This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
iÒw [fioËw codd.] potÉ ¶kgonon ÖEpafon (wie Anm. 3, 714–16) ein irritierendes Spiel mit der Wortbedeutung voraus; Eur. Suppl. 628f. ist, wie er selbst sagt, nur eine Scheinparallele. 5) Vgl. die überzeugenden Bemerkungen Stud. 127f., in Auseinandersetzung mit E.W. Whittle, Two Notes on Aeschylus, Supplices, CQ 14 (1964) 24f. – West wendet sich auch gegen den bei Aufnahme von ényonomoÊsaw gegebenen Versumfang (unten Anm. 11), aber daraus ein Kriterium der Textkonstitution zu machen geht kaum an.
Zu einigen Stellen der aischyleischen Hiketiden
115
Das erfordert einen Nebensatz – beginnend nach timãorÉ und endend mit §g°nnasen 48 –, und ich glaube, dass der Wortlaut der Strophe einen solchen in der Tat erzwingt. West bleibt in 44f. bei der traditionellen Textfassung, aber nur faute de mieux; der Akkusativ ¶facin ist ja unkonstruierbar und das Anakoluth in der Gedankenführung nicht angelegt. Doch verwirft er zu Recht die von Schütz vorgeschlagene Interpunktion nach ZhnÒw6, mit der ¶facin zum Objekt von §pekra¤neto würde. Letzteres wäre zwar wohl syntaktisch möglich (vgl. Eum. 969 [?]; zu d° an dritter Stelle West ed. XLV), kaum aber semantisch: Das ,Verwirklichen‘ kann, den Bedeutungsumfang des Verbs auch eingerechnet7, nicht gut etwas zum Objekt haben, das bei Beginn der Verbalhandlung bereits geschehen und abgeschlossen ist. Hier wäre die Aussage: ,für die Realisierung der Berührung sorgte die festgesetzte Zeit (bis zur Geburt) auf sinnvolle Weise‘, wenn überhaupt, allenfalls so zu verstehen, dass mit der ,Berührung‘ nicht der Vorgang selbst, sondern die Bedeutung des Wortes ¶faciw gemeint sei – seine etymologische Beziehung zum Namen ,Epaphos‘. Dafür sähe man doch gern eine Parallele. Im Übrigen hat Schütz’ Vorschlag die Formulierung der Eingangsanapäste (16–18) gegen sich: g°now ≤m°teron, t∞w ofistrodÒnou / boÚw §j §paf∞w kéj §pipno¤aw / DiÚw eÈxÒmenon. ,Anhauch‘ und ,Berührung‘ dürfen nicht durch Satzbruch getrennt werden, und der Genitiv ZhnÒw ist bei ¶facin unentbehrlich. Ich meine, die syntaktische Struktur der Strophe ist, wie überliefert, unverständlich. Fragwürdig scheint mir mit der Überlieferung auch das Imperfekt §pekra¤neto, denn wenn es dem Chor um die F e s t s t e l l u n g der Konvergenz von Namen und Sache geht, sollte man den Aorist erwarten. Vor allem aber fehlt bei §g°nnasen die Angabe eines Subjekts – es bleibt der Willkür des Hörers überlassen, ob er an Io oder Zeus (oder gar an den mÒrsimow afi≈n) denken will. Zu einer partiellen Lösung der Probleme gelangt jetzt die Herstellung von Willink, die zwar methodisch einen Fortschritt bedeutet, aber schwerlich überzeugt: . . . progÒnou boÚw ïi Éj §pi6) In neuerer Zeit übernommen von Murray und Page (mit Änderung von §pvnum¤ai in -¤an und von eÈlÒgvw in eÈlÒxvw) sowie zuletzt von Sandin 70f., der sich auf J. Diggle (Rez. Johansen/Whittle, CR 32 [1982] 129) beruft. Diggle hat gegen Johansen/Whittle (II 42f.) sicher darin recht, dass ¶facin nicht als abstractum pro concreto zu fassen ist. 7) Vgl. Fraenkel zu Ag. 369.
116
Kurt Sier
pno¤aw ZhnÚw ¶facin §pvnum¤an §pekra¤neto mÒrsimow afiΔn eÈlÒgvw ktl.8 So plausibel die Einschaltung des erzählend-berichtenden Nebensatzes, so unwahrscheinlich ist dessen gequälte und für einen Hörer kaum durchschaubare Form. Zudem schleppt Willinks Text das transitive §pekra¤neto weiter, und statt die Unklarheit von §g°nnasen zu beheben, führt er einen zusätzlichen Anstoß in dem adjektivischen §pvnÊmiow ein, das dem Sprachgebrauch der Tragödie zuwiderläuft (Johansen/Whittle II 43). Ein Versuch, die Aussage der Strophe ins Lot zu bringen, muss m. E. bei §g°nnasen ansetzen, und das vermisste Subjekt ist, wie ich glaube, in ¶facin zu finden: ZhnÚw ¶faciw . . . ÖEpafÒn gÉ §g°nnasen. Das ge nimmt den Hinweis auf das ,Sinnvolle‘ der Namengebung in der vorangehenden Parenthese (zu ihr Cho. 949) auf: ,Zeus’ Berührung brachte E p a p h o s hervor, der die Berührung im Namen trägt‘. Die Verschreibung von ¶faciw in den Akkusativ (parallel mit ‰nin 42) war unvermeidlich, sobald die Konjunktion abhanden gekommen war, die den Nebensatz einleitete, in dem §g°nnasen als Prädikat fungiert. Sie stellt sich ohne weiteres ein, wenn man die nur hier belegte, vom Dichter vielleicht eben wegen ihrer prosodischen Brauchbarkeit gewählte Bildung timãorÉ 42 mit Synizese (= tim«ra) liest: timãorÉ, ·nÉ <‰n>in ktl.9 Die Danaiden appellieren an Epaphos als den ˘,Helfer v o n j e n s e i t s d e s M e e r s , wo ihn als Junges der Kuh, als diese dort weidete (ényonomoÊsaw), Zeus gezeugt hat‘. Für die Anknüpfung des Nebensatzes an das Adjektiv lässt sich z. B. vergleichen Cho. 609 (von Meleagers Holzscheit) dalÚn ¥likÉ, §pe‹ molΔn matrÒyen kelãdhse, Soph. O.R. 1411f. yalãssion (sc. me) §kr¤catÉ, ¶nya mÆpotÉ efisÒcesyÉ ¶ti, Eur. Hec. 914 mesonÊktiow »llÊman, ∑mow . . . Ïpnow ≤dÁw §pÉ ˆssoiw sk¤dnatai10. Dem Rückblick auf Ägypten korre8) Willink (wie Anm. 3) 714. Er übersetzt: „(calf/offspring) of the ancestral cow for whom, from the breathing-on of Zeus, the due time of birth aptly fulfilled the (god’s) “touching” (as) eponymous, and she brought forth “Epaphus”.“ – Wie Willink ausführt, k ö n n t e sich mit seiner Konjektur auch der etwas merkwürdige Fehler §pipno¤aiw in M (-aw schol.; corr. Robortello) erklären. 9) Das hinter ‰nin interpolierte tÉ wurde von Hermann getilgt; er dachte an abgekürzte Schreibung des Artikels („ortum fortasse ex t∞w“), aber es handelt sich wohl eher um ein te und den Versuch, in die durch den Ausfall der Konjunktion gestörte Syntax eine scheinbare Ordnung zu bringen. 10) Vgl. auch Fälle wie Sept. 744 parbas¤an . . . eÔte Lãiow . . . §ge¤nato, Eum. 685 ÉAmazÒnvn ßdran skhnãw yÉ, ˜tÉ ∑lyon . . . strathlatoËsai u. a. bei Verf. (wie Anm. 1) 208.
Zu einigen Stellen der aischyleischen Hiketiden
117
spondiert in der Gegenstrophe (50f.) die Wendung des Chors hin zu Argos, wo die anfänglichen ,Weideplätze‘ von Epaphos’ Mutter liegen. – Ich empfehle mithin folgenden Text11: nËn dÉ §pikeklom°na D›on pÒrtin, ÍperpÒntion timãorÉ, ·nÉ <‰n>in {tÉ} ényonomoÊ˘ boÚw §j §pipno¤aw saw progÒnou ZhnÚw ¶faciw – §pvnum¤ai dÉ §pekra¤neto mÒrsimow afi≈n eÈlÒgvw: – ÖEpafÒn gÉ §g°nnasen:
40
45
˜ntÉ §pilejam°na ktl. Indem ich jetzt das Zeus-Kalb anrufe, den Helfer von jenseits des Meers, wo als Kind meiner Vorfahrin, der Kuh, wie sie Blüten weidete, durch Anhauch des Zeus Berührung – in der Namengebung erfüllte sich die schicksalsbestimmte Zeit sinnentsprechend12 – E p a p h o s zeugte: Da ich ihn nun erwähnt habe am Ort meiner Stammmutter, werde ich . . .
Das Anakoluth ergibt sich zwanglos aus der Gedankenentwicklung. Typologisch entspricht die Stilisierung der Strophe einem in rituellem Kontext geläufigen Muster ,performativer‘ Rede. Der Chor will sich der Hilfe seines Vorfahren versichern, aber er hat eigentlich anderes im Sinn und denkt nicht an eine Ausführung der Epiklese: Diese liegt nur in dem einleitenden Partizip13. Doch sagt er nicht einfach §pikalesam°nh ÖEpafon tÚn toË DiÚw timvre›n . . . §pide¤jv (53), sondern wählt die gewichtige, hieratisch-kryptische Periphrasis §pikeklom°na D›on pÒrtin ÍperpÒntion timãora, und es 11) Zum metrischen Aufbau (40 D | 41–42 D e – e u d 43–44 4 da^ | 45–46 7 da^ | gl sp |||) vgl. die hilfreiche Beschreibung Willinks (wie Anm. 3) 712, der 42f. indes keine Synaphie annimmt (siehe oben). 12) Der Akzent der Aussage liegt auf eÈlÒgvw. Der mÒrsimow afi≈n, d. h. die von der Natur gesetzte Zeit zwischen Empfängnis und Geburt, erfüllte sich auf sinngemäße Weise in dem Sinn, dass die ,Sache‘, die mit Ios Berührung begonnen hatte, durch den ,Namen‘ einleuchtend besiegelt wurde: In der Namengebung ÖEpafow vollendete sich ,etymologisch‘ sinnvoll die durch die ¶faciw gewirkte Schwangerschaft. 13) Analog z. B. Ar. Nub. 127, wo Strepsiades sagt éllÉ eÈjãmenow to›sin yeo›w didãjomai, aber kein Gebet folgt, sondern das eÎxesyai mit der Äußerung des Partizips bereits vollzogen ist. Vgl. Dover z.St. (Aristophanes. Clouds, Oxford 1968, 109f.); Verf. (wie Anm. 1) 289 zu Cho. 942.
47–48
118
Kurt Sier
folgt ein Nebensatz, der ihre Elemente expliziert: ÍperpÒntion in dem ganzen ·na-Gefüge, D›on im Genitiv ZhnÒw, der zugleich zu §pipno¤aw und zu ¶faciw gehört, pÒrtin in ÖEpafon. Nach der gedrängt-verwickelten Explikation unternimmt der Chor dann, ganz natürlich, einen neuen Anlauf (49): ˜ntÉ §pilejam°na . . . §pide¤jv. (II) 207 Als Danaos die Argiver herankommen sieht, fordert er seine Töchter auf, ihm in den auf einer Anhöhe gelegenen heiligen Bezirk zu folgen – kre›sson d¢ pÊrgou bvmÒw (190) –, und ermahnt sie zu besonnenem Umgang mit den Fremden. Ihre Antwort lenkt zu seinem ersten Punkt, zu Zeus, zurück (206), und es entspinnt sich eine Stichomythie, in der Danaos auf die Gottheiten des pãgow hinweist. Zu Beginn ist die Reihenfolge der Verse ersichtlich gestört14. West ordnet nach Burges und Hermann: ,[Chorf.] Zeus, unser Stammvater, möge auf uns blicken (206). – [Danaos] Ja, blicken möge er aus gnädigem Auge (210). – In deiner Nähe möcht’ ich meinen Sitz nun haben (208). – So säume nicht . . . (207). – Zeus, erbarm’ dich unserer Mühen, solange es um uns noch nicht geschehen (209). – Wenn er nur will, wird die Sache gut ausgehen; doch ruft auch den Vogel des Zeus hier an (211–12)‘. Verglichen mit anderen Lösungen, ist das wohl in der Tat das plausibelste Arrangement, aber man wird kaum sagen können, dass der Text restlos befriedigte. Wie ist der abrupt anschließende Vers 208 motiviert, wie die szenische Handlung – die Danaiden auf den pãgow steigend, um aufs Neue sich an Zeus zu wenden – aus dem Dialog entwickelt? Eine Antwort mag V. 207 geben: mÆ nun sxÒlaze, mhxan∞w dÉ ¶stv krãtow. Page hat die zweite Vershälfte zwischen Cruces gesetzt, und die vorgeschlagenen Erklärungen und Übersetzungen sind nicht ge14) Dass mit der überlieferten Abfolge vielmehr alles in Ordnung sei, hat W. J. Verdenius zu zeigen versucht (Danaus and his Daughters, Mnemosyne 43 [1990] 429f.), doch m. E. mit geringem Erfolg. Für Beibehaltung der Überlieferung auch Sandin, der seiner Diagnose aber offenbar selbst so wenig traut, dass er für V. 207–209 wahlweise Bambergers Umstellung hinter 233 (!) oder die Athetese in Erwägung zieht (132 mit Anm. 362).
Zu einigen Stellen der aischyleischen Hiketiden
119
eignet, das darin liegende Urteil zu entkräften. Johansen und Whittle (II 164f.) übersetzen „let there be command of the means“ und erklären: „mhxanÆ alludes to the mound or, more probably, its altar [. . .], while krãtow seems to redevelop the image of the altar as a defensive pÊrgow (190) by audaciously insinuating the notion of its being s t o r m e d by the Danaids“15. Aber der Bildgehalt der Wendung in V. 190 ist mit dieser Auslegung von krãtow doch wohl überfordert, und das Aggressive des Ausdrucks wäre kaum §n ≥yei: Danaos sieht die Schutzflehenden in der Rolle von ¥ssonew (203), seine Töchter sollen sich ,wie eine Taubenschar‘ an den Götterbildern des Temenos niederlassen (223) – nicht es besetzen und beherrschen; auch dass mit der mhxanÆ konkret der pãgow oder Altar gemeint wäre, scheint alles andere als naheliegend. Immerhin verdient diese Deutung zweifellos den Vorzug vor Übersetzungen wie „Erfolg sei mit der Tat“ (Kraus); „may this plan prove successful“ (Rose16); „Let there be strength to carry out the plan“ (Sandin 25, 135). Was das für eine ,Tat‘, ein ,Plan‘ sein sollte, bleibt unerfindlich. Soll etwa die Schwierigkeit, auf den Hügel zu kommen, thematisiert werden, als wären wir in einer Komödie? Und w o f ü r wäre das Erklimmen eine mhxanÆ? West lässt leider nicht erkennen, wie er die Überlieferung versteht. Mir scheint, dass mhxanÆ und krãtow im vorliegenden Zusammenhang nicht zu den hilfesuchenden flk°tai passen, sondern auf die Seite der Götter gehören und Aischylos so etwas gesagt haben dürfte wie mÆ nun sxÒlaze: mhxanØ d° gÉ œn krãtow. Den vorangehenden Vers (208) hat der Dichter nur eingefügt, damit Danaos noch einmal den Sinn der szenischen Aktion verdeutlichen kann. Wenn die Chorführerin sagt y°loimÉ ín ≥dh so‹ p°law yrÒnouw ¶xein, so entspricht das ,Sitzen‘ der bei der Hikesie am Altar üblichen Begrifflichkeit17, d. h. der Chor scheint jetzt dem von Danaos schon in V. 189 angemahnten pãgon pros¤zein t«ndÉ 15) Etwas anders J. Vürtheim, Aischylos’ Schutzflehende, Amsterdam 1928, 171: „so zögert nicht, hinauf! Das Rettungsmittel zeige seine Kraft“. Vgl. noch Verdenius (wie Anm. 14); Liberman 247. 16) H. J. Rose, A Commentary on the Surviving Plays of Aeschylus, vol. I, Amsterdam 1957, 30. 17) Vgl. K. Latte, Heiliges Recht, Tübingen 1920, Neudr. Aalen 1964, 106; Verf. (wie Anm. 1) 115.
120
Kurt Sier
égvn¤vn ye«n nachkommen zu wollen. Aber die Wendung y°loimi . . . so‹ p°law hat doch einen etwas anderen Akzent. Die Danaiden möchten in der Nähe ihres Va t e r s sein, doch in Wahrheit geht es darum, dass sie zu den anwesenden G ö t t e r n in Kontakt treten. Danaos erwidert: ,So säume nicht [zu mir hinaufzusteigen]; was uns helfen kann, liegt indessen [nicht bei mir, sondern] in der Hand von denen, die das krãtow haben, bei den kre¤ttonew‘18. Er spricht, wie die Stichomythie erfordert, knapp und pointiert, vielleicht mit einer Handbewegung hin zur koinobvm¤a der ênaktew (222). Seine Belehrung leitet dann passend zur Reihe der folgenden Gebete über, die naturgemäß mit Zeus beginnt, dem tel°vn teleiÒtaton krãtow (525), das den Danaiden tÚ pçn m∞xar ist (594; vgl. 1073), mächtig, ¶rgon …w ¶pow speËsai (598). Der aus der Stichomythie herausfallende Zweizeiler 211–12 markiert ebenso passend die Kompositionsfuge zwischen dem Zeus-Anruf und der Wendung an die übrigen Gottheiten. (III) 514 Nachdem Danaos sich für eine Zeitlang in die Stadt entfernt hat, bringt der König Pelasgos den Chor dazu, sein Asyl zu verlassen. Die kurze, dramatisch dichte Stichomythie (506–15) ist in ihrem zweiten Teil nicht leicht. Bemüht, die Hiketiden zu beruhigen, ruft Pelasgos gerade durch sein Ausweichen (510) in ihnen das horrible Bild ihrer Verfolger herauf (511), so dass er sie ermahnen muss, das Unheil nicht noch eigens herbeizureden (512). Sie entschuldigen sich mit ihrer Furcht – kein Wunder, wenn sie vor Angst bitter und verdrossen seien (513): oÎtoi ti yaËma dusfore›n fÒbvi frenÒw. Er entgegnet (514) 18) Die angenommene Funktion von d° ge steht zwischen der im Drama üblichen Verwendung „in retorts and lively rejoinders“ und dem selteneren, aber hinreichend belegten Gebrauch „in continuous speech“, bei dem „the speaker counters his own words“ (Denniston, Greek Particles 153, 155). – Eine andere Möglichkeit der Herstellung wäre mhxanÆ Ésti dÉ œn krãtow (vgl. Eum. 218), doch setzt das unwahrscheinliche Korruptel voraus. Bei der Lesart mhxanØ dÉ ¶syÉ œn krãtow andererseits wäre der Verstoß gegen die Porsonsche Brücke durch Fälle wie Pers. 762, Suppl. 753 kaum gedeckt (dÉ ¶syÉ würde mit mhxanÆ ein ,Wortbild‘ darstellen), wie denn unter den 23 Belegen für elidiertes §st¤ im aischyleischen Trimeter keiner in dieser Position begegnet.
Zu einigen Stellen der aischyleischen Hiketiden
121
ée‹ dÉ énãktvn §st‹ de›mÉ §ja¤sion. Als Korrektur der sinnlosen Überlieferung19 hatte West früher20 §pakt«n statt énãktvn vermutet, doch plädiert er jetzt (Stud. 145f.) für énãlktvn, eine unbelegte, aber mögliche Bildung, nach West darauf zu beziehen, dass der Chor mit dem Verlassen des Asyls sich der élkÆ des Altars (731, 832, vgl. 352) begeben habe. Es ist jedoch nicht sehr wahrscheinlich, dass Pelasgos die Dinge so betrachten sollte, als sei das exzessive de›ma der Danaiden in ihrer – von ihm selbst herbeigeführten – Lage nur zu verständlich und nicht anders zu erwarten. Gefordert scheint vielmehr ein milder Tadel oder eine beschwichtigende Aufmunterung. Linwoods ée‹ gunaik«n (aufgenommen von Page) rechnet mit einer unplausiblen Korruptel und nimmt zu wenig Rücksicht auf die Antwort der Chorführerin (515): sÁ ka‹ l°gvn eÎfraine ka‹ prãssvn fr°na. Da klingt eÎfraine merkwürdig. Als Pendant zu fÒbow und de›ma würde naheliegen ,Gib mir Mut, Sicherheit‘, etwa yãrsune, nicht aber ,Du erfreue meinen Sinn‘. Was muss der König gesagt haben, wenn eÎfraine stimmig darauf antworten soll? prãssvn spricht nur scheinbar für das von Wilamowitz statt énãktvn eingesetzte êprakton (vgl. Johansen/Whittle II 399), und die Replik scheint mir auch lÊein für ée‹21 nicht wirklich zu empfehlen, zumal die entstehende Sentenz befremdlich wäre: ,Zu lösen übertriebene Angst fällt Herrschern zu‘. Warum §ja¤sion? Ich schlage vor êlgei dÉ énaptÒn §sti de›mÉ §ja¤sion. Mit êlgei nimmt Pelasgos das dusfore›n der Hiketiden auf (Sept. 780 §pÉ êlgei dusfor«n, [Eur.] Rhes. 425 lÊphi . . . dusfor«n). Doch zu übertriebener Sorge, meint er, besteht kein Anlass: ,Vom Schmerz entfachen lässt sich unangemessene Furcht‘, d. h. ,ich verstehe zwar eure quälenden Gedanken, aber sie lassen euch über Gebühr verängstigt sein‘; worauf die Chorführerin ihn auffordert, etwas gegen ihr êlgow zu tun, sie zu ,erfreuen‘, indem er nicht nur redet, sondern aktiv für ihre Sicherheit sorgt. Zur Bildidee von 19) Vergebliche Erklärungsversuche diskutieren Johansen/Whittle II 399. 20) M. L. West, Conjectures on 46 Greek Poets, Philologus 110 (1966) 155. 21) A.F. Garvie, Rez. H. F. Johansen, Aeschylus, The Suppliants vol. I, CR 23 [1973] 22; vgl. Sept. 270.
122
Kurt Sier
énaptÒn stimmt genau Sept. 289 m°rimnai zvpuroËsi tãrbow22. Zum metaphorischen Gebrauch des Verbs vgl. Eur. Med. 107, über die Titelheldin: n°fow ofimvg∞w . . . tãxÉ énãcei me¤zoni yum«i (m. y. ~ §ja¤sion). L hat dort énãjei, wie Cho. 131 f«w ênacon §n dÒmoiw in p«w énãjomen d. verschrieben ist. (IV) 544–546 In der Mitte des Dramas lässt der Chor noch einmal Ios Weg von Argos nach Ägypten Revue passieren; er beginnt mit dem Bild der vom o‰strow Getriebenen: feÊgei èmart¤noow, pollå brot«n diameibom°na fËla: ~dix∞i~ dÉ ént¤poron ga›an ~§n a‡sai~, diat°mnousa pÒron kumat¤an, ır¤zei.
545
So der Text von West, der mit Johansen/Whittle zu Recht am überlieferten diat°mnousa festhält und ga›an von ır¤zei abhängen lässt, ohne ihnen aber im Weiteren zu folgen23. dix∞i, ohnehin kein Wort der Dichtung, kann angesichts der Wortstellung kaum zu diat°mnousa gehören und passt nicht zu ır¤zei, während §n a‡sai entweder, wenn man es als singuläre Variante von katÉ a‰san fassen will, im Bezug unklar oder aber ergänzungsbedürftig scheint: „There seems some likelihood that dix∞i and §n a‡sai should be considered as a single problem“ (Stud. 147). Förderlich auch der Hinweis (146), dass pÒron nicht notwendig mit Johansen/Whittle als ,affiziertes‘ Objekt zu deuten ist (durchschwimmend ,teilt‘ Io die Wogen der Meerenge), sondern sich auch ,effiziert‘ verstehen lässt (sie ,bahnt sich‘ einen Weg durch die Fluten), 22) Vgl. z. B. auch fr. 451r 3f. R. oÎtiw ér[tiÒf]frvn ˜tan dØ fl°gh[i..(.)].n e‡sv (und vgl. êlgei in V. 6). 23) Johansen/Whittle (II 424–27) argumentieren triftig gegen Wilamowitz’ Änderung diat°mnonta (vgl. in neuerer Zeit M. Griffith, A New Edition of Aeschylus’ Suppliants, Phoenix 40 [1986] 335; Liberman 252 f.) und gegen Pages Vorschlag (app. crit.), §n a‡sai als Verschreibung einer Glosse §n és¤ai zu fassen und e. g. zu lesen dix∞i dÉ éntipÒroin ga›n <ëla koinån> diat°mnousa. Aber ihr eigener Versuch, mit der Überlieferung zurechtzukommen, leuchtet nicht ein.
Zu einigen Stellen der aischyleischen Hiketiden
123
und letzteres fügt sich zur Intentionalität des ır¤zein in der Tat besser. ént¤poron ga›an ır¤zei bedeutet, dass Io ,das Land auf der gegenüberliegenden Seite des pÒrow‘, Kleinasien, von anderen möglichen Zielen i h r e s pÒrow ,abgrenzt‘, als etwas Bestimmtes anvisiert24. Diese Zielstrebigkeit gilt es bei der Herstellung des Texts im Blick zu behalten. West vermutet, „tentatively“ und kühn, dÊai . . . §n éike› für dix∞i . . . §n a‡sai: „it was the intensity of her distress that stimulated her to the unusual feat of swimming the strait“. So geschickt er die anzunehmende Korruptel rekonstruiert, scheint mir der Wortlaut doch in eine andere Richtung zu deuten. Io agiert gleichzeitig gewissermaßen blind (èmart¤noow) und planvoll (ır¤zei). In dem, was sich an der von der Bremse getriebenen Kuh vollzieht, waltet ein lenkender Sinn, und das gilt nicht zuletzt für die spektakulärste Station ihrer Irrfahrt, die dem Bosporus seinen Namen gegeben hat. Zu ır¤zei stimmt die a‰sa, eine Fügung, die – verdeckt und der yuiåw ÜHraw (564) unbewusst – ihre Route so verlaufen lässt, wie sie ,soll‘ und wie Zeus’ boulÆ es vorsieht25. Statt dix∞i scheint ein Attribut wie éfanÆw gefordert. Das könnte gewesen sein
24) Etwas anders 394 Ïpastron . . . ır¤zomai . . . fugãn, ,um der Hochzeit zu entgehen, lasse ich meine Flucht bis zu den Sternen reichen‘ (zu Ïpastron vgl. Ag. 365). An die vorliegende Stelle klingt Eur. Med. 433 vielleicht gesucht an. ént¤porow ga›a wie é. x≈ra Pers. 67, wo aber das Spiel mit dem Doppelsinn von pÒrow fehlt. 25) Das Stasimon endet mit den Worten (598f.): ,Zeus ist keiner Macht unterworfen‘, pãresti dÉ ¶rgon …w ¶pow speËsa¤ ti ~t«n doÊliow~ f°rei frÆn. West gebührt das Verdienst, den allgemein ignorierten Vorschlag von K. H. Keck in die Diskussion zurückgeholt zu haben: . . . speËsai. t¤ t«ndÉ oÈ DiÚw f°rei frÆn; Mit einigem Nachdruck äußert er (Stud. 147f.) sein Befremden darüber, dass „this palmary emendation“ nicht längst zum textus receptus geworden sei und statt dessen „the specious conjecture of Portus“: . . . speËsa¤ ti t«n boÊliow f°rei frÆn bevorzugt werde. Ergibt aber Kecks Konjektur im vorliegenden Zusammenhang einen plausiblen Sinn? In den Parallelen Suppl. 823 und Ag. 1487f. geht es um die Abhängigkeit der menschlichen Dinge von der Fügung des Zeus, während an unserer Stelle eine einleuchtende Verknüpfung mit dem Gedanken der unbegrenzten Souveränität des Gottes nicht erkennbar ist. Doch auch wenn man die Aussage über den unmittelbaren Sinnzusammenhang hinweg auf die vorangehende(n) Strophe(n) verweisen lässt, wäre der Bezug von t«ndÉ ebenso wenig klar wie die genaue Bedeutung von f°rei. Portus’ Vertauschung von D und B scheint nicht so sehr „specious“ wie zutreffend, und Kecks Idee sollte m. E. wieder in dem Orcus verschwinden, aus dem West sie heraufbeschworen hat.
124
Kurt Sier
fËlÉ: éÛde› dÉ ént¤poron ga›an §n a‡sai diat°mnousa pÒron kumat¤an ır¤zei.
545
Vor der Bremse ,flieht sie verstandesverloren, der Menschen viele Stämme durchquerend, doch im Bann verborgener Fügung bestimmt sie das Land jenseits des Meers als ihr Ziel und bahnt sich einen Weg durch die Fluten‘. Mit der unsichtbaren a‰sa, wenn denn so zu lesen ist26, nimmt der Chor die Zeus-Theologie der Parodos auf: Die pÒroi seines Denkens sind ,schattig‘ und unerforschlich, k a t i d e › n êfrastoi (95 ~ 1058), doch im Dunkel der m°laina tÊxa leuchtet den Menschen ein Plan auf (88–90); denn es ist Zeus, der poli«i nÒmvi a‰san Ùryo› (673). An der Analogie zu Io hängt die Hoffnung der Danaiden. (V) 716–718 und 760 Danaos beschreibt, wie er das Schiff der Feinde auf das Festland Kurs nehmen sieht: oÎ me lanyãnei . . . ka‹ pr«ira prÒsyen ˆmmasin bl°pousÉ ıdÒn, o‡akow eÈyunt∞row Ístãtou ne≈w êgan kal«w klÊousa, tΔw ín oÈ f¤lh. pr°pousi dÉ êndrew nãÛoi ktl.
716
West hält in 718 die Überlieferung gegen Herwerdens syntaktisch vage und inhaltlich triviale Konjektur to›sin oÈ f¤lh, die im vergangenen Jahrhundert die Ausgaben beherrschte27. Doch ist es um die Plausibilität der tradierten Lesart nicht viel besser bestellt28. Sie 26) Vergleichbar etwa die tuflØ êth, das ,unkenntliche Verderben‘, von dem sich Herakles Soph. Trach. 1104 vernichtet sieht (G.W. Bond, Euripides. Heracles, Oxford 1988, 119). Bakch. 13 (12), 209 meint éÛdÆw, leider, nicht ,secret‘ (LSJ), sondern besagt, dass böswillige Krittelei am Ende ,unsichtbar‘ wird, sich in nichts auflöst. 27) Vgl. Johansen/Whittle III 79. – Kraus wählte die die Probleme geistreich verdeckende Übersetzung: „Dem Wink des Steuers [. . .] gehorsam – mehr als denen lieb, die ihm nicht freund!“ 28) Johansen/Whittle a. O. West setzt nach f¤lh einen Hochpunkt, fasst also das Kolon offenbar als Überleitung vom optischen Gesamteindruck des Schiffs zu seiner Besatzung (klarer würde das mit pr°pousin für -ousi dÉ); aber das Problem
Zu einigen Stellen der aischyleischen Hiketiden
125
könnte allenfalls einleuchten, wenn man t≈w auf V. 716 zurückbeziehen dürfte (,das Schiff blickt, wie’s wohl eines tut, das Finsteres im Schilde führt‘), aber eine solche Sperrung ist kaum möglich, und die Aussage widerspräche der Redehaltung des Danaos, der sich ansonsten mit einer bloßen Beschreibung begnügt und das Bedrohliche dessen, was er sieht, nicht noch eigens hervorhebt. Die Antithese von prÒsyen und Ístãtou lässt den sinnlichen Eindruck mit dem wahren Sachverhalt spielerisch kontrastieren. Der Schiffsbug hat zwar den Weg ,im Auge‘, aber es ist nicht das bl°pein, sondern das o‡akow klÊein, das bewirkt, dass das Schiff wie von Geisterhand geführt seine Bahn zieht. Der Vergleichssatz dürfte das Paradoxon illustriert haben, etwa so: êgan kal«w klÊousa tΔw égoË tuflÆ. Der Bug gehorcht dem Steuerruder ,wie der Blinde seinem Führer‘29. Man mag einwenden, dass bei solcher Aussage tuflÒw und nicht tuflÆ zu erwarten wäre, doch entspricht die Verschmelzung von Vergleichs- und Bezugsebene einer geläufigen Gestaltungsweise, die aus unserer Sicht nicht selten irritiert (Fraenkel zu Ag. 966, 1011). Etwas im Prinzip Ähnliches findet sich V. 760, wo Danaos angesichts des drohenden Ansturms der Aigyptos-Söhne, der kunoyrase›w (758), seine Töchter zu beruhigen sucht: éllÉ ¶sti fÆmh toÁw lÊkouw kre¤ssouw kun«n e‰nai: bÊblou d¢ karpÚw oÈ krate› stãxun.
760
Nach anderen (z. B. Page: „toÁw suspectum“) erklären Johansen/Whittle den Artikel in 760 für „highly suspect“ (III 109) – und in der Tat: Wenn schon, wäre er neben dem formal auf 758 zurückweisenden kun«n zu erwarten. Von den vorgeschlagenen Textänderungen (z. B. kre¤ssonaw lÊkouw kun«n Hermann) kann indes keine überzeugen. West schweigt zu der Frage, doch wäre es nicht besteht im Anschluss an die vorangehenden Worte. Liberman empfiehlt zu lesen klÊousa: tΔw går oÈ f¤lh: (255). 29) N statt G ist ein geläufiger Fehler, und TU- konnte nach AGOU leicht ausfallen. égÒw meint zwar sonst den ,Anführer‘ (so auch Suppl. 284 ~ 905) – den Blinden führt eher der ≤gem≈n, (pro)hghtÆw (Soph. Ant. 990, 1014, O. R. 1292, O. C. 1522 앑 1588), aber êgein ist die vox propria (z. B. Soph. O. C. 183, 188, Ant. 1087, O. R. 1521), und die Aktivierung der ,Grundbedeutung‘ entspricht dem tragischen Stil. – Zu t≈w (= …w) vgl. Johansen/Whittle II 65 und III 402f. Vielleicht ist es (demonstrativ) auch Suppl. 960 für das fragwürdige tiw einzusetzen.
126
Kurt Sier
unnütz gewesen, wenn er (wie Wilamowitz) die Lösung im Apparat kurz angedeutet hätte. Während das Bild in 761 den Gegensatz zwischen Ägypten und dem griechischen Argos aus sich heraus evident veranschaulicht, ist die metaphorische Funktion der angeführten fÆmh nicht so klar. Man muss wissen, dass den historischen Argeiern, wie die Ikonographie der Münzen belegt (Johansen/ Whittle a. O.), der Wolf als identitätsstiftendes Symbol ihrer Polis galt, um zu sehen, wie Vergleich und Verglichenes in Danaos’ Gnome sich durchdringen. Dass ,Wölfe stärker sind als Hunde‘, wird zum suggestiven Zeichen für die Überlegenheit der ,wölfischen‘ Argiver über die ,hündischen‘ Ägypter, und die Pointe der Aussage hängt an dem irritierenden, weil den Vergleich unterlaufenden, Artikel30. (VI) 808–811 Die nahenden Vergewaltiger vor Augen, wenden die Danaiden sich an Zeus. Die Korrektur der Verse wird dadurch erschwert, dass auch der Text der Antistrophe teilweise unsicher ist; ich sehe zunächst von ihr ab. ‡uzeu dÉ Ùmfãn, oÈrãnia m°lh litanå yeo›si ka‹ t°lea d° moi p«w pelÒmenã moi lÊsima: mãxima dÉ ¶pide pãter ktl.
810
Zu 808 bemerken Johansen/Whittle (III 156) richtig, dass d° als Anknüpfung an die vorangehende Strophe (,Welchen Ausweg aus der drohenden Ehe soll ich noch einschlagen?‘ 806f.) nicht passt. Sie geben daher Pages fiÊzetÉ den Vorzug vor dem ‡uze dÉ des Arsenius. Stilistisch sind beide Formen der Selbstaufforderung möglich, und moi 810 wirkt in beiden Fällen hart; immerhin aber scheint der Fehler ‡uzeu, der mit der Annahme einer aus 811 (pãter) eingedrungenen Glosse ZeË (Wilamowitz) oder einer Antizipation des ZeË von 816 (Johansen/Whittle) kaum plausibel erklärt ist, eher ge30) Vgl. auch R. D. Dawe, On Editing Sophocles, Oxford Style, ICS 27/28 (2002/03) 15, zu G 108f. afie‹ dÉ ıplot°rvn éndr«n fr°new ±er°yontai: / oÂw dÉ ı g°rvn met°hsin, ëma prÒssv ka‹ Ùp¤ssv / leÊssei (oÂw d¢ g. West mit Nauck).
Zu einigen Stellen der aischyleischen Hiketiden
127
gen als für Pages Vorschlag zu sprechen. Doch nicht nur die Flexion des Verbs ist fraglich, auch die Junktur ‡uze dÉ / fiÊzetÉ Ùmfãn hat gegen sich, dass in dem jambischen Dimeter das Wortende nach dem langen zweiten anceps im Sinne Porsons prosodisch irregulär und bei Aischylos ohne sichere Parallele ist31. C.G. Haupts Athetese von Ùmfãn bleibt indes willkürlich, und nicht minder die von m°lh (Johansen), die auch den metrischen Anstoß nicht behebt. In 809f. ist für ka¤, wenn d° richtig ist, adverbiales Verständnis gefordert, aber dagegen spricht einiges (vgl. Johansen/Whittle 157), und das Scholion ka‹ §pitelestikã moi ka‹ lÊsima t«n kak«n ginÒmena scheint das d° nicht zu kennen. Die Partikel mag, wenn sie nicht mechanisch von t°LEa abgezogen ist, aus der Annahme einer Frage (also von p«w wie in M statt des notwendigen pvw) resultieren, mit der ka¤, wenn überhaupt, nur adverbial zu verstehen war und die Einführung einer (anderen) Konjunktion sich nahelegte. Bei Tilgung von d° ist auch das anschließende moi zu athetieren, das in Konkurrenz mit dem moi hinter pelÒmena ohnehin die lectio facilior darstellt. ka¤ rückt dann nach V. 810, und in 809 ist yeo›w statt yeo›si zu schreiben; letzteres verdankt sich einer Kolometrie, wie sie in M vorliegt. – Wests Textgestaltung nimmt einen anderen Weg: ~‡uzeu dÉ Ùmfãn~, oÈrãnia m°lh litanå yeo›si ka‹
810
Die Differenzierung in männliche und weibliche Gottheiten, die Bambergers Ergänzung in 809 erzeugt, scheint hier jedoch (anders als z. B. Sept. 87, 94, wo die polare Wendung dem Ausdruck der Allheit dient) fehl am Platz, da der Plural nur eine generische Vorbereitung der Zeus-Apostrophe bildet, mit der das Stasimon endet. In 811 ist Headlams Wortschöpfung lus¤gama (oder das von West im Apparat vorgeschlagene lus¤kakÉ) gewiss denkbar, und Weils êxeimÉ statt mãxima dÉ darf als sinngemäße Restitution des Wortes gelten, das in dem Scholion étãraxa vorausgesetzt ist. Doch ist die Herstellung von Wilamowitz lÊsimã tÉ êximã tÉ nicht weniger 31) Vgl. West, Stud. 177; Diggle (wie Anm. 6) 131f. schlägt die Umstellung Ùmfån fiÊzetÉ vor. Der gleiche Einwand trifft das in 810 überlieferte t°lea d° moi p«w (i.e. pvw).
128
Kurt Sier
möglich, und sie empfiehlt sich durch eine schonendere Textbehandlung. Die beiden Adjektive stehen dann parallel entweder mit t°lea32 oder mit pelÒmena, das seinerseits mit litanã 809 koordiniert ist und nicht von ¶pide abhängen kann, wie Wilamowitz wollte; ebenso irrig scheint es, nach pelÒmenã moi Satzende anzunehmen und die Neutra in 811 adverbial auf den Imperativ zu beziehen (vgl. z. B. Johansen/Whittle III 160). Ich halte Wests Interpunktion vor ¶pide für richtig. In den korrespondierenden Versen der Gegenstrophe (817– 20) ist, wenn sich auch der Text von 817f. nicht zuverlässig ermitteln lässt, als metrische Struktur wahrscheinlich: u-u-
-uu u- 1
-uu
1-uu u-1
u uu u-
u uu u-1
u uu u-
u uu u-1
Dem würde in unserer Partie genügen33: ‡uz°
810
So rufe nach Hilfe – lass zum Himmel erklingen flehentliche Lieder an die Götter und solche, die, ob so oder so, mir in Erfüllung gehen und Lösung bringen und Ruhe von den Stürmen: Wende deinen Blick hierhin, Vater . . .
‡uz° nun am Strophenanfang wie z. B. klËy¤ nun Cho. 332, wo wie hier die Konsequenzen aus der Aussage der vorangehenden Strophe gezogen werden34. Ein hinzutretender Akkusativ wäre natür32) West sieht darin wohl ein Substantiv (= t°lh), doch spricht m. E. mehr für das Adjektiv. V. 123 ist anders. 33) Um Responsionslizenzen kommt man nicht herum. Doppelkürze in Responsion mit einem longum (in diesem Lied auch 806 앑 798) hat Aischylos zwar in den lyrischen Jamben der Orestie bis auf wenige Ausnahmen vermieden, in den älteren Stücken aber durchaus zugelassen. Vgl. Fraenkel, Ag. II 351; Verf. (wie Anm. 1) 248. 34) Vgl. z. B. auch Pers. 1040 bÒa nun ént¤doupã moi, 1050 §pory¤az° nun gÒoiw, Eur. Her. 1064 st°naz° nun. Im vorliegenden Fall wäre denkbar auch ‡uz° nun kêmfanon, aber das explikative Asyndeton ist ohne Tadel. – Zum Gebrauch von fiÊzein und Ableitungen vgl. Verf. (wie Anm. 1) 20.
Zu einigen Stellen der aischyleischen Hiketiden
129
lich möglich (‡uzÉ êpotmon boãn Pers. 280), aber ÙmfÆ ist hier kaum das rechte Wort35. Zu êmfanon oÈrãnia m°lh lässt sich vergleichen Suppl. 829 boån émfa¤nv, Aristophanes, Av. 744 mel°vn Pan‹ nÒmouw fleroÁw énafa¤nv. Auch Pers. 572 émbÒason oÈrãniÉ êxh, doch ist da nicht ,himmelschreiendes‘, sondern ,himmelhohes (überwältigendes) Leid‘ gemeint. (VII) 1000–1002 Danaos bereitet seine Töchter auf allfällige Gefährdungen ihrer blühenden Schönheit vor. Er begründet das in einer generalisierenden Aussage (998f.), die er in einem parataktischen Vergleich genauer ausführt (1000–2/1003–5). t°reinÉ Ùp≈ra dÉ eÈfÊlaktow oÈdam«w: y∞rew d¢ [sfe Martin] khra¤nousi ka‹ broto¤, t¤ mÆn; ka‹ kn≈dala pteroËnta ka‹ pedostib∞ 1000 karp≈mata stãzonta khrÊssei KÊpriw kalvra kvlÊousan yvsm°nhn [ein super hn scr.] §r«, ka‹ pary°nvn xlid∞sin eÈmÒrfoiw ¶pi pçw tiw parelyΔn ˆmmatow yelktÆrion tÒjeumÉ ¶pemcen, flm°rou nik≈menow. 1005 Auf V. 1002, wo mit dem Wust von Korruptelen das fast intakte Metrum seltsam kontrastiert, haben Jahrhunderte ihren Scharfsinn verwendet, doch ist eine konsensfähige Verbesserung nicht in Sicht36. Immerhin lässt sich der zu erwartende Gedanke und die Intention der Verse, wie mir scheint, schärfer fassen, als bisher geschehen. West schreibt: ka‹ kn≈dala pteroËnta ka‹ pedostib∞, karp≈mata stãzonta khrÊssei KÊpriw,
1000
35) Zum Bedeutungsspektrum vgl. R.D. Dawe, On Interpolations in the Two Oedipus Plays of Sophocles, RhM 144 (2001) 18f. Ùmfãn könnte gewiss die oÈrãnia m°lh als Apposition haben (LSJ s.v. I 2), aber als Hilfe- oder Klageschrei, wie ihn das fiÊzein voraussetzt, wäre es singulär. Pages Lesart Ùmfçn . . . m°lh ist unmöglich (vgl. Johansen/Whittle III 157). 36) Vgl. die Doxographie bei Johansen/Whittle III 295f., die selbst §poxÆ üben und 1001f. in Cruces setzen.
130
Kurt Sier
kêvra mvlÊousÉ ëmÉ, …w ma¤nein ¶rvi. Stud. 167 sieht er zwar „minor lexicographical objections“ (dass nämlich statt ma¤nein eher §kma¤nein zu erwarten wäre und dass Formen von ¶row zwar von Sophokles und Euripides gebraucht werden, aber bei Aischylos nicht belegt sind), doch werde das aufgewogen durch den poetischen Vorzug seiner Lösung. Aber der Bedenken gibt es doch noch mehr. Schon der ,nominativus pendens‘ in V. 1000 leuchtet wenig ein. Wie West sagt (166), pflegt solche Anakoluthie ein Partizip oder Prädikativ vorauszusetzen, das die Sinnrichtung der intendierten Aussage anzeigt; im vorliegenden Fall bliebe sie nicht nur ohne Vorbereitung, sondern erscheint auch in der Sache unmotiviert37. Hermann vermutete karp≈mayÉ ì stãzonta k. K. Das genügt vielleicht nicht, trifft aber m. E. soweit zu, dass in 1001 ein Nebensatz wahrscheinlich und in 1002 ein finites Verbum zu erwarten ist. In den Anfang dieses Verses setzt West, wie viele, Portus’ kêvra für die vox nihili KALVRA, aber während man sonst den im Zusammenhang befremdlichen Begriff der ,Unreife‘ – geht es doch um den Reiz der Ùp≈ra (998) – in der Textgestaltung gleich wieder zu neutralisieren sucht, macht er diesen Aspekt zur Grundlage seiner Herstellung: Kypris verleiht „even to those below the age of maturity“ verlockende Wirkung, indem sie ,zugleich‘ auch diese – „warming, softening, simmering“ – herrichtet und attraktiv sein lässt, „so as to madden them [sc. die kn≈dala] with desire“ (Stud. 167). Indes ist die ganz prosaische Vokabel mvlÊein für Aischylos schwer denkbar und auch semasiologisch wenig passend, und die Hervorhebung des Sonderfalls, den die Konjektur einführt, mutet pedantisch und im Kontext irrelevant an. Schließlich würde ich auf den Umstand, dass aktivisches ma¤nein in alter Zeit nur im Aorist begegnet, doch mehr Gewicht legen, als West zugunsten seines Texts zu tun geneigt ist. 37) West versucht zwar eine Begründung: „‘(As for) creatures winged and ground-walking,’ – a continuation such as ‘they are drawn by Cypris to the ripe fruit’ is envisaged, but then the poet substitutes ‘Cypris cries “Ripe juicy fruit!”’“ Aber der Wortlaut gestaltet sich keineswegs so lebhaft, wie die Paraphrase suggeriert und wie er sein müsste, um den syntaktischen Umbruch zu erklären. – P. Sandin (Critical Notes on Aeschylus, Eranos 100 [2002] 152–54) verkennt, dass in V. 1000 das erste ka¤ mit der Partikel in 1003 korrespondiert, und will den Vers als selbständigen Satz fassen („beasts devour it and mortals. Of course! Winged creatures as well as land-living. Cypris . . .“). Von anderem abgesehen, zerstört dies den kalkulierten Aufbau der Partie.
Zu einigen Stellen der aischyleischen Hiketiden
131
Mein eigener Vorschlag versteht sich nur als Exemplifikation des geforderten Sinns. Die Verse illustrieren die Ausstrahlung der §p¤streptow Àra, die den Danaiden eignet (997), so dass von êvra als Objekten der §piyum¤a kaum die Rede sein kann. Nun sieht kãlvra dem darüberstehenden karp≈ma(ta) verdächtig ähnlich, und es könnte sein, dass die Rücksicht auf den ductus litterarum in die Irre führt, aber ich halte die Lesart von Portus für zutreffend und streiche (mit Burges) nur das Kappa, das sei es von den karp≈mata oder von den umliegenden mit k anlautenden Wörtern herrühren mag. Bei kvlÊousan empfiehlt die Erfolglosigkeit der vorgeschlagenen Änderungen, an dem Verb festzuhalten (es ist zufällig bei Aischylos sonst unbelegt, doch hat er kvlÊtvr, kvlutÆriow). Diffizil steht es mit der zweiten Vershälfte. „Either yvsm°nhn or yvsm°nein could be the more faithful reproduction of the original text [. . .], or both could be equally wrong“ (Johansen/Whittle III 295). Das y irritiert, aber die naheliegende Konjektur ênyow führt, wie ich nach vielen Versuchen überzeugt bin, nirgendwo hin. Man hat zwischen VS (VSM) und VM, d. h. …w und œn als Varianten zu wählen und von einem Nebensatz auszugehen, als dessen Prädikat Burges ¶mhnÉ (gnomisch wie ¶pemcen 1005) m. E. plausibel vermutet hat. Subjekt ist dann ¶rvw, und ein davon abhängiges œn erscheint mir pointierter als …w. Ich schlage vor: ka‹ kn≈dala pteroËnta ka‹ pedostib∞, karp≈matÉ μn stãzonta khrÊsshi KÊpriw, êvra kvlÊoiw ín œn ¶mhnÉ ¶rvw.
1000
Die Tiere, die da fliegen und am Boden gehen, wirst du, wenn Kypris die Früchte als saftig-reif anpreist, zur falschen Zeit abhalten wollen von den Dingen, denen die Begierde gilt, die sie verrückt macht.
êvra kvlÊoiw ên, ,zur Unzeit‘ statt ,ohne Erfolg‘, wäre ein Beispiel für das lakonische, zuweilen grimmige Understatement, das Aischylos liebt, und nähme auf die Àra in 997 spielerisch Bezug38. 38) Das adverbiale êvra hat, wenn man Stintons probabler Konjektur folgt, in êkaira Cho. 624 (-vw M) eine nahe Parallele. Der vorgeschlagene Text schließt ein Missverständnis des Neutr. Plur., wie ich meine, aus. – West (Stud. 166) zitiert Anacreontea 59,20 ı dÉ ÖErvw êvra y°lgvn / <parãgei kÒrhn prodÆlvn> [suppl. West] / prodÒtin gãmvn gen°syai. Auch da ist ê. doch wohl als Adverb zu fassen (LSJ Suppl. [1996] 64; vgl. Wests Wortindex in seiner Ausgabe [21993] 53). – êvrow hat zwar vorzugsweise die Konnotation des ,zu Frühen‘, negiert an sich aber nur die Àra, „the fitting time or season for a thing“ (LSJ s. v. II).
132
Kurt Sier
Die Herstellung von V. 1001 hängt davon ab, wie 1002 zu lesen ist. Bei dem vermuteten karp≈matÉ μn st- ließe sich der Ausfall der Konjunktion (der dann khrÊssei für -hi zur Folge hatte) aus einem Schriftbild wie karpvmatast- erklären. Mag auch unsicher bleiben, wie Aischylos hier genau formuliert hat, scheint mir der Tenor der Verse doch hinreichend klar und für die Konzeption der Tragödie von einigem Interesse zu sein. W. Rösler hat mit Recht gefragt, worauf Danaos’ Mahnrede eigentlich hinauswill, und sie auf ein vieldiskutiertes Interpretationsproblem bezogen39. Hegen die Danaiden nach Aischylos eine allgemeine Aversion gegen Männer – verstoßen sie also gegen die ,natürliche Ordnung‘ – oder sind sie im Besonderen (und mit Grund) nur gegen die oktroyierte Hochzeit mit ihren ägyptischen Vettern, die sie alsbald denn auch ermorden werden? Die aischyleische Gestaltung zeigt in diesem Punkt eine irritierende, vielleicht gesuchte Ambiguität. Rösler plädiert zwar für die erste Option, doch sieht er40 das Motiv für die fujanor¤a der Danaostöchter nicht in schlichter Männer- und Ehefeindlichkeit, sondern in einem (aus späteren Zeugnissen erschlossenen) Orakel, das Danaos den Tod von der Hand eines seiner Schwiegersöhne – wer sie auch seien – verheißen habe. Sollte das zutreffen und das potentielle Orakel, wiewohl nirgends erwähnt, den Plan des Dramas in einer für den Zuschauer vollziehbaren Weise bestimmen, wären die Hiketiden notwendig als das zweite Stück der Trilogie zu betrachten; ein solcher Ansatz hat jedoch gewichtige Gründe gegen sich41. An der vorliegenden Stelle findet Rösler in der Emphase der väterlichen Ermahnungen nicht zu Unrecht eine gewisse ,Disproportion‘, aber es ist die Frage, ob der Zuschauer das als Hinweis auf eine im Hintergrund lauernde Prophezeiung zu verstehen hat. Ich meine, dass Aischylos hier vielmehr den dramatisch zentralen Sachverhalt der Asylgewährung42 thematisieren will. Die Hiketiden verdanken den 39) W. Rösler, Danaos à propos des dangers de l’amour (Eschyle, Suppliantes, 991–1013), Pallas 38 (1992) 173–78; ders., Der Schluß der „Hiketiden“ und die Danaiden-Trilogie des Aischylos, RhM 136 (1993) 1–22. 40) Im Anschluss an M. Sicherl, Die Tragik der Danaiden, MusHelv 43 (1986) 81–110. 41) Vgl. die bündige Diskussion von Sandin 9–12, der die Hiketiden m. E. zu Recht für das Eingangsdrama hält. 42) Darüber zuletzt (und klärend) M. Dreher, Die fremden Hiketai und die verfremdete Asylie in den ‘Hiketiden’ des Aischylos, in: Ulrike Riemer /P. Riemer
Zu einigen Stellen der aischyleischen Hiketiden
133
Argivern Schutz und ,Freiheit‘ (609), doch das Verpflichtende dieser eÈerges¤a kann auch in neue Abhängigkeit führen, in eine Situation, zu deren Vermeidung sie so viele Mühe, so viel Meer ,durchpflügt‘ haben (1007). Ihre Lage ist ohnehin schon fremdbestimmt genug – die Leibwache, von der Danaos begleitet wird (985), bringt das szenisch sinnfällig zum Ausdruck –, und in der heiklen Balance zwischen Dankbarkeit und Distanznahme liegt ein zeitloses Problem der ,Integration‘, das Aischylos als politischen Dichter interessieren musste. Sicher überrascht es ein wenig, wenn man auf die bisherige Haltung der Danaiden blickt, aber in der eingetretenen Situation ist es dramaturgisch wie ethopoetisch wohlerwogen, dass Danaos seine attraktiven Töchter in der Gefahr sieht, sie könnten sich ihren Wohltätern vielleicht über Gebühr verpflichtet fühlen. ,Macht mir keine Schande!‘ ist das A und O seiner Paränese (996 ~ 1008). Keine Andeutung, dass sein eigenes Leben davon abhinge, und keine Spur von einem allgemeinen Männerhass. Der durch die beiden ka¤ in V. 1000 und 1003 geknüpfte parataktische Vergleich beleuchtet in beiden Teilen die Ausgangsgnome t°reinÉ Ùp≈ra eÈfÊlaktow oÈdam«w (998), aber er tut das, wie bei dieser Gestaltungsweise üblich43, in der Art, dass die Vergleichsglieder je verschiedene Aspekte akzentuieren. Bei den kn≈dala liegt der Nachdruck auf dem unwiderstehlichen Instinkt, der nur das Objekt der Begierde sieht und dem in seiner man¤a nicht leicht zu begegnen ist: Dies die ,Natur‘ im Unterschied zu den Umgangsformen der menschlichen Kultur – natürlich ist der Stolz der Danaiden gegen plumpe Annäherungsversuche gefeit. Aber sie werden, meint ihr Vater, das Ziel eines ·merow sein, der zwar subtiler und gebändigter daherkommt, doch nicht minder irrational und triebhaft ist: Der Vergeblichkeit des kvlÊein (1002) entspricht nik≈menow in 1005. Allerdings lassen die begehrlichen Blicke der Männer ihnen die Freiheit der Entscheidung, und es wird an ihnen liegen, ob sie von ihrem y°lgein verführt werden oder nicht. Wie der Zuschauer weiß, werden die Töchter des Danaos sich ganz in seinem Sinn verhalten. Leipzig
Kurt Sier
(Hgg.), Xenophobie – Philoxenie. Vom Umgang mit Fremden in der Antike, Stuttgart 2005, 103–113, bes. 110 f. 43) Verf. (wie Anm. 1) 43, 286.
DIE FRAGE DER KRIEGSSCHULD IM WANDEL DER VÖLKERRECHTLICHEN BEZIEHUNGEN ZWISCHEN ROM UND KARTHAGO
Die Ausgangslage Seitdem Rom und Karthago sich wechselseitig beschuldigten, völkerrechtlich bindende Verträge gebrochen zu haben, um die Vorherrschaft im westlichen Mittelmeerraum zu erringen, ist der Meinungsstreit über die Rechts- und Schuldfrage, wer den Ersten und wer den Zweiten Punischen Krieg zu verantworten habe, nicht verstummt. Rom, das von jeher darauf pochte, durchweg „rechtmäßige Kriege“, bella iusta, geführt zu haben,1 berief sich auf sein Recht, dem Gegner zuvorzukommen,2 und seine Pflicht, seinen Verbündeten zu helfen.3 Karthago, das darauf bestand, den Friedensvertrag, den es 241 v. Chr. mit Rom geschlossen hatte,4 bis zuletzt buchstabengetreu eingehalten zu haben,5 stellte die Siegermacht als die Kriegstreiberin hin. Von einer anderen Warte blickte erst der Bithynier Cassius Dio auf den Ersten Punischen Krieg zurück, als er im ersten Drittel des dritten Jahrhunderts n. Chr. seine Römische Geschichte in griechischer Sprache schrieb. Die Vorgeschichte dieses Krieges beleuchtete er aus dem Blickwinkel, aus dem Thukydides im fünften Jahrhundert v. Chr. die Vorgeschichte des Peloponnesischen Krieges betrachtet hatte. Sein großes Vorbild hatte den Peloponnesischen Krieg darauf zurückgeführt, dass die beherrschende Land1) Cic. rep. 3,35 und off. 2,26. 2) Polyb. 1,10,5–1,11,1. 3) Polyb. 3,15,5 und 3,29,4–10. 4) Darüber im Einzelnen H. H. Schmitt, Die Staatsverträge des Altertums, Bd. 3, München 1969, 173–181. 5) Polyb. 3,21,3–5.
Kriegsschuldfrage im Ersten und Zweiten Punischen Krieg
135
macht Sparta der erstarkenden Seemacht Athen misstraut habe.6 Dio zeigte sich darin als sein gelehriger Schüler, dass er der beherrschenden Seemacht Karthago und der erstarkenden Landmacht Rom unterstellte, aus Argwohn, Furcht und Ausdehnungsdrang miteinander Krieg geführt zu haben. Statt seine Ansicht näher zu begründen, berief er sich allein auf die geschichtliche Erfahrung.7 Dass zwei freie, starke und stolze Völker einander aus dem Weg gehen würden, obwohl sie beide nach Macht strebten und zur See, wo schnelle Schiffe den Abstand rasch überbrückten, eng zusammenrückten, bezeichnete er als „sehr schwierig, ja unmöglich“.8 Sein Denkansatz, die geschichtliche Erfahrung von dieser Warte aus zu bemühen, lief auf das Urteil hinaus, dass Machtfragen die Rechtsfragen überwölbten. Soweit diese Sicht die Blickrichtung vorzeichnete, nahm sie in gewissem Sinne die Grundeinstellung vorweg, mit der Wladimir Iljitsch Lenin erklärte, der „Krieg zwischen Rom und Karthago“ sei „auf beiden Seiten ein imperialistischer Krieg“ gewesen.9 In seiner Rückschau sank die Kriegsschuldfrage somit zu dem zweitrangigen Streit ab, welche der beiden Mächte Recht im Unrecht hatte.10 Rechtsbedenken überwand der Senat zweifellos leichter als die Hemmschwelle, der Ruhmsucht eines so ehrgeizigen Konsuls wie Appius Claudius Caudex freien Lauf zu lassen.11 Umso mehr fragt es sich, ob die römische Staatsspitze 264 v. Chr. zwei Legionen zum sizilischen Kriegsschauplatz zu entsenden beschloss, weil sie den Krieg mit Karthago gewissermaßen aus geopolitischen Gründen ohnehin für unvermeidlich hielt. Hätte Dio die Sachlage richtig eingeschätzt, müsste sie von Anbeginn das Kriegsziel verfolgt haben, ganz Sizilien als Aufmarschgebiet für den Entscheidungskampf um die Vorherrschaft im westlichen Mittelmeerbecken zu erobern. Dafür blieb er indessen den Beweis schuldig. 6) Thuc. 1,23,6. 7) Dio, frg. 43,2–4 Boissevain. 8) Dio, frg. 43,3 Boissevain. 9) W. I. Lenin, Zur Revision des Parteiprogramms, Werke, Bd. 26, Berlin 1961, 148. 10) Darüber eingehender D. Flach, Der sogenannte römische Imperialismus im Wandel der neuzeitlichen Erfahrungswelt, HZ 222, 1976, 32–33. 11) Jüngst eingehend erörtert und näher untersucht von B. Bleckmann, Die römische Nobilität im Ersten Punischen Krieg. Untersuchungen zur aristokratischen Konkurrenz in der Republik, Klio Beihefte, Neue Folge 5, Berlin 2002, 68–84.
136
Dieter Flach, Christine Schraven
Zu sehr hatten sich die Ereignisse überstürzt, als dass Rom in dem Schicksalsjahr 264 v. Chr. einen Kurswechsel eingeleitet haben könnte, der von langer Hand vorbereitet gewesen wäre. Wie hätte man in Rom am Vorabend des Ersten Punischen Krieges voraussehen können, dass sich die beiden natürlichen Feinde Karthago und Syrakus verbünden würden? Polybios, der die Ereignisse zwar ebenso nur aus Büchern kannte, die geschriebene Geschichte, zu der die Augen- und Ohrenzeugenberichte geronnen waren, aber aus weitaus geringerem Zeitabstand durchleuchten konnte, kommt der Wahrheit gewiss näher, wenn er voraussetzt, dass Rom seine Kriegsziele von Erfolg zu Erfolg höher steckte.12 Die volle Wahrheit bringt aber auch er nicht ans Licht. Die Beweggründe, die er dem römischen Senat nachsagt, muss die Nachwelt nachgeschoben haben, als sich herausstellte, dass nicht nur Hieron II. von Syrakus, sondern auch der Heerführer einer karthagischen Streitmacht geschlagen werden musste, wenn Messana entsetzt werden sollte. Als der Senat darüber beriet und die Volksversammlung darüber abstimmte, ob römische Truppen den in Messana eingekesselten Mamertinern zu Hilfe eilen sollten, war noch nicht abzusehen, dass sich Hieron II. mit seinem natürlichen Feind verbünden würde. Das Kriegsziel, Karthago daran zu hindern, diese wirtschaftlich und strategisch wichtige Hafenstadt zu einem Flottenstützpunkt und Brückenkopf auszubauen, kann der römische Oberbefehlshaber, der Konsul Appius Claudius Caudex, erst verfolgt haben, als er davon überrascht wurde, sich nicht nur einem, sondern zwei Gegnern gegenüberzusehen. Daran hat die Quellenkritik anzusetzen. Nur wenn sie aufdeckt, wie weit die Römer Rechtsauffassungen vertraten, die das Blickfeld verengten oder die Wahrheit verschleierten, und alle nachgeschobenen Rechtfertigungen ihrer Handlungsweise aus den Berichten über die Vorgeschichte des Ersten und Zweiten Punischen Krieges herausfiltert, kann es gelingen, der Kriegsschuldfrage hier wie dort auf den Grund zu gehen. So nachhaltig verdeckte die fabische Sicht, die Polybios in der griechisch geschriebenen Darstellung seines römischen Vorläufers Fabius Pictor vorfand, den Einblick in die Rechts- und Sachlage nicht, dass der römischkarthagische Meinungsstreit über die Auslegung des Friedensver12) Polyb. 1,20,1–2; 1,25,5.
Kriegsschuldfrage im Ersten und Zweiten Punischen Krieg
137
trags von 241 v. Chr. und die Fortgeltung des Ebroabkommens von 226/25 v. Chr. nicht mehr abgewogen erörtert werden könnte. Die Vorgeschichte des Ersten Punischen Krieges Bis zum Jahr 264 v. Chr. hatten Rom und Karthago nie miteinander Krieg geführt, sondern es immer verstanden, sich auf ihre gemeinsamen Interessen zu besinnen. Diesem Gebot der Vernunft folgten sie, sooft sie es für nötig hielten, ihre zwischenstaatlichen Beziehungen vertraglich zu regeln. In den Verträgen, die sie zu diesem Zweck miteinander schlossen, schlug sich freilich ebenso nieder, dass die eine Macht der anderen misstraut haben muss. Sonst hätten sie sich nicht wechselseitig darauf zu verpflichten brauchen, in den Häfen, in denen ihre seekriegstauglichen Langschiffe einliefen, und an den Küsten, an denen sie landeten oder strandeten, die Hoheitsrechte oder Bündnisverpflichtungen der Gegenseite zu achten. Die beiden ersten Verträge schlossen Rom und Karthago noch nicht auf gleicher Augenhöhe.13 Während Karthago nur zuzusichern brauchte, Kaperei und Piraterie im römischen Einflussbereich einzudämmen, musste Rom sich verpflichten, sie in den karthagischen Hoheitsgewässern und Handelssperrzonen gänzlich einzustellen. Schon 348 v. Chr. hatten die römischen Unterhändler den karthagischen weiter entgegenkommen müssen als die karthagischen den römischen, ehe sie sich geeinigt hatten. Noch weiter gaben die Römer den Karthagern nur nach, als sie mit ihnen ungefähr zehn Jahre später den zweiten Vertrag aushandelten.14 In der Zeitspanne von 340 bis 338 v. Chr., als die Latiner sich gegen Rom erhoben und seine kampanischen Bundesgenossen sich ihrem Aufstand anschlossen, mussten die Römer teuer erkaufen, dass die Karthager lieber stillhielten, als sich auf die Seite der Städte zu schlagen, die sich gegen Roms Vormachtstellung auflehnten. Dafür 13) Richtig beobachtet von K. Bringmann, Überlegungen zur Datierung und zum historischen Hintergrund der beiden ersten römisch-karthagischen Verträge, in: Punica – Libyca – Ptolemaica. Festschrift für Werner Huß zum 65. Geburtstag, hrsg. von K. Geus und K. Zimmermann, Studia Phoenica 16, 2001, 117–120. 14) Zeitlicher Ansatz und inhaltliche Bewertung nach Bringmann (wie Anm. 13) 114–120.
138
Dieter Flach, Christine Schraven
hatten die Römer den Preis zu zahlen, dass der zweite Vertrag sie in mehreren Punkten schlechter stellte: – Die Römer hatten hinzunehmen, dass Karthago seine Handelssperrzonen erheblich ausweitete. Während ihnen der erste Vertrag nur verwehrte, über Kap Bon, das „Schöne Vorgebirge“, hinauszufahren,15 um in den Gewässern der Byssatis und der Kleinen Syrte, des Golfs von Hammamet bis Gabes, Handelsplätze anzulaufen,16 verbot ihnen der zweite darüber hinaus, an der nordafrikanischen Küste westlich von Karthago, der spanischen Südostküste südlich von Mastia, Stadt der Tarseier bzw. Tartessier, wie Neu-Karthago mit seinem alten Namen geheißen zu haben scheint, oder der sardinischen Küste Beute zu machen, Handel zu treiben oder eine Stadt zu gründen.17 Zum Warenaustausch vor Anker und an Land gehen durften sie von nun an nur noch in Karthago selbst und der sogenannten Epikratie oder Eparchie, dem Westen der Insel Sizilien.18 – Nach dem ersten Vertrag konnte ein römisches Handelsschiff, das ein Seesturm an eine dieser Küsten verschlagen hatte, so lange vor Anker bleiben, bis sein Kapitän entschied, dass es wieder instand gesetzt und Neptun versöhnt sei.19 Nach dem zweiten musste es, mochte auch seine Seetüchtigkeit noch nicht wiederhergestellt sein oder das Meer gerade toben, binnen fünf Tagen wieder auslaufen.20 – Im ersten Vertrag hatten die Karthager zugesichert, die Städte zu meiden, die Rom als Vormacht des Latinischen Bundes beherrschte, und an der latinischen Küste weder Flottenstützpunkte zu errichten oder Handelsplätze zu gründen noch Städte besetzt zu halten.21 Hatten sie eine latinische Hafenstadt eingenommen, die sich seinem Einfluss bis dahin hatte entziehen können, waren sie verpflichtet, sie ihm unversehrt zu übergeben.22 Im zweiten gestand Rom den Karthagern zu, im gesamten Latium 15) Polyb. 3,22,5 und 3,23,1–2 nach Chr. Marek, Die Bestimmungen des zweiten römisch-punischen Vertrags über die Grenzen der karthagischen Hoheitsgewässer, Chiron 7, 1977, 1–7. 16) Polyb. 3,23,2. 17) Polyb. 3,24,1–2 und 3,24,11 nach Marek (wie Anm. 15) 3–7. 18) Polyb. 3,24,12. 19) Polyb. 3,22,6. 20) Polyb. 3,24,11. 21) Polyb. 3,22,11.13. 22) Polyb. 3,22,12.
Kriegsschuldfrage im Ersten und Zweiten Punischen Krieg
139
bündnislose, von ihm unabhängige Städte einzunehmen, um Beute und Gefangene zu machen. Eroberten sie eine latinische Stadt, die selbständig geblieben war, hatten sie ihm gemeinhin nur die Stadt, nicht aber die Männer und die bewegliche Habe ihrer Bevölkerung auszuliefern.23 Nur wenn sie eine Stadt einnahmen und plünderten, die mit Rom in schriftlich abgemachtem Frieden lebte, mussten sie, um den Vertragsbedingungen zu genügen, die Rom mit dieser Stadt vereinbart hatte, einen Mann, den sie gefangengenommen hatten, wieder freilassen, sollten sie ihn in einen römischen Hafen bringen. In diesem Sonderfall stellte ein Römer die Freiheits- und Persönlichkeitsrechte des Kriegsgefangenen, der in die Sklaverei verkauft werden sollte, wieder her, wenn er, um von seinem Zugriffsrecht sichtbar Gebrauch zu machen, die Hand auf ihn legte.24 In ihrer Not hatten die Römer kurzum eingewilligt, dass der neue Vertrag ihr Recht, mit der Seemacht Karthago Handel zu treiben, auf Karthago selbst und sein Hoheitsgebiet im Westen Siziliens mit den Häfen Lilybaion, Drepanon und Panormos einengte, während die Karthager nur die latinischen Hafenstädte meiden mussten, die der Vormacht des Latinischen Bundes die Treue hielten.25 Bis auf diese durften die Karthager alle Städte, die selbständig geblieben oder von Rom abgefallen waren, plündern und ihre Männer versklaven. Diesen Preis zahlten die Römer dafür, dass Karthago ihre Notlage nicht dazu ausnutzte, den Städten beizustehen, die sich von den Fesseln der römischen Vorherrschaft befreien wollten. Für den Augenblick hatte Karthago sicherlich den besseren Verhandlungserfolg erzielt. Auf längere Sicht aber sollte Rom die größeren Vorteile aus seinem Stillhalteabkommen mit der überlegenen Seemacht ziehen. Als der Latinische Städtebund zerfiel, baute es ein Netzwerk von Bündnissen auf, das den härtesten Zerreißproben standhalten sollte. Während Rom unaufhaltsam zur führenden Macht in Italien aufstieg, musste Karthago zur Kenntnis nehmen, dass das Machtgefälle zusehends abnahm. Dieser Ver23) Polyb. 3,24,5. 24) Polyb. 3,24,6. 25) D. Flach, Die römisch-karthagischen Beziehungen bis zum Ausbruch des Ersten Punischen Krieges, in: Ex fontibus haurire. Beiträge zur römischen Geschichte und zu ihren Hilfswissenschaften, Festschrift H. Chantraine, hrsg. von R. Günther und St. Rebenich, Paderborn 1994, 37–38.
140
Dieter Flach, Christine Schraven
schiebung des Kräfteverhältnisses hatte es schon im nächsten Vertrag Tribut zu zollen, das es mit dem wieder erstarkten Stadtstaat am Tiber schloss. 306 v. Chr.26 vereinbarten die Römer mit den Karthagern, sich von Sizilien fernzuhalten, wenn sich die Karthager ihrerseits von Italien fernhielten.27 Diesem Vertrag, auf den der Geschichtsschreiber Philinos von Akragas verwies, um die Römer zu überführen, ihn mit der Eröffnung des Ersten Punischen Krieges gebrochen zu haben, sprach Polybios vorschnell die Geschichtlichkeit ab.28 Sein Einwand, er habe im Aerarium der Aedilen, in dem die Römer ihre Staatsverträge aufbewahrten, keinen Vertrag gefunden, der römischen Kriegs- oder Seeräuberschiffen nach Sizilien überzusetzen verboten hätte, widerlegt seinen sizilischen Vorgänger keineswegs. Die Römer bestritten jedenfalls nicht, zugesichert zu haben, sich in sizilische Händel so wenig einzumischen wie die Karthager in italische. Nur beschuldigten sie die Karthager, zuerst gegen dieses Abkommen verstoßen zu haben, als sie 272 v. Chr. mit ihrer Flotte den Tarentinern zu Hilfe gekommen seien.29 Den Tarentinern in ihrer Bedrängnis beigestanden zu haben, lasteten sie ihnen als einen von sechs Vertragsbrüchen an. So viele rechnete ihnen zumindest Cato in seinem Geschichtswerk, den Origines, vor.30 Seinem Inhalt nach passt das Abkommen, das Philinos von Akragas ins Feld führte, in das ausgehende vierte Jahrhundert. 306 v. Chr. die Einflussbereiche so abzugrenzen, wie beide Seiten es vereinbart haben sollen, bildete getreu ab, wie stark sich mittlerweile die Machtverhältnisse verschoben hatten. Diese Abmachung handelten sie auf gleicher Augenhöhe miteinander aus. 26) So Livius 9,43,26. 27) So Philinos nach Polyb. 3,26,2–4, während R.M. Errington, The Dawn of Empire, London 1972, 17–18, S. Albert, Zum Philinosvertrag, WJA 4, 1978, 205– 209, E. Badian, Two Polybian Treaties, in: fil¤aw xãrin. Miscellanea di studi classici in onore di Eugenio Manni, Bd. 1, Rom 1980, 164–169, D. V. Hoyos, Treaties True und False: The Error of Philinus of Agrigentum, CQ 35, 1985, 92–103, und A. M. Eckstein, Senate and General, Berkeley / Los Angeles / London 1987, 77–78, die Geschichtlichkeit des Vertrages, auf den Philinos sich in der Kriegsschuldfrage berief, aus verschiedenen Gründen anzweifeln; schwankend B. Scardigli, I trattati romano-cartaginese, Pisa 1991, 152–153. 28) Polyb. 3,26. 29) Liv. per. 14 und 21,10,5–8; Dio, frg. 41,1 Boissevain; Zon. 8,6,15 und 8,8,3; Amp. 46,2; Oros. hist. 4,3,1–2. 30) Cato, orig. frg. 84 Peter = frg. 4,9 Beck / Walter.
Kriegsschuldfrage im Ersten und Zweiten Punischen Krieg
141
Spätestens jetzt werden sie auch ihre Handelsbeziehungen neu geregelt haben. Den Stand, mit Karthago als gleichberechtigte Vertragspartner verhandeln zu können, behaupteten die Römer von nun an in noch so großer Kriegsnot. Obwohl Pyrrhos von Epeiros im Spätsommer des Jahres 279 in der Schlacht von Ausculum wie zuvor in der von Herakleia die römische Streitmacht geschlagen hatte, verbündete Karthago sich nicht etwa mit Pyrrhos gegen die Römer, sondern mit den Römern gegen Pyrrhos. Nach dem Abkommen, das die Römer nach der zweiten Niederlage mit Karthago aushandelten, hätten sie zwar mit Pyrrhos einen Sonderfrieden schließen können, ein Bündnis aber nur, wenn sie sich vertraglich ausbedangen, Karthago beistehen zu dürfen, sollte es angegriffen werden.31 Nach demselben Abkommen hätte Karthago umgekehrt ebenso ein Bündnis mit Pyrrhos schließen können, solange es sich nur vertraglich vorbehielt, den Römern beistehen zu dürfen, wenn sie angegriffen werden sollten. Geschickt verschlüsselt verpackte dieser Vertrag den Inhalt, dass Pyrrhos daran gehindert werden sollte, mit den Römern ein Bündnis zu schließen, das sie verpflichtet hätte, gemeinsam mit ihm gegen Karthago Krieg zu führen.32 Nach außen hin legte ihr Abkommen die Karthager zwar ebenso an die Kette wie die Römer. Nach der Schlacht von Ausculum, als sie es trafen,33 hatten aber eher die Karthager zu befürchten, dass Rom sich mit Pyrrhos gegen sie verbünden könnte. Wie schon nach der Schlacht von Herakleia bot ihm Pyrrhos nach der von Ausculum Frieden, Freundschaft und Bündnis an, um es auf seine Seite zu ziehen.34 Doch scheiterte er aus den zwei Gründen, dass der Gegner von keiner seiner beiden Niederlagen in die Knie gezwungen wurde und sich wie bisher auf seine gemeinsamen Interessen mit Karthago besann. Diesmal hatte allerdings Karthago den Römern weiter denn je entgegenzukommen. Dafür, dass sie ihm vertraglich zusicherten, mit Pyrrhos kein Bündnis einzugehen, das sie gezwungen hätte, 31) D. Flach, Das römisch-karthagische Bündnisabkommen gegen Pyrrhos, Historia 27, 1978, 615–617. 32) Flach (wie Anm. 31) 615–617. 33) Flach (wie Anm. 25) 40. 34) Die Zeugnisse über Inhalt und Verlauf dieser Verhandlungen abgedruckt in: Schmitt (wie Anm. 4) 107–109.
142
Dieter Flach, Christine Schraven
gemeinsam mit Pyrrhos gegen Karthago zu Felde zu ziehen, verpflichtete sich Karthago, ihnen mit seiner Kriegsflotte Beistand zu leisten, sollte Pyrrhos sie zur See angreifen.35 Der Beistandspakt, den beide Mächte miteinander schlossen, bewegte sich im Gewoge der wechselhaften Bündnispolitik, die in der hellenistischen Staatenwelt vorherrschte, auf bemerkenswert geradem und stetigem Kurs. Wieder einmal hatten sich Rom und Karthago auf ihre gemeinsamen Interessen besonnen, als es Gefahren abzuwehren galt, die ihre Bündnistreue auf die Probe stellten. Wenngleich sie einander misstrauten, widerstanden sie aufs Neue der Versuchung, die Gunst der Stunde zu einem Frontwechsel zu nutzen. Wie bisher siegte letztlich die Vernunft, so hart auch beide Seiten in dem üblichen Vertragspoker miteinander verhandelt haben mögen. Die Kehrtwende trat erst ein, als der Konsul Appius Claudius Caudex mit seiner Streitmacht nach Sizilien aufbrach, um Messana zu entsetzen. Obwohl ihn das römische Volk mit dem Mehrheitsentscheid der Zenturiatkomitien, den in Messana eingekesselten Mamertinern zu Hilfe zu eilen, uneingeschränkt dazu ermächtigt hatte, über Italien hinauszugreifen, fragt es sich freilich, ob es nicht eher in den Krieg mit Karthago hineinschlitterte,36 als dass es ihn in voller Kenntnis der Tragweite seines Beschlusses entfesselte.37 Im Rückblick mochte es zwar so aussehen, als habe das römische Volk ihn mit der Vorentscheidung, dem Hilfegesuch der Mamertiner stattzugeben, wissentlich vom Zaun gebrochen. Je genauer aber der Zeitablauf an seinem Vor35) Polyb. 3,25,4–5. 36) Soweit richtig A. Heuß, Der Erste Punische Krieg und das Problem des römischen Imperialismus, HZ 169, 1949, 457–486 (= Libelli 130, Darmstadt 31970, 5–47), W. Hoffmann, Roms Aufstieg zur Weltherrschaft, in: Propyläen Weltgeschichte, Bd. 4, Berlin / Frankfurt / Wien 1963, 102–104, J. Molthagen, Der Weg in den Ersten Punischen Krieg, Chiron 5, 1975, 100–126, J. Molthagen, Der Triumph des M.’ Valerius Messalla und die Anfänge des Ersten Punischen Krieges, Chiron 9, 1979, 66–72, S. Albert, Bellum iustum. Die Theorie des „gerechten Krieges“ und ihre praktische Bedeutung für die auswärtigen Auseinandersetzungen Roms in republikanischer Zeit, FAS 10, Kallmünz 1980, 40–45, und E. Ruschenbusch, Der Ausbruch des 1. Punischen Krieges, TALANTA 12/13, 1982, 71. 37) So jedoch W. Hoffmann, Das Hilfegesuch der Mamertiner am Vorabend des Ersten Punischen Krieges, Historia 18, 1969, 179–180, F. Hampl, Zur Vorgeschichte des ersten und zweiten Punischen Krieges, in: ANRW I 1, Berlin / New York 1972, 416–417, 423–425, und K.-W. Welwei, Hieron II. von Syrakus und der Ausbruch des Ersten Punischen Krieges, Historia 27, 1978, 577–587.
Kriegsschuldfrage im Ersten und Zweiten Punischen Krieg
143
abend untersucht wird, desto deutlicher schält sich heraus, dass das auf dem Marsfeld versammelte Volk an dem Tag, an dem es über das Anliegen der Mamertiner abstimmte, nur über das Kriegsziel zu befinden hatte, den Belagerungsring zu sprengen, den Hieron II. von Syrakus um Messana gezogen hatte. Polybios schilderte die Sachlage anders, weil er von derselben Warte auf das Geschehen zurückblickte, aus der es Fabius Pictor, der älteste römische Geschichtsschreiber, beurteilt hatte. Nach der Darstellung, die Polybios seinem römischen Vorläufer aus dem stockkonservativen Geschlecht der Fabier entlehnte, hatte der Senat aus achtbaren Beweggründen geschwankt, ob er sich für oder gegen das Angebot der Mamertiner aussprechen solle, das Schicksal ihres Räuberstaats in seine Hände zu legen: Empfehle er dem römischen Volk, ihnen beizustehen, lege er ihm nahe, sich mit Spießgesellen der oskischen Besatzer von Rhegion zu verbünden, über die es wenige Jahre zuvor ein blutiges Strafgericht verhängt habe.38 Rate er ihm davon ab, Messana zu entsetzen, und teile es seine Bedenken, versäume es Rom, den Karthagern zuvorzukommen, und lasse es zu, dass sie die strategisch wichtige Hafenstadt an der Meerenge zwischen Italien und Sizilien zu einem Brückenkopf ausbauten.39 Statt den Zenturiatkomitien mit einem eindeutigen Ergebnis seiner Vorberatungen die Richtung zu weisen, habe der Senat ihnen die alleinige Verantwortung dafür zugeschoben, über Krieg und Frieden zu entscheiden. Die Zenturiatkomitien aber hätten weder aus den vom Senat vorgebrachten noch aus anderen achtbaren Beweggründen geschwankt, sondern sich davon ködern lassen, dass ihnen die Kriegspartei – mit dem Konsul Appius Claudius Caudex an der Spitze40 – reiche und sichere Beute in Aussicht gestellt habe.41 Die Vorgeschichte des Ersten Punischen Krieges schilderte Polybios damit aus einer Sicht, in der durchschimmert, dass Fabius Pictor, sein wichtigster Gewährsmann, in seinem Geschichtswerk gewissermaßen fabische Politik mit historiographischen Mitteln fortsetzte. Es trägt zweifellos die Handschrift des römischen Vorläufers, der aus demselben Geschlecht wie der für seine erfolg38) 39) 40) 41)
Polyb. 1,10,3–4. Polyb. 1,10,5–9. Dies mit Recht vorausgesetzt von Heuß (wie Anm. 36) 475. Polyb. 1,11,1–2.
144
Dieter Flach, Christine Schraven
reiche Ermattungsstrategie als Cunctator gerühmte Dictator42 Quintus Fabius Maximus Verrucosus stammte, dass er den Senat von jeglicher Schuld am Ausbruch des Ersten Punischen Krieges freispricht und den Konsuln des Jahres 264 v. Chr. die Verantwortung dafür zuschiebt, dass das römische Volk in seiner Mehrheit dafür stimmte, die Dedition der Mamertiner anzunehmen.43 Im letzten Drittel des dritten Jahrhunderts v. Chr. hatte sich dieses Adelsgeschlecht mit dem der Claudier so tief verfeindet, dass Fabius Pictor sich umso weniger gescheut haben wird, den Konsul Appius Claudius Caudex, der 264 v. Chr. als Oberbefehlshaber der römischen Streitmacht mit dem römischen Hauptheer nach Messana zog, zum Kriegstreiber zu stempeln. Schob er ihm die Schuld und der Volksversammlung die Verantwortung zu, konnte er den römischen Senat am bequemsten von dem Verdacht der Besitzgier reinwaschen. Mit diesem Vorwurf musste er sich auseinandersetzen, sollte Hieron II. von Syrakus nicht das letzte Wort behalten. War schon das römische Volk nicht von jeglicher Schuld freizusprechen, sollte wenigstens dem römischen Senat nicht länger nachgesagt werden, dass er auf seine Treue zum gegebenen Wort nur gepocht habe, um seine Begehrlichkeit zu bemänteln.44 Von vornherein widerspräche es jeder Erfahrung, sollte der Senat tatsächlich ohne Ergebnis getagt haben, als er über Annahme oder Ablehnung des Hilfegesuchs der Mamertiner beriet. Vollends aber ist zu bezweifeln, dass er aus den sich widerstreitenden Beweggründen, die ihn zu sehr gelähmt haben sollen, um sich entscheiden zu können, die Alleinverantwortung auf die Volksversammlung abwälzte. Weder klingt es glaubhaft, dass ihn moralische Skrupel davon abhielten, ein so verlockendes Deditionsangebot wie das der Mamertiner anzunehmen,45 noch hatte Rom in seiner unbedrohten Lage ernsthaft zu befürchten, von Karthago einge42) Dass die Nachwelt sie treffend zu würdigen verstand und allgemein anerkannte, zeigt die sprichwörtliche Redensart „Der Römer siegt durch Stillsitzen“, Varro, rust. 1,2,2. 43) So schon Heuß (wie Anm. 36) 475 und F.W. Walbank, A Historical Commentary on Polybius, Bd. 1, 1957, 60, während Ruschenbusch (wie Anm. 36) 58, 60–61 dem gegen Rom eingenommenen Geschichtsschreiber Philinos von Akragas unterstellt, der römischen Volksversammlung „die volle Verantwortung“ für den Beistandsbeschluss zugeschoben zu haben, da Fabius Pictor ihr „nie und nimmer“ Beutegier nachgesagt haben könne. 44) So Hieron II. von Syrakus nach Diod. 23,1,4. 45) Mit Recht eingewandt von Hoffmann (wie Anm. 37) 168–170.
Kriegsschuldfrage im Ersten und Zweiten Punischen Krieg
145
kreist zu werden.46 Wenn es zum damaligen Zeitpunkt schon vorausgesehen hätte, dass es nicht nur Hieron II. von Syrakus, sondern auch Karthago schlagen musste, um in Messana einmarschieren zu können, hätte das römische Volk schwerlich mit einem sicheren Sieg gerechnet, der jedem Kriegsteilnehmer reiche Beute einzutragen versprach.47 Das Schicksalsjahr 264 v. Chr. nahm vielmehr einen Lauf, den andere Überlegungen und Einflüsse bestimmten: Von Hieron II. am Longanos vernichtend geschlagen, auf Messana zurückgeworfen und in ihrer Fluchtburg eingekesselt, boten die Mamertiner dem römischen Volk an, das Schicksal ihres Räuberstaats in seine Hände zu legen, wenn es ihnen in ihrer Not beistehe. Dieses Angebot unterbreiteten ihre Gesandten dem Senat, als er sich ernsthaft überlegen musste, ob ein Feldzug gegen Hieron II. von Syrakus Roms wehrfähige Bevölkerung nicht zu überfordern drohe. Reichere Beute als das ferne Messana verhieß in dem Jahr, dem die Konsuln Appius Claudius Caudex und Marcus Fulvius Flaccus den Namen gaben, jedenfalls der etruskische Kriegsschauplatz, versprach und erbrachte die Rückeroberung von Volsinii. Mit nicht weniger als 2000 Bronzestandbildern kehrte der Konsul Marcus Fulvius Flaccus nach Rom zurück, hielt einen Triumph und stiftete den Göttern zum Dank für seinen Sieg einen Tempel von stattlichen Ausmaßen.48 Solange er Volsinii belagerte, war ein großer, wenn nicht sogar der größere Teil der römischen Streitmacht gebunden. Konnte es da verwundern, dass der Senat zögerte, sich für einen Beistandspakt mit den Mamertinern auszusprechen, und dass der andere Konsul, Appius Claudius Caudex, der Volksversammlung reiche und sichere Beute in Aussicht stellen musste, um ihre Mehrheit für den Krieg mit Hieron II. von Syrakus zu gewinnen? Gewiss mag Appius Claudius Caudex auch aus dem persönlichen Beweggrund, dass er Kriegsruhm zu ernten hoffte, dafür eingetreten sein, gegen Hieron II. zu Felde zu ziehen. Doch hätte es ihn keine Mühe gekostet, vom strategischen Standpunkt schlüssig zu begründen, dass Messana entsetzt werden müsse. Sollte vereitelt werden, dass Hieron II. diese wichtige Hafenstadt einnahm, 46) So schon Heuß (wie Anm. 36) 468–474 und Welwei (wie Anm. 37) 575 zu Polyb. 1,10,3–9. 47) So jedoch Polyb. 1,11,2. 48) R. Benedetto (Hrsg.), Roma medio-repubblicana, Rom 1973, 103–104, und Bleckmann (wie Anm. 11) 49, 68–70.
146
Dieter Flach, Christine Schraven
um in der Meerenge zwischen Sizilien und Italien den gesamten Schiffsverkehr überwachen zu können, musste er auf Syrakus zurückgeworfen werden. Daran glaubte der Konsul Appius Claudius Caudex ihn nur hindern zu können, wenn er den Mamertinern schnell genug zu Hilfe eilte, um ihm zuvorzukommen. Aus diesem Grund entsandte er den Militärtribunen Gaius Claudius, von dem Polybios zwar wusste, dessen Vornamen er aber mit dem des Oberbefehlshabers verwechselte,49 mit einer Vorausabteilung nach Messana. An der Meerenge angekommen, wurde er indessen davon überrascht, dass sich die Ereignisse überstürzt hatten und eine Wende eingetreten war. Die Mamertiner hatten sich dem Feind, der sie am Longanos vernichtend geschlagen hatte, schon ergeben wollen, da rettete sie im letzten Augenblick, dass der Karthager Hannibal mit seinem Geschwader zufällig in einer Bucht der Insel Lipara vor Anker gegangen war. Als er erfuhr, dass der Sieger kurz davorstand, Messana kampflos einzunehmen, traf er sich mit ihm und hielt ihn so lange hin, bis die Mamertiner zu ihrem Schutz eine karthagische Besatzung in ihre Stadt eingelassen hatten.50 Hieron, der sich überlistet sah, hob daraufhin die Belagerung auf, zog sich nach Syrakus zurück und ließ sich als siegreicher Feldherr zum König ausrufen.51 Mit einem Feldherrn, der seinen Sieg in der Schlacht am Longanos nicht ausgenutzt, sondern den Plan, Messana zu erstürmen, aufgegeben hatte, konnte weder Krieg geführt noch über den Abzug seiner Belagerungstruppen verhandelt werden. Der Militärtribun Gaius Claudius hatte sich vielmehr auf die neue Lage einzustellen, dass er entscheiden musste, ob ihn sein Marschbefehl ermächtigte, gleichwohl in Messana einzurücken. Auf diese Frage gab er die eindeutige Antwort, dass er die Garnison, die der karthagische Flottenbefehlshaber Hannibal nach Messana gelegt hatte, nicht als Schutztruppe anerkannte, sondern als Besatzungstruppe vertrieb. Kaum war er in Rhegion eingetroffen, setzte er mit seiner Vorausabteilung nach Messana über, um in der Bevölkerung die Missstimmung zu schüren, und dank seines agitatorischen Geschicks gelang es ihm tatsächlich, sie auf seine Seite zu ziehen. Mit 49) Ruschenbusch (wie Anm. 36) 64–65, 69–71. 50) Soweit nach Diod. 22,13,6–8. 51) Polyb. 1,9,8.
Kriegsschuldfrage im Ersten und Zweiten Punischen Krieg
147
ihrer Rückendeckung drängte er die karthagische Besatzung mitsamt ihrem Befehlshaber aus der Stadt.52 Mit diesem Handstreich hatte Gaius Claudius die Stadt, die entsetzt werden sollte, nur vorübergehend befreit. Statt Ruhe zu finden, sollte sie in einen Krieg verwickelt werden, der weit über diesen Kriegsschauplatz hinausgriff. Wie sich herausstellte, hatte der römische Militärtribun eine Lawine losgetreten. Der Befehlshaber der karthagischen Garnison büßte mit dem Leben, dass er sich so leicht hatte überrumpeln lassen: Zur Strafe für sein Versagen schlugen ihn die Karthager ans Kreuz.53 Denn in Karthago war man keineswegs gewillt, kampflos hinzunehmen, dass ein so wichtiger Stützpunkt in römische Hand gefallen war. Hanno sollte vielmehr die Stadt, die zu einem römischen Brückenkopf ausgebaut zu werden drohte, so schnell wie möglich zurückerobern. Mit diesem Auftrag setzte er nach Lilybaion über, rückte von dort nach Akragas vor und forderte die Römer auf, Messana und Sizilien zu räumen.54 Doch weigerte sich Gaius Claudius, die Stadt zu verlassen, und kesselte Hanno sie daraufhin von der Land- und der Seeseite her ein. Der Handstreich, dass der römische Militärtribun mit oder ohne ausdrückliche Weisung des Oberbefehlshabers den Befehlshaber der karthagischen Besatzung überrumpelt und aus Messana gedrängt hatte, führte zwei natürliche Feinde zusammen. Hieron II. von Syrakus nahm unterdessen Fühlung mit Hanno auf und schloss mit ihm ein Bündnis, um die Mamertiner ein für allemal von Sizilien zu vertreiben.55 Mit diesem Kriegsziel rückte er von Syrakus aus gegen Messana vor und besetzte die Hochebene auf der gegenüberliegenden Seite, die sogenannte Chalkidische Anhöhe.56 So einschneidend und überraschend hatte sich die Ausgangslage verändert, seitdem der Konsul Appius Claudius Caudex mit dem Hauptheer von Rom nach Messana aufgebrochen war. Als er mit seinen zwei Legionen in Rhegion eingetroffen war, setzte er bei Nacht nach Sizilien über und zog in Messana ein, obwohl er nur 52) 53) 54) 55) 56)
Dio, frg. 43,5–10 Boissevain; Zon. 8,8,6–8,9,3. Polyb. 1,11,5. Diod. 23,1,2. Diod. 22,13,9. Diodor 23,1,3.
148
Dieter Flach, Christine Schraven
für einen Krieg mit Hieron II. von Syrakus gerüstet war und Hanno seinen Verständigungswillen mit der großzügigen Geste bekundet hatte, dem Militärtribunen Gaius Claudius die Schiffe und Seeleute, die ihm in die Hände gefallen waren, ohne Gegenleistung zurückzugeben.57 Nun, da er sich mit zwei Feinden auseinanderzusetzen hatte, konnte Appius Claudius Caudex nur versuchen, sie zu entzweien. Sollte er gehofft haben, die beiden unnatürlichen Verbündeten vereinzeln zu können, täuschte er sich freilich. Die Gesandten, die er an Hieron und Hanno schickte, um mit ihnen über den Abzug ihrer Truppen zu verhandeln, kehrten unverrichteter Dinge zurück.58 Daraufhin erklärte er beiden den Krieg und sprengte den Belagerungsring, den sie um Messana gezogen hatten. Dazu ermächtigte ihn der Kriegsbeschluss der Zenturiatkomitien, wenngleich sie ihn unter anderen Voraussetzungen gefasst hatten. Das Kriegsziel so eng zu stecken und den Kriegsschauplatz so eng einzugrenzen, wie es die Kriegspartei voraussagen zu können geglaubt hatte, ließ der Kriegsverlauf nicht zu. Darin hatte sie sich gründlich getäuscht. Die Vorgeschichte des Zweiten Punischen Krieges Der Friedensvorvertrag, den Gaius Lutatius Catulus im Jahr 241 v. Chr. mit Hamilkar Barkas schloss, setzte zwar dem Krieg, nicht aber dem Argwohn ein Ende, der zwischen Rom und Karthago herrschte. Dazu, dass das wechselseitige Misstrauen in der Zwischenkriegszeit fortschwelte, trug das römische Vorgehen freilich stärker bei als das karthagische Verhalten. Wie rücksichtslos der Sieger seine Überlegenheit ausspielte, musste der geschlagene Gegner bei jeder Gelegenheit, die er ihm dazu bot, leidvoll erfahren. Bereits einen Vorgeschmack davon gab, dass die römische Volksversammlung dem Vorvertrag, den Lutatius Catulus mit Hamilkar Barkas ausgehandelt hatte, nur mit Zusätzen zustimmte, die der Gegenseite noch mehr zumuteten.59 Gegen das Völkerrecht verstießen diese nachträglichen Verschärfungen seines Inhalts zwar nicht, da sein Wortlaut es den Zenturiatkomitien 57) Dio, frg. 43,8 Boissevain und Zon. 8,9,1. 58) Polyb. 1,11,9–13. 59) Darüber im Einzelnen Schmitt (wie Anm. 4) 179–180.
Kriegsschuldfrage im Ersten und Zweiten Punischen Krieg
149
vorbehielt, das Verhandlungsergebnis zu genehmigen. Die völkerrechtlichen Beziehungen zwischen beiden Mächten belasteten sie aber ebenso wie die Vertragsbrüche, vor denen die römische Staatsführung nicht zurückschreckte, wenn ihr Karthago geschwächt zu sein schien. Die nächste Gelegenheit, das Machtgefälle zu vergrößern, sah Rom gekommen, nachdem Hamilkar Barkas 238 v. Chr. den Söldneraufstand niedergeschlagen hatte. Als die Karthager sich im Jahr darauf rüsteten, die Insel Sardinien zurückzuerobern, ehe die abtrünnigen Söldner, die sie an sich gerissen hatten, sie kampflos den Römern übergaben, drohte es ihnen mit Krieg, sollten sie ihre Kriegsvorbereitungen nicht augenblicklich abbrechen.60 Notgedrungen beugten sie sich diesem massiven Druck und hatten dennoch dafür zu büßen, dass sie Sardinien nicht von vornherein verlorengegeben hatten. Um den Krieg abzuwenden, den Rom ihnen angedroht hatte, mussten sie nicht nur Sardinien abtreten, sondern sich darüber hinaus verpflichten, weitere 1200 Talente zu entrichten.61 Beides hatten sie Rom in einem Zusatzvertrag zu dem Friedensabkommen von 241 v. Chr. zuzusagen,62 obwohl die Zenturiatkomitien schon diesen Vertrag nur mit drückenden Auflagen in Kraft gesetzt hatten, die schwer zu schultern waren. Nach diesen Erfahrungen sah sich Hamilkar Barkas vollends darauf verwiesen, von der Südostküste aus in das Binnenland der Iberischen Halbinsel vorzudringen, um in der Erde schlummernde Bodenschätze zu heben. Nur wenn er die Anstrengungen verstärkte, die reichen Kupfer- und Silbererzvorkommen, die sie barg, bestmöglich auszubeuten, glaubte er, die Mutterstadt in die Lage versetzen zu können, die hohen Kriegsentschädigungen, die Rom ihr aufgebürdet hatte, in den vertraglich vereinbarten Fristen zu zahlen. Auf diese Sachzwänge berief sich Hamilkar Barkas, als ihn eine römische Gesandtschaft aufsuchte, um herauszufinden, wozu er Karthagos spanische Außenbesitzungen ausbaute.63 Doch so unverfänglich er sie auch beschieden hatte, so hartnäckig wurde er gleichwohl verdächtigt, seine wahren Absichten höflich verschleiert zu haben. In verschiedenen Facetten begleitete ihn der tief verwurzelte Argwohn, bis zu seinem Tod Rachegelüste gehegt zu 60) 61) 62) 63)
Polyb. 1,88,8–10. Polyb. 1,88,11–12. Schmitt (wie Anm. 4) 188. Dio, frg. 48 Boissevain.
150
Dieter Flach, Christine Schraven
haben, die er, hätten die Machtverhältnisse es zugelassen, gern befriedigt hätte.64 In dieser Hinsicht traute ihm Polybios hochfliegendste Pläne und ehrgeizigste Ziele zu.65 So tief, unterstellte er ihm in seinen Erörterungen über die Ursachen des Zweiten Punischen Krieges, habe ihn der Groll über die römischen Vertragsbrüche und Demütigungen durchdrungen, dass er die Iberische Halbinsel als Aufmarschgebiet für einen Rachefeldzug zu erobern getrachtet und Hasdrubal, seinen Schwiegersohn, wie auch Hannibal, seinen Sohn, auf die Eidespflicht eingeschworen habe, sein Werk im gleichen Geist fortzusetzen und zu vollenden.66 Persönliche Gründe, gegenüber Hamilkar Barkas voreingenommen zu sein, bewogen Polybios gewiss nicht dazu, ihm so weitreichende Rachegedanken nachzusagen. Eher scheint er der in der antiken Geschichtsschreibung verbreiteten Neigung nachgegeben zu haben, vom Ausgang auf die Absicht zurückzuschließen.67 Zu einem Vergeltungskrieg zu rüsten, um wenigstens Sardinien und Korsika zurückzuerobern, muss ihm jedenfalls ferngelegen haben. Wenn er sich bis zu seinem Tod mit diesem Gedanken getragen hätte, hätte er schwerlich eine kriegstüchtige Flotte wiederaufzubauen versäumt.68 Wenn aber Polybios schon ihn fälschlich oder zumindest anfechtbar verdächtigte, von der Iberischen Halbinsel aus einen Vergeltungskrieg gegen das verhasste Rom vorbereitet zu haben, beschuldigte Fabius Pictor den Nachfolger, dessen Schwiegersohn Hasdrubal, vollends mit zweifelhaftem Recht, die Weichen dafür gestellt zu haben, dass Hannibal Karthago in den Zweiten Puni64) Polyb. 3,9,6–3,10,6. 65) So hochfliegende Pläne und weitreichende Absichten, wie Polybios sie ihm nachsagt, werden mit Recht angezweifelt von R.M. Errington, Rome and Spain before the Second Punic War, Latomus 29, 1970, 24–37. 66) Polyb. 3,10,5–6 und 3,12,2–4. 67) Darüber im Allgemeinen D. Flach, Römische Geschichtsschreibung, Darmstadt 31998, 133, und im Besonderen HZ 222, 1976, 2, nach K. Bringmann, Sallusts Umgang mit der historischen Wahrheit in seiner Darstellung der Catilinarischen Verschwörung, Philologus 116, 1972, 104 Anm. 35. 68) So schon W. Otto, Eine antike Kriegsschuldfrage, HZ 145, 1932, 496– 497; wieder in: K. Christ (Hrsg.), Hannibal, Darmstadt 1974, 85–86. Seine Meinung teilen W. Hoffmann, Hannibal und Rom, A&A 6, 1957, 12; wieder in: Christ (Hrsg.), Hannibal, 49–50, und N. Bagnall, Rom und Karthago: Der Kampf ums Mittelmeer, Berlin 1995, 184–186.
Kriegsschuldfrage im Ersten und Zweiten Punischen Krieg
151
schen Krieg getrieben habe.69 Zu dem Vorwurf, Hasdrubal habe seinen Nachfolger dazu erzogen, das Wohl der Mutterstadt seiner Machtgier und Herrschsucht zu opfern, verstieg er sich, weil er sich darauf versteifte, den karthagischen Rat der Alten wie sein römisches Gegenstück, den Senat, als um Verständigung bemühtes, zur Besonnenheit mahnendes Staatsorgan hinzustellen und in dieser Rolle von jeglicher Mitschuld freizusprechen.70 Darauf konnte er nur verfallen, wenn er darüber hinwegsah, dass der Rat der Alten sich geweigert hatte, Hannibal als Kriegstreiber an die Römer auszuliefern. Mit diesem Einwand, der sich doch geradezu aufdrängte, vermochte Polybios seinen römischen Vorläufer schlagend zu widerlegen.71 In Wahrheit wich Hasdrubal keineswegs von dem Kurs seines Vorgängers Hamilkar Barkas ab, sondern fuhr darin fort, den karthagischen Machtbereich vom Süden der Iberischen Halbinsel aus Schritt für Schritt auszuweiten, ohne die Römer zu Feindseligkeiten herauszufordern. Wie und dass er diesen Kurs, der sich bis dahin stets bewährt hatte, mit Vernunft und Augenmaß fortsetzte, bildet nicht zuletzt der Feldherrnvertrag ab, den er 226/25 v. Chr. mit den Römern schloss. Die Römer wollten sich den Rücken dafür freihalten, mit den Kelten in Norditalien, den Insubrern und Bojern, und deren Verbündeten in den Alpen und an der Rhone, den Gaesaten, Krieg führen zu können, ohne dass sich eine fremde Macht einmischte.72 Hasdrubal wollte freie Hand dafür behalten, das karthagische Hoheits-, Einfluss- und Handelsgebiet vom Süden der Iberischen Halbinsel aus Zug um Zug auszudehnen. Diesen unterschiedlichen, aber keineswegs unvereinbaren Verhandlungszielen trugen beide Seiten so weit Rechnung, wie sie es vom jeweiligen Standpunkt vertreten und verantworten zu können glaubten. Hasdrubal verpflichtete sich, den Ebro nicht in feindlicher Absicht zu überschreiten.73 Die Römer gestanden ihm dafür unausgesprochen zu, bis zu dieser Grenze in jeder Hinsicht frei schalten und nördlich davon friedlich Handel treiben zu dürfen. Nach außen hin kam er ihnen gewiss weiter entgegen als sie ihm, wenn er ihnen ausdrücklich zusicherte, seinen Teil des Still69) 70) 71) 72) 73)
So Fabius Pictor nach Polyb. 3,8,1–7. Flach 1998 (wie Anm. 67) 65. Polyb. 3,8,8–11. Polyb. 2,22,1; 2,22,10–11 und 2,34,2. Polyb. 2,13,7; 3,6,2; 3,15,5; 3,27,9; 3,29,3; 3,30,3.
152
Dieter Flach, Christine Schraven
halteabkommens einzuhalten, während sie ihm ihre Gegenleistung nur im Umkehrschluss zusagten. Diesen Preis für den Nachteil zu zahlen, dass er nicht auf gleicher Augenhöhe mit ihnen verhandeln konnte, wird ihm jedoch nicht allzu schwer gefallen sein. Damit konnte er sich leicht abfinden, wenn er bedachte, wie weit er davon entfernt war, bis zum Ebro vorzudringen. Um seinen Verhandlungserfolg richtig einzuschätzen, genügt es, sich vor Augen zu halten, dass von Neu-Karthago, dem Sitz seines Hauptquartiers, bis zu dem Fluss, dessen Lauf er als Demarkationslinie anerkannte, ungefähr 2600 Stadien oder 325 römische Meilen zurückzulegen waren.74 Solange Hasdrubal lebte, erfüllte das Stillhalteabkommen, das er im Jahr 226 oder 225 v. Chr. mit den Römern getroffen hatte, beidseits seinen Zweck. Nach seinem gewaltsamen Ende aber spitzte sich die Lage zu sehr zu, als dass es die Nagelprobe hätte bestehen können. Wie sich beide Mächte zuvor aufeinander zubewegt hatten, so drifteten sie nunmehr auseinander. Ihre völkerrechtlichen Beziehungen verschlechterten sich zusehends, seit das römische Heer die Kelten, die bis tief nach Etrurien vorgedrungen waren, bezwungen75 und der junge Hannibal die Nachfolge seines Schwagers Hasdrubal angetreten hatte.76 Welche der beiden Veränderungen den Ausschlag dafür gab, dass der Zweite Punische Krieg ausbrach, muss auf sich beruhen. Darüber zu streiten ist müßig, weil beide verhängnisvoll zusammenwirkten. Die römischen Stimmen, die sich zur Vorgeschichte des Krieges äußerten, vermittelten, wie nicht anders zu erwarten, in der Kriegsschuldfrage ein einseitiges Bild. Fabius Pictor zögerte nicht, Hannibal, den Barkiden, zum hasserfüllten Heißsporn zu stempeln, der Karthago in den Krieg getrieben habe,77 und drang mit seiner Sicht selbstredend durch. Wie er schoben auch die Geschichtsschreiber, die in seine Fußstapfen traten, den Karthagern die alleinige Kriegsschuld zu, ohne dass sich ein zweiter Philinos zu Wort gemeldet hätte, um der übermächtigen Sprachregelung des Siegers zu widersprechen. Parteiisch, wie sie war, räumte sie nicht einmal ein, dass die Römer den Zweiten Punischen Krieg mitverschuldet haben könnten. Geflissentlich blendete sie vielmehr aus, 74) 75) 76) 77)
Polyb. 3,39,6. Polyb. 2,22,1–2,35,3. Polyb. 2,36,1–3. Fabius Pictor nach Polyb. 3,8,5–6; so auch Polyb. 3,15,5–9.
Kriegsschuldfrage im Ersten und Zweiten Punischen Krieg
153
dass die Römer nach ihrem Sieg über die Kelten im Ton schärfer und in der Gangart rauer mit Hannibal und dem Rat der Alten verkehrten, da sie nunmehr auftrumpfen zu können meinten. Hinter dem Streit, der den Stein ins Rollen brachte, stand nicht bloß die Rechtsfrage, ob Hannibal gegen das Friedensabkommen von 241 v. Chr. verstieß, wenn er Sagunt belagerte, sondern auch die davon zu trennende Machtfrage, ob er es hinnehmen sollte, dass ihm die Römer südlich des Ebros entgegentraten. Wäre er davor zurückgewichen, hätte er sich widerspruchslos damit abgefunden, dass sie den Feldherrnvertrag, den sein Vorgänger 226/25 v. Chr. mit ihnen geschlossen hatte, zu einem Abkommen entwerteten, das nur ihn in seiner Handlungsfreiheit eingeschränkt habe. Nun, da sie den Rücken freibekommen hatten, nutzten die Römer weidlich aus, dass sie ihm nicht ausdrücklich zugesichert hatten, den Ebro ihrerseits als Demarkationslinie anzuerkennen, wenn er seinerseits davon absehe, ihn mit einem Heer zu überschreiten. Als Sagunt die Gefahr heraufziehen sah, von Hannibal eingekesselt und eingenommen zu werden, schickten sie Gesandte zu ihm, um ihn davor zu warnen, diese Stadt zu belagern. Obwohl sie südlich des Ebros lag, gaben sie ihm unmissverständlich zu verstehen, dass ihm der Krieg erklärt werde, wenn er sie angreife. Darauf beharrten die römischen Gesandten so unnachgiebig, dass Hannibal zu sehr in die Enge getrieben wurde, um mit ihnen vernünftig verhandeln zu können. Da weder er noch sie einlenken zu können glaubten, ohne ihr Gesicht zu verlieren, mussten ihre Rechtsstandpunkte zur Auslegung des Friedensvertrags von 241 und des Feldherrnabkommens von 226/25 v. Chr. unversöhnlich aufeinanderprallen. Die römischen Gesandten behaupteten, der Vorvertrag, den Lutatius Catulus 241 v. Chr. mit Hamilkar Barkas ausgehandelt hatte, habe nicht nur die Städte anzugreifen verboten, die damals mit den vertragschließenden Mächten verbündet waren, sondern auch alle Städte unter ihren völkerrechtlichen Schutz gestellt, die späterhin Bündnisse mit ihnen eingehen sollten.78 Hannibal widersprach ihnen, da ihm die Römer den Bürgerzwist, der Sagunt in zwei Lager gespalten hatte, nicht überparteilich geschlichtet, sondern gewaltsam unterdrückt zu haben schienen.79 Deswegen muss78) Polyb. 3,15,5 und 3,29,4–10. 79) Polyb. 3,15,6–7.
154
Dieter Flach, Christine Schraven
te er sich von vornherein dagegen verwahren, dass er sich von Sagunt fernhalten müsse, weil es mit Rom ein Bündnis, ein foedus, geschlossen habe. Beschuldigte er die Römer, die Friedensvermittlung, zu der sie herbeigerufen wurden, zu Eigenmächtigkeiten und Übergriffen missbraucht zu haben, konnte er schon aus diesem Grund nicht einräumen, dass Sagunt mit ihnen verbündet sein könne. Ohnehin legten die römischen Gesandten das Friedensabkommen, das Gaius Lutatius Catulus 241 v. Chr. mit Hamilkar Barkas geschlossen hatte, zu weitherzig aus, als dass Hannibal oder der Rat der Alten ihre Rechtsauffassung hätte teilen können. Dass er sich von Sagunt fernhalten müsse, weil es völkerrechtlich unter ihrem Schutz stehe, konnten sie aus diesem Vertragswerk nur folgern, wenn sie sich auf seinen Geist, nicht auf seinen Wortlaut beriefen. Der Notbehelf, darauf zu beharren und zu pochen, war wiederum so leicht anzugreifen, dass die sogenannte Jüngere Annalistik, aus der Livius schöpfte, die offene Flanke nachträglich abzuschirmen versuchte. Um diese Schwäche zu überdecken, griff sie zu der durchsichtigen Geschichtslüge, Hasdrubal habe in dem Stillhalteabkommen vom Jahr 226 oder 225 v. Chr. ausdrücklich zugesichert, Sagunt nicht zu unterwerfen.80 In Wahrheit, so stellt Polybios mit seinen glaubhafteren Auskünften hinlänglich klar,81 verpflichtete es ihn lediglich dazu, den Ebro nicht in kriegerischer Absicht zu überschreiten. Hatte aber Hasdrubal in dem Feldherrnvertrag vom Jahr 226 oder 225 v. Chr. keineswegs zugesagt, Sagunt zu meiden, könnte Hannibal ihn streng genommen nur gebrochen haben, wenn er den Ebro schon überschritten hätte, bevor Rom den Karthagern den Krieg erklärte. Im anderen Fall hätte Polybios die Frage der Kriegsschuld, wenn nicht widersprüchlich, so doch wenigstens missverständlich erörtert: Hätte Hannibal mit Krieg gedroht, wenn Rom sich weigere, die völkerrechtswidrigen Verschärfungen des Friedensabkommens von 241 zurückzunehmen, hätte er den Krieg, den er mit Rom führte, als Vergeltungsschlag rechtfertigen können.82 Statt sich aber darauf zu berufen, dass Rom, als es die Karthager durch den Söldneraufstand geschwächt sah, deren 80) Liv. 21,2,7; 21,18,9; 21,44,6; vgl. Flor. 1,22,3–4, App. Iber. 7,27 und Zon. 8,21,4. 81) Polyb. 2,13,7; 3,6,2; 3,15,5; 3,27,9; 3,29,3; 3,30,3. 82) Polyb. 3,15,10 und 3,30,4.
