SAMMLUNG TUSCULUM
Herausgegeben von Gerhard Fink, Manfred Fuhrmann, Fritz Graf, Erik Hornung, Rainer Nickel
RHETORICA AD HERENNIUM Lateinisch-deutsch
Herausgegeben und übersetzt von Theodor Nüßlein
ARTEMIS & WINKLER
INH ALT DE RAT ION E DICE NDI AD C. HER ENN IUM DIE RHE TOR IK AN HER ENN fUS 6 Liber primus I Buch I. ..... ..... ..... ..... .... . Liber secundus I Buch TI ..... ..... ..... ..... .. . 48 Liber rertius I Buch Ul ..... ..... ..... ..... .... . 126 Liber quarrus I Buch 1V ••..• ..•.. •...• ..... ..•. 182
Einführung Die griechisch-römische Rhetorik bis zur Rhctorica ad Herennium ..... ..... ..... ..... ..... . .)'2? Il. Die Rhetorica ad Herennium: Autor, Adressat, Titel des Werkes ..... ..... ..... ..... ..... . 328 lii. Inhalt , Sprache und Stil, Aufbau ..... ..... ... . 330 IV. Ciceros De inventione und die Rherorica ad Herennium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 V. Zur Überlieferungsgeschichte und Textgestaltung . 336 Anmerkungen zur Einführung . . . . . . . . . . . . . . . 351
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Die Deutsche Biblio rhek- CIP·fin he•tsau fnahm e
Rht:tiJrica ad Herem:ium: huemi sch- deutsch I hrsg. unc.l übers. von Tneod or Nüssl~in. Dussel dorf; Zürich :\rremis und Wmkler, 1994, r991l (Sammlung Tusculum) TSBN 3·;6o8 -t672- X NE: Nüs)lci n, TheoJ or [Hrsg.l z. Auflage & 1994, 1998 Arremi$ & W"mkl~r Verlag, Dussel dorf!Z ünch Alle Rechte, cinschli('ßlich derjenigen des aus7ugswdscn Abdrucks. der fotOmechanischen und dcktronis~ncn Wiedergabe, vorbchJlten. Druck und Bindung: Friedn ch Pustet, Regensburg Pnnted in Germa n) ISßN 3-76o8 -1671- X
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Anmerkungen zum Text Buch 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 Buch 11 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363
ßuch 111 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374
Buch lV ..... ..... ..... ..... ..... ..... ..... .
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Veruichms der m der Schrifc ver-tJJerzdeten rhetorischen und juristischen Fachtermini. . . . . . . . . . . . . . . 407 Fundstellenverzeichnis der exomationes I figurae. . . 417 Literaturauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 J 9
DE RATIONE DICENDI AD C.HEREN NIUM
DIE RHETORI K AN HERENNJ US
LIBER PRIMUS
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Etsi negotÜs famüiaribus inpedici vix satis otium srudio suppeditare possumus, et id ipsum, quod datur otii, libemius in philosophia consumere consuevimus, tamen tua nos, C. Herenni, voluntas cornrnovir, ur de ratione dicendi conscriberemus, ne aut rua causa noluisse aut fugisse nos Iaborern putares. Er eo srudiosius hoc negotium suscepimus, quod te non sine causa velle cognoscere rhetoricam intellegebamus; non enim parum in se haher fructus copia dicendi er commoditas orationi!>, si recta imellegentia et definita moderarione animi gubcrnatur. Quas ob res illa, quae Graeci scriptores inanis arrogantiae causa sibi assumpscre, reliquimus. Nam illi, ne parum mulra scisse viderenrur, ea conquisiverum, quae nihil attinebant, ur ars difficiüor cogniru putarerur; nos ea, quae ,;debantur ad rationem dicendi pcninere, sumpsimus. Non enim spe quaesrus aut gloria cornrnoti venirnus ad scribendum quemadmodum ceteri, sed ut industria nosrra ruae morem geramus voluntati.
Durch häusliche Verpflichtung en in Anspruch genommen, kann icb kaum genügend freie Zeit für Studien aufbringen, und was mir an freier Zeit bleibt, widme ich gewöhnlich lieber der Philosophie; trotzdem hat mich dein Wunsch, mein lieber Gaius Herennius, veranlaßt, ein Werk über die Technik der Rede' zu verfassen, sollst du doch nicht glauben, ich hätte es entweder deinetwegen nicht run wollen oder wäre vor der Anstrengung geflohen. Und dieser Aufgabe habe ich mich um so eifriger unterzogen, als ich bemerkte, daß du nicht olme Grund dich in der Redekunst unterrichten lassen möchtest: Denn einen nicht geringen Gewinn bringen die Fülle des Ausdrucks und die Gewandtheit der Rede mit sich, wenn sie von rechtem Verstand und klar begrenzter Mäßigung des Her:tens gelenkt werden. Deswegen habe ich das, was griechische Schriftsteller aus eitler Anmaßung sich zu eigen gemacht haben, weggelassen. Denn um nicht den Eindruck zu erwecken, sie wüßten viel zu wenig, sind sie auch Fragen nachgegangen, die nicht zum Thema gchönen, damit ihre Kunst für um so schwieriger gehalten würde: ich aber habe nur das aufgenommen, was etwas zur Technik der Rede beizutragen schien. Denn nicht Aussiebt auf materiellen Gewinnl oder Ruhm veranlaßte mich zu schreiben, wie die übrigen Schriftsteller, sondern ich wollte durch meine Bemühung deinem Wunsch entsprechen. Nun aber will ich, damit sich meine Wone nicht allzu sehr in die Länge ziehen, über unser Thema sprechen, dir aber zuvor noch das eine w bedenken geben, daß die theoretische Unterweisung ohne beständige Ausdauer nicht viel nützt; daraus mag5t du erkennen, daß diese An der Anleirung auf Übung ausgerichtet sein muß}
Nunc, ne nimium longa sumarur oratio, de re dicere incipiemus, si te illud unum monuerimus, arrem sine assiduitate dicendi non mulrum iuvare, ut intellegas hanc rationem praeceptionis ad exercitationem accommodari oponere.
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Oratori~ officium esr de iis rebus posse dicere, quae res ad usum civilem moribus ac legibus consrirutae sunt, cum assensione auditorum, quoad eius fieri porcrir.
Tria ~unt genera causarum, quae recipere debet orator: dcmonstrativum, deliberativum, iudiciale. Demonstrativum est, quod tribuitur in alicuius cenae personae laudem aut vituperationem. Deliberativum est in consultacione, quod haber in se suasionem ct dissuasioncm. Iudiciale est, quod posirum est in controversia, quod habct accusattonem aur petitionem cum defensione. Nunc quas res oratorem habere oportear, docebimus, deindc quo modo has causas rractari conveniat, ostendcmus. Oportet igirur esse in orarore invcntionem, dispositionem, elocurionem, memoriam, pronunttanonem. Invenrio est excogitario rerum verarum aut veri similium, quae causam probabilern reddum. Dispositio est ordo et distribucio rerum, quae dcmonsrrat, quid quibus locis sit collocandum. Elocurio est idoneorum verbarum er sententiarum ad invemionem adcommodatio. Memoria est firma animi rcrum er verborum et disposirionis receprio. Pronunriatio est vocis, vultus, gestus moderacio cum venustate. Haec omnia rribus rebus assequi poterimus, arte, imitatione, cxercitationc.
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Aufgabe des Redners ist es, über die Angelegenheiten sprechen zu können, welche um der Wohlfahrt der Bürger willen durch Sitten und Geseru festgelegt sind, und zwar mit der Zustimmung der Zuhörer, soweit diese erlangt werden kann.s Es gibt drei Arten von Fällen, derer sich der Redner annehmen muß: die darlegende, die beratende, die gerichtliche Art. 6 Die darlegende An ist diejenige, welche zum Lob oder Tadel einer bestimmten Person angewendet wird. Die beratende An kommt bei der Beratschlagung vor; sie schließt die Rede dafür und die Rede dagegen ein. Die gerichtliche Art ist diejenige, die auf Streit beruht und die eine Anklage in Kriminal- oder eine Klage in Zivilangelegenheiten ebenso wie eine Vertetdigung umfaßt. Nun will ich dartun, welche Fähigkeiten ein Redner besitzen muß, danach zeigen, auf welche An und Weise die genannten Fälle zu behandeln sind. Der Redner muß also verfügen über die Fähigkeit der Auffindung des Stoffes, der Anordnung des Sroffes, der stilistischen Gestaltung des Smffes, des Sicheinprägens, des Vortrages. Die Auffindung des Stoffes ist das Erfinden wahrer oder wahrscheinlicher Tatsachen, die den Fall glaubhaft machen sollen. Die Anordnung des Stoffes ist das Ordnen und Verteilen der Einzelpunkre; sie macht kenntlich, was an welchem Platze anzuordnen ist. Die stilistische Gestaltung des Stoffes ist die zur Sroffauffindung passende Anwendung geeigneter Wörter und Sätze. Das Sicheinprägen ist das feste geistige Erfassen der Gegenstände, der Worte und der Gliederung. Der Vortrag ist der maßvoll abgestufte, anmutig feine Einsatz. von Stimme, Mienenspiel und Gebärden. All die genannten Fähigk.:iten können wir durch drei Mittel gewinnen: durch theoretische Unterweisung, Nachahmung und Übung.'
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Ars est praeceptio, quae dar certarn viam rarioncmque dicendi. Imitatio esr, qua inpellimur cum diligenti ratione, ut aliquorum similes in dicendo valeamus esse. Exercitatio est assiduus usus consuerudoque diccndi. Quoniam demonstrarum est, quas causas oratorem recipere quasque res habere conveniret, nunc, quemadmodum ad rattonem possint officia oratoris adcommodari, dicendum videtur. Inventio in sex partes orationis consumitur: exordium, narrationem, divisionem, confirmarionem, confutationem, conclusionern. Exordium est principium orationis, per quod animus audiroris vel iudicis constiruirur et apparatur ad audiendum. Narracio est rerum gesrarum aut proinde ut gestarum expositio. Divisio est, per quam aperimus, quid conveniat, quid in conrroversia sit, per quam exponimus, quibus de rebus simus dicruri. Gonfirmario est nostrorum argumenterum expositio cum asseveratione. Confutario el>t contrariorum Jocorum dissolutio. Conclusio est anificiosus rerminus orationis. Nunc, quoniam una cum oratoris officiis, quo res cogniru facüior esset, producci sumus, ut de orationis parcibus loqueremur er eas ad inventionis rationem accommodaremus, de exordio primum diccndum ,·idctur.
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Die theoretische Unterweisung ist die Anleitung, die einen sicheren Weg und eine sichere Technik der Rede vermittelt. Die Nac~.ahmung ist das Mine!, durch das wir mir gewissenhafter Uberlegung dazu gebracht werden, daß wir irgendwelchen Männern beim Reden ähnlich zu sein vermögen. Die Übung tst die beharrliche Beschäftigung und der beständige Umgang mit dem Reden. Da also dargelegt ist, welche Fälle der Redner übernehmen und welche Fähigkeiten er besitzen muß, muß nun wohl gesagt werden, wie die Aufgaben des Redners mit dem methodischen Verfahren passend verbunden werden können. Die Auffindung des Stoffes erstreckt sich auf sechs Teüe der Rede: die Einleitung, die Darlegung des Sachverhaltes, die Gliederung des Sroffes, die Begründung, die Widerlegung, den Schluß.9 Die Einleitung ist der Beginn der Rede, wodurch der Zuhörer oder Richter in die Bereitschaft zuzuhören versetzt wird. Die Darlegung des Sachverhaltes ist die Schilderung von Ereigmssen, die wirklich oder angeblich geschehen sind. Die Gliederung des Stoffes ist der Teil der Rede, durch den wir eröffnen, worin Übereinstimmung besteht, was umstrinen ist, und durch den wir darlegen, über welche Punkte wir sprechen wollen. Die Begründung ist die nachdrückliche Schilderung der Gründe, die für uns sprechen. Die Widerlegung ist die Entkräftung der gegnerischen Bewei~punkre.
Der Schluß ist das kunstvoll gestaltere Ende der Rede. Da ich nun im Zusammenhang mit den Aufgaben des Redners, damit der Gegenstand um so leichter verständlich ist, dahin gelangt bin, über die Teile der Rede zu sprechen und diese Teile mit der Lehre \'On der Auffindung d~ Stoffes 10 Beziehung zu setzen, muß wohl zuerst über die Einlei~ rung gesprochen werden. ' 0
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Causa posita, quo commodius exordiri possimu~. genus causae est considerandum. Genera causarum sunt quanuor: honesrum, rurpe, dubium, hum.ile. Honestum causae genus esse putatur, cum aut id defendimus, quod ab omnibus dcfendendum viderur, aut id obpugnamus, quod ab omnibus videtur obpugnari debere, ut pro viro foni, comra parricidam. Turpe genus intcllegitur, cum aut honcsta res oppugnatur aur defendirur rurpis. Dubium gcnus esr, cum habet in se causa et honestans et rurpirudini~ panem. Humile genus est, cum concempta res affe::nur. Cum haec ita sint, com·emet exordiarum rationem ad causae genus accommodari. Exordiarum duo sunt genera: principium, quod Graece proocmium appellarur, et insinuatio, quae ephodos nominarur. Principium e~c. cum statim audiroris animum nobis idoneum reddimus ad audiendum. Id sumirur, ut attemos, ut dociles, ut benivolos auditares habere possimus. Si genus causae dubium habebimus, a benivolenria principium constituemus, nc quid illa par-; rurpirudinis nobis obessc possit. Sin humile genus erit causae, faciemus attcntos. Sin turpe causae gcnus erit, insinuatione utendum est, de qua posterius diccmus, nisi quid oacti erirnus, qua re adversarios criminando benivolencian1 capere possimus. Sin honcsrum causae genus crit, licebit recte vel uti vel non uti principio. Si uti volemus, aut id oportebit ostendere, qua re causa sit honcsta, aut breviter, quibus de rebus simus d1cturi exponere. Sin principio uti nolcmus, ab lege, ab scriprura aut ab aliquo firmis-
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Nachdem der Fall festgelegt ist, müssen wir, damit wir um so angemessener beginnen können, die Art des Falles betrachten. Es gibt vier Arten von Fällen: die ehren\'Olie, verwerfliche, unentschiedene und unbedeutende ." Als ehrenvolle Art des Falles gilt, wenn wir entweder das verteidigen, was wohl von allen verteidigt werden muß, oder das bekämpfen, was wohl von allen bekämpft werden muß, so wie wir uns für einen Helden, aber gegen einen Vatermörder einsetzen. Als verwerfliche Art wird verstanden, wenn entweder eine ehrenvolle Angelegenheit bekämpft oder eine verwerfliche verteidigt wird. Die unencschiedene Art liegt \'Or, wenn der Fall etwas an Ehrenhaftigkeit und ebenso an Verwerflichkeit in sich birgt. Die unbedeutende Art liegt vor, wenn eine nicht beachtenswerte Angelegenheit vorgebracht wird. Da dem so ist, wird es angemessen sein, das Verfahren bei den Einleirungen der Art des Falles anzupassen. Es gibt zwei Arten von Einleitungen: die Vorrede, die auf Griechisch prooimion heißt, und die Einschmeichelung, die den griechischen Namen ephodos trägt." Eine Vorrede liegt vor, wenn wir sofort den Zuhörer in die geeignete innere Verfassung versetzen, uns zuzuhören. Diese Art der Einleitung legt man so an, daß man aufmerksame, daß man belehrbare, daß man wohlwollende Zuhörer haben kann. •; Wenn wir die unentschiedene Art eines Falles haben, werden wir die Vorrede auf das Wohlwollen ausrichten, damit der hierin enthaltene Teil Verwerflichkeit uns nicht schaden kann. Ist es aber die unbedeutende An eines Falles, werden wir die Zuhörer aufmerksam machen. Ist es aber die "erwerfliche Art eines Falles, muß man die Einschmeichelung anwenden, über die ich später sprechen werde,'4 es sei denn, wir finden eine Möglichkeit, Wohlwollen erhaschen zu können, indem wir die Gegenpartei beschuldigen. Ist es aber nun die ehrenvolle An eines Falles, können \\•ir - in jedem Fall richtig - eine Vorrede anwenden oder nicht. Wollen wir sie anwenden, dann müssen wir entweder darlegen, weshalb der Fall ehrenvoll ist,
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simo nostrae causae adiumcnto principium capere oportebit. Quoniam igitur docilem, benivolum, attentum auditorem volumus habere, quo modo quidque confici possit, aperiemus. Dociles auditores habere poterimus, si summam causae cxponemus et si anenros eos faciemus; nam docilis est is, qui adtente vult audire. Attenros habebimus, si pollicebi.mur nos de rebus magnis, novis, inusitaris verba facturos aut de rebus his, quae ad rem publicam pertineant, aut ad eos ipsos, qui audicnt, aut ad deorum inmortalium religionem; et si rogabimus, ut anenre audiant; er si numero exponemus res, quibus de rebus dicturi sumus. Benivolos auditores facere quattuor modis poterimus: ab nostra, ab adversariarum nosrrorum, ab auditarum persona, ab rebus ipsis. A nostra persona benivolentiam conrrahemus, si nostrum officium sine arrogantia laudabimus aut in rem publicam quales fuerimus aut in parenres aur in amicos aut in eos ipsos, qui audient, aliquid referemus, dum haec omnia ad eam ipsam rem, qua de agitur, sint accommodata. ltem si nostra incommoda proferemus, inopiam, solitudinem, calamitatem; et si orabimus, ut nobis sint auxilio, et simul Ostendemus nos in aliis spem noluisse habere. Ab advcrsariorum persooa benivolentia captabitur, si eos in odium, in invidiam, in contemptionem adducemus. In odium rapiemus, si quid corum spurce, superbe, perfidiose, crudeliter, confidenter, malitiose, flagiriose facrum proferemus. In invidiam rrahemus, si vim, potenriam, factionem,
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oder kurz schildern, worüber wir sprechen wollen. Wollen wir aber keine Vorrede anwenden, so müssen wir mit einem Gesetz, einer Urkunde oder einem sehr beweiskräftigen Beleg für unseren Fall beginnen. Da wir nun also den Zuhörer belehrbar, wohlwollend und aufmerksam haben wollen, werde ich eröffnen, wie man diese Einstellungen eu.ielen kann. Belehrbar können wir die Zuhörer haben, wenn wir den Haupcpunkt des Falles kur7 schildern und wenn wir sie aufmerksam machen; denn belehrbar ist, wer aufmerksam zuhören will. Aufmerksam werden wir sie haben, wenn wir ankündigen, wir wollten über bedeutende, neuartige, ungewöhnliche Angelegenheiten sprechen oder über Punkte, die den Staat berühren oder die Zuhörer selbst oder die Verehrung der unsterblichen Götter; und schließlich wenn wir die Themen Punkt für Punkt aufzählen, über die wir sprechen wollen. Wohlwollend können wir die Zuhörer auf vier Arten machen: indem wir von unserer eigenen Person, von der Gegenpartei, \'On den Zuhörern, von den Tatsachen selbst ausgehen. Ausgehend von unserer eigenen Person werden wir Wohlwollen gewinnen, wenn wir unsere Pflichterfüllung ohne Anmaßung loben oder irgendwie erwähnen, wie wir uns dem Staat oder unseren Eltern oder den Zuhörern gegenüber verhalten haben, soweit dies alles zu der Angelegenheit, um die es geht, gehört. Ebenso wenn wir unsere Beschwernisse anführen, Not, Vereinsamung, Unglück; I und wenn wir darum bitten, die Zuhörer möchten uns helfen, und gleichzeitig darlegen, wir hätten unsere Hoffnung auf niemanden anders set7.cn wollen. Ausgehend von der Gegenpartei wird Wohlwollen erlangt, wenn wir diese dem Haß, der Mißgunst, der Verachtung aussenen. Dem Haß geben wir sie preis, wenn wir irgendeine ~chmutzige, hochmütige, treulose, grausame, unverschämte, boshafte oder lasterhafte Tat von ihnen anführen. In Mißgunst zerren wir sie, wenn wir die Gewalt-
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divitias, inconrinentiam, nobilitatem, cliemelas, hospitium, sodaliratem, affinirates adversariorum proferemus et his adiumentis magis quam vcritate cos confidere aperiemus. In comemptionem adduccmus, si inertiam, ignaviam, desidiam, luxuriam adversariarum proferemus. Ab auditorum persona benivolentia colligerur, si res eorum fortiter, sapienter, mansucte, magnifice iudicatas proferemus; si, quae de iis existimatio, quae iudicü expectatio sit, aperiemus. A rebus ipsis benivolum efficiemus auditorem, si nostram causam laudando tollemus, adversariorum per comemptionem deprimemus. Deinceps de insinuationibus dicendum est. Tria sunt tempora, quibus principio uti non possumus, quae diligenter sunt consideranda: aut euro turpem causam habemus, hoc est, cum ipsa res animum auditoris a nobis alienar; aur cum animus auditoris persuasus esse viderur ab i), qui ante contra dixerunt; aut cum defessus est eo~ audiendo, qui ante dixerunt. Si causa rurpitudinem habebir, exordiri poterimus his rationibus: rem, non hominem, hominem, non rem spectari oportere; non placere nobis ipsis, quae facta dicanrur ab adversariis, et esse indigna aut nefaria; deinde cum diu rem auxerimus, nihil simile a nobis factum ostendemus; aut aliquorum iudicium de simili causa aut de eadem aur de minore aut de maiore proferemus, deinde ad nostram
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tätigkeit, den Reichtum, die persönliche Macht, die einflußreiche Parteistellung, den Eigennutz, die vornehme Herkunft, die Klienten, die Gastfreunde, die Bekannten und Verwandten unserer Gegner anführen und eröffnen, daß sie mehr auf solche Stützen als auf die Wahrheit vertrauen. Der Verachtung setzen wir sie aus, wenn wir die Trägheit, mangelnde Tatkraft, den Müßiggang und die Ver~chwendungs sucht unserer Gegner anführen. Ausgehend von den Zuhörern gewinnen wir Wohlwollen, wenn wir Angelegenheiten anführen, die von ihnen mucig, weise, milde, hochherzig beurteilt wurden; und wenn wir darlegen, welche Meinung über sie besteht und welche Erwartung man an ihr Urteil knüpft. Ausgehend von den TatSachen werden wir den Zuhörer wohlwollend machen, wenn wir unsere Sache lobend hervorheben, die der Gegner durch Verächtlichmachen niederdrücken. Im folgenden muß über die Einschmeichelungen gesprochen werden.' 6 Es gibt drei Gelegenheiten, in denen wir die Vorrede nicht anwenden können; diese müssen genau betrachtet werden: Entweder wenn wir einen verwerflichen Fall haben, d. h. wenn die Sache selbst den Zuhörer uns enrfremdet; oder wenn der Zuhörer eingenommen erscheint von denen, die zuvor dagegen gesprochen haben; oder wenn er davon ermüdet ist, daß er denen zuhörte, die vorher gesprochen haben. Wenn der FaJI Verwerflichkeit enthält, ' 7 können wir auf folgende Arten beginnen: Man müsse auf den SachverhaJt, nicht auf den Menschen oder man müsse auf den Menschen, nicht auf den Sachverhalt blicken; auch wir billigten nicht, was nach Aussage der Gegenpartei geschehen sei, es sei empörend oder frevelhaft; wenn wir dann die Sache lange übertrieben haben, werden wir darlegen, daß nichts Ähnliches von uns getan worden sei; oder wir werden das Urteil irgendwelcher Männer über einen ähnlichen Fall oder einen gleichen oder über .einen unbedeutenderen oder bedeutenderen anführen, dann werden wir uns Sehrirr für Sehrirr unserem Fall nähern und dessen Ähnlichkelt vorbringen. Ebenso
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causam pedetemptim accedemus er similitudinem conferemus. ltem si negabimus nos de adversarüs aut de aliqua re dicturos, et tarnen occulce dicemus imeriectione verborum. Si persuasus auditor fuerit, id est, si orario adversariorum fecerit fidem auditoribus - neque enim non facile scire poterimus, quoniam non sumus nescii, quibus rebus fides fieri soleat- ergo si fidem factam putabimus, bis rebus nos insinuabimus ad causam: de eo, quod adversarü firmissimum sibi adiumentum putarint, primum nos diccuros pollicebimur; aut ab adversarii dicto exordiemur, er ab eo maxime, quod ille nuperrime dixerit; aut dubitatione utemur, quid potissimum dicamus aut cui loco primum respondeamus, cum admiratione.
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Si defessi erunr audiendo, ab aliqua re, quae risum movere possit, ab apologo, fabula veri simili, immutatione, depravaratione, inversione, ambiguo, suspicione, inrisione, stultitia, exsuperatione, collatione, litterarum mutacione, praeter expectationem, similitudme, novitate, hiscoria, versu, ab alicuius inrerpellatione aut adrisione; si promiserimus aliter ac parati fuerimus, nos esse dicturos; nos non eodem modo, ut ceteri soleant, verba facturos; quid alii soleant, quid nos facturi simus, breviter exponemus.
Inter insinuationem et principium hoc interest: Principium eius modi debet esse, ut statim apertis rationibus, quibus praescripsimus, aur benivolum
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werden wir vorgehen, wenn wir behaupten, wir wollten nicht über die Gegenpartei oder über irgendeinen anderen Punkt sprechen, und dennoch versteckt darüber sprechen, indem wir Hinweise einschieben. Wenn der Zuhörer schon gewonnen ist,'' d. h. wenn die Rede der Gegenpartei bei den Zuhörern Glauben erweckt hat - und das können wir nämlich unschwer erkennen da wir ja genau wis~en, wodurch man gewöhnlich Glauben erweckt - wenn wir also meinen, daß Glaube erweckt wurde, werden wir uns folgendennaßen an den Fall heranmachen: Wir werden ankündigen, daß Wtr zunächst über den Punkt sprechen werden, den die Gegenpartei für ihren stärksten Beweis hält; oder wir werden mit einem Ausspruch der Gegenpanei beginnen, und zwar vorzüglich mit einem, den sie ganz am Schluß getan hat; oder wir werden Zweifel'' vorbringen darüber, was wir vor allem sagen sollen oder auf welchen Punkt wir zuerst antworten sollen; dabei werden wir unsere Verwunderung zum Ausdruck bringen. Wenn die Zuhörer vom Zuhören ern1üdet sind, beginnen 0 wir mit etwas, das Lachen erregen kann/ mit einer aUegoriscben Erzählung, einer wahrscheinlich klingenden erdichteten Erzählung, einer V~rtauschung, einer Entstellung, einer ironischen Spottrede, einer Zweideutigkeit, einer Verdächtigung, einer Verspottung, einer Albernheit, einer Übertreibung/' einem Gleichnis, einer Vertauschung der Buchsra~en, mit etwas Unerwartetem, mir einer Analogie, einer l!berraschung, einer geschichtlich beglaubigten Erzählung, emem Vers, mit einem Zwischenruf oder dem beifälligen Lächeln von jemandem. Wenn wir etwas "ersprochen haben, beginnen wir mit dem Hinweis, wir wollten anders sprechen, als wir uns vorbereitet haben; wir wollten nicht ebenso formulieren, wie es die übrigen Redner gewöhnlich tun; was andere gewöhnlich tun, was wir dagegen machen, das werden wir kurz darlegen. Zwischen der Einschmeichelung und der Vorrede besteht folgender Unterschied:" Die Vorrede muß von der Art sein, daß wir sofort unverhohlen mir den Mineln, wie wir sie
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aut attenrum aut docilem faciamus auditorem; at insinuacio eiusmodi debet esse, ut occulte per dissimulationem eadem illa omnia conficiamus, ut ad eandem commoditatem in dicendi opere venire possimus. Verum hae rrcs utilitates tamersi in tota oratione sum conparandae, hoc est, ut auditores s~e perperuo nobis adtentos, dociles benivolos praebeant, tarnen id per exordium causae maxime conparandum est. Nunc, ne quando virioso exordio utamur, quae vicia vitanda sint, docebo. In exordienda causa servandum est, ut Ienis sit sermo et usitata verborum consuerudo, ur non adparata oratio videarur esse. Vitiosum exordium est, quod in plures causas potest adcommodari, quod vulgare dicitur. Item vitiosum-est, quo nihilo minus adversarius potest uti, quod commune appellarur; item illud, quo adversarius ex contrario poterit uti. ltem vitiosum est, quod nimium apparate verbis conposirum est aut nimium longum est, et quod non ex ipsa causa natum videarur, ur proprie cohaereat euro narratione, et quod neque benivolum neque docilem neque adtenrum facit audirorem. De exordio satis erit dictum: deinceps ad oarrationem transeamus. Narrationum rria genera sunt. Unum est, cum exponimus rem gestam et unum quidque trahimus ad utilitarem nostram vincendi causa, quod pertinet ad eas causas, de quibus iudicium futurum est. Alterum genus est narrationis, quod intercurrir nonnumquam aut fidei aut criminationis aut trans-
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oben beschrieben haben, den Zuhörer wohlwollend, aufmerksam oder belehrbar machen; dagegen muß die Einschmeichelung ' 'On der Art sein, daß wir versteckt durch Verstellung eben dies alles bewirken, daß wir zur gleichen günstigen Ausgangslage bei unserer Redetätigkeit gelangen können. Wenn wir uns diese drei Vorteile auch in der ganzen Rede verschaffen müssen, d. h. wenn die Zuhörer sich uns gegenüber ununterbrochen als aufmerksam, belchrbar, wohlwollend erweisen, so muß das dennoch durch die Einleitung der Rede am meisten vorbereitet werden. Nun will ich, damit wir nicht einmal eine fehlerhafte Finleitung anwenden, darauf hinweisen, welche Fehler zu vermeiden sind'J. Bei der Einleitung der Rede muß man darauf achten, daß die Sprache schlicht und einfach und der Gebrauch der Wörter gewöhnlich ist, daß die Rede nicht eigens vorbereitet erscheint. Fehlerhaft iSt eine Einleitung, d1e man auf mehrere FäUe anwenden kann; man nennt sie allgemem. Ebenso 1st diejenige fehlerhaft, die die Gegenpartei genauso gut anwenden kann; sie heißt die gemeinsame; ebenso die, welche die Gegenpanei in gegensätzlicher Form anwenden kann. Ebenso ist die Einleitung fehlerhaft, welche aus allzu gewählten Worten besteht oder welche all7.u lang ist; und welche nicht in der Weise aus dem Fall hervorgegangen zu sein scheint, daß sie ganz eng mit der Darlegung des Sachverhaltes zusammenhängt; und welche den Zuhörer weder wohlwollend noch belehrbar noch aufmerksam macht. Über die Einleitung ist genug gesagt; nun will ich zur Darlegung des Sachverhaltes übergehen. Es gibt drei Arten von Darlegungen des Sach,·erhaltes:~ Die eine ist, wenn wir den Sachv·erhalt, so wie er sich ereignete, darlegen und dabei jeden einzelnen Punkt zu unserem Vorteil heranziehen, um unserer Sache zum Siege zu verhelfen; diese Art eignet sich für die Fälle, die vor Gericht entschieden werden. Die zweite Art der Darlegung des Sach,·erhaltes 1st diejenige, die manchmal vorkommt, wenn es darum geht, Vertrauen zu gewinnen, einen anzuschuldigen,
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itionis aut alicuius apparacionis causa. Tertium genul> est id, quod a causa civili remorum est, in quo tarnen exerccri convenit, quo commodius illas superiores narrationes in causis tractare possimus.
Eius narracionis duo genera sunt, unum quod in ncgotiis, alterum quod in personis posirum esr. Id quod in negotiorum expo)irione posirum est, cres habec partes: fabulam, historiam, argumenrum. Fabula csr, quae neque veras ncque veri similes continet rcs, ur eae sunt, quae tragoediis rraditae sunt. Historia est gesta res, sed ab aetatis nosrrae memoria remota. Argurnenturn est ficta res, quae tarnen ficri poruit, velut argumenta comoediarum.
Illud genus narrationis, quod in personis positum est, debet habcre sermonis festivitatem, animorum dissirnilitudinem: graviracem, lenitatem, spem, metum, suspicionem, desiderium, dissimulacionem, misericordiam, rerum varietates, fortunae commurationem, insperarum incom.modum, subitam laetitiam, iucundum exirum rerum. Verum haec in exercendo transigenrur. Illud, quod ad veritatem pertinet, quomodo tractari conveoiat, aperiemus. Tres res convcnit habere narrationem, ut brevis, ut dilucida, ut veri similis sit; quae quoniam fieri oportere scimus, quemadmodum faciamus, cogooscendum est. Rem breviter narrare poterimus, si inde incipiemus narrare, unde necesse erit, et si non ab ultimo inino repetere volemus, er si summatim, non parti-
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einen Übergang zu ermöglichen oder auf irgendeinen Punkt hinzuarbeiten. Die dritte An ist diejenige, die mit einer gerichdich-politischen Rede nichts zu tun hat, in der sich zu uben aber dennoch lohnt, damit wir um so angemessener die vorher genannten Darlegungen des Sachverhaltes in Reden bandhaben können. Von dieser Darlegung des Sachverhaltes gibt es zwei Arten: die eine, die auf Handlungen, die andere, die auf Personen beruht. Diejenige, welche auf der Darlegung von Handlungen beruht, hat drei Arten: die erdichtete Erzählung, die geschichtlich beglaubigte Erzählung, die erfundene Erzählung. •1 Die erdichtete Erzählung ist diejenige Erzählung, die weder wabre noch wahrscheinliche Geschehnisse enthält, nach Art der Erzählungen, welche in Tragödien überliefen sind. Die geschichtlich beglaubigte Erzählung ist ein wirklich geschehenes Ereignis, das aber von unserer Zeit weit entfernt liegt. Die erfundene Erzählung ist ein ersonnenes Geschehen, das sich aber dennoch wirklich hätte ereignen können, wie z. B. der Inhalt von Komödien. Die Art der Darstellung des Sachverhaltes, die auf Personeo beruht, muß eine geistreiche Anmut der Ausdrucksweise besitzen, eine differenzierende Schilderung der Charaktere,16 Ernst, Sanftheit, Hoffnung, Furcht, Mißtrauen, Sehnsucht, Heuchelei, Mit.leid, wechselvolle Ereignisse, Umschwung des Schicksals, unerwarteten Schaden, plötzliche Freude, willkommenen Ausgang der Ereignisse. Aber dies wird durch die Übung zustande gebracht. Wie das zu behandeln ist, was sich auf die Wahrheit bezieht, will ich nun darlegen. Drei Eigenschaften soll die Darlegung des Sachverhaltes haben, sie soll kul7, sie soll deutlich, sie soll wahrscheinlich sein;: 7 da wir ja wissen, daß diese Eigenschaften notwendig sind, müssen wir in Erfahrung bringen, wie wir das erreichen. Einen Sachverhalt können wir kurz darlegen, wenn wir die Darlegung erst mit dem Punkt beginnen, wo es nötig ist; und wenn wir nicht mit dem frühesten Beginn einsetzen;
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cularim narrabimus, et si non ad extremum, sed usque eo, quo opus erit, persequemur, et si transitionibus nullis utemur, et si non deerrabimus ab eo, quod coeperimus exponere, et si cxitus rerum ita ponernus, ut ante quoque quae facta sint, sciri possinr, tametsi nos reticuerimus: quod genus, si dicam me ex provincia redisse, profeeturn quoque in provinciam intellegatur. Et omnino non modo id, quod obest, sed etiam id, quod neque obest neque adiuvat, satius esr praeterire. Et ne bis aur saepius idem dicamus, cavendurn est; eriam ne id quod semel supra diximus, deinceps dicamus, hoc modo:
Athenis Megaram vesperi advenit Simo: Vbi advenit Megararn, insidias fecit virgini: Insidias postquam fecit, vim in loco adtulit.
Rem dilucide narrabinms, si ut quicque primum gestum erit, ita primum exponemus et rerum ac temporum ordinem conservabimus, ut gestae res erunt aut ur potuisse geri videbuntur: hic erit considerandum, ne quid peturbate, ne quid contorte, ne quid ambigue dicamus, ne quam in aliam rem transeamus, ne ab ultimo repetamus, .ne longe persequamur, ne quid, quod ad rem pertineat, praetereamus; et si sequemur ea, quae de brevitate praecepta sunt; nam quo brevior, eo dilucidior et cognitu facilior narracio fiet.
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Veri sirnilis narratio erit, si, ut mos, ut opinio, ut natura postulat, d.icemus, si spacia temporum, personarum dignitates, consiliorum rationes, locorum
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und wenn wir nur nach Hauptpunkten, nicht in Einzelheiten berichten; und wenn wir das Geschehen nicht bis zum äußersten Punkt, sondern nur so weit, wie nötig, verfolgen; und wenn wir keine Übergänge anwenden und nicht von dem Thema abweichen, das darzulegen wir begonnen haben; und wenn wir die Ergebnisse des Geschehens so schildern, daß die Zuhörer auch das wissen können, was vorher geschehen ist, selbst wenn wir darüber geschwiegen haben: So soll z. B., wenn ich sage, ich sei aus der Provinz zurückgekehrt, daraus entnommen werden, daß ich auch in die Provinz abgereist bin. Und überhaupt ist es besser, nicht nur das zu übergehen, was schadet, sondern auch das, was nicht schadet, aber auch nicht nützt. Und wir müssen uns davor hüten, das nämliche zweimal oder noch öfter zu sagen; auch davor, etwas, was wir erst kurz zuvor gesagt haben, gleich wieder zu sagen, wie z. B. auf folgende Weise: Von Athen kam Simo am Abend nach Megara. Sobald er nach Megara gekommen war, lauerte er dem Mädchen auf. Nachdem er ihm aufgelauert hatte, tat er ihm an Ort und Stelle Gewalt an.' 8 Den Sachverhalt legen wir deutlich dar, 19 wenn wir das, was zuerst geschehen ist, auch zuerst behandeln und eine sachliche und die zeitliche Reihenfolge einhalten, wie die Ereignisse eintraten oder wie sie dem Anschein nach eintreten konnten. Hierbei muß man darauf achten, daß wir nichts Verworrenes, nichts Verdrehtes, nichts Zweideutiges sagen, daß wir nicht auf ein anderes Thema übergehen, daß wir nicht ganz von Anfang an beginnen, daß wir nicht weit ausgreifen, daß wir nicht etwas, was zum Thema gehört, übergehen; und wenn wir die Vorschriften befolgen, die über die Kürze erlassen wurden; denn je kürzer, desto deutlicher und leichter verständlich wird die Darlegung des Sachverhaltes ausfallen. Wahrscheinlich ist die Darlegung des Sachverhaltes,J0 wenn wir sprechen, wie es die Sitte, wie es die allgemeine Meinung, wie es die Natur fordert, wenn Zeitraum, Rang und Charakter der Personen, die Motive für ihr Vorhaben,
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opportunitates const.abunt, ne refelli possie aut temporis parum fuisse aut causam nuiJam aur locum idoneum non fuisse aut homines ipsos facere aut pati non potuisse. Si vera res erit, nihilominus haec omnia n.arrando conservanda sunt, nam saepe veritas, nisi haec servata sint, fidem non potest facere: sin erunt ficta, eo magis erunt conservanda. Oe is rebus caute confingendum est, quibus in rebus tabulae aut alicuius firma auctoritas videbitur interfuisse.
Adhuc quae dicta sunt arbicror mihi constare cum ceteris arris scriptoribus, nisi quia de insinuationibus nova excogitavimus, quod eam soli praeter ceteros in tria tempora divisimus, ur plane certarn viam et perspicuarn rationem exordiorum habcremus. Nunc, quod reliquum esc - quoniam de rerum invencione disputandum est, in quo singulare consumitur oratoris artificium - dabimus operam, ut nihilominus indusrrie quam rei utilitas postulabit quaesisse videamur - si prius pauca de divisione causarum dixerimus. Causarum divisio in duas partes distributa est. Primum perorata narrarione debemus aperire, quid nobis conveniat cum adversariis, si ea, quae utilia nobis erunt, convenient, quid in controversiis relinquatur, hoc modo: .,lnterfectam esse ab Oreste matrem convenit mihi cum adversarüs; iurene fecerit et licueritne facere, id est in controversia".
ltem e conrrario: DAgamemnonem esse a Clyte-
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die günstige Lage de~ Ortes übereinstimmen, damit man nicht dagegen vorbringen kann, es sei zu wenig Zeit gewesen oder es habe keinen Anlaß dazu gegeben oder der Ort sei nicht geeignet gewesen oder die Menschen selb~t hätten es nicht tun oder geschehen lassen können. Wenn der Sachverhalt wahr ist, muß man trotzdem dies alles bei der Darlegung desselben beobachten; denn oft kann auch die Wahrheit, wenn diese Punkte nicht beachtet sind, keinen Glauben erwecken; sind sie aber erdichtet, dann muß man diese Punkte um so mehr beobachten. Bei denjenigen Geschehnissen muß man vorsichtig mit Ersinnen sein, in denen schriftliche Dokumente oder irgendeine sehr angesehene Persönlichkeit, so wie es scheint, eine Rolle gespielt haben. Was bisher gesagt wurde, stimmt, glaube ich, mit den übrigen Verfassern eines Lehrwerkes überein, außer daß ich bezüglich der Einschrneichelungen neue Gesichtspunkte ausfindig gemacht habe, indem ich allein sie anders als die übrigen Redelehrer in drei Gelegenheiten eingeteilt habe, um einen ganz sicheren Weg und eine klare Methode der Einleitung zu habenY Nun will ich - da ja über die Auffindung des Stoffes zu sprechen ist, worauf eine einzigartige Kunstfertigkeit des Redners verwendet wird - mich im übrigen bemühen, mit ebenso großem Eifer, wie ihn der Nutzen der Sache erfordert, die weiteren Fragen zu untersuchen- aber vorher muß ich einiges über die Gliederung des Stoffes sagen. Die Gliederung des StoffesJ, ist in zwei Teile eingeteilt. Zuerst müssen wir durch eine Darlegung des Sach verbaltes sichtbar machen, worüber wir mit der Gegenpartei übereinstimmen, wenn in Punkten, die für uns nützlich sind, Übereinstimmung besteht, und worüber die Meinungen gegensätzlich sind, z. B. auf folgende Weise: "Daß die Mutter von Orestes getötet wurde, darin stimme ich mit der Gegenpartei überein. Ob Orest das mit Recht getan hat oder überhaupt run durfte, darüber sind wir gegensätzlicher Meinung."H Ebenso vom gegenteiligen Standpunkt aus: "Daß Agamem-
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mestra occisum confitentur; cum id ita sit, me ulcisci parentern negant oporruisse". Deinde, cum hoc fecerimus, distributione uti debemus. Ea dividitur in duas partes, enumerarionem et expositionem. Enumeracione utemur, cum dicemus numero, quot de rebus dietun sumus. Eam plus quam tri um parrium numero constare non oporret; nam et periculosum esr, ne quando plus minusve dicamus, et suspicionem adfert auditori meditation.is et arcificii, quae res fidem abrogat orationi. Exposirio est, cum res, quibus de rebus dicturi sumus, exponimus breviter et absolute. Nunc ad confirmationem et confutarionem transeamus. Tota spes vincendi ratioque persuadendi posira est in confirmatione et in confutatione. Nam cum adiumenta nostra exposuerimus contrariaque dissoluerimus, absolute nimirum munus Oratorium confecerimus. Utrumque igitur facere poterimus, si constitutionem causae cognoverimus. Causarum constituriones alii quattuor fecerum; noster doctor rres puravit esse, non ur de illorum quicquan1 derraheret invencione, sed ur ostenderer id, quod oportuisset simpliciter ac singulari modo docere, illos distribuisse dupliciter er bipertiro. Constitucio esr prima deprecatio defensoris cum accusatoris insimulatione coniuncta. Constitutiones itaque, ur ante diximus, tres sum: coniecruralis, legitima, iuridicialis.
Coniecturalis est, cum de facto controversia est, hoc modo: "Aiax in silva, postquam resciit, quae fecisset per insaniam, gladio incubuit. Ulixes imer-
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non von Klytaimnesrra getötet wurde, geben sie zu; trotzdem behaupten sie, ich hätte den Vater nicht rächen dürfen." Dann müssen wir, wenn wir dies getan haben, eine EinteilungJ• vornehmen. Diese wird in zwei Arten aufgeteilt: die Aufzählung und die Schilderung. Die Aufzählungl5 wenden wir an, wenn wir aufzählen, über wieviel Punkte wir sprechen wollen. Sie darf nicht mehr als drei Punkte enthalten; denn es besteht die Gefahr, daß wir zuviel oder z.uwenig sagen; und das erweckt beim Zuhörer den Verdacht eines geschickt gewählten Kunstgriffes; das aber nimmt der Rede ihre Glaubwürdigkeit. Um eine Schilderung handelt es sich, wenn wir die Punkte, über die wir sprechen wollen, kurz und bündig schildern. Jetzt will ich zur Bekräftigung und Widerlegung übergehen. Die ganze Hoffnung auf einen Sieg und die ganze Mögüchkeit zu überzeugen beruht auf der Bekräftigung und Widerlegung. Denn wenn wir die Punkte entkräftet haben, haben wir unsere Aufgabe als Redner ohne Zweifel erfüllt. Beides können wir also tun, wenn wir die Begründungsform des Streitfalles kennen. Andere Redelehrer haben vier Begründungsformen von Streitfällen gebildet. Mein Lehrer glaubte, es seien nur drei,J 6 nicht um von deren Erfindung etwas zu nehmen, sondern um zu zeigen, daß diese das, was sie hätten einfach und auf eine einzige Art hätten lehren müssen, doppelt und zweigeteilt aufgeteilt haben. Die Begründungsform ist die erste Abwehr der Anklage durch den Verteidiger, verbunden mit einer Beschuldigung des Anklägers. Es gibt also, wie oben gesagt, drei Begründungsformen: die auf einer Vermutung beruhende, die auf einer gesetzlichen Bestimmung beruhende und die auf Rechtfertigungsgründen beruhende. Um eine auf Vermutung beruhende Begründungsform handelt es sich,u wenn über die Tat gegensätzliche Meinungen bestehen, z. B. auf folgende Weise: "Aiax stürzte sich in einem Wald, nachdem es ihm bewußt geworden war, was er im Wahnsinn angerichtet harre, ins Schwert. Ulixes kommt
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venit, occisum conspicatur, corpore telum cruenrum educit. Teucer inrervenit; cum fratrem occisum, inimicum fratris cum gladio cruento videat, capitis arcessit". Hic quoniam coniecrura verum quaerirur, de facto erit controversia et ex eo constirutio causae coniecturalis nommatur. Legitima est constirurio, cum in scripro aut e scripto aliquid controversiae nascirur. Ea dividirur in panes sex: scriprum et sententiam, contrarias Ieges, ambiguum, dcfinitionem, translationem, ratiocinationem.
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Ex scripto et sententia controversia nascirur, cum videtur scriptoris voluntas cum scripto ipso dissemire, hoc modo: Si Iex sit, quae iubeat eos, qui proprer tempestatem navim reliquerint, omnia perdere, eorum navim ceteraque esse, si navis conservata sit, qui remanseeint in navi. Magnitudine tempestatis omnes perterriti navim reliquerunt, in scapham conscenderunr- praeter unum aegrotum; is proprer morbum exire et fugere non poruit. Casu et fortuiru navis in porrum incolumis delata est; illam aegrorus possedit. Navim petit ille, cuius fuerat. Haec constirutio legitima est ex scripto et sentenoa.
Ex contrariis legibus comroversia consrar, cum alia Iex iubet aut permittit, alia vetat quippiam fieri, hoc modo: Lex verar eum, qui de pecuniis
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dazu, erblickt den Getöteten und zieht die blutige Waffe aus dem Leichnam. Da kommt Teucer dazu; als er den getöteten Bruder und den Feind des Bruders mir dem Schwert sieht, bringt er ihn wegen eines Kapitalverbrechens vor Gericht. " 11 Hier wird durch einen mutmaßlichen Schluß die Wahrheit gesucht. Über die Tat bestehen gegensätzliche Meinungen; deshalb nennt man sie die auf Vermutung beruhende Begründungsfonn. Um eine auf einer gesetzlichen Bestimmung beruhende Begrundungsform handelt es sich,J9 wenn über ~en. Inhalt eines Schriftstückes oder aus den Konsequenzen, dre steh aus dem Inhalt des Schriftstückes ergeben, eine Streitfrage entsteht. Diese Begründungsform wird in sechs Arten unterteilt: Widerspruch zwischen Wortlaut und Sinn, gegensätzLiche Gesetze, Zweideutigkeit, Begriffsbestimmung, Ablehnung,~0 Schlußfolgerung. Aus dem Widerspruch zwischen Wortlaut und Sinn entsteht eine Streitfrage, wenn die Absicht des Verfasscrs und der Wortlaut selbst voneinander abzuweichen scheinen, z. B. auf folgende Weise: Angenommen, es gibt ein Gesetz, das festlegt, daß diejenigen, welche wegen eines Sturmes ihr Schiff verließen, alle Rechtsansprüche darauf verlieren, das Schiff aber und alles übrige, falls das Schiff gerenet wurde, denen gehören soll, die auf dem Schiff geblieben sind. Durch die Heftigkeit eines Srunnes in heftigen Schrecken versern, haben nun alle das Schiff verlassen und sind in ein Rettungsboot gestiegen - außer einem einzigen Kranken; dieser konnte wegen seiner Krankheit das Schiff ni_cbt verlass~n und fliehen. Durch einen glücklichen Zufall tneb das Schtff in einen Hafen; der Kranke hat es in seinen Besitz genommen. Der, dem es gehört hane, beansprucht das Schiff.•' Dies ist eine auf einer gesetzlichen Grundlage beruhende Begründungsform aufgrund des Widerspruches zwischen Wortlaut und Sinn. Auf gfßensärzlichen Gesetzen beruht eine Streitfrage, wenn das eine Gesetz etwas anordnet oder gestattet, das andere es verbietet, z. B. auf folgende Weise: Ein Gesetz
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reperundis damnatus sit, in conrione orationem habere: a!Lera Iex iubet augurem in demortui Jocum qui petat, in contione nominare. Augur quidam damnatos de pecuniis reperundis in demortui locum qui perat nominavir; petitur ab eo mulra.
Constitutio legitima ex comrariis legibus. Ex ambiguo conttoversia nascirur, cum res unam senremiam scripra, scriprum duas aut plures ~ententias significat, hoc modo:
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Paterfamilias cum filium heredem faceret, restamento vasa argentea uxori lega,•it: "Filius heres meus, uxori meae XXX pondo vasorum argenteorum dato, quae volet". Post mortem eius vasa pretiosa er caelata magnifice perit mulier. Filius se, quae ipse volet, in XXX pondo ei debere dicit. Constirutio est legitima ex ambiguo.
Defmitione causa constat, cum in controversia est, quo nomine facrum appellerur. Ea est huiusmodi: Cum Lucius Saruminus Iegern frumenrariam de semissibus et trienribus laturus esset, Quintus Caepio, qui per id temporis quaestor urbanus erat, docuit senarum aerarium pati non posse largitionem tantam. Senarus decrevit, si eam Iegern ad populum ferat, adversus rem publicam videri eum facere. Sarurninus ferre coepit, collegae intercedere. llle nihilominus sitellam derulit. Caepio, ut illum contta intercedentibus collegis, ad-
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verbietet, daß einer, der wegen Gelderpressungen verurteilt ist, in einer Volksversammlung eine Rede hältY Ein anderes Gesetz ordnet an, daß der Augur in der Volksversammlung einen namentlich nennt, der sich anstelle eines Verstorbenen bewirbt.~3 Ein wegen Gelderpressungen verurteilter Augur hat einen Bewerber anstelle eines Verstorbenen benannt; seine Besrrahmg wird beantragt. Das also ist eine auf einer gesetzlichen Bestimmung beruhende Begründungsform aufgrund gegensätzlicher Gesetze. Aus einer Zweideutigkeit entsteht eine Streitfrage, wenn über einen Sachverhalt eindeutig geschrieben, ein Schriftstück aber zwei oder mehrere Deutungen ermöglicht, z. B. auf folgende Weise: Als ein Familienvater seinen Sohn zum Haupterben einsetzte, hat er seiner Ehefrau Silbergefäße vermacht: "Mein Erbe soll meiner Ehefrau Silbergefäße im Gewicht von 30 Pfund geben, je nach Wunsch. "44 Nach seinem Tode verlangt die Frau wertvolle prächtig getriebene Gefäße. Der Sohn sagt, er müsse ihr nur Gefäße im Gewicht von 30 Pfund geben, je nachdem wie er selbst wolle. Dies ist eine auf einer gesetzlichen Bestimmung beruhende .Begründungsform, wobei der Wortlaut zwei Deutungen zuläßt. Auf einer Begriffsbestimmung beruht ein Streitfall, wenn umstrineo isr, mit welcher Bezeichnung eine Tat benannt werden soll. Ein solcher Fall ist z. B. der folgende: Als Lucius Saruminus ein Getreidegesetz einbringen wollte, wonach ein Scheffel nur 5/ 6 As kosten soUte, wies Qu. Caepio, der zu dieser Zeit Stadtquästor war, den Senat darauf hin, daß die Staatskasse eine so großzügige Schenkung nicht tragen könne. Der Senat erklärte, wenn er dieses Gesetz vor das Volk bringe, dann rue er das seiner Auffassung nach gegen das Staatsinteresse. Sarurninus stellte den Antrag. Seine AmtSkollegen erhoben Einspruch, er ließ trotzdem eine Abstimmung herbeiführen. Sobald Caepio sah, daß jener gegen den Einspruch seiner Amrskollegen den Antrag gegen das StaatSinteresse einbrachte, begann er
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versus rem publicam vidit ferre, cum viris bonis imperum facit, pontes disrurbat, cisras deicit, inpedimemo est, quo setius feratur: accersirur Caepio maiestatis. Constitucio legitima ex deftnitione. Vocabulum enim defi_nirur ipsum, cum quaeritur, quid sit minuere maiestatem. Ex translarione conrroversia nascitur, cum aur tempus differendum aut accusatorem mur.mdum aut iudices mutandos reus dicit. Hac pane consritutionis Graeci in iudicüs, nos in iure plerumque ucirnur. In iudiciis tarnen nonnihil utimur, ur hoc modo:
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Si quis peculatus accusatur, quod vasa argentea publica de loco privato dicatur sustulisse, possit dicere, cum definirione sit usus, quid sit furtum, quid pcculatus, secum furti agi, non pecularus oportere. Haec partitio legitimae constitutionis his de causis raro venit in iudicium, quod in privata actione praeroriae excepciones sum et a causa cadir, qui egit, nisi habuit acrionem, et in publicis quaestionibus caverur lcgibus, ut ante, si reo commodum sit, iudicium de accusatore fiat, utrum illi liceat accusare necne.
Ex ratiocinatione conrroversia constat, curn res sine propria lege venit in iudicium, quae tarnen ab
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zusammen mit loyalen Bürgern einen gewaltsamen Angriff; er zertrümmert die Zugangsstege-li zu den Abstimmungsplätzen, wirft die Stimmkästen um und verhindert so die weitere Abstimmung. Caepio wird wegen Verletzung der Staatshoheit belangt. •6 Das ist eine auf einer gesetzlichen Bestimmung beruhende Begründungsform aufgrund einer Begriffsbestimmung. Der Begriff nämlich selbst wird bestimmt, wenn man fragt, was es heiße, die Staatshoheit zu untergraben. Aus der Ablehnung'' entsteht eine Streitfrage, wenn der Angeklagte sagt, der Termin müsse verschoben oder der Ankläger oder die Richter müßten ausgetauscht werden. Diese Art der Begründungsform wenden die Griechen in den Gerichtsverhandlungen, wir meistens nur im Vorverfahren an. In Hauptverhandlungen wenden wir sie dennoch bisweilen an, wie z. B. auf folgende Weise: Wenn jemand der Veruntreuung öffentlicher Gelder-4 8 angeklagt wird, weil er Silbergefäße aus öffentlichem Besitz von einem nichtöffentlichen Ort entwendet haben soll, könnte er sagen, nachdem er eine Begriffsbestimmung dessen, was Diebstahl und was Veruntreuung öffentlicher Gelder sei, vorgelegt hat, gegen ihn müsse wegen Diebstahles, nicht wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder Klage erhoben werden. Diese Form der auf einer gesetzlichen Grundlage beruhenden Begründungsform des Streitfalles findet aus folgenden Gründen selten Anwendung in einer Gerichtsverhandlung, weil bei einer Privatklage Einwendungen des Prätors gegen den Kläger möglich sind~~ und der Kläger den Prozeß verliert, wenn er nicht das Recht zur Klage besaß, und bei öffentlichen gerichtlichen Untersuchungen durch gesetzliche Bestimmungen sichergestellt wird, daß vorher, wenn e~ für den Angeklagten YOrteilhaft ist, eine Untersuchung uber den Ankläger durchgeführt wird, ob es ihm gestattet ist anzuklagen oder nicht. Aus einer Schlußfolgerung besteht ein Srreitfall,1o wenn eine Angelegenheit ohne eigene gesetzliche Bestimmung vor Gericht kommt, welche dennoch von anderen Gesetzen
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aliis legibus sirnilirudine quadam aucuparur. Ea esr huiusmodi: Lex: Si furiosus ex.isret, adgnarum gentiliumque in eo pecuniaque eius potestas esro. Er lex: Qui parentern necasse iudicatus erit, ur is obvolutus er obligarus corio deveharur in profluenrem. Et lex: Paterfamilias uti super familia pecuniave sua legaverit, ita ius esto. Et Iex: Si paterfamilias inresratus morirur, familia pecuniaque eius agnatum gentiliumque esto. Malleolus iudicatus est matrem necasse. Ei damnato starim folliculo lupino os obvolurum est er soleae ligneae in pedibus inductae sunr er m carcerem ducrus esr. Qui defendebant euro, tabulas in carcerem adferunt, testamenrum ipso praeseote conscribunt, teste~ recte adfuerunr; de illo supplicium surnirur. Ii, qui heredes erant restamento, herediratem adeunr. Frater minor Mallcoli, qui eum obpugnaverat in eius periculo, suam vocat hereditatem lege agnarionis. Hic certa Iex in rem nulla adfenur et tarnen mulrae adferunrur, ex quibus ratiocinatio nascirur, quarc poruerir aur non potuerit iure testamenrum facere. Constitutio legirima ex ratiocinacione.
Cuiusmodi panes essent legitimae conscirutionis, ostendirnus: nunc de iuridiciali constirucione dicamus.
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durch eine gewisse Ahnlichkeir erfaßr wird. Ein derartiger Streitfall ist z. B. der folgende: Ein Gesetz bestimmt: Wenn einer wahnsinnig wird, soll die Verfügungsgewalt über ihn und sein Vermögen seinen Agnaten und Gentilen zufallen.!' Ein anderes Gesetz bestimmt: Wer wegen Vatermordes verurteilt ist, soll eingehüllt und in eine Tierhaut gebunden in ein fließendes Gewässer geworfen werden.!' Ein weiteres Gesetz bestimmt: Wie ein Familienvater über seine Hausgemeinschaft und über sein Vermögen testamentarisch verfügt hat, so soll es Recht sein.ll Wieder ein anderes Gesetz bestimmt: Wenn ein Familienvater ohne testamentarische Verfügung surbt, soll seine Hausgemeinschaft und sein Vermögen semen Agnaten und Gentilen zufallen.!• ~ialleolus 1 1 ist schuldig gesprochen worden, seine Murrer getötet zu haben. Ihm ~>urde sofort nach seiner Verurteilung das Gesicht mit einem Wolfspelz verhüllt und hölzerne Sandalen wurden ihm über die Füße gezogen, und er wurde in das Gefängnis gebracht. Seine Verteidiger bringen Schreibtafeln in das Gefängnis und verfassen in seiner Gegenwart ein Testament, Zeugen waren vorschriftsmäßig anwesend: dann wird er hingerichtet. Die durch das Testament bestimmten Erben treten das Erbe an. Der jüngere Bruder des Malleolus, der gegen ihn aufgetreten war in dessen Prozeß, beansprucht das Erbe für sich aufgrundder gesetzlichen Bestimmung über die Blutsverwandtschaft von Vaters Seite. Hier wird kein bestimmtes Gesetz für den Sachverhalt angeführt und dennoch werden viele angeführt, aus denen die Schlußfolgerung gezogen wird, weshalb der Genannte ein Testament rechtmäßig verfassen konnte oder nicht. Es liegt also eine auf einer geserzJichen Bestimmung beruhende Begründungsform aufgrund einer Schlußfolgerung vor. Welcher Gestalt die Arten der auf einer gesetzlichen Bestimmung beruhenden Begründungsformen sind, habe ich gezeigt. Nun will ich über die auf Rechrferrigung~gründen beruhende Begründungsform sprechen.
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Iuridicialis constitutio esr, euro factum convenit, sed iure an iniuria factum sit, quaeritur. Eius consritutionis partes duae sunt, quarum una absolura, altera adsumptiva nominarur.
Absoluta est, cum id ipsum, quod facrum esr, ut aliud rllhil foris adsumarur, recte facrum esse dicemus; ea est eiusmodi: Mimus quidarn nominatim Accium poetam conpellavir in scaena. Cum eo Accius iniuriarum agit. Hic nihil aliud defendir nisi licere nominari eum, cuius nomine scripta dentur agenda.
Adsumptiva pars esr, cum per se defensio infirma est, sed adsumpta extraria re conprobatur. Adsumptivae parres sunt quattuor: concessio, remotio criminis, translatio crirninis, conparario.
Concessio est, cum reus postular ignosci. Ea dividirur in purgationem et deprecarionem. Purgario est, cum consulro negar se reus fecisse. Ea dividitur in inprudentiam, fortunarn, necessiratem: fortunam, ur Caepio ad tribunum piebis de exercitus amissione; inprudentiarn, ut ille, qui de eo servo, qui dorninum occiderar, suppliciurn sumpsir, cui frater esset, anrequam tabulas testarnemi aperuit, curn is servus tesramento manu missus esset; necessirudinem, ur ille, qui ad diem commearus non venit, quod aquae se interclusissem.
Deprecatio est, curn et peccasse se et consulto fecisse confiterur, et tan1en posrulat, ut sui rnisc-
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Die Begründungsform beruht auf Rechtfertigungsgründen,l6 wenn Übereinstimmung über die Tat besteht, aber in Frage steht, ob sie zu Recht oder ungerechterweise begangen wurde. Von dieser Begründungsform gibt es zwei Arten, deren eine in sich vollständig, die andere an sich unvollständig genannt wird. In sich vollständig ist sie, wenn wir sagen, die Tat selbst sei, ohne daß von außen etwas anderes dazugenommen wird, rechtmäßig geschehen, z. B. folgendermaßen: Ein Schauspieler hat auf der Bühne den Dichter Accius nan1enrlich genannt. Gegen ihn klagt Accius wegen Beleidigung. Dieser bringt zu seiner Verteidigung nichts anderes vor, als daß es erlaubt sei, denjenigen namentlich zu nennen, unter dessen Namen ihn1 Manuskripte zur Aufführung gegeben würdenl7. Die an sich unvollständige Art liegt vor, wenn die Verteidigung von sich aus zu schwach ist, jedoch gebilligt wird, wenn etwas von außen dazugenommen wurde. An sich unvollständige Arten gibt es vier: das Zugeständnis, die Zurück-weisung, die Ablehnung der Schuld, die vergleichsweise Gegenüberstellung. Ein Zugeständnisl8 liegt vor, wenn der Angeklagte tun Verzeihung bittet. Es wird unterteilt in Entschuldigung und Abbitte. Eine Entschuldigung liegt vor, wenn der Angeklagte leugnet, die Tat absiehdich begangen zu haben. Sie wird unterteilt in Unkenntnis, Zufall, Unvermeidlichkeit: Zufall, wie sich z. B. Caepiol9 bei den Volkstribunen wegen des Verlustes seines Heeres entschuldigte; Unkenntnis, wie z. B. jener Mann, der den Sklaven, welcher seinen Herrn, dessen Bruder jener Mann war, getötet hatte, mit dem Tode bestrafte, bevor er das Testament öffnete, nach dem dieser Sklave freigelassen war;6o Unvermeidlichkeit, wie z. B. jener Soldat, der am Ende seines Urlaubes nicht zurückkam, weil Hochwasser ihm den Weg verspem habe.•• Eine Abbitte liegt vor, 6' wenn der Angeklagte zugibt, strafbar gehandelt und dies absichtlich getan zu haben, und
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rearur. Hoc in iudicio fere non porest usu venire, nisi quando pro eo dicimus, cuius multa recte facra extant, hoc modo - in loco communi per amplificationem iniciemus: "Quodsi hoc fecisser, tarnen ei pro pristinis bencficiis ignosci convenirct, verum nihil posrulat ignosci". Ergo in iudicium non venit; at in senarum aut ance inperatorem et consiJium talis causa potest venire.
Ex translarione criminis causa constat, cum fecisse nos non negamus, sed aliorum peccacis coactos fecisse dicimus: ut Orestes, cum se defendit, in matrem confert crimen. Ex remorione criminis causa constat, cum a nobis non crimen, sed culpam ipsam amovemus et vel in hominem transferimus vel in rem quampiam conferimus. In hominem rransfertur, ut si accuserur is, qui Publium Sulpicium se fatearur occidisse, er id iussu consulum defendat et eos dicat non modo inperassc, sed rarionem quoque ostendisse, quare id facerc liccret. ln rem confertur, ut si quis ex testarnemo quod facere iussus sit, ex piebis scito veterur. Ex conparacione causa constat, cum dicimus necessc fuisse alterotrum facere, et id, quod fecimus, satius fuisse facere. Ea causa huiusrnodi est: C. Popilius, curn a Gallis obsidererur neque fugere ullo modo posset, venit curn hostium ducibus in conlo-
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dennoch binet, die Richter möchten Mitleid mit ihm haben. Dies kann vor Gericht fast überhaupt nicht vorkommen, außer wenn wir für emen Mann sprechen, von dem viele rechtliche Taten bekannt sind, wie z. B. auf folgende Weisewir werden als einen Gerneinplatz mit Hilfe einer Steigerung einfügen: "Wenn er dies getan häne, müßte man ihm dennoch in Anbetracht seiner früheren Verdienste verzeihen; er verlangt aber überhaupt keine Verzeihung." Also kommt so etwas nicht vor Gericht; aber vor den Senat, vor den Befehlshaber und vor den Kriegsrat6 l kann ein solcher Fall kommen. Auf einer Ablehnung der Schuld beruht ein Rechtsfall, wenn wir nicht leugnen, die Tat begangen zu haben, aber behaupten, wir hätten sie ge7wungen durch die Vergehen anderer getan, wie z. B. Orestes, wenn er sich verteidigt, indem er die Schuld auf seine Mutter schiebt.64 Auf einer Zurückweisung der Schuld beruht ein Rechtsfall, wenn wir von uns nicht die vorgeworfene Tat, aber die Schuld selbst zurückweisen und sie entweder einem Menschen zuschieben oder auf irgendeinen Sachverhalt übertragen. Einem Menschen wird sie zugeschoben, wenn 7. B. der, welcher gesteht, den Publius Sulpicius getötet zu haben, angeklagt wird und s1ch dagegen mir dem Befehl der Konsuln verteidigt und sagt, diese hätten ibm das nicht nur befohlen, sondern ihm auch dje Begründung dafür aufgezeigt, warum e~ erlaubt sei, dies zu tun. 6 s Auf einen Sachverhalt wird sie übertragen, wenn z. B. jemandem das, was zu tun ihm durch ein Testament befohlen wurde, durch einen Volksbeschluß verboten wird. Auf einer vergleichsweisen Gegenüberstellung beruht ein Rechtsfall, wenn wir sagen, es sei notwendig gewesen, das eine oder das andere 7U tun, und es sei besser gewesen, das zu tun, was wir getan haben. Ein Fall dieser Art ist z. B. der folgende: Als C. Popilius von den Galliem belagert wurde und auf keine Weise fliehen konnte, trat er mir den Führern der Feinde in eine Unterredung ein; von dieser ging er mit
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cutionem; ita discessit, ur inpedimenta relinqueret, exercitum educeret. Sarius esse: duxit aminere inpedimenta quam exercirum. Exercirum eduxit, inpedimenta reliquit; accersirur maiestatis. Quae constiruriones er quae constirutionum partes sint, videor ostc:ndissc. Nunc quo modo eas er qua via tractari conveniat, demonstrandum est, si prius aperuerimus, quid oponeat ab ambobus in causa descinari, quo ratio omnis totius orationis conferatur.
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Constirutione igirur reperta sratim quaerenda ratio est. Ratio est, quae causam facit et cominet defensionem hoc modo - ut docendi causa in hac potissimum causa consistamus: Orestes euro confitearur se occidisse matrem, nisi adtulerit facti rationem, pervertet defensioncm. Ergo adfert eam, quae nisi intercederet, ne causa quidcm esset: "lila enim", inquit, "parrem meum occiderat". Ergo, ut ostendi, rario ea esr, quae continet defensionem, sine qua ne parva quidem dubitario potest remorari damnationem.
lnventa raüone firmamenrum quaerendum esr, id est quod continet accusationem, quod adfenur comra rationem defensionis, dc qua antc dierum est. Id conscituerur hoc modo: Cwn usus fuerit Orcstcs ratione hoc pacto: ,.Iure occidi, illa erum patrem meum occiderat", uterur accusator firmamento, hoc modo: ,.Ar non abs te occidi neque indamnatam poenas pendere oporruit." E:"l: rarione defensionis er ex firmamento accusationis iudicii quaescio nascarur oportet, quam nos
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dem Bescheid weg, er müsse den Troß zurücklassen, dürfe aber das Heer wegführen. Für besser hielt er es, den Troß zu ,·erlieren als das Heer. Er führte das Heer weg und ließ den Troß zurück; er wird wegen Verletzung der Staatshoheit belangt.66 Welche Begründungsformen und welche Arten von Begründungsformen es gibt, glaube ich gezeigt zu haben. Nun muß ich dartun, auf welche Weise und nach welcher Methode man sie behandeln soll; vorher will ich eröffnen, was von beiden Parteien in einem Rechtsstreit festgesern werden soll, worauf die Begründung der ganzen Rede ausgerichtet ist. Wenn also die Begründungsform gefunden 1st, muß sofort die Begründung gesucht werden. Die Begründung ist es, die einen Streitfall ausmacht und die Verteidigung beinhaltet, wie z. B. auf folgende Weise - um zu belehren, will ich gerade bei diesem Fall stehen bleiben: Orestes gesteht, die Mutter getötet 7U haben; wenn er nicht eine Begründung für die Tat vorbringt, wird er seine Verteidigung zunichte machen. Also bringt er eine vor; würde diese nicht dazukommen, würde es nicht einmal einen Streitfall geben. "Die Mutter harte nämlich", sagt er, "meinen Vater getötet." 67 Also ist, wie ich ge1eigt habe, die Begründung das, was die Verteidigung beinhaltet; ohne sie kann nicht einmal ein geringes Zaudern die Verurteilung aufschieben. Wenn die Begrundung gefunden ist, muß ein Beweis gesucht werden, d. h. etwas, was die Anklage aufrechterhält, was gegen die Begrundung der Verteidigung vorgebracht wird, über die vorher gesprochen wurde. Er wird sich z. B. auf folgende Weise darstellen: Wenn Orestes die Begründung auf folgende Art vorgebracht bat: "Mit Recht habe ich getötet; jene hatte nämlich meinen Vater getötet", wird der Ankläger den Beweis auf folgende Art vorbringen: .,Aber trotzdem härte sie nicht von dir gerötet und ohne Urteil bestraft werden dürfen. • 6J Aus der Begrundung der Verteidigung und aus dem Beweis der Anklage muß sich eine Untersuchung vor
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iudicationem, Graeci crinommon appellanr. Ea consriruetur ex coniuncrione firmamenti et rarionis defensione, hoc modo: Cum dicat Oresres se patris ulciscendi matrem occidisse, recrumne fuerit sine iudicio a filio Clyremesrram occidi.
Ergo hac ratione iudicarionem reperire convenit: repena iudicatione omnem rationem torius orationis eo conferri oponebir. In omnibus consrirutionibus et partibus consritutionum hac via iudicariones reperienrur, praererquam in coniecturali constirucione; in ea nec racio, qua re fecerir, quaeritur, fecisse enim negatur: nec firmamenturn exquiritur, quoniam non subesr rario. Quare ex intencione er inficiacione iudicatio conscituitur, hoc modo:
Intentio: "Occidisti Aiacem". Infitiatio: .. ~on occidi". Iudicatio: "Occiderime?" Ratio omnis utriusque orarionis, ut anre dierum est, ad hanc iudicationem conferenda est. Si plures erunt consritutiones aur parres consciturionum, iudicationes quoque plures erunt in una causa, sed omnes simili ratione reperienrur. Sedulo dedimus operam, ur breviter et dilucide, quibus de rebus adhuc dicendum fuir, diceremus. Nunc quoniam sacis huius voluminis magnitudo crevit, commodius est in altero libro de cereris rebus deinceps exponere, ne qua proprer mulrirudinem litterarum possit animum ruum defatigario retardare. Si qua tardius haec, quam studes, absolventur, cum rerum magnirudini turn nostris quo-
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Gericht ergeben, die wir strittigen Punkt, die Griechen cnnommon nennen.69 Diese wird sieb ergeben aus der Verbin-
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dung des Beweises und der Begründung der Veneidigung, z. B. auf folgende Weise: Wenn Orestes sagt, er habe die Mutter getötet, um den Vater zu rächen, so besteht die Frage, ob es rechtens war, daß Klyraimnestra ohne Gerichtsverfahren gerötet wurde. Also soll man auf diese Weise den strittigen Punkt finden; ist er gefunden, muß man die gesamte ßegr\lndung der ganzen Rede darauf ausrichten. Bei allen Begründungsformen bzw. Arten der Begtundungsformen werden auf diesem Wege die strittigen Punkte gefunden werden, außer bei der auf einer Vermutung beruhenden Begründungsform; 10 bei dieser wird weder eine Begründung für die Tat gesucht - die Tat wird nämlich geleugnet - noch macht man einen Bewe1s ausfindig, da es Ja keine Begründung gibt. Deshalb besteht der strittige Punkt aus der Beschuldigung und dem Leugnen, wie z. ß. auf folgende Weise: Beschuldigung: "Du hast Ajax getötet." Leugnen: "lch habe ihn nicht getötet."' Strittiger Punkt: "Hat er ihn getötet?" Die gesamte Begründung beider Reden muß, wie vorher gesagt, auf diesen strittigen Punkt gebracht werden. Wenn es mehrere Begründungsformen oder Arten von Begründungsformen gibt, wird es auch mehrere strittige Punkte in einem Streitfall geben, aber alle werden auf ähnliche Weise gefunden werden. Ich habe mich eifrig bemüht, kurz und klar über die Punkte zu sprechen, über die bisher zu sprechen war. Da nun der Umfang dieser Schrift genügend angewachsen ist, ist es zweckmäßiger, in einem weiteren Buch die übrigen Punkte der Reihe nach dar.t.ulegen, damit keine Ermüdung wegen der Menge der Worte deinen Geist hemmen kann. Wenn dieses Werk langsamer, als ich möchte, fertig wird, so mußt du das dem Umfang der Thematik, besonders aber meiner sonstigen Inanspruchnahme zuschreiben. Aber
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que occupacionibus adsignare debebis. Verwmamcn marurabimus, ct quod negorio deminutum fuerit, exaequabimus industria, ut pro ruo in nos officio ct nostro in te Studio munus hoc adcumulatissume ruae largiamur voluntaci.
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trotzdem werde ich mich beeilen und was an Arbeitszeit durch andere Aufgaben geschmälert ist, durch Fleiß ausgleichen, damit ich gemäß deiner Zuvorkommenheit und meiner Zuneigung zu dir mit dieser Aufgabe in höchstem Maße deinem Wunsch entspreche.
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In primo libro, Herenni. breviter exposuimus, quas causas recipere oratorem oportercr et in quibus officiis artis elaborare convenirct et ea officia qua ratione facillime consequi posser. Vcrum, quod neque de omnibus rebus simul dici poreratet de maximis rebus primum scribendum fuit, quo cetera tibi faciliora cogniru viderenrur, ita nobis plac1tum est, ut ea, quae difficillima essenr, potiss•mum conscriberemus. Causarum rria genera sunt: demonsrrativum, deliberativum, iudiciale. Multo difficillimum iudiciale cst; ergo id primum absolvemus. Hoc et priore libro egimus, cum de oraroris officiis quinque tractaremus. Quorum invemio et prima er difficillima est. Ea quoque nobis erit hoc libro propemodum absoluta; parvam partem eius in tertium volumen transferernus.
Im r. Buch, mein lieber Herennius, habe ich kurz dargelegt, welche Fälle der Redner übernehmen muß,' mit welchen Aufgaben seiner Kunst er sich beschäftigen soll' und auf welche Weise er diese Aufgaben am leichtesten erfüllen kann.> Aber weil nicht über alle Punkte gleichzeitig gesprochen werden konnte und tiber die wichtigsten 7Uerst geschrieben werden mußte, damit dir das übrige um so leichter erkennbar sch1en, beschloß ich. in erster Linie über die schwierigsten Fragen zu schreiben. Es gibt dm Arten von Redeanlässen, die darlegende Art, die beratende Art und die gerichtliche Art. Weitaus die schwierigste ist die gerichtliche An: Also will ich sie als erste behandeln. ln diesem und dem vorausgehenden Buch habe ich darüber geschrieben, als ich die fünf Aufgaben des Redners untersuchte. Von diesen ist die Auffindung des Stoffes die erste4 und schwierigste. Auch sie wird von mir in diesem Buch so ziemlich ganz behandelt; nur kleine Teile von ihr verlege ich in d~ 3· Buch .I Über die sechs Teile der Rede schneb ich 7uerst. Im r. Buch sprach ich über die Einleitung, die Darlegung des Sachverhaltes, die Gliederung des Stoffes,6 und zwar mit nicht mehr Worten, als nötig war, und nicht weniger klar, als du nach meiner Meinung wolltest. Danach mußte ich zusammenhängend über die Bekräftigung und Widerlegung sprechen. Deshalb habe ich die Gattungen der Begründungsformen und deren Arten erläuten;7 hieraus ging zugleich hervor, auf welche Weise man eine Begründungsform und die An einer Begründungsform bei einem gegebenen Fall finden müsse. Danach .,habe ich vorgetragen, wie man den strittigen Punkt suchen ~oll; i~t dieser gefunden, müsse man dafür
De sex parribus orationis primum scribere incein primo libro locuci sumus de exordio. narratione, dmsione, nec pluribus verbis quam necessc fuir, nec minus diluc•dc, quam te velle exisrimabamus; deinde coniuncre de confirmatione er confuratione dicendum fuit. Quare genera constitutionum et earum partes aperuimus; ex quo simul ostendebarur, quomodo consrirutionem et partero consrirurionis causa posira reperiri oporteret. pimu~:
Deiode docuimus, iudicauonem quemadmodum quaeri conveniret; qua in\'enta curandum, ut
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omnis ratio totius orationis ad eam conferatur. Posrea admonuimus esse causas conplures, in quas plures constituriones aut partes constitutionum adcommodarentur. Reliquum videbatur esse, ut osrenderemus, quae ratio posset inventiones ad unam quamque constirucionem aut partem constitutionis adcommodare, et irem quales argumentationes, quas Graeci epicheremata appellant, sequi, quales virari oporterer; quorum urrumque pereiner ad confirmacionem et ad confutarionem. Deinde ad exrremum docebimus, cuiusmodi conclusionibus orationum uci oporteat, qui locus erat extremus de sex partibus orarionis. Primum ergo quaeremus, quemadmodum quamque causam tractari converuat, et rumtrum coniecturalem eam, quae difficillima est, porissimum consideremus. In causa coniecrurali narratio accusatoris suspiciones inreriectas er dispersas habere debet, ut nihil actum, nihil dictum, nusquam ventum aur abitum, nihil denique facrum sine causa puretur. Defensoris narratio simplicem et dilucidam exposiri_on~m deber habere euro adtenuatione suspicsorus. Huius constirutionis ratio in sex partes est distributa: probabile, conlationem, signum, argumentum, consecutionem, adprobationem. Horuro unum quodque quid valeat, aperiemus.
