Staat und Migration
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Staat und Migration
Stefan Luft lehrt als Privatdozent mit den Schwerpunkten Regierungslehre und Politikfeldanalyse an der Universität Bremen.
Stefan Luft
Staat und Migration Zur Steuerbarkeit von Zuwanderung und Integration
Campus Verlag Frankfurt/New York
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-593-38888-5 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Copyright © 2009 Campus Verlag GmbH, Frankfurt/Main Druck und Bindung: PRISMA Verlagsdruckerei GmbH Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier. Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.campus.de
Inhalt
Vorwort ............................................................................................................ 7
1.
Einführung und Grundlagen ......................................................... 8
2.
Die Anwerbung von »Gastarbeitern«: »Temporäre Arbeitsmigration« und das Problem der Steuerbarkeit ............ 35
3.
Integration und Stadt .................................................................... 99
4.
Integration in das Bildungssystem ............................................222
5.
Die Debatte um Integration ......................................................259
6.
Zur Steuerbarkeit von Zuwanderung und Integration ..........299
7.
Schluss: Integrationspolitischer Realismus ..............................355
Literatur ........................................................................................................368
Vorwort
Die diesem Buch zugrunde liegende Arbeit wurde im Juni 2007 als Habilitationsschrift unter dem Titel »Die Steuerbarkeit von Zuwanderung und Integration. Erfahrungen und Perspektiven der Bundesrepublik Deutschland« beim Fachbereich Sozialwissenschaften der Universität Bremen eingereicht. Sie war Bestandteil des im Mai 2008 abgeschlossenen Habilitationsverfahrens. Mein Dank gilt allen daran Beteiligten – insbesondere jenen, die schriftliche Gutachten erstellt haben: Herrn Professor Dr. Frank Nullmeier (Bremen), Herrn Professor Dr. Thomas Krämer-Badoni (Bremen) sowie Herrn Professor Dr. Tilman Mayer (Bonn). Für die Aufnahme am Institut für Politikwissenschaft – nach mehrjähriger Tätigkeit in der Politikberatung im Dienst der Freien Hansestadt Bremen – bin ich außerordentlich dankbar. Für die Veröffentlichung wurde die Arbeit aktualisiert, ergänzt und überarbeitet. Zur Erstellung dieser Arbeit wurden zahlreiche Experteninterviews geführt, die in verschriftlichter Form in diesen Text eingegangen sind. Es handelte sich um Gespräche mit Lehrkräften an Schulen, Beamten der Länderpolizeien, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Staatsanwaltschaften, der Berliner Bezirke (insbesondere Neuköllns), von Quartiersmanagement-Einrichtungen, des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sowie verschiedener Ausländerbehörden. Ihnen sei an dieser Stelle ebenfalls für die Kooperationsbereitschaft herzlich gedankt. Der FAZIT-STIFTUNG danke ich für einen großzügigen Druckkostenzuschuss. Die Arbeit an diesem Buch hat mein Zeitbudget zu erheblichen Teilen beansprucht. Meine Frau und unsere Kinder bekamen dies am stärksten zu spüren. Deshalb danke ich ihnen für ihr Verständnis und meiner Frau für die liebevolle Unterstützung, ohne die dieses Vorhaben und die berufliche Umorientierung nicht gelungen wären. Bremen, im April 2009
1. Einführung und Grundlagen »Zulassung und Ausschluss sind der Kern, das Herzstück von gemeinschaftlicher Eigenständigkeit. Sie sind es, die der Selbstbestimmung ihren tieferen Sinn verleihen. Ohne sie gäbe es keine spezifischen Gemeinschaften, keine historisch stabilen Vereinigungen von Menschen, die einander in einer speziellen Weise verbunden und verpflichtet sind und die eine spezielle Vorstellung von ihrem gemeinsamen Leben haben« Michael Walzer
Dürfen demokratische Rechtsstaaten Zuwanderung steuern? Können demokratische Rechtsstaaten Zuwanderung steuern? Die Antwort auf die erste Frage kann zunächst lauten, dass die Funktionsfähigkeit und die Legitimität des politischen Systems wesentlich darauf beruhen, dass die Exekutive rechtsstaatlich zustandegekommenen Gesetzen Geltung verschafft. Das gilt auch für Gesetze, die der Kontrolle und der Steuerung von Migrationsprozessen dienen. Die Kontrolle des Zugangs zu staatlichen Territorien war eine wichtige Voraussetzung für die Schaffung eines leistungsfähigen Sozialstaates im 19. Jahrhundert. Das System mit seinen hohen Umverteilungsleistungen kann nur funktionieren, wenn die darin einbezogene Bevölkerung ebenso begrenzt wird, wie die Eigenschaften von Wohlfahrtsstaaten als welfare magnets (Peterson/Rom 1990). »Die Leistung des Staates bestand nicht zuletzt darin, dass er durch die Aufrichtung und Kontrolle seiner Grenzen sicherstellte, dass sich die generalisierten Gegenseitigkeitserwartungen auf einen abgegrenzten und damit im Grundsatz überschaubaren Verteilungsraum bezogen, im Rahmen dessen eine abgestimmte Wirtschafts- und Sozialpolitik möglich war« (Kaufmann 1997: 143; vgl. Mau 2007: 227f.).
Hinzu kommt die Erfahrung, dass mit der Zulassung von Personen zum Territorium eines demokratischen Rechtsstaates Mechanismen (vor allem rechtlicher Natur) greifen, die es dem Staat sehr schwer machen, diese Personen wieder in ihre Herkunftsstaaten (oder aufnahmebereite Drittstaaten) zurückzuführen. Was die zweite Frage nach der Fähigkeit des Staates zur Steuerung1 von Migrations- und Integrationsprozessen angeht, so sind zahlreiche Rahmenbedingungen zu berücksichtigen – zunächst die beteiligten Akteure: Einmal die
—————— 1 Unter Steuerung verstehe ich nach Lange/Schimank (2005: 23), »ein System, einen kollektiven oder korporativen Akteur, aber auch Gruppen und einzelne Individuen durch gezielte Intervention in seiner/ihrer Handlungsweise auf die Ziele des Steuerungssubjektes festzulegen«.
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kollektiven Akteure, die als staatliche Institutionen am Prozess beteiligt sind: Die Bundesregierungen, die nach dem Zweiten Weltkrieg bis mindestens zum Anwerbestopp 1973 die Ausländer- und Zuwanderungspolitik dominierten. Der Deutsche Bundestag, der erst durch die innenpolitische Polarisierung seit den 1970er Jahren als »Mitspieler« in Erscheinung trat. Schließlich die Rechtsprechung, die unbestimmte Rechtsbegriffe im Ausländerrecht ausfüllte und damit einen entscheidenden Beitrag dazu leistete, dass sich die Niederlassungsprozesse vollziehen konnten. Hinzu kommen die Parteien als intermediäre Akteure, die die Themen »Zuwanderung« und »Asyl« seit Ende der 1970er Jahre auf breiter Front in die öffentliche Debatte einbrachten (vor allem die Unionsparteien und die Grünen). Gesellschaftliche Akteure – wie Kirchen und Wohlfahrtsorganisationen – haben sich in den vergangenen Jahrzehnten als Sprachrohr für Zuwanderer (Arbeitsmigranten, Asylbewerber, illegale Zuwanderer etc.) verstanden – und tun dies bis heute. Dabei setzen sie neben öffentlichen Stellungnahmen und Kampagnen (»Tag des ausländischen Mitbürgers«/ »Interkulturelle Woche« seit 1975) auch auf die Beeinflussung der gesellschaftlichen und politischen Debatte durch die Institutionalisierung von Foren – wie den »Hohenheimer Tagen zum Ausländerrecht« der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart seit 1985. Hinzu kommen zahlreiche lokale und mittlerweile überregional organisierte Flüchtlingsinitiativen, die sich in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre zunehmend politisierten und professionalisierten (wie zum Beispiel Pro Asyl). Diese Nichtregierungsorganisationen werden zunehmend von staatlichen Stellen in Entscheidungsprozesse einbezogen und teilweise auch aus öffentlichen Mitteln unterstützt. Die politische Debatte wurde in den 1970er und 1980er Jahren auch von Einzelpersönlichkeiten, meist Juristen, stark beeinflusst, die ausgeprägte publizistische Aktivitäten entfalteten.2 Zentrale Mitspieler sind bis heute außerdem Wirtschaftsverbände und Unternehmen. Sie haben ein prinzipielles Interesse an einem möglichst großen Potential an Arbeitskräften, das nicht durch staatliche Grenzen eingeschränkt wird. Arbeitskräfteknappheit (Vollbeschäftigung) mindert ihre Macht – auch bei Tarifverhandlungen. Eine kapitalistische Ökonomie steht grundsätzlich für Grenzenlosigkeit (Dohse 1985a: 3) und strebt einen Weltmarkt für Arbeitskräfte an. Nicht zuletzt um die bereits einsetzenden privaten Rekrutierungen von Arbeitskräften in den Nachbarländern zu regulieren, hatten die Bundesregierungen seit Mitte der 1950er Jahre die Gespräche über Anwerbevereinbarungen aufgenommen. Der Import ausländischer Arbeitskräfte war bis 1973 auf die Befriedigung der Bedarfsanmeldungen der Wirtschaft ausgerichtet. Erst
—————— 2 Hier seien nur genannt Fritz Franz, Helmut Rittstieg und Hans Heinz Heldmann.
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als die Niederlassung zunehmend sichtbar und die damit entstehenden Kosten spürbarer wurden, begann der Einfluss der Wirtschaft zu sinken. Nicht zuletzt die Green-Card-Initiative des Jahres 2000 und der periodisch wiederkehrende Hinweis auf einen drohenden Fachkräftemangel zeigen, wie wirkungsvoll ihre Einflussnahme auch in diesem Politikfeld bis heute ist. In den öffentlich ausgetragenen Konflikten um den Vollzug ausländerrechtlicher Entscheidungen stehen somit staatliche Akteure (Ministerien, Gerichte, Behörden) einer Vielzahl von Akteuren gegenüber, die Widerspruch anmelden und ihn wirkungsvoll artikulieren. Die Steuerungsfähigkeit der staatlichen Akteure hängt auch davon ab, ob ein Konsens oder Dissens zwischen den Entscheidungsbeteiligten vorherrscht: Bis zum Anwerbestopp bestand ein weitgehender (partei-)politischer Konsens darüber, dass ein ausgeglichener Arbeitsmarkt gewährleistet werden und dazu ausländische Arbeitnehmer angeworben werden sollten. In den 1970er Jahren kam es zu einer zunehmenden Politisierung und Polarisierung des Themas, die die gesamten 1980er Jahre kennzeichnete und eine Ursache für das späte Zustandekommen des Zuwanderungskompromisses darstellte. Auch die innerkoalitionären Konflikte und Blockaden zwischen CDU/CSU und FDP in den 1980er Jahren trugen das ihre dazu bei, dass nicht wirkungsvoll steuernd eingegriffen wurde. »Politiksteuerung im Sinn von Steuerungsfähigkeit und Steuerbarkeit der Politik« sei, so Manfred G. Schmidt, in der Bundesrepublik Deutschland »ein besonders schwieriges Unterfangen«, was er auf die hohe Zahl an Vetospielern und Mitspielern in einzelnen politischen Konstellationen zurückführt (Schmidt 2002: 23; Hervorhebung im Original). Die grundgesetzlich festgelegte föderale Struktur gibt den Ländern die Möglichkeit, als »Mitregenten« und »Vetospieler« (Schmidt 2007: 198) aufzutreten, an der Gesetzgebung mitzuwirken und durch ihre Zuständigkeit für den Vollzug von Bundesgesetzen die Verwaltungspraxis zu prägen. In der Gestaltung der deutschen Zuwanderungspolitik ist ihre deutliche Handschrift zu spüren. Hinzu treten die Entsendeländer, deren Interessen erst in den vergangenen Jahren in den Fokus gerückt sind. »Magnet Bundesrepublik« – der Titel einer Veröffentlichung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände 1966 fasst die Situation prägnant zusammen: Wenige Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges, mit allen reparablen und irreparablen Konsequenzen, hatte die wirtschaftlich prosperierende Bundesrepublik Deutschland international erheblich Anziehungskraft entwickelt. Zahlreiche Regierungen wollten ihre Arbeitsmärkte entlasten und Devisenprobleme lindern. »Aus den entferntesten Gegenden des Erdballs kamen Anfragen, in denen ausländische Regierungen um Erlaubnis zur Entsendung von in ihren Heimatländern beschäfti-
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gungslosen Arbeitskräften nach Westdeutschland baten« (Knortz 2008: 41). Anfang der 1960er Jahre waren in diesem Sinne 20 außereuropäische Staaten bei der Bundesregierung vorstellig geworden.3 Begrenzte Steuerungsfähigkeit ist ein wesentliches Kennzeichen des demokratischen Verfassungsstaates als einer »durch Recht geordnete(n) institutionelle(n) Struktur« (Benz 2006: 151; 2008: 247ff.; Massey 2000: 64ff.). Die »Internationalisierung des Arbeitsmarktes« seit den 1950er Jahren und die zunehmende internationale Einbindung nach dem Zweiten Weltkrieg haben die Bedeutung der nationalstaatlichen Steuerungsebene im Hinblick auf die Zuwanderungen stark relativiert. Die Eigendynamik der einsetzenden Kettenmigration, humanitäre Selbstbindungen, die verfassungsrechtlich domestizierte Staatsraison (Isensee 1973), die Spannung zwischen Effizienz und Rechtsstaatlichkeit von Verfahren zählen hierbei zu den Ursachen. Im Zuge der sich gegenwärtig vollziehenden Europäisierung des Asyl- und Zuwanderungsrechts gewinnt dieser Prozess eine neue Qualität. Das Recht, über den Aufenthalt von NichtStaatsangehörigen im Staatsgebiet zu entscheiden als Ausdruck staatlicher Souveränität, wird auf Restbestände reduziert. Allerdings kann die Bündelung der nationalen Souveränitäten auf der EU-Ebene einen Beitrag dazu leisten, die Migrationskontrolle effektiver auszuüben als das auf einzelstaatlicher Ebene möglich wäre.4 Internationale Instanzen – wie der EuGH – gewinnen immer mehr an Einfluss, was die Gestaltung aufenthalts- und asylrechtlicher Regelung angeht. Souveränität – im 20. Jahrhundert angesichts leidvoller Erfahrungen immer stärker durch internationales Recht eingeengt – wird auf diese Weise immer mehr eingeschränkt (Leibfried/Zürn 2006: 46f.; Mayntz 2007). Gleichzeitig besteht die Absicht und auch die Chance, Zuwanderung in die EU (insbesondere bei größeren Flüchtlingsbewegungen) stärker als in früheren Jahren auf die Mitgliedstaaten zu verteilen. Wenn für die Wirtschaftspolitik festgestellt werden muss, dass sich infolge der Globalisierung immer mehr Unternehmen (und vor allem Kapital) staatlicher Regime entziehen (Genschel/Uhl 2006), und »nationale Regierungen immer mehr die Kontrolle über klassische Politikfelder verlieren – Währungspolitik, makroökonomische Politik, öffentliche Finanzwirtschaft, Steuerpolitik und auch über die Gestaltung des Systems der industriellen Beziehungen« (Leibfried 2006: 529), so muss dies für die Zugangskontrolle zu westlichen
—————— 3 Die Liste bei Knortz 2008: 116ff. 4 Mit der verstärkten intergouvernementalen Zusammenarbeit und der Verlagerung von Kompetenzen auf neue Akteure der EU (die diversen »Gruppen«, Frontex etc.) können – so argumentieren Guiraudon/Lahav 2000: 175ff. – Regierungen spezifische nationale Widerstände gegen restriktive Zuwanderungspolitiken leichter umgehen.
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Staaten, vor allem der EU, gleichfalls beobachtet werden (Cornelius/Tsuda 2004). Hinzu kommt der Widerspruch, dass westliche Politik weltweit Organisationsprinzipien des Marktes durchsetzen möchte, dies aber für den Weltmarkt der Arbeitskräfte nicht gelten lassen will5: »Die ökonomische Logik des Liberalismus verlangt Offenheit, die politische und rechtliche Logik verlangen eher Abschottung« (Hollifield 2003: 37; Hoffmann-Nowotny 1989: 245f.). Dieses »liberale Paradox« (Hollifield 1992: 222ff.) ist (neben der Dynamik von Kettenwanderungen und Netzwerken) ein zentraler Erklärungsfaktor dafür, dass selbst »starke Staaten« wie Frankreich in den 1960er und 1970er Jahren Zuwanderungsprozesse nicht nachhaltig zu beeinflussen vermochten (Hollifield 1992: 227). Demokratisch gewählte Regierende sehen sich den Erwartungen der Wähler und der Kritik der Opposition ausgesetzt. Sie müssen daher Zuwanderungspolitik an Mehrheiten orientieren, werden jedoch durch die Einbindung in nationale und internationale rechtliche Verbindlichkeiten immer stärker an eigenständigem Handeln gehindert. Schließlich: Regierungen müssen Handlungsfähigkeit auch in Zuwanderungsfragen demonstrieren, auch wenn sich die Resultate häufig nicht mit den Absichtserklärungen decken. Da keine Bundesregierung je um »Einwanderer« geworben hatte, man also mit den Folgen weitgehend ungewollter, unbeabsichtigter und ungeplanter Zuwanderung konfrontiert war, sträubten sich die Bundesregierungen der 1980er und 1990er Jahre, das von ihnen vielstimmig geforderte Bekenntnis zu Deutschland als »Einwanderungsland« abzugeben. Sie fürchteten damit eine sich selbst erfüllende Prophezeiung abzugeben. »Aus der faktischen Einwanderung zu schließen, es müsse auch durch die Erklärung der Bundesrepublik Deutschland zum Einwanderungsland für die Zukunft rechtlich sanktioniert werden, was faktisch nicht verhindert werden konnte, ist ähnlich, wie wenn man aus der massenhaften Steuerhinterziehung bei Zinseinkünften aus ausländischen Kapitalanlagen den Schluss ziehen wollte, die Bundesrepublik zum steuerfreien Land für Kapitaleinkünfte zu erklären«, bemerkte Kay Hailbronner (2000: 31) dazu.6 Eine Hauptursache für die mangelnde Integration einzelner Zuwanderergruppen hinsichtlich Spracherwerb, Bildungswesen und Arbeitsmarkt ist die Tatsache, dass die Bundesrepublik Deutschland (wie andere westliche europäische Länder auch) die Zuwanderung nicht nach Kriterien der Qualifikation gesteuert hat (wie in klassischen Einwanderungsländern wie den USA oder
—————— 5 Dies wurde von wirtschaftswissenschaftlicher Seite immer wieder als anachronistisch dargestellt (Waltershausen 1911: 86ff.; Röpke 1950; Borella 2008: 76ff.). 6 Vor diesem Hintergrund wird in dieser Arbeit auch von »Zuwanderung« und nicht von »Einwanderung« in die Bundesrepublik Deutschland gesprochen (Joppke 1999: 99).
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Australien). Deshalb stehen neben den Bedingungen von Wanderungsprozessen in dieser Arbeit die Niederlassungsprozesse im Vordergrund. »Gastarbeiter« (insbesondere jene aus der Türkei) wurden über Filtermechanismen von Wohnungsmärkten in Stadtteile abgedrängt, in denen bereits die einheimischen sozial Schwachen lebten. Hinzu kam, dass Menschen, die sich dauerhaft in einem anderen Land niederlassen, die Gemeinschaft mit Landsleuten suchen. Das war und ist in Deutschland nicht anders als in Großbritannien, den USA und den Niederlanden. Sind die daraus entstehenden ethnischen Kolonien nicht gleichzeitig Unterschichtenballungen und lediglich Durchgangsstationen, ein durchlässiges System, besteht wenig Gefahr, dass sie sich im Laufe der Zeit verfestigen und zu Integrationsbarrieren werden. Kommt es aber zu einer ethnischsozialen Unterschichtung der Aufnahmegesellschaft durch große Zuwanderergruppen, ist die Gefahr zunehmender Isolation groß. Im Laufe des Niederlassungsprozesses trafen die Zuwanderer nicht nur auf sich wandelnde Arbeitsmärkte sondern auch auf Städte, in denen sich sozial selektive Wanderungsprozesse abzeichneten, die durch die Zuwanderung verstärkt wurden. Exemplarisch wird dies am Fall Berlins dargestellt. In den ethnischen Kolonien sammeln sich zunehmend sozial schwache Einheimische und Zuwanderer. Wer es sich leisten kann, verlässt den Stadtteil. Die sozial schwachen Einheimischen, die nicht in »bessere« Wohngegenden umziehen können, sehen sich mit einer zunehmenden Dominanz fremder Lebensweisen und Ausdruckformen konfrontiert. Zu der sozial-räumlichen Polarisierung kommt die demographische Entwicklung, die die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung vor allem in den Großstädten in den kommenden Jahren und Jahrzehnten nachhaltig verändern wird. Die deutsche Ausländerpolitik setzte lange Jahre auf die Bewahrung der »kulturellen Identität« der Zuwanderer. Sie stellte sich gegen eine Angleichung der »Gastarbeiter« und ihrer Nachkommen, die als Eindeutschung abgelehnt wurde. Lag bei den einen eine romantisierende Vorstellung der jeweiligen Herkunftsidentitäten vor, wollten die anderen damit vor allem die Rückkehrfähigkeit erhalten. Diese Haltung ist einer der Gründe, warum die Integration in das Bildungssystem bis heute erhebliche Probleme aufwirft. Außerdem beförderte sie die desintegrierenden Auswirkungen der ethnisch-sozialen Ballungen, weil sich die soziale Mobilität nicht ausreichend entwickeln konnte. Milliardenschwere Sprach- und Integrationsangebote erzielten auf diese Weise nicht die beabsichtigte Wirkung. Heute muss die Verfestigung ethnisch-sozialer Unterschichtenkonzentrationen und partiell auch die Tendenz zur Entstehung parallelgesellschaftlicher Strukturen konstatiert werden. Dabei geht es weder darum, die Existenz sol-
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cher Strukturen zu bestreiten noch pauschal alle ethnischen Konzentrationen mit dem Begriff Parallelgesellschaft zu belegen. Mit einer dauerhaften sozialen Randständigkeit geht eine hohe Kriminalitätsbelastung einher, die bei Jugendlichen aus dem türkisch-islamischen Raum besonders auffällig ist. Hier stehen nicht nur Polizei, Justiz und Schulen, sondern die Gesellschaft als Ganzes vor einer großen Herausforderung. Was bedeutet Integration? Darf sie überhaupt verlangt werden, und welche Bedingungen für gelingende Integration gibt es? Ist Integration in Zeiten weltweiter Mobilität und Vernetzung überhaupt noch eine sinnvolle Kategorie? Stellt der Staat noch ein sinnvolles Bezugssystem dafür dar? Welche Rolle spielt dabei die Verleihung der Staatsangehörigkeit? Gibt es eine Integration durch das Recht? Am »Multikulturalismus« wird von politischen Lagern, die sich selbst als »links« oder »rechts« verstehen, grundlegende Kritik geübt. Auch mit Blick auf die Entwicklungen in Großbritannien ist festzustellen, dass das Konzept des Multikulturalismus jene unter den Zuwanderern bestärkt, die bewusst auf Abgrenzung und Absonderung setzen (vgl. Kapitel 5). »In allen Zielstaaten der Arbeitsmigration weisen die Eltern der als Migranten erfassten Jugendlichen eine kürzere Schulbesuchszeit und einen geringeren ökonomischen, sozialen und kulturellen Status auf als die Eltern von Nichtmigranten. Nirgendwo ist dieser Unterschied zwischen Familien mit und ohne Migrationshintergrund aber so stark wie in Deutschland. Das besonders niedrige soziale und kulturelle Kapital, das Jugendlichen aus Familien von Zugewanderten mit auf den Weg gegeben wird, ist ein zentraler Faktor der Migrationsproblematik in Deutschland« (Konsortium Bildungsberichterstattung 2006: 172).
Diese Feststellung lässt deutlich werden, dass die Frage nach der Steuerungsmöglichkeit für Integrationsprozesse von zentraler Bedeutung ist. Die dauerhafte Randständigkeit ganzer Bevölkerungsgruppen in den Städten birgt jedenfalls erhebliches Konfliktpotential, zumal die Gegensteuerungskapazitäten von Bund, Ländern und Gemeinden in Zeiten von Weltwirtschaftskrise und Konsolidierungszwängen (durch »Schuldenbremsen«) nachhaltig abnehmen werden. In Zeiten der Globalisierung, in denen das deutsche Modell des Sozialstaats zunehmend in Frage gestellt wird (Lessenich/Nullmeier 2006), gewinnt das Konfliktpotential zwischen den Zuwanderern, die an den unteren Rand der Gesellschaft gedrängt wurden, und den einheimischen Unterschichten zunehmend an Bedeutung. Die Leidtragenden der marodierenden französischen Jugendbanden waren nicht die bürgerlichen Schichten, sondern jene Einheimischen, die das Schicksal der Zugewanderten (in Hinsicht auf Bildungsstand, verfügbares Einkommen, Wohngegend und Marginalisierung) teilen. Deshalb geht es bei der Debatte um ethnisch-soziale Unterschichten auch um ein gesamtgesellschaftliches Problem.
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Dynamische Migrationsprozesse Staatliche Steuerungsversuche zeigen deshalb häufig nur begrenzte Wirkungen, weil die Wanderungen eine erhebliche Eigendynamik entwickeln. Hier sollen einige Stichworte zu entsprechenden Erklärungsversuchen genannt werden. Bei einer gegenwärtigen Weltbevölkerung von rund 6.396 Millionen Menschen7 leben rund 191 Millionen außerhalb ihres Geburtslandes und gelten daher als Migranten (Deutsche Stiftung Weltbevölkerung 2006: 5). Das entspricht einem Anteil von drei Prozent. Dieser Anteil ist in den vergangenen 50 Jahren kaum gewachsen – trotz enorm zunehmender Wanderungsmöglichkeiten und weltweit medialer Verbreitung westlicher »Werte« und Lebensstile. Diese »relative Immobilität« (Faist 2007) hat viele Ursachen. Migration zur anthropologischen Konstante zu stilisieren, wonach sie »zur Conditio humana [gehört] wie Geburt, Vermehrung, Krankheit und Tod; denn der Homo sapiens hat sich als Homo migrans über die Welt ausgebreitet« (Bade u.a. 2007: 19) muss zu den ideologischen Konstrukten der Migrationsforschung gerechnet werden. Zwischen 1980 und 2000 stieg die Zahl der Migranten in entwickelten Ländern von 48 auf 110 Millionen an, in Entwicklungsländern im gleichen Zeitraum von 52 auf 65 Millionen (Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen 2005: 84). In den Entwicklungsländern ist die Einwanderungsrate stark zurückgegangen, in den entwickelten Ländern (ohne die Nachfolgestaaten der UdSSR) stark angestiegen. 33 der 36 Millionen Menschen, die zwischen 1990 und 2000 ihre Heimat verlassen haben, sind in ein Industrieland ausgewandert (Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen 2005: 7). Die Bundesrepublik Deutschland gehört im europäischen Vergleich zu den Staaten mit den höchsten Zuwanderungszahlen. 1991 bis 2003 lag sie mit rund 13 Millionen Zuzügen weit vor Großbritannien (4,9 Millionen) und Italien (2,3 Millionen) (Migrationsbericht 2005: 109; Münz/Seifert/Ulrich 1999: 16ff.). Warum Wanderungsprozesse entstehen, sich dynamisch fortentwickeln oder zurückgehen, dafür gibt es stets eine Vielzahl von Ursachen (außer bei Formen von Zwangsmigration). So spricht die Weltkommission für internationale Migration der Vereinten Nationen von den »3D-Faktoren«: development, demography und democracy. Da die globalen Unterschiede in Hinsicht auf diese Faktoren absehbar zunähmen, sei mit einer Zunahme internationaler Migration zu rechnen (Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen 2005: 12).
—————— 7 Nach Angaben der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung, Text unter http://www.weltbevoel kerung.de/pdf/fs_entwicklung.pdf, ( 6. April 2007).
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Grundsätzlich wird zwischen push- und pull-Faktoren unterschieden (Lee 1972: 115ff.; Nuscheler 2004: 101ff.; Müller-Schneider 2000: 97ff.). Zu den Abstoßungsfaktoren (push-Faktoren) gehören politische und militärische Konflikte, Umweltkrisen, die Bevölkerungsentwicklung in den Abgabeländern sowie das Verhalten der Regierungen der Abgabeländer. Anziehungskräfte (pull-Faktoren) werden ausgeübt durch zunehmende internationale wirtschaftliche Disparitäten und durch deren weltweite Wahrnehmung durch Verbreitung von Bildern des westlichen Lebensstils mittels elektronischer Massenmedien. Schließlich erzeugen oder verstärken die Aufnahmeländer durch Anwerbemaßnahmen oder Legalisierung von illegal Zugewanderten die Anziehungskräfte. Abstoßungs- und Anziehungskräfte verstärken sich häufig gegenseitig. Dabei können sie unterschiedliche Dimensionen haben: Abstoßungskräfte (insbesondere aus ländlichen Regionen) können aufgrund schlechter (Über)Lebensbedingungen stärker ausgeprägt sein als die Anziehungskräfte der urbanen Zentren (wenn beispielsweise Arbeitsplätze dort nicht in der notwendigen Zahl vorhanden sind) (Germani 1974: 301ff.). Push- und pull-Faktoren allein reichen allerdings zur Erklärung nicht aus: Es müssen auch die Gelegenheitsstrukturen und Realisierungsmöglichkeiten für Wanderungen vorhanden sein. Zu den Ursachen für Wanderungen können gehören: Bevölkerungswachstum (wie bei der Amerikaauswanderung im 19. Jahrhundert); ein internationales Entwicklungsgefälle (Hoffmann-Nowotny 1987: 48; 1989.); ein erhebliches Lohngefälle. Migranten aus Niedriglohnländern können in den entwickelten Industriestaaten Löhne erzielen, die 20- bis 30-mal höher liegen als jene im Herkunftsland (Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen 2005: 12). Hinzu kommt die globale Durchdringung mit westlichen Medien und deren Botschaften des westlichen Lebensstils, Konsums etc., die als Anziehungsfaktoren wirken und Teilhabewünsche wecken (Müller-Schneider 2000: 100ff.). Die Zunahme weltweiter Mobilität durch Eisenbahn, Auto und Flugverkehr stellt eine wesentliche Bedingung, die massenhafte internationale Migration ermöglicht. Zwar spielt bis heute auch geographische Nähe eine Rolle in Migrationsprozessen (Italiener in Frankreich und der Schweiz, Mexikaner in den USA), ihre Bedeutung wird aber zunehmend relativiert: Geographische Distanzen stellen keine grundsätzlichen »intervenierenden Hindernisse« (Lee 1972: 120) mehr für Wanderungen dar (Ravenstein 1972; Kalter 1997: 23ff.; Müller-Schneider 2000: 112). Die Zahl jener, die über die materiellen Voraussetzungen verfügen, moderne Transportmöglichkeiten zu nutzen, steigt. Potentielle Zielländer internationaler Migration geben politische Signale ab, die entweder von den Migrationswilligen selbst oder intermediären Organisationen (wie Schleuserorganisationen) wahrgenommen und interpretiert werden.
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Dazu gehören gezielte Anwerbeaktionen von Arbeitskräften (»Gastarbeiter« in den westeuropäischen Ländern in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die »Green-Card-Initiative« der Bundesregierung Schröder/Fischer aus dem Jahr 2000) ebenso wie Legalisierungsmaßnahmen für sich illegal aufhaltende Ausländer, die als Chance interpretiert werden, trotz illegaler Einreise einen dauerhaften Aufenthaltsstatus zu erhalten. Von Bedeutung sind auch Möglichkeiten für Zuwanderer, an sozialstaatlichen Leistungen zu partizipieren (Haug/Sauer 2006: 12). Retardierend können restriktive Maßnahmen wirken wie der Ausbau von Grenzkontrollen oder das Vorgehen gegen illegale Zuwanderer durch Binnenkontrollen. Abgabeländer beeinflussen das Wanderungsverhalten durch mehr oder weniger restriktiv gestaltete Ausreisemöglichkeiten. »Reisefreiheit« gehört zu den in der »Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte« der Vereinten Nationen kodifizierten Menschenrechten, ist aber, wie das 20. Jahrhundert gezeigt hat, keine Selbstverständlichkeit. Abgabeländer wirken nicht selten auf Aufnahmeländer ein, Zugangsmöglichkeiten zu eröffnen. Sie versprechen sich von einer (zeitlich befristeten) Auswanderung eigener Staatsangehöriger dringend benötige Devisen zur Entlastung der Zahlungsbilanz: Finanzielle Transferleistungen von Migranten sind von erheblicher Bedeutung für die Entwicklung der Herkunftsregionen und wurden und werden von den Entsendeländern gezielt genutzt. Für 2002 wurden die Finanztransfers von Migranten in Entwicklungsländer auf 149,4 Milliarden US-Dollar geschätzt (OECD 2006: 141). Sie übersteigen damit die weltweiten öffentlichen Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit um mehr als das Doppelte.8 Rücküberweisungen (Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen 2005: 26ff.; OECD 2006: 139ff.) sind ein wichtiger Hinweis auf die Existenz von Netzwerken (Boyd 1989: 650f.). Sie stimulieren nicht selten Kettenwanderungen, da sie einen (nicht immer berechtigten) Eindruck vom hohen Lebensstandard im Aufnahmeland bzw. des Auswanderers vermitteln. Potentielle Abgabeländer setzen ihr Wanderungspotential auch als Druckmittel ein: So haben sie in den 1990er Jahren gezielt Szenarien erheblicher Zuwanderung genutzt, um westliche Länder zu Zugeständnissen und vor allem wirtschaftlicher Unterstützung zu veranlassen (Bade 2000: 386f.).
—————— 8 Deutscher Bundestag: Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD und FDP und Bündnis 90/Die Grünen: Diaspora – Potentiale von Migrantinnen und Migranten für die Entwicklung der Herkunftsländer nutzen, Drs. 16/4164 vom 31. Januar 2007.
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Migrationsmodelle9 Migration ist Gegenstand unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen: der Soziologie,10 der Geschichtswissenschaft,11 der Politikwissenschaft,12 der Demographie,13 der Wirtschaftswissenschaften14 und der Geographie15. Grundsätzlich ist zunächst zwischen Mikro-, Makro- und Mesoansätzen zu unterscheiden: Erstere gehen von den Motiven des individuellen (potentiellen) Migranten aus, letztere von den Rahmenbedingungen, vom gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang. Mesoansätze beziehen die Einflüsse von Netzwerken auf Wanderungsentscheidungen ein. Zu den mikrotheoretischen Ansätzen gehören die ökonomischen Wanderungstheorien (Kalter 1997: 31ff.). Sie stellen die Bedeutung der Arbeitsmärkte und das unterschiedliche Lohnniveau in den Mittelpunkt. Demnach orientieren sich Migranten am maximalen Nutzen, den sie erzielen wollen, an der Aussicht, eine möglichst hohe Entlohnung zu erhalten und ihre Kosten möglichst gering zu halten. Die Ansätze gehen davon aus, »dass Individuen dann wandern, wenn der Nettowert des Gehens zum Entscheidungszeitpunkt höher ist als der Nettowert des Bleibens« (Haug/Sauer 2006: 10). Hier werden allerdings Informationsmängel und die unterschiedlich ausgeprägte Risikobereitschaft nicht berücksichtigt (Haug/Sauer 2006: 10; so schon Waltershausen 1991: 162). »Neoklassische Migrationsmodelle« stellen auf Individuen ab, die sich vom Interesse an einer Einkommensmaximierung leiten lassen und die Auswanderung als »Humankapitalinvestition« ansehen (hierzu und im Folgenden: Steinmann 1996: 36ff.; Massey 2000; Lebhard 2002: 7ff.; Kalter 1997: 43f.; Borella 2008: 26ff.). Die »Neue ökonomische Migrationstheorie« bezieht die »Haushalte« und Familien und deren Interessen (beispielsweise an Einkommenstransfers aus dem Zielland) ein. Ökonomisch-soziale Umwälzungen im Herkunftsland, die zur Destabilisierung und zum Wegbrechen von Einkommensquellen führen, bilden die wesentlichen Voraussetzungen, unter denen zeitlich befristet geplante Arbeitsmigration als Mittel eingesetzt wird, um die Einkom-
—————— 9 Hierzu die Forschungsübersichten: Haug/Sauer 2006; Lebhart, Gustav 2002; Haug 2000; Müller-Schneider 2000: 55ff.; Kalter 1997: 15ff.; Massey 1993; ders. 2000. 10 Han 2000; zur Forschung bis zu den 1970er Jahren: Hoffmann-Nowotny 1970: 44ff.; Albrecht 1972: 92ff. (hier vor allem zu amerikanischen Arbeiten). 11 Bade/Emmer/Lucassen/Oltmer 2007; die Bibliographie: Oltmer/Schubert 2005; Esch/Poutrus 2005; zur Forschung in den USA: Kamphoefner 2001. 12 Joppke 1999; die Arbeiten von Thränhardt; Cornelius u.a. 2004. 13 Birg 1993; Lebhart 2002: 22ff. 14 Steinmann 1996; Lebhard 2002: 7ff.; Borella 2008. 15 Boyle/Halfacree/Robinson 1998, den Art. »migration« von Philipp Ogden in: The dictionary of human geography, 4. Aufl., 504f.
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mensquellen der Haushalte zu diversifizieren und damit Risikovorsorge zu betreiben. Die Akteure beziehen auch die Lage auf dem Arbeitsmarkt des Ziellandes mit ein. Allerdings können Individuen der »Haushalte« und Familien auch divergierende Interessen verfolgen. »Families and households are not always harmonious decision making units and collective strategies are not always identical to those of individuals« (Boyd 1989: 657). Allerdings sind nicht ausschließlich ökonomische Motive für Wanderungsentscheidungen maßgeblich. »Genau betrachtet suchten Auswanderer eher nach Einkommensverbesserung als nach Einkommensmaximierung« (Kamphoefner 2001: 22). Das zeigt auch die Ortswahl vieler türkischer »Gastarbeiter« in der Bundesrepublik Deutschland: Sie wollten an Standorte in der Bundesrepublik Deutschland vermittelt werden, an denen bereits ihnen bekannte Landsleute beschäftigt waren – obwohl sie dort unter Umständen nicht die höchsten Einkünfte erzielen konnten. Genannt werden soll hier noch die Werterwartungstheorie, wonach ein potentieller Migrant, denjenigen Ort als Zielort auswählt, »an dem die Summe der Nutzen aus verschiedenen Dimensionen multipliziert mit ihrer Auftrittswahrscheinlichkeit an ebendiesem Ort am höchsten ist« (Haug/Sauer 2006: 16).16 Eine Modifikation stellt das SEU-Modell (Subjective Expected Utility) dar. Hier steht der subjektiv erwartete Nutzen im Vordergrund (Kalter 1997: 47ff.; Esser 1985: 439ff.). Für die makrotheoretischen Ansätze bilden die strukturellen Faktoren den Rahmen: – die wirtschaftliche, soziale und politische Lage in den Herkunfts- und den Aufnahmeländern; – die Nachfrage nach billigen und gering qualifizierten Arbeitskräften, die im unteren Lohnsegment, bei schlechten Arbeitsbedingungen und in prekären Beschäftigungsverhältnissen (der insgesamt segmentierten Arbeitsmärkte) eingesetzt werden können (Lebhart 2002: 13ff.); – das Regierungshandeln in den Abgabe- und Zielstaaten, die Politik auf internationaler Ebene (Einschränkungen der Reisefreiheit, Migrationskontrolle der EU); – die Bevölkerungsentwicklung in den Abgabeländern; – geographische Distanzen (die allerdings heute eine immer geringere Rolle spielen); – Wanderungsbeziehungen, die sich zwischen Staaten herausgebildet und durch Kettenmigration stabilisiert haben (wie zwischen ehemaligen Kolonialmächten und ihren früheren Kolonien).
—————— 16 Ausführlich: Esser 1999 Bd. 1: 247ff.
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Wanderungen sind nicht nur abhängig von der Entscheidung des einzelnen Migranten, sondern auch von den sozialen Beziehungen (Netzwerken) (Hoffmann-Nowotny 1973), in denen er lebt. »Whether migration occurs or not, and what shapes its direction, composition and persistence is conditioned by historically generated social, political and economic structures of both sending and receiving societies. These structures are channelled through social relationships and social roles which impact on individuals and groups« (Boyd 1989: 642).
Auf der Mesoebene (Faist 1997: 73) stehen Entscheidungen der Netzwerke und Kollektive im Zentrum, in die die Migranten eingebunden sind. Dazu gehören intermediäre Instanzen wie Haushalte. »Because households are units which mediate between individuals and the larger structural setting, they are an important component in the relationship between structural conditions and migration« (Boyd 1989: 645). Netzwerke senken Kosten und Risiken von Wanderungen und ermöglichen deren quantitative Ausweitung. »Sobald internationale Migration durch die Bildung von Migrationsnetzwerken institutionalisiert ist, wird sie unabhängig von den ursprünglichen strukturellen oder individuellen Ursachen. […] Durch den Selbstverstärkungseffekt der sozialen Netzwerke, die mit jedem weiteren Mitglied ausgedehnt und verstärkt werden, werden weitere potentielle Migranten angelockt, die von den bereits bestehenden Netzen profitieren können. Die Verfügbarkeit derartiger Ressourcen stellt eine Bedingung der Massenmigration dar« (Haug/Sauer 2006: 24; Müller-Schneider 2000: 83).
Zu den Netzwerken gehören auch Schleuserorganisationen, die Zuwanderung trotz staatlicher Barrieren realisieren. Faist hat darüber hinaus die Rolle des sozialen Kapitals hervorgehoben (als denjenigen »Ressourcen […], die Akteuren erlauben, mit Hilfe sozialer Bindungen innerhalb von Gruppen bzw. Partizipation in Netzwerken ihre individuellen bzw. kollektiven Ziele zu verwirklichen« [Faist 1997: 74]). Es kann nur in sozialen Beziehungen erzeugt und akkumuliert werden und ist deshalb stark territorial gebunden (Faist 1997: 74f.). Sozialkapital kann daher nicht beliebig transferiert werden. Es geht nur dann nicht verloren, wenn dichte Netzwerke zwischen Herkunfts- und Zielregion bestehen (Haug 2006: 61ff.). Grundsätzlich müssen sowohl die makro- als auch die mikrotheoretischen Ansätze jeweils für sich als unzureichend angesehen werden.
Formen von Migration Friedrich Heckmann bezeichnet »Kettenwanderung« als »universelle und wahrscheinlich auch die quantitativ bedeutendste Form der Migration« (Heck-
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mann 1992: 99).17 Kettenwanderung ist eine Gruppenwanderung und eine der zentralen Formen von Migration: Landsleute (Verwandte, Freunde) aus der Herkunftsregion folgen bereits Ausgewanderten (Pionieren, die Brückenköpfe bilden) ins Aufnahmeland nach. Die Folge ist die Bildung ethnisch homogener Einwandererkolonien. Kettenwanderung ist ein sich selbst verstärkender Prozess. So kann die Zuwanderung von »Gastarbeitern« in die Bundesrepublik als »Vorwanderung« verstanden werden, die jahrzehntelange Wanderungsprozesse auslöste (Müller-Schneider 2000: 106). Entscheidende Voraussetzung für die Kettenwanderung sind Kommunikationsprozesse, Informationsströme und Netzwerke. »Ob bei der Ostkolonisation im Mittelalter, den transozeanischen Migrationen oder im Falle der LandStadt-Wanderungen: Immer geht der eigentlichen Migration die Aufnahme von Informationen voraus« (Kromer 1985: 55; Albrecht 1972: 117ff.). Die Informationen, seien sie nun realistisch oder nicht (»Vom Tellerwäscher zum Millionär« [Kamphoefner 2006: 193]), sind es, die bei den in der Herkunftsregionen Verbliebenen, die Hoffnung entstehen lassen (oder verstärken), in der neuen Umgebung die eigene Lage grundlegend verbessern zu können. Dabei spielen formelle Informationsströme (Bücher, Print- und elektronische Medien) ebenso eine Rolle wie informelle: Briefe, persönliche Kontakte durch Gespräche mit Rückkehrern oder Ortsfremden, die Kromer (1985: 59ff.) in seiner Untersuchung zur Land-Stadt-Wanderung im 19. Jahrhundert »Propagandisten der Großstadt« nennt. Konsumgüter und Rücküberweisungen aus dem Zielland, nähren die Hoffnung auf einen hohen Lebensstandard und dort wartenden Reichtum (Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen 2005: 29). Pionierwanderer idealisieren nicht selten den Erfolg ihrer Wanderung und verkörpern die »fremde Welt«. Auf diese Weise lassen sie eine Wanderung als lohnend erscheinen. Sie wirken in Netzwerke in den Heimatorten hinein, die wiederum eine Diffusion der Informationen bewirken. Ihre Authentizität lässt ihre Informationen valider erscheinen als »offizielle«, formelle Informationen (Kamphoefner 2006: 113). Weder der Bedarf des Ziellandes, noch die Qualifikationen der Auswanderungswilligen waren (und sind) in vielen Fällen für die Wahl der Zielregion entscheidend, sondern die Entscheidung von Pionierwanderern (Kamphoefner 2001: 21). Es bleibt festzuhalten, »dass die Entscheidung über und die konkrete Durchführung von grenzüberschreitenden Wanderungen fast immer im Rahmen von Netzwerkstrukturen interpersonaler Beziehungen realisiert werden. In den seltensten Fällen ist es ein individueller Akteur, der sich zur Migration entscheidet und diese dann auch vollkommen selbstständig organisiert« (Pries 1997: 33).
—————— 17 Ein soziologisches Erklärungsmodell bei: Haug 2006: 107ff.
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Haushalte und Familien spielen bei Wanderungsprozessen eine zentrale Rolle. »As socializing agents, families transmit cultural values and norms which influence who migrates and why. Families also transmit norms about the meaning of migration and the maintenance of familial based obligations over time and space« (Boyd 1989: 643). Die historische Migrationsforschung hat dies unter anderem für die Auswanderung aus dem Deutschen Reich in die Vereinigten Staaten von Amerika nachgewiesen (Kamphoefner 2006; 1984). Die Siedlungsmuster der deutschen Auswanderer sind das Ergebnis ausgeprägter Kettenwanderungen (Kamphoefner 2006: 83ff.). So waren »verpflanzte« Gemeinschaften (Dörfer, Kirchengemeinden), vor allem im ländlichen Amerika eher die Regel als die Ausnahme. In seiner Studie zur Auswanderung aus der preußischen Provinz Westfalen und dem angrenzenden Nordwestdeutschland beschreibt Kamphoefner die Situation in der amerikanischen Zielregion Missouri: »Zehn Kilometer weiter in den Missouri-Hügeln liegen die Ortschaften New-Melle und Cappeln, benannt nach zwei nur dreißig Kilometer voneinander entfernten Dörfern in Deutschland, wenn auch auf gegenüberliegenden Seiten der hannoveranisch-preußischen Grenze. Die Auswanderung von ›Alt‹ nach ›New‹ Melle war so stark, dass 70 Prozent der Deutschen der Stadt und des umgebenden Townships [Amtes] in Hannover geboren waren. Die Einwanderung von Cappeln und einem halben Dutzend umliegender Dörfer war sogar noch stärker. Mehr als 130 Familienvorstände und ungefähr 400 Seelen, die in den Volkszählungen der Counties St. Charles und Warren von 1850 erfasst sind, konnten bis zu den Auswandererlisten dieser Dörfer zurückverfolgt werden, mit über 200, die allein aus Westercappeln stammten. Konzentriert auf drei oder vier Siedlungen, machten sie etwa ein Fünftel aller Deutschen in den beiden Counties aus« (Kamphoefner 1984: 335).
Die Einwanderung in die USA war zum Großteil eine Kettenwanderung. Vor Beginn des Ersten Weltkrieges hatten rund 95 Prozent der Einwanderer Verwandte oder Freunde in den USA, zu denen sie reisten (Kamphoefner 2006). Rund ein Drittel der Einwanderer zwischen 1908 und 1910 reisten auf »prepaid Tickets«, die meist von bereits ausgewanderten Verwandten bezahlt worden waren (Kamphoefner 2006: 216). Kamphoefner hat eine Typologie von Kettenwanderern und Einzelwanderern in die USA zusammengestellt:
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Individualistische Migranten Pull Vorwiegend Einzelwanderer Junge Erwachsene Vorwiegend männlich Eher städtisch Eher in Zeiten und Regionen mit schwacher Auswanderung Höheres Vermögen, höherer Bildungsstandard und Berufsstatus Anglokonformität Assimilierung
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Kettenwanderer Push Vorwiegend Familienwanderer Migranten unterschiedlichen Alters Ausgeglichene Geschlechterproportionen Eher ländlich Eher in Zeiten und Regionen mit starker Auswanderung Niedrigeres Vermögen, niedrigerer Bildungsstandard und Berufsstatus Kultureller Pluralismus Akkulturation
Quelle: Kamphoefner 2006: 217
Eine wichtige Rolle bei Kettenwanderungen spielen die Informationsströme zwischen den bereits ausgewanderten und den im Herkunftsland verbliebenen Landsleuten (Kamphoefner 2006: 324f.). Die Art der Wanderung – Einzelwanderung oder Kettenwanderung – hat wesentlichen Einfluss auf Motive und Erwartungen von Wanderern und damit auf deren Integrationsverhalten. Einzelwanderer müssen sich sehr viel intensiver auf die Aufnahmegesellschaft einlassen, sich mit ihr sehr viel stärker auseinandersetzen als Gruppenwanderer, die darauf vertrauen können, im Aufnahmeland (zumindest für eine Übergangszeit) auf Netzwerke zurückgreifen zu können. Insofern wirkt Individualwanderung stets »selektiver« als Gruppenwanderung (wobei die Freiwilligkeit hier stets vorausgesetzt wird) (siehe Esser 1980: 30ff.). »Bei individuell geplanten, auf spezifischen Entbehrungen beruhenden, auf spezifische Bereiche des Aufnahmesystems bezogenen Wanderungen ohne Rückkehrabsichten, ohne konkurrierende Bezugsgruppenorientierungen und Identifikationen ist die Gerichtetheit und die Intensität der motivationalen Kraft zur Wahl assimilativer Handlungen besonders hoch. […] Sozial induzierte Wanderungen, oder solche, die aus anderen Gründen mit Motivationsdiffusität verbunden sind, dürften von daher schon zu Beginn des Aufenthalts zu einer deutlicheren Benachteiligung beim Eintreten in den Assimilationsprozess führen« (Esser 1980: 88).
Netzwerke senken Kosten. Mit Hilfe von bereits im Aufnahmeland kundigen Wegbereitern können Risiken, etwa bei der Wohnungssuche oder der Suche nach einem Arbeitsplatz vermieden werden (Haug 2006: 45f.). Kettenwanderungen über Netzwerke kennzeichnen auch die türkische Zuwanderung in die Bundesrepublik Deutschland.
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Binnenmigration Bei Binnenwanderung handelt es sich um Wanderung innerhalb staatlicher Grenzen. Binnenwanderungen größeren Ausmaßes sind in der Regel LandStadt-Wanderungen. Sie sind Folgen wirtschaftlich-sozialer Umbrüche und starken Bevölkerungswachstums: wie während der Industriellen Revolution in Deutschland im 19. Jahrhundert oder wie in der Türkei im 20. Jahrhundert, in der sich seit 1950 Ungleichgewichte zwischen Zentren und Peripherie, zwischen Großstädten und ländlichen Räumen, verschärften (Akkaya/Özbek/Şen 1998: 210ff.). In der Dritten Welt im Allgemeinen ist der Prozess eines rapiden Stadtwachstums ungebrochen. Für 2025 ist prognostiziert, dass 55 Prozent der dortigen Bevölkerung in Städten leben (Feldbauer/Parnreiter 1997: 9; Kersting 1996: 16ff.; Davis 2007: 7ff.; Gaebe 2004: 20ff.). Der ländliche Raum bietet einer wachsenden Bevölkerung weder ein ausreichendes Einkommen noch Zukunftsperspektiven. Die im Wettbewerb mit den entwickelten Ländern stehende Landwirtschaft der Entwicklungsländer (in erster Linie Kleinbauern) kann keine ausreichenden Arbeitsplätze bieten. In den Städten werden dann die Binnenwanderer für eine potentielle Migration »vorsozialisiert«: Der Einfluss der Herkunftsmilieus und die soziale Kontrolle nehmen ab, was wiederum eine wesentliche Voraussetzung für die Bereitschaft zu grenzüberschreitender Wanderung ist: »Die Schwächung der Bindungen und die Abnahme der sozialen Kontrolle sind weitere Vorbedingungen geographischer Mobilität, die dann ihrerseits wiederum dazu führt, dass die Stränge der Normen geschwächt oder zerschnitten werden, was wiederum die Migrationsbereitschaft stärkt« (Hoffmann-Nowotny 1993: 62). Schließlich finden sie dort die relevanten Informationen und auch die Transportsysteme (Hoffmann-Nowotny 1993).
Asylmigration Das Asylrecht stellt eine wichtige Zuwanderungsmöglichkeit in westliche Gesellschaften dar (Münch 1993; Müller-Schneider 2000: 169ff.). »Durch das faktische Asylrecht öffnete sich in der Vergangenheit eine neue humanitäre Zuwanderungstür, und zwar völlig unabhängig davon, ob sich das betreffende Zielland nun als Einwanderungsland versteht oder nicht« (Müller-Schneider 2000: 119). Nach hohen Asylbewerberzahlen Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre schränkte die Bundesrepublik die faktische Nutzung des Asylrechts stark ein, mit der Folge, dass die Zugangszahlen rapide zurückgingen.
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Das deutsche Asyl- und Flüchtlingsrecht ist durch internationales und nationales Recht bestimmt (Migrationsbericht 2007: 74ff.). Zu den wesentlichen Grundlagen gehören die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Die Genfer Konvention von 1951 gehört zum innerstaatlichen Recht in Deutschland. Inzwischen haben sich ihr 141 Staaten angeschlossen. Sie definiert, wer ein Flüchtling ist. Die Unterzeichner-Staaten verpflichten sich, auf Auslieferungen oder Ausweisungen in Staaten zu verzichten, in denen Flüchtlingen politische Verfolgung droht (so genanntes »Refoulement-Verbot«). Das Grundgesetz sieht in Artikel 16 a, Abs.1 seiner 1993 geänderten Fassung vor: »Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.« Damit stellt diese Regelung auch nach dem Asylkompromiss von 1993 ein individuelles Grundrecht dar. Das Konzept der »sicheren Drittstaaten« und des sicheren Herkunftsstaats wurde in zwei folgenden Absätzen aufgenommen. Zusammen mit der »Flughafenregelung«, einem speziell für über Flughäfen einreisende Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten und für Asylbewerber ohne Passdokumente konzipierten Verfahren, hat das Bundesverfassungsgericht diese Neuregelung des Asylkompromisses 1996 als grundgesetzkonform bestätigt. Das Individualgrundrecht auf Asyl gilt nach deutschem Recht allein für politisch Verfolgte, das heißt für Menschen, die aus rassischen, religiösen, ethnischen oder politischen Gründen staatliche oder quasi-staatliche Verfolgung erlitten haben.18 Daneben gibt es noch das »kleine Asyl«, das sich an der GFK orientiert, dabei wird der Flüchtlingsstatus auch bei nichtstaatlicher Verfolgung gewährt. Das Anerkennungsverfahren für Asylbewerber läuft auf zwei Ebenen: erstens beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und zweitens aufgrund der grundgesetzlichen Rechtswegegarantie über die verwaltungsgerichtlichen Instanzen (bis hin zum Bundesverfassungsgericht), wenn sich der Asylbewerber mit der Entscheidung des Bundesamtes nicht abfindet. Die Gesamtschutzquote (Asylanerkennung, Gewährung von Abschiebungsschutz, Feststellung von Abschiebungsverboten) lag in den vergangenen Jahren zwischen 4,9 Prozent (2004) und 27,5 Pozent (2007) (Migrationsbericht 2007: 84). Von 1953 bis 2005 haben rund 3,1 Millionen Menschen in Deutschland einen Asylantrag gestellt – davon alleine rund zwei Millionen zwischen 1990 und 2000 (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2006b: 20f.). Damit nahm die Bundesrepublik in den 1990 Jahren weltweit einen Spitzenplatz ein: Mit erheblichem Abstand folgten die USA mit rund einer Million Asylbewerbern, Groß-
—————— 18 Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. August 2000 zur quasi-staatlichen. Verfolgung: 2 BvR 260/98 und 1353/98; Bundesministerium des Innern 2006: 53ff.
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britannien mit 570.000 und die Niederlande mit 366.000 (Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen 2001: 45). In der Asylbewerberstatistik des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (bis 2004: Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge) lassen sich politische Konflikte und wirtschaftliche Krisen deutlich ablesen: Lagen die Asylbewerberzahlen zwischen 1950 und 1968 bei durchschnittlich 4.500 jährlich, so führte in erster Linie die Niederschlagung des »Prager Frühlings« 1968/1969 zu 11.664 Asylanträgen im Jahr 1969. Zwischen 1953 und 1978 kamen rund 178.000 Asylbewerber nach Deutschland. Als Folge vor allem des Kriegsrechts in Polen und des Militärputsches in der Türkei wurden zwischen 1979 und 1981 rund 240.000 Asylanträge gestellt. Seit 1992 gehen die Asylbewerberzahlen kontinuierlich zurück: Von 438.000 Asylantragstellern 1992 und 323.000 im Folgejahr ging die Zahl auf 127.000 im Jahr 1994 zurück. 1998 lag die Zahl der Asylerstanträge das erste Mal seit 1987 knapp unter 100.000 (hierzu und im Folgenden: Bundesministerium des Innern 2005: 56). Seit 2004 sank die Zahl der Antragsteller kontinuierlich: 36.000 in 2004, 29.000 in 2005 und 21.000 in 2006 (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2006b: 21). In absoluten Zahlen lag die Bundesrepublik Deutschland im europäischen Vergleich 2005 hinter Frankreich (59.000 Asylanträge) und Großbritannien (30.000). In Relation zu den Bevölkerungszahlen lagen die kleineren Staaten (Zypern, Malta) an der Spitze (Bundesamt 2006b: 39f.).
Familiennachzug/Heiratsmigration Seit dem Anwerbestopp stellt der Familiennachzug einen der breiten »Pfade« in die Bundesrepublik Deutschland dar. Der nationale und internationale Schutz von Ehe und Familie bildet dabei den rechtlichen Rahmen (Bundesministerium des Innern 2006: 34ff.; Dienelt 2006: 32ff.; Sachverständigenrat 2004: 153ff.). Dabei wurde – wie gezeigt wird – immer wieder einmal die Frage aufgeworfen, warum die Familieneinheit bei Zuwanderern, die nicht als Flüchtlinge oder Asylbewerber gekommen waren, grundsätzlich nur in der Bundesrepublik und nicht im Herkunftsland hergestellt werden musste (zur Debatte in den 1960er Jahren: Schönwälder 2001: 288ff.). Heute stellt der Nachzug von Familienangehörigen die hauptsächliche Zugangsmöglichkeit nach Europa dar. Schätzungen zufolge macht er 40 bis 50 Prozent der gesamten Einwanderung in die EU aus (Groenendijk 2006: 191; Müller-Schneider: 2000: 247ff.). Dabei geht es um Familiennachzug von Fami-
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lienangehörigen in einen EU-Mitgliedsstaat, aber auch um Personen, die zur Familiengründung in ein Land der EU nachgeholt werden (Dienelt 2006: 32). Bi-nationale Eheschließungen oder Eheschließungen zwischen bereits Zugewanderten und Nachzugswilligen sind ein wichtiges Moment im internationalen Wanderungsgeschehen (Müller-Schneider 2000: 219ff.). Dabei gibt es erhebliche Erfassungsschwierigkeiten: So sind die Eheschließungsstatistiken nicht nur aufgrund der großen Zahl an Einbürgerungen kaum aussagefähig (Nauck 2004: 86f.), sondern auch weil das Internationale Privatrecht seit 1986 vorsieht, dass in Konsulaten geschlossene Ehen nicht mehr automatisch, sondern nur noch auf Antrag der Ehegatten in das deutsche Personenstandsregister übertragen werden (Straßburger 2003: 115). Die einschlägigen Statistiken enthalten deshalb den größten Teil der in Konsulaten und im Ausland geschlossenen Ehen nicht (u.a.: Klein 2000: 314ff.; Straßburger 2003: 23, 69). Insbesondere für die Türkei orientiert sich die »Standortwahl der Eheschließung« aufgrund der Binnenlogik des dort vorherrschenden »Heiratsregimes« am »Herkunftsort der Abstammungsgemeinschaft« (Straßburger 2003: 66ff.; Nauck 2001: 54). Man kann davon ausgehen, dass rund 80 Prozent dieser Trauungen in der deutschen Heiratsstatistik fehlen (Straßburger 2003: 69). Eheschließungen zwischen Zuwanderern und Nachzugswilligen dienen häufig instrumentellen Zwecken – in erster Linie der Erlangung eines Aufenthaltsstatus. Grundsätzlich ist der Familiennachzug eines der wesentlichen Momente ungesteuerter Zuwanderung nach Deutschland. Dieser Weg wird in Zukunft – mangels anderer Zugangsmöglichkeiten – verstärkt genutzt werden (Nauck 2004: 103f.). »Marrying a migrant’s daughter is by far the most attractive way to gain admittance to […] any Western European country« (Böcker 1994: 97). In zahlreichen europäischen Ländern vollzieht sich Zuwanderung »im Rahmen des Familien- und Ehegattennachzugs als schlecht zu kontrollierende Spätfolge von Arbeitskräfteanwerbung und Kolonialismus. Die Besonderheit der europäischen Situation besteht deshalb darin, dass, abgesehen vom Asylverfahren, vereinzelten Sonderregelungen und einigen kolonialgeschichtlich bedingten Optionen, der Familien- und Ehegattennachzug der einzige legale Zuwanderungskanal darstellt. Aus diesem Grund erhält gerade transnationales Heiratsverhalten der im Land lebenden Migrantenbevölkerungen zentrale Bedeutung« (Straßburger 2003: 24). Die Heirat einer Tochter türkischer Zuwanderer wird häufig als einzige legale Möglichkeit gesehen, nach Deutschland auszuwandern und damit der Misere in der Heimat zu entkommen. Junge Türkinnen in Deutschland sind daher in der Türkei »gefragte Ehepartnerinnen« (Straßburger 2003: 157). »Eine Migration nach Deutschland erscheint vielen von Armut und Arbeitslosigkeit betroffenen Bewohnern der ländlichen Türkei als verlockend, eine Möglichkeit dazu bietet eine
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Ehe mit einem in Deutschland lebenden Türken. Durch die Verheiratung eines Sohnes mit einer Cousine aus der Türkei wollen die Eltern ihre Verwandtschaft in der Türkei unterstützen. Die These heißt, ›wenn die Verwandten nicht legal nach Deutschland einreisen dürfen, dann sorgen wir dafür, dass sie im Rahmen der Eheschließung nach Deutschland kommen können.‹ […] Bei Frauen, die Männer in der Türkei heiraten und später in Deutschland leben, kann man die gleichen Motive beobachten« (Toprak 2005a: 123).
Töchter sind darüber hinaus vor allem für Familien in den ländlichen Gebieten und den Gecekondu-Siedlungen der Türkei eine wichtige Finanzquelle. Dabei besteht der Brautpreis nicht nur in einer Summe Geldes, sondern auch in der dadurch zustande kommenden Verbindung nach Deutschland: »Deutschland als Brautpreis« nennt Ahmet Toprak diesen Mechanismus (Toprak 2005a: 76f.; 99ff.; Gestring/Janßen/Polat 2006: 50).
Illegale (»undokumentierte«) Migration Die Akteure mit jeweils spezifischen Interessen im Bereich illegaler Zuwanderung sind – – – – – –
die Wandernden und Wanderungswilligen. bereits im Zielland aufhältige Landsleute und entsprechende Netzwerke. intermediäre Instanzen: »Schleuser«. die Herkunftsstaaten. die Zielstaaten. zivilgesellschaftliche Akteure (Nichtregierungsorganisation, Flüchtlingsinitiativen).
West-Europa im Allgemeinen und die Bundesrepublik Deutschland im Besonderen sind aufgrund ihrer zentralen geographischen Lage, ihrer Wirtschaftskraft und ihres Wohlstandes wichtige Zielländer unerlaubter Einreise und organisierter Schleusungen. Nach Schätzungen der OECD gehören zwischen zehn und 15 Prozent der 56 Millionen Migranten in Europa zur Gruppe der illegalen Zuwanderer. Jährlich kommen demnach rund eine halbe Millionen Illegaler19 hinzu (Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen 2005: 32). Wegen der zahlreichen bereits erfolgreich nach Deutschland Zugewanderten setzen viele Wanderungswillige auf familiäre und ethnische Netzwerke im Zielland (Neske/Heckmann/Rühl 2004: 41ff.; Müller-Schneider 2000: 198ff.). Von ihnen erwarten sie sich Hilfe für ein möglichst langes (oder gar dauerhaftes) Verbleiben oder versprechen sich zumindest einen ökonomischen Ertrag
—————— 19 Zur Terminologie: Schönwälder/Vogel/Sciortino 2004: 6f.
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ihres Aufenthalts. Hier entwickelt sich eine nicht zu unterschätzende Eigendynamik (Müller-Schneider 2002: 59). Hinweise auf die Bedeutung gibt unter anderem eine Legalisierungsaktion in Kanada (1983 bis 1985), bei der 80 Prozent angaben, dort engste Verwandte (Ehepartner, Geschwister) zu haben (Boyd 1989: 649). »Illegale« sind keine homogene Gruppe. Es geht dabei sowohl um illegal Eingereiste als auch um Personen, die aufgrund eines nicht (mehr) gegebenen Aufenthaltsrechts ihrer Ausreisepflicht nicht nachgekommen sind und die Bundesrepublik nicht verlassen haben, sondern untergetaucht sind. Der Aufenthalt ohne gültige Papiere ist in Deutschland ebenso mit Strafe belegt (Paragraph 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) wie das Einschleusen und das Beschäftigen von sich unerlaubt in Deutschland aufhaltenden Ausländern.20 Die Zahl illegal in Deutschland lebender Ausländer lässt sich naturgemäß nur schwer beziffern. Schätzungen schwanken zwischen 500.000 und 1,5 Millionen (Lederer 1999: 89).21 Niemand kann – insbesondere in den Großstädten – beziffern, wie groß die Differenz zwischen den offiziell gemeldeten und den tatsächlich dort wohnenden Personen ist. Der Fall des Eisernen Vorhangs und die Attraktivität des Ziellandes Deutschland haben die Bedeutung des Phänomens sich unrechtmäßig in Deutschland aufhaltender Menschen in den neunziger Jahren erheblich gesteigert. Das zeigen die stark ansteigenden Aufgriffszahlen des Bundesgrenzschutzes (seit 2005: Bundespolizei), der Länderpolizeien, des Zolls, der Ordnungsbehörden und der Arbeitsämter. Sie markieren das »Hellfeld« illegalen Aufenthalts im Bundesgebiet. Die Zahl der Aufgriffe an den Außengrenzen wegen illegalen Grenzübertritts hatte sich in den 1990er Jahren vervielfacht – von rund 7.000 im Jahr 1990 auf 54.000 1993, ist aber seit Ende der 1990er Jahre tendenziell wieder rückläufig auf rund 15.000 im Jahr 2007 (Migrationsbericht 2005: 166; Migrationsbericht 2007: 128). Die Polizeiliche Kriminalstatistik weist in den vergangenen Jahren kontinuierlich zurückgehende Zahlen registrierter Tatverdächtiger mit illegalem Aufenthaltsstatus aus: 1998 waren es noch 150.000, 2007 noch 59.000 (Migrationsbericht 2007: 130). 2007 wurden von den zuständigen Behörden 28.034 unerlaubte Einreisen festgestellt (2006: 26.679). Den größten Anteil stellten dabei Staatsangehörige aus Serbien und Montenegro (4.072), türkische Staatsangehörige (2825) und Menschen aus dem Irak (2.260) (Migrationsbericht 2007: 132).
—————— 20 Zur Definition: Bundesamt 2006a: 102f. 21 Zur Problematik der Einschätzung von Größenordnungen Schönwälder/Vogel/Sciortino 2004: 27ff.; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2006a: 45ff., 57ff.; Migrationsbericht 2007: 126f.
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Von entscheidender Bedeutung für die illegale Zuwanderung sind soziale Netzwerke von bereits zugewanderten Landsleuten. Dazu zählen Familienmitglieder ebenso wie entfernte Verwandte, Freunde oder Arbeitskollegen, die bereit sind, zu helfen, Unterschlupf zu gewähren oder Tipps für die Suche nach Beschäftigungsmöglichkeiten zu geben. »Das Vorhandensein solcher Erstanlaufstellen, von denen sich die Migranten eine Erstversorgung versprechen, kann in seiner Bedeutung nicht überschätzt werden« (Alt 2000: 76; Schönwälder/Vogel/Sciortino 2004: 68ff). Die Massenflucht der Kurden 1997 aus dem Irak, die nicht in Griechenland, Italien oder Frankreich um Asyl nachsuchten, sondern gezielt nach Deutschland weiterwanderten, führt die Bedeutung dieser Netzwerke vor Augen. Hinzu kommt auch die Möglichkeit, in der »ethnischen Ökonomie« zu arbeiten. Ein Experte der deutschen Bundespolizei weist in diesem Zusammenhang auf folgenden Aspekt hin: »Wenn türkische Kurden nach Berlin gehen, dann deshalb, weil dort schon viele ansässig sind. Die Abschottung untereinander ist allerdings nicht immer rein ethnisch oder religiös bedingt, sondern auch knallhart wirtschaftlich: Niemand lässt sich so gut ausbeuten wie Mitglieder einer Gemeinschaft, die ohne Hilfe der anderen in Deutschland nicht überleben können – illegal und ohne Sprachkenntnisse. Der türkische Lebensmittelbereich ist beispielsweise extrem gut organisiert, bis in die Türkei hinein. Dann muss der frisch Angekommene schon mal ein, zwei Jahre nur für Kost und Logis arbeiten« (zit. nach: Neske/Heckmann/Rühl 2004: 45f.).
Der Zustrom illegaler Zuwanderer stellt für Länder und Kommunen ein erhebliches Problem dar. Sie werden nicht – wie Asylbewerber – nach Quoten unter den Bundesländern verteilt und halten sich in der Regel in den Großstädten auf (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2006a: 62ff.). Dort treffen sie meist auf informelle Strukturen dort lebender Landsleute und haben die Chancen, in der Unübersichtlichkeit der Großstadt illegale Beschäftigung zu finden. Werden sie aufgegriffen oder melden sich bei den Behörden, müssen sie, falls sie nicht abgeschoben werden können, zumindest so lange geduldet werden, bis sie doch zur Ausreise veranlasst werden können. In dieser Zeit müssen sie untergebracht werden und erhalten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Nach Erkenntnissen der Fachleute wird der größte Teil der illegalen Migranten nach Deutschland eingeschleust. Die Innenminister gehen von einer jährlichen Zahl von 20.000 aus. Pro Person und Jahr entstehen Kosten von geschätzten 5.000 Euro, so dass von einer Größenordnung von rund 100 Millionen Euro jährlich für Länder und Kommunen auszugehen
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ist.22 Ein Gesetzentwurf des Landes Nordrhein-Westfalen aus dem Jahr 2000 sah auch für diese Personengruppe eine Verteilung nach Quoten auf die einzelnen Bundesländer vor. Das beinhaltet jetzt auch Paragraph 15a Aufenthaltsgesetz. Zahlreiche Wanderungswillige bedienen sich der Dienstleistung von Schleusern (Ziercke 2007: 43ff.; Bundesministerium des Innern 2006b: 106; Müller-Schneider 2000: 125ff.), die sie gegen Entgelt nach Deutschland transportieren. Die weltweit aktiven Schleuserorganisationen agieren nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage. Die Nachfrage stimulieren sie mittels falscher Versprechungen und Hoffnungen, die sie bei potentiellen Kunden erwecken.23 Gäbe es ein realistisches Bild der zum Teil lebensbedrohlichen Gefahren auf dem Transport und der weniger rosigen Situation in Deutschland, hätten etliche womöglich den Gedanken an eine illegale Einreise wieder verworfen. Für die Aktivitäten von Schleusern spielt der Zusammenbruch des Ostblocks eine entscheidende Rolle. Die Nachfolgestaaten der Sowjetunion wie die ehemaligen Satellitenstaaten bieten ihnen in ihrer instabilen Situation und der Anfälligkeit für Korruption in vielfältiger Weise beste Voraussetzungen. Schleuser sind keine humanitär motivierten Fluchthelfer, sondern handeln rein aus Gewinninteressen (Nowotny 2002: 95f.; Geissler 2001). Schleusungskriminalität ist Bestandteil professionell organisierter Kriminalität. »Längst ist die Schleusungskriminalität in Händen der organisierten Kriminalität, handele es sich um Chinesische Triaden, die italienische Mafia, Kosovo-Albaner oder andere. Allen ist gemeinsam, dass sie über gewerbliche und mehrstufige Organisationsstrukturen verfügen und sich durch ein hohes Maß an Abschottung auszeichnen, das ein Eindringen der Strafverfolger in das Innere der Vereinigungen mit herkömmlichen strafprozessualen Mitteln fast unmöglich macht. Die Professionalisierung der Schleuserbanden besteht dabei auch darin, dass sie über eine ausgefeilte Logistik und modernste Hilfsmittel sowie eigene Reise- und Übersetzungsbüros verfügen, ihre Verbindungsleute bei Fluggesellschaften haben oder Zoll und Grenzschutz korrumpieren. Mit diesen Möglichkeiten sind sie in der Lage, weniger riskante Fußschleusungen durchführen zu müssen und sich mehr und mehr vom Schreibtisch aus gefälschter Visa und Pässe für eine Schleusung etwa per Flugzeug zu bedienen« (Minthe 2002: 22).
Beschäftigung Illegaler Die Beschäftigung Illegaler bringt aufgrund des Wohlstandsgefälles zu den osteuropäischen Ländern sowohl dem Auftraggeber als auch dem Arbeitneh-
—————— 22 Vgl. Gesetzesantrag des Landes Nordrhein-Westfalen: Entwurf eines […] Gesetzes zur Änderung des Ausländergesetzes, Bundesrat, Drs. 706/00 (8. November 2000), Begründung: S. 4. 23 Kaiser, Mario: »Spediteure des Elends«. In: Die Zeit, 37/1999.
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mer erhebliche Vorteile: Der Arbeitgeber entrinnt den Zwängen des durch Tarifverträge geregelten Arbeitsmarktes und spart durch die Niedriglöhne sowie durch nicht gezahlte Lohnnebenkosten. Der Arbeitnehmer kann aufgrund der Wechselkurse und der Kaufkraftunterschiede von einer Woche Arbeit in Deutschland seine Familie im Heimatland vier Wochen finanzieren. Mit der untertariflichen Beschäftigung verbilligen die Illegalen den Produktionsfaktor Arbeit und stehen auf diese Weise in erster Linie in Konkurrenz zu niedrig qualifizierten einheimischen Arbeitskräften (Lederer/Nickel 1997). Durch diese Wettbewerbsverzerrung werden reguläre Arbeitsplätze gefährdet und einheimische Arbeitskräfte verdrängt. Nicht selten nutzen Arbeitgeber die prekäre rechtliche Lage der Illegalen und deren Angst vor Entdeckung zur regelrechten Ausbeutung der Arbeitskraft. Von billigen Produkten und Dienstleistungen profitieren wiederum die Konsumenten (Vogel 1999: 87). Die Unternehmer senken mit Hilfe illegal beschäftigter Ausländer ihre Kosten und verschaffen sich gegenüber der Konkurrenz unrechtmäßige Wettbewerbsvorteile. Der Staat erzielt keine Steuereinnahmen, es erfolgen keine Einzahlungen in die Sozialversicherungssysteme. Länder und Gemeinden müssen hingegen für die Kosten notwendiger ärztlicher Versorgung und für notwendig werdende Abschiebungen in das jeweilige Herkunftsland aufkommen. Als Brennpunkte illegaler Ausländerbeschäftigung gelten das Bau- und Baunebengewerbe, die Gebäude- und Innenreinigung sowie das Hotel- und Gaststättengewerbe (Lederer/Nickel 1997: 30ff.). Die Schattenwirtschaft ist seit längerem ein boomender Wirtschaftszweig. Ihr Umfang in Deutschland wurde im Jahr 2002 auf 350,4 Milliarden Euro geschätzt, was einem Anteil von 16,3 Prozent am Bruttoinlandsprodukt entsprach (Cyprian 2003: 7). Die Beschäftigung illegaler Arbeitskräfte zu Niedrigstlöhnen verschärft die Konkurrenz unter Geringqualifizierten (Schönwälder/Vogel/Sciortino 2004: 46ff.). Sie trägt zur Entstehung oder Verfestigung eines split labour market bei – eines Arbeitsmarktes, dessen Trennlinien zwischen einer einheimischen Mehrheit und zugewanderten Minderheiten verlaufen. Letztere werden dazu genutzt, die Konkurrenz im unteren Lohnsegment aufrecht zu erhalten und Lohnsteigerungen zu vermeiden (Han 2005: 273ff.). Die verstärkte Beschäftigung Illegaler vor allem in der Bauindustrie ist damit eine (wohl unbeabsichtigte) Nebenfolge der Internationalisierung dieses Industriezweiges und der Liberalisierung der Märkte und des damit einhergehenden verschärften Wettbewerbsdrucks. Subunternehmerwesen und Werkvertragsverhältnisse tragen – auch bei öffentlich finanzierten Bauvorhaben – zu mehr Intransparenz bei (Schönwälder/Vogel/Sciortino 2004: 53). Nicht selten treten Briefkastenfirmen aus den Entsendeländern auf und täuschen Werkvertragsverhältnisse vor, um aus den sehr niedrigen Löhnen Profit zu ziehen und Personen nach
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Deutschland einzuschleusen. Die Delikte sind dann Betrug, Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen, Lohnwucher, Visaerschleichung, gewerbliche und bandenmäßige Einschleusung von Ausländern und Steuerhinterziehung (Kass 2007: 111ff.). Vor diesem Hintergrund kann die Zulassung illegaler Migration (auch deren nachträgliche Legalisierung) als arbeitsmarktpolitisches Instrument verstanden werden – es verschärft die Konkurrenz in den unteren Lohngruppen und verhindert eine Wirkung von Marktmechanismen: Bei knapper werdendem Arbeitskräfteangebot (in einzelnen Branchen) müssten ansonsten höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen geboten werden um sie für Arbeitnehmer wieder attraktiv zu machen. »Letztlich haben einige Industriestaaten ihren Bedarf an zusätzlichen Arbeitskräften (insbesondere an billigen und flexiblen Arbeitskräften, die dazu eingesetzt werden können, Arbeiten zu verrichten, die einheimische Bürger nicht übernehmen wollen) dadurch gedeckt, dass sie bei der Einstellung von irregulären Arbeitsmigranten ein Auge zudrücken. Tatsächlich kann man den in letzter Zeit gewachsenen Umfang und die teilweise Toleranz von irregulärer Einwanderung von staatlicher Seite sowie die Einführung regelmäßiger Legalisierungsprogramme für Arbeitskräfte ohne Arbeitserlaubnis als eine De-facto-Liberalisierung des globalen Arbeitsmarktes ansehen« (Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen 2005: 16).
