Das Sonnenreich der Zukunft von Axel Nord
Man durfte nicht daran denken … Man durfte nicht daran denken, daß man auf d...
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Das Sonnenreich der Zukunft von Axel Nord
Man durfte nicht daran denken … Man durfte nicht daran denken, daß man auf dem Liegepolster in einer engen schlauchartigen Raumschiffskabine lag, daß man von flammenden Heckdüsen durch das Weltall getragen wurde – einem fernen Planeten entgegen – – Birger Reinegger preßte die Lippen zusammen, daß sie schmerzten. Das tat gut. Warum grübelte er nur? Um ihn sangen die anderen, die mit ihm die Kabine 2 teilten, sie sangen ein Lied, das einer gedichtet hatte, der schon vor ihnen mit diesem Raumschiff ausgewandert war. „… . die Sonne ist überall, und überall schlagen die Herzen …“ Sie waren unterwegs. Nichts konnte sie mehr aufhalten. Das Sonnenreich wartete auf sie. „… die Sonnenmenschen überwinden Zeit und Raum, sie werden dem Ursprung der Dinge näher kommen …“ Birger Reinegger ruckte hoch und starrte auf den, der links neben ihm lag. Es war Shimura, der stille Grübler aus dem Land der aufgehenden Sonne. Er sprach die Worte leise vor sich hin Wie ein Gebet. Shimura hielt die Augen geschlossen, die schmal und schräg neben der breiten Nase lagen. Shimura – geheimnisvoller Mann – Er trug wie sie alle den gelben Raumanzug mit dem flammenden roten Halbkreis auf der Brust, und eine Nummer: 987. Sonnenmensch Nr. 987. 3
„He, Shimura!“ stieß Birger Reinegger halblaut und auf englisch hervor. „Was sagst du da?“ Die Augen des Asiaten öffneten sich kaum, und doch nahm Shimura ihn wahr. Um den häßlichen Mund war es wie ein verstecktes Lachen … „Verzeih mir, mein Gefährte, daß ich mich vergaß! Ich wollte nur über den Weg nachdenken, der vor uns liegt – aber der Mund formt oft, was er verschweigen soll.“ Das Raumschiff raste mit höchster Eigengeschwindigkeit dahin. „Wie meinst du das? Ich verstehe dich nicht!“ „Du hast dich doch in den Sonnenreichbund aufnehmen lassen“, sagte der große Mund, hinter dem Birger Reinegger Zähne wußte, die noch häßlicher waren. „Hast du dich denn nie mit den Erkenntnissen des Bundes befaßt, mit seiner geistigen Ausrichtung?“ „Nee!“ machte Birger und grinste, aber er tat es nur, um zu verbergen, daß er sich doch etwas vor dem Asiaten schämte. Die buntbebilderten umfangreichen Schriften, die er aus Kopenhagen und New York erhalten hatte, lagen irgendwo in seinem Gepäck. Als er sah, daß sich Shimuras Augen wieder ganz schlossen und sein Gesicht noch gelber wurde, fügte er rasch hinzu: „Ich meine, ich habe mich natürlich nicht so intensiv damit befaßt – nicht so wie du …“ In den roten Röhren der Luftverteiler, die um die Kabine liefen, knackte es, und eine Automatenstimme kam aus einem Lautsprecher. Sie sollten das Singen einstellen – die Luftverteilung mußte neu reguliert werden. Die anderen hörten auf zu singen. Hastig und unvermittelt, als hätten sie etwas Unrechtes getan. Birger Reinegger setzte sich jetzt ganz auf und stellte sich dann vorsichtig auf die Füße. 4
Seine Hände hielten sich in den Gurten, daß sie sich weißhäutig verkrampften, und einige Herzschläge lang mußte er sich wieder gegen das infame Gefühl wehren, in eine abgrundtiefe Finsternis zu fallen. Das ging ihnen allen so, wenn sie von den Polstern hochkamen. Das Raumschiff schien sie in eine Unendlichkeit zu reißen – Birger Reinegger atmete tief die harte, klare Luft ein, die in den Heckräumen erzeugt wurde. „Ich muß hier raus!“ keuchte er. „Kommst du mit, Shimura?“ „Ich möchte mich lieber von meiner Seele in die Zukunft führen lassen“, lächelte der Asiate. Birger Reinegger antwortete nicht – er wußte nicht, was er sagen sollte. Durch die Kojenreihen hindurch schritt er schwerfällig auf die schmale Hermetiktür zu. Sie sangen nicht mehr, sie beobachteten schweigend seine Bewegungen oder sahen an ihm vorbei auf eine kleine sichelförmige Scheibe in der Decke, hinter der es rot aufflammte. Das waren die Heckdüsen, die sie vorwärtswarfen … Das Raumschiff hatte keinen Namen. Es war auch nicht beim zuständigen Weltamt in Tanger gemeldet, und die internationalen Behörden wußten nicht, daß es unterwegs war zu einem der Nachbarplaneten … „… die Sonne ist überall und überall schlagen die Herzen …“ Doch in diesen Minuten, da Birger Reinegger hinter sich die Hermetiktür wieder vor die Öffnung gleiten ließ und auf den Mittschiffsgang hinaustrat, sah man sie – * In einem Patrouillenschiff der „Internationalen WeltraumKontrolle“, das die „Innere Planeten-Route IV“ ansteuerte, um hier ein anderes abzulösen, reckte sich plötzlich der Mann neben 5
dem Pilotensitz und stellte an dem elektrischen Gerät, das er vor sich hielt. Angespannt blickte er hinein. Der Pilot schielte flüchtig zu ihm hin und sah, daß er hastig sein Mikrofon vor den Mund nahm. „Seidler! In 27 ist was! Ich kann nicht erkennen, aber es scheint ein Raumer zu sein! Nicht gemeldet? Ja – 27, Strich 18 bis hart an 36! Ich komme mal nach achtern …!“ Er gab dem hochentwickelten EO-Gerät einen Schubs, daß es sich dem Piloten zudrehte und sprang vom Sitz. „Paß mal ’n bißchen auf, Floby! Da geistert so ein Waldheini durchs Gestrüpp, der sich nicht gemeldet zu haben scheint …“ Dann rannte er los. Im Kontrollraum, der weit nach achtern lag, beugten sie sich bereits über den großen waagerechten Radarschirm. Fünf Mann. Einer gab laut etwas an den Bordfunker weiter, der an der Längswand breit und massig hinter seinen Apparaten saß. Auf einem Bildschirm erschien das hagere Gesicht des Kapitäns, der sich erkundigte, was los war. „Na?“ drängte der, der eben eintrat. „Der ist weit weg! Wir können ihn nur mit Verstärker einfangen! Aber Jenkins ruft ihn an!“ Der von vorn sah auf den Radarkreis. Im äußersten Ring geisterte ein winziges längliches Gebilde, so schemenhaft, daß man gleich sah, es war nur mit Verstärker heranzuholen. Der Bordfunker peilte und schickte unaufhörlich sein: „Achtung! Achtung! Was für ein Schiff?“ in die Sternenräume hinaus. Von Planquadrat 27, Strich 18 bis hart an 36 her kam keine Antwort. „Der Kasten hat mächtig Druck drauf!“ sagte einer und wies auf die Geschwindigkeitswerte, die ein kleines Robotergehirn am Radartisch errechnete. „Er rennt raus …“ „Wahrscheinlich zum Mars“, vermutete ein anderer. „Er 6
kann noch mit ihm zusammentreffen, wenn er diesen Ritt beibehält! Komischer Knabe!“ Sie blickten auf den breiten Rücken des Funkers. „Will er nicht, Jenkins?“ „Keine Antwort ist auch ’ne Antwort“, murrte der Funker. „Er hört uns bestimmt.“ „Dann schlag mal ’n bißchen Lärm!“ * Birger Reinegger trat auf den Mittschiffsgang. In seinen Ohren dröhnte noch immer der inbrünstige Gesang vom Sonnenreich, so schrill und verzerrt, wie es sich in der engen Kabine angehört hatte. Hier draußen war es ruhig. Nur die Röhren der Luftverteilung sangen leise und monoton. Birger Reinegger stampfte schwer und langsam über den blauen Plattenboden des engen Mittschiffsganges. Hinter den ebenfalls blauen Kabinenwänden wußte er die 35 Angehörigen dieses Transportes. Nach einigen Metern buchtete der Gang zum Vorraum der Luftschleuse hinaus und gab eine ovale Sichtscheibe in der Außenwand frei. Hier stand Birger gern und ließ das unbegreifliche Wunder auf sich wirken, auf Riesenflammen durch das Weltall getragen zu werden … Heute war der Platz besetzt. Eine Gestalt stand dort, die ebenso wie er den gelben Raumanzug des Sonnenreiches trug, aber erstaunlich schlank und zierlich darin aussah. Birger Reinegger trat näher heran und sagte nur „Hallo!“ „Hallo“, antwortete die Gestalt, ohne sich zu rühren – es war klar, daß es sich um eine Frau handelte. Birger Reinegger fand das immerhin beachtenswert, denn von den 35 Sonnenmenschen, die auswanderten, gehörten zehn 7
dem weiblichen Geschlecht an. Sie waren für sich in einer Kabine untergebracht, und es sollte erst in einigen Tagen zu einer ersten geselligen Zusammenkunft kommen. „Philosophieren Sie auch?“ grinste Birger Reinegger wohlwollend und stellte sich neben sie. Sein Blick traf ihr Gesicht und blieb darauf ruhen. Es lohnte sich, sie anzusehen, und Birger fragte sich unwillkürlich, was so ein nettes, hübsches Mädel hier in einem Raumschiff zu suchen hatte. Sie antwortete nicht. „In dieser Richtung ungefähr muß die Erde liegen“, fuhr er fort und hob die ausgestreckte Hand neben ihr Gesicht „Wir können sie von hier aus nur nicht sehen.“ „Das brauchen Sie mir nicht zu sagen!“ Sie antwortete auf englisch, aber sicher war es nicht ihre Muttersprache. Sie sagte es so heftig, daß er bestürzt die Hand wieder sinken ließ. Es hörte sich an, als müßte sie ein Schluchzen unterdrücken, aber dann war sie plötzlich ganz anders – sie wandte sich ihm zu und lächelte – „Die Erde liegt nun hinter uns! Ich freue mich auf das, was kommt!“ „Das Sonnenreich“, nickte er. „Hoffentlich läßt es sich dort leben!“ „Ich komme aus einer Familie, die nichts kennt als ihre Besitztümer“, sagte sie zutraulich und so, als könnte sie nun nach langer schwerer Zeit bald aufatmen. „Sie können sich nicht vorstellen, wie wunderbar es für mich ist, in eine Welt zu kommen, in der es keinen Zank und keinen Egoismus mehr geben wird …“ „… geben soll …“, entfuhr es ihm. Wahrscheinlich hätte er das nicht sagen dürfen. Sie zuckte zusammen, und er nahm rasch ihren Arm. „Seien Sie mir bitte nicht böse, aber ich habe auch allerhand durchmachen müssen – übrigens, ich heiße Birger Reinegger und stamme aus Norwegen.“ „Ich bin Lily Ullrich.“ 8
„Deutsche?“ „Ja! Aber wie meinten Sie das eben?“ Sie wandte sich ihm nun ganz zu. „Sie dürfen so etwas nicht sagen! Haben Sie denn nicht gelesen, was in den Schriften des Sonnenreichbundes steht?“ Schon wieder fragte ihn jemand so etwas! Birger Reinegger wurde nun doch etwas verlegen. „Doch, aber nur flüchtig! Sehen Sie, ich bin ein scheußlich nüchterner Bursche! Ich sehe mir lieber einen Boxkampf an, als daß ich philosophische Abhandlungen verdaue …“ „Aber wie sind Sie dann zum Sonnenreichbund gestoßen?“ warf sie zögernd ein. Er spürte, daß sie ihn prüfen wollte, aber es ärgerte ihn nicht. „Ich hatte die Erde ziemlich satt! Aus betrüblichen Gründen! Das können Sie mir glauben, ohne gleich anzunehmen, ich wäre von einem Zuchthaus zum anderen marschiert! Na ja, und dann las ich die Anzeigen des Sonnenreichbundes und hörte, daß man auf einem anderen Planeten versuchen wollte, ein neues Gemeinschaftsleben zu formen! Warum sollte ich nicht mitmachen? Mal sehen, wie es wird …“ Ihre Augen leuchteten auf – ganz tief aus ihrer Seele kam dieses Leuchten – „Ich glaube, es wird wunderbar!“ * Die Augen des Mädchens Lily leuchteten noch lange – Sie fand es im stillen auch wunderbar, daß sie hier einen wie Birger Reinegger traf. Sie ahnten beide nicht, daß zehn Meter vor ihnen die Verantwortlichen des Sonnenreichbundes in der Bugkanzel saßen und angespannt hörten, wie ein fernes IWK-Raumschiff sie anrief. Sie blieben stur – sie wollten nicht antworten – 9
Die IWK suchte vergeblich. Es war im Grunde genommen eine reine Routineangelegenheit, da man ja nichts wußte, als daß eben ein unbekanntes Raumschiff im Planquadrat 27 des XXI. Kontrollsektors der Erde gesichtet worden und dann verschwunden war. Nach zwanzig Tagen wurde in Tanger vermerkt: „Die Suche verlief ergebnislos und wurde eingestellt.“ Nach weiteren neun Tagen aber landete das Raumschiff auf dem Mars, ohne daß die Raumüberwachung dieses Planeten es wahrgenommen hatte. Kontinentweit vom Sitz der irdischen Marsverwaltung entfernt kam es herab. Birger Reinegger und 34 andere hatten wieder festen Boden unter den Füßen. Kalt war der Schein der Sonne, die am frostblauen Himmel wie ein fahles Gespenst hing. Gelbe Kettenfahrzeuge mit den flammenden Abzeichen des Sonnenreiches holten sie ab. Birger hielt sich neben Lily Ullrich. Es war ihm, als werde er sie noch beschützen müssen. * „Hallo, Perseiden!“ Ark Perseiden stand im Kommandosaal der Luftstreitkräfte. Die Marsnacht brach gerade an. Der Tamman rief, der große scheue Vogel. Das Sternenfirmament wurde beherrscht von einem großen Doppelstern. Sie wußten, daß es die Erde mit ihrem Mond war. Ark Perseiden trug die Doppelringe des Oberleutnants an seinem blauen Pelzanzug. Er hielt die Verbindung zu der Staffel Schneider aufrecht, die auf dem Flug in Gebiete war, die jenseits der großen Wüste „der verlorenen Traurigkeit“ lagen. Das war so, als wenn einer von Hamburg aus nach Südafrika fliegen sollte. 10
Neben Perseiden waren Schritte. Er legte aber die Finger auf den Mund. Gleichzeitig flammten vor den Sitzen der diensttuenden Funker rote Signallampen auf. Die halblauten Gespräche verstummten sofort. Staffel Schneider rief die Zentrale. „Perseiden! Ich höre!“ Die Stimme kam von weit her. Sie war erregt, obwohl sie hart und klar klang. „Perseiden! Du kannst schon den Chef von seinem Schachbrett holen! Fünfhundert Meter unter uns bewegt sich was, und es sieht ganz danach aus, als wenn es sich um Menschen handelt!“ „Um Menschen?“ schnappte der Oberleutnant wütend. „Wenn ich es dir sage! Sie sitzen in drei Kettenwagen und fahren nebeneinander über den Moosboden, der unter uns ist! In gelben Kettenwagen! Das Land steigt an, und weit vor uns scheint so etwas wie ein Wald zu kommen.“ Die Stimme wurde auf der Membrane verzerrt und so schrill und laut durch den Kommandosaal geworfen, daß einige von ihren Plätzen hochkamen und sich um Perseiden gruppierten. Der Oberleutnant sah aus, als wollte er gleich umfallen. „Weißt du, was das bedeutet, Schneider?“ „Natürlich weiß ich das, verdammt noch mal! Die sind nicht von uns! Gelbe Kettenwagen haben wir nicht! Das sind Fremde, die von irgendwoher …“ „Position!“ stoppte Perseiden den Redestrom des Aufgeregten. Er war wieder ganz ruhig, so ruhig, daß die anderen ihn scheu ansahen. „Position! Aber genau! Wir kommen!“ „Wir stehen 2 956 Meilen hinter dem weißen Strich …“ *
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Vor ihnen stieg das Land an. Marsland. Fremdes Land. Kalt, klar, in einen Schein gebadet, der war, wie die Spätnachmittagssonne im Erdenwinter. Birger Reinegger beugte sich etwas vor. Sein Herz trommelte, und er zwang sich, die Erschütterung zu überwinden, die ihn erfaßt hatte und die eine verdammte Traurigkeit in ihm aufsteigen ließ. Sie trugen leichte Atemmasken, die die Gesichtsmitte bedeckten – sie sollten sie solange tragen, bis sie sich an die Marsluft gewöhnt hatten. Das war es nicht, was das Herz trommeln ließ. Nur – wenn er auf das Land sah, das vor ihnen war, das in einem seltsam streifigen und schattierungsreichen Grün von der Höhe herabkam – Sein Blick riß sich von dem los, was unwillkürlich und fremd heranglitt – Vor ihnen, neben dem Fahrer, hockte ein Sonnenmensch, der die drei Pfeile der Führer des Bundes trug. Joshua Wax hieß er, und er war sicher einer der Sanftmütigsten. In Brooklyn sollte er Prediger der „Fröhlichen Heerscharen“ gewesen sein, flüsterten sie sich neben Birger Reinegger zu. Er hatte ein volles blasses Gesicht, und es war verständlich, daß sie gleich alle Vertrauen zu ihm hatten, als er sie vom Raumschiff abholte. Auch Birger war er nicht unsympathisch … Wenn alle so waren wie er, schien der Sonnenreichbund doch eine gute Sache zu sein. Nach einigen weiteren Meilen aber fielen Schatten auf Joshuas Antlitz. Immer unruhiger rutschte er neben dem Fahrer hin und her. Birger Reinegger, der Lily Ullrich gegenübersaß, die ihn anscheinend nicht ansehen wollte und rührend vertrauensselig das Lied des Bundes vor sich hinsummte, bemerkte es – und dann sah er es auch – 12
Über ihnen kreisten doppelrümpfige Flugmaschinen. Birger fand das immerhin so erstaunlich, daß er sich erhob und Joshua Wax auf die Schulter klopfte. „He, Wax! Haben wir eigene Luftstreitkräfte?“ Joshua Wax hielt bereits ein Mikrofon vor den Mund, in das er aufgeregt Worte rief, die sie nicht verstanden. Er schien sich gar nicht wohl zu fühlen. Sie sahen alle nach oben. Die Kettenwagen erhöhten ihre Geschwindigkeit. In diesem Augenblick sprang im Nebenwagen ein junges Mädchen auf und zeigte mit beiden Armen auf ein großes schwarzes Kettenfahrzeug, das sie noch nicht bemerkt hatten. Wahrscheinlich war es aus dem Buschwald gekommen. Unter der tiefstehenden Sonne raste es heran und stoppte plötzlich – Schwarzuniformierte Gestalten sprangen heraus. * Ark Perseiden war unterwegs. Neben ihm stürmten noch drei rassige Strahlvögel durch die dünne Marsluft. Sie flogen der Sonne nach, und nach einigen hundert Meilen fing es an, heller zu werden. Unaufhörlich sprach Perseiden mit Schneider, der mit seiner Staffel über der geheimnisvollen Wagenkolonne verhielt. Was Schneider ihm berichtete, war geradezu ungeheuerlich. „… im Wagen singen sie, wir haben unser T-Mikrofon darauf eingestellt – willst du mal hören –?“ Fetzen waren es, was kam. Lautfetzen. Aber es war wie der inbrünstige Gesang mittelalterlicher Pilger. Gesungenes Gebet! Dann war nichts mehr. „Hast du es gehört, Perseiden?“ „Verdammt!“ stieß der Oberleutnant hervor. „Natürlich!“ „Ich weiß nicht, ob es nicht Sektierer sind! Soll ich runter?“ Ark Perseiden blickte böse auf eine Wolkenwand, die wie 13