Prohabile esr, per quod probatur expedisse reo peccare et ab simili turpitudine horoinem numquam afuisse. ld dividitur in causam et in vitam.
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sorgen, daß die gesamte Begründung der ganzen Rede darauf ausgerichtet ~t. ~ Sodann habe ich daran erinnert, daß es mehrere Fälle gibt, auf die mehrere Begründungsformen oder Arten von Begründungsformen angewendet würden.' Noch schien übrig, daß ich darlege, wdche Methode die Auffindung des Stoffes jeder einzelnen Begründungsform oder der An der Begründungsform anpassen könne, ' 0 und ebenso, welche Beweisführungen, die die Griechen epzcheremata nennen, man einschlagen," welche man meiden" müsse: beides gehört zur Bekräftigung und Widerlegung. Dann werde ich schließlich danun, \velcherlei Redeschlüsse man anwenden muß.ll Dies war der lerzre Abschnitt über die sechs Teile der Rede. Zuerst also werde ich fragen, wie man jeden Fall behandeln soll, und natürlich will ich den auf einer Vermurung beruhenden, der der schwierigste ist, zuerst behandeln. ln einem auf einer Vermutung beruhenden Fall muß die Darlegung des Sachverhaltes durch den Ankläger eingeflochtene und eingestreute Verdächtigungen enthalten, so daß der Glaube erweckt wird, nichts sei get
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Causa est ea, quae indux.it ad maleficium commodorum spe aut incommodorum v1tarione, cum quaeritur, num quod commodum maleficio apperierit, num honorem, num pecuniam, num dorninationem, num aliquam cupiditatem aur amoris aur eiusmodi libidinis voluerit explere aut num quod incommodum virarit: inimicitias, infamiam, dolorem, supplicium. Hic accusaror in spe commodi cupiditatem ostendet adversarii, in viratione incommodi formidinem augebit. Defensor autem negabit fuisse causam, si porerit, aut eam vehementer extenuabit; deinde iniquum esse dicet omnes, ad quos aliquid emolumenti ex aliqua re pervenerir, in suspicionem malefici devocari.
Deinde vita hominis ex ante factis spectabitur. Primwn considerabit accusator, num quando simile quid fecerit. Si id non reperiet, quaeret, nurn quando venerit in similem suspicionem, er in eo debebit esse occuparus, ut ad eam causam peccati, quam paulo ante exposuerit, vira hominis possit adcommodari, hoc modo: Si dicet pecuniae causa fecisse, ostendet eum semper avarum fuisse, si honoris, ambiciosum; ita poterit animi vitium cum causa peccati conglutinare. Si non poterir par vitium cum causa reperire, reperiat dispar. Si non poterit avarum demonstrare, demonstret conruptorem, perfidiosum; si quoquo modo poterit, denique aliquo aut quam plurirnis vitiis comaminabit personam; deinde qui iUud fecerit tarn nequiter,
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Die Veranlassung' ' ist das, was veranlaßt zu einer schlechten Tat durch die Hoffnung auf Vorteile oder das Vermeidenwollen von Nachteilen, wenn man untersucht, ob der Angeklagte irgendeinen Vorteil durch die Tat angestrebt hat, ob eine Ehrensrelle, ob Geld, ob eine beherrschende Stellung; ob er das Verlangen nach Liebe oder einer derartigen Leidenschaft stillen wollte; ob er einen Nachteil vermeiden wollte: Feindschaft~ Schande, Schmerz, Strafe. Hier wird der Ankläger bei der Aussicht auf einen Voneil die Begierde des Prozeßgegners deutlich zeigen, beim Vermeidenwollen eines Nachteiles seine Furchtsamkeit hervorkehren. Der Verteidiger aber wird abstreiten, daß es eine Veranlassung gegeben habe, wenn er kann, oder diese mir Nachdruck abschwächen; dann wird er sagen, es sei unbillig, daß alle, denen irgendein Nutzen aus irgendeiner Angelegenheit zufällt, in den Verdacht gebracht werden, eine schlechte Tat begangen zu haben. Hierauf betrachtet man das Vorleben des Angeklagten aufgrund früherer Taten.' 6 Zuerst wir:~ der Ankläger betrachten, ob er schon einmal etwas Ahnliebes getan hat. Wenn er nichts findet, wird er fragen, ob er schon einmal in einen ähnlichen Verdacht geraten sei; und dabei wird er seine ganze Aufmerksamkeit darauf richten müssen, daß zu der Veranlassung für das Vergehen, die er kurz zuvor dargetan hat, das Vorleben des Angeklagten in Beziehung gebracht werden kann, z. B. auf folgende Weise: Wenn er sagt, er habe die Tat wegen Geld begangen, wird er zeigen, daß er immer habgierig gewesen sei, wenn wegen einer Ehrenstelle, ehrgeizig; so kann er einen Charakterfehler mit der Veranlassung für ein Vergehen eng verbinden. Kann er keinen zu der Veranlassung passenden Fehler finden, mag er einen unpassenden finden. Kann er den Angeklagten nicht als habgierig zeigen, mag er ihn als Verführer, als Wortbrüchigen zeigen; wenn er es nur irgendwie fenigbringt, wird er ihn schließlich mit irgendeinem oder mir möglichst vielen Lastern besudeln. Hierauf wird er sagen, man brauche sich nicht zu wunde110, daß einer, der in jenem Falle so nichtsnut-
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eundern hunc ram perperarn fecisse non esse mirandurn. Si vehementer casrus et integer existirnabitur adversarius, dicet facta, non farnarn spectari oporrere; illum ante occultasse sua flagicia; se planum factururn ab eo maleficiwn non abesse. Defensor primum demonstrabit viram integram, si poterit: id si non poterit, confugiet ad inprudenciam, srulcitiarn, adulescentiam, vim, persuasionem; quibus de rebus vituperatio eorum, quae extra id crimen erum, non debeat adsignari. Sin vehementer hom.inis rurpirudine inpedierur er infamia, prius dabit operam, ur falsos rumores dissipatos esse dicat de innoceme, et urerur loco communi rumoribus credi non oponere. Sin nihil eorum fieri porest, utarur extrema defensione: dicar non se de moribus eius apud censores, sed de criminibus adversariorum apud iudices dicere.
Conlatio est, cum accusator id, quod adversarium fecisse criminatur, alü nemini nisi reo bono fuisse demonstrat, aut alium neminem potuisse perficere nisi adversarium, aut eum ipsum aliis rationibus aut non potuisse aur non aeque commode potuisse aut eum fugisse alias rationes commodiores proprer cupiditatem. Hoc loco defensor demonstret oporret aut aliis quoque bono fuisse aut alios quoque id, quod ipse insimulerur, facere potuisse.
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zig gehandelt habe, nun auch eine so unrechte Tat begangen habe. Wird der Prozeßgegner für völlig lauter und unantastbar gehalten, wird der Ankläger sagen, man müsse seine Taten, nicht seinen Ruf in Augenschein nehmen; jener habe vorher seine Freveltaten verheimlicht; er werde offenlegen, daß von dem Angeklagten eine schlechte Tat nicht so weit entfernt sei. Der Verteidiger wird zuerst des Angeklagten unantastbares Vorleben nachweisen, wenn er kann; kann er das nicht, wird er seine Zuflucht nehmen zu dessen Unbesonnenheit, Torheit, Jugend, zu Gewalt und Überredung; darüber (muß man vorsichtig sprechen und so, daß es unserer Sache dienlich ist; außerdem werden wir sagen, wenn es um ein Verbrechen gehe, gehöre es nicht zur Sache, sein Vorleben und seinen Charakter ihm vorzuwerfen, weil dem Angeklagten nicht das) zum Vorwurf gemacht werden dürfe, was nichts mit dieser Anschuldigung zu tun hat. ' 7 Wenn er aber durch den schändlichen Lebenswandel und durch dessen schlechten Ruf arg behindert wird, wird er sich vorher Mühe geben zu betonen, daß falsche Gerüchte ausgestreut seien über einen rechtschaffenen Mann; und er wird den Gemeinplatz anbringen, man dürfe Gerüchten keinen Glauben schenken. Kann aber nichts davon geschehen, mag er die letzte Möglichkeit der Verteidigung anwenden: Er soll sagen, er spreche nicht über den Charakter des Angeklagten vor Zensoren, sondern über die Anschuldigungen der Gegenpartei vor Richtern. •8 Ein Beweis durch Vergleichen'9 ist es, wenn der Ankläger nachweist, daß die Tat, deren er den Prozeßgegner beschuldigt, für niemanden sonst als für den Angeklagten von Vorteil gewesen sei, oder daß kein anderer als der Prozeßgegner sie vollbringen konnte, oder daß dieser selbst mit anderen Mitteln sie überhaupt nicht oder nicht gleich vorteilhaft vollbringen konnte, oder daß ihm andere vorteilhaftere Mittel entgangen seien wegen seiner Gier. In diesem Falle muß der Verteidiger nachweisen, daß entweder die Tat auch anderen von Vorteil gewesen ist oder daß auch andere die Tat, deren gerade der Angekla~e beschuldigt werde, begehen konnten.
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Signum est, per quod osrenditur idonea perficiendi facultas esse quaesita. ld dividirur in partes sex: locum, tempus, spatium, occasionem, spem perficiendi, spem celandi.
Locus quaerirur, celebris an desertus, semper desenus an rum, cum id facrum sit, fuerit in eo loco solirudo, sacer an profanus, puplicus an privarus fuerit; cuiusmodi loci adtingant; num, qui est passus, perspectus aur exaudirus esse possit. Horum quid r~o. quid accusatori conveniat, perscribere non gravaremur, nisi facüe quivis causa posita posset iudicare. Initia enim invenrionis ab arte debent proficisci, cetera facile conparabir exercitatio.
Tempus ita quaeritur: quid anni, qua hora nocru an interdiu - er qua die, quora hora facrum esse dicatur, er cur in eiusmodi remporibus. Spatium ita considerabirur: satisne longum fuerit ad eam rem rransigendam, scieritne satis ad id perficiendum spatii fururum; nam parvi refert saris sparü fuisse ad id perficiendum, si id ante sciri et ratione provideri non poruit. Occasio quaeritur idoneane fuerit ad rem adoriendam an alia melior, quae aut praeterita sit aur non expectata. Spes perficiendi ecqua fuerit, specrabitur hoc modo: si, quae supra dicta sunt, signa concurrent, si praeterea ex altera parre vires, pecunia, consiliurn, scienria, apparatio videbitur fuisse, ex alrera
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Ein sachlicher Beweis"0 ist derjenige Beweis, durch den gezeigt wird, daß eine passende Gelegenheit 1ur Durchführung der Tat gesucht wurde. Dieser wird eingeteilt in sechs Arten: Ort, Zeitpunkt, Zeitraum, günstige Gelegenheit, Aussicht auf erfolgreiche Durchführung, Aussicht auf Verheimlichung. Bei der Prüfung des Ortes fragt man, ob er belebt oder verlassen, ob immer verlassen oder nur damals, als die Tat geschah, ob an dem Ort Menschenleere herrschte, ob er für religiöse Zwecke geweiht war oder weltlichen diente, ob er öffentlich oder in Privatbesitz. war; was für Orte angrenzen; ob das Opfer der Tat gesehen oder gehört werden konnte. Was von diesen Umständen dem Angeklagten, was dem Ankläger förderlich ist niederzuschreiben, wäre mir nicht zuviel, wenn es nicht jedermann nach Festsetzung des Streitfalles leicht beurteilen konnte." Denn nur der Beginn der Auffindung des Stoffes muß von theoreti~cher Unterweisung ausgehen; das übrige wird leicht die Ubung bringen. Der Zeitpunkt wird folgendermaßen geprüft: Zu welcher Jahreszeit, zu welcher Stunde- bei Nacht oder während des Tages -, an welchem Tage, zur wievielten Stunde11 soll die Tat geschehen sein und warum zu diesem Zeitpu!lkt. Der Zeitraum wird folgendermaßen in die Uberlegung einbezogen: ob er lang genug war, um d1e Tat zu 'erüben, ob der Täter wußte, daß die Zeit zur Ausführung der Tat reichen werde; denn es ist von geringer Bedeutung, daß die Zeit genügte, um die Tat auszuführen, wenn man das nicht im voraus wissen und vorausplanen konnte. Die günstige Gelegenheit wird dahingehend geprüft, ob sie geeignet war, um die Sache in Angriff zu nehmen, oder ob eine andere besser gewesen wäre, die aber schon vergangen war oder mit der man nicht mehr rechnete. Ob eine Aussicht auf erfolgreiche Durchführung bestand, wird man auf folgende Weise betrachten: Wenn die oben genannten sachlichen Beweise zusammenpassen, we~ außerdem auf der einen Seite Kräfte, Geld, planmäßige Überlegung, Kenn111is, Vorbereitung vorhanden zu sein
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parte inbecillitas, inopia, srulricia, inprudenria, inapparatio demonsrrabirur fuisse; qua re scire poterit, utrum diffidendum an confidendum fucrit. Spes celandi quae fuerit, quaerirur ex consciis, arbitris, adiutoribus, liberis aut servis aut utrisque. Argurnenturn est, per quod res coarguirur cercioribus argumenris er magis finna suspicione. Id dividirur in tempora tria: praeterirum, instans, consequens. In praeterito tempore oponet considerare, ubi fuerit, ubi visus sie, quicum visus sit, num quid appararit, num quem convenerit, num quid dixerit, num quid habuerit de consciis, de adiuroribus, de adiumencis; num quo in loco praeter consuerudinem fuerit aut alieno tempore. ln instanti rempore quaererur, num visus sit, cum faciebat, num qui strepitus, clamor, crepitus exauditus, aut denique num quid aliquo sensu perceprum sit, aspecru, audiru, tacru, odoratu, gustatu; nam quivis horum sensus potest conflare suspicionem. In consequenti tempore spectabirur, num quid re transaeta relicrum sit, quod indicet aut facrum esse maleficium aut ab quo facrum sit. Factum esse, hoc modo: si rumore et livore decolorarum corpus est morrui, significar eum veneno necarum. A quo factum sit, hoc modo: si celum, si vesrimentum, si quid eiusmodi relicrum aut si vestigium reperrum fuerit, si cruor in vesrimemis, si in eo
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scheinen, auf der anderen Seite Schwäche, Not, Torheit, Unbesonnenheit, fehlende Vorbereitung erwiesenermaßen vorhanden waren; daraus wird man erkennen können, ob der Angeklagte dem Erfolg mißtrauen mußte oder ob er darauf vertrauen konnte. Welche Aussicht auf Verheimlichung bestand, wird aufgrund der Mitwisser, Zeugen. Helfer ermittelt, Freier oder Sklaven oder beider. Ein Beweis durch Überführung ist der Beweis, durch den der Sachverhalt in hellem Licht gezeigt wird durch sicherere Beweise und durch einen noch gefestigteren Verdacht. Dieser Beweis wird eingeteilt in drei Zeitstuien: die Zeit vor der Tat, die Zeit während der Tat, die Zeit nach der Tat.'l Bei der Zeit vor der Tat muß man in Betracht ziehen, wo der Angeklagte sich aufhielt, wo er gesehen wurde, mit wem er gesehen ·wurde, ob er irgendwelche Vorbereitungen traf, ob er jemanden aufsuchte, ob er sich zu erwas äußerte, ob er Mirwisser, Helfer, Hilfsmittel um sich hatte; ob er sich an einem Ort entgegen seiner sonstigen Gewohnheit aufhielt oder zu ungewöhnlicher Zeit. Bei der Zeit während der Tat wird man untersuchen, ob er gesehen wurde, während er die Tar beging, ob Lärm, Schreien, Krach gehört wurde oder ob man schließlich erwas mit irgendeinem Sinnesorgan wahrnahm durch Sehen, Hören, Berühren, Riechen, Schmecken; denn ein jeder dieser Sinne kann einen Verdacht verdichten. Bei der Zeir nach der Tat wird man beobachten, ob erwas nach Vollendung der Tat zurückgelassen wurde, was darauf hinweist, daß ein Verbrechen verübt oder von wem es verübt wurde. Daß es verübt wurde, erkennt man z. ß . auf folgende Weise: Wenn die Leiche des Toten aufgedunsen und blau verfärbt ist, zeigt dies an, daß er durch Gift getötet wurde. Von wem es verübt wurde, erkennt man z. B. auf folgende Weise: Wenn eine Waffe, wenn ein Kleidungsstück, wenn irgend crwas derartiges wrückgelassen wurde oder wenn eine Fußspur des Angeklagten gefunden wurde; wenn Blur an seinen Kleidern hängt; wenn er nach dem Geschehen an
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loco conprehensus aut visus, transacto negotio, quo in loco res gesta dicirur. Consecutio est, cum quaeritur, quae signa nocentis et innocenris consequi soleanr. Aceusator dicet, si poterit, adversarium, cum ad euro venrum sit, erubuisse, expalluisse, tirubasse, inconstanter locurum esse, concidisse, pollicirum esse aliquid; quae signa conscientiae sint. Si rcus horum nihil fecerit, accusaror dicet eum usque adeo praemeditatum fuisse, quid sibi esset usu venrurum, ut confidentissime resisteret et respondcrct; quae signa confidentiae, non innoccntiae sim. Defensor, si pertimuerit, magnitudine periculi, non conscientia peccati se commotum esse dicet; si non perrimuerit, frerum innocentia negabit esse commorum.
Adprobatio est, qua utimur ad extremurn, confirmata suspicionc. Ea habet locos propries atque communes. Proprü sunt Ü, quibus ni~i accusator nemo potest uti, et ü, quibus nisi defensor nemo potest uti. Communes sunt, qui alia in causa ab reo, alia ab accusatore tractantur.
In causa coniecrurali proprius locus accusatoris est, cum dicit malerum misereri non oponere et cum auget peccati atrocitatem. Defensoris proprius locus est, cum misericordiam captat er cum accusatorem calumniari criminatur. Communes loci ~unt cum accusatoris rum defensoris abs tcstibus comra testes, abs quaesrioni-
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dem Ort ergriffen oder gesehen wurde, an dem die Tat verübt worden )ein soll. Ein Beweis aus den Folgen Üegt vor, wenn man fragt, welche Zeichen für Schuld und Unschuld zu folgen pflegen. Der Ankläger wird sagen, wenn möglich, der Prozeßgegner )ei, als man zu ihm gekommen sei, errötet, erblaßt, habe gestammelt, unsicher gesprochen, sei zusammengebrochen, habe etwas versprochen; dies seien Zeichen eines schlechten Gewis~ens. Hat der Angeklagte nichts davon getan, wird der Ankläger sagen, dieser habe in solchem Maße im voraus überlegt, w~ auf ihn zukommen werde, daß er sich sehr selbstbewußt widersetzte und antwortete; das seien Zeichen von dreistem Selbstbewußtsein, nicht von Unschuld. Der Verteidiger wird, wenn sein Mandant Furcht erkennen läßt, sagen, er werde durch die Größe der Gefahr, nicht durch das Bewußtsein einer Schuld erregt; läßt er keine Furcht erkennen, wird er sagen, er sei in festem Vertrauen auf seine Unschuld nicht erregt. Ein Beweis durch Zustimmung ist die Beweisführung, die wir erst gan:z. am Ende anwenden, wenn unsere Vermutung erhärtet ist. Dieser Beweis beinhaltet Sonder- und Gemeinplätze.'~ Sonderplät-u sind diejenigen, die niemand außer dem Ankläger, oder diejenigen, die nur der Verteidiger anwenden kann. Gemeinplätze sind diejenigen, die in dem emen Prozeß vom Angeklagten, in einem anderen vom Verteidiger gehandhabt werden. In einem auf Vermutung beruhenden Prozeß ist es ein Sonderplatz für den Ankläger, wenn dieser sagt, man dürfe mit Übeltätern kein Mitleid haben, und wenn er die Schrecklichkeit des Verbrechens aufbauscht. Ein Sonderplatz für den Verteidiger ist es, wenn er auf Mitleid aus ist und den Ankläger beschuldigt, er verleumde. Gemeinplätze des Anklägers und besonders des Verteidigers smd das Heranziehen von Zeugen und das Widerlegen von Zeugen, das Heranziehen von Untersuchungsergebnissen und das Widerlegen von Untersuchungsergebnissen, die unter Folter gewonnen wurden,'1 das Heranziehen von
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bus contra quaestiones, ab argumentis contra argumenra, ab rumoribus contra rumores. A testibus dicemus secundum auctoritatern er viram restium er constantiam resrimoniorum; contra testes secundum virae turpitudinem, tesrimoniorurn inconstantiam; si aut fieri non potuisse dicemus am non factum esse, quod dicant. aut scire illos non potuisse aut cupide dicere et argurnemari. Haec er ad inprobationem er ad imerrogationem testium pertinebunt. A quaestionibus dicemus, cum demonsrrabimus maiores veri inveniendi causa tonnenris er cruciatu voluisse quaeri er summo dolore homines cogi, ur quicquid sciant, dicant. Et praeterea confirmacior haec erit disputario, si quae dicta erunt, argumentando isdem vüs, quibus omnis coniectura rractatur, trahemus ad veri similem su~picionem; idemque hoc in testimoniis facere oportebit. Contra quaestiones hoc modo dicemus: primum maiores voluisse certis in rebus interponi quaesriones, cum, quae vere dicerentur, sciri, quae falso in quaestione pronuntiarenrur, refelli possent, hoc modo: quo in loco quid positum sir, er si quid esset simile, quod videri aut aliquo simili signo percipi posset; deinde dolori credi non oportere, quod alius alio recentior sit in dolore, quod ingeniosior ad comminiscendum, quod denique saepe scire aut suspicari possit, quid quaesitor velir audire; quod cum dixerit, inrellegat sibi finem doloris futurum. Haec disputatio conprobabitur, si refeJ-
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Beweisen und das Widerlegen von Beweisen, das Heranziehen von Gerüchten und das Widerlegen von Gerüchten.'' Zeugen ziehen wir heran, indem wir von dem anerkannten Vorleben der Zeugen und der Beständigkeit ihrer Zeugenaussage sprechen. Beim Widerlegen von Zeugen von ihrem schimpflichen Vorleben und der Unbeständigkeit ihrer Zeugenaussagen: wenn wir sagen, es habe nicht geschehen können oder sei nicht geschehen, was sie behaupteten, oder sie hätten es nicht wissen können oder sie sprächen oder führten Beweise leidenschaftlich und parteiisch. Dies wird auch '-um Mißbilligen und zum Verhör der Zeugen gehören. Untersuchungsergebnisse, die unter Folter gewonnen wurden, werden "'ir heranziehen, indem wir darauf hinweisen, daß unsere Vorfahren, um die Wahrheit herauszubekommen, unter Folterqualen Untersuchungen durchführen und die Verhörten durch äußersten Schmerz zwingen ließen, alles zu sagen, was sie wüßten; und außerdem wird diese unsere Erörterung besser gesichert sein, wenn wir die Aussagen, indem wir auf den nämlichen Wegen Beweise anführen, aus denen ein mutmaßlicher Schluß gezogen wird, zu einer wahrscheinlichen Vermutung zusammenziehen; genau das gleiche wird man bei Zeugenaussagen tun müssen. Umersuchungsergebnisse, die unter Folter gewonnen wurden, widerlegen wir auf folgende Weise: Erstens hätten die Vorfahren nur in unzweifelhaften Angelegenheiten Untersuchungen stattfinden lassen, wenn man wahrheitsgemäße Aussagen als solche erkennen, falsche Aussprüche während der Untersuchung widerlegen konnte, z. B. auf folgende Weise: An welchen Ort etwas gelegt sei, oder wenn es etwas Ähnliches war, was man sehen oder durch irgendein ähnliches Zeichen wahrnehmen konnte; weiterhin dürfe man einer unter Schmerz gemachten Aussage nicht glauben, weil der eine kräftiger im Ertragen von Schmerzen sei als der andere, weil geschickter beim Erfinden, weil er schließlich oft wissen oder vermuten könne, was der Untersuchungsrichter hören wolle; wenn er dies aussage, wisse er, daß dann der Sehrnerz ein Ende nehme. Diese Erörterung wird
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lemus, quaein quaestionibus
Ab rumoribus diccmus, si negabimus remere famam nasci solere, quin subsit aliquid; et si dicemus causam non fuisse, quare quispiam co_9fingeret et comminisceretur; et praeterea, si ceteri falsi soleant esse, argumenrabimur hunc esse verum. Contra rumores dicemus primum, si docebimus multös esse falso~ rumores, et exempüs utemur, de quibus falsa fama fuerit; et am inimicos nostros aut homines natura malivolos et maledicos confin-
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Zustimmung ftnden, wenn wir die während der Untersuchung gemachten Aussagen in einer glaubhaften Beweisführung zurückweisen; dies muß man durch die Arten der Schlußfolgerung, die ich oben dargelegt habc,' 7 run. Unter Heranziehung von Beweisen durch Überführung, von sachlichen Beweisen und von den übrigen Gemeinplätzen, durch die die Vermutung gesteigert wird, kann man auf folgende Weise sprechen: Wenn viele Beweise durch Überführung und sachüche Beweise zus=enkämen, die untereinander übereinstimmten, müsse die Angelegenheit klar erwiesen, nicht auf Vermutungen beruhend erscheinen. Ebenso müsse man Beweisen durch Überführung und sachlichen Beweisen mehr glauben als Zeugen; diese Beweise wurden nämlich ebenso vorgelegt, wie das Geschehen sich in Wirklichkeit ereignet habe; Zeugen aber könnten bestochen werden durch Geld, Gunst, turcht, Feindschaft. Zur Widerlegung von Beweisen durch Überführung, von sachliche.n Bewei~en und von den übrigen Vermutungen werden wu auf folgende Weise sprechen: Wenn wir darauf hinweisen, daß es nichts gebe, was nicht durch Vermutungen einem jeden 7Ur Last gelegt werden könne; dann werden wir jede einzelne Vermutung abschwächen und uns Muhe geben zu zeigen, daß sie um mchts mehr auf uns als auf jeden beliebigen anderen zutreffe; es sei ein nichtswürdiges Vorgehen, ohne Zeugen einen mutmaßlichen Schluß und eine Vermutung als genügend beweiskräftig zu nehmen. Gerüchte werden wir heranziehen, wenn wir behaupten, ein Gerede entstehe gewöhnlich nicht, ohne daß etwas zugrunde liege; und wenn wir sagen, es habe keinen Grund gegeben, warum jemand es erfinde und ausdenke; und außerdem, wenn die übrigen Gerüchte gewöhnlich falsch seien, werden wir beweisen, daß das vorliegende walu sei. Zur Widerlegung von Gerüchten werden wir erstens sprechen, wenn wir darauf hinweisen, daß viele Gerüchte falsch !>ind, und wenn wir Beispiele anführen von Personen, über die ein falsches Gerücht herrschte; und wenn wir sagen, daß unsere Femde oder ,·on Natur aus böswillige und schmäh-
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xisse dicemus; er aliquam confictam fabulam in adversarios adferemus, quam dicamus Omnibus in ore esse, aur verurn rumorem proferemus, qui illis aliquid turpitudinis adferat, neque tarnen ei mmori nos fidem habere dicemus, ideo quod quivis unus homo possir quamvis rurpem de quoliber rumorem proferre et confictam fabulam dissipare. Verumtamen si rumor vehementer probabilis esse videbirur, argumentando farnae fidem poterimus abrogare.
Quod et difficillima rractatu est consrirutio coniecturalis et in veris causis saepissime rractanda est, eo diligentiu~ omnes eius partes perscrutaci sumus, ur ne parvula quidem titubatione aur offensarione inpediremur, si ad hanc rationem praeceptionis adsiduitarem exercitarionis adcommodassemus. Nunc ad legirimae constirutionis partes rranseamus. Cum voluntas scriproris euro scripto dissidere videbirur, si a scripto dicemus, his locis utemur: secundum narrationcm primum scriptoris conlaudatione; deinde scripti recitatione; deinde percontarione, scirentne adversarii id scripturn fuisse in lege aut tesramento aut stipulatione aur quoliber scripto, quod ad eam rem pertinebit; deinde conlatione, quid scripturn sit, quid adversarii se fecisse dicant, quid iudicem sequi conveniat, urrum id, quod diligenter perscriprum sit, an id, quod acute sit excogitarum; deinde ea sententia, quae ab adversariis sit excogitata er scripto adtributa contemnerur et infirmabirur. Deinde quaererur, quid periculi fuerir, si id voluisset adscribere, aut num po-
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süchtige Menschen das Gerücht erdichtet hätten; und wir werden enrweder irgendein erdichtetes Gerede gegen die Gegenpartei anführen, das, wie wir sagen, in aller Munde sei, oder ein auf Wahrheit beruhendes Gerücht vorbringen, das jener irgendwie Schande bringt, aber wir werden sagen, daß wir diesem Gerücht trotzdem keinen Glauben schenken, weil doch jeder beliebige Mensch jedes beliebige Gerücht über jeden beliebigen vorbringen und ein erdichtetes Gerede ausstreuen kann. Wenn aber das Gerücht ganz. und gar glaubhaft zu sein scheint, werden wir durch logische Beweisführung dem Gerede seine Glaubwürdigkeit nehmen können. Weil die auf einer Vermutung beruhende Begründungsform am schwierigsten 7U behandeln ist und in wirklichen F:i.llen11 am häufigsten behandelt werden muß. babe ich um so sorgfältiger alle ihre Arten untersucht, damit wir nicht durch ein noch so geringes Schwanken oder einen noch so geringen Mißgriff gehindert werdel'l:! wenn wir nur dieser theoretischen Anleitung beständige Ubung angefügt haben. Nun will ich zu den Arten der auf einer gesetzlichen Bestimmung beruhenden Begründungsform übergehen. Wenn die Absicht des Verfassers mit dem Wortlaut in Widerspruch zu stehen scheint, werden wir, wenn wir vom Wortlaut ausgehen, die folgenden Gemeinplätze anführen:'' Unmittelbar nach der Darlegung des Sachverhaltes eine lobende Erwähnung des Verfassers; dann einen Vonrag des Wortlautes; hierauf die Frage, ob die Gegenpartei genau wisse, daß dies der Wortlaut sei in dem Gesetz oder Testament oder Vertrag oder sonstigen Schriftstück, das für diese Angelegenheit in Frage kommt; dann eine vergleichende Gegenüberstellung dessen, wie der Wortlaut sei und was die Gegenpartei getan zu haben sage, was davon der Richter berücksichtigen solle; entweder das, was sorgfältig niedergeschrieben sei, oder das, was man sich scharfsinnig ausgedacht habe; dann wird der Sinn, der von der Gegenpartei ausgedacht und dem Schriftsrück untergeschoben wurde, zurückgewiesen und entkräftet. Dann wird man fragen,
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~erit pcrscriberc. Dcinde a nobis sentenria repenetur et causa proferetur, quare id scripror senscrit, quod scripserit; et demonstrabirur scripturn illud esse dilucide, breviter, commode, pcrfecte, cum ratione cena. Deinde exempla proferentur, quae res, cum ab adversariis sententia reddererur er voluntas adferrerur, ab scripto porius iudicatae sim. Deinde ostendetur, quam periculosum sit ab scripto recedere. Locus communis est. comra eum, qui, curn fateatur se contra quod legibus sancitum aut tesramento perscripturn sit, fecisse, tarnen facti quaerat defensionem.
Ab sententia sie dicemus: Primum laudabimus scriptoris commoditatem arque brevitarem, quod tantum scripserit, quod necesse fuerit; illud, quod sine scripto intellegi potuerit, non necessarium scribendum purarit. Deinde dicemus calumniatoris esse officium verba et litteras sequi, neclegere volunratem. Deinde id, quod scriprum sit, aur non posse fieri aut non lege, non more, non natura, non aequo et bono posse fieri, quae omoia noluisse Scriptorern quam rectissime fieri nemo dicet; at ea, quae a nobis facta sinr, iustissime facta. Deinde contrariam sententiam aur nullam esse aut stultam aut iniusram aur non posse fieri aur non constare cum superioribus et inferioribus seotentiis aut cum iure communi aut cum aliis legibus commuoibus aut cum rebus iudicatis dissemire. Deinde exemplorum a voluntate er contra scriprum iudicatorum enumeracio, deinde legum er stipulacionum
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welche Gefahr bestanden hätte, wenn der Verfasser dies hätte dazuschreiben wollen, oder ob es nicht deutlich hätte niedergeschrieben werden können. Dann wird von uns ein Sinn gefunden und der Grund dafür vorgebracht werden, warum der Verfasser auch das meinte, was er schrieb; und man wird deutlich machen, daß der Wortlaut klar, kurz und bündig, angemessen, vollständig, mit einer bestimmten Absicht gewählt sei. Dann bringt man Beispiele vor, welche Angelegenheiten, obwohl von der Gegenpartei der Sinn und die Absicht angeführt wurden, eher nach dem Wortlaut entschieden wurden. Dann zeigt man, wie gefährlich es sei, vom Wortlaut abzuweichen. Dies ist ein Gemeinplatz gegen den, der, obwohl er zugibt, gegen die Verfügungen von Gesetzen oder die Bestimmungen eines Testaments gehandelt zu haben, dennoch eine Rechtfertigung für seine Handlungsweise sucht. Vom Sinn ausgehend werden wir folgendes sagen: Zuerst loben wir des Verfassers angemessene und prägnante Ausdrucksweise, daß er nur so viel geschrieben habe, wie nötig gewesen sei; was man auch ohne schriftliche Niederlegung habe verstehen können, habe er nicht unbedingt niederschreiben zu müssen geglaubt. Dann sagen wir, es sei die Aufgabe eines Rechtsverdrehers, sich an Worte und Buchstaben zu halten, den Sinn aber nicht zu beachten. Dann: Der Wortlaut könne überhaupt nicht in die Tat umgesetzt werden oder wenigstens nicht im Einklang mit Gesetz, Sitte, Natur, Billigkeit und Redlichkeit;> 0 niemand wird behaupten, der Verfasser habe nicht gewollt, daß dies alles möglichst richtig verwirklicht werde; unsere Taten aber seien völlig gerecht gewesen. Weiterhin sei ein gegensätzlicher Sinn überhaupt nicht möglich oder er sei töricht, ungerecht oder könne nicht durch eine Handlung verwirklicht werden oder er stimme nicht überein mit vorausgehenden oder folgenden Sinnesäußerungen oder er stehe im Widerspruch zum allgemein gültigen Recht>' oder zu anderen allgemein gültigen Gesetzen oder zu vorliegenden Urteilen. Hierauf zahlen wir beispielhafte Rechtsfälle auf, die gemäß der
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breviter exscriptarum, in quibus intellegarur senprorum volunras, exposirio. Locus communis contra eum, qui scriprum recitet et scriptoris volunrarem non interpreterur. Cum duae Ieges inter se discrepant, videndum esr primum, num quae obrogatio aut derogario sit, deinde urrum Ieges ita dissentiant, ut altera iube-
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Si ambiguum esse scriprum putabirur, quod in duas aut plures senrcntias trahi possit, hoc modo rracrandum est: primum sirne ambiguum, quaerendum est, deinde quomodo scriprum esset, si id, quod adversarii interpretanrur, scriprar fieri voluisset osrendendum est; deinde id, quod nos interpreremur, er fieri posse et honeste, recte, lege, more, narura, bono er aequo ficri posse; quod ad-
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Absicht und gegen den Wortlaut entschieden wurden, dann stellen wir Gesetze oder knapp formulierte Verträge vor, bei denen man die Absicht der Verfasser erkennt. Das ist ein Gemeinplatz gegen den, der nur den Worrlaut vorliest und die Absicht des Verfassers nicht deutet. Wenn zwei Gesetze zueinander im Widerspruch stehen, muß man zuerst sehen, ob eines ganz oder teilweise aufgehoben wurde; dann, ob die Gesetze nicht in der Weise übereinstimmen, daß das emc befiehlt, das andere verbietet, oder m der Weise, daß das eme zwingend vorschreibt, das andere freistellt. Werug wirksam nämlich wird dessen Verteidigung ~ein, der behauptet, er habe nichr getan, was ihm zwingend vorgeschrieben worden sei, weil ein anderes Gesetz es freistelle; größere Wirkung hat nämlich die Verordnung als das freistellen. Ebenso ist jene Verteidigung schwach, wenn man darlegt, diese Tat sei verübt worden, weil sie ein Gesetz verordne, das völlig oder teilweise abgeschafft worden sei; was durch ein späteres Gesetz verordnet worden sei, sei nicht beachtet worden. Wenn dies in Erwägung gezogen ist, werden wir sofort da~ Gesetz, das für uns spricht, darlegen, vonragen und lobend hervorheben. Dann werden wir die Absicht des gegensätzlichen Gesetzes endmoten und zum Voneil für unseren Fall auslegen. Dann werden wir von der auf Rechtfertigungsgründen beruhenden, in sich abgeschlossenen Begründungsform die Begründung der Rechtsbestimmung nehmen und die Teile der Rechtsbestimmung dahingehend untersuchen, zu wessen Vorteil sie sind; über diese An der auf Rechtfertigungsgründen beruhenden Begründungsform will ich weiter unten sprechen.F Wenn man ein Schriftstück für zweideutig hält, weil es in zwei- oder mehrfachem Sinn gedeutet werden kann, muß man e~ auf folgende Weise behandeln: Zuerst muß man untersuchen, ob es überhaupt zweideutig ist; dann muß man darlegen, wie ~ein Wortlaut wäre, wenn der Verfasser die Deutung der Gegenpartei beabsichtigt häne; dann ist w zeigen, daß unsere Deutung durchführbar ist, und zwar ehrenhaft, rechtmäßig, gemäß dem Gesetz, der Sitte, der Natur,
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versarü inrcrprerenrur, cx contrario; nec esse ambigue scriprum, cum inreUegarur, utra sentemia vera sit. Sunt, qui arbitrenrur ad hanc causam tractandam vehementer pertinere cognitionern amphiboliarum eam, quae ab dialecticis proferarur. Nos vero arbitramur non modo nullo adiumento esse, sed potius rnaximo inpedimenro. Omnes enirn illi amphibolias aucupanrur, cas etiam, quae ex a!tera pane senrentiam nullam possunt interpretari. ltaque er alieni serrnonis molesti inrerpellatores er scripti euro odiosi rum obscuri tnterpreres sunr; et dum caure er expedite loqui volunt, infantissimi reperiuntur. lta dum meruunr in dicendo. ne quid ambiguum dicant, nomen suum pronuntiare non possunr. Verum horum pueriles opiniones recrissimis rarionibus, cum voles, refellemus. In praescntiarum hoc intercedere non alienum fuit, ur huius infantiae garrulam disciplinam contemneremus.
Cum definitione utemur, prirnum adferemus bre\·em vocabuli definitionem, hoc modo: ,,Maiestatem is minuit, qui ea rollir, ex quibus rebus civitaris arnplirudo constar. Quae sunt ea, Q. Caepio? Suffragia populi er consilium magtstrarus. Nempe igirur ru et populum suffragio er magistramm consilio privasti, cum pomes disturbasti." Irem ex contrario: "Maiesratem is minuir, qui amplitudinem civitatis detrimenro: aerarium enim conservavi, libidini malorum resriti, maiestatem omnem interirenon passus sum."
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auf gure und gerechte Weise;JJ die Deutung der Gegenpartei be\\>irke das Gegenteil; und das Schriftstück sei gar nicht zweideutig, da man erkenne, welcher Sinn der richtige sei. Manche vertreten die Meinung, zur Verhandlung dieses Falles gehöre zwingend die Kenntnis doppelsinniger Wendungen, die von den Dialektikern vorgerragen wird.H lch aber bin der Meinung, daß diese keineswegs hilfreich, sondern eher sehr hinderlich ist. Denn diese Männer machen nach allen doppelsinnigen Wendungen Jagd, auch nach diesen, die nach einer zweiten Deutung keinen Sinn ergeben können. Deshalb sind ~·e lästige Störer einer fremden Rede und verhaßte und vor allem unverständliche Erklärer einer Schrift; und während sie vorsichtig und wortgewandt sprechen woUen, erwei)en )ie sich als der Sprache überhaupt nicht mächtige kleine Kinder. Während sie so beim Sprechen fürchten, etwas Zweideurige.s zu sagen, können sie thn:n eigenen Namen nicht aussprechen. Deren noch kindliche Meinungen nun will ich, wenn du Cl. wünschst, mit den treffendsten Begründungen zurückweisen. Für den Augenblick war es nicht unangebracht, diese Zwischenbemerkung zu machen, um die geschwätzige Lehre dieses Kinderganens zunichte zu machen. Wenn wir eine Begriffsbestimmung anwenden, werden wir zuerst eine knappe Begriffsbestimmung des Wortes anführen, z. B. auf folgende Weise: "Die Staatshoheit schmälert, wer die Faktoren beseitigt, au.s denen das hohe Ansehen de) Staates besteht. Was sind das nun für Faktoren, Quintus Caepio? Da~ Stimmrecht des Volkes und das Beratungsrecht der Behörde. So hast du also das Volk des Stimmrechtes und die Behörde ihres Berarungsrechres>s beraubt, indem du die Zugangsstege zu den Abstimmungsbezirken zerstörtest." Ebenso argumentiert man vom gegensätzlichen Standpunkt aus: "Die Staatshoheit schmälert, wer dem hohen Ansehen des Staates einen Schaden zufügt. Ich fügte keinen Schaden zu, sondern verhinderte einen Schaden; ich bewahrte nämlich die Staatskasse, widersetzte mich der Gier der Schlechten, ließ nicht w, daß die gesamte Staar.shoheit untergehe.,. >6
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Primum igirur vocabuJi senrenria breviter er ad utilitatcm causae adcommodare describerur; deinde factum nostrum cum verbi descriptione coniungetur: deinde contrariae descriptionis ratio refellerur, si aut falsa erit aut inurilis aut turpis aut iniuriosa: id quoque ex iuris parribus sumerur de iuridiciali absolma, de qua iam loquemur.
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Zuerst umschreibt man also kurz und dem Nutzen für den Fall angemes~en den Sinn eines Wortes; dann verbindet man unsere Handlungsweise mit der Umschreibung de~ Wortes; dann widerlegt man die Erklärung der gegenteiligen Umschreibung, wenn dies falsch oder unnütz oder schimpflich oder widerrechtlich ist. Das nimmt man aus den Bestimmungen de~ Rechts, die sich auf einen auf Rechtfertigungsgründen beruhenden, in sieb abgeschlossenen Fall beziehen; darüber werde ich noch sprechenY Bei Ablehnungen untersucht man zuerst, ob jemand in einer Angelegenheit das Recht zur Anklage, wr Klage in Privat- oder Zivilprozessen oder überhaupt zur gerichtlichen Verfolgung har> 8 oder ob der Prozeß zu einem anderen Zeitpunkt, nach einem anderen Gesetz, vor einem anderen Unren'Uchungsrichter gefuhrr werden müsse. Dies findet man heraus aufgrund von Gesetzen und Sitten, nach den Bestimmungen des Gerechten und Guten; davon werde ich bei dem auf Rechtfertigungsgründen beruhenden, in sich abgeschlossenen Fall sprechen.J 9 ln einem auf einer Schlußfolgerung beruhenden Fall•" wird man zuerst untersuchen, ob nicht erwa für bedeutendere oder geringfügigere oder ähnliche Angelegenheiten eine ähnliche schriftliebe Fixierung oder ein ähnliches Urteil vorliegt; dann, ob diese Angelegenheit tatsächlich mit dieser Angelegenheit, um die es geht, Ähnlichkeit zeigt oder nicht; dann, ob absichtlich zu der vor~egendcn Angelegenheit nichtS schriftlich niedergelegt wurde, weil der Gesetzgeber dazu nichtS anordnen wollte oder weil er glaubte, es ~ei genügend angeordnet wegen der Ähnlichkeit der übrigen Schriftstücke. Über die Arten der auf einer gesetzlichen Bestimmung beruhenden Begründungsform ist genug gesagt; jetzt werde ich zu der auf Rechtfertigungsgründen beruhenden zurück-
Quaerirur in rranslationibus primum, num aliquis eius rei actionem, pecitionem aut persecutionem habeat, num alio tempere, num alia lege, num alio quaerente aut agente. Haec legibus et moribus, acquo et bono reperiunrur; de quibus dicerur in iuridiciali absoluta.
In causa ratiocinali primum quaererur, ecquid in rebus maioribus aut minoribus aut similibus sirniliter scriprum aut iudicarum sit; deinde utrum ea res similis sit ei rei, qua de agirur, an dissimilis; deinde utrum consulro de ea re nihil scriprum sir, quod noluerit cavcre, an quod saris caurum putarit proprer cercrorum scriptorum similirudinem.
De parribus legitumae constitutionis satis dieturn est; nunc ad iuridicialem reverremur.
Absoluta iuridiciali conscirutione utemur, euro ipsam rem, quam nos fecisse confitemur, iure factam dicemus, sine ulla adsumptione cxtrariae de-
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Die in ~ich abgeschlossene, auf Rechtferrtgungsgründen beruhende Begründungsform•' wenden wir an, wenn wir sagen, die Tat selbst, die wir zugeben, sei mit Recht gesche-
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fensionis. In ea convenit quaeri, iurene sir facrum. Oe eo causa posita dicere poterimus, si ex quibus partibus ius constet cogno\·erimus. Consrat igirur ex his partibus: narura, lege, consuetudine, iudicato, aequo et bono, pacto.
Natura ius est, quod cognationi~ aut pictaris causa obsen-atur, quo iure parentes a liberis et a parentibus liberi colunrur.
Lege ius est id, quod populi iussu sanctum est; quod genus, ut in ius eas, cum voceris.
Consuerudine ius C$t id, quod sine lege aeque ac si legirimum sit usitarum est; quod gcnus, id quod argentario tuleris expensum, ab socio eius recte petere possis. Iudicarum est id, de quo sententia lata est aut decretum interposirum. Ea saepe diversa sunt, ut aliud alio iudici aut praetori aut consuli aut tribuno plebi~ placitum sit; et fit, ut de eadem re saepe alius aliud decreverit aut iudicam, quod genus: M. Drusus praetor urbanus, quod cum berede mandati ageretur, iudicium reddidit, Sex. Iulius non reddidit. ltem: C. Caelius iude>.. absolvit iniuriarum eum, qui Lucilium poetam in scaena nominatim laeserat, P. Mucius eum, qui L. Accium poetam nominaverat, condemnavit.
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hen, ohne daß " ·ir eine von außen runzukommende Verteidigung dazunehmen. Dabei soll man unterSUchen, ob die Tat wirklich mit Recht geschehen ist. Darüber können wir nach Fesdegung des !·alles sprechen, wenn wir erkannt haben, aus welchen Anen das Recht besteht. Es besteht also aus den folgenden Arten: der Narur, einem Gesetz., einer Gewohnheit, einem Gerichtsenrscheid, dem Rechten und Billigen, einem Vertrag.~J Auf der Natur beruht das Recht,~ das um verwandtschaftlicher Beziehung oder um der Liebe zu nahestehenden Mirmenschen willen eingehalten wird, aufgrund dessen die Eltern von den Kindem und von den Eltern die Kinder geachtet werden. Auf einem Geset7 beruht das Recht, 4 ! das durch einen Beschluß des Volkes festgesetzt ist, z. B. von der Art: Man soll sich dem Gericht stellen, wenn man vor Gericht geladen wird}6 Auf Gewohnheit beruht das Recht, ~7 das ohne ein Gesetz ebenso angewendet wird, als ob es auf einer gesetzlichen Bestimmung beruhe, z. B. von der Art, daß man die Summe, die man einem Geldwechsler ausgezahlt hat, von dessen Teilhaber zurecht zurückfordern kann. Ein Gerichtsentscheid ist der Fall.~8 worüber ein Urteil gefällt oder eine Entscheidung abgegeben wurde. Diese Gerichtsentscheide sind oft \·aneinander abweichend, wenn z. B. ein Richter, Prätor, Konsul, Volkstribun dieses beschlossen hat, ein anderer etwas anders; so kommt es, daß über dieselbe Angelegenheit oft der eine dies, der andere jenes entschieden und geurteilt hat, z. B. von der Art: Der Stadtprätor M. Drusus gestartete eine gerichtliche Untersuchung, weil gegen einen Erben wegen eines nicht erfüllten Auftrages des Testamenres Klage erhoben wurde, Sex. Iulius gestattete sie nicht.•9 Ebenso: Der Richter C. Caelius sprach den von der Anklage der Beleidigung frei, der den Dichter Lucilius auf der Bühne namentlich gekränkt hat, P. Muctus verurteilte den, der den Dichter L. Accius namentlich genannt hane.1c
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Ergo, quia possunr res simili de causa dissimiüter iudicatae proferri, cum id usu venerit, iudicem cum iudice, rempus cum tempore, numerum curn numero iudiciorum conferemus.
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Ex aequo et bono ius constat, quod ad veritatem er urilitatem communem viderur pertinere; quod genus, ut maior annis LX er cui morbus causa est, cognitorem det. Ex eo vel novum ius constirui convenit ex tempore et ex hominis dignitate.
Ex pacto ius est, si quid inter se pepigerunr, si quid inter quos convenit. Pacta sunt, quae legibus observanda sunr, hoc modo: "Rem ubi pagunt, orato; ni pagunt, in comitio aut in foro ante meridiem causam coniciunto". Sunt item pacta, quae sine legibus observamur ex convemu, quae iure praestari dicunrur.
His igirur partibus iniuriam demonstrari, ius confirmari convenit, id quod in absoluta iuridicial.i faciundum videtur. Cum ex conparatione quaererur, utrurn satius fuerit facere id, quod reus dicat se fecisse, an id, quod accusator dicat opermisse fieri, primum quaeri conveniet, utrum fuerit util.ius ex contenrione, hoc est utrum honescius, facil.ius, conducibilius. Deiode oportebit quaeri, ipsurnne oportuerit
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Da also Sachverhalte vorgebracht werden können, die in einem ähnlichen Fall unähnlich entschieden wurden, vergleichen wir, wenn dieser fall wirklich eintritt, Richter mit Richter, Zeirurnstände mit Zeitumständen, die Anzahl der gerichtlichen Entscheidungen mit der Zahl anderer Entscheidungen. Auf dem Rechten und Billigen beruht das RechtP, welches zur Wahrheit und dem allgemeinen Nutzen etwas beizutragen scheint, z. B. von der Art: Ein Mann, der über 60 Jahre alt ist und wegen Krankheit entschuldigt ist, mag einen Stellvertreter vor Gericht benennen. Daraus kann man sogar ein neues Recht festsetzen aufgrund der Zeitumstände und der Würde eines Menschen. Auf einer Verabredung beruht das Recht,P wenn Parteien eine Verabredung getroffen haben, wenn zwischen ihnen etwas vereinbart wurde. Es gibt Verabredungen, die aufgrundvon Gesetzen zu beachten sind, wie z.B. auf folgende Weise: .,Wenn sie (die Parteien) eine Sache gütlich beilegen, soll er (der Prätor) dazu sprechen; kommt es nicht zur Beilegung, sollen sie (die Parteien) im Comitium oder auf dem Forum die Sache am Vormittag verhandeln. " B Ebenso gibt es formlose Abreden, die ohne gesetzliche Bestimmungen beachtet werden aufgrund einer Vereinbarung; von ihnen heißt es, man müsse aufgrunddes honorischen Rechts für sie eintreten.SP Mit diesen Arten also kann man das Unrecht zeigen, das Recht stärken, was man, wie es scheint, in einem in sich abgeschlossenen, auf Rechtfertigungsgründen beruhenden Fall tun muß. Wenn man aufgrund einer vergleichsweisen GegenüberstellungH untersucht, ob es besser gewesen sei, das zu run, was der Angeklagte nach seiner eigenen Aussage tat, oder das, was nach Aussage des Anklägers hätte getan werden müssen, wird man zuerst untersuchen müssen, welche Handlungsweise aufgrund eines Vergleiches nützlicher, d. h. welche ehrenhafter, leichter durchzuführen, zweckdienlicher sei. Danach muß man untersuchen, ob der Täter selbst
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RUCH
iudicare, utrum fuerit utilius, an aliorum fuerit urilius statuendi potestas. Deinde interponetur ab accusatore coniectura, qua re putetur non ea racione factum esse, quo melius deceriori ameponererur, sed dolo malo negotium gestum de aliqua probabili causa. Ab defensore conrra refererur argumentatio coniecruralis, de qua ante dierum est. Deiode quaeretur, potuerime vitari, ne in eum locum veniretur.
His sie rracuris accusator utetur loco communi in eum, qui inutile utili praeposuerit, cum statuendi non habuerit potestatem. Defensor contra eos, qui aequum censeant rem pemiciosam utili praeponi, utetur loco communi per conquestionem; et simu1 quaeret ab accusatoribus, ab iudicibus ipsis, quid facruri essent, si in eo loco fuissent; et ternpus, locum, rem, deliberationem suam ponet ante oculos.
Translatio criminis est, cum ab reo facti causa in aliorum peccatum transfertur. Primum quaerendum est, iurene in alium crimen rransferatur; deinde spectandum est, aeque magnum sit illud peccarum, quod in alium transferatur, atque illud, quod reus suscepisse dicatur; deinde, oportuerime in ea re peccare, in qua alius ante peccarit; deinde, oportueritne iudicium ame fieri; deinde, cum facrum iudicium non sit de illo crimine, quod in alium transferarur, oporteame de ea re iudicium fieri, quae res in iudicium non venerit. Locus communis
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beurteilen durfte, welche Handlungsweise nützlicher war, oder ob andere die Berechtigung hatten, das Nützlichere festzustellen.ll Dann wird vom Ankläger eine Vermutung vorgebracht, wodurch die Meinung erweckt werden soll, die Tat ~ei nicht in der Absicht ausgeführt worden, daß etwas Besseres dem Schlechteren vorgezogen werde, sondern mit schlechter Heimrücke sei eine Handlung vollzogen worden aus irgendeinem glaubhaften Grunde. Vom Verteidiger wird dagegen die auf einer Vermutung beruhende Beweisführung vorgebracht werden. Danach soll man untersuchen, ob sich vermeiden Ließ, daß man in eine solche Lage kam. Wenn diese Punkte auf diese Art behandelt sind, wird der Ankläger einen Gemeinplatz anwenden gegen den, der das Unnütze dem Nür1lichen vorgezogen hat, obwohl er nicht die Berechtigung hatte, das festzulegen. Der Verteidiger wird gegen die, welche es für recht halten, etwas Schädliches dem Nützlichen vorzuziehen, einen Gemeinplatz in Form einer Wehklage anwenden; und zugleich wird er die Ankläger und die Richter selbst fragen, was sie hätten tun wollen, wenn sie in dieser Lage gewesen wären, und er wird ihnen die Zeitumstände, die örtlichen Verhältnisse, die Sachlage und seine Überlegung vor Augen stellen. Eine Ablehnung der Schuld liegt vor,f6 wenn vom Angeklagten die Ursache für die Tat auf eine Verfehlung anderer Menschen übertragen wird. Zuerst muß man untersuchen, ob mit Recht die Schuld auf einen anderen übertragen wird; dann muß man darauf sehen, ob jene Verfehlung, die auf einen anderen übertragen wird, gleich groß ist wie jene, die der AngekJagre begangen haben soll; dann, ob er sich in der Sache verfehlen durfte, in der vorher sich schon ein anderer verfehlte; dann, ob schon ,·orher eine gerichtliche Entscheidung hätte gefällt werden müssen; dann, wenn keine gerichtliche Entscheidung über die Schuld gefällt wurde, die auf einen anderen übertragen wird, ob über diese Sache eine gerichtliche Entscheidung gefällt werden darf, welche noch nicht zu einer gerichtlichen Entscheidung vorgelegt wurdeY Ein Gemeinplatz des Anklägers wird gegen den gerichtet
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accusaroris contra eum, qui plus censeat vim quam iudicia valere oportere. Er ab adversariis pcrcontabiror accusator, quid fururum sit, si idem ceteri faciant, ut de indemnatis ~upplicia sumant, quod eos idem fecisse dicant. Quid, si ipse accusator idem facere voluisset? Defensor eorum peccari arrociratem proferet, in quos crimen cransferet; rem, locum, tempus anre oculos ponet, ur ü, qui audient, existiment aur non poroisse aut inutile fuisse rem in iudicium venire.
Concessio est, per quam nobis ignosci posrulamus. Ea dividitur in purgationem er deprecaoonem. Purgatio est, cum consulto a nobis facrum negamus. Ea dividirur in necessirudinem, forrunam, inprudenriam. De his partibus primum ostendendum est: deinde ad deprecationem revertendum viderur. Primum considerandum est, num per culpam venrum sie in necessirudinem. Deinde quaerendum cst, quo modo vis illa vitari potuerit ac levari. Deinde is, qui in necessirudinem causan1 conferet, experrusne sit, quid contra facere aut excogitare posset. Deinde, num quae suspiciones ex coniecrurali constitutione trahi possint, quae significent id consulto facrum esse, quod necessario cecidisse d icirur. Deinde, si max:ime necessirudo quaepiam fuerir, conveniatne eam satis idoneam causam putari. Si autem inprudentia reus se peccasse dicet, primum quaeretur, utrum potuerir scire an non poruerir; deinde urrum data sit opera, ut sciretur, an
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sein, der die Meinung vertritt, Gewalt müsse die Oberhand g~winnen über Gerichtsenucheide. Und die Gegenpartei w~d der Ankläger danach ausfragen, was denn geschehen wtrd, wenn die übrigen eben~o handeln, daß ~ie nämlich Leute, die vo~ k~inem Gericht v~runeilt sind, eigenmächtig bestraf:n, weil s1e behaupten, diese hätten dasselbe getan. Was ware, wenn der Ankläger selbst dasselbe hätte tun wollen~ Der Verteidi~er wird die Schrecklichkeit der Verfehlung deqerugen vorbnngen, auf die er die Sache überträgt: Die Sachlage, die örtlichen und die uitlichen Verhältnisse wird er vor Augen ~te~en, damit die Zuhörer zu der Meinung g~langen, es set rucht möglich oder es sei unnütz gewesen, d1e Angelegenheit zu einer gerichtlichen Entscheidung vor.wlegen.l ~ Ein Eingeständnis der Schuld ist es,l' wodurch wir Verzeihung für uns ,·erlangen. Es wird eingereilt in Entschuldigung und Abbine. Eine Emsehuldigung ist es, wenn wir leugnen, etwas mit Absicht getan zu haben. Diese wird eingeteilt in die Entschuldigung wegen Zwanges, Zufalles, Unkenntnis. Über diese Arten muß ich zuerst sprechen; dann kann ich auf die Abbitte eingehen. Zuerst muß man in Betracht ziehen, ob man durch eigene Schuld in Zwang geriet.6o Dann muß man untersuchen, auf welche Weise jene zwingende Kraft hätte vermieden oder gemindert werden können. Danach, ob derjenige, welcher die Ursache für sein Handeln auf Zwang schiebt, versucht hat, was er dagegen run oder ausdenken konnte. Danach, ob man irgendwelche Verdachtsmomente aufgrund der auf Vermuttmg beruhenden Begründungsform heranziehen kann, die deutlich machen, daß die Tat mit Absicht ausgeführt wurde, die angeblich unter Zwang geschah. Dann, wenn auf jeden Fall irgendein Zwang vorlag, ob man ihn für einen wirklich hinreichenden Entschuldigungsgrund halten darf. Sagt der Angeklagte aber, er habe aus Unkenntnis gefehlt/' soll man zuerst untersuchen, ob er in Unkenntnis sein konnte oder nicht; dann, ob er sich bemühte, Kenntnis
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non; deinde, utrum casu nescierit an culpa. Nam qui se propter vinum aur amorem aut iracundiam fugisse rationem dicet, is animi virio videbirur nescisse, non inprudentia; quare non inprudentia se defendet, sed culpa contaminabit personam. Deinde coniecrurali constitutione quaererur, urrum scierir an ignora,•erit, er considerabirur, sarisne inprudentia praesidii debeat esse, cum factum esse constet.
Cum in fonunam causa conferetur ct ea re defensor ignosci reo dicet oportere, eadem omnia videntur consideranda, quae de necessirudine praescripta sunt. Etenim omnes hae rres panes purgacionis inter se finitimae sunt, ur m omnes eadem fere po~sint adcommodari. Loci communis in bis causis: accusaroris contra eum, qui, cum peccasse confiteatur, tarnen oratione iudices demoretur; defensoris de humanitate, misericordia: voluntatem in omnibus rebus spectari convenire; quae consulto facta non sint, ea fraudi esse non oponere. Deprecatione utemur, euro fatebimur nos peccasse neque id inprudenter aut fortuiro aut necessario fecisse dicemus et tamen ignosci nobis postulabimus. Hic ignoscendi ratio quaeritur ex his locis: si plura aut maiora officia quam maleficia videbuntur constare; si qua vinus aut nobilitas erit in eo, qui supplicabit; si qua spes erit usui futu rum, si sine supplicio discesserit; si ipse ille supplex mansuetus et misericors in potcstatibus ostenderur fuisse; si ea, quae peccavit, non odio neque crudelitate, sed officio ct recto srudio commotus fecit; si
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zu gewinnen oder nicht; dann, ob er durch Zufall 1n Unkenntnis war oder durch eigene Schuld. Denn wer behauptet, er habe wegen Trunkenheit, Liebesleidenschaft oder Jähzorn nicht mehr vernünftig überlegen können, der scheint wegen eines Charakterfehlers nichts gewußt zu haben, und nicht aus Unkenntnis; deshalb wird er sich nicht mit Unkenntnis emsehuldigen können, sondern mit Schuld beflecken. Dann wird man aufgrund der auf Vermutung beruhenden Begründungsform untersuchen, ob er etwas wußte oder in Unkenntnis war, und man wird in Betracht ziehen, ob die Unkenntnis genügend Schut7 bieten kann, wenn die Tat feststeht. Wenn die Ursache für das Handeln auf einen Zufall geschoben wird6' und der Verteidiger sagt, de)wegen müsse dem Angeklagten venieben werden, muß man ebenso die Anleitungen alle in Betracht ziehen, die zum Zwang gegeben wurden. Denn alle diese drei Arten der Entschuldigung sind unteremander verwandt, so daß man auf alle fast die gleichen Regeln anwenden kann. Gemeinplätze6J in diesen Fällen sind: für den Ankläger gegen den, der zugibt, sich verfehlt zu haben, aber dennoch durch Reden die Richter hinhält; für den Verteidiger über Menschlichkeit, Mitleid:64 Man müsse bei allen Handlungen auf die Absicht sehen; was nicht absichtlich geschehen sei, dem dürfe man auch keine schlechte Absicht zuschreiben. Die Abbitte verwenden wir,6 f wenn wir zugeben, uns verfehlt 7U haben, und nicht sagen, wir hätten aus Unkenntnis, aus Zufall oder aus Zwang66 so gehandelt; aber dennoch werden ~.u Verzeihung für uns verlangen. Diese Art der Verzeihung sucht man au) folgenden Punkten: Wenn mehr oder bedeutendere Verdienste als schlechte Taten vorwliegen scheinen; wenn irgendeine Tüchtigkeit oder Vortrefflichkeit dem zu eigen ist, der um Gnade bittet; wenn eine Aussicht besteht, es werde von Vorteil sein, wenn er ohne Strafe davonkommt; wenn man darauf hinweist, jener Bittsteller sei milde und rnideidsvoll67 bei der Ausübung von Macht gewesen; wenn er seine Verfehlungen nicht aus Haß
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tali de causa aliis quoque ignotum est; si nihil ab eo periculi nobis futurum videbitur, si eum missum fecerimus; si nulla aut a oostris civibus aut ab aüqua civitate vituperatio ex ea re suscipietur. Loci cornmunis: de humanitate, fortuna, misericordia, rerum commutarione. His locis omnibus ex comrari o utetur is, qui contra dicet, cum amplificatione er enumeratione peccarorum. Haec causa iudicialis fieri non potest, ut in libro primo ostendimus, sed, quod potest ''el ad senatum vel ad Consilium venire, non 'isa est supersedenda. Cum a nobis crimen removere volemus, aut in rem am in hominem nostri peccati causam conferemus. Si causa in hominem conferetur, quaeren dum erit primum, pQ[uerime tantum, quantum reus dernonstrabit is, in quem causa conferetur; et quonam modo aur honeste aut sine periculo potuerit obsisri; si maxime ita sit, num ea re concedi reo conveniat, quod alieno inductu fecerir. Deiode in coniecturalem trahetur controversiam er edisserctur, num consulto factum sit. Si causa in rem quandam confererur, et haec eadem fcre et omnia, quae de necessitudine praecepimus, consideranda erunt.
Quonia m sacis ostendisse videmur, quibus argumentationibus in uno quoque genere causae iudicialis uti comeni ret, consequi videtur, ur doceamus, quemadmodum ipsas argumentationes ornate et absolute tractare possimus. Nam fere non difficile est invenire, quid sit causae adiumento, difficillimum vero est in venrum expolire er expe-
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und nicht aus Grausamkeit beging, sondern aus Pflichteifer und richtigem Streben; wenn aus einem solchen Grund auch schon anderen verziehen wurde; wenn von ihm uns anscheinend keine Gefahr droht, wenn wir ihn freilassen; wenn uns daraus von unseren Mitbürgern oder irgendeiner anderen Bürgerschaft kein Tadel entstehen wird. Gemeinplätze sind: Über die Menschlichkeit, das Schicksal, das Mitleid, die wechselvollen Verhältnisse. Diese Gemeinplätze wird im gegensätzlichen Sinne der anwenden, der dagegen spricht, wobei er die Verfehlungen noch steigert und aufzählt. Dieser Fall kann nicht vor Gericht eintreten, wie ich im ersten Buch gezeigt habe, 68 aber weil er vor dem Senat oder einer Ratsver~ammlung eintreten kann, glaubte ich ihn nicht aussparen zu dürfen. Wenn wir die Anschuldigung von uns zurückweisen wollen, schieben wir die Veranlassung für unsere Verfehlung auf einen Umstand oder auf einen Menschen.69 Wtrd die Veranlassung auf einen Menschen geschoben, muß man zuerst untersuchen, ob der, auf den die Veranlassung geschoben wurde, so großen Einfluß hatte, wie der Angeklagte darlegt; und auf welche Weise man ehrenvoll oder ohne Gefahr Widerstand leisten konnte; ist dies gam und gar der Fall, ob man dem Angeklagten deshalb verzeihen dürfe, weil er auf fremden Antrieb hin gehandelt hat. Dann wird man die Sache auf einen Streitfall, der auf einer Vermutung beruht, hinauslaufen lassen und ausführlich erörtern, ob die Tat absichtlich geschah. Wird die Veranlassung auf einen Umstand geschoben, muß man etwa dasselbe und alles, was ich über den Zwang als Anleitung gegeben habe,lO in Betracht ziehen. Da ich nun genügend dargelegt zu haben glaube, welche Beweisführungen man in jeder einzelnen An eines Gerichtsfalles anwenden soll, scheint z.u folgen, daß ich lehre, wie wir die Beweisführungen selbst kunsrvoll und vollständig handhaben können .'' Denn es ist nicht gerade schwierig, einen Gedanken zu finden, der unsere Sache unterstützt; sehr schwierig ist es aber, den gefundenen Gedanken auszumalen
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ditc pronuntiare. Haec enim res facit, ut neque diutius, quam satis sit, in eisdem locis commoremur, nec eodem identidem revolvamur, neque inchoaram argumentarionem relinquamus, neque incommode ad aliam deinceps transeamus. ltaque hac ratione et ipsi meminisse poterimus, quid quoque loco dixerimus, et audiror cum totius causae rum unius cuiusque argumenrarionis distributionem percipere et meminisse poterir. Ergo absolutissima er perfectissima est argumemario ea, quae in quinque partes est distribura: propositionem, rationem, rationis confirmationem, exornationem, conplexionem. Propositio est, per quam ostendimus summatim, quid sit, quod probari volumus. Ratio est, quae causam demoostrat veram esse, quam intendimus, brevi subieccione.
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Rarionis confirmatio est ea, quae pluribus argumenris conroborat breviter expositam rationem. Exornario est, qua utimur rei honestandae er conlocupletandae causa, confirmata argumematione. Conplexio cst, quac concludit breviter, conligens partes argumenrationis. Hisce igitur quinque partibus ut absolutissime utamur, hoc modo tracrabimus argumenrationem: Causam Ostendemus Ulixi fuisse, quare imerfecerit Aiacen. Inimicum enim acerrimum de medo tollere volebat, a quo sibi non iniuria summum periculum metuebat. Videbat illo incolumi se incolumem non fururum: sperabat illius mone se salutem sibi conparare; consueverat, si iure non
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und gewandt vorzutragen. Diese Fähigkeit nämlich bewirkt, daß wir nicht länger, als genug ist, bei denselben Punkren verweilen und nicht immer wieder zu derselben Stelle 7urückkommen, nicht eine begonnene Beweisführung wieder fallen lassen und nicht in unpassender An nacheinander zu einer anderen übergehen. Deshalb können wir nur auf diese Weise auch selbst im Gedächtnis behalten, was wir an jeder Stelle gesagt haben, und der Zuhörer kann die Einteilung der ganzen Rede, besonders jeder einzelnen Beweisführung erfassen und im Gedächtnis behalten. Also ist diejenige Beweisführung am vollständigsten und vollkommensten, die in fünf Teile eingeteilt ist: die Themaangabe, die Begründung, die Bekräftigung der Begründung, die Ausschmückung, die Zusammenfassung.?' Die Themaangabell ist der Teil, wodurch wir summarisch darlegen, was wir glaubhaft machen wollen. Die Begründung ist der Teil, der den Fall, auf den wir abzielen, als wahr darstellt, wobei wir eine kurze Erklärung hinzufügen. Die Bekräftigung der Begründung ist der Teil, welcher durch noch mehr Beweise die kurz auseinandergesetzte Begründung verstärkt. Die Ausschmückung ist der Teil, den wir anwenden, um der Angelegenheit mehr Ansehen zu verschaffen und sie zu bereichern; sie folgt nach der Bekräftigung der Begrundung. Die Zusammenfassung7• ist der Teil, welcher einen kurzen Abschluß bildet, wobei er die einzelnen Teile der Beweisführung zusammennimmt. Um also diese fünf Teile vollständig und erschöpfend anzuwenden, handhaben wir die Beweisführung, z. B. auf folgende Wcise:7J .,Wtr werden darstellen, daß Ulixes einen Grund hatte, den Aiax zu töten:6 Er wollte nämlich seinen erbinensten Feind beseitigen, von dem ihm, wie er nicht zu Unrecht fürchtete, höchste Gefahr drohteJ7 Er sah, daß er nicht wohlbehalten sein werde, solange jener wohlbehalten sei; er hoffte, durch den Tod jenes Mannes sich Rettung zu \'erschaffen; er war
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poruerat, iniuria quavis inimico exicium machinari, cui rei mors indigna Palamedi~ restimonium dar. Ergo et merus periculi honabarur eum interimere, a quo supplicium verebarur, er consuerudo peccandi maleficü suscipiendi removebat dubitationem. Ü.m.nes enim Cum rnuuma peccata cum Causa suscJptunt, rum vero illa, quae multo maxima sunr maleficia, aliquo ceno emolumento inducti suscipcr~ conannu:. Si mulros induxit in peccarum pecumae spes, st conplures se scelere conraminarunt imperu cupiditate, si multi levc conpendium fraude maxima commurarunt, cui mirum videbirur istum a maleficio proprer acerrimam formidinem non re?Jpe~s.e? Virum fonissimum, integerrimum, uumtcltlarum persequenrissimum, iniuria lacessirum, ira exsuscitarum homo rimidus, nocens, conscius sui peccati, insidiosus inimicum incolumem esse noluit: Cui tandem hoc mirum videbirur? Nam cum feras besrias \·ideamus alacres er erectas vadete, ur alteri bestiae noceant, non est incredibile putandum iscius quoque animum fe·~m, c~?elem arque inhumanum cupide ad inimiCI perructem profecrum, praesenim cum in bestiis nullam neque bonam neque malam rarionem videamus, in isto plurimas er pessumas rariones semper fuisse intellegamus.
. Si ergo pollicirus sum me darurum causam, qua ad maleficium ' et si inmducrus . . . . Ulixes accesserit ~mlcJtJa':'m acerrimam rationem et periculi metum mter~esstsse demonsrravi, non est dubium, quin confnearu r causam malefici fuisse."
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gewohnt, wenn er es nicht mir rechten Mirtein konnte, mit jedem beliebigen unrechten Mittel einem Feind den Untergang zu bewirken; dafür gibt der unverdiente Tod des Palamedes ein Zeugnis ab.' 1 Also ermunterte ihn auch die Furcht vor einer Gefahr, den Marm zu beseitigen, von dem er selbst den Tod fürchtete, und seine Gewöhnung an Vergehen drängte sein Bedenken gegen eine schlechte Tat zurück.79 Alle Menschen nämlich begehen ganz kleine Vergehen, wenn ein Grund dazu vorhanden ist, besonders aber versuchen sie, wenn sie irgendein sicherer Voneil dazu veranlaßt, auch die allerschlimmsten Untaten zu vollbringen. Wenn viele Menschen die Au~sicht auf Geld zu einem Vergehen verleitete, wenn sich mehr Menschen mir einem Verbrechen befleckten aus Herrschsucht, wenn viele einen geringen Gewinn gegen einen gan7 schlimmen Betrug eintauschten, wem erscheint es da verwunderlich, daß dieser Mann da wegen der schlimmsten furcht nicht von einer schlechten Tat ließ? Einen so heldenhaften, untadeligen, in seiner Feindschaft unbeugsamen, durch ein Unrecht gereizten, von Zorn entflammten Mann wollte der ängstliche, ruchlose, seines Vergehens sich bewußte, heimtückische Mensch beseitigen; daß sein schärfster Feind unversehrt sei, wollte der unredliche Mann nicht. Wem erscheint dies schließlich verwunderlich? Oenn da wir die wilden Tiere feurig und aufgerichtet einherschreiten sehen, damit sie einem anderen Tier schaden, muß man es mcht für unglaublich halten, daß auch dieses Mannes wilder, grausamer, unmenschlicher Sinn gierig auf das Verderben seines Feindes aus war, zumal wir bei den wilden Tieren überhaupt keine von der Vernunft gelenkte Überlegung, weder eine gute noch eine schlechte, sehen, dieser Mensch aber, wie wir erkennen, immer sehr viele ganz schlechte Überlegungen hatte. So Wenn ich also angekündigt habe, ich würde die Ursache angeben, aus der heraus Ulixes zu der schlimmen Tat l>chritt, und wenn ich gezeigt habe, daß binerste Feindschaft und Furcht vor Gefahr dazukamen, muß man zweifellos zugeben,8' daß ein Grund für die böse Tat bestand. • ~>
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Ergo absolutissima est argumentatio ea, quae ex quinque partibus constat, sed ea non semper necesse est uti. Est, cum conplexione supersedendum est, si res brcvis est, ur facile memoria conprehendarur; est, cum exornatio praetermittenda est, si parum locuples ad amplificandum et exornandum res viderur e~se. Sin et brevis erit argumemario et res renuis aut humilis, rum er exomarione er conplexione supersedendum esr. ln omni argumenrarione de duabus parribus postremis haec, quam cxposui, ratio est habenda. Ergo amplissima e)t argumematio quinquepertita; brevissima est tripertita; mediocris, sublara aut exomarione aut conplexione, quadripertita. Duo genera sunt viriosarum argumentarionum: unum, quod ab adversario reprehendi porest, id quod pertinet ad causam: alterum, quod, tametsi nugatorium est, tarnen non indiget reprehensionis. Quae sint, quae reprehensione confutari conveniat, quae tacite comemni atque vitari sine reprehensione, si exempla subiecero, intellegere dilucide poreris. Haec cognitio viriosarum argumemarionum duplicem utilitatem adferet. Nam er virare in argumentatione vitium admonebit er ab aliis non vitarum commode reprehendere docebit. Quoniam igirur osrendimus perfeetarn et plenam argumentationem ex quinque partibus consrare, in una quaque parre argumentationis quae vitia vitanda sunt, consideremus, ut ipsi ab his vitiis recedamus ac adversariorum argumcmationes hac praeceptione in omnibus partibu~ remptare er ab aliqua parre Iabefactare possimu~.
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Also ist die Beweisführung die vollsrändigste, die aus fünf Teilen besteht; aber man muß diese nicht immer anwenden. Dies ist der Fall, wenn man auf die Zusammenfa~sung verzichten kann, falls die Sache kurz ist, so daß sie leicht im Gedächtnis behalten wird; dies ist der Fall, wenn man die Ausschmückung übergehen kann, falls die Sache zu wenig ergiebig erscheint zum Hervorheben und Ausschmücken. Falls aber die Beweisführung kurz und die Sache dürftig und unbedeutend ist, dann kann man auf die Ausschmückung und Zusammenfassung verzichten. Bei jeder Beweisführung muß man hinsichtlich der beiden letzten Teile die Methode anwenden, die ich auseinandergesetzt habe. Also ist die ausführlichste Heweisführung die fünfteilige, die kürzeste die dreiteilige; die Mitte bildet d~e vierreilige, wenn entweder die Ausschmückung oder d1e Zusammenfassung ausgelassen ist. 10 l Es gibt zwei Arten von fehlerhaften Beweisführunge~: i 1 die eine, welche vom Gegner widerlegt werden kann - eme Widerlegung, die sich auf den Fall bezieht -, die andere, welche, obwohl sie unnütz i)t, dennoch keiner Widerlegung bedarf. Welches die Beweisführungen sind, die man durch eine Widerlegung bestreiten soll, über welche man sich stillschweigend ohne Widerlegung hinwegsetzen und. welc~e man vermeiden soll, kannst du klar erkennen, wenn 1ch Belspiele anführe. Dieses Erkennen fehlerhafter Bewei~führun gen bringt einen doppelten Nutzen. Denn es w1rd ?azu ermahnen einen Fehler in der Beweisführung zu vermetden, einen von' anderen nicht vermiedenen Fehler in geeigneter Weise zu widerlegen. Da ich nun dargelegt habe, daß eine vollkommene und vollständige Beweisführung aus fünf Teilen .~esteht, 1 ~ will ich in Betracht ziehen, welche Fehler man be1 Jedem ernzeinen Teil der Beweisführung vermeiden muß, damit wir selbst uns von diesen Fehlern fernhalten und die Beweisführungen der Gegenpartei, gestützt auf diese Anleitung, in allen Teilen prüfen und in irgendeinem Teil erschüttern können.
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Expositio vitiosa esr, cum ab aliqua aut a maiore parte ad omnes conferrur id, quod non necessario est omnibus adtributum; ur si quis hoc modo exponat: "Omnes, qui in paupertate sunt, malunt maleficio parare divirias quam officio paupcrtatem rueri". Si quis hoc modo exposuerit argumentationem, ut non curet quaerere, qualis ratio aut rationis conflmlario sit, ipsam facile reprehendemu s exposirionem, cum ostendemus, quod in aliquo paupere inprobo sit, in omnes pauperes id falso er iniuria conferri.
ltem vitiosa expositio est, cum id, quod raro fit, fieri omnino negarur, boc modo: "Nemo porest uno aspecru nequc praeteriens in amorem incidere". Nam cum nonnemo devenerit in amorem uno aspecru, er cum ille neminem dixerit, omnino nihil differt raro id fieri, dummodo aliquando fieri aut posse modo fieri intellegarur.
