RUDOLF DAUMANN
VERLAG N E U E S L E B E N B E R L I N 1955
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RUDOLF DAUMANN
VERLAG N E U E S L E B E N B E R L I N 1955
Alle Rechte vorbehalten Lizenz Nr. 303 (305 64/55) Umschlagzeichnung: Fritz Ahlers, Prleros (Mark) Gestaltung und Typographie: Kollektiv Neues Leben Druck: Karl-Marx-Werk, Pößneck. V 1530
JEs war erst März; aber schon hatte der. gewaltige Orinoco aus dem guayanischen Berglande und von den Riesengipfeln der kolumbischen Anden die in der Regenzeit angeschwollenen Zuflüsse aufgenommen. Die erste Flutwelle trieb gestürzte Bäume und riesige Moos- und Lianengewirre nach Nordosten in das Land der endlosen Steppen, der Llanos von Venezuela. Das starke flachgängige Motorboot hatte von der Einmündung des Rio Apure ab schwer gegen die Strömung und die unberechenbaren Wasserwirbel zu kämpfen. „Leg noch zwei Zähne zu, Boy!" knurrte der langbeinige Yankee, der im Heck unter dem Sonnenschutzdach hockte und gelangweilt zu dem düsteren Urwald hinüberstarrte. „So wahr ich William Sleigh heiße und Chefdirigent bei der Tropical Oil Company* bin, so langsam bin ich auf dem verdammten Orinoco noch niemals vorwärts gekommen. Genauso langsam wie der dreimal vermaledeite Bagger TOC 13. Vor dem Hochwasser schon sollte Captain Galahad die Sandbänke vor der Mündung des Rio Meta weggefressen h a b e n . . . und nun sitzt er mit seiner Faulenzerbrigade immer noch fünfzig Meilen vor dem Ziel. Schweinerei so was!" Der Maschinist drehte sich nicht zu dem Scheltenden um. Er starrte geradeaus, um auf seinem Kurse den treibenden Riesenstämmen ausweichen zu können. Aber seine klare Stimme überklang das Rauschen des Wassers und das Dröhnen des Dieselmotors: „Mister Sleigh, ich möchte der Besatzung von TOC 13 nicht erzählen, was Sie eben gesagt haben. Im Chefbüro der Tropical Oil, in Ciudad Bolivar, ist es leicht, für uns Arbeitsstrecken abzustecken. Aber in den Stromschnellen und zwischen den Sandbänken sieht es doch anders aus. Käpten Falcone Galahad hat für das Geld, für unseren Lohn, blutigen Schweiß verlangt." „Aber er hat unsere Weisung nicht durchgeführt, den Bagger in Tag- und Nachtschicht zu fahren! Dieser verdammte irische Dickschädel meint alles besser zu verstehen als wir in Ciudad Bolivar!" * Öltrust der USA.
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„Muß er wohl auch, weil er hier im Urwald baggert", klang es vom Steuerruder zurück. „Zehn Stunden in dem Getöse der Sauger und Greifer schuften... und dann nicht einmal in der Nacht Ruhe haben? Zu einem Wohnschiff langt es ja der Tropical Oil nicht. Da machen wir nicht mit, Mister Sleigh!" „Sie sind doch Walewski, Boy!" Der Amerikaner war aufgestanden und trat zum Steuerstande. „Allerhand, was Sie für eine Lippe mir gegenüber riskieren! Sollten recht dankbar sein, daß Sie gut bezahlte Arbeit bei uns gefunden haben. Ist doch allerhand unklar in Ihren Papieren!" Der blondschopfige Maschinist lachte schallend: „Da haben Ihnen Ihre Pinkertons* einen dicken Floh ins Ohr gesetzt. Ich bin und bleibe Bernhard Walewski aus der schönen Stadt Berlin. Kann ich dafür, daß unser U-Boot 1944, also vor neun Jahren, vor der Insel Trinidad absoff? Hier in Venezuela war ich sicher vor euren Gefangenenlagern, Käpten Galahad konnte mich gebrauchen, und so baggere ich mit ihm zusammen auf dem Orinoco, schon sieben Jahre lang, damit die Tankschiffe der Tropical Oil immer höher hinauf gelangen können, um den ölsegen aus San Fernando de Atabapo zu bergen. Sollen ja wieder mit fünf Sonden fündig geworden sein." „Ja, und ihr steht immer noch vor der Metamündung", maulte der Chefdirigent. „Haben aber eine sauberfeine Arbeit gemacht. Auch in der Trockenzeit kann jeder Tanker jetzt schon bis San Fernando de Apure kommen." „Sollen aber noch vierhundert Meilen weiter stromauf!" Der Maschinist steuerte gewandt einem treibenden Riesenbaum aus dem Wege: „Wäre alles schon geschafft, wenn uns Ihre werte Firma im vergangenen Jahre nicht zu dem großen Streik gezwungen hätte. Habe mir sagen lassen, daß die TOC eine Tochtergesellschaft der Standard Oil des hoffentlich seligen John Davison Rockefeller ist, die 50 Prozent Dividende ausschüttet, aber für uns Werkleute keinen Dollar Zulage übrig haben wollte. Habt aber doch zahlen müssen!" Sleigh stieß einen langen Fluch aus, der besagte, daß er alle Schaffenden der TOC für Hunde und Söhne von Hündinnen halte, die Direktion natürlich ausgenommen. Eben kam hinter den quirlenden Wassern der Schwimmbagger in Sicht. Ueber den hohen Lüftungstürmen wölkte blau der Oelqualm. Die Saugarme waren weit ausgeschwungen, und die Ablagerohre spien ununterbrochen einen Schlamm- und Sandstrom in das Ufergelände. « Amerikanische Detektivgesellschaft.
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„Da, unser TOC 13!" Walewski steuerte vorsichtig durch das schlammige Widerwasser und bugsierte das Motorboot geschickt an das flache Heck des Maschinenungetüms. „Hätten es geschafft, Chief! Nur noch einen kleinen Rat, ehe Sie mit Käpten Galahad und den Leuten von TOC 13 sprechen: ob schwarz, ob gelb, rot oder w e i ß . . . keiner von uns will hören, daß unsere Mütter Hündinnen gewesen sind! Mister Sleigh, verdammt ist, wer Vater und Mutter beschimpfen läßt!" „Aufsässiges Gesindel!" Der Yankee keuchte, als er sich an dem zugeworfenen Tau über die Reling an Deck schwang. „Mister Galahad, dieser Maschinist Walewski, warum ist er noch nicht hinausgefeuert? " Die Frage war an einen dicken rothaarigen Mann gerichtet, der nur mit Schwimmhose und einem quergestreiften Trikothemd bekleidet war. Die blaue Schiffermütze mit drei goldenen Streifen saß verwegen in dem dünn gewordenen Rothaar auf dem massigen Kopf. Er sprach das Englisch so breit, wie es nur ein waschechter Ire tun kann: „Bei allen Geistern von Lillarney*,. Mister Sleigh, welche verdammte Baumzecke** hat sich an Ihrer Gallenblase festgesaugt? Wollte Sie mit Freuden begrüßen, und Sie spucken Gift und Galle? Hinausfeuern? Den braven Bernhardus Walewski? Den besten Maschinisten der ganzen TOC? Nun aber friedlich, Chief, sonst wird die ganze Mannschaft hellhörig!" Dieses Gespräch mußte mit der Aufbietung aller Stimmstärke geführt werden; denn die Getriebemotoren des Baggers lärmten mit den Saugrüsseln und den Absetzrohren um die Wette. Schwabbernaß von Kopf bis Fuß turnten die Bedienungsmannschaften zwischen den heulenden Maschinen und gurgelnden Rohren, hingen außenbords, um Greifer zu dirigieren oder leckende Muffen an den Auslegern zu dichten. Kapitän Galahad dirigierte den nervös werdenden Gast schnell zu dem Niedergang, der in seine Kajüte führte: „Hier hinunter, Mister Sleigh! Sonst geschieht noch ein Unglück! Tja, wer auf einem Bagger nicht zu Hause ist, dem kann es hier schnell an den Kragen gehen. Und dabei haben wir noch nicht die halbe Hochflut. Wenn erst der Orinoco durch die Urwälder schießt, dann ist es kein Spaß mehr auf dem TOC 13!" „Hat mir eben gelangt, Captain!" seufzte der Chefdirigent und sank aufatmend in den Schaukelstuhl. „Und diese Affenhitze in der Kabuse! Könnte man die Bullaugen nicht etwas öffnen?" * Irische Landschaft. ** Blutsaugende Milbe.
