gerade die Kinder, die Schwierigkeiten miteinander haben, in der gleichen Gruppe zusammen. Mit jeder Untergruppe arbeiten wir drei bis fünf Sitzungen je zwei Schulstunden. Um die Gruppenspiele auf das zentrale Thema des sozialen Miteinanders auszurichten, geben wir die Geschichten vor. Es sind Abenteuergeschichten mit Rettungen, die drauf abzielen, dass die Kinder positive Beziehungserfahrungen machen: Absturz im Himalaja mit Rettung, Seenot im Eismeer mit Bergung, Flugzeuglandung im Urwald mit Rettungsexpedition, Höhlenforscher und Archäologen, die verschüttet und gerettet werden. In diesen spielerischen Prozessen des gemeinsa-
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men Entdeckens, Erforschens und Zuhilfekommens entfalten die Schüler ihre Beziehungsfähigkeit. Die in den Geschichten angeregte kooperative gegenseitige Hilfe, das Sich-Gegenseitig-Helfen lassen die Kinder erfahren, dass jedes Kind "therapeutisches Agens" für ein anderes sein kann (Moreno 1973, S. 52). Und dieser positiven Beziehungserfahrung in der Peergruppe kommt salutogenetische Kraft zu. Ablauf der Sitzung: Wir teilen den Kindern, die im Kreis sitzen, mit, dass wir ihnen zunächst eine Abenteuergeschichte erzählen und sie nachher zusammen spielen werden. Wir versuchen, die Geschichte möglichst spannend zu erzählen, um die Kinder für das Spiel anzuwärmen. Wir geben dabei nur einen Handlungsentwurf vor, mit dem die Schüler improvisieren und den sie zu ihrer eigenen Geschichte ausbauen können. Schon während des Erzählens dürfen sie die Geschichte mit eigenen Ideen anreichern. Danach benennen wir die Rollen, die zu dieser Geschichte gehören. Wir fassen ähnliche Rollen in soviel Untergruppen zusammen, wie erwachsene Mitspieler teilnehmen. Aus der Erfahrung heraus, dass Kindern, deren Spiel nicht von Erwachsenen gestützt wird, häufig Spielideen ausgehen, und sie dann schnell Chaos bereiten, sorgen wir dafür, dass jeder von den Erwachsenen (die beiden Leiter und die Klassenlehrer) Rollen wählen, in der sie in einer untergeordneten Position das Spiel der Untergruppe stützen, kreativ weiterentwickeln, Verbindungen zwischen den Untergruppen herstellen oder bei Konflikten Aushandlungsprozesse fördern können. Außerdem versuchen wir in die Geschichte unterschiedliche Rollen einzuführen, die den Bedürfnissen der Kinder entgegenkommen, z.B. eher besonnener Forscherrollen und eher kämpferische Abenteuerrollen.
Beispiel: "Im Pharaonengrab verschüttete Forscher von Beduinen gerettet" In der zweiten Sitzung erzähle ich im Stuhlkreis den Kindern möglichst lebendig
folgende Geschichte:
Eine internationale Forschergruppe mit berühmten Forscherinnen und Forschern macht sich mit einem Geländejeep auf, in die Wüste, im Tal der Könige, ein bisher unentdecktes Pharaonengrab zu finden, in dem alten Berichten nach unermessliche Grabschätze verborgen sein sollen. Thr Jeep bleibt aber in einer Sanddüne stecken. Da sich in der Nähe eine Oase befindet, in der ein Beduinenstamm lebt, der die wertvollsten Araberpferde züchtet, holen sie dort Hilfe. Mit ihren starken Pferden ziehen die Beduinen den Jeep aus dem Sand heraus und laden die Forschergruppe in ihre Zelte ein. Nachdem die Forscher ihre Gastgeschenke überreicht haben, werden sie zum Gastmahl eingeladen und bekommen köstliche Speisen vorgesetzt. Am Lagerfeuer erzählen sie den
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Beduinen von den alten Berichten und ihrem Plan, die Schätze in einem Museum im Land der Beduinen auszustellen. Die Beduinen wollen sie bei ihrer Forschung unterstützen und erinnern sich, dass sie bei der Jagd ein Wild in einer Felsspalte in der Nähe verschwinden sahen. Am nächsten Morgen führen sie die Forscher zu den Felsen, wo sie den verborgen Eingang entdecken und ihn frei legen. Die Forscher dringen dann in die verzweigten Gänge ein, entziffern Hieroglyphen, die Wege weisen, und entdecken auch die ersten Schätze. Während sie langsam zur Grabkammer vordringen, wird in der Oase die Pferdeherde der Beduinen in der Nacht von einem Berglöwen angefallen. Die Beduinen können ihn aber in eine Falle locken, töten, sein wertvolles Fell abziehen und das köstliche Fleisch braten. Inzwischen sind die Forscher auf die Grabkammer gestoßen und machen einen sensationellen Fund. Schätze von unschätzbarem Wert liegen in der letzten Grabkammer. In ihrer Freude vergessen sie alle Vorsicht und berühren einen verborgenen Hebel. Mit Getöse stürzt eine Fe1senfalltür herab und verschließt die Grabkammer. Von der Decke rieselt langsam Sand in die Grabkammer. Die Forscher wissen, wenn nicht bald Hilfe von draußen kommt, werden sie im Sand versinken. Die Beduinen hören aber als gute Jäger ein fernes Grollen und machen sich schnell auf den Weg zu dem Grab. Sie hören die Klopfzeichen, ziehen mit ihren Pferden die riesigen Felsblöcke weg und graben die Gänge frei, bis sie zur Grabkammer gelangen. Bevor die Forscher im Sand ersticken müssen, können die Beduinen mit vereinten Kräften die schwere Falltür weg schieben und die Forscher schnell ins Freie tragen. In ihren Zelten verbinden sie die Wunden der Forscher, schienen die Beinbrüche und versorgen sie mit Wasser und Nahrung. Nachdem die Forscher durch die Heilkunde der Beduinen bald geheilt sind, machen sie sich gemeinsam mit den Beduinen auf, um die gewaltigen Schätze zu bergen. Als die Nachricht über den sensationellen Fund in Kairo eintrifft, fliegt der ägyptische Museumsdirektor mit einem großen Fernseh- und Presseaufgebot in das Beduinenlager und zeichnet die Forscher und die Beduinen mit dem höchsten Orden aus. Nachdem die Kinder dieser Geschichte gespannt zugehört haben, frage ich, wer zum Team der Forscherinnen und Forscher und wer zu den Beduinen gehören möchte. Nach der Aufteilung in die beiden Untergruppen ordnen sich die Klassenlehrerinnen und die Leiter den Gruppen zu und teilen ihre Rollen mit. Wir finden es wichtig, dass die Lehrerinnen bei diesen Spielen in engen Kontakt mit den Kindern kommen und von ihnen anders erlebt werden als im täglichen Unterricht, nämlich in einer versorgenden, bewundernden Rolle und in untergeordneten, nicht bestimmenden Positionen. Dies ermöglicht eine neue Beziehungserfah-
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rung zwischen Kindern und LehrerInnen ermöglicht wird. Daher arbeiten wir mit den Lehrerinnen in der Vorbereitungsphase vor dem Projekt entsprechende Rollen aus. Wir besprechen mit ihnen, wie sie in ihren Rollen den Kindern Spielanregungen geben können, ohne das Spiel der Kinder zu bestimmen oder in eine Führungsposition zu geraten. Beachten sie dies nicht, dann verlieren die Kinder schnell ihre Spiellust und werden wieder zu passiven Schülern. So konnten wir z.B. bei einem Spiel beobachten, wie die Kinder aus dem Spiel ausstiegen, als die Lehrerin die Leitung übernahm. Je lustloser die Kinder wurden, desto mehr bestimmte sie das Spiel und ordnete an, was die Kinder spielen sollten. So befahl sie z.B., als der Jeep der Forscher im Sand stecken blieb, den Forschern, die Beduinen zu holen, statt zunächst hilflos und bestürzt zu fragen: "So ein Mist, was machen wir jetzt bloß? Wir stecken fest, ob wir den Jeep aus eigener Kraft noch heraus ziehen können? Wenn wir nur Hilfe in der Nähe fänden." Die Forscher blieben im Auto sitzen und fingen zu blödeln an, worauf die Lehrerin noch bestimmender wurde, die Rolle der Assistentin immer mehr verließ und wieder zur Lehrerin wurde. Um die LehrerInnen aus ihrer gewohnten Führungsrolle herauszuholen und sie für ihre neue Aufgabe, Spielanregungen zu geben, den Kindern dabei aber die Führung zu überlassen, vorzubereiten, hat sich bewährt, vor dem Projekt diese Spiele mit den Lehrern so durchzuspielen, dass sie die Spiele als Schüler erleben können. Durch diesen Rollentausch können sie aus der Sicht der Kinder erleben, wie Hilfestellungen im Spiel aussehen müssen, damit Kinder sie annehmen und verwerten können. Dies ist aber nur möglich, wenn mehrere LehrerInnen an dem Projekt teilnehmen oder ein Lehrerkollegium sich entscheidet, dieses Projekt in mehreren Klassen durch zu führen. Bei dieser Geschichte schließt sich die Klassenlehrerin der Forschergruppe als Forschungsassistentin an, eine weitere Lehrerin der Beduinengruppe als Köchin und Heilerin. Sie besprechen dann mit ihrer Untergruppe, wer welche spezifische Fähigkeit in seinem Team hat, wer z.B. bei den Forschern alte Pläne lesen kann, wer sich mit Hieroglyphen auskennt, wer die Luft in der Pyramide prüft .Außerdem lassen sie die Kinder Namen (z.B. Sir John) wählen. In der Untergruppe der Beduinen bespricht die andere Lehrerin, wer die Pferde bewacht, wer sie pflegt und versorgt, wer sich mit Heilpflanzen auskennt, wer gut Wasser finden kann, wer jagen kann.. Auch in dieser Gruppe lässt sie die Kinder sich arabische Namen wie Abdul geben.Da Schüler ihre Rollen häufig nicht ausfüllen können, brauchen sie von den erwachsenen Mitspielern Impulse, um innere Bilder entwickeln zu können, sich für die Geschichte an zu wärmen und ihr Handlungsrepertoire zu erweitern.
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W. Holl und ich wählen eher Rollen, in denen wir je nach Gruppenkonstellation und vorhersehbaren Konflikten intervenieren oder die Spielhandlung und Spannung erweitern können. Außerdem übernimmt immer einer von uns die Rolle des Außenfeindes, der Bedrohung und Gefahren einführt. Kinder möchten gerne diese zunächst mächtige Rolle übernehmen, sehen aber nicht ab, dass die bedrohliche Figur überwältigt werden soll Sie würden die Rolle des gefährlichen Löwen genießen, würden sich aber im Spiel weigern, sich von den Beduinen überwältigen und ohnmächtig machen zu lassen. Es käme zum Kampf, bei dem der körperlich Stärkere siegen würde. Um diesen Konflikt zu verhindern, sagen wir gleich beim Erzählen der Geschichte, dass die Rolle des Löwen oder der Schlangen ein Erwachsener übernehmen wird, und benennen auch den Grund, wenn Kinder nachfragen. In dieser Sitzung entscheiden sich zwei Jungen für das Forscherteam, gestalteten jedoch ihre Rollen anders als vorgesehen aus. Während in der Bauphase die anderen Jungen und Mädchen, die zum Forscherteam gehören, Forschungsgegenstände mit Baufixelementen zusammenstellen, bauen diese beiden Jungen große Maschinenpistolen. Da abzusehen ist, dass diese dominant auftretenden Jungen das Spiel bestimmen und die Forschungen der vier anderen Kindern mit Herumballern stören werden, übernimmt W. Holl in der Rolle eines sich unterwürfig gebenden Trägers die Hilfs-Ich-Funktion eines stützenden Doppelgängers, um die geringe Selbstkontrolle dieser beiden Jungen zu stützen und ihre auf Schießen eingeengte Kreativität zu erweitern. Als sie, nachdem ihr Jeep im Sand stecken bleibt, mit gezückten Maschinenpistolen das Lager der Beduinen stürmen wollen, hält Walter Holl sie mit den Worten zurück: "Um Gottes Willen, ihr edlen Lords, was ist in euch gefahren, wir wollten doch um Hilfe bitten. Wenn ihr so kriegerisch im Lager erscheint, werden euch die Beduinen als feindliche Angreifer betrachten und euch bekriegen!" Als sie dann im Lager doch zu ihren Gewehren greifen, sagt ein anderer Forscher: "Wir müssen die Waffen wegstecken, damit sie sehen, dass wir in friedlicher Absicht kommen. Am besten, wir überreichen ihnen Geschenke." Es reicht aber nicht aus, starre Interaktionsmuster zu unterbrechen. Kinder mit geringer Kreativität müssen auch zu Handlungsalternativen angeregt werden. Daher versuchen wir mit einem konstruktivistischen Ansatz ("Was wäre, wenn..."), soziale Phantasien in Bewegung zu bringen und neue Wahlmöglichkeiten zu erzeugen. Diese "Entzündung des Möglichkeitssinns" (Simon und Weber 1988) durch hypothetische Fragen ist eine sehr wirkungsvolle Intervention.
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So fragt er weiter: "Ich habe gehört, gefährliche Klapperschlangen hausen in den Felsspalten und bedrohen die Beduinenfrauen. Was wäre, wenn ihr Meisterschützen den Beduinen anbietet, die giftigen Schlangen abzuschießen und sie als Gegenleistung euer Auto herausziehen?" Nachdem der Träger mit dieser Intervention den Jungen eine Möglichkeit eröffnet, ihr "Stärke" prosozial einzusetzen, sind sie bereit, unter der bewundernden Kommentierung des Trägers für die Beduinen die Schlangen abzuschießen. Auch im weiteren Spielverlauf sind Interventionen notwendig, um diese beiden Jungen in das gemeinsame Spiel zu integrieren, und um zu verhindern, dass die anderen Kinder sie als Störenfriede und Spielverderber ablehnen, was in ihrer bisherigen Schulzeit schon öfters der Fall war. Da auch abzusehen ist, dass sie sich in der Pyramide nicht mit Forschungen aufhalten, sondern schnell zu dem Schatz vordringen und für ein schnelles Ende sorgen werden, wechselte W. Holl die Rolle. Als sie den Eingang der Pyramide entdeckt haben, teilt er den Kindern mit, er sei jetzt gefährliche Skorpione und giftige Schlangen, die in den dunklen Gängen der Pyramide hausen. Da die beiden Jungen sofort Handgranaten bauen wollen, weist er als Spielleiter darauf hin, dass es Selbstmord sei, in der Pyramide zu schießen, weil sofort die Gänge zusammen stürzten könnten. Es verlange von den Forschern daher großen Mut, nur mit Messern gegen diese Skorpione und Schlangen vorzugehen, die den Zugang zu der Grabeskammer versperren. Mit diesem Anreiz auf Heldentum schafft er es, die Jungen durch eine spannende Aktion zu fesseln und sie zugleich in die gemeinsame Forschungsexpedition einzubinden. Für die Beduinengruppe übernehme ich die Rolle des Berglöwen. Nach dieser Rollenverteilung lassen wir die Kinder den Ort der Handlung einrichten. Wir schaffen zunächst eine räumliche Struktur, die zur Darstellung dieser Geschichte notwendig ist, teilen den Raum auf und legen fest, wo sich das Pharaonengrab befindet, wo die Beduinen in der Oase ihre Zelte haben, wo der Jeep der Forscher steht und wo die Wüste verläuft. Danach kann jede Gruppe ihre "Kulissen" mit dem vorhandenen Material aufbauen. Oft sind die Kinder sehr erfindungsreich, was die Ausgestaltung der Szene angeht, manchmal benötigen sie aber unsere Anregungen. An dem einen Ende des Raumes bauen zwei Mädchen und zwei Jungs aus dem Forschungsteam, unterstützt von W. Holl, mit Stühlen und Tischen die verzweigten Gänge des Grabes auf, die sie dann mit Tüchern verdunkeln. Stricke, die sie in die Gänge legen, sollen Giftschlangen darstellen, Vorhänge Spinnweben mit Vo-
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gelspinnen. W. Holl sorgt auch dafür, dass die Grabkammer am Ende der Gänge so groß gebaut wird, dass alle Forscher darin Platz finden. Mit Baufixelementen und goldenen Tüchern werden die Schätze in der Grabkammer angedeutet. In der Nähe der Pyramide bauen die beiden anderen Jungs des Forschungsteams zusammen mit der Lehrerin den Jeep. Auf der entgegengesetzten Seite errichten die Beduinen mit großen Tüchern über hochgestellten Tischen ein großes Zelt und schmücken es mit bunten Tüchern schön aus. Stühle, die sie mit schwarzen Tüchern überdecken, werden zu Pferden. Mit blauen und grünen Tüchern gestalten sie die Oase. Dazwischen lasse ich die Wüste mit einer hohen Sanddüne (Tisch mit braunem Tuch) entstehen, so dass die beiden Gruppen zunächst abgegrenzt sind. Unter dem Tisch baue ich die Höhle des Berglöwen. Sind die Kulissen gebaut, können sich die Kinder verkleiden und ihre jeweiligen Requisiten besorgen. So behängen sich die Beduinen mit weißen oder schwarzen Tüchern und schrauben sich Krummsäbel zusammen. Die Forscher entwickeln Forschungs- und Aufzeichnungsgeräte und Kameras. Ich hänge mir als Löwe ein geflecktes Tuch über, so dass die Jäger mit später das Fell abziehen können. Diese Bauphase nehmen die Schüler sehr wichtig. In der Ausgestaltung der Kulissen können sie ihre unterschiedliche Kreativität einbringen und sich beim Aufbau und Verkleiden gegenseitig helfen, was kooperatives Verhalten verstärkt. Zugleich müssen sie aushandeln, wie die Kulissen gebaut werden sollen, wie das vorhandene Material benützt bzw. aufgeteilt werden kann, und ihre Ideen aufeinander abstimmen. Die Kinder sind oft selbst sehr beeindruckt, wie schön sie die Kulissen gestaltet haben. So sagte z. B: ein Mädchen: ,,Ich hab gar nicht gewusst, wie schön unser Klassenzimmer aussehen kann./I Anschließend gehen wir mit allen Kindern durch den Raum und lassen von jeder Untergruppe ihre Kulissen erklären, so dass alle Kinder im Spiel wissen, was jede Kulisse zu bedeuten hat, und sie einen Überblick über die Bühne erhalten. Nach diesem Orientierungsrundgang kann das Spiel beginnen. Da die meisten Kinder in diesen Schulen in ihrer Spontaneität und Kreativität eingeengt sind, müssen sie erst wieder spielen lernen. Dazu brauchen sie als Unterstützung das ernsthafte Mitspielen der Erwachsenen. Durch die Ernsthaftigkeit, mit der wir unsere Rollen spielen und ausgestalten, mit der wir mit anderen Rollen und den Kulissen umgehen, durch die Betonung der Mimik, Gestik und Motorik zeigen wir den Kindern, was im psychodramatischen Spiel, in diesem "So-tun-als-ob" mög-
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lich ist und stiften sie zur Imitation an und nehmen ihnen die Scheu, sich blamieren zu können. Da es auch keine Zuschauer gibt, haben wir noch nie erlebt, dass ein Kind nicht mitspielen wollte, auch wenn Lehrer dies immer wieder vor dem Spiel befürchtet hatten. Nicht wenige Kinder tun sich auch schwer, ihre gewählten Rollen richtig auszufüllen, auf die Rolle der Mitspieler angemessen zu reagieren oder auch die Kulissen ernst zu nehmen, Daher müssen wir als Regisseure strukturierend eingreifen und das schnell entstehende Chaos in einen schöpferischen Prozess überleiten. Auch ist es immer wieder notwendig, konflikthafte Interaktionen von Kindern zu stoppen, ihr Spiel zu unterbrechen, um ihnen zu helfen, sich mit ihren Konfliktpartnern auseinander zu setzen und kreative Konfliktlösungen zu finden. Da die Kinder eher gewohnt sind, bei Aushandlungen die Sicht der anderen Seite zu übergehen, den anderen zu überschreien, zu beschimpfen oder zu dominieren, brauchen sie unsere strukturierenden, neue Handlungen eröffnenden oder stützenden Interventionen, um zu wechselseitigen Arrangements und zu einem konstruktiven Fortgang des Spiel zu kommen. Dazu müssen wir kurz aus unseren Rollen heraustreten, als Spielleiter den Konflikt regeln und dann wieder in die Rolle zurücksch1üpfen. Das Kinderpsychodrama bietet aber auch reichhaltige Interventionsmöglichkeiten, um nicht nur als Spielleiter, sondern auch in Rollen in den Interaktionsprozess der Gruppe eingreifen zu können und eine wilde Gruppendynamik zu verhindern. Da diese Interventionen in Rollen die Symbolsprache der Kinder aufgreifen, kommen sie bei den Kindern besser an. Wie "spielerisch" die Interventionen erfolgen können, mag das folgende Beispiel zeigen: In dieser Sitzung entscheiden sich drei Mädchen und vier Jungen für das Forscherteam. Eine der beiden Klassenlehrerinnen ordnet sich als Forschungsassistentin diesem Team zu. Zum Beduinenstamm gehören drei Mädchen und die zweite Lehrerin in der Rolle einer heilkundigen Beduinenfrau. Ein russischer Junge, Igor, der die Klasse wiederholen musste, weil er im vergangenen Schuljahr sich mehr in einem Einkaufszentrum als in der Schule aufhielt, kommt erst in der Bauphase hinzu. Mit meiner Unterstützung wählt er die Rolle eines Beduinen, ohne zu bemerken, dass er in dieser Gruppe der einzige Junge ist. Ich frage ihn, ob er die Pferde bewachen möchte. Ich übernehme die Rolle des Berglöwen, um dem Beduinenstarnm auch eine abenteuerliche Spielhandlung zu ermöglichen. Als nach dem Aufbau der Kulissen das Spiel beginnt, steht Igor verloren, ohne Kontakt zu der Mädchengruppe, vor dem Pferdepferch. Mit einer Spielidee versucht ich ihn, der schon in der letzten Schulklasse nicht integriert war, eine Möglichkeit aufzuzeigen, wie er mit den Mädchen in Beziehung
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treten kann. Ich frage ihn als Spielleiter, ob es sein könnte, dass ich mich als Löwe in der Nacht anschleiche, ihn bei der Nachtwache von hinten anspringe, zu Boden werfe und verletzte. Er könnte mich aber dann in einem Kampf vertreiben und später, wenn er wieder geheilt sei, einfangen. Begeistert stimmt er zu und sagt, ich würde ihm schlimme Bisswunden zufügen. Während die Mädchen ihr Zeltlager ausschmücken und Heilpflanzen sammeln, sagt Igor, der mit einem Krummsäbel Wache hält, es würde langsam dunkel werden und der Löwe würde sich anschleichen. Ich schleiche mich an, stürze mich auf ihn und reiße ihn zu Boden. Mit leuchtenden Augen ringt er auf dem Boden mit mir. Durch mein Brüllen werden die Beduinenfrauen herbeigerufen. Sie vertreiben mich mit Fackeln und schleppen den verwundeten Wächter ins Lager. Dort versorgen und pflegen sie ihn einfühlsam. Igor genießt dies sichtlich, vor allem, dass die Lehrerin sich sorgt, dieser tapfere Wächter könnte nicht überleben, und klagt, welch großer Verlust es für den Stamm wäre. Er will deshalb nicht so schnell gesunden. Mit dieser Intervention des Außenfeindes gelingt es, ihn in Kontakt mit den Mädchen auf eine Weise zu bringen, die auch in den Augen der anderen Jungen akzeptabel ist. Während dieser Spielhandlung in der Oase versucht W. Holl als Träger das Forschungsteam in ihre Rollen zu bringen und sie für das Spiel anzuwärmen, indem er neugierig beim Bepacken des Jeeps sich nach ihrer Ausrüstung und den Forschungsinstrumenten erkundigt und den Mut der Forscher bewundert, sich auf so gefährliche Abenteuer einzulassen. Schon viele Forscher seien aus dem Tal der Könige nicht zurückgekommen. Vor allem die Mädchen, die noch sehr zurückhaltend sind, stützt er mit seinem bewundernden Spiegeln. In seinem Volke würde sich keine Frau ein solch gefährliches Abenteuer zutrauen. In diesem Team müssten ja die erfahrensten Forscherinnen und Forscher der Welt zusammengekommen sein. Voller Stolz gehen die Kinder auf dieses bewundernde Spiegeln ein und erzählen, welche Abenteuer sie schon erlebt haben. Die Jungen übernehmen dann im Jeep das Steuer und bleiben nach kurzer Fahrt im Treibsand stecken. Während die Jungen den Wagen reparieren, eilen die Mädchen zu der Oase und bitten um Hilfe. zwei Beduinenfrauen reiten mit ihren Pferden zu dem Jeep, während die Lehrerin mit einem Mädchen beim verletzten Wächter zurückbleibt. Die Forscherinnen und Forscher tanken, nachdem sie Geschenke überreicht haben, in der Oase dann ihren Wasservorrat auf und werden dann noch zum Sch1angenessen eingeladen, als die Scharfschützen die Schlangen abschießen. Ein türkischer Junge, der zu den Forschern gehört, übersetzt es den anderen Forschern, als die Beduinen türkisch reden. Nach einer Nacht am Lagerfeuer zeigen die Beduinen den Forschern die Fels-
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spalte. Sie entdecken den Eingang, schaufeln ihn frei und kriechen in die Gänge. Damit die Forscher nicht zu schnelle zur Grabkammer vordringen, weist die Assistentin (Lehrerin) auf Hieroglyphen im Eingangsbereich hin. Ob diese Zeichen wohl vor Gefahren warnen würden? Die Hieroglyphenspezialistin entziffert die Inschrift und bestätigt, es sei wirklich eine Warnung vor verborgenen Falltüren. Sie müssten sehr vorsichtig sein. Die Gänge abtastend kriechen sie dann weiter vor und genießen es, eng beieinander zu liegen. Die Assistentin sichtet Vogelspinnen und giftige Schlangen (mit Tüchern und Seilen aufgebaut, die W.Holl bewegt), die sich in den Felsspalter versteckt halten, hin, die die bewaffneten Jungen schnell unschädlich machen. Sie selbst zeige sich ängstlich und bewundert den Mut und die Gelassenheit, mit der die Forscher jede Gefahr meistem. In der Spiegelrolle der ängstlichen Assistentin drückt sie ihre Bewunderung aus und kann so in der symbolischen Wunscherfüllung das Selbstwertgefühl der Kinder stärken. Währendessen versuche ich im Lager der Beduinen eine weitere Spielhandlung in Gang zu setzen. Da sich die Mädchen bisher auf das Ausschmücken der Zelte, das Versorgen und Pflegen beschränken, eröffne ich ihnen eine Möglichkeit, ihr Rollenrepertoire zu erweitern. Ich frage sie als Spielleiter, ob es sein könnte, dass der Löwe wieder Pferde reißen möchte, sie ihm aber auflauern, in eine Falle locken und fangen würden. Dieser Idee stimmen die Mädchen freudig zu. Sie knüpfen Schlingen und legen Fleisch als Köder hinein. Zusammen mit Igor legen sie sich auf die Lauer, warten gespannt, bis ich als Löwe anschleiche und in die Falle tappe. Gemeinsam fallen sie über mich her und töten mich nach einem heftigen Kampf (so ihre Anweisung) mit ihren Messern. Sie ziehen dem Löwen das Fell ab und hängen es triumphierend zum Trocknen auf. Ein gehemmtes Mädchen schneidet lustbetont die Fleischstücke heraus und brät die Keulen über dem Feuer. Danach setzen sie sich alle ans Feuer, verschlingen die Keulen, genießen ihren gemeinsamen Sieg und lassen sich von der Lehrerin für ihren Mut bewundern. Inzwischen haben die Forscher die Grabkammer entdeckt. Indem die Assistentin staunend die Schätze beschreibt und die sensationelle Entdeckung hervorhebt, können die Kinder diese auch so sehen und sich als großartige Forscher fühlen. W. Holl wartet den richtigen Zeitpunkt für die Katastrophe ab, kippt als Spielleiter krachend eine Bank um und verschließt den Ausgang der Grabkarnmer. Dann lässt er Tücher als Sand über sie fallen. Nachdem die Assistentin nach Luft zu ringen beginnt, gehen die Kinder darauf ein, bekommen keine Luft und werden ohnmächtig.
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Da die Beduinen mit ihrer Geschichte beschäftigt sind und von dem Einsturz nichts mitbekommen, komme ich als Händler ins Lager der Beduinen geritten und erzähle aufgeregt, in der Wüste ein Grollen und dann schwache Hilferufe gehört zu haben. Ich habe aber zuviel Angst, um nachzuschauen, und sei daher gleich zu den Beduinen geritten, da ich nur diesem tapferen Beduinenstamm so viel Mut zutraue. Sofort brechen die Beduinen auf, kriechen in den Gang und entfernen, vom Händler bewundert, den Felsen vom Eingang der Grabkammer. Sie ziehen die ohnmächtigen Forscher aus der Pyramide und träufeln ihnen Wasser in den Mund. Als die Forscher zu sich kommen, tragen sie sie ins Lager, pflegen ihre Wunden mit Heilpflanzen und versorgen sie mit Heiltränken. Der Händler lobt ihre Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft. Für eine kurze Zeit befinden sich nun alle Kinder eng aneinander sitzend oder liegend im Zelt. Die Lehrerin bringt als Beduinenfrau einen großen Topf mit Löwenbraten, um nach der schwierigen Rettung die Helfer und die Verletzten wieder zu kräftigen. Alle lassen sich von ihr bedienen und stärken, bevor sie gemeinsam aufbrechen, den Schatz zu bergen. Um dieser gemeinsamen Bergung eine größere Bedeutung zu geben, übernehme ich die Rolle der Pharaonenmumie. Sie ziehen diese ins Freie und untersuchen sie eingehend. Sie entdecken Gold und Edelsteine unter den Grabtüchern. Vor allem die Mädchen, Forscherinnen und Beduinenfrauen, entwickeln neue Spielideen, finden das Herz und das Gehirn des Pharao in goldenen Gefäßen und untersuchen alles ganz genau. Kinder, die sich von der Untersuchung wenig anziehen lassen und eher herumstehen, versucht W. Holl als Händler ins Spiel einzubeziehen, indem er wertvolle Schmuckstücke abzuhandeln versucht. Bevor die Spielzeit zu Ende geht, macht sich der Händler auf den Weg, um die Nachricht über die sensationelle Entdeckung und die Rettung nach Kairo zu bringen. Die Klassenlehrerin wechselt dann die Rolle und kommt als Direktorin des ägyptischen Museums und zeichnet die Forscher für die Entdeckung und die Beduinen für die heldenmütige Rettung mit der höchsten Verdienstmedaille aus. Stolz lassen sich alle die Orden überreichen und stellen sich zu einem Gruppenfoto für die Presse, die W.Holl und ich spielen, in aller Welt zusammen. Damit beenden wir das Spiel 15 Minuten vor Ende jeder Sitzung brechen wir das Spiel ab und entrollen die Kinder. Dann setzen wir uns in der Runde zusammen und fragen jedes Kind, was ihm im Spiel gefallen habe und mit wem es heute gut zusammenspielen konnte, um positive Interaktionen zu verstärken. Negative Rückmeldungen stoppen wir sofort, da wir bei unserem ersten Projekt erfahren mussten, wie schnell dadurch ein focu-
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sierender Blick auf das Negative entsteht und auch nach guten Spielen die Kinder aneinander herum kritisieren. Sobald nämlich ein Kind mit einer kritischen Rückmeldung beginnt, schließen sich andere an. Sie werfen sich dann gegenseitig vor, was sie falsch gemacht haben. Nach einem Spiel, als es in der Rückmelderunde zu diesem negativen Zirkel kam, warf ein Mädchen ein: "Jetzt haben wir so toll zusammen gespielt, und ihr macht jetzt alles kaputt." Dieser Problernzentrierung und Fehlerorientierung möchten wir mit der Betonung des Gelingenden, der Ressourcenorientierung und Fehlerfreundlichkeit entgegen treten. Auch wir Erwachsene geben nur positive Rückmeldungen und streichen gelungene positive Interaktionen heraus. Anschließen bitten wir die Kinder, gemeinsam die Kulissen abzuräumen. Da die Kinder bei diesen beziehungsstiftenden Geschichten meist - durch unsere Intervention unterstützt - die Erfahrung gelingender Beziehungen machen, lieben sie diese Spiele sehr. Wenn wir Kinder aus früheren Projekten trafen, fragten sie häufig, wann wir wieder so tolle Spiele mit ihnen machen würden. Wie sehr vor allem Kinder, die sonst in der Schule eher durch Störungen und asoziales Verhalten auffielen, Sehnsucht nach Bezogenheit und gelingenden zwischenmenschlichen Beziehungen haben, erfuhren wir in einem Projekt, in dem wir nach beziehungsstiftenden Geschichten Konfliktgeschichten spielten, ohne aber einen positiven Ausgang vorzugeben. Hier weigerten sich gerade diese Kinder, eine Rolle zu übernehmen, in der sie einen Konflikt inszenieren sollten. Sie wollten nur die "guten", die helfenden Rollen übernehmen, nicht aber Rollen, in denen sie stören, dominieren, aggressiv sein sollten. Nur die "braven" Schüler waren bereit, diese schwierigen Rollen zu übernehmen. Ein Junge, der sich bereit erklärte, eine "böse", konflikterzeugende Rolle zu übernehmen, fragte nach kurzer Zeit: "Wie lange muss ich noch böse sein?" Und die Kinder baten bald, wir sollten doch wieder die "schönen Geschichten" der Anfangszeit spielen. Durch diese Erfahrung konnten wir besser verstehen, wie groß das Bedürfnis der Kinder ist, positive Erfahrungen zu machen, Hilfe und Anerkennung zu bekommen und nicht in Konflikt und Streit zu geraten, dass aber häufig ihre soziale Kompetenz, dies zu erreichen, begrenzt ist. Diese Erkenntnis bewog uns, den Schwerpunkt auf diese beziehungsstiftende Geschichten zu legen, und uns nicht auf Beziehungsstörungen und Störung der Beziehungsfähigkeit zu stürzen, sondern von der pathogenetischen Sicht zur salutogenetischen zu kommen. Daher arbeiten wir in diesem beziehungsorientierten Ansatz daran, wie sich Beziehungsfähigkeit zwischen den Kindern entwickeln lässt und wie wir die sechs Auto-Tele-Funktionen, die als Ich-Funktionen zur Beziehungsfähigkeit beitragen, stärken können: 1. 2.
