KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
OTTO
HEFTE
ZIERER
ROM TRIUMPH
UND LEI...
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KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
OTTO
HEFTE
ZIERER
ROM TRIUMPH
UND LEID
DER E W I G E N STADT
VERLAG SEBASTIAN LUX MUBNAU • MÜNCHEN . INNSBRUCK . BASEL
DIE „STROMSTADP In der Morgendämmerung der abendländischen Geschichte, um die Mitte des 8. Jahrhunderts vor Christus, zeigen sich uns zum ersten Male schattenhaft die Umrisse einer verstreuten Siedlung auf den Höhen am unteren Tiber. Es sind hingeduckte, hölzerne oder aus Steinbrocken, Lehmwänden und Weidengeflecht gefügte Bauerngehöfte, unter denen die der Sippenhäupter, der „Patres" oder ,Väter' — man nennt sie später Patrizier —, durch ihre trutzigere Bauart hervorragen. Ein Jahrhundert später wird das Bild deutlicher: Auf einer der Anhöhen, dem Kapitolshügel, erhebt sich eine Fluchtburg für das enger zusammengefaßte Gemeinwesen, das sich gegen Feinde vom Land und von der See her wehren muß. Die Nachfahren dieser Siedler glauben an ihre Abkunft von Göttern und Heroen und bezeichnen als ihren Stammvater den nach Italien verschlagenen trojanischen Helden Äneas oder auch Odysseus oder Hercules, den Sohn des Zeus. Sie nennen auch den Namen des Stadtgründers und ersten Königs, der dem Gemeinwesen im Jahre 753 v. Chr. — dem Jahre 1 der römischen Zeitrechnung — die erste staatliche und militärische Ordnung gegegeben habe; es ist Romulus, einer der Zwillingssöhne des Kriegsgottes Mars. Nichts weiß man in altrömischer Zeit von der italischen Urbevölkerung und jenen Wanderstämmen, die im zweiten Jahrtausend nördlich der Alpen ansässig waren und die den Mut hatten, das Hochgebirge zu durchqueren, um südlich der Bergketten die gesegneten Landstriche der italischen Halbinsel als neue Wohnsitze zu gewinnen. Angehörige dieser Nordleute sind vermutlich die wirklichen Gründer der Siedlung am Unterlauf des Tiber gewesen, die man später „Stromstadt", Rom, genannt hat. ü b e r das noch völlig dörfliche Rom legt sich im 6. Jahrhundert die schwere Faust der Könige des etruskischen Städtebundes*, die im Vorrücken gegen Süditalien auch das Tiberland und die Siedlung Rom in ihre Gewalt gebracht haben.
* Die etruskischen Könige versuchen, aus Rom eine Stadt nach dem Vorbild der blühenden Städte ihres Bundes zu machen, dessen Bereich sich vom Tiber bis zu den Alpen erstreckt. Die zusammengefaßte Gemeinde Bora hat in dieser Zeit etwa zehntausend freie Bürger und kann einen Heer* Vgl. hierzu Lux-Lesebogen 270, „Etrusker". 2
bann von über dreitausend wattenfähigen Männern stellen. In der bäuerlichen Stadt gibt es zahlreiche Kollegien, wie jene der heiligen Jungfrauen, der Tänzer, der Ackerbauer und der Vogelschauer. Man glaubt an Vorbedeutungen, Himmels zeichen, Wahrsager und das geheime Wirken von Dämonen; viele dieser Vorstellungen übernehmen die Römer von der etruskischen Besatzung. Aber die Fremdherrscher fördern auch das Stadtwescu, sie berufen etruskische Techniker, Künstler und Handwerker; schon bald greifen die Wohnviertel auch auf die umliegende Niederung über, wo der riesige Sumpf durch die große steinerne Kanalisation der Ctoaca maxima entwässert und ein Marktplatz, das Forum, angelegt wird. Gegen 500 glauben die adligen, patrizischen Großbauernfamilien Roms, die Geschicke ihrer Gemeinde selber in die Hand nehmen zu können; sie zwingen den König zur Flucht, übertragen zweien aus ihren Reihen als jährlich wechselnden Konsuln die Regicrungsbefügnlsse und verteilen die Staatsämter unter sich. Die bevorrechteten Bauerngcschlechtcr stellen auch die dreihundert Kandidaten für den Gemeinde- und Staatsrat, den Senat. Gegenüber den Plebejern, den Mittel- und Kleinbauern, Handwerkern und Kaufleuten, die zwar wählen dürfen, aber nicht gewählt werden können. schließen sich die patrizischen Familien völlig ab. Aber schon bald begehren die Plebejer auf und ertrotzen sich das Recht, Versammlungen abzuhalten und Volkstribunen als ihre Vertreter gegenüber den Behörden und dem 'Senat zu wählen. Damit die Rechtswillkür aufhört, fordern sie, daß eine Zehnerkommission alle geltenden Rechtsbestimmungen sammelt und dokumentarisch festlegt. Künftig kann jeder Rechtsucher von zwölf Bronzetafeln, die auf dem Forum aufgestellt sind, die Gesetzestexle ablesen. Die Römer sind in dieser Zeit mehr Soldaten als Gutsherren, Ackerleute und Gewerbetreibende. Landhunger und Machtgefühl treiben sie auf Kriegszüge in die Umgebung, wo sie Stützpunkte errichten, fremde Stämme als Bundesgenossen oder als Tributzahler verpflichten und eroberte Ländereien in den römischen Bodenbesitz einbeziehen. Die römischen Kriegerverbände, die Legionen, drängen die Etrusker immer weiter vom Tiber weg, während von Norden, aus der Poebene, die Kelten — Gallier genannt — über die etruskischen Städte herfallen. Aber die gallischen Heerhaufen, einmal in Bewegung gebracht, wälzen sich mordend und plündernd weiter südwärts. Die bedrängten Bewohner Mittelitaliens rufen Rom zu Hilfe. Rom steht zum ersten Male in einem großen Krieg um Leben und Tod. An der Allia stellen sich die Legionäre dem Gegner und werden furchtbar geschlagen. Schutzlos liegt Rom vor dem barbarischen Feinde . . .
ROM, AM 18. JULI 390 v. Chr.... Der Wald von Allia, in dem die unglückliche Schlacht stattgefunden hat, liegt auf dem rechten Tiberufer, ziemlich nahe vor der Stadt Rom. Als es klar geworden war, daß die römischen Bauernsoldaten den wilden gallischen Horden nicht gewachsen waren, begannen die Frauen und Kinder aus der Stadt zu flüchten. Lange Kolonnen strebten den Dickichten der Tiberund Albanerberge zu. Die aufgelösten Scharen der Legionäre suchten sich über das staubige Latinerfcld zu retten, während 3
die siegtrunkenen Rotten der rot- und blondhaarigen keltischen Gallier auf die Tiberübergänge vordrangen. Die hölzernen Brücken sind jedoch im letzten Augenblick von den Römern zerstört worden, doch bietet der Fluß kaum ein Hindernis: Es ist Hochsommer, und die Hitze hat den Wasserlauf bis auf ein lehmgelbes, dünnes Rinnsal ausgetrocknet. So stoßen die Gallier ungehindert über die kleinen Palisadenwälle in die Stadt vor. Sie finden Großvieh, Schafe, Ziegen und Geflügel in den Pferchen und Ställen, Hausrat, der auf der Flucht von den Karren gefallen ist, auf den Straßen und die Masse der römischen Habe in den Hütten. Auf dem Forum aber, zu Füßen des kapitolinischen Felsens — so geht die Sage — entdecken die lärmenden und tobenden Barbaren eine feierliche Versammlung von etwa achtzig „Vätern", ehrwürdigen Greisen, die es verschmäht haben zu fliehen und die sich selber als Sühnopfer den Göttern darzubringen bereit sind. Sie sollen samt und sonders unter den Streichen der Eroberer gefallen sein, während vom hohen Felsen der kapitolonischen Schutzburg das Wehegeschrei der römischen Verteidiger herabdrang. Sieben Monate lang flammen die Lagerfeuer der Gallier zu Füßen des Kapitols zwischen den rauchgeschwärzten Trümmern der ausgeplünderten und zerstörten Bürgerhäuser und Gehöfte, sieben Monate lang halten die Verteidiger den befestigten Felsen gegen alle Angriffe. In einer finsteren Nacht, als die W a chen vor Übermüdung eingeschlafen sind und die berggewohnten Kelten barfuß, katzengleich, lautlos über die Steilwand heraufklimmen, rettet nur das Geschrei der Gänse, die als heilige Vögel der Juno auf dem Kapitolfelsen gehalten werden, die Burg der Römer (s. Bild vor der Titelseite). Endlich werden auch die Gallier der Belagerung müde, und Verteidiger und Belagerer treffen sich zu Verhandlungen. Brennus, der Oberhäuptling der Gallier, handelt das Lösegeld' aus, das Rom für den Abzug der Eroberer zahlen soll. Später erzählt man, er habe die tausend Pfund Gold, die als Tribut vereinbart waren, mit falschen Gewichten abgewogen. Als die Römer gegen den Betrug Einspruch erhoben, habe er drohend und mit dem Ruf „Vae victis!" ,Wehe den Besiegten!' auch noch sein schweres Schwert zu den Gewichten in die Waagschale geworfen.
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Die Gallier haben Rom eine Lehre erteilt, die es nie wieder vergißt. Nicht ein zweites Mal soll ein Feind Rom ohne Wehr und Waffen finden.