Kriegsschuldfrage im Ersten und Zweiten Punischen Krieg
155
Notlage dazu ausnutzte, ihnen Sardinien zu entreißen und 1200 Talente abzupressen,83 habe Hannibal sich die Schutz- und Hoheitsgewalt über Sagunt angemaßt,84 obgleich er sich damit sowohl nach dem Friedensvertrag von 241 als auch nach dem Ebroabkommen von 226/25 v. Chr. ins Unrecht gesetzt habe.85 Wenn Polybios Hannibal beschuldigt, gegen das Friedensabkommen verstoßen zu haben, das Lutatius Catulus 241 v. Chr. mit Hamilkar Barkas ausgehandelt hatte, bekräftigt er lediglich die weitherzige römische Rechtsauslegung, nach der es nicht nur alle bestehenden, sondern auch alle künftigen Bündnisbeziehungen der einen wie der anderen Macht als völkerrechtlich verbindlich anzuerkennen und als wechselseitig gültig zu achten gebot.86 Weshalb aber wirft Polybios Hannibal vor, in dem Augenblick, in dem er sich in die saguntinischen Händel einmischte, auch den Feldherrnvertrag gebrochen zu haben, den sein Vorgänger im Jahr 226 oder 225 v. Chr. geschlossen hatte? Widerspricht er sich nicht selbst, wo er doch hinlänglich klarstellt, dass Hasdrubal in diesem Abkommen nicht etwa zusicherte, sich von Sagunt fernzuhalten, sondern lediglich darein einwilligte, den Ebro nicht in feindlicher Absicht zu überschreiten? Dieses Rätsel versuchte die Forschung auf drei verschiedenen Wegen zu lösen: Der erste Weg: F. W. Walbank unterstellte, Polybios habe geglaubt, Sagunt liege nördlich des Ebros.87 So schlecht, dass er sich in diesem Punkt irrte, kann Polybios die Iberische Halbinsel jedoch nicht gekannt haben, wenn er Publius Cornelius Scipio Aemilianus auf seinem spanischen Feldzug begleitet hatte.88 Seine Angabe, südlich des Ebros habe nach den Niederlagen der Olkaden, Vakkaier und Karpessier bis auf die Saguntiner kein Stamm mehr Hannibal zu trotzen gewagt,89 erweist vielmehr eindeutig, dass er sehr wohl wusste, wo Sagunt lag.90 83) Polyb. 3,27,7–8 und 3,28,2. 84) Polyb. 3,15,6–11. 85) Polyb. 3,30,3. 86) Polyb. 3,29,4–10. 87) Walbank (wie Anm. 43) 358. 88) Darauf, dass er zu Forschungszwecken nach Spanien und Nordafrika mitreiste, verweist er in c. 59,6–9 des dritten Buches. 89) Polyb. 3,14,9. 90) Klargestellt von Chr. Schraven, Die Vorgeschichte des 1. und 2. Punischen Krieges im historischen Vergleich, Staatsexamensarbeit Paderborn 2000, 60,
156
Dieter Flach, Christine Schraven
Der zweite Weg: J. Carcopino, P. Barcelò und D. Vollmer mutmaßten, das Abkommen, auf das sich Hasdrubal im Jahr 226 oder 225 v. Chr. mit den römischen Unterhändlern einigte, habe ihm nicht den Ebro, sondern einen weiter südlich, aber nördlich von Sagunt verlaufenden kleineren Fluss, den zwischen dem Cabo de la Nao und Valencia mündenden Júcar91 bzw. den zwischen Cartagena und Valencia mündenden Segura,92 in kriegerischer Absicht zu überschreiten verboten. Zu ihrer Verlegenheitslösung Zuflucht zu nehmen verbietet sich indessen schon allein deswegen, weil Polybios Sagunt nachweislich in dem südlich des Grenzflusses Iber gelegenen Machtbereich der Karthager verortet.93 Ohnehin fragt es sich, ob ein so unbedeutender Nebenfluss wie der Júcar oder der noch weiter südlich mündende Segura dazu getaugt hätte, die Grenze zwischen zwei Machtblöcken zu bilden, und ob die vertragschließenden Parteien den Fluss, an dem sie entlanglaufen sollte, nicht so eindeutig hätten benennen müssen, dass der Wortlaut ihres Abkommens die Gefahr einer womöglich folgenreichen Verwechslung ausschloss.94 Der dritte Weg: W. Hoffmann suchte nachzuweisen, dass Hannibal den Ebro überschritten habe, bevor die fünfköpfige Abordnung, die der Senat, nachdem Sagunt gefallen war, mit den Konsuln des Vorjahres an der Spitze nach Nordafrika entsandt hatte, in Karthago eingetroffen sei und ihm, als der Rat der Alten auf seinem Rechtsstandpunkt beharrte, den Krieg erklärt habe.95 Doch und K. Bringmann, Der Ebrovertrag, Sagunt und der Weg in den Zweiten Punischen Krieg, Klio 83, 2001, 371–372, 375. 91) So J. Carcopino, Le traité d’Hannibal et la responsabilité de la deuxième guerre punique, REA 55, 1953, 269–293, während G.V. Sumner, Roman Policy in Spain before the Hannibalic War, HSPh 72, 1968, 222–231, zwischen den Flüsschen Gorgos und Ebro schwankt. 92) Zunächst zeitgleich P. Barcelò, Beobachtungen zur Entstehung der barkidischen Herrschaft in Spanien, Studia Phoenica 10, 1989, 178–182, und D. Vollmer, Symploke. Das Übergreifen der römischen Expansion auf den griechischen Osten, Hermes Einzelschriften 54, Stuttgart 1990, 120–129; dann wieder P. Barcelò, Die Grenze des karthagischen Machtbereichs unter Hasdrubal: Zum sog. Ebro-Vertrag, Geographica Historica 7, 1994, 50–53, Rom und Hispanien vor Ausbruch des 2. Punischen Krieges, Hermes 124, 1996, 52–54, und: Hannibal, München 1998, 27. 93) Polyb. 3,14,9. 94) Schraven (wie Anm. 90) 60–61. 95) W. Hoffmann, Die römische Kriegserklärung an Karthago im Jahre 218, RhM 94, 1951, 69–88, und wieder in: Christ (Hrsg.), Hannibal, 135–155; sein Zeitansatz wird aufgegriffen von R. Werner, Der Beginn der römischen Republik, Mün-
Kriegsschuldfrage im Ersten und Zweiten Punischen Krieg
157
widerlegt ihn, dass seinem so bestechend wirkenden Einfall Polybios geradewegs den Boden entzieht. In seiner Schilderung des Zeitablaufs schließen zwei unverdächtige Angaben, die sich nahtlos ergänzen und wechselseitig stützen, zwingend aus, dass Roms Kriegserklärung auf Hannibals Ebroübergang gefolgt sein könnte.96 Nach der einen hatte Hannibal das Winterlager in Neu-Karthago noch nicht verlassen, als er erfuhr, dass der Rat der Alten sich geweigert hatte, ihn als vertragsbrüchigen Kriegstreiber auszuliefern, und die römischen Unterhändler ihm und der Mutterstadt daraufhin den Krieg erklärt hatten.97 Nach der anderen waren die Konsuln des Vorjahres mit den übrigen Bevollmächtigten des Senats von Karthago zurückgekehrt, als in Rom die Nachricht eintraf, dass Hannibal mit seinem Heer den Ebro überschritten habe.98 Zurückgekehrt sein müssen sie spätestens Ende April 218, da der Senat erst nach ihrer Rückkunft in der Poebene zwei Kolonien zu gründen beschloss und Placentia dreißig Tage vor dem 31. Mai 218 neben Cremona als eine der beiden gegründet wurde.99 Mit Sicherheit scheidet darum aus, dass die hochrangigen Mitglieder, die der römische Senat nach Karthago entsandte, dem Rat der Alten erst Anfang oder Mitte Juni den Krieg erklärt haben könnten.100 chen / Wien 1963, 54–56, W. Dahlheim, Struktur und Entwicklung des römischen Völkerrechts im dritten und zweiten Jahrhundert v. Chr., Vestigia 8, München 1968, 156 Anm. 87, E. Ruschenbusch, Der Beginn des 2. punischen Krieges, Historia 27, 1978, 232–233, und Bringmann (wie Anm. 90) 372–373, 375. 96) Heruntergespielt und beiseite geschoben von Hoffmann (wie Anm. 95) 79, doch verteidigt von A. E. Astin, Saguntum and the Origins of the Second Punic War, Latomus 26, 1967, 584–585 = Sagunt und die Vorgeschichte des Zweiten Punischen Krieges, in: Christ (Hrsg.), Hannibal, 177, Hampl (wie Anm. 37) 536–537, K.-W. Welwei, Die Belagerung Sagunts und die römische Passivität im Westen, TALANTA 8/9, 1977, 156–173, und A. M. Eckstein, Two Notes on the Chronology of the Outbreak of the Hannibalic War, RhM 126, 1983, 255–272. Vermittelnd, ohne den Zeitablauf von Roms Kriegserklärung zu Hannibals Ebroübergang umzukehren, H.H. Scullard, Rome’s Declaration of War on Carthage in 218 B. C., RhM 95, 1952, 209–216 = Roms Kriegserklärung an Karthago im Jahr 218 v. Chr., in: Christ (Hrsg.), Hannibal, 156–166, aber schon im Ansatz verfehlt, weil Polybios (3,34,5) ausschließt, dass Hannibal bereits auf den Ebro vorgerückt sein könnte, als Rom ihm den Krieg erklärte. 97) Polyb. 3,34,5. 98) Polyb. 3,40,2. 99) Mit den drei Quellenbelegen Ascon. in Pis. 23,53 p. 3 Clark, Liv. 21,26,1– 3 und Polyb. 3,40,1–5 schlüssig nachgewiesen von Eckstein (wie Anm. 96) 257–268. 100) J. Seibert, Forschungen zu Hannibal, Darmstadt 1993, 139–141.
158
Dieter Flach, Christine Schraven
Wäre Hannibal mit seinen Streitkräften übergesetzt, ehe die römischen Gesandten der Gegenseite den Krieg erklärten, hätte Polybios ihn zweifellos leichter zum Kriegstreiber stempeln können. Wenn er ihn überzeugender hätte überführen wollen, das Ebroabkommen verletzt zu haben, hätte er entweder die zeitliche Abfolge, die er überliefert fand, umkehren oder wie die Jüngere Annalistik zu dem Verbot, den Ebro in feindlicher Absicht zu überschreiten, eine Sonderregelung zum Schutz der südlich dieses Flusses gelegenen Stadt Sagunt hinzuerfinden müssen. Darauf verlegte er sich indessen keineswegs, sondern räumte sogar ein, dass Hannibal der Gegenseite hätte vorhalten können, fast zwanzig Jahre zuvor den Friedensvertrag vom Jahr 241 v. Chr. mit der völkerrechtswidrigen Verschärfung seiner ohnehin schon harten Bedingungen gebrochen zu haben.101 Wenn aber Polybios die Frage der Kriegsschuld von dieser Warte aus erörterte, ohne die römische Sicht der Rechtslage mit so plumpen Verfälschungen des wahren Sachverhalts zu unterfüttern, wie sie die Jüngere Annalistik nachschob, muss er Hannibal nach versteckteren Vorgaben unterstellt haben, sich nicht nur nach dem Friedensvertrag von 241, sondern auch nach dem Ebroabkommen von 226/25 v. Chr. ins Unrecht gesetzt zu haben.102 Dazu können Polybios nur die Nachwehen der Geschichtsklitterung verführt haben, der Rom mit seiner zielstrebigen Machtpolitik und geschickten Kriegspropaganda den Boden bereitet hatte. Kaum hatte Rom die Kelten, die von der Rhonemündung, den Alpen und der Poebene bis nach Etrurien vorgedrungen waren, zurückgeschlagen und niedergezwungen, mussten die Karthager wieder einmal erfahren, dass Rom sich an Stillhalteabkommen nur so lange gebunden fühlte, bis sie ihren Zweck erfüllt hatten. 306 v. Chr. hatten sich beide Mächte noch auf einen neuen Vertrag geeinigt, in dem sich niederschlug, dass Rom sich mittlerweile vom Zerfall des Latinischen Bundes erholt hatte und zum führenden Stadtstaat in Italien aufgestiegen war. Nun aber, da ihm in Hannibal ein ehrgeiziger und selbstbewusster Feldherr gegenüberstand, der sich nicht einschüchtern ließ, scheiterten die Verhandlungen. Die römischen Gesandten, die ihn im Winterhalbjahr 220/19 v. Chr. in seinem Hauptquartier aufsuchten, um ihn davor zu war101) Polyb. 3,15,10–11 und 3,30,3–4. 102) So Polyb. 3,30,3.
Kriegsschuldfrage im Ersten und Zweiten Punischen Krieg
159
nen, mit seinen Truppen Sagunt anzugreifen oder den Ebro zu überschreiten, stießen mit der einen wie der anderen Forderung auf Granit.103 Keiner dieser beiden Forderungen hätte Hannibal sich freilich beugen können, ohne sein Gesicht zu verlieren. Die Unterhändler, die ihn beschworen, sich von Sagunt und dem Ebro fernzuhalten, nutzten weidlich aus, dass sich Hasdrubal in dem Feldherrnvertrag vom Jahr 226 oder 225 v. Chr. nicht ausdrücklich ausbedungen hatte, bis zum Ebro frei schalten zu dürfen. Hätte Hannibal als sein Nachfolger ihnen nachgegeben, wäre er so weit zurückgewichen, dass das Stillhalteabkommen, das sein Vorgänger getroffen hatte, nur noch ihn in seiner Handlungsfreiheit eingeengt hätte. Wenn er darein eingewilligt hätte, hätte er der Gegenseite zugebilligt, dass nur sie aus seinem Inhalt vertragliche Rechte ableiten konnte. Um sich aus dieser Vertragsfalle zu befreien, verblieb Hannibal kaum ein anderer Ausweg, als zu erklären, das Ebroabkommen binde weder ihn noch die karthagische Staatsführung, sondern habe lediglich den Feldherrn gebunden, der es geschlossen habe. So beschied er die römischen Unterhändler, ohne sich, wie Polybios es hinstellt,104 als jugendlicher Heißsporn zu benehmen. Vielmehr zeigte er sich besonnen genug, um ihre Forderungen erst zurückzuweisen, nachdem er sich vergewissert hatte, dass der Rat der Alten seinen Standpunkt teilte.105 Die römischen Gesandten gaben sich indessen nicht mit dem Ergebnis zufrieden, dass ihr Vorstoß gescheitert war, sondern reisten nach Karthago weiter, um sich persönlich danach zu erkundigen, wie sich seine Staatsführung zu den strittigen Rechtsfragen stellte.106 Doch ließ die Mutterstadt den Barkiden nicht fallen, sondern stärkte ihm im Gegenteil so nachdrücklich den Rücken, dass die Gesandten unverrichteter Dinge nach Rom zurückkehren mussten. Von nun an rüstete sich die römische Staatsführung dafür, den Waffengang mit Karthago von langer Hand mit allen Mitteln der Diplomatie und der Kriegspropaganda vorzubereiten. Durch das ius fetiale darauf verwiesen, ihn als bellum iustum zu rechtfertigen, 103) 104) 105) 106)
Polyb. 3,15,5–12. Polyb. 3,15,6–7. Polyb. 3,15,8. Polyb. 3,15,12–13.
160
Dieter Flach, Christine Schraven
verfolgte sie ihr Ziel in den Bahnen, die ihr die Verhandlungen in Neu-Karthago und dessen Mutterstadt vorzeichneten. Gegen das Friedensabkommen verstoßen zu haben, das Lutatius Catulus 241 v. Chr. mit Hamilkar Barkas ausgehandelt hatte, konnte sie seinem Sohn Hannibal nur zur Last legen, wenn sie aus dem Inhalt des Abkommens herauslas, dass es die künftigen Verbündeten beider vertragschließenden Mächte mitgeschützt habe.107 Sobald sie diesen Rechtsstandpunkt vertrat, konnte sie sich nicht auf seinen Wortlaut, sondern musste sie sich auf seinen Geist berufen und von der Friedensvermittlung der Schlichter, die sie noch vor Hasdrubals Tod nach Sagunt entsandt hatte, um den Zwist zwischen den beiden Parteien seiner zerstrittenen Bevölkerung beizulegen,108 den fragwürdigen Anspruch ableiten, sich nicht nur als befreundete, sondern als verbündete Macht dieser Stadt ausgeben zu dürfen.109 So weitherzig legte die römische Staatsführung den Friedensvertrag vom Jahr 241 aus, obwohl sie nur zu gut wusste, wie schwach sie ihre Rechtsauffassung begründete. Nicht zuletzt deswegen ging sie im Verkehr mit Hannibal und dem Rat der Alten von Anbeginn zweigleisig vor, um ihre Beweisnot zu überdecken. 220/19 v. Chr. gab sie ihren Unterhändlern bereits die Weisung mit auf den Weg, Hannibal davor zu warnen, den Ebro in kriegerischer Absicht zu überschreiten.110 Obwohl er sie ungefähr 460 oder 480 km vom Flusslauf entfernt in seinem Hauptquartier empfing,111 drängten sie ihn, sich diesem Verbot zu unterwerfen, weil sie ihn so am leichtesten in die Enge treiben konnten. Weigerte er sich, ihrer Forderung nachzukommen, verleugnete er den harten Kern des Stillhalteabkommens, das sein Vorgänger 226/25 v. Chr. geschlossen hatte. Aus dieser Falle wand er sich mehr schlecht als recht heraus, wenn er abstritt, dass es ihn binde. Hasdrubal hatte sich weder ausbedungen, dass es nur in Kraft trete, wenn die Mutterstadt zustimme, noch vereinbart, dass es mit seinem Tod von allein auslaufe. Diese Trumpfkarte spielte die römische Staatsführung geschickt aus, nachdem Sagunt gefallen war. Als sie erfuhr, dass Hannibal die zwischen den Machtblöcken zerriebene Stadt nach acht 107) 108) 109) 110) 111)
So die römische Rechtsauffassung nach Polyb. 3,29,4–10. Polyb. 3,15,7. Polyb. 3,15,6–7 und 3,30,1–2. Polyb. 3,15,5. Polyb. 3,39,6.
Kriegsschuldfrage im Ersten und Zweiten Punischen Krieg
161
Monaten eingenommen und geplündert hatte,112 entschied sie im Frühjahr 218,113 die beiden Konsuln des Vorjahres nach Ablauf ihrer Amtszeit – dem 28. Februar – mit drei weiteren Unterhändlern nach Karthago zu entsenden,114 um dem karthagischen Volk den Krieg zu erklären, wenn der Rat der Alten sich weigere, Hannibal und seine Ratgeber an Rom auszuliefern.115 Wie die Gesandten, die im Winterhalbjahr 220/19 v. Chr. von Spanien nach Nordafrika weitergereist waren, beriefen sie sich in dem Wortgefecht über die Rechtslage auf beide Verträge, um die Gegenseite mit diesem Schachzug mattzusetzen. In diesem Vorgeplänkel zur römischen Kriegserklärung zeigte der Sufet, der im Namen des Rats der Alten die Verhandlungen führte, wie gut er die Schwächen der eigenen Beweisführung kannte und wie schlüssig er die der römischen Gegenmeinung bloßzulegen verstand. Zu dem Ebroabkommen vom Jahr 226/25 v. Chr. äußerte er sich nur kurz,116 da er sehr wohl wusste, wie leicht er zu widerlegen war, wenn er abstritt, dass Hannibal und der Rat der Alten daran gebunden seien. Umso länger verweilte er aber dabei, den karthagischen Rechtsstandpunkt zu der Streitfrage zu verteidigen, ob der nach Lutatius benannte Vorvertrag nur die bestehenden oder auch alle künftigen Bündnisse der einen wie der anderen Macht völkerrechtlich abschirmte.117 Dazu nahm er ausführlich Stellung, weil er nur den Wortlaut des Vertrags vorzulesen brauchte, um nachweisen zu können, dass in der Liste der verbündeten Städte, die von Übergriffen verschont bleiben sollten, weder Sagunt noch eine andere spanische Stadt aufgeführt war.118 Diese Rechtsfragen mit dem Sufeten zu erörtern, lehnten seine römischen Verhandlungspartner aus verständlichen Gründen ab.119 Wenn sie sich darauf eingelassen hätten, mit ihm darüber zu 112) Polyb. 3,17,9–10 und 3,20,1. 113) G.V. Sumner, The Chronology of the Outbreak of the Second Punic War, Proceedings of the African Classical Association 9, 1966, 21, und: Rome, Spain, and the Outbreak of the Second Punic War: Some Classifications, Latomus 31, 1972, 478–480, sowie J.W. Rich, Declaring War in the Roman Republic in the Period of Transmarine Expansion, Collection Latomus 149, Brüssel 1976, 34, und Eckstein (wie Anm. 96) 271–272. 114) Liv. 21,18,1. 115) Polyb. 3,20,6–8. 116) Polyb. 3,21,1. 117) Polyb. 3,21,3. 118) Polyb. 3,21,3–5. 119) Polyb. 3,21,6.
162
Dieter Flach, Christine Schraven
streiten, ob Hannibal die Stadt Sagunt hätte angreifen dürfen oder meiden müssen, hätten sie nur mit größter Mühe ein Patt erzielen können. Selbst wenn Sagunt nicht nur in einem losen Freundschaftsverhältnis, sondern einer festen Bündnisbeziehung zu Rom gestanden hätte, hätten sie ihm lediglich erwidern können, dass Lutatius Catulus die künftigen Verbündeten von den Schutzbestimmungen des mit Hamilkar Barkas vereinbarten Friedensabkommens ausdrücklich ausgenommen hätte, wenn er sie davon hätte ausschließen wollen.120 Fraglos besser dagestanden hätten sie, wenn Hannibal mit seinem Heer den Ebro überschritten hätte, bevor sie ihn und seine Ratgeber an Rom auszuliefern verlangten. Seinen Standpunkt, das Stillhalteabkommen, das sein Vorgänger 226/25 v. Chr. mit römischen Gesandten geschlossen habe, binde weder ihn als seinen Nachfolger noch die Sufeten oder den Rat der Alten als höchste Staatsgewalt, begründete der karthagische Verhandlungsführer in der Tat anfechtbar, wenn er darauf verwies, dass das römische Volk ja doch das Friedensabkommen verworfen habe, das Lutatius Catulus mit Hamilkar Barkas geschlossen hatte.121 Zu durchsichtig zog er einen schiefen Vergleich, der den völkerrechtlichen Unterschied zwischen einem Präliminarfrieden und einem Feldherrnabkommen unzulässig verwischte.122 Die Rechtsauffassung, die er vertrat, konnten die Römer mit dem schlagenden Gegenbeweis widerlegen, dass Lutatius Catulus mit Hamilkar Barkas keinen Feldherrnvertrag, sondern einen Vorvertrag geschlossen hatte. In den Verhandlungen, die er mit ihm führte, und den Abmachungen, die er mit ihm traf, hatte er sich ausdrücklich ausbedungen, dass dieser Vertrag erst in Kraft trat und nur in Kraft treten konnte, wenn das römische Volk, die Zenturienversammlung, ihn genehmigte.123 Den Römern wiederum blieb keine andere Wahl, als geflissentlich zu überspielen, dass Hannibal gegen das Stillhalteabkom120) Polyb. 3,29,4–6. 121) Polyb. 3,21,1–2. 122) Zu der zweiten Vertragsform noch immer am erhellendsten E. Bickerman, An Oath of Hannibal, TAPhA 75, 1944, 87–102, und: Hannibal’s Covenant, AJPh 73, 1952, 1–13; nach welchem Muster Hasdrubal sein Abkommen mit den Unterhändlern der Gegenseite schloss, ob eher nach römischem oder punischem, ist freilich nicht so sicher zu entscheiden, wie Bickerman es in AJPh 73, 1952, 18–19 hinstellt. 123) Polyb. 3,29,2–3.
Kriegsschuldfrage im Ersten und Zweiten Punischen Krieg
163
men von 226/25 v. Chr. gar nicht verstoßen haben kann, wenn er den Ebro erst überschritt, nachdem sie der Staatsführung, die ihm den Rücken stärkte, den Krieg erklärt hatten. Warum und wozu aber ließ sich der Wortführer des Rats der Alten überhaupt darauf ein, den fünf Abgesandten des Senats auseinanderzusetzen, weshalb sich Karthago an den Feldherrnvertrag vom Jahr 226 oder 225 v. Chr. nicht gebunden fühle? Solange Hannibal mit seinem Heer noch in Neu-Karthago, seinem Hauptquartier, stand, hatte er doch noch mehr als 450 km zurückzulegen, ehe er bis zum Ebro vorgestoßen war. Auf diese Tatsache zu verweisen kann der Sprecher des Rats der Alten nur unterlassen haben, wenn die Karthager die Lage schon zu weit zugespitzt sahen, um sie mit dem äußersten Zugeständnis, Hasdrubals Stillhalteabkommen ihrer bisherigen Haltung zum Trotz völkerrechtlich anzuerkennen, im letzten Augenblick noch entspannen zu können. Selbst wenn sie ihren fähigsten Feldherrn und seine Ratgeber an Rom ausgeliefert hätten, hätten sie den Krieg höchstens vorübergehend abzuwenden vermocht. Als Hannibal 220/19 v. Chr. anfragte, ob er sich dem römischen Druck beugen und sich von Sagunt fernhalten solle,124 hatten sie ihm vorbehaltlos den Rücken gestärkt, weil sie schon damals durchschauten, dass Rom nach seinem Sieg über die Kelten seine Spanienpolitik neu ausgerichtet und der Stadt Sagunt dabei die Rolle eines Pfahls im Fleisch zugedacht hatte. Wenn er nachgegeben hätte, hätte er Tür und Tor dafür geöffnet, dass Rom das Stillhalteabkommen vom Jahr 226 oder 225 v. Chr. Zug um Zug aushöhlte. Hätte er sich dem Druck gebeugt, hätte er es nur ermutigt, darin fortzufahren, südlich des Ebros liegende Städte oder lebende Stämme unter seinen Schutz zu stellen. Stimmte die karthagische Staatsspitze darin mit ihm überein, konnte sie nicht einmal erwägen, den Feldherrn zu opfern, auf dessen Kriegskunst sie dringender denn je angewiesen war. In dieser verzwickten Lage konnten weder er noch die Mutterstadt sich einen Vorteil davon versprechen, im letzten Augenblick den Kurs zu wechseln. Darauf einzuschwenken, das Ebroabkommen doch noch völkerrechtlich anzuerkennen, hätte ihnen eher geschadet als geholfen. Er hätte dennoch ausgeliefert werden müssen, und Karthago hätte sich als erpressbar entlarvt, wenn es ihn fallengelassen hätte.
124) Polyb. 3,15,8.
164
Dieter Flach, Christine Schraven
In ihrer Handlungsfreiheit eingeengt, wehrten sich die Karthager nur noch halbherzig dagegen, dass die Gegenseite Hannibal zu einem vertragsbrüchigen Kriegstreiber stempelte, der sich in seinem jugendlichen Ungestüm über alle Abmachungen hinwegsetzte, die seinen hemmungslosen Ehrgeiz hätten zügeln müssen.125 Selbst wenn sie ihn noch so bestechend verteidigt hätte, wäre der Krieg nicht mehr abzuwenden gewesen. Auf den Unterschied, ob Hannibal das Ebroabkommen schon verletzt hatte oder sich nur entschlossen zeigte, dagegen zu verstoßen, kam es in dieser aufgeheizten Stimmung nicht mehr an. Hatte er nicht tatsächlich, wie es Polybios schildert,126 bereits seine Streitkräfte zusammengezogen, um von seinem Hauptquartier aus über den Ebro zu stoßen, und mit den Kelten der Alpen und der Poebene Fühlung aufgenommen, um mit ihrer Rückendeckung in Italien einfallen zu können? In der einem Pokerspiel gleichenden Art und Weise, in der die Römer den Zweiten Punischen Krieg diplomatisch vorbereiteten und propagandistisch eröffneten, um ihn nach der Ideologie des bellum iustum als Präventivschlag gegen einen zu Vertragsbruch und Krieg entschlossenen Feind zu rechtfertigen, folgten sie einem vertrauten Verhaltensmuster, das die wahren Kriegsgründe nur notdürftig verschleierte. Genugtuung forderten sie mit einer clarigatio oder repetitio rerum, die der Gegenseite mehr zumutete, als sie mit ihrer Selbstachtung hätte vereinbaren können.127 Den Krieg erklärten sie mit einer indictio belli, die sie unaufrichtig begründen mussten, um ihn als rechtmäßig, als iustum, ausgeben zu können. Mit der Vertrags- und Bündnistreue, auf die sie sich beriefen, der fides, auf die sie sich so viel zugute hielten, überdeckten sie ihre wahren Beweggründe wie mit einem Firnis. Dieser Vorgehensweise und Sprachregelung kommen vielleicht die Schachzüge am nächsten, mit denen Caesar die diplomatischen Vorgefechte seines Feldzugs gegen die Helvetier eröffnete. Den Krieg, den er gegen sie führte, gab er als Gegenschlag zum Zweck der Abwehr gefährlicher Einfälle, des Schutzes verbündeter Stämme und der Vergeltung schmachvoller Niederlagen aus, um ihn als rechtmäßig hinstellen zu können.128 Das Friedensange125) 126) 127) 128)
Zu diesem Feindbild vgl. Polyb. 3,15,6–9. Polyb. 3,33,13–3,35,1. Polyb. 3,20,6–10. Dazu ausführlicher Flach 1998 (wie Anm. 67) 98–100.
Kriegsschuldfrage im Ersten und Zweiten Punischen Krieg
165
bot ihres Unterhändlers Divico schlug er aus, obwohl es ihm freie Hand gelassen hätte, ihnen ein Gebiet seiner Wahl anzuweisen.129 Statt auf seinen Vorschlag einzugehen, hielt er die Helvetier zunächst so lange hin, bis seine Pioniere einen 19 römische Meilen langen Verteidigungswall vom Genfer See bis zum Jura aufgeschüttet hatten,130 und unterbreitete ihnen sodann, nur um sie in den Krieg zu treiben, die unannehmbaren Friedensbedingungen, den Haeduern, Ambarrern und Allobrogern Sühne zu leisten und ihm als ihrem gemeinsamen Beschützer Geiseln zu stellen.131 Diesen Stämmen beizustehen und mit seiner geharnischten repetitio rerum Genugtuung für die Verwüstung ihrer Felder zu verschaffen, war er keineswegs genötigt. Die Übergriffe, die er den durchziehenden Helvetiern zur Last legte, nahm er lediglich zum Vorwand, um im Vorfeld seiner Provinz eingreifen zu können. Die Beschwerden über diese Feindseligkeiten, so ließ er selbst durchblicken,132 drangen überhaupt erst zu ihm, als der Plan, gegen die Helvetier zu Felde zu ziehen, bereits feststand.133 Drei Jahre zuvor hatte der Senat zwar den damaligen und alle künftigen Statthalter der Provinz Gallia Narbonensis ermächtigt, die Haeduer und übrigen Freunde des römischen Volkes zu schützen, aber nur so weit, wie es das Staatswohl gebot.134 Ein Freibrief, sich in Machtkämpfe einzumischen, die in und zwischen Nachbarstämmen ausgetragen wurden, gab er ihm damit keineswegs.135 Hätte Caesar sich wie sein Vorgänger, der im April 59 verstorbene Prokonsul Metellus Celer, darauf beschränkt, das römische Vorfeld zu überwachen und die Helvetier mit Drohungen in Schach zu halten,136 hätte er der Weisung des Senats vollauf genügt. Je weiter er von diesem Kurs abging, desto offener verstieß seine Vorgehensweise gegen den Grundsatz, dass Statthalter die Grenzen ihrer Provinz nur im äußersten Notfall überschreiten sollten.137 129) Caes. Gall. 1,13,3. 130) Caes. Gall. 1,8,1–2. 131) Caes. Gall. 1,14,3–6. 132) Caes. Gall. 1,10–11. 133) Vernachlässigt von W. Hoffmann, Zur Vorgeschichte von Caesars Eingreifen in Gallien, AU I.4, 1952, 18–19. 134) Caes. Gall. 1,35,4. 135) Dies zu Hoffmann (wie Anm. 133) 17–18, 21. 136) Cic. Att. 1,19,2 (Brief vom März des Jahres 60 v. Chr.). 137) Th. Mommsen, Römisches Staatsrecht, Bd. II 1, Leipzig 31887, 100.
166
Dieter Flach, Christine Schraven
Die Bündnistreue, auf die sich die Römer so gern beriefen und so viel zugute hielten, hätte Caesar gewiss glaubhafter ins Feld führen können, wenn ihn wenigstens die Mehrheit der Haeduer zu Hilfe gerufen hätte. Doch bat ihn nicht etwa ihr mächtigster und beliebtester Gefolgschaftsführer, der hoch angesehene, mit der Tochter des Helvetiers Orgetorix verheiratete Stammesfürst Dumnorix,138 sondern das Haupt der seit der Niederlage von Admagetobriga geschwächten Gegenpartei, sein Bruder Diviciacus, ihnen gegen die Helvetier beizustehen. Diesen Machtkampf nutzte Caesar nach dem gleichen Grundmuster für seine Zwecke aus wie der Senat ungefähr 160 Jahre früher den Bürgerzwist in Sagunt. Den Anspruch, aus Bündnistreue einen rechtmäßigen Krieg geführt zu haben, entlarvt als ideologisch verbrämt, um nicht zu sagen heuchlerisch und verlogen, dass Caesar im Jahr 58 v. Chr. – wie im Jahr 218 v. Chr. die fünf ranghohen, zur Kriegserklärung bevollmächtigten Senatsmitglieder Marcus Fabius Buteo, Marcus Livius Salinator, Lucius Aemilius Paullus, Gaius Licinius Varus (?) und Quintus Baebius Tamphilus – in der althergebrachten Rechtsform der clarigatio harte Genugtuungsforderungen erhob, die, wie nicht anders zu erwarten, die Gegenseite als unannehmbar zurückwies. Nur handelte weder die erste noch die zweite Senatsgesandtschaft eigenmächtig und war Sagunt, als Hannibal es belagerte und Rom ihn in der selbstgewählten Rolle einer Schutzmacht zum vertragsbrüchigen Kriegstreiber stempelte, nicht mehr wie später die Haeduer in zwei Lager gespalten, da es als Friedensvermittler die führenden Köpfe der Gegenpartei aus dem Weg geräumt hatte.139 Polybios in der Quellenkritik Wann Rom und Karthago ihre völkerrechtlichen Beziehungen regelten und wie beide Mächte sie von Vertrag zu Vertrag veränderten, schildert Polybios zwar am eingehendsten, aber nicht immer zuverlässig. Die Auskünfte, die er dazu gibt, halten der Quellenkritik verschiedentlich nur bedingt oder überhaupt nicht stand. Gründlich geprüft und genau untersucht, vermitteln sie in den folgenden Streitpunkten ein durchwachsenes Bild: 138) Caes. Gall. 1,3,5. 139) Polyb. 3,15,7.
Kriegsschuldfrage im Ersten und Zweiten Punischen Krieg
167
1. Der Vertrag, mit dem Polybios die römisch-punischen Verträge zu zählen beginnt, wurde erst 348/47 v. Chr., nicht schon 509/08 oder 508/07 v. Chr. geschlossen.140 Diodor, Livius und Orosius setzen ihn richtig, Polybios um 160 Jahre zu früh an.141 Sein voraussetzungsreicher Doppelansatz, ihn in das Gründungsjahr der Republik und die Amtszeit ihrer ersten Konsuln hinaufzurücken, scheitert schon allein daran, dass nicht zwei Hoheitsträger, sondern nur einer, der sogenannte ‚Magister populi‘, den König mit dem Titel ‚Rex‘ in der Staatsführung und Heeresleitung ablöste.142 2. Binnen fünf Tagen wieder in See zu stechen, wenn ein Schiff von einem Seesturm an die Küste verschlagen wurde, schrieb erst der zweite Vertrag den Römern vor.143 Der erste hatte ihnen weder diese noch eine andere Frist gesetzt, sondern ihnen so lange an Land zu bleiben gestattet, bis sie es ausgebessert oder den Göttern geopfert hatten.144 Davon, dass schon der erste Vertrag die Erlaubnis, bei Seenot in der Sperrzone vor Anker zu gehen, auf fünf Tage begrenzt habe, sprach Polybios nur in seinen Erläuterungen,145 nicht in seiner Inhaltsangabe. Die Herausgeber, die wie Th. Buettner-Wobst die schärfer gefasste Klausel in den ersten einbauten, schlossen vorschnell aus, dass Polybios sie vom zweiten in den ersten übertragen haben könnte. 3. Der erste Vertrag verbot den Römern und ihren Verbündeten, das Schöne Vorgebirge zu umsegeln,146 der zweite verbot es 140) Nachgewiesen von A. Alföldi, Das frühe Rom und die Latiner, Darmstadt 1977, 308–314, und Bringmann (wie Anm. 13) 114–117; verkannt etwa von R. L. Beaumont, The Date of the First Treaty between Rome and Carthage, JRS 29, 1939, 74–86, M. L. Scevola, Una testimonianza trascurata di Livio sul più antico trattato romano-cartaginese, Athenaeum 21, 1943, 122–124, F. Hampl, Das Problem der Datierung der ersten Verträge zwischen Rom und Karthago, RhM 101, 1958, 59–62, K.-E. Petzold, Die beiden ersten römisch-karthagischen Verträge und das foedus Cassianum, in: ANRW I 1, Berlin / New York 1972, 382–385, 399–400, 409– 410, W. Huß, Geschichte der Karthager, München 1985, 86–92, und K. Zimmermann, Rom und Karthago, Darmstadt 2005, 5–6. 141) Zu diesen beiden Zeitansätzen vgl. Diod. 16,69,1, Liv. 7,27,2 und Oros. hist. 3,7,1–2 mit Polyb. 3,22,1–2. 142) Näher ausgeführt von D. Flach / St. von der Lahr, Die Gesetze der frühen römischen Republik, Darmstadt 1994, 12–17, 45–47, und D. Flach / A. Flach, Das Zwölftafelgesetz, Darmstadt 2004, 6–8. 143) Polyb. 3,24,11. 144) Polyb. 3,22,6. 145) Polyb. 3,23,3. 146) Polyb. 3,22,5.
168
Dieter Flach, Christine Schraven
ihnen ebenso und dazu noch, über Mastia, die Vorgängerin der Neustadt Karthago, die Hasdrubal auf dem Boden des heutigen Cartagena erbaute, in südlicher Richtung hinauszufahren.147 Daraus zog Polybios den richtigen Schluss, dass sie mit ihren langen, zum Handel wie zum Freibeutertum tauglichen Schiffen nicht in Gewässer einlaufen durften, die südlich dieser beiden Küstenvorsprünge lagen.148 In diesem Punkt bewegte er sich auf sicherem Boden, da in der Tat von den beiden Voraussetzungen auszugehen war, dass sie mit ihren Galeeren, wenn sie nicht gerade von Sardinien oder Sizilien nach Nordafrika übersetzten, so weit wie möglich an der Küste entlangfuhren und Rom als Blick- und Bezugspunkt die Himmelsrichtung vorgab, in der sie nicht weitersegeln durften.149 4. Mit dem Schönen Vorgebirge, dem Kalon Akroterion, meinte Polybios nicht etwa Kap Farina / Ras Sidi Ali el Mekki,150 sondern Kap Bon / Ras Adder.151 Darüber klärt er den Leser mit der eindeutigen und zutreffenden Auskunft auf, dass dieses Vorgebirge der Stadt Karthago „ u n g e f ä h r nach Norden zu“, …w prÚw tåw êrktouw, vorgelagert sei.152 Richtig verstanden und übersetzt, gibt sie keinen Anlass, die Orts- und Landeskenntnisse in Zweifel zu ziehen, die er sich im Stab seines Freundes Publius Cornelius Scipio Africanus Aemilianus erwarb. Weder verwechselte er das nordöstlich von Karthago vorspringende Kap Bon mit dem ihm nordnordwestlich vorgelagerten Kap Farina noch täuschte er sich in der Himmelsrichtung, in der Kap Bon zu Karthago liegt, wenn er es u n g e f ä h r nördlich von Karthago verortete. Las er aus dem Wortlaut des ersten und des zweiten Vertrags heraus, dass keine Langschiffe ungefähr mit Kurs nach Süden über das Schöne Vorgebirge hinausfahren durften,153 kann er sich unter dem Kalon Akroterion nur den östlicheren der beiden Küstenvorsprünge, das Mercuri Promunturium, wie Livius, oder Promunturium Mercu147) Polyb. 3,24,2. 148) Polyb. 3,23,2 und 3,24,2–4. 149) Klargestellt von Marek (wie Anm. 15) 1–7. 150) So jedoch zuletzt wieder W. Ameling, Karthago. Studien zu Militär, Staat und Gesellschaft, Vestigia 15, München 1993, 142–147, gefolgt von Bringmann (wie Anm. 13) 112. 151) Klargestellt und nachgewiesen von Marek (wie Anm. 15) 3–7. 152) Polyb. 3,23,1. 153) Polyb. 3,23,1–2 und 3,24,1–2.
Kriegsschuldfrage im Ersten und Zweiten Punischen Krieg
169
rii, wie Plinius es nennt,154 vorgestellt haben. Das westlichere der beiden Kaps zu umsegeln, verwehrte zwar noch nicht der erste, aber eindeutig der zweite Vertrag. Seitdem er in Kraft getreten war, war den Römern dieser Seeweg versperrt, da sie nach den härteren Vertragsbedingungen, denen sie sich nunmehr zu unterwerfen hatten, weder die nordafrikanische Küste westlich von Karthago und südlich von Kap Bon noch die südostspanische Küste südlich von Mastia oder die sardinische Küste anlaufen durften.155 Nirgendwo stufte der jüngere Vertrag dabei zwischen Sperrgürteln und Handelsverbotszonen ab.156 An keiner dieser Küsten durften römische Kaufleute landen, ohne in Seenot geraten zu sein.157 Weder sah der Vertrag vor, dass sie in die karthagischen Hoheitsgewässer einlaufen durften, wenn sie die Küsten, zu denen er den Seeweg versperrte, mit kürzeren, zur Kaperei untauglichen Schiffen ansteuerten oder vor den Küstenvorsprüngen, die sie nicht umsegeln durften, von den seekriegstüchtigen Langschiffen auf kleinere Frachtjollen umstiegen, noch hat Polybios dergleichen in seinen Wortlaut hineingelesen. Über das Schöne Vorgebirge oder Mastia hinauszufahren, verwehrte ihnen der zweite Vertrag grundsätzlich, ohne zwischen Lang- und Kurzschiffen zu unterscheiden. Von Sizilien nach Karthago übersetzen konnten sie ohnehin nur mit hochseetauglichen Langschiffen, um auf dem Mittelmeer gegen Stürme und Freibeuterei gewappnet zu sein. Polybios bestätigt es bloß, wenn er das schon im ersten Vertrag ausgesprochene Verbot, Kap Bon zu umsegeln,158 mit den Worten erläutert, die Karthager hätten den Römern nicht erlauben wollen, mit Langschiffen über das Schöne Vorgebirge hinauszufahren, um ungefähr südlich davon die Handelsplätze der Byssatis und Kleinen Syrte anzulaufen.159 Darüber, dass es um Schiffe ging, mit denen – je nachdem, ob friedliche Kaufleute oder räuberische Freibeuter an Bord waren – Seehandel oder Piraterie getrieben wurde, klärte er den Leser auf, um ihm zu verdeutlichen, weshalb die Karthager den Römern den Seeweg zum Golf von Hammamet versperren zu müssen 154) Vgl. Liv. 29,27,8 und Plin. nat. hist. 5,24. 155) Polyb. 3,24,2–4; 3,24,11 und 3,24,14. 156) Dies fälschlich in seinen Wortlaut hineingelesen von Marek (wie Anm. 15) 5, 7. 157) Polyb. 3,24,11. 158) Polyb. 3,22,5. 159) Polyb. 3,23,1–2.
170
Dieter Flach, Christine Schraven
glaubten. Die Gefahr, sie könnten im westlichen Mittelmeerbecken, statt unter staatlicher Aufsicht Waren zu verkaufen, Schiffe kapern, Küstenstädte heimsuchen oder Handelsplätze gründen, nahmen sie sicherlich aus gutem Grund so ernst, dass sie sie durch den zweiten Vertrag noch weiter einzudämmen suchten.160 Seitdem er in Kraft getreten war, waren alle römischen Seehandelskaufleute, die ihre Waren auf karthagischen Märkten absetzen wollten, darauf eingeengt, von Rom oder einer Küstenstadt seines Einflussgebiets aus die Häfen des karthagischen Machtbereichs im Westen Siziliens anzulaufen oder von einem dieser Häfen aus Karthago anzusteuern.161 Setzten sie auf dem kürzesten Seeweg von Lilybaion, der südlichsten Küstenstadt, die Karthago als Mutterstadt auf Sizilien gegründet hatte, nach Karthago über, nahmen sie auf „Merkurs Vorgebirge“, wie sie Kap Bon nach ihrem Schutzgott des Handels nannten, so lange Kurs, bis sie in die Bucht einbogen, in der das Hafenbecken ihres Fahrtziels lag.162 5. Als Rom mit den Karthagern den zweiten Vertrag schloss, hatten zwar nicht alle, aber zweifellos nicht wenige Latinerstädte das foedus Cassianum, die Grundlage ihres Bundes, aufgekündigt. Wie noch immer verkannt wird, regelte dieser Vertrag nicht nur, nach welchen Verhaltensregeln und Grundsätzen die selbständigen Städte zu behandeln seien, die mit Rom – schriftlich vereinbart oder formlos – in Frieden lebten, sondern schützte vor allem und weitaus umfassender die wenigen latinischen Küstenstädte vor karthagischen Übergriffen, die sich nicht mehr oder noch nicht gegen Rom als Vormacht des Latinischen Bundes erhoben hatten.163 Darüber gleitet Polybios in seiner Inhaltsangabe so flüchtig hinweg, dass nicht von ungefähr übersehen wurde, wie Rom die Bündnistreue nicht abgefallener Latinerstädte vergolten sehen wollte. In dem Satz „Ebenso wenig aber soll es der Karthager tun“164 fasste er zusammen, dass die Städte, die im Latinischen Bund verblieben waren, den mit Karthago verbündeten Städten und Stadtstaaten völkerrechtlich gleichgestellt sein sollten.165 So 160) Polyb. 3,24,2–4 und 3,24,11. 161) Polyb. 3,24,12. 162) Zu dieser Schiffsroute vgl. Liv. 29,27,8. 163) Dazu ausführlicher Flach (wie Anm. 25) 37. 164) Polyb. 3,24,9. 165) So Flach (wie Anm. 25) 37–38, während die Verfechter der herrschenden Meinung – so etwa Petzold (wie Anm. 140) 379–381, 383–385, 397–398, 409–
Kriegsschuldfrage im Ersten und Zweiten Punischen Krieg
171
wenig, wie der Römer im Hoheitsgebiet der Karthager Schiffe kapern oder Städte überfallen und plündern sollte, die mit ihnen befreundet und verbündet waren, sollte der Karthager das Recht, an der Küste der römischen Schutzzone landen zu dürfen, zu Übergriffen auf die wenigen verbliebenen Mitglieder des Latinischen Bundes missbrauchen.166 Welche latinischen Küstenstädte Karthago nach diesem Grundsatz zu schonen hatte, erläutert Polybios in seinen Anmerkungen. Nach der Auskunft, die er in diesem Teil seiner Darstellung der Vertragslage gibt, hatte es Übergriffe auf die Bevölkerung der Hafenstädte Ardea, Antium, Circei und Tarracina zu unterlassen.167 Wenn nicht alles täuscht, fand er diese Städte im zweiten Vertrag genannt. Vom ersten in den zweiten Vertrag hineingelesen hat er ihre Namen jedenfalls schwerlich. Wäre er so flüchtig vorgegangen, müsste er aus unerfindlichen Gründen Lavinium, das im ersten Vertrag noch namentlich aufgeführt war, in den Anmerkungen, mit denen er den zweiten erläuterte, bewusst ausgespart oder versehentlich mitzuverzeichnen versäumt haben. 6. Wann die Römer mit den Karthagern das Bündnis gegen Pyrrhos vereinbarten, hat Polybios zwar nicht so genau wie Livius, aber keineswegs falsch überliefert. Dass sie es erst mit den Karthagern schlossen, nachdem Pyrrhos sie im Spätsommer des Jahres 279 bei Ausculum zum zweiten Mal geschlagen hatte,168 stellt Polybios nur scheinbar in Frage.169 Der herrschenden Meinung zum Trotz behauptet er keineswegs, dass es „während der Überfahrt des Pyrrhos“ vereinbart worden sei.170 Statt einer zeitlichen 411, oder Huß (wie Anm. 140) 152 – darin übereinstimmen, dass der zweite Vertrag keine „Untertanen“ der Römer gekannt habe. 166) Polyb. 3,24,8–9.3 167) Polyb. 3,24,16. 168) Liv. per. 13: iterum adversus Pyrrhum dubio eventu pugnatum est. cum Carthaginiensibus quarto foedus renovatum est. 169) Flach (wie Anm. 31) 616–617, und – wieder – (wie Anm. 25) 40, zu Polyb. 3,25,1. 170) So jedoch H. Ortwein, Die Freundschaftsverträge Roms mit Karthago, Diss. masch. Innsbruck o. J., 63–69, 151, G. Nenci, Il trattato romano-cartaginese katå tØn PÊrrou diãbasin, Historia 7, 1958, 275–285, K. Meister, Das Datum des römisch-karthagischen Vertrages katå tØn PÊrrou diãbasin, PP 26, 1971, 196–201, D. Musti, Polibio negli studi dell’ultimo ventennio (1950–1970), in: ANRW I 2, Berlin / New York 1972, 1138, B. D. Hoyos, The Roman-Punic Pact of 279 B.C.: Its Problems and its Purpose, Historia 33, 1984, 403–409, Scardigli (wie Anm. 27) 69.
172
Dieter Flach, Christine Schraven
stellt die Angabe katå tØn PÊrrou diãbasin vielmehr eine sachliche Beziehung zu diesem Ereignis her. So verstanden besagt sie dem Zusammenhang nach, dass es „mit Rücksicht auf die Überfahrt des Pyrrhos“ geschlossen wurde.171 Die Zeit bestimmt Polybios lediglich mit dem gleichfalls zutreffenden Zusatz „bevor die Karthager den Krieg um Sizilien eingingen“. Mit diesem Terminus ante quem verträgt sich ohne weiteres, dass die Römer nach der Schlacht bei Ausculum vom Spätsommer des Jahres 279 mit den Karthagern übereinkamen, sich gegen Pyrrhos zu verbünden. 7. Am Longanos schlug Hieron II. von Syrakus die Mamertiner, wie sich die Eroberer von Messana nach dem italischen Kriegsgott Mamers, römisch Mars, nannten, nicht schon 269/68,172 sondern erst 265/64 v. Chr.173 Wenn er sie am Vorabend des Zweiten Punischen Krieges auf Messana zurückwarf und sich erst nach seinem Sieg zum König von Syrakus ausrufen ließ,174 kann er freilich, als er 215 v. Chr. hochbetagt starb, nicht 54 Jahre lang als König geherrscht haben.175 Streng genommen hat Polybios sich hier widersprochen. Doch braucht darauf kein allzu großes Gewicht gelegt zu werden, wenn er den Begriff basileÊein in dem Nachruf auf Hieron II. nicht seiner Alleinherrschaft als König vorbehielt, sondern auf seine ihr nahekommende Vormachtstellung als strathgÚw aÈtokrãtvr ausdehnte.176 Nahm er sich lediglich die Freiheit, das griechische Wort etwas unscharf zu gebrauchen, verstrickte er sich in keine unlösbaren Widersprüche. Wenn er es in seiner eigentlichen Bedeutung verwandt hätte, müssten daraus jedenfalls weitaus kühnere Schlüsse gezogen werden. Hätte Hieron II. von Syrakus sich tatsächlich 54 Jahre vor seinem Tod als 171) Flach (wie Anm. 31) 616–617, gefolgt von Huß (wie Anm. 140) 211 Anm. 34. 172) So jedoch Hoffmann (wie Anm. 37) 158–161, 164–167, und K.-E. Petzold, Studien zur Methode des Polybios und zu ihrer historischen Auswertung, Vestigia 9, München 1969, 149–162, gefolgt von Hampl (wie Anm. 37) 416, K.-H. Schwarte, Naevius, Ennius und der Beginn des Ersten Punischen Krieges, Historia 21, 1972, 210, Molthagen 1975 (wie Anm. 36) 94, 96, Welwei (wie Anm. 37) 573–574, und Albert (wie Anm. 36) 38–39. 173) Soweit richtig Heuß (wie Anm. 36) 465 Anm. 1, und Ruschenbusch (wie Anm. 36) 72–74. 174) So Polyb. 1,9,8. 175) Ruschenbusch (wie Anm. 36) 74. 176) Durchaus einleuchtend vermutet von K.J. Beloch, Griechische Geschichte, Bd. IV 2, Berlin / Leipzig 21927, 279–282.
Kriegsschuldfrage im Ersten und Zweiten Punischen Krieg
173
Sieger feiern und als König ausrufen lassen, müsste er die Mamertiner schon 269/68 v. Chr. am Longanos geschlagen, auf Messana zurückgeworfen und ihre Stadt so lange umzingelt gehalten haben, bis ihn der Befehlshaber eines karthagischen Geschwaders mit dem Schachzug überlistete, zu ihrem Schutz eine Garnison hineinzulegen.177 Vier Jahre müssten kurzum verstrichen sein, bis die Mamertiner die Römer zu Hilfe riefen. Doch widerspricht dieser Nachbildung des Zeitablaufs, dass Polybios ihre Niederlage in der Schlacht am Longanos ebenso dem Vorabend des Ersten Punischen Krieges zurechnet wie ihren Beistandspakt mit den Römern.178 Trifft sein Bericht zu, haben sich die Ereignisse von Hierons Sieg bis zum Kriegsausbruch geradezu überstürzt. 8. Dem Vorauskommando, das der römische Militärtribun Gaius Claudius anführte, ist die Geschichtlichkeit nicht abzusprechen.179 Davon, dass er mit seinem Vortrupp die karthagische Besatzung aus Messana vertrieb, wussten nicht nur Diodor, Dio und Zonaras,180 sondern auch Polybios zu berichten.181 Nur nennt Polybios den Militärtribunen Appius statt Gaius oder genauer Gaius Claudius, weil er seinen Vornamen mit dem des Oberbefehlshabers Appius Claudius Caudex verwechselte.182 9. Mit den übrigen Geschichtsschreibern, deren Berichte wir mit seinem vergleichen können, stimmt Polybios darin überein, dass die Mamertiner sich an Rom wandten, als Hieron II. ihre Stadt noch umzingelt hielt. Doch teilte er mit seinem wichtigsten Gewährsmann, dem hochgestellten Römer Fabius Pictor, die in der antiken Geschichtsschreibung verbreitete Neigung, vom Ausgang der Handlungen auf die Beweggründe der Handelnden rückzuschließen, wie auch den von diesem Grundzug überlagerten Stand177) Zu dieser Folgerung vgl. Hoffmann (wie Anm. 37) 158–167, Hampl (wie Anm. 37) 413–427, und Welwei (wie Anm. 37) 573–587. 178) Polyb. 1,10,1. 179) Anders Heuß (wie Anm. 36) 481 Anm. 4 und 484–485 mit Anm. 2, gefolgt von A. Lippold, Der Consul Appius Claudius und der Beginn des ersten punischen Krieges, Orpheus 1, 1954, 155–169, und: Consules, Bonn 1963, 248 Anm. 89, sowie Molthagen 1975 (wie Anm. 36) 99; vorsichtiger Hoffmann (wie Anm. 37) 175 mit Anm. 49. 180) Vgl. Diod. 22,13,9 exc. Hoeschel – ein Auszug, den erst Ruschenbusch (wie Anm. 36) 65–68 richtig auswertete – mit Dio, frg. 43,5–10 Boissevain und Zon. 8,8,6–8,9,1. 181) Polyb. 1,11,4. 182) Ruschenbusch (wie Anm. 36) 62–65.
174
Dieter Flach, Christine Schraven
punkt, dass Rom mit Karthago einen rechtmäßigen Krieg geführt habe. Davon rührt es letztlich her, dass er die wahren Beweggründe verkannte, aus denen der Senat zögerte und die Volksversammlung beschloss, dem Hilfegesuch der Mamertiner stattzugeben. In Wahrheit blickte die römische Staatsführung nicht auf Karthago, sondern auf Hieron II. von Syrakus, als sie das Für und Wider eines Beistandspakts mit den Mamertinern abwog. Messana zu entsetzen, das er zu dieser Zeit noch umzingelt hielt, zögerte sie, weil der Feldzug gegen Volsinii einen großen, wenn nicht den größeren Teil der römischen Streitkräfte band. Dafür entschied sie sich schließlich doch, weil Hieron daran gehindert werden sollte, diese strategisch wichtige Hafenstadt zu einem Brückenkopf auszubauen, um die Meerenge zwischen Italien und Sizilien zu beherrschen. 10. Von langer Hand einen Vergeltungskrieg geplant zu haben, unterstellte Polybios den Barkiden, ohne dafür stichhaltige Beweise beibringen zu können.183 In der ersten Phase der Zwischenkriegszeit stellte Hamilkar Barkas in den Mittelpunkt seiner Anstrengungen, die Mutterstadt durch verstärkten Zugriff auf die reichen Bodenschätze der Iberischen Halbinsel in die Lage zu versetzen, die in dem Friedensabkommen von 241 v. Chr. und dem Zusatzvertrag von 238 oder 237 v. Chr. zugesagten Kriegskostenentschädigungen fristgerecht zu entrichten. In der zweiten setzte Hasdrubal, um diesseits und jenseits des barkidischen Herrschaftsgebiets zwischen den Flüssen Gualdiquivir und Segura184 die einheimische Bevölkerung für sich zu gewinnen, markante Zeichen seines Verständigungswillens wie die, dass er Freundschaftsbündnisse mit iberischen Stämmen schloss185 und die Tochter eines iberischen Stammesfürsten heiratete.186 In der dritten unterwarf Hannibal zwar mehrere iberische Stämme, darunter aber keinen, der sich nördlich des Ebros angesiedelt hätte.187 Rückte er auch dem Grenzfluss seines Machtbereichs von Sieg zu Sieg näher, hütete er sich doch, ihn mit seinen Streitkräften zu überschreiten. Das Stillhalteabkommen, das sein Vorgänger Hasdrubal am Vorabend der Keltenkriege mit Rom geschlossen hatte, kündigte er 183) Polyb. 3,9,6–3,10,6. 184) Dass es so weit reichte, bevor Hasdrubal den Ebrovertrag schloss, zeigt Barcelò 1989 (wie Anm. 92) 168–178. 185) Polyb. 2,36,1–2. 186) Diod. 25,11,12. 187) Polyb. 3,13,5–3,14,9.
Kriegsschuldfrage im Ersten und Zweiten Punischen Krieg
175
auf, ohne es verletzt und nicht ohne sich vergewissert zu haben, dass die Mutterstadt sich ebenso wenig daran gebunden fühlte.188 Dazu forderten ihn die römischen Gesandten, die ihn im Jahr 220 oder 219 v. Chr. davor warnten, das in seinem Einflussgebiet liegende Sagunt anzugreifen,189 geradezu heraus. Als sie ihm eröffneten, dass er sich von dieser Stadt fernzuhalten habe, da sie mit Rom verbündet sei, konnte er ihnen keine andere Antwort geben, ohne sein Gesicht zu verlieren. Zu unverblümt hebelte ihr Ansinnen den Ebrovertrag wie mit der Brechstange aus, wenn sie aus seinem Inhalt nur Rechte und keine Pflichten ableiteten. Ihre Forderung musste Hannibal zurückweisen, weil seine Handlungsfreiheit sonst Zug um Zug hätte eingeengt werden können. Wäre er ihr nachgekommen, hätte er die iberischen Stämme, die er gerade erst unterworfen hatte, förmlich dazu ermutigt, sich mit Rom zu verbünden. Wieder einmal verabschiedete sich Rom von einem Stillhalteabkommen, sobald es seinen Zweck erfüllt hatte, nur rascher und unnachgiebiger als von dem, das es mit den Karthagern schloss, als der Latinische Städtebund zerfiel. Nachdem es sich von diesem Rückschlag erholt hatte, handelte es mindestens zweimal, 306 und 279 oder spätestens 278 v. Chr., günstigere Verträge mit den Karthagern aus, ehe der Erste Punische Krieg ausbrach. Sein zweites Stillhalteabkommen aber konnte es schon 220 oder spätestens 219 als Trumpfkarte im Machtpoker ausspielen, da es seinen Zweck, sich den Rücken für den Krieg gegen die Kelten des Rhonetals, der Alpen und der Poebene freizuhalten, schon nach wenigen Jahren erfüllt hatte. Seitdem Rom diese Stämme niedergezwungen hatte, richtete es seine Spanienpolitik neu aus. Je erfolgreicher der junge Hannibal seine Feldherrnkunst entfaltete, desto zielstrebiger suchte es seine Kreise schon südlich des Ebros zu stören. Wenn er den Römern nachgegeben hätte, hätten sie ihm sein Entgegenkommen eher als Zeichen der Schwäche ausgelegt. 11. Zur Rechts- und Vertragslage am Vorabend des Zweiten Punischen Krieges äußerte sich Polybios eindeutig und einseitig zugleich. Obwohl er einräumte, dass die Römer den Friedensvertrag vom Jahr 241 zuerst gebrochen hatten,190 gab er den Karthagern die Alleinschuld am Ausbruch dieses Krieges.191 Hannibal, so 188) 189) 190) 191)
Polyb. 3,15,8. Polyb. 3,15,5. Polyb. 3,28,1–4. Polyb. 3,29.
176
Dieter Flach, Christine Schraven
urteilte er aus der Rückschau, hätte ihn nach den Maßstäben, die an einen rechtmäßigen Krieg, ein bellum iustum, anzulegen waren, als Vergeltungskrieg rechtfertigen können, wenn er daran erinnert hätte, dass die Römer den Karthagern völkerrechtswidrig Sardinien entrissen und 1200 Talente abgepresst hatten.192 Statt sich darauf zu berufen, habe er aber, um seine wahren Beweggründe zu verschleiern, zu Vorwänden gegriffen193 und sich sowohl nach dem Lutatiusvertrag als auch nach dem Ebroabkommen ins Unrecht gesetzt.194 Zu diesem Ergebnis gelangte Polybios, weil er an drei verdächtigen Punkten der römischen Rechtsauffassung folgte, ohne ihre fragwürdigen Voraussetzungen anzuzweifeln. Vorbehaltlos übernahm er davon die drei anfechtbaren Lesarten: a. Sagunt habe nicht nur in einem losen Freundschaftsverhältnis, sondern einem festen, zu einem Bündnis verdichteten Schutzverhältnis zu Rom gestanden,195 b. der sogenannte Lutatiusvertrag habe nicht nur die namentlich aufgeführten Städte anzugreifen verboten, die damals mit den vertragschließenden Mächten verbündet waren, sondern auch alle Städte unter ihren völkerrechtlichen Schutz gestellt, die späterhin Bündnisse mit ihnen eingehen sollten,196 und c. Hannibal habe sich bereits als vertragsbrüchiger Kriegstreiber entlarvt, als er sich geweigert habe, das Ebroabkommen völkerrechtlich anzuerkennen.197 Mit dem Feindbild vom jugendlichen Heißsporn, der sich bedenkenlos über Verträge hinwegsetze, verdeckten die Römer geschickt, dass Hannibal den Ebro noch gar nicht überschritten hatte, als sie ihm und der Mutterstadt den Krieg erklärten.198 So durchsichtig verschleierten sie die wahre Sachlage, um vorzeigbarer begründen zu können, weshalb sie ihn und seine Ratgeber auszuliefern verlangten.199 Das Verhaltensmuster, nach dem sie vorgingen, zeichnete der Anspruch vor, mit dem Feind einen rechtmäßigen Krieg zum Schutz eines Verbündeten zu führen. – Noch 192) 193) 194) 195) 196) 197) 198) 199)
Polyb. 3,30,4. Polyb. 3,15,6–7 und 3,15,9–11. Polyb. 3,30,3. Polyb. 3,15,6–7 und 3,30,1–2. Polyb. 3,15,5 und 3,29,4–10. Polyb. 3,15,6–9 und 3,30,3. Zu diesem Zeitablauf vgl. Polyb. 3,34,5 und 3,40,2. Polyb. 3,21,6–8.
Kriegsschuldfrage im Ersten und Zweiten Punischen Krieg
177
150 Jahre später suchte Caesar mit nicht weniger fragwürdigen Schutzbehauptungen den vergleichbaren Anspruch zu verteidigen, im Vorfeld seiner Provinz Gallia Narbonensis zum Wohl und Nutzen verbündeter Gallierstämme gegen die Helvetier und den Tribokerfürsten Ariovist zu Felde gezogen zu sein.200 Zusammenfassung Die Verträge, mit denen Rom und Karthago im Zeitraum von 348 bis 264 v. Chr. ihre völkerrechtlichen Beziehungen geregelt hatten, erläuterte Polybios im Großen und Ganzen zutreffend, setzte aber den ersten um ungefähr 160 Jahre zu früh an und verdeckte so, dass die Römer den zweiten, ein Stillhalteabkommen, für das sie einen hohen Preis zahlten, schon etwa zehn Jahre später abschlossen, um sich den Rücken für die Niederwerfung abtrünniger Bündner freizuhalten. Auf die Vorgeschichte des Ersten wie auch des Zweiten Punischen Krieges blickte er zu sehr von der Warte seines voreingenommenen Vorläufers Fabius Pictor zurück, um in der Schilderung des Zeitablaufs und der Vertragslage das Dickicht von anfechtbaren Rechtsauffassungen, einseitigen Schuldzuweisungen, nachgeschobenen Rechtfertigungen der Kriegsbeschlüsse und vorgreifenden Benennungen der Kriegsziele zu durchdringen. Den Zenturiatkomitien zu empfehlen, dem Hilfegesuch der Mamertiner stattzugeben, zögerte der Senat eher aus der Sorge, der Feldzug gegen Volsinii könnte bereits zu viele Streitkräfte gebunden haben, als aus moralischen Bedenken, und den Beschluss, Messana zu entsetzen, führte die Kriegspartei nicht herbei, weil Rom sich von Karthago hätte bedroht fühlen müssen, sondern weil Hieron II. von Syrakus daran gehindert werden sollte, im Seekrieg womöglich die strategisch wichtige Straße von Messina zu sperren. Während Appius Claudius Caudex mit diesem Kriegsplan unversehens in den Ersten Punischen Krieg hineinschlitterte, haben die Römer den Krieg, den sie mit Hannibal führten, mit Schachzügen vorbereitet, die das alte Fetialrecht mit 200) Darüber eingehender K. Christ, Caesar und Ariovist, Chiron 4, 1974, 255–283, Flach 1998 (wie Anm. 67) 98–104, und A. Heinrichs, Überlegungen zur „Meuterei“ von Vesontio, Acta Classica Universitatis Scientiarum Debreceniensis 38/39, 2002–03, 143–157.
178
Dieter Flach, Christine Schraven
clarigatio und indictio belli vorzeichnete. Um diesen Krieg als Präventivschlag hinstellen zu können, bezichtigten sie Hannibal des doppelten Vertragsbruchs, gleichermaßen gegen das Friedensabkommen von 241 und das Feldherrnabkommen von 226/25 verstoßen zu haben. Dabei glitten sie wie später Polybios in seiner missverständlichen Erörterung der Kriegsschuldfrage über die Tatsache hinweg, dass Hannibal den Ebro noch gar nicht überschritten hatte, als sie ihm und der Mutterstadt den Krieg erklärten. Schon der Vorsatz, den sie aus den drei Anzeichen herauslasen, dass er dem Ebroabkommen die völkerrechtliche Anerkennung versagt, seine Streitkräfte zum Marsch auf Rom zusammengezogen und sich mit den Kelten des Alpenraums und der Poebene verständigt hatte, überführte ihn nach der Sprachregelung, der Polybios sich anschloss, eindeutig des Rechtsbruchs, diesen Feldherrnvertrag missachtet zu haben. Marburg
Dieter Flach Christine Schraven
VERSUCH EINER DOKTRINALEN NEUEINORDNUNG DER SCHULE DER SEXTIER Bisher wurde die Schule der Sextier, deren Gründer Quintus Sextius und deren lehrendem Mitglied Papirius Fabianus der Stoiker Seneca große Anerkennung zollte, übereinstimmend als eklektisch angesehen, wobei hier unter der Bezeichnung „eklektisch“ gemäß dem eigentlichen Wortsinn ein durch Auswahl entstandenes systemloses Nebeneinander von heterogenen doktrinären Elementen verstanden wurde1. Der Vegetarismus des Schulgründers wurde als pythagoreisches Element, seine ethischen Ansichten als stoisch und die Seelenlehre des Quintus Sextius Vater und Sohn als in sehr vagem Sinne platonisch aufgefasst. Bei genauerem Hinsehen jedoch erweist sich m. E. das lateinische Fragment über die Seelenlehre (Claudianus Mamertus, De statu animae 2,8), zumal wenn man es in die Unterrichtssprache der beiden Sextier (Grie1) Im Allgemeinen ist der Begriff ‚Eklektizismus‘, wie er vielfach von der modernen Forschung auf die Philosophen der frühen Kaiserzeit (Mittelplatoniker und Stoiker) angewendet wurde, zu verschwommen und irreführend, als dass er künftig noch in dieser Breite Verwendung finden sollte. Wie M. Frede (Eklektizismus, Der Neue Pauly III [1997] 937–938) sehr richtig ausführt, verleitet dieser Begriff oft dazu, die Schulidentität der so bezeichneten Philosophen zu verwischen; vgl. auch I. Hadot, Du bon et du mauvais usage du terme ‹eclectisme› dans l’histoire de la philosophie antique, in: Herméneutique et ontologie. Hommage à Pierre Aubenque, Paris 1990, 147–162, Wiederabdruck in: I. Hadot, Arts libéraux et philosophie dans la pensée antique, Paris 22005, 483–494). Was den Mittelplatonismus und u. a. Antiochos von Askalon betrifft, hat schon J. Dillon (The Middle Platonists, London 1977, S. XIV–XV) die Anwendung dieses Begriffes abgelehnt: „Antiochus . . . thought he had a coherent view of how philosophy had developed, and that view may not have been quite as perverse as it now appears to us. He and his successors felt justified in appropriating from the Peripatetics and the Stoics such doctrines and formulations as seemed to them to express better what Plato had really meant to say. At most, they were ‘modernizing’ Plato. The rationale of their procedure was clear and consistent, and it does not seem to me profitable to characterize it as eclectic. Indeed, our enthusiasm for ferreting out ‘Aristotelianism’ and ‘Stoicism’ in their works, and in those of Plotinus later, tends rather to lead to a false view of the situation.“ Mutatis mutandis gilt dasselbe für die kaiserzeitlichen Stoiker und die Neuplatoniker.
180
Ilsetraud Hadot
chisch) zurückübersetzt, als ein Kernstück einer der mannigfaltigen mittelplatonischen doktrinalen Richtungen, das sich weiterentwickelt dann bei Porphyrios und im späteren Neuplatonismus wiederfindet. Es erscheint mir daher erforderlich, alle über die Mitglieder der Schule der Sextier bekannten doktrinären und biographischen Einzelheiten erneut zu untersuchen und vor diesem Hintergrund – Vollständigkeit wird angestrebt – die Frage nach ihrer philosophischen Einordnung wieder aufzugreifen. I. Antike Nachrichten zur Schule der Sextier In den Bemerkungen Senecas über das Schicksal der Alten und der Neuen Akademie, des Pyrrhonismus und der Schule der Pythagoreer findet sich folgender Passus (Nat. quaest. 7,32,3): „Die vor kurzem gegründete Schule der Sextier, von echt römischem Kern (Sextiorum nova et Romani roboris secta), ist schon in ihren Anfängen erloschen, obwohl sie mit großem Aufschwung begonnen hatte.“ Dass sich diese kurze Erwähnung Senecas entweder auf zwei aufeinanderfolgende Schulleiter, Sextius Vater und Sohn, bezieht oder auf den Schulgründer und seinen Sohn als lehrendes Mitglied, erfahren wir aus Claudianus Mamertus’ Traktat De statu animae (2,8, zitiert weiter unten S. 191). Ansonsten wird die Schule (oder Vater und Sohn zusammen: Sextios secutus) nur kurz von Quintilian im Zusammenhang mit ihrem Mitglied Cornelius Celsus erwähnt (siehe unten S. 188). Es muss sich um eine der zahlreichen privaten, in Rom angesiedelten Philosophenschulen gehandelt haben, die aber in diesem Falle nicht, wie meist, von Griechen, sondern von Römern geleitet wurde, und zwar, nach Seneca zu urteilen, von Männern, die Römer nicht nur von Geburt, sondern auch ihrer altrömischen Gesinnung nach waren. Biographische Angaben über die Mitglieder dieser Schule, von denen uns keine Schriften anders als dem Titel nach oder in kurzen Fragmenten oder Paraphrasen überliefert wurden, sind spärlich2 und sollen als 2) Die modernste und ausführlichste, allerdings noch ganz unter dem Gesichtspunkt der Eklektik konzipierte Gesamtdarstellung der Schule der Sextier bietet I. Lana in seinem Artikel: La scuola dei Sestii, in: La langue latine, langue de la philosophie (Actes du Colloque organisé par l’École française de Rome [Rome, 17– 19 mai 1990]), Paris 1992, 109–124; ganz im selben Sinne z. B. auch G. Maurach, Geschichte der römischen Philosophie, Darmstadt 21997, 79–82.
Versuch einer doktrinalen Neueinordnung der Schule der Sextier
181
Einleitung zu dem Versuch einer neuen doktrinalen Einordnung dieser Schule als erstes aufgeführt werden. II. Antike biographische Nachrichten zu den einzelnen Schulmitgliedern a) Quintus Sextius, der Schulgründer Aus kurzen biographischen Angaben Senecas des Älteren in seinen Controversiae (Buch 2, Praef.) in Bezug auf Papirius Fabianus, einen Schüler des Quintus Sextius des Älteren und späteres lehrendes Mitglied seiner Schule, sowie aus der Mitteilung Senecas des Jüngeren (Ep. 98,13–14; vgl. Plutarch, Quomodo quis sent. prof. virt. 77D–E), dass Iulius Caesar dem Quintus Sextius den „breiten Purpurstreifen“ (d. h. die Senatorenwürde) angeboten habe, auf den er aufgrund seiner Geburt Anspruch hatte, Sextius diesen aber ablehnte, hat man geschlossen, dass er seine Schule um die Mitte des ersten vorchristlichen Jhs. gegründet haben dürfte. Plinius der Ältere (Nat. Hist. 18,273) erwähnt einen Studienaufenthalt des Sextius in Athen. Seneca der Jüngere (Ep. 64,2f.) berichtet, ohne den Titel zu nennen, von einem Buch des Quintus Sextius, das er mit einigen geladenen Gästen nach Tisch gelesen hatte: „Gelesen wurde sodann eine Schrift des Quintus Sextius, des Vaters, auf griechisch, eines, wenn du mir Glauben schenkst, bedeutenden Mannes und, mag er es auch bestreiten, Stoikers. Wieviel Energie, gütige Götter, wohnt ihm inne, wieviel Geist! Das wirst du nicht bei allen Philosophen finden: Die Schriften mancher, die einen berühmten Namen haben, sind blutlos. Sie belehren, sie erörtern, sie streiten, sie wecken nicht den Geist, weil sie keinen enthalten. Wenn du den Sextius liest, wirst du sagen: ‚Er lebt, ist kraftvoll, ist frei, er erhebt sich über das menschliche Maß, er entlässt mich voller Selbstvertrauen!‘“ (leicht verändert zitiert nach M. Rosenbach3). Von der Überzeugungskraft und moralischen Stärke des Quintus Sextius handelt auch Ep. 59,7f. Die Tiefenwirkung seines Unterrichts wird auch durch die Tatsache bewiesen, dass er zwei in Rom berühmte Persönlichkeiten, den Grammatiker L. Crassicius 3) L. Annaeus Seneca, Philosophische Schriften III, Darmstadt 1974, 529– 531.
182
Ilsetraud Hadot
Pasicles alias Pansa und den Rhetor Papirius Fabianus, zur Aufgabe ihres Berufes und zum Eintritt in seine Schule bewegen konnte (siehe weiter unten). Der kurz vor der Zeitwende geborene jüngere Seneca kannte ihn nur noch durch seine Bücher, hörte aber seinen Schüler Papirius Fabianus. – Über den Vegetarismus des Quintus Sextius, seine abendliche Gewissensprüfung und eine kurze Nachricht über seine und seines Sohnes Seelenlehre wird im Abschnitt über die dogmatische Orientierung der Schule gesprochen werden. Die Identifizierung des Quintus Sextius, die I. Lana4 mit dem von dem im 4. Jh. lebenden Sophisten Himerios erwähnten Stoiker Sextos (8,21 Colonna) vornimmt, ist abzuweisen. Erstens handelt es sich dort um einen Sextos (und nicht Sextios), und zweitens hat H. Völker5 eindeutig nachgewiesen, dass es sich hierbei um einen Neffen Plutarchs und Lehrer Marc Aurels handelt, mit dem Himerios durch seine Frau verwandt war. Auch die Identifizierung unseres Quintus Sextius mit dem Pythagoreer Sextus, dem Hieronymus (gegen Rufinus) die Autorschaft einer zu seiner Zeit viel gelesenen, heute als christliche Überarbeitung heidnischer Sentenzen erwiesene und um 200 n. Chr. entstandene Sammlung von Sentenzen zuweist6, ist nicht statthaft. Von einem Pythagoreer Sextus oder Sextos ist anderweitig noch zweimal die Rede. Hieronymus erwähnt ihn kurz in seiner lateinischen Übersetzung der Chronik des Eusebios in den zur 195. Olympiade (1–4 n. Chr.) gehörenden Eintragungen: Sextus Pythagoricus philosophus agnoscitur7. Bei dem Neuplatoniker Simplikios erscheint er in seinem Kommentar zu den Kategorien wie auch im 4) Lana (wie Anm. 2) 114. 5) Himerios, Reden und Fragmente, Wiesbaden 2003, 9–12 (Serta Graeca. Beiträge zur Erforschung griechischer Texte 17). 6) Ep. 133,3 (C.S.E.L. LVI 246–7). Ein Echo der Polemik des Hieronymus gegen Rufinus, welch letzterer dem christlichen Bischof und Märtyrer Xystus II die Autorschaft der Sentenzensammlung zugeschrieben hatte, findet sich bei Augustin (Retract. 2,42 [69]). Bezüglich seiner Schrift De natura et gratia bemerkt er: „In diesem Buch habe ich gewisse Äußerungen, die Pelagius als Worte des römischen Bischofs und Märtyrers Xystus hinstellte, verteidigt, als seien sie in Wirklichkeit seine eigenen Worte; dies glaubte ich nämlich. Später aber las ich, dass sie Sextus dem Philosophen zugehörten, und nicht dem Christen Xystus.“ 7) Eusebius, Chron., Edition Helm, Berlin 21956, 169. Vgl. Synkellos, Ecloga Chronographica, Edition Mosshammer, Leipzig 1984, 383: Unter dem Titel „Weltjahr 5501“ findet sich die Bemerkung S°jtow PuyagorikÚw filÒsofow ≥kmazen.
Versuch einer doktrinalen Neueinordnung der Schule der Sextier
183
Kommentar zur Physik, beide Male in einem wörtlichen Zitat aus Jamblichs heute verlorenem Kategorienkommentar8. Simplikios führt aus, dass Aristoteles anscheinend noch keine Lösung für die Quadratur des Kreises bekannt war, dass Jamblich jedoch behaupte, schon die alten Pythagoreer hätten sie gekannt: „wie, so sagt er (Jamblich), aus den von Sextos dem Pythagoreer angeführten Beweisen ersichtlich ist, die dieser von oben an (d. h. von den ältesten Pythagoreern) durch Schultradition übernommen hatte. Später hat Archimedes das Problem anhand der gewundenen Linie gelöst, Nikomedes mit Hilfe der speziell sogenannten quadrierenden Linie . . .“. Das Jamblich-Zitat endet mit der Nennung des Mathematikers Karpos. Die Zeitangabe „später“ weist wahrscheinlich auf Aristoteles, nicht auf Sextos zurück, denn Jamblich scheint von einer schon verhältnismäßig langen pythagoreischen Schultradition zu sprechen, und ein Träger des seltenen römischen Namens Sextus dürfte wohl kaum in der unmittelbaren Nachfolge des Pythagoras zu suchen sein. Ob es sich jedoch bei dem von Jamblich erwähnten, an mathematischen Fragen interessierten Pythagoreer Sextos um denselben Pythagoreer Sextus handelt, dessen Akme laut Eusebios-Hieronymus in die ersten Jahre des ersten nachchristlichen Jahrhunderts fiel, mag dahingestellt bleiben. Es kann sich aber, von der Namensverschiedenheit Sextius-Sextos abgesehen, nicht um den Gründer der Schule der Sextier handeln, dessen Akme erstens zu spät angesetzt wäre und der zweitens nicht als Pythagoreer bezeichnet werden konnte, worauf bereits H. Chadwick hinwies9 und wovon noch gesprochen werden soll. G. Maurach10 schreibt Quintus Sextius irrtümlich eine Äußerung zu, die Seneca (De brev. vit. 13,9) dessen Schüler Papirius Fabianius in den Mund legt. b) Quintus Sextius Niger Nach der oben zitierten Epistel 64,2 Senecas zu urteilen („gelesen wurde . . . eine Schrift des Quintus Sextius, des Vaters“), hatte der Sohn des Schulgründers Quintus Sextius das gleiche praenomen 8) Simplikios, In Cat. 192,18 Kalbfleisch; In Phys. 60,6 Diels. 9) H. Chadwick, The Sentences of Sextus, Cambridge University Press 1959, 126–129. 10) Maurach (wie Anm. 2) 79.
184
Ilsetraud Hadot
(Quintus) und nomen (Sextius), denn sonst hätte Seneca nicht zu betonen brauchen, dass es sich um den Vater handelte. Das cognomen ‚Niger‘ scheint jedoch nur dem Sohn gegeben worden zu sein. Claudianus Mamertus (De statu animae, 2,8, zitiert weiter unten S. 191) spricht von Sextius, dem Vater, und Sextius, dem Sohn, aber anderweitig sind uns Nachrichten nur über einen Sextius Niger erhalten, der zusammen mit einem anderen Mitglied der Schule, Papirius Fabianus, oft von Plinius dem Älteren in seiner Naturgeschichte zitiert wird. Soweit ich sehe, wird mit Ausnahme von J. Dingel11, der Zweifel äußert, und P. Grimal12, der dem Vater Sextius die von Plinius und anderen genannten Forschungen in der Heilkunde zuschreibt, dieser Sextius Niger heute einhellig mit dem Sohn des Schulgründers identifiziert13. Plinius der Ältere führt im Quellenverzeichnis zu seiner Naturalis Historia (Buch I) in der Rubrik der einheimischen Verfasser des Öfteren (zu den Büchern XII–XVI, XX–XXX u. XXXII–XXXIV) Sextius Niger an, häufig mit dem Vermerk qui Graece de medicina scripsit, oder qui Graece scripsit, und zitiert ihn auch gelegentlich im Text. Den Titel des die Arzneimittellehre behandelnden Buches, aus dem Plinius zitiert, nämlich Per‹ Ïlhw, erfahren wir aus dem Glossar hippokratischer Wörter des Erotianos (s.v. le¤rion, S. 94,2ff. Klein = S. 59,1ff. Nachmanson). Dieses Buch des Sextius Niger wurde auch von Dioskurides in seiner Arzneimittellehre (Per‹ Ïlhw fiatrik∞w) benutzt. Dioskurides war als Militärarzt unter Claudius und Nero tätig und galt als berühmtester Pharmakologe seiner Zeit. Er führt im Vorwort seiner Arzneimittellehre unter den modernen Autoren über Botanik Iulius Bassus, Nikeratos, Petronius, Niger und Diodotos auf, die er insgesamt als Anhänger des berühmten Arztes Asklepiades aus Bithynien bezeichnet und denen er Mangel an Akribie vorwirft. Sie hätten zwar die allen bekannte botanische Materie für 11) Sextius, Quintus, Der Neue Pauly XI (2001) 490f. 12) P. Grimal, Seneca – Macht und Ohnmacht des Geistes, Darmstadt 1978, 179 und 182. 13) Zu Sextius Niger heute noch grundlegend M. Wellmann, Sextius Niger, Hermes 24, 1889, 530–569, und Sextius Niger. Testimonia vitae et doctrinae, in: Pedanii Dioscuridis Anazarbei De materia medica libri quinque, III, Berlin 1914 (= 1958), 146ff. Vor allem durch die angeführte modernere Literatur nützlich U. Capitani, I Sesti e la medicina, in: Les écoles médicales à Rome, Actes du 2ème colloque international sur les textes médicaux latins antiques, Lausanne, sept. 1986, hgg. von Ph. Mudry et J. Pigeaud, Genf 1991 (Université de Lausanne, Publications de la Faculté des Lettres XXXIII, 95–123).
Versuch einer doktrinalen Neueinordnung der Schule der Sextier
185
wert befunden, sie einigermaßen genau zu beschreiben, aber was die Heilkraft und die Erprobung der pflanzlichen Heilmittel betrifft, so hätten sie diese nur flüchtig erwähnt und ihre Wirkung nicht einer regelrechten Prüfung unterzogen. Über die Ursachen fände sich bei ihnen nur leeres Geschwätz, und sie hätten auch Fehler bei der Identifizierung der Pflanzen begangen, wofür er Beispiele aus der Feder des „als berühmt geltenden“ Niger anführt, die seiner Meinung nach Zeugnis davon ablegen, dass seine Darstellungen nicht auf Autopsie, sondern auf falsch Gehörtem (oder Geschriebenem) beruhten. Seine kritische Einstellung hindert Dioskurides jedoch nicht daran, das Buch des Niger nicht selten als Quelle zu benutzen, was Parallelen mit Plinius zu beweisen scheinen. Der Nichtfachmann Plinius der Ältere stellt Niger ein besseres Zeugnis aus (Nat. Hist. 32,26): Sextius diligentissimus medicinae, desgleichen der berühmte Arzt Galen (De simpl. med. temp. et fac. 6, prooem. [11, 794 K]): Nachdem er als besten Pharmakologen den Dioskurides genannt hat, fährt er fort „es sei denn, dass jemand dem Buch des Asklepiaden Niger Lob spenden wollte. Denn auch von diesem ist alles gut dargelegt worden außer der Behandlung der Ursachen“. Die Freundschaft des Sextius Niger mit dem auch im obigen Zitat aus dem Vorwort des Dioskurides genannten Iulius Bassus, der auch von Plinius dem Älteren oft in seinem Autorenverzeichnis neben Sextius Niger aufgeführt wird, erwähnt Caelius Aurelianus (Acut. 3,16, S. 233 Amman). Aus der mehrfach bezeugten Zugehörigkeit des Sextius Niger zu der medizinischen Schule des Asklepiades hat man zumeist – etwas vorschnell, wie mir scheint – geschlossen, dass Sextius Niger selbst Arzt war, obwohl keine Quelle dies ausdrücklich erwähnt. Im Gegenteil, die Art und Weise, wie Plinius der Ältere ihn in seinem Autorenverzeichnis anführt, spricht durchaus gegen diese Annahme. So wie Plinius nämlich bezüglich der Autoren, deren Muttersprache Latein ist, jedesmal vermerkt, wenn sie ihre Bücher auf Griechisch schreiben, so kennzeichnet er auch die Ärzte durch den Vermerk ‚medicus‘. Diese Bezeichnung wendet Plinius aber nie, weder auf Sextius Niger noch auf seinen Freund Iulius Bassus, an. Er vermerkt nur, dass sie über Medizin geschrieben haben, und zwar auf Griechisch. Wir finden zum Beispiel im Quellenverzeichnis zum 29. Buch: Ex auctoribus . . . Celso. Sextio Nigro qui Graece scripsit. Caecilio medico, und zum 28. Buch: Ex auctoribus . . . Sextio Nigro, qui Graece scripsit. Bitho Durracheno. Rabirio
186
Ilsetraud Hadot
medico. Ofidio medico. Granio medico. Dies scheinen mir klare Hinweise darauf zu sein, dass Sextius Niger, wie übrigens auch Iulius Bassus, sich nicht als Arzt beruflich betätigt, sondern nur, wie auch der Enzyklopädist Cornelius Celsus (ebenfalls Mitglied der Schule der Sextier), über Medizin geschrieben hatte. Es ist daher nicht nötig, mit U. Capitani14 anzunehmen, dass Sextius Niger sein pharmakologisches Werk erst nach Beendigung seiner Tätigkeit als lehrender Philosoph verfasst hätte, wobei noch bemerkt werden muss, dass er von den drei Teilen der antiken Medizin, Diätetik, Pharmakologie und Chirurgie, nur die Pharmakologie behandelt hatte, indem er noch dazu den Akzent auf die Botanik legte, wenn wir Dioskurides Glauben schenken. Es ist vielmehr anzunehmen, wie wir unten noch sehen werden, dass die Beschäftigung mit Botanik und Pharmakologie mit zu seinen philosophischen Interessengebieten gehörte. Die Identifizierung, die U. Capitani15 mit dem von Hieronymus in seiner Chronik genannten Pythagoreer Sextus vornimmt16, dessen Lebenszeit mit der des Niger ungefähr übereinstimmt, erscheint mir nicht zulässig, nicht nur wegen des m. E. etwas vorschnell vorausgesetzten Wegfalls des i-Vokals im Namen des Sextius, sondern vor allem aus Gründen, die die doktrinale Einordnung der Schule der Sextier betreffen (siehe unten). Zu der Sextius Niger und seinem Vater gemeinsam zugeschriebenen Seelenlehre, siehe weiter unten (S. 191ff.). c) L. Crassicius Pasicles (= L. Crassicius Pansa) Sueton zufolge (gramm. 18) war L. Crassicius, aus Tarent stammend, ein Freigelassener, der seinen Beinamen Pasicles später in ‚Pansa‘ umänderte. Als Grammatiker genoss er Berühmtheit, schloss aber trotz erfolgreicher Lehrtätigkeit plötzlich seine Schule, um ein Anhänger der Sextier zu werden (dimissa repente schola, transiit ad Q. Sexti philosophi sectam). Sein Geburtsdatum wird ungefähr um 60 v. Chr. angesetzt17. Wie Crassicius seine Zu14) Capitani (wie Anm. 13) 103. 15) Capitani (wie Anm. 13) 102. 16) Über diesen oben S. 182. 17) Vgl. Joh. Christes, Sklaven und Freigelassene als Grammatiker und Philologen im antiken Rom, Wiesbaden 1979 (Forschungen zur antiken Sklaverei 10), 67–72.
Versuch einer doktrinalen Neueinordnung der Schule der Sextier
187
gehörigkeit zu dieser Schule gestaltete, ob später selbst lehrend oder durchweg in der Rolle des Schülers verharrend, wissen wir nicht. Aus dem lakonischen Bericht Suetons ist nur zu entnehmen, dass er seine Unterrichtstätigkeit als Grammatiker nicht fortsetzte und sich ganz der Philosophie zuwandte. Da keine philosophischen Schriften von ihm überliefert sind – nicht einmal dem bloßen Titel nach –, ist er in unserem Zusammenhang nur als Beispiel für den großen Einfluss und die Anziehungskraft wichtig, die die Schule der Sextier, und insbesondere wohl Quintus Sextius der Ältere, auf ihre Zeitgenossen ausübte. d) Papirius Fabianus Auch Papirius Fabianus gab seine Laufbahn als Rhetor auf, um sich der Schule des Quintus Sextius anzuschließen. Seneca der Ältere berichtet im Vorwort zum zweiten Buch seiner Controversiae, das ganz der Persönlichkeit des Fabianus gewidmet ist, dass dieser sehr jung bei Arellius Fuscus und weitaus länger bei Rubellius Blandus Rhetorik lernte, wobei er es zu Berühmtheit brachte, und dass er erheblich jünger als Seneca der Ältere war (praef. 12), dessen Geburt man um 55 v. Chr. ansetzt. Noch als Mitglied der Schule der Sextier setzte er einige Zeit seine Rhetorikstudien bei Rubellius Blandus fort, aber, sagt Seneca der Ältere (praef. 4–5), „wenn er zu dieser Zeit noch Rhetorik studierte, so tat er dies nicht mehr um der Rhetorik willen, sondern im Hinblick auf die Philosophie“, was wohl heißen soll, dass er die technische Vervollkommnung suchte, um seinem philosophischen Unterricht innerhalb der Schule der Sextier ein Höchstmaß an Überzeugungskraft zu verleihen. Seneca der Jüngere, der ihn noch selbst in seiner Qualität als lehrendes Mitglied der Schule der Sextier hörte, schätzte ihn außerordentlich, da er wie Quintus Sextius der Ältere seine Philosophie vorlebte und verkörperte (De brev. vit. 10,1; Ep. 40,12; vgl. Seneca der Ältere, Controv. 2, praef. 1–2). Anders als Quintus Sextius Vater und Sohn schrieb Fabianus, der ausgebildete lateinische Rhetor, seine Bücher auf Lateinisch, was wohl auch seine Unterrichtssprache war. Auch er muss als Lehrer auf seine Schüler mitreißend gewirkt haben. In der Epistel 100, in der Seneca sich ausführlich über den Stil des Fabianus als Philosoph äußert, sagt er von ihm (Ep. 100,3): „Wenn Fabianus sprach, hättest du keine Muße gehabt, dich mit Einzelheiten (seines Stils) zu befassen: So sehr hätte dich das Ganze in sei-
188
Ilsetraud Hadot
nen Bann geschlagen.“ Nach Senecas Aussage hatte Fabianus mehr Bücher philosophischen Inhalts geschrieben als Cicero (Ep. 100,9), darunter ein mehrbändiges Werk, dessen Titel er mit libri civilium angibt. Wenn er es für gut hielt, diese Schrift dem Adressaten seiner Briefe, Lucilius, zur Lektüre zu empfehlen, so kann man wohl voraussetzen, dass dieses Buch nichts enthielt, was den Ansichten des Stoikers Seneca zuwiderlief. Fabianus deswegen aber sogleich als Stoiker einzuordnen geht ebensowenig an wie im Falle des Vaters Sextius, von dem wir, wie oben gesagt, wissen, dass er nicht als Stoiker gelten wollte. Durch Charisius (135,19 Barwick) erfahren wir den Titel eines naturphilosophischen Werkes des Fabianus: Causarum naturalium libri, das mindestens drei Bände umfasste, und aus dem Seneca mit einiger Wahrscheinlichkeit viele Anregungen für seine Naturales quaestiones schöpfte, wenn er auch Fabianus in ihnen nur einmal namentlich zitiert, und zwar im Kapitel über die Sintfluten (Nat. quaest. 3,27,3). Charisius erwähnt auch eine mindestens zweibändige Schrift De animalibus. Plinius der Ältere erwähnt Fabianus ohne Werkangabe häufig in den Autorenverzeichnissen zu den einzelnen Büchern seiner Naturalis Historia (Buch 1), aber zitiert ihn auch stellenweise namentlich im Text zu folgenden Themen: 2,21: das Fehlen der Südwinde in Ägypten; 2,224: die größte Meerestiefe; 9,24: die Liebe eines Delphins zu einem Knaben; 12,20: die Unverbrennbarkeit des Ebenholzes; 15,4: die Empfindlichkeit der Olive gegen ganz heißes und ganz kaltes Klima; 18,276: die atmosphärisch-astrologische Ursache des Getreiderostes; 23,62: die Schädlichkeit nüchtern nach dem Bade genossenen Mostes; 28,54: die Häufigkeit der Träume im Frühjahr und Herbst, zumal bei Rückenlage (mit Aristoteles-Zitat); 36,125: das Nachwachsen des Marmors in den Steinbrüchen. Plinius nennt ihn (36,125) naturae rerum peritissimus. e) Cornelius Celsus Der als Verfasser eines umfangreichen enzyklopädischen Werkes in lateinischer Sprache (De agricultura: 5 Bücher; De rhetorica: 7 Bücher; De re militari; De medicina: 8 Bücher; De iurisprudentia; De philosophia) bekannte Cornelius Celsus war, Quintilian zufolge, ein Anhänger der Schule der Sextier: Scripsit non parum multa (scil. de philosophia) Cornelius Celsus, Sextios secutus, non sine cultu ac nitore (Cornelius Celsus schrieb als An-
Versuch einer doktrinalen Neueinordnung der Schule der Sextier
189
hänger der Schule der Sextier ziemlich viel [scil. über Philosophie], nicht ohne Kultur und Eleganz = Quintilian, Institut. 10,1,124). Im zwölften Buch der Institutiones (12,11,24), wo Quintilian von der Vielseitigkeit einiger großer Männer der Vergangenheit spricht, erwähnt er auch (nach Aristoteles, Cato Censorius, Varro und Cicero) Cornelius Celsus: „Was wäre noch hinzuzufügen? Denn selbst Cornelius Celsus, ein Mann von mittelmäßiger Begabung (mediocri ingenio), hat nicht nur über alle diese in Rede stehenden Gegenstände (artes) geschrieben, sondern er hat überdies Ratschläge in Sachen Militärwesen, Landwirtschaft und Medizin hinterlassen, allein schon aufgrund dieses Projektes selbst verdienend, dass man ihm glaubt, er wisse alles.“ Man sollte wohl zwischen diesen beiden Werturteilen keinen zu großen Unterschied sehen: Im Vergleich mit herausragenden Geistesgrößen wie Aristoteles, Varro und Cicero als mittelmäßig betrachtet zu werden, ist in meinen Augen nicht ehrenrührig und sichert Cornelius Celsus einen nicht unbedeutenden Platz im Geistesleben des ersten nachchristlichen Jahrhunderts. Von allen seinen Schriften sind nur die acht Bücher über Medizin erhalten. Seine philosophische Schriftstellerei scheint umfangreich gewesen zu sein (scripsit non parum multa). Leider ist nichts davon erhalten außer einem kurzen Zitat Augustins (Solil. 1,12,21), das weiter unten (S. 209) besprochen werden wird und das sich in die dogmatische Ausrichtung der Schule der Sextier einzufügen scheint. Nach Quintilian (10,1,124) und Augustin (Solil. 1,12,21) zu urteilen, hat Cornelius Celsus seinen persönlichen philosophischen Meinungen zumindest in einem Teil seiner philosophischen Schriften Ausdruck gegeben. Sollten auch die von Augustin (De haeres., prol., PL 42, col. 23) einem Celsus zugeschriebenen sechs Bücher rein philosophisch-doxographischen Zuschnitts ohne persönliche Stellungnahme unseren Cornelius Celsus (und nicht Celsinos von Castabala, wie häufig vermutet) zum Autor haben, dann dürften diese mit den von Quintilian und Augustin in den Soliloquien gemeinten philosophischen Schriften nicht identisch sein. Die doktrinale Ausrichtung seiner Schrift De medicina ist von Ph. Mudry18 eingehend untersucht worden. Nach der Feststellung, 18) Ph. Mudry, L’orientation doctrinale du ‹De medicina› de Celse, ANRW II, 37,1, 1993, 800–818.
190
Ilsetraud Hadot
dass Celsus den Arzt Asklepiades aus Bithynien als herausragende Autorität betrachtete, kommt Mudry zu folgendem Urteil (S. 814): „Es erscheint uns in Hinsicht auf die doktrinale Ausrichtung der Schrift ‚De medicina‘ als legitim, eher von einem markanten Einfluss des Asklepiades als von einer strikten Zugehörigkeit zu dieser Schule zu sprechen. Es handelt sich um einen Einfluss, der die kritische Distanz nicht ausschließt, der aber Asklepiades zur gängigen, wenn auch nicht exklusiven, Autorität erhebt“. Celsus beruft sich häufig auf ihn. Auf Seite 818 kommt Mudry auf die Schule der Sextier, der Celsus ja angehörte, zu sprechen, deren Tendenz auch er noch, der communis opinio folgend, als eklektisch ansieht, von deren Mitgliedern (Sextius Niger, Papirius Fabianus und Cornelius Celsus) er jedoch mit Recht sagen zu können glaubt, dass sie „ein lebhaftes Interesse für die Naturwissenschaften, Kosmologie, Landwirtschaft, Zoologie, Botanik, Mineralogie und die Medizin hatten“. Und er kommt zu dem Schluss (S. 818), dass man berechtigt ist zu denken, „dass, wenn Celsus sich der Schule der Sextier im philosophischen Teil seiner Enzyklopädie angeschlossen hatte, es dann auch in diesem Kreise geschah, dass der Autor der Schrift De medicina, wenn auch nicht die Quelle seiner Information gefunden hatte (wir glauben nicht, dass für Celsus eine einzige Quelle in Frage kommt), so doch zumindest die Kriterien, die seinen Blick orientierten, den er auf die Medizin warf.“ III. Dogmatische Orientierung a) Das Fragment zur Seelenlehre Wichtig für die dogmatische Orientierung der Schule der Sextier ist ein bisher in seiner Tragweite unterbewertetes Zitat19, 19) Der einzige, der, soweit ich sehe, versucht hat, dieses Zitat etwas genauer zu untersuchen, ist F. Bömer, Der lateinische Neuplatonismus und Neupythagoreismus und Claudianus Mamertus, Leipzig 1936 (Klassisch-philologische Studien 7), 132–137. Seine Erklärungen beziehen sich jedoch nur auf inlocalis und sine spatio capax und werden durch eine Rückübersetzung ins Griechische (von incorporalis an) gekrönt, die jedoch mit der meinen nicht übereinstimmt. Auf diesen Erklärungsversuch, der in der modernen Literatur meines Wissens keine Beachtung gefunden hat, werde ich im Laufe meiner eigenen Interpretation jeweils an gebotener Stelle zurückkommen.
Versuch einer doktrinalen Neueinordnung der Schule der Sextier
191
das deshalb genauer interpretiert werden muss. Es handelt sich um folgende Stelle aus Claudianus Mamertus’ Traktat De statu animae (2,8)20: . . . Romanos etiam eosdemque philosophos testes citemus, apud quos Sextius pater Sextiusque filius propenso in exercitium sapientiae studio adprime philosophati sunt atque hanc super omni anima tulere sententiam: incorporalis, inquiunt, omnis est anima et inlocalis atque indeprehensa uis quaedam, quae sine spatio capax corpus haurit et continet . . . . . . Wir zitieren als Zeugen auch römische Philosophen, unter denen Sextius Vater und Sohn, aufgrund ihres auf die Ausübung der Weisheit gerichteten Bemühens, vorzüglich philosophiert und folgende Meinung über jede Seele geäußert haben: „Jede Seele (im Sinne von ‚alles, was Seele ist‘) ist unkörperlich und nicht an einen Ort gebunden, sowie eine gewisse, nicht wahrnehmbare Kraft, die den zu ihrer Aufnahme befähigten Körper lückenlos durchdringt und ihn zusammenhält . . .“
Die Quelle für dieses Zitat ist sicher ein doxographisches Handbuch; dafür spricht, dass das Zitat Sextius Vater und Sohn zusammen namhaft macht und es nicht wahrscheinlich ist, dass beide gemeinsam ein Buch verfasst hatten21, aus dem Claudianus hätte zitieren können. Es handelt sich offensichtlich um eine der Schule insgesamt zugeschriebene Lehre und wohl kaum um ein wörtliches Zitat aus einer bestimmten Schrift der Sextier. Überdies ist das Zitat in lateinischer Sprache abgefasst. Wir wissen aber aus sicherer Quelle22, dass Vater und Sohn ihre Bücher in griechischer Sprache schrieben, woraus zu schließen ist, dass diese – wie auch in Rom vorwiegend in der philosophischen Unterrichtspraxis üblich – ebenfalls ihre Unterrichtssprache war. I. Lana23 erkennt in diesem Zitat, auf das er nicht näher eingeht, „vage platonische Elemente“. F. Bömer sieht bei aller Anerkennung der eklektischen Grundtendenz der Schule der Sextier in diesem Fragment neupythagoreischen Einfluss, worin er durch die, wie wir sehen werden, fälschliche Annahme bestätigt wurde, Sextius der Vater habe neben anderen Lehren dieser Schule auch der pythago20) Claudianus Mamertus schreibt in der zweiten Hälfte des 5. Jhs. 21) Anders Capitani (wie Anm. 13) 102, der an eine gemeinsame Verfasserschaft glaubt. 22) Aus Seneca, Ep. 59,7 über Sextius den Älteren, und aus den Autorenverzeichnissen des Plinius des Älteren im ersten Buch seiner Naturalis Historia über Sextius Niger: Vgl. oben S. 184. 23) Lana (wie Anm. 2) 124.
192
Ilsetraud Hadot
reischen Seelenwanderungslehre angehangen24. Bei näherem Hinsehen jedoch, zumal wenn man die griechischen Entsprechungen sucht, die der lateinischen, für sich genommen unklaren Übersetzung zugrunde liegen, wird deutlich, dass es sich hier um ein Kernstück einer der mannigfaltigen mittelplatonischen Lehren handeln muss. Der Satz, der summarisch einen Teil der Seelenlehre der Sextier enthält, antwortet offensichtlich auf die Doppelfrage: „Wie ist die Seele beschaffen und wie gestaltet sich ihre Verbindung mit dem Körper?“ Zu diesem Thema besitzen wir neben einigen mittelplatonischen Fragmenten drei mehr oder minder ausführliche neuplatonische Abhandlungen: das dritte Kapitel der Schrift des Nemesios De natura hominis mit dem Titel Per‹ •n≈sevw cux∞w ka‹ s≈matow (Über die Vereinigung der Seele mit dem Körper) und einige Kapitel der nur in lateinischer Übersetzung erhaltenen Solutiones eorum quibus dubitavit Chosroes Persarum rex des Neuplatonikers Priscianus. Beide Schriften sind spät: Die des Nemesios ist um 400 entstanden, die des Priscianus in der ersten Hälfte des 6. Jhs, aber beide gehen in den Partien, die uns interessieren, auf die verlorenen Summ¤kta zhtÆmata des Neuplatonikers Porphyrios zurück25. Auch die Abhandlung des Porphyrios An Gauros über 24) Bömer (wie Anm. 19) 132–133. Bömer verstand unter dem Begriff ‚Neupythagoreismus‘ offensichtlich noch eine von den Mittelplatonikern deutlich abgesonderte Schule. Heute setzt sich jedoch mehr und mehr die Überzeugung durch, dass es sich wohl in etwa von der Lebensführung, nicht aber von der philosophischen Lehre her gesehen im eigentlichen Sinne um eine Schule handelte, die eine Sonderstellung gegenüber den verschiedenen mittelplatonischen Richtungen eingenommen hätte, die, soweit wir sie kennen, großenteils ebenfalls mehr oder minder ‚pythagorisierten‘. B. Centrone hat dieses Thema in seinem Artikel „Cosa significa essere pitagorico in età imperiale. Per una riconsiderazione della categoria storiografica del neopitagorismo“ (in: A. Brancacci [Hrsg.], La filosofia in età imperiale. Le scuole e le tradizioni filosofiche, Neapel 2000, 139–168) gründlich behandelt und ist zu dem m. E. richtigen Ergebnis gekommen, dass die Bezeichnung ‚Neupythagoreer‘ ganz allgemein und zumal auf Autoren wie Moderatus, Numenios und Nicomachos nicht mehr angewandt werden sollte (S. 168). In unserem Zusammenhang kann diese Frage jedoch beiseite gelassen werden, da sich herausstellen wird, dass die den Sextiern zugesprochenen pythagoreischen doktrinalen Elemente auch unter früheren Gesichtspunkten im Grunde nicht als solche anzusehen sind. 25) Nemesios nennt und zitiert in dem genannten Kapitel (De nat. hom. 3,139, S. 42,23–43,2 Morani) seine Quelle Porphyrios nebst dem Titel der Schrift, während Priscianus nur im Vorwort seiner Solutiones die Commixtae quaestiones des Porphyrios in seinem Gesamtverzeichnis der Quellen erwähnt (Solutiones 42,16–17 Bywater). Die auf Porphyrios zurückgehenden Passagen können
Versuch einer doktrinalen Neueinordnung der Schule der Sextier
193
die Weise der Beseelung der Embryonen weist mehrere Stellen auf, die zur Erklärung der Lehre der Sextier beitragen können. Wenden wir uns nun der Interpretation des Sextierfragmentes zu, der F. Bömers und mein eigener Rückübersetzungsversuch vorangestellt sein sollen: Claudianus Mamertus: incorporalis . . . omnis est anima et inlocalis atque indeprehensa uis quaedam, quae sine spatio capax corpus haurit et continet. F. Bömer (S. 134): 'As≈matow pçsa cuxÆ §sti ka‹ édiãstatow ka‹ ékatãlhptow dÊnam¤w tiw, ∂ êneu diastãsevw dektikØ tÚ s«ma d°xetai ka‹ sun°xei. Meinerseits schlage ich folgende Übertragung vor: CuxØ pçsa és≈matÒw §sti ka‹ oÈk §n tÒpƒ (oder tÒpƒ oÈ perigrafom°nh) ka‹ éna¤syhtow dÊnam¤w tiw, ∂ êneu diastãsevw (oder édiastãtvw) tÚ §pitÆdeion s«ma (oder tÚ dunãmenon aÈtØn d°jasyai s«ma) sumplhro› ka‹ sun°xei. Omnis . . . anima = cuxØ pçsa ist wie Platon, Phaidr. 246b6f. zu verstehen, eine Stelle, die u. a. auch Attikos26 in dieser Weise zitiert: CuxØ pçsa pantÚw §pimele›tai toË écÊxou27 („Alles, was Seele ist, trägt Sorge für jegliches Unbeseelte.“ Dieser Satz leitet bei Platon Darlegungen über die Verbindungen der Seelen mit den Körpern ein). Die Angabe, dass die Seele unkörperlich (és≈matow) ist, wird, wenn sie auch wörtlich bei Platon nicht vorkommt, von den späteren Platonikern allgemein Platon zugeschrieben28. Das Adjektiv inlocalis findet sich erstmalig bei Claudianus. Die Bedeutung dieses Begriffs bei diesem Schriftsteller hat jedoch durch weitgehende Übereinstimmung in beiden Schriften eindeutig bestimmt werden. Ausführliche Interpretation in: H. Dörrie, Porphyrios’ „Symmikta Zetemata“. Ihre Stellung in System und Geschichte des Neuplatonismus nebst einem Kommentar zu den Fragmenten, München 1959. In dieser wichtigen Arbeit weist Dörrie an vielen Stellen auch auf die im Mittelplatonismus schon vorhanden gewesenen Vorläufer der porphyrianischen Doktrin hin, die besonders bei Philon von Alexandria (1. Hälfte 1. Jh. n. Chr.) sichtbar werden. Zum Thema der Beziehungen des Porphyrios zum Mittelplatonismus ausführlich: M. Zambon, Porphyre et le moyen-platonisme, Paris 2002. 26) Attikos, Frgm. 7,9,4 des Places. 27) Vgl. zur Textgestaltung: cuxØ pçsa und nicht pçsa ≤ cuxØ oder ≤ cuxØ pçsa, Platon, Phèdre, in der Ausgabe von Cl. Moreschini / P. Vicaire, Paris 1985, 34 Anm. 3. 28) Vgl. z. B. Apuleius (2. Jh. n. Chr.), De Platone et eius dogmate 1,9; Alkinoos (2. Jh. n. Chr. oder früher), Didaskalos 25 (177,22), S. 48 Whittaker.
194
Ilsetraud Hadot
F. Bömer untersucht29 und in ihm eine Übersetzung von édiãstatow (= ohne Dimension, d. h. ohne räumliche Ausdehnung) gesehen, worin ich ihm nicht folgen kann: inlocalis als Verneinung von localis weist einen deutlichen Bezug zu locus = Ort (griech. tÒpow) auf, der auch in der griechischen Vorlage vorhanden gewesen sein muss30. Deshalb würde ich als griechische Vorlage eher die Wendungen oÈk §n tÒpƒ (oder oÈ perigrafom°nh tÒpƒ) = ‚nicht an einem Ort‘ (oder ‚räumlich nicht begrenzt‘)31 vermuten, wie sie sich bei Nemesios als Prädikate der Seele dort finden, wo ausgedrückt werden soll, dass die Seele, da unkörperlich, auch nicht an einen bestimmten Ort gebunden, sondern überall ist, wobei ‚überall‘ nicht im örtlichen Sinne zu verstehen ist32. Dem Zusammenhang, wenn auch m. E. nicht dem Wortlaut nach, wäre jedoch die Aussage, dass die Seele keine räumliche Ausdehnung besitze, ebenfalls möglich. Das Adjektiv édiãstatow findet sich bei Nemesios laut eigener Angabe in einer Ammonios, dem Lehrer Plotins, und Numenios, also Mittelplatonikern, entlehnten Widerlegung derjenigen Philoso29) Bömer (wie Anm. 19) 111–126. 30) Bömer (wie Anm. 19) 112 lehnt den Vorschlag W. Theilers (Die Vorbereitung des Neuplatonismus, Berlin/Zürich 21964, 157) ab, an den Stellen, wo Claudianus inlocalis verwendet, eine Übersetzung von êtopow zu sehen, da dieses Adjektiv gewöhnlich die Bedeutung von ‚unpassend‘ hat. Bömer weist zu Recht darauf hin, dass an den seltenen Stellen, wo Plotin (Enn. 6,5,8,32 und 6,8,11,28) und Porphyrios (Sent. 33, S. 37,2 Lamberz) diesen Ausdruck im Sinne von ‚unräumlich‘ gebrauchten, dies nur in direkter Beziehung und in unmittelbarer Nähe zu dem Begriff tÒpow geschieht. Später ist diese unübliche Verwendung m. E. nicht mehr nachzuweisen. 31) Erstere Gleichsetzung wurde ebenfalls vorgenommen von M. Chase in: Porphyre, Sentences, II (Hrsg. L. Brisson), Paris 2005, 644 Anm. 8. 32) Vgl. das Sonnengleichnis bei Nemesios, De nat. hom. 3, S. 40,22–41,16 Morani: Wie die Sonne durch ihre bloße Anwesenheit die Luft erhellt, wobei das Licht mit der Luft gleichzeitig unvermischt und gemischt vereint wird (•noËtai . . . ésugxÊtvw ëma ka‹ aÈt“ kexum°non), so verfährt auch die Seele mit dem Körper, nur mit dem Unterschied, dass die Sonne ein Körper und örtlich festgelegt ist (ı m¢n ¥liow s«ma Ãn ka‹ tÒpƒ perigrafÒmenow), während die Seele unkörperlich (és≈matow) und örtlich nicht festgelegt ist (mØ perigrafom°nh tÒpƒ). Die Sonne, so wie alle Lichtquellen, ist räumlich und daher nicht allgegenwärtig; die Seele hingegen ist überall und nirgends. Sie wirkt auf den Körper durch ihre bloße Anwesenheit, ohne eines der drei von der Stoa her bekannten Mischungsverhältnisse einzugehen. Sie ist nicht im Körper wie in einem Ort (oÈx …w §n tÒpƒ t“ s≈mati l°getai e‰nai), sondern wohnt ihm wie in einem In-Beziehung-Treten und durch Gegenwärtig-Sein (éllÉ …w §n sx°sei ka‹ t“ pare›nai) bei. Zum polemischen Bezug dieser Stelle zur Stoa wie für eine eingehende Interpretation vgl. Dörrie (wie Anm. 25) 75–93 u. 49– 53 und H. Dörrie / M. Baltes, Der Platonismus in der Antike, VI,2, Stuttgart/Bad Cannstadt 2002, 235–251.
