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Über das Buch Im zehnten Jahrhundert regiert in Bagdad der stolze Kalif Harun al Raschid, Beherrscher der Gläubigen, Verteidiger des Islam, verheiratet u. a. mit der schönen und energischen Zobeida und befreundet mit dem klugen Wesir Jafar. Haruns Erster Hofzauberer, der Perser Khalid, hat Sorgen. Der chinesische Magier Li Chang, den Harun von einer Reise in die Tartarei mitgebracht hat, strebt danach, in Bagdad die gütige Macht des Zauberkönigs Salomo zu stürzen und dafür den Kult des bösen Teufels Abu Murrah einzuführen, was auch Haruns Untergang bedeuten würde. Da aber niemand außer Khalid diese schurkischen Pläne durchschaut und der verblendete Kalif nicht hören will, beschwört Khalid in seiner Not mit Hilfe seiner Zauberei ein paar mächtige Magier aus der fernen Zukunft, die Li Chang vernichten sollen. Und so landet eines Tages ein Flugzeug aus dem Jahre 1947 in Bagdad. Darin sitzen der amerikanische Großkapitalist Henley, seine flotte Tochter Joyce, Abdul, der syrische Repräsentant Henleys, und die beiden englischen Piloten Osgood und Mannering, die alle freilich von ihrer vermuteten Zauberkraft keine Ahnung haben und mit großer Verwunderung und Verärgerung von ihrem Zwangsaufenthalt in Bagdad Kenntnis nehmen. Khalid empfängt sie begeistert und stellt sie dem Kalifen als fremde Djinni vor, was dieser auch glaubt, als Henley mit Hilfe seiner Pistole vor Haruns Augen einen ersten dämonischen Mordversuch Li Changs erfolgreich abwehrt. Auch interessiert er sich sehr für die hüb-
sche Joyce. So quartiert er alle bei Jafar ein und lädt sie für den Abend zu einem Gastmahl.. . »Skandal in Bagdad« ist gewiß kein Buch für Puristen und Sendungsbewußte und ohne Zweifel nah an der Klamotte, aber witziges Lesefutter für alle Liebhaber des Phantastischen. Über den Autor Arthur Lee Gould (1894-1975) ist ein Pseudonym. Der wirkliche Name des Autors war Arthur Stanley Gould Lee. Er war ein Engländer, der sich als Verfasser verschiedener Romane und Biographien einen Namen machte. Als ehemaliger Angehöriger der britischen Luftwaffe schrieb er vielfach über mit dem Flugwesen zusammenhängende, auch politische Themen. Seine Kenntnisse der Flugtechnik sind auch dem vorliegenden Roman deutlich zu entnehmen.
Arthur Lee Gould
Skandal in Bagdad Roman
Aus dem Englischen von V. C. Harksen
Fischer Taschenbuch Verlag
Deutsche Erstausgabe Veröffentlicht im Fischer Taschenbuch Verlag GmbH, Frankfurt am Main, März 1987 Die englische Originalausgabe erschien 1947 unter dem Titel ›An Airplane In The Arabian Nights‹ bei T. Werner Laurie Ltd., London Copyright © Arthur Stanley Gould Lee Für die deutsche Ausgabe: © 1987 Fischer Taschenbuch Verlag GmbH, Frankfurt am Main Scan by Brrazo 10/2005 Umschlaggestaltung: Die Titelillustration von Claus-Dietrich Hentschel, Konstanz, zeigt einen Ausschnitt seines Acrylbildes »Aus der Geschichte einer Stadt« (1974; 38 X 32 cm); die Typographie besorgte Manfred Walch, Frankfurt am Main Gesamtherstellung: Clausen & Bosse, Leck Printed in Germany 1280-ISBN-3-596-22723-2
Die Hauptpersonen Harun al Raschid
Kalif von Bagdad, Beherrscher der Gläubigen – ein schöner Mann, kühner Krieger und nur allzu feuriger Liebhaber Zobeida seine stolze und temperamentvolle Hauptgemahlin Jafar sein Wesir und Freund Earle Stuart Henley amerikanischer Industrieller aus Milwaukee, für dessen Unternehmungsgeist auch tausend Jahre wie ein Tag sind; zeitweise in Hundegestalt tätig Joyce Henley seine hübsche, für einen Harem aber nur begrenzt geeignete Tochter; verleitet den Kalifen zu skandalösen Handlungen Richard (Dick) Osgood ein junger britischer Pilot, der seinen munteren Reden und seinem buschigen Schnurrbart manches Abenteuer verdankt John (Lächler) Mannering sein schweigsamer Kopilot, ebenfalls ein Brite, der dem verhängnisvollen Zauber einer Hexe zu erliegen droht Abdul al Bazzazin ein Ägypter, Henleys Repräsentant in Kairo, Meister eines gepflegten Kanzleistils; vernichtet durch List einen Dämon und ist an einem einzigen Tage Löwe und Hähnchen zugleich
Khalid
Li Chang
persischer Hofzauberer des Kalifen, ein gütiger und weiser Mann mit starkem Hang zu Klappzylindern chinesischer Hofzauberer des Kalifen, Khalids Feind, ein Verbrecher und Schurke
Vorwort Vielleicht gibt es in dieser skeptischen Generation tatsächlich ein paar Unglückselige, die niemals das Wagnis eines Ausflugs in die großartige Zauberwelt der abendlichen Zerstreuung von Tausendundeiner Nacht unternommen haben. Für solche Versager ist dieses Buch nicht gedacht. Wie könnten sie den Wert einer so unglaublichen Geschichte recht ermessen? Aber für jene, die gebannt Königin Scheherazades goldener Stimme gelauscht haben, wie sie mit ihren unsterblichen Erzählungen Nacht für Nacht, tausend Nächte lang, dem Verhängnis entrann; für jene, die in der Gesellschaft ihres Herrn und Gemahls, des verbitterten Königs Schachriyar, die drei königlichen Bettler bedauert oder den Barbier von Bagdad und seine Brüder ausgelacht haben; für jene, die als Zechgenossen des Kalifen Harun al Raschid auf der Suche nach Abenteuern Bagdads dunkle Straßen durchstreift oder unter den Missetaten listenreicher Zauberer gelitten haben; die mit dem gefürchteten Sindbad zu fernen, wilden Wüsten segelten und mit wohlwollenden Djinni hoch über der Wüste
dahinbrausten oder in den Krallen ungeheurer Afrits tief ins Erdinnere versanken – für diese Auserwählten bietet unsere Romanze eine neue Reise durch jenes phantastische, faszinierende Land, wo das Seltsame und Unglaubliche zum Alltag gehören und ein fliegender Teppich kein größeres, aber auch kein kleineres Wunder ist als ein Flugzeug.
I In der Gewalt des Sandteufels Das Flugzeug scheint unbeweglich in der Luft zu hängen, hoch oben über der syrischen Wüste, im Kampf mit einem Wind, der von vorn kommt und schwer ist von der Hitze der irakischen Ebene. Osgood, der Pilot, mustert müßig den dunstigen Himmel über sich und schaut dann abwärts auf ein paar schwache, vielgewundene Linien, die ihm bestätigen, daß sein Kurs stimmt. Er prüft den Kompaß, verstellt den Autopiloten ein wenig und wischt sich mit dem Taschentuch, das bereits feucht ist, den Schweiß von Gesicht und Nacken. Denn trotz der Höhe, in der die Maschine fliegt, ist das Cockpit heiß und stickig von der Sonne, die un-
barmherzig durch die Plexiglasfenster dringt. Er wendet den Kopf und betrachtet die drei Passagiere in der ebenso einschläfernden Kabine hinter sich. Zwei davon, der Amerikaner Henley und seine attraktive Tochter, schlummern in ihren Sitzen, während der dritte, der Ägypter, sich noch gegen das Einschlafen wehrt, indem er, halb dösend, in einer Illustrierten blättert. Osgood schaut wieder auf die Instrumententafel, prüft die Zeit und späht in die schimmernde Nebelwand links. Schon bald entdeckt er, worauf er gewartet hat, ein dünnes, gelbes Band, das sich durch die braune Erde auf seine Route zuschlängelt – der Euphrat, der langsam vom anatolischen Hochland hinabgeflossen kommt. Kurz danach dehnen sich unten die Marschen des Habbaniya-Sees, an dessen Nordufer sich die ordentlich ausgerichteten Unterkünfte der englischen Royal Air Force erstrecken. Beinahe liebevoll sieht Osgood nach unten, denn dort hat er, bevor er aus dem Militärdienst ausschied, viele Monate verbracht – war es nicht dort, wo er zuerst anfing, sich seinen jetzt so üppigen und eindrucksvollen Schnurrbart wachsen zu lassen? Er lehnt sich zurück und denkt an die drei glücklichen Jahre, die er als Nachrichtenoffizier im Irak verlebt hat, nachdem er in der Luftschlacht um England
verletzt worden ist und nicht mehr am aktiven Flugdienst teilnehmen konnte. Unter ihm wogt sanft der gewaltige See und wenig später kreuzt der Euphrat Osgoods Kurs und wendet sich südwärts, seinem Bruder, dem Tigris und dem Meer zu. Mannering, der Kopilot, döst in seinem Sitz. Das Buch, das er gelesen hat, ist ihm aus den Fingern gerutscht. Osgood hebt es hoch und schlägt es auf. Ach! Das ist ja das Buch, von dem die junge Amerikanerin Joyce in Rutba beim Mittagessen erzählt hat, diese seltene alte Ausgabe der Märchen aus Tausendundeiner Nacht, die sie in einem Buchladen in Kairo gefunden hat. Er betrachtet die zahlreichen Illustrationen. Es sind Stiche in altmodischem Stil, auf denen man schwarzbärtige Gestalten mit Turbanen und langen Gewändern sieht, verschleierte, dunkeläugige Frauen in Miedern und Pluderhosen, schwarze Eunuchen mit langen Schwertern und ungeheure Djinni, die winzige Menschlein in den Händen tragen, während sie blitzartig den Erdball umkreisen. Er sieht Namen, die ihn an Erzählungen aus seiner Jugendzeit erinnern – Sindbad der Seefahrer, Ali Baba, König Salomos fliegender Teppich, das Zauberpferd, Aladin und der Kalif Harun al Raschid, Fürst von Bagdad. Es sind auch Zeichnungen des alten Bagdad dabei, mit
hochragenden Mauern, stolzen Palästen, reichverzierten Moscheen und von Menschen wimmelnden Basaren. Er lächelt, als er innerlich diese einfallsreichen Vorstellungen mit dem wenig schönen modernen Bagdad vergleicht, das er kennt, dem Bagdad, dem sie sich gerade nähern. Dadurch an seine eigentliche Aufgabe erinnert, klappt er das Buch zu. Weil sein Kopilot immer noch döst, reicht er es nach hinten zu Bazzazin Bey, dem Ägypter, weiter, der es schläfrig, jedoch mit höflichem Lächeln auf dem runden, dunklen Gesicht, entgegennimmt. Die Achthundertmeilenreise von Ägypten ist beinahe zu Ende. Minuten vergehen. Die Maschine brummt weiter. Das ununterbrochene Geräusch in Verbindung mit der Hitze hat eine ungemein einschläfernde Wirkung, der sich selbst Osgood kaum noch entziehen kann. Er blickt sich um und sieht, daß der Ägypter kapituliert hat. Da schlafen sie nun alle! denkt Osgood neidisch. Er schaut nach vorn, aber da gibt es noch nichts zu sehen. Bagdad ist nicht mehr weit entfernt. Diese verflixte Hitze und Stickigkeit! Schlimmer als unten am Boden in der Sonne. Er entspannt sich in seinem Sitz, und unbemerkt fallen ihm einen Moment die Augen zu. Mit einem Ruck kommt er wieder zu sich –
die Maschine ist plötzlich scharf abgesackt. Heiliger Strohsack! So geht es nicht! Er kontrolliert die Zeit. Noch zehn Minuten bis Bagdad. Geradeaus ist noch immer nichts erkennbar als dichter Dunst. Und der ist jetzt wirklich dicht – viel zu dicht – sieht irgendwie ganz anders aus. In einem plötzlichen Energieanfall weckt Osgood ohne weitere Umstände Mannering und brüllt ihm etwas zu. Noch halb verschlafen, setzt dieser den Helm auf, stöpselt ihn ans Radio und stellt die Skalen ein, während er die Flugkontrolle auf dem Bagdader Flugplatz zu erreichen sucht. Wenige Minuten später – jetzt völlig wach – lehnt er sich zu seinem Kameraden hinüber. »Kriege keine Verbindung!« ruft er. »Zuviel atmosphärische Störungen. Ich versuch's gleich nochmal. Sag mal, Dick, was ist denn dieses dicke Ding da vor uns? Sieht nach Ärger aus.« Die beiden Piloten beobachten den unheildrohenden Schatten, der sich in der undurchsichtigen Finsternis vor ihnen zu formen beginnt. Vielleicht würde ein unerfahrener Blick diese heimtückische Veränderung der Nebelglocke, in der sie stecken, gar nicht wahrnehmen, aber die beiden haben schon andere Wüstenstürme erlebt und wissen sehr gut, wie schnell sie entstehen, wie unberechenbar ihre Fortbewegung ist und mit welcher Gewalt sie
unterwegs alles verwüsten. »Sandsturm!« ruft Osgood. »Und was für einer! Warum hat Bagdad uns nicht gewarnt? Versuch's nochmal, Lächler, und laß dir alle Informationen geben, die die da unten haben.« Mannering nickt und bemüht sich von neuem um seine Funkkontrollgeräte. Osgood ist inzwischen nicht unnötig aufgeregt. Das Flugzeug hat genügend Höhe. Es hat keinen Sinn, umzukehren und etwa zu versuchen, Habbaniya zu erreichen. Wahrscheinlich ist das ohnehin die erste Stoßrichtung des Sturms. Zudem besteht die Möglichkeit, daß er, unberechenbar, wie diese Stürme sind, urplötzlich die Richtung ändert. Alles, was Osgood tun muß, ist, über dem augenblicklichen Standort zu kreisen, der Störung aus dem Weg zu gehen und in Bagdad zu landen, sowie sie vorbei ist. Er weiß sowieso aus Erfahrung, daß es besser ist, diesen turbulenten Wirbelstürmen der Wüste, den »Sandteufeln« der bodenständigen Nomaden, auszuweichen und sich nicht in einen Kampf mit ihnen einzulassen. Inzwischen müßte eigentlich der Tigris klar zu erkennen sein, aber sowohl der Fluß als auch Bagdad selbst haben sich verfinstert. Der Sturm, der schnell nach Westen zieht, hat sich unter ihnen verdichtet und verdeckt bereits den halben Horizont. Unsichtbare Luftströme
greifen sie an, das Flugzeug beginnt zu schwanken. Osgood entschließt sich, höher aufzusteigen und gibt Gas. Die Maschine gewinnt in einer weiten Spirale an Höhe. Er setzt seinen Helm auf und sagt über Sprechfunk zu Mannering: »Wenn du nach Bagdad durchkommst, Lächler, kannst du ihnen ja sagen, wir kämen ein bißchen später.« »Weiß auch nicht, was da nicht stimmt. Ich kann immer noch nichts hören als dieses verdammte Knattern«, kommt die Antwort. »Na gut. Ich bleibe hier oben, bis es vorbei ist. Du solltest unseren Fluggästen lieber erklären, daß sie sich jetzt besser anschnallen, denn wir werden vielleicht ein bißchen herumgeschüttelt. Dann kannst du ja weiter probieren, ob du die Flugkontrolle erwischst.« Der schweigsame Mannering nickt wieder und klettert nach hinten in die Kabine. Er ist ein langer, dunkelhaariger Mann von etwa dreißig Jahren, mit einem eckigen Kinn. Sein Spitzname kommt von seiner ewigen Leichenbittermiene, die in totalem Gegensatz zu dem fröhlichen jungen Osgood mit dem hübschen Gesicht und dem dicken blonden Schnurrbart steht. Mannering erklärt den drei Passagieren die Situation. Mr. Henley, ein kleiner, energischer amerikanischer Geschäftsmann mit scharfen Zügen, der das Flugzeug in Kairo für
eine Blitzreise nach dem Irak und Persien gechartert hat, und seine schlanke, smarte Tochter sind beide ein wenig ungeduldig über die in Aussicht gestellte Verzögerung, während der Ägypter, ein Mitarbeiter der Kairoer Vertretung von Henleys Unternehmen, philosophisch die Achseln zuckt und die Lektüre von Tausendundeiner Nacht wieder aufnimmt. Mannering kehrt auf seinen Platz zurück und stellt fest, daß der Sturm alles unter ihnen zudeckt, so daß sie nur den blauen Himmel über sich und die Sonne sehen. Die höchsten Wölkchen des tanzenden Sandes, vom Sonnenlicht in goldenen Schaum verwandelt, scheinen ganz nah und steigen noch höher als das Flugzeug, das immer weiter nach oben schwebt. In den weniger farbenprächtigen Wolken auf gleicher Höhe formen sich schwankende Gestalten, die drohend näherkommen, und wie erschreckt schießt das Flugzeug steil aufwärts. Osgood dreht die Maschine und muß erkennen, daß sich auch auf ihrer Rückseite hochaufgetürmte Säulen gebildet haben und die Reisenden sich jetzt inmitten eines ungeheuren Kraters aus taumelndem Sand befinden. Unter ihnen kreisen finster die schwärzlichen Massen und erscheinen Osgoods lebhafter Phantasie als schlammiger Strudel, der sie einzusaugen versucht. Mit zusammengepreßten
Lippen stellt er seine Steuerungsgeräte auf höchste Steigung ein. So sehr sie sich deshalb vielleicht auch verspäten, er muß aus dem Wirbel heraus, der sie zu verschlingen droht. In der gequälten Luft wird die Maschine derart herumgestoßen und geschüttelt, daß es den Fluggästen, das weiß Osgood, wohl kaum gefallen wird. Während einer kurzen Unterbrechung wirft er einen Blick in die Kabine und findet seine Erwartungen bestätigt. Den Ägypter hat es bereits erwischt – er macht Gebrauch von den Vorrichtungen für Luftkranke. Der Amerikaner starrt unglücklich und ohne etwas zu sehen aus dem Seitenfenster. Die blauen Augen des Mädchens suchen in gespannter Frage Osgoods Blick, und er lächelt ihr beruhigend zu. Sie schüttelt mit einer kleinen Grimasse den blonden Kopf, als sie sieht, wie die beiden Piloten sich zum Schutz gegen die harten und fast unablässigen Stöße, denen das Flugzeug jetzt ausgesetzt ist, fester anschnallen. In diesem Augenblick zieht von der rechten Seite ein dunkler Schatten über die Maschine. Alle blicken aus den Fenstern und sehen, wie die wirbelnden Wolken einen Ausläufer bilden, der sich nach ihnen ausstreckt wie der Fangarm eines Kraken, der entschlossen seine Beute sucht. Gebannt schauen sie zu, wie er sich nähert und sie einhüllt wie die
Hand eines Riesen. Das Flugzeug wird gewaltsam zur Seite gedrückt und dann senkrecht gestellt. Osgood hat das Gefühl einer plötzlichen Ohnmacht und umklammert die Steuerung. Er wartet darauf, daß der Druck nachläßt, statt dessen aber umgibt sie Finsternis, und die Maschine beginnt zu sinken. Wie in Trance stellt Osgood die Motoren ab, während das Flugzeug, dessen ganze Konstruktion unter der ungewohnten Belastung bebt, steil in das schwarze Herz des Sturms hinabstürzt. Dann hören die Fallwinde abrupt auf, der Abstieg wird mit einem gewaltsamen Ruck gebremst und das Flugzeug, als würde es aus einem ungeheuren Kreisel herausgeschleudert, schlittert wie verrückt. Sie scheinen zu gleiten, eine Ewigkeit lang zu gleiten, ohne zu irgendeiner Bewegung oder einem Gedanken fähig zu sein. Osgood hört nur ein zischendes Wirbeln des Sandes und das Kreischen von Winden. Sein Kopf schmerzt so heftig, als sei er eine Sekunde lang zu lange unter Wasser geblieben, zugleich aber ist dieser Schmerz so langsam und so rhythmisch, als würde das Hämmern für alle Zeiten weitergehen. Er ist unfähig, auch nur eine Hand zu rühren – er kann nicht einmal die Augen von der Instrumententafel lösen, von den glitzernden Skalen, deren Beleuchtung er ganz automatisch eingestellt hat,
als die Finsternis über sie hereinbrach, von der töricht blinkenden Uhr, die vierzehn Minuten nach vier anzeigt, die vier Uhr vierzehn angezeigt hat seit – Anbeginn aller Dinge – die immer diese Zeit anzeigen wird: vierzehn – Die Uhr verschwimmt vor seinen Augen und mit ihr, so scheint es, der letzte Rest seines Bewußtseins. Ein Blitz flammte auf, der nicht wieder verschwand, der größer wurde und doch weder Licht noch Sicht brachte. Er versuchte die Benommenheit abzuschütteln, aber mit der Hoffnungslosigkeit eines Menschen, der sich bemüht, einen gräßlichen Alptraum zu verscheuchen. Ihm war, als hörte er eine ferne, flötenartige Stimme, die eine unverständliche Sprache intonierte – und dann fielen ganz unerwartet alle Fesseln von ihm ab. Noch immer umgab ihn Finsternis, aber seine Hand umfaßte die Steuersäule, und er brachte die Maschine in einen Gleitflug. Der Sturm ließ jetzt schnell nach. Die anfallartigen Angriffe des Sandes hörten auf, und die Maschine vollführte eine Reihe unwillig stampfender Bewegungen. Die Dunkelheit nahm ab, und von unten stieg eine gespenstische Nebelwand auf. Sein Blick richtete sich auf die Instrumente, die noch beleuchtet waren, und erschreckt bemerkte er, daß der Hö-
henmesser nur noch zweitausend Fuß anzeigte. Beide Motoren hatten ausgesetzt, die Propeller standen still; und als Mannering sie wieder anzuwerfen versuchte, kam keinerlei Reaktion, nicht einmal ein Stottern. Es war zu spät zu weiteren Experimenten. Osgood bereitete sich auf eine riskante Bauchlandung vor. Angespannt starrte er nach unten und erkannte einen Streifen von irgend etwas Schmutzigem und Gelbem. Dann strömte Licht zu ihm empor, die Wolken hörten ohne Übergang auf, und sie tauchten in klares, wenn auch sonnenloses Tageslicht ein. Vor ihren erstaunten Blicken lag weit ausgebreitet eine große Stadt mit flachen, orientalischen Dächern, in deren Mitte eine gewaltige, kreisförmige, von dreifachen Mauern umgebene Arena zu erkennen war, voll von massiven, symmetrisch angeordneten Bauwerken. Nach allen Seiten wogte das ununterbrochene Grün säuberlicher Anpflanzungen. Mit einem verwirrten Blick nahm er schmale Straßen wahr und weite Plätze, von Menschen wimmelnd, sah Kanäle, die sich zwischen den Häusern schlängelten, strahlende Moscheen, große Paläste, Gärten, einen breiten, von Schiffbrücken überspannten Fluß, auf dem sich kleine, wohlbekannte Schiffchen drängten – die Boote vom Tigris –, aber – Osgood starrte beinahe töricht
vor sich hin. Das war doch nicht Bagdad? In diese riesige Metropole mit ihrem ungeheuren, kreisrunden Herzen würde Bagdad ein halbes Dutzend Male hineinpassen! Aber er hatte keine Zeit, sich mit solchen Gedanken aufzuhalten. Das von keinem Motor getragene Flugzeug sank über dem Fluß nach unten, den mächtigen, geschwungenen Mauern der Zitadelle zu. Zwischen dem Fluß und den Mauern erstreckte sich ein großer, freier Platz. Leute bewegten sich dort hin und her, aber der Boden schien eben zu sein, die Flugbahn zeigte keine Hindernisse, und als er hinabsah, wirbelte der Wind eine Staubwolke auf, die direkt auf sie zuwehte. Diese günstigen Umstände erleichterten seinen Entschluß. Er würde eine Landung mit ausgefahrenen Rädern versuchen. Hastig betätigte er Landeklappen und Fahrgestell. Vorsichtig steuerte er an rosafarbenen und weißen Gebäuden vorbei, die sich wie Edelsteine, in grünes Laubwerk gefaßt, am Flußufer erhoben, kam glatt nach unten und landete ohne großen Aufprall. Der Boden war eben wie ein Rollfeld und jetzt auch völlig leergefegt von Menschen. Osgood bremste energisch und kam knapp fünfzig Meter vor einem gigantischen Tor in der Mauer zum Stehen. Plötzlich schweißnaß, warf er den Helm beiseite und streckte jubelnd den Daumen nach
oben. Sein Kamerad reagierte in für ihn ähnlich enthusiastischer Weise, nämlich mit einem feierlichen: »Wirklich sehr ordentlich, Dick.« Dann schauten sie sich um. Keine Menschenseele war zu sehen. Völlig in seine Landung vertieft, hatte Osgood nur ganz im Unterbewußtsein mitbekommen, daß Dutzende von Menschen durch das Tor geflohen waren, vor dem sie jetzt hielten. Noch während das Flugzeug trudelnd zum Stillstand kam, hatten sich die gewaltigen Tore langsam geschlossen und waren nun fest versperrt. »Idioten«, sagte Osgood und löste seine Gurte. »Glauben die, ich wollte das verflixte Flugzeug da durchquetschen? Wo sind sie überhaupt alle abgeblieben?« »Irgend jemand steht da oben auf der Mauer«, antwortete Mannering. Sie starrten zu der Mauerkrone hinauf, die steil über ihnen emporragte und bemerkten ein Dutzend Köpfe, die von etwas, das aussah wie ein Wachtturm, zu ihnen hinunterglotzten. Osgood öffnete das Seitenfenster weit und winkte mit dem Arm, aber dieser Versuch war für die Köpfe lediglich ein Signal, sich zu ducken. Ein Knarren hinter ihnen brachte die beiden auf andere Gedanken. Die Tür in der Seite des Rumpfs tat sich auf, und hinunter auf den Boden sprang die schmucke Erscheinung
des amerikanischen Touristen, komplett mit Panamahut und Hornbrille. Ohne sich weiter um die Umgebung zu kümmern, eilte er zur Vorderseite des Flugzeugs und rief zu Osgood hinauf. »Was soll eigentlich dieser ganze Unfug?« verlangte er mit lauter Stimme zu wissen. Osgood starrte ihn verblüfft an. »Wo ist das Büro?« fuhr der Amerikaner fort. »Büro?« wiederholte Osgood verständnislos. »Ich habe Büro gesagt – von mir aus auch das Flughafenamt. Diesmal sind Sie ein bißchen zu schlau gewesen, junger Mann, und Sie werden garantiert noch einiges zu hören bekommen. Ich werde Ihnen zeigen, ob Earle Stuart Henley sich so behandeln läßt!« »Nun, nun, Dad! Reg dich doch nicht über Kleinigkeiten auf!« ließ sich jetzt eine weibliche Stimme vernehmen. Das Mädchen, leicht zerzaust, sonst aber anscheinend gesund und munter, war neben ihn getreten. »Du hältst dich da raus, Joyce. Es kommt nicht oft vor, daß ich mich richtig ärgere«, erklärte ihr Vater, »aber dieser Looping, oder was er da sonst aufgeführt hat, hat mich ordentlich in Wut gebracht.« »Ach, sei doch vernünftig, Dad«, rief das Mädchen und nahm eine Puderdose aus der Handtasche. »Wir sind in einen Tornado geraten
und hätten alle tot sein können. Und wie ich aussehe!« fügte sie hinzu und musterte sich im Spiegel. »Ich brauche auf alle Fälle dringend eine Schnellreparatur.« »Ich finde Ihr Aussehen ganz in Ordnung«, bemerkte Osgood, der mittlerweile schnell das Cockpit verlassen hatte und nun neben den beiden stand und Joyces liebliches Gesicht und ihre schlanke Gestalt bewunderte. »Aber es tut mir leid, daß Sie sich aufgeregt haben. Nicht ich habe das Flugzeug so durchgeschüttelt, sondern das war ein Sandsturm, der ungewöhnlichste, den ich je gesehen oder von dem ich gehört habe, und ich fliege schon jahrelang in dieser Ecke der Welt. Wir haben Glück gehabt, daß wir unverletzt geblieben und nicht im Fluß gelandet sind, das kann ich Ihnen sagen.« »Sie wissen gar nicht, wieviel Glück«, erklärte Mannering dem Amerikaner vorwurfsvoll. »Dick hatte doch keine Motoren als Landehilfe. Erstklassige Leistung, daß er keinen Bruch gebaut hat. Bei manch anderem Piloten hätten wir uns alle das Genick gebrochen.« »Tatsächlich?« entgegnete Henley schon etwas sanfter. »Also gut, das erklärt eine Sache, nicht aber den Rest. Sehen Sie sich doch einmal um. Kein Mensch, der uns empfängt, nicht einmal ein Gepäckträger, der unsere Reise-
taschen holt. Und wo mag das Flughafenamt sein?« »Das weiß ich auch nicht. Hier ist nämlich nicht Bagdad.« »Nicht Bagdad? Soll das ein Witz sein?« »Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wo wir hier sind. Und bitte, regen Sie sich jetzt nicht auf, Mr. Henley. Vor ein paar Minuten schwebten wir noch da oben«, er deutete zum Himmel, »direkt über Bagdad, und jetzt weiß ich einfach nicht, wo wir stecken, denn im Umkreis von tausend Meilen rund um Bagdad gibt es überhaupt keinen Ort wie diesen hier.« »Stimmt«, bestätigte Mannering. Henley starrte ihn ungläubig an und wendete sich dann an den noch immer mißmutigen Ägypter, der, den Fez in der Hand, in schlaffer Haltung danebenstand. »Wissen Sie vielleicht, wo wir sind, Effendi?« erkundigte er sich. »Ich weiß es ganz entschieden nicht, und es kümmert mich auch beileibe nicht«, erwiderte al Bazzazin. »Ich fühle mich noch immer unwohl.« Er sah zu den gewaltigen Mauern hoch und schaute dann die anderen der Reihe nach an. »Gewißlich ist dies nicht Bagdad. Aufrichtig gesprochen: So einen Ort gibt es nicht. Ich glaube, wir sind allesamt verblichen«, schloß er und setzte sich sorgfältig den Fez auf den
Kopf. »Verblichen? Tot? Sie meinen, das Flugzeug ist doch abgestürzt?« fragte das Mädchen. »Aber wo sind wir dann?« »Ich kann es nicht sagen. Vielleicht ist hier das Paradies auf Erden, wir stehen vor seinem Tor. Vielleicht aber auch nicht«, entgegnete er und zuckte schicksalsergeben die Achseln. »Na, Sie können ja meinetwegen alle tot sein – ich bin es jedenfalls nicht«, warf Henley munter ein. »Und ich sehe auch keine Veranlassung zum Sterben, solange ich das hier habe.« Er legte die Hand bedeutungsvoll an die Hüfte. »Dad, benimm dich nicht wie ein Hollywoodgangster. Sie werden auf ihn aufpassen müssen«, erklärte Joyce Osgood. »Er ist ein prima Schütze und geradezu selig über jeden Vorwand, sich mit seinen Künsten zu zeigen.« »Nun komm, Joyce, nimm nicht deinen Vater auf die Schippe. Heutzutage weiß man nie, wann man ein Schießeisen braucht.« »Ganz Ihrer Meinung«, sagte Osgood besänftigend. »Trotzdem wollen wir hoffen, daß hier nicht geschossen werden muß. Der Weltkrieg ist vorbei, wissen Sie, sogar im Irak. Aber natürlich«, setzte er mit einem Blick auf Henleys Gesichtsausdruck hastig hinzu, »ist es ein großartiges Gefühl, daß wir nicht hilflos sind,
falls wir in irgendeine Bredouille geraten.« »Sie wollen doch nicht andeuten, daß es hier zu Kämpfen kommen kann?« fragte das Mädchen. »Dad, wäre das nicht todschick zum Nachhauseschreiben? Und überhaupt, was das hier doch für ein wundervoller Ort ist!« Die fünf betrachteten die ungeheure Masse der Zitadelle, die sich vor ihnen erstreckte. Inzwischen hatten die Wolken sich verzogen, und die Sonne beleuchtete das erstaunliche Bauwerk in all seiner Erhabenheit. Von ihrem Standort aus konnten sie nur zwei der drei Ringmauern sehen, die äußere, gut dreißig Meter hoch, und die innere, die etwa anderthalbmal so weit emporragte. Beide Wälle wurden von massiven Bastionen verstärkt. Halbrunde Türmchen krönten sie. In dem riesigen Torhaus ruhten in ihren Angeln zwei Metalltore von unermeßlichem Gewicht, die noch immer fest vor ihnen verschlossen waren. Während sie aber noch standen und schauten, unentschlossen, was sie als nächstes beginnen sollten, ließ sich plötzlich das Knarren von Riegeln und das Ächzen von Scharnieren vernehmen. Ganz langsam schwangen die riesigen Torflügel auf. Aus der Menge, die sich im gewölbten Durchgang des Torhauses drängte, trat eine hohe, bärtige Gestalt im fließenden Purpurgewand hervor. Mit dem entschlossenen und ge-
wichtigen Schritt eines kräftigen alten Mannes schritt er auf sie zu und blieb wenige Meter vor ihnen stehen. Dann verneigte er sich tief, eine Hand auf der Brust, und sprach mit einer hohen, klaren Stimme, die sie zu ihrer Verblüffung und Erleichterung alle verstanden. »Friede sei mit Euch, Gefährten des Sandteufels«, sagte er. »Auch mit Ihnen sei Friede«, entgegnete Osgood in englischer Sprache und musterte den anderen neugierig. Unter seinem Mantel trug er Wams und Hosen aus schwarzer, mit Gold bestickter Seide. Eine Art randlose Melone krönte seine weißen, gewellten Löckchen, während der lange, zweizipflige weiße Bart ihm das Ansehen patriarchalischen Wohlwollens verlieh. »O Kinder der Zukunft«, fuhr er gütig fort, »ihr seid willkommen. Ihr erscheint mit großer Pünktlichkeit, denn gerade will der Kalif den Fluß überqueren, und bei ihm ist der Chinese, unser Feind, der Abgesandte des Satans.« Die fünf starrten den Sprecher, dann einander, mit blanker Verblüffung an. »Welcher von euch ist mein Abkömmling?« erkundigte sich der Alte und blickte sie der Reihe nach interessiert an. »Hören Sie«, erwiderte Osgood mit schwacher Stimme, »wir wissen nicht, wovon Sie re-
den. Wir haben gerade erst eine unfreiwillige Landung hinter uns – der Sandsturm hat uns nach unten gezwungen. Was ist das für eine Stadt? Niemand von uns kennt sie.« Die buschigen Augenbrauen des Alten hoben sich. »Sicherlich werdet ihr doch wissen, daß dies Bagdad ist, die Stadt des Friedens? Ihr steht, o Beherrscher des Wirbelwindes, auf dem Paradefeld der Reiterei des Kalifen. Vor euch liegt das Khorassan-Tor der Runden Stadt Mansurs. Hinter euch ist die Schiffbrücke und die Landstraße nach Persien, auf der sich zur Stunde mein Fürst nähert.« Sie waren so erschlagen, daß sie keine Worte fanden. Joyce erholte sich zuerst. »Wer ist dieser Fürst?« fragte sie. Nunmehr war es der Fremde, der Erstaunen verriet. »Bei meinem Barte, du bist eine Frau!« rief er und schaute sie neugierig an. »Fürst Harun al Raschid, Kalif des Islam und Verteidiger des Glaubens ist es, der da kommt. Aber«, setzte er hinzu und sprach nun wieder alle an, »gewiß ist euch bekannt, warum ihr hier seid und welche schwierige Aufgabe ihr zu lösen habt? Ich frage noch einmal, wer von euch ist mein Abkömmling?« »Ihr was?« fragte Henley. »Einer von euch stammt von mir ab, auch
wenn ich nicht genau weiß, über welche meiner Gattinnen die Linie –« »Jetzt hören Sie aber mal zu – dieses kindische Geschwätz langt mir!« unterbrach ihn Henley. Er starrte den alten Mann, der seinerseits neugierig Henleys Hornbrille musterte, unverschämt an. »Bringen Sie mich zu einem Telefon, und ich vermute, ich werde Ihre schwierige Aufgabe ziemlich bald erledigt haben.« Erneut hoben sich die buschigen Augenbrauen. »Telefon? Was ist das?« »Erzählen Sie mir nicht, daß so eine große Stadt kein Telefonnetz hat«, erwiderte der Amerikaner ungläubig. »Das ist doch lächerlich.« Der andere schüttelte langsam den Kopf. »Ich verstehe nicht, von was für seltsamen Dingen du sprichst, o Djinn mit dem doppelten bösen Blick«, erklärte er höflich. »Wer sind Sie, und was haben Sie für Schwierigkeiten?« erkundigte sich jetzt Osgood. »Warum haben Sie uns erwartet?« »Es ist unfaßlich, daß ihr den Grund eures Hierseins nicht kennt«, kam die Antwort. »Ich bin Khalid der Perser, erster Hofzauberer des Fürsten Harun; meine Macht stammt von König Salomon Jared, dem fünften Monarchen der Welt nach Adam, dem Beherrscher aller
Menschen, Tiere, Vögel, Geister und Dämonen, ausgenommen solcher, die Satan, dem Bösen, angehören, unter ihnen Li Chang, der Chinese. Ihr seid hier –« »Das haut mich um«, murmelte Osgood verwirrt, »kann mir nicht jemand einen Stuhl bringen?« »Ihr seid hier, um den Chinesen zu überwinden«, fuhr Khalid ruhig fort. »Ich warne euch, hütet euch vor ihm, denn er wird schon bald von eurer Ankunft erfahren. Ich werde nachher –« Er hielt inne, denn es gab eine jähe Unterbrechung. Mit lauten Rufen entströmte dem Torhaus eine Truppe prachtvoller Reiter. Begleitet vom Lärm donnernder Hufe und klirrender Waffen preschten sie in wildem Galopp über das Paradefeld und hinüber zum Fluß, eine Schar schnaubender schwarzer Rosse mit lang dahinflatternden Mähnen und Schweifen, Zaumzeug in fröhlichen Farben und Zügeln mit goldenen Quasten, geritten von mutigen Burschen in goldglänzenden, geschmeidigen Kettenpanzern, über den Gesichtern funkelnde Helme mit Federbüschen, die gleißenden Krummsäbel hoch in die Luft gereckt. In ihrer Mitte wehte ein schwarzes Banner, auf dem in Gold arabische Schriftzeichen standen. Den Reitern folgte ein farbenprächtiger Zug würdevoller bärtiger Araber, zumeist auf hochgesat-
telten Eseln. Sie trugen lange Gewänder in Schwarz, Grün und Gold, dazu blauen, gelben, grünen oder weißen Kopfputz. Während sie so vorbeizogen, deuteten sie auf das Flugzeug und begannen aufgeregt darüber zu debattieren. »Wo zum Teufel sind wir da hineingeraten?« fragte Henley empört. »Ist das ein Zirkus oder ein Filmstudio, oder was?« Der Zug hatte seinen Weg über das Paradefeld noch nicht beendet, als ein mißtrauischer, weißgekleideter Knabe einen isabellfarbenen Esel auf die Zuschauergruppe zuführte. Khalid sah ihn und verabschiedete sich. »Mit eurer Erlaubnis werde ich euch jetzt verlassen«, sagte er höflich, »denn ich muß mich den Würdenträgern des Hofes anschließen, die dem Kalifen Harun entgegengehen. Ich ersuche euch, hier zu warten, bis er eintrifft. Sprecht jedoch nicht über den Zweck eures Besuchs, über den ich euch später unterrichten werde. Vergeßt nicht, daß ich euer aller Freund und der Ahnherr eines unter euch bin.« Er kletterte auf seinen Esel und trabte hinter der Prozession her, die sich beim Überqueren des Platzes in sicherer Entfernung von dem Flugzeug gehalten hatte. »Das ist doch absurd!« rief jetzt Bazzazin. »Gewißlich und wahrhaftig kenne ich doch Bagdad – ich habe mehrere Jahre dort ge-
wohnt. Außerdem ist Fürst Harun al Raschid lediglich eine historische Persönlichkeit!« »Wollen Sie damit sagen, daß der Mann den Namen seiner Heimatstadt und ihres Chefs nicht kennt?« erkundigte sich Henley sarkastisch. »Haben Sie schon einmal so etwas wie diese Reitertruppe gesehen?« fragte Osgood. »Außer im Film oder in Tausendundeiner Nacht!«. Er hielt plötzlich inne. »Ich glaube, bei mir ist eine Schraube locker!« schrie er. »Ich werd' verrückt!« »Sie haben es!« rief Joyce, die ihn sofort verstand. »Tausendundeine Nacht – mein Buch – das Buch, von dem ich beim Mittagessen erzählt habe. Na, das geht ja auf keine Kuhhaut!« »Was hat dich denn gebissen, Joyce?« begehrte ihr Vater zu wissen. »Dad, kannst du dich nicht an deine eigenen Märchen aus Tausendundeiner Nacht erinnern, und an das andere Buch, das ich gekauft habe, Die Geschichte Bagdads?« Sie brach vor lauter Aufregung ab, um dann fortzufahren: »Unser Freund mit den Kußlöckchen hat von der Stadt Mansurs gesprochen. In meinem Geschichtsbuch heißt es, Bagdad wäre von einem Kalifen Mansur gegründet worden, der am Fluß Tigris eine Stadt mit runden Mauern erbaute.«
»Oh, Miss, Sie haben ja so unendlich recht«, unterbrach sie, ebenso erregt, Bazzazin, »und Sie stellen historische Tatsachen fest, die in Bagdad jeder Schulknabe kennt. Mansur war der zweite Fürst des abbassidischen Kalifats und der Großvater des hervorragenden, wiewohl grausamen Harun. Er errichtete die dreifach umwallte Stadt, um seinen Feinden den Eintritt zu verwehren, und ringsumher erwuchs eine weiträumige Ansiedlung.« »Ja, ja, das stimmt«, bekräftigte Joyce. »Ich begreife nicht, worauf ihr hinauswollt«, sagte Henley ungeduldig. »Beenden wir dieses törichte Geschwätz und kommen wir zur Sache.« »Dad! Ich gebe dir ja schon dauernd sachliche Informationen! Hör doch zu. Vor ungefähr tausend Jahren oder so stand hier so eine große Stadt wie diese, genau an dieser Stelle, regiert von einem Fürsten namens Harun al Raschid.« »Das hast du ja schon erwähnt. Na und?« versetzte ihr Vater mürrisch. »Ach, Dad, du bist aber auch zu schwerfällig. Wir sind eben alle um tausend Jahre zurückversetzt worden.« Eine Weile starrte man einander reihum verblüfft an. Ein Aufjaulen zerriß die angespannte Atmosphäre. Bazzazin errötete unter seiner
Bräune und rieb sich den linken Bizeps. »Vieltausendmal entschuldige ich mich!« rief er. »Ich habe mich gezwickt, um bestätigt zu finden, daß ich träume. Ich stelle jedoch fest, daß dem nicht so ist.« »Ich bin Miss Henleys Ansicht. Es ist ganz klar, was hier passiert ist«, bemerkte Mannering düster. »Wir sind durch die vierte Dimension gerutscht.« Henley glotzte. »Sagen Sie das nochmal«, verlangte er. »Die Zeit«, erläuterte Mannering, »ist die vierte Dimension. Wir sind aus unserer normalen Ebene in eine andere Ebene derselben Dimension gerutscht – eine andere Zeitebene.« »Wollen Sie mir wegen des Flugzeugs irgendwas aufs Auge drücken?« erkundigte sich Henley mißtrauisch. »Ich geb's auf«, entgegnete Mannering verzweiflungsvoll. »Also, ich meinerseits neige dazu, mich Bazzazin Beys Theorie anzuschließen, daß es uns alle erwischt hat«, meinte Osgood leichthin. »Wir müssen bei dem Sturm abgestürzt sein. Ich habe Romane gelesen, wo es auf diese Art passiert. Der Haken dabei ist nur, daß Bazzazin Bey ein Mohammedaner ist, so daß wir andern alle vermutlich auf der falschen Station
gelandet sind.« »Jetzt aber Schluß mit dem Comicstrip«, protestierte Henley. »Ich bin nicht in der Stimmung dazu. Ich kann es mir einfach nicht leisten, tausend Jahre zurückzurutschen oder tot zu sein. Meine geschäftlichen Interessen sind viel zu stark betroffen – ich verliere jeden Tag, an dem ich die Börsennachrichten nicht sehe, bares Geld. Außerdem, Joyce – was würde deine Mutter sagen?« »Und noch ein Rätsel«, schaltete sich Osgood ein. »Wenn wir tausend Jahre zurückversetzt worden sind, wieso spricht dann Khalid Englisch?« »Aber er sprach doch ein wunderschönes Arabisch«, wandte Bazzazin ein. Wieder trat ratloses Schweigen ein. »Eins ist jedenfalls sicher: Wir sind alle dabei, durchzudrehen«, meinte Henley. »Seit wann erkenne ich kein Englisch, wenn ich es höre?« »Aber ich erkenne Arabisch, wenn ich ihm lausche«, beharrte der Ägypter empört. »Nun, ich spreche recht gut Arabisch«, bemerkte Osgood, »aber meines Erachtens redete er in einer Art altmodischem Englisch. Aber hören Sie zu, es hat keinen Zweck, sich darüber jetzt den Kopf zu zerbrechen. Uns bleiben nur noch ein paar Minuten, bis der Fürst eintrifft. Wir wissen, daß wir uns nicht im moder-
nen Bagdad befinden, und auch nirgendwo im Umkreis von tausend Meilen davon. Wenn wir träumen, werden wir bald aufwachen. Wenn wir tot sind, haben wir ohnehin keinen Einfluß mehr auf die Sache. Wenn wir tausend Jahre zurückversetzt worden sind, müssen wir uns in wenigen Minuten vernünftig und rational mit unserer Situation abfinden. Wie wollen wir also vorgehen?« »Machen Sie einen Vorschlag – was Sie für richtig halten«, antwortete Henley. »Auf irgend etwas müssen wir uns verständigen, sonst fangen wir wirklich noch damit an, uns für verrückt zu halten. Khalid hat uns erwartet, machte einen aufrichtigen und freundlichen Eindruck und hat zugesagt, uns noch mehr zu erzählen. Wir müssen uns an ihn halten, jedenfalls bis auf weiteres, und seine Version der ganzen Geschichte akzeptieren, auch wenn sie uns blödsinnig vorkommt. Einverstanden? Gut. Und wenn es Ärger gibt, handeln wir gemeinschaftlich – stimmen Sie zu, Bazzazin Bey?« »Gewiß und sicherlich. Mir mißfällt diese barbarische Umgebung hier sehr, so daß ich mich als untrennbaren Bestandteil unserer Gesellschaft betrachte.« »Oh! Seht doch, da kommen sie!« rief auf einmal das Mädchen. »Ich muß sofort meinen Fo-
toapparat holen.« Sie rannte ins Flugzeug. »Ich probiere einfach mal, ob ich es schaffe, die Motoren anzuwerfen, nur für alle Fälle«, bemerkte Mannering und folgte ihr hastig. Vom Fluß her hörte man einen Trommelwirbel, danach einen Trompetenstoß. Sie sahen zu, wie eine von den berittenen Truppen, die vorher aus der Runden Stadt herausgaloppiert waren, angeführte Kavalkade aus dem Schatten der Brückenbauten in das helle Sonnenlicht des Platzes hinaussprengte und direkt auf sie zukam. In einer Entfernung von etwa hundert Metern teilten sich die vorderen Reihen der Reiter und eine schwarzbärtige Gestalt auf einem weißen Hengst ritt nach vorn. »Und das, nehme ich an«, sagte Osgood, »ist der Kalif Harun al Raschid, was soviel bedeutet wie ›der Aufrechte, Ruhm und Krone des Goldenen Zeitalters‹.«
II Einführung in die Zauberei Aus einer Distanz von fünfzig Metern betrachtete der Kalif sie geruhsam von oben bis unten und beugte sich dann hinunter, um zu einem weißbärtigen Mann zu sprechen, der von seinem Esel gestiegen war und nun neben ihm stand. Es war Khalid. Als er geantwortet hatte, faßte der Kalif einen Entschluß und trieb sein Pferd bis auf etwa zwanzig Meter an die Gruppe der Wartenden heran. Dicht hinter ihm, teils zu Roß, teils zu Fuß, drängte sich sein Gefolge. Der Fürst trug ein schwarzes, in der Mitte enges Oberkleid, das ihm bis zu den Knien reichte und mit einer juwelenbesetzten Schärpe umwunden war, dazu eine spitze schwarze Mütze mit einem einzigen, eigroßen Diamanten. Seine zugleich gelassene und gebieterische Haltung zeigte an, daß er nicht aus gewöhnlichem Holz geschnitzt war. Die von Edelsteinen funkelnde Gestalt – selbst von den Kopfriemen und dem Brustleder seines Pferdes sprühten, wie Osgood feststellte, lebendige Blitze kostbarer Steine – deutete eine sorglose Üppigkeit
an, die modernen Zeiten fremd war. Gewiß wurden an ihre Gläubigkeit, dachte Osgood, verwirrt, wie sie gerade alle waren, keine allzu hohen Anforderungen gestellt, wenn man von ihnen erwartete, daß sie darauf vertrauten, daß diese eindrucksvolle Erscheinung die Verkörperung eines halb sagenhaften Fürsten war. Aus irgendeinem Winkel seines Gedächtnisses schossen ihm die Worte des Dichters Tennyson durch den Kopf: Den einzgen Stern dies Ortes, jener Zeit, den sah ich dort in goldner Herrlichkeit: den guten Harun dl Raschid. Und dieser kühne, wohlgestaltete junge Araber mit den dunklen gewölbten Brauen, den blitzenden Augen, der Adlernase, dem schöngeformten, doch launischen Mund, seinem Selbstvertrauen, seiner Würde, seiner Macht, war Gebieter eines Reiches, das sich von Indien und der Tartarei bis zum maurischen Spanien und der nordafrikanischen Atlantikküste erstreckte; ein Land, das von Feuer und Schwert beherrscht wurde und von der Kraft der Worte des Propheten, dessen lebender Mund er war. Mittlerweile waren auch seine Minister und die kettengepanzerte Leibwache, die das
schwarze Banner seiner Dynastie trug, dicht an ihn herangekommen. Viele waren vom Pferd gestiegen. Um sie herum und hinter ihnen drängte sich die Menge, die an den Seiten ständig größer wurde, wie ein sich öffnender Fächer, bemüht, diese seltsame Begegnung mitzuerleben. Im Hintergrund hoben sich die Köpfe von vielen Dutzenden Kamelen. Harun wartete schweigend, und Osgood begriff, daß etwas geschehen mußte. Ein Wort zu seinen Gefährten, und man schritt gemeinsam bis auf fünf Meter an das unruhige Roß heran und erging sich in unterschiedlichen Verneigungen. Harun quittierte diese mit einem leichten Senken des Kopfes. Eine Pause entstand, die der Amerikaner unterbrach. »Guten Tag, Eure Hoheit«, sagte Henley vergnügt. Der Kalif betrachtete ihn mit verständnislosem Schweigen. »Friede sei mit dir, o Fürst«, versuchte es Bazzazin auf arabisch. »Und mit dir«, kam die förmliche Antwort. »Sehen Sie!« rief der Ägypter begeistert in englischer Sprache. »Sie sprechen Arabisch. Bitte, fahren Sie jetzt fort, Mr. Osgood.« »Wir bitten dich, unseren ehrerbietigen Gruß entgegenzunehmen«, setzte Osgood die Ansprache in langsamem Arabisch fort. Er wun-
derte sich jetzt noch viel mehr über Khalids Sprachgewandtheit. »Er soll uns willkommen sein«, erwiderte Harun, »doch beschwören wir dich, uns zu erläutern, wer ihr seid und woher ihr kommt.« »Fürst Harun«, versetzte Osgood, leicht verstört von dem Problem, eine anglo-amerikanisch-ägyptische Flugreisegruppe des zwanzigsten Jahrhunderts zu erklären. Er kam zu dem Entschluß, daß es wohl am einfachsten wäre, von seiner noch nicht allzu lange zurückliegenden Militärzeit Gebrauch zu machen und sagte: »Wir gehören zum Reich der Air Force, der britischen Royal Air Force – der R.A.F.« »Ich kenne dieses Reich nicht«, begann Harun, hielt dann aber sofort inne und warf Osgood einen scharfen Blick zu. »Willst du damit sagen, ihr stammtet von der Mauer el Araf, die das Paradies von der Hölle trennt?« erkundigte er sich bestürzt. Osgood starrte ihn ungläubig an. »Oder willst du andeuten, ihr kämt aus den Bergen von Kaf, die den Rand der Welt umgrenzen?« Osgood riß sich zusammen und versuchte, einen gelassenen Eindruck zu machen. Er überlegte, ob er die ungewohnte Aussprache des anderen mißverstanden hatte. »Ich komme von keinem dieser Orte«, ant-
wortete er, »sondern von einer fernen Insel, wo ich der R.A.F. diene.« »Hast du keinen Fürsten?« fragte Harun. »Doch, o Kalif«, entgegnete Osgood in die Enge getrieben. »Fürst Riff, Beherrscher der Raff. Er hat uns ausgesandt, dir zu Ehren deiner sicheren Rückkehr aus dem Osten diesen Besuch abzustatten.« »Das erfreut mein Herz, und man soll dir ein Zeichen meiner Wertschätzung für deinen Fürsten Riff Raff aushändigen. Was aber ist das dort für ein seltsames Tier?« »Es ist einer der fliegenden Streitwagen des Fürsten Riff Raff.« Im selben Moment vernahm man das Knattern eines Auspuffs, als der linke Motor des Flugzeugs unregelmäßige Laufgeräusche von sich zu geben begann. Mannerings Bemühungen waren erfolgreich gewesen. »Nein, gewißlich ist es doch ein großer, fliegender Djinn, so wie ihr alle Djinni seid«, erklärte Harun vorwurfsvoll. »Habe ich euch nicht aus dem Sandteufel hervorschweben sehen, als ich in Schammasiye Schutz vor seinem Wüten suchte? Ist dein Gebieter Zobaah, der Sandteufel, oder bist du ein Diener Zul-Jenaheyns, des Zweiflügligen, wie Khalid hier, mein persischer Zauberer?« »Nein, o Fürst«, erwiderte Osgood, ganz be-
nommen von diesem Schnellfeuer so gut wie unverständlicher Fragen. Er begegnete dem Blick des Persers, der in freundlicher Neugier auf ihn gerichtet war. »Nichts von all dem.« »Gewißlich aber bist du doch kein Diener des sechsflügeligen Drachens mit den dreifachen Nüstern, wie mein neuer chinesischer Zauberer Li Chang?« erkundigte sich Harun und wies auf einen hochgewachsenen Mongolen mit schwarzem, rundem Filzhut und langem, blauem Gewand, der sich ganz in seine Nähe gestellt hatte. »Nein, keinem von diesen diene ich, sondern nur allein Fürst Riff Raff«, beharrte Osgood mit Entschiedenheit und beobachtete dabei interessiert den Chinesen. »Du Bruder der Chinesen«, fuhr Harun fort, »kennst du jenen Fürsten Riff Raff?« »O Herr der Zeit«, antwortete der Chinese und trat neben den Kalifen, »ich habe wohl von ihm reden hören; jedoch ist er ein Djinn von geringem Ansehen, vor dem du keine Furcht zu haben brauchst. Ich kann ihn besiegen, so wie ich dieses fliegende Untier und jede andere Macht überwinden kann, die deine ausgenommen.« Der Chinese war ein schmalgesichtiger Mann mit herabhängendem schwarzem Schnurrbart und einem langen, dicken Zopf. Er warf sei-
nem Rivalen Khalid einen boshaften Blick zu und glotzte dann fast ebenso giftig auf Osgood und dessen Begleiter. »Du hörst den Chinesen?« fragte Harun. »Du bist ohne jede Bedeutung, sagt er.« Diese Entwicklung der Ereignisse versetzte Osgood in leichte Unruhe. Mit einer Unbekümmertheit, die ihm in Wirklichkeit fernlag, holte er sein Zigarettenetui hervor und nahm sich eine Zigarette, ein Akt, den der Kalif und sein Gefolge voller Neugier beobachteten. Osgood entzündete ein Streichholz, tat einen tiefen Zug und blies den Rauch langsam nach oben. »Es wird nicht weiter schwierig sein, ihm zu zeigen, daß er sich irrt«, bemerkte er gelassen. »Wahrlich, du bist kein Mensch – Feuer springt dir aus den Händen und Rauch quillt aus deinen Nüstern!« rief Harun aus. »Siehst du es, Chang?« Der Chinese schritt nach vorn und warf Osgood einen Dolchblick zu. »O Beherrscher der Gläubigen, wahrlich, dieser Mann ist ohne jede Bedeutung«, krächzte er. »Ich werde ihn sogleich entfernen.« »Ich warne dich, Chinese: Wir haben Macht genug, uns zu verteidigen«, erklärte Osgood und spuckte Rauch. »Bist du so mächtig, daß du Li Chang töten kannst?« erkundigte sich Harun nicht ohne
echtes Interesse. »Es ist nicht mein Wunsch, ihn zu töten, aber wenn es sein muß, so ist nichts einfacher für mich«, versetzte Osgood von oben herab. »Aber ich liebe es nicht, jemandem das Leben zu nehmen, es sei denn, ich müßte mein eigenes verteidigen.« »Deine Rede ist gerecht. Aber der Chinese hat dich herausgefordert, darum laß uns sehen, wie du seine List zunichte machst. Beginne, o Magerer, und mach schnell, denn ich bin von meiner Reise ermüdet.« »Mr. Henley«, sagte Osgood, »ich glaube, Sie sollten Ihre Waffe in Bereitschaft halten – ich habe so das Gefühl, der Chinese wird unangenehm. Aber bitte nicht totschießen – noch nicht.« »Mein Schießeisen ist allzeit bereit«, antwortete Henley und zeigte eine höchst professionell wirkende Automatik-Pistole. Der Chinese zog aus den üppigen Falten seines Gewandes einen gelben Fächer und entfaltete ihn mit einer schnellen, verächtlichen Bewegung. Osgood drehte sich zu der Gruppe um, die fasziniert hinter ihm stand, und erkannte aus den Mienen der anderen, daß sie zwar die Worte nicht verstanden, aber sehr wohl begriffen hatten, was vorging. Der Nachmittag war für alle, die in seinem Flugzeug reisten, aufre-
gend genug gewesen, und die Anhäufung von phantastischen Ereignissen hatte sie schon darauf eingestimmt, unerwartete Überraschungen als etwas Selbstverständliches hinzunehmen. Aber was da jetzt ablief, übertraf ihre wildesten Vermutungen. Li Chang trat ein paar Schritte auf sie zu. Sein Zopf wippte beim Gehen. Nachdem er zur Einleitung seinen hin- und herzuckenden Fächer einige Male geschwenkt hatte, stieß er mit singender Stimme eine Reihe unverständlicher Laute aus. Dann warf er den einen Arm in die Luft und aus dem Sandboden vor ihm brach ein schwarzes, entsetzliches Ungeheuer hervor, fast doppelt so hoch wie er und nackt bis auf ein Lendentuch. In seinem riesigen, zerzausten Kopfe saßen eine flache, breite Nase und ein enormer, klaffender Mund, aus dem zwei krumme, gelbe Hauer nach unten ragten. In der rechten Hand lag ein langer, glänzender Krummsäbel. Auf ein Zeichen von Chang bewegte er sich vorwärts. Osgood war so vom Donner gerührt, daß er gar nicht auf den Gedanken kam, eine Hand zu rühren. Er konnte nur auf das gräßliche Wesen starren, das da auf ihn zustampfte. Das Scheusal hob die Waffe, um zuzuschlagen, und er schaute mit fast krankhafter Spannung zu, noch immer so benommen, daß er zu keiner
Handlung fähig war. Zum Glück verfügte aber Henley über eine ungemein nüchterne Lebenseinstellung. Wenn auch entschieden verblüfft über diese neuartige Erscheinung, wurde er doch von dem soliden Griff in seiner Hand tatkräftig an seine Verantwortung erinnert. Als Osgood mit plötzlichem Grauen begriff, daß die Klinge jede Sekunde herniedersausen würde, gab es auch schon eine Doppelexplosion und gleich darauf einen schrillen Aufschrei des Mädchens hinter ihm. Zugleich mit dem Knall hörte man das laute Scheppern der Säbelklinge, die in ein Dutzend Bruchstücke zersplitterte. Der Riese ließ hastig den Griff fallen und preßte, aufjaulend wie ein Hund, die haarige Pranke unter die Achsel, um seine geprellten Finger zu schützen. Verwirrt stand er dann da und stierte mit großen, grünen Augen auf Henleys rauchende Pistole. Auf dem mageren, gelben Gesicht des Chinesen zeigte sich eine Mischung aus Wut und Furcht, als er zuerst das entschärfte Ungeheuer, dann seinen runden Filzhut betrachtete. Dieser lag neben ihm auf dem Boden, von einer Kugel durchlöchert. Der Chinese fuhr sich mit der Hand an den Kopf und streichelte nervös seinen Zopf. Osgood, ruckartig wieder zu sich gebracht, nutzte sofort die Situation. »Du siehst es, Fürst Harun«, rief er, »und wir können seinen Kopf
ebenso durchlöchern wie seinen Hut.« Er schaute sich um. Hinter ihm stand der resolute Henley, die Pistole noch in der Hand, neben ihm warteten das Mädchen und Bazzazin. Gleichzeitig rollte langsam das Flugzeug heran. Beide Motoren liefen jetzt rund und glatt. Osgood formte die Hände zum Trichter und rief Mannering an, der erwartungsvoll auf dem Sitz des Piloten hockte. »Lächler!« brüllte er, »nimm sie zwei Minuten hoch und mach dann einen Sturzflug mitten in die Leute! Wir müssen ihnen Angst einjagen. Aber bitte keine Bauchlandung!« Mannering hob den Daumen, womit er anzeigte, daß er verstanden hatte, und die Maschine vollführte mit aufheulenden Motoren eine Drehung, bis sie der Menge das Heck zukehrte. »Jetzt, Fürst, wirst du den Streitwagen meines Fürsten Riff Raff noch einmal fliegen sehen«, rief Osgood und fügte, zu Henley gewandt, hinzu: »Achten Sie auf den Chinesen, Mr. Henley, und jagen Sie ihm eine Kugel durch den Wanst, wenn er noch ein paar von diesen Tricks versucht.« »Mit dem größten Vergnügen«, versetzte Henley herzlich. Aber wie der Fürst und alle anderen war auch Li Chang so in die Manöver des Flugzeugs ver-
tieft, daß er momentan zu nichts anderem Zeit hatte. Die Motoren voll aufgedreht, rollte die Maschine mit einem vibrierenden Brüllen schnell über das weite Paradefeld und verschwand nach wenigen Sekunden hinter wirbelnden Wolken erstickenden Staubs. Die Höflinge rund um Harun wurden sichtlich kleiner, als die Propellerbö mit voller Stärke an ihnen zerrte, und der Kalif barg das Gesicht im Ärmel. Als sich endlich der größte Teil des Staubs gesetzt hatte, war die Maschine bereits hoch in der Luft und schwebte mit eingezogenem Fahrgestell elegant über die grünen Palmen auf der anderen Flußseite. Dann wendete sie und bewegte sich rapide auf die dort Stehenden zu. Die Menge hatte Li Changs ungewöhnliche Darbietung mit Interesse und Staunen, jedoch ohne erkennbare Anzeichen von Furcht verfolgt. Auch das überraschende Mißgeschick des Afrit hatte sie lediglich gewundert und amüsiert. Mit diesem gewaltigen, brüllenden Wesen, das da durch die Lüfte heranbrauste, verhielt es sich allerdings anders. Schon der Start hatte Schrecken erregt. Noch immer traten Pferde und andere Tiere rastlos von einem Fuß auf den anderen und trampelten sich in der Menge, die bereits im Begriff war, sich aufzulösen, kleine Lichtungen frei. Nun aber, als das Flugzeug sich über ihnen zu senken be-
gann, fingen die Leute an, zurückzuweichen, und als es mit schallenden Trompetenstößen seiner Auspuffe nur wenige Meter über ihren Köpfen entlangraste, brachen sie auseinander und flohen nach allen Richtungen. Männer, Pferde, Kamele, alle brachten sich, von Panik überwältigt, in Sicherheit. Li Changs Riese, der tiefgekränkt und vor lauter Aufregung von niemand beachtet gewartet hatte, verpuffte wie ein Luftballon, in den man hineinsticht. In einer knappen Minute war das weite Feld leergefegt, bis auf ein paar Tiere, die noch heftig mit ihren verzweifelten Treibern kämpften, und die kleine Gruppe besorgter Höflinge, die treu bei Harun ausharrte. Der Kalif betrachtete Osgood und seine Gefährten neugierig und lächelte dann listig hinüber zu Li Chang, der, die Arme in den langen Ärmeln verschränkt, neben ihm stand. Seine Schlitzaugen starrten voll teuflischen, jedoch ohnmächtigen Zorns nach Henley. »Fürwahr, du hast den Chinesen und seinen Afrit besiegt, und mein Volk ist dahin und zerstreut wie einst Saba«, sagte nun Harun. »Willst du jetzt deinem Tier gebieten, herabzusteigen?« Osgood verbeugte sich mit Anstand. Inzwischen stand das Flugzeug wieder über ihnen. Langsam ließ das Heulen der Motoren nach,
als Mannering sie drosselte und in die Landeschleife ging. Osgood ergriff diese Gelegenheit, nahm eine würdevolle Haltung ein und rief dem noch weit entfernten Flugzeug auf arabisch den Befehl zu, sich vor ihm auf dem Boden niederzulassen. Als gehorche es augenblicklich seinem Befehl, legte sich das Auspuffgeräusch bis auf ein mildes Gurgeln, und das Flugzeug glitt über den Fluß heran und landete gemächlich. Wenige Meter vor einem Kamel, das immer noch im Kreis herumrannte und unruhig brüllte, kam es zum Stehen. »Ich bin von meiner langen Reise ermüdet«, fuhr Harun fort, auf den diese Demonstration scheinbarer Autorität nicht ohne Eindruck geblieben war, »und möchte mich jetzt zurückziehen. Vorher jedoch möchte ich dir eine Frage stellen. Als Li Changs Afrit im Begriff war, dir den Kopf abzuschlagen, vernahm ich den Aufschrei einer Frau. Wer von euch ist die Frau?« »Miss Henley, der Fürst wünscht Sie zu inspizieren«, rief Osgood. »Oh! Ausgezeichnet! Ich habe ihn schon fotografiert – meinen Sie, er würde sich für mich einmal besonders in Positur setzen?« »Ist das deine Frau?« wollte Harun wissen und musterte sie neugierig. »Aber hat sie denn keine Haare? Wahrlich, ihre Tracht ist sogar
noch barbarischer als die deine, wenngleich gewiß ihrer Stellung als Djinniya geziemend. Sie scheint blaß zu sein und zerbrechlich, aber der Blick ihrer Augen ist aufreizend und lockend. Ja, ich beglückwünsche dich zu ihrem Besitz.« »Was erzählt er da eigentlich über mich?« wollte Joyce wissen. »Er sagt, daß Ihre Augen verwirrend sind und daß –« »Was ist in diesem schwarzen Kästchen, mit dem sie auf mich zielt?« unterbrach ihn Harun in plötzlichem Erschrecken. »Es ist der böse Blick. Ich will es nicht haben.« »Miss Henley, Ihre Kamera mißfällt ihm. Am besten tun Sie das Ding weg.« »Das hat er ein bißchen spät gesagt. Ich habe schon ein paar tolle Aufnahmen gemacht. Ist er nicht ein Schatz – so wundervoll dynamisch!« »Fürwahr, ich fühle großes Interesse für euch«, fing jetzt Harun wieder an, der sie alle der Reihe nach von oben bis unten betrachtet hatte. »Ich werde euch morgen in meiner Halle des Urteils empfangen. Ihr sollt meine Gäste sein. Heute abend jedoch wünsche ich in meinem Harem der Ruhe zu pflegen, und mein Freund und Kleinwesir soll euch bewirten. Jafar, dir übertrage ich es, sie zu zerstreuen.«
Ein schlanker, schwarzbärtiger Höfling, der einen eleganten Fuchshengst am Zügel führte, verneigte sich respektvoll. »O Herr, ich höre dich und gehorche«, erwiderte er und lächelte Osgood freundlich an. Mit einer Geste seiner juwelenglitzernden Hand riß der Fürst sein Roß scharf herum. Sofort fiel es in Galopp, und er ritt mit seinem Gefolge zu dem Marmorpalast auf der Südseite des Paradefeldes. Wenige Stunden später saßen die fünf Flieger, erfrischt durch ein türkisches Bad und in sauberer Kleidung, auf Diwanen um niedrige, mit Einlegearbeiten verzierte Tische und Tabletts herum, auf denen noch immer eine Fülle der unterschiedlichsten Speisen und Getränke aufgehäuft war. Ein Dutzend Schwarze bediente sie, eifrig auf die kleinste Bewegung achtend, um jedem Wunsch zuvorzukommen, noch ehe er ausgesprochen war. Sie hatten in einem eindrucksvollen Kuppelsaal in Jafars Palast gespeist, aber ihr Gastgeber hatte sie vorübergehend alleingelassen, um, wie er erklärte, gewisse Mitglieder seines Hauses aufzusuchen, denn er war mit dem Kalifen viele Monate fern gewesen. »Nun – wo immer diese Stadt sich auch befinden mag«, stellte Henley fest, »eins muß ich sagen: Man weiß hier, wie man Gäste empfängt. Ein Glück, daß ich reichlich mit Verdauungs-
pillen ausgerüstet bin.« »Und genausogut ist es, daß uns das Essen schmeckt«, bemerkte Mannering trocken, »wenn wir es den Rest unseres Lebens weiteressen müssen.« »Genau in dem Punkt bin ich anderer Ansicht«, rief Henley. »Wenn ich hier wirklich länger bleiben muß, dann werde ich dafür sorgen, daß die Leute hier alles kennenlernen, was die amerikanische Lebensmittelverordnung vor anderen auszeichnet. Warum lachst du da?« »Du änderst dich auch kein bißchen, Dad, nicht wahr – auch wenn wir tausend Jahre zurückversetzt worden sind? Ist dir klar, daß in England jemand wie König Alfred regiert und Amerika noch gar nicht entdeckt ist?« »Um etwas exakter zu sein«, meinte Osgood, »wir sind rund elfhundertvierzig Jahre von unserer PAZ in Bagdad entfernt. PAZ steht für ›planmäßige Ankunftszeit«, fügte er auf Henleys unausgesprochene Frage hinzu. »Ich habe Jafar nach dem Datum gefragt. Er hat mich zwar angeschaut, als hätte ich nicht alle Tassen im Schrank, aber geantwortet hat er ganz höflich und wohlerzogen.« »Mitten zwischen Ihnen allen fange ich an, mich ganz ungemein aufzuregen«, verkündete jetzt Bazzazin mutlos. »All meine jugendlichen
Pläne zerbröckeln mir unter den Händen. Mehrere Jahre lang habe ich mit Standhaftigkeit das Handelsrecht studiert, und nun finde ich mich in ein barbarisches Zeitalter versetzt, in dem meine Talente und interessanten Ideen vergeudet sind. In der Tat, es ist ärgerlich.« »Als Geschäftsmann bin ich auch dieser Meinung«, stimmte Henley zu. »Ich habe ein Flugzeug gechartert, um schnellstens nach Bagdad zu kommen, und es ist die Aufgabe von euch Briten, mich dorthin zu schaffen.« »Aber wir sind ja dort«, entgegnete Osgood. »Der Ort stimmt, nur die Zeit haben wir nicht ganz getroffen. Warum, weiß ich auch nicht. Wir wollen hoffen, daß wir von Khalid erfahren, was wir falsch gemacht haben und wie wir es wieder in Ordnung bringen können.« »Nun möchte ich aber erst einmal von euch wissen, Jungs, wie es zugeht, daß dieser Perser uns versteht, obwohl wir elfhundert Jahre zurückgerutscht sind«, wollte Henley wissen. »Und wieso kann der Fürst mich dann nicht verstehen?« »Und weshalb hat Khalid uns erwartet?« ergänzte Joyce. »Und was meint er damit, daß einer von uns sein Nachkomme sein soll?« »Da bin ich auch überfragt«, antwortete Osgood. »Ich meinerseits hätte gern, daß mir jemand den Dämon dieses Chinesen erklärt.