Die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen stehen vor diesem Hintergrund für einen wachsenden Bedarf an illegalen Arbeitskräften.
Transnationale Migration Neben Wanderungen von einem Herkunftsland in ein Aufnahmeland, wohin Migranten sich entweder dauerhaft oder zum Zweck des Geldverdienens zu einer zeitlich befristeten Arbeitsaufnahme begeben, wächst in Zeiten globaler Vernetzungen die Zahl von Wanderungen, die sich nicht mehr auf ein Land (Herkunfts- und Ankunftsland) beschränken, sondern zwischen und jenseits von ihnen stattfinden, die »Transmigration« (Schimany 2007: 24 m.w.N.). Sie kann verstanden werden »als eine moderne Variante der nomadischen Lebensform« (Pries 2001: 9).24 »Für Transmigranten ist das Wechseln von Orten in unterschiedlichen Nationalgesellschaften kein auf einen Zeitpunkt begrenztes einmaliges Ereignis als Ausnahmeerscheinung, sondern ein normaler Bestandteil von transnationalen Lebens- bzw. häufig Überlebensstrategien« (Pries 2003: 25). Durch sie entstehen Sozialräume, die sich nicht auf einzelne Staaten
—————— 24 Zur Kritik an dem Konzept: Bommes: 2003.
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beschränken, sondern sich »zwischen und oberhalb von verschiedenen Wohnund Lebensorten aufspannen« (Pries 2001: 9; Hunger/Jeuthe 2006; Haug 2006: 44f.). Demokratische Rechtsstaaten sind legitimiert, Zuwanderung zu steuern. In der Realisierung unterliegen sie allerdings dem Einfluss zahlreicher Akteure sowie rechtlicher Restriktionen. Das folgende Kapitel analysiert diese Konstellationen am Fall der Bundesrepublik Deutschland in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
2. Die Anwerbung von »Gastarbeitern«: »Temporäre Arbeitsmigration« und das Problem der Steuerbarkeit »Unsere Arbeitsmarktpolitik hat eine Völkerwanderung in Bewegung gesetzt, die sich ohne schwere politische Auseinandersetzungen nicht mehr stoppen, geschweige denn umkehren lässt. Die Wanderungswege sind durch zwischenstaatliche Verträge und europäisches Recht geebnet worden. Die Bewegung hält an, ohne dass wir über Sinn und Ziel auch nur den Umriss einer Übereinstimmung feststellen können. Diese Unsicherheit wirkt sich überall bis in die kleinsten Polizeireviere aus, da dort niemand Entscheidungen ausweichen kann.« Günter Stephan, Vorstandsmitglied des DGB
Die Zahl der Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland erhöhte sich von 1961 bis 1971 von 700.000 auf drei Millionen und hatte sich damit innerhalb eines Jahrzehnts mehr als vervierfacht. Der Zuwachs der Wohnbevölkerung von 1961 bis 1974 um 5,8 Millionen Personen ging zu 58 Prozent auf Ausländer zurück (Huber 1977: 232). Der Zuzug von rund 5,1 Millionen Menschen aus den Anwerbestaaten, davon etwa 2,4 Millionen offiziell als »Gastarbeiter«25 angeworben (Jamin 1998: 149ff.), stellte die größte Zuwanderung von Ausländern nach Deutschland dar, die dieses Land je gesehen hatte. Mit ihrer Eigendynamik bildete sie in den kommenden Jahrzehnten die Grundlage für die weitgehend ungesteuerte Zuwanderung nach Deutschland, die sich seit den 1970er Jahren zunehmend vom Bedarf des Arbeitsmarktes löste. Auch in Hinsicht auf die Zusammensetzung der Bevölkerung insbesondere in den Städten wurden damit die Weichen für die kommenden Jahrzehnte gestellt. Die ethnische Zusammensetzung und die kulturelle Prägung des Staatsvolkes sollte sich durch diese »Völkerwanderung« (Bockelmann 1964: 577ff.; Hoffmann-Nowotny 1978: 35ff.) erheblich verändern. Die Anwerbung der »Gastarbeiter« – über viele Jahre als primär ökonomisches Thema betrachtet – bildete eine grundlegende Entscheidung für die Bundesrepublik Deutschland – in kultureller, sozialer und demographischer Hinsicht.
—————— 25 Von der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung wurde der Terminus »ausländische Arbeitnehmer« benutzt, mit Begriff »Gastarbeitnehmer« wurden hingegen »junge Ausländer mit abgeschlossener Berufsausbildung [bezeichnet], die zu ihrer beruflichen und vor allem zu ihrer sprachlichen Fortbildung vorübergehend bis zu einer Dauer von 18 Monaten in ihrem Beruf in der Bundesrepublik arbeiten.« (Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung 1965: 33); mittlerweile ist der Begriff auch in die Terminologie der US-amerikanischen Forschung eingegangen, hierzu der Art. »Gastarbeiter« von Ron Johnston 2000: 289.
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Die Zuwanderung von »Gastarbeitern« war bereits die dritte Zuwanderung nach Westdeutschland – nach den unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges zurückkehrenden und weiterwandernden Zwangsarbeitern, ehemaligen KZ-Häftlingen und Kriegsgefangenen (rund zehn Millionen Menschen), den Vertriebenen (Kossert 2008: 27ff.; Engelhardt 2006: 7ff.; Münz/Seifert/Ulrich, Ralf 1999: 28ff.) (rund 9,7 Millionen) und Flüchtlingen aus der SBZ/DDR (rund 2,7 Millionen Menschen) (Münz/Seifert/Ulrich 1999: 36ff.; Rühl/Currle 2004: 18 f.; Herbert/Hunn: 2005; Luft: 2008a).
Die Öffnung des Arbeitsmarktes Die verschiedenen Akteure verfügten über unterschiedliche Ressourcen, ihre Interessen durchzusetzen. Auf dem Feld der Ausländerpolitik dominierte innerhalb des politisch-administrativen Systems die Exekutive bis Mitte der 1960er Jahre den Entscheidungsprozess. Die wesentlichen Entscheidungen wurden ohne Beteiligung des Bundestages vollzogen. Das Bundesinnenministerium setzte 1951 die Ausländerpolizeiverordnung (APVO) aus dem Jahr 1938 wieder in Kraft (Friederichsen 1967: 93ff.; Schönwälder 2001: 218ff.; Herbert/Hunn 2005: 793) und sorgte damit für die notwendige Rechtsgrundlage. Sie galt bis zum Inkrafttreten des Ausländergesetzes am 1. Oktober 1965 (Kanein 1966: 12; Reinhardt 2008: 28). Die deutsch-italienischen Anwerbeabkommen wurde ohne Beteiligung des Bundestages geschlossen, der Anwerbestopp 1973 erfolgte durch ein Telex des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung an die Bundesanstalt für Arbeit (siehe unten), die Regelungen zur Verfestigung des Aufenthaltes im Zeitablauf (die dem Niederlassungsprozess folgten und ihn förderten) wurden ohne Beteiligung des Bundestages erlassen – politische Grundsatzdebatten über diese Weichenstellungen fanden nicht statt. »Damit sind weit reichende Entscheidungen von höchster politischer Brisanz getroffen worden, völlig vorbei an den legislativen Instanzen, welche der Verwaltung lediglich das formale Rüstzeug für eine von ihr völlig selbstständig konzipierte Politik geliefert haben« (Tomuschat 1980: 1076). Auch der Einfluss der Gewerkschaften war erheblich beschnitten. So wurde die Arbeitsverwaltung nach dem Zweiten Weltkrieg verstaatlicht – die in der Weimarer Republik praktizierte »halbparitätische Selbstverwaltung« (Dohse 1985: 143) durch die Tarifparteien war abgeschafft und auf diese Weise die unmittelbare Beteiligung der Gewerkschaften am Verfahren zur Zulassung zum Arbeitsmarkt beendet worden.
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»Somit war noch vor dem ersten Anwerbeabkommen die Kompetenz zur Ausländerzulassung zentralisiert und verstaatlicht: Die wichtigste Befugnis, über die Zulassung ausländischer Arbeiter zum deutschen Arbeitsmarkt zu entscheiden, lag beim Bundesarbeitsminister, der über Weisungen die Genehmigungspraxis strukturieren konnte, ohne dass er durch gewerkschaftliche Positionen in relevanten Entscheidungsgremien blockiert werden könnte« (ebd.: 145).
Durch die Anwerbeabkommen sollte die staatliche Regulierung der Arbeitsmigration sichergestellt werden – und zwar sowohl auf Seiten der Abgabeländer (hinsichtlich Anzahl und Qualifikationsstrukturen der Arbeitsmigranten) als auch auf Seiten der Bundesregierung (die die Auswirkungen auf den heimischen Arbeitsmarkt begrenzen wollte). Dies sollte durch eine weitgehende Kanalisierung der Arbeitsvermittlung durch die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung erreicht werden. Die Umgehung des Aufnahmeverfahrens durch private Vermittlung (»Zweiter Weg«) sollte möglichst klein gehalten werden (ebd.: 175, 184ff.). Er bestand darin, dass die Unternehmen – nachdem sie eine Genehmigung beim zuständigen Landesarbeitsamt eingeholt hatten – eigenständig im Ausland Arbeitskräfte anwarben, die dann bei den Botschaften und Konsulaten ein Visum beantragten. Die westdeutsche Wirtschaft wäre durchaus in der Lage gewesen, die Anwerbung auch nicht-staatlich zu organisieren. Dies war politisch allerdings ungewollt, die administrativen Steuerungsmöglichkeiten sollten aufrechterhalten werden (Knortz 2008: 24ff.). Die staatliche Kontrolle sollte die inländischen Arbeitskräfte vor »Billigkonkurrenz« schützen, die Unternehmen somit daran gehindert werden, in großem Umfang ausländische Arbeitskräfte anzuwerben, die nicht den geltenden Tarifverträgen unterlagen. Dies sollte unter anderem das Auswahlverfahren der Bundesanstalt gewährleisten (Voit 1966: 144ff.). Bei privaten Anwerbeaktionen entfielen die Untersuchungen durch Ärzte der Bundesanstalt (Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung 1965: 29ff.; Hoeschel 1966: 143f.). In den Anwerbeverträgen war festgehalten, dass die ausländischen Arbeitnehmer unter die geltenden Tarifverträgen fielen und die Arbeitgeber »angemessene« Unterkünfte sicherzustellen hatten, beides war beim »zweiten Weg« nicht der Fall. Der »zweite Weg« wurde aber erst 1972 definitiv versperrt (Dohse 1985: 196f)). Die westdeutsche Nachkriegswirtschaft boomte, dementsprechend stieg die Nachfrage nach Arbeitskräften. Nachfrageüberschuss führt bei konstantem Angebot auf dem Arbeitsmarkt zu steigenden Preisen. Höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen drohten als Konsequenzen. Auch eine größere Aktivierung des Erwerbspersonenpotentials wäre stets mit steigenden Kosten für die Arbeitgeber verbunden gewesen. Um dies zu umgehen, drängten die betroffe-
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nen Wirtschaftszweige darauf, das Arbeitskräftepotential durch Öffnung des Arbeitsmarktes auszuweiten. Das Rekrutierungsgebiet für Personal sollte internationalisiert, ausländische Arbeitskräfte aus strukturschwächeren Regionen importiert werden.26 »Die Attraktion zusätzlicher ausländischer Arbeitskräfte nämlich war aufgrund des großen internationalen Entwicklungs- und damit Lohngefälles ohne Steigerung der inländischen Lohn- und Arbeitsbedingungen zu erreichen. Die Ausländerzulassung hatte mithin das Ziel, die Position der Arbeitgeber auf dem Arbeitsmarkt, die durch die Arbeitskräfteverknappung geschwächt worden war, durch Ausweitung des Arbeitskräfteangebots zu gegebenen Lohnund Arbeitsbedingungen wieder zu verbessern« (ebd.: 158).
Die südwestdeutsche Landwirtschaft und der nordrhein-westfälische Bergbau bildeten dabei die Vorhut. Sie unternahmen eigenständig Vorstöße in Österreich und Italien (Südtirol) um dort Arbeitskräfte anzuwerben. In der ersten Hälfte der 1950er Jahre wurde dies in der politischen Öffentlichkeit mehrheitlich strikt abgelehnt. Angesichts noch hoher Arbeitslosenzahlen wurden Anwerbungen im Ausland lediglich als Versuch angesehen, Lohnzugeständnisse und verbesserte Arbeitsbedingungen zu umgehen (Steinert 1995: 211; Dohse 1985: 147ff.). »Der Arbeitskräftemangel der Landwirtschaft war keineswegs absolut, sondern nur relativ zu den gebotenen Lohnbedingungen. Eine Lohnerhöhung aber wäre für viele landwirtschaftliche Kleinbetriebe dem wirtschaftlichen Zusammenbruch und für größere Betriebe einer Gewinneinbuße gleichgekommen. Da die Agrarier dazu nicht bereit waren oder im Konkurrenzverhältnis nicht bereit sein konnten, blieb auch das hohe Arbeitslosenreservoir für ihre Rekrutierungsbemühungen verschlossen« (Dohse 1985: 148).
Zudem waren die Angaben über die Quantität des Arbeitskräftemangels stark überhöht (Knortz 2008: 83). Insbesondere das Wirtschaftsministerium unterstützte diese Bestrebungen zu Anwerbungen im Ausland von Anfang an und forcierte sie (ebd.: 75ff.). Bereits 1954 warb Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard in einem NWDR-Interview für die Pläne mit der Begründung, die Anwerbung ausländischer Arbeitnehmer gebe den deutschen Arbeitnehmern die Chance aufzusteigen, was wiederum voraussetze, dass die Angeworbenen die »niederen« Arbeiten übernähmen: »Im Übrigen möchte ich meinen, dass es im Interesse der deutschen Arbeiter liegen würde, wenn wir noch mehr als bisher daran gehen, ungelernte Arbeitskräfte in Deutschland auszubilden, umzuschulen und aus ihnen geschulte Arbeitskräfte, Fachkräfte werden zu lassen.
—————— 26 Mit den erschlossenen Quellen: Steinert 1995: 209ff. sowie die Überblicke: Herbert 2001: 202ff.; Bade 2000: 314ff.; zur innenpolitischen Entwicklung seit den 1960er Jahren: Schönwälder 2001: 214 ff. sowie: Bethlehem 1982: 107 ff.; Dohse 1985: 137ff.
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Um das aber besorgen zu können, müssen wir natürlich dann die relativ primitiveren Arbeiten in Deutschland bei Anhalten dieser Konjunktur schließlich doch mal von ausländischen Arbeitskräften besorgen lassen« (zit. nach: Steinert 1995: 227).
Steinert (1995: 235) kommentiert dies zu Recht: »Erhard erhob damit die sog. Unterschichtung öffentlich zum staatlichen Programm« (Steinert 1995: 227). Aus lohnpolitischen Gründen sprachen sich Bundeskanzler Adenauer und Minister Strauß im Bundeskabinett für ein Anwerbeabkommen mit Italien aus – durch Import von billigen Arbeitskräften konnten Lohnerhöhungen in der Bundesrepublik abgewehrt werden« (ebd.: 235). Auf Drängen Italiens wurde nach langwierigen Verhandlungen (ebd.: 220ff.; Knortz 2008: 67ff.) das erste Anwerbeabkommen 1955 geschlossen, obwohl damals in Westdeutschland noch knapp eine Million Arbeitslose registriert waren (bei rund 200.000 offenen Stellen) (Steinert 1995: 231; Dohse 1985: 145; Herbert/Hunn 2005: 795). Trotz einer längeren und kontroversen öffentlichen Diskussion (mit Dominanz ablehnender Stimmen, einschließlich der Gewerkschaften) blieb die Unterzeichnung des Abkommens ohne jegliche innenpolitische Resonanz. Die Dominanz der Exekutive wird hier deutlich. »Im Bundestag forderte keine Fraktion und kein Abgeordneter eine Aussprache. Den an der Wanderungspolitik beteiligten Ressorts und der Regierung konnte dies genauso recht sein, wie der Umstand, dass die zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen bestehenden Meinungsunterschiede nicht öffentlich ausgetragen wurden« (Steinert 1995: 238).
Die Mehrheit der westdeutschen Bevölkerung war damit allerdings nicht einverstanden – wie Umfragen zeigten (ebd.: 238). Im Jahr 1960 überstieg die Zahl der offenen Stellen in Westdeutschland erstmals die Zahl der Arbeitslosen. Der Aufbau der Bundeswehr und die Abriegelung der DDR durch den Bau der Mauer (1961) taten ein Übriges, die Anwerbepolitik in größerem Umfang anlaufen zu lassen (Heckmann 1981: 150ff.; Herbert 2001: 206ff.; Bethlehem 1982: 146ff.). Eine öffentliche Debatte blieb allerdings aus, das Abkommen mit Italien schien zu einer »Entthematisierung der Problematik der Arbeitsmarktöffnung« (Dohse 1985: 177) beigetragen zu haben: »Zu selbstverständlich und unumstritten war die Perspektive Wirtschaftswachstum, zu unstrittig auch, dass dazu weitere Arbeitskräfte in großer Zahl nötig waren« (Herbert 2001: 208). Es folgten Übereinkommen mit Spanien und Griechenland (1960), der Türkei (1961), Portugal (1964), Marokko (1963), Tunesien (1965) (zu den Vereinbarungen mit Marokko und Tunesien: Schönwälder 2001: 272ff.) und Jugoslawien (1968) (Schönwälder 2001: 343f.). Die von den Auslandsdienststellen der »Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversiche-
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rung« angeworbenen »Gastarbeiter« erhielten zunächst Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisse für ein Jahr. Im Jahr 1964 wurde die Ankunft des einmillionsten »Gastarbeiters« – des Portugiesen Armando Rodrigues de Sá – als Medienereignis gefeiert (Didczuneit 2004). Beim ersten größeren Konjunktureinbruch der Nachkriegszeit (1966/1967) ging die Ausländerbeschäftigung kurzzeitig stark zurück. Sie sank 1967 um rund 320.000 Personen (Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung 1969: 3) – eine Art »Rotation« und ein Hinweis darauf, dass die »Gastarbeiter« in Teilen als »konjunkturelle Manövriermasse« (Bundesministerium für Raumordnung 1976: 69) fungierten (Schönwälder 2001: 209ff.). Ein (wenn auch abgeschwächter) Zusammenhang zwischen Wanderungen und konjunktureller Entwicklung (Bruttoinlandsprodukt, offene Stellen) blieb auch in den kommenden Jahrzehnten bestehen (Ludäscher 1986: 43–61; Fijalkowski 1984: 415ff.; Böcker/Groenendijk 2006: 183ff.). In den Jahren 1962 bis 1974 kamen 8,8 Millionen Ausländer in die Bundesrepublik Deutschland, 5,2 Millionen kehrten in ihre Heimat zurück (Selke 1977: 37). Nachlassende Verdienstmöglichkeiten und wirtschaftliche Belebung in einzelnen Herkunftsländern verstärkten die Motivation zur Rückkehr: »Sobald sich die Verdienstmöglichkeiten nennenswert verschlechtern, ziehen es viele Ausländer erfahrungsgemäß vor, lieber wieder einmal in die Heimat zu ihren Familien zurückzukehren. Dabei handelt es sich überwiegend um solche Arbeitnehmer, die zu Hause einen Arbeitsplatz finden können, den sie nur bei wesentlich besserer Verdienstmöglichkeit mit einem solchen im Ausland tauschen« (Bundesanstalt für Arbeit 1973: 63).
Das Absinken der Zahl der ausländischen Arbeitnehmer auf unter eine Million im Jahr 1967 und eine relativ hohe Arbeitslosenzahl von über 459.000 hätten zum Anlass genommen werden können, um die bisherige Anwerbepolitik zu überdenken und ein eigenständiges ausländerpolitisches Konzept zu entwickeln. Dies unterblieb allerdings. Die hohen Rückkehrerquoten galten vielmehr als Bestätigung dafür, dass der Markt die Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer regele und staatliche Eingriffe nicht nötig waren (Schönwälder 2001: 336f.; Herbert/Hunn 2006: 783ff.). Ab Frühjahr 1968 kam die Anwerbung noch einmal voll auf Touren, und die Bundesanstalt konnte einen »neuen Höchststand in der Nachkriegszeit« (u.a.: Bundesanstalt für Arbeit 1970: 3) nach dem anderen vermelden. 1968 vermittelten die Auslandsdienststellen der »Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung« sechsmal so viele »Gastarbeiter« wie 1967 (104.100 Personen) (Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung 1969: 27). Mitte 1969 erreichte die Ausländerbeschäftigung mit 1.372.100 ausländischen Arbeitnehmern einen »neuen Höhepunkt in der
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Nachkriegszeit« (Bundesanstalt für Arbeit 1970: 3). Im September 1970 waren 1,95 Millionen »Gastarbeiter« beschäftigt, fast eine halbe Million und damit nahezu 30 Prozent mehr als ein Jahr zuvor (Bundesanstalt für Arbeit 1971: 3). Von 1967 bis 1973 nahm die Zahl der ausländischen Arbeitnehmer von 991.000 auf 2,6 Millionen zu (Bundesanstalt für Arbeit 1974: 5). Vor allem türkische und jugoslawische »Gastarbeiter« kamen in diesem Zeitraum in die Bundesrepublik: Von 1968 bis 1971 verdreifachte sich die Zahl der Türken (von 152.900 auf 453.100) und vervierfachte sich die Zahl der Jugoslawen (von 119.100 auf 478.300) (Bundesanstalt für Arbeit 1972: 6). Anfang 1972 lösten die türkischen »Gastarbeiter« die italienischen Kollegen als stärkste Gruppe ab (Bundesanstalt für Arbeit 1974: 9 f.). Am 8. März 1972 wurde der zweimillionste (durch die Bundesanstalt vermittelte) »Gastarbeiter« in München gefeiert (Maibaum 1972: 96). Rund 80 Prozent der ausländischen Arbeitnehmer waren im produzierenden Gewerbe und in der Bauwirtschaft tätig, 20 Prozent im Dienstleistungsgewerbe. Dabei übten sie überwiegend Tätigkeiten als Angelernte oder als Hilfsarbeiter aus (Bundesanstalt für Arbeit 1973: 8.). Je höher der Mechanisierungsgrad war, desto höher lag der Anteil ungelernter »Gastarbeiter«. »Eine extrem hohe Türkenquote unter den Fordarbeitern hängt mit dem sehr hohen Mechanisierungsgrad der Arbeit bei Ford zusammen. Die Zerteilung der Arbeit in kurze und ständig zu wiederholende, gleichförmige Handgriffe ermöglicht es, Arbeiter ohne Qualifikation und ohne Kenntnis der deutschen Sprache einzusetzen; die Art der Arbeit erfordert es vielleicht sogar. Diese Entwicklungsstufe wurde erreicht, als man bei Ford zu Beginn der 60er Jahre von der Großserien- zur Massenproduktion überging« (Kleff 1985: 117).
Einheimische und ausländische Arbeitnehmer: Im Spannungsfeld von Konkurrenz und Aufstieg In der Rezession kehrte ein Teil der »Gastarbeiter« zurück in die Herkunftsländer: Sie waren in besonders konjunkturempfindlichen Branchen tätig und wurden als an- und ungelernte Arbeitskräfte häufig als erste entlassen. Keineswegs waren es aber durchgängig die ausländischen Arbeitnehmer, die jetzt gekündigt und womöglich durch einheimische Kräfte ersetzt wurden. Im Gegenteil: Aufgrund ihrer Leistungsbereitschaft im unteren Lohnsegment waren sie für viele Arbeitgeber unverzichtbar geworden. Für die Betriebe war die Staatsangehörigkeit oder Herkunft ihrer Arbeiter weitgehend uninteressant. »Unter den Bedingungen der Rezession werden jetzt viele einheimische Arbeitskräfte gleichsam in die Zange genommen. Die Aufstiegsmöglichkeiten gehen zurück, ja es werden im
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oberen Teil der Qualifikationspyramide Positionen eingespart, vor allem Positionen, die ihre Existenz nur der Euphorie überdurchschnittlicher Wachstumsraten verdanken. Die als Alternative zur Entlassung für den einzelnen vielfach durchaus erwägenswerte Übernahme unterer Positionen ist aber nicht mehr realisierbar. Dort sind die ausländischen Arbeitskräfte tätig. Diese Alternative bestünde allerdings auch nicht, wenn man nicht ausländische Arbeitskräfte eingestellt hätte, sondern stattdessen mehr mechanisiert worden wäre. Für die Betroffenen besetzen aber Ausländer jetzt ›ihren‹ Arbeitsplatz. Hinzu kommt, dass viele Ausländer gegenüber dem qualifizierten einheimischen Industriearbeiter die Rolle des Proletariats, des vierten Standes übernommen haben. Daran hatte man sich gewöhnt. In dieser Werthierarchie bestanden für die Einheimischen wenige Spannungen. Die Umstellung darauf, dass jetzt die Ausländer die Überlegenen sind, da sie wenigstens einen Arbeitsplatz besitzen, ist für viele nicht nachvollziehbar« (Landwehrmann 1969: 113).
Es waren vor allem die übrig gebliebenen einheimischen Geringqualifizierten, die die »Gastarbeiter« als ungeliebte Konkurrenten empfanden. »Der durch die Arbeitssituation hervorgerufene Pessimismus, das angesichts der sie umgebenden Türken und anderen Arbeitsmigranten besonders ausgeprägte Gefühl, gegenüber der Masse der Deutschen zu kurz gekommen zu sein, die Angst, den oft noch gesünderen und ausdauernderen ausländischen und türkischen Arbeitern beim Kampf um die Arbeitsplätze auf Dauer nicht gewachsen zu sein. Nur die wenigsten dieser deutschen Arbeiter werden in dieser Situation mit den Ausländern solidarisch sein. Die meisten werden sich aggressiv von den Ausländern abgrenzen und bei ihnen die Verantwortung für die eigene schlechte Position suchen« (Kleff 1985: 126).
Im Produzierenden Gewerbe werden diese Verschiebungsprozesse besonders deutlich: So reduzierte sich innerhalb von zehn Jahren (von 1961 bis 1971) die Zahl der deutschen Beschäftigten um 870.000, gleichzeitig stieg die Zahl der ausländischen Arbeitnehmer um 1,1 Millionen. »Die beiden Wanderungsbewegungen haben sich gegenseitig bedingt und zeigen den Substitutionsprozess ›Deutsche durch Ausländer‹ im Produzierenden Gewerbe«, stellte die Bundesanstalt für Arbeit fest (Bundesanstalt für Arbeit 1974: 16). Die einheimischen Arbeitnehmer konnten Branchen mit niedrigem Lohnniveau, schlechten Arbeitsbedingungen und unsicheren Arbeitsplätzen verlassen (Adams 1972: 210ff.). »Ungeachtet der nationalitätenspezifischen Besonderheiten sind die ausländischen Arbeitnehmer u.a. von ihrer Ausbildung, ihrer wenig ausgeprägten Industrieerfahrung sowie von den vielfach geringen Deutschkenntnissen relativ mehr als ihre deutschen Kollegen vor allem in einfachen manuellen Arbeiten oder als Angelernte eingesetzt. Durch die Möglichkeit der Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer in solchen Positionen hat sich die Chance der deutschen Arbeiter, sich beruflich weiterzubilden und in der Betriebshierarchie aufzusteigen, zweifellos verbessert« (Bundesanstalt für Arbeit 1973: 81).
Der Import von Arbeitskräften aus dem Ausland verhinderte in diesen Branchen einen Lohnanstieg, den eine Arbeitskräfteknappheit bewirkt hätte (Kade/ Schiller 1973: 63f.). Als Beispiel kann die Bauwirtschaft gelten: In den Jahren
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1967 bis 1971 stieg die Zahl der beschäftigten Ausländer um 250.000, während die Zahl der einheimischen Arbeitnehmer um 320.000 zurückging. »Die Bauwirtschaft mit ihren spezifischen Arbeitsbedingungen in Verbindung mit dem häufigen Arbeitsplatzwechsel, mit der vielerorts saisonabhängigen und damit immer noch recht ungleichmäßigen Beschäftigung leidet unter dem Sog anderer florierender Wirtschaftszweige. Die Abwanderung aus der Bauwirtschaft hängt auch mit der Möglichkeit zusammen, ausländische Arbeitnehmer zu beschäftigen. Bestünde diese Rückgriffsmöglichkeit auf ausländische Arbeitskräfte nicht, so ergäben sich in der Bauwirtschaft tendenziell ein höheres Lohnniveau und ein höherer Technisierungsgrad der Bauproduktion. Dies wiederum hätte vermutlich die Abwanderungstendenz deutscher Arbeitnehmer aus der Bauwirtschaft abgebremst« (Bundesanstalt für Arbeit 1974: 16).
Vor diesem Hintergrund ist die Auffassung von Wirtschaftswissenschaftlern, von der Beschäftigung der »Gastarbeiter« hätten die Unternehmer (durch Verhinderung eines Anstiegs der Kosten im unteren Lohnsegment) sowie die deutschen Arbeitnehmer (die in besser bezahlte Branchen und höhere Positionen wechseln konnten) profitiert, nicht von der Hand zu weisen: »Man kann in diesem Fall von eindeutig positiven Verteilungseffekten zugunsten der Unternehmer und von (allerdings weniger deutlich ausgeprägten) Wirkungen zugunsten der deutschen Arbeitnehmerschaft sprechen; letzterer Effekt dürfte so lange bestehen, wie den ausländischen Arbeitskräften – bedingt durch die Ausbildungs- und Sprachbarriere sowie ihre soziale Isolierung – ein Aufstieg aus ihren inferioren Tätigkeiten verbaut ist« (Höpfner/Ramann/Rürup 1973: 54f.).
Anwerbung als Instrument der Lohn- und Sozialpolitik Bei der Anwerbung standen stets betriebswirtschaftliche Kalkulationen im Vordergrund: Durch die »Gastarbeiter« konnten Lohnerhöhungen und Rationalisierungsinvestitionen aufgeschoben, die Einführung technischer Innovationen und damit ein produktivitätsfördernder Strukturwandel konnte hinausgezögert werden. Ein »Arbeitskräfteimport« war für die einzelnen Unternehmen kostengünstiger. Es konnten jene Arbeitsplätze besetzt werden, die für einheimische Deutsche nicht mehr attraktiv waren – wegen schlechter Arbeitsbedingungen oder zu geringen Löhnen (Forschungsverbund 1979: 21ff.). Eine Alternative wäre gewesen, die Löhne gerade im unteren Segment zu erhöhen und die Arbeitsbedingungen zu verbessern.27 »Die Einwanderung großer Massen wenig geschulter Arbeiter entspricht im Grunde nicht dem Kräftebedarf
—————— 27 In diesem Sinne äußerte sich auch der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft in: ders. (1974): Probleme der Ausländerbeschäftigung, 16. März 1974, S. 18.
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moderner Industriestaaten«, stellte Hilde Wander 1972 fest (201). Die Unternehmen handelten ökonomisch rational, weil die ausländischen Arbeitnehmer bereit waren, die – bezogen auf die Bundesrepublik – vergleichsweise schlechten Arbeitsbedingungen und die Entlohnung zu akzeptieren und die Unternehmen auf diese Weise kostensparend arbeiten konnten. »Wäre dieses zusätzliche Arbeitspotential nicht verfügbar gewesen, hätten die gesamtwirtschaftliche Lohnquote erhöht und mehr arbeitssparende Kapitalinvestitionen (zum Zwecke der Automatisierung) durchgeführt werden müssen« (Voigt 1974: 25). Wirtschaftswissenschaftler haben den Mechanismus an Beispielen aus dem Dienstleistungssektor verdeutlicht: »So ist zu fragen nach dem Selbstverständnis einer Gesellschaft, die viele wichtige Funktionen bis hin zu den Pflegeberufen einkommens- und ansehensmäßig so weit deklassiert, dass sie von der einheimischen Bevölkerung gemieden werden. Vergleichen wir etwa den Beruf der Krankenschwester mit dem einer Sekretärin, so zeigt sich deutlich, dass die soziale Priorität in einem eklatanten Widerspruch zur faktischen sozialen Einstufung steht. Sekretärinnen und Krankenschwestern sind knapp. Im einen Fall wird der Beruf durch Geld und Prestige attraktiv gestaltet, im anderen Fall wird zur Deckung des Bedarfs auf Korea und die Philippinen zurückgegriffen« (Kade/Schiller 1973: 64f.).
Die Qualifikationsstruktur der »Gastarbeiter« und der durch die Ausländerbeschäftigung verzögerte Strukturwandel beeinträchtigten die Entwicklung des Volkseinkommens: »Eine negative Auswirkung auf das Volkseinkommen je Erwerbstätigen geht von der Minderung der durchschnittlichen beruflichen und fachlichen Qualifikation der Erwerbstätigen insgesamt aus, die aus der Ausländerbeschäftigung folgt. Modellrechnungen zeigten, dass die zu erwartende Verlangsamung der Kapitalintensivierung das intensive Wachstum ebenfalls ungünstig beeinflusst. Schließlich hemmt der u. E. wahrscheinliche Verzicht der Unternehmer auf forcierten technischen Fortschritt zugunsten der Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte die Entwicklung des Volkseinkommens je Erwerbstätigen zusätzlich«,
analysierten Wirtschaftswissenschaftler in einem Gutachten für die Landesregierung Baden-Württemberg die Auswirkungen schon 1972 (Bullinger, u.a. 1972: 391; m.w.N.: Knortz 2008: 207ff.). Mit Hilfe der ausländischen Arbeitnehmer konnte die seit Anfang der 1960er Jahre sinkende Erwerbsquote der Deutschen ausgeglichen werden: Arbeitszeitverkürzungen, Verlängerung der Ausbildungszeiten, Einführung von Bildungsurlaub, Herabsetzung des Renteneintrittsalters, zurückgehende Frauenerwerbstätigkeit und ungünstige demographische Entwicklungen wurden durch die Arbeitskräfte aus dem Ausland ausgeglichen (Ernst 1972: 22f.; Voigt 1974: 22). Die »Internationalisierung des Arbeitsmarktes« (Albrecht 1972: 67; Heckmann 1981: 152) wurde zunächst als unumstrittene Lösung angesehen. Der schlichte Hinweis auf ein unzureichendes Arbeitskräftepoten-
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tial in der Bundesrepublik Deutschland seit dem Bau der Mauer 1961 ist deshalb fragwürdig. »Die Berechnungen zeigen deutlich, dass das deutsche Arbeitspotential und vor allem die Männer insgesamt einen Überschuss aus der demographischen Entwicklung gehabt hätten, wenn die Erwerbsbeteiligung nach Alter und Geschlecht 1970 dieselbe wie 1961 gewesen wäre. Demographische Ursachen führen nur in den Jahrgängen zu einem Rückgang des Arbeitsangebots, die durch die beiden Weltkriege dezimiert wurden. Der Einsatz von Ausländern glich also vor allem Ausfälle im heimischen Arbeitspotential aus, die durch späteren Eintritt in das Erwerbsleben und durch früheren Austritt daraus bedingt waren« (Wander 1972: 185).
Eine geringfügige Erhöhung der Frauenerwerbsquote hätte das Arbeitskräfteangebot erheblich erweitern können, wäre aber, darauf hat Dohse (1985: 156) hingewiesen, mit Kostensteigerungen für die Arbeitgeber verbunden gewesen: Steigende Lohn- und Lohnnebenkosten wären zwangsläufig gewesen. Eine Eingliederung inländischer Arbeitswilliger, die schwerer vermittelbar waren (Behinderte, Kriegsversehrte, Ältere usw.) wurde systematisch dadurch begrenzt, dass faktisch die Arbeitgeber darüber entschieden, ob jemand als »geeignet« eingestuft wurde oder nicht (und damit den Eignungsbegriff ihren Interessen gemäß verengten). Wurde eine Eignung festgestellt, griff der »Inländervorrang«, wonach zunächst der betroffene Inländer hätte eingestellt werden müssen, bevor eine Arbeitskraft aus dem Ausland angeworben werden konnte (ebd.: 209ff.). Somit hat die Möglichkeit, junge Arbeitskräfte aus dem Ausland zu rekrutieren, in der Praxis inländischen Personen den Zugang zum Arbeitsmarkt versperrt, zumindest ihre Beschäftigungschancen reduziert. »Bei zunehmender Arbeitskräfteknappheit wäre nämlich zu erwarten, dass das unternehmerische Kalkül zur Erweiterung des generellen Eignungsbegriffes führt. In verstärktem Maße müssten Anstrengungen unternommen werden, Teilzeitkräfte oder nicht voll leistungsfähige Arbeiter zu beschäftigen. Dadurch, dass den Betrieben die Möglichkeit gegeben wurde, ohne derartige Bemühungen junge, gesunde und leistungsstarke Ausländer zu rekrutieren, wurde dieser Weg entscheidend verbaut« (ebd.: 214).
In den 1960er Jahren wurde zudem von interessierter Seite immer wieder darauf hingewiesen, dass es sich bei der Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer um ein »gutes Geschäft« handele. Schließlich seien die Ausbildungskosten vom Herkunftsland getragen worden und außerdem zahlten die »Gastarbeiter« Sozialversicherungsbeiträge wie ihre deutschen Kollegen. Aufgrund ihres niedrigen Durchschnittsalters und der damals nicht vorstellbaren Arbeitslosigkeit seien entsprechende Auszahlungen hingegen nicht zu befürchten (Herbert/Hunn 790f.). So erklärte der Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Ludwig Kattenstroth, 1966:
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»Bei dem Lebensalter der ausländischen Arbeitnehmer wirkt sich das z. Z. vor allem für die deutsche Rentenversicherung sehr günstig aus, weil sie weit höhere Beiträge von den ausländischen Arbeitnehmern einnimmt, als sie gegenwärtig an Rentenleistungen für diesen Personenkreis aufzubringen hat. Nach neuesten Unterlagen beträgt in den deutschen Rentenversicherungen (Angestelltenversicherung, Arbeiterrentenversicherung, knappschaftliche Rentenversicherung und Unfallversicherung) gegenwärtig das Beitragsaufkommen auf Grund der Beschäftigung der ausländischen Arbeitnehmer jährlich rd. 1,2 Milliarden DM, während sich die Rentenzahlungen an ausländische Arbeitnehmer jährlich auf rd. 127 Millionen DM, also etwa ein Zehntel, belaufen. Hierdurch wird in fühlbarem Maße die wachsende finanzielle Belastung der Rentenversicherungen, die sich aus der kriegsbedingt verzerrten Bevölkerungsstruktur in Deutschland ergibt, entlastet« (Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände 1966: 14, 163).
Als es Mitte der 1960er Jahre selbst unter den »Gastarbeitern« schwierig erschien, für besonders unbeliebte Jobs Bewerber zu finden, wurde nicht darüber nachgedacht, die Arbeitsbedingungen zu verbessern und die Entlohnung zu erhöhen, vielmehr wurden Forderungen erhoben, Arbeitskräfte aus Nordafrika anzuwerben, was (zumindest in größerem Umfang) trotz der bereits abgeschlossenen Anwerbeabkommen mit Marokko (1963) und Tunesien (1965) aus politischen Gründen allerdings unterblieb. Die Innenministerkonferenz sprach sich 1965 dagegen aus.28 »Wir kennen die Argumente, die dahin lauten, dass es schwierig ist, für schmutzige, schlecht bezahlte Arbeiten Arbeitnehmer aus dem europäischen Raum zu bekommen. Auf der anderen Seite wissen wir von der Bundesanstalt, dass es noch Bereiche in den Anwerbestaaten gibt, wo zahlreiche Leute sitzen, die bereit wären, sich für diese Arbeiten anwerben zu lassen«, erklärte ein Vertreter des Bundesinnenministeriums 1966 auf einer Tagung der »Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände« (ebd.: 130).
Das Fehlen einer eigenständigen Ausländerpolitik Eine eigenständige deutsche »Ausländerpolitik« oder »Zuwanderungspolitik« hat es zumindest bis zum Anwerbestopp Ende 1973 nicht gegeben. Der Staat vollzog das, was die Wirtschaft von ihm forderte. Die Wirtschaft entschied über die Anzahl der angeworbenen »Gastarbeiter« wie über deren Verteilung innerhalb der Bundesrepublik (Mehrländer 1978: 119; Herbert/Hunn 2007: 705). Dazu hatte auch die Institutionalisierung des Anwerbeverfahrens beige-
—————— 28 Auszug aus der Niederschrift über die Sitzung der Ständigen Konferenz der Innenminister der Länder am 3. und 4. Juni 1965 in Berlin, Punkt 9: Ausländerrecht: hier: Grundsätze der Ausländerpolitik [wurde dem Autor von der Geschäftsstelle der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder zur Verfügung gestellt].
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tragen. Es nahm die Interessen der Arbeitgeberseite auf, schloss gleichzeitig die der Gewerkschaften weitgehend aus und verhinderte damit letztlich, dass die Anwerbepolitik öffentlich kontrovers diskutiert wurde (Dohse 1985: 203ff.). »Die Gewerkschaft war an der Bedarfsanmeldung und -prüfung im Gegensatz zu den Arbeitgeberorganisationen nicht beteiligt. Damit war die Nichtthematisierung der Verbesserung der Lohn- und Arbeitsbedingungen als Alternative zur Ausländerrekrutierung bereits im Bedarfsermittlungsverfahren strukturell verankert« (Dohse 1985: 205). Helmut Rittsieg stellte 1974 (56) fest: »Mitursächlich für die in mancher Hinsicht unbefriedigende Situation der in der Bundesrepublik lebenden und arbeitenden Ausländer ist das Fehlen einer staatlichen Ausländerpolitik. Der Wunsch der Wirtschaft nach billiger und abhängiger Arbeitskraft steht anstelle einer staatlichen Politik«. Angesichts von Arbeitskräfteknappheit erschien eine Anwerbung Arbeitgebern und Bundesregierung als die am nächsten liegende und einfachste Lösung. »Die Bundesregierungen der Nachkriegszeit haben es von Anfang an als ihre Aufgabe angesehen, vor allem in der Wiederaufbauphase der fünfziger und sechziger Jahre, die Wirtschaft im Rahmen ihrer Anforderungen mit Arbeitskräften zu versorgen. Die Bundesanstalt hat nach dem Arbeitsförderungsgesetz die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass ein Mangel an Arbeitskräften weder eintritt noch fortdauert. Die prompte Vermittlung ist eine logische Konsequenz der Wachstumspolitik, auf die sich alle gesellschaftlich tragenden Kräfte in der BRD verständigt haben« (Lohrmann 1974: 117).
Die Realisierbarkeit der Rückkehrerwartung und der Rückkehrabsichten wurde nicht als Problem wahrgenommen – tatsächlich hatte es ja über die Jahre immer wieder auch Wanderungen erheblichen Ausmaßes zurück in die Herkunftsländer gegeben. So standen alleine von Oktober 1971 bis September 1972 473.000 neu eingereisten Arbeitskräften 362.000 Rückkehrer gegenüber. Bei sinkendem Bedarf werde man den Hebel rechtzeitig umlegen, die Rückkehr der »Gastarbeiter« werde sich dann – so die verbreitete Erwartung – von selbst ergeben. »Bei Auftreten entsprechender Symptome [sinkendem Bedarf und Arbeitslosigkeit] würde rechtzeitig die weitere Anwerbung ausländischer Arbeitnehmer ausgesetzt. Im Falle einer Einstellung der Vermittlungstätigkeit in den Anwerbeländern würde die Zahl der ausländischen Arbeitnehmer schnell rückläufig sein. Schon in Jahresfrist würde sich der Bestand an ausländischen Arbeitskräften um ein Drittel reduzieren«, erklärte 1966 der Präsident der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, Anton Sabel (Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände 1966: 166). Es gab aber auch Stimmen, die Zweifel an dieser Vorstellung anmeldeten. So prognostizierte Rolf Weber, Abteilungsleiter bei der Bundesvereinigung der
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Deutschen Arbeitgeberverbände, 1967: »Es wird zweifellos außerordentlich schwierig sein, ausländische Arbeitskräfte, die längere Zeit in deutschen Betrieben waren und sich aufgrund ihrer Intelligenz und ihres Fleißes eine gutbezahlte Stellung errungen haben, nun zu bewegen, in die gleichen Verhältnisse zurückzukehren, die sie vor einigen Jahren verlassen haben« (Weber 1969: 56).
Kettenwanderung Hinzu kam die »Kettenwanderung«: »Pioniere« holten auch auf Betreiben der Unternehmen Verwandte und Freunde nach. Ein Drittel aller Anwerbungen aus der Türkei erfolgte bereits seit Mitte der 1960er Jahre namentlich (Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände 1966: 62; Bundesanstalt für Arbeit 1974: 48, 57f.), dieser Anteil stieg im Laufe der Jahre noch geringfügig an und galt für die gesamte Gruppe der »Gastarbeiter« (Weichert 1969: 70): Bereits ansässige »Gastarbeiter« empfahlen Verwandte, die die Unternehmen dann gezielt beim Arbeitsamt anforderte, nicht zuletzt, weil sie sich davon eine leichtere betriebliche Eingliederung und eine Verringerung möglichen Konfliktpotentials versprachen. »Letztlich wird auch der Arbeitgeber aus betriebspolitischen Gründen oft geneigt sein, den Wunsch eines ausländischen Mitarbeiters, den er sehr hoch schätzt, zu erfüllen, nämlich seinen Bruder oder seinen Freund nach Deutschland anzuwerben. Bei Beachtung all dieser Umstände ist es doch oft nahe liegend, Verwandte und Freunde der schon beschäftigten ausländischen Mitarbeiter anzuwerben« (Bundesanstalt für Arbeit 1966: 57; Herbert/Hunn 2006: 789f.).
Die auf diese Weise nach Deutschland übersiedelten Familienverbände galten allerdings als weniger betriebsverbunden und wechselten häufiger als Gruppe den Arbeitgeber. »Andere Betriebe jedoch, die – aus welchen Gründen auch immer (geringes Lohnniveau, schlechte Arbeitsbedingungen) – auf Ausländer angewiesen sind, sind bei der namentlichen Anforderung großzügiger. Viele Ausländer gehen deshalb in diese Betriebe, um ihre Verwandten nach Deutschland nachzuholen«, berichtete ein Vertreter des Landesarbeitsamtes Düsseldorf 1967 (Weichert 1969: 70). Auch für die »Gastarbeiter« hatte das Zusammenkommen in der Bundesrepublik hohe Priorität – je länger die Dauer des Aufenthalts, desto ausgeprägter war der Wunsch, Verwandte nachkommen zu lassen (Bundesanstalt für Arbeit 1972: 44f.). Die Familie im weiteren Sinn half, die schwierige Situation in der neuen Umgebung zu bestehen. Die Anwesenheit von Verwandten und Freunden stabilisierte nicht nur in emotionaler Hinsicht, sondern trug auch in
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sozialer Hinsicht zur besseren Bewältigung der Herausforderungen bei. Zudem spielte die Verwandtschaft in den Herkunftsregionen insbesondere der türkischen »Gastarbeiter« eine herausragende Rolle, sie wurde als eine Art »Sozialversicherung« betrachtet, was vor dem Hintergrund der geringen Verbreitung einer staatlichen Sozialversicherung in der Türkei gesehen werden muss (Akpinar 1977: 71). So war es neben möglichst guten Verdienstmöglichkeiten vor allem dieser Wunsch, der bei der Vermittlung angemeldet wurde: »Häufig geht es den an einer Arbeitsaufnahme im Ausland Interessierten zunächst in erster Linie darum, im Familienverband ausreisen zu können oder im Bundesgebiet in die nähere Umgebung von Verwandten oder bekannten Landsleuten zu ziehen, möglichst sogar in die gleichen Betriebe vermittelt zu werden. Dabei überdeckt der Wunsch nach Verwirklichung derartiger Familienzusammenführungen nicht selten – zumindest anfänglich – alle anderen Überlegungen, so auch die im Zusammenhang mit dem beruflichen Arbeitsansatz« (Bundesanstalt für Arbeit 1973: 83f.).
Besonders für die türkische Zuwanderung war die Kettenwanderung von großer Bedeutung. Dies erklärt sich einerseits aus einer spezifischen Entsendepolitik der türkischen Regierung: Bevorzugt wurden Personen aus Regionen, die von Naturkatastrophen heimgesucht worden waren (Varto/Erzurum; Gediz/ Kutahya sowie Konya und Isparta) sowie aus ländlichen Regionen. Wichtiges Kriterium waren die zu erwartenden finanziellen Rücküberweisungen in die jeweiligen Regionen (Gitmez/Wilpert 1987: 92f.). Angesichts des großen Andrangs versuchten Wanderungswillige ihre Chancen zu erhöhen, indem sie sich Anmeldebestätigungen für die betroffenen Gebiete verschafften (Böcker 1994: 88). Eine zweite Erklärung liegt in der überwiegend ländlichen Herkunft der türkischen »Gastarbeiter«: Zuwanderer aus ländlichen Regionen sind grundsätzlich stärker in Netzwerke und größere Familienverbünde eingebunden als Zuwanderer aus städtischen Regionen (die häufig nur noch in Kernfamilien leben und den heimatlichen Netzwerkeffekten geringer ausgesetzt sind). Damit sind erstere auch höherem Erwartungsdruck ausgesetzt (ebd.: 96f.), für die im Herkunftsland Verbliebenen Unterstützung zu leisten (Aufenthalts-, Beschäftigungs-, Wohnmöglichkeiten, finanzielle Transfers). Der allgemeine Auswanderungsdruck transferiert sich zu Druck auf die bereits Ausgewanderten. (ebd.: 103). »Village and rural contexts provide traditional social structures that aid in caring for members of the family left behind and, as a means of doing so, that encourage remittances and reduction of expenditures while abroad. As a result, when recruitment stopped in 1973, families of rural and village origin, as well as migrants from the least developed regions, had
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the greatest potential for future entry into Germany due to the large numbers still residing in Turkey« (Wilpert 1992: 180).
Die dadurch entstehende Kettenmigration (Albrecht 1972: 117ff.) und der Familiennachzug entwickelten eine erhebliche Eigendynamik. Sie stellten ein wesentliches Element des Zuwanderungsprozesses der nächsten Jahrzehnte dar, der sich vom Bedarf des Arbeitsmarktes gelöst hatte und auch weitgehend geschlossene Grenzen der Aufnahmeländer überwand. »The village social structure itself shapes the type of social networks that emerge. Once set in motion, social networks enable chain migration to continue even after the initial labour need has been met and borders officially closed« (Wilpert 1992: 182). Aufgrund dieses Netzwerkeffektes haben sich drei Viertel aller Türken und 70 Prozent aller Jugoslawen innerhalb der EU in Deutschland niedergelassen (Brückner/Trübswetter/Weise 2000).
Der Anwerbestopp – die Illusion der Steuerbarkeit Anfang der 1970er Jahre wurden die Stimmen lauter, die der ungezügelten Fortsetzung der Anwerbepolitik skeptisch gegenüber standen und angesichts der sozialen Folgeerscheinungen für eine deutliche Reduzierung plädierten (u.a.: Höpfner/Ramann/Rürup 1973: 63; Schönwälder 2001 498 ff., 532 ff.; Knortz 2008: 157ff.). So mahnte Bundeskanzler Willy Brandt in seiner Regierungserklärung vom 18. Januar 1973: »Es ist aber […] notwendig geworden, dass wir sehr sorgsam überlegen, wo die Aufnahmefähigkeit unserer Gesellschaft erschöpft ist und wo soziale Vernunft und Verantwortung Halt gebieten. Wir dürfen das Problem nicht dem Gesetz des augenblicklichen Vorteils allein überlassen. Also wird es auch gelten, diese Dinge im Zusammenhang darzustellen und Lösungsvorschläge daraus abzuleiten« (Pulte 1973: 285).
Die im Juni 1973 vorgestellten Leitlinien eines »Aktionsprogramms« der Bundesregierung zur Ausländerbeschäftigung konkretisierten dies. Demnach sollten die Vermittlungsgebühren der Bundesanstalt für Arbeit »spürbar erhöht« und der Zuzug in Ballungsräume von der Sozialverträglichkeit abhängig gemacht werden. »Die Zulassung ausländischer Arbeitnehmer in überlasteten Siedlungsgebieten soll von der Aufnahmefähigkeit der sozialen Infrastruktur abhängig gemacht werden« (Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung 1973: 50).
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Eine Reihe abgestufter Maßnahmen, die auf eine Absenkung der Nachfrage über den Preis hinausliefen, wurde bis zum Anwerbestopp ergriffen: – Im November 1972 wurde der »zweite Weg« zur Arbeitsaufnahme in die Bundesrepublik Deutschland versperrt. Das Beschreiten des »zweiten Weges« war seitdem nur noch in Ausnahmefällen möglich (Bundesanstalt für Arbeit 1974: 6). – In jedem Einzelfall musste von den Behörden geprüft werden, ob die Richtlinie des Arbeits- und Sozialministers vom 1. April 1971 zu den Mindeststandards der Unterkünfte (abgedruckt in: Bundesanstalt für Arbeit: 1973: 170f.) eingehalten wurde. Das legte das »Aktionsprogramm« der Bundesregierung vom 6. Juni 1973 fest (Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung 1973: 50). Das »Gesetz über die Mindestanforderungen an Unterkünfte für Arbeitnehmer« vom 23. Juli 1973 (BGBL I: 905) bevollmächtigte die Behörden, die Unterkünfte »zu betreten und zu besichtigen«. – Seit 20. August 1973 durften die Arbeitsämter keine Arbeitserlaubnisse für eine Beschäftigung bei Verleihfirmen mehr erteilen (Bundesanstalt für Arbeit 1974: 31). Zur Begrenzung der Zuwanderung wurde die Pauschale, die die anfordernden Arbeitgeber für »Gastarbeiter« aus Nicht-EG-Ländern zu entrichten hatten, zum 1. Mai 1972 auf 300 DM und zum 1. September 1973 auf 1.000 DM pro Person erhöht und damit die Anwerbung weiter verteuert (Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau: 1976: 23f.). Die Tatsache, dass diese Verteuerung bereits Monate vor Inkrafttreten verkündet wurde, führte dazu, dass die Unternehmen »auf Vorrat« ausländische Arbeitnehmer anforderten und einstellten. Von September 1972 bis September 1973 stieg alleine die Zahl der Ausländer in Deutschland um 440.000 Personen, davon rund die Hälfte aus der Türkei. Mit welcher Selbstverständlichkeit die Politik des Arbeitskräfteimports betrieben wurde, macht in diesem Zusammenhang die Tatsache deutlich, dass der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Josef Stingl, noch im Februar 1973 Forderungen nach einer Begrenzung der Anwerbeaktivitäten eine Absage erteilt hatte. »Die Forderung, die Ausländerbeschäftigung abzubauen, wäre deshalb zum gegenwärtigen Zeitpunkt unrealistisch. Das gleiche gilt für eine Begrenzung auf den augenblicklichen Stand« (Stingl 1973: 66). Als Folge der Ölkrise und der sich abzeichnenden schweren Rezession 1974/1975 wies der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung am 23. November 1973 die Bundesanstalt für Arbeit jedoch an, die Vermittlung ausländischer Arbeitnehmer einzustellen:
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»Es ist nicht auszuschließen, dass die gegenwärtige Energiekrise die Beschäftigungssituation in der Bundesrepublik Deutschland in den kommenden Monaten ungünstig beeinflussen wird. Unter diesen Umständen ist es nicht vertretbar, gegenwärtig weitere ausländische Arbeitnehmer über die Auslandsstellen der Bundesanstalt für Arbeit für eine Arbeitsaufnahme in der Bundesrepublik zu vermitteln. Nach Zustimmung durch das Bundeskabinett bitte ich unter Bezugnahme auf Para. 19 Abs. 4 AFG die Auslandsdienststellen der Bundesanstalt für Arbeit – ausgenommen die deutsche Kommission in Italien – anzuweisen, mit sofortiger Wirkung die Vermittlung ausländischer Arbeitnehmer einzustellen. Diese Maß29 nahme gilt bis auf Widerruf« (Herbert/Hunn 2006: 804ff.).
Vor allem aus der Wirtschaft wurden sogleich Stimmen laut, die eine Aufhebung, zumindest aber Ausnahmeregelungen verlangten (Münscher 1979: 10; Knortz 2008: 176f.). Bei der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände war man sich bereits 1974 sicher, »dass wir nach Überwindung der derzeitigen konjunkturellen Situation die Tore für eine Anwerbung wieder öffnen müssen« (Weber 1974: 56). Dies allerdings bei befristeter Aufenthaltsdauer, ohne Familiennachzug und bei sorgfältigerer Auswahl: »Man wird auf die Anpassungsfähigkeit und -bereitschaft der Bewerber größeren Wert legen müssen« (ebd.: 57). Die Weisung der Bundesanstalt für Arbeit vom 13. November 1974 zur Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer nahm denn auch von vorneherein die Branchen Bergbau, Fisch- und Konservenindustrie, Torfindustrie, Hotelund Gaststättengewerbe vom Anwerbeverbot neuer ausländischer Arbeitnehmer aus (Weisung vom 13. November 1974, abgedruckt in: Münscher 1979: 84). Insgesamt zeichnet sich Mitte der 1970er Jahre eine Abkehr von der Politik ab, die einseitig auf die quantitative Vergrößerung des Arbeitskräftepotentials von außen setzte. Darauf weisen auch die Vorschläge der Bund-LänderKommission zur Ausländerbeschäftigung aus dem Jahr 1977 hin. Die Kommission sprach sich – nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer Million Arbeitsloser – gegen eine Lockerung des Anwerbestopps für einzelne Branchen aus. Verbesserte Arbeitsbedingungen seien ein gangbarer Weg, um auch für weniger beliebte Arbeitsplätze Personal zu finden. »Eine der Ursachen für die Schwierigkeit in manchen Branchen, inländische Arbeitskräfte zu gewinnen, liegt daran, dass ihre Beschäftigungskonditionen (Bezahlung, Arbeitsbedingungen, Ausbildung, sozialer Status) nicht schnell und flexibel genug den Bedingungen in der übrigen Wirtschaft angepasst worden sind. In diesen Fällen kann ein geschlossener Arbeitsmarkt einen heilsamen Schock ausüben, langfristig unerlässliche Umstellungen des Produktionsapparates vorzunehmen und die Arbeitsbedingungen humaner zu gestalten. Nur so wird es
—————— 29 Das Fernschreiben des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vom 23. November 1973 an den Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit ist abgedruckt in: Albrecht 1976: 334; Bundesanstalt für Arbeit 1974: 7.
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gelingen, die Arbeitsplätze der betroffenen Betriebe wieder attraktiver zu machen« (Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung 1977: 26).
Der Anwerbestopp für »Gastarbeiter« aus Nicht-EG-Staaten, der nachlassende Bedarf der Industrie und sich verbessernde Verhältnisse in den Heimatländern führten unter anderem dazu, dass rund 42 Prozent der griechischen und spanischen Arbeiter das Land verließen – die Anzahl der türkischen »Gastarbeiter« blieb allerdings nahezu konstant (minus 2,5 Prozent). Zwischen 1973 und 1976 kehrten rund 674.000 ausländische Arbeitnehmer in ihre Herkunftsländer zurück (Statistisches Bundesamt, zit. nach: Korte 1981: 539). Ausländerbeschäftigung nach Nationalitäten 1973 bis 1980 (in tausend Personen) Jahr
1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980
Ausländische Arbeitnehmer insgesamt 2.595,0 2.286,6 2060,5 1924,8 1872,2 1857,4 1924,4 2018,3
Italien Griechenland 450,0 331,5 292,9 2740 277,3 284,3 297,0 304,5
250,0 229,2 203,0 178,4 160,6 146,3 139,1 132,2
Spanien
190,0 149,7 129,1 110,8 99,6 92,4 89,6 86,1
Türkei
605,0 606,8 550,5 523,5 512,9 510,8 535,8 578,2
Portugal Jugoslawien 85,0 78,5 70,2 63,5 60,0 58,7 58,9 58,5
635,0 466,7 416,6 387,7 374,4 366,8 364,4 353,7
Quelle: Bundesanstalt für Arbeit, zit. nach: Potts 1988: 176
Zumindest die »Gastarbeiter« aus EG-Staaten (von den klassischen Anwerbestaaten war dies zum damaligen Zeitpunkt nur Italien) rechneten sich die Möglichkeit aus, unter günstigeren Bedingungen noch einmal nach Deutschland zurückkommen zu können. Bei den Arbeitskräften aus der Türkei verstärkte der Anwerbestopp hingegen eher die Tendenz zum Verbleiben. Die Rechtslage machte eine erneute Arbeitsaufnahme nach Beendigung eines früheren Arbeitsverhältnisses nahezu unmöglich. Sie wurde zwar nicht grundsätzlich untersagt, war jedoch nur unter schwierigen Bedingungen und damit nur in wenigen Ausnahmefällen möglich. So mussten die Unternehmen nachweisen, »dass Bemühungen, inländische Arbeitssuchende zu gewinnen, über einen angemessenen Zeitraum erfolglos geblieben sind; insbesondere ist zu prüfen, ob dem Arbeitsamt rechtzeitig ein Vermittlungsauftrag erteilt wurde […]« (wiesung des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit vom 13. November 1974, abgedruckt in: Münscher 1979: 83).
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Kein Konjunkturpuffer Der damalige Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Josef Stingl, brachte 1975 die herrschende Einschätzung zu »Gastarbeitern«, die auch der Haltung der meisten »Gastarbeiter« selbst entsprach, auf den Punkt: »Die ausländischen Arbeitnehmer sind keine Auswanderer, die alle Brücken hinter sich abbrechen. Sie bleiben in der Heimat verwurzelt, betrachten ihren Aufenthalt beispielsweise in der Bundesrepublik Deutschland als Übergangserscheinung und wollen in der Regel wieder nach Hause zurückkehren« (Stingl 1975: 63). Von Beginn der Zuwanderung an sollten die Millionen un- und angelernter ausländischen Arbeitskräfte in Zeiten wirtschaftlichen Aufschwungs und Arbeitskräfteknappheit als »Konjunkturpuffer« dienen. Bei sinkender konjunktureller Entwicklung sollten sie wieder in ihre Heimatländer zurückkehren. »Aufgrund der bisherigen Erfahrungen geht die Bundesregierung auch weiter davon aus, dass die überwiegende Zahl der ausländischen Arbeitnehmer nicht auf Dauer in der Bundesrepublik bleibt« (Bundestagstagsdrucksache VI/3085: 4). Über soziale und gesellschaftspolitische Auswirkungen eines sich immer deutlicher abzeichnenden dauerhaften Verbleibens vieler ausländischer Arbeitnehmer in Westdeutschland wurden keine konzeptionellen Erwägungen angestellt. »Erst später zeigte sich, dass sich das Problem der Gastarbeiterbeschäftigung nicht ausschließlich auf eine ökonomische Dimension, nämlich die Vermehrung des homogenen Produktionsfaktors Arbeit, reduzieren ließ […] Außerdem ergaben sich soziale Probleme, die erst von einer gewissen Schwelle ab spürbar wurden und reichlich spät in das Bewusstsein der Öffentlichkeit drangen. Die Gastarbeiter kamen nämlich nicht nur als Produktionsfaktor, als Anbieter von Arbeitsleistungen, sondern auch als Nachfrager nach Wohnungen, Infrastrukturleistungen und Kulturgütern. Bis heute wurde aber die menschliche und gesellschaftliche Perspektive der Beschäftigung von Gastarbeitern viel zu wenig gewürdigt«,
stellte der Wirtschaftswissenschaftler Fritz Voigt 1974 fest (1974: 21). Die »Gastarbeiter« übernahmen jedoch die ihnen zugedachte Funktion eines »Konjunkturpuffers« immer weniger bzw. vorwiegend »nach oben« bei zunehmendem, immer weniger nach unten bei schwindendem Bedarf. Die Vorstellung einer flexiblen Arbeitsmarktreserve, derer man sich bei wegfallendem Bedarf entledigt und somit die einheimischen Arbeitskräfte vor Arbeitslosigkeit schützt und die ausländischen Arbeitslosen in das Herkunftsland reexportiert, ließ sich nicht dauerhaft realisieren (Fijalkowski 1984: 424ff.). Viele »Gastarbeiter« hatten objektiv keinen Anlass, die Verhältnisse in der Bundesrepublik mit denen im Herkunftsland einzutauschen. Auch wirkten »die wachsende Aufenthaltsdauer, veränderte rechtliche Vorschriften und die damit verbundene Senkung der periodischen Rückwanderquote auf einen Abbau der
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konjunkturellen Flexibilität der Ausländerbeschäftigung hin« (Bullinger u.a. 1972: 385). Daneben waren die Reallöhne seit 1968 stark angestiegen (Schatz 1974: 213). Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer hatte sich verlängert und damit die Vertrautheit mit dem deutschen Sozialsystem und seinen Vorteilen gegenüber den Verhältnissen in den Herkunftsländern (Korte 1981: 555). Die Sogwirkung der Bundesrepublik Deutschland hatte sich über die Jahre verstärkt. Interministerielle Kompetenzstreitigkeiten und Rivalitäten, unklare Entscheidungsstrukturen und vor allem die Unfähigkeit, im Kabinett verbindliche konzeptionelle Grundsatzentscheidungen herbeizuführen, kennzeichneten die Ausländerpolitik der 1960er Jahre (Schönwälder 2001: 304ff.). Der Bund nutzte seine Handlungsspielräume auch gegenüber den Ländern nicht (Schönwälder 2001: 307f.). Immer wieder wurden Stimmen laut, die auf die sozialen Folgen der Niederlassungsprozesse und vor allem der Konzentration in den Ballungsräumen aufmerksam machten. So schrieb der Direktor des Arbeitsamtes Hannover, Richard Muhle, 1964: »Die Probleme werden mit zunehmender Zahl der ausländischen Arbeitnehmer nicht geringer, die Folgewirkungen jedoch umso größer, je länger die Beschäftigungsdauer sich hinzieht. Wenn aus der vorübergehenden Ausländerbeschäftigung ein Dauerzustand wird, sollte man sich künftig über die Auswirkungen von vornherein ein klares Urteil bilden. Die Wohnungsbeschaffung, die Einrichtung von Kindergärten, die Schulprobleme für die heranwachsenden Kinder und manche andern die Allgemeinheit belastenden Dinge seien hier nur kurz angesprochen. Vielleicht ist es bei den jetzt erreichten Stand der Ausländerbeschäftigung nicht unangebracht, zu maßvollem Handeln anzuregen und zu empfehlen, nur dann zur Anforderung ausländischer Arbeitnehmer überzugehen, wenn auch die Folgewirkungen für die Gesamtheit tragbar sind« (Muhle 1964: 171).
Auch wurde vereinzelt die grundsätzliche Frage gestellt, ob denn »Integration« oder gar »Assimilation« derjenigen angestrebt werden sollte, die sich offensichtlich begannen dauerhaft niederzulassen (Schönwälder 2001: 314ff.). Zu richtungweisenden Entscheidungen kam es allerdings nicht. Alle Belege zeigen, dass Deutschland mit einer über Jahrzehnte andauernden Politik des laissez faire in Sachen Zuwanderung in die Situation »hineinscheiterte«. »Die Suche nach einer klar abgrenzbaren Grundsatzentscheidung über die Prinzipien der Ausländeranwerbung führt in eine Sackgasse. Bezeichnend ist gerade, dass es eine solche Grundsatzentscheidung nicht gab, sondern eher einen Prozess von Einzelentscheidungen, Problemverlagerungen und segmentierter Bearbeitung, in dem jeder einzelne Schritt auf seine langfristigen Implikationen nicht durchdacht war und nicht bedeutend erschien, die aber zusammen zu einer Struktur kumulierten, die den millionenfachen Import ausländischer Arbeiter ermöglichte« (Dohse 1985: 177).
Die jeweiligen Bundesregierungen weigerten sich, in einer für die Zukunft des Landes entscheidenden Frage zu handeln – sie ließen geschehen und überlie-
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ßen das Handeln Dritten. Der damalige Vorsitzende Richter am Bundesverwaltungsgericht, Herbert Heinrich, wies zurecht darauf hin, dass die Weichenstellungen der 1970er Jahre zum Ergebnis hatten, »dass die Ausländer, denen der Aufenthalt zu Erwerbszwecken erlaubt worden war, tatsächlich weitgehend selbst über die Fortdauer ihres Aufenthalts im Bundesgebiet bestimmen konnten […]« (Heinrich 1987: 982). In die Anwerbevereinbarungen hatte man es versäumt, mit den Herkunftsstaaten Regelungen zur Rückkehr und Reintegration aufzunehmen. 1972 wurde das »Ankara-Abkommen« mit der Türkei geschlossen, das Qualifizierungsprogramme für Rückkehrer und die Förderung von Arbeitnehmergesellschaften vorsah.30 Es brachte keinen großen Erfolg (Gümrükçü 1986: 170ff.; Şen 1980: 71ff.; Pöschl/Schmuck 1984: 25ff.) – nicht zuletzt deshalb, weil die türkischen Regierungen kein Interesse an der Rückkehr ihrer Landsleute hatten. »Wegen der hervorragenden Bedeutung der Gastarbeiterüberweisungen für die türkische Wirtschaft ist auch die Regierung an einer Rückkehr der Türken aus dem Ausland nicht interessiert und unterstützt daher ihre individuellen Investitionen nicht« (Şen 1980: 56). Letztlich wurde den »Gastarbeitern« selbst die Entscheidung überlassen, ob sie zurückkehren oder sich in Deutschland dauerhaft niederlassen wollten. Die Interessen der Wirtschaft, außenpolitische Rücksichten (wie auf das übergeordnete Ziel der Westintegration) (Schönwälder 2001: 365; Knortz 2008), die Furcht, dass unliebsame Kontinuitäten zur jüngeren Vergangenheit gezogen werden konnten, rechtliche Restriktionen – das 1968 in der Bundesrepublik Deutschland in Kraft getretene Protokoll Nr. Vier zur Europäischen Menschenrechtskonvention verbot Kollektivausweisungen (Franz 1992: 156f.) und nicht zuletzt das »Familienideal« – all diese Elemente trugen dazu bei, dass das Rotationsmodell nie auch nur in Ansätzen in die Tat umgesetzt und über den Familiennachzug ein Niederlassungsprozess hingenommen wurde. Angesichts des zunehmenden Familiennachzugs seit Ende der 1960er Jahre beklagte man von Arbeitgeberseite allerdings die daraus resultierende mangelnde Mobilität der ausländischen Arbeitskräfte (Holjewilken 1972: 147ff.) und forderte, künftig die Aufenthaltsdauer zeitlich zu beschränken (Weber 1974: 5). Die »Gastarbeiter« drohten ihre von der Industrie so geschätzte Funktion als mobile »industrielle Reservearmee« zu verlieren (Fijalkowski 1984: 424ff.).
—————— 30 Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Türkei über die Förderung der beruflichen Wiedereingliederung von in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigten türkischen Arbeitnehmern in die türkische Wirtschaft, BGBl II, Nr. 88, Bonn 1973; dazu u.a.: Geiss 1976: 97
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»Bei einem Rückgang der Beschäftigungssituation, mit dem jedoch […] kaum zu rechnen ist, müssten daher die Ausländer zuerst mit dem Verlust ihres Arbeitsplatzes rechnen. Aus diesem Grunde wäre es auch unsinnig, utopische Vorstellungen über eine Ansiedlung ausländischer Familien im großen Umfange zu nähren. Der große Wert der Ausländerbeschäftigung liegt darin, dass wir hiermit über ein mobiles Arbeitskräftepotential verfügen. Es wäre gefährlich, diese Mobilität durch eine Ansiedlungspolitik größeren Stils einzuschränken«,
hieß es 1966 in der Zeitschrift der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (Gienanth 1966: 138). Auch Anfang der 1970er Jahre regte man von Arbeitgeberseite an, die Aufenthaltsdauer ausländischer Arbeitnehmer zu begrenzen und den Familiennachzug einzuschränken – um die drohenden Infrastrukturkosten zu minimieren und die »Flexibilität« dieser Arbeitsmarktreserve bei konjunkturellen Schwankungen zu erhalten. »Es fragt sich, ob künftig nicht auch in den Fällen, in denen eine Tätigkeit über eine Saisonbeschäftigung hinausgeht, die Aufenthaltsdauer des Ausländers bei uns zeitlich eingeschränkt werden sollte, um die Sesshaftmachung der Ausländer zu verhindern. […] Sie würde den Vorteil haben, dass das Interesse an einer Familienzusammenführung zurückgeht und damit uns erheblich geringere Infrastrukturkosten entstehen würden. Der Umfang der Geldüberweisungen in die Heimatländer bliebe bestehen. Das Ausländerkontingent bliebe ein auch regional mobiles Arbeitsmarktpotential. Damit würden sektorale und regionale Arbeitsmarktschwankungen besser ausgeglichen werden können. Bei einer Familienzusammenführung sind die Ausländer – wie die Ereignisse der letzten Jahre gezeigt haben – genauso immobil wie deutsche Arbeitnehmer« (So der Vertreter der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände in: Weber 1974: 57).
»Innerhalb von drei Monaten waren diese Leute weg…« Dass die »Gastarbeiter« von politisch Verantwortlichen auch noch in den 1970er Jahren als »Konjunkturpuffer« betrachtet wurden (die in Rezessionszeiten zurückgeschickt werden sollten) änderte nichts an der Tatsache, dass der Niederlassungsprozesses fortgesetzt und gefördert wurde. In einem Forum der Wochenzeitung Die Zeit argumentierte der damalige Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, Karl Otto Pöhl: »[…] wir haben Ende 1973 die Ölkrise gehabt und 1974/75 die schwerste Rezession, die es in der Nachkriegszeit überhaupt gegeben hat. In dieser ganzen Zeit und trotz dieser ganz einmaligen Ereignisse ist die Zahl der Arbeitslosen – ich sage es bewusst provozierend – nur um etwa 600.000 Personen gestiegen. Es hat sich also gezeigt, dass unser Wirtschaftssystem außerordentlich flexibel gewesen ist. ZEIT: Da haben Sie die zurück gewanderten Gastarbeiter aber nicht mitgezählt. Pöhl: Ich spreche von Arbeitslosigkeit, nicht vom Rückgang der Beschäftigten, das ist etwas anderes. Bei VW, wo Herr Schlecht [damaliger Staatssekretär im
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Bundeswirtschaftsministerium] und ich im Aufsichtsrat sind, haben wir Anfang des vorigen Jahres beschlossen, die Zahl der Beschäftigten bis Ende 1976 um 25.000 zu verringern. Innerhalb von drei Monaten waren diese Leute weg, ohne dass es einen einzigen Arbeitslosen gegeben hätte. ZEIT: Hier nicht, aber in der Türkei. Pöhl: Das ist ein anderes Problem«.31
Dass innerhalb der Bundesregierungen der damaligen Zeit die Probleme durchaus gesehen wurden, macht ein »Entwurf von Thesen zur Ausländerpolitik« des Chefs des Bundeskanzleramtes vom Oktober 1975 deutlich, in dem die unterschiedlichen Positionen innerhalb der Regierung herausgearbeitet wurden. Er wurde 1976 veröffentlicht.32 Die dort enthaltenen Sätze »Die Bundesregierung denkt nicht an Zwangsmaßnahmen zur Reduzierung der Zahl der ausländischen Arbeitnehmer. Auch eine zwangsweise ›Rotation‹ wird aus humanitären Gründen abgelehnt.« sollten nach Ansicht des Wirtschafts-, des Arbeitsministeriums und des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit gestrichen werden, die Mehrheit der anderen Ministerien wollten die Sätze beibehalten (ebd.: 5). Ausländische Wohnbevölkerung 1974 und 1980 nach Nationalitäten (in Tausend) Jahr
1974 1980 Veränderung in %
Italiener Jugoslawen Spanier Türken Ausl. Staats- Griechen angehörige gesamt 4127,4 406,6 629,6 707,8 272,7 1027,8 4450,0 298,0 618,0 632,0 180,0 1462,0 + 7,8 - 26,7 - 1,8 - 10,7 - 34 + 42,4
Quelle: Statistisches Bundesamt, zit. nach: Korte 1981: 539
Die Gruppe der türkischen Staatsangehörigen war die einzige, die in den Jahren nach dem Anwerbestopp bis 1980 anwuchs. Bei den Türken stieg der Anteil der Frauen von 1974 bis 1979 um rund 21 Prozent, die Zahl der unter 15-jährigen Gastarbeiterkinder aus der Türkei verdoppelte sich im gleichen Zeitraum auf rund 420.000 (hierzu und den folgenden Daten: Peter Siewert in seinem Nachwort »Zur Situation heute« in: Rist 1980: 238ff.). Die Zahl ausländischer Schüler an allgemeinbildenden Schulen in Deutschland stieg vom Schuljahr 1973/74 bis 1978/79 um 59 Prozent auf rund 486.000. Rund 200.000 von ihnen sind türkische Staatsangehörige.
—————— 31 Arbeitslosigkeit – Schicksal für lange Zeit? Die Beschäftigungskrise in den Industrieländern – Ein ZEIT-Forum, in: Die Zeit vom 20. Februar 1976. 32 Der Chef des Bundeskanzleramts: »Entwurf von Thesen zur Ausländerpolitik eines Ausschusses der Bundesregierung vom 23. Oktober 1975«, epd-Dokumentation Jg. 76, H. 5 (1975), 4–10.
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Bevölkerungsentwicklung 1973 bis 1980 Jahr 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980
Wohnbevölkerung (in Tausend) 62.008,6 62.048,1 61.746,0 61.489,6 61.389,0 61.331,9 61.402,2 61.553,1
Deutsche Staatsangehörige 58.122,4 57.920,7 57.656,4 57.541,3 57.440,7 57.350,8 57.358,4 57.199,8
Ausländische Staatsangehörige 3.966,2 4.127,4 4.089,6 3.948,3 3.948,3 3.981,1 4.143,8 4.453,3
in Prozent 6,4 6,7 6,6 6,4 6,4 6,5 6,7 7,2
Quelle: Höhn/Mammey/Schwarz (1981): 141.
Begrenzungs- und Steuerungsversuche Ende 1973 zahlte die Bundesrepublik Deutschland für knapp 900.000 Kinder von »Gastarbeitern«, die im Ausland lebten, Kindergeld. Um hier zu Einsparungen zu kommen, regelte der Gesetzgeber das Kindergeld zum 1. Januar 1975 neu. Danach wurde es einkommensunabhängig nach bestimmten Sätzen gezahlt. Die Höhe dieser Sätze sollte sich an den Lebenshaltungskosten in der Bundesrepublik Deutschland orientieren. Dementsprechend wurde das Kindergeld für Kinder in Deutschland erhöht, für Kinder, die im Ausland lebten, wurde, wegen der dortigen geringeren Lebenshaltungskosten, der alte Satz beibehalten.33 Bei einer Familie mit vier Kindern belief sich die Differenz monatlich auf 205 DM (Korte 1981: 545). Diese Regelung beförderte nach allgemeiner Auffassung den Nachzug der Familienangehörigen (u.a.: Mehrländer 1978: 132; zur Kritik an der Regelung: Albrecht 1976: 20ff.; Schwerdtfeger 1984f.). In der Befragung des »Forschungsverbundes ›Probleme der Ausländerbeschäftigung‹« gaben 1978 53 Prozent der türkischen Arbeitnehmer mit Kindern im Versorgungsalter an, alle oder einen Teil der Kinder noch im Herkunftsland zu haben (Forschungsverbund 1979: 58). Ein hoher entsprechender Anteil war auch bei den »Gastarbeitern« aus Jugoslawien festzustellen – für diese beiden Gruppen war das Nachzugspotential damit besonders hoch. Um ein massenhaftes Unterlaufen des Anwerbestopps und einen Familiennachzug in großem Umfang zu verhindern, wurde per Rechtsverordnung
—————— 33 Neue Kindergeldregelung ab 1. Januar 1975. Vier Milliarden DM mehr für den Familienlastenausgleich, in: Der Bundesminister für Arbeit- und Sozialordnung 1975: 158f.