Item vitiosa expositio est, cum omnis res OStendemus nos coliegisse et aliquam rem idoneam praeterimus, boc modo: .,Quoniam igirur bominem occisum constat esse, necesse est aut a praedonibus aur ab inimicis occisum esse aut abs te, quem ille heredem restamemo ex parte faciebar. Praedones in illo loco visi numquam sunt; inimicum nullum habebat: relinquirur, si neque a praedonibus neque ab inimicis occisus esr, quod alteri non eram, alteros non habebat, ut abs te sit interemptus". Nam in huiuscemodi expositione reprehensione utemur, si quos praeter eos, quos ille dixerit, pomisse suscipere maleficium ostenderimus;
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Die Themaangabe ist fehlerhaft, wenn von irgendeinem oder auch von dem größeren Teil auf alle eine Beh~upru~g übertragen wird, die nicht zwi~gend auf alle zu~fft; wte wenn man z.. B. auf folgende We1se das Thema ang1bt~ "Alle, die in Armut leben, wollen lieber durch eine schlechte Tat Reichrum erwerben als durch Pflichterfüllung ihre Armut ertragen.« Wenn jemand auf diese Weise das Thema für seine Beweisführung angibt, daß er nicht dar~uf achte.~ z~ untersuchen wie die Begründung oder dte Bekrafugung der ßegciindung dafür ist, widerlegen wir l~icht ~ie Themaa~ gabe selbst, indem wir nachwei~cn, daß em~. Eage~chaft, dae irgendein schlechter armer Mensch hat, fälschlich und zu Unrecht auf alle Armen übertragen wird.' 6 Ebenso ist die Themaangabe fehlerhah, wenn ~an behauptet, daß das, was selten vorkommt, überhaupt rucht vorkommt z.. B. auf folgende Weise: "Niemand kann dur~h einen einzigen Blick und auch nicht im Vorübergehen m Liebe verfallen."87 Denn wenn der eine oder der. andere schon durch einen einzigen Blick in Liebe gerate~ tst, und wenn nun der Redner gesagt hat, das treffe für ruemanden zu macht es überhaupt keinen Unterschied, daß dies nur sel~en vorkommt, wenn man nur erkennt, daß es manchmal vorkommt oder auch nur vorkommen kann. . Ebenso ist die Themaangabe fehlerhaft, wenn Wlt darlegen, wir häncn alle Punkte ge!>arnmelt, und irge~dcinen geeigneten Punkt ubergehen,a~ z. ß. auf folgende Wetse: "Da nun also feststeht, daß der Mann getötet wurde, muß er entweder von Räubern oder von Feinden getötet ~orden sein oder von dir, den er in seinem Testament zum Teilerben machte. Räuber wurden an jenem Ort niemals gesehen, einen Feind hane er nicht: So bleibt nur, wenn er weder von Räubern noch von Feinden getötet wurde, weLI es die erst~ ren nicht gab, von den letzteren.er .keine hatte.• daß er von dtr umgebracht wurde." Denn be• emer deramgen. Themaa~ gabe verwenden wir eine Widerlegung, wenn ~lr nachwetsen daß außer den Personen, die jener nannte, Irgendwelche ' · konnten; B9 so werden andere das Verbrechen vollbnngen
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velut in hoc exemplo, cum dixerir necesse esse aur a praedonibus aut ab inimicis aut a nobis occisum esse, dicemus potuisse vel a familia vel a coheredibus nostris. Cum hoc modo illorum conlectionem disrurbaverimus, nobis latiorem locum defendendi reliquerimus. Ergo hoc quoque vitandum est in expositione, ne quando, cum omnia collegisse videamur, aliquarn idoneam partem reliquerimus.
ltem vitiosa expositio est, quae constat ex falsa enumeratione, si, cum plura sum, pauciora dicamus, hoc modo: "Duae res sum, iudices, quae omnes ~d maleficium inpellant: luxuries er avaritia", "Qmd amor?" inquiet quispiam, "quid ambitio? quid inreligio? quid metus mortis? quid imperü cupiditas? quid denique alia pcrmulta?" Item falsa enumeracio est, cum pauciora sunt et plura dicimus, hoc rnodo: "Tres res sunt, quae omnes homines sollicitent: merus, cupiditas, aegritudo". Satis enirn fuerat dixisse metum, cupiditatem, quoniam aegritudinem cum utraque re coniunctam esse necesse est.
Itern viriosa expositio est, quae nimium longe repetitur, hoc modo: "Omnium malorum srultitia est mater atque mareries. Ea parit inmensas cupiditates. Inmensae porro cupiditates infinitae, inmoderatae _sunt. Hae parium avaritiam. Avariria porro hommem ad quodvis maleficium inpellit. Ergo avariria inducci adversarii nostri hoc in se facinus admiserunt". Hic id, quod extremum dieturn esr, satis fuit exponere, ne Ennium er ceteros poetas irnitemur, quibus hoc modo Joqui concessum est:
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wir in unserem Beispiel, wenn er sagt, er wurde unbedingt von Räubern, Feinden oder von uns getötet, erwidern, der Mord könne auch von jemandem aus der Hausgemeinschaft oder von Miterben verübt worden sein. Wenn wir auf diese Weise die Zusammenstellung der Gegenpartei durcheinanderbringen, werden wir für uns eine breitere Grundlage der Verteidigung lassen. Also muß man auch dies bei der Themaangabe meiden, daß wir nicht, wenn wir alles zusammengestellt zu haben glauben, irgendeinen passenden Gesichtspunkt nicht berücksichtigt haben. Ebenso ist die Themaangabe fehlerhaft, welche aus einer falschen Aufzählung besteht, wenn wir enrweder weniger Punkte nennen, auch wenn es mehr sind, z. B. auf folgende Weise: ~Zwei Dinge sind es, ihr Herren Richter, die alle Menschen zu einem Verbrechen verleiten: Verschwendungssucht und Habsucht."'~" - "Wie steht es mit der Liebesleidenschafr?" wird da jemand einwenden, "wie mir dem Ehrgeiz? Wie mit der Gottlosigkeit?~ ' Wie mit der Todesfurcht; Wie mit der Herrschsucht? Wie schließlich mir sehr vielen anderen Veranlassungen?" Ebenso falsch ist eine Aufzählung, wenn es weniger Punkte gibt und wir mehr nennen, z. B. auf folgende Weise: "Es gibt drei Dinge, die alle Menschen beunruhigen, Furcht, Begierde und Kummer." Es hätte genügt, Furcht und Begierde zu nennen, da ja Kummer noTWendigerweise beiden verbunden ist. Ebenso ist die Themaangabe fehlerhaft, die allzuweit hergeholt ist, z. B. auf folgende Weise: "Aller Übel Mutter und Urstoff9' ist die Torheit. Sie gebiert unermeßliche Leidenschaften. Unermeßliche Leidenschaften sind weiterhin unbegrenzt, unmäßig. Diese gebären die Habsucht. Die Habsucht verleitet weiterhin den Menschen zu jedem beliebigen Verbrechen. Also hat unsere Gegenpartei aus Habsucht diese Untat auf sich geladen."9J Hier hätte es genügt, das zuletzt Gesagte anzuführen, damit wir nicht Ennius und die übrigen Dichter nachahmen, denen man zugesteht, auf diese Weise zu sprechen:
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Utinarn ne in nemore Pelio securibus Caesae accidissent abiegnae ad terram trabes, Neve inde navis inchoandi exordium Cepisset, quae nunc nominarur nomine Argo, quia Argivi in ea delecti viri Vecti petebanr pellem inauratarn arieris Colchis, inperio regis Peliae, per dolum: Nam numquarn era errans mea domo efferrer pedern. Medea animo aegro, amore saevo saucia. Nam hic saris erat dicere, si id modo, quod satis esset, curarent poerae: Utinam ne era errans mea domo efferret pedem. Medea animo aegro, arnore saevo saucia. Ergo hac quoque ab ultimo repetitione in exposirionibus magnopere supersedendum esr. Non enim reprehensione sicut aliae conplures, sed sua sponte vitiosa esr. Vitiosa rario est, quae ad expositionem non est adcommodara vel proprer infirmirarem vel proprer vanitarem. lnfirma ratio est, quae non necessario ostendir ira esse, quemadmodum expositum esr, velut apud Plautum: Amicum castigare ob meritam noxiam lnmune est facinu~, verum in aetare utile Er conducibile. Haec expositio est. Videamus, quae rano adferarur: Narn ego hodie amicum meum Concasrigabo pro commerira noxia. Ex eo, quod ipse facturus est, non ex eo, quod fieri convenit, utile quid sir, ratiocinarur.
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0 wären doch niemals in dem Wald Pelion von Äxten gefällte Fichtenstämme auf die Erde gefallen, und ~ätte nicht dorr das Schiff seinen Anfang genommen, das JCtzr Argo genannt wird, weil auf ihm auserlesene Männer aus Argos fuhren und das goldene Fell des Widders in Kolc~s holen wollten, auf Befehl des Königs Pelias, durch eme List; denn niemals würde meine Herrin umherirrend ihren Fuß aus ihrem Haus weglenken, Medea mit krankem Gemüt, von wilder Liebe verwundet.94 Denn hier hätte genügt zu sagen, wenn nur die Dichter auf das allein bedacht wären, was genügen würde: 0 würde doch meine Herrin nicht umherirrend ihren Fuß aus ihrem Haus weglenken, Medea mit krankem Gemüt, von wilder Liebe verwundet. Also muß man auch dieses Herholen der Gedanken vom Uranfang an bei Themaangaben auf jeden Fall unterlassen. Denn eine solche Themaangabe ist nicht erst durch die Widerlegung wie andere, sondern sie ist schon von sich aus fehlerhaft. Eine Begründung ist fehlerhaft, die der Themaangab.e nicht angemessen ist entweder wegen ihrer Unzulänglichkelt oder wegen ihrer Gehaldosigkeit. Unzulänglich ist die Begründung, die nicht 7Wingend nachweist, daß der Sac~ verbalt so ist, wie in der Themaangabe dargestellt wurde, WJe z. B. bei Plaurus:91 Einen Freund zurechtzuweisen wegen einer Schuld, die er auf sich geladen hat, ist eine Aufgabe, die nichts einbringt, aber zur rechten Zeit ist es nützlich und 7uträglich. Dies ist die Themaangabe. Wollen w1r sehen, welche Begründung vorgebracht wird: Denn90 ich werde heute meinen Freund zurechtweisen für eine Schuld, die er auf sich geladen hat. Aus dem, was er selbst tun \\-ird, nicht aus dem, was getan werden soll, folgen der Sprecher, was nützlich sei.
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Vana ratio est, quae ex falsa causa constat, hoc modo: "Amor fugiendus non est, nam ex eo verissima nascitur amicitia". Aut hoc modo: "Philosophia vitanda est, adfert enim socordiam atque desi~iam". Nam hae rationes nisi falsae essent, exposiuones quoque earum veras esse confiteremur. ltemque infirma ratio est, quae non necessariam causam adfen expositionis, velut Pacuvius: Fonunam insanam esse et caecam et brutam perhibent philosophi Saxoque insrare in globoso praedicant volubili: Id quo saxum inpulerit Fors, eo cadere Fortunam aurumant. Caecam ob eam remesse iterant, quia nil cernat, quo sese adplicet; lnsanam autem aiunt, quia atrox, incena instabilisque sit. ~rutam, quia dignum atque indignum nequeat mternoscere. Sunt autem alü philosophi, qui contra Fortuna negant Ullam esse miseriam, sed temeritate omnia regi autumant. Id magis veri simile esse usus reapse experiundo edocet. Velut Orestes modo fuit rex, factust mendicus modo. Naufragio nempe re ergo id aut Forte aut Fortuna optigit? Nam hic Pacuvius infirma ratione utitur, cum ait verius esse temeritate quam fonuna res geri. Nam utraque opinione philosophorum fieri potuit, ut is, qui rex fuisset, mendicus factus esset.
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Gehaltlos ist die Begründung, die aus einem falschen Grund besteht, z. B. auf folgende Weise: "Vorder Liebe soll man nicht fliehen; denn aus ihr erwächst die echteste Freundschaft. "97 Oder auf folgende Weise: "Die Philosophie soll man meiden; denn sie verursacht Sorglosigkeit und Untätigkeit. "98 Denn wenn diese Begründungen nicht falsch wären, würden wir zugeben, daß auch die Themaangaben dazu richtig sind. Ebenso ist die Begründung unzulänglich, die einen nicht zwingenden Grund für die Themaangabe anführt, wie z. B. Pacuvius99 sagt: Daß das Schicksal unsinnig, blind und stumpf ist, geben die Philosophen an und sie verkünden, daß es auf einer rollenden Steinkugel stehe;"'" und wohin die Kugel der Zufall treibt, dahin falle auch das Schicksal, behaupten sie. Blind sei es deshalb, wiederholen sie, weil es nicht sehe, wohin es sich wende; unsinnig aber sei es, sagen sie, weil es schrecklich, unsicher und unbeständig sei; stumpf, weil es nicht zwischen würdig und unwürdig unterscheiden könne. Es gibt aber andere Philosophen, die im Gegensatz dazu leugnen, durch das Schicksal entstehe eine elende Lage; durch die Willkür werde alles regiert, behaupten sie. Daß dies wahrscheinlicher sei, lehrt die Gewohnheit durch die Erfahrung selbst. So war z. B. Orest eben noch König, und bald wurde er zum Benler. Durch einen Schiffbruch geschah dies freilich, widerfuhr es ihm durch einen Zufall oder das Schicksal? Denn hier wendet Pacuvius eine unzulängliche Begründung an, wenn er sagt, es entspreche mehr der Wahrheit, daß die Geschehnisse durch die Willkür als durch das Schicksal gelenkt würden. Denn nach beiden Ansichten der Philosophen konnte es geschehen, daß der, welcher König war, zum Benler wurde.
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Irem infirma ratio est, quae videtur pro ratione adferri, sed idem dicit, quod in expo~itione dierum est, hoc modo: "Magno malo est hominibus avaricia, idcirco quod homines magnis et multis incommodis conflictantur proprer inmensam pecuniae cupiditatem". Nam hic aliis verbis idem per racionem dicirur, quod dierum est per expositionem. Item infirma ratio est, quae minus idoneam, quam res postulat, causam subicit expositioni, hoc modo: "Utilis est sapientia, propterea quod qui sapiemes sunt, pierarem colere consuerunt". Item: "Utile est amicos veros habere: habeas enim, quibuscum iocari possis". Nam in huiusmodi rationibus non uru\·ersa neque absolura, sed exrenuata ratione expositio confirmarur.
Item infirma rario est, quae vel alii expositioni porest adcommodari, ut facit Pacuvius, qui eandem adfert rarionem, quare caeca, eandem, quare bruta fortuna dicarur. In confirmatione rarionis multa et vitanda in nostra et observanda in adversariarum oracione sunr vitia proptereaque diligentius consideranda, quod adcurata confirmatio rationis totam vehementissime conprobat argumemationem.
Utunrur igitur Studiosi in confirmanda racione duplici conclusione, hoc modo: Iniuria abs te adficior indigna, pater; Nam si inprobum esse Cresponrem existimas,
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Ebenso ist die Begründung unzulänglich, wenn man scheinbar etwas als Begründung anführt, aber nur genau dasselbe sagt, was in der Themaangabe gesagt wurde, z. B. auf folgende Weise: "Ein arges Übel für die Menschen ist die Habgier, deswegen weil die Menschen mit großen und vielen Nachteilen sich herumschlagen wegen ihrer unermeßlichen Geldgier." Denn hier wird mit anderen Worten dasselbe in der Begründung gesagt, was schon in der Themaangabe gesagt 't\-urde. Ebenso ist die Begründung unzulänglich, welche einen weniger geeigneten Beleg für die Themaangabe, als es die Sache erfordert, erklärend hinzufügt, z. B. auf folgende Weise: "Nützlich ist die Weisheit, deswegen weil diejenigen, die weise sind, gewöhnlich auch Frömmigkeit pflegen." Ebenso: "Es ist nützlich, wahre Freunde zu besiuen; man hat nämlich jemanden, mit dem man scherzen kann." Denn in derartigen Begründungen wird die Themaangabe nicht durch eine umfassende und voUständige, sondern eme geschmälerte Begründung bekräftigt. Ebenso ist die Begründung unzulänglich, welche man auch einer anderen Themaangabe anpassen kann, wie es PacU\·ius tut, der dieseJbe Begrundung dafür anführt, warum man das Scrucksal blind, dieselbe, warum man es :.rumpf nennt. 101 Bei der Bekräftigung der Begrundung muß man viele Fehler in unserer eigenen Begründung meiden und viele in der Begründung der Gegenpartei beobachten und deswegen um so sorgfältiger in Betracht ziehen, weil eine genaue Bekräftigung der Begründung die ganze Beweisführung auf das nachdrücklichste glaubhaft macht. Die eifrig Bemühten wenden also bei der Bekräftigung der Begründung eine doppelte Schlußfolgerung'0 1 an, z.. B. auf folgende Weise: Mir wird von dir ein unverdientes Unrecht 7ugefügt, Vater; denn falls du den Crcspontes für einen unredlichen Mann hältst,
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Cur me huic locabas nuptiis? Sin est probus, Cur talem invitam invitum cogis linquere? Quae hoc modo concludentur, aut ex contrario convertentur aut ex simplici parte reprehendentur. Ex conrrario, hoc modo: Nulla te indigna, nata, adficio iniuria. Si probus est, te locavi; sin cst inprobus, Divortio te liberabo incommodis. Ex simplici pane reprehendcntur, si ex duplici conclusione alterutra pars diluitur, hoc modo: Nam si inprobum esse Crespontem existimas, Cur me huic locabas nuptiis? Duxi probum; Erravi; post cognovi er fugio cognitum. Ergo reprehensio huiusmodi conclusionis duplex est; acutior illa Superior, facilior haec posterior ad cxcogitandum. Item vitiosa confirmatio est rationis, cum ea re, quae plures res significat, aburimur pro certo unius rei signo, hoc modo: "Necesse est, quoniam pallet, acgrotasseu aut "Necesse est pepcrisse, quoniam sustinet puerum infamemu. Nam haec ~ua sponte certa signa non habent, si non cetera quoque similia concurrunt; quod si concurrunt, nonnihil illiusmodi signa adaugent suspicionem.
Item v1riosum est quom vel in alium \'Cl in eum ipsum, qui dicir id, quod in adversarium dicitur,
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warum gabst du dann mich ihm zur Frau? Falls er aber redlich ist, warum zwingst du mich, ihn gegen meinen und seinen Willen zu verlassen?' 0 3 Schlußfolgerungen, die auf diese Weise gezogen werden, kehrt man entweder ins Gegenteil um oder man widerlegt sie aufgrund einer einzigen Wcndung.'"4 Durch Umkehrung ins Gegenteil, z. B. auf folgende Weise: Ich füge dir kein unverdientes Unrecht zu, Tochter. Falls er redlich ist, gab ich dich ihm zur Frau; falls er aber unredlich ist, werde ich dich durch eine Scheidung von Ungemach befreien. Aufgrund einer einzigen Wendung widerlegt man, wenn man von der doppelten Schlußfolgerung den einen oder anderen Teil entkräftet, z. B. auf folgende Weise: Denn falls du den Crespontes für unredlich hältst, warum gabst du mich ihm zur Frau? leb heiratete einen redlichen Menschen. Tch habe mich geirrt. Später erkannte ich ihn und ich fliehe vor dem, den ich erkannt habe. Also isr die Widerlegung einer derartigen Schlußfolgerung doppelt; scharfsinniger ist die erstere, leichter auszudenken die letztere. Ebenso ist die Bekräftigung der Begründung fehlerhaft, wenn wir eine Sachlage, die mehr Umstände beze1chner, fälschlich anwenden als sicheres Zeichen eines ein7igen Umstandes,' 0 1 7. B. auf folgende Weise: "Er muß notwendigerweise krank gewesen sein, weil er ja bleich i_stu; o~er:. "S~e muß notwendigerweise Mutter geworden sem, weil s1e 1a einen Säugling emähn."•o6 Denn diese Umstände bieten von sich aus keine sicheren Anzeichen, wenn nicht noch andere ähnliche Umstände dazukommen; wenn sie dazukommen, fördern derartige Zeichen nicht unwesentlich eine Vermutung. Ebenso ist fehlerhaft, was entweder auf einen anderen oder den selbst, der es sagt - was er eigendich gegen einen
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potest convenire, hoc modo: "Miseri sunt, qui uxore~ ducunt." - "At ru duxisti alteram". ltem viriosum est id, quod vulgarem habet defensionem, hoc modo: .Iracundia deducrus peccavit aut adulescenria aut amore". Huiu~modi enim deprecationes si probabunrur, inpune maxima peccata dilabenrur. ltem viriosum est, quom id pro ceno sumirur, quod inter omncs constat, quod etiam nunc in controversia cst, hoc modo: "Eho ru, dii, quibus e~t potesras morus superum atque inferum, Pacem inter sese conciliam, conferum concordiam." Nam ita pro suo iure hoc excmplo usum Thesprorum Enniu~ induxit, quasi iam satis certis rationibus ita esse demonstrasset.
Gegner sagt - zutreffen kann, ' 07 z. B. auf folgende Weise: "Unglücklich sind Männer, wenn sie geheiratet haben.""Aber du hast auch geheiratet. " •oS Ebenso ist fehlerhaft, was eine weit verbreitete Verteidigung nach sich zieht, z. B. auf folgende Weise: .Aus Jähzorn hat er sich vergangen oder wegen seiner Jugend oder aus Liebe." '09 Wenn man nämlich derartige Abbitten billigt, läßt man die schlimmsten Vergehen straflos hingehen. Ebenso ist es fehlerhaft, wenn man als sicher annimmt, was unter alJen feststeht, was aber jetzt noch umstritten 1st, z. B. auf folgende Weise: "Achtung, du da: Die Götter, in deren Macht das Beben des Himmels und der Erde liegt, schließen Frieden untereinander, vereinbaren Eintracht."
ltem vitiosum est, quod iam quasi sero atque acto negotio dici viderur, hoc modo: "In mentem mihi si venisset, Quirites, non comrnisissem, ut in hunc locum res veniret; nam hoc aut hoc fecissem, sed me rum haec rario fugit."
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ltem vitiosum est, quom id, quod in apeno delicto posirum est, tarnen aliqua levi tegirur defensione, hoc modo: Cum te expetebant omnes, florentissimo Regno reliqui; nunc desenum ab omnibus Summo periclo sola ut restiruam paro.
ltem viciosum est, quod in aliam panem ac dierum sit potest accipi. ld est buiusmodi, ut si quis
Denn so ließ Ennius' 10 zu seiner eigenen Rechtfertigung dieses Beispiel den Thesprotus anführen, als ob er schon genügend durch sichere Begründungen erwiesen hätte, daß es so sei. Ebenso ist fehlerhaft, was man gewissermaßen zu spät und wenn die Aufgabe schon durchgeführt ist, zu sagen scheint, z. B. auf folgende Weise: "Wenn es mir in den Sinn gekommen wäre, Quiriten, hätte ich nicht zugelassen, daß die Sache an diesen Punkt kam, denn ich hätte dieses oder jene~ getan; aber damals entging mir diese Überlegung." Ebenso ist es fehlerhaft, wenn man das, was auf einem offenkundigen Fehler beruht, dennoch durch irgendeine unbedeutende Verteidigung deckt,' " z. B. auf folgende \t'eise. Damals als alle deine Gunst erstrebten, verließ ich dich in deinem blühenden Reich; jetzt wo du von alJen im Stich gelassen wirst, mache 1ch mich ganz alJein unter größter Gefahr daran, dich wieder in deine frühere Stellung einzusetzen. " J Ebenso ist fehlerhaft, was in einem anderen Sinn verstanden werden kann, als es gesagt wurde, ' 4 Dies ist ein derani-
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potens ac factiosus in contione dixerit: "Satius est uti regibus quam uri malis legibus". Nam et hoc, tamctsi rei augendae causa potest sine malitia dici, tarnen propter potcntiam eius, qui dicit, non dicitur sine atroci suspicione.
Item ,·itiosum est falsis aut vulgaribus definitionibus uri. Falsae sunt huiusmodi, ut si quis dicat iniuriam esse nullam, nisi quae ex pulsatione aut convicio constet. Vulgares sum, quae nihilominus in aliam rem transfern possunt, ut si quis dicat: "Quadruplator, ut breviter scribam, capitalis est; est enim inprobus er pesrifer civis". Nam nihilo magis quadruplatoris quam furis, quam sicarii aut proditoris anulit definitionem.
Item viriosum est pro argumento sumere, quod in disquisitione posirum est, ut si quis quem furti arguat er ita dicat, euro esse hominem inprobum, avarum, fraudulenrum; ei rei testimonium esse, quod sibi furtum fecerit. Item vitiosum est controversiam comroversia dissolvere, hoc modo: "Non coovenit, censores, istum vobis satis facere, quod ait se non poruisse adesse ita, ut iurarus fuerit. Quid? si ad exercitum non venisset, idemne rribuno milirum diceret?" Hoc ideo vitiosum e~t. quia non expedira aut iudicata res, sed inpedita er in simili controversia posita exempli loco profertur.
Item viciosum est, cum id, de quo summa controversia est, parum expeditur et, quasi transactum
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ger Fehler, wie wenn ein mächtiger Mann, der viele Anhänger bat, in der Volksversammlung sagte: "Es ist ~~sser, Könige zu haben als schlechte Gesetze." Denn diese Außerung, auch wenn sie, um eine Sache zu steigern, ohne schlechte Absicht gemacht werden kann, kann wegen der Macht des Sprechers nicht ohne schrecklichen Verdacht getan werden. Ebenso ist es fehlerhaft, falsche oder weitverbreitete Begriffsbestimmungen anzuwenden. us Falsch sind Begriffsbestimmungen von der Art, wenn man z. B. sagen wollte, es gebe kein Unrecht, außer dem, das aus Schlagen und Schimpfen besteht. 116 Weitverbreitet sind Begriffsbestimmungen, die nichtsdestoweniger auf eine andere Sache üb~r tragen werden können, wenn man z. B. sagen wollte: "Er tSt, um es kurz zu schreiben, ein berufsmäßiger Angeber todeswürdiger Verbrechen; er ist nämlich ein unredlicher und verderblicher Mitbürger." Denn man hat keinesfalls mehr die Begriffsbestimmung eines berufsmäßigen Angebers angeführt als die eines Diebes, Mörders oder Verräters. Ebenso fehlerhaft ist es, als Beweis zu nehmen, was noch im Stadium der Untersuchung liegt; wie wenn jemand einen des Diebstahls beschuldigt und sagt, dieser sei ein ruchloser, habgieriger, betrügerischer Mensch; dafür diene als Zeugnis, daß er ihn bestohlen habc."7 Ebenso ist es fehlerhaft, eine Streitfrage durch eine Streitfrage zu widerlegen, 118 z. B. auf folgende Weise: "Es ist nicht in Ordnung, ihr Herren Zensoren, daß dieser da sich damit vor euch rechtfertigt, daß er sagt, er habe nicht anwesend sein können, wozu er sich durch einen Eid verpflichtet habe. Wie? Wenn er nicht zum Heer gekommen wäre, würde er dasselbe zum Militärtribun sagen?" Diese Beweisführung ist deshalb fehlerhaft, weil kein schon abgemachter oder entschiedener Sachverhalt, sondern ein ungeklärter und auf einer ähnlichen Streitfrage beruhender als Beispiel vorgebracht wird. Ebenso ist es fehlerhaft. wenn man den Punkt, um den in erster Linie eine Streitfrage geht, zu wenig klärt und, als ob
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sit, relinquitur, hoc modo: Aperte fatur dicrio, si inrellegas:
Tali dari arma, qualis qui gessit fuit, lubet, potiri si srudeamus Pcrgamum. Quem ego me profiteor esse; me est aecum frui Fraternis armis mihique adiud1carier, Vel quod propinquus vel quod virture aemulus. ltem vitiosum est ipsum sibi in sua oratione dissentire et contra atque ante dixerit dicere, hoc modo: "Qua causa accusem hunc?" Turn id expurando evolvere: "Nam si vererur, quid euro accuses qu1 est probus? Sin inverecundum animi ingenium possidet, Quid autem cum accuses, qui id parvi auditum aesrimet?" Non incommoda ratione videtur sibi ostendisse, quare non accusaret. Quid postea? quid ait? "Nunc ego te ab summo iam detexam exordio." Icem vitiosum est, quod dicitur contra iudicis voluntatem aut eorum, qui audiunr, si aut partes, quibus i1li student, aut homine~, quos illi caros habent, laedantur aut aliquo eiusmodi vitio laeditur auditoris voluntas. ltem vitiosum esr non omnis res conf=are, quas pollicirus sis in expositione. Item verendum est, ne de alia re dicatur, cum
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er schon abgehandelt wäre, beiseite läßt, z. B. auf folgende Weise: Offen sagt der Ausspruch, wenn du ihn verstehst: Einem Mann befiehlt er die Waffenrüstung zu geben, der so ist wie der war, welcher sie trug, Wenn wir danach streben, uns Pergamons zu bemächngen. Daß ich dieser bin, verkünde ich deutlich: Mir steht es 7.u, die Waffenrüstung des Bruders zu tragen und daß sie mir zuerkannt wird, entweder weil ich sein Blutsverwandter bin oder weil ich ihm in der Tapferkeit nacheifere."~ Ebenso fehlerhaft ist es, sich selbst in seiner eigenen Rede zu widersprechen und anderes zu sagen, als man YOrher gesagt hat, z. B. auf folgende Weise: "Warum soll ich diesen Mann anklagen?" Dann wird der Gedanke durch eine genaue Erwägung weiter entwickelt: "Denn wenn er Achtung empfindet, warum sollte man einen anklagen, der anständig ist? Wenn er aber eine Gesinnung hat, die vor nichts Achtung empfindet, warum sollte man ihn aber anklagen, der wenig darauf gibt, wenn er dies hört?" In einer nicht unangebrachten Begründung glaubt er deutlich gemacht zu haben, warum er nicht anklagt. Was aber weiter? Was sagt er? 0 "Jetzt werde ich dich bloßstellen ganz von Anfang an. "" Ebenso ist eine Aussage fehlerhaft, die gegen die Gesinnung des Richters oder der Zuhörer gerichtet ist, wenn dadurch die Partei, zu der jene neigen, oder Menschen, die sie für teuer halten, verletzt werden oder durch irgendeinen derartigen Fehler die Gesinnung eines Zuhörers verletzt wird.•:• Ebenso ist e~ fehlerhaft, nicht alle Punkte zu bekräftigen, von denen man es in der Themaangabe versprochen hat. w Ebenso muß man sich davor hüten, über einen anderen
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alia de re comroversia sir; inque eiusmodi vitio considerandum est, ne aur ad rem addarur quid aur quippiam de re detrahatur aur rota causa murata in aliam causam deriverur; uti apud Pacuvium Zethus cum Amphione, quorum controversia cum de musica inducta sit, disputatio in sapientiae rationem er virrutis utilitatem consumirur.
Item considerandum est, ne a!JUd accusatoris criminatio conrineat, aüud defensoris purgatio purget, quod saepe consulto multi ab reo facium angustiis causae coacti; ut si quis, cum accuserur ambitu magistratum petisse, ab inperatoribus saepe numero dicat apud exercirum se donarum esse. Hoc si diligenrer in oratione adversariarum observaverimus, saepe deprebendemus eos et in eius modi dcprehensione Ostendemus cos de re quod dicam non haben~.
Item vitiosum cst artem aut scientiam aut Studium quodpiam vituperare propter eorum vma, qui in eo Studio sum; veluti qui rhecoricam vituperant propter alicuius oratoris vituperandam vitam. ltem \'itiosum est ex eo, quia perperan1 factum constet esse, putare ostendi a ceno homine facrum esse, hoc modo: ".Morruum deformatum, rumore praeditum, corpore decolorarum constat fuisse; ergo ''eneno necarus est". Deiode si sit usque in eo occuparus, ut multi faciunt, venenum darum, vitio non mediocri conflictetur. Non enim facrumne sir, quaeritur, sed a quo facrum sit.
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Punkt zu sprechen als über den, um den die Streitfrage geht;"' bei einem derartigen Fehler muß man in Betracht ziehen, daß nicht zur behandelten Sache irgendein Punkt hinzugefügt wird oder davon weggenommen wird oder der ganze Fall in veränderter Form zu einem anderen Fall umgeleitet wird, so wie es bei Pacuvius Zethius und Amphion run, deren Streit über die Musik im Verlauf der Erörterung auf den Wen der Weisheit und den Nutzen der Tugend gerichtet wird.' ,~ Ebenso ist in Betracht zu ziehen, daß die Anschuldigung des Anklägers nicht etwas anderes zum Inhalt hat als die Entschuldigung, die der Verteidiger vorbringt, was oft \'iele absiehdich zum Voneil des Angeklagten cun, wenn die Mißüchkeir des Falles dazu zwingt, so z. B. wenn jemand, der angeklagt wird, er habe mit u~~chtmäßi~en Mitte~ ~~Amt erschlichen, sich damit verteidigt, er se1 von m1htanschen Befehlshabern oft vor dem Heer beschenkt worden. Wenn wir darauf in der Rede der Gegenpartei sorgfältig achten, werden wir sie oft dabei ertappen und durch ein derartiges Ertappen zeigen, daß sie über die Sache, um die es geht, . nichs zu sagen haben. Ebenso ist es fehlerhaft, Kunst, WISsenschaft oder Irgendeine Neigung zu tadeln wegen der Fehler derer, die dieser Neigung nachgehen, wie es z. B. die Leute tun, die die Redekunst tadeln wegen des tadelnswerten Lebenswandels irgendeines Redners." 1 Ebenso ist es fehlerhaft, aufgrund der Tatsache, daß bekanntermaßen eine unrechte Tar begangen wurde, zu glauben, man könne nachweisen, diese Tat sei von einem bestimmten Menschen begangen worden, z. B. auf folgende Weise: .Daß der Tote entstellt, aufgedunsen und verfärbt, seine Körperfarbe verändert war, steht fest; also wurde er durch Gift getötet." Wenn er weiterhin sich nur damit beschäftigt, wie es viele tun, daß ihm Gift gegeben wurde, schlägt er sich mit einem nicht geringen Fehler herum. Denn nicht ob die Tat begangen wurde, wird untersucht, sondern von wem sie begangen wurde.
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Item vitiosum est in conparandis rebus alteram rem efferre, de re altera meotionem non facere aut neglegentius disputare; ut si cum conparerur, utrum s_arius sit populum frorneorum accipere an non acctpere, quae commoda sint in altera re vera eurer enumerare, quae in altera incommoda et quae velit depressa, praetereat aut ea, quae mioima sinr, dicat. Irem viciosum est in rebus conparandis necesse purare alteram rcm vituperare, cum alteram Iaudes, quod genus, si quaerarur, utris maior honor habendus sit, Albensibus an Vestinis Pennensibus quod rei pubücae et populo Romano profuerinr, e; is, qui dicat, alteros laedat. Non enim necesse est, si alteros praeponas, alteros viruperare: fieri enim porest, ut, quom alreros magis laudaris, aJiquam alteris partem Iaudis adtribuas, ne cupide depugnasse contra veritatem puteris.
Irem vitiosum est de nomine et vocabulo controversiam struere, quam rem consuetudo optime potest iudicare; velut Sulpicius, qui intercesserat, ne exulis, quibus causam dicere non licuisser, reducerenrur, idem posterius inmutata voluntate, cum eandem Iegern ferret, aliam se ferre dicebat proprer nominum commutariooem; nam non exules, sed vi eiecros se reducere aiebat. Proinde quasi id fuisset in conrro\'ersia, quo iJJi nornine appellarenrur a populo Romano aut proinde quasi non omnes, quibus aqua er igni interdierum est, exules appellenrur. Verum illi fortasse ignoscimus, si cum causa fecit; nos tarnen inrellegamus viriosum esse intendere controversiarn proprer nominum mutationem.
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Ebenso ist es fehlerhaft, beim Vergleich von Sachverhalten den einen hervorzuheben, den anderen nicht zu erwähnen oder zu gleichgültig darüber zu sprechen;" 6 wie wenn z. B. ''ergleichend gegenübergestellt wird, ob es besser sei, daß das Volk Getreide erhalte oder nicht erhalte, und jemand gewissenhaft und genau aufzählt, welche Voneile in der einen Möglichkeit liegen, dabei aber übergeht, welche Nachteile in der anderen Möglichkeit liegen und welche er abgeschwächt haben möchte, oder nur die unbedeutendsten davon nennt. " 7 Ebenso ist es fehlerhaft, beim Vergleich von Sachverhalten es für unumgänglich zu halten, den einen Sachverhalt zu tadeln, während man den anderen lobt. Ein Beispiel dafür ist: Wenn gefragt wird, wem größere Ehre zu erweisen sei, den Albensero oder Pennensischen Vesrinem, dafür daß sie dem Staat und dem römischen Volk nützten, u~ und der Redner die einen davon beleidigt. Es ist nämlich nicht nötig, wenn man die einen bevorzugt, die anderen zu tadeln; es ist nämlich möglich, wenn man die einen mehr lobt, auch den anderen ein gewisses Maß an Lob zuzuerkennen, damit man nicht den Eindruck erweckt, man kämpfe mit Leidenschaft entschieden gegen die Wahrheit. Ebenso ist es fehlerhaft, auf eine Benennung oder auf ein Wort eine Streitfrage aufzubauen, ein Punkt, den am besten Übung beurteilen kann."~ So hane z. B. Sulpicius ursprünglich Einspruch dagegen erhoben, daß Verbannte, denen es nicht erlaubt war, sich vor Gericht zu verteidigen, zurückgeführt wurden; später änderte er seine Meinung und sagte, als er genau dasselbe Gesetz beantragte, sein Antrag ziele auf etwas anderes wegen einer Änderung der Benennungen; denn er sagte, er führe nicht Verbannte, sondern gewaltsam Ausgestoßene ~urück.' l~ AJs ob darüber ein Streit gewesen wäre, mit welchen Benennungen jene Leute zu bezeichnen seien, oder als ob nicht alle Menschen, die geächtet sind, Verbannte genannt "'-ürden. Aber vielleicht sehen wir es jenem Redner nach, wenn er aus gutem Grunde so vorging; wir aber wollen erkennen, daß es fehlerhaft ist, einen Streit anwfangen wegen abweichender Benennungen.
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Quoniam exomatio constat ex similibus et exemplis et rebus iudicatis et amplificationibus et ceteris rebus, quae pertinent ad exaugendam et conlocupletandam argumentationem, quae sint his rebus vitia, consideremus. Simile vitiosurn est, quod de aliqua parte dissimile est nec habet parem rationem conparationis aut sibi ipsi obest, qui adfen. Exemplurn vitiosum est, si aut falsum est, ur reprehendarur, aut mprobum, Ut non Slt tmJtandum, aut maius aut minus, quam res posrulat. Res iudicata vitiose profererur, si aut dissimili de re proferetur, aut de ea re, qua de controversia non est, aut inproba, aut eiusmodi, ut aut plures aut magis idoneae res iudicatae ab adversariis profern possmL ltem vitiosum est id, quod adversarii factum esse confiteantur, de eo argumentari et planum facere facrum esse; nam td augeri oportet. ltem vitiosum est id augere, quod convenit docere, hoc modo: ut si quis quem arguat hominem occidisse et, antequam satis idooeas argumeotaciones atrulerit, augeat peccarum et dicat nihil indignius esse quam hominem occidere. Non enim utrum indignum sit an non, sed facrumne sit quaerirur. Conplexio vitiosa est, quae non, ut quidque primum dierum est, primum conpleccirur, et quae non breviter concludirur, et quae non ex enumeratione cerrum et constans aliquid relinquit, ur intellegatur, quid propositum m argumeotatione sit, quid demde ratione, quid confirmarione, quid tota argumentatione demonstratum.
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Da nun die Ausschmückung aus Gleichnissen, Beispielen, richterlichen Vorentscheidungen, Steigerungen und den übrigen Mitteln besteht, die darauf abzielen, die Beweisführung z-u verStärken und zu bereichern, wollen wir betrachten, welche Fehler es dabei gibt. Ein Gleichnisistfehlerhaft,das in irgendeiner Hinsicht nicht paßtund das kerne angemessene Durchführung des Vergleiches aufweist oder das demjenigen selbst schadet, der es anführt.'!' Ern Beispiel ist fehlerhaft, wenn es entweder falsch ist, so daß es widerlegt wird, oder wenn es verwerflich ist, so daß man es nicht nachahmen darf, oder wenn es bedeutender oder unbedeutender ist, als es die Sache verlangt. 'P Eine richterüche Vorentscheidung bringt man fehlerhaft vor, wenn man sie von einem unähnlichen Fall vorbringt oder von einem Fall, worüber es keinen Streit gibt, oder von einem verwerflichen Fall oder von einem derartig gelagerten Fall, daß dazu mehr oder zutreffendere richterliche Vorentscheide von der Gegenpartei vorgebracht werden können.'l3 Ebenso ist es fehlerhaft, für eine Tat, die die Gegenpartei zugibt, Beweise artZuführen und deutlich zu machen, daß sie verübt wurde; denn diese Tat muß nur vergrößert dargestellt werden.'H Ebenso ist es fehlerhaft, das vergrößert darzustellen, was man erst nachweisen soll,' H wie z. B. auf folgende Weise: Wenn man einen beschuldigt, einen Menschen getötet zu haben, und bevor man genügend treffende Beweise angeführt hat, das Verbrechen vergrößert darstellt und sagt, nichts sei empörender als emeo Menschen zu töten. Es fragt sich nämlich nicht, ob die Tat empörend ist oder nicht, sondern nur, ob sie begangen wurde. Eine Zusammenfassung ist fehlerhaft, die nicht zuerst zusammenfaßt, was zuerst gesagt wurde, und die nicht kurz und bündig abgeschlossen wird,'36 und die nicht von der Aufzählung ein bestimmtes und feststehendes Ergebnis hmterläßt, so daß man erkennt, was in der Beweisführung angekündigt, was dann in der Begründung, was in der Bekräftigung, was in der ganzen Beweisführung dargelegt wurde.
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Conclusiones, quae apud Graecos epzlogi nominanrur, tripcrtitae sum. Nam constant ex enumerarione, amplificatione et conmiseratione. Quattuor locis uti possumus conclusionibus: in principio, secundum narrationem, secundum firmissimam argumentationem, in conclusione. Enumeratio est, per quam colligimus et commonemus, quibus de rebus verba fecerimus, breviter, ut renoverur, non redintegretue oratio: et ordine, ur quicque erit dicrum, referemus, ut auditor, si memoriae mandaverit, ad idem, quod ipse meminerit, reducarur. ltem curandum est, ne aut ab exordio aut narratione repetarur orationis enumeratio. Ficta enim et dedita opera conparata oratio videbirur esse artificii s•gnificandi, ingenü venditandi, memoriae ostendendae causa. Quaproprer initium enumerationis sumendum est a divisione. Deiode ordine breviter exponendae res sunt, quae tractatae erunt in confinnatione et confutatione.
Amplificatio est res, quae per locum communem insrigarionis auditorum causa sumitur. Loci communis ex decem praeceptis commodissume sumenrur adaugendi criminis causa. Primus locus sumirur ab aucroritate, cum commemoramus, quantae curae ea res fuerit diis inmortalibus aut maioribus nostris, regibus, civitatibus, nationibus, hommibus sapienrissimi!>, senarui; item ~me, quo modo de his rebus legibus sancrum SJt. Secundus locus est, cum consideran1Us, illae res, de quibus criminamur, ad quos pertineant: utrum ad omnes, quod atrocissimum est, an ad superio-
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Die Schlüsse, die bei den Griechen epilogz heißen, sind dreigeteilt. •;;- Denn sie bestehen aus der Aufzählung, der Steigerung und der Erregung von Mitleid. An vier Stellen der Rede können wir Schlüsse anwenden: in der Vorrede, nach der Darlegung des Sachverhaltes, nach der krähigsten Beweisführung, arn Redeschluß. Die Aufzählung•;• ist eine Möglichkeit, wodurch wir die Punkte zusammenfassen und m Erinnerung bnngen, worüber wir gesprochen haben, und zwar nur kurz, damit die Rede ins Gedächtnis zurückgerufen, nicht wiederholt wird; und wir bringen die einzelnen Punkte in der Reihenfolge vor, in der sie gesagt wurden, damit der Zuhörer, wenn er sie sieb eingeprägt hat, zu denselben Punkten zurückgeführt wird, an die er sich selbst erinnert. Ebenso ist darauf zu achten, daß die Aufzählung nicht bis zur Einleitung oder bis zur Darlegung des Sachverhaltes zurückfühn. Nur erfunden und unter großer Mühe vorbereitet' l9 scheint so eine Rede zu ~ein mit dem Ziel, seine Kunstfertigkeit zu zeigen, seinen Geist z-ur Schau zu stellen, seine Gedächtniskraft sehen zu lassen. Deswegen darf die Aufzählung erst bei der Gliederung des Stoffes einsetzen. Danach muß man der Reihe nach kurz die Punkte darlegen, die in der Bekräftigung und Widerlegung behandelt wurden. Die Steigerung' •" ist das Mittel, welches mir Hilfe eines Gemeinplatzes zur AnsracheJung der Zuhörer angewandt wird. Gemeinplätze nimmt man sehr vorteilliaft aus zehn Anleitungen,''' um die Anschuldigung zu vergrößern. Der erste Gemeinplatz wird von einem Vorbild hergenommen, wenn wir erwähnen, wie sehr sich um diese Angelegenheit die unsterblichen Göner oder unsere Vorfahren, Köruge, Staaten, Völkerschaften, die weisesten Männer, der Senat gekümmert haben; ebenso vor allem, wie darüber gesetzliche Bestimmungen getroffen worden seien. Der zweite Gemeinplat7 ist, 'i1 wenn wir in Betracht ziehen, gegen wen sich die Taten richten, dererwegen wir Anklage erheben; ob gegen aUe, was das Furchtbarste ist; ob gegen Höherge.stellte, wozu die gehören, von denen man die
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res, quod genus ü sunt, a quibus auctoritatts locus cornmunis surnitur, an ad pares, hoc est in isdem partibus animi, corporis, fortunarum positos, an ad inferiores, qui his omnibus rebus antecelluntur. Tertius locus est, quo percontarnur, quid sit eventururn, si omnibus idem concedatur, er ea re neglecta ostendemus, quid periculorurn atque incomrnodorum con~equatur. Quarrus locus est, quo demönstratur, si huic sit remissum, multos alacriores ad maleficia futuros, quos adhoc expectatio iudicii remoratur. Quintus locus est, per quem ostendimus, si sententia alirer iudicatum sit, nullam rem fore, quae non commodum iudicium corrigere possit. Quo in loco non incommodum erit uti ceterarum rerum conparatione, ut mtendanms alias res posse aut vetustate sedari aut consilio corrigi, huius rei aut leniendae aut corrigendae nullarn rem adiumento futuram.
Sextus est locus, quom ostendimus et consulto facturn et dicimus voluntario facinori nullam esse excusationem, inprudentiae et iustam deprecationem paratam. Septimus locus est, quo ostendimus taetrum facinus, crudele, nefarium, tyrannicum esse: quod genus iniuria mulierum aut earum rerum aliquid, quarum rerum causa bella suscipiuntur et cum hosribus de vita dirnicatur. Ocravus locus est, quo ostendimus non vulgare, sed singulare esse maleficium, spurcum, nefarium, inusitatum; quo maturius et atrocius vindicandum esr.
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Gemeinplätze des Vorbildes hernimmt; oder gegen Gleichgestellte, d. h. gegen Menschen, die in denselben Verhältnissen des Geistes, des Körpers, des äußeren Besitzes stehen; 141 oder gegen Niedrigergestellte, die in aiJ diesen Beziehungen übertroffen werden. Der dritte Gerneinplatz ist der, 1H durch den wir fragen, was geschähe, wenn allen dasselbe erlaubt würde; und wenn dies zu wenig beachtet wird, wetsen wir darauf hin, welche Gefahren und Nachteile die Folgen davon wären. Der vierte Gemeinplatz ist der, 14 ! durch den dargetan wird, wenn man diesem seine Tat hingehen ließe, würden viele mit größerem Eifer Freveltaten begehen, welche bis jetzt noch die Erwartung eines Gerichtsverfahrens zurückhält. Der fünfte Gemeinplatz ist der, 146 durch den wir nachweisen, falls durch einen Spruch anders geuneilt worden sei, werde es nichts geben, was das nicht angemessene Urtell in Ordnung bringen könne. Bei diesem Gemeinplatz ist es nicht unvorteilhaft, einen Vergleich mit sonstigen Fällen anzustellen, um nachzuweisen, daß in anderen Fällen die Angelegenheit durch das Alter beigelegt oder durch Einsicht verbessert werden könne; um aber in unserer Angelegenheit eine falsche Entscheidung abzumildern oder zu verbessern, dazu helfe kein Mittel Der sechste Gemeinplatz ist es, 147 wenn wir nachweisen, die Tat sei mit Absicht begangen worden, und wenn wir sagen, für eine freiwillige Tat gebe es keine Entschuldigung und nur für eine unbeabsichtigte Handlung stehe eine gereehrfertigte Abbitte zu Gebote. Der siebte Gemeinplatz ist der, 141 durch den wir nachweisen, es sei eine garstige, grausame, frevelhafte, tyran.nische Tat; dazu gehört erwa die Vergewaltigung von Frauen oder etwas derartiges, um dcssetwillen man Kriege beginnt und mit den Feinden um das Überleben kämpft. Der achte Gemeinplatz ist der, 1<9 durch den wir nachweisen, das Verbrechen sei nicht gewöhnlich, sondern einzigartig, unflätig, frevelhaft, ganz ungewöhnlich; deswegen müsse man es um so geschwinder und grimmiger ahnden.
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Nonus locus est, qui constat ex peccatorum conpararione, quasi cum dicemus maius esse maleficium sruprare ingenuum quam sacrum legere, quod alterum propter egestatem, alterum proprer intemperantem superbiam fiat. Decin1us locus est, per quem omnia, quae in negotio gcrundo acta sunt quaeque rcm consequi solent, exponemus acriter et criminose et diligenter, ut agi res et geri negotium videarur rerum consequentium enumerarione. Misericordia commovebirur auditoribus, si variam fortunarum commutationem dicemus, si ostendemus, in quibus commodis fuerimus quibusquc incommodis sirnus, conparatione; si quae nobis furura sint, nisi causam oprinuerimus, enumerabimus et ostendemus; si supplica\>imus et nos sub eorum, quorum rnisericordiam captabimus, potestatem subiciemus: si, quid nostris paremibus, liberis, ceteris necessariis casururn sit proprer nostras calamitates, aperiemus et simul OStendemus illorum nos sollicirudine et miseria, non nostris incommodis dolere; si de clemenria, humanitate, misericordia nostra, qua in alios usi sumus, aperiemus; si nos sernper aut diu in rnalis fuisse ostendemus; si nostrum farum aut fonunam conqueremur; si animum nostrum fonem, parientern incommodorum Ostendemus fururum. Conmiserationem brevem esse oportet, nihil enim lacrima citius arescit. Fere locos obscurissirnos totius anificü tractavimus in hoc libro: quaproprer huic volurnini modus hic sit: reliquas praeceptiones, quoad videbirur, in tenium librum transferemus. Haec si, ut conquisite conscripsimus, ita ru diligenter fueris consecurus, ct nos industriae frucrus ex tua con-
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Der neunte Gemeinplatz ist der, •so der aus einem Vergleich von Verfehlungen besteht. beispielsweise wenn wir sagen, es sei ein schlimmeres Verbrechen, einen Freigeborenen zu schänden als ein geweihtes Gut zu entwenden, weil das letztere aus Not verübt wurde, das erste aber aus unbeherrschtem Hochmut. Der zehnte Gemeinplatz ist dcr,'P durch den wir alles, was bei der Durchführung der Tat geschah, und was gewöhnlich auf die Sache folgt, scharfsinnig, vorwurfsvoll und gewissenhaft darlegen, so daß man sieht, wie die Sache betriebeil und die Tat durchgeführt wurde, wobei man die daraus folgenden Ereignisse aufzählt. Mideid•sz erregt man bei den Zuhörern, wenn wir den verscruedenanigen Wech)el des Schicksals ansprechen; wenn wir durch Vergleich nachweisen, in welch glückljcher Lage wir waren und in welch unglücklicher wir jetzt sind;' H wenn wir aufzählen und nachweisen, was uns bevorsteht, wenn wir den Prozeß nicht gewinnen; wenn wir uns auf~ Flehen verlegen und uns der Macht derer unterwerfen, dt:ren Mitleid wir erlangen wollen; wenn wir offen darlegen, was unseren Eltern, Kindern und übrigen Verwandten zustoßen wird wegen unseres Unglücks,' 14 und wenn wir zugleich nachweisen, uns bereite deren Kummer und Unglück, nicht unsere eigene Unbill Schmerz; wenn "1\.'ir die Milde, Menschlichkeit und das Mitleid offen darlegen, welche wir anderen erWiesen haben; wenn wir nachweisen, daß wir immer oder lange in schlimmen Verhältnissen gelebt haben; wenn wir unser Geschick oder Schicksal beklagen; wenn wir darauf hinweisen, daß unser Herz tapfer und ausdauernd im Unglück sein werde. Die Erregung von Mirleid muß kurz sein; denn nichts trocknet schneller als eine Träne.'!! Beinahe die dunkelsten Stellen der ganzen Redekunst habe ich in diesem Buch behandelt; deswegen soll diese Schriftrolle hier beendet sein. Die übrigen Anleitungen werde ich, soweit es richtig erscheint, in ein drittes Buch verlegen. Wenn du das ebenso gewis~enhaft befolgst, wie ich es mit strenger Auswahl niedergeschrieben habe, ~·erde ich den
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scientia capiemus, et tute nostram diligentiam laudabis tuaque perceprione laetabere: tu scientior eris praeceptorum arrificü, nos alacriores ad reliquum persolvendum. Verum haec furura saris scio, te enim non ignoro. Nos deinceps ad cerera praecepta transeamus ut, quod libentissime faciamus, ruae voluntari reccissime morem geramus.
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Lohn für meinen Fleiß aus deinem Einverständnis gewm;en, und du wirst meine Gewissenhaftigkeit loben und wirst dich über deine Erkenntnis freuen. Du wirst reicher an Wissen in den Vorschriften der Redekunst sein, ich werde mit größerem Eifer darangehen, das zu vollenden, was noch übrig ist. Aber daß es so kommen wird, weiß ich genau; ich kenne dich nämlich sehr gut. So will ich ohne Unterbrechungen zu den übrigen Anleitungen übergehen, um mir größter Freude deinem ganz richtigen Wunsch zu willfahren.
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LIBER TERTIUS Ad omnem iudictalem causam quemadmodum conveniret invennonem rerum adcommodari, satis abundanter, ut arbirror, ~uperioribus libris demonstrarum est. Nunc earum rarionem rerum inveniendarum, quac pertinebant ad causas deliberacivas et demonstrarivas, in hunc librum transrulimus, ut omnis inveniundi praeceptio tibi quam primum persolveretur. Reliquae quattuor partes erant artificii. De tribus partibus in hoc libro dierum est: disposirione, pronuntiatione, mcmoria. De elocutione, quia plura dicenda vidcbanrur, in quarto libro conscribere maluimus, quem, ut arbitror, cibi librum celeriter absolutum mittemus, ne quid tibi rhetoricae artis deesse possit. lnterea prima quaeque et nobiscum, cum voles, ct interdum sine nobis legendo consequere, nc quid inpediare, quin ad hanc ucilitatem pariter nobiscum progredi possis. Nunc ru fac artenturn te praebeas; nos proficisei ad insciruta pergemus. Deliberationes partim sunt eiusmodi, ut quaerarur, utrum potius faciendum sit, partim eiusmodi, ut, quid potissimum faciendum sit, considererur. Utrum potius, hoc modo: Kartago tollenda an relinquenda videatur. Quid porissimum, hoc pacto: ut si H annibal consultet, quom ex Italia Kareagioern arcessatur, an in Italia remaneat, an domum redeat, an in Aegyprum profecrus occupet Alexandriam.
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Auf welche Weise man bei jeder Gerichtsrede mit der Auffindung des Stoffes vorgehen soll, ist, wie ich glaube, in den vorausgehenden Büchern ausführlich genug dargelegt worden. Nun habe ich die Metbode der Auffindung des Stoffes, die zu den beratenden und darlegenden Reden gehört, auf dieses Buch übertragen,' damit die ganze Anleirung zur Auffindung des Stoffes möglichst bald für dich abgeschlossen werde. Übrig bleiben noch vier Teile des Lehrgebäudes. Von drei Teilen wird in diesem Buch gesprochen: der Anord~ung des Stoffes, • dem Vortragi und dem Sicheinprägen.4 Uber die stilistische Gestaltung wollte ich, da darüber wohl mehr gesagt werden muß, lieber im 4· Buch schreiben,l dieses werde ich schnell abschließen und dir schicken, damit dir nichts von dem rhetorischen Lehrwerk fehlt. Inzwischen magst du die jeweils vorausgehenden mir mir, wenn du willst, al~ auch bisweilen ohne mich lesend durchgehen, damit du nicht irgendwie darin behindert wirst, zu diesem Nutzen auf gleicher Srufe mit mir foruuschreiten. Nun erweise dich als aufmerksam; ich will fortfahren in den Unterweisungen. Beratende Reden6 sind teils von der Art, daß man fragt, welche von zwei Handlungen man eher ausführen soll, teils von der Art. daß man in Betracht zieht, welche Handlung man am ehesten ausführen soll. Welche von zwei H andlungen eher, wie z. B. auf folgende Weise: Ob man Karthago beseitigen oder bestehen lassen solJ.7 Welche am ehesten, z. B. auf folgende Art: Wenn H annibal überlegt, wenn er aus Italien nach Karthago zurückgeholr wird, ob er in ~~Iien bleiben, ob er nach Hause zurückkehren, ob er nach Agypten aufbrechen und Alexandria besetzen soll.8
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Ttem deliberationes panim ipsae proprer se consultandae sunr, ut si deliberet senarus, captivos ab hostibus redimat an non; partim propter aliquam extraneam causam venium in deliberacionem er consultationem, ut si deliberet senatus bello Punico, soh'ame legibus Scipionem, ut eum liceat ante tempus consulem fieri; partim et propter se sum deliberandae er magis propter extraneam causam veniunr in consuhationem, ut si deliberet senatus bello Italieo, sociis civitatem det an non.
In quibus causis rci natura faciet deliberacionem, omnis oratio ad ipsam rem adcommodabirur; in quibus extranea causa conficiet deliberationem, in his ea ipsa causa erit adaugenda aut deprimenda. Omnem orationem corum, qui sentenciam dicent, finem sibi conveniet utilitacis proponere, ut omnis eorum ad eam totius orationis ratio conferarur. Utifitas in duas partes in civili consultacione dividirur: tutam, honestam. Tuta est, quae conficit instancis aut consequencis periculi vitationem quaübet ratione. Haec distribuitur in vim et dolum, quorum aut alterum separatim aut utrumque sumemus coniuncte. Vis decemirur per exercitus, classes, arma, tormenta, evocaciones horninum er alias huiusmodi res. Dolus consumitur in pecunia, pollicitatione, dissimularione, maturatione, mentitione et ceteris rebus, de quibus magis idoneo tempore loquemur, si quando de re militari aut de administratione rei p. scribere velimus. Honesta res dividirur in rectum et laudabile.
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Ebenso müssen beratende Reden teils selbst ihrer selbst wegen genau überlegt werden, z. B. wenn der Senat berät, ob er die Gefangenen von den Feinden loskaufen soll oder nicht;' teils kommen sie wegen irgendeiner außerhalb liegenden Ursache zur Beratung und Überlegung, z. B. wenn der Senat im Punischen Krieg berät. ob er Scipio von gesetzlichen Bindungen lösen soll, damit er \'Or der festgesetzten Zeit Konsul werden könne; ' 0 teils müssen sie ihrer selbst wegen beraten werden und kommen noch mehr wegen einer außerhalb liegenden Ursache zur Berarung, z. B. wenn der Senat im italischen Krieg berät. ob er den Bundesgenossen das Bürgerrecht verleihen soll oder nicht." Ln den Fällen, in denen die Sachlage eine beratende Rede bewirkt, wird man die ganze Rede auf die Sachlage selbst ausrichten; in den Fällen aber, in denen eineaußerhalb liegende Ursache die beratende Rede zustande bringt, in diesen wird man eben dieseUrsachevergrößern oder niederhalten müssen. Die ganze Rede derer, die ihre Meinung vortragen, muß sich den Nutzenu zum Ziele setzen, so daß der gesamte Aufbau ihrer Rede darauf hinstrebt. Der Nut7en wird bei einer öffentlichen Belange betreffenden Überlegung in zwei Arten unterteilt: Sicherheit und Ehrenhaftigkeit. Sicher ist der Nutzen, der bewirkt, daß eine schon vorhandene oder noch bevorstehende Gefahr auf jede beliebige Art und Weise vermieden wird. Dieser wird eingeteilt in Gewalt und List, von denen wir entweder eine getrennt oder beide zusammen in Anspruch nehmen. Die Gewalt wird 'erliehen durch Heere, Honen, Waffen, Geschütze, das Aufgebot von Männem und andere derartige Vorkehrungen. Die List wird ausgeübt durch Geld, Versprechung, Vorstellung, Beschleunigung, Lüge und die übrigen Minel, über die ich zu geeigneter Zeit sprechen werde, wenn ich einmal über Kriegsführung oder die StaatsVerwaltung schreiben werde. •1 Das Ehrenhafte wird unterteilt in das Richtige und Lobenswerte.
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Recrum est, quod cum virrute et officio fit. Id dividirur in prudentiam, iustitiam, fortirudinem, modestiam. Prudentiae est calliditas, quae ratione quadam potest dilecrum habere bonorum et malorum. Dicirur item prudentia scientia cuiusdam arrificii et appellarur prudentia rerum multarum mcmoria et usus conplurium negotiorum. Justitia est aequitas ius uni cuique rei tribuens pro dignitate cuiusque. forrirudo est rerum magnarum adpetirio et rerum humiJium contemptio et laboris cum utilitatis ratione perpessio. Modestia est in animo continens moderario cupiditarum. Prudentiae parcibus utemur in dicendo, si commoda curn incommodis conferemus, cum alterum sequi, vitare alterum cohortemur; aut si qua in re cohorrabimur aliquid, cuius rei aliquam disciplinam potcrimus habere, quo modo aut qua quidque ratione fieri oporreat; aut si suadebimus quippiam, cuius rei gestae aut praesemem aut auditam memoriarn poterimus babere; qua in re facile id, quod velimus, exemplo allato persuadere possumus.
lustitiae partibus utemur, si aut innocentium aut supplicium misereri dicemus oponere; si ostendemus bene merentibus grariam referri convenire; si demonstrabimus ulcisci male meritos oportere; si fidem magnopere censebimus conservandam; si Ieges et mores civitatis egregie diccmus oportere servari; si societates atque amicitias studiose dicemus coli convenire; si quod ius in paremis, deos, parriam narura conparavit, id religiose colendum
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Richtig•• ist, was mit Tugend und Pflichtgefühl getan wird. Es wird umeneiJr in Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit, Selbstbeherrschung. '! Klugheit ist die Schlauheit, welche nach einer bestimmten Überlegung eine Wahl treffen kann zwischen Got und Böse. Ebenso nennt man Klugheit die Kenntnis einer gewissen Kunstfertigkeit; als Klugheit bezeichnet man das Festhalten vieler Dinge im Gedächtnis und die Beherrschung mehrerer Tätigkeiten.'6 Die Gerechtigkeit ist die Billigkeit, die jedem einzelnen sein Recht zuteilt je nach dem Verdienst eines jeden." Die Tapferkeit ist da~ Streben nach Großem und das Verachten von Niedrigem und das Erdulden von Mühe im Hinblick auf den !':utun. '8 Die Selbstbeherrschung ist eine Mäßigung, die die Begierden im Herzen beherrscht. '' Die Gesichtspunkte der Klugheit wenden wir in der Rede an, wenn wir Voneile mit Nachteilen vergleichen, wenn wir dazu auffordern, das eine zu erstreben, das andere zu vermeiden; oder wenn wir in irgendeiner Angelegenheit, in der wir einige Kenntnis haben können, irgendwie dazu auffordern, auf welchem Weg oder auf welche Weise etwas geschehen müsse; oder wenn wir zu einem Vorhaben raten, von dessen Durchführung wir entweder aus eigener Anschauung oder vom Hörensagen Kenntnis haben können; dabei können wir leicht zu dem, was wir woUen, überreden, indem wir ein Beispiel anführen. Die Gesichtspunkte der Gerechtigkeit wenden wir an, wenn wir sagen, man müsse sich der Schuldlosen oder der demütig Bittenden erbarmen; wenn wir darauf hinweisen, man müsse denen, die sich Verdienste erworben haben, Dank abstatten; wenn wir darlegen, man müsse die bestrafen, die sich schuldig gemache haben; wenn wir die Meinung vertreten, ein Versprechen müsse unter aUen Umständen gehalten werden; wenn wir sagen, die Gesetze und Siuen10 des Staates müßten genau beachtet werden; wenn wir sagen, Bündnisse und Freundschaften müßten mit Eifer gepflegt werden; wenn \vir darlegen, das Recht, welches die Narur den Eltern, den Göttern, dem Vaterland gegenüber geschaf-
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demonstrabimus; si hospitia, cliencelas, cognationes, adfinitates caste colenda esse dicemus; si nec pretio nec gratia nec periculo nec simultate a ,;a recta Ostendemus deduci oportere; si dicemus in omnibus aequabile ius starui convenire. His atque huiusmodi partibus iustitiae si quam rem in concione aut in consilio faciendam censebimus, iustam esse ostendemus, contrariis iniustam. Ita fiet, ur isdem locis et ad suadendum et ad dissuadendum slOlus conparari.
Sin fortirudinis retinendae causa faciendurn esse dicemus, Ostendemus res magnas et celsas sequi et appeti oportere; et item res humiles et indignas viris forcibus viros fortes propterea comemnere oportcre nec idoneas dignitate sua iudicare. ltem ab nulla re honesta periculi aut laboris magnirudine deduci oportere; antiquiorem mortem turpirudine haberi; nullo dolore cogi, ut ab officio recedarur; nullius pro rei veritate meruere inimicitias; quodlibet pro patria, parentibus, hospicibus, amicis, iis rebus, quas iustitia colere cog1t, adire periculum et quemlibet suscipere laborem.
Modestiae partibus utemur, si lllDlias Libidines honoris, pecuniae, similium rerum viruperabimus; si unam quamque rem certo narurae tennino definiemus; si, quoad cuique satis sit, ostendemus, nimium progredi dissuadebimus, modum uni cuique rei staruemus.
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fen hat, müsse gewissenhaft gepflegt werden; wenn wir sagen, Gastfreundschaften, Kliemelschaften, Blutsverwandtschaften und Verwandtschaften durch Heirat müßten uneigennütkig gepflegt werden; wenn wir darauf hinweisen, man dürfe .)ich durch keine Belohnung, durch keine Gunst, durch keine Gefahr und durch keine Feindschaft vom rechten Weg abbringen lassen; wenn wir sagen, in allen Bereichen müsse gleiches Recht festgelegt werden. Wenn wir in einer Volksoder Ratsversammlung die Meinung vertreten, mit diesen oder derartigen Gesichtspunkten der Gerechtigkeit müsse eine Angelegenherr durchgeführt werden, weisen wir darauf hin, daß sie gerecht, wenn mit gegensätzlichen Gesichtspunkten, daß sie ungerecht ist. Das Ergebnis wird dann sein, daß wir mit denselben Gemeinplätzen dazu gerüstet sind, dafür und dagegen zu sprechen. Wenn wir aber sagen, etwas müsse getan werden, um die Tapferkeit zu wahren, werden wir darauf hinweisen, man müsse große und erhabene Ziele verfolgenz• und anstreben; und ebenso, daß tapfere Männer niedrige und tapferer Männer unwürdige Ziele deswegen verachten und ihrer Würde nicht für angemessen halten müßten. Ebenso dürfe man sich von keiner ehrenhaften Sache durch die Größe der Gefahr oder Anstrengung abbringen lassen; der Tod müsse höher stehen als die Schande; durch keinen Schmerz dürfe man gezwungen werden, vor der Pflichterfüllung zurückzuweichen; für die Wahrheit dürfe man in keiner Angelegenheit Anfeindungen fürchten; für das Vaterland, die Eltern, die Gastfreunde, die Freunde, für die Dinge, welche die Gerechtigkeit zu pflegen zwingt, müsse man jegliche Gefahr auf sich nehmen und sich jeglicher Anstrengung unterziehen. Die Gesichtspunkte der Selbstbeherrschung wenden wir an, wenn wir übertriebenes Verlangen nach Ehre, Geld und ähnlichem tadeln; wenn wir jede einzelne Sache durch die sichere Grenze der Natur beschränken; wenn wir darauf hinweisen, wie weit einem jeden etwas genügen müsse, und davon abraten, allzu weit zu gehen, und wenn wir jeder einzelnen Sache ein Maß setzen.
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Huiusmodi partes sunt omnibus verbis adtenuandae, si ab bis dehortabimur, ut haec adtenuentur, quae demonsrravi. Nam nemo erit, qui censeat a virtutc rccedendum; verum aut res non eiusmodi dicarur esse, ut virturem possimus egregiam experiri, aut in contrarüs potius rebus quam in his virrus consrare osrendarur. Item, si quo pacto poterimus, quam is, qui contra dicet, iusticiam vocabit, nos demonstrabimus ignaviam esse et inertiam ac pravam liberalitatem; quam prudentiam appellarit, ineptam et garrulam et odiosam scientiam esse dicemus; quam ille modesciam dicet esse, eam nos inertiam et dissolutam neglegentiam esse dicemus; quam ille forcirudinem nominarit, eam nos gladiatoriam et inconsideratam appellabimus temeritatem.
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Laudabile est, quod conficit honesram et praesentem et consequemem commcmorationem. Hoc nos non eo separavimus, quod partes virturum, quae subiciunrur sub vocabulum recri, banc honcstam commemorationem dare non soleam, sed quamquam ex recto laudabile nascirur, tarnen in dicendo seorsum tractandum est hoc ab illo: neque enim solum Iaudis causa rectum sequi convenit, sed si laus consequitur, duplicarur recti adpetendi voluntas. Cum igirur erit demonstrarum rccrum esse, laudabile esse demonstrabimus aut ab idoneis bominibus - ut si qua res honcsriori ordini placeat, quae a deteriore ordinc inprobctur - aut quibus sociis aur omnibus civibus, exteris nationibus, posterisque nostris.
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Cum huiusmodi divisio sit locorum in consuJtatione, bre\iter aperienda ent totius tracrario causae.
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Derartige Gesichtspunkte müssen mit allen Worten abgewerden, wenn wir vor alledem warnen, damit diejenigen Gesichtspunkte abgeschwächt werden, welche ich oben dargelegt habe." Denn es wird niemanden geben, der die Meinung ,·ertritt, man dürfe von der Tugend abweichen; aber man mag enrweder sagen, die Angelegenheit sei nicht von der Art, daß man eine herausragende Tugend erkennen kann, oder man weise darauf hin, die Tugend sei eher in den gegenteiligen Eigenschaften vorhanden als in diesen. Ebenso werden wir, wenn wir irgendwie können, darlegen, daß die Eigenschaft, die der gegnerische Redner Gerechtigkeit nennt, Feigheit se1, Trägheit und verkehrte .freigebigkeit; wir werden sagen, die Eigenschaft, die er Klugheit nennt, sei abgeschmacktes, geschwätziges und widerwärtiges Besserwissen; die Eigenschaft, die er Selbstbeherrschung nennt, werden wir Trägheit und gleichgültige Nachlässigkeit nennen; die er als Tapferkeit benennt, werden wir als gladiatorenmäßige, unbesonnene Tollkühnheit bezeichnen.'J Lobenswert ist, was eine ehrenhafte Erwähnung in der Gegenwart und in der Zukunft bewirkt. Dies habe ich nicht deswegen getrennt, weil die Teile der Tugenden, die dem Wort ,.das Richtige" untergeordnet werden;~ diese ehrenhafte Erwähnung nicht hervorzurufen pflegten, sondern obwohl aus dem Richtigen das Ehrenhafte hervorteht, muß dennoch in einer Rede das letztere vom ersten gerrennt behandelt werden. Denn das Richtige soll man nicht nur um des Lobes willen verfolgen, aber wenn Lob dazukommt, wird der Wunsch, das Richtige zu erstreben, verdoppelt. Wenn wir also dargelegt haben, daß erwas richtig i~t, werden wir darlegen, daß es lobenswert ist, indem wir enrweder von geeigneten Menschen ausgehen - z..B. wenn eine Sache einem höher geachteten Stand gefällt, die von einem niedrigeren Stand nicht gebilligt wird - oder von irgendwelchen Bundesgenossen oder von allen Mitbürgern, auswärtigen Nationen und unseren Nachkommen. Da eine derartige Einteilung der Einzelpunkte in der Beratung vorliegt, muß die Behandlung des ganzen Falles kurz erörtert werden. ~chwächt
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Exordiri licebit vel a principio vel ab insinuatione vel isdem rationibus, q uibus in iudiciali causa. Si cuius rei narratio incider, eadem ratione narrari oportebit. Quoniam in huiusmodi causis finis est ucilitas er ea dividitur in rationem tutam atque honestam, si utrumque poterimus ostendere, utrumque pollicebimur nos in dicendo demonstraturos esse; sin alterum, quod dicruri sumus, osrendemus. At si nostram rationem tutam esse dicemus, divisione utemur in vim et consilium. Nam quod in docendo rei dilucide magnificandae causa dolum appellavimus, id in dicendo honesrius consilium appellabimus. Si rationem nosrrae sententiae recram esse dicemus er omnes partes recri incidenr, quadriperrita div1sione utemur: si non incident, quot erunt, tot exponemus in dicendo.
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Confrrmarione et confutatione uremur nosrris locis, quos ante ostendimus, confmnand1s, conrrarüs confutandis. Argumentationis artificiose tractandae ratio de secundo libro peterur.
Sed si acciderit, ut in consultatione alten ab tuta rarione, alteri ab honesta senrencia sit, ur in deliberatione eorum, qui a Poeno circumsessi deliberant, quid agant, qui tutam rationem sequi suadebit, his locis utetur: Nullam rem uciliorem esse incolumitate; virutibus uti neminem posse, qui suas rationes in ruto non conlocarit; ne deos quidem esse auxilio is, qui se inconsulto in periculum mittant; honesrum nihil oportere exisrimari, quod non salutem pariat.
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Die Einleitung darf man gestalten enrweder in Form der Vorrede oder der Einschmeichelung1 1 oder auf tlieselbe Weise wie in der Gerichtsrede. Wenn die Darlegung irgendeines Sachverhaltes hinzukommt, darf man d1esen in derselben Weise darlegen. Da ja in derartigen Fällen das Ziel der Nurzen ist und dieser in Sicherheit und Ehrenhaftigkeit unterteilt wird,>6 werden wir, wenn wir auf beides hinweisen können, versprechen, daß wir in der Rede beides darlegen werden; wenn aber nur auf das eine davon, werden wir nur auf da~ hinweisen, was wir sagen werden. Aber wenn wir sagen, daß es uns um die Sicherheit gehe, werden wir die Unterteilung in Gewalt und überlegende Planung anwenden. Denn was ich bei der Belehrung, um die Sache deutlich herauszustellen, als List bezeichnet habe, das werde ich bei der Rede al~ überlegende Planung bezeichnen. Wenn wir sagen, die Begründung unserer Meinung sei richtig, und alle Gesichtspunkte des Richtigen vorkommen, wenden wir die vierfache Teilung an; wenn sie nicht vorkommen, werden wir nur so viele in der Rede darstellen, wie es sind. Die Bekräftigung und Widerlegung wenden wir an bei der Bekräftigung unserer Gesichtspunkte, auf die wir vorher hingewiesen haben, und bei der Widerlegung der gegensätzlichen Gesichtspunkte. Die Methode der kunstvollen Durchführung der Beweisführung wird dem 2. Buch entnommen.27 Aber wenn der fall eintritt, daß bei einer Überlegung der eine bei seiner Memungsäußerung von der Sicherheit, der andere von der Ehrenhaftigkeit ausgeht, so wie bei der Beratung derer, welche, da sie von den Puniern eingeschlossen sind, beraten, was sie run sollen/8 wird der, welcher rät, die Sicherheit ?u verfolgen, folgende Gesichtspunkte anwenden: Nichts se1 nützlicher als die Unversehrtheit; Tugenden könne niemand zur Entfalrung bringen, der ~eine Überlegungen nicht auf Sicherheit gründe; nicht einmal die Götter brachten denen Hilfe, die sich unbedacht in Gefahr stürzten; für ehrenhaft dürfe man nichts halten, was nicht Wohlergehen bewirke.
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Qui tutae rei praeponet rarionem honesram, his locis uterur: Virrutem nullo rempore relinquendam: vel dolorcm, si is meruarur, vel mortem, si ea formiderur, dedecore er infamia leviorem esse; considerare, quae sir rurpirudo consecutura - ar non inmortal.itarem neque aeternam incolumitarem consequi, nec esse e:xplorarum illo vitaro periculo nullum in aliud periculum venruros; virture vel ultra monem proficisei esse praeclarum; fortitudini fortunam quoque esse adiumento solere; eum tute vivere, qui honeste vivat, non qui in praesemia incolumis, et eum, qui rurpirer ,·ivat, incolumem in perperuum esse non posse. Conclusionibus fere similibus in his et in iudicialibus causis uri solemus, nisi quod bis maxime conducir quam plurima rerum ante gesrarum exempla proferre. Nunc ad dcmonstrativum genus causae rranseamus. Quoniam haec causa di\;dirur in laudem et viruperationem, quibus ex rebus laudem constiruerimus, ex comrariis rebus erir vituperatio conparanda. Laus igirur porest esse rerum exrernarum, corporis, animi. Rerum exrernarum sunt ea, quae casu aut forruna secunda aut adversa accidere possunt: genus, educario, divitiae, potestares, gloriae, civiras, amicitiae, er quae huiusmodi sunt er quae his conrrana. Corporis sunr ea, quae natura corpon adrribuit commoda aut incommoda: veloc1tas, vires, digniras, valerudo et quae contraria sum. Animi sunt ea, quae consilio et cogiratione nostra constam: prudentia, iustitia, fortirudo, modestia er quae conrraria sunt.
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Wer der Sicherheit die Ehrenhaftigkeit vorzieht, wendet folgende GesichtSpunkte an: Von der Tugend dürfe man sich zu keiner Zeit lossagen; entweder Schmerz, wenn man sich davor fürchtet, oder der Tod, wenn man vor diesem Angst hat, falle weniger ins Gewicht als Schmach und Schande; man ziehe in Betracht, welcher Schimpf folgen werde - aber Umterblichke it und ewige Unversehrtheit würden nicht folgen, und es sei auch nicht ertnittelt, daß man, wenn man jene Gefahr vermieden habe, in keine andere Gefahr geraten werde; durch Tugend sogar über den Tod hinaus7ugehen sei prächtig; dtc Tapferkeit werde gewöhnlich auch vom Glück untersrützt; 2 ' der lebe in Sicherheit, welcher ehrenhaft lebt, und nicht der, welcher im Augenblick unversehrt ist, und andererseitS könne der, welcher schimpflich lebt, nicht auf Dauer unversehrt sein. Den Schluß gestalten wir in diesen Reden gewöhnlich fast ähnlich wie in Gerichrsreden,l0 abgesehen davon, daß e~ für diese Reden sehr zuträglich ist, möglichst viele Beispiele aus bisherigen Geschehnissen anzuführen. Nun will ich zur darlegenden Redegattungl' übergehen. Da Ja diese Rede m Lob und Tadel unterteilt ist, muß die tadelnde Rede aus den gegensat.dichen Punkten dazu gebildet werden, aus denen wir die Lobrede zusammenstellen. Das Lob kann also äußere Umstände, den Körper und den Geist berreffen.P Zu den äußeren Umständen zählt man das, was durch Zufall oder Schicksal günstig oder ungünstig ausfallen kann: Herkunft, Erziehung, Reichtum, Macht, Ruhm, Bürgerrecht, freundschafren und dergleichen und die Nachteile, die im Gegensatz da7u stehen. Zu den körperlichen Eigenschafren zählt man die Vorteile und Nachteile, die die Natur dem Körper zugereilt hat: Schnelligkeit, Kraft, würdevolles Auftreten, Gesundheit und die Gegensätze dazu. Zu den geistigen Eigenschaften zählt man, was auf unserer Überlegung und unserem Denken beruht: Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit, SelbMbeherrschung und die Gegensätze dazu.H
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Erir igirur haec confinnatio er confutatio nobis in huiusmodi causa. Principium sumetur aur ab nostra aut ab eius, de quo loquemur, aut ab eorum, qui audient, persona aut ab re. Ab nostra, si laudabimus: aur officio facere, quod causa necessirudinis imercedat; aut srudio, quod eiusmodi virtute sit, ur omnes commemorare debcant velle, aut quod recrum sit aur cx aliorum laude ostendere, qualis ipsius animus sit. Si viruperabimus: aut mcrito facere, quod ita tracrari sumus; aut studio, quod utile puremusesse ab omnibus unicam maliriam arquc nequiriam cognosci; aur quod placeat osrendi, quod nobis d~plicear e:'< aliorum viruperalione.