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„Damit das Schlammwasser hereinspritzt? In zehn Minuten sehen wir dann aus wie die Decksleute und noch schlimmer. Aber hier habe ich etwas zur Kühlung: echt irischen Whisky aus Limerick! Was, Sodawasser dazu? Ist n i c h t . . . Und Orinocowasser mit 30 Prozent erdigen und lehmigen Bestandteilen ist nicht empfehlenswert. Übrigens, in einer halben Stunde pfeifen wir Feierabend, und dann können wir uns auf Deck ein friedliches Plätzchen suchen, wenn die Fiebermücken heute nicht allzu gierig auf frisches Menschenblut sind." Sleigh hatte den scharfen Trunk mit einem Ruck hinabgestürzt. Er blickte nach der Uhr: „Feierabend? Jetzt ist es erst 16 Uhr Venezuelazeit!"* Galahad füllte die Gläser wieder. „Stimmt genau! 16,30 Uhr, Feierabend. Die Leute stehen seit früh 6 Uhr auf dem Posten. Pausen bei Vollbetrieb, das ist so eine Sache. Ich schreibe jedem täglich 10 Stunden gut, und das ist, beim Heiligen Patrick, nicht zuviel." Sleigh schüttelte mißbilligend seinen Geierkopf: „Euch nicht, eurer Bande auch nicht. Aber uns in der Direktion in Ciudad Bolivar. Ihr überzieht dauernd das Lohnkonto, und dabei, seid ihr zwanzig Meilen im Rückstand. Das muß anders werden!" Dem Baggerkapitän schwollen die Schläfenadern: „Meint die Direktion, wir faulenzen auf TOC 13? Mister Sleigh, Sie haben eben gesehen, welches Höllentempo wir vorlegen. Die Baggerstrecke ist zu schwierig: versunkene Eisenholzstämme, Muschelbänke... Das kostet Zeit!" „Die technischen Dinge interessieren mich nicht. Wenn ihr zweischichtig baggern würdet, kämt ihr rascher voran." „Lieber mustere ich heute noch ab, als mir und meinen Leuten das Leben zu des Deibels tiefunterster Hölle zu machen!" brauste der alte Kapitän auf. „Sollt mal die Jungens sehen, wie die abends zusammensacken! Und dann keine Ruhe durch die Nachtschicht, die ebensoviel Lärm macht?" „Euer weiches irisches H e r z . . . doch nur eine Frage der Gewöhnung!" Der Chefdirigent sprach spöttisch und sehr von oben herab, „Übrigens, diesen vorlauten Burschen, den Walewski, warum wollen Sie ihn durchaus behalten?" Der Kapitän lachte. „Daß er ein Pfundsbursche ist und sein Fach versteht, sagte ich wohl schon. Außerdem ist er noch Vertrauensmann der CTAL, der Confederation deTrabajadores de laAmericana Latina."** * Venezuela hat besondere Landeszeit. *» verbandder Arbeiter Latein-Amerikas.Organisation des Weltgewerkschaftsbundes. 6
Kein Lob für einen Weißen! Ich meine, in dieser Gewerkschaft sind nur Farbige." Aber sie hat der Tropical Oil doch ihren Tarifvertrag aufgezwungen!" spottete Galahad. „Sogar für mich schauen jetzt alle Monate hundert Dollar mehr heraus. Ich und meine Leute sind mit der CTAL sehr zufrieden!" „Werde mir Ihren Ausspruch verdammt gut merken, Captain! Es kommen auch wieder andere Zeiten. Drüben in Kolumbien hat die CTAL gründlich ausgespielt." „Daß Sie sich nur nicht irren! Ich kalkuliere, der General Laureane Gomez sitzt ziemlich wacklig auf seinem Diktatorthrönchen. Mag der Bluthund auch 30 000 friedliche Indios und Mitglieder der CTAL abgeschlachtet haben, die Bandoleros der Freiheit setzen den Gomezardos so zu, daß es da drüben in Kolumbien ganz schön duster aussieht. Kann mir ein Urteil erlauben, seitdem ich an der Grenze zwischen Kolumbien und Venezuela auf dem alten Orinoco baggere!" Galahad legte bedächtig die Mappen mit den Arbeitsberichten und den Stromkarten auf den Tisch. „Wollen uns nicht streiten, Chief! Was geht uns-der Bluthund Gomez an. Auch die Regierung von Venezuela ist durchaus nicht arbeiterfreundlich, wenn sie noch so liberal scheinen will. Immerhin, sie hat aus den großen Streiks 1950 und 1952 gelernt, und das sollte die Tropical Oil Company auch getan haben!" Und dann erläuterte er den Verlauf der Ausbaggerungsarbeiten vor der Mündung des Rio Meta in den Orinoco. Auf dem gewaltigen Bagger TOC 13 war der Arbeitslärm verklungen. Die Neger und Indios, die Mulatten und Weißen lauschten manchmal schmunzelnd auf die erregten Stimmen, die aus der Kapitänskajüte heraufdrangen. Mit hochroten Köpfen tauchten, als die Sonne bereits zu sinken begann, die beiden Streithähne Galahad und Sleigh aus dem Niedergang auf und ließen sich schweratmend in die Korbsessel am Heck sinken. Der Baggerkapitän wies auf die Ruhenden hin: „Schaut Euch einmal meine Leute an! Machen sich gerade für das Abendbrot salonfähig. Da ist keiner drunter, dem nicht die Knochen zittern. Wir werden übrigens morgen die höllische Muschelbank geschafft haben, und dann gibt es klare Fahrt bis zur Metamündung. Das ablaufende Stauwasser schafft genug Strombett für die Tanker. Wenn Sie wollen, Chief, sehen wir uns morgen einmal das neue Arbeitsfeld an der Metamündung an." So erhielt der Maschinist Walewski die Weisung, das Motorboot zu einer neuen Fahrt stromaufwärts klarzumachen. Bis zur Mitter7
nachtsstunde hatte er zusammen mit seinem Hilfsmaschinisten Jacobo Atuerra zu tun, ehe er befriedigt den Schraubenschlüssel aus der Hand legte. „Also nun schnell schlafen", wandte er sich an den jungen Tschibtscha-Indianer.* „Du möchtest mitkommen? Nichts leichter als das. Werde dich als Bugposten einklaren. Aber einmal ganz ehrlich: Warum willst du so schnell den Rio Meta in den Orinoco stürzen sehen?" Atuerra erzählte, und es kostete noch eine Stunde der Nachtruhe: „Aus Piccopecco in Kolumbien stamme ich, dort, wo der Rio Meta aus den Anden in das Hügelland strömt. Ich bin ein echter Tschibtscha, ein Muisca... so nennen wir uns selbst. Und das heißt in deiner Sprache: ein Mensch. Ehe die weißen Räuber vor vierhundert Jahren kamen, bewohnten wir große Städte und reiche Dörfer, regierten uns selbst, kannten keine Sklaverei und keine Unterdrückung. Das Gold der Muiscas — und wie reich waren wir daran —, Dreck der Götter nannten wir es, lockte die Spanier herbei, und seitdem sind die Tschibtscha-Völker die Unterdrücktesten der Unterdrückten. Unsere Städte wurden zerstört, von euch, den Weißen. Wir lebten stumm in unseren schönen Dörfern am Rio Meta, an den anderen Flüssen, auf der Hochebene von Bogota in den Anden. Fast zwei Millionen reinblütige Indios gibt es noch in Kolumbien, und die meisten nennen sich mit Stolz Muisca — Menschen —, soweit sie zu den Tschibtschas gehören. Aber auch die anderen Indios, die vom Karibischen Stamm, sind nicht schlechter als wir. Kolumbien ist reich: Gold, Platin, Kupfer, Erdöl, Smaragde... Ich denke an unsere Fruchtfelder, an die Kaffeewälder, die Kakaoplantagen. Und weil wir den gerechten Anteil an dem Reichtum unseres Heimatlandes haben wollen, will uns der General Gomez ausrotten. Ist es denn ungerecht, wenn wir zurückfordern, was uns geraubt wurde?" Der Deutsche sah mit Verwunderung, wie sich der Indio in einen glühenden Zorn hineinredete. Er versuchte zu scherzen: „Immer langsam mit den jungen Pferden, Jacobo! Kolumbien ist mehr als zwei Millionen Quadratkilometer groß. Alles Land könnt ihr Muiscas doch nicht besiedeln. Wo sollen denn dann die anderen zehn Millionen Einwohner bleiben?" „In meiner großen und schönen Heimat können 30 oder 50 Millionen Einwohner arbeiten und schaffen. Wir Tschibtschas werden mit ihnen in bestem Frieden leben, wenn sie uns das bißchen Land gönnen, das wir zu unserem Dasein brauchen. In meinem Heimatdorfe wohnten 500 Menschen. Uns gehörten fast 800 Hektar. Als ich in Villavicencio die Schule der Quäkermission besuchte, * Südamerikanischer Indianerstamm in Kolumbien.
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kamen die Henker des Generals Gomez und beschlagnahmten das •Land Platin hatte man auf unseren Feldern gefunden. Die Gomezardos jagten alle Männer, Frauen, Kinder, Greise aus dem Dorfe und sagten: Wer sich noch einmal in Piccopecco, so heißt mein Heimatdorf, sehen läßt, der kriegt genug Blei ins Gedärm. Euer Land gehört jetzt dem Vater Kolumbiens, dem allerdurchlauchtigsten General Laureane Gomez. Was ihr machen sollt? Geht in die Hochanden, Bergleute werden dort immer gebraucht. Nein, hier auf den Platinfeldern mögen wir keine Ortsansässigen. Die Arbeit wird von Staatsgefangenen verrichtet, und daher schert euch so schnell wie möglich aus der Gegend fort!" „Das ist doch nicht möglich!" empörte sich Walewski. „Für die Gomezardos ist alles möglich! Zieht die vertriebene Dorfbevölkerung in die Anden, dann werden alle arbeitsfähigen Männer abgefangen, weil sie keine Heimstätte nachweisen können. Zu Vagabunden erklärt, werden sie Staatsgefangene, und die verkauft Gomez als billige Arbeitskräfte an die Meistbietenden. Frauen, Kinder und Greise können in der Einöde zugrunde gehen. Es sind ja nur Tschibtschas, arme Indios, für die es drüben in Kolumbien kein Recht gibt. Wie viele von ihrem Grund und Boden vertrieben worden sind, wer weiß es? Aber 30000 sind zugrunde gegangen, wie sie selbst zugeben, die Gomezardos." „Und was sagt die CTAL, was sagen die Arbeiter dazu?" fragte der Maschinist. „Die CTAL ist verboten, die Arbeiter werden genauso unterdrückt wie die indianischen Bauern, In den Zeitungen, hier in Venezuela und in den USA, feiert man den Bluthund Gomez als den großen Kulturbringer für das zurückgebliebene Land. Freund Walew, gäbe es nicht die Bandoleros der Freiheit, ich müßte verzweifeln. Es sollen sich auf den Orinoco-Inseln Flüchtlinge aus Kolumbien angesiedelt haben. Vielleicht finde ich Bekannte, Verwandte aus Piccopecco Oder ich höre eine Nachricht über Vater, Mutter, meine Geschwister. Darf ich mitfahren?" „Jacobo, mein lieber Freund, das war schon vorher entschieden. Schnell müssen wir jetzt schlafen. Wenn es Tag wird, sind wir schon auf der Reise." Als das schrille Schreien der bunten Papageien in den höchsten Wipfeln der Urwaldbäume den Sonnenaufgang über dem Orinosotal verkündete, legte das Motorboot vom Bagger ab und kämpfte sich tapfer gegen die quirlenden Fluten stromauf. Jacobo Atuerra stand am Bug und wehrte mit langer Stoßstange das schwache Treibholz 9