ein leuchtender Schneeberg vor ihnen auftauchte und durch die sie hindurch mußten. Seine linke Hand lag um die G-Tastatur, als fresse die Kiste noch nicht Meilen genug. „Geh nicht runter. Schneider! Ich will dabei sein!“ Der Ehrgeiz packte den Oberleutnant. Er wollte mit Schneider gemeinsam auf die Leute zugehen. Mit Schneider! Aber er wollte dabeisein! Perseiden sah bereits, daß der irdischen Marsverwaltung und wahrscheinlich nicht nur ihr eine Sensation ersten Ranges bevorstand. Er konnte nicht einmal lachen, so ergriffen ihn die gesungenen Worte. Waren es Menschen, die glaubten, Gott auf diesem Planeten näher zu sein? „Sie halten auf den Wald zu, der vor uns kommt“, berichtete der Staffelführer weiter. „Das ist ein Wald aus riesigen Gebüschen, weißt du? So etwas habe ich noch nicht gesehen! Überhaupt – es wird hier wärmer –“ Perseiden gab einen Befehl an seine Männer durch. Sie durchbrachen mit irrsinnigem Pfeifen die Wolkenwand. Sie waren noch nicht ganz hindurch, als etwas Entsetzliches geschah. Perseiden hörte Schneider laut etwas ausrufen, dann noch einmal, und dann verstand er es endlich. „Perseiden! Da unten ist noch was! Verflucht, da stimmt was nicht! Jetzt schießen sie schon – auf uns – auf – uns –“ Perseidens Hände wurden eiskalt. Aus dem Sprechgerät dröhnte ein widerwärtiges Zischen auf, das in einem gewaltigen Aufdonnern erstarb. Schneider meldete sich nicht wieder. * Das Moosland brannte – Der Mann, der eine Viertelstunde später in federnden Sätzen in die Wildnis einbrach, die sich mit hochaufwogenden rotblätt14
rigen Büschen meilenbreit über die Hügel zog, blutete. Er blutete aus einer klaffenden Stirnwunde – Aber er gab nicht auf. „Sie sind hinter mir her“, keuchte er, „sie sind hinter mir her!“ Aus einer Seitentasche seines gelben Raumanzuges zog er ein Haumesser, mit dem er verzweifelt eine Gasse vor sich hertrieb. Das Moosland brannte … An drei Punkten, die nicht weit voneinander entfernt waren, schossen blaue Flammen hoch. Der Mann keuchte. In das Keuchen hinein hallte von der Ebene her ein Schrei. So schrie einer, wenn er sterben mußte. Der Mann aber wollte nicht sterben. Das Haumesser hieb und hieb. Er wollte nicht aufgeben. Aus den Büschen fielen Insektenwolken auf ihn herab. Er kam nicht dazu, seinen Kopf zu schützen. Vor seinen Augen sang das Haumesser hin und her. Endlich stieß die Gasse auf einen schmalen Wasserzug. Der Mann stürzte sich hinein … * Die Flammen wurden kleiner. Die Feuer brannten, bis die Sonne über dem wogenden Buschwald stand. Drei Stunden dauerte es nach der Zeiteinteilung der Erdenmenschen. Dann tauchten am glasigen Himmel Perseidens Maschinen auf. Sie kurvten und kamen herab. Perseiden sah schon, daß es hier nichts mehr zu retten gab. In den Flammen, die sich breiter legten und kleiner wurden, waren die Maschinen der Staffel Schneider verkohlt – Was sich ihren Augen bot, sah so trostlos aus, daß Perseiden heftig schlucken mußte: hier, einige tausend Meilen von der Zentrale entfernt, war gekämpft worden. Ark Perseiden strich wenige Meter hoch über das weite 15
moosgrüne Gelände vor den nahen Hügeln hin und her. In den Trümmern der verkohlten Maschinen sahen sie das, was von Schneider und seinen Leuten übriggeblieben war – es war nicht viel – Aus der Niederung kam ein trockener Wind heran, der scharf war und eisig. Er seufzte in den rotblätterigen Riesenbüschen des schwarzen Waldes, daß es unheimlich durch die schaurige Verlorenheit drang. Verdammt! Ark Perseiden sah die Spuren, die Ketten in den weichen Boden geschnitten hatten. Sie kamen vom Norden her und führten die Höhe hinauf, aber anscheinend am Wald vorbei, der nach einigen Meilen zu enden schien. Man mußte dieser Spur nachgehen. „Verdammtes Gewinsel!“ murrte der Oberleutnant und meinte den Wind, den kalten, unguten – Wolken zogen gelbstreifig am verschwimmenden Himmel auf und schlichen wie Geister auf die Sonne zu. Perseiden setzte seine Kiste auf. Er zögerte einen Augenblick, seufzte, sprang dann aber doch hinaus. Ein unbestimmtes Schuldgefühl wurde in ihm wach. Vielleicht wäre es besser gewesen, er hätte Schneider Verbindung zu diesen singenden Pilgern aufnehmen lassen. Vielleicht. Nun lag der arme Teufel halbverkohlt in den Trümmern … Die Wolken erreichten die Sonnenscheibe und schluckten sie weg – sie dämpften den kalten Schein und verfärbten ihn – es wurde dämmeriger – Ark Perseidens Männer schwärmten bereits nach allen Richtungen aus. Sie waren die ersten vom S.A.T., die in diesem unerforschten Landstrich und mit schußbereiten Strahlenwaffen losmarschierten. Perseiden selber machte sich daran, das Gebiet, in dem gekämpft worden war, zu untersuchen. Wer hatte hier gekämpft? Die Sektierer oder eine dritte Gruppe? Der Bo16
den war aufgewühlt, und irgendwo schwamm Blut in einer Vertiefung. Das konnte nicht von Schneiders Leuten stammen! Nach einigen Minuten sah Perseiden, wie einer seiner Männer stehenblieb und ihm winkte. Er rannte hin. Der Mann zeigte auf einen, der vor ihm auf dem Rücken lag und in der Rechten eine zerbrochene Metallstange trug. Er hatte einen gelben Raumanzug an – er war ohne Bewußtsein – Aber er lebte wenigstens. „Schafft ihn zur Zentrale hin“, sagte Perseiden kurz. „Los!“ * Sie flogen ihn zur Zentrale. Dr. Hegemann, der Chef der irdischen Verwaltung auf dem roten Planeten ging hinüber in den Flügel des Sicherheitsdienstes – Sektion Mars – um sich den seltenen Vogel anzusehen. In den Gebäuden des Verwaltungskomplexes, die auf einem künstlichen Plateau am Rande des Mare Cimmerium lagen, war in diesen Stunden allerhand los. Schneiders Entdeckung löste einen Wirbel aus, der noch zum Orkan werden sollte … Dr. Hegemann stellte sich so, daß er den Fremden unauffällig beobachten konnte, der vor drei Vernehmungsoffizieren saß und mißmutig vor sich hinstarrte. Er nahm aber die Zigarette, die einer ihm anbot und trank auch von dem frischen Wasser, das vor ihm stand. Ein Captain führte die Vernehmung – höflich und korrekt – „Ihr Name bitte?“ „Birger Reinegger.“ „Wie kommen Sie zum Mars?“ „Mit einem Raumschiff.“ Der Captain lächelte. „Das ist anzunehmen, Mister Reinegger! Mich interessiert aber – mit welchem Raumschiff?“ 17
„Das Schiff hat keinen Namen.“ „Aber es wird einen Eigner haben – eine Person oder eine Organisation, Mister Reinegger! Wollen Sie mir den bitte nennen?“ „Das Schiff gehört dem Sonnenreichbund!“ „Dem – ahem – dem – Sonnenreichbund?“ „Ich sagte es.“ „Von einem Sonnenreichbund habe ich nie gehört! Ich sehe, Sie tragen einen gelben Raumanzug mit der Nummer 943! Was bedeutet das?“ „Ich bin der Bürger Nr. 943 des Sonnenreiches!“ sagte Birger Reinegger widerwillig aus, und weil er wußte, daß sie jetzt grinsen und lachen und ihn für verrückt erklären würden, langte er blitzschnell in die Tasche und holte ein Zeitungsblatt heraus, das er dem Captain reichte. Es war das Stück einer norwegischen Zeitung, und sie war elf Wochen alt. Der Text war englisch und norwegisch gehalten. „Das geht auch Dich an! Erträgst Du noch das Leben auf der Erde? Willst Du dich dem Zeitalter der Roboter ergeben? Für ein menschenwürdiges Dasein wird bald nicht mehr Platz sein auf der Erde! Wenn Du aber ein neues Leben in einer neuen Welt und in einer neuen Gemeinschaft herbeisehnst, frage doch den Sonnenreichbund! Er gibt auch Dir Auskunft! Europäisches Büro. Kopenhagen III, Postbox 1166.“ „Das ist ja interessant“, sagte der Captain leise. „Und auf diese Anzeige haben Sie geschrieben?“ „Ja!“ „Mister Reinegger, sind Sie imstande, mir zu berichten, was nun mit Ihnen geschah – oder bindet Sie ein Schweigeversprechen?“ „Wer in den Bund aufgenommen wird, muß schweigen, solange er noch auf der Erde ist, das muß er versprechen! Werden Sie gegen den Bund vorgehen?“ 18
„Das kommt auf verschiedene Umstände an!“ Birger Reinegger rauchte seine Zigarette auf und sah auf die Hand, die den Rest in den Ascher beförderte. Dann begann er zögernd zu sprechen. „Ich stamme aus Namsos in Mittelnorwegen. Von meinem Onkel erbte ich zwei Fabriken für elektrische Geräte und ein ziemlich anständiges Vermögen. Ich war Sportstudent und wußte nur mit dem Geld etwas anzufangen. Über das Sachvermögen setzte ich meinen besten Freund als Verwalter ein. Der betrog mich dann nach Strich und Faden. Die Fabriken kamen nach zwei Jahren unter den Hammer. Ich habe noch einiges auf den Banken stehen – aber ich bin es satt – gründlich satt – verstehen Sie mich?“ „Kann ich verstehen!“ „Ich kannte natürlich schon die Anzeigen des Sonnenreichbundes aus den Zeitungen, aber ich hatte bisher immer darüber gelacht. Zum erstenmal lachte ich nicht mehr darüber. Ich schrieb an das Büro in Kopenhagen und bekam Schriften, in denen von einem Sonnenreich die Rede war, das sich auf einem anderen Planeten befinden sollte …“ „Bereits befinden oder noch gegründet werden sollte?“ „Nach dem, was ich in den Schriften las, mußte es bereits ein Sonnenreich geben, in dem einige hundert Männer und Frauen lebten.“ „Dieses Sonnenreich werden wir uns einmal ansehen! In aller Freundschaft natürlich!“ „Ich meldete mich. Warum, weiß ich eigentlich selber nicht. Es war wohl Abenteuerlust, aber ich war auch gründlich enttäuscht. Der Mann, der mich betrogen hatte, war mein bester Freund! Was in den Schriften alles stand weiß ich nicht mehr genau. Es war sehr gründlich dargestellt, was der Bund wollte: keiner sollte mehr besitzen als der andere, es durfte nur gearbeitet werden, um die Getreidefelder und Obstanlagen des Sonnenrei19
ches zu betreuen, also um die Existenz sicherzustellen, jeder sollte den Kosmos als seine Heimat anerkennen, mit eigenen Raumschiffen sollten nach und nach auf allen Planeten Kolonien gegründet werden – ich meldete mich jedenfalls –“ „Und dann?“ „Im Kopenhagener Büro wurde ich von zwei älteren Herren examiniert, dann mußte ich mich einer ärztlichen Untersuchung unterziehen und anschließend die schriftliche Bestätigung meines Anwalts beibringen, daß mein Vermögen für mich bei meinen Banken deponiert sei und daß es den staatlichen Wohlfahrtsverbänden zufallen werde, sollte ich nicht in spätestens fünf Jahren wieder norwegischen Boden betreten.“ „Eine bewundernswerte Umsicht“, murmelte der Captain. „Sie wurden also in den Sonnenreichbund aufgenommen.“ „Ich mußte versprechen, bis zum Verlassen der Erde zu schweigen. Am 18. Juni wurden wir – das heißt ich und 18 andere – von Kopenhagen nach Timaru an der neuseeländischen Küste geflogen und von dort mit dem Raumschiff des Bundes zum Mars.“ „Nach der Landung auf Mars – was geschah da –?“ „Wir wurden abgeholt. Joshua Wax hieß der Mann, der uns im Auftrage des Bundes empfing. Wir sollten mit Kettenwagen in das Gebiet des Sonnenreiches gebracht werden und wurden kurz vor Erreichen einer bewaldeten Hügelkette überfallen …“ „Einen Augenblick, Mister Reinegger! Bemerkten Sie oder andere Teilnehmer die Doppelrümpfe?“ „Ich glaube, Wax sah sie zuerst. Als sie mir dann auch auffielen, wollte ich ihn fragen, ob sie zu uns gehörten, aber er hielt ein Mikrofon vor dem Mund und meldete wahrscheinlich gerade diese Maschinen …“ „Und dann?“ „Wenige Minuten später tauchte vor uns ein großer schwar20
zer Kettenwagen auf, der aus dem Wald gekommen sein mußte. Er kam auf uns zugerast und hielt ein paar hundert Meter vor uns. Bevor wir überhaupt wußten, was los war, sprangen schwarzuniformierte Männer vom Wagen, gleichzeitig wurde von ihm aus mit drei Strahlengeschützen auf die Doppelrümpfe geschossen …“ „Die Maschinen wurden heruntergeholt?“ „Wir sahen sie um uns abstürzen“, berichtete Birger Reinegger gepreßt. „Sie können es mir glauben – ich war als erster draußen. Ich rannte auf einen dieser verdammten Kerle zu. Der schoß auf mich, aber der Rotstrahl ging vorbei. Aber dann kam ich doch nicht an ihn heran – plötzlich wurde mir von hinten ein schmaler scharfer Gegenstand über den Kopf geschlagen – ich war gleich weg –“ „Und als Sie wieder zu sich kamen?“ „Da beugte sich einer über mich, der das S.A.T.-Abzeichen trug und mich böse ansah. Was inzwischen geschehen ist – verdammt noch mal, ich weiß es wirklich nicht.“ „Wie sahen die in den schwarzen Uniformen aus?“ „Der, auf den ich zurannte war bestimmt ein Erdenmensch! Wie er aussah? Ich weiß es nicht – so ungefähr stelle ich mir einen Gangster vor – besonders fein sah er wirklich nicht aus –“ „Ihre Gefährten? Der Transport? Wo sind die geblieben?“ „Wenn ich das nur wüßte!“ * Der Captain glaubte Birger Reinegger. Dr. Hegemann auch. Trotzdem mußten sie ihn in Untersuchungshaft nehmen. Birger Reinegger war kaum zu bändigen; er tobte in einem Fieberanfall und schrie nach einem Mädchen, das Lily hieß. 21
Die Marsnacht verdämmerte im Morgengrauen. Von der Zentrale aus wurden drei Staffeln losgeschickt. Sie flogen geschlossen zum Moosland vor dem Buschwald. Dort trennten sie sich nach einer Lagebesprechung. Jede der Staffeln sollte einen breiten Streifen des unerforschten Marslandes absuchen. Dr. Hegemann wußte aber, daß diese Streifenanflüge nicht sehr erfolgversprechend waren. Der Mars war groß, und neben annähernd 800 Marsianern befanden sich im S.A.T.-Gebiet – so groß wie ein kleinerer Verwaltungsbezirk eines irdischen Staates – nur 1 200 Erdenmenschen – mehr nicht. Dr. Hegemann forderte Verstärkung von der Erde an. * In Orion-City war man skeptisch. „Wir können ein paar tausend Raumflieger und Einsatztruppen zum Mars werfen“, sagte der Chef des Einsatzkommandos des S.A.T.. „Aber was soll das, sollen auch die sich bei der Suche nach diesen mysteriösen Wegelagerern verzetteln?“ Oberst Mortimer vom Sicherheitsdienst wiegte bedächtig seinen angegrauten Charakterkopf hin und her. „Ich schlage vor, sie geschlossen im Mare Cimmerium zu stationieren und die Suche weiterhin den erfahrenen Marsfliegern zu überlassen, die nur durch einige hundert Mann der Sonderstaffel zu verstärken wären – wenn sie etwas auftreiben, können Ihre Truppen massiv zuschlagen, Marxwell!“ Vor der von drei Bildwerfern projektierten Marskarte stand Ted S. Cunningham, der Generaldirektor der mächtigen amerikanischen Forschungsorganisation. Er sah sehr unfreundlich auf die mächtigen weißen Gebiete, die die Karte enthielt. „Wir bilden uns immer ein, wir hätten den Mars, und dabei 22
haben wir ihn noch lange nicht“, murrte er. „Mortimer hat recht – wenn Hegemann die Verstärkung nur haben will, um immer neue Streifen aufzuziehen, ist es ziemlich sinnlos, die II. Flotte in Marsch zu setzen –“ „Unternehmen müssen wir etwas!“ „Das werden wir auch“, fuhr Cunningham herum und maß den vorlauten Stabsoffizier mit einem Blick, daß er unwillkürlich Haltung annahm. „Oder glauben Sie, wir lassen uns von unverschämten Gangstern die besten Marsflieger abschießen? Ich will nur keinen taktischen Fehler begehen – darum –“ „Jim Parker …“ „Eben! Hoffentlich ist er schon zurück.“ Der Generaldirektor ging um den Konferenztisch herum zum TV-Telefon. Die Blicke der Männer folgten ihm. Vor ihnen lag der genaue Wortlaut der Vernehmung Birger Reineggers. Auch in London bei der Weltpolizei, in Mexiko-City beim Sekretär des Weltbundes der freien Nationen und in Tanger hatten sie bereits den Text vorliegen. Die Erde wurde aufmerksam … Ted S. Cunningham mußte warten. Sein breiter Zeigefinger hieb dreimal erbittert die Taste, bis die Mattscheibe aufleuchtete. Sie sahen Jim Parkers Arbeitszimmer am Stadtrand von OrionCity. Dann eine Gestalt, die durch das Zimmer herankam. Jim Parker trug eine Reithose und ein Sporthemd, das über der Brust offenstand. Sein blondes Haar war zerzaust, das Gesicht ernst – in der Hand hielt er einen schmalen Papierstreifen. „Hallo, Boß“, grüßte er etwas atemlos. „Ich habe schon gelesen – Sie haben angerufen –“ „War es nett, Jim? Ich meine, der Ritt nach den Versuchsfeldern hinaus?“ „Großartig“, lächelte Jim flüchtig. „Ich wußte schon gar nicht mehr, daß ich noch reiten kann! Aber Pferde sind nicht so 23