Versuch einer doktrinalen Neueinordnung der Schule der Sextier
195
phen, die, anders als Platon, in der Seele einen Körper oder ein stoffliches Element sahen33: Nach der Feststellung, dass jeder Körper dreidimensional ist, wird von der Seele ausgesagt, dass ihr dagegen tÚ édiãstaton zukomme, das heißt, dass sie keine räumliche Ausdehnung besitze34. Das dritte Glied der Aussagen über die Seele, indeprehensa uis quaedam, scheint sich auf Timaios 52a zu beziehen, wo u. a. vom Seienden, zu dem die Seele ja von den meisten Platonikern gerechnet wurde, ausgeführt wird, dass es nicht von den Sinnen wahrgenommen (éÒraton . . . ka‹ êllvw éna¤syhton), sondern nur vom Intellekt betrachtet werden kann35. Ich schlage daher die Rückübersetzung (éna¤syhtow dÊnam¤w tiw) vor im Gegensatz zu Bömer, der ékatãlhptow dÊnam¤w tiw vorschlägt: Die Seele ist ja nicht „unbegreiflich“, sondern kann mit dem Verstand erfasst werden, sie ist, wie u. a. Nemesios sich ausdrückt, nicht sinnlich, sondern nur geistig wahrnehmbar: ≤ d¢ cuxØ oÈk afisyhtÆ, éllå nohtÆ36. Kann die Tatsache, dass das Sextierfragment die Seele in etwas unbestimmter Weise als eine Art Kraft oder Vermögen (dÊnam¤w tiw), nicht aber als eine Wesenheit (oÈs¤a, lat. essentia oder substantia) im Sinne des wahrhaft Seienden bezeichnet, wie dies später allgemein der Fall war37, als Zeichen doktrinaler Unsicherheit und Indiz für seine 33) Nemesios, De nat. hom. 2, S. 17,16–18 Morani. Zu Porphyrios als Quelle der Ammonius Sakkas und Numenios zugeschriebenen Lehren vgl. Dörrie (wie Anm. 25) 129–131. 34) Nemesios, De nat. hom. 2, S. 18,20–21 Morani. Vgl. Porphyrios, Sent. 33, S. 35, 9–11 Lamberz, wo die Prädikate ‚nicht Gebundensein an einen Ort‘ und ‚keine räumliche Ausdehnung besitzen‘ nebeneinander gebraucht werden: „Dem intelligiblen Kosmos dagegen, kurz, dem von Materie Freien und Unkörperlichen (t“ éÊlƒ ka‹ kay' aÍtÚ ésvmãtƒ), das keinen Rauminhalt besitzt und keine Ausdehnung (éÒgkƒ ˆnti ka‹ édiastãtƒ), kann das ‚In-einem-Ort-Sein‘ unmöglich zugehören (oÈd' ˜lvw tÚ §n tÒpƒ prÒsestin).“ 35) Vgl. Platon, Phaidon 78e–79a. Vgl. zur Unsichtbarkeit der Seele Attikos, Frgm. 7,9,10, S. 63 des Places: ˜ti m¢n går éÒratÒn ti ka‹ éfan°w §stin ≤ cuxØ d∞lon . . . 36) Nemesios, De nat. hom. 2, S. 25,10 Morani. Vgl. Apuleius, De Platone et eius dogmate 1,6 (193,5ff.) mit klarem Bezug auf Timaios 52a: OÈs¤aw, quas essentias dicimus, duas esse ait, per quas cuncta gignantur mundusque ipse; quarum una cogitatione sola concipitur, altera sensibus subici potest. 37) Vgl. Alkinoos, Didaskalikos 25 (177,22), S. 48 Whittaker: ≤ cuxØ . . . és≈matow . . . §stin oÈs¤a; vgl. Apuleius, De Platone et eius dogmate 6 (193,15–17): Et primae quidem substantiae uel essentiae primum deum esse et mentem formasque rerum et animam. Nemesios, De nat. hom. 2, S. 17,3 Morani: Plãtvn d¢ (tØn cuxØn ¶fhsen) oÈs¤an nohtÆn . . .
196
Ilsetraud Hadot
frühe Entstehung angesehen werden? Bei unserer fast gänzlichen Unwissenheit hinsichtlich des frühen Mittelplatonismus wäre eine solche Schlussfolgerung zu gewagt. . . . quae sine spatio capax corpus haurit et continet: Bezüglich dieses Relativsatzes weicht die Interpretation F. Bömers von der meinen erheblich ab: Wie aus seiner Rückübersetzung ersichtlich, bringt er capax mit quae, also mit der Seele, in Verbindung, während ich capax auf corpus beziehe. Außerdem sieht Bömer, wie aus seinen Darlegungen zu entnehmen ist, in sine spatio nur eine nähere Erklärung von inlocalis im Hauptsatz, das er, wie wir gesehen haben, als die Übersetzung von édiãstatow = ‚ohne räumliche Ausdehnung‘, auffasst, und bezieht diese Wendung im Sinne einer adverbialen Bestimmung auf capax, während ich sie mit den Verben haurit und continet in Verbindung bringe. Bömer hat keine deutsche Fassung seiner Rückübersetzung ins Griechische beigegeben, die ungefähr so lauten müsste: „. . . die, ohne räumliche Ausdehnung zum Aufnehmen geeignet, den Körper aufnimmt und umfasst.“ Sowohl der lateinische Nebensatz als auch seine vermutete griechische Vorlage wären in diesem Falle stilistisch sehr ungelenk. Bömer stützt seine Auslegung auf Texte, die die sogenannte pythagoreische Zahlenmystik zum Gegenstand haben, die zwar allgemein bei den Platonikern eine große Rolle spielte, aber im Falle unseres Fragmentes m. E. nichts zur Erklärung beitragen kann. Der von Bömer zuerst angeführte Text Philons (De decalogo 23), der von der Dekade handelt, lautet folgendermaßen: „Diese Überlegungen machen mich glauben, dass die ersten Menschen, die den Dingen ihre Namen gaben – es waren Weise –, sie (d. h. die Dekade) zu Recht ‚Dekade‘ nannten, als sei sie ein Behälter (dexãda), da sie alle Arten von Zahlen, Zahlenverhältnissen, Proportionen, Harmonien und Intervallen in sich aufnimmt (d°xesyai) und umfasst.“ Von dieser Stelle, in der, wie auch in allen ähnlichen die Dekade behandelnden antiken Texten, von der Seele nirgends die Rede ist, geht Bömer zu der bekannten Tatsache über, dass auch die Eins oder die Monade in der Zahlenmystik eine vergleichbare, wenngleich höhere Rolle spielt, da auch von ihr, und sogar in erster Linie von ihr, ausgesagt wird, dass aus ihr alles hervorgeht, da sie keimhaft alles in sich enthalte. Ein Zitat aus Pseudo-Archytas38, in dem gesagt wird, dass die Seele nach dem Modell der Eins zusammen38) Bei Claudianus Mamertus, De statu animae 2,7.
Versuch einer doktrinalen Neueinordnung der Schule der Sextier
197
gestellt sei, denn sie sei auf unräumliche Weise im Körper wie die Eins in den Zahlen, erbringt für Bömer den Beweis für die „größtmögliche Gleichheit“ zwischen dem Zahlenbegriff Eins und der Auffassung der Neupythagoreer von der Seele. Wie dem auch sei, fest steht jedenfalls, dass wir es in dem zweiten Teil des Sextierfragmentes nicht mit Zahlenmystik zu tun haben, die es sich angelegen sein lässt, den Hervorgang alles Seienden, sei es intelligibel, sei es materiell, aus einem Ur-Einen durch Vermittlung von zehn Ideenzahlen zu versinnbildlichen, sondern schlicht mit der Frage, wie sich die Verbindung der unkörperlichen und unlokalisierbaren Seele mit dem ortsverhafteten Körper gestaltet. Mögliche Erklärungen des Fragmentes müssen also in Textzusammenhängen gesucht werden, die die Beantwortung dieser Frage zum Gegenstand haben. Hierfür bieten sich die schon oben genannten Schriften an. Beginnen wir mit der Schrift des Neuplatonikers Porphyrios An Gauros über die Art der Beseelung der Embryonen. Das Ziel dieser Schrift ist es zu beweisen, dass die sich selbst bewegende Seele von außen in das Neugeborene eintritt, das aus einem mit der vegetativen Seele ausgestatteten Körper besteht, und dass die Bedingung einer solchen Verbindung die Fähigkeit (§pithdeiÒthw) eines bestimmten individuellen Körpers ist, eine bestimmte individuelle Seele in sich aufzunehmen, die ihrerseits fähig ist, in diesen bestimmten Körper einzutreten. „Die selbstbewegte Seele“, sagt Porphyrios (Ad Gaur. 11,2–3, S. 48,17–49,11 Kalbfleisch), „dringt in die Körper nicht durch Zwang ein, und noch weniger, indem sie die Öffnungen des Mundes oder der Nase ausfindig macht – das sind Lächerlichkeiten, die man sich schämen würde auszusprechen, wenn auch gewisse Platoniker sich ihrer rühmen. Die Beseelung ist ein natürlicher Vorgang, wie im Allgemeinen jede Verbindung, die gemäß der Übereinstimmung zwischen dem, was angepasst ist, und dem, was fähig ist sich anzupassen, zustande kommt. . . . (Es folgen Beispiele hinsichtlich der Rolle der §pithdeiÒthw für die Sinneswahrnehmung, veranschaulicht anhand des Aufeinander-abgestimmt-Seins von Roherdöl [Naphtha] und Feuer für die Entstehung des Brandes.) Aufgrund natürlicher Affinität zieht der Magnetstein Eisenspäne und Stroh an sich, und der auf die Leitung durch eine Seele abgestimmte Körper zieht diejenige Seele an sich, die zu diesem auf sie abgestimmten Körper passt. . . . Auf diese Weise, wenn der Körper dazu fähig geworden ist, die Seele aufzunehmen, gesellt sich ihm die Seele zu, die ihn zu gebrauchen bestimmt
198
Ilsetraud Hadot
ist, und sie hat dafür keinen schrittweisen Beseelungsprozess nötig noch, um einzudringen, einen bestimmten Körperteil . . . (oÏtvw §pithde¤ou gegonÒtow prÚw ÍpodoxØn toË s≈matow pãrestin ≤ xrhsom°nh [scil. cuxØ] oÈd¢n dehye›sa toË katÉ Ùl¤gon §mfÊesyai μ épÒ tinow m°rouw efiskr¤nesyai).“39 Im späteren Neuplatonismus, aber wohl auch schon in gewissen Richtungen des Mittelplatonismus, bereitet die Heimarmene für jede, eine neue Einkörperung antretende menschliche vernünftige Seele einen ihren Verdiensten im vorangegangenen Leben entsprechenden Körper vor40. Wie wir gleich noch sehen werden, lehnte Quintus Sextius der Vater die pythagoreische Seelenwanderungslehre von Mensch zu Tier und umgekehrt als Begründung seines Vegetarismus ab, was aber nicht ausschließt, dass er eine gemilderte Form dieser Lehre, wie sie später im Neuplatonismus allgemein üblich wurde, hätte vertreten können, wonach nämlich die menschliche vernünftige Seele eine Reihe von Wiedereinkörperungen ausschließlich in menschlichen Körpern durchmachen muss. Weiter unten (Ad Gaur. 13,7 Kalbfleisch) macht Porphyrios seinen Gegnern den Vorwurf, dass sie nicht begreifen könnten, auf welche Weise die Seele im Körper anwesend oder abwesend sei, und dass diese Anwesenheit oder Abwesenheit nicht räumlich sei, sondern auf Geeignetheit und harmonischer Verbindung beruhe (˜ti oÈ topikØ ≤ parous¤a te ka‹ épous¤a, katå d¢ tØn §pithdeiÒthta ka‹ sunarmost¤an ≥toi ¶nestin μ pãresti . . .). Dass Debatten über die Art und Weise der Einkörperung der Seele schon im Mittelplatonismus im Gange waren, geht aus einer Stelle des Didaskalikos des Alkinoos deutlich hervor. Dort41 heißt es, es sei eine Konsequenz der Unsterblichkeit der Seelen, dass sie in die Körper eindringen, wo sie sich mit den in der Entwicklung begriffenen Embryonen verbinden, und dass sie mehrmals hintereinander die Körper, menschliche oder tierische, wechseln, sei es, dass sie abwarten, bis sie zahlenmäßig geregelt an die Reihe kommen42, sei es, dass sie den Willen der Götter erfüllen, sei es aus 39) Vgl. Porphyrios, Sent. 38, S. 46,8–10 Lamberz; De abst. 2,48,1; Plotin, Enn. 4,3,17,5–6. 40) Vgl. I. Hadot, Simplicius, Commentaire sur le Manuel d’Épictète, I, Chapitres I à XXIX, Paris 2001, p. CLX. 41) Didasc. 25,178,33–39, S. 50–51 Whittaker. 42) Vgl. die Erklärungen zu dieser schwierigen Stelle von J. Whittaker, Alkinoos, Enseignement des doctrines de Platon, Paris 1990, 132 Anm. 409, und
Versuch einer doktrinalen Neueinordnung der Schule der Sextier
199
Zügellosigkeit oder aus Liebe zu den Körpern: „Zwischen Körper und Seele besteht nämlich irgendwie eine gegenseitige Affinität (ofikeiÒthw), wie zwischen Teer (êsfaltow) und Feuer“. Alkinoos, dessen Lebenszeit schon in die erste Hälfte des ersten nachchristlichen Jahrhunderts fallen könnte43, setzt zwar, anders als Porphyrios, den Zeitpunkt der Beseelung schon im Mutterleib an, aber die ofikeiÒthw des Alkinoos ist als eine Art Variante zur ebenfalls wechselseitigen §pithdeiÒthw des Porphyrios44 anzusehen. Auffallend ist auch die Gleichheit des Beispiels: Teer (bzw. Roherdöl) – Feuer (im ersten Zitat aus Ad Gaurum). Trotzdem glaube ich nicht, dass die griechische Vorlage von capax corpus im Sextierfragment ofike›on s«ma gewesen sein könnte, denn capax = ‚für etwas tauglich, zur Aufnahme fähig‘, scheint mir eher eine treffende Übersetzung für das Adjektiv §pitÆdeiow zu sein, das somit schon vor Porphyrios in diesem Zusammenhang gebraucht worden zu sein scheint. Ich bin daher im Gegensatz zu H. Dörrie der Meinung, dass der bei Porphyrios angetroffenen Lehre schon eine längere Schultradition vorherging45. Auch Nemesios und Priscianus, deren Ausführungen, wie schon oben gesagt46, in den entsprechenden Kapiteln nachweislich auf den Summ¤kta zhtÆmata des Porphyrios beruhen, bezeugen, dass capax mit corpus in Verbindung gebracht werden muss, wenn sie auch nicht das Adjektiv §pitÆdeiow verwenden. Nemesios legt Ammonios, dem Lehrer Plotins, folgende Lehre in den Mund47: „Er sagte, die Natur des Intelligiblen48 sei so beschaffen, dass es sich sowohl mit demjenigen vereinen kann, das geeignet ist, es aufA.-J. Festugière, La Révélation d’Hermès Trismegiste, III, Paris 1953, 7 Anm. 1 (für ihn ist Albinus noch der Verfasser des Didaskalikos). 43) Vgl. hierzu Whittaker (wie Anm. 42) XII–XIII. 44) Vgl. Ad Gaurum 11,2, S. 49,1–2 Kalbfleisch: Der auf die Leitung durch eine Seele abgestimmte Körper zieht diejenige Seele an sich, die zu diesem auf sie abgestimmten Körper passt (tØn §pithde¤an cuxÆn): zitiert oben S. 197. 45) Dörrie (wie Anm. 25) 14–15. Auf eine schon bestehende Tradition weisen auch Whittaker (wie Anm. 42) 132 Anm. 9 und Festugière (wie Anm. 42) hin. Beide ziehen aber das Sextierfragment nicht in Betracht. 46) Vgl. oben S. 192. 47) Nemesios, De nat. hom. 3,129, S. 39,16–20 Morani; vgl. 3,136, S. 41,19– 42,4 Morani. Vgl. hierzu den Kommentar von Dörrie (wie Anm. 25) 54–56. 48) Wie Dörrie (wie Anm. 25) 55 richtig bemerkt, „meint der Ausdruck tatsächlich alle és≈mata kay' aÍtã und schließt die Seele mit ein . . .“. Dies wird auch aus dem oben folgenden Zitat aus Priscianus deutlich, das auf demselben porphyrianischen Text beruht: natura enim ista incorporalium . . .
200
Ilsetraud Hadot
zunehmen (…w ka‹ •noËsyai to›w dunam°noiw aÈtå d°jasyai), wie beim miteinander Zugrundegehenden (kayãper tå sunefyarm°na), als auch im Zustand der Vereinigung unvermischt und unversehrt zu bleiben, wie beim Nebeneinanderliegenden.“ Der lateinische Übersetzer des Priscianus drückt diesen Tatbestand folgendermaßen aus49: tale igitur mirabile in anima, quomodo id ipsum et miscetur alteri, sicut ea quae sunt concorrupta, et manet sui saluans essentiam, sicut ea quae sunt apposita. natura enim ista incorporalium: etenim eorum quae sunt immaterialia mixtura non efficitur cum corruptione, sed improhibite per omnia implent se habentia oportune recipiendo, et per totum perueniunt sicut incorrupta sibi inuicem, et manent incommixta et incorrupta. . . . quae sine spatio . . . haurit: sine spatio scheint mir – und hierin stimme ich mit F. Bömer überein – die Übersetzung von êneu diastãsevw oder dem Adverb édiastãtvw zu sein, aber verstanden nicht so sehr im Sinne von ‚ohne räumliche Ausdehnung‘, wie zumeist bei Porphyrios, sondern von ‚ohne Intervall‘, d. h. ‚lückenlos‘. Gemeint ist ja doch wohl hier, dass die Seele den Körper durchdringt, ohne irgendwo eine Lücke zu lassen: per omnia implent se habentia oportune recipiendo („sie füllen vollständig aus, was sie aufzunehmen geeignet ist“), sagt der Übersetzer des Priscianus von den unkörperlichen Wesenheiten im soeben angeführten Zitat, und an anderer Stelle (S. 52,2 Bywater) beschreibt er die Aktion der unkörperlichen Wesenheiten folgendermaßen: implens facile ad totum quae se oportune recipiunt („sie füllt mit Leichtigkeit diejenigen vollständig aus, die sie in geeigneter Weise aufnehmen)50. . . . et continet: Das Verbum continere kann sowohl ‚zusammenhalten‘ wie auch ‚umfassen‘ bedeuten, und beide Sinngehalte sind hier möglich, wenngleich der erstere hier sicher vorzuziehen ist. Die Idee, dass die Seele den Körper zusammenhält (cuxØ s«ma . . . sun°xei), d. h. seine Kohäsion garantiert, ist bereits bei Aristoteles, De an. I 5, 411b6–14 zu finden und fand sowohl bei Stoikern wie bei Platonikern weite Verbreitung51, nur mit dem Unterschied, 49) Priscianos, Solut. de quibus dubit. Chosroes Persarum rex, S. 51,9–15 Bywater (Suppl. Aristot. I,2). Vgl. daselbst S. 52,2–4. 50) Bei Nemesios (134, S. 41,6 Morani) findet sich folgende sinngleiche Wendung: ≤ cuxÆ . . . ˜lh di' ˜lou xvre› . . . toË s≈matow („Die Seele, die in ihrer Gesamtheit durch den ganzen Körper hindurchdringt“). 51) Vgl. hierzu St.V.F. II, 439; Poseidonios, Fr. 149,9–10 Edelstein-Kidd; Alkinoos, Didask. 14,170,7–8, S. 33 Whittaker; Maximos Tyros, Diss. 9,5; Nemesios,
Versuch einer doktrinalen Neueinordnung der Schule der Sextier
201
dass bei den Stoikern die Seele ebenfalls ein Körper war. Die zweite, nur bei Platonikern nachweisbare Bedeutung von ‚umfassen‘ lehnt sich an Platon, Timaios 34b an, wo von der Weltseele ausgesagt wird, dass der Gott sie der Mitte des Weltkörpers einpflanzte und sie von dort aus sowohl das Ganze durchdringen als auch von außen umgeben ließ. So lässt z. B. Plutarchos von Chaironeia die Einzelseele den Körper von allen Seiten umschließen52, und Nemesios bemerkt, dass die Seele sich nicht in einem Körper wie in einem Gefäß oder Schlauch befindet, sondern eher der Körper in ihr53. Der platonische Charakter dieses Fragmentes scheint mir somit in allen Einzelheiten erwiesen zu sein. b) Die abendliche Gewissensprüfung Wie verhält sich nun diese vereinzelte Nachricht über die durchaus platonische Seelenlehre der Sextier zu den spärlichen anderen Nachrichten bezüglich ihrer Doktrin? I. Lana54 sieht, wie viele andere, in der Praxis der abendlichen Gewissensprüfung, die Seneca (De ira 3,36,1) für Sextius den Älteren bezeugt, ein pythagoreisches Element. Es mag sein, dass diese Übung am frühesten für die Pythagoreer bezeugt ist55, doch schließt dies nicht aus, dass die Gewissenserforschung in den Philosophenschulen der Antike allgemein gebräuchlich geworden war56. Sie muss schon früh bei den Epikureern als Bedingung für die Erkenntnis der eigenen Fehler und als Vorbereitung auf ihre Beichtpraxis dieselbe Bedeutung gehabt haben, wie dies später für die Neuplatoniker und Stoiker der Kaiserzeit bezeugt ist. W. Schmid57 hat mit Recht betont, dass der De nat. hom. 70, S. 18,1 Morani, in einem Abschnitt, der die Lehren des Ammonios Sakkas und des Numenios referiert (Quelle: Porphyrios). 52) De facie 30, 944f. 53) Nemesios, De nat. hom. 135, S. 41,9–10 Morani, in einem Abschnitt, der, wie er sagt, die Lehren des Ammonios Sakkas referiert (vgl. S. 39,16–17). 54) Lana (wie Anm. 2) 124. 55) W. Burkert, Love and Science in Ancient Pythagoreanism, Cambridge 1972, 213 ist jedoch der Meinung, dass die als eigentlich pythagoreisch anzusehenden Übungen eher der Gedächtnisübung dienten. 56) In diesem Sinne auch M.T. Griffin, Seneca – A philosopher in politics, Oxford 1976, 39. 57) W. Schmid, Contritio und ‚ultima linea rerum‘ in neuen epikureischen Texten, RhM 100, 1957, 308f. und Artikel „Epikur“, RAC 5, Sp. 742.
202
Ilsetraud Hadot
Gewissensbegriff sune¤dhsiw (conscientia) bei Epikur eine große Rolle gespielt hat, und besonders interessant sind in diesem Zusammenhang seine Bemerkungen über den Terminus suntribÆ (contritio animi = Zerknirschung), der in einem Brieffragment aus dem Kreise Epikurs auftaucht. Was die Platoniker betrifft, so hat die Einbeziehung pythagoreischer Lehren oder dessen, was man dafür hielt, teilweise schon bei den Mittelplatonikern stattgefunden, und diese Tradition wurde im Neuplatonismus verstärkt fortgesetzt. So schreibt z. B. Porphyrios über Pythagoras (Vit. Pythag. 40), der nunmehr als Lehrer Platons angesehen wird, er habe vorzüglich zwei günstige Zeitpunkte der Aufmerksamkeit empfohlen, den des Zubettgehens und den des Aufstehens. Zu beiden Zeiten solle man prüfen, was man getan habe und was zu tun sei, und bei sich selbst für das Getane Rechenschaft ablegen und sorgfältig seine zukünftigen Handlungen überdenken. Vor dem Zubettgehen solle man sich daher folgende Verse vorsingen: „Nicht soll sich dir auf die weichen Lider der Schlaf senken, ehe du nicht jedes einzelne deiner Tagewerke auf dreifache Weise bedacht hast: Worin fehlte ich? Was führte ich aus? Welche Pflicht unterließ ich?“ (= Carmen aureum 40–42), vor dem Aufstehen jene: „Als erstes, wenn du aus süßem Schlaf erwachst, bedenke sorgfältig dein künftiges Tagewerk.“ Der Stoiker Epiktet (Diatr. 3,10,3) zitiert dieselben drei Verse aus dem Carmen aureum und fügt noch zwei weitere hinzu (Vers 43–44): „Beginnend mit dem ersten, gehe sie einzeln durch, und dann schilt dich wegen deiner schlechten Taten, freue dich über die guten.“ Eine Anweisung zur morgendlichen Selbstprüfung gibt Epiktet in Diatr. 4,6,33, nachdem er vorher den ersten oben zitierten Vers des Carmen aureum erwähnt und die abendliche Selbstprüfung behandelt hat. Auch Seneca erwähnt seine Gewohnheit, abendliche Gewissensprüfungen vorzunehmen (De ira 3,36,1–3). Die Praxis der abendlichen oder der morgendlichen Gewissensprüfung ist folglich ein Element, dass zum Zeitpunkt der Zeitenwende seines allgemeinen Charakters wegen keiner speziellen philosophischen Richtung der Antike allein zugeschrieben werden kann. c) Die ethischen Lehren Als typisch stoisches Element wurden bisher die ethischen Lehren der Sextier angesehen. Die Grundlage für dieses Urteil bietet Seneca, Ep. 64,2: „Gelesen wurde sodann eine Schrift des Quin-
Versuch einer doktrinalen Neueinordnung der Schule der Sextier
203
tus Sextius, des Vaters, auf griechisch, eines, wenn du mir Glauben schenkst, bedeutenden Mannes und, mag er es auch bestreiten, Stoikers.“ Und in der Tat mutet das nachfolgende Zitat durchaus stoisch an, wie auch die kurze Paraphrase Ep. 59,7–8 (vgl. auch Ep. 73,12 und 15). Sextius verwendet folgenden Vergleich: Wie ein Heer, wenn ein feindlicher Angriff von allen Seiten erwartet wird, quadrato agmine marschiert, d. h. bereit, sofort nach allen Seiten hin sich in Schlachtordnung zu formieren und Front zu machen, so hält auch der Weise alle seine Tugenden ständig bereit, damit, wo auch immer eine Bedrohung auftritt, der Schutz sofort zur Hand sein möge. „Was wir bei den Armeen, die bedeutende Feldherren kommandieren, gesehen haben, dass den Befehl des Generals zugleich alle Truppenteile wahrnehmen, so aufgestellt, dass das Signal, von einem einzelnen gegeben, Infanterie und Reiterei zugleich durchläuft – das, sagt er (Sextius), ist gelegentlich mehr noch nötig für uns. Jene nämlich haben oft den Feind gefürchtet ohne Grund, und am sichersten war für sie der Weg, der am verdächtigsten war: Keinen Frieden hat die Torheit. Oben hat sie Furcht wie unten; rechts und links zittert sie. Es folgen Gefahren und kommen Gefahren entgegen: Bei allem schaudert sie, ist unvorbereitet und lässt sich selbst von Hilfen erschrecken. Der Weise aber ist gegen jeden Angriff gerüstet, innerlich eingestellt; nicht wenn Armut, nicht wenn Trauer, nicht wenn Entehrung, nicht wenn Schmerz einen Angriff unternimmt, wird er zurückweichen: Unerschrocken wird er gegen diese Bedrohungen vorgehen und mitten unter sie.“58 Das sind unzweifelhaft Worte, die eines Stoikers würdig sind und die für einen Stoiker typische ständige Anspannung und Wachsamkeit verdeutlichen. Aber man darf nicht außer Acht lassen, dass, wie wir gesehen haben (S. 181), Sextius der Ältere selbst nicht für einen Stoiker gehalten werden wollte, was uns nicht wundernimmt, wenn man das oben erwähnte Fragment seiner Seelenlehre in Betracht zieht. Zudem wissen wir, dass schon Antiochos von Askalon nicht nur die Übereinstimmung platonischer und peripatetischer Lehren propagierte, sondern auch Kernstücke der stoischen Ethik seinem philosophischen System einverleibte, was sich auch auf den Mittelplatonismus auswirkte. Bezeichnenderweise sagt Cicero von ihm in Bezug auf seine Lehre vom höchsten Gut (Ac. 2 [Lucullus],132): „. . . Antiochus wurde als Akademiker 58) Übers. Rosenbach (wie Anm. 3) 497–499.
204
Ilsetraud Hadot
bezeichnet, aber, wenn er nur ein weniges geändert hätte, wäre er unstreitig ein echter Stoiker gewesen (erat quidem si perpauca mutavisset germanissimus Stoicus).“ Und mit Plotin, und vor allem mit Porphyrios, erleben wir die systematische Einarbeitung sowohl der peripatetischen Metriopathie als auch der stoischen Apathie in die neuplatonische Ethik, die nunmehr die Basis zweier verschiedener Tugendgrade darstellen, nämlich der Stufe der bürgerlichen und der der kathartischen Tugenden59. Vorläufer dieses Tugendsystems finden sich schon bei Philon von Alexandria in den Legum allegoriae (3, §129ff.), in denen Aaron als der moralisch im Fortschreiten Begriffene, der sich in der Mäßigung der Affekte übt (metriopaye›n éske›), charakterisiert wird, während Moses, der Weise, die übergeordnete Stufe der Apatheia erreicht hat. Diese Stellen legen Zeugnis ab von dem Vorhandensein entsprechender Lehren in zumindest einigen der mittelplatonischen Philosophenschulen Alexandrias bereits zur Zeit Philons, d. h. in der ersten Hälfte des ersten nachchristlichen Jahrhunderts. J. Whittaker hat in seinem Artikel „Platonic Philosophy in the Early Centuries of the Empire“ dem Einfluss stoischer und aristotelischer Lehren je ein Kapitel gewidmet60, ohne jedoch die soeben erwähnten stoischen Elemente mittelplatonischer Tugendlehre zu berücksichtigen. Nichts spricht dagegen, die kurzen Zitate und Paraphrasen Senecas aus Schriften des Sextius einem nicht unbedingt in direkter Nachfolge des Antiochos von Askalon stehenden Mittelplatoniker zuzusprechen. Dasselbe gilt für die von Seneca zitierten Äußerungen des Sextiers Fabianus Papirius zur Ethik (vgl. z. B. Seneca, De brev. vit. 10,1).
59) Vgl. I. Hadot, das Kapitel „La place du commentaire sur le Manuel d’Épictète dans l’enseignement néoplatonicien“, in: Le problème du néoplatonisme alexandrin: Hiéroclès et Simplicius, Paris 1978, 147–165 = Simplicius, Commentaire sur le Manuel d’Épictète, Paris 2001, S. LXXIII–C. Demgegenüber bringt der Artikel von R. Thiel, Stoische Ethik und neuplatonische Tugendlehre. Zur Verortung der stoischen Ethik im neuplatonischen System in Simplikios’ Kommentar zu Epiktets Enchiridion, in: Th. Fuhrer und M. Erler (Hrsg.), Zur Rezeption der hellenistischen Philosophie in der Spätantike, Stuttgart 1999, 93–103, nichts Neues, da der Verfasser sich, ohne sie zu erwähnen, im Gesamtentwurf wie in den Einzelheiten auf meine soeben genannte Arbeit stützt. 60) ANRW II, 36,1, 1987, 110–117.
Versuch einer doktrinalen Neueinordnung der Schule der Sextier
205
d) Der Vegetarismus des Quintus Sextius des Älteren I. Lana61 rechnet auch wie viele andere62 den Vegetarismus des Vaters Sextius zu den pythagoreischen Elementen seiner Lehre. Diese Annahme ist jedoch nicht korrekt, wie wir dem 108. Brief Senecas an Lucilius entnehmen können. Seneca lässt dort (17–18) Sotion, einen allem Anschein nach pythagorisierenden Mittelplatoniker – den wir keinen Grund haben, der Schule der Sextier zuzurechnen, wie dies häufig geschehen ist63 – die Verschiedenheit der Begründung des Vegetarismus des Sextius im Vergleich zu der seines eigenen erklären: „Sextius glaubte, für den Menschen gebe es genug Nahrungsmittel ohne Blut, und Grausamkeit werde zur Gewohnheit, wenn das Zerstückeln dem Genuss dienen solle. Er fügte hinzu, einschränken müsse man die Voraussetzungen zur Völlerei. Er zog den Schluss, mit guter Gesundheit nicht vereinbar seien verschiedenartige und unseren Körpern fremde Nahrungsmittel. Pythagoras hingegen legte dar, es bestehe Verwandtschaft aller Lebewesen mit allen und ein Austausch der Seelen, weil sie bald in diese, bald in jene Körper eingingen.“64 Wir sehen, dass sich der Vegetarismus des Sextius keineswegs auf die pythagoreische, zwischen Menschen und Tieren stattfindende Seelenwanderungslehre gründete, die übrigens später vom Neuplatonismus endgültig abgelehnt wurde. Die Haltung des Sextius dürfte vielmehr das Resultat der Suche nach einer gesunden, dem philosophischen Leben förderlichen Diät unter eher medizinischen, nicht metaphysischen Gesichtspunkten gewesen sein. Und in der Tat wissen wir, dass Sextius Niger, der Sohn des Quintus Sextius, wenn auch wohl nicht selbst Arzt war (siehe oben S. 185f.), so doch zumindest medizinisch stark interessiert und, wie Cornelius Celsus, der ebenfalls als Schüler der Sextier galt (vgl. Quintilianus 10,1,123–124), ein Anhänger der medizinischen Schule des Asklepiades aus Bithynien war. Diese war bekannt für das Schwergewicht, das sie im Hinblick auf den Heilungsprozess 61) Lana (wie Anm. 2) 124. 62) U. a. Maurach (wie Anm. 2) 81. 63) Vgl. u. a. H. Dörrie, Sotion 3 a, KlPauly V, 1979, Sp. 291, u. Griffin (wie Anm. 56) 37; Maurach (wie Anm. 2) 80; I. Lana dagegen führt ihn zu Recht nicht unter den Mitgliedern der Schule auf. 64) Zitiert nach M. Rosenbach, Seneca, Philosophische Schriften IV, Darmstadt 1984, 645f.
206
Ilsetraud Hadot
auf die Diät legte65. Tatsächlich finden sich bei Anhängern des Asklepiades, wie wir noch sehen werden, ähnliche Passagen, die die Schädlichkeit der Verschiedenartigkeit und den Wert der Einförmigkeit der Nahrungsmittel für die Gesundheit betonen, wenn auch die Forderung gänzlichen Fleischenthalts fehlt, der eine extreme Konsequenz der geschilderten Haltung darstellt. Es ist auch nicht ohne weiteres als sicher anzunehmen, wenn auch durchaus möglich, dass der Vegetarismus von den anderen Mitgliedern der Schule der Sextier befolgt wurde. Er ist jedenfalls nur für Sextius den Älteren ausdrücklich bezeugt und kann für Celsus ausgeschlossen werden, in dessen in seinen Büchern De medicina enthaltenen Diätvorschriften von Vegetarismus meines Wissens nie die Rede ist. W. Deuse, der in seinem Artikel „Celsus im Prooemium von ‚De medicina‘. Römische Aneignung griechischer Wissenschaft“66 u. a. die Abhängigkeit des medizingeschichtlichen Abschnittes in Celsus’ Prooemium von griechischen medizinischen, letztlich schon auf Platon (Politeia III, 404a–408b) zurückgehenden und nicht, wie oft angenommen, varronischen Quellen nachgewiesen hat, führt in diesem Zusammenhang (S. 828) einige Stellen aus Plutarchs Quaestiones Conviviales an, die ähnliche Aussagen zur Diät eines Mitstreiters des Plutarch in diesem Gespräch, nämlich des Arztes Philon, zum Gegenstand haben, der ebenfalls ein Anhänger des Asklepiades war: Quaest. Conv. 4,1,1, 661B: „. . . so sagte uns Philon jedesmal, dass . . . die Tiere, da sie einförmige (d. h. derselben Gattung angehörige Speisen = trofa‹ monoeide›w ka‹ èpla¤) und einfache Nahrung zu sich nehmen [Philon hat wohl vor allem im Sinn, dass die meisten Tiere entweder ausschließlich Fleisch- oder Pflanzenfresser sind], gesünder als die Menschen sind“, denn einförmige Speisen lassen sich besser verdauen, die bunte Mischung (polumig¤a) ist schädlich (vgl. Quaest. Conv. 4,1,1, 661E und 661A). Andererseits beweisen die Schriften des Plutarch De esu carnium, De tuenda sanitate praecepta67, De 65) Vgl. Mudry (wie Anm. 18). Auf S. 818 kommt er zu folgendem Schluss in Bezug auf die Sextier: „On peut donc raisonnablement supposer que dans le domaine de la médecine la secte des Sextii, en particulier à l’époque de Niger, s’inscrivait dans la ligne doctrinale d’Asclépiade.“ 66) ANRW II, 37,1, 1993, 819–841. 67) Laut G. Boehm, Plutarchs ÑUgieinå paragg°lmata analysiert und auf seine Quellen untersucht, Diss. Gießen 1935, ist der Arzt Asklepiades von Bithynien die Quelle dieser Schrift.
Versuch einer doktrinalen Neueinordnung der Schule der Sextier
207
sollertia animalium, Bruta animalia ratione uti, dass sich zur Verteidigung des Vegetarismus neben der sich auf medizinische Ansichten gründenden Argumentation im Mittelplatonismus auch eine aus den Schriften Platons in Verbindung mit peripatetischen Lehren (vgl. Straton, Frgm. 109f. Wehrli) herausinterpretierte Beweisführung herausgebildet hatte, die, wie D. Tsekourakis68 dargelegt hat, unabhängig von der pythagoreischen Seelenwanderungslehre war. Dieser Beweis gründete sich auf die Annahme, dass die Tiere, da sie über Sinneswahrnehmung verfügen, notwendigerweise auch an der Vernunft teilhaben (vgl. den Titel der letztgenannten Schrift des Plutarch) und es deswegen grausam wäre, sie zu töten. Eine ähnliche Verbindung medizinischer und platonischer Argumente könnte möglicherweise auch bei Sextius dem Älteren stattgefunden haben. Eine weitere Parallele lässt sich von der Äußerung des Quintus Sextius sowohl zu der platonischen Verteidigung des Vegetarismus ziehen als auch zu der Einleitung, die ein anderer Anhänger des Asklepiades und Mitglied der Schule der Sextier, Cornelius Celsus, seiner Schrift De medicina voranstellt. Quintus Sextius der Ältere warnte, wie wir oben gesehen haben, vor der Grausamkeit, die die Gewohnheit des Tötens und Zerstückelns der Tiere zwecks Nahrungsaufnahme zur Folge haben kann. Im Prooemium des Celsus69 finden sich folgende Aussagen: §44: Die Vivisektion ist grausam und nutzlos und kommt einem Verbrechen nahe. §43: Der Arzt hat sich bei seinen anatomischen Studien auf die Untersuchung zufälliger Verletzungen zu beschränken, die beispielsweise die Gladiatoren erleiden. §74: Auf diese Weise lernt der gute Arzt, indem er seine Humanität bewahrt, das, was andere unter Anwendung von schrecklicher Grausamkeit erlernen. Das Motiv der Grausamkeit erscheint auch in der platonischen Verteidigung des Vegetarismus, wie wir sie bei Plutarch vorfinden. Die Anhängerschaft der Sextier in ihrer Eigenschaft als Philosophen braucht sich nicht auf alle Einzelheiten des medizinischen Systems des Asklepiades erstreckt zu haben. Es dürfte sich, wie Ph. Mudry70 sich in Bezug auf die medizinische doktrinale Aus68) D. Tsekourakis, Pythagoreanism or Platonism and Ancient Medicine? The Reasons for Vegetarism in Plutarch’s ‘Moralia’, ANRW II, 36,1, 1987, 366–393. 69) Ph. Mudry, La préface du De medicina de Celse; texte, traduction et commentaire, 1982, Bibliotheca Helvetica Romana XIX. 70) Mudry (wie Anm. 18) 814.
208
Ilsetraud Hadot
richtung des Cornelius Celsus ausdrückt, eher um einen markanten Einfluss des Asklepiades als um eine strikte Zugehörigkeit zu seiner Schule gehandelt haben. e) Die naturwissenschaftlichen und medizinischen Interessen des Quintus Sextius Niger, des Papirius Fabianus und des Cornelius Celsus Das bezeugte medizinische und naturwissenschaftliche Interesse des Sextius Niger, des Papirius Fabianus und des Cornelius Celsus (vgl. ihre oben genannten Schriften) erklärt sich insgesamt am besten, wenn man annimmt, dass ihre Schule sich ihrer doktrinalen Tendenz nach an der philosophischen Richtung des Antiochos von Askalon orientierte. Wie bekannt, sah Antiochos zwischen den Lehren der Alten Akademie und der Schule des Aristoteles keine sachlichen Unterschiede (vgl. Cicero, Acad. post. 15ff.; De fin. 5,14.22) und bemühte sich folglich, in seinem eigenen Unterrichtsprogramm die Forschungsgebiete beider Schulen zu vereinen. Cicero lässt im fünften Buch von De finibus Piso die philosophischen Ansichten des Antiochos darstellen, wovon ich folgende, in diesem Zusammenhang interessante Stellen zitiere: 5,58: „Wir sind geschaffen, um tätig zu sein. Nun gibt es aber mehrere Arten von Betätigungen, so dass die weniger bedeutenden von den wertvolleren in den Schatten gestellt werden. Die wichtigsten davon sind . . . Betrachtung und Erkenntnis der Himmelserscheinungen und der Dinge, welche die Natur zwar geheim gehalten und verborgen hat, die aber von der Vernunft erforscht werden können; dann die Staatsverwaltung und Staatswissenschaft; ferner die einsichtige, tapfere und gerechte Vernunft und die übrigen Tugenden . . .“; 5,74; „So bleibt unser Lehrsystem als einziges übrig, ein würdiges Werkzeug für die Forscher in den freien Wissenschaften (digna studiosis ingenuarum artium), für hochgebildete (digna eruditis) und berühmte Männer, für politische Führer und Könige.“71
71) Zitiert nach der leicht abgeänderten Übersetzung von A. Kabza, De finibus bonorum et malorum, lat. u. deutsch, Tusculum-Bücherei, 1960.
Versuch einer doktrinalen Neueinordnung der Schule der Sextier
209
f) Fragment zur Ethik des Celsus Diesem Versuch einer dogmatischen Einordnung der Sextier widerspricht auch die Celsus-Paraphrase des Augustin im ersten Buch der Soliloquien (1,12,21) nicht. Augustin berichtet von heftigen Zahnschmerzen, die ihn daran gehindert hatten, seine Studien fortzusetzen. „Es schien mir jedoch“, schreibt er, „dass, wenn das Licht der Wahrheit meinen Gedanken sichtbar geworden wäre, ich dann entweder den Schmerz überhaupt nicht gefühlt oder ihn zumindest für nichts erachtet hätte. Aber da ich niemals zuvor einen größeren Schmerz ertragen hatte, aber dennoch oft daran dachte, ein wie viel schlimmerer auftreten könnte, sah ich mich bisweilen gezwungen, Cornelius Celsus zuzustimmen, der sagte, das höchste Gut sei die Weisheit und das höchste Übel der Schmerz. Und seine Begründung scheint mir nicht absurd zu sein. Denn, so sagte er, da wir aus zwei Teilen bestehen, nämlich aus Seele und Körper, wovon der erste, die Seele, der bessere ist, und der Körper der schlechtere, ist das höchste Gut das Gut des besten Teils, das höchste Übel aber das schlimmste des schlechteren: Das Beste in der Seele aber ist die Weisheit, das Schlimmste im Körper der Schmerz. Zu Recht wird m. E. daraus der Schluss gezogen, dass es das höchste Gut des Menschen ist, weise zu sein, und das höchste Übel, Schmerz zu erleiden.“ Im fünften Buch der Schrift De finibus, wo Cicero Piso das philosophische System des Antiochos von Askalon darlegen lässt, findet sich die gleiche Zweiteilung (5,34): „Ohne weiteres ist einleuchtend, dass der Mensch aus Leib und Seele besteht, wobei die seelischen Bestandteile an erster, die körperlichen an zweiter Stelle stehen. . . . Alles, was zum Körper gehört, ist nicht so wertvoll, dass es einen Vergleich mit den Bestandteilen der Seele aushalten könnte.“ Folgerichtig wird im Folgenden (vgl. u. a. 5,71–72) dargelegt, dass der körperliche Schmerz wie alle körperlichen Behinderungen ein Übel ist, wenn Antiochos es auch nicht zuließe, dass dieser ein Hindernis für ein glückliches Leben (uita beata) hätte sein können, wohl aber für ein sehr glückliches Leben (uita beatissima). Da uns der Kontext der paraphrasierten Celsus-Stelle fehlt, können wir nicht wissen, ob Celsus dem Schmerz genau denselben Stellenwert zumaß wie Antiochos und Quintus Sextius (vgl. zum Bild des Weisen bei Sextius oben, Seneca, Ep. 59,8), aber eine Abwertung des Körpers im Vergleich zur Seele fand jedenfalls statt; wir wissen nur nicht, wie weit diese ging,
210
Ilsetraud Hadot
müssen aber im Auge behalten, dass Cornelius Celsus in seinen philosophischen Schriften laut Quintilian (10,1,123–124) den Sextiern gefolgt ist. Zusammenfassend glaube ich sagen zu können, dass die Schule der Sextier unter den vielen Spielarten mittelplatonischer Philosophie einer Richtung angehört zu haben scheint, die der philosophischen Ausrichtung des Antiochos nahestand und demgemäß auch den naturwissenschaftlichen wie medizinischen Studien großen Wert beimaß. Diese hohe Einschätzung der Naturwissenschaften wurde im Neuplatonismus, wahrscheinlich unter dem Einfluss der siegreichen pythagorisierenden Richtung des Mittelplatonismus, zugunsten der mathematischen Studien nicht beibehalten72. Limours
Ilsetraut Hadot
72) Vgl. I. Hadot, La division néoplatonicienne des écrits d’Aristote, in: J. Wiesner (Hrsg.), Aristoteles – Werk und Wirkung. Paul Moraux gewidmet, II, Berlin / New York 1987, 249–285 = I. Hadot et alii, Simplicius – Commentaire sur les Catégories, Leiden / New York / Kobenhavn / Köln 1990, Kapitel III: „La division néoplatonicienne des écrits d’Aristote“, 63–93.
TUM UND TUNC IN DER AUGUSTEISCHEN DICHTERSPRACHE „Die reimenden Anfänge, tunc, nunc, konnte ein Mönch schön finden, schwerlich Tibull, dem wir sein tum noch oft werden zurückgeben müssen. . . . Der Dichter Regel demnach lautete so: Vor einem Mitlauter und mehreren steht tum.“1 Dieses Urteil aus der Tibull-Ausgabe von Johann Heinrich Voß aus dem Jahre 1811 hat – vor allem vermittelt durch Lachmanns Lukrez- und ProperzKommentare2 sowie durch die Juvenal-, Lukan- und ManiliusAusgaben von Housman3 – eine breite Wirkung entfaltet. So ist heute beispielsweise in der Persius-Ausgabe von Clausen,4 in Brinks Horaz5 und in den Ovid-Ausgaben von Kenney, McKeown und Richmond6 handschriftlich überliefertes tunc vor Guttural regelmäßig zu tum geändert worden, und in seiner vor kurzem erschienenen Metamorphosen-Ausgabe hat Tarrant im kritischen Apparat sogar ganz auf Angaben zur Überlieferung von tum und tunc verzichtet und ist einfach dem Grundsatz „tum ubique scripsi praeter locos ubi tunc metro postulatur“7 gefolgt.8 1) J. H. Voß, Albius Tibullus und Lygdamus nach Handschriften berichtigt, Heidelberg 1811, 140–1. 2) Vgl. K. Lachmann, In T. Lucreti Cari de rerum natura libros commentarius, 4. Aufl., Berlin 1882, zu Lucr. 1,130: „tunc ante consonantem contra poëtarum antiquorum usum“ und ders., Sex. Aurelii Propertii Carmina, Leipzig 1816, zu Prop. 1,7,21: „Ante consonam Tunc a bonis poëtis non usurpari verissima est Joh. Henr. Vossii observatio.“ 3) Vgl. A. E. Housman, D. Iunii Iuvenalis Saturae, Cambridge 1931; ders., Lucani Belli Civilis libri decem, Oxford 1926, und ders., M. Manilii Astronomicon libri, London 1903–30. 4) Vgl. W. V. Clausen, A. Persi Flacci saturarum liber, Oxford 1956, im Apparat zu Pers. 1,9. 5) Vgl. C. O. Brink, Horace on Poetry. Vol. 2: The Ars Poetica, Cambridge 1971, zu Ars 103. 6) Vgl. E. J. Kenney, P. Ovidi Nasonis Amores, Medicamina Faciei Femineae, Ars Amatoria, Remedia Amoris, repr. with corr., Oxford 1995 und J. C. McKeown, Ovid. Amores. Volume 1. Text and Prolegomena, Liverpool 1987 im Text von Am. 1,2,43.44 sowie J. A. Richmond, Ovidius. Ex Ponto libri quattuor, Leipzig 1990, im Text von Pont. 1,2,95; 1,5,85. 7) R. J. Tarrant, P. Ovidi Nasonis Metamorphoses, Oxford 2004, 499. Dieses Verfahren steht im Gegensatz zu demjenigen von W. S. Anderson, P. Ovidii Naso-
212
Jan Felix Gaertner
Diese Praxis der Herausgeber stützt sich vor allem9 auf einen Passus aus Housmans Juvenal-Ausgabe: „The better the MSS we possess of any Latin author, the seldomer do we find tunc before guttural: in Virgil the authority for tum is overwhelming. And we know that scribes, when a guttural followed, would change tum to tunc; for in Lucr. I 130 we find ‘tunc cum primis’ and in Val.Fl. I 402 ‘tunc caelata’, where the authors must have written tum, because tunc is excluded by the sense.“10 nis Metamorphoses, Leipzig 1977, der nicht nur im Apparat seiner Ausgabe vermerkt, ob und welche Handschriften tum oder tunc überliefern, sondern dort, wo es die Mehrzahl der besseren Handschriften bietet, tunc auch in den Text setzt. 8) Neben diesen Ausgaben vgl. ferner z. B. auch A. Ernout, Lucrèce. De la nature. Tome premier, Paris 1935, im kritischen Apparat zu Lucr. 3,710; J. B. Hofmanns Besprechung von H. Mihaˇescu, Beiträge zur Kenntnis der tum-, tunc-Partikeln, Buletinul Institutului de Filologie Romina 4, Iasi 1937, BPhWs 1939, 1223–5; W. Bühler, Maniliana, Hermes 87 (1959) 475–94, S. 486: „Wie bei Vergil wird auch bei Manilius an beiden Stellen [d.h. 3,652; 2,325] tum zu schreiben sein“, und M. Deufert, Pseudo-Lukrezisches im Lukrez, Berlin 1996, 217 Anm. 744. Ein früher Einspruch stammt von Wunderlich, vgl. C. G. Heyne / E. C. F. Wunderlich, Albii Tibulli carmina libri tres cum libro quarto Sulpiciae, Leipzig 1817, Teil 2, S. 12, zu Tib. 1,1,21: „Vossio in tum de coniectura mutanti accedere non possum“; ähnlich Th. Bergk, Kleine philologische Schriften I, Halle 1884, 576: „omnino cavendum est ne quis eiusmodi praeceptis temere fidem habeat“ und C. Bailey, Titi Lucreti Cari De Rerum Natura libri sex, Oxford 1947, vol. 2, zu Lucr. 1,130: „the doctrine seems arbitrary“. Während Mihaˇescus eher intuitiv-psychologisierender Ansatz zu Recht von Hofmann verworfen wurde (siehe oben), bietet J. Svennung, Untersuchungen zu Palladius und zur lateinischen Volkssprache, Uppsala 1935, 407–18 bereits eine detaillierte Kritik der Voß-Lachmann-Housman’schen These, ohne dabei jedoch näher auf die Verhältnisse bei den augusteischen Dichtern und insbesondere bei Ovid einzugehen. 9) Voß und Lachmann geben keine auch nur annähernd so ausführliche Begründung für die vermeintliche Bevorzugung von tum durch die römischen Dichter (das Argument der Vergil-Handschriften findet sich allerdings schon bei Voß [wie Anm. 1] 141). E. Courtney, Tum And Tunc, Prometheus 29 (2003) 235–40 wiederholt (in etwas breiterer Form) die bereits von Housman vorgebrachten Argumente (vgl. Anm. 11, 12, 15, 16). Vgl. auch die folgende Anmerkung. 10) A. E. Housman 1931 (wie Anm. 3) xxi. Vgl. auch Housman 1926 (wie Anm. 3) zu Luc. 1,490: „tum (et cum) a, tunc WC, quod ante gutturalem rarissime optimi optimorum poetarum codices, nostri libri totiens fere quotiens tum habent; universi quater tum, I 221,552, II 20, IX 324 (cum Z), quater tunc, praeter hunc versum III 155,187, V 589; circiter viginti locis ita variant ut tunc saepius V, tum P praebent. equidem, quoniam comparatis antiquioribus recentioribusque Vergilii exemplaribus scribae tum in tunc mutare consuesse deprehenduntur, ubique illud ponendum puto. etiam ante consonantem quae gutturalis non sit discrepantibus libris vetustiorem particulam praetuli, quibus in tunc consentientibus ut parum confido ita non repugno. sed nequis numquam tum pro tunc suppositum esse cre-
Tum und tunc in der augusteischen Dichtersprache
213
Keines dieser von Housman vorgebrachten Argumente kann bei näherer Betrachtung überzeugen: 1) Vergil vermeidet tunc nicht nur vor Guttural, sondern generell, weshalb das Zeugnis der Vergilhandschriften keinen Anhaltspunkt für eine besondere Abneigung gegen tunc vor Guttural liefert; gegen eine generelle Abneigung der römischen Dichter gegen tunc vor Guttural spricht ferner, daß andere auf ‚nc‘ auslautende Wörter (z. B. nunc oder hunc) nicht selten vor Guttural stehen.11 2) Eine systematische Änderung von tum zu tunc vor Guttural durch die mittelalterlichen Kopisten, wie sie Housman annimmt,12 ist zumindest in Ovids Metamorphosen nicht erkennbar. An sieben Stellen überliefern alle von Anderson ausgewerteten Handschriften einheitlich tunc vor Guttural;13 hinzu kommen vier Stellen, an denen die Mehrzahl der Hss. tunc vor Guttural hat.14 Diesen maximal elf Stellen stehen jedoch vier Stellen gegenüber, an dat, id mendum metro convincitur in G V 49 et in Palatino Verg. Aen. VIII 423.“ Im Kommentar zum fünften Buch von Manilius’ Astronomica (wie Anm. 3, 177–8) liefert Housman Belege für tum vor Guttural, tunc vor Guttural, tum vor anderen Konsonanten, tunc vor anderen Konsonanten. 11) Diese beiden Einwände erhebt bereits Svennung (wie Anm. 8) 410 Anm. 1 und 412–13; den zweiten Einwand findet man vorher schon bei Wunderlich (wie Anm. 8) zu Tib. 1,1,21, S. 13. Courtneys Hinweis (wie Anm. 9, 239) auf die Vermeidung von sicque, tuncque, hincque ist kein überzeugendes Gegenargument: Erstens werden auch eine ganze Reihe anderer einsilbiger Wörter nicht mit -que verbunden (u. a. Präpositionen, vgl. R. Kühner / C. Stegmann, Ausführliche Grammatik der lateinischen Sprache. Zweiter Teil: Satzlehre, Hannover 1914, Bd. 2, S. 14 und J. F. Gaertner, A Commentary on Ovid. Epistulae ex Ponto 1, Oxford 2005, zu Ov. Pont. 1,9,48), und zweitens gibt es eine ganze Reihe von Belegen für nunc oder hunc vor Guttural, vgl. das Material bei Svennung (wie Anm. 8) 412–13. 12) Vgl. den oben zitierten Passus aus Housmans Juvenalausgabe; Courtney (wie Anm. 9) 238–9 gibt als weitere Belege für die Ersetzung von tum durch tunc Luc. 5,192 und Sen. Med. 218, wo er gegen die „generally more reliable source“ des codex Etruscus tum statt tunc lesen möchte (vgl. ferner auch Anm. 15). Die Argumentation ist auch deshalb problematisch, weil – wie Housman selbst ausdrücklich in seinem Lucan-Kommentar (wie Anm. 3) anmerkt – auch der umgekehrte Überlieferungsfehler vorkommt. 13) Vgl. 1,339: tunc quoque; 3,345: tunc qui; 4,315: tunc quoque; 6,393: tunc quoque; 6,403: tunc quoque; 11,743: tunc quoque; 13,479: tunc quoque. Alle meine Angaben über die handschriftliche Überlieferung von tum und tunc in den Metamorphosen beruhen auf der Ausgabe von Anderson (wie Anm. 7). 14) Vgl. 2,235: tunc (tunc] tum U) credunt; 5,97: tunc (tunc b U W, tum M, hic E F L M2 N P e p) quoque; 13,473: tunc (tunc] tum U W h) cum; 15,43: tunc (tunc] tum P W a) quoque.
214
Jan Felix Gaertner
denen alle Handschriften tum vor Guttural bieten (vgl. Met. 1,527; 5,56; 14,369.737 [alle tum quoque]), und an weiteren 15 Stellen bieten die Codices mehrheitlich tum vor Guttural.15 3) Anders als von Housman behauptet ist tunc weder in Lucr. 1,130 noch in Val.Fl. 1,402 durch den Sinn ausgeschlossen. In Lucr. 1,130 erscheint tunc in Verbindung mit cum im Sinne von ‚wenn (schon) . . . dann (noch dazu)‘; es ist an dieser Stelle von allen älteren Handschriften überliefert (tum findet sich nur in dem späten Codex Laur. 35,31), und die Wendung ist spätestens seit Vitruv sicher belegt, vgl. z. B. Vitr. 10,3,9: cum . . . porrectionibus et circinationibus reciperent motus, tunc vero etiam plostra, raedae, tympana, rotae . . . und Col. 1,5,8: haec autem cum hominibus adferunt perniciem, tunc et armentis et virentibus eorumque frugibus.16 In Val.Fl. 1,402 markiert tum/tunc (tum V, tunc C) nicht 15) Vgl. 2,651: tum (tum] tunc e) cum; 3,504: tum (tum] tunc N U Vat. 5179) quoque; 4,339: tum (tum] tunc N U h) quoque; 4,572: tum (tum] tunc L W) cum; 5,232: tum (tum] tunc N) quoque; 5,487: tum (tum] cum E L N U e) caput; 6,18: tum (tum] tunc N e) quoque; 6,149: tum (tum] tunc E L e) cum; 6,334: tum (tum] tunc W) cum; 8,462: tum (tum] tunc W p) conata; 8,845: tum (tum] tu N U) quoque; 9,282: tum (tum] tunc F W) cum; 9,596: tum (tum] tunc N e) cum; 13,571: tum (tum] tunc W) quoque; 15,685: tum (tum] tunc W h v) gradibus. Daß in den Vergil-Centonen des Codex Salmasianus (Anth. Lat. 7–18 Riese) vergilisches tum regelmäßig zu tunc geändert ist (vgl. G. Salanitro, tunc nel codice Salmasiano, Sileno 16,1–2 [1990] 313–15), ist (pace Courtney [wie Anm. 9] 236) kein Beweis für die von Housman vermutete systematische Änderung von tum zu tunc durch die Kopisten, da der Cento-Dichter lediglich die zu seiner Zeit geläufigere (siehe unten) Form in seinen Cento-Text gesetzt haben mag: Dementsprechend sind die von Salanitro beanstandeten Belege für tunc auch nicht zu tum zu ändern. Im übrigen ist die Tatsache, daß der Cento-Dichter ebenso wie Nonius in seinen Vergilzitaten und Servius in einigen Lemmata seines Kommentars – im Gegensatz zu den Handschriften (!) – tum durch tunc ersetzt (vgl. Courtney [wie Anm. 9] 236), eher ein Argument für die Autorität der handschriftlichen Überlieferung als gegen sie. 16) Diese Tatsache übersieht Courtney (wie Anm. 9) 237, dessen Diskussion von cum . . . tunc – in seinen Augen ein „solecism“ (S. 239) – sich allein auf Lucr. 1,127ff. und Juv. 9,118–20 stützt. Lachmann (wie Anm. 2, zu Lucr. 1,130) läßt (im Gegensatz zu Courtney [wie Anm. 9] 236) Caes. Gal. 6,32,5 (tum b, tunc a) und Cic. Off. 1,123 (tum B2 P V, tunc B1 Non. p. 435,15 M.) ausdrücklich als frühere Belege für die Verbindung cum . . . tunc zu („nequis tamen nullo tempore has particulas quae sunt cum et tunc in enumerando coniunctas esse putet, non modo librarii in Caesaris de bello Gallico . . .“). Ein weiterer möglicher Beleg ist Caes. Civ. 2,35,4: sed cum loci natura et munitio castrorum adiri tunc quod ad proelium egressi Curionis milites iis rebus indigebant quae ad oppugnationem castrorum erant usui, wo das offenkundig ausgefallene und von Manutius konjizierte prohibebat genauso gut
Tum und tunc in der augusteischen Dichtersprache
215
einen Zeitpunkt, sondern einen Übergang in einer Aneinanderreihung von verschiedenen Ereignissen. Housmans Einwand gegen diesen Gebrauch von tunc im Sinne von ‚sodann‘, ‚weiter‘, ‚ferner‘ lehnt sich an den alten Grammatikergrundsatz an, daß tunc stets einen Zeitpunkt bezeichne, wohingegen tum auch „in transitu“ stehen könne.17 Dieser Lehrsatz wird jedoch durch die Beleglage nicht gedeckt,18 und die Grenzen zwischen den beiden Verwendungsweisen sind fließend, denn auch in einer Aufzählung wie Cato, Agr. 76,4: in summum tracta in singula indito, postea solum contrahito ornatoque, focum deverrito temperatoque, tunc placentam imponito bezeichnet tunc (oder tum) letztlich immer noch einen Zeitpunkt, nämlich denjenigen, der in der Aufzählung auf andere zuvor genannte Ereignisse folgt.19 Housmans Dogma und die systematische Änderung von überliefertem tunc zu tum in den Textausgaben römischer Dichter (siehe oben) entbehrt jedoch nicht nur der Grundlage, sondern kommt auch einer systematischen Dämpfung und Übertünchung der stilistischen Gestaltung gleich. Die Bildung von tunc aus tum-ce, die Seltenheit von tunc in der frühen und klassischen Prosa sowie ihren Nachahmern (Quintilian, Tacitus) und das Übergewicht von tunc gegenüber tum in der Prosa ab Vitruv20 legen nahe, daß es sich bei tunc und tum nicht bloß um vor wie nach tunc ergänzt werden kann und nur einige jüngere Handschriften hinter tunc noch ein tum überliefern. Völlig unsicher ist dagegen der Text der von Svennung (wie Anm. 8) 411–12 herangezogenen Verse Juv. 9,118–19 (vgl. Courtney [wie Anm. 9] 237). 17) Vgl. I. N. Madvig, M. Tullii Ciceronis De Finibus Bonorum et Malorum libri quinque, Kopenhagen 1876, zu Cic. Fin. 1,28; F. Haase, Professor R. Reisig’s Vorlesungen über lateinische Sprachwissenschaft, Leipzig 1839, 432–3, sowie die Äußerungen der Grammatiker Caper (gramm. 7,96,13), Beda (gramm. 7,293,2), Albinus (gramm. 7,311,14) und Servius (Aen. 5,513), die Svennung (wie Anm. 8) 413 zusammengetragen hat. 18) Vgl. das reiche Material bei Svennung (wie Anm. 8) 413–16. 19) Diese Stelle verdanke ich Svennung (wie Anm. 8) 413, der jedoch die grundsätzliche Übereinstimmung von definierendem und transitorischem tum/tunc nicht erkannt hat und statt dessen behauptet, daß bei Subjektsgleichheit „meistens die Bedeutung ‚deinde‘ deutlich [ist]“. Svennung verweist in diesem Zusammenhang auf ähnliche Verwendungsweisen von tÒte. 20) Vgl. Svennung (wie Anm. 8) 409 und J. B. Hofmann / A. Szantyr, Lateinische Syntax und Stilistik, zweite, verbesserte Auflage, München 1972, 520 (beide mit statistischem Material). Hierher gehört auch die Tatsache, daß tunc . . . tunc erst von Apuleius anstelle von tum . . . tum verwendet wird (vgl. E. Wölfflin, Was heißt bald . . . bald?, Archiv für lateinische Lexikographie 2 [1885] 233–54, S. 240–2).
216
Jan Felix Gaertner
zwei verschiedene Schreibweisen desselben Wortes handelt, sondern daß tunc eine emphatischere und daher gerade in der Umgangssprache und im Spätlatein beliebte Analogiebildung zu nunc ist, die im ausgehenden ersten Jahrhundert v. Chr. mehr und mehr das schwächere tum verdrängt.21 Dies spiegelt sich in der Verteilung von tum und tunc bei den spätrepublikanischen Dichtern Catull und Lukrez und ihren augusteischen Nachfolgern einschließlich Ovids wider. Bei Catull steht in der Regel tum, nicht tunc:22 Die einzigen Ausnahmen finden sich in einem derb-satirischen Gedicht (Cat. 10,3 [tunc O R, tum G]) und in Cat. 44,21 und 66,24: ut tibi tunc toto pectore sollicitae, wo eine besondere Emphase intendiert sein dürfte.23 Während bei Catull also vor allem das Stilregister und die Emphase den Gebrauch von tum und tunc bestimmen, ist bei Lukrez, Vergil und Properz metrische Bequemlichkeit ausschlaggebend: Alle drei Autoren bevorzugen deutlich tum gegenüber tunc (Lucr. 103 : 9,24 Verg. 309 : 9,25 21) So schon Svennung (wie Anm. 8) 417 und F. Cupaiuolo, La formazione degli avverbi in Latino, Napoli 1967, 124: „tunc . . . innovazione popolare, s’impone a poco a poco, dapprima nei casi in cui si ricerca l’espressione intensiva, poi presso i poeti, dal momento che tunc di fronte a tum offre il vantaggio di evitare un’elisione davanti a parola iniziante con vocale.“ Letzteres stimmt nur für Lukrez, Vergil und Properz, nicht aber für Horaz, Tibull, Ovid und Spätere (siehe unten). 22) In 15,17; 16,7; 62,37; 64,56 (tum] tunc O); 64,68.231.249; 66,29; 68,87.101.105.131; 72,3 ist die Überlieferung zwar gespalten, tum ist jedoch offenkundig vorzuziehen. Insgesamt komme ich damit auf 28 Belege für tum bei Catull. 23) Vgl. das emphatische toto pectore, die Alliteration und die Assonanz auf ‚c‘ in Cat. 66,24 und vgl. D. F. S. Thomson, Catullus, Toronto 1997, zu Cat. 44,21. 24) Eingerechnet sind dabei auch die folgenden Belege für tum: 4,455 (tum O, tunc Q); 5,44 (tumst Lachmann, sunt O Q, tunc Marullus); 5,399 (tum F, cum O, com Q); 5,799 (tum O1, tus O Q); 5,1442 (tum O Q, iam Lachmann); 6,363 (tum O, cum Q); 6,402 (eas tum Lambinus, aestum O Q); 6,1153 (tum F, tumtum O U, tutum Q). 25) Verteilung von tum: 15x Ecl., 54x Georg., 240x Aen.; mitgezählt sind die folgenden Stellen, an denen die Überlieferung zwar gespalten ist, aber deutlich für tum spricht: Ecl. 5,89 (tum R V v, nunc P1, tunc P2 b); Georg. 1,139 (tum] tunc M1 c, Sen. Epist. 90,11); 1,305 (tum] tunc c e f h); 1,341 (tum M R b r, tunc g v); 2,317 (tum P v, tunc M R); 2,328 (tum] tunc R); 2,368 (tum . . . tum] tunc . . . tunc M R); 3,335 (tum] tunc R); 3,357 (tum] tunc P); 4,187 (tum2] tunc M P); 4,260 (tum] tunc P); 4,523 (tum] tunc R); Aen. 3,47 (tum] tunc b c d); 4,408 (tum] tunc M); 4,597 (tum] tunc P a e r v); 4,693 (tum] tunc Serv.); 6,520 (tum] tunc P b); 6,562 (tum] tunc P b r); 6,776 (tum] tunc P); 7,292 (tum] tunc g); 7,670 (tum] tunc R); 8,100 (tum] tunc R b e r u v); 8,115 (tum] tunc R); 8,397 (tum] tunc a e r u v); 8,660 (tum] tunc P, cum d t); 9,526 (tum F R v, tunc M P c). Aus der Bewertung ausgenommen habe ich die Stelle Aen. 10,94 (tum M b d f h r t, tunc P R c e u v).
Tum und tunc in der augusteischen Dichtersprache
217
Prop. 30 : 1126), vermeiden tum vor Vokal27 und gebrauchen tunc nur ausnahmsweise und fast ausschließlich vor Vokal: Lukrez an sechs von neun Stellen,28 Vergil an acht von neun und Properz an neun von elf Stellen.29 Diese Regel wird dann von Horaz und noch deutlicher von Tibull gebrochen: Wie Catull, Vergil und Properz meidet zwar auch Horaz tunc (5x) und bevorzugt tum (21x: 3x Carm., 16x Sat., 1x Epist., 1x Ars),30 tunc findet sich bei 26) Bei den 30 properzischen tum-Belegen sind auch die folgenden Stellen mitgerechnet (Angaben aus dem ausführlichen Apparat von R. Hanslik, Sex. Propertii elegiarum libri IV, Leipzig 1979): 1,1,3 (tum] tunc A F P s); 1,5,19 (tum] tunc P n); 1,7,21 (tum] tunc i l n, 55, 78, 95, s, tu A F [corr. F3] P); 1,9,19 (tum] tunc F b y, 54, 68, 117); 1,14,11 (tum] tunc P s); 1,19,20 (tum] tu N* g w, 132); 2,1,14 (tum] tunc A F P b c); 2,6,34 (tum] cum F* P S); 2,7,11 (tum] dum F); 2,26,9 (tum1] cum L P n); 2,30,39 (tum] tunc P n, 52); 2,31,9 (tum] dum D V* g); 3,5,25 (tum] tu D a, 128, 132); 3,13,33 (tum] cum L P D V g a e t c, 73, s); 3,25,13 (tum] cum F1 L P D V b l t z b, 78, s); 4,1,133 (tum] cum F L P* D V* b f g g y c, 63); 4,4,9 (tum N F4 V2 S, cum F L P D V Vo b c f y z s). 27) tum vor Vokal (einschließlich ‚h‘) ist in der lateinischen Dichtung bis Catull geläufig, danach jedoch generell selten. Die (soweit ich sehe) einzigen Belege aus Catull, Lukrez, Vergil, Horaz, Properz, Tibull, Ovid, Sen. trag., Lukan, Valerius Flaccus, Statius, Silius, Martial und Juvenal sind Cat. 68,87: nam tum Helenae; 86,6: tum omnibus; Lucr. 5,855: multaque tum interiisse; Verg. Georg. 1,360: sibi tum a curvis; 2,405: iam tum acer; Aen. 7,616: hoc et tum Aeneadis; 8,503: duces. tum Etrusca; Hor. Sat. 1,2,97: tibi tum officient; 1,5,84: Veneri: tum inmundo; 2,8,77: poscit: tum in lecto; Prop. 2,26,9: quae tum ego; Ov. Met. 13,921: iam tum exercebar; Sen. Oed. 550: tum effossa; Val.Fl. 3,515: iam tum indecores; Sil. 11,116: iam tum erat; 16,179: iam tum Africa. Es fällt auf, daß das Phänomen bei Horaz auf die Satiren beschränkt ist und daß vorvokalisches tum fast immer auf ein vokalisch oder auf ‚m‘ auslautendes Wort folgt (Ausnahmen sind Cat. 86,6 und Sen. Oed. 550 [tum am Versanfang] sowie Verg. Aen. 7,616; 8,503; Hor. Sat. 2,8,77). Letzteres deutet darauf hin, daß vorvokalisches tum vor allem ein bequemes Mittel war, um die Elision des vorausgehenden mit dem folgenden Wort zu vermeiden (also z. B. diejenige von iam und indecores in Val.Fl. 3,515: iam tum indecores). 28) Die Belege für tunc vor Vokal bei Lukrez sind 3,923; 5,1019.1207.1419. 1423; 6,731; tunc steht dagegen vor Konsonant in 1,130 (tunc O Q G, tum F B); 3,710 (tunc O Q, tum ed. Brix.); 6,250 (tunc O Q, tum Lachmann). 29) Bei Vergil steht tunc vor Vokal in Georg. 1,136; Aen. 2,246; 3,234; 5,808; 6,505; 8,423; 10,517; 11,208, bei Properz in 1,1,23; 1,7,22; 2,9,17; 2,9,18; 2,13,8; 2,13,16; 2,16,53; 4,1,41; 4,1,45 (tunc] hinc Heinsius). Die drei Ausnahmen sind Verg. Aen. 8,566 (tunc] tum b r) und Prop. 2,13,19; 2,13,21 (tunc] tum Vo b c v s): Wenigstens an der ersten Stelle dürfte eine besondere Emphase intendiert sein: Vgl. C. J. Fordyce, P. Vergilii Maronis Aeneidos libri VII–VIII, Oxford 1977, zu Verg. Aen. 8,568–9 (usquam . . . umquam) und P. T. Eden, A Commentary on Virgil. Aeneid VIII, Leiden 1975, zu Verg. Aen. 8,564ff. (tris . . . terna . . . ter). 30) Ich stütze mich auf D. R. Shackleton Bailey, Horatius. Opera, 3. Aufl., Stuttgart 1995. Als Belege für tum bei Horaz sind dabei mitgerechnet Sat. 2,3,304 (tum R C, tunc a, nunc E) und Ars 103 (tum B C K, tune a R C Pl).
218
Jan Felix Gaertner
ihm jedoch weitaus häufiger vor Konsonant (4x) als bei den anderen Dichtern, vgl. Carm. 1,13,5: tunc (tunc] tum C l l) nec mens mihi nec color; 3,29,62: tunc (tunc] tum C) me biremis praesidio scaphae; Epod. 17,17: volente Circa membra; tunc mens et sonus; 17,74: vectabor umeris tunc ego inimicis eques; Sat. 2,2,48: infamis. quid? tunc (tunc a E V, cum R C Pl) rhombos minus aequor alebat? Während diese fünf Belege für tunc gegenüber den 21 Belegen für tum bei Horaz noch die Ausnahme darstellen, ist bei Tibull tunc die Regel (37x, davon nur einmal [2,5,95] vor Vokal)31 und tum (7x) die Ausnahme geworden.32 Ovid setzt die zwischen Lukrez und Catull einerseits und Horaz und Tibull andererseits zu beobachtende Entwicklung fort und benutzt tunc deutlich häufiger als Catull, Lukrez, Vergil, Horaz, Properz (aber nicht Tibull!). Sein Œuvre (ausschließlich Epist. 15 sowie Halieutica und Nux) umfaßt 323 Belege für tum und tunc. Davon entfallen 189 auf tum und 134 auf tunc. Dieses Verhältnis von etwa 4 : 3 gilt jedoch nicht für alle Schriften gleichermaßen. Vielmehr wird das durchschnittliche Verhältnis von 4 : 3 einerseits in Ovids didaktischen Schriften (Ars 20 : 11, Rem. 4 : 3)33 und den Metamorphosen (108 : 34)34 entweder getroffen oder deutlich über31) Vgl. (Sigla und Angaben nach G. Luck, Tibullus, Stuttgart 1988) tunc in Tib. 1,1,21; 1,2,79 (tunc A V X +, nunc G, tum H); 1,3,71 (tunc A X +, tum f G V); 1,3,89 (tunc Z +, tum P); 1,3,91 (tunc G V2 X, nunc A +); 1,4,53a (tunc Z +, tum G V2); 1,5,41 (tunc Z +, tum codd. nonn.); 1,6,11 (tunc B, nunc Z +); 1,6,12 (tunc A B, tum H, nunc G V X +); 1,6,13 (tunc Z +, tum H); 1,6,24; 1,6,39 (tunc Z +, tum D); 1,8,43b (tunc Z +, tum H); 1,8,45 (tunc Z +, tum H, nunc f G); 1,8,66; 1,9,31 (tunc Z +, tum H, tu D); 1,9,79 (tunc Z +, tum ed. Vic. a. 1481, tu Q); 1,10,3a (tunc Z +, tum f H); 1,10,11; 1,10,19 (tunc Z +, tum nonn. codd. Broukhus.); 1,10,53 (tunc Z +, tum H); 2,1,21 (tunc Z +, tum Puccius); 2,1,43–44 (tunc [3x] Z +, tum [3x] f); 2,1,45 (tunc Z +, tum f); 2,3,15 (tunc Z +, tum P); 2,3,71 (tunc Z +, tum H); 2,4,41 (tunc Z +, tum C); 2,5,25; 2,5,61 (tunc A V X +, tum G Scal.); 2,5,88; 2,5,95; 2,5,119 (tunc Z +, tum P); 2,6,51 (2x); 2,6,53. 32) Vgl. tum in Tib. 1,4,7 (tum Z +, tunc B); 1,4,53b (tum H V2, cum Z +, tunc Q); 1,8,43a (tum studium A V X +, nunc studium f G); 1,9,45; 1,9,81 (tum G2, ed. Ald. a. 1502, dum Z +); 1,10,3b (tum f A V X +, tunc G P); 1,10,4 (tum A V X +, tunc G, et f). 33) In der Ars Amatoria ist tunc zu lesen in 1,103.239a.241.409(2x).410. 411(2x); 2,228.321.621; tum ist dagegen besser überliefert in 1,189.239b.240.359.362. 363.365.371(2x); 2,141.322.411.462.473.727; 3,45.173.190.371.595; vgl. auch Ars 1,[395]: tum y A v, tunc R3 w; schwer zu bewerten ist 1,366: tum r w, tu R O Y w, tunc A v. In den Remedia ist tum besser belegt in 71.87.125 und 351 (tum R Y E w, tu w m, tunc K w), tunc dagegen in 411.417 und 605 (tunc R Y K v, nunc Ab Z, tum E w). 34) Vgl. (nach Anderson, wie Anm. 7) tunc in Met. 1,321.339; 2,68; 2,218 (tunc E F L P W, tum M N, nunc U, modo e); 2,235 (tunc] tum U); 2,310.679; 3,72
Tum und tunc in der augusteischen Dichtersprache
219
boten und andererseits in allen anderen Werken Ovids deutlich unterboten, Am. 8 : 10,35 Epist. 10 : 16,36 Fast. 23 : 43,37 Trist. 7 : 6,38 Ibis 1:3,39 Pont. 8 : 8.40 (tunc] tum E, Heinsius); 3,345; 4,315; 5,97 (tunc b U W, tum M, hic E F L M2 N P e p); 5,147 (tunc] nunc v Barb.); 5,210 (tunc] tum P e, nunc E); 5,318; 5,471 (tunc] tum E); 5,626; 6,313 (tunc] tum U e); 6,393; 6,403 (hanc tunc] tamen hanc d, Heinsius); 7,582; 8,239; 9,443; 10,45; 11,743; 12,445; 12,526b (tunc E M U P, nunc ex tum N); 13,349 (tunc] tum P); 13,473 (tunc] tum U W h); 13,479; 14,177; 15,43 (tunc] tum P W a); 15,99.202; 15,204 (tunc] tum F P U W s1). tum steht dagegen in Met. 1,36 (tum] tunc F2 M); 1,119 (tum] tunc N U); 1,121 (tum] tunc N); 1,123.154.439. 527.689; 2,122 (tum] tunc F P U); 2,171; 2,227 (tum] tunc N U); 2,237.238; 2,392 (tum] tunc E L W); 2,621; 2,651 (tum] tunc e); 2,670.756; 3,261 (tum] tunc P); 3,504 (tum] tunc N U Vat. 5179); 3,629.650; 4,83; 4,320 (tum] tunc M); 4,339 (tum] tunc N U h); 4,346.416.508.519; 4,572 (tum] tunc L W); 4,660; 5,34.41.56; 5,232 (tum] tunc N); 5,487 (tum] cum E L N U e); 6,3; 6,18 (tum] tunc N e); 6,28 (tum] tunc L W e); 6,43 (tum] tunc F L P W); 6,149 (tum] tunc E L e); 6,334 (tum] tunc W); 7,32.33; 7,86 (tum] nunc Barb.); 7,121; 7,246 (tum] tunc U); 7,323.364.685.747.857; 8,19.193; 8,462 (tum] tunc W p); 8,573; 8,586 (tum] tunc E U e p); 8,703 (tum] cum E U W e, dum N); 8,845 (tum] tu N U); 9,60; 9,282 (tum] tunc F W); 9,413; 9,596 (tum] tunc N e); 9,635; 9,636 (tum vero a] tenero de N); 9,695; 10,290.387.388. 481.664; 11,18.121; 11,169 (tum] dum N2 (U1)); 11,263; 11,328 (tum] sum h); 11,336.657; 11,747 (tum via tuta A [in ras. N2], tunc iacet unda M [tum in ras.]); 12,77; 12,128 (tum] tunc W p); 12,140.182; 12,244 (tum M N1, nunc E L N2 P U W e, non F); 12,305; 12,417 (tum] cum M); 12,446 (tum] tunc E F W); 12,526a (tum F M N1 P U, tunc E N2 W p); 13,391 (tum] tunc h p v); 13,555; 13,571 (tum] tunc W); 13,592.612; 13,640 (tum E F N P U h, tunc M W p); 13,697; 13,890 (tum] tunc W); 13,921 (iam tum E N U1 W v, tantum F M P U2h); 13,960 (tum] tunc E N P v); 14,369.386.474.485.576.594.737; 15,536; 15,685 (tum] tunc W h v); 15,803. 35) Vgl. tunc in Am. 1,2,43 (tunc R Y S w, tum w); 1,2,44 (tunc R Y S w, tum w); 1,7,5.59; 1,15,23; 2,15,11; 3,13,29 (tunc Y v, tum B Bodl. Auct. F. I.17); 3,14,39 (2x); 3,14,40, und tum in Am. 1,14,21; 2,5,23; 2,11,29 (tum P Y w, tu S, tunc v); 2,11,39; 2,16,19; 3,6,97; 3,7,60; 3,8,44; völlig unsicher ist Am. 2,16,32 (tum y, Itali, tunc v, tu P Y B C, nunc S Ob). 36) Ich stütze mich auf die Ausgabe von F. Moya del Baño, Ovidio. Heroidas, Madrid 1986, deren Angaben ich mit E. J. Kenney, Ovid. Heroides XVI–XXI, Cambridge 1996 und P. E. Knox, Ovid. Heroides. Select Epistles, Cambridge 1995 abgeglichen habe (zur Ausgabe von H. Dörrie, P. Ovidii Nasonis Epistulae Heroidum, Berlin / New York 1971 vgl. die Rezension von M. D. Reeve, Classical Review n.s. 24 [1974] 57–64). Vgl. tunc in Epist. 4,69; 5,71; 11,87; 11,91 (tunc] tum V X); 12,3.5.31a.b.53; 16,77.321.323; 17,103; 18,210a.b; 21,67 und tum in Epist. 1,5 (tum] tunc E F V); 3,23 (tum] tunc V); 5,109 (tum] tunc E F X Ge); 7,71; 10,43 (tum] tunc G D); 10,73; 13,5 (tum] tunc G D); 16,295 (tum] tunc D); 18,190 (tum] tunc D); 19,81 (tum] tunc D). Vgl. auch Epist. 20,178 (tu] tunc Thompson || certe codd., tunc Housman, Kenney). 37) Ich lege E. H. Alton / D. E.W. Wormell / E. Courtney, P. Ovidi Nasonis Fastorum libri sex, 4. Aufl., Leipzig / Stuttgart 1997 zugrunde und folge den Herausgebern in der Bewertung, daß (p. xii) „ubi neutra [sc. lectio] alteri praestat . . .,
220
Jan Felix Gaertner
Diese Verteilung ist (anders als von Housman und anderen angenommen) nicht einfach durch die Überlieferungslage zu erklären, denn innerhalb der handschriftlich zusammenhängenden Gruppe der Amores, Ars Amatoria und Remedia sind deutliche Unterschiede zu beobachten, und die Metamorphosen, deren Text sich abgesehen von einigen Fragmenten aus karolingischer Zeit allein auf späte Handschriften des 11. bis 15. Jahrhunderts stützt, weisen eine bei weitem geringere Frequenz von tunc auf als die Amores. Statt dessen scheint der Gebrauch von tum und tunc wenigstens teilweise durch die Gattung bestimmt zu sein. Bereits in tum prudentis est cum A facere“. tunc ist demnach besser belegt in Fast. 1,95 (tunc A w, tum U M v); 1,111.151(2x).247.255; 2,34 (tunc A U v, tum z w); 2,67 (tunc A w, tum U z w); 2,462 (tunc A U v, tum z w); 2,575 (tunc A U w, tum Z w, ter w); 2,612 (tunc A M w, tum U I G w); 2,804 (tunc A U w, tum Z w); 2,833 (tunc A M w, tum U I G w); 3,9 (tunc A M v, tum U I G w); 3,105.122; 3,139 (tunc A G v, tum U I M w); 3,182 (tunc A U v, tum Z w); 3,235 (tunc A v, tum U z w); 3,309 (tunc A U v, tum z w); 3,379 (tunc A w, tum U z v); 3,597 (tunc A w, tum U z w); 4,87; 4,265 (tunc A v, tum U z w); 4,285 (tunc A w, tum U z w); 4,354 (tunc A v, tum U Z w); 4,404 (tunc A w, tum U (Z) w); 4,857; 4,920 (tunc A U v, tum z w); 4,948; 5,63; 5,79 (tunc U v, nunc z, tum w); 5,[273].293; 5,569 (tunc U v, tum z w); 5,625 (tunc U v, tum z w); 5,642.646; 6,196.237.264; 6,375 (tunc U M v, tum G L w); 6,635 (tunc] tum L w); 6,751 (tunc U M v, tum G L w); tum dagegen in Fast. 1,157 (tum A w, tunc U M v); 1,159 (tum A w, tunc U M v); 1,177.449; 2,280 (tum A U, tunc z v); 2,649; 3,202; 3,223 (tum A z w, tunc U w); 3,389 (tum A M w, tunc U G w); 4,615; 4,779 (tum Z w, dum A U v); 4,855.937; 5,533.601; 5,621 (tum U G v, tu M); 6,20.41.214.223.261 (tum] tunc v); 6,461 (tum U L w, tunc z v); 6,732; die Stelle Fast. 3,663 (nunc A G v, tunc U w, stat M) entfällt. 38) Die Angaben stützen sich auf J. B. Hall, P. Ovidi Nasonis Tristia, Stuttgart / Leipzig 1995; tunc ist besser überliefert in Trist. 1,9,41 (tunc] tum L4 M V2 N O1); 2,82; 3,10,50 (tunc] tum F H L4 P); 3,11,27 (tunc] tum Cmg H L4 P T V V2); 4,3,23 (tunc] tum R V6, ne A L4, num ‚Mediceus optimus‘ Heinsii); 4,10,63 (tunc] tum D F H P V2) und tum in Trist. 1,3,[75].77.79; 3,3,53; 3,8,20 (tum] tunc B C Q T); 3,10,12 (tum] tunc E Q, dum G2 [an cum?] L1 O3 R); 3,10,43 (tum] tunc K b2); 3,10,67 (tum] tunc E K Q T, tu P). 39) Vgl. Ibis 141 (tunc] tum P Tx P2, tu P1 V, nunc Paris. I II), 143 (tunc] tum P E T F Z P2, tu P1 Vx, nunc Paris. I), 208 (tunc] tum PP1 F), 630 (tum] tunc F ob, tu P1 E V H A Z V1 xy, te G). 40) Zugrunde liegt Richmonds Ausgabe (wie Anm. 6). Die Handschriften stützen tunc in Pont. 1,2,95 (tunc X, tum na of vh); 1,5,85 (tunc X, tum s vc xa); 1,6,15; 3,2,27; 3,3,79 (tunc C le e bl, tum bh m t, dum B); 4,4,33 (tunc X d p, tum edd. vett.); 4,8,29; 4,9,38 und tum in 2,3,67.69; 3,1,137 (tum le d t, cum A B C s, tunc e bl, nunc pp); 3,1,138 (tum A B, cum C s, tunc le e bl); 3,1,149.151; 4,9,22 (tum B C, tunc le e bl); 4,16,4. Die Belege Pont. 3,5,51 (tunc C le bl, tum B e) und 3,5,53 (tunc C bl, tum B e, cum le) lasse ich aus der Bewertung heraus, da die Überlieferung keine sicheren Schlüsse zuläßt. Die Medicamina bieten weder tum noch tunc.
Tum und tunc in der augusteischen Dichtersprache
221
seinen frühen elegischen Werken, den Amores und den Heroides, lehnt sich Ovid an den Sprachgebrauch seines elegischen Vorläufers und Vorbildes Tibull an und läßt tunc deutlich öfter zu als Catull, Lukrez, Vergil, Horaz und Properz und beschränkt es nicht nur auf die Stellung vor Vokal.41 Diese Tendenz ist auch in den späteren Distichen der Fasti, der Tristia und der Epistulae ex Ponto zu beobachten; eine Ausnahme bilden lediglich die Metamorphosen, in denen Ovid in Anlehnung an die Hexameterdichtungen des Lukrez und des Vergil das kolloquialere tunc vermeidet,42 und die Lehrgedichte der Ars Amatoria und der Remedia, für deren (pseudo)didaktischen Ton das neutrale tum angemessener gewesen sein mag als das emphatische tunc.43 41) Vor Vokal steht tunc bei Ovid nur an etwa jeder dritten Stelle (ca. 35 %); die Belege sind Ov. Am. 1,7,5.59; 2,15,11; 3,14,39(2x); 3,14,40; Epist. 11,87; 12,31; 16,321.323; 17,103; 18,210; Ars 1,113.241; 2,321; Rem. 411.417; Fast. 1,111.151.247; 3,105.122; 4,87.857; 5,293.642; 6,196.237.264; Met. 1,321; 2,68.310.679; 5,147.626; 7,582; 9,443; 12,445.526; 14,177; 15,99.202; Trist. 2,82; Pont. 1,6,15; 3,2,27; 4,8,29; 4,9,38. Zwischen den Werken gibt es zwar deutliche Schwankungen; diese lassen sich jedoch weder durch die Chronologie noch durch das Genre erklären, sondern zeigen vielmehr, daß Ovid tunc vor Vokal nicht besonders gesucht hat. 42) Angesichts der oben skizzierten Verdrängung von tum durch tunc mag Ovid in den Metamorphosen nicht nur die kolloquialere Form vermieden, sondern die zunehmend antiquiert wirkende Form gesucht haben: Vgl. Gaertner (wie Anm. 11) zu Pont. 1,7,[50] über die ganz ähnliche Verteilung von a und ab vor semikonsonantischem ‚i‘ (a(b) Iove). 43) Ähnliches läßt sich bei dem astronomischen Lehrgedicht von Ovids Zeitgenossen Manilius beobachten. Legt man den Apparat und die Appendix orthographica von G. P. Goold, M. Manilii Astronomica, Leipzig 1985 zugrunde und läßt die lediglich durch Konjektur hergestellten, schwer zu beurteilenden bzw. interpolierten Stellen Man. 1,422 (tumidi] tum di Scaliger); 1,470 (cum] tum Postgate); 2,213 (nunc G L M, tunc V, tum Regiomontanus); 2,365 (quo] tum Bentley); 2,732 (del. Bentley); 2,735 (iustum] eius tum Bentley); 2,756 (componitur] tum ponitur Scaliger); 3,281 (cum] tum Regiomontanus); 3,629 (tum M, tunc G, cum L); 4,765 (tu] tum Bentley); 4,851 (tum M2, tunc G L2, votum M L); 5,38 (cum] tum Bentley) und 5,667 (totum quoque M, totum G L, tum quoque Bentley) weg, so bleiben nach meiner Zählung 29 Belege für tum (mitgezählt: 4,554: tum] tunc Goold) und 21 Belege für tunc übrig (eingerechnet sind dabei auch 5,611: tunc G L, tuunc M sowie die folgenden Stellen, an denen einheitlich überliefertes tunc von Goold und anderen Herausgebern zu tum geändert wurde: 1,46.412a.831; 2,757.782; 3,192.430.481.654). Anders verhält es sich allerdings mit den später als Manilius anzusetzenden Aratea des Germanicus: Dort bleiben – wenn man von den schwer zu beurteilenden interpolierten oder bloß durch Konjektur hergestellten Belegen in Germ. 505: tum Courtney, et O Z, [566a]: tunc O C E, tum S, [566b]: tunc O C E, tum S, [566c]: tunc O, tum C E S; 618b: tum Grotius, cum Z, 624: tum Baehrens, nunc Z), 636 (tum Grotius, cum Z, 680: tum Gain, cum Z, frg. 4,48: tum Iriarte, rim aut vim codd.; 4,61:
222
Jan Felix Gaertner
Daß neben der Gattung auch andere Faktoren ausschlaggebend sind, offenbart ein Blick auf die Verbindungen von tum/tunc mit anderen Adverbien. Es ist auffällig, daß tunc überproportional häufig mit etiam und quoque belegt ist. Obwohl tum in Ovids Œuvre insgesamt im Verhältnis von 4 : 3 überwiegt (siehe oben), ist tunc quoque (20x)44 häufiger als tum quoque (19x),45 und die Verbindung von tum und etiam (etiam tum) fehlt im Gegensatz zur Verbindung von tunc und etiam (3x, vgl. Rem. 411; Fast. 5,642; Met. 2,68) ganz.46 Sowohl quoque als auch etiam sind selbst eher schwach betont (quoque ist sogar meist enklitisch),47 heben aber (mit häufig steigernder Bedeutung) andere Begriffe hervor und betonen in Verbindung mit tunc oder tum fast immer eben dieses Zeitadverb: Eben dieser Betonung entspricht Ovids überproportional häufiger Gebrauch des emphatischeren tunc mit quoque und tum Baehrens, tunc Grotius, nunc O; 4,63: tum A P, cum B M absieht – insgesamt 16 Belege für tunc (dazu zähle ich auch Germ. 152a: tunc O, hinc Z; 154: tunc O, tum Z; 405: tunc] tum Breysig; 564: tunc O, hunc Z; 577: tunc O, tum Z; 586: tunc] tum Breysig; frg. 2,8 tunc] tum Breysig), aber nur 14 Belege für tum (darunter Germ. 76: tum Z A, dum B P M; 310: tum O, tunc C S; 547: tum O, tunc Z; frg. 4,33: tum] tunc P) übrig (diese Angaben beruhen auf dem ausführlichen Apparat in A. Baehrens, Poetae Latini Minores, Bd. 1, Leipzig 1879, den ich mit D. B. Gain, The Aratus ascribed to Germanicus, London 1976 und A. Le Bœuffle, Germanicus. Les Phénomènes d’Aratos, Paris 1975 verglichen habe). Es fällt auf, daß Germanicus dort, wo er tum/tunc mehrmals in einem Vers gebraucht, ausschließlich tunc setzt (vgl. Germ. 152.293.313): Dies spricht für Grotius’ Konjektur von tunc . . . tunc statt überliefertem tum . . . tunc in frg. 3,4 und deutet darauf hin, daß auch Germanicus tunc als die emphatischere Form empfand. 44) tunc quoque ist von den Hss. übereinstimmend oder deutlich besser überliefert in Am. 1,2,43 (tunc R Y S w, tum w); 1,2,44 (tunc R Y S w, tum w); Ars 2,228 (tunc R A w, tu a v, tum N2 [v.l.]); 2,621 (tunc] tum vett. edd.); Fast. 2,67 (tunc A w, tum U z w); 2,833 (tunc A M w, tum U I G w); 3,9 (tunc A M v, tum U I G w); Met. 1,339; 4,315; 5,97 (tunc b U W, tum M, hic E F L M2 N P e p); 6,393; 6,403 (hanc tunc] tamen hanc d, Heinsius); 11,743; 13,479; 15,43 (tunc] tum P W a); Trist. 3,10,50 (tunc] tum F H L4 P); 4,10,63 (tunc] tum D F H P V2); Ibis 141 (tunc] tum P Tx P2, tu P1 V, nunc Paris. I II); 143 (tunc] tum P E T F Z P2, tu P1 Vx, nunc Paris. I); Pont. 1,2,95 (tunc X, tum na of vh). 45) Vgl. tum quoque in Am. 1,14,21; Epist. 18,190 (tum] tunc D); Ars 1,365; 3,190; Rem. 351 (tum R Y E w, tu w m, tunc K w); Fast. 5,621 (tum U G v, tu M; deest A); Met. 1,527; 3,504 (tum] tunc N U Vat. 5179); 4,339 (tum] tunc N U h); 5,56; 5,232 (tum] tunc N); 6,18 (tum] tunc N e); 8,845 (tum] tu N U); 13,571 (tum] tunc W); 14,369.737; Trist. 3,8,20 (tum] tunc B C Q T); 3,10,67 (tum] tunc E K Q T, tu P); Pont. 4,16,4. 46) Schwer zu beurteilen ist der Text in Am. 2,16,32 tum (tum y Itali, tu P Y B C, tunc v, nunc S Ob) quoque. 47) Vgl. Hofmann/Szantyr (wie Anm. 20) 485.
Tum und tunc in der augusteischen Dichtersprache
223
etiam. Das Gegenteil gilt für die Zeitadverbien demum, denique und primum. Sie können im Gegensatz zu etiam und quoque auch selbständig stehen und enthalten selbst bereits eine Zeitangabe, welche durch tum bzw. tunc lediglich eine (meist entbehrliche) Bestimmung erfährt. Folglich ist tum/tunc in Verbindung mit diesen Adverbien weniger stark betont, und diese Tatsache spiegelt sich in Ovids Sprachgebrauch wider: tum demum (4x),48 tum primum (9x)49 und tum denique (13x)50 überwiegen deutlich gegenüber tunc demum (nur Epist. 11,91: tunc] tum V X), tunc primum (6x)51 und tunc denique (3x, vgl. Fast. 3,235 (tunc A v, tum U z w); Met. 5,210 (tunc] tum P e nunc E); 5,471 (tunc] tum E). Ähnlich verhält es sich bei der Verbindung von tum/tunc mit der stark affirmativadversativen Partikel vero: Gerade einmal drei Belegen für tunc vero (Epist. 5,71; Met. 3,72 (tunc] tum E, Heinsius); 6,313 (tunc] tum U e) stehen 17 Belege52 für tum vero gegenüber.53 Die größere Emphase von tunc zeigt sich ferner auch in Verbindung mit einem syntaktisch entbehrlichen, emphatischen Personalpronomen im Nominativ: 17 von 20 Belegen für tum/tunc mit ego/tu/nos/vos entfallen auf tunc. Da meistens das vokalisch anlautende Pronomen ego folgt,54 mag man zunächst an metrische 48) Vgl. tum demum in Fast. 4,615; Met. 9,413; 11,263; 13,391 (tum] tunc h p v). 49) Vgl. tum primum in Fast. 3,202; Met. 1,119 (tum] tunc N U); 1,121 (tum] tunc N); 1,123; 2,171; 12,526 (tum F M N1 P U, tunc E N2 W p); 13,960 (tum] tunc E N P v); 14,576; Pont. 2,3,67. Vgl. ferner auch Fast. 2,649: tum sicco primas inritat cortice flammas. 50) Die Verbindung tum denique ist einheitlich oder deutlich besser überliefert in Epist. 10,43 (tum] tunc G D); Fast. 1,449; 3,223 (tum A z w, tunc U w); Met. 3,629; 4,519 (tum] cum P); 5,34; 7,86 (tum] nunc Barb.); 7,857; 8,586 (tum] tunc E U e p); 9,60; 10,387.664; 11,18. 51) Vgl. tunc primum in Am. 1,7,59; Fast. 2,804 (tunc A U w, tum Z w); 3,597 (tunc A w, tum U z w); 4,404 (tunc A w, tum U (Z) w); Met. 10,45; Pont. 3,3,79 (tunc C le e bl, tum bh m t, dum B). 52) Vgl. tum vero in Am. 2,5,23; Met. 2,227 (tum] tunc N U); 2,621; 4,346.416; 5,41; 7,323.685; 9,635.636; 10,290; 11,121; 12,128 (tum] tunc W p); 14,485; 15,803; Trist. 1,3,77.79. 53) Vgl. allerdings Rem. 605, wo tunc (R Y K v, tum E w) einem affirmativen certe vorausgeht. Weniger aussagekräftig sind die zwei Belege für tunc sic (Fast. 1,255; 5,79 [tunc U v, nunc z, tum w] gegenüber drei Belegen für tum sic (Met. 4,320: tum] tunc M; 6,28: tum] tunc L W e; Fast. 3,389: tum A M w, tunc U G w) und die Stellen Met. 3,345: iam tunc; Trist. 2,82: vix tunc; Pont. 3,2,27: tunc igitur. 54) Dies ist an 15 von insgesamt 20 Stellen für tum/tunc mit Personalpronomen der Fall: Vgl. Am. 1,7,5.59; 2,15,11; 3,14,40; Epist. 12,31; 16,321.323; 17,103; 18,210(2x); Fast. 1,111.247; 6,237; Met. 12,445; Pont. 4,8,29.
224
Jan Felix Gaertner
Bequemlichkeit denken. Die seltenen Ausnahmen Epist. 19,81: certe ego tum (tum] tunc D) ventos audirem laeta sonantis; Met. 11,328: quam miser amplexans ego tum (tum] sum h) patriumque dolorem; 13,960: hanc ego tum primum viridem ferrugine barbam55 zeigen jedoch, daß der Hiat ebenso durch eine leichte Umstellung vermieden werden kann, und in Fast. 1,255: presserat ora deus. tunc sic ego nostra resolvi ist das von den Handschriften übereinstimmend überlieferte tunc nicht durch Hiatvermeidung zu erklären.56 Ferner zeigt sich Ovids Vorliebe für tunc statt tum in Verbindung mit emphatischen Personalpronomina auch bei dem konsonantisch anlautenden Pronomen tu (nur Epist. 20,178: tu tunc continuo, certe ego salvus ero; vgl. auch Fast. 5,[273]: nos quoque idem facimus tunc, cum . . .).57 Neben der Gattung und der Emphase dürfte schließlich auch der Klang Ovids Wortwahl beeinflußt haben. So ist es vielleicht kein Zufall, daß Ovid in Met. 12,526: quae mihi tum (tum F M N1 P U, tunc E N2 W p) primum, tunc est conspecta supremum und in Fast. 4,855–7: tum iuvenem nondum facti flevere Quirites / . . . / urbs oritur (quis tunc hoc ulli credere posset?) zunächst tum bei einer Häufung von ‚m‘/‚n‘-Lauten und dann tunc in einer Häufung von Gutturalen gebraucht. Diese klanglichen Feinheiten – ebenso wie die oben beschriebene Differenzierung nach Gattung und Emphase – sind zu interpretieren und nicht nach dem Voß-LachmannHousman’schen Dogma zu emendieren.58 Leipzig
Jan Felix Gaertner
55) Trist. 1,9,41: hoc eventurum (eventurum A G H L4 P V, ego venturum E M L1, tibi venturum D G2(?) K e, mihi venturum B C F Q T V2) iam tunc (tunc] tum L4 M V2 N O1) ist unsicher. 56) Markanterweise entfallen zwei der drei Ausnahmen für tum + ego auf die Metamorphosen, in denen Ovid (siehe oben) tunc in Anlehnung an das frühere Epos meidet. 57) Vgl. auch Trist. 2,82: vix tunc ipse mihi non inimicus eram, wo tunc einem emphatischen ipse vorausgeht. 58) Für Auskünfte, Kritik und Anregung danke ich M. Deufert, B. Manuwald, A. Willi und vor allem P. Grossardt (Thesaurus Limguae Latinae).
KIMON UND DER AKADEMIE-PARK Zum Epigramm Anthologia Palatina 6,144,3f. Im sechsten Buch der Anthologia Palatina ist ein aus zwei Distichen bestehendes Epigramm aus der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts überliefert, als dessen Verfasser sowohl Anakreon von Teos als auch Simonides von Keos angegeben wird und dem seit langem das besondere Interesse von Philologen, Historikern und Archäologen gilt1. Die Anthologia führt das Epigramm an zwei Stellen an, als 6,144 und nach 6,2132. 1) Die von Winckelmann in der 2. Auflage der Geschichte der Kunst des Alterthums (herausgegeben von A. H. Borbein und M. Kunze, Mainz 2002, 647,10ff. Anm. 1) zitierte Suda-Ausgabe von L. Küster (Suidae Lexicon, Cambridge 1705, I 35, s. v. égost“ [a 315 Adler]) konjiziert in V. 3 tØn (statt ∏w / t∞w), das K. als Artikel zu eÈerges¤hn versteht, und betrachtet Hermes als den Sprecher (l°gv). Küster kennt den vollständigen Text des Epigramms der zu seiner Zeit noch unveröffentlichten A(nthologia) P(alatina) aus kursierenden Abschriften. Editio princeps von J. J. Reiske, Leipzig 1752/54. – Den Anstoß zu den folgenden Überlegungen hat die gemeinsame Bemühung – mit unterschiedlichen Präferenzen – von Adolf Borbein (Berlin), Brice Maucolin (Saarbrücken) und dem Verfasser um eine angemessene Kommentierung der zitierten Winckelmann-Stelle gegeben. 2) Die übliche Zählung 6,214 für die Wiederholung des Epigramms, die nach der Abfolge in der Handschrift der AP korrekt ist, steht in Widerspruch mit der Numerierung der Ausgaben, die das Leokrates-Epigramm überspringt. Daß der zweite Text ein eigenständiger Überlieferungsträger und keine Abschrift von 144 ist, ergibt sich aus den Variae lectiones vom Beginn des Epigramms (sto¤bou 144, strÒmbou „214“, lege Stro¤bou). Die gegenseitige Unabhängigkeit wird bestätigt durch die unterschiedliche Zuweisung an Anakreon (144) und Simonides („214“). 144 reiht sich als vorletztes Epigramm in eine Sequenz von zwölf Anakreon zugeschriebenen Epigrammen ein (134–145), „214“ steht in einer Kette von sieben Simonides-Epigrammen an dritter Stelle (212–217 [lies 218]). Der Name des Verfassers wird jeweils nur einmal beim ersten Epigramm genannt, die Attribution der anderen erfolgt durch ein toË aÈtoË. Bei dem auf „214“ folgenden Epigramm (jetzt 214) hat eine zweite Hand nach toË aÈtoË ein Simvn¤dou hinzugesetzt. Ob dies eine Bekräftigung sein soll nach einer bezweifelten oder unentschiedenen Verfasserschaft des vorhergehenden Epigramms „214“, sei dahingestellt. – Merkwürdig sind die sechs Leerzeilen vor 144. Ihre Bedeutung für die Überlieferungsgeschichte ist bisher noch nicht entschlüsselt; denn die Annahme, in der freigelassenen Lücke habe in der Vorlage ein anderes Gedicht mit der Autorenangabe Simvn¤dou gestanden und toË aÈtoË bei 144 meine daher Simonides (Th. Bergk, PLG3 III 1176 ad epigr. 150; weitere Literatur bei M. Boas, De epigrammatis Simonideis, Diss. Amsterdam 1905,
226
C a r l We r n e r M ü l l e r
Stro¤bou pa›, tÒdÉ êgalma, Le≈kratew, eÔtÉ én°yhkaw ÑErmª, kallikÒmouw oÈk ¶layew Xãritaw oÈdÉ ÉAkadÆmeian polugay°a, t∞w §n égost“ sØn eÈerges¤hn t“ prosiÒnti l°gv. Leokrates, Sohn des Stroibos, als du dieses Standbild dem Hermes weihtest, tatest du es nicht unbeachtet von den schöngelockten Chariten und nicht von Akademeia, der reiches Vergnügen Gewährenden, in deren Hand (auf deren Arm)3 ich deine Wohltätigkeit jedem, der herantritt, verkünde. Leokrates ist ein uns auch sonst bekannter Athener der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts. Auf einer schwarzfigurigen Hydria in München aus dem letzten Viertel des sechsten Jahrhunderts begegnet der Name in einer Lieblingsinschrift (KALOS LEOKRATES)4. 479 nahm Leokrates als Stratege an der Schlacht bei Plataiai teil5 und wurde, wenn auch zwischenzeitlich nicht nachweisbar, so doch jedenfalls 459 erneut ins Kollegium der zehn attischen Strategen gewählt; 458 besiegte er in einer großen Seeschlacht die Aigineten6. Die Herme, von der das Epigramm spricht, wurde 1897 151), erklärt weder die bestehende Lücke vor 144 noch die Wiederholung von 144 nach 213. – Das Suda-Zitat a 315 (V. 2b–4) setzt, unabhängig von AP, die Vierzeiligkeit des Epigramms in der byzantinischen Überlieferung voraus. – Die Angaben zum Codex Palatinus beruhen auf der Faksimile-Ausgabe von K. Preisendanz, Leiden 1911. – Außerhalb von Ausgaben der AP ist das Epigramm aufgenommen in Fragmentsammlungen des Simonides (150 Bergk; 101 Diehl), epigrammatische (D. L. Page, Epigrammata Graeca, Oxford 1975, 7; ders., Further Greek Epigrams, Cambridge 1981, 145) und epigraphische Sammlungen (unten Anm. 8). 3) Die sprachliche Alternative „auf deren Arm“ wird im Folgenden nicht mehr berücksichtigt, da sie nach Maßgabe des Denkmälerbefundes für das 5. Jh. ausscheidet. Vgl. unten Anm. 40. 4) J. D. Beazley, Attic Black-Figure Vase-Painters, Oxford 1956, 337 (24). Zur Datierung des Rycroft Painter vgl. J. Boardman, Schwarzfigurige Vasen aus Athen, Mainz 1977 (Oxford 1974), 112.124; A Lexicon of Greek Personal Names II, Attica, Oxford 1994, 282 (520–510 v. Chr.). 5) Plutarch, Aristeides 20,1. 6) Thukydides 1,105,2ff.; Diodor 11,78,4. Die Identität mit dem Leokrates der Stele ist durch die Erwähnung des Vatersnamens bei Thukydides für den Strategen des Jahres 459/8 eindeutig gesichert. Da er als Stratege 479/8 über 30 Jahre alt
Kimon und der Akademie-Park
227
von Arthur Milchhöfer gefunden7 und ist möglicherweise nach der vernichtenden Niederlage der aiginetischen Flotte als Dank an den Gott gestiftet worden. Zugunsten dieser Annahme würde eine epigraphische Datierung der Weihung „um das Jahr 460“ sprechen8. Die beiden antiken Zuweisungen des Epigramms an Anakreon oder Simonides, die ohnehin nur beweisen, daß man den Autor nicht kannte, wären damit ausgeschlossen9. Erklärungsbedürftig ist die Verbindung des ersten und des zweiten Distichons. Was hat es mit der kopulativen Verbindung von Chariten und Akademeia auf sich, die weder in einem vorgegebenen Verwandtschaftsverhältnis der Gleichheit noch der Polarität zueinander stehen? Und was haben Leokrates und die Weihung seiner Herme mit der Akademeia zu tun, und wieso bedarf Akademeia der Versicherung, daß ihr die Weihung nicht entgangen sei, wo doch deren Anlaß ihrer Hand eingeschrieben steht? Vor allem aber: Wer ist der Sprecher, der im zweiten Distichon in der ersten Person von sich redet (l°gv)? Alle Fragen finden eine Antwort in dem sensationell zu nennenden Fund des Hermenschaftes des Leokrates, der heute wieder verschollen ist. Seine genauere Datierung schwankt zwischen 480/75 oder gewesen sein muß, käme man für 459/8 auf ein Alter zwischen 50 und 60 Jahren. Bezieht man nun auch noch die Lieblingsinschrift des Vasenmalers mit ein (520/10), so wäre der Stratege bei seinem Sieg über die Aigineten 65 und älter gewesen. Ausgeschlossen ist das nicht, wenn man die Strategenwahl des Myronides vergleicht, der ein Altergenosse des Leokrates war und 479/8 und 459/8 mit ihm zusammen das Strategenamt bekleidete (Plutarch, Aristeides 20,1; Thukydides 1,108,2f.). 7) IG I3 983. – Erstveröffentlichung von A. Wilhelm, Simonideische Gedichte: Jahreshefte des Österreichischen Archäologischen Institutes in Wien 2 (1899) 228ff., Abb. 128, Nachdruck in: G. Pfohl, Die griechische Elegie, Darmstadt 1972, 299ff., Abb. 1. 8) Vgl. IG I3 983 („c. a. 460?“). Die schon früher erwogene Datierung nach dem Sieg über die Perser von 479 (vgl. Obst, Leokrates [1]: RE XII [1925] 2001) wiederholt bei P. Friedländer, Epigrammata. Greek Inscriptions in Verse from the Beginnings to the Persian Wars, Berkeley 1948, 115 (mit Vorbehalt); P. A. Hansen, Carmina Epigraphica Graeca saeculorum VIII–V a. Chr. n., Berlin 1983, 167 („480/75?“), der die Autorschaft des Simonides retten möchte. 9) Auch die im Vergleich zu Anakreon größere Wahrscheinlichkeit einer Zuweisung an Simonides, die sich aus der hohen Zahl von Epigrammen unter dem Namen des Simonides ergibt (100 : 17 bei Bergk), hilft letztlich nicht weiter, weil die überwiegende Mehrzahl dieser Epigramme Pseudepigrapha sind. Wenn der von Quintilian, Inst. or. 11,2,14, erwähnte Leocrates mit dem Stifter der Herme identisch ist, müßte es jedoch eine literarisch dokumentierte Beziehung zwischen ihm und Simonides gegeben haben.