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festgelegt, dass nach dem 30. November 1974 eingereiste Familienangehörige aus Nicht-EG-Staaten keine Arbeitserlaubnis mehr erhalten sollten (Schober 1981: 13). Doch auch dieser Versuch, die einmal begonnene Zuwanderung zu steuern und zu begrenzen, schlug fehl: Da die zahlreichen Jugendlichen, die nach diesem Stichtag eingereist waren, nicht als Sozialhilfeempfänger in Deutschland leben sollten (Münscher 1979: 50ff.), legten die Arbeits- und Sozialminister einen neuen Stichtag fest: den 31. Dezember 1976 (Dohse 1979: 344f). Allen, die bis dahin einreisten, konnte noch eine Arbeitserlaubnis erteilt werden. Dabei versäumten die Minister nicht, in ihrem Beschluss darauf hinzuweisen, dass es sich bei dieser Verschiebung des Stichtags vor dem Hintergrund der angespannten Arbeitsmarktlage »nur um einen einmaligen Vorgang handeln kann.«34 Doch auch der zweite »Stichtag« erwies sich angesichts der kontinuierlichen Zuwanderung als unhaltbar, so dass diese Rechtsordnung ganz aufgegeben wurde. An seine Stelle trat im April 1979 eine Wartezeitenregelung. Danach wurde nachziehenden Ehepartner nach vier Jahren Wartefrist ein Rechtsanspruch auf Erteilung einer Arbeitserlaubnis zugesprochen, bei Jugendlichen unter 20 Jahren galt eine Zwei-Jahres-Frist (die unter bestimmten Bedingungen noch verkürzt werden konnte) (Deutscher Bundestag, Drs. 8/2716: 3; Wollenschläger, in: Kanein 1980: 336ff.; Schwerdtfeger 1980: 64f.). Politisch stand die Bundesregierung dabei von zwei Seiten unter Druck: zum einen durch die Wirtschaftsverbände, die trotz Arbeitslosigkeit Engpässe in einzelnen Bereichen durch zugewanderte Arbeitskräfte ausgleichen wollten. Zum anderen durch die Wohlfahrtsorganisationen, die im Sinne ihrer Klientel jede Restriktion ablehnten, unterstützt von Juristen, die eine Orientierung der Ausländerpolitik an »Belangen der Bundesrepublik Deutschland« als rechtsstaatlich unzulässig ansahen (so u.a. Franz 1976a: 312ff.; Heldmann 1973: 63ff.; Kimminich 1980a: 16, 47ff).
Die rechtspolitische Debatte »Ausländer, die in den Geltungsbereich dieses Gesetzes einreisen und sich darin aufhalten wollen, bedürfen einer Aufenthaltserlaubnis. Die Aufenthaltserlaubnis darf erteilt werden, wenn die Anwesenheit des Ausländers Belange
—————— 34 So heißt es im »Bericht zur Lage der Ausländer in Berlin«, hrsg. vom Regierenden Bürgermeister von Berlin, Berlin 1978, S. 30; hierzu die Mitteilung des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung, abgedruckt in: Münscher 1979: 88.
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der Bundesrepublik Deutschland nicht beeinträchtigt« (Paragraph 2 Abs 1, S. 2 AusländerG). Die Prüfung, ob eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden konnte, musste also in zwei Schritten erfolgen: Zunächst musste behördlicherseits eine Feststellung getroffen werden, ob »Belange der Bundesrepublik Deutschland« beeinträchtigt würden. War dies der Fall, hatte die Behörden keinen Ermessensspielraum: Eine Aufenthaltserlaubnis durfte nicht erteilt werden. Wurde eine Beeinträchtigung verneint, musste die Ausländerbehörde in einem nächsten Schritt eine Ermessensentscheidung treffen, ob die Aufenthaltserlaubnis erteilt werden solle (Kimminich 1980: 14ff.). »In Paragraph 2 regelt das AuslG, ob einem Ausländer die Aufenthaltserlaubnis erteilt werden darf. Die Bestimmung ist die eigentliche Generalklausel, die das Ermessen der Ausländerbehörde außerordentlich weit ausdehnt und nur insoweit beschränkt, als der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis überhaupt nicht näher getreten werden darf, wenn die Anwesenheit des Ausländers irgendwelche Belange der Bundesrepublik beeinträchtigt. Diese Frage kann allerdings dann dahingestellt bleiben, wenn von vornherein feststeht, dass die Anwesenheit bereits aus reinen Gesichtspunkten des pflichtgemäßen Ermessens nicht gestattet werden kann.« (Kanein 1966: 92f).
Was die inhaltliche Richtschnur des pflichtgemäßen Ermessens sein könne und wie die »Belange der Bundesrepublik Deutschland« konkretisiert werden sollten, wurde offen gelassen. Die rechtspolitische Auseinandersetzung fokussierte sich auf zwei Aspekte: Einerseits auf die Frage, wie »Belange der Bundesrepublik Deutschland« zu konkretisieren seien und andererseits auf die Frage, ob ein derart weites »Ermessen« mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar sei. Die Zulassung eines Aufenthalts von Ausländern von »Belangen der Bundesrepublik Deutschland« abhängig zu machen, sei mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht zu vereinbaren, weil es die Ermessensfreiheit der Verwaltungsbehörden so stark ausdehne, dass deren Bindung an Gesetz und Recht (GG Art. 20, Abs 3) gegenstandslos werde. Dies stellte auch Walter Kanein, Ministerialrat im Bayerischen Staatsministerium des Innern, in seinem 1966 erschienenen Kommentar zum Ausländergesetz fest: »Die Aufenthaltserlaubnis ist nach der nunmehrigen gesetzlichen Regelung damit dicht an den Gnadenakt gerückt. Der Ermessensrahmen der Ausländerbehörde ist denkbar weit gezogen. […] Die Behörde hat im Rahmen dieses sehr weit reichenden Ermessens alle einschlägigen Gesichtspunkte zu berücksichtigen, gleichgültig, ob sie auf allgemeinen, politischen, wirtschaftlichen, arbeitspolitischen, konjunkturellen, sicherheitlichen oder sonstigen Überlegungen beruhen […] Ob sie [die Aufenthaltserlaubnis] erteilt werden kann, hängt nicht nur von den persönlichen Verhältnissen des Ausländers, dem Zweck seines Aufenthalts, sondern ausschließlich davon ab, ob das Staatsinteresse die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zulässt« (Kanein 1966: 42f).
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Wichtigstes Motiv war der »Fundamentalgrundsatz, dass kein Ausländer ein Recht auf Einreise und Aufenthalt habe« (Kanein 1966: 29). »Es darf auch keine Abwägung der persönlichen Verhältnisse des Antragstellers mit den Belangen des Staates erfolgen. Das Staatsinteresse hat bei der Entscheidung den uneingeschränkten Vorrang« (Kanein 1966: 31). Dies sei geboten, um dem staatlichen Handeln in der »Fremdenpolitik« die nötige »Elastizität« zu verschaffen – so dass das Gesetz sowohl eine liberale, offene Zuwanderungspolitik wie auch eine restriktive ermögliche (Kanein 1966: 25). Zwar wurden beide Handlungsoptionen als möglich bezeichnet, der Kommentar stellte allerdings die Notwendigkeit von Restriktionen in den Mittelpunkt der inhaltlichen Begründung. »Die Notwendigkeit dieser Regelung ergab sich aus der Überflutung der Bundesrepublik durch Ausländer« (Kanein 1966: 42). Genau in dieser »Offenheit« lag allerdings das Problem: Der Gesetzgeber wollte eine möglichst unbeschränkte Kontrolle über Zuzug und Aufenthalt von Ausländern sicherstellen, hatte mit dem Gesetz allerdings kein ausländerpolitisches Ziel vorgegeben und damit die eigenen Staatsangehörigen, die Behörden und die zuwandernden Ausländer im Unklaren gelassen und damit für erhebliche Unsicherheit gesorgt: »Da der Gesetzgeber nicht zu Erkennen gegeben hatte, ob der Zustrom von Ausländern zu fördern oder einzudämmen sei, und an welchen Obergrenzen er gegebenenfalls Halt finden müsse, konnte die Haltung der Exekutive naturgemäß nur Ratlosigkeit sein, verbunden mit dem Bestreben, sich durch eine Befristung je nach der politischen Stimmungslage alle Optionen offen zu halten« (Tomuschat 1980: 1076).
Eine »Steuerung« fand genau nicht statt (Hailbronner 1980: 230). Dieses Postulat nahezu unbeschränkter Handlungsfreiheit der Exekutive provozierte scharfe Kritik: »Kein anderes Gesetz der Bundesrepublik lässt derart offen als seine Wurzeln das Staatsraison-Denken der NS-Epoche erkennen« (Heldmann 1974 in: ders. 1989: 71). »Man darf deshalb mit Fug und Recht feststellen, dass der Gesetzgeber der Exekutive mit Paragraph 2 I AuslG ein reines Ermächtigungsgesetz an die Hand gegeben hat, das selbst keinerlei greifbaren Inhalt aufweist« (Tomuschat 1980: 1077; Kimminich 1980: 10ff.). Unter Bezug auf Art 2 I GG (freie Entfaltung der Persönlichkeit) und das Rechtsstaatsprinzip (und damit dem Anspruch auf Rechtsschutz auch gegenüber Eingriffen der Verwaltung) wurde diese vollständige Handlungsfreiheit des Staates, wie sie der Bundestag im Ausländergesetz festgeschrieben hatte, durch das Bundesverfassungsgericht bereits 1973 eingeschränkt (BVerfGE 35, 382 (399) NJW 1974: 227). Die selbstverantwortliche Lebensplanung sei nicht deutschen Staatsangehörigen vorbehalten, sondern gelte ebenso für Ausländer, die sich rechtmäßig in der Bundesrepublik aufhalten (Tomuschat 1980: 1074). Das Bundesverfassungsgericht sah zwar im Ausländergesetz keinen Verstoß
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gegen das Grundgesetz (Heinrich 1987: 984), ließ aber 1978 deutlich werden, dass die Unbestimmtheit des Rechtsbegriffs der »Belange der Bundesrepublik Deutschland« an die Grenzen des rechtsstaatlich Zulässigen stoße: »Wenn schließlich bei der Auslegung des Begriffs der ›Belange‹ auch Sinn und Zweck der Aufenthaltsregelung für Ausländer und die bindende Wirkung vorrangigen Völker- und Verfassungsrechts beachtet und durch norminterpretierende Verwaltungsrichtlinien für eine möglichst einheitliche Bestimmung und Anwendung von für den Aufenthalt von Ausländern maßgeblichen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Grundsätzen Sorge getragen wird, so ist der Unbestimmte Rechtsbegriff der ›Belange‹ mit dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot noch zu vereinbaren« (NJW 1978: 2447).
Grundrechtsbindung durch konkludentes Handeln Bereits 1973 war auf der Tagung der »Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer« von Josef Isensee argumentiert worden, dass die Dispositionsfreiheit des Staates über Ausländer bei zunehmender Aufenthaltsdauer stark eingeschränkt werde. Weitgehende Steuerungsmöglichkeiten habe der Staat hinsichtlich der Zulassung zum Staatsgebiet (unter Wahrung von Rechtsstaatlichkeit). Dieser Handlungsspielraum werde aber durch die Grundrechtsbindung gegenüber dem Ausländer, dem Aufenthalt einmal gestattet worden ist, elementar eingeengt: »[…] in dem Augenblick, in dem der Fremde zum Gebietszugehörigen geworden ist, [endet] die Entscheidungsflexibilität […] Der Fremde wird mit der Einreise zum Untertan des Aufenthaltsstaates. Mit der Herrschaft des Gesetzes beginnt nunmehr auch der Schutz des Gesetzes« (Isensee 1974: 69). Der Staat ist somit nicht souverän im Umgang mit dem »Fremden«. Er ist gebunden durch die Grundrechte, die auch für fremde Staatsangehörige gelten. Willkürliche Ausweisung oder dauerhafte Zuweisung eines unsicheren Aufenthaltsstatus verbiete sich daher. »Die erste Folge der Selbstbindung durch Gebietszulassung muss ein Mindestmaß an aufenthaltsrechtlicher Statussicherheit sein« (ebd.: 72). Die Grundrechtsbindung durch konkludentes Handeln bezieht sich allerdings nicht nur auf die Konsequenzen der Zulassung des Aufenthalts, sondern auch auf die Zulassung zu anderen Feldern, in denen Grundrechte als Deutschenrechte deutschen Staatsangehörigen vorbehalten sind (Versammlungs-, Vereinigungs-, Berufsfreiheit). »Das System der staatlichen Selbstbindung gegenüber den Ausländern ist also mit der Zulassung zum Aufenthalt noch nicht abgeschlossen – wenn der Ausländer zu einem deutschenrechtlich geschützten
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Lebensbereich zugelassen wird, verfestigt sich sein Grundrechtsstatus weiter« (ebd.: 83) Isensee verdeutlichte dies am Fall des Arbeitsrechts. So sei der Staat grundrechtlich frei, einem Ausländer eine Arbeitserlaubnis zu erteilen oder nicht. »Hat er sie erteilt, so muss er ihm die gleichen arbeitsrechtlichen Bedingungen wie dem Inländer gewährleisten. Im Rahmen eines begründeten Arbeitsverhältnisses kann nur noch auf die Rolle des Arbeitnehmers angestellt werden. Der Rekurs auf die Staatsangehörigkeit ist abgeschnitten. Die Kette der Selbstbindung kann weitergehen, je nach dem Lebensbereich, den der Staat dem Ausländer öffnet« (ebd.: 84).
Dementsprechend schlägt die Aufenthaltsdauer sich zwangsläufig in Aufenthaltsrechten nieder. »Im Ergebnis lässt sich die Stellung des ausländischen Individuums in der Grundrechtsordnung als die Ermöglichung zunehmender Status-Verfestigung kennzeichnen, dem auf der Seite des Staates ein System fortschreitender Selbstbindung entspricht« (ebd. 85). Vorstellungen über konkrete Fristen, nach deren Ablauf ausländische Staatsangehörige »einen grundrechtlichen Status [einnehmen], welcher dem Verfassungsstatus Deutscher gleich ist oder nahe kommt«, entwickelte Gunter Schwerdtfeger (1980: 26) in einem Gutachten zum 53. Deutschen Juristentag. Ausgehend von empirisch gewonnenen Erkenntnissen, wonach nach einer Aufenthaltsdauer von zwölf bis 15 Jahren der Wille zum dauerhaften Verbleib sprunghaft ansteigt, sprach er sich für eine Frist von 15 Jahren aus (ebd.: 20). Danach sei der Zeitpunkt erreicht, »in welchem der Ausländer der ersten Generation seine Persönlichkeitsentwicklung ohne existentiellen Bruch nur noch in der Bundesrepublik fortsetzen kann […]« (ebd.: 20). Für Kinder seien entsprechend kürzere Aufenthaltsdauern anzunehmen. Diese Argumentation prägte die ausländerrechtliche Debatte der 1970er und 1980er Jahre (ebd.; Joppke 1999: 69ff.). Unter Berufung auf Art. 2 I GG (»freie Entfaltung seiner Persönlichkeit«) und die Annahme eines über die Aufenthaltsdauer erfolgenden Hineinwachsens in Grundrechtspositionen (»Automatik des Verfassungsrechts« [Schwerdtfeger 1980: 45]) wurde die Forderung nach Aufhebung jeglicher unterschiedlicher Behandlung (Diskriminierung), nach grundlegender Gleichstellung von Ausländern mit deutschen Staatsangehörigen – bis hin zum Wahlrecht (das von Isensee abgelehnt wurde [1974: 92ff.]), erhoben. Sie dominierte die Literatur. Zahlreiche Initiativen von Juristen und kirchlichen Mitarbeitern (wie das »Düsseldorfer Reformprogramm zum Ausländerrecht« 1976) trugen diese Forderungen in die öffentliche Debatte und beeinflussten sie maßgeblich (Harbach 1976a; Albrecht 1976; Huber 1977; Albrecht 1994; Franz 1988; Franz 1992). »Eine unformierte Liga gegen die Barbarei in Deutschland hat sich Gehör verschafft; hat Sensibilisie-
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rungen bewirkt, bis in die Amtsstuben […].«, so einer der Protagonisten (Heldmann 1979, in: ders. 1989: 144). Die Unterscheidung des Grundgesetzes zwischen allgemeinen Grundrechten, die Deutschen und Ausländern gleichermaßen zustehen und Grundrechten, die deutschen Staatsangehörigen vorbehalten sind, ließ man nicht gelten. Zwischenzeitlich gewonnene juristische und soziologische Einsichten aufgrund des Zuzugs einer großen Zahl an Ausländern gingen »über den Erkenntnisstand und das Bewusstsein im Parlamentarischen Rat bei der Formulierung der ›Deutschen-Grundrechte‹ hinaus« (Schwerdtfeger 1980: 34). In der rechtspolitischen Debatte wurde diesen Positionen entgegengehalten, dass eine unterschiedslose rechtliche Behandlung von sich dauerhaft aufhaltenden Ausländern und Deutschen die grundlegende Differenzierung zwischen allgemeinen Rechten und »Deutschenrechten« negiere. »Die verfassungsrechtlich vorgegebene Unterscheidung zwischen Deutschen und Ausländern im Bereich der Freizügigkeit und der Berufsfreiheit würde auf den Kopf gestellt, wenn Art. 2 Abs. 1 GG als Auffanggrundrecht benutzt würde, die Inhalte der den deutschen vorbehaltenen Grundrechte zu inkorporieren« (Hailbronner 1984: 66).
1978 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass sich Ausländer auf »Vertrauensschutz« berufen können, wenn der Staat durch konkludentes Handeln die berechtigte Erwartung geweckt hat, er werde seinen Aufenthalt dauerhaft hinnehmen (BVerfGE 49, 168 (180); NJW 1978: 2446ff.). Die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts begrenze die Handlungsfreiheit der Verwaltung. So sei ihr Ermessenspielraum bei der Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis »grundsätzlich enger […] als bei der erstmaligen Erteilung« (NJW 1978: 2448). »Der im Rechtsstaatsprinzip verankerte Grundsatz des Vertrauensschutzes gilt auch für Ausländer« (NJW 1978: 2448). Werde eine Aufenthaltserlaubnis wiederholt »routinemäßig« verlängert, »dann kann unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes das Ermessen der Ausländerbehörde so stark eingeschränkt sein, dass der Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nicht ohne gewichtige Gründe abgelehnt werden kann. […] Für die Ablehnung des Verlängerungsantrags genügt dann nicht mehr die allgemeine Begründung, die Bundesrepublik sei kein Einwanderungsland […]« (NJW 1978: 2448; Hailbronner 1984: 66ff.).
Damit wurde allerdings kein eigenständiges und unentziehbares Aufenthaltsrecht postuliert (ebd.: 66ff.; Heinrich 1987: 982). Die im Ausländergesetz von 1965 weit gefasste staatliche Ermessens- und Entscheidungsfreiheit war einer der Gründe, warum sich das Ausländerrecht zu »Richterrecht« entwickelte, »weil der Gesetzgeber von 1965 versäumt hat, das Verwaltungsermessen durch Gesetzestatbestände zu bestimmen und zu begrenzen« (Heldmann 1984, in: ders. 1989: 164). Hinzu kam, dass im Gesetz
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keine Differenzierung nach Dauer des Aufenthalts, Familienstatus oder Zwecken des Aufenthalts vorgesehen war (Tomuschat 1980: 1076; Kimminich 1980: 8, 62; Hailbronner 1980: 232). »Alsbald übernahmen freilich die Gerichte – nicht unerheblich beeinflusst von einer engagierten ausländerrechtlichen Literatur – die führende Rolle bei der Bestimmung der Rechtsstellung des Ausländers […] Naturgemäß am Einzelschicksal orientiert, haben die Gerichte auf diese Weise eine Ausländerpolitik mitgestaltet, die sich mangels ausreichend präziser parlamentarisch verantworteter Leitlinien nur auf die Generalklauseln der Verfassung stützen konnte« (Hailbronner 1983: 2106).
Die Handlungsabstinenz der Legislative führte auch dazu, dass trotz der gravierenden Umbrüche in der Zuwanderung zwischen 1965 und 1990 (Anwerbestopp, Familiennachzug, Asyl etc.) das Ausländergesetz 25 Jahre in Kraft blieb. Die Konkretisierungen erfolgten (wie in Paragraph 51 AuslG vorgesehen) mittels Verwaltungsvorschriften und Rechtsverordnungen, die die Zustimmung des Bundesrates bedurften (Joppke 1999: 63ff.). Die Länder regelten die Umsetzung wiederum in Form eigener Erlasse. Die Argumentation eines »Umschlag(s) behördlichen Einreise- und Aufnahmeermessens in Niederlassungsrechte des Ausländers nach langfristigem genehmigten Aufenthalt« (Franz 1988: 670) wurde besonders in Hinblick auf den Nachzug von Familienangehörigen ins Feld geführt. Insbesondere beim Familiennachzug ließ sich der absolute Vorrang staatlicher »Belange« (zu den immerhin auch Art. 6 I GG gehört) vor grundlegenden Rechten von Ausländern nicht aufrechterhalten. Die Allgemeine Verwaltungsvorschrift aus dem Jahr 1972 legte fest: »Bei Ausländern, die mit Deutschen verheiratet sind, haben Belange der Bundesrepublik Deutschland, die durch die Anwesenheit dieser Ausländer beeinträchtigt werden, […] gegenüber dem staatlichen Belang, Ehe und Familie zu schützen, grundsätzlich zurückzutreten« (AusLVwV zu Paragraph 2 AuslG Nr. 4a; Tomuschat 1980: 1976). Offensichtlich hielten sie die dauerhafte Niederlassung und den Familiennachzug für ein Naturgesetz: »Die These vom ›Nichteinwanderungsland‹ ist eine geradezu beschwörende Zauberformel geworden, mit der man glaubt, der an die Anwerbung zwangsläufig geknüpften Folgelasten enthoben zu sein […]« [Hervorhebung durch den Verfasser] (Franz, zit. nach: Münscher 1979: 34). Hier wurde die Auffassung vertreten, mit der einmal erfolgten Anwerbung sei im Sinne eines Vertrauensschutzes der deutsche Staat in der Pflicht, eine dauerhafte Zuwanderung mit all ihren Konsequenzen hinzunehmen. »Mit der Anwerbung hat die Bundesrepublik die Rechtspflicht übernommen, den angeworbenen Arbeitnehmern den Zugang zum Arbeitsmarkt zu öffnen und offen zu halten. Dieser aus vorangegangenem Tun folgenden Pflicht kann sie sich nicht aus Gründen entziehen, die der angeworbene ausländische Arbeitnehmer nicht zu vertreten hat. Der Gleichheitsgrundsatz, Treu
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und Glauben und andere elementare Verfassungsgrundsätze wären verletzt, wollte die Bundesrepublik Deutschland angeworbene ausländische Arbeitnehmer einseitig mit den Folgen der veränderten Arbeitsmarktlage belasten« (Albrecht 1976: 29; Kimminich 1980: 64).
Auf den Familiennachzug bezogen bedeutete das, dass aus Art. 6 Grundgesetz ein Recht gefolgert wurde, »mit seiner Familie räumlich eine Einheit bilden zu können« (Henke 1976: 108) und – ohne es ausdrücklich zu benennen – dieses Recht auch in der Bundesrepublik Deutschland verwirklichen zu können. Nach dieser Auffassung verstießen bereits Wartefristen für einen Nachzug von Familienangehörigen gegen das Grundgesetz (Henke 1976; Huber 1977: 114, anderer Auffassung: Hailbronner 1983: 2106ff.). Im Ergebnis sollte die Wartezeiten-Regelung den Familiennachzug noch einmal massiv fördern. Der Wanderungssaldo bei den 15- bis unter 20-Jährigen war 1978 erstmals seit 1974 wieder positiv.35 Der Anteil der unter 18-jährigen türkischen Staatsangehörigen an allen Zugezogenen aus der Türkei stieg von 18 Prozent 1968 auf fast 60 Prozent 1978.36 1979 zogen 97.000 mehr Kinder und Jugendliche in die Bundesrepublik Deutschland zu als fort (Peters 1982: 25). »Von diesen fast 100.000 Kindern und Jugendlichen waren ungefähr 40% im erwerbsfähigen Alter von 15 bis 20 Jahren und knapp zwei Drittel männlichen Geschlechts. Wenn man bedenkt, dass z. B. im Jahre 1979 bereits rund ein Drittel der hier lebenden 88.000 15– 20jährigen Ausländer weder in einem Arbeits- noch in einem Ausbildungsverhältnis standen, kann man sich leicht vorstellen, wie schwierig es sein wird, die nachgezogenen Jugendlichen in den Arbeitsmarkt einzugliedern« (ebd.; Dohse 1979: 342).
Die Zahl der arbeitslosen 15- bis 20-jährigen Ausländer lag denn auch 1980 bei rund 100.000 (Schober 1982: 63) – die Gesamtzahl der 15- bis 20-Jährigen lag bei rund 390.000 (Trommer/Köhler 1981: 191) Insgesamt blieb der Anteil der Ausländer aus den EG-Staaten zwischen 1974 und 1980 nahezu gleich (bei rund 21 Prozent); der Anteil der türkischen Staatsangehörigen erhöhte sich hingegen von 25 auf 33 Prozent. Bei den unter 15-Jährigen stieg der türkische Anteil von 31 Prozent 1974 auf 46 Prozent 1980 (Schober 1981: 13f.). Mehr als zwei Drittel der türkischen Zuwanderer war 1979 bereits zehn Jahre oder länger in Deutschland – ein weiterer Beleg für dauerhafte Niederlassungsabsichten.
—————— 35 Umfang und Struktur der Wanderungen von Ausländern zwischen dem Bundesgebiet und dem Ausland 1968 bis 1978, in: Statistisches Bundesamt (1980): Wirtschaft und Statistik, (1), 4. 36 Ebd. 24.
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Wanderungssalden von Ausländern 1968 bis 1978 (in Tausend) Jahr 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978
EG-Staaten insgesamt + 69,1 + 78,0 + 71,3 + 52,6 + 41,9 + 50,0 - 26,4 - 51,4 - 13,3 + 14,4 + 17,1
Italien + 56,7 + 58,5 + 47,4 + 28,5 + 19,7 + 31,1 - 34,7 - 53,6 - 18,4 + 4,8 + 9,1
Türkei +52,0 + 119,5 + 134,6 + 126,1 + 109,5 + 162,6 + 49,9 - 49,9 - 24,6 + 1,0 + 42,9
Jugoslawien + 64,7 + 165,8 + 149,5 + 51,7 + 36,9 + 59,9 - 29,7 - 54,4 - 33,7 - 16,5 - 12,4
Spanien + 11,4 + 33,7 + 29,4 + 16,5 + 8,4 + 7,0 - 33,8 - 32,5 - 26,5 - 18,9 - 12,2
Griechenland + 24,1 + 63,5 + 64,0 + 30,9 + 3,0 - 12,7 - 18,8 - 47,5 - 42,2 - 32,7 - 20,9
Quelle: Statistisches Bundesamt (1980): Umfang und Struktur der Wanderungen von Ausländern zwischen dem Bundesgebiet und dem Ausland 1968 bis 1978. In: Wirtschaft und Statistik (1), 22.
»Dieses Ergebnis sollte die Erwartungen, dass ein größerer Teil der in der Bundesrepublik lebenden Türken in ihr Heimatland über kurz oder lang zurückkehren wird, weitgehend zerstören. Eher muss aus dem bisherigen Verlauf der Entwicklung der Ausländerzahlen das Fazit gezogen werden, dass sich die Zahl der Ausländer in der Bundesrepublik wie auch die Zahl der ausländischen Arbeitnehmer bei anhaltender Liberalisierung des Aufenthaltsrechts trotz des Festhaltens am Anwerbestopp weiter vergrößern wird«, stellten Bevölkerungswissenschaftler 1981 fest (Höhn/Mammey/Schwarz: 1981: 205). Von allen Staatsangehörigen aus Ländern mit Anwerbestopp wiesen im Jahr 1979 alleine die Türken einen – deutlich – positiven Wanderungssaldo auf, von allen anderen Nationalitäten waren mehr Personen fort- als zugezogen (ebd.: 203). Mehr als die Hälfte der Zuzüge aus der Türkei (56 Prozent) waren Kinder und Jugendliche (beim Saldo lag der Anteil bei 61 Prozent) – ein weiterer unübersehbarer Hinweis auf einen Zuwanderungsprozess (ebd.: 204). Insgesamt sank die Zahl der ausländischen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten von 1973 bis 1978 von 2,6 auf 1,9 Millionen. Danach stieg sie wieder an (ebd.: 201). Hingegen stieg die Gesamtzahl der ausländischen Staatsbürger im gleichen Zeitraum um etwa 500.000 (von 3,9 auf 4,4 Millionen), die Zahl der deutschen Staatsangehörigen sank von 1973 bis 1980 um rund eine Million (von 58 auf 57 Millionen). Die Ursachen sind in der Geburtenentwicklung (negativ bei den deutschen, positiv bei den ausländischen Staatsangehörigen) und dem Zuwanderungsüberschuss (bei beiden Gruppen) zu sehen. Allein diese Entwicklung
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in den 1970er Jahren verwies auf ein weiteres Anwachsen der ausländischen Bevölkerung (ebd.: 143). Die berechtigte Annahme, ein großer Teil der nachgezogenen und hier geborenen Kinder ausländischer Staatsbürger werde sich später für Heiratspartner aus dem Herkunftsland der Eltern entscheiden, sprach für die dauerhafte Rolle, die der Familiennachzug für die Zuwanderung nach Deutschland spielen sollte (ebd.: 143). Mit dem Anwerbestopp sprang die Zuwanderung von Nichterwerbspersonen (Familienangehörigen) von 21,1 Prozent im Jahr 1970 und 39 Prozent 1973 auf durchschnittlich zwischen 75 und 80 Prozent. Bei den aus der Türkei eingereisten Ausländern war 1968 jeder vierte, 1972 bereits jeder zweite eine Nichterwerbsperson. 1976 lag der entsprechende Anteil bei 86 Prozent (Statistisches Bundesamt 1980: 23). Das zeigt, das hier »lediglich Erwerbspersonen gegen Nichterwerbspersonen ausgetauscht« wurden (ebd.: 200). So konnte bereits 1980 bilanziert werden: »An diesen Tendenzen ist abzulesen, dass der Anwerbestopp nur einige Jahre lang zu einer Verringerung der Zahl der ausländischen Arbeitnehmer geführt hat und inzwischen nicht nur die Gesamtzahl der in der Bundesrepublik lebenden Ausländer aus den ehemaligen Anwerbeländern, sondern auch die Zahl der ausländischen Arbeitnehmer über die Familienzusammenführung und die liberalisierten Regelungen zur Erlangung der Arbeitserlaubnis in der Bundesrepublik einem neuen Höchststand zustrebt« (ebd.: 201).
Die Struktur der Ausländerbevölkerung normalisierte sich und ließ den Niederlassungsprozess deutlich werden. Die absolute Zahl der deutschen Lebendgeborenen sank von einer Million (1965) auf 506.500 (1979), die der Lebendgeborenen mit ausländischer Staatsangehörigkeit stieg im gleichen Zeitraum von 37.800 auf 75.500 (ebd.: 142), lag 1974 sogar bei rund 110.000. Die Zahl der Kinder, die in ausländischen Familien in der Bundesrepublik lebten, stieg von 1973 bis 1977 von 928.000 auf 1,5 Millionen (Münscher 1979: 62). Dabei spielten die Geburten eine noch stärkere Rolle als die Zuwanderung von außen (Statistisches Bundesamt 1980: 23).
Nachzugspotential Der amerikanische Sozialwissenschaftler Ray C. Rist berichtet in seiner 1978 (im amerikanischen Original) erschienenen Studie »Die ungewisse Zukunft der Gastarbeiter« von einer verbreiteten »Vogel-Strauß-Haltung« in Deutschland: Man war sich der Nachzugspotentiale wohl bewusst, verharrte aber abwartend, in der Hoffnung, der schlimmste Fall werde doch nicht eintreten. In seinen Interviews mit Beamten in Deutschland, gaben sie
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»immer wieder ihrer Sorge um die ständig wachsende Zahl der nach Deutschland einwandernden Arbeitnehmerkinder Ausdruck […] Unter der Voraussetzung, dass die Eltern die für Aufenthalt und Unterkunft vorgeschriebenen Bedingungen erfüllten, besteht die Möglichkeit, dass über eine Million Kinder von ihrem Recht, nach Deutschland zu kommen, Gebrauch machen werden. Am meisten besorgt war man um die fast 700.000 türkischen Kinder, die potentielle Einwanderer darstellen. Soweit bekannt ist, hat die Bundesregierung gegenwärtig für diese Eventualität noch keine Pläne ausgearbeitet, die sich mit der notwendig werdenden schulischen und ärztlichen Betreuung sowie mit den nötigen zusätzlichen Unterbringungsmöglichkeiten für diese Kinder befassen. […] Es wird für das Beste gehalten, sich um die Möglichkeit einer solchen Bevölkerungsexplosion einstweilen gar nicht zu kümmern. Sollte sie sich dennoch ereignen, wird immer noch Zeit sein, die entsprechenden Maßnahmen zu treffen« (Rist 1980: 93).
1973 zahlte die Bundesrepublik Deutschland für 868.000 Kinder Kindergeld an Ausländer für deren im Heimatland lebende Kinder. Zu diesem Nachzugspotential kamen rund 300.000 Mütter hinzu (Statistisches Bundesamt 1980: 23). Auf das Nachzugspotential machte auch 1979 das Memorandum des ersten Ausländerbeauftragten der Bundesregierung, Heinz Kühn (SPD), aufmerksam: »Zu den gegenwärtig in der Bundesrepublik lebenden rd. 1 Mio. Kinder ausländischer Eltern kommt schätzungsweise noch eine annähernd gleich große Zahl von in den Heimatländern verbliebenen Kindern und Jugendlichen die, weil ein oder beide Elternteile sich im Bundesgebiet aufhalten, als potentielle Nachzugskandidaten angesehen werden müssen« (Kühn 1979: 7).
Die Politik der Arbeitgeber Von Beginn an waren die Interessen der Arbeitgeber bei der Anwerbung ausländischer Arbeitnehmer maßgeblich. So forderte die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände das zuständige Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung bereits ein gutes Jahr nach Inkrafttreten des Anwerbeabkommens mit der Türkei – im Dezember 1962 – schriftlich auf, die Befristung der Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisse auf zwei Jahre zu revidieren.37 Gegen das Bundesinnenministerium setzte es diese Revision gemeinsam mit dem Bundeswirtschaftsministerium im Oktober 1963 durch. Am 30. September 1964 trat eine Neufassung der deutsch-türkischen Anwerbevereinbarung in Kraft, in der die Befristung ersatzlos gestrichen worden war. Hiermit hatte man auch dem Drängen der Türkei nachgegeben, der angesichts des zunehmenden Aus-
—————— 37 Die entsprechenden Quellen wurden von der Historikerin Mathilde Jamin erschlossen: Jamin 1998; Schönwälder 2001: 255 ff.; Hunn 2005: 59ff.
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wanderungsdrucks ebenfalls an einer Revision gelegen war (Hunn 2005: 62f.). »Damit war der entscheidende erste Schritt zur (zumindest möglichen) Niederlassung und De-facto-Einwanderung von Arbeitsmigranten aus der Türkei getan. Die wirtschaftlichen Interessen der deutschen Unternehmer hatten hierfür die Grundlagen geschaffen«, stellt Mathilde Jamin fest (1999: 150). Die Entscheidung des Jahres 1963 macht deutlich, dass die Politik zwar aus Opportunitätserwägungen gegenüber dem »Publikum« – der Öffentlichkeit – das Rotationsmodell hochhielt – offensichtlich aber zu keinem Zeitpunkt ernsthaft daran dachte, es durchzusetzen und auf diese Weise eine vorhersehbare massen- und dauerhafte Zuwanderung in die Bundesrepublik Deutschland zu verhindern. Die nötige demokratische Transparenz wurde dabei nicht gewahrt. Im Gegenteil: Die Übereinkunft mit der Türkei, Arbeitskräfte anzuwerben, sollte zunächst – in erster Linie außenpolitischen Erwägungen geschuldet – geheim gehalten werden (Steinert 1995: 307f.; Hunn 2005: 51). Der an dieser Stelle wieder offensichtlich werdende eklatante Mangel an öffentlicher Debatte über Handlungsoptionen und mögliche oder wahrscheinliche Auswirkungen stellt eine der wesentlichen Ursachen für die bis heute andauernde Misere der deutschen Ausländerpolitik dar. Johannes-Dieter Steinert (1995: 336) kommt daher zu dem Schluss: »Allerdings fehlen in den staatlichen Akten Belege dafür, dass die Ausländerbeschäftigung insgesamt lediglich als eine kurzfristige Erscheinung betrachtet wurde. Die spärlichen Hinweise deuten eher auf das Gegenteil hin. Eine Grundsatzdebatte darüber fand nicht statt. Ebenso wenig wurden die sozialen Folgen der Ausländerbeschäftigung diskutiert. […] Die ausländischen Arbeitnehmer blieben so in permanenter Unsicherheit über die letztendliche Dauer ihrer Aufenthalte in der Bundesrepublik. Sie lebten und arbeiteten in einer Gesellschaft, die nicht oder nur unzureichend über die Hintergründe und Ziele der deutschen Wanderungspolitik informiert war. Diese Politik blieb Verschlusssache, was wesentlich zu den bis heute anhaltenden ›Irritationen‹ beigetragen hat«.
Erschwerend kommen gravierende Fehleinschätzungen hinsichtlich der Zuwanderungsdynamik durch den Familiennachzug hinzu. In dem interministeriellen Arbeitskreis hielt man entsprechende Befürchtungen des Bundesinnenministeriums – das als »entschlossenste Anti-Einwanderungs-Partei in der Regierungspolitik« bezeichnet werden kann (Schönwälder 2001: 324) – für unberechtigt. Alleine am Wohnungsmangel werde ein nennenswerter Nachzug scheitern. Im Übrigen brauche man lediglich Familienangehörigen die Aufenthaltserlaubnis zu verweigern (Schönwälder 2001: 256).
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Aufenthaltsrechte statt »Rotation« Mit zunehmender Beschäftigungsdauer erhielten die »Gastarbeiter« Anspruch auf Aufenthaltsrechte. Ausländerrechtliche Maßnahmen zur Durchsetzung der Rückkehr oder gar Zwangsmaßnahmen – also Abschiebungen – wurden abgelehnt, das war langjähriger Konsens.38 Bereits 1967 machte Günter Stephan, Vorstandsmitglied des DGB, auf das damit verbundene Problem aufmerksam: »Eine Rezession am Arbeitsmarkt werden wir mit Ausweisungen nicht meistern« (Stephan: 1969: 41). 1972 ließ die Bundesregierung verlauten: »Mit ausländerrechtlichen Maßnahmen wird nicht auf eine zeitliche Begrenzung des Aufenthalts ausländischer Arbeitnehmer hingewirkt« (Bundestagsdrucksache VI/3085: 4). In ihrem »Aktionsprogramm« zur Ausländerbeschäftigung vom 6. Juni 1973 wurden Zwangsmaßnahmen ausdrücklich ausgeschlossen: »Aus sozialen und humanitären Erwägungen lehnt es die Bundesregierung ab, den Aufenthalt ausländischer Arbeitnehmer nach Ablauf einer bestimmten Zeit durch behördliche Eingriffe zwangsweise zu beenden. Kein legal beschäftigter Ausländer soll gezwungen werden, in sein Heimatland zurückzukehren (kein Zwangsrotationsprinzip). Die Bundesrepublik Deutschland betrachtet sich aber auch nicht als Einwanderungsland. […] Bei längerer Aufenthaltsdauer soll der aufenthaltsrechtliche Status der ausländischen Arbeitnehmer verbessert werden.«39
Hier lag ein grundsätzlicher Widerspruch: Einerseits betonte die Bundesregierung, man wolle die Bundesrepublik Deutschland nicht zum Einwanderungsland machen. Andererseits weigerte man sich aber, die offensichtliche Zuwanderung wirkungsvoll einzuschränken, ja man förderte den Familiennachzug und belohnte jene, die sich über einen längeren Zeitraum in Deutschland aufhielten. Dieser Widerspruch wurde auch innerhalb der Bundesregierung erkannt: In ihrem Entwurf »Thesen zur Ausländerpolitik« aus dem Jahr 1975 drängte das Bundesarbeitsministerium darauf, folgenden Satz zu streichen: »Sie [die Bundesregierung] strebt deshalb für die seit längerem in der Bundesrepublik Deutschland ununterbrochen tätigen ausländischen Arbeitnehmer eine angemessene und schrittweise Verfestigung des aufenthaltsrechtlichen Status
—————— 38 Pagenstecher 1994: 56f.; Joppke 1999: 77; zur Position der Gewerkschaften: Richter 1974: 49; in gleichem Sinne äußerte sich auch der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium, in: ders. 1974: 10 sowie die 1976 eingesetzte Bund-Länder-Kommission, Vorstellungen zum weiteren Umgang mit den »Gastarbeitern« zu entwickeln, in: Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung 1977: 3. 39 Zit. nach: »Aktionsprogramm für Ausländerbeschäftigung«, in: Sozialpolitische Informationen, hrsg. vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Jg. VII/24, 22. Juni 1973, S. 51; zur Debatte Anfang der 1970er Jahre: Schönwälder: Einwanderung, 551ff.
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an.«40 Von juristischer Seite wurde gegen das Rotationsprinzip eingewandt, es degradiere den ausländischen Arbeitnehmer zur »Ware auf dem Arbeitsmarkt« und verstoße gegen das Grundgesetz und internationales Recht (Rittstieg 1974: 68f.). 1971 wurde ein Rechtsanspruch geschaffen, wonach die Arbeitserlaubnis unabhängig von der Arbeitsmarktlage nach fünfjähriger ununterbrochenen Tätigkeit zu erteilen war (Arbeitserlaubnisserverordnung vom 2. März 1971, Wollenschläger in: Kanein 1980: 407f.; Franz 1976a: 316; Herbert/Hunn 2007: 709f.). Damit wurde die Steuerungsmöglichkeit nach arbeitsmarktpolitischen Erwägungen eingeschränkt. Bereits 1972 hatte etwa eine Million ausländischer Arbeitnehmer einen Rechtsanspruch auf Erteilung einer Arbeitserlaubnis erworben, darunter 460.000 Personen aus Nicht-EG-Ländern. Allein dieser Kreis konnte nicht mehr durch Verweigerung einer Arbeitserlaubnis zur Rückkehr in sein Herkunftsland gezwungen werden (Bundesanstalt für Arbeit 1973: 40f.). 1978 folgte eine weitere Etappe in der Aufenthaltsverfestigung: Eine Änderung der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Ausländergesetz machte die Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis nach fünf Jahren sowie einer Aufenthaltsberechtigung (die ein unbefristetes und an keine Bedingungen geknüpftes Aufenthaltsrecht gewährt) nach acht Jahren ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalts des ausländischen Arbeitnehmers zum Regelfall (Deutscher Bundestag, Drs. 8/2716: 3f.; Hailbronner 1984: 130ff). Zusätzlich mussten angemessener Wohnraum, Sprachkenntnisse und Straffreiheit nachgewiesen werden. 1979 verfügten rund 550.000, Anfang 1982 rund eine Millionen ausländischer Staatsangehöriger über eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis (Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung 1980: 37; Deutscher Bundestag, Drs. 9/1629: 18). Über die Jahre wurde der ausländerpolitische Handlungsspielraum immer mehr eingeengt – durch nationales Recht wie auch internationale vertragliche Selbstbindungen. Mitte der 1970er Jahre verfügten rund 80 Prozent der ausländischen Arbeitnehmer über einen verfestigten Aufenthaltsstatus. Man könne sich »nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich gegenüber dem Vordringen völkerrechtlicher Absicherungen bei zunehmender Verweil- und Tätigkeitsdauer die staatliche Dispositionsbefugnis über das Millionenheer ausländischer Arbeiter nicht länger aufrechterhalten lässt«, schrieb 1976 Fritz Franz, damals Richter am Oberverwaltungsgericht Berlin (Franz 1976a: 318). Gegenüber den ausländischen Arbeitnehmern der ersten Generation und ihren Angehörigen wurde eine »besondere politische Verantwortung« postuliert (Der
—————— 40 Entwurf von Thesen zur Ausländerpolitik eines Ausschusses der Bundesregierung vom 23. Oktober 1975, in: epd-Dokumentation Nr. 5/76: 8.
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Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung 1980: 35), die den Verzicht auf einschneidende aufenthaltsbeendende Maßnahmen einschloss.
Druck der Arbeitgeber Die deutsche Politik sprach zwar bei der Anwerbepolitik über viele Jahre von zeitlich befristeten Aufenthalten sowie dem Rotationsprinzip und befristete die Arbeits- und Aufenthaltserlaubnisse zunächst auf ein oder maximal zwei Jahre. In der Praxis verhielt sie sich aber konträr und schuf – vor allem auf Drängen der Arbeitgeber – die Voraussetzungen für eine dauerhafte Zuwanderung. »Realisiert wurde dieses Prinzip allerdings nur ausnahmsweise, indem man in einigen Fällen nach drei- bis fünfjährigem Aufenthalt die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis verweigerte. In der Masse der Fälle wurde und wird jedoch der Aufenthalt verlängert; das folgt schon aus der ständig wachsenden Aufenthaltsdauer« (Rittstieg 1974: 61). Die Arbeitgeber lehnten einen regelmäßigen Austausch der ausländischen Arbeitnehmer ab. Einmal angelernte Arbeitskräfte wollte man vor allem aus Kostengründen behalten und nicht durch neu Anzulernende ersetzen (Pagenstecher 1994: 40ff.). Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Josef Stingl, wies 1983 ausdrücklich darauf hin: »Damals haben Herr Schleyer [Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie und der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände], und mit ihm die meisten Arbeitgeber, das muss man auch einmal sagen, eine solche Politik [der Rotation] de facto aber abgelehnt, weil er sagte, das kostet uns viel Geld, da müssen wir alle fünf Jahre neue Leute anlernen. Ich habe das für einen Fehler gehalten, und es zeigt sich jetzt, dass es ein Fehler war« (Gesellschaft für Unternehmensgeschichte 1984: 81).
Die kontinuierlich wachsende Beschäftigungs- und damit Aufenthaltsdauer entsprach gleichermaßen den Interessen der Unternehmer und der »Gastarbeiter«: Die einen konnten ihre Kosten gering halten, die anderen ihre Einkommen in Deutschland dauerhaft sichern. So stellte die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung 1968 fest: »Demnach waren die Arbeitgeber bestrebt, diejenigen ausländischen Arbeitnehmer zu halten, die sich in mehrjähriger Beschäftigung bewährt hatten, zumal bei ihnen die Anpassungs- und hier vor allem die Sprachschwierigkeiten im allgemeinen weitgehend überwunden waren. Aber auch diese ausländischen Arbeitnehmer selbst waren wohl aus ähnlichen Gründen in zunehmender Zahl bereit, sich auf einen längeren oder sogar auf einen Daueraufenthalt im Bundesgebiet einzurichten« (Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung 1968: 15).
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Unentschlossenheit kennzeichnete zunächst auch die Haltung vieler »Gastarbeiter«. Die Vorstellung, in kurzer Zeit so viel Geld zu verdienen, um sich danach im Heimatland eine selbständige Existenz aufbauen zu können, war über viele Jahre der zentrale Zweck des Aufenthalts in Deutschland.
Der Einfluss der Rückkehrorientierung Obwohl sich die ausländischen Arbeitnehmer faktisch mehr und mehr in Deutschland niederließen – Umzug aus Wohnheimen in Mietwohnungen und durch das Nachholen von Ehepartnern und Kindern – entwickelten sie lange Zeit keine Orientierung am dauerhaften Verbleiben in Deutschland (Herbert/Hunn 2007: 713). Das Fehlen dieser bewussten Entscheidung für ein Verbleiben in Deutschland, für die »Einwanderung«, ist eine wesentliche Ursache der bis heute feststellbaren Integrationsdefizite. Die Rückkehrorientierung hatte eine wichtige psychologische Bedeutung, sie verhinderte die Ausgrenzung aus der eigenen Landsleute-Gemeinschaft: »Bringt man die Funktionen der anhaltenden Rückkehrorientierung auf einen Nenner, so stabilisierte sie in erster Linie die ethnische Identität der Eingewanderten« (Pagenstecher 1994: 147). Das Aufgeben der Rückkehrorientierung konnte daher mit der Ausgrenzung aus der türkischen Gemeinschaft verbunden sein, dokumentierte es doch die eindeutige Hinwendung zur »neuen Heimat«. Für viele »Gastarbeiter« war die neue Heimat allerdings zur »ungeliebten Heimat« geworden – sie waren in den Verhältnissen ihrer Heimat anerkannte und wohlhabende Menschen, lebten in Deutschland hingegen am unteren Ende der sozialen Skala und empfanden sich nicht selten als verachtete Minderheit. Umgekehrt waren die »Gastarbeiter«, die nicht mehr gehen wollten, für viele Deutsche zu ungeliebten Gästen geworden. Die Tendenz zu einer dauerhaften Niederlassung in Deutschland zeichnete sich bereits relativ früh ab: Schon 1968 lebten 58 Prozent aller verheirateten männlichen ausländischen Arbeitnehmer mit ihren Ehefrauen in der Bundesrepublik Deutschland. 1972 lebten 62 Prozent der verheirateten Männer und 92 Prozent der Frauen mit den Ehepartnern in Deutschland (Bundesanstalt für Arbeit 1973: 18). 1968 lebten bereits die meisten »Gastarbeiter« in privaten Wohnungen (61 Prozent der Männer, 73 Prozent der Frauen) (Bundesanstalt für Arbeit 1970: 58). 1972 lebten 92 Prozent der Ausländer in Privathaushalten (Statistisches Bundesamt 1980: 45). Auch das war ein deutlicher Hinweis auf die Vorbereitung des Familiennachzugs und damit auf einen Zuwanderungsprozess.
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Die Untersuchung des Forschungsverbundes »Probleme der Ausländerbeschäftigung« kam 1979 zu dem Ergebnis, dass Fragen der Existenzsicherung stärkster Beweggrund für die Wanderungsentscheidung waren (Forschungsverbund 1979: 88f.). Insgesamt blieb damit die Zielvorstellung »eher vage: So gab es später nicht den klaren Punkt, an dem man sagen konnte: ›Jetzt habe ich geschafft, was ich wollte.‹« (Pagenstecher 1994: 81). Die Hoffnung auf große wirtschaftliche Verbesserung der eigenen Lage waren großteils ebenso unrealistisch wie die Bilder von Deutschland, die aufgrund eines traditionell positiven Deutschland-Bildes seit dem Ersten Weltkrieg zustande kamen (Habermeier 1966: 121f.). Für die Türkei beschreibt Cord Pagenstecher die Situation: »In der Türkei entstand vor dem Hintergrund eines tradierten, noch heute wirksamen Mythos von der ›Waffenbrüderschaft‹ mit den Deutschen im ersten Weltkrieg eine schillernde Vorstellung von einer fremden Ferne voller Luxus, Erotik und Unglauben« (Pagenstecher 1994: 84; auch: Kleff 1985: 291f.; Akpinar 1977: 39ff.). Diese vage Idee vom Zielland ließ wiederum keine konkreten Vorstellungen über die Dauer des Verbleibs aufkommen. »Wer nicht weiß, was ihn erwartet, kann kaum im Voraus wissen, wie lange er bleiben wird« (Pagenstecher 1994: 85).
Die Bedeutung des Familiennachzugs Eine (unbeabsichtigte) Folge des Anwerbestopps war ein verstärkter Nachzug von Familienangehörigen. Er sollte die weitere Zuwanderung nach Deutschland wesentlich prägen: 1961 lebten rund 137.000 Familienangehörige von »Gastarbeitern« in der Bundesrepublik Deutschland (das entsprach 20 Prozent der Ausländer), 1975 waren es etwa 2,1 Millionen Familienangehörige (und damit mehr als die Hälfte der in der Bundesrepublik registrierten Ausländer) (Bodenbender 1977: 32). Angesichts der sich ständig verlängernden durchschnittlichen Aufenthaltsdauer konnte diese Entwicklung nicht überraschen: 1968 gaben bei der Repräsentativuntersuchung der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung 90 Prozent der Befragten an, noch längere Zeit in Deutschland bleiben zu wollen (Bundesanstalt für Arbeit 1970: 51). Auch die zunehmende durchschnittliche faktische Aufenthaltsdauer zeigte, dass mit einer »Rotation«, also einem zeitlich befristeten Aufenthalt bei dem Großteil der »Gastarbeiter« nicht zu rechnen war (Lepsius 1975: 11ff.). Im Frühjahr 1973
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lebten 30 Prozent der ausländischen Arbeitnehmer länger als neun Jahre in Deutschland – mit steigender Tendenz (Stingl 1975: 58). Grundsätzlich galt: Je länger der Aufenthalt währte, desto größer war das Interesse, dauerhaft in Deutschland zu verbleiben (Bundesanstalt für Arbeit 1973: 36). Wunsch, dauerhaft in der Bundesrepublik zu bleiben nach Aufenthaltsdauer Einreisejahr
bisherige Verweildauer
1972 1971 1970 1969 1968 1967 1966 1965 1964 1963 1962 1961 1960 1959 bis 1957 1956 und früher
höchstens vier Monate 5 Monate bis gut 1 Jahr gut 1 Jahr bis gut 2 Jahre gut 2 Jahre bis gut 3 Jahre gut 3 Jahre bis gut 4 Jahre gut 4 Jahre bis gut 5 Jahre gut 5 Jahre bis gut 6 Jahre gut 6 Jahre bis gut 7 Jahre gut 7 Jahre bis gut 8 Jahre gut 8 Jahre bis gut 9 Jahre gut 9 Jahre bis gut 10 Jahre gut 10 Jahre bis gut 11 Jahre gut 11 Jahre bis gut 12 Jahre gut 12 Jahre bis gut 15 Jahre mehr als 15 Jahre
Anteil der ausländischen Arbeitnehmer, die dauerhaft im Bundesgebiet tätig sein wollen 9% 11 % 16 % 17 % 28 % 23 % 24 % 25 % 35 % 40 % 39 % 46 % 74 % 83 %
Quelle: Bundesanstalt für Arbeit 1973: 36.
Die Konsequenz der zunehmenden Aufenthaltsdauer war der Nachzug der Familienangehörigen. So waren von den im September 1966 beschäftigten 975.000 ausländischen Arbeitnehmern 67 Prozent verheiratet, von den türkischen Staatsangehörigen 78 Prozent. Von den verheirateten Arbeitnehmern lebten 41 Prozent mit ihrer Ehefrau in der Bundesrepublik Deutschland, bei den Türken waren es sogar nur 21 Prozent (Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung 1968: 19). Der Nachzug von Familienangehörigen, insbesondere von Kindern, war gleichzeitig ein unübersehbares Indiz für einen Niederlassungsprozess. Der Anteil derjenigen, die angaben, dauerhaft in Deutschland bleiben zu wollen, lag bei »Gastarbeitern« mit Kindern mit 37 Prozent deutlich über dem Durchschnitt. Mit wachsender Kinderzahl stieg dieser Wunsch: Arbeitnehmer mit zwei Kindern wollten zu 39, mit drei und mehr Kindern zu 44 Prozent dauerhaft in Deutschland bleiben (Bundesanstalt für Arbeit 1973: 39). Insgesamt
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müssen die Angleichung der Erwerbsquoten, der Geschlechterrelation (Nachzug der Ehefrauen) sowie des Altersaufbaus (Nachzug von Kindern) von ausländischen Arbeitnehmern und Einheimischen als Hinweise auf den Niederlassungsprozess angesehen werden (Heckmann 1981: 187ff.). Erwerbsquoten der inländischen und ausländischen Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland41 Jahr 1961 1970 1977 1978
Inländer 47,0 % 43,0 % 42,9 % 43,2 %
Ausländer 77,7 % 70,8 % 55,5 % 54,3 %
Differenz 30,7 % 27 % 12,6 % 11,1 %
Quelle: Heckmann 1981: 191
Die ins Land geholten Arbeitskräfte waren überdurchschnittlich gut in den Arbeitsmarkt integriert (worauf die hohen Erwerbsquoten hinweisen) (Heckmann 1981: 172ff). Gleichzeitig stieg aber auch bei ihnen die Zahl der Arbeitslosen. Seit 1974 liegen die Arbeitslosenquoten der Ausländer deutlich über den Gesamtarbeitslosenquoten. Das allgemeine sprunghafte Ansteigen der Arbeitslosigkeit 1974/1975 traf die ausländischen Beschäftigten in besonderer Weise (Deutscher Städtetag 1980: 29f.). In vergleichbarem Ausmaß, in dem die Arbeitslosigkeit zunahm, stieg auch die Zahl der Sozialhilfeempfänger unter den zugewanderten Ausländern an: von 20.000 Beziehern 1970 auf 75.000 1978. Ihr Anteil an den Sozialhilfeempfängern erhöhte sich damit innerhalb von acht Jahren von 1,3 Prozent auf 3,5 Prozent (Heckmann 1981: 31). Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland (in Tausend) 1973 Arbeitslose Deutsche Arbeitslose Ausländer
1974
1975
1976
1977
1978
1979
1980
1981
253
513
923
954
932
889
783
782
1.400
20
69
151
106
98
104
93
107
168
Klare Vorstellungen, wie mit dieser Situation und den sich abzeichnenden Entwicklungen umgegangen werden solle, gab es lange nicht. Einerseits wurde öffentlich an der Vorstellung der Rückkehr der »Gastarbeiter« festgehalten. In einem Kommentar zum Ausländergesetz aus dem Jahr 1966 wurde der Zusammenhang deutlich gesehen: »Für ausländische Arbeitnehmer, die beabsich-
—————— 41 Verhältnis der Erwerbspersonen (Erwerbstätige und Arbeitslose) zur Wohnbevölkerung.
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tigen, nach einigen Jahren in ihre Heimatländer zurückzukehren, kommt grundsätzlich der Nachzug Familienangehöriger nicht in Betracht. Die Bundesrepublik ist kein Einwanderungsland« (Kanein 1966: 26f.). Die Länderinnenministerien setzten sich gemeinsam mit dem BMI auf Ebene der Ausländerreferenten 1965 dafür ein, dass Familiennachzug nur nach mindestens dreijährigem Aufenthalt und bei angemessenem Wohnraum gestattet werden solle, konnten sich aber nicht durchsetzen. Wären beide Grundsätze umgesetzt worden, dann wäre es nicht zu einem Nachzug von Familienangehörigen gekommen (Schönwälder 2001: 326). Der Familiennachzug wurde jedoch sogar ausdrücklich gefördert: »Die Familienzusammenführung ist aber aus deutscher Sicht genauso wie aus der Sicht des ausländischen Arbeitnehmers eine dringende Aufgabe, die wir nachdrücklich fördern sollten«, erklärte der Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Kattenstroth, 1966 (Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände 1966: 18). Der Nachzug von Familienangehörigen wurde als sozial stabilisierende Maßnahme angesehen, die die Leistungsfähigkeit des einzelnen Arbeitnehmers steigern sowie der betrieblichen Fluktuation ebenso wie sozial abweichendem Verhalten entgegenwirken würde.42 Wohlfahrtsverbände und Kirche führten humanitäre Gründe für die Zulassung des Familiennachzugs an und übten entsprechenden Druck auf die Bundesregierung aus (Schönwälder 2001: 288). Der direkte Zusammenhang zwischen Nachzug und dauerhafter Zuwanderung, und dass der Nachzug der Familienangehörigen Ausdruck einer Niederlassungsabsicht in Deutschland war, wurde nicht gesehen oder geleugnet: »Eine stärkere Förderung der Familienzusammenführung liegt nicht nur im Interesse der ausländischen Arbeitnehmer, sondern auch im wohlverstandenen Interesse der Betriebe und letztlich auch der deutschen Bevölkerung. Denn je mehr der ausländische Arbeitnehmer von der Last und den Sorgen der Familientrennung befreit ist, umso mehr wird er sich im Betrieb und in der Gesellschaft wohlfühlen. Umso weniger wird er aber auch mit den Strafgesetzen in Konflikt geraten. Die Bundesregierung verfolgt mit der Familienzusammenführung aber nicht das Ziel, die ausländischen Arbeitnehmer mit ihren Familien für dauernd im Bundesgebiet anzusiedeln« (Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände 1966: 18f.).
Als schwierig wurde lediglich die Beschaffung von ausreichendem Wohnraum angesehen (ebd.: 164). »Das Problem der Familienzusammenführung und damit des Familienwohnungsbaues wird mit zunehmender Beschäftigungsdauer der ausländischen Arbeitnehmer immer dringlicher«, mahnte die Bundes-
—————— 42 »Eine der ›Funktionen‹ der Familie z. B. besteht darin, ihre Mitglieder bei guten Arbeitsleistungen zu halten, durch Verringerung von Angst, durch Ermunterung und Hilfe bei kleineren gesundheitlichen Problemen.«, Albrecht 1972: 155.
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anstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung bereits im Februar 1965 (Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung 1965: 14). Diese Haltung des »laissez faire« kennzeichnete die Politik über Jahrzehnte. So hieß es in den von Bund, Ländern, Kommunen, Tarifparteien und Wohlfahrtsorganisationen 1972 verabschiedeten »Grundsätzen zur Eingliederung ausländischer Arbeitnehmer und ihrer Familien« lapidar: »Der Familienzusammenführung kommt aus menschlichen Gründen besondere Bedeutung zu. Dabei ist unabdingbare Voraussetzung, dass eine angemessene Wohnung zur Verfügung steht.«43 Der Nachzug von Kindern zu ihren Eltern war bis zu deren Volljährigkeit gestattet. 1981 wurde er auf unter 16-jährige Kinder beschränkt. Ein Nachzug war nur dann erlaubt, wenn der Ausländer schon acht Jahre in Deutschland lebte und die Ehe mindestens ein Jahr Bestand hatte (Gutmann: 2002: 24f.). Das Bundesarbeitsministerium strebte nach dem Entwurf der »Thesen zur Ausländerpolitik« Mitte der 1970er Jahre an, die Voraussetzungen für den Familiennachzug einzugrenzen, konnte sich allerdings ebenfalls nicht durchsetzen.44 Auch in der Bund-Länder-Kommission zur Ausländerbeschäftigungspolitik sprach sich eine Gruppe dafür aus, die Zuwanderung über den Familiennachzug wirkungsvoll zu begrenzen. »Ein Teil der Mitglieder der Kommission hielt es für richtig, dass der Familiennachzug allen unverheirateten Jugendlichen bis zu 18 Jahren im bisherigen Rahmen gestattet werden sollte. Eine nicht kleinere Gruppe hielt es im allgemeinen Interesse für geboten, Jugendlichen im erwerbsfähigen Alter (16- und 17-Jährigen) die Einreise grundsätzlich nicht zu erlauben; reisen sie dennoch ein, müsste die Aufenthaltserlaubnis in der Regel versagt werden« (Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung 1977: 38).
Zwei unvereinbare Positionen standen sich gegenüber: Die einen sahen im Familiennachzug ein humanitäres und verfassungsrechtliches Gebot, die Gegner des Familiennachzugs konnten keinen Verstoß gegen diese Grundsätze erkennen, da eine Zusammenführung der Familie auch im Herkunftsland möglich sei (Münscher 1979: 37). Letztere Gruppe konnte sich allerdings im politischen Entscheidungsprozess nicht durchsetzen. Gleiches galt für die Voraussetzungen des Nachzugs: Auch hier konnte man sich lediglich auf ein ungekündigtes Arbeitsverhältnis sowie den Nachweis ausreichenden Wohnraums verständigen. Auf weitere, durchaus sinnvolle Kriterien wie der Nachweis von Sprachkenntnissen, konnte man sich nicht einigen (Münscher 1979: 37).
—————— 43 Grundsätze zur Eingliederung ausländischer Arbeitnehmer und ihrer Familien. Veröffentlicht in: Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung 1973: 8. 44 Entwurf von Thesen zur Ausländerpolitik eines Ausschusses der Bundesregierung vom 23. Oktober 1975, in: epd-Dokumentation Nr. 5/76: 8.
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Rückkehrprämien Der Vorschlag, Rückkehrprämien zu zahlen, den der damalige Baden-Württembergische Ministerpräsident Hans Filbinger (CDU) 1975 machte, wurde allerdings abgelehnt (Körner: 1986: 65ff.). Erst im November 1983 verabschiedete der Deutsche Bundestag das »Gesetz zur Förderung der Rückkehrbereitschaft von Ausländern« (BGBl. I: 1377). Es sah unter anderem finanzielle Rückkehrhilfen an arbeitslose oder von Kurzarbeit betroffene ausländische Arbeitnehmer und die Erstattung der Arbeitnehmerbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung ohne Wartezeit vor, wenn sich die betroffenen Ausländer zur dauerhaften Rückkehr entschieden. Ein erneuter »Daueraufenthalt« sollte bei Inanspruchnahme ausgeschlossen sein. Diese Hilfen waren auf die Dauer von zehn Monaten befristet. Rund 250.000 ausländische Arbeitnehmer und ihre Angehörigen (zu 85 Prozent türkische Staatsangehörige) sollen von diesen Möglichkeiten Gebrauch gemacht haben und in ihre Herkunftsländer zurückgekehrt sein45 (Gümrükçü 1986: 179ff.). Das Gesetz fand vor allem in schrumpfenden Branchen (Bergbau, Eisen- und Stahlindustrie, Schiffbau) Anwendung und entlastete damit sowohl den Arbeitsmarkt wie die Arbeitslosen- und Sozialversicherungsträger (Körner 1986: 69). Die Rückkehrprämien förderten allerdings auch einen Verdrängungsprozess ausländischer Arbeitnehmer. »Die staatlichen Regelungen verstärken geradezu die Motive, Personalabbau auf Ausländer abzuwälzen« (Dohse 1985a: 120). Der demokratische Rechtsstaat war nicht in der Lage, die sich dynamisch entwickelnde Zuwanderung – von der Gastarbeiteranwerbung über den Familiennachzug – wirkungsvoll zu begrenzen. Die wirtschaftlichen Verhältnisse, die Einflüsse der Wirtschaft, von Lobbygruppen, außenpolitische Rücksichten und natürlich die Situation im Herkunftsland lassen den Handlungsspielraum als äußerst eng bemessen erscheinen. Bei der Vorstellung, der Staat könne eine »optimale Dosierung der Ausländerbeschäftigung und/oder des ausländischen Anteils an der Wohnbevölkerung […] gewährleisten«46 – durch welche »Konzepte« oder »Lenkungsmaßnahmen« auch immer – muss als Illusion bezeichnet werden. Schönwälder (2001: 649) ist daher zuzustimmen: »Letztlich hätte die Bundesrepublik es wohl nur dann vermeiden können, ein Einwanderungsland zu werden, wenn sie eine Arbeitskräfterekrutierung in großem Maßstab nicht zugelassen hätte«.
—————— 45 Europäisches Beschäftigungsobservatorium: Nationale Arbeitsmarktpolitiken: Wiedereingliederung von rückkehrwilligen Ausländern, www.eu-employment-oberservatory.net/ersep/ d_d/00800138.asp [8. Februar 2005]. 46 So Wirtschaftswissenschaftler in einem Gutachten aus dem Jahr 1973: Höpfner/Ramann/ Rürup 1973: 68.
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Die Interessen der »Gastarbeiter« Die Qualifikationsstrukturen der angeworbenen ausländischen Arbeitnehmer waren durch ein – verglichen mit den Verhältnissen in Deutschland – niedriges Bildungsniveau gekennzeichnet. Bezogen auf die Lage im Herkunftsland waren ihre formalen Abschlüsse eher überdurchschnittlich, für deutsche Verhältnisse deutlich unterdurchschnittlich. In ihrer »Repräsentativuntersuchung ’72« geht die Bundesanstalt für Arbeit von 12 Prozent der ausländischen Arbeitnehmer (Türken: 16 Prozent) aus, die über »keinerlei deutsche Sprachkenntnisse« verfügen. Danach sprachen insgesamt 31 Prozent (Türken: 43 Prozent) schlecht Deutsch (Bundesanstalt für Arbeit 1973: 29). In der Untersuchung des »Forschungsverbundes ›Probleme der Ausländerbeschäftigung‹« gaben zehn Prozent der befragten »Gastarbeiter« (16 Prozent der Türken) an, nie eine Schule besucht zu haben (hierzu und im Folgenden: Forschungsverbund 1979: 60ff.). Einen deutschen Schulabschluss hatten nur sechs Prozent aller Befragten. 22 Prozent verfügten über einen Abschluss im Herkunftsland, der über die Pflichtschule hinausging. Bei der deutschen Vergleichsgruppe lag der Anteil bei 53 Prozent. Über keine Berufsausbildung oder keine abgeschlossene Berufsausbildung verfügten 73 Prozent der befragten »Gastarbeiter« (Türken: 78 Prozent). Bei den deutschen Befragten lag der Anteil bei 17 Prozent. 74 Prozent aller berufstätigen Ausländer waren demnach als ungelernte oder angelernte Arbeiter beschäftigt. Bei der deutschen Vergleichsgruppe lag der entsprechende Anteil bei zehn Prozent (ebd.: 63). Bei Italienern und Türken war dieser Anteil besonders hoch: 82 und 80 Prozent. 19 Prozent der Ausländer und 34 Prozent der deutschen Staatsangehörigen arbeiteten als Facharbeiter. Die ausländischen Arbeitskräfte konnten aufgrund ihrer niedrigen Qualifikationen, den relativ hohen Ausgaben, die die Zuwanderung verursachte, und dem Willen, in möglichst kurzer Zeit so viel Geld wie möglich zu verdienen, nicht »wählerisch« bei der Wahl des Arbeitsplatzes sein. Sie nahmen daher ungünstige Arbeitsbedingungen eher in Kauf nehmen als Einheimische (Voigt 1974: 35 ff.). »Zur Disposition stehen Arbeitsaufgaben, die von Deutschen aufgrund steigender Erwartungen und Qualifikationen, die mit einem Anstieg des Lebensstandards und besserer und längerer Ausbildung einhergehen, abgelehnt werden, weil sie durch geringe Verdienstmöglichkeiten, niedrigen sozialen Status oder unangenehme Arbeitsbedingungen gekennzeichnet sind. Es sind dies Arbeitsaufgaben, die nicht oder noch nicht Maschinen übertragen werden können, in der Regel aber notwendige Bestandteile des Produktionsprozesses sind und insofern beim gegenwärtigen Stand der Technik und ihrer Anwendungsbedingungen als Voraussetzung für die Existenz von attraktiven Arbeitsplätzen gelten müssen« (ebd.: 36).
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Das Interesse, in kurzer Zeit so viel Geld wie möglich zu verdienen, war groß: 44 Prozent der ausländischen Arbeitnehmer, die in Deutschland in einem anderen als dem erlernten Beruf arbeiteten, taten dies wegen des höheren Verdienstes. »Dies zeigt deutlich, welche zentrale Rolle das Einkommen, speziell auch das Ausschöpfen aller Chancen zum ›Besserverdienen‹, bei den ausländischen Arbeitnehmern für eine Arbeitsaufnahme im Ausland einnimmt. Nach den Erfahrungen der Auslandsdienststellen der Bundesanstalt wird von den ausreisewilligen ausländischen Arbeitnehmern bei der Arbeitsvermittlung am häufigsten der Wunsch geäußert, den ›bestdotierten‹ Arbeitsvertrag – gleich um welche Arbeit es sich handelt – zu bekommen« (Bundesanstalt für Arbeit 1973: 47).
Dementsprechend waren auch die Leistung steigernden Lohnformen (Akkordund Prämienlohn) bei den »Gastarbeitern« wesentlich stärker verbreitet als bei deutschen Arbeitern. Das gleiche galt für Schicht- und Nachtarbeit (ebd.: 36ff.). Leistungsbereitschaft und Unverständnis gegenüber den Organisationsformen industrieller Produktionsweisen waren ein wesentliches Moment dafür, dass ein negatives Klima zwischen deutschen und türkischen Arbeitern entstand. »Gerade bei den aus vorkapitalistischem Milieu stammenden türkischen Arbeitern und Arbeiterinnen wirkt der Akkordlohn besonders leistungssteigernd. Es gab vor allem in der Anfangsphase der Anwerbung von Türken häufige Klagen der deutschen Arbeitskollegen darüber, dass die Türken beim Auftauchen eines Zeitnehmers an ihrem Arbeitsplatz ›wie verrückt arbeiten‹ und dadurch die Akkordsätze verderben. Unter anderem hat in den Betrieben gerade dieses Verhalten zu einer starken Abneigung gegen die Türken geführt« (Kleff 1985: 109f.).
Nicht zuletzt waren es die höhere Mobilität und Flexibilität (Weichert 1969: 70ff.; zu den jeweiligen Motivationsstrukturen für die Wahl eines Wohn- und Arbeitsortes von Deutschen und Ausländern: Selke 1977: 79ff.) der – häufig in Deutschland ohne Familie lebenden – »Gastarbeiter« und ihre Leistungsbereitschaft, die sie anfangs als »industriellen Reservearmee« bei der Wirtschaft so begehrt und im Laufe der Jahre bei den einheimischen Arbeitskräften vielfach zum unbeliebten Konkurrenten machten. Dabei spielte auch ein niedrigeres Durchschnittsalter (Bundesanstalt für Arbeit 1970: 47) eine wichtige Rolle. Die Altersstruktur der männlichen »Gastarbeiter« war aus Sicht der Arbeitgeber sehr viel günstiger: Die Altersgruppe zwischen 25 und 40 Jahren machte bei ihnen 61 Prozent aus, bei den erwerbstätigen deutschen Männern hingegen nur 37 Prozent (Bundesanstalt für Arbeit 1973: 14): »Der ausländische Arbeitnehmer, der nur vorübergehend hier bleiben will, will sehr viel verdienen. Er ist im Akkord – und vielfach auch sonst – fleißiger, zumal er nicht für immer die harte Leistung erbringen und wie sein deutscher Kollege auf die Gesundheit bedacht sein muss (Haushalt mit den Kräften). Er stellt sich den Betriebsbelangen entsprechend für Nachtschichten, Schmutzarbeit, Sonntagsarbeit etc. gern zur Verfügung und hat daher
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bessere Chancen als ein Deutscher. Dies ist ein nicht zu leugnender Grund für Aversionen deutscher Arbeitnehmer gegenüber den Ausländern« (Weichert 1969: 73).
1982 stellte des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit fest, dass fast zwei Drittel (64 Prozent) der ausländischen Wohnbevölkerung zu den »nicht formal Qualifizierten« zählten, das heißt, keine formale, berufliche Ausbildung abgeschlossen hatten. Bei der deutschen Wohnbevölkerung lag dieser Anteil bei etwas über einem Drittel (37,7 Prozent) (Gottsleben 1982: 43). Die Gruppe der »nicht formal Qualifizierten« (NFQ) setzte sich über die Jahre mehr und mehr aus Zuwanderern zusammen: »Die Ausländer sammeln sich in der ›sozialen Gruppe‹ der NFQ, während die Deutschen dieses ›Milieu‹ langsam verlassen« (Gottsleben 1982: 50).
Kein Anreiz zur Rückkehr Arbeits- und sozialrechtlich waren die ausländischen den einheimischen Arbeitnehmern von Anfang an gleichgestellt. Das aktive Wahlrecht zum Betriebsrat wurde 1972 eingeführt (Schönwälder 2001: 282; 509ff.). Für die Gleichstellung hatten die Gewerkschaften ihren Einfluss geltend gemacht. Erworbene Ansprüche und Versicherungszeiten wurden auch bei Rückkehr in das Herkunftsland voll angerechnet. Arbeitslosenunterstützung und Arbeitslosenhilfe erhielten sie unter den gleichen Bedingungen wie die einheimischen Kollegen (bei einer gültigen Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis) (Esser 1983a: 140f.). Die deutschen Gewerkschaften integrierten die Angeworbenen und nahmen ihre Interessen wahr. Rund 450.000 ausländische Arbeitnehmer waren Anfang der 1970er Jahre im DGB organisiert47 (Herbert/Hunn 2006: 796). In den Herkunftsländern – wie der Türkei oder Jugoslawien – war allgemein eine höhere Arbeitslosigkeit und ein niedrigeres Lohnniveau im Vergleich zur Bundesrepublik Deutschland festzustellen (Peters 1972: 309). Von den größeren »Gastarbeiter«-Gruppen hatten die Türken den größten sozialen Sprung aus ihrer heimatlichen Welt nach Westdeutschland getan. Die Lebensverhältnisse der »Gastarbeiter« und ihrer Nachkommen waren zwar für deutsche Verhältnisse äußerst bescheiden, im Vergleich zur Situation insbesondere in der Türkei waren sie jedoch nicht dazu angetan, die einmal vollzogene Niederlassung in Deutschland aufzugeben und sich in die – politisch instabilen –
—————— 47 »450.000 Ausländer sind im DGB«, in: Frankfurter Rundschau vom 28. Januar 1972.
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Verhältnisse in der Heimat mit einer außer Kontrolle geratenen Inflationsrate (Bahadir 1978: 478) zu reintegrieren. »Gegenüber dem, was sie in ihrer Heimat an ökonomischer Misere und sozialem Druck hinter sich gelassen haben, muss vielen ihr hiesiger Zustand geradezu paradiesisch erscheinen. Ist die Wohnsituation beengt, so war sie zu Hause oft bedrückend«, beschreibt Helmut Rittstieg 1974 die Lage zahlreicher »Gastarbeiter« treffend (Rittstieg 1974: 59). Hinzu kamen Sozialleistungen, soziale Infrastruktur und der Standard der medizinischen Versorgung, die die Attraktivität des »Gastlandes« wesentlich ausmachten. »Was hinsichtlich der Arbeiter, die trotz wirtschaftlicher Schwierigkeiten in ihrem Aufnahmeland geblieben sind, ebenfalls beachtet werden muss, ist die Tatsache, dass Arbeitslose unabhängig davon, ob sie Bürger eines EG-Staates sind oder nicht, Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung und vielfache andere Beihilfen haben, die die Härte der Arbeitslosigkeit mildern. Es stehen Umschulungsmöglichkeiten, Arbeitslosenunterstützung, Wohnbeihilfen, Kindergeld und ärztliche Betreuung zur Verfügung. Die Summe solcher Beihilfen ist sehr wahrscheinlich höher als der Arbeitslohn in den Heimatländern« (Rist 1980: 31).
