KLEINE
B I B L I O T H E K
DES
WISSENS
LUXLESEBOGEN NATUR- UND K U L T U R K U N D L I C H E HEFTE
HANS-WILHELM SM...
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KLEINE
B I B L I O T H E K
DES
WISSENS
LUXLESEBOGEN NATUR- UND K U L T U R K U N D L I C H E HEFTE
HANS-WILHELM SMOLIK
SPINNEN AUS DEM L E B E N UND WEBEN EINES NÜTZLICHEN TIERES
VERLAG SEBASTIAN
LUX
MURNAU•MÜNCHEN•INNSBRUCK•BASEL
Der Tod lauert im Blütenkelch Strahlend lacht die Maiensonne. Um die schweren roten Kugelblüten der Pfingstrosen im Garten zucken die silbernen Flügelblitze der Wespen und Bienen. Reiche Pollenbeute bieten die dicken Staubgefäße. Kein Wunder, daß diese bunten Wirtshäuser einen reichen Besuch aufweisen. Die goldbehaarten Leiber der eifrigen Blütenstaubsammler beben vor Begierde. Durchweg sind sie alle so sehr ins Schaben und Bürsten vertieft, daß wir unbesorgt ganz nahe herantreten können. Noch weniger als auf uns geben sie auf die kleine bunte Krabbenspinne acht, die jetzt vom Blütenstiel aus die weite Wölbung der Rose erklimmt und sich dann schnell zwischen zwei Blütenblättern verbirgt. Mit ihren mattgrünen Beinen, dem rosenrot gerandeten Kopfund Bruststück und dem blasig aufgetriebenen, elfenbeinfarbenen Leib, den brennendrote Längsstreifen zieren, hebt sich die Spinne kaum von der Rose ab. Zudem rutscht sie nun rückwärts so tief zwischen die Blütenblätter, daß nur noch ihre überlangen, mit spitzen Stacheln bewehrten Vorderbeine hervorschauen. Drei, vier, fünf Minuten vergehen. Regungslos, wie erstarrt, liegt die Spinne in ihrem Versteck. Die zwei vorderen Beinpaare 2
spreizen sich immer weiter ab, bis sie zuletzt im rechten Winkel zum Körper stehen. Ober ihr kommen und gehen die sammelnden Insekten. Die Spinne rührt sich nicht. Ond weitere fünf Minuten verstreichen. Da endlich landet eine Honigbiene fast unmittelbar über dem Spinnenkopf. Die großen, weit vorn am Stirnrand sitzenden Augen der Lauernden funkeln auf. Wie von einem elektrischen Schlag getroffen, zuckt ihr Leib ein wenig zurück, schnellt aber fast im gleichen Augenblick schon wieder weit vor. Die langen Vorderbeine der Spinne legen sich wie die Backen einer doppelten Zange um den Nacken der Biene und pressen sie auf das Blütenblatt nieder. Gleichzeitig schlagen sich die Giftklauen tief ins Genick des Opfers. Kaum vermochten unsere Augen diesen blitzartig vorgetragenen Angriff zu erfassen. Die überrumpelte Biene stößt einen gereizten hohen Summton aus und versucht, sich mit aller Kraft loszureißen. Sie hängt bereits in der Luft. Aber die spitzen Stacheln der Spinnenbeine haben sich fest in ihren Leib gehakt. Die Biene kommt nicht frei. Darum zückt sie nun ihren Stachel, krümmt den Hinterleib ein und stößt wütend zu. Unsere Krabbenspinne jedoch — die übrigens Thomisius globosus heißt — ist noch fixer; blitzschnell hat sie sich auf ihre langen Beine gestellt, so daß der Bienenstachel unter ihrem Leib ins Leere saust. Die Biene kreist verzweifelt um ihre Achse, stößt immer wieder zu. Aber man erkennt deutlich, ihre Bewegungen werden matter. Das Spinnengift beginnt zu wirken, und ein zweiter wohlgezielter Giftbiß besegelt kurz darauf ihr Schicksal. Die Spinne zieht ihr Opfer in die Mitte der Blüte, läßt es los und wartet sprungbereit ab, bis sich der Körper der Biene streckt und kein Stich mehr zu erwarten ist. Silbern glitzern die Gifttropfen an den gespreizten Klauen der Räuberin. Jetzt zittern nur noch die Fühler der Biene ein wenig. Das Gift hat seine Schuldigkeit getan. Die Krabbenspinne packt ihre Beute, verstaut sie tief zwischen den Blütenblättern und legt sich wieder auf die Lauer. Denn der Sammelbetrieb an den blühenden Pfingstrosen geht ja weiter, als ob nichts geschehen sei, und die Krabbenspinne muß den sonnigen Tag nützen. 3
Flug im Altweibersommer Die Krabbenspinnen, die Thomisidae, haben wir schon vom zeitigen Frühjahr an beobachten können. Sie gehören zu den frei umherschweifenden Spinnen, die keine Spinnennetze als Fanggewebe anfertigen, sondern ihre Beutetiere aus dem Hinterhalt anspringen. Am liebsten bergen sie sich in und an den Blüten, um hier allen Nektar- und Pollensammlern aus der Insektenwelt aufzulauern. Wir finden sie aber auch sonst überall auf den Gräsern und Halmen, Sträuchern und Blättern sowie an Stengeln und Stämmen. Wie wir es soeben erlebt haben, überwältigen sie selbst die wehrhaften Bienen, Hummeln und Wespen, die ihnen an Größe weit überlegen sind. Aber auch Fliegen und Mücken, Schmetterlinge und Jungraupen, Ameisen und Ohrwürmer sowie Blattläuse und Blatt- I wanzen fallen ihnen zum Opfer. Manche verschonen selbst kleine Spinnen aus anderen Familien nicht. Wir haben auch schon beobachtet, wie sie die Netze der Webespinnen ausplünderten. Wir erkennen alle Krabbenspinnen, die kleinen wie die großen Arten, am stark abgeplatteten Vorderkörper, dem blasig aufgetriebenen, auffällig gefärbten oder gezeichneten Hinterleib, den weit abgespreizten und stark verlängerten Vorderbeinpaaren, den kurzen hinteren Beinpaaren und den langsamen, krebsartig seitlichen Bewegungen. Die Farbe ihrer Körper ist oft den Blütenfarben wunderbar angepaßt. Es gibt weißliche, grüne, dottergelbe und rote sowie viele braune Arten. Die gelben Krabbenspinnen vermögen sogar ihre Farbe zu wechseln; sie leuchten auf goldgetönten Blüten grell hellgelb und werden auf weißen Blüten ebenfalls reinweiß. Diese Tarnkleider dienen sehr wahrscheinlich mehr ihrem eigenen Schutz, denn die nur mangelhaft sehtüchtigen Augen der meisten Insekten, die ihre Opfer werden, vermögen die unbeweglich lauernde Spinne sowieso nicht zu entdecken. Bei schlechtem Wetter halten sie sich unterhalb der Blüten und Blätter verborgen oder ziehen auch ein Blatt mit wenigen Spinnfäden zu einem Schlupfwinkel zusammen. Hochzeit feiern die meisten Krabbenspinnen im Sommer. Die viel kleineren Männchen nähern sich den Weibchen sehr vorsichtig, um-
Die Beute ist umgarnt und in der Netztasche gesichert. (Foto: W. Harstrick) kreisen sie in angemessener Entfernung und werfen ihnen dabei viele Fäden wie Fesseln über die Beine. Erst dann, wenn sich das Weibchen nicht mehr rühren kann, findet die Hochzeit statt. Nur auf diese Weise entgehen