gehorsam wie Raumschiffe! Wir haben noch drei Wochen Urlaub, Boß!“ „Es tut mir leid, Jim! Haben Sie schon mal was von einem Sonnenreich gehört?“ Jim schüttelte den Kopf und steckte sich eine Zigarette an. Ted S. Cunningham berichtete, und was er nicht richtig hinkriegte, sagte Oberst Mortimer, der neben ihn trat und Jim nur zunickte. Die „Maza-Blend“ wurde in Jims Hand immer kleiner, und als sie aufgeraucht war, steckte er sich eine zweite an. Dann kam ruhig und fast gleichmütig seine erste Frage. „Wurde der Überfall von Angehörigen dieses Sonnenreiches oder einer dritten Gruppe ausgeführt – sind da Anhaltspunkte?“ „Nichts, Parker! Hegemann tappt völlig im dunkeln!“ „Dann müßte man sich erst einmal in New York umsehen! Mortimer, können Sie mir gleich einmal Ihren Leutnant Gerwin rüberschicken?“ „Ich schicke ihn ’rüber! Und, was meinen Sie, wollen wir Hegemann Verstärkung schicken?“ „Schicken Sie die II. Flotte! Ich gebe zwei Gruppen meiner Sonderstaffel frei, die ich gerade auf der Erde habe! Meine Jungen können die Streifen der Marsflieger verstärken – alles andere wartet im Mare Cimmerium, bis wir wissen, um was für einen Feind es sich handelt und wo er steckt!“ „Einverstanden!“ * Auch die zweite „Maza-Blend“ wurde in den Ascher gelegt. Jim Parker stellte ab und sah zur Tür hin, durch die gerade der kleine Commander eintrat, der Fritz Wernicke hieß und Jims bester Freund war. Fritz Wernicke genoß den Urlaub auf 24
seine Weise – wenn er nicht Whisky lutschte, spielte er Fußball – wenn er nicht Fußball spielte, lutschte er Whisky. Heute vormittag hatte er Fußball gespielt. Er sah nicht sauberer aus als der berühmteste Raumflieger der Erde, und er begriff ebenso rasch, daß es vorbei war mit den schönen Urlaubstagen, als er Jim Parker so nachdenklich am TV-Telefon stehen sah. „Die letzten drei Wochen werden uns wieder gutgeschrieben, wie? Im vergangenen Jahr waren es vier Wochen und im vorletzten …“ „Auf dem Mars kannst du weiter Fußball spielen!“ Fritz Wernicke seufzte. „Das habe ich mir gedacht! Mars? Ich kann mich eigentlich nicht so sehr für seine landschaftlichen Reize begeistern. Was ist denn los – haben sie Dr. Hegemann entführt?“ „Du mußt rüber, Fritz“, sagte Jim ruhig, und es war, als arbeite er bereits an der Lösung einer Aufgabe, die sich noch durch viele Unbekannte auszeichnete. „Morgen mit der II. Flotte.“ Wernicke blickte sehr aufmerksam. „Erstaunlich! Deinen Worten, großer Häuptling entnehme ich, daß ich wirklich einmal vor dir zum Kriegsschauplatz eilen darf! Sonst ist es immer umgekehrt! Wirst du …“ „Ich habe hier noch einiges zu erledigen! Hör zu, Fritz!“ Er sah aus dem Fenster und zeigte auf den Hubschrauber, der gerade aus dem dunstigen Himmel herabstieg. „Das ist Jerry Gerwin! Ich habe ihn mir von Mortimer auserbeten – ich will mal mit ihm das New Yorker Büro des Sonnenreichbundes besuchen.“ „Das – was –?“ „Der Sonnenreichbund ist wahrscheinlich eine Geheimorganisation, die auf dem Mars haust. Wir müssen herausbekommen, was dahintersteckt. Ich möchte, daß du zum Mars fliegst und dich mit den Streifen an der Suche beteiligst! Ich sage dir 25
gleich, was sich dort ereignet hat! Ich werde mich dann einmal liebevoll um dieses ominöse amerikanische Büro kümmern!“ Wernicke nahm eine Zigarette und verbog sie zwischen den Fingern. „Verstehe schon, Jim!“ „Du wirst dann unter Umständen längere Zeit nichts von mir hören.“ Wernicke nickte. Gleich darauf trat Jerry Gerwin ein. * Jerry Gerwin war ein netter Bursche. Er hatte allerhand durchmachen müssen, als vor rund einem Monat Ted S. Cunningham entführt worden war. * ) Er hatte erleben müssen, daß die Frau, die er liebte, von eiskalten Verbrechern schwer verletzt wurde. In seinen Augen glitzerte es seit jenen Tagen gefährlich, wenn es gegen Dunkelmänner ging. Jim Parker hielt große Stücke auf den Leutnant, und darum nahm er ihn mit nach New York. Als es dunkelte, standen sie in der 37. Straße des XXIII. Bezirks von Richmond vor einer langen Glasfassade, auf der in regelmäßigen Abständen ein flammender Halbkreis prangte.. Über dieser Glasfassade, die ungefähr zehn Meter hoch war und von zwei Eingängen unterbrochen wurde, war die Wand aus neuartigen Lichtfiltern gefügt, hinter denen auf einer Etonorgel getragene Weisen gespielt werden mußten – jedenfalls klang es feierlich von dort oben auf den brodelnden Verkehr der lauten Straße herab. Jerry Gerwin paßte das nicht. „Gefühlsschmus!“ „Friedlich bleiben, Jerry!“ warnte Jim. „Wir wissen noch gar nichts! Ab sofort heiße ich Morton, verstanden? Im übrigen können wir jetzt mal reingehen!“ *
Siehe UTOPIA-Kleinband Nr. 81: „Atomboß Cunningham entführt.“
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Sie traten in einen Gang, der von gläsernen Schaureihen gebildet wurde und auf eine große Schwenktür zuführte. Langsam gingen sie, und neben ihnen schoben sich viele andere hin und her, die kamen und gingen – der Sonnenreichbund zog also doch allerhand Neugierige an. Die Schaureihen waren überwältigend. Mit großer Raffinesse hatte man dort Szenen mit Männlein und Weiblein, mit Hunden und Katzen und allen möglichen Tieren aufgebaut, die man nur als paradiesisch bezeichnen konnte. Jerry Gerwin schnaufte verächtlich durch die Nase, während Jim Parker nachdenklich auf die Darstellung des Sonnenreiches blickte, deren landschaftliche Kulisse nichts Irdisches an sich hatte. Die Häuser des Sonnenreiches waren langgestreckte Einstockgebäude, die offensichtlich aus roten und weißen Platten zusammengefügt werden konnten. Sie waren in einem neuen Stil errichtet, der Jim fesselte – hier riß sich einer los von der kalten Klarheit der Zweckbauten, hier wollte einer mehr – das Schöne, die Harmonie … Jedes Gebäude der Siedlung war von einem großen Blumengarten umgeben, doch waren alle untereinander mit einem Gewirr von Wegen verbunden, das wiederum in einer großen breiten Straße endete, die in weite Getreidefelder führte. Hinter den Getreidefeldern ragten turmartig weiße Gebäude auf, die wohl die Ernte bergen sollten. Auf einem freien erhöhten Gelände in den wogenden Feldern stand eine Kapelle. Der Kommodore trat etwas zurück, um das Panorama besser auf sich wirken zu lassen. Wahrhaftig, es war überwältigend! Friede, Eintracht, Geborgenheit und eine stille Demut gegenüber einer höheren Macht atmete das Bild. „Das scheint Sie zu beeindrucken, Morton“, sagte Jerry Gerwin erstaunt. Jim nickte. „Das ist Phantasterei – aber trotzdem, den Mann 27
möchte ich kennenlernen, der dahintersteckt! Kommen Sie, Jerry!“ Der Gang wurde von einer Schwenktür unterbrochen, die sich automatisch vor ihnen öffnete. Das getragene Orgelspiel wurde deutlicher vernehmbar, ohne zu stören. Sie traten in einen riesigen halbrunden Raum. Mildes wohltuendes Licht beherrschte ihn, das aus unsichtbaren Quellen floß. In ihm standen hinter Bergen von Büchern und Formularen gutaussehende junge Mädchen, die gelbe Kappen mit dem flammenden Halbkreis trugen. Die Schritte wurden von kostbaren tiefen Teppichen geschluckt – man erkannte auf den ersten Blick, daß hier nicht gespart wurde. „Verdammt vornehmer Laden“, murmelte Jerry Gerwin, schnaufte wieder und zeigte nach links, wo sich neben ihnen die Halbrundwand vor einem weiteren großen Raum auftrat. Einige, die mit ihnen eingetreten waren, gingen gleich hinein. Weiße niedrige Tische standen dort und tiefe helle Sessel. Auf lautlos rollenden Wagen fuhren junge Mädchen des Sonnenreichbundes Mokka und andere Erfrischungen an die Tische. Viele saßen dort, Männer und Frauen – sie lasen, sie suchten eine andere Welt, die besser sein sollte, friedlicher. Weiter hinten führte ein breiter Mittelgang weiter in das Gebäude hinein. Sie gingen auf den Tisch zu, der mit Schriften bedeckt war. „Mein Name ist Morton“, sagte Jim. „Mein Freund und ich interessieren uns für den Sonnenreichbund!“ Unter der gelben Kappe zwei freundliche graue Augen. „Ich bin Erica Morgan und freue mich, Sie im Namen des Sonnenreichbundes willkommen heißen zu können! Es kommen viele, und wir hoffen, sie alle kommen nicht vergeblich!“ Ihr Mund war ungeschminkt und das allein berührte Jim schon sympathisch. „Was können wir tun, um in den Sonnenreichbund aufgenommen zu werden?“ 28
„Oh, wir sind kein Verein“, lächelte sie freundlich. „Wer in den Bund aufgenommen werden will, muß seine Grundsätze kennenlernen. Wünschen Sie unsere Informationen?“ Bei allen guten Mondgeistern, was sollte man davon halten! Sie sprach mit der antrainierten Gewandtheit hochqualifizierter Verkäuferinnen, aber man konnte doch hören, daß sie es ehrlicher meinte. „Wir würden uns gern genau informieren! Können wir es hier?“ „Sie können sich in unseren Erfrischungsraum setzen!“ Jim wunderte sich, daß Jerry Gerwin unentwegt einen eleganten Herrn anstarrte, der an einem der Nebentische stand. Jerry war so abwesend, daß er nicht mal danke sagte, als die reizende Erica ihm drei Schriften in die Hand drückte. Er kam erst wieder zu sich, als sie im Erfrischungsraum vor wohlgarnierten Eisschalen saßen. „Morton, ich habe hier eben einen gesehen, den ich hier zuletzt vermutete“, sagte er verhalten. „Wen denn?“ Jim Parker blätterte eine der Broschüren auf. „Am Nebentisch! Jacki Gordon heißt er! Vielleicht haben Sie den Namen mal gehört! Er hat in der Unterwelt einen edlen Klang! Die Staatsanwälte sind scharf auf Jacki, und wenn sie ihn erwischen, dürfte er nicht wieder rauskommen! Das beweist doch schon …“ „Es beweist noch gar nichts“, dämpfte Jim ab. „Immerhin …“ „Soll ich mich mal mit ihm beschäftigen?“ Jim blätterte weiter. Er naschte aus der Schale. Keiner achtete hier auf sie. Der Friede des Sonnenreiches lag über allen, die an den Tischen saßen. Leise drang die Orgelmusik durch. Jim sah nicht auf. „Okay, Jerry! Wenn was ist, kennen Sie ja meine TSFrequenz!“ Jerry schlenderte los. 29
* Der Kommodore blieb auch nicht lange. Die Schriften mochten interessant zu lesen sein, aber er war nicht deswegen hergekommen. Er legte sie zurück, nahm die Eisschale in die Hand und sah sich um. Viel Durchschnitt bemerkte er. Neugierige Gesichter. Aber es gab auch andere – man sah ihnen an, daß sie mit sich und der Welt nicht zufrieden waren. Noch eines stellte Jim fest: hier saßen viele, die sicher über anständige Bankkonten verfügten. Eine junge Angehörige des Bundes kam vorbei. Jim hielt sie an. „Wo finde ich den verantwortlichen Herrn für dieses Büro?“ Sie lächelte so freundlich wie ihre Kollegin Erica Morgan. „Wenn Sie etwas zu fragen haben, so wenden Sie sich doch an Frederik Miller im III. Raum des zweiten Stockes!“ So komme ich nicht weiter, überlegte Jim Parker mißmutig und sah dem Mädchen nach, das schlank und schön davonschritt. Auf einmal gefiel ihm der Betrieb nicht mehr. Es war ihm zu ruhig, zu eintönig, daran konnten selbst die netten Mädel nichts mehr ändern. Die Darstellungen in den Schaureihen deuteten auf eine ferne Welt hin, aber diese Räume waren wie die irgendeiner Sekte. Frederik Miller im zweiten Stock? Jim grinste und rauchte eine Zigarette, die ihm nicht schmeckte. Von Jerry Gerwin war nichts mehr zu sehen – der würde Jacki Gordon nicht aus den Augen lassen. Leute mit Geld und Gangster. Gedämpfte Orgelmusik und eine Stimmung, die sich mit der Welt versöhnen sollte. Jim überlegte, ob er zu diesem Miller gehen und versuchen sollte, über ihn weiterzukommen. Er sah auf die Uhr und entschloß sich, erst einmal Orion-City anzurufen. 30
Keiner achtete auf ihn, als er das Gebäude des Sonnenreichbundes wieder verließ. Wenige hundert Meter weiter war eine öffentliche TV-Telefonzelle. „Parker! Haben Sie Nachrichten vom Mars?“ „Yes! Eine der eingesetzten Streifen meldet, daß sie achthundert Meilen vom Punkt des ersten Zusammenstoßes entfernt auf einen schwarzen Kettenwagen gestoßen ist und versucht, ihn anzuhalten …“ Jim blickte auf die wirbelnde Straße hinaus, aber er sah sie nicht. Die Stimme des Offiziers in Orion-City berichtete weiter – etwas hastig und aufgeregt. „Da ist dann noch etwas – wir haben eine Liste vorliegen, die die Marsleute nach den Angaben dieses Mister Reinegger gemacht haben. Sie enthält die Namen einiger der Personen, die seit dem ersten Zusammenstoß verschwunden sind. Es sind einige interessante Namen darunter, Kommodore!“ „Wieso?“ „Namen, die nach viel Geld riechen!“ * „Da ist er wieder!“ Sie suchten ihn – die Spürhunde waren … Aber der schwarze Kettenwagen wollte sich nicht einfangen lassen wie ein kopfscheu gewordenes Wild. Das Land, in das er hineinfuhr, war dunkel, und der Trompetenruf des Tamman, der von fern kam, kündete seine Weite – die endlose. „Da ist er wieder!“ Die beiden, die den Kettenwagen stur und zielbewußt nach Westen steuerten, auf die Senke zu, die rechts vor ihnen lag, horchten auf das gleichmäßige Singen, das über ihnen war. Aber sie gaben nicht auf. Sie wußten, bis auf zehn Meter ging 31
die Senke in den Grund hinein, und das auf fünfzehn Meilen – schluchtenreich und voll verborgener Schrecken war das geheimnisvolle Tiefland vor ihnen. Modergeruch stieg auf, der wie eine Wolke vor ihnen stand und die Gesichter der beiden noch finsterer und unschöner werden ließ. Sie fürchteten sich vor diesem Tiefland mit seinen schleimigen Kriechtieren, gegen die Schlangen kuschende Haustiere waren – wer fürchtete sich nicht davor! Hinein mußten sie. Keine hundert Meter über ihnen hing der Strahlvogel der Suchstaffel und ließ nicht locker. Hinten im Wagen lag einer, den sie vor Tagen aus einem Wasserlauf gefischt hatten. Der Scheinwerfer hatte sie noch nicht erfaßt. Noch nicht. Derek wurde nervös. Derek war einer, den sie auf der Erde schon längst hingerichtet hätten, obwohl er immer viel von Nächstenliebe sprach. „Wir können ihn doch abschießen“, schimpfte er. „Das paßt mir nicht, Hem! Das paßt mir nicht, hörst du?“ „Die anderen sind weit weg“, nickte der, der neben ihm hockte und fletschte die Zähne. Auch er sah nicht schön aus. Es war wohl sicher, daß er aus Asien stammen mußte. „Wir müssen was unternehmen, Derek, sonst kommen wir nicht durch! Aber abschießen, das geht nicht! Die anderen würden uns auf den Hals kommen! Denkst du nicht mehr an den einen, den wir nicht mitbekamen?“ „Damned, was soll das jetzt?“ „Reinegger heißt er! Ich glaube, er wird den Schnüfflern vom Sicherheitsdienst seine Erlebnisse noch ausführlicher schildern, wenn er wieder richtig bei sich sein wird! Das darf er nicht, Derek!“ Derek schluckte den Modergeruch und duckte sich. Der breite weiße Strahl von Helle glitt an ihnen vorbei, geisterte über 32
blaublättrige Wildpflanzen hin. Da geschah etwas, was Derek den Atem verschlug. Der neben ihm faßte plötzlich ins Lenkrad und riß den schweren Wagen aus seiner Bahn – auf den weißen Strahl zu. * Der Tamman trompetete. Wo die Nacht sich ausbreitete war sein Revier. Von einer Kälte, die den Erdenmenschen das Atmen schwer machte und ihrem Herzen weh tat, war diese Nacht … Sie kroch auf das Mare Cimmerium zu. Birger Reinegger sah die Dunkelheit herankommen. Das Fieber war aus seinem Schädel und seinen Gliedern gewichen, aber er konnte nur von der Tür durch den guteingerichteten Wohnraum zu einem ovalen Fenster gehen, das sich nicht öffnen ließ. Die Tür ließ sich nur von draußen öffnen. Birger Reinegger rauchte und rauchte. Neben der Tür waren die Tasten für Flutlicht und Sprechanlage, aber er ließ die Dunkelheit in den Wohnraum hineinkriechen. Sie kam vom Norden her. Birger begann auf und ab zu gehen. Die Zigaretten waren das einzige, was ihm geblieben war. Und das Grübeln. Die S.A.T.-Leute quälten ihn nicht – nur seine eigene Unruhe ließ sein Herz hämmern. Wenn ich nur wüßte, was sie mit Lily Ullrich gemacht haben; wenn ich das nur wüßte! Draußen jaulte ein Sirenenton auf und erstarb wieder in tiefem anhaltendem Grollen. Alarm für irgendeine Staffel. Sie jagten sie. Ohne Gnade. Ich wollte, sie würden sie finden – verflucht, worauf habe ich mich nur eingelassen! „Reinegger, du darfst den Glauben an das Sonnenreich nicht verlieren!“ 33