Ich hatte wirklich Glück, daß Sie so ein As im Schießen sind, Mr. Henley.« »Hat mir Spaß gemacht, mein Sohn«, meinte Henley. »Aber ich schätze, es war alles Hypnose – wie der indische Seiltrick.« »Aber woher dann das zerbrochene Schwert, und der Geruch, den er an sich hatte – als ob man über den Vesuv-Gipfel fliegt?« »Das kann man alles mit Hypnose erklären«, erwiderte Henley zuversichtlich. »Aber ich habe etwas gegen diesen Chinesen – bestimmt wird er uns noch ein paar Streiche spielen. Schätze, ich werde ihm das nächste Mal, wenn ich ihn sehe, eins auf den Pelz brennen – aus prinzipiellen Erwägungen.« »Wir wollen jetzt auf keinen Fall schon jemanden umbringen«, riet Osgood besänftigend. »Am besten benehmen wir uns ganz normal, solange es irgend geht. Khalid wird uns alles Nötige erläutern. In der Zwischenzeit gibt es bestimmt eine Menge Amüsement für uns, vor allem, weil wir dem Fürsten anscheinend sympathisch sind.« »Bagdad war zur Zeit Harun al Raschids ein wundervoller Ort«, erklärte Joyce. »In meinem Buch steht, daß es zwei Millionen Einwohner hatte und die zweitgröße Stadt der Welt war. Harun unternahm jedes Jahr Feldzüge gegen die Römer und die Griechen, und als er starb,
hinterließ er ein Vermögen im Gegenwert von zweitausend Millionen Dollar.« »Was? Bar?« erkundigte sich ihr Vater ungläubig. »Bargeld, Juwelen, Ländereien, Sklaven und so weiter.« »Also, wenn das stimmt, dann zeigt das eindeutig, wie lukrativ man diesen Fürstenkram ausbauen kann. Junge! Es muß Geld hier geben, und Harun scheint der Hauptabsahner zu sein. Und was für eine prima Stadt, um ein paar Annehmlichkeiten der Zivilisation hier einzuführen! Stellt euch doch vor – kein Telefon, keine Eisenbahn, keine U-Bahn – alles jungfräuliches Gelände! Ich muß mich sofort an die Arbeit machen.« »Dad! Du siehst aber wirklich alles nur von der geschäftlichen Seite. Denk doch nur an die Romantik hier, die Basare, die Juwelen, die Teppiche…« »Hör mal, Joyce, da kannst du recht haben. Wir sollten hier etwas wirklich Gutes an antiken Perserteppichen ergattern können.« »Und was halten Sie von einem Zauberteppich?« schlug Osgood feierlich vor. »Hierzulande sind sie schließlich erfunden worden, wissen Sie.« »Ach, Unsinn – Hollywoodkram. Aber vielleicht finden wir etwas wirklich Historisches.
Jedenfalls werde ich mir den Ort morgen mal anschauen. Wir müssen sowieso ein paar Souvenirs kaufen, um wenigstens zeigen zu können, daß wir hier waren.« In diesem Augenblick wurden die Vorhänge vor der Bogentür beiseitegeschlagen, und Jafar trat ein. Er grüßte mit einem höflichen »salam aleikum«, führte die rechte Hand zur Brust und kam zu ihnen herüber. »Ich hoffe, ihr habt meine Speisen genießbar gefunden, o meine Gäste«, sagte er auf arabisch. Seine Stimme war tief und angenehm. »Wir hatten ein fürstliches Festmahl«, entgegnete Osgood. »Für deine Gastfreundschaft danken wir dir von Herzen.« »Es ist nicht der Rede wert. Ich habe Schlafgemächer für euch herrichten lassen. Zu wem gehört die Jungfrau?« Osgood zögerte ein wenig verwirrt. »Sie bevorzugt ein eigenes Gemach«, erklärte er dann, »aber sie wünscht neben ihrem Vater zu wohnen.« Jafar sah Joyce an. »Für eine Djinniya hat sie ein außerordentlich reizvolles Gesicht«, stellte er fest. »Es ist seltsam, daß sie die Sprache des Propheten nicht spricht, und ein großes Unglück, daß man ihr das Haar geschoren hat.« »Was sagen Sie da gerade über mich?« erkundigte sich Joyce und heftete ihre blauen Au-
gensterne schelmisch auf Jafar. »Wir sorgen gerade dafür, daß Sie ein Zimmer neben Ihrem Vater bekommen«, antwortete Osgood. »Jafar, wir möchten, daß einige von uns bei unserem Flugtier schlafen, nur rein vorsorglich, falls jemand es beschädigen sollte.« »Du hast gewiß nicht bemerkt, daß dein Vogel die Herzen der Menschen von Bagdad mit Furcht und Schrecken erfüllt hat und niemand es wagen würde, sich ihm zu nähern. Ich habe zu meiner eigenen Beruhigung bereits eine Schar Lanzenreiter entsandt, um ihn zu bewachen, aber selbst sie weigern sich, näher als bis auf Bogenschußweite an dein gräßliches Ungeheuer heranzugehen.« »Er hat das Flugzeug schon unter Bewachung gestellt, Lächler, und sagt, daß ihm nichts passieren kann. Wir können uns damit begnügen, oder was meinst du?« »Ja, das glaube ich auch. Außerdem habe ich vorsorglich die Tür abgeschlossen«, erwiderte Mannering. »Es ist erforderlich, daß ihr euch morgen recht früh erhebt«, fuhr Jafar fort. »Der Fürst hält seine Audienz nach dem Morgengebet. Vergeßt nicht, daß er eure Anwesenheit dabei befiehlt.« »Heiliger Strohsack!« rief Osgood plötzlich.
»Das hätte ich ja beinahe vergessen. Der Fürst wird von uns Geschenke erwarten, wenn wir ihm morgen unsere Aufwartung machen.« »Er kann meine ganzen Sachen haben, außer meinem Gürtel und der Pistole«, sagte Henley und ergänzte dann: »Und meinen Hosen.« »Ob er wohl Interesse an einer Damenuhr hat?« fragte Joyce. »Ich habe ein todschickes kleines Ührchen bei mir. Er könnte es seiner Lieblingsfrau schenken.« »Das ist nicht erforderlich. Ich habe eine Auswahl von Artikeln im Flugzeug«, teilte daraufhin Bazzazin mit. »Ich habe in Kairo für Verwandte in Bagdad viele Geschenke gekauft, aber in dieser akuten Notlage bin ich gern bereit, sie für den Kalifen zur Verfügung zu stellen. Freilich bin ich ganz und gar nicht reich – wenn wir also die Kosten teilen könnten…« »Machen Sie sich darüber keine Sorgen, Bazza – wie war der Name gleich noch? Hören Sie, so kann ich Sie auf die Dauer nicht nennen – haben Sie keinen christlichen Taufnamen?« »Ich bin kein Christ, sondern ein Moslem«, erwiderte der Ägypter würdevoll. »Mein voller Name ist Abdul Aziz al Bazzazin, und es wird mir ein großes Vergnügen sein, wenn Sie mich alle mit Abdul anreden.« »Ausgezeichnet, Abdul«, fiel Henley ein. »Und weil wir schließlich alle im selben Boot sitzen,
sollten wir es alle so halten.« Es folgte ein Austausch von Vornamen. »Ich würde mich freuen, wenn jemand zur Abwechslung einmal ›John‹ zu mir sagte«, verkündete Mannering ernsthaft. »Alle nennen mich ›Lächler‹, ohne daß ich einen vernünftigen Grund dafür wüßte.« »Ach, vermutlich werden wir Sie auch Lächler rufen«, meinte Henley. »So, Abdul, nun zu den Geschenken. Ich denke, ich kann es mir leisten, die Rechnungen zu übernehmen. Was für Sachen haben Sie? « »Nun, da wäre zunächst ein entzückendes kleines, tragbares Grammophon für meine Halbkusine. Dann ein erstklassiger Klappzylinder für meinen Großonkel, der sich eine solche Kopfbedeckung schon seit langem gewünscht hat, warum, weiß ich auch nicht. Weiterhin Rollschuhe für meinen Großneffen, der ein höchst munterer kleiner Teufel ist, bei den Pfadfindern, außerdem –« »Ich glaube, Blaubart wird unruhig«, bemerkte Joyce. »Ich will euch eurem Gespräch überlassen, das ich nicht zu verstehen vermag«, erklärte Jafar höflich. »Meine Sklaven sind die euren – befehlt, und sie werden gehorchen. Nun aber will ich mich zurückziehen, denn ich bin sehr ermüdet. Friede sei mit euch, und möge euer
Schlaf traumlos sein.« Er nickte ihnen lächelnd zu und verließ sie. Es dauerte nicht lange, bis auch die Reisenden merkten, daß ihr Tag anstrengend gewesen war. Sie begaben sich in ihre luxuriösen Gemächer und schliefen trotz der fremdartigen Umgebung und dem ungewohnten Gefühl der Betten schnell ein.
III Das Geschenk aller Zungen Sekundenlang starrte Osgood verwirrt auf das komplizierte Muster des Deckenmosaiks, bis das quälende, unangenehme Gefühl in seinen Füßen von neuem begann und die leise, aber klare und süße Stimme wieder ertönte. Er schnappte nach Luft und setzte sich im Bett auf. Er befand sich in einem sehr großen Bett, einen Fuß über dem Boden. Am unteren Ende, ihm gegenüber, kniete die schlanke Gestalt eines jungen Mädchens, dunkelhäutig, großäugig und hübsch, mit üppigem, schwarzem Haar, das ihr ungebändigt über die Schultern fiel. Ihre schmale Hand war nach seinem entblößten Fuß ausgestreckt. »Guter Gott, die kitzelt mich!« dachte Osgood und zog eilig den Fuß unter die Decke zurück. Er starrte sie mit einer Mischung aus Erstaunen und Bewunderung an. Sofort senkte sie schüchtern den Blick. »Es ist Zeit zum Morgengebet, o Gebieter«, murmelte sie und erhob sich. Beim Anblick ihres kurzen goldenen Jäckchens, den feuerro-
ten Seidenhosen, der durchsichtigen, ärmellosen Bluse, kehrte seine Erinnerung mit einem Schlag zurück. Er betrachtete das Ebenholzbett mit seinen rotgoldenen Vorhängen, seidenen Laken und Kissen mit Goldquasten. Seine Augen schweiften hastig durch den mit Wandteppichen verkleideten Raum. Durch ein vergittertes Bogenfenster warf die Sonne ihre gelben Strahlen und beleuchtete die kunstvollen Mauerornamente, die Üppigkeit der Teppiche, die herrlichen Einlegearbeiten aus Gold und Elfenbein in den Ebenholzmöbeln. Schwach drang die Singsang-Stimme des Muezzin an sein Ohr, der die Gläubigen zum Gebet rief. Natürlich! Sie war eine Sklavin, die ihn nach der durchaus reizvollen Methode jener Tage geweckt hatte, indem sie ihm die Fußsohlen rieb. »Wer bist du?« fragte er. »Wie ist dein Name?« »Ich bin Nouma, die Tscherkessin, Sklavin im Hause Jafars des Barmekiden. Was sind deine Befehle, o Gast meines Herrn?« »Ich möchte eine Menge warmes Wasser zum Waschen, Nouma.« Sie sah ihn mit leichtem Stirnrunzeln an, murmelte dann »ich höre und gehorche« und verschwand mit einem sanften Klipp-Klapp ihrer Pantoffeln durch einen Türbogen. Gleich
darauf traten mit tiefen Verbeugungen zwei schwarze Eunuchen ein. Sie trugen rote Jacken und weiße Pumphosen und brachten einen langhalsigen Krug nach Moschus duftenden Wassers sowie eine goldene Fingerschale. Osgood brach in Gelächter aus, und ihre weißen Zähne stimmten funkelnd mit ein, leider ohne den Grund zu verstehen. Er erläuterte, was er haben wollte, und nach lebhafter Beratung untereinander entfernten sie sich grinsend. »Offenbar an ernsthaftes Waschen um diese Uhrzeit nicht gewöhnt«, bemerkte Osgood und kletterte aus dem Bett. »Und wenn ich schon Probleme habe, wie mag es dann den Amerikanern ergehen, ohne ein Wort Arabisch?« Bald kehrten die beiden Schwarzen zurück und schleppten ein silbernes Becken mit dampfendem Wasser herein, dazu goldbestickte Seidenhandtücher. Vor soviel Extravaganz pfiff Osgood durch die Zähne, begann jedoch vergnügt, sich zu rasieren. Die beiden Neger sahen interessiert zu, bis plötzlich die Vorhänge an der hohen Bogentür beiseitegeschoben wurden und Jafar erschien. »Erlaube, daß ich eintrete!« sagte er. »Allah schenke dir einen glücklichen Morgen. Beim Barte meines Vaters, was tust du mit jenem silbernen Gerät?« »Ich schneide die Haare meines Gesichtes
ab«, erklärte Osgood und schäumte sich ein zweites Mal ein. »Aber warum tust du das, da doch dein Gesicht bereits haarlos ist? Wie? Du tust es jeden Morgen? Welch ein Unglück! Ist es vielleicht eine Übung deiner Religion?« »Ja, das ist es«, entgegnete Osgood, um die Sache gleich richtig zu begründen; denn er hatte das Gefühl, daß man seine Gewohnheit sich zu rasieren hier in dieser Welt der Bärte sonst für ganz unvernünftig ansehen würde. »Doch sage mir, mein Gastgeber, wie geht es meinen Freunden?« »Ihretwegen bin ich gekommen, um mit dir zu sprechen. Sowohl die Jungfrau als auch ihr Vater sind betrübt, weil die Sklaven ihre Wünsche nicht verstehen können.« »Vielleicht brauchen sie auch Wasser«, schlug Osgood lächelnd vor. »Bei Allah! Gewiß ist es so, wie du sagst.« Er drehte sich zu dem Stämmigeren der beiden Schwarzen um. »Rabia, kümmere dich darum, daß meine anderen Gäste mit Wasser und allem sonstigen, dessen man zur Reinigung bedarf, versehen werden, wie ihre Morgenandacht es erfordert. Ich habe es für das beste gehalten«, fuhr er fort, »die Morgenmahlzeit für euch alle gemeinsam in jenem Empfangszimmer anrichten zu lassen, in dem ihr gestern
abend gespeist habt.« »Deine Höflichkeit und Zuvorkommenheit machen uns für immer zu deinen Schuldnern«, sagte Osgood und wetzte sein Rasiermesser. »Mein einziger Wunsch ist, daß ihr euch in meiner ärmlichen Behausung wohlfühlt. Wahrlich, ein seltsames Ding ist das. Warum züchtigst du es so? Ah! Gewiß gehört auch das zum Ritual deiner Andacht, nicht wahr?« »In der Tat, Jafar. Sage mir doch, um welche Stunde wünscht der Kalif uns zu sehen?« »Sobald er sein Morgengebet verrichtet hat, nimmt der Fürst seinen Sitz in der Halle des Urteils ein und spendet Gerechtigkeit. Er empfängt seine Untertanen bis zum Mittagsgebet oder bis er, von der Last seiner Pflicht ermüdet, sein Taschentuch schwenkt und das Gericht beendet. Es wird günstig für euch sein, wenn ihr ihn beizeiten aufsucht, denn vielleicht wird er wünschen, heute abend ein Gastmahl für euch zu veranstalten.« »Wir werden in einer Stunde bereit sein.« »Es ist gut. Ich werde euch zu ihm geleiten. Für jetzt erlaube, daß ich dich verlasse.« Etwa zwanzig Minuten später betrat Osgood das Empfangszimmer, wo er die junge Amerikanerin vorfand, die auf einem Diwan neben der vergitterten Öffnung saß, die in die Gärten hinausführte.
»Guten Morgen, Joyce«, sagte er. »Wie schaffen Sie es nur, immer so gepflegt auszusehen? Erzählen Sie mir nicht, Sie hätten Ihr Kostüm plätten und sich die Haare frisieren lassen und was sonst dazugehört.« »Kein Stück. Ich konnte zuerst nicht einmal warmes Wasser zum Waschen bekommen. Aber nachher brachten sie mir dann alle möglichen Schüsseln und die niedlichsten Seidenhandtücher und sogar Sprühflaschen mit Rosenwasser.« »Ja, das war, nachdem Jafar bei mir gewesen ist. Er sagte mir, Ihr Vater –« »Dad war stocksauer, weil sie ihn an den Füßen kitzelten – Himmel, ist das eine köstlich unausstehliche Art, einen zu wecken –, und weil er sie nicht dazu brachte, ihm seine Badewanne und einen Friseur herbeizuschaffen. Er haßt es, sich selbst zu rasieren. Jetzt ist er mit Abdul weggegangen. Sie wollen versuchen, in der Stadt einen Barbier aufzutreiben.« »Hoffentlich macht er sich dabei nicht unglücklich und verliert das halbe Gesicht. Hierzulande rasiert sich niemand, wenn er nicht gerade der Welt verkünden will, daß er sich als armes Schwein fühlt – so als ob man in Sack und Asche herumläuft.« »Der arme Dad. Wissen Sie, er ist so zivilisiert und energisch, daß er nicht ruhen kann, bis
nicht alle Leute hier randvoll von Fortschritt und Tüchtigkeit sind. Er hat eine Menge Geld, aber es macht ihm immer Spaß, noch mehr zu verdienen – wahrscheinlich verbindet er das Geschäftliche mit der moralischen Erbauung.« »Na, bei der Erbauung können wir ihm jedenfalls alle helfen. Ich gebe Unterricht in Golf und Strip-Poker, und darin, wie man beim Pferderennen gewinnt, und –« »Und ich zeige ihnen eine heiße Rumba, Dick, und den Frauen kann ich verraten, wie man sich eine Kurzhaarfrisur macht und mit welcher Diät man zu der ersehnten, knabenhaften Figur kommt.« »Meistens neigen sie hier nicht zu schlanken Figuren. Und ich bezweifle, daß es in diesem Bagdad noch ein paar Fesseln gibt wie Ihre.« »Nur weiter – Ihre Geschichte fasziniert mich gar seltsam.« »Davon aber einmal abgesehen«, fuhr Osgood munter fort, »werden wir es schwer haben, uns hier keinen Ärger einzuhandeln, wenn es uns nicht gelingt, Sie zu verstecken.« »Wirklich, Dick? Dann schenken Sie mir reinen Wein ein und sagen Sie mir, was los ist.« »Danke. Wirklich ein hübscher Hinterhof hier, wie?« Sie schwiegen einen Augenblick und schauten hinaus in den Garten. Sie sahen majestätische
Bäume, die grüne Rasenflächen beschatteten, auf denen Pfauen ihr Federrad schlugen. Leuchtend buntgefiederte Vögel flogen umher, und in den Bäumen kletterten hellgefleckte Affen auf und ab. Zwischen den Rasenstücken gab es sprühende Fontänen und Gruppen von Blumen in lebhaften Farben. In einem Kanal aus rosenfarbenem Marmor floß Wasser in einen mosaikumrahmten Teich, an dessen ihnen gegenüberliegendem Ufer eine Miniaturmoschee stand, mit goldener Kuppel und schlanken, blaugekachelten Minaretten. »Wie sie das alles machen, ist mir unbegreiflich«, meinte Osgood. »Die besten Gärten, die ich im modernen Bagdad kenne, sind im Vergleich mit diesem geradezu armselig. Um aber mit meinem Vortrag fortzufahren – es geht um Ihre neue Stellung im täglichen Leben. Sehen Sie, hierzulande zählen die Frauen zum Besitz der Männer, und es wird nicht lange dauern, bis jemand Sie im Austausch gegen tausend Kamele oder etwas ähnliches erwerben möchte.« »Vermutlich würde Dad mehr als tausend verlangen.« »Mit Recht, mit Recht! Aber vielleicht hat er gar nicht die Möglichkeit, sich dazu zu äußern. Was sollen wir dann tun? Es hätte auch keinen Sinn, den Ort zu wechseln; Harun herrscht
über jede Siedlung, die innerhalb unseres hiesigen Aktionsbereichs hegt.« »Ja, ich verstehe schon. Könnte ich nicht eine verheiratete Frau sein?« »Das könnte Sie vielleicht schützen, vielleicht aber auch nicht. Wenn ich zum Beispiel Ihr Mann wäre, würde ich es zwar natürlich entrüstet ablehnen, Sie zu verkaufen –« »Gesprochen wie ein aufrechter Mann!« »Jedenfalls nicht für tausend Kamele. Aber wahrscheinlich würde man mich mit ein paar Felsblöcken am Fuß in den Fluß versenken und Sie rechtmäßig erben.« »Es ist wirklich schwierig. Ich werde sehr aufpassen müssen. Und es macht mir doch soviel Spaß, ein bißchen Unsinn zu treiben! Ah – da kommen sie.« Draußen wurde es unruhig, Stimmen ertönten; dann teilten sich die roten Vorhänge und Henley trat ein, gefolgt von Mannering und Abdul. Alle schleppten Pakete von unterschiedlicher Größe, die sie auf dem Mosaikfußboden ablegten. »Morgen«, sagte Henley aufgeräumt. »Guten Morgen, Mr. Henley. Haben Sie sich unsere noble Stadt angeschaut?« »Jawohl. Noble Stadt stimmt. Die mittlere Mauer dieser Runden Stadt ist unten über dreißig Meter dick und insgesamt fast doppelt
so hoch, schätze ich. Gar nicht schlecht für solche Wilde. Aber nirgends ein Schuhputzsalon, keine Zeitungen, nicht einmal Bürgersteige, und im ganzen Ort kein einziger Verkehrspolizist. Ich suchte einen Barbier, aber wohin ich auch ging, ständig rannten mir Hunderte von Leuten nach. Nichts als verflixte Neugier. Haben sie denn keine Arbeit hier? Oder noch nie einen weißen Mann gesehen?« »Sie haben noch nie eine Brille und einen Anzug im Sackschnitt gesehen, Dad. Erzähl mir doch, was das für Pakete sind.« »Das sind die Geschenke für den Fürsten, die wir aus dem Flugzeug geholt haben. Wirklich ein irres Sammelsurium, Grammophon, Rollschuhe, Uhr, Fernglas und Klappzylinder. Jeder von uns muß etwas tragen. Ich nehme hier diesen Kopfschmuck.« Er klappte den Zylinder auf und zu und betrachtete ihn bewundernd. »Flott und praktisch«, stellte er dann fest, »wenn er nur nicht so elend europäisch aussähe. Der Fürst sollte jedenfalls Spaß daran haben. Ich habe Abdul einen Scheck gegeben – Geschäft ist Geschäft, was, Abdul?« »Das ist völlig korrekt, Mr. Henley. Ich hoffe nur zu Gott, daß man ihn mir eines Tages einlösen wird.« »Was? Ach so, ja, ich glaube, ich verstehe Sie. Nun, Joyce, wir haben einen Barbier gefunden.
Hochintelligenter Kerl. Hallo! Da ist ja auch etwas zu essen – und das kann ich wirklich brauchen. Von diesem Frühsport habe ich einen Appetit bekommen, für den ich später bestraft werde, das weiß ich jetzt schon.« Sie gruppierten sich um die niedrigen Tische und betrachteten die appetitanregende Vielfalt von Köstlichkeiten, die dampfenden Braten und die duftenden, geheimnisvollen Pasteten, die Schüsseln mit Reis und Eiern, die kristallenen Krüge mit farbigen Getränken, goldene Schalen mit den unterschiedlichsten Früchten und zu Joyces Freude kleine Blumensträuße aus Narzissen, Veilchen und Rosen. »Den größten Teil dieses Menüs kann ich zwar nicht erkennen, aber riechen tut es vorzüglich«, kommentierte Henley. »He! Da kommt die rituelle Reinigung.« Sie spülten sich die Finger in den Goldschüsseln ab, die Sklaven ihnen darreichten, und begannen zu essen. »Hier, Dad, das hier ist mehr oder weniger Pampelmuse, damit kannst du anfangen.« »Ich erkenne jene ölige Substanz«, bemerkte Abdul. »Es ist Reis, angerichtet mit Honig und Safran, der, so stelle ich es mir vor, auf Ihre hochgebildeten Gaumen einen die Verdauung nicht behindernden Eindruck machen wird.« »Hühnerfrikadellen und Sorbet klingen ir-
gendwie nicht nach Frühstück«, meinte Osgood, »aber sie verspeisen sich recht angenehm. Wohin sind Sie heute morgen gegangen, Mr. Henley?« »Zum nächsten Stadtteil mit Läden. Und was für Läden! Nichts als winzige Zellen in der Mauer, zu Hunderten, alles Ein-Mann-Betriebe. Wir sind ungefähr sechs Blocks gelaufen, bis wir den Basar fanden. Auf dem Rückweg kamen wir dann an den Tigris – äußerst primitiv, der hiesige Transport zu Wasser. Ich schätze, die Stadt wird davon profitieren, daß wir hier eingetroffen sind – sie hat es wirklich nötig, daß mal jemand nach dem Rechten sieht. Ich werde mir nachher einmal den Basar anschauen und die geschäftlichen Möglichkeiten prüfen.« »Was für eine lange Rede, Dad! Ich glaube fast, du fühlst dich hier wohl.« »Die Stadt wäre ein Paradies für mich, wenn ich nur unsere Fabrik und die ganze Organisation hinter mir hätte. Ein absolut jungfräulicher Absatzmarkt für alles! Kein Transport, keine Textilien, keine Autos – bloß Kamele, Esel, Gerüche, Hunde und die verrücktesten Bettler.« »Aber bestimmt entspricht das alles ihrer Vorstellung vom Leben«, protestierte Mannering milde.
»Und genau das ist es, was ihr unterentwickelten Europäer alle sagt! Man muß euch zu einem höheren Lebensstandard erziehen –und mit diesen Arabern ist es das gleiche. Sie brauchen den moralischen Aufbau – was gibt es da zu grinsen, Joyce?« »Aber Dad, wir haben doch genau dasselbe gedacht.« »Meine Aufgabe ist es, die Welt zu einem höheren Lebensstandard zu überreden. Dienst an der Menschheit! Es würde diesen Eingeborenen hier tausendmal besser gehen, wenn jedermann gutes Geld verdiente und sich ein Auto leisten könnte – und ein Radio und einen Kühlschrank und ein anständiges Haus mit heißem und kaltem Fließwasser in allen Schlafräumen.« »Ich stimme Ihnen in vollem Umfang zu, Mr. Henley«, erklärte Abdul warm, »und eben das ist es, was wir in meinem Heimatland zu erreichen hoffen.« Kaum war die Mahlzeit beendet und die Ansammlung von Schüsseln entfernt, als auch schon der stämmige Sklave Rabia vor Osgood hintrat und sich tief verneigte. »Herr«, sagte er, »der Magier Khalid wünscht eine Unterredung mit dir.« »Bitte ihn, einzutreten«, erwiderte Osgood. Sofort wurde unter vielen Verneigungen des
Schwarzen die hohe, würdige Gestalt des Zauberers hereingeführt. Er kreuzte die Hände über der Brust, verbeugte sich höflich und warf ihnen dann unter seinen buschigen, weißen Augenbrauen einen schnellen, prüfenden Blick zu. »Allah schenke euch einen günstigen Morgen«, begrüßte er sie. »Das wünschen wir auch dir«, antwortete Osgood und machte ihm auf dem Diwan Platz. »Ich danke dir, möchte jedoch stehenbleiben. Ich bin gekommen, euch nochmals zu versichern, daß ich euer Freund bin.« »Darüber freuen wir uns.« »Ich bin ein Diener von Jan ibn Jan, der mächtigen Krone der Djinni, dessen Macht, und mit ihr die meine, auf dem Siegel Salomos, des Sohnes Davids, beruht; Friede sei mit ihnen beiden.« Henley klappte den Mund auf, um etwas zu sagen, überlegte es sich jedoch anders und begann statt dessen geistesabwesend den Klappzylinder zu öffnen und wieder zusammenzudrücken. »Wie ihr wißt, bin ich Hofzauberer des Kalifen, des Beherrschers der Gläubigen, Fürsten von Bagdad und der islamischen Welt«, fuhr Khalid fort, wobei er den abwechselnd zusammengepreßten und wieder ausgefahrenen Hut
mit Interesse beobachtete. »Diese Stellung bekleidete ich bei Kalif Hadi und bei Mahdi, Haruns Vater, sowie bei dem hervorragenden Mansur, dem Begründer Bagdads und Erbauer der Runden Stadt. Unlängst nun besuchte Kalif Harun seine östlichen Provinzen, weit bis hin zu den äußersten Grenzen der Tartarei. Dort fiel sein Blick auf Li Chang, den Chinesen, der seine Macht von Abu Murrah, dem Bösen selbst, herleitet und deshalb mein Feind ist. Nun ist zwar der Fürst ein Mann von hoher Bildung und Gelehrsamkeit, aber auch er unterliegt zuweilen einer Täuschung. Der Chinese nämlich, wenngleich in der Zauberei äußerst geschickt, ist ein Sendling des bösen Feindes. Seine Absicht ist es, hier, in der Stadt des Friedens und der wahren Religion, die Macht Salomos zu stürzen und den verderbten Kult seines Herrn an ihre Stelle zu setzen.« »Und was haben wir mit dieser ganzen Sache zu tun?« erkundigte sich Osgood. Ein verwirrter Ausdruck trat in das Gesicht des Persers. »Als ich meinen Gebieter, König Jan, von meiner mißlichen Lage in Kenntnis setzte, sprach er zu mir: ›Die Zauberkünste des Chinesen sind zu groß, als daß du sie überwinden könntest, o Khalid; noch kann es ein anderer Ma-
gier deiner Zeit. Darum will ich weit in die Zukunft greifen und von dort stärkere Macht herbeiholen, um dir zu helfen, einen Menschen, der deinem Samen entstammt und dich zusammen mit seinen Gefährten aus deiner Not erretten wird. Und diese Kinder der Zukunft werden aus einem Wirbelwind herniedersteigen und in einer Rauchsäule wieder verschwinden.‹« Kurze Zeit herrschte das tiefe Schweigen vollständiger Verblüffung. »Also, diese Geschichte setzt allem die Krone auf – wenn sie wahr ist«, erklärte endlich Henley. »Jedenfalls freue ich mich wirklich sehr, daß wir wenigstens nicht für immer hierbleiben müssen. Aber was bedeutet das, daß einer von uns sein Abkömmling sein soll? Wer ist es?« Die fünf betrachteten einander neugierig. »Nun ja – ich vermute, Sie sind es, Abdul«, meinte Osgood. »Wie ist dein Name, und welches ist die Geschichte deines Hauses?« fragte Khalid und schaute Abdul zweifelnd an. »Wenn auch der Staatsangehörigkeit nach Ägypter, so stamme ich doch väterlicherseits von einer uralten arabischen Familie ab, die seit Jahrhunderten in Mekka ansässig ist«, verkündete Abdul mit Stolz. »Und mein Name
ist Abdul Aziz al Bazzazin.« »Bei Allah, du bist es!« rief Khalid, trat zu Abdul hinüber und umarmte ihn. »Denn dies ist der Name eines Kanals, der die Stadt durchzieht und auch der Name des Stadtteils, in dem ich wohne. Und darum stammst du von meiner dritten Gattin, Souraya, ab, deren Familie von dort herkommt. Aber du ähnelst ihr nicht«, fügte er dann nüchtern hinzu. »Es ist nicht zu fassen!« rief Joyce ganz überrascht. »Einfach mit seinem eigenen Vorfahren zu plaudern, als ob –« Ihr fehlten die Worte. »Also Abdul ist es, auf den du es abgesehen hast«, meinte jetzt Osgood. »Und was sollen wir nun tun?« »Die Ereignisse werden es lehren, denn ich kann es nicht sagen«, erwiderte der Zauberer. »Und wann gehen wir wieder weg?« fragte Abdul besorgt. »Ich hoffe, daß man mich hier nicht ungebührlich aufhält, so angenehm das Gefühl auch ist, bei Verwandten der Familie zu weilen. Ich habe in meiner anderen Existenz wichtige Pläne.« »Auch das kann ich dir nicht mitteilen. Wenn eure Aufgabe erfüllt ist, werdet ihr ein Zeichen erhalten.« »Also, meines Erachtens brauchen wir lediglich dem Chinesen eins überzubraten«, erklär-
te Henley fröhlich. »Ich weiß, daß eure Macht groß ist«, fuhr Khalid fort, »denn ihr habt sie ja bereits bewiesen. Zwar weiß ich nicht, wem ihr Lehnsherrschaft schuldet. Doch hütet euch vor dem Chinesen, auf daß nicht einer von euch seinen Ränken erliegt.« »Danke für die Warnung, Khalid«, schaltete Osgood sich ein. »Willst du mir nun noch eine Frage beantworten? Wie kommt es, daß du Englisch sprichst? Oder Arabisch?« ergänzte er hastig, um Abdul zuvorzukommen. Khalids buschige Augenbrauen hoben sich. »Was ist das?« fragte er. »Die Sprache, in der du uns anredest.« »In mancher Hinsicht bist du nur ein einfacher Djinn«, erwiderte der alte Mann gutmütig. »Weißt du nicht, daß der Mund der Menschen nur die Gedanken ihres Kopfes nachbildet, und daß zwar deren Form unterschiedlich ist, die Sinne der Menschen aber gleich sind? Du stellst dir vor, daß wir mit unseren Lippen und Zungen so leicht miteinander sprechen, wie wir es tun, aber es sind ja nur die Gedanken, die gelesen werden, und das kommt von der Gabe des Verstehens und Begreifens, über die ich verfüge.« »Wir aber nicht?« fragte Joyce schnell. »Ich bin verwundert, daß ihr sie nicht besitzt,
denn –« »Khalid, können auch wir diese Gabe des Verstehens erlangen?« unterbrach ihn Osgood. »Ist das euer Wunsch? Es ist eine Kleinigkeit. Nein, dankt mir nicht – es steht geschrieben, daß ich tief in eurer Schuld stehen werde. So will ich nun den Geist anrufen, auf daß er dich und deine Gefährten erfülle, damit die Gabe des Verstehens aller menschlicher Zungen euer sei.« Unter seinen dichten Augenbrauen sah er sie alle lange und genau an, hob dann den rechten Arm, murmelte ein paar unverständliche Sätze und fügte hinzu: »Im Namen von Salomos Siegel.« Nach einer kleinen Pause ließ er den Arm wieder sinken und schaute sie an. »Es ist vollbracht«, verkündete er. »Was! Jetzt kann ich Arabisch?« rief Henley spöttisch. »Jede Zunge«, entgegnete Khalid würdevoll. Mr. Henley klatschte laut in die Hände. »Soviel Arabisch habe ich jedenfalls begriffen«, erklärte er. »Das probieren wir aus.« Der schwarze Sklave Rabia kam herein und verneigte sich ehrerbietig. »Knie nieder«, befahl Henley kurz. Der Sklave betrachtete ihn mit gelindem Erstaunen und fiel auf die Knie. Leicht benom-
men erhob sich Henley vom Diwan. »Steh auf, dreh dich um und geh hinaus«, kommandierte er ein wenig heiser. Rabia gehorchte, wobei er Henley, als er den Raum verließ, über die Schulter einen verwunderten Blick zuwarf. »Heiliger Bimbam! Nicht zu fassen!« rief Henley und preßte energisch den Klappzylinder zusammen. »Eine halbe Stunde habe ich heute morgen versucht, diesem Kerl zu erklären, was das Wort ›Wasser‹ bedeutet. Lassen Sie mich Ihnen gratulieren und mich bei Ihnen bedanken«, fuhr er fort und schüttelte dem verblüfften Khalid begeistert die Hand. »Das hat meine Chancen, hier groß ins Geschäft einzusteigen, ganz wesentlich verbessert. Wir alle müssen Ihnen wirklich unsere Hochachtung aussprechen, Verehrtester, und ich würde sehr gern die nähere Bekanntschaft eines so überaus intelligenten Mannes machen. Ich glaube, an einem Ort wie diesem könnten wir beide – mit meiner Erfahrung in Handel und Wandel und Ihren übernatürlichen Fähigkeiten – erstklassig miteinander ins Geschäft kommen.« Khalid starrte ihn leicht verwirrt an und entrang mühsam seine Hand Henleys herzhaftem Griff. »Meine Kräfte stehen dir ganz und gar zu Diensten«, erklärte er höflich, die Augen er-
neut auf den Klappzylinder geheftet, der jetzt auf Henleys Haupt thronte. »Aber es naht die Zeit, den Kalifen aufzusuchen, und mit eurer Erlaubnis werde ich euch nunmehr verlassen. Möge der Tag euch Glück bringen. Und vergeßt nicht – hütet euch vor Li Chang.« Er umarmte Abdul, verbeugte sich vor den anderen, warf noch einen letzten forschenden Blick auf den Hut des Amerikaners und verschwand zwischen den Vorhängen. »Das ist der flotteste Kerl, dem ich diesseits des Feuerschiffs von Nantucket begegnet bin«, verkündete Henley. »Was würde er in den Staaten für ein Vermögen machen – als Leiter einer Super-Sprachschule! Stellt euch doch nur die Reklame vor. Sekundenschnell Spanisch sprechen! Fließend Französisch mit einem Flutsch!‹ Die Leute wären hingerissen.« »Es ist erstaunlich verwirrend«, bemerkte Abdul. »Ich fühle, daß ich selbst Ihre amerikanische Sprache jetzt besser verstehe, Mr. Henley, die mich, ich muß es gestehen, bisweilen vor Rätsel gestellt hat.« »Passen Sie auf«, warf Osgood ein, »wir wollen vor anderen nicht zu viel darüber reden. Tun wir so, als ob es selbstverständlich wäre. Als erstklassige Magier dürfen wir uns nie verblüffen lassen.« »Völlig richtig«, stimmte Henley zu. »So ist es
smart und geschäftsmäßig. Wir müssen eine richtig professionelle Art entwickeln, wie Ärzte und Bestattungsunternehmer. Ich glaube, ich behalte am besten den Hut hier – er verleiht Atmosphäre.« »Was passiert mit den anderen Geschenken – wie wollen wir sie dem Kalifen überreichen?« fragte Osgood. »Wir sollten zumindest nach außen einen Anführer haben«, sagte Mannering. »Ich schlage vor, daß du das übernimmst, Dick. Du hast sowieso eine große Klappe und den Rest schafft dann dein Schnurrbart.« »Scheint mir einleuchtend«, meinte Henley und nickte. »Ich bin auch für Sie«, bekräftigte Joyce. »Obwohl es aufregender wäre, wenn ich den Posten übernähme.« »Nein, das verbietet der Anstand«, antwortete Osgood. »Also gut. Der neu ernannte Präsident der Filiale ›Tausendundeine Nacht‹ der Zauberergewerkschaft nimmt den Posten mit Vergnügen an. Und da ist ja auch Jafar!« Im selben Moment nämlich hatte Rabia das Gemach betreten, rollte die Augen nach Henley und meldete mit tiefer Verbeugung seinen Gebieter an. Jafar kam freundlich lächelnd auf sie zu. »Ihr hattet einen Besucher?« fragte er. »Khalid ist ein Freund von mir und meinem
Bruder Fahdl, den ihr nachher kennenlernen werdet. Wenn ihr bereit seid, ist es jetzt Zeit für uns aufzubrechen.« »Oh, das ist zu schön, um wahr zu sein!« rief Joyce. »Ich verstehe jedes Wort.« »Hören Sie mal, Jafar, ich möchte Ihnen sagen, daß wir Ihnen für Ihre Gastfreundschaft ganz ungemein verbunden sind«, fing Henley, begeistert von seiner neuerworbenen Sprachgewandtheit, an und fügte hinzu: »Und ich möchte Sie außerdem gern um einen Gefallen bitten.« »Er ist gewährt, sofern ich es vermag«, erwiderte Jafar, der diese plötzliche Fähigkeit, sich verständlich auszudrücken, als etwas Selbstverständliches hinnahm. »Nachdem wir bei Seiner Hoheit waren, würde ich mich gern unbemerkt ein bißchen in der Stadt umsehen. Könnten Sie mir und Abdul ein paar Kleidungsstücke leihen?« »Kein Wort mehr davon. Meine Garderobe steht zu eurer Verfügung. Wenn ihr nun fertig seid, so wollen wir gehen, denn bis zur Halle des Urteils müssen wir ein Stück laufen. Mein Gebieter ist begierig, euch dort zu sehen.« Er warf Joyce einen Blick und ein Lächeln zu. Sie folgten ihm ins Freie und gelangten sogleich aus dem Palast in einen schattigen Garten, in dem alle paar Meter schwarze Wachsoldaten
standen. »Wir befinden uns auf dem Gelände des fürstlichen Palastes«, erläuterte Jafar. »Die von euch bewohnten Gemächer gehören zu dem Teil des Palastes, den der Prinz mir als Zeichen unserer engen Freundschaft zur Verfügung gestellt hat. Jetzt kommen wir zum Privateingang des Fürsten in seine Halle des Urteils.« Sie schauten durch die dichtbelaubten Palmen und Orangenbäume in die Höhe. Vor ihnen ragte ein riesiger Kuppelbau empor. Einen Augenblick später durchschritten sie einen Eingang, kunstvoll aus rosa-weißem Marmor geschnitten und bewacht von zwei aufmerksamen Posten, die sich tief vor Jafar verbeugten, als die Gruppe eintrat.
IV Eine Audienz beim Kalifen Jafar führte die Reisegesellschaft durch mehrere Vorzimmer, vorbei an einem kettengepanzert Wache stehenden Neger, zu einem kleinen Durchgang aus mit Gittern verziertem Marmor. Dahinter traten sie in eine Nische, die von einem gewaltigen, kreisrunden Saal abging. Über schwungvollen, von gedrehten Säulen gestützten Galerien und anmutigen Spitzbögen wölbte sich eine riesenhafte, mit verschlungenen Mustern bedeckte Kuppel. Die Marmorwände zierten lange, purpurseidene Wandbehänge mit arabischen Texten in fließender Goldschrift. Durch hohe Schlitze drang von oben das Sonnenlicht herein und brach sich in breiten, sanften Lichtbahnen schräg am Boden. Auf der anderen Seite der Halle verdeckten grüngoldene Vorhänge einen hohen, dreifachen Torbogen, der den Haupteingang bildete. Man hatte ihnen gestattet, eine bevorzugte Tür zu benutzen, denn der Thron stand kaum fünfzehn Meter von ihnen entfernt, ein niedriges, goldenes Lager, funkelnd von Juwelen. Er
war auf einem erhöhten Sockel errichtet. Kissen mit goldenen Quasten waren sorglos darauf gehäuft. Hoch darüber schwebte ein mit dicken Seidenschnüren an der Kuppel befestigter, grüngoldener Baldachin. Vor dem Thron hatte man einen riesigen Perserteppich aus schimmernder Seide ausgebreitet. Das riesige Rund des Fußbodens war mit einem kunstvollen Mosaik aus farbigem Marmor gepflastert. Ringsum an den Wänden standen hochgewachsene Krieger, schwarz, braun und weiß, mit Kettenpanzern und funkelnden Helmen mit Federbüschen. Sie trugen glänzende Schwerter und lange Lanzen. Auch die breiten Gänge auf der anderen Seite des Eingangs wimmelten von Bewaffneten. Im Rundgang hinter den gedrehten Säulen bewegten sich Dutzende reichgekleideter Höflinge und Hofdiener hin und her. Zu beiden Seiten des Thrones hatten sich zwei untereinander flüsternde Gruppen gebildet. Dort standen farbenprächtig gewandete Kriegsleute, Beamte und Mitglieder des Hofstaats. Unter ihnen erkannte Osgood Khalid und Li Chang. »Dies ist die Halle des Urteils«, murmelte Jafar. »Laßt uns näher herangehen, dort neben den Anführer der berittenen Leibwache und seine Unterführer.« Er brachte sie zu einer Schar dunkelhäutiger, kühnblickender Krie-
ger, geradegewachsen und wachsam, in blauen, um die Mitte enggeschnittenen Mänteln, edelsteinbesetzten Brustpanzern und vergoldeten Helmen. Ihre Ankunft war unauffällig und blieb fast unbemerkt, denn vor dem Thron spielte sich gerade eine Szene ab, die die Aufmerksamkeit aller gefangennahm. Vor dem Kalifen stand in einer Haltung kriecherischer Ehrfürchtigkeit ein Mann in mittleren Jahren. Er trug eine einfache braune Abba und einen gelben Turban. Zugleich redete eine zweite, dunkelbärtige Gestalt in schwarzrotem Gewand mit klarer, dünner Stimme auf den Kalifen ein. »Mein Gebieter, ich bitte dich, schenke den Vorhersagen dieses Menschen kein Vertrauen. Dein HofSterndeuter hat nichts derartiges prophezeit.« »Es ist mein Bruder Fahdl, der da spricht«, teilte ihnen Jafar mit. »Du weißt, o Fahdl«, entgegnete jetzt Harun, »daß dieser Mann den Tod von Shamir und von Abdallah Talha richtig vorausgesagt hat; und erst gestern abend erfuhr ich, hier in den Mauern meines Palastes, daß selbst die Basare schon von seiner neuesten Prophezeiung sprechen, nach der ich in Bälde eines schmählichen Todes sterben muß. Mein Herz krampft sich zusammen, denn ich fürchte, daß man sich auf seine Weissagungen verlassen muß. Sage mir, o Salim Aboud,
von wannen kommt dir diese Prophezeiung?« »O Mittelpunkt des Weltalls«, erwiderte der Sterndeuter mit einem hämischen Seitenblick auf Fahdl, »du weißt, daß ich mich mein ganzes Leben lang in der Kunst der Weissagung geübt habe, indem ich las, was in den Sternen geschrieben steht, und noch andere Methoden anwandte, die ich dich bitte verschweigen zu dürfen. An einem gewissen Tag, während du fern in der Tatarei weiltest, geschah es, daß ich die Sterne über eine bestimmte Angelegenheit befragte und dabei zu meinem Schrecken und Kummer erfuhr, daß der Tod, der alle Freuden endet, dich in Kürze zu einem gräßlichen Ende laden würde. Und was vorherbestimmt ist, wird sicherlich auch eintreffen.« Er verneigte sich tief und musterte mit glitzernden Knopfaugen die verstörten Züge des Kalifen. »Wie du sagst«, antwortete dieser und ließ entmutigt seinen Bart auf die Brust sinken. »Weh dir ob deiner unglückseligen Vorhersagen«, rief Fahdl erzürnt. »Denn du weißt recht wohl, daß sie ein Lügengewebe sind, von dir gesponnen, weil mein Fürst dir den Posten des Hof-Sterndeuters versagte.« »Nicht also, o Wesir«, begann Salim Aboud. »Halt ein mit deinen Schmähungen, Fahdl«, unterbrach Harun. »Wer kann dem entrinnen,
was nun einmal geschrieben steht? Ich werde mich auf das Ende vorbereiten, das mir bestimmt ist.« »Mein Gebieter, aus deinen Worten klingt die Ergebenheit des wahren Gläubigen, der klaglos das ihm zugedachte Schicksal annimmt. Wenn ich aber beweisen kann, daß die Voraussagen dieses Unglückseligen wertlos sind, wirst du dann deine Ansicht ändern?« »Wie aber kannst du das beweisen?« »Herr, ich bitte dich um die Erlaubnis, es dir zu zeigen.« »Du hast meine Erlaubnis, Fahdl, aber ich begreife nicht, wie –« Harun verfiel erneut in dumpfes Schweigen und hörte zu, wie sein Wesir den durchtriebenen Sterndeuter ausfragte. »Kannst du mir sagen, o Salim Aboud, ob ich damit rechnen darf, ein hohes Alter zu erreichen?« »Ich kann es dir nicht sagen, o Herr und Wesir, ehe ich dir nicht das Horoskop gestellt habe.« »Nun gut, wenn du mir diese Frage nicht beantworten kannst, so sage mir doch, ob dir selbst ein gesegnetes Alter beschieden sein wird.« »Es ist, wie du sagst: Mein Horoskop verkündet, daß ich uralt werden werde.« Geschwind drehte sich Fahdl um.
»Mesrur, dein Schwert und die Schüssel! Schlag ihm den Kopf ab!« rief er. Ein großer, kraftvoll gebauter Neger in rotem Wams und roten Hosen, dem auf jede Schulter eine lange Locke geölten Haares herunterhing, trat sofort vor. Alles weitere erfolgte so schnell und methodisch, daß die wie vom Donner gerührte Gruppe der Flugreisenden zuerst gar nicht begriff, was vor sich ging. Zwei weitere Neger brachten eine lederne Schüssel und einen Holzblock, packten den Astrologen und zwangen ihn, sich so hinzuknien, daß sein Kopf über dem Block hing. Der Scharfrichter Mesrur wartete mit gespreizten Beinen, das lange, doppelgriffige Schwert hoch über dem Kopf erhoben, auf das Zeichen zum Zuschlagen. »Haltet ihn fest!« murmelte Henley. »Das übersteigt meine Kräfte. Können wir nicht irgend etwas sagen?« »Sagen Sie gar nichts!« zischte Osgood leise und wütend. »Verhalten Sie sich ganz ruhig. Das ist nicht unser Bier. Drehen Sie sich um, Joyce.« »Bevor dein Kopf in die Schüssel rollt«, erklärte Fahdl grimmig, »darfst du um deines Ansehens als Sterndeuter willen dein Horoskop, das dir ein so langes Leben verheißen hat, noch einmal stellen.«
Von dem Astrologen kam ein halberstickter Schrei. Er versuchte sich so weit zu befreien, daß er sprechen konnte. »Gleichzeitig kannst du die Voraussagen korrigieren, die du über deinen Fürsten gemacht hast«, fuhr der Wesir fort. Ein Strom von flehenden Bitten um Gnade floß von den Lippen des Dahingestreckten. Auf ein Zeichen Fahdls senkte Mesrur widerwillig das Schwert, und der Sterndeuter wurde losgelassen. Sogleich warf er sich vor dem Kalifen zu Boden und stotterte unzusammenhängende Worte der Reue, wobei er erläuterte, daß ihn ein Afrit unter Androhung von Folter und Tod zu dieser verruchten Tat gezwungen hätte. »Schafft ihn hinaus«, rief Fahdl, »und gebt ihn in die Obhut eines erfahrenen Sterndeuters, damit er sein Handwerk lernt.« Lächelnd wendete er sich dem Kalifen zu, während der noch immer zitternde Salim Aboud aus dem Saal geführt wurde. »Schau an, o Fürst, wie leicht ich die Weissagung hohen Alters, das dieser Mensch sich selbst verheißen hat, hätte zunichte machen können«, verkündete er. »Achte nicht auf seine Prophezeiungen. Lange mögest du leben, o Fürst, und dich getrost dessen erfreuen, was dir bestimmt ist. Kümmere dich nicht um jene, die nur den Samen der Unruhe in deine Brust
säen wollen.« Sekundenlang – während die Halle des Urteils in völligem Schweigen verharrte – starrte der Kalif zweifelnd auf die zuversichtliche Gestalt vor ihm. Dann trat ein Lächeln auf sein Gesicht, er erhob sich, ging auf den Wesir zu und umarmte ihn. »Du bist weise wie Lukman, Davids schwarzer Sklave«, rief er aus. Ein Ausbruch von Gelächter und viele kichernd durcheinanderredende Stimmen zeigten an, daß Fahdl den Sinn der Anwesenden für Humor durchaus getroffen hatte. »Ihr habt bemerkt, daß der Kalif seinen Sitz verlassen hat, um meinem Bruder zu danken?« rief Jafar jubelnd. »Das ist hier in dem Saal ein Zeichen besonderer Herablassung. Jetzt spricht der Kalif wieder.« »Mein getreuer Fahdl«, rief Harun, »du hast mir das Leben neu geschenkt. Wie soll ich dich belohnen?« »Nicht also, mein Fürst, möge Allah dein Reich erheben – ich brauche keinen anderen Lohn als dein Wohlbefinden.« »Du hast mein Herz ungemein erfreut, nicht nur, weil du mich von einer großen Sorge befreit hast, sondern auch durch deinen Einfallsreichtum. Das Verdienst dafür steht dir zu, und darum verleihe ich dir für ein Jahr die
Einkünfte aus meiner Provinz Ahwaz.« »Herr, du bist –« »Schatzmeister, vernimm meine Worte.« Ein kleines, nüchtern gekleidetes Männchen, das ein mit goldenen Inschriften eingelegtes Zepter trug, trat vor den Thron und verbeugte sich tief. »Ich bin dein Opfer, o König der Könige«, sagte es förmlich. »Gib Fahdl aus meinem Besitz die beiden Nejd-Hengste, die er bewundert hat, außerdem Yasemina, das tscherkessische Sklavenmädchen, das er seit Monaten begehrt – ich weiß es wohl – und dazu tausend auserlesene Perlen.« »Und vergiß nicht, die Quittung abzustempeln«, murmelte Osgood. »Du hast gesprochen, o Fürst der Gläubigen«, erwiderte der Schatzmeister und verneigte sich ernsthaft. »Mein Bruder ist der Großwesir des Kalifen«, erklärte ihnen Jafar, »ein kluger und fähiger Minister, wenn auch keiner von den Zechgenossen des Fürsten, denn er neigt für gewöhnlich zur Mäßigkeit und Langweiligkeit. Doch nun schaut, wie der Kalif den berühmten Heiligen Scheik Maruf al Karkh empfängt, der dort mit einem Wüstennomaden eintritt, ohne Zweifel mit irgendeiner langwierigen Beschwerde.«
Ein alter, weißbärtiger Mann in grünem Turban und weißem Gewand näherte sich jetzt dem Thron. Ihm folgte ein junger Beduine, ärmlich in die rauhe Leinwand-Abba der Zeltbewohner gekleidet, ganz staubig und beschmutzt von der Reise. Die beiden traten vor den Thron, sanken auf die Knie und küßten den Boden. Dann richteten sie sich auf, und der Alte redete den Kalifen an. »Friede sei mit dir, o Harun al Raschid, Kalif Allahs und Verteidiger des Glaubens«, sagte er langsam. »Friede sei auch mit dir«, erwiderte Harun und legte sich nachlässig die Kissen bequemer zurecht. »Was führt dich zu mir, o Maruf?« »Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet«, fuhr der Scheik fort. »O Stellvertreter Allahs, ich bringe dir diesen Jüngling, der selbst seine Geschichte erzählen wird. Beginne«, sagte er sanft zu seinem Gefährten und gesellte sich zu der dem Thron am nächsten stehenden Gruppe. »Mr. Osgood«, murmelte Abdul beiseite, »dieser Vorfall bestätigt unsere schlimmste Befürchtung. Noch heute erhebt sich in Bagdad das Grabmal jenes alten Herrn, des Scheiks Maruf al Karkh. Ist das nicht ein höchst ungewöhnliches Erlebnis?« »Ungewöhnlich ist gar kein Ausdruck«, wisperte Osgood überzeugt zurück. »Wir sollten
ihm sagen, daß jedenfalls sein Grabmal dauerhaft ausfallen wird.« Der Beduine, der noch den Flaumbart des Knaben trug, zauderte eine kleine Weile und fing dann an: »O Kalif, ich habe keine Hoffnung als auf Allah und auf dich und deine Verwandtschaft mit dem Ersten der Apostel, deren Name gepriesen sei.« »Ich bin der Diener Allahs und seines Volkes«, erwiderte Harun förmlich. »Wisse, o Kalif«, fuhr der Beduine fort, anscheinend ohne zu merken, wie wenig er in diese Halle voller Seide, Gold und funkelnder Juwelen hineinpaßte, »daß ich dir eine Geschichte erzählen möchte. Am Ufer des großen Sees Habbaniya lebte einst ein Hirte der Wüste namens Soheib, der getreulich die Kamele und Schafe seines Scheiks hütete und in den schwarzen Zelten seines Volks wohnte. Dieser Beduine liebte ein Mädchen seines Stammes, zahlte den Brautpreis und nahm sie zur Frau; und ihre Liebe war wie die Liebe von Leila und Madschnun. Herr, ihre Gestalt war so geschmeidig wie die einer jungen Gazelle im Frühling, und alle Wonnen des Paradieses lagen in ihren Augen, die schimmerten wie die Teiche einer Oase in der Nacht. Und so unübertrefflich war ihre Schönheit, daß sich ihr Ruhm in den Zelten und bei den Karawanen
verbreitete und alle Männer sie begehrten; aber weil sie ihre Liebe Soheib geschenkt hatte, unternahmen die anderen nichts, außer daß sie sie ihm neideten. Nun geschah es aber, daß ein hoher Beamter des Kalifen, der Statthalter einer Provinz, des Weges kam und die Gastfreundschaft der Zelte des Scheiks genoß. Und der Statthalter hörte von der Schönheit des Mädchens und verlangte, sie zu sehen. Als sie aber vor ihn gebracht wurde, da begehrte er sie, und im Austausch gegen reiche Geschenke brachte er den Scheik dazu, sie ihm zu überlassen.« Die aufrechte Haltung des Hirten erschlaffte und sein Kopf sank mutlos nach unten. »Auch Soheib bot man Geschenke an, aber er schleuderte sie zu Boden und rief Verwünschungen auf den Scheik und den Statthalter herab. Darauf schlug man ihn, bis er nicht länger fluchen konnte. Da kroch er, verwundet wie er war, aus den Zelten fort, nahm sein Kamel und ritt in die Wüste. Den ganzen Tag ritt er, bis es Nacht wurde, und endlich erreichte er eine kleine Oase. Er fesselte seinem Kamel die Füße und setzte sich nieder, um auszuruhen. Er trank, aber in seiner Bitterkeit war das Wasser in seinem Mund ohne Geschmack. Er sehnte sich nach Schlaf, aber so heftig war seine Betrübnis, daß der Schlummer ihn floh.
Denn sein Herz quoll über vor Gram, weil er sein schönes Mädchen verloren hatte, den Mond und die Sonne seines Zeltes, die Houri seiner Träume, und er weinte, raufte sich Haar und Bart und zerriß seine Kleider. Schließlich aber, als die Nacht schon fast vergangen war, überkam ihn der Schlaf; und während er schlief, erschien ihm die Gestalt eines alten, weißbärtigen Mannes, der in sein Leichentuch gehüllt war. ›Wer bist du?‹ fragte der Beduine, und der andere gab zur Antwort: ›Ich bin der Geist dieses Ortes. Warum bist du betrübt?‹ Und Soheib erzählte seine Geschichte. Darauf sprach der Geist: ›Steh auf und lenke dein Kamel nach Bagdad, der Stätte des Friedens, und trage deinen Fall dem heiligen Scheik Maruf al Karkh vor, der deine Klage vor den Kalifen Harun den Aufrechten bringen wird, welcher jeden Tag in der Halle des Urteils sitzt, inmitten seiner Krieger und Würdenträger, und dem Volke Recht spricht; und er befiehlt seinen Beamten, milde zu handeln und verbietet alle Ungerechtigkeit; er erhebt und er setzt ab und übt so seine wohltätige Herrschaft bis ans Ende eines jeden Tages,‹ Und als Soheib erwachte, brach er auf in die Stadt des Friedens und hörte nicht auf zu reiten, bis er an Scheik Marufs Moschee ankam. Sein Herz versagte ihm schier, denn hatte man
ihn nicht gelehrt, daß der, dem das meiste Gold gehört, auch die größte Gerechtigkeit findet? Aber er brachte seinen Fall vor, und siehe, ob er auch der Ärmsten einer war und ohne jedes Ansehen in dieser reichen Stadt, so wurde er doch vor das Angesicht des Königs der Zeit geführt.« Er hielt inne, sah Harun fest in die Augen und rief dann leidenschaftlich, mit erhobenen Armen: »Und nun, o du von Allah eingesetzter Spender der Gerechtigkeit, fordere ich deinen Schutz, in Allahs Namen!« »Du bist Soheib?« fragte Harun ruhig. »So ist es, o Fürst.« Harun musterte prüfend die Gruppe neben seinem Thron, und sein Blick fiel auf einen kleinen, dicken, jedoch prunkvoll gekleideten Krieger in gegürtetem, stahlblauem Kettenpanzerhemd und mit einem spitzen, mit Einlegearbeiten verzierten Helm, über dem zwei wehende Pfauenfedern emporragten. Sein Gesicht war mit Narben bedeckt, die neueren Ursprungs zu sein schienen. »Harthama«, sagte Harun, »bist du nicht auf deiner Reise von hier nach Hit am See Habbaniya vorbeigekommen?« Harthama marschierte vor ihm auf, die Hand am edelsteinbesetzten Griff seines Schleppsäbels, und stellte sich an die Seite des zerlump-
ten Beduinen. » O Fürst der Gläubigen «, sagte er mit leiser Stimme, » es ist so.« »Verkünde mir, ob die Anklage dieses Mannes der Wahrheit entspricht.« »Möge ich dein Opfer sein, mein Herr und Fürst. Ich hielt ihn für ein unbedeutendes Geschöpf, unwürdig der wunderbaren Schönheit, die er besaß. Aber, wenn ich in der Pflicht, die ich dir schulde, gefehlt habe, so habe ich doch für meine Torheit bereits bezahlt. Die Frau ist ein wildes Tier: Sie hat mir zwei blaue Augen geschlagen und mein Gesicht zerkratzt.« Er deutete auf seine zerschundenen Wangen. Harun schaute die Flecken und Kratzer an und lächelte breit. Dann nahm er eine strenge Miene an. »Du hast deine Macht mißbraucht«, erklärte er. »Ich habe darauf vertraut, daß du gerecht herrschen würdest; du aber hast Unrecht begangen, und die Macht dazu hast du von meiner Herrschergewalt abgeleitet.« Harthama trat unruhig von einem Fuß auf den andern und blickte zur Erde. »Was ist dein Wunsch, Soheib?« fuhr Harun fort. »Verlangst du den Kopf jenes Mannes, der dich so übel behandelt hat?« Der Beduine starrte verwundert erst Harun, dann den Statthalter an, der jetzt in steifer,
aufrechter Haltung dastand. »O Herr«, rief er, »ich begehre seinen Tod nicht. Befiehl ihm, mir das Mädchen zurückzugeben und uns in Frieden ziehen zu lassen.« »Das Mädchen ist, wie sie war, als sie ihn verließ«, erklärte Harthama rauh. »Ich habe sie nicht berührt, denn sie besitzt Zwölfmännerstärke.« »Harthama«, sagte Harun, »wer bin ich, dir Vorwürfe zu machen, daß du gehandelt hast, wie deine Natur dir befahl; wie der Esel schreien muß, wenn er Iblis sieht, den Teufel, dessen Name verflucht sei.« Der Missetäter senkte schweigend den Kopf. »So sei es! Weil du sofort gestanden hast«, fuhr Harun fort, »und dieser fromme Jüngling es wünscht, ist dein Leben gerettet. Sollte aber deine Natur dich noch einmal dazu treiben, andere in dieser Weise zu unterdrücken, so ist dein Kopf verfallen.« »Mein Fürst, ich höre deine Worte«, murmelte Harthama. »Du wirst diesem Manne sein Weib zurückgeben und die beiden mit seidenen Gewändern beschenken. Darüber hinaus wirst du ihnen hundert Kamele geben und Soheibs Scheik veranlassen, ihm weitere hundert Tiere auszuhändigen.« »Bei meinem Haupte, ich höre und werde ge-
horchen.« »Und du, o Soheib«, fügte Harun, zu dem verwirrten Beduinen gewandt, hinzu: »Du sollst in einem Monat zu mir zurückkehren und mir von der Wiederherstellung deines Glücks berichten. Und nun seid ihr beide entlassen, denn ich möchte mit jenen sprechen, die auf den Schwingen Ankas zu mir kamen. Ich sehe, daß sie geduldig den Ausgang dieser Unbesonnenheit abwarten.« »Folgt der Aufforderung des Fürsten der Gläubigen«, flüsterte Jafar. Angeführt von ihm trat die Gesellschaft vor den Thron. Die ringsum stehende Menge von Kriegern und Höflingen betrachtete ihre Annäherung mit aufflackerndem Interesse. Keiner der fünf war noch so zuversichtlich wie kurz vorher beim Eintreten in die Halle – gleich zwei drohende Hinrichtungen innerhalb weniger Minuten hatten sie doch erschüttert. Während sie auf den Thron zuschritten, beendete Soheib eilig seinen Dankesausbruch und zog sich zurück. Sie blieben stehen und verbeugten sich. »Ihr seid willkommen. Möge euer Tag gesegnet sein«, begrüßte sie der Kalif und quittierte ihre Verbeugungen mit einem förmlichen Kopfnicken. »Ich bin begierig, euren Bericht zu hören und zu erfahren, wer ihr seid und wo-
her ihr mit eurem mächtigen Tier gekommen seid, von dem manche sagen, es sei der Riesenvogel Anka, der in den Bergen von Kaf wohnt und demjenigen Glück bringt, den der Schatten seiner Schwingen berührt; während andere behaupten, es sei Jassasa, das furchtbare Ungeheuer, dessen Erscheinung ein Zeichen des Jüngsten Tages sein soll.« »Herr, ich fürchte, es ist weder der Anka noch das Ungeheuer Jassasa«, erklärte Osgood, »sondern, wie ich gestern schon gesagt habe, ein Wagen, der im Dienste unseres Königs fliegt.« »Doch von wannen kommt ihr dann?« »Wir stammen von einer gar fernen Insel, deren Bewohner sämtlich Magier sind«, behauptete Osgood schamlos. »Wir sind nach Bagdad gekommen, um die Geheimnisse dieser wunderbaren Stadt zu prüfen und von ihrem Fürsten die Weisheit seiner Regierung zu lernen.« »So ist es prima, Kumpel«, murmelte Henley ermutigend. »Machen Sie so weiter.« »Dieser Auftrag ist meiner Unterstützung würdig. Hat dein Beherrscher eine Botschaft für mich?« »Er sendet dir seine Grüße, Fürst Harun, und empfiehlt uns deiner Großmut. Außerdem trug er uns auf, dich zu bitten, diese Geschenke entgegenzunehmen, ein kleines Zeichen seiner
Bewunderung für dich.« Während Osgood mit dieser Vorrede beschäftigt war, rückte Henley verwegen den Klappzylinder schief und warf einen Blick auf die mit Einlegearbeiten geschmückte Kuppel über sich. Sein kritisches Auge streifte die gerundeten Wände aus cremigem, poliertem Marmor und prüfte das kunstvolle Maßwerk der Bögen und Pfeiler, die mit Metallen verkleidet waren, die Henley ganz gegen seinen Willen für Gold oder Silber halten mußte. Alles war mit funkelnden Edelsteinen besetzt, deren Gesamtwert auch nur zu schätzen sein Verstand sich heftig weigerte. »Dieser Ort ist – auf irgendeine orientalische Art – wirklich Klasse«, gestand er sich innerlich ein. »Echte Kunst vermutlich.« Er wurde jedoch wieder in den Bereich des Weltlichen zurückversetzt, als der Kalif, dem Osgood eine Armbanduhr umgelegt hatte, Ausrufe des Entzückens ausstieß. »Das ist fürwahr etwas Einzigartiges«, erklärte er und untersuchte die Uhr genau. »Ich habe schon eine Stundenkiste, die mit Hilfe fließenden Wassers arbeitet; der Gesandte Karls des Großen, des Königs der Franken, hat sie mir geschenkt, aber mit diesem Wunderwerk kann sie sich nicht vergleichen. Und was ist das? Wenn ich durch dieses Ende hindurchsehe,
sagst du – willst du es mir halten? –, bringt es die Dinge näher – bei Allah! Was für ein Zauber ist das?« Er fuhr vor dem Fernglas zurück und starrte Osgood mißtrauisch an. Dann, durch dessen Lächeln beruhigt, schaute er von neuem auf die Reihen prunkvoll gewandeter Höflinge gegenüber und versuchte schließlich unter Osgoods Anleitung, auch von der anderen Seite durch das Glas zu blicken. »Wahrlich, dies ist ein wohltätiges Gerät«, verkündete er. »Damit kann ich die zu mir bringen, die ich in meiner Nähe haben möchte und die in die Ferne schicken, die ich verabscheue.« Eine ganze Weile musterte er nun seine Halle und deren Ausstattung mit verwundertem Interesse, legte dann das Fernglas neben sich und widmete seine Aufmerksamkeit den Rollschuhen, die Osgood ihm als nächstes reichte. »Das hier, o Fürst, sind kleine Wagen für die Füße«, verkündete Osgood und ließ die Räder munter herumwirbeln. »Kannst du sie vorführen?« fragte Harun. Osgood fiel sichtlich zusammen. An diese Möglichkeit hatte er nicht gedacht. »Kann irgendwer mit diesen verfluchten Dingern umgehen?« fragte er die andern ganz leise. »Ich weiß, daß ich mich damit unsterblich blamie-
ren würde.« »Ich kann's ja mal probieren, Dick«, erklärte Mannering. »Ich bin zwar ein bißchen aus der Übung, aber…« Er nahm die Rollschuhe und machte sich daran, sie anzuschnallen. Plötzlich sprach der Kalif Henley an. »O du, mit den großen Ohren, der langen Nase und der hochmütigen Miene«, sagte er. »Hat Jafar dich nicht ausreichend gespeist, daß du hier essen mußt? Ich kann nicht dulden, daß man an diesem Ort Speisen einnimmt.« Henley setzte seinen Hut nach vorn über die Augen und schob ungerührt den Kaugummi in die Backentasche. »Passen Sie auf, Fürst, das ist nichts zu essen, sondern Kaugummi«, stellte er fest. »Wird nie weniger und trainiert den Kiefer.« »Zeig mir diesen seltsamen Stoff.« »Mit Vergnügen, Fürst.« Henley zog ein paar Streifen Kaugummi aus der Westentasche. »Kauen Sie, Fürst, aber verschlucken Sie es nicht. Zuerst macht man das Papier ab.« »Wirklich, der Geschmack ist außerordentlich angenehm«, bemerkte Harun und kaute, wobei er anerkennend mit den Lippen schmatzte. »Pfefferminz schmeckt eben«, stimmte Henley zu und kaute aus Sympathie energisch mit. »Der Geschmack behält seine Kraft nicht«,
meldete Harun nach einer Weile gewissenhaften Kauens, während die anerkennenden Schmatzgeräusche an Heftigkeit abnahmen. »Das ist richtig, Fürst«, gab Henley zu, wobei er ganz geistesabwesend den Zylinder abnahm und vor der Brust zusammendrückte. Harun hörte auf zu kauen und nahm mit den Fingern den Kaugummi heraus. »Was tust du mit deiner Kopfbedeckung, daß sie so schnell ihre Gestalt ändert?« fragte er. »Nun, Fürst, dieser Hut«, erwiderte Henley, ließ den Zylinder mit einer schnellen Bewegung wieder aufklappen und setzte ihn auf seinen Kopf, »ist lediglich ein Hut, wie ihn bei uns zulande die Zauberer tragen.« Harun beäugte Henley mißtrauisch und versuchte dann, den Kaugummi wieder in seinen Mund zu befördern. Aber er blieb an Haruns Fingern kleben und sekundenlang bemühte sich dieser, umgeben von unheilschwangerer Stille, ihn von dort zu entfernen. Dann sah er argwöhnisch zu Henley hinüber. »Sieh, o Schwarzhut«, sagte er mit gerunzelter Stirn, »wie abscheulich das ist, was ich nach deinem Rat tue.« »Ach was! Nur ein bißchen dran lecken, Fürst. Ihm fehlt nur ein bißchen Feuchtigkeit.« Harun gab sich Mühe und schaffte es nach weiterer Ermutigung durch Henley tatsächlich,
den Kaugummi abzukratzen und wieder in den Mund zu stecken. »Wahrlich, dieses Material verfügt über eine gewisse Zähigkeit«, fuhr er, nachdem er wieder eine Zeitlang gekaut hatte, endlich fort, ohne auf das faszinierte Publikum zu achten, das dieser ungewöhnlichen Vorführung gebannt zusah. »Sagtest du nicht, daß diese Substanz niemals weniger wird?« erkundigte er sich nach weiteren zwei fleißigen Minuten. »Nur nach einer langen Zeit der Benutzung? Viele Stunden? Bei Allah! Soviel Zeit habe ich nicht! Salem! Komm hierher!« Ein Negersklave, der unmittelbar hinter dem Thron gesessen hatte, eilte vorwärts und verneigte sich. »Nimm das«, befahl Harun und nahm den Batzen Kaugummi aus dem Mund, »und kaue es, bis ich dir befehle aufzuhören. Verschlucke es nicht.« Der Sklave begann gehorsam zu kauen und zog sich hinter eine Säule zurück. Mittlerweile war auch Mannering fertig. Er trat vom Teppich herunter und begann, leichtbeschwingt über den glatten Fußboden zu rollen, begleitet von einem Chor bewundernder Ausrufe. »Wahrlich, auch ich will auf diesen reizenden Wagen dahinfahren«, erklärte Harun und hat-
te sich bereits erhoben. »Fürst Harun«, unterbrach Osgood ihn hastig, »bitte laß es zuerst jemand anderen versuchen, denn diese Geräte sind hinterlistig.« Ungern willigte Harun ein, und die Rollschuhe wurden einem kahlköpfigen, behäbigen Schwarzen in kurzem, rotem Gewand angeschnallt. Mit Osgoods Hilfe stellte er sich auf die Füße und fuhr mutig los, nur um sofort mit einem schweren Plumps auf den Rücken zu fallen. Es gab ein brüllendes Gelächter, das auch nicht aufhörte, als der Sklave, der sich ein wenig benommen aufgerichtet hatte, ein paar wilde Stolperschritte machte und mit erschrecktem Aufkreischen vorwärts aufs Gesicht rutschte. Unter Haruns drängendem Blick unternahm er noch ein paar weitere, verhängnisvolle Versuche, es Mannering nachzutun, blieb dann aber schließlich völlig verstört auf dem Rücken liegen und wurde von zwei grinsenden anderen Sklaven hinausgetragen. »Sieh zu, Amru«, rief der erheiterte Kalif, »daß du die List dieser Wagen bis zur Stunde des Mittagsgebetes durchschaut hast. Nun – welche weiteren magischen Überraschungen sendet mir dein Gebieter?« Auf einen Wink von Osgood hatte Mannering bereits das tragbare Grammophon geöffnet, kniete jetzt daneben und zog es mit der Kurbel
auf, wobei er einen durchaus würdevollen Eindruck machte. Er wählte eine Swing-Platte aus und setzte mit dem Gehabe eines Mannes, der eine feierliche Zeremonie durchführt, die Nadel auf. »Dieses kleine Kästchen, o Fürst der Gläubigen«, erklärte Osgood, »besitzt die Gabe des Sprechens, des Singens und des Musizierens.« Als die munteren Klänge ertönten, lauschte der Kalif, zuerst in peinlich berührter Überraschung, dann mit einer gewissen widerwilligen Faszination. Als die Platte zu Ende war, seufzte er tief und stand auf. »Bei den Gräbern meiner Ahnen, noch nie habe ich eine so seltsame und aufwühlende Musik vernommen«, stellte er nachdenklich fest. »Sie hat seltsame Gelüste in mir erweckt. Ich möchte ein Fest feiern! Das ist Musik der Engel, vielleicht aber auch des Teufels, denn die Zauberkraft, so ihr innewohnt, ist groß. Das Gericht darf sich zurückziehen.« Er zog ein blauseidenes Taschentuch hervor und wedelte damit feierlich vor sich auf und ab. Auf dieses Zeichen hin begannen die interessierten Zuschauer sich, wenn auch sichtlich ungern, durch den großen, dreifachen Bogengang zu zerstreuen. »Bring den eingesperrten Djinn in eines meiner Privatgemächer«, sagte Harun. Er selbst
ergriff das Fernglas und ging voran zu einer Tür an der Seite des Saals. Nach nur wenigen Schritten jedoch warf sich eine Gestalt vor ihm zu Boden. Es war der schwarze Sklave Salem, der noch immer den Gummi kaute. »O mein Fürst und Gebieter«, flehte er mit Tränen in den Augen, »ich kaue und kaue und kaue, und es schwindet nicht dahin. Ich bitte dich um Allahs Willen, gönne mir eine Pause, denn meine Kiefer schmerzen mich von der Anstrengung.« »Du darfst eine Stunde ausruhen, dann kaue wieder eine Stunde, und zwar so lange, bis es aufgezehrt ist. Dann komm und erstatte mir Bericht«, ordnete Harun an und setzte seinen Weg durch die Halle fort. Ein paar seiner engsten Vertrauten folgten ihm, und Osgood stellte fest, daß ihm keine andere Wahl blieb, als mit dem Grammophon bescheiden hinterherzutraben. Während sich die Gesellschaft hinausbewegte, fühlte Joyce eine Hand auf ihrem Arm. »Halt du dich nur brav an den jungen Dick«, wies ihr Vater sie an. »Ich habe mit Jafar vereinbart, daß Abdul und ich uns jetzt abseilen. Wir besorgen uns arabische Kleidung und gehen in die Stadt.« »Gut, Dad. Viel Spaß! Aber sieh dich vor dem Chinesen vor!« »Darauf kannst du dich verlassen«, gab Hen-
ley grinsend zurück. Dann wurden er und Abdul von einem schwarzen Pagen, einem Zwerg mit gewaltigem Turban und purpurfarbenen Pluderhosen, nach Jafars Palast zurückgeleitet. Inzwischen betraten Osgood und die anderen einen kleinen, gemütlich möblierten Vorraum, wo man sie sogleich aufforderte, den begierigen Kalifen in der Bedienung seines neuen Spielzeugs zu unterweisen. Es gab ein Dutzend Schallplatten, und Harun lauschte hingerissen, als das Instrument seinen ermüdenden Lauf über beide Seiten sämtlicher Platten nahm. Als die letzte beendet war, erhob sich Harun und umarmte den verwirrten Osgood herzlich. »Ich stehe tief in deiner Schuld«, verkündete er. »Das ist das großartigste Geschenk von allen, bei weitem vergnüglicher als die hölzernen Singvögel, die mir der Kaiser von China geschickt hat. Sei gewiß, daß ich dich und deinen Fürsten mit Juwelen und Ehrenkleidern reich belohnen werde!« Dann umarmte er Mannering und wollte gerade auch Joyce die gleiche Gnade erweisen, als ihr Zurückweichen vor seinen Armen ihn an ihr Geschlecht erinnerte. »O Herrin«, meinte er lachend, »wegen deiner merkwürdigen Gewänder und des geschorenen Haars habe ich vergessen, daß du eine
Frau bist. Du ähnelst in der Kleidung den Kriegern meiner Feinde, den Griechen, gegen die ich leider in diesem Jahr nicht meinen gewöhnlichen Feldzug führen konnte. Wahrlich, die Frauen deines Landes genießen große Freiheit, ihren Männern so wie du überallhin zu folgen.« Er betrachtete sie neugierig, jedoch nicht ohne männliches Interesse. »Ich hatte bereits beabsichtigt, mich des längeren mit dir zu unterhalten, helläugige Jungfrau«, fügte er offenherzig hinzu, »aber über diesen wundervollen Geschenken hatte ich dich vergessen. Es wird mich freuen«, ergänzte er, zu Osgood gewandt, »wenn ihr alle heute die Abendmahlzeit bei mir einnehmt, und ich werde es an Lustbarkeiten für euch nicht fehlen lassen.« »Wir nehmen deine gnädige Einladung mit Vergnügen an«, gab Osgood zur Antwort. »Friede sei mit euch. Ich erwarte euch nach dem Abendgebet«, schloß Harun und zog sich zurück, gefolgt von einem Sklaven, der das Grammophon und die Platten schleppte.