Die Fähigkeit, Rollen einzunehmen, zu entwickeln und zu differenzieren, die Fähigkeit, Rollen nicht zu aktivieren,
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3.
die Fähigkeit, Rollen passend zu generieren und zu gestalten,
4. 5.
die Fähigkeit des Probehandelns in fantasierten Szenarien, die Fähigkeit zu Begegnungen der Rollen des eigenen Rollemepertoires untereinander, die Fähigkeit, als regieführender Autor im Tele-Prozess Identitätsempfinden herzustellen (Bleckwedel, 2000, S. 102).
6.
Zu Recht moniert Bleckwedel, dass Entwicklungspsychologie und Therapietheorie zu sehr Autonomie und Individuation hervorheben, und Bindung meist nur als Ausgangspunkt und Bezogenheit lediglich als Basis für Individuation verstehen. "Die Fähigkeit zum Vordringen und Eindringen wird allemal höher bewertet als die Fähigkeit zum Innehalten und zur Pflege von soziotopen." (5. 95)
4.1.5.3
Baustein: Symbolische Konfliktbearbeitung mit Konfliktgruppen
Um die unterschiedlichen, sich ergänzenden Perspektiven der pathogenetischen und salutogenetischen Forschung zusammen zu bringen und sowohl Zugänge zur Risikobearbeitung als auch zur Förderung von Entwicklungsressourcen zu ermöglichen, setzen wir uns am Ende des ersten Schulhalbjahres mit der Klassenlehrerin zusammen. WIr erfragen, welche Konflikte und Konfliktgruppen sich in der Zwischenzeit in der Klasse entwickelt haben. Je nach Konflikt, den die Kinder miteinander haben, stellen wir Untergruppen zusammen. Für die Probleme und Konflikte dieser Untergruppe erarbeiten wir Symbolgeschichten, die den Konflikt verfremdet darstellen und zugleich aber auch neue Lösungsmuster und Lösungsansätze auf fantasievolle und lustvolle Weise vermitteln. Geschichten zu erzählen ist nämlich eine gute Möglichkeit, Ideen zu transportieren. So streuen wir durch das Erzählen von Geschichten mit einem positiven Ende Lösungsideen, liefern mögliche "Abzweigungen" vom Weg in die Sackgasse, bringen die soziale Fantasie der Kinder in Bewegung und erzeugen neue Wahlmöglichkeiten. Der Fokus dieser lösungsorientierten Spiele ist auf die problemfreie Zukunft gelenkt und nicht auf das Problem. Dadurch können wir bei den Schülern Motivation erzeugen und ihre Ressourcen aktivieren, durch den Zug des Zieles eine solche Zukunft wahrscheinlicher zu machen. Über psychodramatische Interventionen führen wir neue Ideen und Perspektiven ein, um die Schüler von Verhaftungen an einschränkende Ideen oder einengende Muster zu befreien, sie nach und nach zu einer alternativen Sichtweise zu führen, ihre Rollenkonserven aufzubrechen, zu "verflüssigen" und durch spontan-kreative Interaktionen zu ersetzen. So können die Kinder zu ihrem eigenen Leben den "Aspekt des Schöpfers" (Moreno 1973, S. 78) gewinnen.
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Durch diese Geschichten und unsere Interventionen beim Spiel möchten wir den Konfliktparteien wieder eine gelingende Begegnung und Beziehung ermöglichen, eine Gegenerfahrung zu ihrem Schulalltag schaffen und dadurch neue Beziehungsmöglichkeiten eröffnen. Wie wir bestehende Konflikte spielerisch angehen, mögen die folgenden Beispiele zeigen:
Beispiel:
"Gefährlicher Agent durch hervorragende Zusammenarbeit der CIA gefasst!"
In einer Klasse dominieren die Jungen sehr, sie unterdrücken und werten die Mäd-
chen ab und nutzen sie aus, wenn sie ihre Fähigkeiten gebrauchen können. An diesem Konflikt arbeiten wir mit beiden Gruppen an drei Vormittagen.
Zunächst spielen wir nur mit der Mädchengruppe, um sie als Gruppe mehr zusammenzuschweißen und zu stärken. Da die Solidarität der Mädchen eine verlässliche Hilfe gegen aggressive Jungen ist, fördern wir in dem Spiel die Sozialbeziehungen unter den Mädchen. Obwohl sie sozial kompetenter als die Jungen sind, üben sie geringen Einfluss auf das Klassenklima aus. Bei Auseinandersetzungen unterwerfen sie sich den Jungen, benützen nicht ihre sozialen Fähigkeiten und wehren sich kaum. Um sie aufeinander zu beziehen und in einen Aushandlungsprozess zu bringen, geben wir keine Geschichte vor, sondern lassen die Mädchen ihre Geschichte selber entwickeln. Wir verhindern damit auch, dass sie wie bisher brav schlucken, was sie vorgesetzt bekommen. Da sie nicht geübt sind, ihre Wünsche zu äußern, verläuft der Prozess der Themenfindung zunächst sehr mühsam, bis sie endlich eine Spielidee gefunden haben, die alle akzeptieren. Bei der weiteren Ausgestaltung der Geschichte werden sie zunehmend lebendiger und kreativer. Sie spielen dann folgende Geschichte: Sie machen Reiterferien in Ägypten. Die Besitzerin des Reiterhofes (die Klassenlehrerin) versorgt sie gut und lässt sie in der Wüste allein ausreiten. In der Nacht überwältigt ein Grabräuber (ich) den Pferdeburschen (Holl), stiehlt ein schnelles Pferd und reitet auf ihm zu einer Pyramide, um Grabschätze zu rauben. Am anderen Morgen finden die Mädchen den bewusstlosen Pferdeburschen, bringen ihn zur Besitzerin zur Pflege und machen sich mit ihren Pferden auf, den Spuren des Räubers zu folgen. Dieser hört sie kommen, lockt sie in die Pyramide und sperrt sie in eine Grabkammer. Dabei entdecken die Mädchen einen verborgenen, unermesslichen Schatz. Während der Räuber an der falschen Stelle nach dem Schatz gräbt, laufen die Pferde der Mädchen zum Hof zurück und alarmieren die Besitzerin.
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Diese macht sich sofort mit ihrem Stallburschen auf den Weg. Sie finden die Kinder, befreien sie und überwältigen gemeinsam den Räuber. Sie bringen ihn in Fesseln zur Polizei (im Rollenwechsel die Klassensprecherin), die ihn verhört. Zur Strafe wird er in den Nil geworfen. Die Mädchen bringen dann den Schatz in den Reiterhof. Da die Mädchen Lust auf mehr Abenteuer bekommen, erweitern sie ihre Geschichte und schlagen vor, dass der Räuber heimlich ans Ufer schwimme, nachts in den Reiterhof schleiche, den Stallburschen besteche, sie dann gemeinsam die Besitzerin überwältigen, den Schatz stehlen und in einer Höhle verstecken. Die Mädchen entdecken aber unsere Spuren und überwältigen uns gemeinsam. Wir werden gefesselt und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Die Mädchen werden für ihren Fund des Schatzes und die Überwältigung der Grabräuber von der Museumsdirektorin (der Lehrerin) beglückwünscht und ausgezeichnet. Nach diesem Spiel, in dem die Mädchen immer stärker und lebendiger wurden und sich mehr Herausforderungen zutrauten, sagt ein Mädchen stolz: "Im Fernsehen sind immer die Männer die Helden, heute aber waren wir alle HeIdinnen!" In der zweiten Sitzung wecken wir die Neugier der Jungen und Mädchen mit einer spannenden Geschichte, die ihren Konflikt aufnimmt, ihre unterschiedlichen Fähigkeiten anspricht und sie zu einer gelingenden Interaktion und Kooperation anregt. Dazu erzählen wir folgende Geschichte: Der amerikanische Präsident ruft in großer Sorge die CIA - Chefin an und beauftragt sie, einen für das Land höchst wichtigen, gefährlichen Auftrag auszuführen. Unbekannte Agenten hätten Top-Sekret-Pläne über die neueste Raketenabwehr gestohlen und wollten sie an feindliche Staaten verkaufen. In der CIA gibt es zwei wichtige Abteilungen: eine männliche Einsatztruppe mit Scharfschützen, Nahkampfspezialisten und Rennfahrern. Und eine zweite Abteilung mit Spezialistinnen, die Telefone abhören, verschlüsselte Botschaften entschlüsseln, Computercodes knacken, Geheimnummern bei Panzerschränken herausfinden und Bomben entschärfen können. Leider gibt es aber seit längerer Zeit größere Schwierigkeiten zwischen diesen beiden Abteilungen, so dass ihre Zusammenarbeit sehr gestört ist. In dieser Notsituation schaffen sie es aber, zusammenzuarbeiten, sich mit ihren unterschiedlichen Fähigkeiten zu ergänzen, die gefährlichen Agenten zu überwältigen und den Plan zurückzuerobern. Nach der Rollenwahl und dem Aufbau der Szenerie kann das Spiel beginnen. Nach dem Telefonanruf des Präsidenten rufen die beiden Abteilungsleiter der CIA (die Lehrerin und ich) ihre beiden Abteilungen zur Einsatzbesprechung zusammen. Der Ruf der CIA stehe auf dem Spiel, daher seien voller Einsatz und
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Zusammenarbeit gefordert. Da die Jungen bisher wenig Bereitschaft zeigten, die Mädchen zum Zuge kommen zu lassen, und auch einige von ihnen geringe Fähigkeit besitzen, Spannungen auszuhalten, locke ich sie mit einer spannenden Aktion zum Mitspielen. Wenn ich ihnen gleich zu Beginn des Spieles eine Bewährungsprobe als Helden gebe, erhoffe ich mir davon, dass sie dann eher bereit sind, mit den Mädchen zusammen zu spielen und ihnen auch attraktive Rollen zuzugestehen. Als Leiter der Einsatztruppe befehle ich ihnen daher folgenden Einsatz: Der Wagen des feindlichen Agenten sei von Abteilung 2 in der Westsidestreet geortet worden. Abteilung 1 solle sofort dorthin fahren, Straßensperren aufbauen und sich schussbereit verschanzen. Aus der Rolle des Leiters heraustretend frage ich als Spielleiter, ob es sein könnte, dass der Agent mit seinem gepanzerten Fahrzeug die Sperren durchbreche und trotz Maschinengewehrfeuer entkomme. zwei Motorradfahrer würden sofort die Verfolgung aufnehmen und könnten in einer halsbrecherischen Verfolgungsjagd die Reifen seines Autos zerschießen. Der Agent fliehe zu Fuß und tauche unter. Die Abwehrabteilung könne seinen verschlüsselten Anruf an seine Komplizen abhören und entschlüsseln, wo er sich versteckt habe. Da beide Gruppen dieser Idee zustimmen, können wir diese Sequenz spielen. Mit der Einsatztruppe baue ich Straßensperren auf, und wir legen uns mit Maschinenpistolen bewaffnet in Deckung. zwei Rennfahrer halten sich mit ihren Motorrädern startbereit. Mit großem Spaß und Einsatz spielen die Jungen, als W. Holl als Agent in seinem Auto angebraust kommt, das Feuergefecht und die Verfolgungsjagd. In der Zwischenzeit beschäftigt die Lehrerin als Leiterin der Abteilung 2 die Mädchen, indem sie die einzelnen Expertinnen aufsucht und sich erkundigt/ ob zum Beispiel Telefon1eitungen angezapft seien, Funksignale abgehört werden u.ä. Als der Agent entkommen ist, fragt sie die Abhörspezialistinnen, ob sie nicht gerade eine verschlüsselte Botschaft abgefangen haben. Die Spezialistinnen entschlüsseln sofort den Anruf des Agenten und bekommen die Straße und Nummer des Hauses heraus, aus dem der Anruf getätigt wurde. Sofort rufe ich beide Abteilungen zur Einsatzbesprechung zusammen. Zunächst lobe ich die Männer der Abteilung 1 für ihren heldenhaften Einsatz und die Frauen der Abteilung 2/ die den Agenten ausmachen konnten. Da mit mehreren schwerbewaffneten Agenten und Sicherheitssystemen in der Wohnung des Geflohenen zu rechnen sei, fordere ich die beiden Abteilungen zu einer gemeinsamen Aktion auf. Bevor die Einsatztruppe 1 das Haus stürmen könne, müssten daher die Spezialistinnen der Abteilung 2 die Sicherheitssysteme, die Überwachungskameras und Lichtschranken ausschalten. Die Agenten im Haus dürften auf keinen Fall Verdacht schöpfen, sie müssten daher ab-
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gelenkt werden. In der Abteilung 2 gäbe es dafür doch Spezialistinnen. Zwei Mädchen melden sich sofort und sagen, sie könnten als Fensterputzerinnen die Agenten in ein Gespräch verwickeln und ablenken. So wird folgender Einsatzplan beschlossen: Die beiden GA-Agentinnen werden die Fenster des Appartements der feindlichen Agenten putzen und sie in ein Gespräch verwickeln. Während dieses Ablenkungsmanövers können die Sicherheitssysteme ausgeschaltet werden, und die Einsatztruppe sich vom Hubschrauber abseilen und über den Balkon in die Wohnung eindringen. Beide Abteilungen machen sich dann zum Einsatz bereit. Die Mädchen verkleiden sich als Putzfrauen, und auf das Einsatzsignal hin rücken beide Abteilungen aus. Den Fensterputzerinnen gelingt es, den Agenten in ein Gespräch zu verwickeln. Währenddessen kappen die Spezialistinnen die Alarmanlage, die Nahkampfexperten seilen sich ab und schleichen ins Haus. Auf ein verabredetes Zeichen hin( langer Pfiff) überfallen sie den Agenten, fesseln ihn und verhören ihn, wo er den gestohlenen Plan versteckt hält. Da er die Aussage verweigert, wird sein Haus durchsucht. Die Spezialistinnen entdecken einen Panzerschrank, knacken den Code und öffnen ihn. Sie entdecken den Plan, der aber durch eine Sprengladung geschützt ist. Daher müssen zuerst die Bombenspezialistinnen die Sprengladung entschärfen, erst dann kann der Plan gerettet werden. Nach dieser spannenden Aktion stoppe ich das Spiel und sage, die beiden Abteilungen würden zwei Tage später beim amerikanischen Präsidenten eingeladen werden. Die Klassenlehrerin spielt dann nach einem Ro11enwechseI die Präsidentin, die jeder Mitarbeiterin und jedem Mitarbeiter der CIA die Verdienstmedaille des Landes überreicht und sie um ein Gruppenfoto mit ihr zusammen bittet. Nach diesen Spielen äußern sich alle begeistert. Viele Jungen sagen, sie hätten nicht gedacht, dass man mit den Mädchen auch solch spannende Kämpfe spielen könne. Die Mädchen finden es gut, dass die Jungen nicht über sie bestimmt haben und sie auch gefährliche Einsätze machen durften. Beim dritten Spiel schlagen wir eine Geschichte vor, in der die Mädchen eine Diamantenmine besitzen und wertvolle Diamanten bearbeiten. W. Holl und ich erpressen als Mafiabande von ihnen Schutzgelder und drohen ihnen bei Nichtzahlung mit Entführung. Die Besitzerinnen wenden sich an eine Bodyguardschu1e mit der Klassenlehrerin als Trainerin und bitten um Schutz, für den sie einen Millionenbetrag anbieten. Die Bodyguards mit ihren unterschiedlichen Fähigkeiten (Karatekämpfer, Scharfschützen, Anschleichspezialisten u.ä.) lassen sich engagieren und bewachen die Frauen. Die Minenbesitzerinnen verweigern dann die Zahlung der Schutzgelder. Als wir als Mafiabande darauf hin
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in der Nacht sie überfallen, kommt es zu einem erbitterten Gefecht. Da die Jungen den Kampf zu einem Nahkampf ausdehnen wollen, vereinbaren wir mit ihnen in einem kurzen Spielstop die Regelung, dass jeder, der im Kampf getroffen wird, sich hinlegen, auf 50 zählen und dann erst als neuer Bodyguard oder Mafiosi in den Kampf ziehen kann. Da der Kampf sich sehr spannend gestaltet, greifen auch die Mädchen in die Kampfhandlung ein. Gemeinsam überwältigen sie uns, fesseln uns und fordern Milliarden als Lösegeld für unsere Freilassung. Nach Einlösung der Lösegelder feiern Bodyguards und Minenbesitzerinnen zusammen ein großes Fest, wobei die Lehrerin als Trainerin den heldenhaften Einsatz ihrer Truppe für die bedrohten Frauen rühmt. Mit diesen drei Geschichten ermöglichten wir den beiden Geschlechtern eine alternative Erfahrung. Wir setzten eine positive Interaktion in Gang, an die die Lehrerin bei späteren Konflikten immer wieder erinnern konnte. Mit einem Hinweis auf diese Geschichten knüpfte sie an Fähigkeiten der Kinder, an einem gelungenen Miteinander an und musste nicht auf Defizite der Kinder focusieren. Sie konnte, ohne viele Worte machen zu müssen, an die gute Spielerfahrung erinnern und so Konfliktlösungsprozesse auslösen. Die Lehrerin berichte zu einem späteren Zeitpunkt, sei immer wieder überrascht gewesen, wie schnell die Kinder von einem destruktiven zu einem konstruktiven Verhalten wechseln konnten, wenn sie sie in schwierigen Situationen an die Geschichten erinnerte und sagte, jetzt brauche sie dringend ihre Zusammenarbeit, wie damals bei der GA. Auch sei es durch die Geschichten zu einer Veränderung des Machtverhältnisses zwischen den Geschlechtern gekommen. Die Mädchen, die sich in der Klasse meist zurückhielten und wenig Einfluss ausübten, obwohl sie oft über eine bessere soziale Kompetenz verfügten, seien aus den Spielen gestärkt hervorgegangen, übten mehr Einfluss auf die Klassenatmosphäre aus und setzten problematischen Jungen mehr entgegen. Ein weiteres Beispiel soll aufzeigen, wie ein konfliktzentriertes Symbolspiel bei relationaler Aggression eingesetzt werden kann. Die Forschung zu Aggressionen und Gewalt an Schulen hat sich lange auf offene Verhaltensweise, wie körperliche Übergriffe, Triezen und Beschimpfen beschränkt, die am häufigsten bei Jungen zu beobachten sind. Erst in den letzten Jahren werden auch eher verdeckte, indirekte Formen der Aggression beachtet, die als indirekte, soziale oder auch relationale Aggression bezeichnet werden, die vor allem bei Mädchen vorkommt (vgl. Jugert et al. 2000, S.231ff). Bei dieser Form der Aggression versucht ein Kind über die soziale Beziehung, einem anderen Kind Schaden zuzufügen, indem es zum Beispiel das andere Kind auszuschließen versucht, Gerüchte verbreitet oder anderen Kindern negative Dinge über dieses Kind erzählt, um es zu isolieren.
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Diese unterschiedlichen Formen des aggressiven Verhaltens sind vor dem Hintergrund der psychosozialen Entwicklung von Jungen und Mädchen zu sehen und nehmen unterschiedliche Funktionen ein: "Offene-aggressive Verhaltensweisen stehen in einem Zusammenhang mit den Zielen, die für Jungen in ihrer Gleicha1trigengruppe von Bedeutung sind, insbesondere hinsichtlich ihrer Dominanz innerhalb der Gruppe. Relational-aggressive Verhaltensweisen hingegen nehmen innerhalb der psychosozialen Entwicklung von Mädchen einen besonderen Stellenwert ein, da sie die sozialen Beziehungen innerhalb ihrer Gleichaltrigengruppe betreffen." (5. 232)
Daher fordern diese Autoren bei der relationalen Aggression Interventionen, "die sich bei Mädchen spezifisch auf die Gleichaltrigenbeziehungen und Gruppenkohäsion beziehen" (S.239). Die zahlreichen Möglichkeiten, mit Hilfe von Medien Opfer gezielt fertig zu machen, hat das Problem enorm verschärft. Mit Beschimpfungen, Gemeinheiten oder Befrohungen per SMS, MSN, ICQ Mail oder Chat, auf dem Pinboard von SchuelerVZ, mit darauf extra eingerichteten Hass-Seiten, oder mit veröffentlichten peinlichen Bildern (Happy Slapping) können Beleidigungen, Bloßstellungen und Gerüchte innerhalb kürzester Zeit einem großen Publikum zugänglich gemacht werden. Besonders gemein an diesem Cyber-Bullying ist, dass es für das Opfer keinen sicheren Ort mehr gibt, sie erreichen es auch zu Hause am Rechner. Und das Opfer weiß oft nicht, von wem es gequält wird, da die Angreifer meist anonym agieren. In einer Klasse, in der solche indirekte, relationale Aggression unter zwei sich befeindeten Mädchengruppen vorkamen und zu heftigen Konflikten führte, versuchten wir mit folgender Geschichte eine Veränderung in Gang zu setzen:
Beispiel: "Skandal aufdem Luxuskreuzer" Zunächst erzähle ich den Mädchen im Stuhlkreis folgende Geschichte: Auf einem Luxuskreuzer, auf dem sich bedeutende Persönlichkeiten der Politik, Filmstars und Reiche befinden, möchte der Kapitän für den Galaabend zwei Gesangsgruppen einladen: die Spice-Girls und Tie-Tae-To. Beide Gruppen wissen aber nichts von dem gleichzeitigen Engagement der Konkurrenz und treffen erst beim Captainsdinner aufeinander, wo es dann zu einem großen Eklatkommt. Bei der Rollenwahl wählen drei, nicht am Konflikt beteiligte Mädchen die Rollen von Filmstars und berühmten Modells. Von den verfeindeten Mädchen teilen sich fünf als Spiee-girls und drei als Tic-Tac-To auf, die Klassenlehrerin und W. Holl übernehmen die Rollen der Stewardess und des Stewards und ich spiele den Kapitän.
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Danach werden die Kulissen aufgebaut. Auf den beiden gegenüberliegenden Seiten des Schiffes bauen die verfeindeten Mädchen die Suiten für ihre beiden Pop-Gruppen. Im Zwischenraum legen wir den Speisesaal des Schiffes, die Bar und den Swimmingpool an, auf der Vorderseite des Schiffes das Kapitäns- und Besatzungszimmer, auf der Rückseite richten die anderen Mädchen die Suiten der Gäste ein. Nachdem die Mädchen sich mit bunten Tüchern verkleidet haben, eröffnen wir das gemeinsame Spiel Vor dem Ablegen des Schiffes begrüßt der Kapitän die in Abständen eintreffenden Gruppen: die Spice-Girls, darauf die Gäste, dann Tic-Tac-To. Er zeigt sich hocherfreut, solch berühmte Frauen als Gäste auf seinem Schiff zu haben und bewundert ihre Schönheit und ihre Anmut. Stewardess und Steward reichen Champagner und ausgewählte Häppchen und geleiten die nacheinander ankommenden Gäste auf ihre Suiten. Nach dem Auslaufen des Schiffes überreichen sie den Gästen und den beiden Popgruppen die Einladung des Kapitäns zum Dinner. Als die beiden Popgruppen am Tisch des Kapitäns zum ersten Mal aufeinander treffen, kommt es zu einem, von den Mädchen mit großer Lust gespielten Skandal. Sie beschimpfen sich gegenseitig, werten ihre Kleidung, ihr Aussehen und ihren Gesang ab. Der Streit geht rasch in Handgreiflichkeiten über, sie reißen sich ihre Kleider (Tücher) vom Leib und bewerfen sich mit dem Essen, das auf dem Tisch des Kapitäns schon bereit steht. Kapitän wie Besatzung entsetzen sich über die Beleidigungen und die Schlägerei und versuchen, die Damen zu trennen und zu beschwichtigen. Auf die händeringend vorgetragene Bitte des Kapitäns, sein Schiff nicht mit diesem Skandal in die Schlagzeilen der Presse zu bringen, reagieren die Mädchen nur noch mit ordinäreren Beschimpfungen. Als sie sich ausgetobt haben, ziehen sich beide Gruppen entrüstet über die Zumutung des Kapitäns, doch zusammen aufzutreten/ auf ihre Suiten zurück und lassen den jammernden Kapitän, die bestürzte Besatzung und die dem Streit belustigt zuschauenden Gäste zurück. W. Holl steigt dann aus seiner Rolle aus und kündigt an, er und ich würden in die Rollen von Kidnapper wechseln und in der Nacht, wenn alle schlafen, das Schiff kapern und die reichen Gäste kidnappen, um Lösegeld von ihnen erpressen zu können. Wir wechseln dann unsere Rollen, überfallen das Schiff, treiben mit gezückter Pistole die Gäste, die beiden Popgruppen und die Stewardess in den Speisesaal und sperren sie dort ein. Durch diese Intervention des Außenfeindes fangen die eingesperrten Mädchen rasch an, Pläne zu entwickeln, wie sie uns reinlegen und überwältigen können. Nach einigem Hin und Her, wobei die Klassenlehrerin als Stewardess nicht die Einigung zu fördern versucht, sondern/ wie abgesprochen, eher bezweifelt, dass diese verfeindeten Gruppen sich
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je einigen können, haben sie folgende List ausgeheckt: Sie rufen, ein Mitglied der Spiee-Girls sei ohnmächtig geworden. Sie fordern von uns schnell ein Glas Wasser und Herztropfen. Als ich mit dem Wasser und Tropfen in den Saal eile, werde mir ein Kleid über den Kopf gezogen. Bevor ich um Hilfe rufen kann, werde ich geknebelt, zu Boden gezogen und gefesselt. Als der zweite Pirat den Kopf zur Tür hereinsteckt, um zu sehen, wo sein Komplize denn bleibt, wird er von den an der Tür lauernden Mädchen hereingezogen und ebenfalls überwältigt. Um diesen großen Triumph für die Presse festzuhalten, bittet die Stewardess zu einem gemeinsamen Gruppenfoto, wozu alle bereit sind. Wir müssen gebunden zu ihren Füßen liegen, und sie stellen ihren Fuß auf uns wie auf eine Jagdbeute. Nach diesem Spiel, das ihnen - so ihre Rückmeldung - viel Spaß gemacht habe, gehen die Mädchen bunt gemischt und sich kichernd an Details erinnernd in die nächste Schulstunde. Wichtig bei dieser Intervention ist uns, nicht eine zu schnelle Einigung der Mädchen anzustreben. Sobald die Schüler nämlich merken, dass sie zu einer Gemeinsamkeit genötigt werden, die für sie nicht stimmig ist, gehen sie in den Widerstand. Wir hätten das Spiel auch gut beenden können, ohne dass die Popgruppen sich auf einen gemeinsamen Plan geeinigt hätten. Allein ein Spiel, das lustvoll und spannend ist, gemeinsam gespielt zu haben, hätte gereicht, um ein Gegenbild zu der bisherigen Rivalität zu schaffen. Solche Symbolspie1e können auch genutzt werden, um einzelne Kinder, die in eine schwierige Position geraten sind, zu ersten Schritten der Veränderung zu verhelfen:
Beispiel: "Tiefsee/arscher retten Taucher aus den Armen eines Riesenkraken" Da in einer 5. Klasse ein Junge, Lars, immer mehr in die Außenseiterposition geraten ist und vor allem von drei Jungen, Jusuf, Vitali und Hakan, als Prügelknabe benutzt wird, setzen wir uns mit der Klassenlehrerin zusammen und suchen Jungen aus, die einen Einfluss auf die Klasse haben oder zumindest nicht randständig sind, und die zugleich Lars am ehesten gewogen sind. Die Klassenlehrerin wählt den Klassensprecher Salvatore und zwei ruhige, kooperative Kinder, Martin und Rolf, aus. Diese sieben Jungen laden wir zusammen mit der Klassenlehrerin zu einem Symbolspiel mit folgendem Inhalt ein: Auf dem hohen Meer befinden sich in unmittelbarer Nähe zwei Forschungsschiffe mit Tauchern. Die eine Tauchergruppe sucht die versunkene Titanie und
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möchte ihre Schätze bergen, die andere Gruppe forscht nach Riesenkraken in der Tiefe. Für die Erforschung der Riesenkrake (ich) entscheiden sich die drei mobbenden Jungen. Die Klassenlehrerin kommt als Forschungsassistentin auf ihr Schiff. Die anderen vier Jungen wollen die Titanic bergen. Um den Außenseiter stützen zu können, übernimmt W. Holl als stützender Doppelgänger die Rolle eines Technikers, der die Tauchgeräte überprüft und wartet. Nach dem Aufbau der Kulissen verstecke ich mich als Riesenkrake im Rumpf der Titanic, so dass die beiden Tauchergruppen immer wieder aufeinander treffen müssen. Die drei aggressiven Jungen gehen schnell dazu über, den Kraken nicht zu erforschen, sondern anzugreifen und zu jagen. Sie genießen es auch, sich vom Kraken mit seinen langen Armen (Tüchern) verfolgen zu lassen und versuchen ihm immer wieder Arme abzuschneiden. Inzwischen haben die anderen Forscher die Titanic entdeckt und erste Schätze gefunden. Aus dem Spiel heraustretend frage ich nach einem kurzen Spielstop, ob es sein könnte, dass der Riesenkrake es schaffe, die drei Krakenforscher im Wrack einzuschließen und mit seinen Fangarmen zu umschließen, dass sie aber gerade noch, bevor ihr Sauerstoff zu Ende gehe, von den anderen Forschern entdeckt und gerettet würden. Mit dieser Spielidee sind alle einverstanden, so dass wir den zweiten Teil des Spiels inszenieren können. Während die anderen Forscher den Schatz der Titanic entdecken, dränge ich als Krake die drei Taucher in eine Ecke des Wracks und umschlinge sie mit meinen langen Armen, was die Jungen sichtlich genießen. Mit letzter Kraft geben sie Notsignale an ihre Assistentin, die sofort zum Nachbarschiff um Hilfe funkt. Die vier anderen Forscher tauchen zur Rettung in die Tiefe und versuchen sie aus meinen Armen zu befreien, wobei Lars besonders stark kämpft. Sie schleppen dann die ohnmächtigen Taucher auf ihr Schiff, wo die Assistentin die Wiederbelebung übernimmt. Nachdem sie wieder zu sich kommen und von der Lehrerin versorgt werden, überprüft W. Holl alle Sauerstoffleitungen und repariert die Löcher, die der Krake gerissen hat. Dabei spricht er laut zur Seite, wie toll es wäre, diesen Riesenkraken lebend zu fangen. So ein Tier sei noch nie gefangen und der Öffentlichkeit gezeigt worden. Das wäre eine Sensation. Sofort springen die drei Krakenforscher darauf an und beschließen, in die Tiefe zu tauchen. W. Holl hinterfragt als Techniker, ob es nicht klüger sei, wenn bei der Jagd dieses gefährlichen Tieres auch die andere Tauchermannschaft mitmachen würde, er wüsste nicht, wie sonst dieses schwere Tier aufs Schiff befördert werden könnte. Sie gehen auf die Bedenken ein und fordern die anderen auf, mit ihnen zu tauchen. Mit dieser stützenden Intervention erreicht W. Holl , dass Lars auch in dieses Abenteuer miteinbezo-
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gen wird. Gemeinsam umzingeln sie den Kraken und betäuben sie nach längerem Kämpfen mit ihren Harpunen. Sie schleppen sie gemeinsam ans Deck und stellen die beiden Funde den Fernsehreportern aus aller Welt (die Klassenlehrerin und W. Holl im Rollenwechsel), die im Hubschrauber herbei geflogen kommen, stolz zur Schau. In der Rückmelderunde finden alle das Spiel und auch ihr Zusammenspiel gut. Im Anschluss an dieses Spiel setzt die Klassenlehrerin Lars mit seinen drei Forschungsmitgliedern an einen Vierertisch zusammen. Dadurch kann sie erreichen, dass Lars langsam aus seiner Außenseiterposition herauskommt und in die Klasse integriert wird. Auch das Bullying der drei anderen Jungen hört auf, nachdem sie immer wieder an die Rettung und gemeinsame Heldentat erinnert werden. Bei der symbolischen Konfliktbearbeitung arbeiten wir häufig mit der Intervention des Außenfeindes. Wir übernehmen gezielt eine Rolle, in der wir die Aggression der Kinder auf uns lenken und gleichzeitig von der Gruppe abziehen. Die Bedrohung durch den Außenfeind verbindet die Kinder untereinander. Der Gruppenzusammenhalt wächst, und die Gruppenspannung sinkt. Konstruktive Interaktionen können in Gang kommen, auch wenn sie zunächst nur aufgrund der Bedrohung zustande kommen. Natürlich müssen im Spiel auch zusätzliche Hilfestellungen gegeben werden, wie die Kinder sich mit ihren Konfliktpartnern gewaltfrei auseinandersetzen und Konfliktlösungen finden können. 4.1.5.4
Baustein: Symbolische Konfliktbearbeitung mit den einzelnen Tischgruppen
Zu Beginn der 6. Klasse arbeiten wir mit den Tischgruppen, in denen die Kinder viel gemeinsam arbeiten. Umfangreiche Forschungsarbeiten haben nämlich ergeben, dass diese Lehrmethode des kooperativen Lernens nicht nur günstige Auswirkungen auf Lernen und Leistungen haben. "Schüler und Schülerinnen, die sich an kooperativen Gruppen beteiligen, werden einander wahrscheinlich besser akzeptieren und positiver beurteiIen. Sie werden hilfsbereiter sein, einander mehr unterstützen, und sie werden weniger Vorurteile gegenüber Gruppenmitglieder anderer Rassen oder Nationalitäten entwickeln als andere Kinder." (Olweus 2006, S. 91)
Zunächst zeigt jedes Mitglied einer Tischgruppe soziometrisch seine Einschätzung, wie kooperativ, hilfsbereit und freundlich er sich den anderen Mitgliedern der Tischgruppe gegenüber verhält. Zur Orientierung stellen wir drei Stühle im
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Raum verteilt als Markierung auf. Im Zentrum stehen bedeutet, ich bin ein gutes Teammitglied; beim zweiten Stuhl stehen: mein Beitrag zur Gruppe und meine Störungen halten sich die Waage; am Rand beim dritten Stuhl stehen: ich sorge eher für Konflikte und Störungen in der Gruppe und trage wenig zum guten Miteinander bei. Die Selbsteinschätzung wird dann durch die Rückmeldung der Tischgruppe und der Lehrerin bestätigt oder korrigiert, wobei meist die Selbsteinschätzung schlechter ausfiel als die Fremdeinschätzung. Anschließen erkundigen wir uns, welche Unterstützung der Protagonist von seinen Teammitgliedern braucht, um ein noch besseres Teammitglied zu werden, und welche Hilfe jedes Teammitglied ihm anbieten kann. Ist diese soziometrische Arbeit abgeschlossen, entwickelt die Kleingruppe eine Geschichte, in der sie die angesprochenen Themen und Konflikte darstellen und bearbeiten kann.