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Ab eius persona, dc quo loquemur, si laudabimus: vereri nos, ur illius factaverbis consequi possimus; omnes illius virtutes praedicare oportere; ipsa facta omnium laudatorum eloqucnriam ameire. Si viruperabimus, ea, quae videmus comraria paucis verbis commuratis dici posse, d1cemus, ur paulo supra exempli causa demonsrrarum csr. Ab auditorum persona, si laudabimus: quoniam non apud ignotos laudernus, nos monendi causa pauca dicruros; aut si erunt ignori, ut ralem virum velinr cognoscere, petemu.s; quoniam in eodem ,-irruris srudio sint, apud quos laudemus, atque ille, qui laudarur, fuerit aur sir, sperare nos facile üs, quibus velimus, huius facta probaruros.
Conrraria vituperatio: quomam norint, pauca
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Damit wird sich also unsere Bekräftigung und Widerlegung in einer derartigen Rede beschäftigen. Die Vorrede geht aus entweder von unserer Person, von der Person dessen, über den wir sprechen, von den Zuhörern oder von der Sache.H Ausgehend von unserer Person, wenn wir loben, sagen wir: Wir handelten aus Pflichtgefühl, weil eine persönliche Verbindlichkeit dazukomme; oder aus gutem E1fer, weil der Mann, für den wir sprechen, eine derartige Tugend besitze, daß alle bereit sein müßten, sie ins Gedächtnis zurückzurufen; oder weil es richtig sei, durch das Lob für andere darzutun, wie unsere eigene Meinung sei. Wenn wir radeln, sagen wir: Wir handelten berechtigterweise, weil wir so behandelt worden seien; oder aus gutem Eifer, weil wir es für nützlich hielten, daß von aUen die etnzigartige Bosheit und Nichtswürdigkeit erkannt werde; oder weil wir es gut fänden darzutun, was wir am Tadel anderer nicht gut fänden. Au~gehend von der Person dessen, über den wir sprechen, sagen wir, wenn wir loben: Wir fürchteten, daß wir mit Worten nicht an seine Taren heranreichten; alle müßten seine Vorzüge preisen; seine Taten stünden über der Beredsamkeit aller Lobredner. Wenn wir tadeln, sagen wir, wa.~. wie wir ~ehen, durch die Änderung weniger Worte in gegensätzlicher Absicht gesagt werden kann; das habe ich einige Zeilen weiter oben als Beispiel dargelegt. Au~gehend von den Zuhörern sagen wir, wenn wir loben: Da wir ja nicht vor Leuten, die sich nicht auskennen, eine Lobrede hielten, wollten wir nur weniges sagen, um sie daran tu erinnern; oder wenn sie sich wirklich nicht auskennen, werden wir sie auffordern, sie möchten bereit sein, einen solchen Mann kennenzulernen; da ja die Zuhörer, vor denen '1\'ir die Lobrede hielten, ebenso nach Tugend ~trebren wie der Mann, der gelobt wird, danach gestrebt habe oder strebe, hofften wir, wir könnten denen, um die es uns geht, dessen Taten beifallswert erscheinen lassen. Der Tadel wird im Gegemarz dazu folgendermaßen lau-
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de nequitia eius dicturos, quod si ignorent, petemus, ut cognoscant, uti maliriam vitare possint; quoniam dissimiies sint, qui audiant, atque ille, qui viruperarur, eos ilhus vüam vehementer inprobaruros. Ab rebus ipsis: incenos esse, quid porissimum Laudemus; vereri ne, cum multa dixerimus, plura praetercamus; er quae similes semenrias habebunt; quibus sementiis conrraria sumunrur a viruperatione. Principio tractato aliqua harum. quas ame commemoravimus, rationc, narratio non erir ulla, quae necessario consequatur; sed si qua inciderit, quom aliquod facrum eius, de quo loquemur, nobis narrandum sit cum laude aut viruperatione, praeceprio narrandi dc primo libro repeterur.
Divisione hac utemur: exponemus, quas res laudaruri sumus aut vituperaruri; deinde, ut quaeque, quove temporc rcs erit gesta, ordine dicemus, ut, quid quamque rute cauteque egerit, inrellegarur. Sed exponere oponebit animi vinutes aut vitia; deinde commoda aut incommoda corporis aut rerum extcrnarum, quomodo ab animo tracrata sint, demonstrare. Ordinem hunc adhibere in demonstranda vita debemus:
Ab externis rebus: genus, in laude: quibus maioribus narus sit; si bono genere, parem aut excelsiorem fuisse; si humili genere, ipsum in suis, non in maiorum virruribus habuisse praesidium; in viru-
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tcn: Da sie ja Bescheid wüßten, wollten wir nur wenig über seine Nichtswürdigkeit sagen; wenn sie nicht Bescheid wissen, werden wir sie auffordern, sich Kenntnisse zu verschaffen, um seiner Schlechtigkeit ausweichen zu können; da ja die Zuhörer dem, der getadelt werde, unähnlich seien, würden sie seinen Lebenswandel heftig mißbilligen. Aber ~·enn wir von der Sache selbst ausgehen, sagen wir: Wir seien unschlüssig, was wir vor allem loben sollten; wir fürchteten, obwohl wir viel gesagt hänen, noch mehr zu übergehen, und wir sprechen Gedanken aus, die einen ähnlichen Sinn haben. Gegensätzliche Gedanken hierzu fühn man bei einer tadelnden Rede an. Ist die Vorrede durchgeführt auf irgendeine von den Anen, die ich oben erwähnt habe, so wird es nicht eine Darlegung des Sachverhaltes sein, die notwendigerweise folgt; aber wenn eine Darlegung des Sachverhaltes ansteht, da wir über eine Tat dessen, über den wir sprechen, berichten müssen, verbunden mit Lob oder Tadel, entnimmt man die Anleitung zur Darlegung des Sachverhaltes dem r. Buch.H Die Gliederung des Stoffesl6 wenden wir folgendermaßen an: Wir stellen fest, welche Punkte wir loben oder tadeln werden; dann werden wir der Reihe nach sagen, wie und zu welchem Zcirpunkt sich jeder einzelne Vorgang abspielte, damit man erkennt, was und wie umsichtig und vorsichtig er es getan bat. Aber man wird seine charakterlichen Vorzüge oder Fehler vorsreUen müssen; dann muß man darlegen, wie seine körperlichen Vor- oder Nachteile oder die Vor- oder Nachteile der äußeren Umstände von seinem Charakter beeinflußt wurden. Bei der Darlegung seines Lebensweges müssen wir die folgende Reihenfolge einhalten: Ausgehend von den äußeren Umständen erwähnen wir seine Herkunft - in einer Lobrede, von welchen Vorfahren er abstammt; ist er von guter Herkunft, sagen wir, er sei semen Vorfahren ebenbünig oder überrage sie; ist er von niederer Herkunft, sagen wir, er habe Schutz gefunden in seinen eigenen Vot7ügen, nicht in denen der Vorfahren. In
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peratione: si bono genere, dedecori maioribus fuisse; si malo, tarnen his ipsis detrimento fu1sse. Educatio in laude: bene et honeste in bonis disciplinis per ornnem pueritiam educarum; in viruperatione: inde se retraxisse aperte.
A corporis commodis: narura si sit dignitas atque forma, laudi fuisse eam, non quemadmodum ceteris derrimenro arque dedecori; si vires atque velociras egregia, honesris haec exercitationibus er indusrriis dicemus conparata; si ,•alerudo perperua, diligenria er temperanria cupiditarum. Jn vituperarione, si erunt haec corporis commoda, male bis usum dicemus, quae casu et narura tamquam quiliber gladiator habuerit; si non erunt, practer formam omnia ipsius culpa er intemperantia afuisse dicemus.
Deinde revertemur ad extraneas res, et in his animi virrures aur vitia, quae fuerint, considerabimus; diviciae an paupertas fuerit, et quae potesrates, quae gloriae, quae amicitiae, quae inimicitiae, er quid forcirer inimicitiis gerundis fecerit; cuius causa susceperir inimi.citias; qua fide, benivolenria, officio gesserit arnicitias; in divitiis qualis aur paupertate cuiusmodi fuerit; qucmadmodum habuerir in porestatibus gerundis animum. Si interierir, cuiusmodi mors eius fuerit, cuiusmodi rcs mortem eius sit consecuta.
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einer tadelnden Rede sagen wir, wenn er von guter Herkunft ist, er habe seinen Vorfahren Schande gemacht; ist er von schlechter Herkunh, sagen wir, sogar diesen Vorfahren habe er geschadet. Was die Erziehung angeht, so sagen wir in einer Lobrede, er sei gut und ehrenhaft, in guten Wissenszweigen die ganze Jugend hindurch erzogen worden. In einer tadelnden Rede sagen wir, er habe sich offenkundig davon zurückgezogen. Ausgehend von körperlichen Vorzügen sagen wir: Wenn er von Natur aus eine würdige Erscheinung und Schönheit besitzt, diese bringe ihm Ehre, nicht wie den übrigen Schaden und Schande; besirn er Kraft und herausragende Schnelligkeit, werden wir sagen, diese habe er durch ehrenhafte Übungen und Heiß erworben; besitzt er be~tandige Gesundheit, durch Gewissenhaftigkeit und Beherrschung der Begierden. ln einer radelnden Rede werden wir sagen, wenn diese körperlichen Vonüge vorhanden sind, er habe schlechten Gebrauch von diesen Vorzügen gemacht, die er zufällig und von Natur aus besessen habe wie jeder beliebige Gladiator; sind sie nicht vorhanden, werden wir sagen, außer Schönheit hätten ihm alle Vorzüge durch seine eigene Schuld und Unbeherrschtheit gefehlt. Dann kehren wir zu den äußeren Umständen zurück und dabei werden wir die charakterlichen Vorzüge oder Fehler, die vorhanden sind, betrachten; ob Reichrum oder Armut vorhanden war, welche Machtstellung, welcher Ruhm, welche Freundschaft, welche Femdschaft, und w~ er Tapferes vollbracht habe, indem er Feindschaften ausfocht; um wessen willen er Feindschaften auf sich genommen habe; mit welcher Zuverlässigkeit wohlwollender Gesinnung und Pflichttreue er Freundschaften gepflegt habe; wie er sich im Reichrum beziehungsweise auf welche Art er sich in Armut verhalten habe; welche Gesinnung er bei der Ausübung von Macht gehabt habe. Wenn er gestorben ist, von welcher Art sein Tod gewesen und welches Ereignis auf seinen Tod gefolgt sei.
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Ad omnes autem res, in quibus animus hominis maxime consideratur, illae quanuor animi virrutes erunt adcommodandae; ut, si laudemus, aliud iuste, aliud foniter, aliud modeste, aliud prudenter factum esse dicamus; si \"ituperabimus, aliud iniuste, aliud inmodeste, aliud ignave, aliud stulte factum praedicemus. Perspicuum est iam nimirum ex hac dispositione, quemadmodum sir rractanda rripertita divisio Iaudis er vituperacionis, si iUud etiam adsumpserimus, non necesse esse nos omnes has partes in laudem aut in vituperarionem transferre, proprerea quod saepe ne incidunt quidem, saepe ira tenuiter incidunt, ut non sinr neces~ariae dicru. Quaproprer cas partes, quae firmi$simae vidcbuntur, legere oponebir. Conclusionibus brcvibus utemur, enumeratione ad cxitum causae; in ipsa causa crebras ct breves amplificationes interponemus per locos commurus. Nec hoc genus causae eo, quod raro accidit in vita, neglcgcnrius commendandum est: ncque enim id, quod poresr accidere, ur faciundum sit aliquando, non oportet velle quam adcommodatissime posse facere; et si separarim haec causa minus saepe tractatur, at in iudicialibus et in deliberativis causis saepc magnac panes versanrur Laudis aut \;tuperationis. Quare in hoc quoque causae genere nonnihil industriae consumendum putavimus. Nunc, absoluta a nobis d•fficillima pane rhetoricae, hoc est inventione perpolita atque ad omne causae genus adcommodata, tempus est ad ceteras panes proficisci. Deinceps igirur de dispositione diccmus.
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Zu allen Umständen aber, in denen die Gesinnung eines Menschen am meisten in Betracht gezogen wird, muß man jene erwähnten Charakterrogenden in Beziehung setzen, in der Weise, daß wir, wenn wir loben, sagen, das eine sei gerecht, anderes tapfer, anderes beherrscht, anderes klug getan worden; wenn wir tadeln, werden wir erklären, das eine sei ungerecht, anderes unbeherrscht, anderes feige, anderes töricht getan worden.P Klar ersiehdich ist schon ohne Zweifel aus dieser Anordnung, wie die dreigeteilte Gliederung des Stoffe:. in der Lobrede und tadelnden Rede durchzuführen ist,l1 wenn wir dazu auch noch berücksichtigen, daß wir nicht notwendigerweise alle diese Gesichtspunkte auf eine Lobrede und tadelnde Rede übenragen müssen, deswegen weil sie oft nicht einmal zutreffen und oft nur so wenig zutreffen, daß es nicht notwendig ist, sie zu erwähnen. Deswegen muß man die Gesichtspunkte auswählen, die als die beweiskräftigsten erscheinen. Den Schluß" halten wir kurz, wir verwenden eine Aufzählung am Ende der Rede; in die Rede selbst flechten wir häufige, kur7e Steigerungen ein mit Hilfe von Gemeinplätzcn.•0 Aber man darf diese Redegattung, deswegen weil sie im Leben selten vorkommt, nicht weniger sorgfältig anempfehlen; denn man muß sehr wohl den Wunsch haben, auch das, was man nur hie und da tun muß, möglichst angemessen zu tun; und wenn auch diese Rede für sich getrennt weniger oft gehalten wird, kommen doch in Gerichts- und beratenden Reden oft große Abschnine ..-on Lob und Tadel vor. Deshalb muß man, wie 1ch glaube,•• auch für diese Redegattung nicht unerheblichen Fleiß aufbringen:<' Da ich nun den schwierigsten Teil der Redekunst, d. h. die durchgefeilte und fur jede Redegattung passende Auffindung des Stoffes, erschöpfend behandelt habe, ist es an der Zeit, LU den ubrigen Teilen weiterzugehen. Der Reihenfolge nach werde ich also jetzt über die Anordnung des Stoffes ~precben.•J
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Quoniam dispositio est, per quam illa, quae invenimus, in ordinem redigimus, ut ceno quicque loco pronuncietur, videndum esr, cuiusmodi rationem in disponendo habere conveniat. Genera disposicionum sunt duo: unum ab inscitutione artis profecrum, alterum ad casum remporis adcommodarum. Ex institutione arris disponemus, cum sequemur eam praecepuonem, quam in primo libro exposuimus, hoc est. ut utamur principio, narracione, divisione, confirmatione, confutatione, conclusione, et hunc ordinem, quemadmodum praeceprum est ante, in dicendo sequamur. ltem ex instirucione artis non modo totas causas per oracionem, sed singulas quoque argumentationes disponemus, quemadmodum in libro secundo docuimus, id est in expositionem, rationem, confirmarionem rationis, exornationem, conclusioncm. Haec igitur duplex dispositio est: una per orationes, altera per argumentationes, ab insrirurione anis profecta. Est autem alia dispositio, quae, cum ab ordine artificioso recedendum est, oratons iudicio ad tempus adcommodatur; ut si ab narratione dicere incipiamus aut ab aliqua firmissima argumenrarione aut !itterarum aliquarum recitarione; aur si secundum principium confirmarione utamur, deinde narratione; aut si quam eiusmodi permutationem ordinis faciemus; quorum nihil, nisi causa posrulat, fieri oponebit. Nam si vehementer aures auditorum obtunsae videbuntur atque anirni defarigari ab adversariis multirudine verborum, commode poterimus principio supersedere et exordiri causam aut a narratione aut allqua firma argumenta-
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Da ja die Anordnung des Stoffes die Tätigkeit ist, durch die wir den aufgefundenen Stoff in eine Reihenfolge bringen, damit jeder Punkt an einer bestimmten Stelle vorgetragen wird, muß man darauf sehen, welches Verfahren man bei der Anordnung nehmen soU. Es gibt zwei Arten der Anordnung: die eine, welche von der Lehre der Kunst ausgeht, und die andere, welche dem Zeitumstand angepaßr ist.... Ausgehend von der Lehre ordnen v..Jr den Stoff an. wenn wir uns an die Anleitung halten, die ich im 1. Buch dargelegt<1 habe, d. h. daß w1r Vorrede, Darlegung des Sachverhaltes, Gliederung, Bekräftigung, Widerlegung, Schluß anwenden und diese Reihenfolge, wie sie oben vorgeschrieben ist, in der Rede einhalten. Ebenso werden wir, ausgehend von der Lehre der Kunst, nicht nur den ganzen Streitfall über die Rede veneilt anordnen, sondern auch die einzelnen Beweise, wie ich im 2. Buch gelehrt habe; 46 d. h. in die Schilderung, in die Begründung, die Bekräftigung der Begründung, die Ausschmückung, den Schluß. Diese Anordnung ist also eine doppelte: die eine über die Rede verteilt, die andere nur über die Beweisführung; sie geht von der Lehre der Kunst aus. Es gibt aber auch eine andere Anordnung, welche, wenn man von der kunstgemäßen Reihenfolge abweichen muß, nach dem Urteil des Redners an die Zeitumstände augepaßt wird; '-· B. wenn wir unsere Rede mir der DarsteUung des Sachverhaltes beginnen oder mit irgendeiner sehr kräftigen Beweisführung oder dem Vorlesen irgendeines Schriftstükkes; oder wenn wir unnuttelbar nach der Vorrede erst die Bekräftigung bringen, danach die Darlegung des Sachverhaltes; oder wenn 'll.·ir eine andere derartige Änderung der Reihenfolge vornehmen; davon darf aber nichts geschehen, wenn es nicht der Fall erfordert. Denn wenn die Ohren der Zuhörer schon völlig betäubt scheinen und ihre Sinne erschöpft von den Prozeßgegnern durch eine FüUe von Worten, können wir uns zweckmäßigerweise über die Vorrede hinwegsetzen•7 und die Rede enrweder mit der Darlegung de~ Sachverhaltes beginnen oder mitirgendeiner kräfti-
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rione. Deinde, ~i commodum crit, quod non semper neces~e est, ad principii sententiam reverri Iicebit. Si causa nostra magnam difficultatem ,•idebitur habere, ut nemo aequo ammo principium possit audire, ab narratione cum mccperimus, ad principü sententiarn reverremur. Si narratio esr parum probabilis, exordiemur ab aliqua firma argumentationc. His commutariombus et translacionibus saepe uti nece~~e est, cum ipsa res anificiosam dispositionem artificiose commutare cogit.
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In confirmatione et confutatione argumentationum disposirionem huiusmodi convenir habere: firmissimas argumentationes in primis er in postremis causac partibus conlocare; mcdiocris er neque inutiles ad dicendum neque necessarias ad probandum, quae, si separarim ac singulae dicantur, infirmae sint, cum ceteris coniuncrae finnae et prohabiles fiunt, interponi oporrct. Nam ct starim rc narrata cxpcctar animus audimris, si qua re causa confirmari possit - quaproprer continuo firmam aliquam oportet inferre argumentationem - et quoniam nuperrime dieturn facile memoriae mandatur, urile cst, cum dicere desinamus, recentem aliquam relinquere in animis auditorum bene firmam argumentationem. Haec dispositio locorum, tamquam insrrucrio milirum, facillime in dicendo. sicut illa in pugnando, parere poterit vicroriam. Pronunciat1onem multi maxime utilem orarori dixerunt esse et ad persuadendum plurimum valere. Nos quidem unum de quinque rebus plurimum possenon facile dixerimus; egregie magnam esse ucilitatem in pronuntiatione audacrer confrrmaverimus. Nam commodae invemiones er concin-
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gen Beweisführung. Darauf kann man, wenn es zweckmäßig ist, was aber nicht immer notwendig ist, auf einen Gedanken für die Vorrede zurückkommen. Wenn unser Fall eine große Schwierigkeit in sich zu bergen scheint, so daß keiner mit Gleichmut die Vorrede hören konnte, dann beginnen wir mit der Darlegung des Sachverhaltes und kommen dann auf einen Gedanken für die Vorrede zurück. Ist die Darlegung des Sachverhaltes zu wenig glaubhaft, dann beginnen wir mir einer kräftigen Beweisführung. Diese Veränderungen und Umstellungen muß man oft notgedrungen vornehmen, wenn die Sache selbst dazu I'WIOgt. die kunstvolle Anordnung kunsrvoll zu verändern. Bei der Bekräftigung und der Widerlegung der Beweise soll man folgende Anordnung einhalten: Die kräftigsten Beweise soll man in die ersten und letzten Teile der Redt! set7.en; mirtelmäßige Beweise, die wohl nicht unnütz für die Rede, aber auch nicht zwingend notwendig sind, um einen Nachweis zu liefern, welcher jeder für sich und eimcln angeführt schwach, mit anderen Beweisen verbunden aber kräftig und glaubhaft sind, muß man dazwischenstellen.~8 Denn sofort nachdem der Sachverhalt dargelegt ist, wanet der Zuhörer darauf, ob die Sache auf irgendeine Art begründet werden kann - deswegen muß man unminelbar darauf einen kräftigen Beweis vorbringen - , und da man sich ja das erst ganz am Ende Gesagte leicht einprägt, ist es nach der übrigen Rede nützlich, wenn wir aufhören zu sprechen, in den Herzen der Zuhörer einen neuen, recht kräftigen Beweis zu hinterlassen. Diese Anordnung der Punkte vermag ebenso wie d1e Aufstellung der Soldaten sehr leicht bei der Rede, so wie jene im Kampfe, den Sieg zu verschaffen. Daß der Vorrra!r' für den Redner am meisten nützlich i~t und am meisten zur Überredung beiträgt, haben schon viele gesagt. ich nun möchte nicht so leiehrhin sagen, daß eine von den fünf Fähigkeiten des Redners am meisten vermag; daß aber ein ausnehmend großer Nutzen auf dem Vortrag beruhe, möchte ich kühn behaupten.!'' Denn eine passende Auffindung des Stoffes, eine kunstgerechte stilistische
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nae verborum docuriones er parrium cau)ae arrificiosae dispositiones et horum omnium diligens memoria sine pronuntiatione non plus quam sine his rebus pronuntiatio sola valere poterit. Quare, ct quia nemo de ea re diligenter scripsit - nam omnes vix posse putarum de voce et vulru et gestu dilucide scribi, cum eae res ad sensus nmtros pertincret - er quia magnopere ea pars a nobis ad dicendum conparanda est, non neglegenter viderur tota res consideranda. Dividirur igitur pronuntiatio in vocis figuram et in corporis morum. Figura vocis est ea, quae suum quendam possidet habirum, ratione er industria conpararum.
Ea dividirur in tres partes: magnirudinem, firmirudincm, mollirudinem. Magnitudinem vocis maxime conparat narura; nonnihil auget, sed maxime conservat cura. Firmitudinem vocis ma.xime conparat cura; nonnihil adauget er ma.xime conservat exercirario declamationis. Mollitudinem '·ocis, hoc esr, ut eam torquere in dicendo nostro commodo possimus, maxime faciet exercitacio declamationis. Quaproprer dc magnitudine vocis ct firmitudinis parte, quoniam altera narura paritur, altera cura conparatur, nihil nos adrinet commonere, nisi ut ab iis, qui non inscii sum eius arrificii, ratio curandae vocis perarur. De ea parre firmirudinis, quae conservarur ratione declamationis, et de mollitudine vocis, quae maxime necessaria esr orawri, quoniam ea quoque moderatione declamarionis conpararur, dicendum videtur. Firmam ergo maxime porerimus in dicendo vocem conservare, si quam maxime sedara et de-
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Gestaltung der Worte, eine kunstvolle Anordnung der Teile der Rede und em gewissenhaftes Sicheinprägen von alledem ohne den Vonrag kann nicht mehr erreichen als der Vortrag allein ohne diese Fähigkeiten. Weil niemand darüber sorgfältig geschrieben hat5' -denn alle glaubten, man könne nicht klar genug über Stimme, Mienen- und Gebärdenspiel schreiben, da diese Dinge zu unseren Sinnen gehören - und weil wir mit ,·iel Mühe die~en Teil für das Hairen 'on Reden bereitstellen müssen, muß man, so scheint es, deswegen die ganze Sache sehr sorgfältig betrachten. Der Vortrag wird also eingeteilt in die Gestaltung der Stimme und die Haltung des KörpersY Die Ge~talrung der Stimme besteht darin, daß sie eine bestimmte, ihre eigene Beschaffenheit besitzt, erworben durch Überlegung und fleiß. Sie wird in drei Anen unterteilt: Umfang, Stärke und Geschmeidigkeit.H Den Umfang der Stimme verschafft am meisten die Natur; ein wenig fördert, aber am meisten erhält ihn die Pflege.H Die Stärke verschafft am meisten die Pflege; ein wenig fördert und am meisten erhält sie die Übung des Vortrages. Die Geschmeidigkeit der Stimme, d. h. die Fähigkeit, sie beim Sprechen L.U unserem Vorteil drehen und wenden zu können, '\\ird am meisten die Übung des Vortragesss bewirken. Deswegen gehört es nicht zu meiner Aufgabe, über den Umfang der Stimme und über einen Teil der Stärke Anweisungen 1.u geben, da ja der eine Teil von der Natur hervorgebracht. der andere durch die Pflege verschafft wird; ich will nur darauf hinweisen, daß man sich von den Männern, die sich in dieser Kunst sehr gut auskennen, die Methode erwerben soll, wie man die Stimme pflegen kann.l6 Über den Teil der Stärke, der durch einen wohlüberlegten Vortrag bewahrt wird, und über die Geschmeidigkeit der Stimme, die für den Redner äußerst notwendig ist, da ja auch diese durch die Modulation des Vortrages erworben wird, muß ich wohl sprechen. Eine starke Stimme also können wir, wenn wir eine Rede halten, am meisten bewahren,l7 wenn wir die Vorrede mit
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pressa voce principia dicemus. Nam laedirur arteria, si, antequam voce leni permulsa est, acri damore conplerur. Et intervallis longioribus uci conveniet; recrearur enim spiriru vox et arteriae reticendo adquiescunt. Et in continuo clamore remirtere er ad sermonem transire oportet; commurationes enim faciunt, ur nullo genere vocis effuso in omni \'Oce integri simus. Er acutas vocis exdamariones virare debcmus; icrus enim fit et vulnus arteriae acura atque anenuata nimrs adclamatione, et qui splender est vocis, consurnirur uno clamore uoiversus. Et uno spiriru continenter mulra dicere in exrrema convenit oratione; fauces enim calefiunt et arteriae conplenrur er vox, quae rractara varie est, reducirur in quendam sonum aequabilem atque constantem.
Quam saepe rerum narurae gratia quaedam iure deberur, velut accidit in hac re! Nam quae dicimus ad vocem scrvandam prodesse, eadem attinenr ad suavirudinem pronunriationis, ur, quod nostrae voci pro~it, idem voluntati auditoris proberur. Utile est ad firmirudinem sedata vox in principio; quid insuavius quam clamor in exordio causae? Intervalla vocem confirmant; eadem sententias concinniore~ divisione reddunt ct audirori sparium cogirandi relinquunt. Conservat vocem continui damoris remissio; er auditorem quidem varietas maximc delectat, cum sermone animum retinet aut exsuscitat clamore. Acura exclamatio vocem volnerat; eadem laedit auditorem: haber enim quiddam inliberale et ad muliebrem porius vociferationem quam ad virilem dignitatem in dicendo
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einer möglichst gedämpften und verhaltenen Stimme spn:chen. Denn die Luftröhre wird verletzt, wenn sie, noch bevor sie von sanfter Stimme berührt ist, von einem scharfen, vollen Tone erfüllt wird. Und wir sollen längere Pausen einlegen; die Stimme erholt sich nämlich durch das Atemholen, und die Luftröhre ruht durch das Schweigen aus. Und man muß bei einem dauernden vollen Ton nachlassen und zum Gesprächston übergehen; Abwechslungen bewirken nämlich, daß wir, ohne daß wir mit einer bestimmten Stimmfärbung verschwenderisch umgehen, in jeder Stimmführung bei voller Kraft sind. Auch schrille Ausrufe müssen wir meiden; es bildet sich nämlich ein Stich und eine Verletzung der Luftröhre durch einen schrillen und gellend hohen Ausruf, und der ganze vorhandene Glanz der Stimme wird durch einen ein.tigen Schrei aufgebraucht.l 8 Und in einem Atemzug ohne Unterbrechung viel zu sagen empfiehlt sich erst am Ende der Rede;l9 die Kehle nämlich wird warm, die Luftröhre und die Stimme, die in verschiedener Weise behandelt wurde, wird auf einen bestimmten gleichmäßigen und beständigen Klang zurückgeführt. Wie oft verdankt man mit Recht der natürlichen Beschaffenheit der Dinge eine gewisse Anmut, wie z. B. in diesem Falle! Denn was, wie ich sage, zum Erhalten der Stimme nÜt7.lich ist, das trägt ebenso zur Lieblichkeit des Vortrages bei, so daß das, was für unsere Stimme nützlich ist, ebenso dem Willen des Hörers entspricht. Nützlich für die Stärke ist eine gedämpfte Stimme in der Vorrede.6o \'Vas ist unangenehmer als der volle Ton in der Einleitung? Pausen kräftigen die Stimme; ebenso macbensie die Satze durch die Trennung harmonischer und lassen dem Zuhörer Zeit zum Nachdenken. Die Stimme bewahrt eine Unterbrechung des ununterbrochen vollen Tones. und den Hörer erfreut natürlich die Abwechslung am meisten, wenn sie durch den Gesprächston die Aufmerksamkeit erhält oder durch den vollen Ton erregt. Ein schriller Ausruf verletzt die Stimme; ebenso kränkt er den Zuhörer; er birgt nämlich etw~ Unfreies in sich und paßt eher zum Gekreisch von
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adcommodatum. In exrrema orarione concinens vox remedio est voci. Quid? haec eadem nonne animum vehementissime calefacit auditoris in totius conclusione causae? Quoniam res igitur eaedem vocis finnitudini er pronunriarionis suavirudini prosunt, de utraquere simul erit in praesemia dictum, de firmitudine, quae visa sunt, de suavirudine, quae coniuncta fuerunt; cetera suo loco paulo post dicemus. Mollirudo igirur vocis, quoniam omms ad rhetoris praeceptionem peninet, diligemius nobis consideranda est. Eam dividimus in sermonem. contenrionem, amplificationem. Sermo esr orario remissa et finirima cottidianae locutioni. Comentio est oratio acris et ad confirmandum et ad confutandum adcommodata. Amplificatio est oratio, quae aut in iracundiam inducit aut ad rnisericordiam trahit auditoris animum. Sermo dividirur in panes quattuor: dignitatem, dcmonstrarionem, narrationem, iocarionem. Dignitas est orario cum aliqua gravitate et vocis remissionc. Demoostratio est oratio, quae docet remissa voce, quomodo quid fieri potuerit aut non potuerit. Narrario est rerum gestarum aut proinde ut gestarum expositio. Iocatio est oratio, quae ex aliqua rc risum pudentern et liberalem potest conparare. Contenrio dividirur in continuationem et in distributionem. Concinuatio est orationis enuntiandae accelerario damosa. Distriburio est in contemione orario frequens cum rans et brevibus intervallis acri vociferarione.
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Weibern als zum wurdigen Auftreten eines Mannes bei einer Rede. Am Ende der Rede ist eine zusammenhängende Stimmführung heilsam fur die Stimme. Wieso? Erwärmt nicht gerade diese das Gemüt des Zuhörers am wirksamsten am Schluß der Rede? 61 Da nun also dasselbe für die Stärke der Stimme und die Gefälligkeit des Vonrages nützlich ist, ist im Augenblick für beides gleichzeitig etwas gesagt worden - über die Stärke, was richtig erschien, über die Gefälligkeit, was damit verbunden war; das übrige werde ich an geeigneter Stelle wenig später sagen. 6• Die Geschmeidigkeit der Stimme also muß ich um so gewissenhafter betrachten, da sie ja ganz Gegenstand der Anleitung eines Lehrers der Redekunst ist. Wir teilen sie ein in den ruhigen Gesprächston, die leidenschaftliche Rede6; und den steigemden Ton. Der ruhige Gesprächston ist die gelassene und der alltäglichen Sprechweise nahekommende Rede. Die leidenschaftliche Rede ist eine heftige Redeweise, passend für die Bekräftigung und Widerlegung. Der steigernde Ton ist eine Redeweise, die den Zuhörer zu einem Zornesausbruch verleitet oder zum Mitleid bringt. Der Gesprächston w1rd eingeteilt in vier Arten: die würdige Darstellung,6.! die Schilderung, die Darlegung, die scherzhafte DarsteiJung. Die würdige Darstellung ist eine Redeweise mit einiger Feierüchkeir und Gelassenheit der Stimme. Die Schilderung ist eine Redeweise, die mit gelassener Stimme belehn, wie erwas geschehen konnte oder nicht geschehen konnte. Die Darlegung ist eine Angabe wirklicher Geschehnisse oder solcher in der Weise, als ob sie wirklich geschehen wären. 6S Die scherzhafte Darstellung ist eine Redeweise, welch aus irgendeinem Sachverhalt ein sittsames und anständiges Lachen hervorbringen kann. 66 Die leidenschaftliche Rede wird eingeteilt in den ununterbrochenen Vortrag67 und den abgehackten Vonrag. 6 ~ Der ununrerbrochene Vonrag ist eine Beschleunigung des Redevonrages in schreiendem Ton. Der abgehackre Vonrag ist eine häufig angewandte Redeweise bei der leidenschaftlichen
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Amplificatio dividirur in cohonationem et conCohonatio est oratio, quae aliquod peccarum amplificans auditorem ad iracundiam adducit. Conquestio est orario, quae incommodorum amplificatione animum auditoris ad misericordiam perducit. Quoniam igirur mollitudo vocis in trcs partes divisa est et eac partes ipsae sunt in octo panes alias distributae, harum ocro panium, quae cuiusque idonea pronuntiatio sit, demonstrandum videtur. Sermo cum est in dignitate, pleßU faucibus quam sedatissuma er depressissuma voce uci conveniet, ita tarnen, ut ne ab oratoria consuerudine ad tragicam transeamus. Cum autem cst in demonstratione, voce paulolum attenuata, crebris intervaliis et divisionibus oporret uti, ut in ipsa pronuntiatione eas res, quas demonstrabimus, insercre atque insecare videamur in animis auditorum. Cum autem est sermo in narrationc, vocum varietates opus sunt, ut, quo quidque pacto gesrum sit, ita narrari videatur. Strenue quod volumus ostendere factum, ceJeriuscule dicemus; at aliud otiose, retardabimus. Deiode modo acriter, turn clementer, maeste, hilare in omnes panes commutabimus ut verba item pronuntiationem. Si qua inciderint in narrationem dicta, rogata, responsa, si quae adruiraciones, de quibu) no) narrabimu), diligenter animum advertemus, ut omnium personarum sensus atque animos voce exprimamus. que~tionem.
Sin erit sermo in iocatione, leviter tremebunda voce, cum parva significatione risus, sine ulla su-
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Rede mit einzelnen, kur.t.en Pausen in schrillem, kreischendem Ton. Der steigemde Ton wird eingeteilt in das Anfeuern und die Wehklage. Das Anfeuern ist die Redeweise, die dadurch, daß sie irgendein Vergehen steigernd schildert, den Zuhörer zu einem Zornesausbruch veranlaßt. Die Wehklage ist die Redeweise, welche durch die steigemde Schilderung von Unglücksfällen den Zuhörer zum Mirleid bringt.6? Da nun also die Geschmeidigkeit der Stimme in drei Arten eingereilt ist und diese Arten selbst wieder in acht andere Arten unterteilt sind, muß wohl dargelegt werden, welche von diesen acht Arten die geeignete Vonragsweise für jeden einzelnen Fall ist. Wenn der ruhige Gesprächston sich in würdiger Darstellung bewegt, soll man mit voller Kehle mit möglichst gedämpfter und verhaltener Stimme sprechen, jedoch in der Form, der man nicht von der Art eines Redners in die eine~ Schauspielers gerär.7" Wenn er sich aber in der Schilderung bewegt, muß man mit etwas dürftiger Stimme, häufigen Pausen und Absät"l.en sprechen, damit man schon in der Vortragsan die Punkte, die man schildert, in die Herzen der Hörer einzupflanzen und hineinzuschneiden scheint. Wenn sich aber der Gesprächston in einer Darlegung bewegt, sind Abwechslungen der Stimmlage nötig, damit man ebenso darzulegen scheint, wie d~ einzelne Geschehen abgelaufen ist. Was wir als eine entschlossene Tat kennzeichnen woUen, werden wir ein wenig rascher vortragen; aber bei einem anderen ruhigen Geschehen werden wir etwas langsamer sprechen. Dann werden wir bald heftig, dann sanft, traurig oder heiter in alle Richtungen ebenso wie die Worte so auch den Vortrag umwandeln. Wenn in der Darlegung Aussprüche, Fragen, Antworten vorkommen, wenn irgendwelche Ausrufe der Verwunderung, die wir darlegen, dann achten wir sorgfältig darauf, das .Empftnden und die Gesinnung aller Personen durch die Stimme auszudrücken. Wenn aber der ruhige Gesprächston sich in der scherzhaften Darstellung bewegt, muß man mit leichtem Schwingen
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spicione nim1ae cachinnacionis leniter oponebn ab sermone serio torquere ad liberalem iocum vocem.
Cum autem contendere oportcbit, quoniam id aut per conrinuationem aut per distributioncm faciendum sit, in continuatione, adaucto mediocriter sono vocis, verbis conrinuandis vocem quoque iungere oportebit et torquere sonum et celeriter cum clamore vcrba conficere, ut vim volubilem orationis vociferario consequi possit; in distributionc vocis ab imjg faucibus exdamationem quam clarissirnam adhibere oponet, et quantum sparu in singulas exclamationes sumpscrimus, tantum in singula intervalla spacii consumere iubemur.
In amplificationibus euro cohortatione utemur voce attcnuatissima, clamore leni, sono aequabiE, commutationibus crebris, maxima celeritate; in conquestione utemur voce deprcssa, inclinato sono, crebris intervallis, Iongis spatiis, magnis commutationibus. De figura vocis satis dieturn est; nunc de corporis moru dicendum videtur. Motu~ est corporis gestus et vultus moderatio quaedam, quae pronuntianti conveniat. Convenit igitur in vultu pudorem er acrimoniam esse, in gestu nec venustatem conspiciendam nec turpitudinem esse, ne aut llistriones aut operarii videamur esse. Ad easdem igitur partes, in quas vox est distributa, motus quoquc corporis ratio videtur esse adcommodanda. Nam si erit senno cum dignitate, stanris in ,·escigio le'"; dcxterae moru Joqui oportebit, bilaritate, tnstitia, mediocritate vultus ad sermonis senrcnrias
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in der Stimme, verbunden mit einer geringen Andeutung eines Lächelns, ohne den Schein eines übenriebeneo lauten Lachens, die Stimme sanft vom ernsten GesprächstOn zu einem feinen Scherzl' lenken. Wenn man aber leidenschafdich reden muß, so kann man dies ja entweder durch einen ununterbrochenen oder durch einen abgehackten Vortrag nm; beim ununterbrochenen Vonrag muß man nach mäßigem Anschwellen des Klanges der Stimme durch ununterbrochen fortlaufende Wone auch die Stimme verbinden und den Klang lenken und rasch mit vollem Ton die Worte zu Ende führen, damit mit der wandelbaren Kraft der Rede unser Stimmaufwand Schritt halten kann. Beim abgehackten Vortrag muß man aus tiefster Kehle einen möglichst klaren Ausruf hervorholen, und wir sind aufgefordert, ebenso viel Zeit, wie wir für die einzelnen Ausrufe verwenden, auch für die einzelnen Pausen zu verwenden. Beim steigernden Ton sprechen wir, wenn es ums Anfeuern geht, mit schneidender Fistelstimme, gemäßigtem vollen ton, gleichbleibendem Klang, häufigen Veränderungen, größter Beschleunigung. Beim Wehklagen sprechen v.'ir mit verhaltener Stimme, wechselndem Klang, häufigen Pausen, lan~en Absätzen, großen Scimmveränderungen. Uber die Gestaltung der Stimme ist genug gesagt; nun muß wohl über die Haltung des Körpers gesprochen werden.-2 Die Haltung ist eine gewisse Beherrschung des Gebärdenund Mienenspiels, welche zum Vonragenden passen soll. ln der Miene soll also Ehrgefühl und Energie 7U erkennen sein, in der Gebärde soll man weder übertriebene Anmut noch Häßlichkeit erblicken,ll damit wir nicht den Eindruck von Schauspielern oder Tagelöhnern erwecken. An die Teile also, in welche die Stimme eingeteilt wurde, muß wohl auch die Lehre von der Haltung des Körpers angegljchen werden. Denn wenn der ruhige Gesprächston mü 'vürdiger Darstellung angewandt wird, muß man in aufrechter Haltung sprechen mit einer leichten Bewegung der rechten Hand.
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adcommodata. Sin erit in demonstrarione sermo, paulolum corpus a cervicibus deminemus; nam est hoc a natura datum, ut quam proxime rum vultum admoveamus ad auditores, si quam rem docere eos et vehementer inscigare velimus. Sin erit in narratione sermo, idem motus potcrit idoneus esse, qui paulo ante demonstrabatur in dignitate. Sin in iocatione, vulru quandam debebimus hilaritatem significare sine commutatione gcstus.
Sin contendemus per concinutationcm, brachio celeri, mobili vultu, acri aspecru utemur; sin contenrio fiet per distribucionem, porrectione perceleri brachii, inambulatione, pedis dexreri rara subplausione, acri et defixo aspecru uti oporrct.
Sin urcmur amplificatione per cohortarionem, paulo tardiore et consideratiore gestu conveniet uti, similibus ceteris rebus atque in contentione per concinuarionem. Sin utemur amplificacione per conquestionem, feminis plangore er capiris ictu, nonnumquam sedato et constano gesru, maesto er conturbato vultu uti oportebir. Non sum nescius, quantum susceperim negotii, qui motus corporis exprimere verbis er imitari scriptura conatus sim voces. Verum nec hoc confisus sum posse fieri, ur de bis rebus satis commode scribi posser, nec, si id fieri non possct, hoc, quod feci, fore inurile putabam, propterea quod bic admonere voluimus, quid oportcret; reliqua trademus exercitationi. Hoc tarnen scire oportet pro-
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wobei Heiterkeit, Trauer in der Miene und die Mine dazwischen an die ausgesprochenen Gedanken angeglichen sind. Wenn sieb aber der ruhtge Gesprächston in einer Scrulderung bewege. bewegen wir den Körper vom Nacken an ein wenig vor; denn diese Haltung ist gegeben, damit wir unsere Miene möglichst nahe den Zuhörern 7uwenden, wenn wir ihnen einen Sachverhalt klar machen und sie heftig anstacheln wollen. Wenn sich aber der ruhige Gesprächston in einer Darlegung bewegt, kann die nämliche Haltung geeignet sein, welche kurz vorher bei der würdigen Darstellung geschildert wurde. Wenn aber in einer scherzhahen Darstellung, dann müssen wir durch das Mienenspiel eine gewtsse Heiterkeit anzeigen ohne Veranderung des Gebärdenspiels. Wenn wir aber leidenschafdich reden in einem ununterbrochenen Vortrag, bewegen wir die Arme schnell, das Mienenspiel bebende, den Blick heftig. Wenn aber die leidenschaftliche Rede in einem abgehackten Vortrag abläuft, muß man den Arm sehr rasch vorstrecken, hin- und hergehen, ab und zu mit dem rechten Fuß aufstampfen, heftig und unbeweglich in eine Richtung blicken. Wenn wir aber den steigernden Ton in Form des Anfeuerns anwenden, empfiehlt sich ein etwas langsameres und Überlegteres Gebärdenspiel, die übrigen Dinge aber ähnlich wie bei der leidenschaftlichen Rede in ununterbrochenem Vortrag. Wenn wir aber den steigernden Ton in Form des Wehklagens anwenden, so muß man auf die Schenkel klatschen/• gegen den Kopf schlagen, das Gebärdenspiel muß mitunter gemäßigt und beständig, die Miene traurig und verstört sein. Ich bin mir wohl bewußt, welch große Aufgabe ich übernommen habe, da ich versuchte, die Haltungen des Körpers mir Worten auszudrücken und die Stimmlagen durch eine schriftliche Darlegung nachzuahmen. Nun, ich vertraute nicht darauf, daß man darüber angemessen genug schreiben kann, glaubte aber auch nicht, daß, wenn das unmöglich ist, was ich unternahm, nutzlos sein werde, deswegen weil ich hier nur soweit ermahnen wollte, wie nötig; das übrige über-
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numiarionem bonam id perficere, ut res ex animo agi vidcatur. Nunc ad tbcsaurum im·enrorum atque ad Omnium panium rheroricae custodem, memoriam, transeamus. Memoria utrum habeat quiddam artificiosi an omnis ab natura proficiscatur, aliud diccndi tempus magis 1doneum dabitur. Nuoc proinde atque constet in hac re mulrum valere anem et praeceptionem, ita de ea re loquemur. Placet enim nobis esse artificium memoriae; quare placeat alias ostendemus; in praesentia cuiusmodi sit ea, apenemus. Sunt ig1tur duae memoriae: una naturalis, altera artificiosa. Naturalis est ea, quae nosuis animis insita est el simul cum cogitatione nata; artificiosa est ea, quam eonfirmat inductio quaedam et ratio praeceprionis. Scd qua via in eeteris rebus ingenii bonitas imitatur saepe doctrinam, ars porro naturae commoda confirmat er augct, item fit in hac re, ut nonnumquam naturalis memoria, si cui data esr egregia, similis sir huic artificiosae, porro haec artificiosa naturae commoda retineat et amplificet ratione doctrinae.
Quaproprer et naruralis memoria pracceptione conlirmanda est, ut sit egregia, et hacc, quae doctrina datur, indiget ingenii. Nec hoc magis aut minus in hac re quam in ceteris anibus fit. ut ingenio doctrina, praeceptione natura nitescat. Quarc et illis, qui natura memores sunt, utilis haec erit mstirutio, quod tute paulo post poteris inrellegere: et si
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lasse ich der Übung. Dies muß man jedoch wissen, daß ein guter Vortrag es bewirke, daß der Anschein erweckt wird, die Rede komme aus dem innersten Herzen." Jetzt will ich zur Schatzkammer76 der aufgefundenen Gedanken und zum Hüter aller Teile der Redekunst übergehen, zum Sicheinprägen.' Ob das Sichcmprägen etwas Kunstvolles an sich hat oder ob es ganz von natürlicher Veranlagung ausgeht, darüber zu sprechen wird sich eine andere geeignetere Gelegenheit bieten. Nun will ich darüber so sprechen, als ob es feststünde, daß hierbei Kunst und Anleitung viel erreichen. Ich bin nämlich der Meinung, daß es eine Gedächtniskunst gibt; warum ich der Meinung bin, will ich ein andermal zeigen;78 im Augenblick will ich mich nur da7u äußern, von welcher Art das Sicheinprägen ist. Es gibt also zwei Arten des Sicheinprägens: da.~ eine ist von Natur aus gegeben, das andere künstlich erworben. Natürlich ist dasjenige, das uns eingepflanzt ist und gleichzeitig mit der Denkkraft entsteht; kü nstlich erworben ist dasjenige, welches eine gewisse Einführung und methodische Anleirung stärkt. Aber auf dem gleichen Weg, wie in den übrigen Dingen eine gute Begabung oft die Belehrung ersetzt, die Kunst weiterhin die Voneile der Narur stärkt und vermehrt,79 so geschichl es auch hier, daß nämlich manchmal das natürliche Sicheinprägen, wenn es jemandem in herausragendem Maße gegeben ist, diesem künstlich erworbenen ähnlich ist und weiterhin dieses künstlich erworbene die Vorteile der Natur beibehält und durch methodische Lehre steigert. Deswegen muß das natürliche Sicheinprägen durch Anleitung gestärkt werden, damit es herausragend ist, und dieses, das durch die Lehre gegeben wird, bedarf der Begabung. Und dies trifft 10 diesem Falle rucht mehr oder nicht weniger 7U als in den übrigen Künsten, daß nämlich ers-r durch Begabung die Lehre und erst durch die Anleitung die Natur in vollem Glanze erstrahlt. Deswegen wird auch für jene, die sich etwas von Natur aus gut einprägen können, diese
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illi, freti ingenio, nostri non indigerent, tarnen iusta causa darerur, quare iis, qui minus ingenii habent, adiumento velimus esse. Nunc de anificiosa memoria loquemur.
Constat igirur artificiosa memoria locis et imaginibus. Locos appellamus eos, qui breviter, perfecte, insignite aut natura aut manu sunr absoluri, ut eos facile narurali memoria conprehendere et amplecti queamus: ut aedes, imercolumnium, angulum, fornicem et alia, quae his similia sunr. Imagines sunt formae quaedam et notac et simuJacra eius rci, quam meminisse volumus; quod genus equi, leoni~, aquilae memoriam si volemus habere, 1magines eorum in locis certis conlocare nos oportebit. Nunc cuiusmodi locos invcnire et quo pacto reperire et in locis imagines constiruere oporteat, ostendemus. Quemadmodum igirur qui litteras sciunt, possunr id, quod dictarum est, eis scribere et recirare, quod scripserunr, item qui nemonica didicerunt, possunr, quod audierunt, in locis conlocare et ex his memoriter pronunriare. Nam loci cerae aur cartae simillimi sunt, inugines litteris, disposirio er conlocatio imaginum scripturae, pronunriario lecuon•.
Oportet igirur, si volumus multa menurusse, multos nobis locos conparare, ut in multis locis multas imagines conlocare possimus. Item putamus oportere ex ordine hos locos habere, ne quando perturbacione ordinis inpediamur, quo serius, quoto quoquo loco libebit, vel ab ~periore vel ab
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Unterweisung \"On Nutzen sein, was auch du sicher sehr bald erkennen kannst; 10~ und wenn jene, im Vertrauen auf ihre Begabung, meine Anweisung nicht bräuchten, wäre dennoch ein hinreichender Grund gegeben, warum ich die, welche weniger begabt sind, unterstützen will. So werde ich jetzt von dem künstlich erworbenen Sicheinprägen sprechen. Das künstlich erworbene Sicheinprägen beruht also auf Orten und Bildern. Orte nennen wir etwas, was kurz, vollkommen, auffallend entweder von der Narur oder von Hand ,·oUendet wurde, so daß wir es leicht durch das nützliche Sicheinprägen erfassen und behalten können: z. B. ein Gebäude, den Raum zwischen zwei Säulen, einen Wutkel, ein Gewölbe und anderes diesen ähnliches. Bilder sind gewisse Formen, Merkmale und Abbilder des Gegenstandes, an den wir uns erinnern wollen; wenn wir beispielsweise die Erinnerung an ein Pferd, einen Löwen, einen Adler festhalten wollen, müssen wir die Bilder von diesen an bestimmte Orte festsetzen. Nun will ich darauf hinweisen, welcher Art Orte man auffinden, wie man sie au~findig machen und an den Orten die Bilder ansetzen muß. Wie also diejenigen, welche die Buchstaben kennen, da~, was vorgesprochen wurde, mit ihrer Hilfe niederschreiben und vorlesen können, was sie niedergeschrieben haben, so können ebenso diejenigen, welche die Regeln der Gedächtniskunst gelerm haben, das, was sie gehört haben, an Orte festserzen und von diesen Orten her aus dem Gedächmis vortragen. Denn die Orte sind einer Wachstafel 8 ' und einem Blatt Papier sehr ähnlich, die Bilder den Buchstaben, die Einteilung und Anordnung der Bilder der _Schrift, der Vortrag dem Lesen. Wir müssen also, wenn wir uns an vieles erinnern wollen, uns viele Orte zurechtlegen, damit wir an vielen Orten viele Bilder festsetzen können. Ebenso, glaube ich, muß man diese Orte der Reihe nach :rur Verfügung haben, damit wir nicht durch ein Durcheinanderbringen der Reihenfolge daran gehindert werden, die Bllder \'On jedem beliebigen Ort
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inferiore parte, imagines sequi et ea, quae mandata locis erunt, videre et proferre possimus; nam ut, si in ordine stantes notos quomplures viderimus, nihil nostra intersit, utrum ab summo an ab imo an ab medio nomina eorum dicere incipiamus, item in locis ex ordine conlocatis eveniet, ut in quamlibebit partem quoquc loco lubebit, imaginibus commoniti, dicere possimus id, quod locis mandaverimus. Quare placet et ex ordine locos conparare. Locos, quos sumpserimus, egregie commeditari oportebit, ut pcrperuo nobis haerere possint; nam imagines, sicuti litterae, delenrur, ubi nihil utimur; loci, tamquam cera, remanere debent. Et ne forte in numero locorum falli possimus, quinrum quemque placet notari; quod genus si in quinto loco manum aurcam conlocemus, si in decumo aliquem norum, cui praenomen sit Decumo; deinde facile erit deinceps similis notas quinto quoque loco conlocare.
Item commodius est in derelicta quam in cclebri regione locos conparare, propterea quod frequentia et obarnbulatio hominum conrurbat ct infirmat imaginum notas, solirudo conservat integras simulacrorum figuras. Praeterea dissimilis forma arque narura loci conparandi sunt, ut distincte interlucere possint; nam si qui mulra intercolumnia sumpserit, conrurbabirur similirudine, ut ignoret, quid in quoque loco conlocarit. Et magnirudine modica er mediocris locos habere oportet: nam et praeter modum ampli vagas imagines reddunt et nirnis angusti saepe non videntur posse capere imaginum conlocationem.
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aus entweder von vorne oder von hinten aufzuzählen und das, was den Orten zugeschrieben ist, :w sehen und auszusprechen; denn wie es für uns nicht wichtig ist, wenn wir mehrere Bekannte in einer Reihe stehen sehen, ob wir von oben oder von unten oder von der Mitte an beginnen ihre Namen zu nennen, wird es ebenso bei Orten, die der Reihenfolge nach festgesetzt sind, der Fall sein, daß wir in jeder beliebigen Richtung an jedem beliebigen Ort, von Bildern erinnert, das nennen können, was wir den Orten zugeschrieben haben. Üeshalb, glaube ich, muß man die Orte der Reihe nach zurechtlegen. Die Orte, die wir genommen haben, müssen wir uns ganz besonders einprägen, damit sie uns für immer im Gedächtnis haften können; denn die Bilder werden wie die Buchstaben zerstört, sobald 'tl.·ir keinen Gebrauch davon machen; die Orte müssen, wie die Wachstafel, erhalten bleiben. und damit wir uns nicht zufällig in der Zahl der One täuschen können, empfiehlt es sich, jeden fünften Ort besonders zu kennzeichnen; z. B. von der Art, wenn wir am fünften Ort eine goldene Hand festsetzen, am zehnten Ort einen Bekannten, der mit Vornamen Decumus heißt; dann wird es leicht sein, der Reihe nach ähnliche Merkmale an jedem fünften Ort festzusetzen. Eberuo ist es vorteilhafter, die Orte in einer verlassenen Gegend ?urechrzulegen als in einer viel besuchten, deswegen weil eine große Ant.ahl und das viele Hin- und Hergehen von Menschen verwirrt und die Merkmale der Bilder abschwächt, die Einsamkeit dagegen die Gestalten der Abbilder unangetastet erhält. Außerdem muß man Orte zurechtlegen, die nach ihrem natürlichen Aussehen unähnlich sind, damit sie in ihrem Unterschied auffallen können; denn wenn jemand viele Räume zwischen zwei Säulen genommen hat, wird er durch die Ähnlichkeit verwirrt, so daß er nicht weiß, was er an jedem Ort festgeset7t hat. Und man muß mäßig große und gewöhnliche Orte haben; denn außergewöhnlich weite Orte bewirken undeutliche Bilder, und all?u enge Orte scheinen oft die Festsetzung der Bilder nicht ermöglichen zu können.
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Turn ncc nimis inlustris nec vehementer obscuros locos habere oportct, ne aur obcaecenrur tencbris imagines aut splendore praefulgeant. lntervalla locorum mediocria placet esse, fere pauJo plus aut minus pcdum tricenum; nam ut aspecrus item cogitatio minus '·alet, sive nimis procul removeris sive vehementer prope admoveris id, quod oponet videri.
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Sed quamquam facile est ei, qui pauJo plura noveri~ quamvis mulros et idoncos locos conparare, tarnen si qui sati~ idoneos invenire se non putabi~
ipse sibi constituat quam volet muhos licebir. Cogirario enim quamvis regionem potest amplecti et in ea sirum loci cuiusdam ad suum arbirrium fabricari et archirectari. Quarc licebir, si hac prompta copia contenti non erimus, nosmet ipsos nobis cogitatione nosrra rcgionem constituere er idoneorum locorum commodissimam disrinctionem conparare. De locis sati~ dierum est; nunc ad imaginum rationem transeamus. Quooiam ergo rerum ~imiles imagincs esse oponet er ex Omnibus verbis nosmer nobis similirudines eligere debemus, duplices igirur similirudines esse debent, unae rerurn, alterae verborum. Rerum similirudincs exprimunrur, cum summatim ipsorum negotiorurn irnagines conparamus; verhorum sirnilirudines consrituunrur, cum unius cuiUsque nominis et vocabuli mernoria imagine notarur. Rei totius rnernoriam saepe una nota et irnagine simplici conprehendimus, hoc modo, ur si accusator dixerit ab reo hominem veneno necarum er bereditaris causa facrurn arguerit er eius rei multos
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Weiterhin darf man weder zu sehr erleuchtete noch stark verdunkelte One haben, damit die Bilder weder durch die Dunkelheit verdunkelt werden noch durch den Glanz hervorleuchten. Die Zwischenräume zwischen den Onen sollen nach meiner Meinung mäßig groß sein, erwa ein wenig mehr oder weniger als dreißig Fuß; denn wie die Sehkr~ so ist auch die gedankliche Vorstellungskraft weniger stark, wenn man das, was man sehen soll, allzu weit wegrückt oder heranrückt. Aber obwohl es für den, der ein wenig mehr kennt, leicht tst, noch so ,·iele geeignete Orte zurechtzulegen, so mag dennoch einer, wenn er nicht glaubt, genügend geeignete zu finden, für ~ich selbst beliebig viele zusammenstellen. Die gedankliche Vorstellungskraft nämlich kann jede beliebige Gegend umfassen und in ihr die Lage eines gewissen Ones nach ihrem Gutdünken schaffen und aufbauen. Deswegen dürfen wir, wenn wir mit dem vorliegenden verfügbaren Vorrat nicht zufrieden sind, für uns selbst durch unsere gedankliche Vorstellungskraft eine Gegend zusammenstellen und die vorteilhafteste Verteilung geeigneter One zurechtlegen. Über die One ist genug gesagt; jetzt will ich zur Lehre von den Bildern übergehen. Da nun aho den Vorgängen die Bilder ähnlich sein müssen und wir aus allen Vorgängen für uns Ähnlichkeiten auswählen müssen, müssen also die Ähnlichkeiten doppelt sein, zum einen mit den Vorgängen, zum anderen mit den \Yiorten.h Ähnlichkeiten mit den Vorgängen werden zum Ausdruck gebracht, wenn wir insgesamt für die Handlungen selbst Bilder zurechdegen; Ähnlichkeiten mit den Wonen werden aufgestellt, wenn die Erinnerung an jede einzelne Benennung und jedes einzelne Won durch ein Bild kenntlich gernacht wird. Die Erinnerung an den ganzen Vorgang halten wir oft durch ein einziges Kennzeichen und ein einfaches Bild fest, z. B. auf folgende Weise, wenn der Ankläger sagt, von dem Angeklagten sei ein Mensch mit Gift getötet worden, und
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dixccit tcstcs ct conscios esse; si hoc primum, ut ad defendendum nobis expedirum sit, meminisse volemus, in prirno loco rei rotius imaginem confocmabimus: aegrotum in lecro cubantem faciemus ipsum illum, de quo agerur, si formarn eius detinebimus; si eum non agno,·erimus, aliquem aegrorum non de minimo loco sumemus, ut cito in mentem venire possit, er reum ad leerum eius adstiruemus, dextera poculum, sinistra tabu1as, medico testiculo~ arierinos tenentem. Hoc modo et testium et hereditatis et veneno necati memoriam habere poterimus.
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ilin beschuldigt, die Tat sei um einer Erbschaftwillen began-
ltem deinceps cetera crimina ex ordine in locis ponemus; et, quotiescumque rem meminisse volemus, si formarum dispositione et imaginum diligenti notatione utemur, facile ea, quae volemus, memoria consequemur.
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Cum verborum similirudines imaginibus exprimere volemus, plus negot1i suscip1cmus er magis ingenium nosrrum exercebimus. Id nos hoc modo facere oportebit: lam domum irionem reges Atridae pacant.
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Uno in loco consriruere oportet manus ad caelum tollentern Oomitium, cum a Regibus Macciis Ioris caedarur- hoc erit ,.lam domum itionem reges": in altero loco Aesopum et Cimbrum subocnaci, ut ad lphigeniam, in Agamemnonern er Menelaum - hoc erit "Arndac parant". Hoc modo omnia verba crunt cxprcssa. Sed haec imaginum conformatio rum valet, si naruralem memoriam exsuscitaverimus hac notatione, ut versu posito
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gen worden, und weiterhin sagt, dafür gebe es viele Zeugen und Mitwisser. Wenn wir uns daran zuerst erinnern wollen, damit es uns für die Verteidigung dienlich sei, werden wir am ersten Ort ein Bild des ganzen Vorganges gestalten; wir werden den Menschen selbst, um den es geht, uns krank im Ben liegend vorstellen, wenn wie sein Aussehen festhalten; wenn wir ihn nicht kennen, werden wir irgendeinen Kranken, und zwar nicht aus dem niedrigsten Stande, nehmen, damit er uns schnell in den Sinn kommen kann, und wir werden den Angeklagten an sein Bett stellen, wie er in der Rechten den Giftbecher, in der Linken das Testament und am Ringfingc.-Ml die Hoden eines Widders 8• hält. Auf diese Weise können wir die Erinnerung an Zeugen, die Erb~chaft und den durch Gift Getöteten behalten. Ebenso werden wir die übrigen Beschuldigungen nacheinander der Reihe nach an ihre Orte stellen; und sooft wir uns an einen Vorgang erinnern wollen, werden wir, wenn wir eine sorgfältige Einteilung der Gestalten und Kennzeichnung der Bilder vornehmen, leicht das, was wir wollen, in der Erinnerung wiedererlangen. Wenn wir Ähnlichkeiten von Worten durch Bilder ausdrücken wollen, nehmen wir mehr Arbeir auf uns und üben unseren Geist mehr. Das müssen wir z. B. auf folgende Weise run: Und schon für die Heimkehr die Könige, die Atriden sich rüsten. 8 1 An den ersten Ort sollen wir Domitius stellen, wie er die Hände zum Himmel hebt, während er von den Reges Marcii mit Riemen geschlagen wirds 6 - das bedeutet: "Und schon für die Heimkehr der Könige"; an den zweiten Ort den Aesopus und den Cimber,87 wie sie sich, wie zur Iphigenie, für die Rolle des Agamemnon und Menelaus vorbereiten das bedeutet: ,.die Atriden sich rüsten". Auf diese Weise sind alle Worte ausgedrückt. Aber diese Formung von Bildern hat erSl dann einen Wert, wenn wir das natürliche Erinnerungsvermögen durch diese Beschreibung anregen,
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ipsi nobiscum primum transeamus bis aur ter eum versum, deinde rum imaginibus verba exprimamus. Hoc modo narurae subpeditabit doctrina. Nam utraque altera separata minus erit firma, ita tarnen, ur multo plus in doctrina arque arte praesidü sit. Quod docere non gravaremur, ni merueremus, ne, cum ab instituto nostro recessissemus, minus commode servarerur haec dilucida brevitas praecepcionis. Nunc, quoniam solet accidere, ur imagines partim firmae er acres et ad monendum idoneae sint, partim inbecillae et infirmae, quae vix memoriam possint excitare, qua de causa utrumque fiat considerandum est, ut cognita causa, quas vitemus et quas sequamur imagines, scire possimus.
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Docet igirur nos ipsa narura, quid oporreat fieri. Nam si quas res in vita videmus parvas, usitatas, conidianas, meminisse non solemus, propterea quod nulla nova ncc admirabili re commovetur animus; at si quid videmus aut audimus egregie turpe, inhonesrum, inusitarum, magnum, incredibile, ridiculum, id diu meminisse consuevimus. Ur quod recens audivimus aut audimus, obliviscimur plerumque; quae acciderunt in pueritia, meminimus opcime saepe; nec hoc alia de causa potest accidere, nisi quod usitarae res facile e memoria elabuntur, insignes et novae diurius manenr in arumo.
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Solis exortus, cursus, occasus nemo admirarur, propterea quia cortidie fiunr; at eclipsis solis mirantur, quia raro accidunt, et solis eclipsis magis mirantue quam lunae, propterea quod hae crebriores sunt. Docet ergo se narura vulgari et usitata re
dadurch daß wir nach Fesdegung des Verses diesen Vers erst selbst für uns zwei- oder dreimal durchgehen und dann erst durch Bilder die Worte ausdrücken. Auf diese Weise wird die Lehre die Natur unterstützen. Denn beide sind für sich genommen weniger stark, aber dennoch in der Weise, daß die Lehre und theoretische Umerweisung viel mehr Uncer~rürzung bietet. Diese Lehre darzulegen würde ich mich nicht we1gern, wenn ich nicht fürchtete, die klare Kürze der Anleitung würde weniger vorteilhaft eingehalten werden, wenn ich von meinem Vorhaben abwiche. Da es ja gewöhnlich vorkommt, daß Bilder teils stark und lebhaft und geetgnet sind, um die Erinnerung wachzurufen, teils hmfällig und schwach und kaum die Erinnerung anregen können, muß nun in Betracht gezogen werden, aus welchem Grunde beides geschieht, damit wir, nachdem der Grund erkannt ist, wissen können, welche Bilder wir meiden und welchen wir folgen sollen. Uns lehrt :Uso die Natur selbst, was getan werden muß. Denn wenn wir im Leben unbedeutende, gewöhnliche, alltägliche Dinge sehen, prägen wir uns diese gewöhnlieb nicht ein, deswegen weil unser Sinn durch keine neuartige und bewundernswerte Sache beeindruckt wird; aber sehen oder hören wir etwas ausnehmend Schändliches, Unehrenhaftes, Ungewöhnliches, Bedeutendes, UnglaubHches, Lächerliches, so prägen wtr uns dies gewöhnlich für lange ein. Aber was wir jüngst gehört haben oder hören, vergessen wir meistens; was sich in unserer Kindheit ereignet hat, das prägen wir uns oft am besten em; und das kann aus keinem anderen Grund vorkommen als deswegen, weil gewöhnliche Vorkommnisse leicht aus der Erinnerung entschlüpfen, auffällige und neuartige länger im Sinn haften. Der Sonne Aufgang, Lauf, Untergang bewundert niemand, deswegen weil sie täglich geschehen;" aber eine Sonnenfinsternis bewundert man, weil sie selten vorkommt, und Sonnenfinsternisse bewundert man mehr als Mondfinsternisse. de:.wegen weilletztere häufiger sind. Die Natur lehrt also, daß sie durch ein alltägliches und gewöhnliches Ereig-
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non e...:suscirari, novitate et insigni quodam negorio commoveri. lmitetur ars ig1rur naturam, er, quod ea desiderat, inveniat, quod ostendit, sequatur. Nibil est enirn, quod aut natura extremum invenerit aut dOCirina primum: sed rerum principia ab ingenio profecta sunt, exirus disciplina conparantur. Imagines igirur nos in eo genere constiruere oportebir, quod genus in memoria diurissime potesr haberi. ld accidet, si quam maxime notaras similirudines consciruemus; si non mutas nec vagas, sed aliquid agentes imagines ponemus; SI egregiam pulcrirudinem aut unicam rurpitudinem eis adtribuemus; si aliquas exocnabimus, ut si coronis aut veste purpurea, quo nobis notarior sit similirudo; aut si quam rem deformabimus, ut si cruentam aut caeno oblitam aut rubrica delibutam inducamus, quo magis insignita sir forma; aut si ridiculas res aliquas imaginibus adtribuemus; nam ea res quoque faciet, ut facilius meminisse valeamus. Nam quas res veras facile meminimus, easdem fictas et diligenter notaras meminisse non difficile est. Sed illud facere oportebit, ut identidem primos quosque locos imaginum renovandarurn causa celeriter animo pervagemus.
Scio plerosque Graecos, qui de memoria scripserunt, fecisse, ut multorum verborum imagines conscriberent, uti, qui ediscere velJem, pararas haberent, ne quid in quaerendo consumerent operae. Quorum rationem aliquot de causis inprobamus: primum, quod in verborum innumerabili mulrirudine ridiculurn sit mille verborum imagines conparare. Quanrulum enirn poterunt haec \'alere, cum ex infinitaverborum copia modo aliud, modo aliud
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nis nicht angeregt, durch die Neuartigkeit und ein geradezu auffallendes Geschehen aber beeindruckt wird. Die Kunst soll also die Natur nachahmen" und das herausfinden, wonach die Katur sich sehnt, und sich dem anschließen, was die Natur zeigt. Es gibt nämlich nichtS, was enrwederdie Natur alsletztes gefunden hat oder die Lehre als erstes; aber ihren Anfang nahmen die Geschehnisse von der natürlichen Veranlagung, die Ergebnisse werden durch Unterweisung bereitet. Bilder müssen wir also in der Art fesdegen, die man am längsten in der Erinnerung behalten kann. Das wird der Fall sein, wenn wir ausnehmend bemerkenswerte Ähnlichkeiten festlegen; wenn wir nicht stumme und unbestimmte Bilder, sondern solche, die erwas in Bewegung bringen, hinstellen; wenn wir ihnen herausragende Schönheit oder einzigartige Schändlichkeit zuweisen; wenn wir irgendwelche Bilder ausschmücken wie mit Kränzen oder einem Purpurkleid, damit die Ähnlichkeit für uns um so bemerkenswerter sei; oder wenn wir sie durch etwas entstellen, z. B. eine blutige oder mit Schmutz beschmierte oder mit roter Farbe bestrichene Gestalt einführen, damit diese um so hervorstechender sei, oder irgendwelche lächerliche Züge den Bildern verleihen; denn auch dies wird bewirken, daß v.;r sie uns leichter einprägen können. Denn die Dinge, welche wir uns leicht einprägen, wenn sie echt sind, prägen wir uns auch unschwer ein, wenn sie erdacht und sorgfältig gekennzeichnet sind. Aber es wird nicht zu vermeiden sein, daß wir immer wieder die jeweils ersten Plätze schnell für uns durchgehen, um die Bilder ins Gedächtnis zurückzurufen. Ich weiß, daß die meisten Griechen, die über das Sicheinprägen geschrieben haben,90 es unternahmen, die Bilder für viele Wörter zu besdueiben, damit diejenigen, die lernen wollten, sie schon vorbereitet hätten, um keine Mühe auf das Suchen verwenden zu müssen. Deren Verfahren mißbillige ich aber aus einer Reihe von Gründen: Erstens, weil es bei der Unzahl von Wörtern lächerlich ist, die Bilder von 1000 Wörtern bereit2usteUen. Wie wenig nämlich kann das bewirken, wenn wir uns aus einer unbegrenzten Menge von
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nos verbum meminisse oportebit? Deinde cur volumus ab indusrria quemquam removere, ut, ne quid ipse quaerat, nos illi omnia parata atque quaesita tradamus? Praeterea similirudine alia alius magis commovetur. Nam ur saepe, forrnam si quam similem cuipiam dixerimus esse, non omnes habemus adsensores, quod alii viderur aliud, item fit in imaginibus, ut, quae nobis diligenter notata sit, ea parum videarur insignis aliis. Quare sibi quemque suo commodo convenit imagines conparare. Postremo praeceptoris est docere, quemadmodum quaeri quidque conveniat et unum aliquod aut alterum, non omnia, quae eius generis erunt, exempli causa subicere, quo res possit esse dilucidior; ut quom de prooemiis quaerendis disputamus, rarionem damus quaerendi, non mille prooemiorum genera conscribimus, item arbitramur de imaginibus fieri convenire. Nunc ne forte verborum rnernoriam aut nimis difficiJem aut parum utilem arbitrere et ipsarum rerum memoria conrenrus sis, quod et uciliores sint et plus habeant facultatis, admonendus es, quare verborum memoriam non inprobemus. Nam putamus oportere eos, qui velint res faciliores sine Iabore et molescia facere, in rebus difficilioribus esse anrc exercitatos. Nec nos hanc verhorum memoriam inducimus, ut versus meminisse possimus, sed ut hac exercitatione illa rerum memoria, quae perrinet ad utiliratem, conflTDletur, ut ab hac difficili consuerudine sine Iabore ad illam facultatem transire possimus. Sed cum in omni disciplina infirrna est arcis praeceptio sine summa adsiduitate exercitationis, rum vero in nemonicis minimum valet doctrina, nisi industria, srudio, Iabore, diligentia conproba-
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Wörtern bald das eine, bald das andere Wort einprägen müssen? Zweitens: Warum wollen wir jemanden vom Fleiß .1bbringen, um ihm, damit er nicht selbst etwas sucht, alles vorbereitet und ausgesucht zu übergeben? Außerdem wird der eine durch diese, ein anderer durch jene Ähnlichkeit mehr angeregt. Denn wie uns oft, wenn wir sagen, eine Gest.1lt sei jemandem ähnlich, nicht alle zustimmen, weil der eine diese, der andere jene Vorstellung hat, so geschieht es .1uch bei den Bildern: Was für uns sorgfältig gekennzeichnet ist, das scheint anderen zu wenig auffallend. Deshalb soll jeder zu seinem eigenen Voneil Bilder zusammenstellen. Schließlich ist es die Aufgabe des Lehrers zu lehren, auf welche Weise man erwas suchen soll, und das eine oder d~ andere, nicht alles, was von dieser An ist, als Beispiel anzufügen, damit die Sache um so klarer sein kann. Wenn wir beispielsweise über das Suchen des Stoffes für Vorreden sprechen, geben wir die Methode an, ihn zu suchen, und beschreiben nicht tausend Arten von Vorreden; ebenso, glaube ich, muß es bei den Bildern geschehen. Damit du nun nicht etwa das Einprägen von Wönern für allzu schwierig oder zu wenig nützlich hältst und mit dem Einprägen von den Sachverhalten selbst zufrieden bist, weil diese nützlicher seien und es dazu mehr Möglichkeiten gebe, mußt du darauf aufmerksam gemacht werden, warum ich das Einprägen von Wönem nicht mißbillige. Denn ich glaube, diejenigen, die etwas Leichteres ohne Anstrengung und Last run wollen, müssen sich vorher in Schwierigerem geübt haben. Und ich führe dieses Sicheinprägen von Wörtern nicht ein, damit wir uns Verse einprägen können, sondern damit durch diese Übung jenes Sicheinprägen von Sachverhalten, d~ zum Nutzen beiträgt, geübt wird, auf daß wir von dieser sch\\.;erigen Gewöhnung ohne Anstrengung zu jener Fähigkeit übergehen können. Doch in jedem Falle ist eine Anleitung der theoretischen Unterweisung ohne dauernde und beständige Übung unwirksam, besonders aber in der Gedächtniskunst vermag die Lehre nur ganz ~nig, wenn sie nicht durch Fleiß, Eifer,
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tur. Quam plurimos locos ur habeas et quam maxime ad praecepta adcommodatos curare poteris; in imaginibus conlocandis exerceri cottidie convenit. Non enim, sicut a ceteris srudiis abducimur nonnumquam occupatione, item ab hac re nos potest causa deducere aliqua. Numquam est enim, quin aliquid memoriae tradere velimus et turn maxime cum aliquo maiore negotio detinemur. Quare, cum sit utile facile meminisse, non te fallit, quod tantopere utile sit, quanto Iabore sit adpetendum; quod poteris existimare utilitate cognita.
Pluribus verbis ad eam te adhortari non est sententia, ne aut tuo studio diffisi aur minus, quam res postulat, dixisse videamur. De quinta parte rhetoricae deinceps dicemus, ru primas quasque partes in animo frequenta et, quod maxime necesse est, exercitatione confirma.
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Anstrengung und Sorgfalt bestätigt wird. Daß du möglichst viele Orte und zu den Anleitungen möglichst passende hast, d4für kannst du sorgen; im Anordnen von Bildern sollst du dich täglich üben. Denn nicht ebenso wie wir von den übrigen geistigen Übungen manchmal durch irgendeine Beschäftigung abgelenkt werden, kann uns davon irgendein Grund abhalten. Immer ist nämlich ein Anlaß gegeben, daß wir irgend erwas unserem Gedächtnis einprägen wollen, und dann ganz besonders, wenn wir durch irgendeine bedeutendere Aufgabe in Anspruch genommen werden. Da es deshalb nüt7lich ISt, sich erwas leicht einzuprägen, entgeht es dir nicht, mit welcher Anstrengung man das anstreben muß, was so nützlich ist; das kannst du beurteilen, wenn du den Nutzen erkannt hast. Mit noch mehr Worten dich dazu zu ermuntern ist nicht meine Absicht, damit ich nicht den Eindruck erwecke, ich hätte deinem Eifer mißtraut oder weniger gesagt, als die Sache fordert.9' Über den fünften Teil der Redekunst will ich im folgenden sprechen. Du aber setze dich mit den ersten Teilen eingehend in deinem Herzen auseinander und - was am meisten notwendig ist - befestige sie durch Übung.
LIBER QUARTUS Quoniam in hoc libro, Herenni, de elocurione conscripsimus et, quibus in rcbus opus fuit excmplis uti, nostris exemplis usi sumus ct id fecimm praeter consuetudinem Graecorum, qui de hac re scripserunt, necessario faciundum est, ut paucis rationem nostri consilii demus. Atquc hoc nos necessitudine facere, non studio, saris erit signi, quod in superioribus libris nahil oeque ante rem neque praeter rem locuti sumus. Nunc, si pauca, quae res postular, dixerimus, cibi id, quod reliquum est artis, ita uti instituimus, persolvemus. Sed facilius nostram rationem imellcgcs, si prius, quid illi dicam, cognoveris.