V Der Sucher nach Gästen »Wirklich, Mr. Henley«, protestierte Abdul in milder Verärgerung, »kann ich Ihnen denn nicht begreiflich machen, daß es in dieser Stadt keine Wasserhäuschen oder Drugstores oder Eissalons oder andere amerikanische Einrichtungen gibt?« »Schon gut, schon gut, Abdul – lassen Sie sich von der Hitze nicht aufregen – ich weiß ja, daß wir angeblich vor Hunderten von Jahren leben. Aber hatten die Leute denn damals keinen Durst?« »Es gibt viele Händler, die Wasser und Sorbet und andere Durststiller verkaufen«, bedeutete ihm Abdul. Henley grunzte und marschierte weiter. Er konnte sich einfach nicht dazu aufraffen, etwas von einem der ambulanten Wasserverkäufer mit ihren Ziegenfellschläuchen und fettigen Trinkgefäßen zu erstehen. Aber er war durstig und die Mittagshitze überwältigend. Nach der Sitzung in der Halle des Urteils waren sie durch das Labyrinth der Basare geschlendert ohne in ihrer arabischen Tracht jemandem
aufzufallen. Sie waren über die Märkte der Goldschmiede und Juweliere gegangen, der Silberarbeiter, der Parfümhersteller, der Teppichhändler; durch schimmernde Reihen an den Wänden ausgestellter Seidenstoffe, aber auch durch stallartige Kornspeicher, berstend voll, und so von Markt zu Markt, und jeder hatte seinen ureigenen Charakter und Geruch gehabt. Aber sie hatten keinen einzigen Laden gefunden, in dem es einen tiefen, kühlen Trunk für sie gegeben hätte. Henley fing an, sich über diese Stadt der Gegensätze zu ärgern, mit all ihrem Reichtum, ihren goldstrotzenden Moscheen, den üppigen Palästen und ihrem aufreizenden Mangel an allen gewohnten kleinen Annehmlichkeiten des täglichen Lebens. Auf Schritt und Tritt bemerkte er Möglichkeiten geschäftlicher Betätigung, die nicht nur Gewinn verhießen, sondern auch den Lebensstandard dieses Volkes heben würden. Aber, dachte er, ohne einen ortsansässigen Partner und Produktionsmöglichkeiten war wenig auszurichten. Und überhaupt konnte er keinen klaren Gedanken fassen, wenn er nicht bald etwas zu trinken bekam. Sie passierten eine Reihe von Pastetenbäckereien und kamen in eine überdachte Gasse mit Metzgerläden, in denen frischgeschlachtete
Schafe in engen Reihen hingen. Von dort aus wanderten sie dem metallischen Lärm des Kupferbasars zu. In diesem ohrenzerreißenden Stadtviertel dröhnten und klapperten tausend Hämmer ohne Pause. Vor einer finsteren, höhlenartigen Schmiede blieben sie stehen und sahen sechs kräftigen Männern zu, die, nackt bis zur Hüfte, im Kreis um den Amboß standen und mit der Präzision einer Maschine reihum ihre Hämmer auf weißglühendes Metall niedersausen ließen. »Genauso arbeiten sie noch heute in Kairo und Bagdad!« rief Abdul voll freudigen Wiedererkennens. »Na, dann finde ich, daß es Zeit ist, ein bißchen fortschrittlicher vorzugehen«, knurrte Henley, »der Anblick von Leuten, die derartig schwitzen, tut meinem Durst gar nicht gut. Hören Sie, Abdul, die Sache wird unangenehm. Wir werden doch noch einen Weinladen finden können? Wir wollen den Burschen da drüben fragen.« Abdul erkundigte sich bei einem Vorübergehenden, der ihnen höflich Auskunft erteilte. Sie gingen durch den engen, von Menschen wimmelnden Basar mit seiner hohen Holzüberdachung. Sofort überwältigte sie von neuem der stechende Geruch des Orients, der Duft von Gewürzen, der scharfe Dunst siedenden
Öls, der Gestank einer erhitzten und nicht sonderlich sauberen Menschheit, die Muffigkeit ungewaschener Kleider. Sie verließen den Basar und kamen auf einen belebten Platz, auf den mehrere Gassen mündeten. Beim Versuch, sich zur anderen Seite durchzuschlängeln, wurden sie von einem unruhigen Esel getrennt, der Abdul einen kräftigen Tritt gegen den Knöchel versetzte. Vor Schmerz aufjaulend, bückte er sich, um die Stelle zu reiben. Henley, der Abduls Mißgeschick nicht bemerkt hatte, drängte sich weiter durch die Menge und grübelte finster darüber nach, was er an anderen Orten, die er kannte, alles mit seinem Durst hätte anfangen können. Inzwischen hinkte Abdul besorgt in die nächste Gasse und strengte sich vergeblich an, seinen Gefährten wieder einzuholen. Als sich Henley wenige Augenblicke später umdrehte, um etwas zu seinem Begleiter zu sagen, entdeckte er, daß er allein war. Vorübergehend überkam ihn ein unbehagliches Gefühl, aber der harte Druck der Automatik im Hosenbund beruhigte ihn. Mutig schritt er darum weiter aus, noch immer gänzlich mit seinem Durst beschäftigt. Kurze Zeit später gelangte er an eine Kreuzung, wo er unschlüssig an einer Ecke stehen blieb. »Ist es dein Wunsch, an dein Ziel geführt zu werden?« drang von unten eine sanfte Stimme
an sein Ohr. Erstaunt und nicht ohne das für ihn typische Mißtrauen blickte er abwärts. Ein ungewöhnlich kleiner, rundlicher Mann mit unschuldigen, mitfühlenden braunen Augen, einem liebenswürdigen Lächeln und spärlichem Barte, schaute fragend zu ihm auf. Er trug einen gelben Turban und ein üppiges Seidengewand. Am Zügel führte er zwei weiße Reitesel. »Du befindest dich im Mittelpunkt des Welthandels«, fuhr er fort, noch ehe Henley überhaupt antworten konnte. »Hier kannst du Datteln aus Basra erwerben und Zucker und Gewürze aus Ceylon, rauhe Baumwollstoffe aus Koromandel, Pfeffer aus Cardaman, Sandelholz aus Malabar, Gold und Silber aus Bahara, Kupferarbeiten aus Kashan, graviertes Silber aus Isfahan, Alabaster aus –« »Hören Sie, ich habe kein Interesse an Ihren blödsinnigen Souvenirs«, brüllte Henley, nach mehreren vergeblichen Versuchen den Redefluß zu unterbrechen, ihn schließlich lautstark an. Er entfernte sich eilig und sah sich dabei immer wieder nach Abdul sowie nach einem Weinhaus um. Nach einer Weile stieß er auf die große Mauer der Runden Stadt, fand die schweren Metalltore und durchwanderte die hohen Torbögen, die vom Lärm des Verkehrs ringsum widerhallten. Auf der anderen Seite
lag der kreisrunde Innenbezirk mit den prunkvollen Palästen und der massiven Moschee mit ihren goldenen Kuppeln, mit den weiten, sonnigen Plätzen, das Ganze umringt von den hohen, dreifachen Mauern, wie eine ungeheure Keksdose. Prüfend musterte er die beiden Gebäude in der Mitte, von denen die vier Straßen ausgingen, die gerade auf die Mauern zuführten. »Hier sieht es schon mehr nach einer zivilisierten Stadt aus, meine ich«, entschied er. Er blieb einen Augenblick stehen, um die Höhe des vor ihm liegenden Bauwerks zu schätzen. Natürlich, gegen einen Wolkenkratzer würde es sich ausnehmen wie ein Zwerg, aber für diese Ecke der Welt war es unleugbar – »Du bewunderst den Palast des Goldenen Tores, o du Mann mit der fürstlichen Erscheinung?« bemerkte eine sanfte Stimme. Henley fuhr zusammen. Der kleine Dicke mit den beiden Eseln stand erneut vor ihm und redete ihn an. Dem Amerikaner gefielen sein offener Blick und das freundliche Lächeln, und unter normalen Umständen hätte er auch gern mit ihm über die Stadt geplaudert. Aber er hatte nicht die Absicht, hier einem fremden Menschen Vertrauen zu schenken, und so reagierte er auf das Lächeln mit finsterem Stirnrunzeln und ging sofort weiter. Der Araber folgte unge-
rührt. »Dieses köstlich gearbeitete, vergoldete Eisentor ist auf Geheiß des Königs Salomo von Afrits geschmiedet worden – schnell gehst du, o Fremder, für meine kurzen Beine –willst du denn nicht dem, was ich dir zu erzählen habe, dein Ohr leihen?« »Ich brauche keinen Führer«, versetzte Henley kurz und marschierte energisch weiter. »Wahrlich, die Entscheidung fällt schwer, ob der Palast oder die Moschee Mansurs prächtiger ist«, fuhr der andere fort und heftete sich schamlos an seine Fersen. Henley zog die Stirn in Falten und beschleunigte den Schritt. »Ich nehme an, daß du fremd in Bagdad bist und mit Recht seine Schönheiten würdigst. Nirgendwo sonst gibt es so gewaltige Gebäude wie dieses –« »Quatsch!«fauchte Henley. »Da sollten Sie mal New York sehen!« Abrupt hielt er inne, weil er merkte, daß er schwach geworden war, und lief nun noch schneller. »Ich erlaube mir die Vermutung, daß du aus dem Osten kommst, vielleicht aus Indien«, fing der andere wieder an. »Ich selbst bin ein Mann aus Rusafa – wahrlich, mächtig schreitest du aus, o Inder –, jetzt aber lebe ich in einem glänzenden Haus in einem alten Viertel von
Sharkiya. Mein Name ist Jakob al Bashir, und ich bin sehr reich. Ich bin –« Henley blieb stehen, warf einen zornigen Blick in das runde, ausdruckslose Gesicht und sagte grimmig: »Ich habe nicht das geringste Interesse an Ihnen oder Ihrem Haus oder Ihren Reichtümern. Also, machen Sie, daß Sie wegkommen, bevor ich Ihnen die Gesichtszüge entgleisen lasse.« »Nicht also, o Inder, ich folge dir nur, um dich zu bitten, heute mein Gast zu sein. Als ich dich erblickte –« »O heiliger Moses! Befrei mich von diesem Gipskopf!« flehte Henley und hob die Augen gen Himmel. »Hörte ich dich Moses anrufen? So bist du kein Moslem, sondern ein Christ oder Jude?« »Das sehen Sie doch, daß ich kein Jude bin, Sie Trottel!« versetzte Henley. »Dann bist du ein Christ! Und ich hatte dich für einen Teufelsanbeter gehalten. O Inder, ich bin ein Jude, und beim Esel Esras, ich kann dich, einen Fremden, nicht allein an diesem heidnischen Orte umherirren lassen. Ich bitte dich, komm mit mir, denn es ist mein Herzenswunsch, dich mit Wein und Speisen zu bewirten. Siehe, zwei Esel führe ich mit mir, von edler Rasse. Laß uns zum Basra-Tor eilen und sie besteigen, denn niemand außer dem Kalifen
selbst darf hier in der Runden Stadt reiten.« »Verdammter Kerl und verdammte Esel!« knurrte Henley, drehte sich erbost um und schritt kräftig aus. An seiner Seite trabte der Jude, während die beiden Esel gehorsam hinterhertrotteten. »Bewunderst du nicht die schönen Bauten um dich herum? Schau, dort das Amtshaus des Kämmerers und die Schatzgewölbe. Die öffentlichen Gebäude der Stadt –« »Verdammt und zugenäht! Wieso lassen Sie mich nicht in Ruhe?« kreischte Henley wutentbrannt. »Habe ich Ihnen denn nicht deutlich genug erklärt, daß ich nichts von Ihnen wissen will?« »Nicht also. Bewahre doch deinen Gleichmut«, erwiderte der Jude mit mildem Vorwurf. »Du näherst dich jetzt dem Kufa-Tor, das auf die große Landstraße nach Kufa und den Pilgerpfad nach Mekka führt.« »Pah!« brummte Henley und ging, so schnell er konnte, durch den überfüllten Torweg. Er drängte sich gewaltsam durch die Menge und hoffte, auf diese Weise den aufdringlichen Kerl abzuschütteln, der ja durch seine beiden Esel behindert war. Er passierte die äußere Mauer und sah sich wieder auf einem großen Platz, vollgestopft mit einem lärmenden Auflauf von Menschen und Tieren. Kaufleute mit belade-
nen Maultieren, verschleierte Frauen auf Eseln, von wild aussehenden Sklaven begleitet, ambulante Händler, die ihre Waren mit sich schleppten, zahllose Bettlerinnen und Bettler, Wasserträger mit ihren scheppernden Gefäßen, berittene Truppen in schwarzen Wämsern und silberglänzenden Helmen, Hunderte streunender Hunde und eine Unzahl durcheinanderschnatternder Stadtbewohner. Entschlossen stürzte sich der Amerikaner in dieses Gewühl, wurde jedoch schon bald von einer langen Reihe Lastkamele aufgehalten, die sich langsam durch die Menge fortbewegte. Neben den Kamelen schritten sonnverbrannte Araber, die kleine Trommeln schlugen und aufgeregte Schreie ausstießen. Wider Willen von diesem Anblick gefesselt, blieb Henley stehen und schaute ihnen zu. »Du siehst das Eintreffen einer Karawane aus Syrien«, erklang plötzlich hinter ihm Jakobs liebkosende Stimme. »Die Kamele brüllen, weil die Reise vorüber ist, und die Trommeln werden geschlagen, damit jedermann weiß, daß die Karawane sicher angekommen ist.« »Es ist nicht zu fassen«, stöhnte Henley schwach. Er starrte seinen Verfolger giftig an, öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, sah dann die Vergeblichkeit jeder Diskussion ein, ließ alle Würde fahren, tauchte unter einem
Kamel auf die andere Seite der Karawane durch und ergriff die Flucht. Ohne darauf zu achten, welche Richtung er einschlug, gegen Menschen und Tiere prallend, über Warenballen und –stapel stolpernd, nahm er seinen unheilvollen Lauf durch die Menschenmassen, bis er die andere Seite des Platzes erreichte. Außer Atem, schwitzend von der Hitze, halb verdorrt vor Durst, hielt er inne und lehnte sich gegen die Mauer. »Endlich bin ich den kleinen Teufel los«, beglückwünschte er sich. »Aber dabei habe ich mich anscheinend verlaufen.« Er blickte in die Runde, konnte aber als einziges Wahrzeichen nur die Mauer der Runden Stadt ausmachen. »Wo zum Henker bin ich hier eigentlich?« überlegte er laut und versuchte sich zu orientieren. »Du stehst an der Statue des Befreiten, o Inder«, ließ sich erneut die samtene Stimme vernehmen. »Gegenüber erblickst du die Moschee des Musayib, die das höchste Minarett von Bagdad besitzt.« Henley betrachtete seinen Quälgeist mit einer Mischung aus Wut und Betroffenheit. »O heiliger Bimbam, werde ich denn diesen Kerl gar nicht mehr los?« rief er aus. »Wird er für den Rest meines Lebens an mir kleben, oder muß ich ihn erst umbringen, den kleinen –« »Bimbam, sagtest du, ist dein Name? Willst
du dann-« Mit übermenschlicher Anstrengung nahm Henley sich zusammen. »Warum verfolgen Sie mich?« fragte er heiser, den Tränen nahe. »Sind Sie verrückt, oder was wird hier gespielt?« »Darum: Als ich zuerst deiner ansichtig wurde, sprach ich zu mir, wahrlich, das ist ein Mann von höchst ausgezeichnetem Wesen, der meinem Hause Ehre antun wird, so er es betritt, und der zugleich von mildtätiger Rücksicht ist, so daß er die Dringlichkeit meines Schwurs achten wird.« »Nun passen Sie mal auf – Sie irren sich«, entgegnete Henley, der unter größten Schwierigkeiten ganz ruhig blieb, dabei aber das Gefühl hatte, daß ihm jeden Augenblick eine Ader platzen könnte. »Ich habe keinerlei Interesse an Ihrem Haus oder Ihrem Schwur. Bitte, gehen Sie weg und lassen Sie mich in Frieden, bevor ich mich an Ihnen vergreife, auch wenn ich es hinterher bedauern würde.« Er zog ein Taschentuch aus dem Gürtel und wischte sich Stirn und Wangen ab. »Was gäbe ich nicht für etwas zu trinken«, ergänzte er dann kläglich an die Adresse des Standbildes. »Ha! Du hast Durst!« rief der Jude. »Aber wir befinden uns doch unweit des besten Weinhau-
ses von Bagdad, wo in tiefen Kellern kühle Weißweine –« »Hören Sie auf!« brüllte Henley. Er hatte das deutliche Gefühl, daß nur ein kaltes Getränk ihn noch vor einem Schlaganfall retten könnte. Plötzlich verflog sein Zorn. »Bringen Sie mich hin!« sagte er warm. »Ich höre Ihnen zu, während ich trinke. Aber denken Sie daran, ich gebe Ihnen zehn Minuten, nicht mehr, dann müssen Sie mich in Ruhe lassen.« »Bei Esra, der Tag ist weiß!« rief Jakob strahlend. »Während du dich ausruhst und erfrischst, werde ich dir meine Geschichte erzählen, und wenn du mir dann immer noch nicht helfen willst, so werde ich dich wieder dir selbst überlassen.« Unmittelbar darauf hatten sie bereits auf einer niedrigen Bank vor einem mit großen, irdenen Krügen vollgestopften Laden Platz genommen. Jakob bestellte Wein und begann sogleich mit seiner Erzählung. »Wisse, o Bimbam«, hub er an, »daß ich nicht immer Herr über soviel Reichtum war, wie ich ihn heute genieße. Viele Jahre lang grub ich in der Wüste Kanäle, bis der Himmel ein Einsehen hatte und mir die Gunst eines Ziehers von Golddrähten zuwandte, der mich in seinem Laden im Basar anstellte und mich seine Kunst lehrte. Viele Jahre lebte ich als Gehilfe bei ihm.
Eines gewissen Tages erschien eine verschleierte, in reiche Stoffe gehüllte Dame, von zwei Sklaven begleitet, und erwarb ein wertvolles Schmuckstück. Am nächsten Tag kam sie wieder, am übernächsten auch und am Tage darauf ebenfalls, und jedesmal kaufte sie ein Schmuckstück, bis endlich mein langsamer Verstand begriff, daß sie sich in mich verliebt hatte.« In diesem Augenblick wurde eine große Karaffe Weißwein gebracht, den man aus dem Keller geholt hatte, wo er gekühlt worden war. Henley nahm einen tiefen Zug. Der Wein war leicht, trocken und angenehm zu trinken. In wesentlich freundlicherer Stimmung lehnte er sich auf der Bank zurück. »Bist du bereit, auf daß ich fortfahren kann, o Fremder?« erkundigte sich Jakob, der ebenfalls einen Becher Wein geleert hatte. »Nun denn. Als ich ihre Leidenschaft für mich sah, fiel mir auch die große Schönheit ihrer Gestalt und ihres Ganges auf, und ich erkannte, daß ihre Augen wie die einer jungen Gazelle waren und ihre Stimme wie Vogelzwitschern klang. Ich flüsterte ihr mein Entzücken ins Ohr und flehte um den Anblick ihres Antlitzes, aber sie weigerte sich und entschwebte, nachdem sie mir jedoch ein Stück Papier gegeben hatte. Auf diesem Zettel war ein Vers geschrieben, wel-
cher lautete: Er, der erwählt wurde, Reichtum zu genießen und Glück bis ans Ende seiner Tage, muß sich in Geduld üben allabendlich bei den Zypressenbäumen im Schatten des Tempels von Khazimain. Da brachte ich dem Himmel meinen Dank dar und begab mich jeden Abend nach Khazimain. Dort saß ich am Fuße der Zypressenbäume unter den Gräbern der Friedhöfe. Niemand sprach mich an. Sieben Nächte wartete ich, jede Nacht sieben Stunden lang, und in der siebten Nacht trat ein weißer Sklave zu mir heran und sagte: ›Zukünftig sollst du dich an der Pforte des Gefängnisses am Syrischen Tor in Geduld üben.‹ Ich rief ihm nach, aber er war schon hinter den Gräbern verschwunden. Dann wartete ich jeden Abend an der Tür des Gefängnisses, und in der siebten Nacht kam eine junge Negerin zu mir und sprach: ›Zukünftig sollst du dich am Teiche Zal-Zals, des Lautenspielers, in Geduld üben.‹ Ich versuchte, sie zu erhaschen, aber sie entfloh mir in der Menge am Syrischen Tor. Bei Esra, ich war so unglücklich, daß mir die ganze Welt zu eng wurde. Und doch war meine
Neugier so stark, daß ich jede Nacht am Teiche Zal-Zals wartete, und in der siebten Nacht erschien eine alte Negerin und redete mich an: ›Du, der du erwählt bist, folge mir.‹ Da flehte ich Moses und Aaron an, mich vor Übel zu behüten und folgte ihr durch viele gewundene Straßen, die ich nicht kannte, bis wir vor einem hochgebauten Haus von weitläufigen Umrissen ankamen. Ich wurde in ein reich ausgestattetes Gemach geführt, und nach kurzer Zeit trat eine hübsche, in damaszener Seide gekleidete Frau ein und sprach: ›Du bist arm und darfst nicht auf Reichtum hoffen. Du bist ein gutaussehender Jüngling und ein Jude. Wisse denn, daß ich Delila, die Jüdin bin, die Größte der Dichterinnen; daß große Reichtümer mein eigen sind, und daß ich die Mutter jener bin, in die du verliebt bist. Nun bin ich aber nicht abgeneigt, dich mit ihr zu verheiraten und zwischen dir und der Armut eine Schranke zu errichten – unter einer Bedingung. Zuerst aber sollst du dir meine Tochter genau anschauen.‹ Sie sprach den Namen ›Miriam‹, und siehe, es erschien eine Jungfrau. Stolz und geschmeidig war ihr Gang, und sie verbreitete einen Duft wie graues Ambra; und an Schönheit übertraf sie alle Houris des muselmanischen Paradieses. Ihre Augen waren wie schwarze Teiche,
wenn der Mond voll ist, und ihre langen Wimpern, mit Khol verschönt, umgaben sie wie Dolche. Ihre Gestalt war anmutig gleich dem Buchstaben Aleph, schmal um die Mitte, mit einem Busen, der zwei Granatäpfeln ähnelte; und bei ihrem Anblick war ich so berauscht und hingerissen, daß meine Glieder versagten und meine Haut sich dunkel verfärbte, und ich verfiel in Ekstase und Verwirrung, so daß ich laut ausrief: ›Beim Himmel und bei den zehn Geboten, ich will mich jeder Bedingung unterwerfen, die du mir aufzuerlegen begehrst, o Dichterin, wenn du mir nur deine Tochter zum Weibe gibst.‹ ›So höre denn‹, sagte sie. ›Du sollst den Rest deines Lebens damit zubringen, mir und meinen Verwandten mütterlicherseits zu dienen; du sollst der Gemahl meiner Tochter und Herr über all meinen Reichtum sein – unter dieser Bedingung: Du mußt schwören, daß du uns jeden Tag einen Mann als Gast bringst, ohne Ausnahme, und niemals denselben ein zweites Mal. Und dieser Mann soll mit dir, mir und meinen Verwandten mütterlicherseits ein festliches Mahl einnehmen.‹ Und so gewaltig war meine Leidenschaft, daß ich den Schwur ablegte, und die wunderschöne Tochter heiratete; und wir lieben einander in himmlischer Seligkeit seit nunmehr vier Jah-
ren. An jedem Tag dieser vier Jahre jedoch bin ich morgens aus dem Haus gegangen und habe einen Fremdling gesucht, um ihn einzuladen, so daß man mich in ganz Bagdad als den Sucher nach Gästen kennt.« »Hm, das ist ja wirklich eine höchst neuartige Geschichte«, bemerkte Henley zweifelnd. Er fühlte sich jetzt wesentlich menschlicher, da er während Jakobs Erzählung die Karaffe geleert hatte. »Aber was ist der Witz an der Sache – jeden Tag einen anderen Gast?« »Nun, von den Verwandten mütterlicherseits meiner Gemahlin hat zwar keine mehr einen Gatten oder will einen haben; alle aber wünschen sich ab und zu mit einem Manne zu unterhalten; und bei der großen Vielfalt derer, die ich zum Gastmahl mitbringe, findet jede Frau einen Mann, der ihr gefällt – manchmal ist es ein Heiterer und Leichtfertiger, manchmal ein Dichter und Geschichtenerzähler, manchmal ein Mann von Verstand, wie du es bist, denn so verrät es mir dein Antlitz.« »Tatsächlich?« meinte Henley ironisch. »Und was ist, wenn Sie einmal niemanden finden?« »Dann muß ich wieder Kanäle graben, und meine Miriam ist mir auf ewig verloren. Bisher aber hat keiner, der von meiner mißlichen Lage hörte, sich mir verweigert, und ich bete,
daß das auch nie geschehen möge.« »Nun, heute ist es soweit«, erklärte Henley freundlich, aber fest. »Ich habe Besseres zu tun, als Sie zu unterstützen, Ihre Miriam zu behalten. Außerdem fehlt mir die Zeit. Meine Freunde –« »Um welche Stunde mußt du in deine Herberge zurückkehren? Du zögerst? Dann, bei Josua, dem Sohne Nuns, hast du keinen wirklichen Grund, mich abzuweisen, außer daß du dich fürchtest. Gewiß wirst du doch keine Angst vor mir haben, o Bimbam?« »Natürlich habe ich keine Angst vor Ihnen, Sie Einfaltspinsel«, sagte Henley gereizt. »Ja, du fürchtest dich vor mir, dem kleinen und harmlosen Jakob al Bashir, der in ganz Bagdad für seine Sanftmut, Freundlichkeit und Gastlichkeit bekannt ist!« »Jetzt passen Sie auf«, fing Henley ein wenig verlegen wieder an. »Ein anderes Mal will ich ja gern kommen, aber heute geht es nicht, meine Freunde erwarten mich.« »O Bimbam, wenn du, der du fremd bist, von hier aus allein und zu Fuß in deine Herberge zurückgehst, wirst du dazu mehr Zeit brauchen, als wenn du, von mir geführt, auf diesem schönen Esel reitest und für eine halbe Stunde mein Gast bist. Wenn du meine wunderbare Miriam erst gesehen hast, wirst du auf immer
in meiner Schuld stehen. Setze dich also, o Bimbam, auf diesen Esel, denn, wie der Dichter sagt, verschiebe nicht ein Vergnügen, so du es haben kannst, denn oft zerstört das Geschick unsere Pläne.« Der Amerikaner betrachtete das runde, lächelnde Gesicht mit widerstrebender Anerkennung. »Sie sind wirklich ein hartnäckiger kleiner Bursche«, bemerkte er. »Ich schätze, ich muß wohl doch zu Ihrem komischen Gastmahl, oder Sie hängen mir den ganzen Tag an den Hacken.« Jakob lächelte liebenswürdig. »Ich verstehe zwar nicht alle deine Worte«, gab er zur Antwort, »aber ich erkenne, daß du Gutes von mir sprichst. Willst du nun also mitkommen? Gut. Bei Aaron und Noah, wahrlich, ich habe Glück gehabt, einen Mann wie dich zu finden. Besteige nun deinen Esel und folge mir, o Bimbam.« Der durch den Wein besänftigte Henley fand sich mit dem unerwünschten Abenteuer ab und kletterte in den brokatenen Sattel. Auch Jakob bestieg sein Tier und drängte energisch durch den Verkehr. »Durch deine Verstocktheit hast du unseren Weg um ein Beträchtliches verlängert«, rief er ungerührt, während sie sich geschwind durch die heißen, engen Gassen bewegten, in denen es von feilschenden Kauflustigen wimmelte.
»Du siehst, daß wir das Dromedarhaus hinter uns lassen und den Markt der Verkäufer von Dornen zum Ofenanheizen passieren. Gib deinem Tier die Zügel frei, denn es wird, ohne daß du es zu lenken brauchst, seinem Gefährten folgen«, fuhr er mit seinen ruckartig hervorgestoßenen Bemerkungen fort, »wärst du sogleich mitgekommen, als ich dich das erste Mal darum bat, so hätten wir dieses übelriechende Viertel vermeiden können, in dem die Seifensieder, die Schilfweber, die Pecharbeiter und die Kleiderwäscher hausen. Ah! Jetzt kreuzen wir an der Brücke der Griechinnen den Bazzazin-Kanal und kommen auf die Landstraße nach Basra. Vor dir liegt die Versammlungshalle der Dichter, hinter welcher sich die hundert Läden der Buchhändler befinden. Die andere Straße ist die Straße der Minarette; sie heißt so, weil dort zweihundert Muezzins alle gleichzeitig den Ruf zum Gebet anstimmen.« Bald jedoch verließ Jakob die Hauptstraße und bog in eine Gasse ein, in der die Läden durch stattliche Häuser mit vergitterten Erkerfenstern ersetzt wurden. »Nun betreten wir die Straße der Weinreben, in der ich wohne«, teilte Jakob Henley mit. »Hinter jenem blaugoldenen Minarett dort drüben liegt der Sklavenmarkt, auf dem die besten weißen Sklaven feilgeboten werden. In
den Häusern dieser Gegend wohnen viele Sklavenhändler.« Er hielt vor einem großen, gelben Gebäude an, das einen schönen Torbogen und schwere, geschnitzte Türen aufwies. Auf sein zweimaliges Klopfen erschien ein leichenhaft aussehender Neger, der sich bis zur Erde verneigte und ihnen die Esel abnahm. Henley folgte Jakob durch einen Innenhof, in dem ein Springbrunnen plätscherte, in ein langes, kühles Gemach, das mit Teppichen und gepolsterten Diwanen reich möbliert war. Er betrachtete das bemalte, gewölbte Dach und die kannelierten Stützsäulen aus Marmor und entschied, daß sein Gastgeber in der Tat ein wohlhabender Mann zu sein schien. Wieweit freilich auch der Rest seiner Geschichte stimmte, mußte sich erst noch erweisen. Jakob klatschte in die Hände, und ein zweiter Neger, von Kopf bis Fuß in Rot gekleidet, trat mit tiefer Verbeugung ein. »Kassim, beeile dich mit den Getränken und dem Festmahl, denn mein Gast kann nur kurz bei uns verweilen. Was hast du für uns bereitet?« »O mein Gebieter, es wird gefüllte Kürbisse geben und Würste, Lamm und knusprig gebratenes Hühnchen und gekochten Reis mit Butter. Dazu Süßigkeiten mit zerkleinerten Man-
deln, Haselnüssen und Honig sowie –« »Genug! Beeile dich. Nun, o Bimbam, sei willkommen in meinem Haus. Nimm auf diesem Diwan Platz und schenke dir, während wir auf die Speisen warten, nach Belieben von dem seltenen Wein in der Karaffe neben deinem Ellbogen ein.« Er goß Henley und sich selbst großzügig ein und fing an, ohne Pause auf ihn einzureden – von seinem Reichtum, der Schönheit seiner Gattin und seinem wohlbekannten guten Ruf in Bagdad, bis nach einer Weile der Sklave Kassim erneut hereinkam und mit tiefer Verneigung meldete: »Mein Gebieter, das Festmahl ist angerichtet und die Herrinnen erwarten dich, sobald es dir beliebt.« »Bimbam, mein Gast, ich bitte dich, folge mir und kümmere dich nicht um das, was die Verwandten mütterlicherseits meines Weibes zu dir sagen oder tun mögen, denn sie sind alt und närrisch.« Von dieser Bemerkung vage beunruhigt, wurde Henley in einen kreisrunden Kuppelsaal geleitet, der nicht weniger kunstvoll verziert und eingerichtet war als der erste. Entlang den Wänden hatten schwarze Diener in roten Gewändern Aufstellung genommen. Auf der gegenüberliegenden Seite des Saals wartete eine
Gruppe von Frauen, alle reich gekleidet und mit Perlen- und Juwelenschnüren behängt. Bis auf eine waren sie unverschleiert und die meisten, wie Henley feststellte, leidlich hübsch, wenn auch nicht mehr jung. »Sieh hier die Verwandten meiner Frau mütterlicherseits«, stellte Jakob mit einer umfassenden Bewegung seiner fetten Hand vor. »Ich werde dich beim Essen mit ihnen bekanntmachen. So nimm denn Platz, sie harren unserer bereits.« Mitten im Zimmer standen auf dem Fußboden geschnitzte und versilberte Tabletts, die wiederum kleinere Gefäße trugen, bis an den Rand gefüllt mit dampfenden Speisen, mit Süßigkeiten und Früchten. Henley nahm eine heitere Miene an und setzte sich in die Kissen, die man rund um die Tabletts arrangiert hatte. Dabei spürte er das harte Gewicht seiner Automatik, und sofort stieg auch sein Mut wieder. Jakob saß ihm gegenüber, und die Frauen suchten sich zwischen ihnen ihre Plätze. Zu seiner Rechten fand Henley eine dunkle, gutaussehende Frau von etwa fünfunddreißig Jahren, links ein schlankes, schwarzhaariges Geschöpf Mitte der Vierziger. Noch weiter links hatte sich die Verschleierte niedergelassen, deren Gesicht hinter einem Izar aus rotem Tüll, dick mit Gold gestreift, verborgen blieb. Sie saß mit
gesenktem Kopf da, hatte die Hände in den Falten des Gewandes und machte keinen Versuch, sich an dem Mahl zu beteiligen, das nach einem kurzen Gebet des Gastgebers begann. Einige Minuten lang waren nur lärmende Eßgeräusche zu vernehmen, Anzeichen guter Erziehung, wie Henley wußte. Er stimmte, heimlich amüsiert, kräftig in das Schmatzen ein. Seine Nachbarin zur Linken unterbrach ihr Beknabbern eines Hühnerbeins und eröffnete die Unterhaltung. »Ich bewundere deine heutige Wahl nicht, Jakob«, bemerkte sie beiläufig. »Gibt es denn keine Männer mehr in Bagdad?« Henley begriff nicht, was sie damit meinte und schaute fragend zu seinem Gastgeber hinüber. »Es ist Rebekka, die Großmutter meines Weibes, die da spricht«, erklärte Jakob stolz. »Sie spielt mit ausgezeichnetem Geschick die Leier und singt dazu, wenn auch ihre Stimme wenig Balsam für das Ohr bietet.« »Sagten Sie, die Großmutter Ihrer Frau?« fragte Henley erstaunt. »Sicher –« »Wahrlich, o Bimbam, sie ist die Mutter ihrer Mutter. Dies hier ist meine Gattin, Miriam, an meiner Seite.« Miriam, ein schönes, großäugiges Reh, noch keine zwanzig Jahre, betrachtete den Gast prü-
fend und erwiderte seinen bewundernden Blick zu seiner Erheiterung damit, daß sie ihm ihre rosa Zunge herausstreckte. Henley warf ihr einen verständnislosen Blick zu, aber sie widmete sich ungerührt weiter ihrem Essen. »Zu deiner Rechten«, fuhr Jakob liebenswürdig fort, »ist ihre Mutter Delila, die Dichterin, deren Verse in goldenen Buchstaben in den Bibliotheken des Kalifen geschrieben stehen.« Henley, noch leicht verstört von Miriams Grobheit, rechnete im Geist hin und her, bis ihm plötzlich einfiel, daß ja die Frauen in diesem Klima sehr früh heranreiften. Er musterte Delila wohlgefällig, aber zu seiner Verblüffung zog sie ein finsteres Gesicht und wendete den Kopf ab. Betroffen leerte Henley seine Karaffe auf einen Zug. »Das Schwein kann wenigstens trinken«, kam es darauf von einer triefäugigen alten Hexe neben Delila. »Sie, die so leichtherzig von dir spricht«, erläuterte Jakob, nachsichtig lächelnd, »ist die Mutter der Großmutter der Großmutter meiner Frau, Lea, deren Verstand in der Hut des Himmels hoch über uns weilt, denn sie hält sich für ein Sesamkorn und weigert sich, das Haus zu verlassen, damit das Geflügel sie nicht aufpickt.« »O Schmach – ich kann den Anblick dieses
elenden Hundes nicht länger ertragen«, verkündete nun eine andere Frau mit lauter, harscher Stimme. »Lieber will ich auf meine Mahlzeit verzichten, als ihm länger gegenüberzusitzen.« »Was ist eigentlich los mit Ihren Frauen?«fragte Henley erbost. »Nicht doch, nicht doch, mein Gast! Habe ich dich nicht gewarnt, daß du nicht auf ihre Bemerkungen achten solltest? Es ist ja nur die Großmutter der Großmutter meines Weibes, Masouda, die da redet; und ihr Gemüt ist bitter, denn sie hat keine Zähne und eine Stimme, die dem Geschrei des Esels gleicht; und wahrlich, kein Mensch gewinnt Zucker aus einer Koloquinte.« »Und doch spricht meine Enkelin mit Recht so«, ließ sich schwach und pfeifend eine neue Stimme vernehmen. »Diese häßliche Viper ist das unglücklichste aller Unglücke und hat allein dadurch, daß sie mit uns speist, unseren Ruf ruiniert.« »Also gut – von diesem verflixten Irrenhaus hier habe ich die Nase voll«, stellte Henley an die Adresse der Welt im allgemeinen fest, legte seinen Hühnerknochen hin und wollte aufstehen. »Nicht also, nicht also, verliere die Geduld nicht, ich bitte dich«, flehte Jakob, »denn dei-
ne Belohnung am Ende wird groß sein. Hier, nimm von diesem köstlichen Gericht – es ist gefülltes Lamm. Ich bitte dich inständig, die Bemerkungen jener Ehrwürdigen nicht zu beachten, denn sie ist die Allerälteste, die Großmutter der Großmutter der Großmutter meines Weibes. Wie alt bist du, o du Stern des Morgens?« »Mein Sohn, immer fragst du mich danach, wie aber kann ich es dir sagen, denn wahrlich, hoch ist mein Alter«, antwortete die Alte mit zittriger Stimme. »Viele Jahre sind vergangen seit meiner Geburt, viele Jahre vor deiner Zeit. Ich kann mich gar nicht erinnern, daß ich einmal nicht gelebt hätte, es ist zu lange her. Aber in meinem ganzen Leben habe ich niemanden erblickt, der von so abschreckender Mißgestalt war, wie dein heutiger Gast.« Henley platzte fast vor Wut und warf Jakob einen Dolchblick zu, der die unmißverständliche Forderung nach einer Entschuldigung enthielt. Der andere begegnete ausdruckslos seinen Augen. »Sie spricht immer so voller Torheit«, sagte er milde. »Willst du nicht mit Wein deine Stimmung auffrischen und ihre Bemerkungen mit Ergebenheit ertragen? Bald werde ich dir Rachel zeigen, meine süße kleine Tochter. Erst drei Sommer hat sie gesehen, und in ihr ist die
Existenz all dieser alten Frauen gerechtfertigt, und du wirst ihnen vergeben. Dank sei Esra, daß Banasfa, dort links von dir, die Großmutter der Mutter meines Weibes, die sich verschleiert, weil sie ihre Schönheit für so groß hält, daß kein Mensch sie ertragen kann, dich nicht beleidigen kann wie die anderen, denn sie ist stumm.« Banasfa hob das verschleierte Haupt und schaute zu dem mittlerweile stark mißlaunigen Gast hinüber. Obwohl er nichts von ihren Zügen sehen konnte, hatte Henley ein unbehagliches Gefühl des Wiedererkennens. Dann, als sei sie ganz außer sich, weil sie ihren Gedanken keine Worte verleihen konnte, griff Banasfa aus einer Schüssel ein gefülltes Huhn und warf es ihm an den Kopf. Salzige Soße in den Augen, sprang Henley wutentbrannt auf. Aber Banasfas Tat war ein Signal für die ganze Weiberrunde, ihn mit allen Essensresten zu bewerfen, die sie zu fassen bekamen. Halb geblendet und mit schmerzendem Gesicht tastete er zornig nach seiner Pistole, stolperte aber, als er vor dem Geschoßhagel zurückwich, über ein geschickt plaziertes Kissen. Im Fallen sah er, wie Banasfa sich den Schleier herunterriß und ein Gesicht enthüllte, das er sofort erkannte. Der Chinese! Er stürzte
rücklings zu Boden und war sogleich unter einem Haufen Weiblichkeit begraben. Das pure Gewicht der vielen sich balgenden Körper drückte ihn zu Boden, und während er dalag und hilflos nach Luft schnappte, fühlte er Hände, die seine Kleider durchsuchten und begriff voll trüber Ahnungen, daß man ihm die Automatik abnahm. Aufs äußerste erschreckt, fing er an, mit aller Gewalt zu strampeln und fand sich plötzlich vom Gewicht der Frauen befreit. Beim Versuch, auf die Füße zu kommen, sah er über sich gebeugt, mit gemächlich hin- und herschwankendem Fächer, einen Ausdruck kalter Bosheit auf dem hageren Gesicht, die grimmige Gestalt Li Changs. Es folgte ein Strom düsterer Worte, die Henley nicht verstehen konnte, eine leichte, zielsichere Bewegung des Fächers und er konnte nicht anders, als hypnotisiert in die geschlitzten Augen zu starren. Dann spürte er, wie er auf ganz unerklärliche Weise zu Boden sank. Das Bild verschwand vor ihm, als fiele er in Ohnmacht, und plötzlich war alles um ihn leer.
VI Vor die Hunde gegangen Mit einem Gefühl der Unruhe schlug Earle Stuart Henley die Augen auf und sah sich um. Eine Weile blinzelte er unsicher in das Sonnenlicht, bis plötzlich die Erinnerung an jene gräßlichen Weiber auf ihn einstürzte. Die gutaussehende Dichterin Delila – und dieses verschleierte Wesen, das ausgesehen hatte wie der chinesische Zauberer – das der chinesische Zauberer gewesen war… Himmel! Wo war er? Irgend etwas stimmte nicht mit ihm. Er befand sich im Freien, lag einfach in irgendeiner staubigen, versteckten Ecke – unerklärlich – und – Plötzlich überkam ihn ein heftiges Verlangen, sich zu kratzen. Zu seiner Verblüffung entdeckte er, daß er sich mit dem rechten Fuß hinter dem rechten Ohr schabte. Voller Verwunderung über die Leichtigkeit, mit der er diese ungewöhnliche Leistung vollbrachte, hielt Henley inne. Unmittelbar unter seiner Nase spreizte sich das Bein, das sich so beiläufig und völlig naturgemäß ausgestreckt hatte, um ihm das unerträgliche Jucken zu erleichtern. Er be-
trachtete es verständnislos. »Was soll der Unfug?« fragte er sich mit dumpfer Besorgnis. »Ich kann gar nicht richtig denken. Mein Verstand ist weg.« Er krümmte sich ruckartig zusammen und linderte ein quälendes Kitzeln mitten auf dem Rücken, indem er die juckende Stelle mit den Zähnen beknabberte. Erst als er das Ärgernis in einer Flut Gegenreize erzeugender Bisse ersäuft hatte, merkte er, daß sein Mund voller Haare war. Sein verwirrter Blick wanderte das eigene Rückgrat hinauf bis zu der Stelle, an der ein knochiger, gelber Schwanz daraus hervorwuchs. Eine ganze lange Minute musterte er dieses Gebilde in völliger Verblüffung. Dann schoß ihm ein schrecklicher Gedanke durch den Kopf. Er wollte aufrecht auf die Füße springen, landete aber auf dem Rücken. Aus dieser Stellung beobachtete er, im Magen das flaue Gefühl von Verhängnis, vier große und häßliche Pfoten. Aber selbst jetzt begriff er noch nicht ganz, was ihm Furchtbares passiert war. Er rollte zur Seite, kratzte sich ein paarmal achtlos hinter dem Ohr, richtete sich dann auf sein Hinterteil auf und starrte töricht vor sich hin. Im Geiste vollzog er noch einmal das absurde Festmahl bei dem Sucher nach Gästen nach. Er erinnerte sich an den erfreulichen Geschmack
der reichlich fließenden Weine. Er sah den langsam wedelnden Fächer und die Schlitzaugen Li Changs. »Was zum Henker ist nur geschehen?« fragte er sich ängstlich. »Bin ich – nein, von so ein paar Glas leichtem Wein kann ich unmöglich betrunken sein. Oder träume ich schon wieder? Das muß es sein: Ich träume, ich wäre ein Hund. Wirklich ein verdammt unangenehmer Traum. Zum Teufel mit dieser Juckerei!« Ein längeres Knabbern in Höhe der Schwanzwurzel befreite ihn vorübergehend von der Tortur, und nach einem schwachen Versuch, die Haare auszuspucken, legte er sich nieder, den Kopf auf den Pfoten, und dachte voller Mißbehagen über alles nach. »Wenn das ein Traum ist«, entschied er, »ist er nicht mein Fall. Je schneller ich aufwache, desto besser. Aber vielleicht hat man mich hypnotisiert? Das ist es – ich befinde mich im Zustand des Tiefschlafs. Vielleicht kann ich die ganze Sache verschlafen?« Er schloß die Augen und bemühte sich zu schlafen; aber das unaufhörliche Jucken und die Angst, die ihm im Nacken saß, ließen ihn keine Ruhe finden. Er betrachtete seine Umgebung und stellte fest, daß er in einem Winkel einer elenden Gasse lag. Ab und zu gingen große nackte Füße und hagere braune Beine an
ihm vorbei. Die letzteren verschwanden in wallenden Gewändern, die bis in widernatürliche Höhen reichten. Endlich tauchte ein großer, gefleckter Hund auf, der auf Henley den Eindruck eines gewaltigen und erschreckenden Untiers machte. Müßig kam er in die Gasse hineingeschlendert und schnüffelte ohne ernsthaftes Interesse an den Abfällen, die dort reichlich herumlagen. Henley spürte eine merkwürdige Unruhe, und sein Herz schlug unregelmäßig. Der unvermeidliche Augenblick trat ein. Der Hund hob den Kopf und starrte Henley an. Seine Ohren stellten sich fragend in die Höhe und langsam, mit bedächtigen, wachsamen Schritten, näherte er sich. Henley fiel auf, daß er dicke Lefzen mit sehr vielen Zähnen hatte, dazu zerfetzte Ohren und ein Fell, das von den Narben vieler überstandener Kämpfe zerschlitzt war. Zitternd vor Aufregung wartete er ab. Der große Hund beschnüffelte ihn mißtrauisch, Nase eng an Nase, so daß es Henley beinahe schlecht wurde. Er hatte nie vorher bemerkt, daß ein Hund so grauenhaft stinken konnte. Er fühlte, wie sich die Haut seiner eigenen Lefzen zusammenzog, als sich der Vorgang des Beschnüffelns sein Rückgrat entlang und wieder zurück zum Kopf fortsetzte. Der große Hund musterte ihn gedankenverloren, kratzte sich
nachdenklich unter dem Kinn, kam dann mit liebenswürdigem Schweifwedeln ganz nah und biß ihn neckend, aber wirkungsvoll ins rechte Ohr. Mit einem Auf jaulen der Überraschung und des Schmerzes sprang Henley in die Höhe, die Zähne grimmig gefletscht, die Nackenhaare gesträubt. Der große Hund zögerte eine knappe Sekunde, packte Henley dann mit beachtlicher Geschicklichkeit am rechten Hinterbein und wirbelte ihn durch die Luft. Der Schmerz im Bein war ungemein qualvoll, aber doch ein Nichts im Vergleich zu Henleys innerlicher Verfassung bei dieser Schmach. Unzusammenhängende Gedanken über eine wütende Beschwerde beim Konsulat nebst den daraus entstehenden internationalen Verwicklungen mischten sich mit dem für Henley charakteristischen Trieb, »Erster zu werden«, selbst in dieser gräßlichen Lage. Noch im Herumwirbeln machte er deshalb eine Wendung und schaffte es, dem anderen die Zähne in die Vorderpfote zu schlagen. Dann schloß er die Augen und hielt verbissen und ohne Rücksicht auf Verluste fest, denn sein Blut kochte. Die folgenden Augenblicke waren eine schwere Prüfung für Henleys Zutrauen in seine Hypnose-Theorie. Er wurde gegen die Mauer gedonnert, in der sandigen Erde hin- und herge-
rollt, unter und über seinen Gegner gestoßen, in die anderen drei Beine geschnappt – aber er verbiß sich, voll wilden Stolzes bei dem Gedanken, daß zweifellos eine Bulldogge durch seinen Stammbaum gelaufen sein mußte. Endlich aber gelang es dem großen Hund, sich auf ihn zu setzen, und halberstickt mußte Henley loslassen. Er wand sich unter dem anderen hervor und floh wie wahnsinnig die schmale Gasse hinunter, von seinem Angreifer jaulend gehetzt. Als er in eine breite Straße kam, schlüpfte er ungeschickt zwischen zahllosen menschlichen und tierischen Beinen hindurch. Das Geheul seines Feindes fand die Aufmerksamkeit anderer Hunde, die sich begeistert an dem Vergnügen beteiligten. Als Henley auf lebensgefährliche Weise zwischen den Hinterfüßen eines Kamels durchgerutscht war, sah er sich einem schakalähnlichen Mischling gegenüber, der mit entblößten Zähnen schon auf ihn wartete. Von Panik überkommen, sauste er in die nächste offene Tür hinein, huschte unter eine Bank und verbarg sich in der äußersten Ecke. Er hatte im Laden eines weißbärtigen alten Mannes Asyl gefunden, der sofort einen Stock ergriff und die jaulende Meute vertrieb. Dann stocherte er mit seiner Waffe in der Ecke und zwang den Eindringling hervor. Der unglückliche Henley wartete bebend.
»Du armes, unreines Geschöpf Allahs«, sagte der Alte. »Du magst eine Zeitlang hier verweilen, sofern du dich ordentlich benimmst, bis deine geräuschvollen Freunde dich vergessen haben. Dann aber mußt du fort von hier.« Er legte den Stab beiseite und nahm ein Manuskript zur Hand. Henley merkte, daß er in einen Buchladen geraten war. Mit einer Mischung von Angst und Wut legte er sich wieder hin. Das war kein Traum. Weder Traum noch Hypnose hätten diese blutenden Wunden an seinem Bein hervorbringen können. Instinktiv senkte er den Kopf und leckte die verletzten Stellen. Woran immer es liegen mochte, über seine Lage selbst gab es keinen Zweifel. Er, Earle Stuart Henley, gleichermaßen angesehen in seiner Heimatstadt Milwaukee, Wisconsin, wie in New York, dem Hauptsitz seines Unternehmens, hockte hier, dank der Freundlichkeit eines orientalischen Buchhändlers, unter einer Bank in Bagdad und leckte sich vorsichtig die Beweise seines Kampfes mit einer Promenadenmischung, bei der er sich sonst nicht einmal mit einem Tritt den Stiefel beschmutzt hätte. Das ganze Grauen seiner Situation senkte sich schwer auf ihn nieder. Was würde aus ihm werden? Wie, wenn er seine menschliche Gestalt nie mehr zurückerlangte – wie konnte er in diesem Zustand je wieder am normalen Ge-
schäftsleben teilnehmen? »Ach, was war ich doch für ein armer, naiver Trottel!« dachte er bitter. »Mich von diesem elenden kleinen Wurm derart aufs Kreuz legen zu lassen. Und sie haben meine Pistole, und vielleicht schießen sie damit auf Joyce und die andern. Wie kann ich so überhaupt zu ihnen zurück? Und wie zum Teufel soll ich hier weiterleben? Wenn mich diese Köter nicht zerfleischen, werde ich wohl –« Die Ankunft eines Kunden unterbrach seine verzweifelten Gedanken. Durch die Türöffnung sah er die Beine eines cremigweißen Esels und die Füße des absteigenden Reiters. Der Buchhändler trat an die Tür und verneigte sich. »Friede sei mit dir, o Meister«, sagte er. »Und mit dir«, entgegnete der Kunde und schritt in den Laden. Henley spitzte die Ohren. Diese Flötenstimme kannte er doch? Er kroch hervor und schaute. Jawohl! Es war Khalid! Vor lauter Aufregung brach Henley in lautes Gebell aus. Seine Überraschung darüber und der Schock, daß er so ganz ohne vorherige Übung einen derartigen Lärm erzeugen konnte, ließen ihn sekundenlang erstarren. Im nächsten Moment hatte der entrüstete Buchhändler seinen Stock gepackt und ihm einen Hieb über den Rücken gezogen,
so daß Henley mit einer Reihe kurzer, scharfer Aufjauler auf die Straße hinaussauste. Zutiefst beschämt, dennoch aber unfähig, sich zu beherrschen, stand er vor der Tür und gab ein langes, durchdringendes Geheul von sich, das sogleich einen Chor antwortender Heultöne sämtlicher Hunde der Umgebung hervorrief. Vor lauter Angst vor einer neuerlichen Beißerei erstickte er mit großer Mühe sein eigenes Gejammer und ließ sich in den Staub fallen, wobei er vor Schmerz, Grimm und Beschämung zitterte. Verzaubert in die Gestalt eines Bastardköters in den Straßen Bagdads würde er seine Tage hinbringen, kämpfend und Unrat fressend, von Ungeziefer gepeinigt, immer zerfetzter und verächtlicher, bis dereinst ein schmählicher Tod diesem elenden Dasein ein Ende setzte. Tränen strömten ihm aus den Augen und zutiefst unglücklich blieb er liegen, bis ihn ein Huftritt des wartenden Esels in den Rücken traf und in die Höhe springen ließ. Der Klang der Stimmen im Laden erinnerte ihn an die Dringlichkeit seiner Situation. Vorsichtig steckte er die Nase durch die Tür. Die beiden Männer standen in einer Ecke und diskutierten über einen Band. Er schlich hinein und stellte sich hinter sie. Was er nun anfangen sollte, wußte er nicht. Während er so angespannt und angstvoll wartete, begann er auf
einmal zu seinem eigenen Erstaunen zu winseln. Er hielt sofort wieder inne, entsetzt von diesem weiteren Beweis seines hündischen Wesens, setzte schließlich aber, da die beiden Männer ihn bislang nicht beachtet hatten, sein Winseln hartnäckig, wenn auch, wie er meinte, auf rücksichtsvolle Weise fort. Normalerweise verabscheute er winselnde Hunde, aber im Augenblick sah er keine andere Möglichkeit des Handelns. Der Buchhändler drehte sich überrascht um. »Fort mit dir, auf die Straße, du lästiges Geschöpf!« rief er und griff nach dem Stock. Henley retirierte hastig zur Tür und nahm dort sein Winseln wieder auf. Es hatte keinen Sinn, allzu zarte Rücksicht auf den Buchhändler zu nehmen – vor allem mußte er Khalids Aufmerksamkeit erregen. »Bei Allah, ich werde dich zu Tode prügeln, du undankbarer Köter!« schrie der Alte. »Ich habe dich vor deinen Bastardfeinden gerettet, und jetzt plagst du mich und störst meine Geschäfte!« Henley sah ein, daß der Mann im Grunde recht hatte, und hörte mit dem Jaulen auf. Jetzt verstand er, wie schwer Hunde es hatten, nur weil sie sich nicht mit den Menschen verständigen konnten. Plötzlich fiel ihm ein, daß er ja betteln konnte – ganz klar, das war die Lösung. Jedermann wußte, daß ein
bettelnder Hund etwas wollte. Er wartete, bis die beiden Männer in seine Richtung blickten und versuchte dann, vorschriftsmäßig Männchen zu machen. Aber zu seinem Schrecken waren seine Rückenmuskeln nicht imstande, ihn aufrechtzuhalten, so daß er umkippte. »Was fehlt diesem Tier?« fragte Khalid. »Ist er dein?« »Nein, bei Allah!« schrie der Buchhändler, »und ich werde ihm seine Possen austreiben!« Henley entging um Haaresbreite dem Stock und floh wieder auf die Straße. Er sah ein, daß er hier nichts ausrichten konnte. Er mußte auf den Zauberer warten und ihm nachgehen. Vielleicht könnte er sogar… Khalid erschien an der Ladentür, in der Hand ein kleines, dünnes Buch. Nachdem ihn der Buchhändler mit Dankesbezeugungen und Bücklingen verabschiedet hatte, bestieg er seinen Esel und ritt davon. Henley folgte ihm dicht auf den Fersen, merkte jedoch bald, daß das eine schwierige Aufgabe war, denn es gab so viele Esel, deren Beine gleich aussahen und auch rochen, daß man sich leicht irren konnte. Nachdem er an einer Kreuzung sein Tier beinahe verloren hätte, hielt sich Henley noch enger an die trabenden Hufe; aber der mißtrauische Esel, der bereits zweimal versucht hatte,
ihn durch Tritte loszuwerden, scheute auf einmal heftig und warf dabei seinen Reiter ab. Henley verschwand vorübergehend unter einer wild strampelnden Lawine von Mensch und Tier. Der Esel rappelte sich auf die Füße, wurde ausgeschimpft und von neuem bestiegen. Als sich auch Henley, zerquetscht und außer Puste, aufrichtete und schüttelte, sah er ein Buch, das genau vor seiner Nase lag. Sofort begriff er, daß es das Buch war, das Khalid gerade erstanden hatte. Entschlossen, diese Gelegenheit zu nutzen, packte er es mit der Schnauze. Aber schon bald begann der Band ihm lästig zu werden. Mit jedem Meter wurde er schwerer, und ständig blieb Henley damit an Eselbeinen und anderen Hindernissen hängen. Der Straßenstaub drang ihm in Augen und Hals, und von der heißen Sonne bekam er unerträglichen Durst. In einer schmalen Gasse zankte sich ein Rudel Hunde um die Fleischfetzen aus einem Metzgerladen. Gerade als der Esel die sich balgenden Tiere umging, wurde eine Reihe weiterer Abfälle aus dem Laden geworfen und landete direkt auf Henley. In Sekundenschnelle wurde er zum Mittelpunkt einer Rotte gieriger Köter. Der scharfe Geruch rohen Fleisches weckte auch in ihm das Verlangen, sein Buch fallen zu lassen und sich ein Stück zu schnappen, aber er schaffte es zu wi-
derstehen. Eilig setzte er seinen Weg fort, neugierig von ein paar schnappenden Bastardhunden verfolgt, die nach dem Inhalt seiner Schnauze gierten, den sie für eßbar hielten. Gerade als er glaubte, nicht mehr weiterzukönnen, bog der Esel in eine kleinere Gasse, und vor einem Hauseingang stieg Khalid ab. Er klopfte, und nach einer Weile wurde die Tür geöffnet. Schnell hüpfte Henley vor und legte dem Zauberer das Buch zu Füßen. »Bei Allah!« rief Khalid erstaunt. »Ich hatte es vergessen, als ich stürzte. Was für ein Hund ist das? Nein, Ali, schick ihn nicht weg«, fuhr er, zu dem empörten Diener gewendet, fort und ging über den Hof zu einer kleinen Tür. Henley, innerlich jubilierend, folgte ihm auf den Fersen. Ein plätschernder Springbrunnen an der Mauer lenkte ihn erst einmal ab, denn er konnte seinen Durst nicht mehr bezwingen. Gleich darauf erschien Khalid wieder, in der Hand eine Fleischpastete, die er Henley zuwarf. »Hier hast du eine Köstlichkeit, die dich für deine Dienste reichlich belohnen sollte«, sagte er. »Du bist ein elendes Geschöpf wie alle Hunde, und doch hast du Augen, aus denen etwas wie Verstand leuchtet. Wärest du eine Katze, so würde ich dich behalten. Nun aber friß dein Futter und geh.«
Außerstande, dem verlockenden Duft zu widerstehen, packte Henley die Pastete und verschlang sie auf einen Biß. Dann warf er Khalid einen Blick zu und bemühte sich, soviel Vernunft wie nur irgend möglich in seinen Ausdruck zu legen. »Nein«, meinte Khalid, halb zu sich selbst, während er sich abwendete. »Es ist nicht Verstand, den ich in deinen Augen finde, sondern die Gier nach mehr Futter. Gib ihm noch eine Pastete«, befahl er dem Diener, »und schick ihn fort.« Er überquerte den Hof und verschwand hinter verzierten Metalltüren, die sich dröhnend schlossen. Betroffen sah Henley sich um, fand jedoch keine andere Tür als die zur Küche, durch die Ali gerade hineinging. Von drinnen hörte man erregte Stimmen, bald aber kam der Mann wieder heraus, in der Hand noch eine Pastete. Ali, ein alter und häßlicher Neger, schaute die Pastete lange an, dann den Hund, dann wieder die Pastete. »Beim Barte des Propheten, es ist ein Verbrechen wider Vernunft und Religion, einem solchen Tier derartige Speisen zu geben«, erklärte er schließlich und machte sich daran, die Pastete selbst aufzuessen. »Schaff deinen schmutzigen Kadaver hinaus!« rief er dabei und versuchte, den angewiderten Henley auf das Tor
zuzutreiben. Henley wußte nur eins: jetzt oder nie. Er mußte zu Khalid. Noch irgendein Zeichen von Intelligenz von ihm, und der Zauberer mußte begreifen, daß er kein gewöhnlicher Hund war. Er ließ zu, daß Ali ihn auf das Tor zulockte, sauste dann aber quer über den Hof und in die Küche. Sie war leer, strömte jedoch einen betäubenden Duft nach üppigem Fleisch aus. Von plötzlichem Heißhunger und von Gier überwältigt, sprang er auf einen Tisch, auf dem ein Tablett mit unfaßbar verführerischen Pasteten stand. Schon vernahm er die Drohungen des herannahenden Ali, rechnete sich jedoch aus, daß die Zeit gerade noch für eine Pastete ausreichte und schnappte die nächstliegende, um sie überhastet hinunterzuwürgen. Das Fleisch war noch heiß, und er verbrannte sich so die Schnauze, daß seine Augen zu tränen anfingen; das hinderte ihn aber nicht, eine weitere zu packen und so eilig zu verschlingen wie die vorige. Es war einfach stärker als er. Gerade hatte er eine dritte beim Wickel, als hinter ihm ein lautes, empörtes Kreischen ertönte. Schuldbewußt fuhr er herum, die Pastete noch in der Schnauze. Eine fette, wutentbrannte Negerin, in der Hand ein bösartig glänzendes Messer, war aus der inneren Tür getreten. Im selben Augenblick blockierte Alis Gestalt
den Rahmen der Tür zum Hof. Als Henley sich umdrehen und Reißaus nehmen wollte, warf die Negerin mit einem Schrei des Zorns das Messer nach ihm. Es verfehlte seine Nase um den Bruchteil eines Zentimeters. Er machte einen Satz an ihr vorbei und rannte um sein Leben. Mit einem Ruck verschlang er zuerst die Pastete, dann raste er wie wild in das Innere des Hauses. Er hörte, wie die Frau ihm nachsetzte und war überzeugt, daß sie das gräßliche Messer schon wieder in der Hand hatte. Sich seiner Freßgier wegen verfluchend, sauste er von einem Raum in den anderen und suchte vergeblich nach Khalid. Endlich kam er in einen großen Wohnraum und sah dort, mit einem erregten Auf jaulen, Khalid, der, in der Hand das Buch, auf einem Diwan hockte. Henley sprang auf ihn zu und warf sich vor dem Zauberer nieder, der erst ihn, dann die hereinkeuchende Negerin erstaunt betrachtete. »Schande über dich, o du Schwarze, ob deines ungehörigen Zornes!« ließ sich die klare dünne Stimme des Zauberers vernehmen. »O mein gnädiger Gebieter, dieses niedrige Geschöpf hat deine Fleischpasteten gestohlen und deine Gemächer mit seiner Anwesenheit verunreinigt. Laß mich ihn fortführen und erschlagen.« »Nicht also. Zähme deine Zunge.« Neugierig
musterte er den Eindringling. »Was begehrst du, o du Klumpen von Häßlichkeit?« fragte er. Erleichtert, die Drohung des Messers loszusein, rollte Henley sich auf die Füße und starrte seinen Befrager in stummem Elend an. Es fiel ihm nichts ein, durch das er seine Intelligenz hätte unter Beweis stellen können. Wie sollte er auf diese Frage antworten? »Für deine Dienste hat man dir Futter gegeben. Warum bestehst du darauf, unter Lebensgefahr hier einzudringen? Ist es dein Wunsch, mir etwas mitzuteilen?« Zu seinem größten Ärger entfuhr Henley in diesem kritischen Augenblick ein Rülpsen. Er hatte die Pasteten zu hastig gefressen. Khalid betrachtete ihn mit zusammengekniffenen Augen. »Versuchst du zu sprechen?« fragte er. Henley nickte ungeschickt. Die Bewegung bereitete ihm Mühe. »Wahrlich, ich glaube, du bist der Hund, der im Laden Mustafas, des Buchhändlers, soviel Lärm gemacht hat.« Wieder nickte Henley. »Deine Hartnäckigkeit muß einen Grund haben.« Und zu der vor Neugier schier platzenden Negerin: »Du geh wieder in deine Küche!« Widerwillig gehorchte sie. »Was also ist es, das du mir mitteilen möch-
test?« wiederholte Khalid. Henley sah ihn vorwurfsvoll an. Was für eine alberne Frage! Warum konnte er nicht etwas fragen, das sich mit Nicken oder Kopf schütteln beantworten ließ? »Nun? Beeile dich!« sagte Khalid. Völlig ratlos, tat Henley gar nichts. ›Was soll ich nur machen?‹ dachte er schreckerstarrt. »Ich muß mich wohl geirrt haben«, bemerkte Khalid und schüttelte enttäuscht sein Lockenhaupt. Schon wollte er in die Hände klatschen und den Diener rufen, als Henley in seiner Not mit der Schnauze nach dem Buch schnappte, das Khalid noch in der Hand hielt, es auf den Boden legte, mit den Pfoten aufblätterte und mit forschendem Blick die Abbildungen darin musterte. Damit verfolgte er zwar keinen besonderen Zweck, aber er war mit seiner Weisheit am Ende und jeder Versuch immerhin besser als gar nichts. »Welch seltsames Verhalten für einen Hund!« rief Khalid aus. Während er so wahllos mit den Pfoten die Seiten umwendete, stieß Henley auf ein Bild, von dem er in seiner Verzweiflung hoffte, es könnte den Abgrund überbrücken. Es zeigte eine Gruppe traurig aussehender Perser in langen Gewändern, die in nachlässiger Haltung neben
einem etwas beschwipst aussehenden Gebäude standen. Unter ihnen war auch ein Chinese, komplett mit Zopf. Henley schubste Khalid mit der Nase das offene Buch hin und zeigte dann, so deutlich er es mit seinen dicken Pfoten konnte, auf den Chinesen. »Im Namen des Allmächtigen!« schrie Khalid und sprang auf. »Jetzt verstehe ich. Du bist ein Opfer Li Changs?« Henley nickte so energisch wie möglich mit dem Kopf. Ohne daß er es merkte, wedelte dabei auch sein Schweif heftig. »Wer bist du dann aber? Ach, du kannst ja nicht sprechen. Darum werde ich dir die Gabe der menschlichen Sprache verleihen.« Er murmelte einen Satz und berührte Henley am Kopf. Henley fühlte, daß sich in seiner Kehle etwas rührte. Er schluckte geräuschvoll, öffnete den Mund und schloß ihn wieder, wobei er den Schwanz sinken ließ. »Sprich!« befahl Khalid. »Also –« begann Henley nervös. Eine Woge der Erregung durchflutete ihn, Ohren und Schwanz hoben sich. »Um Himmels willen, befreien Sie mich aus dieser Klemme!« flehte er atemlos. »Du!« schrie Khalid. »Der Herrscher über Donner und Blitz! So von Chang verwandelt!