Beispiel: "Fußballtalente verkannt" Bilal, ein türkischer Junge, der sich durch Störungen und Bedrohungen anderer Kinder in eine sehr schwierige Klassenposition manövriert hat, kann bei dieser soziometrischen Arbeit seine coole Fassade ablegen und über seine Ängste sprechen, aus der Schule ausgeschlossen zu werden. Es ist ihm auch möglich, seine unbändige Wut zu zeigen, die in ihm aufsteigt, wenn er sich ungerecht von der Lehrerin behandelt fühlt, und wenn andere, schwächere Schüler sich an die Kritik der Lehrerin anhängen und über ihn lachen. Dann würde er am liebsten alle zusammenschlagen. Alle Frauen in seinem Leben hätten bisher nur an ihm herumkritisiert, seine Mutter, seine neue Stiefmutter und nun auch wieder die Klassenlehrerin. Gemeinsam überlegen wir, wie dieser Teufelskreis von Störung und Kritik aufgelöst werden könnte, was er dazu beiträgt und welchen Beitrag seine Tischgruppe und seine Klassenlehrerin leisten können. Nach der soziometrischen Arbeit entwickelt die Tischgruppe, in der sich noch weitere schwierige Kinder mit schwachen Schulleistungen befinden, eine Geschichte, in der sie ihren Wunsch nach Beachtung und Anerkennung und ihre Kränkung, nicht richtig in ihren Fähigkeiten gesehen und geachtet zu werden, darstellen: Zunächst entwickeln sie die Spielidee, die Lehrerin, W.Holl und ich seien Mönche in einem Schaolin-Kloster. Sie, die Schüler, möchten in das Kloster aufgenommen werden, um die Kampfkunst zu lernen. Wir würden sie aber abweisen, nur weil sie aus Günzburg (Sitz der Psychiatrie) kämen und sich etwas verrückt benähmen. Dabei würden wir übersehen, wie begabt und fähig sie seien.
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Dann fällt ihnen noch eine zweite Geschichte ein, für die sie sich entscheiden Die Lehrerin und wir Therapeuten seien eine bekannte Bundesligamannschaft. Sie dagegen seien eine unbekannte Gruppe aus Mannheim (der Stadt, in der der von Bilal getrennt lebende Vater wohnt). Sie besäßen keine Fußballstiefel und keine Trikots. Als sie sich zur Fußballrneisterschaft anmelden, würden wir sie nur nach ihrem Äußeren beurteilen, uns über sie lustig machen und sie verspotten. Beim Fußballspiel aber würden sie haushoch siegen und den Pokal gewinnen. Wir müssen dann beschämt eingestehen, dass wir sie unterschätzt haben. Wir würden sie umwerben und sie bitten, in unsere Bundesligamannschaft zu wechseln. Aber erst nachdem wir uns entschuldigt hätten, würden sie unser Angebot annehmen und die Stars unserer Mannschaft werden. Nach dem Aufbau der Kulissen spielen wir diese Geschichte. Die Jungen genießen es sehr, als wir unseren Irrtum einsehen, und lassen sich lange umwerben und bitten, bevor sie in unsere Mannschaft wechseln. Parallel zu der Arbeit mit den Kindern erhalten die Lehrerinnen monatlich zwei Stunden Supervision. Langfristig wirksam werden unsere Bemühungen nämlich nur, wenn Formen konstruktiver Konfliktlösungen in den Unterricht integriert und Teil der Schulkultur werden. 4.1.6
Auswirkungen des Projekts
Nach Aussagen der KlassenlehrerInnen kam es in allen Projekten zu deutlichen Verbesserungen des Klassenklimas und der Beziehungen der Kinder untereinander. Natürlich verschwanden damit nicht alle Verhaltensauffälligkeiten und Konflikte aus der Klasse. Doch konnten die Kinder besser mit Emotionen umgehen, Meinungsverschiedenheiten und Verstimmungen friedlicher regeln, Konflikte eher durch Verhandlungen und Kompromisse beilegen, bevor sie sich zu einem handfesten Streit aufschaukelten. So schrieb die Rektorin einer Hauptschule im sozialen Brennpunkt, die auch immer wieder an Projekten teilgenommen hatte, in ihrer Rückmeldung zu den Projekten mit den Bausteinen 1 bis 4: "SchülerInnen erleben im Symbolspiel Situationen, in denen sie sich sozial verhalten können. Sie verhandeln, geben ab, helfen, sprechen sich ab, entscheiden, hören zu, entschuldigen sich etc. Im Unterricht können Lehrkräfte im Konfliktfall v.a. an diese erspielten Szenen erinnern und Lösungsstrategien mit Kindern entwickeln. Auch in späteren Schuljahren beobachten wir, dass die SchülerInnen, die an diesem Projekt teilgenommen haben, Probleme sofort besprechen und klären möchten, wie sie zu lösen sind.
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Die Rolle der Lehrkraft verändert sich mit wiederholter Teilnahme an diesen Projekten. Wir verstehen uns als gleichberechtigte Partner im SpieL Vielen Kindern tut es zum Beispiel gut, dass auch die Lehrerin die Unterlegene sein kann. Oder dass sie liebevoll das "kranke" / "verletzte" Kind umsorgen kann. Durch dieses erspielte Vertrauensverhältnis können sich SchülerInnen mehr im Unterricht auf Anweisungen und Regeln einlassen. Sie müssen nicht nur prinzipiell dagegen sein. Es entsteht eine freundlichere Atmosphäre im Schulalltag, der Umgangston ist entspannter. Da ein Drittel der Lehrkräfte sich an den Symbolspielen regelmäßig beteiligen, verändert sich auch langsam das Miteinander der Lehrkräfte. Das Angebot der Psychologischen Beratungsstelle ist aus unserem Schulprogramm nicht mehr wegzudenken."
Aufgrund der positiven Erfahrungen beschloss das Kollegium dieser Schule, dass jede neue 5. Klasse zu Schuljahresbeginn mit diesem Projekt startet. Auch über andere Schulprojekte bekamen wir positive Rückmeldungen: Die Rektorin einer ländlichen Hauptschule rief uns ein Jahr später an und teilte uns mit, dass sich die Klasse, mit der wir mit dem Baustein 3 gearbeitet hatten, positiv entwickelt hatte. Die beiden Außenseiter seien integriert und die starken Konflikte gelöst. Nach einem Projekt mit zwei 5. Klassen (Baustein 2) in einer Hauptschule des Landkreises wurden folgende Ergebnisse dokumentiert: Schriftliche Aussagen der Kinder waren u.a.: Es hat Spaß gemacht mit anderen zu spielen, auch mit denjenigen, mit denen man im Unterricht Streit hat. Ich streite nicht mehr so viel mit den anderen. Ich bin mit T. und J. Freund geworden (vor dem Projekt lagen sie in ständigem Streit miteinander).
Aussagen der Eltern beim Abschlusselternabend waren u.a.: Mein Kind machte die Erfahrung, dass Schule Spaß machen kann. Die Geschichten haben mein Kind noch lange beschäftigt. Sein Freundeskreis hat sich erweitert und verändert.
Aussagen der Lehrerinnen der beiden Klassen waren: Ein wesentlicher Erfolg der Kinder war, dass sie sich nach einem Streit wieder einigen können. Der Umgang unter den Klassenkameraden wurde besser. Die Kinder kamen aus unterschiedlichen kleinen Gemeinden und waren bisher eher gegeneinander eingestellt. Das Gruppengefühl wurde stärker.
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4 Resilienzförderung an Schulen Streit und Konflikte können mit den Erfahrungen im Spiel jetzt besser bewältigt werden. Aus dem Spiel griffen die Kinder die Anregung, anderen helfen zu wollen, auf. Sie planten, organisierten und führten eigenständig, ohne Einfluss der Lehrerin, eine Hilfsaktion für Kinder im Kosovo durch.
4.1.7
Beziehungsstiftende Spiele in Grundschulen
Diese positiven Erfahrungen, dass durch dieses Projekt die Widerstandsfähigkeit und Ressourcen der Kinder gestärkt werden, die für eine Bewältigung von Risikobedingungen erforderlich sind, führten dazu, dass immer mehr Schulen an der Durchführung dieses Projekt interessiert waren. Da Übergänge im Bildungssystem, auch der von der Kita in die Grundschule, mit Belastungen und erhöhter Verletzbarkeit verbunden sind, führten wir den Baustein: "Beziehungsstiftende Spiele" auch in Grundschulen in sozialen Brennpunkten durch. Mit der Transition sind nämlich verdichtete Entwicklungsanforderungen verbunden, die mit intensivierten und beschleunigten Lernprozessen bewältigt werden müssen. Da die Verfügbarkeit von Ressourcen noch nicht die adaptive Nutzung dieser Fähigkeiten garantiert, wie die Resilienzforschung betont, haben wir auch hier keine manualisierten Programme durchgeführt, sondern wieder mit beziehungsstiftenden Geschichten gearbeitet, die dem Alter der Kinder angepasst wurden und daher vor allem Tiergeschichten sind. Neben der Förderung der personalen Ressourcen wie der Förderung der Selbstwirksamkeit, des Selbstwertes und der sozialen Kompetenz ging es uns vor allem auch darum, die Bindungs- und Beziehungsstrukturen gezielt zu fördern, um eine positive Peerkultur und Freundschaftsbeziehungen aufzubauen. Das folgende Beispiel mag zeigen, wie mit einer Tiergeschichte die Beziehungen unter den Kindern gefördert werden und die Kinder sich gegenseitig als zu Hilfe kommend erleben: In einem Safaripark leben eine Löwenfamilie und eine Familie von Erdhörn-
chen, die vertraut zusammenleben. Eines Tages fängt die Erde zu beben an, und die Höhle, in der die Löwenfamilie wohnt, bricht ein. Die Erdhörnchen holen schnell die Tierhüterin (Lehrerin) zu Hilfe. Doch diese vermag die schweren Steinbrocken nicht wegzubewegen. Da graben die Erdhörnchen in Windeseile einen Gang, sodass die Löwen an die frische Luft getragen werden können. Die Erdhörnchen schaffen Heilpflanzen herbei, und gemeinsam mit der Tierhüterin versorgen sie die verwundeten Löwen. Nachdem die Löwen wieder genesen
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sind, kommt ein Tierfänger (Therapeut) mit einem Lastwagen angefahren, um die wertvollen Erdhörnchen zu fangen und an einen Tierpark teuer zu verkaufen. Mit Betäubungsfutter lockt er sie in der Nacht, als die Löwen schlafen, ins Netz, sperrt die betäubten Tiere in seinen Lastwagen und fährt mit ihnen weg. Als die Löwen erwachen und ihre Freunde nicht an der Wasserstelle treffen, machen sie sich auf die Suche nach ihnen. Da die schlauen Erdhörnchen Nüsse aus dem Lastwagen gestreut haben, können die Löwen die Spur aufnehmen. Sie holen den Wagen ein und zerbeißen die Reifen, sodass der Tierhüter nicht weiter fahren kann. Mit ihren Tatzen zertrümmern sie den Käfig und befreien die Erdhörnchen. Mit Hilfe der Tierhüterin (Lehrerin) nehmen sie den Tierfänger gefangen und sperren ihn ins Gefängnis. Erleichtert über die Rettung feiert die Tierhüterin mit den Tieren ein großes Fest.
4.1.8
Beziehungsstiftende Spiele bei Konflikten in Klassen
Im Sinne der selektiven Prävention setzen wir die beziehungsstiftenden Geschichten auch dann ein, wenn wir in Schulklassen gerufen werden, in denen sich schon starke Konflikte entwickelt haben. An einigen Beispielen möchte ich aufzeigen, wie wir die Konflikte und Probleme angehen und die Widerstandsressourcen der Kinder und die Beziehungen untereinander stärken: 4.1.8.1
Aufbau eines Zusammenhalts in einer hoch verstrittenen Klasse
Der Kommunale Soziale Dienst fragte unser Gewaltpräventionsprojekt an, nachdem in einer 2. Klasse in einer Brennpunktschule mit 80% Kindern mit Migrationserfahrung seit der 1. Klasse sich so massive Konflikte entwickelt haben, dass schon viele Meldungen beim Jugendamt eingegangen sind. Zum einen waren massive Streitigkeiten unter den Mädchen ausgebrochen, die Mädchen hatten sich in zwei Gruppen aufgespaltet, wobei eine Gruppe von aggressiven Mädchen heftig die zweite Gruppe von eher gehemmten und stillen Mädchen terrorisierte. Zum anderen gab es große Probleme unter den Jungen. Die körperlich Stärkeren hatten die Schwächeren gezwungen, ihre "Sklaven" zu sein und auf Befehl die Mädchen zu ärgern oder zu schlagen. Zunächst arbeiteten wir parallel mit der Mädchen- und Jungengruppe je drei Sitzungen getrennt und dann noch drei Sitzungen mit je einer gemischten Klassenhälfte. Mit der Mädchengruppe begannen wir mit der Geschichte "Brand im Zirkus". Zuerst erzähle ich im Stuhlkreis möglichst spannend folgende Geschichte: In einem Zirkus, der durch seine Tieraufführungen weltberühmt wurde, leben eine Gruppe rassiger Araberpferde und eine Gruppe unterschiedlicher
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mächtiger Raubtiere. Für die morgige Premiere, die live in alle Welt übertragen werden soll, übt die Pferdedresseurin (Frau Reisinger) mit den Pferden einzigartige Kunststücke und der Zirkusdirektor (Klassenlehrer) mit den Raubtieren waghalsige Kunststücke ein. Nach diesem letzten Training, von dem die beiden Zirkusdresseure begeistert sind, werden die Tiere in ihrem Raubtierkäfig und im Pferdezelt gut gepflegt und versorgt. In der Nacht zieht ein Gewitter auf, ein Blitz schlägt in das Raubtierkäfig ein, und das Stroh fängt lichterloh zu brennen an. Die Zirkusleute schlafen aber tief und fest und bemerken das Unglück nicht. Nur die Pferde, die den Rauch wittern, werden unruhig, hören das Gebrüll der Raubtiere, brechen aus ihrem Zelt aus, schlagen mit ihren Hufen das Gitter des Käfigs ein und ziehen die vom Rauch betäubten Raubtiere in ihr Zelt. Dort prusten sie Wasser über das sengende Fell, lecken die Wunden und geben den zu sich kommenden Raubtieren zu trinken. Als der Zirkusdirektor am nächsten Morgen zum Käfig geht, ist er entsetzt, einen ausgebrannten Wagen vor zu finden. Er glaubt schon alle Raubtiere tot, als er aus dem Zelt Geräusche hört. Dort findet er zu seiner großen Erleichterung die Raubtiere friedlich vereint mit den Pferden vor. Gemeinsam mit den anderen Zirkusleuten pflegt und versorgt er die erschöpften Tiere. Als es allen wieder gut geht, kommt ihm die Idee, es wäre eine Sensation, Raubtiere und Pferde, die bisher immer getrennt aufgetreten sind, zusammen auftreten zu lassen. Noch nie sei das gewagt worden. Wenn das gelinge, würden Bilder dieses gemeinsamen Auftritts in alle Welt gehen. Und bei der Premiere am gleichen Abend ist die Sensation perfekt. In Anwesenheit von berühmten Sängern, Filmschauspielern, Sportlern und Politikern zeigen Pferde und Raubtiere eine großartige Vorführung von noch nie gesehenen gemeinsamen Kunststücken. Nach der Erzählung lassen wir die Mädchen sich der Pferde- und Raubtiergruppe zuordnen. Wie zu erwarten war, möchten die aggressiven Mädchen Raubtiere sein, die stillen und gehemmteren Pferde. Der Klassenlehrer stellt sich, wie zuvor mit ihm vereinbart, als Zirkusdirektor und Dompteur der Raubtiere vor, Frau Reisinger als Pferdedresseurin und ich als Stallbursche. Anschließend bauen die Mädchen, die die Raubtiere spielen, zusammen mit dem Direktor ihren Käfig und ihr Übungszelt, danach verkleiden sie sich mit den mitgebrachten Tüchern. Frau Reisinger baut mit der anderen Gruppe das Zelt und den Dressurplatz auf und lässt dann die Mädchen sich als Pferde schmücken. Ich baue inzwischen zwischen den beiden Übungsplätzen ein Gitter (Stühle) auf, damit es während der Proben zu keinen Übergriffen kommen kann. Nach der Verkleidung besprechen die beiden Erwachsenen mit den Untergruppen, welche Raubtiere oder Pferde sie sein wollen, was sie in dieser Rolle alles können
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und welche Kunststücke sie zusammen vorführen wollen, z.B. als Pferde tanzen oder mit Hufen Rechenaufgaben lösen, oder bei den Raubtieren durch einen Feuerreifen springen oder dass der Direktor seine Hand in den Rachen der Tiere steckt. Damit nicht eine Gruppe warten muss, finden die Proben parallel statt. Um den Raubtieren das Gefühl zu geben, mächtige Tiere zu sein, zeige ich als Stallbursche Angst, erschrecke, wenn sie brüllen, bestaune ihre mächtigen Zähne und Krallen, ihre Geschmeidigkeit und Kraft, werfe ihnen aus gehörigem Abstand Fleisch zu und kommentiere bewundernd, wie sie es in der Luft fangen und verschlingen. Dies genießen die Mädchen sehr und zeigen mir immer wieder ihre Krallen und Zähne, damit ich immer wieder mein Erschrecken zeige. Bei den Pferden bewundere ich das glänzende Fell, die grazilen Bewegungen, Anmut und Klugheit. Nach der Dressur haben der Klassenlehrer und wir die Möglichkeit, über das Abtrocknen und Bürsten des Fells, das Auskratzen der Hufen und das Füttern den Kindern körperliche Zuwendung zu geben, was diese sichtlich genießen und einfordern, indem sie z.B. noch eine Hufe oder Pfote zur Pflege hinstrecken. Selbstverständlich achten wir sehr auf Grenzen, ob ein Kind die Berührung mit einem Tuch will oder ob wir nur knapp über dem "Fell" die "Bürste" bewegen. In der Nacht "spiele" ich dann den Donner und Blitz (Geräusche und rotes Tuch) und lasse den Raubtierkäfig in Flammen aufgehen. Die Raubtiere brüllen, schlagen mit ihren Pranken gegen das Gitter und fallen nacheinander in Ohnmacht. Die Pferde im Zelt wiehern aufgeregt, zerren an ihren Leinen, bäumen sich auf und reißen sich los. Sie galoppieren zum brennenden Wagen, schlagen mit den Hufen die Gitter ein und tragen die verwundeten, ohnmächtigen Raubtiere auf ihrem Rücken zum Pferdezelt. Bei der Rettung ist es sehr berührend, wie zart die Pferde mit den Raubtieren umgehen. Einige schlecken mit ihrer Zunge echt die "Wunden" der Raubtiere ab. Die aggressiven Mädchen genießen diese fürsorglichen, einfühlsamen Pflegehandlungen, halten ihre "Pfoten" hin und können kaum genug von der Fürsorge bekommen. Als wir dann am Morgen auftauchen, liegen sie eng aneinander gekuschelt im Zelt, genießen unser Erschrecken und dann unser Bewundern, Pflegen und Versorgen. Vor der gemeinsamen Aufführung besprechen sie dann kurz Kunststücke ab. Ich kündige danach als Reporter eine Eurovisionssendung an und kommentiere und filme bewundernd die Kunststücke. Der gemeinsame Auftritt gipfelt in einer Tierpyramide, die die Kinder zuvor abgesprochen haben. Mit einer
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4 Resilienzförderung an Schulen
Nahaufnahme dieser Pyramide mit dem Zirkusdirektor in der Mitte endet das Spiel. Nach dem Spiel geben die Mädchen sich positive Rückmeldungen und anerkennen/ sie hätten zum ersten Mal ohne Streit gespielt. Dann gehen die Mädchen zwischen den Untergruppen gemischt händchenhaltend oder umarmt in die Pause. In die zweite Sitzung kommt die Gruppe der aggressiven Mädchen heftig streitend und weinend aus der Pause ins Klassenzimmer. Zwei wollen mit einem Mädchen nie mehr was zu tun haben, da diese sie als Nutten beschimpft habe. Eine Klärung auf der Gesprächsebene verweigern sie, sodass wir mit der zweiten Geschichte beginnen, in der es um Reiterferien auf einem Pferdehof und einen Pferdedieb geht. In der Geschichte pflegt und versorgt das ausgeschlossene Mädchen mit großem Einsatz die beiden anderen, die Pferde spielen. Diese lassen in der Geschichte das Streicheln und Füttern zu/ ja genießen es sichtlich. Nach dem Spiel setzten sie sich umschlungen zusammen in den Stuhlkreis. Mit den Jungen spielen wir in der ersten Sitzung die Geschichte "Bau des größten Bergtunnels". In dieser Geschichte geht es darum, dass von zwei Ländern her ein Tunnel durch einen Berg gegraben werden muss. Dabei sind Sprengmeister nötig, die von beiden Seiten die Sprengungen absprechen und überwachen, damit es zu keiner Katastrophe führt. Dann werden Spezialisten für riesige Bohrgeräte und Bagger benötigt, Ärzte, die prüfen, ob die Luft noch gut genug zum Atmen ist. Eines Tages aber, als die beiden Gruppen kurz vor dem Durchbruch sind, entweichen giftige Gase aus dem Berg, es kommt zu einer Explosion, viele Spezialisten werden unter den Steinmassen vergraben, und in einem schnellen Einsatz, in dem es um Leben und Tod geht, werden sie vom Ärzteteam geborgen und verarztet. Nach der Rettung und Genesung beiden Gruppen schaffen es beide Gruppen, in Anwesenheit der Weltpresse, haargenau die Tunnels in der Mitte des Gebirges zusammen zu bringen. Für die Rettung und die gelungene Zusammenarbeit werden alle vom Präsidenten geehrt und mit einer Verdienstmedaille ausgezeichnet. Nachdem ich die Geschichte erzählt habe, sagt Boris, dem wegen seiner negativistischen Haltung und seinen Aggressionen ein Wechsel in die Schule für Erziehungshilfe droht: "Bei dem Scheiß' spiel' ich nicht mit." Das Angebot, Sprengmeister spielen zu können, lehnt er mit abwertenden Bemerkungen ("Babykram") ab und sagt, er sei ein Monster und werde alle umbringen. Ich entgegne/ dass ich nicht möchte, dass er dann von den anderen Kindern abgelehnt werde, wenn er ihnen das Spiel kaputt mache. Und ich versuche, ihm eine Brü-
4.1 Gewaltprävention mit Schulklassen
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cke zum Mitspielen zu schaffen, ohne vor den anderen nach seiner massiven Ankündigung das Gesicht zu verlieren. Ob es sein könnte, dass bei den Bohrungen ein im Stein eingeschlossenes Urtier befreit würde, das wieder zum Leben erwache, frage ich. Und dass dies eine Sensation sei, sodass alle Fernsehsender davon berichten. Boris geht auf diesen Vorschlag ein und will eine Riesengiftspinne sein. Er erklärt sich auch bereit, andere nicht zu töten, wenn die im Gegenzug bereit sind, ihn nicht gefangen zu nehmen, sondern ihn in seiner Berghöhle in Ruhe zu lassen. Erstaunlich im Spiel ist dann, wie lange Boris in seinem Versteck aushält, bis er entdeckt wird. Er greift die Arbeiter nicht an, sondern lässt sich von ihnen mit riesigen Fleischmengen füttern. Um ihn weiter in Bezug zu den anderen Kindern zu bringen, bitte ich als Fernsehreporter die Spezialisten, ob sie mir die Riesenspinne zeigen könnten. Ich hätte zu viel Angst, näher zu kommen, zu ihnen habe er aber, was völlig überraschend sei, eine Beziehung aufgenommen. Er weigert sich aber, sich filmen zu lassen, lässt es aber mit glänzenden Augen zu, dass ich als Reporter die Arbeiter den Fund schildern lasse, den einzigartigen Fund heraushebe und betone, dass dies das einzig lebende Exemplar einer Urspinne sei, um das sich sicher die Zoos aus aller Welt reißen und riesige Summen bieten werden. Die anderen Jungen sind im Spiel mit Eifer dabei, zu bohren, riesige Felsbrocken (Stühle) mit dem Bagger weg zu transportieren. Besonders das Sprengen, das mit der anderen Mannschaft auf der anderen Seite per Funk abgesprochen wird, genießen sie. Sie bringen Sprengladungen (Baufix) an, rollen Zündkabel aus und zählen dann, nachdem sich alle in Deckung gebracht haben, bis die Sprengung gezündet ist und die Felsbrocken zerbersten (ich lasse Stühle zusammenfallen). Als ein Streit zwischen zwei Jungen ausbricht, wer der Sprengmeister ist, hilft Herr Schönle ihnen auszuhandeln, dass der eine das Dynamit legt, der andere die Zündschnur, und sie gemeinsam dann den Zündungshebel drücken. Beeindruckend ist, wie die Jungen zusammen kooperierten, wie sie die Sprengungen absprechen, wie die Ärzte vor giftigen Gasen warnen und wie sie sich bei der Katastrophe hilfreich einsetzen. Berührend ist, wie gerade einige der aggressiven Jungen ohne Anregung von den Erwachsenen von sich aus beginnen, Blut für die Verletzten zu spenden. Es ist ein eindrückliches Bild, als gerade der Anführer der aggressiven Jungen einem seiner Opfer gegenüber liegt und ihm als Verletzten von seinem Arm eine Bluttransfusion in dessen Arm legt.