Der Ausbau des Sozialsystems im jeweiligen Zielland spielte bei den Erwägungen der »Gastarbeiter«, in welches Land sie wandern sollten, eine wichtige Rolle (Peters 1972: 316). Betrachtet man das verfügbare Einkommen, die Stabilität der Beschäftigungsverhältnisse und das System der sozialen Sicherung boten Westdeutschland und die Schweiz mit Abstand die besten Bedingungen (im Vergleich mit anderen Ländern mit größerer Zuwanderung in diesem Zeitraum wie Belgien, Frankreich, Niederlande) (ebd.: 309ff.). Mit zunehmender Arbeitslosigkeit der »Gastarbeiter« stieg die Belastung der Arbeitslosenversicherung. Das Bundesarbeitsministerium versuchte daher, die negativen Auswirkungen weiterer Zuwanderung zu begrenzen, konnte sich aber innerhalb der Bundesregierung nicht durchsetzen. Es befürwortete eine Begrenzung des Bezugs von Arbeitslosengeld für Zuwanderer ohne Arbeitserlaubnis. Im Entwurf der »Thesen zur Ausländerpolitik« von 1975 trat es als einziges Ressort dafür ein, den folgenden Passus vorzusehen: Die Bundesregierung »hält es […] aus arbeitsmarkt- und haushaltspolitischen Gründen für gerechtfertigt, die Dauer des Bezugs von Arbeitslosengeld für arbeitslose Ausländer ohne Arbeitserlaubnis auf eine der Dauer der Beitragsleistung angemessene Zeit zu begrenzen. Um den grundsätzlichen Vorrang deutscher Arbeitnehmer vor ausländischen Arbeitnehmern wirksamer zu gestalten, müsste der Rechtsanspruch auf Erteilung einer Arbeitserlaubnis nach ununterbrochener fünfjähriger Tätigkeit oder die Regelung beseitigt werden, wonach Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld die Fünfjahresfrist für den Erwerb eines Rechtsanspruchs auf Arbeitserlaubnis nicht unterbrechen (Paragraph 2 der Arbeitserlaubnisverordnung).« (Der Chef des Bundeskanzleramts 1975: 7).
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Doch so lange überhaupt die Chancen zur Verbesserung der eigenen Lage gesehen wurden, wurde eine Rückkehr in das Herkunftsland hinausgeschoben. Der Forschungsverbund »Probleme der Ausländerbeschäftigung« kam 1979 zu dem Schluss: »Diese Abhängigkeit der Rückkehrabsichten von den wirtschaftlichen Verhältnissen in den Herkunftsländern lässt so gut wie keinen Spielraum zur aktiven Beeinflussung der Aufenthaltsdauer durch politische Maßnahmen. Es sei denn, man würde die Lebensverhältnisse der Ausländer in der Bundesrepublik derartig nachhaltig verschlechtern, dass ein Leben am Rande des Existenzminimums in den Herkunftsländern vorteilhafter erschiene« (ebd.: 234). »Solange die Herkunftsländer aus den verschiedensten Gründen keine echte Alternative bieten können, wird ein ursprünglich in der Regel für kürzere Zeit geplanter Aufenthalt auch bei relativ ungünstigen Lebensverhältnissen für die Ausländer in der Bundesrepublik ständig verlängert. […] Diese Möglichkeit, die Probleme durch eine Rückwanderung in nennenswertem Umfang zu lösen, scheidet deshalb für kurz- und mittelfristige Zeiträume aus, obwohl sie für die meisten der Migranten die sicherlich objektiv und subjektiv beste Bewältigung der gegenwärtigen Situation darstellen würde« (Forschungsverbund 1979: 241).
Die Konzentration auf das Negative hat »Migrationsgeschichte fast ausschließlich als Leidensgeschichte« (Jamin 1999: 159) erscheinen lassen. Nahezu durchgängig werden die »Gastarbeiter« als entrechtete und diskriminierte »industrielle Reservearmee« dargestellt. Unbestreitbar sind sie auf Vorurteile und Diskriminierung gestoßen. Als Un- und Angelernte übernahmen sie häufig die schlecht bezahlten Jobs, die als »Drecksarbeiten« galten und die ihre deutschen Kollegen gerne anderen überließen (Lohrmann 1974: 97ff.). Unbestreitbar haben sie das Wachstum der deutschen Volkswirtschaft kurz- und mittelfristig gefördert (Voigt 1974: 32ff.; Bodenbender 1977: 27). Zu den Tatsachen gehört aber auch, dass niemand gezwungen wurde, als »Gastarbeiter« nach Deutschland zu kommen. Die befristeten Arbeitsverträge und Aufenthaltserlaubnisse weckten keine falschen Erwartungen: Der Aufenthalt in Deutschland sollte zeitlich eng begrenzt sein. Das belegten die kritisierten Befristungen der Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisse. Seit 1969 wurde darüber hinaus ausländischen Arbeitnehmern bei der Ankunft in der Bundesrepublik ein Merkblatt ausgehändigt, in dem darauf hingewiesen wurde, dass mit der Arbeitsaufnahme in der Bundesrepublik kein Anspruch auf Daueraufenthalt verbunden sei (Herbert/Hunn 2006: 791). Die »Gastarbeiter« kamen nicht, um das Wachstum in Deutschland zu befördern, sondern um die Chance zu nutzen, zu einem relativen Wohlstand zu gelangen. So hatte das Staatliche Planungsamt der Türkei ermittelt, dass 81 Prozent der »Gastarbeiter« für ihre Wanderung wirtschaftliche Motive angegeben hatten (Zadil 1974: 209). Sie erhielten – in den allermeisten Fällen – die gleichen Löhne wie ihre deutschen Arbeitskollegen und erzielten damit Ver-
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dienste, die sie in ihren Heimatländern nicht erreicht hätten. Zu Recht wurde von einer »drastischen Einkommenserhöhung durch die Migration« gesprochen, die auch durch die höheren Lebenshaltungskosten in der Bundesrepublik nicht aufgebraucht wurde (Knörzer 1982: 43). Die im Herkunftsland verbliebenen Verwandten konnten unterstützt, zusätzlich konnte noch gespart werden. Das schließt nicht aus, dass übertriebene Hoffnungen auf einen rasch zustande kommenden Reichtum enttäuscht wurden. Die Opfer-Perspektive, die bis heute die Forschung zur Arbeitsmigration dominiert (Richter/Richter 2009), kann jedoch nicht aufrechterhalten werden. Für die Herkunftsländer bedeutete der »Gastarbeiter«-Export Deviseneinnahmen exorbitanten Ausmaßes: Alleine in den Jahren 1960 bis 1973 wurden rund 44 Milliarden DM in die Herkunftsländer überwiesen (Bodenbender 1977: 28). Schon früh erkannte man, dass der Import von Arbeitskräften nach Deutschland mittel- und langfristig unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten eine negative Bilanz aufwies (Föhl 1967: 143ff.). Denn der Bedarf an öffentlichen Leistungen und Investitionen – insbesondere in den Großstädten – stieg über die Jahre des Verbleibens exponentiell an. Hatten die Unternehmen die kurzfristigen Gewinne gemacht, wurden die Folgekosten nun vom Staat getragen. »Auch wenn weiterhin »Gastarbeiter« die kalkulatorisch und kostenmäßig günstigste Lösung für Unternehmen, die Arbeitskräfte suchen, sind, so sollte auf einen nur unternehmenspolitisch bedingten Arbeitskräfteimport in die Industrieländer verzichtet werden, da […] die volkswirtschaftlichen Kosten und die gesellschaftlichen Verpflichtungen bisher viel zu wenig berücksichtigt wurden«, stellte der Wirtschaftswissenschaftler Fritz Voigt 1974 (32) fest. Dabei gilt der Erfahrungssatz: Je länger die Aufenthaltsdauer und je stärker die regionale Konzentration umso höher sind die Infrastrukturkosten und desto geringer der Vorteil, der durch ausländische Arbeitskräfte entsteht (Höpfner: 1974: 78). Der interministerielle Ausschuss der Bundesregierung, der »Thesen zur Ausländerpolitik« erarbeiten sollte, hob in seinem Entwurf von 1975 ebenfalls die sozialen Folgekosten der »Gastarbeiter«-Anwerbung hervor: »Die einzelwirtschaftlich meist positive Beurteilung der Beschäftigung von Ausländern ist wegen der fehlenden Zurechnung volkswirtschaftlicher Kosten (z.B. Folgekosten für Infrastruktur) nicht ohne weiteres auf die Gesamtwirtschaft zu übertragen« (Der Chef des Bundeskanzleramtes 1975: 5).
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Inkonsistente Politik Unentschlossenheit und Widersprüchlichkeit kennzeichnete die Politik der 1970er Jahre nach dem Anwerbestopp. Vor dem Hintergrund der über die Jahrzehnte ablehnenden Haltung der deutschen Bevölkerung (Herbert/Hunn 2007: 695f.; Herbert/Hunn 2006: 786; 792; Herbert/Hunn 2008: 754) hielt die Politik an der Rückkehroption der Zuwanderer fest. Dass aus Wanderarbeitern Zuwanderer geworden waren, wurde selten offen gesagt. Der Staatsrechtler Josef Isensee analysierte 1983 die Lage treffend. Er stellte fest, »dass die politische Nichtentscheidung des Ausländerproblems ein Unglück ist, und zwar ein Unglück für die Ausländer und für die Deutschen. […] Das geltende Ausländerrecht, vor Jahrzehnten konzipiert und seither nur marginal verändert, ist nicht auf die neuen Probleme der Gegenwart zugeschnitten. […] Dem geltenden Ausländerrecht fehlt die Konsequenz. Die staatlichen Maßnahmen folgen widersprüchlichen Zielen: hier Kindernachzug, dort Rückkehrhilfe; hier Integration in die deutsche Gesellschaft, dort Verweisung auf den Heimatstaat. Das Ergebnis ist perfekte Rechtsunsicherheit« (Isensee 1983: 89f.).
Diese Unsicherheit muss als ein wesentlicher Grund für die mangelnde Hinwendung der »Gastarbeiter« und ihrer Familien zur deutschen Gesellschaft angesehen werden: Erwartet wurde von vielen die Verschlechterung der eigenen Lage, ein erhöhter Druck, wieder ins Herkunftsland zurückzukehren und eine Einschränkung der Möglichkeiten des Familiennachzugs. So sahen bei der Umfrage des Forschungsverbundes »Probleme der Ausländerbeschäftigung« Ende der 1970er Jahre rund die Hälfte der Befragten ihre Zukunft in Deutschland eher pessimistisch (49 Prozent), bei den Türken lag dieser Anteil sogar bei 60 Prozent. »In einem solchen Klima der Unsicherheit ist eine realistische Planung des Aufenthaltes und erst recht eine Motivation zur Assimilation relativ unwahrscheinlich« (Forschungsverbund 1979: 244). Die deutsche Politik gab keine klaren Perspektiven: Weder wurde eine konsequente Politik der Rückkehr betrieben, noch wurden deutliche Signale in Richtung dauerhaftem Verbleib abgegeben. Verlässliche Perspektiven wären allerdings notwendig gewesen, um die Orientierung weg vom Heimatland hin zum Verbleib im Zuwanderungsland nachhaltig zu fördern. Der Forschungsverbund »Probleme der Ausländerbeschäftigung« versprach sich von einem so möglich gewordenen Perspektivenwechsel eine deutliche Schubwirkung: »Von einer solchen notwendigen Änderung der Ausländerpolitik würde wahrscheinlich ein Assimilationsschub verursacht, wie er durch noch so aufwendige Förderungsprogramme, unter den Bedingungen eines restriktiven Aufenthaltsrechts, das mindestens subjektiv eine erhebliche Unsicherheit bei den Ausländern hervorruft, niemals erreicht werden könnte« (ebd.: 251).
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Die Migrationsbeziehungen zwischen der Türkei und Deutschland Am Beispiel der Türkei – woher der größte Teil der »Gastarbeiter« und nachgezogenen Familienangehörigen in der Bundesrepublik Deutschland stammt – wird deutlich, welche Ursachen und Motive zu Wanderungen größeren Ausmaßes führen. Die Verhältnisse im Herkunftsland sind dabei von entscheidender Bedeutung – sowohl für die Bereitschaft zur Auswanderung selbst als auch zur Rückwanderung. Deshalb soll hier ein Blick auf die Entwicklung der Türkei in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geworfen werden.
Türkische Interessen Die Initiative für das deutsch-türkische Anwerbeabkommen ging von der Türkei aus.48 Die Türkei hatte ein erhebliches Interesse daran, einen Teil der rasch anwachsenden Bevölkerung befristet als »Gastarbeiter« ins Ausland zu schicken. Neben der Entlastung des eigenen Arbeitsmarktes versprach sie sich zu Recht dringend benötigte Deviseneinnahmen sowie einen Modernisierungsschub durch zurückkehrende »Gastarbeiter«, die sich entsprechende Qualifikationen angeeignet haben würden. Rund 77 Prozent der Erwerbstätigen waren damals in der Landwirtschaft tätig, nur etwa zehn Prozent in der Industrie (Zadil 1974: 207; Steinert 1995: 305). »Sowohl Anfang der sechziger Jahre als auch zu Beginn der siebziger Jahre war die Türkei darauf angewiesen, Arbeitskräfte ins Ausland zu schicken, da sie nur auf diese Weise die Arbeitslosigkeit im Lande reduzieren und mit Hilfe der regelmäßigen Gastarbeiterüberweisungen ihr hohes Außenhandelsdefizit ausgleichen konnte« (Şen 1980: 38)..
Man wolle als NATO-Mitglied insbesondere gegenüber Griechenland – mit dem ein Anwerbeabkommen im März 1960 geschlossen worden war – nicht diskriminiert werden, ließ der Vertreter der türkischen Botschaft in Bonn im Dezember 1960 wissen (Steinert 1995: 307; Hunn 2005: 48). Die deutsche Bundesregierung hatte zunächst keine Notwendigkeit gesehen, auch mit der Türkei eine Vereinbarung zu treffen – nicht zuletzt um nicht den Ansprüchen weiterer Staaten Berechtigung zu verleihen (Hunn 2005: 44ff.). Aus außenpolitischen Gründen – die Türkei sicherte die Südost-Flanke der NATO – entschied man sich allerdings anders (Schönwälder 2001: 251ff.). Um den privaten
—————— 48 Als erster bearbeitete die Quellen: Steinert 1995: 307f.; vgl. auch: Hunn 2005: 29ff.; Knortz 2008: 111ff.
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Anwerbungen deutscher Unternehmen zuvorzukommen, wurde noch vor Abschluss des Anwerbeabkommens im Juli 1961 eine deutsche Verbindungsstelle der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung im Gebäude des türkischen Arbeitsamtes in Istanbul bezogen (Hunn 2005: 48f.; Habermeier 1966: 121). Der Ansturm sei sofort erheblich gewesen, berichtet die deutsche Botschaft, das Generalkonsulat werde »von türkischen Arbeitsund Auskunftssuchenden geradezu überschwemmt und belagert« (zit. nach: Steinert 1995: 309). Im September 1961 wurde die erste Gruppe türkischer Arbeitnehmer in die Bundesrepublik an die Ford-Werke in Köln überstellt (Hunn 2005: 53). Damit war die offizielle Anwerbung begonnen, die interne Abstimmung innerhalb der Bundesregierung war jedoch keineswegs abgeschlossen. Das Bundesinnenministerium legte Wert darauf, in der Anwerbevereinbarung die Aufenthaltsgenehmigungen jeweils auf maximal zwei Jahre zu beschränken. Es solle »deutlich gemacht werden, dass eine Dauerbeschäftigung türkischer Arbeitnehmer im Bundesgebiet und eine Einwanderung, auf die auch von der Türkei kein Wert gelegt wird, nicht vorgesehen sind« (Jamin 1998: 73; Hunn 2005: 54ff.). Weiter verlangte das Innenministerium, alle Verweise auf einen möglichen Familiennachzug (wie er unter anderem in der Anwerbevereinbarung mit Griechenland ausdrücklich enthalten war49) zu streichen. Beiden Forderungen wurde zunächst entsprochen, denn auch die türkische Seite wollte auf diese Weise die Kontrolle über die Arbeitsmigration behalten (Hunn 2005: 54f.). So hieß es in der Fassung der deutsch-türkischen Vereinbarung des Jahres 1961: »Die Aufenthaltserlaubnis wird über eine Gesamtaufenthaltsdauer von 2 Jahren hinaus nicht erteilt«.50 Zudem enthielt das Übereinkommen mit der Türkei keinen Hinweis auf möglichen Familiennachzug (Knortz 2008: 125f). Dass die Anwerbevereinbarung mit der Bundesrepublik Deutschland auf Initiative und Druck der türkischen Regierung zustande kam (wie alle anderen Anwerbeabkommen auch), blieb lange unbeachtet. Als Grund für die Arbeitsmigration wurde in der gängigen Lesart auf den Arbeitskräftebedarf der westdeutschen Wirtschaft verwiesen.51 Mehrere Autoren haben in den vergangenen Jahren durchaus auf die weit komplexeren Motive und Ursachen auf-
—————— 49 Bekanntmachung der Vereinbarung zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung des Königreichs Griechenland über die Anwerbung und Vermittlung von griechischen Arbeitnehmern nach der Bundesrepublik Deutschland vom 6. Januar 1961, abgedruckt in: Kanein 1966: 647ff. 50 Deutsch-türkische Vereinbarung über die Vermittlung von türkischen Arbeitnehmern, abgedruckt in: Kanein 1966: 688ff. 51 So fehlt sowohl bei Klaus J. Bade 2000 als auch bei Ulrich Herbert 2001 jeglicher Hinweis auf die 1995 veröffentlichten Forschungsergebnisse von Steinert; die gängige Lesart u.a. auch bei: Gümrükçü 1986: 124; ebenso bei Ghadban 2003: 30.
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merksam gemacht, die zu den Anwerbevereinbarungen führten, zu denen vor allem außenpolitische gehörten (Steinert 1995; Jamin: 1998; Schönwälder 2001; Herbert/Hunn 2005, 2007; Knortz 2008). Allerdings kann der berechtigte Hinweis auf außen- und entwicklungspolitische Interessen der Bundesregierungen in den 1950er und 1960er Jahren sowie auf die Interessen der Entsendeländer nicht darüber hinwegtäuschen, dass zwischen den Motiven für das Zustandekommen der Anwerbeabkommen (zu denen auch beschäftigungspolitische gehörten) einerseits und ihrer praktischen Umsetzung andererseits unterschieden werden muss. Die massenhafte Anwerbung ist zum Großteil dem von der Industrie geltend gemachten Bedarf und der beflissenen Umsetzung durch die Behörden zuzuschreiben.
Bevölkerungsentwicklung Das Interesse in der Türkei an einer Zuwanderung war seit Beginn der 1960er Jahre groß und blieb es über die Jahrzehnte (Şen 1980: 33ff.). Die Türkei hatte das niedrigste Bruttosozialprodukt aller größeren Entsendeländer (Deutsche Gesellschaft für Bevölkerungswissenschaft 1972: 113). Aufgrund des starken Bevölkerungswachstums, zwischen 1965 und 1970 rund drei Prozent jährlich, und nicht entsprechender Wirtschaftsentwicklung überstieg das Arbeitskräfteangebot den Bedarf der einheimischen Wirtschaft erheblich. Es kam zu einer »hohen Unterbeschäftigung mit nahezu unbegrenzten Arbeitskräftereserven« (Deutsche Gesellschaft für Bevölkerungswissenschaft 1972: 113; Zadil 1974: 219). Die Förderung des »Exports« von Arbeitskräften wurde von der türkischen Politik seit den 1960er Jahren als »eine wesentliche beschäftigungspolitische Maßnahme eingesetzt« (Gümrükçü 1986: 2). Das »Ventil« Arbeitsmigration war für die Türkei von existenzieller Bedeutung. »Der Druck auf den Arbeitsmarkt konnte in der Vergangenheit, besonders bis zum Anwerbestopp von 1973, durch die hohe Auswanderung gemildert werden« (Gümrükçü 1986: 124). So ließen sich von 1961 bis 1973 viermal so viele Bewerber bei der »Deutschen Verbindungsstelle« der Bundesanstalt für Arbeit registrieren, als tatsächlich vermittelt werden konnten (Jamin1998: 151). Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, Anton Sabel, berichtete 1966: »In der Türkei ist das Angebot gewaltig. Und bei jedem Besuch dort wird versucht, uns plausibel zu machen, wir sollten in der Türkei noch mehr Arbeitskräfte anwerben. Ich muss immer wieder deutlich machen, dass unsere Anwerbungen sich nach dem Bedarf richten. Das heißt, wir werben nur an, wo eben Kräfte angeboten sind. Aber es sind gewaltige Zah-
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len, die uns genannt werden. 400.000 Türken warten darauf, bei uns Beschäftigung zu finden« (Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände 1966: 54).
Bis 1971 war die Zahl jener, die bei den türkischen Behörden für eine Arbeitsaufnahme im Ausland (insbesondere in Deutschland) gemeldet waren, auf über 1,2 Millionen angestiegen (Deutsche Gesellschaft für Bevölkerungswissenschaft 1972: 113). »Das Gros der Bewerber sind Hilfsarbeiter, jedoch können auch beruflich qualifizierte bzw. teilqualifizierte Bewerber in größerem Umfange gewonnen werden … Die Wartezeit bis zur Berücksichtigung einer Bewerbung um eine Arbeitsplatzvermittlung im Ausland beträgt derzeit für Hilfsarbeiter bereits sechs bis sieben Jahre. Bei den starken Geburtsjahrgängen in der Türkei, die in den nächsten Jahren neu in das Erwerbsleben eintreten, ist – selbst bei einer intensiveren Zunahme des Arbeitsplatzangebots in der Türkei – mit einem grundlegenden Wandel auf dem dortigen Arbeitsmarkt nicht zu rechnen. Insofern werden türkische Arbeitskräfte in größerer Zahl – auch langfristig gesehen – an einer Beschäftigung im Ausland interessiert sein«,
hieß es im »Erfahrungsbericht 1971« der Bundesanstalt für Arbeit (1972: 35). Der Andrang blieb auch nach dem Anwerbestopp groß. So berichtet »Die ZEIT« im April 1976: »Als das deutsche Anwerbebüro vor einigen Monaten vorübergehend geschlossen wurde, standen noch eine Million Türken auf der Liste, Fachkräfte unter 45, Hilfsarbeiter unter 35 Jahren. Ohne dieses Alterslimit […] wären es drei Millionen, die sofort in die Bundesrepublik aufbrechen wollten.«52 Der Überschuss an Arbeitskräften in der Türkei belief sich 1972 auf 1,6 Millionen, 1977 lag er bei 2,2 Millionen (Bahadir 1978: 475). Zadil (1974: 215) errechnete für 1971 hingegen einen Arbeitskräfteüberschuss von drei Millionen. Die von der türkischen Regierung erwarteten und eingeplanten Deviseneinnahmen trafen tatsächlich ein: Alleine 1972 überwiesen die türkischen Arbeitnehmer 2,1 Milliarden DM in ihr Heimatland, womit das Handelsbilanzdefizit der Türkei von 1,8 Milliarden DM überkompensiert wurde (Voigt 1974: 31). Auch 1973 überstiegen die Devisentransfers die Außenhandelsdefizite der Türkei (Bahadir 1978: 477f.). Der Devisenmangel war der Hauptgrund für die Probleme der Türkei bei der Finanzierung des Imports vor allem von Investitionsgütern. Durch die Überweisungen der »Gastarbeiter« konnten die Planziele nun erreicht werden (ebd.: 477f.). Der »Arbeitskräfteexport der Türkei [spielte] eine hervorragende Rolle für die Industrialisierung des Landes in der langfristigen Planungsperiode 1963–1977 […] Angesichts des chronischen
—————— 52 »Tore zu – die Türken kommen. Im Wettlauf mit den Behörden drängen die Gastarbeiter weiter nach Norden«, in: Die ZEIT vom 16. April 1976.
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Devisenmangels der Türkei – wie im Falle der meisten Entwicklungsländer – kann ihre Bedeutung nicht hoch genug eingeschätzt werden. Neben der Entlastung des Arbeitsmarktes ist damit in den Deviseneinnahmen der bedeutendste ökonomische Nutzen des Arbeitskräfteexports zu sehen« (Bahadir 1978: 478).
Seit 1963 rechnete die türkische Regierung fest mit den Deviseneinnahmen durch die »Gastarbeiter« und zeigte daher auch wenig Interesse, ihre Staatsangehörigen angesichts sinkender Devisentransfers in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre wieder aufzunehmen (Herbert/Hunn 2008: 760). Türkische Arbeitnehmer im Ausland 1977 (ohne Familienangehörige) Gesamtzahl BRD Frankreich Niederlande Österreich Belgien Schweiz Libyen Australien Saudi-Arabien Dänemark Schweden Iran England Norwegen Kuwait
710.209 515.830 42.000 41.434 28.552 16.030 16.000 12.500 12.000 6.000 5.719 5.600 4.000 2.500 1.694 350
Quelle: Şen 1980: 37
Geringe Rückkehrmotivation Die wirtschaftlichen Verhältnisse in den Herkunftsländern der »Gastarbeiter« – vor allem in der Türkei – entwickelten sich zunehmend negativ. Verbunden mit hoher Arbeitslosigkeit – insbesondere unter der türkischen Landbevölkerung –, ließ dies die »Gastarbeiter« an den Chancen zweifeln, die sich ihnen bei einer möglichen Rückkehr in die Heimat bieten würden. Ihre Reintegration in den heimischen Arbeitsmarkt wurde zusätzlich durch das hohe Bevölkerungswachstum erschwert. Auch die Nachrichten von Kollegen, die in ihre Heimat zurückgekehrt waren, klangen nicht ermutigend. Oftmals waren die Erwartungen zu hoch gesteckt und wurden entsprechend enttäuscht (Delhaes-Günther/
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Haberl/Schölch 1976: 12ff.). Jene, die nach Jahren in Deutschland zurückkehren wollten, sahen sich vor zahlreiche psychologische Barrieren gestellt – zu denen hohe Erwartungen der Verwandten und Freunde ebenso gehörten wie Fremdheitserfahrungen in der eigenen Heimat (Pagenstecher 1994: 100ff.). Daneben wirkten sich Bürgerkrieg und Militärputsch Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre negativ auf die Rückkehrbereitschaft aus. Dies konnte allerdings auch deshalb nicht überraschen, weil die Türkei (in Teilen bis heute) als Entwicklungsland zu charakterisieren war: Rapides Bevölkerungswachstum verbunden mit Massenarbeitslosigkeit und Massenarmut, hohe Kindersterblichkeit, hohe Analphabetenrate und verbreitete Kinderarbeit sind nur einige Stichworte (u.a.: Sargut 1974: 28ff.; Ücüncü 1982: 26ff.). Von 1955 bis 1975 stieg die Bevölkerungszahl von 24 auf 40,2 Millionen – ein Wachstum von 2,4 Prozent jährlich (Bahadir 1978: 474). Ab 1965 wuchs die Bevölkerung jährlich um rund 890.000 Einwohner. Die sehr großen Entwicklungs- und Strukturunterschiede zwischen städtischen und ländlichen Regionen in der Türkei sind auch hinsichtlich der Geburtenraten deutlich erkennbar: So lag sie durchschnittlich bei 7,4 Kindern pro Frau in der Osttürkei, in den wirtschaftlich entwickelten Gebieten in der Westtürkei bei 4,3 Kinder. Dies verschärfte die innertürkischen Diskrepanzen weiter: »Als Folge hat das anatolische Hochland eine stärkere Beteiligung an dem Bevölkerungsüberschuss. Gerade aber diese Region der Türkei ist besonders unterentwickelt. Dort hat die Industrialisierung kaum Fuß gefasst und der Arbeitsmarkt ist hauptsächlich durch landwirtschaftliche Arbeitsmöglichkeiten gekennzeichnet« (Gümrükçü 1986: 22). Hinzu kam eine entwicklungsländertypische Altersstruktur mit einem breiten Sockel der Alterspyramide: Altersstruktur der Bevölkerung der Türkei und Westdeutschland Anfang der 1980er Jahre
Türkei Westdeutschland
Bis 14 Jahre (in Prozent) 38,3 17,2
15–64 Jahre (in Prozent) 57,5 67,6
65 und älter (in Prozent) 4,2 15,2
Quelle: Gümrükçü 1986: 23
Bis 1980 waren in den ländlichen Regionen der Türkei nur zwei Prozent aller abhängig Beschäftigten sozialversichert (ebd.: 51). Von der städtischen Bevölkerung waren mehr als die Hälfte zumindest nicht ausreichend sozialversichert (ebd.: 101ff.). Das Lohngefälle zwischen Deutschland und der Türkei – das durchschnittliche Einkommen in der Türkei lag bei rund 25 Prozent des deutschen Durch-
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schnittswertes – sorgte für eine erhebliche Sogwirkung nach Deutschland (Sundhausen 1976: 63). Die türkische Wirtschaft war seit Mitte des Jahrhunderts nicht in der Lage, der stark wachsenden Bevölkerung Arbeitsplätze zu bieten. Starkes Bevölkerungswachstum ging einher mit massiver struktureller Unterbeschäftigung. Allein von 1950 bis 1960 verdoppelte sich der Arbeitskräfteüberschuss von 0,6 auf 1,2 Millionen Menschen. Der Überschuss stieg in den kommenden Jahrzehnten weiter an. »Es entstand hierdurch eine immer größere Diskrepanz zwischen der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter und dem Arbeitsplatzangebot« (ebd.: 31). 1977 lag er bei über zwei, 1983 bei über 3,5 Millionen (ebd.: 35). Die Wachstumsraten lagen nicht im Entferntesten in der Nähe der Werte, die notwendig gewesen wären, um zumindest den Berufseinsteigern Chancen auf Arbeitsplätze zu ermöglichen. So stieg die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen und Heranwachsenden (15 bis 24 Jahre) alleine zwischen 1977 und 1981 um 1,6 Millionen Erwerbspersonen (ebd.: 40).
Binnenmigration: Landflucht und Verstädterung Besonders in der Süd- und Südosttürkei blieben über Jahrzehnte »feudale und halbfeudale Produktionsverhältnisse« (Sundhausen 1976: 45) bestehen. Die ländlichen Gebiete fielen wirtschaftlich immer weiter zurück. Immer weniger Bauern konnten das Existenzminimum mit ihren Klein- und Kleinstbetrieben erwirtschaften (Sundhausen 1976: 57ff.). 1983 bezogen die Erwerbstätigen in der Landwirtschaft 6,8-mal weniger Einkommen als in der Industrie und 5,3mal weniger als in der Dienstleistungsbranche (Gümrükçü 1986: 55). Vor dem Hintergrund einer wachsenden, verarmten und unterbeschäftigten Landbevölkerung entstand ein hoher Wanderungsdruck von Erwerbsfähigen auf die städtischen Zentren, wohingegen die Nichterwerbsfähigen zurückblieben (Akkaya u.a. 1998: 210ff.). Die ländlichen Strukturen wurden auf diese Weise in die – nicht ausreichend aufnahmefähigen – Städte verlagert. Es handelte sich dabei »nicht um die Erweiterung der gewerblichen Bevölkerung, sondern vielmehr um eine ›Pseudourbanisation‹, in der Lebensmuster der neuen ›Städter‹ kaum verändert werden und ein ländliches Leben am Rande einer Großstadt fortgesetzt wird« (Gümrükçü 1986: 53). Die wachsende Industrialisierung reichte nicht aus, um die Zugewanderten in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Im Ergebnis kam es zu einer »Umwand-
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lung der ländlichen Unterbeschäftigung in städtische Arbeitslosigkeit« (Gümrükçü 1986: 82). Entwicklung der Stadtbevölkerung in der Türkei 1950 bis 1980 Stadtbevölkerung* (in Millionen) Anteil der Stadtbevölkerung an der Gesamtbevölkerung
1950
1955
1960
1965
1970
1975
1980
3, 035
4,364
6,755
8,759
11,505
15,133
18,699
14,4 %
18,1 %
24,3 %
27,9 %
32,3 %
37,5 %
40,3 %
* in Siedlungen mit mehr als 20.000 Einwohnern Quelle: Gümrükçü 1986: 78
Über 70 Prozent der fast 4,5 Millionen Binnenwanderer zogen nach Istanbul, Ankara und Izmir (ebd.: 70). Für die Jahre 1950 bis 1980 wird die Zahl der Land-Stadt-Wanderer auf rund zehn Millionen Menschen geschätzt (ebd.: 87). Im gleichen Zeitraum wurden in der verarbeitenden Industrie lediglich 664.000 Arbeitsplätze geschaffen. »Dieses extreme Missverhältnis kann in der Weise interpretiert werden, dass die freigewordenen Arbeitskräfte aus der Landwirtschaft kaum Beschäftigungsmöglichkeiten im städtischindustriellen Sektor finden. Daher bleibt ihnen nur die Alternative, sich im städtisch-informellen Sektor niederzulassen oder ins Ausland zu emigrieren, sofern dies möglich war und ist« (ebd.: 116).
Der Wanderungsprozess erfolgte für viele in zwei Stufen: vom Land in die städtischen Randgebiete und von dort ins Ausland (ebd.: 75).
Gecekondus »Die Entsendung von Arbeitskräften ins Ausland war für die türkischen Regierungen ein Ventil, aus welchem der steigende Druck eines rasch anwachsenden Arbeitslosen- und Unterbeschäftigtenheeres ländlicher Herkunft abgelassen wurde. In den Jahren 1950 bis 1960 war dieses ländliche Arbeitslosen- und Unterbeschäftigtenheer vor allem in die großstädtischen Zentren Ankara, Istanbul und Izmir gewandert. Zu Beginn der sechziger Jahre schien deren wirtschaftliche und soziale Aufnahmekapazität erschöpft zu sein. […] Zumindest ein Teil der Landflüchtigen sollte nun aus den drei großstädtischen Zentren nach Westeuropa weiterwandern. In der Tat zeigen die Befragungen in den Jahren 1961 und 1963, dass zu Beginn der Auslandsvermittlung Istanbul, Ankara und Izmir zusammen 80 bzw. 50 Pro-
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zent der ins Ausland Vermittelten stellten. Es lässt sich belegen, dass ein erheblicher Teil der aus diesen Zentren in die Bundesrepublik vermittelten ursprünglich aus den ländlichen Gebieten der Türkei stammt« (Kleff 1985: 7f.; Zadil 1974: 213f.).
Etwa 1,7 Millionen Menschen wanderten zwischen 1945 und 1960 in die städtischen Zentren (Kleff 1985: 54). In den 1980er Jahren lebte rund ein Drittel der türkischen Bevölkerung außerhalb der Geburtsprovinz (Ritter/Richter 1990: 29). Die Bevölkerungsentwicklung und die wirtschaftlichen Veränderungen zwangen die Menschen zur Landflucht. »Es sind überwiegend Menschen, die um ihre landwirtschaftliche Existenz gebracht wurden« (Planck 1974: 44). Allerdings konnten die Städte der Masse – trotz staatlich geförderter Industrialisierung – keine wirtschaftliche Perspektive bieten (Kleff 1985: 163ff.; Fels 2000). Auch blieben die Wohnungsneubauten weit hinter dem Bedarf zurück. In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre betrug die Abwanderungsrate vom Land in fünf Jahren 18 Prozent. Die Zahl der industriellen Arbeitsplätze nahm im gleichen Zeitraum allerdings nur um acht Prozent zu (Planck 1974: 43). Der überwiegende Teil strandete in »Marginalsiedlungen« (Kersting 1996: 27ff.), den »Gecekondus«, dörflichen Großsiedlungen an den Peripherien der Großstädte und Metropolen, in denen man sich wieder nach Herkunftsgebieten, ethnischen und religiösen Kriterien sortierte (Kleff 1986: 82ff.; Planck 1974: 45). »Diese ohne Erlaubnis des Grundstückeigentümers und ohne amtliche Baugenehmigung errichteten Häuser sind gesetzeswidrig, sie dürfen jedoch, sofern sie ein provisorisches Dach haben, nicht mehr abgebrochen werden. Da die Bauausführung dieser Wohnstätten unter Zeitdruck und Nichtbeachtung der Vorschriften, ohne Fachleute, sondern vielmehr mit Hilfe von Freunden und Nachbarn erfolgt, weisen diese Häuser starke Mängel an der Wohnund Bauqualität auf, die zum Teil durch das Fehlen von Versorgungsanschlüssen und Verkehrsverbindungen noch verstärkt werden« (Gümrükçü 1986: 83; Ritter/Richter 1990: 107ff.).
Der türkische Staat war weder in der Lage, selbst Wohnungsneubau, der dem Bedarf entsprochen hätte, zu finanzieren, noch konnte er in den Gecekondus für eine öffentliche Infrastruktur (Wasser, Strom, Abwasser etc.) sorgen. Anteil der Gecekondu-Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung einzelner Städte 1972 Stadt Ankara Istanbul Ismir Adana
Quelle: Ritter/Richter 1990: 11
Prozent 65% 45% 35% 45%
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Die Gecekondu-Bewohner standen als billige Arbeitskräfte zur Verfügung, in den unteren Beschäftigungssektoren der Industrie bzw. im informellen Sektor, oder aber sie waren arbeitslos. »Keiner dieser Exbauern ist Landwirt geblieben, aber die wenigsten fanden Gelegenheit, sich in städtische Industriearbeiter zu verwandeln.« (Planck 1974: 44). Jenen, die nicht integriert werden konnten, blieb »zum Überleben nichts anderes übrig, als einen eigenen Betrieb zu gründen« (Gümrükçü 1986: 99), die »Flucht in die Selbständigkeit«. Auch hier bot sich ihnen in vielen Fällen nur eine marginalisierte Existenz. In der Kleinindustrie und im Handwerk unterlagen die Arbeitnehmer nicht den kollektiven Vereinbarungen über Lohnsätze und Arbeitsbedingungen zwischen den Unternehmerverbänden und Gewerkschaften. Lohnarbeiter profitieren nicht von der staatlichen Mindestlohngesetzgebung ebenso wenig wie von der Arbeitsschutzgesetzgebung. Bis 1972 existierte für die Beschäftigten in diesen Betrieben weder eine soziale Sicherung noch gab es eine Sozialgesetzgebung (ebd.: 103). Die Gecekondu-Siedlungen erwiesen sich als erstaunlich dauerhafte Siedlungsgebilde. Auch schienen sich die Gecekondu-Bewohner relativ wohl zu fühlen, wozu sicher die Aufrechterhaltung bestimmter dörflicher Sozialstrukturen und Verhaltensweisen wesentlich beitrug. »Die Wohnmobilität ist, abgesehen von neuen Zuzügen aus ländlichen Bezirken, außergewöhnlich gering. Obwohl in manchen großen Städten mehr als die Hälfte der nominalen Stadtbevölkerung in Gecekondus lebt, sind die Gecekondu-Bewohner weder wirtschaftlich noch sozial oder kulturell voll in die Städte eingegliedert. Anders als in den westlichen Industrieländern entspricht daher dem Anwachsen der nominalen Stadtbevölkerung (1970: 40 Prozent der Gesamtbevölkerung) in der Türkei keine Urbanisierung der Bevölkerung« (Planck 1974: 46).
1985 wurden per Gesetz alle vor 1980 gebauten Siedlungen nachträglich legalisiert, wurden in der amtlichen Statistik als »Einfamilienhäuser« gezählt (Ritter/Richter 1990: 84, 178; Fels 2000: 167f.) und sind somit zumindest aus der Statistik verschwunden. Die dörflichen Gecekondu-Strukturen sind in Ansätzen auch bei der Niederlassung in Deutschland verwirklicht worden. Die ethnisch ausgerichtete Infrastruktur entsprach den Bedürfnissen der Zuwanderer, ermöglichte sie ihnen doch ihre Umstellungsprobleme hinsichtlich Kommunikations- und Konsumgewohnheiten zu minimieren. In den türkischen Lebensmittelläden beispielsweise »können die Frauen beim Einkaufen türkisch reden, und es herrscht eine familiäre Atmosphäre wie man sie aus dem Dorf gewohnt ist. Für türkische Frauen, die in der Bundesrepublik nicht mehr wie im Dorf gemeinsame öffentliche Treffpunkte haben, sind die türkischen Krämerläden ein Ort der Kommunikation mit anderen Frauen« (Kleff: 1985: 187; auch: Gitmez/Wilpert 1987: 91ff).
3. Integration und Stadt
»Warum werden sie hineingelassen? Um die Bürger des Staates von harter und unangenehmer Arbeit zu befreien? In diesem Falle ist der Staat wie eine Familie, in der die Dienstboten insofern mitleben, als sie an ihrem Arbeitsplatz wohnen« Michael Walzer
Die Integrationskraft von Städten wird von unterschiedlichen Entwicklungen beeinflusst: Stadt-Umland-Wanderungen, demographische Entwicklungen, Zuwanderung, Strukturveränderungen auf dem Arbeitsmarkt und allgemeinen wirtschaftlichen und sozialen Trends. In diesem Kapitel wird zunächst die Dynamik von Niederlassungsprozessen beschrieben sowie die Debatte um die Bedeutung residentieller Segregation. Am Beispiel Berlins wird die Bildung ethnisch-sozialer Unterschichtenkonzentration mit ihren vielfältigen Folgeerscheinungen analysiert. Stadt-Umland-Wanderungen sind seit dem 16. und 17. Jahrhundert bekannt. Quantitativ waren sie allerdings stets unbedeutend (Bahrenberg 2003: 215, Kuhn 2006). Sie beschränkten sich weitgehend auf Villenkolonien und die Niederlassung von Industriebetrieben an den Stadträndern. Die flächenmäßige Ausdehnung der Städte fand seit dem 19. Jahrhundert weitgehend über Eingemeindungen statt. In den 1920er Jahren setzte eine verstärkte Stadt-LandWanderung ein (Kuhn 2006: 68ff.). Seit den 1960er Jahren trugen gestiegene Mobilität (durch den Individualverkehr und den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs) (Bahrenberg 2003: 228ff.; BMVBS/BBR 2007: 10ff.) sowie unzureichende Wohnraumversorgung, steigende Mieten und Immobilienpreise in den Städten dazu bei, dass 30- bis 50-Jährige – insbesondere Familien (Bucher/Kocks 1987: 693ff.) – nach größerem und für sie bezahlbarem Wohnraum im Umland der Städte suchten (Hammerschmidt/Stiens 1980: 592ff.; Brake 2001: 15ff.; BMVBS/BBR 2007: 4ff., 50ff.). Der Bedarf an größerer Fläche konnte im Umland eher befriedigt werden als in der Stadt (Friedrichs 1980: 173). Erhebliche Gefälle bei den Baulandpreisen (Bucher/Kocks 1987: 704ff), staatliche Förderung des Baus von Eigenheimen und die steuerliche Absetzbarkeit von Mobilitätskosten zwischen Wohnort und Arbeitsplatz (Pendlerpauschale) waren weitere Voraussetzungen. Hinzu trat ein wachsender Wohlstand, so dass in erster Linie Mittelschicht-Familien den Wunsch nach »gesundem Landleben« mit Nähe zur Stadt zu verwirklichten suchten (Friedrichs 1980: 172). Sie waren auch die diejenigen, die die Kosten der Mobilität aufbringen konnten: »Einkommen und Motorisierung korrelieren hoch«
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(Gaebe 2004: 144). Mit dem »Häuschen im Grünen« kann man die negativen Seiten hoher räumlicher Verdichtung in den Städten vermeiden, gleichzeitig aber die positiven Seiten der Stadt (Dienstleistungsinfrastruktur, soziale Einrichtungen, die die Städte vorhalten – Gesundheit, Kultur, Bildung) weiter nutzen. Man ist nah genug an den Zentren, um von ihnen profitieren zu können und weit genug entfernt, um den negativen Auswirkungen (Umweltbelastung, Kriminalität etc.) nicht mehr ausgesetzt zu sein (BBR 2005: 191). Für Unternehmen waren niedrigere Standortkosten in den gut erschlossenen und preisgünstigen großen Gewerbeflächen (Gaebe 2004: 119ff.) und eine häufig bessere Autobahnanbindung maßgeblich für eine Verlagerung (Häußermann/Siebel 1987: 28ff.; Karsten/Usbeck 2001). Im Zuge der Suburbanisierung wanderten Bevölkerung und Arbeitsplätze in das Umland, so dass es zu einer »intraregionalen Dekonzentration« (Bucher/Kocks 1987: 689) kam: Sinkende Bevölkerungsdichte in den Städten, zunehmende Dichte im Umland. Im Jahr 2002 lebten in den meisten deutschen Stadtregionen 60 Prozent der Bevölkerung in suburbanen Räumen und lediglich 40 Prozent in den Kernstädten (BBR 2005: 193). Inzwischen ist bereits ein »Urbanisierungsprozess des Umlandes« (Aring/ Herfert 2001: 43) feststellbar, der den Stadt-Land-Gegensatz in vielfacher Hinsicht relativiert. Entscheidend in diesem Zusammenhang ist, dass es sich um einen Jahrzehnte andauernden, sozial selektiven Wanderungsprozess handelte, der den städtischen Entmischungsprozess beförderte (zu Berlin: Schulz 1999: 143). Die Konzentration sozial schwacher, häufig Transferleistungen beziehender Gruppen in den Städten wurde verstärkt und die Leistungsfähigkeit der Städte nachhaltig geschwächt: Die Einnahmen sanken und die Ausgaben stiegen (Mäding 2001). Das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung kam 2005 zu dem Schluss: »Mittlerweile können in den Umlandgemeinden, die bis ca. 10 Kilometer von den Kernstadtgrenzen entfernt sind, die höchsten durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkünfte der gesamten Stadtregion nachgewiesen werden. Die selektive Wanderung von Besserverdienenden hat am Rande der meisten größeren Städte zur Bildung eines Wohlstandsgürtels geführt. […] In den Kernstädten kumulieren hingegen die armen Teile der Bevölkerung.« (BBR 2005: 195; Gaebe 2004: 72ff.).
Seit Mitte der 1980er Jahre hat sich die Suburbanisierung allerdings verlangsamt (Bucher/Kocks 1987: 691ff.; BMVBS/BBR 2007: 148ff.), seit Ende der 1990er Jahre erholen sich (in Westdeutschland) viele Städte wieder. Zu den Gründen gehören die zunehmende Verstädterung des Umlands und damit auch die erheblich gestiegenen Grundstückspreise (BBR 2005: 194). Mit dem Ausweichen auf immer entferntere Regionen wuchsen auch die Kosten eines Lebens außerhalb der Städte. Großstädte ziehen daher mittlerweile wieder
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sowohl Einwohner als auch Arbeitsplätze an – vor allem im Dienstleistungsbereich, wohingegen die industrielle Basis immer stärker erodiert (ebd.: 1947f.). Hinzu kommt, dass das Mittelschicht-Familienideal (mit traditionellen Familienstrukturen) an Dominanz verliert. Die Individualisierung und Pluralisierung von Lebensstilen lassen für viele ein Leben im städtischen Raum wieder attraktiv erscheinen (Häußermann/Siebel 2004: 74ff.). Für Menschen, die Kindererziehung und Berufstätigkeit vereinbaren müssen oder wollen, gewinnt die räumliche Nähe von Wohnort, Arbeitsplatz und vorschulischen Einrichtungen neue Relevanz (Gaebe 2004: 157). Dieser Aufschwung der Städte ändert allerdings mittelfristig wenig am bestehenden Wohlstandsgefälle zwischen Kernstadt und Umland. »Zwar werden zunehmend auch die reiferen suburbanen Räume von den Folgen anhaltender Arbeitsmarktschwäche und Dauerarbeitslosigkeit getroffen, der ungebrochene Trend räumlich disparater Einkommensverteilung lässt allerdings eher eine weitere Verschärfung des Wohlstandsgefälles zwischen Kernstädten und benachbarten suburbanen Räumen befürchten. In den Umlandregionen sind die Wachstumsraten der Einkommen immer noch deutlich höher. Der Vorsprung des suburbanen Raumes wird sich somit zukünftig eher vergrößern« (BBR 2005: 195).
Hinzu kommt, dass in Zeiten der Globalisierung Unternehmen ihre Produktionsstätten nicht mehr in erster Linie in das Umland der Städte verlegen, sondern entweder in strukturschwache Gebiete, in denen hohe staatliche Subventionen geboten werden, oder in Niedriglohnländer (Gaebe 2004: 114).
Aktuelle Debatten um die Bedeutung residentieller Segregation Soziale und ethnische Gruppen waren nie gleichmäßig über das Gebiet der Städte verteilt. Die Verstädterung im 19. und 20. Jahrhundert war untrennbar verbunden mit sozialen Disparitäten und sozialräumlichen Spaltungen (Reulecke 1985: 91ff.; Zimmermann 1996: 11ff.; Häußermann/Siebel 2001: 28ff.). Sie waren – historisch betrachtet – der Normalfall (Häußermann/Kronauer/Siebel 2004: 10). Das Wirtschaftswachstum der Nachkriegszeit ermöglichte eine Sozialpolitik, die das Integrationspotential der Städte nachhaltig stärkte. Damit bildeten die Jahre 1950 bis 1975, darauf hat Thomas Krämer-Badoni hingewiesen, eine Ausnahmeerscheinung, »denn nur in dieser Phase war die Stadtentwicklung vor allem durch eine quantitativ bedeutsame Verwirklichung des sozialen Wohnungsbaus (entstanden war dieser ja schon in der Weimarer Republik) Ausdruck einer sozial ausgleichenden Gesellschaftspolitik. Eine vergleichsweise soziale Durchmischung der Stadt, wie sie der soziale Wohnungsbau der 50er-
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und 60er Jahre im Rahmen des sich rasant entfaltenden Fordismus in der Bundesrepublik Deutschland bewirkt hat, hat es in dieser Ausprägung meines Wissens weder in Großbritannien noch in Frankreich oder in Italien gegeben […]« (Krämer-Badoni: 2002: 72f.; Kronauer 2007: 72f.).
Deshalb wäre es verfehlt, diesen Zeitraum bundesdeutscher Sozialstaatsentwicklung, der inzwischen auch als »Goldenes Zeitalter« bezeichnet wird (so Stephan Leibfried und Michael Zürn im Band Transformationen des Staates) »normativ zum Normalfall« zu erheben (Krämer-Badoni 2002: 84). Es verleitete zu unhistorisch-negativen Einordnungen der gegenwärtigen Prozesse.
»Verpflanzte Dörfer« – der Einfluss der Kettenmigration Mit Wanderungsprozessen geht meist die Entstehung »ethnischer Kolonien« (Heckmann 1981: 129ff.; 1992: 97) als »eigenständigem Sozialsystem« von Minoritäten (ebd.: 111ff.) einher: Zuwanderergruppen suchen die Nähe zu Landsleuten und zu Verwandten im Aufnahmeland, um sich in ihrer schwierigen und von Unsicherheit gekennzeichneten Lage in fremder Umgebung gegenseitig stützen zu können. Voraussetzung für die Entstehung ist die Kettenmigration sowie eine gewisse Mindestgröße der auswandernden Gruppen. Ein Vergleich skandinavischer Einwanderergruppen in den USA des 19. Jahrhunderts zeigt einen Zusammenhang zwischen Gruppengröße und Integrationsbereitschaft: Je größer die Gruppe, desto stärker ausgeprägt war die ethnische Konzentration und desto geringer war die Bereitschaft, die Grenzen der Kolonie zu überschreiten (Kamphoefner 1984: 341ff.). Es gilt der Erfahrungssatz: »Je stärker die Auswanderung, desto günstiger die Bedingungen für die Entwicklung von Wanderungsketten und homogenen Enklaven« (Kamphoefner 2006: 205). Die Prozesse der Kettenwanderung führen dazu, dass ganze Dörfer in das Aufnahmeland »verpflanzt« werden. Die Übertragung heimatlicher Siedlungsstruktur mittels »Kettenwanderung« ist historisch betrachtet kein neues Phänomen. Die Auswanderung von Deutschen nach Amerika im 19. Jahrhundert war ebenfalls davon geprägt, dass sich ganze Dörfer in den USA wieder zusammenfanden. Kamphoefner stellt für die Niederlassung deutscher Einwanderer in den USA im 19. Jahrhundert fest, »dass Homogenität auf örtlicher Ebene eher die Regel als die Ausnahme in ländlichen Gebieten war« (ebd.: 116). In Chicago (wie in anderen deutschen Siedlungsschwerpunkten in den USA) im 19. Jahrhundert
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»fanden die Immigranten ein praktisch alle Ansprüche abdeckendes institutionelles Netz vor, das von lokalen Versicherungsgesellschaften bis zu Banken, von auf ethnische Produkte spezialisierten Lebensmittelläden bis zu Kneipen, von Kirchen bis zu Konfessionsschulen, von Turnvereinen bis zu Karnevalsgesellschaften, von Geheimlogen bis zu sozialistischen Klubs reichte. Für den neu ankommenden Einwanderer waren sie eine notwendige und willkommene, ihm in einer sonst fremden Umwelt Sicherheit gebende Auffangstation. Hier konnte er möglicherweise in einem Handwerksbetrieb oder in einem mittelgroßen Unternehmen, in einem sweatshop der Kleiderindustrie, in der Heimindustrie, im Baugewerbe oder Kleinhandel seine erste Arbeitsstelle finden oder über schon länger ansässige, ortskundige Vermittler mit einem Arbeitsplatz außerhalb der Nachbarschaft versorgt werden. Hier konnte er sich in seiner Muttersprache verständlich machen, bis er allmählich die Landessprache erlernte. Hier fand er die ihm vertraute Art der Geselligkeit, über die er erste soziale Kontakte knüpfen konnte« (Keil 1984: 404).
In einzelnen Siedlungsgebieten, in denen die deutschen Einwanderer die Mehrheit bildeten, war deutsch über Jahrzehnte die dominierende Sprache, der sich die einheimischen Kinder anpassten (Kamphoefner 2006: 111). Die bäuerlich geprägte Mehrheit der deutschen Einwanderer blieb zunächst auch weitgehend unter sich: Das galt für soziale Kontakte ebenso wie für exogene Heiraten (Kamphoefner 2006: 126ff.). Kamphoefner beschreibt die Lage deutscher Auswanderer in den USA in ländlichen Regionen im 19. Jahrhundert: »Intensive persönliche Kontakte pflegten die meisten Deutschen lieber mit Angehörigen ihrer eigenen Familien und ihrer Gemeinden. Sobald sie es sich leisten konnten, haben die deutschen Konfessionen auch Gemeinschaftsschulen organisiert, was dem Erhalt von Sprache und Gemeinschaft diente. Assimilation war in gewissem Ausmaß abhängig von der Schichtzugehörigkeit, wobei der Widerstand gegen Veränderungen bei Einwanderern bäuerlicher Herkunft stärker zu spüren war als beim ehemaligen Bildungsbürgertum. Das ländliche Deutschtum in Missouri war in mancher Hinsicht seinem städtischen Gegenstück in Milwaukee ähnlich. In beiden Fällen bewirkten das ausgebaute institutionelle Netz und die breite soziale Schichtung, dass die Deutschen sich höchst selten aus ihrer Gemeinschaft herauszubewegen brauchten, um ihre ökonomischen und kulturellen Bedürfnisse zu erfüllen. Sie führten eine Existenz parallel und oft sehr ähnlich zu jener der Amerikaner, aber nur mit wenigen Berührungspunkten. […] Es gab daher nur wenige deutsche Einwanderer, die völlig in die amerikanische Gesellschaft eingegliedert waren. Stattdessen war es die ethnische Gruppe als Ganzes, die sich allmählich und fast unmerklich amerikanisierte, und zwar erst im Laufe von zwei der drei Generationen« (ebd.: 152f.).
Dabei darf kulturelle Beharrung nicht mit mangelnder nationaler Loyalität in eins gesetzt werden. »Man soll nicht den Fehler begehen, kulturelle Bereicherung mit politischer Loyalität zum Deutschen Reich zu verwechseln, wie es die Hurra-Patrioten des Ersten Weltkriegs oft taten. Es gibt kaum Anzeichen dafür, dass die Deutschen in diesem Gebiet – weitgehend schon in der zweiten oder dritten Generation – irgendwelchen gespaltenen Loyalitäten hatten« (ebd.: 201).
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Ein Indiz hierfür war auch die Zeichnung amerikanischer Kriegsanleihen, in denen die von deutschen Einwanderern geprägten Gebiete sehr hohe ProKopf-Beträge aufweisen (ebd.: 152f.). »Ethnic communities are formed, grow, and disappear; they go through a life-cycle« (Breton 1964: 205). Dieser Erfahrungssatz aus dem Amerika der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kann für die Bundesrepublik Deutschland (und auch für andere westeuropäische Staaten) keine Geltung für sich beanspruchen: Die Verhältnisse sind grundlegend andere. Gegen die optimistische Annahme, dass sich die Integration in die Mehrheitsgesellschaft nach verschiedenen Phasen nahezu »automatisch« ergibt, sprechen mehrere Gründe: Die Zuwanderer, die in der Bundesrepublik ethnische Kolonien bilden (oder sich zumindest in einzelnen Gebieten der Stadt konzentrieren), kommen in vielen Fällen aus der Unterschicht des Herkunftslandes. Die dicht besiedelte Bundesrepublik Deutschland veranlasste die Zuwanderung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht, weil große Flächen zu besiedeln gewesen wären. Die Rahmenbedingungen haben sich grundlegend gewandelt: Die Arbeitsmärkte sind nicht länger kennzeichnet durch einen hohen Bedarf an gering qualifizierten Arbeitskräften, so dass eine dauerhafte, ethnisch-soziale Unterschichtung der Aufnahmegesellschaften sozialen Aufstieg hemmt. Grundlegende Strukturveränderungen auf dem Arbeitsmarkt sorgen dafür, dass Zuwanderer mit geringen Qualifikationen zu erheblichen Teilen ausgeschlossen bleiben. Die sozialstaatliche Einbindung der Zuwanderer – insbesondere in der Bundesrepublik – fängt sie im sozialen Netz auf. Gleichzeitig bleiben die Verbindungen zum Herkunftsland länger stabil, dafür sorgen nicht zuletzt moderne Kommunikationsmittel und Satelliten-TV.
Ethnisch-soziale Unterschichtenkonzentrationen Welche Auswirkungen es hat, in einem ethnisch weitgehend homogenen Umfeld zu wohnen, ist umstritten (Dangschat/Hamedinger 2007: 7ff.; Dangschat 2007). Das beginnt bereits bei der näheren Bestimmung des Begriffes Umfeld: Ist hier die Rede von einem Stadtteil oder lediglich von der Nachbarschaft? Welche Effekte können residentielle Konzentrationen in Zeiten hoher Mobilität und medialer Vernetzung noch entfalten? Es stellt sich außerdem die Frage: Wird die Ballung ethnischer Gruppen zusätzlich sozialstrukturell überlagert? Bei statushohen Migranten sind die Auswirkungen der wohnlichen Konzentration andere als bei sozial schwachen, bildungsfernen Zuwanderern. Und: Welche Rolle spielen neue Muster der Zeit- und Raumnutzung, die sich vor dem Hintergrund der Strukturveränderungen auf dem Arbeitsmarkt (Terti-
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arisierung, Flexibilisierung, Erosion der Normalarbeitsverhältnisse) entwickeln? Schließlich: Welche Rolle spielt die hinzukommende schulische Segregation in diesen Vierteln? Sie ist meist erheblich stärker ausgeprägt als die wohnliche Segregation (hierzu Kapitel 4). Ethnische Konzentrationen im Aufnahmeland werden einerseits als Bedingung und Ausdruck eines sinnvollen und notwendigen Selbstbehauptungswillens gesehen, der Voraussetzung erfolgreicher Integration in die Aufnahmegesellschaft ist. Andererseits wird die Orientierung auf eigenethnische Strukturen als strukturelles Hindernis auf dem Weg zur Eingliederung in die Aufnahmegesellschaft betrachtet. Grundsätzlich ist festzustellen, dass die Auswirkungen ethnischer Kolonien in Zuwanderungsprozessen (ob sie sich letztlich als Durchgangsstationen oder als Sackgassen erweisen) wesentlich vom politischen und wirtschaftlichen Kontext des Aufnahmelandes und der Struktur der zuziehenden Gruppen abhängen. »Bei zunehmendem Ausschluss vom Arbeitsmarkt werden sich die Konzentrationen und ethnischen Gemeinden verfestigen und abschotten. Die Gefahr besteht also, dass die ethnischen Kolonien ihre Brückenfunktion verlieren und sich aus den Gebieten der Ausländerkonzentration Räume der Isolation und Benachteiligung entwickeln« (Häußermann/ Kapphan 2000: 219).
Hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf Integrationsprozesse sind ethnische Kolonien als ambivalent einzuschätzen: Sie sind zu Beginn des Einwanderungsprozesses ohne Zweifel hilfreich. Sie entlasten die Zuwanderer. Gleichzeitig nehmen sie aber viel von der Motivation, sich den gesellschaftlichen Verhältnissen in der Mehrheitsgesellschaft zu stellen und sich grundlegenden Notwendigkeiten anzupassen (Sprache etc.). Sie tragen dazu bei, »ethnische Identitäten über Generationen hinweg erhalten zu können« (Kamphoefner 2006: 195). Kamphoefner (ebd.: 218 f.) kommt für die deutschen Einwanderer in die USA, die über Kettenwanderungen ethnische Kolonien bildeten, zu dem Schluss: »[…] eine homogene Gemeinde trug sicherlich dazu bei, die Neuankömmlinge sowohl vor wirtschaftlich-materiellem als auch psychischen Druck zu schützen. Auch das konnte jedoch ein zweischneidiges Schwert sein. Ein gewisses Maß an Stress kann anregend wirken. (…) Schwimmen lernt man am schnellsten, wenn ins kalte Wasser geworfen wird, doch ertrinkt ein gewisser Anteil dabei. Oder, um im Bild zu bleiben: Das Risiko zu ertrinken wird stark verringert, wenn man eine Rettungsweste trägt, zugleich sinken aber auch die Chancen, ein Wettschwimmen zu gewinnen«.
Je homogener eine ethnische Kolonie ist, desto stärker ausgeprägt sind die Zentripetalkräfte, desto geringer war die Abwanderung. Für die Einwanderung des 19. Jahrhunderts in die USA kann festgestellt werden, dass sich Einzelwanderer schneller integrierten als jene, die über Kettenwanderung kamen und
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sich zunächst in ethnischen Kolonien niederließen. Erstere waren einem größeren Druck der Verhältnisse ausgesetzt. Kamphoefner nennt deutliche Hinweise dafür, dass Einzelwanderer wirtschaftlich und gesellschaftlich erfolgreicher waren (Kamphoefner 2006: 223ff.). Auch die kubanischen Einwanderer sind dort wirtschaftlich am erfolgreichsten, wo sie nicht in ethnischen Enklaven leben (wie dies in Florida, New York oder New Jersey der Fall ist). Die Entwicklung der Städte, die wirtschaftliche Dynamik, sozialer Aufstieg und damit verbundene lokale Mobilität trugen wesentlich zur Auflösung der Einwandererkolonien bei. »Beschleunigt wurde der Auflösungsprozess durch die ungebrochene Expansion der Stadt sowie den Zuzug neuer Immigrantengruppen; denn bescheidener wirtschaftlicher Erfolg ließ sich leichter an der Peripherie in Hausbesitz umsetzen und gleichzeitig konnte man so der Überbevölkerung verfallender Stadtteile noch dazu durch fremde Bevölkerungsgruppen entkommen. So ist in erster Linie die sozioökonomische Dynamik großstädtischer Bedingungsfaktoren für den um 1900 sich bereits abzeichnenden relativ schnellen Verlust ethnischer Identität der deutschen Bevölkerung Chicagos verantwortlich zu machen« (Keil 1984: 405).
Ethnische Kolonien entstehen formal freiwillig, wenn unter anderem Mechanismen des Wohnungsmarktes indirekten Zwang ausüben. Dies ist der grundsätzliche Unterschied zum »Ghetto«, das ausschließlich durch Zwang von außen zustande kommt und zusammengehalten wird (Heckmann 1992: 96ff.). »Es ist daher auch nur folgerichtig, in den europäischen Städten, speziell den deutschen, nicht von ›Ghettoisierung‹ einzelner ethnischer Minoritäten zu sprechen. Definiert man nämlich Ghetto als eine stadträumliche Teileinheit, die deren Bewohner freiwillig nicht verlassen können, so gibt es keine Ghettos in den deutschen Städten« (Friedrichs 1998: 255; Wacquant 1998: 2006).
Ghettos sind Räume »institutionalisierter Armut«53, Räume, aus denen sich der Staat weitgehend herausgezogen hat. Nach Wacquant ist ein Ghetto »eine aus vier Elementen – Stigma, Zwang, räumliche Einschließung und organisatorisches Gehäuse – zusammengesetzte Einrichtung […], die den Raum instrumentalisiert, um die kollidierenden Ziele – ökonomische Ausbeutung und soziale Ausgrenzung – zu versöhnen« (Wacquant 2006: 12). Den zentralen Unterschied zwischen den französischen Banlieues und den amerikanischen Ghettos sieht er im Rassismus, »denn die Verbannung ins amerikanische Ghetto resultiert nicht, wie in den Vorstädten Frankreichs, aus dem Mangel an ökonomischem, kulturellem und gesellschaftlichem Kapital.
—————— 53 Vgl. Art. »Getto«, in: The dictionary of human geography, 4. Aufl., S. 312f.
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Der erste und ausschlaggebende Faktor ist die Hautfarbe.« (Wacquant 2006: 114; Peach 1996).
Binnenintegration Das Bezugssystem für Zuwanderer ist zunächst die ethnische Kolonie und dann das Aufnahmeland, »es ist nicht die Einwanderungsgesellschaft, in welche Zuwanderer kommen, sondern die Einwanderergesellschaft im Einwanderungsland« (Heckmann 1992: 112). Ethnische Kolonien sollen ein notwendiges Durchgangsstadium auf dem Weg in die Gesellschaft des Aufnahmelandes sein. Sie helfen den Zugewanderten in ihrer schwierigen, spannungsreichen und von Unsicherheit gekennzeichneten Lage, sich durch Rückzug in die eigene Ethnie zu stabilisieren. Hier könnten sie das Selbstbewusstsein, das notwendig für aktives Handeln in der Aufnahmegesellschaft ist, entwickeln und sich – in Selbsthilfe – das nötige Alltagswissen aneignen sowie sich als pressure group formieren (u.a.: Elwert 1982: 720ff.; 1984; Richter 1983; Fijalkowski 1988: 10ff.; Bürkner 1998; Häußermann/Siebel 2002: 39ff.). Heckmann nennt als wesentliche Funktionen : die »Neueinwandererhilfe« zur Minderung des »Kulturschocks«, die »Stabilisierung der Persönlichkeit, die Möglichkeit zur Selbsthilfe, »kulturspezifische Sozialisation«, »soziale Kontrolle« und die Möglichkeit der »Interessenartikulation und Interessenvertretung« (1992: 111ff.). Mischung zerstöre, so Siebel (1997: 40), »informelle Netze bzw. behindert deren Aufbau und schwächt damit die ökonomische, die soziale und die psychische Stabilität. Diese aber sind Voraussetzung für gelingende Integration. Erst auf der Basis einer gesicherten Identität lässt man sich auf das Abenteuer des Neuen ein, und das gilt für Zuwanderer wie für Eingesessene. […] Segregation ist ein notwendiger Schritt dorthin zu einer Integration ohne Unterwerfung«.
Derartige Strukturen seien deshalb nicht von vornherein und nicht ausschließlich als Ausdruck von Abschottung zu werten, sondern könnten auch als positives Moment der Daseinsbewältigung in der Fremde betrachtet werden, als »Zwischenwelt« (Heckmann 1992: 115). Das setzt allerdings voraus, dass das rechtsstaatliche Gewaltmonopol nicht durch gewaltförmige Binnenstrukturen außer Kraft gesetzt wird, Wortführer die Strukturen nicht dazu nutzen, um Gruppenangehörige von der Aufnahmegesellschaft zu isolieren und schließlich, dass die ethnische Kolonie durchlässig ist und die Notwendigkeit gesehen wird und der Wille besteht, sich zur Mehrheitsgesellschaft zu öffnen: »Die
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Kultur der Immigranten muss ein lernfähiges System bleiben« (Elwert 1982: 724; ders. 1984: 57ff.). Die Orientierung auf die eigene Herkunft und Gemeinschaft kann in der schwierigen Migrationssituation zu einem gestärkten Selbstbewusstsein beitragen und damit hilfreich sein. Voraussetzung erfolgreicher Integration wäre allerdings eine Orientierung an der Aufnahmegesellschaft und deren Maßstäben. Darauf hat Hartmut Esser (1986: 115) in der Auseinandersetzung um die Vorstellung von »Binnenintegration« hingewiesen: »Die Entstehung selbstgenügsamer ethnischer Kolonien und Subkulturen, die identifikative Aufwertung innerethnischer und die Abwertung interethnischer Beteiligungen verstärken den Ausschluss von innen her. Beides hat objektive strukturelle Folgen: Der Ausschluss sorgt für die Benachteiligung im Erwerb von Fertigkeiten, Ressourcen und Aspirationen, die zum ›Wettbewerb‹ befähigt hätten. […] Sofern man unter ›Integration‹ auch die Abwesenheit von nach ethnischen Kriterien systematischen ökonomischen Ungleichheiten versteht, dürfte die ethnische Koloniebildung somit unter einer sehr großen Vielzahl von Bedingungen eine deutliche Behinderung dieser strukturellen Integration darstellen. Wahrscheinlicher als die schließlich sich vollziehende Integration in die umgebende Aufnahmegesellschaft (bei Erhalt der kulturellen Identität) ist eine andere Folge: durch ethnische Koloniebildung wird durchaus das Selbst gestärkt, dieses aber unter der Gefahr einer kulturellen und sozialen Abschottung […] und der Ausgliederung aus den strukturellen Aufstiegsmöglichkeiten, für die die ethnische Kolonie die erforderlichen formalen und ›peripheren‹ Qualifikationserfordernisse nicht bereitstellen kann«.
Esser kommt zu dem Schluss, dass ein erfolgreicher Aufstieg in der Mehrheitsgesellschaft nur durch ein Verlassen der ethnischen Kolonien möglich ist. »In allen Fällen, in denen die zentralen Positionen von Angehörigen der Mehrheitskultur kontrolliert werden und in denen infolgedessen gesellschaftlicher Aufstieg nur unter Erwerb von Qualifikationen möglich ist, die sich an den Kriterien der Aufnahmegesellschaft orientieren, wird eine strukturelle Eingliederung nur unter Entfremdung von der ethnischen Kolonie möglich sein« (ebd.: 116).
Die Befürworter einer binnenintegrativen Segregation stellen dagegen die positiven Effekte von Segregation (die nicht erzwungen, sondern freiwillig erfolgt ist) in den Mittelpunkt. »Segregation dient der Vermeidung von Konflikten, sie erfüllt den Wunsch, mit seinesgleichen zusammenzuleben, sie erleichtert gutnachbarliche Kontakte, den Aufbau von Hilfsnetzen und sie stabilisiert durch eine vertraute soziale Umwelt« (Siebel 1997: 39). Für die Entwicklung einer »multikulturellen Stadt« ist Segregation demnach eine notwendige Voraussetzung. »Die multikulturelle Stadt ist eine Stadt, die fremde kulturelle Identitäten nicht bedroht, sondern sie stabilisiert und ihnen ermöglicht, gleichberechtigt das Eigene zur Entwicklung einer urbanen Kultur beizutragen« (ebd.: 40).
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In der sozialen Wirklichkeit vieler Großstädte besteht allerdings für viele Jugendliche in ethnischen Kolonien nicht das Problem darin, dass sie ihre »kulturelle Identität« nicht ausreichend entwickeln könnten, sondern dass sie sich nicht in Bildungssystem und Arbeitsmarkt der Aufnahmegesellschaft integrieren (können) und außen vor bleiben oder zumindest in der ethnischen Ökonomie hängen bleiben. Diese dauerhafte Perspektivlosigkeit ist das Problem, das für Identitätswächter den wichtigsten Anknüpfungspunkt ihrer Identitätspolitik darstellt. Die Annahme eine binnenintegrative Segregation wäre Voraussetzung für eine multikulturelle Stadt, kulturalisiert soziale Probleme. Zudem bleibt bei dieser Betrachtung unbeachtet, dass in den ethnischen Kolonien (soweit sie ethnisch-soziale Unterschichtenkonzentrationen darstellen) nicht die Voraussetzungen für die notwendigen Assimilationsprozesse gegeben sind (Bommes 2003: 97). Hinzu kommt, dass hier die Zuwandererkolonien als homogene Einheiten dargestellt werden. Das Konzept der binnenintegrativen Segregation bezieht nicht die divergierenden Interessen und die Konflikte ein (wie von jungen Frauen, die sich von traditionellen Ehe- und Familienvorstellungen lösen wollen und den Wortführern ethnisch-religiöser Gruppen). Ebenso unberücksichtigt bleiben die repressiven Milieus, die sich in ethnischen Kolonien zunehmend entwickeln (Heitmeyer 1998: 450ff.; Anhut/Heitmeyer 2000: 42).
Integrationszyklen In den USA wurden verschiedene Modelle der Eingliederung von Einwanderern entwickelt (Esser 1980: 34ff.). Von der amerikanischen Sozialökologie, der Chicagoer Schule, sind zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts Bevölkerungsbewegungen in den Großstädten analysiert worden.54 Demnach vollziehen sie sich in Zyklen und erreichen unweigerlich ein Stadium, so die optimistische Annahme, in dem eine erfolgreiche Integration erfolgt. So sieht der RaceRelations Cycle von Emory Bogardus aus den zwanziger Jahren sieben Phasen in den Beziehungen zwischen Einwanderern und Einheimischen – am Beispiel der in die USA einwandernden Japaner und Chinesen (Bogardus 1929/30: 612ff.):
—————— 54 Zur Chicagoer Schule u.a.: Farwick 2009: 26ff.; Krämer-Badoni 2004; Esser 1980: 149ff.
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1. Den Neuankömmlingen wird mit neugierigem Interesse und Mitleid begegnet. Fremdheit und die geringe Anzahl lassen sie hilfsbedürftig erscheinen. 2. Ihr wirtschaftlicher Erfolg macht sie zu willkommenen Fremden. Sie wollen so viel Geld wie möglich verdienen. Ihr Fleiß und die Bereitschaft, zu Bedingungen zu arbeiten, die von den Einheimischen nicht mehr akzeptiert werden, zeichnen sie aus. Die Umstände ermutigen sie, Verwandte und Freunde nachzuziehen. 3. Wirtschaftlich und sozial motivierte Feindseligkeit entsteht. Es kommt zu Ausbrüchen von offener Ablehnung und Feindschaft seitens der Aufnahmegesellschaft. Der wirtschaftliche Erfolg der Einwanderer lässt Konkurrenzängste laut werden. Ihre Leistungsbereitschaft wird als unfairer Wettbewerb und Sozialdumping angeprangert. In diese Phase des »Geschreis und Gezeters« mischen sich auch chauvinistische Töne. Die schnell anwachsende Zahl der Einwanderer und ihre hohen Geburtenraten lassen Ängste vor Überfremdung entstehen. »Sheer numbers of immigrants plus high birth-rates constitute a tremendous threat against the established order« (ebd.: 615). Die sozialen Aufsteiger unter den Einwanderern wollen die ethnischen Kolonien verlassen und in »bessere« Wohngebiete ziehen. Dort sind sie allerdings nicht willkommen: Die Immobilienbesitzer befürchten einen Wertverfall. Einige wenige »fremde Nachbarn« könnten die Vorhut eines Zustroms sein, der schließlich zum vollständigen Austausch der Wohnbevölkerung führen könnte. 4. Gesetzliche Maßnahmen zur Abwehr und zur Beschränkung von Einwanderung werden ergriffen: Kampagnen gegen »unerwünschte« Einwanderer werden geführt. 5. Gegenreaktionen des fair-play entstehen: Bewegungen, die die Einwanderer vor ungerechtfertigten Angriffen in Schutz nehmen, lassen sie das Vertrauen in das amerikanische Leben und die amerikanischen Prinzipien nicht verlieren. 6. Es kehrt Ruhe ein. Nachdem die restriktiven Gesetze beschlossen wurden, kommen die Anti-Einwanderer-Aktivitäten zum Erliegen. 7. Probleme der zweiten Generation entstehen: Die Kinder der Einwanderer haben sich weitgehend assimiliert und den Kontakt zum Herkunftsland ihrer Eltern verloren. Dennoch werden sie in den USA als dem Land ihrer Geburt und ihrer Staatsangehörigkeit aufgrund ihrer Hautfarbe oder kultureller Eigenarten nur teilweise akzeptiert. Kritiker der Zyklus-Modelle hinterfragen allerdings die unterstellte Zielgerichtetheit der Abläufe hin auf einen Zustand der Assimilation der Zuwanderer. Dies sei keineswegs zwangsläufig der Fall, es könne auch zu einer dauerhaften
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Unterschichtung der Aufnahmegesellschaft kommen. Auch seien die Prozesse keineswegs irreversibel (Esser 1980: 48ff.). Hinzu kommt, dass sich die Aufenthaltsdauer nur dann positiv auf Integration bzw. Assimilation auswirkt, wenn die Rahmenbedingungen stimmen, wenn also vor allem ethnische Kolonien nicht als Integrationsbarrieren wirken (ebd.: 84ff.; ders. 1990). Zudem wurde kritisch eingewandt, dass die Rolle und Ausrichtung des politisch-administrativen Systems, der diversen beteiligten Akteure und der Einfluss der wirtschaftlichen Bedingungen unbeachtet bleiben (Dangschat/Hamedinger 2007: 9). Robert E. Park ging in seinem Modell davon aus, dass sich die sozialen Distanzen auf die räumlichen Distanzen übertragen, das heißt, je größer die soziale Distanz zwischen Stadtbewohnern ist, desto weiter wohnen sie voneinander entfernt. Das gelte vor allem für unterschiedliche ethnische Gruppen (Friedrichs 2000: 180f.). Seine These geht davon aus, dass die kulturellen, sprachlichen und »rassischen« Eigenarten von Einwanderern im Laufe des Aufenthalts an Bedeutung verlieren und es auf Dauer zu einer Angleichung an die Aufnahmegesellschaft kommt. Voraussetzung dafür sind die Auflösung des ethnischen Zusammenhangs im Aufnahmeland und der räumlichen Konzentration sowie die zurückgehende Identifikation mit der Herkunftsgruppe. »[…] die Stärkeren, Energiereicheren und Ehrgeizigeren [werden] sehr bald ihre Ghettos und Immigrantensiedlungen verlassen, um dann in eine zweite Immigrantensiedlung zu ziehen oder vielleicht auch in eine kosmopolitische Gegend, in der Mitglieder verschiedener Immigrantengruppen zusammentreffen und nebeneinander leben. Bindungen, die auf Rassen-, Sprach- und Kulturbasis aufgebaut sind, werden dabei schwächer, denn die erfolgreichen Individuen dieser Gruppen verlassen sie und finden schließlich ihren Platz im Geschäftsleben und in den Berufsgruppen innerhalb der älteren Bevölkerung, die nicht mehr mit einer bestimmten Sprach- oder Rassengruppe identifiziert werden kann. Deshalb ziehen Veränderungen im wirtschaftlichen oder sozialen Status gewöhnlich einen Wohnungswechsel nach sich« (Park 1974: 94).