228
C a r l We r n e r M ü l l e r
ca. 46010; der Fundort ist Angelizi bei Markopulo, der ursprüngliche Aufstellungsort dürfte im nicht allzu weit gefaßten Umfeld der Fundstelle zu suchen sein, jedenfalls in der attischen Mesogeia. Auf der Herme befand sich als Inschrift das erste Distichon von AP 6,144. Die Plazierung der beiden Schriftzeilen auf der Vorderseite des Schaftes, am linken und rechten Rand von oben nach unten verlaufend, und der Zustand der Herme schließen das ursprüngliche Vorhandensein eines weiteren Distichons definitiv aus. Damit kann als gesichert gelten, daß das erste Distichon von AP 6,144 ein selbständiges Epigramm darstellt. Keiner der Versuche, die Einheit beider Distichen gleichwohl retten zu wollen, kann überzeugen. Das zweite Distichon ist weder ein späterer Nachtrag des Stifters auf einer zweiten Herme an einem anderen Aufstellungsort (nach V. 3 in der Akademie)11 noch eine literarische Ergänzung hellenistischer Zeit12. Gegen beides spricht die (Un-)Logik der Verknüpfung des zweiten mit dem ersten Distichon. So sinnvoll die Verbindung von Hermes und Chariten im ersten Distichon ist13, so erzwungen ist die Anknüpfung der Akademeia, in deren Hand ein Sprecher unbestimmter Identität Auskunft gibt über die Wohltätigkeit des Stifters. Die Vorstellung einer Statue der Akademeia (V. 3) neben einer Herme (V. 1) und einer Statuette in der Hand der Akademeia, welche die Wohltat des ersten Verses, die Aufstellung der Herme durch Leokrates, rühmen soll (so Waltz und Beckby14), ist abwegig. ,Standbild‘ der Herme und ,Hand‘ der Akademeia schließen sich gegenseitig aus. Wilamowitz versteht unter Akademeia nicht die Ortsnymphe („der Eponymos ist ja Hekade10) Vgl. oben Anm. 8. 11) U. v. Wilamowitz-Moellendorff, Sappho und Simonides, Berlin 1913, 145f. Anm. 2; Friedländer (wie Anm. 8) 114 (mit Vorbehalt). Vgl. auch die Herausgeber der IG I3 983 z. St. 12) Wilhelm (wie Anm. 7) 228.233f.; Ch. Picard, L’Hermès de Léocratès et les jardins de l’Académie: REA 37 (1935) 11ff. (ergänzte Fassung des 4. Jhs. in der Akademie); E. B. Harrison, The Athenian Agora XI, Princeton 1965, 121; P. J. Blicknell, Studies in Athenian Politics and Genealogy, Wiesbaden 1972, 102; Page (wie Anm. 2 [1981]) 145. – Boas (wie Anm. 2) 157.161 hält die Verse AP 6,144,3f. für eine Interpolation mittelbyzantinischer Zeit. 13) Die Chariten begegnen im Gefolge des Hermes und finden sich oft mit ihm zusammen dargestellt; vgl. Wilhelm (wie Anm. 7) 233. Zum inhaltlichen Bezug zur Weihung des Leokrates vgl. unten S. 236. 14) P. Waltz, Anthologie Grecque III, Paris 1931, 84 Anm. 2; H. Beckby, Anthologia Graeca I, München 1957, 668.
Kimon und der Akademie-Park
229
mos“15), sie stehe vielmehr „collectiv für die, welche sich dort vergnügen“. Zwar gesteht er, daß er mit dem „Arm“ (oder der „Hand“) der Akademeia nichts Rechtes anfangen könne und findet alles „sehr seltsam“, „unharmonisch“ und „ungeschickt angeflickt, wie namentlich l°gv zeigt, das den Hermes redend einführt“16, trotzdem glaubt er an eine zweite Hermenweihung des Leokrates im Akademie-Park. Doch das ist alles ein bißchen des Seltsamen und ungeschickt Angeflickten zuviel. Die Alternative einer späten Erweiterung des ursprünglich zweizeiligen Epigramms im Rahmen eines hellenistischen ,Kranzes‘ lehnt Wilamowitz zu Recht ab17, fehlt doch aus literarischer Sicht jedes erkennbare Motiv für die vorliegende Erweiterung. Eine zutreffende Beschreibung des augenblicklichen Wissensstandes findet sich bei Hansen: „Duo versus additicii spuriique de quibus non constat, quare et quando scripti sint.“ Nimmt man das zweite Distichon einmal für sich und ohne die Implikationen der beiden vorhergehenden Verse, so bleibt nichts daran auszusetzen, außer daß ihm ein passender Anfang fehlt. Selbstverständlich ist alles wörtlich zu nehmen und nicht „metaphorisch“18: „Akademeia“, das Schlüsselwort, meint eine Statue mit Armen und Händen, und auf einem von ihnen erfährt der Betrachter etwas über die „Wohltätigkeit“ dessen, der die Statue geweiht hat. Der Überlieferungszustand von AP 6,144 erlaubt keine andere Erklärung, als daß die beiden Distichen nicht nur ursprünglich nicht zusammengehörten, sondern überhaupt nichts miteinander zu tun haben. Vielmehr handelt es sich um zwei gesonderte Epigramme, von denen das erste aus einem, das zweite aus vermutlich zwei Distichen bestand. Irgendwo auf dem langen und komplizierten Weg der Textgeschichte der Anthologia Palatina und ihrer antiken Vorläufer muß dann, nach einem Textausfall im Umfang 15) Zu diesem Einwand vgl. unten S. 232. 16) Zu l°gv und seinen Problemen vgl. schon Wilhelm (wie Anm. 7) 233 und vor allem Page (wie Anm. 2 [1981]) 144. 17) Diese Einschätzung ist um so bemerkenswerter, als Wilamowitz der erste war, der das textgeschichtliche Phänomen der sekundären Ergänzung monumentaler Epigramme auf dem Wege ihrer literarischen Überlieferung diagnostiziert hat. Vgl. Simonides der Epigrammatiker (wie Anm. 11) 192ff. (erstmals NGG 1897, 306ff.). 18) „metaph.“ LSJ s.v. égostÒw II, wohl aufgrund der Interpretation von Wilamowitz (oben Anm. 11).
230
C a r l We r n e r M ü l l e r
von einem Distichon, das erhaltene Distichon des zweiten Epigramms mit dem vorhergehenden Zweizeiler zu e i n e m Epigramm zusammengerückt sein. In Zukunft sollte der Eintrag AP 6,144a und 144b lauten. Wenn auch der Anfang von 144b verloren ist, so stehen die Chancen einer zumindest inhaltlichen Rekonstruktion nicht schlecht. Das erhaltene Distichon bezieht sich auf eine Statue der Akademeia, in deren Hand die Leistung des Stifters der Statue angegeben war. Page hat zu Recht gegen eÈerges¤hn eingewandt, das Wort sei unpassend zur Bezeichnung der Leistung eines Menschen gegenüber der Gottheit19. Doch ist nicht die Wortwahl zu tadeln, sondern der irrtümlich angenommene Kontext. Es muß sich um eine Wohltat handeln, die der Stifter der Akademeia-Statue den A t h e n e r n erwiesen hat. Sprecherin (l°gv) ist die Statue, nicht die Göttin selbst. Von dieser muß zuvor gesagt worden sein, daß ihr (so wie noch einer weiteren Gottheit) irgend etwas n i c h t widerfahren sei (oÈd°). Schließlich muß der Stifter des Monuments im ersten Distichon in der zweiten Person angesprochen worden sein (sØn eÈerges¤hn). Auf der Basis dieser Prämissen wage ich folgende gedankliche Ergänzung des verlorenen Eingangsdistichons: [Kimon, Sohn des Miltiades, Athene, die Beschützerin der Stadt20, kränktest du nicht, als du mich21 hier aufstelltest,] und wahrlich nicht Akademeia, die reiches Vergnügen Gewährende, in deren Hand ich deine Wohltätigkeit einem jeden, der herantritt, verkünde.
19) Page (wie Anm. 2 [1981]) 144; vgl. bereits Wilhelm (wie Anm. 7) 233. – eÈerges¤h (homerisch) ist ein Wort sowohl der zeitgenössischen Dichtung (Pindar, Isth. 6,70; Bakchylides 1,157; [Theognis] 548 West; Simonides 95b,6 Diehl [99,6 Bergk] ist umstritten, Beckby AP 7,250) wie der politischen Sprache (IG I3 101,35; 167,20, vgl. in Reden bei Thukydides 1,32,1; 41,2; 129,3; 137,4). 20) polioËxon ÉAyÆnhn könnte der Schluß des ersten Verses gelautet haben. 21) Daß der geweihte Gegenstand von sich selbst in der ersten Person spricht, auch ohne Nennung der Gottheit, der er geweiht ist, dafür gibt es zahlreiche Beispiele in den Inschriften des 6. und 5. Jhs. v. Chr. (M. L. Lazzarini, Le formule delle dediche votive nella Grecia arcaica: Atti della Accademia Nazionale dei Lincei. Memorie, Classe di Scienze morali, storiche e filologiche 19 [1976] 181ff. Catalogo Nr. 225–229 u. ö.).
Kimon und der Akademie-Park
231
Kimon, der Sohn des Marathonsiegers von 490, aus der Familie der Philaïden, eine der vornehmsten und reichsten Athens, war zwischen Themistokles und Perikles nicht nur der einfluß- und erfolgreichste Politiker der Stadt22, sondern auch der beliebteste. Aristokratische Bonhomie und politisches Kalkül scheinen in seiner Persönlichkeit eine ideale Verbindung eingegangen zu sein. In einer Art Nachruf, den Kratinos in seiner Komödie Archilochoi den Stadtschreiber Metrobios in komisch melancholischer Brechung halten läßt, heißt es: „. . . denn auch ich hätte mir gewünscht, mit einem so wunderbaren (ye¤ƒ) und überaus gastfreundlichen Mann, dem allerbesten unter allen Griechen, wie Kimon bis ins Alter üppig tafelnd alle Zeit zu verbringen. Der aber ging vor mir davon.“23 Seine wiederholte Wahl zum Strategen in Folge (erstmals 478/7) war nicht allein das Ergebnis seiner militärischen Erfolge gegen Perser und aufsässige Bundesgenossen, er betrieb auch im Innern ein städtisches Bauprogramm, das die urbanistische Brücke bildet zwischen den Peisistratiden und der perikleischen Ära24. Finanziert wurde vieles davon aus eigenen Mitteln. Den engeren, ummauerten Akademiebezirk mit Orten kultischer Verehrung und vielleicht einer Vorform des Gymnasiums hatte es zwar schon früher gegeben, jedenfalls seit peisistratidischer Zeit25, aber ein Lustort wurde die Umgebung erst durch Kimon, den Schöpfer der Parkanlage der „reiches Vergnügen gewährenden Akademeia“. Aus der Biographie des Plutarch wissen wir, daß er die idyllische Anlage, einen echten Locus amoenus, gleichsam aus dem Nichts hatte entstehen lassen26. „Er war der erste, der die Stadt mit den erholsamen und reizenden Vergnügungsorten, wie man sie nannte (ta›w legom°naiw §leuyer¤oiw ka‹ glafura›w dia22) Das gilt seit 476/5 mit dem erfolgreichen Feldzug gegen die Perser am Strymon im südwestlichen Thrakien und ohne Einschränkung seit 470, dem Jahr der Ostrakisierung des innenpolitischen Gegners Themistokles. Thukydides nennt im gerafften Überblick der Pentekontaetie Kimon als führenden Strategen Athens insgesamt fünfmal (1,98,1; 100,1; 102,1; 112,2; 112,4), so oft wie sonst keinen der namentlich erwähnten athenischen Feldherrn während dieser Jahre (Myronides zweimal; Leokrates und Tolmides je einmal). 23) PCG IV (1983) Fr. 1 Kassel-Austin. 24) Lehrreich die Abfolge der drei Bauperioden des Telesterions in Eleusis. Vgl. den Überblick in J. Travlos, Bildlexikon zur Topographie des antiken Attika, Tübingen 1988, 94 (zum kimonischen Bau). 25) Vgl. Plutarch, Solon 1,7; Pausanias 1,30,1; Athenaios 13,609D. 26) Kimon 13,7.
232
C a r l We r n e r M ü l l e r
triba›w), schmückte, welche hernach so über die Maßen beliebt waren, indem er die Agora mit Platanen bepflanzte und das Akademiegelände aus einem wasserlosen und dürren Ort zu einem wassersprudelnden Hain machte, durchzogen von sauberen Wegen und schattigen Spazierpfaden.“ Der Komödiendichter Eupolis spricht von den „wohlbeschatteten Wegen“ der Akademie27, und Aristophanes läßt in den Wolken den Dikaios Logos schwärmen (1005ff.): „Zum Park der Akademeia wirst du gehen und unter Ölbäumen spazieren, mit weißglänzendem Laub bekränzt, gemeinsam mit dem gesitteten Freund gleichen Alters, kostend den Duft der Eibe und der Ruhe und der blätterrauschenden Pappel, voller Freude in der Fülle des Frühlings, wenn die Platane mit der Ulme flüstert.“ Diese „Akademeia“, von der auch das Epigramm spricht und deren Identität es entschlüsselt, ist das Geschöpf Kimons28. Die Parkanlage verfolgte wie andere Maßnahmen Kimons dieser Art das Ziel, den Demos am Lebensstil der ‚Leisure class‘ teilhaben zu lassen, ein Programm, das die Peisistratiden begonnen hatten und das Perikles fortsetzen wird29. Der Einwand von Wilamowitz, es könne sich bei Akademeia nicht um die „Ortsnymphe“ handeln, weil dieser Platz bereits durch den Lokalheros Hekademos besetzt sei30, verkennt den Unterschied: Hekademos hatte in mythischer Vergangenheit31 der wenig reizvollen, baumlosen Flur seinen Namen gegeben; die Göttin oder „Nymphe“ Akademeia aber steht für den neuentstandenen Park, einen Ort des Vergnügens und der Erholung32. Sekundär entstandene Nebengottheiten, die für einen 27) PCG V (1986) Fr. 36 Kassel-Austin. 28) Der Gedanke einer Verknüpfung von AP 6,144,3 mit dem kimonischen Akademie-Park (eine spontane Idee, noch ehe mir die einschlägige Literatur bekannt war) findet sich schon bei Wilhelm (wie Anm. 7) 235, der aber darin den Einfall eines „Interpolators“ sieht. In der Folgezeit spielt Kimon, soweit ich die Literatur überblicke, keine Rolle. 29) Vgl. Verfasser, Legende, Novelle, Roman, Göttingen 2006, 223. 30) Wilamowitz (wie Anm. 11) 146 Anm. 31) Vgl. Bernhard, Akademos: Roscher, LexMyth I 1 (1884/86) 204. Die älteste Bezeugung des Heros Hekademos findet sich auf einer Vasenscherbe des zweiten Viertels des 6. Jhs. (Beazley [wie Anm. 4] 27 [36]; J. Travlos, Bildlexikon zur Topographie des antiken Athen, Tübingen 1971, Abb. 58). 32) Aber es gibt um 500 v. Chr. auch schon einen in situ gefundenen Grenzstein mit der Inschrift HOROS TES HEKADEMEIAS (Travlos [wie Anm. 31] Abb. 56/57). Es existierte also schon vor der Parkanlage des Kimon neben dem Heros Hekademos der Name ‚Hekademeia‘ als öffentliche Bezeichnung des Bezirks.
Kimon und der Akademie-Park
233
Teilaspekt des Ganzen stehen, sind keine Seltenheit. Doch was soll das kapriziöse Eröffnungsdistichon mit seiner Abwehr einer möglichen Befürchtung, die Stiftung der Statue könnte der Stadtgöttin Athene, die auch in der Akademie eine besondere Verehrung genoß33, und Akademeia, der göttlichen Personifizierung der Örtlichkeit, mißfallen? So gewagt die Ergänzung eines Verbs wie „kränken“ o. ä.34 im verlorenen Distichon auf den ersten Blick zu sein scheint, so sehe ich dazu doch aufgrund der negierend verbindenden Partikel oÈd° und des Akkusativobjekts ÉAkadÆmeian zu Beginn des zweiten Distichons keine semantische Alternative, und sie hat vermutlich auch einen sachlichen Hintergrund, scheint sie doch so etwas wie ein Reflex zu sein auf eine traumatische Erfahrung des Stifters des Akademie-Parks: Es ist die amtliche Verweigerung der namentlichen Rühmung einer großen Leistung auf einem öffentlichen Monument. Als Kimon in der neuerbauten Stoa Poikile an der Nordseite der Agora das Schlachtengemälde des Sieges von Marathon anregte oder auch selbst stiftete und auf dem Bild die Beischrift des Namens seines Vaters Miltiades als des siegreichen Feldherrn verlangte, versagte ihm der Demos diese Ehrung. Es gab nur eine Darstellung des Kampfes mit einem namenlosen Anführer35. Das aber war die Wiederholung einer Erfahrung, die Kimon einige Jahre früher schon einmal hatte machen müssen 33) Es gab einen Altar der Athene, und Travlos (wie Anm. 31) 42 nennt sie die „besondere Schutzgottheit der Akademie“. 34) Ich denke an lupe›n. Gesucht wird ein negativ besetztes, transitives Verb zur Herstellung der erforderlichen Litotes. 35) Vgl. Aischines, Contra Ctesiph. 187, der um des rhetorischen Effektes willen die Forderung Miltiades selbst zuschreibt. Nicht völlig auszuschließen ist freilich, daß die Geschichte von der geforderten und verweigerten Namensbeischrift ein dramatisierendes Konstrukt des Aischines ist, das an die Tatsache anknüpft, daß Miltiades auf dem Gemälde dargestellt, aber namenlos war. Der Bau der Stoa Poikile dürfte in die Zeit bald nach dem glänzenden Sieg am Eurymedon fallen, mit dem die Perserkriege als beendet erklärt wurden (ca. 466). R. Krumeichs These, die verweigerte Namensnennung beziehe sich nicht auf die Darstellung, sondern auf die Weihinschrift des Marathon-Bildes (Namenbeischrift oder Weihinschrift?, ArchAnz 1996, 44 ff.), ist bedenkenswert. – Worauf sich der verbreitete Zeitansatz der Stoa „um 460“ stützt (also ein Jahr nach Kimons Verbannung), ist mir nicht bekannt. Krumeich (a. O. 43 Anm. 1) führt nur einen Terminus ante quem (450) an. Vgl. die zurückhaltende Angabe W. Zschietzmanns (Athenai B: Topographie: RE Suppl. XIII [1973] 74): „In die Zeit des Kimon gehört die Errichtung der Stoa Poikile.“
234
C a r l We r n e r M ü l l e r
nach seinem eigenen Sieg über die Perser am Strymon und der Einnahme der thrakischen Stadt Eion, des wichtigsten Stützpunkts der Perser in dieser Region (476/5 v. Chr.)36. Damals hatten die athenischen Strategen unter der Leitung Kimons bei der Heimkehr eine ehrende Anerkennung ihres Sieges gefordert. Die wurde ihnen auch von der Volksversammlung in Form von drei Stelen, die in der Hermenhalle der Agora Aufstellung fanden, gewährt. Jede dieser Hermen erhielt eine Versinschrift (darunter die mittlere mit dem Distichon „den Feldherrn aber gewährten die Athener dieses als Lohn für ihre Leistung und große Tatkraft“37), aber ohne Erwähnung ihrer Namen; denn, so die Begründung, der Sieg gehöre dem Demos38. Das Schlüsselwort der eÈerges¤h (der ,Leistung für andere‘) auf der zweiten Stele kehrt im Akademeia-Epigramm an der gleichen Stelle in Vers und Metrum wieder (sØn eÈerges¤hn im ersten Hemistich von V. 4). Auch wenn die Situation eine andere ist (eine Leistung zur friedlichen Erholung der Bürger, finanziert durch den Stifter), so wird doch mit der Besänftigung, Athene, die ebenfalls in der Akademie verehrt wurde, möge sich dadurch nicht gekränkt fühlen, subtil, und nicht ohne einen Anflug von Ironie, an den Vorbehalt erinnert, der bei der versagten namentlichen Nennung des Stifters von 475 eine so wichtige Rolle gespielt hatte, als sich die Volksversammlung bzw. deren Repräsentanten durch das Ansinnen des Kimon in ihrer kollektiven Ehre verletzt gefühlt hatten. Im Epigramm des Akademie-Parks, in einem Grenzbereich zwischen privater und öffentlicher Örtlichkeit, ist an die Stelle des attischen Demos in 36) Herodot 7,107; Thukydides 1,98,1. 37) ≤gemÒnessi d¢ misyÚn ÉAyhna›oi tãdÉ ¶dvkan / éntÉ eÈerges¤hw ka‹ megãlhw éret∞w (Aischines, Contra Ctesiph. 184; Plutarch, Kimon 7,5). 38) Aischines, Contra Ctesiph. 183–185; Plutarch, Kimon 7,4; 8,1. Aischines betont die Vorenthaltung der persönlichen Namensnennung, Plutarch bzw. seine Quelle, entsprechend der panegyrischen Tendenz der Schrift, die Erstmaligkeit auch der anonymen Ehrung der Feldherren. – Entgegen dem Text des Aischines und Plutarch vertritt A. v. Domaszewski (Die Hermen der Agora zu Athen, SBHeidelberg 10 [1914], 12ff.), gefolgt von J. H. Crome (IPPARXEIOI ERMAI, Athenische Mitteilungen 60/61 [1935/36], 308f.), in einer scharfsinnigen Analyse die kühne These, die drei Hermen seien auf die Siege bei Eion (475), am Eurymedon (469/66) und bei Kypros (450) verteilt gewesen; von den drei Epigrammen bezieht er das erste auf Kimons Sieg am Strymon, das zweite (erstes Distichon) auf die Gesamtweihung, das dritte hält er für eine Fälschung. Die Epigramme der zweiten und dritten Herme ergänzt er aus Diodor 11,62,3.
Kimon und der Akademie-Park
235
poetischer Umschreibung die „Stadtgöttin Athene“ getreten. Der fyÒnow ye«n aber kennt viele Formen und verlangt einen behutsamen Umgang. Daß der Geehrte des Monuments zu Beginn im ersten Distichon in der zweiten Person angesprochen wurde, ergibt sich aus sØn eÈerges¤hn im letzten Vers. Mit der Nennung des Vatersnamens wurde auch der geehrt, dessen Erbe die Liberalität des Sohnes überhaupt erst ermöglichte, mit dessen politischem Ansehen es zu dieser Zeit aber nicht zum besten stand. Sprecher ist das Monument selbst, also die Statue als authentische Instanz, die es wissen muß und Zeugnis ablegt für das Verdienst ihres Stifters, der auf diese Weise vor der Unziemlichkeit direkter Selbstrühmung bewahrt bleibt. Die wechselnde Identität von Göttin und Standbild und die Stimmführerschaft des letzteren spielt mit der Doppelbedeutung von „Akademeia“. Der Name meint zum einen die Göttin, die geehrt wird; zum anderen die Statue als ein Wesen eigenen Rechts, die, indem sie ü b e r die G ö t t i n redet, zugleich von der eigenen Hand in ganz dinglicher Bedeutung spricht39. Das Epigramm rundet sich ab im Motiv des „Hinzutretenden“, des Flaneurs im Park, des Müßiggängers und Betrachters, der sich die Zeit nimmt zu lesen, was der Stein zu sagen hat. Mit dem abschließenden t“ prosiÒnti l°gv lenkt die Sprecherin die Aufmerksamkeit auf sich selbst und den eigentlichen Adressaten ihrer Botschaft, den Besucher des Akademie-Parks. Über die (kurze) Inschrift oder eher eine bildliche Darstellung als gegenständliche Chiffre des neuentstandenen Parks in der Hand der Akademeia darf spekuliert werden40. 39) Page (wie Anm. 2 [1981]) 144 zu AP 144 führt AP 6,143 als Beispiel an für diese Unterscheidung von Gott und Statue und das Denkmal als Sprecher. Vgl. im übrigen oben Anm. 21. 40) Borbeins Bedenken gegen eine Inschrift auf einer Statue frühklassischer Zeit (brieflich) bestehen zweifellos zu Recht. Einen Eintrag auf einem beliebigen Körperteil wie dem Arm der Statue schließe auch ich aus. Aber Singularität allein kann nur begrenzt als Ausschlußgrund gelten, und mit der Hand verhält es sich anders als mit dem Arm. Eine offen dargebotene Hand der Göttin präsentiert bewußt dem Betrachter die eÈerges¤h des Stifters, und hier wäre die bildliche Darstellung eines Baumes bzw. einer zwei- oder dreigliedrigen Baumgruppe als symbolische Abbreviatur des neuen Parks eine denkbare Alternative zur Schrift. Identifizierende Symbole in den Händen vor allem von weiblichen Götterstatuen des 5. Jhs. sind keine Seltenheit. Als berühmtes Beispiel vgl. die Nike in der dargebotenen, offenen Hand der Athene Parthenos des Phidias.
236
C a r l We r n e r M ü l l e r
Das Kimon-Epigramm, soviel läßt sich noch erkennen, ist von einer subtilen Raffinesse, so daß man es gern Simonides, dem Intellektuellen und Vorläufer der griechischen Aufklärung, zutrauen möchte. Doch die Biographien beider Männer lassen wenig Spielraum für eine solche Annahme. Simonides verläßt um 476 Athen und stirbt 468/7 in Sizilien; die Entstehungszeit des Epigramms liegt nach 475, dem Jahr der Feldherrnhermen auf der Agora, wohl auch nach dem Marathongemälde in der Stoa Poikile (um 466), aber vor 461, dem Jahr der Ostrakisierung des Kimon. Es gibt keinen Datierungshinweis auf den Zeitpunkt der Anlage des Akademie-Parks, aber man wird sie in die Jahre der Unangefochtenheit von Kimons herausragender politischer Stellung setzen dürfen, die ihren Höhepunkt mit dem Sieg am Eurymedon (um 466) erreichte. Wie im Kimon-Epigramm ist auch der Weihende des Leokrates-Epigramms eine hochrangige, politisch erfolgreiche Persönlichkeit im Athen der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts, und die Aussage der Inschrift auf der Stele muß vor dem Hintergrund eines konkreten lebensweltlich-politischen Bezugs gesehen werden. Ohne eine Verankerung der Stelenweihung in der Faktizität eines realen Geschehens besäße die Berufung auf die Chariten, der mit der Wortstellung von Xãritaw am Ende des Distichons eine besondere Bedeutung zukommt, inhaltlich nur einen füllenden Charakter zur Komplettierung des Pentameters. Die oben vorgeschlagene Verbindung mit dem Flottensieg vor Aigina wäre ein solcher Bezug (458). Die in der Weihung bewiesene Dankbarkeit ist für die Chariten der Anlaß, dem Weihenden ihre Aufmerksamkeit (und Gunst) zu schenken. Denn im Gegensatz zum Kimon-Epigramm, das die Wohltat des Stifters ehrt, ist die Herme von Markopulo eine Dankesbezeugung an den Gott41. 41) Die Chariten, die Göttinen des Dankes, die oft mit Hermes zusammen dargestellt werden (Wilhelm [wie Anm. 7] 233) haben die Dankbarkeit des Weihenden gegenüber dem Gott wohlwollend zur Kenntnis genommen. Anders die Erklärung bei Wilhelm (a. O. 231f.): „dem Stifter solle der Dank des Gottes und der ihm zugesellten Chariten nicht fehlen“, und noch stärker W. Peek (Attische Versinschriften, AbhLeipzig 1980 [69,2], 34): „hast du dir den Dank des Gottes gesichert“. Stiftung und Inschrift zeigen aber eher die Haltung eines Dankbaren, die auf der bereits erwiesenen Wohltat des Gottes beruht, als jemandes, der sich der göttlichen Hilfe erst für ein bevorstehendes oder geplantes Geschehen zu versichern sucht. – Während die Frage nach dem Sprecher in AP 6,144,3f. legitim ist (l°gv) und ihre
Kimon und der Akademie-Park
237
Die strukturelle Übereinstimmung des Anfangsdistichons von Kimon-Epigramm und Leokrates-Epigramm, wie sie der vorgelegte Rekonstruktionsvorschlag voraussetzt, ließe sich als Zeichen einer gewissen handwerklichen Routine werten, wenn denn beide vom selben Verfasser stammen sollten. Andernfalls dürfte das eine das Vorbild des anderen gewesen sein. Da die Statue der Akademeia gegenüber der Herme als höherwertig gelten darf und die Provinzialität des Standortes auf dem Land gegenüber der vielfrequentierten Parkanlage in Stadtnähe Athens für Nachrangigkeit spricht, dürfte dem Kimon-Epigramm die zeitliche Priorität zukommen42. Die Verknüpfung der Stelenweihung mit dem Flottensieg vor Aigina (458) würde diese Datierung bestätigen. Der Verlust des ersten Distichons von AP 6,144b im Lauf einer wechselvollen Textgeschichte und die Verschmelzung der beiden Epigramme zu AP 6,144, hervorgegangen aus der unmittelbaren Abfolge ihrer Zusammenstellung, verweist auf eine ursprüngliche Sammlung historischer attischer Inschriften als gemeinsame Quelle, vermutlich die ÉEpigrãmmata ÉAttikã des Atthidographen Philochoros um 300 v. Chr.43 Die Anordnung dürfte chronologisch gewesen sein nach Maßgabe des Lebensalters und des Beginns der politischen Aktivität. So würde sich, wenn sie nicht zufallsbedingt war, auch die Reihenfolge Leokrates – Kimon erklären44. Ein mög-
Beantwortung in der Tradition des Weihepigramms liegt, verflüchtigt sich die Sprecherrolle im Leokrates-Epigramm. Die Inschrift selbst redet, aber sie spricht nicht mehr von sich selbst in der ersten Person (wie eine der griechischen Söldnerinschriften von Abu Simbel; vgl. Verf. [wie Anm. 29] 2). Mit der Anrede an den Weihenden wird wie im Kimon-Epigramm die Selbstrühmung des Stifters umgangen; zudem wird der Anlaß der Weihung, wenn er denn im militärischen Erfolg des Jahres 458 bestand, ausgespart, um nicht gegen den demokratischen Nomos bei militärischen Siegen zu verstoßen. Abwegig ist Wilhelms Zuordnung des Epigramms an den „Wanderer“ als Sprecher (wie Anm. 7, 233). 42) Für die unwahrscheinliche Annahme, das Leokrates-Epigramm habe in mehreren Exemplaren an unterschiedlichen Standorten gestanden, gibt es keinen Beweis. Das auf der Akropolis vermutete Exemplar beruht auf einem epigraphischen Irrtum (vgl. zu IG I3 983), und die These eines erweiterten Leokrates-Epigramms im Akademie-Park (Wilamowitz u. a.) ist auch hinfällig. 43) FGrHist 328 T 1. 44) Kimons Geburtsjahr wird um 510 v. Chr. angesetzt. Leokrates muß älter gewesen sein, wenn der Leokrates der Lieblingsinschrift (oben Anm. 4) den Sohn des Stroibos meint, sogar mehr als zehn Jahre (vgl. oben Anm. 6).
238
C a r l We r n e r M ü l l e r
licher Terminus post quem der Verschmelzung beider Epigramme ist eine Inschrift des zweiten Jahrhunderts n. Chr., deren Schlußdistichon mit dem leicht variierten Pentameterschluß des Leokrates-Epigramms endet und noch dessen Selbständigkeit vorauszusetzen scheint45. Saarbrücken
C a r l We r n e r M ü l l e r
45) oÈk ¶layen [statt ¶layew] Xãritaw (IG II/III2 3117,12). Der Verfasser kannte das Epigramm aus einer literarischen Quelle. – Peek (wie Anm. 41) 34 vermutet in einer attischen Inschrift des 6. Jhs. ebenfalls ein Zitat des gleichen Verses, doch bietet die Vorgabe des fragmentarischen epigraphischen Befundes keine befriedigende Sicherheit.
PRAGMATA UND XRHMATA Ein Beitrag zum Verständnis der ontologischen Terminologie Platons1 I Daß Platon – und die voraristotelische Philosophie überhaupt – auf einen festen, technischen Wortschatz nie besonderen Wert gelegt hat, ist heute eine allgemein anerkannte Lehrmeinung der Platon-Exegese, die auch jedem Leser seiner Dialoge ohne weiteres einleuchtet. Man braucht sich nur zu vergegenwärtigen, daß der Zentralbegriff der platonischen Philosophie, der die höchste und absolute Wirklichkeit bezeichnet, so viele Namen hat2, daß sich die Gelehrten seit eh und je gefragt haben, ob nicht etwa feine Bedeutungsnuancen hinter jeder einzelnen Bezeichnung stecken3. Aus Platon die Ansätze einer philosophischen Terminologie herauszulesen ist vor allem deshalb ein fragwürdiges Unternehmen, weil (1) seine Dialoge vielmehr ein Denken in Bewegung als klare Ergebnisse einer Untersuchung darstellen, (2) in den Gesprächen mehrere Personen zu Worte kommen, die verschiedene Standpunkte ausdrücken, und (3) der Verfasser selbst im Laufe der Zeit mehrere Schaffensperioden durchlebt 1) Der Verfasser dankt Prof. Wilhelm Schwabe (Universität Wien) für die Sorgfalt, mit der er den vorliegenden Aufsatz durchgelesen hat, und die sachkundigen Anmerkungen, die den Text mancherorts verbessert haben. Außerdem dankt der Verfasser dem Herausgeber des Rheinischen Museums, Prof. Bernd Manuwald, für einige wertvolle Beobachtungen. 2) fid°a (Symp. 202e sq., Politeia 505a, Parm. 134b–135c, 255e, Phlb. 64a–e, Politikos 262b), e‰dow (Phd. 102b, Parm. 129c, 255e, Politikos 262b, Tim. 50e sq.), g°now (Politeia 509d sq., Parm. 129c, 134bc, Soph. 254b–e, Phlb. 30b–e, Tim. 48a), ˆn (Krat. 439c, Phdr. 247d, Politeia 478d), oÈs¤a (Phdr. 247c, Politeia 509b), aÈtÚ tÚ . . . + Adj. (kalÒn Phd. 78d, Krat. 439c), aÈtÚ ˜ §stin . . . + Subst. (kerk¤w Krat. 389b, aÈtØn §ke¤nhn ˘ ¶sti kl¤nhn Politeia 597c), ˆn / oÔsa . . . + Abstraktbegriff (tÚ ¯n tãxow ka‹ ≤ oÔsa bradÊthw Politeia 529d). 3) Es sei hier nur an die älteren Untersuchungen von P. Natorp, Platos Ideenlehre. Eine Einführung in den Idealismus, Leipzig 1903 und C. Ritter, Neue Untersuchungen über Platon, München 1910 hingewiesen. Die neuere Platonliteratur hat das Interesse für diese Debatte allerdings verloren.
240
Cătălin Enache
hat4. Die folgende Untersuchung beabsichtigt unter anderem, einen möglichen Weg zur Überwindung dieser Schwierigkeiten anzubieten. Hat also Platon keine einheitliche, auf eine Mehrheit der Dialoge übergreifende Terminologie – wie er auch kein philosophisches System in modernem Sinne hat –, so ist es um so wichtiger, punktuelle Regelmäßigkeiten hervorzuheben, die eine dauerhafte Sorge um die genauere Bestimmung eines Begriffs oder Begriffspaares erkennen lassen. Die Ausdrücke tå prãgmata und tå xrÆmata stammen, wie so viele Begriffe der griechischen Philosophie, aus der Alltagssprache und sind auch von Platon weit öfter in gängigen Redewendungen wie tå politikå prãgmata ‚die Staatsgeschäfte‘ (z. B. Ap. 31d), prãgmata par°xein ‚Schwierigkeiten bereiten‘ (Phdr. 254a), xrÆmata tele›n ‚bezahlen‘ (Kriton 48c), xrÆmata énal¤skein ‚Geld ausgeben‘ (Phd. 78a) als in ontologischen Kontexten gebraucht. Ihre Grundbedeutung leitet sich vom Ursprungsverb ab: prçgma oder prãgmata (⬍ prãttv) heißt gewöhnlich ‚Beschäftigung‘, ‚Angelegenheit‘ oder gar ‚Tat‘, xr∞ma (⬍ xrãomai) bezeichnet ganz allgemein und umgangssprachlich eine ‚Sache‘ (wie in der Redewendung ‚eine heikle Sache‘) und xrÆmata ‚Geld‘ oder ‚Vermögen‘. Bei Platon können sie aber auch die ‚Dinge‘ im strengsten ontologischen Sinn bezeichnen und sind dann mit tå ˆnta oder tå pãnta mehr oder minder gleichbedeutend. Läßt sich jedoch bei den letzten zwei jeweils eine spezifische Nuance feststellen – tå ˆnta heißt nämlich ‚die seienden Dinge‘, tå pãnta ‚alle Dinge‘ –, so scheinen die Ausdrücke prãgmata und xrÆmata in ontologischen Kontexten sich völlig und restlos zu decken. Die Aufgabe des vorliegenden Aufsatzes ist zu erfragen, inwiefern Platons Sprachgebrauch doch eine Unterscheidung dieser zwei Synonyme erlaubt. Die Anfänge eines allgemeinen Gebrauchs von prãgmata und xrÆmata liegen bereits vor Platon. In ontologischem Sinne ver4) Diese Einschätzungen wollen Platons Rolle für die Geschichte der philosophischen Terminologie freilich nicht in Frage stellen. Mancher Ausdruck, der von Platon geprägt, in Umlauf gesetzt oder aber erst richtig in die Sprache der Philosophie aufgenommen wurde, bestimmt auch heute noch – durch sein griechisches Etymon oder mittels einer lateinischen Übersetzung – den philosophischen und wissenschaftlichen Diskurs in den modernen abendländischen Sprachen. Es seien hier nur einige Beispiele genannt: énalog¤a, yevr¤a, fid°a, kritÆrion, m°yodow, ˜row, oÈs¤a, poiÒthw, pt«siw, sullogismÒw, sÊnociw, sÊsthma, ÍpÒyesiw, fantas¤a.
Prãgmata und xrÆmata
241
wenden das erstere der Pythagoreer Philolaos (è m¢n §stΔ t«n pragmãtvn é¤diow ¶ssa, fr. B6)5, der Philosoph Demokritos (sunagvgÒn ti §xoÊshw t«n pragmãtvn t∞w §n toÊtoiw ımoiÒthtow, fr. B164) und der Sophist Gorgias (efikÒnaw t«n ırvm°nvn pragmãtvn ≤ ˆciw §n°gracen §n t«i fronÆmati, Hel. Enk. 110)6. Das letztere ist in der frühesten Lyrik bei Archilochos (xrhmãtvn êelpton oÈd°n §stin oÈdÉ ép≈moton oÈd¢ yaumãsion, fr. 122 West) und Mimnermos (élhye¤h d¢ par°stv so‹ ka‹ §mo¤, pãntvn xr∞ma dikaiÒtaton, fr. 8 West) und in der Prosa des 5. Jhs. bei Herodotos (quasi-adverbial: pr«ton xrhmãtvn pãntvn, 7,145) belegt. Bezeichnenderweise kommt also xrÆmata in dieser (all)umfassenden Bedeutung zumeist in Begleitung vom verallgemeinernden pãnta vor. In die eigentlich philosophische Sprache scheint der Ausdruck xrÆmata allerdings erst von Anaxagoras aufgenommen worden zu sein7, der ihn in den erhaltenen Fragmenten mehrmals einsetzt8 und vor allem das Ur-Chaos mit den Worten ımoË pãnta xrÆmata beschrieb (fr. B1). Der Sophist Protagoras, ein jüngerer Zeitgenosse des Anaxagoras, hat dann in seinem nicht nur im Altertum berühmten Spruch pãntvn xrhmãtvn m°tron ênyrvpow (fr. B1) auf 5) Vgl. auch fr. B11. Da wir nicht genug Zeugnisse mit zuverlässigem Wortlaut haben, läßt sich nicht entscheiden, ob dies die übliche Bezeichnung der Dinge bei den Pythagoreern war. 6) Der den sophistischen Kreisen nahestehende Verfasser der Disso‹ lÒgoi verwendet gerne die Einzahl prçgma im Gegensatz zu ˆnoma (1,11) oder als Bezeichnung eines physischen Körpers (5,3). Dieser konkrete Gebrauch der Einzahl muß etwas älter gewesen sein, auch wenn einschlägige Belegstellen aus dem 5. Jh. fehlen, und ist mit umgangssprachlichen Redewendungen wie Epicharmos fr. B3 ¶stin aÎlhs¤w ti prçgma; verwandt, jedoch nicht verwechselbar. 7) Die Einzahl xr∞ma ist nicht nur bei Anaxagoras (vgl. die in der folgenden Fußnote zitierten Stellen aus den Fragmenten B9, 12 und 17), sondern etwa zur gleichen Zeit auch bei Leukippos (oÈd¢n xr∞ma mãthn g¤netai, éllå pãnta §k lÒgou te ka‹ ÍpÉ énãgkhw, fr. B2) und Melissos (oÈ går ín dÊnaito ée‹ e‰nai xr∞ma élg°on, fr. B7) als Bezeichnung eines Einzeldings belegt. 8) xrØ doke›n §ne›nai pollã te ka‹ panto›a §n pçsi to›w sugkrinom°noiw ka‹ sp°rmata pãntvn xrhmãtvn. [. . .] pr‹n épokriy∞nai taËta pãntvn ımoË §Òntvn oÈd¢ xroiØ ¶ndhlow ∑n oÈdem¤a: épek≈lue går ≤ sÊmmijiw pãntvn xrhmãtvn. [. . .] toÊtvn d¢ oÏtvw §xÒntvn §n t“ sÊmpanti xrØ doke›n §ne›nai pãnta xrÆmata (fr. B4); ≤ taxutØw aÈt«n [sc. t«n perixvroÊntvn te ka‹ épokrinom°nvn] oÈden‹ ¶oike xrÆmati tØn taxut∞ta t«n nËn §Òntvn xrhmãtvn §n ényr≈poiw (fr. B9); noËw . . . m°meiktai oÈden‹ xrÆmati. [. . .] efi mØ går §fÉ •autoË ∑n . . . mete›xen ín èpãntvn xrhmãtvn . . . ka‹ ín §k≈luen aÈtÚn tå summemeigm°na, Àste mhdenÚw xrÆmatow krate›n ımo¤vw …w ka‹ mÒnon §Ònta §fÉ •autoË (fr. B12); oÈd¢n xr∞ma g¤netai oÈd¢ épÒllutai, éllÉ épÚ §Òntvn xrhmãtvn summ¤sgeta¤ te ka‹ diakr¤netai (fr. B17).
242
Cătălin Enache
denselben Ausdruck zurückgegriffen9. Diese terminologische Ähnlichkeit hat manchen Historiker der griechischen Philosophie dazu veranlaßt, einen Einfluß des Klazomeniers auf den Abderiten zu vermuten10. Zu der Frage nach der Bedeutung dieses Begriffspaares in der griechischen philosophischen Sprache sind einige nennenswerte Vorarbeiten geleistet worden. Im 19. Jh. war die Ansicht in Umlauf, daß xrÆmata bei den frühen Philosophen die ursprüngliche Bezeichnung der Dinge war, die dann allmählich von prãgmata abgelöst wurde11. In der Sekundärliteratur zur Sophistik wurde ferner über den Sinn von xrÆmata besonders in Zusammenhang mit dem protagoreischen sog. ‚Homo-mensura-Satz‘ viel diskutiert12. Diese über hundert Jahre alten gelehrten Disputationes um 9) Demokritos fr. 182 tå m¢n kalå xrÆmata to›w pÒnoiw ≤ mãyhsiw §jergãzetai, tå dÉ afisxrå êneu pÒnvn aÈtÒmata karpoËtai kann man dem ontologischen Gebrauch von xrÆmata bei Anaxagoras nicht wirklich gleichstellen: Hier geht es vielmehr – wie des öfteren sonst, vgl. Pind. O. 6,73.74, Hdt. 5,23, Soph. Ai. 288 – um die ‚Früchte‘ eigener Taten. 10) Z. B. W. Halbfass, Die Berichte des Platon und Aristoteles über Protagoras 164, in: Fleckeisens Jahrbücher für classische Philologie, Leipzig 1882, 151–211; H. Gomperz, Sophistik und Rhetorik. Das Bildungsideal des eÔ l°gein in seinem Verhältnis zur Philosophie des V. Jhdts., Leipzig 1912, 252. 11) R. Eucken, Geschichte der philosophischen Terminologie, Leipzig 1879 (21960), 13: „Die älteren Philosophen gebrauchen für Ding xr∞ma, prçgma beginnt in dieser Bedeutung erst aufzutreten, bei Platon überwiegt prçgma, bei Aristoteles ist xr∞ma verschwunden“. Dieser Ansicht hat gelegentlich auch H. Diels, Gorgias und Empedokles 350, in: Sitzungsberichte der königlich preussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Berlin 1884, 343–68 beigepflichtet: „xrÆmata ist der der älteren Physik geläufige Ausdruck für tå ˆnta im weitesten Sinne. [. . .] Für die Späteren war xr∞ma in dieser Bedeutung eine Glosse. Denn Sextos erklärt das letztere m°tron m¢n l°gvn tÚ kritÆrion, xrhmãtvn d¢ t«npragmãtvn (P. Hyp. I 216, S. 49, 10). Ebenso Aetios, Plac. 1,3,5 (Doxogr. 280, 5) ımoË pãnta xrÆmata ∑n . . . xrÆmata l°gvn tå prãgmata. Daher ist der Ausdruck auch bei Platon vermieden. Nur in der Republik sagt er einmal von dem Dichter êndra dunãmenon ÍpÚ sof¤aw pantodapÚn g¤gnesyai ka‹ mime›syai pãnta xrÆmata (397e).“ Daß die frühen Philosophen prãgmata mindestens ebenso oft wie xrÆmata verwendet haben, ergibt sich aus den oben angeführten, auch im Wortregister zu DK verzeichneten Stellen. Zu Platons Gebrauch von pãnta xrÆmata außerhalb der Politeia siehe Kap. IV. 12) M. Untersteiner, I Sofisti, Milano 21967, 127–129 hat eine Entwicklungsgeschichte von xr∞ma in der frühgriechischen Literatur bis zur Sophistik entworfen. W. K. C. Guthrie, A History of Greek Philosophy III: The Fifth-Century Enlightenment, Cambridge 1969, 191 hat Untersteiners Skizze wegen Unvollständigkeit gerügt und durch weitere, hauptsächlich im LSJ verzeichnete Bedeutungen des Ausdrucks ergänzt: Daß Untersteiner eine E n t w i c k l u n g s g e s c h i c h t e des Begriffs im Sinne hatte, hat er jedoch übersehen.
Prãgmata und xrÆmata
243
den Sophistenfürsten aus Abdera betreffen unsere Frage nicht nur deshalb, weil Platon der älteste Gewährsmann des berühmten Diktums und Protagoras neben Anaxagoras nach den erhaltenen Zeugnissen der einzige Vorsokratiker ist, der xrÆmata in ontologischem Sinne verwendet hat, sondern auch deshalb, weil die Protagoras-Zitate im Corpus Platonicum etwa ein Drittel der Stellen ausmachen, an denen xrÆmata ontologisch gemeint ist. Wenn wir also zunächst einen kurzen Blick auf die Sophistik und die umfangreiche einschlägige Literatur werfen und uns erst dann den platonischen Dialogen zuwenden, so hoffen wir dadurch einen ertragreichen Umweg zu machen. II Der Sophist aus Abdera soll gesagt haben, daß pãntvn xrhmãtvn m°tron ênyrvpow, t«n m¢n ˆntvn …w ¶stin, t«n d¢ oÈk ˆntvn …w oÈk ¶stin. Der Spruch ist von Platon im Kratylos (385e– 386a) und mehrmals im Theaitetos (152a, 160d, 161c, 170d, 183c) zitiert13 und durch weitere Anführungen bei Aristoteles (Metaph. 1062b13) und Sextus Empiricus (Adv. Math. 7,60, Pyrrh. Hyp. 1,216) in seiner Authentizität gesichert. Da sich dieses Bruchstück als das einzige von Protagoras’ Werk ÉAlÆyeia14 erhalten hat, ist man für sein Verständnis auf andere für das Denken des Sophisten relevante Quellen sowie auf die Erörterung seiner Lehre hauptsächlich bei den bereits genannten Platon, Aristoteles und Sextus Empiricus angewiesen. Wie allen Vorsokratikern kann man auch Protagoras nur durch Vermutungen näherkommen, die seine wahren Absichten zu erraten und den ursprünglichen Gedankenzusammenhang wiederherzustellen versuchen. Die Exegese hat die zentrale Rolle des am Satzanfang stehenden Ausdrucks pãnta xrÆmata öfters betont und ihm entspre13) Mit Ausnahme von Tht. 152a allerdings in einer verkürzten Form, ohne den Zusatz t«n m¢n ˆntvn …w ¶stin, t«n d¢ oÈk ˆntvn …w oÈk ¶stin (vgl. jedoch Tht. 160c). Nur den ersten Teil zitiert auch Aristoteles: Für die Bestimmung der ursprünglichen Form des Satzes ist wohl Sextus Empiricus maßgebend. 14) Zum Problem der Schriftentitel des Sophisten vgl. z. B. E. Zeller, Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung I 2, Leipzig 61920, 1354, und E. Heitsch, Ein Buchtitel des Protagoras, Hermes 97 (1969) 292–296.
244
Cătălin Enache
chend viel Aufmerksamkeit geschenkt15. Der Begriff ist äußerst breit aufgefaßt worden, und wenn es auch Kontroversen über seine Bedeutung gegeben hat, so ging es dabei schließlich weniger um seinen Umfang16 als vielmehr darum, wie man ihn am breitesten 15) Eine nützliche Übersicht über die einschlägige Literatur hat B. Huss, Der Homo-Mensura-Satz des Protagoras. Ein Forschungsbericht, Gymnasium 103 (1996) 229–257 verfaßt. Außerdem findet man in G. B. Kerferd / H. Flashar, Die Sophistik, 117–123, in: H. Flashar (Hrsg.), Die Philosophie der Antike 2/1: Sophistik. Sokrates. Sokratik. Mathematik. Medizin, Basel 1998, 1–137 eine ausführliche, chronologisch geordnete Protagoras-Bibliographie, die auch zum Homo-mensuraSatz manchen von Huss nicht berücksichtigten Titel enthält. Hier einige Überlegungen über die Literatur zum Homo-mensura-Satz, die aus der Darstellung von Huss nicht deutlich genug hervorgehen: 1. Die Hauptwege der Interpretation sind bereits im 19. Jh. gebahnt worden, das 20. Jh. hat zumeist Nuancen hinzugefügt (vgl. z. B. Zeller [wie Anm. 14] 1357–1359; die prominenteste Ausnahme ist wohl W. Nestle, Vom Mythos zum Logos. Die Selbstentfaltung des griechischen Denkens von Homer bis auf die Sophistik und Sokrates, Stuttgart 1940). 2. Die echten Streitfragen der Protagoras-Exegese sind weniger als die scheinbaren: Die letzteren sind dadurch entstanden, daß die Exegeten oft definitive Ergebnisse aus hypothetischen Voraussetzungen schließen wollten oder auf einen Teil der Überlieferung übermäßigen Nachdruck legten. 3. Die einzelnen exegetischen Beiträge der Vorgänger, zu denen jeder neue Kommentator Stellung nimmt, richtig zu lesen und sachgerecht einzuordnen, ist nicht vielen gelungen. Zwei namhafte Beispiele: K. von Fritz, Protagoras, RE XXIII 1 (1957) 908–921: „Die Mehrzahl der Philosophen ist immer geneigt gewesen, es [sc. das …w] mit ‚wie‘ zu übersetzen, während die meisten Philologen darauf bestehen, daß es ‚daß‘ heißen muß“ (914); Guthrie (wie Anm. 12) 188: „Grote is always quoted as the originator of (b) [sc. of the thesis that ênyrvpow is meant in a universal sense], but in his Plato, II, 322 ff. (to which Zeller refers) I do not find this interpretation“. Ähnliches kann man Huss selbst vorhalten, der die bisherigen Auffassungen von pãnta xrÆmata in drei gar nicht einleuchtende Kategorien unterteilt (237–40): i) pãnta xrÆmata als ‚die ganze Welt‘, ‚Alles‘, ‚die Dinge‘; ii) die xrÆmata als ‚Qualitäten‘; iii) die xrÆmata als prãgmata, oÂw xr∞ta¤ tiw. Man fragt sich, warum Untersteiner ein Vertreter der ersten und nicht vielmehr der dritten Interpretationsrichtung sein muß (wo es sich um „Dinge handle, mit denen der Mensch Umgang hat oder bekommt“, 237), der doch S. 129 (wie Anm. 12) behauptet, daß „la parola xrÆmata costituisce tutto quello che sta innanzi all’uomo . . . Questo mondo designato con xrÆmata costituisce la sfera d’azione dell’uomo“ (die Stelle ist von Huss 138 auch zitiert). 4. Die Interpretationshypothesen sind nicht alle gleich glaubhaft. 16) Mit der einzigen Ausnahme von Nestle (wie Anm. 15) 269–271, der den Spruch dahin beschränken wollte, daß er ausschließlich für (sekundäre) Qualitäten wie kalt und warm, süß und bitter, gerecht oder ungerecht gelten soll. Sein Argument, daß sowohl Platon als auch Aristoteles den Homo-mensura-Satz ständig durch solche Beispiele erklären, reicht aber als Beweis dafür kaum aus, daß diese enge Auffassung tatsächlich der Absicht des Protagoras entsprach. Denn Platon und Aristoteles sind keine unparteiischen Berichterstatter, sie führen den Spruch (an den oben genannten Stellen) nur seiner Bekämpfung halber an. Dem Gegner kann man
Prãgmata und xrÆmata
245
auffassen und was eine möglichst breite Auffassung heißen kann. Es ist in der Tat schwer nachzuvollziehen, daß ein Grundsatz, der nicht bloß die xrÆmata, sondern gleich pãnta xrÆmata an erster Stelle nennt, irgendetwas außerhalb seines Geltungsbereiches lassen wollte. Ob dann unter „alle Dinge“ sowohl abstrakte (Nestle [wie Anm. 15] 269) als auch materielle Gegenstände (Guthrie [wie Anm. 12] 191), Dingqualitäten (v. Fritz [wie Anm. 15] 914) vielmehr als die Dinge selbst (Th. Gomperz, Griechische Denker I, Leipzig 1895, 363), zur Handlungssphäre des Menschen gehörende (Untersteiner [wie Anm. 12] 129) oder aber alle möglichen Sachen (H. Gomperz [wie Anm. 10] 202) zu verstehen sind, läßt sich durch eine wörtlich-immanente Analyse des Spruchs nicht entscheiden und muß bei unserem Kenntnisstand der protagoreischen Onto- und Epistemologie wohl dahinstehen17. Der Wortlaut selbst verrät über die Absicht des Autors nicht mehr, als wenn in der Aussage ein anderer gleichwertiger Ausdruck wie pãnta prãgmata oder einfach tå pãnta statt pãnta xrÆmata stehen würde: Aristoteles sagt einmal PrvtagÒraw dÉ ênyrvpÒn fhsi pãntvn e‰nai m°tron (Metaph. 1053a35) und kurz davor in demselben Zusammenhang m°tron t«n pragmãtvn (1053a31). Diese ungefähre Zitierweise ist nur dadurch möglich, daß für Aristoteles diese Ausdrücke gleichwertig waren (vgl. auch das spätere Zeugnis von Sext. Emp. Pyrrh. Hyp. 1,216). In Wirklichkeit, wie man schon lange bemerkt hat18, stellte bereits Platon das protagoreische xrÆmata mit prãgmata gleich: In seiner Erörterung des Homo-mensura-Satzes Krat. 386a ersetzt er das erstere auffälligerweise durch das letztere, was sowohl auf eine gewisse Bedeutungsgleichheit der zwei Ausaber widersprechen, auch wenn man die Unhaltbarkeit seiner Lehre in einem Sonderfall zeigt: Ist der Mensch nachweislich kein Maß der Wärme und Kälte, Bitterkeit und Süßigkeit, usw., so ist er gar kein ‚Maß der Dinge‘ – das könnte der Sinn von Platons und Aristoteles’ Beweisführung sein. Mit anderen Worten: Wenn die Dinge eine vom Menschen unabhängige Beschaffenheit haben, dann liegt es a fortiori nicht am Menschen, ob sie sind oder nicht. Nestles exklusive Interpretation des Homo-mensura-Satzes hat übrigens kaum Nachfolger gefunden. 17) Auch z. B. darüber, wie pãnta xrÆmata sowohl tå ˆnta als auch tå oÈk ˆnta in sich schließen soll (pãntvn xrhmãtvn, t«n m¢n ˆntvn . . . t«n d¢ oÈk ˆntvn), haben wir keine näheren Auskünfte. Um diesen schwierigen Aspekt scheint sich P. Natorp, Protagoras und sein Doppelgänger, Philologus 50 (1891) 262–287 (bes. 267–272) als einziger gekümmert zu haben. 18) Natorp (wie Anm. 17) 265, 272. Vgl. auch A. Capizzi, Protagora. Le testimonianze e i frammenti, Firenze 1955, 106.
246
Cătălin Enache
drücke als auch auf eine Distanzierung des Zitierenden vom angeführten Zitat schließen läßt (siehe unten). Ist man berechtigt, in Protagoras’ Gebrauch von pãnta xrÆmata einen Anklang an Anaxagoras zu vermuten, so können die Kontexte, in denen der Klazomenier den Ausdruck verwendet, als Richtschnur für das Verständnis des Homo-mensura-Satzes dienen. Jedenfalls verfügen wir über keine Indizien, die darauf hindeuten, daß das protagoreische pãnta xrÆmata anders als das anaxagoreische und gegen das Zeugnis von Platon und Aristoteles mit tå pãnta oder pãnta prãgmata inhaltlich nicht gleichbedeutend wäre. Das Eigentümliche des protagoreischen Ausdrucks ist vielmehr in der K o n n o t a t i o n zu suchen, die er bei den späteren Generationen durch die Nachwirkung der Sophistik bekommen hat: (pãnta) xrÆmata überlebt tatsächlich nicht lange den Urheber des Homo-mensura-Satzes, denn Platon wird den Ausdruck endgültig zum Sophistenwort abstempeln und somit aus dem ontologischen Wortschatz vertreiben. III Wie bereits erwähnt, sind etwa ein Drittel der Stellen, an denen xrÆmata bei Platon eine ontologische Bedeutung hat, Protagoras-Zitate. Die These, die wir im folgenden behaupten wollen, lautet: Platons ontologischer Gebrauch von xrÆmata hängt mit der Sophistik zusammen, d. h. mit Themen wie Nachahmungskunst, Täuschung oder Vielwisserei, gegen welche Sokrates in der Regel auftritt. Im Unterschied zum neutralen und geläufigeren prãgmata dient der Ausdruck xrÆmata, den Platon nur gezielt und kaum in eigenem Namen verwendet, als Wink dafür, daß die besprochene Frage auf ein bekanntes Sophistenmotiv zurückgeht oder daß Sokrates’ Gesprächspartner bewußt oder nicht mit der Sophistik liebäugelt19. Im folgenden werden wir die Einzahl und die Mehrzahl getrennt behandeln. Zunächst wird sich anhand einer genauen Prüfung der einschlägigen Stellen herausstellen, daß xr∞ma im Unter19) Daß Platon die Sachen nicht überall, wo es im Kontext um die Sophistik geht, xrÆmata nennen muß, bedarf freilich keiner weiteren Erklärung, vgl. auch die unten zitierte Stelle Soph. 233d sowie die Anm. 42.
Prãgmata und xrÆmata
247
schied zu prçgma bei Platon niemals für ein Einzelding steht. Im nächsten Abschnitt betrachten wir alsdann die Kontexte, wo Platon xrÆmata gebraucht, und die Hintergründe seiner Wortauswahl, vor allem im Vergleich mit dem synonymen prãgmata. Die Einzahl xr∞ma kommt in Platons Schriften insgesamt siebenmal vor, und zwar an folgenden Stellen: Ion 534b, Gorg. 485a, 485b, Men. 97e, Phd. 96c, Politeia 567e, Krat. 399d20. Es geht also durchwegs um frühe oder mittlere Dialoge bis spätestens Kratylos (oder Politeia). Außerdem kommt noch die Konjektur Tht. 156e in Frage. Der Ausdruck steht meist im Nominativ und ist entweder Subjekt oder Prädikat; nur Politeia 567e ist xr∞ma Akkusativ-Objekt. Als Subjekt bezeichnet xr∞ma ganz allgemein eine ‚Geschichte‘ oder ‚Sache‘, von der eben die Rede war, wie Gorg. 485a §peidån . . . ≥dh presbÊterow Ãn ênyrvpow ¶ti filosofª, katag°laston . . . tÚ xr∞ma g¤gnetai, oder aber ein unbestimmtes Etwas wie Krat. 399d Àsper to¤nun moi doke› toÊtoiw •j∞w e‰na¤ ti xr∞ma (mit Bezug auf einen Namen, der nach den eben besprochenen untersucht gehört). Das Gefüge xr∞mã ti vom letzteren Beispiel, das auch als Prädikat fungieren kann (siehe unten), besteht aus zwei unbetonten Gliedern: xr∞ma kann hier sehr wohl ausbleiben, während ti einem unbestimmten Artikel auffällig ähnelt. Ein konkretes Ding ist also damit kaum gemeint. Auch als Objekt hat xr∞ma keine präzise Bedeutung und kein gegenständliches Denotat: Das zeigt die idiomatische Redewendung Politeia 567e makãrion l°geiw turãnnou xr∞ma, efi toioÊtoiw f¤loiw te ka‹ pisto›w éndrãsi xr∞tai, toÁw prot°rouw §ke¤nouw épol°saw21. Als Teil des Prädikats bleibt xr∞ma im Griechischen oft weg, dafür kann aber das Prädikatsadjektiv sächlich sein (wie im Spruch éniarÚn érg¤a). Der Passus Gorg. 485bc bezeugt mehrere Ausdrucksmöglichkeiten des Prädikatsnomens: ˜tan saf«w dialegom°nou paidar¤ou ékoÊsv, pikrÒn t¤ moi doke› xr∞ma . . . ka¤ moi 20) Zwei weitere hierhergehörende Stellen sind Alk. II 147c (Íperfu«w tÚ xr∞ma …w dÊsgnvston fa¤netai) und Theag. 122b (l°geta¤ ge sumboulØ flerÚn xr∞ma e‰nai). Der Bedeutung nach weichen sie von den anderen, echten Zeugnissen nicht ab. Sie würden aber auch dann nicht ins Gewicht fallen, wenn sie von dem sonstigen Gebrauch Platons abweichen würden, weil sie sich dann eben dadurch verraten würden. 21) Vgl. z. B. liparÚn tÚ xr∞ma t∞w pÒlevw, Ar. Av. 826.
248
Cătălin Enache
doke› douloprep°w ti e‰nai: ˜tan éndrÚw ékoÊs˙ tiw cellizom°nou μ pa¤zonta ırò, katag°laston fa¤netai ka‹ ênandron. Das Prädikatsadjektiv kann also allein stehen (katag°laston, ênandron) oder aber von ti (douloprep°w ti) oder xr∞mã ti (pikrÒn ti xr∞ma) begleitet werden. Die Stilabwechslung fällt hier ins Auge, inhaltlich sind jedoch diese Varianten kaum auseinanderzuhalten. Eine eventuelle ontologische Lesart des überflüssigen xr∞ma ist demnach in solchen Beispielen nicht am Platze. Ähnlich läßt sich auch Ion 534b koËfon xr∞ma poihtÆw §stin ka‹ pthnÚn ka‹ flerÒn verstehen, wo das Prädikat ebensogut koËfÒn ti xr∞ma oder koËfÒn ti oder einfach koËfon hätte lauten können22. Außerdem ist xr∞ma in der idiomatischen Vergleichsergänzung Phd. 96c toÊtvn tåw fyoråw skop«n . . ., teleut«n oÏtvw §maut“ ¶doja prÚw taÊthn tØn sk°cin éfuØw e‰nai …w oÈd¢n xr∞ma ebenfalls entbehrlich. Da xr∞ma an diesen Stellen kein bestimmtes Denotat hat, wird man das Prädikat eher mit ‚etwas . . . (Unangenehmes, Leichtes, usw.)‘ übersetzen. Eine Verschmelzung der Prädikat- und der Subjekt-Funktion begegnet endlich in dem Anakoluth Men. 97e afl dÒjai afl élhye›w, ˜son ín xrÒnon param°nvsin, kalÚn tÚ xr∞ma ka‹ pãntÉ égayå §rgãzontai. Man hätte hier freilich afl dÒjai afl élhye›w . . . kalÚn (xr∞ma) erwartet: Der Artikel, der die Aufmerksamkeit auf das xr∞ma wie auf ein (zweites) Subjekt lenkt, kann jedoch inhaltlich nicht mehr als die oben erwähnte, allgemeine Bedeutung ‚Geschichte‘ oder ‚Sache‘ von xr∞ma als Subjekt hervorbringen. 22) Unhaltbar ist daher Guthries (wie Anm. 12) 191 Ansicht, daß Ion 534b „‘thing’ is the only possible translation [sc. für xr∞ma]“. Der von ihm angeführte Grund, daß Krat. 386a xrÆmata und prãgmata (nicht xr∞ma und prçgma, wie er angibt!) gleichgestellt sind, hat freilich keine Aussagekraft, denn dann könnte man vom Kontext absehend überall xr∞ma durch prçgma ersetzen. (Daß prçgma selbst nicht immer durch ‚thing‘ übersetzt werden muß, steht auf einem anderen Blatt.) Vermutlich wurde Guthrie von einer fragwürdigen Erklärung im LSJ (s. v. xr∞ma) verleitet: Unter II. (Bedeutung: thing, matter, affair) unterscheidet das Wörterbuch zwischen „2) xr∞ma is freq. expressed where it might be omitted“ und „3) used in periphrases to express something strange or extraordinary of its kind“. Als Beispiele werden Hdt. 8,16 deinÚn x. §poieËnto, Aisch. Pr. 300 t¤ x. leÊssv; und das oben zitierte Pl. Gorg. 485b zum Punkt 2) und Hdt. 1,36 ÍÚw x. m°ga, Ar. Nu. 2 tÚ x. t«n nukt«n ˜son und das oben zitierte Pl. Politeia 567e zum Punkt 3) angeführt. Daß aber prädikative Ausdrücke, wo kein Genitiv von xr∞ma abhängt, unter 3) und nicht vielmehr unter 2) zu verzeichnen sind, leuchtet überhaupt nicht ein. Xen. Kyr. 1,4,8 ¶lafon, kalÒn ti x. ka‹ m°ga, Theok. 15,83 sofÒn toi xr∞mÉ ênyrvpow und Pl. Ion 534b erübrigt sich xr∞ma (oder ist durch ti ersetzbar) wie in allen unter 2) angeführten Beispielen.
Prãgmata und xrÆmata
249
Wie diese Übersicht zeigt, verwendet Platon xr∞ma vielmehr in vagen, starren oder umgangssprachlichen Redewendungen als in ontologischen Kontexten. Belegt ist die Einzahl überhaupt nur in den frühen oder mittleren Dialogen (bis spätestens Kratylos oder Politeia) und niemals mit Bezug auf ein Einzelding. Betrachtet man nun die Korruptel Tht. 156e e‡te jÊlon e‡te l¤yow e‡te ˜tou oÔn sun°bh xr«ma (xr∞ma Heindorf, sx∞ma Schanz, xrÒa Diès, secl. Campbell)23 xrvsy∞nai t“ toioÊtƒ xr≈mati, so wird man sich für Heindorfs Vorschlag xr∞ma statt xr«ma schwerlich entscheiden. Die Konjektur, die schon in Burnets OCT Eingang gefunden und durch dessen Autorität so gut wie allgemeine Anerkennung erlangt hat, wurde auch im neuen OCT beibehalten, obwohl sie gegen Platons Sprachgebrauch nachweislich verstößt: Zu der Zeit, als der Theaitetos entstand, ist die Einzahl xr∞ma bei Platon sonst nicht mehr belegt, und vor allem hat er damit niemals ein Einzelding gemeint. Ziehen wir nun zum Vergleich einige Stellen heran, an denen die Einzahl prçgma24 eindeutig zur Bezeichnung eines Dinges dient, so lassen sich je nach Zusammenhang mehrere Bedeutungen unterscheiden: a) materieller Körper: fisÒrropon går prçgma ımo¤ou tinÚw §n m°sƒ tey¢n oÈx ßjei mçllon oÈdÉ ∏tton oÈdamÒse kliy∞nai, Phd. 109a; 23) Diese Angaben stehen allerdings im kritischen Apparat von Burnet (Oxford 1899) und Diès (Paris 1924). Ältere Platon-Herausgeber wie Schanz (Leipzig 1880) oder Wohlrab (Leipzig 1891) hatten jedoch die Lesart xr∞ma in der Hs. Parisinus 1811 gefunden (vgl. auch H. Schmidt, Kritischer Commentar zu Platos Theätet, Leipzig 1877, 461–2). Nichtsdestoweniger wollten sie xr∞ma auch als Konjektur verzeichnen: Da aber Heindorf selbst (Berlin 1805) diese Ehre dem RenaissanceGelehrten Ianus Cornarius überließ, so gibt hierzu Schanzens kritischer Apparat Par. 1811 und Cornarius, Wohlrabs Par. 1811 und Heindorf an. War also xr∞ma bei Burnet nur eine Konjektur von Heindorf, so ist es im neuen OCT (Oxford 1995) bloß eine Lesart des Par. 1811. Wie dem auch sei, ob xr∞ma ursprünglich von einem Schreiber, von Cornarius oder von Heindorf ergänzt wurde, ist schließlich nicht von Belang, solange es Platons Sprachgebrauch mißachtet. Da man sich nach Ansicht aller bisherigen Herausgeber mit dem überlieferten xr«ma auch nicht zufriedengeben kann, so bleibt Schanzens Konjektur sx∞ma, wie Schmidt a. a. O. zu Recht betonte, die einleuchtendste Lösung. 24) Über mögliche Bedeutungen des Ausdrucks in der griechischen philosophischen Sprache vgl. auch P. Hadot, Sur divers sens du mot pragma dans la tradition philosophique grecque, in: P. Aubenque (éd.), Concepts et catégories dans la pensée antique, Paris 1980, 309–319, der aber merkwürdigerweise den voraristotelischen Sprachgebrauch so gut wie gar nicht berücksichtigt.
250
Cătălin Enache
b) Kunstgegenstand: ˜sai m¢n [sc. t°xnai] tÚ prçgma aÈtÚ mØ dhmiourgoËsi, ta›w d¢ dhmiourgoÊsaiw ˆrgana paraskeuãzousin . . ., taÊtaw m¢n sunait¤ouw, tåw d¢ aÈtÚ tÚ prçgma épergazom°naw afit¤aw, Politikos 281e (vgl. auch Gorg. 504a, Prot. 327c); c) abstrakter Gegenstand: pÒteron f¤lou ˆntow §ke¤nou toË prãgmatow, o ßneka f¤low ı f¤low t“ f¤lƒ, μ oÎte f¤lou oÎte §xyroË; Lys. 218d (vgl. auch Politikos 263b); d) wirklich Seiendes gegenüber schattenhaft Scheinbarem: taÈtÚn ín ka‹ eÈyÁw toioËtow Àsper parå skiåw élhy¢w ín prçgma e‡h, Men. 100a; e) Denotat eines Namens: tÚ ˆnoma ımologe›w m¤mhmã ti e‰nai toË prãgmatow, Krat. 430ab (vgl. auch 393d, 428e, Prot. 349b, Tht. 177e, Soph. 218c, 244d, Nomoi 823b); f) Erkenntnisgegenstand: ∂n dÉ ên §pistÆmhn kthsãmenow kaye¤rj˙ efiw tÚn per¤bolon, fãnai aÈtÚn memayhk°nai μ hÍrhk°nai tÚ prçgma o ∑n aÏth ≤ §pistÆmh, ka‹ tÚ §p¤stasyai toËtÉ e‰nai, Tht. 197e (vgl. noch Euthd. 277e–278a, Men. 84b, Krat. 435d). Platons Gebrauch von prçgma übertrifft also inhaltlich und quantitativ25 bei weitem den Gebrauch von xr∞ma und erstreckt sich nachweislich von den frühen bis zu den letzten Dialogen. IV Die ontologische Verwendung der Mehrzahl xrÆmata läßt sich zunächst negativ durch die Ausgrenzung der üblichen Bedeutung ‚Geld, Vermögen, Reichtum‘ bestimmen, die im Corpus Platonicum für etwa 95% der Fälle belegt ist. Beiläufig sei hier eine seltenere, jedoch nicht minder selbständige Bedeutung erwähnt, die um so mehr Beachtung verdient, als sie die griechischen Wörterbücher nicht registrieren. Charm. 173bc und Nomoi 849c–e wird xrÆmata zusammen mit skeÊh in einem Atemzug genannt: Es geht um Alltagsbedarf wie Bekleidungs- oder Beschuhungsgegenstände, insofern sie nicht als Wertsachen oder Waren, sondern als handwerklich hergestellte Gebrauchsdinge betrachtet werden26. 25) Zählt man auch die umgangssprachlichen Redewendungen dazu, so kommt man auf insgesamt über hundert Belegstellen. 26) Hier die Zitate: efi går ˜ti mãlista ≤m«n êrxoi ≤ svfrosÊnh, oÔsa o·an nËn ırizÒmeya . . . êllo ín ≤m›n ti sumba¤noi μ . . . tå skeÊh ka‹ tØn émpexÒnhn ka‹ ÍpÒdesin pçsan ka‹ tå xrÆmata pãnta texnik«w ≤m›n efirgasm°na e‰nai ka‹ êlla
Prãgmata und xrÆmata
251
Läßt man sowohl den geläufigen als auch den erwähnten selteneren Sinn der Mehrzahl xrÆmata beiseite, so ist der Ausdruck in ontologischen Zusammenhängen, d. h. mit der Bedeutung ‚alle Dinge‘, ‚alle seienden Dinge‘, ‚alles‘ an folgenden Stellen belegt: Euthd. 294d, Prot. 361b, Gorg. 465d, Men. 81c, Phd. 72c, Politeia 398a, Krat. 385e, 440a, 440d, Tht. 152a, 153d, 160d, 161c, 170d, 183c, Phlb. 12e, Nomoi 716c. Von diesen insgesamt 17 Stellen sind sechs Anführungen des Protagoras-Spruches pãntvn xrhmãtvn m°tron ênyrvpow (Krat. 385e, Tht. 152a, 160d, 161c, 170d, 183c) und zwei Anführungen des Anaxagoras-Spruches ımoË pãnta xrÆmata (Gorg. 465d, Phd. 72c). Außerdem wird Nomoi 716c ı yeÚw ≤m›n pãntvn xrhmãtvn m°tron ín e‡h mãlista unverkennbar auf denselben Homo-mensura-Satz angespielt. Es bleiben also nur noch acht Stellen übrig, an denen Platon den Ausdruck xrÆmata pollå diå tÚ élhyino›w dhmiourgo›w xr∞syai; (Charm. 173a–c). tr¤t˙ d¢ efikãdi t«n z–vn ¶stv prçsiw . . . ka‹ ıpÒsvn skeu«n μ xrhmãtvn gevrgo›w m¢n prçsiw, oÂon dermãtvn μ ka‹ pãshw §sy∞tow μ plok∞w μ pilÆsevw ≥ tinvn êllvn toioÊtvn (Nomoi 849c). t«n d¢ êllvn xrhmãtvn pãntvn ka‹ skeu«n ıpÒsvn •kãstoisi xre¤a, pvle›n efiw tØn koinØn égorån f°rontaw efiw tÚn tÒpon ßkaston, §n oÂw ín nomofÊlak°w te ka‹ égoranÒmoi, metÉ éstunÒmvn tekmhrãmenoi ßdraw prepoÊsaw, ˜rouw y«ntai t«n »n¤vn, §n toÊtoiw éllãttesyai nÒmismã te xrhmãtvn ka‹ xrÆmata nom¤smatow (Nomoi 849e). Im Charmides tritt die Bedeutung ‚Handwerksprodukte‘ am deutlichsten hervor: Ist die svfrosÊnh eine Wissenschaft aller Wissenschaften, ein Wissen des Wissens und Nicht-Wissens (167 ff.), so wird man in jeder Situation den Fachmann vom Betrüger unterscheiden können. Echte Handwerker gewährleisten dann, daß alle künstlichen Erzeugnisse tadellos hergestellt sind. xrÆmata, das zusammen mit skeÊh durch émpexÒnh und ÍpÒdesiw exemplifiziert wird, ist hier im Lichte der üblichen Bedeutung ‚Wertsachen‘, ‚Waren‘ kaum zu begreifen. Nomoi 849c–e enthält zwar handelsbezogene Vorschriften, aber die Kollektivbezeichnungen xrÆmata ka‹ skeÊh scheinen ihre Erwähnung vielmehr ihrem Inhalt, der sich durch d°rmata, §syÆw, plokÆ oder p¤lhsiw erklären läßt, als dem Kontext zu verdanken. Jedenfalls ist die Bedeutung ‚Waren‘ auch für skeÊh nicht gebräuchlich. Auch am Zitatende nÒmisma xrhmãtvn éllãttesyai ktl. ist man geneigt, eher die aufgezählten Haushaltsartikel als allgemeine Waren zu lesen. Hierzu gehört noch Th. 6,97 ofl ÉAyhna›oi . . . froÊrion §p‹ t“ Labdãlƒ ”kodÒmhsan . . . ˜pvw e‡h aÈto›w, ıpÒte pro˝oien μ maxoÊmenoi μ teixioËntew, to›w te skeÊesi ka‹ to›w xrÆmasi époyÆkh. Es ist schwer zu glauben, daß die Athener We r t s a c h e n oder S c h ä t z e neben sonstiger Kriegsausrüstung in der neuerrichteten Festung lagern wollten, zumal ihnen das Gelagerte in den künftigen Schlachten oder beim Mauerbau nutzen sollte. xrÆmata sind Gebrauchsdinge (Waffen, Werkzeuge, vielleicht auch Kleidung), die eventuell einen kontextuellen Gebrauchswert haben können, ihren Sammelnamen aber nicht deswegen erhielten. Vgl. auch unten Anm. 28. Xen. Oik. 1,8–16 geht es bloß um Besitz und Sokrates’ Auffassung davon (z. B. Euthd. 280b– 281e).
252
Cătălin Enache
ontologisch verwendet. Die naheliegende Vermutung, daß zwischen den zahlreichen Protagoras-Zitaten und dem sonstigen Gebrauch27, den Platon von xrÆmata macht, ein gewisses Verhältnis bestehen dürfte, wird im folgenden untersucht. Ein möglicher Schlüssel zum Verständnis dieses Verhältnisses scheint im Passus Krat. 385e–386a zu stecken. Hier führt Sokrates die Ansicht seines Gesprächspartners Hermogenes, nach der es jedem freisteht, eine jede Sache beliebig zu benennen und umzubenennen – wie auch im Theaitetos des Theaitetos Meinung, daß die Erkenntnis Wahrnehmung sei –, auf Protagoras’ Relativismus zurück: F°re dØ ‡dvmen, Œ ÑErmÒgenew, pÒteron ka‹ tå ˆnta oÏtvw ¶xein soi fa¤netai, fid¤& aÈt«n ≤ oÈs¤a e‰nai •kãstƒ, Àsper PrvtagÒraw ¶legen l°gvn pãntvn xrhmãtvn m°tron e‰nai ênyrvpon – …w êra oÂa m¢n ín §mo‹ fa¤nhtai tå prãgmata e‰nai, toiaËta m¢n ¶stin §mo¤: oÂa dÉ ín so¤, toiaËta d¢ so¤ – μ ¶xein doke› soi aÈtå aÍt«n tina bebaiÒthta t∞w oÈs¤aw; (Krat. 385e–386a)
Der erläuternde Zusatz …w êra oÂa . . . toiaËta d¢ so¤, den man freilich eher dem Platon selbst als dem Protagoras zuschreiben wird, fällt außer der qualitativen (oÂa . . . toiaËta) und der personalisierten (toiaËta m¢n §mo¤ . . . toiaËta d¢ so¤) Bestimmung des Satzes durch die Auswechselung von xrÆmata und prãgmata auf. Diese Erklärung eines Begriffs mithilfe des anderen kommt einer Übersetzung gleich: Die zwei Ausdrücke sind austauschbar und doch verschieden. In diesem Zwischenraum zwischen Übersetztem und Übersetzendem ist der Sinn des sonstigen platonischen Gebrauchs von xrÆmata zu suchen. Wir dürfen bezweifeln, daß Platon das protagoreische xrÆmata einige Jahrzehnte nach Protagoras inhaltlich für erklärungsbedürftig hielt: Schließlich stellt sein Dialog ein Gespräch dar, das noch zu Lebzeiten des großen Sophisten stattgefunden haben soll. Mit dieser Übersetzung sui generis muß er etwas anderes beabsichtigt haben. Außer Protagoras hatte vor ihm nur noch Anaxagoras den wohlbekannten Ausdruck in einem philosophischen Diskurs eingesetzt, der sich doch mit dem Einfluß der Sophistik auf die Zeitgenossen und dem Ansehen des berühmtesten Sophisten kaum messen konnte. xrÆmata war zu einem sophistischen Ausdruck geworden, und Platon wollte durch diesen 27) Falls nicht anders angegeben, ist im folgenden ausschließlich der o n t o l o g i s c h e Sinn von xrÆmata gemeint.
Prãgmata und xrÆmata
253
Wink Abstand davon nehmen. Das Geld, das die bewunderten Weisheitslehrer für ihren Unterricht forderten, und die Sachen, von denen allen sie neuerdings das Maß sein wollten, in eins genommen: Nichts war besser dazu geeignet, den Geist der Sophistik auszudrücken. Hat Protagoras gemeint, daß der Mensch das Maß aller Dinge sei? Das mag für die ihm so vertrauten xrÆmata sehr wohl zutreffen – scheint Platon gleichsam zu sagen –, die uns geläufigen prãgmata geht dies bestimmt nicht an, denn diese haben eine eigene, vom Menschen unabhängige oÈs¤a. Im letzten Teil des Dialogs untersucht dann Sokrates die von Kratylos behauptete und von der Mehrheit der Namen anscheinend kryptisch geförderte Flußlehre, indem er aus deren Grundsätzen mehrere Schlußfolgerungen zieht, die seinen Gesprächspartner offenbar in Verlegenheit bringen. Auf der letzten Dialogseite verwendet Sokrates in geringem Abstand zweimal die Mehrzahl xrÆmata. Hier die Zitate: éllÉ oÈd¢ gn«sin e‰nai fãnai efikÒw, Œ KratÊle, efi metap¤ptei pãnta xrÆmata ka‹ mhd¢n m°nei; (Krat. 440a) oÈd¢ pãnu noËn ¶xontow ényr≈pou §pitr°canta ÙnÒmasin aÍtÚn . . . étexn«w Àsper ofl katãrrƒ nosoËntew ênyrvpoi oÏtvw o‡esyai ka‹ tå prãgmata diake›syai, ÍpÚ =eÊmatÒw te ka‹ katãrrou pãnta tå xrÆmata ¶xesyai. (Krat. 440cd)
Beidemal geben Sokrates’ Worte eine fremde Lehre wieder. Hält man an der sophistischen Natur von xrÆmata fest, so deutet dieser Gebrauch eine subtile Verbindung des protagoreischen Relativismus und der herakleitischen Flußlehre an. Diese Andeutung wäre allerdings zu verwischt und jedenfalls unverständlich, wenn wir den Theaitetos nicht hätten, einen Dialog, der mit dem Kratylos manche deutliche, aber auch unauffällige Gemeinsamkeit hat, und die Verwandtschaft beider Lehren erst richtig thematisiert. Die erste angeführte Stelle (440a) drückt eine zitatähnliche Hypothese in Form eines Konditionalsatzes aus – ‚. . . wenn, wie du behauptest, alles sich verwandelt und nichts bestehen bleibt‘, ‚. . . sollte sich alles verwandeln und nichts bestehen bleiben‘ –, wobei gerade das pãnta xrÆmata die Distanzierung des Sprechers von der besprochenen Hypothese bezeigt. Wenige Zeilen weiter (440d) wechseln nochmals prãgmata und xrÆmata: Das erstere gehört zum Hauptgedankengang als neutrale Bezeichnung der Dinge (oÈd¢ . . . noËn ¶xontow ényr≈pou . . . oÏtvw o‡esyai . . . tå prãgmata diake›syai),
254
Cătălin Enache
das letztere hingegen ist Teil einer Erklärung (ÍpÚ =eÊmatÒw te ka‹ katãrrou pãnta tå xrÆmata ¶xesyai), die den Vergleich Àsper ofl katãrrƒ nosoËntew ergänzt. Die Wortwahl ist auch hier bedeutsam: Sokrates legt das xrÆmata seinen Gegnern in den Mund, während er das prãgmata lieber für sich selbst behält. Im Theaitetos verwendet Platon den Ausdruck xrÆmata außer in den fünf Protagoras-Zitaten nur noch einmal. Es ist der entscheidende Moment, wo er den Homo-mensura-Satz mit einer allgemeinen Flußlehre verknüpft (Tht. 152d sqq.), zu der sich nicht nur Herakleitos, sondern alle Weisen der Vergangenheit bis auf Parmenides bekannt haben sollen. Selbst der Dichterfürst Homer habe im Gleichnis vom goldenen Seil einen versteckten Hinweis darauf gegeben: tØn xrus∞n seirån …w oÈd¢n êllo μ tÚn ¥lion ÜOmhrow l°gei, ka‹ dhlo› ˜ti ßvw m¢n ín ≤ periforå ¬ kinoum°nh ka‹ ı ¥liow, pãnta ¶sti ka‹ s–zetai tå §n yeo›w te ka‹ ényr≈poiw, efi d¢ sta¤h toËto Àsper dey°n, pãnta xrÆmatÉ ín diafyare¤h ka‹ g°noitÉ ín tÚ legÒmenon ênv kãtv pãnta. (Tht. 153d)
Der Gebrauch von pãnta xrÆmata in einer Auslegung zu Homer erklärt sich offenbar durch die Absicht, die auf den gemeinsamen Grundlagen der Flußlehre beruhende Zusammengehörigkeit des Dichters und der Sophistik ans Licht zu bringen. Sokrates’ Homer-Interpretation bringt ein Argument vor, welches das Zeichen einer indirekten Rede sui generis enthält: Es ist die Ansicht des Dichters, welche der Interpret wiedergibt, wenn er behauptet, daß alles nur existiert, solange es sich bewegt. Der dem platonischen Sokrates eigentlich fremde Ausdruck pãnta xrÆmata wird vom unmittelbaren Kontext hervorgerufen und dient zur Verstärkung des Kontrasts zwischen dem durch die hermeneutische Fähigkeit des Sokrates ans Licht gebrachten Gedanken des Dichters und den sonstigen Ansichten des Interpreten selbst. Hier wie sonst steht der Ausdruck in unsichtbaren, aber bedeutungsvollen Anführungszeichen. Sieht man von der bereits angesprochenen Paraphrase Nomoi 716c yeÚw pãntvn xrhmãtvn m°tron einmal ab28, so begegnet der 28) Nomoi 805e e‡w tina m¤an o‡khsin sumforÆsantew, tÚ legÒmenon, pãnta xrÆmata, par°domen ta›w gunaij‹n diatamieÊein te ka‹ kerk¤dvn êrxein ka‹ pãshw talas¤aw ist auf den oben besprochenen Sinn ‚Haushaltszubehör‘ (vgl. Anm. 26) zu beziehen. Wie die Zusätze kerk¤dew und talas¤a zeigen, überwiegt in xrÆmata eher die Handwerks- als die Wertbedeutung: Das Hausgerät (nicht: das Hausvermögen)
Prãgmata und xrÆmata
255
Ausdruck xrÆmata in Platons Spätwerk nur Phlb. 12e. Der Dialog, der unter allen Spätschriften den sokratisch-ethischen Frühschriften bekanntlich am nächsten steht, handelt von dem Guten, ob es in der Lust oder vielmehr in der Erkenntnis bestehe. Schon zu Beginn (12cd) macht Sokrates Protarchos, den Verteidiger der hedonistischen These, darauf aufmerksam, daß man unter ¥desyai die verschiedensten, manchmal gar entgegengesetzte Sachen zu verstehen pflegt: Damit wird z. B. sowohl die Freude des Denkens als auch der ausschweifende Genuß bezeichnet. Darauf antwortet Protarchos: efis‹ m¢n går épÉ §nant¤vn, Œ S≈kratew, atai pragmãtvn, oÈ mØn aÈta¤ ge éllÆlaiw §nant¤ai. p«w går ≤donª ge ≤donØ mØ oÈx ımoiÒtaton ín e‡h, toËto aÈtÚ •aut“, pãntvn xrhmãtvn; (Phlb. 12de)
Sokrates’ Gegner klammert also die verschiedenartigen, einander möglicherweise entgegengesetzten Ursachen, die eine ≤donÆ bewirken können, aus und spricht lieber vom Lustgefühl selbst, das immer gleich sei. Dabei verstärkt er den Gegensatz der zwei Auffassungen vom Guten durch den augenscheinlichen Kontrast von prãgmata und xrÆmata: Dem Sokrates, der die Erkenntnis als Ursprung der ≤donÆ mitberücksichtigt und darin noch den Lebenszweck sieht, wird der Gebrauch von prãgmata ‚eingeräumt‘29; Protarchos hingegen, der keine Rücksicht auf die Herkunft der Lust nimmt, weil er sie an sich über alles schätzt, zählt die ≤donÆ lieber zu den xrÆmata. Wie die Lust mit der Sophistik, d. h. mit der Täuschung, Vielfalt und Unechtheit zusammenhängt, lehrt der Dialog Gorgias, der den Hintergrund dieser Debatte bildet30. Die Rhetorik und die Sophistik, führt dort Sokrates aus (z. B. Gorg. 462–5, 501–3), sind keine echten, auf Wissen beruhende Künste, wird in einem Haus gesammelt, dessen Wirtschaftsführung die Frauen übernehmen sollen. Die Stelle liefert ein einzigartiges Zeugnis für die Verbreitung des geflügelten Wortes pãnta xrÆmata: Die Betonung tÚ legÒmenon zeigt, daß der Ausdruck in den Lesern abgesehen vom jeweiligen Kontext die Erinnerung an Protagoras spontan erweckte. 29) Der Satz efis‹ m¢n går épÉ §nant¤vn atai pragmãtvn hat eine unverkennbare konzessive Nuance. Für den Inhalt vgl. Phd. 71a pãnta oÏtv g¤gnetai, §j §nant¤vn tå §nant¤a prãgmata und 103b §k toË §nant¤ou prãgmatow tÚ §nant¤on prçgma g¤gnesyai. 30) Auf diese Verhältnisse hoffen wir in einem anderen Rahmen ausführlicher zurückkommen zu können. Zum Verhältnis des Philebos zu den Frühdialogen Gorgias und Protagoras vgl. auch P. Friedländer, Platon III, Berlin 21960, 289.
256
Cătălin Enache
sondern bloße auf Erfahrung beruhende Beschäftigungen, die schließlich auf die Lust abzielen. Gegen Kallikles argumentiert Sokrates ferner, daß die Lust nicht mit dem Guten zu verwechseln ist, das allein als Selbstzweck gelten darf (Gorg. 495–500). Protarchos, der zugegebenermaßen (Phlb. 58a) den Gorgias des öfteren gehört hat, vertritt also im Philebos eine These, die vor ihm auch die Sophisten aufgestellt haben, gegen welche Sokrates im Gorgias auftritt: Wenn er dazu auch das sophistische xrÆmata in eigenem Namen verwendet, so ist dies nur ein weiteres Indiz, das seine wahre ‚Abstammung‘ verrät31. 31) Überdies gibt es noch einen Grund, diese Philebos-Stelle auf den Gorgias zurückzuführen. Dort geht es Sokrates darum, die wahren Künste, die den Körper und die Seele pflegen, von den scheinbaren, die Körper und Seele durch Schmeichelei und Betrug verderben, abzugrenzen, z. B. die gumnastikÆ von der kommotikÆ, die fiatrikÆ von der ÙcopoiikÆ, die nomoyetikÆ von der sofistikÆ und die dikaiosÊnh von der =htorikÆ (Gorg. 465c). All diese unterscheiden sich von Natur, Sophisten und Rhetoren sind aber die Meister ihrer Vermischung (di°sthke m¢n oÏtv fÊsei, ëte dÉ §ggÁw ˆntvn fÊrontai §n t“ aÈt“ ka‹ per‹ taÈtå sofista‹ ka‹ =Ætorew). Würde man auf die Unterscheidungsfähigkeit der Seele verzichten, so würden alle Gegensätze wie im anaxagoreischen Urchaos ineinander aufgehen: efi mØ ≤ cuxØ t“ s≈mati §pestãtei, éllÉ aÈtÚ aÍt“, ka‹ mØ ÍpÚ taÊthw kateyevre›to ka‹ diekr¤neto ¥ te ÙcopoiikØ ka‹ ≤ fiatrikÆ, éllÉ aÈtÚ tÚ s≈ma ¶krine staym≈menon ta›w xãrisi ta›w prÚw aÍtÒ, tÚ toË ÉAnajagÒrou ín polÁ ∑n, Œ f¤le P«le – sÁ går toÊtvn ¶mpeirow – ımoË ín pãnta xrÆmata §fÊreto §n t“ aÈt“, ékr¤tvn ˆntvn t«n te fiatrik«n ka‹ Ígiein«n ka‹ Ùcopoiik«n (465d). Die Anführung des Anaxagoras-Spruches ımoË pãnta xrÆmata in Zusammenhang mit der Trennung (diekr¤neto, ¶krine, ékr¤tvn ˆntvn) von Echtem und Scheinbarem, von e‰nai und doke›n darf zugleich als eine Anspielung auf die Vorgeschichte des Ausdrucks pãnta xrÆmata und somit auch auf den Homo-mensura-Satz gelten (vgl. auch das mehrdeutige sÁ går toÊtvn ¶mpeirow). Zieht der Sophist aus dem bunten, oft nur scheinbaren Durcheinander seinen Nutzen, so gebührt dem Philosophen, das Wirkliche sachgerecht zu sondern (tÚ katå g°nh diaire›syai ka‹ mÆte taÈtÚn e‰dow ßteron ≤gÆsasyai mÆte ßteron ¯n taÈtÚn m«n oÈ t∞w dialektik∞w fÆsomen §pistÆmhw e‰nai; Soph. 253d). Die Auseinandersetzung von Philosoph und Sophist geht auf den Gegensatz von Ordnung und Unordnung zurück, und eben in der letzteren kommen Anaxagoras und Protagoras zusammen. Dieser Gegensatz wird auch Phd. 101e ausdrücklich genannt: ëma d¢ oÈk ín fÊroio Àsper ofl éntilogiko‹ per¤ te t∞w érx∞w dialegÒmenow ka‹ t«n §j §ke¤nhw …rmhm°nvn, e‡per boÊloiÒ ti t«n ˆntvn eÍre›n: §ke¤noiw m¢n går ‡svw oÈd¢ eÂw per‹ toÊtou lÒgow oÈd¢ front¤w: flkano‹ går ÍpÚ sof¤aw ımoË pãnta kuk«ntew ˜mvw dÊnasyai aÈto‹ aÍto›w ér°skein. Es fehlt hier nur das xrÆmata im Ausdruck ımoË pãnta kuk«ntew, sonst gehört das dial°gesyai und t«n ˆntvn ti eÍre›n eindeutig dem Philosophen und das fÊrein und pãnta kukçn bezeichnenderweise dem Streitkünstler. Nun, eben um eine solche diairetische Übung geht es auch Phlb. 12c–e, wo die vielfältige Lust katå g°nh untersucht gehört: ¶sti gãr, ékoÊein m¢n oÏtvw èpl«w, ßn ti [sc. ≤ ≤donÆ], morfåw d¢ dÆpou panto¤aw e‡lhfe ka¤ tina trÒpon énomo¤ouw éllÆlaiw (vgl. vorher tØn ≤donØn o‰da …w
Prãgmata und xrÆmata
257
Als einzige einschlägige Stelle, die nicht zu den frühen Dialogen gehört, bleibt nun noch Politeia 398a zu betrachten. Im dritten Buch der Politeia legt Sokrates die Grundsätze fest, wonach sich die Erziehung der Wächter richten soll. Dabei bemerkt er, daß vielgestaltige Nachahmungskünstler in seinem vollkommenen Staat nicht erwünscht sind: êndra dunãmenon ÍpÚ sof¤aw pantodapÚn g¤gnesyai ka‹ mime›syai pãnta xrÆmata, efi ≤m›n éf¤koito efiw tØn pÒlin aÈtÒw te ka‹ tå poiÆmata boulÒmenow §pide¤jasyai . . . e‡poimen dÉ ín ˜ti oÈk ¶stin toioËtow énØr §n tª pÒlei parÉ ≤m›n oÎte y°miw §ggen°syai, épop°mpoim°n te efiw êllhn pÒlin. (Politeia 398a)
Die Rückführung der Dichtkunst auf die Mimetik, welche die Analyse der Sophistik im Sophistes vorausnimmt, führt notwendig zur metaphysischen Verurteilung der Dichter. Wie jede schöpferische Tätigkeit (po¤hsiw), die bloße Abbilder erzeugt, bewegt sich auch die Dichtung in einem untergeordneten Seinsbereich und hat keinen direkten Zugang zu den Ideen (z. B. Politeia 596–7, Soph. 233d– 235a). Die sorgfältige, auf Platons Auffassung der Sophistik mehrfach hindeutende Wortauswahl (sof¤a32, pantodapÒw, mime›syai, poiÆmata, §pide¤jasyai) trägt erheblich dazu bei, die Verwandtschaft von Dichter und Sophisten zu beleuchten33. Wenn der Künstler nach Sokrates nicht nur tå pãnta, sondern gerade pãnta xrÆmata nachahmt, so trifft der protagoreische Ausdruck auf einen Schlag die besprochene Dichtkunst und die angedeutete Sophistik. In den Frühdialogen kommt xrÆmata dreimal vor. An zwei Stellen ist der Wortgebrauch besonders leicht zu erklären, denn Sokrates’ Gesprächspartner sind jeweils selbstsichere Sophisten. Euthd. 293b sqq. beteuern Euthydemos und Dionysodoros, alles zu wissen (pãnta oder ëpanta §p¤stasyai, ca. zwanzigmal zwischen 293b und 297b)34. Der Erzähler Sokrates, der von seiner Auseinandersetzung mit den Sophisten nachträglich berichtet, sagt dabei in einer Zwischenbemerkung: …mologhsãthn pãnta xrÆmata ¶sti poik¤lon). Protarchos, der eher zur Verschwommenheit neigt (≤donØ ımoiÒtaton aÈtÚ •aut“), leistet aber der Einladung zur Diairesis konsequenterweise nicht gleich Folge. 32) Hier offenbar mit negativer Konnotation, vgl. auch die in Anm. 31 zitierte Stelle Phd. 101e. 33) Vgl. Soph. 265b ≤ gãr pou m¤mhsiw po¤hsiw t¤w §stin. Das Umgekehrte gilt ebenfalls. 34) Auch Soph. 233a ist die Allwisserei Sache des Sophisten.
258
Cătălin Enache
§p¤stasyai (Euthd. 294d). Erkenntnisbezogen ist der Gebrauch von xrÆmata auch im Protagoras, wo Sokrates den seltsamen Rollentausch feststellt, der im Laufe seines Gesprächs mit Protagoras über die Lehr- und Lernbarkeit der éretÆ geschehen ist: Behauptete der Sophist ursprünglich, daß die éretÆ lehrbar sei, so ist er unbemerkt zu der Annahme gebracht worden, sie sei alles andere als Wissen, während Sokrates, der die Lehrbarkeit der éretÆ ursprünglich in Zweifel stellte, schließlich zu der Ansicht kommt, daß sie im Wissen bestehe. Ein neutraler Beobachter des Gesprächs würde zu ihm sagen: sÁ m¢n l°gvn ˜ti oÈ didaktÒn §stin éretØ §n to›w ¶mprosyen, nËn seaut“ ténant¤a speÊdeiw, §pixeir«n épode›jai …w pãnta xrÆmatã §stin §pistÆmh, ka‹ ≤ dikaiosÊnh ka‹ svfrosÊnh ka‹ ≤ éndre¤a. (Prot. 361b)
Der Ausdruck pãnta xrÆmata hat zwar hier einen präzisen Inhalt (dikaiosÊnh ka‹ svfrosÊnh ka‹ éndre¤a), der offenbar enger ist als die sonstige ontologische Bedeutung, jedoch läßt er sich ausgerechnet in einem Gespräch mit Protagoras nicht anders erklären: Sokrates veranschaulicht die Rollenvertauschung angesichts der éretÆ durch die Übernahme des protagoreischen Ausdrucks, der die ursprüngliche Stellung des Sophisten kurz und bündig konzentriert. Endlich kommt als letzte einschlägige Stelle nur noch Men. 81c in Frage. Der ‚anrüchige‘ Ausdruck ist hier allerdings etwas schwieriger zu begreifen, denn er kommt in einem Abschnitt vor (Men. 81), der die Anamnesis-Lehre, d. h. einen Kerngedanken der platonischen Philosophie einleitet. Sollte die menschliche Seele unsterblich sein, wie Priester und Dichter behaupten, dann muß sie vor der Geburt alles gesehen und gekannt haben, so daß man jedes Lernen zu Recht eine Wiedererinnerung nennen darf: ëte oÔn ≤ cuxØ éyãnatÒw te oÔsa ka‹ pollãkiw gegonu›a, ka‹ •vraku›a ka‹ tå §nyãde ka‹ tå §n ÜAidou ka‹ pãnta xrÆmata, oÈk ¶stin ˜ti oÈ memãyhken: Àste oÈd¢n yaumastÚn ka‹ per‹ éret∞w ka‹ per‹ êllvn oÂÒn tÉ e‰nai aÈtØn énamnhsy∞nai, ë ge ka‹ prÒteron ±p¤stato. (Men. 81c)
Bei näherem Zusehen stellt sich jedoch heraus, daß der von seiner sophistischen Herkunft geprägte Ausdruck auch hier nicht zufällig zum Einsatz kommt. Die Anamnesis-Lehre trägt nämlich Sokrates als Antwort auf Menons Einwand vor, daß man das, was
Prãgmata und xrÆmata
259
man nicht weiß (z. B. die éretÆ), auch nicht suchen kann: Wie kann man bestimmen, was man sucht, wenn man vom Gesuchten keine Ahnung hat, oder wie kann man sicher sein, daß man es gefunden hat, falls man darauf zufällig trifft (80d)? Den Einwand hält Sokrates für einen §ristikÚw lÒgow (80e)35, d. h. ein rein formales Argument, das die Sache übersieht und ausschließlich auf den Sieg über den Gegner zielt. Da er nichts bringt, eignet er sich übrigens nur für faule Leute (81de)36. Warum trotzdem pãnta xrÆmata in der ernstgemeinten, apologetischen Darstellung der Anamnesis-Lehre? Die Antwort gibt der Text selbst: Die Seele hat (schon einmal) die diesseitige Welt und die jenseitige und pãnta xrÆmata gesehen. Die Ausdrucksweise fällt auf. Was bringt hier pãnta xrÆmata Neues gegenüber der Gesamtheit von Diesseits und Jenseits? Das letzte Glied der Aufzählung ist freilich nur als erläuternde Wiederholung der beiden ersten verständlich37: Es sticht um so mehr hervor, als es inhaltlich nicht nötig war. Beachtet man den sonstigen Gebrauch, den Platon von (pãnta) xrÆmata macht, so wird man den Ausdruck ihm selbst nicht gerne zuschreiben wollen, sondern eher durch den Gedankenzusammenhang rechtfertigen, der den Anamnesis-Exkurs überhaupt veranlaßt hat: Sokrates erklärt seinem Gesprächspartner tå §nyãde ka‹ tå §n ÜAidou in der Sprache der Sophisten, die Menon das Argument von der Unmöglichkeit der Erkenntnis geliefert haben38. Ausschlaggebend für diese Interpre35) Vgl. bereits 75cd eine ähnliche Einschätzung von Menons Einwand, daß Sokrates sich in der Definition des sx∞ma eines gar nicht einleuchtenden Begriffs (xrÒa) bedient habe (‚obscura per obscuriora erklären‘). Dort will Sokrates der Gefahr eines formal-methodologischen Regressus ad infinitum begegnen, der durch die Forderung einer vorherigen Erklärung des jeweiligen Definiens jede Definition unmöglich machen würde. 36) Denselben Kunstgriff macht sich das Sophistenpaar Euthydemos und Dionysodoros im Euthydemos zunutze (275d–277c). Dort bezeichnet Sokrates derartige Argumente als Kinderspiele, die sich beim (unwissenden) Publikum zwar großer Beliebtheit erfreuen, sachlich aber nicht weiterhelfen können (278bc). 37) Der Begriff pãnta xrÆmata ist so breit aufgefaßt, daß er nicht nur ‚alles‘, sondern sogar ‚Gegensätze‘ wie Sinnliches und Übersinnliches in sich schließen kann. Viele Beispiele von derartig umfassenden Begriffen wird man nicht leicht nennen können. Soll es ein Zufall sein, daß im Homo-mensura-Satz pãnta xrÆmata sowohl tå ˆnta als auch tå oÈk ˆnta in sich schließt? 38) Menon steht von Anfang des Dialogs an unter dem Zeichen der Sophistik. Als erstes bemerkt Sokrates (70b), daß die Thessalier die Tüchtigkeit und Unverzagtheit im Fragen und Antworten Gorgias verdanken, der sie neuerdings besucht hatte. Menon, dem Sokrates’ Worte nicht unangenehm sind, führt dann selbst Gor-
260
Cătălin Enache
tation ist allerdings der übrige platonische Gebrauch von xrÆmata: Wäre dies das einzige einschlägige Zeugnis, so würde man die sophistische Konnotation des Ausdrucks kaum spüren, genauer: hätte man keinen Grund, dem Ausdruck eine sophistische Konnotation aufzulasten. Die anderen Belegstellen fallen aber schwer genug in die Waagschale, so daß man den ganzen letzten Teil von Sokrates’ Antwort (81cd) nach diesem Schlüssel lesen und einige weitere Redewendungen als Pfeile betrachten darf, die auf die Sophistik zielen. Sokrates behauptet nämlich, daß jede Seele, insofern sie unsterblich ist, über eine latente Allwissenheit verfügt (oÈk ¶stin ˜ti oÈ memãyhken 81c, memayhku¤aw t∞w cux∞w ëpanta 81d). Die wahre Allwissenheit, die anders als die sophistische Allwisserei (siehe oben) unter den Menschen wie der cartesianische bon sens gleichmäßig verteilt ist, hängt also mit der Unsterblichkeit der Seelen zusammen. Dem Menon scheint Sokrates gleichsam zu sagen: Bei den Sophisten braucht man keine Weisheit zu suchen, wenn man schon alles in sich trägt. Die auf das Lernen verwendete Mühe, das Verborgen-Vergessene zutage zu bringen, ist aber das eigentliche Gegenteil der von den Sophisten geförderten Faulheit39, denn der Weisheitsliebende muß sein ganzes Wesen aufs Spiel setzen, während der zahlende Sophistenschüler die exklusive Polymathie geliefert bekommt. Neben der Unsterblichkeit der Seele führt ferner Sokrates eine zweite metaphysische Hypothese an, welche für die auch nur partielle Wiederherstellung der Allwissenheit verantwortlich sein soll: t∞w fÊsevw èpãshw suggenoËw oÎshw (81d). Da alles in der Natur mit allem zusammenhängt, ist es möglich, durch Schlußfolgerungen mit den Erkenntnissen voranzukommen40. Nun ist diese Kontinuität der Natur als Voraussetzung des Erkennens wiederum das eigentliche Gegenteil des sophistischen Durchgias als eine Autorität in Fragen der éretÆ an (71c). Da ihn Sokrates auffordert, sich des bei Gorgias Gehörten zu e r i n n e r n , vertritt Menon im folgenden ausdrücklich die Lehre seines ‚Meisters‘ (ÉAnãmnhson oÔn me p«w ¶legen [sc. Gorg¤aw]. efi d¢ boÊlei, aÈtÚw efip°: doke› går dÆpou so‹ ëper §ke¤nƒ, 71d; vgl. weiter 73c, 76b, 96d). Den Begriff xrÒa erklärt schließlich Sokrates dem Menon 76cd nach dem Vorbild des Gorgias (d. h. durch einige empedokleisch-gorgianische Termini technici wie éporroa¤ und pÒroi), damit es dieser leichter hat (boÊlei oÔn soi katå Gorg¤an épokr¤nvmai, √ ín sÁ mãlista ékolouyÆsaiw; 76c). 39) otow [sc. ı lÒgow sou] ín ≤mçw érgoÁw poiÆseien ka‹ ¶stin to›w malako›w t«n ényr≈pvn ≤dÁw ékoËsai, 81d. 40) ßn mÒnon énamnhsy°nta . . . tîlla pãnta aÈtÚn éneure›n, §ãn tiw éndre›ow ¬ ka‹ mØ épokãmn˙ zht«n, 81d.
Prãgmata und xrÆmata
261
einanders (siehe oben), das Sein und Schein, Wahres und Falsches ad maiorem gloriam omniscientis atque omnipotentis sophistae vermischt41. Anamnesis, Unsterblichkeit der Seelen, Lernfähigkeit und vernunftvolle Kontinuität der Natur gehören alle zweifellos zu den Hauptgedanken der platonischen Philosophie. Aber was ist die Philosophie Platons anderes als eine Antwort auf die Sophistik? Kein Wunder, daß terminologische Anklänge an die Gegner zur Verstärkung des Kontrasts auch in einer ernsthaften Darstellung der eigenen Lehre begegnen können. Aus dieser Übersicht ergibt sich, daß das ontologische xrÆmata in Kontexten vorkommt, die eine – offenkundige oder unauffällige – Verbindung zur Sophistik aufweisen, und daß es bei Platon metonymisch für die Gedankenwelt steht, aus der es hervorgegangen ist. Die sophistische Färbung des Ausdrucks kommt jedoch erst dann richtig zum Vorschein, wenn man den neutralen Gebrauch von prãgmata betrachtet. Dieses ist wie die Einzahl prçgma nicht nur häufiger, sondern auch flexibler als sein Korrelat, das Platon nachweislich nur in der Redewendung pãnta xrÆmata verwendet. Hier einige Bedeutungen der Mehrzahl prãgmata: 41) Naturkreislauf, Seelenunsterblichkeit und Wiedererinnerungslehre stehen auch Phaidon 70–77 in Beziehung und 72b–d bemerkenswerterweise zur anaxagoreischen Vorstellung ımoË pãnta xrÆmata im Widerspruch. Wenn die Gegenteile entgegengesetzt sind und auseinander entstehen, dann wird in der Natur alles im Kreise, Totes aus Lebendigem und Lebendiges aus Totem (70d–72a). Der Kreislauf der Natur (pãnta kÊklƒ periiÒnta, 72b) liefert also einen Beweis dafür, daß die Seele nicht zugrundegeht. Dasselbe bezeugt aber auch die Lernmöglichkeit: Wenn das Lernen nur eine Wiedererinnerung ist (mãyhsiw énãmnhsiw), dann setzt die menschliche Lernfähigkeit die Präexistenz der Seele voraus (73–77). Der Phaidon ist somit diesbezüglich die Kehrseite des Menon: Wie die Wiedererinnerungslehre im Menon aus der Seelenunsterblichkeit folgt, so folgt die Seelenunsterblichkeit im Phaidon aus der Wiedererinnerungslehre. Beidemal wird dem jeweiligen Demonstrandum noch die Naturkontinuitätshypothese als Grundvoraussetzung zugrundegelegt. Diese wird ihrerseits im Phaidon durch die Unmöglichkeit des Gegenteils bewiesen: Würde in der Natur alles in e i n e Richtung laufen, z. B. alles sterben und nichts entstehen, oder alles zusammenkommen und nichts auseinandergehen, dann würde all das Werden wohl bald ein Ende haben und gemäß dem AnaxagorasSpruch alles zusammen sein (72b–d). Wie auch Gorg. 465d (siehe oben, Anm. 31) führt also Sokrates die berühmte Sentenz nicht aus einem besonderen Interesse für die anaxagoreische Lehre an, sondern einfach um eine bestimmte Vorstellung, der er sich beidemal widersetzt, mit Hilfe eines bekannten Hinweises auf eine kurze Formel zu bringen. Der Spruch des Anaxagoras ist bei Platon nicht mehr als ein Sprichwort, und man folgt vermutlich keiner falschen Spur, wenn man seinem Wortlaut entsprechende Aufmerksamkeit schenkt.
Cătălin Enache
262
a) ewige Gegenstände der reinen Erkenntnis, Ideen: efi m°llom°n pote kayar«w ti e‡sesyai, épallakt°on aÈtoË [sc. toË s≈matow] ka‹ aÈtª tª cuxª yeat°on aÈtå tå prãgmata, Phd. 66de; b) Gesamtheit des Seienden, tå ˆnta: e‡ tiw fa¤h mØ l°gein mhdÉ éntil°gein, éllå poie›n ka‹ drçn miò t°xn˙ sunãpanta §p¤stasyai prãgmata, Soph. 233d (wo im Kontext ebensogut xrÆmata hätte stehen können)42; c) objektiver Sachverhalt: toÁw d¢ kaloÊw te ka‹ égayoÁw ımologe›w l°gein …w ¶xei tå prãgmata, Euthd. 284d (vgl. auch Krat. 420b); d) Güter: §peidØ eÈda¤monew m¢n e‰nai proyumoÊmeya pãntew, §fãnhmen d¢ toioËtoi gignÒmenoi §k toË xr∞sya¤ te to›w prãgmasin ka‹ Ùry«w xr∞syai, Euthd. 282a; e) von Namen bezeichnete Denotate: tÚ mØ ka‹ tÚ oÌ protiy°mena t«n §piÒntvn Ùnomãtvn, mçllon d¢ t«n pragmãtvn per‹ ëttÉ ín k°htai tå §pifyeggÒmena Ïsteron t∞w épofãsevw ÙnÒmata, Soph. 257c (vgl. auch Krat. 390e, 416c). Den Höhepunkt erreicht der Gebrauch von prãgmata zweifellos im Kratylos, wo es über fünfzigmal in ontologischem Sinne belegt ist. Von den frühen bis zu den späten Dialogen wird also der Ausdruck neutral und konnotationsfrei als eine geläufige Bezeichnung der Dinge verwendet. V Platon findet in der Sprache der vorsokratischen Philosophie zwei inhaltlich gleichbedeutende Ausdrücke vor, die er aufgrund ihrer jeweiligen Herkunft unterschiedlich behandelt. Wenn nach ihm der eine einen sicheren Platz in der philosophischen Terminologie erhält, der andere aber endgültig daraus verschwindet, so liegt es nahe, ihr Schicksal auf diese unterschiedliche Behandlung, die bei Platons Autorität einem Urteilsspruch gleichkommt, zurückzuführen. Wien
Cătălin Enache
42) Phd. 97c–99c erzählt Sokrates von der Enttäuschung, die ihm die Lehre des Anaxagoras bereitet hat. Dabei nennt er die Dinge nicht xrÆmata, sondern prãgmata: ır« êndra t“ m¢n n“ oÈd¢n xr≈menon oÈd° tinaw afit¤aw §paiti≈menon efiw tÚ diakosme›n tå prãgmata, é°raw d¢ ka‹ afiy°raw ka‹ Ïdata afiti≈menon ka‹ êlla pollå ka‹ êtopa (98bc). Vgl. auch Krat. 413c.