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4 Resilienzförderung an Schulen
4.1.8.2
Integration eines Mobbingopfers in die Klasse
Wir wurden in eine 5. Klasse Hauptschule gerufen, nachdem ein Junge, Tim, der Opfer von Bullying wurde, einen Amoklauf angedroht hatte. Nach Gesprächen mit dem Lehrerkollegium stellte sich heraus, dass in dieser Klasse insgesamt wenig Zusammenhalt herrscht, dass die SchülerInnen, die aus verschiedenen Dörfern kommen, die seit Generationen im Streit liegen, sich in rivalisierende, sich schon im Schulbus bekämpfende Untergruppen aufgespaltet und sich noch nicht zu einer Klassengemeinschaft zusammen gefunden haben. Da es eine kleine Klasse ist, können wir mit der ganzen Klasse beziehungsstiftende Geschichten spielen, die das Ziel haben, den Jungen in die Klasse zu integrieren und insgesamt die Klasse zu einer Gemeinschaft zusammenzuführen. In der ersten Sitzung spielen wir eine Geschichte, in der ein Team von BergsteigerInnen, das bestens trainiert und auf einander eingespielt ist, einen Heilstein, der bisher unheilbare Krankheiten heilen kann, auf dem Gipfel eines äußerst schwer zu besteigenden Berges im Himalaja findet. Nachdem die BergsteigerInnen Schluchten und Gletscherspalten, sich gegenseitig sichernd, überwunden haben, klettern sie an einer vereisten Steilwand hoch und schaffen es, den Heilkristall zu finden. In ihrer Freude merken sie erst spät, wie das Wetter einbricht und ein gewaltiger Schneesturm ausbricht. Die Bergsteiger wissen, dass sie schnell absteigen müssen, bevor sie eingeschneit werden. Da löst sich eine Schneelawine, reißt die Bergsteiger in ein Schneeloch und verschüttet sie. Im Tal steht jedoch ein Rettungshubschrauber bereit, der die Notsignale auffängt. Trotz Schneesturm steigt er auf und kann, vom Sturm hin und her geschüttelt, auf einer Plattform landen. Die Rettungsmannschaft seilt sich in die Schlucht ab, kann die Verschütteten orten, sie in großer Eile ausgraben und notversorgen. Auf einer Bahre transportieren sie die verletzten Bersteigerlnnen zum Hubschrauber, der sie nacheinander in die Klinik fliegt. Dort stehen schon die Spezialisten/innen bereit, um zu röntgen, Erfrierungen zu behandeln, Brüche zu schienen und Operationen bei inneren Verletzungen vorzunehmen. Nach einer dramatischen Rettungsaktion, in der es gelingt, alle BersteigerInnen wieder heil zu machen, wird in einer Feierstunde in der Klinik in einer Direktübertragung durch das Fernsehen der Bundespräsident (Klassenlehrer) allen das Bundesverdienstkreuz überreichen. Während die anderen Kinder voll in der Rettungsaktion auf gehen, schwitzend die Verschütteten bergen und in der Klinik versorgen, ist Tim, der Techniker im Rettungshubschrauber spielt, nur mit der Wartung und Reparatur des Hubschraubers beschäftigt. Um ihn mehr in Bezug zu den anderen Kindern
4.1 Gewaltprävention mit Schulklassen
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zu bringen, kommt Herr Schönle als Rettungssanitäter und bittet ihn, da nicht genug Rettungskräfte im Einsatz seien, den Puls eines im Schock befindenden Bergsteigers (ein Junge mit großem Einfluss in der Klasse) zu beobachten. Er sei in einem gefährlichen Zustand, daher brauche er eine Dauerbeobachtung. Im weiteren Spielverlauf holt er immer wieder seine Hilfe für die Verletzten und die Ärzte, sodass er bis zum Ende des Spiels mit mehreren Kinder in Spielkontakt kommt, was diese in der Rückmelderunde auch anerkennen. Auch unter den Kindern, die bisher in Streit zueinander lagen, kommt es zu positiven Beziehungserfahrungen. So erkundigt sich ein Junge, der Notarzt ist, bei einem Mädchen aus einem "verfeindeten" Dorf, das als Notärztin einen Verletzten in die Klinik tragen hilft, sich dabei an einen Stuhl stößt und sich dann den Arm hält: "Haben Sie sich verletzt? Haben Sie Schmerzen?", und zeigt ihr gegenüber ein feinfühliges Verhalten. Und es besuchen zwei Jungen der Hubschrauberbesatzung, die zu Spielbeginn Maschinenpistolen bauen wollten, nach der Rettung die verletzten Bergsteiger in der Klinik. erkundigen sich nach ihrem Gesundheitszustand und zeigen Mitgefühl. Viele Kinder sagen daher bei der Rückmeldung, dass sie zum ersten Mal spielen konnten, ohne dass es zum Streit kam. Auch in der nächsten Geschichte, einem Tauchabenteuer, in der Tim wieder einen Spezialisten spielt, der die Tauchgeräte prüft und repariert, hilft Herr Schönle ihm, weg vom Material hin zu direktem Kontakt mit den anderen zu kommen. Zunehmend traut er sich selbst, auf andere zuzugehen, um mit ihnen zu kooperieren oder ihnen zu helfen. Auch die anderen Kinder wachsen durch diese beziehungsstiftenden Geschichten immer mehr zusammen, sodass nach dem Projekt das Mobben des Schülers aufgehört und die Klassengemeinschaft deutlich zugenommen hat. Auch drei Monate später kamen von der Schule sehr positive Rückmeldungen über die Klasse und Tim. 4.1.8.3
Weitere Interventionsmöglichkeiten des Kinderpsychodramas in der Schule
Weiss (2010, S.208ff) beschreibt weitere Interventionsmöglichkeiten des Kinderpsychodramas in der Schule. Am Beispiel der Integration eines schulvermeidenden, zurückgezogenen Jungen in einer Förderschule und eines Gruppenprojektes in einer integrativen Schule zeigt sie auf, wie das Kinderpsychodrama genutzt werden kann, um einzelne Kinder besser in die Klasse zu integrieren. Feinauer (1992) stellt einen Gruppenprozess über 40 Stunden in einer Schule für Erziehungshilfe dar und resümiert:
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4 Resilienzförderung an Schulen "Die Psychodrama-Gruppenspiele ermöglichten eine neue Dimension der Begegnung. Die Regeln des Miteinander-Umgehens waren verändert, das Ausprobieren neuer Rollen und Erfahrungen war möglich, Kontakte konnten anders geknüpft und definiert werden." (S. 47)
Kleinhanns schildert an einigen Beispielen seine mehrjährige Praxis mit dem Kinderpsychodrama an einer Gesamtschule in Hamburg St. Pauli (2008). An einem Beispiel zeigt er die Wirkung auf das Sozialverhalten: "Die Kinder wollen die Preisverleihung eines Musiksenders spielen. Die Mädchen entscheiden sich für weibliche Größen des Popgeschäfts, die Jungs für beriihmte Fußballer. Die Leitung interveniert in Rollen als zuvorkommende Moderatorin und als begeisterter Rundfunkjoumalist. Als unterstützendes Doppel kann sie den Kindern helfen, ihre mit Beliebtheit und Attraktivität attribuierten Rollen auszufüllen bzw. zu halten: mit Vorschlägen, welche Wünsche ihnen zu erfüllen seien oder im Interview mit Fragen z.B. danach, welche musikalischen Projekte sie in Zukunft verwirklichen wollen. Schließlich kommt es zu spielerischen Gesangs-und Tanzauftritten der ,Stars'. Die Kinder begegnen sich mit großem gegenseitigem Respekt, wie sie es für Stars angemessen halten und üben so neues Sozialverhalten ein. Selbstwertgefühl und Kreativität werden gestärkt." (S. 229f)
Kuchenbecker und Engelbertz (20OS) geben Einblick in eine soziodramatische Arbeit in einer Realschule zur Prävention von Rechtsradikalismus. Auch bieten LehrerInnen, die wir in der kinderpsychodramatischen Methode fortgebildet haben, in Schulen Kleingruppen für verhaltensauffällige SchülerInnen an, um ihre soziale Kompetenz zu fördern. 4.1.8.4
Embodiment
In diesen Spielen, die alle Sinne der Kinder einbeziehen und zu einem anderen
"Embodiment" (Storch 2006) führen, können die Kinder eine positive und kreative, korrigierende Neuerfahrung machen, eine neue Erfahrung geglückter Selbstwirksamkeit, Selbstwerterhöhung und des befriedigten Bindungsbedürfnisses, die mit veränderten Körpergefühlen einhergehen. Diese positiven bedürfnisbefriedigenden Erfahrungen aktivieren das Annäherungssystem statt Abwehr und Vermeidung, da die positiven Emotionen im Spiel und die dadurch ausgelösten hormonellen Veränderungen die Grundlage für die Überwindung von Vermeidungstendenzen und die Motivation für das Neulemen sind (Spitzer 2002). Einige eindrückliche Beispiele können dies bestätigen: In einer 5. Klasse einer Brennpunktschule, in die auch Schüler aus der Schule für Erziehungshilfe in die neu zusammen gestellte 5. Klasse integriert werden
4.1 Gewaltprävention mit Schulklassen
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sollen, berichtet der Klassenlehrer von einem Schüler, Önder, der sehr abweisend ist und jedes Kontaktangebot des Lehrers abschmettert. In einer Geschichte, in der dieser Junge einen jungen Löwen spielt und der Lehrer zum Löwenvater einer Horde von Löwen gemacht wird, werden die Löwen nach einem Buschbrand verletzt in die Tierklinik transportiert. Als der Löwenvater verletzt auf dem op-Tisch liegt und von den Tierärzten (andere Schü1erlnnen) operiert wird, weicht Önder als Löwenkind nicht von ihm und leckt in Echt die verletzte Pfote des Löwenvaters. Der Lehrer kann zum Glück dies zulassen und positiv kommentieren, dass der Löwe sich Sorgen um seinen Gesundheitszustand macht und dass das Lecken heilsam für die Wunden ist. Als sie sich später, nach der Gesundung des Löwenvaters und der anderen verletzten Löwenkinder, in ihre Höhle zurückziehen, legt Önder als Löwenjunge sich in den Schoß des Löwenvaters, was dieser berührt zulässt, und gemeinsam genießen sie die Nähe. In der nächsten Woche berichtet der Lehrer, Önder sei wie umgedreht. Er könne seine Nähewünsche zeigen und müsse seine Beziehungsangebote nicht mehr provokativ abweisen. In einer 2.Klasse ist ein dickes türkisches Mädchen, Rüya, von der Mädchengruppe sehr ausgeschlossen. Bei der Bergsteigergeschichte wehren sich die Mädchen, immer nur Rollen zu haben, in denen sie verpflegen oder verarzten sollen, und wollen die Hubscmauberbesatzung sein, die für Bergrettung ausgebildet ist. Rüya möchten sie jedoch nicht in ihrer Rettungsmannschaft haben. Als sie sich beleidigt und mit finsterer Miene zurückzieht, frage ich sie, ob sie nicht der berühmte Bernhardiner- Rettungshund sei Strahlend nimmt sie das Angebot auf, was auch die anderen Mädchen zulassen können. Und sie gräbt wie wild die Verschütteten aus der Lawine aus. Als sie nach der Rettung wie verloren da steht, komme ich als Krankenpfleger, trockne ihr das nasse Fell ab und gebe ihr einen großen Fleischknochen für den großartigen, anstrengenden Einsatz. Sie strahlt und, ermutigt durch diese Erfahrung, schmiegt sie sich auch an die Ärztinnen an. Da diese nicht sofort reagieren, jault sie, bis diese bemerken, lässt sich dann ausgiebig streicheln und weicht nicht mehr von ihren Füßen. In der nächsten Sitzung kommt sie zu Beginn der Stunde auf mich zu und hält gebeugt ihren Rücken hin. Zum Glück erinnere ich mich an unsere Begegnung. Ich sage: "Da kommt ja der Hund, der Leben gerettet hat. Den muss man ja streicheln, was der geleistet hat", und ich streichle sie vorsichtig über den Rücken. Da nimmt sie meine Hand und fährt mit ihr jedem Mädchen über den Kopf, wobei jede den Kopf hinhält. Ich anerkenne, wie sie auch einfühlsam für die anderen sorgt.
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4 Resilienzförderung an Schulen
Ein Junge mit einer Hasenscharte, der viele Operationen hinter sich hat und in der Klasse den Clown spielt, wählt bei der Bergsteigergeschichte die Rolle eines Chefarztes, der im Gegensatz zum Unterricht sich sehr ernsthaft und einfühlsam um die Verletzten kümmert. Nach diesem Spiel erhält er von anderen Kindern sehr positive Rückmeldung, wie toll er sich als Chefarzt eingesetzt und wie echt er die Rolle gespielt habe. Nach der großen Pause treffe ich ihn weinend bei der Pausenaufsicht an und frage, was geschehen ist. Schluchzend berichtet er, andere Jungen hätten ihn zu Boden gestoßen. Ich entgegne: "Jetzt bist du verletzt und vorher warst du der berühmte Chefarzt, der schlimme Wunden heilen konnte." Da hört er mit Weinen auf, strahlt mich an und sagt, so schlimm sei es auch nicht. Mein Hilfsangebot, mit ihm zu den"Tätern" zu gehen und den Streit schlichten zu helfen, lehnt er ab, das schaffe er schon selbst. Wieder bestätige ich ihn, ein so berühmter Arzt könne nicht nur super operieren, sondern sei sicher auch sehr erfahren, Konflikte selbständig zu regeln. Diese Beispiele zeigen, wie über Veränderungen des Körperzustandes entwicklungsfördernde Gefühle, Einstellungen und Bewertungen erzeugt werden. Damit Kinder wieder ihre natürliche Begabung zum "Embodiment", zur Verkörperung zurückgewinnen, die durch einengende Erziehung und den gesellschaftlichren Druck zur "Entkörperung" unterdrückt wurde, müssen sie in den Spielen die verloren gegangene Einheit mit ihrem Körper und den Zugang zur "Weisheit" ihres Körpers wieder finden. Dies wird umso notwendiger, als Kinder zunehmend in einer Lebenswelt leben, in der der Körper vernachlässigt wird, in der durch Handy, Gameboy, Computer und Fernsehen die körperfernen Sinne, das Sehen und Hören, überreizt, die körpernahen Sinne, der Tastsinn, die Tiefensensibilität, dagegen viel zu wenig angesprochen wird. "Zurück zu den körpemahen Sinnen bedeutet, dem entwicklungsrelevanten Prozess der Selbstregulation und der Aktivierung der Selbstheilungs- und Selbstgestaltungskräfte sowie der Identitätsentwicklung der Kinder gerechter zu werden." (Gäbler 2006, S. 802)
Auch der 13. Kinder- und Jugendbericht (2009, S. 62) fordert genügend soziale Lernund Erfahrungsräume, den eigenen Körper ausprobieren und spüren zu können, und Achtsamkeit für sich und andere zu entwickeln: "Der Körper bietet den bevorzugten Ort für Empfindungen der eigenen Lebendigkeit. Körperliche ,Sensationen' bilden unstrittige Bestätigungsmöglichkeiten für die eigene Existenz, und sie können gegen die Flüchtigkeit der postmodernen Bilderflut und die Entsinnlichung einer Alltagswelt gesetzt werden, die kognitivistisch und rationalistisch dominiert ist."
4.2 Förderung gewaltpräventiver Kompetenzen der Lehrkräfte
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Das an der Anthropologie des schöpferischen Menschen orientierte Kinderpsychodrama sieht die Förderung einer kreativen Persönlichkeit als ein zentrales Anliegen und bezieht daher alle Sinnesorgane, die Affekte und Motorik ein, um den freien Ausdruck von Gefühlen und körperlichen Regungen zu ermöglichen, die den entwicklungspsychologisch relevanten, natürlich auftretenden Bedürfnissen der Kinder entsprechen, und "gebundene Kreativität" (Krüger 2002) zu befreien (Aichinger 2008). "Wenn das ,Ich' die Verbindung mit seinem Körper wieder zurückgewinnt, spürt der betreffende Mensch nicht nur im übertragenen Sinn, sondern auf eine reale, verkörperte Weise, dass er ein Rückgrat hat, dass er sich aufrichten und sich aufrecht im Leben bewegen kann." (Hüther 2006, S. 97)
4.2 Förderung gewaltpräventiver Kompetenzen der Lehrkräfte Der Hauptansatzpunkt der Resilienzforschung liegt darin begründet, dass auch die widerstandsfähigsten Kinder Risikolagen nicht allein aus ihren Stärken heraus bewältigen können. Sie benötigen Hilfestellung und Unterstützung gerade auch durch Leherlnnen im schulischen Bereich (vgl. Schick & Ott 2002). Schule wird dann zu einem Schutzfaktor der kindlichen Entwicklung, wenn sie Bedingungen schafft, die Kinder dabei helfen, Beziehungskompetenz zu entwickeln. Und wenn sie ein soziales Handlungsfeld bereitstellt, in dem Kinder Freundschaften aufbauen und Bindungsverhalten entfalten können. Die Beziehungsfähigkeit, die sich in der Schule entwickelt, schafft für Kinder die Voraussetzung, auch im späteren Leben unterstützende und tragfähige Beziehungen einzugehen. Und dies hat sich als eine wichtige Grundlage von Resilienz erwiesen. Daher haben wir ein Fortbildungskonzept erarbeitet, LehrerInnen eines Schulkollegiums zu befähigen, selbständig die Beziehungs-und Konfliktfähigkeit von Kindern der 1.-5. Klasse zu stärken und damit positive Entwicklungsbedingungen zu fördern (Holl2002). Die Fortbildung besteht aus 6-8 zweistündige Einheiten. In jedem Seminar wird mit dem Lehrerkollegium eine beziehungsfördernde oder konfliktlösende Geschichte erarbeitet. Um die Wirkung der Methode überzeugend zu vermitteln, lassen wir die LehrerInnen in die Rollen von Kindern wechseln, zwei MitarbeiterInnen der Beratungsstelle wechseln in die Lehrerrolle und gestalteten mit ihnen die vorgesehene Geschichte in den Schritten, in denen die LehrerInnen die Geschichte dann auch mit ihren Klassen in den folgenden Tagen durchführen werden.
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4 Resilienzförderung an Schulen
Zuerst erzählt ein Berater in der Rolle des Lehrers die Geschichte möglichst lebendig, um die Kinder (die Lehrerinnen) einzustimmen und anzuwärmen. Anschließend können die "Kinder" ihre Rollen wählen und mit unserer Hilfe auszudifferenzieren. Danach kommen die Bauphase und die Verkleidung, ein wichtiger Schritt zur Anwärmung und ein Übergang zur Symbolebene des Spiels. Die eigentliche Spielszene dauert in der Regel nicht länger als zwanzig Minuten. Thr folgt eine kurze Nachbesprechung, in der die "Kinder" rückmelden können, mit wem sie gut gespielt haben und was ihnen am Spiel gefallen hat. Nach alle ihre Rollen abgelegt haben schließt sich eine ausführliche Diskussion an, welche Erfahrungen sie als Kinder im Spiel gemacht haben und wie sie die gespielte Geschichte in ihrer Klasse umsetzen können. Kollegien berichteten häufig, wie das Spielen dieser Geschichten sie als Kollegen verbunden habe. Die Geschichten haben wir in zwei Gruppen aufgeteilt, in beziehungsstiftende Geschichten und konfliktthematisierende, konfliktlösende Geschichten. Bei den beziehungsstiftenden Geschichten geht es um gegenseitige Hilfe und Rettung. Statt Aufwertung durch Abwertung anderer Kinder und statt eines Kampfes gegeneinander geht es um Aufwertung durch prosoziale "Heldentaten" und gegenseitige Hilfe und Zusammenarbeit in Abenteuergeschichten wie z.B. Bergsteiger werden verschüttet und müssen gerettet werden, ein Schiff gerät in Seenot und braucht Hilfe, ein Raumschiff auf dem Mond wird durch einen Meteoritenhagel beschädigt und muss an ein Rettungsschiff angedockt werden, Löwen geraten in einen Sandsturm und werden von Erdhörnchen befreit, Buschbrand im Safaripark u.ä. Aktuelle Berichte im Fernsehen über Waldbrände oder Überschwemmungen können dabei gut aufgegriffen werden. In den Geschichten helfen wir den Kindern, positive Interaktionen und gelingende Beziehungserfahrungen in und zwischen Subgruppen zu machen, zum einen z.B. unter den Bergsteigern, unter den Hubschrauberpiloten und zwischen Ärzten und Ärztinnen in der Klinik., zum anderen auch zwischen diesen Gruppen. Bedrohungen, die Spannung ins Spiel bringen, Rettung und Zusammenarbeit verlangen, gehen von Naturgewalten oder Tieren aus, die immer vom Lehrer gespielt werden. In den konfliktthematisierenden und -läsenden Geschichten sind, symbolisch verfremdet, Probleme thematisiert, wie sie in jeder Klassengemeinschaft auftreten können. Sie dienen nicht zur Klärung und Lösung aktueller Konflikte, sondern thematisieren präventiv die Auseinandersetzung mit Problemen, die sich häufig in Klassen entwickeln, wie z.B. Rivalität, Dominanz, Grenzüberschreitung, Intoleranz, Ausgrenzung. Und sie beinhalten immer auch eine Lösung des Konflikts.
4.2 Förderung gewaltpräventiver Kompetenzen der Lehrkräfte
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Das Spielen dieser Geschichten stärkt die Kinder in ihrer emotionalen und sozialen Kompetenz, verhilft ihnen zu einer differenzierten Wahrnehmung von sozialen Situationen und zu mehr Einfühlungsvermögen. Und sie erleben anschaulich, dass trotz Schwierigkeiten und Konflikte gelingende Beziehungen wieder hergestellt werden können. Außerdem entwickeln sie Kreativität, um geeignete Handlungsalternativen für ein friedliches Miteinander zu finden. Die LehrerInnen können dann beim Auftreten eines realen Konfliktes auf die jeweilige Spielszene zurückgreifen und die Kinder ermutigen, Lösungen wie damals bei der Geschichte zu finden. Die Geschichten sind für Grund- und Hauptschüler bis einschließlich der 5. Klasse konzipiert. Sie stellen jedoch nur einen allgemeinen Entwurf dar, der auf das Niveau jeder Klasse abgestimmt und durch die Ideen der Kinder angereichert werden sollte. 4.2.1
BeziehungsstiJtende Geschichten
Einige Beispiele für beziehungsstiftende Geschichten sind schon im vorhergehenden Kapitel dargestellt worden. Ein weiteres Beispiel für jüngere Grundschulkinder kann die folgende Geschichte "Brand im Safaripark" sein: Zunächst erzählt die Lehrerin möglichst lebendig und ausschmückend eine Geschichte mit folgendem Inhalt: In einem Safaripark leben die unterschiedlichsten Tiere, ausgewachsene und junge Tiere. Sie werden dort von Tierhütern und Tierärzten betreut und gefüttert. In der Nacht braut sich ein Gewitter zusammen, Blitze schlagen in die trockene Savanne ein und es bricht ein Feuer aus, das rasch um sich greift. Die Feuerwehr wird verständigt, um den Brand einzudämmen und zu löschen. Gleichzeitig versuchen die Tierärztlnnen und die Tierhüterlnnen die Tiere zu retten und sie mit ihrem Geländewagen zur weiteren Behandlung in die Tierstation zu transportieren. Nach einem großen Einsatz kann die Feuerwehr den Brand löschen. Nachdem die geretteten Tiere verarztet sind, fliegt ein Femsehteam ein und filmt die Tiere und ihre Retter. In einer Feierstunde überreicht die Präsidentin (Lehrerin) der Feuerwehr, den Tierpflegern und Ärzten Rettungsmedaillen und den Tieren leckeres Futter. Anschließend ordnen sich die Kinder folgenden Rollen zu: sechs Tiere nach freier Wahl, vier als Feuerwehrleute mit einem Löschfahrzeug, vier bis sechs als TierärztInnen / TierhüterInnen vielleicht mit einem Landrover für Tiertransporte. Die Klassenlehrerin ist Assistentin bei der Tierstation und im zweiten Teil Prä-
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4 Resilienzförderung an Schulen
sidentin. Ein zweiter Lehrer gesellt sich zur Feuerwehr und übernimmt dann die Rolle der Feuerbrunst. Nach der Rollenwahl wird die "Bühne" aufgebaut: Der Safaripark wird für die Plätze der Tiere in Bereiche aufgeteilt. Es können z.B. Affenfelsen oder Höhlen für Bären aufgebaut und eine Wasserstelle oder ein Bach angelegt werden. Mit Kindern, die gefährliche Tiere spielen wollen, muss abgesprochen werden, dass sie mit den anderen Tieren so vertraut sind, dass sie diese nicht angreifen. Löschfahrzeuge und Allradfahrzeuge werden mit Tischen und Stühlen konstruiert. In der Nähe wird die Krankenstation für die TierärztenInnen und TierhüterInnen gebaut, sodass das gesamte Klassenzimme in angemessene Bereiche aufgeteilt ist. Die LehrerInnen können ihre strukturierende und stützende Aufgabe über die Rollen ausüben. In der Rolle der Assistentin kann die Klassenlehrerin mit TierärztInnen und TierhüterInnen z.B. den Fütterungsplan erfragen, ihnen Anerkennung für ihre gute Arbeit aussprechen und sie beim Füttern begleiten. Der zweite Lehrer kann als neue Kraft zur Feuerwehr kommen, sich das Feuerwehrauto und die ganze Technik erklären lassen, nachfragen, ob Reparaturen nötig sind, oder um einen Übungseinsatz bitten. Über diese Spielanregungen erhalten Kinder Hilfestellung, ins Spiel zu kommen und die Zeit zu füllen, in der sich die spielerische Interaktionen zwischen den Tieren entwickeln. Diese Rolle kann er jeder Zeit ablegen, mit dem roten Tuch als Feuer aktiv werden und damit den nächsten Schritt der Inszenierung einleiten. Und nach einem Rollenwechsel kann die Klassenlehrerin als Direktorin oder Präsidentin in einem bewundernden Spiegeln ihre Freude ausdrücken, dass die prächtigen Tiere gerettet sind, seine Verletzungen beachten, den Rettungskräften für ihren Einsatz danken und sie z.B. mit Medaillen auszeichnen. Die Tiere müssen Anerkennung erhalten, dass sie nicht in Panik ausgebrochen sind, sich retten ließen und die Schmerzen tapfer ausgehalten haben, und mit besonders gutem Stärkungsfutter beschenkt werden.
4.2.2
Konfliktthematisierende Geschichten
Bei den Geschichten, in denen Konflikte thematisiert werden, haben wir in den Anfängen wiederholt erfahren müssen, dass SchülerInnen die negative Rolle nur widerwillig übernahmen, und wenn, dann spielten sie die Rolle entweder nicht prägnant genug oder völlig übertrieben. Deshalb lassen wir in den konfliktthematisierenden Geschichten die LehrerInnen diese schwierige Rolle übernehmen, weil nur sie in der Lage sind, das Negative der Rolle so zu regulieren, dass das Spiel zu einer positiven Erfahrung für die Kinder wird.
4.2 Förderung gewaltpräventiver Kompetenzen der Lehrkräfte
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Außerdem wollten die Kinder nur unwillig solche Geschichten spielen, als wir den Ausgang der Geschichte offen ließen. Sie wünschten, dass wir wieder die "schönen Geschichten" (beziehungsstiftende Geschichten) spielen. Daher haben wir die Geschichten so verändert, dass in der Geschichte der Konflikt gelöst wird und wieder die guten Beziehungen hergestellt werden. An einigen Beispielen, die ich zum Großteil aus Holl (2002) entnommen habe, möchte ich aufzeigen, wie ein Konfliktthema bei jüngeren und älteren Kindern in Geschichten thematisiert werden kann. 4.2.2.1
Konfliktthema: Rivalität
Die zwei folgenden Szenen sind darauf angelegt, Rivalität zu thematisieren und zu vermitteln, wie sie positiv aufgelöst werden kann.
•
Generalprobe im Zirkus Jüngeren Kindern kann eine Geschichte mit folgendem Inhalt erzählt werden: Ein Fernsehdirektor (zweiter Lehrer) will bei einem Besuch in einem berühmten Zirkus unter zwei Tiernummern, einer Pferdedressur und einer Raubtierdressur, die beste für das Weihnachtsprogramm auswählen. Die Dompteurin (Klassenlehrerin) zeigt nacheinander ihre Pferde- und Raubtiernummer, die vom Fernsehen aufgenommen werden. Anschließend versucht der Fernsehdirektor die beiden Tiergruppen dazu zu verleiten, die eigene Show hervorzuheben und die der anderen Gruppe abzuwerten ( jüngere Kinder haben kein Problem, Tiere reden zu lassen). Die beiden Gruppen lassen sich jedoch nicht gegeneinander ausspielen, sondern verweigern den Auftritt, sollte nur einer Darbietung der Vorzug gegeben werden. Sie schließen sich dann mit den besten Aktionen zu einer gemeinsamen Show zusammen. Der Fernsehdirektor ist davon begeistert, weil er bisher noch nie Pferde und Raubtiere gemeinsam auftreten sah. Dieser gemeinsame Auftritt wird vorgeführt und von den Kameraleuten aufgezeichnet. Abschließend werden hohe Gagen ausbezahlt.
•
ModedesignerInnen und Chefredakteur In dieser Geschichte geht es ebenfalls um Rivalität, sie ist aber eher für Schüle-
rInnen der 5. und 6. Klasse geeignet. Junge DesignerInnen einer berühmten Modeschule präsentieren als Models in einer tollen Show ihre Abschlussarbeiten, ihre Kollektionen von Abendkleider, Freizeit-und Sportkleidung u.ä.. Die ChefredakteurInnen der bedeutendsten Modezeitschriften und ihre Fotografen sind für die Show eingeladen. Begeis-
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4 Resilienzförderung an Schulen
tert von der Aufführung möchte Heidi Klum (Lehrerin) aus den Kandidaten/ Innen das beste männliche und weibliche Model für ihre Show: "Germanys next Topmodel" aussuchen und versucht die Schü1erlnnen mit dem Versprechen großer Publicity und guter Honorare zu locken und gegeneinander aus zu spielen. Die Modells lassen sich aber nicht verführen. Da sie so viel gemeinsam erarbeitet und erlebt haben, besprechen sie sich gemeinsam mit ihrer Managerin (Klassenlehrer), und ihre Antwort ist: entweder gibt es einen Vertrag mit allen - oder keinen Vertrag. Und sie zeigen einen gemeinsamen Auftritt, von dem Heidi Klum total begeistert ist. Sie verpflichtet alle für eine neue Show, die großartig einschlägt. 4.2.2.2
Konfliktthema: Außenseiter
In den nächsten beiden Geschichten wird die Außenseiter-Thematik gezielter un-
ter dem Aspekt einer "Leistungsschwäche" und einer "Eigenheit" als Auslöser für Ausgrenzung formuliert.
•
Eskimos und Wolfe Die Eskimos einer kleinen Jägersiedlung fahren mit ihren Booten zum Walfischfang. Nur Alte und Kinder müssen zurück bleiben. Weit davon entfernt leidet ein Wolfsrudel unter Hunger, sie beschließen, in der Nacht bei den Eskimos Trockenfleisch zu rauben. Unter den Wölfen befindet sich jedoch ein Tier, das lahmt, weil es früher in eine Falle geraten war. Auch dieser Wolf möchte am Raubzug teilnehmen, doch die anderen Wölfe lehnen das ab, weil er zu langsam ist. Sie drängen ihn dazu, die jungen Wölfe im Bau zu beschützen, für die die Jagd auch zu gefährlich ist Die Wölfe springen durch die Schneewüste und schleichen sich dann an das Iglu an, ohne von den daheim gebliebenen, schlafenden Eskimos bemerkt zu werden. Sie versuchen, vorsichtig die Fallen zu umgehen und das aufgehängte Trockenfleisch zu schnappen. Zur gleichen Zeit kommt ein Eisbär (Lehrer), um den Wolfsbau auszunehmen. Der Bär glaubt, dass er leichtes Spiel hat, doch der lahme Wolf, der mit seinem guten Gehör den Bären erlauscht hat, verteidigt die Jungen mit aller Kraft und ruft durch sein Geheul die anderen herbei. Gemeinsam jagen sie den Bären in die Flucht und feiern den lahmen Wolf, der die Jungen gerettet hat. Von dem Kampfeslärm herbeigerufen kommen die Eskimos und erlegen den Eisbär, der
4.2 Förderung gewaltpräventiver Kompetenzen der Lehrkräfte
141
in ihre Falle getapst ist. Sie teilen das Bärenfleisch mit den Wölfen, und gemeinsam lassen sie sich das gute Bärenfleisch schmecken. Für die Kinder ist es ein sehr lustvolles Erlebnis, auf der Symbolebene gegen eine Lehrerin kämpfen und siegen zu können. Wie Erfahrungen gezeigt haben, verbessert sich dadurch die reale Beziehung zum Lehrer.