ausschlüpfen. Aber auch die Jungen werden noch etliche Tage von der Mutter zusammengehalten und beschützt. Schließlich geht das Spinnenweibchen buchstäblich an Entkräftung zugrunde. Die jungen Krabbenspinnen sind es vor allem, die wir dann im Spätsommer, im sogenannten Altweibersommer, auf ihren seidenen Flugfäden durch die Luft segeln sehen. Ihr Luftschiff fertigen sie sich an, indem sie an einer Pflanze emporklettern; oben an der Spitze verankern sie ihre Füße fest mit Spinnfäden und lassen dann aus der Spinndrüse am Hinterleib einen Faden in die vorherrschende Windrichtung schießen. Das Ende des Fadens fangen sie wieder ein, befestigen ihn gleich darauf an ihrem Sitzplatz und lassen in die also gebildete Schlinge immer neuen Spinnstoff nachströmen. Bald ist die Schlinge stark genug, daß sie der Wind zu erfassen vermag; er strafft und bauscht sie kräftig. Und nun beißen die Jungspinnen schnell die Schlinge ab, ziehen ihre Füße aus der Verankerung und fliegen mit dem Faden davon. Sie fliegen weit über Länder und Meere. Noch in Höhen" von 2000 und 3000 Metern wurden fliegende Krabbenspinnen entdeckt. Wenn sie landen wollen, wickeln sie den Flugfaden auf und sinken langsam zur Erde nieder. Den Winter überstehen sie gewöhnlich unter der Bodenstreu. In die Verwandtschaft der Krabbenspinnen gehört auch die Braune Ackerspinne, die Acroeca brunnea, die höchstens sechs Millimeter mißt und sich durch zwei braune Seitenstreifen auf der Kopfbrust sowie durch braune Flecken auf dem Hinterleib kennzeichnet. Tagsüber birgt sie sich unter Moospolstern, Grasbüscheln und Steinen oder hinter lockeren Rinden. In der Nacht zieht sie auf Raub aus. Für ihren Eierbeutel webt sie eine wundervolle, schneeweiße Schutzhülle, die an ein hängendes Glöckchen oder einen glockenförmigen Lampenschirm erinnert. Der Volksmund nennt dieses Glöckchen darum auch „Feenlämpchen". Meist hängt es ziemlich niedrig, höchstens sechzig Zentimeter hoch, an Pflanzenstengeln. Doch kann man es in dieser Schönheit nur einen einzigen Tag lang bewundern. Schon in der darauffolgenden Nacht nämlich tarnt die besorgte Spinnenmutter das ganze Gebilde mit Erdkrümelchen und Sandkörnchen so großartig, daß es kaum noch auffällt. Diese Kruste bewährt sich besonders als Schutz gegen viele kleine Schlupfwespen, die ihre Eier gern in die Eier der Spinnen legen. 6
Lycosa, die Düstere Während die bunten Krabbenspinnen im Mai und Juni nur an die Jagd und Beute denken, trägt die düstere Lycosa aus dem großen Geschlecht der Wolfsspinnen schon ihren Eierbeutel mit sich herum. Vor wenigen Tagen hat sie sich, nachdem sie ihren Mann mit gutem Appetit verspeiste, in eine kleine Erdhöhle zurückgezogen und dort von einer Wand zur anderen eine feste Decke gesponen. Dann kletterte sie in diese Hängematte, ließ hauchfeine weiße Fäden in großer Menge aus ihren Spinnwarzen quellen und häufte sie zu einem weichen Polster. Auf das Polster legte sie ihre rund sechzig Eier, diese zu einem hübschen gelblichen Gallertball zusammengefügt. Kurz darauf umspann sie den Eiball, nahm ihn mit dem vorletzten Beinpaar unter den Leib und versetzte ihn mit dem hintersten Beinpaar in sehr schnelle Umdrehungen. Hierbei traten aus ihren Spinnwarzen plötzlich grünliche Fäden. Fast fünfundvierzig Minuten lang wirbelte sie den Ball zwischen den Beinen. Dann war der zuerst schneeweiße Kokon dicht in die glänzendgrüne Seide gewickelt. Erschöpft hielt Lycosa endlich inne. Und als sie die kleine Erdhöhle verließ, da hing der Eierbeutel fest an ihren Spinnwarzen. Seitdem trägt sie ihn immer mit sich herum. Denn sie, als ein tatsächlich ruhelos umherschweifendes Geschöpf, hat ja keine feste Bleibe, keinen ständigen Unterschlupf. So sind die Eier an ihrem Leib am besten aufgehoben. Und wenn sie auch ein wenig auf den Fußspitzen laufen muß, so kann sie doch noch genauso schnell wie sonst dahineilen. Ihre Raublust ist jetzt fast noch gewachsen. Wie ein winziger reißender Wolf stürzt sie sich auf jedes Insekt, das auf der Erde rastet. Vom Erklettern der Pflanzen hält sie nicht viel. Der Boden ist ihr Jagdrevier, und er ist jetzt übersät von kleinen Spinnen, Milben, Krautflöhen, Käfern, Ameisen und Heuschrecken, die ihr Appetit machen. In den obersten Erdschichten und unter der Bodenstreu stöbert sie allerlei Raupen, Maden und Larven auf. Gerade jetzt entdeckt sie ein Kohlschnakenpaar auf der Hochzeitsreise, das sich ausruhend an einen tiefgeneigten Grashalm gehängt 7
hat. Wie eine Raubkatze schleicht sich Lycosa an, schnellt sich vom Boden ab, reißt die beiden Hochzeiter herunter und versetzt erst dem Männchen und gleich darauf dem Weibchen den tödlichen Biß. Das Gift wirkt so schnell, daß bald nur noch die überlangen Beine der Schnaken zittern. Das nennt man Glück! Zwei Happen mit einem Sprung! O ja, sie beherrscht ihr räuberisches Handwerk. Nur selten einmal springt sie daneben. Gierig saugt sie ihre Opfer aus, die sie vorsichtshalber in die Deckung eines Grasbüschels gezogen hat. Es ist fast unwahrscheinlich, was ihr Saugmagen aufzunehmen vermag. Er steht nämlich mit zahlreichen, sehr dehnbaren Blinddärmen in Verbindung. Und diese Blinddärme sind gleichsam die Vorratslager der Spinnen, die ihnen in knappen und insektenarmen Zeiten ein langes Fasten ermöglichen. Als Lycosa im zeitigen März erwachte und ihre mit seidenen Tapeten dicht ausgekleidete kleine Erdhöhle verließ, hungerte sie gut acht Tage lang, ehe sie die erste kleine Fliege erwischte. Dann kamen wieder Schneefälle und viele Regentage, in denen sie lediglich eine halberfrorene Hummel erwischte. Jetzt aber ist alle Not vorüber. Die Wiesen und die Äcker blühen. Vom Morgen bis zum Abend umschwirren Bienen und Hummeln, Wespen und Käfer, Fliegen und Schmetterlinge die Blumen. Es ist ein Blitzen und Flirren gläserner Flügel, ein Schweben und Schaukeln bunter Insektenleiber, ein Summen und Brummen, als sei das Leben schon immer nur eitel Sonne und Wonne gewesen. Ende Juni schlüpfen die Jungspinnen aus. Sie befreien sich mit Hilfe eines Eizahnes aus ihren Hüllen, durchbrechen das von der Mutter gelockerte Gespinst und — steigen ihr auf den Rücken. Das ist ein Gewimmel! Lycosa trägt ihre Brut fleißig in die Sonne und auch zu den Wasserpfützen, denn alle Wolfsspinnen sind durstige Seelen. Es währt nicht lange, da unternehmen die Jungspinnen schon kleine Ausflüge, kehren aber blitzschnell zur Mutter zurück, wenn Gefahr droht. Sie müssen mehrere umständliche Häutungen hinter sich bringen, wobei auch alle acht Beine aus den alten Chitinhüllen wie aus Röhrenstiefeln gezogen werden. Danach aber werden sie von Tag zu Tag selbständiger und verlieren sich, eine nach der anderen, aus der Schar. Sie sind nun schon in der S
Lage, frisch geschlüpfte winzige Erdflöhe, Blattläuse, Mücken und Milben zu überwältigen. Oft auch finden-sie sterbende Insekten, denen sie dann den Rest geben. Im Spätsommer aber fertigen sie sich wie die jungen Krabbenspinnen seidene Flugfäden und segeln in neue Lebensräume.