Conpluribus de causis putam oporrere, euro ipsi praeceperint, quo pacto oporreat ornare elocutionem, unius cuiusque generis ab oratore aut poeta probato sumptum ponere excmplum. Et primum se id modestia commotos facere dicunt, proptcrea quod videatur esse ostentatio quacdam non satis habere praecipcre de arcificio, sed ctiarn ipsos videri velle artificiose gignere exempla; hoc est, inquiunt, ostentare se, non ostenderc anem. Quare pudor in primis est ad eam rem inpedimento, ne nos solos probare, nos amare videamur. Etenim cum possimus ab Ennio sumere aut a
BUCH IV Da ich ja in diesem' Buch, mein Herennius, über die stilistische Gestaltung des Ausdrucks geschrieben und in den Punkten, wo es nötig war, Beispiele anzuführen, eigene Beispiele angeführt habe und dies gegen die Gewohntheit der Griechen tat, die darüber schrieben, ist es notwendig, daß ich mit einigen Worten eme Rechderrigung für meine Absicht gebe. Und daß ich dies notwendigerweise tue, nicht aus eigener Neigung, das wird genügend dadurch angezeigt, daß ich in den vorausgehenden Büchern nichts vor der Behandlung des eigentlichen Themas und nichts, was mit dem Thema nichts zu tun hatte, sagte.' Wenn ich nun das Wenige, das die Sache fordert, gesagt habe, werde ich dir das, was von der theoretischen Unterweisung noch aussteht, so wie ich es mir vorgenommen habe, vorlegen. Aber du wirst mein Vorgehen leichter verstehen, wenn du vorher edährst, was jene Griechen sagen.J Aus mehreren Gründen glauben sie, man müsse, während sie selbst nur eine AnJeitung gegeben hätten, auf welche Art man den Ausdruck schmücken müsse, ein Beispiel für jede einzelne Art anführen, das einem anerkannten Redner oder Dichter entnommen sea.• Und zuerst, sagen sie, täten si<· dies aus Bescheidenheit, deswegen weil es geradezu Prahlerei zu sein scheine, sich nicht damit zu begnügen, Anleitungen über das Lehrgebäude zu geben, sondern den Anschein erwecken zu wollen, man schaffe selbst kunstvoll die Beispiele; dies bedeutet, sagen sie, sich selbst zur Schau L.U stellen, nicht die Kunst zu zeigen. Deshalb ist vor allem das Schamgefühl dafür hinderlich, damit wir nicht den Anschein erwecken, wir ließen nur uns allein gelten, wir üebten nur uns. I ln der Tat, wenn wir von Ennius ein Beispiel nehmen oder von Gracchus6 eines
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Gracco ponere exemplum, videtur esse adrogamia illa relinquere et ad sua devenire. Praeterea exempla testimoniorum locum optinent. Etenim, quod admonuerir et leviter fecerit praeceptio, exemplo sicut testimonio, conprobatur. Non igitur ridiculus sit, si qui.s in Iire aut in iudicio domesrico restimonio pugnet? Ut enim testimonium, sie exemplum rei conftrmandae causa sumitur. Non ergo oponet hoc nisi a probarissimo sumi, ne, quod aliud confirmare debeac, egeat ipsum confirmacionis. Etenim necesse est aur se omnibus anteponant et sua maxime probent auc, si alia probant, a probatissimis poetis sumpta sint. Si se omnibus anteponanr, inrolerabili arroganria sunt; si quos sibi praeponant et eorum exempla suis exemplis non putant praestare, non possunt dicere, quare sibi illos ameponanr.
Quid? ipsa auetoriras antiquorum non cum res probabiliores rum bominum studia ad imitandum alacriora reddit? Immo erigit omnium cupidirares et acuit industriam, cum spes iniecra esr posse imitando Gracci aut Crassi consequi faculratem.
Postremo hoc ipsum summum est anificium res varias et dispares in rot pocmatis et orationibus sparsas et vage disiectas ita diligenrer eligere, ur unum quodque genus exemplorum sub singulos anis locos subicere possis. Hoc si indusrria solum fieri posset, tarnen essemus laudandi. euro talem laborem non fugissemus; nunc sine !>-ummO artificio non potest ficri. Quis esr enim, qui non sum-
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anführen können, erscheint es als Anmaßung, jene Beispiele zu übergehen und sich den eigenen zuzuwenden. Außerdem nehmen Beispiele die Stelle von Belegen ein: Das namlich, wozu die Anleitung ermahnt und was sie leicht anführt, wird durch ein Beispiel wie durch einen Beleg bestätigt. Würde sich einer also nicht lächerlich machen, wenn er bei einem Streit oder vor Gerichr! mir einem eigenen, ,·on ihm geschaffenen Beispiel kämpfre? Wie nämlich ein Beleg, so wtrd auch ein Beispiel genommen, um einen Sachverhalt ?U bekräftigen. Man darf dieses also nur aus einer sehr anerkannten Schrift enmehmen, damit nicht das, was erwas anderes bekräftigen soll, selbst einer Bekräftigung bedarf. In der Tat müssen diese Leute sich vor alle stellen und am meisten ihre eigenen Werke anerkennen oder, wenn sie andere anerkennen, müssen diese von den anerkanntesten Dichtern genommen sein. Wenn sie sich vor alle anderen stellen, )ind sie unerträglich anmaßend; wenn sie aber irgendwelche Männer über sich stellen und trotzdem nicht glauben, daß deren Beispiele ihre eigenen Beispiele übenreffcn, dann können sie nicht sagen, warum sie jenen Männern den Vorzug vor sich selbst geben. Wie? Macht das Ansehen der alten Schriftsteller allein nicht den Sachverhalt glaubwürdiger und besonders den Eifer der Menschen, sie nachzuahmen, nicht feuriger? Sicher weckt es das Verlangen aller und schärft ihren Fleiß, wenn die Hoffnung eingeflößt ist, man könne durch Nachahmung9 die Fähigkeit eines Gracchus oder Crassus' 0 erreichen. Schließlieb ist die!> selbst die höchste Kunst, verschiedene und ungleiche tn so \;elen Dichrungen und Reden verstreute und planlos veneilre Dinge so sorgfältig aufzuzählen, daß man jede einzelne An von Beispielen den einzelnen Punkten der theoretischen Unterweisung unterordnen kann. Wenn dies nur mit Fleiß durchgefühn werden könnte, müßte man uns trotzdem loben, weil wir vor einer solchen Anstrengung nicht geflohen seien; nun kann es aber nicht ohne die höchste Kunst durchgefühn werden. Denn wo fmdet
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me cum tenet artem, possit ea, quae iubeat ars, dc tanta ct tarn diffusa scriprura notarc et separare? Ceteri cum legunt oraciones bonas aur poemata, probant oratores et poetas neque intellegunt, qua re commoti probent, quod scire non possunt, ubi sit nec quid sit nec quo modo facrum sit id, quod eos maxime delectet; at is, qui et haec omnia intellegit et idonea maxime eligit et omnia in arte maxime scribenda redigit in singulas raciones praeceptionis, necesse est eius rei summus artifex sir. Hoc igirur ipsum maximum artificium est in ane sua posse ct alienis exemplis uti.
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Haec illi cum dicunt, magis nos sua auetorirare commovent quam veritate disputationis. lllud enim veremur, ne cui satis sit ad conrrariam ratiooem probandam, quod ab ea steterint ü, qui et inventores huius anificii fuerint et verustate iam satis omnibus probati sinr. Quodsi illorum auetorirate remota res omnes volent cum re conparare, intellegent non omnia concedenda esse antiquitati.
Primum igitur, quod ab eis de modestia dicirur, videamus, ne nimium pueriliter proferarur. Nam si tacere aut nih.iJ scribere modestia est, cur quicquam scribum aut locunrur? Sin aliquid suum senbunt, cur, quo setius omnia scribant, inpediunrur modestia? Quasi si quis ad Olympia cum venerit cursum et steterit, ur emittarur, inpudentis dicat esse illos, qui currere coeperim, ipse intra carce-
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sich einer, der, wenn er die Theorie nicht in höchstem Maße beherrscht, das, was die Theorie anordnet, aus den so umfangreichen und zerstreuten Schriften aufzeichnen und absondern kann? Wenn die übrigen gute Reden oder Dichrungen lesen, heißen sie Redner und Dichter gut, ohne zu erkennen, aus welchem Grund sie sie gutheißen, • weil sie nicht wissen können, wo das steht, noch was es sei, noch auf welche Weise das gestaltet wurde, was sie am meisten erfreut; aber derjenige, welcher dies alles erkennt und das Geeignete vor allem auswählt und alles, was in einer theoretischen Unterweisung vor allem geschrieben werden muß, auf die einzelnen Gesichtspunkte der Anleitung zurückführt, der muß der höchste Künstler in diesem Bereich sein. u Dies also ist selbst das höchste Lehrgebäude, in seiner eigenen Lehre etwas fertig zu bringen und fremde Beispiele zu verwenden. Wenn jene" dies sagen, beeindrucken sie uns mehr durch ihr Ansehen als durch die Wahrheit der Erörterung. ich fürchte nämlich, es könnte einem, um das gegenteilige Verfahren gutzuheißen, schon die Tatsache genügen, daß diejenigen dieses Verfahren angewandt haben, die die Erfinder dieser Kunst waren und schon wegen des Alters von allen gurgeheißen wurden. Wenn man aber ihr Ansehen beiseite gesetzt hat und Sachverhalt mit Sachverhalt vergleicht, wird man erkennen, daß man nicht alles dem Alter zugestehen darf. Zuerst also woUen wir sehen, ob das, was von ihnen über die Bescheidenheit gesagt wird, ' 4 nicht allzu kindisch vorgebracht wird. Denn wenn Schweigen oder Nichts-Schreiben Bescheidenheit ist, warum schreiben oder sprechen sie dann uberhaupt etwas? Wenn sie aber etwas Eigenständiges schreiben, warum werden sie dann durch ihre Bescheidenheit daran gehindert, alles zu schreiben? Das ist ebenso, wie wenn jemand zu den Olympischen Spielen gekommen ist, um am Wettlauf teilzunehmen, und nun startbereit dasteht und diejenigen unverschämt nennt, cüe schon zu laufen begonnen haben, während er innerhalb der Schranken
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rem stet et narret alüs, quomodo Ladas aut ßoiscus Sicyonius cursüarint, sie isti, cum in artis curriculum descenderunt, illos, qui in eo, quod esr artificü, elaborent, aiunc facere inmodesre, ipsi aliquem antiquum oratorem aur poetam laudam aut scripturam, sie ut in Stadium rheroricae prodire non audeam. Non ausim dicerc, sed tarnen vereor, ne, qua in re laudem modestiae venentur, in ea ipsa re sint inpudentes. "Quid enim tibi vis?" aliquis inquiat. "Artem tuam scribis; gignis novas nobis praeceptiones; eas ipse confirmare non potes; ab aliis excmpla sumis. Vide, ne facias inpudenter, qui tuo nomini velis ex aliorum laboribus Iibare laudem. a Nam si eorum volumina prehenderim antiqui orarores et poetae et suum quisque de libris sustulerit, nihil istis, quod suum velint, relinquatur.
"At exempla, quoniam testimoniorum similia sunt, item convenit ur rcsrimonia ab hominibus probatissimis sumi". Primum omnium exempla ponuntur hic non confirmandi neque restificandi causa, sed demonstrandi. Non enim, cum dicimus esse exornarionem, quae verbi causa constet ex similiter desinentibus verbis, et ponimus boc exemplum a Crasso: "quibus possumus et debemus", restimonium conlocamus, sed exemplum. Hoc interest igirur inter restirnonium er exemplum: exemplo demonstratur id, quod dicimus, cuiusmodi sit; testimonio esse illud ira, ur nos dicimus, confumarur. Praeterea oponet tesrimonium cum re convenire; aliter enim rem non potest confirmare. At id, quod iUi faciunt, quom re non convenir. Qui ita?
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stiinde und anderen erzählte, wie Ladas und Boiscus aus Sikyon•s gelaufen seien, so behaupten diese da, wenn sie in die Rennbahn der Kunst hinabgestiegen sind, diejenigen, welche sich in dem abmühen, was zur Kunst gehön, handelten unbescheiden, selbst aber loben sie irgendeinen früheren Redner oder Dichter oder eine alte Schrift, so als ob sie nicht wagten, in den Wenstreit der Rhetorik vorzutreten. Ich möchte es eigentlich nicht wagen zu sagen, aber dennoch fürehre ich, daß die.~e gerade darin, worin sie auf die Jagd nach dem Lobe der Bescheidenheit gehen, unverschämt sind. .,Was fällt dir ein?" könnte jemand sagen. "Du schreibst deine eigene Kunst; du schaffst neue Vorschriften für uns; diese kannst du selbst nicht bekräftigen; von anderen nimmst du Beispiele. Sieh zu, daß du nicht unverschämt handelst, da du deinem eigenen Namen aus den Mühen anderer Lob weihen möchtesr." Denn wenn die alten Redner und Dichter die Schriftrollen dieser Leute nähmen und jeder sein geistiges Eigentum aus den Büchern entfernte, bliebe diesen da nichts übrig, was sie für sich beanspruchen möchten.' 6 "Aber da ja die Beispiele den Belegen ähnlich sind, soll man sie wie die Belege von den anerkanntesten Menschen nehmen." Zuallererst werden Beispiele angeführt, nicht um etwas zu bekräftigen und zu belegen, sondern um etwas zu schildern. '7 Wenn ich nämlich sage, eine Ausschmückung sei es, die beispielsweise aus ähnlich auslautenden Wönern•i bestehe, und wenn ich folgendes Beispiel des Crassus anführe: ,.Dadurch sind wir befähigt und genötigt",' 9 so setze ich das nicht als Beleg, sondern als Beispiel. Folgender Unterschied besteht also zwischen einem Beleg und einem Beispiel: Durch das Beispiel wird dargelegt, von welcher An das ist, was wir sagen; durch den Beleg wird bekräftigt, daß es so ist, wie wir sagen. 1" Außerdem muß der Beleg zum Sachverhalt passen; andernfalls kann er nämlich den Sachverhalt nicht bekräftigen. Aber das, was jene Leute tun, paßt nicht zum Sachverhalt. Wie kommt das? Weil sie versprechen, sie schrieben eine
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Quia pollicentur se an:em scribere ct exempla proferum ab iis plerumque, qui artcm nescierunt. Turn quis est, qui possit id, quod de arte scripserit, co~probare, nisi aliquid scribat ex an:e? Comraque fac1unt, quam polliceri v1dentur. Nam cum scribere an:em instiruunt, videnrur dicere se excogitasse, quod alios doceant; euro scribunt, ostendunt nobis, quid alii excogitarint. .,At hoc ipsum difficile est", inquiunt, "eügere de multis." Quid dicitis difficilc, utrum laboriosum an an:ificiosum? Si laboriosum, non starim praeclarum. Sunt enim multa laboriosa, quae si faciaris, non continuo gloriemini; nisi etiam, si vestra manu fabulas aut orationes totas transscripsissetis, gloriosum putaretis. Sin istud arrificiosum egregium dicitis, videte, ne insueti rerum maiorum videamini, si vos parva res sicuti magna delectabit. Nam isro modo sclcgere rudis quidcm nemo potest, sed sine summo anificio multi.
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Quisquis enim audivit de arte paulo plus, in elocutione praesertim, omma videre poterir, quae ex arte dicentur, facere nemo poterit nisi eruditus. Ira ut si de tragoedüs Ennii velis sententias eügere aut de Pacuvianis periodos, sed si, quia plane rudis id facere nemo poterit, cum feceris, te Ütterarissimum pures, ineptus sis, propterea quod id facile faciat quivis mediocriter üneratus, item si, cum de orationibus aur poematis elegeris exempla, quae certis signis anificii notata sunt, quia rudis id nemo facere possit, artificiosissime te fecisse pures, erres,
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Anleitung zur Kunst, und die Beispiele meistens aus den Autoren anführen, die eine Anleitung zur Kunst nicht kannten. Weiterhin, wer könnte das, was er über die Kunst geschrieben hat, bestätigen, wenn er nicht etwas gemäß dieser Kunst schreibt?" Und sie handeln im Gegensatz zu dem, was sie zu versprechen scheinen. Denn wenn sie sich entschließen, ein Lehrwerk zu schreiben, erwecken sie den Anschein, sie hätten sich ausgedacht, was sie andere lehren; wenn sie schreiben, zeigen sie das auf, was sich andere ausgedacht haben . ,.Aber gerade das ist schwierig", sagen sie, .,aus vielen auszuwählen. • Was ihr schwierig nennt, ist das mühsam oder kunstvoll? Wenn es mühsam ist, ist es nicht sogleich vortrefflich. Es gibt nämlich viel Mühsames, dessen man sich nicht unmittelbar darauf rühmt, wenn man es tut; es sei denn, man würde es auch für ruhmvoll halten, wenn man mit eigener Hand ganze Schauspiele oder Reden abgeschrieben hat.ll Wenn ihr aber dies für eine herausragende Kunst haltet, seht zu, daß ihr nicht den Anschein erweckt, ihr wäret nicht vertraut mit bedeutenderen Aufgaben, wenn euch eine unbedeutende Aufgabe ebenso Freude macht wie eine bedeutende. Denn auf diese Weise auswählen kann zwar kein ganz ungebildeter Mensch, aber viele können es ohne die höchste Kunst. jeder nämlich, der von der Lehre ein wenig mehr gehört hat, zumal was die stilistische Gestaltung angeht, wird alle Wendungen sehen können, die entsprechend der Lehre gebildet werden; formen kann sie nur der Fachkundige. Angenommen, du wolltest aus den Tragödien des Ennius Senten..ten oder aus denen des Pacuvius Perioden auswählen, aber weil dies kein ganz und gar ungebildeter Mensch kann, hieltest du dich für literarisch sehr gebildet, wenn du es getan hast; da wärest du wohl albern, deswegen weil das jeder beliebige einigermaßen Gebildete leicht fertigbringt; ebenso angenommen, du hast aus Reden oder Dichrungen Bei~piele ausgewählt, welche durch bestimmte Kennzeichen der Kunst ausgezeichnet sind; wenn du dann glaubst, weil dies kein Ungebildeter tun kann, du hättest es mit größtem
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proprerea quod isro signo videmus re nonnihil scire, alüs signis multa scire intellegemus. Quod si anificiosum est imellegcre, quae sint ex ane Scripta, multo esr anificiosius ipsum scribere ex arte. Qui enim scribir artificiose, ab aliis commode scripta facile intellegere poterit; qui eliget facile. non continuo commode ipse scriber. Er si est maxime anificiosum, alto tempore utanrur ea facultate, non rum, euro parere er tpsi gignere et proferre debenr! Postterno in eo ,;m anificii consumant, ut ipsi ab alüs pouus eligendi quam aliorum boni selectores ex:isri men ru r.
Contra ea, quae ab iis dicuntur, qui dicunt alienis exemplis uri oportcre, satis esr dicrum. Nunc quac scparatim dici possim, consideremus. Dicimus igirur eos, cum ideo, quod alienis utanrur, peccarc, turn magis etiam delinquere, quod a multis cxempla sumant. Sed de eo, quod postea diximus, antea videamus. Si concederem aliena oporrere adsumere exempla, vincerem unius oporterc, primum quod contra hoc nulla sraret illorum ratio. Licet cnim eligerent et probarem quemliber, qui sibi in omnes res subpeditarer exempla, Yel poetam vel oratorem, cuius auetorirate niterenrur. Deiode interest magm eius, qut discere vult, unum omnia an omnia neminem, sed aliud alium putet consequi posse. Si enim purabit posse omnia penes unum consistere, ipse quoque ad omnium nirerur facultatem. Si id desperarit, in paucis se e.xercebit; ipsis enim conrenrus erit, nec mirum, cum ipse
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Kunstverstand getan, so dürftest du irren, deswegen weil wir wohl an diesem Zeichen sehen, daß du einiges weißt, aber erst an anderen Zeichen erkennen werden, daß du viel weißt. Wenn es em Zeichen von Kunstverstand ist zu erkennen, was gemäß der Lehre geschrieben ist, so verrät es viel mehr Kunstverstand, selbst gemäß der Lehre zu schreiben. Wer nämlich mit Kunstverstand schreibt, kann das von anderen treffend Geschriebene leicht erkennen; wer leicht auswählt, schreibt nicht unminelbar danach treffend. Und wenn dies vor allem ein Zeichen von Kunstverstand ist, soll man diese Fähigkeit zu emem anderen Zeitpunkt anwenden, nicht dann, wenn man schöpferisch tätig sein und selbst etwas ~chaffen und hervorbringen muß. Schließlich sollen die Leute darin die Kraft ihrer Kunstfertigkeit erschöpfen, daß man sie eher selbst dafür geeignet hält, daß man aus ihnen auswählen kann, als für gute Auswähler aus anderen. Gegen die Argumente, die von denen vorgebracht werden, die sagen, man müsse fremde Beispiele anführen, ist genug gesagt. Nun wollen wir in Betracht ziehen, was unabhängig davon gesagt werden kann!J Ich behaupte also, daß diese schon deshalb einen Fehler begehen, weil sie fremde Beispiele anwenden, noch mehr aber machen sie falsch, weil sie von vielen die Beispiele entnehmen. '4 Aber das, was ich zuletzt gesagt habe, will ich 7unächst näher betrachten. Wenn ich zugeben würde, daß man fremde Beispiele übernehmen muß, würde ich mich mit der Memung durchsetzen, man dürfe sie nur von einem einzigen übernehmen; denn dagegen würde erstens kein Verfahren von diesen Leuten stehen. Sie mögen nämlich jeden belieb•gen auswählen und gut heißen, der ihnen für alle Punkte Beisptele zur Verfügung stellt, entweder einen Dichter oder Redner, auf dessen Ansehen sie sich stützen. Weiterbin ist es für den, der lernen will, sehr wichtig, ob er glaubt, daß einer alles erfassen kann oder alles niemand oder jeder etwas anderes. Wenn er nämlich glaubt, daß alle Fertigkeiten bei einem einzigen liegen, wird er sieb auch um Fähigkeit in allem bemühen. Wenn er daran verzweifelt, wird er
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praeceptor artis omnia penes unum reperire non poruerit. Allatis igirur exemplis a Carone, a Graccis, a Laelio, a Scipione, Galba, Porcina, Crasso, Antonio, ceteris, item sumptis aliis a poecis er historiarum scriproribus, necesse erit eum, qui discet, putare ab Omnibus omnia, ab uno pauca vi:x potuisse sumi.
Quare unius alicuius esse similem satis habebit, omnia, quae omnes habuerint, solum habere se posse diffidet. Ergo inutile est ei, qui discere vu.lr, non putare unum omnia posse. Igirur nemo in hanc incideret opinionem, si ab uno exempla sumpsissent. Nunc hoc signi est ipsos anis scriptores non putasse unum potuisse in omnibus elocutionis partibus enitere, quoniam neque sua prorulerunt neque unius alicuius aut denique duorum, sed ab omnibus oratoribus et poetis exempla sumpserunt. Deinde, si quis velit artem demonstrare nihil prodesse ad dicendum, non male utarur hoc adiumento, quod unus omnis anis panes consequi nemo poruerit. Quod igirur iuvat corum rationem, qui omnino improbent anem, id non ridiculum cst ipsum scriptorem anis suo iudicio conprobare? Ergo ab uno sumenda fuisse docuimus cxempla, si semper aliundc sumerenrur.
Nunc omnino aliunde sumenda non fuisse sie intellegemus. Primum omnium, quod ab artis scriptore adferrur exemplum, de eius artificio debet esse. Non ur si quis purpuram aut aliud
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~ich in wenigem üben; damit allein wird er zufrieden sein,
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und das ist nicht verwunderlich, da der Lehrer der Kunst selbst nicht alles bei einem finden konnte. Hat man also Beispiele von Cato, den Gracchen, von Laelius, Scipio, Galba, Porcina, Crassus, Amonius'l und den übrigen Rednern beigebracht, hat man ebenso andere Yon Dichrem und Geschichtsschreibern entnommen, wird der Lernende notwendigerweise glauben, \"On allen habe alles, von einem einzigen kaum weniges entnommen werden können. Deshalb wird er sich damit begnügen, einem einzigen ähnlich zu sein,' 6 srch aber nicht zutrauen, alle Vorzüge, die alle besessen haben, allein besitzen zu können. Also ist es für den, der lernen will, nicht nützlich zu glauben, ein einziger könne nkht aUes!' Folglich würde niemand in diese Ansicht geraten, wenn man von einem einzigen die Beispiele entnommen hätte. Nun ist ein Zeichen dafür, daß die Verfasser eines Lehrwerkes selbst nicht glaubten, ein einziger habe in allen Teilen der stilistischen Gestaltung sich in vollem Glam:e zeigen können, die Tatsache, daß sie weder ihre eigenen Beispiele vorbrachten noch Beispiele von einem einzigen oder schließlich von zweien, sondern von allen Rednern und Dichtern Beispiele entnahmen. Wenn weiterhin einer zeigen wollte, daß die theoretische Unterweisung nichts nütze zum Reden, könnte er nicht ungeschickt zur Unterstützung seiner These die Tatsache anführen, daß kein einziger aUe Teile der Lehre erfassen konnte. Ist es also nicht lächerlich, daß der Verfasser eines Lehrwerkes selbst diejenige Meinung durch sein eigenes Uneil als richtig bestätigt, die das Vorgehen derer stürzt, die die theoretische Unterweisung überhaupt nicht gelten lassen ?' 8 Also müßten Beispiele - so habe ich gelehn - einem einzigen entnommen werden, wenn man sie von woandersher nehmen soll. Daß sie aber überhaupt nicht von woandersher entnommen werden soUen, werden wir auf folgende Weise erkennen. Vor allem muß das Beispiel, das vom Verfasser eines Lehrwerkes angeführt wird, aus seiner eigenen Kunstschöp-
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quippiam vendens dicat: "Sume a me, sed huius exemplum aliunde rogabo tibique ostendam". Sie mercem ipsi qui venditant, aliunde exemplum quaeritant merci~, accrvos se dicunt tritici habere, eorum exemplum pugno non habent, quod ostendant. Si Triptolemus, cum hominibus semen largiretur, ipse ab aliis id hominibus mutuaretur, aur si Prometheus, cum mortalibus ignem di\-idere vellet, ipse a vicmis cum tesrula ambulans carbuncuJos corrogaret, ridiculus videretur. Isri magisrri, omnium dicendi praeceptores, non videntur sibi ridicule facere, cum id, quod aliis pollicentur, ab aliis quaerunt? Si qui se fontes maximos penitus abscondiros aperuisse dicat et haec sitiens quom maxime loquatur neque habeat, qui sitim sedet, non rideatur? lsri cum non modo dominos se foncium, sed se ipsos fonres esse dicant et omnium rigare debeant ingenia, non putant fore ridiculum, si, cum id polliceanrur, arescant ipsi siccitate? Chares ab Lysippo statuas facere non isto modo didicit, ur Lysippus caput ostenderer Myronium, brachia Praxitelea, pectus Polyclerium, sed omnia coram magistrum facientem videbat, ceterorum opera vel sua sponte porerat considerare. lsti credunt eos, qui haec velinr discere, alia ratione doceri posse commodiu~!
Praeterea ne possunt quidem ea, quae sumuntur ab aliis, exempla tarn esse adcommodata ad arrem, propterea quod in dicendo levirer unus quisque locus plerumque tangitur, ne ars appareat, in praecipiendo expresse conscripta ponere oportet ex-
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fung stammen. Nicht wie wenn einer, der ein Purpurkleid oder irgend etwas anderes verkauft, sagTe: "Nimm es von mir, aber das Muster dafür, das ich dir zeigen kann, werde ich mir woandersher erbitten." So sagen diejenigen, die ihre \Vare selbst verkaufen, woandersher aber irgendein Muster für ihre Ware herbeizubringen suchen, sie hätten haufenweise Weiun, ein Muster davon aber haben sie nicht in der Hand, das sie zeigen könnten.19 Wenn Triptolemos, als er den Menschen den Samen schenken wollte,l" ihn erst selbst von anderen Menschen geliehen hätte, oder wenn Promerheus, als er den Sterblichen das Feuer zureilen wollre, erst selbst bei den Nachbarn mit einer Scherbe herumgegangen wäre und sich Kohlen zusammengebettelt hätte, wäre er lächerlich erschienen. Diese Schulmeister da, die Redelehrer aller, bilden sich ein, sich nicht lächerlich zu machen, wenn sie das, was sie den einen versprechen, von anderen erbitten? Wenn emer behauptet, er habe sehr reiche, ganz verborgene Quellen entdeckt, und dies sagt, während er sehr durstig ist und keine Möglichkeit hat, seinen Durst zu stillen, dürfte der nicht verlacht werden? Wenn diese Leute da sich nicht nur die Herren der Quellen, sondern die Quellen selbst nennenJ' und e~ für ihre Schuldigkeit halten, die Begabungen aller zu bewässern, glauben sie dann nicht, es werde lächerlich sein, wenn sie vor Trockenheit ausdörren, während sie das ver!>precheo? CharesP lernte von Lysipp die Bildhauerkunst nicht auf die Weise, daß ihm Lysipp einen Kopf des Myron, Arme des Pra.xiteles, einen Brustkorb des Polykler zeigte, sondern er sah mit eigenen Augen, wie der Meister die~ alles schuf; die Werke der übrigen konnte er wohl von sich aus betrachten.H Diese Leute da aber glauben, diejenigen, die diese unsere Kunst lernen wollen, könnten durch eine andere Methode vorteilhafter unterwiesen werden. Außerdem können die Beispiele, welche von anderen entnommen werden, nicht einmal so sehr zur theoretischen Unterweisung passen, deswegen weil beim Sprechen jeder einzelne Punkt meistens nur leicht berührt wird, damit die Lehre nicht durchscheint, bei der Anleitung man aber
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cmpla, uu 1n arri~ formam convenire possinr; er post in dicendo, ne possit ars eminere et ab omnibus videri, faculrate oratoris occultatur. Ergo etiam ut magis ars cognoscatur, suis exemplis melius cst uci. Postremo haec quoque res nos du:xit ad hanc rationem, quod nomina rerum Graeca, quae verrimus, ea remota sunt a consuetudine. Quae enim res apud oostros non erant, earum rerum nomina non poterant esse usitata. Ergo haec asperiora primo videantur necesse est idque fiet rei, non nostra difficultate. Reliquum scriprurae consumerur in exemplis; haec aliena si posuisscmus, facrum esset, ut, quod commodius esset in hoc libro, id nostrum non esset, quod asperius er inusitatius, id proprie nobis adtribueretur. Ergo hanc quoque incommoditatem fugimus. His de causis, cum artis ioventionem Graecorum probassemus, exemplorum rationem secuti non sumus. Nunc tcmpus postulat, ut ad elocutionis praecepta transeamus.
ßipertita •gitur erit nobis elocurionis praeceptio. Primum dicemus, quibus in generibus semper omnis oratoria elocutio debeat esse; deinde ostendemus, quas res semper habere debeat. Sunt igirur tria genera, quae genera nos figuras appellamus, in quibus omnis oratio non vitiosa consumirur: unam gravem, alteram mediocrem, terriam extenuatam vocamus. Gravis est, quae constat ex verborum gravium levi et ornaca constructione. Mediocris est, quae constac ex humiliore ncque tarnen ex infima et pervulgatissirna verberum dignitate. Attcnuata est, quae dernissa est
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ansebaulich beschriebene Beispiele anführen muß, damit sie zur Form der Lehre gut passen können; und später bei der Rede wird die Lehre durch die Fähigkeit des Redners verborgen,H damit sie nicht herausstechen und von allen gesehen werden kann. Also ist es auch besser, eigene Beispiele zu erwenden, damit die Lehre mehr erkannt wird. Schließlich hat mich zu diesem Vorgehen auch die Tatsache geführt, daß die Ausdrücke, mit welchen ich griechische Benennungen übertrage, vom alltäglichen Sprachgebrauch .1bweichen. für Sachverhalte nämlich, die es bei meinen Landsleuten nicht gab, konnten auch keine Benennungen im Gebrauch sein. Also müssen diese Benennungen zuerst 1icmlich spröde erscheinen, und dies geschieht durch die schwierige Sachlage, nicht durch meine Schuld.JS Der übrige Teil meiner Schrift wird auf Beispiele verwendet; hätte ich hierbei fremde Beispiele angeführt, so wäre dabei herausgekommen, daß das, was an diesem Buch vorteilhafter ist, nicht mein Eigenrum wäre, was aber allzu spröde und ungewöhnlich ist, mir als mein Eigenrum zuerkannt würde. Also suchte ich auch diesem Nachteil zu entgehen. Aus diesen Gründen folgte ich, obwohl ich die Auffindung der Lehre durch die Griechen für richtig hielt, ihrem Verfahren bei den Beispielen nicht. Nun erfordert es die Zeit, daß ich zu den Vorschriften der stilistischen Gestaltung übergehe. Zweigeteilt also wird für mich die Lehre von der stilistischen Gestaltung sein. Zuerst werde ich sagen, in welche Arten sich jede rednerische GeStaltung immer gliedern muß; lb dann werde ich dartun, welche Eigenschaften sie immer besit7en mußY Es gibt nun drei Arten, welche ich als StilartenJ1 bezeichne, in welchen sieb jede nicht fehlerhafte Rede erschöpft: die eine nennen wir die erhabene, die zweite die gemäßigte, die dritte die schlichre)9 Erhaben ist der Stil, der aus der geschliffenen und schmuckvoiJen Verbindung erhabener Worte besteht. Gemäßigt ist der Seil, der aus eindrucksvollen Worten besteht, die wohl etwas niedriger, aber nicht ganz gewöhnlich und gemein sind. Schlicht isr der Stil,
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usque ad usitatissimam puri consuerudinem sermorus. ln gravi consumerur orario figura, si quae cuiusque rei poterunt ornatissima verba reperiri, sive propria sive extranea, unam quamque in rem adcommodabunrur, et si graves sententiae, quae in amplificatione et conmiseratione tractanrur. eligenrur, et ~i exornatione:. sentenciarum aut verborum, quae gravitarem habebunt, de quibus post dicemus, adhibebunrur. In hoc genere figurae erit hoc exemplum: "Nam quis e~r vestrum, iudices, qui satis idoneam possie in eum poenam excogitare, qui prodere hostibus parriam cogitarit? quod maleficium cum hoc scelere conparari, quod huic maleficio dignum supplicium porest inveniri? ln iis, quj violassent ingenuum, matremfamilias constuprassent, pulsassent aliquem aur postremo necassent, maxima supplicia maiores consumpserunt; huic truculentissimo ac nefario facinori singularem poenam non reliquerunt. Atque in aliis maleficiis ad singulos aut ad paucos ex alieno peccato iruuria perverut, huius sceleris qui sunt adfines, uno consilio universis civibus atrocissimas calamitates machinanrur. 0 feros animos! o crudeles cogitationes! o derelictos homines ab humarutate! Quid agere ausi sunt aut cogitare possunt? quo pacto hostis revulsis maiorum sepulcris, d,eiectis moerubus, 0\'antes inruerent in civitatem; quo modo deum templis spoliaris, optimaribus rrucidacis, aliis abrepcis in servirurem, matribusfamilias et ingenuis sub hostilem libidinem subiectis urbs acerbissimo concidat incendio conflagrata; qui se non putant id, quod
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der herabgesenkt ist bis zum allgemein üblichen Gebrauch der reinen Umgangssprache. Im erhabenen Stil erschöpft sich eine Rede, wenn man rue schmuckvollsten Worte, die man für jeden einzelnen Sachverhalt finden kann, in der eigentlichen oderuneigentlichen Bedeutung, auf jeden einzelnen Sachverhalt anwendet und wenn man erhabene Begriffe, die man bei der Steigerung und dem Erregen von Mitleid handhabt, auswählt und wenn man die Ausschmllckungen von Begriffen oder Worten, welche Erhabenheit in sich bergen und über die ich später sprechen werde:0 7Ur Geltung bringt. Für diese Stilart ruent das folgende Beispiel:•• .,Wer von euch, ihr Herren Richter, könnte eine genügend angemessene Strafe für den ausdenken, der den Gedanken hegte, das Vaterland den Feinden zu verraten? Welche Freveltat könnte mit diesem Verbrechen verglichen, welche rueser Freveltat angemessene Strafe könnte gefunden werdcn?4> Gegen diejenigen, welche einen Freigeborenen mißhandelten, eine Frau schändeten, jemanden mißhandelten oder schließlich töteten, wandten unsere Vorfahren die härtesten Strafen an; aber für diese so furchtbare und verbrecherische Tat hinterließen sie keine einzelne Srrafe.~J Und außerdem wirkt sich bei anderen Freveltaten ein Unrecht, das aus einem fremden Vergehen entspringt, nur auf einzelne oder wellige Per~onen aus; wer sich aber an diesem Verbrechen beteiligt, führr durch einen einrigen Plan gegen alle seine Mitburger 1usammen das schrecklichste Unheil im Schilde. 0 was für eine wilde Gesinnung! 0 was für grausame Gedanken! 0 was für völlig entmenschte Menschen! Was zu tun haben sie gewagt oder was können sie ersinnen? Auf diese Weise würden die Feinde die Gräber der Vorfahren durchwuhlen, die Mauem einreißen und jubelnd in die Stadt eindringen; auf diese Art würden die Göttertempel geplündert, die Edelsten niedergemetzelt. andere in rue Sklaverei weggeschleppt, Frauen und Freigeborene der Willkür der J:-einde ausgeliefert, und rue Stadt würde in einer schrecklichen Feuersbrunst in sich zusammenstürzen; diese Leute
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voluerint, ad exitum perduxisse, nisi sanccissimae patriae mi~erandum scclerati viderint cinerem. Nequeo verbis consequi, iudices, indignitatem rei; sed neglegentius id fero, quia vos mei non egetis. Vester enim vos animus amantissimus rei publicae facile edocet, ur eum, qui fortunas omnium voluerir prodere, praecipirem proturbetis ex ea civitate, quam iste hostium spurcissimorum dominaru nefario \'oluerit obruere." In mediocri figura versabitur oratio, si haec, ur anre dixi, aliquantulum demiserimus neque tan1en ad infimum descenderimu!l, sie: ,.Quibuscum bellum gerimus, iudices, videcis: cum socÜ), qui pro nobis pugnare et imperium nosrrum nobiscum simul vinute et industria conservare soliti sunt. Hi cum se et opes suas et copiam necessario norunt, turn vero nihilominus proprer propinquitatem et omnium rerum societatem, quid omnibus rebus populus Romanus possec, scire et existimare poterant. Hi, cum deliberassent nobiscum bellum gerere, quaeso, quae res erat, qua freu bellum suscipere conarentur, cum multo maximam partem sociorum in officio manere imellegerent, cum sibi non multitudinem militum, non idoneos inperatores, non pecuniam publicam praesto esse ''iderent, non denique ullam rem, quae res pertinet ad bellum adminisrrandum? Si euro finitumis de finibus bellurn gererent, si totum certarnen in uno proelio positum purarent, tarnen omnibus rebus instructiores et apparatiores venirent; nedum iUi imperium orbis rerrae, cui imperio omnes gemes, reges, nariones partim vi, partinl voluntare consenserunt, cum aut armis aur liberalitare a populo Romano superati essem, ad se
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glauben nicht, das, was sie wollten, ganz zu Ende geführt zu haben, wenn sie nicht die beklagenswerte Asche des heiligsten Vaterlandes gesehen haben. Ich kann nicht mit Worten. ihr Herren Richter, die Niedertracht des Verhaltens 7um AU)druck bringen; aber 7iemlich gelassen ertrage ich dies, weil ihr mich da7u nicht braucht. Denn euer das Vaterland brennend liebendes Herz wird euch leicht lehren, den, der das Glück aller verraren wollte, jäh aus der Stadt fortzujagen, welche jener Kerl unter der verbrecherischen Gewaltherrschaft der abscheulichsten Feinde begraben wollte."« Im gemäßigten Stil bewegt sich eine Rede, wenn wir, wie oben gesagt,41 dies ein klein wenig herabsenken, ohne trou.dem zu einem ganz niedrigen Ton herabzusteigen, z. B.:+& .,Mit was für Leuren wir Krieg führen, ihr Herren Richter, seht ihr: Mit Bundesgenossen, die es gewohnt waren, für uns zu kämpfen und unser Reich zugleich mit uns mit Tapferkeit und Tatkraft 7U erhalten. Diese kennen notwendigerweise sich, ihre Macht und ilire Tmppensrärke, besonders aber konnten sie wegen ihrer Nachbarschaft und der Verbindung in allen Dingen um so mehr wissen und einschätzen, was das römische Volk in allen Bereichen vermöge. Als diese überlegten, gegen uns Krieg zu führen, welches war da, frage ich, der Umstand, im Vertrauen auf den sie den Krieg zu unternehmen versuchten, da sie doch bemerkten, daß weitaus der größte Teil der Bundesgenossen ihre Verpflichtungen einhielten; da sie doch sahen, daß ihnen keine große Zahl von Soldaten, keine geeigneten Feldherren, keine öffenrüchen Gelder 7ur Verfügung stünden, und schließlich nichts, was zur Kriegsführung hilireich ist? Wenn sie mit ihren Nachbarn Krieg wegen der Grenzen führten, wenn sie glaubten, der ganze Streit werde mit einer einzigen Schlacht entschieden, kamen sie dennoch in jeder Beziehung besser gerüstet und vorbereitet; geschweige denn, daß sie versuchten, mit so geringen Kräften die Herrschaft über den Erdkreis," mir welcher alle Völker, Könige und Nationen teils durch Gewalt gezwungen, teils freiwillig einverstanden waren, wenn sie entweder durch Waffengewalt oder durch edle
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transferre tantulis viribus conarentur. Quaeret aliquis: ,Quid? fregellani non sua sponte conati sunt?' Eo quidem isti minus facile conarenrur, quod iUi quemadmodum discessissem videbanr. Nam rerum inperiti, qui unius cuiusque rei de rebus ante gestis exempla petere non possunt, ü per inprudenriam facillime deducunrur in fraudem; at ii, qUI sciunt, quid aliis acciderit, facile ex aliorum e\'entis suis rarionibus possunt providere. Nulla igitur re inducti, nulla spe freri arma susrulerunt? Qui~ hoc credet, cantam amentiam quemquam tenuisse, ur imperium popul1 Romani temptare auderct nullis copiis fretus? Ergo aliquid fuisse necessum est. Quid aliud, nisi id, quod dico, potest esse?"
In adtcnuato figurae genere, id est, quod ad infimum et coctidianum sermonem demissum est, hoc erit exemplum: "Nam ur fone hic in balneas vcnit, coepit, postquam perfusus est, defricari; deinde, ubi visum est, ut in alvcum dcscenderet, ecce tibi iste de travcrso: ,Heus', inquit ,adolescens, pueri rui modo me pulsarunt; satis facias oportet.' Hic, qui id aetacis ab ignoto praeter consuerudinem appellarus esset, erubuit. Iste clarius eadem er alia dicere coepit. Hic vix: ,Tarnen', inquit, ,sine me considerare.' Turn vero iste clamare voce isra, quae ,·el facile cuivis rubores eicere posset: ,Ita perulans es atque acer, ur ne ad solarium quidem, ur mihi videtur, sed pone scaenam er in eiusmodi locis exercitarus sis.' Conrurbarus est adolescens; nec mirum, cui etiam nunc pedagogi lites ad oriculas versarentue inperito huiusmodi conviciorum. Ubi enim iste
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Freizügigkeit vom römischen Volk besiegt waren, auf ihre Seite 7u bringen. Nun wird jemand fragen: ,W.e? Haben es die FregeUaner nicht \'On sich aus versucht?'•8 Doch sie würden es gewiß um so weniger leicht versuchen, als sie sahen, wie es für die Fregellaner ausgegangen war. Denn die Unerfahrenen, die nicht für jeden einzelnen Fall Beispiele früherer Ereignisse erlangen können, lassen sich durch ihre Unkenntnis sehr leicht zu einem Irrtum verleiten; aber die, welche wissen, was anderen widerfuhr, können leicht aus dem Geschick anderer für ihre eigenen Vorhaben Vorkehrungen treffen. Haben sie also ohne eine Veranlassung, ohne Vertrauen auf eine Aussicht die Waffen erhoben? Wer wird dies glauben, daß jemanden ein solcher Wahnsinn erfaßte, daß er es wagte, die Herrschaft des römischen Volkes zu bedrohen, ohne daß er auf irgendwelche Machtrninel vertrauen konme? Also muß irgend etwas vorhanden gewesen sein. Was anderes als da~, was ich sage, könnte es sein?" für die schlichte Stilart, d. h. für die, welche zur niedrigsten und alltäglichsten Umgangssprache herabgesenkt ist, dient das folgende Beispiel:•9 .,Denn sobald dieser hier ins Bad gekommen ist, ließ er sich, nachdem er abgespült war, abreiben; dann als er beschloß, ins Wasserbecken hinabzusteigen, da schau, da schreit ihn dir unvermutet der da an: ,He, junger Mann, deine Sklaven haben mich eben geschlagen; du mußt mich dafür entschädigen.' Der junge Mann, der - was in seinem Alter ungewöhnlich war - von einem Unbekannten angeredet wurde, wurde rot. Der da sprach noch lauter das nämliche und ähnliches. Der junge Mann spricht mit Mühe: ,Dennoch laß' mich überlegen.' Da aber schreit der da mit einer solchen Stimme, die sehr leicht jedem beliebigen die Schamrote im Gesicht treiben könnre: ,Du bist so frech und heftig, daß du nicht einmal bei der Sonnenuhr,1" wie mir scheint, sondern hinter der Bühne und an anderen Orten dich geübt hast.' Der junge Mensch ist verwirrt; das ist nicht verwunderlich, da ihm auch jetzt noch die Streitreden des Pädagogen um seine Öhrchen schwirrten und er derartiges Ge-
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vidisset scurram exhausto rubore, qui se putaret nihil habere, quod de existimarione perderet, ut omnia sine famae detrimento facere posset?~
lgitur genera figurarum ex ipsis exemplis inrellegi poterunt. Erit enim et adtenuata verborum constructio quaedam et item alia in gravitate, alia posita in mediocritate. Est autem cavendum, ne, dum haec genera conscctemur, in finiruma er propinqua vitia veniamus. Nam gravi figurae, quae laudanda est, propinqua esr ea, quae fugienda; quae recte videbirur appellari, si sufflata nominabirur. Nam ita ur corporis bonam habirudinem rumor imitatur saepe, item gravis oratio saepe inperitis viderur ea, quae rurget et inflata est, cum aut novis aut priscis verbis aut duriter aliunde translatis aut gravioribus, quam res posrulat, aliquid dicirur, hoc modo:
"Nam qui perduellionibus vcnditat patriam, non satis subplicii dederit, si praeccps in Neprunias depultus erir lacunas. Poenite igirur •srurn, qui montis belli fabricarus est, campos sustulir pacis." In boc genus plerique cum declinanrur et ab eo, quo profecti sunt, aberrarunt, specic gravitacis falluntur nec perspicere possunt orarionis rumorem. Qui in mediocre genus orarionis profecti sunt, si pcrvenire eo non potuerunt, errantes perveniunr ad confine genus eius generis, quod appellamus nuctuans, eo quod fluctuat huc et illuc nec potest confurnate neque viriliter sese expedirc. ld est eiusmodi: "Socü nostri cum belligerare nobiscum vellent, profecto rariocinati essent etiam
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schimpfe nicht gewohnt war. Wo nämlich häne dieser arme Kerl auch einen Tagedieb gesehen, dem dte Schamröte genommen war, der also glaubte, er besäße nichts, W:b er \'On seinem Ansehen verlieren könne, so daß er alles ohne Schaden für seinen Ruf run könne?"ll Also können die Stilarten aus den Beispielen selbst erkannt werden. Es geht nämlich gewissermaßen um einen schlichten Aufbau der Worte, und ebenso einen anderen, beruhend auf Erhabenheit, einen anderen, beruhend auf Gemäßigtheit. Man muß sich aber davor hüten, daß man, während man auf diese Anen aus ist, in naheliegende und verwandte Fehler gerät.s: Denn dem erhabenen Stil, der lobenswert ist, ist der verwandt, den man meiden soll; dieser scheint richtig bezeichnet zu werden, wenn man ihn schwülstig nennt. Denn so wie eine gute körperliche Verfassung oft eme Geschwulst nachahmt, ebenso erscheint als erhabene Rede den Unerfahrenen oft die, welche schwülstig und aufgeblasen ist, wenn etwas durch neugebildete oder durch altertümliche Wörrer, durch Wörter, die schroff woandersher übertragen oder erhabener sind, als es die Sache erfordert, gesagt wird,n wie z. B. auf folgende Weise: "Denn wer sein Vaterland durch Hochverrat feilbietet, nimmt nicht genügend Strafe auf sich, wenn er jählings in die Abgründe Neptuns hinabgestoßen wird. Bestraft also den da, der Berge des Krieges gezimmerr und die Ebenen des Friedens beseitigt hat. "S~ Wenn sehr viele dieser Gattung zuneigen und von dem Weg, den sie eingeschlagen hatten, abgekommen sind, werden sie durch den Schein der Erhabenheit getäuscht und können den Schwu lst der Rede nicht durchschauen. Wer auf die gemäßigte An der Rede aus war, gelangt, wenn er nicht dahin gelangen konnte, auf seinem Irrweg zu einer daran grenzenden Art, die wir die schwankendeH nennen, weil sie hin und her schwankt und sich nicht kräftig und mannhaft entwickeln kann. Sie ist z. B. folgendermaßen: ' 6 "Wenn unsere Bundesgenossen mir uns Krieg führen woUten, hätten sie in der Tat
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atque etiam, quid possent facere, si quidem sua sponte facerent et non haberent hinc adiutores multos, malos homines er audaces. Solent enim diu cogirare omnes, qui magna negotia volunt agere." Non porest huiusmodi sermo tenere adrenrum auditorcm; diffluir enim torus neque quicquam conprehendens perfectis verbis amplectirur. Qui non possunt in illa facetissima verborum attenuatione commode versari, veniunt ad aridum er exangue genus orationis, quod non alienum est exile nominari, cuiusmodi est hoc: "Nam istic in balineis accesslt ad hunc; postea dicit: ,Hic ruus servus me pulsavir.' Postc
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immer wieder überlegt, was sie tun könnten, wenn sie es ja von sich aus täten und hier nicht viele Helfer hätten, schlechte und verwegene Menschen. Es pflegen nämlich alle lange nachzudenken, die bedeutende Unternehmungen durchführen wollen." Eine derartige Redeweise kann den Zuhörer nicht aufmerksam erhalten; sie 1.erflicßr nämlich und drückt nicht zupackend mit vollkommenen Worten aus. Wer sich nicht in jener so ansprechenden Schlichtheit der Worte bewegen kann, gerät zur trockenen und blutlosen Redean, die nicht unzutreffend saft- und kraftlos genannt werden könnte, z. B. folgendermaßen: "Denn dort im Bad kam einer auf diesen zu. Darauf sagt er: ,Dieser dein Sklave hat mtch geschlagen.' Darauf sagt dieser zu jenem: ,leb werde es überlegen.' Dann veranstaltete jener ein Geschimpfe und schrie mehr und mehr in Gegenwart von vielen. "S 7 Armselig ist freilich diese Redeweise und gemein; sie hat nämlich nicht das erreicht, was der schlichte Stil besitzt, eine aus einfachen und ausgewählten Worten zusammengesetzte Rede. Jeder Redegattung, der erhabenen, gemäßigten und schlichten, verleihen die Ausschmückungen, über die ich später sprechen werde, s~ Würde; wenn diese selten verteilt werden, machen sie die Rede deutlich und bestimmt wie durch Farben, werden sie aber häufig gesetzt, beschmutzt. Aber man muß die Stilart beim Sprechen wechseln, damit auf die erhabene die gemäßigte folgt, auf die gemäßigte die schlichte, und daß dann wieder ebenso gewechselt wird, 19 damit leiehr eine Übersättigung vermieden wird durch Abwechslung. Da nun gesagt ist, in welchen Arten sich die stilistische Gesralrung bewegen muß, wollen wir jetzt sehen, welche Eigenschaften eine treffende und vollkommene stilistische Gestaltung besitzen muß. Welche am meisten in vollem Maße dem Redner angepaßt ist, diese muß drei Eigenschaften in sich bergen: die Gewähltheit, die gehörige Anordnung, die würdige Darstellung.6o
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Elegancia est, quae facit, ut unum quidque pure et aperte dici videarur. Haec distribuitur in Lacinitatem et explanationem. Latinitas est, quae Sermonern purum conservat ab omni vitio remorum. Vitia in sermone, quo minus is Latinus sit, duo possunt esse: soloecismus et barbarismus. Soloecismus est, cum in verbis pluribus consequens verbum superiori non accommodarur. Barbarismus est, cum verbum aliquod vitiose efferrur. Haec qua ratione vitare possimus, in arte grammatica dilucide dicemus. Explanatio cst, quac reddie apertarn et dilucidam orationem. Ea conpararur duabus rebus, usitatis verbis et propriis. Usitata sunt ea, quae versanrur in sermone er consuerudine conidiana; propria, quae eius rei vcrba sunt aut esse possunt, qua de loquemur. Conpositio est ,·erborum constructio aequabiliter perpolita. Ea conservabirur, si fugiemus crebras vocalium concursiones, quae vascam atque hiantem orationem rcddunt, ut haec est: Bacae aeneae amoenissime inpendebant; et si vitabimus eiusdem litterae nimiam adsiduitatem, cui vitio versus hic erit exemplo: - nam hic nihi1 prohibet in vicii~ alienis exemplis uti:
0 Titc, tute, Tati, tibi tanta, tyranne, rulisci! · et hic eiusdem poerae: ... quicquam quisquam, quemque quisque conveniat, neget; et si eiusdem verbi adsiduitatem nimiam fugiemus, eiusmodi:
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Die Gewähltheit ist die Eigenschaft, die bewirkt, daß jeder einzelne Punkt rein und offen gesagt zu werden scheint. Sie wird unterteilt in den reinen lateinischen Ausdruck und die Deutlichkeit.6• Der reine lateinische Ausdruck ist die Eigenschaft, die die Sprache rein erhält, entfernt von jedem Fehler. Fehler in der Sprache, durch welche diese weniger rein lateinisch 1st, können 7WCI auftreten: die grammatisch unrichtige Verbindung und der Barbarismus.6' Eine grammatisch unrichtige Verbindung liegt vor, wenn bei mehreren Wörtern das folgende nicht dem vorhergehenden angcpaßt wird. Ein Barbarismus liegt vor, wenn ein Wort fehlerhaft hervorgebracht wird. Auf welche Weise wir diese Fehler vermeiden können, werde ich in der Sprachlehre deutlich sagen. 6J Die Deutlichkeit ist die Eigenschaft, die die Rede klar und deutlich macht. Sie wird durch zwei Dinge bewirkt, durch gebräuchliche und tutreffende Worte. Gebräuchlich sind die Worte, welche in der täglichen Umgangssprache vorkommen; 7utreffend die, welche die Worte für die Sache sind oder sein können, über die wir sprechen.~ Die gehörige Anordnung ist die gleichmäßig ausgefeilte Verbindung von Wörtern. Diese wird bewahrt, wenn wir das haufige Zusammentreffen von Vokalen 6l vermeiden, welches eine Rede plump und klaffend macht, wie in folgendem Bcisp1cl: Eherne Beeren hingen sehr anmutig herein/'6 und wenn wir die übertriebene Wiederholung desselben Buchstaben meiden, 67 ein Fehler, für den folgender Vers als Beispiel dient - denn hier hindert nichts daran, in fremden Fehlern Beispiele anzuführen:"~ 0 Titus, du da Tarius, du ertrugst so großes, du Tyrann:69 und folgender Vers des nämlichen Dichters: Wer wird wohl, was alle Welt für wahr hält, wegleugnen?70 und wenn wir die übertriebene Wiederholung desselben Wortes"' vermeiden, z. B. folgendermaßen:
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Nam cuius rationis ratio non extet, ei Rationi ratio non est fidem habere; et si non utemur continenrer similiter cadentibus verbis, hoc modo: flenres, plorames, lacrimantes, obtestanres ... ; et si verbarum transiectionem vitabimus, nisi quae erit concinna, qua de re posterius loquemur; quo in vitio est Coelius adsiduus, ur haec cst: In priore libro has res ad te scriptas, Luci, misimus, Aeli. Item fugere oponet Iongarn verborum continuationem, quae et auditoris aures et oratoris spirirum laedit. His vitüs in conpositione vitatis reliquum operae consumendum est in dignitate. Dignitas est, quae reddie ornatam orationem varietate distinguens. Haec in verbarum et in sententiarum exornationes dividirur. Verbarum exornatio est, quae ipsius sermonis insignita conrinerur perpolitione. Senrentiarum exornatio est, quae non in verbis, sed in ipsis rebus quandam habet dignitatem.
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Repetitio est, cum conrinenrer ab uno atque codem verbo in rebus similibus et diversis principia sumuntur, hoc modo: "Vobis iscuc adtribuendum est, vobis gratia est habenda, vobis ista res erit honori." ltem: "Scipio Numantiam susrulit, Scipio Kartaginern delevit, Scipio pacem peperit, Scipio civitatem servavit." ltem: "Tu inforum prodire, tu lucem conspicere, tu in horum conspecrum \·enire conaris? audes verbum facere? audes quicquam ab i~tis petere? audes supplicium deprecari? Quid est, quod possis
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Denn eine Berechnung, die unberechenbar ist, in Rechnung zu ziehen, ist unberechnet; 7 ' und wenn wir nicht ununterbrochen Wöner mit ähnlicher Endung verwenden, -l wie auf folgende Weise: Flennende, plärrende, weinende, inständig flehende ... ;' 4 und wenn wir ein Verset :.Gen der Wöner vermeiden, außer es ist kunstvoll angeordnet, worüber ich später sprechen werde;71 bei diesem Fehler ist Caelius76 beharrlich, wie der folgende Satz zeigt: Im vorhergehenden Buch habe ich dir einen Bericht über diese Ereignisse, mein Lucius geschickt, mein Aeliu~. Ebenso muß man eine ununterbrochene Folge von Wörtern meiden, da sie die Ohren des Zuhörers ebenso \\. ie den Atem des Redners schädigt. Wenn wir diese rehler be• der Anordnung vermieden haben, bleibt noch übrig, Mühe auf die würdige Darstellung zu verwenden. Die würdige Darstellung ist es, die die Rede kunstvoll macht,77 indem sie sie durch Abwechslung au~schmückt. Diese wird in Ausschmückung von Wanen und Gedanken78 unterteilt. Die Ausschmückung von Worten ist diejenige, welche auf einer außerordentlichen Ausfeilung der bloßen Rede beruht. Die Ausschmückung von Gedanken ist diejenige, welche nicht in den Wanen, sondern in den Inhalten selbst eine gewisse \~ ürdige Darstellung besitzt. Eine Wiederholung7' liegt vor, wenn mit einem und demselben Wort bei ähnlichen und \'erschicdenen Sachverhalten der Anfang gebildet wird, z. B. auf folgende Weise: "Euch muß man dieses zuschreiben, euch muß man dankbar sein, euch wird dies zur Ehre gereichen." Ebenso: "Scipio beseitigte Numamia, Scipio zerstörte Karthago, Scipio schaffte Frieden, Scipio rettete den Staat. " 80 Ebenso: "Du versuchst auf das Forum zu gehen, du versuchst das Tage~licht zu erblicken, du versuchst d1esem unter die Augen zu treten? Wagst du es, ein Wort 7U ~pre chen? Wagst du es, diese um etwas zu bitten? Wagst du es, um Gnade zu flehen? w~ ist es, was du zu deiner Verteidi-
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defendere? quid esr, quod tibi concedi putes oportere? Non iu~ iurandum reliquisri? non amicos prodidisti? non paremi manus adrulisti? non denique in omni dcdccore volutatus es?" Haec exomatio cum mulrum venustatis habet rum graviratis et acrimoniae plunmum. Quare viderur esse adhibenda er ad ornandam et ad exaugendam oratiooem. Conversio est, per quam non, ut ante, primum repetimus verbum, ~ed ad postremum conrinenrer revertimur, hoc modo: "Poenos populus Romanus iustiria vicit, armis vicit, liberalitate vicit." Item: "Ex quo tempore concordia de civirate sublata est, libertas sublata est, res publica sublata est." ltem: "C. Laelius homo novus erat, ingeniosus erat, docrus erat, bonis viris ct srudiis amicus erat: ergo in civitate primus erar." ltem: .,Nam cum istos, ut absolvant te, rogas, ut peiurent, rogas, ut existimationem negleganr, rogas, ut lege!> populi Romani ruae libidini largiaotur, rogas." Conplexio esr, quae utramque conplecrirur exomarionem, et hanc er quam ante exposuimus, ut repetatur idem verbum saepius et crebro ad idem po~tremum revertamur, hoc modo: "Qui sunt, qui foedera saepe ruperum? Karraginienses. Qui sunt, qui crudele bellum gesserunr? Karraginienses. Qui sunt, qui ltaliam defom1averunt? Karraginienses. Qui sunt, qui sibi posrulanr
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gung vorbringen könntest? Was ist es, was man dir nach deiner Meinung zugestehen müßte? Hast du nicht einen Eid mißachtet? Hast du nicht Freunde verraten? Hast du nicht Hand an deinen Vater gelegt? Hast du dich schließlich nicht m jeder Schande gewälzt?"i• Diese Ausschmückung birgt viel Anmut in sich, besonders aber Feierlichkeit und Energie; deshalb soll man sie, wie es scheint, anwenden, um die Rede zu schmücken und zu verstärken. Die Umkehrung" ist es, durch die wir nicht, wie oben, das erste Wort wiederholen, sondern zum letzten in einem fort ununterbrochen zurückkehren, z. B. auf folgende Weise: "Die Punier hat das römische Volk durch seine Gerechtigkeit besiegt, hat sie durch Waffen besiegt, hat sie durch edle Gesinnung besiegt." Ebenso: "Seitdem die Eintracht aus der Bürgerschaft beseitigt wurde, wurde die Freiheit beseitigt, wurde das Staatswesen beseitigt." Ebenso: "C. Laelius8 3 war ein aufstrebender Mann, ein begabter Mann, ein gebildeter Mann, ein tüchtigen Männern und guten Bestrebungen freundlich gesinnter Mann; folglich war er im Staate der erste Mann." Ebenso: "Denn wenn du diese darum bittest, dich freizusprechen, bittest du sie, einen Meineid zu schwören, bittest du sie, die öffentliche Meinung zu mißachten, bittest du sie, die Gesetze des römischen Volkes deiner Zügellosigkeit preiszugeben. "~• Die Umfassung~' ist das Stilmittel, welches beide Ausschmückungen umfaßt, die, die ich eben, und die, die ich vorher dargelegt habe, daß dasselbe Wort öher wiederholt wird und wir häufig zu eben diesem Wort am Ende des Satzes zurückkehren, z. B. auf folgende Weise: "Wer sind die Leute, die Bündnisse oh gebrochen haben? - Die Karthager. Wer sind die Leute, die einen grausamen Krieg geführt haben?- Die Karthager. Wer sind die Leute, die Italien verwüstet haben? - Die Karthager. Wer sind die
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Leute, die für sich Verzeihung verlangen?- Die Karthager. Seht also zu, wie es zustande kommen kann, daß sie es erreichen!"% Ebenso: "Wen der Senat verurteilt hat, wen das Volk verurteilt hat, wen die Meinung aller verurteilt hat, den möchtet ihr durch euer Votum freisprechen?" Die Wiederholung ist das Stilmittel, welches bewirkt, dag, wenn dasselbe Wort öfter gesetzt wird, es nicht nur keinen Anstoß erregt, sondern die Rede sogar kunstvoller angeordnet macht, z.. B. auf folgende Art: "Wer im Leben ntcht~ Angenehmeres hat als das Leben, der kann sein Leben nicht in sirdieher Vollkommenheit
ignosci? Kartaginienses. Videte ergo, quam conveniat eo~ inpetrare." ltcm: "Quem senarus damnarit, quem populus Romanus danmarit, quem omnium existimario damnarit, eum vos sentemiis ve~tris absolvatis?" Traducrio est, quae facit, uti, cum idem verbum crebrius ponatur, non modo non offendar animum, sed etiam concinniorem orationem reddat, hoc pacto: "Qui nihil habet in vita iucundius vita, is euro virtute vitam non potest colere."
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ltem: "Eum hominem appeUas, qui, si fuisset homo, numquam tarn crudeliter horninis vitam perisset. At erat inimicus. Ergo inimicum sie ulcisci voluit, ut ipse sibi reperiretur inimicus." ltem: "Divitias sine divitis esse; nam si voles divitias cum virrute conparare, vix satis idoneae tibi ,·idebuntur divitiae, quae virtutis pedisequae sint." Ex eodem genere est exomationis, euro idem verbum ponitur modo in hac, modo in altera re, hoc modo: "Cur eam rem ram studiose curas, quae ribi multas dabit curas?" ltem: ,.Nam amari iucundum sit, si curerur, ne quid insit amari." ltem: "Veniam ad vos, si mihi senatus det veniam." In his quattuor generibus exornationum, quae adhuc proposirae sunt, non inopia verborum fit, ur ad idem verbum redearur saepius; sed inest fesrivitas, quae facilius auribus diiudicari quam verbis demonstrari potest.
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Ebenso: "Den nennst du einen Menschen, der, wenn er ein Mensch gewesen wäre, niemals so grausam einem Menschen nach dem Leben getrachtet hätte. Aber er war ein Feind. Folglich wollte er sich so an einem Feind rächen, daß er selbst als sein eigener Feind erfunden wurde." 88 Ebenso: "Den Reichtum lasse dem Reichen; denn wenn du Reichrum mit Tugend vergleichen willst, wird dir der Reichrum kaum geeignet genug erscheinen, der Diener der Tugend zu sein." 89 Zur selben Art von Ausschmückung gehön es, wenn dasselbe Won bald in dieser, bald in einer anderen Bedeutung gesetzt wird,9C z. B. auf folgende Weise: "Warum sorgst du so eifrig für die Sache, die dir viele Sorgen bringen wird?" Ebenso: "Denn geliebt zu werden, mag angenehm sein, wenn man dafür sorgt, daß nichts Bitteres dabei sei." Ebenso: "Ich werde zu euch kommen, wenn mir der Senat Nachsicht schenkt. "9' Bei diesen vier Arten von Ausschmückungen, die bisher angeführt Wurden,9' geschieht es nicht durch den Mangel an Wönem, daß man öfter auf dasselbe Wort zurückkommt; aber es liegt eine Anmut darin, die leichter durch die Ohren unterschieden als durch Wone gezeigt werden kann.
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Contcntio cst, cum ex contrarüs rebus orario conficitur, hoc pacto:
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"Habet adsentatio iucunda prmc1p1a, eadem exirus amarissimos adfen." Item: "lnimicis te placabilem, amicis inexorabilem praebes." ltem: .,In otio rumultuari5; in tumulru es otiosus; in re frigidissima cales, in ferventissima friges; tacito cum opus cst, clamas; ubi loqui convenit, obmutescis; ades, abesse vis; abes, reverti cupis; in pace bellum quaeritas, in bello pacem desideras; in contione de vinute loqueris, in proelio prae ignavia rubae sonirum perferre non potes."
Hoc gencre si distinguemus orationem, et graves et ornati potcrimus esse. Exclamatio est, quac conficit significationem doloris aut indignationis alicuius per hominis aut urbis aut loci aut rei cuiu~piam conpellationem, hoc modo: "Te nunc adloquor, Africane, cuius monui quoque nomen splendori ac decori cst civitati. Tui clarissimi nepotes suo sanguine aluerunt inimicorum crudelitatem." Item: "Perfidiosae Fregellae, quam facile scelere vestro contabuiscis, ut, cuius nitor urbi~ ltaliam nuper inlustravit, eius nunc vix fundamentorum reliquiae maneant." Ttem: "Bonorum insidiatores, larrocinio vitam innocentissimi cuiusque petistis; tantamne ex iniquitate iudiciorum vcstris calurnnüs adsumpsistis facultatem ?" Hac exdamatione si loco utemur, raro, er cum
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Eine Antithese9l liegt vor, wenn die Rede aus gegensätzlichen Ausdrücken ZU)ammengesetzt wird, 2. B. auf folgende Art: ,.Die Schmeichelei hat einen angenehmen Beginn, ebendieselbe bringt ein ganz biners Ende." Ebenso: .,Feinden erweist du dich versöhnlich, Freunden unerbittlich. • Ebenso: "In der Ruhe bist du in Unruhe, in der Unruhe bist du ruhig; in einer sehr frostigen Angelegenheit glühst du, in einer sehr heißen Angelegenheit bleibst du kalt;9• wenn Schweigen nötig ist, schreist du, wo man sprechen muß, verstummst du; bist du anwesend, willst du abwesend sein; bist du abwesend, möchtest du zurückkehren;91 im Frieden suchst du Krieg, im Krieg sehnst du dich nach Frieden; in der Heeresversammlung sprichst du von Tapferkeit, 10 der Schlacht kannst du vor Feigheit den Schall der Trompete nicht cnragen. " 96 Wenn wir durch diese An der Rede Abwechslung verleihen, können wir feierlich und ebenso kunstvoll sein. Der Ausruf ist das Stilmittel, welches die Bezeichnung irgendeines Schmerzes oder irgendeiner Empörung bewirkt durch das Anreden eines Menschen, einer Stadt, eines Ortes oder irgendeiner Sache, z. B. auf folgende Weise: .,Dich spreche ich nun an, Africanus, dessen Nan1e auch nach dem Tod dem Staat Glanz und Zierde verleiht. Deine hochberühmten Eokel97 haben mit ihrem eigenen Blut die Grausamkeit der Feinde genähn." Ebenso: .,Treuloses Fregellae,l1 8 wie leicht bist du durch deine Freveltat dahingesunken, so daß von der Stadt, deren Glanz noch vor kurzem Italien erleuchtete, nun kaum die Reste der Grundmauem erhalten sind." Ebenso: .,Ihr Verräter der Gutgesinnten," durch Raub trachtet ihr gerade den Rechtschaffensten nach dem Leben; eine solche Fähigkeit nabt ihr euch aufgrund der Ungerechtigkeit der Gerichte für eure Schurkerei angemaßt?" Wenn wir diesen Ausruf an geeigneter Stelle verwenden, nur selten, und wenn es die Bedeutung der Sache zu fordern
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rei magnitudo postulare videbitur, .td quam volemus indignarionem animum auditoris adducemus. lnterrogatio non omnis gra,·is est neque concinna, sed haec, quae, cum enumerata )Uot ea, quae obsunt causae adversariorum, confirmat superiorem orationem, hoc pacto: "Cum igitur haec omnia faceres, diceres, administrares, Utrum animos sociorum ab re publica removebas er abalienabas an non? Et utrum aliquem exornari oportuit, qui istaec prohiberet ac fieri non sineret an non?" Ratiocinatio esr, per quam ipsi a nobis rationem poscimus, quare quicque dicamus, er crebro nosmer a nobis petimus unius cUiusque propositionis explanarionem. Ea est huiusmodi: .,Maiores nostri si quam unius peccati mulierem damnabant, simplici iudicio multorum maleficiorum convictam putabant. Quo pacto? Quoniam quam inpudicam iudicarant, ea vencficii quoque damnata existimabatur. Quid ita? Quia necesse est cam, quae suum corpus addixerit turpissimae cupiditati, timere multos. Quos istos? Virum, parentes, ceteros, ad quos ,.jdetsui dedecoris infamiam pertinere. Quid posrea? Quos tantopcre rimeat, eos necesse ut quoquo modo possit veneficio petat. Cur? Quia nulla potest honesta ratio retinere eam, quam magnitudo peccari facir timidam, intemperantia audacem, natura mulieris inconsideratam. Quid? Veneficii damnatarn quid putabant? lnpudicam quoque neccssario. Quare? Quia nulla facilius ad id rnaleficium causa quam turpis amor et internperans Iibido commovere potuit; turn cuius mulieris animus esset corruptus, eius corpus castum esse non putaverunt. Quid? in viris idemne hoc observabant? Minime. Quid ira? Quia ... iros ad unum quodque maleficium singulae cupiditates inpellunr, mulieris ad omnia maleficia cupiditas una ducir."
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scheint, werden wir den Hörer zu jeder beliebigen Entrüstung veraulassen. Die rhetorische Frage' 00 ist nicht in jedem Fall feierlich und kunstvoll, aber diese ist es, welche, wenn das aufgezählt ist, was der Sache der Gegner entgegensteht, den vorherigen Teil der Rede bekräftigt, 7. B. auf folgende Weise: "Indem du dies alles tatest, sagtest und durchführtest, wolltest du dadurch Jie Gesinnung der Bundesgenossen dem Staate entfremden und abspenstig machen oder nicht? Und mußte da einer ausgerüstet werden, der dies verhinderte und nicht geschehen ließ oder nicht?"' 0 ' Die Überlegung' 0 , ist das Stilmittel, durch welches wir selbst von uns Rechenschaft darüber fordern, warum wir etwas sagen, und häufig von uns die Erklärung einer jeden einzelnen Behauptung verlangen. Sie ist z. B. folgendermaßen: "Wenn unsere Vorfahren eine Frau wegen eines einzelnen Vergehens verurteilten, glaubten sie, sie sei durch das eine Urteil vieler Freveltaten überführt. Warum? Eine Frau, die sie als unzüchtig verurteilt hatten, die hielt man auch wegen Giftmischerei für verurteilt.' 0 1 Wieso das? Weil diejenige, die ihren Körper der schändlichsten Leidenschaft preisgegeben hat, viele fürchten muß. Wen denn? Ihren Mann, ahre Eltern und die übrigen, welche, wie sie sieht, die Schmach ihrer Schande berührt. Was weiter? Wen sie so sehr fürchtet, wünscht sie notwendigerweise zu töten. Wieso? Weil keine ehrenhafte Überlegung diejenige zurückhalten kann, welche die Größe ihres Verbrechens furchtsam, ihre Unbeherrschtheit kühn, die weibliche Natur unüberlegt macht. Wie? Was hielten sie von einer Frau, die:: wegen Gift:mischerei verurteilt war? Sie hielten sie gezwungenermaßen auch für unzüchtig. Weshalb? Weil keine Ursache leichter zu dieser Freveltat verleiten konnre als schändliche Liebe und unbeherrschte Leidenschaft; weiterhin glaubten sie, der Körper einer Frau, deren Geist verdorben sei, könne nicht rein sein. Wie? Beobachteren sie bei den Männern genau dasselbe? Keineswegs. Wieso das? Weil die Männer zu jeder einzelnen Freveltat eine einzige Leidenschaft \'eranlaßt."
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Item: "Bene maiores hoc conparaverunt, ut neminem regem, quem armis cepissent, vita privarent. Quid ita? Quia quam nobis fortuna facultatem dedisset, iniquum erar in eorum supplicium consumere, quos eadem forruna paulo ante in amplissimo staru conlocarat. Quid, quod exercirum contra duxit? Desino meminisse. Quid ita? Quia viri fortis est, qui de vicroria comendanr, eos hostes putare; qui victi sunr, eos homines iudicare, ut possit bellum fortitudo minuere, paccm humanitas augere. Er illc, si vicisset, num idcm fecisset? Non profecto tarn sapiens fuisser. Cur igitur ei parcis? Quia tantam srultitiam contemnere, non imirari consuevi."
Haec exomauo ad sermonem vehementer accommodata est et animum auditoris retinet attenrum cum venustate sermonis rum racionum expectanone. Sententia est oratio sumpta de vita, quae aut quid sit aut quid esse oporreat in vira, breviter ostendit, hoc pacto: . Difficile est primum virrutes revereri. qui semper secunda fortuna sit usus." Item: "Liber is esr existimandus, qui nulli rurpitudini servit." Item: ,.Egens acque est is, qui non satis habet, er is, cui satis nihil poresr esse." Item: "Optima vivendi ratio est cligenda; eam iucundam consuerudo reddet." Huiusmodi sentenriae simplices non sunr inprobandae, propterea quod haber brevis exposicio, si racionis nullius indiget, magnam delectationem. Sed illud quoque probandum est genus sentenriae, quod confirmatur subiectione rationis, hoc pacto:
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Ebenso: "Gut haben unsere Vorfahren dies eingerichtet, daß sie keinen König, den sie mir Waffengewalt gefangen hatten, des Lebens beraubren.' 0 i Wieso das? Weil es unrecht wäre, die Macht, die uns das Schicksal gegeben hatte, zur Hinrichtung derer anzuwenden, welche ebendasselbe Schicksal kurz vorher in den höchsten Rang versetzt hatte. Wie ist es aber damit, daß er ein Heer gegen uns führte? Ich denke nicht mehr daran. Wieso das? Weil es sich für einen tapferen Mann gehört, die für Feinde z:u halten, die um den Sieg kämpfen, die aber besiegt sind, als Menschen zu beu:teilen, damit die Tapferkeit dem Krieg Einhalt tun, dte Menschlichkeit den Frieden gedeihen lassen kann.' 01 Aber jener hätte, wenn er gesiegt hätte, etwa das nämliche getan? In der Tat wäre er nicht so weise gewesen. Warum also schonst du ihn? Weil ich gewohnt bin, eine solche Torheit zu verachten, nicht nachzuahmen." Diese Ausschmückung paßt vorzüglich zum Gesprächston'o6 und sie erhält die Aufmerksamkeit des Zuhörers durch die Anmut der Sprache, besonders durch die Erwartung von Begründungen. Ein Sinnspruch•o; ist ein aus dem Leben genommener Ausspruch, der kurz zeigt, was im Leben der Fall ist oder sein mußte, z. B. auf folgende Art: ,.Für den ist es schwer, die Tugenden nicht zu achten, welcher immer im Glück gelebt hat." Ebenso: ,.Für frei ist der zu halten, welcher keiner Schimpflichkeit Sklave ist."'"'~ . E.benso: "Bedürftig ist ebenso der, welcher mehr genug hat wie der, welchem nichrs genügen kann." ' 001 Ebenso: ~ Die beste Lebensweise soll man auswählen; sie wird die Gewöhnung angenehm machen." " 0 Einfache Sinnsprüche von dieser Art soU man nicht mißbilligen, deswegen weil eine kurze Angabe, ~enn sie keiner Begründung bedarf, großes Vergnügen berestet. Aber auch die folgende Art von Sinnsprüchen ist z:u billigen, die durch die Hin:rufügung einer Begründung bekräftigt wird, wie z. B. auf folgende Art:
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"Omnes bene vivendi rationes in virtute sunt conlocandae, propterea quod sola virtus in sua potestate est, omnia praeter eam subiecta sunt sub fortunae dominarionem." Item: "Qui fortunis alicuius inducti amicitiam eius securi sunt, hi, simul ac fortuna dilapsa est, devolam omnes. Cum cnim recessit ea res, quae fuit consuetudinis causa, nihil superest, quare possint in amicitia teneri." Sunt irem sentenriae, quae dupliciter efferuntur. Hoc modo sine ratione: .,Errant, qui in prosperis rebus omnis impetus fortunae se putant fugisse; sapiemer cogitant, qui temporibus secundis casus adversos reformidant." Cum racione, hoc pacto: "Qui adulescentium peccatis ignosci putant oporterc, falluntur, proprerea quod aetas illa non esr inpedimento bonis srudiis. At ii sapienter faciunt, qui adulescentes maxime castigant, ur, quibus virtutibus omnem tueri vitam possint, eas in aetate maturissima velint conparare."
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Sementias interponi raro convenit, ut rei actores, non vivendi praeceprores \;deamur esse. Cum ita interponenrur, mulrum adfcrent ornamenti. Necesse est enim conprobet eam tacitus auditor, cum ad causam videat adcommodari rem certam, cx vita er moribus sumptam.
Contrarium est, quod ex rebus diversis duabus alreram breviter er facile confirmat, hoc pacto: .,Nam qui suis rationibus inimicu) fuerir semper, eum quomodo alienis rebus amicum fore speres?"