Dann bin ich wahrhaft verloren.« »Glauben Sie das bloß nicht. Sie kennen mich noch nicht«, erklärte Henley und hüpfte aufgeregt umher. »Ich erwische diesen hinterlistigen Teufel schon noch, und seinen ekelhaften kleinen Wurm, diesen Jakob, auch. Jakob al Bashir, den Sucher nach Gästen! Je von ihm gehört? Nein? In ganz Bagdad bekannt, was? Grrr! Ich werde ihn bashiren!« »Und was willst du nun?« erkundigte sich Khalid. »Könnten Sie –« Henley hatte beinahe Angst zu fragen, für den Fall, daß er eine verneinende Antwort erhielt. »Könnten Sie ein bißchen für mich zaubern – wissen Sie – mich wieder zu dem machen, was ich war?« »Das kann ich für dich tun«, erwiderte Khalid. »Wahrlich, undurchschaubar sind die Gedanken derer, die über dich gebieten – auf der einen Seite verleihen sie dir unermeßliche Macht, auf der anderen verweigern sie dir die einfachsten Dinge.« »Und Sie sind sicher, daß Sie mich genauso –?« »So genau, wie du es wünschst.« »Na, dann los.« Er wartete voll tiefer Angst, ohne zu merken, daß er dabei den Kopf ganz schief hielt. Dann kam ihm ein Einfall.
»Sie können mich doch auch ein bißchen anders machen, oder?« fragte er. »Wenn das dein Wunsch ist.« »Na ja – wenn Sie die Verdauungsbeschwerden weglassen könnten – wissen Sie – mein Magen tut seine Arbeit nicht mehr so richtig – kapiert? Gut. Und bitte, vergessen Sie meine Kleidung nicht, ja?« »Nun komm her, damit ich dich mit diesem Ring berühre, den Salomo gesegnet hat.« »Noch eine Minute«, bat Henley. »Auf meiner linken Hand ist eine große Warze – die könnten Sie auch weglassen. Und natürlich würde ich mich nicht beschweren, wenn Sie mich ein bißchen größer und stattlicher und insgesamt etwas kräftiger machen könnten.« »Ich verstehe schon – du möchtest verbessert werden.« Khalid nickte mitfühlend. »Jetzt aber steh still. Wenn Allah dich als Hund geschaffen hat, so bleibe in dieser Gestalt und verändere dich nicht; wenn du aber verzaubert bist, so kehre mit Erlaubnis Allahs, dessen Name gepriesen sei, zu deiner wahren Gestalt und Gewandung zurück. Jedoch soll deine Warze verschwunden und dein Magen gesund sein, und du sollst auch etwas größer und dein Körper soll stattlicher und kräftiger sein.« Als der Ring ihn berührte, erfüllte Henley ein plötzliches Hochgefühl. Dann war ihm, als
würde er ohnmächtig und sein Blick verschwamm vor einem unermeßlichen Berg Fleischpasteten, zornigen schwarzen Gesichtern und gefleckten Hunden mit triefenden Lefzen. Dieses Gefühl verging jedoch gleich wieder, und er sah sich aus – wie ihm schien – gewaltiger Höhe zu Boden schauen. Unten erkannte er einen roten, spitzen Pantoffel und die wallenden Falten eines Gewandes. Ein Arm wurde ausgestreckt, hob sich und rieb seine Augen. Mit einem Aufwallen tiefster Befriedigung begriff er, daß er seine menschliche Gestalt wiederhatte und wandte sich zu dem wartenden Perser, der ihn mit leicht ironischem Lächeln musterte. »Ich muß Ihnen wirklich meine allergrößte Hochachtung aussprechen«, meinte Henley. »Ich schätze, daß ich jetzt zutiefst in Ihrer Schuld stehe, und wenn ich irgendeine Möglichkeit finde, das je wieder gutzumachen, dann bitte ich Sie, glauben Sie mir –« »Wie wurdest du zu dieser Verwandlung gezwungen?« »Durch einen Haufen Lügen und Betrügereien!« »Ha! So hat der Chinese eine Kriegslist gegen dich benutzt?« »Genauso war es. Und ich bin darauf hereingefallen wie ein verdammter Provinzler.«
Er schilderte in kurzen Worten sein Abenteuer. »Es ist höchst bedauerlich, daß du sie nicht alle mit deiner Donnerwaffe zerschmettert und dadurch unseren Mißlichkeiten ein Ende bereitet hast. Nun, da sich deine Waffe in Changs Händen befindet, weiß ich nicht, welches neue Unheil er damit anrichten wird. Ich muß den Rat meines Meisters, des Königs Jan ibn Jan, dazu einholen.« »Wir werden Chang aufs Haupt schlagen, mit oder ohne Pistole«, versicherte Henley. »Hören Sie, ich fühle mich kräftiger als seit vielen Jahren. Ich wünschte nur, ich hätte darum gebeten, über einsachtzig groß zu sein. Und meinen Hexenschuß habe ich auch vergessen.« »Gelobt sei Allah ob dieses guten Ausgangs, denn du kannst von Glück sagen, daß du mit dem Leben davongekommen bist«, stellte Khalid fest. »Vielleicht wünschte er ebensosehr, dich zu demütigen, wie dich zu töten. Erinnere dich, daß ich dich vor solcher Hinterlist gewarnt hatte.« »Damit hatten Sie auch wirklich ganz recht. Wir werden in Zukunft vorsichtiger sein. Aber wenn wir schon gerade unter vier Augen sind, Khalid, würde ich gern noch ein paar geschäftliche Sachen mit Ihnen besprechen. Ich weiß zwar nicht, wie lange ich in Bagdad bleiben
werde, aber ich möchte ganz gern ein paar Neuheiten hier einführen – auf kaufmännischem Gebiet, meine ich.« »Ich kümmere mich wenig um den Handel, aber ich bin gern bereit, dir zu helfen. Wir wollen jedoch nicht vergessen, daß du heute mit dem Kalifen zu Abend speisen sollst, und die Zeit schreitet fort. Davon hast du nichts gewußt? Nun gut denn, wir wollen von deinen Geschäften sprechen, und danach werde ich dich zum Palaste geleiten.« Eine gute Stunde steckten die beiden die Köpfe zusammen, und was sie erörterten, war für Henley neuartig und faszinierend. Dann brach er, überzeugt davon, heute Großes geleistet zu haben, mit seinem neuen Geschäftspartner nach Hause auf. Sie gingen durch die Tür, zu der er hereingekommen war. Der Diener Ali machte einen tiefen Bückling, und Henley erinnerte sich an seine Treulosigkeit hinsichtlich der Pastete. Er drehte sich zu Khalid um. »Dieser Mann ist ein –« begann er, überlegte es sich dann aber doch anders. Fort mit Schaden! Khalid und Ali warteten gespannt. »– ist kein Ausbund an Schönheit, glauben Sie mir!« vollendete Henley und schritt von hinnen. Draußen auf der Gasse lag mitten in seinem
Weg ein kleiner Mischlingsköter. Als die beiden Männer näherkamen, stand er langsam auf und bewegte sich steifbeinig zur Seite, wobei er ihnen einen trüben Blick zuwarf. Henley blieb stehen und schaute ihn mit mitleidigem Interesse an. Er hatte das Gefühl, hier etwas tun zu müssen. Gefolgt von dem verwunderten Khalid marschierte er zurück in die Küche und entführte der Negerin, die so verblüfft war, daß sie keinen Einspruch erhob, einen undefinierbaren Fleischklumpen. Draußen auf der Gasse warf er ihn dem Hündchen zu. Das Tier näherte sich vorsichtig dem Fleisch, schnappte danach und riß sofort aus. Noch im Rennen schlang es den ganzen Brocken hinunter. Henley holte tief Luft, wich Khalids fragendem Blick aus und ging weiter.
VII Der Löwe wider Willen Abdul blieb an einer Straßenkreuzung stehen und schaute sich entmutigt um. Nachdem vor einer halben Stunde Mr. Henley seinem Blick entschwunden war, hatte er gesucht und gesucht und war nun ganz krank vor Müdigkeit und Ärger. Mit welcher Entschuldigung sollte er nur zu Jafars Palast zurückkehren und melden, daß der Amerikaner verschwunden war? »Sie werden mich verdächtigen«, dachte er besorgt. »Joyce wird auf glühenden Kohlen sitzen und glauben, ich hätte ihren Vater umgebracht. Wie schwierig doch alles ist!« Aber er konnte nichts anderes tun – sein Knöchel schmerzte, er war erschöpft und nicht mehr imstande, noch weiterzusuchen. Ganz abgeschlafft drehte er sich um, als ein hochgewachsener, hakennasiger Mann, dessen grün umwundene Schädelkappe ihn als Seyid oder Nachkommen Alis, auswies, auf ihn zukam und ihn anredete. »Friede sei mit dir«, sagte der Seyid und grüßte. »Auch mit dir sei Friede«, antwortete Abdul.
»Suchst du vielleicht einen kleinen Mann mit scharfen Augen, der ein Fremdling ist?« fragte der Fremde beiläufig. »Oh, ja, ja!« versetzte Abdul, der sofort wieder munter wurde. »Den suche ich. Weißt du, wo er sich befindet?« »Er ist in meinem Hause, das nicht weit von hier liegt. Ein Pferd trat ihm auf den Fuß und verletzte ihn, so daß ich ihm Hilfe und Gastfreundschaft bot. Er fragte besorgt nach dir, und so machte ich mich auf, dich zu suchen – und habe dich nun endlich gefunden.« »Soviel Freundlichkeit verdient Bewunderung«, begann Abdul. »Ein Nichts. Folge mir«, erwiderte der Seyid, drehte sich auf dem Absatz um und bahnte einen Weg durch die Menge. Abdul folgte ihm dankbar. So war Mr. Henley doch wohlbehalten geblieben. Wie seltsam, daß sie beide von Tieren getreten worden waren! Und welch ein Glück, daß ihm die Hilfe dieses heiligen Mannes zuteil geworden ist, dachte er, als er neben den langen Schritten seines Begleiters hereilte. Nach einem Weg von zehn Minuten erreichten sie eine schmale Straße mit ärmlichen, jedoch ordentlich aussehenden Häusern. »Ich bin kein reicher Mann«, erläuterte der Seyid, wobei er an eine schlichte Holztür poch-
te, »und lebe bescheiden.« Nach einer kleinen Weile wurde die Tür von einem hageren Neger geöffnet, der sich höflich verbeugte. »Hat der Fremdling noch Schmerzen?« erkundigte sich der Seyid und trat ein. »Er kann jetzt schon wieder langsam gehen«, erwiderte der Neger. »Komm mit mir«, forderte der Seyid Abdul auf. Er überquerte den Hof, in dessen Mittelpunkt ein einzelner Orangenbaum wuchs, und lud Abdul ein, durch einen schmalen Torbogen hereinzukommen. Abdul, begierig, Mr. Henley zu begrüßen, folgte ihm ohne Zaudern. Er fand sich in einem kleinen Raum wieder, der mit ein paar Teppichen und einem niedrigen Tisch sparsam eingerichtet war. Eine einzelne Person stand mitten im Zimmer, aber es war nicht Mr. Henley. Eine Sekunde lang starrte Abdul den Mann verblüfft an und wich dann mit dem Gefühl drohenden Unheils zurück. Li Chang stand vor ihm. Der Chinese betrachtete ihn mit bohrendem Blick. Seine Augen waren voller Bosheit. In den Fingern mit ihren langen Nägeln, die aus weiträumigen Ärmeln hervorgestreckt wurden, hielt er seinen sich sanft bewegenden Fächer. »Du Schleim und Abschaum«, zischte er plötzlich, »ich wünsche, daß du mich über die be-
trügerische Kunst unterrichtest, die in jenem Instrument steckt, mit dem dein Gefährte mich überlistet hat.« Abdul sperrte verständnislos den Mund auf. »Mach schnell, oder ich lasse dir die Zunge bis zur Wurzel herausreißen.« »Du meinst die Pistole?« schluckte Abdul. »Sie – man drückt auf den Abzug – und –« Er hob die Hand und bewegte den Zeigefinger, als wollte er einen Abzug betätigen. Der Chinese beobachtete ihn mit schmalen Schlitzaugen, wobei er beständig mit dem Fächer wedelte. »Skorpion«, murmelte er argwöhnisch, »du machst dich über mich lustig.« »Nein, nein, gewiß nicht!« bestritt Abdul hastig. »Das ist die Art, wie es funktioniert. Man drückt mit dem Zeigefinger auf den Abzug und päng –!« »Pah! Du lügst, Scheusal. Niemals sind so gewaltige Kräfte durch so geringe Taten gelenkt worden. Ich werde dich für deine Unverschämtheit in tausend Stücke schneiden lassen.« Er schwenkte den Fächer in immer weiteren Bogen hin und her. Abduls gebannter Blick folgte der gleichmäßigen Bewegung, und bei jeder Schwingung erwartete er Entsetzliches. Plötzlich ließ die Anspannung unerwartet nach, denn die Tür öffnete sich und der falsche
Seyid trat ein. »O Hauch des Drachens«, sagte er, »schnell, beeile dich, der Donner hat das andere Haus betreten und Jakob kümmert sich jetzt um ihn.« »Ich komme«, gab der Chinese zurück. Sein Fächer bewegte sich schneller, und er murmelte eine kurze Beschwörung, worauf der Fächer mit einem Ruck zuschnappte. Gleich darauf erschien das schreckliche, zahnige Ungeheuer, das Henley angeschossen hatte, einen neuen, großen Krummsäbel in der Hand. Wie beim ersten Mal war es bis auf ein Lendentuch nackt. Tief neigte es vor dem Chinesen das zottige Haupt. »Darfur, vernichte dieses Ungeziefer, wie immer es dir beliebt«, befahl der Chinese und folgte dem Seyid nach draußen. Der Afrit warf Abdul einen angewiderten Blick zu und hob das Schwert. »Ich habe keine Zeit zu vergeuden«, bemerkte er knapp. »Ich werde dich enthaupten. Knie nieder, damit ich zuschlagen kann.« »Du wirst mich doch nicht einfach hinrichten!« schrie Abdul außer sich. »Es wäre ganz und gar gesetzwidrig und zudem äußerst ungerecht. Wenn ich ein Verbrechen begangen habe, soll man mich vor ein Gericht stellen.« »Spare deine Worte, denn dein Tod ist unver-
meidlich«, erwiderte die Erscheinung kurz. »Begehre kein weiteres Leben. Knie nieder und wirf ab, was deinen Hals bedeckt.« »Au!« brüllte Abdul schmerzhaft auf, als der Afrit auf ihn zutrat und ihn an der Schulter packte. »Hör zu, Darfur, hör zu. Warte, bis ich meine Freunde gesprochen habe, und du sollst reich belohnt werden.« »Wie kann ich dir solchen Aufschub gewähren, da doch die Tage deines Lebens berechnet, deine Atemzüge gezählt und deine Augenblicke bestimmt und niedergeschrieben sind?« versetzte Darfur, zwang Abdul in die Knie und hob das Schwert zum Schlag. Die Unmittelbarkeit der Gefahr wirkte auf Abdul wie ein kühlender Trunk und versetzte ihn in einen Zustand verzweifelter Wachsamkeit. Blitzartig kam ihm die Erinnerung an eine Geschichte, die er als kleiner Junge im Harem gehört hatte, die Legende von einem Reisenden in ähnlicher Zwangslage, und wie dieser sich aus der Affäre gezogen hatte. »Willst du mich nicht begnadigen, wie die Zauberin begnadigt wurde von der Entenkatze?« erkundigte er sich mit erzwungener Ruhe. »Der was?« fragte Dafür. »Der Entenk-k-k-katze«, stotterte Abdul. »Was ist das für ein Tier?« fragte Darfur und
senkte den Säbel. »Wie kann ich dir in dieser unbequemen Stellung davon erzählen?« erwiderte Abdul, der sich noch bis hierhin an seine Geschichte erinnerte. »Beginne mit deinen Erläuterungen«, sagte der Afrit und lockerte seinen Griff. Abdul sperrte den Mund auf, aber nichts kam. Der Geistesblitz aus seiner Knabenzeit war verpufft. Wie im Namen des Propheten war die Geschichte weitergegangen? »Es ist eine lange Geschichte, und ich besorge –« fing er an. »Ich habe keine Zeit für lange Geschichten, und wenn du mich über die Historie dieses Tieres nicht in Kürze unterrichten kannst, so knie ohne weiteres Säumen wieder nieder.« »Die Entenkatze war ein Tier«, fuhr Abdul geschwind fort, »das zu gleichen Teilen aus den Wesenszügen von Katze und Ente bestand. Es hatte vier Schwimmfüße und einen langen, pelzigen Hals. Um es für diese Behinderung zu entschädigen, bestimmte Allah, daß –« Abdul verstummte. Sein Gehirn war absolut leer. Es war seine Zunge, nicht sein Kopf, die ihn bis hierher gebracht hatte. Jetzt schien stumpfe Verblödung ihn erfaßt zu haben. Was mochte das Biest wohl besänftigen? Geld, Essen, Weiber –? Er starrte den Afrit mit ausdruckslosen
Augen an. »Nun – was bestimmte Allah?« »Daß die Entenkatze sich des ewigen Lebens erfreuen sollte«, platzte Abdul heraus, dessen Verstand wieder von Verzweiflung angespornt wurde. »Wie aber ging das zu?« »Die Entenkatze bekam eine Flasche mit dem Wasser des Lebens, und davon trank sie jedes Jahr einen Tropfen, so daß sie nie starb.« »Was aber, wenn im Lauf der Jahre die Flasche leer wurde?« fragte der Afrit. »Diese Flasche wurde niemals leer«, behauptete Abdul mit fester Stimme. »Ich glaube deine Geschichte nicht. Es gibt keine Tiere wie Entenkatzen, und es ist eine Beleidigung für mich, wenn du verlangst, daß ich so etwas glaube.« »Ich kann es dir beweisen!« rief Abdul ohne Rücksicht auf Verluste. »Wie? Nun, indem ich dich von diesem Wasser trinken lasse.« »Wo hast du es – an deinem Leibe verborgen?« verlangte Darfur zu wissen und packte Abduls Gewand. »Nein, nein! Es ist in einem Haus in Bagdad, im Hause des Mannes, der die Entenkatze bewacht.« »Ich habe noch nie einen so greulichen Unsinn gehört. Und doch – wenn Satan mich zu
dir geführt hat, sollte ich seine Wohltaten zurückweisen? Lenke also meine Schritte zum Hause dieses Mannes und mach schnell, oder ich werde dir die Fersen abhacken, um deine Geschwindigkeit zu steigern.« Mit einem tiefen, erleichterten Aufatmen sauste Abdul zur Tür. »Doch höre«, rief Darfur ihm nach, »es geziemt sich nicht, daß ich mich auf der Straße den Blicken Neugieriger aussetze. Darum werde ich mich unsichtbar machen und direkt hinter dir hergehen. Keine betrügerische List wird dich von mir befreien, und solltest du einen Fluchtversuch machen, so werde ich dich ohne weitere Warnung zerschmettern.« Abdul nickte stumm. Im Augenblick hatte er nur den einen Gedanken, aus diesem Hause herauszukommen. Sofort verschwand der Afrit, und die Tür öffnete sich. Abdul trat ins Freie und setzte ungehindert seinen Weg zum äußeren Tor fort. Draußen angekommen, fühlte er sich besser. Er eilte ziellos weiter, bog erst in die eine, dann in eine andere Seitenstraße ein, bis er endlich zu hoffen wagte, entwischt zu sein. Er stellte sich in einen Hauseingang und wartete. Eine halbe Minute passierte gar nichts. Dann drang ein heiseres Flüstern an sein Ohr: »Ist dies das Haus?« Abdul fuhr herum, aber niemand war zu se-
hen. »N-nein«, antwortete er, erneut von Furcht überwältigt. »Ich bin dicht hinter dir«, zischte die Stimme. »Nun beeile dich, ich habe noch anderes zu tun!« So bedrängt, rannte Abdul blindlings durch die belebten Straßen. Sein Verstand war wie gelähmt von dem unlösbaren Problem, wie er diesen alptraumhaften Verfolger abschütteln sollte. »Ach Gott, in was bin ich da nur hineingeraten«, dachte er unglücklich. »Was soll ich tun? Wohin soll ich mich wenden?« Mit einemmal fühlte er, wie ihn eine Hand bei der Schulter packte, und blieb stehen. Vor Erschöpfung und Verzweiflung war er völlig entkräftet. »Du versuchst mich zu narren?« fragte die Stimme. »Du hast weiter nichts getan, als mich im Kreis herumzuführen. Bringe mich zu der Flasche mit dem Elixier, du Abschaum der Schöpfung, oder ich spalte dich an Ort und Stelle mit dem Schwerte.« »Warte, warte«, keuchte Abdul, »wir sind ja fast dort. Bedenke, wenn du mich tötest, wirst du die Flasche niemals finden.« »Unterlaß deine Unverschämtheiten und lenke mich unverzüglich zu ihr!« rief Darfur und schüttelte Abdul grimmig an der Schulter. »Verflucht sollst du sein mit deinem Elixier«,
murmelte Abdul in einer plötzlichen Aufwallung von Widersetzlichkeit und wunderte sich, daß keiner der Leute um ihn herum auf seine Verrenkungen achtete. »Komm, geschwind, wo ist es?« drängte die Stimme. »Hier vor uns«, gab Abdul zurück, der wieder in einen Zustand zorniger Ergebung in alles, was das Schicksal mit ihm vorhatte, verfallen war. »Die Tür ist verschlossen«, fügte er hinzu, »und ich kann nicht hinein.« Er war vor einem großen und reich geschmückten Gebäude an einem kleinen, aber geschäftigen Platz stehengeblieben. Offenkundig war das Haus die Wohnung eines Mannes von Bedeutung. Vor ihm lag die massive Messingtür in einem Torbogen aus Fliesenmosaik. »Wenn sie verschlossen ist, so brich sie auf – oder, wenn du ein zu großer Schwächling bist, so tritt beiseite, und ich werde sie für dich einrammen.« Unwillig ging Abdul auf die Tür zu. »Aufbrechen«, dachte er und musterte das schwere, dicke Metall. »Kein Elefant könnte –« Seine Gedanken brachen jäh ab. Vor seinen Blicken bog die Tür sich plötzlich und unerklärlich nach innen, als wäre sie aus Pappe, und stürzte dann mit einem metallischen Krachen zu Boden, gefolgt von einer Lawine aus
Steinen und Staub. Abdul stand sekundenlang mit offenem Mund da. Dann merkte er, daß ringsum plötzlich Stille eingetreten war, und drehte sich hastig um. Hinter ihm war eine Gruppe von Vorübergehenden staunend stehengeblieben. Voller Ehrfurcht und Bewunderung blickten sie von Abdul zur Tür und dann wieder zurück zu Abdul. »Welch ein Mann ist dieser«, hörte er eine Stimme fragen, »der so das Tor zum Hause des Obersten der Polizei aufbricht?« Das Zischen des Afrits rief Abdul in die Wirklichkeit zurück. Aber als er – höchst ungern – die gewölbte Eingangshalle betrat, mischte sich in die auf ihm lastende Empfindung drohenden Unheils ein schwacher Schimmer von Erheiterung darüber, daß die Menge draußen ihm das eingestürzte Tor zuschrieb. Als er, auf das Schlimmste gefaßt, hinaus in den Hof ging, erschien plötzlich unter einem Mauerbogen auf der anderen Seite ein hünenhafter Neger, stand einen Augenblick beim Anblick der am Boden liegenden Tür vor Schreck wie angewurzelt da und stürzte sich dann mit einem Wutgebrüll auf Abdul, den Kopf gesenkt wie ein Stier am Weidetor. Nur wenige Schritte vor dem unglückseligen Ägypter jedoch hob sich die gewichtige Masse des Negers hoch in die Luft, drehte sich mit heftig rudernden Armen und
Beinen um und sauste mit einem langen, gellenden Entsetzensschrei im Fluge durch den Haupteingang auf die Straße. Der nach wie vor unsichtbare Darfur hatte in letzter Sekunde eingegriffen. Abdul horchte, bis er draußen den Aufprall vernahm. Die Schreie des Negers und die Rufe der Menge verschmolzen zu einem Tumult, der Abdul noch tiefer in seinen Abgrund von Verzweiflung sinken ließ. »Was immer dieser Teufel noch anstellen mag, aus dieser Bredouille komme ich nicht lebend heraus«, dachte er in seinem Unglück. Gleich darauf stieß ihn die drohende Stimme wieder mit der Nase auf sein unmittelbares Problem. »Begib dich nun unverzüglich in den Raum, in dem das Elixier ist, und säume nicht«, befahl Darfur. Abdul, dem zumute war, als stünde er bereits auf den Stufen des Schafotts, lief über den von Palmen beschatteten Innenhof zur nächsten Tür. Er öffnete sie und sah sich einem zweiten herkulischen Neger gegenüber, der mit gezücktem Dolch in einer Haltung wilder Herausforderung dastand und in höchster Erregung, bebend vor Zorn und Empörung, die schwarzen Augen rollte. »Zurück, Plünderer!« brüllte er und hob die
Waffe. »Hier kommst du nicht hinein!« Abdul wich sofort zurück, aber Darfur war nicht so leicht einzuschüchtern. Der Sklave wurde hochgehoben und wie eine Puppe quer über den ganzen Hof geschleudert. Er landete mitten in einem Gestell mit irdenen Wasserkrügen. Das Klirren berstender Gefäße und das Scheppern von Waffen auf den Steinen wurden gleich darauf von einem Geheul des Schmerzes und der Furcht übertönt. Er verstummte jedoch sehr schnell, und einige Augenblicke saß der Neger in den Topfscherben und starrte den betroffenen Abdul mit weitaufgerissenen Augen an. Dann machte er einen Satz und floh über den Hof und hinaus auf den Platz. Abdul fühlte mehr als er sah, daß ihn vom Balkon her Gesichter anstarrten. Ohne eine weitere Aufforderung seines entsetzlichen Begleiters abzuwarten, trat er durch die Tür. Er ging einen Gang entlang, kam in ein Gästezimmer und wartete dort stumm wie ein Schaf, das zur Schlachtbank geführt wird. »Ist es dieser Raum?« fragte die Stimme. »Nein«, beeilte sich Abdul zu antworten. Er schritt durch eine weitere Tür, hinter der luxuriöse Privatgemächer lagen, offensichtlich die des Hausherrn. Niedergeschlagen musterte er das Zimmer.
»Hier muß es sein«, erklärte die Stimme. »Schnell nun, finde mir die Flasche, oder – bei Satans Hörnern – ich werde dich Glied für Glied in Stücke hacken, denn du hast meine Geduld erschöpft.« Abdul sackte zusammen und tat so, als suchte er hinter den verschiedenen Diwanen im Zimmer. »Versuche nicht, mich zu überlisten«, warnte die Stimme. »Die Klinge schwebt bereits über deinem Haupte.« »Die Flasche ist nicht hier«, japste Abdul. »Wir müssen es im nächsten Raum versuchen.« Er eilte durch eine schmale Tür und merkte, daß er in die Frauengemächer gelangt war. Vor sich vernahm er Lärm, als die Bewohnerinnen Reißaus nahmen. Wie glücklich waren sie doch, dachte er. Gab es für ihn denn kein Entrinnen? Wenn er nur in irgendeinen winzigen Wandschrank flüchten könnte, in dem er sicher war vor diesem gräßlichen – »Keinen Schritt gehe ich mehr, du Schlange!« unterbrach ihn ein Ausruf Darfurs. »Du weißt, wo die Flasche steckt. Schaffe sie ungesäumt herbei oder fall auf die Knie, auf daß ich dich enthaupte, du lügnerische Kröte.« Abdul schluckte und suchte verzweifelt mit den Augen das Zimmer ab. Was für eine Situation! Ein unsichtbares Schwert über dem Kopf
und nur noch eine Sekunde zu leben, bloß weil ihm eine Flasche fehlte. Vor Furcht zitternd, spähte er in alle Ecken. Es mußte doch hier im Harem irgend etwas geben! Aufseufzend vor Erleichterung sah er plötzlich in einer Ecke neben einem Stapel mit Metalltabletts eine kleine Ansammlung von Porzellangefäßen und Flaschen. Er schnappte die erste Flasche, die ihm in die zitternden Finger geriet, und hielt sie in die Höhe. Er konnte nicht sprechen. Er konnte nicht denken. Hier war eine Flasche. Alles andere lag in der Hand des Schicksals. »So hast du sie also gefunden!« schrie die Stimme. Abdul fühlte, wie ihm die Flasche aus den Fingern gerissen wurde. Er sah, wie sie aufwärts schwebte, der Stöpsel entfernt und fortgeworfen wurde und der Inhalt, eine braune Flüssigkeit, im leeren Raum verschwand. Gleich darauf wurde die Flasche jäh gegen die Wand geschleudert. Ganz versteinert vor Angst und Spannung harrte Abdul der weiteren Entwicklung. Sekundenlang blieb alles still. Dann gellte ein kreischendes Aufbrüllen, wie er es im Leben noch nie vernommen hatte, in seine Ohren. Schreckensbleich und mit heftig schlotternden Knien hörte er einer Folge von Heultönen zu,
bei denen ihm das Blut stockte. Sie schienen aus allen Ecken des Raumes gleichzeitig auf ihn einzuströmen. Plötzlich machte ein großer, mit Einlegearbeiten verzierter Tisch einen Satz in die Luft, schoß gegen eine Wand und zerbarst in tausend Stücke. Abdul kroch mit letzter Kraft zur Wand und lehnte sich, vor Entsetzen wie gelähmt, schutzsuchend dagegen. Er rechnete mit weiteren Schrecken und wurde nicht enttäuscht. Der Stapel mit den Tabletts fuhr in die Höhe und donnerte durch den Raum; ein Tablett landete mit voller Wucht auf seinem Magen. Dadurch wieder zur Bewegung angespornt, rannte er ins Nebenzimmer, gerade als der gesamte Rest der Einrichtung anfing, wie wahnsinnig durch die Luft zu hüpfen. Im Laufen hörte er, wie die Schreie immer noch lauter wurden und das Haus anfing zu erzittern, so heftig waren die Tobsuchtsanfälle des Afrits. Wimmernd vor Furcht huschte Abdul zum zweiten Ausgang, dicht gefolgt von einem Wirbelsturm fliegenden Mobiliars. Völlig verstört strebte er, blind vor Entsetzen, hinaus in den Hof und rannte auf die Außenveranda zu. Dort blieb er jedoch stehen, denn eine große Menschenmenge blockierte den Eingang. Mit einem Aufstöhnen machte Abdul einen schnellen Schritt zurück. Im selben Moment erscholl Darfurs Schmerzensgebrüll
lauthals über den Hof. Von Verzweiflung überwältigt, erstarrte Abdul an der Mauer. Er saß wieder in der Falle. Blieb er im Hof, würde Darfur ihn ergreifen. Versuchte er zu fliehen, würde ihn die Menge in Stücke reißen. Was sollte er tun? Seine Gewissensfrage fand recht schnell Antwort. Unter entsetzlichem Heulen riß der unsichtbare, gepeinigte Darfur plötzlich eine der Marmorsäulen, die den den Hof umgebenden Balkon trugen, auseinander, und mehrere Meter Balkon stürzten mit ohrenbetäubendem Krachen zur Erde. Sekunden später begann die Palme in der Hofmitte so heftig zu zittern, daß ihre Wurzeln aus der Erde brachen. Als der Baum umkippte, hörte man ein letztes, markerschütterndes Aufkreischen und sah eine große, rote Stichflamme in die Höhe schießen, gefolgt von einer Rauchwolke. Dann war alles still. Nach Atem ringend lauschte Abdul eine volle Minute lang mit gespannter Aufmerksamkeit. Er konnte sich nicht vorstellen, was den Afrit auf so gewaltsame Weise vernichtet hatte. Vielleicht hatte er den Inhalt einer Säureflasche verschluckt, überlegte er, mit dem man die Tabletts zu reinigen pflegte. Jedenfalls schien er wirklich fort zu sein. Abdul stieß einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus.
Als alles ruhig blieb, machte er ein paar vorsichtige Schritte in Richtung Ausgang, und als sich immer noch nichts rührte, tat er noch ein paar weitere Schritte und spähte in die Eingangshalle. Sie war leer, aber in der im Sonnenschein liegenden Türöffnung drängte sich eine murmelnde Menge hingerissener Zuschauer. Als sich Abduls Gesicht an der Ecke zeigte, verstummten die Wartenden vor Schreck. Sekundenlang musterte er sie ängstlich, um sich dann wieder hinter der Ecke zu verstecken und über diese neue Schwierigkeit nachzudenken. Wie sollte er herauskommen? Er wußte, daß diese Sorte Häuser nur einen einzigen Eingang hatte und alle Fenster, die ins Freie gingen, vergittert sein würden. Dieser Gang hier war sein einziger Fluchtweg, aber es war unmöglich, sich durch diesen feindseligen Menschenauflauf hindurchzudrängen. Er drückte sich an die Mauer und wartete ein paar Minuten unentschlossen ab. Dann vernahm er das leise Schlurfen herankommender Füße und spähte erneut um die Ecke. Ein paar kühne Geister hatten sich in die Halle gewagt und schlichen nun mit gezückten Schwertern vorsichtig nach vorn. Als sie sein Gesicht sahen, geriet ihr Vormarsch ins Stocken. Mit einem unterdrückten Ausruf machte der erste
Eindringling eine halbe Kehrtwendung, und sofort rannte der ganze Trupp in völliger Panik zurück auf die Straße. Verwirrt retirierte Abdul hinter seine Ecke. Wovor fürchteten sie sich, nachdem doch der Afrit fort war? Plötzlich stieg ein gräßlicher Zweifel in ihm auf: War Darfur fort? Vorsichtig sah er sich im ganzen Hof um, musterte die liegende Palme und ihre versengten Wedel, den abgestürzten Balkon, die Tür zum Gästezimmer, durch die er mit Darfur – Er erbleichte. In der offenen Tür stand, den bösartigen Blick auf ihn geheftet, ein Leopard. Sofort sank Abduls Herz weit nach unten in seine Beinkleider. War das etwa wieder der Afrit? Was war es? Wer war es? Sein Verstand versank betäubt in einem Strudel verzweifelter Fragen. Das Tier kam langsam näher, die Ohren angelegt, auf leisen Sohlen schreitend. War es Darfur oder nur ein Harems-Schoßtier, das sich in der Verwirrung befreit hatte? Abduls Nerven vertrugen keine weitere Überreizung. Er keuchte und schob sich um die Ecke, bis er vor dem Haupteingang stand. Die wartende Menge glotzte und wies aufgeregt mit den Fingern auf ihn. Mit einem letzten hoffnungslosen Blick auf den sich nähernden Leoparden stolperte Abdul vorwärts, seinem Schicksal, wie immer es ausfallen mochte, ent-
gegen. Als er den Torbogen erreicht hatte und, auf das Schlimmste gefaßt, blinzelnd im Sonnenlicht stehen blieb, erkannte er mit größtem Erstaunen, daß die Massen vor ihm zurückwichen. Der Platz war gedrängt voll von Leuten, aber vor ihm hatte sich ein unerklärlicher Freiraum gebildet. Von den Stufen am Tor schaute Abdul unbehaglich über den Menschenauflauf und rätselte, weshalb man ihm nicht mit grimmigen Zornesblicken begegnete. Die Leute mieden im Gegenteil seine Augen, wendeten den Kopf ab und flüsterten unsicher mit ihren Nachbarn. Eine eigenartige Stille lag in der Luft. »Was ist nur los?« dachte er. »Worauf warten sie?« Gänzlich ratlos, trat er vorsichtig auf die Straße. Niemand kam, um ihn anzugreifen, keine Waffe wurde trotzig gegen ihn geschwungen. Die nächststehenden Reihen bemühten sich fast mit Gewalt, gebührenden Abstand von ihm zu halten. Das Stimmengemurmel schwoll an, und Abdul versuchte zu verstehen, was die Leute sagten. Argwöhnisch sah er sich im Kreis der ihn unmittelbar umgebenden Männer um, die jedoch immer noch seinen Augen auswichen. Dann fing er einzelne Sätze auf, weil ab und zu eine der Stimmen lauter sprach als die anderen. »Allah beschütze uns vor solch einem Dämon
–« »Ein wahrer Löwe an Stärke –« »Ein wahres Wunder an Mut, so den Obersten der Polizei am Barte zu zausen!« Abdul lauschte in wachsender Verwunderung. Sie redeten von ihm! Ein Löwe… ein Wunder an Mut… Urplötzlich ging ihm ein Licht auf. Der unsichtbare Darfur! Die Menge hielt ihn, Abdul, für den Urheber aller dieser Taten! Der zerstörten Tür, der durch die Luft geschleuderten Sklaven, des bebenden Hauses, der umgekippten Palme! Er konnte sich nicht länger beherrschen und brach in lautes Gelächter aus. Die Gesichter ringsum grinsten in unterwürfiger Sympathie zurück. Der Tumult schwoll noch an, die Kommentare wurden deutlicher. »So klein und doch ein solcher Riese an Sehnigkeit.« »Solch ein grimmiger und mächtiger Löwe –« »Dieses zweischneidige Schwert –« Abdul lachte in sich hinein und lauschte entzückt. »Dieser Löwe aller Löwen, der es wagt, den Höchsten in den Bart hinein zu lachen –« »Seht nur, bezeugt es, der Leopard kennt seinen Herrn –« Dadurch erinnert, sah sich Abdul hastig um und entdeckte zwei Schritte hinter sich das Tier. Es hatte die Augen vor der
Sonne halb geschlossen, die Lefzen hochgezogen, die Ohren angelegt und streckte den Kopf neugierig in seine Richtung. Abdul beschleunigte seine Schritte, und in der Menge öffnete sich ein Weg, wobei die Männer fast übereinanderpurzelten, um ihm nur nicht zu nahe zu kommen. Vor Stolz fast platzend, zugleich aber mit dem ungemütlichen Gefühl eines Menschen, der mit verbundenen Augen am Rande eines Abgrundes wandelt, entfernte er sich mit steifer Würde von dem Leoparden und dem verhängnisvollen Hause des Obersten der Polizei. Niemand auf der Straße stellte sich ihm in den Weg. Es genügte, einem Menschen nur einen Blick zuzuwerfen, und er fiel zusammen; auf ihn zuzugehen, bedeutete, ihn hastig hinter seine Gefährten zurückweichen zu sehen. In respektvoller Entfernung folgte Abdul eine recht gemischte Gesellschaft, der sich auch die beiden Neger angeschlossen hatten, denen so übel mitgespielt worden war; außerdem eine Gruppe bewaffneter und uniformierter Männer, die Abdul, höchst beunruhigt, für eine Art Polizei hielt. Mit einer plötzlichen Wendung machte er kehrt und schaute ihnen ins Gesicht. Sofort hielten sie an, stemmten sich gegen den Druck ihrer Hintermänner und warfen einander wenig zuversichtliche Blicke zu. Abdul
schritt langsam weiter und hörte, wie man neu zur Menge Stoßenden stückweise die Geschichte seiner löwenherzigen Tapferkeit erzählte. Nach einer Weile erreichte er einen belebten Platz, auf dem in Gegenrichtung laufende Fußgänger und die unberechenbaren Bewegungen von Tieren den Zauberkreis, der ihn umgab, kleiner werden ließen. Das Stimmengewirr nahm zu, und er fühlte instinktiv, daß ein Teil seiner für ihn eher gefährlichen Gefolgsmannen hinter ihm näher kam. Erneut blieb er stehen und blickte sie an, und auch die Männer verhielten und musterten ihn unsicher, wenn auch mit größerer Kühnheit als zuvor. Abdul raffte allen Mut zusammen, machte einen Schritt auf sie zu und schüttelte drohend die Faust, wobei er gleichzeitig, so gut er konnte, in ein furchterregendes Gebrüll ausbrach. Unglücklicherweise endete es in einem Hustenanfall, aber trotzdem war die Wirkung seines kampfeslustigen Gesichtsausdrucks erfreulich, denn die Männer drängten hastig nach rückwärts und der leere Raum, der ihn umgab, verdoppelte seine Größe. Neuerlich von seiner Überlegenheit überzeugt, eilte Abdul voller Hoffnung weiter. Im Vertrauen darauf, daß doch noch alles gutgehen würde, fürbaß schreitend, fand er den Weg plötzlich von einer dicken, verschleierten Frau versperrt,
deren formlose Kleidermassen quer über die Straße quollen. Schon wollte er sie umgehen, als ihm einfiel, daß ein solches Verhalten seinem Ansehen als Löwe schädlich sein konnte. »Aus dem Weg, du fettes, altes Weib!« befahl er. Zornig schaute sie zu ihm hoch. Auf die Warnungen der nächststehenden Männer in der Menge achtete sie gar nicht. »Du unglückselige Mißgeburt, wie sprichst du mit mir!« keifte sie schrill durch den Schleier. »Was reden sie da? Du – ein heldenmütiger Löwe aller Löwen? Pah! Narren sind sie! Allenfalls ein Hähnchen könntest du sein, und für deine Beleidigung sollst du zumindest in einem Punkt sein wie ein solches Hähnchen.« Sie zischte ein paar fremdartige Worte hervor und trat dann beiseite. Abdul ging weiter. Sein Selbstvertrauen war erschüttert. Was für eine unangenehme Person, dachte er. Auf einmal überkam ihn ein unwiderstehlicher Drang, vorwärts zu rennen und mit den Armen zu schlagen, zugleich aber den Kopf zurückzuwerfen und laut zu krähen. Dem Drang folgte in Sekundenschnelle die Tat. Schwitzend vor Bestürzung blieb er stehen. »Was ist denn jetzt passiert?« fragte er laut. »Dieses gräßliche Weib – was hat sie da erzählt
– von einem Hähnchen? Hat sie –? O Gott! Ich kann nicht dagegen an – kikerikiiiii-iii! Dieses schreckliche Spektakel wird mich ruinieren. Ach, warum nur«, wehklagte er, »ist es immer mein Kismet, vom Regen in die Traufe zu geraten? Kikerikiii?« Er sah, wie die Menge über ihm zusammenzuschlagen drohte, und als er weitereilte, wurden von hinten feindselige Rufe laut. Je schneller er ging, desto mehr wuchs das Gefühl, daß der Mob im Begriff war, Mut zu fassen. Er wagte nicht, sich den Leuten noch einmal gegenüberzustellen. Schon hatten sie ihn umzingelt. Oh, dieser furchtbare Drang… Und wieder war er gezwungen, loszulaufen, mit den Armen zu flattern und zu krähen. Eine Woge von Menschen spülte ihn hinweg, das hilflose Opfer jenes Zaubers, aber noch im Fallen vernahm er Stimmen, die riefen: »Das ist kein Löwe, sondern ein Wahnsinniger. Tut ihm nicht weh, denn sein Verstand ist bei Allah.« »Bewacht ihn wohl, denn jede einzelne seiner unsinnigen Taten zeigt, daß er unter dem Schutze des Einen steht, dessen Name gepriesen sei.« Widerstandslos wurde er von den uniformierten Männern weggeschleppt.
VIII Ein Festmahl aus Tausendundeiner Nacht »Wahrlich, du bist ein merkwürdiges und reizvolles Mädchen, trotz deiner mangelnden Haarflechten und des Fehlens von Khol rund um deine Augen«, erklärte Harun feurig. »Du besitzest die Anmut eines jungen Rehs, o du Krone des Königs der Djinni. Bist du wirklich eine Djinniya, aus veredeltem Feuer geschaffen und nicht aus Erde wie ein Mensch?« »Allerdings sind wir aus veredeltem Feuer, o Fürst«, log Joyce sanft, »aber wir leiden unter den gleichen Schwächen und Gefühlen wie ihr Menschen.« Die beiden saßen nebeneinander auf einem juwelenbesetzten Diwan im privaten Empfangsgemach des Kalifen, einem großen und prunkvoll ausgestatteten Raum, von Dutzenden kunstreich gefertigter, goldener Lampen strahlend erhellt und vom Duft brennenden Weihrauchs erfüllt. Marmorfußboden schmückte den Saal und es gab seltsam geformte Bögen, Friese mit elegantem Maßwerk, Mosaikdecken, reiche Teppiche und goldgestickte Wandbehänge. Die übrigen Gäste hat-
ten in einem weiten Halbkreis Platz genommen. Jafar widmete sich den beiden Engländern, denn Henley, hin- und hergerissen zwischen seiner Wut über den Verlust der Automatik, Unruhe über Abduls Abwesenheit und tiefer Versunkenheit in seine geschäftlichen Pläne, war nicht in der Stimmung für leichte Unterhaltung. Trotz seiner Zerstreutheit warf er jedoch immer wieder einen Blick auf Joyce. Mit Jafars Sitzordnung, die sie tête-à-tête mit dem Kalifen plaziert hatte, war er nicht so recht einverstanden, denn er kannte ihre Neigung zu kleinen Flirts nur zu gut und hatte das unbehagliche Gefühl, daß Harun ein Mann war, der bei Frauen Temperament entwickelte. »Welch süße Düfte deinen Gewändern entströmen«, fuhr Harun fort, »wahrlich, dein Anzug, wiewohl schamlos, ist äußerst verführerisch.« Joyce bedeckte schleunigst ihre Schultern mit dem umfangreichen Schal, den der fürsorgliche Jafar, nachdem er sie in ihrem die vorhandenen Kurven stark betonenden Abendkleid inspiziert hatte, herbeigeschafft hatte. »Man betrachtet es als für eine arabische Frau höchst unziemlich«, hatte der Wesir bemerkt und sie verwundert und nicht ohne Interesse gemustert, »ihren Körper in dieser Weise zur Schau zu stellen. Selbst ein Tanzmädchen dürf-
te sich nicht so vor den Gästen des Kalifen entblößen.« »Ich werde doch hier keine Schnürleibchen und Liebestöter anziehen«, hatte sie erklärt, jedoch den Schein arabischen Anstandes insofern gewahrt, als sie sich damit einverstanden gezeigt hatte, den Schal umzulegen. Nun aber, nachdem das Festmahl mit seinen vielfältigen Weinen und der langen Reihe fremdartiger und üppiger Speisen vorüber war, hatte sie eigentlich vorgehabt, den Schal diskret herunterrutschen zu lassen. Aber selbst der Fürst, der sie vom ersten Seitenblick an ganz offen bewunderte, bezeichnete ihr absolut respektables Pariser Modellkleid unverblümt als schamlos. »Wohl doch kein vernünftiges Land hier, fürchte ich«, dachte sie, während sie weiteren Beteuerungen dieses Gebieters über einen riesigen Harem lauschte. »Bei Allah«, murmelte er und neigte sich zu ihr. Seine kühnen dunklen Augen glühten. »Dein Mund gleicht dem Siegel Salomos, und deine Stirn ist wie der junge Mond des Ramadanfestes. Deine Augen zeigen das Blau des Saphirs, deine Zähne gleichen Perlen und deine Brauen dem Buchstaben Nun. Deine Wimpern beschämen das Schwert, denn sie verwunden tiefer.« »Oh! Ich wünschte nur, ich könnte das alles
aufschreiben«, seufzte Joyce. »Deine Lippen sind wie Korallen, deine Wangen wie Anemonen, und dein Hals ist wie weißes Silber über einer Gestalt, die anmutiger ist als ein Zweig der babylonischen Weide. Und was dein Antlitz betrifft – wie treffend ist doch die Rede des Dichters: Einmal in jedem Monat vollendet sich der Mond, aber die Lieblichkeit deines Gesichtes ist jeden Tag vollendet. »Sie sind selbst ein Dichter, Fürst.« »Glaubst du das? Nein, ich bin kein Dichter, auch wenn Poeten und geistvolle und gelehrte Männer zu den ständigen Gefährten meines Bechers gehören. Doch will ich sogleich nach einem Dichter senden, der einen Vers für dich ersinnen und dir meine Leidenschaft verkünden soll.« »Joyce!« rief der wachsame Henley. »Ja, Dad, Lieber?« antwortete Joyce geduldig. »Spiel hier nicht mit der Kreissäge herum«, ermahnte Henley sie warnend. Joyce lächelte leicht und widmete ihre Aufmerksamkeit erneut dem Kalifen. Mit kühlem Interesse prüfte sie seine gerade Stirn, die Ad-
lernase und den schwarzen, lockigen Bart. »Wünschst du Wein?« fragte er, als er ihren Blick auffing. »Oder möchtest du von diesem Weidenblütenwasser trinken? Nein? Dann höre mir zu, o meine Herrin. Im Hofe meiner inneren Prunkgemächer steht ein Baum, der im Lichte von hundert Ampeln funkelt. Denn sein Stamm ist aus Gold, und seine Äste und Blätter sind aus Silberfiligran; seine Zweige tragen schimmernde Perlen und Edelsteine in allen Farben.« »Muß das schön sein«, bemerkte Joyce seelenvoll. »Er ist dein«, versetzte Harun mit einer beiläufigen Handbewegung. »In Kürze will ich ihn dir zeigen. Hinter jenem Hofe, o Joy-ess, liegt im Schatten hochgebauter Paläste ein Garten. Dort ist die Erde mit Blumen über und über bedeckt, mit großen Korallenblüten, mit Rosen, deren Röte die Wangen all der Lieblichen, außer den deinen, mit Scham bedeckt; und mit Veilchen von der Farbe des Schwefels, der sich mit Feuer verbindet. Wenn die Sonne scheint, so erstrahlt der Garten im Chor des Frühlings, die Bächlein murmeln, die Taube ruft sanft ›Allah! Allah!‹, und in den Zweigen trillern die Singvögel ihre klagenden Töne. Zitronen und Limonen gibt es dort, goldenen Kugeln gleich, und ganze Wälder großäugiger Narzissen und
lächelnder Kamillen; dazu Haine gigantischer Palmen, schwer von Datteln und geschmückt mit Girlanden aus Kletterreben, die sich zu hängenden Baldachinen vereinigen.« »Ihnen kann man wirklich lange zuhören«, murmelte Joyce. »Es ist der Garten des Palastes der Ewigkeit, und dorthin will ich dich nun führen, auf daß wir uns eine Weile darin ergehen«, schloß Harun, legte das Fernglas hin, das er zu seinem persönlichen Schmuckstück ernannt hatte, und wollte sich erheben. »Vielen Dank, Fürst Harun, aber ich würde mich nur ungern von einem Platzregen überfallen lassen«, erwiderte Joyce mit deutlichem Hinweis. Harun starrte sie erstaunt an und lächelte. »Nicht also, o fremde Jungfrau – wisse, daß die Tränen der Wolken um diese Jahreszeit meinen Garten nicht funkeln lassen; würden sie aber dennoch fallen, so nur, um die Erde vor dir zu küssen. Das Gewölbe des Himmels ist ungetrübt. Darum hab keine Furcht und folge mir.« »Nein, vielen Dank. Ich möchte lieber hierbleiben.« »Aber ich wünsche, daß du mich begleitest«, beharrte Harun ein wenig verwirrt. »Fürst, Sie wollen doch bestimmt nicht, daß
ich gegen die Sitten meiner Heimat verstoße, bei denen es im Ermessen der Frau steht, über solche Dinge zu entscheiden«, protestierte Joyce und ließ ihren größten Charme und alle ihre Überredungskünste spielen. »Deine Augen haben den Blitz einer Damaszenerklinge und den Zauber einer Fee«, sagte Harun. »Aber in diesem Fall ist das Spiel deines Blickes sinnlos. Die Sitten deines Landes sind töricht und gelten hier für nichts. Darum füge dich meinen Wünschen.« Joyce war nicht besiegt. Ihre Augen schweiften durch das Gemach, über die in Seide gehüllten Eunuchen und Pagen hin, und blieben schließlich auf einer Gruppe nur leicht verschleierter Tänzerinnen haften, die geduldig in einer entfernten Ecke warteten. »Bestimmt, Fürst Harun«, wandte sie ein, ohne das Aufstehen auch nur zu versuchen, »wollen Sie Ihre Gäste nicht damit kränken, daß Sie sich entfernen, wenn die anderen noch eine Vorführung erwarten. Sehen Sie nur, wie begierig alle auf die Tanzmädchen harren.« In Wirklichkeit warteten die anderen Mitglieder der Gesellschaft keineswegs auf die Tanzmädchen, sondern schauten zu Joyce und ihrem Partner hinüber, weil man sah, daß sich dort etwas zusammenbraute. Harun warf ihnen einen Blick zu, sah dann wieder Joyce an
und setzte sich unwillig auf seinen Platz. »Du hast recht gesprochen«, gab er zu. »Meine Frauen sollen für sie tanzen. Sklaven, beseitigt alle Überreste unseres Mahles und laßt nur den Wein stehen. O Fatma, Meisterin meiner Tänzerinnen, zeige deine Kunst.« Mit klirrendem Schmuck und scheppernden Fußringen traten die Mädchen vor und hockten sich dann im Halbkreis nieder, dem Kalifen und seinen Gästen gegenüber. Ein halbes Dutzend bärtiger Männer mit Rohrflöten und Saiteninstrumenten bezog vor ihnen Stellung und begann nach einer Weile mißtönenden Stimmens mit der rhythmischen, wenn auch für westliche Ohren eher unmelodischen arabischen Musik, mit der Osgood und Mannering schon von früher vertraut waren. Nunmehr stand eine der Frauen auf, legte den seidenen Schleier und die Pantoffeln ab und trat vor ihren Gebieter. Genau im Rhythmus fing sie an, einen Bauchtanz zu zeigen, bei dem der Körper bestimmte Stellungen einnahm. Das Ganze wurde unterstützt von übertrieben graziösen Armbewegungen und funkelnden Blicken ihrer leuchtenden, khol-umrandeten Augen. Ab und zu brach das Mädchen, eine hübsche, gut gewachsene Negerin, dabei in Gesang aus. Ihre Stimme war hoch und näselnd. Sie trug die üblichen seidenen Knöchelhosen,
ein blaues Mieder, das von Juwelen und Streifen aus Edelmetallen glitzerte, dazu klimpernde Silberbänder an Handgelenken und Fesseln. »Dies ist Oneiza, der hellste Stern von Dailam«, erläuterte Harun, als sie fertig war und sich an die Wand zurückgezogen hatte. »Ich habe sie schon zu oft gesehen. Hast du keine Neuen, denen ich noch nicht zugeschaut habe, o Fatma?« rief er und musterte die Gruppe durch sein Fernglas. »Bei Allah«, murmelte er dabei, »sie verdienen solche Nähe nicht.« Er drehte das Glas um und betrachtete die nunmehr ferne und winzige kleine Schar mit beifälligem Nicken. »Es ist eine Schwäche dieses Instruments«, beschwerte er sich bei Osgood, »daß es sie zwar zunächst fortschiebt, ihnen aber sofort, wenn ich es von den Augen nehme, erlaubt, wieder zurückzukommen.« Die Tanzmeisterin, eine umfangreiche Weibsperson mit einer Unmenge von Seidenschals, Goldtroddeln und kleinen goldenen Glöckchen behangen, hatte sich erhoben und verneigte sich nun fast bis zum Boden. »O mein Gebieter«, erklärte sie mit einer Stimme, die Osgood innerlich als sirupartig bezeichnete, »du hast noch nicht den Anblick Yalaldas genossen, der mandeläugigen Blume, der vorzüglichsten der Sklavinnen, die dir der
Kaiser von China geschickt hat. Sie ist schön wie ein zuckerknabbernder Papagei.« »So führe sie vor.« Yalalda stand verlegen auf und entpuppte sich als rundliche, schwarzköpfige Mongolin. Sie zeigte einen ähnlichen Tanz wie Oneiza, nur daß ihre Windungen erheblich zähflüssiger ausfielen und ihre Stimme noch viel, viel unmelodischer klang. »Ihr Anblick und ihre Töne erfreuen mich nicht«, verkündete Harun aufrichtig, sobald sie in den Kreis ihrer Gefährtinnen zurückgetreten war. »Du kannst sie in das Gefolge meiner Gemahlin Zobeida versetzen, o Fatma.« »Ich höre und gehorche, o Herr und Fürst«, entgegnete Fatma schmunzelnd. »Hast du keine anderen Neuen?« fuhr Harun enttäuscht fort. »Nein, o Herr und Gebieter, keine.« Harun betrachtete sie düster. »Ich werde wohl bald wieder einen Feldzug gegen die Griechen in Konstantinopel führen müssen«, meinte er dann, »damit ich die boshafte alte Kaiserin dazu zwingen kann, mir Sklavinnen als Tribut zu liefern.« Wieder entstand eine Pause. »O mein Fürst«, schaltete sich Jafar ein, »die beste deiner Tänzerinnen war Badoura, die Griechin, die du in deinem Harem aufnahmst
und die du –« »Bei Allah, du tust wohl, mich daran zu erinnern. Ich habe sie seit vielen Monden nicht mehr tanzen sehen. Sende nach ihr.« Kurze Zeit später trat eine schlanke, verschleierte Gestalt mit üppigen, braunen Haaren ein. Die Hände in ihren Ärmeln versteckt, warf sie sich vor dem Kalifen auf die Knie. »Badoura, ich wünsche, daß du vor diesen meinen Gästen tanzt.« »Ich bin dein Opfer, mein Gebieter«, murmelte sie mit gesenktem Haupt. Die Katzenmusik begann von neuem, und sogleich erhob sich das Mädchen, warf ihr sittsames Seidengewand und den Schleier von sich und stand jung und reizvoll da, zierlich, wohlgeformt und leichtfüßig. An den runden Armen trug sie juwelenbesetzte Reifen, und in der linken Hand schwenkte sie einen Fächer aus Pfauenschweif-Federn. Eine goldene Schärpe hielt ihre durchsichtigen Hosen in der Taille zusammen, Schlangenreifen aus Gold rafften sie an den Fesseln. Ein mit Edelsteinen und Brokat verziertes rotes Mieder bedeckte lose ihren Busen. Schon ihre ersten Bewegungen zeigten, daß ein freierer und ausdrucksvollerer Geist sie beseelte als die beiden ersten Tänzerinnen, und beim Zusehen fragte sich Osgood plötzlich, wie
sie wohl auf die melodischere Musik des zwanzigsten Jahrhunderts reagieren würde. »Laß sie nach dem Musikkasten tanzen«, murmelte er Jafar ins Ohr, der diesen Vorschlag sofort an den Kalifen weitergab. »Fürwahr, deine Einfälle heute abend verdienen Bewunderung«, antwortete Harun. »Hole mir den Kasten herbei.« Ein Sklave brachte das Grammophon. Mannering übernahm wieder die Bedienung und wählte einen wohlklingenden Walzer. Als die ersten Takte ertönten, sah die ganze Gesellschaft, einschließlich Badoura, verwundert auf. Zuerst machte das Mädchen keinen Versuch, weiterzutanzen. Schon bald jedoch tat sie ein paar vorsichtige Schritte, und als die Platte zu Ende war, bewegte sie sich bereits geschmeidig nach ihrer eigenen Vorstellung von diesem so anregenden Rhythmus. Geschickt ließ Mannering die Platte ein zweites Mal laufen, und Badoura, jetzt ihrer selbst sicher und ganz versunken, tanzte natürlich, fast wie ein Kind danach, mit kleinen Pirouetten und mit Drehen und Schwenken des Fächers. Ab und zu verfiel sie dabei auch wieder in schlangenartige orientalische Windungen und Stellungen, wechselte dann, wie die Musik sie trieb, zu freiem und anmutigem Kreisen und zeigte dabei auf das reizvollste ihre schma-
le, sinnliche Gestalt. Endlich brachte sie ihren Tanz mit der üblichen Figur, bei der sie langsam vor dem Kalifen auf die Knie sank, zum Abschluß und verharrte so mit wogendem Busen in Erwartung seiner Zustimmung. »Noch nie habe ich dich so tanzen sehen«, stellte Harun entzückt fest. »Deine Bewegungen besitzen die Anmut einer jungen Gazelle beim Spiel und die Freudigkeit eines Fohlens, das man auf die Weide springen läßt. Wo hast du das gelernt?« »Herr, ich weiß es nicht«, gab sie zur Antwort. »Es liegt ein Zauber in jenem Kasten, denn er hat mir von Dingen erzählt, die ich seit den Tagen meiner Kindheit nicht mehr gesehen habe: von riesigen Wäldern und grünen Tälern, von murmelnden Bächen und nächtlich glühenden Feuern, und von weißen Wellen, die sich an einer Küste brechen…« »Du hast recht, Badoura: in diesem Kasten lebt ein Djinn, der dich verzaubert hat. Nimm dies für das Vergnügen, das du uns bereitet hast.« Harun zog von seinem Finger einen Ring, funkelnd von großen Steinen, und reichte ihn dem lächelnden Mädchen, das nach einem schnellen und durchbohrenden Seitenblick auf Joyce sein Gewand aufnahm und sich unauffällig zur Seite zurückzog.
»Bewirkt dein Kasten immer diese Art von Tanz?« fragte Harun nun Osgood. »Denn wenn es so ist, müssen eure Gesellschaften höchst vergnüglich sein.« »Manchmal tanzen unsere Frauen allein, so wie Badoura«, erläuterte Osgood, »manchmal tanzen aber auch Männer und Frauen miteinander.« »Das muß fürwahr ein wunderlicher Anblick sein«, antwortete Harun. »Zweifellos kann die Jungfrau Joyce das mit dir vorführen?« »O verflucht, was habe ich da wieder angerichtet!« rief Osgood in komischer Verzweiflung aus. »Willst du mir nicht deine Tänze zeigen?« erkundigte Harun sich höflich bei Joyce. »Wenn Sie das wirklich sehen möchten, will ich mich bemühen«, gab sie zurück. »Was haben Sie mir da eingebrockt?« wendete sie sich dann an Osgood. »Mensch! Ich muß mir wenigstens die Nase pudern, wenn ich hier öffentlich auftreten soll.« Sie klappte ihre Handtasche auf, betrachtete sich in dem winzigen Spiegel und ging dann daran, die Verwüstungen des Abends in ihrem Make-up zu reparieren. »Weshalb bestreichst du dein Gesicht mit Mehl?« fragte Harun neugierig. »In meiner Heimat tun die Frauen alles, was
ihnen nur einfällt, um sich in den Augen der Männer, die sie bewundern, schön zu machen«, antwortete sie leichthin und ergänzte ihre Toilette mit Lippenstift und Parfüm. »Bei Allah«, murmelte Harun nach einer kleinen Pause. »Erklärst du mir damit deine Leidenschaft?« Joyce brach in Gelächter aus, hörte jedoch sofort wieder auf, als sie Haruns finster gerunzelte Stirn sah. »Das sollte eine Frau niemals tun«, erwiderte sie bescheiden. »Wir überlassen es den Männern.« »Du hast recht, und ich werde mich danach richten«, versetzte Harun kurz. »Nein, nein – seien Sie doch nicht immer so ernst, Fürst. Widmen Sie ihre Aufmerksamkeit ganz einfach nur diesem Tanz.« »Es ist in der Tat seltsam, daß ein Mann innerhalb eines geschlossenen Raums tanzen soll«, meinte Harun. »Ich bin begierig, eure Darbietung zu sehen.« »Oh, du wirst begeistert sein«, versprach Osgood und machte ohne weiteres auf dem Marmorboden Platz, indem er Teppiche und Kissen mit dem Fuß beiseite schob. Als die ersten Takte einer flotten Swingnummer erklangen, tanzten die beiden vorschriftsmäßig los. Aber sie hatten noch kein halbes Dutzend Schritte
geschafft, als ein zorniges Aufbrüllen des Kalifen, der auf die Füße gesprungen war und schallend nach den Wachen gerufen hatte, sie abbrechen ließ. Der verblüffte Osgood wurde grob von seiner Partnerin weggerissen und von zwei hünenhaften Schwarzen mit harter Hand festgehalten. Mannering stoppte das Grammophon und bereitete sich auf Ärger vor. »Was für eine Schamlosigkeit ist das?« schrie Harun ergrimmt. »Wie kannst du es wagen, eine Frau in meiner Gegenwart in dieser Weise zu umarmen?« Osgood glotzte ihn an wie vom Donner gerührt. »Und das sogar dann, wenn du noch sehen kannst, daß ich sie mit meiner Aufmerksamkeit beehre?« »Warum habe ich Idiot nur die Pistole verbummelt«, murmelte Henley. »Aber, Fürst Harun«, begann Osgood jetzt ruhig, »so tanzt man eben bei uns zulande. Männer und Frauen tanzen immer so miteinander.« »Willst du mir ins Gesicht behaupten, daß es üblich ist, eine Frau in dieser Weise vor aller Öffentlichkeit zu umarmen?« »Das war keine Umarmung, sondern nur die gewöhnliche Tanzhaltung. Du beleidigst deine Gäste, Fürst Harun, wenn du glaubst, sie erwi-
derten deine Gastfreundschaft durch Unverschämtheiten.« Harun schwieg mißtrauisch. »Deine Rede ist gerecht«, gab er dann endlich zu. Er machte den Wachen ein Zeichen, Osgood loszulassen, und nahm wieder Platz. »Aber ich kenne diesen Brauch nicht und kann dir nicht gestatten, ein Mädchen zu berühren, von dem ich beschlossen habe, es in mein Haus aufzunehmen.« Er schenkte der mit aufgerissenen Augen dastehenden Joyce einen Blick voll Besitzerstolz. »Da ich jedoch deinen satanischen Tanz sehen will, gebe ich dir meine Tanzmeisterin, Fatma el Banat, den Glanz der Mädchen, zum Weib, und du darfst sie umarmen, wenn es dein Wunsch ist.« Osgood war so erschüttert, daß er vorübergehend ein wenig an Haltung verlor. Er warf einen Blick auf Fatma, die ihm unter schweren Augenbrauen neckisch zublinzelte, und schauderte. »Ich danke dir für deinen Großmut«, antwortete er, »aber ich habe ein Gelübde getan, kein Weib mehr zu freien, darum entbinde mich von dieser Ehre.« »Das Verlangen verzehrt mich, deinem Tanz zuzuschauen, darum will ich dich von deinem Schwur lösen; oder, wenn dir das besser ge-
fällt, will ich dir Fatma als Konkubine schenken.« »Sei bedankt, Fürst Harun«, entgegnete der noch immer verwirrte Osgood, »aber Fatma ist für mich einfach viel zu schön.« »So wähle eine der Tanzmaiden«, versetzte Harun, dessen gute Laune zurückkehrte, »und ich will sie dir geben.« Osgood fing Joyces neckenden Blick auf, als sie neben ihrem Vater Platz nahm, und erholte sich ein bißchen. »Also gut. Sie muß schlank, graziös und von schneller Auffassungsgabe sein«, antwortete er. »Wir wollen sehen, was du hast.« Badoura taktvoll außer acht lassend, inspizierte er mißbilligend die großzügig gebauten Mädchen, die hingegossen vor ihm lagen. »Von diesen ist keine schlank genug«, verkündete er dann entschieden. »Hast du eine Schlanke, o Fatma?« fragte Harun. »O mein Gebieter, Gulnara die Georgierin ist schlank wie ein Rohr unter Bäumen. Zeige dich, Gulnara.« Ein ebenso langes wie langnasiges Mädchen im Hintergrund des Damenflors erhob sich und wand sich verlegen unter einer Salve neugieriger Blicke. »Du kannst sie haben, wenn du es wünschst«,
bemerkte Harun, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. »Nein, herzlichen Dank«, erklärte Osgood fest. »Sie kommt ganz und gar nicht in Frage. Ich brauche etwas Kleineres und Biegsameres.« »O Herr des Lichtes«, bemerkte nun Fatma spitz, »ein Mädchen, wie er es verlangt, würde nie unter deine Tänzerinnen aufgenommen werden, da sie doch schön sein sollen in deinen Augen.« »Habe ich überhaupt solche Frauen, wie er sie beschreibt?« fragte der Kalif Jafar, der nachdachte und dann den Kopf schüttelte. »Du weißt selbst, o Fürst«, antwortete er, »daß du keine dünnen und elenden Frauen um dich haben möchtest.« »So bist du sicher, daß keine Frau hier ist, mit der du tanzen kannst?« wandte Harun sich an Osgood. »Keine außer Joyce.« Harun verfiel in tiefes Sinnen. »Ich will dir gestatten, mir diesen Tanz mit ihr zu zeigen, da du mir versicherst, daß es ein Brauch deines Volkes ist«, gab er schließlich widerwillig seine Zustimmung. Gleich darauf begannen die beiden von neuem mit ihrem Tanz. »Haben Sie gehört, was er über Sie gesagt hat – er will Sie in sein Haus
aufnehmen?« flüsterte Osgood, als sie geschmeidig davontanzten. »Das bedeutet in seinen Harem. Sie sollten sich lieber vorsehen.« »Darauf können Sie sich verlassen. Und jetzt, falls er immer noch denkt, daß wir hier eine öffentliche Knutscherei veranstalten, wollen wir Blaubart ein paar kleine Tricks vorführen.« Sie waren beide gute Tänzer, verzichteten jedoch auf orthodoxen Stil und gaben sich statt dessen Mühe, so viele verschiedene Tanzschritte wir nur irgend möglich in die Laufzeit einer einzigen, kurzen Swingplatte hineinzuquetschen. Joyces indischer Schal flog nur so, als sie ihren Tanz mit einer Folge von wirbelnden Drehungen durch den Raum beendeten und mit einem Aufrauschen seidener Gewänder genau vor dem Kalifen zum Stehen kamen. Er verschlang das Mädchen mit den Augen. »Möge Allah dir Beifall spenden«, sagte er. »Noch nie habe ich eine so merkwürdige und wundersame Darbietung erblickt. Wahrlich, deine Musik würde einen Stein zum Tanzen begeistern. Die Stellungen deines Körpers, wenngleich ungebührlich bis zur Gottlosigkeit, sind sehr erfreulich anzuschauen. Es ist großartig, wie deine Füße nicht aufeinandertreten und sich auch nicht verwickeln: Jeder deiner Schritte gleicht dem anderen aufs Haar. Jetzt aber ist
es mein Wunsch, daß Joy-ess auch mich diese sündhafte, jedoch reizvolle Kunst lehren soll.« Er stand auf, nahm sie kräftig in die Arme und preßte sie an sich, Gesicht an Gesicht. »Nein, nein, mein Fürst!« rief Joyce. »Sie dürfen mich nicht so festhalten!« Dann, nach einem Blick auf Haruns verdüsterte Stirn und fragende Miene, fügte sie hinzu: »Lassen Sie mich los, und ich zeige Ihnen die Tanzhaltung.« »Laßt den Kasten Musik machen«, befahl er. Henley sah mit besorgter Miene zu, wie Joyce dem Fürsten lachend die vorschriftsmäßige Stellung beibrachte. Mannering legte eine neue Swingplatte auf, und der Kalif bewegte sich mit seiner lächelnden Partnerin ungeschickt vorwärts. Im Hintergrund der Halle versuchte ein Teil der Tanzmädchen, deren Berufsinteresse geweckt war, unbeholfen, sich ebenfalls diese revolutionären Schritte anzueignen. Badoura saß ganz still da, nur ihre Augen folgten dem Paar, das jetzt rund um den Raum tanzte. Der barbarische Rhythmus begann jedoch auch an anderer Stelle seine Wirkung zu zeigen, denn Osgood stellte vergnügt fest, daß einige der Negerwachen mit den nackten Füßen den Takt stampften und mit fast verwirrtem Augenrollen dazu die Köpfe bewegten. »Ich kann das Geheimnis dieses Tanzes nicht
herausfinden«, erklärte Harun nach einer mühevollen Runde um den Saal. »Warum ist es so, daß deine Füße immer in meinem Weg sind, wenn ich einen Schritt vorwärts mache, o Joy-ess? Du bewegst dich anmutig und gerade wie eine Samhari-Lanze, während ich bin wie ein Pferd mit drei Beinen. Und doch, mit dir in den Armen, o Bezaubernde, gilt mir mein Ungemach nichts.« Er führte sie zu seinem Diwan zurück und wendete sich zu ihrem Vater. »Es ist mein Wunsch, dir große Ehre zu erweisen«, verkündete er. »Deine Tochter soll in meinen Harem aufgenommen werden, und ich fordere dich auf, sie mir heute nacht noch zu übergeben. Für dieses Geschenk will ich dich mit großem Reichtum belohnen, und du sollst als Gefährte meines Bechers hier wohnen, bis der Tod, der alle Freuden endet, an dein Lager tritt.« Henley schluckte. Er sah hinüber zu Joyce und merkte, daß sie anfing, unruhig zu werden. »Fürst«, antwortete er heiser, »ich fürchte, ich kann Ihnen den Gefallen nicht tun – aus vielen Gründen.« »Aber warum?« versetzte Harun ungeduldig. »Du hast gesagt, daß sie keinem anderen Manne angehört.« Er brach mit grimmigem Blick
ab. Plötzlich aber verwandelte sich seine Miene, und er lächelte. »Ah! ich durchschaue dich, Listenreicher!« rief er. »Du verlangst sofort ein paar Sklavinnen als Gegengabe! – Sende zur Aufseherin meines Harems nach den hübschen Tscherkessinnen«, befahl er Jafar. Ein grinsender Schwarzer wurde im Laufschritt losgeschickt. Ausnahmsweise ratlos, konnte Henley lediglich versuchen, durch Ausflüchte Zeit zu gewinnen. »Sie ist einem mächtigen Djinn meines eigenen Landes versprochen«, teilte er Harun mit. »Das Schicksal hat einen anderen Faden für sie gesponnen. Wenn er sie trotzdem noch begehrt, so soll sie zu ihm zurückkehren, nachdem sie eine Zeitlang bei mir verbracht hat«, erwiderte der Fürst freundlich. »Deinem Djinn wird es ein noch größeres Vergnügen sein, eine Frau zu heiraten, die zum Harem des Beherrschers der Gläubigen gehört hat.« »Er wird stinksauer sein und sich sofort daran machen, Ihnen eins auszuwischen«, versprach ihm Henley, der vor Verdruß beim Gedanken an seine verlorene Pistole geradezu körperliche Schmerzen verspürte. Haruns Blick wurde starr. »Aber ich bin der Kalif Allahs, ein Sproß vom Blute des Propheten, dessen Name gesegnet
sei, und du weißt, daß ich gegen die Ränke aller Djinni gefeit bin«, antwortete er. In diesem Augenblick trat eine Gruppe von drei Frauen ein und Harun wandte sich zu ihnen. »Kommt her, Sklavinnen«, befahl er, »und entschleiert euch.« Die Frauen, die hübsch und gutgebaut waren und ebenmäßige Gesichtszüge hatten, reihten sich schüchtern vor ihm auf und wurden eine nach der anderen streng gemustert. Harun runzelte die Stirn und beugte sich halb entschuldigend zu dem wachsamen Amerikaner hinüber. »Ich bin beschämt, denn keine von ihnen ist würdig«, stellte er fest. »Doch höre, o väterlicher Anverwandter von Joy-ess, ich will dir noch größere Ehre erweisen. Badoura! Komm her. Nun, o mein Gast, ich will dich mit dem Geschenk einer meiner Lieblingskonkubinen ehren, Badoura, dem Nektar der Liebe, die ich gegen deine Tochter eintauschen will; und morgen früh werde ich dir auch große Ländereien und Reichtümer und viele weitere Sklaven geben. Badoura ist eine wahre Houri des Paradieses; du selbst hast gesehen, wie wundervoll sie tanzt, und sie spielt ausgezeichnet die Laute.« Das Mädchen schaute fragend auf Harun, dann auf Joyce und schließlich auf Henley. Der Amerikaner be-
trachtete das liebliche ovale Gesicht mit den dunklen Augen und dem Rosenknospenmund und schüttelte langsam den Kopf. »Hören Sie, Fürst,« sagte er. »Ich schätze, Sie meinen es gut, aber ich bin ein verheirateter Mann und will von derlei nichts wissen. Vergessen Sie meine Tochter. Sie ist nichts für Sie. Der Djinn, von dem ich gesprochen habe, ist näher, als ich zugegeben habe – nahe genug, um die Sache unangenehm für Sie zu machen. Er ist hier unter uns.« »Wer ist es?« rief Harun. Henley deutete entschlossen auf Osgood. »Ist sie dein?« fragte Harun. »Doch, doch – natürlich«, erwiderte Osgood etwas unsicher. Er sah hinüber zu Joyce, die ihm feierlich zuzwinkerte. »Ihr seid allesamt Lügner!« erklärte Harun jetzt voller Wut. »Aber es kümmert mich nicht. Sie hat mich verzaubert, und ich habe beschlossen, sie zu besitzen; und ich treffe keine Entscheidungen, um sie dann wieder zurückzunehmen. Darum befehle ich dir, dich sofort mit dem Eide der dreifachen Verstoßung von ihr zu scheiden.« Es entstand eine lange, unheilschwangere Pause. »Beeile dich!« gebot Harun, »denn ich bin nicht gewillt, deine Ausflüchte länger zu dul-
den.« »Meine Tochter will nicht in Ihren Harem«, sagte Henley, der sich an einen Strohhalm klammerte. »Sag dem Narren, daß er lügt«, befahl Harun knapp. »Fürst«, erklärte Joyce offen und mied Osgoods Blick, »ich möchte meinen Gatten wirklich nicht verlassen.« »Bei Allah und den Gefährten, ich lasse nicht mit mir spielen!« schrie jetzt Harun, warf die Arme empor und bebte vor Leidenschaft. »Deine vielen Widerworte mißfallen mir, und wenn du nicht abläßt, gegen mich zu reden, so werde ich alle deine Männer mit der Bogensehne erdrosseln und in den Tigris werfen lassen.« Erneut trat drohendes Schweigen ein. »Fürst Harun«, begann nun Joyce, ein kaltes Glitzern in den Augen. »Heute morgen in der Halle des Urteils haben Sie einen Ihrer Statthalter bestraft, weil er die Frau eines jungen Beduinen geraubt hatte. Sie haben ihn streng getadelt und hätten ihn um ein Haar hinrichten lassen, weil er in Ihrem Namen Unrecht beging; und Sie bedrohten ihn mit dem Tode, wenn er noch einmal gegen Ihre Gesetze verstieße.« Harun betrachtete sie unbehaglich und antwortete nicht.