* Nach dem Rückzug der Gallier zieht Rom die Folgerungen aus der Niederlage. Der 18. J.uli, der schwärzeste Tag der jungen Republik, wird zum Büß- und Bettag erklärt. Die Römer bauen die Stadt neu auf, umgürten sie mit einer elf Kilometer langen Mauer, die sich um die sieben Hügel hinzieht. Die innere Ordnung wird durch die rechtliche Gleichstellung der Plebejer und der Patrizier gefestigt. Künftig wird auch das Amt des Konsuls den Plebejern zugänglich sein. Etwa ein Mcnschenalter nach der Katastrophe an der Allia vermag Rom bereits füni Legionen mit dreißigtausena Mann ins Feld zu stellen. Zielbewußt gehen die Römer daran, die italische Halbinsel zu einigen. Sie unterwerfen das stammverwandte Gebirgsvolk der Samniten. Sklavenkolonnen beginnen den Bau der ersten großen Militärstraße in den Süden, der Via Appia. Ein starkes Rechtsbewußtsein una eine feste reHgiöse Bindung, ein vorbildliches Familienleben mit hoher Achtung der Frau und göttlicher Verehrung der Ahnen prägen das Wesen des jungen Staates. Aber immer noch zeigt sich Rom den fremden Gesandtschaften und Kaufleuten als ein riesiges Bauerndon mit hölzernen Tempeln una finsteren Vierteln. Die Gebäude von größerer Bedeutung stammen noch aus den Etruskerzeiten — wie etwa der steinerne Koloß des Saturn-Tempels am Forum. Auf der neugebauten Appischen Straße, die bis in die Nähe von Neapel führt, ziehen die Adlerstandarten nach der Unterwerfung Mittelitaliens gegen Süden, wo die Griechen seit dem 8. Jahrhundert machtvolle und blühende Kolonialstädte ausgebaut haben. Im Jahre 272 v. Chr. ist Rom auch Herr über das süditalisclie „Groß-Griechenland". Hart gegen sich selbst und gegen die Unterworfenen verfolgt Rom seinen Weg in die Zukunft. Bei der Niederringung des griechischen Widerstandes in Süditalien und auf Sizilien trifft Rom auf das seemächtige Karthago. Ein Kampf beginnt, der den römischen Staat erneut bis an den Rand des Abgrundes führt. Lange schwankt die Waage der historischen Entscheidung zwischen Rom und Karthago, zwischen Afrika und Europa. In den Jahren des Krieges werden die Kornfelder Siziliens und des karthagischen Nordafrika, die fruchtbaren Äcker und Fluren Italiens zerstampft und verwüstet. Als die Karthager die Waffen strecken, breiten die römischen Adler ihre Schwingen von den Alpen und von Spanien bis zur Libyschen Wüste über Länder und Meere. Der geniale Feldherr Scipio Africanus beendet den weltweiten Krieg. Rom ist die Hauptstadt eines meerumspannenden Reiches. Im Frühjahr des Jahres 200 kehrt Scipio Africanus mit all seiner Kriegsbeute und seinen Trophäen zum Triumphzug nach Rom zurück.
EIN FRÜHLINGSTAG 200 v. Chr.... Ganz Rom ist auf den Beinen. Da alle Tore der Stadtmauer geöffnet sind und die Massen zu den Aufmarschstraßen und zum Marsfeld strömen, haben städtische Wachen die kleinen, weithin sichtbaren Kastelle auf dem Janiculus- und dem Vaticanhügel vor der Stadt bezogen und als Zeichen ihrer Wachsamkeit 5
die rote Fahne gehißt. Pauken und Erzgongs dröhnen von den Anhöhen, von überall her hört man Gesang der frommen Bruderschaften, Waffengeklirr der Aufmarschierenden und das Lärmen der aufgewühlten Volksmenge. Der heimkehrende Feldherr Publius Cornelius Scipio stellt seinen Triumphzug auf dem Marsfeld zusammen, dessen Grünflächen von alterher als Aufmarschplatz und in Friedenszeiten als vielbesuchtes Sportgelände dienen. Die Kerntruppe sammelt sich im neuerbauten, hölzernen Circus Flaminius. Zehntausende säumen frohbewegt das riesige Feld, das sich vom Forum bis zum Tiberbogen erstreckt, und die angrenzenden Straßen. Sie tragen die weiße Tunica, das knielange, gegürtete Gewand, oder die weiße Toga, manche auch den weißgelben Schafwollmantel und einen hellen, weitrandigen Strohhut oder die "Filzkappe. Die Menge der Schaulustigen und Mitfeiernden umlagert selbst die grünen Hänge der Stadthügel. Dann weht Staub auf, der Triumphzug hat sich in Bewegung gesetzt, an seiner Spitze Lurenbläser und Gongschläger. Von Staub und Dunst umwölkt, werden von Sklaven hundert schneeweiße Stiere mit vergoldeten Hörnern vorübergetrieben, sie sind den Göttern Roms als Dankopfer für Sieg und Heimkehr bestimmt. Wie Lauffeuer geht der Jubelschrei der Römer die Triumphstraßen entlang. Um die Porta Triumphalis, die mit frischem Lorbeer und Piniengezweig geschmückt ist, staut sich ein ungeheures Menschengewoge. Hier erwartet der römische Magistrat mit allen städtischen Würdenträgern den Feldherrn. Auch def Staatsrat, der Senat — dreihundert ehrwürdige Familienhäupter — schließt sich hier in purpurverbrämter Tunica und hochge^ schnürten roten Schuhen dem Triumphzug an. Berittene müssen den Weg ins Stadtinnere freimachen: in dieses Gewinkel von Werkstätten und Kramläden, Scheuern und Hausgärten, Holzhütlen und steinernen Etruskerheiligtümern, schindelgedeckten Plebejerhäusern und finsteren Patriziergelassen. Himmelhoch steigt der Begrüßungsschrei Roms, als unter dem Torgewölbe die grauen Rücken der karthagischen Kriegselefanten, die schätzcbeladenen Wagen, die Kolonnen der mit Ketten und Stricken gefesselten vornehmsten Gefangenen sichtbar werden. Dann wieder sieghafte LurenkIän-3. Ein Abstand tut sich auf; die zwölf Liktoren, die gefürchteten hohen Amtsdiener, die in Purpurgewändern einhersehreiten, zeigen die Symbole der vollziehenden Gewalt, die Rutenbündel und Beile. Hinter ihnen er6
Einzug des Triuniphators — Gruppe der Trophäenträger (nach Mantegna)
scheint auf einem von vier Schimmeln gezogenen Zweiräderwagen der Triumphator: der Oberkommandierende Scipio Africanus. Er ist in die Tracht des Jupiter gekleidet, trägt die Tunica palmata, das mit Palmzweigen bestickte Untergewand, und die Purpurtoga. Beide sind dem Tempelschatz des Jupiter, des römischen Reichsgottes, entnommen. Scipio ist wie all seine Soldaten mit Lorbeerzweigen geschmückt, die Linke umgreift den Elfenbeinstab mit dem goldenen Adler, ü b e r sein Haupt hält ein Sklave einen goldenen Kranz.
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Während die Menschen sich heißer schreien im ,,Io triumphe!* und im „Ave I m p e r a t o r l " wiederholt der Sklave immer wieder das traditionelle: „Bedenke, daß auch du ein Mensch bist!" So zieht der Sieger über die Mittelmeerwelt hinüber zur Via Sacra, zum Forum und aufs Kapitol, wo er den Goldkranz in die Hände Jupiters zurückgibt. Jetzt wäre es an der Zeit, die für siegreich heimkehrende Feldherrn vorgeschriebene Formel zu sprechen und die Götter anzuflehen, Roms Macht und Besitzstand zu mehren; aber Scipio Africanus, angerührt von der Größe und Einmaligkeit der Stunde, ändert zum ersten Male in Roms Geschichte die Worte ab und bittet Jupiter darum, daß er Roms" Größe erhalte . . . Der Gipfel der römischen Herrlichkeit scheint erreicht; und nach diesem — so glauben viele — ist nichts Gewaltigeres mehr zu erhoffen. Der Rest des Tages wird auf dem Marsfeld und im Circus F l a minius bei den üblichen Wagen- und Pferderennen, bei Gauklervorstellungen und Tierhetzen gefeiert. Scipio bietet dem Volke noch ein besonderes Schauspiel. Kr hat fünfzig Paare Gladiatoren aus der ehemals etruskischen Landschaft Campania mitgebracht. Roms Masse erhitzt sich an dem blutigen Gefecht der Schwertkämpfer, auch darin einen Charakterzug offenbarend, den die etruskische Vorzeit dem Römerantlitz eingeprägt hat.
. * Der Triumph über Karthago führt zu neuen, nunmehr reinen Eroberungskriegen. Griechenland, die Geburtsstätte der abendländischen Kultur, fällt den römischen Legionen zur Beute. Die Berührung mit den Besiegten verändert die strengen, entbehrungsgewohnten Bauernsoldaten der alten Tiberlandschaft, Griechenland wird, zur ersten Lehrmeisterin für Schönheit und Lebensgenuß, Karthago für neue Formen der Industrie, Landwirtschaft und des Überseehandels. Reichtum und Luxus halten Einzug in die Hauptstadt der neuen Weltmacht. Die ungeheuren Schätze, die in die Truhen des römischen Adels und der Finanzaristokratie strömen, schaffen tiefe und unüberbrückbare Hisse zwischen arm und reich, zwischen dem verschwenderischen Aufwand der Großen una dem Elend des großstädtischen Proletariats. Aufruhr, Revolutionen una Revolten erschüttern das innere Gefüge Roms. Die alte Form der vom Senat regierten Republik reißt unter gewaltigen Spannungen auseinander. In dem tödlichen Ringen um die Macht stehen sich die Parteien der revolutionären Reformer und die Verfechter der überkommenen Standesvorrechte erbittert gegenüber. Ober ein Jahrhundert dauern die politischen Unruhen, die auch die Sklavenmassen in Bewegung bringen, während fremde Völker von den Grenzen und vom Meere her den Lebensraum des Römerreiches bedrängen. Rom, das politische und wirtschaftliche Zentrum des Reiches, wandelt sein Gesicht. Anstelle der Holzbuden auf dem Forum werden, nach griechischem Vorbild, steinerne Hallenbauten errichtet, alle Großen des^ Staates
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wetteifern darin, der Stadt Basiliken zu schenken. Das Zentrum Roms ist ein einziger Bauplatz, auf dem schönere Tempelbauten, Kuppelhallen und Säulengänge entstehen. Die Hänge der vornehmen Hügel Aventin und Palatin bedecken sich mit den Prachtvillen der Großen. Spekulanten lassen vielstöckige, schlecht und schnell gebaute Mietblöcke, Insulae, aus den dichtbevölkerten Stadtvierteln aufwachsen. Rom wird zum Massenquartier für die von überallher einströmenden Völker. Durch den Staatsstreich vom 10. Januar 49 am Rubikon erringt der mächtige Parteipolitiker Gajus Julius Cäsar die unumschränkte Regierungsgewalt, begründet die lebenslängliche Diktatur und zerstört die Republik in ihren Wurzeln. Die Römer schwanken noch zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen der überkommenen Form der Republik und dem gesicherten, aber in seiner Bürgerfreiheit begrenzten Leben unter einem machtvollen Alleinherrscher. An diesem Gegensatz, der das römische Leben kurz vor der Zeitenwende durchbebt, zerbricht auch Cäsar, der Diktator und .,Kaiser ohne Krone". Er erliegt Verschwörern, die sich aus den Reihen der Anhänger des altrömischen Staatsgedankens zu einem Attentat gegen ihn zusammengefunden haben.