ab oder warnte vor dem großen. Galahad und Sleigh hatten es sich in den breiten Rohrsesseln am Heck bequem gemacht. Mit dem strömenden Wasser kam ein kühler Luftzug den Riesenfluß herab und verjagte das Mücken- und Fliegengeschmeiß. „Beinahe angenehm", stellte Sleigh fest und schob den Tropenhelm weit ins Genick. „Ich meine, die Arbeit in Gottes unbefleckter Natur hat auch seine Lichtseiten!" Galahad schaute nach dem schmalen Streifen Himmelblau, den die Kronen der Urwaldriesen freiließen. „Wünsche Ihnen von Herzen ein echtes Tropengewitter auf dem Orinoco, damit Sie die frommen Sprüche sein lassen, Chief! He, Walewski, ist da nicht Regen in der Luft?" „Aber dick!" rief der Gefragte vom Steuerstande zurück. „Zieht aus dem Süden auf. Hallo, Jacobo, wann wird es plätschern?" „Zur Mittagsstunde, Senores!" erscholl vom Bug die Antwort. „Aber dann haben wir die Metamündung hinter uns und können auf einer hochgelegenen Schildkröteninsel den Schwall verrinnen lassen." „Quatsch, solche Wettervoraussagen!" knurrte Sleigh. „Stecken die Nase in die Luft und prophezeien... Meteorologie ist eine Wissenschaft!" Der Baggerkapitän grinste über sein breites Gesicht: „Mister Sleigh, halte jede Wette gegen Sie, daß die Jungen recht haben! Ehe wir mit dem Lunch anfangen, ist das Unwetter da." „Bedeutet das etwa Gefahr?" wollte der Chefdirigent wissen. „Wie bitte, Gefahr?" lachte Galahad. „Hier, wo der echte Urwald des Orinoco anfängt, bedeutet es schon Gefahr, wenn man mit aufgeknöpfter Hemdbrust im Rohrsessel sitzt." Er begann an seiner Shagpfeife zu schrauben und zog den triefenden Speichelfänger aus dem Saugrohr. „Stillgehalten, Chief! Da sitzen doch auf Ihrer etwas schmal geratenen Männerbrust bereits drei Baumzecken und pumpen sich mit Ihrem allerwertesten Blute voll." Er betupfte die sackförmigen Lebewesen reichlich mit Nikotinsaft und befahl: „Ruhig bleiben! Das sind Fieberzecken, die uns hier das Leben zur Qual machen. Abwarten, bis sie nikotinvergiftet sind und von selbst abfallen. Dann aber das Hemd zuknöpfen und das Schweißtuch fest über den Kragen binden. Sonst haben wir dieselbe Schweinerei in der nächsten halben Stunde wieder!" Sleigh rieb erschrocken die Quaddeln, die sich an den Saugstellen der Baumzecken gebildet hatten. „Und was kann man dagegen tun, Sir Galahad?" „Höchstens ein dummes Gesicht machen und abwarten!" meinte sichtlich vergnügt der Ire. „Im Hospital haben sie allerhand schlecht 10
•hmeckende Sachen gegen Zeckenfieber, Bismutum* und Yatren**. SC: im vierzehn Tagen etwa wissen Sie, ob Sie angesteckt wurden oder "cht Auf jeden Fall kann ein scharfer Schluck nichts schaden!" Und er hob sein Glas voll Limericker und trank. Fünf Stunden kämpfte das starke Motorboot gegen die Strömung, da wies Walewski auf einen Flußarm, der vom Westen her aus dem Gewirr von Sandbänken und Inselchen hervorbrach: „Da, klares Wasser. Das kommt aus dem Rio Meta. Höchste Zeit übrigens, daß wir am Ziel sind. Der Motor bockt, und die Gewitterwolken bäumen sich." Er steuerte geschickt den Nebenarm an. Bald schloß sich über dem Fahrzeug das dichte Gewirr der Baumäste. Galahad erläuterte an Hand der Stromkarte die geplanten Baggerarbeiten. Ein heller Zuruf vom Bug ließ alle aufblicken. Atuerra wies stromauf: „Muiscas... Menschen! Meine B r ü d e r . . . TschibtschaIndianer!" Der Chefdirigent griff aufgeregt nach dem Waffengurt mit dem langläufigen Browning. Galahad lachte: „Lassen Sie bloß das Donnerrohr stecken!" Er wies auf den plumpen Einbaum hin, der schnell herantrieb. Ein Mann am Heck bemühte sich mit dem Paddel, aus der reißenden Strömung zu kommen. Über den Rand schauten zwei dunkle Gesichter erschreckt dem stromaufdröhnenden Motorboot entgegen. Atuerra wechselte schrille Schreie mit den Insassen des Einbaumes. Dann rief er Walewski zu: „Wir müssen sie in Schlepp nehmen. Zwei Paddel sind ihnen zerbrochen. Steuere vorsichtig längsseits!" Er hatte nach einer Leine gegriffen und warf sie dem Mann am Heck zu. Doch der konnte sie nicht packen. Der Maschinist mußte wenden, um das schnell abtreibende gebrechliche Fahrzeug einzuholen. Endlich hatten sie es im Schlepp und versuchten mit ihm gegen die strömende Flut anzukämpfen. Doch da nahm der Einbaum soviel Wasser über, daß ihn Walewski kurz entschlossen ansteuerte, um die drei Indios an Bord zu nehmen. Hätte ihnen Atuerra nicht gut zugeredet, so wären sie im beinahe randvoll gelaufenen Boot hocken geblieben. Als sie endlich herüberkletterten, blickten sie ängstlich und verschüchtert auf die Weißen, die im Heck standen. Es waren ein älterer Mann mit einer entstellenden Narbe im Gesicht, eine junge Frau und ein Bursche, eben dem Kindesalter entwachsen. Sie erzählten Atuerra, sie seien Fischer urid hätten sich zu weit in den breiten Stromarm hineingewagt. Ja, von den Inseln an • * Wismutnitrat. ** Heilmittel für Tropenkrankheiten.
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der Metamündung kämen sie drei. Sie wohnten noch nicht lange dort, und daher seien sie mit den Tücken des Orinoco nicht so vertraut. „Sie wollen es nicht zugeben, aber sie sind aus Kolumbien", behauptete der braune Hilfsmaschinist. „Sie haben Angst vor euch, weil ihnen weiße Menschen zuviel Leid angetan haben." Sleigh machte zu den Erzählungen ein gelangweiltes Gesicht. Jetzt knurrte er: „Walewski steuern Sie an Land und schmeißen Sie die dreckigen Indios auf den Strand! Wir sind ja nicht als barmherzige Samariter hierhergefahren." Der Deutsche sah sich verblüfft um. „Ist doch wohl nur Scherz, Mister Sleigh?" Doch der wetterte los: „Schon wieder aufsässig, Kerl? Los, nicht gefackelt! Da vorn die Sandbank... mögen sich die Farbigen dort vergnügen. Das Motorboot der Tropical ist mir zu schade für so nichtsnutziges Gesindel!" „Aber mir nicht!" sagte fest und bestimmt Galahad. „Hier an Bord bin ich Captain. Erst muß mich die Tropical rausgeschmissen haben, ehe du, Walew, Befehle von Bordgästen entgegennimmst. Atuerra, frage deine Brüder, wo ihre Hütten stehen. Bis dahin wollen wir sie bringen." Sleigh schien einiges sagen zu wollen, aber in diesem Augenblick erhob eine große Horde Brüllaffen* droben in den Kronen der Urwaldriesen ihre donnernden Stimmen, daß eine Verständigung schier aussichtslos war. Atuerra zeigte durch Handbewegungen an, welchen Kurs das Motorboot halten sollte. Der goldene Sonnenglanz in dem Urwaldgrün wurde rasch trüber. Als es zu dunkeln begann, bog das Motorboot in einen engen Flußarm ab und legte dicht bei einer Pfahlbausiedlung der Tschibtschas an. Die drei Indianer sprangen an Land und halfen Atuerra, das Fahrzeug an starken Bäumen zu vertäuen. Auf den fast zehn Meter hoch über der Erde gelegenen Plattformen vor den Hütten sammelten sich die Bewohner und winkten freundlich mit grünen Zweigen und leuchtenden Orchideenbüscheln. Galahad begann die aus Lianen** und Ästen gefertigte Aufstiegsleiter emporzukriechen und lud Sleigh ein, ihm nachzufolgen: „Sozusagen ein völkerkundlicher Ausflug. Keine Sorge, die Muiscas sind die saubersten Kerle der Welt, nehmen mindestens täglich zwei Vollbäder, und unter dem festen Rieddach überstehen wir das Tropengewitter besser als auf dem ungeschützten Boot." * Südamerikanische Greifschwanzaffen. •• Tropische Schlingpflanzen.