»Und jetzt«, fuhr Joyce ruhig fort, »droht der Kalif selbst ähnlich unrecht an seinen Gästen zu handeln.« Der Kalif schaute sie eine Weile mit einer Mischung aus Bewunderung und Groll an. »Fürwahr, du bist eine Frau, wie es wenige gibt«, erklärte er endlich. »Denn nicht nur erfüllst du mein Blut mit Feuer, sondern du erinnerst mich auch an die Stellung, die ich bekleide. Du hast mich vor der großen Ehrlosigkeit gerettet, meinen Gästen eine Beleidigung zuzufügen. Ich will darum für heute abend darauf verzichten, dich von deinem Vater und Gatten zu fordern, aber ich werde mich mit Abu Yusuf, dem Obersten meiner Kadis, und der Gilde der Gesetzeskundigen darüber beraten, wie hier vorzugehen ist. Das wird den Fall klären, und ich werde dir morgen früh alles weitere darlegen.« Er schwieg einen Augenblick und warf dann einen wenig begeisterten Blick auf seine Tänzerinnen. »Ziehe dich nun zurück mit deinen Tanzmädchen, Fatma«, gebot er. »Ich habe genug von ihnen gesehen. Badoura, begib dich in deine Gemächer.« Henley holte tief und lange Atem. »Eins zu null für dich, Joyce«, murmelte er. »Für mich ist die Sache hier erledigt. Hauen wir ab, solange es noch möglich ist. Fürst«, fügte er zu
Harun gewandt hinzu, »wenn es Ihnen nichts ausmacht, gehe ich jetzt ins Bett – ich habe mich den ganzen Tag lang verflucht abgerackert und brauche einfach ein bißchen Schlaf.« »Nicht also, die Nacht ist noch jung«, wandte Harun ein. »Willst du nicht Schach mit mir spielen? Oder vielleicht möchtet ihr mit in meine Menagerie kommen, in der ich hundert Löwen habe? Wollt ihr Puppenspiele sehen, Marionetten, chinesische Schattenspiele? Oder möchtet ihr mit mir auf der Suche nach Abenteuern die Straßen Bagdads durchwandern?« »Wenn Sie nichts dagegen haben, Fürst, glaube ich, daß meine Tochter und ich uns zurückziehen möchten. Wir sind alle beide todmüde«, gab Henley mit Festigkeit zurück. »Wünschst auch du mit deiner Gattin zur Ruhe zu gehen?« erkundigte sich Harun mit leicht gerunzelter Stirn bei Osgood. »Nein, nein, das ist schon in Ordnung«, erwiderte dieser mit gekünstelter Sorglosigkeit. »Ich würde viel lieber mit dir einen Bummel durch Bagdad machen.« »Ich auch«, schloß Mannering sich an. »So sei es. Faradsch, führe die Herrin Joy-ess und ihren Vater in ihre Gemächer«, wies er einen großen Neger an, »und bewache sie mit deinem Leben.« »Bei meinem Haupte! Ich werde gehorchen«,
entgegnete Faradsch stolz. »So will ich dir Lebewohl sagen. Möge Allah dir eine Nacht voll lieblicher Träume schenken, o meine Gebieterin. Morgen werde ich tun, was Kismet mir bestimmt.«
IX Der Kalif streift durch Bagdad »Geht nur hin und wechselt die Kleider und legt Anzug und Turban fremdländischer Kaufleute an«, sagte der Kalif, als Henley und Joyce den Saal verlassen hatten. »In dieser Verkleidung können wir ohne Gefolge durch die Stadt gehen; denn es ist meine Gewohnheit, mich selbst zu überzeugen, wie das Volk lebt und wie die Mächtigen ihre Gewalt handhaben.« »Brauchst du Mesrur, deinen Scharfrichter?« fragte Jafar. »Nein. Ich habe heute abend nicht den Wunsch, sein grimmiges Gesicht zu sehen. Ich suche lediglich eine kleine Zerstreuung für meine Gäste. Wir werden nur zu viert gehen.« »Ich höre und gehorche«, antwortete Jafar. Er führte Osgood und Mannering in ein kleines Zimmer, wo er sie der Obhut eines jungen weißen Sklaven übergab, der ihnen eine bunte Auswahl von Kleidern vorlegte, aus der sie sich nach Belieben etwas aussuchen konnten. »Wenn du dich nur selbst sehen könntest«, sagte Osgood und musterte das Kostüm seines Freundes. »Du siehst aus wie eine Kreuzung
zwischen einem Löwenbändiger und einem Schlafsack.« »Und du erinnerst mich an einen Beefeater, der den räudigen alten Pelzmantel seiner Frau angezogen hat.« »Ist es so schlimm? Ich hätte eher gedacht, ich wäre ein mongolischer Erdnußverkäufer. Aber jetzt komm, der große Boß wird schon fertig sein.« Harun und Jafar, ebenfalls in fremdartigem, wenn auch etwas weniger bizarrem Aufzug, erwarteten sie. Bald darauf durchschritt die kleine Gruppe ein Eisengittertor in der Mauer des Palastes und fand sich vor einer Moschee, deren Kuppel und Minarett hell vom Lichte des Vollmondes beleuchtet wurden. Man hörte keinen Laut außer den Rufen der Posten auf dem Wachtturm des königlichen Palastes. Eine Weile blieben sie noch in Sichtweite der äußeren Mauern der Runden Stadt. Dann bogen sie in eine Hauptstraße ein. Ab und zu kamen ihnen mit leisem Schlurfen nackter oder in Pantoffeln steckender Füße dunkle Gestalten entgegen. Es dauerte nicht lange, bis sie am Tor einer Karawanserei ein Nachtwächter anrief. »Wer seid ihr?« »Bürger von Bagdad«, antwortete Jafar. »Bezeugt die Einheit Allahs.« »Es gibt keinen Gott außer Allah, und Moham-
med ist sein Prophet«, erwiderte Jafar ganz selbstverständlich, und die Gruppe setzte ohne ein weiteres Wort des Mannes ihren Weg fort. Sie schlugen nun den Weg in eine Seitenstraße ein und wanderten etwa eine Viertelstunde schweigend durch allerlei krumme Gäßchen, bis sie zu einem Platz kamen, von dem noch vier weitere Straßen abgingen. Drei davon waren verhältnismäßig breit, und hier und da glänzte Licht aus hohen, vergitterten Fenstern. Die vierte Gasse war so schmal, daß man mit ausgestreckten Händen auf beiden Seiten die Wände berühren konnte. »Dies ist das Habiya-Viertel, gleich hinter dem Hundelehen«, erklärte der Kalif. »Sag mir doch, wohin führt diese Gasse?« »Ich weiß es nicht«, entgegnete Jafar, »aber sie macht einen üblen Eindruck.« »Dann wollen wir sie untersuchen«, versetzte der Kalif. Sie traten in die Gasse, die mit ihren hohen, toten Wänden und den überhängenden Fenstern dunkel und abweisend wirkte. Die Mauern hielten das Mondlicht ab, so daß sie am Boden eines schwarzen, geheimnisvollen Abgrundes dahinzuschreiten schienen, anstatt der Durchgangsstraße einer Großstadt zu folgen. So wanderten sie durch den finsteren Gang, bis sie an eine Abzweigung kamen. Der Kalif blieb stehen.
»Es ist uns bestimmt, auf einer dieser Straßen weiterzugehen«, meinte er zu Osgood, »aber ich weiß nicht, auf welcher. Kannst du einen Vorschlag machen, wie wir herausfinden, was das Schicksal von uns erwartet?« Aus einem Leinwandbeutel, den er an seinem Gürtel befestigt hatte, holte der findige Osgood eine elektrische Taschenlampe und eine Münze hervor. »Auf der einen Seite dieses Geldstücks ist die Gestalt einer Frau abgebildet, auf der anderen der Kopf eines Königs. Ich werde es in die Luft werfen. Zeigt beim Fallen die Frau nach oben, so gehen wir links; ist es der Mann, nach rechts. Was hältst du davon? Das Kismet wird der Münze sagen, wie sie fallen soll.« »Wahrlich, du bist ein schlauer Djinn«, sagte der Kalif. »Und das strahlende Licht, das aus dieser Röhre in deiner Hand kommt, ist äußerst praktisch und beweist deine Macht über Licht und Finsternis. Wirf die Münze.« Osgood warf den Penny in die Luft. Der Kopf zeigte nach oben. Ohne weitere Erörterung hielten sie sich rechts und fanden sich gleich darauf in einer Gasse wieder, die noch finsterer und unheimlicher war als die erste. Nach einigen Minuten jedoch endete dieses Gäßchen und mündete unter einem Bogen auf einen unverhofft großen Platz, der von stattlich ausse-
henden Häusern gesäumt war. Auf der gegenüberliegenden Seite stand, im Mondlicht weißglänzend wie aus Salz gemeißelt, ein großes, gespenstisch wirkendes Gebäude. Die Tür stand ein kleines Stück offen, und durch den Spalt drang ein schmaler gelber Lichtstreifen, der einzige Schimmer weit und breit. Ringsum herrschte tiefe Stille. »Kennst du dieses ansehnliche Haus?« fragte Harun. »Es ist mir unbekannt«, gab Jafar zurück, »aber wir haben uns hier wieder dem Fluß genähert und befinden uns an der Rusafa-Schleife.« »Ich spüre den Wunsch, dieses Haus zu betreten und zu sehen, wer darin wohnt. Erfinde einen Plan, der uns Einlaß verschafft.« Jafar überlegte kurz und sagte dann: »Also gut. Wir wollen niemandem entdecken, wer wir sind. Haltet euch nur daran, daß wir Kaufleute aus dem Stadtgebiet von Kairo sind und uns verlaufen haben. Wir suchen unsere Karawanserei und wissen nicht, in welche Richtung wir gehen sollen. Möge Allah uns vor allem Mißgeschick behüten.« Dann klopfte er an die Tür. Niemand antwortete, und nach einer Weile pochte er ein zweites Mal. Als sich noch immer nichts rührte, stieß er die Tür auf und sie traten in einen klei-
nen, von mehreren Laternen erleuchteten Vorhof. Gegenüber befand sich ein Torbogen mit zwei schwarzen Metalltüren, die ebenfalls nur angelehnt waren. Jafar klopfte laut, aber niemand erschien. Ungeduldig pochte er nochmals, diesmal noch wesentlich lauter, so daß das Geräusch im Hof widerhallte, aber auch jetzt blieb alles still. Er drehte sich zu dem Kalifen um. »Herr, dieses Haus ist ein Ort des Unheils«, meinte er. »Laß uns umkehren und dem anderen Pfad folgen, denn die Münze hat uns in die Irre geleitet.« »Nein, o mein Kleinwesir! Wie soll ich das Böse ausrotten, wenn ich davor fliehe? Schreite durch diese Tür, denn wir wollen das Geheimnis entschleiern. Was sagt ihr dazu, o Djinni?« Die beiden Briten, von der Erregung des seltsamen Abenteuers gepackt, schlossen sich seiner Meinung an. Jafar schob vorsichtig die beiden Türflügel auf, und sie traten ein. Vor ihnen erstreckte sich ein langer, wenig einladender Gang, von einer einzigen Öllampe trübe erleuchtet. »Friede sei mit uns und mit allen gerechten Dienern Allahs«, murmelte Jafar und schritt voran. Die anderen folgten und setzten achtsam die Füße auf den unregelmäßig gepflaster-
ten Boden. Dann machte der Gang eine Biegung und völlige Finsternis umgab sie. »Wecke die Schatten mit deinem Zauberrohr, o Djinn«, forderte Harun Osgood auf. Dieser übernahm mit der Taschenlampe die Führung, und die kleine Prozession setzte schweigend ihren Marsch fort. Plötzlich stolperte Mannering, der als letzter ging, über eine unebene Stelle und verlor einen Pantoffel. Er machte kehrt und tastete in der Dunkelheit danach, überzeugt, ihn sofort zu finden. Aber er hatte kein Glück. In der gegebenen Situation wollte er auch die anderen nicht durch einen Ruf aufmerksam machen und suchte deshalb in dem ungewohnten Gürteltuch nach Streichhölzern, während der Rest der Gruppe, ohne sein Fehlen zu bemerken, immer weiter ging und schließlich in einen Kuppelsaal gelangte, aus dem mehrere Türen hinausführten. Osgood schob die größte davon auf, und sie kamen in einen Wohnraum, der mit Mosaik gepflastert war. Zahlreiche silberschimmernde Lampen tauchten ihn in helles Licht. An den Wänden hingen gestickte Seidenstoffe und Teppiche. Andere Teppiche und viele Kissen lagen verstreut auf dem Boden und verschiedenen Diwanen. Der einzige Bewohner dieses Raumes war ein behäbiger, graubärtiger Mann in reichen Seidengewändern, der in der äu-
ßersten Ecke auf einem niedrigen Sofa saß. Sein gerötetes Gesicht war zum Teil hinter einem gewaltigen Schnurrbart verborgen. Er erhob sich sofort und musterte sie aus leuchtendblauen Augen, die sekundenlang drohend blitzten und gleich darauf gutgelaunt zwinkerten. »Beim Barte Osmans, was soll das bedeuten?« erkundigte er sich mit tiefer, dröhnender Stimme. »Wer seid ihr, und wie kommt ihr in mein Haus?« »Der Friede Allahs sei mit dir und deinem Hause«, begann Jafar und trat, die Hand grüßend erhoben, auf ihn zu. »Auch mit dir sei Friede durch Allahs Gnade«, kam die Antwort. »Was willst du von mir?« »Wir sind Kaufleute aus der Gegend von Kairo und Fremde in dieser Stadt«, sagte Jafar höflich. »Im Dunkeln haben wir den Weg verloren und wissen nicht, wie wir unsere Karawanserei wiederfinden sollen. Wir befürchteten, daß es uns übel ergehen würde, wenn wir zu dieser späten Stunde der Wache in die Hände fielen; und als wir deine Tür offenstehen sahen, sind wir darum hereingekommen und vertrauten darauf, daß du uns in deiner Großmut eine Herberge für die Nacht gewähren wirst.«
»Beim Schwerte Omars! Wie konnte es geschehen, daß die Tür offen war? Bei Allah, ich werde Achmet für seine Nachlässigkeit prügeln lassen. Ihr jedoch sollt mir willkommen sein, und es soll euch an Erfrischungen und einem Nachtquartier nicht mangeln. Vorher aber habe ich eine Bedingung, der ihr euch unterwerfen müßt.« »Und wie lautet diese Bedingung?« fragte der vorsichtige Jafar. »Fürwahr, sie ist gering – jeder von euch muß als Gegenleistung für meine Gastfreundschaft, sofern ich ihn dazu auffordere, eine Geschichte erzählen; denn auch ich lebe noch nicht lange in dieser Stadt, und die Stunden der Nacht vergehen mir langsam.« Jafar warf seinem Herrscher einen fragenden Blick zu. Dieser nickte und trat vor. »Wir nehmen deine Bedingung an, o Scheik«, sagte er. Ihr Gastgeber klatschte in die Hände, und zwei schwarze Sklaven traten mit tiefen Bücklingen ins Zimmer. »Bringt die Mahlzeit und das Getränk«, ordnete er an, »klaren, lauteren, wohlriechenden Wein, und schickt mir diesen Hund Achmet her. Beeilt euch.« Die Sklaven verneigten sich und verschwanden. Wenige Minuten später kehrten sie mit
Weinkaraffen und Schüsseln voller Fleisch und Wildbret sowie mit Früchten und Kuchen zurück, die sie rund um ihren Gebieter aufstellten. Osgood war bisher so beschäftigt gewesen, daß er das Fehlen seines Freundes noch gar nicht bemerkt hatte. Jetzt machte Jafar ihn darauf aufmerksam, und nach kurzer Überlegung kam Osgood zu dem Entschluß, vorläufig nichts zu unternehmen. Er horchte jedoch scharf auf jedes Geräusch, während sich die vorgeblichen Kaufleute nun in den Kissen niederließen und nach den Weinbechern griffen. »Trinkt auf die Gesundheit eures Gastgebers, Musab des Syrers. Preis sei Allah!« sagte der Alte, versorgte sich reichlich mit Wein und wischte sich den aufwärtsstrebenden Schnurrbart mit einem Mundtuch ab. »Was wünschst du, Hamza?« »O Gebieter«, antwortete ein Schwarzer, der vor ihn getreten war, »es sind drei Bettler in dein Haus gekommen, geradeso wie hier diese deine Gäste, und sie bitten um deine Gastfreundschaft.« »Bei Allah! Wo steckt dieser elende Schurke Achmet, auf daß ich ihm die Bastonade zukommen lassen kann! Stellt einen anderen Mann ans Tor, oder bis morgen früh wird ganz Bagdad in mein Haus eingedrungen sein. Die Bett-
ler jedoch führe hierher.« »Bei meinem Haupte, es soll geschehen«, entgegnete der Schwarze und zog sich zurück. Gleich darauf erschienen drei Männer mit glattrasierten Gesichtern und kahlgeschorenen Köpfen. Sie trugen schmutzigbraune Gewänder aus grober Leinwand. Mit Interesse stellte Osgood fest, daß sie alle drei auf dem rechten Auge schielten. Von der Einrichtung auffällig abstechend, trotteten sie durch den reich möblierten Raum und verbeugten sich tief vor dem Hausherrn. »Ihr seid willkommen«, erklärte Musab liebenswürdig, »und ich will euch meine Gastfreundschaft gewähren, sofern ihr die Bedingung annehmt, die ich euch auferlegen werde. Sie verlangt, daß jeder von euch, wenn ich es von ihm fordere, mir eine Geschichte erzählen muß, genauso wie meine anderen Gäste hier.« »Wir nehmen deine Bedingung an, und Allah möge dich zu großen Ehren erheben«, antworteten die Bettler einstimmig, den Blick fest auf die üppige Vielfalt von Speisen geheftet. »Beim Barte des Propheten, dies ist eine ereignisreiche Nacht«, rief Musab. »Genießt nun in vollen Zügen unsere Mahlzeit und laßt den Becher kreisen, auf daß alle Langeweile von uns weiche. Danach wollen wir den Erzählungen lauschen.«
Die Bettler scharten sich sofort rund um das größte Speisentablett und fingen an, in einer Weise reinzuhauen, die keinen Zweifel an ihrem Hunger ließ. Die anderen hatten wenig Lust zum Essen und tranken sparsam von dem ihnen vorgesetzten Wein. »Wisse, o Gastgeber«, sagte einer der Bettler zwischen gewaltigen Bissen, »daß ich nicht immer von der Wohltätigkeit anderer gespeist worden bin, denn ich bin als Sohn eines Königs geboren.« »Bei Allah«, unterbrach ihn der zweite Bettler hastig, »das ist seltsam, denn auch ich bin ein Königssohn.« »Wahrlich, die Wege der Vorsehung sind unerforschlich«, bemerkte Musab mit leisem Zweifel. »O Gastgeber, die Gastfreundschaft, die du uns heute nacht erweist, wird Allahs Aufmerksamkeit nicht entgehen«, erklärte der dritte Bettler und rülpste wohlerzogen, »denn wisse, daß auch ich der Sohn eines Königs bin und die Unbilden des Schicksals mich in diese Lage versetzt haben.« »Mein Haus ist geehrt durch soviel Prinzen«, erwiderte Musab ironisch. »Laßt uns nun eilen, eure Geschichten zu hören. Bei Osman«, ergänzte er mit einem Blick auf die leeren Schüsseln, »ich sehe wohl, daß euch Speise
dringend not tat. Möge euer Essen euch wohl bekommen. Wer von euch will beginnen?« Die drei schauten einander fragend an. Dann, nach einem höflichen, an seinen Gastgeber gerichteten Aufstoßen, erhob sich einer von ihnen und nahm in der Mitte des Zimmers Aufstellung. »Bist du bereit?« fragte Musab. »Dann wollen wir noch einmal den Wein kreisen lassen, und danach sollst du meine Neugier darüber befriedigen, wie du in diesen Zustand geraten bist.« Osgood, der inzwischen angefangen hatte, sich Sorgen über Mannerings fortgesetzte Abwesenheit zu machen, beriet sich leise mit dem freundlichen Jafar. »Du bist sicher, daß er heute abend keine Verabredung mit irgendeinem anderen Djinn hat?« fragte Jafar. »Ich bin ganz sicher«, erwiderte Osgood bestimmt. »O Ehrwürdiger«, redete Jafar daraufhin den Hausherrn an, »wisse, daß wir zu viert waren, als wir dein Haus betraten; jetzt aber, du siehst es selbst gar wohl, sind wir nur noch drei.« »Wo hält sich euer Gefährte auf?« »Wir fürchten, daß er in den Gängen umherirrt, die in dein Haus führen, so daß wir deine Erlaubnis erbitten, nach ihm zu suchen.«
»Sie ist gewährt«, antwortete Musab, »jedoch beeilt euch, denn ich bin begierig, zusammen mit euch allen den gewiß ungewöhnlichen Berichten jener Bettler zu lauschen.« »Wisse, o Scheik«, begann der Bettler, als Osgood aufstand, »daß ich bis zum heutigen Abend keinen meiner Begleiter jemals erblickt hatte. Aber ein wundersames Ereignis ist die Ursache meines Augenfehlers…« Mit schnellen Schritten durchquerte Osgood die Halle, öffnete nacheinander alle Türen und leuchtete schnell mit der Taschenlampe hinein. Dann lief er den Gang in Richtung auf die äußere Tür hinunter, blieb dort einen Augenblick stehen und rief laut Mannerings Namen. Anschließend ging er langsam wieder zurück und wiederholte seine Rufe alle paar Schritte. Tatsächlich war Mannering gar nicht weit weg. Als er endlich seine Streichhölzer und damit auch den verlorenen Pantoffel gefunden hatte, war er den anderen hinterhergelaufen, wobei er ab und zu ein Streichholz angezündet und sich damit den Weg erleuchtet hatte. Schließlich war er ebenfalls in den Saal gelangt und nach kurzem Nachdenken durch eine Tür auf der linken Seite gegangen. Er war in einen schwach erhellten Raum gekommen, in dem es zahlreiche Teppiche, jedoch kaum Möbel gab. Am anderen Ende befand sich eine zweite, of-
fene Tür, durch die ein Lichtschimmer nach außen drang. »Das muß die richtige sein«, hatte er sich gesagt und war hindurchgeschritten, nur um vor einer dick mit Teppichen belegten Treppe zu stehen. Er stieg hinauf und blieb oben vor zugezogenen Vorhängen stehen. Eine kleine Weile verharrte er unschlüssig, dann schob er die Vorhänge beiseite und trat ein. Er stand in einem kleinen Zimmer, in dem nur eine einzige Lampe brannte. In ihrem trüben Schein konnte er sehen, daß die Wände mit Seide bespannt waren und der Fußboden unter vielen Teppichen versteckt lag. Der Raum roch nach Weihrauch und Damenparfüms. »Guter Gott! Ich muß mich total verlaufen haben«, dachte er. »Das ist ja der Harem!« Er dankte dem gütigen Schicksal, daß das Gemach leer war, denn er wußte, daß man kurzen Prozeß machen würde, wenn man ihn hier entdeckte. Hastig drehte er sich um und wollte gehen, erstarrte jedoch gleich darauf vor Schreck, denn in der Tür, durch die er hineingekommen war, stand die unverschleierte Gestalt einer Frau. In dem Dämmerlicht konnte er sie nicht gleich deutlich erkennen. Überhaupt schien eine Art Nebel sie zu umgeben, der sie verschwommen und vage aussehen ließ. Nach und nach jedoch gewohnten sich Mannerings Au-
gen an die Dunkelheit und er bemerkte, daß er vor einem wunderschönen, jungen Mädchen stand. Mannering kam es vor wie eine Ewigkeit, daß er reglos verharrte und sie wie vom Donner gerührt anstarrte. Noch nie hatte er ein so liebliches Geschöpf gesehen. Es war, als wären alle seine unausgegorenen Träume von schönen Frauen in diesem einen, entzückenden Wesen Wahrheit geworden. Sie kam näher, und ihre dunklen Sternenaugen forschten in seinem Blick. »Wer bist du?« fragte sie mit leiser Stimme. »Es tut mir furchtbar leid«, erklärte Mannering, von unerklärlicher Verwirrung befallen. »Ich suche Freunde, die hier im Haus sind. Ich muß durch die falsche Tür gegangen sein.« Aber er machte keine Anstalten, sich zu entfernen. Wie gebannt schien er vor ihr zu stehen. »Wer bist du?« beharrte sie mit ihrer sanften Stimme. »Ich – ich bin ein Kaufmann – ein Ausländer und fremd hier in Bagdad.« »Du bist in großer Gefahr, o Ausländer. Wenn die Sklaven meines Onkels dich hier finden, töten sie dich.« Sie starrte ihn mit seltsamer Intensität an, und er gab den Blick ihrer leuchtenden Augen mit einem Gefühl zurück, wie er es noch nie erlebt hatte, einem beunruhigenden, verwirren-
den Gefühl, das ihn ganz schwach in den Knien machte. »Aber du bist in Sicherheit«, fuhr sie fort, »solange du dich ruhig verhältst und sie nicht aufweckst.« »Ich werde keinen Laut von mir geben«, versicherte er. »Willst du mir nicht von dir und deiner Heimat erzählen?« fragte sie ruhig. »Aber ich muß sofort weg von hier«, erwiderte er zögernd. »Meine Freunde warten unten auf mich.« »Kannst du nicht wenigstens kurze Zeit bei mir bleiben?« bat sie und kam noch ein Stückchen näher. »Ich bin sehr einsam, o schöner Fremdling.« Mannering sah sie an, wie sie auf ihn zutrat, und war sich ihrer üppigen Schönheit ganz und gar bewußt, der lose fallenden Wogen des dunklen Haars, der wollüstigen, nur halb bekleideten Gestalt. »Ich glaube, ich sollte jetzt lieber gehen«, meinte er, zugleich fasziniert und verlegen. »Inzwischen wird die Tür, durch die du hereinkamst, bewacht sein«, murmelte sie. »Du kannst nicht von hier fort, ohne daß man es entdeckt.« Ihre Glutaugen flehten und lockten. »Wenn du aber eine Stunde hier wartest, werden sie nicht mehr da sein.«
»Nein, ich kann wirklich nicht bleiben – sieh doch«, erwiderte er in wachsender Verwirrung. »Wenn sie mich finden, werde ich ihnen einfach erklären –« »Hör zu, o Ausländer«, beharrte sie und kam dabei immer näher, »die Männer meines Onkels werden keine Erklärung abwarten, sondern dich sofort töten.« »Das muß ich riskieren«, antwortete er und wendete sich halb zur Tür. »Warte. Wenn es so ist, wie du sagst«, gab sie nach, »und du wirklich gehen mußt, so erlaube, daß ich dich einen anderen Weg führe; denn sieht man dich hier, so ist mein guter Ruf befleckt. Wirst du mir folgen?« Mannering nickte stumm. Sie drehte sich um und blies die Lampe aus. »Komm«, flüsterte sie. Er machte einen Schritt auf ihre Stimme zu, stolperte über eine Teppichfalte und wartete zögernd. »Kannst du nicht sehen?« wisperte es dicht neben ihm. »So nimm meine Hand, und ich werde dich führen.« Ihre weichen, nur allzu zutraulichen Finger suchten die seinen, und kaum daß sie ihn berührte, ergriff ihn heftigstes Verlangen, sie in seine Arme zu schließen. Als hätte sie es bemerkt, kam sie noch näher, und eine Strähne
ihres Haares streifte sein Gesicht. Erregt durch ihre bezaubernde Weiblichkeit, ihren warmen, exotischen Duft, umarmte er sie wild und fand ihre Lippen. »Ich sollte jetzt aber wirklich gehen«, murmelte er, ohne jedoch irgendeine Bewegung dazu zu machen. »O Herr unserer Schicksale«, hauchte sie und schmiegte sich eng an ihn. »Vertraue mir nur, und ich werde dir Freude und köstliche Ergötzungen bringen…« Urplötzlich zerplatzte Mannerings Traumwelt wie eine Seifenblase. Eine Stimme rief seinen Spitznamen. Schwarze Wolken zogen über sein Haupt und hüllten ihn ein, und schweren Herzens lauschte er Osgoods Stimme, die ein zweites Mal nach ihm rief. Die Hand des Mädchens wurde fortgezogen, und als er betäubt und allein zurückblieb, vernahm er einen merkwürdig zischenden Ausruf. Ungeschickt suchte er wieder nach seinen Streichhölzern und zündete eins an. Sie war verschwunden! »Lächler! Wo zum Teufel bist du?« erklang wieder Osgoods Stimme. Mannering ermannte sich, rannte die Treppe hinunter und trat in den Korridor. Wenige Meter vor ihm sandte Osgoods Taschenlampe ihre Strahlen aus und blitzte ihn an. »He! Geh mir mit dem verfluchten Ding aus
den Augen!« protestierte Mannering blinzelnd. »Wo zum Henker hast du gesteckt, Lächler? Guter Gott, was ist denn los? Du siehst ja aus wie eine aufgewärmte Leiche!« »Ich war noch nie so lebendig wie jetzt«, gab Mannering hitzig zurück. »Na los, wo ist die Gesellschaft? Ich möchte mir ihren Onkel ansehen.« »Ihren Onkel – Lächler! Was soll das bedeuten, du entsetzlicher Mensch?« »Mach jetzt keine Witze. Ich erzähle dir nachher alles. Komm, wir wollen zu den anderen gehen.« Osgood marschierte voraus, und Mannering wurde, wie es sich gehörte, dem Gastgeber vorgestellt, der – ahnungslos darüber, wie genau man ihn musterte – den Nachzügler freundlich zum Essen und Trinken einlud. »Du wirst bemerken, daß es an Bier, deinem Lieblingsobst, fehlt«, bemerkte Osgood scherzhaft. »Ich kann dir dafür dieses gelbe Zeug hier empfehlen – es ist eine Art verdünnter Champagnercocktail.« Eine ganze Weile war Mannering jedoch völlig jenseits von Essen und Trinken. Er hockte unbequem auf einem Stapel von Teppichen und weichen Kissen, schloß die Augen und erlebte noch einmal die sinnliche Anmut jenes wundervollen Wesens, das ihn so augenblicklich
bezaubert hatte. In seine Geistesabwesenheit drang jedoch schließlich die Stimme des einen Bettlers, und er hörte dem Schluß von dessen Geschichte zu. »– Ich setzte nun meine Reise entlang der Küste fort, bis ich einen Hafen erreichte, wo ich ein Schiff nach Basra bestieg. Der Kapitän des Schiffes aber, dem ich die Geschichte erzählte, sprach zu mir: ›Reise nach Bagdad und berichte dem Kalifen Harun al Raschid deine Erlebnisse, und er wird dich reich belohnen.‹ So kam ich denn heute abend hier in der Stadt an, und nach den für meine sichere Ankunft vorgeschriebenen Dankgebeten ging ich, um eine Herberge zu suchen. Dabei traf ich diese hier, meine Gefährten, die ebenso verloren und mittellos sind wie ich, und so irrten wir gemeinsam umher, bis die Vorsehung unsere Schritte in dein Heim lenkte, o gastfreundlichster aller Gastgeber.« »Fürwahr, wundersam ist deine Geschichte«, rief Musab, »und viele seltsame Abenteuer hast du erlebt. Du würdest recht daran tun, sie dem Kalifen vorzutragen. Doch jetzt wollen wir uns mit Wein anfüllen, ehe die nächste Geschichte erzählt wird. Ich merke, daß ihr euch fragt, wen ich als Nächsten um eine Geschichte bitten werde. Nun gut. Es ist mein Wunsch, die Geschichte dieses jungen Mannes zu verneh-
men, denn sein herrlicher Schnurrbart erinnert mich an meinen eigenen in meiner Jugend.« »Er meint dich«, bedeutete Mannering seinem Freund. »Verdammt! Was kann ich ihm nur erzählen?« murmelte Osgood erschreckt. »Ich muß mir etwas Flottes einfallen lassen, um mit dem vorigen Typ mithalten zu können. Also gut. Ich werde ein bißchen Sympathiewerbung für die Luftfahrt betreiben.« Er goß sich noch etwas Wein ein und stürzte sich kopfüber in seine Erzählung.
X Osgoods neue Verwandte »Meine Geschichte«, begann Osgood munter, »ist kurz. Sie handelt von einem höchst bemerkenswerten jungen Mann namens – äh – Daniel Donnerkeil.« »Erzähle sie uns von Anfang bis Ende«, befahl Musab, dessen Augen vor Vergnügen funkelten. »Daniel Donnerkeils Vater war ein wohlhabender Kaufmann aus Damaskus. Ja – darum hieß er auch so: Daniel Donnerkeil aus Damaskus. In seiner zarten Jugend jedoch entführte ihn ein Djinn mit Namen Rupert Rastlos seinem Vater, ein großer, unangenehm aussehender Kerl, der in einem unterirdischen Palast im Gebirge hauste. Dort war alles mit größtem Luxus ausgestattet, Möbel aus Gold und Silber und so weiter, alles Zubehör echt Woolworth, und überall heißes und kaltes fließendes Wasser. Hier nun verbrachte Dan seine Jugend, und Rupert erzog ihn sorgfältig für eine ganz bestimmte Aufgabe. Er sollte nämlich dereinst einen ungeheuren Vogel fangen, der Gin-Dop-
pelt hieß und einem gewissen Prinzen Riff Raff gehörte, welcher auf einer fernen Insel lebte. Abgesehen von dieser Spezialausbildung hatte Dan wenig zu tun, nur daß er sein früheres Leben vergaß und die Kunst der Zauberei erlernte. Als Dan zwanzig Jahre alt war, sprach Rupert, der mit zunehmendem Alter immer stärker unter Erröten und Herzbeschwerden litt, zu ihm: ›Die Zeit ist gekommen‹, und er versetzte sich selbst und Dan in eine abgelegene Wüste. Dort warteten sie, als Oasen verkleidet, mehrere Tage. Der Vogel Gin-Doppelt nämlich, ein Weibchen, hatte die Angewohnheit, alle zehn Jahre diese ebene Wüste anzufliegen, um dort Eier zu legen. Und wirklich erschien er eines Tages unter fürchterlichem Windgebraus und allerhand anderem Unfug.« Osgood hielt einen Moment inne, weil er keine Ahnung hatte, wie die Sache weitergehen sollte. »Bestimmt war dieser Djinn-Doppelt das gräßliche Untier, in dem er hergekommen ist«, flüsterte Jafar dem Kalifen zu. »Ohne eine Sekunde zu zögern«, fuhr Osgood entschlossen fort, »und exakt nach Plan verwandelten sich Rupert und Dan in die beiden Hälften eines Vogelkäfigs, umzingelten damit geschickt den Vogel und schleppten ihn gefangen fort.
Es war aber Rupert Rastlos' Idee, mit Hilfe von Gin-Doppelt seine Luftfrachtorganisation weiter auszubauen, denn er war zu alt und müde, um immer noch alles allein zu machen. Dans Job war es, Gin-Doppelt zu lenken und zu landen, ohne daß dabei etwas zu Bruch ging. Gerade als er begriffen hatte, wie man das machte, starb Rupert an seinen Herzbeschwerden, und so gab Dan sein luxuriöses Heim auf und flog mit Gin-Doppelt, mit dem er sich inzwischen innig angefreundet hatte, zurück nach der fernen Insel, von der der Vogel stammte. Dort gab er ihn dem Prinzen Riff Raff wieder. Der Prinz freute sich so, daß er Dan zu einem seiner obersten Amtsträger machte, im Rang eines Kapitäns von Gin-Doppelt und mit dem Vorrecht, genau den gleichen Einkommensteuersatz zu bezahlen wie alle anderen Leute. Dadurch wurden Dan und Gin-Doppelt unzertrennlich und flogen nun immer zusammen. Eines Tages nun schickte der Prinz Riff Raff, der gar viel vom glanzvollen Hofe des Fürsten Harun al Raschid zu Bagdad gehört hatte, Dan und Gin-Doppelt und gewisse andere Magier – unter ihnen einen, der Donner und Blitz in der Hand trug – hierher, um –« »Halt ein!« rief Musab. »Willst du damit sagen, daß jener Daniel Donnerkeil aus Damas-
kus jetzt hier in Bagdad weilt?« »So ist es«, gab Osgood zurück. »Du selbst bist jener Daniel Donnerkeil, ist es nicht so?« mischte Harun sich neugierig ein. »Allerdings«, versetzte Osgood ohne zu erröten und benutzte diese Gelegenheit, mit dem Geschichtenerzählen aufzuhören und sich wieder auf seinen Platz zu setzen. Er bemerkte die Wirkung nicht, die seine Antwort an den Kalifen bei ihrem Gastgeber hervorgerufen hatte. »Wie du es schaffst, dir einen derartigen Blödsinn auszudenken, ist mir unbegreiflich«, bekannte Mannering. »Schiere Konzentration und Mangel an Verstand, mein Bester«, grinste Osgood. »Paß lieber auf, daß du dich beim Erzählen nicht verhedderst, wenn die Reihe an dich kommt. Hallo! Was hat denn der alte Knabe?« Musab hatte sich erhoben und rief plötzlich, die Hände über dem Kopf erhoben, mit lauter Stimme: »Gepriesen sei deine Vollkommenheit, o gütiges Schicksal, das alle unsere Schritte und Bestimmungen lenkt.« Er ging zu Osgood hinüber, der, wie alle anderen, diesem Ausbruch verblüfft zugeschaut hatte, packte ihn an den Armen und zog ihn in die Höhe. Dann warf er einen bedeutungsvollen Blick in die Runde und verkündete mit seiner lauten, dröhnenden Stimme:
»Wisset, o meine Gäste, daß das Glück heute nacht bei mir eingekehrt ist, denn dieser junge Mann, Daniel Donnerkeil, ist kein anderer als mein Sohn Daniel, das Lebenselixier meines Herzens, der mir vor vielen Jahren in Damaskus gestohlen wurde und mich, geplagt von meinem Kummer, allein zurückgelassen hat bis zu dieser Stunde. Komm her, o mein Sohn, und umarme deinen Vater!« »Ich glaube, du irrst dich«, stotterte der verwirrte Osgood. »Bestimmt –« »Nein, es gibt keinen Irrtum, mein Sohn. Bestätigt es nicht sogar dein Schnurrbart? Gegen das Walten des Schicksals gibt es keine Auflehnung. Die Wahrheit ist erschienen, zerstoben der Zweifel. Ihr habt wohlgehandelt, meine Glückssterne! Umarme deinen Vater.« Osgood fand sich gefangen. Ein buschiger Bart und Schnurrbart wurden erst in sein eines, gleich darauf in das andere Auge gestoßen und sein Gesicht trotz aller Anstrengungen, sich zu befreien, energisch gegen die Brust des Alten gepreßt. Endlich gelang es ihm, sich loszumachen, und gerade wollte er sich, dem Scheik zornig in das strahlende Gesicht blickend, über die unwürdige Behandlung beschweren, als er den vornübergebeugten Mannering gewahrte, der mit der Stirn beinahe den Boden berührte, während sein Körper unter
einem heftigen Ausbruch unterdrückten Gelächters bebte. Er sah den Kalifen und den Wesir, die angeregt die erstaunliche Begegnung erörterten und sich beglückwünschten, daß das Schicksal sie als Bewerkstelliger dieses Ereignisses auserwählt hatte; und endlich schaute er nach unten und sah die neidischen Gesichter der drei Bettler. Im selben Moment wurde ihm klar, wie absurd die ganze Situation war, und mit nur einem flüchtigen Gedanken an seinen ungemein ehrbaren, würdigen Vater, Rechtsanwalt in einem englischen Provinzstädtchen, ergab er sich mit philosophischer Ruhe in die robusten Zärtlichkeiten seines neuen Elternteils. »Wahrlich, dies ist ein Anlaß, der erfordert, geistige Getränke ungehindert strömen zu lassen!« rief Musab. »Bringt Karaffen mit Wein, ihr schwarzen Hunde! Trinkt, o meine Gäste, bis ihr die Irrtümer der Vergangenheit vergessen habt und der Versprechen der Zukunft nicht länger achtet. Habt ihr nicht die Worte des Dichters vernommen? Laßt ihn im großen Becher kreisen und im kleinen, empfangt ihn aus dem Herzen des schimmernden Mondes. Und trinkt nicht ohne fröhlichen Lärm; denn ich habe beobachtet, daß auch Pferde trinken, wenn man ihnen etwas vorpfeift.
Trinkt, ihr schielenden Bettler, die ihr das Glück hattet, eure Schritte in dieser Nacht zu mir zu lenken: denn als Ausdruck meiner Dankbarkeit dafür, daß ich meinen Sohn gefunden habe, will ich jedem von euch soviel Geld vorstrecken, daß er einen Kaufhandel anfangen kann. Und auch euch drei Gefährten meines Sohnes will ich meinen Dank und meine Freundschaft erweisen. Wie gefällt euch mein Anerbieten?« »Wir sind dir aufrichtig dankbar«, erwiderte Jafar höflich. »Mein Sohn, bald wirst du auch deine Base sehen, die Tochter deines Onkels väterlicherseits, meines Bruders, der vor vielen Jahren im Kampfe mit den Römern ums Leben kam. Ihre Mutter war eine griechische Schöne. Am Tage ihrer Geburt schon wurde sie dir zur Ehe versprochen – nein, unterbrich mich nicht! Sie ist deine verlobte Braut, und du wirst dich unverzüglich mit ihr trauen lassen, wie es das Schicksal bestimmt hat.« »Ich will aber nicht heiraten«, wehrte sich Osgood, dessen Gleichmut von neuem erschüttert wurde. »Ah, warte nur, bis du sie siehst. Wisse, mein Sohn, daß deine Braut von unübertrefflicher Lieblichkeit und Wohlgerundetheit des Leibes ist. Außerdem besitzt sie viel Geschick im Ver-
fassen von Versen, im Bücherlesen, in der Nekromantie und ähnlichen Dingen. Aber was schwatze ich da! Laßt uns wieder zu unserem Geschichtenerzählen zurückkehren. Füllt eure Becher und trinkt, während die Geschichte, die jener Schwarzbärtige dort uns nun berichten wird, unsere Ohren ergötzt.« »Er meint dich, o mein Fürst«, flüsterte Jafar. »Esel, dich meint er«, erwiderte Harun. »Aus meinem Kopf kam noch nie eine erfundene Geschichte, Herr, das weißt du wohl.« »Was nützt ein Bart, wenn eine leere Hülse darübersitzt? Komm, Jafar, rechtfertige deinen Bart. Beginne deine Erzählung und mach nicht so ein böses Gesicht, weil du dein Versprechen halten mußt.« »Ich höre und gehorche«, gab Jafar schicksalsergeben zurück. »Willst du uns nun deine Geschichte hören lassen?« schaltete sich jetzt Musab ein, indem er sich fröhlich an den Kalifen wandte. »Zuerst soll mein Gefährte hier seine Erzählung vortragen«, versetzte Harun. »Nicht also, denn mich gelüstet, zuerst dir zu lauschen, du Schwarzbärtiger mit den blitzenden Augen, dessen Miene der eines Fürsten gleicht«, erklärte Musab und zwirbelte seinen Schnurrbart. »Erfreue meine Ohren mit den reizvollen Einzelheiten deines Berichts.«
»O großmütiger Gastgeber, ich habe nie ein Abenteuer erlebt, das mich in den Stand versetzt hätte, Geschichten zu erzählen wie jene, die wir vorhin vernommen haben«, beharrte Harun mit fester Stimme. »Das glaube ich dir nicht, du Ausbund an Bescheidenheit. Bedenke, daß du einen Vertrag mit mir geschlossen hast. Ersinne darum eine Geschichte, wenn du keine eigenen Erlebnisse schildern kannst.« »Wir beschwören dich, uns von dieser Aufgabe zu entbinden«, sagte Harun kurz. »Nein, fürwahr, ich werde dich nicht davon entbinden.« »Ich werde dir morgen eine Geschichte erzählen.« »Nein, es muß noch heute abend sein.« »So will ich mich mit deiner Erlaubnis erheben«, bemerkte Harun mit funkelnden Augen. »Ich werde dir morgen eine Geschichte erzählen, die dich den Tag segnen lassen wird, an dem du mir Gastfreundschaft geboten hast.« »Nein, nein, nein!« rief Musab mit alkoholgetränkter Hartnäckigkeit. »Ich muß die Geschichte jetzt haben. Laß mich keine weiteren Ausflüchte hören, sonst werde ich dich –« »Du Hund, wagst du es, mich zu bedrohen?« brüllte Harun und sprang auf. »Unverschämtes Schwein, sprichst du so mit
deinem Gastgeber?« zeterte Musab zurück und klatschte in die Hände. »Herbei, Sklaven! Ergreift und bindet sie. Man soll sie prügeln.« Ehe die Gäste noch recht begriffen hatten, was geschah, waren sie von kräftigen Negern umringt und mit Stricken gefesselt worden. »Man bringe die Gestelle und Ruten für die Bastonade!« gebot Musab. »Im Namen Allahs, ich bitte dich, Musab, gib uns frei! Es bedeutet deinen Tod, wenn du uns zu schlagen versuchst!« schrie nun Jafar, von Entsetzen erfaßt. »Du weißt nicht, was du tust!« »Verflucht sei dein Bart, und verflucht seien dein Vater und deine Mutter, deine Ahnen und deine Nachkommen!« brüllte der wutentbrannte Harun. »Wisse, du Hund und Sohn eines Hundes, daß du mit deinem Kalifen, dem Fürsten von Bagdad, sprichst!« »Das ist doch nun wirklich eine großartige Geschichte«, rief Musab unter röhrendem Gelächter. »Warum hast du mir dieses Märchen nicht gleich erzählt? Es hätte mir völlig genügt. Beim Barte Osmans, du bist nun schon der vierte Prinz heute abend in meinem Haus. Aber nimm noch einen Schluck Wein, und vielleicht erzählst du mir dann noch, du wärst –« »Verbrennen möge der Heilige, der dich erzog!« kreischte Harun mit vor Wut blitzenden
Augen. »Möge Allah dein Gesicht schwarzbrennen! Bei Gott, dafür sollst du tausend Tode sterben.« »Musab, hör mir zu«, sagte Osgood ernst. »Er spricht die Wahrheit. Dies ist Harun al Raschid, der Kalif. Der andere ist Jafar, sein Kleinwesir. Wir sind seine Gäste.« Musabs lärmende gute Laune verschwand mit einem Schlage. Er schien in sich zusammenzufallen. »Wahrlich, dies ist ein schwarzer Tag«, erklärte er langsam. »Schwörst du, daß du der Kalif bist?« Harun war vor Wut so außer sich, daß er nicht antworten konnte. »Beschwörst du, daß er es ist?« »Ich schwöre es bei den Gräbern der Apostel Allahs, deren Name unvergänglich sein möge«, antwortete Jafar. Musab setzte sich wieder auf seinen Teppich und strich sich nachdenklich den Schnurrbart. »In der Tat, eine schwierige Situation«, meinte er. »Sie wird noch viel schwieriger für dich werden«, verkündete Harun, der noch immer vor Grimm bebte. »Der Stock soll dich küssen, bis dir die Sinne schwinden, und doch wird das ein Vergnügen für dich sein, wenn man es mit dem vergleicht, was danach kommt.« »O mein Herr und Kalif«, sagte Musab nach-
denklich, »deine Anwesenheit hier ist eine Ehre für uns, und ich erkenne das gern an, aber du hast mich in eine arge Zwangslage gebracht.« »Sie ist ein Nichts im Verhältnis zu der, die du noch kennenlernen wirst, du schwarzlebriger Köter«, versprach Harun giftig. »Je stärker die Kraft deiner Drohung ist, o Fürst von Bagdad, desto größer wird mein Dilemma. Fürwahr, mein Herz krampft sich zusammen und mein Verstand verwirrt sich, wenn ich über dich nachdenke; denn wenn ich den obersten Kalifen der Gläubigen töte, so werde ich nach meinem Tode gewißlich in das Reich des Teufels geraten, wonach ich keinerlei Verlangen habe.« Er hielt inne, um einen Becher mit Wein zu füllen, den er grübelnd austrank. »Andererseits jedoch – gebe ich dich frei, so wirst du mich zweifellos enthaupten lassen. Auch danach verspüre ich keine Sehnsucht. Welcher Ausweg bleibt mir in dieser Lage? Ich appelliere an dich, nicht in deiner Eigenschaft als mächtiger Fürst, denn darin bist du im Augenblick hilflos, sondern in deiner Stellung als Richter und Spender von Weisheit. Wie beneidenswert ist doch deine Situation, daß du in dieser Weise über dein eigenes Schicksal entscheiden kannst! Nun, o Richter, wie soll ich
mich verhalten? Den Kalifen und alle meine anderen Gäste, außer meinem Sohn, umbringen, damit meine Tat verborgen bleibt? Oder ihn freilassen, wohl wissend, daß er als erstes meinen Tod anordnen wird? Was rätst du mir, o weiser Richter?« »Gib deinen Kalifen frei und vertrau auf seine Milde«, erwiderte Harun nach einer Pause. »Ich will deinen bewunderungswürdigen Rat annehmen, o Richter, wenn ich für diese Milde eine Sicherheit bekommen kann.« »Was verlangst du?« »O Fürst, schwöre mir beim Eid der dreifachen Scheidung von deiner Hauptgemahlin und Prinzessin, daß du mir nichts nachtragen und mich und mein Haus für die Kränkungen, die ich dir unwissend zugefügt habe, nicht bestrafen wirst.« Eine volle Minute lang starrte der erzürnte Kalif dem Syrer finster in das kühne, entschlossene Gesicht. Plötzlich fing er an zu lachen. »Du bist ein amüsanter Halunke, o Faßbauch«, rief er, »und ich will mich deinen Gründen beugen. Ich lege mir selbst den Eid der dreifachen Scheidung von meiner Prinzessin auf, wenn ich dir für deine Missetaten der heutigen Nacht Schaden zufüge oder dir und den Deinen meinen Schutz versage, wenn du
seiner bedarfst. Nun aber laß mich losbinden, du Mann mit dem törichten Bart.« Durch das Ehrenwort des Kalifen beruhigt, gab Musab sofort Befehl, alle wieder loszubinden. Kurz darauf leerte man, so liebenswürdig wie nur je zuvor, erneut die Becher und tauschte Komplimente aus; und bis auf die Tatsache, daß die drei Bettler jetzt vor den Augen des Kalifen ein ungemein wichtigtuerisches Gehabe annahmen, nahm die Gesellschaft ihren Fortgang, als hätte sich nicht das geringste Ungewöhnliche ereignet. Nach einer Weile ergriff Musab, herzlich wie vorher, wieder das Wort. »Daniel, mein Sohn, du sollst jetzt den Anblick deiner verlobten Braut, der lieblichen Selma mit den leuchtenden Augen, genießen dürfen. Hamza, geh hin und bitte die Herrin Selma, sich ungesäumt hier bei uns einzufinden. Daniel, bereite dich auf eine Freude ohne Grenzen vor. Morgen sollst du Selma heiraten, und ich will dir ein Fest ausrichten, dem selbst der Fürst von Bagdad vielleicht die Gnade seiner Gegenwart schenken wird. Wirst du kommen, mein Herr und Kalif? Wunderbar! Wahrlich, dieser Tag ist jetzt so weiß wie Milch, so sehr hat mich das Glück begünstigt. Laßt uns auf den Morgen trinken. Preis sei Allah.« »Möge es dir zum Guten ausgehen«, antworte-
ten die Araber und hoben die Becher. »Möge Allah euch Gutes erweisen!« schloß Musab und leerte seinen Becher mit einem Zug. »Diese angebliche Kusine von dir muß das Mädchen sein, das ich gesehen habe«, flüsterte Mannering. »Du kannst dich zurückhalten, Dick, sie gehört mir. Nein, ich mache keine Witze! Es ist mir ganz ernst. Ich habe mich bis über beide Ohren in sie verliebt – es wird dir genauso gehen, sobald du sie gesehen hast. Und was immer du tust, benimm dich freundlich zu deinem neuen Vater.« Wenige Minuten später betrat eine kurze, dicke weibliche Gestalt den Raum. Sie war in einen blauseidenen Mantel gehüllt, der sie fast völlig verbarg – nur die Augen und die aufwärts gebogenen Pantoffelspitzen waren zu sehen. Sie durchquerte den Salon und kniete vor ihnen nieder. »Du darfst meinen Gästen dein Antlitz zeigen, Selma, denn der eine ist kein anderer als mein Sohn Daniel, der mir in Damaskus geraubt wurde und mit dem du seit deiner Kindheit verlobt bist, und die anderen sind seine Freunde.« Nach Mannerings Schilderung hatte Osgood ein ganz besonders hübsches Mädchen erwartet, fand die Eingetretene jedoch alles andere
als attraktiv. Offenbar waren hier zwei Mädchen im Spiel, und hier stand die Falsche. Er warf Mannering einen Blick zu und bemerkte verblüfft, daß dieser mit dem Ausdruck anbetender Bewunderung auf Selma starrte. Osgood zog verwirrt die Stirne kraus und schaute wieder zu Selma hin, die jetzt vor ihnen verharrte, die Augen niedergeschlagen. Ja, sie war wirklich dick und stämmig, mit rundem, aufgeschwemmtem Gesicht, kleinen Kohlenaugen, schweren schwarzen Brauen und fettigem Teint. Puh! Und das war nun seine zukünftige Verlobte? Wieder sah er zu Mannering hinüber, der das Mädchen noch immer mit liebevoller Anteilnahme betrachtete. Osgood schüttelte verstört den Kopf. Hatte sich Lächler tatsächlich in dieses wenig einnehmende Geschöpf vergafft? »Sieh ihn dir genau an«, befahl Musab scherzend. »Ist er nicht ein hübscher Jüngling, wenngleich unziemlich rasiert?« »Mein Onkel, ich habe ihn angesehen«, erwiderte Selma mit öliger Stimme. »Und was hältst du, mein Sohn, von dieser Houri des Entzückens?« erkundigte sich Musab sodann bei Osgood. »Musab, sie ist genau, wie du sagst«, stimmte dieser pflichtschuldigst zu. »Von einer wie ihr«, fuhr Musab fort und
nahm einen weiteren tiefen Schluck, »hat der Dichter geschrieben: Das Paradies tut sich auf, wenn sie sich zeigt; und über ihren Halsringen siehst du den Vollmond. Denn schaut sie nur an, mit den herrlichen Augen des Falken und der Adlernase, glänzend wie ein poliertes Schwert.« Während dieser Lobpreisung zog sich Selma diskret hinter ihren Onkel zurück, und Osgood sah, daß ihre Augen Mannering mit seltsamem Ausdruck folgten und dieser den Blick nicht von ihr wenden konnte. »Bin ich denn verrückt?« fragte Osgood sich innerlich. »Entweder ist bei mir eine Schraube los oder Lächler ist nicht ganz auf dem Teppich.« Er beugte sich zu Jafar hinüber, der das Mädchen mit zweifelndem Stirnrunzeln musterte. »Jafar, ist dieses Mädchen so schön, wie unser Gastfreund sie schildert, oder ist sie fett und unansehnlich, so wie sie mir vorkommt?« »Ich freue mich, daß wir zu zweit sind«, gab Jafar zurück, »denn ich hatte schon gedacht, ich hätte zu tief in den Wein geschaut.« Beruhigt wandte sich Osgood nun an Mannering. »Lächler, das ist doch bestimmt nicht das Mädchen, von dem du so hingerissen bist, oder?«
»Doch«, erwiderte Mannering, »natürlich. Findest du nicht, daß sie das süßeste Ding aller Zeiten ist? Warum zum Teufel siehst du mich so an?« »Willst du mir wirklich erzählen, du wärst in sie verschossen? Lächler! Was ist denn los mit dir, alter Junge – geht es dir nicht gut?« »Verdammt noch mal, worauf willst du eigentlich hinaus? Sie ist das hübscheste Mädel, das ich je gesehen habe. Ich –« »Aber Lächler, sie ist gräßlich – ein feistes, fettiges Weibsbild mit boshaften kleinen Augen und –« »Was zum –!« unterbrach Mannering ihn wutschnaubend. Dann verstummte er einen Moment und funkelte Osgood mißtrauisch an. »Du Teufel! Du bist ja nur selber hinter ihr her. Jetzt hör mir mal gut zu. Ich habe es dir doch gesagt – sie gehört mir, also halt du dich zurück.« »Ich gebe es auf«, knurrte Osgood und lehnte sich wieder in die Kissen. Jafar näherte seinen Mund Osgoods Ohr. »Der Kalif sagt, daß er den Anblick dieser Frau nicht länger erträgt und wir gehen müssen«, flüsterte er. »Da kann ich ihm nur beipflichten«, brummte Osgood. »Morgen wird hier in diesem Hause die Hoch-
zeitszeremonie abgehalten werden«, dröhnte Musab. »Gleich in der Frühe sollen die Gesetzeskundigen den Ehevertrag aufsetzen, und nach dem Mittagsgebet findet die Trauung statt.« »Ich kann morgen niemanden heiraten«, wandte Osgood energisch ein. »Der Kalif wird mir bestätigen, daß es andere, dringendere Angelegenheiten gibt.« »Nichts soll sich zwischen dich und deine Eheschließung mit dieser bezaubernden Jungfrau stellen«, versetzte Harun ebenso energisch. »Denn wenn du hier dieses Mädchen heiraten sollst, kannst du nicht im selben Augenblick dringend der anderen Jungfrau bedürfen; und den Angelegenheiten, die du gerade erwähnt hast, werde ich persönlich meine volle Aufmerksamkeit widmen, sobald ich morgen früh den Rat des Obersten meiner Kadis gehört habe.« Zu dieser unerwarteten Wendung sagte Osgood weiter nichts, rieb sich jedoch nachdenklich das Kinn. »Fürwahr, dieses war ein denkwürdiges Abenteuer«, fuhr Harun zu Musab gewandt fort. »Und seine Geschichte soll in meiner Bibliothek zu Nutz und Frommen der Nachwelt aufgezeichnet werden. Jetzt aber neigt sich die Nacht ihrem Ende zu, und mit deiner Erlaub-
nis, o unterhaltendster aller Gastgeber, will ich mich erheben und aufbrechen.« »Herr, niemals ist meinem Hause solche Ehre widerfahren wie heute mit deinem Eintritt. Daniel, du aber bleibe bei deinem Vater, ich gebiete es dir.« »Ich komme morgen früh wieder«, sagte Osgood versuchsweise, den Blick auf den Kalifen gerichtet. »Eine solche Unhöflichkeit deinem gerade erst wiedergefundenen Vater gegenüber wäre untragbar«, bemerkte Harun mit hämischem Lächeln. »Darum mußt du hierbleiben. Aber« – dies zu Musab – »er ist mein Gast, und ich werde dich dafür verantwortlich machen, wenn er nicht mit aller ihm deshalb gebührenden Ehrerbietung behandelt wird.« »O Kalif, bei meinem Haupte und meinen Ohren, bin ich toll, daß ich dir nicht gehorchen sollte?« »Ich bleibe auch hier und leiste ihm Gesellschaft«, schlug Mannering vor und beobachtete dabei Selma. »Es würde mich betrüben, verließest du uns«, erklärte Harun mit Nachdruck. »Ich wünsche, daß dein Freund die Möglichkeit hat, sein lang hinausgezögertes Glück zur Gänze zu genießen.« Mannering sah das Mädchen an, dann Os-
good. »Scheißspiel«, sagte er bitter zu diesem. »Du und deine verfluchten Märchen.« »Wenn du doch bloß Danny Donnerkeil gewesen wärst«, versetzte Osgood. »Paß aber auf jeden Fall auf Joyce auf, wenn ich morgen früh nicht zurück bin.« »Vergiß nicht, ich habe das erste Recht auf Selma«, warnte Mannering. »Mein lieber Freund, wenn du nur wüßtest, wie gut sie bei mir aufgehoben ist!« »Allah sei mit dir, o mein Gastgeber«, rief Harun zum Abschied und schritt den anderen voran aus dem Gemach. »Der Friede Allahs begleite euch, meine Gäste«, antwortete Musab herzlich, während Jafar und Mannering folgten. »Nun aber sollt ihr drei Bettler in meiner Mildtätigkeit ruhen, und morgen will ich euch mit Geld versehen. Hamza, führe sie in deine Wohnung und bereite ihnen ein Lager. Du, Selma, kehre in deine Gemächer zurück. Und wir, mein Sohn Daniel, wollen miteinander weitertrinken, du und ich, bevor wir uns den Geboten des Schlummers fügen.«
XI Ein flüchtiger Liebhaber In dem dunklen Schlafgemach, in das ihn Musab nach mancherlei geselligen Reden endlich geleitet hatte, blieb Osgood eine halbe Stunde erst einmal still sitzen. Er hatte soviel Wein getrunken, daß es ihn Mühe kostete, wach zu bleiben; trotzdem aber war er nicht gesonnen, sich in sein Schicksal zu fügen, so verzwickt seine Lage auch aussah. Er war fest entschlossen, in Jafars Palast zurückzukehren, denn er wußte, daß Joyce sich am nächsten Morgen in einer, gelinde gesagt, prekären Situation befinden würde und daß seine Anwesenheit vielleicht doch einen offenen Bruch mit dem Kalifen verhindern könnte. Das Haus schien jetzt endlich still genug zu sein. Er entschied, daß die verschiedenen Bewohner sich mittlerweile offenbar zur Ruhe begeben hatten und er es wagen konnte, sich davonzustehlen. Er stand auf, reckte und streckte sich und schlich dann auf Zehenspitzen durch das mit Teppichen ausgelegte Zimmer, wobei er ab und zu seine Taschenlampe aufblitzen ließ. Aber er hatte erst wenige
Schritte getan, als die Tür sich langsam öffnete und ein Licht sichtbar wurde. Er reagierte sofort, schaltete die Lampe aus und verharrte regungslos. Im Türrahmen zeigte sich eine Gestalt, in der Hand eine Lampe. Es war Selma. Osgood sah sie verwundert und voll Unbehagen an. Sie sah ihn mitten im Zimmer stehen, zauderte, trat dann aber doch mutig ein und stellte die Lampe auf einen niedrigen Tisch. Noch immer trug sie den blauen Mantel, in dem er sie vorher gesehen hatte. Sie beobachtete ihn gespannt und machte einen so hoffnungslos unattraktiven Eindruck, daß Osgood Mitleid bekam. »Was wünschst du, Selma?« fragte er nicht unfreundlich. »Ich bin gekommen, um dir diese Blume zu schenken, o mein Bräutigam«, antwortete sie schüchtern und reichte ihm eine einzelne kleine Blüte. Er schaute sie fragend an. »Hast du die Botschaft der Liebe vergessen, die die Mandelblüte dir bringt?« fragte sie schelmisch. Ihre Stimme war ausdruckslos und ölig. »Hab ich sonst noch was!« entfuhr es dem entsetzten Osgood. »Du mußt nicht versuchen, dich in mein Herz zu schleichen, Selma, das gefällt mir nicht. Außerdem, was ist mit meinem
Freund? Gib ihm die Blume, nicht mir. Er ist verrückt nach dir – wirklich, du hast ihn total behext!« »Ah, so hast du es dir gedacht«, erwiderte sie mit neckischem Lächeln, »daß er unter einem Zauberbann steht?« Osgood, von plötzlichem Verdacht erfüllt, schaute zu ihr hinunter. »Hast du ihn etwa behext, du kleine – äh – Hexe?« fragte er ungläubig. »Na, das haut mich aber um – diese Stadt wimmelt ja von Zauberern.« »Es war ganz leicht für mich«, erläuterte sie. »Aber wir wollen uns niedersetzen, hier auf diese Kissen…« »Kommt nicht in Frage. Ich bleibe, wo ich bin«, gab Osgood hartnäckig zurück. »Erzähl mir von diesem Zauberbann.« »Er kam in einem Augenblick, der für Zaubersprüche günstig war, in mein Gemach, und so –« »Aber bist du nun so schön, wie du Mannering vorgekommen bist, oder bist du – hm – siehst du so aus, wie du für mich aussiehst?« »So hältst du mich nicht für schön, o mein Bräutigam? Das ist ein großes Unglück, denn Neigung zu dir hat sich in mein Herz gesenkt und ich kann mein Äußeres nun, da du mich erblickt hast, wie ich bin, nicht mehr verändern.«
»Und warum nicht, wenn du doch eine Zauberin bist?« »Zwar habe ich seit meiner frühesten Jugend die Magie und Zauberei studiert und bin in einigen Arten der Zauberkunst nicht unbewandert, aber es gibt doch mancherlei Dinge, die ich noch nicht vollbringen kann. So kann ich meine eigene Erscheinung nur unter ganz bestimmten günstigen Umständen verändern; wohl aber kann ich die Gestalt anderer verwandeln. Zum Beispiel könnte ich aus dir einen Affen machen.« »So, könntest du das, hm?« fragte Osgood mit ausdrucksloser Miene. »Aber keine Frau würde das einem Mann antun, der sie liebt«, ergänzte Selma offenherzig. »Nein, gewiß nicht«, antwortete Osgood unbehaglich. »Du kannst dich aber wohl nicht selber in einen Affen verwandeln, vermute ich, oder in ein Huhn oder eine Fliege?« »Es wäre töricht von mir, mein Geliebter, denn damit würde ich meine Macht über dich verlieren.« »Oh! Ja dann… natürlich…«, stimmte der ein wenig entmutigte Osgood zu. »Nun bin ich ermüdet und wünsche, mich ein wenig zu setzen.« »Aber gewiß«, willigte er ein, »hier, nimm diesen Diwan – nett und bequem.«
»Und du wirst dich zu mir setzen, mein zukünftiger Gatte, nicht wahr?« fuhr sie fort und ließ sich schwer hinabsinken. Er betrachtete ihre scharfen, kleinen Äuglein, ihr feistes, reizloses Gesicht, die fettige Nase und schauderte. »Verdammter Mist!« dachte er. »Das ist ja grauenhaft.« »Meine Ohren sind offen für deine Rede«, erinnerte ihn seine Gefährtin. »Ich möchte dich gern ein paar Sachen fragen, aus reiner Neugier«, begann er und sah sie – nicht ohne Anstrengung – an. »Sei bitte nicht beleidigt, aber verwendest du nie eine Puderquaste? Nie davon gehört, wie? Ich muß eine Notiz für Henley machen. Und hast du auch noch nie etwas von Abnehmen gehört? Schlankheitsdiät? Korsetts? Büstenhaltern? Körpergeruch? Badesalz? Himmel, was für ein ungeselliger Ort hier doch ist.« »Willst du dich nicht zu mir setzen?« wiederholte sie hartnäckig. Osgood hockte sich vorsichtig auf den Diwan, wobei er darauf achtete, einen guten Meter Abstand zu wahren. »Nun, und?« fragte er. »Ich wünsche nichts weiter, als daß du mir von deiner ewigen Liebe und Treue sprichst.« Osgood warf ihr einen kurzen Blick zu und schloß die Augen. »Reiß dich zusammen«,
schalt er sich innerlich. »Sie verwandelt dich in einen Ameisenbären oder einen Pavian, wenn du deine Sache nicht ordentlich machst.« Er öffnete die Augen wieder, merkte, daß sie ihm einen Fuß näher gerückt war, und schaute sie in vorwurfsvollem Schweigen an. »Die Augenblicke fliegen«, meinte sie. »Erzähl mir alles über mich, das aus deinem Herzen quillt.« »Es hat keinen Zweck. Ich kann's nicht. Ich muß an meine unsterbliche Seele denken«, sagte er sich selbst und rutschte in die äußerste Ecke des Diwans. »Außerdem würde ich nie mehr einem hübschen Mädchen ins Gesicht sehen können. Nein, Ameisenbär oder nicht – sie muß die Wahrheit erfahren.« Und laut sagte er: »Ich will dir nichts erzählen, das dich betrüben könnte; aber wenn du darauf bestehst, daß ich dir etwas vorquelle, von mir aus. Ich finde, daß du eine Figur hast wie ein Faß und ein Gesicht wie eine Melone. Deine Augen sind wie Glasmurmeln, und deine Nase ist ein Leuchtfeuer, das im Dunkeln glüht. Dein Teint ist wie Schlamm und deine Stimme das reinste Olivenöl. Aber deine Haare sind ganz niedlich«, schloß er, denn er wollte gerecht sein. Er machte eine Pause und sah zu ihr hinüber.