ZUR MITTAGSSTUNDE DES 15. MÄRZ 45 v.Chr.... Die vorausgegangene Nacht ist voller Unruhe gewesen," ein Frühlingssturm hat Dächer abgedeckt und den wolkenzerrissenen Himmel mit blauen Blitzen durchfurcht. Ein fallendes Gestirn mit Feuerschweif ist drohend wie eine Zuchtrute über das Firmament gezogen. Die Vorzeichen sind böse, und die Priesterschaften der Tempel geben dunkle Prophezeiungen von sich. Marcus Antonius, der getreue Tribun und Parteigänger Cäsars, hat den Diktator vor der Monatsmitte, vor den Iden des März, gewarnt. Man ist einer Verschwörung auf der Spur, ohne die Hintermänner deutlich zu erkennen. Aber der allmächtige Cäsar, der fast die gesamte Staatsgewalt an sich gezogen hat, kennt keine Furcht. Er glaubt seinem guten Stern vertrauen zu dürfen, der ihn in den gallischen, asiatischen, ägyptischen, afrikanischen und spanischen Feldzügen getreulich geführt hat, damit er Born und das römische Reich zu einer neuen staatlichen Ordnung, vielleicht zu der des Königstums, führe. Gefolgt von seinen Anhängern verläßt Cäsar am hohen Vormittag jenes 15. März sein Haus auf dem Palatinischen Hügel, noch lächelnd über die Schreckträume seiner Gemahlin Calpurnia. Nach allen Seiten grüßend, geht er die Treppenstraße abwärts zum Forum, dem Promenadeplatz der Bevölkerung, wo unter freiem Himmel oder in den Säulengängen und offenen Großhal9
len Geschäfte und Politik betrieben werden und wo die Parteiredner zu den Römern sprechen. Die großen Travertinwände der großen Hallenbauten glänzen, der Blick folgt den neuen Durchbrüchen für die Flaminische und die Triumphstraße. Auf Marmorsockeln stellen inmitten des Forums vergoldete Heroen- und Feldherrnbilder, in erhabener Monumentalität ragen an den Seiten die Reichstempel auf, die Heiligtümer des doppelgesichtigen Janus, des Castor, der Vesta und der Concordia, die säulenumstandene Verwalturigs- und Gerichtshalle, die Cäsar errichten ließ, und die ebenfalls von ihm erbaute neue Rostra, die Rednetterrasse. Darüber steigt steil der kapitolinische Felsen auf mit der Burg und dem Tempel des Jupiter, dessen Goldziegei im Sonnenlicht blitzen. Cäsar überquert das Forum und wendet sich dem Marsfeld zu, das aus einem Grüngelände immer mehr zu einem repräsentativen Stadtviertel wird. Hier erhebt sich auch die neue Curie, die Amtshalle des Pompejus, wo heute der Senat tagen wird. Cäsar schreitet plaudernd die Steintreppe hinauf, vorüber an dem Standbild seines großen Gegners Pompejus. Der Senat erwartet ihn. An der Seite stehen in weitgefalteten Togen einige Männer aus Cäsars ständiger Umgebung, Marcus Junius Brutus, Gaius Cassius Longinus, Publius Servilius Casca und Deciunis Brutus. Cäsars Sitz ist erhöht wie der Thron eines Herrschers. Und Cäsar ist Herrscher, Alleinherrscher über ein gewaltiges Reich von sechzig Millionen Menschen. Als der Diktator Platz genommen hat, drängt sich ein Mann an ihn heran, um für seinen verbannten Bruder zu bitten. Als Cäsar mit der Antwort zögert, zerrt der Bittsteller ihm jäh. die Toga von den Schultern. Das ist der unter den Verschwörern vereinbarte Augenblick. Casca zückt als erster den Dolch aus den Gewandfalten, die andern Verschworenen springen mit blanker Waffe hinzu und stoßen auf den unbewaffneten Diktator ein. Cäsar sinkt, aus dreiundzwanzig Wunden .blutend, an der Statue des Pompejus entseelt nieder. Es ist um die Mittagsstunde des 15. März im Jahre 4 4 . . . Aber die altrömische Republik ist auch durch die Beseitigung des absolutistischen Herrschers nicht wieder aufzurichten. Die Mörder, die den Dank der Nation erwarten, haben sich für ' eine Republik eingesetzt, die schon lange vor Cäsar ihr Ende gefunden hat. Nach fünfzehn Jahren Bürgerkrieg 10
Übernimmt Cäsars Großneffe Octavianus-Augustus das Erbe der Staatsgewalt und die Leitung des Weltreichs. Kaiser Augustus stellt den Weltfrieden, die „Pax Romana", wieder her und schafft jene goldene Wellhauptstadt, die als eines der Wunder der Erde im Gedächtnis der Völker fortlebt. Die alte Mauer wird niedergerissen, die Stadt breitet sich mit neuen Vierteln aufs Marsfeld und in die Umgebung aus. Die zentralen Quartiere Borns, das Forum und die umliegenden Kegionen, werden dem Privatbau völlig entzogen. Es entstehen prachtvolle Hallen und Umgänge, Basiliken und neue Tempel, ein neues, marmorfunkelndes Forum, ein Kaiserpalast mit achthundert Säulen una ein neuer Circu3 Rings um die kaiserlichen Bauten reihen sich die Denkmäler großer Privatleute una Freunde des Kaisers. In einem einzigen Viertel dehnen sich die schattenspendenden Säulengänge auf viereinhalb Kilometer Länge aus. Die Parkanlagen schmücken sieh mit Blumen und Bäumen aller Länder. Die Einwohnerzahl der Weltstadt klettert — die immer zahlreicher werdenden Sklaven eingerechnet — unter Augustus auf fast zwei Millionen empor, .und doch hat diese Stadt Frischwasser im Überfluß. Täglich liefern die Aquädukte für die Fülle der Thermen, Bäder, Nymphenhaine, Kanäle, Gärten, Landhäuser und Paläste, die öffentlichen Brunnen und Tränken unermeßliche Wasserniengcn. Aber immer noch gibt es aus älteren Tagen Stadtviertel mit lichtlosen, winkeligen Gäßchen, wo die hölzernen Erker der Fachwerkhäuser weit vorspringen und das Gewirr der Verkaufsbuden und Läden 'jeden Verkehr erstickt. Hinter den mosaikbelcg'ten Prachtplätzen liegen die Armenviertel, hinter den Marmortassa'den der Bibliotheken, Hallenbäder und Treppenbrunnen haust das menschliche Elend in düsteren Mietskasernen. In der Zeit, da Augustus seine Herrschaft über den bekannten Erdkreis errichtet hat, tritt der Erlöser in die Welt und verkündet auch Hom seine frohe Botschaft für die Mühseligen und Beladcnen. Den Entrechteten der Erde, den Armen und Schwachen, wird das Feuer der Hoffnung entzündet. Als der vierte Nachfolger des Augustus, Kaiser Nero, das Szepter in seinen verruchten Händen hält, wird die junge, aufstrebende Christengemeinde Korns unter der Nachwirkung einer ungeheuren Katastrophe vor ihre erste Bewährungsprobe gestellt.
19. JULI DES JAHRES 64 n.Chr.... Am Tage vorher — am 18. Juli — hat Rom mit Büß- und Betprozessionen die Erinnerung an den Galliersturm vor vierhundertfünfzig J a h r e n begangen. Hochsommerhitze liegt über der lärmund stauberfüllten Millionenstadt. Auch der Nachmittag bringt kaum Kühlung. In den späten Abendstunden, als die Stadtpolizisten ihre Kunden durch die engen Gassen ziehen und mit Stangenlaternen in die finsteren Winkel leuchten, sehrillt plötzlich aus der Budenund Bretterstadt des achten. Bezirks, nahe am Circus Maximus, Feueralarm. Man vernimmt das Gongschlagen der Vigiles, der Städtischen Feuerwehr, u n d das Wehegeschrei der armen Leute, die in dem brennenden Viertel wohnen. Schon übertönt das entsetzliche Pras11
sein, Krachen und Knistern den aufkommenden Menschenlärm. Ein sturmartiger W i n d heult plötzlich durch die Gassen, über denen zusehends der rote Feuerschein aufsteigt. Schon stehen viele der mehrstöckigen „ I n s u l a e " — der Mietsblöcke — in Flammen. Rom b r e n n t . .. Tacitus schreibt vierzig Jahre später über das Ereignis: „. . . (las Feuer, das weder durch Paläste mit Brandmauern, noch durch Mauerwerk von Tempeln gehemmt wird, durchstreicht mit Ungetüm die ebenen Quartiere, erhebt sich dann auf die Höhen und läuft abermals in die dichtgebauten Niederungen. Die ganze Talstadt ist ein Brandmeer . . ." Siebentausend Feuermehrmänner, Zimmerleute, Maurer, W a s serwärter und Lappenträger, die mit feuchten Tüchern den Brand zu ersticken suchen, kämpfen vergebens gegen das Unheil. Aufgestörte Menschenmassen, hochgetürmte Karren mit gerettetem Hausrat, plündernde Sklavenhorden, aufgeregte Legionäre und von Polizisten eskortierte Magistratspersonen fluten wild durcheinander. Ein Gerücht geht durch die engen, vom Brandschein erhellten Gassen: der Cäsar selbst, der halb wahnwitzige Nero, habe die Stadt angezündet, um Raum für seinen neuen Palast, das „Goldene Haus", zu schaffen. Aber niemand weiß, was wahr und was falsch daran ist. Hoch auf dem Palatinischen Hügel, inmitten des streng abgesperrten Bezirks, wo weißschimmernd die Kolonnaden der Livia die Augusteischen Palastanlagen umgeben und die alten Parkbäume im Sturmwind rauschen, erhebt sich — gleich gegenüber dem Kaiserpalast — das Turmhaus des Mäcenas. Dort oben auf der Gartenterrasse steht, umgeben von Generalen, Senatoren und konsularischen Würdenträgern, ein dicklicher, kraushaariger Mann in der Purpurtoga, den vergoldeten Lorbeer im rotgefärbten Lokkengewirr, und dieser Mann blickt wie unbeteiligt in das Chaos des rasenden Flammenmeeres. Nero träumt bereits von jenem schöneren, größeren, unvergleichlichen Rom, das sein W a h n und seine Phantasie aus den Trümmern hervorzaubern werden . . .