Die amerikanischen Erfahrungen sind vor dem Hintergrund einer Einwanderung zu verstehen, die nicht vorwiegend aus den Unterschichten der Herkunftsländer stammte. Dies war in den europäischen Ländern in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts allerdings grundlegend anders. Mangels sozialstaatlicher Einbettung existierte in den ethnischen Kolonien in den Vereinigten Staaten ein Aufstiegsstreben, das mit dem Willen zum Verlassen des jeweiligen Viertels verknüpft war. In den USA wurden bestimmte Stadtbezirke zu »Durchgangsstationen« für neu ankommende Zuwanderer, die immer wieder von nachrückenden Gruppen eingenommen wurden (Hoffmeyer-Zlotnik 1976: 29ff.)
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Invasion und Sukzession Invasion und Sukzession entstehen aufgrund verschiedener Motive und Ursachen – Filtermechanismen am Wohnungsmarkt, Interesse an möglichst niedrigen Kosten für den Aufenthalt und an der Gemeinschaft mit Landsleuten sowie Rückzugsverhalten der Alteinwohner (Hoffmeyer-Zlotnik 1976: 102 f.; Friedrichs/Triemer 2007: 71ff.). Keine dieser Ursachen kann aus dem Bündel herausgelöst und als alleinige verabsolutiert werden. Am Beginn der Entstehung einer ethnischen Kolonie steht die »Invasion« einer ethnischen Minderheit in ein städtisches Wohngebiet. Sie hat wiederum eine »Sukzession« zur Folge: die Abwanderung der angestammten Wohnbevölkerung und damit einen Bevölkerungsaustausch und einen Nutzungswandel in dem Gebiet. Die sozialen Aufsteiger aus der Zuwanderergruppe verlassen diese Gebiete spätestens in der zweiten Generation (Hoffmeyer-Zlotnik 1976: 22f.). Invasion-Sukzessionsprozesse existieren auch in umgekehrter Richtung: Im Prozess der Gentrification verdrängen statutshöhere Personen statusniedrigere in der Konkurrenz um Wohnstandorte (Dangschat 1988). Der Wegzug der Einheimischen hängt – so die Tipping-Theorie von Thomas C. Schelling – von einem Schwellenwert hinsichtlich des Anteils von Zuwanderern in der Nachbarschaft ab (Kecskes/Knäble 1988). Ist dieser Schwellenwert (tipping point) erreicht, »entsteht ein sich selbst verstärkender Auszugsprozess« (ebd.: 296). Allerdings ist fraglich, ob ein solch – post factum – empirisch feststellbarer Schwellenwert tatsächlich Aussagen ermöglicht über maximale Konzentrationen, nach deren Überschreiten ein Abwanderungsprozess der Einheimischen prognostiziert werden könnte. Schließlich geht es dabei um die sehr subjektive Einschätzung, ab wann die befürchteten negativen Konsequenzen derart gravierend sind, dass von der Exit-Option (dem Verlassen des Stadtteils) tatsächlich Gebrauch gemacht wird (Dangschat 2002: 27f.). Die zunehmende Vervollständigung der eigenethnischen Infrastruktur führt zu stärkerer Abschließung und reduziert damit die Kontakte zur »Außenwelt«. Das Leben in ethnischen Kolonien fördert das Entstehen von Ressentiments auf beiden Seiten: bei den zugewanderten Gruppen ebenso wie bei der verbliebenen ursprünglichen Bevölkerung und der einheimischen Bevölkerung im Allgemeinen. Je größer, je »sichtbarer« die zugewanderte Gruppe ist, je mehr sie sich abhebt von den Einheimischen, desto stärker sinkt die Akzeptanz in der Aufnahmegesellschaft. »Je höher aber die institutionelle Geschlossenheit einer ethnischen Gruppe ist, desto reduzierter ist die aus der Kolonie herausführende Mobilität ihrer Mitglieder. Ein Ausbruch aus
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der eigenen und eine Integration in die dominante Gruppe ist hierbei für das einzelne Gruppenmitglied schon durch die eigene Gruppe sehr beschränkt. Segregation bedeutet jedoch nicht nur ein Erhalten des eigenen Gruppencharakters, sondern bewirkt auf der Gegenseite, bei der Majorität, zunehmende Missverständnisse und soziale und damit räumliche Distanzierung, besonders wenn in der Minorität nur die Arbeitskraft und nicht der Mensch gesehen wird. […] Wird die Distanz zwischen den segregierten Gruppen zu groß, und finden nur wenige oder keine sozialen Kontakte zwischen der Minorität und der Majorität statt, so gerät die Minorität in die Isolation« (Hoffmeyer-Zlotnik 1976: 22f.).
Bei den einheimischen Bewohnern entsteht das Bild einer In-Besitznahme ihres heimatlichen Umfeldes durch die Fremden. Das gilt insbesondere dann, wenn die zuziehenden Fremden im Haus, im Wohnblock oder im Straßenzug zur Mehrheit werden. Besonders bedeutsam ist in diesem Zusammenhang der öffentliche Raum, der von den Neuzugewanderten und ihren abweichenden Verhaltensmustern zunehmend dominiert wird: Kopftuch tragende, verschleierte Frauen, fremdsprachige Beschilderungen, häufig in Gruppen auftretende Erwachsene (Hoffmeyer-Zlotnik 1976: 114ff.), Gruppen von türkischen Jugendlichen auf Plätzen und Grünflächen und in öffentlichen Freizeiteinrichtungen, bei denen türkische Jungen die tonangebende und damit ausgrenzende Kraft sind (Schröder/Conrads/Testrot/Ulbrich-Herrmann 2000: 127ff.). Auf diese Weise werden sie als Bedrohung empfunden (Der Regierende Bürgermeister: 1978 41ff.). Hinzu kommt eine andere und sehr viel ausgeprägtere Nutzung des öffentlichen Raums durch Zugewanderte: ein reges Straßenleben, das bei den Alteingesessenen den Eindruck der Verdrängung entstehen lässt. All das lässt die gewohnte Vertrautheit schwinden, es entsteht das Gefühl, »fremd in der eigenen Heimat« zu sein. Die Bildung ethnischer Kolonien wird von den damit konfrontierten einheimischen sozial Schwachen nicht als Ausdruck des Zusammengehörigkeitsgefühls der ethnischen Minderheit betrachtet, sondern als Bedrohung empfunden. So »ist die Wahrscheinlichkeit […] hoch, dass die im Umgang mit fremden Kulturen ungewohnten Unterschichtangehörigen die kulturelle Andersartigkeit nicht lediglich als Ausdruck interner Kohäsion der Gruppe, sondern als provozierende Bedrohung empfinden« (Esser 1986: 110). Diese internen und externen Faktoren verstärken sich gegenseitig und bewirken eine »wechselseitige Verstärkung von externen sozialen Distanzierungen und interner Milieubildung« (ebd.: 115). In den ethnischen Kolonien ist man ethnisch und sozial »unter sich«. Dadurch begegnet man auch im Alltag keinen Personen mehr, die ihr Leben durch reguläre Arbeit finanzieren und auch anderweitig ein »bürgerliches« Leben führen.
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»So fehlen z.B. durch den Wegzug besser gestellter Familien zunehmend positive Vorbilder, also Personen, die andere Lebensmöglichkeiten als Arbeitslosigkeit, Sozialhilfebezug oder illegale Aktivitäten vorleben. […] Wenn Jugendliche in ihrer Familie und im Bekanntenkreis keine Personen mehr kennen, die einer geregelten Erwerbsarbeit nachgehen, oder die sich legal ihren Lebensunterhalt verdienen, dann können sie auch nicht erfahren, dass dies auch eine Möglichkeit der Lebensgestaltung darstellt« (ebd.: 115).
In den ethnischen Kolonien besteht nach erfolgtem Bevölkerungsaustausch nahezu ausschließlich Kontakt zu marginalisierten Gruppen der Aufnahmegesellschaft. Das erschwert eine erfolgreiche Integration zusätzlich.
Gruppengröße und institutionelle Vollständigkeit Solange die Zahl der Zuwanderer noch sehr gering ist, ist eine Angleichung an die Mehrheitsgesellschaft nahezu unvermeidlich. Für die »Pioniere« unter den Zuwanderern waren Kenntnisse der deutschen Sprache noch unumgänglich (Hoffmeyer-Zlotnik 1976: 112). Eine gewisse Gruppengröße ist sowohl in sozialer als auch in wirtschaftlicher Hinsicht Voraussetzung für ethnische Segmentation, für die Bildung ethnischer Kolonien (Esser 1985: 442). Hartmut Esser hat darauf hingewiesen, dass speziell die Größe der Gruppe von Bedeutung ist, dass »ethnische Kolonien immer an die Anwesenheit einer hinreichend großen Anzahl von Migranten eines ähnlichen ›Schicksals‹ gebunden sind: die bloße Anwesenheit von Personen ähnlicher Sprache, Kultur und Orientierung schafft die Opportunitäten, die zur Herausbildung von ethnischen Kolonien und deren institutioneller Verfestigung notwendig sind« (Esser 1986: 109; Friedrichs 2008: 397).
Durch die große Anzahl der zugezogenen Landsleute übersteigt der Anpassungsdruck innerhalb der ethnischen Kolonie die Anziehungskraft der sie umgebenden Mehrheitsgesellschaft. Für immer wieder neu aus den Herkunftsländern hinzukommende Zuwanderer entwickelten diese Viertel eine erhebliche Anziehungskraft, denn nur hier finden sie eine ethnisch und kulturell ausgerichtete Infrastruktur, die die Umstellungs- und Eingewöhnungsprobleme minimiert. »Wenn die Gruppe schon stark angewachsen ist und begonnen hat, eigene Institutionen zu etablieren, ist es für die Neuankömmlinge nur noch eine Frage der Vernunft, hier zu siedeln, wo sie am ehesten eine ihren Bedürfnissen entsprechende Infrastruktur vorfinden dürften« (Hoffmeyer-Zlotnik 1976: 34). Der Zusammenhalt der Großfamilien und das soziale Geflecht mit einer ausgeprägten Selbsthilfebereitschaft – an sich positive Faktoren – bewirken
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eine zunehmende Abschottung. Diese Stadtviertel bieten eine ethnisch ausgerichtete Angebotsvielfalt, die den Interessen und Bedürfnissen der ausländischen Wohnbevölkerung nahezu optimal entspricht. Eine sich vervollständigende türkischsprachige Dienstleistungsinfrastruktur beispielsweise – Gaststätten, Teehäuser, Ärzte, Patientenberatung, Anwälte, Lebensmittelhändler, Friseure, Reisebüros, Moscheen mit verschiedensten Angeboten, Kaufhäuser, vereinzelte Internate – macht einen Kontakt zur deutschen Gesellschaft seit Mitte der 1970er Jahre weitgehend überflüssig und begrenzt die sozialen Beziehungen auf die ethnische Kolonie. Bereits 1976 stellte Jürgen HoffmeyerZlotnik (109) in seiner Analyse zu Berlin-Kreuzberg fest: »Die Motivation zum Erlernen der fremden Sprache ist für die Mitglieder der eindringenden Minorität teils jedoch sehr gering. Im Prinzip benötigen sie die fremde Sprache (die Arbeitswelt vielleicht einmal ausgeklammert) dann kaum noch oder nicht mehr, sobald ihre Kolonie groß und etabliert genug ist und ein ausreichendes Versorgungs- und Kommunikationssystem entwickelt hat, so dass die Minorität ohne wesentliche alltägliche Kontakte zur ethnisch anderen Umwelt in ihrer Kolonie existieren kann. «.
Selbst wenn die Zuwanderer zu staatlichen Stellen Kontakt aufnehmen müssen – etwa bei Anträgen zur Sozialhilfe – führen sie mehrsprachige Beschilderungen in den Rathäusern und Ämtern zum Ziel. Zu fast jedem relevanten Thema sind seit den 1970er Jahren Broschüren und Merkblätter in türkischer Sprache erstellt worden (Der Regierende Bürgermeister 1978: 102). »Wir brauchen hier die deutsche Sprache nicht«, meint denn auch ein 20-jähriger Kreuzberger türkischer Staatsangehörigkeit im Gespräch mit dem damaligen Berliner Innensenator Jörg Schönbohm.55 Dass Kinder türkischer Herkunft in einem mehrsprachigen Umfeld aufwachsen, wie es türkische Verbände behaupten, trifft für die ethnischen Kolonien eben gerade nicht zu. Deshalb gilt, was die Föderation türkischer Elternvereine in Deutschland als Wunschvorstellung beschreibt, lediglich für eine kleine Schicht Gebildeter: »Wenn ihre Sprachkompetenz sowohl von den Kindertagesstätten und Schulen als auch von ihren Eltern konsequent ständig gefördert und gepflegt wird, könnte der größte Teil dieser Kinder dreisprachig, nämlich deutsch-türkisch-englisch, aufwachsen«56. Die ethnische Infrastruktur dient dem Zusammenhalt der Gruppe. Sie ersetzt Kontakte zur Aufnahmegesellschaft und verdichtet die sozialen Netzwerke innerhalb der Gruppen (Breton 1964: 198f.). Die muttersprachlichen Medien (sowohl Zeitungen als auch Hörfunk und Fernsehen) spielen hier eine
—————— 55 »Gettos gibt es nicht in Deutschland«. In: taz vom 5./6. September 1998. 56 »21. Februar – Internationaler Tag der Muttersprache der UNESCO«, Pressemitteilung der »Föderation Türkischer Elternvereine in Deutschland« vom 17. Februar 2005.
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wichtige Rolle und sind im Zeitalter globaler Kommunikation (Satellitensender) gegenwärtiger denn je. Die in Deutschland präsenten türkischen Medien betreiben (nicht zuletzt zur Stärkung ihrer »Leser-Blatt-Bindung«) eine rigorose pro-türkische Interessenpolitik (Halm 2006: 82ff.), die vor dem Hintergrund der politisch heterogenen Medienstruktur in europäischen Ländern für Außenstehende befremdlich wirkt. Sie nehmen, gemeinsam mit den Wortführern ethnischer Organisationen, erheblichen Einfluss auf die Themen, über die in der ethnischen Gemeinde diskutiert wird und beeinflussen die Debatten inhaltlich (u.a. zur Kontroverse um die Reform des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts Ende der 1990er Jahre: Sauer 2001: 173f.). Je stärker und differenzierter sich die Strukturen der Landsleute herausgebildet haben, desto geringer ist die Motivation, außerhalb der eigenen Strukturen Kontakte aufzunehmen. »Bei institutioneller Vollständigkeit einer ethnischen Kolonie hat kein einziger Minderheitsangehöriger Anlass, für eventuell auftretende Problemlösungen die interethnische Option zu wählen« (Esser 1986: 110; Fijalkowski 1988: 39). Insbesondere Neuzuwanderer kommen auf diese Weise nicht in die Versuchung, Kontakte zur Mehrheitsgesellschaft aufzunehmen. Die Bedeutung des Wohnumfeldes und der Kontaktmöglichkeiten zu Einheimischen sind – darauf wurde schon vor mehr als 25 Jahren hingewiesen – von entscheidender Bedeutung für Erfolg oder Misserfolg von Integration: »Nicht die schlechte Ausstattung der Wohngegend, sondern die damit einhergehenden Merkmale und Eigenschaften der Bewohner sind die wesentlichen Ursachen des […] sichtbaren Assimilationsnachteils. […] Es ist durchaus plausibel anzunehmen, dass negative Kontakterlebnisse […] dann besonders häufig sind, wenn ein niedriger Sozialstatus der deutschen Umgebungsbevölkerung, ein hoher ›Grad an Fremdheit‹ (kultureller Verschiedenheit) und eine starke Ausländerkonzentration vorliegen« (Forschungsverbund 1979: 112f.).
Die »Mobilitätsfalle« Hartmut Esser geht von der Überlegung aus, dass Menschen in dem Sinne »rational« handeln, in dem sie die Handlung wählen, »von der sie annehmen, dass sie ihnen im Vergleich zu den anderen, vorstellbaren Alternativen die relativ höchste Nutzenerwartung gewährleistet« (Esser 1985: 439). Für die Option »Aufnahme von interethnischen Beziehungen« (Wohnort, Arbeitsplatz) oder Verbleib im ethnischen Kontext gilt daher, dass jene Option gewählt wird, die den größten Nutzen und damit die geringsten Kosten verspricht. Konkret: Je ausgeprägter und größer die ethnische Kolonie im Aufnahmeland ist, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Kolonie
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verlassen wird. Grundsätzlich ist die Orientierung zur eigenen ethnischen Gruppe mit geringerem Aufwand, mit weniger Anstrengung verbunden als die Hinwendung zur Aufnahmegesellschaft, in der eine andere Sprache gesprochen wird und andere Fertigkeiten erlernt werden müssen, um erfolgreich zu sein (Esser 2000: 301ff.). Hinzu kommen auf die Verwandtschaft begrenzte, stark ausgeprägte, ethnisch homogene Netzwerke (Blasius/Friedrichs/Klöckner 2008: 147), die die »sozialen Ressourcen« weiter einschränken. Eine Studie zu türkischen Migranten in Hannover kommt zu dem Ergebnis: »Die Mehrheit der Migranten hat […] ein sozial und ethnisch homogenes Netzwerk und verfügt über keinerlei Kontakte zu Gatekeepern oder Brückenköpfen in andere, ressourcenreichere Netzwerke. So haben die arbeitslosen Migranten überwiegend Freunde und Bekannte, die selber arbeitslos sind und kaum materielle Unterstützung und noch seltener Informationen über Arbeitsmöglichkeiten bieten können« (Gestring/Janßen/Polat 2006: 191).
Zusätzlich wirken sich Abstoßungskräfte wie Diskriminierung durch die Aufnahmegesellschaft negativ aus. Nicht zu unterschätzen ist daneben der erhebliche Anpassungsdruck in den ethnischen Kolonien und Parallelgesellschaften (bis zu Gewalt und Zwang als Mittel), der die »Konformität zu den Normen der jeweiligen Binnengruppe« (Esser 1986: 114f.) bewahren soll. Diese beiden sozialen Wirkungskräfte verstärken sich zudem noch gegenseitig. Hier kommt es zu einer »Mobilitätsfalle« (Wiley 1973): Für Zuwanderer erscheint eine Arbeitsaufnahme im ethnischen Kontext in vielfacher Hinsicht näher liegend, Erfolg versprechender und mit geringerem Aufwand verbunden als ein Engagement in der Aufnahmegesellschaft (Esser 1985: 437f.). Das Verbleiben im ethnischen Kontext führt allerdings auch in sehr vielen Fällen dazu, dass es nur ein geringes Maß an sozialem und wirtschaftlichem Aufstieg gibt – mit dem Ergebnis einer ethnisch-sozialen Unterschichtung. Die Entscheidung für eine berufliche Orientierung hin zur Aufnahmegesellschaft oder hin zur eigenen Minderheitengruppe wird einerseits durch die größere Anstrengung bestimmt, die für eine Karriere in der Aufnahmegesellschaft notwendig ist, und andererseits durch die geringere Wahrscheinlichkeit, dort tatsächlich zu einem Erfolg zu kommen. Selbst wenn die Aufnahmegesellschaft die attraktiveren Jobs bietet, entscheiden sich junge Angehörige eher für eine Berufstätigkeit innerhalb der ethnischen Ökonomie. Auch dies trägt im Ergebnis zu einer Verfestigung ethnisch-sozialer Schichtungen bei. »Auf diese Weise wird leicht erklärlich, dass sich Minderheitsangehörige, sofern es nur eine mit einer internen Struktur versehene ethnische Kolonie gibt, in aller Regel und sehr rasch zu einer innerethnische Karriere entscheiden, und dass auf diese Weise ethnische Schichtungen sich auch stabilisieren, ohne dass es offene Diskriminierungen oder ein die Ungleichheit legitimierendes Wertesystem geben müsse. Die Folge ist jedenfalls für alle die geschilderten
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Bedingungen die gleiche: Ethnische Koloniebildung führt auf unterschiedliche Weise zur ethnischen Schichtung« (Esser 1986: 113).
Die ethnische Ökonomie lebt von der Selbstausbeutung der »Unternehmer« und der Ausbeutung ihrer familiären Netzwerke. Dadurch können Kosten minimiert und die prekäre wirtschaftliche Lage durchgestanden werden. »Durch die Ausbeutung ethnischer Solidaritäten (und Notlagen) sind z. B. die Produktionskosten ethnischer Unternehmen deutlich geringer, und Kosten zur Überwindung sozialer Distanzen von Seiten der Aufnahmegesellschaft fallen nicht an. Das gilt insbesondere dann, wenn die ethnische Gruppe im Zuge der Kettenmigration größer wird und so die Marktchancen für die ethnischen Produkte steigen. Räumliche Segregation und ethnische Netzwerke begünstigen das Erreichen solcher kritischen Massen« (Esser 2003: 16).
Probleme der Messbarkeit von Segregation Zur Messung von Segregation werden der so genannte Segregationsindex oder der so genannte Dissimilaritätsindex herangezogen (Janßen/Schroedter 2007: 458ff.; Schönwälder/Söhn 2007: 40ff.; Blasius 1988; Friedrichs 1983: 218ff.; kritisch: Dangschat 2007: 43). Bei der Berechnung des Segregationsindex wird ein Wert für das jeweilige Stadtgebiet ermittelt, »der sich als Prozentsatz der Minorität interpretieren [lässt], die umziehen/umverteilt werden müsste, um eine proportionale Verteilung von Minorität und Majorität zu erhalten« (Friedrichs 1983: 221f., zur ethnischen Segregation: 231ff.). Je höher dieser Wert ausfällt, desto ausgeprägter die Segregation. Zur Berechnung des Dissimilationsindex wird die »Segregation zweier Gruppen wiedergegeben und nicht das Verhältnis einer Bevölkerungsgruppe gegenüber der restlichen Bevölkerung« (Janßen 2004: 22). Das Ausmaß der residentiellen Segregation ethnischer Gruppen kann durch diese Indices allerdings nur äußerst eingeschränkt ermittelt werden. Das hat mehrere Gründe (Schönwälder/Söhn 2007: 5ff.): – Die Erfassung der Angehörigen von ethnischen Gruppen knüpft an die Staatsangehörigkeit an. Diese verliert allerdings rapide an Aussagekraft. Zum einen wegen der hohen Einbürgerungsquote, zum anderen wirkt sich die Einführung des ius soli mit dem neuen Staatsangehörigkeitsrecht mit dem Jahr 2000 aus. Damit steigen die Anteile der deutschen Staatsangehörigen, die Migrantenanteile sinken – ohne dass innerstädtische Mobilität zugrunde liegen muss. Einzelne Städte (wie Wiesbaden) unternehmen aufwändige Versuche, die Personen »mit Migrationshintergrund« zu ermitteln
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(Härle 2004: 16ff.; Schönwälder/Söhn 2007: 5f.; Janßen/Schroedter 2007: 464; Friedrichs/Triemer 2008: 25ff.). – Hinzu kommt die Größe der zugrunde liegenden Teilgebiete: Je größer sie sind, desto heterogener sind sie zusammengesetzt und desto geringer fällt der Segregationsindex aus (Friedrichs/Triemer: 2008: 22; Janßen 2004: 20); (die Unterschiede zwischen Neukölln-Nord und Neukölln-Süd in Berlin, siehe weiter unten.). – Schließlich: Je kleiner der Anteil der Minderheitengruppe, desto höher ist der Indexwert (Janßen 2004: 20; Janßen/Schroedter 2007: 458). Wichtig für die Frage nach der Messung von Segregation ist auch die zugrunde gelegte räumliche Einheit: Da sich ethnische Gruppen meist auf Ebene von Häuserblocks oder Straßenzügen konzentrieren, können Berechnungen auf Ebene von Städten oder Stadtvierteln unzutreffende Eindrücke vermitteln (Schönwälder/Söhn 2007: 17f.): Es können trotz relativ niedriger Segregationswerte einer Stadt relativ hohe Konzentration in einzelnen Vierteln vorhanden sein. Die ethnische Segregation in Deutschland ist insgesamt geringer ausgeprägt als unter anderem in den USA. Insgesamt ist sie in den vergangenen vierzig Jahren zurückgegangen (Friedrichs/Triemer 2008: 76ff.; Friedrichs/Nonnenmacher 2008; Friedrichs 2008: 387ff.). Das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung hat allerdings hinsichtlich der besonders stark ausgeprägten Segregation der türkischstämmigen Bevölkerung darauf hingewiesen, »dass die Intensität ethnischer residentieller Segregation deutscher Städte in vielen Fällen die nordamerikanischen Segregationsindikatoren der Zuwandererstädte erreichen und die residentielle Segregation somit ein alltägliches Erscheinungsbild deutscher Städte ist« (BBR 2008: 7). Auf der Ebene von Stadtvierteln dominieren in Deutschland selten einzelne Nationalitäten, in der Regel sind die Migranten-Viertel gemischt (Schönwälder/Söhn 2007: 17ff.). Was die soziale Struktur anlangt, so nehmen in der Mehrzahl der Städte seit mehr als dreißig Jahren die sozialräumliche Polarisierung und die soziale »Entmischung« der Wohnbevölkerung zu (Häußermann 2001a: 63ff.; Friedrichs/ Triemer 2008: 34ff.). Soziale und ethnische Segregation stehen in einem engen Zusammenhang (Friedrichs/Triemer 2008: 109). »Die ethnische Segregation ist umso höher, je höher der Anteil der Migranten in einer Stadt ist und je höher der Anteil der Sozialwohnungen ist« (Friedrichs 2008: 402). Dies ist zurückzuführen – auf sozial-selektive Stadt-Umland-Wanderungen (»Suburbanisierung«) und damit die Tatsache, dass vor allem Familien der Mittelschicht die Städte
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verlassen haben und somit das Umland der Großstädte zur »Familienzone der mobilen Mittelschichten« geworden ist (Kersting 2005: 253). Folglich ist dort der Anteil der Kinder und Familien besonders hoch und die Sozialhilfedichte besonders niedrig, in den Großstädten hingegen ist der Anteil der Kinder gering, aber die Sozialhilfedichte deutlich höher als im Umland. »Je weniger Kinder also in einer Stadt (bzw. in einem Kreis) leben, desto mehr davon sind arm« (Strohmeier 2003: 235). – auf Strukturveränderungen auf dem Arbeitsmarkt, die vor allem Zuwanderer benachteiligen. – auf die allgemeine Bevölkerungsentwicklung (Rückgang und Alterung der Bevölkerung). Hinzu kommt, dass die Zuwanderung mit einem Niederlassungsprozess in den sozial schwachen Stadtvierteln verbunden war. Die »Gastarbeiter« und ihre Familien wurden über den Wohnungsmarkt und andere Mechanismen (siehe unten) in Stadtviertel abgedrängt, in denen bereits die einheimischen sozial Schwachen lebten. In der Konsequenz waren zunächst lediglich soziale (arm/ reich) und demographische Segregation (alt/jung, kinderlos/kinderreich) registriert worden. In den 1980er Jahren kam die ethnische Komponente hinzu. Sie korreliert inzwischen mit den beiden anderen Faktoren so stark, dass ethnische Konzentration in Stadtvierteln heute (von wenigen Ausnahmen abgesehen) gleichbedeutend ist mit Armut und Kinderreichtum (ILS 2006: 7). Familie ist, statistisch betrachtet, heute in den Städten »die Lebensform der sozial Benachteiligten und der Migranten« (ILS 2006: 31). Für Nordrhein-Westfalen stellte die 2006 veröffentliche »Sozialraumanalyse« fest, dass »die weitaus meisten der inzwischen zahlreicheren ›Ausländer‹ […] heute in den Stadtteilen [leben], in denen auch die meisten armen ›Inländer‹ leben, und dort leben heute (zumindest in den Städten) auch die meisten Familien und Kinder. So ist es zu erklären, dass in unseren ›repräsentativen‹ Stadtteilanalysen der Ausländeranteil mittlerweile das statistisch bedeutendste Unterscheidungsmerkmal der Stadtteile geworden ist, denn er ist zugleich ein Armutsindikator und ein Indikator für die demographische Struktur des Stadtteils« (ILS 2006: 38).
Hier ist es im zurückliegenden Jahrzehnt zu einer »Verfestigung« gekommen, was vor allem in steigenden Sozialhilfedichten in den einschlägigen Vierteln zum Ausdruck kommt (Schönwälder/Söhn 2007: 24f.). Immer mehr Stadtteile sind von Armutssegregation geprägt und drohen zu »kippen«. Zudem ist eine »Auseinanderentwicklung von armen und wohlhabenden Stadtteilen zu beobachten« (ILS 2006: 8). Es kann daher festgehalten werden: Je niedriger die Einkommen und je niedriger das Bildungsniveau desto größer ist die Wahrscheinlichkeit (vor allem
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für Migranten), in ethnisch segregierten Gebieten zu leben (Janßen/Schroedter 2007: 468). Die Entmischung nimmt vor allem in kleinräumlichen Einheiten (unterhalb der Ebene von Stadtteilen) zu. »Es wird überwiegend eine Zunahme von sozialer und ethnischer Segregation auf der Ebene von Baublöcken, Straßenzügen oder einzelnen Häusern konstatiert. Diesbezüglich ist interessant, dass sich nach der Wahrnehmung der Experten Segregation in bereits benachteiligten Gebieten verstärkt« (ILS 2006: 8). Der »Stadtteil« hat als Bezugsgröße an Bedeutung verloren, dafür kommt der »näheren Wohnumgebung« eine wichtige Rolle für die Struktur von sozialen Kontakten zu. In seiner Untersuchung zu ethnischer Segregation in Bremen kommt Andreas Farwick (2009: 237) zu dem Ergebnis, »dass das Ausmaß der ethnischen Segregation in der näheren Wohnumgebung sowohl auf der Ebene der Baublöcke als auch auf der der Nachbarschaften einen signifikanten negativen Effekt auf die Herausbildung inter-ethnischer Freundschaftsbeziehungen hat«. Die Verknüpfung von sozialer und räumlicher Ungleichheit kommt nicht nur in der zunehmenden Verbreitung von Armutsvierteln, sondern auch in der Bildung von »Reichenvierteln«, zum Ausdruck. Sie sperren nicht selten die städtische Umgebung aus (gated communities, Wehrheim 2006: 175ff.). Diese Art von Segregation wird, darauf wird immer wieder hingewiesen, in der öffentlichen Debatte nicht problematisiert. Der Grund hierfür liegt darin, dass die sozial schwachen Stadtteile, im Gegensatz zu den »Reichenvierteln«, benachteiligende Wirkungen für ihre Bewohner haben. Zahlreiche Mechanismen wirken dort zusammen (u.a. ILS 2006: 20ff.). »Wir haben es mit einer Kumulation von Benachteiligungen zu tun, die sich kausal kaum entwirren lässt« (Friedrichs 2008: 392; Dangschat 2007: 34ff.). Auch statushohe und qualifizierte Migranten, die meist über transnationale Unternehmen zeitlich begrenzt in deutsche Städte kommen, konzentrieren sich in einzelnen Vierteln (Glebe 1998). Allerdings unterscheidet sich ihre Verteilung über die Stadtgebiete von jener der ehemaligen »Gastarbeiter« und deren Nachkommen: Sie konzentrieren sich auf Mittel- und Oberschichtwohngebiete (Freund 1998: 36ff.). Ihre Wohnortwahl orientiert sich ebenfalls am sozialen Status, ihre Finanzkraft gibt ihnen den Zugriff auf nahezu alle Sektoren des Wohnungsmarktes (mit Ausnahme der Sozialwohnungen). Die Verteilung orientiert sich unter anderem an bereits vorhandenen Gruppen (die wiederum an ethnisch-kulturellen Einrichtungen wie eigenen Schulen oder religiösen Einrichtungen gebunden ist), an Wohnungsvermittlungen durch die Arbeitgeber und von ihnen beauftragte Makler. Innerhalb der Gruppe statushoher Migranten weisen vor allem Japaner hohe Wohnkonzentrationen auf (Glebe
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1998: 22f., 27). Die Segregation dieser Gruppen wird nicht als Problem oder als potentielle »Belastung« wahrgenommen, sie sind weitgehend akzeptiert. »Die ›transnationalen Eliten‹ des kapitalistischen Wirtschaftssystems unterliegen bei ihren Migrationsvorgängen de facto kaum Einschränkungen, da man in den Gastländern von ihnen in der Regel keinen Daueraufenthalt erwartet, in ihnen keine Belastung für den lokalen Arbeitsmarkt und das Sozialsystem und somit ihm Gegensatz zur Zuwanderung statusniedriger Migranten auch keine Gefahr für den nationalen Wohlfahrtsstaat sieht. […] Ethnospezifische oder international ausgerichtete Infrastruktureinrichtungen in Form von Schulen oder Kindergärten dienen dazu, die Austauschprozesse zwischen Heimat und Gastland bei statushohen Migranten möglichst übergangslos zu garantieren. Während bei statusniedrigen Migrantengruppen die Entwicklung einer ethnospezifischen Infrastruktur eher misstrauisch als Verstärkungspotential für ethnische Segregation angesehen wird, wird eine solche Infrastruktur bei statushohen als Bestandteil des Migrationssystems akzeptiert« (Glebe 1998: 30; Häußermann/Kapphan 2000: 223ff.).
Entscheidend für die Auswirkungen ethnischer Konzentrationen ist der soziale Status der Bewohner. Insgesamt ist festzustellen: »Der größere Teil der nachwachsenden Generation wächst in den großen Städten unter Lebensbedingungen auf, die die alltägliche Erfahrung der Normalität von Armut, Arbeitslosigkeit, sozialer Ausgrenzung und Apathie, gesundheitlichen Beeinträchtigungen, gescheiterten Familien, möglicherweise auch Gewalt und Vernachlässigung beinhalten. Kinder in den Armutsstadtteilen erfahren eine abweichende gesellschaftliche Normalität. […] Die Mehrheit der Kinder in den großen Städten wird künftig unter solchen Voraussetzungen aufwachsen. Sie werden, wenn es gut geht, vielleicht Fähigkeiten erwerben, die ihnen das Überleben in dieser abweichenden Normalität ermöglichen, sie haben jedoch kaum eine Chance, die Nützlichkeit jener Kompetenzen, die das ›Humanvermögen‹ ausmachen, Solidarität, Empathie, Vertrauensfähigkeit und Vertrauenswürdigkeit, zu erfahren … In der Verfügung über dieses ›kulturelle‹ Kapital und in der Verfügung über das ›soziale Kapital‹ bei Bedarf hilfreicher sozialer Beziehungen – und weniger im Mehrbesitz an ökonomischem Kapital – liegt der entscheidende Startvorteil von Kindern aus bürgerlichen Mittelschichten« (Strohmeier/Kersting 2003: 238f.).
Zur Debatte um »Parallelgesellschaften« Bereits 1988 wies Jürgen Fijalkowski darauf hin, dass die neuen Zuwanderergruppen in der Bundesrepublik Ansätze zur Bildung von »Gesellschaften in der Gesellschaft« zeigten (1988: 40). Hierbei vollziehe sich ein Prozess zunehmender Verfestigung: »Zwischen der Existenz als bloßer Kategorie von Trägern eines gemeinsamen Merkmals ohne soziale Relevanz und dem Extremtyp einer ausdifferenzierten ›Gesellschaft in der Gesellschaft‹ gibt es zahllose Übergangsformen. Aber die tatsächlich beobachtbaren Etablie-
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rungsformen ethnischer Minoritäten sind auf einer solchen Skala unterschiedlicher Vervollständigungsgrade ethnospezifischer Sonderexistenz zu verorten« (1988: 41).
In jüngerer Zeit ist immer wieder die Rede davon gewesen, in deutschen Großstädten hätten sich ethnisch strukturierte »Parallelgesellschaften« herausgebildet. Gegen den Gebrauch dieses Begriffs ist heftig polemisiert worden: Er sei ein »verheerender Kampfbegriff«, ein »Kulturkampf-Ideologem«57, eine »Legende« (Gaitanides 2001: 16), »nicht nur falsch […] sondern als Argumentationsmuster im politischen Diskurs sogar gefährlich«58. Inhaltlich wurde kritisiert, dass er sich gegen die »multikulturelle Gesellschaft« richte (Butterwegge 2006: 200), Muslime diskriminiere, die legitime Vielfalt städtischen Lebens ignoriere (Gestring 2005). Diese Kritik ist nur insoweit berechtigt, als sie sich auf den Begriff der Parallelgesellschaft bezieht, wie er im journalistischen oder im politisch-alltäglichen Diskurs als Schlagwort zur Etikettierung fremdethnischer Wohnkonzentrationen verwendet wird. Zur Analyse der Prozesse in ethnischen Kolonien trägt diese Kritik allerdings nichts bei. Thomas Meyer vertritt die, seiner Meinung nach empirisch begründete Auffassung, »dass sich hierzulande in einer Reihe ethnisch-verdichteter Wohngebiete kollektive Wohnformen entwickeln, die die begrifflichen Merkmale der Parallelgesellschaft weitgehend erfüllen« (Meyer 2002: 212). Im Jahr 2002 hat er einen Kriterienkatalog vorgeschlagen, der erfüllt sein müsse, um von einer Parallelgesellschaft sprechen zu können. Soziale Kollektive müssten demnach folgende Merkmale haben (ebd.: 210): – sozial homogen oder heterogen – ethnokulturell bzw. kulturell-religiös homogen – nahezu vollständige lebensweltliche und zivilgesellschaftliche Segregation sowie weitgehende Möglichkeiten der ökonomischen Segregation – nahezu komplette Verdoppelung der mehrheitsgesellschaftlichen Institutionen – formal freiwillige Form der Segregation – siedlungsräumliche oder nur sozial-interaktive Segregation, sofern die anderen Merkmale alle erfüllt sind Es ist zurecht bemerkt worden, dass hier »die Latte sehr hoch gelegt« worden ist (Halm/Sauer 2006: 19). Es gibt ein einheitliches Zivil- und Strafrecht in Deutschland, dagegen keine an ethnischen noch an kulturellen Linien entlang
—————— 57 So der Titel eines Beitrages zum Thema »Parallelgesellschaften« im Rheinischen Merkur vom 19. Mai 2005. 58 Kaschuba, Wolfgang: Wie Fremde gemacht werden. Das Gerede von der Parallelgesellschaft ist nicht nur falsch. Es ist als Argumentationsmuster sogar gefährlich, in: Der Tagesspiegel vom 14. Januar 2007.
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orientierte Parteien oder Gewerkschaften. Allerdings ist festzuhalten, dass innerhalb ethnischer Kolonien (insbesondere in den von Meyer untersuchten »ethnisch abgeschotteten Subkulturen« libanesisch-kurdischer Großclans) der Druck erheblich ist, eigene Normen durchzusetzen, deren Nichtbefolgung abzustrafen, insgesamt Konflikte »unter sich« auszumachen und die deutsche Justiz außen vor zuhalten. Meyer hat seine Kriterien in dieser Hinsicht erläutert: »Von einem eigenständigen Rechtskreis kann faktisch […] auch dann gesprochen werden, wenn ein erheblicher sozialer oder soziokultureller Druck innerhalb der betreffenden Gemeinschaft besteht, wesentlich staatlich garantierte Grundrechte nicht zu nutzen oder im Streitfall nicht die staatlichen Gerichte, sondern ›eigenethnische‹ bzw. ›kulturell-religiöse‹ Schiedsstellen anzurufen und sich deren Urteil zu unterwerfen. Der Druck, sich hergebrachten Normen der eigenen Gruppe unter Verzicht auf wesentliche verbriefte Rechte der Aufnahmegesellschaft zu unterwerfen und sogar im Falle einer entgegengesetzten eigenen Auffassung auf die Anrufung der staatlichen Gerichte zu verzichten, um den sozialen Sanktionen der Parallelgesellschaft zu entgehen, kann in der Praxis ja durchaus überwältigend sein« (Meyer 2002: 211).
Johannes Kandel (2004: 10) hat sechs Grundelemente benannt, die im Entstehen sein müssen, wenn von parallelgesellschaftlichen Strukturen gerechtfertigterweise die Rede sein soll: – Kommunikationsabbruch zur Mehrheitsgesellschaft durch nachhaltige sprachliche, religiös-kulturelle und alltagsweltliche Segregation, – sozial-ökonomische Segregation (Aufbau alternativer Ökonomien und Arbeitsmärkte), – Abgrenzung durch Aufbau von Parallelinstitutionen (z. B. im Bereich Bildung und Freizeit, – Verdichtung sozialer Kontrolle gegenüber den Mitgliedern des sozialen Kollektivs bis zu psychischem und physischem Zwang (das Kollektiv wird zum Gefängnis), – faktische Verhinderung der Inanspruchnahme der von der demokratischen Rechtsordnung gewährten individuellen Menschen- und Grundrechte und schließlich – Forderungen nach Ausbildung eines selbstverwalteten Rechtsbezirks, in dem islamisches Recht (z. B. in Form von fiqh al-aqalliyat, das heißt islamisches Recht für muslimische Minderheiten in der Diaspora) neben der für alle geltenden Rechtsordnung Anwendung finden soll. Kandel kommt zu dem Schluss: »Schauen wir in verdichtete soziale Räume mit muslimischen Mehrheiten in manchen Stadtteilen (Berlin, Hamburg, Frankfurt am Main, München, Köln, Berlin, Dortmund) so finden wir durchaus deutliche Ansätze zu Parallelgesellschaften« (ebd.).
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Meyer und Kandel heben beide die Freiheit einschränkenden, repressiven Auswirkungen parallelgesellschaftlicher Strukturen hervor. Dies ist ein zentraler Aspekt: Es geht nicht um ausgeprägte Verbundenheit mit der Herkunftskultur, kollektive Pflege von Brauchtum, sondern um die politischen und sozialen Auswirkungen dieser Strukturen, die vor allem dann auftreten, wenn ethnische Konzentration mit dauerhafter sozialer Randständigkeit einhergeht. Dies wird verkannt, wenn etwa die japanischen Communities (ohne nähere Begründung) als die »einzigen wirklichen ›Parallelgesellschaften‹, die wir zurzeit in Deutschland haben« bezeichnet werden (Thränhardt 2006: 293). Gleiches gilt in diesem Zusammenhang für Hinweise auf Gruppen, die ein Eigenleben führen. Die Hinweise auf – 35.000 Deutsche auf Mallorca, die dort dauerhaft leben und von denen mehr als die Hälfte die Landessprache nicht sprechen und die meisten auf Deutschland hin orientiert sind (Hentges 1999: 36), – die brasilianische Stadt Blumenau, eine von Deutschen im 19. Jahrhundert gegründete Siedlung, eine prosperierende Wirtschaftsregion, in der jährlich das Oktoberfest gefeiert wird und viele Menschen noch deutsch sprechen (Tschapke 2006: 8), – auf Studentenverbindungen an Universitäten (Kötter 2005: 83) gehen allesamt fehl: Es geht nicht um Folklore, sondern um eine starke Abschottung der jeweiligen Gruppe gegenüber der Mehrheitsgesellschaft. So sind weder die deutsch-stämmigen Brasilianer (die meist zur wirtschaftlichen Oberschicht des Landes gehören) in der Versuchung, eigene Rechtskreise zu installieren, noch fallen die Deutschen auf Mallorca, die deutsche Medien konsumieren und die Landessprache nicht beherrschen, in großen Teilen auf die Alimentation des spanischen Staates zurück. Entscheidend für die negativen Auswirkungen ethnischer Konzentrationen ist die Frage des sozialen Status der jeweiligen Gruppe. Versuche, »Parallelgesellschaften« und »ethnische Kolonien« hinsichtlich Entstehungsbedingungen und Funktionen gleichzusetzen und daraus abzuleiten, es mangele Deutschland eher an parallelgesellschaftlichen Strukturen (Micus 2006: 215ff.), verkennen deren maßgebliche Unterschiede. Ethnische Kolonien können, müssen aber keineswegs parallelgesellschaftliche Strukturen entwickeln. Ethnische Kolonien – soweit dort ethnisch-soziale Unterschichten dominieren – haben benachteiligende Auswirkungen für deren Angehörige – auch ohne, dass sie zu einer »Parallelgesellschaft« geworden sind. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, dass sich diejenigen ethnischen Kolonien, die gleichzeitig Armutsviertel sind, in ihren Strukturen so verfestigt haben, dass die dort Aufwachsenden nur geringe Chancen haben, sich von diesen Strukturen
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zu emanzipieren, dass sie in vieler Hinsicht keine durchlässigen Systeme mehr bilden. Die Unkenntnis der sozialen Realität und der Repressionsmechanismen in den gegenwärtigen ethnischen Kolonien und Armutsstadtteilen (und kirchlicher Strukturen) kommt auch darin zum Ausdruck, dass Autoren »Parallelgesellschaften« zu Ersatzkirchen stilisieren, weil dort meist der Islam eine wichtige Rolle spiele (Micus 2006: 217). Insgesamt scheint es sich dabei um einen politisch motivierten, inhaltlich allerdings unbegründeten, Versuch zu handeln, im Kampf um Deutungshoheiten einen negativ besetzten Begriff mit positiven Assoziationen zu versehen.
Negative Dynamik Es gibt, wie bereits dargestellt, eine Vielzahl von Gründen, warum Zuwanderergruppen ethnische Kolonien bilden. Ebenso gibt es eine Vielzahl von Mechanismen, die dazu führen, dass sich über die Jahre die Verhältnisse so verfestigen, dass man von parallelen Strukturen sprechen kann. Dazu gehören wirtschaftliche und soziale Mechanismen ebenso wie kulturelle und religiöse. Man kann allerdings nicht jedes Stadtviertel, das von Zuwanderern dominiert wird, gerechtfertigterweise als »Parallelgesellschaft« bezeichnen (Ceylan 2006: 256). Ebenso kann nicht von jedem Einzelnen, der in einem Umfeld mit parallelgesellschaftlichen Strukturen lebt, behauptet werden, er lebe abgeschottet und nur bezogen auf die eigene Gemeinschaft. Die Ausbildung parallelgesellschaftlicher Strukturen ist nicht zwingend an abgegrenzte Wohngebiete gebunden. Parallelgesellschaften »können sich ebenso gut durch ein dichtes und ausschließendes Netzwerk ›eigen-ethnischer‹ Gruppenbeziehungen aus verstreuten Wohnanlagen heraus oder durch die ausschließliche Nutzung ›eigenethnischer‹ Kommunikationsstrukturen ausbilden« (Meyer 2002a: 348). Die Feststellung, dass mit besseren Bildungsabschlüssen und besserer beruflicher Stellung auch die Kontakte der Zuwanderer zur einheimischen Bevölkerung steigen, ist daher auch alles andere als überraschend. So stellen Mitarbeiter des »Zentrums für Türkeistudien« als Ergebnis ihrer repräsentativen Befragungen von Türken in Nordrhein-Westfalen fest: »Am sichtbarsten ist der Zusammenhang von Segregation und Deutschkenntnissen. Bei sehr oder eher schlechten Kenntnissen der deutschen Sprache ist die Wahrscheinlichkeit, in parallelgesellschaftlichen Strukturen zu leben, deutlich größer als bei guten oder sehr guten Sprachkenntnissen. Einfluss auf die Tendenz zum Leben in Parallelgesellschaften haben aber auch das formale Bildungsniveau, das in Deutschland erworben wurde, sowie die berufliche
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Stellung. Migranten, die nur eine geringe formale Bildung aufweisen oder als Arbeiter tätig sind, sind häufiger unter den Segregierten anzutreffen als Migranten mit hohem Bildungsniveau und Angestellte« (Halm/Sauer 2006: 23).
Gleiches gilt für die Häufigkeit der Kontakte mit Deutschen. »Junge Befragte mit langer Aufenthaltsdauer oder hier Geborene mit guten Sprachkenntnissen und mittlerer bis höherer Bildung und einer qualifizierten beruflichen Stellung haben überdurchschnittlich häufig interkulturelle Kontakte. Wenig deutsche Freunde haben ältere Migranten, die als Gastarbeiter einreisten oder solche, die im Zuge des Ehegattennachzugs als Erwachsene gekommen sind sowie Migranten, deren Sprachkenntnisse schlecht sind und die über eine formal niedrige Bildung und keine qualifizierte berufliche Stellung verfügen« (Halm/Sauer 2004).
Genau hier liegt das entscheidende Problem: In den Parallelgesellschaften hat über Jahrzehnte eine negative Dynamik hin zu immer stärkerer Isolation stattgefunden. »Diese Spirale erzeugt starke Triebkräfte zum Selbsterhalt der Parallelgesellschaften weit über den gerechtfertigten und sozial produktiven Anlass der ursprünglichen Integrationshilfe für Neuankömmlinge hinaus« (Meyer 2002a: 214).
Der Niederlassungsprozess Ein Blick zurück in die Geschichte der Zuwanderung in die Bundesrepublik Deutschland zeigt, dass sich die Konzentration über Jahre abzeichnete und nicht überraschend kam. Seit mehr als 30 Jahren werden entsprechende Tendenzen in deutschen Großstädten beschrieben und beklagt. »Die Tatsache, dass Gastarbeiter und ihre Familien in Ballungsbieten und in ländlichen Bereichen immer stärker dazu tendieren, geschlossene Wohnbereiche zu bilden, hat ihre starke Abschirmung nach außen zur Folge. Sie wirkt sich erschwerend auf eine schulische Integration aus. Die Segregation, die aus dem Desinteresse bzw. der Unfähigkeit zur gesellschaftlichen Integration sowohl auf ausländischer wie auf deutscher Seite erfolgt, führt zur Ghettobildung mit dem Charakter von Subkulturen.«
Diese Analyse veröffentlichte das Katholische Büro in Bonn bereits im Oktober 1973.59 Hier sollen die Prozesse und Motive dargestellt werden, die zur Bildung ethnischer Kolonien in vielen Großstädten führten.
—————— 59 Gutachten zur Schul- und Berufsausbildung und zur sozialen Integration ausländischer Kinder in der Bundesrepublik. Herausgegeben vom Kommissariat der deutschen Bischöfe – Katholisches Büro Bonn – Oktober 1973; abgedruckt in: Müller, Hermann 1974: 198–206: 198f.
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Die Zuwanderung beeinflusste nicht nur die Alters- sondern auch die Siedlungsstruktur der Bevölkerung in Deutschland. Mehr als 50 Prozent der Zuwanderer in Deutschland mit ausländischer Staatsangehörigkeit wohnen in Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern (Schönwälder/Söhn 2007: 10; SchuleriHartje, 2002: 432; Worbs/Sinn/Roesler/Schmidt, Hans-Jürgen 2005: 13ff.). In den zwölf Großstädten mit über 500.000 Einwohnern wohnen 28,4 Prozent der ausländischen, jedoch lediglich 14,5 Prozent der deutschen Staatsangehörigen (Schönwälder/Söhn 2007: 10f.). »Zuzüge von Ausländern aus dem Ausland konzentrieren sich auf hochverdichtete Regionen, während die ländlich geprägten und peripher gelegenen Regionen durchweg unterdurchschnittlich häufig als Wohnstandort gewählt werden« (Bucher/Kocks/Siedhoff 1991: 504). Von neuzuziehenden Ausländern wählen bis heute mehr als die Hälfte die Kernstädte als ersten Wohnort, im Vergleich zu weniger als einem Drittel der Gesamtbevölkerung (Bucher/Kocks/Siedhoff 1991: 505). Die Gastarbeiterzuwanderung verstärkte damit den Prozess der Verstädterung, der bereits durch die Vertriebenen und Flüchtlinge in den Jahren unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg vorangetrieben worden war (Rückert 1975: 2). Die räumliche Verteilung der »Gastarbeiter« erfolgte von Süd nach Nord, von den industriellen Zentren Süddeutschlands zu jenen West- und schließlich Norddeutschlands (Giese 1978: 100ff.; OECD 1973: 15f.). Etwa die Hälfte aller Ausländer lebte auf rund vier Prozent der Fläche Westdeutschlands (Herbert/Hunn 2006: 790). Die Konzentration der Ausländerbeschäftigung auf die Ballungszentren lag in der Natur der Nachfrage und zeichnete sich von Anfang an ab: Jeder dritte Arbeitnehmer war dort beschäftigt, von den »Gastarbeitern« jeder zweite. In schwach strukturierten Gebieten waren hingegen zehn Prozent aller Arbeitnehmer, aber nur vier Prozent der ausländischen beschäftigt (Bundesanstalt für Arbeit 1970: 10; zur Gesamtproblematik: Selke 1977; Rauch 1972). Daraus resultierte, »dass durch die regionale Konzentration der Ausländer im Bundesgebiet die vielfach diskutierten Ausländerprobleme für zwei Drittel des Bundesgebietes nahezu nicht relevant sind« (Rauch 1972: 53). Die Anwerbung von »Gastarbeitern« war vor allem eine Reaktion auf die Arbeitskräfteknappheit in den Ballungszentren. Aus raumordnungspolitischer Sicht ersparte sie den Unternehmen, die Arbeitsplätze in strukturschwache Regionen zu verlagern, wo inländische Arbeitskräfte verfügbar waren. »Das Vorhandensein eines mobilen ausländischen Arbeitskräftepotentials vermindert die Motivation des Unternehmers, aus Verdichtungsgebieten standortunabhängige Industriebetriebe, die unter Arbeitskräftemangel leiden, in die Fördergebiete mit einem Überschuss an Arbeitskräften zu verlagern« (Selke 1974: 41).
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Das Hereinholen einer mobilen Arbeitskraftreserve aus dem Ausland verschärfte die regionalen Ungleichgewichte in der Bundesrepublik, weil es die Konzentration in den Ballungszentren förderte und somit die strukturschwachen Gebiete weiter schwächte. Zu Recht wurde zwar 1974 postuliert: »Der Erfolgsindikator der regionalen Wirtschaftspolitik ist bis heute vor allem die Schaffung neuer Arbeitsplätze in schwach strukturierten Gebieten mit einem prognostizierten Arbeitsplatzdefizit« (Selke 1974: 41). Einer Raumordnungspolitik, deren Ziel darin bestand, mittel- und langfristig »die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in allen Teilen des Bundesgebiets zu schaffen« (Der Bundesminister des Innern 1972: 12), die einen Ausgleich zwischen strukturschwachen und strukturstarken Regionen anstrebt (Selke 1977: 20ff.), lief dies allerdings zuwider: »Diese Entwicklung verschärft sowohl die gesellschaftliche Situation des Miteinanderlebens der deutschen und der ausländischen Bevölkerung als auch generell die Problematik der Überlastung der Verdichtungsräume. Damit widerspricht die künftig regionale Verteilung der Ausländer den Zielen der Raumordnungspolitik, die eine ausgewogene, räumlich strukturelle Entwicklung des gesamten Bundesgebietes anstrebt« (Selke 1974: 46).
Gleichzeitig belastete die Ansiedlung ausländischer Arbeitnehmer die Kommunen, die die entsprechende Infrastruktur schaffen mussten. »Die Schere zwischen selbständiger Arbeitsmarktentwicklung in Agglomerationsräumen durch unternehmerische Standort- und Investitionsentscheidungen einerseits und hierdurch induzierten sprunghaft wachsenden Infrastrukturbedarf in den Industriegroßstädten andererseits verbreitert sich seit 1968 rapide. Die ohnehin knappen und schwer lenkbaren kommunalen Ressourcen – mit denen kaum die Infrastrukturdefizite für die einheimische Bevölkerung gedeckt werden können – sind durch den stetigen Ausländerzuzug überfordert« (Rothammer 1974: 364).
Mit den Jahren traten die weitgehend ignorierten sozialen Folgekosten der Anwerbepolitik immer mehr ins Bewusstsein. Die regionale Konzentration der ausländischen Bevölkerung und die Bildung ethnisch-sozialer Unterschichtenkonzentration sollte sich durch die Sprachbarrieren, den teilweise versperrten Zugang zum Arbeitsmarkt für die »Nachgeholten« (nach November 1974 nachgezogene Ehepartner und eingereiste Jugendliche erhielten keine Arbeitserlaubnis) in den kommenden Jahren deutlich verschärfen. »Die bereits 1961 feststellbaren Konzentrationen der Ausländer in den großen Ballungszentren der Bundesrepublik Deutschland, die stärker ausgeprägt sind als die der deutschen Bevölkerung, haben sich bis 1973, bedingt durch ein überdurchschnittliches Ausländerwachstum, noch verstärkt« (Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau 1976: 17).
Von Beginn der »Gastarbeiter«-Anwerbung an lebten mehr als zwei Drittel der Ausländer in den Ballungszentren: 1961 waren es 68 Prozent, 1970 66 Pro-
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zent (bei den deutschen Staatsangehörigen: 51 Prozent) (ebd.: 50). In den Verdichtungsräumen waren im September 1971 50,4 Prozent der ausländischen Arbeitnehmer, aber nur 36,8 Prozent der deutschen beschäftigt (Bundesanstalt für Arbeit 1974: 25). Das Wachstum der Städte ging in dieser Zeit hauptsächlich auf die Zuwanderung ausländischer Arbeitnehmer zurück (Der Bundesminister des Innern 1972: 25ff.). Während junge und wirtschaftlich stärkere Einheimische begannen, in das Umland und in Randzonen von Verdichtungsräumen zu ziehen (siehe die Ausführungen zur »Suburbanisierung«), blieben sozial schwache und alte Menschen in den Stadtzentren zurück, »Gastarbeiter« und ihre Familienangehörigen zogen dorthin nach (ebd.: 166). Häufig wurden die ausländischen Arbeitnehmer in der unmittelbaren Umgebung der sie beschäftigenden Betriebe untergebracht (dies wird deutlich unter anderem in Duisburg-Marxloh und in Hamburg-Wilhelmsburg). Für die Unternehmen war diese betriebsnahe Unterbringung von Vorteil, für die Kommunen bedeutete dies allerdings, dass sie mit den mittel- und langfristigen Problemen solcher Konzentrationen fertig werden mussten. So wurde schon Anfang der 1970er Jahre bilanziert: »Bei der einzelnen Unternehmung dürfte der Nutzen der Ausländerbeschäftigung […] die Kosten bei weitem überwiegen; als Indiz dafür kann die Nachfrage nach ausländischen Arbeitskräften angesehen werden. Bei den Kommunen scheint es eher umgekehrt zu sein. Hier liegen die Infrastrukturmehrausgaben in der Regel erheblich über den Mehreinnahmen« (Lohrmann 1974: 77; Bullinger, Siegfried u.a. 1972: 240f.).
Der Anstieg der Beschäftigten in den Ballungsgebieten ging ausschließlich auf die über die Jahre ansteigende Zahl der ausländischen Arbeitnehmer zurück. Wegen der ursprünglichen Arbeitskräfteknappheit wären die expandierenden Unternehmen gezwungen gewesen, auch außerhalb der Ballungszentren verstärkt Arbeitsplätze zu schaffen. »Ohne die Möglichkeit des Rückgriffs auf ausländische Arbeitskräfte wäre in den Ballungsgebieten eine Neuansiedlung oder Erweiterung arbeitsintensiver Betriebe aus arbeitsmarktlichen Gegebenheiten – bei der aus verschiedenen Gründen geringeren Mobilität der heimischen Erwerbstätigen – tendenziell nicht mehr möglich gewesen. Die Regionalstruktur hätte sich tendenziell ausgeglichener entwickeln können« (Bundesanstalt für Arbeit 1974: 27).
Kommunale Infrastruktur Die Konzentration der Gastarbeiterniederlassung in den Ballungszentren und der sich zunehmend entwickelnde Familiennachzug ließen die Infrastrukturkosten (Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser) und die Probleme immer stär-
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ker bewusst werden, die sich durch den Zuzug ergaben und die Wohnungsknappheit verschärften (Bullinger u.a. 1972: 234). So wurde Anfang der 1970er Jahre der Bedarf an neuen Wohnungen auf fünf Millionen geschätzt (Der Bundesminister des Innern 1972: 92). Der Deutsche Städtetag hatte bereits vor den sozialen Folgen des Familiennachzugs gewarnt: »Eine Konzeption zur Behandlung und Lösung dieser Frage fehlt völlig. Die deutschen Arbeitgeber sind nicht in der Lage, ausreichenden Wohnraum für ganze Familien ausländischer Arbeitnehmer zu finanzieren. Noch viel weniger können bei der allgemeinen Wohnungsnot die Wohnungsämter helfen. Die Städte sehen voll Sorge mit dem Zuzug der Familien alle wirtschaftlichen und sozialen Folgekosten auf sich zukommen« (Lehmann-Grube 1962: 508).
In einem Runderlass des Innenministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 13. Juni 1966 hieß es: »Die Erfahrung hat gezeigt, dass der ungeregelte Nachzug von Familienangehörigen ausländischer Arbeitnehmer in das Bundesgebiet zu erheblichen Schwierigkeiten verschiedenster Art, nicht zuletzt auch zu unzumutbaren Belastungen der öffentlichen Hand bis hinunter zu den Gemeinden führt. […] Die Bundesrepublik Deutschland ist kein Einwanderungsland. Sie hat zudem in der Folge des Zweiten Weltkrieges schon Millionen von Vertriebenen und Flüchtlingen aufgenommen, eine Entwicklung, die noch nicht abgeschlossen ist. Auch die Erlangung von Wohnungen bereitet nach wie vor größte Schwierigkeiten« (zit. nach: Münscher 1979: 19).
Die Kosten, die infolge des Niederlassungsprozesses entstanden, waren ein wesentliches Argument für die Versuche, weitere Zuwanderung – vor allem über den Familiennachzug – in Grenzen zu halten (Münscher 1979: 20ff.). In ausländerrechtlichen Richtlinien des Bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 12. Januar 1976 hieß es dazu: »Die Zuwanderung einer großen Zahl ausländischer Familien kann die öffentliche Hand und die gemeinnützigen Einrichtungen (Kindergärten, Heime, Schulen, Krankenhäuser usw.) insbesondere in zentralen Orten vor Aufgaben stellen, denen sie mitunter schon gegenüber der heimischen Bevölkerung nicht gewachsen sind. Der Familiennachzug kann deshalb, auch wenn die sonstigen Voraussetzungen vorliegen, nicht gestattet werden, wenn solche Einrichtungen den zusätzlichen Mehranforderungen nicht gewachsen sind und Abhilfe binnen angemessener Zeit nicht möglich ist« (abgedruckt in: Münscher: 93).
Der Zuzug ausländischer Arbeitnehmer erfolgte vor allem in solche städtischen Bezirke, in denen die soziale Infrastruktur bereits für die einheimische Bevölkerung nicht ausreichend ausgebaut war (Rothammer 1974: 237). Der Berliner Senat beschrieb die Lage 1972 wie folgt: »Infrastrukturmängel, die sich in nicht befriedigenden Versorgungsgraden selbst für die deutsche Bevölkerung, insbesondere im Bereich Wohnen, Kindertagesstätten und Schule zeigen, werden durch weitere Zuwanderung ausländischer Arbeitnehmer und
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zunehmende Familienzusammenführung potenziert« (Der Regierende Bürgermeister 1972: 18). Immer unübersehbarer wurden in den betroffenen Vierteln – verstärkt durch den starken Familiennachzug – die zunehmenden Anforderungen an die soziale Infrastruktur, besonders die Schulen, auf die die Stadtverwaltungen nicht vorbereitet waren. Zu lange hatten sie zugesehen, wie die »Gastarbeiter« aus den Sammelunterkünften ihrer Betriebe mit ihren Familienangehörigen in Wohnungen umgezogen waren, ohne ausreichende Vorkehrungen hinsichtlich der sozialen Infrastruktur zu treffen. Die Zahl der Kinder (bis 21 Jahren) hatte sich von 1968 bis 1972 auf mehr als 850.000 verdoppelt (Bundesanstalt für Arbeit: 1973: 26). Insgesamt lebten Anfang 1973 953.000 Kinder mit ihren Eltern dauerhaft in der Bundesrepublik (ebd.: 22). 307.000 besuchten die Schule, 85.000 gingen in den Kindergarten. Damit ging jedes zweite bis dritte Zuwanderkind in den Kindergarten. Das entsprach der allgemeinen Versorgungsquote in Westdeutschland, nach der rund 41 Plätze für 100 Kinder (zwischen drei und sechs Jahren) vorhanden waren (ebd.: 24). Die Zahlen belegen, vor welchen sozialpolitischen Herausforderungen insbesondere die Kommunen standen. Die Bundesanstalt für Arbeit stellte dazu 1973 (24) fest: »So sehr aus der sozialen Verantwortung gegenüber den ausländischen Arbeitnehmern und ihren Kindern heraus diese – gemessen an der Gesamtversorgung mit Kindergartenplätzen in der Bundesrepublik – verhältnismäßig günstige Situation zu begrüßen ist, so deutlich wird auch, in welchem Ausmaß heute Kapazitäten in typischen Engpassbereichen durch die Ausländer gebunden werden«.
Ebenso wie sich die Zuwanderer in eine in vieler Hinsicht fremde Umgebung eingewöhnen mussten, sahen sich auch die deutschen Behörden mit ungewohnten Verhaltensweisen konfrontiert, auf die sie reagieren mussten. Das galt unter anderem für den teilweise rigorosen Umgang berufstätiger Eltern mit ihren noch nicht schulpflichtigen Kindern. Die ausgeprägte Orientierung der »Gastarbeiter« am Geldverdienen, dem Zweck ihres Aufenthalts in Deutschland, fehlende Kinderbetreuungseinrichtungen sowie die rechtlich begrenzten Nachzugsmöglichkeiten für Großeltern, die sich um die Kinder hätten kümmern können, spielten hier ebenso eine Rolle wie ein aus den Herkunftsländern gewohntes Verhalten. »Bekommen ausländische Arbeitnehmer keine Plätze in Kindertagesstätten, schließen sie oft ihre Kinder tagsüber in der Wohnung ein oder lassen sie auf den Straßen umherstreunen. Das sind keine Einzelbeobachtungen, sondern Jugendämter, Betreuungsorganisationen und Polizei berichten ständig gleichermaßen davon. Diese untragbaren Zustände veranlassten die Senatsverwaltung für Familie, Jugend und Sport erstmalig im Jahre 1971 Mittel für die Schaf-
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fung von Sonderbetreuungsstätten für Kinder ausländischer Arbeitnehmer bereitzustellen« (Der Regierende Bürgermeister 1972: 35f.).60
In leerstehenden Wohnungen und Läden richteten Wohlfahrtsorganisationen Räume für entsprechende Gruppen ein. Zum größten Teil wurden dafür ausländische Betreuerinnen engagiert. So blieben die Kinder sprachlich unter sich. Zu Schulbeginn beherrschten sie die deutsche Sprache genauso wenig wie Kinder ohne außerfamiläre Betreuung (Der Regierende Bürgermeister 1978: 16).
Zuzug in Sanierungsgebiete Bereits 1968 verfügten knapp zwei Drittel der »Gastarbeiter« über privaten Wohnraum (Bundesanstalt für Arbeit 1973: 101), 1977 lebten 97 Prozent der Ausländer in Deutschland in Privathaushalten und nur noch drei Prozent in Sammelunterkünften (Forschungsverbund 1979: 17). Der Familiennachzug hatte diese Entwicklung noch einmal beschleunigt. Bei den Wohnungen handelte es sich nicht selten um sanierungsbedürftige, wenn nicht abbruchreife Altbauten in den Stadtkernen, die für die einheimische Bevölkerung im Zuge eines sich entspannenden Wohnungsmarktes unattraktiv geworden waren (Harbach 1976: 57ff.). Die Frankfurter Rundschau beschrieb die Lage in Berlin damals so: »Schon aus finanziellen Gründen hatten die Gastarbeiter meist nur hier eine Chance, Wohnraum zu bekommen. Hausbesitzern und Wohnungsbaugesellschaften kamen diese Ghettobildungen oftmals gerade recht: sie forderten und erhielten Wuchermieten für Abrisswohnungen und erreichten noch nebenbei, deutsche Mieter aus Sanierungswohnungen zum ›freiwilligen‹ Auszug zu bewegen«61.
So kann es nicht verwundern, dass Anfang 1972 noch fast jeder zweite »Gastarbeiter« in Berlin angab, nach einer neuen Wohnung suchen zu wollen (Bundesanstalt für Arbeit 1973: 136). Diese Beschreibung darf allerdings nicht verallgemeinert werden. Untersuchungen zur Wohnraumversorgung von »Gastarbeitern« im Ruhrgebiet in der ersten Hälfte der 1970er Jahre zeigen, »dass ein größerer Teil dieser Arbeitskräfte in Wohnungen wohnt, die gleichwohl auch Deutsche beherbergen könnten« (Hottes 1975: 88).
—————— 60 Hierzu auch: Mertens/Akpinar1977: 77ff.; das Problem war bereits zu Beginn der 1960er Jahre thematisiert worden: Lehmann-Grube 1962: 507. 61 »Konflikte in Berlins ›verbotenen Bezirken‹ verschärft«, in: Frankfurter Rundschau vom 1. April 1976.
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Tatsächlich stabilisierte die Nachfrage der »Gastarbeiter« nach spezifischem Wohnraum die Mietpreise auf dem sich insgesamt entspannenden Wohnungsmarkt, so dass es nicht selten zur Konkurrenz mit sozial schwachen Einheimischen um preiswerten Wohnraum kam. »Darüber hinaus dürften […] einkommensschwächere Personengruppen, wie Rentner und kinderreiche Familien (für die z.B. große Altbauwohnungen von Interesse sind), in ihren Möglichkeiten einer angemessenen Versorgung mit Wohnraum, vor allem in den dichtbesiedelten Räumen des Bundesgebietes, stärker begrenzt werden, als dies bei geringeren oder langsamer wachsenden Ausländerzahlen der Fall wäre« (Bundesanstalt für Arbeit 1973: 101).
Segregationsfördernd wirkte sich auch der Soziale Wohnungsbau aus. Er ermöglichte es, sozial schwachen Einheimischen aus Vierteln wegzuziehen, in die Ausländer verstärkt zugezogen waren (Hoffmann-Nowotny/Hondrich 1981: 586). Die aufgrund der Qualifikationen deutlich niedrigeren Einkommen, das Interesse der »Gastarbeiter« an billigem Wohnraum und räumlicher Nähe zu den Landsleuten, mangelhafte Sprachkenntnisse, unzureichende Kenntnis der eigenen Rechtspositionen gingen hier einher mit den Interessen skrupelloser Vermieter und Spekulanten sowie ebenfalls anzutreffender bewusster Benachteiligung bei der Bereitschaft, Wohnungen an »Gastarbeiter« zu vermieten (u.a.: Der Regierende Bürgermeister 1972: 27ff.; Kleff 1985: 180ff.; Häußermann/ Siebel 2002: 31ff.). »Aus dem Zusammenspiel von strukturiertem Angebot und unterschiedlicher Ausstattung der Haushalte mit ökonomischem, sozialem, kulturellem und politischem Kapital ergibt sich die Verteilung der sozialen Gruppen im Raum der Stadt« (Häußermann/Siebel 2002: 35). Bereits zu Beginn der 1970er Jahre zeichnete sich daher eine räumliche Konzentration der Gastarbeiterbevölkerung in den Städten ab. Hans-Günter Kleff stellt pointiert fest: »Je mehr schlechte und alte Wohnungen es in einem Gebiet gibt, desto höher ist die Türkenquote« (Kleff 1985: 186). 1971 beklagte der Deutsche Städtetag (95): »Es gehört zu den erschreckenden Realitäten deutscher Städte, dass ihre Sanierungsgebiete vorzugsweise von ausländischen Arbeitnehmern bewohnt werden und dass die Existenz ausländischer Arbeitnehmer es als lohnend erscheinen lässt, Haus- und Grundbesitz in einem Sanierungsgebiet zu haben und zu halten«. Neben wirtschaftlichen Interessen und davon ausgelösten Verteilungswirkungen auf dem Wohnungsmarkt gab es auch politische Fehleinschätzungen, die eine rechtzeitige und angemessene Reaktion auf die Niederlassung verhindert haben. »Der kontinuierliche Ausländerzuzug wurde zu lange als vorübergehende Erscheinung betrachtet, seine Auswirkungen auf die soziale Belastbarkeit hoch industrialisierter Ballungsräume unterschätzt« (Rothammer 1974: 8f.).
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Die Anforderungen, die eine solch massenhafte Zuwanderung aus in nahezu jeder Hinsicht anders strukturierten Herkunftsräumen stellen würden, überstiegen das Vorstellungsvermögen der allermeisten Stadtverwaltungen. Wissenschaftliche Hilfestellung gab es Anfang der 1970er Jahre nicht. Eine systematische Erfassung der sozialen Indikatoren, mit deren Hilfe der Bedarf in quantitativer wie in qualitativer Weise hätte eingeschätzt werden können, existierte nicht. Die Verwaltungen erwiesen sich in der Folge nicht selten als überfordert (ebd.: 131). Hier trat ein grundlegender Konflikt zutage: Die Kommunen waren es, die die wesentlichen Lasten der »Gastarbeiter«-Anwerbung zu tragen hatten. Die Verursacher, die Unternehmen, hatten den ökonomischen Vorteil daraus gezogen, die Folgekosten wurden auf den Steuerzahler abgewälzt. Die Anregung von Wirtschaftswissenschaftlern 1972 (Bullinger 1972: 397), die Profiteure der »Gastarbeiter«-Beschäftigung (die Unternehmen, die sie beschäftigten) an der Finanzierung der anstehenden Infrastrukturinvestitionen zu beteiligen, wurde nicht aufgegriffen. Die ausländischen Arbeitnehmer nahmen zunächst weniger Leistungen in Anspruch, als sie durch ihre Steuern und Sozialversicherungsbeiträge finanziert hatten (Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft 1974: 6). Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit teilte im Januar 1973 seine Einschätzung mit: »Ich bin im übrigen der Auffassung, dass die bisherigen infrastrukturellen Leistungen für die arbeitsmarktpolitisch notwendige Aufnahme ausländischer Arbeitnehmer weit hinter den durch die Ausländer erbrachten Leistungen an direkten und indirekten Steuern sowie an Beiträgen zu Sozialversicherung sind. Insoweit sollten manche Klagelieder, die jetzt angestimmt werden, zunächst an die eigenen Adressen gerichtet werden« (zit. nach: Schönwälder 2001: 541).
Mit Beginn des massiven Familiennachzugs in den 1970er Jahren stiegen die Ansprüche an die öffentliche – insbesondere kommunale – Infrastruktur deutlich an. Die Kommunen hatten die notwendige Vorsorge dafür nicht getroffen. »Da in den 60er Jahren die Zahl der ausländischen Arbeitskräfte und ihre Aufenthaltsdauer zunächst noch relativ gering waren, sind damals die für die Ausländerbeschäftigung eigentlich erforderlichen Investitionsausgaben teilweise unterblieben und die mit ihnen verbundenen laufenden Ausgaben nicht angefallen; auf diese Weise ist ein Nachholbedarf entstanden, dessen Deckung die öffentlichen Finanzen der kommenden Jahre belastet. […] Obwohl die ausländischen Arbeitskräfte ebenso wie die deutsche Bevölkerung aus ihren Einkommen Steuern und andere öffentliche Abgaben zur Finanzierung öffentlicher Güter und Leistungen aufbringen, übersteigen ihre Beiträge zu den öffentlichen Einnahmen nunmehr die von ihnen verursachten öffentlichen Ausgaben nicht mehr, sondern bleiben eher dahinter zurück. « (Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft 1974: 16f.).
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Hier wird ein Defizit in der politischen Steuerung sichtbar, das bis heute wirksam ist und sich unter anderem bei Fragen der Integration von Zuwanderern zeigt: Die Kommunen sind institutionell nicht eigenständig in den politischen Willensbildungsprozess einbezogen – wenn man einmal von den drei Stadtstaaten absieht, die als Länder dem Bundesrat angehören (deren Existenzberechtigung aber zunehmend bestritten wird). Die Kommune ist bis heute »ökonomisch schwächstes Glied in der Kette der Versorgungsträger mit gleichzeitig höchstem Anteil an sozialen Folgelasten – ohne adäquate Ausstattung im politischen Entscheidungsprozess« (Rothammer 1974: 6). Hinzu kam damals, dass die ausländische Bevölkerung – insbesondere der türkische Teil – wesentlich stärker anwuchs als erwartet. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung prognostizierte 1978 für das Jahr 2000 rund 104.000 türkische Staatsangehörige in Berlin (in der Variante mit hoher Zuwanderung und niedriger Abwanderung) – diese Zahl war allerdings bereits 1980 erreicht (DIW 1979).
Der Niederlassungsprozess in Berlin (West) In Berlin (West) begann die Anwerbung in großem Umfang erst 1968 und damit relativ spät (Brasche/Schulz 1982: 462). Hohe Anteile von Zuwanderern aus der Türkei und Jugoslawien waren die Folge. Die Zahl der ausländischen Arbeitnehmer verdreifachte sich von September 1968 bis September 1970 (Bundesanstalt für Arbeit 1971: 11). Zwischen 1961 und 1980 stieg sie von 14.000 auf 211.000 und vervierzehnfachte sich damit. Auch in Berlin fand auf dem Arbeitsmarkt durch die Zuwanderer eine »Unterschichtung« statt: Sie nahmen die Berufe auf, für die nur geringe Qualifikationen erforderlich waren. Höher qualifizierte Tätigkeiten blieben weitgehend den Einheimischen überlassen. Eine Analyse des »Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung« (DIW) kam 1982 zu dem Ergebnis: »Die Betrachtung der Ausländerbeschäftigung nach Berufen zeigt, dass einmal die Ausländeranteile in den Montage-, Verpackungs-, Transport- und sonstigen gewerblichen Hilfsberufen, zum anderen in den allgemeinen Dienstleistungsberufen, wie Köche, gastronomische Hilfskräfte, Reiniger am größten waren; diese Berufe können mithin als typische Ausländerberufe bezeichnet werden. Dagegen blieben Berufe mit mittleren bis höheren Qualifikationsanforderungen – in der Hauptsache ›höhere‹ Angestelltenberufe – weitgehend den Deutschen vorbehalten « (Brasche/Schulz 1982: 464f.).
Man konnte also erwarten, dass die ohnehin bereits seit Ende der 1970er Jahre überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit ausländischer Staatsangehöriger in Ber-
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lin weiter steigen würde (ebd.: 465). Und Ende der 1970er Jahre begann die Zahl der arbeitslosen ausländischen Arbeitnehmer in Berlin (West) tatsächlich stark anzusteigen. Dafür sorgte auch die sehr schlechte Integration von zugewanderten Jugendlichen in Schule, Ausbildung und Arbeitsmarkt Ende der 1970er Jahre. Sehr viele waren nachgeholt worden und hatten ihre gesamte (oder halbe) Schulausbildung noch im Herkunftsland absolviert – bereits hier kündigte sich in vieler Hinsicht die Verfestigung der Unterschichtung an (Prognos 1980; siehe unten).
