GG14 - Revolte der Androiden Sie drehen durch - und bringen den Tod! von Wilfried Hary ISBN: 3-8328-1238-5
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Einführung
2. April 2453 (ab Band 12) = Eine unheilvolle Krise breitet sich auf der Erde aus, ohne daß die Bevölkerung zunächst etwas ahnt. Dreh- und Angelpunkt sind die sogenannten Puppen = Androiden als Kinderersatz. Und dann scheint es zu spät zu sein, dagegen anzugehen, denn die blutige Revolte der Androiden ist voll im Gange. Doch wer oder was steckt dahinter - und sind wirklich alle Androiden daran beteiligt, oder gibt es gar "Unschuldige"?
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Prolog
Gisela drückte Bestätigung. Karl Ballhaus erschien auf dem Schirm. »Gottlob, Gisela, du lebst!« Sein Gesicht war verzerrt. »Bitte, schalte nicht ab! Ich habe dir etwas Wichtiges zu sagen. Schlimme Dinge sind passiert. In der Stadt ist die Hölle los. Eben hat Antal Rypdahl im Fernsehen gesprochen. Die Puppen müssen weg. Sie erwachsen uns zu einer tödlichen Gefahr. Du warst doch selber dabei, hast es mit eigenen Augen gesehen.« Trockenes Schluchzen schüttelte ihn. »Du warst Zeuge, als Petra - gestorben ist. Kleine, blutrünstige Ungeheuer sind das!« Gisela schaute unwillkürlich zur offenen Kinderzimmertür hinüber. Aber sie sah keine Monstren, sondern nur drei Kinder, die verängstigt zusammenrückten. Kurzerhand schaltete sie ab und lief zu ihnen. Dicke Tränen kullerten über ihre Wangen, als sie die drei umarmte. »Wie können Menschen nur so herzlos sein? Ihr braucht euch nicht zu fürchten, hört ihr? Mama wird euch beschützen.« Dann kehrte sie mit dem Messer in der Hand zur Garderobe zurück.
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1
Sie war nicht die einzige, die sich auf die Seite der Puppen schlug. Viele bezahlten das mit ihrem Leben. Der Krisenstab der Weltsicherheitsbehörde tagte pausenlos. »In der Bevölkerung brodelt es«, rief der Sprecher von Schwarzafrika erregt. »Immer mehr Menschen fallen diesen Puppen zum Opfer. Es ist an der Zeit, daß wir sinnlose Diskussionen durch Taten ersetzen!« »Warum so ungehalten?« Der Amerikaner schüttelte indigniert den Kopf. »Glauben Sie denn, wir würden das Problem nicht erkennen? Außerdem gibt es ausgerechnet bei Ihnen so gut wie keine Zwischenfälle.« Der Schwarze beruhigte sich. Seine Stimme klang eisig, als er entgegnete: »Das mag daran liegen, daß bei uns FEDERAL PUPPET die wenigsten Umsätze macht.« Andere Stimmen wurden laut. Tumult drohte auszubrechen. Präsident Tipor Gaarson, der die Situation ernst genug einschätzte, um höchstpersönlich die Leitung des Krisenstabes zu übernehmen, stand auf und machte eine beschwichtigende Geste. »Ich bitte Sie, meine Herrschaften!« Er hatte wenig Glück und schickte seinem Freund Harald Urbano einen beinahe hilflos anmutenden Blick. Urbano verhielt sich noch abwartend. Ein Saaldiener trat ein und steuerte zielstrebig auf den Platz des Vorsitzenden zu. Er hatte eine Nachricht. Der Leiter des Krisenstabes lauschte aufmerksam den geflüsterten Worten. Dann brüllte er: »Eine Kommission, Herrschaften! Ich erfahre eben, daß FEDERAL PUPPET eine Kommission geschickt hat. Sie muß jeden Augenblick eintreffen.« Gottlob brauchten sie nicht lange zu warten. Das Videophon am Tisch des Gesprächsleiters sprach an. Der Vorsitzende meldete sich. Jeder im Saal konnte mithören: »Herr Präsident, die Kommission ist soeben eingetroffen!« »Na also«, murmelte der blaßgesichtige, schmächtige Mann und wollte abschalten. »Moment noch, Herr Präsident, es gab einen Anruf vom obersten Gremium der Weltregierung. Man verlangt Entscheidungen, da es zu ersten Ausschreitungen gekommen ist. Die Welt stürzt in eine furchtbare Krise!« Man hätte daraufhin eine Stecknadel im Saal fallen hören können, so still war es geworden.
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2
Ungezählte hatten verzichtet, an diesem Tag ihre Arbeitsstätten aufzusuchen. Der Mob wälzte sich heulend und tobend durch die Straßen der Megastädte. Einer der Anführer in der Metropole Neu-Berlin hieß Karl Ballhaus. Den Schmerz über den Tod seiner Frau und seines Freundes, der inzwischen ebenfalls seinen Verletzungen erlegen war, betäubte er mit Aktionen, und andere taten es ihm gleich. Die kleine Armee, die er anführte, zählte inzwischen über fünfhundert Köpfe, und ständig stießen neue Leute dazu. Die Puppen wurden gejagt und zerstört. Die Gewalt eskalierte.
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3
Als sie den Sitzungssaal betraten, begegnete ihnen eisiges Schweigen. Die Vertreter von FEDERAL PUPPET fühlten sich alles andere als wohl in ihrer Haut. Plätze wurden ihnen angeboten. Der Weltpräsident und Vorsitzende des Krisenstabes las ein paar Anschuldigungen gegen FEDERAL PUPPET vor. Er hatte sie sich in der Eile notiert. Einer der Vertreter ergriff das Wort. »Ich weise den Vorwurf, der Fehler für alles sei bei uns zu suchen, entschieden zurück! In diesem Zusammenhang möchten wir darauf hinweisen, daß bei uns nur die Gesamtfertigung vorgenommen wird. Neuentwicklungen werden stets in Zusammenarbeit mit der Weltsicherheitsbehörde durchgeführt, und es steht außer Zweifel, daß gerade eine solche Neuentwicklung schuld an den Ereignissen ist.« Der Japaner sprang auf. »Das ist die fadenscheinigste Ausrede, die ich je gehört habe!« wetterte er. »Es weiß doch wohl jeder, daß die gesamten Programme aus den Labors in Narvik kommen. Was soll die Berufung auf ein untergeordnetes Forschungsprojekt in Zusammenarbeit mit der Weltsicherheitsbehörde, das weitab vom Schuß in Australien angesiedelt wurde? Dann könnten Sie jede Nation verdächtigen, denn in Narvik wird in der Hauptsache der Minicomputer hergestellt, während die meisten Puppen in ihrer Gesamtkonzeption überall in der Welt verteilt entstehen. Aber es ist doch gerade der Minicomputer, auf den unser Hauptaugenmerk fallen muß!« Der Vertreter der FEDERAL PUPPET hatte alle Hände voll zu tun, sich Gehör zu verschaffen. »Wir haben in Eigeninitiative einen Krisenstab gebildet!« rief er aus. »Die Spitze tagt in Narvik und hat Direktor Maaya Porfirijs als Vorsitzenden. Wissenschaftler machen sich ans Werk. Sie testen die Neuauslieferungen.« Endlich legte sich der Lärm etwas. Einer der Europäer warf ein: »Wir sollten nicht auf einem einzigen Punkt herumreiten. Denken wir an andere Möglichkeiten. Unterstellen wir einmal, die Puppen werden als ungefährlich ausgeliefert. Vielleicht hat jemand herausgefunden, wie man diese komplizierten, empfindlichen Minicomputer in ihrer Funktion stören kann? Jemand, der Interesse an dem Chaos hat?« Das schlug ein wie eine Bombe. An eine solche Wahrscheinlichkeit hatte bisher niemand gedacht. »Wer sollte denn schon Interesse an so etwas haben!« Ein Südamerikaner machte eine wegwerfende Handbewegung. »Wichtiger erscheint mir zunächst die Frage, ob das wissenschaftlich überhaupt möglich ist!« gab der Chinese zu bedenken. Dies war eindeutig an die Kommission der FEDERAL PUPPET gerichtet. Einer davon, offenbar ein Wissenschaftler, befleißigte sich zu einer Antwort. »In der Tat hielten wir es bisher für unwahrscheinlich. Sie wissen, daß die Puppen in entsprechend eingerichteten Lagern aufbewahrt werden. Jede Filiale hat ein solches Lager. Wird eine Puppe aus dem künstlichen Schlaf geweckt, übernimmt zunächst der Hauscomputer die Steuerung, um das empfindliche Minigehirn sozusagen erst einmal anlaufen zu lassen. Sobald er sich zurückzieht, ist eine weitere Einflußnahme nicht mehr möglich, um eben das zu verhindern, was gegenwärtig geschieht. Es gibt also eine Copyright 2001 by readersplanet
automatische Abschirmung im Miniaturcomputer des Androiden. Bisher forschten wir noch nicht konkret in dieser Richtung, aber natürlich ist es nicht völlig auszuschließen, daß es jemandem gelingt, diese Abschirmung zu durchbrechen - wie auch immer. Dabei ist der Fehler kaum bei uns zu suchen. Ich möchte darauf hinweisen, daß die von uns installierte Abschirmung ihre Bewährungsprobe längst hinter sich hat. Sie wird auch bei Großcomputern eingesetzt. Seit unsere Biotrongehirne einen solchen technischen Stand erreicht haben, ist ein entsprechender Schutz unerläßlich!« »Antal Rypdahl!« murmelte jemand. Er hatte es mehr zu sich selbst gesagt, und doch hatte es jeder vernommen. Alle schauten ihn an - ihn, den Vertreter Rußlands. Er hob stirnrunzelnd den Kopf. »Er ist derjenige, der die Gesellschaft verändern will - wenn notwendig, mit Gewalt. Er war auch schon vor der Katastrophe im Untergrund tätig. Niemand hat ihn aufhalten können, auch nicht die Schwarzen Garden. Und jetzt, nach Abschluß des Demokratisierungsprozesses, ist er stärker denn je. Schließlich steckt unsere neue Demokratie in vielerlei Hinsicht noch in den Kinderschuhen. Es gibt einfach insgesamt zu viele Probleme, als daß es sich vermeiden ließe, sich auch noch das Problem Rypdahl verstärkt auf den Hals zu laden. Und er hat vor einigen Wochen einen eigenen Satelliten auf eine Umlaufbahn gebracht. Es handelt sich um einen Nachrichtenkörper. Damit sollten wir uns einmal näher beschäftigen!« Der Vorschlag wurde mit allem Temperament diskutiert. Endlich hatte man etwas Konkretes. Bei der Abstimmung fand der Russe eine knappe Mehrheit. Aber damit war das Problem noch immer nicht gelöst. Man hatte lediglich einen Sündenbock.