* Nach dem sechstägigen Brande richtet "sich die Erbitterung "der Römer gegen den wahnwitzigen Kaiser. Voller Furcht läßt Nero die Nachricht verbreiten, die verhaßten Christen seien die Brandstifter gewesen. Eine schreckliche Verfolgung setzt ein. Die römische Geheimpolizei ergreift Hunderte von Christusbekennern, darunter auch die beiden Apostel Paulus und Petrus. Der eine wird als römischer Bürger im Gefängnis mit dem Schwert
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hingerichtet, den anderen, der Provinzbewohner aus Palästina ist, erwartet der furchtbare Kreuzestod. In den neuen Gärten Neros, nahe dem Vatikanischen Hügel, drüben am dem anderen TiberuXer, finden viele Anhänger des Nazareners den Flammentod. Trotzdem wächst in offenem Bekennerlum una dann in Katakomben und Verstecken die Wirksamkeit des neuen Glaubens. Aui- den Brandtrümmern erbaut Nero seinen Wunderpalast, das „Goldene Haus". Seine Nachfolger türmen aus dem Baumaterial des noch unvollendeten Neropalastes das Flavische Theater, das Colosseum. Der Erobererkaiser Trajan legt ein neues, noch größeres Forum an, Hadrian errichtet jenseits der Tiberbrücke sein Riesengrabmal, dessen gigantische Mauern später zur Burg Roms werden und den Namen Engelsburg erhalten. Eine Stadtbeschreibung zählt sechs Obelisken, acht Brücken, elf Thermen, neunzehn Aquädukte, zwei Circusse, zwei Amphitheater, drei Theater, vier Ciadia torenschulen, zweihundertneunzig Magazine, über siebzehnhundert Paläste, zehntausend Standbilder und Denkmäler, zwei Dutzend öffentliche Parkanlagen und fast viertausend öffentlich aufgestellte Erzbilder von Kaisern und Feldherren auf. Aber in den Jahrhunderten schwächt sich Roms Macht durch Barbarenslürme, Bürgerkriege und Christenverfolgungen. Die Fäden, die das Reich zusammengehalten haben, zerreißen unter den Spannungen der Zeit. Kaiser Diokletian versucht zwar noch einmal, die Gewalten zu bändigen, aber auch sein Werk zerbricht. Erbitterte Kämpfe um die Macht zerklüften die Reichsteile, eine demoralisierende Geldentwertung, steigende Verarmung und Verelendung stürzen den Staat und mit ihm die Hauptstadt in immer neu sich Öffnende Abgründe. Im Kampf mit seinem Gegenkaiser Maxentius gibt der Cäsar Konstantin dem vielfach zerklüfteten Reich durch die Anerkennung des Christentums und die Einordnung der kirchlichen Verwaltung in das Staatsgefüge einen neuen Zusammenhalt. Im Herbst des Jahres 312 rückt Konstantin mit einem kleinen Heer geg?n die Hauptstadt, in die sich Maxentius zurückgezogen hat.
28. OKTOBER 312, VOR DEN TOREN... Kaiser Maxentius, der Verteidiger Roms, tut das Törichtste, was überhaupt getan werden kann. Statt seinen Gegner Konstantin hinter den Mauern zu erwarten, führt er das Gros seiner h u n derttausend Legionäre aus dem Befestigungskranz der Stadt h e r aus, um den Heranziehenden in freiem Gelände zu stellen. Zur schnelleren Verschiebung der Truppen hat Maxentius neben der steinernen Milvischen Brücke eine Schiffsbrücke schlagen lassen. Zwischen den Tiberbrücken und dem Roten Felsen — einem Engp a ß auf dem rechten Ufer — nimmt sein Heer Aufstellung. Konstantin, dem n u r die Feldschlacht den Sieg sichern kann, hält die Vorhut des Maxentius in der Enge hin und führt fünfundzwanzigtausend Krieger kühn in die Flanke des Feindes. Mit aufgerichteten Feldzeichen stürmen die gallischen und germanischen Legionäre von der Felsenhöhe herab gegen die dicht 13
geballte Armee des Maxentius. Sie haben seltsame Schutzzeichen auf ihre Schilde gebunden: zwei sich kreuzende Stäbchen — Kreuze, Christenzeichen! Denn ein W a h r t r a u m hat Konstantin Sieg und Herrschaft unter dem Zeichen Christi verheißen. Leibwächter tragen dem Cäsar das „ L a b a r u m " voran, eine mit dem Christusmonogramm geschmückte Fahne in Kreuzesgestalt. Das Schlachtenglück wendet sich Konstantin zu, die Massen der Feinde flüchten aufgelöst zurück zu den Brücken. Dort stauen sich Roß und Wagen, Menschenknäuel stürzen über die Geländer in den hochgehenden Strom, die Schiffsbrücke birst, Kaiser Maxentius wird vom Strudel der Menschen hinabgerissen in die Fluten und ertrinkt. Hinter den Flüchtenden rücken mit Zimbelschall und Paukengedröhn die siegreichen Standarten des neuen Kaisers in das eroberte Rom. Konstantin läßt sogleich in der Stadt ein Standbild errichten, das ihn mit dem Kreuz in der Hand darstellt und das die Inschrift trägt: „Durch dieses heilbringende Zeichen, den wahren Beweis des Mutes, habe ich euere Stadt von dem Joche des Tyrannen befreit und dem römischen Senat und Volk den alten Glanz und die alte Herrlichkeit zurückgegeben." Kurze Zeit später, im Februar 313, trifft der Kaiser mit seinem Verbündeten, dem Mitkaiser im Osten, in Mailand zusammen. Beide Cäsaren erlassen das „Mailänder Edikt", in dem sie allen Religionen des Reiches, auch den bisher verfolgten Christen, die uneingeschränkte Freiheit in der Ausübung der Gottesverehrung zusichern. Die Gotteshäuser und die kirchlichen Grundstücke werden den Christen zurückgegeben. Miltiades, dem obersten Bischof der christlichen Kirche, schenkt ein kaiserlicher Erlaß den verwaisten Palast des ausgestorbenen Senatorengeschlechts der Laterani nahe dem Asinara-Stadttor. Papst Miltiades bezieht ihn als Residenz. Sein Nachfolger Sylvester beginnt, den alten römischen Friedhof am Vatikan aufzuschütten und über dem dort liegenden Grab Petri eine fünf schiffige christliche Kirche zu bauen. Auch über dem Grab des heiligen Paulus vor den Toren, am Rande der Straße nach Ostia, wird eine Kirche errichtet. W i e bei den Legionsstandarten in der Schlacht an der Milvischen Brücke das Kreuz des „ L a b a r u m s " sich über die römischen Adler erhob, so verdrängt nun das Symbol Christi jenes der Kaiser über der Stadt, die in eine neue Epoche ihrer vieltausendjährigen Geschichte eintritt. 14
Daa Rom Konstantins erlebt noch eine kurze Nachblüte der Künste und des Bauwesens. Neben neuen Staats- und Triumphbauten errichten sich die Christen ihre herrlichen Gotteshäuser, die zum Teil noc'h heu'te erhalten sind: Santa Maria Maggiore, Santa Croce, San Lorenzo, San Sebastiano, San Clemente und San Gregorio. Triumphierend sind die Christen aus den Katakomben in die Mitte der Weltstadt aufgestiegen. Aber schon nach kurzer Zeit verlegt Kaiser Konstantin die Hauptstadt des Römischen Reiches mit ihren Beamten, Senatoren und unzähligen Dienststellen an "die Meerengen zwischen Europa uri"d Asien. Der "kleine Griechcnpfatz Byzanz wird zur Stadt des Konstantin uiid trägt seitdem den Namen Konstantinopel. Berühmte Familien Roms wandern ab, auch zahlreiche Kunstwerke werden zum Schmuck Kons tantin opels an den Bosporus gebracht. Der Kaiser residiert künftig weit im Osten, Rom ist ohne weltliches Haupt, und schon bald beginnt der bauliche Verfall. Auch als die völlige Trennung des Reiches in Ost- und Westrom erfolgt, wird Rom dicht mehr zur Hauptstadt gemacht, sondern Ravenna wird Residenz des Westkaisers. Die Abwesenheit des Kaisers lenkt mehr und mehr die Blicke der Römer, der Italiker und der westlichen Völker auf jene geistlichen Fürsten, die von Rom aus die wachsende christliche Kirche leiten. In den Stürmen "der Folgezeit ist immer wieder der Papst einziger und letzter Führer und Fürsprecher der Römer. Die Völkerwanderung erschüttert alle Grenzen. Nordstämme brechen ein, die Randprovinzen im Osten, an Rhein und Donau und in Britannien gehen dem Römerreich verloren. Dann ergießt sich die Flut wild, reißend und zerstörerisch über die Innenprovinzen. Als erstem gelingt dem Germanenvolk der Westgoten der Masseneinbruch ins Römerreich. König Ahirich durchbricht alle Abwehr und stößt im Hochsommer des Jahres 410 bis zum Tiber vor.
24 AUGUST 410, DAS GRAUSIGE F E S T . . .
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Da unten, hinter der Tiberschleife, liegt, umkränzt von zaekengekrönten Mauern und Viereckstürmen, die goldene Stadt mit ihren Wundern an Architektur, überragt von Kuppeln, Tempelgiebeln, Triumphbogen, Obelisken und leuchtend in den langen, weißen Linien der Säulenhallen. Die gewaltigen Kurven der Circusse und Theater, die riesenhaften Hallen der Thermen funkeln in der Sommersomme, golden schimmern die Kreuze auf den Kirchen und die metallenen Schindeln der Tempel. Welch eine Beute kann Fürst Alarich seinen bogentragenden Sarmaten, seinen halbnackten hunnischen Reitern, seinen gotischen Kriegern anbieten! Ist es zu glauben, daß sie, die aus der Kargheit östlicher Ebenen kommen, die aus den waldbedeckten Gebirgen des Balkans hergeritten sind, nun Angesicht zu Angesicht mit dem ewigen Rom stehen — der Stadt des Scipio, Sulla, Cäsar und Augustus —, 15
und daß all der Reichtum der Paläste und Tempel ihnen zulallen soll! Das Lager Alarichs dehnt sich über die Vaticanischen Hügel, rings um die ausgeraubte Basilika Sankt Peter, deren Schätze nur ein Vorgeschmack gewesen sind. Die gelbhäutigen Hunnen schärfen ihre Pfeile und spannen die Bogen, die Goten bessern die erzbestückten Lederpanzer aus, die Sarmaten gehen in der Vermummung erbeuteter Kirchengewänder durch die Zeltgassen. Und dann kommt die Nacht zum 24. August, in der verräterische Einwohner Roms — vielleicht sind es germanische Freunde der Goten, vielleicht ängstliche Bürger, die sich durch die Judastat die Gunst der Sieger erkaufen wollen — die Salarische Pforte auftun und die Barbaren einlassen. Zwei Tage lang ziehen die Eroberer lärmend und plündernd durch die Tempel - und Villenviertel, geblendet von den unermeßlichen Reichtümern der Stadt. In den zaubervollen Gärten des Sallust rauben oder zertrümmern sie die Marmorbilder, mit denen die Parkwege geschmückt sind. Dann schwärmen sie über den Aventinhügel, wo die herrschaftlichen Paläste und die kaiserliche Residenz im Grün der Gärten gleißen. Trunkene Goten, Hunnen und Sarmaten schmettern ihre Speere lachend auf die marmornen Götter und Cäsarenstandbilder. Von den Tempeln decken sie die vergoldeten Dächer ab, von den Wänden reißen sie die Edelmetallverzierungen und von den Portalen die bilderreichen bronzenen Beschlagplatten herunter. Herzzerreißend ist das Elend der mißhandelten Bevölkerung. Tag und Nacht w ä h r t das grausige Fest. Rom ist widerstandslos eine Beute der Sieger. Die Zeit reicht nicht aus, um die Paläste und Tempel niederzubrechen. Rom blutet aus unzähligen Wunden, aber die Stadt erhebt sich über alle Greuel der Verwüstung. Aus dem Dunkel dieser Tage leuchten einzelne freundliche Bilder: wie da und dort Krieger aus dem Gefolge Alarichs bedrängte Mädchen und Frauen gegen das Wüten ihrer Landsleute in Schutz nehmen, wie andere heimlich die dem heiligen Petrus gehörenden Weihegaben der Kirche zurückgeben. Aber die Schreckensszenen übertönen zuletzt doch diese wenigen Zeugnisse der Menschlichkeit.