Die Verteilung im Stadtgebiet Die Verteilung der »Gastarbeiter« und ihrer Angehörigen im Berliner Stadtgebiet vollzog sich in einem relativ kurzen Zeitraum von Ende der 1960er bis zum Beginn der 1970er Jahre. 81,2 Prozent aller türkischen Staatsangehörigen in West-Berlin waren in den fünf Innenstadtbezirken Tiergarten, Wedding, Kreuzberg, Neukölln und Schöneberg gemeldet (und 64,6 Prozent aller Ausländer). In 20 statistischen Gebieten (von 97) wohnten zwei Drittel aller jugendlichen Ausländer und drei Viertel der jugendlichen Türken (Prognos 1980: 7). Die einmal ausgelösten Niederlassungsprozesse in den Sanierungsgebieten entwickelten durch das Nachholen von Landsleuten (Verwandten, Bekannten) eine Eigendynamik, die die Verwaltung nicht mehr grundlegend beeinflussen konnte. Die herausragende Bedeutung familiärer und sozialer Netzwerke für die Zuwanderung aus der Türkei und die Niederlassungsprozesse in Berlin wurden von Gitmez und Wilpert (1987: 95) für kurdische Zuwanderer und Zuwanderer aus Ost-Anatolien konkret aufgezeigt. Sie nennen mehrere Fälle von Kettenmigration nach Berlin: – 35 Familien mit 180 Personen aus einer kleinen Region mit wenigen Dörfern aus Zentral-Ost-Anatolien (Malatya); – über 100 Familien mit rund 550 Personen aus einem einzigen Dorf aus der Ost-Türkei (Erzincan); – 140 Familien mit 1.050 Personen aus sechs Dörfern der Süd-Ost-Türkei (Urfa); – über 250 nicht-muslimische kurdische Familien mit rund 1.850 Personen ebenfalls aus der Süd-Ost-Türkei (Siirt) sowie – über 140 sunnitische Familien aus Dörfern in der Provinz Samsun nahe dem Schwarzen Meer.
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Die lokale Verteilung der Ausländer aus den ehemaligen Anwerbestaaten – insbesondere der Türken – ist über die Jahrzehnte strukturell unverändert geblieben. Neukölln hat einen starken Zuzug türkischer Staatsangehöriger zu verzeichnen. In 29 statistisch erfassten Gebieten, die im Auftrag des Berliner Senats untersucht wurden, lebten Ende der 1970er Jahre drei Viertel aller registrierten Ausländer in Berlin, hingegen nur rund ein Drittel aller Einwohner von Berlin (West). Von Anfang an sammelte sich die türkische Bevölkerung stärker in diesen Wohngebieten als andere Ausländergruppen aus den Hauptanwerbeländern: Summe der Wohngebiete Einwohneranteil Fläche Ausländeranteil 1978 Anteil der Ausländer aus den drei Haupteinwandererländern Türkenanteil Jugoslawenanteil Griechenanteil
29 statistische Gebiete (von 97 in Westberlin) 32,1 % 14,0 % 61,4 % 74,5 % 79,5 % 62,6 % 59,5 %
Quelle: Der Regierende Bürgermeister von Berlin 1980: 45
Die Ballung dieser Bevölkerungsgruppen führte daneben zu einer weit überdurchschnittlichen Einwohnerdichte. Sie lag in den Hauptwohngebieten in der Innenstadt bei dem Dreifachen des gesamtstädtischen Durchschnitts: 133 gegenüber 45 Einwohnern je Hektar (Der Regierende Bürgermeister 1980: 45). 1976 lebten rund 70 Prozent der Ausländer und mehr als 80 Prozent der türkischen Staatsangehörigen auf nur zehn Prozent der Fläche von West-Berlin (ebd.: 46). Sozialstrukturell sammelten sich die Zuwanderer in jenen Stadtgebieten, in denen die einheimischen Arbeiter und Personen mit niedriger formaler Schulbildung wohnten. »Überwiegend wohnten 1970 in den Gebieten, die 1978 als Hauptwohnorte der Ausländer angesehen werden können, deutsche Bevölkerungsgruppen, die ähnliche schichtspezifische Merkmale aufweisen wie die Ausländer heute. Dabei dürfte sich die sozialstrukturelle Zusammensetzung der deutschen Bevölkerung durch den Segregationsprozess eher noch in Richtung auf eine stärkere Konzentration der unteren Schichten verändert haben« (ebd.: 52).
Teilweise lag der Anteil der deutschen Bewohner mit Hauptschulabschluss als höchstem Schulabschluss über dem entsprechenden Anteil bei der türkischen Bevölkerung (ebd.: 109).
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Die Innenstadtbezirke mit den höchsten Ausländeranteilen (Tiergarten, Wedding, Kreuzberg, Schöneberg, Neukölln) waren durch eine überalterte Bausubstanz und Wohnungen mit schlechter Ausstattung gekennzeichnet. So waren die Anteile von Wohnungen ohne WC überdurchschnittlich: Wohnungsbestand 1978 Bezirk Tiergarten Wedding Kreuzberg Berlin (West)
Bauten vor 1918 61,3 % 61,6 % 69,4 % 37,9 %
Wohnungen ohne WC 16,4 % 17,7 % 25,4 % 8,4 %
Quelle: Der Regierende Bürgermeister von Berlin (1980): 54
Über 40 Prozent der ausländischen Kinder in Kindertagesstätten finden sich in den Bezirken Kreuzberg, Tiergarten, Wedding und Schöneberg (Der Senator für Gesundheit, Soziales und Familie, Ausländerbeauftragter 1983: 29). Ein Gutachten zur Wohnsituation von Zuwanderern charakterisierte 1980 deren Hauptwohngebiete in Berlin: »Von der Bevölkerungsstruktur her sind diese Gebiete durch weit überdurchschnittliche Ausländeranteile geprägt, wobei diese Repräsentanz der Ausländer bezogen auf die Gesamtbevölkerung bei den Altersgruppen der Kinder und Jugendlichen häufig um mehr als das Doppelte übertroffen werden. Insbesondere bei den unter 6jährigen stellen die Ausländer häufig schon mehr als die Hälfte aller Kinder dieser Altersgruppe. Ein weiteres charakteristisches Merkmal ist die eindeutige Dominanz der Türken unter den Ausländern in den Hauptwohngebieten. Hier besteht gleichzeitig ein enger Zusammenhang zu der starken Repräsentanz der ausländischen Kinder und Jugendlichen, da die Türken nicht nur im Vergleich zu den Deutschen, sondern auch unter den Ausländern besonders hohe Geburtenquoten aufweisen und offenbar am stärksten den Familiennachzug praktizieren. Das Wohnungsangebot in den Hauptwohngebieten ist geprägt durch eine überalterte Bausubstanz, deren Wohnungen häufig noch den derzeit üblichen Wohnkomfort im Hinblick auf Bad/WC und Zentralheizung vermissen lassen. Problem verschärfend kommt angesichts der überdurchschnittlichen Familiengröße hinzu, dass gerade in diesen Gebieten besonders viele kleine Wohnungen zu finden sind, die kaum als familiengerecht zu bezeichnen sind. Auch im Bereich des Wohnumfeldes und der sozialen Infrastruktur sind die Gebiete durch eine deutliche Benachteiligung im gesamtstädtischen Vergleich geprägt. Städtebauliche Belastungen ergeben sich vorrangig aus der hohen Bebauungsdichte und dem geringen Grün- und Freiflächenanteil. Infrastrukturelle Mängel bestehen zum Teil aufgrund einer unterdurchschnittlichen Versorgungssituation bei den Einrichtungen für Kinder und Jugendliche, die zudem durch hohe Anteile ausländischer Benutzer belastet sind« (Der Regierende Bürgermeister 1980: 62).
Die Entwicklung hin zu ethnisch-sozialen Unterschichtenkonzentrationen ist in Berlin wesentlich durch die großflächige Sanierung ganzer Stadtteile beein-
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flusst worden. Betroffen waren unter anderem die beiden dichtbesiedelten traditionellen Arbeiterbezirke Kreuzberg und Wedding, die durch einen »Massenwohnungsbau für Arbeiter in der Gründerzeit« geprägt waren (Schulz zur Wiesch 1982: 123; Lanz 2007: 65ff.). Noch Ende der 1970er Jahre wiesen sie die weitaus größten Arbeiteranteile an der Wohnbevölkerung (jeweils rund zwei Drittel) auf (Becker 1982: 47). Teile der Bezirke wurden bereits 1963 zu Sanierungsgebieten erklärt (Becker 1982: 49ff.). Dabei lagen zwischen der Erklärung eines Gebietes zum »Sanierungsgebiet« und dem Beginn der Sanierungsarbeiten bis zu zwölf Jahre (Lehmbrock 1982: 78). Diese Zeitspanne war durch einen Prozess der Verwahrlosung und des Verfalls der Bausubstanz gekennzeichnet. Vor diesem Hintergrund lohnten sich selbst Instandhaltungsinvestitionen für die Eigentümer nicht mehr (Lehmbrock 1982: 81ff.). Im Winter 1978/79 wurden die Folgen eines Frosteinbruchs so beschrieben: »geplatzte Toilettenabfallrohre; gefrorene Seen aus Kot auf den Hinterhöfen (da die Toiletten verstopft waren, hätten die Leute ihre Fäkalien aus dem Fenster geschüttet); Toilettenbecken wurden durch Eis gesprengt; Hinterhausbewohner, deren Toiletten nicht funktionierten, benutzten die Podesttoiletten im Vorderhaus. Die Folge: Streit, Beschimpfungen, Prügeleien, Beleidigungsklagen; als Folge von Wasserrohrbrüchen kam es zu Kurzschlüssen und Stromausfall« (Lehmbrock 1982: 85).
Die alliierten Streitkräfte nutzten bereits leer stehende, »entmietete« Gebäude zu Nahkampfübungen (Becker/Lehmbrock/Schulz zur Wiesch 1982: 371). Waren alle rechtlichen Hürden genommen, mussten die Mieter »umgesetzt« werden – entweder in bereits sanierte Wohnungen oder in sanierungsreife Gebäude in anderen Gebieten. Ein großer Teil der ausländischen Familien wurde in noch zu sanierende Altbauten »umgesetzt« (Lehmbrock 1982: 98). Sie fungierten als »Übergangsbevölkerung« (Schulz zur Wiesch: 1982: 147) Die Vermieter verdienten auf diese Weise am Verfall ihrer Häuser. Eine Folge dieses Vorgehens war, dass die »Verslumung« der Gebäude den ausländischen Bewohnern zugeschrieben wurde und nicht den wirtschaftlichen Interessen der Vermieter (Becker 1982: 378; auch: Berger 1983: 125f.). Allerdings wurde angemerkt, dass auch ein passives und desinteressiertes Verhalten der Zuwanderer zum Eindruck der »Verslumung« beitrüge: »Doch stimmt es auch, dass ausländische Bewohner nichts oder wenig zur Instandhaltung der Häuser tun. Hinterhöfe werden zu Müllhalden, wenn sich Hausbesitzer und Mieter nicht darum kümmern« (ebd.: 126). In den entstehenden ethnischen Kolonien maßen die Zuwanderer dem öffentlichen Raum nicht die Bedeutung zu, die er in ihren ländlichen Herkunftsregionen hatte. Die Trennung zwischen privatem Wohnraum und öffentlichem Wohnumfeld, wie sie in Deutschland praktiziert wurde, war dort unüblich.
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Fremdheitserfahrungen und die ablehnende Haltung der Einheimischen ließen eine Art »Wohnapathie« entstehen, ein Desinteresse am öffentlichen Raum (Berger 1983: 129). So wurden die Wohnungen sorgfältig gepflegt, das Wohnumfeld aber nicht selten ignoriert. Bereits 1974 wurde eine dauerhafte ethnisch-soziale Segregation als Folge dieser Politik vorhergesagt: »Wenn die beschriebene Rotation der Mieter – Ausländer rücken in durch geförderten Wohnungsbau freigewordene Altbauwohnungen, die einen niedrigen Wohnwert haben und durch niedrige Mieten ausgezeichnet sind – weiter praktiziert wird, dürfte das in den betreffenden Gebieten zu einer Verslumung führen. Dabei könnte dann die Assoziation ›schlechtes Wohnquartier‹ gleich ›Ausländerviertel‹ abschreckend auf andere soziale Schichten wirken und – das gilt auch besonders für erneuerungsbedürftige Altstadtkerne – nach einer erfolgreichen Sanierung eine ethnische oder schichtenspezifische Segregation verewigen« (Geiger 1974: 164f.).
Innerhalb von knapp 30 Jahren – bis Ende der 1970er Jahre – wurde die Bevölkerung in den Sanierungsgebieten zu großen Teilen ausgetauscht (Schulz zur Wiesch 1982: 131). In der Folge sank der Ausländeranteil in den Sanierungsgebieten, wohingegen er in den »Sanierungserwartungsgebieten« anstieg. Für einzelne Wohnblöcke im Sanierungsgebiet Wedding-Brunnenstraße (SWB) wurde die Entwicklung so beschrieben: »Der Block hat nach 1970 bisher kaum Einwohner verloren (5%). Bis zum Freimachungsbeginn war die Einwohnerzahl gegenüber 1970 sogar um ca. 10% gestiegen. Hinter diesem Bevölkerungszuwachs verbergen sich die […] gegenläufigen Wanderungsbewegungen: Fortzüge der Deutschen und Zuzüge von Ausländern. Dabei ergibt sich zwischen 1970 und 1979 folgendes Verlaufsmuster: Die Mehrzahl der deutschen Haushalte (60%) verlassen ihre Wohnung bereits vor Beginn der Freimachung (1978). In die freiwerdenden Wohnungen ziehen ausländische Haushalte ein; vermutlich handelt es sich dabei vor allem um verdrängte Familien aus anderen Durchführungsabschnitten des Gebietes …, die sich nun in den verbleibenden, immer knapper werdenden Restbeständen der Althaussubstanz im SWB konzentrieren. […] Die Alterstruktur entwickelt sich durch diesen Bevölkerungsaustausch geradezu dramatisch: Die Zahl der Vorschulkinder verdoppelt sich, die Zahl der Kinder von sechs bis 15 Jahren verdreifacht sich, während die Zahl der über 45jährigen Einwohner um 2/3 zurückgeht. Von den knapp 1000 Einwohnern des Blockes sind 1978 mehr als 30% jünger als 15 Jahre und nur 7% älter als 64 Jahre« (Schulz zur Wiesch 1982: 146).
Diese Verschiebungen der Wohnbevölkerung förderten die kleinräumigen Siedlungsschwerpunkte der ausländischen – insbesondere der türkischen – Wohnbevölkerung, die wiederum zur Isolation beitrugen.
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Gebiete mit hohen Ausländeranteilen an der Wohnbevölkerung, Stand 31.12.1978 Bezirk/Statistisches Gebiet
Wedding Gesundbrunnen Humboldthain Leopoldplatz Kreuzberg Mariannenplatz Wiener Straße Urban Schöneberg Nollendorfplatz Großgörschenstraße
Ausländer insgesamt
25.965 5.715 3.195 10.808 33.206 8.105 8.771 9.833 21.808 3.941 6.353
Anteil an der Gesamtbevölkerung
16,8 % 21,1 % 22,6 % 19,9 % 22,5 % 36,5 % 30,8 % 20,0 % 13,4 % 24,4 % 23,9 %
Anteil bei den unter 15-Jährigen
36,5 % 42,5 % 46,4 % 42,4 % 45,5 % 64,0 % 58,7 % 42,3 % 25,7 % 39,3 % 45,2 %
Anteil türkischer Staatsangehöriger an der ausländischen Wohnbevölkerung 66,3 % 78,9 % 72,2 % 61,7 % 65,6 % 78,9 % 69,2 % 62,0 % 46,8 % 38,9 % 63,1 %
Quelle: Presse- und Informationsamt des Landes Berlin (1979): 4
Ein Gutachten der prognos kommunalberatung für den Berliner Senat aus dem Jahr 1980 hat in seiner »kleinräumigen Analyse« die Zunahme der türkischen Wohnbevölkerung nach einzelnen Wohnblöcken nachgezeichnet. So stiegen die Anteile der türkischen Staatsangehörige an allen Einwohnern in einzelnen Blöcken zwischen 1973 und 1977 von 20 auf über 60 Prozent an: von zwischen 20 und 30 Prozent (31.12.1973), auf 30 bis 40 Prozent (31.12.1974), auf 40 bis 50 Prozent (31.12.1975), auf 50 bis 60 Prozent (31.12.1976), auf über 60 Prozent (31.12.1977) (Der Regierende Bürgermeister 1980: 28). »Allerdings führten die dort im Zusammenhang der Sanierung aufgetretenen Konzentrationsprozesse zur fast vollkommenen Isolation des türkischen Bevölkerungsteils. Dadurch wird der Vorrang der auf die eigene Nationalität gegründeten sozialen Beziehungen zwar gestützt, die Interessen an Kontakten zu deutschen Bewohnern werden jedoch vollkommen ausgeblendet« (Heidtmann-Frohme 1982: 324).
Zu Beginn der 1970er Jahre lebten 40 Prozent aller vorschulpflichtigen Kinder Berlins in den Bezirken Kreuzberg und Wedding (Rothammer 1974: 97). Seit Beginn des »Gastarbeiter«-Zuzugs sammelte sich in diesen Stadtvierteln die ausländische Bevölkerung. Ende der 1970er/Anfang der 1980er Jahre lebten 35 Prozent der in Berlin gemeldeten Ausländer in den drei Innenstadtbezirken Kreuzberg, Wedding und Tiergarten (Der Senator für Gesundheit, Soziales und Familie, Ausländerbeauftragter 1983: 48).
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Benachteiligung auf dem Wohnungsmarkt Eine Befragung im Auftrag des Berliner Senats im Winter 1971/72 ergab, dass nur rund 17 Prozent der Befragten in einer Wohnung lebten, die mit Küche, Bad bzw. Dusche und WC ausgestattet war. Etwa die Hälfte lebte in Wohnungen ohne Bade- oder Duschmöglichkeit (Abgeordnetenhaus von Berlin 1973: 59). Nur 13 Prozent der Türken verfügten innerhalb ihrer Wohnung neben einer Küche auch über ein eigenes Bad bzw. Dusche und ein WC (Abgeordnetenhaus von Berlin 1973: 61). Die Ausstattung der Wohnungen verbesserte sich im Laufe der 1970er Jahre, zur einheimischen Bevölkerung blieb allerdings ein deutlicher Abstand bestehen: So verfügten 1978 türkische Haushalte zu 30 Prozent über keine Toilette in ihrer Wohnung (ausländische Haushalte: 23 Prozent), bei den deutschen lag der Anteil nur bei 9 Prozent. Bad oder Dusche hatten nur 39 Prozent der türkischen Haushalte (ausländische Haushalte: 47 Prozent), bei den deutschen Haushalten lag der Anteil bei 90 Prozent. Türkische Haushalte wiesen eine deutlich schlechtere Ausstattung auf als griechische oder jugoslawische (Der Regierende Bürgermeister 1980: 116f.). Türkische Haushalte wohnten – unabhängig von der Aufenthaltsdauer – zudem meist in überbelegten Wohnungen. Ende der 1970er Jahre lag hier der Anteil bei rund 90 Prozent (ebd.: 101; auch: Hoffmeyer-Zlotnik 1976: 105ff.). Zu Recht wurde darauf hingewiesen, dass diese schlechten Wohnsituationen maßgeblich für die schlechten Leistungen türkischer Schüler verantwortlich waren (Mertens 1977: 102). Das bis in die 1980er Jahre hinein unzureichende Wohnungsangebot in Berlin (West) traf die Zuwanderer besonders, unter ihnen vor allem die türkischen Staatsangehörigen. Weiterhin galt, »dass die ausländischen Haushalte weit überproportional im Vergleich zur übrigen Berliner Bevölkerung in den von der Ausstattung her schlechteren Teilen des Berliner Wohnungsbestandes vertreten sind« (Der Regierende Bürgermeister 1980: 118). In den Innenstadtbezirken (Tiergarten, Wedding, Kreuzberg, Schöneberg, Neukölln) finden sich 70 Prozent der Berliner Altbauwohnungen mit unzureichender Sanitärausstattung (ohne Bad) sowie die höchsten Anteile an Zuwanderern (ebd.: 173). Landsleute und Arbeitskollegen vermittelten in den meisten Fällen die Wohngelegenheiten außerhalb der betriebseigenen Unterkünfte. Sowohl von den türkischen Untermietern als auch von den türkischen Hauptmietern gaben jeweils mehr als die Hälfte an, ihre Unterkunft durch eine solche Vermittlung bekommen zu haben. Makler oder Zeitungsannoncen spielten dagegen nur eine untergeordnete Rolle (Abgeordnetenhaus von Berlin 1973: 64). So wuchsen per »Schneeballsystem« die Siedlungen von Zuwanderern an. Hinzu kamen sowohl die äußerst bescheidenen Wohnverhältnisse breiter ländlicher Schich-
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ten in der Türkei als auch derjenigen, die vom Land in die städtischen Armenviertel, die »Gecekondus« gewandert waren (u.a. Institut für Zukunftsforschung 1981: 62ff.). Insofern waren Hinweise auf niedrigere Ansprüche der türkischen Zuwanderer an ihre Wohnverhältnisse nicht per se Ausdruck von »Fremdenfeindlichkeit« oder »Rassismus«. Entscheidend waren die berufliche Stellung und damit das Einkommen kombiniert mit Benachteiligungen durch Vermieter. So stellten die Verfasser der 1979 erschienenen Untersuchung »Probleme der Ausländerbeschäftigung« fest: »Sowohl für alle ausländischen Befragtengruppen, als auch für die deutschen Befragten gilt, dass die Wahrscheinlichkeit, in günstigen Wohnverhältnissen zu leben, mit steigendem beruflichen Status […] ansteigt« (Forschungsverbund 1979: 69). Gleichzeitig galt aber auch, »dass in allen Statusgruppen ausländische Mieter im Vergleich zur entsprechenden deutschen Gruppe sehr deutlich benachteiligt sind. Dies gilt umso mehr, je niedriger der Status der ausländischen und deutschen Befragten ist. Das Zusammentreffen der beiden Statusmerkmale ›Hilfsarbeiter‹ und ›Ausländer‹ führt zu einer besonders drastischen Benachteiligung der Wohnungssuchenden« (ebd.: 70). Die Autoren kamen zu dem Schluss, »dass ein entscheidender Faktor für die Verbesserung der Wohnsituation auf eine Anhebung des beruflichen (d.h. immer auch sozialen) Status zurückzuführen ist (Eine Tatsache, die in vollem Umfang auch für die Deutschen gilt.)« (ebd.: 71). Unzweifelhaft war die Bereitschaft deutscher Vermieter gering ausgeprägt, an »Gastarbeiter«, deren sozialer Status als niedrig eingeschätzt wurde, in bürgerlichen Vierteln Wohnungen zu vermieten. Wie eingeschränkt die Auswahlmöglichkeiten von Zuwanderern waren, macht eine Befragung aus dem Jahr 1978 in Berlin deutlich, in der Ausländer nach den Gründen ihrer Wohnungswahl befragt wurden. Dabei gaben 42 Prozent der befragten Türken an, die betreffende Wohnung sei ihnen als einzige angeboten worden (Jugoslawen: 21 Prozent, Griechen: 25 Prozent) (Der Regierende Bürgermeister 1980: 131). Dieses Verhalten deutscher Vermieter leistete dem Konzentrationsprozess und der Spirale der »sozialen Entmischung« nachhaltig Vorschub. Die Autoren des Forschungsverbundes beschrieben diesen Vorgang präzise: »Die vorliegenden Daten lassen es keinesfalls zu, die offensichtliche Benachteiligung der ausländischen Bevölkerung ausschließlich oder hauptsächlich auf deren niedriges Anspruchsniveau oder auf die mangelnde Bereitschaft zur Zahlung höherer Mieten zurückzuführen. […] ein großer Teil der deutschen Vermieter [zeigt] nur geringe Neigung […], gut ausgestattete Wohnungen in vorwiegend ›deutschen‹ Gegenden an Ausländer zu vermieten. Damit sind die Ausländer auf ein bestimmtes Wohnungsangebot beschränkt. Dies ist einer der entscheidenden Gründe, die zu einer Konzentration der ausländischen Arbeitnehmer in bestimmten Gegenden führen. Wohnungen in qualitativ schlechtem Zustand verteilen sich in
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der Regel nicht zufällig über ein Stadtgebiet, sondern konzentrieren sich in bestimmten Gegenden und bestimmten Häusern. In der ersten Phase der beginnenden Konzentration verstärkt sich wegen des beschränkten Wohnungsangebotes für Ausländer allmählich der Zugang ausländischer Arbeitnehmer in diese Gebiete, ohne dass es zunächst zu einer auffälligen Konzentration kommt. Teils wegen des Zuzugs der Ausländer, teils wegen der tatsächlichen oder auch nur erwarteten Verschlechterung des Zustandes der Wohnungen und des Wohngebietes beginnen die sozial stärkeren Gruppen der deutschen Mieter, die finanziell dazu in der Lage sind, das Wohnungsgebiet vermehrt zu verlassen. Dies ermöglicht dann erst den Zuzug weiterer Ausländer, so dass es schließlich zu einer sichtbaren und relativ starken Konzentration der ausländischen Arbeitnehmer auf schlecht ausgestattete Wohngebiete und Häuser kommt. Soweit hier noch Deutsche wohnen, handelt es sich überwiegend um sozial schwächere Gruppen, die nicht ohne weiteres die Wohnung wechseln können. Es bilden sich dann häufig eine Reihe ethnischer Einrichtungen (Geschäfte, Restaurants, etc.) heraus, die eine gewisse Attraktivität für die ausländischen Arbeitnehmer haben. Wichtig ist, dass der geschilderte Prozess sich teilweise aufgrund rein subjektiver Einschätzungen vollzieht, die zumindest in der Anfangsphase zu beeinflussen wären. Die deutschen Bewohner nehmen an, dass noch weitere Ausländer zuziehen und sich die Wohnsubstanz verschlechtert. Die Vermieter nehmen an, dass die deutsche Bevölkerung das Wohngebiet verlassen wird, dass sich die Wohnsubstanz verschlechtern wird und mehr Ausländer zuziehen. In dieser Situation werden Investitionen in der Regel unterlassen. Die Wohnsubstanz verschlechtert sich tatsächlich. Der Prozess der Ab- und Zuwanderung wird beschleunigt. Die zunächst subjektiven Befürchtungen bestätigen sich sozusagen als eine sich ›selbsterfüllende Voraussage‹ nun auch objektiv« (Forschungsverbund 1979: 72ff.).
Der Prozess der Zusammenballung der »Gastarbeiter« und ihrer Angehörigen in einzelnen Stadtgebieten kann – zumindest in seinen Entstehungszeiten – nicht als Ausdruck freiwilliger und bewusster Abschottung angesehen werden. Ein großer Teil der Betroffenen legte keineswegs in erster Linie Wert auf die Nachbarschaft von Landsleuten, sondern auf gute oder verbesserte Wohnbedingungen. Das zeigen Befragungen immer wieder (Der Regierende Bürgermeister 1980: 134f.; Heidtmann-Frohme 1982: 317f.; Hoffmann-Nowotny/Hondrich 1981: 588ff.). So ergab die prognos Befragung, dass »eine freiwillige Ghettobildung […] nur von einer sehr kleinen Minderheit erwünscht ist. Fast die Hälfte der Befragten bevorzugt eine Ausgeglichenheit zwischen deutscher und türkischer Wohnbevölkerung, einem knappen Drittel wäre es lieber, wenn wenig Türken im Wohnquartier leben würden. Die Präferenzen zugunsten einer Mischung sind unverkennbar« (Der Regierende Bürgermeister 1980: 131).
Je höher das Einkommen war, desto geringer war das Interesse an einer rein türkischen Wohngegend (ebd.: 132, 139f.). Der Umzug in bessere Wohngegenden scheiterte meist nicht an mangelnder Mietzahlungsbereitschaft. Sie war innerhalb bestimmter Grenzen durchaus vorhanden. Den Zuwanderern war sehr wohl bewusst, dass bessere Wohnbedingungen auch größere Ausgaben mit sich bringen (ebd.: 117ff.). Grundsätzlich kann festgehalten werden: »Je niedriger der soziale Status einer Gruppe und je höher die ökonomischen Be-
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lastungen einzelner Haushalte (wie z.B. kinderreiche Familien), umso weniger kann von einer freiwilligen Segregation gesprochen werden und umgekehrt« (ebd.: 149). Je mehr die räumliche Konzentration der Zuwanderer zunahm, desto unübersehbarer wurde sie, was die negativen Einschätzungen der einheimischen Bevölkerung verstärkte. »Wenn Ausländer […] von der einheimischen Bevölkerung als Konkurrenten um Arbeitsplätze und andere gesellschaftliche Ressourcen und als Bedrohung der Sicherheit und Ordnung wahrgenommen werden, dann erhöht die vermehrte Sichtbarkeit der Migranten dieses Gefühl der Bedrohung und damit gleichzeitig die negativen und feindseligen Einstellungen der deutschen Bevölkerung« (Forschungsverbund 1979: 228; auch: Der Regierende Bürgermeister 1980: 165ff.; 212f.).
Das galt in besonderem Maß für die zuziehende türkische Bevölkerung, die sich in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre eine eigene Dienstleistungsinfrastruktur schuf und das Straßenbild zunehmend prägte. »Between 1975 and 1980 they were so successful in this area that, if one so desired, it would have been possible to fulfil most of one’s needs for commercial or social relations within the Islamic community, avoiding all contact with non-Muslims« (Gitmez/Wilpert, Czarina 1987: 99). Dies wiederum veranlasste die einheimische Bevölkerung zunehmend, diese Gebiete zu meiden oder ganz zu verlassen. »Die große und offenbar weiter zunehmende Zahl türkischer Geschäfte (Einzelhandel, Reisebüro, Gastwirtschaften etc.) bestimmen einerseits den Reiz […] für die türkischen Haushalte, andererseits verlieren diese Gebiete gerade hierdurch an Attraktivität für deutsche Haushalte. Wenn man außerdem das wenig gepflegte Straßenbild hinzunimmt, das in den Gebieten vorherrscht, so wird klar, weshalb davon gesprochen wird, für bestimmte Gebiete Berlins bestehe neben der faktischen Zuzugssperre für Ausländer eine analoge psychologische Zuzugssperre für deutsche Haushalte« (Der Regierende Bürgermeister 1980: 184).
Diejenigen, die es sich leisten können, soziale Aufsteiger, verlassen das Wohngebiet, weil sie den sozialen Verfall befürchten.
Administrative Steuerungsversuche von Niederlassungsprozessen Immer häufiger artikulierte sich zudem Unmut in der einheimischen Bevölkerung, die insbesondere einen Verdrängungswettbewerb auf dem Arbeitsmarkt
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fürchtete.62 1975 einigten sich Bund und Länder auf Zuzugssperren für Ballungsräume, in denen der Ausländeranteil doppelt so hoch war wie der Bundesdurchschnitt von sechs Prozent. Diese Gebiete wurden als »überlastete Siedlungsgebiete« bezeichnet (Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung 1975: 199f.; zur Problematik der Kriterien für die Einstufung als »überlastetes Siedlungsgebiet«: Stiens 1974: 49; zur Debatte Anfang der 1970er Jahre: Schönwälder 2001: 540ff.; Herbert/Hunn 2008: 756f.). Dazu wurden die Möglichkeiten zur Beschränkung des Aufenthalts und zur Beschäftigung, die das Ausländergesetz bot, genutzt: So wurden Sperrvermerke für Ballungszentren bei der Verlängerung von Arbeits- und Aufenthaltserlaubnissen eingetragen und damit ihr Geltungsbereich begrenzt (Die entsprechenden Erlasse sind abgedruckt in: Albrecht 1976: 377ff.; Schwerdtfeger 1980: 89ff.). Das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung beschrieb die Maßnahmen so: »Die rasche Zunahme der Ausländerbeschäftigung vor dem Anwerbestopp, der verstärkte Familiennachzug sowie die insgesamt längere Aufenthaltsdauer der Ausländer haben die soziale Infrastruktur stark belastet. Trotz aller Anstrengungen konnten Engpässe und soziale Unzulänglichkeiten nicht immer verhindert werden. Dies gilt insbesondere für die von den Ausländern besonders bevorzugten Verdichtungsgebiete, in denen teilweise jeder vierte Arbeitnehmer ein Ausländer ist. Daher haben Bund und Länder auf Initiative des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung ab April 1975 den weiteren Zuzug ausländischer Arbeitnehmer in überlastete Siedlungsgebiete begrenzt. Unmittelbar betroffen hiervon sind Städte und Kreise, in denen der Anteil der ausländischen Bevölkerung an der gesamten Wohnbevölkerung 12 Prozent und mehr beträgt. In diese Regelung können ferner Städte und Kreise einbezogen werden, in denen der Anteil der ausländischen Wohnbevölkerung 6 Prozent überschreitet« (zit. nach: Rist 1980: 83).
Von Beginn an waren Städte und Landkreise in Nordrhein-Westfalen, Hessen, Baden-Württemberg und Bayern betroffen (Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung 1975: 199). Mit diesen Maßnahmen sollte die Binnenwanderung der bereits im Bundesgebiet lebenden ausländischen Arbeitnehmer gesteuert werden. Ziel war es, die lokalen Konzentrationen der ausländischen Wohnbevölkerung zu reduzieren oder zumindest nicht weiter anwachsen zu lassen. Dem Konzept einer regional gestaffelten Wirtschaftsabgabe, die in verdichteten Gebieten höher als in den übrigen Räumen sein sollte und die in Finanzierung von Infrastruktur fließen sollte, wurde nicht gefolgt (Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau 1976). Insgesamt 50 Städte – darunter Köln, Frankfurt/Main, Hannover, München und Berlin (West) – wurden zu »überlasteten« Siedlungsgebieten erklärt, womit weiterer Zuzug aufgehalten werden sollte. Mit
—————— 62 »Tore zu – die Türken kommen. Im Wettlauf mit den Behörden drängen die Gastarbeiter weiter nach Norden«, in: Die Zeit vom 16. April 1976.
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STAAT UND MIGRATION
Wirkung vom 1. April 1977 wurde das Konzept der Zuzugssperren wieder aufgehoben (mit Ausnahme von Berlin-West). Zur Begründung wurde angeführt, dass man türkische Arbeitnehmer aufgrund eines Beschlusses des Assoziationsrates EG-Türkei von diesen Beschränkungen ausnehmen musste (Mehrländer 1978: 123). Bereits zum 1. Januar 1975 hatte Berlin Zuzugssperren für die Bezirke Kreuzberg, Tiergarten und Wedding ausgesprochen.63 Die Ausländeranteile lagen 1975 in Kreuzberg bei 24,7 Prozent, in Wedding bei 17,7 und in Tiergarten bei 15,3 Prozent. Fast die Hälfte der türkischen Bevölkerung Berlins lebte in diesen drei Bezirken (Der Senator für Gesundheit, Soziales und Familie, Ausländerbeauftragter 1983: 70). Diese Maßnahmen galten nicht für Familienangehörige von deutschen Staatsangehörigen, für Ausländer aus Nicht-EGStaaten, die über eine längerfristige Aufenthaltsberechtigung verfügten, sowie für Ausländer aus Mitgliedstaaten der EG (Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau 1976: 15f.). 1978 waren noch 36,9 Prozent aller Ausländer Berlins in den drei Berliner Innenstadtbezirken registriert (gegenüber 46,3 Prozent vor der Zuzugssperre 1974), und es trat ein Verdrängungsprozess in die benachbarten Bezirke (Neukölln, Schöneberg, Charlottenburg, Spandau) ein (Der Regierende Bürgermeister 1980: 28ff.; Statistisches Landesamt Berlin 1983: 31). Deren steigende prozentuale Anteile gingen aber auch auf die abwandernde einheimische Bevölkerung zurück (Der Regierende Bürgermeister 1980: 39ff.). Die Berliner Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichte erzwangen darüber hinaus zahlreiche Ausnahmeregelungen (u.a. für den Familiennachzug)64, die die Steuerungsmöglichkeiten zusätzlich einschränkten. Die Berliner Zuzugssperren wurden 1990 aufgehoben. Insgesamt zeigten die Versuche, die Binnenwanderung von Ausländern zu steuern (und damit zu reglementieren) nicht die gewünschte Wirkung: Die Geburtenentwicklung – der Geburtenüberschuss der ausländischen Bevölkerung stieg von 14,4 Prozent 1961 auf 23,2 Prozent 1972 (Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau 1976: 55) – , das illegale Unterlaufen der Bestimmungen und mangelnde Kontrollen trugen ihren Teil dazu bei. Die Maßnahmen zur Einschränkung der Niederlassungsfreiheit stießen auch auf politischen Widerstand. »Es soll auch nicht verschwiegen werden, dass ein derartiges Steuerungskonzept den Bestrebungen zur Liberalisierung des bestehenden Ausländerrechts von Seiten einiger gesellschaftspolitischer Gruppen
—————— 63 U.a.: »Konflikte in Berlins ›verbotenen Bezirken‹ verschärft«, in: Frankfurter Rundschau vom 1. April 1976. 64 NJW 1978, H.1/2: 68 f.; Leitlinien und neue Maßnahmen zur Ausländerintegration in Berlin und deren Durchführung in: Abgeordnetenhaus 1980: 4, 25f.
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(Gewerkschaften, Kirchen) entgegensteht« (Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau 1976: 29). Besonders die Berliner Regelungen waren Gegenstand massiver juristischer Kritik. So wurde nicht nur ihre Wirksamkeit bestritten, sie wurden auch als Verstoß gegen die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und das darin fixierte Freizügigkeitsrecht kritisiert (Franz 1976a; 1976b). Grundsätzlich war der Gedanke richtig, ethnisch-sozialen Unterschichtenkonzentrationen entgegenzuwirken. Sie waren (und sind bis heute) ein Integrationshindernis. Allerdings erreichten Zuzugssperren nicht ihr Ziel, weil die zugrundeliegenden Filtermechanismen des Wohnungsmarktes (einschließlich der Diskriminierungseffekte) zu stark waren und durch Zuzugssperren in ihrer Wirkung nicht korrigiert wurden. Einmal entstandene sozialräumliche Verdichtungen ließen sich auf diese Weise nicht wieder auflösen. Der Empfehlung, eine »vorausschauende Sanierungspolitik« zu betreiben, »die das Abwirtschaften von Häusern und Wohnvierteln verhindert und so der Diskriminierung der ausländischen und der sozial schwachen deutschen Bevölkerung (die sich in einer vergleichbaren Situation befindet) die materielle Grundlage entzieht« (Forschungsverbund 1979: 75f.), war offensichtlich nicht in ausreichendem Maße gefolgt worden. Die von den »Gastarbeitern« erwirtschafteten zusätzlichen Steuereinnahmen waren »nicht in angemessenem Umfang für entsprechende Investitionen verwendet« worden (Bundesanstalt für Arbeit 1974: 6). »Da zunehmende Ausländerkonzentration ein relativ sicherer Indikator für die beginnende Verslumung städtischer Wohngebiete ist, wäre dies [die Auflösung der Konzentrationen in einzelnen Vierteln] gleichzeitig ein wesentlicher Beitrag zu einer vorausschauenden Sanierungspolitik. […] Wirklich lösen lässt sich das Problem der Ausländerkonzentration allerdings nur durch einschneidende Sanierungsmaßnahmen in den betroffenen Gebieten. […] [So] wird deutlich, dass die Lösung des sog. ›Ausländerproblems‹ zu einem großen Teil identisch ist mit der Beseitigung der Benachteiligung und der verstärkten Integration der unterprivilegierten deutschen Bevölkerungsgruppen« (Forschungsverbund 1979: 229f.).
Erschwerend kam hinzu, dass es nicht gelang, die Zuwanderung in die Bundesrepublik Deutschland zu steuern und zu begrenzen. So wurden die ethnischen Kolonien immer wieder mit Neuzuwanderern aufgefüllt. 1980 stellten Gutachter für den Berliner Senat fest: »Wenn es nicht gelingt, den weiteren Zustrom der Ausländer – nicht nur im Bereich des Familiennachzugs – zu stoppen, ist abzusehen, dass die in den letzten Jahren verstärkt zu beobachtenden Ballungstendenzen weiter anhalten und zu einer Verschärfung der Problemsituation in den schon betroffenen Stadtquartieren – aber auch in den bisher noch nicht so stark belasteten Gebieten führen« (Institut für Zukunftsforschung 1980: 80).
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STAAT UND MIGRATION
Für das Jahr 1984 wurde die Verteilung innerhalb der Bundesrepublik wie folgt beschrieben: »In der residentiellen Verteilung auf die 63 Großstädte mit über 100.000 Einwohnern sowie auf die 35 übrigen Stadtkreise und 287 Landkreise, in die man die Bundesrepublik untergliedert findet, zeigen diese Ausländer örtlich zum Teil erhebliche Gruppengrößen. Sie entsprechen oft den Größenordnungen eigener Klein- und Mittelstädte. In manchen Stadtquartieren machen sie gelegentlich 60 und mehr Prozent der Wohnbevölkerung aus. Achtet man nur auf die größeren Gruppen, die örtlich über 5.000 Köpfe zählen, so finden sich über 70 Fälle solcher ethnischer Minoritäten, die sich auf 8 verschiedene Nationalitäten verteilen« (Fijalkowski 1988: 6).
Die demographische Entwicklung Die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung in den Ballungszentren hat sich in den zurückliegenden Jahrzehnten durch die Zuwanderung nachhaltig verändert. Bedingt durch Altersstruktur, höhere Geburtenraten und weiteren Zuzug werden sich die Anteile von Zuwanderern weiter erhöhen. Das wird nicht nur Einfluss auf das Bild der Städte haben. Angesichts sich abzeichnender neuer Mehrheitsverhältnisse bei den Jüngeren in Ballungszentren wird von der strukturellen Integration dieser Gruppen (Bildung, Arbeitsmarkt) auch abhängen, wie sich das Zusammenleben zwischen Einheimischen und Zugewanderten entwickelt: ob die Grenzen zunehmend verschwimmen oder ob dauerhaft an den Rand gedrängte Gruppen entstehen. Dabei ist auf die äußerst unterschiedliche Entwicklung in den alten und den neuen Ländern der Bundesrepublik hinzuweisen sowie auf die divergierenden Prozesse in den Wachstumsund Stagnationsräumen in Westdeutschland (Bertelsmann-Stiftung 2008; ILS 2007; Schmidt/Große Starmann 2006; Bose/Wirth 2006). Hier werden zunächst die grundlegenden Linien skizziert um schließlich auf einige westdeutsche Großstädte einzugehen. In Deutschland ist die Geburtenrate von fünf Kindern pro Frau des Jahrgangs 1860 auf aktuell 1,5 Kinder pro Frau der Generation 1965 gesunken (Birg 2001: 51). 2006 liegt die Geburtenhäufigkeit (Kinder pro Frau vom 16. bis 50. Lebensjahr) bei 1,4 in Deutschland. Die zur Erhaltung der Bevölkerungszahl notwendige Ziffer liegt bei 2,1 (Kiss/Schimany 2007: 22). Der Anteil der zeitlebens kinderlosen Frauen an einem Jahrgang hat sich innerhalb von 25 Jahren in Deutschland verdreifacht: Lag er beim Jahrgang 1940 noch bei 10,6 Prozent, so bleiben vom Frauenjahrgang 1965 fast ein Drittel kinderlos (Birg 2001: 73). Damit zeichnet sich eine Spaltung der Gesellschaft ab: in einen Teil, der zeitlebens kinderlos bleibt, und in einen »demogra-
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phisch reproduktiven Familiensektor«, bei dem die Zwei-Kind-Familie der häufigste Familientyp ist (Birg 2001: 5). Der mittel- und langfristige Rückgang der Bevölkerung und die starke Zunahme des Anteils älterer Menschen sind zwei wesentliche Kennzeichen dieser Entwicklung. Gegenüber einer Bevölkerung von 82,5 Millionen im Jahr 2005 in Deutschland geht die »11. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung« in ihrer mittleren Variante von einem Bevölkerungsstand im Jahr 2050 von entweder 74 Millionen Einwohnern in Deutschland aus (bei einer Nettozuwanderung von 200.000 Personen jährlich) oder von 69 Millionen (bei einer Nettozuwanderung von 100.000 Personen jährlich) (Statistisches Bundesamt 2006a: 57ff.). Wollte man die gegenwärtige Altersstruktur halten, so müssten bis zum Jahr 2050 rund 175 Millionen Menschen nach Deutschland einwandern (Statistisches Bundesamt 2003: 34). Ein weiteres Merkmal besteht in einer Verschiebung der Bevölkerungsanteile zugunsten der Zuwanderer. Die Geburtenziffer der Frauen mit ausländischer Staatsangehörigkeit lag 2006 bei 1,69 Kindern je Frau, bei jenen mit deutscher Staatsangehörigkeit bei 1,3 Kindern. 18 Prozent der Kinder wurden 2004 von Müttern mit ausländischer Staatsangehörigkeit geboren, 1991 waren es noch 13 Prozent (Statistisches Bundesamt 2006a: 28). Die Geburtenziffer nimmt bei beiden Gruppen kontinuierlich ab, auch steigt bei beiden das Alter der Frauen bei Geburt ihrer Kinder. Insgesamt ist also eine zunehmende Angleichung im generativen Verhalten festzustellen (Pötzsch 2007: 20f.; Statistisches Bundesamt 2006a: 30). Im Einzelnen zeigt sich bei Zuwanderern folgendes Bild (Birg 2001: 151ff.): Diejenigen aus europäischen Herkunftsländern haben eine ähnlich niedrige Geburtenrate wie die deutsche Bevölkerung. Bei den aus der Türkei und aus der Dritten Welt Zugewanderten lag die Kinderzahl bei über zwei. So belief sich der Anteil der Familien mit drei und mehr Kindern 1998 bei den Deutschen auf elf Prozent, bei den Ausländern war er mit 22,5 Prozent mehr als doppelt so hoch. Innerhalb der Gruppe der Ausländer war der entsprechende Anteil bei den Türken am höchsten (30 Prozent) und bei den Ausländern aus Ländern der Europäischen Union mit 16 Prozent am niedrigsten. Innerhalb der Gruppe von Familien, die vier und mehr Kinder hatten, war der Anteil der türkischen Familien mit 47 Prozent am größten. Mit länger andauernden Aufenthalten der »Gastarbeiter« in der Bundesrepublik Deutschland stieg die Zahl der nachgeholten Ehepartner und Kinder. Damit begann gleichzeitig die Geburtenrate zu steigen. So stieg die Zahl der lebendgeborenen Kinder mit ausländischer Staatsangehörigkeit von 18.800 im Jahr 1962 (Ausländeranteil an der Gesamtzahl der Lebendgeborenen von 1,9 Prozent) auf einen ersten Höhepunkt im Jahr 1974 mit 108.270 Geburten (und damit einem Ausländeranteil an allen Geburten von 17,3 Prozent) (Statistisches Bundesamt, zit. nach: Beauftragte der Bundesregierung für Migration,
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Flüchtlinge und Integration: 2005: 577f. [Tab. 3]). Bis zum Jahr 1985 (53.750 Lebendgeborene ausländischer Staatsangehörigkeit, entspricht einem Anteil von 9,2 Prozent) sank die Zahl stetig und stieg dann wieder kontinuierlich an bis zum Jahr 1997 auf 107.180 Geburten – das entspricht einem Ausländeranteil von 13,2 Prozent. Seit dem Jahr 2000 sinkt die Zahl der Geburten von Kindern mit ausländischer Staatsangehörigkeit auf unter 50.000 jährlich. Dies ist allerdings eine statistische Auswirkung des seit 2000 geltenden Staatsangehörigkeitsrechts, nachdem mehr als die Hälfte aller Kinder ausländischer Eltern die deutsche Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes erhalten. Die Zahl deutscher Staatsangehöriger fiel von 58,3 Millionen im Jahr 1970 auf 57,1 Millionen im Jahr 1980. Gleichzeitig stieg die Zahl der ausländischen Staatsangehörigen im gleichen Zeitraum von 2,7 auf 4,6 Millionen (jeweils zum 31.12.; Statistisches Bundesamt 2005). Als wichtigster Grund für diese gegenläufige Entwicklung sind das Geburtendefizit bei Deutschen und der Geburtenüberschuss bei Ausländern sowie deren – von wenigen Ausnahmen abgesehen – positiver jährlicher Wanderungssaldo anzusehen. Von 1972 bis heute ist die Geburtenbilanz bei den deutschen Staatsangehörigen negativ: Es sterben mehr Menschen als Menschen geboren werden. Bevölkerungsentwicklung der Ausländer in den vergangenen Jahrzehnten (in Tausend) natürlicher Saldo (Geburten abzügl. Sterbefälle) Außenwanderungssaldo
1960er Jahre 27,4 145,4
1970er Jahre 76,7 103,3
1980er Jahre 60,1 86,7
Quelle: Statistisches Bundesamt, zit. nach: Bucher/Kocks/Siedhoff 1991: 502
Über die Jahre gewann der Geburtenüberschuss für die Entwicklung der Gesamtzahl der Ausländer in Deutschland an Bedeutung: Von 16 Prozent in den 1960er Jahren auf rund 40 Prozent in den 1970er und 1980er Jahren (Bucher/Kocks/Siedhoff 1991: 501f.). Dabei spielte die Altersstruktur eine entscheidende Rolle: Die »Gastarbeiter« waren wesentlich jünger als die deutsche Bevölkerung. So betrugen die Anteile der noch nicht Zehnjährigen bei den Ausländern 16,9 Prozent, bei den Deutschen hingegen nur 9,7 Prozent. Das Verhältnis bei den 20- bis 40-Jährigen war mit fast 46 Prozent bei den Ausländern und 27 Prozent bei den Deutschen besonders auffallend. Älter als 60 Jahre waren 20,4 Prozent der Deutschen, jedoch nur 3,1 Prozent der Ausländer (Höhn/Mammey/Schwarz 1981: 148). Die Altersstruktur von Zuwanderern ist bis heute neben ihrer Geburtenhäufigkeit ein wesentlicher Grund für die wachsende Kinderzahl.
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INTEGRATION UND STADT
»Die Altersstruktur der Ausländer hat zur Folge, dass noch für viele Jahre starke Geburtsjahrgänge in das Fortpflanzungsalter nachwachsen und es noch länger dauert, bis diese Jahrgänge in das Alter erhöhter Sterblichkeit nachrücken. Auch bei einem völligen Einwanderungsstopp, der noch nicht einmal die Familienzusammenführung zuließe, würde also die Zahl der Ausländer in Deutschland für viele weitere Jahre zunehmen. Das gilt vor allem für Ausländer mit einer über dem Bestandserhaltungsminimum liegenden Geburtenhäufigkeit« (Schwarz 1996: 63; Dinkel/Lebok 1994: 33ff.).
In den 1970er Jahren war die Geburtenhäufigkeit der Ausländerinnen um 50 Prozent höher als bei den Deutschen (Höhn/Mammey/Schwarz 1981: 167). Unterscheidet man die Geburtenziffern nach Nationalität, so ist festzustellen, dass nur noch die Türkinnen eine Geburtenhäufigkeit aufwiesen, die deutlich über der zur Bestandserhaltung Notwendigen lag. Alle anderen, insbesondere die Geburtenraten der Spanierinnen und Portugiesinnen, erreichten seit 1977 nicht mehr das zur Bestandserhaltung notwendige Niveau. Zusammengefasste Geburtenziffern auf tausend Frauen Staatsangehörigkeit der Mutter
1975
1976
1977
1978
1979
Deutsch
1.368
1.392
1.352
1.334
1.333
Ausländisch
2.378
2.267
2.088
2.008
2.005
Darunter: – Türkisch
4.282
4.074
3.781
3.639
3.609
– Griechisch
2.758
2.520
2.144
1.973
1.844
– Italienisch
2.229
2.164
1.965
1.886
1.940
– Jugoslawisch
1.945
1.921
1.841
1.789
1.818
– Portugiesisch
2.145
2.020
1.824
1.590
1.511
– Spanisch
1.817
1.826
1.654
1.507
1.421
Quelle: Wirtschaft und Statistik 2/81: 95ff., zit. nach: Höhn/Mammey/Schwarz 1981: 167
Im Laufe des Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland nahm allerdings auch die weit überdurchschnittliche Geburtenhäufigkeit bei Türkinnen kontinuierlich ab (Höhn/Mammey/Schwarz 1981: 167). Diese Entwicklung entspricht dem Trend in der Türkei und anderen Herkunftsländern (Schwarz 1996: 63). Generell spielt das generative Verhalten der türkischen Bevölkerung bis heute eine herausragende Rolle: Ihr Anteil an den Geburten ausländischer Mütter liegt seit Jahrzehnten weit über ihrem Anteil an der ausländischen Bevölkerung (Schwarz 1996: 61; Roloff 1997: 83; Schwarz 2001: 27f.). Von 1984 bis 1994 war bei den Ausländern ein Geburtenüberschuss von 760.000 festzustellen. Im gleichen Zeitraum nahm die Zahl der ausländischen
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STAAT UND MIGRATION
Staatsangehörigen in Deutschland um 2,51 Millionen zu. Damit geht etwa ein Drittel der Zunahme allein auf die Geburtenhäufigkeit zurück (Schwarz 1996: 65). Für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts bleibt festzuhalten, dass Ausländer am Bevölkerungszuwachs von gesamt 13 Millionen (von 1950 bis 1999) »zur Hälfte durch Zuwanderung und Geburtenüberschuss beteiligt« waren (Schwarz 2001: 6f.).
»Migrationshintergrund« Statistiken und Prognosen, die an die Staatsangehörigkeit der Bevölkerung anknüpfen, verlieren hinsichtlich der Integrationsproblematik zunehmend an Aussagekraft (Bömermann u.a. 2008). Ein Grund hierfür sind die 4,5 Millionen Aussiedler und Spätaussiedler, die seit 1950 aufgenommen wurden (davon 1988 bis 1999: 2,6 Millionen). Daneben wirkte sich sowohl die Einbürgerungspolitik der Bundesregierungen seit 1999 als auch das seit dem Jahr 2000 geltende neue Staatsangehörigkeitsrecht aus – durch die stark gestiegene Zahl der Einbürgerungen von Ausländern (mit ebenso stark angestiegenem Anteil der Hinnahme von Mehrstaatigkeit) sowie durch den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit kraft Geburt. Zwischen 1950 und 2006 wurden 4,4 Millionen Personen eingebürgert, davon 3,3 Millionen zwischen 1990 und 2006 (Datenreport 2008: 18).65 In der Gruppe der Eingebürgerten verfügten rund 2,6 Millionen bis dahin über eine ausländische Staatsangehörigkeit (Statistisches Bundesamt 2008a: 8). Seit dem Jahr 2000 wird bei nahezu jeder zweiten Einbürgerung Mehrstaatigkeit hingenommen (45,9 Prozent). 2006 und 2007 sogar in jeweils über 50 Prozent der Fälle (Worbs 2008: 26). Personen, die neben ihrer ausländischen Staatsangehörigkeit auch die deutsche besitzen, gehen als deutsche Staatsangehörige in die Statistik ein. Insgesamt gibt es inzwischen mindestens 1,2 Millionen deutsche Staatsangehörige, die zusätzlich über eine weitere Staatsangehörigkeit verfügen (Statistisches Bundesamt 2008: 128f.). Alleine in den Jahren 2000 bis 2007 kamen rund 736.000 Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit hinzu – durch Einbürgerungen unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit und durch das »Optionsmodell« (Worbs 2008: 25f.).
—————— 65 Hiervon entfällt ein erheblicher Teil auf (Spät-)Aussiedler: Alleine zwischen 1973 und 1998 wurden insgesamt 2,36 Millionen Personen eingebürgert. Davon waren 1,88 Millionen Aussiedler und Spätaussiedler und 775.000 Ausländer (Hagedorn 2001: 238).
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Den Erwerb der Staatsangehörigkeit durch Geburt sieht das Staatsangehörigkeitsgesetz gemäß Paragraph 4 Abs. 3, Satz 1 vor: Ein Kind ausländischer Eltern erwirbt nun mit der Geburt in Deutschland die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn ein Elternteil seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und eine Aufenthaltsberechtigung besitzt oder seit drei Jahren eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis hat. Zwischen dem 18. und dem 23. Lebensjahr muss es sich dann für eine Staatsangehörigkeit entscheiden (Optionspflicht). Geschieht dies nicht, soll die deutsche Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes verloren gehen. Das Bundesinnenministerium ging davon aus, dass »jährlich etwa 60 Prozent der in Deutschland geborenen Kinder von Ausländern die deutsche Staatsangehörigkeit auf diesem Wege erwerben« (Bundesministerium des Innern 2000: 23). Diese Kinder werden nicht eingebürgert, tauchen deshalb einerseits auch nicht in der Einbürgerungsstatistik auf. Andererseits gehen sie aber – wegen ihrer dem Gesetz nach zeitlich begrenzten doppelten Staatsangehörigkeit – als deutsche Staatsangehörige in die Bevölkerungsstatistik ein. Zwischen 2000 und 2005 wurden 231.000 deutsche Kinder ausländischer Eltern geboren, die unter diese Regel fallen (Grobecker/Krack-Roberg/Sommer 2007: 46). 2006 wurden weitere 29.000 Kinder in Deutschland geboren, die eine ausländische Staatsangehörigkeit hatten. Hinzu kamen 39.000 Kinder ausländischer Eltern, die die deutsche Staatsangehörigkeit nach dem Optionsmodell erhalten haben (Datenreport 2008: 20). Am Beispiel Berlins bedeutet das: Der Anteil der Kinder mit ausländischer Staatsangehörigkeit an allen Lebendgeborenen sank von 18,6 Prozent (1991) auf 7,0 Prozent (2006) (Bömermann u.a. 2008: 21). Von den 20.360 Kindern unter fünf Jahren in ausländischen Familien (Stichtag: 31.12.2004) waren nur weniger als die Hälfte (48 Prozent) mit einer ausländischen Staatsangehörigkeit gemeldet. Besonders niedrig liegt der Anteil bei den türkischstämmigen Kindern: Von den 2000 bis 2007 in Berlin geborenen und lebenden 11.234 Kindern türkischer Eltern erhielten 9.186 Kinder (81,8 Prozent) kraft Geburt zusätzlich die deutsche Staatsangehörigkeit (und gehen damit als deutsche Staatsangehörige in die Statistik ein) (Heinzel/Tuchscherer 2008: 31). Die in Statistiken getroffenen Aussagen über Anteile ausländischer Bevölkerung haben infolgedessen mit der Lebenswirklichkeit nichts mehr gemein. So sinkt nach der »Bevölkerungsprognose für Berlin 2002–2020« deren Anteil bei 0- bis unter 18-Jährigen von 2002 mit 14,2 Prozent bis 2020 auf lediglich noch 11,5 Prozent (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung 2004: 34). Aktuelle Untersuchungen zum demographischen Wandel in deutschen Millionenstädten blenden das Thema aus (Bomsdorf/Babel 2005).
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Der »Mikrozensus 2005« des Statistischen Bundesamtes ist erstmalig auf dieses Thema ausführlich eingegangen (Statistisches Bundesamt 2007). Unter »Personen mit Migrationshintergrund« werden seitdem vom Statistischen Bundesamt subsumiert »alle nach 1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Zugewanderten, sowie alle in Deutschland geborenen Ausländer und alle in Deutschland Geborenen mit zumindest einem zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil« (Statistisches Bundesamt 2008a). Nach diesen Prämissen haben 18,7 Prozent der Bevölkerung (15,4 Millionen Menschen) in Deutschland einen »Migrationshintergrund«. 7,3 Millionen davon sind ausländische Staatsangehörige, was 8,9 Prozent der Bevölkerung entspricht (Statistisches Bundesamt 2008a: 6; zum Thema: Härle 2004; Kiss/ Schimany 2007: 28ff.). Bei der Definition der Bevölkerungsgruppe »mit Migrationshintergrund« besteht das Problem, dass eine möglichst weite Auslegung (um nahezu in Frage kommenden Gruppen zu erfassen) mit einer zunehmenden Heterogenität der Gesamtgruppe einhergeht (Wippermann/Flaig 2009: 5f.). Da die verschiedenen Zuwanderergruppen und Generationen aber unterschiedliche Integrationsindikatoren und -erfordernisse aufweisen ist die integrationspolitische Aussagekraft einer weitgefassten Gruppendefinition eingeschränkt. Das gilt unter anderem für die Untergruppe der ausländischen Staatsangehörigen, die erheblich schlechtere Indikatoren zu strukturellen Integration (Bildung, Arbeitsmarkt) aufweist als die Gesamtgruppe der Bevölkerung »mit Migrationshintergrund«. »Damit unterscheidet sich die ausländische Bevölkerung hinsichtlich dieser Merkmale von der deutschen Bevölkerung mit Migrationshintergrund deutlicher als die Bevölkerung mit Migrationshintergrund von der ohne Migrationshintergrund« (Datenreport 2008: 19). Prognosen zur Bevölkerungsentwicklung aus den 1990er Jahren lassen erwarten, dass der Anteil der ausländischen Bevölkerung (trotz zurückgehender Geburtenraten) vor allem wegen der günstigen Altersstruktur weiter deutlich ansteigen wird. Münz und Ulrich gehen in ihrer Prognose aus dem Jahr 1997 bei einer jährlichen Nettozuwanderung von 190.000 Ausländern von einem Anstieg auf 10,6 Millionen (13,2 Prozent Anteil an der Gesamtbevölkerung) im Jahr 2015 und 12,6 Millionen (17 Prozent) im Jahr 2030 im Bundesdurchschnitt aus. Die Zahl der deutschen Staatsangehörigen würde demnach auf 75 Millionen sinken (Münz/Ulrich 1997b: 38ff.) Nach Berechnungen von Birg (2003: 13) wird der Ausländeranteil in Deutschland von 1998 bis 2050 von 9 auf 27,9 Prozent ansteigen (ohne Staatsbürgerschaftswechsel). Besonders deutlich werden sich die Anteile im gleichen Zeitraum bei den unter 20-Jährigen verschieben: von 11,4 auf 38,1 Prozent.
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Diese Entwicklung wird sich in den Städten und Ballungsräumen besonders stark auswirken, die bereits in den 1960er Jahren einen deutlichen Siedlungsschwerpunkt der Zuwanderer bildeten – bedingt durch die Ansiedlung der angeworbenen ausländischen Arbeitnehmer in der Nähe der vorwiegend industriellen Arbeitsplätze. Die dort seit Jahrzehnten hohen Ausländeranteile werden durch Geburtenüberschüsse, weitere Zuwanderung und den Rückgang der einheimischen Bevölkerung weiter steigen. Für die kreisfreien Städte Nordrhein-Westfalens geht die amtliche Bevölkerungsprognose von 1998 bis zum Jahr 2015 bei der nichtdeutschen Bevölkerung von einem Geburtenüberschuss von 22,3 Prozent und bei der deutschen Bevölkerung von einem Geburtendefizit von minus 10,4 Prozent aus (Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik Nordrhein-Westfalen 1999: 47ff.). Bei der Altersgruppe der bis 40-Jährigen wird der Anteil der Ausländer die 50-Prozent-Marke erreichen. In Berlin (West) wird der Anteil der Ausländer bei den unter 20-Jährigen bis 2015 auf 52 Prozent ansteigen (Birg 1999: 41). Für 2010 werden für die westlichen Innenstadtbezirken (alten Zuschnitts) folgende Anteile (auf Basis von Daten aus dem Jahr 1995) prognostiziert:66 Anteil der Ausländer an allen bis 18-Jährigen im Jahr 2010: Kreuzberg: Wedding: Tiergarten: Neukölln:
54,3 % 54,1 % 47,9 % 42,6 %
Wird das Kriterium »mit Migrationshintergrund« zugrunde gelegt, so ergeben sich erwartungsgemäß noch einmal andere Größenordnungen (Statistisches Bundesamt 2007: 8): Stuttgart Frankfurt/Main Nürnberg
40,1 % 39,5 % 37,3 %
Betrachtet man die Gruppe der unter 5-Jährigen so ergeben sich folgende Anteile »mit Migrationshintergrund« (Statistisches Bundesamt 2007: 8):
—————— 66 Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie 1997: 65, 59, 57, 81; eigene Berechnungen)
158 Nürnberg Frankfurt/Main Düsseldorf Stuttgart Wuppertal Augsburg
STAAT UND MIGRATION
67,0 % 64,6 % 63,9 % 63,6 % 62,0 % 60,2 %
Diese Prognosen haben für die Integrationsfähigkeit der Städte und Ballungsräume erhebliche Auswirkungen. Das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung geht für das Jahr 2020 von zusätzlichen Integrationsaufgaben für 5,8 Millionen Menschen in Deutschland aus (Bucher/Kocks/Schlömer 2002: 426). Bis heute argumentiert mit der demographischen Entwicklung, wer die Berechtigung der Zuwanderungspolitik begründen will. So wurde jüngst die Behauptung aufgestellt, dass es Kennzeichen eines modernen Staates sei, dass er »seine demographische Reproduktion über die Immigration regeln muss«, was allerdings nicht näher begründet wurde (Maas 2005: 99). Auch der »Think Tank der Deutsche Bank Gruppe« forderte im Juli 2006, mehr Zuwanderung zuzulassen: aus demographischen Gründen und um »Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Vergleich« zu erhalten (Landbeck 2006). Verbreitet waren und sind Hinweise auf positive Auswirkungen auf einzelne Politikbereiche. Die niedrigen Geburtenraten sollten durch Zuwanderer und deren höhere Fruchtbarkeit kompensiert werden – sich leerende Räume sollten besiedelt, Sozialversicherungssysteme intakt gehalten und der Arbeitsmarkt mit ausreichend Arbeitskräften versorgt werden. Für Raumplaner sollten Zuwanderer Bevölkerungsrückgänge in einzelnen Regionen ausgleichen. So hieß es im Landesentwicklungsprogramm Bayern zur Planungsregion »Oberfranken-Ost« 1974: »Ohne entsprechende Ausländerzuwanderung und eine Beseitigung des negativen Wanderungssaldos gegenüber dem übrigen Bundesgebiet dürfte eine Tendenzumkehr in der Bevölkerungsentwicklung bei dieser Region nicht zu schaffen sein […] Eine Ausländerzuwanderung in die Region Oberfranken-Ost […] wirft zwar im Hinblick auf die gesellschaftlichen Integrationsmöglichkeiten Probleme auf; diese müssen jedoch im Interesse der Entwicklung der Region in Kauf genommen werden« (zit. nach: Selke: 1977: 78).
Wirtschaftswissenschaftler stellten 1973 die Bedeutung der hohen Geburtenrate der Zuwanderer für das bundesdeutsche System der Rentenversicherung in den Vordergrund: »Aus Sicht der GRV [Gesetzlichen Rentenversicherung] ist sowohl eine wachsende Zahl ausländischer Beschäftigter als auch ihre Eingliederung im Inland wünschenswert, da der ausländische Bevölkerungsteil infolge der größeren Kinderfreundlichkeit hilft, die bundesdeutsche ›Babylücke‹ zu schließen, und für das – zum reibungslosen Funktionieren der
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Gesetzlichen Rentenversicherung notwendige – Bevölkerungswachstum sorgt« (Höpfner/ Ramann/Rürup 1973: 47).
Auch positive Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt werden immer wieder angeführt. 1977 hob der für Ausländerfragen zuständige Unterabteilungsleiter im Bundesministerium für Arbeit- und Sozialordnung hervor: »Ich plädiere heute für eine emotionsfreie Diskussion dieser Frage unter Einbeziehung der ganz nüchternen Erkenntnis, dass die deutsche Bevölkerung insgesamt schrumpft und sich diese Tatsache zum Ende der 80er Jahre auch auf den Arbeitsmarkt auswirken wird […]« (Bodenbender 1977: 50). Diesem Argument ist entgegenzuhalten: Es unterstellt zunächst, dass gegen die sinkende Bevölkerungszahl nicht eine Erhöhung der Geburtenzahlen der eigenen Bevölkerung helfen könne, sondern nur der ersatzweise Zuzug von Ausländern. Diese »kompensatorische Zuwanderungspolitik« (Birg 2003: 28), die auch eine »Bevölkerungspolitik« war (Birg 2003: 54; zur Problematik von »Bevölkerungspolitik« hinsichtlich Begriff und Inhalt: Kaufmann 2005: 174; Ehmer 2004: 63ff.), wurde hinsichtlich ihrer mittel- und langfristigen Auswirkungen allerdings nicht problematisiert. So stellt Birg fest: »Der Übergang der Politik von der Erneuerungsstrategie durch Geburten zur Kompensationsstrategie mittels Wanderungen wurde in keinem Land durch öffentliche Debatten vorbereitet und durch demokratische Entscheidungen eingeleitet, sondern stillschweigend und mehr oder weniger unreflektiert vollzogen« (Birg 2003: 34; kritisch hierzu auch: HoffmannNowotny 1989: 257).
Der zweite Vorbehalt besteht in der Nicht-Prognostizierbarkeit wirtschaftlicher, medizinischer und gesellschaftlicher Entwicklungen sowie politischer Ereignisse und Entscheidungen, die erheblichen Einfluss auf die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland haben: die deutsche Einheit, der Fall des Eisernen Vorhangs, die Demokratisierung der ost- und mitteleuropäischen ehemaligen Satellitenstaaten, die Aufnahme neuer Mitglieder in die Europäische Union, der mit Vehemenz betriebene Beitritt der Türkei zur EU – alles verbunden mit zusätzlicher transnationaler Mobilität und nicht oder nur schätzungsweise vorhersehbaren Wanderungsbewegungen. Immer wieder werden Szenarien entworfen, wonach die einheimische deutsche Bevölkerung in wenigen Jahrzehnten von Zuwanderern verdrängt werde.67 Dies lässt sich durch die demographischen Prognosen nicht belegen. Erst recht gilt das für die Behauptung, Deutschland oder Europa werde in
—————— 67 »Die Angst vor einer höheren Fruchtbarkeit von Unterschichten, ethnischen Minderheiten oder Zuwanderern zieht sich von der sozialdarwinistischen Literatur des späten 19. Jahrhunderts bis zu aktuellen Integrationsdebatten« (Ehmer 2004: 100).
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absehbarer Zeit muslimisch68 (Laqueur 2008). Gegenüber den häufig ressentiment- und angstbeladenen Debattenbeiträgen muss darüber hinaus festgehalten werden: Niemand (auch nicht Muslime) haben die Deutschen gezwungen, ihre Fertilität seit Anfang der 1970er Jahre des 20. Jahrhunderts so zu drosseln, dass die einheimische Bevölkerung in den kommenden Jahrzehnten stark zurückgehen und die zugewanderte Bevölkerung stark zunehmen werden. Das Problem liegt nicht in der Existenz dieser Kinder, sondern in der zurzeit gegebenen Wahrscheinlichkeit, dass sie schlechte Chancen haben werden, sich erfolgreich in der Aufnahmegesellschaft zu etablieren. Nur wenn es gelingt, die strukturellen Bedingungen für gelingende Integration zu verbessern, wird sich das abzeichnende Konfliktpotential entschärfen lassen.
Berlin Die ethnisch-sozialen Konzentrationen in Berlin sind immer wieder Gegenstand kontroverser Debatten (Land 2007: 146ff; Luft 2007: 385ff.; Best/Gebhardt 2001: 69ff.). Hier sollen die sozialen Strukturen analysiert werden. In anderen Großstädten sind ähnliche Entwicklungen festzustellen. Grundsätzlich gilt, dass die türkische Bevölkerungsgruppe (als größte Zuwanderergruppe) in Berlin seit Jahrzehnten die höchste Konzentration aller Ausländergruppen aufweist. Es folgen Japaner und mit Abständen US-Amerikaner, Jugoslawen und Polen (Kemper 1998: 62). »Während die Türken ein nach wie vor starkes Ausmaß an Konzentration auf die bereits in der Frühphase der Migration genutzten Räume aufweisen, verteilen sich die anderen Nationalitäten mehr oder weniger über die gesamte Stadt« (Schulz 2002: 134). Mit der 2001 in Kraft getretenen Bezirksreform wurden die ursprünglich 23 Berliner Bezirke zu zwölf Bezirken zusammengefasst (Statistisches Landesamt Berlin 2000). So wurde aus Wedding, Tiergarten und Mitte der neue Bezirk »Mitte«. Aufgrund ihrer heterogenen Bewohnerstruktur sind statistische Angaben seither auf der Ebene der Bezirke nur noch eingeschränkt aussagefähig. »Es ist allgemein davon auszugehen, dass der Grad der Homogenität bzw. der Heterogenität eines Stadtteils direkt abhängig ist von dessen Größe; je größer ein Stadtteil ist, desto größer ist wahrscheinlich auch dessen Heterogenität« (Schwippe 1983: 255).
—————— 68 »Europa wird am Ende des Jahrhunderts islamisch sein«. Interview mit Bernard Lewis, in: Die Welt vom 28. Juli 2004.
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In den westlichen innerstädtischen Berliner Bezirken Wedding, Kreuzberg, Tiergarten, Schöneberg, Neukölln und Charlottenburg (wie sie bis zur Gebietsreform 2001 bestanden) leben rund 30 Prozent der Berliner und 57 Prozent der registrierten Ausländer (Paffhausen 2005: 226; Schulz, 2002: 130ff.; Häußermann/Kapphan 2000: 208ff.). Legt man einzelne »Statistische Gebiete« (in denen jeweils rund 30.000 Bewohner registriert sind) in diesen sechs Bezirken zugrunde, so leben dort 15,4 Prozent der Gesamtbevölkerung und 39,1 Prozent der ausländischen Staatsangehörigen in Berlin (Paffhausen 2005: 226). Nach der Neugliederung der Bezirke liegen die höchsten Anteile von Bewohnern mit ausländischer Staatsangehörigkeit zwischen 25 und 30 Prozent (nach dem alten Zuschnitt liegt er erheblich höher) (Statistisches Landesamt Berlin 2004): So leben in Wedding 48,4 Prozent der Einwohner des neuen Bezirks Mitte, allerdings 61 Prozent der Sozialhilfeempfänger des Bezirks (Hagemeister 2004: 55). Generell konzentrieren sich unter anderem die Sozialhilfeempfänger in den westlichen Altbezirken Wedding und Tiergarten. Auch innerhalb der früheren Bezirke gibt es noch große Unterschiede. So ist etwa der Neuköllner Süden eher gutbürgerlich geprägt und weist deutlich geringere Anteile von Sozialhilfebeziehern (Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz 2005: 76) und von Bewohnern ausländischer Staatsangehörigkeit auf (Ohliger/Raiser 2005: 13), so dass die Ebene der »Quartiere«, »Statistischen Gebiete« oder »Planungsräume« für die Lebenswirklichkeit in den Bezirken am aussagekräftigsten ist (Hagemeister 2004: 56ff.). Nicht zuletzt um die Sozialberichterstattung effektiver zu gestalten haben Berliner Kommunalstatistiker 2006 »lebensweltlich orientierte Räume« definiert. Dazu zählen auf unterster Ebene »Planungsräume« mit durchschnittlich 7.500 Einwohnern (Bömermann u.a. 2006). In 34 solchen Planungsräumen liegt der Anteil der Bewohner »mit Migrationshintergrund« bei über 50 Prozent. Davon liegen 13 im Bezirk Mitte, elf in Neukölln, sechs in Friedrichshain-Kreuzberg (Bömermann u.a. 2008: 26f.). Ausländeranteile in den Innenstadtbezirken (nach neuer Struktur) Stand 31.12.2007 Mitte: Friedrichshain-Kreuzberg: Neukölln: Quelle: Heinzel/Tuchscherer 2008: 34
28,7 Prozent 23,0 Prozent 22,5 Prozent
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Anteil der Einwohner »mit Migrationshintergrund« Stand 31.12.2007 Mitte: Friedrichshain-Kreuzberg Neukölln
44,5 Prozent 36,6 Prozent 38,7 Prozent
Quelle: Bömermann u.a. 2008: 25
Ausländeranteile in den westlichen Innenstadtbezirken (nach alter Struktur): Stand 31.12.2007 Wedding: Tiergarten:
33,9 Prozent 29,3 Prozent
Kreuzberg:
31,0 Prozent
Neukölln:
22,5 Prozent
Quelle: Heinzel/Tuchscherer 2008: 34
Alle Strukturdaten deuten darauf hin, dass sich in Teilen der Bezirke in den zurückliegenden Jahren eine »soziale Entmischung« vollzogen hat: Einheimische Bewohner, die es sich leisten konnten, zogen weg ebenso wie jene Ausländer, die sich zumindest wirtschaftlich erfolgreich integriert hatten. »Die hohe Jugendarbeitslosigkeit, der hohe Anteil ausländischer Kinder und Jugendlicher in den Schulen und die zunehmende Verwahrlosung des öffentlichen Raumes beschleunigen die Spirale des Wegzugs der deutschen Mittelschichtfamilien und des Zuzugs armer Bevölkerungsschichten« (Hagemeister 2004: 52). Neu hinzuziehende Ausländer lassen sich ebenfalls bevorzugt dort nieder. Die Gründe hierfür liegen in den Anziehungskräften, die die dort seit Jahrzehnten bestehenden ethnisch-sozialen Strukturen entwickelt haben und in den Filtermechanismen des Wohnungsmarktes. Außerdem wirken die transnationalen Netzwerke, über die die Kettenwanderung erfolgt. Eine Analyse der Anteile von Ausländeranmeldungen von 2000 bis 2003 durch das Statistische Landesamt Berlin belegt dies. »Mit wenigen Ausnahmen konzentrieren sich die überdurchschnittlichen Anteile von Ausländeranmeldungen im westlichen innerstädtischen Bereich. […] der Anteil der Anmeldungen von Ausländern ist besonders hoch in Statistischen Gebieten mit einem schon hohen Ausländeranteil und umgekehrt« (Paffhausen 2005: 228). Gleichzeitig weisen Tiergarten, Wedding und Kreuzberg die meisten Fortzüge in andere Bezirke auf (Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz 2004: 151). Es findet weiterhin ein Einwohneraustausch
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statt: Die deutsche Bevölkerung zieht weg, die ausländische zieht zu. Der Wanderungssaldo der deutschen Bevölkerung zeigt, »dass die Statistischen Gebiete mit dem ungünstigsten Sozialindex 2003 innerhalb der drei Bezirke [Tiergarten, Wedding, Kreuzberg] bzw. mit der am stärksten ausgeprägten Sozialstrukturverschlechterung 1998–2002 eher verlassen werden als die übrigen, bei denen die Sozialstruktur weniger ungünstig ist. Für die ausländische Bevölkerung gilt, dass in diese Gebiete eher Zuzüge stattfinden« (Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz 2004: 174).
Die Zahl der strukturell integrierten Bewohner sinkt, gleichzeitig steigt die Zahl derjenigen, die nicht integriert sind. Dabei verfügen Zuwanderer häufig über stabilere Familienstrukturen als die Einheimischen, die dort wohnen. »Deutsche Kultur« wird in diesen Vierteln von den Zugewanderten mit zerrütteten Familien, Drogenmissbrauch, Arbeits- und Perspektivlosigkeit assoziiert.69 Der öffentliche Raum wird an vielen Stellen von Problemgruppen dominiert (Bezirksamt Neukölln von Berlin, Abteilung Jugend 2003: 27). Das wiederum fördert Distanzierung und Abgrenzung, nicht zuletzt um den eigenen Kindern eine vergleichbare Zukunft zu ersparen.