Sie schaute anbetend zu ihm auf und hatte den Abstand, der sie trennte, schon wieder ein Stück verringert. »Ah, du bist ein poetischer Liebhaber«, flüsterte sie hingerissen. »Deine Worte klingen meinem Ohr wie süße Musik. Erzähl mir noch mehr, du Vorbild an männlicher Schönheit, mit deinem zum Himmel strebenden Schnurrbart, der den Hauern des wilden Keilers gleicht.« »Schnurrbart wie ein wilder Keiler«, murmelte der völlig am Boden zerstörte Osgood. »Noch mehr erzählen, wie? Nein danke – das läuft ja total in die falsche Richtung!« »Dann umarme mich, damit ich –« »Nein! Nein! Bleib weg von mir!« schrie Osgood und sprang erschreckt vom Diwan. Dann gewahrte er den heraufziehenden Sturm in ihren kleinen, schwarzen Knopfaugen und fuhr so würdig, wie es ihm möglich war, fort: »Du bist ein ganz unartiges Mädchen, Selma, und verdienst eine ordentliche Standpauke. Nein, versuch jetzt keine Zaubersprüche, sondern setz dich schön hin und hör mir zu. Vor allem frage dich selbst, als intelligente Zauberin, ob es nicht höchst ungehörig ist, wenn sich in der Nacht vor ihrer Hochzeit ein lebensfrohes junges Mädchen im Schlafzimmer ihres Zukünftigen herumtreibt, ihm Mandelblüten
verehrt und ihn zu umarmen versucht?« »Ich kann es nicht leugnen«, gestand sie nach einer Pause. »Ich war ein Raub der niederen Gesinnung und der Gewissenlosigkeit. Ich bin beschämt. Doch wollte ich, daß du von meiner Leidenschaft erfuhrst, und es gelang mir, dir die Mandelblüte zu bringen; und ich dachte, wie wundervoll doch die Liebe ist, wie sie den Verstand schärft, wie fruchtbar sie sich doch in der Wahl ihrer Mittel zeigt…« »Nun aber Schluß damit!« unterbrach Osgood sie energisch. »Du gehst jetzt in dein Zimmer und lernst ein bißchen Geometrie oder womit du sonst deine Zauberei auf den neuesten Stand bringst. Ich sehe dich dann morgen.« »Durch dein ehrenhaftes Verhalten hast du an Glanz in meinen Augen noch gewonnen«, verkündete sie, stand langsam auf und bewegte sich widerwillig zur Tür. »Ich werde im Traum bei dir sein, mein edler Geliebter. Allah beschütze dich.« »Schlaf gut«, erwiderte Osgood. »Und fest«, fügte er hinzu, als sie mit einem letzten Liebesblick den Raum verließ. »Was für ein gräßliches Erlebnis«, murmelte er dann mit schwacher Stimme. »Ich werde ein Jahr lang keine Frau mehr ansehen können. Ich lasse mich auch auf nichts mehr ein – ich verschwinde, bevor sie es sich anders über-
legt.« Er öffnete die Tür einen Spalt und lauschte angespannt. Alles war still. Leise schlich er die teppichbelegte Treppe hinunter und eilte in den Hof. Auf der Veranda schlief ein Neger tief und fest, und Osgood erlebte ein paar aufregende Minuten, bis er die Riegel gefunden und lautlos zur Seite geschoben hatte. Endlich gelang es ihm, die Tür aufzubekommen und hinauszuschlüpfen. Erleichtert holte er tief Luft und blickte sich vorsichtig um. Die Gebäude auf der anderen Seite des Platzes glänzten weiß im strahlenden Licht des Mondes, während Musabs Hausfront jetzt im Schatten lag. Er duckte sich eng an die Mauer und strebte eilig der Gasse zu, durch die sie vor wenigen Stunden an diesen Ort gekommen waren. Er bog in sie ein und folgte ihrem Verlauf. Beim Gedanken an die Bredouille, in die ihn seine Knobelei mit der Münze gebracht hatte, mußte er grinsen. »Nun«, sagte er sich, »für den Augenblick bin ich in Sicherheit, solange ich meinen Weg durch diesen Karnickelbau finde – verdammter Mist, ich habe meine Taschenlampe dort im Schlafzimmer vergessen! Dieses verflixte Mädchen, muß sie sich da auch im unpassendsten Moment hereindrängeln!« Unsicher blieb er an einer Kreuzung stehen und überlegte, ob er umkehren und die Lampe
holen sollte, oder lieber nicht. Während er noch so zögerte, ertönte plötzlich vor ihm eine Stimme. »Wer dort?« Osgood erstarrte. Eine Wache! »So ein Pech aber auch«, dachte er. »Ich muß ihn zu täuschen versuchen oder ausreißen.« »Ein Bürger aus Kairo!« rief er dann als Antwort, eingedenk der ihm zugeteilten Rolle. »Aus Kairo? Warum bist du um diese Uhrzeit nicht in deiner Karawanserei? Bezeuge die Einheit Allahs und komm her zu mir – ah! Du fliehst! Ein Dieb, der in der Nacht umherstreift! Halt! Ergib dich!« Aber Osgood lief das Gäßchen hinunter, und zwar nach rechts, wo es noch schmaler war als auf der anderen Seite. In der Finsternis war es schwer, schnell zu rennen, aber die Rufe seines Verfolgers, der ihm dicht auf den Fersen saß, spornten ihn an, im Laufen nicht einzuhalten, obwohl er ständig gegen unsichtbare Mauervorsprünge und plötzlich auftauchende Hausecken stieß. Der schmale Streifen Sternhimmel über ihm war sein Wegweiser. Eben wollte er sich dazu beglückwünschen, daß er mit nichts Schlimmerem als ein paar blauen Flecken davongekommen war, als vor ihm eine andere Stimme ertönte. »Halt ein, du Störer der Nachtruhe, und be-
zeuge die Einheit Allahs!« rief diese neue Bedrohung und riß unvermutet die Hülle von einer bisher nicht sichtbar gewesenen Laterne herunter. Osgood stoppte. Kaum war dieser zweite Alarmruf erschollen, als auch schon sein erster Verfolger von neuem sein Geschrei anstimmte, und die beiden Wächter liefen aufeinander zu und tauschten dabei laute Warnrufe. »Mein Schutzengel scheint Urlaub zu haben«, murmelte Osgood und huschte in den nächsten Hauseingang. Er wußte, daß seine Fluchtchancen trotz der Dunkelheit gering waren, denn in dem schmalen Gäßchen konnten die Wachen jedes in Frage kommende Versteck mühelos untersuchen. Er drängte sich weiter in den Eingang hinein. Die Nische war nicht tief, aber ihm fehlte die Zeit, sich etwas Besseres zu suchen. Schließlich stieß er gegen die Beschläge der Tür, die unter seinem Gewicht auf einmal geräuschlos und unerwartet aufsprang. Osgood holte tief Atem, drehte sich um und schob sie noch ein Stück weiter auf. Dahinter lag ein kahler, steingepflasterter Raum, und im Licht einer weit entfernten, flackernden Laterne erkannte er, daß sich niemand dort aufhielt. Ohne Zögern trat er ein und schloß hinter sich hastig die Tür. Seine Finger ertasteten einen schwe-
ren Riegel, den er vorsichtig zuschob. »Mein Schutzengel arbeitet wieder«, murmelte er. »Ich werde warten, bis diese Störenfriede da draußen ihre Schau abgezogen haben. Dann schleiche ich ganz leise wieder hinaus.« Er fuhr herum. Schritte nahten. »Herr, du bist früh heute abend«, sagte eine dünne, schwache Stimme. Plötzlich geriet das flackernde Licht in Bewegung und tanzte mit zunehmender Helligkeit an den Wänden entlang, als die Laterne näher herangetragen wurde. Osgood wartete in eiskalter Spannung. »Was für eine Nacht«, dachte er. »Eine verflixte Chose nach der andern! Der einzige Ort, an dem man Ruhe finden könnte, wäre ein Kittchen.« Vor ihm kam die Laterne zum Halten. Eine alte, ungemein verschrumpelte Frau, die sie trug, blinzelte ihn aus kurzsichtigen Augen an. Osgood merkte, daß sie fast blind war. Was sollte er tun? Wieder nach draußen huschen und –? Die Stimmen der Wachen, die unmittelbar vor der Tür in eine lautstarke Diskussion verwickelt waren, machten diesen Schritt wenig ratsam. Stehenbleiben? Die alte Frau würde mißtrauisch werden und Lärm schlagen. Und überhaupt, auf wen wartete sie? Merkwürdige Tageszeit, Besuchern einfach die Tür offenstehen zu lassen. Zwar gefiel die Sache
ihm ganz und gar nicht, aber zum Zweifeln und Zögern war jetzt keine Zeit. Er beschloß, ihr zu folgen und das Beste zu hoffen. Als sie seine Schritte hörte, machte sie kehrt und ging ihm voran ins Haus. Mit stummem Grinsen über sein eigenes, absurdes Benehmen schloß er sich an. Sie überquerten einen Hof, stiegen ein paar Stufen hinauf und kamen durch mehrere Räume, bis sie vor einer von Vorhängen verdeckten Tür stehenblieb. Sie zog die Vorhänge zur Seite und wartete. »Tritt ein, o Gebieter«, murmelte sie. Osgood zauderte sekundenlang, gab sich dann einen Ruck und trat ein. Er war auf Ärger gefaßt. Er befand sich in einem mäßig großen Raum, von verhangenen Wandleuchten matt erhellt. Das Gemach war mit niedrigen, edelsteingeschmückten Diwanen und Tischen sowie farbenprächtigen Teppichen und Läufern reich ausgestattet. Zuerst war in dem trüben Licht weiter nichts zu erkennen, dann aber entdeckte er inmitten einer Unmasse goldtroddelverzierter Seidenkissen eine ruhende Gestalt. Eine Frau! Einen Herzschlag stockte sein Schritt, denn er begriff sofort, daß er dabei war, eine Dummheit zu machen. Mit einem Trick hatte er sich Zutritt zum Harem eines fremden Mannes ver-
schafft, und wenn etwas schiefging, konnte er auf Gnade nicht hoffen. Am besten weglaufen, empfahl ihm der gesunde Menschenverstand, lieber wieder auf die Straße schleichen und die vergleichsweise harmlose Auseinandersetzung mit der Wache riskieren. Aber ein abenteuerlustiges Gefühl trieb ihn, beherzt weiterzugehen, bis er vor der Frau stand. Vor ihm lag ein hübsches, gutgewachsenes Geschöpf von etwa dreißig Jahren. Ein Wasserfall schwarzer, üppiger Haare floß über ihre Schultern. Die Kleidung bestand aus einer enggeschnittenen, mit Perlen verschnürten Weste und durchsichtigen blauen Hosen. Die letzteren hielt ein Juwelengürtel um ihre Mitte zusammen. Juwelen glitzerten auch in ihrem Haar und um Hals, Arme und Knöchel. Sekunden, die Osgood ungemütlich ausgedehnt vorkamen, starrte sie ihn mit vor Verblüffung offenem Mund an. Dann drehte sie sich halb um, als wollte sie Alarm schlagen, überlegte es sich aber anders, preßte die beringten Finger an die Lippen und beobachtete ihn mit weitaufgerissenen Augen. Osgood fand, daß sie eine blendend aussehende Frau war, etwa so, wie er sich Kleopatra vorstellte. »Wer bist du?« flüsterte sie endlich heiser. »Was willst du hier?« Osgood wurde plötzlich von einer heftigen Anwandlung von Albernheit
befallen. Er verspürte die größte Lust, ihr zu erzählen, sein Name wäre Winston Churchill und er wollte das Gas ablesen. Sein Taktgefühl veranlaßte ihn jedoch statt dessen, sich zu verbeugen und gar nichts zu sagen. »Im Namen Allahs, sag mir, wer du bist? Wer hat dich hergeschickt? Hat Marlek dich gesandt?« Sie schaute zu ihm auf und forschte besorgt in seinem Gesicht. »Marlek hat dich hergeschickt, weil – warum hat er dich zu mir gehen lassen?« wiederholte sie, jetzt nicht mehr im Flüsterton. »Ist er krank? Verletzt?« »Du irrst dich«, fing nun Osgood, der das Gefühl hatte, er ließe sie zu viel schwatzen, endlich seinerseits an. »Ich bin nicht –« »Wenn es ihm gut geht, warum schickt er dann dich?« erkundigte sie sich energisch. »Denkt er, ich würde mich mit einem Ersatzmann zufriedengeben? Diese Dichter sind alle gleich – man behandelt sie freundlich, und sie vergelten es nicht nur mit Undankbarkeit, sondern auch noch mit Unverschämtheit.« Ihre Finger zerrten zornig an einer Troddel, während sie ihn wütend anblitzte. Ihre Augen wanderten über sein reiches Gewand und wieder zurück auf sein Gesicht. Nach und nach änderte sich ihr Ausdruck. Sie ließ sich wieder in ih-
ren Kissenstapel sinken und musterte ihn prüfend und interessiert. Er gab ihren Blick kühn zurück. Obwohl er sich seiner Lage noch immer nicht recht sicher war, hatte er doch das Gefühl, der unmittelbaren Gefahr zunächst entgangen zu sein. »Warum hast du dich selbst so verunstaltet?« fragte sie plötzlich. »Weshalb ist dein Gesicht haarlos und deine Lippe dafür mit einem so gewaltigen Schnurrbart behaftet?« Osgood war von dieser plötzlichen Verwandlung so überrascht, daß ihm keine passende Antwort einfiel. »Hast du ein Gelübde getan?« drängte sie. »So ist es – ein Gelübde«, bestätigte Osgood. »Und welcher Art war dieses Gelübde?« Osgood zuckte vielsagend die Achseln. »Eine Frau…– Ja«, antwortete er unbestimmt. »So bist auch du ein Dichter wie mein Geliebter?« fragte sie und betrachtete ihn mit noch gesteigertem Interesse. »Nein, ich bin kein Dichter«, erklärte er. »Ich habe –« »Marlek würde keinen Mann zum Freund haben, der nicht ebenfalls ein Dichter wäre«, unterbrach sie ihn und ging mit einer leichten Handbewegung über seinen Protest hinweg. »Ich erkenne es am Ausdruck deiner Augen:
Du besitzt eine poetische Seele. Willst du dich nicht zu mir setzen und mir ein paar von deinen Versen deklamieren?« Osgood zögerte. Wo war er da schon wieder hineingeraten? Was zum Teufel fehlte den Bagdader Frauen, daß sie alle mitten in der Nacht so einen Hang zur Dichtkunst hatten? »So mißachtest du meine Einladung?« fragte sie und wollte sich erheben. »Beim Barte Omars, beleidige mich nur, und ich werde dir die Bastonade geben und die Kniesehnen durchschneiden lassen!« Innerlich stöhnend, trat Osgood zu ihr und hockte sich nieder. »Du täuschst dich, Kleopatra«, sagte er. »Ich bin nur ganz erschlagen von der Ehre, mich dir so schnell nähern zu dürfen.« »Komm, komm, schwatze nicht so daher«, erwiderte sie ein wenig gereizt. »Laß mich eine deiner Strophen hören.« »Gleich zwei solche in einer Nacht! Es ist nicht zum Aushalten«, seufzte Osgood im stillen, »aber es muß wohl sein.« Als er aber von seiner neuen, intimeren Warte die Reize seiner Gefährtin wahrzunehmen Gelegenheit hatte, als er die Satinwangen sah und den milchweißen Hals, die dunklen, sehnsüchtigen Augen, kam er zu dem Entschluß, daß dies einer der Anlässe war, bei denen man am besten aus
der Not eine Tugend macht. Er rückte näher an sie heran, nahm ihre Hand und durchwühlte hastig sein Gedächtnis nach geeigneten Lobesworten. »O märchenhaftes Mädchen von Bagdad«, begann er. »Leihe mir deine Muschelöhrchen, damit ich dir einen allgemeinen Überblick über deine Person geben kann. Hat dir schon mal jemand gesagt, mein Honigkuchen, daß du ein echtes Schnuckelpaket bist? Und weißt du nicht, daß du in jedem zivilisierten Land ein erstklassiges Pin-up-Girl wärst, ein strahlender Stern am Himmel von Hollywood, eine Supersirene der Leinwand?« »Deine Worte sind seltsam, doch melodisch«, murmelte sie. »Sprichst du in erzählender Prosa oder in einem bestimmten Versmaß zu mir, o du Scheik des Rausches der Liebe?« »In erzählender Prosa vermutlich«, versetzte er. »Doch höre mir zu, du kesser kleiner Leckerbissen, du Zuckerpuppe mit den Stiefmütterchenaugen, du anbetungswürdige Hexe, du unbezahlbares Mäuschen, du köstliches Kind, jetzt paß mal gut auf, Herzliebchen mein unterm Rebendach, Kleopatra, du Lore am Tore!« »Wahrlich, reizvoll sind deine Verse und die Art deines Vortrags«, antwortete sie und rückte enger an ihn heran. »Deine Worte schießen
Flammen in mein Herz und bringen es zum Schmelzen.« »O du Sonne, Mond und Sterne unter den Illustriertenschönheiten«, fuhr Osgood fort, der jetzt erst richtig in Fahrt kam. »Du einsame Spitze unter den üppigen Süßen, weißt du nicht, daß du vor Sex-Appeal beinahe birst und vor Du-weißt-schon-was schier aus den Nähten platzt – und wenn ich mich nicht fürchterlich zusammenreiße, wirst du es noch bereuen, daß du mich in dieser Weise herausgefordert hast.« »Ah, deine zärtlichen Verse beweisen, daß du ein unvergleichlicher Liebhaber sein mußt«, rief sie enthusiastisch aus. »O du Löwenmännchen, hochgewachsen bist du und schön, mit breiten Schultern und schmaler Mitte – ein Mann, wie ich ihn mir oft erträumt habe; der Rausch deiner Worte erfüllt mich mit Neigung zu dir, und hättest du nur einen ordentlichen länglichrunden Bart, so könnte ich –« »Ich werde meinen Schwur brechen und mir einen für dich wachsen lassen, du liebliche Hochspannungsleitung«, unterbrach sie Osgood ohne Rücksicht auf Verluste. »Das zeigt dir hoffentlich, wieviel ich für dich übrig habe, Baby.« »Fürwahr, töricht ist das Herz einer Frau«, verkündete sie und umschlang ihn energisch.
»Deine goldenen Worte haben mir den Busen eng gemacht. Laß uns alle Scham abstreifen, denn die Liebe zu dir tobt in meinen Knochen, und das Feuer der Begierde verbrennt mir die Leber, so daß ich glühe wie feurige Kohlen.« »Teufel, Teufel«, murmelte Osgood, plötzlich von bösen Ahnungen erfüllt. »O du Düsenjäger von einer Tigerlilie, du himmlisches Stückchen ewigen türkischen Honigs«, fuhr er etwas weniger feurig fort, »auch ich brenne vor Atomenergie und flammender Leidenschaft, mein Herz ist siedendheiß, meine Nieren sind so gut wie gegrillt, mein Atem geht in glühenden Stößen – und alles, was dazugehört«, schloß er etwas lahm. »Du bist ein Mann von Geist und feinem Geschmack«, hauchte sie. »Wie der Dichter sagt –« Sie hielt abrupt inne. Von unten vernahm man heftige Stimmen, vermischt mit lautem Hämmern an der Tür. »Was ist das? Beim Barte meines Vaters, was soll diese Schändlichkeit bedeuten?« fragte sie unheilverkündend. »Es sieht lediglich so aus, als wären deine Leber und meine Nieren doch noch vor dem Verbrutzeln bewahrt worden«, erwiderte Osgood vergnügt, denn er hatte eine Ahnung, daß wieder einmal das Schlimmste an ihm vorüberge-
gangen war. Auf einmal erschien die alte Frau im Türvorhang. »O Herrin«, sagte sie mit ihrer zittrigen Stimme. »Die Sklaven sind zum Tor gelaufen und haben draußen zwei Wachen gefunden, die einen Mann festhalten, welcher behauptet, Marlek der Dichter zu sein, was doch offensichtlich –« »Ist Marlek dort?« rief die Frau und sprang auf die Füße, ein Beispiel, dem Osgood ohne Zaudern folgte. »Bei Allah, was für Lügen hast du mir erzählt!« fuhr sie, zu Osgood gewandt, fort und sagte dann, nach einer kurzen Pause: »Aber darauf kommt es nicht an. Du hast mir gefallen; jetzt aber ist mein Feuer erloschen und du mußt fort, denn wenn Marlek eifersüchtig ist, führt das zu großem Unheil. Atikaya, befiel ihnen, Marlek einzulassen!« »Hör zu«, zischte Osgood und hielt ihr Handgelenk fest, »in deinem eigenen Interesse – erzähl Marlek nichts von mir. Ich kenne ihn nicht und kam ganz zufällig hier herein – das Schicksal fügte es, daß unsere Wege sich kreuzten«, schloß er ernsthaft. »Wahrlich, unergründlich sind die Wege des Lebens und der Liebe«, gab sie ebenso feierlich zurück. Dann änderte sie den Ton. »Du mußt fliehen«, flüsterte sie. »Ich finde, daß dein Ver-
halten in dieser Sache entschuldbar ist. Nimm diesen Kuß als Garantie für deine Sicherheit. Nein, laß mich los, Unvorsichtiger! Komm wieder her, wenn du dir einen vernünftigen Bart hast wachsen lassen. Nun geh durch diesen Gang hinaus, der dich auf einem anderen Weg zur Tür bringt. Wenn Marlek hier ist und die Wachen sich entfernt haben, verlasse das Haus. Allah erhalte dich in Frieden und Heil.« »Na, dann mach's gut, Schätzchen, und danke für die nette Erinnerung«, antwortete Osgood und schlüpfte durch die ihm gezeigte Tür. In der Dunkelheit bewegte er sich vorsichtig fort, passierte verschiedene Räume und gelangte schließlich zu einem Balkon, der auf den Hof führte. Unten schien immer noch die trübe kleine Lampe. Wachsam stieg er hinunter, schlich sich auf Zehenspitzen in die kleine Eingangshalle, in die er von der Straße zuerst hineingekommen war, und wartete. Kein Laut. Leise schob er den Riegel zurück, öffnete die Tür und spähte in das enge Gäßchen hinaus. Dann trat er ins Freie, zog die Tür hinter sich zu, wartete einen Augenblick ab und entfernte sich dann unauffällig. Etwa fünfzig Schritte hatte er zurückgelegt, als er plötzlich hörte, wie sich in einem dunklen Torweg etwas bewegte; aber ehe er noch die Flucht ergreifen konnte, traf ihn ein wuchtiger Hieb am Kopf,
und inmitten eines funkelnden Schauspiels von Sonnen, Kometen und Sternschnuppen versank er in halbe Ohnmacht. Als er sich ein wenig erholt hatte, wurde er roh auf die Füße gezerrt und fortgeschleppt. Es dauerte eine Weile, bis er richtig begriff, daß ihn zwei stämmige, mit Stöcken bewaffnete Gestalten an den Armen festhielten wie einen torkelnden Betrunkenen. Ihr hauptsächlicher Eindruck auf ihn war ein Gestank nach ranzigem Backfett. Er war zu hilflos für jede Art von Gegenwehr und schaffte es gerade noch, nicht in die Knie zu brechen, so daß er nur Dankbarkeit verspürte, als man ihn nach einem Alptraum des Dahinstolperns in ein Gebäude führte und dort auf eine Steinbank warf. Während er dort wartete, bis seine Häscher wortreich über ihn Bericht erstattet hatten, kam er nach und nach wieder zu sich. Kummervoll (denn er hatte eine riesige Beule am Kopf – nur der Turban hatte ihn vor einem Schädelbruch gerettet) schaute er sich um. Sein Kopf schmerzte zum Zerspringen, der ganze Körper war zerschunden und Durst quälte ihn. »Knast!« vermutete er philosophisch. »Na, wenigstens werde ich dort meinen Frieden haben, ohne irgendwelche Poesie.« Einer der Wachen, ein abgebrüht aussehender, bärtiger Rohling, trat jetzt wieder auf ihn
zu und schaffte ihn über steinerne Stufen in den Keller bis vor ein versperrtes Tor, das er mit einem gut einen Fuß langen Schlüssel öffnete. »Hier kühle deinen Übermut bis morgen früh ab«, sagte der Wächter und stieß ihn grob durch die schmale Öffnung. Osgood verlor das Gleichgewicht und fiel taumelnd ein Dutzend Stufen hinunter. Mühsam raffte er sich auf und blickte sich in seinem Gefängnis um. Es war ein niedriger, steinerner Raum, schwach beleuchtet von einer Laterne, die draußen vor einem von mehreren vergitterten Mauerlöchern stand. »Das also ist nun mein Daunenbettchen«, murmelte er. »Leider nicht vollmöbliert – keine Musiktruhe weit und breit.« Nachdem seine Augen sich an das düstere Licht gewöhnt hatten, bemerkte er verschiedene am Boden zusammengerollte Gestalten – seine Mitgefangenen. Er trat auf den nächsten zu und betrachtete ihn etwas genauer, fuhr aber zurück, als er ein so abstoßendes menschliches Exemplar erkannte, wie er es noch selten gesehen oder gerochen hatte. Während er sich noch so umsah und nach dem besten Platz für die Nacht suchte, gewahrte er am anderen Ende der Zelle eine Gestalt, die plötzlich in die Höhe schoß und wie wahn-
sinnig auf und ab hüpfte, wobei sie mit den Armen schlug und krähte wie ein Hähnchen. Verwirrt betrachtete Osgood diese Erscheinung, die ihm trotz ihrer Fremdartigkeit irgendwie bekannt vorkam. Der merkwürdige Ausbruch verwirrte zwar ersichtlich auch die anderen Gefängnisinsassen, aber niemand ließ einen Vorwurf laut werden. Hinterher sank die Erscheinung still in ihrer Ecke zusammen. Osgood kam neugierig näher, aber als er nur noch wenige Meter entfernt war, fuhr das rätselhafte Wesen auf einmal auf und rannte ihm mit einem lauten Schrei entgegen. »Oh! Allah sei gepriesen! Welch eine Erlösung!« »Abdul! Was machen Sie denn hier?« rief Osgood. »Seit Stunden schon weile ich in diesem Morast der Verzweiflung – kommen Sie, nur fort von diesem üblen, entsetzlichen Ort!« »Aber bester Freund, ich bin doch auch hier eingesperrt.« Abdul verschlug es vorübergehend die Sprache. »Das ist das Härteste von allem«, erklärte er dann düster. »Was für ein vernichtendes Erlebnis für uns.« »Warum krähen Sie denn aber dabei auch noch so?«
»Um Ihnen die reine Wahrheit zu sagen – ich mache mir die allergrößten Sorgen. Sprechen Sie nicht zu laut, oder diese fürchterlichen Leute hier werden über Sie herfallen. Mich dulden sie auch nur, weil sie mich für wahnsinnig halten. Ich glaube, man hat mich hypnotisiert. Wissen Sie, als ich heute nachmittag durch die Stadt ging – nach einem grauenvollen Erlebnis mit einem echten Teufel, senkrecht aus der Hölle –, hatte ich eine kleine Auseinandersetzung mit einer alten Frau, einer regelrechten dicken Hexe. Sie wurde ausfallend und befahl mir, mich zu benehmen wie ein Hahn, und das mache ich jetzt auch, immer in gewissen Abständen – ich bin wirklich höchst beunruhigt. O weh! Jetzt haben sie das Licht weggenommen, und es ist finster wie in einem Kohlenschacht.« »Ich werde mich zu Ihnen setzen«, meinte Osgood. »Wir sollten ein bißchen zu schlafen versuchen, darum unterdrücken Sie möglichst das Krähen, wenn Sie das schaffen. Morgen früh wird man uns freilassen, und dann können Sie mir Ihr ganzes Abenteuer erzählen.« »Ja, gewiß. Im Augenblick bin ich ziemlich niedergeschlagen, aber ich muß Ihnen sagen, daß ich heute allein durch die Kraft meiner Persönlichkeit eine gewaltige Menge in Schach gehalten habe. Man hat mich als Löwen an
Stärke und Mut bejubelt – bitte kichern Sie nicht so, ich weiß genau, wovon ich rede. Unglücklicherweise bin ich dann bei der Alten ins Fettnäpfchen getreten und schließlich in diesem Loch gelandet, das, wie ich Ihnen versichere, von Flöhen und anderen Plagen nur so wimmelt.« »Na ja – wir wollen uns glücklich preisen, wenn das das schlimmste Loch ist, in das wir fallen. Verflixt! Sie hatten recht mit den Flöhen, Abdul.« »Wir werden eine absolut qualvolle Nacht verbringen«, prophezeite Abdul finster. »Doch keine Ruhe, nicht mal im Kittchen«, murmelte Osgood, lehnte sich an die kalte Wand und starrte mit leerem Blick in die pechschwarze Finsternis. Neidisch lauschte er dem Schnarchen und Grunzen seiner abgehärteteren Unglücksgefährten.
XII Henley der Manager »Der alte Khalid ist ein anständiger Bursche, und wir sind ihm sehr viel Dank schuldig«, erklärte Osgood. »Noch ein paar Stunden in diesem Loch, wo die Flöhe auf dem Neuland unserer Haut schon Überstunden leisteten, die armen Biester, und dann mit Abdul, der alle zehn Minuten krähte – ich glaube, ich hätte durchgedreht. Heiliger Strohsack, habe ich heute morgen das Bad genossen! Und daß er Sie per Fernsteuerung wieder normal gemacht hat, Abdul, das war doch auch großartig. Woher er nur gewußt hat, wo wir steckten?« Unmittelbar vor Anbruch der Dämmerung hatte man sie aus dem Gefängnis entlassen. Jetzt saßen alle fünf Reisenden wieder in Jafars Gästezimmer und erörterten die Abenteuer des Vortages. Ihr Gastgeber war schon früh, ausgegangen, um das Ergebnis von Haruns Beratung mit dem Obersten der Kadis in Erfahrung zu bringen. »Ich hatte Khalid gestern abend erzählt, daß Abdul abhanden gekommen war«, berichtete nun Henley. »Ich nehme an, sein Nachrichten-
dienst funktioniert erstklassig.« »Ich hätte Sie zu gern einmal krähen gehört, Abdul – nur ein einziges Mal«, bemerkte Joyce. »Sie könnten es uns nicht noch einmal vorführen – nein? Und Sie, Lächler, und Ihre Romanze mit Dicks Kindheitsverlobter – ist sie wirklich so hübsch?« »Sie ist die schönste Frau, die ich je gesehen habe«, erwiderte Mannering leidenschaftlich. »Was zum Teufel gibt es da zu lachen?« fuhr er Osgood gereizt an. »Tut mir leid, altes Haus. Ich amüsiere mich bloß darüber, daß ein derart überzeugter Junggeselle wie du so plötzlich umfällt.« »Na, und was ist mit Ihnen, Dick? Was ist in diesem anderen Haus wirklich passiert? Viel haben Sie uns ja nicht erzählt«, fuhr Joyce fort. »Ich habe alles erzählt, was ich zu erzählen bereit bin«, antwortete Osgood grinsend. »Kommen Sie, vergessen wir die Vergangenheit und reden wir über Gegenwart und Zukunft – über kleine Probleme wie zum Beispiel Harun und seine Pläne in bezug auf Ihre Person.« »Sie sind alle viel zu hart mit dem armen Harun«, sagte Joyce. »Er benimmt sich so, wie es in seiner Umgebung üblich ist. Wahrscheinlich kommt er gegen sein feuriges Temperament
einfach nicht an.« »Aber du bist diejenige, die ihn in Flammen gesetzt hat«, erwiderte ihr Vater scharf. »Ich halte dich für allein schuld an der ganzen Sache, Joyce – einen Wilden wie ihn so aufs Glatteis zu führen!« »Er ist kein Wilder«, bedeutete Abdul ihm höflich. »Er verkörpert den Höhepunkt der Zivilisation seiner Zeit, nur daß er nicht an das Benehmen moderner Amerikanerinnen gewöhnt ist.« »Das Dumme ist, daß er nicht begreift, was ein harmloser, kleiner Flirt ist«, versetzte Joyce. »Er läuft vor lauter Romantik sofort über, und wenn nicht alles so ernst wäre, fände ich es rasend komisch.« »Wir sollten uns lieber an den Gedanken gewöhnen, daß Haruns Vernarrtheit alles andere als ein Scherz ist«, erklärte jetzt Osgood. »Diese Beratung mit seinen Religionsgelehrten gibt uns eine kleine Atempause, aber im Endeffekt ist er der Kalif und es gibt keine höhere Entscheidung als seinen Beschluß. Darum werden wir uns früher oder später einer recht unangenehmen Situation gegenübersehen.« »Ganz meiner Meinung«, stimmte Abdul zu. »Ein so despotischer Herrscher wird keinen Widerstand gegen seinen Willen dulden. Ich fürchte, daß sich eine Katastrophe allererster
Ordnung abzeichnet, wenn Joyce nicht einwilligt, in den Harem des Fürsten einzutreten.« »Aber sie hat keine Lust dazu, und ich habe auch keine«, stellte Henley säuerlich fest. »Hm«, seufzte Joyce schalkhaft, »es gäbe Schlimmeres. Vielleicht finde ich Gefallen an diesem luxuriösen orientalischen Leben.« »Du kleines Biest!« rief Henley. »Ich werde mich nicht als inoffizieller Schwiegervater von irgend jemandem hier niederlassen, und wenn er zehnmal ein Fürst ist. Ich habe überhaupt diesen Ort satt, so leid es mir tut.« »Wieso tut dir das leid?« fragte Joyce. »Wolltest du denn hierbleiben?« »Nun ja – die Sache ist doch so«, begann ihr Vater. »Hier könnte ich es in wenigen Wochen zum Millionär bringen. Die Stadt ist eine potentielle Goldmine – und glaubt mir, ich habe mit dem Schürfen schon angefangen. Aber mit diesen Wirrnissen eures Liebeslebens –« »Erzähl mir lieber, Dad, was du schon für große Abschlüsse getätigt hast!« Henley zögerte. »Da kümmere du dich am besten gar nicht drum«, antwortete er dann. »Nur eins will ich dir erzählen. Gestern nachmittag, vor dem Abendessen und der VarieteSchau beim Kalifen, habe ich eine Stunde lang höchst einträgliche Geschäfte mit Khalid vereinbart. Und mehr noch: Als du ins Bett gegan-
gen warst, Joyce, mit diesem häßlichen Sklaven auf der Matte vor deiner Tür, da habe ich schon ein paar ordentlich laufende Geschäfte aufgezogen.« »Dann haben Sie sich noch einmal mit Khalid getroffen, während wir unseren Streifzug durch Bagdad machten?« fragte Osgood. »Allerdings. Inzwischen interessiert er sich schon selber für die Möglichkeiten, hier ein paar größere Sachen zu starten. Die Gegend schreit ja geradezu nach modernem Komfort und den Segnungen der Zivilisation! ›Reichtum im Dienste der Menschheit‹ – das ist unser Slogan. Jedenfalls habe ich schon die Versorgung mit Konsumgütern aller Art arrangiert – moderne Kleidung, Kaugummi, eisgekühlte Getränke, Toilettenartikel und so weiter.« »Aber woher bekommen Sie denn hier Eis?« fragte Osgood neugierig. »Dad, genau das ist es, wonach ich jetzt richtig Sehnsucht habe: ein großes, eiskaltes CocaCola!« rief Joyce. »Nun, die Organisation ist natürlich noch nicht perfekt«, erläuterte Henley bescheiden. »Aber ich schätze, ich kann dir jedenfalls fürs erste ein geeistes Sorbet beschaffen. Nur reiß dich zusammen, keine Heiterkeitsausbrüche oder irgendwelche ulkigen Bemerkungen.
Denk daran, daß ich hier ganz neue Wege beschreiten muß.« »Schließlich sind wir hier alles Geschäftsleute«, erwiderte Joyce würdig. »Und warum sollten wir denn auch lachen?« Henley gab keine Antwort, sondern förderte aus der Tiefe seiner Gewänder ein kleines Leinwandbeutelchen zutage, dem er vorsichtig einen Ring entnahm. Diesen steckte er an den Zeigefinger, beugte sich vorwärts und klopfte zweimal damit auf den Marmorfußboden. Sofort erschien eine Rauchwolke, aus der sich mit großer Geschwindigkeit eine braune, wirrhaarige Gestalt entwickelte, gute sechs Fuß hoch, ausgerüstet mit zwei großen überstehenden Hauern und langen spitzen Ohren. Bekleidet war sie mit einem eleganten, cremefarbenen Anzug, grünem Oberhemd und gelber Krawatte. Die Füße steckten in einem ungeheuren Paar braunweißer Wildlederschuhe im amerikanischen Stil. Alle außer Henley glotzten überrascht und bestürzt die Erscheinung an, die sich vor Henley verneigte und murmelte: »Ich stehe dir zu Diensten, o Gebieter.« Osgood und Abdul, von äußerst lebhaften Erinnerungen an ein ähnliches, freilich erheblich entsetzlicher aussehendes Wesen ergriffen, wollten gerade aufspringen, als Henley fragte: »Na, was halten Sie von ihm?« Er betrachtete
die Erscheinung wohlgefällig. »Kein Grund zur Aufregung, er ist ganz zahm.« Dann fügte er, zu dem Djinn gewandt, hinzu: »Hans, beschaff mir einen Klumpen sauberes Eis, aber ein bißchen plötzlich!« Das Wesen berührte mit einer gewaltigen Tatze seine Stirn, verbeugte sich und verschwand in einer passenden braunen Rauchwolke. Henley blickte die anderen mit stolzem Lächeln an. Seine völlig unbefangene Einstellung zu diesem Wunder wurde jedoch nicht geteilt. In versteinertem Schweigen saß die übrige Gesellschaft da. Selbst der sonst durch nichts zu erschütternde Osgood fand keine Worte. Als erste erholte sich dann Joyce; kaum aber hatte sie zum Sprechen angesetzt, als erneut eine Rauchwolke den Raum erfüllte und der Djinn, geheimnisvoll wie zuvor, wieder erschien. In den Händen trug er einen großen Eisklumpen und sah Henley fragend an. »Das hat er gerade aus irgendeinem zugefrorenen See im Himalaya oder in Grönland oder sonstwo geholt«, erläuterte der Amerikaner unbeeindruckt. »Jetzt brich das Eis auseinander, Hans, und dann hol ein bißchen Wasser, Sorbet und Becher und misch uns ein paar Drinks. Ich sehe schon, daß ihr vor Begeisterung ganz hingerissen seid«, meinte er dann, als Hans
wieder verschwunden war. »Er ist mein persönlicher Assistent; Khalid hat ihn mir geborgt. Das arbeitssparendste Modell, das je auf den Markt kam. Braucht absolut nichts – kein Essen, keine Unterkunft, keinen Lohn. Man behandelt ihn anständig, und er erledigt den Rest.« »Dafür muß ich Ihnen wirklich die höchstmögliche Punktzahl geben, Mr. Henley«, bemerkte Osgood. »Diesmal sind Sie uns eine Runde voraus.« »Und saust er nun einfach so nach Belieben kreuz und quer über den ganzen Globus?« wollte Joyce wissen. »Nach meinem Belieben«, korrigierte ihr Vater. »Aber können Sie ihn nicht dazu benutzen, uns aus diesem Schlamassel mit dem Kalifen herauszuholen?« fragte der praktische Mannering. »Das und sein Geruch nach heißer Asche sind seine beiden großen Nachteile«, bekannte Henley. »Khalid hat seine Einsatzmöglichkeiten in einigen Punkten eingeschränkt – vermutlich auf Anordnung höherer Mächte – und ich kann ihn für nichts verwenden, was sich gegen Harun richtet, der in irgendeiner Weise gegen Geister aller Art gefeit ist. Ah! da kommt Hans ja mit den Drinks.«
Der Djinn servierte mit dem Anstand eines Butlers den Sorbet vom Tablett, trat dann zur Seite und beobachtete sie mit größtem Interesse. »Hm, ich fühle mich richtig gut«, erklärte Joyce gleich darauf. »Der beste Drink, den ich zu mir genommen habe, seit wir New York verlassen haben. Aber warum heißt er Hans, Dad?« »Nun, weil er doch ein Hans Dampf ist – oder besser, ein Hans Rauch – und ich konnte seinen richtigen Namen sowieso nicht aussprechen. Möchte jemand noch etwas zu trinken? O. K., Hans, du kannst gehen. Nimm die Becher mit.« Die Erscheinung verschwand mit der üblichen Rauchwolke. »Haben Sie das wirklich ernst gemeint – Versorgung mit Kaugummi und so weiter?« fragte Osgood. »Aber sicher. Es ist ganz einfach. Am besten erkläre ich Ihnen kurz, wie es funktioniert. Man gibt lediglich Hans ein Muster des Gegenstands, den man haben möchte, und wenn es nichts allzu Kompliziertes ist, produziert er in ungefähr einer Stunde einen ganzen Stapel davon. Wo er das macht, weiß ich auch nicht – in irgendeiner teuflischen Fabrik oder höllischen Hexenküche tief unter der Erde. Nur die Her-
stellung von Rollschuhen hat nicht geklappt – zumindest bisher; ich rechne jetzt laufend mit der ersten Lieferung. Aber Kaubonbons – Hans hat für die ersten tausend Päckchen kaum eine halbe Stunde gebraucht, und in ungefähr der Hälfte dieser Zeit waren sie schon ausverkauft. Jetzt arbeiten sie an Zigaretten.« »Aber wie verkaufen Sie den Kram?« erkundigte sich Osgood. »Ja, dazu habe ich mir im Basar ein paar von den besten Läden gesichert, Ecklage, prima Manager. Der Barbier, bei dem ich war, ist eine echte Entdeckung – ein wirklicher Geschäftsmann, dessen Talente bislang nur unter der ganzen Bartschererei brachgelegen haben. Ich habe ihn und eure drei Bettler als Partner ins Geschäft genommen. Khalid hat sie für mich angesprochen.« »Vermutlich wird Hans dich dann auch mit Verdauungspillen versorgen können, Dad.« Henley betrachtete seine Tochter mit stolzer Gelassenheit. »Verdauungsstörungen gibt es für mich nicht mehr«, verkündete er. »Ist dir nicht aufgefallen, daß ich rundrum viel besser aussehe – und viel größer?« Joyce musterte ihn mit einer Mischung aus Wohlgefallen und Mißtrauen. »Jetzt, wo du es sagst, merke ich es tatsächlich«, antwortete sie. »Ich hatte mich schon ge-
wundert, was mit dir los ist. Ich dachte, es läge an deinem Klappzylinder. Aber wie –?« »Oh, wahrscheinlich die Luftveränderung und Umstellung der Ernährung. Auf jeden Fall kann ich aber andere Leute mit Pillen versorgen, wenn Bedarf besteht.« »Und du willst uns wirklich erzählen, daß diese Bagdader hingehen und Kaugummi und Lippenstifte bei dir kaufen?« »Und ob sie das tun! Ich kann das Zeug gar nicht schnell genug heranschaffen. Die ganze Gemeinde weiß von unserer Vorführung in der Halle des Urteils. Ich hätte keine bessere Einführungsreklame haben können. Stellt euch vor, Hunderte von Leuten wollen Ferngläser, aber Hans kriegt die Linsen noch nicht richtig hin.« »Kann Hans uns nicht irgendwohin befördern, wo wir aus Haruns Reichweite sind?« fragte Mannering. »Da haben Sie eine weitere blöde Einschränkung angesprochen. Hans kann keine Menschen transportieren, sondern nur Gegenstände. Vermutlich gibt es dafür einen technischen Grund, aber ich bin aus Khalids Erklärung nicht richtig schlau geworden.« »Je mehr von diesen magischen Zaubervorführungen wir hier zu sehen bekommen«, warf Osgood ein, »desto mehr habe ich das Gefühl,
daß Khalid gewußt hat, wovon er redete.« »Sie wollen sagen, daß wir tatsächlich diesen Chinesen umlegen müssen«, meinte Henley scharfsinnig. »Ja, genauso ist es, und ich kann ebensogut noch einmal für alle wiederholen, was ich Ihnen gestern abend erzählt habe, Dick. Ich habe die verflixte Pistole verloren, und das Schlitzauge hat sie. Unterbrich mich jetzt nicht, Joyce. Es war eine schwache Leistung, und ich bin ein Trottel – gebe ich alles zu. Ich habe Khalid deshalb gefragt, aber er sagt, er könnte sich nicht einmischen. Hans hat es die ganze Nacht versucht, aber ich fürchte, gegen die Hexerei dieses Chinesen kommt er nicht an.« »Wir sitzen zwischen der Scylla dieses teuflischen Chinesen und der Charybdis jenes abgründigen Fürsten«, kommentierte Abdul düster. »Wir müssen den Chinesen ausschalten, bevor der Kalif uns seinerseits eliminiert.« »Das Verrückte ist, daß Li Chang nirgends zu finden ist, jedenfalls nirgends, wo ich an ihn herankomme«, sagte Henley. »Wahrscheinlich rätselt er über das Verschwinden Darfurs«, bemerkte Osgood. »Er denkt bestimmt, daß Abdul auch ein Konkurrenzzauberer ist. Deshalb hält er sich versteckt, bis er uns alle mit der Pistole abknallen kann. Wir sollten ihm lieber aus dem Weg ge-
hen. Wenn wir nur ein kleines bißchen Glück haben, schießt er sich selber mit dem Ding tot, ehe er es an uns ausprobiert.« »Nein«, wandte Henley ein, »sich darauf zu verlassen ist zwecklos. Ich muß mein Schießeisen wiederhaben, und danach wird auch Harun sich anständig benehmen müssen.« »Also gut. Wenn Sie allerdings die Pistole nicht finden und Harun zu üppig wird, kann uns vielleicht der alte Musab aus der Patsche helfen«, sagte Osgood. »Natürlich abgesehen von Lächlers Techtelmechtel, das mir einigermaßen bedenklich scheint. Sonst aber könnte ich ja zu ihm gehen und für uns alle seine Hilfe erbitten, für den Fall, daß wir sie brauchen. Harun hat ihm seinen Schutz versprochen, so daß wir notfalls in seinem Haus unterkriechen könnten.« »Da ist was dran, glaube ich«, erwiderte Henley nachdenklich. »Auf jeden Fall sollte Joyce mit Ihnen dorthin gehen, damit man sie im Haus kennt, falls sie überraschend dort Zuflucht suchen muß.« »Dick, bring du doch Joyce hin, während ich noch einmal das Flugzeug überprüfe – für den Fall, daß wir durch die Wolken entkommen müssen«, schlug Mannering vor. »Na gut, du toller Hecht. Das ist eine Idee. Aber wie finden wir uns zu Musabs Haus zu-
rück?« »Das ist einfach«, erwiderte Mannering. »Als wir gestern abend weggingen, habe ich alle Mauern und Tore mit dem Taschenmesser markiert. Gar nicht zu verfehlen. Ich war heute morgen schon da, um mir alles noch einmal anzusehen. Es liegt gleich neben einem Gebäude mit dem Namen Fuchskloster, gar nicht weit weg von hier.« »Ich muß schon sagen, Sie sind wirklich ein aufregend feuriger Liebhaber«, sagte Joyce lachend. »Ich bin ehrlich gespannt, sie zu sehen. Aber hören Sie, Dick, sollten wir nicht abwarten, bis Jafar wieder da ist? Er ist der einzig Freundliche in Haruns Umgebung, und wir wollen ihn nicht verärgern und mißtrauisch machen.« »In Ordnung«, willigte Osgood ein. »Geh du zum Flugzeug, Lächler, und ich bleibe für den Fall, daß es Ärger gibt, bei Joyce, bis du zurückkommst.« Mannering nickte zustimmend und machte sich zusammen mit Henley zum Aufbruch bereit. »Ich wünschte wirklich, Dad, du würdest nicht schon wieder weggehen«, erklärte Joyce. »Entweder gerätst du in eine neue Patsche oder du wirst erschossen.« »Ich unterstütze diesen Antrag«, sagte Abdul
leidenschaftlich. »Jetzt nicht kneifen, Abdul«, ermahnte ihn Henley. »Ich muß einfach versuchen, meine Pistole wiederzukriegen. Irgendwie habe ich das Gefühl, daß es sein muß. Außerdem möchte ich noch ein paar andere Sachen erledigen. Also los, bevor es draußen zu heiß wird.« Die drei verließen den Raum. Die nächsten zehn Minuten wartete Osgood geduldig, während Joyce verschwunden war, um für einen Spaziergang passende Kleidung anzulegen. »Natürlich, wenn ich nicht wäre«, sagte sie, als sie in einem leichten, figurbetonten Kleid zurückkam, mit leiser Ironie, »hättet ihr Männer hier wirklich eine aufregende Zeit.« »Wir werden an Aufregungen keinen Mangel haben, wenn Harun bei Ihnen zur Sache kommt«, entgegnete Osgood trocken. »Ich bin überzeugt, daß er ein Nein als Antwort nicht hinnehmen wird.« »Selbst wenn ich ja sagen würde, um alle vor der Hinrichtung zu retten, wäre mein Vater nie und nimmer einverstanden.« »Ja – dann sieht es so aus, als müßten wir Harun vertrösten, bis entweder die Pistole gefunden ist oder wir uns alle bei Nacht und Nebel aus dem Staub machen müssen. He! Was ist das?« Ein Diener hatte das Gemach betreten, dicht
gefolgt von ihrem Gastgeber. Hinter ihm her marschierten etwa ein Dutzend nubische Sklaven, die Schachteln und edelsteinbesetzte Kästen trugen. Sie traten im Gänsemarsch ein und nahmen dann im Halbkreis Aufstellung. »Der Fürst hat mir befohlen, dir und deinen Freunden«, sagte Jafar zu Osgood, »diese Kisten mit Juwelen und Edelsteinen zu überreichen. Ihr sollt sie nach Belieben unter euch aufteilen.« Er machte eine kleine Pause und sprach dann zu Joyce. »Weiterhin befahl mir der Fürst, dir diesen Brief zu überbringen, o Verlockende«, meldete er, drückte seine Lippen auf das gewichtige Siegel des Schriftstücks und reichte es ihr hin. Sie brach das Siegel, entrollte das Pergament und betrachtete ratlos die schöngeschwungenen arabischen Schriftzeichen. »Aber das kann ich doch gar nicht lesen«, protestierte sie. »Jafar, könnten Sie nicht bitte –« »Es wird mir ein Vergnügen sein, dir einen Dienst zu erweisen, und doch schmerzlich, dir die Wünsche meines Gebieters vorzulesen«, erwiderte der Wesir ernsthaft. »Sie werden sich doch nicht so leicht einwickeln lassen?« fragte Joyce vorwurfsvoll. »Das liegt daran, daß deine Augen herausfordernd funkeln und deine Lippen zur Zärtlichkeit einladen«, gestand Jafar aufrichtig. »Aber
es ist töricht, wenn ich so rede, denn ein anderer begehrt dich, der mächtiger ist als ich. Laß mich nicht erstreben, was mir unerreichbar ist.« »Das war deutlich, Joyce«, schaltete sich Osgood ein. »Sie müssen Ihre betörenden Augensterne auf Engländer beschränken, die stark genug sind, ihnen Widerstand zu leisten – oder die wenigstens glauben, daß sie es wären und dabei hoffen, daß sie es nicht sind.« »Ihr Europäer sagt immer so tolle Sachen«, seufzte Joyce. »Aber jetzt wollen wir uns den Brief anhören. Sind Sie soweit, Jafar?« »Ich höre, Joy-ess, und gehorche. Aber zuerst wollen wir diese Sklaven hinausschicken.« Er gab einen Befehl, und die Sklaven stellten Kisten und Kästen auf den Boden und marschierten feierlich aus dem Zimmer. Jafar nahm vor ihnen auf einem Teppich Platz und begann mit dem Brief des Kalifen. Er las: »Im Namen Allahs, des Barmherzigen, des Gnädigen. Dieser Brief ist von Harun al Raschid, dem Sohne Al Mahdis, an Joy-ess, die Krone aller Könige der Djinni. Wisse, o du Perle in der Muschel der Schönheit, daß mich nicht Speisen noch Wein mehr ergötzen, weil du noch nicht die Meine bist. Ich habe keine Worte, die Unrast auszudrücken, die mich er-
füllt. Seit ich dich zuletzt gesehen habe, hat mein Auge niemanden geschaut, ohne daß deine Gestalt sich dazwischengeschoben hätte; noch hat es sich im Schlummer geschlossen, ohne daß ich dich erblickte, gleichsam als wohntest du zwischen Augenlid und Augapfel. Noch nie hat man hierzulande etwas gesehen, das dir an Schönheit und Anmut und ebenmäßiger Wohlgestalt gleichkäme. Denn wie der Dichter sagt: Die Sonne wäre wie du, verdunkelte deine Schönheit sie nicht; der volle Mond gliche dir, hätte er nicht Sommersprossen. Wisse daher, daß ich mich mit dem Obersten meiner Kadis über meinen Fall beraten habe, und so lautet seine Entscheidung: Nur wenn ich dich als meine Gemahlin in den Harem aufnehme, kann ich dich erlangen, ohne meine Pflicht als Gastgeber zu verletzen; und so stark ist meine Leidenschaft zu dir, daß ich mich heute morgen mit dem Eid der dreifachen Verstoßung von Helena, meiner vierten Gattin, geschieden habe, um dich ohne Verzögerung heiraten zu können. Es ist lediglich erforderlich, daß auch dein Gatte sich von dir scheidet, und ich werde dich noch heute abend zur Ehe nehmen: denn Freitag ist der Fürst unter den Tagen, und zu unserer Hochzeit soll ein pracht-
volles Fest abgehalten werden. Ein geräumiges Gemach will ich dir verleihen, so groß, daß ein Reiter darin galoppieren könnte, und ich will es ausstatten mit Möbeln aus Ebenholz, Alabaster und Sandelholz, eingelegt mit Gold und Elfenbein und strahlenden Edelsteinen; und die Wände sollen aus Marmor erbaut sein, mit griechischen Malereien verziert und besetzt mit Jaspis und Blutstein, mit Lapislazuli, Karneol und Jade. Balas-Rubine will ich dir geben, Smaragde, Topase, Amethyste, Saphire und Opale, und du sollst eine Krone aus rotem Golde tragen, die von Diamanten und Perlen strotzt. Und weil du und dein Vater fremd in dieser Stadt seid, wünsche ich, daß du dich in den Palast meiner Ersten Gemahlin Zobeida begibst, die dich behüten und für die Hochzeitsfeierlichkeiten vorbereiten wird. Darum folge dem Überbringer dieses Briefs, denn es ist bereits alles für dich gerichtet. Widersetze dich nicht meinem Gebot. Allah segne dich und deinen Vater und deine Mutter, deine Wurzeln und deine Zweige.« Jafar hörte auf zu lesen und schaute die beiden erwartungsvoll an. »Ich glaube, das ist der allerromantischste Heiratsantrag, den ich je bekommen habe«, bemerkte Joyce schließlich. »Kein Amerikaner
hätte so etwas schreiben können, oder? Aber wir dürfen es auf keinen Fall Dad zeigen. Vierte Gemahlin! Sonst noch was! Er würde stocksauer werden. Aber warum hat er die arme Helena verstoßen?« »Seine Religion gestattet ihm nur vier eheliche Gattinnen«, erläuterte Osgood, »daneben aber so viele nicht Angetraute, wie er möchte.« »Was mein Fürst dir anbietet, ist etwas ganz und gar Ungewöhnliches«, erklärte nun Jafar. »Noch nie hat er soviel Geduld und Herablassung bewiesen.« »Aber wieso ist er so hartnäckig, obwohl ich ihn doch wirklich nicht haben will?« erhob Joyce Einspruch. »Deine Wünsche sind ohne jede Bedeutung«, versetzte Jafar liebenswürdig. »Harun begehrt dich, darum mußt du zu ihm kommen. Aber zugleich will er die Gesetze der Gastfreundschaft achten, deshalb möchte er dich heiraten, anstatt dich nur zu seiner Konkubine zu machen.« »Langsam wird mir die Situation klar«, meinte Joyce nach einer Pause. »Ich nehme an, es ist sinnlos, wenn wir mit Jafar weiter diskutieren. Was wollen wir also tun?« »Ich bitte dich dringend, dem Kalifen ohne weitere Einwände zu gehorchen«, sagte Jafar. »Er hat sehr viel Rücksicht auf dich genom-
men; ist aber seine Geduld erschöpft, wird sein Zorn um so gewaltiger sein. Laß mich nicht Zeuge deiner Qualen werden.« »Das möchte ich keinem wünschen«, murmelte Joyce. »Ich flehe dich an, widerstrebe ihm nicht«, wiederholte Jafar und stand auf, »denn er möchte euch allen nur größte Freundlichkeit erweisen. Diese Geschenke –« er machte eine Handbewegung nach der Reihe glitzernder Kästen – »sind ein Nichts im Vergleich mit dem, was noch kommen wird. Nun aber muß ich dich in Königin Zobeidas Palast bringen.« »Hör zu, Jafar«, unterbrach Osgood, »wir haben eine andere Religion als du. Nach unserem Gesetz ist eine Scheidung erst nach Ablauf mehrerer Tage möglich. Mißachtet Fürst Harun unsere Sitten, wird Unglück seiner Ehe folgen, das weißt du.« »Du sprichst die Wahrheit«, gab Jafar zu. »Es ist richtig, daß wir die Vorschriften deines Glaubens achten müssen, sonst kann nichts Gutes und kein Glück aus dieser Verbindung entstehen. Ich werde dem Fürsten deine Botschaft überbringen und ihn um die Geduld bitten, euch eine weitere Frist zu gewähren. Und vergiß nicht«, bemerkte er, schon zum Gehen gewendet, freundlich zu Osgood, »was die Hand besitzt, begehrt das Herz nicht. Viel-
leicht hat Harun bald genug von ihr und gibt sie dir wieder.« »Na, was halten Sie davon?« Joyce schnappte nach Luft, als Jafars hohe, schlanke Gestalt sich entfernt hatte. »Hier bekomme ich auf die Dauer sicher noch einen Minderwertigkeitskomplex.« »Aber ich dachte, Sie mögen Macho-Männer«, bemerkte Osgood ernsthaft. »Ich stelle fest, daß mir dieser Ton – ›Widersetze dich meinem Gebot nicht‹ – doch irgendwie nicht paßt. Je eher wir hier wegkommen, desto besser. Ah, da ist ja Lächler.« »Die Maschine ist in Ordnung«, meldete Mannering. »Ich habe die Motoren probelaufen lassen, wir können unverzüglich starten. Es gibt ein bißchen Wind, genau richtig, um vom Landeplatz abzuheben. Was ist das für ein Zeug hier, Dick?« »Eine kleine Gabe unseres spendablen Fürsten, zugestellt per Sklavenpost«, erläuterte Osgood. »Harun möchte Joyce noch heute abend heiraten, und das ist seine erste Rate auf den Kaufpreis. Diamanten und Perlen und abgelegte falsche Zähne und alles, was gut und teuer ist.« Er und Joyce traten näher und inspizierten die Kisten. »Donnerwetter, da sind wirklich ein paar schöne Sachen drunter. Joyce, das
sollten Sie am besten an sich nehmen.« Er überreichte ihr eine lange Schnur großer Perlen. »Bedien dich, Lächler«, sagte er dann mit großer Geste. »Wir müssen ein paar von diesen Sachen mit nach Hause nehmen, dann können wir uns alle zur Ruhe setzen«, bemerkte Mannering und folgte der Aufforderung. »Ich werde Selma etwas mitbringen.« »Los, machen wir, daß wir fortkommen«, drängte nun Osgood. »Wir müssen sehen, wie Musab zu der ganzen Situation steht. Dieses Gewäsch über die Scheidungszeremonien schlägt uns vielleicht noch ein paar Stunden heraus, aber wir können auch nicht so lange hier wegbleiben.« Kurze Zeit später hatten sie den Palast verlassen. Niemand behinderte sie, bis sie in die Nähe des Basars gelangten, wo mehrere dichte Menschenaufläufe Zeugnis für den Gewerbefleiß des unermüdlichen Henley und seines Personals ablegten. Als sie um eine Ecke bogen, brachte sie ein ganzer Mob vorübergehend zum Anhalten. Die Massen belagerten einen winzigen Laden, über dem man ein riesiges Schild in arabischer Schrift angebracht hatte. »Bestimmt auch eins von den Unternehmen Ihres Vaters«, bemerkte Osgood und las das
Schild. »Was ist das? ›SCHUTZ VOR DEM BÖSEN BLICK‹? Guter Gott! Die Leute kaufen Hornbrillen!« »Wie absurd sie nur aussehen«, rief Joyce lachend. »Und außerdem kauen sie alle Kaugummi.« »Ich glaube, Ihr Vater ist da im Laden«, sagte Mannering, dem es seine überlegene Höhe erlaubte, über die Köpfe der Menge hinwegzusehen. »Ja, es ist tatsächlich sein Klappzylinder.« »Oh, kommen Sie, wir müssen sehen, was er treibt«, forderte Joyce sie auf. Sie unternahmen einen massiven Vorstoß und erreichten die Tür gerade in dem Moment, als Henley aufbrechen wollte. Er bemerkte sie nicht, weil er eben dem Ladeninhaber die letzten Anweisungen erteilte. Abdul stand neben ihm. »Und vergessen Sie nicht«, sagte er, »wenn Sie die jetzigen Vorräte ausverkauft haben, können Sie neue Ware ordern, die dann morgen eintreffen wird.« »O. K., Boss«, antwortete der Ladeninhaber, der wundersam gekleidet war – nämlich in einen hellgrauen Anzug, ähnlich dem, den Hans, der Dämon angehabt hatte. In Verbindung mit einem Strohhut mit rotem Band, einer Hornbrille mit viereckigen Gläsern, einem blaugestreiften Hemd und einer grünen Fliege ergab sich ein so sinnverwirrendes Gesamt-
bild, daß es ihnen minutenlang nicht auffiel, daß der Mann auf einem Auge schielte. »Ich laß mich hängen, wenn das nicht einer von den schielenden Bettlern ist!« rief Osgood, als er es endlich bemerkte. Henley hörte seine Stimme und drehte sich um. »Hallo!« sagte er. »Das Geschäft läuft, was? Kein Geldmangel hierzulande. Aber kommt weg von diesem Krach.« Sie umgingen die Menge, und Henley verteidigte sich gegen eine ganze Salve von Fragen. »Los, los«, erklärte er vorwurfsvoll, »beruhigt euch doch erst einmal. Ja, der Typ ist einer von den Kerlen mit dem Silberblick, den Sie gestern bei Ihrer Abendgesellschaft kennengelernt haben. Ich habe doch gesagt, daß ich sie angeheuert habe. Übrigens drei wirklich schlaue Burschen. Der eine kümmert sich um Hüte, Kleidung und so weiter- das ist der, den ihr gerade gesehen habt. Der andere ist zuständig für Kosmetika, Scheren, Seife, Lippenstifte, Haarwaschmittel und ähnliches. Und der dritte leitet die Abteilung alkoholfreie Getränke und Sandwichbars – Obstsäfte, Bonbons, Kaugummi, heiße Würstchen und – worüber zum Teufel lacht ihr?« »Also, Dad, ich finde dich großartig. Und woher kommen die flotten Klamotten?« »Alles von Hans. Ich habe ihm meine Anzüge
geborgt, und schon hatte er den Bogen raus. Wenn er noch ein paar mehr davon geliefert hat, müssen alle Mitarbeiter in meiner Firma sie tragen. Gute Reklame, wie, Abdul?« »Jawohl, Boss«, erwiderte Abdul mit ernster Miene. »Abdul ist mein Juniorpartner«, erläuterte Henley. »Buchhaltungskontrolle und in der Ausbildung zum Grundstücksmakler.« »Und was ist aus dem Barbier geworden?« »Der vermietet die Läden, weil er sich mit dem hiesigen Immobilienmarkt auskennt. Die Mieten steigen bereits – da sieht man, woher der Wind weht, wie? Außerdem macht er für alle Sparten die Werbung, und ich habe ihn auf eine Friseursalon-Kette angesetzt. Ja, ihr würdet über alle vier Backen lachen, wenn ich nur die Zeit hätte, das Ganze richtig in die Hand zu nehmen. Sonstige Neuigkeiten?« »Allerdings, und keine guten«, erwiderte Joyce. »Harun hat mir einen Antrag gemacht – er will mich heute abend heiraten. Er hat nach mir geschickt, um mich unverzüglich in seinen Harem einzugliedern. Aber wir haben ihn hingehalten und behauptet, meine Scheidung von Dick dauerte noch ein paar Tage. Jafar ist wieder zu ihm gegangen und will versuchen, die Sache in Ordnung zu bringen.« »Wollen wir denn nicht jetzt, wo wir doch alle
hier in Sicherheit vereint sind, die Gelegenheit wahrnehmen, zum Flugzeug gehen und uns von hinnen heben?« schlug Abdul vor. »Nein«, sagte Mannering, »zuerst muß ich zu Selma.« »Und ich muß mein Schießeisen wiederhaben«, stellte Henley energisch fest. »Eure Verzögerungstaktik sollte uns noch einen ungestörten Tag einbringen.« »Außerdem, wenn wir jetzt abfliegen, wohin sollten wir gehen?« fragte Osgood. »Wahrscheinlich kämen wir vom Regen in die Traufe. Wir müssen Khalid vertrauen. Aber ich bin völlig Ihrer Meinung, Mr. Henley, die Pistole muß wieder her.« »Also wären wir uns ja einig«, versetzte der Amerikaner. »Kommen Sie, Abdul, machen wir uns auf den Weg. Der Sklavenmarkt und die Straße der Weinrebe. Da müssen wir hin. Wir treffen uns dann zum Mittagessen bei Jafar. Inzwischen, Joyce, kannst du mit diesen beiden Burschen zu eurem Syrer gehen und dort alles in Ordnung bringen.« Er brach mit Abdul auch wirklich sofort auf. Die anderen setzten ihren Weg zu Musabs Haus fort. Unterwegs kamen sie an mehreren weiteren Läden vorbei, die offensichtlich zu Henleys Imperium zählten, und mußten sich durch die Massen hindurchkämpfen, die diese
umlagerten. »Na, wenn Ihr Vater in dem Tempo weitermacht«, erklärte Osgood, als sie endlich wieder freie Bahn hatten, »können wir heute abend schon ein Taxi nehmen und vielleicht sogar ins Kino gehen.« Zehn Minuten später erreichten sie den Platz, an dem das Haus des Syrers stand. Aber als sie darauf zugingen, vernahmen sie stampfende Hufe und das Klirren von Pferdegeschirren und waren gleich darauf von einem Dutzend Krieger der berittenen Leibgarde des Kalifen umringt. Zu ihrer Erleichterung führte Jafar den Trupp an. Er stieg sofort ab und trat mit bleichem Gesicht auf sie zu. Offensichtlich befand er sich im Zustand heftigster Erregung. »Hierfür erflehe ich eure Verzeihung, o Gäste meines Gebieters«, erklärte er, »aber ich habe keine andere Wahl. Der Fürst mißbilligte mein Verhalten, als ich ihm nicht wie befohlen Joyess brachte, und wäre Allah nicht milde, so rollte mein Kopf bereits im Staube.« »Willst du, daß wir umkehren?« fragte Osgood grimmig. »Die Jungfrau muß sofort zurückreiten, auf diesem Esel, den wir mitgebracht haben.« »Ich werde mitgehen.« »Das ist unmöglich, denn wir bringen sie sogleich in den Harem, damit sie dort zu ihrer
Hochzeit heute abend bereitgemacht wird.« »Aber meine Scheidung – Sie haben doch versprochen –«, mischte nun Joyce sich ein. »Der Fürst in seiner Eigenschaft als Kalif hat deine Scheidung selbst ausgesprochen. Sie ist damit gültig. Jetzt aber müssen wir fort. Ihr Vater und du und deine Freunde«, wendete Jafar sich an Osgood, »ihr müßt unbedingt bei der Hochzeitsfeier anwesend sein, denn der Kalif würde sehr zornig sein, wenn ihr nicht kämt – es wäre eine große Beleidigung.« »Also gut. Diesmal müssen Sie mit, Joyce«, sagte Osgood und half ihr, den weißen Esel zu besteigen. »Halten Sie ihn hin, so gut es irgend geht. Wir werden Ihren Vater schon irgendwo auftreiben. Vielleicht hat er die Pistole ja inzwischen wieder. Irgend etwas unternehmen wir auf jeden Fall, darum seien Sie auf alles gefaßt. Und nicht vergessen: Ohren steifhalten!« »Das einzige, wovor ich zunächst Angst habe«, gab Joyce zurück, »ist dieser Eselritt. Aber sehen Sie nur, der arme Jafar hat schon wieder Angst, daß er seinen Kopf verliert. Bis nachher!« Osgood und Mannering blieben stehen und sahen der Kavalkade nach, die in der schmalen Straße auf der anderen Seite des Platzes verschwand. »Wenn wir sowieso für immer hierbleiben,
sehe ich keinen Grund, weshalb sie nicht den Kalifen heiraten sollte, selbst wenn er noch drei andere Ehefrauen hat«, bemerkte Mannering. »Es wäre für uns viel besser, dann eine Freundin bei Hof zu haben.« »Ja, und du könntest deine Houri des Entzückens heiraten und sie anschmachten und wir lebten alle herrlich und in Freuden«, fuhr ihn Osgood an. »Sei kein Idiot, wir müssen weg von hier, und zwar so schnell wie möglich. Zuerst müssen wir Henley finden. Schließlich ist Joyce seine Tochter. Und jetzt fang nicht an zu flattern, du siehst deine Selma schon noch. Komm, wir trennen uns und suchen die Basare ab. In zwei Stunden treffen wir uns bei Musab, ob wir Henley gefunden haben oder nicht.«
XIII Wie man sich Ärger einhandelt Von Abdul begleitet, machte Henley sich auf, die Basare abzukämmen. Er war fest entschlossen, sich seine Pistole wiederzubeschaffen, wenn es nur irgend menschenmöglich war. Dazu wollte er zunächst das blaugoldene Minarett am Sklavenmarkt nochmals aufsuchen, denn es war ihm nicht gelungen, auch nur einen Menschen zu entdecken, der die Weinrebenstraße kannte. Selbst Hans der Djinn hatte ihm nicht helfen können, das Haus zu finden, in das Jakob ihn so geschickt hineingelockt hatte. Noch immer kochte Henley innerlich vor Wut über die Art, wie man ihn hereingelegt hatte, und die gebührende Rache an Li Chang war ihm jetzt, nachdem sein Appetit auf geschäftliche Unternehmungen vorüber gehend gestillt war, zum größten Herzensanliegen geworden. Als er durch die Gewölbe eines Teppichbasars schritt, dessen Doppelreihe zellenartiger Läden fast unter den leuchtenden Farben von vielen Tausenden von Teppichen und Brücken verschwand, drang plötzlich die laute, zän-
kisch erhobene Stimme einer Frau an sein Ohr. Sofort blieb er stehen. Die Stimme kannte er doch? Ganz nahe bei ihnen redete ein schwarzbärtiger Händler auf eine schlanke, dichtverschleierte Frau ein, die von einem stämmigen, mit einem dicken Stock bewaffneten Neger begleitet wurde. »Du weißt gar wohl, o gnädige Herrin, daß dieser Teppich ohne Fehl ist«, sagte der Händler. »Untersuche seine Farben, prüfe die Feinheit der Nähte, beachte den Glanz –« »Gewiß, glänzen tut er«, erwiderte sie mit ihrer mißtönenden Stimme, »aber es ist keine reine Seide, sondern eine Mischung.« Henley war seiner Sache jetzt sicher. Dies war Masouda, dieses Weib mit ihren beleidigenden Bemerkungen. Dieses Organ, das, wie Jakob so richtig bemerkt hatte, dem Schrei eines Esels glich. Er konnte sich unmöglich irren. Außerdem stimmte die Größe. Er legte dem geduldig wartenden Abdul seine Vermutung dar. »Wenn wir ihr also nachgehen, wird sie uns wahrscheinlich zu dieser Ratte von Bashir bringen.« »Nichts Gutes wird daraus entstehen«, prophezeite Abdul mit großem Ernst. »Erstens einmal irren Sie sich wahrscheinlich. Zweitens ist es aber in jedem Fall eine gefährliche Unvorsichtigkeit, auf der Straße Interesse an ir-
gendeiner Frau zu zeigen. Sehen Sie doch, der Eunuch wirft uns bereits mißtrauische Blicke zu. Bitte tun Sie so, als inspizierten wir diesen Teppich.« »Wir haben ohnehin Ärger genug – auf ein bißchen mehr kommt es auch nicht an«, begann der Amerikaner von neuem und starrte dabei mit wütendem Interesse die Teppiche an. »He! da marschiert sie los.« Die Frau entfernte sich mit ihrem Diener, gefolgt von einem kleinen Jungen, den sie gemietet hatte, um den Teppich zu tragen. Sie schritt munter aus und erreichte schon bald eine ruhige Wohngegend. Henley und Abdul trabten in diskretem Abstand hinterher. Abdul machte sich jedoch Sorgen. »Ich habe Sie gewarnt«, bemerkte er. »Sie werden sich in die Nesseln setzen. Keine Frau ist so ein Risiko wert.« »Was Ihnen fehlt«, gab Henley zurück, »ist wahrscheinlich wirklich eine Frau. Achtung! Sie ist zu Hause.« Die Frau und ihre beiden Begleiter waren in einer schmalen, von aus den Häusern hervorragenden, vergitterten Erkern beschatteten Straße stehengeblieben. Durch die Lücke zwischen zwei Häusern erkannte Henley ein blaugoldenes Minarett. Ein erwartungsvoller Glanz trat in seine Augen. Hier war es! Sie bog in ein
Torgewölbe ein, und als die beiden Männer dort ankamen, stand die Tür noch offen. Sie schauten in einen Gang, der auf einen schattigen, kühl aussehenden Hof führte. »Ich bin nicht sicher, ob es dieses Haus ist«, sagte Henley und betrat den Gang, »aber wir werden ja sehen.« »Haben Sie denn keinen Funken Vernunft?« rief Abdul und folgte ihm. »Es ist höchst gefährlich, auch nur einen einzigen Schritt weiterzugehen. Eine Frau hierzulande ist das Eigentum des Familienoberhauptes. Wir werden schon bald wieder alle beide gräßlich in der Bredouille sitzen.« »Wenn Sie jetzt nicht hinter mir hergekommen wären, könnte ich meinen, Sie hätten die Hosen voll, Abdul.« »Mr. Henley, ich gebe zu, daß ich in großer Sorge bin; aber wie könnte ich Ihrer Tochter mit schwächlichen Ausreden, ich hätte Sie schon wieder verloren, unter die Augen treten?« Sie schritten in den Hof und warteten vorsichtig. Unter dem eng vergitterten Balkon gegenüber gab es eine zweite offene Tür, in der kurz darauf der kleine Junge und der Neger erschienen. Der Junge überquerte den Hof und entfernte sich, während der Neger sie mit feindseliger Neugier musterte. »Wer bist du, und was hast du hier zu schaf-
fen?« fragte er Henley. »Ich möchte ein paar Worte mit deinem Herrn, Jakob al Bashir, oder mit deiner Herrin Masouda sprechen«, lautete die energische Antwort. Der Schwarze zog hinter sich die Tür zu und betrachtete die beiden mißtrauisch. »Hast du gesagt, du wünschtest mit der Herrin Masouda zu reden?« erkundigte er sich. Abdul wurde unruhig. »Ich sage Ihnen nochmals«, warf er hastig ein, »Sie machen sich nur Ärger.« »Das ist mir alles glasklar«, versetzte Henley zuversichtlich, »aber ich muß diese Sache hier zu Ende bringen. Wenn dein Gebieter«, fügte er zu dem ungeduldig harrenden Sklaven hinzu, »nicht zu Hause ist, möchte ich die Frau sehen – Masouda.« Der Sklave glotzte ihn überrascht und wütend an. »Bist du wahnsinnig?« fragte er dann. »Oder besitzt du keinen Anstand? Bei Allah und den Seinen, der Scheik soll mit dir sprechen, du Schändlicher.« Ohne weiteres Zögern packte er Henley am Arm und zerrte ihn zu einer Tür auf der anderen Hofseite. Abdul zog sich in den nach draußen führenden Gang zurück. Henley fügte sich, freilich nicht ohne Gegenwehr, wobei sein Zylinder zu Boden ging und seine Kleidung Risse
bekam. Sobald er begriff, daß der andere stärker war, wartete er einen günstigen Augenblick ab und rammte dem Mann seinen Ellenbogen in die Magengrube. »Damit du etwas zu lachen hast, du dicker Rausschmeißer«, rief er. Mit einem Grunzen ließ der Neger eine Hand los und rieb sich heftig den Magen, wobei er laut nach Beistand schrie. Fast sofort erschien ein alter, weißbärtiger und weißgekleideter Mann, der einen silbernen Stab trug, vor ihnen in der Tür. »O du verfluchtester aller Sklaven, was bedeutet dieser unziemliche Lärm?« fragte er erzürnt. Seine Stimme war dünn und zittrig. »Herr, dieser Mann schlug mich –« »Nein, mein Lieber«, unterbrach Henley ihn scharf, »ich habe dir lediglich eine verpaßt – so.« Er versetzte seinem Schergen einen zweiten wohlgezielten Ellenbogenstoß. »Und jetzt laß mich los, du Flasche.« »Warum hältst du diesen Fremden so fest, Sayd?« fragte der Alte und zupfte bedenklich an seinem langen Bart. »Herr, dieser Hund hätte sich in deinen Harem eingeschlichen, hätte ich ihn nicht daran gehindert.« Der Gesichtsausdruck des Arabers, bisher von nachsichtiger Heiterkeit, verwandelte sich sofort in eine Miene stirnrunzelnden Verdachts.