Birger Reinegger ging nicht weiter. Sein Fuß stockte. Er warf sich herum. Wandte sein Gesicht der Dunkelheit vor dem Fenster zu. Wer war das, wer sprach leise auf ihn ein? Hatte eine Marsnacht mehr Stimmen als nur die des Tammans und der Winde? „Reinegger“, flüsterte eine Männerstimme, die um ihn war, die er aber noch nie gehört hatte. Deutlich vernehmbar war sie. Wurde sie aus dem ersterbenden vergrollenden Sirenenton geboren oder kam sie von weit her? Birger Reinegger ging langsam auf das Fenster zu. Er fürchtete sich nicht. Auch nicht vor dem Irrealen. „Wer will etwas von mir?“ fragte er halblaut. „Ich habe den Sonnenreichbund gegründet, um der gequälten Menschheit zu helfen! Du mußt an mich glauben, Birger Reinegger!“ Birger wollte grinsen. Zum Teufel, das wollte er, denn er liebte so etwas nicht. Aber die Männerstimme, die aus dem Nichts kam, war gut und voll menschlicher Wärme. Er grinste nicht. Er antwortete aber auch nicht; er hörte, wie ein böiger scharfer Wind gegen das Kunstglasfenster fegte. Draußen kreisten Scheinwerferbündel. Ein blauer Strahlvogel heulte sich mit flammenden Düsen hoch. Die Stimme war nicht mehr, aber Birger stand noch immer wie verzaubert. Musik hörte er. Das Klingen eines kostbaren Flügels. Einige Herzschläge lang sah er einen Mann, der durch einen großen vornehmen Raum schritt und ihn ansah. Birger kannte ihn nicht, aber er hatte gleich Vertrauen zu ihm. Dann verschwand das Bild, die Dunkelheit fiel wieder vor ihm zusammen, und er war wieder ganz allein. Birger Reinegger ging an die Tür und schaltete das Flutlicht ein. Ich hätte ihn fragen sollen, wo Lily ist! 34
* „Ich folge ihm noch immer, Kommodore!“ Jim Parker nickte. Er konnte sich denken, daß Jerry Gerwin nicht lockerließ. „Wo treibt der Gauner sich denn herum?“ „Immer noch in Richmond! In einer Bar sitzt er gerade, in die bestimmt keine feinen Leute kommen, und er hat eine Puppe neben sich, die Sie gut kennen!“ „Machen Sie keine faulen Witze, mein Sohn“, grinste Jim wohlwollend. „Ehrenwort, Kommodore! Es ist Erica Morgan, die uns im Büro dieses komischen Vereins so überaus freundlich empfing!“ Jim Parker mußte auf die Steuersäule achten, die er in der Rechten hielt, denn er flog gerade den Golf von Guinea vor der westafrikanischen Küste an. Er hätte was darum gegeben, jetzt neben Jerry Gerwin in dieser ominösen Bar in Richmond sitzen zu können. Seine Hand preßte sich fester um die Steuersäule. „Mensch, Jerry! Ausgerechnet mit der netten Erica?“ „Ich war auch ziemlich platt, als sie hier hereinkam und gleich auf Jacki Gordon losging. Die beiden scheinen sich verdammt gut zu kennen! Werde mich mal an ihre Spuren heften! Und wo sind Sie, Kommodore?“ „Westafrika! Ich will ein paar nette Leute besuchen!“ „Hals- und Beinbruch!“ * Der Kettenwagen manövrierte. Der Bursche, der ihn steuerte und der sicher aus Asien stammte, war gerissen und kaltblütig wie zehn andere. Die Jun35
gen im Strahlvogel über ihm fielen denn auch glatt auf seinen Dreh herein. Sie brüllten vor Freude auf, als sie den Wagen sahen. „Der hat die Nerven verloren“, beugte sich der Funker aufgeregt vor. „Nun will er wieder raus? Bob, paß auf!“ Bob ließ ihn nicht wieder aus dem Scheinwerferbalken. Scheinbar machten die im Kettenwagen verzweifelte Anstrengungen, sich von diesem gleißenden Fangarm loszureißen. Sie bremsten scharf, warfen den schweren Wagen nach links herum, gaben Gas wie der Teufel, schossen vor … Der Flugzeugführer wollte es nicht darauf ankommen lassen. Er kippte den Strahlenvogel mit der Schnauze nach unten und setzte zum Sturzflug an. * Mitten im Golf von Guinea lag eine kleine Insel. Sie umfaßte nur wenige Quadratkilometer und befand sich im Privatbesitz des deutschen Millionärs Ullrich. Jim hatte seine Gründe, sie anzufliegen. Ihre Umrisse zeichneten sich mit einem Kranz von Mangroven und Zierpalmen von dem leicht streifigen grünschimmernden Wasser des Golfs ab. In diesem Kranz wurden ausgedehnte Gartenanlagen, Sportfelder, Schwimmbecken, ein Flugplatz und vier rote Straßen sichtbar, die auf ein schneeweißes schloßartiges Gebäude im Kern der Insel zuführten. Wahrhaftig, die Ullrichs lebten hier wie die Fürsten. Der Kommodore ging auf hundert Meter herab und kreiste über der Insel. Dann landete er auf dem Flugplatz, auf dem zwei Raketenmaschinen standen. Von einer nahen Freiterrasse her kam ein grünuniformierter weißer Feldhüter und ein ganzer Haufen schwarzer Diener, von den Tennisplätzen, die Jim linker 36
Hand sah, ein schlanker Herr in mittleren Jahren. Jim stieg aus und grüßte. „Mein Name ist Morton! Ich bin Inspektor der Weltpolizei! Habe ich die Ehre mit Mister Ullrich?“ „Ullrich“, verneigte sich der andere kurz und legte sich ein Handtuch um den Nacken. „Was kann ich für Sie tun?“ „Mir einige Fragen beantworten.“ „Bitte!“ Eine einladende Handbewegung auf das Landhaus zu, dessen Portalfront einige hundert Meter vor ihnen aufragte. Jim hatte einen gültigen Ausweis der Weltpolizei bei sich, doch Ullrich verlangte noch nicht nach ihm. Ohne ein Wort miteinander zu wechseln gingen sie nebeneinander über die Straße auf die Portalfront zu. Jim konnte nicht sagen, daß Ullrich ihm besonders gefiel. Er kannte dieses gerötete, immer verschlossene Gesicht von Presse und Television her. Sicher war Franz Ullrich aber einer, mit dem man vernünftig reden konnte. Ein Hausmeister verneigte sich auf den Stufen und folgte ihnen in eine große aus kostbaren Edelhölzern gefügte Halle. „Wir können in mein Arbeitszimmer gehen“, sagte Ullrich, Jim nickte, aber er hörte gar nicht recht hin. In der Tiefe der Halle sah er einen weißhaarigen Männerkopf vor einem kostbaren Flügel. Eine Melodie perlte leise. Eine wohltuende, sanfte Melodie. Wo habe ich die schon gehört? grübelte Jim, als er neben Franz Ullrich über eine geschwungene Treppe ging. Er sah noch einmal in die Halle hinunter. Der Männerkopf neigte sich noch tiefer über die schwarzen und weißen Tasten. Dann betraten sie das Arbeitszimmer. Es war elegant, aber erstaunlich kalt eingerichtet. Jim blickte auf ein großes Fenster, gegen das sich von außen die Blätter einer Palme fächeln ließen, wenn der leichte Seewind heranfuhr. Schön war das. Es filterte die Sonnenglut, die schmerzend aus dem tiefblauen Himmel herunterfiel. Franz Ullrich setzte 37
sich Jim gegenüber. Das rotweiße Handtuch nahm er nicht ab. Ein schwarzer Diener trat lautlos und roboterhaft ein und servierte eiskalte Drinks. „Inspektor …“ Jim horchte noch immer auf die Musik, die aus der Halle heraufklang. Und plötzlich wußte er auch, wo er das schon einmal gehört hatte. In den Räumen des Sonnenreichbundes. Von einer Etonorgel gespielt. Er lächelte und fuhr sich mit einem Seidentuch über die Stirn. „Verzeihung! Ich hörte auf die Musik!“ „Mein Schwager phantasiert am Flügel“, winkte Ullrich ab, und es hörte sich an, als halte er nicht viel davon. „Er komponiert bisweilen! Inspektor, was für ein Anliegen bereitet mir das Vergnügen, einen Beamten der Weltpolizei bei mir zu sehen?“ „Es handelt sich um Ihre Tochter“, sagte Jim ernst. „Ich habe drei Töchter.“ Jim zog ein Notizbuch aus der Tasche und schlug es auf. „Hier steht, daß ein Fräulein Lily Ullrich am 16. Mai in den Sonnenreichbund eintrat und …“ „Was meine Tochter Lily treibt, interessiert mich nicht“, unterbrach Ullrich ihn kalt. Jim sah ihn sehr aufmerksam an. „Es ist Ihnen bekannt, daß sie dem Sonnenreichbund beitrat?“ Franz Ullrich grinste. Ganz plötzlich verzog sich sein Gesicht, und Jim stellte erstaunt fest, daß er menschlicher, zugänglicher wurde. Das Grinsen sollte die Traurigkeit verbergen, die in Ullrichs Blick aufkam. „Verstehen Sie mich nicht falsch, Sir! Ich habe drei Töchter und eine steht mir so nahe wie die andere. Aber Lily – sie ist die zweite – war schon immer anders als wir. Wir Ullrichs sind nun einmal den Gesetzen unterworfen, die unseren Aufstieg bestimmten. Das gilt auch für das persönliche Geschick meiner Töchter.“ 38
Jim verstand. „Fräulein Lily sollte wahrscheinlich einen Mann heiraten, der ihr nichts bedeutete.“ „Wir hielten es für zweckmäßig, daß sie die Ehe mit einem brasilianischen Reeder einging. Lily war anderer Meinung.“ Jim Parker kannte Lily Ullrich nicht, doch sie war ihm auf einmal sehr sympathisch. „Deswegen kam es also zum Bruch zwischen Ihnen und …“ „Nein, nein“, wehrte Franz Ullrich mit beiden Händen ab. „So engherzig bin ich nun auch wieder nicht. Aber es kam zu einer Entfremdung, das müssen Sie verstehen. Lily weilte seit Jahren bei einer Freundin in Australien, und ich wollte sie wenigstens in meiner Nähe wissen, nachdem mir klar geworden war, daß sie ihren Kopf für sich hatte.“ „Ihre Tochter hielt sich lange bei Ihnen auf?“ „Gut zwei Monate! Ich sagte schon, sie war schon immer ein Fall für sich! Aber was ich hier mit ihr erlebte, hätte ich nie für möglich gehalten! Das Mädel machte sich zuerst lustig über meinen Plan, sie mit dem Brasilianer zu verheiraten. Nun, ich ließ mir das noch gefallen und ging sogar auf den Ton ein. Dann entdeckte ich, daß sie Schriften eines Sonnenreichbundes oder wie diese verdammte Sekte heißt, las, und jetzt lachte ich über sie. Mit ihrem Onkel Mark, der gerade wieder bei uns weilte, beriet ich mich, was zu tun sei, aber der hat auch einen Tick und hockte dann oft mit dem Mädel zusammen. Im Februar gaben wir unseren traditionellen Familientag, ein ganz respektables gesellschaftliches Ereignis, zu dem prominente Gäste aus allen Kontinenten zu kommen pflegen. Lily verursachte einen Skandal, indem sie viele Personen schockierte, die mir nicht gleichgültig sein dürfen. Sie bezeichnete einige meiner Gäste vor aller Öffentlichkeit als geldgierige Raubtiere, komische Börsenschleicher – es war entsetzlich –“ 39
„Mit anderen Worten, sie räumte ganz schön auf“, schmunzelte Jim Parker breit. „Mehr als ich dulden durfte“, seufzte Franz Ullrich. „Natürlich gab es Krach! Ich verlangte von ihr, daß sie sich bei den Gästen entschuldigte! Sie schwieg zu allem, was ich sagte, sie blieb stur! Sie ist eben doch eine ganze Ullrich, verdammt noch mal!“ Er räusperte sich gerührt. „Ich habe dann nichts mehr von ihr gehört! Sie reiste am nächsten Tage ab. Ich nehme an, daß sie sich bei diesem Sonnenreichbund herumtreibt, vielleicht als Sekretärin oder so was! Ich möchte nichts mehr von ihr hören!“ „Sie werden vielleicht auch nichts mehr von ihr hören!“ Ullrich fuhr zusammen, daß der eiskalte Drink, den er hielt, überspritzte – er starrte Jim in angstvoller Erwartung an, sagte aber nichts. „Nach den Angaben, die der Weltpolizei vorliegen, ist Fräulein Lily Ullrich mit einem Raumschiff des Sonnenreichbundes zum Mars geflogen worden! Dort ist der Transport, zu dem sie gehörte, überfallen worden und spurlos verschwunden!“ Der frische Seewind fächelte die Palme von draußen gegen das Kunstglas. In der Halle schwieg die Musik. Waren nicht vorsichtige Schritte? Irgendwo? Franz Ullrich rührte sich sekundenlang nicht, dann stellte er hastig den Drink zurück, nahm sein Handtuch ab und stand auf. Er war sehr grün im Gesicht – unter seinen Augen schattete es. „Entschuldigen Sie mich für einige Minuten“, sagte er rauh. * Der Strahlvogel sauste im Sturzflug nieder. Weltenweit entfernt wehte der frische Seewind um ein weißes Herrenhaus auf grünrollenden Fluten. Hier heulte der Antrieb. Drei junge Flieger starrten gebannt 40
auf den Kettenwagen, der ihnen entgegengerissen wurde. Aufgesogen vom Strahl der weißen Helle, die unter ihnen immer breiter zerfloß. „Die Senke! Verdammt!“ Der Flugzeugführer wußte schon, was er zu tun hatte. Er mußte den dort unten vorher stellen – der Bursche war gleich am Abhang, dann ging es runter in die lehmigen Schluchten – dann konnte er sich verstecken. Ohne mich, old friend – ohne mich! Der Scheinwerferbalken war eine rasende Brandung gnadenloser Helle. In sie hinein brüllte, heulte und jaulte alles. Die drei in der gläsernen Kanzel. Die Ketten des vorwärtshämmernden Ungeheuers. Der stürzende Strahlvogel. Keine zehn Meter hoch riß er den Vogel aus der Senkrechten. Die beiden unten im Kettenwagen duckten sich. Derek dachte an Anita. Er hatte viele kennengelernt auf seiner bewegten Lebensbahn. Eine war nicht besser gewesen als die andere. Anita war nicht mal besonders hübsch, aber jetzt dachte er an sie – während seine trockenen Lippen zu zählen begannen: „… drei – vier – fünf – sechs –“ Bei sechs war er heran. Ein Schemen. Ein heulender Raubvogel, der sie einfangen wollte. Einen scharfen Strahl von roter Teufelsglut warf er hinab. Von oben. Auf den Kettenwagen gezielt. Daneben. Meter vor den beiden riß eine schmutzigrote Stichflamme den Abhang auseinander. Derek schrie auf. Derek hatte keine Nerven mehr. Derek, auf den der Henker wartete. In sein gellendes Schreien hinein ein Hohngelächter. Zwei gelbe kräftige Hände schalteten. Der Kettenwagen jammerte widerlich auf – stand. Im Strahlvogel freuten sie sich. Hingehauen hatten sie ihn! Im Dahinjagen sahen sie, wie der schwarze Koloß aufhörte, sich zu bewegen. Tot. Erledigt. Hin41
gehauen. Tiefland gärte schräg unter ihnen weg. Wirbelte, drehte sich ihnen entgegen. Dunstete Giftwolken aus, die gelb in der weißen Lichtbrandung standen. – Dann nicht mehr waren. Diese Senke, diese verdammte. Sie setzten den Strahlvogel auf, wo ein Plateau eine Schlucht abschnitt, die in steilen Windungen in ein mooriges Becken führte, in dem es weiß und geheimnisvoll lebte. Atemmasken auf, Jungen! Atemmasken auf! In ihren Händen zitterte noch der rasende Flug nach. „Henry und ich kümmern uns um sie! Joe bleibt hier!“ Zwei sprangen auf den Boden, der rutschig und lehmig war. Balancierten sich aus. Verhielten einige Herzschläge lang. Dann hob Bob den rechten Arm und zeigte in eine Richtung. Sie sprangen über die Schlucht in das halbmannshohe harte Gras hinein, das drüben begann. Aus Bobs Hand knallte wieder weiße Helle nach vorn. Der Handscheinwerfer tastete ab, was vor ihnen war. Erfaßte, daß es nicht weit von ihnen im Gras raschelte. Ein grauer wurmartiger Tierleib verschwand. Irgendwohin. In Bobs Kehle stieg es hoch. Sie blieben stehen, zum Teufel, das Biest sah aus zum Erbrechen. Dann weiter, sie keuchten. Nach Minuten schrie einer. Bob. Der Lichtstrahl knallte auf schwarze, breite Ketten, die schmutzig waren. Ging hoch. Erfaßte einen bulligen Wagenbug. Erlosch. „Gut vierhundert Meter noch“, flüsterte Bob heiser und aufgeregt. „Sie rühren sich nicht! Die können sich nicht mehr rühren – wetten?“ In seiner Stimme schwang Entsetzen mit – er war jung, er hatte Menschen abgeschossen wie … Sie rannten auf den schwarzen Koloß zu. Bis auf zehn Meter kamen sie heran. Dann lachte der Asiate wieder dröhnend auf. Wieder schossen gelbe Hände vor. 42
* Franz Ullrich verließ das Arbeitszimmer. Der Kommodore sah ihm nicht nach. Er konnte sich denken, was in ihm vorging. Er beneidete ihn nicht. Ganz ruhig blieb er sitzen und spielte gedankenlos mit einer Zigarette, die er vom Tisch nahm. Auf der Treppe verklangen leichte Schritte – wahrscheinlich ging Ullrich nach unten. Dann stand Jim plötzlich auf und folgte ihm. In der Halle war einer, den er unbedingt kennenlernen wollte. Ullrichs Schwager. Weißhaarig und schmächtig stand er neben dem Flügel. Als Jim auch auf der Treppe erschien, zuckte er zusammen. Er sah aus, als wollte er sich rasch wieder auf den Hocker setzen. Jim grinste verstohlen – der alte Knabe hatte bestimmt gehorcht, denn auf der Treppe waren vorhin Schritte gewesen, vorsichtige, leise … Der Weißhaarige war unruhig. Er zitterte. Seine Augenlider zuckten unaufhörlich, was nicht schön aussah. Bevor Jim unten war, schien er einen Entschluß gefaßt zu haben – er schob die rechte Hand in die Jackettasche und kam heran. „Mr. Parker!“ sagte er halblaut. „Ich muß Sie sprechen!“ Jim ging über die letzten Stufen, ohne darauf zu reagieren. Der Weißhaarige war schon neben der Treppe. Jim blieb auf der letzten Stufe stehen. „Wünschen Sie etwas von mir, Sir?“ fragte er höflich. „Sie sind doch Kommodore Parker!“ stieß der andere hervor. In seinen Augen flackerte Unruhe – Angst. „Wie kommen Sie darauf?“ lächelte Jim. „Als Sie mit meinem Schwager auf das Portal zukamen, erkannte ich Sie gleich“, sagte der Weißhaarige bedrückt. Seine Rechte bewegte sich in der Jakettasche. „Ich erwartete, von Ihnen 43