Der Faden wird glattgestrichen und gekämmt. Das Poto zeigt den Fuß einer Kreuzspinne mit den beiden Kämmen. (Foto: Dr. Croy, Berlin) 9
Die Wolfsspinnenfamilie ist g r o ß Im Gegensatz zu den Krabbenspinnen sind die Wolfsspinnen, die Lycosidae, ausgesprochen schlankwüchsig. Wir erkennen sie an dem schmalen, gut gewölbten Kopfbruststück, einem langen, spitz ausgezogenen Hinterleib und ungewöhnlich kräftigen Laufbeinen. Zum Schutz gegen Kälte und Nässe ist der ganze Leib samtig behaart. Die acht Augen stehen weit vorn an der Stirn in drei Reihen hintereinander. So vermögen diese kleinen, durchweg düster gefärbten Räuber ein ziemlich weites Feld zu übersehen. Ihre Bewegungen sind ungemein schnell, hastig, ungestüm und heftig. Schon von weitem wittern sie Beute und Gefahr, stürzen jäh aus dem Hinterhalt vor und wissen sich ebenso schnell wieder zurückzuziehen. Untereinander sind sie sehr unverträglich und zeigen auch kannibalische Gelüste. In der Paarungszeit bekämpfen sich die Männchen oft mit erbitterter Wut. Unsere Lycosa gehört zu den sechs bis sieben Millimeter langen, j braun- bis schwarzgrauen, dunkel behaarten Luchsspinnen, die sich durch einen gelben Rückenfleck und bräunlichgelbe, schwarzgeringelte Beine kennzeichnen. Eine nahe Verwandte ist die stattliche Große Wolfsspinne, die vor; allem auf niederen Pflanzen jagt und weniger auf der Erde um-! herstreift. Bei ihr bringen die Männchen zur Hochzeit eine vorher gefangene und schön eingewickelte Beute mit. Vorsichtig überreichen sie dem gefährlichen Weibchen auf den weit vorgestreckten i Vorderbeinen ihr Geschenk. Das Weibchen nimmt das Beutetier; gnädig an und begibt sich gleich an das Aussaugen, so kann das Männchen sich ihm ohne Bedenken nähern. Der Freier tut sehr zärtlich, weiß lange zu streicheln und zu kosen, und überträgt dann schnell die schon vorher zubereiteten Keimbündelchen. Danach aber reißt er geschwind aus, wobei er lustigerweise oft auch die Mitgift wieder mitnimmt, um die Fliege irgend einem anderen Weibdien zu präsentieren. Auch die Wolfsspinnenweibchen tragen ihre Eierkugel mit sich herum. Kurz vor dem Schlüpfen ihrer Kinder aber bauen sie eine hübsche, glockenförmige Kinderstube zwischen zusammengewebten Grashalmen, in denen die Jungspinnen dann wohlgeborgen und gut bewacht heranwachsen. Digital unterschrieben von 10
Manni Hesse
Manni Hesse DN: cn=Manni Hesse, c=DE Datum: 2006.12.29 08:23:41 +01'00'
Zu den Wolfsspinnen gehört auch die ebenso stattliche, als Männchen etwa zehn Millimeter, als Weibchen bis zu sechsundzwanzig Millimeter messende Gerandete Jagdspinne, die an den Ufern stehender Gewässer lebt. Sie ist oberseits samtartig olivbraun gefärbt und trägt an ihren Flanken deutliche weiße und gelbliche Längsstreifen. Wie die Wasserläufer saust sie über die Wasserhaut, ohne einzusinken, und überfällt vor allem die ins Wasser gestürzten Insekten. Findet sie nicht genug Beute, so greift sie auch die im Wasser lebenden Insekten sowie die Fischbrut an. Als Schiff, Speiseterrasse und Schlupfwinkel baut sie sich oft ein etwa fünf Quadratzentimeter großes Floß aus zusammengewebten Pflanzenteilen. Zahlreiche andere Jagdspinnen betreiben ihr räuberisches Handwerk ausschließlich in den Büschen und Bäumen, weswegen sie auch „Blattspinnen" genannt werden. Bei ihnen sind die Männchen talentierte Jazzer. Haben sie ein Weibchen entdeckt, das auf einem Blatt sitzt, so begeben sie sich auf der anderen Blattseite an genau dieselbe Stelle und trommeln mit den weit vorgestreckten Kiefertastern auf die grüne Blattspreite. Hin und wieder klopfen sie dazwischen auch mit der Hinterleibsspitze. Durch das Blatt hindurch empfängt das Weibchen diese Klopfgrüße und empfindet die zarten Erschütterungen wahrscheinlich als angenehm. Jedenfalls begegnet es dem Männchen, wenn es dann zu ihm kommt, recht freundlich. Seinen Eikokon birgt es später zwischen zusammengerollten Blättern. Auch die so berüchtigten südeuropäischen Taranteln zählen zu den Verwandten der Wolfsspinnen. Von ihrem Giftbiß und seiner Wirkung kann man in vielen Tierbüchern die tollsten Schauermärchen lesen. In Wirklichkeit sind diese Insektenjäger, die sich tagsüber in tapezierten und gedeckelten Erdlöchern verborgen halten und nachts umherschweifen, niemals eine Gefahr für den Menschen. Als drei bis sechs Zentimeter lange, rehfarben bis rostbraun behaarte, sich sehr ungestüm bewegende Geschöpfe mögen sie freilich auf ängstliche Gemüter einen ziemlichen Eindruck machen.
Der kleine Harlekin Gleichzeitig mit den Krabben- und den Wolfsspinnen ist auch Harlekin, das kleine Springspinnenmännchen, erwacht. Als ein Zwerg 11
Flirt eines Kreuzspinnen-Männchens aui dem „Drahtseil" mit dem Kreuzspinnen-Weibchen, das den Freier willkommen heißt. (Foto: A. Niestle) von nicht einmal einem halben Zentimeter Länge hatte er im vergangenen Herbst auf der Südseite der Gartenmauer einen wunderbaren winterlichen Schlupfwinkel in einem tiefen und schmalen Riß gefunden; er hat ihn dicht ausgesponnen und mit mehreren Gardinen nach außen hin verschlossen, so daß die Kälte ihm nichts anhaben konnte. Nun sitzt Harlekin auf dem warmen Stein, der die Glut der frühsommerlichen Sonne speichert, wie auf einem Ofen und streckt seine acht kurzen Beine behaglich von sich. Nahtungssorgen kennt er nicht. Die alte Mauer wimmelt jetzt von langbeinigen jungen Weberknechten, deren Überwältigung ein Kinderspiel ist. Und er hat auch schon dafür gesorgt, daß in seinem Revier keine andere
Springspinne räubert. Sobald sich ein anderes Männchen seiner Art blicken läßt, umkreist er es mit vielerlei Drohgesten des ersten Beinpaares, stellt sich ihm schließlich gegenüber und drängelt es vom Platz. Zumeist zeigt das andere Männchen schon vorher- die typische Unterlegenheitsgeste, indem er das vorderste Beinpaar hoch erhebt und spreizt. Zieht es sich ausnahmsweise einmal nicht zurück, so kommt es zu einer regelrechten Schubserei, die schließlich mit der Flucht des Eindringlings endet. Hart auf hart geht es dabei niemals zu. Wie alle Spring- und Hüpfspinnen ist auch unsere Harlekinhiipfspinne sehr hübsch gefärbt und gezeichnet. Tiefschwarz glänzt ihr an der Vorderseite kantig gestutztes Kopfbruststück, an dessen Stirnrand die acht erstaunlich großen Augen wie Perlen funkeln. Samtbraun schimmert der Hinterleib. Breite, weiße, schön geschwungene Querbänder zieren die ganze Oberseite. Übrigens sind die Augen der Springspinnen überaus sehtüchtig, es sind vielleicht überhaupt die besten Augen aller wirbellosen Tiere. Sie nehmen jedes noch so kleine Insekt aus einer Entfernung von rund vierzig Zentimetern wahr und vermögen fliegende Vögel sogar bis zu sechs Meter weit zu verfolgen. Deshalb orientieren sich diese Spinnen auch ausschließlich mit Hilfe der Augen. Und sehr wahrscheinlich empfinden sie alle Farben in ähnlicher Weise wie wir Menschen. Auf diese Sehtüchtigkeit sind auch die Hochzeitsspiele aufgebaut. Davon können wir uns gleich überzeugen. Harlekin hat nämlich soeben ein Weibchen seiner Art entdeckt. Er erhebt sich hoch auf seine Beine, baut mit dem Hinterleib eine richtige Kerze und trommelt mit den Tastern auf den Stein. In dieser Haltung nähert er sich der Auserkorenen auf etwa zehn Zentimeter und beginnt sie zu umkreisen. Deutlich rückt er ihr seine ganze aparte Schönheit vor die Augen. Seine zickzackförmigen Bewegungen unterliegen zweifellos einem bestimmten Rhythmus und erinnern fast an einen Tanz. Das vorderste Beinpaar hält er wie flehend hoch erhoben und sein Hinterleib zuckt ein wenig hin und her. Fünf, zehn, fünfzehn, zwanzig Minuten und oft noch länger währt die Vorführung. Manchmal trommelt dann auch das Weibchen mit den Tastern und bewegt den Hinterleib im gleichen Rhythmus. Oft auch beginnt es gleichfalls 13
umherzusteigen und zu tanzen. Meist aber schaut es nur aufmerksam und wie hypnotisiert zu und wartet, bis es vom Männchen in die Arme genommen wird. Es ist auf alle Fälle nicht so gefährlich, wie die Weibchen aus den Familien der Krabben- und der Wolfsspinnen. Will es von dem Tänzer nichts wissen, so läuft es einfach davon. Unser kleiner Harlekin aber hat Glück. Sein Tanz gefällt, seine Werbung wird angenommen, und bald darauf sind beide Spinnen in einer Mauerspalte verschwunden. Harlekin überlebt die Hochzeit nicht lange. Das Weibchen aber spinnt sich bald darauf ein umfangreiches Kinderheim, das aus zwei Kammern besteht. In der hinteren Kammer birgt es seine Eier, in der vorderen hält es Wache, bis die Jungen schlüpfen.