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"Alle Möglichkeiten eines guten Lebens müssen auf der Tugend begründet werden, deswegen weil die Tugend allein auf sich selbst beruht, alles außer ihr aber der Herrschaft des Schicksals unterworfen ist."'" Ebenso: "Diejenigen, die wegen des äußeren Glücks von irgend jemandem dessen Freundschaft angestrebt haben, eilen alle davon, sobald das Glück sich zerstreut hat. Wenn nämlich das gewichen ist, was clie Ursache für den freundschaftlichen Umgang war, bleibt nichts übrig, weshalb sie in ihrer Freundschaft erhalten werden könnten. "m Ebenso gibt es Sinnspruche, die in doppelter Form angefühn werden. Auf folgende Weise z. B. ohne Begründung: .,Die irren, welche im Gltick glauben, sie seien allen Angriffen des Schicksals entgangen; weise denken die, welche in glücklichen Zeiten Unglücksfälle fürchten." "' Mit Begründung, z. B. auf folgende Art: "Die glauben, man müsse Jugendlichen ihre Vergehen verzeihen, täuschen sich, deswegen weil jenes Alter für gute Bestrebungen nicht hinderlich ist. Im Gegensatz dazu han· dein diejenigen weise, welche die Jugendlichen am meisten zurechtweisen, damit sie willens sind, sich die Tugenden in frühester Jugend amueignen, durch welche sie ihr ganzes Leben erhalten können." " • Sinnsprüche soll man nur selten einfügen, damit wir den Eindruck erwecken, Sachwalter des Falles, nicht Lehrer für das Leben zu sein. Wenn )ie auf diese Weise emgefügt werden, bringen sie viel stilistischen Schmuck. Notwendigerweise billigt einen Sinnspruch der Zuhörer in seinem Inneren ohne \'qorte, wenn er sieht, daß auf den vorliegenden Fall eine Maxime angewendet wird, die dem Leben und der Sittlichkeit entnommen ist.' •s Der Gegensatz " 6 ist da.s Stilmittel, welches von zwei verschiedenen Sachverhalten den einen kurz und leicht bekräftigt, z. B. auf folgende Art: "Denn wie könnte man hoffen, daß der, welcher seinen eagenen Überlegungen gegenüber immer feindlich eingestellt war, freundlich gegenüberfremden Angelegenbei ten seinwird ?"''7
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ltem: "Nam quem in am1c1Ua perfidiosum cognoveris, eum quare pures inllnicitias cum fide habere possc? Aut qui privarus imolerabili superbia fuerit, eum commodum er cognoscemem sui fore in potestate qui speres, er qui in sermonibus et conventu amicorum verum dixerit numquam, eum sibi in contior.ibus a mendacio temperarurum?"
ltcm: "Quos ex collibus deiecimu~, cum his in campo meruimus dimicare? Qui cum plures eram, paris nobis esse non poreram, hi, postquam pauciores sunt, meruimus, ne sinr superiores?" Hoc orationis genus brcvirer er continuatis verbis perfeerum debet esse; er cum commodum est audiru proprer brevem et absoluram conclusionem, rum vero vehementer id, quod opus est oratori, conprobar comraria re, er ex eo, quod dubium non esr, expedir illud, quod est dubium, ur aut dilui non possir aut mulro difficilüme possit. Membrum orarionis appeUarur res breviter absolura sine torius sententiae demonstrarione, quae denuo alio membro orationis excipirur, hoc pacto: .,Er inimico proderas ..." Id est unum, quod appellamus membrum; deinde hoc excipiarur oportet alrero: " ... et amicum laedebas." Ex duobus membris suis haec exomatio porest corutare; sed commodissima er absolutissima esr, quae cx tribus constat, hoc pacto: "Et inimico proderas er amicum laedebas er tibi non consulcbas." Item: "Ncc rei publicac consuluisti nec amicis profuisti nec inimicis rcstitisti."
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Ebenso: "Denn wieso könnte man glauben, daß der, wel,ben man in der Freundschaft als unredlich erkannt hat, Feindschaften redlich durchführen kann? Oder wie könnte man hoffen, daß der, welcher als Privatmann unerträglich hochmütig war, bei der Ausübung eines Amtes zugänglich sein und seine Grenzen erkennen werde, und daß der, welcher in privaten Gesprachen und im Umgang mir Freunden niemals die Wahrheit sagte, sich in öffentlichen Reden der Lüge enthalten werde?" Ebenso: "Welche wir von Hügeln binabgeworfen haben, mit denen fürchten wir in der Ebene zu kämpfen? Die uns nicht gewachsen sein konnten, als sie zahlenmäßig überlegen waren, deren Überlegenheit fürchten wir, nachdem sie zahlenmäßig unterlegen sind?" . Diese Art der Ausschmückung muß gedrängt und m ununterbrochen aufeinander folgenden Wonen durchgeführt sein; und sie ist angenehm anzuhören wegen der kurzen und bündigen Schlußfolgerung, vor allem aber macht sie durch das Gegenteil das glaubhaft, was der Redner braucht, und ausgehend von dem, was nicht zweifelhaft ist, enrwikkelt sie das, was zweifelhaft ist, so daß es nicht oder nur gam schwer widerlegt werden kann. Glied der Rede" 8 nennt man einen kurz und bündig dargelegten Gedanken ohne Darstellung des ganzen Satzes, der wieder in einem anderen Glied der Rede festgesetzt wird, z. B. auf folgende Art: . Und du nütztest dem Feinde ..." Dies ist das eine, das wir Glied nennen; darauf muß dieses durch ein anderes fortgesetzt werden: "... und du verletztest den Freund." Aus zwei Gliedern kann diese Ausschmückung bestehen, aber ganz abgerundet und abgeschlossen ist die, welche aus dreien besteht,"' z. B. auf folgende Art: "Dem reinde nütztest du, den Freund verletztest du, für dich sorgtest du nicht. " 110 Ebenso: "Weder für den Staat hast du gesorgt noch den Freunden hast du genützt noch den Feinden hast du dich widersern."
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Aniculus dicirur, cum singula verba intervallis discinguentur caesa oratione, hoc modo: "Acrimoma, voce, vultu adversarios perterruisci." Item: "lnimicos invidia, iniuriis, potemia, perfidia susrulisti." Inter huiu.~ generis er illius superioris vehementiam hoc intere)t: illud tardius et rarius venit, hoc crebrius et celenus pervenir. Itaque in illo genere ex remotione brachii er comortione dexrerae gladius ad corpus adferri, in hoc autem crcbro er celeri corpu) vuJnere consauciari videtur.
Continuatio est densa frequentario verborum cum absolurione sententiarum. Ea uremur commodissime tripertito: in sentenria, in comrario, in conclusione. ln sentem.ia hoc pacto: "Ei non multum potest obesse fonuna, qui sibi firrnius in virtute quam in casu praesidium conJocavit." ln contrario hoc modo: "Nam si qui spei non mulrum conlocwt in casu, quid est, quod ei magnopere casus obesse possit?" ln conclusione hoc pacto: "Quodsi in eos plurimum fortuna porest, qui suas rationes omnes in casum conrulerunt, non sunt omnia comminenda fonunae, ne magnam nimis in nos habeat dominationem." In bis tribus gencribus ad conrinuationis vim adeo frequentacio necessaria est, ut infirma facultas oratoris videarur, msi sememiam et contrarium et conclusionem frequentibus efferat verbis; sed
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Ein kleines Satzglied"' nennt man es, wenn einzelne Worte nur durch Pausen getrennt werden in gestoßener Rede, ' 11 z. B. auf folgende Weise: "Durch Schärfe, Stimme, Miene hast du die Gegner einge>chüchtert." Ebenso: "Die Feinde hast du durch Mißgunst, Unrecht, "\1acht, Treulosigkeit beseitigt." Zwischen der Stärke dieser Art und der vorher genannten besteht folgender Unterschied: Die erstgenannte kommt langsamer und seltener, die letztgenannte kommt häufiger und sehneHer 7Ur Gelrung. Deshalb scheint e.s, als ob bei der ersten Art aus emem Schwunge des Armes und einer Drehung der Hand heraus das Schwert in den Körper ge)toßen, bei der letzteren aber der Körper von häufigen und schnell zugefügten Wunden stark verletzt würde. "J Die Fortführung'~ ist eine dichte Häufung von Worten, verbunden mit einer Vervollständigung der Bedeutungen. Wir wenden sie am vorteilhaftesten in dreifacher Weise an: beim Sinnspruch, beim Gegensatz und bei der Schlußfolgerung. ' 1 l Bei einem Sinnspruch, z. B. auf folgende Art: .,Dem kann das Schicksal nicht viel schaden, welcher für sich einen stärkeren Schurz in der Tugend als im Zufall gelegt hat."' 1 ~ Bei einem Gegensatz, z. B. auf folgende Weise: "Denn wenn einer nicht viel Hoffnung auf den Zufall gesetzt hat, wie ist es dann möglich, daß ihm der Zufall sehr schaden kann? Bei einer Schlußfolgerung, z. B. auf folgende Art: "Wenn nun das Schicksal am meisten gegen die ausrichtet, die alle ihre Überlegungen auf den Zufall gerichtet haben, darf man nicht alles dem Schicksal überlassen. damit es nicht eine allzu große Macht über uns hat." ' '~ In d1esen drei Arten ist für die Wirkung der Fortführung ein häufiger Gebrauch von Worten so norwendig, daß die Fähigkeit des Redners schwach erscheinen könnte, wenn er nicht einen Sinnspruch, einen Gegensatz oder eine Schlußfolgerung durch eine Häufung von Worten hervorhöbe;
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alias quoque nonnumquam non aJjenum est, tametsi necesse non est, eloqui res aJjquas per huiusmodi cominuaciones. Conpar appellarur, quod habet in se membra orarionis, de quibus ame diximus, quae constent ex pari fere numero syllabarum. Hoc non denumeracione nostra fiet - nam id quidem puerile est -, sed ranrum adferet usus er exercitatio faculracis, ur animi quodam sensu par membrum superiori referre possimus, hoc modo:
"In proelio monem parens obpetebat, domi filius nupcias conparabat; haec omina gravis casus adminisrrabant." Item: "Illi forruna dedir felicirarem, huic industria vinutem conparavir." ln hoc g~ere saepe fieri poresr, ur non plane par numerus Sit syllabarum er tarnen esse videatur, si una aut eriam altera syllaba est alterum brevius aur si, cum in altero plures sunt, in alrero longior aut longiores, plenior aur pleniores syUabae erunr, ut longirudo aut plenirudo harum multirudinem alterius adsequarur er exaequer. Similiter cadens exomatio appellarur, cum in eadem construccione verborum duo aut plura sunt verba, quae similirer isdem casibus efferanrur, hoc modo: "Hominem laudem egemem virrutis, abundantem feliciracis?" Item: "Huic omnis in pecunia spes est, a sapient!a est animus remotus; diligemia conparar divitta.s, neglegencia corrumpit animum er tarnen, cum ita vi'·it, neminem prae se ducit hominem." Similiter desinens esr, cum, tametsi casus non
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aber auch in anderen Fallen ist es manchmal nicht unangebracht, wenn auch nicht notwendig, irgendwelche Sachverhalte mit Hilfe deraniger Fonführungen auszusprechen. Silbengleichheit"K nennt man das Stilminel, welches in sich die Glieder der Rede birgt - oben habe ich von ihnen gesprochen 129 -, die aus fast der gleichen Zahl von Silben bestehen. Diese kommt nicht zustande, indem wir abzählen - denn das wäre freilich kindisch -, sondern ~oweit wird es die Gewohnheit und Übung der Fähigkeit bringen, daß wir gewissermaßen durch ein inneres Gespür ein gleiches Glied dem vorangehenden anfügen können, z. B. auf folgende Weise: .,In der Schlacht suchte der Vater den Tod, zu Hause bereitete der Sohn die Hochzeit vor; diese Vorzeichen brachten schweres Unglück. • 'J 0 Ebenso: "Jenem gab das Schicksal Glück, diesem bereitete der Fleiß Tüchtigkeit." '!' Bei dieser Art kann es oft vorkommen, daß die Zahl der Silben nicht vollkommen gleich ist und dennoch es zu sein scheint, 'Jl falls ein Glied um eine oder auch eine zweite Silbe kürzer ist, oder falls, wenn in einem Glied mehr Silben sind, im anderen Glied eine längere Silbe oder längere Silben, eine vollere Silbe oder \'Ollere Silben vorkommen, so daß die Länge oder Fülle dieser Silben die Menge der Silben des anderen Sarzgliedes erreicht und ausgleicht. Endungsangleichung'JJ nennt man eine Ausschmückung, wenn bei der nämlichen Verbindung von Wönern zwei oder mehr Wöner vorbanden sind, die ähnlich mit den nämlichen Fällen herausgehoben werden, z. B. auf folgende Weise: "Einen Menschen soll ich loben, der der Tugend entbehrt, das Glück im Überfluß besitzt?" Ebenso: "für diesen beruht alle Hoffnung auf dem Geld, von der Weisheit ist sein Sinn abgekehrt; mit Genauigkeit erwirbt er Reichrümer, nut Gleichgültigkeit verdirbt er sein Herz, und dennoch, während er so lebt, schätzt er keinen Menschen höher ein als sich." ll• Eine Auslautsangleicbung'H liegt vor, wenn die Aus-
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msunt m vcrbis, tarnen similes exirus sunt, hoc pacto: "Turpiter audes facere, nequiter srudes dicere; VIVIS invidiose, delinquis studiose, loqueris odiose." ltem: "Audacitcr territas, hurniliter placas." Haec duo genera, quorum alterum in exiru, alterum in casu similiter versarur, inter se vehementer conveniunt; et ea re, qui his bene utuntur, plerumque simul ea conlocant in isdem panibus orationis. ld hoc modo facere oportet: "Perdicissima rario est amorem petere, pudorem fugere, diligere formam, neglegere famam." Hic et ea verba, quae casus habent, ad casus similes, et illa, quae non habem, ad similes exitus veruunt. Adnominatio est, cum ad idem verbum et nomen acccditur cum mutatione vocum aut linerarum, ut ad res dissimiles similia verba adcommodenrur. Ea multis et variis rationibus conficirur. Adtenuatione aut conplcxione eiusdem litterae, SIC:
"Hic qui se magnifice iactat atque ostentat, venit, ante quam Romam \'enit." Er ex contrario: "Hic, quos hommes alea ,·incit, eos ferro statim vincit."
Producuone ciusdem litterae, hoc modo: "Hinc av1um dulcedo ducit ad avium." ßrevitate eiusdem litterae, s1c: "Hic, ramersi vidctur esse honoris cupidus, tarnen non tanrum curiam diligit quantum Curiam."
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~änge, auch wenn die Fälle der Wörter nicht die gleichen sind, dennoch ähnlich sind, z. B. auf folgende Art: "Schändlich wagst du zu handeln, nichtswürdig bemühst du dich zu sprechen! du lebst voll Neid, du vergehst dich voll Eifer, du sprichst voll Haß." Ebenso: "Kühn erschreckst du, unterwürfig versöhnst du."''6 Diese zwei Arten, deren eine im Ausgang, die andere im Kasus Ähnlichkeit aufweist, stimmen untereinander stark überein; und deswegen setzen sie diejenigen, die sie gut anwenden, meistens gleichzeitig an dieselben Stellen der Rede. Das muß z. B. auf folgende Weise geschehen: "Eine ganz verderbliche Art ist es, Liebe zu erstreben, vor der Ehrbarkeit zu fliehen, zu lieben die Schönheit, zu mißachten den guten Ruf." Hier kommen die Wörter, welche Kasusendungen haben, zu ähnlichen Kasusendungen, und die, welche keine haben, zu ähnlichen Ausgängen. Ein Anklang'37 liegt vor, wenn man auf dasselbe Wort und dieselbe Benennung•;H kommt unter Veränderung der Aussprache oder von Buchstaben, so daß auf unähnliche Dinge ähnliche Worte angewandt werden. Er wird auf verschiedene Arten bewerkstelligt. Durch Abschwächung oder Verschrnelzung'J9 desselben Buchstabens, 7. B. so: "Dieser, der sich großmächtig brüstet und zur Schau stellt, wird verkauft, bevor er nach Rom gekommen ist." Und im Gegensatz dazu: "Dieser besiegt die Menschen sogleich nüt dem Schwert, die er mit dem Würfelspiel fesselt. "'40 Durch Dehnung desselben Buchstabens, z. B. auf folgende Weise: .Von hier zieht ihn der süße Gesang der Vögel zu unwegsamem Gelände."'•' Durch Verkürzung desselben Buchstabens, z. B. so: "Auch wenn dieser nach Ehre· strebt, liebt er die Kurie nicht so sehr wie Curia." '4~
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Addendis litteris, hoc pacto: ,.Hic sibi posset temperare, nisi amon mallet obtempcrare." Demendis nunc litteris, sie: "Si lenones vitasset tamquam leones, vitae rradidisset se." Transfcrendis litteris, sie: "Videte, iudices, utrum homini navo an vano credere maliti)." Commutandis, hoc modo: "Deligere oportet, quem velis diligere." Hae sunt adnominationes, quae in litterarum brevi commutatione aut producrione aut transieccione aut aliquo huiusmodi genere versanrur. Sunt autem aliae, quae non habent tarn propinquam in verbis similitudinem et tarnen dissimiles non sunt; quibus de generibus unum esr huiusmodi: "Quid veniam, qui sim, quem insimulem, cui prosim, quac posrulem, brevi cognosceris." Nam hic est in quibusdam verbis quaedam similirudo non tarn adfectanda quam illae superiores, sed tarnen adhibenda nonnumquam. Alterum genus huiusmodi: "Demus operam, Quirites, ne omnino patres conscripti circumscripti putentur." Haec adnominatio magis accedit ad similitudinem quam superior, sed minus quam illae superiores, propterea quod non solum additae, scd uno rempore demptae quoque lirrerae sunr. Tcrtium genus est, quod \'Crsarur in casuum commutatione aut unius aut plurium nominum. Unius nominis, hoc modo: "A1exander Macedo summo Iabore animum ad virtutem a puericia confirmavit. Alexandri virrures per orbem terrae cum laude er gloria vulgatae sunt.
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Durch das Hinzufügen von Buchstaben, z. B. auf folgende \rt: • Dieser könnte sich beherrschen, wenn er nicht lieber der :..1ebe gehorchen woUre." '•l Nun durch das Wegnehmen von Buchstaben, z. B. so: .,Hätte er Kuppler ebenso gemieden wie Löwen, hätte er sein Leben erhalten."'« Durch das Umstellen von Buchstaben, z. B. so: ,.Seht zu, ihr Herren Richter, ob ihr einem rührigen Mann eher glauben wollt oder etnem WmdbeuteL" Durch das Verändern von Buchstaben, z. B. auf folgende Wetse: "Auswählen kann man, wen man lieben will."••s Dies sind Anklänge, die auf einer kurzen Veränderung von Buchstaben, auf einer Umstellung oder irgendeiner derartigen Art beruhen. Es gibt aber auch andere, die keine so nahe Ähnlichkeit in den Wörtern haben und dennoch nicht unähnlich sind; von diesen Arten ist eine folgendermaßen: "Weshalb ich komme, wer ich bin, wen ich beschuldige, wem ich nütze, was ich verlange, werdet ihr bald erfahren." ·~ 6 . Denn hier soll man bei gewissen Wörtern eine gewisse Ahnlichkeir zwar nicht so sehr wie bei den obigen anstreben, aber trot7dem soll man sie bisweilen anwenden. Eine andere deranige Art: .,Wollen wir uns Mühe geben, Quiriten, daß man die Senatoren ntcht gänzlich für umstrickt hält!" 'iDieser Anklang kommt mehr an die Ähnlichkeit heran als der eben angefühne, aber weniger als die weiter oben genannten, deswegen weil Buchsraben nicht nur hinzugefügt, sondern gleichzeitig auch welche weggenommen sind. Eine dritte Art ist die, welche in der Veränderung der Fälle eines oder mehrerer Eigennamen besteht...s Eines Namens, z. B. auf folgende Weise: .,Der Makedone A1exander kräftigte unter größter Anstrengung sein Herz zur Tapferkeit von Kindheit an. A1exanders Vorzüge wurden über den Erdkreis mit Lob und
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Alexandrum omnes maxtme merueram, idem plurimum dilexerunc. Alexandro si vita data longior esset, trans Oceanum Macedonum transvolassenr . " sansae. Hic unum nomen in commuracione casuum volutarum est. Plura nomina casibus conmutatis hoc modo facient adnominarionem: "Tiberium Graecum rem publicam administrantem probibuit indigna nex diurius in ea commorari. Gaio Gracco similis occisio esr oblata, quae virum patriae amantissimum subito de sinu civiratis eripuit. Saturninum fide caprum malorum perfidiae scelus vita privavit. Tuus, o Druse, sanguis domesticos parieres er vulrum parencis aspersit. Sulpicio, cui paulo ante omnia concedebant, eum brevi spatio non modo vivere, sed etiam sepeliri prohibuerunt". Haec tria proxima genera exornarionum, quorum unum in similiter cadentibus, alterum in similiter desinentibus verbis, rerrium in adnominationibus postitum est, perraro sumenda sunt, cum in veritate dicimus, propterea quod non haec videntur reperiri posse sine elaboratione et sumptione operae; eiusmodi aurem studia ad delectationem quam ad veritatem videnrur adcommodatiora. Quare fidel. er gravitas er severitas oratoria minuirur bis exornationibus frequenter conlocaris et non modo tollirur auetoriras dicendi, sed offendirur quoque in eiusmodi oratione, propterea quod est in his lepos er festivitas, non dignitas neque pulcrirudo. Quare quae sunt ampla atque pulcra, diu placere possunt; quae lepida et concinna, cito satietate adficiunr aurium sensum fastidiosissimum. Quomodo igirur, si crebro his generibus utemur,
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Ruhm verbreitet. Alexander fürchteten alle sehr, ebenso sie ihn am meisten. Wäre Alexander ein längeres Leben beschieden gewesen, wären die Lanzen der Makedonen über den Erdkreis geeilt."'~9 Hier ist ein einziger Name bei der Veränderung der Fälle iun- und hergewendet. Mehrere Namen bilden durch eine \'eränderung der Fälle auf folgende Weise einen Anklang: .Tiberius Graccbus, der den Staat verwaltete, hinderte der unverdiente Tod daran, länger darin zu verweilen. Dem Gaius Gracchus wurde ein ähnlicher Untergang zuteil, der dtesen Mann von glühender Vaterlandsliebe plötzlich aus dem Her7en der Bürgerschaft riß. Den Sarurninus, der wegen seiner Treue zu schlechten Männem gefangen wurde, b::raubte ein gegen die Treue verstoßendes Verbrechen des Lebens. Dein Blut, Drusus, hat die Wände des Hauses und das Antlitz des Vaters bespritzt. Dem Sulpicius, dem sie kurz vorher alles anvertrauen wollten, verweigerten sie kurz darauf nicht nur das Leben, sondern auch die Bestattung." '5° Diese drei zuletzt genannten Anen von Ausschmückungcn,' ll deren eine auf Endungsangleichungen, die andere auf Auslautsangleichungen und die dritte auf Anklängen beruht, soll man nur sehr selten hernehmen, wenn man in einem tatsächlichen Fall spricht, deswegen weil es den Anschein hat, )ie könnten nicht aufgefunden werden ohne Anstrengung und einen Aufwand an Mühe;'" derartige Mühen aber scheinen sich mehr zur Ergötzung als zur tatsächlichen Anwendung L.U eignen. •u Deshalb wird die Zuverlässigkeit, Feierlichkeit und Strenge der Rede gemindert durch diese Ausschmiickungen, wenn sie häufig gesetzt sind, und nicht nur die Gültigkeit des gesprochenen Wortes wird beseitigt, sondern man erregt auch Ansroß bei einer derartigen Rede, deswegen weil diese Ausschmückungen Anmut und Zierde, aber nicht Würde und Schönheit besitzen. Deshalb kann lange gefallen, was erhaben und schön ist; was ..aber nur anmutig und kunsrvoll ist, bewirkt schnell durch Ubersättigung im Gehörsinn größten Überdruß.'H Wie wir also, wenn wir diese Arten häufig anwenden, uns an einer kindi· ~ebten
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puerili videbimur elocutione delectari, item, si raro interseremus has exornationes er in causa tota varie dispergemus, commode luminibus disrinctis inlusrrabimus orationem. Subiectio el>t, cum interrogamus adversarios aut quaerimus ipsi, quid ab illis aur quid contra nos dici possit, deinde subicimus id, quod oportet dici aur non oponet aut nobis adiumento fururum sie aut illis obfururum sit e contrario, hoc modo: "Quaero igitur, unde iste tarn pecuniosus factus sit. Amplum parrimonium relictum est? At patris bona venierunt. Hereditas aliqua venit? Non porest dici, sed etiam a necessariis omnibus exheredarus est! Praernium aliquod ex lire aut iudicio cepit? Non modo id non fecit, sed etiam insuper ipse grandi sponsione victus est! Ergo, si his rationibus locupletarus non est, sicur omnes videtis, aur isri domi nascirur auntm aur, unde non est licirum, pecunias cepit." Item: "Saepe, iudices, animum adveni multos aliqua ex honesta re, quam ne inimici quidem criminari possint, sibi praesidium petere. Quorum nihil porest adversarius facere. Nam utrum ad patris sui vinutem confugiet? At eum vos iurati capite damnastis. An ad suam revenerur antiquam vitarn alicubi honeste tractatam? Nam hic quidem ante oculos vesrros quomodo vtxerit, scitis omnes. An cognacos suos enumerabit, quibus vos conveniar commoveri? Ac hi quidem nulli sunt. Amicos proferet? At nemo est, qui sibi non rurpe putet istius arnicum nominari." Item: "Credo, inirnicum, quem nocentem putabas, in iudicium adduxisti? Non, nam eum indem-
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~eben stilistischen Gestaltung zu ergötzen scheinen, so \·er)chönem wir ebenso in angemessener Weise durch richtig verreihe Glanzlichter die Rede, wenn wir diese Ausschmükkungen nur selten einfügen und auf den ganzen Fall mannigfaltig verbreiten. Ein Einwand'll liegt vor, wenn wir die Gegner befragen oder uns selbst fragen, was von ihnen oder was gegen uns ~esagt werden kann; dann bringen wir das als Einwand, was gesagt werden muß oder nicht muß, ob es nun füruns hilfreich tst oder denen dagegen schadet, z.. B. auf folgende Weise: .,Ich frage also, woher dieser da so vermögend wurde. Wurde ein bedeutendes väterliches Erbe hinterlassen? Aber der Besitz. des Vaters wurde verkauft. Kam trgendeine Erbschaft zustande? Das kann man nicht sagen, sondern er wurde sogar von allen Verwandten enterbt. Erhielt er irgendeine Belohnung aus einem Streitfall oder aus einem Gerichtsentscheid?'f6 Nein, "''eit davon entfernt, ~ondem darüber hinaus verlor er noch eine teure ßürgschaft.'57 Wenn er also auf diese Arten nicht reich wurde, wie ihr alle sehr, so wächst ihm zu Hause Gold oder er hat Geld von woher genommen, wo es nicht erlaubt ist." Ebenso: "Oft, ihr Herren Richter, habe ich beobachtet, daß viele aus einem ehrenhaften Umstand, aus dem nicht einmal Feinde einen Vorwurf machen könnten, für sich Schutz. suchen. Davon kann mein Gegner nichts vorbringen. Denn wird er zur Tugend seines Vaters Zuflucht nehmen? Aber den habt ihr Geschworenen zum Tode verurteilt. Oder wird er auf seinen früheren in Ehren verbrachten Lebensabschnin zurückkommen? Denn wie dieser hier vor euren Augen gelebt hat, wißt ihr alle. Oder wird er seine Verwandten aufzählen, durch deren Erwähnung ihr beeindruckt werden sollt? Aber es gibt ja gar keine. Wird er Freunde anführen? Aber es gibt doch niemanden, der es nicht fur eine Schande für sich hielte, der Freund dieses Mannes da genannt zu werden." Ebenso: "Vermutlich hast du deinen Feind, den du für schuldig hieltest, vor Gericht gebracht? Nein, denn du hast
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narum necasti. Leges, quae id facere prohibent, verirus es? At ne scriptas quidem iudicasri. Cum ipse te veteris amicitiae commonefaceret, commotus es? At nihilominus, sed etiam srudiosius occidisti. Quid? cum tibi pueri ad pedcs volutarentur, misericordia morus es? Ar eorum patrem crudelissime sepulrura quoque prohibuisti."
Mulrum inest acrimoniae et gravitatis in hac exornatione, propterea quo~ euro quaesirum esr, quid oporteat, subicirur id non esse facrum. Quare facillime fit, ut cxaugearur indignitas negorü. Ex eodem genere, ur ad nostram quoque personam referamu) subiectionem, sie: "Nam quid me faccre convenit, cum a tanta Gallorum multirudinc circumsederer? An dimicarem? At cum parva manu turn prodiremus; locum quoque lniquissirnum habebamus. Sederem in castris? At neque subsidium, quod expectarem, habebamus, neque erat, qui vitam produceremus. Castra relinquerem? At obsidebamur. Vitam milirum neglegerem? At obsidebamur. Vitam milirum neglegerem? At eos videbar ea accepisse condicione, ut eos, quoad pos~em, incolumis parriae er parentibus consc:rvarem. Hostium condicionem repudiarem? At salus antiquior est milirum quam inpedimenrorum." Eiusmodi consequunrur identidem subiectiones, ur ex omnibus osrendi videatur nibil pocius, quam quod factum sir, faciundum fuisse. Gradario est, in qua non ante ad consequens verbum descendirur, quam ad superius ascensum est, hoc modo: ~Nam quae reliqua spes manet libertatis, si illis
ohne daß er verurteilt war, getötet. Hast du die Gesetze, die eine solche Tat verhindern, gefürchtet? Aber du hast sie nicht einmal als geschrieben angesehen. Als er selbst dich an eure frühere Freundschaft erinnerte, wurdest du da gerühn? Aber keineswegs, sondern du tötetest ihn mit noch größerer Leidenschaft. Weiter! Als sich seine Kinder dir zu Füßen warfen, wurdest du da von Mitleid gerühn? Aber ihrem Vater hast du mit größter Grausamkeit sogar die Bestattung ,·erweigerr. "' 18 Viel Energie und Feierlichkeit birgt diese Ausschmückung in sich, Jeswegen weil unmittelbar nachdem man gefragt hat, was sich gehöre, der Einwand vorgebracht wird, dies sei nicht geschehen. Dadurch wird sehr leicht bewirkt, daß das Empörende der Tat verstärkt wird. Von der nämlichen Art ist, um den Einwand auch auf die eigene Person zu beziehen, •19 das folgende Beisp1el: "Denn was hätte ich run sollen, da ich von einer solchen Menge Gallier umzingelt war? Hätte ich kämpfen sollen? Aber dann hätten wir nur mit einer klei.nen Schar vorrücken können; auch hatten wir sehr ungünstiges Gelände. Hätte ich im Lager sirzen bleiben sollen? Aber wir hatten keine Hilfstruppen, auf die ich hätte warten können, und es gab keine Möglichkeit, wie wir das Leben länger erhalten konnten. Hätte ich das Lager verla.~sen sollen? Aber wir wurden doch belagert. Hätte ich das Leben der Soldaten geringschätzen sollen? Aber ich glaubte sie unter der Bedingung erhalten :z.u haben, daß ich sie, so gut ich konnte, dem Vaterland und ihren Eltern unversehrt erhielt. Hätte ich die Bedingung der Feinde zurückweisen sollen? Aber die Rettung der Soldaren ist wichtiger als die des Trosses."•6c Derartige Einwände führen immer wieder z.u dem Ergebnis, daß man aufgrund aller Umstände :z.u zeigen scheint, daß man nichts Besseres hätte tun können, als was getan wurde. Die Steigerung'6 ' ist das Stilmittel, bei welchem man nicht eher :z.um folgenden Wort übergeht, als man auf das vorausgebende zurückgegriffen hat, z. B. auf folgende Weise: "Denn was für eine Hoffnung auf Freiheit bleibt übrig, .J:m,
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et quod liber, Ücet, er q uod licet, possunt, et quod possunt, audent, et quod audent, faciunt, et quod faciunt, vobis molesrum non est?" Item: "Non sensi hoc et non suasi; neque suasi et non ipse facere coepi; neque facere coepi et non perfeci; neque perfeci et non probavi."
Item: "Africano virtutem industria, virtus gloriam, gloria aemulos conparavit." Item: "Imperium Graeciae fuit penes Atheniensis; Atheniensium potiti sunt Spartiatae; Spartiatas superavere Thebani; Thebanos Macedones vicerunt, qui ad imperium Graeciae brevi tempore adiunxerunt Asiam bello subactam." Haber in se quendam leporem superioris cuiusque crebra reperitio verbi, quae propria est huius exornationis. Definitio est, quae rei alicuius proprias arnplectitur potestates breviter et absolute, boc modo: "Maiestas rci publicae est, in qua continetur dignitas et amplitudo civitatis." ltem: "Iniuriae sunt, quae aut pulsatione corpus aut convicio auris aut aliqua rurpirudine vitam cuiuspiam violant." Item: "Non est isra diligencia, sed avaricia, ideo quod diligentia est accurata conservario suorum, avaritia iniuriosa adpetitio alienorum." Item: "Non est isra fortitudo, sed temeritas, propterea quod fortitudo est contemptio laboris et periculi cum ratione ucilitacis et conpensatione commodorum, temeritas est cum inconsiderata
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wenn denen, was ihnen beliebt, erlaubt ist, und sie, was erlaubt ist, können, und was sie können, wagen, und was sie wagen, tun, und was sie tun, euch nicht lästig ist?"' 6' Ebenso: "Nicht bemerkt habe ich das und nicht dazu geraten; nicht dazu geraten habe ich und es nicht selbst begonnen; nicht begonnen habe ich es und nicht zu Ende geführt; nicht zu Ende geführt habe ich es und nicht gutgeheißen. '"6J Ebenso: "Dem Airicanus verschaffte seine Energie Tüchtigkeit, seine Tüchtigkeit Ruhm, sein Ruhm Neider.'" 64 Ebenso: "Die Herrschaft über Griechenland lag bei den Athenern; über die Athener gewannen die Spartaner die Macht; die Spartaner unterlagen den Thebanern; über die Thebaner siegten die Makedonen, welche ihrer Herrschaft in Griechenland in kurzer Zeit Asien, das sie im Krieg unterworfen hatten, hinzufügten." Einen gewissen Reiz birgt in sich die häufige Wiederholung des jeweils vorausgehenden Wortes, die für diese Ausschmückung eigenrumlieh ist. Die Begriffsbestimmung'6S ist das Stilmittel, welches die irgendeiner Sache eigenrumliehen Eigenschaften kurz und bündig urnfaßt, z. B. auf folgende Weise: "Die Hoheit des Staates ist der Begriff, in dem die Würde und die Erhabenheit einer Bürgschaft enthalten ist." ' 66 Ebenso: "Ungerechte Übergriffe sind die Handlungen, die entweder durch Schlagen den K.örper oder durch Schmähung die Ohren oder durch irgendeine schändliche Tat das Leben von irgend jemandem verletzen."' 67 Ebenso: "Dies ist keine Umsicht, sondern Habgier, deshalb weil Umsicht die genaue Bewahrung des eigenen Besitzes, Habgier das ungerechte Streben nach fremdem Besitz ist." Ebenso: nDies ist nicht Tapferkeit, sondern Tollkühnheit, deshalb weil Tapferkeit die Geringschätzung von Mühe und Gefahr, verbunden mit einer vernünftigen Abschätzung des Nutzens und einer Abwägung der Vorteile, ist, Tollkühnheit dagegen ein gladiatorenmäßiges Aufsichnehmen von Gefah-
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dolorum perpessione gladiatoria periculorum susceptio." Haec ideo commoda putarur exornatio, quod omnem rei cuiuspiam vim et potestatem ita dilucide proponit et breviter, ut neque pluribus verbis oporruisse dici videarur neque brevius poruisse dici puterur. Transirio vocarur, quae cum ostendir breviter, quid dierum sit, proponit item brevi, quid consequatur, hoc pacto: "In pau-em cuiusmodi fuerit, habetis; nunc parens qualis extiterit, considerate." Item: "Mea in isrum beneficia cognoscitis; nunc quomodo iste mihi grariam rerulerit, accipite." Proficit haec aliquanrulum exomatio ad duas res: nam et, quid dixerit, commonet et ad reliquum conparat auditorem. Correctio est, quae rollir id, quod dierum esr, et pro eo id, quod magis idoneum videtur, reponit, boc pacto: "Quodsi iste suos hospites rogasset, immo innuisset modo, facile hoc perfici posset." Item: "Nam postquam isti vicerunr atque adeo victi sint, - eam quomodo victoriam appellem, quae victoribus plus calamitatis quam boni dederit?" Item: "0 virrutis comes, invidia, quae bonos sequeris plerumque atque adeo insectaris!" Commoverur hoc genere animus auditoris. Res enim communi verbo elata tantummodo dicta viderur; ea post ipsius oratoris correctionem magis idonea fit pronuntiatione. "Non igirur satius esset", dicet aliquis, "ab initio, praesertim cum scri-
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ren, verbunden mtt einem unüberlegten Erdulden von Schmerzen." ' 68 Diese Ausschmückung wird deshalb für vorteilhaft gehalten, weil sie den ganzen Sinn und die ganze Bedeutung eines eden beliebigen Ausdrucks so klar und kurz darlegt, daß -:veder der Anschein erweckt wird, man hätte es mit mehr Worten sagen müssen, noch der Glaube entsteht, man hätte es kürzer sagen können. Übergang 169 nennt man das Stilmittel, welches kurz zeigt, was bisher gesagt wurde, und ebenso in Kürze darlegt, was iolgt, z. B. auf folgende Art: oNun habt ihr erfahren, wie er sich gegenüber seinem Vater verhalten hat; jetzt betrachtet auch, wie er als Vater gewesen ist. " 17° Ebenso: "Meine Wohltaten diesem Menschen gegenüber erkennt ihr; nun vernehmt, wie er tnir Dank abstattete." Einen gewissen Vorteil bringt diese Ausschmückung in zweierlei Hinsicht; denn sie ruft das in Erinnerung zurück, was der Redner gesagt hat, und bereitet den Zuhörer auf das Folgende vor. Die Berichtigung 17 1 iSt das Stilmittel, welches aufhebt, was gesagt wurde, und an seine Stelle das setzt, was geeigneter erscheint, z. B. auf folgende Art: "Wenn nun dieser seine Gastfreunde gebeten, ja ihnen nur einen Wink gegeben hätte, so könnte dies leicht durchgeführt werden." Ebenso: "Denn nachdem diese gesiegt haben oder besser besiegt worden sind- wie könnte ich nämlich das einen Sieg nennen, was den Siegern mehr Unglück als Gutes gebracht hat?" Ebenso: "0 Begleiter der Tugend, Neid, der du den Tüchtigsten meistens folgst oder sie vielmehr verfolgst."'7' Durch diese Art wird der Zuhörer beeindruckt. Denn der durch ein gewöhnliches Wort hervorgehobene Sachverhalt scheint nur ziemlieb obenhin gesagt; nach der Berichtigung durch den Redner selbst wird er passender vorgetragen. "Wäre also nicht besser", wird man sagen, "von Anfang an,
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bas, ad Optimum er lecrissimum verbum devenire?" Est, cum non est satius, si comrnutario verbi id erit demonstratura, eiusmodi rern esse, ut, euro eam communi verbo appellaris, levius dixisse videaris, cum ad electius verbum accedas, insigniorem rem facias. Quodsi continuo venisses ad id verburn, nec rei nec verbi gratia anirnadversa esset.
Occultatio esr, cum dicimus nos praererire aur non scire aur nolle diccre id, quod nunc maxime dicimus, hoc modo: "Nam dc pueriria quidem tua, quam tu omnium inremperaotiae addixisri, dicerem, si hoc tempus idoneum putarem; nunc consulto relinquo; er ülud praetereo, quod te tribuni rei miliraris infrequentem tradiderunt; deinde quod iniuriarum satis fecisti L. Labeoni, nihil ad hanc rem pertinere puto. Horum nihil dico; revertor ad illud, de quo iudicium est."
ltem: .,Non dico te ab sociis pecunias cepisse; non sum in eo occuparus, quod civitates, regna, domos omnium depecularus es; funa, rapinas omnes tuas ornitto." Haec urilis est exornario, si aur rem, quam non pertineat aliis ostendere occulre admonuisse prodesr, aur longum est aut ignobile, aut planum non potest fieri, aut facile porest reprehendi, ur urilius sit occulte fecisse suspicionem, quam eiusrnodi intendisse orarionem, quae redarguatur.
Disiunctio esr, cum eorum, de quibus dicimus,
·"'"mal wenn man schreibt, auf das beste und gewählreste In gewissen Fillen nicht, wenn nämlich Wortes deutlich machen wird, daß der Sachverhalt derartig ist, daß man nämlich, wenn man ihn mn einem gewöhnlichen Wort bezeichnet, den Eindruck .'n\.·eckr, .tiernlich Unbedeutendes gesagt zu haben, wenn ':lan aber auf ein recht ausgewähltes Wort kommt, den Sach:erhalt bedeutsamer macht. Wäre man aber sofort auf dieses Wort gestoßen, so wäre weder die besondere Bedeutung des Sachverhaltes noch die des Wortes bemerkt worden. Eine Übergehung 'J liegt vor, wenn wir sagen, wir über~ngcn oder wüßten nicht oder wollten nicht das sagen, was wir nun gerade erst recht sagen, z. B. auf folgende Weise: "Denn über deine Jugend, die du der Zügellosigkeit in 1eder Beziehung verschrieben hast, würde ich natürlich jetzt sprechen, wenn ich diese Gelegenheit für geeignet hielte; nun lasse ich sie absichtlich unerwähnt. Und ich übergehe auch, daß die Tribunen dich als nachlässig im Militärdienst geschildert haben. Daß du weiterhin dem L. Labeo Ungerechtigkeiten in Hülle und Fülle zugefügt hast, gehört, glaube ich, nicht hierher. Davon sage ich nichts; ich kehre z.u dem zurück, worum sich die Gerichtsverhandlung dreht." 'H Ebenso: "Ich sage nicht, daß du von den Bundesgenossen Geld genommen hast; nicht damit beschäftige ich mich, daß du Bürgerschaften, Reiche, die Häuser aller ausgeplündert hast; deine Diebstähle und Raubzüge lasse ich alle unerwähnt."' Diese Ausschmückung ist nützlich, wenn es nichts zur Sache beiträgt, andere offen auf das hinzuweisen, woran im verborgenen erinnert zu haben nützlich ist, oder wenn es zu weit führen würde oder zu unbekannt wäre oder wenn es nicht ganz deutlich gemacht oder zurückgewiesen werden kann; so ist es nützlicher, einen Verdacht im Verborgenen erregt als die Rede auf etwas gerichtet zu haben, was widerlegt wird. '71 Eine Absonderung' 76 liegt vor, wenn von den Punkten, ~Ort zu kommen?" ~ Abändern eines
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aur utrumque aut unum quodque ceno concludirur verbo, sie: "Populus Romanus Numantiam delevit, Kartaginern susrulit, Corinthum disiecit, Feegellas everrit. Nihil Numancinis vires corporis auxiliatae sunr, nihil Kan:aginiensibus scientia rei militaris adiumento fuit, nihil Corinthis erudita calliditas praesidii tulit. nihil fregellanis morum et sermonis societas opitulata est." Item: "Formac dignitas aut morbo deflorescit aut vetustate extinguitur." Hic utrumque, in superiore exemplo unam quamque rem ceno verbo concludi videmus. Coniunctio est, cum interposicione verbi et superiores panes orationis conprehendumur et inferiores, hoc modo: "Formae dignitas aut morbo deflorescit aut verustate." Adiunctio csr, cum vcrbum, quo res conprehendirur, non inrerponimus, scd aut primum aut postremum conlocamus. Primum, hoc pacto:
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"Dcflorescir formae dignitas aut morbo aut verustare." Postremum, sie: "Aut morbo aut ' 'etustate formae dignitas deflorescit." Ad fesriviratem disiunctio est adposita, quare rarius utemur ea, ne satietatem pariat; ad brevitatem coniunctio, quare saepius adhibenda est. Hae tres exornationes de simplici genere manant. Conduplicatio est quom racione amplificationis aut commiserationis eiusdem unius aut plurium verborum iteratio, hoc modo:
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über die wir sprechen, entweder beide oder jeder einzelne mit einem bestimmten Verbum schließt, z. B. so: .,Das römische Volk hat Numantia zerstört, Karthago vertilgt, Konnth zertrümmert, Fregellae vernichtet. Nichts haben den Numantinem ihre Körperkräfte geholfen, nichts hat den Karthagern ihre Kriegskunst genützt, nichts hat den Korinthern ihre gerissene Schlauheit an Schutz gebracht, nichts bat den Fregellanem'7 die Gerneinschaft der Sitten und der Sprache an Beistand gebracht." Ebenso: "Äußere Schönheit verblüht entweder durch Krankheit oder erlöscht durch das Alter."'78 Hier schließen, wie wir sehen, beide Teile, in dem vorau.!>gehcnden Beispiel jeder einzelne Teil mit einem bestimmten Verbum. Eine Verbindung'79 liegt vor, wenn durch die Zwischenstellung des Verbums die vorausgehenden Teile der Rede um faßt werden und die folgenden, z. B. auf folgende Weise: "Äußere Schönheit verblüht entweder durch Krankheit oder durch das Alter." ' 80 Ein Anschluß•8 • liegt vor, wenn wir das Verbum, durch das ein Sachverhalt umfaßt wird, nicht dazwischenstellen, sondern entweder an den Anfang oder an den Schluß stellen. An den Anfang, z. B. auf folgende Art: .,Es verblüht äußere Schönheit entweder durch Krankheit oder durch das Alter." An den Schluß, z. B. so: ,.Entweder durch Krankheit oder durch das Alter verblüht äußere Schönheit." Zur anmutigen Darstellung ist die Absonderung ..gesetzt; deswegen verwenden wir sie seltener, damit sie nicht Ubersättigung bewirkt;'" zur kurzen Darstellung der Zusammenschluß; deswegen kann er häufiger angewandt werden. Diese drei Ausschmückungen entspringen aus einer einzigen An. Eine Wiederholung''J ist die Wiederaufnahme eines und desselben Wortes oder mehrerer Wörter mit der Absicht der Steigerung oder der Erregung von Mitleid, z. B. auf folgende Weise:
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"Tumulrus, Gai Gracce, tumulrus domesticos er intestinos conparas." Irem: ,.Comrnorus non es, cum tibi pedes mater amplexarerur, non es commorus?" ltem: "Nunc audes eriam venire in horum conspecrum, proditor parriae? Proditor, inquam, patriae, venire audes in horum conspecrum ?" Vehementer auditorem commovet eiusdem redintegratio verbi et nünus maim efficir in comrario causae, quasi aliquod telum saepius perveniat in eandem panem corporis. Imerpretatio est, quae non iterans idem redintegrat verbum, sed id commutat quod posirum est alio verbo, quod idem valeat, hoc modo: "Rem pubücam radicirus evenisti, civitatem funditus deiecisti." Item: "Patrem nefarie verberasti, parenri manus seelerate attulisti." Necessurn est eius, qui audit, animum comrnoveri, euro gravitas prioris dicri renovarur interpretatione verborum. Commutatio est, cum duae sententiae inter se discrepantes ex transiectione ita efferunrur ut a priore postenor contraria priori proficiscatur, hoc modo: "Esse oportet, ur vivas, non vivere, ut edas." ltem: "Ea re poemata non facio, quia cuiusmodi volo, non possum, cuiusmodi possum, nolo." ltem: "Quae de illo dicuntur, dici non possunt, quae dici possunt, non dicunrur."
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~Aufruhr, Gaius Gracchus, Aufruhr im eigenen Land und un Innem des Staates erregst du!" Ebenso: "Wurdest du nicht von Rührung ergriffen, ah deine Mutter dir die Füße umschlang, ·wurdest du da nicht von Rührung ergriffen?" ••• Ebenso: ,.Nun wagst du es noch, diesen unter die Augen zu treten, du Vaterlandsverräter? Du Vaterlandsverräter, sage ich, wagst es, diesen unter die Augen zu treten?~ Heftig erregt den Zuhörer die Wiederaufnahme em und desselben Wortes, und eine tiefere Wunde schlägt sie beim Prozeßgegner, als ob irgendeine Waffe öfter denselben Körperteil träfe. Eine Erklärung'~ ! ist das Stilmittel, welches bei der Wiederholung nicht dasselbe Wort wiederaufnimmt, sondern das Wort, das gesetzt ist, mit einem anderen vertauscht, welches das nämliche bedeutet, z. B. auf folgende Weise: Den Staat hast du an seiner Wurzel vernichtet, das G~:neinwesen hast du bis auf die Fundamente niedergerissen." Ebenso: "Den Vater hast du in nichtswürdiger Weise geschlagen, an den, dem du das Leben verdankst, hast du in verbrecherischer Weise Hand angelegt." Der Zuhörer muß innerlich ergriffen werden, wenn die volle Bedeutung des vorausgehenden Ausspruches durch die Erklärung der Worte ins Gedächtnis zurückgerufen wird. Eine Umstellung' 86 Üegt vor, wenn zwei untereinander widersprüchliche Gedanken durch eine Versettung so herausgestellt werden, daß der zweite, zum ersten gegensätzliche Gedanke aus dem ersten hervorgeht, z. B. auf folgende Weise: ,.Man muß essen, um zu leben, nicht leben, um zu essen."''' Ebenso: "Deswegen verfasse ich keine Gedichte, weil ich Gedjchte von der Art, wie ich möchte, nicht fertigbringe, wie ich !>ie aber fertigbringe, nicht möchte. " ' 88 Ebenso: ,.Wa!> über jenen Mann gesagt wird, kann nicht gesagt werden, was aber gesagtwerden kann, wirdnicht gesagt."
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Item: "Poema loquens pictura est. pictura tacitum poema deber es~e." ltem: ..Si srulrus es et ea re taces, sapiens es; si sapiens es er tarnen taces, stulrus es." Non potest d1ci, quin commode fiat, cum contrariae sementiae relarione \'erba quoque convertanrur. Plura subiectmus exempla, ur, quoniam difficile est hoc genus exomarionis invenru, dilucidum esset, ut, cum bene esset intellectum, facilius in dicundo invenirerur. Permissio est, cum Ostendemus in dicundo nos aliquam rem rotam tradere er concedere alicuius volunrati, sie: "Quoniam omntbus rebus ereptis solum mihi superest animus er corpus, haec ipsa, quae mihi de multis sola relicta sunt, vobis et vestrae condono poresrari. Vos me vestro, quo pacto vobis videbitur, uramini atque abutamini licebit, inpunite in mc quidlibet statuite; dicite, atque obremperabo." Hoc genus tamctsi alias quoque nonnumquam tractandum est, tarnen ad misericordiam commovendam vehementissime est adcommodatum. Dubitatio est, cum quaerere videtur orator, urrum de duobus porius aut quid de pluribus potissimum dicat, hoc modo: .,Offuit eo tempore plurimum rei p. consulum sive srultitiam sive malitiam dicere oponet sive utrumque." Item: ..Tu isrud au~u~ es dicere, homo omnium monalium - quaero, quonam te digno moribus ruis appellem nomine". Expedirio est, cum rationibus conpluribus enumeraris, quibus aliqua res aut fieri aut non fieri poruerit, ceterae rollunrur, una relinquitur, quam nos intendimus, hoc modo:
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Ebenso: ,.Ein Gedicht ist ein sprechendes Gemälde, ein Gemälde ein stummes Gedicht. " ' 89 Ebenso: ,.Wenn man dumm ist und deswegen schweigt, ist man weise. Wenn man weise ist und trotzdem schweigt, ist man dumm." Man kann nicht behaupten, daß es nicht voneilhaft wirkt, wenn beim Vorbringen eines gegensätzlichen Gedankens auch die Wone umgekehrt werden. Ich habe mehr Beispiele angefühn, damit diese An der Ausschmückung ganz klar werde, da e~ ja schwierig ist, sie aufzufinden; wenn man sie gut verstanden hat, findet man sie leichter auf beim Reden. Eine Anheimstellung liegt vor, wenn wir beim Reden darauf hinweisen, daß wir etwas ganz dem Willen von jemandem überlassen, z. B. so: "Da mir ja alles entri~sen ist und mir nur noch Leib und Leben bleibt, überlasse ich eben das, was mir von vielem als einziges übrig geblieben ist, ganz euch und eurer Verfügungsgewalt. lhr dürft mich, wie es euch gut dünkt, gebrauchen und mißbrauchen; bestimmt ungestraft über mich, was euch beliebt; sprecht, und ich werde gehorchen." Wenn diese An manchmal auch in anderem Zusammenhang anzuwenden ist, so eignet sie sich am besten dazu, Mitleid zu erregen. Ein Zweifel'90 liegt vor, wenn der Redner sich zum Schein fragt, welches Wort von zweien er eher oder welches von mehreren er am ehesten nennen solle, z. B. auf folgende Weise: "Zu jener Zeit schadete dem Staat am meisten der Konsuln - soll man es Dummheit oder Schlechtigkeit oder beides nennen. "' 9 ' Ebenso: "Du wagst es, dies zu sagen, du von allen Menschen der aller . . . - ich frage mich, mit welchem Namen, der zu deinem Charakter paßt, ich dich denn anreden soll. " '9 ' Eine Aussonderung•9J liegt vor, wenn nach Aufzählen mehrerer Möglichkeiten, wie etwas häne durchgeführt oder nicht durchgeführt werden können, die übrigen ausgesonden werden und nur die übrigbleibr, auf welche wir zielen, z. B. auf folgende Weise:
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"Necesse est, cum constet isrum fundum nosrrum fuisse, ostendas te aut vacuum possedisse, aut usu ruum fecisse, aut emisse, aut hereditate ribi venisse. Vacuum, cum ego adessem, possidere non potuisti; ruum etiam usu fecisse non potes; emptio nulla proferrur; hereditate tibi me vivo mea pecunia venire non poruit: relinquirur ergo, ut me vi de meo fundo deieceris."
Haec exornario plurimum iuvabit coniecruralis argumentariones. Sed non erit, tamquam in plerisque, ur, cum velimus, ea possirnus uti; nam facere non porerimus, nisi ipsa negotii natura dabit facultarem. Dissolurum est, quod coniunctionibus verborum e medio sublatis, separatis partibus efferrur, hoc modo: "Gere morem parenti, pare cognatis, obsequere amicis, obtempera legibus." Item: .,Descende in integram defensionem, noli quicquam recusare, da servos in quaestionem, srude verum invenire." Hoc genus er acrimoniam babet in se et vehemenrissimum est et ad breviratem adcommodatum. Praecisio est, cum dictis quibusdam reliquum, quod coeprum est dici, relinquirur inchoarum, sie: "Mihi tecum par certatio non est, ideo quod populus Romanus me - nolo dicere, ne cui forte adrogans videar; te autcm saepe ignominia dignum putavit."
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"Da feststeht, daß dieses Grundstück mir gehörte, muß du gezwungenermaßen beweisen, daß du es als ein herrenloses in Besitz genommen oder durch das Gewohnheitsrecht in deinen Besitz gebracht oder es gekauft oder durch eine Erbschaft erhalten hast. Als herrenlos konntest du es nicht m Besitz nehmen, da ich da war; durch das Gewohnheitsrecht kannst du es auch nicht in deinen Besitz. gebracht haben; von einem Kauf wird nichts vorgebracht; durch eine Erbschaft konnte dir, solange ich lebe, mein Vermögen nicht zufallen. Es bleibt also nur die Möglichkeit, daß du mich gewaltsam von meinem Grund und Boden vertrieben hast." Diese Ausschmückung hilft am meisten bei Beweisführungen, die auf Vermutungen beruhen. Aber es ist nicht möglich, wie bei den meisten Ausschmückungen, sie immer anzuwenden, wenn wir wollen; denn wir können es nicht run, wenn nicht die Art des Vorganges selbst die Möglichkeit dazu gibt. Eine unverbundene Ausdrucksweise'94 ist diejenige, welche nach Beseitigung der Wortverbindungen' 95 in getrennten Teilen hervogehoben wird, z. B. auf folgende Weise: "Willfahre dem Vater, füge dich den Verwandten, folge den Freunden, gehorche den Gesetzen!" Ebenso: .,Entschließe dich zu einer unanfechtbaren Verteidigung, weise nichts zurück, liefere deine Sklaven zum peinlichen Verhör aus, bemühe dich, die Wahrheit zu finden!" Diese Art birgt Energie in sich, ist sehr lebhaft und ist geeignet zur Küne. Das Abbrechen eines Gedankens•96 liegt vor, wenn nach einigen Worten der übrige Gedankengang, den man auszusprechen begonnen hat, unvollendet bleibt, z. B. so: ,.Zwischen mir und dir gibt es keinen ausgeglichenen Wettkampf, deshalb weil das römische Volk mich - ich will nicht weitersprechen, um niemandem anmaßend zu erscheinen; dich aber hielt es oft einer schimpflieben Behandlung würdig."' 97
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Item: "Tu ista nunc audes dicere, qui nuper alienae domi - non ausim dicere, ne, cum te digna dicerem, me indignum quippiam dixisse videar."
Hic atrocior racita suspicio quam disena explanatio facta est. Conclusio esr, quae brevi argumentatione ex iis, quae ante dicta sunt, aut facta conficit, quod necessario consequarur, hoc modo.: "Quodsi Danais darum erat oraculum non passe capi Troiam sine Philoctetae sagittis, hae aurcm nihil aliud fecerunt nisi Alexandrum perculerunt, hunc extinguere, id nimirum capi fWt Troiam". Restant eriam decem exornationes verborum, quas idcirco non vage dispersimus, sed a superioribus separavimus, quod omnes in uno genere sunt posirae. Nam earum omnium hoc proprium est, ut ab usitata verborum potestate recedarur atque in aliam rationem cum quadam venustate oratio conferatur. De quibus exomationibus nominacio est prima, quae nos admonet, ut, cuius rei nomen aut non sit aut satis idoneum non sit, eam nosmet idoneo verbo nominemus aut imirationis aut significationis causa: imitationis, hoc modo, ut maiores "vagire" et "mugire" et "murrnurare" et "sibilare" appellarunt; significandae rei causa, sie: "Posrquam iste in rem publicam fecit imperum, fragor civitatis inprimis est auditus." Hoc genere raro est utendum, ne novi verbi adsiduitas odium pariat; sed si commode quis profe-
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Ebenso: "Du wagst dies zu sagen, der du erst neulich in einem fremden Haus- ich wage es nicht auszusprechen, um nicht den Eindruck zu erwecken, ich hätte etwas gesagt, was meiner unwürdig ist, indem ich etwas sagte, was deiner würdig ist."'98 Hier wurde eine unausgesprochene Vermutung unbarmherziger als eine beredte DarsteUung. Die Schlußfolgerung'~9 ist das Stilmittel, welches in kurzer Beweisführung aus dem, was vorher gesagt wurde oder geschah, schließt, was notwendigerweise folgen wird, z. B. auf folgende Weise: "Wenn nun den Danacrn das Orakel gegeben war, Troja könne nicht eingenommen werden ohne die Pfeile des Philoktet, diese aber nichts anderes bewirkten als den Alexander niederzuschmettern, dann bedeutete dessen Tod selbstverständlich die Einnahme Trojas. " 200 Es bleiben noch zehn Ausschmückungen von Wörtern, die ich deshalb nicht planlos eingestreut, sondern von den vorausgehenden getrennt habe, weil alle auf einer einzigen An beruhen. Denn ihnen allen ist eigen, daß eine Abweichung von der sonsr üblichen Bedeutung der Wörter vorliegt und die Rede einen anderen Sinn erhält, was mir einem gewissen Reiz verbunden ist. 201 Von diesen Ausschmückungen ist die Benennung•o~ die erste; sie ermahnt uns dazu, eine Sache, für die es keine oder keine genügend zutreffende Bezeichnung gibt, mit einem zutreffenden Wort zu benennen, um einen Laut nachzuahmen oder ein Bild zu kennzeichnen: Um einen Laut nachzuahmen, z.. B. auf folgende Weise, wie unsere Vorfahren "schreien"' 0 >auch "muhen", "murren" und "zischen" nannten; um ein Bild zu kennzeichnen, z. B. so: "Nachdem dieser einen Angriff gegen den Staat unternommen hatte, höne man vernehmlich ein Krachen' 04 des Gemeinwesens." Diese An soll man nur selten gebrauchen, damit nicht der ständige Gebrauch des neuen Wortes Widerwillen hervorruft, aber wenn man sie angemessen anwendet und nur sei-
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rat et raro, non modo non offendet novitate, sed etiam exornat orationem. Pronominario est, quae sicuri cognomine quodam extraneo demoostrat id, quod suo nomine non potest appellari; ut si quis, euro loquatur de Graccis: . At non Africani nepotes'", inquiet, "istiusmodi fuerunt." hem si quis de adversario cum dicat: "Videte nunc", inquit, "iudices, quemadmodum mc Plagioxippus iste rractarit."' Hoc pacto non inomate porerimus et in laudando et in laedendo, in corpore aut animo aut e>.'Traneis rebus dicere, sicuti cognomen, quod pro certo nomine collocemus. Denominario est, quae ab rebus propinquis er finirimis trahit orationem, qua possit intellegi res, quae non suo vocabulo sit appellata.
Id aut ab invento colligirur aut ab inventore conficitur; invento, ut si quis de Tarpeio loquens eum Capitolinum nominet; inventore, ur si quis pro Libero vinum, pro Cerere frugem appellet; aut ab instrumcnto dominum, ur si quis Macedones appellarit hoc modo: "Non tarn ciro sarisae Graeciae potitae sunt", aur idem Gallos significans: .,nec tarn facile ex Italia mareris Transalpina depulsa est"; aut id, quod fit ab eo, qui facit, ut si quis, cum bello velit ostendere aliquid quempiam fecisse, dicat: "Mars istuc tc facerc necessario coegit"; aut si quod facit ab eo, quod fit, ur cum desidio-
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ren, erregt sie gar keinen Anstoß durch das Ungewohnte, sondern schmückt vielmehr die Rede aus.'~' Die Namenscrsetzung'"' ist das Stilminel, welches etwa!> wie mit einem nicht zu ihm gehörenden Beinamen vorstellt, was mit seinem eigentlichen Namen nicht benannt werden kann; wie wenn man, spräche man z. B. von den Gracchen, sagte: .,Aber nicht die Enkel des Africanus waren von der Art." Ebenso wenn man sagt, wenn man von seinem Gegner spricht: ,.Sehr nun, 1hr Herren Richter, wie mich dieser Plagioxippus107 behandelt hat." Auf diese Art können wir, ~owohl wenn wir loben als auch wenn wir kränken, nicht schmucklos im Bereich des Körperlichen, des Geistigen und 1m nichtmenschlichen Bereicb108 sprechen, so wie wir einen Beinamen an die Stelle des feststehenden Namens setzen. •0!1 Die uneigendichc Benennung ist das Stilminel, welches von naheliegenden, sinnverwandten Dingen einen Ausdruck herholt, durch welchen das Ding verstanden werden kann, ohne daß es mir seiner eigentlichen Bezeichnung benannt wäre. Dies führt man durch, indem man von dem Erfundenen ausgeht oder von dem Erfinder; von dem Erfundenen, z. B. wenn man vom Tarpeiischen Felsen spricht und ihn Capirolinus nennt; von dem Erfinder, wenn man sran Liber Wein, statt Ceres Getreide sagt; oder stan de~> Werkzeuges den Benützer, wenn man z. B. die Makedonen folgendermaßen bezeichnen wollte: "Nicht so schnell bemächtigten sich die makedonischen Lanzenm Griechenlands", oder ebenso die GaJlier bezeichnete: .,Nicht leicht wurde aus Italien die Transalpinische Lanze11 ' vertrieben"; oder indem man das, was von dem ausgeht, der es bewirkt, nennt, wenn man z. B. darlegen will, daß jemand etwas durch Krieg bewirkt hat, und sagt: .,Mars hat dich ge7wungen, dies notgedrungen zu run"; oder wenn man das, was bewirkt, nach dem, was bewirkt wird, benennt, z. B. wenn man die Kunst müßig nennt, weil
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sam artcm dicirnu), quia desidiosos facit, et frigus pigrum, quia pigros efficit. Ab eo, quod continet id, quod continerur, hoc roodo denominabitur: "Armis Italia non potest vinci nec Graecia disciplinis" - nam hic pro Graecis et Italis, quae continent, nominata sunt. Ab eo, quod continerur, id, quod conrinet, ut si quis aurum aut argenturn aut ebur nominet, cum divicias velit nominare. Harum omnium denominacionum magis in praecipiendo divisio quam in quaerendo difficiüs inventio est, ideo quod plena consuetudo est non modo poetarum er oratorum, sed etiam cottidiani sermonis huiusmodi denominationum. Circumitio est oratio rem simplicem adsumpta circumscribcns elocutione, hoc pacto: "Scipionis providentia Kartaginis opes fregit." Nam hic, nisi ornandi ratio quaedam esset habita, Scipio potuit et Kartago simpliciter appellari. Transgressio est, quae verborum perrurbat ordi":em perversione aut cransiecrione. Perversione, SIC:
"Hoc vobis dcos inmonales arbitror dedisse virrute pro vestra." Transiectione, hoc modo: "Instabilis in isrum plurimum forruna valuit. Omnes invidiosc cripuit tibi bcnc vivendi casus facultates." Huiusmodi transiectio, quae rem non reddit obscuram, multum proderit ad continuationes, de quibus ante dieturn est; in quibus oportet verba sicuci ad poeticum quendam exrruere numerum, ur perfecte et perpolitissime possint esse absolutae.
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sie die Menschen zu Müßiggängern macht, und die Kälte träge, weil sie die Menschen träge macht. Nach dem, was beinhaltet, wird das, was beinhaltet wird, auf folgende Weise benannt: .Durch Waffen kann Italien nicht besiegt werden, und Griechenland nicht in den Wissenschaften" - denn hier sind anstelle der Griechen und Italer die Gebiete bezeichnet, die diese beinhalten. Nach dem, was beinhaltet wird, wird das, was beinhaltet, benannt, wenn man z. B. Gold oder Silber oder Elfenbein nennt, wenn man Reichtum bezeichnen will. Für alle diese uneigendichen Benennungen ist die Einteilung in eine Anleitung schwieriger als ihr Auffinden beim Suchen, deshalb weil der Gebrauch derartiger uneigendicher Benennungen nicht nur bei Dichtern und Rednern, sondern auch in der alltäglichen Sprache häufig ist. Die Umschreibung"' ist eine Ausdrucksweise, die einen einfachen Begriff durch Hinzunahme eines weiteren Ausdrucks umschreibt, z. B. auf folgende An: "Scipios Umsicht brach die Macht Karthagos." Denn hier hätte man, wenn man nicht eine gewisse Rücksicht auf den Schmuck genommen hätte, einfach Scipio und Karthago sagen können. Die Versctzung" l ist das Stilmittel, welches die Reihenfolge der Wörter durcheinanderbringt durch Umdrehun~·~ oder Umstellung. Durch Umdrehung, z. B. so: "Dies, glaube ich, haben euch die unsterblichen Götter gegeben für eure Tugend.""' Durch Umstellung, z. B. auf folgende Weise: "Das unbeständige SchicksaJ richtete gegen diesen Mann sehr viel au). Alle Möglichkeiten zu einem guten Leben entriß der schlimme Zufall in seinem Neid.""6 Eine Umstellung dieser Art, die einen Sachverhalt nicht verdunkelt, nütn "iel zu den Fortfiihrungen, über die oben gesprochen wurde;"" bei diesen muß man die Wone geradezu wie zu einem dichterischen Rhythmus anlegen, damit sie vollkommen und ganz und gar geglättet vollendet sein können."'
LIBER IV
Superlalio est oracio superans veritatem alicuius augendi minuendive causa. Haec sumiwr separatim aut cum conparacione. Separacim, sie:
BUCH
XXXIII
,.Quodsi concordiam rerinebimus in civitate, imperii magniwdinem solis orw atque occasu metiemur."
Cum conparacione aut a similitudine aut a praestanria superlario sumirur. A similitudine, sie: ,.Corpore niveum ardorem adsequebatur." A praestantia, hoc modo: .Cuius ore sermo melle dulcior profluebat." Ex eodem genere est hoc: "Tanrus erat in armis splendor, ut soüs fulgor obscurior viderewr." lntellectio est, cum res tota parva de parte cognoscitur aut de toto pars. De parte torum sie intellegitur: "Non illae te nupriaJes tibiae eius marrimonii commonebant?~
Nam hic omnis sanctimonia nuptiarum uno signo ribiarum inrellegitur. De roto pars intellegitur, ut si quis ei, qui vestitum aut omarum sumpruosum ostentet, dicat: "Osrentas mihi divirias et locupletes coptas iactas." Ab uno plura hoc modo intellegenrur: .,Poeno fuit Hispanus auxilio, fuit inmanis ille Transalpinus, in Italia quoque nonnemo sensit idem togarus." A pluribus unum sie intellegetur: .,Atrox calamiras pectora maerore pulsabat; itaque anbeians ex imis pulmonibus prae cura spirirus ducebat."
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IV
Die Übertreibung" ' ist eine Darstellung, die sich über die Wahrheit hinwegsetzt, um etwas zu steigern oder abzuschwächen. Man nimmt sie gerrennr oder in Verbindung mü einem Vergleich. Getrennt, z. B. so: ,.Wenn wir die Eintracht in der Bürgerschaft erhalten, werden wir die Größe unseres Reiches durch den Auf- und Untergang der Sonne begrenzen. "llO In Verbindung mit einem Vergleich nimmt man sie von der Ähnlichkeit oder der Überlegenheit her. Von der Ähnlichkeit her, 7. B. so: "Mit seinem Körper erreichte er schneeweißen Glanz.""' Von der Überlegenheit her, z. B. auf folgende Weise: ,.Von seinem Mund floß die Rede süßer als Honigm ." Von derselben Art ist das folgende Beispiel: ,.Ein solch heller Glan7 lag auf den Waffen, daß das Glänzen der Sonne dunkler erschien." Ein InbegriffnJ liegt vor, wenn man die ganze Sache aus einem kleinen Teil erkennt oder aus dem Ganzen einen Teil. Aus einem Teil wird der Inbegriff z. B. so gebildet: ,.Haben jene Hochzeitsflöten12• dich nicht an diese Ehe erinnert?" Denn hier wird die ganze Hochzeitsfeierlichkeit in dem einen Kennzeichen der Flöten mit inbegriffen. Von dem Ganzen wird ein TeiJ mit inbegriffen, wenn man z. B. zu jemandem, der aufwendige Kleidung oder aufwendigen Schmuck zur Schau stellt, sagt: "Du zeigst mir deinen Reichtum und du prahlst mit deinen reichen Schätzen." Ein Einziges bildet den Inbegriff von Mehrerem z. B. so: ,.Dem Punier kam der Spanier zu HiJfc, jener Transalpinische war schrecklich; auch in Italien war mancher Togaträger damit einverstanden." Mehreres bildet den Inbegriff von einem Einzigen z. B. so: ,.Furchtbares Unglück schlug die Herzen mit Trauer; deshalb schöpfte er Luft, vor Sorge aus den ionersten Lungen Atem holend."
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IV
BUCH
Narn in superioribus plures Hispani er Galli er wgati, er hic unum pecrus er unus pulmo inrellegirur; et erit illic deminurus numerus fesriviratis, hic adauctus gravitaris graria. Abusio est, quae verbo simili et propinquo pro certo et proprio abutitur, hoc modo: nVires hominis breves sunr"; aut ,.parva statura"; aut .,longum in homine consilium"; aut .,orario magna"; aut .,uti pauco sermone". Nam hic facile est inrellecru finitima verba rerum dissimilium ratione abusionis esse rraducta.
Translatio esr, cum verbum in quandam rem transferetur ex a!Ja re, quod proprer similirudinem recte videbitur posse rransferri. Ea urimur rei ante oculos ponendae causa, sie: "Hic Italiam rumulrus expergefecir rcrrore subito." Brevitaris causa, sie: .,Recens adventu~ exercirus extinxir subito civitatem."' Obscenitatis vitandae causa, sie: "Cuius mater corridianis nupriis delectarur." Augendi causa; sie: .,Nullius maeror et calamitas istius explere inimicitias er nefariam crudelitatem sarurare poruir." Minuendi causa, sie: "Magno se praedicat auxilio fuisse, quia paululum in rebus difficillimis aspiravit." Ornandi causa, sie: .,Aliquando rei publicae rationes, quae malitia nocenrium exaruerunt, Yirtute optimatium re"\;rescenr."
XXXIV
IV
Denn bei den vorausgehenden Beispielen sind mehrere Spanier, Gallicr und Togaträger genannt, beim letaen Beispiel nur ein Herz und eine Lunge; und im ersten Falle isr die Zahl vermindert um der anmutigen Darstellung willen, im letzten Falle vergrößert um der Feierlichkeit willen. Die uneigendiche Bedeutung"' isl das Stilmittel, welches ein ähnliches, naheverwandtes Wort verwendet anstelle des bestimmten, eigentlichen, z. B. auf folgende Weise: "Die Kräfte des Menschen sind kurz", oder .,eine kleine Gestalt", oder "eine lange Einsicht besita der Mann", oder "eine große Rede", oder "eine geringe Redeweise verwenden". Denn hier erkennt man leicht, daß verwandte Wörter für unähnliche Sachverhalte durch die Möglichkeit der uneigenrlichen Bedeutung übertragen sind. Eine Übertragung"6 liegt vor, wenn ein Wort auf einen gewissen Sachverhalt von einem anderen Sachverhalt übertragen w1rd, was wegen der Ahnlichkeit richtig übertragen scheint. Wir wenden sie an, um einen Sachverhalt klar vor Augen zu stellen, z. B. so: "Dieser Aufruhr weckte Italien auf durch den plötzlichen Schrecken." Um der Kür7e willen, z. B. so: "Die jüngste Ankunft eines Heeres lösehre plöt7lich die Bürgerschaft aus." Um einen obszönen Ausdruck 7U vermeiden, 1... ß. so: "Dessen Mutter hat Freude an täglicher Hochzeit. "" 7 Um etwas vergrößert darzustellen, z. B. so: "Niemands Trauer und Unglück konnte dessen Feindschaft befriedigen und seine nichtswürdige Grausamkeit sättigen.""8 Um etwas abzuschwächen, ;r. B. so: "Er rühmt sich sehr gehollen zu haben, weil er in einer sehr schwiengen Lage ein ganz klein wenig hilfreich hingehaucht hat. ""9 Um tu schmücken, z. B. so: "Einmal werden die Verhältnisse des Staatö, die durch die Schlechtigkeit von Übeltätern ausgetrocknet sind, durch die Tüchtigkeit der Optimaten wieder grünen."
LIDER IV
Translationern pudentern dicunt esse oportere, ut cum ratione in consimilem rem transeat, ne sine deiecru temere et cupide videarur in dissimilem transcurnsse. Permutatio est oratio aliud verbis aliud sententia demonstrans. Ea dividitur in tres partes: similirudinem, argumenrum, conrrarium. Per similttudinem sumitur, cum translationes plures frequenter ponuntur a simili oratione ductae, sie: "Nam cum canes fungenrur officiis luporum, cuinam pracsidio pccua credemus?" Per argurnenrum tractarur, cum a persona aut loco aut re aliqua similirudo augendi aut minuendi causa duciru r, ut si quis Drusum Graecum Numitoremque obsolerum dicat. Ex contrario ducitur sie, ut si quis hominem prodigum et luxuriosum inludens parcum er diligentem appellet. Et in hoc postremo, quod ex comrario sum.irur, et in illo primo, quod a similirudine ducirur, per translationem argumento poterimus uti. Per similirudinem, sie: "Quid ait hic rex atque Agamemnon noster, sive, ut crudelita~ e~t, potius Atreus?" Ex cootrario, ur si quem impium, qui patrem verberarit, Aenean vocemus, intemperantem et adulterum lppolirum nominemus. Haec sunt fere, quae dicenda videbantur de verhorum exomationibus. Nunc res ipsa monet, ut deinceps ad sentenriarum exomariones transearnus.
BliCH IV
Die Übertragung, sagt man, müsse bescheiden sein,•P a.unit sie mit Überlegung auf ein recht ähnliches Gebiet -hergehe und nicht der Eindruck entsteht, sie sei ohm: Wahl ~nüberlegt und gierig auf ein unähnliches Gebiet übcrge)prungen. Die Vertauschung'l' ist eine Ausdrucksweise, die et'\\ras .mderes mit Worten als dem Sinne nach aufzeigt. Sie wird in drei Arten eingeteilt: den Vergleich, den geschichtlichen \ ergleich, den Gegensatz. Durch einen Vergleich nimmt man sie, wenn mehr Übertragungen häufig gesetzt werden, die man einer ahnliehen Redeweise entnommen hat, z. B. so: .,Denn wenn die Hunde die Aufgabe von Wölfen erfüllen, wem werden wir dann die Herden zum Schutze anvertrauen?" Durch einen geschichtlichen Vergleich wird sie durchgeführt, wenn von einer Person oder einem Ort oder irgendeinem Ereignis ein Vergleich hergeleitet wird, um erwas w verstärken oder abzuschwächen, z. B. wenn man den Drusus ,.Gracchus" und Numitor "besudelt" nennen wollte.>JZ Vom Gegensatz'H wird sie z. B. so hergeleitet, wenn man einen verschwenderischen und ausschweifenden Mann verspotten woUte und ihn sparsam und gewissenhaft nennt. Und in diesem letzten Beispiel, das von einem Gegensatz genommen wird, und im ersten, das \"On einem Gleichnis hergeleitet wird, können wir mittels einer Übertragung auch einen geschichtlichen Vergleich \'erwenden. Durch em Gleichnis, z. B. so: ,.Was sagt dieser König, unser Agamemnon, oder eher. be1 semer Grausamkeit, unser Atreus?"•;• Von einem Gegensatz her, wenn man z. B. einen gewissenlosen Menschen, der seinen Vater geschlagen har, Aeneas nennt,'3 1 einen unbeherrschten Ehebrecher als Hippolytu~ bezeichnet.'36 Dies sind erwa die Ausführungen, die über die Ausschmückungen der Worte gemacht werden mußten. Nun ermahnt mich das Thema selbst dazu, daß ich im folgenden zu den Ausschmückungen der Gedanken übergehe.'P
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Distributio e~t. cum in plures res aut personas negotia quaedam certa di~pertiuntur, hoc modo:
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.,Qui vestrum, iudices, nomen senarus diligir, hunc oderit neces~e est; petulamissime enim semper istc obpugnavir senarum. Qui equestrem locum splendidissimum cupit esse in ci\-itate, is oportet isrom maximas poenas dedtsse velir, ne iste sua rurpirudine ordini honesrissimo maculae atquc dedccori sit. Qui parenris habetis, ostendite istius supplicio \'Obis homines impios non placere. Quibus liberi sunt, sraruitc exemplum, quantae poenae sint in civitate hominibus istiusmodi conparatae."
Eine Zerlegung>l' liegt vor, wenn auf mehrere Sachen oder Personen gewisse bestimmte Tätigkeiten verteilt werden, ') 9 z. B. auf folgende Weise: ,.Wer von euch, ihr Herren Richter, den Namen Senat Lebt, muß norn·endigerweise diesen hassen; denn sehr frech hat dieser immer gegen den Senat angekämpft. Wer wünscht, daß der Ritterstand \'OÜ höchstem Glanz in der Bürgerschaft 1St,~0, muß wünschen, daß dieser sehr hart bestraft wird, damit er nicbr durch seine Schamlosigkeit dem so ehrbaren Stande Schimpf und Schande bringt. Ihr, die ihr noch Eltern habt, zeigt durch die Bestrafung dieses Menschen hier, daß \.fenschen, die ihre Eltern nicht achten, euch mißfallen. Ihr, die ihr Kinder habt, ~etzt ein Beispiel dafür, wie harte Strafen in unserer Bürgerschaft für derartige Menschen bereitet ~ind."
ltem: .,Senatus cst officium consilio civitatem iuvare; magistratus est officium opera et diligemia conscqui senarus voluntatem; populi est officium res oprumas ct homines idoneos maxime suis sententiis deligerc er pro bare." Et: .,Accusatoris officium est infcrre cnmma; defensoris diluere et propulsare; testis dicerc, quae sciat aut audicrit; quae~iroris esr unum quemque horum in officio suo conrinere. Quare, L. Cassi, si testem, praererquam quod sciat aut audierit, argumentari et coniecrura prosequi paneris, ius accusaroris cum 1ure re~timonii commiscebis, tesris inprobi cupidttatem confirmabis, reo duplicem defensionem parabis."'