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Da gerade die ersten krachenden Donnerschläge zu hören waren und grelle schwefelblaue Blitze das Heranstürmen des mittäglichen Unwetters ankündeten, beeilten sich die Bootsinsassen, die schwankende Leiter zu erklimmen. Auf der überdachten Plattform ließ Galahad seinen Tabaksbeutel unter den lächelnden Muiscas kreisen. Sleigh machte es sich auf einer aus Lianen geflochtenen Liegebank bequem. Draußen rauschte der wie ein Wasserfall herabstürzende Regen, alle Augenblicke unheimlich im Schein der Blitze aufleuchtend. Atuerra sprach mit den Indios, und nach einiger Zeit berichtete er, daß es sich tatsächlich um Flüchtlinge aus dem Metatal handle. Von Piccopecco wußten sie aber nur zu erzählen, daß die Männer und Jünglinge zu den Bandoleros gegangen seien, während die Frauen und die Kinder weiter flußaufwärts eine Zuflucht gefunden hätten. Walewski hatte sich wie die Indios auf den Boden niedergehockt. Plötzlich fühlte er, wie sich ein weicher Arm um seinen Hals legte, und ganz dicht an seinem Ohr flüsterte eine Stimme in fast akzentfreiem Spanisch: „Aurelio dankt dem weißen Bruder für die Hilfe. Meine Dankbarkeit wird nicht sterben, solange noch ein Atemhauch durch meine Brust geht!" Es war der junge Bursche, der sich in dem kläglichen Einbaum befunden hatte. Als das Toben der Elemente nachließ, stand er auf und berichtete in den harten Rachenlauten seines Stammes der Dorfgemeinde, wem sie ihre Rettung zu verdanken hätten. Atuerra belehrte seine Gefährten, daß dieser junge Aurelio der Sohn des erschossenen Dorfvorstehers sei, erzogen auf einer Mission, aber zurückgekehrt zu den Seinen, als sie von den Gomezardos von Haus und Hof vertrieben wurden. „Gute und fleißige Bauern aus dem Metatal. Es ging ihnen der göttliche Mais ebensowenig aus wie die milde Milch der Rinder und Ziegen. Nun aber sammeln sie im Orinocowald die kümmerlichen Früchte und Speeren die Fische im Strom. Flüchtlinge, Captain, alles verloren... nur die Hoffnung nicht, daß endlich die Bandoleros der Freiheit über den Henker Gomez siegen werden." Das erste Mittagsgewitter verging so schnell, wie es gekommen war. Als die Sonne wieder aus den Wolkenfetzen brach, schwangen sich in den triefenden Laubgehängen aufs neue die Brüllaffen, und die Vorsänger der Horde stimmten ihre dröhnenden Bässe zum Jubelton, um den goldenen Schein zu begrüßen. Die Indiofrauen brachten den Gästen auf breiten Blättern gebackene Fische, von denen selbst Sleigh begeistert war. „Wie im besten Chicagoer Grill!" schnaufte er beim Kauen. „Die Burschen 13
können allerhand, was ich ihnen niemals zugetraut hätte. Man müßte sich die Kerle warmhalten, damit sie so etwas Leckeres alle Tage für TOC 13 liefern." Der Ire schmunzelte. „Tja, die Liebe geht durch den Magen. Aber Sie gefallen mir langsam, Mister Sleigh. Ich meine, Sie werden gleich Ihre Dankbarkeit für die Gastfreundschaft bezeigen können. Nach meinen Arbeitskarten, muß doch gleich einmal nachsehen — natürlich! Gerade an diesem Punkte, wo das Dorf der armen Tschibtschas steht, sollen wir einen Durchstich baggern, damit die Öltransporter zum Atabapo durchkommen. Jedoch, das könnte man ändern." Der Chefdirigent der Tropical sah ihn vorwurfsvoll an. „Cäptain Galahad, es stehen auf dem Spiele — sagen wir einmal 200 000 Dollar oder dieses elende Flickwerk von Pfahlbaudorf. Kann es da überhaupt noch eine Überlegung geben? Ihr reißt mit TOC 13 die Insel an, und das übrige erledigt hernach die Hochflut!" „Und dabei ersaufen Weib und Kind und Mann und Maus!" empörte sich der Baggerkapitän. „Walew, komm mal bei! Das kann doch auch anders gemacht werden", und er erklärte, wie der Durchstich durch die sperrenden Inseln und Sandbänke anders gelegt werden könnte. „Klar, Käpten!" meinte der Deutsche, nachdem er die Stromprofile geprüft hatte. „Zwar zwei Tage mehr Arbeit, dafür aber den großen Gewinn, daß uns die Metaströmung nicht mehr die Schifffahrtslinie voller Sand schmeißen kann. Und die Tschibtschas kriegen hier herrliches Stillwasser, in dem sie doppelt soviel Fische fangen können wie bisher. Werden uns dann reichlich versorgen, so daß wir nicht immer auf die elenden Konserven angewiesen sind." Sleigh schmetterte seine Faust auf die Kartentasche: „Und ich ordne an, daß genau nach der Planung verfahren wird. Zwei Tage mehr Arbeit! Herr Walewski, haben Sie sich auch überlegt, was das der Tropical kostet?" „Einen Pappenstiel sozusagen!" Der Maschinist lachte. „Aber daneben ist die neue Lösung besser als die alte. Ich fahre TOC 13 jedenfalls nur auf der neuen Trasse* an." „Und wenn ich befehle?" brüllte Sleigh. „Dann werden wir von der CTAL feststellen, daß uns Baggerleuten in diesem besonderen Falle kein Laie in unsere Arbeit hineinzureden hat. Übrigens, wie wollen Sie feststellen, ob wir Koordinate** 26 oder 29 in Angriff nehmen, wenn hier alles 10 Meter hoch unter Wasser steht?" * Linienführung bei Bauvorhaben. *» Vermessungslinie, 14
Galahad lachte, daß ihm der dicke Bauch hüpfte: „Was, dolle Jungen, Chief, aber goldechte! Lassen Sie die Arbeit unsere Sorge sein, dann wird auch der Gewinn für die Tropical nicht ausbleiben." Ehe das zweite Tropengewitter herantobte, hatte Sleigh gegen diese Arbeitsauffassung allerlei einzuwenden, bis Galahad drohte, die Arbeit ganz einzustellen. „Ich habe die Garantie zu übernehmen, daß die Tanker hier durchkommen, Mister Sleigh, und ich stehe im Kontrakt und bin verantwortlich für die beste Lösung. Ich bin Strombauingenieur und Baggerkapitän, und wenn das der Chefdirigent nicht verstehen will, dann gibt es ja noch andere Stellen, mit denen ich sprechen kann." Aurelio, der junge Indio, hatte mit unbeweglichem Gesicht an der Brüstung gehockt und wie teilnahmslos in das düstere Grün des regentriefenden Urwaldes gestarrt. Als Sleigh sich zum Aufbruch rüstete, sagte er leise zu dem Maschinisten: „Ich habe alles verstanden, was der böse Mann sagte. Ich habe in der Methodistenmission* auch Englisch gelernt. Wir sind friedliche Menschen; aber wenn man uns aus diesem Zufluchtsort wieder vertreiben will, dann werden wir uns zum Kampfe stellen wie der Jaguar, den die Treiber umringt haben." Walewski klopfte ihm ermunternd auf die Schultern: „Laß den Chief keifen! In drei Tagen gondelt er wieder nach Ciudad Bolivar, und dann baggern wir doch, wo wir wollen. Mein Wort darauf: Euer Dörfchen wird nicht gefährdet werden!" „Der große Waldgeist hat den Muiscas das Gute und das Böse in die Herzen gelegt. Sei bedankt für die Worte des helfenden Bruders!" Aurelio verneigte sich tief mit gekreuzten Armen. „Du hast uns aus den Wirbeln des Vaters aller Flüsse gerettet, jetzt heilst du unsere Sorgen der kommenden Tage und Nächte. Aurelio hofft, dir einmal seine Dankbarkeit beweisen zu können." Als der Bagger TOC 13 seine Arbeit in der Metamündung aufgenommen hatte, da erschien fast an jedem Tage der junge Aurelio und brachte Körbe voll gespeerter Fische, Beutel voller Paranüsse** und manchmal auch einige Eier. Wenn ihm der ewig lächelnde chinesische Koch des Baggers dafür einige farbenprächtige Bolivarnoten in die Hand drücken wollte, dann nahm er das Geld erst nach einigem Zögern. Doch ein Säckchen voll Salz und noch lieber ein Päckchen des höllisch scharfen Chilepfeffers steckte er gern unter sein blaues Hemd. Stundenlang konnte er neben Walewski und • Kirchengemeinschaft in den USA. *• Dreieckige Nuß der südamerikanischen Urwülder .
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Atuerra an den donnernden Dieselmotoren hocken und das Spiel der hüpfenden Ventile und Kolbenstangen beobachten. „Der Junge könnte bei uns ein erstklassiger Maschinenboy werden", sagte eines Tages Galahad, als er gesehen hatte, wie geschickt Aurelio mit Ölkanne und Schmierbüchse umgehen konnte. Atuerra lachte. I „Der Junge, Captain, ist der zukünftige Chef eines kolumbischen Verwaltungsbezirkes. Freiwillig, hilft er, um zu lernen. Er stammt aus einem alten Geschlecht, mögen vielleicht vor vierhundert Jahren Stammeskönige gewesen sein, damals, als die Muiscas noch die Puna, die Hochebene von Bogota, beherrschten." Der Ire schmunzelte. „Bei uns auf der grünen Insel gibt es sogar versoffene Tagediebe, die behaupten, direkt von König Irin abzustammen. Tatsache, stolz ist der Junge; aber trotzdem werde ich ihm eine neue Hose schenken; denn die alte geht gar zu sehr in die Brüche!" Ehe das Hochwasser den höchsten Stand erreicht hatte, gab es auf TOC 13 eine böse Panne. Die Hauptmaschine fiel aus, weil sich die Kolben in den heißen Zylindern festgefressen hatten. Walewski tobte. „Das Lumpengesindel aus Ciudad Bolivar hat uns doch ein falsches Zylinderöl geliefert. Habe gleich protestiert, als sie mit Type 27 kamen. Wir brauchen 30, und die Halunken haben geschwindelt, als sie was von Änderung der Typenbezeichnungen quasselten. 10 Cents Einsparung pro Gallone, dafür müssen wir jetzt den Motor auseinanderreißen, um Kolben und Zylinder zum Schleifen nach Bolivar zu schicken." Galahad ließ sich nicht aus seiner irischen Ruhe bringen: „Legen wir den Sumskasten eben ein bißchen still. Die Hochflut macht jetzt unsere Arbeit. In vier Wochen, wenn die Hauptmaschine wieder läuft, putzen wir das Strombett. Dann ist das Wasser gefallen. Der Proviantdampfer kann übermorgen den verschmorten Dreck mit zur Hauptwerkstätte nehmen!" So kamen die Baggerleute zu einem unverhofften Urlaub in der Zeit, als sich die wilden Tropengewitter bereits ausgetost hatten. Walewski borgte sich von Galahad einen alten Winchesterstutzen* und ging auf die Jagd. Er mußte zwar mit dem Motorboot fast eine Stunde weit fahren, ehe er das Überschwemmungsgelände hinter sich gelassen hatte. Doch dann fand er genug der merkwürdigen Wasserschweine und der schlanken Waldhirsche, die vor der Hochflut in die Baumsteppe ausgewichen waren. Eines Tages fand er an einem Bache die frischen Spuren eines Tapirs, dieses eigenartigen südamerikanischen Verwandten des Ele• Jagdgewehr aus Winchester.