DAS RHETORISCHE PRINZIP DER AUSSPARUNG BEI THEOPHRAST (FR. 696 F.) Wenn man die Ansichten des Theophrast zu Rhetorik und Literaturtheorie rekonstruieren möchte, ist die Versuchung bzw. die Gefahr groß, daß man in die kurzen, bei anderen Autoren überlieferten Fragmente mehr hineinliest, als tatsächlich in ihnen zu finden ist. Begegnen läßt sich dieser Gefahr nur, wenn man versucht, das jeweilige Fragment zu kontextualisieren, d. h. es sowohl innerhalb seiner sekundären Verwendung zu interpretieren als auch Aussagen anderer Autoren zum Vergleich heranzuziehen. Erst dann vermag man den Wert eines Fragmentes genauer zu bestimmen1. In der unter dem Namen des Demetrios überlieferten Schrift Per‹ •rmhne¤aw wird ein Zitat Theophrasts angeführt, das auf den ersten Blick bemerkenswert scheint2: oÈ pãnta §pÉ ékribe¤aw de› makrhgore›n, éllÉ ¶nia katalipe›n ka‹ t“ ékroatª suni°nai ka‹ log¤zesyai §j aÍtoË: sune‹w går tÚ §lleify¢n ÍpÚ soË oÈk ékroatØw mÒnon, éllå ka‹ mãrtuw sou g¤netai, ka‹ ëma eÈmen°sterow. sunetÚw går •aut“ doke› diå s¢ tÚn éformØn paresxhkÒta aÈt“ toË suni°nai: tÚ d¢ pãnta …w énoÆtƒ l°gein katagin≈skonti ¶oike toË ékroatoË. Man darf nicht alles mit Detailliertheit breit ausführen, sondern muß einiges auch dem Hörer überlassen, daß er es erfaßt und aus sich selbst heraus erschließt. Denn wenn er das von dir Ausgelassene erfaßt, ist er nicht nur Hörer, sondern wird sogar dein Zeuge und zugleich wohl1) Zu den verschiedenen Problemen im Umgang mit Fragmenten antiker Texte vgl. die Beiträge in den Sammelbänden G. W. Most (Hrsg.), Collecting Fragments – Fragmente sammeln, Göttingen 1997 und W. Burkert u. a. (Hrsg.), Fragmentsammlungen philosophischer Texte der Antike. Le raccolte dei frammenti di filosofi antichi, Göttingen 1998. 2) Theophr. fr. 696 (= Demetr. Eloc. 222) (die Numerierung der Fragmente bezieht sich auf die Ausgabe von W.W. Fortenbaugh u. a. [Hrsg.], Theophrastus of Eresus. Sources for His Life, Writings, Thought and Influence, 2 Bde., Leiden / New York / Köln 1992). Aus dem Text bei Demetrios geht allerdings nicht ganz klar hervor, bis zu welcher Stelle das Theophrastzitat reicht. Bei P. Chiron (Hrsg. und Übers.), Démétrios, Du style, Paris 1993, 63 ist nur der erste Satz als wörtliches Zitat markiert, bei Fortenbaugh u. a. a. a. O. hingegen der ganze hier gebotene Text.
264
Jan Stenger wollender. Denn er scheint sich selbst verständig durch dich, weil du ihm die Möglichkeit des Erfassens geboten hast. Alles wie zu einem Unverständigen zu sagen paßt aber zu dem, der seinen Hörer geringschätzt.
Theophrast empfiehlt dem Autor oder Redner, in seinem Text einige Lücken zu lassen, damit der Rezipient die Möglichkeit habe, das Ausgelassene selbst in Gedanken zu ergänzen. Diese Ergänzung oder Kombination erfolgt nicht völlig willkürlich, sondern in dem Ausdruck éformÆ liegt wohl auch, daß der Autor im Text Signale oder Anhaltspunkte anbringt, wie der Rezipient die Ergänzung vorzunehmen hat3. Eine diesen Aussparungen konträre Verfahrensweise ist es dem Fragment zufolge, wenn man alles exakt darstellt und dadurch einen langen Text herstellt (makrhgore›n). Theophrast intendiert anscheinend eine Interaktion zwischen Autor, Text und Rezipienten, deren Ziel es ist, eine innere Reaktion im Rezipienten hervorzurufen. Dadurch, daß ihm eine intellektuelle Leistung abverlangt wird, fühlt sich das Publikum ernstgenommen und vergilt diese Wertschätzung, indem es dem Autor mit größerem Wohlwollen begegnet. Soweit sich die Forschung mit diesem Fragment befaßte, wurde betont, daß es sich um die vielleicht originellste erhaltene Äußerung des Theophrast auf dem Gebiet von Rhetorik und Literaturkritik handele und exakte Parallelen bei anderen Autoren fehlten4. Eine Empfehlung solcher Aussparungsstellen sei in der Antike geradezu singulär. Diese Beobachtung fügt sich insofern in die allgemeine Forschungstendenz ein, als, wenn man sich mit Theophrasts literaturtheoretischen und rhetorischen Fragmenten beschäftigte, 3) Die Bedeutung des Begriffes éformÆ reicht nämlich von dem abstrakten Ausgangspunkt, der Gelegenheit, bis hin zu den konkreten Mitteln, von denen man ausgehen kann (so z. B. Lys. 24,24; Xen. mem. 3,12,4; Demosth. or. 18,233). In der Rhetorik kann er überdies den Stoff für Reden, also etwa das Themenmaterial, bezeichnen (Lukian. Rhetorum praeceptor 18; Theon, Prog. 59,23; 105,28; 109,17; Men. Rhet. 334,4; 360,6; 403,21; 434,16; Apsines 4,9). 4) G. M. A. Grube, Theophrastus as a Literary Critic, TAPhA 83, 1952, 172– 183, hier 175 spricht von „perhaps the most original fragment“, und D. C. Innes, Theophrastus and the Theory of Style, in: W. W. Fortenbaugh u. a. (Hrsg.), Theophrastus of Eresus. On his Life and Work, New Brunswick / Oxford 1985, 251–267, hier 253 betont, daß keine genaue Parallele existiere. P. Chiron, Un rhéteur méconnu: Démétrios (Ps.-Démétrios de Phalère). Essai sur les mutations de la théorie du style à l’époque hellénistique, Paris 2001, 299 bezeichnet das Fragment als „remarquable par sa subtilité“.
Das rhetorische Prinzip der Aussparung bei Theophrast (fr. 696 F.)
265
die Frage im Vordergrund stand, inwieweit er seinem Lehrer Aristoteles folgt oder von ihm abweicht5. Darüber hinaus wurde lediglich en passant der Versuch unternommen, die Bedeutung des Fragments durch einen Vergleich mit dem von W. Iser entwickelten Konzept literarischer Leerstellen ein wenig zu erhellen6. Bevor man den Wert des Fragmentes einschätzen und es eventuell als Vorläufer moderner Literaturtheorie in Anspruch nehmen kann, ist es jedoch nötig, Theophrasts Aussagen eingehend zu interpretieren. Bislang ist dies weitgehend unterblieben, zumal es versäumt wurde, den Kontext des Fragmentes in angemessener Weise für das Verständnis zu nutzen. Ziel der folgenden Ausführungen ist es deshalb, ein besseres Verständnis von fr. 696 durch seine Rekontextualisierung zu ermöglichen. Diese vollzieht sich auf drei verschiedenen Ebenen: Erstens soll kurz skizziert werden, wie sich die Theorie der Aussparung in Theophrasts sonstige Beschäftigung mit derartigen Fragen fügt. Hier setzt allerdings der fragmentarische Zustand der Überlieferung enge Grenzen. Zweitens soll das Fragment in seinen Kontext in Demetrios’ Werk eingeordnet werden, da es bei ihm nur einen Teil eines größeren inhaltlichen Zusammenhangs bildet. Drittens soll der Vergleich mit der zeitgenössischen und späteren Rhetorik und Literaturtheorie klären, worin Theophrasts Leistung im Hinblick auf die Empfehlung von Auslassungen genau besteht. Insgesamt sind hierbei vor allem zwei Fragen zu beantworten: Welche Texte meint Theophrast eigentlich, wenn er dem Autor rät, nicht alles detailliert auszuführen? Bezieht er sich nur auf Reden oder auch auf Dichtung oder vielleicht Geschichtsschreibung7? Und was genau soll ausgespart bzw. ausgelassen werden, lediglich inhaltliche Details oder auch sinntragende Verknüpfungen von Textelementen? 5) Diese Frage betrifft vor allem das System der verschiedenen Stilqualitäten. Siehe Grube (wie Anm. 4) und G. M .A. Grube, The Greek and Roman Critics, London 1965, 103–109 sowie Innes (wie Anm. 4). 6) A. Kessissoglu, Peiy≈ bei Theophrast, SO 69, 1994, 34–40, hier 36 mit Anm. 6. Da dies aber nicht das eigentliche Thema seines Aufsatzes bildet, erörtert er die Beziehung zu Iser nicht näher. Eine Auseinandersetzung mit seiner These, daß Theophrast eine Theorie der Leerstellen vorweggenommen habe, erfolgt unten in Anm. 57. 7) Kessissoglu (wie Anm. 6) 36 meint, Theophrast habe auch die „Verfasser poetischer [. . .] Werke“ im Blick gehabt. In Anm. 3 räumt er allerdings selbst ein, daß aus dem Kontext nur ersichtlich sei, daß die Rede von einem narrativen Teil sei.
266
Jan Stenger
Zunächst zu Theophrasts Verständnis von Rhetorik und Literatur. Auch wenn fr. 696 auf den ersten Blick singulär erscheint, bestehen doch einige Berührungspunkte mit anderen, ebenfalls nur fragmentarisch überlieferten Ansichten Theophrasts zur Wirkungsweise von Texten. Denn offenbar zeigte er wie sein Lehrer Aristoteles ein großes Interesse an Rezeptionsfragen, wie schon daraus ersichtlich ist, daß er eine ganze Schrift dem Vortrag, der ÍpÒkrisiw, widmete8. Er unterschied ferner zwischen der Philosophie, die mit einer faktenorientierten Sprache arbeite, auf der einen und Rhetorik und Dichtung auf der anderen Seite, deren Sprache auf den Hörer ausgerichtet sei. Rede und Dichtung versuchen ihm zufolge, durch stilistische Mittel den Hörer zu erfreuen und zu erschüttern sowie ihn der peiy≈ zu unterwerfen9. Darüber hinaus scheint Theophrast auch sonst besonders unter psychologischem Aspekt an der Wirkung von Texten interessiert gewesen zu sein, sofern die Fragmente ein solches Urteil erlauben. So geht es in fr. 711 darum, daß die Freude beim Anhören von Spott die Anwesenden veranlasse, dem Sprecher zu glauben und am Scherz teilzunehmen. Ähnlich wie in fr. 696 heißt es, der Hörer ergänze in Gedanken aus sich selbst heraus den im Spott versteckten Tadel, „als ob er es wüßte und glaubte“10. Dieses Interesse an der Interaktion von Texten und ihrem Publikum steht auch in fr. 696 im Vordergrund. Von besonderer Bedeutung scheint es zu sein, seinem Publikum den Eindruck zu vermitteln, man halte es für mündig und intellektuell in der Lage, die Lücken zu füllen. In dieser Haltung gegenüber dem Publikum trifft sich Theophrast mit Aristoteles, auch wenn bei diesem ebenso Zeichen einer offenen Geringschätzung der Rezipienten zu finden sind11. Den Fragmenten 8) Theophr. fr. 666.24. In fr. 712 bezeichnet Theophrast die ÍpÒkrisiw als das größte Überzeugungsmittel für einen Redner. Siehe auch Innes (wie Anm. 4) 252f. und W. W. Fortenbaugh, Theophrastus on Delivery, in: ders. (wie Anm. 4) 269–288. Die einzelnen Untersuchungen Fortenbaughs zu Theophrast liegen jetzt auch gesammelt vor: Theophrastean Studies, Stuttgart 2003 (Philosophie der Antike 17). 9) Theophr. fr. 78. Zur Interpretation siehe W. W. Fortenbaugh, Theophrastus, Fragment 65 Wimmer: Is It Important for Understanding Peripatetic Rhetoric?, AJPh 111, 1990, 168–175 und Chiron (wie Anm. 4) 146–154. 10) Theophr. fr. 711 (= Plut. Quaest. conv. 2,1,4, 631de). In fr. 719a (= Plut. Quaest. conv. 1,5,2, 623a) beschäftigt sich Theophrast mit den psychologischen Quellen der Musik. 11) Aristoteles geht davon aus, daß ein Redner sein Publikum intellektuell herausfordern kann, indem er nicht alles ausspricht oder Erwartungen enttäuscht
Das rhetorische Prinzip der Aussparung bei Theophrast (fr. 696 F.)
267
zufolge beschäftigte sich Theophrast mit Texten nicht nur unter Produktionsaspekten, sondern berücksichtigte deren Rezeption durch das Publikum. Die Rezipienten sind seiner Ansicht nach nicht allein passive Empfänger der im Text enthaltenen Botschaft, sondern aktiv an der Konstitution der Aussage beteiligt, indem sie in einer bestimmten, z.T. affektiven Weise auf die im Text enthaltenen Signale reagieren. Weiteren Aufschluß vermag der Kontext bei Demetrios zu geben. Auch wenn die Datierung seiner Schrift nicht gesichert ist und die Hypothesen vom dritten Jahrhundert v. Chr. bis zum ersten nachchristlichen Jahrhundert reichen12, besteht weitgehende Einigkeit, daß der Verfasser in peripatetischer Tradition steht. Er dürfte mithin die Schrift Theophrasts, in welcher der zitierte Passus enthalten war, im Original gekannt und die Äußerungen über die Auslassung mit Bedacht an eine bestimmte Stelle seiner Systematik gesetzt haben. Wie noch im folgenden deutlich wird, befaßt sich Demetrios in dem vorliegenden Abschnitt mit Qualitäten von narrativen Partien der Rede13. Sein Interesse gilt zunächst der §nãrgeia (§§209–220)14 und dann, weniger ausführlich, dem piyanÒn (§§221f.)15, dem er Theophrasts Empfehlungen zur Aussparung zuordnet. Wenn man die Äußerungen zu den Auslassungen in diesem Zusammenhang betrachtet, tritt sogleich ein gewisses Spannungsverhältnis zwischen diesem Konzept und der rhetorischen §nãrgeia zutage. Diese kommt nämlich zustande, indem man alles und somit einen Lernprozeß in Gang setzt (Aristot. rhet. 1,2, 1357a7–21; 3,10, 1410b6–27; 3,11, 1412b22–25). An anderer Stelle empfiehlt Aristoteles allerdings dem Redner, in Anbetracht der gemeinen Sinnesart der Hörer deren Ansichten am besten durch abgedroschene Gemeinplätze zu bestätigen (rhet. 2,21, 1395a10–18; 1395b1–3; vgl. 3,1, 1404a8). 12) Vgl. Chiron (wie Anm. 4) 15–32 und 311–370. Er setzt als vermutliche Entstehungszeit das Ende des zweiten bzw. den Anfang des ersten Jahrhunderts v. Chr. an. Vgl. jetzt auch Niels Christian Dührsen, Wer war der Verfasser des rhetorischen Lehrbuchs Über den Stil (Per‹ •rmhne¤aw)?, RhM 148, 2005, 242–271, der als Entstehungszeit die ersten Jahrzehnte des 1. Jahrhunderts v. Chr. und als Verfasser Demetrios von Magnesia annimmt. 13) Vgl. auch Innes (wie Anm. 4) 253. 14) Vgl. Chiron (wie Anm. 4) 217–221. Enargeia als Terminus der Poetik war bereits im zweiten Jahrhundert v. Chr. gebräuchlich. Vgl. G. Zanker, Enargeia in the Ancient Criticism of Poetry, RhM 124, 1981, 297–311, hier 304–310. Zur Enargeia in den Homerscholien R. Meijering, Literary and Rhetorical Theories in Greek Scholia, Groningen 1987, 39–44. 15) Vgl. Chiron (wie Anm. 4) 298f.
268
Jan Stenger
detailliert darstellt und nichts ausläßt oder verkürzt16. Als Illustration für dieses Verfahren führt Demetrios Partien aus der Ilias an17, aus denen hervorgeht, daß Anschaulichkeit sich einstellt, wenn man alles, was geschieht, möglichst exakt berichtet (§209). Es geht hier also darum, dem Hörer durch große Detailfülle gleichsam ein Bild vor Augen zu stellen18, einen realistischen Eindruck zu schaffen. Dementsprechend bezeichnet Demetrios kurz darauf die Nachahmung (m¤mhsiw) als anschaulich (§219). Zur §nãrgeia trägt es ferner bei, wenn man ein und denselben Sachverhalt nicht nur einmal ausdrückt, sondern, in etwas anderer Formulierung, wiederholt, wodurch man Emphase und Pathos erzielt (§§211–214)19. Zwar trägt die Verdoppelung nichts zur inhaltlichen Information bei, doch steigert sie die Wirkung des Textes auf den Rezipienten (§214). Daß die §nãrgeia darauf angelegt ist, den Rezipienten emotional zu beeinflussen, geht auch aus der Anweisung hervor, man solle das Geschehen nicht mit einem Mal berichten, sondern stückweise, in kleinen Ausschnitten (katå mikrÒn), damit der Leser gespannt die Ereignisse gleichsam selbst durchlebe20. Schließlich sollte man, um Anschaulichkeit zu erreichen, auch die Begleit16) g¤netai dÉ ≤ §nãrgeia pr«ta m¢n §j ékribolog¤aw ka‹ toË parale¤pein mhd¢n mhdÉ §kt°mnein (Demetr. Eloc. 209). Vgl. auch die Äußerungen zur diÆghsiw bei Anon. Seguerianus 92. 17) Hom. Il. 21,257 (als Verweis auf das ganze Gleichnis in V. 257–262); 23,379–381. Das von Homer eingesetzte Gleichnis des grabenziehenden Mannes zeigt in seiner Anschaulichkeit gut, was Demetrios meint, wenn er davon spricht, daß alle Umstände (sumba¤nonta) genannt werden. 18) Vgl. auch Rhet. Her. 4,68; Cic. de orat. 3,202; Dion. Hal. Lysias 7; Quint. inst. 4,2,63f.; 6,2,32; 8,3,62; Theon, Prog. 119,31–33; Longin. 15,1 f.; Anon. Seguerianus 96,111. Vgl. J. Martin, Antike Rhetorik. Technik und Methode, München 1974, 288f. und A. Kemmann, Evidentia, Evidenz, HWRh III (1996) 33–47, hier 39–41. Enargeia als die stilistische Qualität beschreibender Darstellung, die die Sinne anspricht, wurde z.T. mit der Ekphrasis gleichgesetzt. Vgl. Zanker (wie Anm. 14) 297–300. 19) Als Beispiel zitiert Demetrios eine Passage aus dem Werk des Ktesias (fr. 8a Lenfant), die ihre pathetische Wirkung aus einem verbalen ‚Polyptoton‘ im Schlußsatz erzielt (darüber hinaus aber auch durch Antithese): §gΔ m¢n s¢ ¶svsa, ka‹ sÁ m¢n diÉ §m¢ §s≈yhw: §gΔ d¢ diå s¢ épvlÒmhn. 20) krem«nta tÚn ékroatØn ka‹ énagkãzonta sunagvniçn (Demetr. Eloc. 216). Als Beispiel führt Demetrios den Bericht eines Boten über den Tod des Kyros im Werk des Ktesias an (fr. 24 Lenfant). Der Bote gibt seine Nachricht nur zögernd, auf Nachfrage preis und wählt euphemistisch-rätselhafte Umschreibungen. Zur Pathoserzeugung durch Enargeia siehe auch Quint. inst. 8,3,67–69; Longin. 15,9; Apsines 10,32.
Das rhetorische Prinzip der Aussparung bei Theophrast (fr. 696 F.)
269
umstände eines Ereignisses oder einer Handlung nennen (§§217f.)21. Für Demetrios besteht Anschaulichkeit also darin, bei der narrativen Darstellung von Geschehnissen und Handlungen durch eine möglichst vollständige Beschreibung im Rezipienten eine Vorstellung zu erzeugen. Eine konträre Strategie empfiehlt Demetrios hingegen, wenn er sich auf Theophrasts Äußerungen zur Auslassung beruft. Denn es geht, wie gezeigt wurde, hierbei gerade darum, dem Rezipienten nicht alles explizit darzustellen. Während die §nãrgeia auf einen weitgehend passiven Rezipienten zielt, der lediglich zum MitEmpfinden angeregt werden soll, fordert die Aussparung eine aktive, intellektuelle Tätigkeit. Sofern Demetrios Theophrasts Ansichten sinnvoll in seine Darlegung einbezogen hat, scheint dem Autor oder Redner jedoch eine Beschränkung auferlegt zu sein. Demetrios hat das Fragment nämlich in den sehr knappen Abschnitt zur Überzeugungskraft (piyanÒn) eingeordnet, die auf der Klarheit und dem üblichen Wortgebrauch beruht (§221). Demnach dürfte der Autor mit den Auslassungen nicht gegen die Klarheit (saf°w) verstoßen, da sonst die persuasive Kraft des Textes in Gefahr wäre22. Die Anschaulichkeit als Gegenstück verleiht dem Prinzip der Aussparung demnach etwas schärfere Konturen: Wenn der Autor etwas verschweigt, versucht er offenbar, Weitschweifigkeit und Redundanz zu vermeiden. Er verzichtet auf zu große Detailfülle und Nebensächlichkeiten, die der Rezipient, wie er vermutet, ohnehin aus dem Kontext heraus selbst zu supplieren vermag. Es scheint weniger die Intention zu sein, den Rezipienten zu einer wirklich selbständigen Konstitution der Textaussage und der gedanklichen Kohärenz zu veranlassen, als vielmehr, im Vetrauen auf die Komplettierungsfähigkeit des Publikums durch Auslassung des Selbst- oder Leichtverständlichen den Text zu straffen. Ob diese Interpretation dem Fragment gerecht wird, läßt sich vielleicht mit Hilfe der zeitgenössischen und späteren Rhetorik bzw. Literaturtheorie überprüfen. 21) Vgl. Quint. inst. 8,3,70; schol. Hom. Il. bT 7,216. Siehe Meijering (wie Anm. 14) 41f. 22) Zwar bringt Demetrios das Theophrastzitat nicht ausdrücklich mit der Klarheit in Verbindung, doch subsumiert er die Strategie des Auslassens auch unter das piyanÒn, so daß zwischen den beiden genannten Strategien jedenfalls kein Widerspruch bestehen kann.
270
Jan Stenger
Schon in der Rhetorik des vierten Jahrhunderts begegnet man dem Rat, der Redner solle bisweilen etwas auslassen. In der Anaximenes von Lampsakos zugeschriebenen Alexander-Rhetorik heißt es, daß eine Rede éste›ow werde, wenn der Redner das Enthymem nur halb ausspreche und das Publikum die andere Hälfte dieses Arguments erraten lasse (22,1, 1434a35–38). Unter dem Enthymem, das er zu den Beweismitteln zählt, versteht Anaximenes ein Argument, das einen Widerspruch aufzeigt, allerdings nicht unbedingt einen Widerspruch zwischen Reden und Handeln, sondern Unvereinbarkeiten aller Art (z. B. einer Handlung mit dem Gerechten oder Möglichen)23. Die Anweisung, das Enthymem nur halb vorzutragen, hängt sicherlich auch damit zusammen, daß Enthymeme grundsätzlich kurz und möglichst knapp formuliert sein sollen (10,3, 1430a36–38)24. Ähnliche Empfehlungen gibt Aristoteles in bezug auf das Enthymem, das bei ihm ein auf Deduktion beruhendes rhetorisches Argument ist25. Seiner Ansicht nach erübrigt es sich bei solchen Deduktionen, Prämissen, die bereits allgemein bekannt oder trivial sind, eigens vorzutragen. Der Zuhörer könne diese, auch wenn sie nicht ausgesprochen würden, leicht aus sich selbst heraus ergänzen26. Es kommt darauf an, bei Deduktionen das Selbstverständliche zu vermeiden, wenn man nicht als geschwätzig erscheinen will27. Die 23) Anaximen. rhet. Alex. 10,1, 1430a23–36; 14,3, 1431a28–35. Das Enthymem dient Anaximenes zufolge dazu, längere Argumentationszüge mit einer pointierten Wendung abzuschließen (32, 1439a4–7.9–21.32–38). Zum Enthymem bei Anaximenes vgl. J. Sprute, Die Enthymemtheorie der aristotelischen Rhetorik, Göttingen 1982, 140–143. 24) Darin stimmen Enthymem und Gnome bei Anaximenes überein: 1432b25–27; 1433a25 f.; 1431b25 f. Vgl. Sprute (wie Anm. 23) 145. 25) Zum Enthymem bei Aristoteles vgl. Sprute (wie Anm. 23), M. F. Burnyeat, Enthymeme. Aristotle on the Rationality of Rhetoric, in: A. O. Rorty (Hrsg.), Essays on Aristotle’s Rhetoric, Berkeley / Los Angeles / London 1996, 88–115 und C. Rapp (Übers. und Komm.), Aristoteles, Rhetorik, 2 Bde., Berlin 2002, I 323– 335.358–362; II 223–240. 26) Vgl. Aristot. rhet. 1,2, 1357a17–21. Als Beispiel führt Aristoteles folgendes an: Um auszudrücken, daß jemand im Wettkampf einen Siegeskranz erhalten habe, reiche es zu sagen, daß er bei den Olympischen Spielen gesiegt habe. Es wisse nämlich jeder, daß dort der Siegespreis aus einem Kranz bestehe. Vgl. W. W. Fortenbaugh, Teofrasto di Ereso: argomentazione retorica e sillogistica ipotetica, Aevum 74, 2000, 65–79, hier 73 f. 27) Vgl. Aristot. rhet. 2,22, 1395b21–27. Auch nach Aristoteles soll das Enthymem möglichst knapp formuliert sein. Vgl. Burnyeat (wie Anm. 25) 99–101, Rapp (wie Anm. 25) II 229f.
Das rhetorische Prinzip der Aussparung bei Theophrast (fr. 696 F.)
271
Richtschnur dafür, was der Redner beim Enthymem auslassen kann, bildet das intellektuelle Vermögen des Publikums, da die Hörer nach Möglichkeit zum Lernen angeregt werden sollen. So zeichnet sich ein geistreiches Enthymem dadurch aus, daß es ein schnelles Lernen bewirkt, mithin dem Hörer innere Befriedigung und Freude bereitet, während ein oberflächliches, d. h. offenkundiges Enthymem nicht gut ankommt28. Was jedem sogleich, wenn man es ausspricht, klar ist, löst nämlich keine Suche und somit keinen Lernprozeß aus. Das gute Enthymem resultiert für Aristoteles demnach aus einer Abwägung: Der Redner muß es vermeiden, einerseits sein Publikum zu überfordern, andererseits in Trivialitäten abzugleiten. Es obliegt ihm, Prämissen zu finden, die zwar anerkannt sind, so daß sie nicht erst langwierig eingeführt werden müssen, aber gleichwohl nicht zu simpel sind29. Wenn Aristoteles beim Enthymem den Aspekt des Suchens betont, spielt der Gedanke eine Rolle, daß die Verknüpfung der Prämissen mit der Konklusion nicht trivial sein darf. Das Auditorium soll diese Verknüpfung mit Hilfe der vom Redner gegebenen Informationen selbst nachvollziehen30. Verwandt mit diesen Empfehlungen ist die Theorie der Metapher, die Aristoteles in der Rhetorik bietet. Hierbei geht er von der Annahme aus, daß es für den Menschen angenehm sei, leicht zu lernen. Deshalb seien gerade die Begriffe, die einen Lernprozeß in Gang setzten, am angenehmsten31. Am ehesten lösten aber Metaphern einen solchen Lernprozeß aus32. Der Rezipient wird durch 28) Vgl. Aristot. rhet. 3,10, 1410b20–27; vgl. 2,23, 1400b29–33. Vgl. Sprute (wie Anm. 23) 133–135. 29) Vgl. Rapp (wie Anm. 25) II 184f. 30) Ähnlich ist wohl auch die Bemerkung zu verstehen, daß enthymemartige Gnomai beim Publikum gut ankämen, weil bei ihnen die Begründung hindurchscheine (Aristot. rhet. 2,21, 1394a20–26). Aus der angedeuteten Begründung kann der Rezipient die Gnome ableiten. 31) Aristot. rhet. 3,10, 1410b10–12. Vgl. poet. 4, 1448b12–15. Zur aristotelischen Metapherntheorie siehe D. C. Innes, Metaphor, Simile, and Allegory as Ornaments of Style, in: G. R. Boys-Stones (Hrsg.), Metaphor, Allegory, and the Classical Tradition. Ancient Thoughts and Modern Revisions, Oxford 2003, 7–27, hier 12–15 und M. Silk, Metaphor and Metonymy: Aristotle, Jakobson, Ricœur, and Others, in: ebd., 115–147. 32) Die Metapher bewirkt mãyhsiw und gn«siw (Aristot. rhet. 3,10, 1410b13– 15). Bei seiner Erörterung der Metapher in der Poetik geht Aristoteles auf diesen Lerneffekt nicht ein (poet. 21, 1457b6–16). Nach Innes (wie Anm. 4) 253f. könnte Theophr. fr. 696 eine spezielle Anwendung dieses Prinzips sein, daß Lernen Freude
272
Jan Stenger
die Metapher zu einer Suche veranlaßt, wenn er sich fragt, wodurch der Redner auf die Übertragung eines Sachverhaltes auf einen anderen gekommen ist. Wenn er diesen Bezug hergestellt, also die Analogie erkannt hat, hat er etwas Neues über den betreffenden Gegenstand gelernt. Wenn Aristoteles in diesem Zusammenhang von „Lernen“ spricht, meint er damit allerdings keinen wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt. Vielmehr bezeichnet er so ein Verstehen dessen, was der Sprecher über den Gegenstand behaupten will33. Die Leistung des Rezipienten besteht darin, gleichsam ein Rätsel zu lösen, indem er die Andeutungen des Redners zu Hilfe nimmt34. Verwendet der Redner Metaphern mit der ihnen innewohnenden Rätselhaftigkeit bzw. Unvollständigkeit, ermöglicht er eine Interaktion von Text und Rezipienten. Das Auditorium wird zu einem Lernprozeß angeregt, für den sich insbesondere das Unerwartete, Überraschende eignet. Das gut gebildete Rätsel oder die noch nicht abgegriffene Metapher sagen nicht ausdrücklich, was gemeint ist; die Erwartungen des Rezipienten werden nicht vollauf bestätigt, sondern er wird mit etwas Neuem konfrontiert, das von ihm eine geistige Reaktion verlangt35. Die Leistung des Rezipienten beschränkt sich augenscheinlich jedoch darauf, anhand von gegebenen, aber unvollständigen Informationen einen einzelnen Bezug herzustellen oder eine Verschlüsselung zu entziffern. Im Falle der Metapher soll er das ausgelassene Verbindungsglied erschließen, beim Rätsel geht es darum, die eigentliche Aussage zu rekonstruieren. Die Sinnkonstitution bezieht sich folglich nur auf eine Einzelheit, nicht auf die Verknüpfung ganzer Textsegmente zu einem kohärenten Ganzen. bereitet. Vgl. auch Quint. inst. 8,2,21: sed auditoribus etiam nonnullis grata sunt haec, quae cum intellexerunt acumine suo delectantur, et gaudent non quasi audierint sed quasi invenerint. 33) Vgl. Aristot. top. 6,2, 140a8–10. Vgl. Rapp (wie Anm. 25) II 885– 888.921–930. Zur kognitiven Leistung der Metapher vgl. ferner A. Laks, Substitution et conaissance: Une interprétation unitaire (ou presque) de la théorie aristotélicienne de la métaphore, in: D. Furley, A. Nehamas (Hrsg.), Aristotle’s Rhetoric. Philosophical Essays, Princeton 1994, 283–305. 34) Aristoteles selbst vergleicht denn auch die Metapher mit dem Rätsel: rhet. 3,2, 1405a34–b5. 35) Aristoteles spricht hierbei sogar von einer Art Täuschung (rhet. 3,11, 1412a11–27). Der Lernprozeß werde insbesondere durch das Entgegengesetztsein ausgelöst (rhet. 3,11, 1412b23–25). Daß das Unerwartete beträchtlich zur Wirkung eines literarischen Textes beiträgt, bemerkt Ps.-Longin (1,4; 35,4). Ihm kommt es dabei allerdings nur auf die erhabene Wirkung an, nicht auf einen Lernprozeß.
Das rhetorische Prinzip der Aussparung bei Theophrast (fr. 696 F.)
273
Daß auch antike Philologen das Verfahren der Dichter bemerkten, nicht alles auszusprechen, sondern manches zu verschweigen, bezeugen vielfach die Homerscholien36. Bei der Arbeit am Homertext stießen die alexandrinischen Philologen immer wieder auf Stellen, an denen der Dichter das Geschehen nicht ausführlich und vollständig dargestellt hatte. Wollte man nun nicht annehmen, daß es sich hierbei um eine fehlerhafte Überlieferung des Textes handele, so mußte man mit einem absichtlichen Vorgehen Homers rechnen. Beispielsweise fiel auf, daß Homer zwar des öfteren erwähnt, daß sich die Menschen vor dem Opfer und dem Festmahl die Hände waschen, aber verschweigt, ob sie dies auch nach dem Essen tun. Dazu bemerkt ein Scholion, nachdem es weitere ähnliche Fälle aufgezählt hat: [ÜOmhrow . . .] didoÁw to›w ékroata›w kayÉ •autoÁw log¤zesyai tå ékÒlouya. ka‹ pollå toiaËta ¶sti gn«nai parÉ aÈt“: oÈ går mÒnon, t¤ e‡p˙, éllå ka‹ t¤ mØ e‡p˙, §frÒntisen. [Homer] gibt den Hörern die Möglichkeit, für sich selbst die Begleitumstände zu erschließen. Man kann auch vieles dieser Art bei ihm bemerken. Denn er überlegte nicht nur, was er sagen sollte, sondern auch, was er nicht sagen wollte37.
Bereits bei Aristarch von Samothrake war dieses sx∞ma sivpÆsevw ein wichtiges exegetisches Axiom38, dem zufolge ebenso wie das Erzählen das Verschweigen zur Wirkung der Dichtung beiträgt. Die Bemerkungen in den Scholien beziehen sich nicht immer darauf, daß einzelne Handlungsschritte ausgelassen werden, sondern auch auf das Fehlen einzelner Gegenstände39. Man nahm an, daß der Hörer ihm aus der Alltagswelt vertraute Verhaltensweisen und Bräuche zu Hilfe ziehen könne, um das Ausgelassene in Gedanken zu ergänzen. Andernorts vermag der Rezipient Lücken in der Dar36) Vgl. A. Roemer, Die Homerexegese Aristarchs in ihren Grundzügen, hrsg. von Emil Belzner, Paderborn 1924, 239–248. Zu den Homerscholien und der Tätigkeit Aristarchs vgl. auch J.I. Porter, Hermeneutic Lines and Circles. Aristarchus and Crates on the Exegesis of Homer, in: R. Lamberton, J.J. Keaney (Hrsg.), Homer’s Ancient Readers. The Hermeneutics of Greek Epic’s Earliest Exegetes, Princeton 1992, 67–114 und G. Nagy, Homeric Scholia, in: I. Morris, B. Powell (Hrsg.), A New Companion to Homer, Leiden / New York / Köln 1997, 101–122. 37) Schol. Hom. Il. 1,449a. Vgl. schol. Hom. Od. 17,4. 38) Vgl. W. Bachmann, Die ästhetischen Anschauungen Aristarchs in der Exegese und Kritik der homerischen Gedichte, 2. Teil, Progr. Nürnberg 1904, 8–11; Roemer (wie Anm. 36) 239f. 39) Beispielsweise schol. Hom. Od. 17,4.
274
Jan Stenger
stellung zu füllen, indem er sich ähnliche Szenen aus dem Epos, an denen der gleiche Vorgang ausführlicher dargestellt ist, in Erinnerung ruft40. Aristarch und die anderen Homererklärer gingen offenbar davon aus, daß der Dichter irrelevante Nebensächlichkeiten oder einzelne Handlungsschritte, die sich gleichsam von selbst verstanden, übergehen konnte41. Daß sie hierbei tatsächlich in der Regel völlig nebensächliche Details der äußeren Handlung im Blick hatten, zeigen die Scholien auch an zahlreichen anderen Stellen, wo vom Prinzip des katå tÚ sivp≈menon die Rede ist42. Auch wenn den Exegeten durchaus bewußt war, daß diese Lücken den Hörern eine gewisse intellektuelle Leistung abforderten, so bestand diese nur darin, daß man etwas „mithörte“43, also rein mechanisch ergänzte, was der Dichter ausgelassen hatte. Ziel dieser Auslassungen war es dann wohl weniger, eine wirkliche Interaktion zwischen Text und Rezipienten zu erzielen, als vielmehr eine Straffung und Kürze, also eine Konzentration auf das Wesentliche zu bewirken44. Demzufolge begegnet man in den Scholien höchst selten Bemerkungen, die über die Ergänzung eines einzelnen Wortes oder einer 40) Im neunten Gesang der Ilias füllt Odysseus, bevor er Achill anspricht, einen Becher mit Wein (Hom. Il. 9,224). Was mit diesem Becher geschieht, wird aber weder hier noch später berichtet. Berücksichtigt man eine Parallelszene wie Hom. Od. 14,112f., so erschließt man unschwer, daß Achill wie dort Eumaios den Becher entgegennimmt und trinkt. Schol. Hom. Il. 9,224 mit test. Vgl. Roemer (wie Anm. 36) 241f. 41) Auf die Kürze bzw. konzise Ausdrucksweise als leitendes Prinzip der Homerexegese Aristarchs geht D. M. Schenkeveld, Aristarchus and ÜOmhrow filÒtexnow. Some Fundamental Ideas of Aristarchus on Homer as a Poet, Mnemosyne 23, 1970, 162–178, hier 170–175, ein; vgl. auch Bachmann (wie Anm. 38) 19f. 42) Vgl. Schol. Hom. Il. 4,159b; 5,231b; 6,114c; 7,276c; 8,221a; 16,411b; schol. Hom. Od. 3,313; 10,108; 11,158; 13,185; 17,501; 20,137. Vgl. auch schol. Eur. Or. 234 und Strab. 9,5,5. Weitere Stellen findet man bei H. Erbse (Hrsg.), Scholia Graeca in Homeri Iliadem (scholia vetera), 7 Bde., Berlin 1969–1988, Bd. 6, Index III, s.v. sivpçn 478f. und Bd. 7, Index V, s. v. Rhetorica, Reticentia 191. Grube (wie Anm. 5) 131 sieht dieses Prinzip der alexandrinischen Homerphilologie zumindest teilweise als Anwendung des in Theophr. fr. 696 vertretenen Konzepts an. 43) Die Scholien sprechen hierbei von sunupakoÊein und ähnlichem: schol. Hom. Il. 13,327a; 19,333b; 16,196b test.; schol. Pind. O. 10,84b; P. 4,53; 12,49; schol. Eur. Or. 234. Ein wenig darüber hinaus geht schol. Hom. Il. 3,224a, wo ein Gedanke, den Antenor unvollendet läßt, vervollständigt wird. Allerdings ist auch diese Ergänzung ohne Schwierigkeiten aus den vorangehenden Versen zu leisten. 44) Eustathios spricht demzufolge auch ausdrücklich von einem Verfahren der Kürze: ka‹ ¶sti ka‹ toËto m°yodow suntom¤aw, …w mØ y°lontow toË poihtoË §ndiatr¤bein to›w mØ kair¤oiw (Eust. 174,20–24 zu Hom. Il. 2,76). Vgl. auch Eust. 220,18– 20; 728,56–61.
Das rhetorische Prinzip der Aussparung bei Theophrast (fr. 696 F.)
275
stereotypen Handlung hinausgehen. So wunderte man sich, daß im sechsten Gesang der Ilias Hekabe nicht reagiert, als Hektor seinen Bruder Paris als Verursacher des Troianischen Krieges verflucht und ihm den Tod wünscht (Hom. Il. 6,280–285). Man suchte nach einer Erklärung, weshalb die Mutter nach diesen harten Worten fortgeht, ohne etwas zu erwidern, und fand, daß dieses Schweigen passend sei. Hekabe habe nämlich als Mutter dem Fluch nicht zustimmen können, habe Paris aber auch nicht verteidigen wollen, um Hektor nicht noch mehr anzustacheln45. An dieser Stelle bemerkte der Scholiast, daß ein Bruch mit der Erwartung des Rezipienten vorliegt, der dazu auffordert, nach einer Lösung zu suchen. Der Hörer muß das merkwürdige Schweigen mit Sinn füllen. Solche Beobachtungen bleiben jedoch im Vergleich zu der üblichen Interpretation katå tÚ sivp≈menon in der Minderzahl. Enge Berührungspunkte mit Theophrasts Ansichten zu Aussparungen in narrativen Partien weist auch die spätere Rhetorik auf. Sowohl bei griechischen als auch bei römischen Autoren begegnet man des öfteren dem Rat, daß man in der narratio bzw. diÆghsiw einiges auslassen solle, sofern der Hörer aus dem, was gesagt werde, das, was verschwiegen werde, selbst ergänzen könne46. Der Redner solle seinem Auditorium Anhaltspunkte bieten, aus denen es weitere Begleitumstände erschließen könne, die nicht erwähnt würden. Was der Rezipient ohnehin mithöre, könne ausgelassen werden; andernfalls würde der Redner geradezu in Weitschweifigkeit verfallen47. Offensichtlich hat die Rhetorik dabei 45) Schol. Hom. Il. 6,286. Auch schol. Hom. Il. 10,117–8 versucht, ein Verschweigen zu erklären. 46) Rhet. Her. 1,14: rem breviter narrare poterimus [. . .], si exitus rerum ita ponemus ut ante quoque quae facta sint sciri possint, tametsi nos reticuerimus: quod genus, si dicam me ex provincia redisse, profectum quoque in provinciam intellegatur. Ähnlich Cic. inv. 1,28: brevis erit [narratio] . . ., si ita dicetur, ut nonnumquam ex eo, quod dictum est id quod non est dictum intellegatur. Siehe auch Quint. inst. 4,2,41. 47) Aelius Theon, Prog. 83,22 spricht vom sunupakoÊesyai dessen, was ausgelassen wird. J. R. Butts, The „Progymnasmata“ of Theon: A New Text with Translation and Commentary, Diss. Claremont 1987, 383 definiert dies als „the process of supplying content or specific words which have not been explicitly mentioned on the basis of what has been mentioned“ (Hervorhebung im Original). Theon rate, so zu schreiben, daß man den Rezipienten zur Ergänzung von Wörtern oder Gedanken anrege; dadurch erziele man Kürze (ebd. 382f.). Der Anonymus Seguerianus (5. Jh. n. Chr.) rät, Redundanz zu meiden, vieles mit wenigen Worten auszudrücken und so zu sprechen, daß aus dem Gesagten das Verschwiegene deutlich werde (68).
276
Jan Stenger
aber nicht so sehr die Wirkung auf den Rezipienten im Blick als vielmehr die Kürze der narratio. Denn in Zusammenhang mit den Empfehlungen zur Auslassung wird stets hervorgehoben, daß man durch dieses Verfahren Kürze erzielen könne. Daß dies das eigentliche Anliegen ist, verwundert insofern nicht, als die suntom¤a als eine der Tugenden der narratio bzw. diÆghsiw gilt48. Die Kürze, die im wesentlichen darin besteht, weder Überflüssiges zu erzählen noch Unerläßliches zu übergehen, erreicht man am ehesten, wenn man das Selbstverständliche und Triviale verschweigt und den Bericht auf das Wesentliche beschränkt49. Aufgabe des Redners ist es also, bei dieser Gratwanderung nur so viel darzulegen, wie nötig ist, ohne wichtige Fakten auszulassen50. Das Ideal bildet das rechte Maß zwischen suntom¤a und safÆneia51. Verwandt mit diesen rhetorischen Empfehlungen zu Auslassungen ist auch das Prinzip der ¶mfasiw, bei welcher der Redner etwas Bestimmtes zum Ausdruck bringen will, dies aber aus verschiedenen Gründen nicht tut, sei es, weil das offene Aussprechen gefährlich wäre, als unschicklich gilt oder weil die Auslassung dem Hörer mehr ästhetischen Genuß bereitet als die direkte Mitteilung52. Der Zuhörer soll also etwas erraten oder erfassen, was nicht explizit gesagt wird, er soll 48) Die Tugenden sind Kürze, Klarheit und Glaubwürdigkeit: Vgl. Quint. inst. 4,2,31; Theon, Prog. 79; Anon. Seguerianus 63–65. 49) Vgl. Anaximen. rhet. Alex. 30,8, 1438a37–40; Theon, Prog. 83,15–19; 84,12–14; Anon. Seguerianus 102. Aus den bei Quint. inst. 4,2,41f. gegebenen Beispielen geht ebenfalls hervor, daß es um das Auslassen von Selbstverständlichkeiten geht. Für Dionys von Halikarnaß verkörpert Lysias das Ideal der Kürze. Lysias formuliere so dicht, daß er nichts Überflüssiges bringe, ja manchmal sogar Wichtiges auszulassen scheine. Letzteres führt Dionys allerdings auf die Kürze der Zeit zurück (Dion. Hal. Lysias 5f.). Kessissoglu (wie Anm. 6) 37–39 versucht, mit Hilfe der Äußerungen des Dionys zum Stil des Lysias den Sinn von Theophr. fr. 696 zu erhellen. Allerdings ist es unzutreffend, wenn Kessissoglu aus dem Text des Dionys schließt, Theophrast habe den Stil des Lysias positiv gewürdigt. Dionys sagt lediglich, daß er selbst den knappen Stil auf Lysias zurückführe, während Theophrast die Erfindung Thrasymachos zugeschrieben habe (Dion. Hal. Lysias 6 = Theophr. fr. 695). Wenn man dies berücksichtigt, ist es unangebracht, alle Äußerungen des Dionys über den Stil des Lysias zur Interpretation von Theophr. fr. 696 heranzuziehen. Überdies scheint Theophrast den Stil des Lysias keineswegs vorbehaltlos anerkannt, sondern einige Charakteristika kritisiert zu haben (Theophr. fr. 692 = Dion. Hal. Lysias 14). 50) Vgl. Anon. Seguerianus 83. 51) Vgl. Aristot. rhet. 3,16, 1416b30–1417a3. Aristoteles kritisiert an dieser Stelle das übertriebene Streben nach Kürze. Vgl. auch Dion. Hal. Lysias 4. 52) Vgl. Demetr. Eloc. 282f.; Rhet. Her. 4,67; Cic. Or. 139; Cic. de or. 3,202; Quint. inst. 8,2,11; 8,3,83–86; 9,2,64; Anon. Seguerianus 78 (mit dem Beispiel
Das rhetorische Prinzip der Aussparung bei Theophrast (fr. 696 F.)
277
auf einen verborgenen Sinn kommen53. Mit diesem Prinzip ist jedoch die Gefahr verbunden, daß ein Hörer selbst dort einen verborgenen Sinn vermutet, wo keiner enthalten ist54. Während die übrigen eben genannten Ratschläge eher mit der mechanischen Komplettierungsfähigkeit des Publikums rechnen, verlangt die Emphase zumindest in Ansätzen eine intellektuelle Leistung des Rezipienten, da er aus seiner Kenntnis des Redners und des Themas heraus Hypothesen über den intendierten Sinn anstellen muß. Für das Ziel, die Hörer zu überzeugen, wäre es allerdings höchst abträglich, wenn man allzu viele wichtige Gedanken ausließe im Vertrauen darauf, daß die Rezipienten sie selbst ergänzen könnten. Denn dadurch würde dem Mißverständnis Raum gegeben, während der gute Redner gerade bemüht sein muß, sein Anliegen so klar wie möglich vorzutragen. Die Aussparungen in den narrativen Partien der Rede werden also eher nebensächliche Details oder Begleitumstände betreffen als die Punkte, auf die es dem Redner hauptsächlich ankommt. Der Überblick über die Beobachtungen und Empfehlungen der antiken Rhetorik und Philologie hat ergeben, daß dort ähnlich wie in Theophrasts Fragment bisweilen die Strategie der Auslassung oder Aussparung erörtert wird. Man hat bemerkt, daß es für einen Redner, aber auch für einen Dichter wie Homer stellenweise vorteilhaft sein kann, manches zu verschweigen, was der Rezipient in Gedanken zu ergänzen vermag. Allerdings bestehen zwischen Demosth. or. 19,192, wo in dem Prädikat eÂlen liegt, daß Philipp die Stadt nicht nur eingenommen, sondern völlig zerstört hat). Zur Emphase vgl. H. Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik. Eine Grundlegung der Literaturwissenschaft, 3. Aufl., Stuttgart 1990, 450–453 (§905f.) und Martin (wie Anm. 18) 254f. 53) Dem Anon. Seguerianus 78 zufolge ist aber auch hier das vorrangige Ziel, daß der Redner in der diÆghsiw Kürze erzielt. 54) Geradezu wie eine pervertierte Anwendung der Emphase wirkt die Interpretation, die Isokrates im Panathenaikos den Spartanerfreund vorlegen läßt (Isokr. 12,235–263). Dessen Ansicht nach hat sich Isokrates gezielt zweideutiger Aussagen bedient, um den Spartanern ein verstecktes Lob zukommen zu lassen (§239f.). Die Aufgabe des Rezipienten bestehe darin, nichts so zu lassen, wie es der Autor gesagt habe, sondern die eigentliche, jedoch versteckte Intention (diãnoia) aufzudecken (§247). Demnach ist das Publikum aufgefordert, selbständig etwas zu ergänzen, was der Autor ausgespart hat. Die Interpretation des Spartanerfreundes diskreditiert sich freilich dadurch, daß sie an keinerlei Anhaltspunkte im Text selbst gebunden ist. Siehe C. Schäublin, Selbstinterpretation im ‚Panathenaikos‘ des Isokrates?, MH 39, 1982, 165–178; P. Roth, Die Dialogszene im ‚Panathenaikos‘, in: W. Orth (Hrsg.), Isokrates – Neue Ansätze zur Bewertung eines politischen Schriftstellers, Trier 2003, 140–149.
278
Jan Stenger
den einzelnen Beobachtungen durchaus Unterschiede. Während die zuletzt vorgestellten rhetorischen Ratschläge und die Bemerkungen der Homerexegeten offensichtlich nur das Auslassen von inhaltlichen Details und begleitenden Umständen als Mittel der Textökonomie betreffen, rechnet die Aristotelische Theorie der Metapher und des Enthymems damit, daß die intellektuelle Tätigkeit des Rezipienten substantiell zur Textaussage beiträgt. Erst das Aktualisieren des zwar ausgesparten, aber gleichwohl im Text angelegten Bedeutungspotentials rekonstruiert den vom Autor intendierten Sinn der betreffenden Partie in vollem Umfange. Trotz dieses gewichtigen Unterschieds ist die fundamentale Gemeinsamkeit der vorgestellten Äußerungen darin zu sehen, daß sie sich immer auf das Fehlen einzelner Wörter oder Gedanken beziehen, aber nie auf den ganzen Text oder Sinnzusammenhang. Es geht nicht darum, daß der Autor oder Redner die logischen Verknüpfungen, bildlich gesprochen: die Scharnierstücke, zwischen den einzelnen Textsegmenten ausspart, damit der Rezipient sie in Gedanken herstellt und so erst den Sinn des ganzen Textes konstituiert. Selbst die Theorie der Metapher und die des Enthymems setzen voraus, daß der Text nur einen einzigen Sinn in sich trägt, den zu entschlüsseln Aufgabe des Rezipienten ist, sofern der Autor einzelne Elemente ausgelassen hat. Der Sinn wird also nicht erst beim Rezeptionsakt konstituiert, sondern wohnt dem Text immer schon inne. Vor diesem Hintergrund, durch die Kontextualisierung, gewinnt nun auch Theophrasts Fragment an Klarheit. Zunächst einmal gilt es festzuhalten, daß seine Empfehlungen zu Aussparungen keineswegs so singulär sind, wie es zunächst den Anschein hat. Vielmehr ordnen sie sich, wie man an den recht deutlichen Übereinstimmungen mit den oben erläuterten Konzepten erkennen kann, in die rhetorische Theorie der Antike ein, insbesondere in die übrigen Ansichten zur Gestaltung der narratio in Reden. Dieser Befund legt die Annahme nahe, daß Theophrast sich in erster Linie an den Redner gewandt hat und erst in zweiter vielleicht auch an Autoren literarischer Werke55. Schon daß er von einem Hörer spricht, der ein wohlwollender Zeuge wird, verweist eher auf die Rhetorik als auf Dichtung oder Geschichtsschreibung. Dies und der Kontext bei Demetrios sprechen daher für die Hypothese, das 55) Immerhin läßt sich noch erkennen, daß für Theophrast Rhetorik und Dichtung verwandt waren (fr. 78).
Das rhetorische Prinzip der Aussparung bei Theophrast (fr. 696 F.)
279
Fragment entstamme einer rhetorischen Schrift Theophrasts, möglicherweise der Abhandlung Per‹ l°jevw56. Nun läßt sich auch präzisieren, was genau der Redner dem Fragment zufolge auslassen solle. Wenn Theophrast hier zuvörderst an den Redevortrag denkt, ist es unwahrscheinlich, daß er Aussparungen empfiehlt, welche die Kohärenz und den Gedankengang der ganzen Rede in Gefahr bringen könnten. Einem Redner konnte er nur das anraten, was dessen persuasiven Erfolg nicht in Frage stellte. Wenn man die Berührungspunkte der vorgestellten Konzepte mit den Ratschlägen Theophrasts berücksichtigt, wird der Eindruck bestätigt, den bereits der Kontext von fr. 696 bei Demetrios hinterlassen hatte. Spricht Theophrast vom katalipe›n, so dürfte er weniger daran gedacht haben, daß ein Redner oder Autor die Anschließbarkeit ganzer Textsegmente aussparen und dem Rezipienten die Konkretisierung und Sinnkonstitution überlassen solle, als vielmehr an das Auslassen von Einzelheiten und Begleitumständen, die, da sie selbstverständlich sind, einen Text unnötig anwachsen lassen57. 56) Daß das Fragment aus Per‹ l°jevw stammen dürfte, meint beispielsweise Chiron (wie Anm. 2) 63 Anm. 296; auch bei Fortenbaugh u. a. (wie Anm. 2) II 540 ist es unter der Rubrik Elocutio eingeordnet. Wenn man allerdings berücksichtigt, daß es Demetrios an dieser Stelle um die narrativen Partien der Rede geht, kommt auch die Schrift Per‹ proy°sevw ka‹ dihgÆmatow als Quelle in Frage (Titel 666, Nr. 16 F.). Dies vermutet Fortenbaugh (wie Anm. 26) 74. Zu den überlieferten Titelangaben der rhetorischen Werke Theophrasts vgl. W.W. Fortenbaugh, Theophrastean Titles and Book Numbers: Some Reflections on Titles Relating to Rhetoric and Poetics, in: W. Burkert (wie Anm. 1) 182–200. 57) Kessissoglu (wie Anm. 6) 36 meint hingegen fr. 696 mit dem von W. Iser entwickelten Konzept literarischer Leerstellen in Verbindung bringen zu können. Theophrast verlange vom Verfasser poetischer bzw. rhetorischer Werke eine absichtliche Unbestimmtheit im Text, durch die der Rezipient aufgefordert werde, die textlichen Lücken „subjektiv auszufüllen“. Abgesehen davon, daß sich Iser auf das Lesen von Texten bezieht, steht bei seiner Theorie im Mittelpunkt, daß der Text, statt durch eine weitgehende Bestimmtheit nur eine einzige interpretative Realisierung bzw. Konkretisierung zuzulassen, durch seine mangelnde Bestimmtheit den Leser auffordert, den Textgegenstand zu konstituieren. Die Leerstellen bilden die Gelenke eines Textes, an denen ein Textelement nicht ohne weiteres an die vorhergehenden anschließbar ist. Indem sie die Kohärenz gefährden, provozieren sie eine Hypothesenbildung darüber, in welchem Verhältnis die Textsegmente und Darstellungsperspektiven zueinander stehen. Wo ein Autor diese Technik anwendet, ist der Leser bereits in der Textstruktur mitgedacht. Die Bedeutung des Werkes wird also erst im Lesevorgang generiert, wovon bei Theophrast keine Rede sein kann. Zur Theorie der literarischen Leerstelle vgl. W. Iser, Die Appellstruktur der Texte, in: R. Warning (Hrsg.), Rezeptionsästhetik. Theorie und Praxis, 4. Aufl., München 1994, 228–252 und W. Iser, Der Akt des Lesens. Theorie ästhetischer Wirkung,
280
Jan Stenger
Zwar darf man nicht übersehen, daß Theophrast die Tätigkeit des Rezipienten als suni°nai ka‹ log¤zesyai §j aÍtoË bezeichnet, während die Rhetorikhandbücher und Scholien bloß ein sunupakoÊesyai für nötig halten, doch ist bezeichnend, daß er dem Auslassen als Gegenprinzip die detaillierte, breite Erzählung gegenüberstellt (pãnta §pÉ ékribe¤aw makrhgore›n). Auch für Theophrast ist es ein Anliegen, Weitschweifigkeit und Ablenkung durch Einzelheiten zu vermeiden, selbst wenn er – zumindest in diesen Sätzen – nicht explizit Kürze als sein Ziel benennt58. Wenn Theophrast den Verzicht auf allzu große Detailfülle anrät, macht er sich das zunutze, was man als die Unbestimmtheitsstellen dargestellter Gegenständlichkeiten bezeichnen kann59. Während ein realer Gegenstand in jeder Hinsicht eindeutig bestimmt ist und alle diese Bestimmtheiten eine konkrete Einheit bilden, werden Gegenstände in literarischen Werken intentional entworfen. Weil solch ein dargestellter Gegenstand als eine Einheit mit unendlich vielen Bestimmtheiten vorgestellt wird, entstehen in ihm Unbestimmtheitsstellen, und zwar unendlich viele. Denn das literarische Werk ist prinzipiell außerstande, sämtliche Bestimmtheiten des Gegenstandes explizit zu formulieren. Selbst wenn sich ein Autor noch so sehr bemüht, den Gegenstand umfassend auszuführen, bleiben weiterhin unendlich viele Unbestimmtheitsstellen bestehen. So eignet dem literarischen Gegenstand ein schematischer Charakter, insofern fast alle Bestimmungsstellen unausgefüllt bleiben60. Jedes literarische Werk ist im Hinblick auf die dargestellten Gegenständlichkeiten demnach prinzipiell unfertig, so daß der Rezipient zu einer Ergänzung aufgerufen ist. Durch diese Ergänzungen, die gar nicht alle im Text 4. Aufl., München 1996, 267–327. Iser hat sie in Auseinandersetzung mit R. Ingardens Konzept der Unbestimmtheitsstellen dargestellter Gegenständlichkeiten entwickelt (R. Ingarden, Das literarische Kunstwerk, 2. Aufl., Tübingen 1960, 261–270). Bei Ingarden ist die Unbestimmtheitsstelle eher mechanisch gedacht in dem Sinne, daß etwas Ausgespartes bloß durch Kombination vervollständigt werden muß. 58) Daß Theophrast einen konzisen Stil schätzte, zeigt fr. 695. 59) Zum folgenden vgl. Ingarden (wie Anm. 57) 261–270. 60) Vgl. Ingarden (wie Anm. 57) 265: „Der dargestellte, seinem Gehalt nach ‚reale‘ Gegenstand ist kein im echten Sinne allseitig vollkommen eindeutig bestimmtes Individuum, das eine ursprüngliche Einheit bildet, sondern nur ein schematisches Gebilde mit verschiedenartigen Unbestimmtheitsstellen und mit einer endlichen Anzahl von den ihm positiv zugewiesenen Bestimmtheiten, obwohl er formaliter als ein vollbestimmtes Individuum entworfen wird und ein solches Individuum vorzutäuschen berufen ist“ (ebd. 266).
Das rhetorische Prinzip der Aussparung bei Theophrast (fr. 696 F.)
281
angelegt sein müssen, ergibt sich erst die Konkretisation des literarischen Werkes61. Dieses Ausfüllen von Unbestimmtheitsstellen vollzieht sich weitgehend mechanisch. Der Rezipient wird lediglich angeregt, ausgesparte Einzelheiten zu vervollständigen62. Genau diesen Umstand versucht Theophrast als Vorteil für den Redner fruchtbar zu machen: Wenn man nämlich das Defizit literarischer Gegenstände ins Positive wendet, bedeutet dies, daß der Autor gar nicht anstreben sollte, einen Gegenstand so vollständig wie möglich zu bestimmen. Da er immer damit rechnen kann, daß seine Rezipienten fehlende Bestimmtheiten selbst ergänzen, darf er darauf verzichten, Begleitumstände und Details in extenso anzugeben. Dem von Theophrast ins Auge gefaßten Redner, dem nur begrenzte Zeit und eine beschränkte Aufnahmefähigkeit des Auditoriums zur Verfügung stehen, muß dieses Prinzip attraktiv erscheinen. Er ist der Notwendigkeit enthoben, alles mit Detailfreude breit auszumalen, weil er bei seinen Hörern die Fähigkeit zur Ergänzung voraussetzen kann. Was Theophrasts Fragment vor vergleichbaren Äußerungen der antiken Rhetorik bemerkenswert macht, ist nicht die Empfehlung der Aussparung als solche. Bedeutsam ist, daß diese bei ihm nicht vorrangig aus Sicht des Textproduzenten als Mittel der Kürze betrachtet wird, sondern zu einer intellektuellen Reaktion der Rezipienten führt, die sich wiederum positiv auf die persuasive Kraft der Rede auswirkt. Die Strategie der Auslassung sichert dem Redner das Wohlwollen der Hörer und trägt so mittelbar zu deren Überzeugung bei. Theophrast hat also erkannt, daß für den Erfolg einer Rede eine aktive Mitwirkung des Publikums hilfreich ist. Er versucht, die lernpsychologische Qualität der Aussparung in den Dienst des auf Überzeugung bedachten Redners zu stellen. Kiel
Jan Stenger
61) Vgl. Ingarden (wie Anm. 57) 266–268. 62) Es geht hierbei um die verschwiegene Haarfarbe oder Augenfarbe einer Figur und ähnliches. Vgl. die Kritik von Iser (1996, wie Anm. 57) 267–280, bes. 276– 279. Seiner Ansicht nach bildet die bloße Vervollständigung des Ausgesparten einen viel zu schwachen Antrieb für die Einbildungskraft des Lesers. Von solchen Aussparungen gehe bestenfalls ein Suggestionsreiz aus, kaum aber die Aufforderung, aus dem eigenen Wissensvorrat die notwendigen Ergänzungen bereitzustellen. Kessissoglu (wie Anm. 6) 36 Anm. 6 berücksichtigt den fundamentalen Unterschied zwischen Ingardens und Isers Konzepten offensichtlich nicht, wenn er Theophrasts Fragment gleichermaßen mit beiden in Verbindung bringt.
DES NOTES MANUSCRITES DE ‹F. JACOBS APUD L. SINNER› AU TEXTE DE MÉNANDRE LE RHÉTEUR Parmi les papiers appartenant au philologue suisse G. R. L. Sinner1, on trouve des notes manuscrites en latin, sans signature, avec des annotations critiques à 128 passages de l’édition du Traité I du rhéteur Ménandre, réalisée par L. Heeren (1785). Notre première surprise a été que quelques-unes de ces notes, que, en principe, on attribuait à Sinner, se trouvaient déjà publiées, mais sous le nom de F. Jacobs, dans la révue «Allgemeine Schulzeitung» («Variae Lectiones, Cap. IV», Nr. 80, 1828, 649–653 et «Variae Lectiones, Cap. V», Nr. 81, 1828, 657–662), et avaient été reprises par les différents éditeurs de ce rhéteur, y compris les derniers, Russell-Wilson, qui en plusieurs occasions les mentionnent dans l’apparat critique de leur édition (Menander Rhetor, Oxford 1981) et arrivent même à les adopter comme texte authentique (cf. 343.23, 356.10, 358.28, 364.2, 366.30, suivant leur numération). Notre soupçon (l’attribution à F. Jacobs2) a été confirmé lorsque nous avons constaté que, sur quelques-unes des notes manuscrites, on avait ajouté en marge, avec la même écriture, les abréviations «Sch. Z.» ou «Sch. Zeit.», qui font référence, sans doute, à cette révue «Allgemeine Schulzeitung» (que nous citerons en abrégé comme A. S.). Même dans quelques passages (par exemple, la première note à la p. 28 de l’édition de Heeren – 332.14 dans Russell-Wilson – ou la troisième note à la p. 36 1) A. Olivieri, Indicis codicum Graecorum Magliabechianorum supplementum, SIFC 5 (1897), dans Ch. Samberger (éd.), Catalogi codicum graecorum qui in minoribus bibliothecis italicis asservantur, Lipsiae 1965, 425. Il s’agit du Magliabech. 72, actuellement déposé à la Biblioteca Nazionale Centrale (Firenze), ms. De Sinner 39, ff. 9–26. Notre étude n’aurait pas été possible sans les démarches faites par M. Rafael Herrera auprès de cette bibliothèque, auquel nous tenons à exprimer notre gratitude, ainsi qu’à Mme Esther Douterello et à M. Perfecto Cid. Nous remercions aussi Mme Mar Puebla pour la traduction de notre étude, qui s’encadre dans le projet de recherche HUM2005-02415, du Ministère de l’Éducation et des Sciences de l’Espagne. 2) L’héritage de F. Jacobs se trouve actuellement à l’Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt / Gotha. Selon les informations que nous avons pu obtenir, dans celui-là on ne retrouve pas ces notes.
Des notes manuscrites de ‹F. Jacobs apud L. Sinner›
283
[335.29]), les différentes corrections nous permettent de suivre le processus de la conjecture, depuis la première proposition, corrigée par la suite, jusqu’à celle qui a finalement été publiée. Du point de vue de la chronologie relative, si notre attribution est correcte, il y a quelque évident terminus ante quem pour ces notes, spécialement l’édition de Walz (parue en 1836), que Jacobs n’arrive pas à citer, ainsi que la date (juillet 1828) de la publication des notes dans la révue A. S. Il y a aussi quelque clair terminus post quem, comme la citation des Meletemata critica de G. Schaefer (1805) ou les notes de F. J. Bast aux livres De dialectis linguae graecae, édités par Schaefer lui-même en 1811. Bien sûr, les notes sont aussi postérieures aux coniectanea de Valesius (= H. De Valois) de 1740 et à l’édition de Heeren citée ci-dessus (1785). Du point de vue du contenu, on peut s’étonner de trouver en quelques occasions des commentaires négatifs sur des propositions de correction de Heeren (par exemple, dans la note à la p. 54 de Heeren: «Hunc quoque locum H. iuvenili temeritate immutavit»; dans la note à la p. 55: «Heerenius . . . vehementer a vero aberravit»), qui ont été ensuite adoucis, même avec des terms plus élogieux, dans la version publiée de A. S. (p. 652: «Emendavit Heerenius . . . quae mihi non tam certa videntur»; p. 649: «Heerenius, vir praestantissimus . . . editor doctissimus . . . multum lucis affudit docta interpretatione adhibita, multosque locos ingenii ope restituit, ad alios persanandos viam munivit»). Nous attribuons la totalité de ces notes manuscrites au texte du Ménandre le rhéteur à Ch. Friedrich W. Jacobs (1764–1847)3, à une date indéterminée entre 1811 (citation des notes de Bast) et 1828 (publication partielle dans A. S.), bien que ce soit possible que quelques-unes aient été ajoutées après cette date-là (par exemple, la note à la p. 34 de l’édition de Heeren, où on fait mention de Heindorf et Ast). Il est même possible que l’annotation marginale «Sch. Z(eit).» ait été insérée après la publicaton dans A. S., et pas avant. En fait, à la fin de A. S., Nr. 81, 1828, p. 662, on ajoute «Fortsetzung folgt demnächst», quoique, selon nos informations, cette «continuation» n’ait pas fini par être publiée4. La présence, à côté des 3) Cf. W. Pökel, Philologisches Schriftsteller-Lexikon, Leipzig 1882, réimp. Darmstadt 1966, 130. Cf. aussi p. 259 («Sinner»). 4) Ainsi, elles ne sont pas citées dans une étude si détaillée comme celle de J. Soffel, Die Regeln Menanders für die Leichenrede, Meisenheim am Glan 1974, 112 ss., «Editionen und Emendationen».
284
F e l i p e G. H e r n á n d e z M u n˜ o z
notes à Ménandre, d’autres notes, aussi en latin et avec la même écriture, datées à 1826, nous mène à proposer une date proche pour l’ensemble d’entre elles. Les notes manuscrites semblent appartenir, donc, à Jacobs, bien qu’elles se trouvent actuellement parmi les papiers de Sinner. Comme tous les deux ont collaboré en quelque occasion (ainsi, en 1837 dans l’édition du Criton de Platon, avec des annotations latines de Jacobs réunies par Sinner), l’hypothèse la plus simple est peut-être que Jacobs ait envoyé l’ensemble complet des notes à Sinner, dont quelques-unes ont été publiées dans A. S., ou bien que – comme il est arrivé avec l’édition de Platon – Sinner ait postérieurement recueilli les notes de Jacobs à fin de les publier, ce qu’il n’a pas fini par réaliser, raison pour laquelle elles sont restées jusqu’aujourd’hui parmi ses papiers. Nous remplissons le devoir de les faire connaître, puisque, étant donné leur qualité et leur grand nombre, elles devraient être tenues en compte dans les futures éditions du rhéteur Ménandre. Nous reproduisons ci-après les 80 nouvelles notes, non publiées dans A. S. ou avec quelques changements par rapport à la version publiée. En premier lieu apparaît, devant le signe ], le texte que Jacobs lisait (celui de l’édition de Heeren et, parfois, celui de l’édition Aldine de Venise, 1508/9, ainsi que quelques corrections de Valois de 1740); suit ensuite sa conjecture, que nous accompagnons de quelques commentaires lorsque celle-ci devance des propositions d’éditeurs postérieurs (Walz, Spengel, Bursian et Russell-Wilson) ou coïncide avec la leçon de certains manuscrits, souvent recentiores5, que Jacobs, à ce moment-là, ne connaissait pas. Finalement, nous éditons en appendice la 1ère partie du manuscrit attribué à Jacobs (avec des notes critiques jusqu’à la Sect. II, c. I, p. 57, de l’édition de Heeren). Avec cette étude, nous souhaitons faire mieux connaître l’important travail critique du savant allémand.
5) Cf. la récente thèse de doctorat de E. Ares, El texto del rétor Menandro. Los manuscritos recentiores, Universidad Complutense de Madrid 2002, dont nous prenons les sigles des manuscrits recentiores. Veuillez aussi consulter notre étude L’Angelic. 54 et autres recentiores de Ménandros le rhéteur, RhM 144 (2001) 186– 203.
Des notes manuscrites de ‹F. Jacobs apud L. Sinner›
285
Nous citons en abrégé: A. S.: Allgemeine Schulzeitung («Variae Lectiones, Cap. IV», Nr. 80, 1828, 649–653 et «Variae Lectiones, Cap. V», Nr. 81, 1828, 657–662) Éditions: Heeren: L. Heeren, Commentarius ‘De Encomiis’, Göttingen 1785. Walz: Ch. Walz, Rhetores Graeci, vol. IX, 127–212, Stuttgart / Tübingen 1836. Spengel: L. Spengel, Rhetores Graeci, vol. III, 331–367, Leipzig 1876, réimp. Frankfurt am Main 1966. Bursian: C. Bursian, Der Rhetor Menandros und seine Schriften, München 1882. Russell-Wilson: D. A. Russell / N. G. Wilson, Menander Rhetor, Oxford 19816. Manuscrits: P: Paris. Gr. 1741 Z: Paris. Gr. 2423 W: Vatic. Gr. 306 M: Laur. 56.1 m: Laur. 81.8 A: Angelic. 54 b: Bodl. T.3.13 C: Ambr. B 164 D: Palat. 66 E: Marc. 8.10
F: G: H: I: K: Ma: Sc: N: R: T: v:
Paris. Gr. 1656 Gudian. 14 Palat. 277 Vindob. 60 Ambr. 1.81 Matrit. BN 4738 Scor. S.III.15 Neap. II, E-4 Ross. 981 Vatic. Gr. 728 Marc. 429
6) À la page de l’édition de Heeren, nous ajoutons aussi la numération de Russell-Wilson afin de faciliter la localisation des passages en discussion.
286
F e l i p e G. H e r n á n d e z M u n˜ o z
Notes Critiques p. 25 (331.8): oÓw μ] oÓw dØ. dØ est la leçon adoptée aussi par Walz selon le témoignage de quelques manuscrits et celle éditée par Russell-Wilson. p. 26 (331.9–10): Íp¢r toÊtvn t«n tri«n . . . didãskousin] Íp¢r toË <épÚ> tØn tr¤thn (. . .) didãskein. p. 26 (331.11): prÚ =htorik∞w prosdÒka mÒnon] Íp¢r =htorik∞w prosdÒka lÒgon. p. 27 (332.4): ˜loiw] ˜lvw. La correction est attribuée à Walz par Russell-Wilson, mais on la trouve déjà dans les notes manuscrites de Jacobs apud Sinner et dans les recentiores C R H Ma K Sc E b G. p. 27 (332.6): §peidån] §peidÆ, vel dielo¤meya] diel≈meya. RussellWilson attribuent cette correction à Spengel, mais elle apparaît déjà dans les notes manuscrites de Jacobs. p. 28 (332.14): mãyvmen] éf«men ante corr., mey«men post corr., qui est la forme qui est passée dans la publication de A. S. (p. 649). mey«men est aussi la leçon des manuscrits W M. p. 28 (332.21): Jacobs préfère garder la leçon transmise, égno«n, au lieu de la correction de Heeren: égno«. p. 29 (332.29): perieleif°nai] perieilhf°nai, qui est la leçon que l’on trouve dans l’édition Aldine. p. 30 (333.13): §t¤mhsan] §n timª ∑san. Outre cette correction, dans les notes publiées dans A. S. (p. 650) on lit §timÆyhsan. p. 32 (334.2): toË mhk°ti §je›nai] toÊtou mhd°n ti §je›nai μ. p. 33 (334.27–28): énakale›n] ßlkein. Dans la version publiée (A. S., p. 650), la correction qui s’ajoute est §pikale›n. p. 36 (335–25): post §ky°syai Jacobs add. sxÆmatã ge tå énaklhtikå èmÒttonta – ëma d¢ mÆte Íperba¤nvmen tÚ m°tron. p. 36 (335.28): Jacobs doute que la correction de Heeren soit correcte: toÊtoiw pro aÈto›w («neque tamen melius quid succurrit»). p. 36 (335.29): §k t«nde t«n] §k ye¤vn vel fler«n ante corr., §k t«n ka‹ t«n post. corr., qui est la version publiée dans A. S., p. 651. p. 39 (336.28): cuxrot°roiw] eÈcuxot°roiw. La correction se rapproche de celle d’Ernesti, §mcuxot°roiw, acceptée par RussellWilson. p. 40 (337.17): Àsper oÔn] Àsper d¢. Dans la version publiée (A. S., p. 651), la correction est Àsper katå.
Des notes manuscrites de ‹F. Jacobs apud L. Sinner›
287
p. 41 (337.30): Jacobs ne considère pas nécessaire l’insertion de toË proposée par Heeren. p. 44 (338.26): Il n’est pas nécessaire non plus d’introduire §ne¤h, mais sous-entendre §st¤. p. 46 (339.16 ss.): μ] ka‹ meg°youw] éÆyouw μ épÚ] épÚ d¢ ka‹] mçllon μ. p. 47 (340.8–9): ofl to›w muyiko›w] μ to›w muyiko›w. Russell-Wilson attribuent la correction à Spengel, mais on la trouve déjà dans les notes manuscrites de Jacobs. p. 50 (341.6): Ïsteron PÒrou] uflÚw ¶rvw PÒrou vel …w uflÚw ¶rvw PÒrou. p. 51 (341.17): ¶xoite ín l°gein] l¤poito ín l°gein. p. 51 (342.3): ∑n m¢n går] efi m¢n går. Cette correction de RussellWilson, ainsi que la suivante (cf. Comm. ad loc.), se trouvent déjà dans les notes manuscrites de Jacobs. p. 52 (342.10): ¶sti] ¶ti. p. 54 (343.6): ka‹ épeuxåw dika¤aw [oÎsaw] ] μ …w épeuxåw édik¤aw oÎsaw. p. 54 (343.6): ka‹ èpl«w e‰nai] èpl«w eÎxesyai. e‰nai d¢ èplçw] eÈxçw d¢ èplçw. p. 54 (343.10): §piΔn tåw afit¤aw efiw toÁw pol¤taw] ka‹ poiht«n tåw litåw. p. 55 (343.18): ofl dihpÒrhsan] efi dihpÒrhsan. p. 55 (343.21–2): e‡ ge ényr≈pina prãgmata ka‹ dioikÆseiw teye›sai] efi tå ényr≈pina prãgmata ke›tai dioikÆsei ye¤& teye›sai. p. 56 (344.2): oÈk°ti moi …w] o·ouw ımo¤vw (suprascr. §tÊmvw). RussellWilson attribuent la correction ımo¤vw à Bursian, mais celle-ci se trouve déjà dans les notes manuscrites de Jacobs. La version publiée (A. S., p. 653) contient la rectification o·ouw §tÊmvw. p. 58 (344.30): ır«n] …r«n (ı., «vitium esse videtur typographicum»). p. 59 (345.7): Le supplément de› oÔn §paine›n de Heeren n’est pas nécessaire. p. 59 (345.17): aÈtoË] Íet“ vel aÈtÒyen. p. 59 (345.19): §oiku›a] §oiku›an. p. 60 (346.6): paid¤on] nhdu‹ «sed in cod. Par. 2423 gunaik‹ polÁ paid¤on, unde Bast (. . .) polÊpaidi».
288
F e l i p e G. H e r n á n d e z M u n˜ o z
p. 61 (346.10): Jacobs garde, pace Heeren, tå d¢ êdoja. p. 62 (346.24): Il n’est pas nécessaire d’introduire xrØ devant §paine›n. p. 63 (346.31):
Des notes manuscrites de ‹F. Jacobs apud L. Sinner›
289
k≈maw, ˜lvw] k≈maw ˜lvw. oÈdÉ ˜son k≈maw «genuina est lectio», oÈdÉ oÎsaw «Heerenii debetur audaciae». p. 84 (355.25): per‹ tÚ ˆnoma <mÒnon>. p. 85 (356.8): épofa¤n˙w] épofane›w, qui est la leçon publiée par Russell-Wilson. p. 86 (356.28): μ genom°nh] ∑n genom°nh. Dans la version publiée (A. S., p. 659), Jacobs accepte la forme ¬ proposée par Heeren. p. 89 (357.32): ıpo›ai (. . .), oÂon (. . .) e‰na¤ fhsi] ıpo›ai afl, ¥n, oÂon (. . .) e‰na¤ fasi. Russell-Wilson attribuent afl à Bursian, mais cette correction se trouve déjà dans les notes manuscrites de Jacobs. p. 90 (358.6–7): g°nesin ée‹ toioÊtoiw] g°nesin ¶dvken §n¤aiw, nik«n DH PLEISTAIS (sic). p. 95 (360.14–15): Íp¢r gãr moi] e‡per gÉ èrmo› koin«w. ëpasai] ka‹ êllai pçsai. p. 91 (358.21): «speciosa est correctio Valesii in Em. l. 23, p. 27». p. 96 (360.15): teleiÒthtow dÉ ßneken, «hanc Heerenii correctionem probat Bast in Com. Pal., p. 790». p. 97 (361.6): de› d¢] La correction d¢ de› de Heeren se trouve dans le manuscrit G, et celle de Jacobs, dÉ efiw, dans T. p. 100 (362.13): Àsper ÉAyhnç] …w pãlin ÉAyhna¤vn. p. 101 (362.19): mãlista] kêlla êlloiw …w. p. 101 (362.20): ≤ éretØ (. . .) t∞w texnik∞w] aÏth (. . .) to›w texniko›w. p. 102 (362.25): katå polloÁw trÒpouw] fortasse katå palaioÁw trÒpouw. p. 102 (362.30): §n to›w xrÒnoiw] §n toutois‹ xrÒnoiw. p. 102 (363.8): «vulgata lectio mØ scr. mhd¢». p. 103 (363.18): pot¢ ≤l¤ou én¤sxontow] prÚ ≤l¤ou én¤sxontow. p. 103 (363.19): ka‹ yhr¤oiw] kén yÊraiw (§n Your¤oiw Heeren). p. 104 (363.26): t«n pÒlevn] t«n polit«n Heeren, «cuius correctionis necessitatem video nullam». p. 108 (365.16): suggrãmmatow ¶sti soi ≤] sÊggramma tÒdÉ ¶stin. ‡sh ≤ . . . p. 108 (365.24): êlla d¢ …w braxutãtoiw] eras.: «ubi scribendum suspicor êlla §n …w braxutãtoiw», leçon qui se trouve dans le manuscrit Z. p. 112 (366.30): ır«ntew] ırm«ntai («Iam optime conveniunt proxima de Pythicis: ˜ti . . . sun¤asin»). La correction de Jacobs coïncide – à son insu – avec la leçon des recentiores C R H Ma K Sc E b G.
290
F e l i p e G. H e r n á n d e z M u n˜ o z
Appendice Nous transcrivons ci-après la 1ère partie du manuscrit. Nous respectons l’orthographe originale, à l’exception de changements minimaux. Il y a quelques lacunes dans le texte (qui dénotent d’une rédaction provisoire), marquées par *, ainsi que quelques leçons douteuses, que nous éditons provisoirement avec le signe (?). Menander, De orationibus §pideiktika›w Ed. Heeren 1785 P. 25. oÓw μ §gkvmiastikoÁw μ cektikoÁw kaloËsin. Sic Heeren. Repone ex Ald. oÓw dØ §gk. In disiunctivis enuntiationibus prius μ haud raro omittitur. P. 26. épologe›syai sumba¤nei Íp¢r toÊtvn t«n tri«n tãjin efilhfÒtvn didãskousin ırm∞syai. Depravata haec esse vidit Heerenius, sed sensum, qui requiratur, non perspexit. Dixit scriptor, se petere veniam propterea, quod institutionem incipiat ab illo genere, quod ordine sit tertium. Dicitur épologe›syai Íp°r, tum nescio, an didãskousin pendeat ab ≤m›n, ad sumba¤nei supplendo, an totus locus sic corrigendus sit: épologe›syai sumba¤nei Íp¢r toË [épÚ] t«n tØn tr¤thn tãjin efilhfÒtvn didãskein ırm∞syai, quod incipium institutionis capio ab iis vv. (?) Ib. mØ to¤nun prÚ (per‹ corr. H.) =htorik∞w prosdÒka mÒnon ékroçsyai §j érx∞w. Fortasse: Íp¢r =ht. pr. lÒgon ékr. P. 27. toÁw d¢ t«n êllvn ye«n μ t“ lÒgƒ g°nei Ïmnouw kaloËmen, μ genik≈teron7, …w prÚw D¤a. Sic ed. Ald. Plura hic pro arbitrio mutavit editor. Scribendum leni mutatione: μ t“ ˜ l ƒ g°nei, nomine ad totum genus spectante, hymnorum videlicet nomine. Tum genik≈teron non debet tentari, p e c u l i a r e nomen huius illiusve numinis significans. Hac significatione esse videtur ap. Lucian. de Salt. § 22 et 34. Ib. ka‹ efi èrmÒttei ˜loiw. Sic ed. Ald. ˜la corr. Heer. Scribe ˜lvw. Quod idem in (?) proximis bis scripsit pÒsa pro pçsa, bene fecit; sed pro pÒsoi m°yodoi scribendum erat pÒsai. Deinde
7) = Sch. Zeit. Var. Lect. c. 4 (in marg.)
Des notes manuscrites de ‹F. Jacobs apud L. Sinner›
291
post ofl trÒpoi tollenda est maior distinctio; apodosis enim est in §rgasÒmeya. Ib. §peidån tÚ ˜lon dielo¤meya. Aut §peidØ scribendum, aut servata vulgata diel≈meya. P. 28. ka‹ tÚ m¢n per‹ t«n ényr≈pvn mãyvmen Ald. épotiy«men Heeren, quia sequitur: pãlin épotiy°meya8. Fortasse recte. Lenior tamen erit correctio mey«men. Ib. oÈk égno«n d¢ ˜ti §pithdeumãtvn ka‹ texn«n ≥dh tinew (§gk≈mia), êlloiw éf¤hmi §n to›w per‹ tÚn ênyrvpon taËta de¤jein. In hac Ald. lectione Heer. égno« emendavit et post §gk≈mia inseruit sun°gracan. Denique éllÉ éf¤hmi scripsit. Sed égno«n fortasse servandum erat, cum sic interdum éllå participium sequatur in apodosi. P. 29. Àste perieleif°nai. Scr. perieilhf°nai. Sectio I, c.II9. t«n efiw yeoÊw. efiw toÁw yeoÁw editor de suo. Frustra. Vide Schaefr. Meletem. p. 62. Et sic statim p. 31, oÈk ín Ïmnoi g¤gnoito efiw yeoÊw. P. 30. ˜soi p ç n m ° n o w ka‹ ÉEmpedokl°a §t¤mhsan. Parmen¤d˙ em. H.10 Tum eÍr°yhsan rescribendum censet: quod tempus ab h.l. alienum. Possit scribi: ˜soi Parmen¤d˙ ka‹ ÉEmpedokle› § n timª ∑san. P. 32. to›w d¢ suggrafeËsin μ logopoio›w toË mhk°ti §je›nai ßna ka‹ èploËn ˜ron. Multa h.l. novavit editor, inter alia oÈ mhk°ti §j., quod quid sit, equidem non perspicio. Fortasse legendum: toÊtou mhd°n ti §je›nai μ ßna ka‹ è. ˜ron. In iis, quae sequuntur, nihil video. Ib. xrhst°on – ka‹ toÊtvn •kãstƒ e‡dei: ka‹ ı m¢n pçsin . . . Audacter Heeren ka‹ ˜ti m¢n p., ubi m¢n vi caret. Scribe, distinctione mutata: •kãstƒ e‡dei ka‹ ı m o Ë pçsin. Referuntur enim haec verba ad quaestionem supra positam: pÒteron •n‹ toÊtvn ée‹ xrhst°on, μ pçsin ¶jestin11. De ımoË pãntew vid. ad. Achill. Tat. p. 804. Ib. ì d’ aÔ Svkrãthw, aÈtoË toÊtou katå plãsin. Sic H. edidit cum annotatione «ì rescripsi pro ı, et mox toË aÈtoË pro tÚ aÈtÚ» 8) 9) 10) 11) marg.)
= Var. Lect. c. 4 (in marg.) Sch. Zeit. Var. Lect. c. 4 (in marg.) Cf. p. 39,2,10 (in marg.) supra p. 30, ofl d¢ mikto¤, μ dÊo toÊtvn, μ tri«n, μ p ã n t v n ı m o Ë . (in
292
F e l i p e G. H e r n á n d e z M u n˜ o z
quae cum contextu non conspirant. Donec certius quid constet de lectione Aldinae, lego equidem: ˘ d’ aÔ S., aÈtÚ toËto katå pl. Quae Socr. profert de amore, id ipsum est, quod supra diximus tÚ peplasm°non g°now. Vid. p. 37,3, p. 46,5. Cap. III, p. 33. ëma m¢n går §k poll«n tÒpvn §ke¤noiw ¶jesti. De suo H. adiecit: toÁw yeoÁw énakale›n, quid sensus requireret, bene intelligens. Sed quod quaerebat, prope aderat, latens in §ke¤noiw, quod vocabulum, ut nunc res habet, h.l. abundat. Fortasse: ßlkein yËw i.e. yeoÊw. Deos ex multis locis adducere et advocare licet. ßlkein est invitare. Vid. Anidm. ad Anth. Vol. (?) IX, p.142. P. 34. oÈ mÒnon ge, éllå ka‹ toÁw tÒpouw – Post ge H. toËto inseruit. Frustra. Optime dicitur oÈ mÒnon ge éllå –. Vid. Steph. Thes. T.II, p. 6225, ed. Valp. Ib. de loco Platonis vid. Heindorf p.*12 et Ast, p. 235, qui Heerenii suspicionem non admiserunt. P. 36. Post §ky°syai aliquid videtur excidisse, aut post ple¤v. Nisi totus locus distinctione iuvandus, verbis oÈ xe›ron ‡svw – §ne¤h ple¤v pro parenthesi habitis. Quo admisso, scribe: sxÆmatã g e (d¢ Ald. te Heer.) tå énaklhtikå èrmÒttonta – ëma d ¢ (te Heer.) mÆte Íperba¤nvmen (sic recte H. pro Ípoba¤nomen) tÚ m°tron. Ib. §n aÈto›w går to›w poihta›w – Heer. scripsit §n toÊtoiw, dubito an recte: neque tamen melius quid succurrit. Ib. prosteyÆkamen. Scr. prosteye¤kamen. Ib. kaloËsin §k t«nde t«n tÒpvn. Dedit Heeren §k poll«n tÒpvn parum probabiliter. Fortasse §k t«n ka‹ t«n tÒpvn. Ib. §gΔ d¢ oÈk ín kal°oimi. Non haesit in his editor. Saltem kal°saimi scribendum. In iis quae sequuntur, vocabulum m°yodow remittit lectorem ad libellum supra commemoratum, in quo Menander rationem hymni sui in Apollinem explicaverat. Ib. ˜ti ≤ m¢n eÈxØ §pakolouye› §piklÆsei, ¶ti §lãttvn ≤ diatribÆ. Sensum optime13 perspexit editor, sed plura mutavit, quam opus erat. Scribe ne littera quidem mutata: ˜ti √ m¢n eÈxÆ – ubi preces invocationem sequuntur. Articulis quos H. adiecit, non est opus. 12) Lacune dans le texte, qui dénote d’une rédaction provisoire. 13) = Sch. Z. (in marg.)
Des notes manuscrites de ‹F. Jacobs apud L. Sinner›
293
Cap. IV, p. 38. ÉApÒllvnow épodhm¤ai tin¢w Ùnomãzontai. Frustra editor mallet nom¤zontai. Illud est: quales sunt illi Apollinis adventus, qui nomen habent apud Delios, etc. Cap. V, p. 39. to›w ésfalest°roiw. Non sunt qui altiores spiritus ducunt, ut editor interpretatur, sed cautiores potius, ut ésfalØw strathgÚw et similia. Vid. Heindorf. Plat. Tom. IV, p. 323. Depravatum est autem quod opponitur cuxrot°roiw, quod cum megalonoust°roiw male componitur. Fuisse videtur: to›w eÈcuxot°roiw, animosioribus. Cap. V, p. 40. ˜ti pãyow t∞w cux∞w §stin ı ¶rvw énapteropoie› aÈtÒn. Emendavit14 editor énaptero› aÈtÒn. Fortasse recte. Sed scripseris etiam katãpteron poie› aÈtÒn. P. 40. Àsper ka‹ aÈt«n fusiologik«n diaforåw §de¤knumen taÊtaw oÎsaw. Ex coniectura dedit editor: Àsper oÔn tåw t«n diaf., parum probabiliter. Nihil videtur mutandum, praeter ka¤ in d°. aÈt«n personam opponit rebus; nam aÈto›w fusiologiko›w opponuntur afl t∞w summetr¤aw diafora¤. Ib. ofl d¢ ßteroi ple¤sthw ka‹ meg¤sthw diatrib∞w ¶xontai. Editor dedit §nd°xontai et genitivos mutavit in accusativos. Audacter sane. Nihil mutandum, nisi ¶xontai in met°xontai. P. 41. •rmhne¤a d¢ ka‹ prÚw tÚn diyÊrambon énelye›n mikrÚn diaf°rei. Inter ka‹ et prÒw editor toË inseruit, quod mihi non videtur esse necessarium. Plurima huius generis exempla vid. ap. Malth. Gr. § 542, g, p. 1064 s. (?) Cap. VI, p. 44. efi gãr tiw §gkekrumm°nh kayÉ ÍpÒnoian. §ne¤h inserit editor ante kayÉ, frustra. Supplendum est §st¤, quod bene abest. ÍpÒnoia h.l. est allegorica interpretatio. P. 44. ka¤ toi oÈk égno« …saÊtvw ¶nioi t«n poiht«n prosf°rousi tåw éka¤rouw diaforãw. diatribãw H. dedit, recte, ut videtur. Sed quod ˜ti inseruit post …saÊtvw, erravit. Nihil hic excidit, sed seiunctis vocibus legendum: oÈk égno«, …w aÎtvw ¶nioi – temere poetarum nonnullos ornamenta adiicere (sic!). P. 45. s≈zousa m¢n tÚn §pideiktikÚn kÒsmon, polÁ d¢ toË diyurãmbou ka‹ épobebhku›a. Editor ka¤ delendum censet et uncinis inclusis. Scribe: toË diyurambikoË épob., multum tamen a dithyrambico genere recedens. P. 46. efi t“ ÉIsokrãtouw – sxhmãtvn. Locus nondum videtur persanatus. Haereo in toË meg°youw, quod in éÆyouw mutandum suspi14) = Sch. Z. (in marg.)
294
F e l i p e G. H e r n á n d e z M u n˜ o z
cor. Totam autem periodum sic conceperim equidem: ka‹ tÚ kãllow ka‹ tØn semnÒthta épÚ t«n Ùnomãtvn mçllon μ t∞w érxaiÒthtow k a ‹ toË é Æ y o u w yhr≈meya, épÚ d ¢ t∞w èrmon¤aw m ç l l o n μ t«n sxhmãtvn. Isocratem vocabula vetusta et a vulgari usu remota vitasse constat; idem maximum orationis ornatum derivabat ex numero et verborum concinna compositione. C. VII, p. 47. …w toÁw aÈtoÁw »(sic)Æyhsan §p‹ t«n muyik«n. Hoc graece dici negans editor. Scripsit ¶nioi to›w muyiko›w, nimis calide. ı aÈtÚw non semper dativum habet comitem. P. 47. ßteron d¢ tosoËton efirÆsetai, Àste span¤vw Ïmnon eÍre›n ye«n tÚ genealogikÚn mÒnon f°retai. In Aldina quatuor postrema verba addito §n ⁄ iterum ponuntur post e‰nai t«n ye«n, hinc §n ⁄ recte receptum ab editore. Quod autem e‡h ín t«n post eÍre›n inseruit, perperam egit. Vitium est in Àste, et scribendum: … w ¶ s t i span¤vw Ïmnon eÍre›n ye«n, §n ⁄ tÚ g. Ib. …w tå pollå d°, plerumque vero, ofl to›w muyiko›w. Scr. μ to›w m. Reliqua Heer. fortasse recte restituit, nisi fuit: parempl°kontew genealogikå t«n Ïmnvn, sed his non confido. Sed in toto hoc capite plura sunt, quae mihi valde videantur obscura. Praecipue me vexant Xãritew muoÊmenai, quas H. mutavit in maieuom°naw, deae parturienti opem ferentes, quam fabulam vellem exposuisset. Cap. VIII, p. 50. pãlin d¢ peplasm°now Ïsteron PÒrou ka‹ Pen¤aw. Quam vim h.l. habeat Ïsteron non video. Oratio constabit, si legeris: uflÚw ¶rvw PÒrou – aut: pãlin d¢ peplasm°now … w uflÚw ¶rvw P. P. 50. toÊtouw går toÁw Ïmnouw poik¤lvw sfÒdra plãsaw, t∞w m¢n per‹ fÊsin, t∞w d¢ per‹ g°now ¥kei. Editor bis scripsit toÁw et ¥kei mutat in l°gei. Vix dubito, quin scribendum sit: tª m¢n per‹ fÊsin, tª d¢ p. g°now ædei. Platoni tribuit õdein, ob mythicum in illis dialogorum partibus tractatum argumentum. P. 51. Se quoque Menander narrat finxisse tÚn LÒgon toË DiÚw édelfÒn – …w §n ±yikª sunÒcei. Novissimam vocem mutandam existimo in sunãcei, moralis enim, sive ethica coniunctio inter LÒgon et Iovem. Ib. ¶xoite ín l°gein. Corrigit editor: •j∞w e‡h ín l°gein, ad sensum bene15. Ad literarum (sic) vestigia propius fuerit: l¤poito ín l°gein. 15) Cf. p. 57,3 (in marg.)
Des notes manuscrites de ‹F. Jacobs apud L. Sinner›
295
Ib. mØ éphrthm°nouw, éllå sunex«w plãttein. Scr. éphrthm°nvw. Vid. Wyttenb. ad Plutarch., T.XII, p.717, ubi tamen alia vis est vocabuli. Hoc loco enim est alienum et seiunctum esse. Ib. Tanquam exemplum fabulae sibi non consentientis profertur fabula de Iove, qui dicitur prÚ pãntvn gen°syai, et Themin, Croni filiam, antiquitus duxisse: ∑n m¢n går prÚ pãntvn ka‹ Y°midow. Hanc lectionem mutavit H. Y°miw scribens. Scribendum potius: e fi m¢n går prÚ pãntvn ka‹ Y°midow. Nam si Iupiter prior fuit quam omnia reliqua, etiam prior fuit Themide. Sin Themis prior Iove, hic non est prior omnibus. Male itaque fabulae partes cohaerent. P. 52.16 ¶sti d¢ ka‹ §noËsan érxa›on ka‹ §n poiÆsei m¢n, mãlista d¢ §n suggrafª. Audacter H. dedit: ¶sti d¢ ka‹ oÔn parÉ érxa¤oiw, quia in superioribus quaedam dixerat de nevt°roiw. At dubitari nequit, rhetorem praecepta continuare, et aut ¶sti mutandum esse in ¶ti, aut certe scribendum: •n«sai érxa›on ka‹ n°on, §n p., praeterea autem iungi debet vetustum cum recens invento, quo recentioribus illa coniunctione fides concilietur. Cap. IX, p. 54. tåw m¢n går eÈxåw dika¤aw e‰nai xrÆ, ka‹ épeuxåw dika¤aw [oÎsaw]. Postremum vocabulum editor e textu circumscribendum censebat. Fortasse: μ … w épeuxåw édik¤aw oÎsaw. Saepe enim ita precantur homines, ut iniurias aliorum a se averti optent, tum preces fiunt épeuxa¤. μ excidit ob praecedens eÈxÆ. …w aut saepe depravatum in ka¤. P. 54. ka‹ èpl«w e‰nai de› tÚn de›na gen°syai, e‰nai d¢ èplçw ka‹ braxe¤aw. Hunc quoque locum H. iuvenili temeritate immutavit. Scribendum videtur: ka‹ èpl«w e Î x e s y a i de› tÚ(n) de›na gen°syai, e È x å w d¢ èplçw ka‹ braxe¤aw, aut etiam: e‰nai d¢ èplçw ka‹ br., ubi facile ex praecedentibus suppleas eÈxãw. Ib. ¶ti d¢ ka‹ pãsaw eÈxåw ka‹ suggraf°vn §piΔn tåw afit¤aw efiw toÁw pol¤taw, braxe¤aw oÎsaw eÍrÆseiw. logogrãfvn et afitÆseiw corr. Heeren. At si de oratoribus dixisset, =htÒrvn scripsisset. Locus vehementer afflictus: In §piΔn latet w´ poiht«n, in afit¤aw autem litãw. Tum verba efiw toÁw pol¤taw ex margine in textum sunt illata, cum ibi esset scriptum: ‡svw: toÁw pol¤taw, in quam coniecturam incidebat librarius, qui proximo versu 16) Sch. Zeit. Var. Lect. c. 4 (in marg.)
296
F e l i p e G. H e r n á n d e z M u n˜ o z
legebat efiw toÁw politikoÊw. Totus igitur locus sic videtur corrigendus: ¶ti d¢ ka‹ pãsaw eÈxåw ka‹ suggraf°vn ka‹ poiht«n tåw litãw braxe¤aw oÎsaw eÍrÆseiw. P. 55. ofl dihpÒrhsan per‹ genealog¤an. Fortasse: efi dihpÒrhsan. Ib. e‡ ge ényr≈pina prãgmata ka‹ dioikÆseiw teye›sai. Sententiam bene perspexit editor corrigens ye¤& dioikÆsei t°yeitai, an res humanae a diis administrentur. Sed leniore remedio usus scribo: efi t å ényr≈pina prãgmata k e › t a i dioikÆsei y e ¤ & teye›sai. Yei-a excidit ob similitudinem praecedentis syllabae sei-w. Ib. ka‹ sunoròw dØ toËto tÚ e‰dow ˜ fhm¤ pçn éllãton toioËton Ïmnonh: t“17 m¢n sxÆmati – Heerenius, qui se certam huius loci emendationem reperisse censebat, vehementer a vero aberravit. Scribendum enim, ne littera quidem immutata: ka‹ sunoròw dØ toËto tÚ e‰dow, ˜ fhmi, pçn: éllå tÚn toioËton Ïmnon t“ m¢n sxÆmati diaf°rein fhm¤ – iam totum genus, quod dico, conspicis: verum talem hymnum dico. Ib. tØn TÊxhn Sofokl∞w Ïmnhse diapor«n Ímne›. g°nei edidit H. Certa correctio tentari non poterit, nisi resciveris, quem Sophoclis hymnum Menander significaverit. P. 56. otow går tÚn ÉAsklhpiÚn ka‹ tØn ÑUgie¤an sugg°grafen oÈk°ti moi …w §pa¤nvn ényrvp¤nhn peri°rgeian ¶xontaw. Hunc locum lacunosum esse existimat H. quod postrema enuntiatio cum praecedentibus non consentiat. Possit tamen talis consensus effici, si scripseris: sugg°grafen o · o u w ı m o ¤ v w 18 §pa¤nvn é n y r v p ¤ n v n p. ¶xontaw. Compara locum Aristidis p. 14 ab editore excitatum. Madrid
F e l i p e G . H e r n á n d e z M u n˜ o z
17) = Sch. Zeit. (in marg.) 18) suprascr. §tÊmvw
Des notes manuscrites de ‹F. Jacobs apud L. Sinner›
Ms. de Sinner, f. 11 (Biblioteca Nazionale Centrale di Firenze)
297
ZUR DATIERUNG DER SCHRIFT DES DEMETRIOS ÜBER DEN STIL Die Datierung der Schrift eines Demetrios über den Prosastil blieb bis heute umstritten, nachdem man gesehen hatte, dass Demetrios von Phaleron nicht der Autor sein konnte. Der jüngste Beitrag, den P. Chiron im Jahr 2000 veröffentlichte1, wiederholt den Ansatz, den C. Hammer2 schon 1883 vorschlug. Beide sehen in dem Verfasser den aus Syrien stammenden Rhetoriklehrer dieses Namens, bei dem Cicero in Athen Unterricht nahm (Brut. 315). Dieser war 79/78 v. Chr. ein alter Mann, der den Traktat wohl früher geschrieben haben müsste. Beide, Hammer und Chiron, identifizieren ihn mit dem von Diogenes Laertios erwähnten „Sophisten“ (5,84), der in Alexandrien lehrte. Chiron vermutet, dass sein Lebenslauf Demetrios aus seiner Heimat über Alexandrien nach Athen führte. Der Traktat würde dann in die Zeit um oder bald nach 100 v. Chr. gehören. L. Radermacher rückte ihn in seiner kommentierten Ausgabe von 1901 in das frühe 1. Jh. n. Chr., jedenfalls später als Dionysios von Halikarnass3, und ähnlich urteilte 1927 W. Rhys Roberts4. G. M. A. Grube setzte ihn 1961 mit dem Verweis auf den nachklassischen Charakter seiner Sprache in die Zeit um 270 v. Chr.5 D. M. Schenkeveld plädierte für das mittlere 1. Jh. v. Chr.6, weil die Sprache des Demetrios neben nachklassischen Merkmalen unverkennbar die von Grube und Kennedy geleugneten Spuren eines frühen Attizismus zeige, worauf schon Radermacher hingewiesen hatte. Ein ähnliches Datum favorisierten 1) Démétrius de Phalère – essai sur les mutations de la theorie de style à l’époque hellénistique, Paris 2000; dazu die Textausgabe Démétrius, Du style, ed. P. Chiron, Paris 1992. 2) C. Hammer, Programm des Gymnasiums Landshut 1883. 3) Demetrii Phalerei qui dicitur de elocutione libellus, ed. L. Radermacher, Leipzig 1901 (mit Kommentar). 4) Demetrius, On Style, ed. W. Rhys Roberts, Cambridge, MA 1927. 5) G. M. A. Grube, A Greek Critic – Demetrius on Style, Toronto 1961. 6) D. M. Schenkeveld, Studies in Demetrius on Style, Amsterdam 1964.
Zur Datierung der Schrift des Demetrios Über den Stil
299
J. W. H. Atkins 1934 und D. A. Russell 1972, dieser mit ausdrücklichem Verweis auf die Zeit kurz vor Dionysios7. Schließlich glaubte K. Paffenroth 1994, in dem Ausdruck perifere›w st°gaw den Hinweis auf eine Gewölbetechnik zu erkennen, die den Griechen erst im 1. Jh. n. Chr. vertraut wurde8. Wie unsicher der Boden ist, auf dem man sich hier bewegt, zeigt das Schwanken eines der besten Kenner der antiken Rhetorik, der den Traktat 1965 ins 3. Jh. v. Chr. rückte, 1989 die Datierungsfrage als ungelöst oder gar unlösbar bezeichnete und sich 1994 für das 1. Jh. v. Chr. entschied9. Angesichts dieser Fülle von Datierungsvorschlägen ist es wahrscheinlich, dass eine neuerliche Beschäftigung mit dem Problem zu einem Ergebnis kommt, das bereits publiziert wurde, ohne möglicherweise allgemeine Anerkennung zu finden. Indessen scheint der Vorrat an Argumenten noch keineswegs erschöpft zu sein, so dass die Hoffnung besteht, doch noch etwas festeren Boden unter die Füße zu bekommen. Verständlicherweise spielt die Frage des Verhältnisses zu Dionysios von Halikarnass eine besondere Rolle. Radermacher (wie Anm. 3, 77) hatte aus dem Vergleich zwischen Demetr. §36, Dion. Hal. De Thuc. 23 und Ps. Long. De sublim. 34 den Schluss auf die Priorität des Dionysios gezogen. Donald Russell folgerte das Umgekehrte aus §179. Dort heißt es, dass niemand t«n pr¤n sich mit dem glafurÒn beschäftigt habe, weshalb angesichts der Bedeutung, die diesem Terminus bei Dionysios und Späteren zukommt, Demetrios das Werk des Dionysios nicht gekannt haben könne. Keines der beiden Argumente ist ganz stichhaltig. Die Parallelen, auf die sich Radermacher stützt, sind zu schwach, um ihre Beweislast zu tragen. Dionysios und der Autor De sublimitate zählen verschiedene Faktoren auf, die das deinÒn einer Rede bewirken, sprechen aber nicht von einem xaraktØr deinÒw, der neben die drei anderen, bekannten tritt. Andererseits braucht pr¤n hier nicht die Bedeutung ‚bevor, bis‘ zu haben, also eine Zeitgrenze an7) J. W. H. Atkins, Literary Criticism in Antiquity, vol. 2, London 1934 (1952) 198; D. A. Russell / M. Winterbottom, Ancient Literary Criticism, Oxford 1972, 172, dort weitere Literaturhinweise. 8) K. Paffenroth, CQ 44, 1994, 280 ff. Weitere Datierungsvorschläge bei Chiron (wie Anm. 1) 311 ff. 9) G. A. Kennedy, The Art of Persuasion in Greece, Princeton 1963, 285 ff.; ders., The Evolution of Artistic Prose, in: The Cambridge History of Literary Criticism, Cambridge 1989, 196 f.; ders., A New History of Classical Rhetoric, Princeton 1994, 88 f.
300
Albrecht Dihle
zugeben, sondern kann, wie oft in attributiver Verwendung, sich einfach auf die Menschen früherer Zeit beziehen. So heißt es z. B. im Aristeasbrief (137): nËn eÍretik≈teroi ka‹ polumay°steroi t«n ényr≈pvn t«n pr¤n efisi pollo¤. Demetrios zitiert mit Ausnahme der Peripatetiker Artemon (§223) und Archedemos (§34), dessen Lebenszeit unbekannt ist, nur „die Alten“ mit Namen, spätere Prosaautoren, wenn überhaupt, dann ohne Namensnennung. Nur bei den Dichtern ist er großzügiger (siehe unten, S. 307). Man darf also nicht erwarten, dass er Dionysios zitiert hätte, selbst wenn er ihn kannte. Dass aber bei den Alten, Aristoteles oder Theophrast, glafurÒw als stiltheoretischer Terminus nicht vorkam, dürfte zutreffen. Das Wort begegnet in der Rhetorik ad Alexandrum (1421a38/39) und bei Aristoteles (Pol. 1274b8) eher inhalts-, nicht stilbezogen zur Bezeichnung glatter Argumentation. Indessen lässt sich aus der Verwendung des Wortes glafurÒw in der Stiltheorie einiges lernen. Bei Dionysios, der es häufig im Sinn von ‚elegant, anmutig, poliert‘ verwendet, wird es gelegentlich mit ényhrÒw verbunden, und einmal erscheint dieses sogar als varia lectio in unserer Überlieferung (De comp. 24). GlafurÒw ist dabei dem mittleren Stil zugeordnet, dem das semnÒn oder auch das gelegentliche aÈsthrÒn des genus grande abgeht, der dafür aber besonderes Wohlgefallen (xãriw) hervorruft. ÉAnyhr«w l°gein gibt es schon bei Isokrates (13,18), der von der Dreiheit der genera dicendi noch nicht spricht, und floridus trifft man in demselben Zusammenhang auch bei den Lateinern (z. B. Cic. Brut. 285; Quint. 12,10,58). Im Orator (96) nennt Cicero das genus medium neben florens auch expolitum, was dem glafurÒn in der griechischen Terminologie am genausten entspricht. Das Hesych-Lexikon erklärt glafurÒw u. a. durch ényhrÒw. Auch fehlt unter diesen Erkärungen nicht die xãriw, das Wohlgefallen, das gerade den mittleren Stil (Cic. Or. 69 u. ö.) auszeichnet. Die Mehrzahl der erklärenden Wörter bei Hesych passt zu dem Umstand, dass glafurÒw in der rhetorischen Literatur meist neben verschiedenen anderen Wörtern ähnlicher Bedeutung begegnet, ohne üblicherweise allein für das genus medium zu stehen. Gerade in dieser Funktion kommt dieses Adjektiv jedoch bei Philodem (Rhet. 1, p. 164 f. Sudhaus) vor. Zwar ist der Text der Stelle unsicher in einigen Details10, doch unzweifelhaft gibt er im 10) Chiron (wie Anm. 1) 267 f.
Zur Datierung der Schrift des Demetrios Über den Stil
301
Rahmen einer umfassenden Schematisierung nach trÒpoi, sxÆmata und plãsmata11 für die dritte Kategorie unzweifelhaft eine Einteilung in vier, nicht in die üblichen drei, genera dicendi. Sie werden nach der wahrscheinlichsten Rekonstruktion des Textes als èdrÒn, fisxnÒn, m°ga, glafurÒn bezeichnet. Hier dient also das Wort glafurÒw als einzige Charakterisierung des genus medium. Dieselbe Vierergliederung der xarakt∞rew findet man bekanntlich auch bei Demetrios, und zwar in sehr ähnlicher Terminologie und nur leicht veränderter Reihenfolge (§36 f.): fisxnÒw, megaloprepÆw, glafurÒw, deinÒw. Das letzte entspricht dem èdrÒn Philodems. Demetrios definiert die deinÒthw nicht, wie später üblich, als Resultat einer Reihe verschiedener éreta¤ oder Merkmale der Rede, sondern als eigenen xaraktÆr neben den drei anderen. Freilich notiert er für den Fall einer Stilmischung die Nähe des deinÒn zum megaloprep°w und zum glafurÒn, nicht aber zum fisxnÒn (§36). Allen vier xarakt∞rew stellt er unter Berufung auf Theophrast (§114) ihre durch Übermaß der jeweiligen Eigentümlichkeiten gekennzeichnete fehlerhafte Form zur Seite. Dazu polemisiert er gegen Autoren, welche jene Vierzahl der Stile auf zwei reduzieren, also nur einen gehobenen und einen schlichten Stil anerkennen. Dass es sich dabei um das Detail einer Stiltheorie handelte, ist unwahrscheinlich, denn die Gegenüberstellung ‚schlicht – erhaben‘ kann sich ganz zwanglos ergeben, so bei Dionysios (De imitatione 4,2) anlässlich einer Kontrastierung Xenophon – Platon. Beide also, Philodem und Demetrios, betrachten die eindrucksvolle Gewalt der Rede, wenn auch unter verschiedenem Namen, als eigenes genus neben den drei anderen. Zu der von Philodem und Demetrios vertretenen Vierzahl der genera dicendi kennen wir keine Parallele aus späterer Zeit. Auch ist eine wie auch immer geartete Abhängigkeit der beiden Autoren voneinander nicht erweislich. Philodem starb nach langem Aufenthalt in engem Kontakt mit Philosophen und Dichtern am Golf von Neapel etwa 40 v. Chr. oder wenig später. Das Datum seiner rhetorischen Schrift, die eigentlich im Sinn seiner Schule die Rhetorik zwar als t°xnh, aber als überflüssig im Sinn der Philosophie als Anleitung zum rechten Leben erweisen soll, lässt sich nicht ge11) Zur Verwendung des Terminus plãsma statt xaraktÆr bei Philodem an der oben genannten Stelle (vgl. Demetrios §§177; 298) vgl. Schenkeveld (wie Anm. 6) 67 Anm. 1 mit dem Verweis auf F. Quadlbauer, Die genera dicendi bis auf Plinius d. J., WS 71, 1958, 69 f.
302
Albrecht Dihle
nauer bestimmen, dürfte aber in der Mitte des Jahrhunderts liegen. Eine gemeinsame Quelle der beiden ist denkbar, und es wird sich nicht um eine epikureische handeln, denn eine eigene rhetorische Lehre per‹ l°jevw hat diese Schule schwerlich entwickelt. Nun hat Dieter Hagedorn12 gezeigt, dass mindestens eine Vorstufe der Lehre von vier genera dicendi bei Isokrates zu finden ist. Im Prooemium des Panathenaikos (or. 12) zählt Isokrates drei Arten der Beredsamkeit auf, die er in seiner Jugend gemieden, und eine vierte, die er gepflegt habe: Mythenerzählung, Panegyrik, Gerichtsrede auf der einen, symbuleutisch-politische Rede auf der anderen Seite. Das ist eine auch später verbreitete Einteilung in Gattungen der Redekunst nach Zweck und Inhalt, was primär mit den genera dicendi nichts zu tun hat. Bemerkenswert ist aber, dass Isokrates diesen durch ihren Inhalt bestimmten Gattungen jeweils Stilmerkmale zuschreibt, die auf eine Einteilung auch unter diesem Aspekt hinauslaufen. Die Mythenerzählung entspricht dem später so genannten glafurÒn, das Freude und Wohlgefallen bewirkt, der Preis der Vorfahren und großer Taten fordert das megaloprep°w, die Gerichtsrede sollte, so Isokrates entgegen der Praxis anderer Redelehrer, auf alle komcÒthw verzichten, also im genus tenue gehalten sein, und in der symbuleutischen Rede müssen alle Register gezogen werden, weil sie politische Entscheidungen herbeiführen soll, also das deinÒn verlangt. Es gab demnach eine voraristotelische Einteilung in vier Stilformen, die aus den vier genera orationis hergeleitet war. Vergleichbar ist die gewiss aus der hellenistischen Theorie hergeleitete Zuordnung der officia oratoris zu den drei genera dicendi bei Cicero (Or. 69 ff.): Das genus tenue entspricht dem probare, das genus medium dem delectare, das genus grande dem flectere13. Quintilian hat diese Zuordnung der genera übernommen, benennt nur die officia mit anderen Termini: Docere, movere und für das mittlere genus floridum – ényhrÒn wird eigens hinzugesetzt – wahlweise delectare und interconciliare (12,10,58). Die oben genannte Passage aus Isokrates hätte es also verdient, in Radermachers Artium Scriptores aufgenommen zu werden. Auf welchem Weg diese Anregung, ein Viererschema der Prosastile zu entwickeln, in ein System hellenistischer Rhetorik geriet und so zu 12) D. Hagedorn, Zur Ideenlehre des Hermogenes, Göttingen 1964, 79 f. 13) Vgl. A. Dihle, Ein Spurium unter den rhetorischen Werken Ciceros, Hermes 83, 1955, 306 ff.