* Noch viele hinweg. Nur europäischen Vandalen in
Stürme gehen nach dem Abzug der Westgoten über die Stadt mit Mühe gelingt es Papst Leo I., Attila, die Gottesgeißei der Lander, von Hom abzuwenden. Drei Jahre später landen die der Tibermündung und fallen verwüstend in das Stadtinnere 16
ein. Im Jahre 476 wird mit dem Fall der Hauptstadt Ravenna und mit der Absetzung des letzten weströmischen Kaisers Rom zum erstenmal einem Germanenfürsten, dem skirischen Heerführer Odoaker, untertänig. Den Germanen Odoakers folgen als Herren Roms und Italiens die Ostgoten unter Theoderich dem Großen und ihnen die Langobarden. Pest und Verarmung, die Willkür nordländischer Eroberer und die Gewaltherrschaft örtlicher Adelsgeschlechter gehen einher mit dem weiteren Verfall der Weltstadt, die entsetzliche Plünderungen über sich ergehen lassen muß. Der Geist Roms aber ist immer noch voller Kraft, der Geist des antiken und des christlichen Roms. Reste der römischen Staatsordnung und des Rechtslebens werden durch die römische Beamtenschaft bewahrt, die im Dienste der Germanenkönige verblieben und zum Teil von den Siegern übernommen sind. Rom gibt den Fremden seine Sprache. Das römische Christentum führt die Germanen aus dem Dunkel der Unwissenheit und der Barbarei in das belebende Licht der Kultur. Doch wie soll die Kulturmission wirksam werden, wenn alle Arbeit ständig von den einheimischen und benachbarten Gewalthabern behindert oder unmöglich gemacht wird. Das neue Rom der Kirche kann erst wirken, wenn es ein Mindestmaß von Sicherheit und Ordnung zurückgewinnt. Deshalb wenden sich die Päpste an die stärkste unter den germanischen Mächten, an das Staatswesen der Franken, mit der Bitte um Schutzherrschaft über die Kirche. Die Macht der Franken greift auf Italien über. Von ihnen beschützt, wird die einstige Welthauptstadt Hauptstadt eines winzigen Kirchenstaates, Rom zählt um diese Zeit etwa dreißigtausend Einwohner, die verloren zwischen den Ruinen einer großen Vergangenheit leben. In dieser Zeit besinnt sich der Westen auf die Krone von Rom als das Symbol seiner Einigkeit und Stärke. Die Träger der römischen Tradition, die Päpste, reichen das Zeichen der Kaiserwürde dem mächtigsten unter den Frankenkönigen, Karl dem Großen, der einen Großteil des ehemaligen Westimperiums wieder unter Gesittung und Ordnung gezwungen hat. Im Winter des Jahres 800 ist Karl der Große naSh Rom gezogen, um zwischen dem Papst und dem ihn bedrängenden Adel zu vermitteln..
CHRISTNACHT 800. IN DER PETERSBASILIKA... Als der König der Franken den Streit zwischen dem Papst u n d den römischen Adelsgeschlechtern geschlichtet hat, weilt er noch eine Zeitlang in Rom. Das Fest der J a h r e s - und J a h r h u n d e r t w e n d e u n d der Christnacht, die in dieser Zeit noch auf den gleichen Tag fallen, naht. Der mächtige Franke, dessen Heer draußen auf den leoninischen Wiesen Roms lagert, begibt sich, gefolgt von seinen Edelingen, zur ehrwürdigsten der römischen Kirchen, in die fünfschiffige Basilika Sankt Peter, die Kaiser Konstantin e r richtet hat. Karl t r ä g t der hochverehrten Stadt zu Gefallen Tunika, Toga und die geschnürten roten Stiefel eines Senators. Der weite, mit Gebälk überdachte Raum der Basilika ist gedrängt voll mit
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römischem Volk, vor dem Altarraum stehen wie eine stahlblitzende Mauer die Frankenkrieger. Gregorianische Choräle steigen empor, der Papst selber zelebriert das Hochamt. Während der heiligen Handlung wendet sich der Nachfolger Petri und Erbe der römischen Tradition plötzlich um, nimmt das auf dem Hochaltar abgelegte fränkische Königsdiadem und setzt es dem vor dem Altar knienden König der Franken aufs Haupt. Das anwesende römische Volk, noch immer in der Erinnerung an die alte Kaiserherrlichkeit lebend, hat den Vorgang sofort begriffen: Der Papst übertragt mit dieser Geste an Karl, den Schutzherrn Roms und der Kirche, die Gäsarenwürde. Wie es unter den r ö mischen Kaisern üblich war und wie es das römische Staatsrecht vorschreibt, brechen die Römer jubelnd dreimal feierlich in den Ruf aus: „Karl, dem allerfrümmsten, von Gott gekrönten Augustus, dem großen, friedenbringenden Kaiser Leben und Sieg!" Zu spät erfassen die Franken, was sich da vollzogen hat. Das römische, nicht das fränkische Volk, hat den Frankenkönig auf den Schild erhoben. Zu spät kommt ihr Rufen, ihr Waffenaufeinanderschlagen und das Schildgerassel, Zeichen der fränkischen Herrscherkür. Nur das ewige Rom kann die Würde der Kaiserschaft erneuern und weitergeben! Roms uralte Rechte sind wiederhergestellt. Auch der Papst vollzieht die nachfolgende Huldigung in der altrömischen Form: Verehrend wirft er sich vor dem neuen Kaiser nieder. Vor dem römischen Altar, an traditionsreicher Stätte, hat sich die Vermählung antiker Rechtsordnung, christlichen Geistes und germanischer Machtfülle vollzogen. Aus diesen drei Quellen werden der abendländischen Geschichte der kommenden J a h r h u n derte ihre bewegenden Kräfte zuströmen.
* *jVbcr nur kurz sind die Jahre der neuen römischen Ordnung 'im christlich gewordenen Abendland. Als der Stern der Karolinger verlöscht, verlieren die Papste ihre tatkräftigsten Schutzherren. Itom wird zum Ziel vieler Beutegieriger. Im August 846 segelt eine sarazenische Flotte in den Tiber. Die Orientalen überfallen das ungeschützte rechte Ufer. Sankt Peter wird alt seiner Schätze beraubt. Sankt Paul vor den Toren, die Grabeskirche des heiligen Paulus, geht in Flammen auf. Papst Leo läßt nach dem Abzug der Raubscharen die Peterskirche und den Vatikanbezirk, die Leostadt, befestigen; doch sind die wirklichen Herren in Hom in langen Zeiträumen nicht die Päpste, sondern die Adelsgeschlechter, fränkische oder sächsische Lehensträegr oder auch die römischen Bürger, die in stürmischen Volksversammlungen Einfluß auf die Papstwahf beanspruchen. Den Wirren wird
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erst ein Ende gesetzt, als Otto der Große das Kaisertum erneuert und dem Papst die Sicherung seiner Unabhängigkeit verspricht Aber die Schutzherrschaft der Deutschen währt nur so lange, wie die Panzer sächsischer, fränkischer, schwäbischer oder bayrischer Ritter in den Straßen Roms und die kaiserlichen Zeltlager aa den Tiberufern zu sehen sind. Kaum rückt die deutsche Armee nach Norden ab, so kehren die Mächtigen des Landes wieder. Der deutsche Kaiser, Herr und Schiedsrichter über Rom, vermag allein die römisclien Ceschlcchter zu händigen, die Adelsherren im Zaum zu halten und das römische Volk unter das Gesetz zu beugen. Die Rechte, die er una andere Fürsten beanspruchen, berühren aber auch die Ordnung der Kirche. Im Kampf um die Abgrenzung der kaiserlichen, fürstlichen und der kirchlichen Rechte kommt es unter Papst Gregor VII. in Frankreich, England und in Deutschland zu den großen, die ganze Öffentlichkeit aufwühlenden Auseinandersetzungen des Investiturstreites. Vor allem in Deutschland, wo König Heinrich IV. regiert, stehen die königlichen und päpstlichen Ansprüche unversöhnlich einander gegenüber. Der mehrfach gedemütigte König Heinrich spricht Papst Gregor die Papstwürde ab und ernennt einen Gegenpapst. Die königlichen Truppen ziehen über die Alpen nach Italien und dringen auf Rom vor.