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fanten, und er machte sich ganz allein an die Verfolgung des seltenen Wildes. Bis über die Grenze des Galeriewaldes war er schon vorgedrungen. Da starrten ihm aus dem Unterholz plötzlich an die zehn Gewehrläufe entgegen. Eine rauhe Stimme forderte ihn auf, die Büchse wegzuwerfen und die Hände hochzuheben. „Der Klügere gibt nach", murmelte er, während der Winchester in das hohe Regengras fiel. Im Nu sah er sich von zwanzig und mehr Indios und Mestizen umringt, die ihm im Augenblick die Hände auf den Rücken gedreht und mit kantigen Lederriemen zusammengeschnürt hatten. Ebensoschnell waren alle seine Taschen durchsucht, die Büchse aufgenommen und der Patronengürtel mit dem Waidmesser abgeschnallt. „Inglese!" hörte er feststellen. Doch dagegen protestierte er sehr energisch: „Kein Engländer und auch kein Yankee, Freunde! Ich bin Alemano, und wenn ihr Venezuelos seid, dann laßt bitte die Spaße!" Die zerlumpten, verhungerten Gesellen hockten im Kreise um ihn nieder und betrachteten ihn mit verkniffenen Lippen. Einer, an der silbernen Schnur um den Hals erkannte man den Anführer, schüttelte den Kopf. „Ob Inglese oder Alemano, ganz gleich! Wir Bandoleros der Freiheit können nicht anders, als dich an jenem Aste aufzuknüpfen. Mann, wenn du verrätst, wo du uns getroffen hast, dann sind morgen drei Schwadronen der venezuelischen Llanosreiter hinter uns her, um uns den Garaus zu machen. Tut uns leid, Sefior, aber wir müssen dich henken!" Dem Maschinisten trat der kalte Schweiß auf die Stirn. „Senores, und wenn ich euch mein Ehrenwort gebe, daß ich zu keinem Menschen über unser Zusammentreffen etwas sagen werde?" Ein gelbhäutiger Mestize erklärte: „Wenn so viele deiner weißen Brüder nicht schon Ehrenworte und feierliche Eide gebrochen hätten, würden wir mit uns reden lassen. Aber nach unseren Erfahrungen, Sefior, schweigt allein die Zunge eines toten Weißen. Sie tun uns selber leid, wir sind keine Briganten. Wir kämpfen für die Freiheit gegen den Bluthund Gomez; mußten vor den Gomezardos über den Orinoco ausweichen. Unser Hiersein darf nicht bekannt werden. Könnten dich ja hier gebunden liegenlassen, bis dir die Treiberameisen das Fleisch von den Knochen gefressen haben. Aber so unmenschlich wollen wir nicht sein. Henken ist ein schneller und guter Tod!" Walewski packte der Galgenhumor. „Also dann lieber erschossen werden. Ich bin um den Hals zu kitzlig." 17
Der Führer der Bandoleros lachte trocken auf: „Amigo, wenn du wüßtest, wie selten bei uns die Patronen sind. Nicht einen Schuß hätten wir vorhin auf dich abfeuern können, als du noch den Winchester im Arm hattest. Deine paar Patronen brauchen wir im Kampf gegen Laureane Gomez. Sprich dein Paternoster* und mach dich fertig!" Der Deutsche bäumte sich in den Fesseln auf: „Sefiores, ihr könnt doch keinen Compatriota** hängen. Ich bin Vertrauensmann der CTAL auf dem Bagger TOC 13, und einige von euch scheinen als Mineras, als Bergleute, auch unserer stolzen Vereinigung angehört zu haben." „Wie kannst du das beweisen, Freund? Wir sollen uns auf dem Bagger erkundigen? Aber wir können doch keinen Schritt tun, der unseren Aufenthalt hier verraten würde. Du mußt doch selbst einsehen, daß uns nichts anderes übrigbleibt, als dich stumm zu machen." „Der Teufel soll euch allesamt holen!" fluchte Walewski. „Und wenn ihr tausendmal recht habt...'" Da sah er plötzlich, wie alle Bandoleros aufsprangen und sich mit freundlichen Gesichtern vor einem Gaste verneigten. Was sie sagten, konnte er nicht verstehen; aber er merkte an dem Tonfall, daß sie einen Vornehmen ihres Stammes begrüßten. Umsomehr war er verdutzt, als sich Aurelio über ihn neigte und ihn mit einigen Messerschnitten von den Fesseln befreite. Der junge Indio rasselte viele Sätze in der unbekannten Sprache herunter, ehe er sich wieder an Walewski wandte, der sich langsam mit schmerzenden Knochen aus dem saftstrotzenden Grase erhob: „Du mußt ihnen nicht böse sein, weißer Muisca-Bruder! Das Gesetz der Steppen und Wälder befahl ihnen, so zu handeln. Es sind meine Landsleute. Drei Wochen lang sind sie von den Gomezardos gejagt worden, ehe sie sich hierher auf das rechte Ufer des Orinoco retten konnten. Und die Gendarmen von Venezuela würden sie sofort wieder über den Strom zurückjagen, wenn sie etwas von ihrem Hiersein wüßten." Ein Indio brachte die Jagdbüchse, ein anderer den W a ff e ngurt. Die ganze Schar, die sich eben noch nach dem besten Aste zum Aufknüpfen umgeschaut hatte, lachte und scherzte mit dem Befreiten. Der Anführer mit der Silbersehnur suchte aus seiner Basttasche die Jagdpatronen hervor: „Leider passen sie nicht in unsere Gewehre, sonst würden wir dich, Freund unseres Aurelio, bitten, sie • Vaterunser in lateinischer Sprache. *• Landsmann, hier: Gesinnungsfreund.
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uns zu überlassen. Mit der Machete, mit dem Buschmesser gegen die Maschinenpistolen der Gomezardos, Sefior, das ist ein schwerer Kampf. Ihr habt ja selbst erlebt, wie hart und unerbittlich er uns gemacht hat." Er sehlang den langen Riemen wieder sorgsam um die Hüfte. Walewski überlief es kalt, als er die bereits geknüpfte Schlinge sah. Er versuchte zu scherzen: „Herzlichen D a n k . . . Und was kann ich für euch tun?" Es war ein Sprechchor, der ihm antwortete: „Sefior, Patronen! Siebenfünfundsechziger und Achtneuner... für die Karabiner, für die Pistolen. Smith und Wessons... so viel Kisten, wie es zu kaufen gibt!'" Walewski machte ein trauriges Gesicht. „Das kann hier in Venezuela selbst der liebe Gott nicht. Jeder Handel mit Militärwaffen und der dazugehörigen Munition ist streng verboten. Außerdem, so reich bin ich wirklich nicht, um den Munitionsschmugglern Tausende und aber Tausende Bolivars auf den Tisch schmeißen zu können." „Brüder, ihr werdet eure Patronen bekommen, wenn mir mein weißer Freund hilft!" erklärte da mit seiner hellen Stimme der junge Aurelio. „Jetzt kommt ihr am besten mit in mein Dorf. Im Inselgewirr des Orinoco wird euch keiner suchen, und wenn die erste Regenzeit vorbei ist, dann werden die Munitionskisten für euch bereitliegen." Das war so bestimmt gesagt, daß auch Walewski nicht zu zweifeln wagte. Dreimal mußte Walewski fahren, ehe er alle Bandoleros zu der Pfahlbausiedlung im Oronico geschafft hatte. Als er dabei war, die letzten auszuladen, sprang Aurelio in sein Fahrzeug und bat, bis zum Bagger mitgenommen zu werden. Er trug eine kunstvoll geflochtene Basttasche und hielt sie so sorgsam auf den Knien, als wären rohe Eier ihr Inhalt. Die Nacht war bereits hereingebrochen, als sie Sian-Wus Küche betraten. Der Koch fragte nach der Jagdbeute. Aurelio sagte: „Die bringe ich morgen. Du, gelber Muisca, können wir hier ungestört sprechen und willst du Zeuge sein bei dem Geschäft, das wir abschließen? Es geht um die Freiheit Kolumbiens!" „Sehl gut! Sehl gut!" fistelte der Chinese. „Fleiheit immel fül Sian-Wu gloßes Ziel. Du velstehen... Chinamann Tschian Kaischek foltgejagt, jetzt Glück bei Mao Tse-tung. Ich immel fül Mao!" Sie verstanden ihn gut, obwohl er kein „R" aussprechen konnte. Vor vielen Jahren war er aus Kanton ausgewandert, als er dort nicht einmal eine Handvoll Reis täglich verdienen konnte. Obgleich 19
er jetzt schon zwanzig Jahre das Brot der Fremde aß, niemals hatte er an dem Sieg der Gerechtigkeit in der ganzen Welt gezweifelt. Zwischen Holzkohlenkasten und Herd packte Aurelio seine Basttasche aus, und als der Deutsche in dem spärlichen Licht der Küchenleuchte den Inhalt sah, stieß er einen Ruf der Überraschung aus. Zwischen den schlanken Händen hielt der Indio eine kunstvoll getriebene Goldmaske in Lebensgröße. An Stelle der Augen waren zwei große Smaragde eingesetzt, die grün strahlten. Es war das Gesicht eines alten Mannes, das der Künstler nachgebildet hatte. Aurelio erklärte: „Fünfhundert Jahre ist sie alt. Sie ist das Bildnis eines meiner Vorfahren, die über die Hochebene von Bogota herrschten. Mein weißer Bruder, das ist ein Heiligtum meines Stammes, und vierhundert Jahre lang haben wir es vor den goldgierigen Räubern verborgen gehalten. Doch nun soll es zu Waffen werden für die Bandoleros der Freiheit. Solche Stücke kauft Sefior Madera, der in der Casa blanca von Ciudad Bolivar wohnt." Walewski nahm vorsichtig das wunderbare Kunstwerk in die Hand: „So schwer... Allein der Goldwert und dann die großen Smaragde... viele, viele tausend Bolivar wird man bieten!" „Nein, nur gegen Patronen ist es verkäuflich. Sefior Madero beliefert schon lange heimlich die Bandoleros. Wenn du nach Bolivar fährst, um die Maschinenteile abzuholen, wird es weiter nicht auffallen, zehn oder zwölf Kisten Patronen an Bord zu nehmen." Der Maschinist gab die Totenmaske zurück: „Gut, verpacke sie ganz sorgsam. Ich werde versuchen, mit Madero das Geschäft zu machen. Atuerra soll mich nach Bolivar begleiten. Mache mit ihm aus, wo ihr die Patronen übernehmen könnt." Aurelio drückte ihm lange die Hand: „Atuerra weiß es. Er kennt die Schildkröteninsel an der Metamündung. Sie wird aus der Wasserflut aufgetaucht sein, wenn ihr zurückkehrt. Dort sollen die Patronen liegen, bis die Bandoleros die Munition abholen. Dann will ich mit ihnen ziehen und kämpfen, bis über Bogota, Medellin und Cartagena wieder die Fahnen der Freiheit wehen." Fast vier Wochen waren seit diesem Tage vergangen, da kehrten Walewski und Atuerra auf dem Motorboot aus der „Königin der Llanos", aus Ciudad Bolivar, wieder zum Liegeplatz des Baggers TOC 13 zurück. Als die beiden die Apuremündung hinter sich gelassen hatten, begann die Hochflut zu verlaufen. Immer mehr schlammüberdeckte Inseln erhoben ihre runden Buckel aus dem trüben Wasser, und der Mann am Steuer mußte genau aufpassen, um nicht in einen toten Flußarm zu geraten. Die Stromkarte nutzte 20