angesprochen zu werden, und ich war enttäuscht, als Sie mit Franz nach oben gingen.“ „Warum erwarteten Sie das?“ Jim gefielen Leute nicht, die neben ihm standen und in den Taschen herumwühlten. Aber bei dem Weißhaarigen war es wohl nur die eigene Unsicherheit – er zog rasch die Hand zurück als er Jims Blick bemerkte. „Ich nehme doch an, man hat Ihnen die Geschehnisse gemeldet, die mit dem Sonnenreich zusammenhängen.“ „Was wissen Sie vom Sonnenreich?“ Jims Blick ruhte jetzt auf dem Gesicht des Weißhaarigen. Es war ein edles, feingeschnittenes Männergesicht, das vom vielen Grübeln schmal geworden war. Nun neigte es sich ein wenig vor dem Kommodore. „Ich bin Mark Robertson! Sie werden mich sicher nicht gleich festnehmen, wenn ich Ihnen sage, daß ich den Sonnenreichbund gegründet habe – und ihn führe.“ Das also war der Mann, der hinter diesem großartigen Traum stand? Der Kommodore antwortete nicht. „Sie sind enttäuscht“, nickte Mark Robertson lächelnd. „Ich verstehe es! Einem körperlichen Schwächling traut man in unserer brutalen Zeit nichts mehr zu!“ Der Kommodore trat auf den roten Plattenboden der Halle. „Mr. Robertson“, sagte er nicht unfreundlich und legte seine Hand auf den Arm des anderen, der immer noch zitterte. „Sie haben durchaus recht; ich interessiere mich in diesen Tagen ausschließlich für das Sonnenreich – und ich nehme an, Sie wissen, was der eigentliche Anlaß dazu ist …“ Mark Robertson sah an Jim vorbei. „Ich habe eine Information erhalten“, sagte er leise und erregt, „nach der es auf dem Mars zu einem Zwischenfall gekommen sein soll.“ „Bei diesem Zwischenfall wurden neun S.A.T.-Flieger getötet“, ergänzte Jim hart. „Wissen Sie das auch?“ 44
Es war, als wollte Mark Robertson einfach hintenüberkippen. „Nein“, stammelte er entsetzt. „Davon weiß ich nichts.“ „Mr. Robertson, ich glaube, wir beide haben uns unter vier Augen manches zu sagen.“ Die Halle lag sehr ruhig um sie. Von Franz Ullrich war nichts zu sehen. Jim nahm an, daß er irgendwo allein durch den Garten stürmte – der Mann schien ziemlich durcheinander zu sein. Und sein eigener Schwager war der Erfinder dieser tollkühnen Phantasterei? Wußte er das wirklich nicht? „Sie schienen sich in dieser Halle wohlzufühlen! Vielleicht können Sie mir hier am besten sagen, was Sie auf dem Herzen haben! Aber neun tote Flieger wiegen schwer – sehr schwer, Mr. Robertson!“ Jim Parker wollte nicht drohen, doch Mark Robertson schlich wie ein geprügelter Schulknabe neben dem Kommodore her, durch den breiten gelbzerfließenden Sonnenbalken, der vom Portal her über den Plattenboden fiel, auf einen Sessel zu, der neben dem Flügel stand. „Sie gestatten“, murmelte er schwach und hockte sich hinein. Er stöhnte auf und sah vor sich nieder. „Kommodore, ich schwöre beim Andenken meiner Mutter – ich weiß davon nichts!“ Er atmete ein paarmal tief durch. „Über meine Zentrale in New York wurde mir gemeldet, daß ein Transport von Sonnenbürgern südlich des Sonnenreiches von unbekannten Wegelagerern überfallen wurde. Der kleinen Kampfgruppe, über die ich auf Mars aus Sicherheitsgründen verfüge, ist es aber gelungen, sie aus den Händen dieser Gangster zu befreien! Sie befinden sich jetzt in der Geborgenheit des Sonnenreiches!“ „Sie wurden von Ihren eigenen Kräften befreit?“ Wenn es ein andere wäre, würde ich ihn jetzt mit mir nach Orion-City nehmen, überlegte Jim Parker und zog sein Zigarettenetui hervor. Mark Robertson nickte nur auf Jims Frage. 45
„Sie erzählen mir hier Dinge, Mr. Robertson, die geradezu atemberaubend sind! Nun, ich glaube Ihnen! Sie sind nicht der erste, der versucht, der Welt ein neues Gesicht zu geben! Von Ihrem Sonnenreich habe ich mir bei Ihren gastfreien Mitarbeitern in New York einen ersten Eindruck verschaffen können. Aber sind Sie nicht auch der Meinung, Sir, daß es besser gewesen wäre, ein so phantastisches Projekt mit Wissen und Unterstützung der Weltbehörden zu starten?“ Mark Robertson hob den Kopf. Jims Worte waren nicht nur sachlich, sie bedeuteten für ihn sogar so etwas wie eine Anerkennung! Und das tat gut! So gut! Er wurde ruhiger. „Nein, Kommodore! Die Menschheit ist nur bis zu einem gewissen Punkt fortschrittlich – sie hört auf, es zu sein, wenn einer an den Grundfesten ihrer Ordnungen und Gemeinschaftsbildungen zu rütteln wagt. Ich mußte den einzelnen ansprechen – weil die organisierte Menschheit mich verlacht hätte.“ „Sie meinen auf dem rechten Weg zu sein?“ „Ich bin es!“ „Ihr Projekt verschlingt Vermögen! Soviel ich weiß, beanspruchen Sie aber nicht einmal den Besitz Ihrer neuen Mitglieder?“ „Den lehne ich sogar ab! Jeder soll sein eigenes Ich bringen, nicht seinen Mammon! Nur so kann er ein neues Leben anfangen! Ich bin reich genug, um das Sonnenreich noch für einige Jahre finanzieren zu können! Ich hoffe, es wird sich dann allein tragen!“ „Wo liegt Ihr Sonnenreich?“ „Auf der südlichen Hemisphäre des Mars! Zwischen der weißen Wüste im vierten Quadrat und dem auslaufenden Tieflandbecken!“ Im Garten, der vor den Fenstern der Halle terrassenförmig zum Flugplatz hin abstieg, tauchte Franz Ullrich auf. Er hatte 46
die Hände in die Hosentaschen geschoben und sah vor sich nieder. Wie ein gereiztes, aber angeschlagenes Raubtier kam er heran. Ahnungslos. Jim beugte sich vor. „Warum haben Sie Ihrem Schwager verschwiegen, daß seine Tochter zu Ihren Anhängerinnen zählt?“ „Auf ihren eigenen Wunsch!“ „Sie wußte also, wer der Gründer des Sonnenreichbundes war?“ „Sie erfuhr es hier, nachdem sie sich vorher für seine Ziele interessiert hatte! Lily ist in Sicherheit – sie wird sich in den nächsten Tagen über unseren Nachrichtendienst an ihren Vater wenden können.“ Franz Ullrich würde in wenigen Minuten die Halle betreten. Jim Parker nahm eine Zigarette aus dem Etui und schob sie zwischen die Lippen. Genießerisch sog er das herbe Aroma ein. „Wir müssen uns gleich trennen, Mr. Robertson! Es gibt jetzt zwei Möglichkeiten – ich werde gleich die Weltpolizei informieren oder ich werde schweigen, und wir beide fliegen mit Ihrem nächsten Transportschiff zum Mars, wo Sie mir Ihr Sonnenreich zeigen werden!“ Mark Robertson sprang auf. So heftig reagierte der kleine Mann, daß der schwere Sessel über den glatten Boden rutschte. Seine Augen leuchteten – energiegeladen, jugendlich. „Kommodore! Kommen Sie mit mir! Lernen Sie unser Sonnenreich kennen! In sieben Tagen geht der nächste Transport von Timaru ab. Sie werden mich verstehen lernen!“ Jim nickte. Sein Feuerzeug flammte auf und entzündete den Tabak. Er dachte an das, was Jerry Gerwin ihm gemeldet hatte: Erica Morgan vom Sonnenreichbund traf sich in einer anrüchigen Bar mit dem Gangster Jacki Gordon. Jim nickte Mark Robertson zu und trat Franz Ullrich entgegen, der über die Stufen herankam. 47
„Hallo, Ullrich! Mir wurde es schon langweilig!“ „Ich muß Sie noch einmal sprechen, Inspektor“, sagte Franz Ullrich schwer. Mark Robertson setzte sich wieder an den Flügel und begann zu phantasieren. Im Rausch der Töne, die er aufperlen ließ, lockerten sich seine Züge. * Du wirst dein Wunder erleben, Kommodore … Auf dem Mars schossen gelbe Hände vor. In diesen Minuten, da eine heitere helle Melodie aufperlte. Der schwarze Koloß des Kettenwagens, der scheinbar tot war, begann wieder zu leben. So überraschend kam es, daß Bob und Henry nicht einmal mehr darauf reagieren konnten. Der Asiate lachte höhnisch und feuerte. Bob stand noch regungslos, mitten im Vorwärtsstürmen erstarrt. Wie in einem phantastischen Angsttraum sah er den Kettenwagen auf sich und Henry zurollen, sah eine gelbe Fratze im Führersitz, die lachte. Sah mehr: Vorn am Spitzbug glühte ein Dreieck auf und verströmte einen grünzerfließenden Schein, der sich weich um sie legte und dann zu würgen begann. Es dauerte nicht lange. Sekunden nur. Bob riß die Arme hoch und wollte um sich schlagen – aber sackte lautlos in sich zusammen … Henry erging es ebenso. „Fahr sie zusammen, die Hunde!“ heulte Derek, der die Körper fallen sah und sprang auf. „Fahr sie zu Brei, Hem!“ Hem dachte nicht daran. Kurz vor den zusammengesunkenen Leibern der beiden Jungen stoppte er den Kettenwagen. Der grüne Schein erstarb. Hem sprang heraus, hob erst Bob in den breiten Führersitz, dann Henry. Mit großen Augen sah Derek zu. Wurde dann wild. 48
„Hem, du bist verrückt!“ schnappte er. „Das ist doch Unsinn! Die sind doch noch nicht tot! Die kommen nach zwei Stunden wieder zu sich, und dann …?“ „Dann sind wir nicht mehr da“, sagte Hem knapp. „Los, eine G-Rakete nach drüben!“ Derek begriff nichts. In ihm war alles wie gelähmt. Nicht einmal an Anita dachte er mehr. Er starrte auf die beiden, die regungslos vor ihm lagen. Haß war in ihm, schäbiger, sturer Haß. „Eine G-Rakete, los doch!“ zischte Hem wütend. Derek zog den Kopf ein und machte den Raketenwerfer neben seinem Sitz klar. Ein länglicher Metallkörper wurde langsam von dem Greifer hineingezogen. Noch immer rührte sich drüben am Strahlvogel nichts. Hem rannte um den Wagen herum, stieß Derek zurück und wartete atemlos auf das Klicken, das anzeigte, daß die Rakete gestartet werden konnte. Hem atmete kurz und flach. Die Richttafel des Raketenwerfers drehte sich unter seinen Händen mit phosphoreszierenden Zahlen und Kreisen. Hem wußte nicht genau, wo der Strahlvogel stand, aber mit dem Instinkt des Mannes, der gewohnt war, im Dunkeln zu horchen und zu spähen stellte er Distanz und Richtung ein. Dann ging alles sehr schnell. Derek kam aus dem Staunen nicht heraus. Hems Hand riß den weißen Hebel herunter, der die G-Rakete freigab. Sie schoß mit flammenden Heckdüsen schräg nach oben weg, und kippte schon um, als sie noch keine hundert Meter hoch war. Das ging so schnell, daß Derek nicht mal zählen konnte. Der grüne Schein, der die Menschen betäubte, fiel auf den Strahlvogel und den wartenden Joe herab. Erstarb. Dann war alles so still wie vorher. „Rüber!“ Mehr sagte Hem nicht, aber er sagte es so triumphierend, daß Derek hoch aufatmete. Jetzt konnte nichts mehr 49
schiefgehen. Derek bekam wieder Lebensmut. Den Jungen hatten sie es gegeben! – damned, sie waren doch Kerle – er und Hem! Hem lächelte unsagbar verachtungsvoll. Sie rollten durch die Senke, zermalmten in einer Schlucht ein Wesen, das ihnen über den Weg kroch und rollten wieder einen Abhang hinunter auf den Strahlvogel zu, der unversehrt vor ihnen auftauchte. Wieder entwickelte Hem eine geradezu humane Umsicht. Er holte den bewußtlosen Joe aus der Maschine und bettete ihn neben Bob und Henry. Derek war schon im Strahlvogel und machte sich breit. Hem zog aus einer Tasche Papier und Druckblei hervor, schrieb einen großen Bogen voll und heftete ihn Bob an die Brust. Kurz darauf flogen sie im Strahlvogel davon. Nach genau 83 Minuten kam als erster Joe wieder zu sich. Er richtete sich auf, schüttelte den dröhnenden Kopf und begann hemmungslos zu fluchen, als er las, was auf Bobs Brust geheftet war. In großen harten Buchstaben hatte Hem die Worte hingeworfen. „Der Sonnenreichbund warnt Birger Reinegger! Weitere Aussagen gefährden Lily Ullrich, die sich in der Hand des Bundes befindet! Es liegt an ihm, ob sie leben wird!“ „Bob!“ schrie Joe auf und rüttelte ihn. „Bob – verdammt noch mal!“ Sie hatten sich einfach übertölpeln lassen. * Mark Robertson stand neben Jim Parker. „Das Sonnenreich wird sich vor Ihnen öffnen wie ein Paradies“, sagte er mit leuchtenden Augen. „Sie ahnen nicht, Kommodore, was es für mich bedeutet, den größten Raumflieger der Erde meinen Gast nennen zu dürfen!“ 50
Das Raumschiff des Sonnenreichbundes befand sich 63 Millionen Kilometer von der Erde entfernt. Jim sah über die Schulter des Raumpiloten auf die schmale Anzeigetafel am Armaturenbrett, von der sie laufend die Entfernung von der Erde ablesen konnten. Der Raumpilot wandte seinen Kopf – er war der einzige, der außer Robertson wußte, wer der neue Sonnenbürger Nr. 1047 war. „Wie gefällt Ihnen das Schiff, Sir?“ fragte er höflich. Jim nickte anerkennend. „Sehr gut! Von der europäischen EFU erworben wie?“ „Auf Island gebaut!“ sagte Mark Robertson und klopfte dem Raumpiloten auf die Schulter. „Mach weiter so! Du wirst uns sicher über den Urstrom der Schöpfung setzen!“ Er lachte. Sechsmal vierundzwanzig Stunden waren vergangen seit er auf der kleinen Insel vor Westafrika dem Kommodore hilflos beinahe und von Sorgen gequält gegenübersaß. Jim dachte bei sich, was doch eine solche Zeitspanne ausmachen konnte, denn neben ihm ging ein anderer. Der echte Mark Robertson. Hier war er der Mann, der freudig eine große Verantwortung trug und wußte, er konnte sie tragen! Hier war er der Herr! Sie schritten langsam zum Mittschiffsgang hinunter. Jim horchte auf den kaum spürbaren Rhythmus des Antriebes. Er war so, wie er zu sein hatte. Das Raumschiff wurde von erstklassigen Piloten durch das All gejagt, das hatte Jim bereits erkannt. Es waren zwei Europäer und ein Japaner, die für diesen Transportflug verantwortlich waren. Jim sah einen Stern in der Unendlichkeit des Alls, das sich jenseits der dünnen Außenwand dehnte. Irgendeinen Fixstern, der ihm gerade auffiel. Jetzt werden sie mich suchen, dachte er – er hatte sich nicht abgemeldet. Ob Fritz Wernicke mit der II. Flotte bereits am Mars war? 51
„Sie sind nachdenklich, Kommodore?“ sagte Mark Robertson aufmerksam. „Hoffentlich sind Sie nicht enttäuscht von dem, was Sie bisher sahen?“ „Nein“, antwortete Jim aufrichtig. „Das bin ich gewiß nicht! Ich wundere mich nur, daß es noch soviel inbrünstigen Glauben in unserer Zeit gibt.“ „Hören Sie“, lächelte Mark Robertson und zeigte nach vorn, wo die Räume der weiblichen Transportmitglieder lagen. Sie sangen. Wieder das Lied vom Glück im Sonnenreich. Ihre Stimmen waren wie Glocken, die freudig der Schöpfung ihr Lob sangen. Auf der anderen Seite des Mittschiffsganges lag die Kabine III, in der zehn Männer untergebracht waren, die aus Nordafrika, Westeuropa und Südamerika stammten. Jim kannte einige Insassen dieser Kabine nur flüchtig, da er mit drei anderen im anschließenden Passagierraum kampierte. Er hatte aber Gesichter unter ihnen gesehen, die ihm keine reine Freude bereiteten. „Werden Sie sich jetzt wieder in meine Schriften vertiefen, Kommodore?“ Jim klopfte auf die prallgefüllte Seitentasche seines gelben Raumanzuges. „Was bleibt mir anderes übrig“, seufzte er. „Soviel geistige Nahrung bin ich alter Krieger sonst nicht gewohnt!“ Vor ihnen glitt die Hermetiktür der Kabine III weg. Sie gab den Blick frei in den langgestreckten Raum, in dem unter dem bläulichen Flutlicht die Gesichter der Männer eigenartig fahl und verschwommen hervortraten. Wahrscheinlich nistete auch hier in den Herzen die Langeweile. Kartenspiel war natürlich verpönt; einige sangen halblaut vor sich hin, einer betete, zwei kamen gerade zwischen den Kojenreihen hervor. Sie trugen ovale flache Kunststoffbehälter. Mark Robertson lachte ihnen väterlich zu und wandte sich wieder an den Kommodore. 52
„Das sind Virgo Tibaldi und Patrick Sylvester! Zwei Gefährten, die die Versorgung der Kabineninsassen übernommen haben. Was sollt ihr holen, meine Freunde?“ „Trinken“, sagte Virgo Tibaldi. Der Mann machte einen tadellosen Eindruck. Jim wußte, daß er Hochschullehrer gewesen war. Patrick Sylvester grinste wohlwollend dazu, was sein Antlitz aber nicht verschönerte. Als er sich abwandte, um hinter Tibaldi zur Kombüse zu marschieren, gab es Jim einen regelrechten Hieb. Verdammt, wo war ihm dieses edle Profil schon einmal vor die Augen gekommen? Einer hatte neben ihm gestanden. In einem großen, von mildem Licht erfüllten Raum war es gewesen. Jim schnippte mit den Fingern, wie er es immer tat, wenn ihm etwas einfiel. So also war das – unter denen, die zu einem anderen Planeten auswandern wollten, weil sie müde waren, verzweifelt, entmutigt befand sich ein Gangster reinsten Wassers. Patrick Sylvester? Oh, fromme Einfalt – der Bursche, der neben Virgo Tibaldi nach vorn stampfte war kein anderer als Jacki Gordon. * Der Tag brach an. Als Lily Ullrich die Augen öffnete fiel ihr ein silbriger Schein entgegen, vom ovalen Fenster her, an dem der breitschultrige Mann stand. Sie schloß die Augen wieder und hielt den Atem an. Mein Gott, dachte sie, wo bin ich nur? Es war gut, daß in diesem Augenblick nebenan zwei Frauenstimmen zu singen begannen: „… die Sonne ist überall und überall schlagen die Herzen …“ Es war gut. Die Furcht, die sie zu überfallen drohte, wich wieder. Es war alles gut! Sie war im Sonnenreich! Der Mann am 53