Est haec exornario copiosa. Conprehendit enim brevi multa, er suum cuique tribuens officium separatim rcs dividit plure~. Licentia est, cum apud eos, quos aut vereri aut meruere debemus, tarnen aliquid pro iure nostro
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Ebenso: "Des Senats Pflicht ist es, durch einen Ratschluß die Bürgerschaft zu unterstützen; einer Magistratsperson Pflicht ist es, durch Tatigkeit und mit Gewissenhaftigkeit den Willen des Senats zu vollziehen; des Volkes Pflicht ist es, die besten Maßregeln und geeignersten Männer durch seine Stimmabgabe auszuwählen und zu billigen." Und ebenso: "Des Anklägers Pflicht ist es, Anklagen zu erheben; des Verteidigers Pflicht, sie zu entkräften und zurückzuweisen; des Zeugen Pflicht, zu sagen, was er weiß oder gehört hat; des Untersuchungsrichters Aufgabe ist es, einen jeden einzelnen von diesen auf seine Pllicht zu beschränken. Wenn du deshalb, L. Cassius, duldest, daß ein Zeuge über das hinaus, was er weiß oder gehört hat, Beweise vorbringt und einen mutmaßlichen Schluß zieht, vermischst du das Recht des Anklägers mit dem Zeugenrecht, stärkst die Begterde eines ruchlosen Zeugen, legst dem Angeklagten eine Verteidigung nach zwei Richtungen hin auf."4' Diese Ausschmückung ist reich ausgestattet. Sie umfaßt nämlich in Kür7e vieles, und indem sie jedem seine Pflicht zuteilt, teilt sie mehrere Sachverhalte getrennt für sich ein. Eine Freimütigkeit'4 ' liegt vor, wenn wir vor denen, die wir scheuen oder fürchten müßten, dennoch etwas für unser
LIBER IV
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dicimus, quo eos aur quos ü diligunr aliquo in errato vere reprehendere videamur, hoc modo: .,Miramini, Quirires, quod ab omnibus vestrae rariones deseranrur? quod causam vesrram nemo suscipiat? quod se nemo vestri defensorcm profitearur? Id rribuite vestrae culpae, desinite mirari. Quid est enin1, quare non omnes istam rem fugere ac vitare debeant? Recordamini, quos habueritis defensores; studia eorum vobis antc oculos proponitc; dcindc exitus o!IUlium considerate. Turn vobis venicr in memem, ut vere dicam, neglegentia vestra sive ignavia potius illos omnes ante oculos ''estros trucidatos esse, inimtcos corum vesrris suffragiis tn amplissimum locum pervenisse." ltem: .,Nam quid fuit, iudices, quarein sementiis ferundis dubiraveriris aut isrum hominem nefarium ampliaveritis? non apertissimae res erant crimini darae? non omnes hae tesribus comprobatae? non comra rcnuiter et nugatorie responsum? Hic vos veriti estis, si primo coetu condemnasseris, ne crudeles existimaremini? Dum eam vitasris vituperationem, quae Ionge a vobis aberat, adfuturam eam invenistis, ur timidi atque ignavi putaremini. Maximas privatas et publicas calamirates accepisris; cum etiam maiores inpendere videanrur, sederis et oscitamini. Luci noctem, nocte lucem expectatis. Aliquid cottidie acerbi atque incommodi nuntiatur: et iam eum, cuius opera nobis haec acci· dunt, vos remaramini diutius et alitis ad rei publicae pcrmctem, retinetis, quoad potestis, in civitate!'' Eiusmodi licentia, si nimium ,-idebirur acrimoniae habere, multis mitigationibus lenierur; nam
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Recht sagen, wodurch Wir den Eindruck erwecken, wir würden sie oder diejenigen, die sie lieben, für irgendeinen Irrtum zu Recht tadeln, 7. B. auf folgende Weise: "Ihr wundert euch, Quiriten daß von allen eure Pläne nicht mehr unterstützt werden, daß niemand eure Sache vertritt, daß niemand sich als euer Verteidiger bekennt? Schreibt das eurer eigenen Schuld zu, hört auf, euch zu wundern! Denn was ist der Grund dafür, daß nicht alle vor dieser Sache zurückweichen und sie meiden müßten? Erinnert euch daran, was für Verteidiger ihr schon hattet; stellt euch ihre Bestrebungen vor Augen; dann betrachtet das Ende von 1hnen allen! Darm wird euch in den Sinn kommen, daß diese alle, um den richtigen Ausdruck zu gebrauchen, wegen eurer Gleichgültigkeit oder besser Feigheit vor euren Augen ermordet wurden, ihre Feinde aber durch eure Stimme auf die angesehensten Ponen gclangten.">-~J Ebenso: "Denn was war der Grund dafür, ihr Herren Richter, daß ihr bei der Stimmabgabe zaudertet oder das Urteil gegen diesen Verbrecher vertagtet?'~ Waren ihm nicht die offenkundigsten Verbrechen zum Vorwurf gemacht worden? Waren diese nicht alle durch Zeugenaussagen erwiesen? Wurde darauf nicht mit fadenscheinigen und läppischen Argumenten geantwortet? Da fürchtet ihr euch noch, für grausam gehalten zu werden, falls ihr ihn schon im ersren Verfahren verurteilt härtet? Während ihr diesen Vorv.'Urf vermiedet, der weit und enrfernt war, habt ihr euch dem zusätzlichen ausgesetzt, für ängstlich und feige gehalten zu werden. Sehr großes privates und öffentliches Unheil habt ihr erlitten; während noch größeres bevorzustehen scheint, sitzt ihr da und gähnt. Bei Tag wartet ihr auf die Nacht, nachts auf den Tag. irgend etwas Bitteres und Bedrückendes wird taglieh gemeldet; und den Mann, durch dessen Tätigkeit uns dieses widerfährt, laßt ihr noch länger hier, nährt ihn zum Verderben des Staates und haltet ihn, so gut ihr könnt, in der Bürgerschaft zurück!">-~! Wenn eine derartige Freimütigkeit allzu viel Schärfe 7U besitzen scheint, wird sie durch vielerlei Besänftigungen
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continuo aliquid huiusmodi licebit inferre: "Hic ego virrutem vestram quaero, sapientiam desidero, veterem consuerudinem req uiro", ut quod erit commorum licentia, id mitigerur laude, ut altera res ab iracundia et molestia removeat, altera res ab errato deterreat. Haec res, sicut in amicitia item in dicendo, si loco fit, maltime facit, ut et illi, qui audient, a culpa absint, et nos, qui dicimus, amici ipsorum et veritatis esse videamur.
Est autem quoddam genus in dicendo licentiae, quod astutiore ratione conpararur, cum aut ita obiurgamus eos, qui audiunr, quomodo ipsi se cupiunt obiurgari, aut id, quod scimus facile omnes audituros, dicimus nos rimere, quomodo accipiant, sed tarnen veritate commoveri, ut nihilo setius dicamus. Horum amborum generum exempla subiciemus; prioris, huiusmodi: "Nimium, Quirites, animis escis simplicibus et mansuetis; nimium creditis uni cuique. Existimatis unum quemque eniti, ut perficiat, quae vobis pollicitus sit. Erratis et falsa spe frustra iam diu detinemini srultitia vestra, qui, quod erat in vestra potestate, ab aliis petere quam ipsi sumere maluistis." Posteriocis licentiae hoc erir exemplum: "Mihi cum isto, iudices, fuit amicitia, sed ista tarnen amicitia, tametsi vereor, quomodo accepruri sitis, tarnen dicam, vos me privascis. Quid ita? quia, ut vobis essem probatus, eum, qui vos obpugnabat, inimicum quam amicum habere malui. ~ Ergo haec exornatio, cui licentiae nomcn cst, sicuti demonstravimus, duplici ratione tractabirur:
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gemildert; denn man kann unmittelbar etwas folgender Art einfügen: "Hier suche ich nach eurer Tüchtigkeit, sehne eure Weisheit herbei und forsche nach eurer früheren Lebensweise", damit das, was durch die Freimütigkeit aufgewühlt wurde, durch Lob wieder besänftigt wird, und damit so das eine von Zorn und Verärgerung fernhält, das andre vor einem Irrtum zurückschreckt. Dieses Vorgehen bewirkt ebenso wie in der Freundschaft auch in der Rede, wenn es an der richtigen Stelle angewendet wird, in höchstem Maße, daß die Hörer von Schuld freibleiben und wir, die wir sprechen, als Freunde der Hörer und der Wahrheit erscheinen. Es gibt aber noch eine Art von Freimütigkeit in der Rede, die mit noch schlauerem Vorgehen angewendet wird, wobei wir entweder den Zuhörern solche Vorwürfe machen, wie sie sich selbst wünschen, oder sagen, wir fürchteten zwar, wie sie, die Zuhörer, die Wone aufnähmen, die unseres Wissens alle anderen gerne hören, würden aber durch die Wahrheit dazu veranlaßt, diese Wone nichtsdestoweniger zu sprechen.~ 6 Für diese beiden Arten habe ich Beispiele angefügt; für die erstere folgender Art: "Allzu arglos und gutmütig seid ihr, Quiriten; allzusehr glaubt ihr einem jeden. Ihr seid der Meinung, jeder strenge sich an, das durchzuführen, was er euch versprochen hat. Ihr irrt euch und durch eine falsche Hoffnung laßt ihr euch in eurer Einfalt schon Lange vergeblich hinhalten, die ihr es vorzogt, das, was in eurer eigenen Macht lag, von anderen zu erbitten, statt es selbst zu nehmen. "'~ 7 Für die zweite Art von Freimütigkeit gilt das folgende Beispiel: "Mir diesem Manne, ihr Herren Richter, hatte ich Freundschaft, aber dieser Freundschaft - obwohl ich fürchte, wie ihr es aufnehmen werdet, werde ich es dennoch sagen- habt ihr mich beraubt. Wieso das? Weil ich, um von euch anerkannt zu sein, den Mann, der gegen euch kämpfte, lieber zum Feind als zum Freund haben wollte." Also wird diese Ausschmückung, die Freimütigkeit heißt, wie dargelegt, auf zweifache Weise behandelt: mit Schärfe,
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acrimonia, quae, si nimium fuerir aspera, rnitigabitur laude er adsimulatione, de qua posterius diximus, quae non indiget mirigationis, proprerea quod unitatur licenriam er sua sponte se ad animum auditori~ adcommodat. Deminutio est, quom aliquid inesse in nobis aur XXXVIII in üs, quos defendimus, aut natura aut fortuna aur industria dicemus egregium, quod, ne qua significctur adrogans ostenrario, derninuitur er adtenuarur oratione, hoc modo: "Nam hoc pro meo iure, iudices, dico me Iabore er industria curasse, ut disciplinam militarem non in postremis tencrem." Hic si quis dixisset: "ur oprime tenerem", tametsi vere dixisset, ramen adrogans visus esset. Nunc et ad invidiam vitandam et laudem conparandam satis dierum est. Item: "Utrum igitur causa avaritiae an egestatis accessit ad maleficium? Avaririae? At largissimus fuit in amicos; quod signum liberalitatis est, quae contraria esr avaritiae. Egestatis? At huic quidem pater - nolo nimium dicere - non tenuissimum patrimonium reliquir." Hic quoque vitarum est, ne "magnum" aut "maximum" diceretur. Hoc igirur in nostris aur eorum, quos defendemus, egregiis commodis proferundis observabimus. Nam eiusmodi res et invidiam contrahunt in vita et odium in oratione, si inconsiderate tractes. Quare quemadmodum ratione in vivendo fugitur invidi~ sie in dicendo consilio vitatur odium. Descriptio nominatur, quae rerum consequen- XXXIX tium conrinet perspicuam er dilucidam cum gravis, tate expositionem, hoc modo:
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die, wenn sie allzu barsch ist, durch Lob gemindert wird und durch ein verstelltes Sich-Annähern, worüber ich 1uletzt ;esprochen habe, das keiner Milderung bedarf, deswegen v.·eil es die Freimütigkeit nachahmt und ganz von selbst sich der Gesinnung des Zuhörers anpaßt. Eine Abschwächung'4 ' liegt vor, wenn wir sagen, wir oder diejenigen, die wir verteidigen, besäßen \'On Natur aus oder durch das Schicksal oder durch eigenen Fleiß eine herausragende Eigenschaf~ die aber in der Rede abgeschwächt und :ermmdert wird, damit nicht eine anmaßende Prahlerei an den Tag gelegt wird, 1. B. auf folgende Weise: .,Denn dtes sage ich mit gutem Recht, ihr Herren Richter, daß ich mit Mühe und Fleiß dafür gesorgt habe, daß ich die militärische Ausbildung nicht an die letzte Stelle stellte." Wenn man an dieser Stelle gesagt hätte: "daß ich sie bestens durchführte", hätte man wohl die Wahrheit gesagt, wäre aber anmaßend erschienen. Nun aber wurde genug gesagt, um Mißgunst zu vermeiden und Lob zu erwerben. Ebenso: "Kam er also aus Habsucht oder Not zu dem Verbrechen? Aus Habsucht? Aber er war doch sehr verschwenderisch gegen seine Freunde; dies ist ein Zeichen für Freigebigkeit, den Gegensatz zu Habgier. Aus Not ? Aber ihm hat doch sein Vater - ich will nicht allzuviel sagen nicht gerade ein sehr geringes Vermögen hinterlassen." Auch hier wurde vem1ieden, es groß oder sehr groß tu nennen. Dies also werden wir beachten, wenn wir unsere eigenen herausragenden Vorzüge oder die derer, welche wir verteidigen, anführen. Denn derartige Eigenschaften ziehen im Leben Neid auf sich und in der Rede Haß, wenn man sie unüberlegt behandelt. Wie man deshalb im Leben durch Vernunft dem Neid endliebt, so meidet man in der Rede durch Überlegung den Haß. Schilderung4 ' wird das Stilmittel genannt, welches von den folgenden Ereignissen eine durchschaubare und klare Darstellung voller Feierlichkeit enthält, z. B. auf folgende Weise:
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.,Quodsi isrum, iudices, vesrris sementiis liberaveritis, sracirn, sicur ex cavea leo emissus aut aliqua taererrima belua solura ex catenis, volitabic et vagabitur in foro, acuens dentes in unius cuiusque forrunas. in omnes amicos atque inimicos, notos atquc ignotos incursitans, aliorum famam depeculans, aliorum caput obpugnans, aliorum domum ac omnem familiam perfringens, rem p. fundirus labefactans. Quare, iudices, eicite euro de civitate, Ii berate omnes forrnidine; vobis denique ipsis consulite. Nam si isrum inpunirum dimiseriris, in vosmet ipsos, mihi credite, feram er truculentam besriam, iudices, inmiseritis."
ltem: "Nam si de hoc, iudices, gravem sementiam ruleritis, uno iudicio simul multos iugulavericis. Grandis natu parens, cuius spes senecrutis omnis in huius adulescentia posita est, quare velit in vita manere, non habebit; fili parvi, privari patris auxilio, ludibrio er despecrui paternis inimicis erunt obpositi; cota domus huius indigna concidet calamitate; at inimici, srarim sanguinulentam palmam crudelissima victoria poriti, insultabunt in horum miserias er superbi a re simul er verbis invenienrur."
Item: "Narn neminem vescrum fugit, Quirites, urbe capta quae miseriae consequi soleant: anna qui contra rulerunt, statim crudelissime trucidanrur; ceteri, qui possunt per aetatem et vires Jaborem ferre, rapiunrur in servitutem, qui non pössunt, vita privanrur; uno denique atque eodem rempore domus hosrili flagrant incendio, et quos
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"Wenn ihr nun dtesen Mann, ihr Herren Richter, durch eure Stimmabgabe freisprecht, wird er sofort wie ein Löwe, der aus dem Käfig freigelassen, oder wie irgendein ganz scheußliches Untier, das aus den Ketten gelöst wurde,'' 0 sich frech herumtreiben und auf dem Forum umherstreifen,'" seine Zähne schärfen gegen jedermanns Besitz, gegen alle Freunde und Feinde, Bekannte und Unbekannte losstürmen, den einen ihren guten Ruf rauben, anderen nach dem Leben trachten, anderen ihr Haus und ihre Hausgemeinschaft zerschmettern und dc:n Staat in seinen Grundfesten zum Wanken bringen. Deshalb, thr Herren Richter, werft ihn aus der Bürgerschaft hinaus; befreit alle ,·on Furche; sorgt schließlich für euch selbst. Denn wenn ihr diesen da ungestraft laufen Jaßt, dann laßt thr gegen euch selbst, glaubt mir, ihr Herren Richter, ein wildes und grimmiges Untier los.~ Ebenso: "Denn wenn ihr über diesen :Mann, ihr Herren Richter, ein hartes Ureeil fällt, erdrosselt ihr durch diesen euren Urteilsspruch gleichzeitig viele andere: Sein hochbetagter Vater, dessen Hoffnung in seinem Alter gan7 auf der Jugend von diesem beruht, wird keinen Grund mehr haben, warum er wünschen sollte, am Leben zu bleiben; seine kleinen Söhne werden, der Hilfe des Vaters beraubt, dem Spott und der Verachtung der Feinde ihres Vaters ausgeliefert \ein; sein ganzes Haus wird unter dem unverdienten Unglück zusammenstürzen. Dagegen werden seine Feinde sofort, wenn sie die blutbeschmierte Siegespalme in dem allergrausamsten Sieg errungen haben, deren Unheil frech verhöhnen, und man wird sie hochmütig in ihrem Tun ebenso wie in ihren Worten finden." Ebenso: "Denn jeder von euch weiß, Quiriten, welches Unheil nach der Einnahme einer Stadt gewöhnlich folgt: Wer Waffen getragen hat, wird auf der Stelle auf das grausamste ermordet; die übrigen, die noch jung genug sind und die Kräfte besitzen, um Strapazen auf sich nehmen zu können, werden in die Sklaverei geschleppt, die es nicht können, denen wird das Leben genommen; im gleichen Augenblick schließlich lodern die Häuser durch die Brandstiftung der
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narura aut volunras necessirudine et benivolentia coniunxit, distrahunrur; liberi partim e grerniis diripiuntur parenrum, partim in sinu iugulanrur, partim anre pedes constuprantur. Nemo, iud1ces, est, qui possit satis rem consequi verbis nec efferre orationc magnirudinem calamitatis."
Hoce genere exomationis vel indignatio vel misericordia potest commoveri, cum res consequentes conprehensae universae perspicua breviter exprimunrur oratione. Divisio esr, quae rem semovens ab re urrarnque absolvit ratione subiecta, hoc modo:
.,Cur ego nunc cibi quicquam obiciam? Si probus es, non meruisci; si inprobus, non commovebere." ltem: .,Quid nunc cgo de meis propriis meritis praedicem? Si meminiscis, obrundam; si obliti estis, cum re nihil egerim, quid est, quod verbis proficere possim?" ltem: .,Duae res sunr, quae possunt homines ad rurpe conpendium commovere: inopia arque avariria. Te avarum in fratema divisione cognovinms; inopem atque egentem nunc videmus. Qui potes igitur osrcndere causam maleficii non fuisse?" lnter hanc divisioncm et iUam, quae de partibus orationis tertia est, de qua in primo l.ibro diximus secundum narracionem, hoc interest: illa di\;dit per enumeracionem aut per expositionem, quibus de rebus in rotam orationem disputatio furura sit;
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Feinde, und die Menschen, welche natürliche Bande und freier Wille in Blutsverwandtschaft und Zuneigung verbunden haben, werden auseinandergerissen; die Kinder werden teils aus dem Schoß ihrer Eltern gerissen, teils an deren Brust erdrosselt, teils vor ihren Füßen geschändet. Niemanden gibt es, ihr Herren Richter, der das Geschehen angemessen genug mir Worten schildern und die Größe des Unglücks in der Rede hervorheben könnte. ">P Durch diese Art der Ausschmückung kann man Empörung oder Mitleid erregen, wenn die Folgen aUe in gedrängter form in einer deutlichen Rede zum Ausdruck gebracht werden. Eine Zerteilung'U ist das Stilmittel, welches einen Punkt vom anderen Punkt absondert und beide für sich behandelt unter Hinzufügung einer Begründung, z. B. auf folgende Weise: ,.Warum also sollte ich dir erwas vorwerfen? Wenn du rechtschaffen bist, hast du es nicht verdient; wenn nicht, wirst du dadurch nicht beeindruckt. "•H Ebenso: ,.Warum soll ich nun meine Verdienste rühmen? Wenn ihr euch an sie erinnert, belästige ich euch nur damit; wenn ihr sie aber 'ergessen habt, was könnte ich dann, da ich durch die Tat nichts bewirkt habe, mit Worten erreichen?" Ebenso: .,Es gibt 7wei Dinge, die die Menschen w schändlichem Gewinn verleiten können: Not und Habsucht!ll Dich haben wir als habsüchtig erkannt bei der Erbteilung mit deinem Bruder; als notleidend und bedürftig sehen wir dich jetzt. Wie könntest du also beweisen, daß es keinen Grund für eine schlechte Tat gegeben hat?" Zwischen dieser Zerlegung und der Gliederung des Stoffes, welche von den Teilen der Rede der dritte ist- ich habe darüber im r. Buch gleich nach der Darlegung des Sachverhaltes gesprochen' 16 -, besteht folgender Unterschied: Jene zuerst genannte gliedert durch Aufzählung oder durch eine Themaangabe die Punkte, die in der ganzen Rede erörtert werden solJen; diese letztgenannte enrwickelt sich gleich auf
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haec sc statim cxplicat ct brevi duabus aut pluribus partibus subiciens rationcs exornar orationcm. Frequcmacio est, cum rcs in tota causa dispersae coguntur in unum locum, quo gravior aut acrior aur criminosior oratio sit. hoc pacto: ..,A quo tandem abest iste vitio? quid est, cur iudicio velitis eum liberare? Suae pudicitiae proditor est, insidiator alienae; cupidm, intcmperans, perulans, ~uperbus, inpius in parenres, ingratus in amicos, infestus cognatis, in superiores conrumax, in aequos ct pares fastidiosus. in inferiores crudelis, denique in omnis intolerabilis." Eiusdem generis est illa frequentario, quae plurimum coniecturalibus causis opitularur, cum suspiciones, quae separatim dictae minutae et infirmae erant, unum in locum coacrae rem videnrur perspicuam facere, non suspiciosam, hoc pacto: "Nolite igirur, nolite, iudices, ea, quae dixi, separatim spectare; sed omnia colligite et conferte in unum locum. Si et commodum ad istum ex illius morte veniebat et ''ita hominis est rurpissima, animus avarissimus, fonunae familiares attenuacissimae et res ista bono nemini praeter isrum fuir, neque alius quisquam aeque commode neque iste aliis commodioribus rarionibus facere potuit, neque praereritum est ab isto quicquam, quod opus fuit; cum locus idoneus maxime quaesitus, turn occa.sio adgredieodi commoda, tempus adeundi opportunissimum, spatium conficiendi longissimum sumptum est, non sine maxima occultandi maleficii spe; et praeterea, ante quam occisus ho-
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der Stelle und, indem sie in Kürze den zwei oder mehr Teilen Begründungen hinzufügt, schmückt sie die Rede aus. Eine wiederholende Zusammenstellung>s; liegt vor, wenn Aussagen, die über die ganze Rechtssache zerstreut sind, an einer Stelle 7Usammengezogen werden, damit die Rede um so feierlicher, heftiger oder anklagender ist, 7. B. auf folgende Art: "Mir welchem Laster schließlich hat dieser Mann da nichts zu tun? Was ist der Grund dafür, daß ihr ihn durch euren Urteilsspruch freisprechen wollt? Seine eigene Sittsamkeit gibt er pre1s, fremder Sittsamkeit stellt er nach; er ist gierig, unbeherrscht, frech, hochmütig; gegen seine Eltern ist er ehrfurchtlos, gegen Freunde undankbar, Verwandren begegnet er feindlich; trotzig ist er gegen Höhergestellte, schnöde gegen Gleichgestelire und Ebenbürtige, grausam gegen Niedrigere; kurz und gut, er ist gegen alle unerträglich." Von der nämlichen Art ist auch jene ~viederholende Zusammenstellung, welche am meisten in Rechtsfällen, die auf einer Vermutung beruhen, Hilfe leistet, wenn Verdächtigungen, die getrennt genannt von geringer Wirkung und schwacher Kraft "'aren, an eine Stelle zusammengezogen den Sachverhalt klar durchschaubar und nicht nur verdächtig erscheinen lasseo,>S8 z. B. auf folgende Art: 'S9 "Betrachtet also, ihr Herren Richter, betrachtet, bitte, das, was ich gesagt habe, nicht jeweils für sich getrennt, sondern nehmt alles 7usammen und bringt es auf einen Punkt. Wenn ein Vorteil für diesen da zustande kam aus dem Tode jenes Mannes; wenn das Vorleben des Angeklagten in größter Schande verlief, er sehr habsüchtig ist und sein Vermögen sehr geschmälert war; wenn dieses Ereignis niemandem Nutten brachte außer diesem da;' 60 und wenn kein anderer die Tat gleich günstig und wenn auch dieser da sie nicht unter anderen günstigeren Bedingungen ausführen konnte; wenn von diesem da nichts ausgelassen wurde, was nötig war; wenn ein sehr geeigneter Ort ausgesucht wurde, eine günstige Gelegenheit, um die Tat in Angriff zu nehmen, und der passendste Zeitpunkt, um sie anzugehen; wenn für die
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mo is est, iste visus esr in eo loco, in quo cst occisio facra, solus; paulo post in ipso maleficio vox illius, qui occidebatur, audira; deinde post occisionem istum multa nocre domum redisse constat; po~tero die tirubanter et inconstanrer de occisione illius locutum; haec partim testimoniis, partim quaestionibus argumenratis omnia conprobantur et rumore populi, quem ex argumenris natum neces~e est esse verum: vestrum, iudices, est, his in unum locum collatis, certarn sumere sententiam, non suspicionem maleficii. Nam unum aliquid aut alterum potest in istum casu cecidisse suspiciose; ur omnia inter se a primo ad postremum conveniant maleficio, necesse est; casu non potest fieri."
Vehemens haec est exornario et in coniecturali constirutione causae ferme semper necessaria er in cereris generibus causarum er in omni oratione adhibenda nonnumquam. Expolitio est, euro in eodem loco manemus er aliud atque aliud dicere videmur. Ea dupliciter fit: si aut eandem plane dicemus rem aut de eadem re.
Eandem rem dicemus non eodem modo - nam id quidem optundere auditorem est, non rem expolire -, sed commutare. Commutabimus tripliciter: verbis, pronuntiando, tractando.
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Durchführung der Tat ein sehr langer Zeitraum genommen wurde, nicht ohne die berechtigte Aussicht, das Verbrechen verborgen halten zu können; und außerdem wenn, bevor der Mann getötet wurde, di~er allein an dem Ort gesehen wurde, wo der Mord geschah; wenn kurz darauf während des Verbrechens selbst die Stimme dessen, der ermordet wurde, gehört wurde; wenn dann nach dem Mord dieser da mitten in der Nacht nach Hause zurückkehrte, wie feststeht; wenn er am folgenden Tag stockend und unsicher über die Ermordung des Mannes sprach; 16' wenn diese Einzelheiten alle teils durch Zeugenaussagen, teils durch bewiesene Untersuchungsergebnisse als richtig befunden werden und ebenso durch die Stimme des Volkes, die aus Beweisen sich bildet und deswegen notwendigerweise die Wahrheit wiedergibt, dann ist es eure Pflicht, ihr Herren Richter, aus diesen an eine Stelle zusammengefaßren Punkten die sichere Kenntnis und nicht nur einen Verdacht des Verbrechens herzuleiten. Denn das eine oder das andere könnte auf diesen da zufällig als Verdacht gefallen sein; daß aber alle Einzelheiten untereinander vom ersten bis zum letzten Punkt zu dem Verbrechen passen, ist ein zwingender Beweis; Zufall kann es nicht sein." Wtrkungsvoll ist diese Ausschmückung und bei der auf Vermutung beruhenden Begründungsform eines RechrsfaJles fast immer notwendig, auch bei den übrigen Arten von Redeanlässen und in jeder Rede soll sie bisweilen angewendet werden. Eine Ausmalung161 liegt vor, wenn wir bei ein und demselben Punkte bleiben und trotzdem immer wieder etwas anderes zu sagen scheinen. Sie kommt auf zweifache Weise zustande: wenn wir entweder ein und dieselbe Sache lang und breit ausführen oder vom Umfelde ein und derselben Sache sprechen. Ein und dieselbe Sache führen wir nicht auf dieselbe Weise aus - denn das bedeutete dem Zuhörer lästig fallen, nicht einen Sachverhalt ausmalen -, sondern auf veränderte Art. \Vir verändern auf dreifache Weise: in der Wonwahl, in der Vortragsart und in der Art der Erörterung.
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Verbis commurabimu~, cum re seme1 dicca irerum aut saepius aliis verbis, quae idem valeant, eadem res profererur, hoc modo: "NuUum tanrum est periculum, quod sapiens pro salute patriae V"itandum arbitrerur. Cum agetur incolumitaS perperua civitatis, qui bonis erit racionibus praedltus, profecto nuUum vitae discrimen sibi pro fommis rei pubücae fugiendum putabit, et erit in ea senrencia semper, ut pro patria srudiose quam\·is in magnam descendat vitae dimicationem." Pronunriando commurabimu~, si cum in sermone turn in acrimonia, rum in aüo atque aüo genere vocis atque gestus eadem verbis commutando pronunriationem quoque vehemenrius inmutabimus. Hoc ncque commodissime scribi potest neque parum est aperrum; quare non eget exempü.
Tertium gcnus esr commutationis, quod tractando conficitur, si sententiam traiciemus aut ad .. . . sermocmauonem aur cxsusctrauonem.
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Sermocinatio est- de qua planius paulo post suo loco dicemus, nunc breviter, quod ad hanc rcm satis sit, attingemus -, in qua constituetur alicuius personae oratio adcommodata ad dignitatem, hoc modo ut, quo facilius rcs cognosci possit, ne ab eadem sententia recedamus:
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"Sapiens omma ret publicae causa suscipienda pericula putabit. Saepe ipse sccum loquetur: ,Non mihi soli, sed etiam atque adeo multo potius natus
In der Wortwahl verändern wir, wenn ein und derselbe Sachverhalt, nachdem er einmal ausgesprochen ist, immer wieder mit anderen Worten, die genau dasselbe bedeuten, vorgerragen wird, z. B. auf folgende Weise: .,Keine Gefahr ist so groß, der der Weise ausweichen z.u dürfen glaubte, wenn es um das Wohl des Vaterlandes geht. Wenn es um die dauernde Unversehrtheir der Bürgerschaft geht, wird ein Mann, der mit guten Grundsäuen begabt ist, in der Tat nicht glauben, er dürfe vor einer Lebensgefahr zurückweichen, wenn es um das Glück des Staates geht, und er wird immer bei dem Entschluß verharren, für das Vaterland mir Begeisterung sich in einen auch noch so harten Kampf auf Leben und Tod einzulassen."'6 l In der Vortragsan verändern wir, wenn wir erst in ruhigem Gesprächston, dann in heftiger Sprechweise, dann wieder in diesem und jenem Tonfall und mit diesem und jenem Gebärdenspiel ein und dasselbe mit Worten verändern und dadurch noch die Vortragsart recht wirkungsvoll abändern. Dies kann nicht ganz angemessen beschrieben werden und es ist auch offenkundig genug; deshalb bedarf es keines Beispieles. Es gibt eine dritte Art der Veränderung, die durch die Art der Erörterung durchgeführt wurde, wenn wir die Meinungsäußerung überleiten auf die Einführung eines Redenden oder die Aufmunterung. Die Einführung eines Redenden- darüber werde ich ausführlicher erwas weiter unten an geeigneter Stelle sprechen, ' 64 jcrz.r will ich sie nur kurz berühren, soweit es für die vorliegende Erscheinung genügt- ist das Srilminel, bei welchem die Rede irgendeiner Person, angeglichen an ihren Rang und Charakter, eingefügt wird, z..B. auf folgende Weise - damit der Sachverhalt um so leichter erkannt werden kann, will ich nicht von der nämlichen Aussage abweichen: "Der Weise glaubt, er müsse um des Staates wiUen aUe Gefahren auf sich nehmen!61 Oft spricht er bei sich selbst: ,Nicht für mich allein, sondern auch und noch viel mehr bin
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sum patriae; vita, quae fato debetur, saluti parriae potissimum solvarur. Aluit haec me; rute arque honeste produxit usque ad hanc aetatem; munivit meas rationes bonis legibus, oprumis moribus, honestissimis disciplinis. Quid est, quod a me satis ei persolvi possit, unde haec acccpi?' Exinde haec loquerur secum sapiens sacpe: ,Ergo in periculis rei publicae null um ipse periculum fugi.'"
ltem mutatur res tractando, si traducirur ad exsuscirationem, cum er nos commoti dicerc videamur et auditoris animum commovemus, sie: "Quis est tarn tenui cogitattone praedirus, cuius animus tantis angusciis invidiae continerur, qui non hunc hominem srudiosissime lauder et sapienrissimum iudicet, qui pro salute parriae, pro incolumirate civitatis, pro rei publicae fonunis quamvis magnum arque atrox periculum studiose suscipiat er libenrer subeat? Equidem bunc hominem magis cupio saris laudare, quam possum; idemque hoc cerro scio vobis omnibus usu venire." Eadem res igirur his rribus in dicundo commutabitur rebus: verbis, pronuntiando, tractando; sed rractando duplicirer: sermocinarione er exsuscitatione.
Scd de eadern re euro dicemus, plurimis utemur commutationibus. Nam cum rem simplicirer pronuntiarimus, rationem poterimus subicere; deinde duplicirer vcl sine rarionibus vel cum rationibus pronunriare; deinde afferre conrrarium - de quibus omnibus diximus in ,·erborum exomationibus -; deinde simile et exemplum - de quo suo loco plura dicemus -; deinde conclusionem - de
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ich für das Vaterland geboren; mein Leben, das ich dem Geschick verdanke, soll in erster Linie für das Vaterland eingelöst werden. Dieses hat mich aufgezogen; in Sicherheit und in Ehren hat es mich bis z.u meinem jerz.igen Alter geleitet; geschützt hat es meine Grundsätze durch gute Geset".e.e, trefflichste Sitten und sehr ehrenhafte Lehren. Was gibt es da, was von mir ihm, von dem ich dies empfangen habe, binreichend entrichtet werden könnte?' Alsdann spricht der Weise die folgenden Worte häufig bei sich: ,Also wich ich in Gefahren für den Staat selbst keiner Gefahr aus.'" Ebenso wird ein Sachverhalt durch die An der Erörterung geändert, wenn er auf eine Ermunterung übergeleitet wird, da wir den Eindruck wecken, wir seien erregt, und wir erregen dadurch den Zuhörer, z. B. so: "Wer hat ein so geringes Denkvermögen, wessen Sinn wird von Neid so eng umzingelt gehalten, daß er nicht diesen Mann mit größtem Eifer lobt und für sehr weise hält, welcher für das Wohl des Vaterlandes, für die Unversehnheir der Bürgerschaft, für das Glück des Staates eine so große und schreckliche Gefahr mit Begeisterung auf sich nimmt und sich ihr unterl.ieht? Ich für meine Person wünschte diesen Mann mehr gebührend zu loben, als ich kann; und ich weiß sicher, daß es euch allen ebenso ergeht." Ein und derselbe Sach,·erhalt wird also durch diese drei Möglichkeiten beim Sprechen verändert: durch die Wortwahl, durch die Vonragsart, und durch die Art der Erörterung; durch die Art der Erörterung aber in doppelter Form: durch die Einführung eines Redenden und durch die Aufmunterung. Aber wenn wir von ein und demselben Sachverhalt sprechen,166 wenden wir sehr viele Veränderungen an. Denn wenn wir einen Sachverhalt in einfacher Form vorgetragen haben, können wir eine Begründung anfügen; dann können wir ihn in doppelter Form ohne oder mit Begründung vortragen; dann können wir einen Gegensatz anführen - über alle diese Möglichkeiten habe ich bei den Wortfiguren gesprochen;•6 7 dann einen Vergleich und ein Beispiel - dar-
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qua in secundo libro, quae opus fuerunt, dixirnus demonsrrantes, argwnentationes quemadmodurn concludere oporteat: in hoc libro docuimus, cuiusmodi esset exornatio verborum, cui conclusioni nomen est. Ergo huiusmodi vehementer ornata potent esse
expolitio, quae consrabit ex frequentibus exornationibus verborum et scntentiarurn. Hoc modo igitur septem partibus tractabitur - sed ab eiusdem sententiae non recedemus exemplo, ur scire possis, quam facile praeceptione rhetoricae res simplex multiplici ratione tracterur: ,.Sapiens nullum pro re p. periculum virabit, idco quod saepe, cum pro re p. perire noluerit, necesse erit cum re p. pereat; et quoniam omnia sunt commoda a patria accepta, nullum mcommodum pro patria gravc putandum est. Ergo qui fugiunt id periculum, quod pro re p. subeundum est, stulte faciunt: nam neque effugere incommoda possum er ingrati in civitatem reperiunrur. At qui patriae pericula suo periculo expetant, hi sapiemes putandi sunt, cum er eum, quem dcbent honorcm rei p., reddunt et pro multis perire malunt quam euro mulcis.
Etenim vehementer est iniquum vitam, quam a narura acceptam proprer patriam conserva•eris, narurae, cum cogat, reddere, patriae, cum roget, non dare; et, cum possis cum summa virtute et honore pro patria inrerire, malle per dedecus et ignaviarn vivere; pro amicis ct parcmibus er ceteris necessariis adire periculum, pro re p., in qua et
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über werde ich an geeigneter Stelle mehr sagen;' 68 dann eine Schlußfolgerung- darüber habe ich in1 2. ßuch'69 gesagt, was nötig war, indem ich darlegte, wie man Beweisführungen zu Schlußfolgerungen bringen müsse; im vorliegenden Buch'~ habe ich gelehrt, von welcher Art die Ausschmückung der Worte sei, die die Be7eichnung Schlußfolgerung hat. Also kann eine deranige Ausmalung wirkungsvoU geschmückt sein, welche aus häufigen Aosschmüclrunscn von Wörtern und Gedanken besteht. Auf diese Weise wird sie also in sieben Teilen durchgeführt - ich will dabei nicht von dem Beispiel mit dem nämlichen Gedanken abweichen, damit du wissen kanmt, wie leicht mittels der Anleitung der Redekunst ein einfacher Sachverhalt auf vielfältige Weise dargestellt wird:•·• "Der Weise wird für den Staat keine Gefahr vermeiden, deswegen weil oft jemand, der nicht für den Staat zugrunde gehen wollte, notgedrungen mit dem Staat untergeht und weil ja alle Vorteile vom Vaterland empfangen sind und man keinen Nachteil, den man für das Vaterland in Kauf nimmt, für schwerwiegend halten darf. Diejenigen also, die dieser Gefahr ausweichen, der man sich für das Vaterland unterziehen muß, handeln töricht; denn sie können den Nachteilen nicht entkommen und werden darüber hinaus als undankbar gegen die Bürgerschaft befunden. Aber diejenigen, die Gefahren, die dem Vaterland drohen, durch eine Gefahr für sich auf sich ziehen, soiJ man für weise halten, weil sie dem Staat die Ehre erweisen, die sie schulden, und lieber für viele zugrunde gehen wo!Jen als mit \oielen. Und in der Tat ist es ganz und gar ungerecht, das Leben, das man von der Natur erhalten und wegen des Vaterlandes geschützt hat, der Natur zurückzugeben, wenn sie dazu zwingt, dem Vaterland aber nicht hinzugeben, wenn es darum bittet; und während man mit größtem Verdienst und größter Ehre für das Vaterland sterben könnte, es vorzuziehen, in Schande und Feigheit zu leben; für Freunde, Eltern und die übrigen Menschen, die einem nahestehen, sich einer
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haec er illud sancrissimum patriae nomen continerur, nolle in discrimen venire. lta uci contemnendus est, qUI rn navigando navim quam se non mavu1t incolumem, item vituperandus, qui in rei p. discrimine suae plus quam communi saluci consulit. Navi enim fracta multi incolumes evaserunt; ex naufragio patriae salvus nemo potest enatare.
Quod mihi bene videtur Decius intellexisse, qui se devovisse dicitur er pro legionibus in hostis inmisisse medios. Amisir vitam, at non perdidit. Re enim vilissima caram er pacva maximam redernit. Vitam dedit, accepir patriam; amisit animam, poritus esr gloriam, quae cum summa laude prodita vetustate cotridie magis enirescit.
Quodsi pro re publica dccere accedere periculum et ratione demonsrrarum est et exemplo conprobarum, ü sapientes sunt existimand1, qui nullum pro salute patriae periculum vitant." ln his igirur generibus expolitio versatur; dc qua producti sumus, ut plura diceremus, quod non modo, cum causam dicimus, adiuvat er exomat orationem, sed multo maxime per e~m exercemur ad elocutionis facultatem. Quare conveniet extra causam in exercendo rariones adhibere expolitionis, in dicendo uti, cum exornabimus argumentarionem, de qua re diximus in libco secundo. Commoracio est, cum in loco firmissimo, quo tota causa concinetur, manerur diurius et eodem
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Gefahr aus7usetzen, für den Staat, in dem dies alles ond jener heiligste Begriff Vaterland enthalten ist, nicht in eine gefährliche Lage geraten zu wollen. Und wie der Mann Verachrung verdient, der, wenn er zur See fährt, nicht lieber sein Schiff unversehrt erhalten möchte als sich, so soll der getadelt werden, welcher in einer Für den S~t gefährlichen Sirnation mehr auf ~eine eigene Renung aus ist als auf die Rerrung der Gemeinschaft. Einem Schiffbruch nämlich sind schon viele unversehrt entronnen; aus einem Schiffbruch des Vaterlandes aber kann niemand heil schwimmend entkommen. Dies scheint mir Decius•7• gut erkannt zu haben, der, wie man sagt, sich dem Opfertode weihte und sich an der Spitze der Legionen mitten in die Feinde stürzte. Er verlor sein Leben. aber er richtete es nicht unnütz zugrunde. Für ein völlig wertloses Gut nämlich erkaufte er ein wem·olles und für ein geringes das größte. Sein Leben gab er hin, er erhielt das Vaterland; er verlor die Lebenskraft, er erwarb sich Ruhm, der, unter höchster Anerkennung im Laufe der Jahre hervorgehoben, täglich mehr erstrahlt. Wenn nun also durch die Vernunft bewiesen und durch ein Beispiel bestätigt iSt, daß man verpflichtet ist, für den Staat einer Gefahr entgegen7utreren, muß man diejenigen für weise halten, die für das Wohl des Vaterlandes keiner Gefahr aus dem Wege geben." In diesen Arten also bewegt sich die Ausmalung; ich wurde veranlaßt, darüber mehr zu sagen, weil sie nicht nur, wenn wir eine Sache vor Gericht vertreten, unsere Rede unterstütn und ausschmückt, sondern weil wir uns durch sie in gan7 besonderem Maße üben für die Geschicklichkeit im Ausdruck. Deshalb empfiehlt es sieb, auch außerhalb von wirklichen Gerichtsreden beim Üben die Möglichkeiten der Ausmalung anzuwenden und sie bei wirklichen Reden zu verwerten, wenn wir die Beweisführung ausschmücken, über die ich im 2. Buch'l.l geschrieben habe. Ein Verweilen'74 liegt vor, wenn man bei der wichtigsten Stelle, an der die ganze Sache 7usammengefaßt wird, etwas
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saepius redirur. Hac uri maxime convemt er id est oraroris boni max:ime proprium. Non enim datur audirori potestas animum de re firrnissima demovendi. Huic exemplum satis idoneum subici non poruit, propterea quod hic locus non est a tora causa separatus sicuri membrum aliquod, sed tamquam sanguis perfusus cst pcr totum corpus ora-
tionis. Contentio est, per quam contraria referuntur. Ea est in verborum exomarionibus, ur ante docuimus, huiusmodi: ,.lnimicis te placabilem, amicis inexorabilem praebes." In sententiarurn, huiusmodi: "Vos huius incommodis lugeris, iste rei publicae calamitate laetatur. Vos vestris forrunis diffidiris, iste solus suis eo magis confidit." Inter haec duo comemionum genera hoc intercsr: illud cx verbis celeriter relaris constat; hic senrentiae contrariae ex conparationc referanrur oportet. Similirudo est oratio rraducens ad rem quampiam aJiquid ex re dispari simile. Ea sumirur aur omandi causa aur probandi aur apertiu~ dicendi aut ame oculos ponendi. Er quomodo quatruor de causis sumitur, item quauuor modis dicirur: per comrarium, per negationem, per conlationem, per breviratem. Ad unam quamque sumendae causam similirudinis adcommodabimus sinb>ulos modos pronuntiandi. Ornandi causa sumitur per comrarium sie:
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länger stehen bleibt und wenn man öfter eben darauf zurückkommt. Es anzuwenden empfiehlt sich ganz besonders, und das ist ganz besonders das Merkmal eines guten Redners. Dem Zuhörer wird nämlich nicht die Möglichkeit gegeben, seine Aufmerksamkeit von einer sehr wichtigen Sache abzuwenden. Für dieses Stilmittelläßt sich kein hinreichend geeignetes Beispiel anfügen, deswegen weil diese Stelle nicht von der ganzen Rede getrennt ist wie irgendein Glied, sondern wie Blut den ganzen Körper der Rede durchdringt.'71 Die Amithese isr das Srilmirrel, durch welches Gegensätze vorgetragen werden. Sie ist bei Ausschmückungen der Wörter, wie ich oben"6 7eigte, z. ß. von folgender Art: "Feinden erweist du dich versöhnlich, Freunden unerbittlich." Bei Ausschmückungen der Gedanken z. B. von folgender Art: "Ihr trauert über das Unglück dieses Mannes, dieser da freut sich über das Unheil des Staates. Ihr mißtraut eurem Glück, dieser da vertraut allein dem seinen um so mehr." Zwischen diesen beiden Arten von Antithesen bestehr folgender Unterschied: Die erstere bestehr aus schnell vorgebrachten Worten; im 7Welten Fall müssen gegensätzliche Gedanken zum Vergleich vorgebracht werden. Der Vergleich>" ist ei.ne Redeweise, welche etwas Ähnliches aus einem verschiedenen Gebiet auf irgendeinen Sachverhalt überträgt. Man nimmt ihn, um zu schmücken, um zu beweisen, um offener 7U sprechen oder um etwas vor Augen zu stellen. Und wie man ihn aus vier Gründen nimmt, so spricht man ihn auf vier Weisen aus: durch einen Gegensatz, durch eine Verncinung, durch eine vergleichende Gegenüberstellung und durch Kürze. Nach jedem einzelnen Grund, einen Vergleich 7U nehmen, richten wir die einzelnen Arten des Vortrages aus. Um zu schmücken, nimmt man ihn durch einen Gegensatz, z. B. so:
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"Non enim, quemadmo
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"Denn nicht wie in der Palaestra einer, der das brennende Kienholz übernimmt.178 den Lauf schneller fortsetzt als der, der es übergibt, ist auch der neue Feldherr, der das Heer übernimmt, besser als der, welcher abtritt; der Grund dafür tst, daß ein erschöpfter Läufer einem frischen die Fackel, hier aber ein erfahrener Feldherr einem unerfahrenen das Heer übergibt." Dies hätte auch ohne Vergleich genügend deutlich, klar und glaubhaft gesagt werden können auf folgende Weise: "Man sagt, daß gewöhnlich weniger tüchtige Feldherren das Heer von rüchrigeren übernehmen"; aber um zu schmücken, nahm man einen Vergleich, damit die Redeweise eine gewisse Würde erhält. Man sprach aber durch einen Gegensan. Denn man nimmt dann einen Vergleich durch einen Gegensatz., wenn wir abstreiten, daß dem Sachverhalt, den wir beweisen, irgendein anderer Sachverhalt ähnlich sei. Durch eine Verneinung spricht man, um zu beweisen, z. B. auf folgende Weise: "Und ein ungezähmtes Pferd, mag es auch eine noch so gute natürliche Veranlagung besitzen, kann nicht geeignet sein zu den nützlichen Fähigkeiten, die man von einem Pferd verlangt; so kann auch ein ungebildeter Mensch, mag er auch noch so begabt sein, nicht zur sittlichen Vollkommenbett gelangen. " ' 79 Diese Aussage ist bewetskräftiger gestaltet worden, weil es wahrscheinlicher ist, daß man sittliche Vollkommenheit nicht ohne Bildung erwerben kann, da ja nicht einmal ein ungezähmtes Pferd geeignet sein kann. Also nahm man den Vergleich, um zu beweisen, sprach aber durch eine Verneinung; das ist nämlich schon klar vorn ersten Wort des Vergleiches an. Man nimmt den Vergleich auch, um etwas offener zu sagenman spricht durch Kürze - z. B. auf folgende Weise: "In der Freundschaft soll man sich, wie beim Wettlauf, nicht nur soweit trainieren, daß man gerade so weit kommen kann, wie nötig ist, sondern daß man, von Eifer und seinen Kräften nach vorne getrieben, leicht über das Ziel hinausläuft." •So
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Nam hocsimile est, ut apertius intellegarur mala rarione facere, qui reprehendant eos, qui, verbi causa, post mortem amici liberos eius custodiant, proptcrea quod in cursore taorum velociracis in amico tanrum benivolemia srudium esse oporteat, uc efferanrur ultra finem. Dierum autem simile est per brevitatem. Non enim ita, ut in ceteris rebus, res ab re separata cst, sed utracquc rcs coniuncte et confusc pronuntiatae. Ante oculos ponendi negotü causa sumerur simiJJrudo - dicerur per conlacionem - sie: .,Uri citharedus cum prodient oprime vescirus, palla inaurara inducrus, cum clamyde purpurea coloribus variis imexta et cum corona, magnis fulgentibus gemmis inluminata, citharam tenens exornatissimam auro et eborc distinctam, ipse praeterea forma et specie sit et sratura adposita ad dignitatem, si cum magnam populo commorit iis rebus cxpectationem, repente süencio facto vocem mittat acerbissimam cum turpissimo corporis motu, quo melius ornarus et magis fuerit expecrarus, eo magis derisus er contemptus eicirur; item, si quis in excelso loco et in magnis ac locupleribus copiis conlocarus fortunae muneribus er narurae commodis omnibus abundabit, si virtucis et arrium, quae virtutis magistrae sunc, egebit, quo magis ceteris rebus erir copiosus ct inlustris et expectarus, eo vehementius derisus et contcmprus ex omni convenru bonorum eicietur."
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Denn dieser Vergleich ist gesetzt, damit man deutlicher einsieht, daß die mit schlechter Überlegung handeln. welche diejenigen tadeln, die beispielshalber nach dem Tod eines freundes sich um dessen Kinder kümmern; denn ein Läufer muß so große Schnelligkeit, der Freund ein so großes Bemühen um eine gute Gesinnung besitzen, daß sie über das Ziel hinausgetragen werden. Ausgedrückt aber ist der Vergleich durch Kürze. Nicht in der Form nämlich ist, wie in den übrigen Fällen, der einen Sachverhalt vom anderen trennt, sondern beide Sachverhalte sind verbunden und ineinander \'erschlungen vorgetragen. Um ein Geschehen vor Augen zu stellen, nimmt man einen Vergleich - man spricht durch eine vergleichende Gegenüberstellung - z. B. so: "Wenn ein Kitharöde in den besten Kleidern auftritt, angetan mit einem golddurchwirkten Obergewand, in einem purpurneo Mantel nach griechischem Schnitt, in den verschiedenen Farben eingewebt sind, mit einer Krone, die von großen leuchtenden Edelsteinen blitzt, reich mit Gold verziert und mit Einlegearbeiten aus Elfenbein, er selbst außerdem durch Schönheit, Aussehen und Körperbau eine würdige Erscheinung, wenn dieser, nachdem er durch die genannten Erscheinungen eine große Erwartung beim Volk erregt hat, nun plöulich, wenn Schweigen eingetreten ist, eine schrecklich abstoßende Stimme vernehmen läßt, verbunden mit einer ganz häßlichen Körperhaltung, dann wird er, je schöner er geschmuckt war und je gespannter er erwartet V.'Urde, desto mehr ausgelacht, verspottet und fortgejagt; ebenso wird ein Mann, der in hohem Range steht, dem bedeutende und reiche Mittel zur Verfügung stehen und der die Geschenke des Glücks und die Vorteile der Natur alle im Überfluß besitzt, wenn er also Mangel an Tugenden und an den Wissenschaften, die die Lehrmeisterinnen der Tugend sind, hat, dann wird er, je mehr er in den übrigen Dingen reich, angesehen und willkommen ist, um so heftiger ausgelacht, verspottet und aus jeder Gesellschaft tüchtiger Menschen fortgejagt.'"
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Hoc simile exornarione utriusque rei, alrerius tnertiae alrerius srulciciae simili ratione conlata, sub aspecrus omnium rem subiecir. Dierum autem e)t per conJarionem, propterea quod proposita similirudine paria sunt omnia relata.
In similibus observare oportet diligcnrer, ut, cum rem afferamus similem, cuius rei causa similirudinem adtulerimus, verba ad similirudinem habeamus adcommodata. Jd est huiusmodi:
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.,lta ur hirundines aestivo tempere praesto sunt, frigore pulsae recedunt, ... "- ex eadem similirudine nunc per translarionem verba sumimus: .,irem falsi amici sereno vitae tempere praesto sunt; simul arque hiemem fortunae viderunt, devolant omncs." Sed inventio similium facilis crit, si quis sibi omnes res, animantes er inanimas, mutas er loquenres, feras er mansueras, terrestris, caelestis, maritimas, artificio, casu, narura conpararas, usiraras atque inusiraras, frequenter ponere ante oculos potent er ex his aliquam venari stmilicudinem, quae aur ornare aur docere aur apeniorem rem facere aur ponere anre oculos possit. )J'on enim res rota rorae rei necessc est similis sit, sed id ipsum, quod confererur, simüitudinem habeat oportet. Exemplum est alicuius facti aut dicri pracreriri cum certi aucroris nomine propositio. Id sumirur isdem de causis, quibus similicudo. Rem ornariorem facir, cum nullius rei nisi digniratis causa sumirur; aperciorem, cum id, quod sir obscurius, magis dilucidum reddir; probabiliorem, cum magts veri similem facit; ante oculos ponit, cum exprimit omnia perspicue, ut res prope dicam manu
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Dieser Vergleich stellt durch die Ausschmückung beider Sachverhalte, wobei die ähnliche Arr der Unfähigkeit des einen mir der Dummheit des anderen verglichen wird, den Sachverhalt allen deutlich vor Augen. Ausgesprochen aber ist er durch eine vergleichende Gegenüberstellung, deswegen weil dadurch, daß ein Vergleich gesetzt ist, alles Gleiche vorgetragen wird. Bei Vergleichen muß man sorgfältig darauf achten, d:~ß wir, wenn wir etwas Ähnliches anführen , die Worte dem ähnlichen Sachverhalt angepaßt haben, um dessenrwillen wir den Vergleich angeführt haben. Das geschieht z. B. folgendermaßen: .,Ebenso wie Schwalben zur Sommerzeit anwesend sind, von der Kälte vertrieben aber wegziehen, ..." Aus eben demselben Sachverhalt nehmen wir nun durch Übertragung die Worte: .,ebenso sind falsche Freunde zur heiteren Lebenszeit anwesend; sobald sie aber den Winter des Schicksals gesehen haben, fliegen sie alle davon. "'8 ' Aber das Finden von Vergleichen ist leicht, wenn man sich alle Dinge, die belebten und leblosen, die stummen und sprachbegabten, die wilden und zahmen, die auf der Erde, am H immel und im Meer, die durch Kunst, Zufall und Natur geschaffenen, die gewohnten und ungewohnten häufig vor Augen stellen und an diesen irgendeinen ähnlichen Sachverhalt erjagen kann, der die Angelegenheit zu schmükken, zu verdeutlichen, offenkundiger zu machen oder vor Augen zu stellen vermag. Denn nicht muß die eine Sache der anderen notwendigerweise ganz ähnlich sein, sondern nur der Punkt, der verglichen wird, muß Ähnlichkeit besitzen. Ein Beispiel•h ist das Vorführen irgendeiner Tat, irgendeines Ausspruches aus der Vergangenheit, wobei ein bestimmter Urheber genannt wird. Man nimmt es aus dem nämlichen Grund wie den Vergleich. Es macht eine Sache geschmückter, wenn man es aus keinem anderen Grunde als um der würdigen Darstellung willen nimmt; offenkundiger, wenn es das, was zu dunkel ist, heller erscheinen läßt; glaubhafter, wenn es die Sache wahrscheinlicher macht; es stellt sie vor
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temptari possir. Unius cuiusque generis singula subiecissemus exempla, nisi ct exemplum, quod genus esset in expolitione, demonstrassemus er causa~ sumencli in similirudine aperuissemus. Quare noluimus neque pauca, quominus inrellegererur, neque re intellecta plura scribere.
Imago est formae cum forma cum quadam similirudine conlario. Haec sumitur aut Iaudis aut vituperationis causa. Laudis causa, sie: ,.lnibat in proelium corpore taun validissimi, inperu leonis acerrimi similis." Vituperationis, ut in odium adducat, hoc modo: "Iste, qui cottidie per forum medium tamquam iubatus draco serpit dentibus aduncis, aspecru venenato, spiritu rabido, circumspectans buc et illuc, si quem reperiat, cui aliquid mali faucibus adflare, ore adtingere, dentibu~ insecare, lingua aspergere possi t." Ut in invidiam adducat, hoc modo: "lsre, qui divitias suas iactans, sicut Gallus e Phrygia aut ariolus quispiam, depressus et oneratus auro clamat er delirat." Ut in contemptionem, sie: "lste, qui tamquam codea abscondens et retentans sese tacirus quo modo torus, ur comedarur, auferrur." Effictio esr, cum exprimitur atque effmgitur verbis corporis cuiuspiam forma, quoad satis sit ad intelJegendum. hoc modo:
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Augen, wenn es alles klar ausdrückt, so daß man die Sache sozusagen mit der Hand berühren kann. Ich hätte für jede einzelne Art je ein Beisp1el angeführt, wenn ich nicht schon bei der Ausmalung ge1eigt hätte, ' 8 3 von welcher An das Beispiel ist, und die Gründe, es zu nehmen, nicht schon beim Vergleich eröffnet hätte. 284 Deshalb wollte ich nicht so wenig schreiben, daß man es nicht versteht, und nicht noch mehr, nachdem verstanden ist, worum es geht. Ein Bild281 ist die vergleichende Gegenüberstellung einer Gestalt mit einer anderen, wobei eine gewisse Ähnlichkeit gegeben ist. Man nimmt es, um zu loben oder zu tadeln. Um zu loben, z. B. so: ,.Er ging in die Schlacht, wobei sein Körper dem des stärksten Stieres, sein Ungestüm dem des grimmigsten Löwen ähnlich war."'~6 Um zu tadeln, und ;c.war um einen dem Haß auszuliefern, z. B. auf folgende Weise: "Dieser Mann da, der täglich über das Forum wie ein Drache mit einem Kamm kriecht mit gekrümmten Zähnen, giftigem Blick und wildem Feuerhauch und hierhin und dahin Ausschau hält, ob er nicht einen finde, dem er irgendein Unheil mit seinem Rachen zuschnauben, mit seinem Mund schlagen, mit seinen Zähnen einschneiden, mit seiner Zunge entgegenspntzen könne." 1~ 7 Um einen dem Neid auszuliefern, z. B. auf folgende Weise: ,.Dieser Mann da, der mit seinem Reichrum umberwirft wie Gallus aus Phrygien 288 oder irgendein Wahrsaget, der, niedergedrückt und beladen mit Gold, schreit und sich verrückt gebärdet." Zum Verächtlichmachen, z. B. so: ,.Dieser Mann da, der wie eine Schnecke sich versteckt und sich schweigend zurückzieht, wenn man sie mit ihrem Haus ganz wegträgt, um sie zu verspeisen." Eine Schilderung des Außeren'&9 liegt vor, wenn man mit Wonen jemands Gestalt ausdrückt und schilden, soweit es genügt, um sie zu erkennen, z. B. auf folgende Weise:
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"Hunc, iudices, dico, rubrum, brevem, incurvom, canum, subcrispum, caesium, cui sane magna est in mento cicatrix, si quo modo potest ''obis in memoriam rcdire." Haber haec exomatio cum urilitatem, si quem velis demonstrare, rum venustatem, si breviter et dilucide facta est. Notatio est, cum alicuius natura certis describitur signis, quae, sicuti notae quaedam, naturae sunt adtributa; ut si velis non divitem, sed Ostentatorern pecuniosi describere:
,.lste", inquies, ,.iudices, qui se dici dtvitem putat esse praeclarum, primum nunc videte, quo vultu nos inruearur. Nonne vobis viderur dicere: ,Darem, si mihi molesti non essetis?' Cum vero sinistra mentum sublevavit, existimat se gemmae nitore er auri splendore aspcctus omnium praestringere. Cum puerum respicit hunc unum, quem ego novi - vos non arbitror -, alio nomine appellat, deinde alio atque alio. ,At eho tu', inquit, ,veni, Sannio, ne quid isci barbari rurbent', ur ignoti, qui audient, unurn putent selegi de multis: ei dicit in aurem, aut ut domi lectuli stemantur, aut ab avunculo rogerur Aethiops, qui ad balneas vcniat, aut asrurconi locus ante ostium suum detur, aut aliquod fragile falsae choragium gloriae conparetur. Deinde exclamat, ut omnes audiant: ,Videto, ut diligemer numcretur, si potest, ante nocrem!' Puer, qui hanc benc naturam norit: ,Tu illo plures mirras oportet', inquit, ,si hodie \'is
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"Diesen Mann, ihr Herren Richter, meine ich, den mit dem roten Gesicht, mir kurzem Körperwuchs, mit dem grauen, etwas gekräuselten Haar, den blaugrauen Augen, der auf dem Kinn eine große Narbe bat, wenn ihr euch irgendwie an ihn erinnern könnt." Diese Ausschmückung bringt Nutzen, wenn man jemanden darstellen will, besonders aber Anmut, wenn sie kurz und klar gehalten ist. Eine Charakterisierung''~" liegt vor, wenn das Wesen irgendeines Menschen durch bestimmte Kennzeichen beschrieben wird, welche seinem Wesen wie bestimmte Brandmale aufgeprägt sind; wenn man z. B. jemanden beschreiben will, der nicht wirklich reich ist, aber seinen Besitz zur Schau trägt, könnte man sagen: "Dieser Mann da, ihr Herren Richter, der es für etwas Herrliches hält, für reich gehalten zu werden - seht nun zuerst, mit welcher Miene er euch anschaut. Scheint er nicht zu euch zu sagen: ,Ich würde euch gerne geben, wenn ihr mir nicht lästig wäret'? Wenn er aber mir seiner Linken sein Kinn stützt, '9' glaubt er durch den Glanz von Edelsteinen und das Leuchten von Gold die Blicke aller zu fesseln. Wenn er zu diesem seinem einzigen Diener zurückschaut, den ich kenne/9' - ihr, glaube ich, nicht -, spricht er ihn bald mtr dem einen Namen an, dann mit einem anderen und wieder mit einem anderen. ,He, du da', sagt er, ,komm her, Sannio,''l damit diese Barbaren da nichts durcheinanderbringen.' So sollen Zuhörer, die ihn nicht kennen, glauben, er wähle einen aus vielen aus. Ihm sagt er ins Ohr, enrweder es sollten zu Hause die Speisesofas hingebreitet oder vom Onkel solle der Äthiopier'94 erbeten werden, der ins Bad kommen möge, oder dem Zelter aus Asturien'9S solle der Platz vor seinem Eingang gegeben werden oder sonst irgendein zerbrechlicher Bühnenapparat•96 für falschen Ruhm solle aufgerichtet werden. Dann ruft er aus, damit es alle hören: ,Er soll schauen, daß sorgfältig abgerechnet wird, möglichst noch vor Einbruch der Nacht!< Der Knabe, der dieses sein Wesen schon gut kennt, antwortet: ,Du mußt
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transnumerari.' ,Age', inquit, ,duc tecum Libanum et Sosiam.' ,Sane'. Deiode casu veniuot hospites homini, quos iste, dum splendide peregrinatur, invitarat. Ex ea re homo hercule sane conrurbarur, sed tarnen a vicio naturae non recedit. ,Bene', inquit, ,facitis, cum venitis, sed rectius fecissetis, si ad me domum recta abisseris.' ,Jd fecissemus', inquium illi, ,si domum novissemus.' ,At isrud quidem facile fuit undelibet invenire. Verum ite mequum!' Secuntur illi. Serrno imerea huius consumirur omnis in osrentatione. Quaerit, in agris frumenta cu1usmodi sint; negar se, quia villae incensae sint, accedcre posse oec aedificare eriamnunc audere; ,tametsi m Tusculano quidem coepi insanire et in isdem fundamentis aedificare.'
Dum haec loquirur, venir in aedes quasdam, in quibus sodalicium erat eodem die fururum; quo iste pro notitia domioi aedium ingredirur cum hospiribus. ,Hic', ioquit, ,habito.' Perspicit argenrum, quod erar exposirum, visit triclinium Stratum, probat. Accedit servulus; dicit homini clare dommum iam venrurum, si velit exire. ,ltane?' inquit; ,eamus, hospicis; fratcr venit ex falemo: ego iJli obviam pergam; vos huc dccuma venirote.' Hospites disccdu nt. Iste se raptim domum suam conicit; ilii decuma, quo iusserat, veniunt. Quaerune hunc, reperium, domus cuia sit, in diversorium derisi conferunr sese.
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mehr Leute dorthin schicken, wenn du willst, daß heute fenig abgerechnet wird.' ,Wohlan', sagt er darauf, den Libanus und Sosias mit dir.' ,Sehr wohl!' Dann kommen zufällig Freunde 'u dem Mann, die er vor kurzem eingeladen hatte, als er auf Reisen sich prächtig gab. Dadurch wird der Mann bei Gott freilich verwim, aber dennoch weicht er nicht von dem Fehler seines Wesens ab. ,Ihr tut gur daran', sagt er, ,wenn ihr kommt, aber richtiger hättet ihr gehandelt, wenn ihr geradewegs zu mir nach Hause gegangen wärt.' ,Das hätten wir getan', antworten jene, ,wenn wir dein Haus kennen würden.' ,Aber es wäre freilich leicht gewesen, es aus allen beliebigen Richtungen kommend zu fmden. Doch geht mit mir!' Jene folgen ihm. Das Gespräch dieses Mannes wird inzwischen ganz mit Prahlen bestritten. Er fragt, wie das Getreide auf seinen Feldern stehe; er behauptet, weil ja seine Landhäuser niedergebrannt seien, könne er nicht hinkommen und wage noch nicht, sie wieder aufzubauen, , wenngleich', wie er sagt, ,ich in meinem Tusculanwu etwas Verrücktes tat und den Wiederaufbau auf den alten Fundamenten begann.' Während er das spricht, kommt er in ein gewisses Gebäude, in welchem am nämlichen Tage ein geselliges Gelage stattfinden sollte; dort tritt dieser da mit ~einen Freunden ein, in Anbetracht dessen, daß er den Hausherrn kennt. ,Hier', sagt er, ,wohne ich.' Er sieht nach dem Silbergeschirr, das bereitstand, besichtigt das zurechtgemachte Triclinium und billigt es. Da tritt ein kleiner Sklave zu ihm hin; er sagt dem Mann laut und deutlich, der Hausherr werde gleich kommen, er möge hinausgehen. ,Ja?' sagt er, .gehen wir also, Freunde; mein Bruder kommt von seinem falernischen Landgut; ich will ihm entgegengehen; kommt ihr zur zehnte Stunde•97 wieder hierher.' Die Freunde gehen weg. Dieser da stürzt hastig nach Hause; jene kommen zur zehnten Stunde wieder an den Ort, wohin er sie geheißen hatte. Sie fragen nach diesem, finden heraus, wem das Haus gehört, und begeben sich unter Spott in ein Gasthaus.
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Vident hominem postridie, narrant, exposrulant, accusant. Air isre eos similirudine loci decepros angipono toto deerrasse; contra valetudinem suam ad noctern mulram expecrasse. San.nioni puero ncgorium dederat, ut vasa, vesrimenra, pueros corrogaret. ServoJus non inurbanus satis strenue et concinne conpararat. lste hospires domum deducit; ait se aedes maximas cuidarn amico ad nuprias commodasse. Nuntiat puer argenrum repeci: penimuerar enim, qui commodarat. ,Apage te', inquit, ,aedes commoda>;, familiarn dedi; argenrum quoque vult? Tarnetsi hospites habeo, tarnen utatur licet, nos Samüs delectabimur.' Quid ego, quae deinde efficiat, narrem? Eiusmodi esr hominis narura, ur, quae singulis diebus efficiar gloria atque ostentatione, ea vix annuo sermone enarrare possim."
Huiusmodi notationes, quae describunt, quid consencaneum sit unius cuiusque narurae, vehementer habenr magnam delectarionem; totarn enim naturam cuiospiam ponunt ante oculos aut gloriosi, ur nos exempli causa coeperamus, aut invidi, aut tumidi, aut avari, ambitiosi, amatoris, luxuriosi, furis, quadruplatoris; denique cuiusvis srudium protrahi porest in medium rali notacione.
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Scrmocinatio est, cum alicui personae serrno adtribuirur et is exponitur cum ratione dignitacis, boc pacto:
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Am nächsten Tag sehen sie diesen Menschen; sie berichten, beschweren sich, klagen ihn an. Der da sagt, sie hätten stch wegen der Ähnlichkeit des Ortes getäuscht und um ein ganzes Nebengäßchen geim;•93 er habe zum Schaden für seine Gesundheit bis spät in die Nacht auf sie gewartet. Seinem Burschen Sannio hatte er den Auftrag erteilt, Geschirr, Decken und Sklaven zusammenzuborgen; der nicht ungeschickte kleine Bursche hatte das alles recht tüchtig und zusammenpassend zusammengebracht. Di~er da führt die Freunde in sein Haus; er sagt, er habe sein größtes Haus einem Freund für eine Hochzeitsfeier überlassen. Da meldet sein Bursche, das Silbergeschirr werde zurückgefordert; der es verliehen, baue es nämlich mit der Angst bekommen. .Scher dich fort', sagt unser Mann, ,das Haus habe ich ihm anvertraut, mein Gesinde ihm gegeben; will er auch noch das Silbergeschirr?'99 Auch wenn ich Gäste habe, mag er es trotzdem haben; wir werden mit Tongeschirr aus SamosJco unsere Freude haben.' Was soll ich noch erzählen, was er danach noch fertigbringt? Von solcher An ist das Wesen des Mannes, daß ich das, was er an einem Tag an Ruhmsucht und Prahlerei fertigbringt, kaum in einem ein ganzes Jahr dauernden Gespräch er7ählen könnte." Derartige Cbarakterisierungen, \\'elcbe beschreiben, was mit dem Wesen eines einzelnen Menschen im Einklang steht, haben etwas ungeheuer Ergötzliches an sich, sie stellen namlich das ganze Wesen von jemandem vor Augen, entweder das eines Ruhmsüchtigen, wie ich ihn als Beispiel zu charakterisieren begann, oder eines neidischen, aufgeblähten oder habsüchtigen Menschen, eines ehrgeizigen Strebers, eines Buhlers, eines Verschwenders, eines Diebes, eines Wucherers; schließlich kann man die Vorliebe eines jeden durch eine solche Charakterisierung in den Mittelpunkt ziehen. Eine Einführung eines Redendenl 0 ' liegt vor, wenn irgendeiner Person eine Rede in den Mund gelegt und diese unter Berücksichtigung des Ranges und Charakters dieser Person vorgetragen wird, z. B. auf folgende Art:
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"Cum militibus urbs redundaret er omnes timore obpressi domi continerenrur, venit iste cum sago, gladio succinctus, tenens iaculum; quinque adulescentes hominem simili omaru subsccuntur. Inrupir in aedes subito, deinde magna voce: ,Ubi est iste bearus', inquit, ,aedium dominus? quin mihi praesto fuit? Quid tacetis?' Hic alii omnes srupidi timore obmutuerunt. Uxor illius infeücissimi cum maximo fleru ad istius pedes abiecit sese. ,Per te', inquit ,et per ea, quae cibi duJcissima sunt in vita, miserere nostri; noli exringuere extinctos; fer mansuete forrunam; nos quoque beati; nosce te esse hominem.' At ille: ,Quin illum mihi datis ac vos auribus meis obplorare desinitis? Non abibit.'
Illi nuntiarur interea venisse istum er clamore maximo mortem minari. Quod sirout ut audivit: ,Heus', inquit Gorgiae pedisequo puerorum, ,absconde pueros, defende, fac, ut incolumis sit adulescentia!' Vix baec dixerat, euro ecce iste praesto ,sedes', inquit, ,audax? Non vox mea tibi vitam ademit? Exple meas inimicitias et i.racundiam satura ruo sanguine.' ille cum magno spiritu: Yerbera!' inquit, ne plane vicrus esset. ,Nunc video: iudicio mecum contendere non vis, ubi superari turpissimum et Superare pulcherrimurn est; interficere vis me. Occidar equidem, sed vicrus non peribo.' ,At in exrremo vitae tempore etiam sementiose loqueris! Neque ei, quem vides dominari, vis supplicare!' Turn mulier: ,lmmo iste quidem rogat er supplicat; sed tu, quaeso, commovere; et tu per deos', inquit, ,hunc examplexare. Dommus
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.Als die Stadt von Soldaten überquoll und sich alle von Furcht niedergeschlagen in ihren Häusern aufhielten, kam dieser da in einem Soldatenmantel> daher, das Schwcn an der Seite, einen WurfspieHin den Händen; fünf junge Menschen folgen dem Menschen in ähnlicher Rüstung. Plötzlich stürmt er in ein Haus und schreit dann mit lauter Stimme: :Wo i~t dieser wohlhabende Hausherr? Warum machte er mir nicht seine Aufwartung? Was schweigt ihr?' Da verstummten alle anderen verblüfft vor Furcht. Die Gattin jenes Unglücklichsten warf sich unter bitterliebstem Weinen diesem da vor die Füße. ,Bei dir selbst', sagte sie, ,und bei dem, was für dich das Süßeste im Leben ist, habe Erbarmen mit uns, vertilge nicht die schon Venilgten,>0 J trage dein Glück gel~sen; auch wir waren einmal glücklich; erkenne, daß du nur ein Mensch bist!' ><>< Aber jener erwidert: ,Warum liefen ihr ihn mir nicht aus und hön nicht auf, mir die Ohren vollzujammern? Er wird nicht entkommen.' Inzwischen wird jenem Hausherrn gemeldet, dieser da sei gekommen und bedrohe ihn unter lautestem Geschrei mit dem Tode. Sobald er dies gehört, sagte er zu Gorgias, dem Dienerl0 1 seiner Kinder: ,Heda, verstecke die Kinder, verteidige sie und sieh zu, daß die Jugend unversehn ist!' Kaum hatte er dies gesprochen, als dieser da auch schon bei ihm war und rief: ,Du sitzt noch da, du Verwegener? Hat dir nicht meine Stimme das Leben genommen? Befriedige meine Feindschaft und sättige meinen Zorn mit deinem Blute.' Jener erwiderte mit einem tiefen Seufzer, um nicht völlig besiegt zu sein: ,Schlag zu! Nun sehe ich: Du willst nicht vor Gericht mit mir streiten, wo besiegt zu werden die größte Schande und zu siegen das Schönste isr; du willst mich einfach töten. Ich werde freilich fallen, aber nicht als Besiegter zugrunde gehen.' ,Noch im letzten Stündlein deines Lebens sprichst du in Sinnsprüchen! Willst du den, welchen du als den Herrscher siehst, nicht flehentlich bitten?' Da sagt die Frau: ,Nein, er birtet und fleht natürlich; doch du laß dich, bitte, erweichen; und du, bei den Göttern, umschlingedie Knie dieses Mannes! Er ist der Herr; er hat dich besiegt; besiege 0
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est; vicit hic te, vince tu nunc animum!' ,Quin dcsinis', inquit, ,uxor, loqui, quae rne digna non sint? Tace er quae curanda sunt, cura! Tu cessas rnihi vitam, tibi ornnem bene vivendi spern mea morte eripere?' lste mulierem reppulit ab se lamentantem; illi nescio quid incipienti dicere, quod dignum videlicet illius virtute esset. gladium in latere defixit." Puto in hoc exemplo datos esse uni cuique sermones ad dignitarem adcommodatos; id quod oporter in hoc genere conscrvare. Sunt item sermocinationes consequentes hoc gcnus: »Nam quid putamus illos dicturos, si hoc iudicaveritis? Nonne omnes hac utenrur oratione?" - deinde subicere sermonem. Conformatio est, cum aliqua, quae non adest, persona confingitur, quasi adsit, aut cum res muta aut informis fit eloquens et forma ei er oratio adtribuitur ad dignitatem adcommodata aur actio quaedam, hoc pacto: "Quodsi nunc haec urbs invictissima vocem mittat, non hoc pactO loquarur: ,Ego illa plurimis tropeis ornara, rriumphis ditata certissimis, clarissimis locupletata victorüs, nunc vestris seditionibus, o cives, vexor; quam dolis malitiosa Kartago, viribus probata Numantia, disciplinis erudita Corinthus Iabefactare non poruir, eam parimini nunc ab homunculis deterrumis proteri atque conculcari?'"
Item: "Quodsi nunc Lucius ille Brurus reviviscat et hic ante pedes vestros adsit, non hac utatur
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nun du dich selbst!' ,Warum hörst du nicht auf, Frau', sagt er, ,Worte auszusprechen, die meiner nicht würdig sind? Schweig' und kümmere dich um das, was deine Aufgabe ist!Jo6 Und du zögerst, mir das Leben, dir aber jede Hoffnung auf ein gutes Leben durch meinen Tod zu entreißen?' Dieser da stieß die jammernde Frau von sich; jenem aber bohrte er, als er gerade etwas sagen wollte, was freilich seiner Mannhaftigkeit würdig gewesen wäre, das Schwert in die Seire."l0 7 Ich glaube, in dem vorliegenden Beispiel sind jeder einzelnen Person Worte in den Mund gelegt, die zu ihrem Rang und Charakter passen; darauf muß man bei dieser Art achten. Ebenso gibt es Überleirungen zu den Einführungen eines Redenden, z. B. von folgender An: "Denn was werden jene wohl sagen, wenn ihr dieses Urteil fällt? Werden sie nicht alle die folgenden Worte verwenden?"- dann fängt man eine wörtliche Rede an. Eine VerkörperungJaS liegt vor, wenn eine nicht anwesende Person vorgespielt wird, als sei sie anwesend, oder wenn eine stumme oder gestaltlose Sache die Redegabe erhält, und ihr eine Rede, die zu ihrem Rang und Charakter paßt, oder irgendeine Handlung zugeschrieben wird, z. B. auf folgende Art: »Wenn nun diese gänzlich unbesiegte Stadt ein Wort von sich geben könnte, spräche sie nicht auf folgende Art: ,Ich, c.lie ich mit sehr vielen Siegeszeichen geschmückt, reich an den sichersten Triumphen, bereichert mit den herrlichsten Siegen bin, werde nun durch eure Zwistigkeit gequält, Bürger; ich, welche das arglistige und boshafte Karthago, das krafterprobte Numanria und das in den Wissenschaften unterrichtete Korinth nicht zum Wanken bringen konnte, soll nun mit eurer Duldung von den schlechtesten und erbämilichsten Menschen3"9 zertreten und zerstampft werden?"' Ebenso: "Wenn nun in diesem Augenblick der berühmte Lucius Brutus>•o wieder lebendig würde und euch hier vor
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orarione: ,Ego reges eieci, vos tyrannos introducitis; ego libertatem, quae non erat, pe~eri, vos partarn servare non vultis; ego capitis mei periculo parriam liberavi, vos liberi sine periculo es1.e non curatis'?" Haec conformario licet in plures res, m mutas atque inanimas transferarur. Proficir plurimum in amplificationis partibus et conmiseratione. Significatio esr res, quae plus in suspicione relinquir, quam posirum est in oratione. Ea fit per exsuperationem, ambiguum, consequentiam, abscisionem, similirudinem. Per exsuperationem, euro plus est dictum, quam patirur veritas, augendae suspicionis causa, sie: "Hic de tanto patrimonio tarn cito te~tam, qui sibi petat ignem, non reliquit." Per ambiguum, cum verbum potest in duas pluresve sememias accipi, sed accipirur tarnen in eam partem, quam vult is, qui dixit; ut de eo si dicas, qui multas hereditates adierit: "Prospice tu, qui plurimum cernis." Arnbigua quemadmodum vitanda sunt, quae obscuram reddunt orationem, irem haec consequenda, quae conficiunt huiusmodi significarionem. Ea reperientur facile, si noverimus et animum adverterimus verborum ancipites aut multiplices potestare~. Per consequentiam significario fit, curn res, quae sequanrur aliquam rem, dicunrur, ex quibus tota res relinquirur in suspicione; ut si salsamentari filio dicas: "Quiesce tu, cuius pater cubito se emungere solebar."