•
Expedition in den Urwald Diese Geschichte ist besser für ältere Schüler geeignet: Forscher, die Giftspinnen und Giftschlangen erforschen, um ein Serum zu entwickeln, sind auf einer Urwaldexpedition. Sie werden zu ihrem Schutz und, weil sie sich nicht so gut auskennen, von vier Abenteurern begleitet. Sie befinden sich in einem Dschungelcamp. Am Abend wollen die Abenteurer aufbrechen, um einen Tempel zu suchen, den sie nicht weit weg vermuten. Sie hoffen einen Tempelschatz oder wertvolle Statuen zu finden. Die Forscher sind ebenfalls interessiert, doch die Abenteurer lehnen ab, weil man für ein Wagnis dieser Art "harte Männer" braucht und keine "Bücherwürmer". Zu gleicher Zeit bereiten sich die Eingeborenen im Urwald mit dem Medizinmann (Lehrer) unter Beschwörungen und rituellem Tanz auf die Jagd vor. In der Nacht überfallen die Abenteurer den Medizinmann, ohne dass die anderen Eingeborenen dies bemerken, schleppen ihn in ihr Boot und wollen ihn zwingen, den Weg zum Tempel und seine Geheimnisse zu verraten. In der Morgenfrühe bemerken die eingeborenen Jäger, dass ihr Medizinmann verschleppt ist. Sie entdecken die Spuren, schleichen sich an die Abenteurer heran und beschießen sie mit Giftpfeilen. Drei der Abenteurer sind sofort gelähmt, der Vierte nur leicht, aber er stellt sich tot. Nachdem die Indianer ihren Medizinmann an Land geholt haben, gelingt es dem Abenteurer, den Motor anzuwerfen, zu flüchten und die Forscher zu Hilfe zu holen. Zurück im Camp können die Gelähmten von den Forschern mit Gegenserum und Heilpflanzen gerettet werden. Die Abenteurer bedanken sich und sehen, wie gut es ist, gelehrte Forscher dabei zu haben. Mit Geschenken kehren sie ins Dorf zurück, schließen Frieden und werden dann zu einem FriedensmahI eingeladen.
4.2.2.3
Konfliktthema: Mobbing
Um Mobbing zu thematisieren haben sich für jüngere Kinder Tiergeschichten bewährt, wie z.B. dass Löwen Zebras nicht an die Wasserstelle lassen und tyrannisieren und sich dann die anderen Tiere, die bisher nur schweigend zugesehen haben,
142
4 Resilienzförderung an Schulen
sich unter der Führung eines Elefanten zusammentun, um den Löwen Einhalt zu gebieten. Für ältere Kinder ist die Folgende geeigneter:
•
ZIberjall eines Sioux-Indianders In den Rocky Mountains leben friedlich nebeneinander weiße Siedler, die Pferde
züchten, und Sioux- Indianer, die mit den Weißen Felle von Bären, Bisons und Füchsen für Getreide eintauschen. Ein wilder Sioux-Indianer (Lehrer) hat bei den Weißen ein rassiges Reitpferd entdeckt. Da er weiß, dass die Weißen nicht kämpfen, schleicht er eines Nachts heimlich zu deren Siedlung, überfällt die Schlafenden, bedroht sie mit seinem Tomahawk und erpresst ihnen das rassige Pferd ab. Als am nächsten Tag friedliche Sioux zum Handeln kommen, merken sie die Vorsicht und Zurückhaltung der Weißen. Als sie nachfragen, berichten diese vom Überfall. Die Sioux beschließen, den feigen Krieger, der Wehrlose überfallen hat, auf frischer Tat zu stellen. In der folgenden Nacht legen sie sich auf die Lauer. Und in der Tat, der hinterhältigen Sioux schleicht sich wieder an das Holzhaus der Siedler, um ihnen nochmals ein Pferd ab zu erpressen. Gerade als er sich wieder auf die schlafenden Siedler stürzen will, springen sie aus dem Gebüsch und nehmen ihn gefangen. Zusammen mit den erschreckten Siedlern halten sie Kriegsrat und stellen den Angreifer vor die Wahl, entweder aus dem Stamm ausgeschlossen zu werden, weil es gegen die Stammesehre verstößt, Schwächere und Unterlegene anzugreifen, oder eine Wiedergutmachung zu leisten. Da der Sioux auf keinen Fall die Anerkennung seines Stammes verlieren möchte, erklärt er sich bereit, ein Jahr lang die Nachtwache zum Schutz der Siedler zu übernehmen. Danach begraben sie das Kriegsbeil, rauchen gemeinsam die Friedenspfeife und tanzen den Friedenstanz.
Für die LehrerInnen war es immer wieder überraschend, zu erleben, wie sehr sich ihre ordnende, kontrollierende und wertende Arbeitshaltung von der prozessorientierten Methode des psychodramatischen Rollenspiels unterscheidet, auch von dieser stark strukturierenden Form. Das löste zum Teil in der Anfangsphase einige Unsicherheiten aus. So befürchteten sie z.B., es könnte häufig zu Grenzüberschreitungen kommen, die Kinder würden sich nicht richtig auf das Spiel einlassen, oder die Autorität der LehrerInnen würde untergraben. Zu ihrer Verwunderung machten sie meist die gegenteiligen Erfahrungen. Vor allem, wie schnell und sicher Kinder zwischen Real- und Symbolebene unterscheiden und wie fließend sie diese Ebenen wechseln können, hatten sie nicht erwartet. Auch die positive Wirkung des symbolischen Spiels auf Konflikte und soziale Kompetenz
4.2 Förderung gewa1tpräventiver Kompetenzen der Lehrkräfte
143
war für die meisten LehrerInnen eine neue Erfahrung, sowohl während der Fortbildung, als sie selbst "Kinder" waren, als auch bei der Umsetzung in ihren Klassen. Die Lehrerinnen, die das beziehungsstiftenden und konfliktthematisierenden Geschichten regelmäßig durchführten, konnten feststellen, dass sich das Klassenklima und die Beziehungen erheblich verbesserten. Und als Nebeneffekt erleichterte die Zuneigung und Wertschätzung, die sie Kindern entgegenbrachten und die sie von den Kindern erfuhren, ihnen ihre andere schulische Arbeit erheblich. Durch Fortbildungsseminare konnten wir erreichen, dass seit Jahren lehrerInnen in Grund-und Hauptschulen in sozialen Brennpunkten, in Schulen für Erziehungshilfe, Förderschulen, aber auch Realschulen und Gymnasien im deutschsprachigen Raum regelmäßig mit diesen beziehungsstiftenden und konfkliktthematisierenden Geschichten arbeiten.
5 Resilienzförderung bei Risikogruppen
Das Aufwachsen in belasteten Familien ist für Heranwachsende mit einer deutlichen Zunahme an stressbesetzten alltäglichen Anforderungen, Konflikten und Spannungen sowohl innerhalb der Familie als auch im sozialen Umfeld verbunden. Exemplarisch an zwei Risikogruppen, den Kindern aus suchtbelasteten Familien und den Kindern aus Trennungs- und Scheidungsfamilien, möchte ich aufzeigen, welche Möglichkeiten der Resilienzförderung das Kinderpsychodrama bietet, die wichtigen Basiskompetenzen zu erwerben, die Kinder für die Bewältigung schwieriger Lebensumstände benötigen, Vertrauen in die eigene Kraft und die eigenen Fähigkeiten zu gewinnen, sich selbst als wertvoll zu erleben, durch ihre eigenen Handlungen Veränderungen zu bewirken und soziale Kontakte aufbauen zu können. 5.1. Kinder aus suchtbelasteten Familien
5.1.1
Die Lebenssituation dieser Kinder: Risiken und Ressourcen
Nach aktuellen Untersuchungen gibt es in Deutschland 2,65 Millionen Kinder und Jugendliche im Alter bis 18 Jahren, die zeitweise oder dauerhaft von den Auswirkungen der elterlichen Alkoholabhängigkeit betroffen sind, und, konservativ geschätzt, 40.000 bis 50.000 mit einem drogenabhängigen Elternteil (Klein 2008a, Klein 2008b). In jeder siebten Familie ist ein Kind zeitweise, in jeder zwölften dauerhaft von der Alkoholsucht eines oder beider Elternteile betroffen. Es handelt sich also nicht um eine kleine gesellschaftliche Randgruppe, sondern um eine große Gruppe mit einem hohen Entwicklungsrisiko. "In der internationalen Forschung zu Fragen des Kindeswohls und der Entwicklungs-
psychopathologie gilt eine elterliche Suchtmittelabhängigkeit, speziell Alkoholabhängigkeit, seit langem als eine der gefährlichsten Konstellationen für die gesunde psychische und körperliche Entwicklung von Kindern, die im Umfeld leben. Insbesondere amerikanische und skandinavische Forschungen haben das hohe Risiko der Kinder, die alkoholabhängigen Eltern oder Elternteilen exponiert sind, wiederholt und eindrucksvoll gezeigt." (Klein 20OSa, 5.3)
A. Aichinger, Resilienztörderung mit Kindern, DOI 10.1007/ 978-3-531-93012-1_5, © VS Verlag für Sozialwissenschaften I Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
146
5 Resilienzförderung bei Risikogruppen
Eine Vielzahl von Studien kommt zu dem Ergebnis, dass Alkoholabhängige überzufällig oft aus Familien stammen, in denen ein Elternteil oder beide Eltern abhängig waren. Im Falle einer väterlichen Alkoholdiagnose hatten die Söhne ein um das 2,01-fache, die Töchter ein um das 8,69-fache erhöhtes Risiko für Alkoholabhängigkeit. Im Falle einer mütterlichen Alkoholdiagnose erhöhte sich bei den Söhnen das Risiko um das 3,29-fache und bei den Töchtern um das 15,94-fache. Im Falle einer Alkoholdiagnose für beide Elternteile ist das Risiko einer eigenen Alkoholabhängigkeit bei den Söhnen um das 18,77-fache, bei den Töchtern um das 28-fache erhöht. Im Falle elterlicher Komorbidität, also dem Vorhandensein weiterer psychischer Störungen neben der Alkoholstörung, z.B. Depressionen, Ängste, Persönlichkeitsstörungen, sind diese Risiken noch höher (Klein 20OSa, S.3). Diese Ergebnisse bestätigen, dass es das quantitative und qualitative Ausmaß des der elterlichen Sucht Ausgesetztseins ist, das sich pathogen auf die Entwicklung der Kinder auswirkt. Mütterliche Alkoholabhängigkeit erweist sich - wohl aufgrund der engeren Mutter-Kind-Bindungen und der längeren Interaktionszeiten zwischen Müttern und Kindern - als risikoreicher als eine rein väterliche Abhängigkeit. Nach Klein (2010) werden ungefähr 33-40% der Kinder von Alkoholikerlnnen im Laufe ihres Lebens selbst alkoholabhängig. "Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass Kinder von Alkoholikern als größte Risikogruppe für die Entwicklung von Alkoholmissbrauch und Alkoholabhängigkeit angesehen werden müssen." (Klein 2005a, S. 1)
Außerdem weisen sie ein deutlich erhöhtes Risiko auf, an anderen psychischen Störungen zu erkranken, insbesondere an Angststörungen, Depressionen und Persönlichkeitsstörungen (Velleman & Reuber 2007). Kinder und Jugendliche aus alkoholbelasteten Familien sind anderen familiären Bedingungen ausgesetzt als ihre Altersgenossen ohne trinkende Eltern. Klein (2001, S. 25) nennt fünf typische Erfahrungen der Kinder in einer alkoholkranken Familie: 1.
2. 3. 4.
Sie erleben mehr Streit, konflikthafte Auseinandersetzungen und Disharmonie zwischen den Eltern. Sie sind extremeren Stimmungsschwankungen und Unberechenbarkeiten im Elternverhalten ausgesetzt. Sie geraten häufiger in Loyalitätskonflikte zwischen den Eltern. Sie erfahren weniger Verlässlichkeiten und Klarheiten im familiären Ablauf. Versprechen, Ankündigungen oder Vorsätze werden häufig nicht eingehalten.
5.1. Kinder aus suchtbelasteten Familien
5.
147
sexueller Missbrauch und aggressive Misshandlungen kommen häufiger vor. "Wie zahlreiche internationale Studien zeigen, sind sie eine besondere Hochrisikogruppe für alle Arten innerfamiliärer Gewalt. Dies umfasst körperliche, emotionale und verbale Misshandlungen und kann dazu führen, dass sie selbst Ziel oder Zeuge solcher Gewalt zwischen ihren Eltern oder anderen Familienmitgliedern werden. In einzelnen europäischen Ländern wird die Quote solcher gegen Kinder und Jugendliche gerichteten Gewalt durch den Vater oder die Mutter unter Alkoho1einfluss mit knapp über 50% angegeben." (Ve11eman & Reuber 2007, S. 18)
Vernachlässigun~
Außerdem ist die Abhängigkeit v.a. des Vaters häufiger mit Arbeitslosigkeit und finanziellen Problemen verbunden (Zobel 2005). Ein weiterer wesentlicher Risikofaktor liegt im Familienleben. Die in diesem Zusammenhang am häufigsten anzutreffende Familienkonstellation, bestehend aus einem alkoholabhängigen Vater und einer nicht suchtkranken, aber oft ich-schwachen oder co-abhängigen Mutter, bringt entscheidende Veränderungen und Gefahren in der Dynamik der betroffenen Familien mit sich. Die Eltern können oft ihren Pflichten als Erzieher der Kinder nicht mehr genügend nachkommen, da der Abhängige in vielen Fällen auf das Suchtmittel fixiert ist und daher die Kinder kaum mehr wahrnimmt. Die suchtbedingten Veränderungen innerhalb der Familie wirken sich negativ auf die Familienatmosphäre aus, auf den Familienzusammenhalt, der deutlich schwächer oder auch stärker sein kann, auf die Befriedigung kindlicher Bedürfnisse nach Sicherheit, Verlässlichkeit und Geborgenheit sowie die Qualität der Eltern-Kind-Bindungen aus. Die unzureichende Beantwortung der Grundbedürfnisse kann zu unsicherer oder sogar desorganisierte Bindung mit lebenslanger Auswirkung führen (Sroufe et al 2005). Nach Cicchetti et al. (1995) zeigten 52% der Kindern von alkoholmissbrauchenden Eltern ein unsicheres Bindungsmuster, davon 35% ein ambivalentes, und 85% der Kinder von drogenmissbrauchenden Eltern ein unsicheres, davon 75% ein ambivalentes Bindungsmuster. Das Elternverhalten zeigt mehr"Volatilität" (Klein 2008a), d.h. abrupte, unberechenbare und meist auch nicht vorhersehbare heftige Verhaltensveränderungen und -schwankungen. Auch die Grenzen in der Familie ändern sich oft dramatisch, schärfere, oft rigide Abgrenzung nach außen, zur Umwelt einerseits und diffuse, unklare Grenzen innerhalb der Familie andererseits. Das Familiensystem gerät in seiner ursprünglichen Ordnung durcheinander, indem Kinder Partner- oder Eltemrollen und -verantwortung übernehmen, was bei Kindern Suchtkranker besonders häufig zu beobachten ist. Und sie lernen und führen dann bestimmte Rollen in fixierter und rigider Form durch, die bis ins Erwachsenenalter anhalten können, Rollen wie "der
148
5 Resilienzförderung bei Risikogruppen
Held", lIder Friedensstifter", lIder Sündenbock", "das unauffällige Kind" und lIder Clown" (Wegscheider 1988). Alleinerziehende Suchtkranke stellen eine spezielle Risikogruppe dar, da sie einerseits stärker überfordert sind und andererseits der bisweilen präventive Effekt des nicht suchtkranken Elternteils ("buffering effect") fehlt (Klein 2008a, S. 123). Da Suchtstörungen in Familien meist in Kombination mit anderen Stressoren und Belastungsfaktoren auftreten, bilden sie für Kinder"widrige Kindheitserfahrungen" (Klein 2009). Die wichtigsten neun ACEs (adverse chi1dhood effects) sind nach Klein: Emotionaler Missbrauch, Körperliche Misshandlung, Sexueller Missbrauch, Emotionale Vernachlässigung, Körperliche Vernachlässigung, Geschlagene Mutter, Elterliche Komorbidität, Elterliche Trennung und Scheidung, Elternteil im Strafvollzug. Kinder alkoholbelasteter Eltern "weisen im Schnitt das Vorhandensein von 3,2 ACEs auf" (Klein 2009, S. 19). Die Schädigungen bei Kindern von drogenabhängigen Eltern sind in mehreren Bereichen gravierender als bei den Kindern Alkoholabhängiger. Dies resultiert nach Klein (2008b, S.133) aus folgenden Gründen: •
Die Kinder sind häufiger von der Abhängigkeit beider Elternteile betroffen. Dadurch können die negativen Effekte des drogenabhängigen Elternteils nicht durch den anderen Elternteil kompensiert werden.
•
Die Kinder sind häufiger von Trennungen betroffen und wachsen entsprechend häufiger bei nur einem Elternteil, in der Regel die Mutter, auf.
•
Die Kinder erleben im Zusammenhang mit Beschaffungskriminalität mehr traumatische Situationen, z.B. Prostitution der Mutter, Verhaftung des Vaters u.ä. Die Kinder sind meist in ihren frühen Lebensjahren von der Abhängigkeit eines Elternteils betroffen, was nach den Erkenntnissen der Entwicklungspsychopathologie ein stärkeres Entwicklungsrisiko mit sich bringt.
•
•
Die Kinder erleben stärkere soziale Isolation und Ächtung, lernen weniger sozial förderliche Verhaltensweisen und erleben sich dadurch insgesamt in ihrem Selbstwertgefühl als instabiler und gefährdeter.
•
Die Kinder leiden stärker unter sozialer Marginalisierung der Familie, z.B. in Form von Armut, Arbeitslosigkeit, beengten Wohnverhältnissen. Durch die im Vergleich mit Alkoholabhängigen höhere Komorbidität laufen die Kinder Gefahr, häufiger eine doppelte Schädigung aufgrund des komplexeren Störungsbildes ihrer Eltern zu erleiden.
•
5.1. Kinder aus suchtbelasteten Familien
149
•
In Einzelfällen erleiden Kinder Vergiftungen durch psychotrope Substanzen, die im Lebensumfeld der Eltern gewöhnlich den Status der Normalität besitzen.
•
Aufgrund pränataler Komplikationen und einer größeren Zahl von Frühgeburten kann es zu verstärkten Problemen beim Beziehungsaufbau ("bonding") zwischen Mutter und Kind kommen. Die Kinder weisen häufiger ein schwieriges Temperament auf, was bei den Eltern zu Überforderungs- und Insuffizienzgefühlen führen kann.
Dass die Lebenssituation von Kindern aus suchtbelasteten Familien von vielfältigen Stressfaktoren belastet ist, die schwer zu bewältigen sind, hat zur Folge, dass •
numerisch geringere Leistungen in Intelligenztests und in der Sprachkompetenz zeigen,
•
häufiger durch Hyperaktivität und Aufmerksamkeitsstörungen auffallen,
•
häufiger eine Störung im Sozialverhalten aufweisen,
•
vermehrt unter Ängsten und Depressionen leiden,
•
sie häufiger körperlichem oder sexuellem Missbrauch erfahren und
•
sie eher zu somatischen und psychosomatischen Symptomen neigen (Zobel 2006).
Auch die gesundheitlichen Gefahren sind für diese Kinder höher (KleinZ008a): •
Die Zahl der Krankenhausaufenthalte liegt um 24/3% höher.
•
Die durchschnittliche Verweildauer bei stationären Behandlungen ist um 61.7% länger.
•
Die behandlungsbezogenen Kosten liegen um 36/2% höher.
•
35.6% der Kinder aus suchtbelasteten Familien geben an, dass sie sich oft krank fühlen (vs.15.9%)
Nach Klein entwickelt ein Drittel der Kinder gravierende Störungen im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter, die sich chronifizieren können. Etwa ein Drittel entwickelt leichte bis mittelschwere Probleme, die nur leicht bis mittelschwer beeinträchtigen und oft nur vorübergehender Natur sind. Und etwa ein Drittel entwickelt keine relevanten Probleme oder bleibt psychisch vollkommen gesund und stabil. Dies hängt davon ab, ob Kinder ausreichende Kontrolle über die eigenen Handlungsfolgen und die Umwelt ausüben können. Wenn nicht, führt dies zu einer negativen Selbstwirksamkeitserwartung und zur erlernten Hilflosigkeit, da sie zu wenige Erfahrungen erfolgreicher Interaktionen mit ihrem Umfeld machen und ihre Handlungsziele überwiegend nicht durchsetzen können.
150
5 Resilienzförderung bei Risikogruppen
Obwohl diese ungünstigen Sozialisationsbedingungen eine gesunde Entwicklung der Kinder in Frage stellen, ist diese Risikogruppe immer noch eine vernachlässigte, mit der Folge, "dass die diesbezügliche Forschung am Anfang des 21. Jahrhunderts, speziell in Deutschland, weit hinter den Notwendigkeiten zurückliegt" (Klein 2001, S. 118). Auch in der Jugendhilfe sind diese Kinder nach wie vor ein überwiegend "blinder Fleck", obwohl fast 40% der im Rahmen von Jugendhilfemaßnahmen betreuten Kindern einen Elternteil mit einem Alkoholproblem aufweisen und fast alle alkoholabhängigen Mütter, die einen Partner haben, mit einem alkoholabhängigen Mann zusammen leben, was für die betroffenen Kinder eine doppelte Exposition mit Suchtproblemen bedeutet (Hinze & Jost 2006). Auch in der Kinder-und Jugendpsychiatrie sind diese Kinder noch zu entdecken. Denn fast 50% aller kinder- und jugendpsychiatrischen Patienten einer ambulanten Normalpraxis weist einen alkoholabhängigen Elternteil auf (Rosen-Runge 2002). Es darf jedoch nicht übersehen werden, dass es sich bei den Kindern von suchtkranken Eltern um eine sehr heterogene Gruppe handelt, die zwar Gemeinsamkeiten aufzeigen, aber auch deutliche Unterschiede, was wesentlich von protektiven Faktoren (Werner 1989) abhängt. Denn die Bewältigung der stressreichen Lebensumstände hängt maßgeblich davon ab, welche personalen und sozialen Ressourcen einem Kind als Schutzfaktor zur Verfügung stehen, um konstruktive Bewältigungsstrategien und nicht Vermeidungsstrategien in Gang zu setzen. Davon abhängig können für manche Kinder im Sinne des "cha11enge-Modells" die Belastungen eine besonders starke Stimulation darstellen, "welche sie unter geeigneten intrapsychischen und interaktiona1en Bedingungen zu stabilen, belastbaren und anpassungsfähigen Menschen heranreifen lässt" (Klein 2005a, S.15). So identifizieren Wolin und Wolin (1996) aufgrund klinischer Interviews sieben intrapsychische Resilienzen, die vor den Folgen der krankmachenden Familienbelastungen schützen können: 1. 2.
Einsicht, z.B. dass mit dem alkoholabhängigen Vater etwas nicht stimmt; Unabhängigkeit, etwa sich von den Stimmungen in der Familie nicht mehr beeinflussen zu lassen;
3.
Beziehungsfähigkeit, beispielsweise in eigener Initiative Bindungen zu psychisch gesunden und stabilen Menschen aufzubauen; Initiative, zum Beispiel in Form von sportlichen und sozialen Aktivitäten; Kreativität, etwa in Form von künstlerischem Ausdruck;
4. 5. 6.
Humor, beispielsweise in Form von Sarkasmus und Ironie als Methode der Distanzierung;
5.1. Kinder aus suchtbelasteten Familien
7.
151
Moral, zum Beispiel in Form eines von den Eltern unabhängigen stabilen Wertesystems.
Bisher gab es wenige resilienzfördernde Maßnahmen für diese Kinder. Trotz der hohen Zahl der Kinder, "gibt es in Europa einen Mangel an gezielter Unterstützung für diese Kinder, ihre Familien und die zahlreichen Gruppen von Fachleuten/ die mit Kindern, die mit elterlichem Alkoholmissbrauch und/ oder elterlicher Gewalt leben, arbeiten oder in Kontakt stehen" (Velleman & Reuber 2007/ S.18). Für sich dürfte in diesem Zusammenhang auch die Zahl sprechen, dass nur 8% aller Suchtberatungsstellen in den westlichen Bundesländern und 15% in den östlichen irgendein Angebot, unabhängig von Umfang und Qualität, für die Kinder der Süchtigen bereithalten (Lenz 2009). Kinder in suchtbelasteten Familien sind: • •
die größte bekannte Risikogruppe zur Entwicklung von Suchtstörungen, eine Gruppe mit erhöhten Lebensfeldrisiken (Gewalt, Unfälle, Verletzungen),
•
eine Gruppe mit erheblichen Tabuisierungstendenzen.
Sie stellen dadurch eine"prioritäre Aufgabe der selektiven Prävention dar" (Klein 2009/ S. 11) Diese Fülle der in der internationalen Forschungsliteratur vorliegenden Hinweise auf Risiken und Beeinträchtigungen, die "geradezu erdrückend" (Klein 2005b, S.717) ist, machen frühzeitige und umfassende Maßnahmen in den Bereichen selektiver Prävention und unterstützender Hilfen jedoch unabdingbar. Bisher wurden aber eher gerneralpräventive Programme zur Stärkung und Förderung der seelischen Gesundheit entwickelt, die vom gesunden oder wenig gefährdeten Kind ausgingen (Klein 2002); sie beziehen jedoch die spezielle Lebenssituation von Kindern aus suchtbelasteten Familien mit ihren Entwicklungsrisiken nicht genügend mit ein. Auch Lenz fordert in seiner Expertise für den 13. Kinder- und Jugendbericht flächendeckende und fachlich fundierte Angebote für Kinder: "Hilfen erweisen sich erst dann als effektiv, wenn sie in die regulären Versorgungsstrukturen eingebaut sind und auf diese Weise eine Kontinuität und Verlässlichkeit der Angebote gewährleistet werden kann." (Lenz 2009/ S. 36)
Einen Überblick über bisherige Hilfsangebote für Kinder in Suchtfarnilien gibt Klein (2005a). Er fordert dabei eine enge Abstimmung zwischen Suchthilfe und Jugendhilfe.
5.1.2
Resilienz[6rderung durch ein kinderpsychodramatisches Gruppenangebot
Im Folgenden möchte ich aufzeigen, welche Möglichkeiten das Kinderpsychodrama bietet, um die Resilienz der Kinder aus suchtbelasteten Familien zu unterstützen.