Fenster trug ja auch einen gelben Anzug – wie hatte sie das nur übersehen können! Schritte kamen neben sie. Als sie die Augen wieder öffnete beugte sich der Mann über sie. Er grinste breit und sah sehr wohlwollend auf das junge Mädchen, das vor ihm auf dem Ruhelager des kleinen Wohnraums lag. „Na?“ sagte er breit in ostamerikanischem Slang. „Das ging ja noch mal gut! Wir haben mächtig viel Glück gehabt, daß wir Sie und die anderen noch heraushauen konnten! Übrigens – Derek heiße ich, James Derek, falls Ihnen der Name eines bescheidenen Dieners des Sonnenreichs etwas bedeutet!“ Lily Ullrich hörte die Worte und richtete sich auf. Der silbrige Schein brach nun mit aller Macht durch das Fenster. Der Mann, der Derek hieß, wandte sich ab und zog an einem Hebel, der an der grünen Wand angebracht war. Das Flutlicht über ihr erstarb. Gebannt starrte Lily auf den niegeschauten Schein: Die Sonne ging über der weiten Marslandschaft auf. James Derek lachte behaglich. „Wissen Sie nun, wo Sie sich befinden? Im Sonnenreich! Dem Ursprung nahe – wie es so treffend in unseren Schriften steht.“ „Das Sonnenreich“, sagte sie leise. Sie stand auf und ging durch den guteingerichteten Raum zum ovalen Fenster. Minutenlang sagte sie nichts weiter, dann aber wandte sie sich plötzlich um – in ihrem schönen Gesicht zuckte Erschrecken. „Aber da war doch noch was! Mit uns ist doch etwas geschehen!“ „Ja, das war ’ne schlimme Sache“, nickte Derek düster. „Wir haben uns schon an das S.A.T. gewandt, um die Gangster ausfindig zu machen, die euch überfielen! Na, es ging ja noch mal gut! Wir haben euch ’rausgehauen! Einen mußten wir schwerverletzt aus einem Wasserlauf ziehen!“ Lilly Ullrich konnte sich erinnern. Ganz unvermittelt waren schwarzuniformierte Männer vor dem fremden, schönen 54
Buschwald über sie hergefallen. Dankbar sah sie diesen würdigen einfachen Burschen an, der sich jetzt zum Gehen wandte. „Ich kann also melden, daß es Ihnen gutgeht! Dies hier ist Ihr Wohnraum,! Sie finden alles vor, was Sie brauchen! Möge Ihr Eintritt in das Sonnenreich gesegnet sein!“ Er ging auf die Selentür zu, aber sie vertrat ihm den Weg. „Ich bin Ihnen so dankbar“, sagte sie bedrückt, „aber – seien Sie bitte offen – sind denn alle gerettet worden?“ „Alle!“ „Oh, das ist gut!“ Dann werde ich Birger Reinegger wiedersehen! schoß es ihr durch den Kopf. „Und – solange habe ich geschlafen?“ „Bis zum Sonnenaufgang dieses Tages.“ Solange war nichts gewesen? Doch! In Ihrer Erinnerung lebte plötzlich eine Szene auf, die sich in diesem Raum abgespielt hatte. Ganz deutlich sah sie alles wieder vor sich, sie wußte sogar, daß der eine der Männer gehustet hatte, hoch und schrill. „Derek, das kann doch nicht stimmen“, wunderte sie sich. „Ich muß inzwischen einmal wach gewesen sein! Ich weiß doch, daß ich in diesem Raum etwas unterschrieben habe, was drei Männer mir vorlegten!“ James Derek legte ihr väterlich die Hand auf die Schulter. Sie fühlte sich geborgen bei ihm – und sie schämte sich irgendwie. „Wirklich, Sie waren nicht schon einmal wach! Ihre Seele gaukelt Ihnen nur Bilder vor, die Sie irgendwann einmal deuten werden! Die Änderung des kosmischen Standpunkts bewirkt solche Phänomen! Darf ich jetzt gehen?“ „Ich danke Ihnen sehr“, sagte sie warm. Als sich hinter ihm die Selentür geschlossen hatte, entkleidete sie sich und ließ aus einer Leitung frisches Wasser in ein Becken laufen. Sie sehnte sich nach einer anständigen Erfrischung. 55
* „Keine Nachricht von Jim Parker!“ Orion-City hämmerte Funksprüche nach Tanger hinüber. Tanger rief den Central-Funk der Erde in Australien an. „Keine Nachricht von Jim Parker!“ Aus New York kehrte Leutnant Jerry Gerwin nach OrionCity zurück. Niedergeschlagen, aber rasend vor Wut, als Oberst Mortimer ihn höchst ungnädig empfing. „Ich habe mich in Richmond von Parker getrennt, um einen guten Bekannten zu beobachten, den wir in den Räumen dieses verdammten Himmelfahrtklubs getroffen hatten! Jacki Gordon, Oberst – Jacki Gordon!“ „Gordon?“ blaffte der lange Mortimer und warf seine schlechtgedrehte Zigarette weg. „Wer ist das? Gordon! Jerry, sagen Sie mal …“ Er knallte vor dem Leutnant die Faust auf den Tisch. „Von dem Burschen habe ich doch schon gehört?“ „Führendes Mitglied des Ell-Penso-Ganag, der jahrelang die kleinen Geschäftsleute von Chikago, Boston und Teilen von New York terrorisierte“, sagte Gerwin düster. „Ein ganz schäbiger Haufen! Drei Staatsanwälte sind scharf auf ihn.“ „Und der hielt sich in den Räumen des Sonnenreichbundes auf?“ „Zuerst glaubte ich an einen Zufall“, nickte Jerry Gerwin. „Wo viel los ist, treibt sich ja immer was herum! Aber dann traf er sich mit einer netten Puppe, die zu diesem Klub gehört! Ich immer dabei! Jacki zog mit seiner blonden Erica von Kneipe zu Kneipe! ’ne tolle Spritztour legten die beiden hin! Dann hörte ich, daß Jacki mit der nächsten Raketenmaschine nach Chikago übersetzen wollte. Ich raus zum W-Flughafen, um noch vor ihm 56
da zu sein! Um mir den Weg abzuschneiden mußte ich durch eine dunkle Nebenstraße. Ich weiß nicht, ob das nun Zufall war …“ „Was?“ Der Oberst reckte neugierig seinen dürren Hals. Jerry wurde ziemlich verlegen; er lief rot an und schielte angestrengt an dem Oberst vorbei. „Wahrscheinlich war ich auch nicht vorsichtig genug, aber wer denkt immer an so etwas! Jedenfalls waren plötzlich zwei neben mir – der eine massierte mir das Kinn, der andere den Hinterkopf – es kitzelte noch, als ich nach ein paar Stunden wieder aufstand.“ „Sie sind ein Kamel, Jerry“, knurrte Mortimer ohne großes Wohlwollen. „Und wo haben Sie sich solange herumgetrieben?“ „Ich habe Jacki Gordon gesucht, Oberst, weil ich die Scharte wieder auswetzen wollte! Ich war in Chikago und dann noch einmal in New York! 23 V-Leute habe ich in Bewegung gesetzt! Er ist nicht aufzutreiben!“ Er legte mit trübem Grinsen den roten dreieckigen Ausweis, der ihm so große Vollmachten gegeben hatte, auf den Schreibtisch. Der Oberst achtete nicht darauf oder tat wenigstens so. Dann nahm er ihn aber plötzlich wieder auf und reichte ihn Jerry zurück. „Fangen Sie wieder an, Mann! Ich werde mit dem F.B.I. sprechen! Vielleicht können die uns weiterhelfen.“ „Und der Himmelfahrtsklub?“ „Wir können vorläufig nichts weiter tun als ihn unter scharfer Kontrolle halten.“ * Sie warteten auf Jim Parker. Es war sowohl Oberst Mortimer wie auch der Weltpolizei und dem amerikanischen F.B.I. klar, daß zwischen Jacki Gordon und dem Sonnenreichbund kausale Zusammenhänge beste57
hen mußten, aber da Jim Parker in „freier Aktion“ unterwegs war – was bedeutete, daß er so ziemlich alles anstellen konnte, daß er sich auch im Lager des Gegners aufhalten und dort gegen den eigenen Sicherheitsdienst arbeiten konnte – wagten sie noch nicht, die Schraube anzuziehen. Die Weltpolizei setzte für den 23. Juli nach Paris eine Konferenz an, auf der man sich ausschließlich mit dem Sonnenreichbund befassen wollte. Beim Präsidenten der Weltpolizei, dem hochnäsigen Lord Clifford, meldete sich in diesen Tagen der Wirtschaftsführer Franz Ullrich, legte ein Schriftstück vor und blieb geschlagene drei Stunden bei ihm. Davon erfuhren allerdings nur wenige. * Jim Parker atmete auf. Wenn er an eine der runden Sichtscheiben des Mittschiffsganges trat konnte er den Mars größer sehen. Von Stunde zu Stunde, seit sie ihn im großen Dreieck anpeilten. So günstig lief er ihnen vor die Flugbahn … „Fünf, sechs Tage – dann haben wir es geschafft, Morton!“ Jim wandte sich langsam um. Neben ihn war Jacki Gordon getreten, der sich hier Patrick Sylvester nannte und den frommen Mann spielte. Er kaute auf einer Shagpfeife, obwohl das verboten war. Es war das erstemal, daß er Jim anredete – und seine Stimme hatte keinen guten Klang. „Ganz schön, wenn wir das erst hinter uns hätten, was Morton? Ist wohl auch dein erster Raumflug, was?“ Was hatte der Bursche nur? Warum dehnte er den Namen Morton so und höhnte – natürlich, er höhnte … „Nehmen Sie die Pfeife aus dem Mund“, sagte Jim gelassen. 58
„Ohne Tabak schmeckt sie doch nicht! Außerdem sollte ein Sonnenbürger seine Laster überwinden können!“ Jacki Gordon dachte nicht daran, seine Laster zu überwinden. Er grinste nicht einmal. Sein Gesicht war kalt. Er musterte Jim von unten bis oben und stampfte dann weg – sagte kein Wort mehr … Jim sah ihm nicht nach. Er biß sich nur die Unterlippe blutig. Verdammt, das hatte ihm noch gefehlt. Jacki Gordon schien zu wissen, wer er war. * Mit den anderen ging Lily Ullrich in die Felder … Vor ihnen lag das Paradies. Wahrhaftig, anders konnte man es nicht nennen. Die Sonne, obwohl sie kleiner war und matter schien als auf der Erde, konnte dieses tiefliegende Land so stark wärmen, daß sie nur leichte Kleider zu tragen brauchten – Kleider, die in ihrem Schnitt einheitlich waren, deren Farbe aber jeder selber bestimmen konnte. Von der Kapelle schlug es viermal … Unwahrscheinlich war alles, aber unbegreiflich schön. Das fruchtbare Land, das sich vor ihnen auftat, soweit ihr Auge reichte, das sich hinstreckte bis zu den Hügeln, die – von einem gelbbraunen efeuartigen Gewächs überwuchert – im Westen gegen den blaßblauen Himmel standen. Was dahinter kam, wußten sie nicht – es war „Außenland“, das von der kleinen bewaffneten Truppe des Sonnenreiches überwacht wurde. Diesseits der Hügel aber lag die Geborgenheit. Mit drei anderen jungen Mädchen, die schon länger hier waren, die auf der Erde Reichtum und ein sorgenloses Dasein in Saus und Braus verlassen hatten, ging Lily die Straße entlang, 59
bis diese zu einem Plateau ausbuchtete, von dem aus man weit in die Felder hineinsehen konnte. Weitweg arbeiteten männliche und weibliche Sonnenbürger. Man konnte von hier aus nicht sehen wie viele es waren, die dort neben drei großen Maschinen hergingen. Einer war Derek, das wußte Lily, da sie vorhin noch mit ihm gesprochen hatte – der gute James Derek, der ihr so sympathisch war. Aus einem nahen Seitenweg tauchte plötzlich ein hochgewachsener häßlicher Mann auf, der einen leichten gelben Arbeitsanzug trug. Er trat auf sie zu. Es war ein Asiate. Lily erschrak zuerst, aber dann erkannte sie ihn an seinem breiten Lächeln, das die dicken Lippen über den gelben Zähnen wulstartig aufwarf. Es war Shimura, der stille Denker, der mit ihrem Transport gekommen war. „Ich habe den Frieden der reifenden Felder auf meine Seele wirken lassen“, sagte er in seinem unbeholfenen Englisch. „Daß ich dich treffe, Lily, macht mir das Herz leichter.“ „Du meinst, weil wir überfallen wurden?“ erwiderte sie eifrig und reichte ihm die Hand. „Aber es sind doch alle von unseren Gefährten gerettet worden! James Derek hat es mir erzählt! Auch Birger Reinegger, sagte er – ich habe ihn nur noch nicht gesehen …“ Das Lächeln auf dem gelben Antlitz blieb. „Ja, auch Birger Reinegger! Gehst du ein Stück mit mir?“ Sie nickte den anderen jungen Sonnenbürgerinnen zu und begleitete Shimura die Straße zurück. Die beiden ahnten nicht, daß sich die Streifen des S.A.T. immer näher an das Sonnenreich heranschoben. Lily berichtete Shimura, wie es ihr seit dem Überfall ergangen war, und sie erwähnte auch den seltsamen Traum, in dem sie in Gegenwart von drei Männern etwas unterschrieben hatte – obwohl sie sich schämte, so etwas zu sagen … 60
Shimura hörte sehr aufmerksam zu. Vor ihnen landete eines der vier Flugzeuge des Sonnenreiches. * Die Verantwortlichen des Sonnenreichbundes, die dem guten Joshua Wax gehorchten, setzten bald darauf einen Funkspruch ab. „Das S.A.T. verstärkt seine Aufklärungsflüge, die sich eindeutig gegen uns richten! Rechnen stündlich damit, von S.A.T.Fliegern entdeckt zu werden. Wax.“ Das heranbrausende Transportschiff fing ihn auf. Der Kommodore war nicht dabei, als er im Kontrollraum Mark Robertson vorgelegt wurde. Aber einer der Raumpiloten war dabei. „Es ist gut, daß wir Jim Parker unter uns haben“, sagte er leise und mit Betonung. „Ich glaube nicht, daß sie gegen uns etwas unternehmen werden, solange er im Sonnenreich weilt.“ Mark Robertson blickte finster auf den Text, der vor seinen Augen verschwamm. Mißtrauen stieg in ihm auf. „Sie sollen nur kommen!“ * Die II. Raumflotte des S.A.T. war heran. Mit einer Landungsrakete ging Commander Fritz Wernicke über dem Mare Cimmerium nieder. Ohne sich lange in der kleinen Siedlung der Marsianer aufzuhalten raste er in einem Schnellwagen über die Kunststraße zum Verwaltungskomplex. Hinter ihm setzten drei größere Landungsraketen mit achtzig Mann der Jim-Parker-Sonderstaffel auf. 61
Im runden Kommandosaal der Luftstreitkräfte schüttelte er viele Hände und trank nebenbei sechs Gläser Whisky und fünf Gläser echten Chikagoer. Dr. Hegemann war da, Ark Perseiden und ein hochgewachsener blonder Junge, den er noch nicht kannte. Dr. Hegemann stellte ihn als Birger Reinegger vor. Wernicke vergaß den ganzen Schnapssegen und wurde sehr sachlich. „Mr. Reinegger? Von Ihnen habe ich ja schon allerhand gehört! Sie sind der einzige – ahem – Sonnenbürger, der diesem tollen Überfall entgangen ist, wie?“ Birger Reinegger hatte sich immer noch nicht ganz erholt, aber eine verbissene Wut und die ironischen Bemerkungen, die er hier einstecken mußte, ließen ihn seine eigene Schwäche vergessen. Nun kam noch einer, der „ahem“ machte, bevor er das Wort Sonnenbürger aussprach – und noch dazu ein Raumflieger, der immerhin ziemlich berühmt war. „Das habe ich schon vor den Herren ausgesagt, die mich vernommen haben“, reckte er sich. „Außerdem habe ich vom Sonnenreichbund einen Drohbrief erhalten! Genügt das, Sir?“ Wernicke sah, daß er den anderen getroffen hatte. Er tat ihm leid; er reichte ihm die Hand. „Okay!“ Er wandte sich um und zeigte auf die Projektionstafel, die neben Dr. Hegemann angebracht war. „Wo ist denn nun das sagenhafte Sonnenreich, Reinegger? Sie müßten es doch wissen!“ Birger Reinegger hob die Schultern. „Ich weiß nur, daß wir auf dem Mars landeten, in Kettenwagen losfuhren und dann überfallen wurden – mehr nicht …“ Ein hoher Offizier der Luftstreitkräfte trat ein. Wendlitz hieß er, und er war ebenso wie seine Kameraden in den letzten Wochen kaum zur Ruhe gekommen. Man sah ihm an, daß er wieder vergeblich gesucht hatte – wenn es nicht so unanständig 62
gewesen wäre, hätte er sicher auf den Boden gespuckt und unfeine Bemerkungen gemacht. „Kommen Sie ’ran, Wendlitz“, rief Wernicke ihm aufmunternd zu. „Es ist doch sonst nicht Ihre Art, an einem alten Kumpel vorbeizugehen.“ Der Offizier klopfte ihm auf die Schulter. „Ich habe wieder nichts gefunden, Wernicke“, stöhnte er. „Wissen Sie, was das heißt? Ich will doch verdammt sein, wenn …“ Dr. Hegemann winkte ab. „Wendlitz, das geht uns allen so! Aber ich glaube, wir können nun doch ein großes Quadrat abstecken, auf das wir in Zukunft unsere Staffeln zu konzentrieren haben.“ Sie gruppierten sich um die Projektionstafel, vor der der Chef stand, Wernicke stand neben Birger Reinegger. Er musterte ihn verstohlen. Der Junge schien nicht schlecht zu sein; er hatte ein gutgeschnittenes, jetzt etwas eingefallenes Gesicht, und ihm war sicher nicht zuzutrauen, daß er einer neuen Sache nur aus romantischer Schwärmerei nachrannte. Wo aber lag dieses Sonnenreich? „Hier, an diesem Punkt“, begann Dr. Hegemann seinen Vortrag, „wurden drei Angehörige der III. Staffel von Unbekannten übertölpelt. Sie fanden sich in einem fremden Kettenwagen amerikanischer Herkunft wieder und fanden bei sich einen Drohbrief, der handgeschrieben war und angeblich vom Sonnenreichbund stammen sollte.“ „Was ich nicht glauben kann“, stieß Birger Reinegger hervor. Wernickes Blick ging zu den weiß hervortretenden Quadraten der Tafel über. „An dem Punkt, auf den Sie zeigen, scheint das Land recht tief zu sein, Hegemann! Eine Senke oder so?“ „Ganz recht, Wernicke! Eine Senke! Und von diesem Punkt gehen auch meine Überlegungen aus! Ich habe durch die III. Staffel gestern feststellen lassen, daß jene Senke zwar nach 63
fünfzehn Meilen endet, das heißt, daß das Land wieder ansteigt und fester wird. Aber meine Herren, die III. Staffel berichtete, daß das Land jenseits der Senke von Rillen durchzogen ist, die von der Senke ausgehen und sich fast gradlinig nach Westen ziehen, etwa in Richtung auf die große weiße Wüste zu, aber doch scheinbar an ihr vorbeigehend …“ „Das ist ja interessant“, mischte sich Dr. Peters, der Geologe der Marsverwaltung ein und schob sich die Brille auf die Stirn. „Das muß ich mir ansehen.“ „Sie können nachher mitfliegen, Peters! Interessanter aber noch als diese Rillen ist die Tatsache, daß sie sehr tief zu sein scheinen und ihnen warme Luft entsteigt …“ „Hölle und Teufel!“ schrie der Geologe aufgebracht. „Und das erfahre ich erst jetzt? Hegemann, Sie sollten sich schämen!“ Sie grinsten. Peters war nicht mehr zu halten. Er war schon vor der Tafel und gestikulierte wild herum, was sehr komisch aussah. „Ich kann mir denken, daß die Senke in Zusammenhang mit einem großen geologischen System steht, das vielleicht von einem sehr tief gelegenen Becken bestimmt wird, in dem sich …“ Dr. Hegemann hielt ihn fest. „Bitte nicht jetzt, Peters! Sie können das nachher untersuchen! Sie haben vielleicht recht, und ich nehme auch an, daß dieses Becken weit nach Westen geht und dort in einem günstig gelegenen Landstrich Bedingungen schafft, die man als paradiesisch bezeichnen könnte – also …“ „Aber das wollte ich ja sagen, Hegemann!“ schrie Dr. Peters erbost. „Auf allen Bildern, die mir mit den Werbeschriften des Sonnenreichbundes vor die Augen gekommen sind, waren eine Landschaft und leicht gekleidete Menschen zu sehen, die man sich schwer in einer kalten und rauhen Marslandschaft vorstellen kann.“ Er wirbelte zu Birger Reinegger herum. „Ist es so?“ 64