Die Springspinnen Wie die Wolfs- und die Krabbenspinnen sind also auch die Springspinnen frei umherschweifende Insektenräuber, bleiben aber einem verhältnismäßig recht kleinen Revier zeitlebens treu. Sie lauern so geduldig wie die Krabbenspinnen, bis ein Insekt ihrem Lebensraum nahe kommt, und beschleichen es dann ungemein vorsichtig und langsam. Es ist, als ob sie wüßten, daß die Augen des sich nahenden Insekts derartig langsame Bewegungen nicht wahrzunehmen vermögen. Je nach Größe und Art nähern sie sich dem Beutetier auf zwanzig, zehn, acht oder vier Zentimeter, zielen mit der Körperachse genau nach ihm, heften einen Faden an die Unterlage, schnellen sich mit dem kräftigsten und kürzesten Beinpaar ab und springen ihm auf dem Rücken. Der lähmende Giftbiß zielt zumeist nach der Brust. Der Sicherheitsfaden erlaubt ihnen Sprünge auch nach fliegenden Insekten in den Luftraum hinaus. Zugleich gibt er dem kleinen Räuber einen guten Halt, wenn das angesprungene Insekt sich loszureißen versucht oder schnell davonfliegen will. In Mitteleuropa leben gut vierzig Arten von Springspinnen. Wir können sie vor allem an alten Mauern und Bretterwänden entdecken. Doch leben viele Arten auch an Baumstämmen und Baumstümpfen sowie auf Stauden und Sträuchern. Die Zebra- oder Harlekinhüpfspinnen, denen unser Harlekin angehört, kommen im Flerbst und Winter auch gern in die Gewächshäuser und Wohnungen. 14
Einwandfrei konnte beobachtet werden, daß sich die Männchen — entgegen älteren Behauptungen — in keine Kämpfe auf Leben und Tod verstricken, sondern regelrechte Turniere ausfechten. Die Weibchen dagegen ringen bei Revierstreitigkeiten sehr erbittert miteinander, verletzen sich oft tödlich und fressen die Unterlegene auf. In den Tropen, in denen über eintausend Springspinnenarten vorkommen, sind ihre Leiber noch viel farbenprächtiger als bei uns, schimmern metallisch silbern, golden und kupfrig und sind auch an den Beinen bunt gefleckt. In der Größe übertreffen viele dieser Exoten unsere Arten um das dreifache. Über ihr Leben, ihre Tänze und Brutpflegesitten aber wissen wir noch so gut wie gar nichts. An diesem Wissen hapert es weitgehend auch noch bei unseren einheimischen Hüpf- und Springspinnen, so daß hier jeder Naturfreund noch viele Entdeckungen machen kann.
Unsere schönste Spinne Inzwischen ist der Sommer ins Land gezogen. Die Feld- und die Laubheuschrecken fiedeln um die Wette und wetzen eifrig ihre Schrilladern und Flügelleisten. In verwegenen Sprüngen hasten sie durch den Gräserwald, und nicht wenige geraten mitten in die Netze, die überall zwischen den Halmen und Stengeln von den überaus zahlreichen Körbchenspinnen, Radspinnen und Herbstspinnen aufgespannt wurden. Manche Heuschrecke hat Glück oder soviel Schwung, daß sie glatt durch diese Netze hindurchschießt. Die auf die Erschütterung hin heranstürzenden Spinnen finden also keine Beute, sondern nur zerfetzte Fäden vor und müssen schnell ans Flicken gehen. Nur unsere schönste Spinne, die fast silbern schimmernde, lebhaft schwarz-gelb-weiß gestreifte Wespen- oder Zebraspinne (Argiope bruennichi), hat sich gerade auf Heuschrecken spezialisiert, ganz gleich, ob es sich nun um kleine Grashüpfer oder große Laubheuschrecken handelt. Deswegen hat sie auch ihr sehr kunstvolles Radn<>tz nicht etwa hoch in einen Busch, sondern wohlweislich zwischen die Halme und Stengel der Wiesenpflanzen gespannt. Dieses Netz ist ganz unverkennbar: erstens durch die ziemlich unregelmäßige Verteilung der Speichen und Spiralen, zweitens durch die dicke weißwattige Platte in der Nabenmitte und drittens durch 15
die sofort ins Auge springende 2ickzacktreppe, die sich bandartig längs der senkrechten Hauptachse durch den oberen und unteren Netzteil zieht. Die weiße Platte ist der bevorzugte Ansitz der Wespenspinne, die übrigens auch noch „Seidenbänderspinne" genannt wird. Hier sitzt sie bei schönem Wetter kopfabwärts mit gespreizten Beinen, um sofort zur Stelle zu sein, wenn einer der langschenkligen Musikanten ins Garn gegangen und hängengeblieben ist. Und ehe der überhaupt begreift, was ihm geschehen ist, umkrfst sie ihn in einem geradezu rasenden Tempo und läßt die weißen Fäden wie einen Strom aus ihren Spinnwarzen quellen. Im Nu sind die langen Heuschreckenbeine gefesselt, und schon bewegt sich die lebendige Spindel um den Leib des Opfers. Sorgsam achtet sie darauf, daß sie nicht in den Bereich der wild um sich schnappenden Kinnbacken der Heuschrecke gerät. Denn das könnte ihr leicht ein Bein kosten. Wie ein Wickelkind wird der unglückliche Luftikus zusammengeschnürt. Dann packt ihn die Zebraspinne mit den Vorderbeinen und wirbelt ihn solange um seine Achse, bis Kopf, Leib und Beine gänzlich unter den ausströmenden Fäden verschwunden sind. Erst wenn das geschehen ist, schiebt die Zebraspinne ihre Giftkiefer zielsicher zwischen die gepanzerte Brust und den Hinterleib des Wehrlosen und schlägt sie tief ein. Wie vom Blitz getroffen zuckt die Heuschrecke zusammen und streckt sich im nächsten Augenblick. Das Spinnengift lähmt und tötet sie sofort, obwohl sie doch — wie alle Heuschrecken — außerordentlich lebenszäh ist. Dann beißt die Spinne das Bündel aus dem Netz und schleppt es auf die Matte, wo sie das Opfer gemächlich verzehrt. Normalerweise ist sie damit mindestens einen Tag lang beschäftigt. Heute aber nimmt sie gleichsam nur eine Kostprobe. Denn schon zappelt die zweite Heuschrecke im Netz! Mit einem einzigen Satz ist sie bei dem neuen Opfer und schnürt es auf die gleiche Weise zusammen. Am Abend hat sie fünf solcher Vorratsbündel auf die Seite gebracht. Dann kann es morgen und übermorgen, ihretwegen sogar die ganze Woche regnen, sie hat genug zu fressen. Und wenn sie nach solch guter Fangzeit dann im Hochsommer rund und fett und prall ist, dann denkt auch sie endlich einmal ans Heiraten. 16
Spinneneier im Nest — vielmals vergrößert. (Foto: W. Harstrick) Im Frühherbst aber verläßt sie ihr Netz und wandert zum nächsten Busch am Wiesenrain. Dort verbindet sie drei eng nebeneinanderstehende Zweiglein durch ein dichtes Gewirr feiner Fäden und hängt in dieses Labyrinth eine kleine feste Matte. Am anderen Morgen schwebt unter diesem Dach eine zierliche und feingebauchte Vase, ein wahres Kunstwerk, und schimrnert hell im Licht. In diesen Behälter kommen ihre Eier. Sie fertigt auch noch einen kleinen Deckel und legt ihn lose auf. Danach tarnt sie den Kokon mit einer Schutzschicht dicker bräunlicher Fäden, häuft drumherum noch dicke Wolken von Seide und gibt keine Ruhe, bis das ganze Gebilde gut noch einmal so lang und dreimal so dick wie sie selbst ist. Viele Tage lang bewacht sie die Eier. Erst kurz vor dem Schlüpfen entfernt sie sich erschöpft und sinkt bald darauf tot zusammen. Ihr Leben währt nur einen Sommer. Ihre Kinder bleiben in der Brutvase, überwintern in ihrem Schutz und zerstreuen sich erst im nächsten Frühjahr. 17
Die Radnetzspinne Die Wespen- oder Zebraspinne zählt zu den kunstfertigen Radnetzspinnen, die in über tausend Arten über die ganze Erde verbreitet sind. Sie alle verfügen über einen besonderen Webestachel an jedem Fuß des vierten Beinpaares und besitzen sechs große kegelförmige Spinnwarzen am Ende des beweglichen Hinterleibes. Ihre frei ausgespannten Radnetze hängen die meisten Spinnen mehr oder weniger senkrecht auf. Unsere bekannteste Radnetzspinne ist die Gemeine Kreuzspinne, die vor allem in den Gärten so häufig ist, daß sie auch „Gartenspinne" genannt wird. Sie wird als Weibchen bis zu zwanzig Millimeter, als Männchen bis zu elf Millimeter lang, hat einen hell- oder dunkelbraunen, graulich getönten Körper und stark behaarte Beine. Auf dem feisten und glänzenden Hinterleib trägt sie weißliche oder gelbliche Flecken, die ein dreieckiges Ornament oder ein Kreuz bilden. Am Kopf sitzen acht deutlich sichtbare Stirn- und Scheitelaugen, die aber nicht besonders sehtüchtig sind. Viel wichtiger sind für die Orientierung die mehrzähnigen Tasterklauen. Ihr großes Radnetz, das aus etwa achtzehn Meter Faden besteht, stellt sie in etwa vierzig Minuten her und vermag es in der Hälfte dieser Frist wieder abzubauen. Bei den erwachsenen Weibchen kann sein Durchmesser bis zu achtzehn Zentimeter betragen; es setzt sich dann aus zwanzig Speichen und vierundzwanzig Spiralen zusammen. Ist die Kreuzspinne nicht mit Arbeiten am Netz beschäftigt, so verbirgt sie sich meist in. dessen unmittelbarer Nähe. Von dort zieht sich bis zum Netz der sogenannte Signalfaden, der ihr jede Erschütterung des Fanggewebes anzeigt. Der eine Fuß der Spinne ruht immer an diesem Faden. Die fliegenden Beutetiere — Mücken, Fliegen, Schmetterlinge, Schnaken, Motten, Käferchen, Bienen und Wespen — werden auf die gleiche Weise überwältigt, wie uns das die Zebraspinne vorexerziert hat. Die kleineren Männchen der Kreuzspinne sind so schlank und schmal wie die Wolfsspinnen. In der herbstlichen Paarungszeit schießen sie einen Faden zum Netz des Weibchens, der ihnen zuerst als Klingelzug und später als Fluchtweg dient. Durch ein Zupfen an diesem Faden versetzen sie das Netz in bestimmte Schwingungen 18