Sozialstruktur Im »Sozialstrukturatlas Berlin 2003« wird eine aktualisierte »Rangskala der sozialen Belastung« vorgelegt. Die Bevölkerungs- und Haushaltsstruktur wurden hierbei ebenso berücksichtigt wie Erwerbsleben, Einkommen und Gesundheitszustand (Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz 2004: 18ff.). Dabei weisen die westlichen Innenstadtbezirke Kreuzberg, Wedding, Tiergarten und Neukölln den schlechtesten Sozialindex auf. Sie belegen von 23 Bezirken alter Gliederung die letzten vier Plätze (ebd.: 29). Die Rangfolge ist seit Mitte der 1990er Jahre nahezu unverändert (Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz ebd.: 57). Wenn es einen Trend gibt, dann den hin zur weiteren Verschlechterung der ohnehin schwachen Gebiete: »Tendenziell kann gesagt werden, je schlechter die Sozialstruktur, umso größer auch ihre Verschlechterung in der zeitlichen Entwicklung und umgekehrt« (ebd.: 84).
—————— 69 Die Studie von Blasius/Friedrich/Klöckner zu deutsch-türkischen Stadtteilen in Köln kommt zu ähnlichen Ergebnissen: Die deutschen Bezieher von Transferleistungen weisen deutlich ungepflegtere Wohnungen und schlechtere Ernährung auf als deutsche Haushalte ohne Transferleistungsbezug. Bei den Haushalten mit türkischem Bezug konnte ein solcher Zusammenhang nicht festgestellt werden (2008: 145).
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Diese Tendenz wird auch im »Monitoring Soziale Stadtentwicklung Berlin 2007« festgestellt: »Während 39 von 64 Verkehrszellen mit einem bereits ›hohen‹ Status eine überwiegend positive Dynamik aufweisen, d.h. dass die Dichte sozialer Probleme dort, obwohl sie bereits sehr niedrig ist, noch weiter abnimmt –, ist am anderen Ende der Skala das Gegenteil der Fall: In keinem der 64 Gebiete mit einem ›niedrigen‹ bzw. ›sehr niedrigen‹ Status hat sich im Untersuchungszeitraum eine positive Entwicklungsdynamik gezeigt. […] Damit deutet sich eine Polarisierung der Quartiersentwicklung an: In den Quartieren, in denen bereits jetzt wenig soziale Probleme zu beobachten sind, verringern sich diese weiter – und bei denjenigen, wo bereits eine hohe Problemdichte gegeben ist, verschärft sich diese Situation noch weiter« (Häußermann u.a. 2007: 77).
Sozialindikatoren der westlichen Innenstadtbezirke sind unter anderem: – die höchsten Anteile an Sozialhilfeempfängern, – die höchsten Anteile an Personen mit einem verfügbaren Nettoeinkommen unterhalb der Armutsschwelle (Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz 2004: 105), – die niedrigste Lebenswartung (ebd.: 22). Auffallend ist auch, dass die Armutsquote bei Haushalten mit Bezugsperson deutscher Staatsangehörigkeit bei 11,5 Prozent und bei Bezugspersonen mit ausländischer Staatsangehörigkeit bei 36 Prozent liegt (ebd.: 107). Auch unter der Gruppe der Empfänger von Sozialhilfe gibt es erhebliche Unterschiede was die Bildungsabschlüsse, die Dauer von Arbeitslosigkeit, die Gesundheit etc. angeht. Diese Indikatoren sind in dem Konzept »Lebenslagen« zusammengefasst worden. Auch die dort zusammengefassten Kriterien geben deutliche Hinweise auf die strukturelle Integration einzelner Gruppen: »Eine Differenzierung nach unterschiedlichen Herkunftsländern zeigt, dass nicht alle Personen mit Migrationshintergrund per se eine schlechte Lebenslage aufweisen. Es sind vor allem die Ausländerinnen und Ausländer, die in großer Zahl in Deutschland wohnen – nämlich Menschen aus der Türkei, dem Libanon und dem ehemaligen Jugoslawien – die eine signifikant schlechtere Lebenslage als die Deutschen aufweisen« (ebd.: 64) [Hervorhebung durch den Verfasser].
Wesentlich ist in diesem Zusammenhang, dass etwa ein Drittel aller Kinder unter 15 Jahren in Gebieten lebt, in denen über 50 Prozent der Kinder existenzsichernde Leistungen beziehen (Häußermann u.a. 2007: 37). »Ein so hoher Anteil von Kindern und Familien im Leistungsbezug schränkt das soziale Leben in den Stadtteilen und die Möglichkeiten der Lernförderung für Kinder erheblich ein« (Häußermann u.a. 2007: 37). Rund 40 Prozent aller Kinder in Berlin leben in Haushalten, die irgendeine Form von Existenz sichernden Transferleistungen beziehen. (Häußermann u.a. 2007: 78)
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Angesichts sich verstärkender Disparitäten sprechen die Autoren des »Monitoring Soziale Stadtentwicklung Berlin 2007« von einer »gespaltenen Kindheit« in der Stadt: »Immer mehr Kinder [leben] in Umgebungen mit immer größeren Problemen gegenüber Kindern in Umgebungen mit immer weniger Problemen« (Häußermann u.a. 2007: 78). Wie bei allen Strukturdaten (wie Bevölkerungsanteil, Anteil an Arbeitslosen oder an Sozialhilfeempfängern), die an die Staatsangehörigkeit anknüpfen, ist auch hier die in Berlin besonders hohe Einbürgerungsquote zu berücksichtigen. So wurden alleine in den Jahren 1991 bis 2007 149.889 Personen eingebürgert (Statistisches Landesamt 2008: 7), davon waren 61.166 türkische Staatsangehörige (Heinzel/Tuchscherer 2008: 31).
Neukölln Neukölln hat 302.000 Einwohner, davon rund 150.000 in Nord-Neukölln. Von 21 Gebieten Berlins, für die ein niedriger Sozialstatus und eine negative Entwicklung festgestellt wurden, liegen acht in Neukölln. »Dies sind im Vergleich zu den übrigen Verkehrszellen diejenigen, in denen die höchste Dichte an sozialen Problemen und eine Tendenz zur weiteren Verdichtung festgestellt wurden. Hier konzentrieren sich also die problembeladenen Haushalte immer stärker« (Häußermann u.a. 2008: 41). Wie bereits festgestellt, sind die Strukturen in Neukölln sehr heterogen: Nord-Neukölln (die Altstadt Neuköllns) weist hinsichtlich ethnischer Zusammensetzung der Wohnbevölkerung und hinsichtlich der sozialen Strukturen ganz andere Charakteristika auf als Süd-Neukölln. Der Anteil der Bewohner mit ausländischer Staatsangehörigkeit liegt in Nord-Neukölln bei durchschnittlich etwas über einem Drittel, in Süd-Neukölln bei etwa zehn Prozent (Bezirksamt Neukölln von Berlin, Abteilung Jugend 2003: 5ff.). »Während im Süden Einfamilienhäuser und Neubausiedlungen das Stadtbild prägen, handelt es sich bei Neukölln-Nord um ein dicht bebautes Wohngebiet mit um die Jahrhundertwende entstandenen Mietskasernen. Hier wohnt es sich vergleichsweise billig, insbesondere in den noch zahlreich vorhandenen Hintergebäuden und Seitenflügeln. Wohnungsleerstand, Armut und Verwahrlosung bestimmen das Bild« (Splettstöhser 2005: 2).
Deshalb sind statistische Angaben, die sich auf den gesamten Bezirk beziehen, meist nur bedingt aussagekräftig.
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Soziostruktur-Daten Bezirk Neukölln, Stand Februar 2008 (Mitteilung des Bezirksamtes Neukölln) Neukölln gesamt 302.000 49 % 26 %
Einwohner Einkommen unter 700 Euro Anteil Leistungsempfänger ALG 2 an der Einwohnerzahl Anteil Leistungsempfänger ALG 2 bei unter 25-Jährigen Befreiung Lernmittelanteil 16.000 Grundschüler, davon nicht-deutscher Herkunftssprache (ndH) 2.750 Schulabgänger, davon ohne Schulabschluss insgesamt ohne Schulabschluss ndH mit Hauptschulabschluss insgesamt ndh
Arbeitslose in Neukölln Sozialhilfe und Grundsicherung SGB 12 Alg 1 Alg 2 Empfänger Alg 1, Alg 2 + SGB 12
1994 22.700 24.560
47.260
Nord-Neukölln 150.000 ca. 65 % 50 %
50 %
70 %
48 % 58 %
75 % 81 %
15 % 20 %
30 %
30 % 40 %
50 %
2008 29.500 10.200 4.000 78.000 92.200
Differenz + 29,9 %
+ 95,1 %
Die Altersstruktur der Zuwanderer unterscheidet sich deutlich von der der einheimischen Bevölkerung. Die zugewanderten »Gastarbeiter« haben in vielen Fällen noch nicht das Rentenalter erreicht. Der Ausländeranteil bei den Kindern und den alten Menschen ist sehr unterschiedlich (Stand 2002):
3 bis 6-Jährige 61 und älter
Ausländeranteil Nord-Neukölln 42 % 16,7 %
Ausländeranteil Süd-Neukölln 13,1 % 3,6 %
Quelle: Statistisches Landesamt; zit. nach: Bezirksamt Neukölln von Berlin, Abteilung Jugend: Neuköllner Kinder- und Jugendbericht 2002/2003, Teil 1, Berlin 2003: 5
Im Neuköllner Kinder- und Jugendhilfebericht heißt es dazu: »Aktuell sehen wir uns mit dem Problem konfrontiert, dass sich für die nichtdeutschen Jugendlichen das Bild ergibt, dass alte Leute alte Deutsche sind. Eine große Zahl junger, weitgehend schlecht gebildeter und unausgebildeter, vom regulären Arbeitsmarkt ausge-
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schlossener und ökonomisch schlecht gestellter Migrantenkinder sieht sich einer großen Menge deutscher, noch relativ gut abgesicherter Rentner/innen gegenüber. Damit besteht die Gefahr, dass sich der Generationenkonflikt durch einen ethnischen Konflikt verstärkt« (Bezirksamt Neukölln von Berlin, Abteilung Jugend 2003: 6; vgl. Häußermann/Kapphan 2000: 169ff.).
Hinzu kommen unterschiedliche Geburtenraten. In Nord-Neukölln werden mehr Kinder geboren als im südlicheren Teil des Bezirks. Das führt dazu, dass der Anteil der Drei- bis Fünfjährigen voraussichtlich in den nächsten drei Jahren in Süd-Neukölln um 16 Prozent zurückgehen, in Nord-Neukölln im gleichen Zeitraum aber um 9,5 Prozent ansteigen wird. Bei den Sechs- bis Achtjährigen ist ein Rückgang von rund vier Prozent in Süd-Neukölln, im Norden Neuköllns hingegen eine Zunahme von etwa 15 Prozent zu erwarten (Bezirksamt Neukölln von Berlin, Abteilung Jugend 2003: 8). Auch hier zeigen sich die bereits genannten Auswirkungen des seit dem Jahr 2000 geltenden Staatsangehörigkeitsrechts: Eine Analyse der ethnischen Zusammensetzung der Wohnbevölkerung anhand der Staatsangehörigkeit ist nicht mehr möglich. Die Sprachstandserhebung »Bärenstark« aus dem Jahr 2002 ermittelte für Nord-Neukölln einen Anteil von Schülern mit nichtdeutscher Herkunftssprache von 72,7 Prozent, der Anteil der registrierten Sechsjährigen mit ausländischer Staatsangehörigkeit liegt hingegen bei 49,9 Prozent. Im Süden Neuköllns liegen die entsprechenden Anteile bei 28,8 Prozent und 13,6 Prozent (ebd.: 11). Betrachtet man die durchschnittlichen Netto-Einkommen der Haushalte mit Kindern, die jünger als 18 Jahre sind, lässt sich eine deutliche Verschlechterung der sozialen Lage erkennen: Stiegen die Einkommen in Berlin von 1991 bis 2001 um 30 Prozent an, so sanken sie in Neukölln um zwölf Prozent. Legte man nur die (nicht zur Verfügung stehenden) Zahlen Nord-Neuköllns zugrunde, würde die Schere noch deutlicher sichtbar (ebd.: 19f.). Auch in Neukölln ist in den vergangenen Jahren (2002 bis 2006) eine selektive Wanderung festzustellen: Für Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit ist ein negativer Wanderungssaldo festzustellen, für Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit ein positiver (Häußermann u.a. 2008: 5ff.). Die Arbeitslosigkeit liegt in Neukölln über dem Berliner Durchschnitt (2006: 16,3 zu 13,1 Prozent) Mit Ausnahme des kleinen Gebietes Volkspark Hasenheide liegen alle Nord-Neuköllner Gebiete wiederum über dem Durchschnitt Neuköllns, die südlichen Gebiete Neuköllns weisen ausnahmslos unterdurchschnittliche Werte auf (Häußermann u.a. 2008: 9f.). Der Anteil der Bewohner im erwerbsfähigen Alter ohne Einkommen in Neukölln liegt bei 18 Prozent (Nord-Neukölln: rund 25 Prozent), der Anteil derer mit einem Einkommen unter der Armutsgrenze von 700 Euro bei 47, in Nord-Neukölln bei rund 65
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Prozent. Die Zahl der Arbeitslosen stieg dort von 1994 bis 2005 um 55 Prozent von 22.700 auf 35.200. Dabei stieg die Arbeitslosigkeit zwischen 2001 und 2006 bei den ausländischen Staatsangehörigen, bei den deutschen ist sie gesunken (Häußermann u.a. 2008: 10f.). Im Norden Neuköllns hat sich der bereits hohe Anteil der Langzeitarbeitslosen in diesem Zeitraum weiter erhöht. »Die Überlagerung mit der Entwicklung der Arbeitslosenanteile bei den Ausländern deutet auf besonders problematische Situationen hin« (Häußermann u.a. 2008: 11). Die Zahl der Empfänger von Sozialhilfe stieg von 1994 bis 2005 um 63 Prozent von 24.560 auf 40.000 Personen. Der Nord-Osten Neuköllns, die »Köllnische Heide«, bis in die 1980er Jahre hinein ein »gut bürgerliches« Viertel, ist durch einen Prozess sozialer Desintegration geprägt. »Konflikte unter den verschiedenen Ethnien, ansteigende Kriminalität und Gewaltbereitschaft, fehlende Nachbarschaftlichkeit und Drogenkonsum prägen das Klima im Sozialraum. Kitas und Schulen berichten über zunehmende Sprachprobleme bei Eltern nichtdeutscher Herkunft, die zu einer mangelnden gesundheitlichen Vorsorge und Schwierigkeiten bei Behördengängen führen. Übereinstimmend wird auch vom RSD [Regionaler Sozialpädagogischer Dienst] die mangelnde Mitarbeit der Eltern und eine zunehmende Erziehungsunfähigkeit festgestellt. Kinder sind beim Kita-Eintritt oft nicht altersgemäß entwickelt« (Bezirksamt Neukölln von Berlin, Abteilung Jugend 2003: 40).
Mit zunehmender Desintegration nehmen abweichendes Verhalten und Devianz zu. »Ein geringer Integrationsgrad fördert strukturelle Spannungen und unterschiedliche Vorstellungen darüber, welche Verhaltensweisen akzeptabel und welche abweichend sind« (Sack 2007: 194). Sie werden vor allem für die Schulen zum Problem, so dass »die Akteure vor Ort den Problemen mit den männlichen, ausländischen Jugendlichen der fünften und sechsten Klassen aus bildungsfernen Familien nicht mehr gewachsen sind. Die Jugendlichen sind nicht nur verbal aggressiv, sondern häufig in gewalttätige Auseinandersetzungen verwickelt. Sie haben keine positiven Vorbilder. Meistens sind ihre Väter arbeitslos und die väterliche Autorität, die früher wenigstens noch pro forma bestand und der Familie finanzielle Sicherheit gab, ist durch die sozial veränderte Rolle des Vaters verschwunden. Es wird geprügelt, aber nicht erzogen« (Bezirksamt Neukölln von Berlin, Abteilung Jugend 2003: 44). Das Lehrerkollegium der Rütli-Schule beschrieb die Situation so: »Der Intensivtäter wird zum Vorbild. Es gibt für sie keine positiven Vorbilder. Sie sind unter sich und lernen Jugendliche, die anders leben, gar nicht kennen«70.
—————— 70 Der Brief der kommissarischen Schulleiterin der Rütli-Schule vom 28. Februar 2006: http:/ /www.gew-berlin.de/060228_erklaerung-ruetli.pdf [10. April 2006]
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Das Jugendamt von Neukölln wies in einem Positionspapier vom Februar 2004 auf die Abwärtsspirale, die Verfestigung von Strukturen und die Dominanz von Verhaltensweisen hin, die zu einer zunehmenden Abkoppelung von der Aufnahmegesellschaft führen. »Da die Migranten einen Großteil der Neuköllner Bevölkerung ausmachen und die Integration in die deutsche Gesellschaft auf breiter Front missglückt ist, bildet sich immer stärker eine Parallelgesellschaft heraus. In dieser Parallelgesellschaft gelten zum Teil andere Werte und Normen als in der herkömmlichen deutschen Gesellschaft. Regelmäßiger Schulbesuch und Verpflichtung zum Lernen in der Schule erscheinen nicht wichtig, da ohnehin kaum eine Chance auf einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz besteht Das Schulschwänzen wird von autoritär geprägten, stark konservativen muslimischen Eltern häufig geduldet, da die Eltern den demokratischen Einfluss der deutschen Lehrer auf ihre Kinder fürchten. Das Erlernen der deutschen Sprache ist nicht erforderlich, da sich innerhalb der Einwanderungsgruppen eine eigene Infrastruktur herausgebildet hat. In Bezug auf die handlungsleitenden Werte besteht entweder Orientierungslosigkeit oder aber Rückgriff auf die traditionellen Werte und die religiöse Orientierung des Herkunftslandes. Wenn in diesem Zusammenhang von einer zunehmenden Islamisierung der Neuköllner Altstadt gesprochen wird, so meint das nicht nur das absolut legitime und durch das Grundgesetz abgesicherte Recht zur freien Religionsausübung, sondern leider auch eine Zunahme unzeitgemäßer fundamentalistischer und auch extremistischer Strömungen bis hin zur Befürwortung eines ›Heiligen Kriegs‹. Mafiöse Strukturen mit Schutzgelderpressungen, Drogen und Menschenhandel etablieren eine Ordnung jenseits des staatlichen Gewaltmonopols. Die Situation in Neukölln hat inzwischen einen Zustand erreicht, der nicht mehr länger mit einem ›innewohnenden Konfliktpotential‹ o.ä. zu beschreiben ist. Die Verhältnisse sind offen krisenhaft bis hin zur Gewalttätigkeit – in der Familie, in der Schule und auf der Straße« (Bezirksamt Neukölln von Berlin, Abteilung Jugend 2004: 6f.).
Da die Familien aus der Türkei und dem arabischen Raum zu einem großen Teil bildungsfernen Schichten entstammen, sehen sie häufig nicht die Notwendigkeit, ihre Kinder zu einem regelmäßigen Schulbesuch anzuhalten. Die hohe Zahl der Schulverweigerer in Berlin – die Senatsverwaltung für Bildung geht von rund 15.000 Schülerinnen und Schülern aus – wird auf diese Weise nachvollziehbar. Danach fehlen rund 11.000 Schüler durchschnittlich 21 bis 40 Tage und etwa 4.000 Schüler mehr als 40 Tage. Die höchsten Anteile von Schulschwänzern haben die Schulen in den Bezirken Neukölln, Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg zu verzeichnen.71 »In den meisten Familien sind unsere Schüler/innen die einzigen, die morgens aufstehen. Wie sollen wir ihnen
—————— 71 Schulversäumnisse in Berlin – Datenerhebung und Auswertung für das 2. Schulhalbjahr 2001/2002 (Stand November 2002), http://www.senbjs.berlin.de/bildung/bildungsstatistik/ Schuldistanz.pdf [8. März 2005].
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erklären, dass es trotzdem wichtig ist, in der Schule zu sein und einen Abschluss anzustreben?«, fragte das Kollegium der Rütli-Schule.72 Generell gilt, dass Kinder von Langzeitarbeitslosen und Sozialhilfeempfängern in vielfacher Hinsicht benachteiligt sind: Sie erfahren nicht nur seltener Förderung und Motivation, sie »stören« nicht selten den Tagesablauf ihrer Eltern: »Haben sie Eltern, die von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen sind, so ›stören‹ sie mit der Strukturiertheit ihres Tagesablaufs aufgrund einer Erwerbstätigkeit den Tagesablauf der Familie, der schon lange nicht mehr derart geregelt ist, dass man sehr früh aufstehen muss und zur Arbeit geht« (Solga 2002: 24).
Arbeitslosenquoten Niedrige Schulabschlüsse erschweren den Weg in die Berufsausbildung, fehlende Berufsausbildung weist den Weg in die Arbeitslosigkeit: Von allen Arbeitslosen in Berlin verfügten im Jahr 2002 rund 42 Prozent über keine abgeschlossene Berufsausbildung, bei den Arbeitslosen mit ausländischer Staatsangehörigkeit lag der Anteil hingegen bei 77,4 Prozent (Abgeordnetenhaus von Berlin Drs. 15/11826: 2; Hillmann 2001: 196ff.). Bei den türkischstämmigen Arbeitslosen in Berlin verfügen 90 Prozent über keinen Berufsabschluss (Türkischer Bund in Berlin-Brandenburg 2001: 1). Im Vergleich zu deutschen sind ausländische Staatsbürger wesentlich stärker von Arbeitslosigkeit betroffen. In Berlin ist mehr als jeder dritte Ausländer arbeitslos. Die Arbeitslosenquote der Ausländer in Berlin lag 2007 mit 37,4 Prozent mehr als doppelt so hoch wie die Gesamtarbeitslosenquote (17,9 Prozent) (2006: 41,9 Prozent gegenüber 20,1 Prozent) (Statistisches Jahrbuch Berlin 2008: 85). Das »Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung« hat auf der Basis des Mikrozensus die Integration von Zuwanderern in das Erwerbsleben für das Jahr 2005 analysiert und kommt zu folgenden Ergebnissen (Brenke 2008: 503ff.): – Zugewanderte ausländische Staatsangehörige (erste Generation) weisen eine Erwerbslosenquote von 36,1 Prozent auf, gehen zu 52,7 Prozent einer Erwerbstätigkeit nach. 26,7 Prozent von ihnen beziehen Arbeitslosengeld Eins oder Zwei.
—————— 72 Der Brief der kommissarischen Schulleiterin der Rütli-Schule vom 28. Februar 2006: http://www.gew-berlin.de/060228_erklaerung-ruetli.pdf [10. April 2006].
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– Ausländer, die nicht selbst zugewandert sind (zweite oder dritte Generation), weisen eine höhere Erwerbslosenquote von 42, 9 Prozent auf, gehen zu 55,1 Prozent einer Erwerbstätigkeit nach, beziehen häufiger Transferleistungen (30,6 Prozent). – Personen mit türkischem Migrationshintergrund gehen nur zu 46,6 Prozent einer Erwerbstätigkeit nach. – Über die Hälfte der ausländischen Staatsangehörigen (51,3 Prozent) verfügt über keinen Berufsabschluss, jeder Fünfte (19,5 Prozent) hat einen Hochschulabschluss erreicht. Bei Personen mit türkischem Migrationshintergrund können drei Viertel (75,3 Prozent) keinen Berufsabschluss aufwiesen, 3,1 Prozent verfügen über einen Hochschulabschluss. Die hohe Arbeitslosigkeit geht vor allem auf den Abbau von industriellen Arbeitsplätzen zurück, die in erster Linie von un- und geringqualifizierten Arbeitnehmern besetzt wurden (Häußermann/Kapphan 2000: 105ff.; Hunger/ Thränhardt 2001: 112ff.). Zwischen 1992 und 2005 verloren etwa 35.000 sozialversicherungspflichtig beschäftigte ausländische Staatsangehörige ihren Arbeitsplatz in Berlin, was einem Drittel der beschäftigten ausländischen Bevölkerung entspricht) (Abgeordnetenhaus Berlin Drs. 16/12609). Die überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit von Zuwanderern in Berlin entstand allerdings nicht erst mit dem Abbau von Industriearbeitsplätzen nach dem Fall der Mauer. Bereits Anfang der 1980er Jahre war eine Abkoppelung von der allgemeinen Arbeitsmarktentwicklung festzustellen: Schwankte die Arbeitslosenquote der Ausländer von 1976 bis 1980 noch um die sechs Prozent, so betrug sie im Mai 1982 bereits 13,3 Prozent (die Quote insgesamt lag in Berlin bei 8,1 Prozent). Ende 1981 betrug der Anteil der Ausländer an allen Arbeitslosen 20 Prozent (Der Senator für Gesundheit, Soziales und Familie, Ausländerbeauftragter 1983: 41). In einer Analyse des Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg heißt es: »Die bestehende Qualifikationsstruktur der türkischstämmigen Arbeitslosen wird auch bei einer Belebung der wirtschaftlichen Konjunktur nicht nachgefragt werden. Die Arbeitslosigkeit in dieser Bevölkerungsgruppe ist daher kein Teilproblem der allgemeinen Arbeitslosigkeit, sondern ein eigenes Problem, das gezielte Lösungen erfordert. Diese Bevölkerungsgruppe hat migrations- und milieubedingte Defizite, die noch durch die soziale Zugehörigkeit zur Unterschicht verstärkt werden« (Türkischer Bund in Berlin-Brandenburg. 2001: 3).
Die höchsten Arbeitslosenanteile weisen Kreuzberg, Nord-Neukölln und Wedding auf (Häußermann/Kapphan 2000: 110).
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STAAT UND MIGRATION
»Ethnische Ökonomie« Auf der anderen Seite gibt es 5.100 Unternehmen türkischer Gewerbetreibender in Berlin (IHK 2005) mit geschätzten 28.800 Mitarbeitern (hierzu und im Folgenden: Şen/Sauer: 2005: 29ff.; die Autoren gehen allerdings von 6.000 »türkischen Unternehmen« in Berlin aus). Mehr als die Hälfte davon (52 Prozent) sind Kleinst- und Familienbetriebe. 55 Prozent beschäftigen nur oder auch Familienangehörige. Nach einer Untersuchung von Robert Pütz dominieren dabei Formen der Selbstausbeutung der Selbstständigen und ihrer Angehörigen: So wird deutlich »dass die unentgeltliche Mitarbeit von Familienangehörigen […] ein entscheidender Faktor ist, um das wirtschaftliche Überleben der Betriebe zu gewährleisten. […] Ohne die ›Selbstausbeutung‹ der Unternehmer und ihrer Familien könnten viele Läden am Markt kaum bestehen. Was zunächst als Wettbewerbsvorteil erscheint, wird mittelfristig aber zu einem schwerwiegenden Nachteil, wenn nämlich die mithelfenden Unternehmerkinder aufgrund der Beschäftigung im Familienbereich ihre eigene Ausbildung vernachlässigen müssen« (Pütz 2004: 70f.).
Die Mit- oder Aushilfe im Familienbetrieb stellt für viele Jugendliche eine Belastung dar – nicht nur in persönlicher Hinsicht (Einschränkung der Freizeit), sondern auch hinsichtlich der eigenen Ausbildung, die häufig darunter zu leiden hat (Mauruszat 2004: 22). 62 Prozent der Unternehmen beschäftigen ausschließlich türkischstämmige Mitarbeiter, 22 Prozent türkischstämmige und deutsche Mitarbeiter (Şen/Sauer: 2005: 33). Lediglich 13 Prozent der Unternehmen bilden aus. In vielen Fällen liegt eine »Flucht in die Selbständigkeit« vor. Einer Untersuchung des Zentrums für Türkeistudien zufolge verfügen rund 36 Prozent der türkischstämmigen Unternehmen in Berlin über keinen beruflichen Abschluss (Şen/Sauer: 2005: 13). Ein großer Teil hat somit seine Chancenlosigkeit auf dem Arbeitsmarkt gegen eine prekäre Situation als Selbstständiger getauscht. Arbeitslosigkeit ist demnach ein zentrales Motiv für den Weg in die Selbstständigkeit (Pütz 2004: 92). Gleichzeitig gilt für viele türkische Unternehmer: »Für die überwiegende Mehrheit ist Selbstständigkeit gleichbedeutend mit einem permanenten Kampf um das wirtschaftliche Überleben. […] Der größte Teil befindet sich damit in einer ökonomisch marginalisierten Position« (Pütz 2004:75). Trotz steigender Gründungsaktivitäten von Unternehmen nimmt der Anteil derjenigen, die sich beraten lassen, ab: So gaben nur 8,9 der Befragten an, sich bei der Unternehmensgründung beraten lassen zu haben, ein Drittel davon wiederum von Familienangehörigen oder Freunden (Pütz 2004: 17).
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173
Hier zeigt sich die distanzierte Haltung gegenüber den Institutionen: »Gründe hierfür sind nach den praktischen Erfahrungen mangelndes Vertrauen und generelles Misstrauen gegenüber der Bürokratie insgesamt, Sprachschwierigkeiten sowie Unkenntnis über Beratungsmöglichkeiten« (Pütz 2004: 18). Robert Pütz (2003: 29) kommt zu dem Schluss: »Die hohe Arbeitslosigkeit in Berlin und die ökonomisch marginalisierte Position der Bevölkerung türkischer Herkunft, die einen Teil der Kunden stellt, verschärft diesen negativen Trend weiter. ›Selbstausbeutung‹ der Unternehmer und unentgeltliche Mitarbeit von Familienangehörigen werden dann häufig zu den einzigen Erfolgsfaktoren, um die Existenz des Betriebs zu erhalten. Für einen Großteil der Unternehmer muss damit konstatiert werden, dass sie ihre marginalisierte Position auf dem Arbeitsmarkt letztlich mit einer marginalisierten Position als Unternehmer getauscht haben«.
Insofern ist die Behauptung, »der Gründungsboom bei türkischen Unternehmen [sei] ein wirtschaftspolitisches Erfolgsthema« (Ruhrmann 1999: 105), mit dem man gelungene Integration exemplarisch darstellen könne, nur bedingt richtig. Vielfach aus der Not geboren erfolgt die »Flucht in die Selbständigkeit«, die nicht die Voraussetzung für einen erfolgreichen sozialen und wirtschaftlichen Aufstieg schafft. Ein »Experten-Forum« sieht die »Migranten-Ökonomie im Quartier« als besonders geeignet an, »Zuwanderern die Teilnahme am Erwerbsleben und die Unabhängigkeit von staatlichen Transferleistungen zu ermöglichen und ihnen damit die Integration zu ermöglichen« (Schader-Stiftung/Deutscher Städtetag/GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen u.a. 2005: 37). Dem muss widersprochen werden, denn hier bleiben die dargestellten Zusammenhänge unberücksichtigt, die eher darauf schließen lassen, dass die Orientierung auf die wirtschaftlichen Strukturen der Zuwanderer eine integrationshemmende Wirkung haben. Die ethnische Ökonomie »bietet zwar eine wichtige Alternative zur Arbeitslosigkeit, kann aber zugleich den Weg in den regulären Arbeitsmarkt versperren und bietet häufig nur eine prekäre Existenz, die sich durch schlechte Bezahlung und lange Arbeitszeiten auszeichnet« (Gestring/Janßen/Polat 2006: 130; Reiß-Schmidt 2006: 2).
Transferleistungen In Berlin bezogen 2004 rund 74.100 Bewohner mit ausländischer Staatsangehörigkeit Sozialhilfe, das entspricht einem Anteil von 26,9 Prozent (gegenüber 8,1 Prozent der Gesamtbevölkerung). »Bezogen auf 1.000 Einwohner der jeweiligen Bevölkerungsgruppe ist die Zahl der ausländischen Sozialhilfeemp-
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STAAT UND MIGRATION
fänger mit 163 mehr als zweimal so hoch wie die der deutschen Hilfeempfänger (69)«73. Hinzu kommen die Aufwendungen für insgesamt rund 12.700 Asylbewerber, abgelehnte Bewerber, die zur Ausreise verpflichtet sind, und Bürgerkriegsflüchtlinge, die Zahlungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten: 2004 rund 103,4 Millionen Euro.74 Insgesamt gab es im Jahr 2004 275.691 Empfänger laufender Hilfe zum Lebensunterhalt außerhalb von Einrichtungen; davon 74.092 Ausländer, was einem Anteil von 26,9 Prozent entspricht. Nach Bezirken geordnet ergibt sich folgende Verteilung75: Stadtteil Mitte FriedrichshainKreuzberg Neukölln
Insgesamt 42.212
Ausländer 17.850
in Prozent 36,8
33.726
12.425
36,8
43.663
15.886
36,4
Legt man noch die alten Bezirksstrukturen zugrunde, bezieht in Wedding und Tiergarten nahezu jeder zweite Bewohner mit ausländischer Staatsangehörigkeit Sozialhilfe (Hilfe zum Lebensunterhalt): Wedding: 47,6 Prozent; Tiergarten: 44,1 Prozent (Hagemeister 2004: 55). Gleichzeitig nimmt die Dauer des Bezugs von Sozialhilfe zu – sie ist in diesen Stadtvierteln nicht mehr in erster Linie eine Überbrückung in schwieriger Lebenslage und Hilfe zur Selbsthilfe. So leben in Wedding nahezu 40 Prozent der Kinder bis zu einem Alter von fünf Jahren in Sozialhilfe beziehenden Familien (Hagemeister 2004: 68). Bei den bis sechsjährigen Kindern ausländischer Staatsangehörigkeit liegt die Sozialhilfedichte im Bezirk Mitte bei rund 60 Prozent, das heißt, sechs von zehn ausländischen Kindern dieser Altersgruppe leben in Familien, die Sozialhilfe beziehen (Hagemeister 2004: 74f.). Dabei muss auch hier berücksichtigt werden, dass zahlreiche Kinder ausländischer Eltern nach dem neuen Staatsangehörigkeitsrecht bei der Geburt zusätzlich die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten und deshalb in der Statistik als Deutsche registriert werden. Der überproportionale Sozialhilfebezug beschränkt sich nicht auf Kinder und Jugendliche, sondern gilt für alle Altersgruppen – inzwischen auch für die Rentner. Im Bezirk Mitte beziehen 22,2 Prozent der ausländischen Rentner
—————— 73 »Erneuter Anstieg der Sozialhilfeempfänger vor HARTZ IV«, Pressemitteilung 151/05 vom 10. August 2005 des Statistischen Landesamtes Berlin. 74 »Deutlich weniger Empfänger von Asylbewerberleistungen«, Pressemitteilung 150/05 vom 9. August 2005 vom Statistischen Landesamt Berlin. 75 »Erneuter Anstieg der Sozialhilfeempfänger vor HARTZ IV«, Pressemitteilung 151/05 vom 10. August 2005 des Statistischen Landesamtes Berlin; eigene Berechnungen.
INTEGRATION UND STADT
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Sozialhilfe, bei den deutschen liegt der Anteil bei vier Prozent (Hagemeister 2004: 75). Bei vielen Betroffenen hat sich der Sozialhilfebezug, wie schon erwähnt, über viele Jahre bereits verfestigt – ist also kein Durchgangsstadium mehr. So leben im Bezirk Mitte 63,2 Prozent der 12 bis 17jährigen in Haushalten, die bereits seit drei Jahren ohne Unterbrechung Sozialhilfe erhalten haben, 45 Prozent bereits seit mehr als fünf Jahren (Hagemeister 2004: 86). Sozialhilfe wird immer mehr zur Daueralimentation größerer Bevölkerungsgruppen, die auf dem Arbeitsmarkt keine Chance haben. »Wenn wie in Wedding fast zwei Drittel der nichtdeutschen Kinder oder wie im Planungsraum Soldiner Straße etwa jeder dritte Zuwanderer Sozialhilfe empfängt und wenn diese Armutslagen dazu noch dauerhaft sind, dann ist davon auszugehen, dass sich in Berlin Mitte bereits Milieus entwickelt haben, in denen der Empfang von Sozialhilfe als eine rentenähnliche Dauerleistung – und damit ein dauerhaftes Leben an der Grenze zur Einkommensarmut generationenübergreifend zur Lebensnormalität geworden ist« (Hagemeister 2004: 92f.).
Die Lebenslagen-Analyse von Berliner Sozialhilfeempfängern kommt zu dem Ergebnis: Die Gruppe der ausländischen Empfänger von Sozialhilfe in den westlichen Innenstadtbezirken ist durch eine »Überrepräsentanz an ausländischen Großfamilien charakterisiert, [sie] ist nur in den zentrumsnahen West-Bezirken Kreuzberg, Wedding und Tiergarten, im nördlichen Teil von Neukölln sowie in zwei Verkehrszellen Schönebergs (Nollendorfplatz und Großgörschenstraße) vertreten. […] In Kreuzberg, Tiergarten und Wedding und im nördlichen Neukölln leben in der Mehrzahl ausländische Großfamilien in kleinen Wohnungen bei niedrigem Einkommen; sie besitzen eine geringe Bildung und gehören einer defizitären LebenslagenSchicht an; ihre Verweildauer in der Sozialhilfe ist überdurchschnittlich hoch« (Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz 2005: 96).
So nimmt es nicht Wunder, dass die »Transferausgaben« im Haushalt des Bezirks Neukölln 61 Prozent (350 von 570 Millionen Euro) ausmachen. Für Investitionen und bauliche Unterhaltung blieben gerade einmal drei Prozent (15 Millionen Euro) übrig. In den ethnisch-sozialen Unterschichtenkonzentrationen fehlen positive Vorbilder im Alltag. Für den Bezug von Sozialhilfe sind keine Anstrengungen von Nöten – auch keine Integrationsleistungen. Das Leben dort endet in einer Sackgasse. »Kinder und Jugendlichen wachsen in einem sozialen Umfeld auf, in dem die Nichtteilhabe am Erwerbsleben und die Abhängigkeit von staatlicher Unterstützung Normalität sind. Dies hat Konsequenzen für die Integrations- und Leistungsbereitschaft. Zur Bewältigung der Normalität ›Lebensunterhalt durch Sozialhilfebezug‹ sind schulische Leistungen nicht erforderlich. Für den Sozialhilfebezug benötigt man auch keine Sprachkenntnisse. Warum sollten die Kinder und Jugendlichen hier Anstrengungen unternehmen? Wenn eine Integration in das Erwerbsleben keine greifbare Perspektive mehr ist, entsteht zwangsläufig eine Parallelge-
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STAAT UND MIGRATION
sellschaft mit anderen Werten und Normen. […] Bei diesen Größenverhältnissen reicht eine pädagogische Einflussnahme nicht aus, um zu verhindern, dass die Kinder und Jugendlichen sich auf ein Leben in der Sozialhilfe hin orientieren. Erforderlich sind strukturelle Veränderungen in der Sozialhilfevergabepraxis, die die Bereitschaft zum Lernen fördern und Aktivität und Engagement unterstützen«,
heißt es im Neuköllner Kinder- und Jugendhilfebericht 2002/2003 (Bezirksamt Neukölln von Berlin, Abteilung Jugend 2003: 24).
Ethnisch-soziale Segregation an den Schulen Vom Schuljahr 1969/70 bis zum Schuljahr 1981/82 stieg die Zahl der Schüler mit ausländischer Staatsangehörigkeit um etwa das Zehnfache. 1981 verzeichneten bereits 66 von 230 Grundschulen und 21 von 48 Hauptschulen einen Ausländeranteil von über 40 Prozent (Der Senator für Gesundheit, Soziales und Familie, Ausländerbeauftragter 1983: 32). 1978 lag der Anteil der ausländischen Staatsangehörigen bei den unter 15-Jährigen bei 45,5 Prozent (Der Regierende Bürgermeister 1980: 36). Die Verteilung der ausländischen Schüler auf die einzelnen Schularten zeichnet sich von Anfang an deutlich ab: An Hauptschulen verneunfachte sich der Anteil, an Gymnasien verdoppelt er sich lediglich. Der sinkende Ausländeranteil an den Gesamtschulen geht auf den Verdrängungsprozess der deutschen Schüler aus den Hauptschulen zurück: So verdreifacht sich zwar die Zahl der ausländischen Schüler (von 630 auf 1.895) an Gesamtschulen in Berlin, aber die Zahl der deutschen Schüler verfünffacht sich (von 5.535 auf 27.786) im gleichen Zeitraum (Institut für Zukunftsforschung 1980: 176). Insgesamt ist in Berlin in den Jahren 2000 bis 2005 die Zahl der Schüler um 9,7 Prozent gesunken, die Zahl der Schüler nichtdeutscher Herkunftssprache hingegen um 9,2 Prozent gestiegen (Der Senat von Berlin 2005: 8). Im Schuljahr 2004/5 haben 25 Prozent aller Berliner Schülerinnen und Schüler eine nichtdeutsche Herkunftssprache, 16,8 Prozent eine ausländische Staatsangehörigkeit.
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INTEGRATION UND STADT
Schüler insgesamt, ausländische Schüler, Schüler nichtdeutscher Herkunftssprache (ndH), absolut und prozentual Schuljahr
Schüler
Ausländische Schüler
in %
2000/01
361.223
54.696
15,1 %
72.633
20,1
2001/02
349.045
54.538
15,6 %
73.786
21,1
54.820
16,2 %
77.169
22,8
79.080
23,9
80.374
25,0
2002/03
339.101
2003/04
330.531
54.537
16,5 %
2004/05
321.978
54.125
16,8 %
Schüler ndH
in %
Quelle: Der Senat von Berlin 2005: 5
Bei den Schulanfängern betrug der Anteil im Schuljahr 2004/5 30,5 Prozent. Schulanfänger insgesamt, darunter Schulanfänger nichtdeutscher Herkunftssprache (ndH) Schuljahr
Schulanfänger
Schulanfänger ndH
in %
2000/01
24.844
7.402
29,8
2001/02
24.324
7.280
29,9
2002/03
25.440
7.759
30,5
2003/04
26.228
7.973
30,4
2004/05
26.706
8.148
30,5
Quelle: Der Senat von Berlin 2005: 5
Ausländeranteile 1978 in Kindertagesstätten und Allgemeinbildenden Schulen in Prozent Bezirke Tiergarten Wedding Kreuzberg Schöneberg
Kita insgesamt 33,6 % 31,6 % 34,2 % 31,7 %
Kinderkrippe 45,5 % 43,2 % 44,9 % 44,6 %
Allg. Schulen insgesamt 22,9 % 24,9 % 35,7 % 16,2 %
Grundschule
Hauptschule
26,0 % 32,9 % 44,1 % 20,4
32,7 % 38,1 % 49,2 % 26,9 %
Quelle: Der Regierende Bürgermeister (1980): 60
Die ethnischen-sozialen Ballungsräume nehmen seit ihrer Entstehung den allergrößten Teil der ausländischen im Allgemeinen und der türkischen Schüler Berlins im Besonderen auf.
178
STAAT UND MIGRATION
Prozentualer Anteil von Schülern nichtdeutscher Herkunftssprache an der Gesamtschülerzahl nach Bezirken 2002 bis 2005 Schuljahr
Bezirk 2002/2003
2003/2004
2004/2005
Mitte
52,4 %
55,3 %
56,5 %
Friedrichshain-Kreuzberg
45,3 %
46,3 %
47,7 %
Neukölln
43,1 %
45,2 %
45,9 %
Tempelhof-Schöneberg
28,3 %
29,7 %
31,2 %
Charlottenburg-Wilmersdorf
27,5 %
27,2 %
28,0 %
Spandau
22,5 %
23,8 %
24,0 %
Reinickendorf
17,5 %
17,3 %
18,7 %
Steglitz-Zehlendorf
13,8 %
14,2 %
14,5 %
Lichtenberg
11,0 %
12,3 %
13,3 %
Marzahn-Hellersdorf
6,0 %
6,3 %
7,0 %
Pankow
5,1 %
5,2 %
5,4 %
Treptow-Köpenick
3,8 %
4,1 %
4,1 %
Quelle: Mitteilung des Senats von Berlin an das Abgeordentenhaus über Integration durch Bildung vom 11. Mai 2000: 14
In drei Viertel aller Schulen in Berlin-Wedding, Kreuzberg, Tiergarten und Neukölln liegt der Anteil der Schüler »mit Migrationshintergrund« bei über 50 Prozent (Bildungskommission der Länder Berlin und Brandenburg 2003: 140). In Neukölln sind die Hälfte der Kinder an den Grundschulen nichtdeutscher Herkunft, in Nord-Neukölln sind es drei Viertel.76 Der Anteil der Kinder nichtdeutscher Herkunft in den Vorschulen liegt in Neukölln bei 61, in NordNeukölln bei 82 Prozent. Vom zu zahlenden Lernmittelanteil wurden in Neukölln 35 Prozent und in Nord-Neukölln jeder zweite Schüler befreit.
—————— 76 Diese und die folgenden Zahlen: Mitteilung des Bezirksamtes Neukölln »Soziostrukturdaten Bezirk Neukölln« vom 21. Februar 2005 an den Verfasser.
179
INTEGRATION UND STADT
Anteile der Schüler nichtdeutscher Herkunft nach Schularten in Berliner Bezirken 2004 Bezirk
Gesamt
Grundschule
Hauptschule Realschule Gymnasium Gesamtschule
Mitte
56,5 %
63,1 %
59,9 %
61 %
36,5 %
69,7 %
FriedrichshainKreuzberg
47,5 %
56,2 %
71,5 %
26,1 %
25,3 %
53,6 %
Neukölln
45,9 %
50,9 %
68,7 %
59,3 %
30,1 %
33,4 %
Quelle: Abgeordnetenhaus Berlin Drs. 15/12110: 4
Dass an einzelnen Schulen der Anteil der Schüler mit »nichtdeutscher Herkunftssprache« die 100-Prozent-Marke erreicht, kann nicht überraschen: Lag der Anteil der Schüler nichtdeutscher Herkunft an der Eberhard-Klein-Oberschule in Kreuzberg 1996 noch bei 60 Prozent, so haben von insgesamt 339 Schülern mittlerweile die letzten fünf mit Deutsch als Muttersprache die Schule verlassen.77 80 Prozent der Schüler sind türkischer, zehn Prozent arabischer Herkunft. In einer Mitteilung des Berliner Senats vom Februar 2005 heißt es: »So weisen vor allem die Schulen in dem angesprochenen Ortsteil [Kreuzberg] einen Anteil nichtdeutscher Herkunft von über 80%, an der in unmittelbarer Nachbarschaft zur Eberhard-Klein-Oberschule liegenden Gerhard-Hauptmann-Schule von 90,4% auf. An der Borsig-Schule als einziger Realschule im Ortsteil Kreuzberg stieg der Anteil der Schülerinnen und Schüler nichtdeutscher Herkunft innerhalb der letzten 5 Jahre um 25% auf mittlerweile 86%« (Abgeordnetenhaus Berlin, Drs. 15/12110: 2).
Eine Gegensteuerung hinsichtlich der Zusammensetzung der Schülerschaft ist nahezu unmöglich, da die Eltern deutschsprachiger Schüler erhebliche Nachteile für ihre Kinder befürchten und diese Schulen daher gezielt meiden.78 Der Berliner Bildungssenator berichtet von deutschen Eltern, »die ihre Kinder bereits angemeldet hatten [und] nach der Aufnahmefeier ihre Kinder wieder abmeldeten, weil ihnen bekannt wurde, dass die deutschen Schülerinnen und Schüler nur einen sehr geringen Anteil an der Gesamtschülerschaft haben und sie befürchteten, dass dies zu einer Belastung ihrer eigenen Kinder und zu ungenügenden Lernfortschritten insbeson-
—————— 77 »Schule in der Hauptstadt erstmals ohne Schüler deutscher Herkunft«, Die Welt vom 9. Juni 2005. 78 »Berlins Oberschulen: Platzvergabe: So tricksen Eltern das Schulgesetz aus«, in: Der Tagesspiegel vom 15. Januar 2009.
180
STAAT UND MIGRATION
dere im Bereich der Entwicklung der Sprachkompetenz führen könnte« (Abgeordnetenhaus Berlin, Drs. 15/12110: 3f.).
Die schulische Situation wurde seit den 1970er Jahren als zentrales Problem von der betroffenen Elternschaft, unabhängig vom Bildungsniveau wahrgenommen (Der Regierende Bürgermeister 1980: 168f.). Entsprechende Ausweichreaktionen wurden seit dieser Zeit registriert (ebd.: 65). Angesichts der seit Jahrzehnten vorliegenden Erfahrungswerte (Arbeitsgruppe Bildungsbericht am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung 1994: 393) und der Ergebnisse der PISA-Studie müssen diese Befürchtungen als berechtigt angesehen werden. Die Lehrer haben immer öfter Schwierigkeiten, zu den eigentlichen Inhalten durchzudringen. Nach der PISA-Studie »sind ab einem 20-prozentigen Anteil von Migranten, in deren Familie Deutsch nicht Umgangssprache ist, deutlich niedrigere mittlere Leistungen auf Schulebene zu beobachten« (Baumert u.a. 2003: 56). Die regulären Schulbücher können im Unterricht nicht eingesetzt werden, die Sprachkenntnisse der Schüler reichen dazu nicht aus. Die Schulsozialarbeiterin der Eberhard-Klein-Schule beschreibt die Schwierigkeiten im Umgang mit den Eltern: »Die Eltern sind häufig damit überfordert, ihren eigenen Alltag zu meistern und die nötige Fürsorge für ihre Kinder aufzubringen. Elternkontakte in der Schule und bei Hausbesuchen geben dabei oftmals einen Einblick in den häuslichen Erziehungsnotstand: Zu spät in den Unterricht kommen in der Regel diejenigen, die morgens nicht geweckt werden und mit denen keiner frühstückt. Als Ursache hierfür werden von den Eltern Krankheit und Depression genannt, die zur Einschränkung von Handlungsmöglichkeiten bei den betroffenen Eltern führen. So herrscht zuhause nicht selten eine eingeschränkte Kommunikation, die davon geprägt ist, dass wenig Wissen über die Alltagsgestaltung anderer Familienmitglieder vorhanden ist. Insgesamt sind die Elternhäuser als bildungsfern zu bezeichnen, wobei die Bandbreite zwischen bekundetem Bildungswunsch und Apathie groß ist:« 79
Bemerkenswert ist auch hier die sozialräumliche Polarisierung: In den Schulen der sozial schwächsten Stadtteile werden die meisten Bildungsgangempfehlungen für die Hauptschule und die wenigsten für Gymnasien ausgesprochen (und umgekehrt):
—————— 79 Christine Baur: Bildung als zentrales Handlungsfeld sozialräumlicher Integration von Migranten und Migrantinnen, Papier vom 4. April 2006: 1 [http://www.schader-stiftung.de/docs/ praesentation_baur.pdf, [2. Mai 2006].
181
INTEGRATION UND STADT
Bildungsgangempfehlungen Schuljahr 2007/08 in Prozent Bezirk Neukölln Friedrichhain-Kreuzberg Mitte Charlottenburg-Wilmersdorf Steglitz-Zehlendorf Pankow
Hauptschulempfehlung 28,8 29,0 29,3 11,8 11,4 11,4
Gymnalsialempfehlung 28,7 32,3 31,3 52,1 48,3 49,0
Quelle: Abgeordnetenhaus Berlin Drs. 16/12375, Anlage
Wiederholer an öffentlichen allgemein bildenden Schulen 2007/08 – Anteil der Schüler nichtdeutscher Herkunftssprache Mitte
69 %
Neukölln
62 %
Friedrichshain-Kreuzberg
56 %
Quelle: Abgeordnetenhaus Berlin Drs. 16/12375, Anlage
Von den Kindern nichtdeutscher Herkunftssprache, die eine Gymnasialempfehlung bekommen hatten, mussten in Berlin im Schuljahr 2007/08 rund 18,3 Prozent die Schule vorzeitig verlassen, bei den Kindern aus deutschen Familien waren es hingegen nur 4,8 Prozent (Abgeordnetenhaus Berlin Drs. 16/ 12375: 2, eigene Berechnung) Obwohl rund 96 Prozent der Kinder in Berlin Vorklassen oder Kindertagesstätten besuchen, »kommen zu viele Kinder ohne ausreichende Deutschkenntnisse in die Schule«, stellt die Berliner Schulbehörde fest (Der Senat von Berlin 2005: 14). Grundsätzlich sei der Besuch vorschulischer Einrichtungen auch hinsichtlich der Sprachkenntnisse positiv zu bewerten, dennoch gebe es »eine nicht kleine Anzahl von diesen Kindern, bei denen trotz mehrjährigen Besuchs kein nennenswerter Erwerb der deutschen Sprache stattfindet« (Der Senat von Berlin 2005: 14, Hervorhebungen durch den Verfasser). Die Berliner Schulbehörde fasst zusammen: »Verglichen mit der Gesamtschülerschaft – machen weniger als die Hälfte der ausländischen Schüler/innen Abitur, – erhält ein Drittel weniger ausländischer Schüler/innen den Realschulabschluss, – verlassen fast doppelt so viele ausländische Schüler/-innen bereits nach der 9. Klasse mit einem Hauptschulabschluss die Schule, – erreichen fast doppelt so viele ausländische Schüler/-innen sogar nach der 10. Klasse nur einen Hauptschulabschluss und
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STAAT UND MIGRATION
mehr als doppelt so viele ausländische Schüler/-innen erreichen überhaupt keinen qualifizierten Abschluss« (Der Senat von Berlin 2005: 14).
Im Durchschnitt der Jahre 1994 bis 2003 verließen 22,8 der Schüler ausländischer Staatsangehörigkeit die Berliner Schulen ohne Abschluss. Bei den deutschen Staatsangehörigen lag der Anteil bei 10,2 Prozent (Ohliger/Raiser: 2005: 35; eigene Berechnung). Der Anteil der ausländischen Schüler, die die Hauptschulen Berlins ohne Abschluss verlassen, hat sich seit den 1970er Jahren zwar halbiert, liegt aber in den vergangenen Jahren immer noch konstant zwischen 31 und 38 Prozent. Anteile von Hauptschulabgängern ohne Abschluss in Berlin 1999–2003 Schuljahr 1999/2000 2000/2001 2001/2002 2002/2003 2003/2004
Deutsche Staatsangehörige 28,7 % 23,2 % 26,6 % 27,1 % 22,8 %
Ausländer 38,1 % 30,8 % 37,6 % 36,9 % 31,4 %
Quelle: Abgeordnetenhaus Berlin: Antwort auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Özcan Mutlu (Bündnis 90/ Die Grünen): Ausbildungsbeteiligung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund, Drs. 15/13064 vom 11. Januar 2006; eigene Berechnungen
Der Übergang in Ausbildung und Beruf Vor dem Hintergrund mangelhafter Sprachkenntnisse und unterdurchschnittlicher formaler Bildungsabschlüsse misslingt der Übergang in das Berufsleben häufig schon bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz: So liegt der Anteil der Schüler mit ausländischer Staatsangehörigkeit an Berufsschulen in Berlin im Schuljahr 2004/5 bei 4,8 Prozent, der Anteil von Schülern mit nichtdeutscher Herkunftssprache bei 7,5 Prozent (Der Senat von Berlin 2005: 20). Die Ausbildungsquote bei türkischen Jugendlichen liegt bei fünf Prozent. Die Ausbildungsbeteiligung (Anteil der Auszubildenden an den jeweils 16- bis 20Jährigen) ist bei Jugendlichen ausländischer Staatsangehörigkeit in den zurückliegenden Jahren stark gesunken: von 16,3 Prozent im Jahr 1993 auf 10,7 Prozent 2003. Bei den deutschen Staatsangehörigen sank die Quote im gleichen Zeitraum von 37,4 auf 34,5 Prozent (Ohliger/Raiser 2005: 32). Das bedeutet, dass in Berlin nur jeder zehnte Jugendliche nichtdeutscher Staatsangehörigkeit eine Ausbildung absolviert.
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INTEGRATION UND STADT
Entwicklung der Schülerzahlen an öffentlichen und privaten Berufsschulen und Sonderberufsschulen Schuljahr
Schüler insgesamt
2000/2001 2001/2002 2002/2003 2003/2004 2004/2005
63.937 63.355 60.800 58.814 58.531
Darunter Schüler nichtdeutscher Herkunftssprache absolut Prozent 5.105 8,0 3.363 5,3 4.995 8,2 4.486 7,6 4.372 7,5
ausländische Schüler von Schülern insgesamt absolut 3.628 3.474 3.247 2.907 2.785
Prozent 5,7 5,5 5,3 4,9 4,8
Quelle: Der Senat von Berlin 2005: 20
Von 31.229 Ausbildungsverträgen im Bereich der Industrie- und Handelskammer Berlin 2004 wurden 1.239 mit ausländischen Jugendlichen abgeschlossen (4 Prozent) (Abgeordnetenhaus Berlin Drs. 15/13064: 2). Auch hier sind die Einbürgerungen zu berücksichtigen. Die Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen fasst die Ursachen zusammen: »Neben noch immer bestehenden Sprachdefiziten ist für diese Entwicklung eine wesentliche Ursache, dass ausländische Jugendliche überproportional häufig die allgemeinbildende Schule ohne Abschluss bzw. nur mit dem einfachen Hauptschulabschluss verlassen. Mit dem Schulabschluss fehlen jedoch elementare Voraussetzungen für die Aufnahme einer Berufsausbildung. Auch der einfache Hauptschulabschluss eröffnet in der Regel nur geringe Chancen für eine betriebliche Ausbildung. Rd. 26 % aller Schulabgängerinnen und Schulabgänger, die 2004 die allgemeinbildende Schule ohne bzw. nur mit einem einfachen Hauptschulabschluss, d.h. ohne eine für die betriebliche Ausbildung ausreichende schulische Vorbildung verlassen haben, sind ausländische Jugendliche. Das ist fast ein Drittel (32,3 %) aller ausländischen Schulabgängerinnen und Schulabgänger. Hingegen sind ausländische Jugendliche bei den Schulabgängerinnen und Schulabgängern mit Realschulabschluss, insbesondere mit Hochschulreife, unterrepräsentiert. Vor dem Hintergrund eines stärker gewordenen Verdrängungswettbewerbs auf dem Ausbildungsstellenmarkt ist dies ein schwer wiegender Nachteil« (Abgeordnetenhaus Berlin Drs. 15/13064: 2).
Jugendliche ausländischer Herkunft werden auf diese Weise häufig auf wenig attraktive Ausbildungsberufe (geringeres Lohnniveau, wenig Aufstiegsmöglichkeiten) abgedrängt: Arzthelferin, Friseurin und »Fachkraft im Gastgewerbe« bilden die Schwerpunkte (Mauruszat 2004: 13ff.). Mangelhafte Sprachkenntnisse, vor allem in der Schriftsprache, mangelhafte Fähigkeit im Umgang mit Konflikten, fehlende Ausbildungserfahrung der Eltern, Verpflichtungen im elterlichen Betrieb sind die Gründe dafür, dass der Anteil der vorzeitigen Abbrecher bei der Berufsausbildung und derjenigen, die die Prüfung nicht beste-
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STAAT UND MIGRATION
hen, bei den ausländischen Jugendlichen deutlich höher ist als bei den Deutschen. Schulabgänger aus der Berufsschule (nur Auszubildende) nach Staatsangehörigkeit und Art des Abgangs im Schuljahr 2003/04 Ausbildung Ausländer Deutsche
Erfolgreich abgeschlossen 55,6 % 76,6 %
Beendet ohne Prüfungserfolg 19,8 % 10,9 %
Vorzeitig beendet 24,7 % 12,6 %
Abgänger insgesamt 1.306 19.471
Quelle: Landesschulamt Berlin, zit. nach: Mauruszat, Regine (2004): Expertise »Sicherung von Ausbildungserfolg bei Auszubildenden mit Migrationshintergrund«, Berliner Beiträge zur Integration und Migration, hrsg. Vom Beauftragten des Senats für Integration und Migration), Berlin, 24
Schon hier wird der Grundstock für den hohen Anteil der ausländischen Bevölkerung an Sozialhilfeempfängern gelegt: So gaben 33 Prozent der ausländischen Sozialhilfebezieher im Berliner Bezirk Mitte an, keinen Schulabschluss zu haben, bei den deutschen Empfängern liegt der Anteil bei 12,4 Prozent (Hagemeister 2004: 81). Zwei Drittel der ausländischen Sozialhilfebezieher gaben an, über keinen Berufsabschluss zu verfügen und sich auch nicht in Ausbildung zu befinden (Hagemeister 2004: 82). In Neukölln, Tiergarten und Wedding liegt der Anteil derjenigen Sozialhilfeempfänger, die keine Ausbildung oder Lehre abgeschlossen haben, bei 44,5 Prozent (Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz 2005: 77). Die mangelnden oder zumindest sehr schlechten Bildungsabschlüsse vieler Jugendlicher in den ethnisch-sozialen Unterschichtenkonzentrationen können nicht verwundern: Ob die zu Hause und im Umfeld gesprochene Sprache die Landessprache ist oder nicht, hat wesentlichen Einfluss auf die schulischen Leistungen der Kinder (Kristen 2003: 30). Wenn zu Hause, beim Medienkonsum und in der Begegnung mit Gleichaltrigen die Herkunftssprache dominiert, können kaum andere Ergebnisse erwartet werden.
Bedeutung von Familiennachzug und Heiratsmigration Rund 60 Prozent der Ehen türkischer Staatsbürger in Deutschland werden nach Einschätzung verschiedener Studien mit einem Partner oder einer Partnerin aus der Türkei geschlossen (Straßburger 2001: 34; dies. 2003: 98f.; Haug 2004: 319; Gestring/Janßen/Polat 2006: 47). Hier findet ein entscheidender Prozess zur »Auffüllung« der ethnischen Kolonien statt. Durch die Niederlassung junger künftiger Eltern, von denen zumindest der gerade aus der Türkei
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angekommene Partner kein Deutsch spricht und keine Kenntnisse über das Aufnahmeland verfügt, wird die Distanz zur Aufnahmegesellschaft in den ethnischen Kolonien stetig fortgeschrieben. In diesem Zusammenhang fällt eine relativ hohe Quote von Heiraten unter Verwandten auf. Das »Zentrum für Türkeistudien« (ZfT) ermittelte in einer 2003 veröffentlichten Studie für Männer eine Quote von 25 Prozent, für Frauen von 16 Prozent (ZfT 2003: 54).80 In der (nicht-repräsentativen) Studie von Gestring/Janßen/Polat (2006: 47) gab mehr als die Hälfte der türkischen Befragten an, der Ehepartner sei ein »direkter« Verwandter.81 Von 1.500 befragten Heiratsmigranten aus der Türkei antwortete ein Viertel, die Ehe sei von Eltern oder Verwandten arrangiert worden (ZfT 2003: 55). Bei den nachgezogenen Frauen tritt das Phänomen der so genannten »Importbräute« auf: junge Frauen, die aufgrund von Vereinbarungen ihrer Eltern mit den künftigen Schwiegereltern mit fremden jungen Männern verheiratet und dann nach Deutschland gebracht werden. Die »Importbraut« lebt von der deutschen Umwelt isoliert in einer türkisch-islamischen Parallelwelt, in der der Wille ihres Ehemannes und ihrer Schwiegermutter gilt, in der sie möglichst rasch gesunde Söhne zur Welt bringen muss, die sie – nicht anders könnend – in der Sprache und dem Geist erzieht, wie sie sie aus ihrer Heimat kennt (u.a.: Toprak 2005: 129ff.). Necla Kelek beschreibt das Phänomen: »Die typische Importbraut ist meist gerade eben 18 Jahre alt, stammt aus einem Dorf und hat in vier oder sechs Jahren notdürftig lesen und schreiben gelernt. Sie wird von ihren Eltern mit einem ihr unbekannten, vielleicht verwandten Mann türkischer Herkunft aus Deutschland verheiratet. Sie kommt nach der Hochzeit in eine deutsche Stadt, in eine türkische Familie. Sie lebt ausschließlich in der Familie, hat keinen Kontakt zu Menschen außerhalb der türkischen Gemeinde. Sie kennt weder die Stadt, noch das Land, in dem sie lebt. Sie spricht kein Deutsch, kennt ihre Rechte nicht, noch weiß sie, an wen sie sich in ihrer Bedrängnis wenden könnte. In den ersten Monaten ist sie total abhängig von der ihr fremden Familie, denn sie hat keine eigenen Aufenthaltsrechte. Sie wird tun müssen, was ihr Mann und ihre Schwiegermutter von ihr verlangen. Wenn sie nicht macht, was man ihr sagt, kann sie von ihrem Ehemann in die Türkei zurückgeschickt werden – das würde ihren sozialen oder realen Tod bedeuten. Sie wird bald ein, zwei, drei Kinder bekommen. Ohne das gilt sie nichts und könnte wieder verstoßen werden. Damit ist sie auf Jahre an das Haus gebunden. Da sie nichts von der deutschen Gesellschaft weiß und auch keine Gelegenheit hat, etwas zu erfahren, wenn es ihr niemand aus ihrer Familie gestattet, wird sie ihre Kinder so erziehen, wie sie es in der Türkei gesehen hat. Sie wird mit dem Kind türkisch sprechen, es so erzie-
—————— 80 Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Begriff »Verwandter« auch entfernte und angeheiratete Verwandte umfasst. 81 Siehe hierzu das Informationsportal der Stadt Duisburg: http://www.duisburg.de/micro/ verwandtenheirat/ [7. Februar 2009] sowie den Beitrag http://images.zeit.de/text/online/ 2007/12/verwandtenehe [7. Februar 2009].
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STAAT UND MIGRATION
hen, wie sie erzogen wurde, nach islamischer Tradition. Sie wird in Deutschland leben, aber nie angekommen sein« (Kelek 2005; Gestring/Janßen/Polat 2006: 48ff.).
Der Nachzug von Ehefrauen verringert die Chancen, die Netzwerke der Familie in Deutschland auszudehnen. Die Frauen können keine Kontakte in die deutsche Aufnahmegesellschaft aufbauen, zudem ist ihr Netzwerk in der Türkei verblieben. Sie verfügen über keine Kenntnisse (und haben nur geringe Chancen sie zu erwerben) über das komplizierte deutsche Bildungssystem und die Notwendigkeiten und Mechanismen, unter denen eine Integration der Kinder in Bildungssystem und Arbeitsmarkt gelingen kann. Der Familiennachzug im Allgemeinen und der Nachzug von Ehepartnern im Besonderen stellt eine der hauptsächlichen Ursachen für die ungesteuerte Zuwanderung und damit für die Zuwanderung Nicht-Qualifizierter dar. Die Berliner Erfahrungen bei der Nachfrage nach Volkshochschulkursen für Deutsch als Zweitsprache zeigen dies deutlich: »Viele der lernwilligen Migranten und Migrantinnen in den VHS-Kursen Deutsch als Zweitsprache haben einen bildungsfernen Hintergrund, keinen oder nur einen gering qualifizierten Schulabschluss und kaum eine abgeschlossene oder anerkannte Berufsausbildung. Dies trifft besonders auf die nachgezogenen Ehepartner/innen zu, die mit normalen Kursangeboten nur schwer erreichbar waren und erst durch das Zielgruppenprogramm der ›Mütterkurse‹ Zugang zu Bildungsangeboten gefunden haben. ›Mütterkurse‹ finden während der Unterrichtszeit in den Schulen statt. 2003 haben die Volkshochschulen ›Mütterkurse‹ im Umfang von rd. 46.000 Unterrichtsstunden mit rd. 6.000 Teilnehmerinnen durchgeführt. Für etwa 10 Prozent der Frauen war eine vorgeschaltete Alphabetisierungsphase notwendig« (Der Senat von Berlin 2005: 24).
28 Prozent dieser Frauen haben die Schule im Herkunftsland nur bis zur fünften, 26 Prozent bis zur achten Klasse besucht (Pressemitteilung der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport »Informationsmaterial ›Mütterkurse‹« vom 11. November 2005). Grundsätzlich ist der Familiennachzug eines der wesentlichen Momente ungesteuerter Zuwanderung nach Deutschland. Ethnisch-soziale Unterschichten und »Parallelgesellschaften« ergänzen sich durch diese Art der Zuwanderung über Generationen. Heiratsmigration »trägt dazu bei, dass auch bei den etablierten Zuwanderer-Nationalitäten weiterhin mit einer kontinuierlichen Neuzuwanderung und daher mit Migranten zu rechnen ist, die den Eingliederungsprozess erneut, d.h. ›von vorn‹ absolvieren« (Nauk 2004: 93). Türkisch-stämmige Männer aus Deutschland favorisieren vorwiegend Partnerinnen aus ländlichen türkischen Regionen (und nicht Frauen in Deutschland), weil diese stärker traditionellen Vorstellungen von Ehe und Familie verhaftet sind. Sie fügen sich widerspruchsloser den Vorstellungen der beteilig-
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ten Familien. Ahmet Toprak beschreibt in einer 2005 vorgelegten Untersuchung die wesentlichen Motive: »Der Hauptgrund für die Orientierung in die Türkei bei den Männern besteht darin, dass sie das Verhalten der türkischen Mädchen in Deutschland unehrenhaft finden. […] Den meisten Interview-Partnern agieren die türkischen Mädchen in Deutschland zu selbstbewusst, zu selbständig und zu eigenverantwortlich, indem sie sich den Wünschen und Vorstellungen der Männer nicht unterordnen. Dem Wunsch nach einer Frau, die sich anpasst, nicht widerspricht, und die konventionelle Geschlechterrolle annimmt, entsprechen die Mädchen, die in konservativen Umfeldern in der ländlichen Türkei aufgewachsen sind« (Toprak 2005: 90).
Dort verbreitete Erziehungsziele und Erziehungspraxis lassen diese Wünsche auch als realistisch erscheinen (Toprak 2005: 107f.). Das Wohnen bei den Schwiegereltern in Deutschland wird nicht nur aus Kostengründen praktiziert, sondern auch, weil sich die Ehemänner eine wirksame soziale Kontrolle der Ehefrau davon versprechen (Toprak 2005: 86). Die Schwiegereltern wiederum erwarten sich von der Schwiegertochter eine Entlastung im eigenen Haushalt. »Zugespitzt könnte man sagen, dass die Eltern beziehungsweise der Mann sich eine kostenlose Haushaltshilfe holen, die sich nicht wehren kann beziehungsweise darf. Darüber hinaus erfüllt die unbezahlte ›Haushaltshilfe‹ eine weitere Aufgabe, nämlich die sexuelle Befriedigung des Ehemannes. In dieser Rolle darf sich die Frau nicht nach ihren eigenen Wünschen und Vorstellungen richten: Nicht ihre persönlichen Interessen sind handlungsweisend, sondern die gesamte Befindlichkeit der Gemeinschaft, der Familie beziehungsweise des Ehemannes steht im Mittelpunkt des Interesses« (Toprak 2005: 127).
Die Segregation erhöht die Wahrscheinlichkeit, einen Partner oder eine Partnerin ebenfalls mit dem gleichen Zuwanderungshintergrund zu finden. »[…] je größer und in sich differenzierter eine Migrantengruppe ist und je konzentrierter sie lebt, d.h. je segregierter Wohnviertel, Arbeitsstätten und Erziehungsinstitutionen sind, um so leichter ist es einerseits, innerhalb der Migrantengruppe passende Ehepartner(innen) zu finden, und um so schwerer ist es andererseits, sich über die soziale Kontrolle hinwegzusetzen, der interethnische Beziehungen oft unterworfen sind« (Straßburger 2003:58f.).
Hinzu kommt, dass die Wahl eines Ehepartners für die Tochter starken Einfluss auf das Sozialprestige der Eltern und der gesamten Familie hat. »Je stärker […] die Eltern darauf angewiesen sind, in der eigenethnischen Gruppe anerkannt zu werden, um so eher sind ihre Kinder aufgefordert, eine in der Migrantenbevölkerung als positiv bewertete Partnerwahl zu treffen« (Straßburger 2003: 107f.). Der Frauenmangel innerhalb der türkischen Bevölkerungsgruppe in Deutschland führt nicht dazu, dass türkische Männer häufiger Frauen nichttürkischer Herkunft ehelichen. Vielmehr hat der »transnationale Heiratsmarkt in der Türkei« an Bedeutung gewonnen (Straßburger 2003: 126). Auch Frauen
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STAAT UND MIGRATION
türkischer Herkunft bevorzugen Ehepartner aus der Türkei (Straßburger 2003: 126f.). Straßburger stellt zusammenfassend fest: »Das Heiratsverhalten der hier aufgewachsenen zweiten Migrantengeneration ist […] offenkundig keineswegs hauptsächlich durch die Struktur des hiesigen Heiratsmarktes verursacht. Stattdessen kann davon ausgegangen werden, dass der relevante Heiratsmarkt transnational ist und deshalb soziale, kulturelle, politische und rechtliche Momente ausschlaggebend sind […]« (Straßburger 2003. 86).
Dem Nachzug von Ehepartnern aus den Herkunftsregionen kommt für das Fortbestehen ethnisch-sozialer Strukturen große Bedeutung zu. Das Zentrum für Türkeistudien macht zwei Personengruppen aus, bei denen die Merkmale parallelgesellschaftlicher Strukturen besonders ausgeprägt zu erkennen sind: »Hierbei handelt es sich um ältere Angehörige der Gastarbeitermigration sowie jüngere Heiratsmigranten und Menschen mit sehr kurzen Aufenthaltsdauern in Deutschland, die sich durch eher geringe formale Bildung und schlechtere Sprachkenntnisse auszeichnen. Diese Subgruppe ist am ehesten prädestiniert, parallelgesellschaftliche Strukturen hervorzubringen«.82
Die Rolle der Mediennutzung Die Revolutionierung der internationalen Medienlandschaft in den vergangenen 25 Jahren führte zu einer weltweiten Verbreitung heimatsprachlicher Sender (über Satelliten). Daneben brachte die Zulassung privater Anbieter eine Vervielfältigung des Programmangebots. Allein die Zahl arabisch-sprachiger Satellitensender liegt mittlerweile bei mehr als 40. Der Preissturz für die technische Ausstattung trug ebenfalls zur massenhaften Verbreitung der heimatsprachigen Sender bei. In den Großsiedlungen der ethnisch-sozialen Unterschichtenkonzentrationen (wie in Neukölln-Nord) fällt die flächendeckende Installation von Satellitenschüsseln dem Beobachter ins Auge. Eine 2004 vorgenommene Befragung von 200 arabischen Haushalten im Rhein-Main-Gebiet ergab, dass 95 Prozent der Haushalte über Satellitenschüsseln verfügen, mit denen arabisch-sprachige Sender empfangen werden können. Als Hauptgründe für den Konsum arabisch-sprachiger Sender wurden angegeben: – die Sprache – ein intensiverer Kontakt zum Herkunftsland – die Vermittlung der »arabischen ›Sichtweise der Dinge‹« (Al-Hamarneh 2004: 450).
—————— 82 Halm/Sauer/Şen: Religiöse Rückbesinnung. Im Zusammenleben von Deutschen und Türken wird der Dialog mit den Muslimen wichtiger, in: Frankfurter Rundschau vom 2. August 2005.
INTEGRATION UND STADT
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Die Untersuchung ergab weiter, dass die heimatsprachlichen Sender nicht zusätzlich zu deutschen oder englischsprachigen Sendern genutzt werden, sondern alternativ. »Im Vordergrund steht […] die umfassende Nutzung eines vollständigen Alternativangebots möglichst vieler Sendertypen und Programminhalte. Dieses Angebot birgt die Gefahr, das deutsche Angebot auf lange Sicht zu verdrängen und zu ersetzen – ein Effekt, der teilweise schon heute beobachtet werden kann« (Al-Hamarneh 2004: 451). Diese Nutzung des Fernsehangebots hat gravierende Auswirkungen auf die Reichweite der alltäglichen Kommunikation: Teilnehmen kann nur derjenige, der diese Sendungen gesehen und verstanden hat, also die Heimatsprache spricht. »Wer die arabische Sprache nicht beherrscht, kann bestimmte Sendungen nicht ansehen, im Alltag mit Freunden, Bekannten und Arbeitskollegen nicht über beliebte Sendungen reden und befindet sich damit nicht nur sprachlich, sondern auch thematisch außerhalb des arabischen Medienraums« (Al-Hamarneh 2004: 451). Der Medienkonsum wirkt sich unmittelbar auf die Struktur von Netzwerken aus, er reduziert gleichzeitig die Gelegenheitsstrukturen, mit Einheimischen auf Deutsch Kontakte zu pflegen. »Arabische Nachbarinnen suchen auch deshalb untereinander Kontakt, um sich über beliebte Fernsehprogramme zu unterhalten. Mit deutschen, kroatischen oder türkischen Nachbarinnen ist eine solche Unterhaltung nicht möglich; ähnlich geht es den Männern am Arbeitsplatz und den Kindern in der Schule. Der Konsum einzelner Fernsehsendungen wie der Sendung ›Superstar‹ im libanesischen Future-TV, aber auch von Sportereignissen und Wahlen sowie der Al-Jazeera Berichte während der Irak-Krise 2002/2003 stellten zunehmend Anlässe dar, um sich zu treffen und sich über das Gesehene auszutauschen« (Al-Hamarneh 2004: 452).
Sicherlich gibt es je nach Grad der Integration und Einbindung in ethnische Zusammenhänge unterschiedliche Grade der Nutzung muttersprachlicher Medien (Hafez 2002). Festzuhalten bleibt jedoch: Die Nutzung dieser Medien kann zwar nicht als die Ursache mangelnder Integration angesehen werden, zweifellos aber verstärkt die Orientierung am Herkunftsland über diese »virtuelle Heimat« die Tendenzen zur Konzentration auf die eigenen ethnischen und kulturellen Bezüge. Esser weist darauf hin, »dass es bei ethnischen Segmentationen, dem Verbleiben ausschließlich im Rahmen von binnenethnischen Beziehungen und der Orientierung auf binnenethnische Kommunikationen, wie beispielsweise neuerdings durch die Möglichkeiten des Empfangs heimatlicher Fernsehprogramme über Parabolantennen, […] zu Verschiebungen kommt, die eine Investition in eine weiterführende Bildung immer unwahrscheinlicher werden lässt« (Esser 2000a: 35).
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STAAT UND MIGRATION
Einfluss des Islamismus Islamistische Gruppen nutzen die Fremdheitserfahrungen von Zuwanderern aus islamischen Ländern und deren Perspektivlosigkeit aus und versuchen, durch vielfältige Angebote vor allem junge Menschen an sich zu binden. Der offizielle Unterricht in Schulen, aus Steuergeldern finanziert, spielt dabei eine wichtige Rolle. So hat sich in Berlin die Islamische Föderation – ein Zusammenschluss von Vereinigungen, die der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) zuzurechnen sind – in einem langwierigen Verfahren das Recht auf islamischen Religionsunterricht erstritten (Kesici 2002).83 Damit ist das Land Berlin zur weitgehenden Finanzierung dieses Religionsunterrichtes verpflichtet. Im Schuljahr 2005/2006 wurden 4.300 Kinder und Jugendliche an 33 Grundschulen unterrichtet (Abgeordnetenhaus Berlin Drs. 15/13408: 1f.). Damit gehen Befürchtungen einher, die Abgrenzung werde weiter gefördert (Zentrum Demokratische Kultur 2004: 136ff.). Anfangs verfügten nur vier von 23 Lehrkräften der Islamischen Föderation über »einwandfreie Deutschkenntnisse«. Inzwischen ist zumindest in dieser Hinsicht eine Verbesserung eingetreten (Abgeordnetenhaus Berlin 15/13408: 3). Allerdings erfüllt nur eine Lehrkraft der Islamischen Föderation (von insgesamt 24) die mit dem novellierten Berliner Schulgesetz vorgeschriebene Qualifikation eines Hochschulstudiums (Abgeordnetenhaus Berlin 15/13408: 2). In immer mehr Stadtvierteln fassen die »Islamische Gemeinschaft Milli Görüs« oder von ihr dominierte Organisationen Fuß. Aufgrund der zahlreichen Angebote insbesondere für Kinder und Jugendliche und – wie in Berlin – aufgrund des Religionsunterrichts können sie einen erheblichen sozialen Anpassungsdruck verbreiten. Insbesondere in den Schulen wird zunehmend eine strengere Haltung zu islamischen Regeln beobachtet (Borstel 2003: 140f.). Den Einfluss auf junge Menschen versuchen islamistische Organisationen auch durch die Einrichtung von Internaten zu festigen (Zentrum Demokratische Kultur 2004: 110ff.). Dabei werden die Unsicherheitsgefühle und Ängste von Eltern genutzt, die ihre Kinder vor schädlichen Einflüssen aus der fremdgebliebenen und meist wenig einladenden Wohnumgebung schützen wollen. Mit ihren vielfältigen Aktivitäten versuchen islamistische Organisationen »islamisierte Räume« zu schaffen, »Milieus, in denen das gesamte Leben der Gemeinschaft den religiösen Vorschriften entsprechend gestaltet wird, einschließlich der Rechtsordnung« (Zentrum Demokratische Kultur 2004: 122). Mittels Konformitätsdruck werden islamische Schülerinnen zur Einhaltung von Kleidungsvorschriften veranlasst. Zunehmend werden auch nicht-muslimische
—————— 83 »Ein Signal, aber kein Präzedenzfall«. In: Die Welt vom 25. Februar 2000.