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4
Ken Hamilton konnte es kaum erwarten, bis sich die Tür zu seiner Wohneinheit öffnete. Er stürzte durch die Garderobe in den Flur. Judy befand sich im Wohnzimmer. Erschrocken schaute sie auf. Kens Augen flackerten. Auf seiner Stirn stand Schweiß. »Was ist denn los?« fragte seine Frau betroffen. Ken zwang sich zur Ruhe. »Gott sei Dank, dir ist nichts passiert! Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht!« »Was sollte mir denn passiert sein?« »Ja, hast du denn keine Ahnung, was draußen geschieht?« Sie schüttelte stumm den Kopf. Ken klärte seine Frau mit knappen Worten auf. Kaum war das geschehen, stürmte Jimmy herein. »Vati!« rief er erfreut, »du bist schon da?« Mit einem Satz sprang er auf Kens Schoß. »Wo warst du denn so lange?« Ken starrte ihn an, als sei er ein neues Weltwunder. »Ich - ich war im Dienst«, antwortete er verdattert. »Mutti hat mir einen ganz großen Pudding genehmigt. Ich habe ihn kaum geschafft. Es war sooo viel!« Mit den Händen machte er eine entsprechende Geste. Dann rieb er sich den Bauch und schnalzte mit der Zunge. »War mächtig gut gewesen«, versicherte er. Ken schüttelte den Kopf. Die Puppe benahm sich völlig normal. Er streichelte den Blondschopf. »Sag mal, Jimmy, hast du überhaupt schon mit deinem Baukasten gespielt?« »Der mit den dicken Klötzen? Selbstverständlich!« »Heute aber noch nicht, stimmt's?« »Nee, da hast du recht.« »Vielleicht solltest du das nachholen? Ich habe noch gar nicht gesehen, was du schon alles bauen kannst.« Jimmy sprang von Kens Schoß herunter und hob die Hand an den Kopf, um den militärischen Gruß zu imitieren. »Okay, Sir, wird gemacht!« Damit rannte er hinaus. Ken erhob sich. »Ich habe dir etwas mitgebracht, Judy«, sagte er und griff in die Tasche. »So, was denn?« Er brachte eine Pistole zum Vorschein. »Sie ist altmodisch, funktioniert aber noch!« Copyright 2001 by readersplanet
»Bist du verrückt geworden?« »Ich nicht, aber alle Welt, und du solltest dich vor ihr schützen!«
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5
Olivia Missouri war seit Stunden mit ihrer Aufgabe beschäftigt. Ihre Arbeit verlangte absolute Konzentration. Deshalb bemerkte sie gar nicht, was alles um sie herum vorging. Endlich war sie fertig und lehnte sich erschöpft zurück. Aber da schreckte sie das Summen des Videophons auf. Als sie sich meldete, erschien das Konterfei eines Kollegen auf dem Schirm. »Ich versuche, dich schon seit mindestens einer Stunde zu erreichen«, sagte er aufgeregt. »Ich arbeitete an einem Konzept. Du weißt, daß da jegliche Störungen durch den Computer unterbunden werden.« »Ja, dann weißt du gar nicht, daß wir dem Untergang zusteuern? Die Welt befindet sich in der größten Krise aller Zeiten, größer noch als bei der Gaarson-Katastrophe!« Olivia wußte, daß der Kollege zu Übertreibungen neigte. »Handelt es sich etwa um die Puppen?« fragte sie gefaßt. »Wie, das weißt du? Eben sagtest du doch...?« Olivia winkte ab. »Vor Dienstbeginn gab es bereits Andeutungen in der Presse. Ich habe nur zwei und zwei zusammengezählt.« Der Kollege berichtete, was er wußte. Als die Verbindung unterbrochen war, verharrte Olivia Missouri konsterniert an ihrem Platz. Sie war kaum in der Lage, einen einzigen klaren Gedanken zu fassen. Olivia Missouri ordnete das Durcheinander in ihrem Innern. Sie überlegte. Hatten die Puppen vielleicht eine Art Eigenleben entwickelt? War ein Bewußtsein entstanden, daß sie aufmucken ließ? Olivia ging alles durch, was sie über die Puppen wußte. Der Nervenknoten beherbergte sogenannte Urinstinkte, steuerte Herzschlag, Verdauung und dergleichen. Er hielt den organischen Teil des Cyborgs am Leben und wurde durch bestimmte Hormone dabei unterstützt - wie bei einem lebenden Wesen. Anstelle des Gehirns gab es allerdings den Rechner. Hier von Intelligenz zu sprechen, wäre vermessen gewesen. Niemand wußte das besser als Olivia. Und doch war all dies geschehen! Es gab nur eine einzige Stelle, wo eine Manipulation erfolgen konnte, und diese befand sich hier in Narvik! Olivia wandte sich spontan dem Videophon zu und tastete eine Verbindung. Wenig später hatte sie ihre vorgesetzte Dienstbehörde am Draht. Damit ging sie ein unabsehbares Risiko ein, aber vielleicht hatte sie Glück und wurde nicht erwischt? Die Psychologin sagte nicht viel. Nur: »Bei der FEDERAL PUPPET gibt es einen abgeschirmten Gebäudetrakt. Möglicherweise werden die Puppen dort verändert!« Sofort unterbrach sie die Verbindung wieder, um die Möglichkeit klein zu halten, daß man auf sie aufmerksam wurde. Niemand innerhalb des Geländes sollte wissen, wen sie angerufen hatte und von wo der Anruf erfolgt war. Um nicht durch Zufall doch gefährdet zu sein, mußte sie schleunigst von ihrem Arbeitsplatz verschwinden. Copyright 2001 by readersplanet
Hoffentlich zogen ihre Vorgesetzten bei der Weltsicherheitsbehörde die richtigen Schlüsse und handelten so schnell wie möglich. Es galt für Olivia, die Frist zu nutzen - und unerkannt zu bleiben. Letzteres war gewiß nicht einfach, denn Porfirijs war sowieso gewiß nicht der einzige, der mehr um ihre Person wußte, als für sie gut war.
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6
Der Mann triumphierte. »Wir haben das Problem gelöst!« behauptete er. Erregtes Murmeln kam auf. »Ich bitte um Ruhe!« brüllte Tipor Gaarson, der Leiter des Krisenstabes. Der Mann löste sich von der Tür, in Begleitung von zwei Frauen. »Mein Name ist Hedley Dowling«, begann er. »Vor ein paar Stunden wurde ich mit anderen dem Krisenstab der FEDERAL PUPPET zugeordnet. Wir fanden heraus, daß ein paar Puppen auf elektromagnetische Wellen einer bestimmten Frequenz ansprechen. Es sind allerdings nur einige wenige. Trotzdem bestätigt die Tatsache unseren Verdacht, daß die Beeinflussung von außen kommt!« »Beweise!« »Das Experiment ist vorbereitet«, fuhr Hedley Dowling unbeirrt fort. »Sie alle, die Sie hier versammelt sind, können sich durch eigenen Augenschein davon überzeugen.« Er trat zur Seite und wandte sich dem großen Bildschirm zu. »Ich werde meine Mitarbeiter veranlassen, alles hereinzuspielen!« Rasch tastete er eine Kombination ein. Wenig später tauchte das Bild eines sechsjährigen Jungen auf. Er hatte große, blaue Augen, gelocktes Blondhaar und lächelte ein wenig verwirrt, als wisse er nicht recht, was um ihn herum vorging. »Es ist kein wirkliches Kind, sondern eine der Puppen!« »Unfaßbar«, murmelte einer. »Im Moment benimmt der Junge sich normal, wie es sein kompliziertes Programm vorsieht. Und jetzt, meine Damen und Herren, wird mein Mitarbeiter den Sender betätigen!« Der Wissenschaftler schien mit seinem Assistenten in Verbindung zu stehen, denn im nächsten Augenblick geschah es: Das Kindergesicht der Puppe verzerrte sich. Sie gab kreischende Laute von sich und krümmte sich zusammen. In unnatürlicher Haltung blieb sie am Boden liegen. »Das ist das Ergebnis, Herrschaften!« kommentierte Hedley Dowling siegesgewiß. Unruhe entstand im Saal. »Lassen Sie den Funkimpuls wieder abschalten!« verlangte eine Frau. Dowling kam der Aufforderung nach. Die Puppe erhob sich vom Boden und blickte verwirrt um sich. Schmerz spiegelte sich in dem täuschend echt wirkenden Gesicht wider. Der Cyborg massierte seine Glieder. »Wir haben inzwischen herausgefunden, daß der Satellit von Antal Rypdahl auf der entsprechenden Frequenz sendet!« Damit hatte Dowling die reinste Hölle entfacht. Alle schrien durcheinander. Es kam zur Abstimmung. Das Ergebnis war, daß die geheimen Waffenkammern der Weltsicherheitsbehörde geöffnet werden sollten. Der Satellit mußte sofort heruntergeschossen werden.
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Wenig später war es soweit. Tipor Gaarson mußte den entsprechenden Befehl geben, und sein Berater konnte ihm auch nichts anderes raten, obwohl sich beide dabei alles andere als wohl in ihrer Haut fühlten. Gottlob handelte es sich um einen Automatik-Satelliten. Es gab keinerlei Besatzung wie beispielsweise bei einem Tower-Satelliten. Eine vergleichsweise winzige Rakete mit atomarem Sprengkopf verließ die unterirdischen Magazine, einen Feuerschweif hinter sich her ziehend. Sie wurde chemisch angetrieben, um Fremd-Manipulationen auszuschalten, und gesteuert von einer hochgezüchteten, speziell abgeschirmten Biocard mit Quasiintelligenz. Eine solche Rakete konnte man nach neuestem Stand der Technik nicht abwehren oder ihr gar entgehen. Mit ungeheurer Präzision traf sie ins Ziel. Über der Erde entstand für Sekunden eine neue Sonne. Der Satellit von Antal Rypdahl wurde in seine atomaren Bestandteile aufgelöst. War damit das ganze Problem gelöst? Wo hielt sich Antal Rypdahl überhaupt auf? Die längst angelaufene Fahndung war bisher ergebnislos geblieben. In Windeseile wurde die Nachricht verbreitet, was es mit dem Satelliten auf sich hatte und warum er hatte zerstört werden müssen. Die Sendeanstalten strichen das gesamte Videoprogramm und zeigten Bilder der erfolgten Vernichtung. Nur einer schwieg dazu - derjenige, den es am meisten anging: Antal Rypdahl! Plötzlich wollte niemand mehr etwas mit ihm zu tun haben. Seine Anhänger kippten bildlich gesprochen reihenweise um und wurden zu Verrätern an seiner Sache. Sie taten das allein aus Selbsterhaltungstrieb. Man fürchtete die bald einsetzende Hexenjagd.
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7
Irene und Raimund Casdorff atmeten auf wie Milliarden andere Menschen auch. Das Ehepaar, das am Bildschirm das ganze Geschehen mitverfolgt hatte, reichte sich die Hände und drückte sie fest. »Gott sei gelobt«, murmelte Raimund. Seine junge Frau flüchtete in seine Arme. »Wir dürfen unsere Kinder behalten.« Irene weinte still, aber es klang nicht mehr verzweifelt. Nach einer Weile lösten sie sich voneinander. »Vielleicht sollten wir jetzt nach den beiden Kleinen sehen?« schlug Irene vor. Raimund nickte stumm. Sie standen auf und gingen zur Tür. Die Casdorffs waren Privilegierte, obwohl sie keine eigenen Kinder bekommen durften. Ihre Wohnung genügte gehobenen Ansprüchen. Die Türen wurden durch Knopfdruck geöffnet und verschwanden, biotronisch gesteuert, in den Seitenwänden. Deshalb war es dem Ehepaar nicht schwergefallen, das Kinderzimmer zu verbarrikadieren. Irene und Raimund hatten einfach einen entsprechenden Auftrag an den Computer gegeben. Dann hatten sie alle verfügbaren Möbel im Flur aufgetürmt, um ganz sicherzugehen. Wer wußte, wozu die Puppen fähig waren, wenn sie durchdrehten? Die Casdorffs hatten es einfach nicht fertiggebracht, die beiden Puppen zu zerstören. Aber sie hatten die Notwendigkeit eingesehen, sich zu schützen. Das junge Ehepaar räumte nun alles beiseite. »Ich glaube gar nicht mehr, daß es überhaupt eine Gefahr für uns gegeben hat«, meinte Raimund. Endlich waren sie fertig. Raimund gab dem Computer den Befehl, die Sperre zu beseitigen. Die Tür glitt in die Wand. Es war ein kleines Pärchen. Hand in Hand saßen sie an einem Kindertisch und sahen ihren »Eltern« entgegen. »Ihr wart sehr brav«, lobte Raimund Casdorff und trat erleichtert ein. Seine Frau folgte ohne Zögern. Die Puppen bewegten sich nicht. Bis die beiden Erwachsenen heran waren. Dann erhoben sie sich wortlos und ließen ihre Hände los. Wieselflink rannten sie an den Casdorffs vorbei in die Küche. In einer speziell dafür vorgesehenen Schublade wurde das Besteck aufbewahrt. Diese Schublade zogen sie auf. Arglos gingen die Casdorffs ihren Puppen nach. Sie glaubten an ein Spiel. Bis ihnen die beiden »Kinder« zwei lange Messer zeigten. Die Puppen waren viel schneller, ihre Reflexe überlegen. Nach dem Massaker tanzten und sangen sie. Und sie taten dies fast synchron mit ungezählten anderen auf der gesamten Welt. Das Ganze begann von neuem - schlimmer als jemals zuvor. Und das, obwohl der Satellit zerstört war! Copyright 2001 by readersplanet
8
Die Pause hatten die Mitglieder des Krisenstabes wahrlich verdient. Der Vorsitzende Tipor Gaarson blieb an seinem Platz und unterhielt sich mit einer Gruppe. Das Videophon unterbrach sie. Ärgerlich meldete sich Tipor Gaarson. »Herr Präsident«, rief der Anrufer mit fast überschnappender Stimme. »Alles geht von vorn los! Die Puppen schlagen wieder zu!« Der Präsident brauchte seine Zeit, um das Gehörte zu verdauen. Minuten später war die Versammlung erneut einberufen. Die Situation erschien ernster denn je. Der Mob ging wütender vor als beim ersten Mal, nachdem die Menschen von der erneuten Mordserie erfahren hatten. Und dann meldete sich plötzlich Antal Rypdahl! Er tauchte aus der Versenkung auf. Obwohl man seinen Piratensender sofort abschirmte, hörten die meisten den Anfang seiner Rede: »Man hat mich zum Buhmann des Planeten gemacht!« schrie er in die Mikrophone. »Damit haben sich die Herrschenden selbst entlarvt. Sie haben das Chaos heraufbeschworen. Ich habe es prophezeit. Hört auf mich!« Ja, mehr ließen die Verantwortlichen in den Sendezentralen nicht zu. Doch es genügte. Jedermann kannte Rypdahls Ideen und machte sie sich zu eigen. Zum ersten Mal wandte sich der Mob nicht nur gegen die Puppen, sondern auch offen gegen die Polizeiorgane. Die unterirdischen Städte wurden zu Schlachtfeldern.