und warten erst einmal ab, ob das Weibchen friedlich gestimmt ist. Dann nähern sie sich sehr schüchtern und vorsichtig der aus ihrem Schlupfwinkel Hervorgelockten. Sie müssen immer gewärtig sein, schon vor oder unmittelbar nach der Paarung aufgefressen zu werden. Erscheint ihnen die Situation zu brenzlig, so rutschen sie blitzschnell an ihrem Faden in die Tiefe. Das befruchtete Weibchen verläßt bald darauf sein Netz und begibt sich auf die Suche nach einem sicheren Schlupfwinkel. Manche kriechen unter Steine oder hinter lockere Baumrinden, andere weben welke Blätter im Gras zusammen oder verkrümeln sich in allerlei Winkeln der Lauben und Schuppen. Dort überspinnen sie die "jeweilige Unterlage mit einer festen Platte und erhöhen deren Ränder allmählich zu einem weiten Körbchen. Ihre vielen hundert kugelrunden Eier liegen dicht an dicht in diesem Hohlraum wie in einem Nestchen und ergeben zuletzt einen kleinen Ball. Dann wird das Körbchen geschlossen, nochmals dick umsponnen und anschließend fest mit der Unterlage verwoben. Kurze Zeit darauf stirbt die Spinnenmutter. Die Jungspinnen schlüpfen erst im nächsten Frühjahr aus den Eiern. " Nicht zwischen Stämmen und Zweigen oder Gebäudewinkeln, sondern tief zwischen Gräsern und Stauden hängt das Netz der graubraunen Strauchrad- oder Körbchenspinne. Um einen Schlupfwinkel zu haben, spinnt sie sich in der unmittelbaren Nähe des Netzes ein oben offenes Körbchen, das sie gut und geschickt tarnt. Hier ruht sie in friedlicher Gemeinschaft mit dem Männchen schon vor der Hochzeit und verträgt sich auch später gut mit ihm. Das Weibchen hängt seinen schmutziggrünen Eierbeutel dicht versponnen in die Gabeln der Staudenstengel und Buschzweige. Die Jungen kommen bereits im Sommer zur Welt und bleiben dann den ganzen Winter über munter. Ihre Netze sind es vor allem, die wir im Spätherbst überall als dickbereifte Filigrankunstwerke im Gras hängen sehen. Ebenfalls zwischen Gräser und Halme hängt die an den Bächen und Teichen heimische Schilfradspinne ihr auffallend regelmäßiges und großes Radnetz. Bei ihr ist die im Frühsommer erfolgende Hochzeit wiederum ein Abenteuer auf Tod und Leben für das kleine Männchen. Nur in der Verlobungszeit vertragen sich die Geschlechter eine kleine Weile. 19
In engster Gemeinschaft mit ihr baut oft die fünfzehn bis zwanzig Millimeter große Strickspinne. Ihr Netz ist weitmaschig, hängt etwas durch und besteht oft nur aus zwölf Speichen und sechzehn Spiralen. Wir erkennen die Strickspinnen an ihrem stark gestreckten, fast stäbchenförmigen Leib und den sehr langen, rötlichen und gelben Beinen. In der Lauerstellung hält sie zwei Beinpaare gerade nach vorn und zwei Beinpaare weit nach hinten gestreckt, wodurch sie noch länger und schmaler wirkt. Das Kopfbruststück schimmert rötlichgelb, der Hinterleib gelblichweiß. Oberseits ist sie blattartig rotbraun gezeichnet. Die hübsche Eichblatt-Radspinne bevorzugt die Getreidefelder und Gärten. Ihren Namen verdankt sie einer hellen eichblattähnlichen Zeichnung auf dem Rücken. Neben ihrem senkrecht aufgespannten Netz fertigt sie sich an den hohen Halmen eine kleine flache Plattform als Sonnenplatz an. Besonders häufig ist die etwas kleinere Herbstspinne, bei der die helle Blattzeichnung die ganze Breite der Oberseite einnimmt. Je nach der gegebenen örtlichkeit hängt sie ihr verhältnismäßig kleines Radnetz bald senkrecht, bald mehr oder weniger geneigt und mitunter auch waagerecht zwischen Halme, Stauden und untere Buschzweige. Männchen und Weibchen leben in einer langen und guten Ehegemeinschaft. Stark an die Wälder ist dagegen die nur vier Millimeter lange Konische Radspinne gebunden. Ihr ganz besonders regelmäßiges, großes, dichtes Netz, das sie zwischen niedrige und abgestorbene Zweige hängt, hat nicht selten einen Durchmesser von achtundzwanzig Zentimetern und besteht aus sechsunddreißig Speichen und sechsundzwanzig Spiralfäden. Es sind jene Spinnennetze, die wir uns beim Durchstreifen junger Nadelwälder und älterer Schonungen immer wieder aus dem Gesicht wischen müssen.
Wie die Spinnen ihre Radnetze bauen Am Waldrand beobachten wir, wie sich eine Radnetzspinne ihr Fanggewebe anfertigt. Es ist ein schöner, sonniger Sommertag. Leicht weht der Morgenwind durch die vollbelaubten Wipfel. Die Spinne erklettert einen 20
S-h e in^ a S =n P l n n e s a ™ m e l t Luftblasen in ihrem gesponnenen Wasserscniou, so kann sie lange unter Wasser bleiben. (Foto: Holzapfel) 21
Getreidehalm, steigt bis zur Halmscheide empor, dreht sich um, hebt den Hinterleib etwas an und schießt einen starken Faden in die Luft. Der Wind erfaßt den Faden, der wie ein winziges Fähnchen flattert, und trägt ihn zum nächsten Halm, um den er sich ein wenig schlingt. Vorsichtig balanciert die Spinne über diese lockere Brücke, wobei sie weiterspinnt und den Faden verstärkt. Ist das geglückt, so verankert sie diesen ersten oberen Rahmenfaden an beiden Ansatzpunkten mit so zahlreichen Fäden, daß man schon von starren Platten sprechen könnte. Hierauf kehrt sie fast bis zum ersten Ansatzpunkt zurück und läßt sich, einen Faden hinter sich herziehend, fallen. Diesen zweiten, senkrecht verlaufenden Faden heftet sie unten an denselben Halm, den sie erkletterte. Dann turnt sie über das Gras bis zu einer niederen Staude, verankert hier den unteren Rahmenfaden und ersteigt nun den zweiten Halm. Auf diese Weise ist der trapezförmige Rahmen des Netzes bald gezogen. Er braucht jetzt nur noch kräftig angezogen, überall gut verankert und verstärkt, sowie an seinen vier oder fünf Winkeln durch weitere innere Rahmenfäden versteift zu werden. Ohne Pause begibt sich die kleine Baukünstlerin wieder auf die Brücke des ersten oberen Rahmenfadens, turnt bis zur Mitte, seilt sich von dort an einem starken Faden ab und befestigt ihn an der erwähnten niederen Staude. Sie hat damit die lotrechte Achse des geplanten Netzes in den Rahmen eingezogen. An dieser Achse turnt sie viele Male hinauf und hinunter, bis sie straff, fest und kräftig genug ist. Zuletzt bleibt sie genau in der Mitte dieser Achse sitzen, verknüpft hier einen neuen Faden, klettert die Achse ganz empor, läuft über die obere Rahmenbrücke, rutscht am linken senkrechten Rahmenfaden hinunter und befestigt dort in der Mitte die erste Speiche. Und schon geht es zur Mitte der Achse, der zukünftigen Nabe des Netzes, zurück, um dort den zweiten Speichenfaden zu verknüpfen. Sind säm'liehe Speichen gezogen, so werden sie im Nabenbereich durch trockene Spiralfäden verbunden und zugleich stabilisiert. Die Nabe des Netzes ist fertig! Nun gilt es, die spiralig verlaufenden Fangfäden zu ziehen. Dabei bewegt sich die Spinne auf einer sogenannten Hilfsspirale, auf der sie sich von Speiche zu Speiche schwingt. Den echten Fangfaden zieht sie hinter sich her und schlingt ihn jeweils um die erreichte 22
Speiche. Die trockene Hilfsspirale beißt sie nach getaner Arbeit von Speiche zu Speiche gleich wieder ab. Die Fangfäden sind von einer geradezu wunderbaren Beschaffenheit. Am besten können wir sie mit den Drähten einer elektrischen Leitung vergleichen, die durch eine Gummihülse isoliert sind. Nur ist ihre Gummihülle so weich und elastisch, daß sie beim Spannen der Fäden reißt und sich zu kleinen klebrigen Tröpfchen ballt. Diese Klebtröpfchen besetzen den spiraligen Faden in der gleichen Weise wie die Tautropfen oft das ganze Netz. Der Fangfaden ist also zuerst, wenn er von der Spinne zu den Speichen geführt wird, noch ein glatter Leimfaden. Erst dadurch, daß die bauende Spinne den sehr dehnungsfähigen Faden nachträglich kräftig anzieht, ihn zupfend spannt, reißt die Leimschicht, und es bilden sich die Leimtröpfchen. Meist währt es nicht einmal eine Stunde, bis die pausenlos arbeitende Spinne dank ihrer wunderbaren architektonischen, statischen und geometrischen Fähigkeiten das Netz vollendet hat. Nicht ein einziges Mal während der Arbeit zögert sie unschlüssig, alles geht Zug um Zug, es gibt nichts zu überlegen. Der ganze großartige Bauplan liegt ihr im Blut. Allerdings vermag jede Spinne nur das ihrer Art gemäße Fanggewebe anzufertigen. Die Fäden, die die Spinnwarzen der Spinnen liefern, sind vierzehnhundertmal dünner als ein Menschenhaar. Obwohl den Spinnen reichlich Rohmaterial zur Verfügung steht, gehen sie gewöhnlich recht sparsam mit diesem körpereigenen Baustoff um. Sie wickeln alte Fäden wieder auf oder verzehren sie. Droht Regen oder eine Schlechtwetterperiode, so bauen sie ihr Netz schnell wieder ab. Hängt es schon etliche Tage, so wird es von Grund auf erneuert. Leichte Reparaturen führen die Spinnen so planvoll aus, daß die Spannung des Netzes immer erhalten bleibt.