nicht viel; denn das Hochwasser hatte neue Sandbänke aufgeschichtet und andere abgetragen. Walewski konnte mit Freude feststellen, daß die von TOC 13 gebaggerte Strecke im großen und ganzen frei geblieben war. Als sie eines Abends das Boot an der Schwingleine vertäut hatten, sagte Atuerra: „Der Munitionstransport geht glatt. Morgen haben wir die Schildkröteninsel erreicht, übermorgen legen wir an unserm Bagger an. Zwölf Kisten Munition. Aurelio wird zufrieden sein." Am andern Tage trugen sie im letzten Dämmerschein die Patronenkisten an Land und bargen sie in einem vom Hochwasser ausgespülten Kessel auf der Schildkröteninsel. Bei dem Lichte einer Sturmlaterne warfen sie dann groben Schwemmsand und faulende Moospolster darüber. Für die wenigen Tage, da die kostbare Fracht hier ruhen sollte, erschien ihnen diese oberflächliche Tarnung als ausreichend. Bei der Ankunft auf TOC 13 erlebten Atuerra und Walewski eine Überraschung. An Bord des Baggers befand sich eine Grenzregulierungskommission, die den Auftrag hatte, den genauen Verlauf der Staatsgrenze zwichen Kolumbien und Venezuela in dem Gewirr der Orinocoarme festzulegen. Captain Galahad nahm Walewski nach der Begrüßung auf die Seite und knurrte: „Nicht nur, daß mir die Bagage die Hälfte meines Limerickers ausgetrunken hat, jetzt sollen wir auch noch nach staatspolitischen Erwägungen baggern. Das neue Strombett soll die Grenze bilden." „Aber dann ist j a . . . " erschrocken hielt der Maschinist inne. „Natürlich... ist das kleine Pfahlbaudorf der Tschibtschas wieder kolumbianisches Land." „Das auch", erwiderte Walewski verlegen. „Jetzt dachte ich aber an etwas anderes. Kann ich einmal schnell die große Stromkarte sehen?" Ein Blick darauf genügte: Die Schildkröteninsel gehörte nun wieder zu Kolumbien, unterstand dem Bluthund Gomez. „Käpten", bat er, „das große Motorboot überlassen Sie mir noch vierundzwanzig Stunden. Ich muß Aurelio warnen und außerdem..." „Hau ab, so schnell wie möglich und nimm Atuerra mit. Die kolumbischen Senores haben sich bereits nach ihm erkundigt. Ein merkwürdiges Interesse zeigen sie an dem kleinen Hilfsmaschinisten." Die Ladung aus Ciudad Bolivar war rasch gelöscht. Ein sehr junger braunhäutiger Leutnant der Grenzlegion Kolumbiens sah mit verkniffenen Augen dem davontobenden Motorboot nach. 21
„War das nicht Jacobo Atuerra? An diesem Burschen haben wir ein ganz besonderes Interesse. Er ist wegen Aufruhr, Widerstand gegen die Staatsgewalt, offenkundigen Mordes und vielfachen Raubüberfällen vom Obersten Gericht des Comisario Villavicencio fünfmal zum Tode verurteilt worden..." „Die Braunhaut und Atuerra, der gefürchtete Meuterer gegen den allerdurchlauchtigsten Landesvater General Gomez?" Galahad hustete. „Sefior Teniente*, allmählich scheint Ihr in allen Indios den Atuerra zu sehen. Habt Ihr nicht bereits alle Braunhäute auf meinem Kasten genug vernommen? Ich sage Euch, Teniente, alle Jungens schmeißen mir morgen die Arbeit vor meine geschwollenen Füße, wenn Ihr nicht endlich Ruhe gebt. So eine ruppige Behandlung läßt sich doch kein Mitglied der CT AL gefallen!" .,•: Der Leutnant der Grenzlegion entblößte grinsend seine langen Pferdezähne: „Übergebt mir nur drei Tage lang das Kommando auf Eurem verdammten Kasten. Ich garantiere Euch dafür, daß nachher auch nicht mehr einer da sein wird, der jemals etwas von der C6nfederation de Trabajadores wissen wollte. Wir haben drüben unsere Methoden. Sie haben sich immer bewährt." „Wie in der Smaragdmine von Muza", spottete der Ire. „Als die Gomezardos abritten, war acht Tage später kein ehrlicher Kumpel mehr da, der die Arbeit machen konnte. Habe mir von Sachkundigen sagen lassen, daß seitdem der Ertrag der einzigen Smaragdmine der Welt auf so rund zehn Prozent der Produktionskosten zusammengeschmolzen ist." „Vorübergehende Erscheinung!" behauptete leichthin ein anderer der Grenzkommission. „General Gomez hat 5000 Staatsgefangene nach Muza in Marsch setzen lassen, und die werden mit bloßen Händen die Felswände von Muza durchwühlen, um für den Staatsschatz die seltensten und teuersten Edelsteine der Welt herauszuholen. Ein Karat Smaragd... ein Kilo Maismehl... und wenn das nicht geschafft wird, dann verhungert, Bestias. Wir haben noch mindestens 100 000 Staatsverbrecher in den Vollzugslagern zusammengefaßt." Der Baggerkapitän machte sein dümmstes Gesicht: „Großartige Wirtschaftsplaner seid ihr schon, ihr Kolumbianer. Entsinne mich eines Kollegen Ihres Gomez, der vor zehn Jahren drüben in Europa mehr Menschen in Konzentrationslager gesperrt hatte, als Kolumbien überhaupt Einwohner hat. Und heute? Der Senor Kollege ist verstunken und vergessen, und seine Häftlinge bauen neue Staaten auf." * Leutnant.
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„Sie wollen doch nicht etwa sagen...", fauchte der Leutnant und griff nach seiner Hüfte, wo sonst die Pistole hing. Aber er hatte sie ablegen müssen, weil Galahad es verlangt hatte. Der Kapitän füllte die Zinnbecher aufs neue: „Will ich nicht gesehen haben, Teniente! Sonst hätte Ihnen meine irische Faust bereits die Kinnspitze zermalmt, und Sie lägen in der Orinocobrühe zwischen Zitteraalen, Pirayas* und Alligatoren von 4 Metern**. Ich bin an meinem Tisch für Frieden!" Es zeigte sich bereits das gegen vier Uhr nachmittags aufschießende Gewittergewölk, als sich endlich die ungebetenen Gäste von Galahad verabschiedeten. Sie stiegen fluchend und lachend in den breiten Prahm mit den beiden Außenbordmotoren und ließen sich zu dem Lager der Bedeckungsmannschaft übersetzen. Der Kapitän sagte auf gut irisch: „Behüte uns der Höchste vor solchen Ausgeburten der dreckigsten Tiefe!" wozu sein kluger chinesischer Koch heftig den Kopf schüttelte, was ja im Reich der Mitte das Zeichen höchsten Einverständnisses ist. Als das Abendgewitter losbrach, waren die Tschibtschas der kleinen Siedlung bereits beim Packen ihrer armseligen Habe, um noch in der Nacht auf das venezuelische Gebiet überzusiedeln. Aurelio beriet inzwischen mit den beiden Maschinisten und den Bandoleros, wie die kostbare Fracht von der Schildkröteninsel geborgen werden könnte. Der junge Muisca drängte: „Wir brauchen die Patronen notwendiger als das bißchen Tapiokamehl*** zur täglichen Nahrung. Wenn unsere Feinde das Vergraben beobachtet haben? Außerdem muß der Wanderzug der Schildkröten in den nächsten Tagen einsetzen. Welcher Muisca wagt dann noch die Insel zu betreten?" Immer nach der ersten Regenzeit wandern aus den Sümpfen und den Nebenflüssen des Orinoco Millionen von Schildkröten nach bestimmten Inseln des Riesenstromes, um dort ihre Eier abzulegen. Wenn auch die Eingeborenen Hunderttausende wieder aus den sandverschütteten Nestern ausgraben, um daraus das begehrte Eieröl zu bereiten, so hüten sie sich doch, die gepanzerten Tiere bei der Paarung und der Eiablage zu stören. Walewski erklärte, auch in der Nacht bei abgeblendeten Lichtern den Weg zur Schildkröteninsel zu finden. Tausende von Cucujos, den fast daumenlangen Leuchtkäfern, taumelten in grünem, weißem, rötlichem oder stahlblauem Licht zwischen den Uferbäumen und • Gefährliche Raubfische. ** Krokodilähnliche Echsen. *** Mehl aus der Maniokwurzel.
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über dem Wasser, als sich das Motorboot seinem Ziele näherte. Das Boot lief nur mit halber Kraft, um möglichst wenig Lärm zu erregen. Einige Male knirschte es am Bug und unterm Kiel, als sei das Fahrzeug auf eine Kiesbank gelaufen. „Die Schildkröten kommen", meinte Atuerra. „Halt, Vorsicht! Dort links voraus ein großes Feuer!" Auf dem kolumbischen Hochufer schlugen lange Flammenzungen gen Himmel. „Gomezardos!" sagte Aurelio mit funkelnden Augen. „Bandoleros dürften nicht so unvorsichtig sein. Ist das ein Signal?" Atuerra schnupperte: „Hier dicht bei der Schildkröteninsel stinkt es gefährlich nach verbranntem Schmieröl. Sind die Burschen etwa auf dem Prahm mit den Außenbordmotoren noch unterwegs? Hier ist gute Strömung. Laß unser Boot treiben!" Die Bandoleros und die Tschibtschas packten ihre mannshohen Eisenholzbogen und legten die langen gefiederten Pfeile griffbereit. Die haarscharf geschliffenen Buschmesser wurden in den Gürteln gelockert. Vor den Flammen sah man jetzt dunkle Gestalten. „Gomezardos!" flüsterte Aurelio. „Was haben sie hier zu suchen?" Eine langgestreckte Buschinsel schob sich zwischen Feuer und Boot. Doch nun hörten sie ganz deutlich das Dröhnen der Außenbordmotoren. „Sie sind mit dem Prahm noch in so später Nachtstunde unterwegs", stellte Atuerra fest. „Dort drüben auf dem Uferarm sind s i e . . . und der führt direkt zur Schildkröteninsel." Walewski ließ den Diesel anspringen. „Wir werden schneller dort sein als sie mit dem lahmen Prahm. Mögen sie uns hören. Zu Gesicht bekommen werden sie uns nicht!" Vom Hochufer aus wurde eine Leuchtkugel abgeschossen. Sie hing über den Gipfelkronen der Urwaldriesen und sank dann, während die aufgeschreckten Brüllaffen ein ohrenzerreißendes Konzert anstimmten, durch das wirre Geäst auf das Wasser herab. Der Prahm schien jetzt mit dem Motorboot auf gleicher Höhe zu sein, nur getrennt durch die fünfzig Meter breite, mit dichtem Buschwerk bewachsene Insel. Da knatterten Gewehr- und Pistolenschüsse, aufs Geratewohl in die Düsternis abgefeuert. Einige Kugeln pfiffen hoch über ihre Köpfe hinweg, und die Brüllaffen bliesen ihre Kehlsäcke bis zum Zerplatzen auf und orgelten in den grausigsten Tönen. Atuerra rief: „Achtung, die Schildkröteninsel!" Der Maschinist steuerte geschickt das Ufer an und ließ den Kiel auf den kiesigen Strand laufen, unweit der Auskolkung*, an der die Kisten vergraben lagen. Die Bandoleros und die Tschibtschas sprangen an Land und folgten Atuerra, der den Weg wies. * Auswaschung.