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9
Doktor Hedley Dowling zitterte wie Espenlaub. Man klagte ihn an, und Polizeiroboter bewachten ihn. »Aber, ich bitte Sie, meine Herrschaften, ich habe Ihnen eindeutig vorgeführt...« »Ja, das haben Sie«, unterbrach ihn Tipor Gaarson. »Wir wissen auch noch genau, was wir gesehen haben. Nirgendwo mehr gibt es Sender, die eine entsprechende Frequenz abstrahlen. Trotzdem sind wir nicht weiter als zuvor. Im Gegenteil, die Lage hat sich verschärft. Die Massen erheben sich gegen uns!« Doktor Dowling schwitzte. »Sie wollen doch nicht etwa mir die Schuld daran geben? Ich wurde nach meiner Meinung gefragt und habe sie geäußert. Mehr nicht. Alle Entscheidungen liegen und lagen bei Ihnen!« »Das ist ja unglaublich!« rief jemand außer sich. »Jetzt will er auch noch den Spieß umdrehen!« Tipor Gaarson beschwichtigte. »Es gibt inzwischen einen neuen Gutachter. Wir sollten ihn anhören.« Da es keine Gegenstimmen gab, veranlaßte er das Notwendige. Eine Frau trat ein. Selbstbewußt steuerte sie auf Dowling zu, der leichenblaß wurde. »Mein Name ist Doris Markwort. Doktor Dowling ist mein Chef. Er wollte nicht auf mich hören. Jetzt darf ich sprechen, und das werde ich auch tun! Um die Abschirmung des Minicomputers der Puppe durchdringen zu können, benötigten wir Energien, die Rypdahl niemals hätte von seinem Satelliten aus abstrahlen können. Das war der erste Punkt. Sie sahen selber, was das Ergebnis war. Es blieb unmöglich, die Puppen von außen zu steuern. Die von uns verursachten Störungen führten zu einem krampfartigen Zustand der Cyborgs.« Sie hob die Stimme. »Es liegt also offensichtlich eine Manipulation vor. Meine Damen und Herren, ich klage hiermit Doktor Dowling an. Er hat versucht, mich mundtot zu machen, aber ich weiß mich zu wehren. Sind Sie sich im klaren darüber, daß Rypdahl dabei ist, die Weltherrschaft zu übernehmen?« Protestrufe wurden laut. Doris Markwort übertönte sie alle. »Dowling ist nur ein Rädchen im Gefüge. Der Krisenstab der FEDERAL PUPPET gehört auch dazu. Es gibt wahrscheinlich eine Zusammenarbeit mit der Organisation Rypdahls. Der Plan dieses gefährlichen Hetzers geht auf. Man hat Sie durch Dowling auf eine falsche Fährte gesetzt. In Wirklichkeit ist die Gefahr zweifelsohne in Narvik zu suchen. Wir haben die Lage falsch eingeschätzt. Aufgabe dieser Versammlung muß es sein, die Masse wieder unter Kontrolle zu bringen. Alles andere sollte man dem Geheimdienst überlassen.« »Meine Damen und Herren!« Tipor Gaarson als Vorsitzender versuchte, gegen das Protestgeschrei anzukommen, und auch Harald Urbano, der die ganze Zeit über nicht von seiner Seite gewichen war, war dabei, seine sonst zur Schau getragene Fassung zu verlieren. »Diese Frau hier gehört zum Geheimdienst. Sie wurde in die Firma FEDERAL PUPPET hineingeschmuggelt!« Das brachte die meisten zum Verstummen. Nach all den Irrungen und Wirrungen schritt der Krisenstab endlich zur Tat. Es galt, ein Sofortprogramm zu erarbeiten.
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10
Judy fürchtete sich - weniger vor Jimmy als vor dem Mob, der draußen wütete. Direkt vor ihrer Wohneinheit waren Kämpfe zwischen der Polizei und der Bevölkerung ausgebrochen. Die Roboteinheiten waren nur bedingt einsatzfähig. Sie hatten eine Sicherheitsschaltung, die verhinderte, daß sie Menschen direkt angriffen. Deshalb mußten sie sich der Betäubungswaffen bedienen, und die wiederum versagten größtenteils bei einem solch massiven Ansturm. Das gab der aufgebrachten Menge eine Chance. Judy wußte, daß ihr Leben verwirkt war, wenn man auf die Idee kam, hier einzudringen. Und Ken war nicht da. Sie war allein und wußte nicht, was sie tun sollte. Sie ahnte nicht, daß es einer anderen Frau, fern von ihr, in diesem Augenblick ähnlich erging - mit dem Unterschied, daß diese keine Pistole zu ihrer Verteidigung hatte: Gisela Jacobs! Mit dem weiteren Unterschied, daß der Mob vor ihrer Tür die Oberhand über die Polizei bekam und die Roboteinheiten zerstörte. Jetzt hatte die Meute freie Bahn. Sie drang in die Wohnung von Gisela Jacobs ein. Für die ältere Frau kam das Ende schnell - ebenso wie für ihre drei Puppen, die bis zur letzten Sekunde friedlich blieben. Und Judy Hamilton saß immer noch in der Garderobe und wartete. Da hörte sie plötzlich ein Geräusch hinter sich. Sie drehte sich um. Jimmy stand in der Tür. »Geh schön zurück ins Bettchen!« sagte Judy und bemühte sich, ihrer Stimme Stärke zu verleihen. »Mutti muß hier noch sitzen und auf Vati warten.« Jimmy antwortete mit einem unartikulierten Laut. Erst jetzt sah Judy Hamilton das Messer in der Hand des Kleinen. Der Junge sah schwach und harmlos aus. Aber er war in Wirklichkeit eine tödliche Maschine. Und Judy wußte es, obwohl sie es immer noch nicht fassen konnte. Etwas krachte gegen die Tür - von außen. Judy wagte nicht, den Kopf zu wenden. Der kleine Jimmy schlich näher, das Messer stoßbereit erhoben. Wie der Blitz raste der Cyborg dann auf Judy zu. Reflexartig drückte Judy ab. Auf diese geringe Distanz konnte sie einfach nicht daneben treffen. Sie wußte nicht, was sie tat, ihre Handlungsweise wurde vom Selbsterhaltungstrieb bestimmt. Immer wieder betätigte sie den Abzug der Waffe. Donnernd entlud sich die Pistole. Als der letzte Schuß verhallt war, brach die Tür in Stücke. Der Mob stürmte herein. Die Leute stoppten, als sie sahen, was hier geschehen war. Sie sahen die zerstörte Puppe mit dem noch immer drohenden Messer. Judy Hamilton ließ sich einfach zu Boden fallen. Sie konnte nicht mehr. Der Pöbel wandte sich wieder nach draußen. Judy galt als eine Verbündete, die man verschonen mußte. Irgendwann tauchte Ken auf. Er war verschwitzt und abgekämpft. Erst da kam Judy richtig zu Bewußtsein, was geschehen war. Ken führte seine Frau ins Wohnzimmer und beruhigte sie. Nach einer Weile fragte er: »Willst du noch immer ein Kind?«
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Das war zwar nicht sonderlich rücksichtsvoll von ihm, aber angebracht, wie er sich einredete, und die Reaktion Judys gab ihm recht. Sie wurde prompt ruhiger. »Nur, wenn es ein richtiges ist!« antwortete sie. Sie umarmten sich.
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11
Auch an Narvik waren die Ereignisse nicht ganz spurlos vorübergegangen. Die Angestellten waren zutiefst betroffen. Olivia Missouri wurde Zeuge verschiedener Zwischenfälle. Die Situation spitzte sich auch hier zu. Es war eine Frage der Zeit, bis die ersten größeren Kämpfe ausbrachen. Olivia hoffte, in der Masse nicht erkannt zu werden. Sie schickte sich an, ein Rollband zu betreten. Da stellte sich ihr jemand in den Weg. Sie erschrak, denn es war kein anderer als Werner Sutten! Er wirkte sehr ernst und - hatte eine Handfeuerwaffe in der Rechten. Während Olivia noch damit beschäftigt war, das zu verarbeiten, deutete Sutten zur Seite. Die Psychologin folgte mit den Blicken der angezeigten Richtung und erschrak abermals. Direktor Maaya Porfirijs lächelte, aber dieses Lächeln war starr wie eine Maske. Im nächsten Moment war Olivia von Wächtern in Zivil eingekreist. Keiner der Passanten achtete darauf. Man hatte andere Sorgen. »Sie sind also der wahre Kopf und das Gehirn!« zischte Olivia. Porfirijs nickte. »Meine Anerkennung. Sie haben gut gearbeitet. Schade, daß Sie auf der falschen Seite stehen. Sutten hat einen Fehler gemacht, deshalb wird er es sein, der das Urteil vollstreckt. Ich versprach es ihm.« »Sie arbeiten mit diesem Rypdahl zusammen?« Porfirijs lachte abfällig. »Er ist ein Blindgänger, ein Niemand. Ich habe nichts mit ihm zu tun, benutzte ihn nur zur Ablenkung und zur Irreführung der Weltsicherheitsbehörde, ohne daß er es bemerkte. Ein Mann voller Ideale, der von einer besseren Welt träumt. Meine Pläne sehen anders aus. Ich stoße die Menschheit in die Asche. Sie kennen das Prinzip. Man muß ein von Grund auf morsches und faules Gebäude abreißen und an seiner Stelle ein neues errichten. Mit kosmetischen Operationen ist es nicht getan. Dieser Tipor Gaarson ist ein Versager, weil er zu humanistisch eingestellt ist.« »Dann wurden drüben in dem bewachten Gebäudetrakt die Minicomputer verändert?« Abermals lachte Porfirijs. »Falsch, meine Liebe! Auch das diente nur zur Ablenkung. Die Puppen durchlaufen viele Zwischenstationen, bevor sie beim Endverbraucher landen. Das Gebäude drüben ist ein Köder. Wenn Ihre Leute es durchsucht haben, werden sie sich bei mir entschuldigen müssen. Und dann werden sie sich alle diesem Antal Rypdahl zuwenden. Nein, das Chaos ist nicht mehr aufzuhalten. Die Welt wartet auf ihren Erneuerer.« Er hielt etwas hoch. Es war nur stecknadelkopfgroß, eingebettet in einen Klarsichtwürfel. »Das ist das ganze Geheimnis, meine Liebe. Eine Neuentwicklung. Dieses Etwas beinhaltet ein spezifiziertes Programm, das mittels einer entsprechenden Injektionsnadel in das eigentliche Minigehirn eingegeben wird. Dadurch verwandelt sich die betreffende Puppe in eine Zeitbombe. Das Programm macht sie zum Mörder. Es wurde bereits heimlich entwickelt, als die alten Machthaber noch da waren. Als sie flohen und die Erde im Stich ließen, kam meine große Chance. Das Problem, wie ich meinen Plan verwirklichen konnte - gegen die ehemalige Führung des Konzerns - hatte sich über Nacht sozusagen von allein erledigt. Copyright 2001 by readersplanet
Erst vor relativ kurzer Zeit sind wir damit fertig geworden. Gerade rechtzeitig. Der ahnungslose Rypdahl hat mit seiner Hetzpropaganda die Sache nur noch begünstigt und uns in die Hände gespielt.« »Sie sind ein Wahnsinniger!« »Nein, nur ein Mann, der den Teufelskreis durchbricht, in dem sich die Menschheit befindet. Wie heißt es noch so schön: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende!« Porfirijs zog sich zurück. Seine Leute folgten ihm. Nur Werner Sutten blieb. Er hob seine Waffe und zielte. Olivia Missouri sah dem Tod ins Auge. Aber Werner Sutten kam nicht zum Schuß. Ein grüner Blitz zuckte plötzlich an Olivia vorbei und traf den Mordschützen. Es war der Strahl aus einem Schockblaster. Ohne einen Laut brach Werner Sutten zusammen. Hinter Olivia entstand Tumult. Sie wandte den Kopf. Sie sah den Mann, der ihr das Leben gerettet hatte. Er hatte Porfirijs jetzt im Würgegriff und benutzte ihn als Schutzschild gegen die anderen. Die Helfer des Direktors wagten nicht zu schießen. Das wurde ihnen zum Verhängnis. Die meisten wurden von den Schockstrahlen getroffen. Die anderen flüchteten Hals über Kopf. Passanten mischten sich nicht ein. Sie suchten rasch Deckung. Olivia rannte zu dem bewußtlosen Sutten und nahm die tödliche Waffe auf. Damit schoß sie in die Höhe. Mehrmals tat sie das. Die großkalibrigen Rak-Geschosse durchschlugen das Zeltdach, ließen es an dieser Stelle aufreißen. Kälte strömte herein. Das verstärkte die allgemeine Verwirrung, schürte die Panik. Dem Mann, der noch immer Porfirijs als Schutz vor sich hielt, kam das nur gelegen. Olivia blickte ihm nach. Jetzt wußte sie, wo sich ihr Freund Cliff Chapman die ganze Zeit über aufgehalten hatte. Er war in ihrer Nähe gewesen und hatte rechtzeitig eingegriffen, als es um ihr Leben ging! Hatte er auch das Gespräch mitverfolgen können? Er hatte! Und als er das Zeichen gab, drangen die Gleiter des Geheimdiensts durch das geborstene Zeltdach. Die schwarzuniformierten Soldaten der Weltsicherheitsbehörde beherrschten die Szene. Die »Wespe« stach zu. Porfirijs wanderte in Gefangenschaft, während Cliff Chapman und seine Freundin Olivia Missouri Bericht erstatteten, der sofort ausgewertet wurde. Und eine Kollegin und Wissenschaftlerin mit Namen Doris Markwort hatte den entscheidenden Einfall. Sie nahm sich des Cyborgs an, mit dem Doktor Hedley Dowling seine Vorführungen gemacht hatte. Fast auf Anhieb fand sie den winzigen Zusatzspeicher. Durch die gewaltsam durchgeführte Injektion erst war die Abschirmung gegen Einflüsse von außen gestört worden. Das hieß, daß der Cyborg nicht nur zur Mördermaschine geworden war, was er dem eingeimpften Programm verdankte, sondern daß er aufgrund des nunmehr fehlerhaften Schutzes auf Funkimpulse einer bestimmten Frequenz ansprach. Wie das Ergebnis einer solchen Beeinflussung aussah, hatte Dowling ja schon sehr anschaulich demonstriert, wenn auch seine Absicht gewesen war, damit zusätzlich Zeit für seinen Auftraggeber Porfirijs zu gewinnen. Sofort griff der Krisenstab unter dem Vorsitz von Tipor Gaarson den Vorschlag von Doris Markwort auf. Sämtliche Sender der Erde wurden justiert und strahlten gemeinsam auf einer einzigen Frequenz. Damit wurden sämtliche Mörderpuppen lahmgelegt. Danach machte man sich daran, die Bevölkerung über die wahren Zusammenhänge aufzuklären, obwohl die Welt nicht mehr das war wie zu Beginn der Ereignisse. Sie lag zum Teil schon m Schutt und Asche - wie es Porfirijs und seine Getreuen gewollt hatten. Aber zum Wiederaufbau war es noch nicht zu spät. Und die vielen Millionen, die ihr Leben hatten lassen müssen, gemahnten, es diesmal besser zu machen! Zu guter Letzt hatten Olivia und Cliff wieder Zeit und Gelegenheit, sich einander zu widmen, was ihrer Meinung nach viel zu selten geschah. Copyright 2001 by readersplanet