Erfinderin der Taucherglocke Wir stehen an einem kleinen dunklen Waldteich und sehen den lustigen Wasserläufern zu, die auf Schlittschuhen über den glatten Spiegel huschen. Später entdecken wir etliche Ruderwanzen, Rückenschwimmer, Wasserschnecken, Köcherfliegen und sogar einen 23
Gelbrandkäfer. Plötzlich knien wir uns gespannt am Uferrand nieder und spähen angestrengt in die Tiefe. Wir möchten unseren Augen nicht trauen: eine Spinne taucht empor! Sie schwimmt auf dem Rücken, hat eine nackte rostrote Kopfbrust und einen olivbraunen, weißgrau behaarten Hinterleib. Sie ist nicht groß, höchstens anderthalb Zentimeter lang. An der Oberfläche angekommen, dreht sich die Spinne um, schiebt die Hinterleibspitze über den Wasserspiegel, kreuzt die Hinterbeine in der Luft und reißt blitzschnell eine große Luftblase mit sich unter die Wasserfläche. Im gleichen Augenblick hat sie sich wunderbar verwandelt. Die Luftblase umfließt jetzt ihren haarigen Leib und umhüllt ihn wie ein silbriger Panzer. Und also silberumflossen rudert sie wieder dem Grund entgegen. Wir haben die Wasserspinne entdeckt! Sicherlich ist sie gerade dabei, sich ein neues Wasserschloß zu bauen. Dazu spannt sie zwischen den Stengeln der' Wasserpflanzen eine dichtgewobene Gespinstdecke auf. Dann holt sie auf die soeben beobachtete Weise eine Luftblase nach der anderen an ihren klebrigen Spinnwarzen unters Wasser und läßt sie unmittelbar unter der gewobenen Decke frei. Mit der Zeit wird der Druck der wieder zur Oberfläche drängenden Luftperlen so stark, daß sie die zuerst waagerechte Decke zu einer recht geräumigen Glocke ausbauschen. So kann die Wasserspinne lange unter Wasser bleiben. Ist die Luft in der Glocke schließlich verbraucht, so drückt sie das Gebilde etwas zusammen, preßt damit die schlechte Luft hinaus und holt sich einen neuen Sauerstoffvorrat. Rings um die Glocke zieht sie viele Lauffäden, auf denen sie wie auf Brücken schnell durch das Gewirr der Stengel sausen kann. Ihre Beutetiere sind viele kleine Wasserinsekten und Krebschen, die sie regelrecht erjagt, mit Giftbissen tötet und dann zum Verzehr in ihre Taucherglocke schleppt. Männchen wie Weibchen bauen sich solche Taucherglocken. Und zwar sind bei diesen seltsamen Spinnen die Männchen durchweg größer als die Weibchen. Sie brauchen deshalb auch keine Angst zu haben, daß sie nach der Hochzeit von den Weibchen verspeist werden. Getrost dürfen sie vielmehr einen Besuch im Wasserschloß des auserkorenen Weibchens wagen. Oft auch bauen sie sich ihre eigene Taucherglocke dicht neben der des Weibchens, durchbrechen dann die 24
Wände und verbinden beide Schlösser durch einen gesponnenen Gang. Friedlich leben sie lange nebeneinander. Später hängt das Weibchen seinen Eierbeutel in seine Taucherglocke und bewacht ihn, bis die Jungen schlüpfen. Die Kleinen bleiben lange unter der Obhut der Eltern und werden regelrecht gefüttert. Den Winter über schlüpfen die Wasserspinnen gern in leere Schneckenhäuser, die sie gut mit einem dichten Gewebe zudeckein. So überstehen sie die kalte Jahreszeit selbst dann, wenn der kleine Waldteich bis zum Grund einfriert.
Die Trichterspinnen Die Wasserspinne gehört zu den Trichterspinnen, von denen wir alle mindestens eine sehr gut kennen. Und zwar ist das die ockergelbe Hausspinne. Bei ihr mißt das kleine Männchen kaum mehr als einen Zentimeter, das Weibchen aber fast zwei Zentimeter. Der helle Leib ist lebhaft braun gezeichnet, und der Kopf setzt sich ziemlich deutlich von der Brust ab. Die Hausspinne ist keine große Baukünstlerin, sondern webt sich — ganz ähnlich wie das die Wasserspinne zunächst tut — ein einfaches und ziemlich dichtes Segelnetz. Sie hängt es gern in alle möglichen Winkel unserer Wohnungen, vor allem hinter Bilderrahmen, Spiegel und Möbel sowie zwischen sonstige Gegenstände und Wände. Meist ist das Netz stark verstaubt und schwärzlich gedunkelt. In der Mitte senkt es sich trichterartig und mündet in einer noch fester gesponnenen, unten offenen Wohnröhre. Hier sitzt die Hausspinne und lauert auf ihre Opfer. Täglich muß sie die klebrigen Fangfäden erneuern oder ein frisches Netz anfertigen. Deshalb mach't es ihr nur wenig aus, wenn die Hausfrau ihre Gewebe immer wieder zerstört. Sowie der Besen, der Wedel oder das Staubtuch das Netz wegfegt, rutscht sie unten aus ihrer Röhre, seilt sich blitzschnell ab und birgt sich am Boden. Deshalb wird sie selbst nur selten erspäht oder gar erwischt. Das gefangene Beutetier tötet sie mit Giftbissen, wickelt es ein und zieht es später in die Wohnröhre. Im Freien wird die Flausspinne am häufigsten von der über zwei Zentimeter langen Labyrinthspinne vertreten, bei der das Männ25
dien nur etwa halb so groß wie das Weibchen ist. Sie hat eine graugelbe, schwarzbraun längsgestreifte Kopfbrust und einen grauschwarzen Hinterleib, über dessen Rücken sich ein graurötlicher Haarstreif hinzieht. Mehrere kurze haarige Querstreifen bilden mit ihm eine lebhafte, sofort ins Auge springende Zeichnung. Auch das Netz der Labyrinthspinne gleicht einer einfachen, breit aufgespannten, oft fast tellerartigen Hängematte und mündet in einer mehrfach gekrümmten, unten offenen Röhre. Halme und Blätter des Bodenbewuchses werden nicht selten über die Mündung der Röhre gezogen und stellen ein Schutzdach dar. Ebenso werden alle Stengel der Umgebung durch ein dichtes und sehr feines labyrinthisch durcheinandergewobenes Fadengewirr in die Anlage einbezogen. So entsteht ein Fanggewebe, das groß und stark genug ist, selbst Bienen und Hummeln sowie Heuschrecken festzuhalten. Diesen großen Beutetieren versetzt die aus ihrem Versteck vorstürzende Spinne blitzschnell wohlgezielte Giftbisse und zieht sich gleich wieder zurück. Erst dann, wenn das Gift gewirkt hat, nähert sie sich dem Opfer wieder, um es nun in die Wohnröhre zu schleppen. Hier werden die friedlich miteinander lebenden Geschlechter ein Pärchen. Den Eierbeutel hängt das Weibchen in ein besonders angefertigtes Gewebe, das sie trefflich mit Blättern und Erdkrümchen tarnt. In dieser Kinderstube verweilen die Jungen den ganzen Winter über.