„Gewiß“, nickte der Norweger, der aufmerksam zuhörte. „Dann schlage ich vor, meine Herren“, sagte Dr. Hegemann trocken, „daß wir um dieses Gebiet, das jenseits der Senke beginnt und westwärts führt, ein neues Quadrat legen. Es wird immerhin noch einige hunderttausend Meilen umfassen, aber es schränkt doch die Kontinentweiten ein, in denen wir auf puren Zufall angewiesen sind.“ „Ein gewisses Risiko gehen wir wieder ein“, gab Wendlitz zu bedenken, der seine schlechte Laune auslassen mußte. „Natürlich! Aber auf ein bestimmtes Gebiet konzentrieren müssen wir uns ja doch einmal. Wie denken die anderen Herren?“ „Wie Sie, Doktor!“ sagte Ark Perseiden rasch. „Wernicke?“ „Holen Sie alle Staffeln, die noch unterwegs sind zurück und konzentrieren Sie sie auf ein Gebiet, das von den Bodenrillen bestimmt wird. Mein Vorschlag! Das schränkt unser Aktionsgebiet zwar noch mehr ein, aber wir könnten es versuchen!“ Dr. Hegemann kaute etwas. Dann nickte er Ark Perseiden zu. Die Staffeln wurden zurückgeholt. * „Sie sollen nur kommen!“ Mark Robertson war es, als würden aus dem Dunkel Hiebe gegen ihn ausgeteilt. Sie suchten das Sonnenreich? Sie hetzten ihre Staffeln darauf wie auf eine Gangsterbande? Was dachten sie sich nur dabei? Mark Robertson bewegte sich in seiner engen Kabine hin und her. Schwerfällig stampfte er in seinen schweren Stiefeln über den blauschimmernden Bodenbelag, der in diesem Augenblick stark vibrierte, da sie vorn in der Bugkanzel die erste Anflugspirale einzusteuern begannen. 65
Wenn sie uns jetzt vor dem Planeten abfangen, ist alles verloren, hetzte er sich selbst in eine Hysterie hinein. Er war hier der Herr an Bord, zu dem sie Vertrauen hatten, er trug die Verantwortung – aber schon begann er wieder unsicher zu werden. „Sie sollen nur kommen!“ Vor ihm war ein Safe, das wichtige Dokumente enthielt und noch etwas mehr. Es war in der gerundeten Wand kaum zu erkennen. Mark Robertson öffnete es und nahm eine Strahlpistole heraus. Dann betätigte er einen Summer, der zur letzten Kabine führte und wartete. Mark Robertson konnte nicht gut mit Waffen umgehen; er wurde bleich und spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach. Es dauerte Minuten, bevor auf dem Mittschiffsgang Schritte laut wurden. Mark Robertson trat neben die Hermetiktür und ließ sie aufsummen. Jim Parker trat ein. Verwundert starrte er in die Mündung der Strahlpistole. Hinter ihm glitt die Tür wieder zu. „Robertson“, sagte der Kommodore mehr erheitert als erschrocken. „Sind Sie verrückt geworden?“ „Ich nicht!“ keuchte der Führer des Sonnenreichbundes. „Aber ich habe Meldungen aus unserem Hoheitsgebiet erhalten! Das S.A.T. geht gegen uns vor! Mit uns wird ein doppeltes Spiel gespielt, und darum sollen Sie mir Rede und Antwort stehen, Parker – in diesen Minuten!“ „Wenn Sie Ihre Kanone weglegen, gern!“ Jim mußte lachen. Mark Robertson war ein kleines Kind, das mit einem bösen, bösen Revolver spielte – aber auch Kinder konnten schießen … „Ich denke nicht daran!“ „Robertson!“ Jim Parker beobachtete genau die Bewegungen seiner Hände. „Was Sie da sagen ist ein ganz verdammter Unsinn! Daß Sie kein Verbrecher sind, und Ihr Sonnenreich keine Gangsterkolonie ist, weiß ich! Mit mir kann man aber nur reden, wenn man nicht zu spaßig wird – verstanden …?“ 66
Mark Robertson verstand. Die Hand mit der Strahlpistole kippte nach unten weg. „Ich will Ihnen sagen, Parker, daß ich meinem Bruder etwas anmerken konnte, als ich mich auf Ullrich-Strand von ihm verabschiedete. Ich hatte den Eindruck, als wüßte er, wohin ich wollte.“ „Ihr Schwager weiß alles!“ sagte Jim und wurde ernst. „Ich habe ihm Ihr Geheimnis anvertraut, und ich habe ihn auch gebeten, dieses nach unserem Start der Weltpolizei preiszugeben – ich nehme an, es ist inzwischen geschehen!“ Es sah aus, als wollte Mark Robertson die rechte Hand mit der Strahlpistole wieder hochreißen. „Warum?“ fragte er scharf. „Weil ich nicht möchte, daß man Sie mit den Gangstern über einen Kamm schert, die sich in Ihre Organisation eingeschmuggelt haben!“ In die Kabine drang ein rostroter Schein, der so intensiv war und so unvermittelt aus dem All hervorbrach, daß Mark Robertson zusammenfuhr. Die Einrichtung der Kabine wurde in einen grellen Schein getaucht – er wischte über das harte Gesicht des Kommodore hin und nahm noch an Intensität zu. „Der Mars, Robertson! Jetzt sind wir bei ihm!“ Das Raumschiff flog in seiner ersten Anflugspirale um den großen roten Ball, der rechts von ihnen vorbeitanzte. Mark Robertson wartete, bis der Schein wieder wich. „Was sagten Sie eben?“ fragte er dann, und es hörte sich an, als könnte er kaum noch ein Wort hervorbringen. „Parker – in meinem ganzen Leben habe ich noch nie etwas mit Gangstern zu tun gehabt!“ „Patrick Sylvester ist der berüchtigte Gangboß Jacki Gordon!“ „Nein!“ „Es ist so, Robertson! Und ich nehme an, daß er nicht der einzige ist, den es zum Mars zieht! Glauben Sie wirklich, daß 67
einer wie Jacki Gordon die Erde verläßt, um ein neues Leben zu beginnen?“ Die Strahlpistole fiel auf den hochbeinigen Klapptisch. Mark Robertson wankte, und es war gut, daß Jim Parker gleich neben ihm war und ihn hielt. Mark Robertson stöhnte leise – er tat dem Kommodore leid … „Parker! Wenn Sie mir etwas vormachen, sind Sie der schlechteste Mensch unter der Sonne! Wenn Sie aber recht haben, dann seien Sie barmherzig und lassen Sie mich jetzt allein! Ich weiß schon, wie man das Ding hier abschießt!“ Jim Parker setzte den kleinen weißhaarigen Herrn auf eine Wandbank. „Ihr Selbstmord wäre sinnlos“, sagte er freundlich. „Es wäre wahrscheinlich auch eine Gemeinheit, denn er würde die Stellung der anständigen Bürger Ihres Sonnenreiches nur erschweren …“ „Was soll ich tun?“ „Sie müssen mithelfen, die Gangster unschädlich zu machen! Robertson, reißen Sie sich zusammen!“ „Parker! Oh, mein Gott, warum stößt du mich in diesen Abgrund! Parker! Das überlebe ich nicht! Ich wollte meinen Freunden das Paradies bringen und lasse sie mit Gangstern zusammenhausen!“ „Das kommt davon, wenn man zu gastfrei ist“, zwinkerte Jim. Mark Robertson schüttelte sich. „Sie hätten sich früher den Weltbehörden anvertrauen sollen!“ „Man wird mich ins Zuchthaus bringen!“ „Wenn Sie vernünftig bleiben, nicht!“ *
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Westwärts … In der Nacht, die der Konferenz im runden Kommandosaal der Luftstreitkräfte folgte, stießen über 100 Strahlvögel über eine Linie vor, die über die Senke westwärts führte. Neben Ark Perseiden, der den Verband kommandierte, saßen Fritz Wernicke und Birger Reinegger. Weit von ihnen geisterte der unruhige Deimos tief über das Land dahin und warf seinen blaßweißen Schein. Birger Reinegger blickte aufmerksam auf den Mond. Wie ein Geistergeschwader stürmten sie über unberührtes Land. Die Senke wurde unter ihnen weggerissen. Das Land stieg wieder an, wurde braun, bedeckt von einem meilenweiten Teppich von Schlingpflanzen. Dann kahler Boden, braun, feindselig. Dann die Rillen, die sich unter den Schlingpflanzen hervorschlängelten. Ein Ausruf. „Die Dinger rauchen ja!“ Im fahlen Schein des schnell höhersteigenden Mondes erkannten sie feine Rauchschwaden. Sie tänzelten bläulich aus den Rillen empor und verwehten wenige Meter über der Marsoberfläche. Westwärts … Sogar der ewig lästernde Wendlitz wurde zuversichtlicher. „Zum Teufel! Dieser Hegemann kann recht haben! Kann!“ Er schob sich da Kehlkopfmikrofon zurecht. „Hallo, Wernicke, ich glaube nicht, daß Hegemann recht behält! Der führt uns in die Wüste und macht uns so fertig, daß sie uns in fünfzig Jahren als gebleichter Trümmerhaufen finden werden! Wetten?“ „Einen wie Sie sollte man glatt verdursten lassen“, knurrte der kleine Commander zurück. „Wieviel Flaschen Boston-Gold setzen Sie?“ Wendlitz schaltete rasch wieder ab. 69
* Die Kapelle rief … Die Marsnacht wich dem Morgen. Weit, weit im Osten rasten Perseidens Strahlvögel dahin. Noch hatten sie nicht den richtigen Kurs gefunden. Hier im Sonnenreich schickten sie sich an, den neuen Transport zu begrüßen. Sogar der von Sorgen beladene Wax, der fromme Joshua Wax, der einmal in New Yorks immer noch düsteren Vierteln bewiesen hatte, was praktische Nächstenliebe ist, wurde wieder etwas munterer. Er ging den Neuen entgegen, die hinter Mark Robertson eben mit Kettenwagen vor dem schlichten Verwaltungsgebäude eingetroffen waren. „Mark!“ rief er zu Tränen gerührt aus. „Mein alter Bruder Mark! Der Friede möge dich glücklich machen!“ Mark Robertson war nicht glücklich. Ihm war zumute wie einem, der sich auf schwankendem Boden bewegen und sich dabei aufrechthalten mußte. Er wagte nicht einmal aufzusehen. Sie hatten sich alle neben dem Verwaltungshaus versammelt. Achthundert Sonnenbürger und mehr. Sie jubelten ihm laut zu. Mark Robertson ging wie in einem bösen Traum. Sein Land war um ihn – die Felder und Gärten strömten Duftwolken aus, die sich über das ganze Sonnenreich legten … In der Kapelle läuteten sie unentwegt. Mark Robertson quälte sich ein Lächeln ab. Der Kommodore war neben ihm und wollte es so. Er durfte sich nichts anmerken lassen – noch nichts. „Mein Bruder, wie sind wir glücklich, dich wieder bei uns zu haben“, rief Joshua Wax abermals aus. Da blickte Mark Robertson endlich auf. Sein Blick fiel auf 70
die Männer und Frauen, die ihm vertrauten, denen er in seinen Schriften den Weg zu einem neuen Leben gezeigt hatte. Lily war unter ihnen. Sie wäre am liebsten dem kleinen Mann im gelben Raumanzug entgegengelaufen, der jetzt die Hände hob, als wollte er sie segnen. Aber er machte diese Bewegung nur halb … „Ich freue mich, bei euch zu sein“, sagte er. „Ich kann euch berichten, daß unser Sonnenreichbund auf der Erde immer mehr Anhänger gewinnt.“ Das war alles, was er sagte. Sie erwarteten mehr. In ihre Blicke traten Staunen und Enttäuschung. Der Kontakt fehlte noch, die Brücke, die Mark Robertson mit seinen Worten zu schlagen hatte. Das Läuten hing in der lauen Luft. Aber sie standen sich noch steif und unbeholfen gegenüber, die Alten und die Neuen. Einer der Neuen ging einfach auf den guten James Derek zu, der mit Hem einige Meter vor der Menge der Sonnenbürger stand. Sie achteten nicht weiter darauf. Was hatte Mark Robertson nur – ihr alter, guter Herr? Joshua Wax faßte sich, wandte sich an die Menge, wobei er Mark Robertson die Rechte auf die Schulter legte. „Unser Freund ist ermüdet von dem langen Flug durch die Sternenhimmel. Geht bitte alle wieder an eure Arbeit …“ Zögernd verliefen sie sich. Nur Lily und ein paar andere blieben. Das Mädchen eilte auf ihren Onkel zu. Gerührt schloß er sie in die Arme. * In der Kapelle läuteten sie noch immer. Jacki Gordon sagte nichts, als er sich neben James Derek stellte. Sie kannten eich von gemeinsamen edlen Taten her, aber auch Derek verzog keine Miene. 71
Mit der Menge verliefen sie sich. „Du bist wohl übergeschnappt?“ fuhr ihn der alte Kumpan an, als sie endlich allein zwischen zwei Häusern standen und gedankenlos zwei jungen Mädchen nachsahen, die lachend auf die Straße zuliefen. „Wie kannst du die würdige Begrüßungszeremonie unterbrechen, du Idiot! Das braucht doch nicht jeder zu wissen, daß wir uns von früher kennen.“ Jacki Gordon grinste trübe, was sein kaltes Gesicht nur noch unangenehmer wirken ließ. „Sei friedlich, Derek, denn du weilst im Paradies! Das also ist der Mars, wie? Verfluchte Gegend! Ich an deiner Stelle hätte den elektrischen Stuhl vorgezogen!“ James Derek wollte ihm an die Kehle fahren, aber er hielt seine Fäuste noch zurück. „Ich muß dir etwas Unangenehmes berichten“, fuhr Jacki Gordon trübe fort. „Etwas, was dich über alle Maßen erschüttern wird, geliebter Bruder! Der große Blonde, der neben Mark Robertson stand …“ „Was der?“ unterbrach ihn James Derek hastig und wurde blaß. „… ist Jim Parker! Hast du den Namen schon mal gehört? Kommodore des S.A.T. Jim Parker!“ James Derek fiel gegen die Wand. Natürlich hatte er den Namen schon gehört. Es gab Männer, die er haßte wie die schlimmste Krankheit und noch mehr fürchtete. Einer von ihnen war Jim Parker. James Derek wünschte tot zu sein. „Wer schmeißt denn hier den Laden?“ fragte Jacki Gordon vorsichtig. „Hem! Hem heißt er! Aus Indonesien glaube ich!“ „Wie weit seid ihr?“ „Dreihundert haben wir bald zusammen!“ keuchte James Gordon. „Es wäre gar nicht aufgefallen – aber nun?“ „Dann laß uns doch zu diesem Hem gehen!“ 72
* „Nehmen denn diese verdammten Rillen kein Ende mehr?“ Die Sonne stand niedrig am Marshimmel; sie war hochgestiegen, hatte den Mittag gebracht und kündete bereits wieder den nahenden Abend an. Die Rillen glitten unter dem Verband weg wie Schienen einer Autobahnstrecke. Fritz Wernicke konnte sie schon nicht mehr sehen. „Gibt es denn nicht mal einen Anhaltspunkt?“ begehrte er auf und riß den Verschluß von einer Taschenflasche. „Schluck gefällig, die Herren?“ Perseiden schluckte sogar dreimal, als das Teufelszeug über seine Zunge rann. Auch Birger Reinegger schluckte angestrengt. „Es gibt keinen“, sagte Ark Perseiden kurz. „Wir überfliegen unberührtes Gebiet! Wenn wir Pech haben, tauchen auch noch Ungeheuer auf und verschlingen uns.“ „Wäre wenigstens mal was anderes“, seufzte der Commander und wollte ebenfalls trinken. Er kam nicht dazu. Aus den Membranen vor den Ohren quakte einer aus einer Nachbarmaschine. „Hallo! Hallo! An Chef! Das Land scheint sich zu senken!“ Wernicke hielt die Flasche in der Hand und streckte die Nase aus der Kanzel. Wolken zerfilterten das matter werdende Licht der Sonne und ließen Schatten über den braunsteinernen nackten Boden fließen. „Der Junge hat recht! Es geht tiefer! Und wärmer scheint es auch zu werden!“ „Einbildung!“ setzte Ark Perseiden an. Und dann fluchte er hemmungslos los und Wernicke und Reinegger halfen ihm dabei. Der gerade Lauf der Rillen endete an einem spitzen Bo73
denkegel, um dann im Halbkreis weitverzweigt weiter vorzudringen. Aber noch weiter vor ihnen wurde die Eintönigkeit des unendlich weiten Landes unterbrochen. Eine lange schwarze Kette schob sich über den Horizont. Buschwald. In diesem Augenblick kommandierte Ark Perseiden: „Landen! Vor dem Wald niedergehen!“ * Shimura trat ein. Hinter ihm schloß sich die Selentür. Hier im Sonnenreich hatte man eben den Mittag hinter sich. Draußen auf den Feldern hatten sie die Arbeit wieder aufgenommen. Shimura wußte aber, daß einige nicht mit hinausgegangen waren. Es waren ausgerechnet solche, die ihm nicht gefielen. Shimura ging in den Beratungsraum des Verwaltungshauses hinein. An einem weißen Tisch vor der Wandbank saßen Mark Robertson, Joshua Wax und Jim Parker. „Ich habe dir etwas zu, berichten, Mark“, sagte der stille Asiate erstaunlich sachlich, wobei er abwägend auf Jim Parker sah. Mark Robertson lächelte traurig. „Shimura ist einer meiner besten Freunde, Parker! Und dieser Herr ist der berühmte Kommodore Parker! Ihr könnt Vertrauen zueinander haben!“ Shimura verneigte sich. Was er dachte, verriet er nicht. Sein plattes gelbes Gesicht blieb maskenhaft „Ich habe von betrüblichen Beobachtungen zu berichten!“ Mark Robertson atmete auf. „Also hast wenigstens du in der Zeit deiner Anwesenheit Augen und Ohren offengehalten! 74