152
5 Resilienzförderung bei Risikogruppen
Die Beispiele stammen aus Gruppen von Sucht- und Erziehungsberatungsstellen in der Diözese Köln (u.a. von der Erziehungsberatung Wipperfürth, der SMK- Kontakt-und Beratungsstelle Köln und der Caritas-Suchtberatungsstelle Bonn), die ich in der kinderpsychodramatischen Methode ausgebildet und supervidiert habe (Diözesan-Caritasverband 2004), oder aus von mir supervidierten Vernetzungsangeboten der Caritas- Suchtberatungsstellen in illm und Waiblingen (Märtterer-Brandl 1997, Heger 2002, Weiss 2008). Weitere Gruppenangebote finden sich in Süß (2001). Sie führt in ihrer Diplomarbeit verschiedene kinderpsychodramatische Gruppen für Kinder von suchtkranken Eltern auf: "KIDS & Co", ein Kooperationsprojekt der Suchthilfe mit der Erziehungsberatung in Bergisch-Gladbach, "KIZ", ein Angebot der Suchtkrankenhilfe des Caritasverbandes für das Stadtdekanat Neuss, und ein Angebot der Suchtpräventionsstelle des Diakonischen Werkes in Altenkirchen. Bei ihrer Reserche fiel ihr auf: lIder vermehrte Einsatz von psychodramatischen Techniken in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen" (2001, S. 74). Die Gruppen für Kinder aus suchtbelasteten Familien werden mit der kinderpsychodramatischen Methode durchgeführt, wie wir sie für die Gruppentherapie von Kindern entwickelt haben (Aichinger & Holl2010). Sie laufen über ein halbes bis zu einem ganzen Jahr. Aufgenommen in die Gruppe werden vier bis sechs Kinder, geleitet wird sie von zwei TherapeutInnen, wenn möglich von einem gegengeschlechtlichen Paar. 5.1.2.1
Bearbeitung der Erfahrungen auf der Symbolebene
In Suchtfamilien wird mit Kindern meist nicht über die Sucht und die damit ver-
bundenen Erfahrungen geredet, sie wird verharmlost, verdrängt oder tabuisiert. Diese massive Verleugnung dient der Abwehr der Familie, ist oft der einzig gangbare Weg, um trotz zahlloser Enttäuschungen, Verletzungen, Ängste und Schuldgefühlen weiter leben zu können. Daher ist es für Kinder, vor allem für Kinder unter zehn Jahren, äußerst schwer, über ihre Erlebnisse zu reden, ohne das Tabu der Familie zu brechen. Sie können und wollen nicht über ihre Ängste, ihre Enttäuschungen, ihren Schmerz und ihre Wut reden. Sie schämen sich auch, über die peinlichen Erlebnisse zu reden. Und das Schweigen zu brechen, wäre Verrat. Da im kinderpsychodramatischen Spiel die Erfahrungen des Kindes in seiner Suchtfamilie nicht real reinszeniert werden, sondern verfremdet und externalisiert auf der Symbolebene, können Kinder aus sicherer Distanz und ohne das Schweigegebot der Familie zu brechen ihre oft schrecklichen Erlebisse darstellen und bearbeiten. Und indem sie dabei den Rollenwechsel spontan und ohne Anweisung vollziehen und so aus der Rolle des passiv Erleidenden in die Rolle des aktiv Gestaltenden gelangen, erleben sie sich als aktiv, als Gestalter der eigenen Welt und
5.1. Kinder aus suchtbelasteten Familien
153
erfahren wieder Selbstwirksarnkeit. Mit diesen beiden Kunstgriffen, der Externalisierung auf die Symbolebene und dem Rollenwechsel verwandeln sie die Gruppenarbeit in ein Spaß bereitendes Unterfangen. Ein Beispiel mag zeigen, wie die Kinder ihre schlimmen Erfahrungen darstellen, wenn sie in der Nacht verwirrende und beängstigende Dinge erleben, wenn das Haus "von allen guten Geistern verlassen" ist, wenn sie ihrer eigenen Wahrnehmung nicht mehr trauen können, weil die Eltern am nächsten Morgen das Erlebte verharmlosen oder sich wie ausgewechselt geben: In einer Gruppenstunde einigen sich fünf 8- bis 9-jährige Jungen auf das Thema
"Schlossgespenster". Das Therapeutenpaar soll die Sch10ssbesitzer spielen, die Jungen wollen tagsüber Bedienstete sein, des Nachts aber Schlossgespenster. Nach dem Aufbau der Szene und der Verkleidung beginn die Szene, als die Schlossbesitzer nach einem Nachtmahl zufrieden ins Bett gehen. Um Mitternacht beginnt aber der Spuk. Sie werden von den unterschiedlichsten Gespenstern über Schreie, schrecklich rote Augen, Kältestrahlen, Decken wegziehen, aber auch Schläge und Angriffe zu Tode geängstigt und erschreckt. Die Therapeuten spiegeln die Gefühle, die die Kinder zu Hause erleben, indem sie im Sinne der Mentalisierung laut vor sich hin sprechen, wie schrecklich es ist, hilf- und wehrlos diesem Spuk ausgesetzt zu sein, nur abwarten zu können, bis er zu Ende geht. Hoffentlich werde es bald Tag, da könne man ja kein Auge zu machen vor Angst. Und es sei kaum aushaltbar, wenn das jede Nacht passiere, da müsse man ja vor jedem Abend Angst haben. Am nächsten Morgen, als die Schlossbesitzer noch schlotternd von ihren schrecklichen Erfahrungen berichten, lachen die Bediensteten sie aus. Das hätten sie nur geträumt, die Nacht sei ganz ruhig gewesen, sie hätten ja sonst auch was hören müssen. Wieder spiegeln die Therapeuten die Verwirrung, wie es einem ergeht, wenn das als Einbildung abgetan wird, was sie so schrecklich erlebt haben, und dass sie jetzt ganz unsicher werden, ob sie ihrer Wahrnehmung trauen können, wenn andere dies als Täuschung hinstellen. Ein weiteres Beispiel macht deutlich, wie Kinder über die Externalisierung und Rollenwechsel mit viel Spaß die schreckliche Erfahrung darstellen können, ohnmächtig den Zerstörungen des betrunkenen Vaters ausgeliefert zu sein: Fünf Jungen wollen Tiere im Urwald spielen. Das Therapeutenpaar soll Tierforscher in einer Tierstation sein, die Jungen wollen Affen spielen. Im Laufe des Spiels brechen sie in die Tierstation ein, fressen den Medikamentenschrank leer
154
5 Resilienzförderung bei Risikogruppen
und sind"total bedopt", so ihr Kommentar. Und in ihrem Drogenrausch beginnen sie, die Tierstation zu zertrümmern. Die Therapeuten kauern sich verängstigt in einer Ecke zusammen und sprechen im Zwiegespräch ihre Gefühle der Angst und Ohnmacht aus. Sie beklagen, wie furchtbar es ist, so hilflos der Zerstörung ausgeliefert zu sein, und gegen die mächtigen Tiere nichts unternehmen zu können. Wie "ernst" diese Spiele sind, zeigt sich auch daran, das eine Therapeutin von alten Erinnerungen an den eigenen betrunkenen Vater überwältigt wurde und sie zunächst wie als Kind wimmernd in der Ecke kauerte, bis sie sich wieder fassen konnte. Auch frühe Erfahrungen, die im Leibgedächtnis gespeichert sind und Kinder nie in Worte fassen könnten, sind im Symbolspiel ausdrückbar: So spielte ein Junge von drogenabhängigen Eltern ein Babygepard, der sich vergiftet auf die Tierstation schleppt und stirbt. Auf Nachfrage der Therapeuten will er ein Begräbnis haben. Er baut sich ein Grab, hüllt sich in Decken und hört lächelnd, mit geschlossenen Augen die Trauerrede der Tierhüter (Therapeuten) an. Die anderen Tiere (Kinder) liegen aufmerksam um das Grab. Die Tierhüter beklagen, dass ein so wertvolles Tier so früh sterben musste, weil es so schlechte Bedingungen zum Aufwachsen hatte, und fragen sich, wer das Tierbaby wohl vergiftet hat. Der Gepard zeigt auf die Tierhüterin. Der Tierhüter ist entsetzt und bringt sie in Fesseln zur Polizei, wo alle Tiere -das gestorbene Tier war zu neuem Leben erwacht- sie anklagen und sie zur Strafe zerfleischen. Nach Black(1988, S.43ff) wurde den Kindern in ihrer Familie die Botschaft vermittelt: "Vertraue nicht, fühle nicht, rede nicht." Sie lernen daher ihre Gefühle, besonders das der Wut, zu unterdrücken oder einfach gar nicht mehr zu fühlen. Daher brauchen gerade heikle Gefühle, besonders die aggressiven Gefühle Wut und Zorn, Raum und Ausdrucksmöglichkeit: Kinder wollen wertvolle Rassenhunde spielen, die von einer meist betrunkenen Gräfin, der Therapeutin, auf ihrem heruntergekommenen Gut gezüchtet werden. Die Hunde wehren sich zunächst nicht gegen die Verwahrlosung, sondern liegen wie betäubt lethargisch herum. Da kommt die zweite Therapeutin als stützendes Doppel in der Rolle der Tierschützerin, ist entsetzt über die so schlecht gepflegten teuren Hunde und deckt die skandalösen Zustände auf. Sie wundert sich, dass diese Hunde nicht bissig wurden, was sonst bei schlecht behandelten Hunden der Fall sei, wahrscheinlich habe die Gräfin denen ein
5.1. Kinder aus suchtbelasteten Familien
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Schwächungspulver ins Essen getan. Sie gibt ihnen Stärkungsknochen, damit die Zähne schnell wieder wachsen. Auf dieses stützende Doppeln hin legen die Kinder ihr apathisches Verhalten, fallen als Hunde über die Gräfin her und richten sie schlimm zu. Dann wird sie von der Tierschützerin der Polizei vorgeführt (im Ro11enwechsel von zwei Kindern gespielt), die ihr einen Prozess macht und sie zu lebenslanger Haft verurteilt. Oder Kinder spielen Internat, in dem sie als SchülerInnen von den Internatsleitern schlimm behandelt und schlecht versorgt werden. In der Nacht brechen sie in die Küche ein. Sie kochen Schokoladenpudding aus Kacke, pinkeln in den Apfelsaft, sie frittieren giftige Spinnen, kochen Soße mit Rotz und Schleim. Dieses Menü servieren sie am nächsten Tag den Internatsleitern, die nichts merken und das Essen genießen sollen. Dann würde es ihnen aber schrecklich schlecht werden. Ein Junge, der seine Mutter durch den Heroinentzug begleitet hat, gibt die Spielanweisung, sie bekämen Durchfall und Krämpfe und würden alles verkotzen und verscheißen. Nachdem das Therapeutenpaar diese Anweisungen ausgespielt hat, kommen die Kinder als Polizisten und verhaften die Internatsleiter, weil das Internat völlig verwahrlost und heruntergekommen sei, und die Leiter völlig unfähig zur Kindererziehung seien. 5.1.2.2
Aufbau von Selbstwert
Den Selbstwert zu stärken ist für diese Kinder ein wichtiger Schutzfaktor, da häufig ihre Bedürfnisse von den Eltern nicht wahrgenommen wurden, da sie sich für die Eltern schämen und sich selbst als wertlos erleben. " Damit macht keines der Kinder die wichtige Erfahrung, dass es liebenswert und in Ordnung ist, so wie es ist" (Berke 2008, S.67).Über den Rollenwechsel mit wertvollen, bedeutenden Helden und das bewundernde Spiegeln der Therapeuten können in der symbolischen Wunscherfüllung die in ihrem Selbstwert verunsicherten Kinder aufgewertet und gestärkt werden: Eine gemischte Gruppe von 10-Jährigen spielt Star Wars. Sie sind Jedi-Ritter, die Therapeuten Darth Vader und Imperator, die die totale Kontrolle über die Galaxien gewinnen wollen. In einem Kampf auf Leben und Tod besiegen die Jedi-Ritter die beiden und zerstören ihr Raumschiff "Todesstern". Nach einem Rollenwechsel zeichnet der Therapeut als Präsident der Galaxien in einer "Bewunderungsszene" die Jedi-Ritterlnnen mit dem höchsten galaktischen Tapferkeitsorden unter Anwesenheit der galaktischen Presse aus. Die Kinder lassen sich mit glänzenden Augen den Orden (Wäscheklammer) anheften und stellen sich mit geschwellter Brust dem Blitzlichtgewitter der Presse.
156
5 Resilienzförderung bei Risikogruppen
5.1.2.3
Stärkung des Selbstwirksarnkeitsgefühls
Für Kinder aus suchtbelasteten Familien sind die dauernden Erfahrungen, keine ausreichende Kontrolle über die eigenen Handlungsfolgen und die Umwelt ausüben können, sehr einschneidend. Dies kann zu einer negativen Selbstwirksamkeitserwartung und zur erlernten Hilflosigkeit führen, da diese Kinder zu wenige Erfahrungen erfolgreicher Interaktionen mit ihrem Umfeld machen und sie ihre Handlungsziele überwiegend nicht durchsetzen können. Daher ist es entscheidend/ ihnen im Spiel die Gegenerfahrung der Selbstwirksamkeit zu ermöglichen: 6-jährige Jungen aus Suchtfamilien entscheiden sich in einer Gruppenstunde für das Thema: Kampf gegen einen menschenfressenden Drachen mit 500 Köpfen. Sie wählen die Rollen von Generälen, die den Drachen besiegen. Sie bauen sich einen riesigen Panzer, in dem versteckt sie sich der Unterwasserhöhle des Drachen nähern. Der Therapeut soll der Fahrer sein, die Therapeutin der giftige Drachen. Sie beschießen mit der Bordkanone den Drachen, was dem aber nichts ausmachen soll Als Fahrer bewundert der Therapeut ihren Mut und äußert seine Angst vor diesem unberechenbaren Ungeheuer. Da stürzt sich ein Junge in das Wasser und taucht in die Höhle hinab. Der Therapeut äußert sein Entsetzen, dieser tapfere General sei verloren. Der Junge gibt aber die Regieanweisung, er könne den Drachen mit Schweinefleisch füttern, das schmecke ihm besser als Menschenfleisch, und legt sich dann zum friedlich gewordenen Drachen. Daraufhin springen auch die anderen Generäle in die Tiefe und füttern den Drachen. Vom Panzer aus beschreibt der Therapeut den Mut der Generäle und rühmt ihr Geschick, einen SOOköpfigen Drachen zu zähmen. Das würde er sich nie und nimmer trauen. Zu seinem Entsetzen wird der Fahrer in die Höhle herunter gezogen. Sie demonstrieren ihm dann, wie der Drache ihnen aus der Hand frisst. Er filmt dies, da sonst niemand das glauben könne. In Nahaufnahmen muss er die Fütterung filmen. Dann führen sie vor, welche Kontrolle und Macht sie über den Drachen besitzen. Sie hetzen ihn auf den Fahrer/ dass der zu Tode erschrecken muss. Sie geben dabei Befehle wie zu einem Hund: "Aus!" oder "Fass!". Zitternd anerkennt der Fahrer, dass der 500köpfige Drachen zu ihrem Haushund geworden ist, sodass sie künftig vor allen Gefahren sicher sein können. 5.1.2.4
Förderung der Beziehungsfähigkeit
Eine gute Beziehung zu Gleichaltrigen gehört mit zunehmendem Alter zu den wichtigsten Schutzfaktoren. Gerade Kinder von Suchtkranken sind in Isolation zu den Gleichaltrigen geraten, da sie sich für ihre Eltern schämen und die Sucht-
5.1. Kinder aus suchtbelasteten Familien
157
krankheit vor anderen Kindern verbergen wollen. Daher ist es eine wichtige Aufgabe der präventiven Gruppenarbeit, ihre Beziehungsfähigkeit zu stärken und sie aus der Einsamkeit zu holen: Eine gemischte Kindergruppe von 7-Jährigen will Tiefseefische spielen, die Therapeuten sollen Taucher sein, die nach Öl bohren und die Unterwasserwelt zerstören wollen. Obwohl die Kinder sich abgesprochen haben, wie sie gemeinsam die Taucher in ein versunkenes Schiff locken und dort einsperren wollen, greifen sie beim Spiel ohne Bezug zueinander die Taucher an. Jeder will als erster die Taucher vertreiben oder unschädlich machen. Die Kinder werden wütend aufeinander und beschuldigen sich gegenseitig, dass sie nicht richtig mitspielen. Da wechselt eine der Therapeutinnen die Rolle und wird zu einem Fisch. In dieser stützenden Doppelgängerrolle hilft sie den Kindern, neue gemeinsame Absprachen zu treffen. Durch ihr stützendes Doppeln (z.B. wenn ein Kind gleich wieder angreifen will, sobald der Taucher ins Meer springt, sagt sie als Fisch: "Würde der Taucher nicht mehr erschrecken, wenn er zuerst keine gefährlichen Fische sieht, sich daher in Sicherheit fühlt und unbekümmert tiefer taucht, und wir Fische dann plötzlich wie auf Kommando aus dem Hinterhalt auftauchen und ihn angreifen.") schafft sie es, dass die Kinder einen größeren Spannungsbogen aushalten und mehr aufeinander bezogen sind, indem sie in einer Gemeinschaftsaktion den Taucher in den Schiffsrumpf locken und ihn dann einsperren. Oder ein anderes Beispiel: Eine gemischte Gruppe von lO-Jährigen wollen eine Harry Potter- Geschichte spielen. Sie wählen die Rollen von ZauberschülerInnen, die Therapeutin soll eine Zauberlehrerin sein, die nur mit ihren Zaubertränken beschäftigt ist und die Gefahr nicht wahrnimmt, der Therapeut soll Voldemort sein, der in Schloss Hogwarts die böse Macht aufrichten möchte. Obwohl die Kinder besprochen haben, wie sie Voldemort reinlegen werden, halten sie sich nicht an die Absprache, sondern jeder will ihn mit seinem Superzauber unschädlich machen. Da darüber ein Streit ausbricht, bietet die Therapeutin an, ihre Eule zu sein. In dieser Rolle kann sie die Kinder stützen, sich an Absprachen zu halten. Als z.B. ein Kind wieder sofort auf Voldemort losgehen will, hält sie ihn als Eule zurück: "Voldemort rechnet sicher wieder damit, dass die Zauberschüler so ungestüm sind. Wir könnten ihn doch reinlegen und so tun, als ob wir aus Angst vor ihm wegrennen. Dann könnten wir ihn in eine Falle locken. Er würde völlig überrascht einbrechen und seinen Zauberstab verlieren. Und ihr könntet mit einem gemeinsamen gewaltigen Fesslungszauber ihn im Triumph gebunden zu Dumbledore schleppen."
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5 Resilienzförderung bei Risikogruppen
5.1.2.5
Auflösung von Rollenfixierungen
Kinder kümmern sich häufig mit großem Einsatz um die abhängigen Eltern oder versorgen ihre jüngeren Geschwister. Gerade diese "Helden" zeigen sich verantwortungsbewusst und ernsthaft, übernehmen Eltern- oder Partnerfunktion und stellen ihre eigenen Bedürfnisse zurück. Es ist eine wichtige Aufgabe, diese Rollenfixierungen, die bis ins Erwachsenalter weitergeführt werden kann, frühzeitig aufzulösen und Kinder wieder zu einer ungebundenen Kreativität zu führen (vgl. dazu auch Weiss 2010, 227ff): lO-Jährige spielen "Untergang der Titanie". Sie wollen berühmte und reiche SchauspielerInnen und SängerInnen sein, der Therapeut soll ein Säufer-Kapitän sein, die Therapeutin eine Stewardess. Während die anderen Kinder sich als Stars bedienen und verwöhnen lassen und der Kapitän immer mehr sich betrinkt, verzichtet ein Junge, der die Rolle eines Fußballstars gewählt hat, auf das Festmenue, hält Ausschau nach Eisbergen, prüft die Wassertiefe und warnt den Kapitän vor nahen Eisbergen. Da dieser, nach Anweisung der Kinder, nicht mehr darauf reagiert, sondern am Tisch betrunken eingeschlafen ist, übernimmt er auch das Steuer und rettet im letzten Moment das Schiff vor dem Untergang. Als das Schiff unversehrt im Hafen von New York einläuft, wechselt die Therapeutin die Rolle und zeichnet als Präsidentin den Retter mit der höchsten Rettungsmedaille aus. Es sei ja nicht Aufgabe von Gästen, für einen guten Kurs zu sorgen, das sei Aufgabe von Kapitänen und Steuermännern, doch ohne den Einsatz und die Kompetenz dieses Helden wäre eine Katastrophe geschehen. Zum Dank erhält er eine Freifahrt auf dem "Traumschiff", um sich von den Strapazen und Sorgen erholen zu können. Und in der nächsten Stunde will der Junge diesen Gutschein einlösen. Auch die anderen Kinder springen auf diese Spielidee an, sie hätten andere Unglücke verhindert und auch Gutscheine für dieses Kreuzfahrtschiff erhalten. Und das Therapeutenpaar muss dann die ganze Stunde diese Gäste bestens mit Essen und Trinken versorgen, sie massieren, Luft zufächeln, Rosen ins Bad geben u.ä. 5.2 Kinder aus Trennungs - Scheidungsfamilien 5.2.1
Die Lebenssituation dieser Kinder: Risiken und Ressourcen
Im Verlauf der letzten 50 Jahre hat die Häufigkeit von Ehescheidungen in allen westlichen Industrieländern stark zugenommen. In Deutschland werden derzeit schätzungsweise 36% aller geschlossenen Ehen früher oder später geschieden (Schwarz
5.2 Kinder aus Trennungs - Scheidungsfamilien
159
& Noack, 2002). Im Jahr 2005 waren es 201.690 Ehescheidungen, und 156.390 min-
derjährige Kinder erlebten die Scheidung ihrer Eltern. Der Blick auf die vorhandenen Daten zeigt die Dimension dieses Problems. So sind beispielsweise im Zeitraum von 1980 bis 2004 gut 3,5 Millionen minderjährige Kinder zu Scheidungskindern geworden (Emmerling 2005, S. 1279). Hinzu dürften noch einmal etwa 10.000 Trennungen von nicht-ehelichen Lebensgemeinschaften mit Kindern kommen. Und im selben Jahr wurden rund 35.000 Gerichtsverfahren zur Regelung der Kontakte der Kinder mit dem getrennt lebenden Elternteil abgeschlossen (Bundesministerium für Justiz 2006). Angesichts dieser steigenden Raten ist die Frage nach den Folgen eines derart einschneidenden Lebensereignisses für die betroffenen Kinder zu stellen. Eine elterliche Trennung ist für Kinder und Jugendliche ein krisenhaftes, einschneidendes Lebensereignis mit vielfältigen Belastungen, das von ihnen eine Reorganisation und Umstrukturierung des Fami1ienkonzepts erfordert. Sie führt zu Stresssituationen, die erhebliche Bewältigungsstrategien und Bewältigungsressourcen herausfordern. Damit stellt sich die Frage, welche Stressoren die Trennung für Kinder im Einzelfall mit sich bringt und welche Ressourcen auf der anderen Seite für deren Bewältigung zur Verfügung stehen Gaede 2006, Walper et al. 2003a). Für die Scheidungsforscherin Wal1erstein ist Scheidung ein lebensveränderndes Geschehen. "Nach der Scheidung der Eltern ist die Kindheit anders als zuvor, die Zeit des Heranwachsens ist anders, und auch das Erwachsenenleben - mit der Entscheidung für oder gegen die Heirat, für oder gegen die Elternschaft - ist anders. Ob die Dinge letzten Endes gut oder schlecht ausgehen- das Erlebnis der elterlichen Scheidung hat in jedem Fall eine gravierende Veränderung der individuellen Lebensbahn zur Folge." (Wallerstein et al. 2002, S. 30)
Kinder erleiden den Verlust der intakten Familie, die für ihre Entwicklung fundamental ist, und leiden daran oft ein Leben lang. Die Scheidungsforschung lässt sich in zwei Lager einteilen, was die Schwere der Scheidungsfolgen betrifft. Hetherington und Kelly (2003) vertreten die Meinung, die Scheidungsfolgen normalisieren sich nach ca. zwei Jahren, während Wallerstein et al. (2002), Amato (2003), Marquardt (2007) u.a davon überzeugt sind, dass Scheidungsfolgen sich langfristig auswirken. Bei der ersten bedeutenden Longitudinalstudie handelt es sich um die"Virginia Longitudinal Study of Divorce and Remarriage (VLS)" unter der Leitung von E. Mavis Hetherington (Hetherington & Kelly 2003). In dieser Studie kommt sie zum Resümee:
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5 Resilienzförderung bei Risikogruppen "Nach vierzig Jahren Forschung hege ich keinen Zweifel über das zerstörerische Potential einer Scheidung. Sie kann das Leben von Menschen zerstören und tut es auch. Das habe ich öfter gesehen, als mir lieb sein konnte. Doch dessen ungeachtet glaube ich dennoch, dass das meiste, was heutzutage über Scheidungen geschrieben wird sowohl in Publikums- wie in wissenschaftlichen Medien -, die negativen Wirkungen übertreibt und die manchmal beträchtlichen positiven Folgen unterschlägt. Fraglos hat die Scheidung viele Erwachsene und Kinder vor den Schrecken familiären Missbrauchs gerettet. Aber sie ist nicht nur eine präventive Maßnahme. Ich habe erlebt, dass sie vielen Frauen und besonders Mädchen die Chance zu einem bemerkenswerten persönlichen Wachstum eröffnete." (Hetherington & Kelly 2003, S. 16)
Hetherington betont, dass trotz möglicher kurzfristiger negativer Folgen in der überwiegenden Mehrzahl aller Scheidungsfamilien (ca. 75%) die mittel- und langfristige Anpassung an die neue Situation gut gelinge. Wichtige Voraussetzungen dafür sind ein verlässlicher und kompetenter Erziehungsstil und ein offener Umgang mit der Lebenskrise. Die individuelle Bereitschaft, sich zu verändern und an neuen Herausforderungen zu wachsen, müsse gefördert werden. Außerdem plädieren die Autoren für ein hohes Maß an Unterstützung. Deutlich anders resümiert hingegen Judith Wallerstein ihre langjährige Erfahrungen aus der Scheidungsforschung: Sie qualifiziert die Vorstellung, die Folgen einer Scheidung seien für die betroffene Kinder überwiegend kurzfristig und nur vorübergehend als einen "Mythos" und eine fundamentale Fehleinschätzung. "Und nachdem ich das Leben so vieler Scheidungskinder in jedem einzelnen Fall von der frühen Kindheit über die Adoleszenz und bis in die Verantwortlichkeiten des Erwachsenen1ebens hinein verfolgt habe, kann ich ohne allen Zweifel sagen, dass diese Kinder sich mit Ängsten und Besorgnissen herumschlagen, die ihre in intakten Familien aufgewachsenen Altersgenossen nicht teilen. Diese Ängste und Besorgnisse verändern unsere Gesellschaft in einer Weise, wie wir uns dies nie haben träumen lassen... Im Gegensatz zu dem, was wir lange Zeit glaubten, macht sich das eigentliche Gewicht der elterlichen Scheidung für die Kinder nicht in den Jahren der Kindheit oder des Heranwachsens bemerkbar. Vielmehr kulminieren die Dinge im Erwachsenenleben, dann, wenn ernsthafte Liebesbeziehungen ins Zentrum der Interessen rücken. In dem Augenblick, in dem es darum geht, einen Lebenspartner zu wählen und eine eigene Familie zu gründen, erfährt die Erfahrung der elterlichen Scheidung ein Crescendo. Ein zentrales Ergebnis meiner Studien lautet, dass Kinder sich nicht nur mit Mutter und Vater als zwei separaten Individuen identifizieren, sondern auch mit der Beziehung ihrer Eltern zueinander. Sie nehmen das Musterbild dieser Beziehung mit in ihr Erwachsenenleben und verwenden es als Vorlage für ihre eigene Familie. Das Fehlen einer guten Vorlage wirkt sich negativ auf ihre Suche nach Liebe, Intimität und persönlicher Bindung aus. Angst veranlasst viele Scheidungskinder, den falschen Partner zu wählen, zu rasch aufzugeben, wenn Probleme auftauchen, oder sich überhaupt nicht auf eine Partnerbeziehung einzulassen." (Wallerstein, Lewis & Blakeslee 2002, S. 31-32)
5.2 Kinder aus Trennungs - Scheidungsfamilien
161
Vor allem der Glaube an die Tragfähigkeit von Beziehungen leidet also stark., auch langfristig, und dies interessanterweise stärker bei Kindern, welche die Beziehung ihrer Eltern vor der Scheidung eher positiv wahrnahmen ("low-discord parents"; vgl. z.B. Amato & DeBoer 2001). Die Unterschiede zwischen den beiden Forschungsgruppen lassen sich mit darauf zurückführen, dass die Forschungsgruppe um Wallerstein Familien untersuchte, die ausdrücklich um professionelle Hilfe in der Trennungssituation ersucht hatten und eine Mehrzahl der Eltern wegen Schwierigkeiten in psychotherapeutischer Behandlung war. Die Gruppe um Hetherington untersuchte im Gegensatz dazu Familien, die die typischen Scheidungsfamilien mit "normalen" Eltern repräsentierten. Beide Untersuchungen helfen jedoch für ein differenziertes Verständnis der Scheidungsfolgen für Kinder. Jedoch muss unterschieden werden zwischen schmerzhaften Erfahrungen um das Scheidungsgeschehen, die sehr lange, manchmal ein Leben lang Gefühlsspannungen hinterlassen können, und andererseits anhaltende psychische Störungen und Beziehungsschwierigkeiten im späteren Leben (Ochs & Orban 2008, S. 109). Weitgehende Übereinstimmung unter allen besteht aber darin, dass eine Scheidung bzw. Trennung das Leben aller Betroffenen - teils gravierend - verändert. Eine elterliche Trennung stellt in der Regel ein äußerst belastendes Ereignis im Leben von Kindern und Jugendlichen dar. Das Modell der Scheidungs-Stress-Bewältigungsperspektive von Walper (2002, S. 820ff), das auf das von Amato (2000) entworfene Modell der Scheidungs-Stress-Bewältigung aufbaut, verschafft einen Überblick über die Vielzahl der Faktoren, die im Prozess der Scheidungsbewältigung eine Rolle spielen können. Walper geht davon aus, dass der Trennungsprozess Stressoren in Gang setzt, die erklären, wie es zu den kurz- und langfristigen Folgen einer Scheidung für die betroffenen Kinder kommt, wobei protektive Faktoren den Bewältigungsverlauf beeinflussen. Das Ausmaß der Stressoren sowie die Verfügbarkeit von Ressourcen können von Fall zu Fall stark variieren, was zur Folge hat, dass sich die Entwicklungsverläufe der betroffenen Kinder bzw. Jugendlichen deutlich unterscheiden können. Im Folgenden sollen die Stressoren, die eine Scheidung häufig begleiten, näher beschrieben werden (vgl. dazu Walper & Gerhard 2003b): Nach einer Trennung der Eltern zieht meist ein Elternteil aus dem bisher gemeinsamen Haushalt aus. Der Verlust oder die Verringerung des Kontaktes zu diesem Elternteil kann bei den betroffenen Kindern zu Beeinträchtigungen führen, da die Trennung fundamental das Vertrauen des Kindes in die Beständigkeit und Verlässlichkeit von Beziehungen verletzt. Verschiedene Untersuchungen bestätigen, dass es aber nicht auf die Häufigkeit der Kontakte zu dem getrennten
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5 Resilienzförderung bei Risikogruppen
Elternteil ankommt, sondern auf die Qualität der Vater-Kind-Beziehung im Sinne von emotionaler Nähe, auf die väterliche Erziehungskompetenz und Anwendung eines autoritativen Erziehungsstil und auf regelmäßiger Unterhaltszahlung (Gödde und Fthenakis 2008, S. 74), d.h., auch regelmäßige finanzielle Zahlungen sind sehr wichtig. Dem Erziehungsverhalten des Elternteils, bei dem das Kind nach der Trennung der Eltern überwiegend lebt, kommt ebenfalls eine wichtige Bedeutung zu. Zumindest in der ersten Phase nach dem familialen Umbruch zeigt der allein erziehende Elternteil oft ein inkompetentes Erziehungsverhalten (Schwarz & Noack 2002). Denn unmittelbar nach einer Scheidung neigen Alleinerziehende dazu, ihre Kinder inkonsistent zu erziehen, sie schwanken zwischen Nachgiebigkeit und Strenge, oder sie lassen, da sie noch sehr mit sich selbst beschäftigt sind, ihren Kindern nicht das Ausmaß an Zuwendung, Kontrolle und Unterstützung zukommen, das diese benötigen würden. Diese Defizite im Erziehungsverhalten erklären einen wesentlichen Anteil der Verhaltensauffälligkeiten von Scheidungskindern (Walper & Gerhard 2003a). Zu den gewichtigsten Prädiktoren für den Entwicklungsverlauf von Scheidungskindern zählt jedoch die Qualität der Beziehung zwischen den getrennt lebenden Eltern (Schmidt-Denter 2001). Als besonders belastend haben sich hierbei elterliche Konflikte herausgestellt, die eine hohe Frequenz und Intensität aufweisen, ungelöst bleiben und das Kind mit einbeziehen. Diese Eskalation ist bei jeder fünfzehnten Trennung, wie Fichtner (2010) ausführt, der Fall "Es ist davon auszugehen, dass fast zwei Drittel der Familien, die in Deutschland auseinander gehen, eigenständig zu einer Regelung gelangen, wie oft und wann der nicht erziehende Elternteil - meist der Vater - das Kind sehen darf. Und auch die gerichtlichen Regelungen des so genannten Umgangs werden mehrheitlich innerhalb eines halben Jahres gefunden. Lediglich ein Fünftel dieser Fälle sind nach einem Jahr weiter gerichtsanhängig (Bundesministerium für Justiz 2006)... Von den gut 160.000 Kindern, die schätzungsweise jährlich von einer Scheidung oder Trennung betroffen sind, erwarten also nur wenige massive Nachtrennungskonflikte der Eltern. In Deutschland dürften es gleichwohl mehr als 10.000 Kinder sein, die jährlich neu zu dieser Gruppe hinzukommen. Und für die gibt es schlechte Nachrichten: Erstens sind diese Kinder erheblichen Belastungen ausgesetzt. Bereits in den 1980er Jahren wies der US-amerikanische Scheidungsforscher Robert Emery auf die Bedeutung elterlicher Konflikte für die Scheidungsfolgen bei Kindern hin. Oft sind es nicht die Trennungen an sich, sondern die Nachtrennungskonflikte, die unter anderem psychisches Befinden, Verhalten, Schulleistungen, soziale Integration und sogar die späteren Partnerbeziehungen der betroffenen Kinder nachhaltig beeinträchtigen." (Fichtner 2010, 5.16)
5.2 Kinder aus Trennungs - Scheidungsfamilien
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Kinder aus hochstrittigen Scheidungsfamilien verlieren meist nicht nur den Rückhalt ihrer Eltern, sondern fühlen sich auch von Gleichaltrigen, die einen Schutz bilden könnten, ausgeschlossen. Außerdem besteht bei Scheidungskindern die Gefahr, dass sie von einem oder gar von beiden Elternteilen dazu gedrängt werden, mit ihm bzw. ihr eine Koalition gegen den anderen Elternteil einzugehen, was bei den Kindern Loyalitätskonflikte auslösen kann. Dies wirkt sich ebenfalls nachteilig auf ihre Entwicklung aus (Walper & Gerhard 2003b). Zu den bereits erwähnten Risikofaktoren kommen oft noch finanzielle Probleme hinzu, da die Trennung von einem Partner in den meisten Fällen einen ökonomischen Abstieg bedeutet (Schwarz & Noack 2002). Amerikanische Studien zeigen, dass die Hälfte der Probleme, die Kinder nach der Scheidung haben, eigentlich nichts mit der Scheidung selbst zu tun haben, sondern eine Reaktion auf die finanziellen Schwierigkeiten der alleinerziehenden Mutter sind (Walper 2010). Finanzielle Schwierigkeiten Alleinerziehender können auch einen Umzug in eine kleinere Wohnung und somit eventuell einen Schulwechsel mit dem Verlust der vertrauten Peers erforderlich machen, was ebenfalls zu Beeinträchtigungen bei den Kindern führen kann (Schwarz & Noack 2002). Zahlreiche Studien und Meta-Analysen zu den kurz-, mittel- und langfristigen Auswirkungen einer Trennung der Eltern auf die Entwicklung der Kinder belegen, dass Scheidungskinder im Vergleich zu Kindern aus intakten Familien vermehrt sowohl externalisierende Störungen wie aggressives Verhalten als auch internalisierende Verhaltensauffälligkeiten wie Ängstlichkeit und depressive Symptome, Schul- und Leistungsprobleme, Belastungen ihrer Sozialbeziehungen sowie Beeinträchtigungen im psychischen und physischen Wohlbefinden aufweisen (z.B. Amato 2001). Das Projekt "Familienentwicklung nach der Trennung" weist als Scheidungsfolgen geringeres Selbstwertgefühl, Depressivität, somatische Beschwerden, psychische und psychosomatische Symptome und schlechtere Schulnoten auf (Walper et al. 2001). Besonders nachhaltig wirken die Effekte, was die Beziehungsfähigkeit angeht. Außerdem zeigen sie, dass es kein "günstiges" Scheidungsalter gibt, ebenso wenig gibt es nach Marquard (2007) eine "gute" Scheidung. Wie sehr die Scheidung der Eltern Kinder belastet, zeigen auch die Daten der Jugendhilfe: Trennung und Scheidung ist ein wesentlicher Interventionspunkt der Jugendhilfe. Die Zahl der Beratungen, die ausdrücklich aus Anlass einer Trennung oder Scheidung der Eltern eines Kindes an einer Erziehungsberatungsstelle aufgenommen wurden, hat sich von 1993 bis 2006 um 124% mehr als verdoppelt. "D.h. die Trennung und Scheidung von Eltern mit minderjährigen Kindern ist in der Familienberatung der Motor der Steigerung der Inanspruchnahme." (Menne 2010, S. 83)
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5 Resilienzförderung bei Risikogruppen
Auch der Bedarf für die anderen Hilfen zur Erziehung steigt durch Trennung/ Scheidung an. "Seit Beginn der Jugendhilfestatistik lässt sich bei den Heimunterbringungen ein kontinuierlicher Anstieg des Anteils derjenigen Kinder zeigen, die von der Trennung oder Scheidung ihrer Eltern betroffen sind. 1950 hatten nur 20% der Kinder, die in ein Heim kamen, geschiedene oder getrennt lebende Eltern. Heute beträgt der Anteil der Kinder allein Erziehender und der Stiefkinder- also von Kindern, die in ihrer Mehrzahl eine Scheidung oder Trennung ihrer Eltern erlebt haben- an allen neu begonnenen Heimunterbringungen bereits 75%." (Menne 2010, S. 83)
Während in Westdeutschland nur vier von 10.000 Kindern, in Ostdeutschland 6, die bei ihren beiden leiblichen Eltern leben, eine Heimunterbringung erfahren, ist die Quote bei Kindern Alleinerziehender zehn mal so hoch (43 Kinder im Westen, 46 im Osten). Für Stiefkinder erhöht sich die Wahrscheinlichkeit einer Fremdplatzierung noch einmal um 50% (64 Kinder im Westen, 72 im Osten) (Menne 2010, S. 83f). In ihrer Übersicht kommen Walper und Langmeyer (2008) zu dem Schluss, dass es eine große Variationsbreite an Reaktionen gibt und die durchschnittlichen Effektstärken moderat ausfallen. Die Folgen variieren in Abhängigkeit vom Verlauf der elterlichen Trennung, dem Konfliktniveau der Eltern, von den Stressoren und Bewertungen innerhalb des Familiensystems und von den verfügbaren Ressourcen von Kindern und Eltern. Personale und soziale Schutzfaktoren der Kinder moderieren die Konsequenzen für die weitere Entwicklung und können negative Effekte abpuffern. Eine gute Übersicht schützender Faktoren nach der Trennung stellt Sarbach (2001) dar: Im Bereich der individuellen Faktoren sind es aktives und wenig vermeidendes Bewältigen bei Alltagsproblemen und im Umgang mit der Trennung, Suche nach sozialer Unterstützung, wenig Ablehnung der Trennung und positive Auseinandersetzung mit ihr; weiter eine niedrige Selbstaufmerksamkeit und ein hohes Selbstwertgefühl Gerade diese individuellen Faktoren können präventiv unabhängig von der Scheidungssituation bei Kindern gestärkt werden. Lehmkuhl (2004) vermutet, "dass diese Chancen und Risiken stark von den Ressourcen und Kompetenzen des Kindes geprägt sind, ähnlich wie der Umgang mit anderen Lebensereignissen und Entwicklungsaufgaben, die das Kind bewältigen muss" (Lehmkuh12004, S. 216).