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die Füße träte, ·würde er dann nicht folgende Worte sprechen: ,Ich habe die Könige hinausgejagt; ihr führt Tyrannen herein. [eh habe die Freiheit, die es noch nicht gab, errungen; ihr wollt die erworbene nicht bewahren. Ich habe unter Lebensgefahr das Vaterland befreit; ihr sorgt nicht dafür, daß ihr ohne Gefahr frei seid' ?" l" Diese Verkörperung kann man auf noch mehr Dinge, stumme und leblose, übertragen. Sie bringt am meisten Vorteil in den Teilen, die der Steigerung und der Mitleidserregung dienen.l', Die nachdrucksvolle Andeutung;•; ist eine Äußerung, die mehr vermuten läßt, als in der Rede dargelegt ist. Sie wird bewerkstelligt durch eine Übertreibung, durch eine Zweideutigkeit, durch eine Folge, durch ein Abbrechen, durch ein Gleichnis. Durch eine Übertreibung,;•• wenn man mehr sagt, als die Wahrheit duldet, um einen Verdacht zu vergrößern, z.. B. so: .Dieser hat von dem so bedeutenden Erbe in so kurzer Zeit nicht einmal ein Gefäß behalten, um sich Feuer zu holen. " l'l Durch eine Zweideutigkeit, wenn man ein Wort in zweifachem oder mehrfachem Sinn auffassen kann, aber dennoch nur in der Richtung auffaßt, die der Redner wünscht; wenn man z. ß. von einem, der viele Erbschaften angetreten hat, sagt: "Sieh du dich vor, der du sehr viel bemerkst."l' 6 Wie man Zweideutigkeiten meiden soll, die einen Ausspruch verdunkeln, so soll man ebenso die anstreben, welche eine derartige nachdrucksvolle Andeutung bewirken. Diese findet man leicht, wenn man die doppelten und mehrfachen Bedeutungen von Wönern kennt und beachtet. Durch die Folge entsteht eine nachdrucksvolle Andeutung, wenn man Tatsachen nennt, die sich aus irgendeiner Tatsache ergeben, wodurch der ganze Sachverhalt verdächtig bleibt; z. B. wenn man zu dem Sohn eines Salzfischhändlers sagt: "Du gib Ruhe, dessen Vater sich in den Ellenbogen zu sehneuzen pflegte. " l'7
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Per abscisionem, si, cum incipimus aliquid dicere, deinde praecidimus er ex eo, quod iam di.ximus, sacis relinquirur suspicionis, sie: "Qui ista fonna et aetate nuper alienae domi ... nolo plura dicere." Per similirudinem, cum aliqua re simili allata nihil amplius dicimus, sed ex ea significamus, quid sentiamus, hoc modo: .,Noli, Sarurnine, nimium populi frequentia frerus esse; inulti iacem Gracci." Haec exornario plurimum festivitaris haber interdum er digniuris; sinit enim quiddam tacito orarore ipsum auditorem suspicari. Breviras est res ipsis tanrummodo verbis necessariis expedita, hoc modo: .,Lcmnum praeteriens cepit, inde Thasi pracsidium reliquit, post urbem Bithynam Cium susrulit, inde reversus in Hellesponrum Statim potitur Abydi." ltem: "Modo consul quotannis, is deinde primus erar civiraris; rum proficiscirur in Asiam, deinde hostis est dictus, post imperator septimo facrus est consul." Haber paucis conprehensa breviras multarum rerum expedirionem. Quare adhibenda saepe esr, cum aut res non egenr longae orationis aut rempus non sinet commorari. Demoostratio est, cum ita verbis res exprimitur, ut geri negotium et res ante oculos esse videatur. Id fieri poterit, si, quae ante et post et in ipsa re facta erunt, conprehendemus, aut a rebus consequenribus aut circum instantibus non recedemus, hoc modo:
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Durch Abbrecben,l'~ wenn w1r erwas zu sagen beginnen, dann aber unterbrechen und von dem, was wir schon gesagt haben, genug Verdacht bestehen bleibt, z.B. so: DWer so schön und so jung ist und vor kurzem in einem fremden Haus ... mehr will ich nicht sagen." Durch einen Yergleich,J•9 wenn wir irgendeinen ähnlichen Sachverhalt angeführt haben, aber nichts weiter sagen, sondern nur durch diesen Sachverhalt andeuten, was wir meinen, z. B. auf folgende Wei~e: "Sarurninus,l"0 vertraue nicht zu sehr auf die zahlreiche Anhängerschaft im Volke; ungerächt liegen die Gracchen tot da." Diese Ausschmückung bringt manchmal sehr viel Anmut und Würde mir sich; sie läßt nämljch den Zuhörer selbst etwas vermuten, ohne daß der Redner es ausspricht. Die KürzeP' ist etnc Äußerung, die nur mit den unbedingt notwendigen Worten gemacht wird, z. B. auf folgende Weise: "Lemnos eroberte er im Vorbeifahren, dann Ließ er in Thasos eine Besatzung zurück, dann beseitigte er die bithynische Stadt Kios, dann kehrte er auf den Hellespont .wrück und nahm sofort Abydos ein. "l" Ebenso: "Eben war er noch für ein Jahr Konsul; dann der Erste in der Bürgerschaft; dann bricht er nach Asien auf; hierauf wurde er zum Staatsfeind erklärt; später wurde er Oberbefehlshaber und zum siebten Mal Konsul."J•J Die Kürze, die sich auf wenige Worte beschränkt, ermöglicht die Entwicklung der Saclwerhalte. Deshalb soll man sie oft anwenden, wenn die Verhältnisse keine lange Ausführung erfordern oder die Zeit nicht zu verweilen erlaubt. Eine anschauliche SchilderungJ'4 liegt vor, wenn ein Sachverhalt so mit Worten zum Ausdruck gebracht wird, daß der Eindruck entsteht, die Tat werde wirklich ausgeführt und die Sache spiele sich vor unseren Augen ab. Das kann man erreichen, wenn man das, was vor, nach und während des Ereignisses noch geschieht, l.USammenfaßr oder die Folgen oder Begleitumstände nicht übergeht, z. B. auf folgende Weise: PS
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"Quod simul atquc Graccus prospexit fluctuare populum verentem, ne ipse auctoritate senatus commotus sententia dcsistcret, iubet advocari contionem. Iste interea scelere et malis cogitationibus redundans evolat e templo Iovis; sudans, oculis ardemibus, erecto capillo, contorta toga, cum pluribus aliis ire celerius coepit. llli praeco faciebat audienriam; hic subsellium quoddam excors calce premens, dextera pedem defringit et hoc alios iubet idcm facere. Cum Graccus dcos inciperet precari, cursim isti imperum faciunt et cx aliis alii partibus convolant atque e populo unus: ,Fuge, fuge', inquit, ,Tiberi! Non vides? Respice, inquam!' Deinde vaga multirudo, subito timore perterrita, fugere coepit. At iste, spumans ex ore scelus, anhelans ex infimo pectore crudelitatcm, contorquet braclllum ct dubitanti Gracco, quid esset, nequc tarnen locum, in quo constiterat, relinquemi percutit tempus. Ule, nulla voce deliban~ insitam virtutem, concidit tacirus. Iste viri fortissimi rniserando sanguine aspersus, quasi facinus praeclarissimum fecisset, circum inspectans et hilare sceleratam grarulantibus manum porrigens, in templum Iovis conrulit sese."
Haec exornatio plurimum prodest in amplificanda et conmiseranda re huiusmodi enarracionibus. Staruit enim rcm totam et prope ponit ante oculos. Omnes rariones honestandae srudiose collegimus elocutionis: in quibus, Herenni, s1 te diligencius exercueris, et gravitatem et dignitatem et suavitatem habere in dicundo poteris, ut oratorie
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"Sobald Gracchus vorhersah, daß das Volk schwanke aus Furcht, er könne durch den Eintluß des Senates von seiner Meinung abweichen, ließ er eine Volksversammlung einberufen. Dieser daP 6 eilt inzwischen, erfüllt von verbrecherischen und schlimmen Gedanken, aus dem Tempel Jupiters; schweißgebadet, mit glühenden Augen und gesträubten Haaren,Jl7 die Toga um den Arm gewunden, gebt er, begleitet von mehreren anderen, schneller. Jenem versuchte der Herold Gehör zu verschaffen; dieser in seiner Kopflosigkeit rritt mit der hrse auf eine Sitzbank, bricht mit der Rechten einen Fuß ab und heißt die anderen dasselbe tun. Als Gracchus zu den Göttern zu beten begann, stürzen diese da im Sturmschritt auf ihn los, und von allen Seiten eilen noch welche herbei, aber einer aus dem Volke rief: ,Fliehe, fliehe doch, Tiberius! Siehst du nichts? Blicke dich um, sage ich!' Hierauf ergriff die unstete Menge, von plötzlicher Furcht erfaßt, die Flucht. Aber dieser da, aus dem Munde ein Verbrechen schäumend, aus tiefster Brust Grausamkeit schnaubend, schwingt seinen Arm und durchstößt Gracchus, der noch im unklaren darüber ist, was geschieht, aber dennoch den Platz, wo er stand, nicht verließ, die Schläfe. Jener, mit keinem Laut die ihm angeborene Tapferkeit schmälernd, bricht schweigend zusammen. Der da, von dem nach Mitleid schreienden Blut des größten H elden bespritzt, blickt umher, als ob er die herrlichste Tat begangen hätte, streckt heiter denen, die ihn beglückwünschen, seine verbrecherische Rechte entgegen und begibt sich wieder in den Tempel Jupiters." Diese Ausschmückung ist von größtem Nutzen, wenn man durch derartige Erzählungen einen Sachverhalt steigert und Mitleid erregt. Sie stellt nämlich das ganze Geschehen fest und stellt es nahe vor die Augen. Alle Möglichkeiten, dem Ausdruck Glanz zu verleihen, habe ich eifrig gcsammelt;l 18 wenn du dich darin, mein Hercnnius, mit einiger Gewissenhaftigkeit übst, kannst du Feierlichkeit, Würde und Gefälligkeit in deiner Redeweise besitzen, so daß du klar sprichst, damit die Gedanken, die du
LIBER
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plane loquaris, ne nuda atque inornata inventio vulgari sermone efferatur. Nunc identidem nosmet ipsi nobis instemus - res enim communis agitur - , ut frequenter et adsidue consequamur artis rationem studio et exercitarione; quod alii rribus de causis cum molestia maxime faciunt: aut si quicum libenrer exerceanrur, non habent, aut si diffidunt sibi aut nescium, quam viam sequi debeant; quae a nobis absum omnes difficultates. Nam et simullibenter exercemur proprer amicitiam, cuius mirium cognatio facit, cetera philosophiae ratio confim1abit; er nobis non diliidimus, proprerea quod er aliquantulum processimus et aJia sunr meliora, quae mulro inrentius perimus in ,;ta, ur, etiamsi non pervenerimus in dicendo, quo volumus, parva pars vitae perfectissimae desideretur; er viam, quam sequamur, habemus, propterea quod in his libris nihil praeteritum est rhetoricae praeceptionis.
Dernonstratum est enim, quomodo res in omnibus generibus causarum invenire oporteat; dieturn esr, quo pacto eas disponere conveniat; tradirum est, qua ratione esset pronumiandum; praeceptum est, qua via memlnisse possemus; demonstratum est, quibus modis perfecta elocutio conpararerur. Quae si sequimur, acure et cito reperiemus, distincte et ordinate disponemus, graviter ct venuste pronuntiabimus, firme et perperue meminerimus, ornate et suaviter eloquemur. Ergo amplius in arte rhetorica nihil est. Haec omnia adipiscemur, si rariones praeceptionis diligentia consequemur exercitationis.
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auffindest, nicht nackt und ohne Schmuck in gewöhnlicher Umgangssprache "orgebracht werden. Nun wollen wir immer wieder selbst in uns dringen - es geht nämlich um eine gemeinsame Sache -, unablässig und beständig durch eifrige Übung die Lehre der Kunst um zu eigen zu machen;;•y dies tun andere unter Beschwernissen vor allem aus drei Gründen: Entweder haben sie niemanden, mit dem sie gerne üben möchten, oder sie haben kein Zutrauen zu sich selbst oder sie wissen nicht, welchen Weg sie einschlagen müssen; alle diese Schwierigkeiten sind uns fern. Denn erstens üben wir gerne gemeinsam wegen unserer Freundschaft, welche ihren Anfang in unserer Verwandtschaft haneH0 und welche darüber hinaus unsere Beschäftigung mit PhilosophieH' festigt; zweitens haben wir nicht zu wenig Zutrauen zu uns selbst, deswegen weil wir schon einige Fonsehrirre erzielt haben und es noch anderes Besseres gibt, nach dem wir mit noch viel größerer Anspannung in unserem Leben streben, so daß, auch wenn wir in der Redekunst nicht an das gewünschte Ziel gelangen, nur ein kleiner Teil zu einem in allen Teilen vollkommenen Leben noch zu wünschen bliebe;ill drittens kennen wir den Weg, den wir einschlagen wollen, deswegen weil in diesen Büchern nichts zu einer Anleitung zur Redekunst übergangen wurde. Es wurde nämlich dargelegt, wie man den Stoff in allen Redearten auffinden muß; es wurde gesagt, auf welche Art man den Stoff anordnen soll; es wurde überliefert, nach welcher Methode man den Vortrag zu gestalten hat; es wurde eine Anleitung gegeben, auf welchem Weg wir uns etwas einprägen können; es wurde dargelegt, auf welche Arten eine vollkommene stilistische Gestaltung erreicht wird.m Wenn wir uns daran halten, werden wir den Stoff scharfsinnig und schnell auffinden, deutlich und in gehöriger Ordnung anordnen, feierlich und reizvoll vortragen, fest und dauerhaft einprägen und voll Schmuck und angenehm sprechen. Also gibt es in der Redekunst nichts, was darüber hinausgeht. Dies alles erreichen wir, wenn wir die Lehren der Anleitung mit gewissenhafter Übung befolgen.'H
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Im ersten Buch von De oratore läßr Cicero den Lucius Licinius Crassus (140-91 v.Chr.), den bedeutendsten Redner seiner Zeit neben Marcus Amonius (143-87 v. Chr.), die einzigartige Bcdeurung der RedekunSt preisen. Am Schluß seiner Ausführungen wendet sich Crassus an seine jungen Zuhörer mit der Aufforderung: ,.Quam ob rem pergite, ut facitis, adulescentes, atque zn iJ studium, in quo estis, incumbite, ut et vobis honori et amicis utilitati et rei publicae emolumento esse possitis. - Setzt darum fon, ihr jungen Leute, was ihr tut, und konzentriert euch auf das Srudium, in dem ihr steht, damit ihr etwas sein könnt, was euch Ehre, den freundcn Nutzen und dem Staat Vorteil bringt. " 1 Als Cicero diese Worte dem L. Licinius Crassus in den Mund legte, mag er auch an seine eigene Jugend und Ausbildung zum Redner gedacht haben und daran, wie bestimmend der Einfluß des Crassus auf die Wahl seiner Lehrer und seines Lehrplans war, nachdem sein Vater mit ihm und seinem Bruder Quinrus nach Rom übergesiedelt war, um seinen Söhnen die bestmögliche Ausbildung zu ermöglichen. Dabei spielte narürlich auch die Schulung durch einen Rhetor eine wichtige Rolle. "Von der Art der technischen Untenveisung" aber, "die der junge Cicero genossen hat, gibt das anonyme Lehrbuch, das dem Herennius gewidmet war, die anschaulichste Vorstellung. Es iSI ja, wie der Verfasser arn Anfang ausdrücklich henoorhebt, mit Rücksicht auf die römische Praxis angelegt. a, Diese Schrift ist neben Ciceros De inventione das älteste erhaltene Lehrbuch der Rhetorik in lateinischer Sprache> und das älteste erhaltene lateinische Prosawerk des r.Jahrhunderts v. Chr. Die erste lateinische Schrift zur Rhetorik überhaupt verfaßte M. Porcius CatO (234-149 v. Chr.). Aus
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seinem Buch De oratore ad Marcum filzum sind aber nur Fragmente erhalten, so die berühmten Kernsätze: Rem tene ver~a sequentur und Orator est, Marce filz, vir bonus dicend; pentus. Den ersten lateinischen rhetorischen Werken ging eine lange blühende und fruchtbare Tradition der Redekunst und Theorie der Rhetorik in Griechenland voraus.4
durch allzu häufige Anwendung Überdruß bei den Zuhörern zu bewirken. Auf PROTACORAS VON ABot:RA (ca. 48 5- •P 5 v. Chr.) wird das Axiom zurückgefühn: ntOV llttW /..6yov XQELTIW nou::tv - die schwächere Sache zur stärkeren machen"; es war auch für die übrigen SoPHISTEN oberstes Ziel jeder Rede, wurde aber schon zu seinen Lebzeiten ob seines moralischen Relativismus heftig diskuriert und kritisiert. Wie Gorgias führte auch Protageras das Leben eines umherreisenden Lehrers der Redekunst. Sein berühmter subjcktivisrisch-relativisriscber homo mensura-Satz riebt die Summe aus der ganzen sophistischen Aufklärung des 5. Jahrbundens. Die weitaus berühmteste Rhetorikschule in Athen gründete der Gorgias-Schüler lsoKRATES (436-338 v. Chr.). Zunächst war er als Logograph tätig. Etwa von 390 v. Chr. an leitete er dann seine eigene Schule. Für seine Lehre beanspruchte er den Namen !JllAOOO
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I. Die griechisch-römische Rhetonk bis zur Rhetorica ad Herennzum Als die eigentlichen Gründer der Rhetorik als einer lehrund erlernbaren Techne gelten die Syrakusaner KoRAX UND TEISIAS (5.]h. v. Cbr.). Für die vielen vermögensrechtlichen Auseinandersetzungen vor Gericht, die nach dem Srurz der Tyrannis (467 v. Chr.) anstanden, entwickelten sie eine erfolgversprechende Rede- und Argumentationstecbnik. Von Sizilien ins griechische Mutterland wurde die Rhetorik von dem Sophisten GORCIAS VON LEoNTINor (ca. 48o-ca. 380 v. Chr.) gebracht. 427 fühne er eine Gesandtschaft seiner Heimatstadt in Athen an, die Hilfe gegen Syrakus erbat (Thuk. 3,86). Dann war er als Redner ständig auf Reisen; auch in Deiphi und Olympia trat er auf. Dabei erwarb er sich ein ungeheures Vermögen. Gorgias war wohl der erste, der Wirkungsmöglichkeit und Wukungsweise des gesprochenen Wortes durchdachte. Er gewann die Überzeugung, daß jede Rede die vom Redner beabsichtigte Wukung erzielen könne, wenn sie nur die Affekte der Zuhörer anspreche. Diesem Ziel diente in erster Linie die stilistische Gestaltung. So wurde Gorgias zum Schöpfer einer Kunstprosa und rhetorischen Stilistik, wm Begründer der Figurenlehre; die sog. gorgianiscben Figuren (TOQYLEta oxiJ~tata) waren ganz auf die Empfänglichkeit der griechischen Zuhörer für Klangwirkungen ausgerichtet, wurden aber von seinen Nachfolgern eher gemieden als nachgeahmt, um nicht
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entgegengesetzten Extrem, dem baren Utilitarismus, die Hand bietet und den die eigenen Erfolge nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Lehrbarkeit enge Grenzen gesetzt sind. "I Mit PLATON (•PrH7 v. Chr.) stand Isokrates von der genannten (nur veröffentlichten, nicht gehaltenen) Rede DGegen die Sophisten" an in lebenslanger Auseinandersetzung. Vor allem aber wandte sich Platon wie sein Lehrer Sokrates gegen die Sophisten. Für diese war die Rhetorik Dgewissermaßen d~ Krisenmanagement, ihr Rezept für ein möglichst vergnugliches Überleben."' Sie hielten nämlich die geistige Krise, die durch den Verlust der Tradition entstanden war, für einen unabänderlichen Dauerzustand; daraus entstand ihr Skeptiz.ismus und Relativismus. Philosophen wie Platon dagegen wollten anstelle der verlorenen Tradition ein neues Wertsystem schaffen, an dem sich der Einzelne und die Gemeinschaft orientieren konnten. Besonders in dem Dialog .,Gorgias" wandte sich Platon gegen den Mißbrauch der Rhetorik durch die Sophisten. Die Rhetorik -so lehrte er- sei keine wirkliche, auf Prinzipien beruhende Wissenschaft, sie vermittle nur Routine. 1m .,Phaidros" argumentierte er etwas feiner und differenzierter. Er wandte sich nicht gegen die Rhetorik als solche, sondern nur gegen ihre gegenwärtige, von den Sophisten verfälschte Form. Im wesentlichen stellte er dre1 Forderungen an die Redner: Eine Rede müsse auf Wahrbett beruhen anstau sich mit Wahrscheinlichkeit zu begnügen; der Redner müsse psychologische Kenntnisse be~itzen; eine Rede müsse ein organisches Ganzes bilden. Wahres WiSsen von den Dingen vermittle aber nur die Philosophie; die Rhetorik sei lediglich eine aus Erfahrung hervorgehende Fertigkeit. Das bedeutendste aller existierenden Lehrbücher über unseren Gegenstand verfaßte ARisTOTELE.S (384-322 v. Chr.) mit seiner drei Bücher umfassenden "Rherorik". Das Werk ist nach den wichtigsten EQYO - offu:ra eines Redners eingereilr. Buch 1 und 2 behandeln die Auffindung der HauptgesichtSpunkte für die argumentatio (EÜQEOL~ - inventio},
Buch 3 die sprachlich-stilistische Gestaltung (f..tsL~ - clocuuo) und die Gliederung des Stoffes (ta!;t~ - disposrtio). Buch 1 ist in sieb dreigeteilt: In den ersten beiden Teilen behandelt Aristoreles die Affekte, die Emotionen, die der Redner beun Zuhörer ~veckt, und die typischen Verhaltensweisen, die .Charaktere... Der dritte Teil enthält die allgemeine Beweislehre: Es gibt .untechnische" und .technische" Beweise (
che Schlußfolgerung. Dazu spielen Ethos und Pathos der Darstellung eine wichtige Rolle; die Rherorik baut also auf Ethik, Dialektik und Psychologie auf. Wie Platon faßte auch Aristoteles die Rhetorik nicht als Wissenschaft auf, sondern al~ ein auf Wirkung bedachtes Vorgehen, als eine formale Disziplin, der man aber ihre moralische Indifferenz nicht, wie es Platon tat, zum Vorwurf machen dürfe. 338 v. Chr. besiegte Philipp von Makedonien bei Chaironeia die Athcner und Thebaner. Griechenland verlor endgültig seine Freiheit, und die politische Beredsamkeit in Griechenland erlosch für immer. So wurde auch die nacharistotelische Theorie der Beredsamkeit weithin unpolitisch. Dagegen rückte die Beschäftigung mit der Stilistik und der GerichtSrede mehr in den Mittelpunkt. Stilistische Probleme wurden vor allem in der peripatetischen Schule erönen. So betrieb vor allem THI:.OPHRAST (371-ca. 287 v. Chr.), angeregt durch seinen Lehrer Aristoreles, intensive stilistische Studien. Die Theorie des Arisrotcles von den Stilqualitäten CtQE"taL tij; l..tl;ewc; - vzrtutes dicend~) entwickelte er weiter zu den \'ier Forderungen nach Sprachrichtigkeit ('Elll]VLOIt6; - Latmttas), DeutiJchkeit (oacp)vELa - perspicuitas}, Angemessenheit (nQ&.·rov - apt11m) und Redeschmuck (x6o!lO;: - ornatus). Auch zu der Lehre von den drei Stilarten (xagaxtijQ€~ lt!;ew; - genera e/ocutionis) wurde er wohl von Aristoteles angeregt. Eine Monographie Theophrasts wÜber den Stil" ist verloren. Der dritte große Systemariker nach Aristoteles und Theo-
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phrast war HERMAGORAS VON TEMNOS (z. Hälfte des z.Jahrhunderts v. Chr.). Von seinem nach dem Urteil Ciceros (Brut. 2,63) und Tacitus (dial. 19,3) ungewöhnlich langweiligen Werk l:EXVaL QTJl:OQLY.a( ist nichts erhalten. Wegen seiner übersichtlichen Anlage wurde es aber zur Grundlage des Rhetorikunterrichts in Rom; sein Einfluß auf die römische Rhetorik war sehr groß. Vieles von ihm ging in die ersten lateinischen Kompendien der Rhetorik, die Rhetorica ad Herennium und Ciceros De inventione ein. Hermagoras war der Begründer der Stasis-Lehre/ Nach RoM gelangte die Rhetorik im 2.]ahrhundert v. Chr. zusammen mit der übrigen griechischen Bildung. Tn dem langen Zeitraum nach Aristoteles und Theophrast waren sich Philosophie und Rhetorik nähergekommen. Nicht nur von der Schule des Aristoteles, sondern auch von den Akademikern und besonders den Stoikern wurde rhetorisches Rüstzeug vermittelt. Indem die Stoiker das Wahrheitsmomentwieder mehr betonten, verliehen sie der Rhetorik einen stärkeren ethischen Akzent. Zuerst wurde die RhetOrik in Rom natürlich von griechischen Redelehrern und Philosophen vermittelt; es gab aber noch keine öffentlichen Rbetorenschulen, sondern nur Hausunterricht in den gehobenen Kreisen. Wie die übrige Bildung auch, stieß die Rhetorik zunächst auf e.ntschiedenen Widerstand der konservativen Kreise. So kennen wir einen Senatsbeschluß aus dem Jahre r6 r v. Chr., durch den der Prätor M. Pomponius auf~ gefordert wird, Philosophen und Rhetoren aus Rom zu verweisen.8 Die Ausweisung der sog. Philosophengesandtschaft 15 5 v. Chr. richtete sich auch gegen Rhetoren. Durch die von den Gracchen ausgelösten innenpolitischen Auseinandersetzungen wurde die Nachfrage nach rhetorischem Unterricht aber immer größer. So begründete bald nach Beginn des r.Jahrhunderts v. Chr. der Freigelassene L. PLOn us GA LI..US (vor ll.o-nach 56 v. Chr.), einer der ersten professionellen rhetores Latini, in Rom eine Rhetoren schule, in der ausschließlich in lateinischer Sprache unterrichtet wurde.9 Diese Neuerungen - Latein statt Griechisch und
kommerzieller (sicher billigerer) Schulbetrieb statt des {teuren) Pri\•atunterrichtes für die Söhne der Oberschicht erschienen könservativen Kreisen verdächtig und gefährlich. So erließen die Censoren des Jahres 92 v. Chr., L. Licinius Crassus und Cn. Domitius Ahenobarbus, das berühmte Edikt gegen die rhetores Latini. ' 0 Es war in erster Linie gegen Plocius gerichtet. Dieser wollte "auf direktem Weg, d. h. in einer an der Praxis orientierten Ausbildung, in möglichst kurzer Zeit ... den Schülern eine Beherrschung der Technik der Beredsamkeit ... vennineln. ~ n Er machte lateinische Redeübungen heimisch und stellte neben die Beispiele aus Mythos und griechischer Geschichte auch Beispiele aus dem römischen Bereich. 12 Er verzichtete gan2 auf philosophische Bildung und vermittelte "eine auf Äußerlichkeiten besonders erpichte rhetorische Theorie".'> Statt des herkömmlichen mehrjährigen tirocinium fori bot er "eine Art von Schnellkurs" an. 4 Daraus erklärt sich die große Abneigung, die Männer wie Crassus gegen Plocius und die rhetores Latini insgesamt empfanden. In dem berühmten Exkurs zur Einheit von RhetOrik und Philosophie im dritten Buch von De oratore (3, p - 143) begründet Crassus, warum er das Edikt erlassen hat: " ... ingenia (sc. adulescentium) obtundi nolui, conroborari impudentiam". Die Schule der rhetores Latini sei ein impudentiae Iudus (3,93f.).'! Wie erfolgreich das Edikt des Jahres 92 war, wissen wir nicht genau. Jedenfalls scheint das Vorbild des Plotius sich erst nach 40 Jahren wirklich durchgesetzt zu haben. Kurz nach dem Edikt des Jahres 92 v. Chr. verfaßte der Redner M. ANTONIUS, den Cicero neben L. Licinius Crassus als den bedeutendsten Redner der marianisch-sullanischen Epoche bezeichnet, •6 ein sehr kurzes Werk De ratione dicendi, einen libellus sane exilis. '7 Zwischen den Jahren 90 und So v. Chr. erschienen noch andere mehr allgemein gehaltene Handbücher über die Rhetorik. Und im Jahre 86 v. Chr. begann der AutOr der Rhetorica ad Herennium mit der Arbeit an seinem Werk.' 8
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II. D1e Rhetorica ad Herenmum: Autor, Adressat, Titel des Werkes
Figuren bekannt ist; in die~em Bereich mag er sich auf die Rhetonca ad Herennium ge~türzt haben. Cicero und Cornificius scheiden als Verfa.~ser also aus. Den Namen des Autors kennen wir, wie gesagt, nicht. Aus bestimmten Hinweisen und Tendenzen läßt sich lediglich ein sehr allgemeines und unbestimmtes Bild von seiner Person gewinnen. 2 € Im letzten Kapitel der Schrih nennt er sich einen cognatus des Empfan~ers C. Herennius. •1 Er war sicher alter als Herennius und dürfte zwischen 12 5 und II 5 v. Chr. geboren sein. Am häufigsten erwähnt er den Volkstribun des Jahres 88 P. Sulpicius Rufus, dessen Familie er wohl sehr gut kannte.'8 Wahrscheinlich von Hause aus Angehöriger des ordo equester, dann Senator, war er unter Marius politisch akti~ und stand um 90 \·. Chr. auf der Seite des Sulpicius. Er hatte begonnen, die Ämterlaufbahn zu durchlaufen, war aber noch mehr bis zur Prätur gelangt. 84-83 übte er kein Amt aus; er widmete sich seinen negotia'9, beschäftigte sich mit Philosophie und schrieb unser Handbuch. Auch beabsichtigte er, ein Werk über die memoria und eines zur Grammatik zu schreiben.l 0 Desgleichen kündigte er Werke über de re mzlitan aut de admmistratione rei p. an.l Sicher hatte er die in seinen Kreisen übliche Ausbildung erhalten. Er konnte Griechisch und besaß philosophische Kcnntmsse. In der Rhetorik Yenrat er die Linie der rhetores l.atini, d. h. er vermittelte als einer der ersten die Lehren der Griechen in lateinischer Sprache. Sein Lehrer könnte L. Plorius Gallus gewesen seinY Ob man in der Rhetorica ad Herenmum eane eindeutige poltcisehe Tendenz erkennen kann, ist in der Forschung umstritten. Sicher war der Autor, genauso wie der Adressat, ein Parteigänger des Marius, aber daraus ist nicht ohne weiteres abzuleiten, daß er in dem vorliegenden Handbuch politische Propaganda betrieb.l> Freilich könnte man aus vielen Beispielen aus der jüngsten römischen Geschichte, die er zur Veranschaulichung seiner Lehre anführt, schließen, er vertrete eine eindeutige populare Linie. Aber wenn auch eine Reihe von Beispielen in ihrer Tendenz. als antioprimatiscb
Wer dieser AutOr war, wissen wir nicht. Jahrhundertelang war auch das Werk unbekannt. Erstmals erwähnt wird es von Hieronymus (348-430 n. Chr.); er bezeichnet die Schrift als ein Werk Ciceros. In der Apologia adversus Rufini lzbros (~oz n. Chr.) gibt er den Rat: .Lege ad Herenmum Tullü libros, lege rhetoricas eius."'9 In den Handschriften wurde die Rhetorica ad Herenmum im Anschluß an Ciceros De inventione gesetzt und deshalb im 12. Jahrhundert Rhetorica Secunda, später Rhetorica Nova genannt. 10 Bis zum q.Jahrbunden galt die Autorschaft Ciceros als unbestritten. Erst f49t hat Raphacl Regius entschieden bestritten, daß Cicero der Autor der Rhetorica ad Herennium sein könne. 21 Dieser Meinung haben sich nahezu alle späteren Herausgeber angeschlossen (vgl. Literaturauswahl t). Nach dem heutigen Stand der Forschung ist es unbestritten, daß die Rhetorica ad Herennium nicht von Cicero geschrieben wurde. Die frage, wer der Autor gewesen sei, kann nicht beamwonet werden. t 55 3 stellte Perrus Victorinus die These auf, der Verfasser der Rhetorica ad Herennium sei ein gewisser CornificJUS gewesen.n Es handelt sich dabei vielleicht um den Volkstribunen des Jahres 69 v. Chr. Q. Comificius. Diese These aufgenommen und verteidigt haben in neuerer Zeit besonder~ W. Kroll und G. Calboli.ll Gegen die These wandten sich vor allem F. Marx, J. ßrzoska, C. KoehJer, H. Caplan und G. Achard.'- Die Befürwoner der Autorschah des Comificius stützen sich in erster Linie auf die Tatsache, daß Qumtilian wiederholt aus dem Werk eines Cornificius zitiert und diese Zitate dem Wortlaut der Rhetorica ad Herennium entsprechen.'' Es ist aber auffällig, daß alle Zitate sich nur auf die §§ 19-3 5 und 47-67 von Buch IV der Rhetorica ad Herennium beziehen. Diese Beschränkung läßt sich damit erklären, daß von einem Cornificius nur ein Werk über die
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erscheinen, so läßt sich in der Rhetonca ad Herennium keine zu einseitige polirische Ausnehrung erkennen. Denn die Beispiele sind, wie J. von Ungern-Sternberg, 1973, nachweist, nicht zum Zwecke politischer Propaganda vom Autor selbst gestaltet, sondern wegen Sprachlicher Gesichtspunkte aus tatsächlich in jüngster Zeit gehaltenen Reden ausgewählt.H Vom Empfänger der Schrift ist uns außer dem Namen ebenfalls nichts beka.nnt.Jl Er bat wohl als sehr junger Mann den wesentlich älteren cognacus um ein Handbuch der Rhetorik, da es seit dem Edikt von 92 v. Chr. keinen Unterricht der rhetores Latini mehr gab. Die gens Herennia stand ebenso wie der unbekannte Autor mit Marius in Verbindung. Vielleicht verschwanden Autor und Adressat während der Herrschaft Sullas. 6 Das Werk blieb jedenfalls fast 500 Jahre unbekannt.J Auch den Originaltitel kennen wir nicht. Ln der Einleitung ( 1,1) schreibt der Autor: ~ ... ut de ratzone dzcendi conscriberemus." So mag er seinem Werk den gleichen Titel gegeben haben wie M. Antonius. Heure nennen wir den Autor den Auetor ad Herenmum und seine Schrift gewöhnlich die Rhetorica ad Herennium.
\ ersduedenen rhetorischen Strömungen bis zu seiner Zeit dar; Namen früherer Theoretiker und Systematiker, etwa Gorgias, Arisroteles, Hermagoras, nennt er nirgends; gleichwohl sind verschiedene Strömungen der bisherigen rhetorischen Theorie in sein Werk eingeflossen, "die verschiedensten, unabhängig voneinander konzipierten Lehren" sind "unorganisch ineinandergeschachteh" ß Um den breit und divergierend sich verästelnden Stoff in ein klare~. übersichtliches System zu fassen, wendet er vor allem drei methodische Hilfsmittel an: er teilt ein, er steUt parallelgeordnete Begriffe gegenüber und er defiruert.4° "Die Definition ... findet sich so häufig, daß sie mit den Einteilungen zusammen das Gepräge des Werkes, die schulmeisterliche Trokkenheit und pedantische Surre der Darstellung, bestimmt."~ ' Trockenheit, pedantische Starre u. ä.: Solche Charakterisierungen erscheinen recht abwertend, aber anders, als dargestellt, wäre es dem Verfasser, dem Fuhrmann am Ende seiner Analyse immerhin "frisches Temperament" bescheinigt (S. 58), wohl schwerjjch gelungen, das ganze System der Rhetorik zu ordnen und darzustellen. Auch in der Terminologie konnte er nicht frei auswählen und variieren, sondern mußte die von semem Lehrer gewählten lateinischen Begriife für die bekannten griechischen Termini \'CrwendenY Das Kompendium besteht aus vier unterschiedlich langen Büchern:
lll. Tnhalt, Sprache und Stil, Aufbau Die Rhetorica ad Herennium ist ein Lehrbuch, "das einen ersten theoretischen Überblick über das System des Fache~ geben soll",l8 ein Kompendium, in dem das gesamte System der Rhetorik, wie es ~ich zu Beginn des t.Jahrhunderts \. Chr. herausgebildet hatte, möglichst umfassend und vollständig zu Studienzwecken dargestellt werden sollte. Der Autor hatte nicht die Absicht und nicht den Ehrgeiz, einen Beitrag zur wissenschaftlichen Diskussion über die Ent· wicklung der Rhetorik in den vorausgehenden Jahrhunderten zu liefern oder das System weiterzuentwickeln und neue Aspekte aufzuzeigen. Seine Schrift stellt eme Synthese der
Buch 1: 17 Kapitel (ca. 23 Teubner-Seiten) Buch II: so Kapitel (ca. 46 Teubner-Seiten) Buch lll: -40 Kapitd (ca. 34 Teubner-Seiten) Buch 1\': 69 K.apnel (ca. S7 Teubner-Seiten).
Besonders Buch IV fällt in semem Umfang stark aus dem Rahmen; es war daher in drei volumina aufgeteilt, weshalb in manchen Handschriften fälschlicherweise ein fünftes und sechstes Buch angenommen wurden (Buch V ab 4,19, Buch VI ab 4,47); daß aber liber nicht unbedingt mit volumen gleichtusetzen ist, zeigt auch Plinius der Jüngere, ep. III
EINFÜHRUNG
EINFÜHRUNG
5•5• wo er über die Werke seines Onkels berichtet: "Studiosi tres (sc. libri) m sex volumina propcer amplitMlinem divisi. "•>
Im ersten Teil von Buch III wird die inventio für das genus delzber.ttwum (3,2-9) und das genus demonstrativum (.),IO-q) behandelt, wobei jeweils zunächst verschiedene loci für die confirmatio-confutatio vorgestellt (3,r7a; J,Io) und aruchließend die übrigen Redeteile kurz behandelt werden (3,7b-Io; .),II-15), soweit noch etwas gesagt werden muß, was nicht schon zum genus it-tdiciale ausgeführt wurde. Nach der kurzen Lehre von der dispositw {J,r6-r8) unterteilt der Autor die Ausführungen zur pronuntiatio (3,19-27) in die Jigura vocis (3,19-25) und den motus corpon's (),26-17). Diefigura vocis ist nochmals unteneilt in magniwdo '!IOns (J,lO),firmitud{) vocis (J,zo- 22) und mollztudo VOCIS (J,2.)-l5)· Zwischen die Lehre von der memoria {3,28-4o) und der elocutto (4,1 r-68) ist zu Beginn des vierten Buches eine ausführliche Polemik zu der Frage eingeschoben, woher der Redner die exempla nehmen solle (4,1 - IO). Bei der elomtio behandelt der Autor zunächst die drei Stilarten (4,11-t6): die figura gravis (4,u-u), die Jigura mediocm (4,13) und die figttra adtenuata (4,14), sowie die jeder Stilart eigentümlichen vitia: das genus sufflatum, da~ genus dissolutum und das genus exile (aridum et exsangue) (4·15-16). Mit ·h 17 beginnt die ausführliche Figurenlehre. Alle exornatzones müssen den Grundprinzipien dienen, die der Autor in 4, 17 erläutert: elegantza ( Latinitas und explanatio), conpoSitzo und dignitas. Vor allem der dignitas dienen die Wortfiguren- verbarum exornationes {4,19- 46) und Sinnfigurensententzarum exorn.ttiones (4,47- 68). Zu den verborum exornationes zählt der Autor auch die Tropen, die er •h41-4,46 behandelt. Jedes Buch wird mit einem Prooemium bzw. einer kurzen Zusammenfassung und Überleitung begonnen und beendet. lrn ersten und letzten Kapitel (r,I und 4,69) wendet sich der Autor besonders nachdrücklich an C. Herennius.
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Das gesamte Werk a~t gemäß den fünf officia oratoris eingeteilt: mventio disposirio 3· pronuntwtro 4· memoria {. elocutto 1.
1,5-3·15
2.
J.r6-!!~
3·'9-!7
J,28-4o 4,1-68.
Der Autor hält sich also ab 3, 19 nicht an die - auch I ,J genannte - natürliche Reihenfolge; die elocutto, die fast die HäUte des Werkes umiaßt, sett.t er absichtlich an den Schluß;H warum c:r aber auch memona und pronuntiatw umstellt, scheint unbegründet. Neben dieser .,Grobgliederung" sind auch andere Gesichtspunkte der Anordnung zu erkennen, und besonders am Anfang des Werkes ist zunächst nur schwer auszumachen, nach welchem Ordnungssystem der Autor vorgeht. Nach dem Proocmium (t,l) werden die genera causarum genannt (1,1), dann die Officia Or.ttoris aufgezählt und die beiden Methoden gezeigt, die der rhetorische Unterricht anwendet ( 1,3). In 1,4 werden die sechs partes orationis \'Orgestellt, da im folgenden die mventio nach diesen Redeteilen gegliedert ist. Im Zusammenhang mir der znventio für das exordium kommt der Autor auf das genus honestum, turpe, dubzum und humile zu sprechen (I, 5); denn je nach dem genus ruusae muß der Redner eine andere Taktik im exordium ,.erfolgen (1.6ff.). In den folgenden Kapiteln handelt der Autor d1e weiteren Teile der Gerichrsrede ab: narratio (r,l2-t6), dtvtSio (1,t7), confirmatw und confutatio (r,I8-1,46), condusio (2,4r2,50). Der Abschnin über die confirmatio und confutatzo isr deswegen so unverhältnismäßig umfangreich, weil hier eine ausführliche Statuslehre eingefügt ist. {Stan status wird nur der Begriff constttutio gebraucht.)
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E!NFÜH RUNG
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Der Aufbau der Schrift i.m Überblick: r,r
Prooemium
tria generoJ ca.usarum: demonstrativ.um, delibt!Tatr.J.um, IUdiciale 1·3 offi= orütoris; die Ausbildung erfolgt durch an, imitatio, ext!Towtio r ,4 partts oratzoniS 1, ~ quattuor genera c.tusarum: honestum, curpt!, dubi.um, humile 1,6-3,15 inventro 1,6-2,50 im genus iudioale 1,6 -r,rr exordium 1,12-r,I6 narratro divisio '·'7 1,18-z,46 confim~auo, confutatio; 1,2
Statuslehre
COilSlitutio coniecturalis constitutio legrtrma 1,24-1 ,1 ~ constitutio iuridicialis 1 ,z6-1,27 allgemeine Lehren zu den Status
r,t 8
1,19-1 ,2 3
2,1 -z.z6
Beweistopik zu den StatuS
2,27-2,46
V partes argumentationis: prvpositzo, ratio, rationis confirmatio, exomatio, conple:uo
2,47-2,50 conclusio ;,z - 3•9 im ge11us dtlrberatwum J, ro- 3,15 im genu; demonstrativum 3, t 6-3, r 8 disposirio 3·'9-3,27 pronuntiauo 3·'9-3,15 figuroJ vocis 3,26-3,17 motus corporis J,28-3..40 memona 4·' -4,10
Prooemium: Keine fremden, sondern nur eigene
exempla! 4,11-4,68 eloruuo 4• 11-4,14 generot figurarum 4,1t-4,12 figuragravi; figura mediocris 4 ,, 3 4, r 4 figura adtenttata 4,. 5- 4 ,•6 1:iria: figura grat•is- gen11s S11fflacum
EINFÜHRUNG
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figura mediocris - genus dissolutum figura adtenuata - genus exile 4,1;-4,68 Figurenlehre 4•17-18 Grundprinzipien: elegantia, conposttco, dzgmtas 4• 19-46 verbarum exornationes •h 19-4 t eigentliche Wortfiguren 4,.p-46 Tropen •h47-68 sententiarum exornationes
4,69 Schlußwort; Zusammenfassung
IV. Ciceros De inventione und die Rhetorica ad Herennium4s
Etwa gleichzeitig mit der Rhetorica ad Herennium entstand Ciceros erste rhetorische Schrift Rhetorici libri oder De inventione.46 \VJe in Abschnitt II dargelegt, hielt man lange Zeit fälschlicherweise Cicero für den Autor beider Schriften. Aber nicht nur wegen der Frage nach dem Autor, sondern vor allem wegen der vielen inhaltlichen und sprachlichen Parallelen und Übereinstimmungen in beiden Schriften spielt in der wissenschaftlichen Diskussion bis heute die Frage eine wichtige Rolle, in welchem Verhälmis die beiden Schriften zueinander stehen.<" Nachdem Cicero als Verfasser der Rhetonca ad Herenmum endgültig ausgeschieden war, \\LJrden 1ID \\'csendichen folgende Thesen \'ertreten:•8 I. Der Autor der Rhetorica ad Herennium hat Ciceros De mventtone benutzt. 2. C1cero hatte bei der Abfassung von De mventione die RhetonCJl ad Herennium vor Augen. 3· Die Übereinstimmungen in den beiden Schriften sind dadurch bedingt, daß beide Verfasser von demselben römischen Rhetoriklehrer unterrichtet wurden.
EINFÜHRUNG
EINFÜHRUNG
4· F. Marx, 1894, stellte den bisherigen Thesen eine recht komplizierte Hypothese ~egenüber: a. Zwei griedmche Rhetoren verfaßten je eine Techne. b. Zwei römische Rhetoren übersetzten je eine dieser griechischen Vorlagen ins Lateinische. c. Einer dieser Rhetoren unterrichtete Cicero, der andere den Auetor ad Herennium. Die "Autontät \·on Marx" ließ zunächl.t eine weitere Diskussion verstummen 4 9 Schließlich aber gewann These 3 wieder größere Zustimmung. So kommt J. Adamie~ 1960, zu folgendem Ergebnis (S. 94 ff.): These 1 und 2 scheiden aus, d. h. "beide Schriften leiten sich aus einer gemeinsamen Quelle her" (S. 95), und zwar aus.. emer lateinischen, welche vermutlich nichtS weiter als die Uberserzung einer griechischen Techne war. Deren Verfasser scheint ein griechischer Rhetor gewe~en zu sein, der mit der aristotelischen Einteilung in die drei genera causamm das SyMem des Herrnageras verband. 10 Außer dieser angenommenen (Haupr-)Quelle verwendeten Cicero und unser Autor sicher noch weitere (Neben-) QueUen; damit läih sich erklären, daß die beiden Autoren an verschiedenen Stellen voneinander abweichen.P
C. L. Kayser ( r854)Y Kayser nahm drei Überlieferungsklas~en (a familzae) an und faßte diese drei familwe in zwei Ube~~eferungszweigen zusammen: erste und zweite famtlza • 1 •.Uberlieferungsnveig; dritte familia = 2. Überlieferungs-
\!: Zur Uberlieferungsgeschicbte und Textgestaltung Die Rhetonca ad Herenmum ist in sehr '"ielen Handschriften uberliefert. P Diese Überlieferung ist "in großem Maße verdorben" und geht auf einen "eminent fehlerhaften" Archetypus zurück. n So ist es recht schwierig und nach dem gegenwärtigen Stand der Forschung vielfach nicht möglich, mit letzter Sicherheit fesrzustellen, wie der Originaltext der Schrift wirklich lautete. Die erste kritische Ausgabe in neuererZeitverdanken wir
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zwerg. Ah Grundlage für seine Textgestalrung benützte er hauptSächlich die erste familza. Die zweite und dritte Familie betrachtete er al~ das Ergebnis der Emendationstätigkeit z~veier mittelalterlicher Gelehrter, wobei die zweite Familie für ihn lediF;lich ein überarbeiteter Zweig der ersten Familie war. Die wissenschaftliche Diskussion wurde fongeführt von C. f. Halm, L. Sprengel, j. Sirnon und W. Friedrich.ss Zehn Jahre später er)chien dann die bedeutende wissen~chafdiche Ausgabe von Friedrich Marx, auf der bis heute alle Ausgaben umerer Schrift gründen.s 6 In den Prolegomena der Edirio Maior stellt Marx die Überlieferungsgeschichte sehr ausführlich und gründljch dar. Er teilt die Handschriften in zwei Überlieferungsklassen ein: r. M (Mutili; 9./Jo.jh.); dazu gehören fünf Handschriften, in denen allen der Anfang der Schrift (1,1- 6) fehlt (mutilusverstümmele): H = Herbipolitanus (9./ro.Jh.); P. = Parisinus 7714 (9.Jh.); lt = Pansinus recentior 723I (12.]h.); B = Bernensis 433 (9./io.jh.); C = Corbeiensis oder Petropolitanus F vcl 8 (9./ to. Jh.). Diese Klasse M stellte Marx an die Stelle der ersten und zweiten famtl~<.t Kaysers, wobei er die zweite familia dann ~atU verwarf (in der Editio ~1inor wird sie nicht einmal mehr erwähm)Y Die Codices seiner zweiten Klasse, die Marx E nennt (Expletz; explere - vervollständigen, ergänzen: alle Codices dieser Klasse enthalten den Anfang der Schrift), stammen aus dem t2./t3. Jahrhundert: b = Bambergensis 423 .MV 8 (12 ./l}.]h.); 1 = Leidensis Gronovianus 22 (12. IJ.Jh.); d = Darmstadiensis 2283 (12./ IJ.Jh.); p = Parisinus 7696 (n.Jh.); v = Vossianus 103 (u./ r;.Jh.).
EINI'ÜHRUNG
EINFÜf.!RUNG
Sie gehen nach Marx auf einen im 12.jahrhundert wahrscheinlich in Italien gefundenen ~Codex Integer" zurück. In der Fditio Minor, 1923, S. XXVIII stellt Marx die von ihm erarbeitete Überüeferungsgeschichte in folgendem Stemma vor:
A. Stückelberger auf.6o Er ergänzt die These von Manirius durch den für die weitere Diskussion der Überüeferungsgescbichte entscheidenden Hinweis, daß zur secunda Jamzlza Kaysers ( 1854) zwei vollständige Herenniushandschriften aus dem to.l 11 . Jahrhundert gehört häaen, die aber Marx ftals völlig wertlos erldärt und bei der Darlegung seiner Theorie unbegreiflicherweise einfach tOtgeschwiegen" habe. Es seien .,die ältesten vollständigen Herenruushandschriften", nämlich F - Frisingensis zo3 - Monacensi:. 6403 (um 1000 n. Chr.) und A = Bambergensis 420 (1o.jh.). Neben diese beiden Codices stellt Stückelbergcr den Codex Vadianus 313 = V aus der St. Galler Stadtbibliothek, den Kayser unter den 91 in seiner Ausgabe aufgeführten Handschriflen nicht erwähnt habe; entstanden ist V ebenso wie F um das Jahr tooo. Die Codices A, F, V faßt Stückelberger zur Gruppe I (lntegri; mteger - unversehrt) zusammen und untersucht das VerhäJrnis des Vadianus zu F und A und die Beziehungen dieser Gruppe I zu den Gruppen M und E. Der Gruppe I rechnet er noch den cod. e = Emmeranus E 59 = Monacensis 14436 ( 11.jh.) zu. Er kommt zu dem Ergebnis, daß die Gruppe 1 .zwar mit den Mutili näher verwandt", daß sie .im übrigen aber weniger verdorben und lückenhaft als M und weniger interpoliert als E" sei; somit dürfe sie "bei einer kunftigen Textgestaltung einen wohlbegründeten Anspruch auf Berücksichtigung erheben". (S. 228) Diese Forderung Srückelbergers erfüllt Calboli, wie oben gesagt, in semer Ausgabe nicht. Nach dem Urteil von K. Zel.Ler"' hat er in be1ug auf die Überlieferungsgeschichte "an jedem Problem vorbeigesehen ... , er nennt zwar Stückelbergers Aufsat.L, druckt aber Marx' Text mit all seinem Klammerwerk ohne Bedenken ab". (S. 192, Anm. 16) . Zelzer selbst versucht, die Klassentrennungen in der Uberlieferungsgeschichte bereirs in der Antike anzusiedeln und von daher der Gruppe I den ihr gebührenden Platz in der Texrüberüeferung zuzuweisen. Er muß aber erkennen, daß seine "retractatio auf halbem Wege" schließe und die
Nach den Ausgaben von Marx ist die wissenschaftliche Diskussion 7ur ÜberLieferungsgeschichte der Rhetorica ad Herennium lange Jahre ganz verstummt. H. Caplan und G. CalboÜ'v legen ihren Ausgaben den Ten der Editio Minor von Marx 7ugrunde. Zweifel an der vollen Gültigkeit der The~en von Marx äußerte zuerst K. Manicius.' ' Er stellte fest, daß eine rhetorische BeispielsammJung aus dem JI.jahrhundert, die Rheconmachza des Anselm von Besate, Beispiele aus den Anfangskapiteln der Rhetorica ad Herennium enthält. Also müsse es in dieser Zeit schon eine vollständige Ausgabe der Rhetonca ad Herennium gegeben haben, die anders als die Muttli von Marx auch den Anfang der Schrift enthalren habe. Diese "scharfsinnige Erschließung von Manitius" greift
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EINFÜHRUNG
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f;:loffnung, ~cmen wesentlichen Schritt zur Klärung der Uberlieferungsgeschichre des Herenniustextes voranzukommen", sich vorläufig nicht erfüllt habe; es sehe fast so aus, .,als brächte derzeit jeder wsärzlich betrachtete ältere Codex mehr Probleme als er lösen könme". Auf jeden Fall aber seien "weder I noch E als erst früh- oder hochmittelalterlich entStandene Textklassen anzusehen~ (S. 2 ro). "Nach Überwindung der Marxschen Handschriftenrestrikciona, resümien er. "wird man ein wesentlich breiteres Textfundament herstellen können, das wahrscheinlich ... eher in der Richtung der IE- Überemstimmung liegen ";rd." (S. 2II) Ebenso wie K. Zelzer hatte auch M. Spallone die Arbeit Stückelbergers fortgeset:rr. 6 ' G. Achard zeigt in seiner Lweisprachigen Ausgabe die Überlieferungsgeschichte genau auf6 l, wobei er neben Marx auch alle neueren Umersuchungen zugrunde legt. Noch nicht einbeziehen konnte er die Dissenation von A. Hafner, die 1987 in Zürich vorgelegt wurde. 64 Hafner unterscheidet z.wei Etappen in der bisherigen Diskussion zur Überlieferungsgeschichte unseres Autors: 1. Von Kayser (1854) bis Marx (r894); die 7weite Etappe begann erst 1956 mit dem Beitrag von Manitius. Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen könne die einzige gesichene Voraussetzung sein, daß sich die erhaltenen Handschriften in drei Klassen einordnen ließen: r. Klasse: H, P, B, C (9.Jh.); 2. Klas~e: A, f, V, M (c: L bei Zelzer); 3· Klasse ( = Expleti von Marx): b, l, d. Statt der Bezctchnungen M (= Mutih), I(= Integn) und E (.e Explett) führt Hafner, wie üblich, griechische Buchsraben für den Archetypus (0) und die Hyparcherypi (a. ß, y) ein (S. 28). Anband der genannten II Codices, die auch in der bisherigen Forschung tm Vordergrund standen, sucht Hafner die überlieferungsgeschichtlichen Zusammenhänge zu klären. Auf threr Basis gesuhet er ein Stemma (S. 174), in dem er neben der auf 0 zuruckgehenden Hauptüberlieferung noch eine von e unabhängige Nebenüberlieferung annimmt (gestrichelte Linien):
Die Überlieferungsgeschichte der Rhetorica ad Herennium ~reUt Hafner folgendermaßen dar (S. 195 - 197): "Die Tradition des ,tuct. ad Her. ist vom Archetypus 0 abhängig. Er 'tl.'ar z. T. unleserlich geschrieben, an vielen Stellen korrupt und lückenhaft und emhielt vermutlieb Glos~en, die in seinen Abschriften weiter tradien wurden. Auf 9 geht einerseits der Hyparcherypus a zurück, wobei man zwischen 0 und a eme westgotische bzw. entSprechend beeinflusste Vor~tufe ansetzen muss. In a fehlten die Anfangskapttel r, r-t,8 des Werkes. Auf a gebt einerseits (doch wohl eher mdirekr als direkt) Würzburg M. p. misc. f. 2 (saec. IX"'«1; H), andererseitS Paris B. N. Lat. 7714 (saec. fX\,, Corbie; P) zurück, wobei zwischen a und P mindestens eine \\'eitere Handschrift anzunehmen ist. H und P repräsentieren am ehesten den Zustand des Hyparchetypus a. Von dem twischen a und Panzusetzenden Codex stammt eine weitere Handschrift ab, die nachher als Vorlage für die
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EINFÜHRUNG
älteste erhaltene Abschrift des auct. ad Her. diente, nämltch für Bern 433 (saec. fX'I., Loiregebict; B). B ist ausscrdem Zeuge von eifriger Emendationstätigkeit und Textvergleichung (u. a. mit de inv.), welche man aus guten Gründen Lupus von Ferrieres bzw. seinem Kreis zuschreiben kann. Da B selber keine der für Lupus rypischen Korrekturen und Rasuren aufweist, hat Lupus bzw. sein Kreis ,·ermudich die Vorlage von B zu emendieren versucht. Diese Vorlage oder eine weitere Abschrift davon bildete später die GrundJage für th. Auf e geht ein weiterer Zweig der Überlieferung zurück, den wir ß nennen. Zwischen ß, dessen Heimat Frankreich ist, und e muss eine irische Vorsrufe angeset:a werden; ferner weisen Spuren auf möglichen angelsächsischen bzw. Einfluss des Corb1e ab-Types hin. Diese Vorsrufe stellte im übrigen eine um vieles sorgfältigere Abschrift von E> dar als diejenige, welche die u-Tradicion begründet hat. Annehmen darf man auch, dass in ihr an einigen Stellen, für welche u und ß eine Korrupte! in e bezeugen, bereits Konjekturen bzw. Lesevarianten in der Form \'On Glossen interlinear gesetzt waren. Gegen Ende des 9.}h. wurde aus diesem Codex (möglicherweise kam er t.u diesem Zeitpunkt von den Britischen Inseln nach Frankreich) der Hyparcheryp ß kopiert, wobei insulare bzw. irische Abbreviaruren übernommen wurden. Spätestens bei dieser Gelegenheit wurde der Text aus Cic. de inv. imerpolien, und Textverderbnisse wurden (manchmal etwas hilflos) korrigiert; die entsprechenden Emendationen wurden z. T. direkt in den Text, z. T. wieder in Form von Interlinearglossen aufgenommen. Mit Hilfe von ß sowie einer B nahe verwandten Handschrift wurde (sicher in hankreicb) der kontaminierte Codex ß• geschaffen und mit ihm eine Tradition begründet, welche Cic. de inv. und auct. ad Her. vereinigt. Ältester Zeuge von ß1 und diesem zeitlich sehr nahestehend ist Leningrad F. V. Lat. Class. 8 (saec. IX V., Corbie; C). Wegen der großen zeitlichen Distanz dürfte dagegen St. Gallen (Stadrbibliothek) Vad1anus 313 (saec.
XI''..J·; St. Gallen; V) eher durch die Verrmnlung weiterer Exemplare von ßr abhängig sein. Im übrigen ist da,·on auszugehen, daß beim Vergleich von ß mit der Handschrift, die B nahe stand, Lesarten, wie sie B bezeugt, in ß Aufnahme fanden. ß bot ferner nach dem Zeugnis von B2AFM ein Inhaltsverzeichnis des Werkes. Von ß wurde außer ßr eine weitere Kopie hergestellt, die mr ß2 genannt haben. Auf sie gehen Samberg Class. 29 (saec. X 1 ~-·==, Deutschland; A) die in B ergänzten Anfangskapitel (saec. X/XI; B2) und München Clm 6403 (saec. X"'·; Freising, teilweise in Ostfrankreich geschrieben; F) zurück, wobej für l:hA gegenüberFein weiterer Codex anzusetzen ist. Ein dritter Traditionszweig von ß schliessücb wird durch Florenz. La ur. Plut. 51. ro (saec. XP(?) 'e> C?>, Südrtalien ~1.onte Cassino?); M) bezeugt, der im Besitze des Klosters Monte Cassino gewesen ist. Angesichts der zeitlichen Distanz ist für M eme direkte Abhängigkeit von ß wieder eher auszuschliessen. Vor allem V, aber auch M weisen im übrigen für die von ihnen repräsentierten Zweige auf Einflüsse von mittelalterlicher Korrekrurtäcigkeit hin (Vergleich mit Codices der u-Gruppe, Vergleich der beiden Tradirionsstränge). Ferner lassen sich in V und M an einigen Stellen mcbt selbsrvers-tändliche Emendationen von Korruptelen nachweisen. Diese legen es nahe, auf den Einfluß einer \'On e unabhängigen Tradition zu schließen, die aber nur rudimentär war. Denkbar ist, daß in einer Handschrift der u-Klasse, die möglicherweise mit H verwandt war, aus dieser Tradition in Form von Glossen (oder durch Auskratzen der ursprünglichen Lesart) Korrekturen angebracht und so diese Nebenüberlieferung begründet wurde. Aus einem Vergleich der 13-Zeugen ergibt sich ferner, dass schon sehr früh eine äußerst eifrige Emendationstätigkeit und das Vergleichen von Handschriften des auct. ad Her. eingesetzt bat. Diese haben ihren Niederschlag in den durch alle ~-Codices gut bezeugten Interlinearglossen (Lesarten der n-Klasse, Konjekturen zu Korruptelen in der a-Kiasse, Erklärung von Wörtern usw.) gefunden. Das übereinstimmende Zeugnis
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der ß-Handschriften zeigt, dass diese Glossentradition mindestem teilwei~e bereit~ auf ß zurückgeht. Noch vor dem 12.jh. muß ein Codex entstanden sein, in welchem die durch V und M repräsentierten Textüberlieferungszweige zusammengefaßt wurden, wobet man eine M ähnliche Handschrift als Grundlage benutzte. Abkömmling die5cr Verschmelzung ist der Codex y, der aus der Übereinstimmung ''On Samberg Class. 22 {saec. XII"', Deutschland; b), Leiden Grono' ianus 22 {saec. XII; t) und Darmstadt 2283 (saec. Xll', Deutschland?; d) erschlossen werden kann. Zw1schen der oben erwähnten Verschmelzung der Traditions7we•ge und der Niederschrift von y lassen sich mindestens L.wei Stufen minelalterlicher Emendationstätigkeit erkennen, deren 7eitliche Abfolge nicht mehr präzise bestimmt werden kann: zum einen muss ein genauer Vergleich zwischen der ß-Tradition und einer a-Handschrift, die H außerordendich nahestand, erfolgt sein. Dieser Vergleich, den wir Diaskeuasie genannt haben, führte zur Aufnahme von Lesarten der a-Gruppe, ferner zu weiteren Interpolationen sowie z. T. richtigen, z. T. falschen Konjekturen an Stellen, in denen 0 nach dem Zeugnis von u und ß eine Korrupte! aufwies. Da in y ebenfalls nicht selbstverständliche Emendationen geboren werden, aber in grösserem Umfang als in V und M, muss auch eine genaue Berücksichtigung der oben erwähnten Nebenüberlieferung eingeflos~en sein. Neben diesen Vergleichen hat auch ein solcher mit A bzw. einem A verwandten Codex seinen :-..Jiederschlag in y gefunden. In der y-Gruppe gehen im übrigen bl gegenüber d auf einen gemeinsamen Ahnen zurück, der jünger als y ist und eine weitere Stufe der Depravarion des Textes durch Interpolation darstellt. Abschliessend sei noch einmal darauf hingewiesen, dass y zwar ein aufgrund der Übereinstimmungen von bld erschliessbarer Codex ist, dass er aber nur eine ,-on vielen möglichen Momentaufnahmen in der Überlieferungsgeschichte unseres Texres darstellt, mit der wir uns heute vor
allem deswegen beschäftigen müssen, da Marx die Codices b, I und d zu den Hauptvertretern seiner E-KJasse gemacht ~.ac. Genaueren Aufschluss über die Entwicklungen in der Uberhcferung de~ aud. ad Her. seit Ende des 11.jh. könnte nur eine Untersuchung weiterer jüngerer Handschriften ergeben." Wichtige Ergebnisse der Umersuchung Hafners sind, daß es den von ~1arx rek?.nstruierten Codex Integer nicht gegeben h.u und daß die Uberlieferung der Rhetorica ad Herenmum nel korrupter sein könnte als bisher angenommen (S. 160). Der Wert von y sei erheblich eingeschränkt, da y kein Hyparchetypus im strengen Sinne, sondern von ß und besonders V und M abhängig sei (S. 349); es sei lediglich eine "mögliche Momentaufnahme eines langen Prozesses, auf die wir z. Zt. durch Marxens Auswahl der Codices b, 1, und d fixiert sind" (S. 3 51). Die auf y zurückgehenden Handschriften seien aber weiterhin beizuziehen, da in sie eine sorgfältigere Auswerrung der Nebenüberlieferung eingeflossen sei als in V und M (S. 350). Hafner betont, daß seine Untersuchung keinen abscnließenden Charakter nahen könne, da er nur die genannten 11 Codices ausgewählt habe (S. 43), hält aber eine Neuedition der Rhetorica ad Herennium aufgrund seiner Untersuchungsergebnisse für dringend nötig; hierzu sei es aber notwendig, weitere Handschriften vor allem des I 1. und frühen r 2. JahrhundertS zu kollationieren und nach ihrem Plan im Stemma Lu fragen (S ..no). Diese Aufgabe kann die vorliegende Ausgabe nicht leisten. Zugrunde gelegt wurde ihr der lateinische Text von G. Achard. An allen Stellen, die Hafner untersucht (S. 199-230; S. 245-346), wurden die Lesarten geprüft. In der folgenden Übersicht werden die TextStellen aufgeführt, an denen wir uns für andere Lesarten als Achard entschieden haben.
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VERZEICHNIS DER VER WENDE.TE)l RHETORISCHEN UND JURISTISCHEN FACHTERMINI "Der Verfasser der Rhetorik ad Herennium hat sieb ... nicht bemüht, die Begriffe seines Lehrgebäudes mit einer präzisen Terminologie logisch korrekt zu klas~ifiziereo; ... eine große Anzahl ,·on Ausdrücken leistet doppelte oder gar dreifache Arbeit und bezeichnet mehrere teils einander sehr ähnliche, teils recht verschiedene Gegenstände der rhetorischen Theorie." 6 ' Tron dieses "schweren methodischen Fehlers", der sicher darauf zurück7uführen ist, daß "das System aus heterogenen, niemals aufeinander abgestimmten Elementen künstlich zusammengesetzt ist" und der Autor der Rhetorica ad Herermium bzw. sein römischer Lehrer die griechische Terminologie teilweise ungeschickt übersetzte, soll versucht werden, in der deutschen Übersetzung eine möglichst eindeutige und einheitliche Terminologie zu verwenden. 66 In der folgenden Übersicht werden die unterschiedlichen deutschen Bedeutungen eines mehrdeutigen lateinischen Begriffs durch einen Strichpunkt getrennt, z. B. commutatio und translatio (criminis).6 7
abscisio - Abbrechen (mi[[en in der Rede); ,-gl. praeCISUJ abusio (xatciXQl)OL;;) - Katachrese, uneigentliche Bedeutung acrimonia - heftige Sprechweise; Schärfe, Energie aaionem babtrt - das Recht rur Klage besitzen aaio prwata - Priv2tk1age ad1unaro (r:u:sl)Yitt'vov) - Anschluß adnominat1o (ltclQOVOjl.(lO(a - Paronomasie) - Anklang, Wompiel adprobauo {f3tfk1Coxn;;) - Beweis durch Zustimmung adSimulatlo- versteUrcs Sichannähern (des Redners an die Meinung der Zuhörer)
adtenuata vox - Fisrelsrimme adtenuatiO - Abschwächung; schlichter Ton der Darstellung
VERZEICHNI S
DER PACHTERM!N l
ambiguum (ajlqnßoi..Ca)- Zweideutigkeit amphibolla- doppelsinnige Wendun~: amplzficatio (au;TJm;. beCvooou;)- Steigerung. steigernder Ton apologus (a:t6}"oyo;)- allegorische Enählung argumentati-0 (€mxe(QY)~tu)- Bewe1s(-führung) argumentum (Un6ßeat~, n}.do~lct) - erfunden Enählung, Inhalt;
confirmatio (n(cnu;;. xa-caOOW:ro:tot(a, e\boJ}.onm(a, = personificatio - Pcr-
(nx~ttJQLOV)- Beweis durch Überführung; (Beweis durch einen) geschichtlichen Vergleich ab argumentis - das Heranziehen von Beweisen COntra argumenta - das Widerlegen von Beweisen ars (tfXVTJ) - theoretische Unterweisung, Lehrwerk, Theorie, Lehre artis smptor - Verfas~er eines Lehrwerkes articulus (Y.Ojl~U) - klemes Satzglied artifzaum - Lehrgebaude, Kunst, Kunstschöpfung arriftaum memorille Gedächtniskun st, Mnemotechnik attemus (1tQOOt:xttx6c;)- aufmerksam barbammus (ß<x~.>ßamo~6;)- fal.~ches Sprechen, Barbarismus (vgl.
Latmltas) bemvolu> (Eiivov;)- wohlwollend brevitas (ßeaxu},oyCa) Kürze causa (ait(a) - Veran lassung; Fall, Srreidall; Rede (vor Gericht) causa cadere - den Prouß verlieren a1usam ronicere - die Sache verbandein causam obtmere - den Prozeß ge\\•innen armmmo (:tq~((j•QaOtc;- Periphra~e) - Umschreibung clamor - voller Ton cognitor- Stellvenreter (vor Gericht) collatio - Gleichnis commodttas oratwnis - Gewandtheit der Rede rommodilas in dteendt opere - gümtige Ausgangslage bei der Redetätigkeit
commoratzo (E..·tL!!OvTJ. Öta-rgtßli) - Verweilen (bei einem wichtigen Gegenstand)
commutatto - Stimm\'eränderung;
(avn~aßol..t))
- Uillitellung
(der Wone)
conressio (ouyyv
conduphcatio
sonifi.uerung) - Verkörperung
corzfutatiO (n(c:m~ . ävaoxEUl)) - Widerlegung coniectura (cnoxao~6s;)- murnußlieber Schluß coniecturam tractare - einen mutmaßlichen Schluß ziehen coniecturalis (constitutio) (<noxao~; ( cnaat<;))- auf etner Vermutung beruhend
coniunctio (:;t'ÜyJ.Ia, ouvel;cuyf.L€vov- Zeugma)- Verbindung coniunctto verborum (
conparatzo (avrCato.ot;;)- vergleichsweise Gegenüberstellung; (m!y· Y.Qtot<;) - Vergleich (- conlatio) ronplexw (t;u
- Symploke, xmv6tTJ~) - Umfassung (~ Verbindung von Anapher und Epipher) conplexio eiusdem litterat (oucnol..lj) - Verschmelwng (= con-
tractw) conpositw (ltQ~ov(a. a\ivbeot~)- gehörige Anordnung conquestto - Wehklagen per conquestwnem - in Form einer Wehklage consecutto (mliJ.lt'tWf.m) - Beweis aus den Folgen consequens (~eta -ro neay~a)- Zeit nach der Tat consequentza (fuaxo/.ouitEat <;)- Folge constituttO (causae) (a\iomOL;;; = status) - Begründungsfo rm (des Streitfalles) (vgl. Anm. 36 zu Buch I)
constructio (verborum) (ouvfiEat~) - Verbind-;~ng consuetudo (verborum, sermonis u. ä.) (ouvf)ßew)- Gebrauch conundere - leidenschaftlieb reden contentw (evay
ex contentione (= ex conparatione)- aufgrund eines Vergleiches rontinuatto - ununterbrochen er Vonrag; (nEQCobo;;) - Fonführung continuztas (verborum)- ununterbrochen e Folge contractlo: ~. conplexio etusdem litterat contrarium (xf.(O~.f, tvW~ITJ~. oxii~u EX TO\l tvuvrlou)- Gegensatz
VI'RZEICH:-IIS
DER J'ACHTFRMINI
convemo (dvnat~tj. Ei'ftq'OQ{.I - Epipher) - Umkehrung (vgl. repetitw) correctio (E.'Tt(H6Q1'lWOl~. ~nuv6Q1'lwou;)- Berichtigung
eleganttA (e0.oyf))- Gewähltheit elocutto (f..f;t~, W.ctfoJOl~) - Aufzählung exceptio - Einwendung gegen den Kläger exemplum (naQ(.tb&tyj.La) - Beispid exercitatw (yuj.Lv1..'1'})- Uberrreibung {• szzperlatzo) exsztscitatio (av(mtaotc;)- Aufmunterung extenuata (figura) {1oxvoc; (xuQUXTIIQ))- schlicht
declamatio - Vortrag definitw (oQO;. ÖQlOJ.l6;) Begriffsbestimmung dehberatio - beratende Rede delzberatl'Uum genus (u>.t'1!nxöv yf:vo;l- beratende Gattung (der Rede) dermnz•tio ({xvtevavtiwat;. Art6llJ;- Litotes)- Abschwächung dcmonrtratio ( tvUQYE!O. OWnJ:rt
fabula {j.~.ü6o;) - erdichtete r 17iihlung; {ögäj.la) - Sch•uspiel femvzws - Anmut, anmutige Darstellung figura (<JXi'J!lCl} - Redefigur; {xugctxt'I)Q) - Stilart <=. genus dzcendJ) figura vom (-t6:to; Tij~ q:-oJvfj~)- Gestaltung der Summe figurae sententiarum (oxfJ~antlltavofm;)- Sinnfiguren (s. exomatiorzes) figuraeverborum (oxt'iJ.lUTU 1..eseo>\;) - Wortfiguren (s. exomationes) firmamenrum (aruov) -13ewets firmztudo (vocis) - Stärke frequentAtw (ouvailQOUJ1!6;) - wiederholende Zusammenstellung (der ll~r die ganze Rede zer~treuten Hauptpunkte) genus - Gattung, An68 genera causarum {YfVIJ tü>v A6ylo>v tv Ql'jtoptxö>V {1 ,1); crx•iwnu unotitoEWV (•,5)- Arten von Fällen genera dJCtrJdi (XUQUXtijQEc;) - Stilarten gestus - Gebärde(-nspiel) gradatzo (YJ.t~u;- Klimax)- Stetgerung
VERZEICHNIS
gravis (figura) I grave (genus
dz~endi) {j!e'yaAO:tQm~c;. aö~
Ot::R. FACHTERMINI
(XaQaX"t'lJQ)) - crhaben(-er) Stil gravttas - Feierlichkeit
lems (sermo) ~chlicht ilcentia (rtaQQl')O(a) - Freimütigkeit locus communu (t6noc; xotv6;) -Gemeinplatz locus propnus - Sonderplatz
historia (lmo(lta) - geschichtlich beglaubigte Erzählung honestum (genus ~<Jusae) (Evbo!;ov ( OXi'uw u:tofrtoEro;;)) = ehrenvoll humife (genus Causae) (aoo;ov ( QY.i]flU UltOÜEOEID;)) - unbedeutend
m<~gmtudo
zmago (Elxwv) - Btld imagines (Eiörol.a)- Bilder imitatio (fllfll')OLc;) - Nachahmung zmmutatlo (WJ.T)yOQ(a)- Vertauschung (der Ausdrücke) {= permutatio) inclinatus sonus s. sonu; indignatio (naftoc;) - Empörung inftttatio (d.;-c6(f'aoL;) - Leugnen inrisio - Verspottung insinuatw (fqJoöo;) - Einschmetchelung (wörtlich: Eingang aul gekrümmtem Weg)
irzstans (Ü!!U teil 1tQUY~Wn)- Zeit während der Tat institutio artis - Lehre der Kunst irzstitutum -Unterweisung intellectio (avvExbox~- Synekdoche, parspro toto)- Inbegriff iruentio (xutu..oytx6v (ytvo;;) - auf Rechtfertigungsgründen beruhend
Latinitas ('EIJ.t)VW!-16~) reiner lateinischer Ausdruck (vgl. barbarismus) kgztzma (constrtutw) (VOjllXTJ (atft
(vom) - Umfang medzocris (figura) (j!tao;; (xUQmm]p)) - gemäßigt membrum (xwi.ov)- Satzglied; Glied (der Rede) memorem e»e - >tch gut einprägen können memOT14 (fl"lJfl'l) - das Sicheinprägen mnemomcon {j!Vl)I")VIX6v) - Gedächtni:.kun-st; Plural: R9;dn der Gedachuriskunsr
moderatio (declamatioms)- Modulation moderatio (gestüs et vultüs) - Beherrschung mollztudo (voos) - Geschmeidigkeit motus corporrs (x(Vl')mc:; toü ocllflato;;) - Haltung des Körpers narratw (bt!'iYJllltS) - Darlegung des Sachverhaltes natura (<(•VOtc;)- Natur( -an Iage) negatio ((ur6q>(t0l!;) - Vemeinung nommatio (övol-latonmCa)- Benennung notatio (,~{}orrolfa) - Charakterisierung rzovztas - Überraschung occultatio (1tClQOAEl'I''S· avt(q>uutc; = praeteritio) - Übergehung offzcium oratoris (EQyov toü {>~toQOc;) -Aufgabe des Redners pars - Art, Teil, Gesicbrspunkt69 permime {btttQOmj) Anheimstellung p~utatw (illT)yoQIU - Allegorie) -
Vertauschung (der Aus-
drucke) p~ecutzonem
habere - das Recht zur genehrlichen Verfolgung
haben perv~w (OVUOtQO
pemwnem habere- das Recht zur Klage in Privat- oder Zivilprozessen haben
praeceptw - Anleirung praeosw (
praeterztzo- l1bergehung (~ occultatio) praetentum (n(IO toil ltQclYflUto;) - Zeit vor der Tat
VERZEICHNIS
DER FACHTERMINI
principium (nQOO(f.ltOv)- Vorrede prohabile (EiY-6;)- Wahmheinlichkeitsbeweis pronominatto (lVÖJ.Lt'VOv) - Untersuchung); (ßaoavo;) - Untersu-
smptum -Schriftstück scriprum er sementta (QTJTÖV xai buivou:t) - Widerspruch zwischen
chung durch Folter
abs quaestLOmbus - das Heranziehen von Untersuchungsergebnissen, die unter Folter gewonnen wurden
contra quaesttones - das Widerlegen \'On Untersuchungsergebnissen, die unter Folter gewonnen wurden
ratio (ovvtx.ov. lt()OOAfl\l't~)- Begründung ratio artis - Lehre der Kumt ratio comparatioms Durchführung des Vergleiches ratio dicendi - Technik der Rede ratzo doctrinae - merhod1sche Lehre ratio imagim•m - L~hre von den Bildern ratw oratzonis - Begründung der Rede ratio praeceptionis - methodische Anleitung ratioms confinnatzo (nQOOAl)'I'C(J)~ c'.t.-t6Öet!;t;) - Bekräftigung
d~r
Begründung
ratiocinalis (causa)- auf einer Schlußfolgerung beruhend ratiocinatzo (w)J.oytof.16;- Syllogismus)- Schlußfolgerung; (aitto).oy(a. t!;nao116;)
Überlegung
remissa oratzo - gelal>sene Rede remissLO 'Vocis - Gelas;enheit der Stimme
Wortlaut und Sinn
asenpro - vom Wortlaut (ausgehen) m smpto aut e smpto- über den Inhalt eines Schriftsrückes oder aus den Konsequenzen, die sieb aus dem Inhalt des Schriftstückes ergeben scrrptura - Urkunde; schri.fdiche DMiegung; Schriften sedara vox - gedampfte Summe sencentw (yvfw