»Was hast du eigentlich in Narvik gesucht?« fragte Olivia. »Ich hatte Urlaub und wollte in deiner Nähe sein. Offiziell ist das verboten, wie du weißt, also kam ich inoffiziell, wobei ich meine Möglichkeiten als Agent einsetzte.« Olivia zog eine Grimasse. »Das kannst du jemand erzählen, der noch nie etwas mit der Weltsicherheitsbehörde zu tun hatte, aber nicht mir. Bei uns geschieht nichts ohne Grund - und wenn die Rechte nicht weiß, was die Linke tut, dann ist das nur Absicht und verfolgt seinen Zweck. Auf mich hatte man ein Auge geworfen, und da du im Hintergrund bliebst, erkannte man dich nicht.« Er grinste. »Warum fragst du, wenn du alles weißt?« Sie küßten sich lange und leidenschaftlich. »Es hat sich alles zum Besseren gewendet, obwohl man von einem Happy-End wahrlich nicht sprechen kann. Dafür gibt es zu viele Trümmer und Tote.« Olivias Augen richteten sich scheinbar in weite Ferne. »Es ist schrecklich auszusprechen, und doch stimmt es: Maaya Porfirijs hat mit seiner Wahnsinnsaktion erst recht den Weg geebnet zu einer besseren Welt. Es liegt nun an denen, die den Wiederaufbau verantwortlich übernehmen, daß sich ein solcher Vorfall nicht wiederholt und dann zum wirklichen Ende führt!« Sie küßten sich ein zweites Mal. Für die nächsten Stunden fanden sie keine Muse mehr, sich mit tiefschürfenden Gedanken zu beschäftigen. Sie konzentrierten sich ausschließlich auf sich selbst, und das gefiel ihnen besser.
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Etwa zur gleichen Zeit im Empfangszimmer des Weltpräsidenten: Tipor Gaarson machte nicht den Anschein, als sei er rundherum zufrieden. Das konnte er ja auch nicht. Dafür hatte es zu viele Opfer gegeben, und außerdem kam es ihm so vor, als würde er die Dinge niemals völlig in den Griff kriegen, bis zum Ende aller Zeiten nicht. Er war angetreten, die Welt positiv zu verändern, und was alles war trotz all seiner guten Vorsätze und den daraus folgernden guten Taten dennoch passiert? Harald Urbano schüttelte den Kopf. »Du solltest nicht dem Fehler verfallen, Tipor, an der Schwere Deines Amtes zu verzweifeln. Du tust, was zu tun ist, eins nach dem anderen. Mehr ist nicht drin. Du bist der Präsident und nicht Gottvater. Und du bist ein Mensch. Wir alle tun, was in unserer Macht steht. Oh, wir haben eine ganze Menge Macht von der Bevölkerung der Erde übertragen bekommen. Eine Leihgabe, um das Beste daraus zu machen. Aber alles hat seine Grenzen.« »Ich verzweifle nicht an meinem Amt, sondern an unseren Aufgaben.« »Du bist nicht allein!« erinnerte ihn sein Freund und Berater. Tipor Gaarson schaute ihn an, als würde er ihn jetzt erst entdecken. »Wem sagst du das, Harald? Da ist die Gaarson-Partei, die eigentlich aus der Organisation der Astroökologen erwuchs. Viele hochrangige Politiker, die vor der Katastrophe und der daraus resultierenden Wende nicht die erste Geige spielten oder den damaligen Machthabern anderweitig nicht paßten und deshalb von ihnen auf ihrer Flucht ins All nicht mitgenommen wurden... Ja, die meisten sind unserer Partei beigetreten. Es gibt Millionen von Menschen, die integer sind und alles zum Wohle der Menschheit tun wollen. Schau dir nur diese Olivia Missouri und Cliff Chapman an. Oder Doris Markwort... Aber ich bin der Präsident und für alles verantwortlich. Das sieht jeder so. Auch wenn ich selber im Grunde genommen nur ein winziges Rädchen im Getriebe bin und die eigentlichen Herren andere.« Harald Urbano tat erschrocken. »Was soll das denn nun wieder heißen?« »Nun, eigentlich bin ich nur in der Öffentlichkeit an der Spitze. In Wahrheit bin ich die Marionette der Astroökologen.« Bevor Harald Urbano protestieren konnte, winkte Tipor Gaarson mit beiden Armen ab. »Nicht doch, Harald, es ist schon so. Halte mich nicht für dumm. Du bist mehr als nur mein Berater oder das Bindeglied zwischen dem Amt des Präsidenten und der Organisation der Astroökologen. Du bist ihr Sprachrohr, ihr verlängerter Arm. Über dich regieren sie die Welt und ich bin der Ausführende und derjenige, der für eventuelle Fehler den Kopf hinhalten muß.« »Was ist eigentlich los mit dir, Tipor? Wieso bist du auf einmal so sarkastisch? Das paßt gar nicht zu dir! Habe ich dir bisher auch nur einmal den falschen Rat gegeben? Glaubst du denn, es hätte jemals in der Geschichte der Menschheit einen Menschen gegeben, der völlig allein geherrscht hat? Jeder hatte seine Berater, und die haben letztlich die Geschicke gelenkt, wenn sie schlau genug waren. Es ist heute nicht anders als es schon immer war. Und schlecht gefahren bist du mit mir genauso wenig wie mit der Organisation der Astroökologen. Wo also liegt das Problem?« Tipor Gaarson, der derzeit mächtigste Mann der Erde, ließ wie resignierend die Schultern fallen. Aber dann richtete er sich auf einmal steil auf. »In Ordnung, Harald, Anfall vorüber. Ich weiß, es ist mein Schicksal, und ich habe nicht die geringste andere Wahl, als vom Charisma meines Namensverwandten zu zehren und damit Copyright 2001 by readersplanet
die Kräfte zu einen, die allein zu einer Verbesserung der irdischen Lage führen können. Aber wenn ich überlege, wieviel Unerledigtes noch ansteht und wie unmöglich es erscheint, all dies zu bewältigen, während parallel dazu immer neue Probleme auftauchen...« Er winkte zum zweiten Mal mit beiden Armen ab. »Schon gut, schon gut! Ich höre auf zu jammern. Wenden wir uns dem zu, was gegenwärtig wichtiger ist: FEDERAL PUPPET! Einer der größten irdischen Konzerne in der absoluten Krise. Die meisten Puppen wurden zerstört, ganz unabhängig davon, ob sie nun gefährlich waren oder nicht. Niemand mehr will die Puppen haben. Aber damit fehlt uns ein wichtiges Regulativ, was die Zufriedenheit beziehungsweise Unzufriedenheit der Bevölkerung betrifft. Wenn wir jetzt einen Fehler machen, erwächst daraus eine neue Gefahr. Einmal ganz abgesehen davon, daß mit FEDERAL PUPPET ein ökonomisch äußerst brisanter Aspekt verlorengeht und Millionen von Arbeitsplätze obendrein.« Harald Urbano lachte erleichtert. »Das ist der Tipor Gaarson, der mir gefällt!« Er beugte sich zu ihm hinunter. »Und nicht nur mir, wie du weißt: Selbst als Millionen in den Städten starben und das Chaos auf dem Höhepunkt war - vor Stunden noch! -, hätte dich die Bevölkerung der Erde mit großer Mehrheit erneut zum Präsidenten gewählt! Und jetzt, da man in dir erneut den Retter der Welt sieht...« »Hör auf damit!« bat Tipor Gaarson mit einem schmerzlichen Grinsen. »Es könnte sein, daß ich dadurch zum alten Fatalismus wieder zurückkehre: Alle Welt schaut auf mich, und ich allein weiß am besten, daß auch ich nur ein Mensch bin!« Harald Urbano richtete sich auf. »In Ordnung, was schlägst du vor, betreffend das Problem FEDERAL PUPPET - und welche Krise siehst du heraufziehen, falls es uns nicht gelingt, das Problem in den Griff zu bekommen?« »Ausnahmsweise möchte ich das nicht mit dir besprechen, ehe ich Taten folgen lasse!« sagte Tipor Gaarson mit einem feinen Lächeln. »Aber du wirst ohnedies mit anwesend sein.« Er drückte einen Knopf am Schreibtisch und sagte: »Doris Markwort kann jetzt hereinkommen!« Und sie kam. Tipor Gaarson erhob sich und lief mit weit ausgebreiteten Armen ihr entgegen. »Hallo, Doris! Schön, daß du so schnell kommen konntest.« Doris Markwort schaute sich mißtrauisch um. Sie gewahrte Harald Urbano, der sich zurückhielt und dabei irritiert dreinschaute. Die Situation schien ihn zu überfordern. »Wieso hast du mich persönlich zu dir gerufen, Tipor?« Die Augen von Harald Urbano schienen zu fragen: Wieso duzen sich die beiden? »Ach ja, Doris, ich weiß, unsere Abmachung... Ab sofort ist sie außer Kraft!« Er umarmte Doris Markwort wie eine alte Freundin und küßte ihre Wangen. Sie erwiderte die freundschaftliche Begrüßung keineswegs, sondern ließ dabei nicht eine Sekunde Harald Urbano aus den Augen, und Harald Urbano las in ihren Augen... offenes Mißtrauen! »Wieso ist der hier?« fragte Doris Markwort. Tipor ließ von ihr ab und tat ein wenig verlegen. »Nun, Harald Urbano ist mein wichtigster Berater, wie du weißt - weil es alle Welt weiß. Außerdem ist er mein Freund. Ich kann ihm vertrauen.« »Wahrscheinlich bleibt dir auch gar nichts anderes übrig, Tipor. Er ist es doch, der die Fäden zieht, an denen du baumelst, nicht wahr?« »Das auch, zugegeben, Doris, aber er tut es auch nur im Auftrag der eigentlichen Machthaber auf diesem Planeten, nämlich der Gaarson-Partei. Aber das ist durchaus in Ordnung so, glaube mir. Und außerdem bin ich nicht ganz so die Marionette, wie allein du schon ausreichend beweist.« Er wandte sich Harald Urbano zu. »Ich wundere mich, daß ihr die Rolle von Doris Markwort einfach so hingenommen habt. Sie hat die entscheidende Wende herbeigeführt - letztlich. Dabei ist sie doch quasi aus dem Nichts aufgetaucht. Sie war niemals eine Astroökologin, Copyright 2001 by readersplanet