Untersuchungen zeigen weiter, dass ein möglichst effizientes soziales Netz die Kinder schützen und auffangen kann, was auch eine wichtige Forderung von Largo & Czernin (2003) ist, die das soziale Umfeld zur tätigen Unterstützung aufrufen. Welche Chancen oder Risiken eine Trennung für Kinder hat, hängt also von sozialen und personalen Schutzfaktoren ab.
5.2 Kinder aus Trennungs - Scheidungsfamilien
165
Aus diesen Forschungsergebnissen ergeben sich Hinweise, welche Kompetenzen und Ressourcen in präventiven Maßnahmen gefördert werden müssen, die für die Bewältigung einer Trennung hilfreich sind. In Gruppeninterventionsprogrammen für Scheidungskinder (Fthenakis 1995, Jaede et aL 1995, Näger et al. 2000) werden in Modulen sehr strukturiert Themen der Scheidung angegangen. "Die wichtigsten Ziele dieser Programme sind der Erwerb von Verständnis für den Scheidungsprozess, die Vermittlung von Problemlösungsstrategien, den Ausdruck von eigenen Gefühlen, die Verstärkung von positiver Selbstwahmehmung und der Aufbau von sozialer Vemetzung." (Hötker-Ponath 2009, S. 291)
5.2.2
Resilienz[6rderung durch ein kinderpsychodramatisches Gruppenangebot
Im Unterschied zu den modulhaften, themenzentierten und sehr strukturierten Gruppeninterventionsprogrammen, in denen Kinder über ihre Erfahrung mit der Scheidung ihrer Eltern reden, stellen und bearbeiten Kinder im kinderpsychodramatischen prozessorientierten Gruppenangebot ihre Erfahrungen auf der Symbolebene. In Gruppenangeboten über 20-40 wöchentliche Sitzungen sollen 4-6 Scheidungskinder in der Bewältigung ihrer risikohaften Lebenslage unterstützt und in ihren Stärken gestärkt werden. Die Gruppen werden möglichst von einem gegengeschlechtlichen Therapeutenpaar geleitet, damit die Kinder ihre Erfahrungen in der Triade gut darstellen und bearbeiten können. Zunehmend werden in Erziehungsberatungsstellen kinderpsychodramatische Gruppen für Scheidungskinder angeboten (siehe z.B. Betz 2006). In Österreich hat sich die Kinderbühne auf die Arbeit mit Scheidungskindern spezialisiert (vgL Heidegger & Lintner 2001). Melbeck-Thiemann (2002) hat in ihrer Dissertation nachgewiesen, dass die von Aichinger & Holl entwickelte kinderpsychodramatische Methode (2010) geeignet ist, "Kinder aus Trennungs-und Scheidungsfamilien eine therapeutische Unterstützung bei der Bearbeitung und Bewältigung ihrer Probleme zu bieten. Dieses kann besonders dadurch als gegeben angesehen werden, dass von den Kindern der Stichprobe vorzugsweise solche Themen auf der symbolischen Ebene angesprochen oder im Spiel ausgedrückt wurden, die ihr mit der Trennungssituation der Eltern verbundenes inneres Erleben, ihre Ängste und Konflikte beinhalten, wie sie in der Prädiagnostik erhoben wurden, deren Bedeutung dann im Laufe der Therapie zurückging." (Melbeck-Thiemann 2002, S. 313)
Im Folgenden möchte ich an Beispielen darstellen, welche Möglichkeiten und Vorteile gegenüber den üblichen modulhaften Gruppenangeboten die kinderpsychodramatische Arbeit mit Kindern in der Trennungs- Scheidungssituation bietet:
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5 Resilienzförderung bei Risikogruppen
5.2.2.1
Bearbeitung der Erfahrungen der Kinder auf der Symbolebene
Kinder sind nach der Trennung der Eltern einem Gefühlswust von Schmerz, Angst, Trauer, Wut, Scham und Schuld ausgesetzt. Sie sind vor allem zwischen Wut und Liebe hin und her gerissen und haben zugleich Angst wegen ihrer Wut, denn sie lieben ihre Eltern und sehen auch, wie diese leiden. Daher ist es wichtig, Kindern die Möglichkeit zu geben, in der Sicherheit der Externalisierung auf die Symbolebene Gefühle, die durch die Trennung ausgelöst werden, vor allem die wenig akzeptierte Wut und die peinliche Scham, so verfremdet und in sozial akzeptabler Weise des So-tun-als-ob auszudrücken, dass Kinder anschließend sich nicht schlecht vorkommen. Außerdem bearbeiten Kinder im Unterschied zu Erwachsenen ihre Konfliktsituationen so, dass sie sich nicht erneut dem mit den Szenen verbundenen Schmerz, Leid, der Trauer und Wut aussetzen. Spiel ist daher der "Königsweg" der Kinder. Melbeck- Thiemann (2002, S. 295ff) weist in ihrer Dissertation nach, dass die Kinder in der Psychodrarnagruppe sich ermutigt fühlten, problematische Familiensituationen und belastende Gefühle im Spiel zu thematisieren, vor allem Angst, Ohnmacht und Aggression. Die Kinder schufen im Spiel Situationen, "die sie an real erlebte Situationen erinnerten und die in der Spielsituation bewirkten, dass die im realen Kontext erlebten Gefühle hier aktualisiert werden konnten und dadurch die Verarbeitung von realem Erleben auf der Symbolebene möglich wurde. Dabei ermöglicht der Charakter der Quasi-Realtität und ein vorhandener Spielspaß das Ausdrücken seelisch belastender Erfahrungen und verdrängter Gefühle, ohne dass sie in der Spielsituation als bedrohlich erlebt werden müssen. Hierin kann die kathartische Wirkung des Symbolspiels gesehen werden, die zu einer Befreiung von diesen Gefühlen oder zu einem befreiteren Umgang mit ihnen führen kann." (S. 295)
Betz (2002) berichtet, wie Kinder im Gruppentraining von Jaede et al.(1996) die Ohren zuhielten, als andere in der Eingangsrunde von Erlebnissen mit den getrennten Eltern berichteten oder anmerkten, dass sie heute keine Katastrophe hören wollen. Kinder aus einer anderen Gruppe von Betz (2002), in der sie im ersten Teil nach Eingangsrunde und Bewegungsspiel themenzentrierte Elemente aus dem Gruppentraining vorgaben und dann im zweiten Teil freie kinderpsychodramatische Symbolspiele spielten, drückten es nach einigen Stunden des Gruppentrainings so aus, dass sie sich weigerten, die Vorgaben im ersten Teil zu spielen, und sagten: "Wir sind doch Kinder und wollen spielen." Sie sieht einen Grund des Widerstandes der Kinder im Laufe der Sitzungen gegen strukturiertes, themenzentriertes Arbeiten neben der nicht kindgerechten Bearbeitungsweise darin, dass dieses Vorgehen die Kinder auch an Schule erinnert. Das folgende Beispiel mit zwei Sitzungen zeigt eindrücklich, wie Mädchen ihre Wut auf den Vater, der die Familie verlassen hat, und ihre Wut, dass sie sich
5.2 Kinder aus Trennungs - Scheidungsfamilien
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um den Kontakt bemühen müssen, wenn sie den Vater nicht verlieren wollen, im Symbolspiel darstellen und bearbeiten. In der 30.Therapiesitzung, als die Cotherapeutin wegen Krankheit fehlt, beschlißen die vier lO-jährigen Mädchen, gefürchtete Piratinnen zu spielen. Mir teilen
sie die Rolle eines reichen Kaufmannes zu, der mit Schätzen nach Hause segelt.
In der Nacht schwimmen sie mit ihren Säbeln zwischen den Zähnen zu meinem
Schiff, überfallen mich und schleppen mich nach einem heftigen Kampf gefesselt auf ihr Piratenschiff. Sie beraten, ob sie mich den Haien vorwerfen oder als Sklave halten sollen. Ich bettle um Gnade, ich sei doch ein ehrbarer Händler. Empört rufen die Piratinnen, ich hätte die Schätze den Inkas geraubt und wollte Sklavinnen kaufen. Jetzt solle ich mal spüren, wie schön das Sklavenleben seL Und unter Gekicher befehlen sie mir, mit der Zunge ihr Klo zu putzen. Sie kacken von oben runter und lassen mich ihre Scheiße aufschlecken. Bei jedem Ekel- und Klagelaut oder Schimpfen ritzen sie mir mit einem Messer auf Brust und Rücken ein Stück eines Totenkopfes. Über mein Jammern machen sie sich lustig und drohen mir mit schlimmeren Strafen. Als ich vor mich hin klage, das Kloputzen hätten immer meine Dienerinnen übernommen, holen sie die - imaginierten - Dienerinnen herbei, 40 an der Zahl. Dann befehlen sie mir, deren mit Hundekacke beschmierten Füße abzuschlecken und ihre Zehennägel abzubeißen und zu schlucken. Sie setzen sich dazu und genießen lachend den Triumph, mich auf dem Boden kriechen, die Füße ablecken und die Nägel beißen und hinunterwürgen zu sehen. Bei jedem Ton der Klage oder Wut, so ohnmächtig ihrer Willkür ausgesetzt zu sein und brav gehorchen zu müssen, vervollständigen sie den Totenkopf auf meiner Haut. Zum Schluss schneiden sie mir die Hände ab, streuen Salz darauf und schlingen sie gemeinsam hinunter. In der folgenden Stunde möchten sie Indianerinnen zu spielen. Mir teilen sie die Rolle eines Cowboys zu, der ihre Schätze stehlen möchte. Im Spiel lande ich aber schnell am Marterpfahl und werde vor die Wahl gestellt, unter Qualen zu sterben oder mich in eine Frau verwandeln zu lassen. Da ich am Leben bleiben möchte, muss ich mich zuerst, da ich unerträglich stinken würde, in einem Fluss, der vor Krokodilen wimmelt, baden. Über meine Angst, gefressen zu werden, machen sie sich lustig. Als Handtuch reichen sie mir einen Zitteraal und spotten über mein Entsetzen. Dann muss ich ein Blumenhöschen anziehen. Anschließend werde ich mit Schleiern behängt, geschminkt und meine Nägel lackiert. Bei jedem Versuch des Widerstandes und bei jedem Murren setzen sie mir das Messer an den Hals. Sie amüsieren sich köstlich über meine ohnmächtige Wut, die ich vor mich hinsprechend ausdrücke. Dann beginnen
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5 Resilienzförderung bei Risikogruppen
sie mit meiner Umerziehung zur Frau: "Bauch rein, Brust raus!", "Beine zusammen", "Kopf hoch, Kinn nach vorne", "Lächeln" sind ihre Kommandos. Zum Essen bekomme ich nur einen Jogurt, weil ich fett sei, befiehlt ein etwas übergewichtiges Mädchen. Dauernd finden sie etwas, was sie an mir zu kritisieren und zu korrigieren haben. Als ich zur Seite spreche, wie demütigend dies ist und wie beschämend es wäre, wenn mich, den gefürchteten Jack, jetzt die anderen Cowboys sehen würden, kichern die Indianerinnen und sagen, sie hätten schon alle Cowboys des Wilden Westens zu einer Show eingeladen. Der Titel sei: "Der wilde Jack als Dornröschen." Dann bauen sie eine Manege auf und zwingen mich, vor den versammelten (imaginierten) Cowboys zu tanzen. Sie fotografieren mich dabei und berichten lachend, morgen würde in allen Zeitungen dieses Foto auf der Titelseite erscheinen, und sie verhöhnen und verspotten mich. Wieder spreche ich zur Seite, wie schlimm es ist, so lächerlich gemacht zu werden und sich nicht wehren zu können, ja sogar noch dabei lächeln zu müssen. Spontan entgegnet ein Mädchen: "Meinst du, uns mache das nichts aus!" Ein weiteres Beispiel aus einer gemischten Kindergruppe von IO-Jährigen zeigt die unterschiedlichen Reaktionen der Kinder auf die Scheidung und ihre unterschiedliche Verarbeitung: Die Kinder spielten über einige Stunden Zirkus und ließen sich als Tiere von den TherapeutInnen als Zirkusdirektorin und Dompteur ausgiebig bewundern. In dieser Stunde geben die Kinder, die alle aus Scheidungsfamilien kommen und bei ihren Müttern leben, die Anweisung, die beiden würden sich scheiden lassen und die Tiere würden bei der Direktorin (Frau Geier) im Zirkus bleiben. Der Dompteur (ich) würde sich einen neuen Zirkus suchen. Nur Jenny will kein Tier mehr sein, sie sei Pippi Langstrumpf und lebe allein in der Villa Kunterbunt. Im Spiel spielen die Kinder ihre Reaktionen auf die Trennung der Eltern aus. Die beiden Araberpferde Oulia und Heike) werden schwer krank und liegen regungslos in ihrem Heu. Löwe und Tiger (Hans und Kilian) werden bösartig und wüten im Käfig. Der Affe (Michael) kreischt unaufhörlich und verweigert das Essen. Die Direktorin macht sich große Sorgen, ob sie allein die kranken Tiere versorgen kann. Währenddessen kommt der Dompteur an der Villa Kunterbunt vorbei und wundert sich, dass dort ein Kind ohne Eltern lebt. Im Selbstgespräch spricht er die Angst, Trauer und Einsamkeit aus, die Jenny in dem Gegenbild der grandiosen Pippi verleugnet. Wenn er noch ein Kind wäre, dann wäre er traurig und voller Angst, so einsam, ohne Eltern zu sein. Wie Pip-
5.2 Kinder aus Trennungs - Scheidungsfamilien
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pi das nur schaffe, so furchtlos und stark zu sein? Ob sie den Kummer und die Traurigkeit nur beiseite schiebe? Pippi entgegnet, sie brauche keine Eltern, sie könne alles allein. Außerdem habe sie noch den Affen Nilsson und ein Pferd. Da es mit den Tieren im Zirkus immer schlimmer wird, ruft die Direktorin verzweifelt den Tierarzt an. Ich wechsle die Rolle und komme in der explorierenden Doppelgängerrolle des Arztes und untersuche die Tiere. Besorgt teile ich der Direktorin den Befund mit: "Es ist kein Wunder, dass die Tiere sich so verändert haben. Sie und der Dompteur haben gemeinsam die Tiere großgezogen, daher hängen die Tiere an beiden und brauchen beide. Dass der Dompteur sie einfach verlassen hat, kränkt und schmerzt sie sehr. Vor Kummer, Trauer und Wut sind sie krank geworden. Sie müssen, auch wenn Sie nicht mehr mit dem Dompteur zusammenleben können, dafür sorgen, dass die Tiere weiterhin von beiden gepflegt werden." Nach dieser Untersuchung ruft sie den Dompteur an und teilt ihm den Rat des Arztes mit. Als ich daraufhin in dieser Rolle komme und die Pferde striegle, strahlen die Mädchen. Die Raubtiere dagegen fallen mich an, als ich ihnen Fleisch in den Käfig bringen will. Ich rufe den Tierarzt an und wiederhole dann laut, was dieser (imaginierte) Arzt mir rät: "Sie meinen wirklich, ich kann nicht erwarten, dass die Tiere mich freudig begrüßen, wenn ich nach längerer Zeit der Trennung wieder auftauche, nach dem Schmerz, den ich ihnen zugefügt habe? Sie finden, die Tiere hätten zu Recht eine Wut auf mich, weil ich sie allein zurück gelassen habe? Ich müsste die Wut aushalten und darf mich nicht enttäuscht zurückziehen?" In diesem Gespräch lasse ich die verborgenen Gefühle und Gedanken der Kinder laut werden und vermittle als Spiegel Selbstinformationen. Oder ein Beispiel aus einer gemischten Kindergruppe von 8- bis lO-Jährigen von Betz, in der die Kinder in einer Stunde das Thema bearbeiten, dass sich ein Elternteil wieder verliebt hat: Sie spielen Internat, sie selbst wählen die Rollen von InternatsschülerInnen, dem Therapeutenpaar geben sie die Rollen von Lehrer / in, die sich verbotenerweise verliebt haben. Im Spiel werden diese "bloßgestellt, an die Tafel geschrieben, Plakate werden aufgehängt, die von diesem,Vergehen' berichten, beim Diktat ins Heft geschrieben. Der Rektor wird unterrichtet und die betroffene Lehrerin daraufhin zurechtgewiesen. Beide Lehrer verlieren ihre Autorität als Lehrer, werden beschimpft und aggressiv beworfen, die Kinder machen im Unterricht, was sie wollen, verweigern Anweisungen. Dem geprellten Ehemann wird davon berichtet, die Frau zur Rede gestellt und ,rausgeworfen'. Diese muss dann
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5 Resilienzförderung bei Risikogruppen
in der Schule schlafen, die Kinder, die auf dem Schulhof spielen, beschimpfen und bewerfen sie mit Bällen...."(2002, S. 22) Melbeck-lbiemann bestätigt, dass die familienähnliche Konstellation in der Kinderpsychodramagruppe mit zwei gegengesch1echtlichen 1herapeuten es den Kindern erleichtert, "ihre inneren Bilder hierzu zu aktualisieren, indem sie Geschichten entwarfen und Rollen wählten, in denen sie verschiedene Aspekte ihres Themas ins Symbolspiel umsetzen konnten: z.B. ihre Wunsch-Familie, die Trennungssituation, ihre Gefühle den Eltern gegenüber. Dabei entstand die Möglichkeit, gemachte Erfahrungen neu zu erleben, z.B. durch entsprechende Rollenzuschreibungen an die Therapeuten eine Umkehrung der Machtverhältnisse zwischen Eltern und Kinder zu inszenieren und die in der Spielsituation entstehenden Gefühle auszuleben. Auch hierin kann ein großer Anteil der heilungsfördernde Wirkung des Spiels gesehen werden." (2002, S. 299)
5.2.2.2
Förderung eines aktiven Bewältigungsverhaltens
Die Krise der Trennung der Eltern nicht nur als Belastung, sondern auch als Herausforderung zu sehen, hat großen Einfluss auf das Bewältigungsverhalten. Dass Kinder zunächst meist eine vermeidende Copingstrategie wählen, ist verständlich, da sie kurzfristig erfolgreich die Belastung mildert. Langfristig ist aber eine aktive Strategie sinnvoll, da durch die aktive Auseinandersetzung die emotionalen Belastungen verarbeitet werden können. Vor allem die Verfügbarkeit von vielen verschiedenen Strategien lässt eine Bewältigung erfolgreicher und effektiver werden, da eben verschiedene Strategien je nach Situation flexibler eingesetzt werden. Das Kinderpsychodrama sieht die Förderung einer kreativen Persönlichkeit als zentrales Anliegen und versucht Spontaneität und Kreativität im Kinde zu fördern. Denn eine belastende Situation kann eher als Herausforderung wie als Bedrohung eingeschätzt werden, wenn viele Handlungsalternativen zur Verfügung stehen. Nach der Scheidung der Eltern geraten Kinder häufig in einen Loyalitätskonflikt. Ergreifen sie Partei, um wenigstens eine feste Bezugsperson zu haben, sind sie gleichzeitig verzweifelt, weil sie dadurch den anderen Elternteil verraten haben. Ergreifen sie überhaupt nicht Partei, fühlen sie sich allein und befürchten, beide Elternteile verraten zu haben und stecken so in einem unlösbaren Dilemma. Das folgende Beispiel mag zeigen, wie wir Kinder, die in einen Loyalitätskonflikt geraten sind und von einem Elternteil zum Partnerersatz erkoren wurden, aus ihrem festgefahrenen Muster befreien und die "gebundene Kreativität" (Krüger 2002) zur "freien Kreativität" hin öffnen:
5.2 Kinder aus Trennungs - Scheidungsfamilien
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In einer gemischten Gruppe von 13-Jährigen spielen die Kinder seit einigen Stunden Familie. Sie sind heranwachsende Kinder, die lherapeutInnen ihre EItern. Die drei Jungen, die alle aus Scheidungsfamilien kommen, die von ihren Müttern die ödipale "Einladung" erhielten, mit ihr allein glücklich zu werden und zum Teil zu Ersatzpartner gemacht wurden, die keinen oder wenig Kontakt zu ihren Vätern haben, übernehmen die Rollen von Jugendlichen, die einen riesigen Rennwagen mit 100.000 PS konstruieren, mit dem sie beim nächsten Rennen "Schumi" weit hinter sich lassen können. Die drei Mädchen machen sich zu frechen, aufsässigen Töchtern, die sich mit den Eltern anlegen. Sie kleiden sich provozierend, schminken sich grell und werten die Mutter als altmodische Ziege ab. Da sie keinen Ausgang bekommen, steigen sie nachts aus dem Fenster und kommen nicht mehr heim. Als Eltern machen wir uns am nächsten Morgen laut Gedanken über die Töchter. In einem Zwiegespräch, in dem die ambivalenten Gefühle aufgeteilt werden, spricht die Mutter mehr die Sorgen aus, was den Mädchen alles passieren könnte, ich als Vater übernehme mehr die Zuversicht, dass die Töchter schon auf sich auf aufpassen werden. Die Mädchen sagen dann, die Eltern sollten sie in der nächsten Nacht erwischen, wie sie mit Jungen zusammen im Bett liegen. Sie sollen dann in Streit geraten. Der Vater soll sich sehr aufregen und der Mutter Vorwürfe machen, dass sie sich nicht besser um eine gute Erziehung der Töchter bemüht habe. Wir gehen zunächst auf diese Anweisung ein. Dann verändern wir das Spiel Wir sehen als Eltern ein, dass wir uns in dieser schwierigen Situation nicht zerstreiten dürfen, sondern zusammenhalten müssen. Da greifen die Jungen ein, die diese Auseinandersetzung bisher gespannt aus ihrer Werkstatt verfolgt haben. Sie werfen dem Vater vor, er solle nur still sein, er gehe ja selber fremd, er sei eine alte Sau. Die Mutter stellt daraufhin verunsichert ihren Mann zur Rede. Ich leugne und entgegne, die Söhne wollten sich mit diesen Verleumdungen nur zwischen uns drängen. Die Jungen beharren aber auf ihrem Vorwurf und bringen Beweise vor. Sie zeigen der Mutter {irnaginierte)Bilder, die den Vater beim Vorspiel, beim Orgasmus und nach dem Geschlechtsakt zeigen. Die Mutter ist entsetzt. Die Jungen raten ihr, sie solle sich scheiden lassen, zumal der Vater ja bei ihr impotent sei und sowieso nichts laufe. Außerdem wären sie ja noch da Sie würden immer bei ihr bleiben, bei ihnen werde es ihr viel besser gehen. Hans, dessen Mutter sich ihm gegenüber sehr verführend gibt, wirft sich in Positur und meint, er sei viel potenter als der alte Wichser. Sie würde besser ihn heiraten, da wäre sie nicht so unglücklich wie mit dem alten Sack. Um nicht dieses narzisstisch- inzestuöse Bündnis mit dem entwertenden Ausschluss des Dritten mitzuspielen, sondern die triadischeBeziehung mit den
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5 Resilienzförderung bei Risikogruppen
Generationsgrenzen wieder herzustellen, interveniert die Therapeutin. Sie weigert sich, das Spiel der Jungen mitzuspielen, die die besseren Geliebten der Mutter sein wollen und vom ödipalen Sieg träumen. Sie zieht sich mit ihrem Mann zurück und sagt, sie wolle diesen Konflikt mit ihm allein klären. Wir beide flüstern kurz miteinander, kommen dann zurück und sagen, wir hätten unseren Konflikt bereinigt. Wir kämen mit unseren Schwierigkeiten allein zurecht. Es sei nicht Aufgabe der Kinder, für einen betrogenen und verlassenen Elternteil zu sorgen. Auf diese grenzsetzende Intervention reagieren die Jungen mit großer Enttäuschungsaggression. Sie beschimpfen die Eltern, vor allem die Mutter, mit obszönen Ausdrücken. Voller Wut tun sie sich dann mit den Mädchen zusammen und hauen von zu Hause ab, um in Paris ihr Leben zu genießen. 5.2.2.3
Förderung einer internalen Kontrollüberzeugung und positiven Selbstwirksamkeit
Über effektive Bewältigungsstrategien verfügen können, reicht allein nicht aus, um eine Krise gut zu überstehen. Wichtig ist, wie die Resilienzforschung aufgezeigt hat (Wustmann 2004a), die Überzeugung des Kindes zur erfolgreichen Handlung und Selbstwirksamkeit. Die Scheidungssituation löst bei Kindern das Gefühl aus, in einer unberechenbaren und nicht gestaltbaren Situation zu leben. Ihr Glaube, ihr Leben in den wichtigen Bereichen der Familie mit gestalten zu können, Entscheidungen mit beeinflussen zu können und alters entsprechende Mitbestimmungsmöglichkeiten zugestanden zu bekommen, geht verloren. Weil auf der Paarebene eine Entscheidung gefallen ist, wird auch die Familie aufgelöst. Über die weitere Zusammensetzung der Familie bestimmen die Eltern aus Sicht des Kindes oft willkürlich und über seine Bedürfnisse hinweg. Außerdem können Kinder bei strittigen Paaren im juristischen Prozess zum Spielball der Machtkämpfe des Paares werden, ohne gehört zu werden, wie zu Recht beklagt wird. Obwohl nach der UN-Kinderrechtskonvention Kinder in wichtigen Belangen gehört werden müssen, werden zwanzig Jahre nach der Deklaration immer noch 80-90% der Kinder im Scheidungsprozess nicht gehört (Salgo 2009). Auch bei einvernehmlichen Verfahren kommen Kinder und ihre Belange "schlicht und einfach nicht vor. Es handelt sich hier nicht nur um ein schwerwiegendes Defizit der Kindschaftsrechtsreform von 1998 sowie der Reform des Verfahrens der Freiwilligen Gerichtsbarkeit, insbesondere durch das FamFG, von 2008. Die Bundesrepublik Deutschland verstößt durch diesen Ausschluss von Kindern, soweit sie nach Alter und Reife schon fähig sind, sich eine eigene Meinung zu bilden, gegen Art. 12 Abs. 2 der UN-KRK, obwohl sie diese Konvention durch das Zustim-
5.2 Kinder aus Trennungs - Scheidungsfamilien
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mungsgesetz vom 17. Januar 1992 in nationales Recht überführt hat. Seit der Abschaffung jeglicher Kindesbeteiligung in einer so hohen Anzahl von Fällen verfehlt die Bundesrepublik hier die eingegangene völkerrechtliche Verpflichtung" (Salgo 2009, S. 26f). Auch die Scheidungsforschung beanstandet diese Nichtbeteiligung: "Was das Kind selbst wünscht, welche Präferenzen es hat, was es zu den vorgeschlagenen Regelungen meint und wie es seine ,elternfreie' Zeit verbringen möchte - das alles sind Überlegungen, die so gut wie niemals angestellt werden. 50 wie wir die Dinge gegenwärtig handhaben, wird das Kind wie eine Stoffpuppe behandelt, die regungslos dort sitzen bleibt, wo man sie gerade hinsetzt. (...) bleiben sie ohne Stimme. (...) Nichts wird unternommen, um eine Besuchsregelung anders zu fassen, wenn das Kind älter wird und selbst darüber entscheiden möchte, wie es seine Ferien und seine Wochenenden verbringt. (...) Aber Kinder aus geschiedenen Familien, deren Zeitplan unter dem Diktat starrer gerichtlicher oder durch Mediation zustande gekommener Regelungen steht, beklagen sich bitter darüber, dass sie sich wie Bürger zweiter Klasse fühlen. (...) Vor allem möchten sie ein Mitspracherecht, was ihr Leben angeht und fühlen sich ungerecht behandelt, wenn sie von diesbezüglichen Planungen aus geschlossen werden." (Wallerstein u. a. 2002, zit. nach Salgo 2009, 5. 27)
Weiterhin werden Kinder auch mit neuen Partnern konfrontiert, ohne dass sie darauf Einfluss haben. Zwangsläufig und strukturell bedingt kommt es daher für Kinder zum Einbruch der Selbstwirksamkeitsüberzeugung. Da die Trennung der Eltern das Grundbedürfnis des Kindes nach Selbstwirksarnkeit und Kontrolle verletzt, ist es eine wichtige Aufgabe in den kinderpsychodramatischen Gruppen, die internale Kontrollüberzeugung und das Selbstvertrauen der Kinder in ihre eigenen Fähigkeiten und Einflussmöglichkeiten zu stärken, indem die Kinder Herausforderungen auf der Symbolebene erfolgreich bewältigen und "schöpferisch handeln". Beispiel: 5- bis 6-jährige Kinder in einer gemischten Gruppe bearbeiten den Streit der Eltern um das Kind, dass jeder es haben will, und es entgegen dem Bedürfnis des Kindes aus seiner gewohnten Umgebung reißen wollen, indem sie sich für das Spiel: "Tierfänger" entscheiden. Sie selbst wollen wertvolle, gefährliche Raubtiere sein, die Therapeutin (Frau Reisinger) soll eine Tierfängerin sein, die diese Tiere für einen Zoo fangen will, und mich machen sie zu einem Tierfänger, der ihr dann die gefangenen Tiere rauben und an einen Zirkus verkaufen will. Nachdem die Kinder ihre Verstecke, Höhlen oder Sch1afplätze aufgebaut und sich als Tiere verkleidet haben, und wir unsere Geländewägen und Käfige, kann das Spiel beginnen. Zunächst lassen die Tiere sich in den Käfig der Tierfängerin locken, sich dort versorgen und sogar streicheln. Wie untereinander abgesprochen spielen sie zunächst harmlose, einfältige Tie-