Zur Datierung der Schrift des Demetrios Über den Stil
303
Philodem und Demetrios gelangte, wissen wir nicht. Die Mythenerzählung kommt zwar bei Demetrios verschiedentlich vor (§§76; 157 f.; 189), jedoch nicht als eigenes genus orationis. Angesichts der Dominanz des Dreierschemas in der gesamten uns bekannten rhetorischen Tradition seit der zweiten Hälfte des 1. Jh. v. Chr. darf man den Rückgriff auf das Viererschema wohl als Indiz für ein relativ frühes Datum ansehen. Dieter Hagedorn hat auch gezeigt, dass zwar die von Theophrast postulierten vier éreta¤, ebenso wie die aristotelische einzige éretÆ der Deutlichkeit, sich auf den Sprachgebrauch im engeren Sinn, die l°jiw, bezogen, dass aber schon früh dieser Normbegriff auch auf Komposition, Rhythmus und Gedankenführung, also auch auf Inhaltliches, ausgedehnt wurde. So heißt es z. B. in der Rhetorik ad Alexandrum (1438a26 f.), dass sich die geforderte Deutlichkeit auf die ÙnÒmata und die prãgmata beziehen könne. Das ist angesichts des Zusammenwirkens verschiedener Faktoren beim Zustandekommen eines bestimmten Stiles und seiner Beurteilung durchaus verständlich. Darum werden die éreta‹ t∞w l°jevw u n d die éreta‹ t∞w dihgÆsevw, die man anfangs zu trennen14 bemüht war (Ad Herenn. 1,15; 4,17; Cic. De inv. 1,2–9), zunehmend neben- ja durcheinander herangezogen, etwa später bei Cicero (De or. 2,241 u. ö.) oder in Dionysios’ umfangreicher Liste der éreta¤15. Dionysios’ Liste enthält ein Instrumentarium zur umfassenden Beschreibung und Beurteilung der xarakt∞rew, sowohl der für ihn maßgebenden Dreizahl der genera dicendi als auch eines individuellen Stiles, den er gleichfalls mit dem Terminus xaraktÆr bezeichnen kann. Hermogenes hat dann im 2. Jh. n. Chr. daraus seine Ideenlehre hergeleitet, in der sich die Theorien von den xarakt∞rew und den éreta¤ miteinander verbinden. Jene werden letztlich überflüssig, indem diese zu allgemeinen Stilmerkmalen erhoben werden. Eine Kombination ausgewählter éreta¤ sorgt nun unabhängig von der Einordnung in ein Schema der genera dicendi für eine adäquate Stilbeschreibung. Dementsprechend tauchen bei Hermogenes frühere Bezeichnungen der genera dicendi wie m°geyow oder éf°leia nunmehr als Termini einzelner éreta¤ auf. 14) Hagedorn (wie Anm. 12) 28; H. Gärtner, Demetriana varia, Hermes 118, 1990, 213 ff. 15) Vgl. Chiron (wie Anm. 1) 139; Hagedorn (wie Anm. 12) 11.
304
Albrecht Dihle
Demetrios bedient sich zur Charakterisierung der vier von ihm angenommenen xarakt∞rew, auch ohne von éreta¤ zu sprechen, der sonst mit diesem Terminus bezeichneten Einzelmerkmale (z. B. §§191; 198). Er unterscheidet sie ausdrücklich nach diãnoia, l°jiw, sÊnyesiw, wie er es u. a. am Beginn der ausführlichen Behandlung des hohen Stiles (§38, vgl. 240) sagt. Die Ersetzung der xarakt∞rew durch ein vielfältigeres System der Stilvorzüge oder -merkmale, die miteinander auf verschiedene Weise verbunden werden können, ist in Dionysios’ Lehre grundsätzlich angelegt, aber erst bei Hermogenes vollzogen. Bei Demetrios kann von beidem keine Rede sein, was wiederum auf ein frühes Datum deutet. Demetrios’ Sprache trägt viele unklassische Züge, daneben aber unübersehbare Spuren attizistischer Tendenzen, was Schenkeveld16 überzeugend nachgewiesen hat. In §177 rühmt er die besondere Verständlichkeit und Biegsamkeit des attischen Dialektes, dem alle Schwerfälligkeit (ÙgkhrÒn) abgeht. Wenn Demetrios lÒgiow im Sinn von megaloprepÆw als modernen Ausdruck (§38 ofl nËn) erwähnt, so nimmt er vielleicht sogar Phrynichos’ Tadel vorweg. Dieser will das Wort gemäß dem alten Sprachgebrauch nur im Sinn umfassender Gelehrsamkeit gelten lassen und auch nicht auf die Eloquenz beschränken (§176). Augustus hat es zur Charakterisierung Ciceros verwendet (Plut. Cic. 49) und meinte in der Zusammenstellung mit filÒpatriw gewiss den großen Redner. Chiron hat aus den beiden Stellen richtig geschlossen, dass hier kein Indiz für eine Spätdatierung des Traktates vorliegt (S. 356 ff.). Nun kommt man mit expliziten Zeugnissen für ein attizistisches Programm auf griechischer Seite nicht vor die augusteische Zeit: Dionysios von Halikarnass, Kaikilios von Kale Akte, Strabon. Auf lateinischer Seite liegen die Dinge anders. Als Cicero die im Jahr 55 v. Chr. nach mehrjähriger Arbeit vollendete Schrift De oratore verfasste, wusste er offenbar nichts von einem attizistischen Programm. Brutus und Orator hingegen, 46/45 v. Chr. entstanden, sind gegen Brutus, Calvus und andere gerichtet, die sich programmatisch als Attiker bezeichnen, sich am schlichtesten der attischen Redner, an Lysias, orientieren und die Fülle und Breite der ciceronischen Diktion an die Seite des ausufernden, „asianischen“ Stiles hellenistischer Zeit rücken. Als wichtigster Repräsentant dieses ÉAsianÚw z∞low, gegen den die attische Norm zur Gel16) Schenkeveld (wie Anm. 6) 139 f.
Zur Datierung der Schrift des Demetrios Über den Stil
305
tung gebracht werden soll, wird immer wieder der Rhetor Hegesias von Magnesia genannt (Cic. Brut. 286; Strab. 14,4,41; Dion. Hal. De Comp. 27; 122 u. ö.). Seit augusteischer Zeit lässt sich dafür die pejorative Bezeichnung kakÒzhlow, kakozhl¤a, Nachahmung schlechter Vorbilder, nachweisen. Man findet das Wort bei dem Kaiser selbst, bei Agrippa im Blick auf den Stil Vergils, beim älteren Seneca, Quintilian, der seine Bedeutung definiert, und anderen17. Cicero verwendet es nicht. Der frühste griechische Beleg in einem erhaltenen Text steht beim Autor De sublimitate (3,4), der etwa in tiberianische Zeit gehört. Später ist es ganz geläufig (z. B. Diog. Laert. 1,38), und im 2. oder 3. Jh. verfasste ein gewisser Kallinikos sogar einen Traktat per‹ kakozhl¤aw (Sud. Lex. k 158). Bei dem Wort eÎzhlow (Plut. Lyc. 21) handelt es sich vielleicht um eine Neubildung des Autors, die jedoch den verbreiteten Gebrauch von kakÒzhlow voraussetzt. Auch Demetrios verwendet die Wörter kakÒzhlow, kakozhl¤a (§§186; 189), sagt dazu aber ausdrücklich, dass kakÒzhlow ein koinÚn ˆnoma, also kein Fachterminus sei. Koinå ÙnÒmata sind dhm≈dh (De sublim. 40,2) oder §n m°svi ke¤mena (Dion. Hal. De Lys. 3). Demetrios scheint den Ausdruck aber besonders zu schätzen, verwendet er ihn doch mehrfach, dazu sogar das Wort jhrokakozhl¤a zur Bezeichnung der fehlerhaften Form des schlichten Stiles (§2–39), wohl auch eine selbst erfundene Neubildung. Selbst in der scharfen Polemik gegen Hegesias (siehe diese Seite, oben) vermeidet demgegenüber Dionysios die Wörter kakÒzhlow, kakozhl¤a, die doch zu seiner Zeit bereits in die lateinische Fachsprache eingedrungen waren. Offenbar hielt er sie weder für Fachtermini noch für ‚literaturfähig‘. Es ist schwer auszumachen, ob das auch für seine griechischen Zeit- und Fachgenossen gilt, denn es ist immerhin möglich, dass sie in der Schrift des Kaikilios von Kale Akte T¤ni diaf°rei ı ÉAttikÚw z∞low toË ÉAsianoË (Sud. Lex. k 1165) vorkamen. Demetrios’ Aussage deutet auf eine Zeit, in der kakÒzhlow, kakozhl¤a der Fachsprache noch nicht geläufig waren, während seine Sprache und die Wahl der von ihm zitierten Gewährsleute die Existenz klassizistisch-attizistischer Bestrebungen und den damit einhergehenden Gegensatz zur „asianischen“ Dik17) Zum Urteil des Agrippa über den Stil Vergils vgl. W. Görler, Ex verbis communibus kakozhl¤a, Entr. Fond. Hardt 25, 1979, 17 f. u. Enciclopedia Virgiliana 1, 1984, 596 f.; Augustus bei Suet. Aug. 86,2; Sen. Rhet. contr. 9,1,15; suas. 2,16; Quint. inst. 8,3,56 ff.; 8,6,73 u. ö.
306
Albrecht Dihle
tion voraussetzen. Da beides sich im Rom der frühen 40er Jahre geltend macht, wird es auf griechischer Seite doch wohl früher eingesetzt haben. Die Rückwendung der Philosophie zu den Klassikern, der wir die Erhaltung der Pragmatien des Aristoteles verdanken, gehört schon ins frühe 1. Jh. v. Chr., die stilistisch-sprachliche Rückbesinnung mag ihr gefolgt sein oder sie begleitet haben18. Zwar glaubt Radermacher, Demetrios habe das modifizierte Aristoteles-Zitat in §11 aus einem Florilegium bezogen19. Aber abgesehen davon, dass er es auch selbst verkürzt und ergänzt haben kann, stammen seine Aristoteles-Zitate nicht nur aus der Rhetorik und aus verlorenen, vermutlich exoterischen Schriften, sondern auch aus der Historia Animalium. Die Pragmatien, deren Edition in den Zusammenhang jenes Wandels der philosophischen Studien gehört, müssen also schon bekannt gewesen sein. Ob Demetrios das dritte Buch der Rhetorik noch als selbständige Schrift gekannt hat, wie es nach dem von P. Moraux geführten Nachweis der im Kern auf einen Peripatetiker hellenistischer Zeit zurückgehende Katalog bei Diogenes Laertios (5,1,14) vorsieht, kann man angesichts seiner Zitierweise nicht entscheiden20. Demetrios’ Traktat lässt an vielen Stellen die peripatetischen Neigungen seines Verfassers erkennen. Er bezieht sich z. B. neben Aristoteles, Theophrast, Praxiphanes und Dikaiarch auf den späten Peripatetiker Artemon (§223), der eine Sammlung der Briefe des Aristoteles veranstaltete21. Wer der von ihm erwähnte Archedemos war, der die aristotelische Definition des Kolon korrigierte (§34), wissen wir nicht, vermutlich aber auch ein Autor mit peripatetischen Neigungen, was seit hellenistischer Zeit für zahlreiche wissenschaftlich-literarisch tätige Personen galt. Sonst beschränkt Demetrios die Namensnennung auf Zitate aus den „alten“ Autoren, und wenn in den §§38; 58; 172 wirklich auf Chrysipp Bezug ge18) Zur Frage des Beginns des Attizismus vgl. A. Dihle, Der Beginn des Attizismus, A & A 23, 1977, 162 ff. 19) Vgl. Radermacher (wie Anm. 3) 70f. 20) Zeugnisse für die ersten Editionen der aristotelischen Pragmatien, vor allem für die Tätigkeit des Andronikos um 70 v. Chr., gesammelt bei I. Düring, Aristotle in the Ancient Biographical Tradition, Göteborg 1957, 412 ff. Vgl. Aristote, Du ciel, ed. P. Moraux, Paris 1965, CLX ff. und J. König, Einleitung in das Studium des Aristoteles, hrsg. von M. Braun, Freiburg /München 2002, 34 ff. Zur frühen Separatausgabe des dritten Buches der Rhetorik P. Moraux, Les listes anciennes des ouvrages d’Aristote, Louvain 1951, 103 f. 21) Vgl. P. Moraux (wie Anm. 19) 143 f.
Zur Datierung der Schrift des Demetrios Über den Stil
307
nommen wird, dann ohne Namensnennung. Unter den Dichtern dominiert Homer, was nicht viel besagt. Aber auch Menander und Philemon, die allenfalls als „Klassiker“ durchgehen können (§§153; 193), werden erwähnt und Sotades, dieser allerdings mit einem negativen Beispiel (§189). Vielleicht konnte man das Viererschema und die zugehörige Terminologie, die Demetrios und Philodem teilen, in peripatetischer Literatur hellenistischer Zeit finden. Das braucht der Benutzung durch den Epikureer Philodem keineswegs zu widerspechen22. Dionysios von Halikarnass widerlegt in der Schrift an Ammaios mit sorgfältig ermittelten chronologischen Gründen ausführlich die Meinung jener Peripatetiker, die Demosthenes’ Größe auf seine Belehrung durch Aristoteles’ Rhetorik zurückführen. Davon findet sich bei Demetrios keine Spur. Für Dionysios ist Demosthenes das in jeder Hinsicht und auf allen Stilebenen unübertroffene Vorbild (De Dem. 8 p. 143 U. R.; 13 p. 157 f.; 34 p. 204; 48 p. 234 f.). D. A. Russell23 hat, gewiss zu Recht, diese Betonung der Einzigartigkeit des Demosthenes als Resultat der Debatten zwischen den verschiedenen Richtungen der attizistischen Bewegung verstanden, insbesondere in der Auseinandersetzung mit den Lysias-Anhängern. Deren Vorliebe für das genus tenue kann man noch bei Kaikilios von Kale Akte (fr. 150 Ofenloch), dem Zeitgenossen des Dionysios, referiert finden. Ähnliches gilt für Cicero, der den Attizisten Brutus und Calvus, die gleichfalls in Lysias ihr Stilmuster sehen, Demosthenes als allseitiges Vorbild entgegenstellt (Brut. 43; 288 ff.; Or. 6; 23; 104; 110 u. ö.). In Ost und West hat sich diese Einschätzung durchgesetzt (z. B. Livius b. Quint. 10,1,39; De sublim. 36,2; Ps. Dion. Hal. Ars rhet. 19). Auch Demetrios lässt seine besondere Hochschätzung des Demosthenes erkennen: Die meisten der von ihm angeführten Textbeispiele attischer Prosa-Literatur stammen aus Reden des Demosthenes. Indessen sieht er in Demosthenes weniger das Vorbild auf jeder Stilebene, wie es für den späten Cicero, für Dionysios und Spätere gilt. Vielmehr ist er für ihn der herausragende Vertreter des kraftvollen Stiles, und mit einer Ausnahme (§80) begegnen alle De22) Chrysipp-Reminiszenzen vermutet Grube (wie Anm. 5) 46; 146; 150; zu den Beziehungen zwischen Peripatetikern und Epikureern M. Gigante, Kepos e Peripatos, Neapel 1999; dort 63 ff. eine Diskussion der von Moraux entdeckten Aristoteles-Zitate bei Philodem. 23) Russell (wie Anm. 7) 315–319.
308
Albrecht Dihle
mosthenes-Zitate nur im Abschnitt über das deinÒn. Ebendort begegnet man auch Demades und Aischines24. Ganz ähnlich äußert sich Cicero in der Zeit vor der Attizistendebatte, wenn er lediglich die vis des Demosthenes hervorhebt (De or. 1,89; 3,28). Wenn daraus auch kein zwingendes Argument für die Chronologie herzuleiten ist, spricht es doch wiederum für ein frühes Datum. Die Schlüsse, die man aus dem Gesagten auf die Datierung der Schrift des Demetrios ziehen kann, haben auch für die Frage nach dem Beginn des stilistisch-sprachlichen Attizismus Bedeutung. Weder im Bericht über seinen Unterricht in Athen bei dem Syrer Demetrios im Jahr 79 v. Chr. im Brutus (§315), der in die Attizismus-Kontroverse der 40er Jahre gehört, noch zur Zeit der Abfassung des Dialogs De oratore in den 50er Jahren lässt Cicero etwas über eine attizistische Bewegung verlauten. In Rom war der Attizismus, mit dem sich Cicero im Brutus und Orator auseinandersetzte, in den 40er Jahren also etwas Neues. Dass die Bewegung aus der griechischen Welt kam, wird niemand bezweifeln, zumal dort als Resultat der hellenistischen Philologie die sprachlich-stilistischen Merkmale der älteren Literatur und damit auch der klassisch-attischen Prosa umfassend aufgearbeitet zugänglich waren. Einen gewissen Klassizismus und die Bewunderung der attischen Prosaautoren des 5. und 4. Jh. v. Chr. gab es, auch ohne dass dieses selbst sehr ‚unklassische‘ Stilmoden verhinderte, durch die ganze hellenistische Periode hindurch. Das zeigen z. B. die älteren von K. Jander gesammelten Fragmente25, und Cicero bezeugt es für einen exemplarischen griechischen „Asianer“ (Brut. 286). Dass sich dieser Klassizismus seit dem 1. Jh. v. Chr. im rhetorischen Unterricht verstärkte, sich dann bis in den sprachlichen Elementarunterricht hinein durchsetzte und schließlich zur Trennung der griechischen Umgangs- von der attischen Schriftsprache führte, hat seinen Ursprung vermutlich in einer kulturellen Reaktion der griechischen Bildungsschicht auf den Niedergang des hellenistischen Staatensystems mit all seinen schmerzvollen Begleiterscheinungen. In der kleinen Schrift über die alten Redner setzt Dionysios von Halikarnass im Rückblick diesen Niedergang ausdrücklich in Par24) Zu den Zitaten bei Demetrios vgl. Schenkeveld (wie Anm. 6) 57. Der nach Demosthenes am häufigsten zitierte Prosaautor ist Xenophon, der aber nicht für das fisxnÒn, sondern für das megaloprep°w und das glafurÒn steht. 25) Oratorum et rhetorum fragmenta nuper reperta, ed. K. Jander, Bonn 1913; vgl. auch Anm. 17.
Zur Datierung der Schrift des Demetrios Über den Stil
309
allele zur Dekadenz von Prosastil und Prosasprache und sieht in der neuen augusteischen Ordnung die Voraussetzung für die allgemeine Wiedergewinnung des guten, an den Klassikern der großen Zeit Athens orientierten attischen Stiles. Der Akzent, den Dionysios auf den durch Augustus bewirkten Neubeginn legt, kann den wohl unzutreffenden Eindruck erwecken, die attizistische Bewegung sei plötzlich entstanden. Viel wahrscheinlicher ist es, dass sich die Rückbesinnung auf die attische Klassik an verschiedenen Stellen des rhetorischen Schulbetriebes der griechischen Welt vollzog, in verschiedener Weise und nicht ohne Kontroversen, vor allem aber über einen längeren Zeitraum. In Rom, das in augusteischer Zeit zum zeitweilig wichtigsten Zentrum griechischen Geisteslebens wurde, tauchte der Attizismus ganz plötzlich auf, als eine Mode, von der Cicero zuvor offenbar noch nichts gehört hatte. In der griechischen Welt dagegen lieferte das nie bestrittene Ansehen der attischen Prosaliteratur des 5. und 4. Jh. v. Chr. und die Erinnerung an Athens ruhmvolle Zeit einen stets präsenten Hintergrund gerade für eine allmähliche Herausbildung des Attizismus unter den Bedingungen der Spätphase hellenistischer Kultur. Wenn dieses Bild von der Entstehung und Durchsetzung des Attizismus zutrifft, ist es nicht nötig, etwa im 1. Jh. v. Chr. nach einem bestimmten Archegeten des Attizismus oder einem Schulzentrum mit einem ausgearbeiteten Programm zu suchen. Solche Programmatik erscheint auf griechischer Seite erst im Werk des Dionysios und in verschiedenen Schriften des Kaikilios, insbesondere dem von ihm verfassten ersten griechisch-attischen Lexikon. Vermutlich hängt das mit der dominierenden Rolle zusammen, die das augusteische Rom im griechischen Geistesleben spielte. In der Philosophie ereignete sich im früheren 1. Jh. v. Chr. Vergleichbares, freilich außerhalb Roms und mit größerer, durch die fixierte Lehrtradition bedingter Deutlichkeit. Akademiker und Peripatetiker – erst später die Stoiker – wandten sich den Schriften ihrer Schulgründer und frühen Vertreter zu, deren Auslegung nunmehr für Jahrhunderte ins Zentrum philosophischer Studien rückte. In der Bildenden Kunst hingegen scheint sich der entschiedene Klassizismus erst in augusteischer Zeit durchgesetzt zu haben. Es ist umstritten, ob die Schrift des Demetrios dem rhetorischen Unterricht für Fortgeschrittene bestimmt war26 oder, wie 26) Vgl. D. M. Schenkeveld, Rhetorica 18, 2000, 29.
310
Albrecht Dihle
Russell, Atkins und andere meinen, nur als Beitrag zur Literarkritik zu verstehen ist. Immerhin zeigt eine Parallele zum älteren Seneca (§115 / suas. 1,16), dass dem Verfasser die Deklamationspraxis vertraut war27. Sehr streng kann man zudem zwischen beiden Möglichkeiten nicht unterscheiden, denn Literarkritik und rhetorische Theorie waren durch die ganze Antike hindurch eng verschwistert. Aber unabhängig davon verrät die Sprachgestalt des Traktates eine noch unprogrammatische, gleichwohl bewusst erstrebte Orientierung an der klassisch-attischen Prosaliteratur. Es sind insgesamt die „Alten“, denen Demetrios seine Beispiele entnimmt, nicht nur den attischen Rednern, sondern vor allem Homer, Thukydides und Platon, aber auch Herodot und vor allem Xenophon. Von der Prosaliteratur späthellenistischer Zeit, die über das rhetorische Bildungssystem und die in ihm wirksamen Tendenzen Aufschluss geben kann, ist leider allzu wenig erhalten. Treffen die im Vorstehenden vorgebrachten Argumente zu, kann man die Schrift des Demetrios zu der – wenn auch sehr unvollständigen – Ausfüllung dieser Lücke heranziehen. Sie scheint, wenn nicht alles trügt, in die erste Hälfte des 1. Jh. v. Chr., am ehesten gegen dessen Mitte hin, zu gehören. Anhang Der vorstehende Aufsatz lag im Manuskript den Herausgebern vor, als die Arbeit von Niels Christian Dührsen „Wer war der Verfasser des rhetorischen Lehrbuchs Über den Stil“ im RhM 148 (2005) 242–271 erschien. Es ist daher angezeigt, sie jedenfalls anhangsweise zu berücksichtigen. In einer sehr sorgfältigen und in vieler Hinsicht vorbildlich angelegten Untersuchung versucht der Autor zu zeigen, dass kein anderer als Demetrios von Magnesia, der Polyhistor, Freund des Atticus und uns vor allem als Quellenautor des Diogenes Laertios bekannt, der Verfasser jenes Traktates sei. Eine Sammlung der Fragmente des Magneten wurde vor nicht langer Zeit von J. Mejer 27) Vgl. Radermacher (wie Anm. 3) 91 mit weiteren Hinweisen auf mögliche Spuren des rhetorischen Unterrichtes bei Demetrios.
Zur Datierung der Schrift des Demetrios Über den Stil
311
im Hermes (109, 1981, 447–472) vorgelegt. Dem Verfasser ist bewusst, dass seine kumulative Beweisführung aus einzeln kaum überzeugenden Hinweisen zwar die Möglichkeit dieser Autorschaft erweisen kann, sie aber schwerlich zur Evidenz bringt. Mit einem solchen Resultat muss man sich wegen der unvollständigen Überlieferung der griechischen Literatur leider nicht selten begnügen. Das mindert nicht den Wert solcher Versuche, insofern sie zuweilen zu wichtigen, bisher nicht bedachten Einsichten verhelfen. In diesem Fall haben sich nützliche Hinweise auf die Entstehung der Schrift im 1. Jh. v. Chr. ergeben. Zwei der Argumente sind für den Verfasser von besonderem Gewicht. Das eine (S. 256 ff.) bezieht sich auf das längere Exzerpt aus Demetrios’ Traktat über homonyme Dichter und Schriftsteller, das sich mit dem Redner Deinarchos befasst und zeigt, dass jenes Werk auch Stilistisches berücksichtigte, mit den Namenslisten also nicht nur biographisch-anekdotisches Material verband. Der Magnete war ein Polyhistor, der sich für vieles – Biographie, Geographie, Politik, Philosophie – interessierte, vermutlich auch für Sprache und Stil (vgl. Diog. Laert. 1,112). Als professionellen Rhetoriklehrer lässt ihn auch das genannte Exzerpt nicht erscheinen. Als einen solchen aber muss man den Verfasser der Schrift vom Stil zweifellos ansehen, schon wegen der Bezugnahmen auf den Unterricht in seinem Werk. Ein anderes Argument, dem Dührsen besonderes Gewicht zumisst (S. 268), ist die Parallele zwischen einer Eintragung im Lexikon des Harpokration und zwei Paragraphen des Stiltraktates. Harpokration teilt unter allgemeiner Bezugnahme auf die Philippiken des Demosthenes mit, dass Methone die Stadt in Thrakien sei, bei deren Belagerung König Philipp ein Auge verloren habe. Es folgt die deutlich als Zusatz gekennzeichnete Angabe, dass Demetrios von Magnesia in der Schrift über gleichnamige Städte vier Städte dieses Namens aufzähle. Harpokration erwähnt Demetrios von Magnesia viermal: s. vv. ÉAkÆ, ÉIsa›ow, LeukØ éktÆ, Mey≈nh. In drei Fällen erscheint Demetrios lediglich in einem mit d° gekennzeichneten Zusatz, nur für LeukØ éktÆ nicht in einer zusätzlichen Angabe. Im Fall von Methone verweist Harpokration allgemein auf Demosthenes’ Philippische Reden und teilt ohne Quellenangabe mit, es handele sich um das thrakische Methone, bei dessen Belagerung Philipp ein Auge verlor. Lediglich im Zusatz heißt es, dass Demetrios von Magnesia vier Orte dieses Namens kenne. Aus
312
Albrecht Dihle
dessen Werk über homonyme Städte stammt demnach wohl nicht der Hauptinhalt der Notiz. Im Stiltraktat §263 hingegen wird die dritte Philippika wörtlich zitiert, weil Demosthenes dort nur Olynth, Methone und Apollonia namentlich nenne und mit der Angabe fortfahre, dass es um 32 weitere Städte gehe. Das sei, so der Autor, ein Beispiel für die deinÒthw des Redners. §293 handelt von der Empfindlichkeit der Machthaber gegenüber der Erwähnung ihrer Schwächen. So habe Philipp Anspielungen auf seine Einäugigkeit, etwa durch das Wort Kyklop, nicht vertragen, Hermeias von Atarneus auf seine Eigenschaft als Eunuch. Außer dieser kurzen Angabe „wartet“ der Verfasser aber keineswegs „mit Geschichten über Hermeias auf“, wie sich Dührsen ausdrückt (S. 258). Dass ihm das Buch des Apellikon über Hermeias und Aristoteles bekannt gewesen sei, kann man diesen Worten beim besten Willen nicht entnehmen, während die Angaben aus Demetrios von Magnesia, etwa bei Diogenes Laertios, in der Tat voller anekdotischer Details sind. Die Verbindung der HarpokrationStelle zu den beiden Demetrios-Paragraphen ist demnach, wenn überhaupt vorhanden, viel zu locker und unsicher, um darauf die Identität der Autoren zu gründen. Dührsen hat richtig beobachtet, dass das Wort kakÒzhlow mit seinen Ableitungen erst in der Kaiserzeit zum gängigen Terminus der rhetorisch-stilistischen Fachsprache wurde (260f.). Aber er irrt, wenn er aus seiner Charakterisierung als koinÚn ˆnoma im Stiltraktat den Schluss zieht, es sei in der Alltagssprache oder „sogar in der Fachsprache der Rhetorik“ schon früher verbreitet gewesen. KoinÚn ˆnoma nannte man das umgangs- und gerade nicht das fachsprachliche Wort. Nun belegt Diogenes Laertios (1,38) einen sonst unbekannten Rhetor Thales von Kallatis, dessen Namen er aus dem Homonymenbuch des Demetrios von Magnesia bezogen hat, mit dem Verdikt kakÒzhlow, und zwar ohne jedes weitere Wort. Ob das Adjektiv bei dem Magneten gestanden hat oder eine Zusammenfassung des Diogenes mit einem zu seiner Zeit geläufigen Terminus wiedergibt, ist kaum zu entscheiden. Den Wortlaut einer Quelle aus inhaltlichen Angaben in lexikalischer oder sonstwie kompilierter Literatur zu ermitteln, gelingt nicht immer. Die Ausführungen Dührsens tragen viel zum Verständnis der Schrift vom Stil bei und behalten ihren Wert auch dann, wenn man die Schlussfolgerung auf die Verfasserschaft des Demetrios von
Zur Datierung der Schrift des Demetrios Über den Stil
313
Magnesia nicht für erwiesen hält. Die Datierung in die erste Hälfte des 1. Jh. v. Chr. nämlich gewinnt durch seine Betrachtungen an Plausibilität, und sich auf diese Datierung verlassen zu können, ist angesichts des kläglich kleinen Bestandes der aus hellenistischer Zeit überlieferten Literatur ein großer Gewinn. Köln
Albrecht Dihle
EPISCHES ERZÄHLEN IN VERGILS GEORGICA Struktur und Funktion der Proteus-Geschichte Rudolf Rieks septuagenario
I. Grundlagen Die Servius-Notizen inritabis crabrones!, so möchte man mit Sosias Worten (Pl. Am. 707) jedem zurufen, der es unternimmt, das Ende von Vergils viertem Georgica-Buch in Frage zu stellen. Der Blick auf die Palliata mag dabei durchaus einen heuristischen Wegweiser bieten – geht es doch dort wie hier um eine Kritik an dichterischen Kunstwerken, die sich des Mittels der Strukturanalyse bedient, also gleichsam eine bestimmte Vorstellung von der ‚richtigen‘ ofikonom¤a des Handlungsaufbaus voraussetzt und das Vorliegende an dieser mißt. Der aber als erster sozusagen ins Wespennest gestochen und damit wohl den Auslöser für alle späteren Überlegungen gegeben hat, war kein geringerer als Servius, der zwei sich leicht widersprechende Aussagen über das Georgica-Ende macht. Zu ecl. 10,1 bemerkt der spätantike Vergil-Erklärer: [Gallus] primo in amicitiis Augusti Caesaris fuit: postea cum venisset in suspicionem, quod contra eum coniuraret, occisus est. fuit autem amicus Vergilii adeo, ut quartus georgicorum a medio usque ad finem eius laudes teneret. quas postea iubente Augusto in Aristaei fabulam commutavit. Nach dieser Notiz hätte die zweite Hälfte des vierten Buches, also wohl die Verse 281 bis zum Ende bzw. bis zum Beginn der Sphragis (559–566), aus dem Lob des Zeitgenossen Gallus bestanden – eine vollkommen unglaubliche Annahme, insbesondere wenn man die Zurückhaltung, mit der Vergil sonst lebende Personen in seinen Gedichten behandelt, dagegenhält.1 Ein zweiter Eintrag erscheint auf den ersten Blick glaubwürdiger. Zu georg. 4,1 be1) Vgl. R. F. Thomas, Virgil, Georgics, 2 vols., Cambridge 1988, I, 14f.
Episches Erzählen in Vergils Georgica
315
richtet der Servius-Kommentar: sane sciendum, ut supra diximus, ultimam partem huius libri esse mutatam: nam laudes Galli habuit locus ille, qui nunc Orphei continet fabulam, quae inserta est postquam irato Augusto Gallus occisus est. Nach dieser Version ist nur die eingelegte Erzählung von Orpheus und Eurydike (453–527) aus der angeblichen nachträglichen Umarbeitung hervorgegangen. Beide Nachrichten stimmen darin überein, daß der Eingriff als Reaktion auf Gallus’ Tod erfolgt sei. Es darf als sicher gelten, daß ohne die bei Servius referierte These von einer Umarbeitung das Finale der Georgica kaum die Aufmerksamkeit in der Forschung erfahren hätte, von der inzwischen eine unüberschaubare Fülle von Aufsätzen zeugt.2 Gewiß hat dieser kommentierende Hinweis auch Urteile wie dasjenige Erich Burcks, der vom „unorganischen Werden dieses Buchs und seinem zwiespältigen Charakter“3 sprach, befördert. Die Forschung Die Doxographie ist in verschiedenen Studien aufgearbeitet worden, so etwa in der 1977 fertiggestellten Dissertation von Johannes Hermes4 und in einem umsichtigen Aufsatz von Jasper Griffin aus dem Jahr 1979.5 Mag auch annähernd jede denkbare Hypothese durchgespielt worden sein, setzte sich die Flut von 2) Eine Würdigung der Servius-Stellen mit knappem Literaturbericht bei N. Horsfall, A Companion to the Study of Virgil, Leiden / New York / Köln 1995 (MnS 151), 86–89; vgl. ferner R. A. B. Mynors, Virgil, Georgics, ed. with a commentary, Oxford 1990, 296. 3) E. Burck, Vom Menschenbild in der römischen Literatur, I, Heidelberg 1966, 111. 4) J. Hermes, C. Cornelius Gallus und Vergil. Das Problem der Umarbeitung des vierten Georgica-Buches, phil. Diss. Münster 1977, ersch. 1980. Von den älteren Arbeiten ist heranzuziehen: E. Norden, Orpheus und Eurydice. Ein nachträgliches Gedenkblatt für Vergil, Berlin 1934 (SB Preuß. Ak. Wiss., Phil.-hist. Kl. 1934), 626– 683 (= Kl. Schr. zum Klassischen Altertum, Berlin 1966, 468–532); P. Händel, Vergils Aristaeus-Geschichte, RhM 105, 1962, 66–91; F. Klingner, Virgil, Zürich / Stuttgart 1967, 326–363; L. P. Wilkinson, The Georgics of Virgil, Cambridge 1969, 108–120. 5) J. Griffin, The Fourth Georgic, Virgil, and Rome, G&R 26, 1979, 61–80, bes. Appendix II, 74–76, in überarbeiteter Form in: J. Griffin, Latin Poets and Roman Life, London 1985, 163–182. Griffin hält die Serviusnotiz für unglaubwürdig; vgl. auch den die poetologischen Überlegungen Griffins weiterführenden Aufsatz von G. B. Conte, Aristeo, Orfeo e le Georgiche: una seconda volta, Studi classici e orientali 46, 1996, 103–128.
316
Thomas Baier
einschlägigen Publikationen, wenn auch in deutlich geringerer Frequenz, in den letzten 25 Jahren fort. Es würde zu weit gehen, alle Verästelungen der Forschungsliteratur nachzeichnen zu wollen. Die grundsätzlichen Richtungen lassen sich jedoch leicht darlegen. Otto Ribbeck stellte in den Prolegomena critica zu Vergil 18666 zahlreiche wörtliche Übereinstimmungen des GeorgicaEndes mit Aeneis-Passagen heraus und wertete diese als Spuren einer späteren Bearbeitung, wobei er das jeweilige Auftreten bestimmter Versteile in der Aeneis als primär erachtete. Er gelangte damit zu einer Datierung der vorliegenden Fassung auf die Zeit nach Gallus’ Tod und schien Servius mit philologischen Argumenten zu stützen. Eine kraftvolle und umfassende Verteidigung der Servius-Notiz bzw. von deren Kernaussage, die eine Umarbeitung behauptet, verbunden mit Überlegungen zur Genese des vorliegenden Textes und zur Gestalt der vorigen Fassung legte Howard Jacobson 19847 vor. Auf der Gegenseite formierten sich die Verfechter der Ursprünglichkeit des vorliegenden Textes um W. B. Anderson und Eduard Norden. Sie, man könnte sie die detractatores Servii nennen, gingen davon aus, das vierte Buch der Georgica könne nur so ausgesehen haben, wie es uns vorliegt, und attestierten dem Vergil-Kommentator fehlende „Urteilskraft und Schärfe des Ausdrucks“8 oder gingen gar so weit zu behaupten, Gallus hätte sich gegen ein ausführliches Lob Vergils verwahrt: „[. . .] we may be sure that if Virgil had done any such thing Gallus, arrogant and conceited though he was, would have bitterly reproached his friend for making a fool of him“.9 Schließlich macht diese Partei die Unwahrscheinlichkeit für sich geltend, daß eine frühere Fassung ganz ohne Spuren geblieben sein solle.10 Eine sehr einfühlsame Gesamtdeutung 6) O. Ribbeck, Prolegomena critica ad P. Vergilii Maronis Opera maiora, Lipsiae 1866. 7) H. Jacobson, Aristaeus, Orpheus, and the Laudes Galli, AJPh 105, 1984, 271–300 (mit gründlicher Aufzählung der einschlägigen Forschungsliteratur). 8) Norden (wie Anm. 4) 627 [469]; zustimmend H. Naumann, Die Arbeitsweise des Servius, RhM 118, 1975, 166–179. 9) W. B. Anderson, Gallus and the fourth Georgic, CQ 27, 1933, 36–45, hier: 38. Ähnlich kritisch gegenüber Servius: G. E. Duckworth, Virgil’s Georgics and the laudes Galli, AJPh 80, 1959, 225–237; Wilkinson (wie Anm. 4) 108–110; H. Naumann, Laudes Galli. Zur angeblichen Umarbeitung der Georgica, Sileno 4, 1978, 7–21. 10) Vgl. Griffin (wie Anm. 5) 76: „I have no doubt that we can name one man, at least, who would have kept a copy – Asinius Pollio“. Vgl. auch Naumann
Episches Erzählen in Vergils Georgica
317
des Aristaeus-Finales, die nicht nur ohne die Hypothese der nachträglichen Veränderung auskommt, sondern eben die ausgewogene Harmonie des Ganzen vor Augen führt, hat schließlich Egil Kraggerud 198211 vorgelegt. Zwischen diesen beiden Polen erstreckt sich ein weites Feld vermittelnder Positionen, die anhand von Indizienbeweisen wenigstens Teile der Servius-Notizen retten und mit dem ‚Sezierbesteck‘ der Analyse Bruchstellen im Handlungsgefüge freilegen. So hat Eckard Lefèvre 198612 auf zwei wesentliche Unstimmigkeiten aufmerksam gemacht: zum einen die zweimalige Ankündigung und Erläuterung der Bugonie, zum anderen den Umstand, daß die Proteus-Episode in der vorliegenden Form innerhalb des Plots keine Funktion erfülle. Die jüngste Veröffentlichung zum Thema, der umfangreiche Kommentar von Manfred Erren,13 ermahnt in aller Nüchternheit dazu, den Text so zu nehmen, wie er ist. Er geht jedoch davon aus, daß das Finale das älteste Stück der Georgica sei und als ‚fertiges Manuskript‘ eingefügt bzw. angepaßt wurde. Die Frage nach der Genese des Georgica-Schlusses läßt sich vielleicht nicht mehr endgültig klären; die Argumente sind ausgetauscht. Aber selbst wenn Servius recht behielte und Vergil eine zweite Fassung nachgeschoben hätte, dürften wir in jedem Fall von ihm erwarten, daß das Vorliegende, vom künstlerischen Stand(wie Anm. 9) 8–10 mit überzeugenden Argumenten gegen eine Damnatio memoriae des Gallus bzw. eine Ausschließung von dessen Werken aus öffentlichen Bibliotheken, ebd. 10–16 mit Thesen zur Entstehung der Servius-Notizen („Erfindung der Vergil-Verteidiger“, 16). D. Gall, Zur Technik von Anspielung und Zitat in der römischen Dichtung. Vergil, Gallus und die Ciris, München 1999 (Zetemata 100), 208 erklärt die Servius-Notizen aus einem Mißverständnis des Vergil-Kommentators, da dieser „einen Hinweis auf die Existenz von laudes Galli im vierten Buch der Georgica fand, den er nicht mehr deuten konnte. So zog er die Konsequenz, seine Quelle berufe sich auf eine andere Version des Vergil-Textes.“ Vgl. auch die typologische Interpretation von V. Buchheit, Der Anspruch des Dichters in Vergils Georgica. Dichtertum und Heilsweg, Darmstadt 1972 (Impulse der Forschung). 11) E. Kraggerud, Die Proteus-Gestalt des 4. Georgica-Buches, WüJbb 8, 1982, 35–46. 12) E. Lefèvre, Die laudes Galli in Vergils Georgica, WS 99, N. F. 20, 1986, 183–192. 13) M. Erren, P. Vergilius Maro, Georgica, Bd. 2. Kommentar, Heidelberg 2003, 906–909. Das kürzlich erschienene Buch von C. Nappa, Reading after Actium. Vergil’s Georgics, Octavian, and Rome, Ann Arbor 2005, 186–216 paraphrasiert das Epyllion ausführlich, weicht aber einer Stellungnahme in der hier zur Debatte stehenden Frage aus (ebd. 186f.).
318
Thomas Baier
punkt betrachtet, endgültig ist. Den Georgica fehlt ja, anders als Teilen der Aeneis, nicht die ultima manus. Bruchstellen, die sich im Laufe der Arbeit auftaten, hätte der Mantuaner gewiß so geglättet, daß weder spätantike noch moderne Erklärer darüber gestolpert wären. Wenn nun aber dennoch strukturelle Gründe innerhalb des Handlungsaufbaus für Unbehagen sorgen und wenn man mit Teilen der Forschung annimmt, daß das Zeugnis des Servius einen realen Kern hat und gleichsam einen Blick in Vergils ‚Werkstatt‘ erlaubt, so bedarf es einer Erklärung, die mit dem Gesamtkonzept des Lehrgedichtes harmoniert. Der Aufbau des Georgica-Finales Zum leichteren Überblick sei zunächst der Aufbau der zweiten Buchhälfte (in Anlehnung an die Gliederung bei Norden14) skizziert: 281–286: 287–314: 315–316: 317–332: 333–347: 348–386: 387–414: 415–452: 453–529: 530–547: 548–558:
Proposition: Bugonie lehrhafter Teil: Bugonie Musenanrufung Aristaeus wendet sich an seine Mutter Kyrene Kyrene im Kreis ihrer Schwestern in der Stromestiefe Empfang des Aristaeus Rede der Kyrene an Aristaeus: Verweis auf Proteus Überwältigung des Proteus Bericht des Proteus über Orpheus und Eurydike Ergänzung der Rede durch Kyrene, Anweisung zur Bugonie Der Vollzug des Wunders
II. Interpretation Homerische Anspielungen Die Bugonie wird, dies mag auf den ersten Blick merkwürdig erscheinen, zweimal angekündigt, in den Versen 281–286 und dann noch einmal in 315. Dazwischen liegt eine knappe Ekphrasis über Ägypten (287–294) und eine Anweisung für die Durchführung der Bugonie (295–314), also eigentlich eine theoretische Inhaltsangabe dessen, was ab Vers 317 ausführlich in dramatischer Ausgestaltung präsentiert wird. In den Versen 285f., also am Schluß der Proposi14) Norden (wie Anm. 4) 635 (478).
Episches Erzählen in Vergils Georgica
319
tion, spricht der Dichter in eigener Person: altius omnem / expediam prima repetens ab origine famam. Die zweite Ankündigung in 315 ist als Frage an die Musen gestaltet: Quis deus hanc, Musae, quis nobis extudit artem? Die in 286 gewählte Formulierung, insbesondere mit dem Anspruch, altius, ganz tief,15 vorzudringen und prima ab origine, vom ersten Anfang, zu singen, ist natürlich zum einen ein Hinweis auf die aitiologische Dichtung im Stile des Kallimachos, zum anderen läßt sie jedoch das narrative Heldenepos, insbesondere Homer, anklingen, der für den Schluß der Georgica die Hauptquelle darstellt. Beide Epen erheben den Anspruch, die Geschehnisse von ihren Anfängen her zu besingen, der Ilias-Dichter handelt vom Groll des Achill §j o dØ tå pr«ta diastÆthn §r¤sante / ÉAtre¤dhw te ênaj éndr«n ka‹ d›ow ÉAxilleÊw (1,6f.), der Odyssee-Dichter variiert diese Formel, indem er es der Muse freistellt, von wo sie beginnen mag – t«n èmÒyen ge, yeã, yÊgater DiÒw, efip¢ ka‹ ≤m›n (1,10) –, was aber durchaus den Gedanken der Vollständigkeit einschließt. Homerisch ist aber auch das Anheben zu einer zweiten Exposition mit der Frage an die Muse, eben im Sinne eines erweiterten Prooemiums. Quis deus hanc, Musae, quis nobis extudit artem? hat sein Vorbild in Vers 8 der Ilias, mit dem das erweiterte Prooemium beginnt: T¤w tÉ êrÉ sfve ye«n ¶ridi jun°hke mãxesyai; (1,8). Dieses typische Schema der Themenankündigung in sieben Versen mit dem Neueinsetzen in Vers 8 hat Vergil am Beginn der Aeneis, auch was die Zahl der Verse angeht, genau nachgebildet. Hier ist zumindest das Prinzip aufgegriffen. Im Heldenepos wird im ersten Vers der Gegenstand als Objekt eines Verbs des Singens oder Sagens genannt und durch einen Relativsatz erläutert. Dieser umreißt, mehr oder weniger abstrakt, die Kernpunkte des Geschehens, die dann im Verlauf der Handlung mit persönlichen Schicksalen angefüllt werden. In dieser mit 28 Versen (287–314) zugegebenermaßen extrem langen Exposition geschieht dasselbe. Die Bugonie als Verfahren und ihre Herkunft werden ausgebreitet. Man hat verschiedentlich eine gewisse Irreführung des Lesers moniert,16 wird dieser doch zum einen nach der Ankündigung der fama prima ab origine ungebührlich lang auf die Folter 15) Vgl. Erren (wie Anm. 13) 891 z. St.: „absoluter Komparativ ‚ganz von vorn‘ “. 16) Vgl. Lefèvre (wie Anm. 12) 184.
320
Thomas Baier
gespannt, bis das Aition endlich erzählt wird, und muß er sich dann das dictu mirabile monstrum der Bugonie noch zwei weitere Male schildern lassen, nämlich in Cyrenes Anweisung (537– 546) an ihren Sohn Aristaeus und schließlich, teils in wörtlicher Wiederholung ganzer Verse,17 im eigentlichen Vollzug in 549– 558. Daß Vergil dieses abstoßende Procedere als Rahmen und mit auffälliger Wiederholung am Schluß so prominent heraushebt, läßt sich kaum mit den nicht getilgten Spuren einer Umarbeitung erklären – dahinter ist eher ein bewußtes Kompositionsprinzip zu vermuten. Es könnte eine formale Anlehnung an das Heldenepos vorliegen, indem der Erzähler im Stile einer Ringkomposition gleichsam in konzentrischen Kreisen zum Kern der Erzählung vordringt und wieder zum Ausgangspunkt zurückkehrt. Die Wiederholung von Versen als Kennzeichen homerischer Epik lenkt den Leser gleichsam auf die Vorlage, der sich zwar nicht der Sinn, wohl aber die Struktur der Nachahmung verdankt. Georg Nicolaus Knauer stellt in seinem ANRW-Artikel über „Vergil and Homer“ zu den Versen 315ff. fest: „Virgil has for the first time tried to unite in one of his poems scenes from the ‘Iliad’ and the ‘Odyssey’ which seem at first sight incompatible.“18 Er belegt dies an Zitaten und Anspielungen aus beiden Epen und zieht einen Vergleich zum achten Buch der Aeneis. Mindestens ebenso entscheidend ist jedoch, daß er Bukolisches und Heroisches, Sachepos und mythologisches Epos, homerisches Erzählen und kallimacheisches Feilen kombiniert hat. Diese Verbindung wird eigentlich schon in der bereits zitierten epischen Frage Quis deus hanc, Musae, quis nobis extudit artem? (315) mit dem Aprosdoketon artem zum Programm erhoben. Welcher Leser hätte bei einer so hochtönenden Frage dieses Objekt erwartet?19 Die einschlägigen Parallelstellen aus Homer zum AristaeusFinale sind in den Kommentaren ausgewiesen. Die Klage des Aristaeus entspricht derjenigen Achills, Cyrene trägt Züge der Thetis, 17) So etwa 538 und 550: quattuor eximios praestanti corpore tauros. 18) G. N. Knauer, Vergil and Homer, ANRW II 31.2, 1981, 870–918, hier: 912. 19) Inhaltlich verweist die Frage zurück auf die Kulturentstehungslehre des ersten Buches, vgl. 1,133: ut varias usus meditando extunderet artes. R. Cramer, Vergils Weltsicht. Optimismus und Pessimismus in Vergils Georgica, Berlin / New York 1998, 244 sieht eine Parallele zu Lukrez. Der Ton ist jedoch der des Heldenepos.
Episches Erzählen in Vergils Georgica
321
das Gastmahl der Nymphen20 ist einem homerischen de›pnon nachgestaltet, Proteus schließlich verdankt sich der gleichnamigen Gestalt in der Telemachie. Im einzelnen braucht darauf an dieser Stelle nicht eingegangen zu werden, einerseits weil die Bezüge erkannt und dargelegt sind, andererseits weil es hier nicht nur um wörtliches Zitieren eines, um mit Gian Biagio Conte und Alessandro Barchiesi zu sprechen, ‚modello esemplare‘ geht, sondern um die Aemulatio mit einem ‚modello genere‘. Ersteres bezeichnet die Vorlage, aus der zitiert wird, wobei die Übernahmen oft nur aus einzelnen Wörtern oder Formulierungen bestehen können.21 Unter ‚modello genere‘ verstehen Conte und Barchiesi den literarischen und inhaltlichen Kontext, in den sich ein Autor stellt.22 Es geht nicht um die Übertragung einzelner loci, sondern das Modell wird als „tessuto di relazioni“, als Geflecht vielfältiger Beziehungen, gewertet. Dieser Fall liegt vor, wenn der Autor bestimmte Motive oder Zusammenhänge übernimmt und variiert, und wenn er nicht surripiendi causa zitiert, sondern hoc animo, ut vellet agnosci.23
20) Die Namen der Nymphen selbst sind allerdings nicht homerischer Provenienz. Die Möglichkeit, sie auf Kallimachos, Per‹ numf«n, zurückzuführen, erwägt R. F. Thomas, Virgil’s Georgics and the art of reference, HSCP 90, 1986, 171– 198, hier: 190–193. 21) Zur Definition des modello esemplare: „Il modello viene utilizzato come Exemplar da cui si copia e si cita. La riproduzione estesa di un testo letterario non è ammessa come succede invece con le copie artistiche: succede allora che il Modello-Esemplare consiste essenzialmente di riprese puntuali: sono ‚parole‘ individuali puntualmente imitate (citate o trasformate). All’estremo di questa tendenza o possibilità potremmo immaginare un’imitazione formata solo di parole localizzate“, G. B. Conte / A. Barchiesi, Imitazione e arte allusiva. Modi e funzioni dell’intertestualità, in: Lo spazio letterario di Roma antica, direttori: G. Cavallo, P. Fedeli, A. Giardina, I. La produzione del testo, Roma 1989, 81–114, hier: 94. 22) Andererseits gebe es Schriftsteller, die wie ein anderer Autor schrieben, „senza mai dire esattamente la stessa cosa.“ Solches finde sich „in parecchi notissimi casi di pastiche: sembra che l’abilità dell’autore di pastiches consista appunto in questo, nel mimare il testo prescelto senza mai ‚entrare in contatto‘ con quello.“ Ziel dieser Imitatio sei „la nascita di un a n a l o g o del testo usato come modello. [. . .] si interpreta il modello non come un insieme di loci ma come un tessuto di relazioni. [. . .] Per questo occorre che il modello sia trattato non come un esemplare ma come una sorta di matrice generativa: un modello di competenza che potremmo chiamare Modello-Genere. [. . .] ciò che veramente si imita sono stili, convenzioni, norme, generi. [. . .] ora il modello non è piú un testo, una totalità concreta, ma un insieme di tratti distintivi, una struttura generativa“, Conte / Barchiesi (wie Anm. 21) 94–95. 23) Sen. rhet. suas. 3,7.
322
Thomas Baier
Die Leistung, daß Vergil disparate Stellen aus beiden Homerischen Epen in einem völlig andersartigen Gedicht, einem Sachepos über Landbau, auf engstem Raum verschmolz, ist kaum hoch genug zu bewerten, insbesondere wenn man bedenkt, daß Vergil in den letzten Georgica-Versen erstmals als narrativer Epiker in Erscheinung trat, sozusagen die Feuerprobe bestand. Dies geht, wie Knauer zu Recht feststellt, über frühere Ansätze gelehrter Dichtung hinaus, „[it] seems a far greater achievement, has different dimensions, which transcend the earlier more ‚scholarly‘ approach.“24 Er hat aber Homer nicht nur als ‚modello esemplare‘ zitiert, also einzelne loci übernommen, sondern im Sinne einer Übernahme des ‚modello genere‘ Bauformen – Ringkomposition, Prooemientechnik – übertragen. Dieser Anspruch Vergils, als homerischer Dichter aufzutreten, erklärt auch eine weitere Auffälligkeit, die von J. van Wageningen25 erstmals thematisiert und von Lefèvre26 zum Ausgangspunkt seiner analytischen Betrachtung des Georgica-Finales gemacht wird. Sie liegt darin, daß, wie oben kurz angedeutet, die Reise zu Proteus die Handlung eigentlich nicht voranbringt. In 398 verheißt Cyrene ihrem verzweifelten Sohn ausdrücklich, Proteus werde ihm die Ursachen der Krankheit nennen und einen Ausweg weisen, expediat morbi causam eventusque secundet (397), und in 398 ist von zu erwartenden praecepta die Rede. Doch strenggenommen gibt Proteus keine Anweisungen, sondern enthüllt nur die morbi causae. Die praecepta erfährt Aristaeus von Cyrene selbst.27 Damit werde „der ganze Proteus-Auftritt überflüssig [. . .]; denn das, was sie später sagt, hätte Cyrene gleich sagen können“, so Lefèvre.28 Nun muß man zu dieser pointiert vorgetragenen Kritik sagen, daß Proteus ja immerhin Aristaeus seine 24) Knauer (wie Anm. 18) 912. 25) J. van Wageningen Jr., De Vergilii Georgicis, Diss. Traiecti ad Rhenum 1888, 101–105. 26) Lefèvre (wie Anm. 12) 184. 27) Mynors (wie Anm. 2) 310 zu 397 verweist als Gegenbeispiel auf Aen. 3,458–460, wo die Sibylle angekündigte Weisungen tatsächlich auch erteilt. Zu praecepta von Sehern oder Göttern vgl. Aen. 2,345; 2,607; 6,236; 6,632. In diesen Fällen sind jeweils eindeutige Weisungen mit dem Begriff praecepta bezeichnet. Vgl. auch Thomas (wie Anm. 1) 218 f. zu 396–7 und zu 398. 28) Lefèvre (wie Anm. 12) 185. In Ov. fast. 1,363–380 gibt tatsächlich Proteus die Anweisungen für die Bugonie; dies kann aber ein intertextuelles Spiel Ovids sein, der den Vorgänger gleichsam ‚verbessern‘ wollte.
Episches Erzählen in Vergils Georgica
323
Schuld29 vor Augen führt, was die erste Voraussetzung für die anschließende Sühne ist. Diese Aufgabe, die dem Meer-Greis von Homer her zukommt,30 wird man nicht auch an Cyrene delegieren wollen. Friedrich Klingner hat dazu ebenso vorsichtig wie einfühlend vermerkt: „Entweder müßte dann der Mutter Cyrene etwas gegeben werden, was zu ihrem Wesen nicht paßt, der Einblick in schreckliche Geheimnisse, oder aber die Dichtung müßte auf diese Seite verzichten. [. . .] beide Seiten sind auf zwei gegensätzliche Figuren verteilt“.31 In der Odyssee (4,351ff.) weist Proteus Menelaos auf ein unterlassenes Opfer hin. Seine Funktion in den Georgica ist entsprechend. Doch auch das strukturelle Problem, daß er als Praeceptor annonciert wird, sich dieser Aufgabe aber entzieht, kann durch einen Blick auf die Odyssee geklärt werden, und zwar auf die Nekyia des elften Buches, die sich an den Aufenthalt bei Kirke anschließt bzw. diesen unterbricht. Die Zauberin schickt Odysseus und seine Gefährten, die es nach Hause zieht, die aber auf der Insel Aia bei ihr festsitzen, zunächst in die Unterwelt, damit sie dort die Seele des Thebaners Teiresias befragen. Von ihm heißt es (10,493–495): toË te fr°new ¶mpedo¤ efisi: t“ ka‹ teynh«ti nÒon pÒre PersefÒneia o‡ƒ pepnËsyai: to‹ d¢ skia‹ é˝ssousin. Ihm sind die Sinne beständig geblieben, ihm hat Persephone auch im Tode Einsicht gegeben, daß er allein bei Verstand ist, die anderen schwirren umher als Schatten.32
29) Vor Vergil ist Aristaeus nicht als Schuldbeladener bekannt; zu Überlegungen, wie es zur Vergilischen Charakteristik der Gestalt kam, vgl. M. Marinčič, Die Funktion des Orpheus-Mythos im Culex und in Vergils Georgica, ŽA 46, 1996, 45–82, hier: 69–72. 30) Vgl. Th. Fuhrer, Der alte Mann aus dem Meer: Zur Karriere des Verwandlungskünstlers Proteus in der Philosophie, in: Th. Fuhrer / P. Michel / P. Stotz in Zusammenarbeit mit K. Howald (Hrsgg.), Geschichten und ihre Geschichte, Basel 2004, 11–36, hier: 20f.: Vergil habe die homerische Proteus-Gestalt „mit dem Schuld- bzw. Richtermotiv moralisch aufgeladen und mit dem Unterweltsmythos um eine eschatologische, also für alle Menschen gültige Perspektive auf den Tod erweitert.“ 31) Klingner (wie Anm. 4) 342. 32) Homer-Übersetzungen nach W. Schadewaldt, Homer, Die Odyssee, Hamburg 1958.
324
Thomas Baier
Ferner trägt Kirke Odysseus bestimmte Opfer auf und stellt ihm sodann eine Fahrtweisung durch Teiresias in Aussicht (10,538– 540): ¶nya toi aÈt¤ka mãntiw §leÊsetai, ˆrxame la«n, ˜w k°n toi e‡p˙sin ıdÚn ka‹ m°tra keleÊyou nÒston y', …w §p‹ pÒnton §leÊseai fixyuÒenta. Dort wird alsbald zu dir der Seher kommen, Herr der Völker, der dir ansagen wird den Weg und die Maße der Fahrt und den Heimweg, wie du über das fischreiche Meer gelangst.
Genau das erfolgt im elften Buch aber nicht. Vielmehr vollzieht Odysseus zunächst die Opfer, die ihn Kirke geheißen hatte, wobei wie im Falle der Bugonie und gemäß dem bei Homer üblichen Schema Auftrag und Durchführung zum Teil wortgleich wiederholt werden, und befragt Teiresias. Dieser wirft ihm zunächst die freventliche Blendung des Poseidon-Sohnes Polyphem vor, deretwegen der Meergott Groll gegen ihn hege. Sodann wirft er einen Blick in die Zukunft und enthüllt den Freiermord und Odysseus’ sich anschließende Wanderschaft im 24. Gesang. Eine Fahrtweisung, wie von Kirke versprochen, erteilt Teiresias jedoch nicht. Diese Aufgabe bleibt, wie im Falle Vergils der Cyrene, hier der Kirke überlassen. Im zwölften Buch begrüßt sie die aus der Unterwelt Zurückgekehrten (12,21f. und 25–27): ‘sx°tlioi, o„ z≈ontew ÍpÆlyete d«m' ÉA˝dao, disyan°ew, ˜te t' êlloi ëpaj ynπskous' ênyrvpoi. aÈtår §gΔ de¤jv ıdÚn ±d¢ ßkasta shman°v, ·na mÆ ti kakorraf¤˙ élegeinª μ èlÚw μ §p‹ g∞w élgÆsete p∞ma payÒntew.' Verwegene, die ihr lebend in das Haus des Hades hinabgekommen! Zweimal Sterbende! während die anderen Menschen nur einmal sterben. [. . .] Ich aber will euch den Weg weisen und will euch alles Einzelne bezeichnen, damit ihr nicht durch einen schmerzlichen bösen Anschlag, sei es auf der Salzflut, sei es auf dem Lande, ein Unheil erleidet und Schmerzen haben werdet.
In Vers 37 folgen die Anweisungen und Warnungen vor den Sirenen, vor Skylla und Charybdis. Auch in der Odyssee ist also unter dem Aspekt der Handlung die Totenlandfahrt entbehrlich, nicht
Episches Erzählen in Vergils Georgica
325
jedoch für die tiefere Deutung des Gesamtwerkes. Dieser Umstand ist bereits der analytischen Homer-Forschung aufgefallen und hat zu einer ähnlich kontroversen Diskussion geführt, wie sie die Servius-Notiz zu Vergil ausgelöst hat. Erwin Rohde etwa hebt die „Dürftigkeit und Unvollständigkeit der Belehrung durch Tiresias“ hervor und kommt zu dem Ergebnis: „Die Prophezeiung des Tiresias ist die jüngere; sie ist in das Ganze der Odysseuslieder erst nachträglich eingelegt, als die Prophezeiung der Kirke darin schon vorhanden war.“33 Dem ist Hartmut Erbse mit überzeugenden Argumenten entgegengetreten, indem er zwar anerkennt, daß es in dem Epos „kaum ein zweites Beispiel dafür [gebe], daß eine klare Ankündigung so auffällig mißachtet wird wie die Vorhersage Kirkes.“ Er nennt dafür jedoch Gründe: „Kirkes Ankündigung bleibt offenbar deshalb unbeachtet, weil sie nur den Vorwand für die Befragung des Sehers abgibt. Teiresias aber hat viel Wichtigeres zu künden als einzelne Wegstrecken der geplanten Heimfahrt. [. . .] Man sieht: Indem Teiresias die Hintergründe des Geschehens aufdeckt, liefert er dem bis ans Ende der Welt verschlagenen Helden den Schlüssel zum Verständnis seines Schicksals. Odysseus bleibt denn auch nichts anderes übrig, als zu antworten: ‚Teiresias, dies haben die Götter wohl selber so gesponnen [11,139].‘ “34 Offenbar hat Vergil als ‚modello esemplare‘ zwar die ProteusGeschichte gewählt,35 als ‚modello genere‘ jedoch das elfte Buch mit der Nekyia. Freilich weisen das vierte und das elfte Buch der Odyssee an sich schon gewisse Ähnlichkeiten auf.36 Doch gibt es Hinweise, daß Vergil bewußt beide kontaminierte. 33) E. Rohde, Nekyia, RhM 50, 1896, 600–635 und in: Kleine Schriften, II, Tübingen / Leipzig 1901, 255–292, hier: 602 [258]. Vgl. auch U. von WilamowitzMoellendorff, Homerische Untersuchungen, Berlin 1884, 144. 34) H. Erbse, Beiträge zum Verständnis der Odyssee, Berlin / New York 1972 (Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte 13), 24f. Vgl. auch den gemäßigt unitarischen Standpunkt von H. Eisenberger, Studien zur Odyssee, Wiesbaden 1973 (Palingenesia 8), 160–165. 35) Damit klärt sich auch die Situierung der Handlung in Ägypten, denn in der Odyssee (4,385) wird Proteus wohl erstmals als AfigÊptiow apostrophiert, vgl. A. Heubeck / S. West / J. B. Hainsworth, A Commentary on Homer’s Odyssey, vol. I. Introduction and books I–VIII, Oxford 1988, 218 zu 4,384ff. 36) Vgl. Heubeck / West / Hainsworth (wie Anm. 35) 218 zu 4,384ff. und A. Heubeck / A Hoekstra, A Commentary on Homer’s Odyssey, vol. II. Books IX– XVI, Oxford 1989, 72 f. zu 10,539–40.
326
Thomas Baier
Bevor Cyrene noch Proteus’ Namen nennt, stellt sie ihn Aristaeus als vates vor (387) und wiederholt diesen Begriff wenig später. Eine solche Amtsbezeichnung hat der odysseische Proteus nicht,37 wohl aber der mãntiw Teiresias. Entsprechend kennt Teiresias die Zukunft und breitet sie vor Odysseus aus. Ebenso preist Cyrene 392f. Proteus an: novit namque omnia vates, / quae sint, quae fuerint, quae mox ventura trahantur. Schließlich paßt insgesamt die ehrwürdige Strenge, die der vergilische Proteus ausstrahlt,38 besser zu Teiresias als zu seinem homerischen Pendant. Treffend hat Kraggerud vermerkt: „Wenn irgendeine Gestalt Vergils Einsicht in die eigene Verantwortung gewinnt, dann Aristaeus. [. . .] Neben dem Proprium der Aristaeus-Situation steht in der Proteus-Rede das Commune der condition humaine. [. . .] Ein Blick auf die HadesWanderung des Orpheus vermag diese Erweiterung der Gültigkeit der prophetischen Rede faßbar zu machen. Denn eine Katabasis war immer ein Vehikel der Dichter, Denker und Theologen, eschatologische Wahrheiten zu verkünden“.39 Von dieser Erkenntnis ist es nur noch ein kleiner Schritt zu der Feststellung, daß Vergil eben die erste aller literarischen Katabaseis im Blick hatte und auf sie anspielte. Als letztes Argument sei angeführt, daß nur die Teiresias-Rede den inneren Zusammenhang von vorangegangener Schuld und gegenwärtigem Leid thematisiert und in dieser tieferen Einsicht ihren eigentlichen Zweck hat. Sie weist insofern auf die Georgica voraus. Der odysseische Proteus enthüllt dagegen vier unterschiedliche Heldenschicksale – Aias, Agamemnon, Odysseus, Menelaos –, indem er sie knapp umreißt, jedoch ohne den moralischen Impetus seines vergilischen Nachfahren bzw. des Teiresias. Diese Beobachtung legt den Schluß nahe, daß Vergil der ‚epic closure‘, dem Gedichtende, eine maßgebliche Bedeutung für die Gesamtinterpretation beilegte.40 Darauf wird später noch einmal zurückzukommen sein. 37) Homer nennt ihn 4,384 allerdings nhmertÆw. Seine ‚untrügliche Kenntnis‘ bezieht sich nach den beiden folgenden Versen jedoch vornehmlich auf die ‚Tiefen des Meeres‘. 38) Vgl. Kraggerud (wie Anm. 11) 41. 39) Kraggerud (wie Anm. 11) 43. Vgl. auch C. Neumeister, Aristaeus und Orpheus im vierten Buch der Georgica, WüJbb 8, 1982, 47–56, hier: 48: „Vieles deutet darauf hin, daß in dieser seltsamen Ursprungssage verschlüsselt Aussagen enthalten sind, die dem Dichter der Georgica außerordentlich wichtig waren“. 40) Die Bedeutung der ‚epic closure‘ betonen besonders M. C. J. Putnam, Virgil’s Poem of the Earth. Studies in the Georgics, Princeton 1979, 270; G. B.
Episches Erzählen in Vergils Georgica
327
Als Zwischenergebnis läßt sich zunächst festhalten, daß Vergil den Leser durch Leitzitate auf die Homerischen Epen stößt und daß er sich Bauformen homerischen Erzählens anverwandelt, strukturelle Merkmale als Verweise auf die Vorlage einsetzt. Inhaltlich nutzt er die Proteusrede, um den Zusammenhang von Schuld und Strafe darzulegen. Er konnte damit die als ‚modello esemplare‘ zitierte Proteus-Gestalt mit der tieferen Bedeutung der Teiresias-Gestalt ‚aufladen‘. Er hat sein Vorbild gleichsam ‚verdichtet‘.41 Indes sind die ‚Unterweltfahrten‘ in Odyssee und Georgica, die jeweils die anfangs geweckte Erwartung auf klare Anweisungen enttäuschen, nicht nur dazu da, den Hörer stutzig zu machen und eine „Wandlung ins Grundsätzliche“42 anzustoßen. Vielmehr tauchen sie die Handlung in ein neues Licht.43 Der Gang zu Teiresias ist das Bindeglied zum Gespräch des Odysseus mit den gefallenen Helden, vor allem mit Achill und Agamemnon.44 Letzterer warnt ihn aus eigener Erfahrung (11,454–456) vor der List der Frauen gegenüber heimkehrenden Ehemännern, obwohl er um die besondere Treue Penelopes weiß. Im 13. Gesang, bei der Ankunft in Ithaka, ist Odysseus vor allem deshalb von der Notwendigkeit der Camouflage überzeugt, weil er sich des Gesprächs mit dem Atriden erinnert (383–385).45 Die Nekyia hat ihn noch vorsichtiger werden lassen und die weitere Handlung insofern geprägt. Auch Aristaeus kehrt durch die Einsicht in Schuld und Sühne verändert von Proteus zurück. Vom multa querens (320) und lacrimans (356), der seine Mutter mit ungerechtfertigtenVorwürfen überzieht (321–332; 356), ist er zum timens (530) geworden; erst jetzt hat er die nötige Reife, um supplex (534) ein Opfer durchzuführen. Aus den geschlachteten Tieren entsteht nach neun Tagen ein Bienenschwarm (552–558). Die im lehrhaften Teil als magische Praxis eingeführte Bugonie ist jetzt die Folge einer sakralen HandMiles, Virgil’s Georgics. A new interpretation, Berkeley / Los Angeles / London 1980, 257. 41) Vgl. Fuhrer (wie Anm 30) 21. 42) Erbse (wie Anm. 34) 25. 43) In der Odyssee fällt in der Teiresias-Prophezeiung das Schlüsselwort ‚Trinakia‘, das die Fahrtrichtung angibt, die dann durch Kirkes Anweisungen präzisiert wird, vgl. Erbse (wie Anm. 34) 25 und 31. 44) Vgl. U. Hölscher, Untersuchungen zur Form der Odyssee, Berlin 1939 (Hermes-Einzelschriften 6), 7f. 45) Vgl. Erbse (wie Anm. 34) 116.
328
Thomas Baier
lung zur Besänftigung der Manen. Um diese jedoch durchführen zu können, brauchte Aristaeus die Belehrung durch Proteus. Seine Mutter, deren überlegene Gesetztheit in Kontrast zu ihrem aufgeregten Sohn steht,46 dürfte diesen also gleichsam aus ‚pädagogischen‘ Gründen zu dem Meeresalten geschickt haben. Bezüge auf die Eklogen Bereits Knauer sah im Georgica-Finale den Versuch, über die Homer-Imitatio etwa eines Ennius, die sich auf die Übernahme von typischen Szenen, Vergleichen oder Iteratversen beschränkt, hinauszukommen und statt dessen homerische Themen oder Grundkonflikte zu variieren.47 Allerdings hatte Vergil bereits in der dem Georgica-Ende in gewisser Hinsicht verwandten sechsten Ekloge gleichsam einen Versuch über das Epos vorgelegt.48 Die Verwandtschaft gründet zunächst darauf, daß beide Stücke in irgendeiner Beziehung zu Gallus stehen – im einen Falle durch ausdrückliche Nennung, im anderen aufgrund der Servius-Notiz.49 Inhaltlich ergibt sich die Nähe dadurch, daß in beiden Fällen ein alter Mann durch List dazu gebracht wird, ein Lied vorzutragen, in der Ekloge der Silen, in den Georgica eben Proteus. Beide werden von ihren Überwindern schlafend angetroffen,50 und beide werden zunächst gefesselt51 – letzteres Motiv fehlt in der Odyssee, stellt also eine exklusive Verbindung der beiden Vergilstellen dar im Sinne eines Selbstzitats.52 Schließlich zieren sich beide lange, ehe sie ihren Vortrag beginnen. Der Gesang des Silens in der sechsten Ekloge ist gleichsam eine kleine Eposskizze, ein êeisma dihnek°w ‚prima ab origine 46) Die beiden Auftritte der Cyrene (333; 530) werden jeweils mit at eingeleitet und strahlen gegenüber dem Vorangegangenen Ruhe aus. Zum homerischen Charakter von 333f. vgl. Thomas (wie Anm. 1) 207 zu 333–4. 47) Vgl. Knauer (wie Anm. 18) 913. 48) Vgl. Th. Baier, Vergils dichterische Selbstbestimmung in der sechsten Ekloge, Pan 21, 2003, 165–176, hier: 172 f. 49) Vgl. Gall (wie Anm. 10) 203–208. 50) Georg. 4,403f. 510) Georg. 4,405. Vgl. Gall (wie Anm. 10) 204. 52) Vgl. R. Coleman, Gallus, the Bucolics, and the ending of the fourth Georgic, AJPh 83, 1962, 55–71, hier: 67 Anm. 36: „The passages in the Bucolics and Georgics are linked over against the Odyssey“.
Episches Erzählen in Vergils Georgica
329
mundi ad sua ipsius tempora‘. Es wird die Entstehung der Welt und ihre Geschichte bis zu Gallus berichtet, allerdings unter einem einzigen Aspekt, nämlich dem des amor. Die Helden dieser kleinen Eposskizze sind durchweg Gestalten, die von der Leidenschaft der Liebe in krankhafter Weise getrieben sind. Den Höhepunkt bildet Vergils Vorbild und Freund, der Dichter Gallus, der Archeget der Liebesdichtung. Die bis zum Wahnsinn und bis zur Selbstzerstörung Liebenden werden dabei nicht negativ oder leidend dargestellt, sondern als Figuren, die sich einer Sache bis zur Maßlosigkeit verschrieben haben und darin ihre Bestimmung finden.53 Sie sind jedoch zugleich in hohem Grade gefährdet. Die Bedrohung, die in der Hingabe an die Leidenschaft liegt, thematisiert Vergil in der Gallus gewidmeten zehnten Ekloge. In ihr läßt Vergil Gallus in typisch elegischer Manier über die treulose Geliebte klagen, glaubt man dem Zeugnis des Servius, in dessen eigenen Worten.54 Sein Lieben wird von Apoll als insanire bezeichnet (22), von ihm selbst als insanus amor (44) und furor (38; 60). Der Gedanke des omnia vincit amor (ecl. 10,69) läßt sich aber in gewisser Hinsicht auch in der in das Aristaeus-Finale eingebetteten Orpheus-Geschichte erkennen. Als furor bezeichnet auch Eurydice das Verhalten des Orpheus: quis tantus furor (495); seine Verzweiflung über den Verlust der Gattin ist ähnlich abgrundtief und zerstörerisch wie diejenige des Gallus über den Verlust der Geliebten. Insofern läßt sich eine Motivparallele zwischen beiden Gedichten herstellen. Orpheus ist ein unverdient Leidender. Seine èmart¤a bestand darin, sich zu früh nach seiner Frau umgedreht zu haben, eine subita dementia ließ ihn unvorsichtig, incautum, werden (488), eine Unachtsamkeit, von der Proteus sagt, sie sei ignoscenda quidem, scirent si ignoscere Manes (489), verzeihlich, wenn die Manen verzeihen könnten. Orpheus wurde in tiefes Unglück gestürzt, aber was ihn letztlich zerstört, ist nicht dieser Fehler, sondern die Maßlosigkeit seiner Trauer. Maßlos ist er aber über den Tod hinaus im Verlangen nach Rache. Denn in seinem Elend (miserabilis, 454) setzt er mit der Vernichtung des Bienenvolkes eine Bestrafung gegen Aristaeus ins Werk, die in keinem Verhältnis zum Vergehen steht: miserabilis Orpheus / haudquaquam ob 53) Vgl. Baier (wie Anm. 48) 174. 54) Servius zu 46–49: hi autem omnes versus Galli sunt de ipsius translati carminibus.
330
Thomas Baier
meritum poenas, ni fata resistant, / suscitat, et rapta graviter pro coniuge saevit (454–6). Diese Stelle ist textkritisch umstritten: Neben ob meritum ist ad meritum überliefert. Letzteres würde bedeuten: „Strafen, die keineswegs an das heranreichen, was du verdient hättest“. Das besser belegte ob meritum heißt entweder: „Strafen, die du keineswegs verdient hast“, die also über das Verdiente hinausgehen, oder, auf miserabilis Orpheus bezogen: „der übermäßig unglückliche Orpheus“. Die Mehrzahl der Interpreten scheint Servius zu folgen, der der ersten Deutung zuneigt: non tales quales mereris: nam eius uxoris causa mortis fuisti. Die Lesart ad meritum im Codex Palatinus verdankt sich wohl eben diesem Empfinden. Erren55 tendiert in seinem Kommentar indes zu dem Verständnis „Keineswegs für dein Verschulden“ mit der Begründung: „Bei einer heimlichen Vergeltung des Anklägers [. . .] kann weder von gerechter Strafe noch von Strafmaß die Rede sein; das hinterhältige Aufhetzen der Numina gegen Aristaeus ist Rache.“ Man kann hinzufügen, daß die Bezeichnung von Orpheus’ Verhalten als graviter saevit (456) ebenfalls Kritik zum Ausdruck bringt. Schließlich läßt der einschränkende Konditionalsatz ni fata resistant erkennen, daß der Sprecher Proteus wenigstens die Möglichkeit erwägt, Orpheus’ Racheverlangen könne, aus dem Affekt entstanden, das im Rahmen der Fata Zulässige überschreiten. Ob man nun, wie das zahlreiche Interpreten, darunter M. Schmidt,56 R. Coleman,57 G. Barra,58 H. J. Tschiedel59 und E. Lefèvre,60 mit jeweils unterschiedlichen Argumenten und unterschied55) Erren (wie Anm. 13) 967 z. St. 56) M. Schmidt, Die Komposition von Vergils Georgica, Paderborn 1930, 179. Vgl. G. Radke, Fachberichte – Auswahlbericht zur augusteischen Dichtung, Gymnasium 66, 1959, 319–347, hier: 332. 57) Coleman (wie Anm. 52) 68f.: „Vergil pays his tribute to the memory of his Alexandrian master and friend [. . .] an expression of Vergil’s personal feeling and a funeral lament for Gallus.“ 58) Il Crimen di Cornelio Gallo, Vichiana 5, 1968, 49–58, hier: 57: „Chi conosce la tendenza al simbolo della poesia virgiliana, per cui la realtà si trasfigura lieve in fantasia libera e pensosa, non avrà difficoltà ad ammettere che, nella vicenda dell’Orfeo virgiliano, c’è qualcosa che fa pensare a quella dell’infelice poeta di Forum Julii, c’è l’esaltazione di un poeta colpito pur esso da una sorte altrettanto triste e irrimediabile, nella sostanza immeritata.“ 59) Orpheus und Eurydice. Ein Beitrag zum Thema: Rilke und die Antike, AA 19, 1973, 61–82, hier: 79f.: In der Orpheus-Erzählung lebe „für den um die Zusammenhänge wissenden Leser die Erinnerung an Gallus“ fort. 60) Lefèvre (wie Anm. 12) 190.
Episches Erzählen in Vergils Georgica
331
lichen Schlußfolgerungen getan haben, hinter Orpheus Gallus sehen darf, sei dahingestellt. Eine Parallele zwischen dem Gallus der Eklogen und dem Orpheus in dem eingelegten Epyllion besteht zumindest insofern, als beide einer maßlosen Leidenschaft verfallen sind, die sie zerstört. Statt von laudes Galli sollte man besser von einem mahnenden oder ambivalenten exemplum Galli sprechen. Da nun sowohl diese Georgica-Passage als auch nach herrschender Meinung die beiden Gallus-Eklogen eine poetologische Bedeutung haben, wird man wohl behaupten dürfen, daß Vergil bei aller Bewunderung für den Archegeten der Liebeselegie doch eine Abkehr von dessen Dichtung empfiehlt. In der sechsten Ekloge steht Gallus im Zentrum eines Weltgedichtes in nuce. Vergil weiß sich mit ihm in der Ablehnung von reges et proelia als Stoff der Dichtung einig, doch er preist ihn in einer Form, die Gallus vermutlich nicht benutzt hat. In der zehnten Ekloge schließlich versucht er ihn von der ‚krankhaften‘ Liebesdichtung zu der heilsamen bukolischen Dichtung zu ziehen.61 Die Orpheus-Einlage ist nach Art hellenistischer Epyllien mit ihrem Rahmen verknüpft. Dieser atmet jedoch den Geist des Heldenepos und zeigt Vergils Hindrängen zu dieser Form. Sollte also, wie bisweilen vermutet wurde, in der Orpheus-Geschichte Zitatmaterial aus Gallus verarbeitet sein, so hätte Vergil es nicht nur thematisch, sondern vor allem poetologisch in einen vollkommen neuen Kontext gestellt und damit seine Emanzipation von Gallus erklärt. Dieser Befund macht es sehr unwahrscheinlich, daß, wie die eingangs zitierten Servius-Notizen nahelegen, ein explizites oder uneingeschränktes Gallus-Lob in der zweiten Buchhälfte bzw. an der Stelle des Orpheus-Mythos gestanden hat. Einordnung des Finales in den Gesamtzusammenhang des Lehrgedichtes Wie steht es nun aber mit der Schuld des Aristaeus? Immerhin werden ihm magna commissa (454) zur Last gelegt. Eurydice hatte, von Aristaeus verfolgt, die verhängnisvolle Schlange übersehen und war gebissen worden. Das Vergehen des pastor et deus wird gerade einmal in einem Nebensatz angedeutet: dum te fuge61) Vgl. Lefèvre (wie Anm. 12) 191.
332
Thomas Baier
ret (457). Proteus scheint kein besonderes Gewicht auf die Motive der Tat zu legen. Erren bemerkt trocken und vielleicht ein wenig zu kasuistisch: „In der frühgriechischen Mythologie ist aber Vergewaltigung unbehüteter jugendlicher Schönheit ein Kavaliersdelikt, jedenfalls für Götter, wenn nicht gar eine Auszeichnung für das Opfer, und so kann auch Vergil den Tatbestand, daß ein Sohn Apolls in der freien Natur eine Nymphe so bedrängt, daß sie kopflos flieht (man denke nur an Apoll und Daphne), nicht strenger beurteilen. Einen schwereren Tatbestand hat Aristaeus aber nicht vollendet, [. . .] und der Umstand, daß er den dadurch indirekt mitverursachten Unfall [. . .] nicht beobachtet hat [. . .], beweist, daß er sie nicht verfolgt und eine Vergewaltigung nicht beabsichtigt hat.“62 Aristaeus ist gewiß kein Frevler, sondern ein Beispiel für die unwillentliche und unwissentliche Verstrickung in Schuld, aber auch für die Möglichkeit, sich daraus wieder zu lösen. Exkurs zum ersten Buch Die Georgica sind ein Symbolgedicht par excellence. Um Landbau geht es in ihnen nur sehr vordergründig. Vielmehr gibt das Lehrgedicht eine Deutung der Ambivalenz menschlichen Daseins. Diese drückt sich aus in der zum geflügelten Wort geronnenen Formel vom labor improbus. Der ebenfalls ambivalente ‚Schlußmythos‘, wie man das Aristaeus-Finale mit Blick auf Ciceros Somnium Scipionis genannt hat,63 scheint diesen Gedanken aufzugreifen und zu überhöhen. Was ist jedoch mit labor improbus gemeint?64 Es sei gestattet, in einem kurzen Exkurs auf diese Frage einzugehen, um den oft bestrittenen inneren Zusammenhang mit dem Ende aufzuzeigen. Die Dikaiologie der Arbeit im ersten Buch ist Teil der Ausführungen über die Bestellung des Ackers. Schon dieses Umfeld verleiht dem labor eine schroffe Note. Pflügen, Bodenverbesserung durch Hacken und Düngen, Bereitstellung der Saat auf der einen, die Ackergeräte und schließlich die Bekämpfung der 62) Erren (wie Anm. 13) 967 zu V. 455. 63) Vgl. Kraggerud (wie Anm. 11) 45f. 64) Vgl. Th. Baier, Labor improbus. Ist die Arbeit wirklich ein Fluch?, in H.-P. Ecker (Hg.), Orte des guten Lebens. Entwürfe humaner Lebensräume, Würzburg 2006, 189–203.
Episches Erzählen in Vergils Georgica
333
Schädlinge, der ‚Feinde des Bauern‘ auf der anderen Seite umschließen den Exkurs über die Arbeit.65 Es sei der Versuch unternommen, einige Schneisen in das Dickicht der Forschung zu schlagen und zwei Grundthesen herauszustellen. Servius paraphrasierte das Epitheton improbus als indefessus, adsiduus, sine moderatione, erkannte im labor improbus also etwas Positives. Ihm ist ein Großteil der Forschung gefolgt. Der Arbeit von Altevogt66 gebührt indes das Verdienst, gezeigt zu haben, daß improbus bei Vergil stets das Gegenteil von probus ist, also soviel wie ‚böse, frevelhaft‘ heißt, mithin eindeutig negativ konnotiert ist. Er versucht sich daher zur Rettung der Stelle mit einer Uminterpretation von labor, etwa im Sinne von ‚Leid, Bedrohung‘. Beide Sichtweisen vermögen nicht zu befriedigen. La Penna hat schließlich das ‚Handtuch geworfen‘ und kommt zu dem Ergebnis, entweder habe Vergil die Arbeit gar nicht rechtfertigen wollen oder er sei damit gescheitert.67 Zum Aufgeben besteht aber kein Anlaß. Eine Perspektive zur Deutung hat nämlich bereits Brooks Otis aufgezeigt: „There is, in any event, a fatal shadow on the whole picture: man’s ‘civilization’ has a curse on it. The items in it that Virgil selects (135–44) involve at every point the rending and perversion of natural things (i.e. the discovery of fire, navigation, trapping, hunting and fishing, iron and steel tools, and – most important of all – private property).“68 Der Grundgedanke bei Vergil dürfte in der Tat ein pessimistischer oder zumindest ambivalenter sein: Menschliches Handeln steht zunächst einmal im Zeichen des Frevels. Immerhin kämpft der Mensch mit seiner Arbeit gegen einen von Iupiter geschaffenen Zustand an, greift in die göttliche Ordnung ein. Nun ist, mag man einwenden, doch genau das von Iupiter beabsichtigt: pater ipse colendi / haud facilem esse viam voluit, primusque per artem / movit agros, curis acuens mortalia corda / nec torpere gravi passus sua regna veterno (1,121–124). ‚Iupiter selbst wollte, daß der Weg des 65) Gliederung: 43–203: Bestellung des Ackers; 43–70: Pflügen / Beurteilung des Bodens; 71–117: Verbesserung des Bodens durch Düngen, Hacken, Brandrodung; 118–121: Arbeit an der Saat; 121–159: Zeitalter / Entstehung der Arbeit; 160–175: Ackergeräte; 176–203: Schädlingsbekämpfung. 66) H. Altevogt, Labor improbus, Münster 1952. 67) Vgl. A. La Penna, Esiodo nella cultura e nella poesia di Virgilio, in: Hésiode et son influence, Entretiens sur l’antiquité classique 7, Genève 1962 (Fondation Hardt), 225–247. 68) B. Otis, Virgil. A Study in civilized poetry, Oxford 1964, 157.
334
Thomas Baier
Landbaus nicht leicht sei, und mit Berechnung69 ließ er als erster den Boden bewegen (bebauen), schärfend durch Sorgen die menschlichen Herzen, und er litt es nicht, daß sein Reich in dumpfem Nichtstun dahindämmere.‘ Anders als in den Deszendenztheorien vor Vergil sind die Menschen nicht nur aufgefordert, sondern sogar gezwungen, ihr Schicksal durch labor in die Hand zu nehmen. Wie in den Deszendenzmythen steht das menschliche Handeln jedoch stets im Zeichen von Übertretung und Frevel. Am Beispiel der Schädlingsbekämpfung im ersten Buch läßt sich das einleuchtend zeigen (176–203): Feldmaus, Maulwurf und Kröte, die eine ganze Ernte vernichten können und deshalb bekämpft werden müssen, haben ihren eigenen kleinen der menschlichen Ordnung vergleichbaren Kosmos, den Vergil mit viel Liebe und Sympathie schildert. Seine Zerstörung erscheint als Frevel, und doch ist sie unabweisbar. Hier liegt das Zwiespältige; der unablässige Zivilisationsprozeß birgt stets den Keim der Übertretung in sich, modern gesprochen: Jeder Eingriff in die Natur ist auch ein Stück freventlicher Zerstörung.70 Dies ist die condicio menschlichen Handelns, daß Gutes und Böses nahe beieinanderliegen und oft das eine das andere mit sich bringt. Täte der Mensch nichts, ginge er in Verwahrlosung zugrunde, handelt er jedoch, macht er sich schuldig.71 Die Schwere des Daseins ist zugleich seine Tragik. Schuld und Verstrickung gehören, wenigstens potentiell, zum Wesen des Menschen dazu.
69) Vgl. zu dieser K. Büchner geschuldeten Wiedergabe von per artem H. Drexler, Zu Vergil, Georg. 1,118–59, RhM 110, 1967, 165–174, hier: 166. 70) Ein Ansatz dieser Sicht findet sich auch bei Neumeister (wie Anm. 39) 53: Aristaeus repräsentiere einen Menschen, „der die Natur und ihre Wesen nutzt und dabei unter Umständen auch ihre Vernichtung in Kauf nimmt (was Vergil innerhalb gewisser Grenzen akzeptiert, weil es dem in der Natur waltenden Gesetz des Wechsels von Tod und Leben entspricht)“. 71) Die Schiffahrt als Herausforderung des Meeres, die Landwirtschaft als Verletzung des Ackers und schließlich der Krieg als Frevel gegen die Menschen sind in der Literatur des ersten Jahrhunderts topisch. Vgl. B. Reischl, Reflexe griechischer Kulturentstehungslehren bei augusteischen Dichtern, masch. Diss. München 1976, 91–96.
Episches Erzählen in Vergils Georgica
335
Schlußfolgerung Der göttliche Hirte Aristaeus ist, zwar auf anderer Ebene, aber dennoch den Landleuten der ersten beiden Bücher vergleichbar,72 unwillentlich schuldig geworden;73 er steht wie diese unter dem Zeichen des Frevels, muß und kann aber damit leben. Seit Dahlmanns Akademieabhandlung über den Bienenstaat74 wird nicht mehr bestritten, daß Vergil in der ersten Hälfte des vierten Buches ein ideales menschliches Gemeinwesen gleichnishaft dargestellt hat. Als es durch innere Krankheit untergeht, tritt Aristaeus als sein Retter auf. Seine Mittel sind jedoch drastisch bis abstoßend, er selbst ist eine moralisch fehlbare Gestalt.75 Die Bezüge der Buchenden von I und IV, zwischen dem Bürgerkriegsfinale und dem Tod der Bienen hat die Forschung bereits aufgezeigt.76 Signifikant ist der bisher nicht beachtete Umstand, daß Proteus in den Häfen Emathiens (Pharsalos), eines der Blutorte der Römer, beheimatet ist (390). Vergil scheint die Frage, der Horaz wenig später in den Epoden 7 und 16 nachgehen wird, weshalb die Welt aus den Fugen geraten und wie sie wieder einzurenken sei, zu beantworten. Mit Kraggerud wird man behaupten dürfen: „Der Aristaeus-Mythus läßt sich als eine mythische Darlegung dieser Wirklichkeit und zugleich als ihre Überwindung lesen.“77 Das Aristaeus-Finale ist somit kein Fremdkörper in dem Lehrgedicht, sondern dessen inte72) Bereits K.-H. Pridik, Vergils Georgica. Strukturanalytische Interpretationen, Diss. Tübingen 1971, 278 sieht in Aristaeus „die überwindende Kraft des labor improbus“ verkörpert. 73) Neumeister (wie Anm. 39) 50 zur Beziehung zwischen Aristaeus und dem übrigen Personal der Georgica: „Aristaeus ist der mythische Repräsentant des Landmanns in all seinen verschiedenen in den Georgica behandelten Aspekten: Er ist nicht nur Imker, sondern auch Ackerbauer, Weinbauer sowie Züchter von Großvieh und Kleinvieh“ und 52 zum commissum des Aristaeus: „Aristaeus ist [. . .] der mythische Repräsentant des Landmannes, der sich die Natur unterwirft, um sie zu nutzen. Dabei muß er unvermeidlicherweise immer wieder Naturwesen vergewaltigen [. . .]“. 74) H. Dahlmann, Der Bienenstaat in Vergils Georgica, Wiesbaden 1955 (AAW Mainz, Geistes- u. soz.wiss. Kl., 1954, Nr. 10). 75) M. O. Lee, Virgil as Orpheus. A Study of the Georgics, New York 1996, 133 vertritt die Auffassung, Aristaeus sei „a portrait, mutatis mutandis, of the Octavian of the years 36–29 B. C.“ 76) Zu Bezügen zwischen dem dritten und dem vierten Buch vgl. die Arbeit von Neumeister (wie Anm. 38). 77) Kraggerud (wie Anm. 11) 44.
336
Thomas Baier
graler Bestandteil. Es verweist thematisch und formal voraus auf das große Epos, das Vergil im Prooemium zum dritten Buch in Aussicht stellt,78 ist also der konsequente Abschluß der zweiten Gedichthälfte. Im Lichte dieses Ergebnisses erscheinen die Bücher drei und vier der Georgica, insbesondere hinsichtlich der dichterischen Selbstbestimmung ihres Verfassers, als eine Einheit. Die Annahme einer späteren Umarbeitung durch Servius, die den Ausgangspunkt dieser Überlegungen bildete, wird dadurch nicht nur überflüssig, sondern vielmehr unwahrscheinlich. Ein wesentliches Anliegen Vergils im zweiten Teil seines Lehrgedichtes, beginnend mit der Ankündigung eines Augustus-Epos und endend mit dem homerisierenden Finale, war seine Selbstverortung als epischer Dichter. Diese Absicht wäre durch laudes Galli verdunkelt worden. Bamberg
Thomas Baier
78) Vgl. Griffin (wie Anm. 5) 72: „In this poem, then, the poet is saying something which will be said on a greater scale and with greater mastery in the Aeneid.“ Vgl. Gall (wie Anm. 10) 218: „Der mythische Schluß von Georg. 4 vermittelt eine Weltanschauung, deren Bedeutung für Vergils großes Epos hier nicht erläutert werden muß – den Gedanken, daß alles, was Menschen bewahren und hervorbringen, seine Wurzeln in der Schuld, in der Einsicht in diese Schuld und in ihrer Sühnung hat.“
THE BOGUS TEACHER AND HIS RELEVANCE FOR OVID’S ARS AMATORIA The thesis of the present paper comes in several parts, of which the initial one, since it traverses the least familiar territory, is accorded the most extended treatment. It goes as follows: first, it is possible to identify in Latin literature the stock figure of a bogus teacher or sermoniser who dispenses arguments or instruction that are in some way false, misleading or vitiated; second, that the speaker of Ovid’s Ars Amatoria is patterned to a significant degree upon the typology of the bogus teacher with which the first section of the paper is concerned, and must be taken account of in any discussion of the sources that feed into the literary weave of Ovid’s poem, in particular those which contribute to the construction of the didactic persona; third, if the argument of part 2 is accepted, it lends support to the view of Durling, E. F. Wright, Myerowitz and others that, in the Ars, Ovid deliberately constructs his speaker as an incompetent or ineffectual praeceptor who at every turn discloses his ineptitude:1 conversely, it tells against the more recent contention of Eric Downing and Katharina Volk2 that the teacher of the Ars represents both himself and his instruction as a success.
1) R. M. Durling, The Figure of the Poet in Renaissance Epic (Cambridge, Mass. 1965) 26–43, E. F. Wright, Profanum sunt Genus: the Poets of the Ars Amatoria, PQ 63 (1984) 1–15, M. Myerowitz, Ovid’s Games of Love (Detroit 1985). Cf. also J. M. Fyler, Omnia uincit amor: Incongruity and the Limitations of Structure in Ovid’s Elegiac Poetry, CJ 66 (1971) 196–203 and E. D. Blodgett, The Well Wrought Void: Reflections on the Ars Amatoria, CJ 68 (1973) 322–33. 2) E. Downing, Artificial I’s: The Self as Artwork in Ovid, Kierkegaard and Thomas Mann (Tübingen 1993) 39, K. Volk, The Poetics of Latin Didactic (Oxford 2002) 157–95. While not going nearly so far as Downing and Volk, A. Dalzell, The Criticism of Didactic Poetry (Toronto 1996) 132–64, lays emphasis on the fact that Ovid strives to give the impression of being in control of the art which he professes. Most recently, Rebecca Armstrong, Ovid and his Love Poetry (London 2005) 138 also edges towards Volk’s position.
338
L i n d s a y C . Wa t s o n
The Bogus Teacher The various instances of the bogus teacher or sermoniser around which the discussion is built are these: the Damasippus, Catius and Davus of Horace, Satires 2,3, 2,4 and 2,7; the teacher of rhetoric Agamemnon and the incompetent poet and moraliser Eumolpus of Petronius’ Satyricon; the astrologer Horus of Propertius 4,1b; the hypocritical moneylender Alfius of Horace’s second Epode who sings the praises of traditional life on the land; Priapus, the comically erotodidactic speaker of Tibullus 1,4; and the procuresses of Propertius 4,5 and Ovid, Amores 1,8, who dispense instruction on the meretricius quaestus to unidentified puellae. This list could be augmented by additional examples from Roman literature3 and extended into the terrain of Greek literature.4 But it is on the instances just catalogued that the discussion which follows will concentrate. Before essaying a profile of the bogus teacher, some prefatory remarks are in order. The emergence of such a stock figure is hardly a surprise, given two factors: first, the interest in the systemisation of teaching and the personalities of famous teachers which is attested by Suetonius’ De Grammaticis et Rhetoribus5 as well as several works of Plutarch;6 second, a widespread awareness that the teachers’ methodologies could sometimes leave much to be desired.7 One might add that, in fashioning the figure of the bogus teacher, the authors in question were consciously playing with the influential idea of literature’s protreptic function, canonically ex3) The Pythagoras of Ovid, Met. 15,60–478 has sometimes been viewed as an instance (n. 84), but the episode is too long for discussion here. Another case is the interpretation of the Zodiac dish given by Trimalchio in Petronius, Satyricon 39. 4) A possible example is the account of the evil eye given by Calasiris in Heliodorus’ Aethiopica 3,7–9, which M. Dickie, Heliodorus and Plutarch on the Evil Eye, CPh 86 (1991) 17–29 argues is meant to be treated as a confection of nonsense. 5) Note particularly here the gossip and strictures, mostly moral, against certain teachers recorded by Suetonius, De Grammaticis, chapters 16, 22 and 23, all of which, if true, impacted adversely on their qualifications and credibility as grammatici. See R. Kaster, Suetonius De Grammaticis et Rhetoribus (Oxford 1995) on Gramm. 23,2. 6) G. Roskam, From Stick to Reasoning. Plutarch on the Communication between Teacher and Pupil, WS 117 (2004) 93–114. 7) Cf. Hor. Sat. 1,6,72 ff., Tac. Dial. 35, Pers. 3,46 non sano . . . magistro.
The Bogus Teacher and his Relevance for Ovid’s Ars Amatoria
339
pressed by Horace:8 that is to say, while creating a figure who alleges that what he says is utile, that utile is paradoxically metamorphosed for the readership into the dulce by the revelation that the lessons being taught are – amusingly – useless or of minimal value. In fact, it is the very pervasiveness of the protreptic ideal in Greco-Roman literature that lays the basis for the emergence of the bogus teacher. For as Peter Toohey has noted,9 numerous passages of ancient literature standing outside the formal tradition of didactic poetry have an explicitly or implicitly instructional flavour: this provides the stage for the sham praeceptor. The key features of the sham teacher are, it is proposed, as follows, though not every feature will be present in every instance or attain the same degree of prominence in all cases. Nor are these seven characteristics to be thought of as watertight: on the contrary, there is a degree of confluence between them which contributes to a composite picture of the praeceptor as sham. 1) The advice which the praeceptor gives is generally fatuous, incompetent or inept. 2) This last consideration deflects the reader’s attention away from the precepts and onto the personality and self-presentation of the praeceptor. 3) The sham teacher in Latin contexts has significant affiliations with the élaz≈n of Greek Old Comedy, defined as follows by MacDowell: “the élaz≈n is a man who . . . professes expertise which, he claims, makes him superior to other men; he exploits it, normally in speech . . . but what he says is actually false or useless.”10 4) The authority of his teachings is typically vitiated by the moral or physical standing of the praeceptor. 5) The bogus teacher is characterised by a certain portentousness of diction. 6) The teachings dispensed are often – though not invariably – at second or third hand, thereby undermining their authority and validity. 8) Hor. Ars 333–44, especially 333–4 aut prodesse uolunt aut delectare poetae, / aut simul et iucunda et idonea dicere uitae. Cf. also Volk (n. 2) 36. 9) P. Toohey, Epic Lessons. An Introduction to Ancient Didactic Poetry (London /New York 1996) 232–7. 10) D. MacDowell, The Meaning of élaz≈n, in: E. M. Craik (ed.), ‘Owls to Athens’ (Oxford 1990) 287–92 at 289.
340
L i n d s a y C . Wa t s o n
7) The ineptitude of other practitioners against which protests are directed in the didactic tradition is, by an ironic reversal, embodied in the figure of the bogus teacher. ad 1) Self-evidently, the determining feature of the bogus teacher is a manifest incompetence or ineptitude which deprives of authority his or her protreptics. Consequently, of the various characteristics just listed, this dimension of the praeceptor calls for the most extended notice, both immediately below and in the second part of the paper. A case in point is the teacher of rhetoric Agamemnon in Petronius’ Satyricon. As the surviving part of the novel opens, Agamemnon responds to a hackneyed attack on the evils of the contemporary educational process by advocating an equally clichéd, fatuous and hyper-traditional cursus: these sentiments are expressed in iambic, then hexametric, verses of staggering banality (Sat. 5). And not only is Agamemnon painted in broad terms as an educational laudator temporis acti, but, as H. L. W. Nelson has demonstrated, the worth of what Agamemnon says is further undermined by two considerations:11 Agamemnon, himself a teacher of the proletariat, advocates an extreme aristocratic educational ideal (“ein extremes aristokratisches Bildungsideal”) having only limited relevance to his own pupils; and he gives primacy in his cursus to the reading of Greek literature, although the vogue for this had probably passed its zenith at the time when Petronius was writing. All in all, Agamemnon comes off as an inept, to whose guidance no judicious parent would entrust his offspring. Moving back a century or so, let us next consider the sermonising Damasippus of Horace, Satires 2,3, a failed financier now converted by Stertinius to a proselytising Stoicism. Damasippus likewise forfeits his protreptic credibility in a variety of ways. In the first place, he opens the poem by accusing Horace of compositional indolence:12 a charge which the poet invalidates by his response, which is to write by far the longest of the Satires. Further, the message which Damasippus preaches, that all but the sage are mad, is patently hyperbolic nonsense of the doctrinaire Stoic type already condemned on that score by Horace in Satires 1.13 Worse, 11) H. L. W. Nelson, Ein Unterrichtsprogramm aus neronischer Zeit (Amsterdam 1956) 7. 12) Lines 1–16. 13) Satire 1,3,76 ff., which attacks as absurd the Stoic credo that all offences are equal.
The Bogus Teacher and his Relevance for Ovid’s Ars Amatoria
341
Damasippus’ application of the just-mentioned dogma, which he has picked up from Stertinius,14 is tendentious and self-serving:15 he deploys it as a verbal cudgel with which to belabour others, and not, as was intended, for purposes of moral improvement. Further, Damasippus the preacher engages in multiple self-contradictions. Not only is the activity enjoined by him at the commencement of the satire, viz. poetic composition, stigmatised by Damasippus at the close as “madness”,16 but Damasippus emerges as a crazy zealot who is himself condemned as mad by the poet in the concluding verses.17 Add to this Damasippus-Stertinius’ disingenuousness and ludicrous overpainting of exhortatory exempla, and the impression with which one is left is of a ranting diatribist risibly divested of his philosophical clothes. There is one dimension of Damasippus’ sermonising which serves above all to cast doubt on the value of what he has to say. This is the intellectual casuistry of which Stertinius, whose preachings make up the bulk of Damasippus’ speech (38–295), is guilty, in particular his sophistic and flawed deployment of exempla to support his contention that those who are not wise are mad. The importance of this point for the case being argued in the present paper can scarcely be overstated. First, the exemplum had an absolutely vital corroborative function in structuring an argument and lending it credibility: consequently, any infelicity in using this most basic of argumentative tools will tend ipso facto to convict the speaker in question of ineptitude. Second, and to anticipate, one of the key stratagems by which the praeceptor of the Ars Amatoria undermines his didactic authority is likewise by adducing exempla which conspicuously “fail to fulfil their ostensible, corroborative function.”18 This connection between the bogus teacher and the praeceptor of the Ars will be taken up later, but for the moment we must focus on Stertinius’ misemployment of the mythological exem14) Lines 32–46. 15) Cf. F. Muecke, Horace Satires II (Warminster 1993) 130–1. Of particular note here are Damasippus’ revealing remarks at 296–9. 16) 321–2 adde poemata nunc, hoc est, oleum adde camino [sc. furoris tui], / quae si quis sanus fecit, sanus facis et tu. 17) 326 o maior, tandem parcas, insane, minori! The theme is already announced in lines 27–31, where Horace raises the possibility that Damasippus has simply replaced one form of madness with another: see Muecke (n. 15) on 27–30. 18) P. Watson, Mythological Exempla in Ovid’s Ars Amatoria, CPh 78 (1983) 117–26 at 120.
342
L i n d s a y C . Wa t s o n
plum. Two examples in particular stand out. At 128–141 Stertinius, advancing the thesis that crime provoked by avarice is madness, cites as illustration the murder for profit of a wife or mother. To establish that such an action is truly insane, he uses the analogy of Orestes’ matricide, claiming, gratuitously, that Orestes was mad long before he killed Clytemestra; an tu reris eum occisa insanisse parente / ac non ante malis dementem actum Furiis quam / in matris iugulo ferrum tepefecit acutum? (134–6). But the just quoted terms in which Stertinius rebuts the usual version of Orestes’ madness advert so closely to the canonical account, namely that Orestes was driven insane by the Furies after murdering his mother on Apollo’s orders, that the speciousness of his argumentation is disastrously exposed for all to see. And a similar casuistry vitiates the lengthy passage at 190–223, where Stertinius proposes that vaulting ambition is another form of madness. The claim is exemplified by the case of Agamemnon, who, in an act of crazy-self-aggrandisement, sacrificed his daughter Iphigeneia, “instead of a heifer” (pro uitula), in order to release the Greek fleet from the adverse winds which detained it at Aulis. In fact, the argument continues, Agamemnon’s insanity is worse than Ajax’s: the latter was at least deranged when he slaughtered the sheep, whereas Agamemnon’s mad action was perpetrated in cold blood. So far, so logical, but Stertinius now continues abstinuit uim [sc. Aiax delirans] / uxore et gnato: mala multa precatus Atridis / non ille aut Teucrum aut ipsum uiolauit Ulixen (202–4), completely destroying the basis of his argument. Not only is the detail of Ajax’s wife and son completely extraneous to the episode of the hero’s madness, but mention of Ajax’s sparing of Ulysses (because engaged on a delusional slaughtering of the sheep) obtrusively shunts aside the fact, noted only a few lines earlier (197– 8), that in killing the sheep Ajax thought he was killing Ulysses and Menelaus. If we test Stertinius’ reasoning against the cardinal principle that the dialectical effectiveness of an exemplum was keyed to the closeness of the parallel between it and the point which it was intended to illustrate,19 it fails on all counts. In other words, his rhetoric here is so patently opportunistic and self-contradictory as to be voided of all credibility. And he rounds off his arguments (214 ff.) with a non-mythological paradigm which is so ludicrously overpainted as to be utterly risible: an analogy for mad behaviour 19) Cf. J. Martin, Antike Rhetorik (Munich 1974) 120.
The Bogus Teacher and his Relevance for Ovid’s Ars Amatoria
343
in the shape of a lamb called Rufa or Posilla carried round in a litter and furnished like a beloved daughter with clothes, maids and gold. An argument so fatuous cannot but drastically compromise the credibility of the party who advances it. To the foregoing instances of the inept preaching which is the major identifying feature of the sham teacher one more example may be appended. This is the usurer Alfius of Horace’s second Epode, who subjects an implied audience to a super-hyperbolic and implicitly protreptic laudation of the joys of life as a smallholder: but his account is so radically out of kilter with rural realities in contemporary Italy that Alfius forfeits much of his credibility long before the final unmasking of him as a faenerator more interested in lucre than the land. It would surely be impossible for a contemporary reader not to measure Alfius’ words against the actualities of life on the land in the 30s B. C. – the violence which was pervasive in the countryside, the ruthless triumviral dispossessions which began in 41 B. C., agricultural disruption on a large scale and the gradual disappearance of the smallholder whose life is held up as a traditional ideal by Alfius.20 ad 2) It was suggested under the second of the points listed above that, by exposing the fallibility of the bogus praeceptor’s teachings, attention is diverted from the content of what he says to the characterisation of him as an inept. This is an omnipresent feature of texts where the bogus teacher surfaces: to look no further, Damasippus, Catius and Davus in Horace, Satires 2, and Eumolpus the manic poetaster and moraliser of Petronius, are all strongly characterised as feckless. One detailed illustration of the principle may suffice here. The ultimate source of the amatory lore dispensed in Tibullus 1,4 is a personage who is portrayed as notably inept and risible: Priapus, an undignified rustic divinity,21 who, notwithstanding his phallocentricity and purported authority in matters of love, is in his literary realisation typically doomed to erotic frustration.22 In 20) Detailed discussion of these points in L. Watson, A Commentary on Horace’s Epodes (Oxford 2003) 80–4. 21) Cf. Tib. 1,4,1–6, Hor. Sat. 1,8,1–7, Priapea 10 etc. V. Buchheit, Studien zum Corpus Priapeorum (Munich 1962), has noted that, in contrast to Greek poetry, Priapus in Latin poetry is almost invariably a figure of fun. 22) Indeed a recent study of the Carmina Priapea (N. Holzberg, Impotence? It Happened to the Best of Them! A Linear Reading of the Corpus Priapeorum, Hermes 133 [2005] 368–81) has argued that, as the book progresses, the eponymous deity is portrayed as increasingly afflicted by erection problems.
344
L i n d s a y C . Wa t s o n
the poem under discussion he complains, one assumes from bitter experience, of the venality of boys (57–72) and transmits to Tibullus paederastic precepts to relay to Titius. These are however nullified by the intervention of Titius’ wife, marriage to whom renders them redundant;23 and the authority of the god’s pronouncements is doubly diminished by their human recipient and conduit, Tibullus. The latter, while enjoining those quos male habet multa callidus arte puer to celebrate him as their magister, “master”, in matters of love (75–6: cf. 79–80), feebly owns himself to be in no better case than his pupils, tormented as he is by Marathus, with the result that his artes and his doli fail (81–2): consequently he becomes a laughing stock for his uana magisteria, “empty teachings”; the very picture, as Ovid put it in a similar context, of the physician who cannot heal himself (Remedia 314).24 ad 3) It was proposed under point 3) that the bogus teacher shares important traits with the élaz≈n of Old Comedy. This is an individual who, as MacDowell phrases it, typically “claims credit for some professional expertise which is actually non-existent or useless . . . who claims to possess some skill or quality which he does not possess in fact.”25 Of particular note for the subject of the sham praeceptor is that Isocrates several times uses the verb élazoneÊesyai of teachers who make extravagant promises, who assert that their instruction will yield better results than is really possible.26 In this connection one may profitably consider the mysterious astrologer Horus of Propertius 4,1 (who, like many a bogus instructor, bursts upon his addressee with unsolicited advice). Astrology was, in the view of many, pseudo-scientific nonsense, a fact which immediately brings it into the ambit of élazone¤a.27 Whatever the precise function of Horus in this difficult poem, it seems clear that for Propertius he is a composite of élaz≈n and purveyor of useless knowledge. While vaunting his prescience and tout23) Notionally redundant, at any rate. See Catull. 61,126 ff., with K. F. Smith, The Elegies of Albius Tibullus (New York 1913), on Tib. 1,4,74 for the situation here. 24) Cf. Prop. 2,1,57–8 omnis humanos sanat medicina dolores: / solus amor morbi non amat artificem. 25) MacDowell (n. 10) 288, 290. 26) Isocr. 13,1.10: cf. 12,20.74; 13,19; 15,75.195.224. 27) Cf. Cic. Div. 2,98 f., F. H. Cramer, The Expulsion of Astrologers from Ancient Rome, CM 12 (1951) 9–50 at 14–23, T. Barton, Ancient Astrology (London / New York 1994) 35–7, 52–7.
The Bogus Teacher and his Relevance for Ovid’s Ars Amatoria
345
ing the virtues of astrology over its divinatory rivals (103–119),28 he offers little of substance to establish his prophetic fides:29 scarcely more than the success of his resoundingly banal advice to pray to Juno Lucina when Cinara’s labour was unduly prolonged (99– 102), and a rundown of Propertius’ career (121–46) which mainly involves stating at inordinate length what readers of books 1–3 already know. In short, the substance of Horus’ pronouncements conspicuously fails to match the pretentiousness of certa feram certis auctoribus, aut ego uates / nescius aerata signa mouere pila (75– 6) and his impressive-sounding but palpably bogus descent from various astrological luminaries (77–8). Horus’ speech of advice to Propertius about the future trajectory of his poetic career concludes, in a classic of élazone¤a, with what Goold aptly describes as “a factitious piece of astrological hocus-pocus, for an explanation of which we shall look in vain.”30 Horus is, in sum, a charlatan, who combines arrant self-promotion with claims to divinatory expertise which he cannot substantiate: in the latter respect he resembles the Chaldaean Diophanes of Apuleius, who makes a tidy living out of dispensing false prophecies while unable to foresee his own disastrous shipwreck (Met. 2,12–15), or the splendidly named seer Bogus of Silius Italicus, who misinterprets bird-signs relating to the outcome of the Second Punic War and dies in battle ruing his misinterpretation of omens which seemed to promise a long life.31 ad 4) Under the fourth point noted above, it was posited that the authority of the bogus praeceptor’s teachings is typically diminished by his moral or physical circumstances. Thus, for example, the urgings of Petronius’ Agamemnon that the young person who is embarking upon the ars seuera of oratory should not sully his integrity “by soliciting suppers with prodigals” (Sat. 5,5) are undercut by the revelation that this is exactly how Agamemnon himself behaves (Sat. 52,7). In much the same way, the diatribes of Petronius’ Eumolpus about the derision and poverty to which 28) In the view of A. D. Nock, Essays on Religion and the Ancient World (Oxford 1972) 496–7, Horus perceives himself as a hierophant. 29) According to his own account he does however correctly foretell the death of Arria’s twin sons on campaign (89–98). 30) G. P. Goold, Propertius: Elegies (Cambridge, Mass. 1990) 369. 31) Silius, Pun. 4,101–33; 5,401–9. Thanks to Marcus Wilson for bringing Bogus to my attention. Also worth a mention here is Alexander of Abonoteichus, the false prophet of Lucian’s extended satire.