28. MAI 1034, IN DEN RUINEN . . . W a s ist dieses Rom — ein Jahrtausend nach dem Goldenen Zeitalter des Augustus? Eine majestätische Schutthalde, aus der, von den Stürmen wechselnder Schicksale getroffen, der zersplitterte Säulenwald einer großen Vergangenheit emporragt. Das Kapitol — einst gekrönt von Tempeln und Mauern — ist eine Wildnis verlotterter Gärten, auf den ginsterbestandenen Hängen weiden Ziegen, ein Teil des heiligen Berges trägt den entwürdigenden Namen „Monte Caprino", ,Ziegenberg'; eine Wirrnis von Höhlen, Grotten, zerbröckelnden Höfen und wucherndem Gesträuch zieht über die Stätte des Jupiter hin. Das Forum — einmal Brennpunkt welthistorischer Entscheidungen — heißt „Kuhfeld", weil dort die wenigen Ruinenrömer ihr Vieh grasen lassen. Kirchen und Kapellen stehen ärmlich und grau zwischen Scherbenbergen, aus den Gewölben des geborstenen Staatsarchivs starren die Stümpfe gestürzter Standbilder. Marmorne Arme und Häupter liegen wie Leichenteile unter Trümmerhügeln. Weit verstreut zwischen Fachwerkhäusern und Hütten ragen wie Klippen die Hochmauern der letzten Tempel und Basiliken. Vom Land kommen Bauern und suchen im Schutt nach Bausteinen, aus fremden Städten kommen Baumeister, Marmorreste und Säulen für ihre Dom- und Palastbauten zu bergen. Der Adel benutzt die großen Ruinen als Steinbrüche, um mit den Quadern 19
Wehrburg der Päpste: die Engelsburg, einst Grabmal Kaiser Hadrians
seine städtischen Wehrbauten zu verstarken. Einige Geschlechter haben sich in den Trümmerstätten, selbst eingerichtet und Triumphbögen in Tore, Theater in Burghöfe, Tempelwände in zinnengekrönte, mit Schießseharten durchbrochene Wehrmauern verwandelt. Das Colosseum •— soweit Erdbeben und Barbaren es nicht zerstört haben — ist eine Festung geworden mit hölzernen Wehrgängen und Wachttürmen. Der Saturntempel ist eine Postenstation, und auf dem Platz eines Junotempels steht die schlichte, schmucklose Kirche „Ära coeli", ,Altar des Himmels', überall rauchen Kalköfen, in denen in Stücke geschlagene Marmorstatuen zu Mörtelkalk gebrannt werden. Die Wasserabflüsse sind verschlammt, und die Stadtniederungen sind zu Morasten geworden. Von den dreizehnhundert Brunnen und Wasserspielen aus der Zeit Konstantins spenden n u r noch wenige Wasser. Drüben aber auf dem anderen Tiberufer ist das hochragende Mausoleum, einst von hundert Erzfiguren bekrönt und von einer hohen Pyramidenspitze und einer Quadriga überragt, in eine gewaltige Festung umgewandelt worden, die „Engelsburg", die letzte, sichere Zuflucht der Päpste. 20
Gegen dieses armselige, verwahrloste Rom, in dem der reformbereite; von König Heinrich entthronte Papst im Widerstreit mit vielen Parteien lebt, wälzt sich zu Beginn des Jahres 1083 mit Sturmleitern und Rammböcken das deutsche Racheheer. Schon sind die Leostadt und Sankt Peter i m Sturm genommen. Nur mit Not ist der Papst in die Engelsburg entkommen — ohnmächtiger Zuschauer der Katastrophe. Fast ein Jahr lang beherrschen die Deutschen die Ruinen Roms. Da naht von Süden her mit einem Heer von dreißigtauesnd Kriegern und sarazenischen Hilfsvölkern der Normanne Robert Guiscard, um die deutsche Besatzung zu vertreiben. Eilends räumen die schwachen deutschen Kräfte Rom, schon zeigen sich von' der Campagnia her die Rauchfahnen, schon lodert durch die Nächte der Brandschein der heranrückenden Normannen. ' Am 28. Mai 1084 ersteigen die Krieger Robert Guiscards das Tor bei San Lorenzo und dringen unter unsäglichen Greueln ins Stadtinnere vor. Mit Blut und Feuer zieht der Normanne seine Bahn zum Marsfeld und an die Engelsbrücke. Noch einmal erwacht Roms Heldengeist, und der verzweifelte Adel und die letzten Bürger der ewigen Stadt erheben sich in wütendem Kampf gegen die Barbaren. Tagelang tobt ein entsetzliches Morden durch die Ruinenhalden. Robert Guiscard läßt Feuer in die noch besiedelten Viertel am Marsfeld und zu Füßen des Forums werfen, ein Riesenbrand wälzt sich zum Kapitol hinauf. Das Ende des ewigen Roms scheint gekommen. Gepanzerte normannische Reiterzüge donnern durch die stiller werdenden Gassen, zu Füßen der Engelsburg treiben wie menschliches Strandgut die langen Züge der Gefangenen hin: edle Römerinnen am Strick sarazenischer Bewaffneter, Jünglinge an die Steigbügel normannischer Berserker gekettet, Männer, die stumm die gefesselten Hände zur Burg hinaufheben. Als „befreiter Gefangener" wird Papst Gregor von den Normannen nach dem Süden gebracht.
* Das nun anhebende wechselvolle Ringen um die Vorherrschaft der beiden großen Gewalten des Abendlandes, der Päpste und der Kaiser, wird immer wieder unterbrochen durch die glanzvollen Tage der Kaiserkrönungen, an denen sich in der Leostadt die ganze Pracht des mittelalterlichen Kaiserund Papsttums entfaltet. Rom selber aber bleibt Wüstenei, Kampffeld der widerstrebenden Parteien. Der Anführer einer demokratisch-republikanischen Gruppe, Arnold von Brescia, errichtet vorübergehend in Rom eine Republik nach altrömischem
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Vorbild und nach dem Beispiel anderer großer italienischer Stadtrepubliken. Eine neue Parteiung kommt hinzu, die der national-italienischen, papstl'reundlichcn Guelfcn und die der kaisertreuen Ghibellinen. Und doch ist Rom auch in dieser Zeit für die christliche Welt die heilige Stadt der Apostel una Märtyrer und das Ziel zahlloser Pilger. Papst Bonifatius VIII. ruft im Jahre 1300 die Christenheit zum ersten Jubeljahr auf, und mehr als eine Million Wallfahrer aus allen Ländern Europas zieht nach dem ewigen Rom. Das Recht zur Vergebung der höchsten weltlichen Würde verwickelt das Papsttum immer wieder in den Rangstreit um die Führerschaft i n ' der Christenheit. Als die Macht der Hohenstaufen gehrochen ist, werfen sich die franzosischen Könige zu Schutzherren der Kirche aiif. Sie weisen den Päpsten, um sie in ihrer Abhängigkeit zu halten, die altertümliche Stadt Avignon an der Rhone als Amtssitz zu. Achtundsechzig Jahre lang ist Rom verwaist und sich selbst überlassen. Es ist die Zeit des Schismas, der Pest, der Raubritter, der niedergebrochenen päpstlichen und kaiserlichen Macht, der Bauernkriege in Frankreich, der Bürgerkriege in England.
OSTERTAG 1341, DICHTERKRONUNG... Es sind die Poesie und das neue, kunstfrohe, vom antiken Geist befruchtete Lebensgefühl des Humanismus, die der Stadt für eine kurze Zeitspanne einen fast romantischen Glanz zurückgeben. Viele Römer haben die großen Tage ihrer Stadt nicht gänzlich vergessen, jede Inschrift auf einem Steingebalk, jedes eingemeißelte SPQfi oder Rutenbündel, jeder gestürzte Adler und all die zerschlagenen Marmorbildnisse, die gigantische Wucht der' stehengebliebenen Mauerreste, die geborstenen Riesensäulcn und die unter Unkraut und Gras hervorschimmernden Mosaiken erinnern an Roms große Zeit. Fern in Vaucluse, in der Nähe von Avignon, lebt der Künder der neuen humanistischen Ideale, der Dichter Francesco Petrarca. Zu ihm kommt am 30. August 1340 ein Abgesandter des römischen Senats und bietet ihm als dem größten der lebenden Geister nach altrömischem Brauch die Dichterkrönung an, die das römische Volk an ihm vollziehen wolle. Ohne Zögern ist Petrarca bereit, nach Rom zu reisen. Aus der Dunkelheit soll dieser leidbelasteten Mutter des Erdkreises wieder ein Licht zustrahlen. „ ü b e r der Asche der alten Sänger", sagt er, „scheint mir der würdigste Ort zur Erneuerung einer allen Sitte . . . " Am 6. April 1341 empfangen die Senatoren Petrarca an der von Räubern beunruhigten Stadtgrenze Roms und geleiten ihn in den
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wehrhaften Orsinipalast. Am Ostersonntag, dem 8. April, wird man Petrarca mit dem Lorbeer schmücken. Die überwucherten Ruinenfelder Roms, die von niedergestürzten Säulen und zerstörten antiken Tempeln gesäumte Via Triumphalis sind mit festlich gestimmten Menschen angefüllt. Zimbeln, Flöten und Posaunen erschallen; Reiter auf kostbar geschirrten Rossen traben aus den Erztoren der Adelskastelle, vom nahen Colosseum und Marcellustheater her, von den Caracallathermen und der Engelsburg. Die römischen Zünfte und Gilden schwenken ihre Ranner, Ritter und Waffenknechte ziehen in Prunkgewändern am Fuße des Kapitols auf. Frauen zeigen sich in ihren gotischen Spitzhüten, in wehenden Schleiern und weitwallenden Röcken. Senatoren und Magistratsherren sammeln ihr Gefolge um sich. Kinder jubeln und streuen Blumen. Petrarca, wie ein König in Purpur gekleidet, steigt die blütenübersäte Treppe zum halbzerstörten Kapitol hinauf — die heroischen Ruinen der Tempel bilden die Kulisse. Zwölf in Purpur gekleidete Pagen aus patrizischem Geschlecht und Kranzträger gehen dem Dichter voraus in den Saal des Senats. Jünglinge rezitieren Verse, die der Dichter zu Ehren des ewigen Rom geschrieben hat. Dann ruft ein Herold Petrarca auf. Rom erneuert einen Brauch, den die Kaiser von Nero bis Domitian während der kapitolinischen Spiele geübt haben: Es krönt mit Lorbeer den besten der Dichter . .. Petrarca antwortet mit einem Hymnus auf Roms einstige Größe und den unsterblichen Geist dieser Stadt, der selbst noch über den Ruinen schwebe. Adel, Bürger- und Ritterschaft umringen in Begeisterung den Lorbeergekrönten mit dem Rufe: „Es lebe das Kapitol und der Dichter!" Eingekeilt in die Volksmenge, steht mit brennenden Augen und aufgewühltem Herzen der Sohn eines römischen Weinwirtes, Cola die Rienzo mit Namen, und schwört sich zu, Roms Größe und die Würde der Republik zu erneuern.
* Wenige Jahre später ist Rienzo der allmächtige Herr Roms, das er von übermächtigen Adligen und Räubern gesäubert hat. Seine Herolde ziehen durch ganz Italien und verkünden die W i e dererrichtung der Republik. Seine Dekrete zeichnet Rienzo mit dem ehrwürdigen Zeichen SPQR, „Senatus populusque Romanus". Er lädt den Kaiser vor das Gericht der ewigen Stadt. Für einen
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kurzen geschichtlichen Augenblick geht fast gespensterhaft das Schauspiel einer Republik über die Bühne, bald schon versinkt sie in Mord, Kampf und Intrigen. Endlich kehren im Jahre 1378 mit Urban VI. die Päpste in die heilige Stadt zurück. Da der alte Palast am Lateran fast völlig verfallen und auch zu unsicher geworden ist, errichten die Nachfolger Petri nahe Sankt Peter und nahe der starken Engelsburg einen neuen Palast, den Vatikan.
* Die Päpste bringen wieder Leben und Bedeutung in die Stadt, die sich zu erholen beginnt und neuen äußeren Glanz gewinnt. Aus dem Geiste des Humanismus und dem Nationalgefühl der Italiener wächst die Renaissance empor, die große Wiedergeburt antiker Traditionen. Gewaltige Erneuerungspläne bewegen die Zeit. Papst Nikolaus V. wagt den Neubau des Petersdomes und vergrößert den vatikanischen Palast. Papst Julius II. läßt Rom durch die Werke der größten Architekten, Bildhauer una Maler der Zeit schmücken. Allgemein ist das Interesse am'Klassischen und Schönen erwacht. Gleich den Herren von 'Florenz, Venedig, Mailand und Neapel sammelt man auch in Rom antike Reste und legt' den Grundstock zu bedeutenden Sammlungen. Aus allen Maler- und Bildhauerateliers Italiens kommen Künstler an den päpstlichen Hof. Aus Florenz wird Raffael Santi berufen, aus Bologna Michelangelo Buonarroti, um im Wettstreit miteinander und mit den übrigen Mitgliedern der Künstlerschaft den Ruhm der Stadt zu erhöhen.