Unserem Wax erging es wie mir – wir waren zu vertrauensselig.“ Joshua Wax zog beschämt den Kopf ein. „Es befinden sich Elemente im Sonnenreich, die eigene Interessen verfolgen“, berichtete Shimura. „Neben Hem sind es vor allem James Derek, Rok Steen, Godfrey Don und Arthur Stern. Rok Steen ist Arzt!“ Jim Parker stand auf. „Wo befinden sie sich“, fragte er rasch. „Ich weiß es nicht!“ mußte Shimura zugeben. „Irgendwo in der Siedlung! Ich sah zuletzt Don und Stern miteinander nach Norden gehen.“ Jim tastete die Taschen ab, die seine Waffen bargen. „Mister Shimura, was haben Sie denn beobachten müssen? Können Sie mir das kurz sagen?“ „Hem und seine Freunde treiben ein falsches Spiel mit uns! Ich nehme an, daß sie sich in den Sonnenreichbund haben aufnehmen lassen, um so heimlich die Erde verlassen zu können! Aber sie verfolgen noch andere Ziele!“ „Welche?“ „Viele unserer Sonnenbürger, vor allem weibliche, sind der Meinung, einen seltsamen Traum gehabt zu haben! In ihm hätten sie, so erzählten sie mir arglos, in Gegenwart von drei Männern ein Schriftstück unterzeichnet. Nun, sie haben das nicht nur geträumt …“ „Es ist wirklich so gewesen?“ „Daran besteht kein Zweifel! Rok Steen ist Arzt. Er wird ihnen ein Mittel gegeben haben, daß sie aus dem natürlichen Schlaf in einen Dämmerzustand versetzte, den sie selber nur im Unterbewußtsein erfassen konnten, der sie aber tun ließ, was er und seine Kumpane von ihnen wollten …“ „Nämlich?“ „Eine Erklärung zu unterschreiben, die diesen hinterhältigen 75
Menschen die Möglichkeit gab, an ihr Vermögen auf der Erde heranzukommen. Wahrscheinlich durch ihre Verbindungsleute, die sie noch auf der Erde haben werden!“ „Also eine Organisation“, sagte Jim Parker nachdenklich und nickte anerkennend. „Nicht schlecht! Und wo sind die Schriftstücke?“ Er hielt es nicht mehr aus – eine Unruhe erfaßte ihn und trieb ihn voran. „Ich will sie sehen, Mr. Shimura! Sofort!“ Eine Detonation riß sie herum. Shimura stand mit dem Gesicht zum Fenster, und er konnte sehen, was sich in den nächsten Sekunden abspielte: Eines der schönen, hellen Häuser, das dreihundert Meter ab stand, hob sich vom Boden und wurde dann von einem gewaltigen blutroten Flammenpilz auseinandergerissen. Die Detonation war so stark, daß sie Mark Robertson und den schlotternden Joshua Wax von der Wandbank riß. * Die Strahlvögel heulten wieder hoch. Ark Perseiden hatte Meilen vor dem schwarzen unendlichen Buschwald noch eine Lagebesprechung abgehalten. Die Situation war nicht dazu angetan, fröhliche Lieder zu singen – die Rillen, die im Halbkreis vorwärtsstießen, verloren sich im Buschwald. Aber hinter diesem Wald mußte etwas kommen! Ark Perseiden gab den Befehl gemeinsam weiter vorzustoßen. Es war gut, daß er ihn gab. Über 10 000 Kilometer mußten sie allerdings noch zurücklegen. Wie ein gigantischer Dschungel glitt der Buschwald unter ihnen weg; eine Wildnis von Riesenbüschen – was mochte in ihr leben? Nach dreizehn Minuten – vorbei … Der Cheffunker des Verbandes fing einen Funkspruch der 76
Zentrale auf, den er gleich an Ark Perseiden weitergab. „Achtung! Wichtige Durchsage! Der Central-Funk der Erde meldet, daß das Sekretariat des Weltbundes der freien Nationen die Anerkennung des Sonnenreiches erwägt. M. Robertson wird zu einer Besprechung mit Beauftragten des Weltbundes nach Mexiko-City eingeladen! Achtung, ich wiederhole …“ Wernicke grinste, als er es hörte – er verstand nicht, was das bedeuten sollte. „Dieser Mark Robertson kann sich freuen“, knurrte Ark Perseiden, für den dieses Sonnenreich noch immer ein rotes Tuch war. „Das heißt – wenn wir ihn antreffen.“ Sie sollten ihn antreffen. Als die Dämmerung sie einzuholen begann, sahen sie in der Elektronenoptik, wie in weiter Ferne große Gebäude und die farbigen Schraffierungen bebauter Felder auftauchten. Ark Perseiden atmete hochauf. „Da haben wir das Paradies! Alle Götter seien gepriesen!“ Die Membranen vor den Ohren wurden nicht ruhig. Sie sahen es alle, als sie näher kamen. Das Sonnenreich. Hineingebettet in die Mulde, die langgestreckt war und gegen noch fernere Hügel stieß. Dann erkannten sie eine Siedlung, und das war so phantastisch, daß sie alle still wurden … „Kneifen Sie mich mal, Wernicke!“ schnappte Ark Perseiden. „Das habe ich nie für möglich gehalten!“ „Da!“ brüllte Birger Reinegger neben ihnen auf. „Da!“ Sie rasten in einen Aufruhr hinein. Das Schicksal, das die Fäden dieses ganzen seltsamen Geschehens spann, wollte es so. Sie rasten hinein in das Aufblitzen der Detonation, die eines der Häuser zerriß. Ark Perseiden ruckte hoch. „Landen!“ brüllte er ins Mikrofon. „Landen, Jungen! Wir können neben der Siedlung aufsetzen!“ Vor den Augen der jungen Flieger flammte es abermals auf. 77
* Jim Parker rannte hinaus. Shimura folgte ihm und Mark Robertson, der sich soweit in der Gewalt hatte, daß er nach dem Rechten sehen konnte. Von den Feldern her kamen laute Rufe. In der Luft, weit weg noch, sangen Strahlantriebe auf … Flammen geisterten gegen den blaßblauen Himmel. Haustrümmer sanken in sich zusammen. Knisterten. Jammerten sich hinein in ihr eigenes Verderben. Wurden übertönt von den hämmernden Schritten heranjagender Männer. Von dem gewaltigen Krachen im Norden der Siedlung, mit dem ein zweites Haus auseinandergerissen wurde. Verdammt, wollten die Burschen die ganze Siedlung in die Luft jagen? Mark Robertson schluchzte und rief etwas. Der Kommodore packte ihn und preßte ihn gegen eine Wand. „Vorsicht!“ zischte er. Von oben kam etwas heran. Vom Norden her. Ein längliches glühendes Trümmerstück. Wie eine Rakete. Pfiff auf, schoß an ihnen vorbei und sauste speerartig in den weichen Boden des Blumengartens. „Gehen Sie wieder ’rein!“ sagte Jim kurz. Und: „Wo steckt Ihre famose Truppe?“ „Im Außenland“, keuchte Mark Robertson. Aus dem Dröhnen der zweiten Detonation stieg Brandgeruch auf – beißend und penetrant – breitete sich aus. Mit langen Sätzen federten Jim und Shimura weiter. Gegen die Rauchwand, die über dem Trümmerhaufen schwebte. Sie hatten Glück – bei allen Weltraumgeistern, sie hatten viel Glück … Hinter der Rauchwand bewegte sich etwas. Dann bellte es. Kurz. Viermal. Rotstrahlen schossen vor. Schossen knapp an den beiden vorbei. Jim und der Asiate warfen sich zu Boden. 78
Das war der Augenblick, in dem die Revolte der Hem-Leute gegen das Sonnenreich offen losbrach. An drei Stellen hockten sie und feuerten auf alles, was ihnen vor die Mündungen kam. Die bewaffnete Truppe? – ach, sie gehörte schon lange zu Hem und seinen Leuten. Vom Außenland jagte sie heran … Aber auch vom Osten her näherten sich Strahlvögel. Viele. Ein ganzer Verband. Shimura schielte vorsichtig nach oben, während der Kommodore das Feuer erwiderte. Sie schossen noch immer durch die Rauchwand. Zwei Mann bewegten sich dort – einer von ihnen war Jacki Gordon, darauf wollte Jim jede Wette eingehen. Er sah das kalte Gesicht des Gangsters vor sich und wußte, daß Jacki ihn herzlich gern abschießen würde. Shimura wollte etwas sagen; er konnte sich denken, daß es fremde Maschinen waren, die heranjagten. Er kam nicht dazu. Vor ihm wurde das Gras von einem Rotstrahl wegrasiert, der nicht vom Trümmerhaufen her kam. „Kommodore!“ schrie er auf; es war das erstemal, daß ihm die Nerven durchgingen. Jim sah es auch schon. Sie wurden von zwei Seiten beschossen, vom Trümmerhaufen her und aus einem der anderen Häuser heraus. Sie waren in die Falle gegangen. Jim wurde es siedendheiß. Er wußte, daß sie auf dem Präsentierteller lagen – er liebte solche Situationen nicht … Er pfiff kurz. Shimura verstand sofort. Sie sprangen auf. Sie rannten auf Jacki Gordon und seinen Kumpanen zu. * Hem grinste. Er saß mit Rock Steen und elf von der bewaffneten Truppe in einem Haus, von dem aus sie die Felder übersehen konnten. 79
Menschen brachen aus ihnen hervor, Sonnenbürger, die nicht wußten, was ihnen geschah, die es brennen sahen und schießen hörten. Neben Hem stand eine prallgefüllte Ledermappe. „Wenn die vorderen heran sind, treten wir ’raus und stellen uns ihnen als ihre neue Regierung vor“, grinste Hem. „Ihr sollt mal sehen, wie die sich freuen.“ Sie lachten. Sie waren guter Dinge. Schiefgehen konnte nichts mehr. Jim Parker war in die Falle gegangen, hatten sie eben vom Verwaltungshaus gemeldet, in dem sich ein paar andere gerade das kolossale Heldenstück leisteten, Mark Robertson und Joshua Wax die Hände hochhalten zu lassen. Stimmen wurden laut. Eine Flut von aufgeregten Stimmen wogte heran. Getreidehalme raschelten unter hastigen Schritten. „Es sind friedfertige Menschen“, freute sich Hem. „Sie tragen keine Waffen bei sich.“ * Jacki Gordon konnte das nicht fassen. Er schoß und schoß und traf nicht. Dieser Sternenflieger, der kaum noch den Boden zu berühren schien, kam genau auf ihn zu. Jacki Gordon wollte ausweichen, aber von unten hieb ihm etwas gegen das Kinn und schleuderte ihn zurück. Dann war der Kommodore schon über ihm. Sie knallten hin. Knallten auf Trümmer, die schon heiß waren und scharf hochkanteten. Jacki Gordon war verloren. Er lag in einem Judogriff, der ihm nicht einem Millimeter Bewegungsfreiheit ließ. Er dachte ergeben an einen Staatsanwalt und an Sing-Sing. Jim nahm ihm die Waffe ab. Der andere Gangster rührte sich nicht mehr. Shimura hatte besser geschossen. Sie sahen sich an. 80
„Dort drüben!“ Der Asiate zeigte auf ein Gebäude, das vor den Feldern lag. „Das ist das Haus von Wiebken Raman! Sehen Sie, wie sich dort etwas bewegt! Das sind die von der Schutztruppe.“ Der Kommodore pfiff durch die Zähne. Sie standen so, daß sie den Abhang hinuntersehen konnten, an dem das Haus von Wiebken Raman lag. Jim erkannte gleich, was die Burschen vorhatten. Die Masse der Sonnenbürger sollte überrumpelt werden. Er besann sich nicht lange. Wie die wilde Jagd raste er den Abhang hinunter. Shimura folgte ihm nicht. Er trat an den heran, den er erschossen hatte und sah lange auf ihn nieder. An seine Ohren brandete immer stärker das Heulen heranjagenden Strahlvögel. Auch Hem und seine Leute hörten den fremden Ton, der wie ein schreckliches Ungeheuer aufsprang aus dem Nichts. Das waren nicht die paar Maschinen der eigenen Schutztruppe, die sie vom Außenland herangerufen hatten. Hem grinste nicht mehr. Die kalte Freude wich aus seinen verkniffenen Zügen. Er warf sich herum, riß die Tasche hoch und sprang aus einem Nebenfenster. Auch er besann sich nicht lange … Durch die Gärten hetzte er davon. Der Himmel war plötzlich voll von blauen Strahlvögeln, die in exakter Formation herabkreisten. Mitten im Dahinrennen gab Hem sich verloren. Er erkannte, daß das Schicksal gegen ihn war, daß es Fäden um ihn spann, aus denen es kein Entrinnen mehr gab. Verzweifelt blickte er sich um und sah dem Kommodore in die Augen. „Hem …“ Hem warf sich gegen ihn. „Du Hund!“ gurgelte es aus ihm heraus – aber da wurde er bereits durch die Luft gewirbelt, schlug hart auf eine Steinkante und blieb liegen. 81
Ark Perseiden mit dem ersten Trupp seiner Jungen kam heran. Sie erhielten Feuer aus Wiebken Ramans Haus. Aber das dauerte nur Minuten. Es gab keine weiteren Verluste, und das war gut so. Nur ein Gangster lebte nicht mehr. Die anderen konnten zur Erde zurückgebracht werden. *
Hem führte sie zunächst einmal in das Verwaltungshaus. Er stand zwischen zwei S.A.T.-Fliegern, die mit großen Augen das Wunder einer neuen Welt in sich aufnahmen. Allen erging es so. Auch Ark Perseiden. Er wurde weder ironisch noch bissig, als schweigend, blaß und bedrückt die Sonnenbürger durch das Spalier der uniformierten Flieger bis vor das Portal des Verwaltungshauses drängten. Der Brandgeruch wich langsam aus der kühler und härter werdenden Luft. Mark Robertson reichte Ark Perseiden die Hand, der sich vor ihm verneigte. Sie traten unter das Portal, vor die Männer und Frauen … Als erster sprach Jim Parker. Sie erfuhren von dem größten Raumflieger der Erde, welchen Abschaum sie arglos in ihrer Mitte geduldet hatten. Sie hörten es schweigend und ernst. 82
Dann trat Ark Perseiden vor. Er sprach Englisch wie der Kommodore. „Sie haben gehört, was sich hier zugetragen hat! Die Gangster um Hem waren es auch, die für das Verschwinden des vorletzten Transportes sorgten, als unsere Flieger ihn durch Zufall entdeckt hatten! Sie werden verstehen, daß wir erbittert waren, denn neun unserer Jungen mußten mit ihrem Leben dafür bezahlen. Inzwischen haben wir uns überzeugt, daß Sie an diesen Verbrechen nicht beteiligt waren! Aber Sie werden nicht mehr vermeiden können, daß sich der Weltbund Ihrer Organisation annimmt. Ich hoffe, Mr. Robertson wird klug genug sein, die Einladung des Weltbundes nach Mexiko-City zu Besprechungen zu kommen, anzunehmen …“ Schweigen. Keine Begeisterung. Einer trat vor. Irgendeiner, der nicht einmal besonders gut reden konnte. „Will man unseren Bund und das Land beseitigen, das wir schufen, weil wir es satt hatten, uns und unsere Kinder der Zivilisation einer entmenschten Welt zu opfern? Wir hatten gehofft, niemand würde von der Existenz des Sonnenreiches erfahren, und nun …“ Er redete sich in eine Erregung hinein, die auf die anderen überzugreifen drohte. Jim Parker wollte nicht neues Mißtrauen. Er hob die Hand. Der Mann schwieg. „Ich verbürge mich dafür, daß Sie weiter so in Frieden leben können, doch unter dem Schutz der Weltorganisationen.“ Mark Robertson sah ein, daß es so am besten wäre. „Ich werde mit Kommodore Parker zur Erde fliegen“, entschied er. * Zwei andere sprachen ebenfalls von der Erde. Sie hielten sich abseits von der großen Entscheidung, die vor dem Versammlungshaus fiel. Birger Reinegger und Lily Ullrich. 83
Die Straße, die in die Felder führte lag in tiefem Frieden vor ihnen. Weit weg, über den Hügel grüßte der erste Tamman die hereinbrechende Dämmerung. Birger nahm ihren Arm. „Das ist also das Sonnenreich“, sagte er andächtig. „Hm, nicht übel. Ich glaube schon, daß es sich hier leben läßt.“ „Wer den Frieden sucht, wird ihn hier bestimmt finden!“ nickte sie. „Sicher! Sie lachen noch immer über den Sonnenreichbund, und sie werden noch allerhand zu lästern haben, auf der Erde, wenn der Weltbund diese Gemeinschaft und ihre Lebensformen anerkennt. Es läßt sich aber zumindest ernsthaft darüber diskutieren! Nur – ich werde nicht hierbleiben, Lily.“ Sie blieb stehen und sah zu ihm auf. „Nein“, sagte sie leise, „ich kann verstehen, daß Sie zurückwollen. Für Grübler, die die Einsamkeit suchen, für Menschen, die vom Leben schwere Wunden empfangen haben, ist hier eine Welt, in der sie zur Ruhe kommen werden! Mein Onkel hat sicher einen Weg gezeigt! Aber Sie sind anders – Sie sind so gesund und stark, daß Sie sich doch noch auf der Erde behaupten können.“ „Und Sie?“ zwinkerte er. „Lily – so ein Mädel wie Sie …“ „Ich glaube, mein Onkel wird mich gern bei sich haben, wenn er auf der Erde mit den Herren des Weltbundes verhandeln wird! Ich möchte auch einmal mit meinem Vater sprechen! Es ist gut, daß es den Sonnenreichbund gibt!“ „Klar“, nickte er und zog sie an sich, „aber, Lily – die Erde – die ist auch ganz nett, nicht?“ „Das sagen Sie nun?“ lächelte sie. „Als wir herflogen …“ „Ach was! Wenn Sie bei mir bleiben, werde ich es schon wieder schaffen.“ – Ende –
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Sturz in die Vergangenheit des Mars Angezogen und fasziniert von der seltsamen Inschrift über der Tür trat Carse zwei Schritte darauf zu. Und in diesem Augenblick hörte er das leise, fast geräuschlose Schlürfen von Sandalen auf dem Steinboden hinter sich, denn Penkawr bewegte sich unglaublich schnell. Carse wußte sofort, daß er einen schweren Fehler begangen hatte, als er diesem schmutzigen kleinen Dieb den Rücken zukehrte. Er wollte sich umwenden und hob das Schwert. Doch dann fühlte er, wie Penkawrs Hände in seinen Rücken griffen und ihn vorwärtsstießen, noch ehe er seine Bewegungen vollenden konnte. Und Carse verspürte, wie er in der dräuenden Dunkelheit versank. Es war wie ein erschreckender, entsetzlicher und zerreißender Schock, der durch jedes Atom seines Körpers zuckte. Dann schien die Welt sich von ihm zu lösen. „Fahre hin und teile Rhiannons Schicksal! Ich habe dir ja gesagt, daß ich einen anderen Partner finden würde!“ Penkawrs wütender Ruf drang nur aus großer Ferne an sein Ohr, während er in die schwarze, endlose Ewigkeit fiel.
Das Vermächtnis der Marsgötter (The Sword of Rhiannon) Von Leigh Brackett Weit zurück in der Geschichte des Planeten Mars wird Matt Carse durch die gewaltigen Kräfte in der verborgenen Grabkammer des Rhiannon geschleudert. Er landet in einer Welt des Abenteuers und der phantastischen Erlebnisse. Unser Roman dürfte in Deutschland wohl einzigartig sein, denn er bringt eine neue Art von Science Fiction überhaupt. Ein Roman, der alle Leser begeistert. Aufregende Abenteuer und große Spannung im UTOPIAGroßband 46