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Walewski starrte auf den breiten Sandstrand. Er wischte sich die Augen. Spielte ihm der dürftige Vollmondschein eine Täuschung vor? Der Sand und der Kies schienen sich zu bewegen, und nun sah er, wie Tausende und aber Tausende von Schildkröten an Land stiegen. Die kugligen Rückenpanzer schoben sich aus dem Wasser, die greisenhaften Köpfe streckten sich gierig vor, und im Nu war alles Land von diesen Panzertieren überflutet. Immer neue Heere schwammen mit der Strömung heran und erklommen das Ufer. Das Reiben und Kratzen, das Scharren und Gleiten waren deutlich zu vernehmen, trotz der immer lauter werdenden Motorengeräusche des Prahms. Von ihm schoß eine Leuchtkugel in die Höhe. In dem flutenden Licht sah Walewski, daß bereits der obere Teil der Insel von den Schildkröten bedeckt war. Nun setzten sie sich dorthin in Marsch, wohin Atuerra mit den Gefährten geeilt war. Walewski manövrierte das Boot vom Ufersaum los, schaltete den Suchstrahler ein und ließ sich langsam mit der Strömung treiben. Jetzt erkannte er die Bandoleros, die mit den Macheten den Sand im Kolk aufwühlten. Einer hatte die erste Kiste geschultert und rannte in dem wegweisenden Strahl auf das Boot zu. Wie betrunken watete er durch das seichte Uferwasser. „Die Schildkröten kommen!" rief er, als er sich über die Reling schwang. „Masse, Riesenmasse... und da . . . da sind schon die Gomezardos!" Eine Leuchtkugel schoß jetzt an der oberen Inselspitze hoch. Doch da flog schon die zweite und die dritte Patronenkiste ins Boot, und nun taumelten die übrigen Getreuen mit der schweren Last über die Panzerrücken der Kriechtiere-zum Strand. Aurelio und Atuerra schwangen sich als letzte an Bord. „Alle da? Na, da wollen wir mal!" schrie der Deutsche und ließ den Diesel loshämmern. In dem breiten Wasserarm wendete das Boot und brauste stromaufwärts. „Volle Deckung nehmen!" kommandierte er. „Sie sind an Land gegangen... Da, sie haben uns bemerkt... Zwei Leuchtkugeln!" Er fuhr enge und weite Kurven, um den Feinden kein Ziel zu bieten. Atuerra kauerte zu semen Füßen auf dem Ruderstande und begann plötzlich schallend zu lachen: „ D a . . . die Gomezardos! Sie wollen schießen... aber sie können keinen festen Stand finden. Die Schildkröten, sie überrennen die Banditen einfach!" Vom Prahm stiegen immer wieder Leuchtkugeln ins Geäst. Die ganze Oberfläche der Insel bildete hier bereits ein wogendes Meer von Panzerschalen, zwischen denen die Gomezardos vergeblich versuchten, die Gewehre in Anschlag zu bringen. Sie torkelten wie 25
Betrunkene,und die Geschosse fegten ungezielt kreuz und querdurch die Baumkronen. Jetzt purzelte der erste der verwirrten Schützen mitten in das Schildkrötenheer. Die Tiere begannen bereits die Sandlöcher für die Eier zu scharren. Nun kippte der zweite, die übrigen flohen zum Ufer hinab, wo der Prahm lag. Die Leute im Boot legten die Waffen aus den Händen. Aurelio trat zum Steuerstande. „Den Schildkröten und vor allem dir, weißer Freund, danken wir es, daß morgen schon die Bandoleros wohlbewaffnet gegen Laureane Gomez ziehen können. Seine Spießgesellen da drüben werden versuchen, so schnell wie möglich aus den Orinocowälderri herauszukommen, wenn ihnen erst die Kugeln um die Nase pfeifen werden. Euch auf dem Bagger werden sie nicht noch einmal heimsuchen. Ich ziehe mit den Bandoleros mit." „Und ich genau wie du, Aurelio!" rief Atuerra. „Nein, ich traue auch den venezuelischen Gendarmen nicht. Ein Indio, mit dem macht man wenig Umstände diesseits und jenseits des Orinoco. Walew, TOC 13 sieht mich nicht mehr wieder. Wenn der Käpten knurrt wegen dieser Nachtfahrt, schiebe alle Schuld auf mich, und sage ihm meinen Dank für alles, was er für Atuerra getan hat." Ehe der Morgen graute, hatten sie den neuen Zufluchtsort der Tschibtschas erreicht und die kostbare Fracht gelandet. Walewski verabschiedete sich von Aurelio und Atuerra: „Freunde, ihr geht einen schweren Weg! Möge er euch zum schönen Ziele führen. Ich möchte beinahe euer Compafiero* werden... aber was sollte dann Sir Galahad mit TOC 13 anfangen? Euch stets zu Diensten, muy amigos m i o s . . . meine lieben, lieben Freunde!" Vier Tage nach diesem Abenteuer trieb auf einem jämmerlichen Floß der großmäulige Leutnant der kolumbischen Grenzdelegation auf den Bagger TOC 13 zu. Er winkte verzweifelt mit seinem zerrissenen Hemd, bis ihn ein Boot des Baggers rettete. „Ich stelle mich unter Ihre Obhut, Sefior Kapitän!" krächzte er, als er über die Heckreling kroch. „Der Teufel ist über uns gekommen, als wir schliefen. Ich bin den Bandoleros entsprungen, die Bedeckung der Grenzkommission aber ist in alle Winde versprengt, im Urwald verreckt oder zu den Feinden übergelaufen. Ja, einen kräftigen Trunk kann ich gebrauchen... und Speise, gute nahrhafte Speise. Saure Beeren und bittere Muscheln sind seit drei Tagen meine Nahrung." Nichts wurde ihm versagt. Als er gesättigt war, änderte er plötzlich seinen Ton. „Übrigens, ich kann nachweisen, daß die Auf• Genosse.
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ständischen hier auf dem Bagger Verbündete besitzen. Wohin ist doch damals Ihr Motorboot gefahren?" „Das geht Sie, Teniente, einen kühlen Orinocoschlammpatzen an!" erklärte Galahad. „Wollen Sie etwa behaupten, die beiden Leute auf dem Boot hätten Ihre ruhmreiche Kompanie oder Eskadron überfallen?" „Aber Sie haben die Bandoleros mit Munition versehen! Sie sind beobachtet w o r d e n . . . Ich verlange die Auslieferung Ihres Maschinisten und des Indios, der in seiner Gesellschaft war. Das hohe Gericht des Staatspräsidenten General Gomez..." „ . . . s o l l mich am Abend besuchen!" schrie Galahad. „Heda, Walewski, hier der Teniente... jawohl, wenn er auch aussieht wie der ärgste Vagabund aus Kolumbien, er ist L e u t n a n t . . . beschuldigt dich des Hochverrates, der Meuterei und was weiß ich noch für einen Quatsch." „Dann soll er meine Auslieferung bei der Regierung von Venezuela verlangen!" spottete der Maschinist. „Richtig!" Der Kapitän goß neuen Limericker in die Becher. „Sie gondeln also, erst einmal nach Bogota zurück. Ihre hoffentlich noch bestehende Regierung stellt dann durch die kolumbische diplomatische Mission bei der Regierung von Venezuela in Caracas einen Auslieferungsantrag, worüber das höchste Gericht in Ciudad Bolivar entscheiden wird. Himmel, Himmel, dann kommt der Einspruch, die Gegenerklärung... hundert Jahre mußt du alt werden, Walew, ehe der Teniente die Anklage vertreten kann!" Er lachte, daß alle Baggerleute verwundert von ihrer Arbeit aufschauten. Der Deutsche fragte: „Und wie sind die schlecht ausgerüsteten Bandoleros mit Ihrer schwerbewaffneten Macht fertig geworden?" „Weil sie in der Nacht kamen! Gegen alle ehrliche Kriegsführung in der Nacht. Ich entsprang ohne Waffenrock, ohne Waffen. Meine Leute? Der Teufel hat alle geholt... und diese gemeinen Partisanen haben dabei noch das Waffendepot erobert... sechshundert Gewehre und zweihundert Pistolen, Für die Rekruten bestimmt, die in der nächsten Zeit zu uns stoßen sollten. Warum die nicht selbst die Waffen mitbringen? Senores, dann wären diese Lumpenkerle doch schon in den Kordilleren zu den Bandoleros übergelaufen!" „Hoffen wir, daß sie es nun tun!" sagte Walewski. „Senor Tenniente, meiner unparteiischen Ansicht nach steht die Sache des General Laureane Gomez oberfaul. Ich würde an Ihrer Stelle einen netten Stellungswechsel vornehmen. Nein, bei den Bandoleros der Freiheit werden Sie wohl kaum gebraucht werden. Aber vielleicht gibt es einen anderen General, der jetzt schon darüber nachsinnt, 27
wie die Bauern und die Arbeitsleute von Kolumbien von neuem um die so schwer erkämpfte Freiheit betrogen werden sollen!" Fast tausend Mann waren von Bogota, der Hauptstadt Kolumbiens, abmarschiert, um die Streitkräfte des Generals Laureane Gomez am Rio Meta und am Orinoco zu verstärken, damit endlich der entscheidende Schlag gegen die Bandoleros der Freiheit geführt werden könnte. Achthundert frisch ausgehobene Rekruten, im Sammellager dürftig ausgebildet, dann mit schlechter Ausrüstung versehen, ohne Waffen unter strenger Bewachung, schickte man her. Sogar die Buschmesser, die Macheten, hatten die Rekruten abgeben müssen; sie wurden auf den Packtieren mitgeführt. Ein Teil der Bewachungstruppen, die alten Soldaten, hatten es reichlich satt, wieder einmal für den Diktator Kolumbiens ihre Haut zu Markte zu tragen. Der andere Teil, ausgewählte Parteigänger des Generals Gomez, hatten bisher nur in den Straßen der Hauptstadt Wachtdienst getan. Bei dem beschwerlichen Marsch über die Kordilleren und dann durch die fieberschwangeren Hangwälder des Metatales hatten sie schnell ihre Begeisterung eingebüßt. Hinzu kam, daß es mit der Verpflegung des großen Heereszuges gar nicht klappen wollte. Die armen Eingeborenen hatten selbst kaum genug zu essen, und die auf der Marschkarte eingezeichneten Proviantdepots erwiesen sich als baufällige Schuppen, unter deren durchlöcherten Grasdächern nur Mais und Tapioka schimmelten. Schmalhans war Küchenmeister auf dem ganzen Marsch, auch als der Heereszug die Hochsteppen erreichte. Die Hirten hatten die Rinderherden schleunigst von dem Marschwege weggetrieben, als bekannt wurde, in welcher Art und Weise die Requisitionen* durchgeführt wurden. Lieber gönnten sie den Freiheitskämpfern einige Mastochsen als den verhungerten Gomezarden, die rücksichtslos in die Herden hineinschossen, um Fleisch zu erlangen. Wären nicht die Fische des Rio Meta gewesen, dann hätten Rekruten und Wachtmannschaften auf jede kräftige Speise verzichten müssen. Aber das Fangen der Fische erforderte viel Zeit, und so kam die Kolonne nur langsam vorwärts. Sie zog am Rande der Waldzone des Flusses dahin, und wenn das Lager geschlagen wurde, dann eilten alle hinab durch den dichten Urwald zu dem Gewässer, um einige Fische oder Schildkröten zu erbeuten. Mancher Rekrut und auch mancher der alten Soldaten kehrten in das Rastlager nicht zurück. Sie hatten den Weg in die Freiheit gewählt, und so sehr auch die Führer der Marschkolonne kommandierten und tobten, keiner der * Beschlagnahmungen für den Truppenbedarf.