346
L i n d s a y C . Wa t s o n
artists are subjected by a world more interested in money than in virtue (Sat. 83–4, 88) are unmasked as the tralatician and self-interested rantings of an egregious and phallocentric hypocrite by being made to frame the outrageous story of the Pergamene boy, in which Eumolpus violates every canon of the teacher’s code (ibid. 85–7). Similarly, the insufferable Trimalchio, blithely unaware of the inconsistency, utters a versified tirade against the evils of sumptuous dining and other types of luxuria (Sat. 55,6), despite himself indulging in the most egregious forms of gastronomic excess. Now the criticisms of Agamemnon, Eumolpus and other of Petronius’ characters against deteriorating literary and ethical values are, taken in the abstract, by no means devoid of worth:32 on the contrary, they are echoed in satiric, rhetorical and moralising writings of the first and second centuries A. D.33 and, at one level,34 the author of the Satyricon seemingly expects his readers to concede that they have some substance. Nonetheless, the discrepancy between what the likes of Encolpius and Agamemnon say and what they actually do reveals them to be outrageous frauds: by embracing the very faults which they excoriate, they emerge as part of the problem, not the solution. In short, the validity of their criticisms and preachings is, w i t h i n t h e n a r r a t i v e f a b r i c o f t h e n o v e l ,35 drastically compromised by the moral vacuity and cynicism which lies 32) To take one example among many, the criticism of Encolpius that the histrionic and unrealistic cursus fed to pupils in the rhetorical schools is no preparation for the actual experience of pleading in the courtroom (ut cum in forum uenerint, putent se in alium orbem terrarum delatos Sat. 1,2) reflects a notorious and revealing incident recorded by both Seneca the Elder and Quintilian (Contr. 9, praef. 3; Inst. 10,5,18): that the celebrated declaimer Porcius Latro, when arguing a real case in the forum, suffered a crisis of nerves so acute that he only regained his confidence when the presiding magistrate agreed to transfer the hearing to the confines of a nearby basilica. 33) Scrupulously documented in the footnotes to Gian Biagio Conte, The Hidden Author. An Interpretation of Petronius’ Satyricon (Berkeley 1996). 34) Conte (n. 33) argues that the Satyricon must be read on more than one level: first, from the perspective of what he styles “the hidden author”, who, standing as it were in the wings and writing in satiric vein, invites his readers to share to a degree the criticisms of a world unhinged which are, ironically, expressed by deeply flawed dramatic creations (ridentem dicere uerum); second, at a narrative level, whereby consumers of the novel are expected to relish the relentless selfdramatisation and spectacular inconsistency between word and deed which is the most distinctive feature of Petronian characters. For the latter point, see Conte, passim, especially 117 ff., 133 and 138. 35) See the preceding note.
The Bogus Teacher and his Relevance for Ovid’s Ars Amatoria
347
at the heart of the individuals selected to articulate them, as also by a passion for rhetorical grandstanding which lacks any ethical base to underpin it. For it is difficult indeed to ascribe any authority to a figure who in effect preaches ‘do as I say, not as I do.’ Moving on now to consider the physical situation of the sham praeceptor, let us examine how this may reflect adversely on that individual’s standing as teacher. Good instances are furnished by the procuresses of Propertius and Ovid’s Amores. In Ovid, Amores 1,8 serious doubts are insinuated about the value of the lena’s teachings on how to turn a profit as a meretrix by the disclosure that her credentials as procuress and witch (1–20, 105) cannot avail to lift her out of poverty: that she in fact belongs to that wellknown category of despised females, the drunken and disreputable old woman (2–4, 111–14).36 Similarly the unnamed lena of Propertius 4,5, though allegedly docta enough to overturn the legendary chastity of an Hippolytus or a Penelope (5–8) and deeply versed in magic arts, cannot translate this skill into financial emolument,37 but dies the death of a destitute, dipsomaniacal consumptive (63–78): hardly a retrospective advertisement for her expertise, notwithstanding metapoetically-based assertions to the contrary by K. Sara Myers.38 ad 5) The fifth of the characteristics of the bogus teacher catalogued above was a tendency to pomposity of diction. At one level, 36) For the type, see E. Courtney, Three Poems of Propertius, BICS 16 (1969) 80–7, P. Zanker, Die trunkene Alte: das Lachen des Verhöhnten (Frankfurt am Main 1989) and K. S. Myers, The Poet and the Procuress: the lena in Latin Love Elegy, JRS 86 (1996) 1–21. 37) Cf. also the elderly Scapha (‘Drinking Vessel’) of Plautus’ Mostellaria, who, in a lengthy episode of erotodidaxis, instructs Philematium on the meretricius quaestus (157–312), but compromises the message by admitting that, in her younger days, she failed to follow the advice which she is now dispensing, namely that the younger woman should spread her favours as widely and as profitably as possible (194–203). In a similar diminution of authority, the Oenothea of Petronius, Sat. 134–8, although not precisely a teacher, does claim the prestige of a priestess of Priapus and consummate witch: a dignity laughably nullified by the revelation that she lives the life of an impoverished Hecale (135,8,15–16), and by her risible failure to cure Encolpius’ impotence. 38) Myers (n. 36) sees the figure of the lena, in that she gives instructions on extracting money from lovers, as disempowering the elegiac poet and depriving him of his literary programme, which elevates the value of poetry over cash. But in my opinion Myers fails completely to take into account the diminished circumstances in which the poets depict the lenae as existing, which quite divests them of esteem: elderly, drunken witches are not authority-figures.
348
L i n d s a y C . Wa t s o n
this is a function of the sham praeceptor’s élazone¤a, discussed under 3). Thus the locutional preciosity with which the self-styled uates Horus announces himself in Propertius 4,1 Quo ruis imprudens, uage, dicere fata, Properti? non sunt a dextro condita fila colo. accersis lacrimas cantans, auersus Apollo: poscis ab inuita uerba pigenda lyra. certa feram certis auctoribus, aut ego uates nescius aerata signa mouere pila. me creat Archytae suboles Babylonius Orops Horon, et a proauo ducta Conone domus. di mihi sunt testes non degenerasse propinquos, inque meis libris nil prius esse fide. Prop. 4,1,71–80 has – to take one example among many – an obvious correlate in the bombastic and nonsensical verbiage with which the élaz≈n Meton bursts in upon Peisetaerus in Aristophanes’ Birds (992 ff.).39 On the other hand, the gap which unfolds, as the poem progresses, between the verbal panache of Horus and the paucity of his content subserves a larger strategy: the use of dictional means to portray the sham teacher as one who takes himself and his prescriptions much too seriously. We discern the same clash between pomposity of form and paucity of content in Horace, Satires 2,4, where the lecturer whose discourse Catius is reporting questionably declares himself a gastronomic pr«tow eÍretÆw (piscibus atque auibus quae natura et foret aetas / ante meum nulli patuit quaesita palatum 45–6; primus et inuenior piper album cum sale nigro / incretum puris circumposuisse catillis 74–5)40 and hijacks the idiom of philosophy for gastrosophic purposes;41 in the process employing highly overheated language42 such as immane 39) Fully discussed in the commentary of N. Dunbar, Aristophanes. Birds (Oxford 1995) ad loc. 40) C. J. Classen, Horace – a Cook?, CQ 28 (1978) 333–48 at 338 notes that the first ‘discovery’ was not in fact new, the second not very grand. 41) Hor. Sat. 2,4,19 Doctus eris uiuam musto mersare Falerno, 44 fecundae leporis sapiens sectabitur armos, 47 sunt quorum ingenium noua tantum crustula promit, with Muecke (n. 15) on 44 and 46. 42) Cf. also est operae pretium duplicis pernoscere iuris / naturam 63–4.
The Bogus Teacher and his Relevance for Ovid’s Ars Amatoria
349
est uitium dare milia terna macello / angustoque uagos piscis urgere catino (76–7) and neglectis flagitium ingens (82), to describe mere culinary faux pas. As a result, the opening characterisation of the sermon to follow as res tenuis tenui sermone peractas (9) can be read, not just straightforwardly as praise of the ‘subtlety’ of the discourse, but ironically, as dispraise of the ‘slightness’ of the subject-matter,43 in conspicuous disharmony with the unselfconscious preciosity of the speaker. ad 6) My sixth point was that the wisdom of the bogus teacher is sometimes at second-hand, calling into question its authority and validity. This characteristic expresses itself in two forms. First, it can simply involve the mouthing of tired and tralatician sentiments. It was, for example, suggested above that the utterances of Petronius’ Agamemnon on the subject of education represent the vapid and clichéd mouthings of a stereotypical rhetor. Much the same might be said of the rantings of the downat-heel poet Eumolpus on the decline of contemporary epic (Petr. Sat. 118). And in similar vein, Francis Cairns has suggested that in the laudes uitae rusticae of Horace’s second Epode we “hear the hypocrite, Alfius, not just praising the countryside in an insincere fashion, but doing so in the bombastic and stylised language of a rhetor. The hollowness of Alfius’ sentiments is echoed by the meaningless conventionality and standardised form of his utterance.”44 An alternative, more dramatically effective way of characterising the bogus teacher’s wisdom as borrowed is to have him relay lectures or doctrines of questionable worth which he has literally picked up at second hand from others. Horace, Satire 2,7 will conveniently exemplify the procedure, which has already been touched upon a propos of Tib. 1,4 and the Damasippus-Stertinius of Hor. Sat. 2,3. It was a recognised dogma of the Stoics that ‘every fool is a slave’, that is to say, that individuals are in thrall to passions which they cannot master and hence, like real slaves, lack control over their own lives.45 But in Sat. 2,7 we have the convoluted situation that Horace’s slave Davus, taking advantage of Sat43) Classen (n. 40) 336. 44) F. Cairns, Horace, Epode 2, Tibullus, 1,1 and Rhetorical Praise of the Country, MPhL 1 (1975) 79–91 at 87. 45) Cf. Cic. Paradoxa Stoicorum 5, A. Erskine, The Hellenistic Stoa (London 1990) 43–63.
350
L i n d s a y C . Wa t s o n
urnalian licence,46 harangues his master on the thesis ‘every fool is a slave’, which he has picked up from the slave-doorkeeper of the Stoic Crispinus. The doctrines of Crispinus, whom Horace had stigmatised in Satires 1 as a demented ideologue, are hence filtered through not one but two slaves – the second of whom has a vested interest in demonstrating that Horace is quite as much a slave as he, and goes about establishing his case with a tendentiousness and an exaggeration which further undermine the credibility of Davus’ arguments (cf. characteristic 4 above). The point is readily illustrated from lines 46–71. Here Davus offers a highly overdrawn and derivative47 picture of clandestine visits by Horace to another’s wife in which, Davus alleges, his master not only behaves figuratively like a slave but disguises himself as one.48 When, in verse 72, Davus anticipates Horace’s objection “I am not an adulterer” – a perfectly reasonable one on the basis of what the poet had already said in Satires 1,249 – Davus continues, in a masterstroke of casuistic occupatio, “ah, but you would commit adultery if the risks were removed” (72–4). Although, as Rudd and Muecke50 note, this argument has a legitimate Stoic flavour, since for persons of this philosophical persuasion a wicked intention was as bad as the actual deed, it is clear that Davus has a considerable axe to grind, and the relish with which he next proclaims tu, mihi qui imperitas, alii seruis miser atque / duceris ut neruis alienis mobile lignum (81–2) confirms it. This is followed by another grossly overdrawn and equally derivative account of Horace’s alleged moral servility.51 46) Hor. Sat. 2,7,4–5 ‘age, libertate Decembri, / quando ita maiores uoluerunt, utere. narra.’ For the suggestion that the spirit of the Saturnalia colours the ethos of Satires, book 2 as a whole, see S. Sharland, Saturnalian Satire: Proto-Carnivalesque Reversals and Inversions in Horace, Satire 2,7, Acta Classica 48 (2005) 103–20. 47) The scene at 58 ff. is taken straight from the popular mime. See R. W. Reynolds, The Adultery Mime, CQ 40 (1946) 77–84, E. Fantham, Mime: the Missing Link in Roman Literary History, CJ 82 (1988/9) 153–63. 48) Note particularly 70 o totiens seruus! 49) Where Horace expressed a preference for liaisons with freedwomen on the grounds that adultery is much too dangerous a business, painting the attendant dangers in much the same terms as Davus employs here. 50) N. Rudd, The Satires of Horace (Cambridge 1966) 192, Muecke (n. 15) on 72–4. 51) In lines 88 ff. Davus continues his attack on Horace, still cleaving to the subject of sex but this time drawing his colours from a generic scene straight out of New Comedy, “a woman asks you for five talents, torments you, drives you from her door and drenches you in cold water, then invites you back. Snatch your neck
The Bogus Teacher and his Relevance for Ovid’s Ars Amatoria
351
Accordingly, it is no surprise when, after a further, rapid-fire survey of the poet’s purported moral failings (111–15), Horace loses his temper and threatens Davus with his being added to the servile chain-gang on the poet’s Sabine farm. In sum: the fact that the doctrine which Davus preaches is transmitted at third hand, in a garbled and casuistic version by a disgruntled slave who uses it, not with any improving purpose, but in order to score points against his master, has the dual effect of compromising its validity in its immediate context and (point 2) directing attention away from the message and back onto the messenger: in terms of diction and appetites a typical comic slave,52 whose slavish character ipso facto makes what he says untrustworthy,53 and who expropriates a Stoic paradox in order to indulge in a self-serving, impertinent and disingenuous rant against Horace. A further satire in book 2 in which one speaker relays the words of another is 4, where Catius reports the culinary precepts of an ‘authority’ whose identity he declines to reveal (11). The unintentional self-deflation and – in terms of subject matter – uncalledfor pomposity of the anonymous magister has been discussed above. It remains to add that the fatuities of the magister are replicated in miniature by his pupil. At the opening of the satire, Catius proclaims that his precepts will surpass Pythagoras (associated with vegetarianism!), Socrates and Plato (2–3): precepts which are bathetically revealed as gastrosophic not philosophic. Following the grandiloquence of the proemial ipsa memor praecepta canam, celabitur auctor (11), Catius continues longa quibus facies ouis erit, illa memento, / ut suci melioris et ut magis alba rotundis, / ponere: absurdly combining, in an egregious piece of stylistic indecorum, the high-style memento54 with the banal topic of the best shape for eggs. All in all, as Classen conclusively shows, Catius comes across as a fool,55 the doctrina which Horace ironically ascribes to him (88) consisting of no more than an over-hyped ars coquendi.56 In sum, from the degrading yoke and be free . . . you can’t” (89–92). But five talents is a monstrous exaggeration of the price for a meretrix, and the obtrusive literariness of the vignette further distances it from reality. 52) Muecke (n. 15) 212. 53) According, that is, to the stereotype of the comic slave. 54) Classen (n. 40) 336 n. 21. 55) Classen (n. 40). 56) Classen (n. 40) 340 compares the excessive seriousness with which cooks in Comedy speak of the culinary ars.
352
L i n d s a y C . Wa t s o n
the doctrines which master and pupil relay are nugatory, and the insubstantiality of the first’s teachings is compounded by the vacuousness of his pupil, who relays them at second hand. Before quitting the discussion of feature 6), it is important to note that, among the sources studied in the present paper, the pattern whereby the bogus teacher relays borrowed ‘wisdom’ is confined to the fictional57 speakers of Tibullus 1,4 and poems 3, 4 and 7 of Horace, Satires 2. Plainly it does not apply to the lenae of Propertius 4,5 and Ovid, Amores 1,8, whose erotodidaxis is based, like that of Scapha in Plautus’ Mostellaria, on their previous experience as prostitutes.58 Similarly excluded from the procedure is the speaker of the Ars Amatoria, who announces in the preface to the work usus opus mouet hoc: uati parete perito (1,29), thereby combining in his person the characteristically authoritative tones of the didactic poet with a claim to amatory expertise acquired in his previous literary realisation as the elegiac lover of the Amores.59 ad 7) This paper began by adumbrating the suggestion that the self-undercutting praeceptor of the Ars Amatoria – if he is so read – was not merely parasitic upon the authorial voice in serious didactic poetry, but was also informed by the stereotypical figure of the bogus teacher conveying in a flawed or compromised manner ideas or doctrines of questionable worth; a figure who, this paper has argued, led an independent existence outside the generic parameters of didactic verse. Before proceeding, in the next section of the paper, to test this hypothesis against the speaker of the Ars Amatoria, I should like to advance one final suggestion in regard to the sham teacher: that the literary traffic was not all one way, specifically, that the figure of the bogus teacher may, by an ironic inversion, embody the folly or misguided doctrines of others which are so often attacked in didactic poetry. The tradition of 57) Although Damasippus (Sat. 2,3) and Catius (Sat. 2,4) seem to have been real individuals (Muecke [n. 15] 134, 167–8), the characterisation of them is entirely in Horace’s hands. Horace may conceivably have had a slave called Davus (Sat. 2,7), but he is so much the seruus callidus that he is best regarded as a fictional construct. 58) For the tendency of ex-prostitutes to become procuresses, see H. Herter, tr. L. De Long, The Sociology of Prostitution in Antiquity, in: M. Golden and P. Toohey (edd.), Sex and Difference in Ancient Greece and Rome (Edinburgh 2003) 57–113 at 64–5. 59) For the Ars Amatoria as a representative of elegy, cf. Volk (n. 2) 63.
The Bogus Teacher and his Relevance for Ovid’s Ars Amatoria
353
polemic begins early in didactic verse,60 and often takes the form of expressing scorn for the circumscribed or inadequate viewpoint of others. One thinks here of the highly colourful outbursts against culinary inadequates61 which pepper the surviving lines of Archestratus’ Hedypatheia, including the remarkable élazonoxaunoflÊaroi “empty-headed nonsense-talking pseuds”;62 or of Lucretius’ typically abrasive o miseras hominum mentis, o pectora caeca! (2,14) and unabashed criticism of those, rival schools included, who are deficient in comprehension or fail to view the physical world from his philosophical standpoint.63 In the same strain is the lengthy diatribe of the Aetna-poet against those who, beast-like (224–5), have no interest in the operations of the physical universe, but are merely concerned with the quotidian pursuit of profit (222–73).64 But intolerance of other systems or viewpoints is also a defining feature of many a bogus teacher: Horus, for example, denigrates other divinatory methods while lauding his own pseudo-science of astrology (Prop. 4,1,103–18), Damasippus insists with a proselyte’s zeal that all but the Stoic sage are mad (Hor. Sat. 2,3): similarly Petronius’ Eumolpus fulminates about the decline of the arts and the ruin of contemporary poetry with a doctrinaire insistence that is in ironic counterpoint to the utter banality of what he actually says (Sat. 88, 118). It may be that, in investing their bogus teachers with a polemicising dogmatism, their creators are picking up a hint from the self-assured and, on occa60) For Hesiod in the Works and Days both his brother Perses and the corrupt Basil∞ew are nÆpioi, “fools” (lines 286, 397, 633, 40: cf. also for the term 131, 218, 456). Less stridently, but still in keeping with the lex operis, an aetiological passage of Nicander’s Theriaca (343 ff.) denounces the earliest human beings as êfronew, “witless” for their incapacity to recognise the benefit of eternal youth. In the same strain, but much less trenchant, is Virgil’s ignarosque uiae mecum miseratus agrestis (Georg. 1,41), which is based on the presumption (or rather the pretence) that his addressees are sorely in need of enlightenment. 61) Particular targets are the ignorance of contemporary palates, the vegetarianism of Pythagoreans and the incompetence of cooks. Cf. frgs. 24,13–20; 39,3– 5; 46,10–14; 47,2–4; 59,12–14 Olson-Sens. 62) Frg. 59,12 Olson-Sens. 63) E. g. Lucr. 1,635 ff.690–711.845–6.1068–9; 2,167–81; 4,469 ff. 64) The logic here is a little difficult to follow, in that 228–51 appear to advocate the pursuit of astronomical knowledge as diuina . . . animi ac iucunda uoluptas (251), while 252 ff. represent astronomy as an inferior subject of study to the inner workings of the earth. Possibly, as Toohey (n. 9) 189 suggests, 252 ff. represent “an attack on the theocratic Manilius and his astrological, Stoic material.”
354
L i n d s a y C . Wa t s o n
sion, combative authorial personality which is such a pronounced feature of didactic poetry.65 The Bogus Teacher and the Ars Amatoria Now that a profile of the bogus teacher has hopefully been erected, it is time to move on to the second stage of the paper, and to consider whether such a profile can be productively aligned with the didactic voice in the Ars Amatoria and the Remedia Amoris,66 a procedure that has not, to the best of my knowledge, hitherto been attempted.67 A possible reason is that discussion of the literary models which underlie the Ars Amatoria has long tended to proceed along well-established lines. A popular approach has been to read the work as an extended spoof of serious didactic poetry: scholars point to imagery, stylistic features and authorial stances expropriated from more sober representatives of the genre such as Lucretius’ De Rerum Natura or Virgil’s Georgics.68 A second approach relates the Ars Amatoria to the more frivolous or lighthearted strain of didactic poetry represented by Archestratus’ Hedypatheia, a treatise on gastronomy composed in epic hexameters,69 or trivialising didactics on the art of gambling, board games, 65) Cf. Toohey (n. 9) who page 15 et passim regards the development of “a strong, singular, and persuasive voice” as one of the determinants of successful didactic poetry. 66) In this section of the paper, the main focus will be on the incompetence of the didactic persona in the Ars Amatoria – hence the title of the piece – but some attention will be given to the same phenomenon in the Remedia Amoris, for the most part however in the footnotes rather than the body of the text. 67) Durling (n. 1) comes closest, when he discusses the speakers of Horace, Satires 2 and the voice of the magister amoris in the Ars Amatoria in the first and second parts respectively of his chapter two (13–43). 68) Cf. E. J. Kenney, Nequitiae Poeta, in: N. I. Herescu (ed.), Ovidiana. Recherches sur Ovide (Paris 1958) 201–9, E. W. Leach, Georgic Imagery in the Ars Amatoria, TAPhA 95 (1964) 142–54, Myerowitz (n. 1) 63–4, 147, M. Steudel, Die Literaturparodie in Ovids Ars Amatoria (Hildesheim 1992), Dalzell (n. 2) 147–8. N. Holzberg, Ovids erotische Lehrgedichte und die römische Liebeselegie, WS 15 (1981) 185–204 lists 191 other proponents of the view – which he (192, 204) does not share – that the Ars and Remedia are a parody of serious didactic poetry. 69) Text and full commentary in S. D. Olson and A. Sens, Archestratos of Gela. Greek Culture and Cuisine in the Fourth Century BCE (Oxford 2000), whose numeration of the fragments is here followed. Still useful on the literary texture of the work are the earlier editions by P. Brandt, Corpusculum poesis epicae
The Bogus Teacher and his Relevance for Ovid’s Ars Amatoria
355
ball-playing and the like70 with which Ovid, as part of his self-exculpation for the offending carmen, aligns his Ars in Tristia 2,471– 96.71 Of particular note here are lines 493–4 his [sc. carminibus huius generis] ego deceptus non tristia carmina feci, / sed tristis nostros poena secuta iocos, where the poet in effect accuses Augustus of flawed critical judgement for taking far too seriously what was, Ovid claims, like its literary congeners no more than a didactic jeu d’espirit.72 A third line of analysis connects the Ars with the ‘ludic’ strain in Latin literature, didactic included,73 reference being made to Jan Huizinga’s “Homo Ludens”,74 on play as cultural artefact and one of the most fundamental of human activities: the most notable representative of such a reading is Molly Myerowitz’s “Ovid’s Games of Love”, a title derived from Ovid’s subscription to the three books of the Ars Amatoria, lusus habet finem (3,809).75 As Myerowitz puts it, love in the Ars Amatoria is treated as a sophisticated game with elaborate rules to which the participants must readily submit themselves, never deviating from these irrespective of personal inclinations.76 A fourth, frequently analysed, Graecae ludibundae vol. 1 (Leipzig 1888) 114–93 and H. Lloyd-Jones and P. Parsons, Supplementum Hellenisticum (Berlin /New York 1983) 46–75 (frgs. 132–92). See also the introduction to J. Wilkins and S. Hill, The Life of Luxury (Totnes 1994). 70) B. Effe, Dichtung und Lehre. Untersuchungen zur Typologie des antiken Lehrgedichts (Munich 1977) 234–48 lumps Archestratus and Ovid’s Ars Amatoria and Remedia Amoris together as “spielerisch-parodistische Formen der Lehrdichtung”. For the Ars and the Remedia as belonging to the frivolous strand of didactic poetry described in Tristia 2, see A. S. Hollis, The Ars Amatoria and Remedia Amoris, in: J. W. Binns (ed.), Ovid (London 1973) 84–115 at 91. Ars 3,353–68, listing the various games which the puella needs to master, seems to allude to this strain of didactic and simultaneously to offer a sample of how to go about composing on such insignificant (parua 353) topics. See R. K. Gibson, Ovid Ars Amatoria Book 3 (Cambridge 2003) 242–4. 71) Dalzell (n. 2) 137 refers by way of example to two hexameters quoted by Isidore, Etym. 18,69 from a poem on ball games by Dorcatius. 72) Cf. A. Barchiesi, Insegnare ad Augusto: Orazio, Epistole 2,1 e Ovidio, Tristia II, in: A. Schiesaro, P. Mitsis, J. S. Clay (edd.), Mega nepios; il destinatario nell’epos didascalico, MD 31 (1993) 149–84. 73) Toohey (n. 9) 18, 66–7, 84, 103, 119 ff., 140, 166 ff. sees an element of play as central to didactic poetry in general, not just to its more lighthearted representatives like Ovid, though at times he presses his case too far. 74) J. Huizinga, Homo Ludens. A Study of the Play Element in Culture (London 1950, repr. Boston 1955). 75) For Myerowitz see n. 1. A similar approach to the Ars is adopted by Toohey (n. 9) in his discussion of the poem 162–9. 76) Myerowitz (n. 1) 35–6, after Huizinga (n. 74) 11–12 and 211.
356
L i n d s a y C . Wa t s o n
influence comes in the shape of the (often unsuccessful) erotodidaxis which is pervasive in the Roman love elegists: a standard approach is to view the Ars Amatoria as consolidating in the figure of a single praeceptor the erotic instruction which is routinely conveyed, either explicitly or implicitly, in that genre.77 All the literary influences just noted help to establish the ethos of the Ars Amatoria as playful. Collectively, they contribute to a feeling that neither the teacher nor the teachings of the Ars are to be taken seriously. But because of the diversity of Ovid’s sources for the Ars, the character of the authorial voice has tended to be studied piecemeal, with reference to one or other literary model which is given primacy when assessing its contribution to a particular dimension of the didactic persona. For example, the often flawed mythological exempla with which the speaker of the Ars ineffectively buttresses his amatory teachings are seen in particular as burlesquing the serious use of exempla in mainstream didactic;78 the inability to implement his own precepts which the speaker of the Ars confesses is viewed as a direct inheritance from the failed erotodidaxis of Priapus in Tibullus 1,4;79 or again, the markedly self-ironising voice of the Ars is seen as parasitic of the authoritative tones typically assumed by the speaker in serious didactic poetry.80 While not for a minute denying the validity of such individualising approaches, I submit that they can benefit from supplementation by a more homogeneous methodology, one which synthesises the multiple incompetencies of the speaker of the Ars under a single rubric: the figure of the bogus teacher, who, as we have seen, extends his operations well beyond the parameters of di77) Cf. A. L. Wheeler, Propertius as Praeceptor Amoris, CPh 5 (1910) 28–40 (good on the distinction in Propertius between explicit and implicit erotodidaxis), id., Erotic Teaching in Roman Elegy and the Greek Sources. Part 1, CPh 5 (1910) 440–50, Part 2, CPh 6 (1911) 56–77, E. Romano, Amores 1,8; l’elegia didattica e il genere dell’Ars Amatoria, Orpheus 1 (1980) 269–92. A somewhat different approach to the relationship of Roman elegy with the Ars and Remedia is taken by Holzberg (n. 68): while arguing that the influence of elegy is of paramount importance for the genesis of the two poems, he sees Ovid as working consciously in the Ars to humanise the extreme harshness of the relationships between lover and puella that are characteristic of elegy. 78) See e. g. P. Watson, Praecepta Amoris: Ovid’s Didactic Elegy, in: B. W. Boyd (ed.), Brill’s Companion to Ovid (Leiden 2002) 141–65 at 151–2. 79) Cf. A. S. Hollis, Ovid Ars Amatoria Book 1 (Oxford 1977) xviii. 80) For this approach see e. g. W. Kroll, Lehrgedicht, RE XII (1925) 1842–57 at 1856.
The Bogus Teacher and his Relevance for Ovid’s Ars Amatoria
357
dactic poetry, belonging rather to the broader tradition of literary didaxis.81 It is widely recognised that throughout the Ars Amatoria Ovid undercuts the authority of his didactic persona in a variety of ways:82 inter alia by self-contradiction, by paradoxically claiming to impose order on the irrational phenomenon of love,83 by deliberately drawing attention to instances in his own amatory career where he signally neglected to follow his own advice, and by representing himself as a sporadic inept in the lists of love. It is the contention of this paper that most, if not all, of the means by which Ovid undermines his preceptive authority in the Ars have a correlate in the various dimensions of the sham teacher which were examined above.84 Since the self-undermining of the didactic voice in the Ars has been extensively discussed,85 some of the material to be considered below will inevitably be familiar, though other observations may be less so. But it must be emphasised that the novelty of what follows, such as it is, is keyed to looking at the persona of the Ars through a different literary prism from usual, that of the bogus teacher. 81) It hardly needs stating that a work of literature need not belong formally to the genre of didactic in order to adopt a didactic stance: cf. M. Heath, Hesiod’s Didactic Poetry, CQ 35 (1985) 245–63 at 253–4 and the praecepta amoris scattered throughout Roman elegy (cf. Wheeler [1910: n. 77] 28–40). Other cases in point: the paraenetic elegies of Theognis or Horace’s Satires, in which the exposure of certain philosophical viewpoints as excessive performs the implicitly didactic role of recommending a more moderate stance. In another example, Longus’ Daphnis and Chloe asserts a propaedeutic aim: according to the prooemium (2) the novel tÚn §rasy°nta énamnÆsei, tÚn oÈk §rasy°nta paideÊsei. 82) These matters are discussed below. Various instances are noted by P. Watson (n. 78). 83) Cf. Ter. Eun. 61–3 incerta haec [sc. uaria ad amorem pertinentia] si postules / ratione certa facere, nihilo plus agas / quam si des operam ut cum ratione insanias. Cf. also the near quotation of Eun. 57–63 at Hor. Sat. 2,3,265–71. 84) Because the Ars is so much longer than the passages in which the bogus teacher usually surfaces, the speaker of the poem can expose his ineptitude more expansively than is possible in the texts discussed above. The other main exception to this pattern whereby the bogus teacher is usually a study in miniature is also Ovidian, the proselytising vegetarian Pythagoras in Met. 15,60–478, if he is regarded as a figure of fun: for this view of him, see W. R. Johnson, The Problem of the CounterClassical Sensibility and its Critics, CSCA 3 (1970) 123–51 at 137–48, G. K. Galinsky, The Speech of Pythagoras at Ovid, Metamorphoses 15.75–478, PLLS 10 (1998) 313–36. 85) See n. 1 and the articles by P. Watson cited in nn. 18 and 78.
358
L i n d s a y C . Wa t s o n
It is appropriate to commence the discussion of the Ars Amatoria by focussing on what is for our purposes the most pertinent characteristic of the Ovidian teacher, his manifest incompetence or fecklessness. With ironic pomposity Ovid proclaims himself, at the outset of book 1, the praeceptor Amoris, as Chiron was once the magister of another refractory child, Achilles (1,11–18).86 The poet however proceeds to deploy a battery of stratagems which drastically undermine the magistral authority which he here asserts so forcibly.87 A particular favourite is the obtrusive undercutting of his own advice. Two examples among many may suffice by way of illustration. At Ars 1,399 ff. the praeceptor counsels the student to commence his wooing of a puella on a dies infaustus such as the anniversary of the Allia and to avoid at all costs days on which a present might be expected. But given Roman superstitiousness about the need for auspicious beginnings,88 the choice of the dies Alliensis strikes a distinctly i n auspicious note, and the infelicity of the advice is underscored by the immediately following concession that, try as one may, the puella will still contrive to extract a gift, female artifice outsmarting male ars (cum bene uitaris, tamen auferet: inuenit artem / femina, qua cupidi carpat amantis opes 419–20). Again, at Ars 3,660 ff., the praeceptor’s warning to his female addressees to beware of erotic betrayal by treacherous friends or ancillae is torpedoed by his own admission that he has often successfully evaded the precautions which he is enjoining: the suspicion is fuelled that, while purportedly advising puellae on the successful conduct of love affairs, the speaker still retains in book 3 the perspective of the predatory male.89 Here, as so often in the Ars, Ovid blends the voice of the teacher, who dispenses instruction, with the persona of the elegiac amator, who seeks his own erotic 86) The comparison associates the Ars with the tradition of didactic epic, in the shape of the Xe¤rvnow Ípoy∞kai, ascribed in Antiquity to Hesiod and purportedly containing the lessons given by Chiron to Achilles. 87) Cf. also the self-description, in the mouth of Apollo, lasciui . . . praeceptor Amoris Ars 2,497. 88) Cf. Cic. Div. 2,84 with Pease. A good instance is Augustus’ refusal to commence any matter of importance on the Nones, because of the ominous sound of the word (Suet. Aug. 92: on the underlying principle, see most recently D. Lateiner, Signifying Names and other Ominous Accidental Utterances in Classical Historiography, GRBS 45 [2005] 35–57). 89) Other places in Ars 3 where the speaker retains a selfishly male-centred perspective on amor: 59 ff., 463–6, 683–6, 797–8, 805–6.
The Bogus Teacher and his Relevance for Ovid’s Ars Amatoria
359
advantage.90 The result is a clash of cultures which has as its effect the destabilisation of the authority of the didactic voice. The tactic of self-undercutting which has just been discussed, important as it is to the Ovidian praeceptor’s diminution of his didactic auctoritas, does not have a precise correlate in the means by which the bogus teacher typically undermines his standing. But most of the manœuvres executed by the teacher of the Ars in order to effect that end are mirrored in the ways whereby the sham teacher diminishes the credibility of what he has to say. It has already been noted that inept deployment of exempla was a characteristic of at least one bogus teacher, Horace’s Stertinius. An especial ploy of the self-ironising Ovidian praeceptor is likewise the deliberately inapposite or inept exemplum.91 A notorious case is the Daedalus and Icarus episode from the beginning of Ars 2, which ends with Icarus plunging to his death in the sea after flying too close to the sun and melting the wax on his fabricated wings. Not only does the tertium comparationis, the aerobatic skills of Amor, and Daedalus and his son, negate the overall message of the Ars Amatoria, that by artifice Cupid can be pinned down and controlled:92 but the tale of Daedalus and Icarus ultimately represents a signal instance of the f a i l u r e of ars, the eponymous keynote of Ovid’s poem.93 Another instance of the apparently self-defeating use of exempla comes in the lengthy section of Ars 1 (269–344) which argues that the girl of one’s choice can readily be caught, on the grounds that female desire is much stronger than the male’s.94 But Ovid illustrates this 90) The continuation of the elegiac tradition in the Ars Amatoria is signalled by, among other things, the choice of the elegiac metre rather than the hexameter, the usual verse medium for didactic poems. Cf. Remedia 379 blanda pharetratos Elegia cantet Amores. For other didactic poems in non-hexametric metres, see Toohey (n. 9) 128, Volk (n. 2) 59–60, 163 n. 15. 91) In general on this see P. Watson (n. 18). 92) Bk. 1, init., 2,98 ipse deum uolucrem detinuisse paro. Cf. also Ars 3,436 errat et in nulla sede moratur Amor, where however the reference is specifically to gigolos, against whose attentions the puellae are being warned. 93) For this reading of Daedalus and Icarus see Myerowitz (n. 1) 151–67. As Myerowitz 162–3 additionally notes, the tale represents the failure of praecepta too, for Daedalus is in a sense a praeceptor. Along similar lines to Myerowitz, A. Sharrock, Seduction and Repetition in Ovid’s Ars Amatoria 2 (Oxford 1994) 87–195 treats the episode as a meditation on the nature of ars. 94) Cf. 281–2 parcior in nobis [sc. maribus] nec tam furiosa libido; / legitimum finem flamma uirilis habet, 342 acrior est nostra [feminea libido] plusque furoris habet.
360
L i n d s a y C . Wa t s o n
idea with a barrage of mythological paradigms95 in which female lust is shown to have run to such criminal, bizarre or incestuous extremes that it is easy to imagine the reader being deterred rather than encouraged in his amatory pursuit!96 Finally in this connection should be noted Ovid’s favourite tactic of buttressing an argument with trite mythological exempla from which salient details are so obtrusively omitted that the outcome is not to reinforce the praeceptor’s advice but instead to destabilise it by focussing attention on his casuistic and sophistic deployment of the paradigm; a fault of which, as we have noted, Horace’s Stertinius was equally guilty.97 To cite two representative instances:98 at Ars 2,397 ff., to illustrate the point that, if the amator openly cheats on his girl, she will respond in kind, the example of Clytemestra is cited (dum fuit Atrides una contentus, et illa / casta fuit; uitio est improba facta uiri 399–400). But what reader would not think at once of the detail which Ovid pointedly fails to mention, that Clytemestra’s taking Aegisthus as her lover was provoked not just, as the poet alleges 401–8, by Agamemnon’s parading of Chryseis, Briseis and Cassandra as his concubines, but was equally a gesture of outrage at her husband’s brutal sacrifice of their daughter Iphigeneia? Similarly, in a convoluted passage which twins the idea of fama, bestowed by poets, with the necessity of the puella’s leaving the house in order to attract potential lovers, the speaker observes quis Danaen nosset, si semper clusa fuisset / inque sua turri perlatuisset anus? (Ars 3,415–16). But the rhetorical question, while foregrounding self-interestedly the capacity of poets to ennoble their puellae, signally ignores the fact that Danae, while remaining locked in her tower, did manage to acquire a lover, in the shape of Zeus, who descended to her in a shower of gold: thus the message 95) 1,283–340, most particularly the inordinately long Pasiphae-episode 289–326. 96) Cf. P. Watson (n. 78) 159 n. 73. 97) A further example of this is the lena’s tendentious recontextualisation at Ovid, Amores 1,8,45–8 of the archery contest in Homer, Odyssey 21. As with many a seemingly virtuous female, Penelope’s preservation of her chastity, she asserts, was merely a sham: the contest was not a precondition for winning Penelope’s hand (so Od. 21,68 ff.), but an attempt on her part to test the sexual prowess of potential bedmates. 98) Other examples of such an obtrusively partial and self-serving use of mythology: Ars 1,457–8.509–11.647 ff. with Hollis (n. 79) on 655, 1,713–14; 2,5– 8.121–42.399 ff.; 3,631–2, Rem. 465–86, 589–90.
The Bogus Teacher and his Relevance for Ovid’s Ars Amatoria
361
is nullified that public exposure is necessary if a girl is to win an admirer. Sometimes the didactic ineptitude is more obtrusive still. It was remarked above that the sham teacher was given to vacuous or risible observations or arguments. In similar fashion, the advice of Ovid’s praeceptor is at times downright fatuous. For example, at Remedia 169–98, as one of three possible ways to avoid otium, which is a seed-bed for amor (143–4), the fugitive from love is enjoined to retreat to the country and there to immerse himself in the sights and sounds of the ideal landscape. But the passage in question is so replete with reminiscences from Virgil’s Eclogues and Tibullus99 that the reader cannot help reflecting that the country in Tibullus was the setting for love, and that Virgil’s pastores lived a life of otium in which their songs were of ¶rvw.100 Thus the exquisite literariness of the whole section has the self-contradictory effect of imploding the very message which it ostensibly teaches.101 Again, at Ars 1,711 ff., to illustrate the principle that, to attain possession of the girl sexually, the male must do the asking, the speaker states Iuppiter ad ueteres supplex heroidas ibat; / corrupit magnum nulla puella Iouem. Here it is not just the idea of mythological heroines trying to seduce (corrumpere) Jupiter that is intentionally ridiculous,102 but the very mention of seduction: Jupiter, as everyone knew, overpowered his victims by a combination of male violence and sexual predation which he regarded as a divine prerogative. To cite one final example of fatuous advice, at Ars 2,229, as a gesture of obsequium,103 the lover is enjoined to go to his girl if she summons him to the country. But this is immediately followed by the absurd si rota defuerit, tu pede carpe uiam, which conjures up a picture of a pedestrian amator trudging weary miles to his rural rendezvous.104 99) Systematically noted in the commentary of A. A. R. Henderson, P. Ovidi Nasonis Remedia Amoris (Edinburgh 1979) ad loc. 100) For the recognition that the countryside too could offer amatory temptations, cf. Prop. 2,19,27–32. 101) Cf. P. Watson (n. 78) 165. 102) Hollis (n. 79) ad loc. 103) For the concept, cf. Wheeler (1911: n. 77) 61–4. 104) Somewhat surprisingly, Niklas Holzberg, Ovid. The Poet and his Work (Ithaca / London 2002) 99 views the examples of obsequium recommended in this section of the poem (2,223–32), including the advice to travel to the girl under the Dog Star or through the snows, as less exacting than those enjoined in comparable
362
L i n d s a y C . Wa t s o n
Nor does the incompetence of the Ovidian praeceptor end here. To the foregoing bêtises may be added (purposive) instances of self-contradiction, which has been noted above as a hallmark of the bogus teacher, exemplified in Damasippus-Stertinius, and, one might add, Horace’s Alfius.105 Instances of such self-contradiction in the Ars include the claim that women rarely deceive (Ars 3,31– 2), which obtrusively belies what was said at 1,645–6 fallite fallentes; ex magna parte profanum / sunt [sc. femineum] genus: in laqueos, quos posuere, cadant. Again, at Ars 2,613–14 the exemplum of the naked Venus covering her pubic region semireducta manu deliberately undercuts the argument which it purportedly illustrates, that sex should be conducted, not openly in the manner of beasts (615–6), but instead privately (611–12, 621–4), in half-light and with the sexual organs decently veiled (612, 617–20); for the goddess’s gesture, as everyone knew106 and as semireducta intimates, was consciously provocative, not an attempt at modest concealment.107 Other examples of obtrusive self-contradiction inpassages of elegy. Other instances of fatuous advice: 2,203 ff., massage the puella’s ego by taking care to lose to her at dice, and hence make sure always to turn up a canis (the lowest throw). But how is such an outcome to be guaranteed in a game of chance where vast sums could be gambled and lost, Pers. 5,57? 2,506 qui bibit arte, bibat, a reductio ad absurdum of the Delphic maxim gn«yi seautÒn; the advice 3,456 ianua fallaci ne sit aperta uiro (but despite the description in the preceding verses of types to avoid, how is the puella to know in advance of the event that her uir is fallax?). 105) Who, while eulogising the delights of the simple rustic lifestyle, increasingly, as the poem progresses, reveals a concern with a more luxurious and wealth-driven d¤aita. 106) Cf. Apul. Met. 2,17 on Fotis, who is replicating Venus’ gesture, in particular, in speciem Veneris, quae marinos fluctus subit, pulchre reformata, paulisper etiam glabellum feminal rosea palmula potius obumbrans de industria quam tegens uerecundia, further A. Stewart, Art, Desire and the Body in Ancient Greece (Cambridge 1997) 103 on the designedly ambivalent, in fact arousing nature of the gesture. I am further encouraged in the view that the positioning of Venus’ hand was self-contradictory, intended to focus attention on her genitalia rather than to conceal them, by the existence of the parallel gesture on the part of Titian’s so-called ‘Venus of Urbino’, on display in the Uffizi Gallery, on which the Official Guide (Gloria Fossi: 4th rev. edn., Florence 2005) comments “her left hand resting over the pubic area as if to hide it is in fact ambiguously inviting” (126). 107) Other instances of self-contradiction: Ars 2,357 ff. (the moral drawn here is at odds with the immediately preceding exemplum of Ulysses); the advice that the man who is cultus and vain about his appearance can easily be trapped into thinking that a puella loves him (Ars 3,681–2) runs counter to the earlier precept
The Bogus Teacher and his Relevance for Ovid’s Ars Amatoria
363
clude the claim in Ars 2,14 that winning a girl is a matter of casus, “chance”, which flatly gainsays the message of book 1, which treats the process as the outcome of ars; or the advice to the lover to give only modest presents (Ars 2,261–2), which is immediately negated by the admission that modern-day puellae are not satisfied with such (268). Furthermore, what is one to make of a praeceptor who does not baulk at insulting his addressees, in defiance of the principle of captatio beneuolentiae? This is precisely what the speaker does at Ars 3,251 ff., on concealment of physical shortcomings, where the practical advice begins with the wonderfully debunking si breuis es, sedeas, ne stans uideare sedere (263). Now it is certainly the case, as the speaker points out in lines 251–62, that very few women are so naturally beautiful that they have no need of instruction on minimising corporeal disadvantages. In that sense, then, the advice which the speaker gives here appears salutary, since it is aimed, as he notes, at those women, the majority of his addressees, who most require it. But the uncompromising bluntness with which he proclaims how sorely the generality of females stand in need of his teachings is hardly calculated to make them lend a ready ear to his instructions (turba docenda uenit, pulchrae turpesque puellae: / pluraque sunt semper deteriora bonis 255–6; rara tamen menda facies caret 261): as Gibson observes, “Ovid speaks frankly and with little softening of the blows about female imperfections”108 and it is the idea of womanly ugliness (cf. turpes) that predominates in this section. And the self-defeating tactlessness of the speaker might be thought increased, if one recalls earlier remarks that most women maintain an illusory belief in their own beauty (sibi quaeque uidetur amanda; / pessima sit, nulli non sua forma placet 1,613–14); a belief here rudely dissipated. And while it would be excessive to claim ignorance of the need for tact as a that such males are to be avoided, as they are cynical and predatory (3,433 ff.); Remedia 421–2 and 419–20 with Henderson (n. 99) for the illogic entailed by 421–2; Remedia 577 ff. (Ovid complains that his poetic vessel has been deprived of guidance in mid-course, but immediately proceeds purposefully to a fresh topic); Remedia 750, the flippant remark that it’s not worth becoming poor in order to escape the effects of passion drastically undercuts the thrust of the preceding lines (741–9), that poverty is a valuable if inadvertent strategy for escaping love, since the amator lacks the means to support the cost of an affair (749). 108) R. K. Gibson, Meretrix or Matrona? Stereotypes in Ovid Ars Amatoria 3, PLLS 10 (1998) 295–312 at 308: for Ovid’s model in lines 263 ff., cf. Alexis frg. 103 K.-A.
364
L i n d s a y C . Wa t s o n
‘Merkmal’ of the doctor ineptus, it is worth noting, in the present connection,109 that the disquisitions of both Damasippus and Davus conclude by provoking an outburst of temper on the part of their addressee Horace.110 We have already seen that a patent self-interest which invalidates the worth of what they have to say is characteristic of the preachings of Horace’s Damasippus and Davus; the trait is in fact repeated in most if not all the bogus teachers studied in this paper, notably the two elegiac lenae and Petronius’ Eumolpus: the diatribes of the poetaster upon the contempt in which the arts are nowadays held are plainly underpinned by a wish that he should receive due financial recognition for his talent. Self-interest is likewise a keynote of Ovid’s praeceptor, notwithstanding the assertion that by the teachings contained in Ars 3 he is arming the female enemy against himself:111 it has already been noted that certain of the praeceptor’s mythological exempla are presented in such a selfserving and opportunistic fashion as to overturn their ostensible function of persuading to a given course of amatory action. Now the ethos of erotic self-advantage which infuses the Ovidian erotodidaxis as a whole112 does not per se qualify the value of the praeceptor’s teachings: but the picture looks somewhat different when one reflects that the Ars, which parades masculine self-interest so obtrusively, will also attract a female readership, in the shape of the very puellae whom the poem strives to outmanœuvre. Here, as elsewhere, the comedy of ineptitude is in part dependent upon the conflicting priorities of two voices in the Ars, that of the teacher, whose task is to dispense counsel, and that of the elegiac amator, who seeks gratification of his erotic desires. In regard to their self-fashioning as preceptorial inepts, one final connection between the bogus teacher and the speaker of the Ars must be registered. This concerns erotodidaxis, the common topic of Tib. 1,4 and the Ars; specifically, the incapacity of the selfproclaimed teachers of love to implement successfully the amato109) Cf. also Ars 3,103–4 forma quota quaeque superbit? / pars uestrum tali munere [sc. forma] magna caret, and 3,287–90 for remarks on the female appearance that tip over into tactlessness. 110) Sat. 2,3,323–6; 2,7,116–18. 111) Ars 3,1 ff. Cf. 577–8, where Ovid plays the role of the treacherous Tarpeia, 589–90, 667–72. 112) Notable instances: Ars 1,633 ff.721–2; 3,533 ff.
The Bogus Teacher and his Relevance for Ovid’s Ars Amatoria
365
ry advice which they proffer with such assurance. The case of Priapus and Tibullus in Tib. 1,4 has been discussed above. Similarly, the speaker in the Ars will sometimes foreground his own incompetence as amator and autodidact, deliberately pointing up the difficulty, in his realisation as elegiac lover, of following his precepts and calling into question the practicality of the objective announced in Ars 1,4 arte regendus amor.113 For example, the advice at Ars 2,173–4 at uos, si sapitis, uestri peccata magistri / effugite et culpae damna timete meae is hardly calculated to inspire confidence on the part of the speaker’s pupils. And the confession at 2,547–8 is even more damning, hac ego, confiteor, non sum perfectus in arte; / quid faciam? monitis sum minor ipse meis, a nice example of the speaker shooting himself in his didactic foot.114 The foregoing discussion has suggested that significant resemblances exist between the bogus teacher and the praeceptor of the Ars, and that these resemblances are not just confined to a general incapacity to convey their respective messages in a cogent and persuasive fashion. Rather, they extend to similarity of didactic faux pas and dialectical bêtises whereby both undermine the credibility of their teachings. Now that this cardinal point has, hopefully, been established, the remaining points of convergence between the two figures can be more briefly dealt with. I turn accordingly to the second characteristic of the bogus teacher listed at the commencement of this paper and its realisation in the praeceptor of the Ars. The effect of the argumentative incompetence just described in Ovid and (exempli causa) in Tibullus is to focus attention on the persona of the teacher, in particular upon the ineptitude and fallibility of his teachings:115 at the same time, attention is diverted 113) Contrast Propertius 2,1,58 solus amor morbi non amat artificem. Other instances, in addition to those cited immediately below in the text, where the praeceptor admits explicitly or implicitly his inadequate mastery of the ars amandi which he professes: Ars 1,615–16; 3,43.245–6.573 (heu), Remedia 314, 620, 683–6, 768. 114) As P. Watson (n. 78) 151 observes, Ovid undermines himself even further in the following lines by citing an instance from his own experience where he neglected to follow the advice which he is proffering (to tolerate a rival with equanimity), and by further admitting that the failure was not an isolated one (non semel hoc uitium nocuit mihi 553). 115) Somewhat similarly, the stridency and excesses of the authorial voice in Juvenal, documented in W. S. Anderson’s classic studies (collected in his Essays on Roman Satire, Princeton 1982) have the effect of throwing attention back onto the flawed nature of the satiric speaker and away from the content of his attacks, so that the satirist becomes, as it were, the target of his own satire.
366
L i n d s a y C . Wa t s o n
away from the substance of the instruction which he conveys. As regards the Ars Amatoria, this throwing of the spotlight on the teacher has well-established generic precedents. To name only two, Hesiod notoriously in the Works and Days, and Empedocles likewise in his didactic verse consciously foregrounded and invested with a conspicuous singularity the authorial voice.116 On one level, then, the artfully delineated speaker of the Ars Amatoria can be seen as a direct inheritor of that tradition – but with the crucial difference that the Ovidian voice is a deliberately comic and self-ironising one.117 And to explicate this latter dimension of the Ovidian persona the literary-historical net must be cast more widely. It seems best to regard the preceptorial voice of the Ars as fusing the obtrusive persona of didactic poetry with the incompetence of the bogus teacher, who is typically a miniaturised study in folly of one kind or another (rather like the Characters of Theophrastus),118 but always having as common denominator the questionable nature, or the complete invalidity, of what he is saying. It was proposed above under 3) that the bogus teacher shares important traits with the élaz≈n of Old Comedy; it was also noted that the verb élazoneÊesyai is, significantly, used of teachers who make extravagant promises, who affirm that their instruction will yield better results than is possible.119 The persona of Ovid’s praeceptor likewise agrees in no small measure with such types. At the beginning of the work he announces, with a bombast redolent of the élaz≈n,120 usus opus mouet hoc: uati parete perito; / uera canam (Ars 1,29–30). And he concludes book 2 with a comparable piece of professional self-aggrandisement, claiming to be the supreme exponent of the ars amandi, as Podalirius was of the healing art, Calchas of extispicy and so on (2,735–40). Yet, just as the élaz≈n is typical116) Cf. n. 65 supra. 117) To anticipate a possible objection here, it may be that the advice in didactic poetry is sometimes impractical, as in Hesiod’s Works and Days (Toohey [n. 9] 23). But serious didactic poets do not set out deliberately to create an impression of incompetence, as Ovid does in the Ars. 118) See e. g. the demonstration of Classen (n. 40) that the Catius of Horace, Satires 2,4 is depicted as an utter fool. 119) Cf. n. 26. 120) Compare e. g. the pompous language with which the élaz≈n Meton announces himself to Peisetarus in Aristophanes’ Birds (992, with Dunbar [n. 39] ad loc.).
The Bogus Teacher and his Relevance for Ovid’s Ars Amatoria
367
ly unmasked as a pretentious fraud,121 so too the Ovidian praeceptor’s grandiose, at times wildly exaggerated,122 claims of amatory expertise are consistently undermined by insinuated or explicit exposés of his fallibility as both teacher and practitioner of love (see above); similarly, his assertions of vatic authority123 – and the uates is a figure of somewhat ambivalent status124 – are negated by the degrading admission that poets nowadays are held in derision, not just by rapacious puellae, but by the world at large (Ars 2,273–80; 3,403– 12; 3,533–52).125 Once again then the bumptious praeceptor whom we discern in Ovid’s amatory treatise has a typological congener in the broader literary canvas, and cannot merely be traced to an humorous bastardisation of the didactic tradition. It was suggested above under point 4) that the authority of the bogus praeceptor’s teachings is typically compromised by his moral or physical circumstances, a further instance of the former being the Catius of Horace, Satires 2,4.126 As regards the speaker of the 121) Again compare Meton in Aristophanes’ Birds (992–1020), who proposes to practise geometry in the air rather than on a land-surface (995) and to ‘square the circle’ (1005). 122) Cf. particularly the opening of Ars Amatoria 1, in which the absurd claim is made that the irrational phenomenon of love can be reduced to a system of rules which will successfully trammel and constrain it; see also Remedia 55–68, where it is, fantastically, alleged that, had they had the benefit of Ovid’s instruction, a range of literary-mythological personages (Dido, Medea, Tereus etc.) would have been cured of their infatuation, with its varied but disastrous consequences. Lines 63 ff. give a sample of the manner: da mihi Pasiphaen, iam tauri ponet amorem; / da Phaedram, Phaedrae turpis abibit amor. / redde Parin nobis, Helenen Menelaus habebit / nec manibus Danais Pergama uicta cadent. In the same exaggerated vein is Ars 3,33 ff. (Medea, Ariadne and other heroines were abandoned by their lovers because they did not know the ars amandi which Ovid teaches). For the propensity of the Ovidian persona in the Ars to make extravagant claims for his powers, cf. J. Barsby, Ovid. Greece and Rome New Surveys in the Classics 12 (Oxford 1978) 19–20. 123) Vatic authority claimed: Ars 1,29–30.267–8.525; 2,11.535–6.739–40, Remedia 377, 767 (other, less loaded occurrences of the term Ars 2,165; 3,347.408. 539.547). Cf. also the discussion below of pompous speech. 124) See e. g. A. Cavarzere, Vate me: l’ambiguo sigillo dell’epodo XVI, Aevum Antiquum 7 (1994) 171–90. 125) Cf. also the final piece of advice on wooing given by Apollo to Ovid, Ars 2,508 nec sua non sanus scripta [puellae] poeta legat. 126) Who discourses to a deadpan Horace on the arcana of gastrosophy, blithely unaware of the philosophical tradition which condemned as unhealthy an obsession with gourmet foodstuffs (Classen [n. 40] 341, L. and P. Watson, Martial: Select Epigrams [Cambridge 2003] 213–14) and attacked on moralising grounds
368
L i n d s a y C . Wa t s o n
Ars Amatoria, we learn nothing of his physical circumstances, but he is divested of moral grauitas in the eyes of his pupils by his abovenoted use of arguments that are patently self-serving, tendentious or disingenuous, to which may be added one more instance: the advice that puellae should treasure the love of poets because the art which they cultivate has made them more trustworthy and morally upright than the generality of mankind (Ars 3,533–50): an impertinent and outrageous claim belied by the ethos of the Ars as a whole, in which the vatic speaker reduces amor to a system of rules and stratagems in which artifice and deceit are paramount. Whereas the compromising of the Ovidian praeceptor’s didactic auctoritas is effected more by his deliberately contrived argumentative incompetence (point 1) than by diminution of his moral standing (point 4), the fifth characteristic of the bogus teacher catalogued above, a propensity for pomposity of diction, is more productive for analysis of Ovid’s magister amoris. Examples of comic grandiloquence are not far to seek in the Ars Amatoria. At the level of the individual word there is the use of the dignified future imperative characteristic of serious didactic texts,127 but contextually inappropriate to an ars amandi, or the praeceptor’s insistent characterisation of himself as a uates, the elevated term for poet,128 with its implications of acting as a god’s mouthpiece;129 an idea exploited to the hilt by Ovid, as in the mock-portentous quod nisi dux operis uatem frustratur Apollo, / aemulus est nostri maxima writers of gastronomical guides such as Archestratus, tendentiously associating his Hedypatheia with the erotic manual of the notorious Philaenis, on the basis that both writers preached a reprehensible indulgence in sensual pleasure: cf. Olson and Sens (n. 69) xliv–v, testimonia 4, 5, 9, also Ath. 116 f (frg. 39) ÉArx°stratow m¢n ı peripleÊsaw tØn ofikoum°nhn t∞w gastrÚw ßneka ka‹ t«n ÍpÚ tØn gast°ra. 127) Cf. R. K. Gibson, Didactic poetry as ‘popular’ form: a study of imperatival expressions in Latin didactic verse and prose, in: C. Atherton (ed.), Form and Content in Didactic Poetry (Bari 1997) 67–98. As Gibson (n. 70) shows in a separate treatment of the -to imperatival termination (on Ars 3,207–8), the statistics in regard to the use of this archaic form in didactic poetry and prose do not yield a clear picture, but Ovid employs it to a far greater extent than other didactic poets, evidently in an effect of mock-pomposity. 128) Hollis (n. 79) ad loc. 129) Cf. H. D. Jocelyn, Poeta and uates. Concerning the Nomenclature of the Composers of Verses in Republican and Early Imperial Rome, in: L. Belloni, G. Milanesi, A. Porro (edd.), Studia Classica Iohanni Tarditi Oblata vol. 1 (Milan 1995) 19–50 (earlier bibliography at 23 nn. 18–19).
The Bogus Teacher and his Relevance for Ovid’s Ars Amatoria
369
causa mali (Remedia 767–8).130 More substantial instances of pretentious speech include the amusingly self-aggrandising magna paro, quas possit Amor remanere per artes, / dicere, tam uasto peruagus orbe puer (Ars 2,17–18); couplets such as quid moror in paruis? animus maioribus instat; / magna cano: toto pectore, uulgus, ades (Ars 2,535–6), in which the vein of de haut en bas is reminiscent of a Theognis or a Solon addressing a poetic dhmhgor¤a to the assembled citizenry; or 1,589 certa tibi a nobis dabitur mensura bibendi where the poet speaks “in the pompous tone of some medical writer laying down the exact amount for a prescription.”131 Of course these and similar passages can legitimately be seen as parodying the style and mannerisms of didactic poetry,132 much as the Hedypatheia of Archestratus spoofs the diction of its more serious generic cousins133 (one example among many is frg. 53 Olson-Sens mÒrmurow afigialeÊw, kakÚw fixyÁw oÈd° potÉ §sylÒw, a clear parody of Hesiod’s description of his hometown, ÖAskr˙, xe›ma kakª . . . oÈd° potÉ §sylª).134 At the same time, the mock-pretentious or parodic diction which has been discussed in this and the preceding paragraph ultimately resolves itself into a self-ironising attempt on the part of the didactic poet, expressed primarily at the dictional level, to project himself as one who takes himself and his prescriptions much too seriously. And in keeping with the pattern 130) Other instances where Ovid figures himself as a god’s mouthpiece: Remedia 251, 489, and the two scenes where the poet receives instruction from a divine epiphany, Ars 2,493–510, Remedia 555–76. Cf. also Ars 2,541–2 haec tibi non hominem sed quercus crede Pelasgas / dicere; nil istis ars mea maius habet. 131) Hollis (n. 79) ad loc. Other instances of pompous speech: Ars 2,511– 12.667–8, Remedia 69–70. 132) See e. g. Hollis (n. 79) on Ars 1,459 or Gibson (n. 70) on Ars 3,789–90. 133) For parody in Archestratus, see conveniently the lemmata cited under the relevant fragments in the edition of Brandt (n. 69) 140–71. Cf. also Effe (n. 70) 234–7. 134) Other examples include frg. 16,3–4 Olson-Sens, where the addressee is instructed to buy the boar-fish in Ambracia kín fisÒxrusow ¶˙, mÆ soi n°mesiw katapneÊs˙ / deinØ épÉ éyanãtvn and frg. 24,4, which employs the Homeric locution f¤lh kefalÆ in a discussion of fish-seasoning. Such parody forms part of the attempt to build up an humorous authorial persona in a work which combines a serious interest in gastronomy with the ludic strain that is never far from the surface in didactic poetry (cf. n. 73), a comic vein which is evident in advice such as one finds in frgs. 22 (get hold of the thresher-shark in Rhodes, even if you must die for seizing it by force) and 23,7 (suck down the pig-fish eagerly enough to choke yourself), where Archestratus appears to be sending himself up for his excessive devotion to ˆca.
370
L i n d s a y C . Wa t s o n
which we have already discerned, the attendant pomposity of diction may be seen, in the case of Ovid’s praeceptor at least, not just as a parodic distortion of the didactic register, but rather as an amalgam of this with the pretentious speech which characterises the sham teacher. It was noted earlier, a propos of point 6), that, in contrast to a number of the bogus teachers examined in this paper, the didactic speaker of the Ars is not depicted as expropriating praecepta from others and relaunching them at second-hand: instead, like the lenae of Prop. 4,5 and Amores 1,8, he claims to be speaking from personal experience (nec mihi sunt uisae Clio Cliusque sorores / seruanti pecudes uallibus, Ascra, tuis: / usus opus mouet hoc: uati parete perito; / uera canam 1,27–30). The absence from the Ovidian persona of one of the characteristics attributable to some – not all – of the sham praeceptores under discussion should not prove a significant stumbling block to the thesis here advanced, that the multiple incompetencies of the Ovidian praeceptor amoris are mediated through the figure of the bogus teacher. But it is worth noting that, at this point in the Ars, Ovid has more pressing priorities than stigmatising his speaker as a purveyor of second-hand knowledge. The most important of these is to establish at the outset, by a representative instance, that blend of didactic and elegiac modalities which is so integral to the literary texture of the Ars Amatoria. Thus the Hesiodic allusion in lines 27–8 simultaneously encodes a bow to the didactic tradition and disassociates the Ars from the archaic view that the poet was a passive conduit for information relayed to him by the gods, the speaker’s teachings being instead informed by elegiac usus,135 personal experience.136 Similarly, the dogmatism of uera canam and uati parete is reminiscent of the self-confident assertiveness of a Lucretius; but the addition of perito conjures into play the world of elegy, with its evocation of Propertius’ profession of erotodidactic authority me dolor et lacrimae merito fecere peritum (1,9,7) and implication of amatory expertise hard won in the school of elegiac knocks.137 These few lines neatly encapsulate 135) Cf. also Ars 3,791–2 si qua fides, arti, quam longo fecimus usu, / credite. 136) A claim subsequently withdrawn, Tristia 2,349 ff. 137) In a further piece of literary sophistication, it is likely that uati . . . perito incorporates a jesting side-swipe at the so-called metaphrasts, didactic poets such as Aratus and Nicander, who, using prose treatises as the basis for hexametric compositions upon subjects with which they were not closely familiar, wrote, as it were,
The Bogus Teacher and his Relevance for Ovid’s Ars Amatoria
371
that blending of the didactic voice with the persona of the elegiac amator which is such a defining feature of the Ars Amatoria. Under point 7) it was tentatively proposed that the ignorance and miscomprehension of which the didactic poet often accuses his addressees is ironically projected onto the figure of the bogus teacher, who thus embodies the false doctrine or misleading opinions against which didactic poetry protests. Whether or not this suggestion is accepted, it is attractive to suppose that Ovid designedly amalgamated in his didactic persona the magisterial and self-assured tones of an Hesiod or a Lucretius with the flawed doctrines of which these complain, and which, it is suggested, are hypostasised in the figure of the bogus teacher. In other words, Ovid, combining professed expertise with pronounced didactic shortcomings has consciously figured his didactic speaker with comic intent as a sophomoric praeceptor.138 Conclusions This paper has suggested that, in investigating the literary currents from which the humour of the Ars Amatoria derives, it is not enough to invoke the traditions of didactic poetry and Ovid’s playful manipulation of these, or, a supplementary point, the comic tension which arises from the embodiment in the speaker of two personages with differing priorities, the magister amoris and the elegiac amator. The amusingly inept persona of the Ovidian praeceptor is additionally and powerfully informed by the typologised and intrinsically absurd figure of the sham teacher who has an extensive presence in texts standing outside the diin borrowed intellectual clothes (cf. Volk [n. 2] 54–5, D. A. Kidd, Aratus: Phaenomena [Cambridge 1997] 26). See further D. Konstan, introduction to Schiesaro, Mitsis and Clay (n. 72) 16. 138) Might Ovid have taken a hint here from Hesiod’s para-didactic (Toohey [n. 9] 21) Theogony, in the prologue to which Hesiod, shepherding his flock on the slopes of Mt. Helicon, is taught the craft of song by the Muses, but not before being subjected (26–8) to a highly insulting address by the goddesses: poim°new êgrauloi, kãkÉ §l°gxea, gast°rew o‰on, / ‡dmen ceÊdea pollå l°gein §tÊmoisin ımo›a, / ‡dmen dÉ eÔtÉ §y°lvmen élhy°a ghrÊsasyai? One implication of this puzzling passage seems to be that Hesiod was formerly a m«row: now, with the assistance of the Muses, while still lacking the divine capacity to distinguish truth from falsehood, he can become a sophomore.
372
L i n d s a y C . Wa t s o n
dactic genre. As a coda to this, some further conclusions may be tentatively appended. First, by figuring himself as an incompetent praeceptor, Ovid helps to lay bare the spuriousness of his professed aim in the Ars, to rein in and lay down guidelines for the control of amor; for this is a clearly intractable force of nature, despite the poet’s insistence on the virtuosity of his ars in controlling it.139 The artifex’s project, to tame amor,140 would only be realisable if love as presented in the Ars were homogeneous in conception. But plainly it is not. Rather, it is a composite of the art of seduction, in which the pupil disingenuously141 follows a carefully plotted series of strategies laid out for him by the magister,142 and amor as familiar from Roman comedy and elegy, which sweeps away the senses and banishes all possibility of rational self-control. Thus the ars amandi which Ovid professes in his treatise on loving is grounded in a paradox, a point which Ovid forces on the reader’s attention in passages where the mutually irreconcilable ideas of love’s controllability and insusceptibility to control are pointedly juxtaposed. The paradox is neatly encapsulated in lines such as Ars 1,21–2 et mihi cedet Amor, quamuis mea uulneret arcu / pectora, iactatas excutiatque faces or 1,611–16 est tibi agendus amans imitandaque uulnera uerbis . . . saepe tamen uere coepit simulator amare; / saepe, quod incipiens finxerat esse, fuit.143 Thus the intrinsic unrealisability of the ostensible raison d’être of the Ars, to teach the art of loving, works in tandem with the obtrusive fallibility and incompetence of the didactic persona, to reveal the poem as a spectacular instance of preceptorial élazone¤a in the sense noted above from Isocrates, namely the making of much larger claims for one’s teaching than can ever be substantiated in reality. A second hypothesis can be briefly added to the preceding. The stratagem of fashioning an inept teacher may be Ovid’s particu139) For the latter claim, see particularly Ars 1,1–24 and the repeated insistence on the need to love wisely, i. e. in keeping with the magister’s precepts (1,663.760; 2,145.501.511.553). 140) Ars 1,7 me Venus artificem tenero praefecit Amori. 141) For dissimulation as intrinsic to the love preached by Ovid’s magister amoris, cf. Ars. 1,611–12 est tibi agendus amans imitandaque uulnera uerbis; / haec tibi quaeratur qualibet arte fides, 1,149–52.721–2; 2,311–14. 142) Ars 3,27 per me discuntur amores. 143) For the inherent paradox in the notion that love can be controlled, see also Ars 2,17–20; 3,41–2.
The Bogus Teacher and his Relevance for Ovid’s Ars Amatoria
373
lar contribution to exposing the contradiction that lay at the heart of didactic poetry, the fact that in many cases the didaxis is only notional, a mere facade, not pragmatic in any meaningful sense.144 Lastly and most importantly, the profile of the bogus teacher examined here, by making reference to a typology external to the poems, adds support to the views of those who, after internal analysis of the Ars and Remedia, have come to view Ovid as deliberately constructing an inept and self-contradictory persona as the vehicle for his amatory teachings.145 It conversely casts doubt upon the opposing stance, most recently embraced by Volk, that the praeceptor of the Ars is effective, in that his pupils are represented as putting his teachings successfully into practice as the p o e m p r o g r e s s e s . This reading of the Ars ultimately derives from Volk’s perception that a seminal feature of didactic poetry is what she calls poetic simultaneity,146 “the illusion that the poem is really only coming into being as it evolves before the readers’ eyes, that the poet / persona is composing it ‘as we watch’”;147 a process underpinned by the use of “progress imagery”, whereby the onward movement of the poem is assimilated to the racing of a chariot or the voyage of a ship148 and by dramatic markers such as haec ego cum canerem, subito manifestus Apollo / mouit inauratae pollice fila lyrae (2,493–4) which create the impression of a poem in the making. An important consequence of this stratagem for the Ars is that teaching and execution are represented as taking place at the same time.149 These are valid insights, but Volk’s next move, which is to gloss ‘execution’ with ‘successful’, is open to question. Volk holds that, when Ovid concludes Ars 2 with finis adest operi: palmam date, grata iuuentus, / sertaque odoratae myrtea ferte comae (733– 4) or opens it with dicite ‘io Paean’ et ‘io’ bis dicite ‘Paean’: / decidit in casses praeda petita meos. / laetus amans donat uiridi mea carmina palma / praelata Ascraeo Maeonioque seni (1–4), these remarks are indicative of unconditional success on the part of both prae144) See e. g. A. S. F. Gow and A. F. Scholfield, Nicander (Cambridge 1953) 18, Hollis (n. 70) 85. Of particular relevance here is the observation of Heath (n. 81) that a good deal of didactic poetry is ‘formal’, that is to say, more interested in the trappings of such compositions than in conveying instruction (‘final’ didactic). 145) Cf. n. 1. 146) Volk (n. 2) 13–24, 39–41 et passim. 147) Volk (n. 2) 13. 148) Cf. Ars 1,39–40.263–4.771–2; 2,9–10, Volk (n. 2) 173–82. 149) Volk (n. 2) 184.
374
L i n d s a y C . Wa t s o n
ceptor and pupils; “the possibility of failure does not come into the picture; both teacher and students of the Ars Amatoria are unequivocally successful.”150 This appears to the present writer special pleading: it shunts aside the possibility that the speaker is engaging in disingenuous self-aggrandisement and ignores the many modifying factors and contingencies, discussed in extenso above, with which the praeceptor hedges about his professions of didactic competence. In fact the lines which immediately follow Ars 2,1–4 neatly encapsulate the flaw in Volk’s methodology. These compare the pupil who, with the praeceptor’s guidance, has won his puella to Paris making off with Helen from Sparta and the victorious Pelops riding off in the chariot with Hippodamia. But the upshot of both tales was so unsettling that it is surely illegitimate to insulate lines 1–4, as Volk effectively does, from the implications of disaster, erotic or otherwise, attendant on the myths. In sum, it seems possible to take at face value the Ovidian praeceptor’s claims of undiluted erotodidactic success only by decontextualising such remarks as those just quoted and isolating them from the larger fabric of the poem. One final point may be noted here. A reading such as Volk’s ignores the existence of the Remedia Amoris. For that work is, in a sense, predicated on the assumption that the teachings conveyed in the Ars have been a notable failure:151 that the praeceptor’s discipulus, instead of emerging heart-whole and physically gratified from the educational cursus laid down for him in the Ars, has succumbed to amor in its ruinous and passionate elegiac guise, and is urgently in need of extrication from this situation, an extrication which the Remedia seeks to provide. A point explicitly brought out in the preamble to the Remedia: discite sanari, per quem didicistis amare: / una manus uobis uulnus opemque feret (43–4). For had Ovid’s pupils successfully played the emotionally disengaged game of love enjoined in the Ars, there would have been no call for sanatio or remedia amoris. Sydney
L i n d s a y C . Wa t s o n
150) Volk (n. 2) 186. 151) I owe this point to Patricia Watson.
A MATRONA MAKES UP Fantasy and Reality in Juvenal, Sat. 6,457–507
The relationship of Juvenal’s satiric portrait of Rome to the realities of Roman life has always been contentious. On the one hand, he has been used as a rich source (at times, the only source) for a variety of ‘Realien’. Sections of the passage to be discussed in this paper, for instance, have been used as evidence for cruelty towards slaves (475 ff.),1 or for the wearing by women of coturni (506).2 On the other hand, some literary critics, taking the legitimate line that Juvenal’s exaggerated and distorted picture of Roman life cannot be taken at face value, are inclined to dismiss his poetry almost totally as a viable source for everyday reality.3 Both approaches clearly have validity at times. For example, Juvenal’s description of a woman who practises gladiatorial moves with a wooden sword as dignissima . . . / Florali matrona tuba (6,249–50) is the only, though seemingly valid, evidence that mock gladiatorial fights were performed, presumably by meretrices, at the Floralia.4 Conversely, the ending of Satire 6 (634 ff.), where Ju1) E. g. K. R. Bradley, Slaves and Masters in the Roman Empire: A Study in Social Control (New York /Oxford 1987) 119; R. P. Saller, Corporal Punishment, Authority, and Obedience in the Roman Household, in: B. Rawson (ed.), Marriage, Divorce and Children in Ancient Rome, Oxford 1991, 144–65 at 151–8 (though he admits that such evidence is open to the charge of exaggeration). 2) E. Pottier, Cothurnus, DS 1.2 (1887) 1547–8. K. D. Morrow, Greek Footwear and the Dating of Sculpture (Madison, Wisc. 1985) 180 comments that the coturnus in Rome was worn mostly by women, but fails to cite references; presumably Juvenal would be one of her sources. 3) E. g. D. Cloud, The client-patron relationship: emblem and reality in Juvenal’s first book, in: A. Wallace-Hadrill (ed.), Patronage in Ancient Society, London / New York 1989, 216: “for attitudes as well as for facts the historian would be well advised to . . . give a very wide berth indeed to Juvenal”; cf. Susan H. Braund, City and Country in Roman Satire, in: Susan H. Braund (ed.), Satire and Society in Ancient Rome, Exeter 1989, 32–4; D. S. Wiesen, The verbal basis of Juvenal’s Satiric Vision, in: ANRW II.33.1 (Berlin / New York 1989) 708–33 at 731; K. Freudenburg, Satires of Rome: Threatening Poses from Lucilius to Juvenal (Cambridge 2001) 253–4. 4) E. Courtney (ed.), A Commentary on the Satires of Juvenal (London 1980) ad loc. cites the Scholiast meretrices nam Floralibus ludis armis certabant gladiatoriis atque pugnabant.
376
P a t Wa t s o n
venal depicts the dramas of Tragedy played out in every Roman household, is clearly a piece of fantasy which can hardly be used as proof of murderous propensities on the part of the average Roman wife. In general, however, I would subscribe to the view that satire can have no impact unless it is grounded to some extent in reality, though of course this reality is, as has frequently been pointed out, often grossly exaggerated or misrepresented.5 One way in which this distortion of reality works is discussed by Susanna Braund in connection with the Third Satire. She defines the “common satiric technique” of distortion as “suppression and omission of the ordinary, everyday and uninteresting aspects of life in the city and . . . exaggeration of the extraordinary, colourful and fascinating aspects”.6 Certainly this is often true. In the first Book, for instance, Juvenal’s cast of characters and situations includes eunuchs who marry, legacy hunters, obscenely wealthy parvenus and murderesses (Satire 1), sexual perverts (Satire 2), criminals and foreigners, falling buildings, fires and nocturnal muggings (Satire 3), bad emperors and over-sized fish (Satire 4) and bad patrons (Satire 5). In the Sixth Satire, some extraodinary women certainly feature, such as Eppia, the senator’s wife who runs off with a gladiator, Messalina, the meretrix Augusta, and the murderesses at the poem’s climax. But the overall purpose of the poem is to present a female stereotype to which a l l contemporary Roman matronae are alleged to belong. In keeping with this inclusion of ordinary women among his objects of attack, Juvenal employs in this Satire a somewhat different technique of distortion: he takes a scenario which is not in itself out of the ordinary, but distorts it in such a way as to make the everyday appear both sinister and ludicrous. 5) Cf. J. Gérard, Juvénal et la réalité contemporaine (Paris 1976) 479; C. J. Classen, Satire – the Elusive Genre, SO 63, 1988, 95–121 at 101; J. Baumert, Identifikation und Distanz: Eine Erprobung satirischer Kategorien bei Juvenal, in: ANRW II.33.1, Berlin /New York 1989, 734–69 at 746–50; S. Cecchin, Letteratura e realtà: la donna in Giovenale. (Analisi della VI satira), in: R. Uglione (ed.), Atti del II Convegno nazionale di studi su La Donna nel mondo antico (Torino 1989) 141– 64, esp. 146, 163 f.; G. B. Conte, Latin Literature: A History, tr. J. B. Solodow, rev. D. Fowler and G. W. Most (Baltimore /London 1994: originally published as Letteratura latina. Manuale storico dalle origini alla fine dell’imperio romano, Firenze 1987) 477; C. Schmitz, Das Satirische in Juvenals Satiren (Berlin /New York 2000) 10, 21. 6) Braund (n. 3 above) 25.
A matrona Makes Up
377
The best illustration is the Satirist’s description of a day in the life of a typical matrona. Before examining this in detail, I will first give a general overview of the train of thought. The passage begins: Nil non permittit mulier sibi, turpe putat nil, cum viridis gemmas collo circumdedit et cum auribus extentis magnos commisit elenchos. [intolerabilius nihil est quam femina dives.] interea foeda aspectu ridendaque multo pane tumet facies aut pinguia Poppaeana spirat et hinc miseri viscantur labra mariti. ad moechum lota veniunt cute. quando videri vult formosa domi? moechis foliata parantur, his emitur quidquid graciles huc mittitis Indi. tandem aperit vultum et tectoria prima reponit; incipit agnosci, atque illo lacte fovetur propter quod secum comites educat asellas exul Hyperboreum si dimittatur ad axem. sed quae mutatis inducitur atque fovetur tot medicaminibus coctaeque siliginis offas accipit et madidae, facies dicetur an ulcus?
460
465
470
Juvenal starts with the comment that a woman will consider nothing shameful when she has put on her jewellery. Although some commentators have been troubled by the apparent lack of a smooth connection between these verses and the following description of a woman applying her cosmetics,7 lines 457–60 are in fact absolutely integral to the train of thought, which (assuming the removal of 460)8 may be summarised thus: a woman is capable of any sort of immoral behaviour once she dons her expensive jewellery. In the meantime (i. e. in preparation for setting out adorned in her finery), she employs all sorts of concoctions to improve her complexion, not caring if her husband interrupts her, because all is done for the benefit of a lover. Juvenal is exploiting here the association, traditional in moralising contexts, between female adornment (cultus) and immorality. In such contexts, both the wearing 7) See Courtney (n. 4 above) 321–2 on 457 ff. 8) Most editors remove it. Courtney (n. 4 above) 322 is less certain, but one of his main reasons, that it “leaves 457 even more isolated than before”, is irrelevant if, as is here argued, there is a logical thought connection in the passage.
378
P a t Wa t s o n
of expensive jewellery and the use of cosmetics is a prominent feature.9 The passage continues: Est pretium curae penitus cognoscere toto quid faciant agitentque die. si nocte maritus aversus iacuit, periit libraria, ponunt cosmetae tunicas, tarde venisse Liburnus dicitur et poenas alieni pendere somni cogitur, hic frangit ferulas, rubet ille flagello, hic scutica; sunt quae tortoribus annua praestent. verberat atque obiter faciem linit, audit amicas aut latum pictae vestis considerat aurum et caedit, longi relegit transversa diurni et caedit, donec lassis caedentibus ‘exi’ intonet horrendum iam cognitione peracta. praefectura domus Sicula non mitior aula. nam si constituit solitoque decentius optat ornari et properat iamque expectatur in hortis aut apud Isiacae potius sacraria lenae, disponit crinem laceratis ipsa capillis nuda umeros Psecas infelix nudisque mamillis. ‘altior hic quare cincinnus?’ taurea punit continuo flexi crimen facinusque capilli. quid Psecas admisit? quaenam est hic culpa puellae, si tibi displicuit nasus tuus? altera laevum extendit pectitque comas et volvit in orbem. est in consilio materna admotaque lanis emerita quae cessat acu; sententia prima huius erit, post hanc aetate atque arte minores censebunt, tamquam famae discrimen agatur
475
480
485
490
495
500
9) For jewellery in moral diatribes, see the references in R. D. Brown (ed.), Lucretius on Love and Sex (Leiden 1987) on Lucr. 4,1126 zmaragdi. For cosmetics, see B. Grillet, Les femmes et les fards dans l’antiquité grecque (Lyon 1975); G. Rosati (ed.), Ovidio: I Cosmetici delle Donne (Venice 1985) 9–19; A. Richlin, Making up a woman: The face of Roman gender, in: H. Eilberg-Schwartz and W. Doniger (edd.), Off with her Head!: The denial of women’s identity in myth, religion and culture, Berkeley/London 1995, 185–213; P. A. Watson, Parody and subversion in Ovid’s Medicamina faciei femineae, Mnemosyne 54, 2001, 457–71 at 461; R. K. Gibson (ed.), Ovid, Ars Amatoria Book 3 (Cambridge 2003) 174–6.
A matrona Makes Up
aut animae: tanta est quaerendi cura decoris. tot premit ordinibus, tot adhuc compagibus altum aedificat caput: Andromachen a fronte videbis, post minor est, credas aliam. cedo si male parvi sortita est lateris spatium breviorque videtur virgine Pygmaea nullis adiuta coturnis et levis erecta consurgit ad oscula planta.
379
505
In this second section, Juvenal begins with a promise to reveal a woman’s usual daily activities (cf. 474–5). In the event, he concentrates on two scenarios: (i) the punishment of slaves and (ii) the hairdressing scene. In the course of the slave-beating, however, other activities are mentioned (481 ff.), and the overall effect is to suggest that such scenes are typical of how a lady spends her day. Furthermore, they are closely linked to the preceding section, because the theme of cultus in association with immoral behaviour runs through them as a unifying thread. The woman’s ill temper, taken out on her unfortunate slaves, is said to be a result of her husband denying her intercourse the previous night (475–6), her sexual appetite – a prominent theme of Satire 6 in general – being emphasised by a rôle reversal, in which the wife expects her husband to have sex with her as his nightly duty. Among the slaves punished in the first section are cosmetae, male slaves involved in the adornment of the mistress;10 the activities which she carries on carelessly during the torture of the slaves include making herself up (481) and examining a luxurious garment (482).11 Likewise, the attack on the hairdresser is motivated by the woman’s haste to get to an assignation with a lover (487–9), while the vignette of the incongruously small woman with the bee-hive hairdo concludes with an image of her standing on tiptoe to be kissed – presumably by her lover (507). It is now time to examine the foregoing in greater depth. In what follows, I will focus on those sections which can cast light on the complex relationship between Juvenal’s text and everyday reality. 10) The meaning of the word is unclear. Courtney (n. 4 above) ad loc. takes it as ‘male hairdressers’; the Scholiast says “those in charge of jewellery etc.”. In Greek, the term is used by Xenophon, Cyr. 8,8,20 of slaves concerned with adornment. 11) Probably she is to be imagined as perusing an expensive garment which an itinerant salesman has brought to her (as in Ov. A. A. 1,421 ff.). The reference to gold also suggests the luxury associated negatively by moralists with female adornment.
380
P a t Wa t s o n
1. Jewellery In lines 457–9 reference is made to the wearing of emerald necklaces and pearl drop earrings. For a woman to thus adorn herself, especially for a special occasion, would not have attracted any special comment.12 Both physical and written evidence points to the popularity of jewellery among upper-class Roman women, pearls and emeralds being among the most frequently mentioned gems. A number of emerald necklaces were found at Pompeii and pearl earrings have been found in various locations.13 From the Digest it is clear that jewellery, as well as other female items such as makeup items, unguents and clothes, was often left as part of a woman’s legacy;14 emeralds and pearls are often mentioned in this connection.15 Literary texts also attest to women’s love of jewellery. Although the majority concern meretrices,16 there is some evidence relating to matronae. In Ovid’s Medicamina Faciei Femineae, for instance, he justifies his advice on cosmetics by pointing out that contemporary women are much concerned with their outward appearance:
12) For female use of jewellery, see C. Barini, Ornatus Muliebris: i gioielli e le antiche romane (Torino 1958); J. P. V. D. Balsdon, Roman Women: their history and habits (rev. ed., London 1974) 262–5; A. M. Stout, Jewelry as a Symbol of Status in the Roman Empire, in: J. L. Sebesta and L. Bonfante (edd.), The world of Roman costume, Wisconsin 1994, 77–100; M. Wyke, Woman in the Mirror: The Rhetoric of Adornment in the Roman World, in: L. J. Archer, S. Fischler and M. Wyke (edd.), Women in Ancient Societies: ‘An Illusion of the Night’, London 1994, 141–4. When Pliny the Elder criticizes Lollia Pollina, wife of Caligula, for appearing in public decked in emeralds and pearls on every part of her body (N. H. 9,114), it is not the wearing of jewellery in itself but the excessive amount that is in question. 13) See Barini (n. 12 above) 37–48; R. Higgins, Greek and Roman Jewellery (London 21980) 177–80. 14) Cf. Ulpian, Digest 34,2, where ornamenta muliebria left as legacies are said to include earrings, armlets, bracelets and rings. 15) E. g. at Dig. 34,2,33,8 a legacy includes two pearl elenchi worn as earrings and two emeralds, cf. 6, 11, 32; S. Treggiari, Roman Marriage (Oxford 1991) 388–9; A. Oliver in: D. E. E. Kleiner and S. B. Matheson (edd.), I Claudia II: Women in Roman Art and Society, Austin, Texas 2000, 118–9. 16) E. g. Plaut. Most. 157; Lucr. 4,1126 ff.; Prop. 1,2; 2,16,43 f.; Tib. 2,4,27; Ov. A. A. 3,129; Mart. 4,28,4; 11,27,10.
A matrona Makes Up
381
forsitan antiquae Tatio sub rege Sabinae maluerint quam se rura paterna coli ... at vestrae matres teneras peperere puellas: vultis inaurata corpora veste tegi, vultis odoratos positu variare capillos, conspicuam gemmis vultis habere manum; induitis collo lapides Oriente petitos et quantos onus est aure tulisse duos. (Ov. M. F. 11–12, 17–22) Here, in contrast to the Ars Amatoria, Ovid does not pretend that his addressees do not include matronae.17 Seneca also offers important evidence when, lauding his mother Helvia as an exceptional paragon of pudicitia, he includes an interest in jewellery among the outward signs of immorality which are shared, he asserts, by the majority of his mother’s contemporaries.18 In Seneca and the literary texts in general – in contrast to other, more objective and ethically neutral evidence – the wearing of jewellery is given morally dubious overtones: it is associated with meretrices or, as in Seneca, with adultery.19 Juvenal follows in this well-established moralising tradition, adapting it to the general thesis of Satire 6 – that a chaste matrona in contemporary Rome is as rare as a black swan,20 that is, non-existent – by portraying a woman donning her jewellery as part of a general picture of the typical adulterous behaviour of an upper-class woman.
17) Cf. esp. 25–6 feminea vestri poliuntur lege mariti / et vix ad cultus nupta quod addat habet; Watson (n. 9 above) 463–70. 18) Sen. Helv. 16 non te maximum saeculi malum, impudicitia, in numerum plurium adduxit; non gemmae te, non margaritae flexerunt; . . . non faciem coloribus ac lenociniis polluisti; numquam tibi placuit uestis quae nihil amplius nudaret cum poneretur: unicum tibi ornamentum, pulcherrima et nulli obnoxia aetati forma, maximum decus uisa est pudicitia. Cf. also [Lucian] Amores 38–41 (on married women). 19) Cf. [Publilius Syrus] ap. Petron. Sat. 55 and elegiac passages such as Prop. 1,2,21 ff. where the wearing of jewellery is connected with infidelity to the lover (facies aderat nullis obnoxia gemmis . . . illis [sc. heroines of myth in contrast to modern puellae] ampla satis forma pudicitia). 20) Cf. 165 rara avis in terris nigroque simillima cycno.
382
P a t Wa t s o n
2. Cosmetics In the next section, Juvenal again presents a scenario which would not be out of the ordinary in everyday life: a lady using various preparations to preserve and enhance her skin. Even if the average woman did not resort to some of the more disgusting and / or exotic remedies we hear about such as ‘crocodile’ dung, vulture’s blood, or legs of locusts mixed with goat suet,21 most will have tried some sort of face cream or facemask. Serious instructions on skin care are offered by technical writers such as Galen (14,422–3 Kühn), who includes two recipes for a facial cleanser / toner. The first involves squeezing the liquid out of wheat (siligo) and mixing the residue with egg white to the consistency of honey, in the second, equal portions of incense and rouge are ground with honey and smeared on the face, left for a whole day, then washed off again (cf. Juvenal’s lota . . . cute 464 and 467 ff.). Dioscorides, who wrote on pharmacology in the mid first century A. D., mentions face masks of Chian or Selinan earth mixed with rose-unguents.22 Two of Ovid’s recipes in the preserved fragment of the Medicamina Faciei Femineae are for face packs, the first (53–66) containing barley, vetch, wheat, eggs, honey, powdered stag-antler, narcissus bulbs and gum, the second (83–98), francincense and myrrh, salpetre, gum, honey, fennel, ammoniac salt, dried rose leaves and barley water.23 According to Pliny the Elder, women employed asses’ milk as a face lotion in the belief that it smoothed out wrinkles and left the skin soft and white (N. H. 28,183), while Juvenal’s casual allusion to pinguia Poppaeana suggests that there was a face cream available patented by Poppaea, though this is the only evidence for it.24 Juvenal uses a variety of ploys to turn female beautification into something both sinister and ridiculous. First, by drawing a 21) For the first two and other similar mixtures, see Plin. N. H. 28,183–88. On ‘crocodile’ (actually, lizard) dung, see M. Hendry, Rouge and Crocodile Dung, CQ 46, 1996, 583–8. 22) Cf. R. J. Forbes, Studies in Ancient Technology 3 (Leiden 31993) 40. 23) On these, see P. Green, Ars Gratia Cultus: Ovid as Beautician, AJPh 100, 1979, 381–92 at 382–6. 24) The existence of such a cosmetic is highly feasible given her obsession with her appearance: cf. n. 34 below. For the naming of a cosmetic after its inventor, cf. the perfume known as ‘Cosmianum’, produced by the famous parfumeur Cosmus (cf. Mart. 3,82,26; 11,15,6).
A matrona Makes Up
383
contrast between the woman’s attitude towards her husband and her lover (esp. 464–525), he underlines that the use of cosmetics forms a part of the adulterous behaviour to which he alleges women to be prone. The allusion to expensive26 and exotic perfumes (465– 6) also enhances the effect – Pliny the Elder regards unguents as the worst example of luxuria27 and emitur (466) hints at another failing of contemporary wives – that they squander money on whatever takes their fancy28 – in this case, their profligacy is even more culpable, since the money is spent for the sake of a moechus.29 Intertextuality is also employed to underscore the immoral associations of the matrona’s beauty routine. By recalling passages from elegy and elsewhere in which facial cosmetics and perfume are associated with meretrices, Juvenal implicitly identifies his upper-class matronae with these meretrices.30 The allusion to foliata, for instance, is reminiscent of Martial, 11,27,9, where this is one of a number of luxury items which might be demanded by an amica. The description of the repulsive face creams (461–3) is inspired by passages from Ovid in which the puella’s toilette is a precursor to 25) S. M. Braund (ed.), Juvenal and Persius (Loeb Classical Library, Cambridge, Mass. /London 2004) 278 accepts Ruperti’s transposition of lines 464–6 to after 470, which makes lota cute come, in logical order, a f t e r the washing in asses’ milk. But this also creates too great a separation between the final lines on the treated face (471 ff.) and the earlier description of the facemask, and it does not solve the problem that the reference to perfumes (465 f.) is intrusive in the context of facial care. In the traditional order, the remark that the woman removes her cosmetics before coming to her lover (464) forms a nice contrast with the picture of the husband, to whom she is indifferent, getting stuck in the face creams; the reference to the moechus leads to the aside that it is for the benefit of lovers that she spends money on perfumes; Juvenal then returns to the removal of the facemask, the cleansing of the face and finally the comparison of the face with an ulcus. 26) For the luxurious unguent foliatum, see N. M. Kay (ed.), Martial Book XI: A Commentary (London 1985) on Mart. 11,27,9. 27) Plin. N. H. 13,20–5: expensive unguents are especially condemned because of their ephemeral nature, in contrast to other luxuries like clothing, which lasts some time, and jewels which can also be bequeathed to an heir. 28) E. g. Juv. 6,149 ff.232.355 ff.508–11. Cf. also [Lucian] Amores 40 (women spend their husbands’ wealth on perfuming their hair with all the perfumes of Arabia). 29) His emitur ‘for these is bought’ – is ironic in view of passages like Mart. 11,27,9 and 12,65,4, where it is the lover who is required to spend h i s money on perfume as a gift for the woman. 30) Cf. also Plaut. Most. 157 ff. – a detailed description of a meretrix getting ready to meet a lover; her preparations involve jewellery, hair, cosmetics, and perfume.
384
P a t Wa t s o n
a meeting with a lover but must be concealed from him because of the unattractiveness of the process: A. A. 3,211 ff. quem non offendat toto faex illita uultu, / cum fluit in tepidos pondere lapsa sinus? / oesypa quid redolent quamuis mittatur Athenis, / demptus ab immundo uellere sucus ouis! and R. A. 354 ff. et fluere in tepidos oesypa lapsa sinus. / illa tuas redolent, Phineu, medicamina mensas; / non semel hinc stomacho nausea facta meo est. In both passages the cosmetics are made the subject of ridicule,31 but Juvenal outdoes his predecessors in wit. For instance, whereas they simply depict the greasy lanolin running down the girl’s front, Juvenal has the hilarious image of the husband getting stuck in the grease when he tries to kiss his wife (463).32 The final lines of the section (467–73), basically a description of the commonplace process of removing a face pack and washing the face with a cleansing agent, become in Juvenal’s hands a rich source of amusement at the lady’s expense and provide a further opportunity to emphasise her lack of pudicitia. The removal of the mask is likened to peeling off layers of stucco on a building, incipit agnosci suggesting that she was so thickly covered as to be unrecognisable. A similar image was used, also in the context of deprecating moral decadence, by Petronius at Sat. 23 inter rugas malarum tantum erat cretae ut putares detectum parietem nimbo laborare (of a cinaedus). In alluding to the use of asses’ milk as a facial cleanser, Juvenal takes advantage of several opportunities for both disapprobation and humour. Pliny the Elder, whose account of the practice Juvenal has in mind,33 records how it was instituted by the empress Poppaea, wife of Nero, who used it not only on her face but even 31) Cf. Gibson (n. 9 above) on 211–12: “it is common in anti-cosmetic contexts to ridicule women by picturing the moment when their cosmetics are made to run.” 32) Viscantur is ironic here: meretrices catch lovers by hunting (cf. P. Murgatroyd, Amatory Hunting, Fishing and Fowling, Latomus 43, 1984, 362–8) and the verb suggests bird-lime – but this time it is the husband not the lover who is caught. Juvenal might also have in mind Lucr. 4,1171–91, on the off-putting, smelly fumigations which a lover’s mistress performs behind closed doors (although, as Brown [n. 9 above] on 1175, has argued, this refers to gynecological treatment): in particular, Juvenal’s ridendaque multo 461 recalls Lucr. 4,1176 quam famulae longe fugitant furtimque cachinnant. 33) Cf. esp. comites 469, recalling Pliny’s gregibus eam comitantibus, and the allusion at 462 to pinguia Poppaeana, discussed earlier.
A matrona Makes Up
385
added it to her bathwater, keeping a herd of 500 she-asses with her for this purpose: cutem in facie erugari et tenerescere candore lacte asinino putant, notumque et quasdam cottidie septies genas custodito numero fovere. Poppaea hoc instituit balnearum quoque solia sic temperans, ob hoc asinarum gregibus eam comitantibus (Plin. N. H. 28,183). In the context of face-care, Juvenal’s matrona ought to be washing her face with the asses’ milk, like the ladies described by Pliny (cf. genas . . . fovere), but the phrase lacte fovetur, along with the allusion to the escort of asses, suggests rather the baths taken by the beauty-conscious34 Poppaea: Juvenal thus turns a practice which may have not been so unusual into something with immoral connotations: Poppaea was not the chastest of matronae, if there is any truth at all in Tacitus’ description of her (Ann. 13,45). As well, he embellishes his description in a highly amusing manner. Not only does the lady bathe in the milk of she-asses, but she would take them as her companions if she were exiled. The reference to exile further underlines the licentiousness associated with Poppaea, since it calls to mind the punishment under the Augustan marriage legislation for adultery and carries the implication that this would be the reason for the matrona’s banishment. Moreover, by making the place of banishment as remote as possible, Juvenal creates further opportunities for wit and moral censure. Firstly, it emphasises the woman’s promiscuity: she would not neglect her beauty even in circumstances where potential lovers might be hard to find, but would want to be ready for any chance, however slim, of continuing the very behaviour for which she was exiled.35 The hyberbolic allusion to the Hyperboreans36 parodies the friendship topos whereby a sign of true friendship is willingness to accompany a friend to the far corners of the earth,37 often in the context of exile; in such contexts, the phrase comes exulis / exilii is practically 34) For Poppaea’s concern about her physical appearance, cf. Plin. N. H. 11,238 and Dio 62,28. 35) It was presumably because Augustus feared Julia would continue her promiscuous behaviour in exile that he forbade her to associate with men without his permission (Suet. Aug. 65,3). 36) For the Hyperboreans as representing the Northern extremity of the world, cf. Catullus 115,6 with Fordyce, Hor. Od. 2,20,16 with Nisbet /Hubbard ad loc., Virg. Georg. 3,196. 37) E. g. Stat. Silv. 5,1,127 ff. tecum gelidas comes illa per Arctos / Sarmaticasque hiemes Histrumque et pallida Rheni / frigora. Cf. L. C. Watson, A Commentary on Horace’s Epodes (Oxford 2003) 53 f.
386
P a t Wa t s o n
a technical term.38 For a woman, such a companion might ordinarily be her mother, as in the case of Julia the Elder who was accompanied into exile by Scribonia; Juvenal’s woman would in similar circumstances prefer her comites exilii to be in asinine form: in keeping with her priorities, she would be in more need of beautification than feminine consolation. The concluding lines of the section (471–3) again combine disgust at women’s cosmetic preparations with ridicule. So many preparations does this matrona put on her face, that it perhaps should be called an ulcus (an ulcerated sore) rather than a face! The witty comparison between a face and an ulcus is facilitated by the fact that medicamen is regularly used both of medical treatments and cosmetics (cf. the title of Ovid’s Medicamina Faciei Femineae); it is prepared for by tumet in 462 (her face ‘swells’ with bread [i. e. a face-pack], swelling being associated with ulcers [cf. Celsus, 5,28,2 and 5]). Moreover, all of the procedures alluded to by Juvenal: the smearing on of ointments (inducitur 471), ablution with hot water or wine (fouetur 47139) and the application of poultices (coctae siliginis . . . madidae 472–3) appear as well in technical discussions of ulcers. Pliny (N. H. 28,183–88) lists in this connection greasy substances used as ointments, such as butter, bone marrow, dung mixed with oil and goose grease; Celsus (5,28,4D) recommends that the ulcer known as erysipelas be treated (ulcera . . . fouenda sunt) with hot water or wine; poultices (kataplasmata) of various kinds are mentioned, some including wheat or bread.40 In short, by exploiting the similarities between methods of facial care and the treatments in medical writers for ulcera of various kinds, Juvenal extracts the maximum humour from the situation. 38) E. g. Mart. 7,44,3–5 hunc Nero damnavit: sed tu damnare Neronem / ausus es et profugi, non tua, fata sequi: / aequora per Scyllae magnus comes exulis isti; cf. Sen. Ep. 9,10; C. A. Williams (ed.), Martial’s Epigrams, Book Two (Oxford 2004) on Mart. 2,24,4 and Catullus 11 with J. C. Yardley, SO 56, 1981, 63–9. 39) This is emended, however, to novatur by R. G. M. Nisbet in: N. Horsfall (ed.), Vir Bonus Discendi Peritus: Studies in Celebration of Otto Skutsch’s Eightieth Birthday, BICS Suppl. 51, London 1988, 97 f. (= R. G. M. Nisbet, Collected Papers on Latin Literature ed. S. J. Harrison [Oxford 1995] 243 f.); this reading is accepted by recent editors such as J. Willis, D. Iunii Iuvenalis Saturae Sedecim (Stuttgart/Leipzig 1997) and Braund (n. 25 above). 40) E. g. Celsus, 5,18,19; 5,28,13C; Soranus ap. Galen, 12,494K; Galen, 13,731K. On cosmetic preparations which are also medicines, cf. Ov. A. A. 3,215– 16 with Gibson (n. 9 above) ad loc.
A matrona Makes Up
387
3. Punishment of Slaves The memorable description of the matrona having various slaves flogged, while casually (obiter 481) performing her day-today business, is a brilliant example of Juvenal’s ability to carry his point by creating a scene which is essentially a distortion of factual reality. In this case, the reality consists in the fact that slaves who had committed an offence were routinely submitted to corporal punishment.41 Furthermore, since a materfamilias owned her own slaves and was responsible for those slaves engaged in ‘womanly’ pursuits such as wool-making42 or her own toilette, it is a safe assumption that if these needed to be disciplined, it would be the woman who oversaw the operation. On the other hand, capricious cruelty towards slaves who had done no wrong, or whose offence did not justify the severity of the punishment, was unacceptable, and is condemned by moralists as an example of ira deriving from lack of self-control.43 It was also subject to legal sanction, as in the case of the matrona who was banished for five years by the emperor Hadrian for mistreating her ancillae.44 Although it is impossible to know how common such behaviour was, it is hardly likely to have occurred as frequently, and in such an extreme form, as Juvenal implies. More importantly, most of the known factual examples of saevitia towards slaves involve m a l e slave owners;45 Juvenal, however, represents this scenario as typical f e m a l e behaviour,46 41) Cf. K. Hopkins, Conquerors and Slaves (Cambridge 1978) 118–23; Bradley (n. 1 above) 113–37; Saller (n. 1 above) 151–4, 158–60; R. P. Saller, Patriarchy, Property and Death in the Roman Family (Cambridge 1994) 147–9. 42) Cf. S. Treggiari, Jobs for women, American Journal of Ancient History 1, 1976, 76–104 at 84. 43) Cf. Hor. Sat. 1,3,80 ff.; Sen. Ep. 47,3; De Ira 2,25; 3,24; Galen, De prop. an., W. de Boer, ed., Corp. Med. Graec. 5,4,1,1; 5,4,8; Gaius, Inst. 1,53; Plut. Mor. 457B, 461C; N. Brockmeyer, Antike Sklaverei (Darmstadt 1979) 182 ff.; M. T. Griffin, Seneca: A Philosopher in Politics (Oxford 1976) 257 ff. 44) Ulp. Dig. 1,2,6 divus etiam Hadrianus Umbriciam quandam matronam in quinquennium relegavit, quod ex levissimis causis ancillas atrocissime tractasset, cf. Bradley (n. 1 above) 126. 45) See the examples given in the works cited n. 41 above. 46) Notice how in the passage Juvenal shifts between the plural and the singular: the first few lines are in the plural, culminating in sunt quae tortoribus annua praestent. This sets the scene for the more vivid concentration on an individual woman, the initial plurals establishing that this scenario is repeated in every upperclass home.
388
P a t Wa t s o n
exploiting the common notion that excessive bad-temper and lack of self-control was a womanly trait.47 It is worth considering exactly what is supposed to be happening in this passage. Juvenal begins by introducing three types of slave who are the victims of their mistress’ ill temper: a female wool worker,48 a group of male cosmetae,49 and finally a Liburnian (Illyrian) slave whose rôle is unspecified.50 To balance this trio, three types of flogging instruments are mentioned: the ferula, the flagellum, and the scutica.51 But these cannot correspond to the three slaves mentioned first, since the genders and numbers of hic . . . ille . . . hic do not match the libraria, cosmetae and Liburnus.52 Rather, they suggest an indiscriminate beating of various other slaves – explaining why some women need to employ tortores on an annual retainer. While the beating is going on the woman puts on her makeup, talks to girlfriends, examines a garment or checks the account books.53 Once more, ordinary activities incur opprobrium, because carrying them on in such circumstances demonstrates the woman’s casual indifference to the beatings, and also because these activities are related to the beautification process that is the basis of the satiric attack.54 47) Cf. Sen. De Ira 1,20,3 ira muliebre maxime ac puerile vitium est, De Clementia 1,5,5 muliebre est furere in ira; see further W. V. Harris, Restraining Rage: The Ideology of Anger Control in Classical Antiquity (Cambridge, Mass. /London 2001) 264 ff.; id., The Anger of Women, Yale Classical Studies 32, 2003, 121–43. 48) Referred to as libraria, which, according to the Scholiast, is equivalent to lanipenda, i. e. a slave woman who weighs out the wool for the workers and who also has a supervisory rôle over wool manufacture in the household (see Treggiari [n. 42 above] 82–4; J. Frayn, Sheep-rearing and the wool trade in Italy during the Roman period [Liverpool 1984] 152). The term is not testified elsewhere in this sense. 49) For the meaning of this word, cf. n. 10 above. 50) At Juv. 4,75 a Liburnus is an usher at the emperor’s house. M. Citroni (ed.), M. Valerii Martialis epigrammaton liber primus (Florence 1975) on Mart. 1,49,33 thinks Liburnus (sc. seruus) is a litter bearer, and compares Juv. 3,240 diues et ingenti curret super ora Liburna, where he takes the Liburnian (sc. litter) to be so-called because it is carried by Liburnian slaves, but the image is more likely to be that of a Liburnian war-ship (see Courtney [n. 4 above] ad loc.). 51) On the use of whips in torturing slaves, see T. P. Wiseman, Catullus and his World (Cambridge 1985) 5–10. 52) There follows another trio (verberat . . . caedit . . . caedit): whether this corresponds to either of the first groups is unclear: more probably, three (unrelated) groups of three are used for rhetorical effect. 53) For this interpretation of longi relegit transversa diurni, see Courtney (n. 4 above) on 483. 54) Cf. n. 11 above.
A matrona Makes Up
389
(The reference to the account books might suggest her expenditure on luxuries, rather than ordinary household expenses.) In the opening lines of this scene, the slaves are imagined as being summarily punished by their mistress in a fit of temper (476–79). The subsequent beatings that take place amid other business might at first glance be assumed to be punishments also, but the allusions at the end of the passage to cognitio and praefectura (485 f.) evoke a slightly different image. A cognitio was a hearing of a legal case by a magistrate; in Juvenal’s day, persons of humble status charged with a criminal offence were tried by the praefectus urbi or the praefectus vigilum. In the case of slaves, torture was regular, whether they were giving evidence as witnesses or defending themselves on a charge.55 After the cognitio was finished, the slave would then be led away for punishment.56 In the present passage, then, the woman is to be imagined as assuming the rôle of the praefect, conducting a hearing of accused slaves during which they are tortured in order to get them to confess to their ‘crimes’.57 Not only is the parody58 of a magisterial inquisition effective in ridiculing the matrona, but the comparison of the woman’s praefectura to the court of the Sicilian tyrants59 allows for an unflattering portrait of a woman who, in undertaking a position of male authority, emulates the worst example of this: the tyrant.60 55) See A. H. M. Jones, The Criminal Courts of the Roman Republic and Principate (Oxford 1972) 115. 56) A late example describes the procedure in a public trial: reus sistitur latro, interrogatur secundum merita; torquetur, quaestionarius pulsat, ei pectus uexatur, suspenditur, crescit, flagellatur fustibus, uapulat . . . et adhuc negat. puniendus est: perit poena, ducitur ad gladium. See A. C. Dionisotti, From Ausonius’ Schooldays? A Schoolbook and its relatives, JRS 72, 1982, 83–125 at 105. 57) Cf. the story that the emperor Caligula often put on displays of inquisition by torture before his dinner guests (Suet. Gaius 32,1). On torture see P. Garnsey, Social Status and Legal Privilege in the Roman Empire (Oxford 1970) 141–7. 58) The parodic tone is reflected in the language e. g. intonet horrendum (485: Courtney [n. 4 above] here compares Virg. Aen. 12,700). 59) For the proverbial cruelty of Sicilian tyrants, cf. Hor. Ep. 1,2,58 f. invidia Siculi non invenere tyranni / maius tormentum. Juvenal is probably thinking in particular of Phalaris of Acragas (6th century BC), famed for the bronze bull in which he roasted victims alive (see H. Berve, Die Tyrannis bei den Griechen [München 1967] 129–32): cf. Juv. 8,81 where Phalaris’ bull is alluded to in the context of the torture of witnesses in a Roman trial (so here, the woman’s trial of her slaves involves Phalaris-like cruelty). 60) G. Vidén, Women in Roman Literature (Göteborg 1993) 153–7 argues that Juvenal’s attack in Satire 6 is in general directed at women who transgress the boundary between accepted masculine and feminine behaviour.
390
P a t Wa t s o n
4. The hairdressing scene The portrait of the mass beating of slaves is particularised in the hairdressing scene, which begins with the focus on a single slave, the ornatrix, Psecas, who has her own hair torn (490) and then is savagely beaten with an ox-hide whip, ostensibly because her mistress is dissatisfied with her appearance. The whipping is to be imagined as being carried out by one of the tortores the woman employs.61 The torn hair, on the other hand, would be the work of the lady herself, and suggests the literary tradition whereby an ill-tempered domina attacks her hairdresser in person. Ovid, for instance, comments that Corinna’s hair was easily manageable, so that her ornatrix was always tuto corpore, nor did Corinna ever pierce her in the arms with a hairpin (nec umquam / bracchia derepta saucia fecit acu Am. 1,14,17 f.), whilst in the Ars amatoria (3,239–42) he expresses disgust at the woman who assaults her hairdresser’s face with her fingernails and her arms with a hairpin.62 In an epigram of Martial which Juvenal also has in mind, Lalage, seeing in the mirror a single lock of hair out of place, hits her hairdresser over the head with the mirror and she falls down, saevis icta . . . comis (Mart. 2,66,4).63 The focus on a single slave is now expanded to include a group of women. So complex is the hairstyle that it requires a bevy of assessors, who are pictured watching and discussing the proceedings; the passage concludes with a comment on the height of the arranged hair and the discrepancy between the view from the front and the back, which is accentuated if the woman is specially short. Given the popularity of elaborate hairstyles in the late first and early second centuries, the scene of a noble lady having her hair dressed by her servants must have been commonplace; its 61) For such punishment of an ornatrix, cf. Ovid’s self-defence to Corinna on the charge that he has slept with her hairdresser Cypassis: quis Veneris famulae conubia liber inire / tergaque complecti uerbere secta uelit? (Am. 2,7,21–2). 62) This comes soon after the description of cosmetics (205 ff.), and Juvenal may have had the whole passage (3,205–42) in mind. 63) In all these passages the mistress targets the slave’s arms or her face. By making her tear the hair (for which cf. Prop. 4,8,61 direptis comis, referring to two slave girls attacked by the jealous Cynthia), Juvenal can convey the irony of the girl arranging her mistress’ hair while her own is dishevelled.
A matrona Makes Up
391
everyday and innocuous character is demonstrated by numerous artistic representations.64 Once again the satirist invests an ordinary event with negative resonances. His methods are various and repay detailed examination. In the first place, the lady’s ill-tempered behaviour is motivated by the fact that she is running late for an assignation with her lover. Next, this adulterous matrona is identified with a meretrix through the allusions (discussed above) to the elegiac topos in which an elegiac domina attacks her hairdresser.65 Thirdly, the sort of female gathering which is depicted in artistic presentations of the female toilette is turned by Juvenal into a parody of a male consilium.66 The first woman in consilio is a retired hairdresser of the lady’s mother, who is now involved in wool-making, possibly as a lanipenda.67 She is the senior member of the ‘council’ and has the prima sententia68 (498). After her those junior in age and skill will give their opinions (censebunt 500), as if someone’s reputation or life were at stake (tamquam famae dis64) Cf. N. Kampen, Image and Status: Roman Working Women in Ostia (Berlin 1981) fig. 50; W. Helbig, Wandgemälde der vom Vesuv verschütteten Städte Campaniens (Leipzig 1868) nos. 1436–7 (1436 is discussed by Kampen 149 f.). 65) Also Mart. 2,66, where the mistress bears the meretrix-name Lalage. 66) Either the senate, which at this period judged serious criminal cases (cf. 500–1 censebunt, tamquam famae discrimen agatur / aut animae; sententia prima [498] and censere are technical terms from senatorial proceedings), or else the consilium principis, as in Satire 4: for sententia with reference to the members of this council being asked for their opinions, cf. Plin. Ep. 4,22,3; Juvenal uses censere at Sat. 4,130 (quidnam igitur censes? conciditur? [sc. rhombus]). In favour of the latter interpretation, the hairdresser who leads the proceedings is said to have been the slave of the matrona’s mother: cf. the comment of J. Ferguson (ed.), Juvenal. The Satires (New York 1979) on materna (497), that a councillor might serve under more than one emperor. 67) Given that the job of lanipenda was managerial (cf. n. 48 above), it may well have been given to a retired or older slave. 68) Courtney (n. 4 above) ad loc. says that this is because she is the princeps senatus, the senior senator. But according to R. J. A. Talbert, The Senate of Imperial Rome (Princeton 1984) 164, this title was taken over by Augustus and probably by subsequent emperors. Under the empire, the first person to be asked for their sententia, after any consuls designate, would have been the senior ex-consul (cf. the description of Juvenal’s hairdresser as emerita). If, on the other hand, Juvenal has in mind the consilium principis, then the hairdresser is playing the rôle of the senior member of the council (the order in which sententiae were given is uncertain, but seniority seems a feasible criterion). For the procedure in the consilium principis see J. Crook, Consilium Principis (Cambridge 1955) 112; F. Millar, The Emperor in the Roman World: 31BC–AD 337 (London 1977) 228–40.