Andere einheimische Webespinnen Besonders interessant sind die Fanggewebe der Sprungnetzspinnen, von denen die häufigste einheimische Art, Hyptiotes paradoxus, fast ausschließlich unsere Fichtenwälder bewohnt. Wir entdecken ihr unverkennbares, senkrecht aufgehängtes, spitzwinklig dreieckiges Netz vor allem zwischen den dürren, nadellosen, unteren Zweigen der Fichten. Von der seitlichen Spitze dieses Dreiecknetzes zieht sich ein Faden gleich einem kräftigen Spannseil zum Zweig, auf dem die Spinne lauert. Dieses Seil dient ihr zugleich als Signalfaden und verrät ihren empfindsamen Füßen, wenn sich ein Insekt im Netz verfangen hat. Im gleichen Augenblick lockert sie das Spannseil so sehr, daß das Netz gleichsam zusammenschlottert, die Fangfäden sich einander nähern und das Insekt sich regelrecht 26
in ihnen verstrickt. Mit anderen Worten: Sie versteht es, ihr Netz wie einen Kescher zu gebrauchen. Geduldig wartet sie ab, bis sich das verstrickte Opfer müdegezappelt hat, verschnürt es dann zu einem dichten Bündel und schleppt es zum Lauerplatz. Wer gut aufpaßt, der merkt, daß sie dem Insekt keine Bisse versetzt. Sie verfügt nämlich über keine Giftdrüsen. An die einfachen Segelnetze der Trichterspinnen erinnern wieder die immer waagerecht ausgespannten, kleinen, deckenartigen Fanggewebe der höchstens sieben bis zehn Millimeter großen, sehr häufigen und weit verbreiteten Deckennetzspinnen. Wir können sie im Herbst allüberall zwischen den Gräsern und Stauden sowie den niederen Zweigen der Büsche und Bäume entdecken. Oft auch bauen sie in die Lücken alter Mauern sowie in den Gartenlauben, Geräteschuppen und Holzstadel. Vom niedersten Bodenbewuchs an erheben sie sich geradezu stockwerkartig übereinander bis in die Büsche und Zäune. Auf kleinstem Raum können wir nicht selten mehr als hundert, auf einem einzigen Hektar Land aber bestimmt mehr als hunderttausend Netze zählen. Die ziemlich stabile Grundplatte, gleichsam der Baldachin dieser Netze, wird an starken Fäden ringsum aufgehängt. Über ihr ziehen sich zahlreiche, diagonal verlaufende, feinste Fangfäden zu den Spitzen der benachbarten Gräser und Stauden. Die Deckennetzspinnen lauern verborgen unter dem Baldachin und sind meist am Bauch dunkler als am Rücken gefärbt. Sehr häufig unter ihnen ist die etwa sieben Millimeter lange Baldachinspinne. Bleibt ein Insekt in den von nur wenigen Klebetröpfchen besetzten Fangfäden hängen, so schüttelt die Spinne das Netz so sehr, daß das Opfer auf die Decke fällt. Der tödliche Giftbiß erfolgt durch die Decke hindurch. Die Spinne bleibt also während ihres Angriffs unsichtbar. Und selbst danach tritt sie nicht hervor, sondern zieht das Opfer durch die Decke hindurch zu sich. Noch regelloser ist das Fanggewebe der kleinen, zarten, höchstens fünf Millimeter großen Kugel- oder Haubennetzspinnen. Es stellt sich uns als ein umfangreiches Gewirr allerfeinster Fäden dar, die kreuz und quer sowie vielfach verknüpft zwischen Gräsern, Stengeln und Zweigen ausgespannt sind. Dicht daneben können wir bei genauerem Zusehen ein tütenförmiges, unten offenes Gewebe ent27
decken, in dem die Kugelspinnen verborgen warten. Besonders auffällig aber sind viele senkrecht bis zum Boden fallende, reich mit Klebetröpfchen besetzte Fangfäden, die am Grund nur leicht befestigt sind. Soeben berührt ein vorüberwanderndes Insekt diese klebrigen Fußangeln und beginnt nun lebhaft zu strampeln; im gleichen Augenblick lösen sich die Fangfäden vom Boden und werden durch die Spannung der oberen Decke leicht angezogen. Das Insekt verliert den Grund unter den Füßen und schwebt und zappelt hilflos in der Luft. Aber schon eilt die Kugelspinne herbei, zieht die Fußangeln noch höher empor und bewirft das Opfer aus sicherer Entfernung mit einem tropfenförmigen Klebstoff; sie dreht sich dabei um und schleudert den Klebstoff mit Hilfe der Hinterbeine von sich. Strampelnd zieht das gefangene Insekt den Tropfen zu Fäden aus und fesselt sich auf diese Weise mit einem nicht mehr zu entwirrenden Gespinst. Dann erst wagt sich die Kugelspinne näher heran und versetzt dem Opfer den Giftbiß. Kugelspinnen dringen auch gern in Gebäude ein, bewohnen vor allem Scheunen, Schuppen, Stallungen und Keller und hängen ihre Netze hier in den dunklen Winkeln ebenso dicht über dem Boden auf. Wir können sie also leicht beobachten. Doch dürfen wir sie nicht etwa mit den doppelt so großen und sehr gestreckt gebauten Kellerspinnen aus der Familie der Röhrenspinnen verwechseln. Diese Spinnen fertigen sich in allen möglichen Winkeln eine beiderseits offene Röhre an, deren Mündungen sie mit einigen wenigen Fangfäden überspinnt. Verfängt sich ein Insekt, so stürzt die Spinne jäh aus ihrer Röhre, versetzt ihm wohlgezielte Giftbisse, reißt es gleich darauf in ihr Versteck und überwältigt es vollends. Zu den Röhrenspinnen gehört unsere allseits gut bekannte, etwa zehn Millimeter messende Kellerspinne, die an ihrem pechbraunen Vorderleib und dem bräunlichgelben, dunkelbraun gefleckten Hinterleib zu erkennen ist. Die Kunst, solche gesponnene Röhren als Fangschläuche oder als Schlupfwinkel zu bauen, beherrschen in viel höherem Maße die Tapezierspinnen. Bei uns können wir sie am leichtesten in den moosbewachsenen Lichtungen der Kieferwälder entdecken. 28
Das längere obere Ende des Fangschlauches liegt am Boden wie eine Gespinstwurst auf, die etwa ein bis zwei Zentimeter dick und einen halben bis eineinhalb Meter lang ist. Die Spinne tarnt den Schlauch mit Erdkrümchen, Sandkörnchen und Kiefernnadeln allerdings so gut, daß man ihn meist nur zufällig entdeckt. Das hintere Ende des Fangschlauches steckt im Boden und führt dreißig bis fünfzig Zentimeter tief senkrecht in den Grund. Die Erbauerin dieses umfangreichen und sehr fest gesponnenen Gebildes lauert innerhalb des Fangschlauches, bis ihn ein vorüberkommendes Insekt ahnungslos überquert. Wie der Blitz ist sie dann zur Stelle und schlägt ihm durch die Röhrenwände hindurch die sehr langen Oberkieferklauen in den Leib. Dann wartet sie, bis das Gift gewirkt hat, und zieht ihr Opfer durch das Gespinst in den Fangschlauch. Später flickt sie den dadurch entstandenen Riß schnell wieder zu. Unsere bekannteste mitteleuropäische Art ist die Pechbraune Tapezierspinne, bei der das Weibchen die Länge von gut zwei Zentimetern erreicht. Ihr Fangschlauch ragt nur wenig über die Erde hinaus und ist reichlich zwei Zentimeter stark.