und bei der Weltsicherheitsbehörde ist sie höchst inoffiziell Mitglied. Ihr Auftrag war sozusagen noch geheimer als geheim. Das deshalb, weil ich persönlich für ihren Einsatz verantwortlich zeichne.« Harald Urbano schüttelte verständnislos den Kopf. Tipor Gaarson fuhr fort, während er auf ihn zuschritt: »Sieh mal, Harald, ich vertraue dir vorbehaltlos, genauso wie der Partei. Es war ja auch kein Mißtrauen euch gegenüber, was mich zu diesem Schritt bewog. Ich kenne Doris noch aus der Studienzeit, genauso wie John Millory...« Er unterbrach sich unwillkürlich und schaute zur Decke, weil darüber der Himmel war und somit die Weite des Universums. Dort oben irgendwo, vielleicht Tausende von Lichtjahre weit entfernt, befand sich sein Freund John Millory - als einer der sieben Verschollenen in einem fremden Gaarson-Gate-Netz, und gegenwärtig wußte kein Mensch außer ihm selber wahrscheinlich -, welches Schicksal er erdulden mußte. Falls er überhaupt noch lebte... Tipor Gaarson seufzte unwillkürlich und richtete seinen Blick wieder auf Harald Urbano, den er nun erreichte. Er legte beide Hände schwer auf Haralds Schultern. »Ja, Harald, es war kein Mißtrauen, sondern nenne es Weitsicht: Doris, John und ich gehörten zur gleichen Clique. Ich war darin eigentlich nur ein relativ ungeliebter Mitläufer. Aber die beiden gehörten zu den wenigen, die meine Schrullen gebilligt haben. Doris hat sich nur von mir abgewendet, als ich Beamter wurde. Sie ihrerseits wurde eine hochrangige Wissenschaftlerin, aber ihre angeborene Nonkonformität hat dafür gesorgt, daß sich ihre Karriere in Grenzen hielt. Als ich Präsident wurde, habe ich sofort meine Möglichkeiten genutzt, herauszufinden, wo sie tätig ist, und ich fand sie als Mitarbeiterin bei FEDERAL PUPPET. Ein Job, den sie damals gehaßt hat, aber sie hatte nichts besseres gefunden. Ich traf mich heimlich mit ihr, was gar nicht mal so einfach war, und bat sie, für mich den Spitzel zu spielen.« Er wandte sich von Harald Urbano ab und wedelte mit den Armen, während er sich um die eigene Achse drehte. »Nun, vielleicht gibt es noch mehr persönliche Spitzel von mir, Harald? Einfach, weil ich mich nicht allein auf euch verlassen will?« Er blieb stehen und wandte sich wieder Harald Urbano zu. »Sei doch mal ehrlich: Wenn ich mich allein auf die Partei oder auf die Astroökologen verlassen hätte, wie wäre die Sache mit den durchdrehenden Puppen denn dann ausgegangen? Glaubst du wirklich, ähnlich glimpflich? Auch du mußt zugeben, daß Doris letztlich die entscheidende Schlüsselrolle spielte - für alle überraschend, selbst für dich und die Astroökologen. Wieso ist eigentlich nie einer auf die Idee gekommen bei euch, sich mehr um FEDERAL PUPPET zu kümmern? Mir hat die Angelegenheit von Anfang an nicht behagt. Ich habe zwar keine Ahnung von Technik... Aber vielleicht bin ich deshalb so mißtrauisch? Es gibt keine unfehlbare Technik, also muß man immer mal wieder mit Pannen rechnen. Und wie wirkt sich eine Panne aus, wenn es sich um eine der Puppen handelt? Das war meine fundamentale Frage, und genau darauf habe ich Doris angesetzt. Sie war sehr dankbar ob ihrer Zusatzaufgabe. Daß es sich wirklich in einem solchen Maße auszahlen würde, habe allerdings selbst ich nicht geahnt.« Jetzt trat Doris neben ihn und fragte mit einem deutlichen Tadeln in der Stimme: »Und wieso läßt du mich jetzt auffliegen? Warst du denn nicht zufrieden?« Tipor Gaarson schüttelte ernst den Kopf. »Nein, Doris, das ist nicht der Grund: Der Grund ist darin zu finden, daß jetzt natürlich die Astroökologen Nachforschungen anstellen werden. Sie werden feststellen, daß wir beide Jugendfreunde sind - und auch, daß ich hinter ihrem Rücken dich einsetzte. Dem bin ich einfach nur zuvorgekommen. Harald weiß jetzt Bescheid und wird es seinen Leuten mitteilen, dem Ergebnis ihrer Nachforschungen also zuvorkommen. Das ist besser für uns, glaube mir.« »Wieso sagst du SEINE LEUTE, Tipor?« beschwerte sich Harald Urbano. »Es ist DEINE Partei genauso und somit auch DEINE LEUTE!«
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»Ja, es sind auch meine Leute, aber nicht so ganz freiwillig, wie du weißt. Du jedoch gehörst freiwillig zu ihnen. Das war schon so, bevor die Situation der Erde sich verändert hatte. Ich bin nur ein Faktor für sie, der einfach wichtig ist. Sie brauchen mich - und sie benutzen mich. So lange es dem Wohle der Menschheit dient, bin ich ja auch uneingeschränkt einverstanden damit. - Und jetzt weißt du Bescheid - zumindest was diese Seite der Angelegenheit betrifft.« »Was denn jetzt noch?« rief Harald Urbano alarmiert, und auch Doris Markwort runzelte mißbilligend die Stirn. Tipor Gaarson lächelte hintergründig und kehrte zu seinem Schreibtisch zurück. Er nahm umständlich Platz, ehe er sich zu einer Antwort befleißigte: »Wir haben vorhin davon gesprochen, Harald, daß FEDERAL PUPPET ein Problem bedeutet - mit möglichen Folgen, die in eine neue Krise münden könnten. Nun höre meinen Lösungsvorschlag: Doris Markwort wird die neue Direktorin von FEDERAL PUPPET. Das wird jedem einleuchten, nachdem sie entscheidend zur Beendigung der Krise beigetragen hat. Außerdem kennt sie die Firmenstrukturen wie kein anderer, den ich als Verbündeten ansehen könnte. Unterstützen werden sie dabei Olivia Missouri - ja selber eine hochrangige Wissenschaftlerin und bewiesen integer als Agentin der Weltsicherheitsbehörde - und deren Kollegen und Freund Cliff Chapman. Dann können die beiden endlich mehr beisammen sein. Wenn ich das richtig eingeschätzt habe, gibt es kaum etwas, was sich die beiden mehr wünschen...« Er legte eine Kunstpause ein und räusperte sich in die hohle Hand, ehe er fortfuhr: »Ja, Doris... Weil sie schon seit Jahren bei der Firma beschäftigt ist. Außerdem haben wir die Meldung verbreitet, daß sie dort im Auftrag der Weltsicherheitsbehörde arbeitete - verdeckt gewissermaßen. Wir werden den Konzern komplett verstaatlichen, und Doris wird als Beauftragte der Weltsicherheitsbehörde ihr Amt übernehmen. Sie wird zwei Dinge bewirken mit dem Namen, den sie sich innerhalb weniger Stunden gemacht hat: Sie wird garantieren, daß in Zukunft solche schrecklichen Ereignisse nicht mehr drin sein werden, weil die Puppen zusätzlich kontrolliert werden - turnusmäßig wie Regeluntersuchungen bei einem Kinderarzt und damit durchaus vergleichbar und den betreffenden Puppeneigentümern auch einleuchtend. Außerdem wird sie die Entwicklungsabteilung der Firma in unserem Sinne selbst kontrollieren. Das wird sogar ihre Hauptaufgabe werden.« »Die Entwicklungsabteilung?« echoten Doris und Harald Urbano wie aus einem Munde. Tipor Gaarson betrachtete sie mit einem genüßlichen Lächeln. »Ja, kommt denn keiner von euch auf die Idee, daß man die Puppen nicht auch anderweitig benutzen könnte? Sie sind hochgezüchtete Roboter, besser gesagt Cyborgs. Bisher gab es für echte Cyborgs einfach keinen Markt. Das muß sich ja auch nicht ändern. Aber ich denke an die Aufgaben der Weltsicherheitsbehörde. Vielleicht gibt es Einsätze, bei denen es einfach zu gefährlich wäre, Menschenleben einzusetzen? Und ich denke an die Psychonauten und ihre Fähigkeiten. Dabei habe ich eine Vision, und ich wundere mich, daß außer mir niemand auf diese Idee kommt...« »Eine Vision?« fragte Doris und legte den Kopf schief. Plötzlich lächelte auch sie. In ihren Augen blitzte es. »Oh, ich beginne zu verstehen, Tipor. Gott, wie konnte ich dich früher nur so sehr unterschätzen? Aber jeder hat dich unterschätzt. Manche tun es heute noch.« Ein kurzer und gewiß nicht zufälliger Seitenblick auf Harald Urbano. Dann fuhr sie fort: »Das beweist du mir nicht erst jetzt. Das hast du auch mit deiner Weitsichtigkeit bewiesen, als du mich zum Einsatz brachtest. Oh nein, nicht ich habe die Krise zum Besseren gewendet, sondern deine Vorausplanung war es! Wenn ich jemals daran gezweifelt hätte, daß du der fähigste aller Führer bist, den die Menschheit jemals hatte, dann wären diese Zweifel nunmehr endgültig beseitigt.« »Schön und gut«, rief Harald Urbano leicht aufgebracht, was bei ihm absolut selten vorkam, »aber ich verstehe immer noch nichts...« »Schade, Harald«, tadelte Tipor Gaarson gutmütig, »wirklich jammerschade!» Er schüttelte den Kopf. »Na, dann will ich dich mal nicht länger auf die Folter spannen, mein Freund.«
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Er wandte sich an Doris Markwort. »Die Cyborgs sind doch der Beweis, daß es eine Integration von Cybernetik und Organik gibt, nicht wahr?« »Nun, das gibt es längst in allen Bereichen, Tipor. Denke an die sogenannten Biocards, die unsere Welt und damit unser Leben schon seit Jahrhunderten beherrschen. Und sie unterstützen zum Beispiel ja auch die Menschen und ihre Ghreekhojs. Sie verstärken die Symbiose sozusagen.« Tipor Gaarson nickte nachdenklich. Er dachte an seine Villa, die er auch heute noch bewohnte, obwohl ihm als Präsident eine eigene Residenz zur Verfügung stand. Aber er wollte seine alten Gewohnheiten nicht völlig aufgeben. Und seinem Ghreekho wollte er vor allem den Streß eines Umzugs ersparen, nachdem es sich nach der Katastrophe wieder erholt hatte und gottlob nicht eingegangen war. Für ihn war das Ghreekho schon immer mehr gewesen als nur eine halbintelligente Pflanze, die als eine Art Haustier diente. Dadurch, daß die Verbindung zwischen Ghreekho und ihm als Menschen durch die Biocard verstärkt wurde, von der das gesamte Haus gesteuert und verwaltet wurde, war es ihm immer so erschienen, als sei die Biocard das erweiterte Denkvermögen des Ghreekho. Er schaute Doris an. »Ich war noch nie ein technisches Genie, sondern das krasse Gegenteil. Ich werde wohl niemals die Theorien meines Namensvetters auch nur annähernd begreifen. Deshalb gestatte mir eine in deinen Ohren wohl dämlich klingende Frage: Wie intelligent ist so ein Ghreekho eigentlich? Ich meine, ich unterhalte mich mit dem meinigen wie mit einem Freund. Mein Ghreekho würde mich niemals verraten und verkaufen. Es ist so fest an mich gebunden, daß es sterben wird, wenn mir einmal etwas geschieht. - Ja, ich unterhalte mich mit ihm über alles mögliche. Wie mit einem hochintelligenten Menschen. Dabei weiß ich eigentlich ganz genau, daß ein Ghreekho allein zu solch einer Intelligenzleistung niemals in der Lage wäre. Es ist nur ein halbintelligentes Wesen. Trotz aller emotionalen Bindung zwischen uns beiden... Ja, nur halbintelligent.« Doris lächelte ein wenig schief. »Das ist gar nicht mal so dumm, was du sagst, Tipor - für einen Menschen, der mit Wissenschaft und Technik sozusagen auf dem Kriegsfuß steht. Und ich verstehe die Frage, auch wenn du sie eigentlich gar nicht direkt gestellt hast: Du willst wissen, wie so etwas möglich ist und hast als mögliche Antwort auf diese Frage auch schon die Biocard erwähnt. Und ich sage dir: Genau das ist, was geschieht in deinen vier Wänden daheim! Das Ghreekho ist direkt mit der Biocard verbunden - verkabelt, um es einmal plastisch auszudrücken. Die intellektuellen Fähigkeiten deines Ghreekho werden durch die Biocard entfaltet. Das heißt, sie werden dadurch erst ermöglicht. Dabei ist die Kapazität abhängig von der Kapazität der Biocard. Allerdings hat das gewisse Grenzen: Ein Ghreekho ist völlig außerstande, technische Zusammenhänge zu begreifen. Auch mit Biocard nicht. Du kannst mit einem Ghreekho, das eine Intelligenzerweiterung mittels Biocard erfahren hat, über alles mögliche philosophieren. Es versteht natürliche Zusammenhänge, aber eben keine abstrakt technischen.« »Ich beginne zu begreifen«, meldete sich Harald Urbano zu Wort. Er wankte näher. Ja, er wankte, als sei ihm auf einem speiübel. Er kam zum Schreibtisch und mußte sich mit beiden Armen aufstützen. »Tut mir leid, Tipor, wenn ich nur einen Augenblick an dir gezweifelt habe. Ja, ich habe gezweifelt - vorhin noch. Ich hatte befürchtet, du würdest versuchen, mich auszubooten, vielleicht sogar gegen die Partei und damit auch gegen die Astroökologen und ihre hehren Ziele angehen. Ich muß mich für diese Zweifel bei dir entschuldigen. Auch wenn sie geschürt wurden durch die Erkenntnis, daß du ziemlich tiefgreifende Geheimnisse vor mir zu haben scheinst, was ich niemals auch nur vermutet hätte. Aber die Tatsache, daß das Geheimnis namens Doris Markwort ein solch durchschlagender Erfolg nicht nur für dich, sondern für die ganze Menschheit wurde, hat die Zweifel wieder beseitigen helfen. Und jetzt muß ich erkennen, daß wir dich wirklich unterschätzt haben. Ich sehe, was du meinst, begreife es endlich. Ich habe vorhin sozusagen auf der Leitung gestanden, weil ich es dir einfach nicht zugetraut hätte. Aber du beweist in einem Maße, daß es mir schwindlig wird, wie sehr du für dieses höchste aller Ämter wirklich geeignet bist, Weltpräsident Tipor Gaarson!« Tipor Gaarson tätschelte wohlwollend seinen Oberarm und lächelte dabei. »Na, na, alter Freund, nun bleib aber mal auf dem Teppich!« Dann schaute er wieder Doris an, die begann, sich in Eifer zu reden:
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»Ja, die Ghreekhoj sind auf technischem Gebiet absolut schwachsinnig und bleiben das auch. Aber sie begreifen zum Beispiel physikalische Zusammenhänge, die uns völlig unbegreiflich sind und für die wir abstrakte Modelle benötigen, um überhaupt damit einigermaßen umgehen zu können. Zum Beispiel die Sache mit dem Hyperraum... Für sie ist der Hyperraum etwas Selbstverständliches. Wir haben das noch nicht einmal geahnt. Die Psychonauten mußten es uns lehren. Und jetzt gehen die Psychonauten mit ihren Ghreekhoj an Bord eines x-beliebigen Raumschiffs, verlassen die Massenballung des Sonnensystems auf herkömmliche Weise, und dann schließen sie sich mit ihren Ghreekhoj auf PSI-Ebene zusammen und reisen ohne Zeitverlust tausend Lichtjahre weit - allein nur kraft ihrer Gedanken. Die Psychonautenraumfahrt... Sie wäre ohne die Ghreekhoj überhaupt nicht denkbar. Und natürlich auch nicht ohne Psychonauten. Die bringen den Willen mit und die PSI-Begabung - und ihre Ghreekhoj die Fähigkeit, den Hyperraum zu begreifen.« »Nun, eigentlich ist der Ausdruck Hyperraum längst überholt - spätestens seit Tipor Gaarson und seine Erläuterung der Grundbeschaffenheit unseres Universums«, belehrte sie Harald Urbano. Doris Markwort winkte ab. »Ah, ich hatte vergessen, daß auf diesem Gebiet eher Sie der Experte sind, Sinjoro Urbano. Verzeihen sie mir also diesen altmodischen Namen Hyperraum, den Experten nur noch Nullraum nennen. Aber ist nicht auch die Bezeichnung Nullraum im Grunde genommen falsch? Weil eben jede Bezeichnung falsch ist! Genauso wie eigentlich jedes Denkmodell falsch sein muß, das etwas erklären will, was im Grunde genommen unerklärlich bleiben muß - für die Denkmöglichkeiten und vor allem Vorstellungsmöglichkeiten von uns Menschen. Damit haben die halbintelligenten Ghreekhoj jedoch überhaupt nicht die geringsten Probleme. Und genau das ist schließlich das Thema.« »Und das Thema ist, ob es möglich wäre, einen mit Biocard ausgerüsteten Cyborg auf PSI-Ebene mit einem Psychonauten zu verbinden!« sagte Tipor Gaarson mit fester Stimme. Doris sah ihn an, und ihre Wangen glühten wie im Fieber. »Ja, Tipor, das ist die große Frage, und ich beantworte sie auf Anhieb und endlich kurz und bündig, ohne länger um den heißen Brei zu reden: Ja!«
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»Bedenke die Möglichkeiten, Harald!« rief Tipor Gaarson nach einer atemlosen Pause. »Sozusagen Fernsteuerung auf PSI-Ebene eines Cyborgs durch einen Psychonauten.« »Ja, ich bedenke die Möglichkeiten«, sagte Harald Urbano, sichtlich um Beherrschung bemüht, »aber nicht nur für uns, sondern auch für andere - für Gegner der Ordnung zum Beispiel. Also ist dringende Geheimhaltung erforderlich. Höchste Geheimhaltungsstufe sogar. Niemand außer uns drei darf es wissen. Und natürlich die Experten, die sich mit den Tests beschäftigen müssen und dem Bau geeigneter Cyborgs. Und die Psychonauten, die zum Einsatz kommen sollen.« »Ich denke da an einen ganz besonderen Psychonauten«, eröffnete Tipor Gaarson. »Es ist ein Risiko, ihn zu fragen, denn wenn er ablehnt, bleibt er ein Mitwisser. Aber es gibt kaum einen Menschen, dem ich mehr vertrauen würde als ihm.« »Von wem sprichst du?« fragte Harald Urbano prompt. Tipor Gaarson blieb ihm die Antwort schuldig. Vorerst jedenfalls. Er wandte sich an Doris Markwort: »Eine letzte Frage, Doris: Wäre es möglich, zum Beispiel einen völlig mißgestalteten Psychonauten so in einen Cyborgkörper zu integrieren, daß er darin für einige Zeit verbleiben kann - mit der Möglichkeit, jederzeit seinen... nun, sagen wir mal... Wirtskörper zu verlassen?« »Bahrns!« stieß Harald Urbano hervor. Doris blickte verständnislos von einem zum anderen. »Bahrns?« echote sie, als hätte sie den Namen noch nie zuvor gehört. »Das ist ein Psychonaut auf Clarks-Planet. Die Besatzung wurde auseinandergerissen. Du weißt doch, Doris, die Vorkommnisse auf dem Mond. Die Besatzung des Raumschiffs, das nach Bahrns benannt wurde, hatte ein paar Repräsentanten geschickt zur großen Pressekonferenz. Sie wurden mit anderen von Attentätern mittels Gaarson-Gate...« »Ja, jetzt weiß ich es! Tut mir leid, Tipor, daß ich nicht gleich darauf gekommen bin, aber da siehst du es, daß kein Mensch auf allen Gebieten fit sein kann. Bahrns... Ja, das Raumschiff, dann das Attentat. Sieben Menschen wurden von den Attentätern ins Nichts geschickt. Einschließlich John Millory!« Ihre Stirn umwölkte sich. »Der gute John! Wir wissen zwar inzwischen, daß sie es überlebt haben, weil sie kurz mit Bahrns und den anderen Besatzungsmitgliedern auf Clarks-Planet in PSI-Kontakt treten konnten, aber der Kontakt riß wieder, und seitdem sind wir im Bilde, daß es irgendwo dort draußen ein Gaarson-Gate-Netz gibt und wir äußerst vorsichtig sein müssen im Umgang mit den Gaarson-Gates, die wir selber gebaut haben.« »Nun, die Verbindung zwischen Clarks-Planet und der Erde funktioniert reibungslos, und wir haben beschlossen, sie weiter auszubauen.« »Beschlossen... was?« rief Harald Urbano aus. »Nun, Harald, ich will mich also korrigieren: ICH habe es soeben beschlossen. Bedenke, daß es im Volk gärt, weil wir das Kolonisierungsprogramm einfrieren mußten. Sich als Kolonist zu melden, das blieb für alle Menschen die Möglichkeit als letzten Ausweg, um der Enge der Erde zu entrinnen. Auch wenn relativ wenige nur davon jemals Gebrauch gemacht haben. Aber allein die Möglichkeit gab den Menschen die nötige Hoffnung. Und deshalb wäre es sinnvoll, das Programm wiederaufleben zu lassen - und zwar dank Clarks-Planet. Ein karger Wüstenplanet zwar, aber mit ungeahnten Möglichkeiten. Wir werden weitere Gates bauen und in Betrieb nehmen. Das werden wir propagandistisch entsprechend aufbereiten. Clarks-Planet kann problemlos mindestens eine Milliarde Menschen aufnehmen. Nicht plötzlich und vor allem nicht auf einmal, sondern in kleineren Schritten, über Jahre hinaus. Copyright 2001 by readersplanet
Genug, um wieder Hoffnung zu schaffen für die Menschen der Erde. Und wer weiß, was in ein paar Jahren ist? Vielleicht werden dann wieder regelmäßiger andere Kolonien angeflogen oder mittels Gaarson-Gate erreichbar sein?« Harald Urbano schüttelte den Kopf. »Aber das Risiko mit dem Fremdnetz!« gab er zu bedenken. »Bisher ist nichts passiert - außer dem einen Mal mit den Verschollenen. Wir benutzen offensichtlich eine andere Normfolge, wenn ich das richtig verstanden habe. Wir müssen einfach nur umsichtig genug sein bei unserem Vorgehen. Das ist eigentlich schon alles.« Harald Urbano schürzte die Lippen und nickte bedächtig. »Eigentlich hast du recht, Tipor... Wenn man an das Potential denkt, das wir uns sonst selber verschließen würden, und es stimmt, daß die Unzufriedenheit ohne das Kolonisierungsprogramm nur noch größer wird in der Bevölkerung...« »Was ist mit diesem... Bahrns?« erkundigte sich Doris, die das Thema Kolonisierung anscheinend überhaupt nicht interessierte. »Ich will ihn beschreiben, ganz ohne Umschweife oder Beschönigungen. Genauso, wie man ihn sieht: Er ist eigentlich nur ein unförmiger Fleischklumpen. Seine Geburt war illegal. eine der wenigen Ausnahmen, wenn Menschen Kinder bekommen trotz der Geburtenkontrolle und den entsprechenden Mitteln in der Synthetiknahrung. Wahrscheinlich dadurch bedingt, daß seine Eltern ziemlich privilegiert waren und es liebten, natürliche Nahrung zu sich zu nehmen, die sich Normalsterbliche niemals leisten konnten. Und sie haben ihn geheimgehalten und versteckt, um ihn vor dem Tode zu bewahren. Du weißt doch, wie das vorher war. Es gab dieses Programm zur Beseitigung von unwertem Leben. Als es dann nicht mehr anders ging, haben die geplagten Eltern die Mißgeburt ausgesetzt: Er war entdeckt worden, und sie hatten keine andere Wahl mehr gehabt. Ich weiß nun nicht mehr so ganz genau, ob er eher geflohen ist oder ob die Eltern ihn wirklich ausgesetzt haben in den Ruinen außerhalb der Stadt. Er wurde dort jedenfalls zum Nenianto - und sein enormes PSI-Potential hat ihm geholfen, zu überleben. Er ist geschlechtslos, eben ein unförmiger Fleischklumpen mit wässrigen Augen und vier Gliedmaßen, auf denen er sich ziemlich flink bewegen kann. Mit den Ohren kann er sogar Ultraschalltöne wahrnehmen.« »Dann ist er nicht sehr groß?« vergewisserte sich Doris. »Er besteht im Grunde genommen nur aus Torso. Sein Kopf - wenn man das überhaupt so nennen darf - ist in diesem Klumpen mit drin. Die vier Gliedmaße sind wie die Beine einer Spinne, wenn du mir diesen Vergleich verzeihst. Seine Erscheinung ist erschreckend. Man muß sich daran gewöhnen. Deshalb würde er niemals in die Öffentlichkeit gehen. Ich habe ihn ein einziges Mal gesehen, als ich auf Clarks-Planet war.« »Du warst... was?« Harald Urbano zeigte sich entsetzt. Tipor Gaarson mußte lachen. »Nun schau nicht so, Harald: Es hat Nullzeit gekostet, hinüber zu springen und genauso wenig, wieder zurückzukehren. Und ich bin der Präsident. Wer hätte mich daran hindern sollen? Und sie haben geschwiegen wie ein Grab, die Bewacher des Gates, wie ich mit Genugtuung feststellen kann. Ein paar Stunden drüben - und alles war erledigt. Und ich werde noch einmal hinüberspringen, gemeinsam mit Doris.« Sie verzog das Gesicht. »Mit einem Gate? Muß das wirklich sein?« »Wie denn, Angst? Gott, Doris, eine reinrassige Naturwissenschaftlerin und so hochintelligent wie du und so wagemutig... und Angst vor einem Gate?« »Nun, ja, ich glaube, das ist den meisten Menschen unheimlich...« Tipor Gaarson lachte schallend. Anschließend entschuldigte er sich: »Tut mir leid, Doris, daß ich darüber gelacht habe. Es ist wie mit Flugangst. Man hat sie und kann nichts dafür. Da helfen logische Argumente absolut nichts. Und daß die Reise mit einem Gate nicht so ganz ohne Risiko ist, das beweisen unsere sieben Verschollenen.« »Eben!« sagte Harald Urbano mit Nachdruck. »Du bist einfach zu wichtig, Tipor, als daß du dich einem solchen Risiko überantworten dürftest! Was ist, wenn du der achte Verschollene Copyright 2001 by readersplanet
wirst?« »Und ich die neunte?« argwöhnte Doris und schüttelte sich unwillkürlich. Abermals mußte Tipor Gaarson lachen. »Es ehrt dich, daß du dir solche Sorgen um mein Wohlergehen machst, Harald, aber wenn es wirklich passieren sollte, kannst du mit der Propagandamaschine einen Märtyrer aus mir machen. Nichts wird sich zum Schlechten wenden, glaube mir, denn jeder Mensch auf der Erde wird hoffen, daß ich eines Tages zurückkehre, um alles zu richten, was ihm nicht gefällt. Ich würde dadurch mehr Anhänger gewinnen, als ich jemals kriegen könnte, würde überhaupt nichts passieren mit mir!« »Also, Tipor, darüber kann ich jetzt ganz und gar nicht lachen!« schnappte Harald Urbano. »Es wird trotzdem nichts an meinem Entschluß ändern, Harald, denn nur ich kann darüber mit Bahrns reden. Das habe ich im Gefühl. Ich werde ihm, unterstützt von Doris, die Möglichkeit unterbreiten, einen neuen Körper zu erhalten, ohne den alten aufzugeben.« Doris schürzte die Lippen. »Ein großer, stattlicher Mann! Ein Cyborg mit enormen körperlichen Möglichkeiten, einem normalen Menschen haushoch überlegen. Bahrns braucht nicht viel PSI-Kapazität, um mit diesem Körper eine Einheit zu bilden. Niemand würde jemals auf die Idee kommen, keinen echten Menschen vor sich zu haben.« Sie war wieder wie im Fieber und vergaß darüber sogar die Angst vor der Gate-Reise. Tipor Gaarson sah das und lächelte siegessicher. Er dachte im stillen: Bahrns, du wirst zunächst den Eindruck haben, nur ein Versuchskaninchen zu sein. Aber du bist mehr als das: Der Prototyp eines überlegenen Agenten der Weltsicherheitsbehörde. - Es muß mir gelingen, dich von der Notwendigkeit zu überzeugen, und ich wüßte niemanden, der für diese Rolle geeigneter wäre. Weil du auch klein genug bist dafür...