AM 10. MAI 1510, IN DER SIXTINA... Der ungeheuer hohe Raum der Kapelle des Papstes Sixtus IV. ist mit Gerüsten und Leitern bis unter das Flachgewölbe angefüllt. Es ist düster, fast finster. Nur ganz hoch oben unter der Decke schwankt ein einsames Kerzenlicht. Dort arbeitet, halb blind und von Schmerzen geplagt, Michelangelo auf schmalem Liegebrett, das gegen die Decke gerichtet ist. Auf der Spitze einer helmartigen Kopfbedeckung steckt die Kerze, bei deren Schein der Unermüdliche zeichnet und malt. Grollend dringt seine gewaltige Stimme aus der Höhe. Er rezitiert Verse aus Dantes „Hölle", die er allesamt auswendig kennt. Unter seinen kühnen Pinselstrichen entstehen Propheten und wahrsagende Sibyllen: monumentale Riesenfiguren von plastischer Kraft. So großartig ist dieses W e r k des Einzigen, daß Frans von Holland später bekennt, es habe ausgereicht, das Leben von zwanzig 24
Malern auszufüllen. Aber Michelangelo arbeitet erst seit zwei Jahren in der Sixtinischen Kapelle, auf den Tag genau hat er vor vierundzwanzig Monaten damit begonnen und nähert sich bereits der Vollendung. Er schafft unter Qualen — er wehrt sich gegen das W e r k — das er nicht freiwillig auf sich genommen hat. Er fühlt sich als Bildhauer, Zeichner, Architekt — nicht aber als Maler. Seine Gegner haben ihn zu dieser beinahe übermenschlichen Arbeit gezwungen. Da ist der ehrgeizige Bramante, dem der Papst die Überprüfung der Fundamente von St. Peter und deren Erneuerung übertragen hat. Bramantes Berechnungen aber sind falsch. Michelangelo- hat es ihm nachgewiesen und eine Denkschrift darüber verfaßt. Seitdem sind die beiden Männer verfeindet. Als dann jenes junge Genie auftauchte, Raffael Santi aus Urbino, ein Maler von Gottes Gnaden, hat Bramante geglaubt, den Bildhauer Michelangelo auf die Knie zwingen zu können. Er hat den nichtsahnenden Papst dazu überredet, einen Malwettstreit austragen zu lassen. Raffael malt, während sich Michelangelo in der Einsamkeit der Sixtinischen Kapelle abmüht, oben in den lichteren Räumen des Vatikanpalastes die Bilderfolge der Stanzen aus: Bild um Bild wird unter den Händen des Begnadeten zu einer Offenbarung. Bramante* weiß, daß Michelangelo nicht als Maler gelten will, und so glaubt er, daß er an der unerhörten Aufgabe scheitern müsse. Michelangelo würde für lange Jahre in seine Sixtina verbannt sein und würde sie nur als Geschlagener und Besiegter verlassen. Aber dieser Titan wird in zwei Jahren das Unmögliche fertigbringen. Die Wölbungen der Sixtina verwandeln sich in eine Welt großartiger Himmelsgestalten, in eines der erhabensten Werke der abendländischen Kunst. Er malt jetzt Tag und Nacht, er zeichnet unter Schmerzen und Stöhnen, er will zu Ende kommen mit dieser Qual. Ein Ruf dringt von unten zu ihm herauf. Das muß Giovanni Michi, sein Farbenreiber, sein, der als einziger das Gotteshaus betreten darf. Michelangelo unterbricht, seinen dumpfen Gesang und lauscht in die Tiefe. Giovanni Michi ruft herauf, Seine Heiligkeit, der Papst, stehe vor der verriegelten Tür der Sixtina und wünsche den Fortgang des Werkes zu sehen. „Laßt mich allein!" schreit Michelangelo zornig hinab," „ich will niemanden sehen . . ." 25
Sie sind einander ebenbürtig, dieser mächtige Papst Julius II. und dieser Beschwörer himmlischer Gestalten. Der gewaltige Roverepapst droht, er werde sich mit Gewalt Zutritt verschaffen. Als keine Antwort kommt, schmeichelt er und bittet. Michelangelo aber hört nichts mehr; er ist schon wieder dem Tage entrückt, ganz hingegeben der Gewalt seiner Visionen.
* Am 14. August 1511 liest Papst Julius IL die erste Messe in der neuen Sixüna. Dann wird die Kapelle den Bewunderern freigegeben, die vorher schon staunend durch die von Raffael ausgemalten Papstzimmer gezogen sind. Man vergleicht, prüft, sucht zu einem Urteil zu kommen und beugt sich schließlich vor dem Genius, der beiden innewohnt, Raffael und Michelangelo. Dieses erneuerte Rom zählt schon wieder fast fünfzigtausend Einwohner. Unter dem Nachfolger Julius' L, dem Mediceerpapst Leo X., wird der Neubau von Sankt Peter vorangetrieben, Peruzzi baut großartige Paläste und schmückt die Plätze der Stadt. Hunderte von Künstlernamen voller Ruhm und Größe leuchten auf. Die Wissenschaften blühen, die Lebensart erreicht neue Gipfelpunkte, die klassischen Studien und die Sammlungen Roms erwecken die Bewunderung Europas. Doch diese Päpste sind zu sehr italienische Landesfürsten, Politiker und Mäzene der Kunst in einer Zeit, in der die schwerste religiöse Krise die abendländische Christenheit erschüttert und von unten her stürmisch die innerkirchliche Erneuerung gefordert wird. In den zwischenstaatlichen Wirren der Zeit ergreift Papst Klemens VII. gegen die Italien bedrohende Übermacht Kaiser Karls V. die Partei des Franzosenkönigs. Ein deutschspanisches Heer rückt unter Karl von Bourbon zornig gegen das widerspenstige Rom. Die Römer stehen am Türmen und Wällen und verteidigen sich verzweifelt. Karl von Bourbon findet den Tod. Die Landsknechte rasen, unwiderstehlich und jeder Führung entgleitend, stürmen SIP die ewige Stadt. Der ..Sacco di Roma", die Plünderung Roms, beginnt unter furchtbaren Zeichen.
10. MAI 1527, NAHE DER ENGELSBURG... W i e der Himmel nur so blau und rein sein kann über so viel Greueln, wie die Sonne nur ihr blankes Schild zeigen mag über solchem Elend! Papst Clemens VII. steht inmitten weniger Kardinäle, die sich in seine Nähe gerettet haben, auf der Hochterrasse der Engelsburg, gleich unterhalb des Erzbildes des heiligen Michael. Zum Todeskampf entschlossen, halten treue Schweizergardisten hinter den klafterdicken Quadern Wacht. Bronzene Geschütze sind d r o hend auf das lärmerfüllte Stadtviertel Trastevere gerichtet. 26
Der französische Gesandte Grolier notiert in sein Tagebuch: „überall Geschrei, Waffengetöse, Geheul von Weibern und Kindern, Knistern von Flammen, Gekrach fallender Dächer, so starren wir alle voll Furcht und lauschen, als wären wir allein vom Schicksal aufbewahrt, den Untergang dieser Stadt zu schauen . . ." Nicht auszudenken, nicht zu fassen, was sich seit drei Tagen und Nächten in Roms Straßen, Palästen, Klöstern und Kirchen abspielt! Im Kloster Santa Maria in Campo Marzo, in das sich nicht nur die Nonnen der kleineren Klöster ringsum, sondern auch zahllose Greise, Frauen und Kinder aus den Nachbargassen geflüchtet haben, hausen marokkanische Truppen. Weithin sind die Schrekkensschreie der Todesopfer zu hören. In der herrlichen, tausend Jahre alten Kirche Santa Maria Maggiore und in der altchristlichen Basilika San Giovanni tanzen bei Fackel- und Kerzenschein Soldatcnweiber mit betrunkenen Landsknechten auf den Altären, sie tragen Meßgewänder und werfen die Goldgeräte der Schatzkammern mit vollen Händen unter die verrohten Horden. Selbst die Särge der Heiligen werden von den Räubern erbrochen, man reißt die geweihten Leiber aus den Sarkophagen und zertrümmert die kostbar gemeißelten Denkmäler. Durch die Straßen streunen entmenschte Soldaten und werfen brennende Fackeln in die Paläste, rasend stürmen sie gegen die verrammelten Portale der festungsartigen Stadthäuser des Adels. Die Beute ist ungeheuer. Man schätzt, daß den Räubern allein im Palais Valle zweihunderttausend Dukaten in Gold, Edelsteinen und Silber, im Hause Cesarim hundertfünfzigtausend und ebensoviel im Palazzo Enkefort in die Hände gefallen sind. Auf dem Borgo, in dem uralten Viertel vor der Peterskirche, teilen sich die Soldaten die Perlen, Edelsteine und Goldstücke mit Schaufeln einander zu. An allen Straßenecken lagern die Totschläger auf Altardecken und würfeln um Meßkelche und Kruzifixe. Vor der Engelsburg, unten am Tiberkai, treiben Franzosen mit überquellenden Schnappsäcken und Marokkaner und Spanier mit geschändeten Kircheniahnen und Weihrauchgefäßen vorüber. Gestern zur Abendstunde haben die ärgsten Sehreier einen der Ihren, Peter von Sandizell, höhnisch zum neuen Papst ausgerufen. Jetzt naht ein neuer Tumult unter Geschrei und gellendem Gelächter der päpstlichen Trutzburg. Meßglöckchen bimmeln, eine 27
rauhkehlige Horde versucht, einen Kirchenchoral anzustimmen. Ein langer Zug von Landsknechten rückt heran. Viele haben sich im geplünderten Vatikanpalast mit Soutanen, Bischofs- und K a r dinalsroben, mit Mitren, Pallien, Krummstäben und Stolen versehen. Lagerweiber zerren Heiligenstatuen durch den Staub der Straße. In der Mitte des wüsten Haufens reitet rücklings auf einem Esel der Landsknechtshauptmann Peter von Sandizell, den seine Kameraden „Sauditzel" nennen. Er hat sich mit einer Tiara —' der dreifachen Papstkrone — geschmückt, seine Kumpane e r weisen ihm als „Papst Peter I L " die Reverenz. Dann aber folgt unter trunkenem Gejohle der ärgste Frevel: Landsknechte haben einen gefangenen Priester in ihrer Mitte und suchen ihn durch Mißhandlungen zu zwingen, dem Esel die geweihte Hostie zu reichen. Der Papst auf der Höhe der Burg wendet weinend sein Antlitz. Wahrhaft, diese Zeit ist aus dem Bannkreis aller göttlichen und menschlichen Gesetze ausgebrochen!