392
P a t Wa t s o n
crimen agatur / aut animae 500 f.), such importance does the matrona attach to her appearance. The hairstyle itself has provoked controversy. Courtney comments that the elaborate coiffure, popular under the Flavians, was going out of fashion by this period.69 But this woman is described as contemporary, and the picture would lose all impact if Juvenal’s readers were not familiar with it from recent experience.70 Several recent scholars have, in fact, argued for a continuation of the style under Trajan.71 For instance, Eric Varner discusses a portrait type of Domitia as an older woman, issued in the Trajanic period.72 In any case, the hairstyle was hardly a sign of feminine decadence, being worn by members of the imperial family. Under Juvenal’s pen, however, it not only encapsulates female vanity but is linked closely to the theme of adultery: specifically at the beginning (487 f.) and end (507) of the section. The ridicule of the hairstyle reaches its climax as the poet focuses attention on how the wearer’s height is exaggerated to heroic proportions (an Andromache) when seen from the front, while she appears a different person when viewed from the back. The effect is exacerbated, says Juvenal, if the woman is especially tiny, small69) The style is called Flavianic by others e. g. Balsdon (n. 12 above) 256 and N. Goldman, Reconstructing Roman clothing, in: Sebesta and Bonfante (n. 12 above) 236 f. 70) For a different slant on the apparently Domitianic colouring of much of Juvenal’s first two books, see Freudenburg (n. 3 above) 209–77, esp. 214 f.: “this is satire in a time-warp, making up for all the satires never written in the last twenty years or more”. 71) I am assuming that the Satire was written towards the end of Trajan’s reign (116) or shortly after the succession of Hadrian in 117 (cf. Braund [n. 25 above] 21): there is a reference at 411 to an apparently recent earthquake in Antioch which can be dated to December 115. A Hadrianic date for Books 1 and 2 is argued by A. Hardie, Juvenal, Domitian, and the Accession of Hadrian (Satire 4), Bulletin of the Institute of Classical Studies 42, 1997–8, 117–44 and id., Name-Repetitions and the Unity of Juvenal’s First Book, Scholia 8, 1999, 52–70: cf. S. H. Braund, Juvenal – Misogynist or Misogamist?, JRS 82, 1992, 71–86 at 82 nn. 92, 93. 72) E. R. Varner, Domitia Longina and the Politics of Portraiture, American Journal of Archaeology 99, 1995, 187–206 at 203–5; cf. P. Virgili, Acconciature e maquillage (Rome 1989) 41, 47; E. d’Ambra in: Kleiner and Matheson (n. 15 above) 104; D. E. E. Kleiner in: D. E. E. Kleiner and S. B. Matheson (edd.), I Claudia: Women in Ancient Rome, New Haven 1996, 169–1 (fig. 124) shows a portrait of a woman with a towering hairstyle from Egypt dating from the Hadrianic period and comments that the hairstyle, from the Flavianic and Trajanic periods, shows that imperial portraits were still influential even outside Italy among aspiring women.
A matrona Makes Up
393
er than a young Pygmy girl in her bare feet (cf. nullis adiuta coturnis 506), who is obliged to stand on tiptoe in order to be kissed. The phrase nullis adiuta coturnis ‘when not assisted by coturni’ seems to imply that she d o e s wear this type of footwear – presumably she takes them off along with her clothes when with her lover. The passage would have amused Juvenal’s contemporary readers for several reasons. The general Roman propensity to laugh at physical deformities, including smallness of stature, is wellknown;73 moreover, Pygmies were intrinsically amusing to the Romans, to judge from the parodic scenes often shown in painting and other works of art.74 Next, the mention of coturni. This has been invoked as demonstration that Roman women wore the coturnus, the high-platformed shoe worn by Tragic actors to enhance their size.75 If so, however, it would be the only clear evidence,76 and an alternative explanation may be suggested. Even if women didn’t wear coturni as such, they m a y have worn thick-soled shoes to enhance their height, like the wife of Ischomachus in Xenophon’s Oeconomicus (10,2). Although there is no direct evidence for this, the price list of footwear for both sexes in Diocletian’s Edict is suggestive.77 As well as calcei muliebres, there is a special kind of oxhide sandal which when worn by women came in two versions: taurinae monosoles and taurinae bisoles. Clearly the double-soled sandals would have been increased the woman’s height (coturni had as many as five layers of soles78). It is possible, then, that women wore shoes with thicker soles if they wished to appear taller, but that Juvenal describes such shoes by the term coturni in order to 73) Cf. R. Garland, The Eye of the Beholder: Deformity and Disability in the Graeco-Roman World (London 1995) 48–50, 73–86. 74) Cf. J.-P. Cèbe, La caricature et la parodie dans le monde romain antique des origines à Juvénal (Paris 1966) 345–54. 75) Cf. n. 2 above. The allusion to Andromache might prepare the way, since an actor playing this rôle would wear coturni. On coturni worn by Tragic actors see also N. Goldman, Roman Footwear, in: Sebesta and Bonfante (n. 12 above) 101–29 at 125. 76) Venus, in the guise of a huntress, when mistaken for Diana by Aeneas, tells him virginibus Tyriis mos est gestare pharetram / purpureoque alte suras vincire coturno (Virg. Aen. 1,336–7), and the coturnus is part of Diana’s hunting attire at Ecl. 7,32 puniceo stabis suras evincta coturno, but these passages do not seem relevant: hunting was not an occupation of Roman matronae. 77) Edict of Diocletian 9,5–25, conveniently reproduced by Goldman (n. 75 above) 127 n. 5. 78) Morrow (n. 2 above) 122, 131 pl. 111a and b.
394
P a t Wa t s o n
invoke the humorous image of the woman towering on stilts (as would a tragic actor playing Andromache, with whom she has already been compared).79 The allusion to the footwear of the Tragic actor also calls to mind the disgraceful associations of the acting profession,80 thus continuing the theme that womanly concern with appearance is morally dubious. Finally, in the same connection, the woman’s attempts, by the wearing of elevated shoes, to disguise her lack of height, is a further example of Juvenal’s identifying his matrona with the meretrix of Comedy and Elegy: we may be meant to think of a well-known passage from the Comedian Alexis (fr. 103 K.-A.) which describes how courtesans, as a ploy to disguise shortness, put bits of felt inside their shoes. Moreover, in erotic contexts smallness of stature was not merely risible but a flaw which needed to be concealed from a lover if possible (cf. Ov. A. A. 3,263–6 si brevis es, sedeas, ne stans videare sedere) or conveniently overlooked by the lover himself through euphemistic descriptions such as Chariton mia or tota merum sal (Lucr. 4,1162). To conclude and summarise: in the Sixth Satire, Juvenal presents a picture of Roman women which ranges from extreme fantasy (as in the final lines of the Satire), to a depiction which, though clearly hyperbolic, relies for its humorous effect on having a basis in ordinary life to which the reader can relate. A detailed examination of a passage has shown how this distortion of the everyday works. In the sections on the woman’s toilette, the everyday is transformed by being placed in a context of immorality, since the cosmetics and hairdo are undertaken for the benefit of a lover. This is reinforced by juxtaposing jewellery and cosmetics in such a way as to evoke traditional moralising connections between adornment and adultery, by intertextual allusions to Elegy which associate the matrona with a meretrix, and by implicit associations such as that with Poppaea, or in the case of the coturni, with the immorality of the stage. The effect is also reinforced by parody (e. g. of a male consilium) and humour, as in the ridiculous descriptions of the 79) Cf. the illustrations in M. Bieber, The History of the Greek and Roman Theatre (Princeton 21961) 231 fig. 773, 243 fig. 799. 80) Earlier in the Satire, Juvenal emphasised women’s propensity to fall in love with actors. For the immorality associated with the stage and with actors, cf. C. Edwards, The Politics of Immorality in Ancient Rome (Cambridge 1993) 123–31.
A matrona Makes Up
395
woman’s husband getting stuck in her makeup, or the short woman on her tiptoes. In the section on the beating of the slaves, a common situation – punishment of slaves – is given sinister undertones by placing it in a sexual context: the woman’s sexual promiscuity is suggested by making her ill-temper derive from her husband’s sexual neglect. The distortion here also involves placing a relatively unusual situation (the beating) in the middle of banal, everyday activities, so that the unusual is given an air of the quotidian. In sum, the passage discussed demonstrates a Satiric technique in which the everyday is distorted in such a way that essentially inoffensive activities such as a lady’s toilette become vehicles for both ridicule and moral condemnation. The everyday nature of these activities allows all matronae to be included, to reinforce the point that the contemporary decline in moral standards, where married woman are concerned, is all-embracing. Sydney
P a t Wa t s o n
IL BILINGUISMO DI VALENTINIANO I La cultura di Valentiniano I sembra avere raggiunto un livello superiore alla media, soprattutto in relazione all’ambiente militare; Ammiano Marcellino e l’Epitome de Caesaribus accordano largo spazio alle attività e alle doti intellettuali di Valentiniano, mostrando una tale consonanza, da conferire alle notizie tramandate una credibilità assai alta. Amm. 30,9,4 boni prauique suasor et desuasor admodum prudens, militaris rei ordinum scrutantissimus, scribens decore uenusteque pingens et fingens, et nouorum inuentor armorum, memoria sermoneque incitato quidem sed raro facundiae proximo uigens.1 Epit. de Caes. 45,5–6 Hic Valentinianus fuit [. . .] sollers ingenio, animo grauis, sermone cultissimus, quamquam esset ad loquendum parcus [. . .] et in his, quae memoraturus sum, Hadriano proximus: pingere uenustissime, meminisse, noua arma meditari, fingere cera seu limo simulacra, prudenter uti locis, temporibus, sermone.
Ammiano e l’Epitome de Caesaribus in realtà danno la preminenza a sfumature divergenti sulle capacità oratorie di Valentiniano I; infatti Ammiano gli accorda energia espressiva, incitato quidem, ma omette totalmente l’estrema cura dell’imperatore per la forma della comunicazione verbale, sermone cultissimus (giudizio implicitamente riferito anche ai discorsi ufficiali), e interpreta in senso denigratorio la sua parsimonia in fatto di parole, ad loquendum parcus, specificando con diligente malignità che egli si avvicinava raramente alla vera eloquenza: s e d raro facundiae proximo, dove raro è avverbio modale, e determina proximo aggettivo attributivo di sermone. La concordanza sostanziale di Ammiano e dell’anonimo biografo conferma perlomeno il succo delle lodi adulatorie, che Simmaco nel suo panegirico del 370 d. C. tributa a Valentiniano I come 1) Tutte le mie citazioni delle Res Gestae seguono l’edizione critica di Charles Upson Clark, Ammiani Marcellini Rerum Gestarum libri qui supersunt. Recensuit rhythmiceque distinxit C. U. C. adiuuantibus Ludouico Traube et Guilelmo Heraeo, I, Berolini 1910; II 1, Berolini 1915 (ristampe anastatiche: in due volumi, Berlin 1963; due volumi in un unico tomo, Hildesheim 2001).
Il bilinguismo di Valentiniano I
397
restitutor litterarum2; anche un accenno molto favorevole di Ausonio in verità sembra immune da eccessi di cortigianeria3. Se diamo pieno credito alla testimonianza incidentale del poeta e professore aquitano, l’imperatore doveva avere un’ottima conoscenza dei poemi virgiliani e dell’esametro latino; ciò suggerisce di attribuirgli almeno un’educazione accurata ed efficace alla scuola di un grammaticus. Il solo Zosimo dà un giudizio negativo sull’istruzione di Valentiniano, cui non viene riconosciuta la minima cultura4; ma egli risente di un pregiudizio ideologico, che era dovuto all’assunzione implicita di Giuliano quale termine di paragone5. Ciò che Zosimo in realtà nega al cristiano Valentiniano, è il possesso di una cultura fondata sui classici greci ed ispirata ai valori tradizionali dell’ellenismo tardoantico. Il livello culturale di Valentiniano trova un termine analogo di paragone nell’istruzione letteraria, che è attribuita ad un altro ufficiale e imperatore romano, Teodosio iunior; può sembrare un paradosso, ma proprio il nativo di una provincia militare per antonomasia6, il pannone Valentiniano7, sembra avere posseduto una cultura superiore a quella dell’ispanico Teodosio iunior, nato in una provincia molto più romanizzata8, dux limitis già a ventotto anni9, figlio di un illustre generale, Teodosio il Vecchio10, e nominato imperatore a soli trentatre anni. La stessa Epitome de Caesaribus, che rappresenta la versione occidentale della propa2) Symm. Or. 2,29–30. 3) Auson. Cento nupt., Ausonius Paulo sal. Sanctus imperator Valentinianus, uir meo iudicio eruditus, nuptias quondam eiusmodi ludo descripserat, aptis equidem uersibus et compositione festiua. 4) Zos. 3,36,2 pol°mvn d¢ metasxΔn oÈk Ùl¤gvn paideÊsevw oÈdemiçw metesxÆkei (si noti l’antitesi tra litote ed aggettivo pronominale, oÈk Ùl¤gvn ~ oÈdemiçw). 5) Sulla cultura di Giuliano, cfr. il giudizio di Zos. 3,1,3; 3,2,1; 3,8,2. 6) Cfr. la «predestinazione etnica» del dalmata Diocleziano e del pannone Massimiano alla militia: Pan. Lat. 10,2,2 e 4 Mynors (il solo Massimiano); Pan. Lat. 11,3,9 Mynors (entrambi gli imperatori). 7) Valentiniano e suo fratello Valente erano nati a Cibalae / Vinkovci in Pannonia II: Lib. Or. 19,15 e 20,25; Zos. 3,36,2; Hier. Chron. CCLXXXV Olymp., Iouiani I, 244 Helm; Socr. 4,1 = PG LXVII, 464; Philostorg. 8,16 = PG LXV, 568. 8) Zos. 4,24,4 YeodÒsion, §k m¢n t∞w §n ÉIbhr¤& Kalleg¤aw, pÒlevw d¢ KaÊkaw ırm≈menon; Hyd. 2 = Chron. Min. II, 14 Mommsen. 9) Teodosio era dux Moesiae I nel 374 d. C.: Amm. 29,6,15; Zos. 4,16,6. 10) Teodosio il Vecchio fu dux limitis di Valeria, Pannonia II o Moesia I sotto Costanzo II negli anni 358–359 d. C. (Pacato, Pan. Lat. 2,5,2 Mynors), comes Britanniarum ovvero litoris Saxonici nel 368–369 (Amm. 27,8,3 e 6–10; 28,3,1–8), e dall’autunno 369 d. C. magister equitum praesentalis di Valentiniano I (28,3,9).
398
Maurizio Colombo
ganda teodosiana sotto il regno di Onorio, più precisamente tra il 395 e il 408 d. C., preferisce stendere un velo eufemistico ed adulatorio sui modesti risultati dell’imperatore ispanico nel campo della cultura letteraria: Litteris, si nimium perfectos contemplemur, mediocriter doctus; sagax plane multumque diligens ad noscenda maiorum gesta11. I dati anagrafici e il curriculum di Valentiniano sono completamente diversi, e in un confronto diretto creano un vistoso contrasto; egli fu eletto imperatore dopo ventisei anni o anche più di militia12, aveva il grado di tribunus uexillationis a trentasei anni, venne promosso a tribunus scholae II Scutariorum a quarantadue o quarantatre anni13, poco prima di essere eletto imperatore, infine era figlio di Graziano maior, un comes rei militaris ordinis primi plebeo ed emerso dai ranghi14. Alla luce complessiva di questi dati deve essere valutato il famoso episodio della legatio epirota a Valentiniano I, che nella tarda primavera-estate 375 d. C. risiedé a Carnuntum in Pannonia I per necessità belliche15: Amm. 30,5,8–10 Ad prouincialium residuorum exemplum etiam Epirotae acturos sibi gratias a praefecto mittere compulsi legatos Iphiclen quendam philosophum, spectatum robore pectoris hominem, adegere (non sponte propria) pergere ad id munus implendum. Qui cum imperatorem uidisset, agnitus aduentusque sui causam interrogatus, G r a e c e respondit, atque ut philosophus ueritatis professor, quaerente curatius principe, si hi qui misere ex animo bene sentiunt de praefecto, «gementes» inquit «et inuiti». Quo ille uerbo tamquam telo perculsus, actus eius 11) Epit. de Caes. 48,11. 12) Valentiniano era nato nel 321 d. C., come si ricava da Amm. 30,6,6; l’età minima per l’arruolamento era venti anni (C. Theod. 7,22,2, 326 d. C.), ovvero diciannove (C. Theod. 7,13,1, 353 d. C.), ovviamente contati secondo il calcolo inclusivo dei Romani, e corrispondenti a diciannove ovvero diciotto anni della nostra anagrafe. Il futuro imperatore, soldato ab ineunte adulescentia (cfr. Amm. 26,2,6 e 30,7,4), dové arruolarsi nel 335/338 d. C.; il suo conterraneo Martino di Sauaria in Pannonia I, meglio noto come Martino di Tours, figlio di un ex-tribunus, sotto Costanzo II fu reclutato negli scholares all’età precocissima di quindici anni (Sulp. Sev. Mart. 2,1–2 e 5), e l’oscuro Flauius Flori[nus] o Flori[anus] si arruolò a diciotto anni (CIL XIII, 1855 = ILCV 1574), che secondo il nostro computo corrispondono rispettivamente a quattordici e diciassette anni. 13) Amm. 16,11,6 e 25,10,9. 14) Amm. 30,7,2–3; cfr. Epit. de Caes. 45,2. Graziano il Vecchio, padre di Valentiniano, era nato a Cibalae, e all’apice della carriera fu nominato prima comes Africae, poi comes Britanniarum. 15) Amm. 30,5,2 e 11.
Il bilinguismo di Valentiniano I
399
ut sagax bestia rimabatur, g e n u i n o p e r c u n c t a n d o s e r m o n e q u o s n o s c i t a b a t , ubinam ille esset (uerbi gratia) honore suos antecellens et nomine, uel ille diues, aut alius ordinis primus. Cumque disceret perisse aliquem laqueo, abisse alium trans mare, consciuisse sibi alium mortem, aut plumbo uita erepta extinctum, in immensum excanduit, urente irarum nutrimenta tunc officiorum magistro Leone (pro nefas!), ipso quoque praefecturam, ut e celsiore scopulo caderet, adfectante. Quam si adeptus rexisset, prae his quae erat ausurus, administratio Probi ferebatur in caelum.
Credo opportuno concedere un breve spazio alla critica testuale e all’esegesi linguistica della frase evidenziata con la spaziatura. In primo luogo qui il Vaticanus Latinus 1873 o codex Fuldensis esibisce una palese corruttela (quod non scitabat VG Sabbah, quod noscitabat EA Seyfarth 1978, quos noscitabat Valesius in adn. Gardthausen Clark Seyfarth 1971), che somma tre errori molto comuni in quel manoscritto, cioè la confusione tra le varie forme del pronome relativo (ad esempio, ancora a 30,5,10 Quo] quod V, quo EAG edd.), l’erroneo scioglimento della scriptio continua e l’integrazione arbitraria di no in non (correzione semidotta); perciò la congettura di Henri de Valois quos noscitabat, giustamente recepita nelle edizioni di Viktor Gardthausen e di Charles Upson Clark, appare sicura senza il minimo dubbio, visto che rispetta i criteri di emendatio frequentemente applicati al testo ammianeo del Fuldensis. Inoltre l’uso isolato di noscito, al posto del consueto nosco, è pienamente giustificato tanto dal senso quanto dalla clausula; il verbo frequentativo esprime in maniera efficace la situazione narrativa (Valentiniano riconosce e conosce alcuni dei presenti), e permette di ottenere un cursus uelox, che marca debitamente il passaggio sintattico alle tre proposizioni interrogative indirette coordinate. Poi le traduzioni di John Carew Rolfe16, Wolfgang Sey17 farth e Otto Veh18 sono parimenti errate; Ammiano spesso è ellittico, ma qui si presuppone un’oscurità sintattica che gli è 16) Ammianus Marcellinus, with an English translation by J. C. Rolfe, III, London / Cambridge, Mass. 1939, 341: «asking Iphicles in his native tongue about people whom he personally knew». 17) Ammianus Marcellinus. Römische Geschichte, Lateinisch und Deutsch und mit einem Kommentar versehen von W. Seyfarth, IV. Teil: Buch 26–31, Berlin 1971, 221: «In seiner Muttersprache fragte er den Iphikles nach Leuten, die er kannte». 18) Ammianus Marcellinus, Das römische Weltreich vor dem Untergang. Sämtliche erhaltene Bücher, übersetzt von O. Veh, eingeleitet und erläutert von G. Wirth, Amsterdam 1997, 690: «und fragte in seiner Muttersprache Iphikles nach alten Bekannten».
400
Maurizio Colombo
completamente estranea, e si attribuisce a percontor / percunctor una costruzione priva di riscontri in tutta la letteratura latina (cfr. ThlL X 1, 1220, 44–1222, 48): oltre all’accusativo sottinteso della persona interrogata (Iphiclen o eum), allo stesso tempo l’accusativo della cosa domandata e una proposizione interrogativa indiretta! L’usus scribendi dello storiografo depone a favore della mia esegesi, Valentinianus prouincialium qui aderant sibi notos percontabatur; infatti percontor / percunctor ha un’uguale e regolare costruzione, cioè accusativo della persona interrogata e proposizione interrogativa indiretta, già in Amm. 28,6,16 Qui Seuerum apud Carthaginem inuentum et Flaccianum, superiores illos legatos, percontando quid egerint, cognouerunt eos audiri a uicario iussos et comite. Sono possibili due interpretazioni dell’episodio, l’una incompatibile con l’altra; infatti la mia tesi si oppone radicalmente all’opinione vulgata. Se accettiamo l’opinione di Walter Heering19, Ernst Stein20 e Andreas Alföldi21, Valentiniano avrebbe autonomamente compreso Iphicles, rispondendogli nella s t e s s a lingua, e poi avrebbe interpellato i presenti genuino sermone, cioè parlando i n l a t i n o e i n g r e c o , poiché allora l’Illyricum si suddivideva in due dioeceses latine, Pannoniae e Dacia, ed in una dioecesis greca, Macedonia22. Costantino, nato da padre meso e madre bitinica a Naissus nella Dacia cisdanubiana23, e ufficiale scelto di cavalleria nell’esercito dioclezianeo almeno per un decennio24, offre un termine omologo di confronto anche per il presunto bilinguismo latino / 19) W. Heering, Kaiser Valentinian I., Diss. Jena 1927, 65. 20) E. Stein, Geschichte des spätrömischen Reiches, Wien 1928, 267 n. 2. 21) A. Alföldi, A Conflict of Ideas in the Late Roman Empire. The Clash between the Senat and Valentinian I, Engl. Transl., Oxford 1952, 122 e n. 1: «It is a fact that Valentinian had a good knowledge of Greek, but no Greek education» (ma in n. 2 Alföldi confonde Valentiniano Galate, figlio di Valente e reale destinatario di Them. Or. 9, con Valentiniano II, figlio di Valentiniano I!). 22) Sull’estensione dell’Illyricum fino al 387 d. C., cfr. A. H. M. Jones, Il tardo impero romano (284–602 d. C.), I, trad. it., Milano 1974, 170 e 452. 23) Sull’origo generica di Costanzo, cfr. Iul. Misop. 348 D; sull’origo specifica di Costantino, cfr. Anon. Val. p. pr. 2 natus Helena matre uilissima in oppido Naisso atque eductus. Città natale di Elena: Proc. De aedif. 5,2,1. 24) Lact. De mort. pers. 18,10 (tribunus ordinis primi nel comitatus di Diocleziano); Pan. Lat. 7,5,3 Mynors; Anon. Val. p. pr. 2–3; cfr. anche Pan. Lat. 6,3,3 Mynors.
Il bilinguismo di Valentiniano I
401
greco di Valentiniano. Benché Publilio Optaziano25, Eutropio26 e l’Epitome de Caesaribus27 accordino calorosi elogi alla cultura e alle attività intellettuali di Costantino, almeno una fonte contemporanea esprime incisivamente l’effettivo livello dell’educazione costantiniana con l’espressione eufemistica litteris minus instructus28. Eusebio di Cesarea raffigura l’imperatore come capace di discutere in greco con i vescovi orientali al Concilio di Nicea29, e una legge di Costantino riproduce fedelmente il disinvolto dialogo tra lui stesso in veste di giudice e una querelante ellenofona, cui egli risponde parlando in latino30. Due notizie contribuiscono a chiarire la reale natura del bilinguismo costantiniano; infatti Costantino doveva farsi tradurre in latino i trattati teologici, che Eusebio di Cesarea gli inviava31, e Strategius / Musonianus fece una splendida carriera grazie al suo perfetto bilinguismo, che gli aveva permesso di rendere grandi servizi all’imperatore proprio nel campo delle questioni religiose32: la familiarità di Costantino con la lingua greca sembra restringersi all’ambito del greco parlato. La ricerca può essere ulteriormente approfondita, segnalando anche i riferimenti alla netta preferenza di Costantino per la lingua latina; egli non solo emanò in latino le leggi a favore dei Cristiani33, ma adoperò la sua madrelingua anche per le sacrae litterae indirizzate ai vescovi34, e addirittura pronunciò in latino 25) Opt. Porf. Epist. 6 qui [. . .] etiam Musis tibi familiaribus plaudis, ut inter tot diuinae maiestatis insignia, quibus et inuictus semper et primus es, huius etiam studii micet splendor egregius. 26) Eutr. 10,7,2 ciuilibus artibus et studiis liberalibus deditus. 27) Epit. de Caes. 41,14 commodissimus tamen rebus multis fuit: [. . .] nutrire artes bonas, praecipue studia litterarum, legere ipse scribere meditari audire legationes et querimonias prouinciarum. 28) Anon. Val. p. pr. 2. 29) Eus. Vita Const. 3,13 = PG XX, 1069 prãvw te poioÊmenow tåw prÚw ßkaston ımil¤aw, ÑEllhn¤zvn te tª fvnª ˜ti mhd¢ taÊthw émay«w e‰xe. 30) C. Theod. 8,15,1. 31) Eus. Vita Const. 4,35 = PG XX, 1184. 32) Amm. 15,13,1–2 facundia utriusque sermonis clarus. 33) Eus. Hist. Eccl. 10,5 = PG XX, 880; Vita Const. 2,47 = PG XX, 1025. Costantino continuò a servirsi di un magister epistularum Graecarum, visto che Eus. Vita Const. 2,23 = PG XX, 1000, attribuisce all’imperatore l’invio di lettere ufficiali diå xaraktÆrvn ÑRvma¤aw te ka‹ ÑEllhn¤dow fvn∞w. 34) Eus. Hist. Eccl. 10,2 = PG XX, 845.
402
Maurizio Colombo
anche il discorso d’apertura del Concilio niceno35. Inoltre l’imperatore aveva composto in latino la preghiera domenicale, che egli aveva prescritto ai soldati pagani dell’esercito orientale dopo la vittoria su Licinio36, ed era solito redigere personalmente in latino i suoi lÒgoi d’argomento religioso, facendoli poi tradurre in greco37. Tutto ciò si accorda alla perfezione con le informazioni su famiglia e carriera militare di Costantino, che aveva una madre ellenofona, e in qualità di giovane ufficiale al seguito di Diocleziano trascorse alcuni anni nelle province ellenofone dell’Oriente romano38; si può dunque concludere che Costantino apprese il greco colloquiale in età giovanile, ma non volle (o non poté) estendere oltre la sua competenza linguistica in fatto di lingua greca. Egli era di madrelingua latina, condivideva pienamente le ragioni del predominio del latino quale lingua ufficiale (in primis il rapporto diretto con l’esercito), e si accontentava di un bilinguismo limitato nelle basi e modesto nei risultati. Se si ammette con Heering, Stein e Alföldi che Valentiniano I fosse capace di comprendere e parlare il greco, il bilinguismo del futuro imperatore può risalire soltanto al suo servizio nelle province orientali dal 360 al 363 d. C.39; ma un solo triennio di dislocazione nell’Oriente romano mi sembra una base molto dubbia, per attribuire a Valentiniano la conoscenza del greco colloquiale. In verità mi appare legittima anche un’esegesi diversa del dialogo tra Valentiniano e il filosofo epirota Iphicles; infatti Temistio, nel suo panegirico del 364 d. C. a Valentiniano e Valente, menziona espli35) Eus. Vita Const. 3,13 = PG XX, 1069 ÑO m¢n dØ taËtÉ efipΔn ÑRvma¤& gl≈tt˙, ÍfermhneÊontow •t°rou; Soz. 1,19 = PG LXVII, 920 ToiaËta tª ÑRvma¤vn fvnª toË basil°vw efipÒntow, parest≈w tiw ≤rmÆneuen. 36) Eus. Vita Const. 4,19 = PG XX, 1168 Ka‹ t∞w eÈx∞w d¢ to›w strativtiko›w ëpasi didãskalow ∑n aÈtÒw, ÑRvma¤& gl≈tt˙ toÁw pãntaw œde l°gein §gkeleusãmenow. 37) Eus. Vita Const. 4,32 = PG XX, 1181 ÑRvma¤& m¢n oÔn gl≈tt˙ tØn t«n lÒgvn suggrafØn basileÁw pare›xe: met°ballon dÉ aÈtØn meyermhneuta‹ fvnª tª ≤met°r& oÂw toËto poie›n ¶rgon ∑n. 38) Sul greco nella metà orientale dell’impero, cfr. Hier. in Gal. 2,3 = PL XXVI, 357 sermone Graeco, quo omnis Oriens loquitur; A. H. M. Jones, Il tardo impero romano (284–602 d. C.), III, trad. it., Milano 1981, 1451–1454. 39) Philostorg. 7,7 = PG LXV, 545 tå froÊria t∞w Mesopotam¤aw; Thdt. Hist. Eccl. 4,5 = PG LXXXII, 1129 froÊrion [. . .] parå tØn ¶rhmon ke¤menon; Soz. 6,6 = PG LXVII, 1308 tØn MelitinØn t∞w ÉArmen¤aw (il presunto esilio di Valentiniano è un pio errore di Sozomeno, come dimostrerò in altra sede).
Il bilinguismo di Valentiniano I
403
citamente gli interpreti, che provvidero a tradurre simultaneamente le sue parole ad entrambi gli imperatori40. Io penso che nel 375 d. C. Valentiniano abbia dialogato con Iphicles appunto attraverso un interprete, che nella narrazione ammianea dell’episodio sparisce a beneficio dell’efficacia drammatica; l’imperatore d’Occidente era un Pannone41, e conosceva personalmente alcuni dei presenti (quos noscitabat), che egli interrogò nel corso di un’udienza pubblica in una città della Pannonia I. Quindi la chiara espressione genuino sermone può significare soltanto che in quell’occasione Valentiniano rivolse la parola ai suoi conoscenti in dialetto pannonico. Il dettaglio realistico del genuinus sermo si inquadra perfettamente nella caratterizzazione barbarica e ferina di Valentiniano I da parte di Ammiano Marcellino42, che attraverso una comparazione esplicita e vivida, ut sagax bestia, anche in questo passo ribadisce i tratti dominanti del ritratto imperiale. Anche l’uso apparentemente neutrale dell’aggettivo sagax qui concorre a rappresentare in modo deteriore Valentiniano, equiparandolo implicitamente agli avvocati orientali43, e soprattutto agli stessi Sarmati, che l’anno prima avevano invaso e devastato la Pannonia II44. Il paragone con le generiche bestiae o ferae (anche indiretto attraverso l’aggettivo ferinus), ovvero con specifici animali, è speso da Ammiano soprattutto per i Romani «cattivi» (trenta occorrenze), ma compare anche nella rappresentazione dei barbari, soprattutto in 40) Them. Or. 6,71C–D. Cfr. anche Or. 8,105C–106A e 9,126B (Valente non sa il greco); 11,144 C–D (interprete latino di Valente per i discorsi di Temistio). 41) La strana e inconsistente tesi di Otto Seeck, che riteneva l’imperatore d’Occidente un Germano, ancora influenza A. Nagl, Valentinianus I, RE VII A 2 (1948) 2159: «Vielleicht entstammt er der illyrisch-keltischen Bevölkerung oder einem der seit Jahrhunderten zuflutenden Germanenstämme; seine Beschreibung bei Ammian (blond, blauäugig, hoch gewachsen) spricht jedenfalls dafür». Io preferisco seguire l’opinione di Alföldi (come in n. 21) 9: «His yellow hair, his blue eyes, and his great height are Indo-germanic, bearing in all probability the stamp of the Illyro-Celtic population of that region». Sull’aspetto fisico e l’origine romana di Valentiniano, cfr. le osservazioni generali di F. Paschoud, Valentinien travesti, ou: De la malignité d’Ammien, in: J. den Boeft, D. den Hengst, H. C. Teitler (eds.), Cognitio Gestorum. The Historiographic Art of Ammianus Marcellinus. Proceedings of the Colloquium, Amsterdam 26–28 August 1991, Amsterdam 1992, 67–68. 42) Cfr. soprattutto Amm. 27,7,4–9 e 29,3,2–9. 43) Amm. 30,4,8 ut Spartanos canes aut Cretas uestigia sagacius colligendo ad ipsa cubilia peruenire causarum. 44) Amm. 29,6,14 sagacissimi.
404
Maurizio Colombo
quella dei Goti45; tra i personaggi romani la maggiore concentrazione dell’artificio retorico investe proprio il gruppo etnico dei Pannoni: Valentiniano46, suo fratello Valente47, soprattutto Massimino48, nato a Sopianae in Valeria49, Leone50 e Valentino51, cognato di Massimino. Valentiniano52, Valente53 e Massimino54 sono gli unici Romani esplicitamente nominati che vengono definiti con l’aggettivo ferus o il sostantivo astratto feritas55; Ammiano applica prevalentemente entrambe le parole a tutte le tribù dei barbari e ai Persiani. Quindi egli ritrae in maniera sistematica e implicita gli odiati Pannoni come la versione cisdanubiana dei Germani o dei Sarmati, per indurre il lettore a condividere i suoi pregiudizi, e a ritenere verosimili le sue accuse. L’aggettivo genuinus qui ha la medesima accezione, cioè «pertinente al proprio hominum genus, peculiare per nascita, nativo», che riscontriamo in altri undici passi delle Res Gestae56; quattro occorrenze dell’aggettivo mi sembrano specialmente significative sul piano semantico, per suffragare la mia esegesi dell’espressione ammianea genuinus sermo: Amm. 22,8,26 Hypanis fluuius, genuinis intumescens aquis et externis; 25,6,14 qui maxima prae ceteris flumina transmeare in regionibus genuinis a prima pueritia sunt instituti; 29,1,42 Maximus ille philosophus [. . .] Ephesum ad genuinam patriam ductus ibique capite truncatus; 31,2,18 et quocumque ierint, illic genuinum existimant larem57. La genuina ferocia e i ge45) Amm. 14,2,2 e 4,1; 16,5,17; 19,13,1; 22,8,42; 28,6,4 e 13; 31,2,2; 31,2,11; 31,2,18; 31,7,9; 31,8,9; 31,9,1; 31,15,2. Cfr. anche R. C. Blockley, Ammianus Marcellinus. A Study of his Historiography and Political Thought, Bruxelles 1975 (Coll. Latomus 141), 182. 46) Oltre a questo passo, anche 29,4,7. 47) Amm. 29,1,27. 48) Amm. 28,1,7; 28,1,10; 28,1,33; 28,1,38; 28,1,41. 49) Amm. 28,1,5. 50) Amm. 28,1,12. 51) Amm. 28,3,4. 52) Amm. 27,7,4 homo propalam ferus e 30,5,19 innata feritate concitus, ut erat immanis. 53) Amm. 29,1,10 prodigiosa feritas. 54) Amm. 28,1,33 homo ferus. 55) Paschoud (come in n. 41) 77. 56) Amm. 17,5,2 e 13,5; 19,11,1; 22,8,26; 25,6,14; 28,1,10 e 6,2; 29,1,42 e 6,3; 31,2,18; 31,6,5; 31,15,3. 57) Inoltre cfr. Apul. Met. 3,29 inter ipsas turbelas Graecorum genuino sermone nomen augustum Caesaris inuocare temptaui (probabile fonte della iunctura ammianea).
Il bilinguismo di Valentiniano I
405
nuini flatus che sono attribuiti al pannone Massimino (Amm. 28,1,10 e 29,6,3), esprimono in maniera coerente la profonda ostilità di Ammiano verso l’insieme dei Pannoni58, e rappresentano due termini di confronto diretto per la valenza implicitamente denigratoria, che lo storiografo assegna al genuinus sermo di Valentiniano. L’uso repentino del pannonico da parte dell’imperatore trova una spiegazione tanto logica e concreta, da corroborare l’autenticità del particolare; Valentiniano volle verificare subito l’attendibilità di Iphicles, e interpellò i suoi conoscenti nel comune dialetto, per ottenere informazioni veritiere sull’amministrazione della Pannonia, rendendo incomprensibili le sue domande e le loro risposte alle orecchie degli altri presenti, soprattutto all’italico Probo e ai suoi consiliarii. L’immediata indagine dell’imperatore appare essere un atto razionale e pratico; infatti dal 368 d. C. il praefectus praetorio Probo risiedeva a Sirmium59, e amministrava personalmente la dioecesis Pannoniarum, in primo luogo la Pannonia II (Sirmium era la metropolis provinciale e la capitale diocesana). Se il disagio degli Epiroti poteva essere attribuito al uicarius Macedoniae o al praeses dell’Epirus Noua ovvero Vetus, le condizioni materiali delle Pannoniae e soprattutto della Pannonia II spettavano sicuramente alla responsabilità diretta e personale di Probo60; forse l’ostilità feroce del magister officiorum Leone, anche lui un Pannone61, aveva ragioni molto differenti dall’ambizione, che Ammiano insinua come solo e unico movente delle sue manovre contro il praefectus praetorio. 58) L’unica eccezione in Amm. 27,3,11 Viuentius, integer et prudens Pannonius. 59) Nell’estate 374 d. C. la presenza di Probo a Sirmium è esplicitamente attestata durante l’invasione della Pannonia II a opera di Sarmati e Quadi (Amm. 29,6,9); alcune leggi di Valentiniano indirizzate ad Probum praefectum praetorio confermano la mia tesi. In primo luogo abbiamo C. Theod. 8,5,28 directa Sirmio il 28 Dicembre 368/370/373, e 15,1,18 proposita Sirmio il 26 Gennaio 374 d. C.; spesso i redattori del Codex Theodosianus hanno riprodotto erroneamente le subscriptiones, sostituendo data a accepta o proposita: C. Theod. 13,3,7, 19 Gennaio 369; 7,23,1, 6 Giugno 369; 7,4,16, 8 Aprile 370 o 373; 8,15,5, 3 Agosto 368/370/373. 60) Amm. 30,5,6 anche con evidenti riprese del lessico rinvia implicitamente alle accuse allusive contro Probo in 19,11,3, già concisamente anticipate a 17,3,3; dai tre brani ricaviamo che Probo fu accusato di avere torchiato spietatamente i provinciali illirici, soprattutto i Pannoni appartenenti a tutte le classi sociali: cfr. anche 30,5,7 parsurus [scil. Valentinianus] tamen fortasse Pannoniis. 61) Amm. 26,1,6 e 28,1,12.
406
Maurizio Colombo
La posizione sociale che il comes rei militaris ordinis primi Graziano il Vecchio e i conoscenti personali di Valentiniano I occupavano nelle province pannoniche, può essere ricavata dalle specifiche domande dell’imperatore (secondo la ricostruzione ammianea), ubinam ille esset (uerbi gratia) honore suos antecellens et nomine, uel ille diues, aut alius ordinis primus; la fascia alta degli honestiores pannoni è sommariamente suddivisa in nobiltà militare e amministrativa ex officio (alla quale apparteneva la famiglia dello stesso Valentiniano), grandi possidenti e curiales insigni62. Quindi è lecito ipotizzare che i ceti superiori della Pannonia praticassero un bilinguismo alternativo a quello dell’aristocrazia senatoria, soprattutto quando i notabili erano di nascita umile o modesta: nel caso di Valentiniano, figlio del plebeo Funarius63, latino / pannonico al posto di latino / greco. Rom
Maurizio Colombo
62) Cfr. anche Amm. 30,5,6 iuxta opulentas et tenues eneruatas succidere fortunas [. . .] optimatum quosdam. 63) Amm. 30,7,2 ignobili stirpe, accentua la marginalità sociale di Graziano il Vecchio rispetto alla versione benevola di Epit. de Caes. 45,2 mediocri stirpe. Cfr. le analoghe tradizioni sull’estrazione sociale degli imperatori illirici: il genuino meso e pannone fittizio Aureliano (Eutr. 9,13,1; Epit. de Caes. 35,1; HA, Aurel. 3,1–2 e 4,1), il pannone Probo, originario di Sirmium (Aur. Vict. 37,4; HA, Prob. 3,1), il dalmata Diocleziano (Aur. Vict. 39,5–6; Eutr. 9,19,2), e soprattutto l’altro pannone Massimiano, nato nelle vicinanze di Sirmium (Aur. Vict. 39,17; Eutr. 10,3,2; Epit. de Caes. 40,10).
ISAAC VOSSIUS, GOTTFRIED HERMANN ET L’ICTUS VOCAL
1. Introduction Pour qui s’intéresse à la poésie antique, et spécifiquement aux manifestations orales de celle-ci, la querelle de l’ictus vocal, toujours renaissante, depuis le débat qui a opposé Friedrich Nietzsche à son maître Friedrich Ritschl1, constitue une étape inévitable dans la réflexion. Cependant, je pense que le temps du bilan est venu, d’abord parce que la nécessité d’un rapport oral à la poésie devient moins évidente, ensuite parce que, comme l’a écrit Lucio Ceccarelli, dans un état de la question juste et mesuré, les partisans de l’existence de l’ictus vocal n’ont pas réussi à convaincre du bien-fondé de leurs thèses2. Par delà la simple polémique, certains auteurs, comme Ernst Kapp ou Dag Norberg, ont apporté au débat des éléments historiques qui doivent désormais servir de fondement à une exploration de la genèse de cette hypothèse philologique. L’apport des travaux de Dag Norberg a été de montrer que la lecture médiévale ne connaît pas la doctrine de l’ictus vocal, et se fonde surtout sur la prononciation des accents de mot3. Il convient donc de rechercher la naissance de cette doctrine au cours de la période de renouveau des études ouverte par l’Humanisme. L’apport d’Ernst Kapp a consisté à attribuer la paternité de l’ictus vocal au seul Gottfried Hermann (1772–1848), et, conséquemment, à en décharger Richard Bentley (1662–1742), dont le philologue de Leipzig se réclame pourtant en des termes explicites4. Dans le présent travail, je 1) W. Stroh, Arsis und Thesis oder: Wie hat man lateinische Verse gesprochen?, in: J. Leonhardt und G. Ott (Hrsg.), Apocrypha. Entlegene Schriften, Stuttgart 2000, 194. 2) L. Ceccarelli, Prosodia e metrica arcaica 1956–1990, Lustrum 33, 1991, 257–8. 3) D. Norberg, La récitation du vers latin, Neuphilologische Mitteilungen 66, 1965, 505. 4) E. Kapp, Bentley’s Schediasma De metris Terentianis and the modern doctrine of ictus in classical verse, Mnemosyne 9, 1941, 187–94.
408
Emmanuel Plantade
tente d’éclairer un peu plus la généalogie de l’ictus vocal, en comparant la pensée de G. Hermann avec celle d’un auteur de la fin du XVII° siècle qu’on évoque peu, Isaac Vossius (1618–1689), sans doute parce qu’il est le cinquième fils d’un humaniste illustre, Gerhard Vossius (1577–1649), dont l’héritage est quelque peu écrasant5. Je vais donc esquisser une série de parallèles thématiques entre le De poematum cantu et viribus rythmi, un traité latin paru à Oxford en 1673 (publié en allemand en 1759), et différents écrits de G. Hermann, afin de mettre au jour aussi bien la dette de celuici à l’égard de son devancier que son originalité irréductible. 2. Qu’est-ce que la poésie? Pour mieux comprendre l’invention de l’ictus vocal, il s’agit de prendre en considération la conception générale de la poésie qu’a formulée G. Hermann tout autant que son appréhension des faits antiques. Dès 1799, le philologue de Leipzig distingue la poésie (Dichtung) du simple parler (Redekunst) et de l’éloquence ornée (Beredsamkeit)6. Distinction en apparence banale, puisqu’elle fait écho à la tripartition défendue par Cicéron dans ses traités de rhétorique7. Toutefois, l’insertion de cette tripartition dans un traité de métrique renverse, selon moi, radicalement son sens. En effet, la tripartition cicéronienne reposait sur une volonté de dépassement du parler (oratio soluta) et de la poésie (oratio uincta), grâce à la promotion d’un troisième terme (oratio numerosa) qui ne devait retenir que les aspects positifs des deux autres. Ainsi, même si Hermann utilise une terminologie cicéronienne, sa pensée tend vers un horizon bien différent. Le but qu’il poursuit est bien indiqué dans une conférence postérieure, datée de 1803: constituer la poésie en idéal de la paro5) G. Hermann avait effectivement lu Isaac Vossius; cf. G.C. Lepscky, Il problema de l’accento latino. Rassegna critica di studi sull’accento latino, ASNP 31, 1962, 210 n. 30. 6) G. Hermann, Handbuch der Metrik, Leipzig 1799, XXIX. 7) Cf., par exemple, Cic. Or. 183–5; De orat. 3,171–7. Pour moi, il s’agit d’une réflexion à visée éthique, non pas d’une description de l’articulation du discours; contra J. Dangel, Imitation créatrice et style chez les Latins, in: G. Molinié, P. Cahné (éd.), Qu’est-ce que le style?, Paris 1994, 99–100.
Isaac Vossius, Gottfried Hermann et l’ictus vocal
409
le, dans une dynamique de recréation de la paideia hellénique. Pour ce faire, il s’attache à montrer que la poésie (poesis) est d’une essence différente de celle de la prose (prosa oratio), parce qu’elle est par nécessité liée au chant, et que, pour cette raison, elle vise la beauté (pulcritudo) et la gratuité (lusus)8. Une nouvelle fois, on pourrait ici se demander si Hermann ne reprend pas simplement la doctrine d’un auteur antique, en l’occurrence Quintilien, qui indique que la poésie est chant et que les poètes affirment chanter9. Cependant, malgré cette consonance obvie, je crois plutôt que le philologue de Leipzig est influencé par un interprète moderne du professeur de rhétorique, qui n’est autre qu’Isaac Vossius. À mon sens, trois arguments l’accréditent. D’abord, le traité de Vossius a bénéficié d’une traduction dans le seul champ germanophone10. Ensuite, Hermann connaissait I. Vossius11. Enfin, le traité de Vossius est tout entier fondé sur la définition de la poésie comme chant potentiel, posée dès les premières pages12: «C’est pourquoi, si nous prenions la peine d’observer l’acception première du mot, nous verrions que la poésie, ou bien le poème, ne fut rien d’autre qu’une composition d’une certaine sorte, susceptible d’être chantée. Il suit de là que ce qui n’est pas chanté, ou ne pourrait l’être, n’est pas un poème . . .». Alors que l’auteur utilise les termes grecs de po¤hsiw et po¤hma, il est clair qu’il se réfère au lien sémantique qui unit les termes carmen et canere en faisant implicitement appel à la caution de Quintilien.
8) G. Hermann, De differentia prosae et poeticae orationis disputatio, pars II, Lipsiae 1803, 4. 9) Quint. Inst.Or. 1,8,2.: Sit autem in primis lectio uirilis et cum suauitate quadam grauis, et non quidem prosae similis, quia et carmen est et se poetae canere testantur . . . 10) Vom Singen der Gedichte und von der Kraft des Rythmus, aus dem Lateinischen übersetzt, in: Sammlung vermischter Schriften zur Beförderung der schönen Wissenschaften und der freyen Künste, Berlin 1759, 1–59; 215–314. 11) Cf. n. 5. 12) I.Vossius, De poematum cantu et viribus rythmi, Oxonii 1673, 1–2: «Si itaque primitivam vocabuli acceptionem spectemus, poësis vel poëma nihil aliud fuerit, quam qualiscunque compositio cantui apta. Unde sequitur, quicquid non canitur aut cantari nequeat, non esse poëma . . .» Sammlung (cf. n. 10) 11: «Sehen wir also auf den ursprünglichen Gebrauch der Benennung, so kann die Poesie und ein Gedicht nichts anders gewesen seyn, als eine Zusammensetzung von Worten, die sich absingen lassen. Woraus folget, daß, was nicht gesungen wird oder gesungen werden kann, auch keine Poesie seyn.»
410
Emmanuel Plantade
Vossius et Hermann partagent donc la même conception de la poésie comme langage musical, séparé du langage commun, c’està-dire prosaïque, et il est très probable que le philologue de Leipzig s’appuie sur le postulat formulé par son devancier. Mais sur quoi fondent-ils tous deux cette foi? 3. De la mesure avant toute chose Si, pour les deux auteurs, la poésie est le domaine dans lequel le langage commun se trouve transfiguré en chant, c’est parce qu’elle fait intervenir le rythme. Hermann s’attache à définir très clairement ce dernier: «Le concept de rythme que nous transmet l’expérience est celui-ci: le rythme est la succession normée de cellules temporelles»13. Quelques lignes après cette définition initiale, il la complète en ajoutant que les cellules doivent être identiques14. En termes modernes, on pourrait donc dire que son rythme implique une succession normée de cellules isochrones. Cette conception s’écarte de celle que propose Cicéron dans un passage célèbre du De oratore, où l’Arpinate explique que «c’est la démarcation et le marquage d’intervalles égaux, ou même souvent inégaux, qui crée le rythme»15. En effet, la reprise n’est que partielle, car Hermann passe sous silence le fait que le rythme peut également naître de cellules inégales. Il y a là, une fois encore, des visées divergentes; tandis que Cicéron veut étendre le champ du rythme à la parole de l’orateur, comme le dit bien l’expression d’oratio numerosa («parole rythmique»), Hermann cherche à restreindre le rythme à ce qui est versifié, c’est pourquoi il insiste sur l’ordre et la norme qui doivent organiser le discours pour qu’il apparaisse comme rythmé. Est-il possible de déceler l’influence d’Isaac Vossius dans ce choix d’une définition non-cicéronienne du rythme? À la lecture des lignes suivantes, une forte présomption en faveur d’une répon13) G. Hermann (cf. n. 6) §1: «Der Begriff des Rhythmus, den uns die Erfahrung darbietet, ist dieser: Rhythmus ist die Aufeinanderfolge von Zeitabtheilungen nach einem Gesetz.» 14) G. Hermann (cf. n. 6) §24: «Demnach ist das Grundgesetz alles Rhythmus, daß die Zeitabtheilungen einander durchgängig gleich seyen.» 15) De orat. 3,186: distinctio et aequalium aut saepe uariorum interuallorum percussio numerum conficit.
Isaac Vossius, Gottfried Hermann et l’ictus vocal
411
se positive se fait jour16: «Venons-en au rythme, partie essentielle du poème. Pour ce qui touche le mot, les opinions divergent, et l’on trouvera même souvent chez les auteurs les plus admirés les termes ‹pied›, ‹mètre› et ‹rythme› employés indistinctement; tandis que d’autres établissent des distinctions qui n’ont pas d’objet. Il serait long d’exposer la doctrine de chaque auteur, puisque ni les Grammairiens, ni les Musiciens, ni les Philosophes, ou bien les Rhéteurs ne s’accordent un tant soit peu entre eux, et qu’ils ne se contentent pas d’avancer des idées dissemblables, mais vont jusqu’à prôner des 16) I. Vossius (cf. n. 12) 11: «Veniamus ad rythmum partem carminis praecipuam. Quod uocabulum attinet, de eo non eadem sentiunt, cum saepe etiam apud probatissimos scriptores pes, metrum, & rythmus, idem prorsus sint; alii vero non ea, qua debeant, ratione distinguant. Longum foret singulorum explicare sententias, cum nec Grammatici, nec Musici, nec Philosophi, aut Rhetores satis sibi constent, & non discrepentia tantum, sed & saepe contraria prodant. Haec confusio vocabulorum nata, nisi fallor, ex diversa acceptione metri; cujus tota ratio cum versetur solum circa quantitatem & mensuram syllabarum, a multis tamen latiori significatu refertur ad pedum totiusque carminis qualitatem, dum nempe perperam metro tribuunt id quod soli convenit rythmo. In eo enim consentiunt fere inter se antiquiores plerique Graeci, rythmum esse basin, seu incessum carminis. Melius itaque quam caeteri mihi definivisse videntur illi, qui dicunt rythmum esse systema, seu collectionem pedum, quorum tempora aliquam ad se invicem habeant rationem seu proportionem.» Sammlung (cf. n. 10) 24–25: «Lasset nun uns auf den Rythmus kommen, oder auf die geschickte Einrichtung der Sylben und Worte, in ihrer Folge aufeinander; welches ein Hauptwert bey den Gedichte und Gesang ist. Was das Wort Rythmus betrifft; so sind Auslegungen desselben verschiedentlich. Denn oft ist bey den bewährtesten Schriftstellern der Fuß, das blosse Sylbenmaaß an sich, und der Rythmus einerley; andere aber unterscheiden diese drei Dinge nicht so genau, als sie wohl sollten. Es würde zu weitläuftig fallen alle verschiedene Meinungen auszuführen: indem weder alle Sprachlehrer, noch Tonmeister, noch Weltweise, noch Redner, mit einander übereinstimmen; und nicht nur verschiedene, sondern auch oft widersprechende Dinge vorbringen. Die Verwirrung ist, meines Erachtens, daraus entstanden, weil man die Benennung, Sylbenmaaß oder metrum, nicht auf einerley Art genommen hat. Denn da dieses Wort nur allein der Zahl und dem Maaße einzelner Sylben zugehöret; so wird es doch bey vielen im weitern Verstande von der Einrichtung der Füße und des ganzen Verses gebrauchet; indem sie nämlich dem metro, oder dem einzelnen Sylbenmaaße, zueignen, was allein für den Rythmus oder für die geschickte Folge der Füße und Sylben, gehöret. Denn hierinn stimmen fast alle älteren Griechen zusammen, dass der Rythmus sey der Gang und Einhertritt des Verses. Daher dünken mir die dieses Wort am besten erkläret zu haben, die da sprechen, der Rythmus sey eine Zusammenordnung solcher Füße, deren Sylbenmaaße ein Verhältniß gegen einander haben.» Cf. J. F. Marmontel, Poétique françoise, Paris 1763, 228: «Le rithme des anciens étoit dans la langue, ce que dans la musique on appelle mesure. Isaac Vossius le définit le système ou la collection des piés, et ces piés sont ce qu’on appelloit nombres.»
412
Emmanuel Plantade
idées opposées. Confusion née, si je ne me trompe, d’un sens second du mot ‹mètre›: alors que ce dernier s’applique purement et simplement à la quantité et à la mesure des syllabes, de nombreux auteurs l’emploient en un sens plus large, le rapportant à la qualité des pieds et du poème, et, ce faisant, lui attribuent, bien évidemment à tort, ce qui convient au seul rythme. Sans doute est-ce parce que la plupart des auteurs grecs les plus anciens affirment d’un commun accord que le rythme est une basis, c’est-à-dire une marche en avant du poème. C’est pourquoi les autres, bien que minoritaires, me paraissent mieux définir le terme quand ils disent que le rythme est un système, c’est-à-dire un agrégat de pieds dont les durées sont ordonnées entre elles, c’est-à-dire proportionnées.» Une telle vision synthétique des sources antiques sur la métrique et la musique s’appuie sur la consultation de deux sommes éditoriales du XVII° siècle, les Grammaticae latinae auctores veteres de Van Putschen et les Antiquae musicae auctores septem de Meibom17. Vossius retire de sa lecture l’impression d’une cacophonie; il découvre, non sans dépit, que les auteurs antiques n’offrent pas une seule définition du rythme. Il décide donc de réduire cette tension dialectique en fixant les champs sémantiques respectifs du mot ‹mètre› et du mot ‹rythme›. Ainsi, il procède comme s’il était possible de clore le débat, tel un maître à férule corrigeant les travaux aberrants de jeunes élèves auxquels la rigueur terminologique fait défaut. Mais, sa position personnelle, exprimée dans la coda du passage, s’aligne, de fait, sur une tradition bien spécifique que l’usage du terme systema permet d’identifier. C’est, en effet, sous la plume d’Aristide Quintilien, un auteur d’inspiration néoplatonicienne édité par Meibom, que l’on peut lire ce mot: «Le rythme, donc, est un système de durées organisées selon un ordre déterminé»18. Mais Vossius n’hésite pas à gloser, plutôt qu’à traduire cette définition, en ajoutant les idées de ratio («compte») et de proportio («proportion»), de manière à tirer le rythme vers un ordre mathématisable, c’est-à-dire, en dernière analyse, vers la mensura. 17) Helias van Putschen (Putschius), Grammaticae latinae auctores antiqui veteres, Hanoviae 1605; Marcus Meibom, Antiquae musicae auctores septem, Graece Latine, Amsterdam 1652. 18) De Musica, I,XIII,31,9 (Winnington-Ingram). Cf. Aristoxen., Elementa Rhythmica 2,7 (Pearson).
Isaac Vossius, Gottfried Hermann et l’ictus vocal
413
Son parti pris est encore plus clair, lorsqu’il décide d’annexer l’autorité latine la plus ancienne, c’est-à-dire Varron. Dans l’édition de Van Putschen, Vossius a pu lire un passage que le grammairien Diomède attribue à l’ami de Cicéron: «Varron dit aussi qu’entre le rythme – dont le nom latin est numerus – et le mètre il y une différence analogue à celle qui existe entre la matière et de la règle»19. Et Vossius de déduire de là20: «Varron désigne le mètre, c’est-à-dire les pieds comme la matière, en revanche, il désigne le rythme comme la règle.» Il est difficile d’imaginer que l’auteur n’ait pas lu les passages de Charisius, Diomède, Fortunatianus qui l’inciteraient à remettre en place les termes de Varron21 . . . Le but de toute cette polémique est, bien entendu, d’effacer les définitions larges, héritées, notamment, de la tradition rhétorique (Aristote, Cicéron), et de verrouiller ainsi la définition du rythme, de telle sorte que seules les œuvres latines et grecques puissent être jugées dignes du chant, c’est-à-dire, en définitive, du nom de poésie. Par là, Isaac Vossius cherche à disqualifier les poésies vernaculaires modernes en un temps où elles ont d’ores et déjà gagné leur dignité. Selon lui, la Musa barbara se fait entendre partout22; pourtant, elle n’a rien pour plaire, puisqu’elle se réduit à quelques «homéotéleutes» (autrement dit à des rimes!)23: «Ce sont les homéotéleutes de cette sorte que l’on appelle rythmes, non seulement à l’ère barbare, mais aujourd’hui encore, bien qu’ils n’aient évidemment rien de commun avec ceux-là, sinon qu’ils paraissent peut-être, de quelque manière, compenser le défaut de rythme pour des oreilles ignorantes.» 19) GRF 306–307,286: et Varro dicit inter rhythmum, qui latine numerus uocatur, et metrum hoc interesse quod inter materiam et regulam. 20) I. Vossius (cf. n. 12) 14: «Varro metrum, seu pedes, materiam carminum, rhythmum uero regulam uocat.» 21) C. Castillo, Numerus qui rhuthmos Graece dicitur, Emerita 36, 1968, 306. 22) I. Vossius (cf. n. 12) 28. 23) I. Vossius (cf. n. 12) 25: «Istiusmodi omoiotelouta, non tantum barbaro seculo, sed & nunc quoque rythmi appellantur; quamvis cum iis nihil omnino commune habeant, nisi forsan quod rythmi defectum apud aures non eruditas quomodo refarcire [sic] videantur.» Sammlung (cf. n. 10) 42: «Solche gleiche Endungen (omoioteleuta) hießen, nicht nur in derselben barbarischen Zeit, sondern auch noch heute zu Tage, rythmi (Reime); ob sie gleich mit den wahren Rythmen nicht das geringste gemein haben, es müßte denn dieses seyn, das sie den Mangel derselben in ungelehrten Ohren einiger maßen ersetzen.»
414
Emmanuel Plantade
Gottfried Hermann semble bien avoir subi l’influence de la réflexion de Vossius en matière de rythme. À son exemple, il rejette la tradition cicéronienne, qui était la vulgate de l’époque24, pour défendre une définition comptable du rythme. Toutefois, par rapport à la position radicalement antimoderne de Vossius, le point de vue du philologue de Leipzig est plus nuancé. En effet, il retient l’idée du primat rythmique de la poésie gréco-latine, mais ne cède pas à la tentation de rejeter toutes les productions modernes: selon lui, la poésie peut ne pas être métriquement ordonnée, mais, dans ce cas, elle est occupe simplement un rang inférieur dans la hiérarchie esthétique25. Cet arrière-plan posé, je voudrais à présent aborder le cœur de cet article, c’est-à-dire l’invention de l’ictus vocal. 4. La récitation des poèmes antiques selon Isaac Vossius Comme Dag Norberg l’a montré, la récitation médiévale se fondait sur les accents de mot26. À l’exemple des Grammatici Latini, le propre père d’Isaac Vossius a formulé une doctrine de récitation au détour de ses réflexions sur l’accentuation27: «Aujourd’hui quiconque récite les vers d’un poète quelconque, ou bien tient compte seulement de l’accent, ou bien de la seule quantité. Selon moi, les Anciens en usaient tout autrement: ils tenaient compte de l’un et l’autre . . .». Ainsi, Gerhard Vossius récuse à égalité la tradition médiévale et la pratique scolaire de la scansion. Adoptant une posture inspirée du Dialogus de recta latini graecique sermonis pronuntiatione (1528) d’Érasme, il veut que l’on prononce les deux éléments de la prosodia antique. Concernant les règles d’accentuation, il défend, toujours dans la lignée d’Érasme, le primat des sources grammaticales antiques28: «On prononce l’accent d’après 24) Cf J. C. Scaliger, Poetices libri septem, Lyon 1561, II, 2, 56. 25) G. Hermann (cf. n. 8) 5. 26) Cf. n. 3. 27) G. Vossius, Aristarchus siue de arte grammatica libri septem, Halis Saxonum 1833 (Förtsch ed.), II, 20, 144: «Hodie quisquis poetae alicuius uersus recitat, aut accentus tantum rationem habet aut solum quantitatis. Veteres me iudice longe aliter, qui utriusque rationem habebant . . .» 28) G. Vossius (cf. n. 27) II, 9, 140: «Accentus siue tenor pronuntiatur uel iuxta canones Grammaticos uel secundum incorruptam ueterum consuetudinem, quae subinde regulis uulgaribus repugnat.»
Isaac Vossius, Gottfried Hermann et l’ictus vocal
415
les Grammairiens canoniques ou bien en fonction de l’usage correct des Anciens, lequel, bien sûr, s’oppose aux règles populaires.» Isaac Vossius, quant à lui, semble suivre les traces paternelles, lorsqu’il s’oppose à l’abandon de la prononciation de la quantité, au profit des seuls accents29: «Le chant ne peut subsister, si la quantité des syllabes n’est pas fermement établie, or la plupart des auteurs pensent que l’on n’en a communément plus aucune notion. En effet, ils proclament tous d’une seule bouche qu’à notre époque on néglige la vraie & naturelle quantité des syllabes, mais jugent que le respect de l’accentuation compense commodément cette lacune. Et il ne manque pas d’hommes ingénieux et de grande autorité pour croire cela bien plus convenable que la pratique des Anciens, lesquels, sans prendre les accents en considération comme eux-mêmes le pensent, exigent que l’on mesure les syllabes non pas selon leur nature propre, mais plutôt selon la pratique coutumière des poètes.» Ceux qui veulent renoncer à la quantité, c’est-à-dire très probablement les tenants de la prononciation de Johannes Reuchlin (1455–1522)30, se trompent donc doublement. D’une part, ils ignorent que les Anciens ne prononçaient pas les accents dans leurs poèmes. D’autre part, ils croient que la quantité des poèmes est autre chose qu’une convention musicale. Du point de vue érasmien (et paternel), il y a là comme un paradoxe, car la défense d’un des termes de la prosodia ne devrait pas conduire au sacrifice de l’autre. Et l’auteur poursuit son raisonnement en définissant, positivement cette fois, la prononciation véritable des Anciens31: «Très 29) I. Vossius (cf. n. 12) 29–30: «Cantus non potest subsistere, si syllabarum non constet quantitas, hujus vero nullam vulgo haberi rationem, apud plerosque in confesso est. Uno enim ore omnes fatentur, negligi hoc tempore veram & naturalem syllabarum quantitatem, sed hunc defectum commode suppleri censent accentuum observatione. Nec desunt ingeniosi magnaeque autoritatis viri, qui hoc longe convenientius esse arbitrantur, quam quod a veteribus factum sit, qui nulla accentuum habita ratione, ut ipsi putant, mensuram syllabarum non ad ipsam naturam, sed potius ad consuetudinem exigunt poëtarum.» 30) C’est la phrase qui suit ma citation qui permet d’identifier les cibles de Vossius, les défenseurs de la prononciation moderne du grec ancien («. . . quod existimarint, ad legem hodiernorum accentuum lecta & cantata olim fuisse poêmata»). Sur la prononciation reuchlinienne, voir E. Drerup, Die Schulaussprache des Griechischen von der Renaissance bis zur Gegenwart, im Rahmen einer allgemeinen Geschichte des griechischen Unterrichts I–II, Paderborn 1930–32. 31) I. Vossius (cf. n. 12) 30: «Sane siquis scire desideret qualis fuerit antiqua carminum pronuntiatio, is non multum a veritate aberrabit, qui illam similem
416
Emmanuel Plantade
certainement, qui voudrait savoir quelle fut la prononciation antique des poèmes ne s’éloignerait pas beaucoup de la vérité en pensant qu’elle ressemblait à celle que l’on pratique communément en scandant les vers, et même qu’il s’agit de pratiques identiques.» Nouvelle surprise: l’auteur confère une dignité esthétique à la scansion, cette pratique scolaire que son père, entre autres, récusait. Il s’agit donc là d’un choix radical que l’auteur a d’ailleurs bien du mal à assumer jusqu’au bout, puisque, dès la phrase qui suit cette profession de foi32, sa thèse quantitativiste s’effondre, dans la mesure où il admet qu’il y avait plusieurs prononciations de la poésie dans l’antiquité: la nuda lectio, le cantus et un stade intermédiaire (la recitatio?) dont il voit l’illustration chez Aristide Quintilien, Martianus Capella, Boèce et, surtout, Quintilien33. Plus scrupuleux que dans le débat sur le rythme, il fait témoigner des auteurs qui infirment totalement son postulat, mais sans trop détailler34: «Cependant Denys d’Halicarnasse & Nicomaque de Gerasa, ainsi que (si je ne m’abuse) d’autres Musiciens ne distinguent pas la voix des lecteurs <de poésie> du parler commun.» En fin de compte, si certains théoriciens antiques affirment que la nuda lectio et la recitatio sont des prononciations légitimes du poème, alors cela signifie que l’on ne peut pas exclure l’accent, comme I. Vossius voudrait le faire. Sa conception quantitativiste de la prononciation du poème, toute fragile et hasardée qu’elle soit, a pour origine un rejet de l’accent moderne, issu des siècles barbares. Cet accent moderne est avant tout présenté comme un principe de ruine35: «Il me faut maintenant évoquer la prosodie, c’est-à-dire la science des accents, fuisse existimet, atque sit ea, quae vulgo in scandendis versibus adhibetur.» Sammlung (cf. n. 10) 49: «Und wenn man recht wissen will, wie die Alten ihre Verse ausgesprochen; so wird man wohl der Wahrheit wenig verfehlen, wenn man glaubet, es sey der heutigen Art zu scandiren gleich gewesen.» 32) I. Vossius (cf. n. 12) 30: «Magna tamen differentia erat inter cantum, & nudam carminum lectionem.» 33) I. Vossius (cf. n. 12) 31. 34) I. Vossius (cf. n. 12) 31: «Dionysius tamen Halicarnasensis & Nicomachus Gerasenus, & alii nisi fallor Musici scriptores, vocem legentium a communi sermone non distinguunt.» 35) I. Vossius (cf. n. 12) 17: «Superest prosodia seu accentuum ratio, non praecipua tantum, sed & unica propemmodum caussa, quae musicam & poeticam artem evertit penitusque pessumdedit.» Sammlung (cf. n. 10) 33: «Es ist noch die so genannte Prosodie, oder der Accent, übrig: wodurch bey nahe einzig und allein die Musik und Poesie völlig über den Haufen geworfen werden.»
Isaac Vossius, Gottfried Hermann et l’ictus vocal
417
qui n’est pas seulement la cause principale de la ruine totale de la musique et de la poésie, mais bien plutôt la seule.» Car l’accent est ce principe qui, en l’espace d’une vie humaine, altère tellement le phonétisme d’une langue qu’il n’est guère possible d’y établir un ordre harmonieux36. En conséquence, si l’on essaie de lire la poésie d’Homère à l’aide de l’accent des Hellènes modernes, on ne fait que répéter l’opération de décadence culturelle qui a mis fin à l’Antiquité37: «C’est pourquoi, si, pour lire les poèmes d’Homère ou de n’importe lequel des anciens poètes, l’on suivait les accents actuels des Grecs, c’est-à-dire leur prosodie, on ne reconnaîtrait absolument aucun pied, aucun mètre ni aucun rythme, ni rien qui soit rythmé ou qui charme les oreilles.» Pour parachever sa diatribe contre l’accent moderne, I. Vossius finit par émettre une remarque intrigante au regard de sa réévaluation paradoxale de la scansion38: «Mais au contraire, si, par la voix, l’on ressuscitait les accents antiques qui étaient en harmonie avec la véritable et antique quantité des syllabes, on sentirait une si grande suavité des nombres que même la seule lecture des poèmes pourrait faire envie à n’importe quel chant d’aujourd’hui.» Ainsi, il y aurait eu un accent antique tellement suave qu’il était d’essence musicale. Mais alors pourquoi se donner la peine de chasser l’accent du Jardin de la poésie antique? 36) I. Vossius (cf. n. 12) 15: «si vocabula spectes immutantur plurimum, minus tamen quam vocabulorum sonus, qui raro vel ad vitam hominis perseverat.» Sammlung (cf. n. 10) 30: «Die einzelnen Worte werden nach und nach sehr verändert; jedoch weniger, als die Aussprache der Worte, die selten auch nur Eines Mannes Alter hindurch dauret.» 37) I. Vossius (cf. n. 12) 21: «Si quis itaque hodiernos Graecorum accentus seu prosodiam sequatur, & legat carmina vel Homeri vel cujuscumque alius antiqui poëtae, nullos omnino pedes, nullum vel metrum vel rythmum agnoscet, nihil quo numerosum sit vel aures afficiat.» Sammlung (cf. n. 10) 38: «Wenn man also den heutigen Accenten der Griechen nachgehet, und lieset die Verse eines Homers, oder irgend eines andern alten Poeten, nach denselben: so wird man keine Füße, kein gehörig Sylbenmaaß, keinen Rhythmus, nichts wohlgeordnetes und die Ohren einnehmendes, darinnen gewahr werden.» 38) I. Vossius (cf. n. 12) 31: «At vero si antiquos revoces accentus, convenientes verae & antiquae syllabarum quantitati tantam numerorum senties suavitatem, ut vel sola carminum lectio cuicunque hodierno cantui invidiam possit facere.» Sammlung (cf. n. 10) 51: «Hingegen wenn die alten Accente wieder angenommen werden, die mit dem wahren und alten Sylbenmaaße einerley sind: so empfindet man eine solche Anmuth in der Folge der Sylben und Worte, daß das bloße Lesen eines Gedichtes was weit ergötzenders wird, als aller heutige Gesang.»
418
Emmanuel Plantade
Bien qu’incidente, cette remarque sur l’accent antique doit être commentée à deux niveaux. En premier lieu, cette formulation est frappante du point de vue de l’histoire de la linguistique, car on peut y voir la genèse d’un motif philologique omniprésent dans les débats du XIX° siècle, celui de la polarisation entre accent antique «musical» et accent moderne «intensif»39. En effet, elle anticipe la thèse de Louis Benloew et Henri Weil, formulée en 1855, qui a partagé les philologues du monde entier40: «Le mélange de syllabes plus fortes et plus faibles constitue l’accent moderne, le mélange de syllabes plus aiguës et plus graves constitue l’accentuation antique.» Deuxièmement, elle met au jour l’ambiguïté qui fissure l’argumentation de l’auteur. En effet, le lecteur est d’emblée invité à recevoir le discours du De poematum cantu et viribus rythmi comme une quête d’historicité. Pourtant, la «véritable» prononciation des poèmes antiques que propose I. Vossius, n’apparaît en fait que comme un pis-aller pédagogique; l’auteur, considérant que ses contemporains sont incapables de vocaliser l’accent suave des Anciens, parce qu’irrémédiablement conquis par l’accent barbare, et renonçant par là aux présupposés érasmiens («Ce qui a existé jadis peut être restauré.»)41, bricole une adaptation de fortune aux possibilités vocales des contemporains qui sauve l’essentiel, c’est-àdire la quantité. Mais I. Vossius était-il conscient du fait qu’en préconisant la scansion il ne faisait que recréer de l’accent, comme Plotius Sacerdos, un grammairien du III° siècle de notre ère, le signalait déjà42? 39) G.C. Lepscky (cf. n. 5) 215: «fin dall’inizio dell’indagine scientifica si trovano contrapposte le due posizioni («natura musicale», «natura intensiva») che è ormai usuale chiamare della scuola francese e della scuola tedesca . . .» 40) H. Weil, L. Benloew, Théorie générale de l’accentuation latine, Paris / Berlin 1855, 4–5. En réalité, cette formule radicale est déjà nuancée par les auteurs quelques lignes plus loin: «Il est vrai qu’il y a un certain rapport entre l’acuité et la force des sons; un son aigu semble plus fort qu’un son grave, parce qu’il est plus distinct, et une prononciation plus forte semble entraîner naturellement un son aigu.» 41) Quod aliquando fuit potest instaurari, passage cité dans J. Chomarat, Grammaire et rhétorique chez Érasme, Paris 1981, 1, 380. 42) GLK VI, 448: Hoc tamen scire debemus quod uersus percutientes, id est scandentes, interdum accentus alios pronuntiamus quam per singula ponentes . . . («Cependant nous devons savoir qu’en frappant les vers, c’est-à-dire en les scandant, nous prononçons des accents différents de ceux que portent les mots lorsque nous les lisons séparément . . .»).
Isaac Vossius, Gottfried Hermann et l’ictus vocal
419
En tout cas, c’est bien ce retournement dialectique de la quantité en accentuation qu’illustre l’invention de l’ictus vocal par Gottfried Hermann. 5. Gottfried Hermann ou l’accent assumé En proposant d’identifier la diction du poème et sa scansion, I. Vossius tente de sauver l’essentiel à ses yeux, c’est-à-dire l’ordre musical qui se manifeste dans la langue sous la forme de la quantité. Mais il laisse en suspens la question de l’actualisation concrète de la scansion chez ses contemporains. Gottfried Hermann, quant à lui, l’affronte avec de nouvelles ressources, notamment l’embryon de théorie que lui fournit Richard Bentley. L’apport des intuitions de Bentley se révèle décisif dans la mesure où elles permettent de lever l’interdit vossien qui pèse sur l’accent de mot. On l’a constaté, I. Vossius réprouve la diction accentuelle en tant qu’elle caractérise la barbarie. Il refuse parallèlement de reconnaître que l’accent a gagné un statut organisateur dans les langues vernaculaires43, et réduit la poétique moderne à la rime. En revanche, chez R. Bentley, on trouve, en filigrane, l’idée que la poésie dramatique latine (Plaute, Térence) pourrait se fonder, au moins partiellement, sur une rythmique accentuelle44. Cette idée me paraît être la conséquence de la fréquentation de la poésie de langue anglaise, à laquelle Bentley apporte la légitimité du monde lettré en éditant, en 1732, le Paradise Lost de Milton de la même manière qu’il pourrait le faire d’un texte antique; comme les travaux humanistes ont mené dès la fin du XV° siècle à des expériences de poésie quantitative en langue vernaculaire45, je crois que la réflexion de 43) I.Vossius (cf. n. 12) 33: «Ut vero ad nostri seculi poëmata redeam, vere de illis dici potest, nec accentuum, nec syllabarum quantitatis in iis haberi rationem.» 44) R. Bentley, De metris Terentianis S X E D I A S M A , in: P. Terentii Afri comoediae, Cambridge 1726, XVII: Iam uero id Latinis Comicis, qui fabulas suas populo placere cuperent, magnopere cauendum erat; ne contra linguae Genium Ictus seu Accentus in quoque uersu syllabas uerborum ultimas occuparent. («Mais déjà les comiques latins, parce qu’ils désiraient que leurs pièces soient agréables au peuple, ont spécialement pris garde de ne pas placer les ictus, c’est-à-dire les accents, sur les syllabes finales des mots, et cela quel que soit le type de vers, afin de ne pas entrer en contradiction avec le Génie de la langue.»). 45) Aage Kabell, Metrische Studien II. Antiker Form sich nähernd, Uppsala 1960, 119–84.
420
Emmanuel Plantade
Bentley sur la place de l’accent de mot dans la poésie latine procède de l’influence inverse. De Bentley, dont il se veut explicitement le continuateur46, Hermann retient spécialement un terme, l’ictus. Bien sûr, il s’agit d’un mot en usage chez les grammairiens et rhéteurs de l’antiquité. Toutefois, J. Luque Moreno l’a montré47, aucun témoignage antique ne permet d’affirmer qu’il ait le sens d’accent de mot que lui attribue Bentley, sans doute sous l’influence du mot anglais «stress». Gottfried Hermann se saisit du terme avec d’autant plus d’avidité qu’il semble donner la possibilité de dépasser la problématique léguée par Vossius. En effet, les usages techniques du mots ictus sont de deux types: soit on s’en sert, à l’exemple de Varron, pour décrire la production de la voix, soit on l’utilise, comme Horace et Quintilien, pour désigner le battement du doigt ou du pied qui peut marquer la mesure lors de la diction scolaire des vers48. C’est la contamination de ces deux champs sémantiques qui mène Hermann à inventer l’accent métrique. Cet accent métrique est en fait la matérialisation du rythme en tant qu’il est la mesure ordonnant musicalement la langue49: «En conséquence, il faut que les vers contiennent un principe absolu qui soit exprimé par une certaine force, et qui marque le début d’une série de temps. Et le moyen, par lequel cette force s’exprime, ne peut pas ne pas être placé sur la partie la plus forte d’une unité de temps donnée: nous l’appelons ictus. L’ictus représente donc une force plus grande qui intervient dans la prononciation d’une unité temporelle donnée, parce qu’il indique le principe absolu d’une série temporelle.» En d’autres termes, l’ictus est un accent d’intensité dont le rôle est de marquer l’attaque des pieds métriques. On voit qu’en un sens Hermann ne fait que pousser la logique du re46) G. Hermann (cf. n. 6) V. 47) J. Luque Moreno, Arsis, Thesis, Ictus. Las marcas del ritmo en la música y en la métrica antiguas, Grenada 1994, 214–5. 48) J. Luque Moreno (cf. n. 47). 49) G. Hermann, Epitome doctrinae metricae, Lipsiae 1818, 5: «Itaque caussa absoluta in numeris vi quadam exprimenda contineatur necesse est, quae seriem aliquam temporum incipiat. Id autem, quo exprimitur ea vis, non potest non in fortiore notatione alicuius unius temporis positum esse: idque ictum vocamus. Est ergo ictus vis maior in notando aliquo tempore, caussam seriei temporum absolutam indicans.» Sur l’usage abusif que G. Hermann fait du mode de raisonnement kantien, voir U. von Wilamowitz-Moellendorff, Geschichte der Philologie, Stuttgart / Leipzig 1998, 49, et surtout A. Kabell (cf. n. 45) 229–30.
Isaac Vossius, Gottfried Hermann et l’ictus vocal
421
tour à la scansion proposée par Vossius. Mais la conséquence pratique qu’il en tire le conduit cependant à retrouver l’observation faite au III° siècle par Plotius Sacerdos, à savoir que la scansion produit un accent, et cette conclusion aurait évidemment répugné à Vossius. C’est donc au prix d’une concession majeure à la modernité, la reconnaissance du rôle rythmique de l’intensité, que G. Hermann réussit à sauvegarder la primauté du rythme quantitatif, chère à Isaac Vossius. Quelle diction de la poésie antique G. Hermann préconise-til conséquemment? Il écrit, en 1803, que «la véritable prononciation de la poésie est celle qui exprime la mesure au détriment de l’accent»50. Formulation que ne renierait pas Vossius, et, qui, pourtant cache une réalité qu’il ne pourrait pas approuver, puisque, derrière «mesure» (mensura), il faut d’ores et déjà entendre ictus, c’està-dire accent intensif. Aage Kabell signale cependant à juste titre que le philologue de Leipzig a varié quant aux places respectives de la mesure et de l’accent de mot, car vers la fin de sa vie, il postule une double accentuation dans la diction des hexamètres latins: il faudrait y prononcer deux sortes d’ictus, l’un correspondant au rythme du vers, l’autre au rythme de la langue, autrement dit des accents de mots51. L’accent de mot et l’accent métrique sont donc analogues au point de vue de leur réalisation vocale; Hermann l’explicite encore ailleurs en parlant de vocis intensio à propos de l’accent de mot des langues classiques52. Ce point est crucial, parce que c’est lui qui donne toute son efficacité au système pensé par l’auteur. En fait, l’emprunt du mot ictus à Bentley joue également un rôle, à mon avis important, dans le contexte de rivalité culturelle aiguë, caractéristique de la fin du 50) G. Hermann (cf. n. 8) 6: «Inde propria poeseos ea pronunciatio est, quae mensuram neglecto accentu exprimit.» 51) A. Kabell (cf. n. 45) 232: «Zwar warnt Hermann in seinem hohen Alter, dass die Wortakzente nicht vernachlässigt werden dürften.» Kabell (ibid., n. 75) se réfère au passage suivant, en le citant incomplètement: G. Hermann, Epitome doctrinae metricae, Lipsiae 1844, VII: «Alterum in quo peccatur hoc est, quod quum Latinus sermo non acuat ultimas syllabas, multi, si syllaba finalis sub ictu est, solum ictum in recitando notant, neglecto qui cuiusque vocabuli proprius est accentu: ut quum in his versibus [Hor. Epist. 2, 3, 347; Virg. Georg 3, 276] tamén et scopulós pronuntiant, quae vocabula sic proferenda sunt, ut simul utriusque numeri ictus audiatur, támén, scópulós.» Toujours d’après Kabell, ce passage n’est pas présent dans l’édition 1818 de l’Epitome. 52) G. Hermann, Elementa doctrinae metricae, Lipsiae 1816, 32.
422
Emmanuel Plantade
XVIII° siècle. Hermann manifeste clairement son désir d’œuvrer à l’amélioration de la poésie de langue allemande53: «Le régime de la langue est actuellement, en Allemagne, le même qu’il était dans la Grèce des temps archaïques. En effet, nous obéissons plus ou moins à l’accent même en poésie; mais viendra un jour le temps où, si je prophétise correctement, une mesure plus ferme nous enseignera à négliger l’accent et à instituer une véritable prononciation poétique.» En s’appuyant sur ce passage, il est possible de rendre compte des hésitations du philologue de Leipzig quant aux places respectives de l’accent et de la quantité au sein de la diction des vers. Pour lui, il existe un idéal poétique quantitatif (défini par Vossius) qui a été réalisé historiquement par les Grecs à l’apogée de leur culture. Pour atteindre ce stade ultime de la poésie pure, il s’agit de se défaire du rythme archaïque que constitue l’accent de mot. De là, la valeur de l’emprunt du terme ictus, avec le sens d’accent intensif, s’explique parfaitement: si l’accent des langues classiques est fondé sur l’intensité (et n’est pas un «accent suave», comme le prétend Vossius), alors le parallèle historique avec l’accent notoirement intensif de la langue allemande s’avère possible. Et l’on peut alors espérer que, par le truchement de l’ictus, la poésie allemande devienne vraiment «quantitative». Aage Kabell a bien senti quelle est l’inspiration profonde de ce travail de G. Hermann, même s’il n’en a pas analysé toute l’économie54: «die Griechen und Lateiner über denselben Leisten zu schlagen», battre les Grecs et les Romains sur leur propre terrain. 6. Conclusion Dans son singulier traité De poematum cantu et viribus rythmi (1673), I. Vossius mène une offensive contre la modernité poétique et musicale, inscrivant sa réflexion dans le contexte de Querelle des Anciens et des Modernes. Pour les besoins de la polémique, il est conduit à radicaliser les arguments du courant quantitativiste, représenté à travers une grande partie de l’Euro53) G. Hermann (cf. n. 8) 6: «Eadem, quae tum fuit Graecae linguae ratio, nunc Germanicae est. Sequimur enim fere accentum etiam in poesi: sed veniet aliquando, si recte auguror, tempus, quum certior mensura negligere accentum, et poeticam quamdam pronunciationem constituere docebit.» 54) A. Kabell (cf. n. 45) 232.
Isaac Vossius, Gottfried Hermann et l’ictus vocal
423
pe depuis le XVI° siècle. Ainsi, il construit des idéaux de la poésie et du rythme qui se seraient incarnés en Grèce, puis dans l’empire romain hellénisé. Selon lui, il ne pourrait y avoir de rythme que mesuré, c’est-à-dire fondé sur l’alternance ordonnée des syllabes longues et brèves, parce que ce serait le seul mode poétique susceptible de produire du chant. Pour avoir une chance de sortir de la barbarie, les poésies vernaculaires devraient abandonner leur accent barbare, et adopter le rythme quantitatif. Au plan de la diction, la scansion scolaire est même censée représenter le modèle d’excellence artistique que Vossius propose à l’admiration de ses contemporains. Le traité d’Isaac Vossius semble clore la réflexion humaniste en matière de poétique plutôt qu’ouvrir des voies nouvelles. Pourtant, il semble avoir joué, justement à cause de sa radicalité, un rôle de référence, d’état de la question aux yeux de G. Hermann. À la fin du XVIII° siècle, ce dernier y a trouvé un apport positif, une définition claire du rythme, alignée sur la pensée platonicienne et néo-platonicienne, et un problème, la reconstitution de la quantité pour les locuteurs des langues vernaculaires. Grâce à l’influence complémentaire de R. Bentley, Hermann a pu tenter une synthèse réconciliant les courants quantitativiste et accentualiste: l’ictus vocal, qui n’est autre qu’un accent représentant le temps fort du pied métrique. En introduisant un nouveau concept, le philologue de Leipzig a écrit les premières pages de la métrique moderne. En comparant sa réflexion à celle d’Isaac Vossius, je crois avoir un peu éclairé le cheminement de sa pensée. Lyon
Emmanuel Plantade
MISZELLEN
A TEXTUAL PROBLEM IN ARCHIMEDES, ARENARIUS 218,14 HEIBERG1 ÉAr¤starxow d¢ ı Sãmiow (. . .) Ípot¤yetai (går) tå m¢n éplan°a t«n êstrvn ka‹ tÚn ëlion m°nein ék¤nhton, tån d¢ gçn perif°resyai per‹ tÚn ëlion katå kÊklou perif°reian, ˜w §stin §n m°sƒ t“ drÒmƒ ke¤menow, tån d¢ t«n éplan°vn êstrvn sfa›ran p e r ‹ t Ú a È t Ú k ° n t r o n { t “ è l ¤ ƒ } k e i m ° n a n t“ meg°yei talikaÊtan e‰men, Àste tÚn kÊklon, kayÉ ˘n tån gçn Ípot¤yetai perif°resyai, toiaÊtan ¶xein énalog¤an pot‹ tån t«n éplan°vn épostas¤an, o·an ¶xei tÚ k°ntron tçw sfa¤raw pot‹ tån §pifãneian. His hypotheses are that the fixed stars and the sun remain unmoved, that the earth revolves about the sun in the circumference of a circle, the sun lying in the middle of the orbit, and that the sphere of the fixed stars, situated about the same centre as the sun, is so great that the circle in which he supposes the earth to revolve bears such a proportion to the distance of the fixed stars as the centre of the sphere bears to its surface. (trans. Heath) The treatise Camm¤thw (Arenarius, “Sand-Reckoner”), which is attributed to Archimedes2, deals with numbers sufficiently great to indicate the number of grains of sand with which the universe could be filled. The text contains a comparatively full account of Aristarchus’ heliocentric view of the universe.3 In spite of the fact that Archimedes wrote the treatise for the benefit of king Gelo, who was anything
1) The subject of this note was suggested to me by the bachelor thesis of my student Paulien Out. I thank her for drawing my attention to this text and for discussing the matter with me. Prof. J. Hogendijk (University of Utrecht) has kindly commented on an earlier draft of this note. 2) Greek text in Heiberg / Stamatis; Dijksterhuis; Mugler. I will refer to Heiberg / Stamatis. The authenticity of the Arenarius is questioned by Erhardt / Erhardt 580. For the date of the Arenarius, see Knorr 234–238. 3) Heath’s monumental study of Aristarchus has not yet been superseded. For the discussion of Aristarchus’ heliocentrism, see Heath 301–310. See also Christianidis a.o. passim. Modern detailed comments on the Arenarius in general, and on the passage dealing with Aristarchus in particular, are regrettably lacking. – A collection of texts (in English translation) relevant to Greek heliocentrism in general can be found in Stamatis.
Miszellen
425
but a specialist in mathematical and astronomical matters, the passage remains obscure in many respects. Far from pretending to give an over all interpretation of the difficult passage on Aristarchus’ heliocentrism, I would like to draw attention to a place where the text appears to be corrupt, to wit the phrase per‹ tÚ aÈtÚ k°ntron t“ èl¤ƒ keim°nan. Archimedes’ account of Aristarchus’ theory starts with two plain hypotheses: 1. the sun and the fixed stars remain unmoved; 2. the earth moves in an orbit with the sun as its centre. Then he goes on to speak about the sphere of the fixed stars. According to the transmitted text this sphere is per‹ tÚ aÈtÚ k°ntron t“ èl¤ƒ keim°nan. Literal translations of this phrase include “situated about the same centre as the sun” (Heath 302, Dijksterhuis 363 and Christianidis a. o. 153), “lying with the sun round the same centre” (Dreyer 137), “La sphère des étoiles inerrantes est décrite autour du même centre que le Soleil” (Duhem 420) and “qui s’étend autour du même centre que le soleil” (Mugler). Erhardt / Erhardt 579 give “the sphere of the fixed stars is concentric with the sun”, which is equivocal, as will be illustrated below. Finally, Heiberg translates “circum idem centrum positam, circum quod sol moveatur”, which leads to unsurmountable problems, as I will show. But what does this phrase mean? “The sphere of the fixed stars is situated about the same centre as the sun” is most naturally taken to indicate that there is an independent point that constitutes the centre of the sphere of the fixed stars and of the sun. The first part of this phrase is clear enough, but in what sense can a given point be said to be the “centre of the sun”? A point can only be called the centre of either a sphere (or, in two dimensions, a circle) or of the circumferential motion of an object; but it is impossible to call a given point the centre of a motionless object, if this given point lies outside the object.4 This difficulty is obscured in most translations. Heiberg’s translation, on the other hand, shows that he realized this consequence. But the price he has to pay is far too high: how in the world can one speak about a centre “around which the sun moves”, when it has just been stated explicitly that the sun is motionless?5 There is still another difficulty. If it is assumed that the sphere of the fixed stars is situated about the same centre as the sun (whether the sun moves around this centre or stands still, is irrelevant in this respect), the consequence is that the sun is no longer the centre of the universe. And this leads to a view of the cosmos 4) The following instance may serve to explain what I mean. Madrid can adequately be designated as the centre of Spain, by which we mean that its frontier-line, which does not move, has Madrid for its centre. The city of Toledo, on the other hand, could be said too to have Madrid as its centre, if it were moving in an orbit around Madrid; but now that Toledo is firmly rooted in the Spanish soil, it would be absurd to state this. Read the sphere of the fixed stars for Spain’s frontierline, the sun for Toledo, and an unnamed point for Madrid: this shows that the sphere of the fixed stars can be said to have this unnamed point as its centre, but that the sun cannot. By the same token, the sphere of the fixed stars and the sun cannot be called concentric. – The interpretation that the centre of the sun itself is meant, will be dealt with below. 5) In fact, this interpretation would give an adequate picture of the geocentric view of the universe: in this view the sphere of the fixed stars and the sun, both of which are in a constant circular movement, are situated around the same centre, namely the earth.
426
Miszellen
which is absolutely incompatible with everything we know about the view of the cosmos held by the Ancients, because it denies the very concept of heliocentrism.6 We would have to assume that the centre of the universe is constituted by an unnamed point, about which nothing is stated whatsoever. Around this centre, then, there is the sphere of the fixed stars in the first place, and the sun in the second. The sun, in its turn, while not being the centre of the universe, is the centre of the orbit of the earth. And so, if Heiberg’s unacceptable interpretation is accepted, this would imply that the earth moves in two ways: around the sun and (together with the sun itself) around the centre of the universe. A third argument against this interpretation is furnished by what is stated about the distance of the orbit of the earth to the sphere of the fixed stars. The orbit of the earth has an “analogy” (énalog¤a) to the “distance” (épostas¤a) of the sphere of the fixed stars which is equivalent to the distance of the centre of the sphere to its surface. These last words are problematic in the context of the whole passage on Aristarchus, but for our purpose it is sufficiently clear that the distance of the orbit of the earth to the sphere of the fixed stars is constant and not subjected to alterations; now this is only possible if the sphere of the fixed stars and the orbit of the earth are concentric. And if the earth moves in a circle around the sun, while the sun is not the centre of the universe, the distance between the orbit of the earth and the sphere of fixed stars changes constantly. In order to avoid these unacceptable consequences, there might seem to be another way of interpreting our phrase, which may be intended by Erhardt / Erhardt. Their translation, “the sphere of the fixed stars is concentric with the sun” might be taken to mean that both are situated around the centre of the sun. The same interpretation is held by Duhem 421, who summarizes Archimedes’ account as follows: “La fixité absolue de la sphère des étoiles fixes; La fixité absolue du Soleil dont le centre coïncide avec le centre de cette sphère; Le mouvement annuel de la Terre sur une circonférence de cercle ayant pour centre le centre du Soleil”. Now I do not want to deny the validity of this statement as such within the heliocentric view of the universe, but I only want to point out that this is not what the transmitted Greek text means. First, per‹ tÚ aÈtÚ k°ntron t“ èl¤ƒ keim°nan is the normal abbreviated way of saying per‹ tÚ aÈtÚ k°ntron keim°nan per‹ ˘ ı ëliow ke›tai, “situated around the same centre around which the sun is situated”. Now it is possible to say that an object has a centre (¶xei k°ntron); but it is impossible to say that an object is situated around its own centre (per‹ tÚ aÍtoË k°ntron ke›tai). The phrase ı ëliow ke›tai states something about the sun as a whole; and the centre of the sun obviously belongs to the whole of the sun. If Aristarchus had wished to make a statement about the centre of the sun in relation to other parts of the sun, he would not have spoken just about “the sun”, but about “the surface of the sun” (compare the phrase o·an ¶xei tÚ k°ntron tçw sfa¤raw pot‹ tån §pifãneian in 218,18).7 And if he had wished to state what Erhardt / Erhardt and Duhem may believe him to say, he might have employed a phrase like tån t«n éplan°vn êstrvn sfa›ran per‹ tÚ toË èl¤ou k°ntron keim°nan.
6) Cf. also Plut. Plac. 2,15 (= Mor. 889B) T«n mayhmatik«n tin¢w m¢n …w Plãtvn, tin¢w d¢ m°son pãntvn tÚn ¥lion. 7) That is to say, it does make sense to state that “the sphere of the fixed stars is concentric with the surface of the sun”, situated around the centre of the sun.
Miszellen
427
But, still more important, the wider context shows that Aristarchus, in the passage quoted by Archimedes, does not use the phrase tÚ t∞w sfa¤raw k°ntron in the mathematical sense of “centre of a circle”, which, being a shme›on, has no dimensions (Eucl. I, def. 1.15.16), but in the same loose sense in which we speak of the “centre of the city”. This becomes clear in 218,18ff., where Archimedes comments on Aristarchus’ statement Àste tÚn kÊklon, kayÉ ˘n tån gçn Ípot¤yetai perif°resyai, toiaÊtan ¶xein énalog¤an pot‹ tån t«n éplan°vn épostas¤an, o · a n ¶ x e i t Ú k ° n t r o n t ç w s f a ¤ r a w p o t ‹ t å n § p i f ã n e i a n , “(such a proportion) as the centre of the sphere bears to its surface” (trans. Heath): according to Archimedes, this is impossible, because there is no analogy whatsoever between the k°ntron, which has no dimensions and therefore amounts to zero, and something else. Archimedes goes on to explain that Aristarchus employs the word k°ntron in a loose sense: §kdekt°on d¢ tÚn ÉAr¤starxon dianoe›syai tÒde: §peidØ tån gçn Ípolambãnomew À s p e r e ‰ m e n tÚ k°ntron toË kÒsmou (. . .); by the word k°ntron Aristarchus means “object located in the centre”, which is for all practical intents and purposes equivalent to the preceding phrase ˜w §stin §n m°sƒ t“ drÒmƒ ke¤menow. Just as in the current view the earth as a whole is, as it were, the centre of the universe, in Aristarchus’ view this term applies to the sun. Aristarchus is dealing with an astronomical problem (the relative position of the sun, the earth and the sphere of the fixed stars), not with a mathematical problem (the definition of the circle and its centre).8 Thus the word k°ntron applies to the sun as a whole, not to the mathematical centre of the sun, which has no dimensions. And this is fatal to the interpretation that Aristarchus speaks about the sphere of the fixed stars and the sun both being situated around the centre of the sun.9 There is still another consideration which raises suspicion against t“ èl¤ƒ, namely the composition of the passage. In the immediate sequel (218,15–18, see above) Archimedes goes on to talk about the relation of the sphere of the fixed stars and the orbit of the earth. Therefore the comparison of the sphere of the fixed stars and the sun, as we read it in the transmitted text, is out of place. What is necessary is a comparison between the sphere of the fixed stars and the earth. My proposal to remove the problems mentioned above is to delete the words t“ èl¤ƒ. On this reading, the passage runs as follows: “that the sphere of the fixed stars, situated about the same centre, is so great that etc.” What is meant by “the same centre” is clear from what precedes: Aristarchus has just spoken about the 8) Cf. once more the fragment from Plutarch, quoted in note 6, m°son pãntvn tÚn ¥lion. Cf. Christianidis a.o. 155. 9) If Archimedes had wished to state in his own words what may have been the interpretation held by Duhem and by Erhardt / Erhardt, and not in Aristarchus’ words, he would probably have done so by using the formulation he had employed a few lines before, when speaking about the traditional view of the universe (218,1– 3): kat°xeiw d°, diÒti kale›tai kÒsmow ÍpÚ m¢n t«n ple¤stvn éstrolÒgvn è sfa›ra, ï w § s t i k ° n t r o n m ¢ n t Ú t ç w g ç w k ° n t r o n : “you know that the majority of astronomers give the name ‘universe’ to the sphere of which the centre is constituted by the centre of the earth”. By analogy, Archimedes might have written in his own words tån t«n éplan°vn êstrvn sfa›ran ïw §sti k°ntron tÚ toË èl¤ou k°ntron. – There is no saying in how far Aristarchus’ text has been adapted by Archimedes. That the quotation is not quite literal, is already clear from the fact that it is in Dorian, which is not the dialect used by Aristarchus.
428
Miszellen
sun’s being the centre of the orbit of the earth; when he states that the sphere of the fixed stars has the same centre, then, this means that it has the same centre as the earth, namely the sun. In this way everything falls in place: the sun is the centre of the universe, and the sphere of the fixed stars and the orbit of the earth are concentric, with the sun as their centre. It remains for me to explain the intrusion of the spurious words t“ èl¤ƒ. Several explanations offer themselves. In the first place, the words may have been added by a scribe who still clung to the geocentric view of the universe, in which the sphere of the fixed stars and the sun indeed do have the same centre, namely the earth (cf. note 5). It is, however, more probable that t“ èl¤ƒ is the result of an original gloss.10 As we have seen above, Aristarchus does not specify what he means by “the same centre”, because it is self-evident from what precedes. But a scribe may have felt that there might be room for doubt, which induced him to add the gloss tÚn ëlion to tÚ aÈtÚ k°ntron.11 Subsequently, tÚn ëlion became incorporated in the text, as happens so often with glosses. Next, tÚn ëlion was changed, consciously or unconsciously, into t“ èl¤ƒ, in order to provide a complement to the immediately preceding t Ú a È t Ú k°ntron. A third possibility, which I do not regard as very likely, is that Aristarchus himself wrote per‹ tÚ aÈtÚ k°ntron tÚn ëlion, with tÚn ëlion as an apposition to tÚ aÈtÚ k°ntron.
10) A glance at the editions by Heiberg and Mugler shows that there are many interpolations in the text of Archimedes, according to the editors. Some of these are introduced by the word tout°stin; see for instance II 154,24 tçw går diå toË X eÈye¤aw parå tån AD égom°naw §n t“ §pip°dƒ §p‹ taÈtå pãnta §nt¤ [tout°stin §p‹ yãteron m°row]. In other cases an addition specifies (a part of) a mathematical figure; see for instance I 40,18–42,4 ka‹ §pe‹ afl AE, EB tçw AB [diam°trou] me¤zouw efis¤n (. . .) ka‹ §pe‹ ≤ épotemnom°nh kulindrikØ §pifãneia ÍpÚ t«n AG, BD eÈyei«n ka‹ tå AEB, GZD [tr¤gvna] p°raw ¶xei (. . .) ka‹ tå AEB, GZD [§p¤peda] p°raw ¶xei (. . .), where Heiberg comments: “diam°trou, lin. 18, per se falsum sed ad figuram codicum adcommodatum, interpolatori tribuendum, ut lin. 28 tr¤gvna, p. 42,4 §p¤peda, aeque falsa.“ Another group of interpolations aims at completing a text which was judged too concise by the interpolator, as appears to have been the case in our passage; some instances: I 154,13 oÏtvw ≤ AL prÚw tØn épÚ toË k°ntrou [toË D] §p‹ tØn AL kãyeton ±gm°nhn; II 34,1 tå oÔn sÊmpanta potilabÒnta tÚ periexÒmenon ÍpÒ te tçw Y (. . .) §ssoËntai ‡sa (. . .) ka‹ ée‹ tò [perissò] katå toÁw •j∞w ériymoÁw perissoÁw (. . .); II 136,28 (. . .) ≥toi me›zÒn §sti tÚ AB toË G μ Àste fisorrope›n [t“ G] μ oÎ; II 184,29 tçw går diå toË H éxye¤saw parå tån AG §p‹ tå aÈtã §stin [t“ tmÆmati], where Heiberg remarks: “t“ tmÆmati lin. 29 interpolatori tribuere quam corrigere malui”. The interpolations at II 136,28 and at II 184,29 closely resemble the interpolation in our passage, because they too constitute a complement to fi s o rrope›n and tå aÈtã in the dative. – The only passage in the Arenarius where the editors have detected an interpolation is II 222,31 époxvrizÒmenow oÔn [toË kul¤ndrou] épÚ t∞w ˆciow (. . .). 11) It is a well-known phenomenon that glosses usually are in the same case as the words they explain. See for instance sch. S. Ant. 54 értãnaisi] égxÒnaiw; 60 krãth] tåw basile¤aw.
Miszellen
429
Bibliography Archimède, Des spirales, De l’équilibre des figures planes, L’arénaire, La quadrature de la parabole, ed. Ch. Mugler, Paris 1971 Archimedes, Arenarius, ed. E. J. Dijksterhuis, Leiden 1956 Archimedes, Opera omnia, edd. J. L. Heiberg / E. S. Stamatis, Stuttgart 1972–1975 J. Christianidis, D. Dialetis, K. Gavroglu, Having a knack for the non-intuitive: Aristarchus’s heliocentrism through Archimedes’s geocentrism, History of Science 40 (2002) 147–168 E. J. Dijksterhuis, Archimedes (translated from the Dutch by C. Dikshoorn), Princeton 1987 J. L. E. Dreyer, History of the Planetary Systems, Cambridge 1906 P. Duhem, Le système du monde, I, Paris n.d. (1914) R. von Erhardt / E. von Erhardt-Siebold, Archimedes’ Sand-Reckoner: Aristarchus and Copernicus, Isis 33 (1942) 579–602 T. L. Heath, Aristarchus of Samos: the Ancient Copernicus, Oxford 1913 W. R. Knorr, Archimedes and the Elements: Proposal for a revised chronological ordering of the Archimedean corpus, Archive for history of exact sciences 19 (1978) 211–290 E. S. Stamatis, The Heliocentric System of [the] Greeks, Athens 1973 Amsterdam
Gerard J. Boter
SUFFUGIUM HIEMIS . . . RIGOREM FRIGORUM Tacitus (Germ. 16.3) and Seneca (De ira 1.11.3) “Adeo autem Tacitus studio Senecae librorum sese dedit, ut non solum philosophiam, verum etiam sermonem suum ad illius speciem atque exemplar formaret.” In spite of Maximilianus Zimmermann’s assertive statement in his introduction to what is still the most comprehensive catalogue of (possibly) Senecan reminiscences in Tacitus,1 the influence of Seneca and his œuvre on Tacitus’ writing has been a matter of controversy.2 As for the Germania, to which I will limit myself, the debate about the relevance of Seneca is equally discordant, not the least among two of its most recent commentators. Allan Lund argues that Tacitus in his depiction of the Germani had not only a certain type of race in mind, but also a cer-
1) M. Zimmerman, De Tacito Senecae philosophi imitatore, Breslauer philologische Abhandlungen 5.1 (1889) 5. 2) A survey of the controversy can be found in K. Abel, Die Taciteische Seneca-Rezeption, in: ANRW 33.4 (Berlin / New York 1991) 3155–3181.
430
Miszellen
tain type of character, i. e. the homo iracundus.3 More specifically, he asserts: “Als literarische Muster der Schilderung der Germanen als Barbaren und Wilde kommen der Philosoph Seneca [. . .] – die Übereinstimmungen zwischen dessen Schrift De ira und Tacitus’ Germania sind ja auffallend – und vielleicht Curtius Rufus [. . .] in Betracht.”4 Long before Lund’s suggestion of the importance of Seneca’s dialogue as a source of literary motifs, Friedrich Leo had argued that the style of the Germania is “näher als der irgend einer erhaltenen Schrift mit dem Senecas verwandt.”5 And Sir Ronald Syme characterized the work in question as “Sallustian, with some influences from Seneca.”6 Gerhard Perl, on the other hand, sees both Tacitus and Seneca as simply having been influenced in terms of style and motifs by the same tradition: “Es handelt sich wohl um zeitbedingte allgemeine sprachliche Übereinstimmungen des modernen Stils und um philosophische Allgemeinplätze, nicht um Spezifika und direkte Einflüsse gerade Senecas.”7 Eduard Fraenkel anticipated this view, in speaking of Tacitus’ indebtedness to the “gegenklassische Formung des Prosastils, deren mächtigster Träger Seneca ist.”8 The question of whether Tacitus relied on Seneca’s account or both authors independently depicted the Germani as irascible men within the same tradition, has been elusive not the least because – as far as I can see – no ‘hard’ linguistic parallel has been presented.9 The following linguistic observation, which seems to have escaped notice,10 might offer such a parallel and lend further support to the thesis of Tacitus’ intimate familiarity with Seneca’s famous treatise.11 3) A. A. Lund, Cornelius Tacitus, Germania. Interpretiert, hrsg., übertragen, kommentiert und mit einer Bibliographie versehen (Heidelberg 1988) 25–7. A. Bäumer (Die Bestie Mensch. Senecas Aggressionstheorie, ihre philosophischen Vorstufen und ihre literarischen Auswirkungen [Frankfurt a. M. 1982] 182–200) traces elements of Seneca’s theory of aggression in Tacitus’ Annales and Historiae, but does not consider the Germania. Zimmermann (above, n. 1) 66, while offering a number of reminiscences of De ira in Tacitus’ work (e.g. Tac. Ann. 14.13.15: aetate aut valetudine fessi, and Sen. De ira 3.9.4: valetudine aut aetate fessi), gives none for the Germania. 4) Lund (above, n. 3) 53. 5) F. Leo, Anzeige von Taciti Dialogus de oratoribus, in: E. Fraenkel (ed.), Ausgewählte kleine Schriften II (Rome 1960) 277–298. 6) R. Syme, Tacitus (Oxford 1958) 340; see also 198 n. 6 for further scholarly opinions on the question of a Senecan presence in the Germania. 7) G. Perl, Tacitus’ Germania (Berlin 1990) 47. For Greek concepts of ÙrgÆ and yumÒw see Bäumer (above, n. 3) 17–70. 8) E. Fraenkel, Kleine Beiträge zur klassischen Philologie II (Rome 1964) 314 (cf. 330). 9) The Senecan reminiscences in Tacitus’ Germania that Zimmermann lists (above, n. 1) 54–5 do not derive from De ira; nor do they seem particularly convincing. 10) The following commentators were consulted (for the full bibliographical information see A. A. Lund, Kritischer Forschungsbericht zur ‘Germania’ des Tacitus, in: ANRW 33.3 [Berlin / New York 1991] 2341–4): Anderson (1938, 104–5); Bongi & Giarratano (1951 [1960], 42); Forni & Galli (1964, 111); Lenchatin de Gubernatis (1949, 13); Lindauer (1967, ad loc.); Schweizer-Sidler and Schwyzer (1902, 42); Perl (1990, 148). As far as I can see, the only ones to mention the Senecan
Miszellen
431
After commenting on the mira diversitas naturae of the Germani,12 Tacitus discusses (Germ. 16.3) their habitation, especially their underground pits: Also they habitually dig subterranean pits and put plenty of manure on top of them; [they serve] as shelter from the winter weather and as storage for their harvest, since places of that sort temper the rigour of the cold (Solent et subterraneos specus aperire eosque multo insuper fimo onerant, s u f f u g i u m hiemi<s> et receptaculum frugibus, quia r i g o r e m frigorum eius modi loci molliunt). Suffugium is not a common word in Latin literature.13 Yet it occurs six times in Tacitus’ extant work, a surprisingly high frequency.14 This particular expression in the Germania has received meticulous attention, since all manuscripts contain the untenable reading suffugium hiemi: “in quibus verbis inest quo studiosi provocari videntur ut interpretandi machinas admoveant,” as Reifferscheid wryly wrote.15 It seems as if the focus on the question of textual criticism blocked the view on other issues pertaining to Tacitus’ statement.16 passage in question are A. Gudeman (P. Cornelii Taciti De Germania [Berlin 1916] 116) and Lund (above, n. 3) 157. Neither, however, comments on the parallel. (See also n. 16.) 11) T. Birt (Was hat Seneca mit seinen Tragödien gewollt?, NJB 27 [1911] 336–364) noticed (348) that Seneca’s De ira must have caused some stir, as according to Suetonius (Claud. 38) Claudius released an edict in which he addressed his iracundia, using the differentiation Seneca had set out in De ira 2.18–22. 12) Tac. Germ. 15.1: fortissimus quisque ac bellicosissimus nihil agens . . . ipsi hebent, mira diversitate naturae cum idem homines sic ament inertiam et oderint quietem. This characteristic can in itself be interpreted with the help of the concept of the homo iracundus; Seneca (De ira 1.10.1ff.), when discussing the peripatetic thesis that anger is needed as a motivational force, argues that reason would never use anger, since – as with other impetus – it can only contain them by confronting them with matching and similar impulses: ut irae metum, i n e r t i a m i r a e , timori cupiditatem. 13) With the help of PHI 5 I was able to find the following eight instances (in addition to the one in Seneca and the six in Tacitus): Apul. Met. 7.19; Curt. 8.4.7,9; Ov. Hal. 119; Plin. Epist. 9.39.9; Quint. Inst. or. 9.2.78; (Decl. Mai. 13.5); Sil. Pun. 5.508. In later Latin literature, however, the term is more common; see Brepolis-Library of Latin texts, s. v. 14) Later in the same work Tacitus writes (Germ. 46.4): Nec aliud infantibus ferarum imbriumque suffugium quam ut in aliquo ramorum nexu contegantur. The other instances all occur in the Annales: 3.74.2 (ex quis Cornelius Scipio legatus praefuit qua praedatio in Leptitanos et suffugia Garamantum); 4.47.1 (quos dux Romanus acie suggressus haud aegre pepulit sanguine barbarorum modico ob propinqua suffugia); 4.66.2 (restitit tamen senatus et opperiendum imperatorem censuit, quod unum urgentium malorum suffugium in tempus erat); 14.58.4 (effugeret segnem mortem, dum suffugium <ess>et). 15) A. Reifferscheid, Coniectanea in Taciti Germaniam, in: Symbola philologorum Bonnensium in honorem Friderici Ritschelii collecta (Lipsiae 1864–7) 623–628, quote on 626. 16) Considering his emphasis on the relevance of Seneca’s De ira, it is surprising that Lund (above, n. 3) 157 lists Sen. De ira 1.11.3 merely as a syntactical
432
Miszellen
Rigor figures five times in Tacitus, but most frequently as an attribute of character, e. g. after the declaration of Piso as the successor to Galba, when Tacitus states (Hist. 1.18.3): nocuit antiquus rigor et nimia severitas. It is similarly used in Hist. 1.83.3 (rigor disciplinae) and Ann. 6.50.1 (idem animi rigor). The one exception – in addition to the one in the Germania – appears in a passage in Ann. 2.23.3, where the southern wind is listed among the conditions that make the crossing of the sea more difficult, as it is particularly forceful rigore vicini septentrionis.17 To signify the frostiness of climate Tacitus uses this term only twice.18 The statement as a whole is therefore noteworthy because of the mere presence of suffugium and – within Tacitus – because of the meaning here of rigor. Given the infrequent use of suffugium in the ancient Latin corpus, it comes as no surprise that it occurs only once in Seneca’s work. More interesting, however, is the fact that it occurs in his brief excursus on the Germani (De ira 1.11.3): What is better hardened for every form of endurance, unprovided as they are with clothing or shelter against the unabated rigour of their climate? (Quid induratius ad omnem patientiam, ut quibus magna ex parte non tegimenta corporum provisa sint, non s u f f u g i a adversus perpetuum caeli r i g o r e m ?). Furthermore, as highlighted, this commonplace about the lifestyle of the Germani, which might have been inspired by Caesar,19 also contains rigor as a characteristic of the climate.20 The two loci, in Seneca and Tacitus, are the only ones in which both words occur together. The fact that two authors writing on the same topic use the same words with the same specific meaning each within the very same sentence seems to provide a philological argument that Tacitus was familiar not just with the concept of the homo iracundus in general, but specifically with Seneca’s De ira and the discussion of the Germani therein. If we do not wish to allow for a mere coincidence (which, of course, can never be fully excluded), the historian must have used the philosopher.21 Cambridge
Christopher B. Krebs
parallel for this locus vexatus. For its most comprehensive discussion see: A. Önnerfors, in Taciti ‚Germaniam‘ annotationes criticae, SO 34 (1958) 45–53. 17) F. R. D. Goodyear (The Annals of Tacitus II [Cambridge 1981] ad loc.) lists Tac. Germ. 16.3, Mela 3.36, and Sen. Dial. 3.11.3 as parallels. 18) Compare Tac. Agric. 12.3, where the climate and especially the cold is described rather differently (and without the paronomasia): caelum crebris imbribus ac nebulis foedum; asperitas frigorum abest. 19) See Caes. Bell. Gall. 6.21.5 (cf. also Bell. Gall. 4.1.10): et pellibus aut parvis renonum t e g i m e n t i s utuntur m a g n a c o r p o r i s p a r t e nuda. 20) There are 24 instances of rigor in Seneca’s work. 21) I would like to thank Melissa Haynes and Nino Luraghi (both at Harvard University) for their comments on an earlier draft.