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»Harald, wir werden morgen die Reise in Angriff nehmen. Ich nehme an, Doris muß vorher noch ein paar Vorbereitungen treffen, und bevor wir abreisen, muß die Öffentlichkeit darüber informiert sein, daß sie die neue Chefin von FEDERAL PUPPET ist, mit allen Kompetenzen, aber daß FEDERAL PUPPET ein Staatskonzern wurde. Du weißt ja, wie man das macht: Verpacke es entsprechend, daß es jedem einleuchtet: Nur die Weltsicherheitsbehörde kann garantieren, daß solche Dinge nicht wieder vorkommen können und die Puppen wieder so ungefährlich werden, wie sie vorher stets waren. Und sie kann nur dafür garantieren, wenn sie unmittelbar Eigentümerin ist vom Konzern. Anders wäre dieser sowieso nicht mehr zu retten, und dann wäre der Schaden für die Wirtschaft unermeßlich, blah blah blah... Es muß jeder die Notwendigkeit auch einsehen können, egal, welches Position er ansonsten vertritt. Dann wird die Krise mit den durchdrehenden Androiden endgültig überwunden sein. - Und wir beide, Doris, wenden uns unserem ureigenen Thema zu, gleich ab morgen, nicht wahr?« Sie nickte nur - mit jenem Fieberglanz in den Augen der hochgradigen Wissenschaftlerin, die endlich die Möglichkeit sah, ihre Fähigkeiten voll und ganz zu entfalten. »Und noch etwas, Harald, ehe ich es vergesse: Wir dürfen Antal Rypdahl nicht vergessen. Dies ist kein Auftrag für dich, sondern eher eine Bitte: Wir müssen alles über ihn erfahren, was zu erfahren ist: Welche Rolle spielte er beispielsweise zur Zeit der alten Machthaber? Wie trat er damals bereits in Erscheinung? Wie konnte seine Macht und vor allem seine Geldmittel so sehr anwachsen, daß er sich sogar einen eigenen Satelliten hat leisten können?« »Den wir letztlich sogar bezahlen müssen!« knirschte Harald Urbano. »Denn wir haben ihn abgeschossen, was sich anschließend als Fehler erwies. Also ist die Weltsicherheitsbehörde auch haftbar für den Schaden.« »Und da ist nichts zu machen?« »Wie denn auch?« »Du hast recht, Harald: dumme Frage. Aber es bleiben genügend Rätsel um diese Person, und wir müssen möglichst alle lösen. Antal Rypdahl hat einflußreiche Verbündete, sonst wäre er niemals dorthin gekommen, wo er heute steht. Wir sollten lernen, ihn zu fürchten, ehe er es uns gewaltsam beibringt. Den Anfang hat er ja schon gemacht. Zwar stellte es sich heraus, daß er eigentlich an dem allem völlig unschuldig war und er nur als Buhmann benutzt wurde, um von den eigentlichen Drahtziehern abzulenken, aber er hat umgekehrt die Situation ganz schön für seine eigenen Zwecke ausgenutzt, und jetzt, nachdem sein Unschuld bewiesen ist, hat er mehr Sympathisanten denn je. Und außerdem frage ich mich die ganze Zeit, wo er sich überhaupt aufhält, daß die Wespe keinerlei Möglichkeiten sieht, zuzugreifen.« »Nun, selbst wenn wir genau wüßten, wo er sich aufhält, könnten wir nicht so ohne weiteres eine Verhaftung vornehmen«, gab Harald Urbano zu bedenken. »Aha, ich weiß, was du meinst, Harald: Er hat eigentlich nichts getan, was eine Verhaftung rechtfertigen könnte - noch nicht jedenfalls. Außer vielleicht Volksverhetzung, aber das ist sowieso ein ziemlich dehnbarer Begriff. Wenn wir ihm das vorwerfen, geraten wir unversehens in ein Fahrwasser, in dem wir uns nicht wohlfühlen würden, denn das wären genau die Methoden der alten Machthaber, an die sich die Menschen weltweit sofort erinnert fühlen würden. Sie würden kaum einen Unterschied machen zwischen den Motiven damals und heute. Sie würden uns mit denen in einem Atemzug nennen - und Antal Rypdahl würde noch mehr Befürworter gewinnen. Es wäre wirklich keine Lösung. Aber wenn wir wüßten, wo Copyright 2001 by readersplanet
er sich aufhält und welche Verbindungen er hat, könnten wir uns vorbereiten auf den eigentlich Ernstfall. Und ich habe da so ein Gefühl, als wäre noch einiges von Antal Rypdahl zu erwarten.« »Eine Frage«, meldete sich Doris vorsichtig zu Wort: »Woher wißt ihr eigentlich so genau, daß Antal Rypdahl... nun, sagen wir mal: ein Mensch ist?« »Wie bitte?« riefen Harald Urbano und Weltpräsident Tipor Gaarson wie aus einem Munde. Sie lächelte ein wenig verlegen und zuckte mit den Achseln. »Nun, hatten wir nicht vorhin erst das Thema von Biocards und so? Spinnen wir doch den Faden weiter: Vielleicht ist er nur ein hochgezüchtetes Programm? Er muß noch nicht einmal einen Körper haben.« »Eine Computersimulation?« Die beiden Männer schauten sich entgeistert an. Dann fragte Tipor: »Ja, Harald, was wissen wir über Antal Rypdahl überhaupt? Was ist mit der Möglichkeit, wie Doris sie eben aufwies?« Harald Urbano wand sich sichtlich. »Kein Mensch hat bisher diese Möglichkeit in Betracht gezogen. Antal Rypdahl war ja auch nur ein Faktor, mehr nicht. Er ist erst jetzt so richtig in Erscheinung getreten.« »Umso wichtiger ist es, alles in Erfahrung zu bringen, was in Erfahrung zu bringen ist, Harald.« Dieser nickte grimmig. »Da hast du allerdings recht, Tipor, und ich verbürge mich persönlich dafür, daß wir den nötigen Erfolg haben werden dabei. Es hängt einfach zuviel davon ab. Und an die Möglichkeit, daß es sich lediglich um eine virtuelle Persönlichkeit handelt, hinter der wiederum jemand ganz anderes steht, beschäftigen wir uns natürlich auch. Unser Kenntnisstand ist zur Zeit viel zu dürftig, um so kühn zu sein, diese Wahrscheinlichkeit jetzt schon auszuschließen. Aber es würde ungeahnte Gefahren aufzeigen, gegenüber denen wir bisher ziemlich blind waren.« Tipor Gaarson runzelte besorgt die Stirn. »Wie ich schon einmal erwähnte: Wir schaffen vieles, aber während wir Erfolg haben, tauchen noch mehr neue Probleme auf und machen jeglichen Fortschritt gleich wieder zunichte. Wir müssen bloß aufpassen, daß es keine echten Rückschritte gibt, denn dann wären wir geliefert. Ich weiß nicht, wieviel das Charisma meines Namensvetters noch aushält. Wenn es verbraucht ist, können wir einpacken. Und dann wissen nur die Götter allein, was aus der Menschheit wird - und die sind sich garantiert auch noch nicht sicher...« Harald Urbano lachte trocken. »Es gilt, vorbeugend tätig zu werden.« »Und dabei fällt mir gleich noch etwas ein: Wir warten die ganze Zeit darauf, daß die alten Machthaber der Erde sich irgendwann wieder zurückmelden. Was wissen wir über sie, über ihren Verbleib? Richtig: Gar nichts! Und so können wir nicht einmal ahnen, was sie noch vorhaben. Sie werden erfahren, daß die Erde die Katastrophe überlebt hat und sich die Machtstrukturen entscheidend - und zu ihren Ungunsten! - verändert haben. Wenn sie es nicht längst schon wissen. Denn wir müssen leider auch davon ausgehen, daß sie hier, mitten unter uns sozusagen, immer noch ihre Verbündeten haben. Die haben sie zwar im Stich gelassen, aber wir wissen, wie das mit Fanatikern so ist: Sie werden eher uns die Schuld dafür in die Schuhe schieben. Und es gibt eine ganze Menge Leute, die unter den alten Machthabern eine Menge Privilegien und auch Einfluß hatten, was sie unter unserer Führung verloren haben. Wir sollten nicht vergessen, daß sie wohl kaum zu unseren Freunden zählen dürfen.« In den Augen von Harald Urbano glitzerte es eigentümlich. »Darüber brauchst du dir nun wirklich keine Sorgen zu machen, Tipor, denn das haben wir weitgehend im Griff, wenn ich das so salopp behaupten darf. Vergiß nicht, die Weltsicherheitsbehörde hat ihre Möglichkeiten und die Astroökologen ihre Erfahrung damit, im Untergrund zu arbeiten. Das waren sie jahrhundertelang gezwungen zu tun, und sie haben es geschafft, Verbindungen bis in die höchsten Reihen der Macht und des Einflusses zu haben. Sonst hätten sie nicht nur nicht überleben können, sondern es wäre nicht gelungen, im entscheidenden Moment die Erde vor dem Untergang zu bewahren.« Tipor lächelte zuversichtlich. »In Ordnung, Harald, akzeptiert. Aber kommen wir auf das Thema Kolonisierung und Gaarson-Gates zurück, denn mir ist im Zusammenhang mit den Astroökologen und den Gaarson-Gates und ihrer Rettung der Erde noch etwas eingefallen, Copyright 2001 by readersplanet
was wir eigentlich in letzter Zeit ganz schön vernachlässigen.« »Und das wäre?« »Nun, ich leugne es nicht, ein Laie zu sein in technisch-naturwissenschaftlichen Dingen - und es auf Dauer auch zu bleiben, weil mir einfach der Draht dazu fehlt... Nun, dennoch: Wenn ich alles richtig verstanden habe, gelang die Rettung der Erde eigentlich nur, weil man die Gaarson-Gates initiiert hat. Das hatte eine Art Ventilfunktion und stoppte die Katastrophe. Sonst wären wir alle nicht mehr.« »Ja, gewiß«, gab Harald Urbano zu, »und worauf willst du hinaus?« »Liegt das nicht auf der Hand, Harald?« Harald Urbano nickte überrascht. »Ja, du hast schon wieder recht, Tipor: Wir vermeiden es tunlichst, die Gates zu benutzen, seit wir wissen, daß wir darüber unbeabsichtigt in ein fremdes Netz eindringen könnten - ohne auch nur eine Ahnung zu haben, welche Folgen dies haben könnte. Und die Erfahrungen der Verschollenen lehren uns, wirklich vorsichtig zu sein und lieber mit dem Schlimmsten zu rechnen.«
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»Eine völlig unwissenschaftliche Frage: Könnte es denn nicht sein, daß durch das Nichtbenutzen der Gates sozusagen ein Teil der Katastrophe zurückkehrt? Ich weiß, das klingt jetzt bescheuert, weil total laienhaft, aber ich stelle mir einfach vor, daß das Nichtbenutzen der Gates negative Folgen haben könnte - wenn es nur durch sie gelang, den völligen Untergang aufzuhalten.« »Verdammt!« entfuhr es Harald Urbano. »Es ist nicht zu fassen: Gerade die Laien sind es, die Fragen aufwerfen, die einem Experten niemals in den Sinn kommen würden. Das bewahrheitet sich einmal mehr! Ich werde alles veranlassen, um diese Frage zu erörtern, Tipor, hiermit versprochen!« Tipor Gaarson zuckte mit den Achseln. »Und bei dieser Gelegenheit könnte man so ganz nebenbei darauf hinweisen, daß das neue Kolonisierungsprogramm betreffend Clarks-Planet und die damit verbundene verstärkte Nutzung der Gate-Verbindungen zu diesem Planeten schon einen kleinen Beitrag dazu sein könnten, möglichen Nebenwirkungen durch Nichtbenutzung der Gates wirksam vorzubeugen.« »Du bist ein wahrer Hund!« rief Harald Urbano aufgekratzt. Und nach einem Seitenblick auf Doris Markwort: »Entschuldigen Sie diesen Ausdruck, aber das bedeutet eigentlich soviel wie Schlaufuchs. So sagt man eben dort, wo ich herkomme. Und Sie hatten hundertprozentig recht, als Sie annahmen, daß wir alle Tipor Gaarson unterschätzt haben. Nur weil er sozusagen ein naturwissenschaftlicher Analphabet und damit das krasse Gegenteil seines Vorfahren ist... Aber er hat andere Qualitäten, wie er uns ständig beweist. Und er ist wirklich der beste Führer, den die Menschheit jemals hervorgebracht hat. Ohne ihn wäre ich sehr skeptisch, was die Zukunft der Menschheit betrifft, aber mit ihm berste ich geradezu vor Zuversicht. Das sollten wir alle!« »Alle?« fragte Tipor Gaarson ehrlich skeptisch. »Und was ist mit mir? Ich glaube, wenn ich in denselben Fehler verfalle, werde ich nur unnötig größenwahnsinnig. Gott bewahre mich davor, denn dann wäre die Fehleinschätzung, was meine Person und meine Fähigkeiten betrifft, wahrlich perfekt und besiegelt...« Niemand sagte etwas dazu, und sie nahmen in Angriff, was sie sich vorgenommen hatten und was ihre vordringlichsten Aufgaben waren.