Berüchtigte Giftspinnen Obwohl weitaus die meisten unserer einheimischen Spinnen über Giftdrüsen und durchbohrte Kieferklauen verfügen, ihre Opfer also vorwiegend mit Giftbissen töten, kann uns doch keine einzige von ihnen nur im geringsten gefährlich werden. Das heißt, sie alle vermögen normalerweise nicht, mit diesen ihren Waffen unsere Haut nur zu ritzen. Hin und wieder mag es freilich vorkommen, daß eine Vertreterin der größeren Arten imstande ist, einen Biß an dünnen Schleimhäuten anzubringen. Doch auch dann ist die Wirkung geringer, als wenn wir von einer Ameise gezwickt oder gebissen werden. Die Angst vor Spinnen entbehrt also jeglicher üblen Erfahrung. Sie wird uns vielmehr — meist schon in der Kindheit — ebenso suggeriert wie die unbegreifliche Abscheu vor diesen Geschöpfen. Von den etwa einundzwanzigtausend Arten der Webespinnen, die auf der Welt leben, gibt es tatsächlich kaum ein halbes Dutzend, die dem Menschen und größeren Säugetieren wirklich gefährlich werden können. 29
Die berüchtigste unter ihnen, von der in vielen abenteuerlichen Tiergeschichten oft die tollsten Sachen erzählt werden, ist die pechschwarz glänzende Schwarze Witwe aus den südamerikanischen Savannen. Sie erreicht höchstens die Größe einer Walnuß und zeigt eine rechteckige, rote oder orangefarbene Zeichnung auf der Unterseite ihres Hinterleibes, die manchmal in der Form an eine Sanduhr erinnert. Tagsüber birgt sie sich in Erdnestern. Bei Störungen stürzt sie hervor und ist dann äußerst angriffslustig. Ihr starkes Gift zersetzt die roten Blutkörperchen und lähmt das Zentralnervensystem. Bald nach dem Biß stellen sich Magenschmerzen, Schweißausbrüche und heftiges Erbrechen ein. Verbürgte Todesfälle sind bisher nur wenige bekannt geworden. Der Schaden, den sie den Weidetieren zufügt, ist jedoch oft recht beträchtlich. Gewöhnlich sterben die gebissenen Rinder schon nach drei Stunden. Fast ebenso gefährlich ist die südeuropäische, vor allem in den Mittelmeerländern verbreitete, über einen Zentimeter große tiefschwarze Malmignatte, die dreizehn blutrote Punkte auf dem Hinterleib trägt. Ihr Gift ist stark genug, um Pferde, Rinder, Schafe und Kamele innerhalb weniger Stunden zu töten. Der Mensch reagiert auf den Biß mit Schüttelfrost, kaltem Schweiß und starker Atemnot. Eine quälende Unruhe peinigt den Kranken mindestens drei Tage lang, und noch lange danach fühlt er sich geschwächt. Diese Beschwerden steigern sich beim Biß der nahe verwandten Karakurte zu heftigen Krämpfen und Delirien, die mindestens eine Woche anhalten, sowie drohender Atemlähmung. Die ebenfalls schwarz gefärbte, bis zu anderthalb Zentimeter lange Karakurte tritt am häufigsten in Südrußland, in der Kirgisensteppe und in Turkestan auf. Auch ihr fallen viele Weidetiere zum Opfer. Gleichfalls in Südosteuropa, in Transkaspien und Ägypten leben die sehr urtümlichen Walzenspinnen, die von den Steppenvölkern sehr gefürchtet werden. Sie sind mindestens vier bis fünf Zentimeter lang, meist rostgelb behaart und hausen tagsüber unter Steinen und in Erdrissen. Sie haben indes keine Giftdrüsen, dafür aber sehr kräftige Scherentaster. Ihr Biß ruft nur örtliche Anschwellungen und Entzündungen hervor. Echte Giftspinnen sind dagegen wieder etliche südamerikanische 3C
Taranteln, wie z. B. die zwei Zentimeter lange Lycosa erythronatha, die oft mit Bananenbündeln nach Europa eingeschleppt wird. Die Gefährlichkeit der ebenfalls mit tropischen Früchten eingeschleppten Vogelspinnen wird dagegen weit übertrieben. Natürlich wirken diese bis zu zehn Zentimeter großen, stark behaa'rten, rotbis schwarzbraunen Spinnen recht furchterregend. Sie sind jedoch so wenig angriffs- und beißlustig, daß man sie schon sehr ärgern muß, ehe sie zufassen. Ihr Gift wirkt nicht stärker als das einer Biene oder Wespe. Ihre Hauptbeutetiere sind auch nicht etwa Vögel, sondern Schaben, Asseln, Skorpione, Tausendfüßer und Käfer. Höchst selten überwinden sie auf ihren nächtlichen Streifzügen auch kleinere Wirbeltiere. Insgesamt gibt es etwa sechshundert Arten von Vogelspinnen, von denen etliche in der Gefangenschaft bis zu neun Jahre ausgehalten haben.
* Anstatt uns mit den vielen Fabeln über giftige Spinnen zu beschäftigen, sollten wir lieber einmal darüber nachdenken, welche bedeutende Rolle die Spinnen im Haushalt der Natur spielen. Es läßt sich nämlich weder ermessen noch berechnen, welch ungeheure Anzahl von Insekten sie vertilgen. Unsere Phantasie reicht tatsächlich nicht aus, die Anzahl der Spinnennetze in einem hektargroßen Waldstück auch nur zu überschlagen. Es ist darum auch keine Übertreibung, daß viele Spinnenforscher die Ansicht vertreten, daß uns ohne die Spinnen die Insekten schon längst über den Kopf gewachsen wären. Für einen halbwegs denkenden jungen Menschen von heute sollte darum der Ausruf: „Pfui, eine Spinne!" nur noch ein amüsiertes Lächeln hervorrufen.
Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky Fotos: Ullstein Bilderdienst, Bavaria-Bilderdienst L u x - L e s e b o g e n 3 4 4 (Naturkunde) H e f t p r e i s 3 0 P f g . Natur- und kulturkundliche Hefte - Bestellungen (vierteljährl 6 Hefte DM 1 80) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt. — Alle früher erschienenen Lux-Lesebogen sind in jeder guten Buchhandlung vorrätig. — Druck: Hieronymus Mühlberger, Augsburg — Verlag Sebastian Lux, Murnau vor München. — Herausgeber: Antonius Lux.
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103 W u n d e r d e r Vererbung
219 V o g e l v o l k 222 Tier-Rätsel
13 Augen—auf!
108 V o m Pilz zum Penicillin
18 H a g e n b e c k h a n d e l t mit T i e r e n
118 Die W e s p e n k ö n i g i n
21 W a l e 23/24 Der R ä u b e r Isegrim (Doppelheft) 32 N a c h t g e s p e n s t e r 36 I n s e k t e n - R ä t s e l 38 T i e r e und Tierbilder des H ö h l e n m e n s c h e n 45 A u g e n auf! (2) 47 Das ü b e r l i s t e t e Tier 52 Tier-Riesen der Urwelt
119 L e b e n d e Kristalle/ A u s der W e l t d e r Viren
248 B e r n h a r d i n e r
137 Die
254 W e t t e r b a l l o n e
letzten
Biber
142 Der Dachs
260 R o b b e n
152 Familie Specht
263 Affenvolk 268 T i e r e , w i e sie keiner kennt 269 A m e i s e n 276 W e r k s t a t t der N a t u r 277 V ö g e l am F e n s t e r 279 Kaffee 285 Der H o n i g v o g e l 288 Das b l ü h e n d e J a h r in W a l d und Flur 290 Uraltes T i e r v o l k 296 A l e x a n d e r v o n Humboldt 299 Der S p e r b e r 308 Das M a m m u t 312 H u n d e 314 In der W ü s t e Gobi 319 Urwild der A r k t i s 322 B i e n e n v o l k 324 E i s b ä r e n 338 Lemming-Züge 339 Pferde 341 W u n d e r w e l t der Insekten
154 155 162 163
Im Zoo Pinguine V o g e l w e l t im Zoo Fabeltiere
171 G r a u e R i e s e n
62 ü b e r Wald und Heide
173 Türili — die H e i d e lerche 178 Ritter im Teich / Der Stichling 181 B a u m e i s t e r d e r Vogelwelt
78 Grimback — der H a m s t e r 88 U n s i c h t b a r e F e i n d e 92 H e r d e n u n t e r der Mitternachtssonne 93 M e i n F r e u n d — der Igel 98 M e r k w ü r d i g e Tiere 102 B e r g m a n n des Ackers
246 Pflanzenwunder 253 Der Habicht
57 T i e r v ö l k e r w a n d e r n
70 T i e r l e b e n
241 Der Baum
132 Kleines T i e r v o l k
165 Sieg ü b e r d i e Kälte
74 H y d r a
236 Tiergeschichten
123 Der Kuckuck
53 Das v e r w a n d e l t e Tier
64 R i n g v o g e l B 32 521
223 W u n d e r in u n s 231 E u l e n v o l k
168 S e l t s a m e K ä u z e
187 V o m I n s t i n k t d e r Tiere 192 Tiere im W i n t e r schlaf 194 T i e r e h i n t e r G i t t e r n 197 Die g r o ß e n R ä u b e r 199 M a u e r s e g l e r 202 Der heilige Käfer / Der S k a r a b ä u s 216 Eiche
Verlag Sebastian L u x , M u r n a u vor München, Seidl-Park