»Unterlaß dieses Gezappel, Sayd, und teile mir mit, was es damit auf sich hat.« »Herr, ich und die Herrin Masouda kehrten vom Basar zurück, wo wir einen KhorassanTeppich gekauft hatten, und dieser Zögling des Lasters, der uns schon seit dem Laden verfolgt hatte, betrat, während der Türhüter nicht zur Stelle war, dein Haus und versuchte, in die Haremsgemächer einzudringen. Als ich ihn entdeckte, forderte er, da er dich abwesend wähnte, vor das Angesicht der Herrin Masouda geführt zu werden.« »Und gibst du das zu, ausländischer Hund?« rief der Alte und hob drohend den Stab. »Ich wollte Jakob al Bashir sprechen, weil –« »Du bist ein Lügner! Hier gibt es keinen al Bashir, und nie hörte ich diesen Namen. Du lasterhafter Köter, wäre mein Obereunuch nicht so wachsam gewesen, hättest du die Reinheit meines Harems beschmutzt. Diskutiere nicht mit mir. Dein verderbtes Gesicht verrät Arglist und Verkommenheit. – Bring diese Pestilenz zum Sirdar!« sagte er zu dem Schwarzen, der beifällig grinste. Henley ließ sich ohne weiteren Widerstand fortschieben. »Scheint heute nicht mein Glückstag zu sein«, dachte er, »hab mir offenbar die falsche Frau mit dem richtigen Namen ausgesucht! Jedenfalls will ich nicht wieder
solchen Ärger wie gestern haben – werde mich wohl mit diesem Kerl anfreunden müssen.« Durch einen gewölbten Gang gelangten sie in das luxuriös eingerichtete Empfangszimmer. Steif auf einem Diwan hockend, musterte der Scheik seinen Gefangenen mit greisenhafter Strenge. »Fürwahr, du mußt ein Fremder sein und von niederer Herkunft, denn in deinem Verhalten liegt ein Maß an Unwissenheit und Schlechtigkeit, das in Bagdad niemand besäße. Doch ist deine Ahnungslosigkeit keine Rechtfertigung.« »Nun hören Sie mal zu, Mister«, begann Henley milde. »Ich wollte Sie nicht beleidigen. Verstehen Sie, bei uns zu Hause kommen Männer und Frauen zusammen und unterhalten sich miteinander, soviel sie wollen, und niemand findet etwas dabei.« »Von welcher Schamlosigkeit sprichst du da?« kreischte der Scheik und fuhr vor Empörung fast vom Diwan auf. »Wisse, daß ich die ganze Erde bereist und auf allen Meeren schon Schiffbruch erlitten habe; ich habe in der Wüste von Blut und Kamelhaar gelebt und von den Wassern Sem-Sems, des heiligen Brunnens von Mekka, getrunken; dem Tod durch wilde Tiere bin ich entgangen und dem Kochtopf menschenfressender Afrits entronnen; überall bin ich gewesen. Und doch habe ich nirgends
so ehrlose Zustände gesehen wie die, von denen du redest.« »Und doch, lieber Herr, ist es so«, bekräftigte Henley. »In Amerika ist eine Frau ebenso frei wie ein Mann.« »Ich kann nicht glauben, daß eure Frauen keiner ordentlichen Aufsicht unterliegen.« »Eine Frau tut – natürlich im Rahmen der Gesetze –, was sie mag, ganz nach ihrer Intelligenz und ihrem Gefühl für das Schickliche, genau wie Sie und ich.« »Welch törichtes Geschwätz ist das«, protestierte der Alte und zauste sich gereizt den Bart. »Wie kann eine Frau Vernunft oder ein Gefühl für das Geziemende haben? Hat nicht der Prophet, dessen Name gesegnet sei, verkündet, daß es allen Frauen an Verstand und Religion mangelt? Hat nicht der Kalif Omar gesagt: ›Frage Frauen um Rat und tue das Gegenteil dessen, was sie dir empfehlen, so wirst du recht handeln‹?« Henley öffnete den Mund zu einer Erwiderung, war aber nicht schnell genug. »Ist es nicht wohlbekannt, daß der Teufel, als die erste Frau erschaffen wurde«, fuhr der alte Mann fort, »entzückt war und sagte: ›Du bist die Hälfte meiner Heerscharen und die Verwahrerin meines Geheimnisses; mein Pfeil bist du, mit dem ich schieße und nicht fehle‹?«
Henley hüllte sich in diskretes Schweigen. »Nun gut«, schloß der andere und lehnte sich zufrieden zurück. »Wir wollen von deinem Land sprechen und nicht von deinen Frauen. Sayd, du kannst gehen. Sag mir, Fremdling, wo liegt deine Heimat? Ist sie eine kleine Insel?« »Nein, Amerika ist ein Erdteil – ein Teil der Neuen Welt.« »Ich fürchte, du belügst mich«, antwortete der Alte, in dessen wäßrige Äuglein ein Ausdruck der Besorgnis trat. »Hast du gesagt, eine neue Welt?« »Ein neuer Kontinent auf der anderen Seite der Erde«, erläuterte Henley geduldig. »Wie kann es unter der Erde etwas geben außer den Behausungen der Djinni und Teufel?« Henley lächelte. Aus einer Schale neben dem Diwan nahm er eine Orange. »Wenn hier Bagdad ist«, sagte er und zeigte auf ihre eine Seite, »dann ist dort Amerika«, und er deutete auf die andere Seite. Der Alte fuhr sich mit den Fingern durch den Bart. »Ich kann dich nicht begreifen«, meinte er zittrig. »Die Erde ist flach wie meine Hand, und es kann nichts auf ihrer Unterseite sein, denn alles würde ja von dort herunterfallen.« Henley brach in Gelächter aus. »Warum verspottest du mich?« schrie der andere mit gesträubten Augenbrauen.
»Bleiben Sie ruhig, ich mache mich nicht über Sie lustig. Nur weil Sie sagen, die Erde wäre flach, wo doch jeder weiß, daß sie rund ist!« »Du lästerlicher Hund, was sagst du da? Beim Schwerte Omars, es ist wirklich nichts Gutes an dir. Die Erde ist flach, weil das Erhabenste aller Bücher es gesagt hat. Und ich – ich bin zu allen Enden der Erde gereist, von den weißen Ländern im Norden des kaspischen Meeres bis zur Insel Sansibar, von den schwarzen Felsen vor Andalus bis zu den äußersten Rändern Chinas. Wie also kann die Erde rund sein, da ich doch mit meinen eigenen Augen gesehen habe, daß sie flach ist?« An dieser Stelle betrat erneut Sayd das Gemach, Abdul hinter sich herschleppend. Die Finger des sich wehrenden Ägypters hielten Henleys Klappzylinder fest umklammert. »Was soll das bedeuten?« fragte der alte Mann verärgert. »O Gebieter, dieser Hund kam und klopfte ans Tor, woraufhin er Erkundigungen nach dem anderen Köter hier anstellte; und er sprach: ›Er muß seinen Hut haben!‹ und: ›Er steht unter dem Schutze des Kalifen!‹ Und siehe, ich erkannte an seinem Gesichte, daß er ein Lügner ist, also daß ich ihn zu dir brachte, damit du ihn bestrafst.« »Er hat nichts weiter als die Wahrheit
gesagt«, mischte Henley sich ein und nahm seinen Hut wieder in Besitz. »Wer aber, der seinen Verstand beisammen hat, würde so etwas auf dem Kopf tragen?« wandte der Alte ein. Henley gab keine Antwort, sondern klappte den Hut auf und setzte ihn sich schwungvoll auf den Kopf. Der andere starrte ihn finster an und zog die Stirn kraus. »Bei Abu Bekr, dem wahrhaft Wahrhaftigen, all dieses kommt mir seltsam vor«, meinte er. »Durch welche List und Tücke wächst dieses Ding so?« »Sehen Sie, Sie wissen doch weniger, als Sie dachten«, belehrte ihn Henley. »Ich erzähle Ihnen, wie es funktioniert, wenn Sie uns zum Palast des Kalifen zurückgehen lassen, wo –« »Aber ich weiß doch, daß du ein Schwindler bist, denn unser gnadenreicher Kalif würde niemals einem Manne seinen Schutz gewähren, der so wenig Gefühl für Anstand hat, daß er behauptet, die Erde wäre –« »Abdul, sagen Sie es ihm. Ist die Erde rund oder flach?« »Die Erde«, begann Abdul, »ist mehr oder weniger kugelförmig.« »Ihr doppelt gotteslästerlichen Köter!« kreischte der Alte auf und kletterte mit Hilfe seines Silberstabes auf die Füße. »Mit glühen-
den Zangen soll man euch die Zungen herausreißen! Sagt uns denn nicht das Buch der Bücher, daß die Breite der Erde fünfhundert Reisejahre beträgt, daß der Ozean el Mohiit sie umgibt, der seinerseits von den Chrysolithbergen des Kaf umgrenzt wird, bei denen der Himmel von grünlicher Farbe ist? Das alles ist jedermann bekannt, und ihr wollt mir sagen, es wäre anders, ihr nackt-gesichtigen Schakale! Wißt ihr nicht, ihr Wahnsinnigen, mit wem ihr sprecht? Kennt ihr nicht Sindbad, den größten Reisenden der Welt, dessen acht Reisen in goldenen Buchstaben auf purpurner Seide niedergeschrieben worden sind und in der Bibliothek des Kalifen aufbewahrt werden?« Henley riß die Augen auf. Der Name weckte in ihm verschwommene Erinnerungen an Geschichten aus seiner Knabenzeit und an ein Buch, das er damals sehr geliebt und in dem es Bilder von schiffbrüchigen Seeleuten mit Turbanen und Pluderhosen gegeben hatte. »Wollen Sie mir erzählen, Sie wären Sindbad der Seefahrer?« fragte er mit so aufrichtigem Erstaunen, daß der Scheik sofort besänftigt war und sich wieder hinsetzte. »Du sagst es«, gab er zurück und zwirbelte seinen Schnurrbart. »Ist denn mein Ruhm auch in deinem Land Amerika verbreitet, von dem ich nicht glaube, daß es existiert?«
»Aber selbstverständlich! Sindbad der Seefahrer! Ist es zu fassen? Ich bin stolz darauf, Ihre Bekanntschaft zu machen, Sir.« Er schritt zu dem alten Mann hinüber und schüttelte ihm herzhaft die Hand. »Es ist wirklich merkwürdig, daß ich von deinem Amerika nie etwas gesehen oder gehört habe, nicht einmal auf meiner achten Reise«, überlegte Sindbad, sichtlich erfreut über Henleys Achtungsbeweis. »Acht, sagen Sie?« fragte Henley, der sich freute, daß man einander freundschaftlich nähergekommen war. »Aber ich hatte als Junge ein Buch über Sie, das hieß ›Die sieben Reisen Sindbads des Seefahrers‹.« »Willst du damit sagen, daß du von meiner letzten und größten Reise nichts weißt?« rief Sindbad eifrig. »Nein? Dann sollt ihr, bevor ich euch hinrichten lasse, davon erfahren.« Er klatschte in die Hände, und ein Sklave trat ein. »Bring uns Erfrischungen, wie sie einem Manne meiner Stellung geziemen«, befahl er, »jedoch nicht vom Besten, denn sie wären verschwendet an die, über denen bereits das Verhängnis schwebt.« »Wir können nicht bleiben«, erhob Henley Einspruch, »und überhaupt möchten wir auch nichts essen. Und was dieses Gerede von
schwebenden Verhängnissen angeht: Wenn Sie nicht glauben wollen, daß wir Gäste des Kalifen sind, dann geben Sie uns doch Ihren Türhüter mit, der wird –« »Der wird dann ohne Zweifel von euren schurkischen Spießgesellen überfallen werden. Nein, ich glaube keinem von euch. Ihr werdet hierbleiben bis an euer Ende, also nicht länger als die Zeit einer Stunde, nach dem Lauf der Sterne gerechnet.« »Mr. Henley«, sagte Abdul hinter vorgehaltener Hand, »könnten Sie nicht Hans rufen, damit er uns in dieser kitzligen Situation beisteht?« »Heiliger Bimbam! Den hatte ich ja ganz vergessen!« antwortete Henley und kramte hastig in seinen Gewändern nach dem Leinwandbeutelchen. Während er suchte und suchte, trat ein besorgtes Stirnrunzeln auf sein Gesicht. »Ich kann das verflixte Ding nicht finden!« murmelte er endlich. »Wonach suchst du?« erkundigte Sindbad sich mißtrauisch. »Meine Börse«, erwiderte Henley kurz. »Nun, dieser Verlust sollte dir keinen Kummer bereiten«, bemerkte Sindbad zartfühlend, »denn du wirst ja nie wieder Geld brauchen.« »Quatsch!« brummte Henley und setzte seine wahnwitzige Wühlerei fort. Zuletzt drehte er
sich um und schaute Abdul schuldbewußt an. »Ich bin doch das allerärmste Schwein auf Gottes Erdboden!« rief er aus. »Ich habe es verloren.« »Bestimmt hat man es dir im Basar gestohlen«, schlug der Scheik vor. »Sagt nicht das Sprichwort, daß ein arabischer Dieb einem das Khol von den Augen stiehlt?« »Ich fürchte, er hat recht«, bemerkte Henley bitter. »Als ich vor meinen Läden stand, mitten in der Menge. Ich glaube, in dieser Großstadt hier brauche ich einen Aufpasser.« »Vergiß doch den unbedeutenden Verlust«, rief Sindbad fröhlich. »Hier kommt unsere Mahlzeit. Denkt daran, es ist schlimmer, mit leerem als mit vollem Magen aus diesem Leben zu scheiden.« Mit Tabletts voller Speisen und großen Karaffen, die sie vor Sindbad niedersetzten, waren sechs Schwarze eingetreten. Sie nahmen an den Wänden Aufstellung und schauten mit ausdrucksloser Miene zu, wie der Alte die Trinkbecher aus graviertem Silber bis zum Rande füllte. »Im Namen Allahs, des Barmherzigen, des Gnädigen«, sagte er und nahm einen tiefen Zug. »Auf meine Gesundheit und die eure«, fügte er hinzu und leerte den Becher. »Meine Großzügigkeit ist in Bagdad wohlbekannt«,
fuhr er dann mit einer umfassenden Gebärde fort. »Eßt und trinkt nach Herzenslust.« Die appetitanregenden Düfte machten tatsächlich Hunger, und trotz ihres Unbehagens über die Situation, in der sie steckten, bedienten Henley und Abdul sich reichlich. »Fürwahr, euch vor eurer Hinrichtung so herzhaft schmausen zu sehen«, meinte Sindbad, »zeigt eine fromme Ergebung, die bewunderungswürdig ist.« Henley hörte auf zu kauen und warf Abdul einen schrägen Blick zu. Abdul lächelte mühsam. »Er testet unsere Nerven«, kommentierte Henley und aß weiter. »Ich kann mich nicht entscheiden, ob ihr vor oder nach dem Abendgebet hingerichtet werden sollt«, fuhr Sindbad fort und kraulte sich nachdenklich den Bart. »Ich werde nicht zulassen, daß etwas die Fügungen des Schicksals stört, darum will ich warten, bis sich die euch bestimmte Stunde von selbst offenbart. Bitte vergeßt nicht, diese köstlichen Kalbslendchen zu versuchen. Laßt mich überlegen. Es kann sein, daß es dem einen von euch bestimmt ist, schmerzhafter zu sterben als der andere. Vielleicht ist es dein Schicksal –«, er deutete auf Abdul –, »lebendig in süßem Öl gesotten zu werden, und das deine, o Bleicher, nur mit der Bogensehne erdros-
selt oder in zwei Teile zersägt zu werden.« Henley schluckte seinen Bissen hinunter und zwinkerte Abdul zu, der einen Löffel voller Speisen auf halbem Wege zum Mund angehalten hatte. »Auf der anderen Seite«, setzte Sindbad gedankenverloren seine Ausführungen fort, »kann es auch sehr wohl sein, daß es euch bestimmt ist, gemeinsam enthauptet zu werden, nebeneinander auf demselben Richtblock. Mein Sklave Sayd ist ungemein stolz auf seine Geschicklichkeit bei solchen Doppel-Exekutionen, und weil er zudem einen Groll gegen euch hegt, könnt ihr versichert sein, daß er euch in jedem Falle mit äußerster Gründlichkeit aus diesem Leben befördern wird.« Abdul legte still die Finger an seine Kehle, und der schmackhafte Bissen wanderte unauffällig in die Schüssel zurück. »Was, habt ihr euren Fleischgang bereits beendet? Fürwahr, euer Appetit ist doch nicht der, den gesunde Männer besitzen sollten. Darum erzürnt mich nicht, indem ihr es unterlaßt, dieses Sesamgebäck zu kosten, das in weißem und rotem Honig gewälzt und mit Rosenblättern gewürzt ist. Doch wahrlich, mein eigener Appetit hat unter der Notwendigkeit gelitten, die Art eurer Hinrichtung zu bestimmen. Wenn ich euch
nämlich in meinem Garten lebendig in ungelöschtem Kalk begraben lasse, mache ich meinen Sklaven unnötige Arbeit. Vielleicht wäre es am einfachsten, euch in Körbe zu stecken und im Tigris zu ersäufen, denn das würde meine Sklaven von der Aufgabe entlasten, eure Leichname zu beseitigen.« Auch Henleys Appetit war jetzt gänzlich verflogen, aber er ergriff einen Becher mit Weih und leerte ihn auf einen Zug. »Vielleicht lasse ich euch sogar selbst die Methode eurer Hinrichtung wählen. In diesem Falle rate ich euch, darum zu bitten, daß man euch erstickt, denn dieser Tod ist angenehm, vor allem, wenn man vom Wein schläfrig ist – nein, o Bleicher, trinke nur aus, denn der Wein aus Damaskus, den du so kenntnisreich ausgewählt hast, ist von hervorragendem Geschmack und starker Wirkung und wird dir einen Vorgeschmack von den köstlichen Wassern des Paradiesbrunnens Selsebil geben. Trinke nur tief davon, und du wirst es kaum noch wahrnehmen, daß man dich erstickt. Ich sehe, daß ihr euer Festmahl beendet habt und begierig meiner Erzählung harrt. Ich will mich kurz fassen, denn ich habe stets nach Schweigsamkeit gestrebt. Nun, Sklaven, bringt die Fingerschalen und räumt diese Tabletts fort. Meine Zuhörer, schnell nun, benetzt eure
Hände mit diesem Zibet-und-Rosen-Wasser. Ihr seid fertig? Preis sei Allah in allen Dingen.«
XIV Sindbads des Seefahrers Wahrhaftigkeit »So wisset denn«, hub Sindbad an, »daß ich, nachdem ich sicher von meiner siebten Reise zurückgekehrt war, beschloß, den Rest meiner Tage in Frieden und Ehre in Bagdad zu verbringen. Aber nach ein paar Jahren der Ruhe riefen die Gefahren und Mühsale meiner Jugend mich von neuem hinaus, und ich sehnte mich danach, wieder in die Ferne zu ziehen und mich am Anblick fremder Städte und Menschen zu erfreuen. Darum schloß ich mich, so sehr auch die Meinen flehten, einer Karawane nach Basra an, wo ich mich mit Waren ausrüstete und mit anderen Kaufleuten in einem schönen, hochbordigen Schiff in See stach. Eines Tages, nachdem schon viele Monde gewinnbringenden Handels mit den Völkern ferner Meere verstrichen waren, griffen Korsaren uns an. Sie besiegten uns, hüllten uns in elende Lumpen und brachten uns an eine Küste, die mir fremd war. Man schaffte uns eine weite Strecke über Gebirge und durch Wüsten, bis wir in eine Stadt namens Zuum gelangten. Dort verkaufte man uns in die Sklaverei.
Durch Allahs Gnade erwarb mich ein freundlicher Mann, der mich schon bald in eine Vertrauensstellung setzte. Nun litten aber die Einwohner von Zuum an einer seltsamen Gewohnheit, denn es war bei ihnen der Brauch, ein Mützchen zu tragen, jedoch nicht auf dem Haupte, sondern auf der Nase. Diese Nasenmützchen wurden mit feinen Gold- oder Silberfäden, die hinter die Ohren führten, im Gesicht befestigt und waren oft gar kunstreich ziseliert und mit Edelsteinen besetzt. Wenn ein Mann sich auf der Straße ohne seine Nasenkappe sehen ließ, so galt das als große Schamlosigkeit, und man bestrafte ihn.« Sindbad hielt inne und warf Abdul, der ein Kichern nicht hatte unterdrücken können, einen strengen Blick zu. »Was plagt dich?« fragte er verdrießlich. »Bei Allah, wenn du in meinen Bart lachst, werde ich dich in zweitausend einzelne Stücke zerhacken lassen.« »Diese Nasenmützensache ist neu für ihn, und für mich auch«, schaltete Henley sich begütigend ein. »Es ist schwer, sich so ein Ding vorzustellen – Sie haben nicht zufällig ein solches Mützchen da?« »Deine Frage beleidigt mich, denn ich merke gar wohl, daß du an meiner Wahrhaftigkeit zweifelst. Aber ich will deine Neugier befriedi-
gen.« Er klatschte in die Hände nach einem Sklaven und ließ sich ein kleines Juwelenkästchen bringen. Daraus nahm er eine ziselierte Metallkappe, wie er sie vorher beschrieben hatte. Er probierte sie umständlich an und legte sie dann sorgfältig wieder in das Kästchen. »Das haben Sie wirklich prima gemacht«, erklärte Henley. »Hören Sie, wie wär's mit einem Geschäft? Ich nehme diese alte Nasenkappe und gebe Ihnen dafür das hier?« Er zog seine eckige Hornbrille hervor und setzte sie sich flott auf die Nase. »Du bist ein Betrüger!« rief Sindbad und drohte vorwurfsvoll mit dem Finger. »Mich aber kannst du nicht hereinlegen.« Er kramte in seinem Gürtel und zog genau die gleiche Brille hervor, die er sich triumphierend und verkehrtherum aufsetzte. »Ha! Ha!« schrie Abdul. »In den eigenen Abgrund gestürzt!« »Ich habe sie heute morgen im Basar für mich besorgen lassen«, krähte Sindbad und lachte herzlich. Henley holte tief Luft und nahm seine Brille wieder ab. »Weiter mit der Geschichte«, sagte er kurz, »wir wollen fort.« »Du bist ein amüsanter Schurke, und ich höre mir deine Unverschämtheiten mit Vergnügen
an«, erwiderte Sindbad, noch immer lachend. »So will ich denn fortfahren. Nachdem ein Jahr vergangen war, sandte mich mein Herr mit einer Karawane und zahlreichem Gefolge nach einigen seiner entfernten Güter, um sie zu inspizieren. Wir waren bereits einen Monat unterwegs und durchquerten just eine unfruchtbare Ebene in der Nähe einer Bergkette, als sich ein seltsames, hämmerndes Geräusch vernehmen ließ. Unverzüglich ergriffen wir die Flucht, wurden jedoch schnell von einer riesigen Horde entsetzlicher Gorillas eingeholt, welche auf einer Art von Eseln ritten, deren Ohren so außerordentlich lang waren, daß sie, wenn die Tiere standen, bis auf die Erde herabfielen. Indem sie mit den Ohren schlugen wie ein Vogel mit seinen Flügeln, konnten diese Esel sich und ihre Reiter mit großer Geschwindigkeit durch die Lüfte fortbewegen, und auf diese Weise hatten sie uns auch eingeholt. Das Geräusch, das wir gehört hatten, war nichts anderes als das Aufeinanderprallen ihrer Ohren ober- und unterhalb des Kopfes.« »Meine Güte! Sie haben aber wirklich einen Kopf, der nach Hollywood gehört«, erklärte Henley bewundernd. »Die Gorillas sprangen von ihren Reittieren und griffen die fliehenden Mitglieder der Karawane und des Gefolges mit großer Wildheit an.
Und siehe, weil ich mich sofort zu Boden geworfen hatte, zogen sie an mir vorüber, und als einer ihrer Esel in meiner Nähe umherstreifte, kletterte ich auf seinen Rücken und prügelte ihn mit meiner Sandale, bis er in die Lüfte sprang und auf das Gebirge zuflog. Ich sah, daß mehrere der Affen mich verfolgten, aber durch meine Anfeuerungen und Schläge konnte ich meinen Esel dazu bringen, daß er sie alle hinter sich ließ. Die Fortbewegung des Esels in der Luft war wie das Heben und Senken eines kleinen Bootes auf gewaltigen Wellen, so daß mir von dem Schaukeln übel wurde«, fuhr Sindbad fort, »aber meine Furcht verlieh mir die Kraft zum Sitzenbleiben. Als wir die Berge erreichten, gelangten wir in eine tiefe Schlucht, in die ich mein unwilliges Reittier hineintrieb. Der Boden hob sich seinen Füßen entgegen, und der Esel stolperte und warf mich ab. Durch Allahs Gnade entdeckte ich jedoch im selben Augenblick eine tiefe Höhle, und noch während ich mich dort verkroch, vernahm ich das Klatschen von Eselsohren, das von über einem Dutzend dieser Tiere stammte, die mich verfolgt hatten. Ich drang nun weiter in die Eingeweide der Erde ein, denn ich wußte sehr wohl, welches Schicksal mich erwartete, falls ich umkehrte. Gehend und kriechend wanderte ich viele
Stunden in der Finsternis umher, bis ich vor Durst und Entkräftung dem Tode nahe war. ›Bei Allah‹, rief ich aus, ›warum quält mich dieses Unglück und Mißgeschick?‹ Und endlich erspähte ich einen schwachen Lichtschimmer und kroch darauf zu, bis ich durch eine kleine Öffnung klettern konnte, die sich mitten in der Wand einer unendlich großen Höhle befand, so riesig, daß sie eine eigene kleine Welt darzustellen schien. Das Licht, das ich gesehen hatte, kam wunderlicherweise aus dem felsigen Untergrund und beleuchtete die ganze Höhle wie eine Sonne. An der Öffnung vorbei floß ein Wasserfall und siehe, das Wasser nahm seinen Lauf nach oben und nicht nach unten.« »He!« protestierte Henley, »wir wollen doch auf dem Teppich bleiben. Fliegende Esel will ich ja noch hinnehmen, aber Wasser, das bergauf fließt…« »Und ich sage dir, das Wasser floß aufwärts und nicht nach unten!« schrie Sindbad erbost. »Verflucht sollst du sein – warum zweifelst du noch immer an meiner Wahrhaftigkeit? Ich sage dir, ich blickte nach oben und sah zu meinem größten Erstaunen vom Dach der Decke Bäume herunterhängen, deren Zweige nach unten wiesen, und Männer, die das Land bestellten und umherliefen wie Fliegen, die Köpfe mir zugekehrt.«
»Es ist einfach zu schade, daß ein Mann mit dieser Super-Phantasie sich hier am Ende der Welt vergräbt«, murmelte Henley. »Ich stieg nun hinab zu der schimmernden Höhlendecke«, sagte Sindbad und warf Henley ein paar Dolchblicke zu, »und sah, wie die Leute oben einander zuwinkten und voller Überraschung auf mich zeigten. Denn meine Art der Bewegung war für sie so wundersam wie ihre für mich.« »Das kann ich mir vorstellen«, kommentierte Henley. »Ich finde sie auch wundersam.« »Und abermals sage ich dir, unterbrich mich nicht! Bei Allah, einen Mann wie dich habe ich noch nie gesehen. Es ist üblich, daß die Menschen, die mir zuhören, über die Wunder, von denen ich berichte, in Erstaunen ausbrechen; aber noch nie hat jemand die Frechheit besessen, mir ins Wort zu fallen, wie du es tust. Es ist gut, daß dein Schicksal bereits entschieden ist, denn wegen deiner zahlreichen Unhöflichkeiten wäre dein Ende ohnehin nicht zu vermeiden gewesen.« Henley verstummte und sah Abdul betrübt an. »So hört denn weiter«, begann Sindbad von neuem. »Viele Stunden wanderte ich dahin und sah über mir immer wieder Bauerngehöfte und Dörfer hängen, bis ich endlich unter ei-
ner großen Stadt zu einer Stelle kam, an der das Gelände anstieg. Der Gipfel brachte mich ganz nah an das Dach eines Gebäudes, auf dem sich eine große Schar riesengroßer Männer drängte, die eine Stange zu mir hinunterließen. Diese erfaßte ich und wurde so zu ihnen hinübergezogen. Sie umringten mich und sprachen: ›Wer bist du, Zwerg, der über uns wandelt gleich einer Eidechse an der Zimmerdecke?‹ Ich war vor Angst und Erschöpfung halbtot und gab ihnen nur kurze Antwort. Und als man mich von der Stange losmachte, hob ich mich von ihnen fort in die Höhe und strebte zurück auf den Höhlenboden; sie aber hielten mich an den Füßen fest. So wurde ich hängend durch die Straßen getragen bis in einen gewaltigen Saal, an dessen Decke ein grüner Seidenteppich von hohem Alter und Glanz klebte. Darauf stand ich und sprach zu ihnen, während sie vom Fußboden des Raums auf mich herunterhingen. Nachdem sie mir etwas zu trinken und merkwürdig schmeckende Speise gereicht hatten, sagte ein ehrwürdiger Scheik zu mir: ›Du stammst nicht aus unserem Land, und was ist das für ein Ding auf deiner Nase? Erzähle uns deine Geschichten Darauf entfernte ich meine Nasenkappe und berichtete ihm, was ich erlebt
hatte. Sie waren überwältigt vor Erstaunen, und der Scheik sprach: ›O Sindbad, du Unvorsichtiger, wisse, daß du die Reste der uralten Stämme Ad und Thamoud gefunden hast –« »Welcher Stämme?« fragte Henley. »Der verschollenen Stämme Ad und Thamoud«, erläuterte Abdul eifrig. »Er hat ganz recht. Sie wurden vor Jahrtausenden ins Innere der Erde verbannt, weil sie –« »Ich bin es, der die Geschichte erzählt, und nicht du«, unterbrach ihn Sindbad tadelnd. »Aber es ist, wie du gesagt hast, und der alte Scheik berichtete mir noch viel mehr darüber. ›Wir zogen uns den Zorn Salomos zu‹, erklärte er, ›und unsere Strafe bestand darin, daß wir auf ewig in dieser großen Höhle unter der Erde wohnen sollten. Und damit wir nie wieder an die Außenwelt zurückkehren konnten, wurde uns auferlegt, mit den Füßen gen Himmel zu leben^ Als ich diese Geschichte hörte, wurde mir vor Bestürzung ganz schwach, und ich versetzte: ›O ehrwürdiger Scheik, willst du mir nicht sagen, wie ich wieder auf die Erde heraufkomme, denn ich kann in dieser Haltung kein nützliches Leben führen?‹ – ›O Sindbad‹, gab er zurück, ›ich bin der Patriarch dieser Stämme und habe bereits entschieden, daß deine Anwesenheit hier unerwünscht ist; und da uns kein
Weg bekannt ist, wie du nach oben auf die Erde zurückgelangen könntest und es unwahrscheinlich ist, daß du den Weg, auf dem du gekommen bist, jemals wiederfindest, müssen wir dich töten. Darum haben wir dich in dieses Gemach gebracht, denn es enthält den einzigen Gegenstand, der von uns fortstrebt gleich dir – den grünen Teppich Salomos, auf dem du stehst. Er ist unser am meisten gefürchteter Besitz, und darum sterben vor ihm unsere Missetäter.‹ Darüber war mein Herz sehr unruhig, und als nun über mir der Scharfrichter erschien, mit einem Schwerte, so lang wie ich selbst, und mich aufforderte, mich so hinzustellen, daß er mir möglichst bequem von oben den Kopf abschlagen könnte, da begann ich zu bereuen, daß ich jemals mein angenehmes Leben in Bagdad aufgegeben hatte; und ich gedachte meines Hauses und aller seiner Schönheiten, und der Kummer ergriff mich, so daß ich laut aufschrie, meine Kleider zerriß und mir büschelweise den Bart ausraufte, wobei ich rief: ›O du Erweiterer der Erde und Schöpfer und Zähler aller Kreaturen darauf, warum erlöst du mich aus der einen Gefahr, nur damit eine andere mich ereilt? Beim Barte des Propheten, ich wünschte, ich wäre fort von diesem schrecklichen Orte und säße sicher im Empfangsgemach meines eigenen Hauses!‹
Und siehe! Als ich so sprach, ließ sich ein ungeheures Brausen von Wind vernehmen und ein Kreischen, als hüpften tausend Teufel durch die Luft; und die Stämme von Ad und Thamoud verschwanden über mir wie in einem Nebel, und ich befand mich in diesem Zimmer hier, den grünen Teppich unter meinen Füßen.« »Ein tolles Ding!« knurrte Henley. »Und sogar mit der richtigen Seite nach oben.« »So groß war meine Verblüffung über dieses wunderbare Ereignis, daß ich den Grund dafür nicht sogleich verstand; meine Brust weitete sich vor Freude über die Güte Allahs, der mich auf diese Art errettet hatte, und zum Zeugnis dessen rezitierte ich siebenmal das Eingangskapitel des Korans. Dann gab ich meine Rückkunft bekannt und begrüßte meine Familie.« »Hast du gesagt, o Sindbad«, fragte Abdul, den die Geschichte stark beeindruckt hatte, »daß der Teppich, auf dem du entkamst, wirklich der grüne Teppich Salomos war?« »In der Tat, so war es«, bestätigte Sindbad mit Nachdruck. »Ich verdanke meine wundersame Rettung dem Eingreifen des Allmächtigen, der mir den ruhmreichen Teppich zur Verfügung stellte, auf dem einst Salomo alle seine Heerscharen und Zelte beförderte und über dem die Vögel in der Luft dahinschwebten, um einen
Baldachin gegen die Sonne zu bilden.« »Wollen Sie damit sagen, daß es wirklich so einen Teppich gegeben hat, auf dem der alte König Salomo mit seinen tausend Frauen herumgeschäkert hat?« fragte Henley. »Du bist ein Ungläubiger, das erklärt deine Unwissenheit. Jedermann weiß, daß der große König den Teppich auf allen seinen Feldzügen gegen Ungläubige wie dich mitführte, und daß er bei seinem Tod verschwand.« »Und Sie haben ihn wiedergefunden, wie? Und was haben Sie dann damit gemacht?« Sindbad sah Henley mit ungemein verschmitzter Miene an, überlegte einen Augenblick und sagte dann: »Nun, euch beiden kann ich es erzählen, denn ihr werdet mich nicht mehr verraten. Sayd, warte du mit den anderen Sklaven im Nebenzimmer draußen. Jetzt, ihr Ungläubigen, will ich eure Frage beantworten. Hört mir mit Aufmerksamkeit zu. Fasziniert vom Besitze des Teppichs, verbarg ich ihn sorgfältig und ersann eine Geschichte, daß er, nachdem er mich in meinem Gemach abgesetzt hatte, durch die Wand verschwunden wäre. Dann eilte ich, mich beim Kalifen zu melden und ihm meine Abenteuer zu berichten, über die er sehr verwundert war; und er erklärte, er würde niemals geglaubt haben, daß derlei Dinge möglich wären, kennte er nicht meine
Wahrhaftigkeit; und er befahl einem seiner Schreiber, meinen Bericht in goldenen Lettern niederzuschreiben und in seiner Bibliothek aufzubewahren. Dann belohnte er mich reich und ich kehrte zu meiner Familie und meinen Freunden zurück.« »Also, für diese erstklassige Abenteuergeschichte muß ich Ihnen wirklich meine Hochachtung aussprechen«, bemerkte Henley. »Aber der Kalif hatte unrecht. Es war nicht Wahrhaftigkeit, sondern Genie. Ein Genie, das in der Wüstenluft blüht, Abdul.« »Willst du damit sagen, ich wäre kein Mann von Wahrhaftigkeit?« fragte Sindbad und fuhr halb vom Diwan auf. »Nein, Verehrtester, das nicht. Was ich sagen will, ist dies: Die Geschichte, die Sie uns erzählt haben, zeugt von einem ausnehmend originellen Gehirn, und wenn Sie jetzt behaupten, es sei ja alles wahr, dann berauben Sie sich selbst der Anerkennung, die Ihnen gebührt.« Sindbad runzelte die Stirn. »Ich verstehe dich nicht ganz«, meinte er. »Was ich euch erzählt habe, ist wahr. Ich bin kein Erfinder von Romanen. Ich bin ein alter Seebär und ein Mann der Tat, nicht des Wortes. Habe ich dir nicht das Nasenmützchen gezeigt?« »Gewiß.« »Warum dann dieser Unglaube?«
»Ich will alles glauben, was Sie uns erzählt haben«, gestand Henley ihm gnädig zu, »ausgenommen die Reise auf dem Teppich. Ich schlucke Ihre fliegenden Esel und die verschollenen Stämme an der Decke. Aber ein fliegender Teppich! Nein, lieber Herr. Es ist wissenschaftlich unmöglich.« »Aber ich sage dir doch, daß ich auf dem Teppich geflogen bin«, rief Sindbad empört. »Oft sogar bin ich darauf geflogen. Und darum ergötzt mich heute auch das Reisen nicht mehr; meine Abenteuer sind beendet, und meine letzte Reise ist vorbei.« »Wollen Sie damit andeuten, daß Sie den Teppich immer noch besitzen?« »Er befindet sich in deiner unmittelbaren Nähe, o Zweifler.« »Also! Kann man noch dicker auftragen? Warum zeigen Sie ihn uns dann nicht?« »Nein, Neugieriger, ich zeige ihn niemandem.« »Jetzt kommen Sie aber her, Sindbad – seien Sie doch vernünftig. Sie haben uns die Nasenkappe doch auch gezeigt, warum also nicht den Teppich?« »Zum Teufel mit dir! Warum sollte ich dir den Teppich zeigen, wenn es nicht mein Wunsch ist, du hartnäckiger Hund?« kreischte Sindbad.
»So hören Sie doch nur zu«, sagte Henley einschmeichelnd. »Erzählen Sie uns, weshalb Sie uns etwas über den Teppich anvertraut haben, ihn aber andererseits vor dem Kalifen und Ihren eigenen Freunden verstecken.« »Ich spreche nie von meinem Besitz des Teppichs, es sei denn zu Leuten wie euch, deren Atemzüge gezählt sind und die deshalb meine Geschichte nicht in den Basaren ausplaudern können.« »Du beharrst auf deinem Scherz, der ja auch wirklich ungemein erheiternd ist«, mischte sich Abdul etwas unbehaglich ein, »doch wisse, daß wir dir schon bald au revoir sagen müssen.« »Du bist es, der hier scherzt, mit deinem albernen Geschwätz, o mein Gast. Wenn du die Klinge küßt, wirst du wissen, wer der größere Scherzbold ist, du oder ich.« »Hören Sie, Abdul, das mit dem Teppich ist doch kompletter Unsinn«, bemerkte Henley mit lautem Bühnenflüstern zu Abdul und fügte dann ganz leise hinzu: »Aber man weiß ja nie. Darum wollen wir ihn unbedingt soweit bringen, daß er uns das Ding vorführt.« »Unterlasse dieses Gewisper!« gebot Sindbad unwirsch. »Und teile mir mit, ob du immer noch die Unverschämtheit besitzt, an meinem Worte zu zweifeln.«
»Nun, Sindbad«, erwiderte Henley listig, »in meiner Heimat sagt man: Sehen heißt glauben. Und wenn du uns hinrichtest, ohne uns vorher den Teppich zu zeigen, dann wird es zumindest zwei Männer gegeben haben, die deine Wahrhaftigkeit bezweifelten; denn deine Geschichte ist so wunderlich, daß wir sie nicht glauben können, solange wir König Salomos Teppich nicht gesehen haben.« Sindbad musterte sie ein paar lange Augenblicke mit unheilverkündender Miene. »Ich habe deine Einwände wohl erwogen«, sagte er endlich. »Noch niemals hat man an meiner Wahrhaftigkeit gezweifelt, und kein Ungläubiger soll mit einer derartigen Beleidigung auf den Lippen sterben. Darum will ich euch vor eurem Tode beweisen, daß Sindbad kein Lügner ist. Folgt mir.« Der Alte führte sie zu einer eisernen Tür in der hinter ihm liegenden Wand. Er schloß sie mit einem zwölfzölligen Schlüssel, der an seinem Gürtel hing, auf. Die Tür führte in eine winzige Kammer, in deren Mitte eine viereckige Marmorplatte lag, an der ein eiserner Ring befestigt war. Die drei hoben die Platte auf und legten eine Höhlung frei, die eine silbrige Kiste enthielt; diese trugen sie in das Empfangsgemach hinüber. Sindbad öffnete sie mit einem zweiten, ebenso ungefügen Schlüssel und zeigte ihnen voller Stolz und mit
großer Sorgfalt einen uralten Teppich von etwa zwei Quadratmetern Größe, geschmeidig wie ein Laken und von stumpfgrüner Farbe. Das abgetretene Gewebe ließ noch immer ein kompliziertes Muster erkennen, das einen Lebensbaum darstellte. Sindbad schleuderte seine Pantoffeln beiseite und trat auf den Teppich. Er stützte sich in der Pose eines Feldherrn auf seinen Silberstab. »Glaubt ihr mir immer noch nicht, ihr Zweifler an der Wahrheit?« »Nun – ich habe schon viele Teppiche gesehen«, versetzte der jetzt ganz wache Henley. »Du glaubst immer noch nicht, daß dies der grüne Teppich Salomos ist? Und abermals muß ich sagen, daß jedes Wort, das du sprichst, die unbedingte Notwendigkeit deines Todes vergrößert. Es ist bedauerlich, daß du nicht lange genug leben wirst, um zu lernen, wie man seine Zunge im Zaume hält; denn wie sagt doch der Dichter? Schweigsamkeit ist eine Zierde, und Sicherheit liegt im Schweigen; darum, wenn du redest, sei nicht geschwätzig. Denn magst du auch einmal dein Schweigen bereuen,
vielmals wirst du ganz sicher bedauern, daß du geredet hast. Darum höre auch du auf zu reden und betritt diesen Teppich – nein, zuvor entledige dich deiner Pantoffeln – ja, dein Begleiter kann auch kommen. Hat dieser Teppich nicht ein Heer getragen? Sag nun, wohin du reisen willst.« »Nun«, meinte Henley bissig, als er und Abdul auf den Teppich traten, »der Mond wird ja wohl ausscheiden – hm – machen wir also eine Kurzreise. Ich möchte in mein Haus am Lakeside Drive, Milwaukee.« Kaum war das letzte Wort gesprochen, als ihn plötzlich ein Nebel umhüllte, der aus ihm selbst hervorzuquellen schien, als versänke er in Bewußtlosigkeit. Gleichzeitig vernahm er das zischende Brausen von Winden, die aber nicht zu spüren waren, dazu ein Gemisch von fernen Schreien und seltsamem, weit entlegen klingendem Geheul. Dann wurde es wieder hell, und sie standen unter einem klaren Himmel auf einem grasigen Ufer, das sich nach und nach bis zu dem glatten Gewässer eines großen Binnensees hin absenkte. Henley war so erschlagen, daß er nur verwirrt vor sich hin starren konnte. »Zweifelst du noch immer an meinem Wort?«
fragte Sindbad hochmütig. »Das ist allerdings ein toller Teppich«, antwortete Henley benommen, »und Ihre Wahrhaftigkeit ist auch o.k. – nur daß das hier nicht der Ort ist, an den ich wollte.« »Du mußt dich irren, denn der Teppich irrt sich nie. So sprich noch einmal den Ort aus, an den du reisen möchtest, denn ich habe nur den einen Wunsch, deinen Starrsinn zu überzeugen.« »Ich möchte in mein Haus in Milwaukee«, wiederholte Henley. Sie blieben, wo sie waren. »Dann muß es hier sein.« Henley schüttelte energisch den Kopf. »Haben Sie daran gedacht, daß wir ja über tausend Jahre zurückversetzt sind?« erkundigte Abdul sich sanft. Henley starrte ihn mit leerem Gesicht an und blickte sich dann plötzlich aufgeregt um. »Heiliger Bimbam! Natürlich hatte ich das vergessen!« schrie er. »Der alte Neptun hier hat recht. Wenn das nicht dem Faß die Krone ausschlägt! Ja – das Wasser hier muß der Michigansee sein, und wir stehen –« Er brach ab, um einen Pfeil zu betrachten, der sich vor seinen Füßen in den Teppich gebohrt hatte. Gleich darauf erklang aus einem wenige hundert Meter entfernten Gebüsch ein Chor
schriller Schreie. Während sie hinübersahen, tauchte dort ein Trupp von etwa fünfzig kupferfarbenen, fast nackten Eingeborenen auf, die vorsichtig näherkamen und dabei ab und zu Pfeile abschossen, die in unangenehm geringer Distanz einschlugen. »Diese Leute sind unwissende Wilde, die uns zu töten wünschen«, bemerkte Sindbad ruhig und klopfte mit seinem Stab ein paar Pfeile aus dem Teppich. »Aber es steht geschrieben, daß wir ihnen entrinnen werden. Laßt uns darum nach Bagdad zurückkehren.« Keiner der drei hatte einen Schritt vom Teppich herunter getan. Sindbad meldete ihr Reiseziel an, und die gestikulierenden Ureinwohner verschwanden, bevor sie noch näher als auf hundert Meter herangekommen waren. Einen Augenblick später standen sie wieder in den vier Wänden von Sindbads Empfangszimmer. »Was sagt ihr jetzt, Fremde?« erkundigte sich Sindbad triumphierend, zog seine Pantoffeln wieder an, geleitete seine Gäste durch den Raum bis zum Wein und bot ihnen neugefüllte Becher an. »Erkennt ihr nun die Wahrheit meiner Erzählung an und gebt ihr zu, daß euer Benehmen anmaßend war, als ihr an der Aufrichtigkeit Sindbads zweifeltet?«
»Also hören Sie zu«, begann Henley. »Es ist wirklich bedauerlich, daß wir Ihnen nicht geglaubt haben, und dafür entschuldigen wir uns auch in aller Form. Aber Sie haben gesagt, Sie würden den Teppich nicht mehr benutzen, weil er Ihnen keinen Spaß mehr machte. Wären Sie ihn dann nicht gern los? Wie wäre es mit einem Geschäft? Ich bin ein reicher Mann und –« »Laß ab, mich mit solchen Worten zu behelligen!« unterbrach ihn Sindbad. »Du kannst unmöglich so reich sein, wie ich selbst es bin, und in jedem Fall habe ich nicht den Wunsch, diesen Teppich zu verkaufen. Höre darum auf, mich zu belästigen und lausche auf das, was ich dir sagen will. Ich habe beschlossen, einem von euch eine Gunst zu erweisen, die die Geschichtsschreiber nach meinem Tode in der Geschichte meines Lebens verzeichnen sollen. Ich habe bemerkt, daß ihr mutige junge Männer seid, und ich will das Leben eines von euch schonen, wenn er mir bei dem furchtbarsten aller Eide schwört, niemals zu verraten, daß ich diesen Teppich besitze, und zugleich die Ehre meines Hauses wiederherstellt, indem er die Jungfrau zur Ehe nimmt, der ihr im Basar solchen Schimpf angetan habt.« Er klatschte in die Hände, und Sayd trat ein. »Hole mir unverzüglich einen Kadi, der eine
Trauung durchführen kann«, ordnete er an, »und fordere die Herrin Masouda auf, wieder einmal ihr Hochzeitsgewand vorzubereiten. Kümmere dich auch darum, daß ein Festmahl und die dazugehörigen Lustbarkeiten arrangiert werden. Und außerdem sage der Herrin Masouda, daß ich wünsche, sie möge sich ungesäumt hier einfinden und ihre Wahl treffen, welchen meiner beiden Gäste sie zum Manne haben möchte.« »Kommen Sie, zurück auf den Teppich, wir wollen ihn ausprobieren«, flüsterte Henley Abdul zu. »Passen Sie aber auf, daß er es nicht merkt!« »Du da, Dünner«, redete Sindbad jetzt Henley an. »Ich werde ihr raten, sich für dich zu entscheiden, denn du bist ein tapferer Mann. Laß darum deine Brust vor Freude schwellen. Nein, wehre dich nicht gegen solche Ehre. Laß dich den Unterschied zwischen meinem und deinem Stand nicht verdrießen, denn nichts trennt uns, als daß ich alt bin und du jung bist, und daß ich darüber hinaus Weisheit erworben habe.« »Wer ist Masouda?« fragte Abdul scheinbar unbefangen und wich vor den Sklaven, die hereinkamen, um das Festmahl vorzubereiten, in Richtung Teppich aus. »Laßt uns mit diesem rubinroten Wein auf sie
trinken! So wisse denn, daß Masouda eine herrliche Jungfrau ist, die Mutter meiner vierten Gemahlin. Dreimal habe ich sie schon mit hübschen jungen Männern verheiratet, aber ach! Es war Allahs Wille, daß sie alle starben.« »Meinst du, o Sindbad, daß diese Frau die Tochter deiner vierten Gattin ist?« erkundigte Abdul sich höflich. »Nein, mein Sohn, sie ist die mütterliche Verwandte meiner vierten Gemahlin, und so lieblich wie eine Taube und so sehnsüchtig wie eine Gazelle, die keuchend nach dem kühlenden Bach verlangt.« Die beiden potentiellen Bräutigame schauten einander unbehaglich an. »Abdul, wenn hier geheiratet werden muß, sind Sie an der Reihe. Führen Sie Ihren ganzen Sex-Appeal vor, wenn sie kommt. Ich habe ja schon eine Frau, darum scheide ich von vornherein aus. Kapiert?« »Mr. Henley, ich verstehe Ihre Lage völlig. Aber ich habe nicht den leisesten Wunsch, mich zu vermählen. Seit meiner frühesten Jugend verabscheue ich die Frauen, denn sie sind treulose Geschöpfe, wechselhaft wie die Wolken am Himmel.« »Was sind das für häßliche Worte, die ihr da, obwohl ich es nicht wünsche, immer wieder von euch gebt?« erkundigte Sindbad sich arg-
wöhnisch. »Höre ich euch sagen, daß ihr das Mädchen alle beide begehrt?« »Mein Gefährte hat bereits vier Gemahlinnen«, log Abdul schwächlich, nachdem der Amerikaner ihm einen drohenden Blick zugeworfen hatte. »Es ist sein Wunsch, daß ich das Mädchen heirate und man ihn hinrichtet.« »Du bist wirklich ein frecher Schurke«, sagte Sindbad wohlwollend zu Henley. »Du kannst dich mit Leichtigkeit von einer deiner Frauen scheiden lassen. Ich wünsche sehr, daß Masouda dich zum Mann nimmt. Aber sie soll zwischen euch beiden wählen.« Sayd kam herein und machte eine Verbeugung. »Die Herrin Masouda naht«, meldete er und zog sich zurück. Gleich darauf trat eine schlanke, verschleierte Gestalt ins Zimmer und stellte sich schweigend neben Sindbads Diwan. Ein langer, seidener Izar, mit verschlungenen Goldornamenten bestickt, verhüllte sie von Kopf bis Fuß. Nur die glänzenden, dunklen Augen, üppig mit Khol umrandet, schauten heraus. Henley konnte sich nicht entscheiden, ob sie wie fünfzehn oder wie fünfzig aussah. Jedoch nutzte er ihre Ankunft, um sich dem Teppich wieder einige Schritte zu nähern. »Fürwahr, du hast mich erzürnt, Masouda«,
begann Sindbad, »als du die Aufmerksamkeiten dieser jungen Fremdlinge duldetest.« »Die Schändlichkeit und Schamlosigkeit waren nicht auf meiner Seite«, erklärte sie mit ihrer harten, spröden Stimme. »Und doch magst du dich glücklich preisen, o Mutter meiner vierten Gemahlin«, fuhr er fort, »denn ich habe eine gewisse Neigung zu diesen Ausländern gefaßt. Darum habe ich beschlossen, sie nicht beide töten zu lassen, wie sie es verdienen, sondern dich mit einem von ihnen zu verheiraten. Darum suche dir aus, welchen du haben möchtest, damit wir den anderen unverzüglich beiseiteschaffen lassen können. Keiner von beiden besitzt die kräftige Gestalt deines letzten Gatten. Der Dicke ist stumpfsinnig und von rohem Äußeren. Ich rate dir zu dem Dünnen, denn er hat eine unverschämte Art, die der Züchtigung bedarf. Doch sieh zu, daß du mit diesem Gemahl sorgfältig verfährst, denn du warst im Umgang mit deinen drei letzten Gatten recht unachtsam.« »Wie mein Herr wünscht«, entgegnete Masouda ungerührt. Nicht ohne Bangen sah Henley zu, wie ihr unheilverkündender Blick zuerst auf ihm, dann auf dem verschüchterten Abdul ruhte. Sie kam näher. Henley packte Abdul am Ärmel, und die beiden retirierten ein weiteres
Stück auf den Teppich zu. »Wie mein Herr weiß«, sagte Masouda zu Sindbad, »lassen es meine Augen nicht zu, aus dieser Entfernung etwas deutlich zu erkennen, so daß ich sie mir aus der Nähe anschauen muß.« Sie trat vor und spähte mit vorgestrecktem Kopf zu ihnen hinüber. Wieder nutzte Henley ihre Bewegung, um dem Teppich etwas näherzukommen. Abdul, den sie einer ähnlichen Musterung unterzog wie Henley, machte diskret, jedoch mit Würde, einen Schritt zurück und versteckte sich hinter seinem Leidensgefährten. Sie ging erneut auf Henley zu, und wieder trat er zurück in Richtung Teppich. Er hatte den dringenden Wunsch, sich umzudrehen und nachzusehen, wie groß die Entfernung noch war, aber er wußte, daß er damit nur Gefahr lief, Sindbads Aufmerksamkeit auf ihr Vorgehen zu lenken. »Ich habe das Gefühl, daß es dieser Blasse und Schäbige ist, der mich im Basar so blamiert hat«, erklärte sie rauh, »und wenn er es ist, so will ich ihn heiraten und ihm die Regeln höflichen Benehmens beibringen. Doch kann ich nicht deutlich unterscheiden, welcher von beiden es war, denn sobald ich sie anschaue, weichen sie vor mir zurück wie scheue Gazellen.«
»Wollt ihr so vernünftig sein und stehenbleiben, damit sie euch prüfen kann«, fragte Sindbad gereizt, »oder soll ich meinen Sklaven befehlen, euch festzuhalten?« Die beiden verharrten in dumpfer Tölpelhaftigkeit, während Masouda sie ganz aus der Nähe musterte. Der aufmerksame Henley entdeckte in ihrem schmachtenden Blick eine gewisse schwerfällige Koketterie, die ihn mit Schrecken erfüllte. »O Sindbad«, erklärte sie dann mit fester Stimme und deutete auf den unseligen Amerikaner, »ich möchte den Blassen zur Ehe nehmen, denn er macht einen schelmischen Eindruck und wird uns viel Vergnügen bereiten.« »Den Teufel werde ich!« schrie Henley verzweifelt. »Wo ist der verdammte Teppich?« Er machte einen weiteren Schritt zurück und blieb mit dem Absatz am Teppichrand hängen. Hastig blickte er nach unten, sah zu seinen Füßen das grüne Muster, zerrte Abdul an seine Seite und rief, alle Nerven zum Zerreißen gespannt: »Bring uns zu Joyce!« Kaum waren die Worte heraus, als er sich erneut von wirbelndem Nebel eingehüllt fand und inmitten ferner Winde und schwacher Rufe in die Lüfte erhoben wurde. Er spürte Abduls Hand, die seinen Arm umklammerte, und sah Sindbad, der mit einem schrillen Schrei
der Wut und Bestürzung auf sie zusprang. Dann löste sich alles in Dunst auf.
XV Eine Blondine im Harem »Folge mir, o Herriri«, sagte die alte Frau und ließ ihren Schleier fallen. Das dadurch überraschend enthüllte, runzlige Gesicht verzog sich zu einem zahnlosen, aber freundlichen Lächeln. »Du bist nun sicher im Harem angelangt. Wir werden uns sogleich in das Empfangszimmer begeben, wo meine und deine Gebieterin, die Herrin Zobeida, deiner Ankunft harrt.« »Dann vorwärts, Frau Sarrasani«, erwiderte Joyce. »Je eher dieser Zirkus vorbei ist, desto besser.« Nachdem sie mit dem sich ständig für alles entschuldigenden Jafar und seiner Leibwache im Palast angekommen war, hatte man sie dieser alten Dienerin übergeben, die sie zusammen mit zwei stämmigen Eunuchen durch lange Gänge und üppig ausgestattete Vorzimmer in die Frauengemächer geführt hatte. Joyce sah ein, daß Fluchtversuche sinnlos gewesen wären, und folgte ohne Widerstreben. Jetzt freilich, als sie tatsächlich das Tor zum Harem durchschritten hatte, vor dem bewaffnete Skla-
ven Wache hielten, überkam sie das Gefühl einer denkbar hoffnungslosen Situation. Hinter diesen lückenlos gesicherten Mauern spürte sie eine ganz andere Atmosphäre, nicht nur diese sanfte, exotische Stickigkeit mit ihrer Mischung aus weiblichen Düften und fremdartigen Gerüchen, die in jedem Raum von neuem auf sie eindrang, sondern eine kaum merkliche Betonung von Zurückhaltung, Eingesperrtsein, Unterwerfung. Gegen ihren Willen schauderte sie bei dem Gedanken, den Rest ihrer Tage in einem solchen Käfig zu verbringen. Sie trat in einen langen Korridor, und das Geräusch von im Gesang erhobenen Stimmen klang gedämpft an ihr Ohr. »Was ist das für ein Singen?« fragte sie. »Es sind Sklavenmädchen, die du dort hörst. Sie singen Verse aus dem Koran, dem Buch der Bücher, zur ehrbaren Ergötzung unserer Gebieterin. Wie alle Welt weiß, ist sie eine gar fromme Frau, denn hat sie nicht die Pilgerfahrt nach Mekka gemacht und in der Wüste Brunnen für die durstigen Pilger graben lassen?« »Wie alt ist sie?« fragte Joyce. »Die Königin, Allah erhalte sie, hat ihr dreißigstes Jahr noch nicht gesehen.« »Da ist sie ja kaum älter als ich! Sie sollte sich
lieber um ihren Mann kümmern und auf ihn aufpassen, als nach Heiligkeit zu streben.« »Ah, du tust unrecht daran, in deiner Unwissenheit so leichtfertig von der Base und Gattin des Kalifen zu reden, der Tochter el Kasims, der Nachkommin der Familie des Propheten, dessen Name gesegnet sei, und der Mutter des schönen Prinzen Amin.« »Hm«, dachte Joyce, »das klingt gar nicht recht nach einem gastlichen Zuhause für mich.« »Wir sind gleich da, o meine Gebieterin. Fürchte dich nicht. Knie vor Zobeida nieder und küsse ihren Fuß, dann grüße sie mit vielen Verneigungen.« »Auch noch ihren Fuß küssen! Den Teufel werde ich!« dachte Joyce aufgebracht. Die Stimmen der singenden Frauen wurden stärker, als sie einen von Vorhängen verdeckten Torbogen durchschritt, den ein schläfriger Neger mit einem langen, edelsteinverzierten Krummsäbel bewachte. Sie trat in einen weiten Saal, dessen Wände mit bestickten Stoffen bespannt waren. Auf dem Boden lagen zahllose Teppiche. Ihr erster Eindruck war, in einem Luxusgefängnis zu stehen, denn der Raum, wenn auch reich möbliert und vom Glanz vieler Edelsteine und dem Schimmer von Seidenstoffen erfüllt, wirkte schwer und düster.
Durch enge, vergitterte Fenster sickerte ein widerstrebendes Licht. In dunklen Ecken flackerten ein paar Laternen. Der Gesang, der von einer Schar leichtbekleideter Mädchen stammte, brach nach und nach ab, als Joyce erschien. Sekundenlang blieb sie regungslos stehen und spürte, wie hundert Augenpaare sie eindringlich anstarrten. Ihr gegenüber an der anderen Seite des Saals stand eine Gruppe bunt und auffällig gekleideter Frauen um ein niedriges Podest herum, auf dem unzählige Kissen lagen, in deren Mitte eine majestätische, gekrönte Gestalt thronte. Der Rest des Gemachs war voll von Frauen aller Rassen und Altersstufen, von faltigen alten Negerinnen in farblosen Gewändern bis hin zu jungen weißen Mädchen in durchsichtigen Seidenwestchen und weiten Hosen. Sie wichen hastig zur Seite, als die alte Frau nach einer kurzen Verneigung an der Tür mit Joyce auf den Thron zuschritt, auf die Knie fiel und den Boden küßte. »Friede sei mit der Herrin des verehrungswürdigen Vorhangs und der unerreichbaren Majestät«, murmelte sie. »Auch mit dir sei Friede«, erwiderte die Königin, die Augen auf Joyce geheftet. »Ich bringe dir die Jungfrau, von der man dir berichtet hat«, fuhr die alte Frau, noch immer
kniend, fort und winkte ihrer Begleiterin energisch zu, ebenfalls niederzuknien. Aber so hatte sich Joyce die Sache nicht vorgestellt. Sie machte vor dem Thron einen tiefen Knicks und richtete sich dann wieder auf, wobei sie Zobeida neugierig betrachtete. Sie erblickte eine schöne, dunkle, gutgebaute Frau, die eine kuppelförmige Goldkrone trug, besetzt mit Juwelen. Ihr grünes, goldgesticktes Gewand funkelte und glitzerte von tausend Edelsteinen. Um ihren Hals hingen zahlreiche Perlenschnüre und blitzende Steinketten, und Finger und Handgelenke strotzten von edelsteinverzierten Ringen und Armbändern. »Was bedeutet diese seltsame Ehrenbezeugung?« fragte Zobeida schließlich. Ihre Stimme war voll und heiser. »Es ist eine sehr respektvolle Verbeugung, fast ausschließlich für Könige und Königinnen reserviert«, antwortete Joyce feierlich. »Ein herzliches und reiches Willkommen dir, o du Erwählte unseres Fürsten und Gebieters«, fuhr Zobeida fort. »Aber du mußt umgehend die Formen der Ehrenbezeugungen lernen, die Rang und Religion entsprechen. Wir schätzen deine Verrenkungen nicht.« Einen Augenblick verschlug es der bestürzten Joyce die Sprache. »Hast du nichts zu sagen, um deine Nachläs-
sigkeit darin, deiner Königin und Herrin einen ehrerbietigen Gruß zukommen zu lassen, zu entschuldigen?« fragte Zobeida gebieterisch. »Aber ich habe mich doch verbeugt. Ich habe einen Knicks gemacht. Das ist alles, was die Königin von England von mir erwarten würde, und es ist auch alles, was ich für Sie zu tun beabsichtige«, erklärte Joyce entschieden. »Ich bin überzeugt, daß Sie dafür Verständnis haben werden –« »Ich bin es, die hier redet, o du Jungfrau von geringer Erziehung«, unterbrach Zobeida. »Du also bist die Kreatur, deretwegen unser gnädiger Herr und Gebieter die gute Helena verstoßen hat. Du, die Schamlose, die ihr Gesicht, ihre Glieder, ihren Körper vor dem Hofe des Kalifen des Islam entblößt!« »Hören Sie doch zu, Königin«, erwiderte Joyce, bemüht, ihr Gegenüber zu besänftigen, von dem sie das Gefühl hatte, einige Hilfe erwarten zu können. »Ich will ja überhaupt nicht hierher. Gegen meinen Willen hat man mich verschleppt, und –« »Du besitzest die Stirn, anzudeuten, daß eine Frau ein besseres Los erstreben kann als dieses hier? Bei Allah, begreifst du denn nicht, welch ungeheure Ehre man dir erweist – und du schwatzt davon, daß du nicht hier zu sein wünschst?«
»Nein, nein, Sie verstehen mich ganz falsch!« rief Joyce. »Ich sehe ja durchaus ein, wie ehrenvoll es ist, daß der Fürst mich heiraten will, aber trotzdem, Zobeida –« »Du Unverschämte, wie sprichst du zu mir!« kreischte Zobeida, deren Augen vor Wut funkelten. »Für dich bin ich die Gebieterin, Königin des Fürsten der Gläubigen, eine Nachkommin von El Abbas. Bei der Reinheit meiner Vorväter, diese Lektion sollst du geschwind lernen.« »Nun hören Sie mir doch erst einmal zu«, gab Joyce sanftmütig zurück. »Es tut mir ja leid, aber wenn ich Sie zu vertraulich anspreche, müssen Sie mich entschuldigen – es liegt daran, daß ich hier fremd bin, verstehen Sie, und mich in Ihren Bräuchen nicht auskenne. Und darum möchte ich Ihnen auch gern klarmachen, wie unvernünftig es ist, von mir zu erwarten, daß ich mich jemals an dieses Haremsdasein gewöhne.« »Bei der heiligen Kaaba, noch nie hat man mir solche Frechheiten an den Kopf geworfen!« schrie Zobeida zornentbrannt. »Wer bist du eigentlich, du niedriggeborenes Weibsstück, daß du dich nicht fromm und dankbar gegenüber dem Einen, der – wie man ja gerade an deinem Falle deutlich erkennt – selbst für das geringste seiner Geschöpfe noch
sorgt, in dieses ehrbare Leben schicken willst?« »Also gut«, rief Joyce, deren Verärgerung ihr Temperament mit ihr durchgehen ließ, »wenn Sie mich nicht verstehen wollen, dann eben nicht. Und wenn Sie sich mit mir zanken möchten, das können Sie haben, Sie feuerspeiender Drache! Ihnen gefällt dieses Leben hier, wie? Mir aber nicht, niemals. Ich bin keine –« »Oh! Ah, ah, ah!« schrie Zobeida und versuchte aufzuspringen, wobei sie jedoch unter dem Gewicht ihres Schmuckes kläglich wieder in die Kissen plumpste. »Ich werde nicht zulassen, daß du so mit mir redest – mit mir, der Trägerin der juwelenbesetzten Goldkrone!« »Oh, oh, oh! Ih, ih, ih!« schrillte die Weiberschar, die urplötzlich ihren Gefühlen im Chor freien Lauf ließ. »Sie hat unsere Gebieterin und die goldene Krone beleidigt! Man peitsche sie aus! Man brandmarke sie! Man –!« »Oh! schwarz ist der Tag, die Stunde unheilvoll und groß meine Pein!« kreischte Zobeida gurgelnd weiter, wobei sie wild mit den Armen durch die Luft fuhr und vor Erregung beinahe die Krone verlor. »Mit Verachtung und Schmähungen hat sie dich übergossen, dich und uns, die Frauen des Fürsten der Gläubigen«, zeterten die Dienerinnen. »Wir wollen ihr das Gesicht zerkratzen!