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Etwa zur gleichen Zeit, an einem geheimen Ort irgendwo auf der Erde, saß ein einsamer Mann hinter seinem Schreibtisch und machte ein nachdenkliches Gesicht. Er war hochgewachsen, schlank und hatte einen fast kahlgeschorenen Schädel. Er nannte sich Antal Rypdahl, um seinen wahren Namen und vor allem seine Herkunft zu verschleiern, damit seine Gegner nicht an ihn herankamen. Sein Ziel war, die absolute Macht zu erlangen, und er redete sich ein, nicht mehr viel Zeit zu haben. Als er aufschaute, glühten seine Augen fanatisch: »Die alten Machthaber werden zurückkehren - über kurz oder lang. Niemand weiß das besser als ich, denn ich war einer von ihnen. Offiziell bin ich mit ihnen geflohen, und kein Mensch ahnt, daß ich überhaupt noch da bin.« Er stand auf und trat vor einen mannshohen Spiegel. Den hatte er sich extra dahin gehängt, um sich selber immer wieder zu betrachten - und sich darüber zu wundern, wie sehr man mit den heutigen Mitteln der Chirurgie einen Menschen verändern konnte. Außerdem war er sowieso nur noch höchstens zur Hälfte ein Mensch. »Aber das bin ich schon länger!« sagte er im Selbstgespräch und lachte heiser. »Ich bin ein Cyborg und wundere mich, daß außer mir kaum jemand jemals an diese Möglichkeit gedacht hat. Heimlich wurde es an mir nicht zum ersten Mal durchgeführt. Die wahre Elite der alten Machthaber hat das Geheimnis nur erfolgreich gehütet, damit ihnen niemand auf die Schliche kam. Sie haben es geschafft, durch diese Maßnahmen extrem alt zu werden. So wie ich. Und wir haben unsere Macht, unseren Einfluß und vor allem unser Geld dafür eingesetzt, daß es niemand erfuhr. So sollte ich mich eigentlich gar nicht wundern, daß niemand außer uns auf diese Möglichkeiten stieß. Ja, es ist uns so perfekt gelungen, daß sogar die meisten der alten Machthaber es nicht wußten. Wir waren und sind eine kleine Elite, und ich bin einer der ältesten unter ihnen, denn ich lebte schon, als der wahre Tipor Gaarson noch lebte. Ich war zwar erst ein Kind, als er dann starb, aber ich habe die Jahrhunderte überstanden. Und wir haben unser Elitedasein ernst genug genommen, um dafür zu sorgen, daß kein anderer hinter das Geheimnis der Lebensverlängerung durch die Verknüpfung von menschlichem Intellekt mit künstlichen Körperteilen kommen konnte. Es gab keinerlei Forschung in dieser Richtung - offiziell, und so blieben wir unter uns. Und wehe, es wagte jemand, sich dem Forschungsverbot in dieser Richtung zu widersetzen.. Dieser Narr Porfirijs. Er hat geglaubt, mich verschaukeln zu können. Genau deshalb haben wir ihn ja auf der Erde gelassen. Weil wir wußten, was er vor hatte. Und vor allem ICH wußte es.« Er schaute zur Decke seines selbstgewählten Gefängnisses, von dem außer ihm niemand wußte, weil diejenigen, die es gebaut hatten, nicht mehr lebten - schon seit Jahrhunderten nicht mehr. »Dort oben ist mein zweites Ich - sozusagen. Ein Cyborg mit meinem Bewußtseinsschema. Wenn es nötig erscheint, hat er die Möglichkeit, mit mir in Kontakt zu treten - über alle Entfernung hinweg. Weil mein Ghreekho bei ihm ist, und es ist ein ganz besonderes Ghreekho, weil es beinahe so alt ist wie ich selber. Es war eines der ersten überhaupt, die entdeckt und zur Erde gebracht wurden... Ich würde meinen zweiten Körper auf PSI-Ebene blitzschnell übernehmen können und in gewünschter Weise steuern. Aber es darf nur in Ausnahmen geschehen, um zu vermeiden, daß irgendein PSI-Begabter den Betrug bemerken könnte. Derweil: Die anderen werden nicht merken, daß ich zurückgeblieben bin. Diese Narren. Sie haben wirklich geglaubt, die Erde würde untergehen. Aber ich hatte zu gute Beziehungen zu Copyright 2001 by readersplanet
den Astroökologen und wußte es deshalb besser. Und mein Kalkül ging auf. Jetzt bin ich hier und bereite meine Machtübernahme vor. Etwas, was mir vorher niemals gelungen wäre. Die anderen Unsterblichen hätten es zu verhindern gewußt - mit ihren eigenen Machtmitteln.« Er breitete die Arme aus und brüllte zur Decke: »Ich bin hier, ihr Idioten, hört ihr? Wenn ihr zurückkehrt, dann bin ich der absolute Herrscher über die Erde. Und weil ich weiß, welche Möglichkeiten ihr habt, werde ich euch gebührend empfangen. Dieser Weichling von Tipor Gaarson könnte das nie. Er ahnt noch nicht einmal, zu was ihr überhaupt fähig seid, daß ihr die Erde in eine atomare Gluthölle verwandeln würdet, sobald klar wäre, daß ihr sie nicht mehr zurückerobern könntet. Ihr würdet alles hier auslöschen. Niemand hält das überhaupt auch nur für möglich - und ich weiß es definitiv. Nein, es wird euch nicht gelingen, weil bis dahin dieser Tipor Gaarson nicht mehr leben wird. Und seine ganze Sippschaft wird dank mir mit ihm untergehen.« Er ging zum seinem Schreibtisch zurück und setzte sich dahinter. Seine Hand fuhr über die Schreibtischplatte. Kraft seiner Gedanken schaltete er die Anlage ein, die ihm zeigte, was auf der Welt vorging. Und wenn er wollte, schaltete er sich mit dem Hauptcomputer kurz und drang in das weltweite Netzwerk ein, um ein Bestandteil von ihm zu werden. So tat er das lange schon. Genauso wie die anderen Unsterblichen es getan hatten. Sonst hätten sie ihre Machtposition nicht so rigoros behaupten können. Und sie waren dabei immerhin so erfolgreich gewesen, daß die offiziellen Machthaber nicht einmal im entferntesten ahnten, daß sie selber auch nicht mehr als nur Marionetten der Unsterblichen waren. Unsterblich... Aber eigentlich waren sie das nicht wirklich. Sie hatten nur die Möglichkeiten für sich entdeckt, ihr Leben künstlich zu verlängern. Dabei kam auch Antal Rypdahl nicht auf die Idee, eigentlich gar nicht mehr richtig zu leben. Außerdem berücksichtigte keiner von ihnen auch nur die Wahrscheinlichkeit, daß der menschliche Verstand überhaupt nicht in der Lage ist, über einen bestimmten Zeitraum hinaus unbeeinträchtigt zu funktionieren. Ganz im Gegenteil: Antal Rypdahl empfand sich selber als das überlegene Genie, und da er Zugriff hatte auf alles Wissen der Menschheit, sobald er sich in den Cyberspace begab, schien ihm das nur recht zu geben. Welche Fehleinschätzung. Kein Wunder, daß der Größenwahn ihn so sehr in den Klauen hatte. Er hätte einfach nur einmal bedenken müssen, daß die Praxis immer wieder bewies, daß ein Mensch mit zunehmendem Alter nicht zwangsläufig weiser werden mußte. Ganz im Gegenteil: Irgendwann schien das sozusagen umzukippen - und dann wurde die Entwicklung sogar rückläufig. Da half auch alles Wissen der Menschheit nichts mehr - in den Händen eines spielenden Kindes... Wäre es nicht so, wäre er vielleicht auch auf die Idee gekommen, nicht der einzige zu sein, der alle anderen zu narren verstand und auf der Erde zurückblieb, während er statt seiner einen Cyborg auf die Flucht ins All schickte. Ja, er bildete sich ein, der einzige zu sein, der überhaupt eine solche Möglichkeit in Betracht hatte ziehen können. Vielleicht hatte er recht - vielleicht aber auch nicht? Aber dann würde die Erde nicht vernichtet werden von den zurückkehrenden alten Machthabern. Andere Dinge würden geschehen. Sie würden jedenfalls niemals die Erde kampflos aufgeben. NIEMALS! Egal, ob es nun Antal Rypdahl gelingen würde, die Macht auf der Erde zu übernehmen oder nicht. Er atmete tief durch und lehnte sich zurück. Kurz schloß er die Augen, um sich zu konzentrieren. Dann drang er mit seinem Geist in das globale Netzwerk ein - unbemerkt, wie er es in den letzten Jahrhunderten ausreichend gelernt hatte. Im Cyberspace war er daheim. Denn er war längst selber eher eine virtuelle Persönlichkeit denn ein Mensch. Darüber konnte sein zum großen Teil sowieso schon künstlicher Körper wohl kaum hinwegtäuschen. Insofern hatte Doris Markwort mit ihrem Verdacht bis zu einem gewissen Grad sogar recht...
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November 2452 - wir erinnern uns = Vor der bevorstehenden Katastrophe flohen die Mächtigsten und Reichsten von der Erde. Was man auf der Erde allerdings nicht einmal ahnt: Die »Wichtigsten« etablieren sich nun, am 3. April 2453, auf dem Kolonial-Planeten PULSAR-7. Ihr Ziel: Die Macht über die Erde wieder zurückgewinnen! Lesen Sie selbst - in... Band 15: »Im Auftrag von MEGA-TECH« "Auftakt zum Comeback - die alten Machthaber wollen zurückkommen!" Ein Roman von Alfred Wallon
Den bekommt man übrigens auch in gedruckter Fassung, mit farbigem Titelbild von dem bekannten Künstler Gerhard Börnsen. Einfach mal fragen bei: HARY-PRODUCTION, Waldwiesenstraße 22, 66538 Neunkirchen, Internet: www.hary.li, eMail:
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