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Gomezardos war bereit, die Flüchtlinge in den dichten Waldungen zu verfolgen. Eines Tages, die Sonne neigte sich bereits zum Untergehen, hinkten auf das Lager zwei jämmerlich abgerissene Gestalten zu. „Gomezardos! Gomezardos!" plärrten sie schon von weitem und schwenkten grüne Zweige durch die Luft. Oberst Correos, der Führer der Marschkolonne, spähte durch das Fernglas: „Was sind das für Vagabunden? Der eine, ja in aller Höllteufel Namen, das ist doch der Teniente Baquido von der Grenzlegion Orinoco. Zu seinem Lager sind wir auf dem Marsch, und nun kommt uns der Bursche ohne Stiefel und Rock entgegengeschwankt! Waffen haben sie auch n i c h t . . . Was soll dieser Spuk bedeuten?" Er erfuhr bald alles: vom Überfall der Bandoleros auf das Lager, der Grenzlegion, von der Flucht und der Gefangennahme der Gomezardos, von der verlorenen Waffenausrüstung und von der Versammlung großer Partisanenscharen im Orinocogebiet. Der Oberst vergaß sogar das Fluchen. „Und da taumeln wir hier, ohne es zu wissen, direkt ins Verderben? Keine hundertfünfzig Gewehre habe ich zur Verfügung, und die genügen kaum, um die aufsässigen Rekruten gefügig zu machen. Wir müssen zurück! So schnell wie möglich zurück!" Sein Adjutant gab zu bedenken, daß die Proviantlager sicher noch keinen Sack Mais neu empfangen hätten. „Auf demselben Wege zurück, das bedeutete zwanzig Tage ohne Verpflegung. Ob wir noch Maipures am Orinoco erreichen können?" „Die Stadt ist in den Händen der Bandoleros!" berichtete dei Teniente. „Sie sind hinter uns h e r . . . Schlagt den Weg nach Norden ein. Vielleicht können wir uns noch nach Venezuela retten." „Und wer liefert uns die Verpflegung für den zwölftägigen Marsch?" fragte der Oberst. „Uns bleibt kein anderer Weg als zurück. Marschordre für den morgigen T a g . . . " und er begann seinem Adjutanten die Befehle zu diktieren. Er hätte sich die Mühe sparen können. Als sich die Sonne wieder aus den Dünsten des Metatales erhob, krachten vom Waldsaume herüber die ersten Schüsse. Die Wachen liefen schreiend ins Lager: „Die Bandoleros sind da! Schwere Masse... Es wimmelt im Walde..." Auf den Llanos zeigten sich Reitertrupps, die begannen das Lager einzuschließen. „Feuer auf jeden Mann!" kommandierte der Oberst. Die Gomezardos knallten Löcher in die Luft. Treffen konnten sie keinen der Angreifer, denn diese hielten sich außer Schußweite. Die alten Soldaten des Wachtkommandos sahen, wie immer 23
neue Reiter am Horizonte auftauchten und den Einschließungsring verstärkten. „Schaut, sind viele Reguläre darunter. Die haben Go~ mez s a t t . . . wie wir!" Die Rekruten spähten über die Halrospitzen nach den Reitern und dem Walde. „Seht, viele Indios, unsere Brüder. Wenn wir jetzt die Macheten in der Faust h ä t t e n . . . " Und da wurden schon von Hand zu Hand die Buschmesser zugereicht. Der abgerissene Teniente sah es zuerst: „Senor Oberst, die Rekruten'." Doch da sprangen die ersten schon die feuernden Gomezardos an, und grell zuckten die breiten Klingen im Morgenschein. Die alten Soldaten hoben die Hände: „Für euch, Cameradas! Wir sind für die Bandoleros der Freiheit." Als jetzt die Reiter draußen auf der Steppe näher trabten, fiel ^kein Schuß mehr. Jubelgeschrei klang ihnen entgegen. Atuerra wandte sich an den jungen Aurelio, während er mit weitgeschwungenem Basthut zum Sammeln winkte: „Neue Kämpfer für die Freiheit erwarten uns! Vorwärts, Bandoleros!" Die Offiziere und die Gomezardos waren bereits entwaffnet, als die Bandoleros in das Lager einritten. Im Grase lagen stumm und bleich, die Widerstand geleistet hatten. Die alten Soldaten, mehr als die Hälfte waren gepreßte Indianer, präsentierten die Gewehre. Die Rekruten hoben die Macheten und begrüßten die Befreier in allen Sprachen der Bergindios. Atuerra musterte die Gefangenen. „Schau an, da ist ja der große Verehrer des Laureane Gomez, der Teniente von der Grenzlegion, der mich so gern an den Galgen haben wollte! Einen suchtet Ihr, nun sind es mehr als zweitausend geworden.... Die Partisanen des Orinocotales ziehen gegen Bogota!" „Wir wollen mit!" schrien die Rekruten. „Wir sind dabei!" klang es aus den Reihen der alten Soldaten. Aurelio nickte: „Dank euch, Brüder! Ihr sollt das dritte ruhmreiche Regiment der Bandoleros der Freiheit bilden. Und ihr", wandte er sich an die Gefangenen, „ihr schert euch fort! Beschmutzt mit eurer Gegenwart nicht mehr langer den freien Boden Kolumbiens!" Der Oberst empörte sich: „Meine Herren, hier in der E i n ö d e . . . Was sollen wir tun?" „Laufen!" befahl Atuerra. „Schnell laufen, ehe uns der milde Spruch Aurelios leid ist. Und damit ihr es besser könnt, laßt Stiefel, Waffenrock und Reithosen hier!" „Das ist Mord!" kreischte ein Gomezard. „Nein, das ist Gnade, wenn wir bedenken, wieviel Blut an euren Händen klebt! F o r t . . . schnell!" Und unter dem Hohngelächter
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rannte das Trüppehen hinaus in die weite Steppe und verschwand in der Ferne. ; So begann der Siegeszug im Metatale. Die Anhänger Gomez' flohen, die regulären Truppen liefen über. In Bogota, der Hauptstadt, verlangten Volk und Soldaten den Rücktritt des Blutsäufers Gomez, der so viel Unheil über das Land gebracht hatte. Die Geldgewaltigen der Standard Oil hatten plötzlich keinen Dollar mehr für den Diktator übrig. Ein anderer General, Royas Pinilla, gewann die Freundschaft der Indios und der Mestizen durch ein kluges Reformprogramm. Zugleich versprach er den Dollarfürsten, ihre Rechte wahrzunehmen, und da zerstob der Spuk der Blutherrschaft Gomez' über Nacht. Im Juni 1953 ritten die Scharen der Bandoleros der Freiheit aus dem Metatal über die Hochpässe der Cordillera hinab zur Hochebene von Bogota, an ihrer Spitze Aurelio und Jacobo Atuerra. Jubelnd wurden die Befreier begrüßt, als sie durch die breiten Avenidas* hinauf zum Sitze der Regierung ritten. Zehntausend Pferdehufe donnerten durch die Straßen, die mit den gelb-grünroten Fahnen Kolumbiens und mit den roten Sternbannern der CTAL geschmückt waren. Und als der wilde Reitersturm vor dem Haus der Regierung verhielt, da klang das Sehnsuchtslied aller Unterdrückten empor zu dem Balkon, auf dem General Pinilla stand, um die Kämpfer für eine bessere Zukunft zu begrüßen. „Völker, hört die Signale! Auf zum letzten Gefecht! Die Internationale erkämpft das Menschenrecht!" Spanisch, in der Sprache der Tschibtscha und der Kariben, englisch, in den Dialekten der Bewohner des Magdalenatales klang es. General Pinilla versuchte ein freundliches Lächeln zu behalten. Sein eleganter Adjutant flüsterte ihm etwas über die Schulter zu. Er nickte und hob die behandschuhte Hand zum Gruß, während die Pferde auf den Hinterhufen tanzten und der ganze Platz ein Schrei der Hoffnung und des Vertrauens in die Zukunft war. An diesem Abend der trunkenen Begeisterung schrieb Atuerra an seinen muy amigo mio Bernardo Walewski an Bord des Baggers TOC 13: „Und nun brauchen wir Dich, Freund aus dem fernen Lande der weißen und hoffentlich klugen Muisca. Die Gomezardos sind geflohen und mit ihnen die Technicos, die Furcht vor dem Neuen haben oder Angst vor der Vergeltung. Komme bald und bringe allen Mut und alles Vertrauen in die Zukunft mit. Kämpfen • Spanisch = Allee.
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war leicht, aber das Aufbauen wird schwer. Aurelio erwartet Dich, und ich kann ohne Dich nicht die Aufgaben lösen, die mir General Royas Pinilla gestellt hat. Wenn wir nicht die Wirtschaft unseres Landes meistern lernen, dann wird uns auch ein Pinilla betrügen! . . . " » Und seit Oktober dieses denkwürdigen Jahres versucht Bernhard Walewski aus Berlin in Kolumbien sein Können in den Dienst eines großen Versuches zu stellen. Wie? Ja, das wäre eine andere Geschichte.
Was ist H o r s t J e p p k e n u r für ein J u n g e ? Abgerissen u n d schmuddelig sieht er aus, vorlaut u n d frech b e n i m m t er sich, dazu ist er uninteressiert u n d faul im Schulunterricht. Nein, für das landwirtschaftliche Lehrlingsinternat in K a t e r b u r g bedeutet er wirklich keine Zierde. Seine L e h r e r u n d K a m e r a d e n überlegen oft, ob es nicht besser wäre, sich von i h m zu trennen. Besonders abstoßend wirkt Alibabas patziges u n d rücksichtsloses Wesen auf die kleine Renate. Doch diese sanfte „ H ü h n e r f e e " , eine künftige Geflügelmeisterin, entdeckt in i h m einen guten Kern, u n d - Alibaba scheint vor dem Ausstoß aus der Gemeinschaft gerettet zu sein.
1. Welchen Titel trägt die historische Reisebeschreibung? Hinter drei Meeren 2. Wer war der Mann? Afanassi Nikitin 3. Durch welche Länder kam er? Er fuhr von Rußland nach Kasan, Astrachan, Schirwan, durch das Kaitachenland nach Persien und Indien. Er kehrte über Äthiopien, Arabien, Persien, Armenien, die Krim nach Litauisch-Rußland zurück. 4. Wer waren a) seine Feinde, wer b) seine Freunde? a) Churram und Assat-Chan b) Juscha, Jachschi-Muhammed, Ali-Medshid, Hadschi-Jakub , Achmed und Pir-Baba.
Die Namen der Preisträger erfahrt ihr im Heft 59, das am 15. März 1955 erscheint und an jedem Zeitungskiosk erhältlich ist.
VERLAG N E U E S LEBEN B E R L I N Der Verlag der jungen Generation