Wir wollen sie nackt ausziehen und verprügeln!« »Und laßt mich euch auch mal was sagen, ihr Herde von hirnlosen Schlampen«, brüllte Joyce, so laut sie konnte. »Wenn mich auch nur eine von euch anfaßt, ihr fetten, vollgefressenen Katzen!« »Beim Grabmal meiner Väter, hört ihr, sie nennt mich eine fette Katze! O Entsetzen!« krächzte Zobeida, hysterisch vor Leidenschaft. »A-h-h-h-h. O-h-h-h-h! Laßt meine Sänfte aus Sandelholz und Elfenbein bringen, und hundert Sklavenmädchen zu meiner Begleitung! Helft mir, o helft mir, denn es ist erforderlich, daß ich ungesäumt zu meinem Herrn und Gebieter eile und ihm von diesem Unglückstag berichte. Seine Königin eine fette Katze! Daß solches Leid über mich kommen muß! O-h-hh!« »O Majestät, beruhige dich, beruhige dich doch«, schaltete sich jetzt eine verschrumpelte Alte in einem einfachen grünen Kleid ein. Sie stellte sich neben die wutschnaubende Königin und redete ihr eindringlich zu. »Was kann dein Besuch Gutes bringen? Willst du den Fürsten jetzt in diesem Stadium gegen sie beeinflussen? Du kennst die Antwort, o meine Herrin. Aber später, o Tochter der Erwählten, später wird es viele Gelegenheiten geben…«
Listig legte sie den Kopf schief. »Du bist weise, wie du es immer bist«, erwiderte Zobeida, die sich beinahe sofort beruhigte. »Ruhe, ihr schändlichen Schwätzerinnen!« rief sie ihren Dienerinnen zu und rückte die Krone auf ihrem Kopf wieder zurecht. »Hört auf mit solcher Torheit. Ist das die Art, eine Braut eures Fürsten zu begrüßen? Schämt euch. Sagt nichts weiter gegen diese Jungfrau, die nur aus der Unwissenheit ihrer lasterhaften Geburt heraus solche Reden führt und sich so unschicklich verhält.« »Ihr verdrehten alten Ziegen«, knurrte die noch immer kochende Joyce. »Am liebsten würde ich euch sonstwas erzählen!« »Du bist mir von meinem Gebieter und Gemahl gesandt worden, auf daß ich dich zur Hochzeit mit ihm am heutigen Abend vorbereite«, fuhr Zobeida fort. »Bin ich von Sinnen, daß ich seine berechtigten Befehle mißachte, selbst wenn du mich ärgerlich machst und mir den Verstand verwirrst? Du sollst behandelt werden, als wärest du von edlem arabischen Blut und stammtest nicht, wie es in Wirklichkeit der Fall ist, aus irgendeiner ausländischen Gosse.« »Nur zu, ich bin ganz Ohr«, unterbrach sie Joyce mit erzwungener Ruhe. »Seien Sie nicht schüchtern, sagen Sie ruhig, was Sie denken.«
»O glückliche Stunde, in der ich dir so zu Diensten sein kann«, fuhr die Königin drohend fort. »Für dich werden die Sängerinnen das Tamburin schlagen, und nach deiner Reinigung sollen die Mägde dich mit süßen Düften und Essenzen parfümieren, dich in köstliche Seidenstoffe kleiden und dich mit Schmuck aufputzen. Und ich in meiner Großzügigkeit will dir eine Ausstattung von reichen Kleidern und Pelzen gewähren und von Juwelen nach deinem Geschmack. Und einen Nasenring werde ich dir schenken, der ein Zeichen sein soll von mir an dich.« »Sie schütteln ja wirklich einen feinen Essigcocktail«, bemerkte Joyce. »Dies alles will ich für dich tun, damit du Gnade vor den Augen deines und meines Fürsten findest. Aber der Tag wird kommen, an dein mein Gebieter deine bleiche, salzlose Haut und deinen mageren Körper sattbekommen und sich von dir scheiden und zu mir sagen wird: ›Steck dieses Geschöpf in dein Gefolge!‹, und an diesem Tag werde ich zu meinen Eunuchen sprechen: ›Ergreift diese Ungläubige, verprügelt sie, werft sie ins Gefängnis und gebt ihr die schwersten Ketten.‹« »Und das glauben Sie wirklich? Na gut!« erwiderte Joyce. »Ganz schön roh von Ihnen, finden Sie nicht? Ich vermute, daß Sie diese ver-
rückten Ideen haben, weil Sie dauernd in so einem Loch hocken. Was Sie brauchen, ist frische Luft und Bewegung. Aber ich wette mein Feuerzeug gegen Ihre Krone, wenn ich wirklich bei dieser unappetitlichen kleinen Party mitmache, dann dauert es keinen Monat, bis ich den Laden hier unter Kontrolle habe. Und was mehr ist, ich werde Sie alle jeden Morgen aufs Dach schleppen und Handstand mit Überschlag machen lassen. Das ganze Leben lang hier herumsitzen, sich zu kratzen und zu zanken und zu kreischen! Kein Wunder, daß Sie alle vom Hals aufwärts tot sind!« »Du hast mich eine fette Katze und eine verdrehte Ziege genannt, und nun drohst du, mich aufs Dach zu schleppen, und für diese Kränkungen werde ich eines Tages mit dir abrechnen«, versetzte Zobeida grimmig. »Und bei der Gnade Allahs, es wird nicht lange dauern, denn wenn du schon jetzt dein unliebenswürdiges Wesen zeigst, so besteht kein Zweifel daran, daß du eine Frau bist, die jeder Mann schon bald verstoßen wird.« »Verlassen Sie sich darauf lieber nicht«, antwortete Joyce mit honigsüßer Stimme. »Wenn ich Ihren kostbaren Gemahl wirklich heiraten muß, werden Sie ihn nicht mehr oft zu Gesicht bekommen.« »Deine Angelegenheit beginnt mich zu lang-
weilen«, stellte Zobeida zornig fest. »Wo sind die Bellanah und die Munakishah? Es wird Zeit, daß man diese Frau reinigt und von den pestilenzialischen Gerüchen, die sie ausströmt, befreit!« »Mein teures Parfüm«, murmelte Joyce, vorübergehend erschüttert. »Ah, da bist du ja!« rief Zobeida einer gewaltigen Negerin im weißen Gewand zu, die aus der Menge aufgetaucht war und sich jetzt tief vor ihr verneigte. »Bellanah, nimm dieses schamlose Geschöpf ohne Glauben oder Religion mit dir, denn sie muß sich im Rahmen der Vorbereitung ihrer Hochzeit mit unserem Herrn und Gebieter, welche heute abend stattfinden soll, einer gründlichen Reinigung unterziehen. Wasche sie und reibe sie ab und sieh zu, daß du die Gelenke knacken und die Klapse, die du ihr versetzt, weithin hallen läßt.« »Herrin, es wird mir ein Vergnügen sein!« antwortete die Badefrau und rollte die Augen schelmisch nach ihrem Opfer. »Und du, Munakishah, nimm sie dir dann auch vor, färbe ihr Hände und Füße, lege Khol und Collyrium auf und –« »Und das Haar, Gebieterin?« »Das Haar – viel ist es ja nicht – soll so scharlachrot sein, wie du es nur machen kannst, und du sollst es reichlich einfetten, damit diese al-
bernen Locken flach anliegen.« »Wirklich, die Sache wird ernst«, murmelte Joyce gespannt. »Und weil sie keine Haare zum Flechten hat, mußt du Seidenstränge an die paar Strähnen knüpfen, über die sie verfügt, und sie verknoten und flechten und dann daran den Goldschmuck befestigen.« »Ich wäre dankbar, wenn Sie meine Haare in Ruhe ließen«, unterbrach Joyce. »Ich muß mich in anständiger Gesellschaft bewegen können, wenn ich aus diesem Mistladen hier herauskomme.« »Führt sie fort, bevor ich etwas sage, das man mir hinterher zum Vorwurf machen kann. Und hört zu, o Bellanah und Munakishah, wenn ihr sie bei eurer Tätigkeit ein wenig verunstaltet, so enthebe ich euch dafür schon jetzt aller Verantwortung.« Sie betrachtete Joyce mit unverhüllter Feindseligkeit. Joyce ihrerseits beäugte voll trüber Ahnungen die Negerinnen. Es waren zwei schwere, muskulöse Frauen, und sie wußte, daß sie in ihren Händen völlig hilflos sein würde. Mit aller ihr zu Gebot stehenden Würde verbeugte sie sich vor Zobeida und folgte den Negerinnen durch einen Torbogen. Sofort brach hinter ihr ein erregtes Gewirr weiblicher Stim-
men aus. »Da fängt die Katzenmusik wieder an«, dachte sie und widmete dann ihre Aufmerksamkeit den beiden Vorangehenden. Sie würde sich mit ihnen arrangieren müssen, entschied sie, sonst konnten sie unangenehm werden. Die Klapse widerhallen lassen – sonst noch etwas! Sie verunstalten! Was für ein Teufelsweib diese Frau doch war! Die kleine Prozession durchschritt verschiedene Gänge und kam schließlich in einen feuchten Kuppelraum, von Weihrauchdüften geschwängert und mit einem Mosaik aus buntem Marmor gepflastert. Man führte Joyce in einen kreisförmigen Innenraum, der ein marmornes Badebecken enthielt. In der Mitte erhob sich ein Springbrunnen, der dampfendes Wasser versprühte. »Jetzt geht es los«, dachte Joyce und sagte dann laut: »Hört zu, ihr beiden. Ihr wißt, daß ich heute abend den Kalifen heiraten soll. Nun, ich will euch sagen, wenn ihr mich in irgendeiner Weise zeichnet oder verletzt, werde ich mich bei ihm beschweren, und, Königin hin, Königin her, ich werde dafür sorgen, daß ihr bestraft werdet.« »Hab keine Furcht, o Gebieterin, wir sind an derlei Dinge gewöhnt«, warf die Bellanah mit breitem Grinsen ein. »Du sollst mit dem Respekt und der Freundlichkeit behandelt wer-
den, die deiner Schönheit und deinem Rang gebühren. Kannst du nicht schon die Parfümgefäße riechen, die für dich den Duft von AloeHolz verbreiten? Und zu deiner ganz besonderen Ehre werde ich in das Heißwasserbecken Rosenwasser mischen. Laß uns dir helfen, dein Gewand abzulegen –« »He, nicht so vertraulich!« erhob Joyce Einspruch. »Das kann ich allein.« »Nicht also, ich bin ja nur bestrebt, dir zu dienen. Überlaß dich nun dem Warmwasserbecken, und wenn deine Haut weich geworden ist, so will ich dich mit dem Beutel und dem Stein reiben, bis deine Haut in kleinen Fetzen abgeht.« »Nein, nein – das ganz bestimmt nicht!« »Worüber erregst du dich, o vom Glück begünstigte Herrin? Es ist so üblich, und deine Haut wird weiß werden wie Silber und glatt wie Marmor und frei von den ihr jetzt noch anhaftenden seltsamen Gerüchen. Dann wirst du des Fürsten, deines zukünftigen Gatten, würdig sein. Ach, der Prinz ist ein wundervoller Liebhaber! Wenn er kommt, mit seinem kohlschwarzen Barte, der von frischer Farbe glänzt, mit seinem parfümierten Schnurrbart –« »Oh! Haltet den Mund! Wenn ich gebadet werden soll, dann los damit, und paßt auf, daß
ihr vorsichtig seid, oder –« »Meine Waschungen gelten als die sorgsamsten von allen Frauen in dieser Stadt, und die Art meiner Reinigungen ist die am weitesten verbreitete«, protestierte die Bellanah. »Solange ihr keine krummen Dinger dreht, könnt ihr waschen, wie ihr wollt. Aber der Himmel helfe euch, wenn ihr mir weh tut.« Jedoch trotz dieser Warnung begann nun für Joyce eine Zeit, wie sie sie so ungemütlich noch nie erlebt hatte. In den Händen der stämmigen Negerinnen war sie Wachs. Ihre Kleider wurden ihr vom Leibe gerissen, ihr Körper wurde gewaschen, gedämpft, geschabt, geknetet und gerieben, ihre Gelenke wurden geknackt, ihr Rückgrat wurde anscheinend gebrochen und der Kopf von der einen auf die andere Seite geruckt, bis der Hals sich anfühlte, als säße er nicht länger fest auf den Schultern. Inzwischen war sie schwach wie ein neugeborenes Kätzchen und überließ sich mit geschlossenen Augen träge der Munakishah. Man bestrich sie mit einem Enthaarungsmittel, ihr Haar wurde in Farbtöpfe getaucht und eingeölt und ihre Handflächen, Fingerspitzen und Zehen wurden mit Henna tiefrot gefärbt. Endlich erlaubte man ihr eine Atempause. »O Schmach über mich, ich habe es unterlas-
sen, genügend Khol vorzubereiten!« rief die Munakishah. »Setz dich dort in der Mitte an das Bassin, meine Gebieterin, zwischen die Becken aus Porphyr und Jade, und sieh zu, wie sich die Sklavinnen in dem warmen Wasser tummeln. Ich werde gleich wieder hier sein, um deine Toilette zu vollenden.« Sie führte die apathische Joyce zu einem mit Kissen belegten Sitz am Rande des großen Mittelbassins, in dem etwa ein Dutzend Mädchen herumplantschte. Joyce sah lustlos zu, wie sie vor ihr in dem lauwarmen Wasser herumhüpften und einander bespritzten. Sie fühlte, daß ihr am Leben nichts mehr lag. Sie wußte, daß man ihr die Haare gefärbt hatte. Ein Spiegel mit goldenem Rande lag neben ihr, aber sie hatte Angst, hineinzuschauen. Scharlachrot, hatte Zobeida angeordnet. Scharlachrot! Voll kalter Wut schloß sie die Augen und grübelte, was sie weiter unternehmen sollte. Die Lage war verzweifelt geworden. Ihre einzige Hoffnung bestand darin, noch einmal an Haruns besseres Ich zu appellieren –und was war das schon für eine Aussicht, dachte sie. Aber wenn sie es nicht schaffte, freundliche Beziehungen zu Harun herzustellen, würden ihr Vater und die anderen letztlich darunter zu leiden haben. Sie saß wirklich ganz schön in der Klemme. Neben ihr tauchte ein Schatten auf, und sie
erkannte die Munakishah, die einen winzigen Tiegel mit schwarzer Paste und ein kleines goldenes Stäbchen in der Hand hielt. »Wenn du für das Khol bereit bist, Herrin…« sagte die Negerin. Joyce zuckte als Einwilligung die Achseln, aber das Khol sollte keine Anwendung mehr finden. Man vernahm das Geräusch eines fürchterlichen Aufklatschens und gleich darauf erhob sich ein Sturm von durchdringenden Schreien und Kreischlauten. Joyce wurde ruckartig wach und bemerkte, im Badebecken halb untergetaucht, zwei bekleidete Gestalten, die heftig um sich spritzten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Die Mädchen sprangen mit hysterischem Entsetzen aus dem Wasser und rannten, ohne auf ihre Nacktheit zu achten, in wilder Flucht aus dem Zimmer. Die Munakishah war bereits verschwunden, und als Joyce erschreckt aufstand, stellte sie fest, daß der Raum bis auf sie selbst und die zwei Erscheinungen im Becken leer war. Sie musterte die beiden in wachsender Verwirrung, als sie mit triefenden Kleidern auf sie zuwateten und an Land kletterten. Dann, außerstande, sich länger zu beherrschen, rannte sie auf sie zu und umklammerte die erste Gestalt. »Dad, Dad!« schrie sie. »Ach, ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben!« »He, hast du denn nichts zum Anziehen
hier?« fragte der entrüstete Henley. »Und was um Himmels willen ist mit deinem Haar passiert?« Joyce merkte erst jetzt, daß ihr einziges Kleidungsstück ein Handtuch um die Mitte war. Sie ergriff ein liegengelassenes Gewand. »Verzeihung, aber du kannst auch nicht so in das Badezimmer einer Dame hineinplatzen, ohne mit ein paar schockierenden Erlebnissen rechnen zu müssen, weißt du«, antwortete sie leichthin. »Was die Haare betrifft, so handelt es sich um ein Geschenk von Haruns Hauptfrau. Aber nun sag mir doch, wie –« »Hör zu, wo sind wir hier eigentlich?« unterbrach sie Henley. »Dies ist ein Teil des fürstlichen Harems.« »Oh, es ist schändlich! Entsetzlich!« kreischte Abdul, von Panik erfaßt. »Schon wieder stecken wir in einer gefährlichen Zwangslage. Man wird uns ohne das geringste Verfahren enthaupten. Her mit dem Teppich!« Zu Joyces Verblüffung sprang er zurück in den Teich. »Wir wollen hier lieber abschließen«, sagte Henley. »Hilf mir, Joyce.« Die beiden hasteten durch den Saal und versperrten die Türen, von denen es mehrere gab. Zum Glück waren sie alle mit Schlössern oder Riegeln versehen. Diese Vorsichtsmaßnahme war nur allzu berechtigt, denn gleich darauf
verlangte jemand am Haupteingang Einlaß. »Wir werden uns ein bißchen beeilen müssen«, erklärte Henley, trat gemächlich in das Becken und holte seinen Klappzylinder heraus. »Kommen Sie, Abdul, wir wollen den Teppich ein bißchen von dieser Nässe befreien.« »Aber Dad, wie sollen wir von hier wegkommen?« »Nur Ruhe, mein Liebes. Du wirst schon sehen – dieser Teppich hier schafft das. Es ist Magie, schwarze Magie.« »Aber – ein paar Sachen – ich kann doch so nicht ins Freie!« »Ach, du siehst schon wieder ganz ordentlich aus, bis auf die Haare. Du bist lange nicht so nackt wie in einem von deinen flotten Abendkleidern«, bemerkte Henley spöttisch. »Aber wir müssen schleunigst weg von hier. Die Türen werden nicht mehr lange halten, wenn die Leute so dagegen bummern. Hör dir das doch an!« »Ich bestehe darauf, zuerst in mein Schlafzimmer zurückzugehen, in Jafars Palast. Wenn du das nicht willst, komme ich einfach nicht mit – nicht, solange mein Haar und meine Hände so aussehen.« »Na gut, aber wir dürfen die Jungens nicht vergessen. Wahrscheinlich sitzen sie auch ir-
gendwo in der Patsche. Los, versuchen wir es mit dem Teppich. Gib mir meinen Hut, Joyce. Alle Mann an Bord? Gut. Nun, Herr Teppich, bring uns in Joyces Zimmer in Jafars Palast.« Nichts rührte sich. »Das habe ich mir gedacht«, meinte Joyce kalt. »Hm!« meinte Henley und zog die Stirn kraus. »Zweimal hat es funktioniert. Kein Grund, warum es diesmal nicht klappen sollte.« »Möglicherweise die Nässe?« schlug Abdul vor. Nervös beobachtete er die Tür. »Heiliger Bimbam! Das ist es. Los, wringen Sie ihn noch einmal in diesen Handtüchern aus!« Der Hagel von Schlägen auf die Haupttür begann jetzt, Wirkung zu zeigen. Die Paneele bogen sich und splitterten und das Grunzen und die Drohungen der Männer auf der anderen Seite klangen ganz nahe. »Schütteln Sie das verdammte Ding ein bißchen, damit Luft drankommt!« rief Henley. »Dad, hier sind ein paar Heißwasserrohre!« schrie Joyce, die im Saal umhergespäht hatte. Henley und Abdul rannten mit dem Teppich herbei und hielten ihn an ein Rohr, bis Dampf aufzusteigen begann. »Das wird reichen«, erklärte Henley, ein Auge auf die Tür geheftet. »Wir lassen ihn so lange
drauf wie möglich – oh! Sie sind durch!« Er warf den Teppich auf den Boden und die drei sprangen hastig darauf. Ein Eunuch, das Schwert zum Hieb geschwungen, stürzte auf sie los – aber plötzlich wirkte der Zauber, und der Saal und seine Bedrohung verschwanden in einem alles umwölkenden Nebel. Einen Herzschlag später standen sie in dem Schlafzimmer mit dem plätschernden Springbrunnen, das Jafar Joyce zugewiesen hatte. Mit einem erleichterten Seufzer rannte sie in ein kleines Kabinett, das sie als Ankleidezimmer benutzt hatte. »Halten Sie den Teppich vom Springbrunnen weg!« befahl Henley. »Abdul, gehen Sie und schließen Sie die Türen zu, nur für den Fall, daß jemand in der Nähe ist. Joyce!« rief er, »vergiß nicht, daß die Jungens wahrscheinlich irgendwo vollfett in den Nesseln sitzen.« Er hockte sich auf den Teppich, Abdul neben ihn, und die beiden warteten ungeduldig. Schon nach wenigen Minuten erschien Joyce wieder. Sie trug ein sehr elegantes Kostüm und hatte einen Schal säuberlich um den Kopf gewunden, so daß das scharlachrote Haar völlig darunter verschwand. In der Hand hatte sie ihre Handtasche und den Fotoapparat. »Wenigstens schnell«, kommentierte ihr Vater anerkennend.
»Setz dich hin, Herzchen. Fertig? Dann bring uns direkt zu den Jungens und mach schön schnell!« befahl er dem Teppich. Nichts geschah. »Das ist kein sehr zuverlässiger Zauberteppich«, bemerkte Abdul. »Setz uns bei Osgood ab«, wiederholte Henley, aber auch diesmal reagierte der Teppich nicht. Wütend gab er seinen Befehl ein drittes Mal, aber immer noch blieben sie am Springbrunnen sitzen. »Ich könnte ja ein Foto von dir machen, während du versuchst, dieses Spielzeug zum Arbeiten zu bringen«, sagte Joyce mit süßer Stimme. »Ich habe noch ein paar Aufnahmen übrig.« »Du bleibst schön, wo du bist«, befahl Henley. »Das verflixte Ding kann jeden Augenblick losgehen.« »Hier ist ein sehr gefährlicher Aufenthaltsort«, erläuterte Abdul. »Was Sie nicht sagen«, gab Henley zurück. »Wir wollen eine andere Art der Befehlsausgabe versuchen. Irgendein fauler Trick ist dabei, und den müssen wir herausfinden.« Zwanzig Minuten später saßen sie immer noch in Joyces Schlafzimmer. Sie hatten ihre Anweisung wohl hundertmal gegeben, aber der Teppich hatte nicht einmal gezittert. Brütendes Schweigen herrschte.
»Vermutlich ist seine magische Elektrizität oder Energie, oder was immer es sein mag, erschöpft«, knurrte Henley. »Liegt es vielleicht daran, daß der Teppich Ihre kurze amerikanische Ausdrucksweise nicht versteht?« fragte Abdul plötzlich. Henley schnaubte. »Versuchen Sie es«, erwiderte er kurz. »Bitte, ehrwürdiger Teppich, bringe uns zu eben jener Stelle, an der Mr. Osgood sich jetzt befindet«, flötete Abdul im Tone beflissenster Höflichkeit. Nichts rührte sich. Henley sah erleichtert aus. »Also gut, wir haben jede erdenkliche Methode ausprobiert, es ihm zu sagen – vielleicht haben wir etwas getan, das anders ist als vorhin?« fragte Joyce. »Das erste Mal haben wir gestanden«, entgegnete Henley nachdenklich. »Beim zweiten Mal standen wir auch; beim dritten Mal haben zwei gestanden und einer gesessen –« »Nein, ich habe gekniet«, unterbrach Joyce ihn hastig. »Diesmal sitzen wir hier alle auf dem Hinterteil – vielleicht hat der Teppich etwas dagegen, daß man auf ihm sitzt?« Henley musterte sie zweifelnd. »Hört sich verflucht albern an, aber bitte – versuchen wir's im Stehen«, antwortete er. Sie stellten sich einander gegenüber auf, und
wieder gab Henley seinen Befehl. Ein hochwillkommener, funkelnder Nebel wallte auf, und die Wände des Zimmers schmolzen.
XVI Im Hause des Syrers »Beim Barte des Propheten, was du mir da erzählt hast, ist eine wundersame Geschichte«, erklärte Musab und schritt im Zimmer auf und ab. »In diesen Ereignissen erkenne ich die Hand des Schicksals, denn es steht geschrieben, daß ich, Musab der Syrer, dich erretten soll. Darum war es bestimmt, daß ich den Zorn des Kalifen erregen und dann die Gunst seines Schutzes erlangen sollte.« Osgood und Mannering lauschten diesem ermutigenden Ausbruch mit Erleichterung, denn ihre fruchtlose Suche nach Henley hatte sie deprimiert. Niedergeschlagen hatten sie den Syrer aufgesucht und ihn mit der Situation vertraut gemacht, und zu ihrem Erstaunen war er fest entschlossen, sie zu unterstützen und durchaus bereit, sich bei Harun für sie zu verwenden. »Und diese Frau, Joy-ess, die der Kalif begehrt, ist dein, mein Sohn, und es ist nicht von Belang, daß auch Selma mit dir verlobt ist, denn ein Mann ist zu vieler Liebe fähig. Ich will den Kalifen aufsuchen und seinen Schutz für
dich und die Jungfrau verlangen, denn er kann seinen dreifachen Eid nicht verleugnen. Denn könnte sich ein Prinz von seiner Hauptgemahlin scheiden und seinen Namen so leichtfertig entehren?« »Das ist ausgezeichnet«, sagte Osgood. »Wir werden in Jafars Palast am Maidan zurückgehen und Henley dort treffen.« »Ich fürchte, das werden wir nicht tun – da kommt offenbar noch mehr Ärger auf uns zu«, warf Mannering ein, der mit der rundlichen Selma, in seinen Augen noch immer eine unvergleichliche Schönheit, am Gitterfenster stand. »Seht doch nur – da ist ja fast ein kleines Heer im Anzug!« Sie spähten durch das Erkerfenster, das auf den Platz am Hause des Syrers führte, und stellten fest, daß sich der Platz, wie Mannering gesagt hatte, mit einem Heer füllte, nämlich mit den Fußtruppen des Kalifen. Mit einem Alarmruf klatschte Musab in die Hände. Ein Sklave trat ein. »Versperrt das äußere und das innere Hoftor! Schnell, schnell!« Der Neger eilte aus dem Zimmer, und wenige Sekunden später hörte man von unten dumpfe Schläge, als die massiven Riegel ins Schloß gehämmert wurden. »Das ist nun in der Tat unangenehm«, meinte Osgood. »Hallo, da ist ja Jafar! Er sieht schon
wieder aus, als ob er von der ganzen Sache die Nase voll hätte. Was soll die ganze Aufregung, Jafar?« rief er durchs Fenster. Der Wesir, der seinen Fuchs ritt, blickte vorwurfsvoll hinauf. »So ist es denn wahr, daß du hier bist?« sagte er. »Ist die Jungfrau Joy-ess bei dir?« »Bei uns?« fragte Osgood beunruhigt. »Aber du hast sie doch selber vor ein paar Stunden mitgenommen.« »Du handelst sehr unklug«, bemerkte Jafar und schüttelte den Kopf. »Mit irgendeiner List hast du das Mädchen aus dem Harem gestohlen, und darauf steht nur eine Strafe – der Tod.« »Aber ich sage dir, ich habe sie nicht mehr gesehen, seit du mit ihr fortrittst.« »Ich glaube dir, aber der Kalif wird es nicht tun. Versuche nicht zu fliehen, oder ihr werdet alle getötet werden.« »Jafar, denkt Harun, daß wir nicht versuchen werden, uns zu schützen?« fuhr Osgood fort. »Hat er vergessen, wie wir mit dem Chinesen fertiggeworden sind?« »Ach, mein Freund«, versetzte Jafar, »mein Gebieter ist überzeugt, daß euch eure Macht genommen ist, denn Li Chang behauptet, daß er allein jetzt über dieses Ding herrscht, das mit dem Krachen des Donners tötet.«
»Nicht mehr lange«, meinte Osgood, dem einfiel, daß in der Automatik nur noch vier Schuß waren. »Und was verlangst du nun von uns?« »Ich bitte euch: Ergebt euch mir sofort«, kam die Antwort, »denn sonst muß ich die Türen dieses Hauses aufbrechen und alle seine Bewohner töten, außer Joy-ess. Ich flehe dich an, bewahre mich davor.« »Aber ich sage dir doch, sie ist nicht hier«, beteuerte Osgood. »Bei Allah! Es ist eine Schandtat wider die Gesetze von Religion und Gastfreundschaft!« schrie jetzt Musab heftig. Er hatte, während Osgood Jafar seine Fragen stellte, nur mühsam seinen Zorn bezähmt, nun aber konnte er sich nicht länger beherrschen. »Kein Willkommen soll es für dich geben, du Freund und Zechbruder lügnerischer Fürsten! Hör auf meine Worte! Hast du nicht gehört, wie der Kalif beim Eid der dreifachen Scheidung schwor, daß ich und die Meinen unter seinem Schutze, stünden?« »Es ist wahr«, gab Jafar zu. »Was also bedeutet dieser Überfall auf mein Haus?« »Du weißt es gar wohl, Musab. Der Kalif hat mir befohlen, euch alle über die Klinge springen zu lassen, wenn ihm die Herrin Joy-ess nicht ausgeliefert wird.«
»Beim Hund der Siebenschläfer, noch nie habe ich von einer so scheußlichen Tat vernommen! Wo ist dein Fürst, damit ich ihm ins Gesicht sagen kann, daß er – ah! Da kommt er ja. Ich sehe ihn. Ich will herunterkommen und mit ihm reden.« Er drehte sich impulsiv um und schritt zornig aus dem Zimmer. Osgood lief ihm nach, um ihn zurückzuhalten, aber der Alte achtete nicht darauf, sondern stapfte die Treppe hinunter, wobei er laut auf den Kalifen schimpfte. Osgood dicht auf den Fersen, erreichte er den Hof, öffnete das Tor und trat kühn vor die dort versammelten Reihen der Soldaten. Jafar stand wenige Meter entfernt. Er kam langsam auf sie zu und begrüßte sie förmlich. »Führe mich zu deinem Fürsten, auf daß ich ihn an seinen Schwur erinnere«, forderte Musab. »Er hält dort hinten an der Mauer«, sagte Jafar. »Ich will dich zu ihm geleiten, denn es kann sein –« Er hielt bedrückt inne. »Nie zuvor habe ich ihn so unköniglich erlebt«, bemerkte er dann zu Osgood und deutete mit einer ausdrucksvollen Handbewegung auf die Soldaten, die den Platz besetzt hielten, und alles, was ihre Anwesenheit einschloß. »Wir begleiten dich«, erklärte Osgood, zu dem jetzt auch Mannering und Selma getreten waren.
»Wenn es dein Wunsch ist, mein Sohn. Selma, du begib dich in deine Gemächer und warte. Alles wird gut werden.« Ungehindert überquerten sie den Platz. Die Soldaten gaben bereitwillig den Weg frei, sobald sie die vertraute Gestalt Jafars erkannten. Sie näherten sich dem Kalifen, der auf seinem weißen Hengst saß, bis auf zwanzig Meter. »Friede sei mit dir, o Kalif Allahs!« rief Musab laut. Harun murmelte irgendeine Antwort. »Es ist eine Ehre für mein Haus, dich zu empfangen, o Fürst, vor allem da du mit so stattlichem Gefolge wie deinen Wachen und Soldaten erscheinst«, fuhr Musab mit kühner Ironie fort. Harun schwieg. »Ich kann nicht zweifeln, daß du mich in friedlicher Absicht besuchen kommst, o Kalif, denn hast du nicht beim stärksten aller Eide, dem Eid der dreifachen Scheidung von deiner Prinzessin und Hauptgemahlin, geschworen, daß der Schirm deines Schutzes über mir und meiner Familie ruhen soll; und gehören nicht mein Sohn und seine Jungfrau Joy-ess zu dieser Familie?« Harun schwieg noch immer. Er rutschte jedoch unbehaglich hin und her, und sein Blick streifte unsicher die hohen Mauern des gegen-
überliegenden Hauses des Syrers. »Höre mich, o gerechter Fürst des Islam! Ich setze meine Zuversicht auf Allah und auf dich. Habe ich irgend etwas getan, daß dein geheiligtes Wort gebrochen werden müßte? Willst du für weltliche Lust deinen Stolz verkaufen und um einer Frau willen das Gesetz brechen? Halte den Eid, den du geschworen hast!« Es entstand eine weitere Pause. Dann begann Harun, langsam und schwer, aber mit fester Stimme, zu sprechen. »Deine Rede ist wahr«, sagte er. »Ich habe dir dieses Versprechen gegeben, und ich gewähre kein Versprechen, um es dann wieder zurückzunehmen.« »Allah sei gepriesen, daß du nicht nur ein Fürst, sondern auch ein Mann von Ehre bist!« rief Musab jubelnd. »Gut für dich, Pa«, sagte Osgood, als der nunmehr befriedigte alte Syrer stolz zu dem Kalifen aufblickte, der mit einer Mischung aus Würde und Groll auf sie hinabsah. Plötzlich holte Osgood tief Atem. »Verdammter Mist!« sagte er erstickt. »Sieh dort! Der verfluchte Chinese!« »Er hat die Pistole!« rief Mannering. Osgood stieß einen Warnruf aus und fing an zu rennen, aber er kam zu spät. Der Chinese, der an Haruns Flanke gestanden hatte, hob mit
äußerster Vorsicht die Pistole und zielte damit, ohne einen von ihnen direkt anzuvisieren, auf alle drei. Es gab einen scharfen Knall, und als Osgood herumfuhr, sah er, wie Musab langsam zusammenbrach. Der Chinese, von der Explosion und dem Rückstoß erschreckt, ließ die Waffe fallen und betrachtete sie, während sie noch rauchend vor seinen Füßen lag, mit einer Mischung aus Furcht und Respekt. Dann hob er sie mit größter Sorgfalt wieder auf und schaute interessiert zu seinem Opfer hinüber. Sekundenlang herrschte tiefe Stille. Harun starrte ungläubig auf die reglose, zusammengesunkene Gestalt am Boden und konnte nicht begreifen, was vorgefallen war. Nach und nach jedoch stellte das Verständnis sich ein, und er drehte sich im Sattel um und warf Li Chang, der zufrieden zu ihm aufschaute, einen furchtbaren Blick zu. Dann richtete er sich steil in seinem Sitz auf und deutete mit zornigem, anklagendem Finger auf den Chinesen. »Verdammnis über dich, du Schwein und Sohn eines Schweins!« brüllte er. »Warum hast du das getan? Beim Grabe meines Vaters, du hast mich entehrt, Scheusal.« Der Chinese machte eine Gebärde grollender Unterwürfigkeit. »Du hast gehört, daß ich ihm bei dem furchtbarsten aller Eide Schutz zugeschworen hatte. Du chinesischer Skorpion, du
hast meinen Namen geschändet, und mein Wort wird zum Gespött werden.« Mit plötzlichem, leidenschaftlichem Entschluß wandte er sein Pferd. Wenige Meter entfernt stand der schwarze Henker, nachlässig an sein Schwert gelehnt, Lederbecken und Holzblock über die Schulter gehängt. »Mesrur!« schrie der Kalif und zitterte vor Wut, »den Kopf ab!« Mesrurs Reaktion bei solchen Anlässen schien immer ungemein prompt zu sein. Ohne eine Sekunde zu zögern, bewegte er sich schnell und ruhig auf den Chinesen zu, der vor Verblüffung vorübergehend erstarrt war, stellte sein Becken auf den Boden, packte sein Opfer am Arm und rief ein paar Soldaten zu Hilfe, um ihn niederzuhalten. Die Pistole noch immer in der Rechten, begann jetzt Li Chang um seinen Fächer zu kämpfen, wobei er wie ein Wahnsinniger Beschwörungen ausstieß. Plötzlich tauchte der Fächer in seiner Hand auf und öffnete sich. Zugleich hatte es den Anschein, als würden Mesrur und seine Helfer von unsichtbaren Fäusten zur Seite gestoßen. In der Hand die Pistole, stand der Chinese da, schwenkte den Fächer und hielt seine Angreifer durch irgendeine unerklärliche Kraft von sich fern, die so starr und undurchdringlich war wie eine unsichtbare Mau-
er. Osgood wollte den Chinesen von hinten überfallen, konnte aber auch dort nicht näher als bis auf einige Meter an ihn herankommen. Auf der Vorderseite versuchte Mannering einen Frontalangriff, hatte jedoch genauso wenig Erfolg wie die anderen. Umzingelt von seinen machtlosen Angreifern stand der Hexenmeister inmitten seines Zauberkreises, zischte Verwünschungen wie eine Schlange, zuerst gegen den Kalifen, dann gegen Mesrur, und wedelte auf eine Art mit seinem Fächer, daß Osgood davon überzeugt war, eine weitere Teufelei stünde kurz vor dem Ausbruch. Ein paar Herzschläge lang geschah gar nichts, und aller Augen waren auf den wutschnaubenden Chinesen gerichtet, die Verkörperung verstockter Bosheit. Dann gab es eine abrupte, ebenso plötzliche wie erschreckende Unterbrechung. Genau vor Li Chang erschien mit der Geschwindigkeit des Blitzes das Abbild dreier menschlicher Gestalten, die auf einem kleinen grünen Teppich standen. Einer von ihnen kam dem Chinesen so nah, daß ihre Körper sich fast berührten. Sekundenlang starrten die beiden Gesichter einander in überraschtem Erkennen an, dann versetzte Abdul, denn er war es, dem Mann, den er fürchten und hassen gelernt hatte, spontan einen heftigen Schlag.
Um nicht rücklings zu Boden zu stürzen, klammerte sich der Chinese instinktiv an Abdul fest, aber der Ägypter strampelte wie ein Verrückter, um sich loszureißen, und sofort waren beide in ein wütendes Handgemenge verwickelt, bei dem Fächer und Pistole zwischen den beiden hin- und herschwankenden Körpern verschwanden. So schnell hatte dieser Ringkampf begonnen, daß Henley und Joyce noch bewegungslos dastanden und in das grelle Sonnenlicht blinzelten, denn es waren kaum eine oder zwei Sekunden vergangen, seit Henley im dämmrigen Licht von Joyces Schlafzimmer dem Teppich seine Anweisungen erteilt hatte. So wie alle anderen Umstehenden beobachteten auch diese beiden betäubt und tatenlos das wilde Ringen des seltsamen Paares. Das Unvermeidliche geschah. Wieder ließ sich der Knall der Automatik vernehmen. Abdul riß sich los, und der Chinese stürzte zu Boden, eine Kugel im Herzen. Seine Hand hielt noch die rauchende Pistole. Abdul sah ungläubig nach unten. Wieder herrschte einige Sekunden Totenstille. Der Ring von Soldaten, der die zusammengesunkene Gestalt umgab, starrte wie vom Donner gerührt auf diesen zweiten Todesfall. Henley erholte sich als erster. Er ging auf die
Pistole zu, hob sie auf und sah dann auf die beiden daliegenden Körper und die Reihe unfreundlicher Gesichter um ihn herum. »Sagt mal, Leute, hier war wohl eine kleine Auseinandersetzung?« erkundigte er sich und zog den Klappzylinder tiefer über die Augen, um das grelle Licht zu dämpfen. Der Laut seiner Stimme löste die Spannung. »Sie haben uns ganz schön das Lätzchen bekleckert«, sagte Osgood mit tiefem Gefühl. »Wie zum Henker kommen Sie denn hierher?« »Noch mehr Zauberei«, erwiderte Henley fröhlich. »Mann, faßt dieses Schießeisen sich gut an!« Ein lauter Ruf Haruns unterbrach seine Worte. »Also warst du es doch, der das Mädchen geraubt und meinen Harem entehrt hat!« schrie er und deutete auf Osgood. »Sei nicht albern«, wehrte sich dieser. »Natürlich war ich es nicht – kannst du nicht sehen –« »Du lügst!« kreischte Harun voller Wut. »Zwar weiß ich nicht, mit welch üblem Zauber du sie hierhergeschafft hast, aber du hast sie aus meinem Hause gestohlen. Dafür gibt es nur eine einzige Strafe, und sie soll sogleich an dir vollstreckt werden.« »Und was ist mit deinem Schwur Musab ge-
genüber?« fragte Osgood. »Täusche dich nicht«, erklärte Harun grimmig, »Musab ist tot und die Schmach seines Todes durch den Tod des Mörders gesühnt. Mein Schwur, ihm Schutz zu gewähren, dauert nicht in Ewigkeit an, sondern erlischt mit seinem Tod.« »Laßt ihn bloß nicht mit Reden aufhören«, bemerkte Joyce, die eifrig mit ihrem Fotoapparat beschäftigt war. »Ich mache gerade ein paar ganz tolle Aufnahmen von ihm.« Aber auf Haruns Warnung hin war Schweigen eingetreten. Henley hob die Automatik und richtete sie auf den Kalifen, der ihn unsicher betrachtete. »Dad, du kannst ihn nicht kaltblütig niederschießen!« rief Joyce. »Bitte!« »Du hältst den Mund«, schnappte Henley. »Irgendwie müssen wir aus diesem Schlamassel hier heraus. Passen Sie auf, Harun. Sie müssen schwören, uns zu helfen, daß wir alle heil und gesund Bagdad verlassen können, oder ich schieße Sie über den Haufen, wie es Li Chang und Musab ergangen ist!« Er brach ab. Harun, ohne sich um die Drohung und die erhobene Waffe zu kümmern, hatte sich in den Steigbügeln aufgerichtet und deutete, sprachlos vor Erstaunen, auf den Körper Musabs. Henley fuhr herum. Der Alte hatte
sich aufgesetzt und starrte die ihn umringenden Truppen völlig entgeistert an. Mit der einen Hand stützte er sich auf die Erde, während die andere ungeschickt in seinem Gürtel wühlte. Gleich darauf zog er einen Gegenstand hervor und schleuderte ihn mit einem Grunzlaut von sich. Das Ding rollte auf Osgood zu, und mit einer Mischung aus Freude darüber, daß der Alte am Leben war, und aus Ärger, daß er diese Tatsache ausgerechnet jetzt bekanntmachen mußte, erkannte dieser die schwere Taschenlampe, die er am Abend zuvor in Musabs Haus hatte liegenlassen. Sie war übel zerbeult. »Es ist unfaßlich!« rief er. »K.O.-Volltreffer in die Magengrube! Dieser alte Glückspilz!« Seine Stimme löste ein tausendfaches Echo aus, und ein aufgeregtes Gewirr von Rufen und Worten erfüllte den Platz; aber alles wurde übertönt vom zornigen Gebrüll des Kalifen. »Beim Barte des Propheten!« schrie er. »Man hat mich betrogen – der Chinese ist umsonst zu Tode gekommen. Bei Allah, dafür sollt ihr die Qualen der Hölle kennenlernen! Ergreift sie! Packt sie!« Sofort begannen die Truppen, die die kleine Schar umstanden, auf sie zuzurücken, und nur Henleys drohend erhobene Waffe hielt sie noch zurück. Osgood versuchte einen letzten
Bluff. »Befiehl ihnen, sich zurückzuziehen, oder du bist ein toter Mann!« schrie er laut und gab sich einen möglichst grimmigen Anschein. Einen Augenblick zögerte der Kalif, dann setzte er sich steif aufrecht. »Ich trotze dir und deiner Waffe!« rief er. »Wenn es Zeit für mich ist, zu sterben, werde ich mich nicht widersetzen. Handle nach deinem Gewissen. Ich befehle meinen Truppen, dich zu ergreifen!« Osgood warf Henley einen schiefen Blick zu. »Sieht so aus, als wären wir am Ende«, stellte er fest und riß vor Erstaunen die Augen auf, als der Amerikaner ihm zuzwinkerte. »Ich schätze, das hier nennt man den psychologischen Moment, wie?« sagte er, hob die Pistole hoch über den Kopf und feuerte einen Schuß in die Luft. Die Wirkung war die übliche: Alles ringsum stand wie angewurzelt. »Na – hat keinen Zweck, noch hierzubleiben«, bemerkte Henley. »Hauen wir ab. Springt auf den Teppich.« Osgood und Mannering glotzten ihn verwirrt und ungläubig an. »Hüpft an Bord, sage ich euch, aber ein bißchen plötzlich! Ich bin der Kapitän dieses Schiffes.« Überzeugt, eine Dummheit zu machen, stell-
ten sich die beiden zu den anderen auf das grüne Gewebe. Nach der atemlosen Spannung, die gerade noch geherrscht hatte, kam ihnen dieses lebende Bild von fünf Leuten auf einem Teppich ziemlich albern vor. Auf einmal fiel Mannering Musab ein. Wortlos rannte er zu dem noch ganz benommenen alten Mann hinüber, zerrte ihn auf die Füße und schleppte ihn, halb getragen, zum Teppich. Die Soldaten waren so fasziniert, daß sie nicht eingriffen. »Und was tun wir mit ihm?« fragte Henley. »Wir müssen ihn in sein Haus bringen«, keuchte Mannering, »zu Selma.« Henley gab das Kommando, und gleich darauf lernten auch Osgood und Mannering die geheimnisvolle Methode der Fortbewegung im Schutze des dämmrigen Mantels aus Nebel und Finsternis kennen.
XVII Khalids himmlischer Hangar Gleich darauf fanden sie sich in Musabs Empfangszimmer wieder. Sie rannten zum Fenster und sahen zu, wie unten die Truppen verwirrt umherliefen und auf die leere Stelle starrten, wo gerade eben noch der Teppich gewesen war. »Wo in aller Welt haben Sie denn dieses Maschinchen aufgetan?« fragte Osgood hingerissen. »Es ist wirklich und wahrhaftig ein fliegender Teppich! Sie verstehen eben Ihr Handwerk, Mr. Henley.« »Gewußt, wie«, bemerkte Henley und lud seine Pistole. »Wer ist denn das?« rief er dann plötzlich und deutete auf eine Gestalt, die geräuschlos im Türrahmen erschienen war. »Unglaublich! Der alte Khalid, mit einem von Hans' Hüten. Und Kaugummi kaut er auch. Woher haben Sie den Panama, Partner?« »Ich erwarb diese Kopfbedeckung im Basar, denn jedermann bestätigt, wie hervorragend sie vor der Sonne schützt.« »Aber wie sind Sie überhaupt hier hereingekommen?«
»Durch ein bißchen Zauberei, das freilich nicht so wunderbar ist wie die Kraft deiner Waffe«, entgegnete Khalid lächelnd und kaute weiter. »Doch nun drängt die Zeit. Eure Aufgabe ist erfüllt, ihr habt den Chinesen überwunden, und die Stunde eures Abschieds ist gekommen. Dir vor allem, o du Sproß aus meinem Samen«, sprach er zu Abdul, »zolle ich meinen Dank, denn du warst es, den das Schicksal schließlich zum Werkzeug wählte, um für mich den Handlanger Satans, des bösen Feindes, zu vernichten. Wahrlich, du bist Abdul der Löwe, wie das Volk dich schon gestern genannt hat.« Er umarmte Abdul mit großer Herzlichkeit, wobei allerdings der Ägypter von den Anstrengungen des Kampfes, den er gerade erst hinter sich gebracht hatte, noch so erschüttert war, daß er für die Glückwünsche des Zauberers nicht allzuviel Begeisterung aufbringen konnte. »Und was passiert jetzt?« fragte Joyce. »Ich habe soeben mit meinem Gebieter gesprochen, mit Jan ibn Jan, dem König der Djinni, der bestimmt hat, daß ihr nun an euren eigenen Ort im Schoße der Zeit zurückkehren dürft.« »Wirklich reizend von ihm«, kommentierte Osgood. »Aber wann und wie?«
»Sehr bald«, versetzte Khalid, nahm in aller Ruhe den Kaugummi aus dem Mund und legte ihn sorgfältig auf einem Tablett ab. »Das Zeichen für euren Aufbruch wird eine Rauchsäule sein, die euch mitten aus heiterem Himmel erscheinen wird. Ihr müßt dann mit eurem fliegenden Schiff in diesen Rauch hineinschweben, welcher in Wirklichkeit die Gestalt eines äußerst einflußreichen Djinns ist, und er wird euch festhalten, bis ihr eure eigene Zeit wieder erreicht habt.« »Also schön, Khalid, ich weiß, daß Sie ein Superzauberer sind, aber als nüchtern denkender Mensch kann ich soviel einfach nicht schlucken«, tadelte Henley und schob sich den Klappzylinder aus der Stirn. »Wie können wir tausend Jahre in einer Rauchwolke sitzen? Wir würden ja ersticken. Und was wäre mit unserem Benzin?« »Der König der Djinni verleiht einigen wenigen seiner Geschöpfe die Macht, mit der Schnelligkeit des Blitzes den Erdball zu umrunden«, erklärte Khalid geduldig und starrte auf den Klappzylinder, der ihn wie immer heftig anzuziehen schien, »anderen wiederum erlaubt er es, im Reiche der Zeit hin- und herzufliegen, und auch das geschieht so schnell wie der Blitz.« »Wenn wir die Vorstellung akzeptieren, daß
wir auf diese Art hierhergekommen sind«, rief Osgood, »dann können wir uns auch mit dem Gedanken abfinden, auf dem gleichen Weg wieder zurückzukehren. Auf jeden Fall klingt es auch nicht unwahrscheinlicher als dieser Teppich. Nur bitte ich dich, das Datum nicht zu verwechseln, o Khalid.« »Es wird keinen Irrtum geben«, entgegnete Khalid ernsthaft. »Der für diese Aufgabe auserwählte Djinn ist von größter Zuverlässigkeit. Aber in welche Zeit möchtet ihr zurückkehren?« »Nun, wir sollten schon alles ordentlich machen«, sagte Osgood. »Wie spät war es, Lächler, als wir dem Sandteufel begegneten? Vier Uhr vierzehn, stimmt's? Also, Khalid, bitte nicht vergessen.« Er nannte dem Zauberer Uhrzeit und Datum ihres Abschiedes von der modernen Welt, und der Alte hörte aufmerksam zu. »Ich weiß nicht, auf welche Art ihr die Zeit berechnet, aber wie du gesagt hast, so soll es geschehen. Begebt euch nun zu eurem Luftfahrzeug und steigt damit aufwärts, bis ihr die Rauchsäule findet. Fliegt in sie hinein, und euer Wunsch soll erfüllt werden.« »Und wie kommen wir ins Flugzeug?« fragte Osgood. »Auf dem Teppich«, antwortete Henley. »Und
wenn der Rauchgnom nicht pünktlich zur Stelle ist, haben wir den Teppich noch als Transportmittel in Reserve.« »Wenn wir wirklich in ein paar Minuten im modernen Bagdad ankommen, bin ich bloß froh, daß ich vernünftig angezogen bin«, bemerkte Joyce. »Sie hat recht!« rief Osgood. »Haben wir noch Zeit, mit dem Teppich unser Gepäck zu holen?« »Das ist nicht nötig«, erklärte Khalid. »Wenn ihr so bekleidet sein möchtet wie bei eurer Ankunft, ist es mir ein Leichtes – es ist euer Wunsch? Nun denn!« Er hob den Arm, sah einen nach dem anderen scharf an und gab einen kurzen, unverständlichen Satz von sich. »Euer übriges Eigentum ist jetzt unterwegs zu dem fliegenden Schiff«, stellte er schlicht fest. »Na, ich freß einen Besen!« rief Osgood und betrachtete seine Begleiter und sich selbst. Er trug komplette Khaki-Uniform. »Dringlichkeitsstufe eins für Bekleidung! So, nachdem wir nun alle proper ausgerüstet sind, sollten wir aber wirklich aufbrechen.« »Und was wird mit Selma?« fragte Mannering unbeholfen. »Das ist mir piepegal«, erwiderte Osgood ungeduldig. »Trotzdem – hol sie her, schnell!«
»Khalid«, fuhr er fort, als Mannering aus dem Zimmer eilte, »du mußt das in Ordnung bringen. Das Mädchen hat ihn verhext, so daß er sie für eine wahre Houri des Paradieses hält. Er ist verrückt nach ihr. Könntest du sie nicht dazu zwingen –« Mannering erschien mit der unglaublichen Selma. Sein anbetender Gesichtsausdruck, als er sie hereinführte, machte es Osgood schwer, ernst zu bleiben. Henley und Joyce, die erst jetzt begriffen, daß Mannering ernstlich sein Herz an dieses wenig anziehende Wesen verloren hatte, betrachteten das Paar mit erstaunten Augen. »Hör zu, Lächler«, sagte Osgood. »Jetzt ist keine Zeit für Melodramen. Selma hat dich an der Nase herumgeführt, und Khalid wird es dir beweisen.« Khalid betrachtete das Mädchen mit strengem Blick. »Wenn du dich diesem jungen Mann in irgendeiner anderen Gestalt als deiner eigenen gezeigt hast, dann, im Namen Salomos, des Sohnes Davids, löse deine Verzauberung«, befahl er, »und laß ihn dich sehen, wie du wirklich bist.« Selma zauderte einen Augenblick, wandte sich dann um und strich mit den Händen über Mannerings Augen. Anschließend trat sie zurück und auf ihrem dicken Gesicht erschien
ein übermütiges Grinsen. Mannering schaute sie verwirrt an und runzelte die Stirn. Dann warf er einen Blick auf die lächelnden Gesichter ringsum. Der Tumult unten auf dem Platz war vergessen. »Das ist ein Trick!« fauchte er und errötete bis über beide Ohren. »Sie ist nicht so!« »Natürlich ist sie so, du alter Trottel«, antwortete Osgood. Eine Reihe von lauten Schlägen an das untere Tor unterbrach ihn. »Sieht so aus, als wäre Harun darauf gekommen, daß wir hier sind«, meinte Henley und trat an das vergitterte Erkerfenster. »Ja, jetzt kommen sie alle herüber zu uns«, fuhr er fort, »und sie schleppen eine Art Mauerbrecher.« Er betrachtete die malerische Menge auf dem Platz und schüttelte bedauernd den Kopf. »Hast du noch ein paar Filme übrig, Joyce? Nein? Heiliger Bimbam, was war ich doch für ein Idiot, daß ich nicht versucht habe, von Hans welche herstellen zu lassen. Ich hätte mich ganz darauf konzentrieren sollen, jede verdammte Kleinigkeit hier aufzunehmen, vom ersten Moment unserer Ankunft an, statt nutzloses Bargeld anzuhäufen. Seht euch dieses Bild an. Original echte orientalische Unruhen, und alles für die Katz. Mann, wenn das hier nicht die Stadt der verlorenen Chancen für mich ist, weiß ich es auch nicht. Na gut. Ich
nehme an, daß wir jetzt besser verschwinden.« »Was ist mit Musab und dem Mädchen?« fragte Osgood. »Es wird ihnen nichts geschehen«, versicherte Khalid. »Ich werde mich selbst um ihre Sicherheit kümmern. Wenn ihr jetzt das Haus hier auf König Salomos Teppich verlaßt, so zeigt euch noch einmal dem Kalifen, dann wird er sofort seinen Angriff einstellen.« »Das ist eine gute Idee«, rief Joyce, »dann können wir ihm auch auf Wiedersehen sagen.« »Und ob wir das können«, knurrte Henley boshaft. »Was diese Jungfrau betrifft«, fuhr Khalid fort, »so will ich für ihre weitere Ausbildung zur Zauberin Sorge tragen, denn ich habe festgestellt, daß sie gute Anlagen zeigt.« Er gestattete sich, dem niedergeschmetterten Mannering zuzulächeln, der dastand und zum Fenster hinausstierte. »Ich danke euch allen für eure Hilfe. Dir, meinem Nachkommen, Abdul al Bazzazin, dem Löwenherzigen, spende ich meinen Segen.« Nochmals umarmte er den Ägypter. »Allah mache euch alle glücklich und behüte euch vor Übel.« »Leben Sie wohl, Khalid«, sagte Henley. »Es tut mir leid, Sie zu verlieren – Sie sind ein Geschäftspartner, wie man ihn im Leben selten findet. Ich übertrage Ihnen den ganzen Be-
trieb. Haben Sie das Bargeld sicher weggeschlossen? Vergessen Sie nicht, was ich Ihnen über Ratenzahlungen beigebracht habe.« »Ich werde nichts vergessen und auf dem Fundament, welches du begonnen hast, weiterbauen«, versprach Khalid feierlich. »Ich kann Ihnen Hans' Ring leider nicht zurückgeben«, sagte Henley weiter. »Ich habe ihn im Basar verloren – wahrscheinlich hat man ihn mir gestohlen.« »Er ist hier«, erwiderte Khalid. »Man hat ihn mir für dich zurückgebracht, und ich überreiche ihn dir als mein ganz persönliches Geschenk, dessen Anblick dich an mich erinnern soll.« Er lächelte verlegen und blickte mit tiefer Sehnsucht auf Henleys Kopfbedeckung. Als Henley den Ring entgegennahm, hörte man von unten den Lärm der Truppen, die im Begriff waren, die Tür aufzubrechen, noch lauter, aber Khalid schaute mit unverminderter Eindringlichkeit auf Henleys Haupt. Joyces Einfühlungsvermögen rettete die Situation. »Dad, ich glaube, er interessiert sich für deinen Klappzylinder«, flüsterte sie. Erstaunt über diesen Einfall, nahm Henley die Zierde seines Hauptes herunter und hielt sie dem Zauberer versuchsweise hin. Dieser griff, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, gierig danach. Freudestrahlend klappte er den
Hut zusammen, entfaltete ihn dann wieder und stülpte ihn über seinen Panama. Als ihm das nicht recht gelingen wollte, entfernte er den Strohhut und versuchte es noch einmal. Seine Ohren hinderten den Klappzylinder nur mit knapper Not daran, ihm über das Gesicht zu rutschen. »Mögen Wohlstand und Ruhm allmorgendlich deine Begleiter sein, um deiner Freundlichkeit willen!« rief er. »Von Anfang an habe ich mich nach deinem Hute gesehnt und jetzt, bei Allah, wird kein anderer Zauberer auf Erden mir gleichkommen. Der Mantel Allahs –« Er erstarrte plötzlich, als lauschte er einem unsichtbaren Sprecher. Dann erklärte er drängend: »Ihr müßt fort! Der Kalif hat seine Soldaten zu eurem fliegenden Schiff geschickt!« »Es ist die höchste Zeit, unsere Schritte von hinnen zu lenken«, sagte Abdul, der endlich wieder zu seiner normalen Verfassung zurückgefunden hatte. »Bitte lassen Sie uns ohne weitere Saumseligkeit aufbrechen. Ich habe genug von diesem Ort. Sollten die Zauberkräfte des Teppichs noch einmal versagen, wäre unsere Lage eine äußerst unvorteilhafte.« »Das stimmt«, meinte Henley. »Los, machen wir uns aus dem Staub. Alle Mann auf den Teppich stellen!« Er schaute noch einmal aus dem Fenster und sah unten, fern von der wildbe-
wegten Menge, die wartende Gestalt des Kalifen. »Du bist der Kerl, mit dem ich das Hühnchen zu rupfen habe«, knurrte Henley und lief zurück zum Teppich. Ein letzter Austausch von Abschiedsgrüßen folgte. Musab, dessen mächtiger Schnurrbart noch immer ein wenig wirr aussah, betrachtete sie verständnislos. Er war noch immer ganz benommen und begriff nicht, daß Osgood ihm nun auf immer Lebewohl sagte. Mannering, unwirsch und verstimmt, vermied es, Selmas Blick zu begegnen. Henley erteilte mit ruhiger Stimme seine Befehle, und blitzartig verschwanden die fünf aus dem Raum, um gleich darauf unmittelbar vor dem erschreckten Kalifen aufzutauchen. »Sie können aufhören, hier fremdes Eigentum zu beschädigen«, rief Henley ihm zu. »Wir sind nicht da drin. Wir verlassen Sie, Fürst. Ich wünsche Ihnen nichts Schlechtes – jetzt nicht mehr –, aber bevor ich mich endgültig verabschiede, will ich Ihnen doch noch sagen, daß ich für Sie und Ihre Gewaltherrschaft rein gar nichts übrig habe, daß Sie ein Tyrann sind, und daß ich, wenn ich nicht ein gesetzestreuer Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika wäre, Ihnen jetzt und hier eins auf den Pelz brennen würde, und überhaupt –« »Dad, bitte! Hör doch auf damit! Du bist zu
hart mit ihm. Er kann doch nichts dafür – sein ganzes Leben lang hat er nur seinen eigenen Willen gekannt. Ich finde, er hat sich einfach prachtvoll benommen – und so charmant!« Harun hatte Henleys Ausbruch, den er nur halb begriff, zuerst wutschnaubend, dann mit kalter Erheiterung angehört. »Wundersam ist der Schmutz, den du da von dir speist!« meinte er schließlich. »Wie beredt ist deine Zunge und wie deutlich die kristallene Klarheit deiner Sprache. Wahrlich, der Chinese konnte niemals hoffen, einen so mächtigen Redner zu übertrumpfen.« »Na, wenn das nicht dem Faß die Krone ausschlägt!« rief Henley verblüfft. »Das ist ja wohl –« »Passen Sie auf! Das Heer kommt!« schrie Osgood. »Leben Sie wohl, Fürst!« rief Joyce und winkte mit der Hand. »Halten Sie sich an Zobeida und Helena – mit ihnen werden Sie bestimmt glücklicher sein als mit mir!« Ihr letzter Eindruck, bevor sie im Nebel verschwanden, war Haruns Gesicht, in dem Zorn, Überraschung und Vergnügen um die Vorherrschaft rangen, als sie ihm zum Abschied eine Kußhand zuwarf. Dann zerrann der für alle so fatale Platz vor ihren Augen, und plötzlich fanden sie sich kaum zwanzig Meter vor ihrem
Flugzeug. Mannering hatte es so geparkt, daß ihm das ganze Paradefeld als Startbahn zur Verfügung stand. Osgood und Mannering rannten sofort zu der Maschine und kletterten ins Cockpit. Die anderen folgten so schnell wie möglich. Eine Minute später hatten die Anlasser ihre Arbeit getan und die Motoren gestartet. Die Gesellschaft versammelte sich in der Kabine und wartete unruhig, während die Maschine warmlief. Das Paradefeld war, abgesehen von den dort wie gewöhnlich verkehrenden Menschen und Jafars Wache für das Flugzeug, kaum belebt. Die Wachen beobachteten gespannt die überraschenden Ereignisse. Der Kalif und seine Truppen hatten es nicht weit, dachte Osgood und sah auf seine Meßgeräte, während er sich auf einen Blitzstart vorbereitete. Inzwischen verriet Henley in der Kabine plötzlich eine Einstellung zu ihrem Abenteuer, über die er sich sogar selber wunderte. »Also wenn wir nur ein bißchen geduldiger und höflicher gewesen wären, hätten wir den Kerl vielleicht wieder zahm gekriegt«, verkündete er lautstark, um den Lärm der langsam rotierenden Motoren zu übertönen. »Es ist ein schwaches Bild, daß wir uns jetzt einfach so davonmachen. Denken Sie doch nur, was ich alles aufgebe. Eine einmalige Chance zu unge-
heuren Geschäften auf absolutem Neuland und ganz und gar unvergleichliche Produktionsmittel.« »Ach, Dad, sei doch zufrieden, daß du so etwas Großartiges erlebt hast – eine Reise, auf der du soviel gelernt hast und die so interessant war, hättest du für eine Million Dollars nicht buchen können.« »Aber wer wird mir ein Wort davon glauben?« fuhr Henley gramvoll fort. »Sie werden glauben, wir hätten alle einen Sonnenstich gehabt. Starten wir jetzt?« Osgood ließ gerade den ersten Motor auf Hochtouren laufen und testete dann, nach einer kleinen Pause, den zweiten. Als alles bereit war, warf er einen Blick aus dem Seitenfenster. »He! Da sind sie!« rief er. »Die ganze Reiterei kommt! Schnallen Sie sich an, ich starte.« »Wir hätten diesen ganzen Unfug verschieben – dieser Khalid mit seinen Rauchwolken! – und uns statt dessen mit Harun arrangieren sollen«, erklärte Henley mürrisch. »Mit meiner Pistole hätten wir ihn zwingen können, sich anständig zu benehmen, und mein Teppich würde –« Er sprang vom Sitz auf und erstarrte zur Salzsäule. »Beim Barte des Propheten!« röhrte er. »Ich habe ihn vergessen!«
Noch ehe ihn jemand daran hindern konnte, hatte er die Tür aufgerissen und war aus der Maschine gesprungen. Ohne zu zögern, rannte er auf den grünen Teppich zu, der noch an der Stelle lag, an der er sie abgesetzt hatte. Im selben Augenblick ließ Osgood, der sich allein auf seinen Start konzentriert und diese neue Entwicklung darum gar nicht mitbekommen hatte, die Motoren voll aufdrehen, und das Flugzeug löste sich nach kurzer Zeit von dem klebrigen, sandigen Untergrund und bewegte sich gehorsam vorwärts. Als Henley den Teppich erreichte, begannen die Motoren gerade auf Touren zu kommen. Hals über Kopf schnappte er das kostbare Gewebe und rannte zurück, ohne auf seine Umgebung zu achten. Aus dem Augenwinkel sah er die erste Welle der Reiterei des Kalifen heranfluten. In wilden Sprüngen hastete er zurück und erkannte plötzlich Joyces erschrecktes Gesicht an einem der Fenster. Dann beschleunigte das Flugzeug und ließ ihn schnell hinter sich. Sekundenlang keuchte er in aussichtsloser Jagd hinterdrein, blieb dann stehen und starrte mit einer Mischung aus Bestürzung und Empörung auf den letzten Rest, der von der Maschine, die gerade in den von ihr aufgewirbelten Staubwolken verschwand, noch zu sehen
war. Plötzlich fühlte er instinktiv, daß er in Gefahr war, fuhr herum und bemerkte, in vollem Galopp auf ihn zusprengend und keine hundert Meter mehr entfernt, die Lanzenreiter des Kalifen in ihren Kettenpanzern. Einen halben Herzschlag lang glotzte er, vor Entsetzen versteinert, die heranbrausende Horde an. Dann stieß er einen unartikulierten Schrei aus, schleuderte den Teppich auf die Erde und sprang darauf. »Bring mich ins Flugzeug, aber um Gotteswillen schnell!« japste er und spürte mit überwältigender Erleichterung, wie der willkommene Nebel ihn einhüllte. Das Bild der galoppierenden Reiter mit ihren todbringend gesenkten Lanzen verschwand vor seinen Augen, und gleich darauf stand er mit wankenden Knien in dem dahinsausenden Flugzeug. Wenige Schritte weiter spähten Joyce und Bazzazin noch aus dem Fenster und versuchten herauszufinden, was aus ihm geworden war. Obwohl die letzten Ereignisse für Henley eine kleine Ewigkeit gedauert hatten, waren sie an den anderen vorbeigehuscht wie ein wahnwitzig beschleunigter Kinofilm. Kaum hatte der Sog des Propellers die Flugzeugtüren geschlossen, als Joyce und Abdul ans Fenster gesprungen waren und beobachtet hatten, wie Henley
aufhörte zu rennen und auf dem Absatz kehrt machte, um, eine einsame und verzweifelte Gestalt, den herannahenden Lanzenreitern entgegenzutreten. Dann hatten die Staubwolken ihn verhüllt. Als er gleich darauf zwischen ihnen am Fenster auftauchte, war das der letzte Schock eines an Schrecken nicht armen Tages. In der kurzen Zeit von Henleys Abwesenheit hatte das Flugzeug beschleunigt, und das vibrierende Rollen war zu einer Reihe probeweiser Hüpfer geworden. Noch einmal stieß das Fahrgestell gegen eine Bodenunebenheit, dann fanden die Schwingen ihr Element und der große Vogel glitt sanft nach oben in die Luft. Er überquerte den Tigris in geringer Höhe und schraubte sich dann über der Runden Stadt in einer langsamen Schleife aufwärts. Das Paradefeld des Kalifen war von Reitern übersät, die ihre Gesichter zum Himmel gewandt hatten und der Beute nachschauten, die ihnen dort entkam. Jetzt konnten die Reisenden in Ruhe die große Hauptstadt betrachten, die sich unter ihnen ausbreitete. Fast genau in der Mitte eines etwa fünf Meilen großen Kreises voller flacher Häuser mit viereckigen Dächern lag die Runde Stadt mit einem Durchmesser von zwei Meilen und ihren regelmäßig angeordneten öffentlichen Gebäuden sowie den vier breiten Straßen,
die wie die Speichen eines Rades durch die Tore in den Mauern nach außen führten und dann das Gewirr von Behausungen kreuz und quer durchzogen – bis hin zu den grünen Vororten und noch weiter hinaus. Sie wendeten sich westwärts. Osgood sah, wie sich mitten im Dunst eine merkwürdige Rauchsäule bildete, trichterförmig und dick, die hoch über der braunen Fläche der fernen Wüste stand und langsam ihre Flugbahn kreuzte, eine einsame, geheimnisvolle Erscheinung. Osgood empfand instinktiv, daß Khalid die Wahrheit gesprochen hatte. Er ließ das willige Flugzeug auf ein-, dann zwei- und schließlich dreitausend Fuß Höhe steigen, aber immer noch bewegte sich der Sandteufel vor ihm her. Er zog eine große, nach oben gerichtete Schleife und folgte der Route des Gebildes. Das ist kein ziellos wandernder Wirbelsturm, dachte er bei sich, sondern ein sinnvoll handelndes Geschöpf des Jan ibn Jan. Fasziniert beobachtete er die Rauchsäule, bis er mit einem Prickeln der Erregung feststellte, daß der Abstand sich verringerte und der Rauch sich nach außen zu wölben begann, als forme er eine ungeheure, umgekehrte Pyramide. Im Augenwinkel begegnete er Mannerings bedenklichem Blick. »Khalids himmlischer Hangar!« rief Osgood,
während der bräunlich-schwarze Nebel auf sie zuquoll. Gleich darauf breiteten sich auf beiden Seiten mächtig wogende Arme aus und hüllten sie ein. Mit gemischten Gefühlen vernahm Osgood, wie seine Motoren verstummten. Er brachte die Maschine in einen Gleitflug. Wenig später begriff er, daß es in dieser wirbelnden Wolke keinen Sand gab, sondern nichts als Schwärze und einen stechenden Geruch. Wonach roch es nur? Nachdenklich zog er die Stirn in Falten. Irgend etwas, das er kannte. Guter Gott! So hatten auch Hans und das Ungeheuer Li Changs gerochen – nach den Dämpfen über dem Gipfel des Vesuvs! Als hätte diese Erinnerung ein Signal ausgelöst, merkte er gleich darauf, wie er wieder in den schläfrigen, halbwachen Zustand verfiel, in dem er sich befunden hatte, als der erste Sandteufel auftauchte. Wieder spürte er das lange, bebende Dahingleiten und den Druck, der damit verbunden war, und hatte das Gefühl, als verrinne sein Leben in einem Alptraum brutaler, niemals endender Ohnmächtigkeit; dann eine zeitlose, schimmernde Leere; dann die Entlassung in eine tiefe Finsternis, der eine sanfte, gelbe Flut folgte, die von unten zu ihm hinaufwogte; und plötzlich waren sie wieder frei und hatten das Wesen Hunderte von Metern hinter sich gelassen. Osgoods
Herz hämmerte und er holte tief und angestrengt Atem, um seine Lungen mit Luft zu füllen. Dann schaute er auf die Uhr. Sie zeigte knapp vier Uhr fünfzehn. In seinem Kopf sah es wüst aus. Er zwang sich, nach unten zu blicken. Dort unten lag Bagdad, das Bagdad seiner Zeit! Da waren der Tigris und seine Brücken, die Ansammlung von Gebäuden am Ostufer, die gerade Linie der Neuen Straße, der Bahnhof und gleich daneben der Flugplatz. Das Bagdad seiner Zeit, nicht von Meilen fruchtbaren Grüns umgeben, sondern von der eifersüchtigen braunen Wüste; Bagdad, die Hauptstadt eines blühenden, neuen Staates, und doch nur ein Dorf, verglichen mit dem Bagdad von vor wenigen Sekunden – oder waren es tausend Jahre gewesen? Das Flugzeug begann zu sinken, aber die Motoren liefen noch, wenn auch gedrosselt. Er brachte sie auf Touren und das gewohnte Brüllen setzte ein, die Propeller zerfetzten die Luft, und gehorsam richtete die Maschine sich gerade. Erleichterung erfüllte Osgood. Sie waren in Sicherheit. Das aufregende Abenteuer war vorbei. In plötzlicher Sorge verrenkte er den Kopf und schaute nach hinten in die Kabine. Ja, sie waren alle da. Henley starrte ihn eindringlich an, Abdul
spähte durch ein Seitenfenster nach draußen, Joyce betrachtete ihn mit ihrem freundlichen Lächeln. Er blickte sie alle nacheinander an, und in seinem Kopfe jagten sich die merkwürdigsten Gedanken und Mutmaßungen. Aber in ihren Gesichtern war nichts zu lesen. Er widmete sich wieder seinen Pilotenpflichten, doch sein Herz war noch so voll von den Gefahren, die sie eben erst überstanden hatten, daß er sich nicht gleich wieder auf den gewöhnlichen Gang der Dinge einstellen konnte. Der Tod Li Changs, Khalids selbstverständliche Magie, das Entkommen um Haaresbreite auf Salomos Teppich. Was war davon wirklich geschehen? Waren diese Dinge überhaupt passiert? Oder hatte er alles nur geträumt? Waren diese lebendigen Szenen, Ereignisse und Personen nur Traumbilder einer sekundenlangen Ohnmacht, die ihn im Sandsturm befallen hatte? Oder war es wirklich ihr Schicksal gewesen, sich mit dem Rad der Zeit hin- und herzudrehen? Eine Weile flog er ziellos weiter, in seine Gedanken versunken. Lange freilich konnte er sich solche Geistesabwesenheit nicht erlauben, denn ein munterer Rippenstoß Mannerings brachte ihn ruckartig in die Gegenwart zurück. »Sie haben Landeerlaubnis gegeben – nimm die West-Ost-Bahn!« rief er.
Langsam begann Osgood mit dem Abstieg zum Flugplatz.