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re. Grinsend und sich zuzwinkernd lassen sie sich gefallen, wie die Tierfängerin am Telefon prahlend dem Zoo erzählt, wie einfach es gewesen sei, die Tiere zu fangen, dass sie ihre Zähne und Krallen nicht einsetzen und sich fast wie Haustiere halten lassen. In der Nacht soll ich mich nach der Spielanweisung der Kinder dann anschleichen, die Tierfängerin und die Tiere betäuben und sie in meinen Käfig stecken. Ohne dass ich es merken soll, spuken sie aber das Fleisch mit dem Betäubungsmittel aus und simulieren die Betäubten. Ich äußere meine Freude über den einfachen Fang. Doch plötzlich fallen sie über mich und dann auch über die Tierfängerin her und richten uns übel zu. Wir müssen vor Schmerzen schreien und um Gnade winseln. Dann sperren sie uns in die Käfige, werfen uns vergammelte Fleischbrocken rein, sodass uns todübel wird, besichtigen uns und lassen uns unter Androhung von Strafen Kunststücke vorführen. Sie kommentieren dies, jetzt sollen wir mal spüren, wie es ist, wenn man eingefangen und eingesperrt ist In einer anderen Gruppe zeigen die Kinder, wie sie Hindernisse, Gefahren und Entbehrungen bewältigen: Eine Kindergruppe von 9- bis IO-jährigen Jungen spielt die Eroberung des Planeten Sirius. Sie wählen die Rollen von Astronauten, die mit ihrem Raumschiff gerade noch starten konnten, bevor die Erde durch einen Planeteneinschlag zerstört wurde. Auf dem Flug zu Sirius gelingt ihnen mit einem großartigen Manöver, einem Meteoritenhagel auszuweichen, und gekonnt landen sie zielgenau neben einem "schwarzen Loch". Sie bezwingen die dort hausenden außerirdischen Monster(die beiden Therapeuten), programmieren sie um, sodass sie zu ihren Befehlsempfängern werden, und lassen sich zu ihrem gewaltigen Energiereservat führen. Dort tanken sie sich mit unermesslichen Kräften und Ausdauer auf. Nachdem sie die restliche außerirdische Energie in ihr Raumschiff geschafft haben, fliegen sie zur Erde zurück und machen sie mit der außerirdischen Energie heil In einer Würdigungsszene überreiche ich als wiederbelebter UNO- Generalsekretär ihnen die höchste Medaille: Retter der Menschheit. Gerade Kindern aus Scheidungsfamilien Größenerlebnisse zu ermöglichen, finde ich wichtig, um ihnen Vertrauen zu geben, Hindernisse überwinden zu können. 5.2.2.4
Förderung von positivem Selbstwert
Dass ein Elternteil die Familie verlässt, lässt ein Kind zweifeln, ob es wertvoll und geschätzt genug ist. Und sein Bemühen um den fehlenden Elternteil, seine Erfah-
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rungen mit der Unzuverlässigkeit der Absprachen, dem Zurückhalten von Unterhaltszahlungen und dem Verlassenwerden (nach zwei Jahren hat ein Drittel der Kinder keinen Kontakt mehr zum Vater) kränken seinen Selbstwert. Auch die gegenseitigen Abwertungen der Eltern verunsichert es in seinem Selbstwert als Junge oder Mädchen. Und der ökonomische und soziale Abstieg vermittelt ihm das Gefühl der Unterlegenheit und des Ausgeschlossenseins. Kinder geraten unverschuldet in einen Trennungshaushalt, in dem das Risiko für eine prekäre wirtschaftliche Situation hoch ist. Sie sind daher von Armut betroffen, "die sie in vielfacher Weise in ihrer Entwicklung benachteiligen können" (Bien 2010, S. 6). Betroffen sind vor allem Kinder von alleinerziehenden Müttern. Auch fühlen sich die meisten Trennungskinder in der Klasse unwohler, wie das DJI-Kinderpanel zeigt: "Kinder mit Trennungserfahrung gehen demnach immer weniger gern in die Schule, sie mögen vieles in der Schule nicht, der Unterricht macht ihnen deutlich weniger Spaß und sie glauben, dass sie in der Schule weniger lernen. Dies kann eine negativ wirksame Spirale in Gang setzen." (Alt & Lang 2010, S. 9)
Da dadurch sein Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung massiv verletzt ist, ist es wichtig, im Symbolspiel die Grandiosität des Kindes zu spiegeln und so sein Selbstwertgefühl zu stärken. Beispiel: In einer gemischten Kindergruppe von 8-Jährigen spielen die Kinder Safaripark. Sie sind wertvolle, einzigartige Wtldtiere, die von einer Tierhüterin (Frau Reisinger) umsorgt werden. Ich soll ein Tierfänger sein, der sie fangen und für viel Geld an einen Zoo in New York verkaufen möchte. Während des Spiels lassen sie sich fangen, befreien sich aber immer wieder gegenseitig. Nur ein Junge, Lukas, dessen Vater den Kontakt zu ihm eingestellt hat und der immer wieder der Mutter klagt, wie wertlos er sich deshalb fühlt, möchte nicht befreit werden. Er legt sich in meinen Hubschrauber und hört strahlend zu, wie ich über Handy den Verkaufspreis für den Zoo auf zehn Millionen Dollar hochschraube. Ich schildere in allen Farben, was das für ein prächtiger Tiger ist, wie sein Fell leuchtet, schwärme von seiner anmutigen Bewegung, seiner Stärke, und berichte anerkennend von den gewaltigen Zähnen und Krallen. So ein prächtiges Exemplar gebe es nicht nochmals auf der Welt. Nach dieser Bewunderung gibt er die Spielanweisung, er sei jetzt vom Zoo in New York gekauft worden. Kurz danach wirft er mir einen Sack mit Goldstücken zu mit der Bemerkung, ein anderer Zoo habe ihn für eine Milliarde gekauft, das Geld würde ich bekommen. Durch mein "bewunderndes Spiegeln" kann er sich selbst nun Wert zusprechen. Wieder lobe ich, wie außerordentlich wertvoll dieser Tiger ist. Da werden sich sicher alle Zoos der Welt um ihn reißen. Dieses Spielan-
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gebot nimmt Lukas auf, er wirft mir immer neue Goldsäcke (Kissen) zu und kommentiert dabei, dass wieder ein anderer Zoo in einem anderen Land ihn gekauft habe. Die Zahlungen schrauben sich in horrende Höhen von Milliardenbeträgen hoch. Oder ein anderes Beispiel: Eine Gruppe von sehr gehemmten 9-jährigen Mädchen aus Scheidungsfamilien spielen Indianermädchen, wir Therapeuten sollen ängstliche Eltern sein. Wagemutig springen sie dann im Spiel von einem hohen Felsvorsprung ins Wasser, was wir bewundernd kommentieren. In der Nacht schleichen zwei Mädchen aus dem Zelt, und als wir Eltern am Morgen erwachen, liegen frische Bärenfelle vor unserem Zelt. Wir sollen uns darüber wundem, aber nicht draufkommen, dass unsere Töchter die Bären erlegt haben, so ist ihre Spielanweisung. In der nächsten Nacht machen sich auch die beiden anderen, die am stärksten gehemmten Mädchen, mit auf die Jagd. Um ihnen leiblich ganz neue Befindlichkeiten zu erschließen und sich selbst neu betrachten zu können, biete ich ihnen an, eine Bisonbullen zu spielen, den bisher noch kein Jäger bezwingen konnte, den sie aber zur Strecke bringen würden. Als sie mit glänzenden Augen nicken, lege ich mir eine braune Decke um und stampfe drohend auf die Indianerinnen zu. Da Lucia, die in der Anfangsphase immer völlig verkrampft und verschlossen dasitzt, zum ersten mal sich in seiner ganzen Größe aufrichtet und mit erhobenen Messer auf mich zugeht, wende ich mich ihr zu. Kraftvoll stößt sie mich mit ihrem Messer nieder und zieht mir, als ich frage: "Tätest du dem Bison das Fell abziehen und die Hörner als Siegeszeichen abschneiden?", das Fell ab. Die anderen kommen dazu und schneiden Herz und Schinken heraus. Danach wechsle ich wieder die Rolle. Als Eltern bewundern wir unsere mutigen Töchter, die mit reicher Beute heimkehren. Und als Häuptling schlage ich die Trommeln, um dem ganzen Stamm die Heldentaten meiner Töchter zu verkünden und äußere meinen Stolz auf sie, die mit ihrem Mut und Jagdkunst alle Männer des Stammes übertrumpft haben. Stolz und strahlend hören die Mädchen diesem bewundernden Spiegeln zu. Auch Melbeck-Thiemann bestätigt: "Je mehr positiv bewertete eigene Handlungen beim Kind bei sich selbst bewusst wahrnimmt, um so förderlicher ist das für den Aufbau eines gestärkten Selbstkonzepts. Insofern kann angenommen werden, dass das häufige Thematisieren von Macht, Autonomie, überlegenheit und Stärke im symbolischen Spiel und das übernehmen entsprechender Rollen bei den untersuchten Kindern zu einer Stärkung ihres Selbstwertgefüh1s geführt
5.2 Kinder aus Trennungs - Scheidungsfamilien
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hat, wie es sich auch in der im Nachtest festgestellten Zunahme von emotionaler und vegetativer Stabilität bei einigen Kinder widerspiegelt." (2002, 5. 302)
5.2.2.5
Förderung der Beziehungsfähigkeit
Die Trennung der Eltern verändert fundamental das Vertrauen in die Beständigkeit und Verlässlichkeit von Beziehungen. Dadurch wird die Illusion des Kindes zerstört, die Liebe der Eltern sei unzerbrechlich und völlig bedingungslos. Das Kind erlebt, dass das Band zwischen Mann und Frau durch Streit zerreißen kann. Dies löst die Angst aus, die Liebe der Mama/ des Papas könnte auch zu Ende gehen, ihre Beziehung könnte auch in Brüche gehen, wenn es Streit gibt. Dass Beziehungen unzuverlässig sind, wird noch verstärkt durch die Erfahrung, dass nach Wallerstein (2002) 2/3 der Kinder mit mehreren Trennungen konfrontiert wird. Da Eltern wechselnde Partnerschaften eingehen, müssen Kinder sich für eine unbestimmte Zeit auf neue Menschen einlassen, die eine zentrale Rolle im Leben ihrer Mutter oder ihres Vaters und damit auch in ihrem Leben einnehmen. Da diese sich dann wieder verabschieden können, machen Kinder immer wieder die Erfahrung, dass Liebe flüchtig ist. Wenn aber Beziehungen nicht verlässlich sind und die Möglichkeiten für Kinder, sich spielerisch in die Gestaltung von Beziehungen einzuüben, eingeschränkt ist, kann dies zu späteren gravierenden Folgen führen, was die Einstellung zu und die Gestaltung von Beziehungen und Partnerschaften angeht, wie es Wallerstein (2002) auch aufgezeigt hat. Außerdem verlieren Kinder die Triade als Experimentierfeld für abgesicherte Beziehungen (Figdor 1998). Da sie dadurch nicht mehr die Erfahrung machen, eine Beziehung unter dem wohlwollenden Blick des jeweils Dritten zu erleben, sondern in der Dyade mit einem Triangulierungsverbot und Koalitionsdruck gefangen sein können, erleben sie auch in der Peerbeziehung die Beziehung zu einem Dritten nicht als entlastend, sondern als gefährlich, die Eifersucht auslöst und einen Loyalitätskonflikt schafft. Und so wiederholt sich auch auf der Peerebene die Erfahrung, dass eine Beziehung zum einen eine Beziehung zum anderen ausschließt. Je älter Kinder aber sind, desto mehr schützen gute Beziehungen zu Gleichaltrigen. Kinder nach Trennung/Scheidung ihrer Eltern sind aber durch die oben genannten Erfahrungen und die durch die Stresssituation ausgelösten externalisierten oder internalisierten Verhaltensauffälligkeiten häufig in ihrer sozialen Kompetenz so eingeschränkt, dass sie über die kinderpsychodrarnatischen Interventionen (Aichinger & Holl201O) Hilfen erhalten müssen, gruppenfähiger zu werden. Verfügt nämlich ein Scheidungskind nicht über eine ausreichende soziale Kompetenz und ist deshalb nicht in seiner Gleichaltrigengruppe eingebunden, dann fällt eine wesentliche Stütze weg. Hier kann die Kinderpsychodramagruppe ein Ort sein, in der
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5 Resilienzförderung bei Risikogruppen
sich soziale Kompetenz und Performanz durch Aushandlungs- und Abstimmungsprozesse entwickeln lässt, und Kinder Solidarität und hilfreiche Beziehungen untereinander entwickeln und damit einen sehr wichtigen Schutzfaktor aufbauen. Beispiel: In reiner gemischten Gruppe von 8-jährigen Scheidungskindern reinszeniert Lukas seine Ablehnung durch den Vater, der eine neue Familie aufgebaut und sich dann sukzessiv zurückgezogen hat. Er lehnt in der Eingangsrunde alle Spielvorsch1äge der anderen Kindern als "beschissen" ab, beharrt auf seinem Vorschlag, Krieg zu spielen und nimmt keinen Kompromissvorschlag der Kinder, die sich sehr um ihn bemühen, und auch Hilfen der Therapeuten an. Als die anderen Kinder nicht bereit sind, sich seiner Forderung, sie hätten gefälligst das zu spielen, was er vorschlage, zu unterwerfen, zieht er sich beleidigt zurück, was er auch außerhalb der Gruppe in der Schule oder mit Spielkameraden häufig macht, und weigert sich, mitzuspielen. Die anderen Kinder einigen sich dann auf Tiere in Afrika, die Therapeutin soll wieder Tierhüterin und ich Tierfänger sein, der mit einem U-Boot vor der Küste auftaucht. Beim Aufbau der Szene bitte ich Lukas, für sich auch einen guten Platz zu bauen, auch wenn er nicht mitspiele. Er baut mit den Polsterelementen einen hohen Turm, auf den er sich setzt und sich mit einem Tuch verhüllt. Ich baue daneben mein U-Boot. Als wir das Spiel beginnen und die Raubkatzen sich von der Tierhüterin versorgen lassen, wirft Lukas ein Kissen nach mir. Ich reagiere in der Rolle des Tierfängers und äußere mein Entsetzen, dass mein U-Boot so hin und her geschleudert werde, ob diese Druckwelle wohl von einer Bombe komme. Sofort greift Lukas diese Intervention auf der verbalen Ebene (Aichinger & Ho1l201O, S. 177) auf und wirft weitere"Bomben" auf mein Boot. Ich schleudere in meinem Boot hin und her, was Lukas sichtlich amüsiert. Ich tauche auf, da mein Boot leckt, und frage mich, woher die Bomben kommen. Ich schaue in den Himmel (zu Lukas hoch) und frage mich, ob das wohl ein Raurnschiff sei, das in großer Entfernung am Himmel schwebe. Das könne doch nicht sein, dass Außerirdische Raubtiere in Afrika beschützen. Wieder fliegt eine Bombe vom Himmel und zerstört den Rest meines Bootes, worüber ich mich furchtbar aufrege. Inzwischen haben die anderen Kinder registriert, dass Lukas ins Spiel gekommen ist, stürmen als Tiere auf mich los und treiben mich ins Wasser. Sie setzen sich auf mich, und ich empöre mich, hustend und keuchend, dass diese Tiere mich zur Luftmatratze machen. Die Kinder genießen meinen hilflosen Protest. Als ich mich aber zu wehren versuche, wirft Lukas sofort wieder eine Bombe auf mich, dass ich Verbrennungen abbekomme. Ich rege mich auf, dass die Tiere einen außerirdischen Freund haben, der alles sehen kann, da hätte ich nie eine
5.3 Resilienzförderung bei weiteren Risikogruppen
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Chance, die zu fangen. Da Lukas sich wohl am Spiel beteiligt, aber immer noch in der Ecke auf seinem Turm sitzt, versuche ich dann im Laufe des Spiels ihn mit einer beziehungsstiftenden Intervention (Aichinger & Holl201O, S. 190ff) näher zu den anderen Kindern zu bringen. Als zwei Tiere todkrank werden, weil ich, so ihre Anweisung, Gift ausgestreut habe, und sie von der Tierhüterin und dem gesunden Raubtier fürsorglich betreut werden, versuche ich, mit folgender Intervention Lukas mehr in Kontakt zu den anderen Kindern zu bringen. Ich spreche laut vor mich hin, gegen dieses Gift sei nur ein außerirdisches Kraut gewachsen. Nur gut, dass der Außerirdische so weit weg sei und nichts davon wisse. Sofort greift Lukas dieses Angebot auf, er landet und kommt zu den kranken Tieren. Mit einem Schlauch aus seinem Raumschiff (Seil) saugt er das Gift aus den Tieren und legt ihnen dann außerirdische Heilkräuter (Tücher) auf. Die Tierhüterin (Frau Reisinger) ist erleichtert und begeistert, als durch diese Heilung die Tiere lebendig werden, und lädt alle zu einem Festschmaus ein. Ich rege mich schrecklich auf, dass der Außerirdische meinen Plan zu Nichte gemacht hat und jetzt sogar noch in Afrika gelandet ist, um seine Freunde zu beschützen. Die Kinder genießen es, wie ich vor mich hinschimpfe, und legen sich nahe beim Fest zusammen. 5.3 Resilienzförderung bei weiteren Risikogruppen Erfreulicherweise haben Kinderpsychodramatiker in den letzten Jahren zunehmend weitere Gruppenangebote für Kinder in besonderen Lebenssituationen zur Förderung von Resilienz entwickelt. Besonders hervor zu heben ist G. Weiss, die mit Studierenden der Heilpädagogik an der Katholischen Fachhochschule Freiburg vielfältige Angebote entwickelt hat:
5.3.1
Kinderpsychodrama mit Kindern, die Gewalt in der Familie erlebt haben
Weiss (2010) beschreibt ein Gruppenangebot für Kinder, die Gewalt in der Familie erlebt haben (219ff). Für sie sind kinderpsychodramatische Gruppenangebote für Kinder mit Gewalterfahrung wie für Schwarz und Weinmann "immer auch "kooperative, solidarische Gemeinschaftserfahrungen, die gerade für Kinder aus Familien, die genau daran scheitern, von wesentlicher Bedeutung sind" (Schwarz & Weinmann in Kavemann 2007, S. 335). Sie ermöglichen ihnen, sich mit ihren eigenen Wünschen und Bedürfnissen zu beschäftigen, Ansprüche zu stellen, Kompromisse auszuhandeln, Regeln und Sanktionen mit zu gestalten und damit Gruppe immer wieder neu zu erfahren und soziale Kompetenz zu entwickeln" ( S. 221).
180
5 Resilienzförderung bei Risikogruppen
Auch Schwarz und Weinmann (2006) und Fink (2009) von KinderschutzZentren stellen Kinderpsychodrarnagruppen für Kinder, die Gewalt erlebt haben, vor. Fink führt weitere Gründe an, weshalb sich dieses Gruppenangebot für diese Kinder eignet: "Die Ohnmacht der Mutter bringt Kinder häufig in eine ambivalente Situation: Einerseits sind sie für die Mutter als emotionale Stütze, als Beschützer, als Hilfe im Alltag ganz wichtig, andererseits haben sie Angst, dass der Mutter noch mehr passieren könnte, sie dann alleine sind. Die Kinder fühlen sich sehr oder übermäßig verantwortlich für das Wohlergehen des Elternteils, bei dem sie leben - dies steht dem Bedürfnis, sich weg zu entwickeln, sich abzugrenzen gegenüber. Die Kinder können im Spiel ihre Wünsche nach Versorgt werden zeigen und sich gleichzeitig auch abgrenzen. Die,Übertragungsmutter' ist nicht überfordert, wenn die Kinder ganz viel brauchen, aber auch nicht enttäuscht, wenn sie eigene Wege gehen. Zudem muss sie nicht beschützt werden, was für die Kinder sehr entlastend sein kann." (Fink 2009, S. 95f)
5.3.2
Kinderpsychodrama mit kranken Kindern und ihren Geschwistern
Weiss (2010) berichtet von kinderpsychodramatischen Angeboten in einer Rehabilitationseimichtung und beschreibt gemischt zusammengesetzte Gruppen mit an Krebs erkrankten Kindern und Geschwisterkindern, als auch getrennte Gruppen von erkrankten Kindern und Geschwisterkinder. Die Themen, die in der Gruppe der kranken Kinder auftauchen, sind eng mit den Erfahrungen der Erkrankung verknüpft. Ihr Wunsch, stark, mächtig und unbesiegbar in den Symbolspielen zu sein ist eine Gegenerfahrung zu ihrer realen Erfahrung des hilflos Ausgeliefertseins und des Kontrollverlustes durch die Krankheit. "Genau diese körperliche Aktivität ist es andererseits, die ihnen ermöglicht, ihren Ängsten aktiv, tatkräftig zu begegnen und sich als handelnd und selbstwirksam zu erleben." (S. 239)
Für die Geschwistergruppe ist die Zuwendung der Therapeuten sehr heilsam, da sie nach langer Zeit einmal mit ihren Bedürfnissen im Mittelpunkt stehen und ohne Rücksicht auf ihr krankes Geschwister ihre Wünsche nach Versorgung, Beachtung und Schutz zeigen können, wie das folgende Beispiel zeigt: "Nathalie beschreibt ihre Rollen zunehmend schutzbedürftiger; ein Hase, der noch kein Fell hat, ein Fuchsbaby, so klein, dass es noch nicht laufen kann. Immer wieder verlangt sie, gefüttert und ,mit nach Hause' genommen zu werden" (Weiss 2010, S. 241), nachdem sie über längere Zeit bei Freunden der Eltern untergebracht werden musste, weil ihre Eltern sich während der Behandlung in der Klinik aufhielten.
5.3 Resilienzförderung bei weiteren Risikogruppen
5.3.3
181
Kinderpsychodrama mit Geschwistern von autistischen Kindern
Ein Gruppenangebot für Geschwister autistischer Kinder stellt Weiss (2010, S. 253ff) ebenfalls vor. Da autistische Kinder in der Familie viel Unterstützung brauchen, müssen die Geschwister häufig zurück stecken. Daher ist ein wichtiges Thema in der Gruppe das Gesehenwerden. "Als Spielthemen werden häufig Zoo oder Zirkus gewählt, und auch Kinder, die in der Vorbereitung noch sagen, sie wollen auf keinen Fall in die Manege, finden im Spiel dann dort ihre Bühne mit Tigerkunststücken oder der Rede des Zirkusdirektors." (Weiss
2010, S. 254)
5.3.4
Kinderpsychodrama in der Prävention von sexueller Gewalt
Kubina (2009) schildert ausführlich zwei Kinderpsychodramagruppen in der Prävention von sexueller Gewalt an Mädchen. Mit einer 8- bis 9-jährigen Mädchengruppe aus mehrfach belasteten Familien in einer Tagesgruppe und mit einer Gruppe von 10- bis ll-jährigen belasteten Mädchen stärkte sie die Androgynität der Mädchen durch eine Erweiterung ihres Verhaltensrepertoires, die Selbstwirksamkeitserfahrung und die Beziehungsfähigkeit zu Peers. Eine Zusammenfassung von drei Gruppenstunden, in der die Mädchen Zauberschule spielten, verdeutlicht die Resilienzförderung: Penny nutzte im Spiel die Rolle des Helden, des ,auserwählten' Zauberkünstlers Harry Potter, und schöpfte daraus Anerkennung und Bewunderung von unserer Seite. Sie genoss gleichzeitig die Zuwendung und Bewunderung seiner besten Freundin Herrnine, die Susanne spielte. Diese hatte die Rolle der Tüchtigen, Fleißigen gewählt, die gut ist in der Schule, viel lernt und viel weiß und außerdem eine gute Freundin sein kann. Dies steht im Gegensatz zu dem, was sie sonst in ihrem Alltag erlebt, wo sie vor allem in der Schule Probleme hat und von ihren Mitschülerinnen durch ihr auffälliges und störendes Verhalten in der Klasse isoliert ist. Ruth hat ihren Rollenwechsel zwischen sich selbst (Lena als ihr "Ich" und in der Gruppe integrierte Zauberschülerin) und den Tieren durch ihr "Sich-selbst-verzaubern" so eingesetzt, dass sie ihre Affekte ausleben konnte, wie z.B. ihre Aggression durch den Tiger oder ihre Angst durch den Vogel und trotzdem Kontrolle über den Spielverlauf durch Lena hatte. Als bisherige Außenseiterinnen unter den Mädchen haben es außerdem Anna und Carina im Spiel geschafft, sich durch ihre Spielidee in die Gruppe zu integrieren. Möglich wurde das unter anderem durch die Fähigkeit von Anna, ihr im wirklichen Leben problematisches Verhalten, das "Klauen", im Spiel als kreative Ressource einzusetzen (Kubina 2009, S. 17).
182
5 Resilienzförderung bei Risikogruppen
Bark-Grell (2007) beschreibt kinderpsychodramatische Kurse zur Prävention sexueller Grenzüberschreitungen für Kinder im Vorschulalter mit Tierfiguren.
5.3.5
Kinderpsychodrama mit Kindern von psychisch kranken Eltern
Ebner und Raiss (2001) berichten von einem psychodramatischen Gruppenangebot für Kinder von psychisch kranken Eltern. Obwohl Kinder psychisch kranker Eltern als eine Hochrisikogruppe gelten, gab es lange Zeit wenig Unterstützungsangebote. Diese Kinder "müssen leben mit der für sie aufgrund genetischer wie auch aufgrund von Umweltbedingungen erhöhten Gefahr, selbst eine psychische Erkrankung zu entwickeln. Sie haben ein erhöhtes Risiko, in einem unbefriedigenden sozialen Umfeld zu leben, das nicht mit dem von unbelasteten Altersgenossen vergleichbar ist. Und schließlich sind sie auf der zwischenmenschlichen und psychischen Ebene zum Tell mit Defiziten im elterlichen Verhalten und Problemen konfrontiert, die sie entwicklungspsychologisch überfordern und in ihrer emotional-psychischen Entwicklung beeinträchtigen können." (Kölch 2009, S. 755) Diese hier aufgeführten Angebote sind nur ein Ausschnitt aus den vielfältigen kinderpsychodramatischen Resilienzförderungen, die bisher leider nur sehr begrenzt veröffentlicht wurden.
6 Ausblick
Die Resilienzförderung eröffnet Kinderpsychodramatikern ein weites Feld, kreative Angebote zu entwickeln und zu wagen, um Kinder in belasteten Lebenssituationen zu stärken. Wie Moreno schon 1934 in "Who shall survive?" ausgeführt hat, braucht es für das Überleben in unserer Welt eine "kreative Anpassung" und eine "kreative Veränderung". Daher ist der Ausbau der kinderpsychodramatischen Resilienzförderung von großer Wichtigkeit, um belasteten Kindern Möglichkeiten zu bieten, sich wieder als "Schöpfer" zu erleben, Vertrauen in die eigene Kreativität und Spontaneität zu gewinnen und mit ihren eigenen Handlungen Veränderungen bewirken zu können. Denn als "grundlegende prozesszentrierte Resilienzförderung darf die durch das Psychodrama für Kinder bewirkte Verbesserung ihres Zugangs zu ihren persönlichen Ressourcen und zu ihrem inneren kreativen Potential gelten. Kaum eine Bewältigung von gefährdenden Risikosituationen könnte auf kreative Potentiale verzichten. Schon die Motivation zur Bewältigung von Problemsituationen wird eine wesentlich höhere sein, wenn ein individuum um seinen Ideenreichtum und seine Flexibilität in der Gestaltung von Beziehungen und seiner Umwelt weiß." (Kleinhanns 2008, S. 237)
Außerdem müssen Kinder über das kinderpsychodramatische Symbolspiel Möglichkeiten erfahren, sich selbst als wertvoll erleben. Und sie benötigen Hilfen, um in gelingenden Begegnungen gute Beziehungen zu Gleichaltrigen aufbauen und dabei gegenseitige Hilfe entdecken zu können. Diese gegenseitige Hilfe, diesen Mutualismus oder Solidarität zu lehren ist eines der wesentlichen Ziele von Morenos Praxisentwürfen. "Diese Grundüberzeugung ist nicht nur ein anthropologischer Glaubenssatz, dass der Mensch eingebunden ist, sondern es ist vor allem auch eine sozialpolitische Botschaft, dass er (immer wieder) eingebunden werden und aus seinen Bezügen heraus verstanden werden soll." (Hutter & Schwehm 2009, S. 440)
Und durch die Förderung des sozialen Netzwerkes können soziale Unterstützungsnetze aufgebaut werden, die die Widerstandskräfte der Kinder stärken. Erklärtes Ziel des Kinderpsychodramas ist es daher, belastende Aspekte von Netzwerken und ihren Risiken zu mindern und stützende Aspekte von Netzwerken zu fördern,
A. Aichinger, Resilienztörderung mit Kindern, DOI 10.1007/ 978-3-531-93012-1_6, © VS Verlag für Sozialwissenschaften I Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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6 Ausblick
denn Moreno ging es nicht nur um die Heilung der Seelen, sondern auch um die Heilung von Gruppen (vgl. dazu auch Wittinger 2005). Und über diese nachhaltige Stärkung von personalen und sozialen Schutzfaktoren ist das Kinderpsychodrama eine "effektive direkte Intervention und Prävention im Sinne der Förderung von psychischer Widerstandsfähigkeit" (Kleinhanns 2008, S. 239).
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