An diesem Tag des Unheils, an dem unermeßliche Schätze der Vergangenheit zugrundegehen, endet mit der weitlichen Machtstellung der Päpste auch die römische Renaissance. Doch langsam erholt die Stadt sich von den Verwüstungen. Noch ist Michelangelo am Werk, er malt an die Stirnwand der Sixtina sein „Jüngstes Gericht"; er vollendet um den zürnenden Moses das Grabmal des Papstes Julius II. und entwirft die neue Kuppel der Peterskirche. Auf der Kapitolhöhe entsteht nach seinen Plänen eine der großartigsten Platzanlagen der Welt. Unter den Päpsten der innerkirchlichen Reform verwandelt sich Rom in die Stadt des Barock. Bernini zieht seine majestätischen Säulenhallen, die Kolonnaden, um den Petersplatz, über den seit 1590 die Kuppel Michelangelos aufragt. Der Bau einer neuen großen Wasserleitung ermöglicht die Besiedlung weiterer Hügel. Das Verständnis für die Erhaltung und das Studium der Überreste der Antike, das in den Menschen der Renaissance so lebendig gewesen ist, erwacht im 18. Jahrhundert von neuem. Rom ist nun nicht mehr nur Sehnsuchtsziel der Pilgerscharen, sondern auch das Mekka der Kunstfreunde. Unter Napoleon wird die Stadt vorübergehend Hauptstadt einer Republik von Frankreichs Gnaden und dann Residenz eines Königs aus dem Hause Bonaparte. Der Sohn Napoleons erhält schon in der Wiege den Namen eines „Königs von Rom". Es ist der bald scheiternde Versuch, Roms Gewicht als ehemalige Stadt der Kaiserkrönungen und als Zentrum der katholischen Christenheit für das Herrschertum Napoleons auszunutzen. Doch dieses letzte abendländische Imperium ist durch Gewalt errichtet una sinkt in Gewalt unter. Nach dem Ende des Napoleonischen Zeitalters kehrt Papst Pius VII. am 2. Mai 1814 in seine Hauptstadt zurück, die nun etwa 165 000 Bewohner zählt. In den folgenden Jahrzehnten wird auch die römische Bevölkerung in die nationale Freiheitsbewegung einbezogen, die sich an den italienischen Einigungsideen entzündet hat. Als römische 28
Revolutionäre Rom 1849 zur Republik machen und den Papst aus seiner Residenz vertreiben, entsendet Frankreich Hilfs- und Schutztruppen in den Kirchenstaat. Der Deutsch-Französische Krieg zwingt 1870 die französischen Truppen. Rom zu verlassen und in ihrer Heimat zu kämpfen. Der König des seine nationale Einheit vollendenden Italiens holt zum Schlage gegen den tausendjährigen Kirchenstaat aus.
20. SEPTEMBER 1870, VOR DER PORTA P I A . . . . Der Afrikawind treibt zerfetztes Gewölk über die ewige Stadt. Ungeheure Unruhe hat die Bevölkerung erfaßt, Gerüchte durcheilen die Stadtviertel rechts und links des Tibers. Am 6. September soll die italienische Freiheitsbewegung die gewaltsame Besetzung Boms beschlossen haben, die Freischaren hätten bereits die Grenze des Kirchenstaates überschritten. Brixio, ein Mitstreiter Garribaldis, habe gleich hinter den abziehenden Franzosen den Hafen Civitavecchia besetzt. Das päpstliche Born ist vom Meere abgeschnitten.
Ende des Kirchenstaates — Einmarsch der Eroberer durch die Porta Pia
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Der italienische König hat Graf Ponza zum „Generalkommissar der römischen Staaten" ernannt untl entsendet ihn zum Kardinalstaatssekretär des Papstes, Antonelli. Der Abgesandte des Königs erklärt, daß die italienischen Truppen eingerückt seien, um Unruhen im Kirchenstaat zuvorzukommen. Antonelli gibt zur Antwort, daß in Rom völlige Ruhe herrsche und daß der Einmarsch einer Vergewaltigung gleichkomme. Der Protest ist vergebens. Das Schicksal des päpstlichen Territoriums ist besiegelt. Von außen ist keine Hilfe mehr zu erwarten. Die römische Schutztruppe — vor allem schweizerische, und französische, spanische und bayrische Freiwillige — stehen schlecht bewaffnet und mit veralteter Feldartillerie vor dem Vatikanviertel und auf den Torwerken Roms. Am 20. September 1870, gegen 11 Uhr mittags, beginnen die italienischen Geschütze auf die Mauer und gegen die Porta Pia zu feuern. Die Schutztruppe des Kirchenstaates eilt an die bedrohten Stellen. Dort erreicht sie der Befehl des Papstes, daß kein bewaffneter Widerstand geleistet werden dürfe; die Abwehr müsse sich auf stummen Protest beschränken; sobald eine Bresche in die Stadtmauer gelegt sei, solle die päpstliche Streitmacht die Waffen strecken. Zweieinhalb Stunden später stürzt die Mauer in sich zusammen, und über die Trümmer dringen die Truppen des Königs in die Altstadt. Die Schutztruppe wird entwaffnet, die ausländischen Freiwilligen werden in ihre Heimatländer zurückgeschickt. Die tausendjährige Herrschaft der Päpste über den Kirchenstaat und die Stadt Rom geht zu Ende. Um zwei Uhr nachmittags schweigen die Kanonen, weiße Fahnen wehen von den Häusern. Ein Jahr später wird Rom zur Hauptstadt des neu erstandenen Königreiches Italien erhoben.
* Der Papst verläßt den Vatikan nicht, er wird ihn als „Freiwilliger Gefangener" neunundfünfzig Jahre lang nicht mehr verlassen, bis seine Souveränitätsrechte wiederhergestellt sind und er die geistliche Gewalt in voller Freiheit, fern dem nationalen Parteienkampf, ausüben kann. Trotzdem gehen auch in der Folge stärkste geistige Kräfte vom Vatikan aus. Zahlreiche neue religiöse, wissenschaftliche und kunstgeschichtliche Institute entstehen, deren Arbeit über die ganze Welt ausstrahlt. Die alte päpstliche Residenz, der Quirinal, "wird Residenz des italienischen Königshauses. Die Stadt wächst langsam in ihre neue Bestimmung als Hauptstadt eines großen Landes, langsam wächst ihre Bevölkerung an. Neue Wohnviertel breiten sieh über die Hügel, die niedergerissenen Altstadtregionen und entlang der altrömischen Staatsstraßen. Durcli hohe Mauern wird der Tiber, der so oft die Uferviertel überflutete, gebändigt. Siebenmal sieht Rom in den folgenden
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Jahrzehnten den Auszug der Truppen: 18S2 zur Eroberung von Tunis, 1887 zur Eroberung von Eritrea und Somaliland, 1911 gegen die Türken zur Inbesitznahme von Libyen, der Cyrenaika und der Ägäischen Inseln, 1915, im ersten Weltkrieg, gegen Österreich, 1935 zur Eroberung von Abessinien, 1936 zur Teilnahme am spanischen Bürgerkrieg, 1940, im zweiten Weltkrieg, als Verbündete der Achsenmächte. Dreimal wird Rom besetzt: Am 28. Oktober 1922 marschieren die faschistischen „Schwarzhemden" Mussolinis ein, der bis zum 24. Juli 1943 vom Palazzo Venezia aus als Diktator regiert, wahrend der König ein Schattendasein führt. Rom verändert abermals sein Aussehen; von 692 000 im Jahre 1922 steigt die Bevölkerungszahl bis 1943 auf eineinhalb Millionen an. Zwischen Forum und Cotosseum verschwindet die Dberbauung, und es bildet sich hier im Zentrum des antiken Roms ein Freiluftmuseum großartiger Altertümer und Denkmäler. Draußen in den Randbegieten der Millionenstadt entstehen moderne Wohn-, Sport- und Ausstellungsviertel südländischer Architektur. Aber die Prachtentfaltung kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß Italien durch den Übermut seines Diktators der Katastrophe entgegengeht. Als' Mussolini 1943, mitten im Kriege. durch den König entmachtet und Italien zum Waffenstillstand gezwungen wird, besetzen die Deutschen Rom, neun Monate später rollen die amerikanischen Panzer über die Via Appia und die Via Ostiensis in die Tiberstadt. Auch die Tage des Königtums sind gezählt. Als der Krieg zu Ende gegangen ist, wird Rom Hauptstadt der um «seine Kolonien verkleinerten Republik Italien. Innerhalb des Stadtbereichs besteht seit dem 11. Februar 1929 auf Grund einer Übereinkunft zwischen Staat und Kirche der kleine, souveräne, vicr-
Via Appia — die alte Sieges- und Gräberstraße
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undvierzie Hektar umfassendee Staat der päpstlichen Vatikanstadt mit dem Außenbesitz einiger Amtsgebäude im Stadtinner n und der Sommerresidenz in Castel Gandoll'o. Die Vatikanische Gefangenschaft der Päpste ist im Jahre 1929 zu Ende gegangen. Mit etwa tausend Einwohnern ist der neue Kirchenstaat, die Citta del Vaticano, das winzigste Staatsgcbilde der Welt.
ROMA AETERNA... Was bedeutet diese ewige Stadt für uns heutige Menschen? Noch immer ist sie das Zentrum einer Weltkirche von vierhundertfünfzig Millionen Gläubigen, die ehrwürdige Stätte der Apostelgräber und das Ziel zahlloser Pilgerfahrten. Dem Kunst- und Geschichtsfreund breitet sich hier in Dokumenten und Denkmälern, in Ruinen und Monumentalbauten, in Bibliotheken, Archiven und in einem Kunstbesitz ohnegleichen die europäische Geschichte und Kunstgeschichte der letzten zweieinhalb Jahrtausende aus. Aber darüber hinaus verbindet sich der Name Roms mit der Sehnsucht der Menschheit nach der Pax Romana, nach einer befriedeten Welt und der in ihrem Schutz sich gesichert entfaltenden Kultur. Unter den römischen Kaisern bestand lange Zeit ein solcher Friedenszustand im Rahmen des Imperiums, im Mittelalter gab es zeitweise diese friedliche Geborgenheit vieler Völker unter dem Dach der christlichen Kirche und des abendländischen Kaisertums, das verschiedene Nationen im Zeichen des Völkerund Menschenrechts einander verpflichtete. So bedeutet der Name Rom zugleich rühm- und schicksalreiche Erinnerung wie unüberhörbare Mahnung. „Hohe Sonne, du weilst und du beschauest dein Rom . . . Größeres sähest du nicht und wirst nichts Größeres sehen." (Goethe, Elegie XV.)
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