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Mädchen entsprechend eingeschüchtert (u.a. Zentrum Demokratische Kultur 2004: 181f.). Mädchen und Frauen, die kein Kopftuch tragen, sowie Frauen, die als »Deutsche« identifiziert werden, müssen damit rechnen, von jungen Männern belästigt zu werden (Zentrum Demokratische Kultur 2004: 189ff.; 196ff.). Eltern, deren Kinder nicht den Islam-Unterricht in der Schule oder in der Moschee aufsuchen, werden von Vertretern dieser Organisationen bei Hausbesuchen unter Druck gesetzt. Hier findet eine Auseinandersetzung um die »kulturelle Hegemonie« statt, in deren Zentrum der Einfluss auf Kinder und Jugendliche steht.
Gewalt und Kriminalität In den ethnisch-sozialen Ballungsgebieten ist neben überdurchschnittlicher Abhängigkeit von staatlichen Transferleistungen, hoher Arbeitslosigkeit und anderen Indikatoren eine hohe Gewalt- und Kriminalitätsbelastung festzustellen (Oberwittler 2001; Bund-Länder-AG 2007). In einer Studie für die Weltgesundheitsorganisation wurde für das Ruhrgebiet und die Stadt Essen nachgewiesen, dass die Konzentration von Armut und Gewaltkriminalität in einem engen Verhältnis stehen (Strohmeier 2001; Eisner 2001: 14). In den Wohngebieten der städtischen Unterschichten wohnen die meisten Täter, die meisten Opfer und geschehen die meisten Verbrechen. »The determinants of robbery are high levels of unemployment and poverty and a high proportion of non-German-inhabitants. […] And most of the crimes are committed in areas where most of the criminals live. […] It is in the poorer segments of the city where we find the highest crime rates and the largest proportion of violent criminals. Violence in big cities is part of the everyday experience of the people in the poor quarters« (Strohmeier 2001; Eisner 2001: 14).
Oberwittler (2001: 143) kommt in einer Studie zur geographischen Verteilung der Gewaltkriminalität in Köln zu dem Schluss, »dass die Verteilung der Tatverdächtigen- wie der Opferraten bei Gewaltkriminalität deutlich und fast ausschließlich von dem Ausmaß der sozialen Probleme bestimmt wird«. Für die USA ist der Zusammenhang von Ghettoisierung verarmter Afroamerikaner und hoher Kriminalitätsbelastung debattiert worden (Massey 1995; Peeples/Loeber 1994; Tonry 1998). »Because crime and violence are strongly correlated with income deprivation any social process that concentrates poverty also concentrates crime and violence to create an ecological niche characterized by a high risk of physical injury, violent death, and criminal victimization« (Massey 1995: 1210).
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Massey (1995: 1216) sieht eine Dynamik der Gewalt: In einer Umgebung, in der das Risiko hoch sei, Opfer von Gewalt zu werden, gebe es eine logische Anpassungsstrategie, nämlich selbst gewalttätig zu werden. Peeples und Loeber (1994: 152) kamen in ihren Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass afroamerikanische Jugendliche, die nicht in den verarmten Ghettos leben, eine ähnlich hohe Kriminalitätsbelastung aufweisen, wie weiße Jugendliche, die ebenfalls nicht in Armutsgebieten leben. Tonry kommt zu dem Schluss: »[…] most groups with disproportionately high crime rates are socially and economically disadvantaged compared with the majority population, but not at all socially and economically disadvantaged groups have hig crime rates. The key point here is that disadvantage can, but by no means always does lead to high crime rates« (Tonry 1998: 64). Für Berlin stehen entsprechende Auswertungen der Eingangsstatistik der Polizei nach lokalen Bezügen nicht zur Verfügung. Für die bei der Staatsanwaltschaft Berlin registrierten »Intensivtäter« liegt eine Auswertung nach Wohnort vor. In den allermeisten Fällen stimmen Wohn- und Tatorte bei den »Intensivtätern« überein (Ohder/Huck 2006: 38ff.). Im Folgenden werden verschiedene Erscheinungsformen von Devianz dargestellt. Wie Jugendliche ausländischer Herkunft vielfach wahrgenommen werden, wie einheimische Einwohner ihrem Verhalten hilflos gegenüber stehen und wie es zur Verfestigung von abweichendem Verhalten kommt, schildert ein Polizeihauptkommissar, der Präventionsbeauftragter für einen Polizeiabschnitt ist, in dem auch das Gebiet Schöneberg-Nord liegt, das als sozialer Brennpunkt mit hohem Zuwandereranteil gilt: »Bisher ist es nicht so, dass sich Kinder und Jugendliche zur Begehung von Straftaten in Banden zusammentun. Vielmehr ziehen sie mangels sinnvoller Beschäftigung gelangweilt durch die Straßen und lassen ihren Frust an Gegenständen und Menschen aus. Hier werden Taten verübt, die häufig knapp unter der Schwelle zur Straftat liegen, diese in Einzelfällen aber auch überschreiten. Im Vordergrund steht das Bestreben nach Beachtung, wobei sie sehr schnell lernen, dass man auch mit destruktivem Handeln Beachtung erhalten kann. So werden deutsche Bewohner provoziert, es wird gegen Scheiben von Geschäften geschlagen und es werden auch schon mal die Auslagen oder Aushänge beschädigt. Der Schritt zur Beleidigung oder Gewalttat ist dann nicht mehr weit. Die Betroffenen wehren sich jedoch häufig gar nicht mehr, da sie inzwischen resigniert haben. In der Vergangenheit wurden sie, nachdem sie die Übeltäter verbal gemaßregelt hatten, mit den älteren Geschwistern konfrontiert, die – zur Hilfe gerufen – undifferenziert die Sichtweise ihres jüngeren Familienmitgliedes übernahmen und sofort eine drohende Haltung einnahmen oder Gewalt androhten bzw. ausübten. So eingeschüchtert gehen die Betroffenen jeder Konfrontation mit den Kindern und Jugendlichen aus dem Weg. Die Kinder haben so ihre ersten ›erfolgreichen‹ Grenzüberschreitungen begangen, ohne dass ihnen jemand das Unrecht ihres Tuns klarmacht. Im Gegenteil, das eigene Fehlverhalten wird durch Familienmitglieder aus falsch
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verstandener Solidarität gestützt. In der Verbindung mit dem Verhalten in der Gruppe, in der der Starke über den Schwachen bestimmt, wird hier der Grundstein zu einem zukünftigen Verhalten außerhalb der Rechtsnorm gelegt. Gerade bei Serientätern hat man festgestellt, dass diesen am Beginn ihrer Entwicklung zum Straftäter nie Grenzen aufgezeigt wurden, so dass sie über einen langen Zeitraum mit der Gewissheit leben konnten, ihr Verhalten wird zumindest hingenommen« (Maiwald 2004: 43).
Grafik 1: Verteilung der Berliner Intensivtäter nach Wohnort 0%
5% 10% 15% 20% 25% 20,74%
Neukölln
14,32%
Mit t e (Wedding)
9,88%
Fr iedrichshain-Kreuzber g ( Kr euzberg)
8,89%
Mit t e ( Tiergar t en) Reinikendorf
4,69%
Tr ept ow-Köpenick ( Trept ow)
4,44%
Tempelhof -Schöneberg (Schöneberg)
3,95%
Spandau
3,70%
Tempelhof - Schöneber g ( Tempelhof )
3,70%
St eglit z- Zehlendorf ( St eglit z)
3,21%
Licht enber g ( Hohenschönhausen)
2,96%
Pankow (Prenzlauer Berg)
2,96%
Char lot t enburg- Wilmersdorf ( Char lot t enburg)
2,47%
Mar zahn-Hellersdorf ( Heller sdor f )
2,47%
Mar zahn-Hellersdorf ( Marzahn)
2,22%
Licht enberg (Licht enberg)
1,98%
Pankow (Pankow)
1,23%
Tr ept ow-Köpenick ( Köpenick)
1,23%
Unbekannt
1,23%
Charlot t enbur g-Wilmer sdor f (Wilmer sdor f )
0,99%
Pankow ( Weißensee)
0,99%
Fr iedrichshain-Kreuzber g ( Friedr ichshain)
0,74%
Mit t e (Mit t e)
0,49%
St eglit z-Zehlendor f (Zehlendor f )
0,49%
Quelle: Staatsanwaltschaft Berlin Hauptabteilung E, Abt. 47 mit Stand 6. Januar 2006, in: Landeskommission Berlin 2007: 118
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Erfassungs- und Bewertungsprobleme Über die Kriminalitätsbelastung von Zuwanderern ist seit den 1970er Jahren intensiv debattiert worden (u. a.: Albrecht 1972: 232ff.; Bundesministerium des Innern/Bundesministerium der Justiz 2006: 408ff.; Albrecht 2001: 195ff.). Bei einem Vergleich der ausländischen Bevölkerung mit der deutschen sind in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) Verzerrungsmomente zu berücksichtigen (Bundeskriminalamt 2006b: 109f.; Villmow 1993; Tonry 1998: 66ff.): Zum einen enthält die Bevölkerungsstatistik bestimmte Ausländergruppen nicht, die in der PKS als Tatverdächtige gezählt werden (ausländische Touristen, Angehörige von Stationierungsstreitkräften und sich illegal in Deutschland aufhaltende Personen). Zu berücksichtigen ist auch der Anteil ausländerspezifischer Delikte wie Straftaten gegen das Ausländer- und Asylverfahrensgesetz, die in der Regel nicht von Deutschen begangen werden. Rechnet man sie heraus, reduziert sich der Anteil nichtdeutscher Tatverdächtigen an allen Verdächtigen 2005 von 22,5 auf 20,0 Prozent (Bundeskriminalamt 2006b: 109). Weiter ist zu beachten, dass sich die Zusammensetzung der ausländischen Bevölkerung von derjenigen der deutschen unterscheidet: Neben kulturellen Unterschieden schränken sowohl die Alters- als auch die Geschlechts- und die Sozialstruktur eine Vergleichbarkeit ein. »Die sich in Deutschland aufhaltenden Personen ohne deutsche Staatsbürgerschaft sind im Vergleich zur deutschen Bevölkerung im Durchschnitt jünger und häufiger männlichen Geschlechts. Sie leben häufiger in Großstädten, gehören zu einem größeren Teil unteren Einkommens- und Bildungsschichten an und sind häufiger arbeitslos. Dies alles führt zu einem höheren Risiko, als Tatverdächtige polizeiauffällig zu werden«, heißt es in der PKS (Bundeskriminalamt 2006b: 109). Hinzu treten allgemein zu beachtende Aspekte: Die Tatverdächtigenzahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik weisen nur diejenigen Fälle auf, in denen die Ermittlungen der Polizei erfolgreich abgeschlossen wurden. Sie sind also wesentlich von den jeweiligen Aufklärungsquoten abhängig (zu dieser Problematik u. a.: Wetzels 2001: 149). Hinzu kommen unterschiedlich ausgeprägte Anzeigebereitschaften sowie jeweilige polizeiliche Kontroll- und Ermittlungsintensitäten (wie die Bildung von Sondereinheiten zu einzelnen Tätergruppen oder Deliktsfeldern). Das gilt insbesondere für die klassischen Kontrolldelikte (wie Rauschgiftdelikte oder das Feld der Organisierten Kriminalität), bei denen die Polizei in den allermeisten Fällen nur aufgrund eigener Aktivitäten von Delikten erfährt und Tatverdächtige ermitteln kann. Nicht zuletzt Ereignisse wie der 11. September 2001 brachten erhebliche Verlagerungen polizeilicher Aktivitäten (insbesondere hin zum Objektschutz) mit sich. Damit waren die Schutzpolizeien häufig nicht mehr in der Lage, bisherige Kontrollaktivitäten
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(wie beim Rauschgifthandel und -konsum) in gleichem Maße aufrecht zu erhalten (Bundeskriminalamt 2002: 12). Die PKS beschreibt grundsätzlich nur das »Hellfeld« der Kriminalität, also jene Straftaten, die der Polizei bekannt wurden und bei denen Anzeige erstattet wurde (Bundeskriminalamt 2002: 12ff.). Zahlreiche Dunkelfeld-Studien bestätigen allerdings, »dass die PKS durchaus als Maßstab und Indikator auch für die nicht mit ihr ausgewiesene Kriminalitätssituation verwendet werden kann« (Wiebke 2001: 237; kritisch zur Aussagefähigkeit der PKS-Daten: Petrowsky 2003). Weiterhin kommt hinzu, dass die »Staatsangehörigkeit«, an die die PKS anknüpft, vor allem in den Großstädten immer mehr an Aussagekraft verliert, und zwar aufgrund der massiven Einbürgerungspolitik und zukünftig auch wegen des seit 2000 geltenden neuen Einbürgerungsrechtes, nach dem etwa die Hälfte der in Deutschland geborenen Kinder von Eltern mit einem unbefristeten Aufenthaltsstatus automatisch zusätzlich auch die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten. Festzuhalten bleibt: Von den der Polizei bekannt gewordenen Straftaten geht ein überdurchschnittlich hoher Anteil auf marginalisierte Zuwanderer zurück. »Die teilweise Erklärbarkeit der Phänomene beseitigt sie jedoch (grundsätzlich) nicht; die Strafverfolgungsbehörden (Polizei und Justiz) haben jedenfalls zunehmend mit ausländischen Tatverdächtigen bzw. Tätern zu tun«, stellt Schwind fest (1999: 331; 2006: 484ff.). Betroffen ist vor allem die Gruppe der jungen, männlichen Zuwanderer, wohingegen die Gruppe der »Gastarbeiter«-Generation eher unterdurchschnittlich auffällig wird (Bundesministerium des Innern/Bundesministerium der Justiz 2006: 417, 424; Wiebke 2001: 240ff.). Albrecht (2001: 205) weist darauf hin, dass »der Zusammenhang zwischen Ethnie und Kriminalität lediglich in Arbeitervierteln bzw. in marginalisierten Stadtteilen besteht«. Insgesamt liegt der Anteil der nichtdeutschen Tatverdächtigen an allen Tatverdächtigen in Deutschland im Durchschnitt der Jahre 2000 bis 2005 bei 24,0 Prozent.84 In den Großstädten sieht die Lage allerdings ganz anders aus: Im Durchschnitt der Jahre 2000 bis 2005 stellten in Frankfurt/Main Ausländer 60,4 Prozent aller Tatverdächtigen, gefolgt von München mit 43,3 Prozent und Stuttgart mit 42,4 Prozent.
—————— 84 PKS 2005, Kurzbericht http://www.bka.de/pks/pks2005/pks2005_kurzbericht_imk.pdf [28. Juni 2006], S. 23, eigene Berechnungen.
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Anteile nichtdeutscher Tatverdächtiger an allen Tatverdächtigen in Großstädten in Prozent Stadt Frankfurt/ Main München Stuttgart
2000 62,2
2001 62
2002 61,2
2003 62,3
2004 57,5
2005 57,1
Durchschnitt 60,4
43,1 45,2
44,2 44,7
43,3 42,9
45,4 40,9
43,0 40,7
40,8 39,8
43,3 42,4
Quellen: Bundeskriminalamt (Hg.): Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) 2000, Tab. T47; PKS 2001: 84, Tab. T47; PKS 2002: 84, Tab. T47; PKS 2003: 86, Tab T47;PKS 2004: 86, Tab. T47; eigene Berechnung; Mitteilung der Landeskriminalämter Hessen, Bayern und Baden-Württemberg
Anteile nichtdeutscher Tatverdächtiger an allen Tatverdächtigen in Großstädten (ohne Illegale, Stationierungsstreitkräfte, Touristen und Durchreisende) in Prozent Stadt Frankfurt/ Main München Stuttgart
2000 35, 4
2001 37,2
2002 34,9
2003 32,8
2004 32,7
2005 33,5
Durchschnitt 34,4
34,0 39,2
33,7 38,0
33,2 36,7
34,5 31,9
34,3 35,8
33,2 35,6
33,8 36,2
Quelle: Mitteilung der Landeskriminalämter Hessen, Bayern und Baden-Württemberg
Der Ausländeranteil an der Wohnbevölkerung betrug 2005 in – Frankfurt/Main 25,7 Prozent, – in München 23,3 Prozent und – in Stuttgart 21,9 Prozent.85 Der Anteil nichtdeutscher Tatverdächtiger in Berlin liegt seit Jahren bei rund 30 Prozent. Anteile nichtdeutscher Tatverdächtiger an einzelnen Delikten in Berlin 2005 Delikte Insgesamt Mord Totschlag Vergewaltigung Raubüberfälle in Wohnungen Gefährliche/schwere Körperverletzung auf Straßen, Wegen oder Plätzen
Anteil nicht-deutscher Tatverdächtiger 30,8 % 43,8 % 42,5 % 38,5 %
Erfasste Fälle insgesamt 509.175 48 96 610
27,7 %
250
31,6 %
6.674
—————— 85 Aus den Internet-Auftritten der jeweiligen Statistischen Ämter.
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Taschendiebstahl Diebstahl in/aus KFZ Geschäftseinbruch Urkundenfälschung Sonstiger Sozialleistungsbetrug86
69,1 % 57,6 % 50,9 % 45,7 % 51,8 %
17.188 34.237 3.928 6.740 851
Quelle: Der Polizeipräsident in Berlin 2006
Auch ein mehr oder weniger professionelles Abschottungsverhalten einzelner Tätergruppen beeinflusst die Fallzahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik. Besonders in den ethnisch-sozialen Ballungsgebieten der deutschen Großstädte machen die Beteiligten ihre Konflikte häufig »unter sich« aus, um die Polizei und damit staatliche Intervention außen vor zu halten. Der Berliner Innensenator sprach bezogen auf Ausländergruppen aus dem arabischen Raum von einer »Mauer des Schweigens«.87 Über die Abschottung besonders nach Gewalttätigkeiten innerhalb türkischer Gruppen berichtet ein Berliner Oberstaatsanwalt, zuständig für Jugendgruppengewalt: »Zum Beispiel passiert es, dass man sich in bestimmten türkischen Kreisen untereinander über das Verfahren außergerichtlich einigt. Dann machen die alles dicht, dann erfährt man nichts mehr, dann ist Schweigen nach allen Seiten, dann wird blockiert und die deutsche Justiz ist außen vor. Ich habe also in diesen Kreisen den Eindruck, dass die nicht in dieser Gesellschaft leben, sondern in einer Sondergesellschaft, die ihre Belange privat regelt und dann völlig dicht macht« (Czujewicz 2000: 125).
Die Polizei trifft immer häufiger auf extrem aggressiv auftretende ethnisch strukturierte Jugendgruppen, wie es der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei beklagte.88 Nicht selten kommt es bei polizeilichem Auftreten (wie bei Verkehrskontrollen) zu äußerst aggressiven Reaktionen und zu Solidarisierungseffekten unter ethnischen Gruppen (Splettstöhser 2005: 4).
—————— 86 »Betrügerisches Erlangen von staatlichen Zuschüssen aus sozialen Gründen, z. B. unberechtigtes Beziehen von Arbeitslosenhilfe, Wohngeld, Sozialunterstützung etc.«, in: Der Polizeipräsident in Berlin 2006: 42. 87 Der Berliner Innensenator Ehrhart Körting »Wo es brennt im Kiez«. in: Der Tagesspiegel vom 13. Januar 2004. 88 »Polizei trifft immer öfter auf offenen Widerstand«, Interview mit Konrad Freiberg in: Neue Osnabrücker Zeitung vom 2. April 2005.
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Exkurs: Neukölln Ein leitender Polizeibeamter schildert einen Vorfall in Neukölln am 2. Mai 2004: »Nachdem sich bereits am 7. und 8. März sowie am frühen Nachmittag dieses Tages kleinere Auseinandersetzungen zwischen arabischstämmigen Neuköllner und türkischstämmigen Kreuzberger Jugendlichen ereigneten, kommt es am Rande der ›Neuköllner Maientage‹ zum großen ›Showdown‹. 100 bis 150 Migrantenkinder beteiligen sich an einer Massenschlägerei unter Einsatz von Holzknüppeln, Metallrohren und Messern. Zwei ›Kreuzberger‹ retten sich vor der Neuköllner Übermacht, indem sie Schutz bei einer zur Überwachung des Jahrmarktes anwesenden Polizeistreife suchen. Nur durch Ziehen der Schusswaffe und Einsatz des Reizstoffsprühgerätes können die Beamten verhindern, dass ihnen die hilfesuchenden Kreuzberger Kids wieder ›entrissen‹ werden. Nach Eintreffen von Verstärkungskräften gelingt es gerade noch, fünf der Angreifer festzunehmen. Ein weiterer, flüchtender Täter schießt mit einer Gaspistole auf die polizeilichen Verfolger und kann entkommen. Bei einer nachträglichen Absuche des ›Kampfplatzes‹ werden insgesamt 14 Schlaghölzer, zwei Metallrohre, zwei Teleskop-Schlagstöcke, drei Messer sowie ein Schraubendreher und ein Hammer aufgefunden. Sowohl Täter als auch Geschädigte können und wollen bei den anschließenden Vernehmungen zu Tathergang und -motiv keinerlei sachdienliche Angaben machen« (ebd.: 3).
Der Park »Hasenheide« gilt als ein wesentlicher Umschlagsplatz von Drogen in Neukölln. »Haschisch und Marihuana sind die Drogen, die in Neukölln an den beiden bekannten Handelsplätzen Hermannplatz und Volkspark Hasenheide angeboten werden; zum Erwerb von Heroin und Kokain muss man in der Regel ins benachbarte Kreuzberg. Die […] Volksgruppen [Araber und Schwarzafrikaner] haben dabei ihre Reviere fest abgesteckt: die Araber den Hermannplatz und einen kleinen Teil der Hasenheide, die Schwarzafrikaner den größten Teil des Parks. Beiden Gruppen ist gemein, dass sie als Asylbewerber (vorgegeben oder tatsächlich) Staatsangehörigkeiten für Regionen besitzen, in die derzeit nicht abgeschoben werden darf und dass sie bei polizeilichen Überprüfungen lediglich mit Mengen angetroffen werden, für die kein Richter einen Haftbefehl ausstellen würde. Trotz täglicher, verdeckt und offen durchgeführter Kontrollen durch Einzeldienst und Einsatzeinheiten gelingt es daher nicht, den Handel nachhaltig zu unterbinden« (ebd.: 4).
Immer wieder berichten Polizeibeamte, dass sie bestimmte Zonen einzelner Stadtviertel meiden, weil sie dort auf ein Aggressionspotential treffen, dem sie nicht mehr Herr werden.
Jugend und Gewalt Die Gewaltkriminalität ist besonders stark von ausländischen Tatverdächtigen gekennzeichnet: So lag deren Anteil bei diesen Straftatengruppen in Berlin
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2005 bei 33,3 Prozent, wovon wiederum nahezu jeder zweite (40,7 Prozent) jünger als 21 Jahre alt war. Die »Tatverdächtigenbelastungszahl« (Tatverdächtige je 100.000 der jeweiligen Bevölkerungsgruppe) lag bei deutschen Staatsangehörigen im Alter zwischen acht und 21 Jahren bei 6.768, bei ausländischen Tatverdächtigen lag sie mit 13.408 fast doppelt so hoch, wobei die bereits erwähnten Gruppen, die nicht in der Bevölkerungsstatistik erfasst werden, herausgerechnet sind (Der Polizeipräsident in Berlin 2006: 60). Bei den jugendlichen Tatverdächtigen (14 bis 18 Jahre) lag die Tatverdächtigenbelastungszahl um 115,8 Prozent über der Gruppe mit deutscher Staatsangehörigkeit, bei den heranwachsenden (18 bis 21 Jahre) nichtdeutschen Tatverdächtigen um 127,5 Prozent über der vergleichbaren Gruppe (Der Polizeipräsident in Berlin 2006: 62f.). Die Berliner Polizei kommt zu dem Schluss: »Die Kriminalität männlicher jugendlicher Nichtdeutscher ist insgesamt überproportional hoch und dies insbesondere im Bereich der Rohheits- und Gewaltdelikte, hierunter speziell bei Sexualdelikten und Raubtaten in der Öffentlichkeit. […] Während im Jahr 2005 annähernd jeder achte männliche deutsche Jugendliche mit einer Straftat in Erscheinung trat, war dies bei männlichen nichtdeutschen Jugendlichen fast jeder dritte. Männliche nichtdeutsche Jugendliche traten bezogen auf ihren Bevölkerungsanteil insgesamt 2,3 mal so oft in Erscheinung wie männliche deutsche Jugendliche (Vorjahr 2,0 mal)« (Der Polizeipräsident in Berlin 2006: 63f.).
Männliche nichtdeutsche Jugendliche wurden im Verhältnis zu ihrem Bevölkerungsanteil bei folgenden Delikten häufiger der Polizei bekannt als männliche deutsche Jugendliche: – drei Mal häufiger bei Sexualdelikten insgesamt; – 7,5 Mal häufiger bei Vergewaltigung; – zwei Mal häufiger bei Straßenkriminalität; – 3,4 Mal häufiger bei Gewaltkriminalität; – 3,1 Mal häufiger bei gefährlicher und schwerer Körperverletzung; – 3,6 Mal häufiger beim Straßenraub; – 2,4 Mal häufiger beim Handtaschenraub; – 3,6 Mal häufiger beim Erschleichen von Leistungen. Jugendliche deutscher Staatsangehörigkeit traten hingegen bei Sachbeschädigung 1,4 Mal häufiger auf wie ihre Altersgenossen nichtdeutscher Staatsangehörigkeit (Der Polizeipräsident in Berlin 2006: 64). Die Auswirkungen der Einbürgerungen auf die Statistik lässt eine Auswertung der Berliner Polizei für die »Jugendgruppengewalt« deutlich werden. Danach besaßen im Jahr 2005 26,6 Prozent der Tatverdächtigen nicht die deutsche Staatsangehörigkeit, weitere 16,2 Prozent der deutschen Tatverdäch-
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tigen wiesen eine nichtdeutsche Herkunft auf. Im Ergebnis sind damit 42,8 Prozent aller ermittelten Tatverdächtigen nichtdeutscher Herkunft (Der Polizeipräsident in Berlin 2006: 66). Entsprechende Ergebnisse zeigt auch die Analyse der Tatverdächtigen zum Drogenhandel. Mit der Kategorie »nichtdeutscher Herkunft« werden Tatverdächtige mit deutscher Staatsangehörigkeit erfasst, »wenn er oder ein Elternteil eine andere Staatsbürgerschaft hatten, oder er bzw. ein Elternteil in einem anderen Land geboren sind. Es genügt ein erfülltes Kriterium« (Der Polizeipräsident in Berlin 2005: 55). Wie stark sich die Verhältnisse je nach örtlichen Gegebenheiten unterscheiden, lässt die Tatsache deutlich werden, dass alleine in der Polizeidirektion fünf (KreuzbergFriedrichshain und Neukölln) 80,7 Prozent aller Täter aus dem Bereich Jugendgruppengewalt nichtdeutscher Herkunft sind. »Selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die unter 18-jährigen Nichtdeutschen mit 26,4 Prozent mehr als ein Viertel der gleichaltrigen Wohnbevölkerung stellen, ist das ein besorgniserregender Zustand«, analysiert ein leitender Polizeibeamter (Splettstöhser 2005: 3). Nicht nur bei den polizeilich erfassten Tatverdächtigen, auch bei den Inhaftierten in der Jugendstrafanstalt sind Jugendliche und Heranwachsende nichtdeutscher Herkunft stark überrepräsentiert. Im Durchschnitt der Jahre 2003 bis 2005 betrug der Anteil mit nichtdeutscher Staatsangehörigkeit an allen Inhaftierten rund 40 Prozent (hierzu und im Folgenden: Landeskommission Berlin 2007: 22). Davon stellen etwa die Hälfte Türken, Angehörige aus dem ehemaligen Jugoslawien und Libanesen. Gemessen am Anteil türkischer Staatsangehöriger an allen Jugendlichen und Heranwachsenden in Berlin von rund 5,5 Prozent liegt der Anteil bei den Inhaftierten mit 12,7 Prozent überdurchschnittlich hoch. Bei der libanesischen Gruppe liegen die Vergleichzahlen bei 2,7 Prozent gegenüber 12,9 Prozent. Sie sind 14 mal häufiger inhaftiert, als es ihrem Bevölkerungsanteil entsprechen würde.
»Intensivtäter« Kriminologische Untersuchungen sowie Erfahrungen aus der Polizei- und Justizpraxis stimmen darin überein, dass ein überproportional hoher Anteil von Straftaten von relativ wenigen Tätern (so genannten »Intensivtätern«) begangen wird. Eine bundeseinheitliche Definition für den Begriff »Intensivtäter« existiert allerdings nicht, von den einzelnen Bundesländern wird er teilweise unterschiedlich ausgelegt (Wiebke 2003; Bund-Länder-AG 2007: 18ff.). Insgesamt gelten jedoch ähnliche Kriterien, zu denen insbesondere eine hohe kriminelle Aktivität (mehr als zehn voneinander unabhängig begangene Straf-
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taten in einem Jahr), der Einsatz krimineller Energie bei einzelnen Straftaten und das Auftreten verfestigter krimineller Neigungen innerhalb der Persönlichkeitsstruktur zählen. Bei den Jugendlichen und Heranwachsenden wird davon ausgegangen, dass etwa fünf Prozent der Täter für 35 bis 50 Prozent der Straftaten ihrer Altersgruppe verantwortlich sind. Nach der Definition der Berliner Innen- und Justizverwaltung sind Intensivtäter »Straftäter, die verdächtig sind, 1. den Rechtsfrieden besonders störende Straftaten, wie z.B. Raub-, Rohheits- und/oder Eigentumsdelikte in besonderen Fällen, begangenen zu haben oder 2. innerhalb eines Jahres in mindestens zehn Fällen Straftaten von einigem Gewicht begangen zu haben und bei denen die Gefahr einer sich verfestigenden kriminellen Karriere besteht« (Landeskommission Berlin 2007: 111ff.).
Empirische Befunde zeigen, dass männliche Jugendliche mit Migrationshintergrund unter den jungen Intensivtätern stark vertreten sind (Bund-LänderAG 2007: 19). Nach Angaben des zuständigen Berliner Oberstaatsanwalts (Mitteilung gegenüber dem Autor) haben im März 2006 von dort insgesamt registrierten 425 Intensivtätern 330 (77,7 Prozent) einen »Migrationshintergrund«: Einheimische Deutsche stellen demnach 22,3 Prozent, Intensivtäter arabischer Herkunft 31,3 Prozent, türkischer Herkunft 27,3 Prozent. Nach Staatsangehörigkeit waren 51,5 Prozent deutsche Staatsangehörige, darunter also zahlreiche Eingebürgerte. Die Erfahrungen von Polizei und Justiz zeigen, dass dieser Personenkreis dem Erziehungsgedanken des Jugendgerichtsgesetzes mit seinen abgestuften Sanktionen wenig oder gar nicht zugänglich ist. Der damalige Abteilungsleiter der Staatsanwaltschaft Berlin für die Intensivtäterbekämpfung, Roman Reusch, schildert die Erfahrungen mit dieser Gruppe: »Die Angehörigen dieser Tätergruppe zeichnen sich insbesondere durch völlig fehlende Unrechtseinsicht und weitgehende Resistenz gegen polizeiliche und justizielle Maßnahmen aus. War dies früher nur ein sich aufdrängender Eindruck, so ist nunmehr in zahllosen Fällen durch Erstellung der Lebensläufe bewiesen, dass weder polizeiliche Vorladungen und Vernehmungen noch gerichtliche Hauptverhandlungen für sich genommen auch nur den geringsten Eindruck auf diese Täter machen. Selbst kurzzeitige Freiheitsentziehungen wie vorläufige Festnahmen und Arreste gehen spurlos an ihnen vorbei. Nicht einmal der Erlass von Haftbefehlen mit sofortiger Haftverschonung oder die drohende Verurteilung zu einer Jugendstrafe mit Bewährung respektive Vorbewährung können sie von weiterer serienmäßiger Begehung schwerer Straftaten abhalten. Selbst in einer solchen Lage lassen sie die Hauptverhandlungen in gelangweilt-belästigter Attitüde über sich ergehen und sind von ihren Verteidigern nur unter großen Mühen zu einigen Floskeln des Bedauerns und vorgeblicher Einsicht zu bewegen. Es gibt nur eine einzige Maßnahme, die sie wirklich beeindrucken könnte, nämlich die Haft. So entspricht es polizeilichen Erfahrungen, dass Täter, die bereits einige Monate Untersuchungshaft hinter sich haben, in ihrem Auftreten und Verhalten deutlich vorsichtiger geworden sind. Dem entsprechen die hiesigen Erfahrungen mit diesem Täterkreis, die darauf hindeuten, dass die Wirkung vollzogener Untersuchungshaft
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meist mehrere Monate anhält und ggf. auftretende Rückfälligkeit sich meist in eher leichteren und deutlich weniger Taten niederschlägt« (Reusch 2006: 209).
Insbesondere bei den Delikten der Straßenkriminalität (Raub, »Abziehen«) waren die Opfer nichtdeutscher jugendlicher Tatverdächtiger meist deutsche Altersgenossen (Tertilt 1996: 220ff.). Ihnen gelten Neid und Ressentiments, und von ihnen erwarten die Täter mit türkischem, kurdischem oder arabischem Hintergrund keine Gegenwehr, anders als in ihren eigenen Kreisen. »Das größte Risiko, Opfer solcher Gewalt zu Kinder und Jugendliche aus der deutschen unerfahrener im Umgang mit Bedrohungen deshalb, weil sie individualisierter leben und fürchten müssen« (Germershausen 2004: 60).
werden, tragen den meisten Aussagen zufolge Mittelschicht, die aufgrund ihrer Erziehung sind. Sie gelten als ›einfache‹ Opfer – auch mögliche Täter nicht die Rache einer Clique
Auch die Schülerbefragung des »Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen« (KFN) aus dem Jahr 2005 belegt diese Einschätzung: Demnach trafen von den befragten deutschen Opfern 56 Prozent auf einen Täter einer anderen Ethnie (Baier/Pfeiffer/Windzio 2006: 251). Die Art der Tatbegehung, das Ausmaß an Gewalt selbst gegenüber eindeutig unterlegenen Opfern, die bereitwillig alles den Angreifern überlassen, was diese fordern, lässt deutlich werden, dass es hier nicht nur um das Erlangen materieller Güter durch Raub geht. Die Täter demonstrieren mit diesen Gewalttaten auch Macht. Die Opfer erleben dies als traumatisierend. Die Berliner Polizei beschreibt die Vorgehensweise entsprechender Jugendgruppen: »Weiterhin trifft es vermehrt zu, dass die Täter ihre Opfer nach Hause begleiten, um sie dort zu berauben oder zu demütigenden Handlungen zu zwingen. Die Art der Tatbegehung in der Jugendgruppengewalt hat sich nicht geändert. Mehrere Täter umringen ein einzelnes oder mehrere unterlegende Opfer und bringen ihr Gegenüber durch Bedrohung (auch unter Vorhalten einer Waffe), Beleidigung und Körperverletzung in eine hilflose Lage. In vielen Fällen werden die Opfer von den Tätern durchsucht, wenn sie die Herausgabe ihres Eigentums verweigern, aber auch, wenn das geforderte Raubgut schon unter Zwang herausgegeben wurde. Typisch sind das Schlagen mit den Fäusten, Fußtritte und Anspucken sowie verbale Beleidigungen und Demütigungen des Opfers. Weiterhin besteht unter den jungen Tätern der Trend, dem Opfer Dinge zu rauben, an denen sie eigentlich gar nicht interessiert sind und die sie oftmals kurz nach der Tat wegwerfen. Häufig nehmen die Täter dem Opfer die Personalpapiere ab, um ihm seine Identifizierbarkeit zu verdeutlichen, falls es Anzeige erstatten sollte« (Der Polizeipräsident in Berlin 2004: 26f.).
Eine ausgeprägte Gewaltbereitschaft, eine »aus der Außenperspektive kaum nachvollziehbare Feindseligkeit« gegenüber Opfern und sich einmischenden Passanten wurde bereits Anfang der 1990er Jahre in einer Langzeitstudie über eine türkische Jugendbande in Frankfurt am Main festgestellt (Tertilt 1996: 227). Für den Autor, der mit der Gruppe zwei Jahre in engstem Kontakt verbracht hatte,
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»gibt ihre Grausamkeit und Rücksichtslosigkeit doch Rätsel auf. Gewalthandlungen […] versetzen die Jungen in einen Zustand äußerster Erregung. Während einer Prügelei zitterten sie regelrecht am ganzen Körper, als seien sie elektrisiert und von einer inneren Anspannung überwältigt. Sie waren außer sich, ohne jede Beherrschung und schlugen so lange auf jemanden ein, bis er am Boden lag und sich nicht mehr rühren konnte. Erst danach begann sich die Anspannung zu lösen. Die wenigen gewaltsamen Auseinandersetzungen, die ich direkt erlebt habe, glichen einem kurzzeitigen Rausch, einem exzentrischen Anfall, den die Jugendlichen selbst als ›Ausflippen‹ bezeichneten. […] Charakteristisch scheint mir für viele Gewaltsituationen, dass der Handlungsverlauf gar nicht dem Muster von Provokation und Gegenprovokation folgte, es also keineswegs um die Verteidigung der Ehre ging, sondern Gewalt eine eigentümliche Bedeutung aus der Erniedrigung des Opfers gewann« (ebd.: 236).
Die Opfer werden offensichtlich auch in ihrer Eigenschaft als Angehörige der Aufnahmegesellschaft ausgesucht, welche ihnen aus ihrer Sicht Anerkennung, erfolgreiche Integration und damit Aufstieg aus der sozialen Randständigkeit verweigert.
Ursachen der Gewaltbelastung Zugewanderte Jugendliche – insbesondere aus dem islamischen Raum – sind hinsichtlich Gewalttätigkeit deutlich stärker auffällig als andere Gruppen. Dies gilt sowohl hinsichtlich der durch die Strafverfolgungsbehörden offiziell registrierten Kriminalität (»Hellfeld«) als auch für jene Kriminalität, die nicht zur Anzeige gebracht wird (»Dunkelfeld«). Wo sind die Gründe zu suchen? Ist es die schwierige Lebenslage als Zuwanderer in einer fremden Umgebung? Ist es die soziale und wirtschaftliche Erfolglosigkeit, die vor allem junge Menschen in die Gewalttätigkeit treibt? Oder sind die Gründe in religiös-kulturellen Dispositionen zu suchen? Obwohl es keine monokausalen Zusammenhänge gibt, ist unbestritten, dass es einen Zusammenhang zwischen dauerhafter Marginalisierung, Perspektivlosigkeit und Delinquenz gibt (Bundesministerium des Innern/Bundesministerium der Justiz 2006: 370f.; Eisner 2001). Aufschlussreich für das Problemfeld sind die Untersuchungen des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN). Auf der Basis umfangreicher Befragungen von 16.190 Jugendlichen in München und acht anderen deutschen Städten nach ihren Gewalterfahrungen 1998 wurden wichtige Analysen geliefert – nicht nur zur Erforschung des Dunkelfeldes der Kriminalität.89 Dabei wurden genau
—————— 89 Die umfangreichste Darstellung findet sich in: Wetzels, Peter u.a. (2001): Jugend und Gewalt. Eine repräsentative Dunkelfeldanalyse in München und acht anderen deutschen Städten, Baden-Baden; weitere (zuvor veröffentlichte) Berichte über die Untersuchung: Christian Pfeiffer/Peter Wetzels: Zur Struktur und Entwicklung der Jugendgewalt in Deutschland. Ein The-
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jene Bedingungen erfüllt, deren Fehlen Kritiker bei der PKS bemängeln und mit der sie ihre angeblich mangelnde Aussagekraft zu belegen versuchen: Es wurden vergleichbare soziale Gruppen gleichen Geschlechts und Alters unter deutschen und ausländischen Jugendlichen gegenübergestellt. Ebenso wurde nicht ausschließlich auf die aktuelle Staatsangehörigkeit abgestellt, sondern auch die Frage eines »Zuwanderungshintergrundes« einbezogen. Die Untersuchung kommt unter anderem zu folgenden Ergebnissen: 1. Bei Jugendlichen ausländischer Herkunft – insbesondere bei Türken – ist eine deutlich stärkere Gewaltbelastung gegeben – sowohl aus der Sicht der Täter als auch aus der Sicht der Opfer. 2. Auch aus der Opferperspektive stehen türkische Jugendliche an der Spitze der Gewalttätigkeitsskala. Selbst junge Türken geben Landsleute überdurchschnittlich oft als Täter an. 3. Die Ursachen der höheren Gewaltbelastung lassen sich nicht auf die häufig schwierigen sozialen Lagen reduzieren. Auch wenn der soziale Status der Familien (Sozialhilfebezug oder Arbeitslosigkeit der Eltern, niedriges Bildungsniveau) statistisch ausgeblendet wird, bleibt für männliche türkische Jugendliche eine eindeutig höhere Täterbelastung bestehen. Bei weiblichen Jugendlichen türkischer Herkunft gilt dies allerdings nicht. »Es handelt sich«, so die Autoren, »bei der Feststellung einer höheren Gewaltbelastung der jungen Türken in München nicht um einen artifiziellen Befund, der mit Hinweis auf Unterschiede der sozialen Lagen zu erklären wäre« (Wetzels u.a. 2001: 215). 4. Je länger die Aufenthaltsdauer, desto größer die Gewaltbelastung. Je länger die Aufenthaltsdauer in Deutschland währte, desto häufiger gaben die befragten türkischen Jugendlichen an, im Zeitraum der zurückliegenden zwölf Monate Gewalttaten begangen zu haben – am häufigsten, wenn sie in Deutschland geboren waren. Ein vergleichbares Bild ermittelte die Studie auch für andere ethnische Gruppen (ebd.: 207). Ähnliches ergibt sich auch aus den Befragungen für das Niveau innerfamiliärer Konflikte: Je länger die Aufenthaltsdauer, desto häufiger werden Konflikte innerhalb der Familien angegeben (ebd.: 210). 5. Bei türkischen Familien zeigt sich eine außerordentlich hohe Gewalt- und Misshandlungsrate. Die Gewaltbelastung innerhalb der Familien ist danach auch bei den verschiedenen Ethnien stark unterschiedlich ausgeprägt. Die stärkste Belastung durch schwere elterliche Gewalt in der Kindheit zeigt
—————— senpapier auf Basis aktueller Forschungsdaten (1999), www.kfn.de/strukturentwicklungjugend gewalt.htm sowie Christian Pfeiffer/Peter Wetzels (2000): Junge Türken als Täter und Opfer von Gewalt, KFN-Forschungsbericht Nr. 81), Hannover, www.kfn.de
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sich bei Jugendlichen aus türkischen Familien, unabhängig davon, ob sie bereits in Deutschland eingebürgert sind oder nicht. »Bei ihnen fallen vor allem die deutlich höheren Misshandlungsraten ins Auge, welche bei den nicht eingebürgerten jugendlichen Türken um das dreifache über der Rate der einheimischen Deutschen liegen« (ebd.: 243; auch: Toprak 2005: 132ff.). Ähnliches gilt auch für die von Jugendlichen beobachtete Gewalt zwischen den Eltern. Die türkischen Jugendlichen berichten dreimal häufiger als die einheimischen Deutschen, im letzten Jahr Partnergewalt der Eltern beobachtet zu haben. Gleiche Raten weisen auch eingebürgerte Jugendliche türkischer Herkunft auf (Wetzels u.a. 2001: 244). 6. Die höhere Gewaltbelastung ist real. Weder die häufig schlechte soziale Lage, das niedrige Bildungsniveau, noch ein selektives Anzeigeverhalten oder Mechanismen der Strafverfolgungsbehörden können also die höhere Gewaltbelastung insbesondere Jugendlicher türkischer Herkunft erklären. »Es ist nicht so, dass junge Migranten lediglich häufiger registriert werden, sondern es ist festzustellen, dass sie in der Tat häufiger Gewaltdelikte begehen«, stellen die Autoren fest (ebd.: 289).90 Sie führen die höhere Gewaltbelastung nach längerer Aufenthaltsdauer auf eine Integrationskrise und einen »inneren Kulturkonflikt« zurück. Die Vorstellungen der zugewanderten Jugendlichen orientieren sich im Laufe des Aufenthalts in Deutschland zunehmend an den hiesigen und treten in Konflikt zu den traditionellen Haltungen ihrer Eltern. Hinzu kommen die überdurchschnittlichen Gewalterfahrungen, die insbesondere türkische Kinder und Jugendliche innerhalb der eigenen Familien machen müssen. Solche Erlebnisse haben erfahrungsgemäß einen prägenden Einfluss auf das soziale Verhalten und die Bereitschaft, selbst Gewalt zur (vermeintlichen) Lösung von Konflikten oder zur Durchsetzung des eigenen Willens einzusetzen. Als weiteres Moment treten bei den männlichen Jugendlichen vor allem jene aus dem islamischen Kulturkreis stammenden Männlichkeitsvorstellungen hinzu, bei denen Gewalt eine herausgehobene Rolle spielt. »Die besonders hohe Gewaltrate männlicher türkischer Jugendlicher erscheint damit auch als Ausdruck eines Männlichkeitskonzeptes, das unter den sozialen Rahmenbedingungen unseres Landes mit wachsender Aufenthaltsdauer in eine tiefe Legitimationskrise gerät« (Pfeiffer/Wetzels 2000: 22). Das KFN hat seine Schülerbefragung im Jahr 2000 wiederholt (Wilmers/ Enzmann/Schaefer u.a. 2002). Die wesentlichen Ergebnisse der ersten Studie
—————— 90 Ähnliche Tendenzen zeigen auch Lösel/Bliesener 2003 auf. Sie haben in ihrer Schülerbefragung im Nürnberger Raum allerdings die Sonderschulen ausgelassen. Auch konnten nur Schüler mit ausreichenden Deutschkenntnissen an der Befragung teilnehmen (60; 84ff.).
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wurden dabei bestätigt. Die Autoren messen »gewaltlegitimierenden Männlichkeitsnormen« im Rahmen einer »Kultur der Ehre«, bei denen Jugendliche türkischer Herkunft die höchsten, die einheimischen Deutschen die niedrigsten Werte aufweisen, besondere Bedeutung zu (ebd.: 171ff.). Sie kommen zu dem Schluss: »Offensichtlich sind gewaltlegitimierende Männlichkeitsnormen generell zur Erklärung der Gewaltdelinquenz junger Männer bedeutsam. Ihre ethnisch-spezifische Ausprägung ist, neben der erlittenen Elterngewalt und der Bildungsbenachteiligung ein entscheidender Faktor zur Erklärung der erhöhten (Gewalt-)delinquenz bestimmter Ethnien« (ebd.: 184).
In einer 2004 veröffentlichten Studie haben die Autoren ihre Thesen modifiziert (Enzmann/Brettfeld/Wetzels 2004: 264ff.). Sie verweisen darauf, dass »gewaltlegitimierende Männlichkeitsnormen« auch bei einheimischen Jugendlichen mit niedrigerem sozioökonomischem Status »deutlich stärker ausgeprägt« sind. Daher müssen als Ursachenbündel soziale Marginalisierung, jugend- und geschlechtsspezifische Entwicklungsaufgaben sowie »durch Migrantenstatus geförderte Tendenzen zu kollektivistischen Orientierungen und subkulturelle Vergemeinschaftungen« angesehen werden. »Gewalt-legitimierende Männlichkeitsnormen finden sich nicht allein innerhalb von Gruppen jugendlicher Migranten, erfahren dort jedoch unter besonderen soziostrukturellen Bedingungen von Marginalisierung sowie äußeren und inneren Kulturkonflikten eine besondere Ausprägung« (ebd.: 269). »So verläuft die Trennlinie zwischen den stärker und weniger stark delinquenten Migrantengruppen nicht entlang der ethnischen Zugehörigkeit, sondern entlang der Ausgrenzung aus der deutschen Gesellschaft: Während eingebürgerte männliche Jugendliche ehemals türkischer Nationalität keine signifikant höhere Gewaltbelastung aufweisen, findet sich bei nicht eingebürgerten türkischen Jugendlichen ebenso wie bei Jugendlichen aus dem ehemaligen Jugoslawien und in der Gruppe der anderen Ausländer eine deutlich erhöhte Gewaltdelinquenz« (ebd.: 280).
Dies dürfte allerdings nichts mit einer integrationsfördernden Wirkung von Einbürgerungen zu tun haben, sondern damit, dass sich damals in vielen Fällen erfolgreich integrierte Personen um die deutsche Staatsangehörigkeit bemühten. Mit dem »Optionsmodell«, nach dem die Staatsangehörigkeit kraft Geburt massenhaft verliehen wird (wie bereits dargestellt), werden sich auch diese Befunde ändern. Christian Peiffer u.a. verweisen darauf, dass alle empirischen Daten (auch die Schülerbefragung des KFN aus dem Jahr 2005) darauf hindeuten, dass ein Ursachenbündel für die überdurchschnittliche Gewaltbelastung einzelner Gruppen von Zuwanderern verantwortlich ist: Die Tatsache, dass sich überdurchschnittlich viele Jugendliche mit Zuwanderungshintergrund sozial und wirtschaftlich nicht erfolgreich in der Aufnah-
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megesellschaft platzieren können, wodurch Frustration, Neid und Aggression entstehen. Die Tatsache, dass sich – insbesondere in ethnisch-sozialen Ballungsgebieten – Normen verstärken, die mit der Herkunftskultur und der Subkultur zu tun haben, in der die Jugendlichen aufwachsen und aufgrund ausbleibender Integration auch verbleiben. Schließlich die Tatsache, dass diese Gruppe häufiger angezeigt und von den Strafverfolgungsbehörden häufiger ins Visier genommen wird als einheimische Jugendliche. (Baier/Pfeiffer/Windzio 2006: 241ff.). Die kulturelle Dimension darf also keineswegs ausgeblendet werden: »Die höhere Gewaltbelastung der Migranten lässt sich zum Teil durch die kulturellen Differenzen zwischen Deutschen und Migranten im Bereich der Gewalt legitimierenden Männlichkeitsnormen erklären« (ebd.: 259). Baier, Pfeiffer und Windzio haben noch einmal darauf hingewiesen, dass natürlich auch manche deutsche Jugendliche diese Männlichkeits- und Ehrvorstellungen teilen, »mit der Folge, dass sie ebenfalls deutlich häufiger zu Gewalt neigen. Allerdings sind es sehr viel weniger Jugendliche, die sich zustimmend zu diesen subkulturellen Orientierungen äußern, was ein Grund dafür ist, dass es weniger gewalttätige deutsche Jugendliche gibt. Subkulturelle Vorstellungen über die normative Angemessenheit von Gewalt sind mithin ein entscheidender Faktor, der Migranten gewalttätiges Verhalten als Handlungsoption nahe legt« (ebd.: 260). Susanne Karstedt weist auf die Bedeutung kollektiver kultureller Grundhaltungen (wie kollektivistisch oder individualistisch) für die Entstehung von Gewalt in einer Gesellschaft hin: Im interkulturellen Vergleich zeigen kollektivistisch ausgerichtete Gesellschaften ein höheres Gewaltaufkommen (Karstedt 2001). Diese Befunde können nicht auf die Individuen, sondern nur auf soziale Einheiten bezogen werden. Es bleibt festzuhalten, »dass ein interkultureller Vergleich nicht impliziert, dass Individuen mit kollektivistischen Orientierungen tendenziell eher zu Gewalthandlungen neigen oder ihre Gewaltbereitschaft höher ist. Der interkulturelle Vergleich bezieht sich auf ein gesamtes kulturelles Muster innerhalb eines Kollektivs, und daher kann er zunächst nur demonstrieren, dass das Ausmaß von Gewalt in sozialen Einheiten – Gruppen, Ländern – höher ist, in denen kollektivistische Orientierungen vorherrschen« (ebd.: 238).
Ethnisch-soziale Unterschichtenkonzentrationen, wie sie sich in Deutschland entwickelt haben, stellen vielfach »gesellschaftliche Nischen kollektivistischer Orientierung […] [dar], die dann auch mit einem hohen Gewaltniveau verbunden sind« (ebd.: 240). Das Verständnis von Ehre im traditionell türkisch-islamischen Raum ist – wie bereits angedeutet – eine der wesentlichen Ursachen für das hohe Gewaltpotential der aus den ländlichen Räumen und den Gecekondus der türkischen Großstädte kommenden Bevölkerung. Sie steht in engem Zusammenhang mit
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dem traditionellen Frauenbild, der Haltung zur Sexualität und der damit verbundenen Rechtfertigung von Gewalt. Ahmet Toprak spricht in diesem Zusammenhang von einer »Doppelmoral der Ehre« (Toprak 2005: 149), weil einerseits den Jungen und Männern sexuelle Freizügigkeit zugebilligt wird (oder diese zumindest nicht mit gesellschaftlichen Sanktionen versehen wird) und andererseits Frauen jeder Anspruch auch auf ein Mindestmaß an Selbstbestimmung und vor allem an Menschenwürde versagt bleibt (Toprak 2005a: 140ff.; auch: Tertilt 1996 189ff.). »Die Eigenschaften eines ehrenhaften Mannes sind Virilität, Stärke und Härte. Er muss in der Lage sein, auf jede Herausforderung und Beleidigung, die seine Ehre betrifft, zu reagieren und darf sich nicht versöhnlich zeigen« (Toprak 2005a: 152). Die religiöse Bindung jugendlicher Zuwanderer haben Peter Wetzels und Katrin Brettfeld untersucht (Wetzels/Brettfeld 2003). Sie legten dabei die Daten aus der repräsentativen KFN-Befragung des Jahres 2000 von 11.000 Schülern aus vier Städten und einem Landkreis in Deutschland zugrunde. Sie kommen zu folgenden Ergebnissen: Muslimische Jugendliche messen ihrer Religion im Alltag – unabhängig von der Aufenthaltsdauer in Deutschland – eine herausragende Bedeutung zu. Für rund zwei Drittel der Befragten ist der Islam »wichtig« oder »sehr wichtig«. »Damit ist die subjektive Bedeutsamkeit der Religion im Vergleich zu allen anderen Religionsarten für die muslimischen Jugendlichen mit Abstand am höchsten. Auffallend ist, dass dies besonders für die muslimischen Jugendlichen aus der Türkei, dem Nahen Osten und Nordafrika gilt. In etwas geringerem Maße ist das bei jenen aus dem ehemaligen Jugoslawien anzutreffen« (ebd.: 95).
Statistisch besteht ein Zusammenhang zwischen ausgeprägt islamischer Orientierung, sozialer Deklassierung und mangelnder Integration. »Während bei einheimischen Jugendlichen eine hohe Religiosität mit günstigen sozioökonomischen Rahmenbedingungen einhergeht, verhält sich dies bei den Migranten umgekehrt: Im Falle hoher Religiosität ist bei ihnen der sozioökonomische Status der Eltern niedriger, die Wohnsituation beengter, der elterliche Bildungsabschluss geringer sowie das eigene Bildungsniveau der Jugendlichen ebenfalls niedriger. Deutlich ist allerdings bei den muslimischen Jugendlichen, dass das Bildungsniveau dann am niedrigsten im Vergleich aller Migrantengruppen ausfällt, wenn ihre Religiosität stark ausgeprägt ist. Ferner erweist sich, dass die sprachlich-soziale Integration der muslimischen Jugendlichen im Vergleich aller Religionsarten und auch innerhalb der Migrantengruppen am geringsten entwickelt ist. Diese fällt innerhalb der Gruppe der muslimischen Jugendlichen dann besonders niedrig aus, wenn eine sehr hohe religiöse Bindung festzustellen ist. […] In der Summe sind von daher stark islamisch religiös geprägte Jugendliche jene Gruppe, bei der sowohl wirtschaftliche Rahmenbedingungen, über Bildung vermittelte Zukunftsoptionen als auch die sprachlich-soziale Integration vergleichsweise am schlechtesten ist« (ebd.: 124).
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Muslimische Jugendliche erleben wesentlich häufiger als andere innerfamiliäre Gewalt. Gewalt hat als Mittel der Erziehung einen hohen Stellenwert. »Je stärker diese [religiöse] Bindung ausgeprägt ist, desto deutlicher ist bei den muslimischen Jugendlichen die Tendenz, Gewalt als Erziehungsmittel einzusetzen« (ebd.: 142). Im Islam ist, anders als in allen anderen religiösen Gemeinschaften, mit erhöhter Religiosität keine stärkere Ablehnung jugendlichen Gewalthandelns durch die Eltern verbunden. Hier besteht in mehrfacher Hinsicht ein bemerkenswerter Unterschied zwischen muslimischen Jugendlichen und Jugendlichen anderer religiöser Bekenntnisse »mit Blick auf ihre familiären Sozialisationserfahrungen und normativen Erwartungen seitens der Eltern, die in Richtung auf eine stärkere Gewaltakzeptanz und Gewalterfahrung bei muslimischen Jugendlichen wirken« (ebd.: 143). Wirkt sich die religiöse Orientierung im christlichen Bereich als »Schutzfaktor« vor Gewalt aus, kann dies im muslimischen Zusammenhang nicht festgestellt werden (ebd.: 165). Vielmehr korrelieren islamisch-religiöse Orientierungen und gewaltlegitimierende Männlichkeitsnormen: »In der Summe lässt sich somit festhalten, dass muslimische Jugendliche in stärkerem Maß zur Übernahme normativer Vorstellungen im Sinne des Konzeptes der Kultur der Ehre neigen, als das für Jugendliche anderer Religionsgruppen festgestellt werden kann. Dabei gilt weiter, dass bei muslimischen Jugendlichen diese Akzeptanz umso ausgeprägter ist, je stärker ihre religiöse Bindung ist, bei christlichen Migranten ist das nicht der Fall« (ebd.: 159).
Unterliegen muslimische Mädchen einer ausgeprägten elterlichen Kontrolle (im Vergleich zu den Jungen), weisen auch sie eine besonders hohe Gewaltbefürwortung auf (ebd.: 173). Elterliche Kontrolle findet vor allem gegenüber den Töchtern statt, sie ist gegenüber Söhnen, unabhängig vom Grad der Religiosität wesentlich geringer ausgeprägt. Die elterliche Kontrolle wirkt sich keineswegs Gewalt reduzierend aus: »Die Einzelbetrachtung offenbart, dass sich nun die Muslime von den christlichen Ausländern signifikant abheben, d. h. bei gleicher sozialer Lage und gleicher familiärer Gewalterfahrung wirkt offenkundig die elterliche Supervision bei den muslimischen Jugendlichen weniger stark als das für die christlichen Ausländer gilt. Dies unterstreichen die […] Zweifel hinsichtlich der gewaltreduzierenden Effekte elterlicher Supervision bei muslimischen Jugendlichen, angesichts ihrer normativen Haltung gegenüber Jugendgewalt, also dem, was ein Inhalt der Supervision sein kann« (ebd.: 181).
Die Autoren der Studie kommen zu dem Schluss, dass jugendliche Angehörige islamisch geprägter Kulturen Gewalt deutlich stärker befürworten als Jugendliche mit christlicher Religionszugehörigkeit. »Während bei christlichen Jugendlichen weiter gilt, dass mit erhöhter religiöser Bindung auf der Einstellungsebene eine deutlich verringerte Befürwortung von Gewalt festzustellen ist, gilt dies für die muslimischen Jugendlichen nicht. Allerdings lässt sich eine These, wonach
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eine hohe religiöse Bindung innerhalb des Islam mit vermehrter Gewaltbefürwortung einhergeht, empirisch so nicht stützen. Es ist vielmehr so, dass die religiöse Bindung im Falle des Islam nicht den Schutzfaktor mit Blick auf Gewalteinstellungen darstellt, wie es bei christlichen Jugendlichen der Fall ist. Eine einfache Gleichung der Art, je stärker islamischreligiös, desto gewaltbereiter, trifft die tatsächlichen empirischen Verhältnisse nicht. […] Insgesamt ergibt sich somit ein konsistentes Bild dahingehend, dass muslimische Jugendliche sowohl auf der Einstellungs- als auch auf der Verhaltensebene eine deutlich stärkere Neigung zu Gewalt erkennen lassen. Diese scheint vor dem Hintergrund kulturell und insofern partiell auch über religiöse Traditionen beschreibbarer Konzepte von Ehre und Selbstwertbehauptung, die Gewaltanwendung normativ teilweise sogar fordern, erklärlich zu sein« (ebd.: 186f.).
Organisierte Kriminalität: »Ethnisch abgeschottete Subkulturen« Hochkriminelle und extrem abgeschottete Clan-Strukturen kennzeichnen große Teile der Libanon-Flüchtlinge sowie die Angehörigen der religiösen Minderheit der »Yeziden«, vorwiegend türkische Kurden. Ihre regionalen Schwerpunkte in Deutschland liegen in Berlin, Bremen, Niedersachsen (unter anderem Celle) und Nordrhein-Westfalen. Sie weisen eine besonders hohe Kriminalitätsbelastung auf (vor allem bei der Gewalt- und der Organisierten Kriminalität) (Luft 2003: 227ff.). Hier ist ohne Zweifel die Rede von »Parallelgesellschaften« gerechtfertigt. Der Personenkreis ist meist vor dem »Türkisierungsdruck« in der Heimat geflohen, und baut in Deutschland die »religiösen, ihre Stammes-, Dorf- und Sippengemeinschaften« wieder auf (Kleff 1985: 246). Untersuchungen belegen darüber hinaus ein besonders ausgeprägtes Abschottungsverhalten, das sich trotz langjährigen Aufenthalts eher verstärkt hat. Polizeifachleute aus Bund und Ländern sprechen deshalb von »ethnisch abgeschotteten Subkulturen«.91 Das Jugendamt Neukölln und seine fachübergreifenden Regionalteams haben übereinstimmend festgestellt, »dass bei den Eltern in den beiden Nordregionen kaum eine Bereitschaft zur Zusammenarbeit besteht. Insbesondere arabische Eltern scheinen völlig unzugänglich« (Bezirksamt Neukölln von Berlin, Abteilung Jugend 2004: 8). Bei den »Libanon-Flüchtlingen« handelt es sich um Bürgerkriegsflüchtlinge, die zwar kein Asyl zugesprochen bekamen, jedoch nicht abgeschoben werden konnten: entweder weil der Flughafen Beirut wegen der Kampfhand-
—————— 91 Über eine unveröffentlichte Untersuchung von Fachleute der Polizeien von Bund und Ländern berichtet der Spiegel: »Blutige Selbstjustiz. Polizeiexperten warnen: Ethnisch abgeschottete Mafia-Clans sind kaum noch zu durchdringen. Die Gerichte tragen Mitschuld«, Spiegel 50/2004.
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lungen geschlossen war oder weil sie durch Vernichtung oder Verstecken ihrer Reisedokumente und Angabe falscher Namen massenhaft ihre Identität verschleierten und auf diese Weise die Beendigung ihres unrechtmäßigen Aufenthaltes in Deutschland unmöglich machten (hierzu die grundlegende Arbeit von Ghadban 2000: 7ff.). Auch der Libanon verhinderte durch Visa-Vorschriften, dass insbesondere Palästinenser wieder zurückkehrten (Ghadban 2000: 76). Im Umgang mit diesem Personenkreis werden einmal mehr die Hilflosigkeit und das Fehlen von Konzepten in der deutschen Asylpolitik überdeutlich. Die Gruppe setzt sich zusammen aus Libanesen, Palästinensern und einer ursprünglich aus der Südosttürkei stammenden kurdischen Minderheit, den Mhallamiye-Kurden. Sie galten in vielen Fällen als Staatenlose oder als Personen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit. Eine Recherche im Berliner Einwohnermelderegister ergab, dass jene in der Ausländerstatistik unter »Staatenlos« oder »Staatsangehörigkeit ungeklärt« Erfassten, zum allergrößten Teil Palästinenser und Kurden aus dem Libanon (oder der Türkei) sind (Henninger 2002: 717; Ghadban 2000: 69). Schlepperorganisationen brachten sie in den 1980er Jahren über die DDR und Ostberlin nach Westberlin. Aufgrund geltender Abschiebestopps stellten sie häufig gar keinen Asylantrag, sondern beantragten eine Duldung. Dies hatte den Vorteil, dass sie in Berlin – bei bereits dort lebenden Landsleuten – bleiben konnten und nicht auf die anderen Länder verteilt wurden. Durch Berliner Altfallregelungen der Jahre 1984 und 1987 erhielten sie dann ein verfestigtes Aufenthaltsrecht (eine Aufenthaltserlaubnis) – obwohl sie nie Asyl zugesprochen bekommen hatten und unabhängig davon, ob sie Sozialhilfe bezogen oder nicht (Ghadban 2000: 9f., 165f.). Dieser Aufenthaltsstatus gab ihnen umfassende Rechte, er macht für die Betroffenen »keine bedeutenden Unterschiede zwischen den Besitzern einer Aufenthaltserlaubnis und Eingebürgerten« (ebd.: 196). Die Frage einer möglichen Rückführung nach Beendigung der gewalttätigen Auseinandersetzungen in der Herkunftsregion war offensichtlich nirgends ernsthaft erwogen worden. »Die Gefahr, nach dem Ende des Bürgerkriegs im Libanon 1990 die Aufenthaltsbefugnis zu entziehen, hat nie bestanden. Alle Betroffenen gingen davon aus, dass die Behörden aus humanitären Gründen nie zu dieser Maßnahme greifen werden, was auch nicht der Fall war« (ebd.: 196). Ein großer Teil des Personenkreises wurde schließlich eingebürgert, obwohl er nie zu den anerkannten Flüchtlingen gehörte und in sehr vielen Fällen Sozialhilfe bezog. Die Einbürgerungsquote war ausgerechnet hier überdurchschnittlich hoch (ebd.: 197f.). Sie wiederum erleichterte den Nachzug von Ehepartnern aus dem Libanon. Ohne Eingebürgerte und sich illegal aufhaltende Personen geht es um eine Gruppe von rund 10.000 Personen, von denen rund 7.000 über eine Aufent-
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haltserlaubnis mit Erwerbserlaubnis verfügen (Landeskommission Berlin 2007: 60). Ihr Siedlungsgebiet liegt vor allem in Wedding und Neukölln-Nord. Verteilung auf die Berliner Bezirke
Libanesische Staatsangehörige, Staatenlose und Personen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit gehören zum allergrößten Teil dem gleichen Personenkreis an: Palästinensern und Kurden aus dem Libanon (oder der Türkei). Ihre Verteilung auf das Berliner Stadtgebiet weist über die Jahre eindeutige Schwerpunkte in den ethnischen Kolonien auf. Quelle: Statistisches Landesamt Berlin
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In seiner Untersuchung weist Ghadban nach, dass diese Personengruppe im Laufe der Jahre und Jahrzehnte ihres Aufenthalts in Deutschland keinerlei Integrationsfortschritte gemacht hat, sich vielmehr zunehmend separiert und auf ihre Großfamilien, die Clanstrukturen und die Herkunft konzentriere. Von den von Ghadban befragten Personen waren 80 Prozent in Berlin geboren oder lebten seit über fünf Jahren in der Stadt (Ghadban 2000: 172). Die Sprachkenntnisse waren so schlecht, dass die übliche Skala von eins bis sechs (sehr gut bis ungenügend) auf eins bis zehn ausgeweitet werden musste. Von den befragten 234 Erwachsenen mussten alleine 52 der Kategorie »zehn«, Personen, »die kein einziges Wort Deutsch kannten und die deutsche Sprache als vollkommen fremd betrachteten« (ebd.: 173), zugerechnet werden. Aufgrund ihres gesicherten Aufenthaltsstatus konnten sie in vollem Umfang von wohlfahrtsstaatlicher Versorgung profitieren. Sie erhielten nunmehr den vollen Sozialhilfesatz. Über die Hälfte der befragten Familien lebte in Sozialwohnungen. Drei Viertel der Väter waren arbeitslos; von jenen, die einer offiziellen Arbeit nachgingen, bezog ein Teil noch ergänzende Sozialhilfe (ebd.: 203f.). Bei diesen Familien wird ohne (oder nur durch geringe) eigene Arbeitsleistung ein Wohlstand erreicht, der in der Heimat nie erreicht worden wäre. Die wohlfahrtsstaatliche Versorgung bedeutet für die Betroffenen, die in ihrer Heimat zu den Ärmsten gehörten, einen enormen sozialen Aufstieg. Ralph Ghadban (ebd.: 201) kommt zu dem Ergebnis: »Verglichen mit den Slums und Flüchtlingslagern im Libanon, wo sie lebten, stellen die jetzigen Unterkünfte eine enorme Verbesserung dar. Es ist, als ob sie im Libanon mehrere soziale Stufen erklommen hätten, von der alleruntersten bis zur mittleren Stufe der Mittelschicht. Sie verdienen alle z. B. mehr als ein Professor an der Amerikanischen Universität in Beirut. Selbst unter deutschen Verhältnissen schneiden sie nicht schlecht ab«.
Für die häufig mangelhaft qualifizierten Zuwanderer und ihre Nachkommen standen und stehen aufgrund des Strukturwandels keine Arbeitsplätze zur Verfügung. Daneben besteht keinerlei Anreiz, durch die Aufnahme legaler Arbeit den Lebensunterhalt zu bestreiten. So ist der Wille, geregelter Arbeit nachzugehen, nach den Feststellungen Ghadbans bei den Libanon-Flüchtlingen angesichts der Höhe der Sozialleistungen nur schwach ausgeprägt. »In den Gesprächen wurde klar, dass in vielen Fällen eine Arbeit überhaupt nicht gesucht wurde. […] [Angesichts der für die Wohnungen] bezahlten Vermittlungsgelder und der Ausstattung der Wohnungen sowie den Reisen in den Libanon […] kann die Arbeitssituation des Personenkreises wie folgt eingeschätzt werden: Ein Drittel, aber keineswegs weniger, bis zur Hälfte, eher mehr als die Hälfte, der Väter wollen keine geregelten Arbeitsverhältnisse, weil das Einkommen kaum die Sozialhilfe erreichen wird. Eine Arbeit würde bedeuten, zeitlich gebunden zu sein ohne Einkommenssteigerung. Aus diesem Grund läuft die Lebensplanung in eine andere Richtung, nämlich die Sozialhilfe als festes Einkommen zu
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betrachten und die noch freie Arbeitskraft in der Schwarzarbeit einzusetzen. Das führt zu spürbaren Einkommensverbesserungen« (ebd.: 205).
Dass diese »Einkommensverbesserungen« auch auf Erlöse aus schwerkrimineller Betätigung zurückgehen können (wie Rauschgifthandel, Aktivitäten im Rot-Licht-Milieu), darauf verwies der damalige Inspektionsleiter für Organisierte Kriminalität beim Landeskriminalamt (LKA) Berlin, Markus Henninger. Von den 14 namentlich erwähnten Interviewpartnern Ralph Ghadbans sind ihm mindestens drei als »relevante Personen des OK-Milieus« bekannt (Henninger 2002b: 15). Der Rauschgifthandel gehört zum bevorzugten Beschäftigungsfeld dieser Personengruppe. Markus Henninger schildert ein Beispiel: »Bei einer libanesisch-kurdischen Großfamilie wurden zehn Kilo Kokain bei der Einfuhr aus Paris sichergestellt. Insgesamt konnten über diese Gruppierung die Einfuhr von über 60 Kilo Kokain nach Berlin nachgewiesen werden. Der Organisator war Sozialhilfeempfänger und bei der Durchsuchung wurden 415.000 DM in seinem Tresor gefunden, dazu ein DaimlerBenz im Wert von 120.000 DM«92.
Die Täter aus diesem Personenkreis gelten allgemein als besonders brutal und aggressiv (Henninger 2002a; Henninger/Susebach 2005). Einer der Berliner Clan-Chefs trat als »Personenschützer« beim Besuch von Yassir Arafat in Deutschland auf. Die ARD dokumentierte dies in ihrer Sendung »Report«: »Khaled Ali Khan ist der Organisator und Mitglied einer Großfamilie, die seit Jahren mit Schießereien um die Vorherrschaft auf dem Drogenmarkt kämpft. Der 28-Jährige wurde später zu zehn Jahren Haft verurteilt. Arnd Bödeker von der Staatsanwaltschaft Berlin erzählt: ›Der Verurteilte ist nach den Feststellungen des Urteils auch im Besitz einer halbautomatischen Selbstladewaffe gewesen, obwohl er dafür nicht die erforderliche Erlaubnis hatte‹ Nur wenige Wochen vor seiner Festnahme begleitete der schwerkriminelle Libanese mit der Pistole in der Tasche Yassir Arafat bei seinem Berlinbesuch als Bodyguard – auf Tuchfühlung mit Bundeskanzler Gerhard Schröder und Bundespräsident Johannes Rau. Eine unvorstellbare Sicherheitslücke und ein Beweis dafür, wie weit nach oben Berlins kriminelle Libanesen bereits gekommen sind«.93
Konflikte zwischen den Clans werden meist außerordentlich gewalttätig ausgetragen. Außen vor bleiben die deutschen Strafverfolgungsorgane in diesen Fällen dann, wenn sich der traditionelle »Friedensrichter« einschaltet und die Auseinandersetzung auf seine Weise regelt.
—————— 92 Sendung vom 10. Mai 2004, http://www.br-online.de/daserste/report/archiv/2004/00138/ [10. März 2005] 93 Ebd.
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Kriminalitätsbelastungen
Die weit gehend identische Personengruppe »Libanesen«, »Staatsangehörigkeit ungeklärt« und »staatenlos« weist eine besonders hohe Kriminalitätsbelastung auf. »Illegale«, Touristen und Durchreisende sind hier bereits herausgerechnet. Quelle: Mitteilung des Landeskriminalamtes Berlin
Die Einnahmen aus Sozialhilfe, Schwarzarbeit oder Kriminalität machen die Aufnahme einer geregelten Arbeit weit gehend überflüssig. Die Sozialhilfe wird als »Regeleinkommen« betrachtet (Ghadban 2000: 205). Das wiederum trägt wesentlich dazu bei, dass sich die Betroffenen wieder stark auf überkommene traditionelle Strukturen zurückbesinnen, wie sie sich im Libanon bereits in der Auflösung befunden hatten. Das gilt bespielsweise auch für die Arbeitsaufnahme durch Ehefrauen, die die befragten Männer weitestgehend ablehnten. »Hier in Deutschland ist es den Vätern mit der Aufhebung der akuten materiellen Not möglich, die Rollenteilung wiederherzustellen, mindestens formal – die meisten Väter arbeiten ja nicht – ihre ›Würde‹ nach ihrem patriarchalischen Verständnis wiederzuerlangen« (ebd.). Ähnliches gilt für die Geburtenrate, die im Libanon stark zurückgegangen war. Dort bestehen nur noch elf Prozent der Familien aus mehr als acht Personen, bei der Gruppe in Berlin liegt der Durchschnittswert hingegen bei 7,7 Personen (ebd.: 206). Die Einbettung in das wohlfahrtsstaatliche System ermöglicht die Rückorientierung auf in der Heimat bereits aufgelöste soziale Muster. Es besteht kein
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Zwang, eine geregelte Arbeit zu suchen, der Arbeitsplatz als Ort der Integration entfällt. »Bei unserer Gruppe fehlt diese integrative Instanz. Als Sozialhilfebezieher haben sie die bessere Lebensbedingung erreicht, ohne den dazugehörenden Prozess zu durchlaufen« (ebd.: 209). Die sozialen Kontakte finden überwiegend innerhalb der eigenen ethnischen Gruppe statt, die Einstellungen gegenüber der deutschen Gesellschaft sind überwiegend negativ. Vorstellbar ist für die meisten eine friedliche Koexistenz, aber keine Integration (ebd.: 263f.). Die Eheschließung Minderjähriger und die Mehrehe, wie sie nach islamischem Familienrecht erlaubt sind, werden nicht selten praktiziert. »Manche, die schon verheiratet sind, heiraten islamisch eine zweite Frau, in der Regel eine deutsche Frau. Das stellt keinen Verstoß gegen das Gesetz dar, weil die zweite Ehe nicht vom deutschen Staat anerkannt wird, aber in den Augen des Betroffenen völlig gültig ist. Eine nicht seltene Praxis in den 80er Jahren bestand darin, eine deutsche Frau wegen des Aufenthalts zu heiraten. Dafür ließen sich die Männer vor dem Standesamt von ihren arabischen Frauen scheiden, um neu zu heiraten. Die alte Ehe blieb aber islamisch bestehen, und die Männer pendelten zwischen beiden Wohnungen« (ebd.: 257).
Die Gemeinschaft der Yeziden hat sich aus der Türkei inzwischen nahezu vollständig nach Deutschland verlagert und hier die überkommenen Dorfstrukturen faktisch wiederhergestellt. Heiratsregeln werden strikt durchgesetzt, häufig wird innerhalb der unmittelbaren Verwandtschaft geheiratet. Ein extrem ausgeprägtes Verständnis von »Ehre« ist die Ursache gehäuft auftretender Tötungsdelikte.94 Deutliche Verbindungen sind auch zu den Nachfolgeorganisationen der in Deutschland verbotenen PKK festzustellen. Angehörige der Minderheit der Yeziden sind auch stark an der organisierten Kriminalität beteiligt – unter anderem am Drogenhandel und der Prostitution. In vielen Fällen haben diese Personen ihre Aufenthaltsrechte in Deutschland von Beginn an unter falschen Behauptungen erlangt. Auf diese Weise bezogen sie über viele Jahre unberechtigter Weise für ihre Großfamilien Sozialleistungen erheblichen Umfangs. Ein Fall soll hier dokumentiert werden: Mahmut B. (alias: Mahmmoud Alzayn) behauptete, im März 1986 mit seinen Eltern in die Bundesrepublik Deutschland eingereist zu sein. Seine Eltern gaben im Rahmen des Asylverfahrens an, sie seien Staatenlose aus dem Libanon, ihr Sohn sei 1975 in Beirut geboren. Später wurde als Geburtsjahr 1968 genannt. Der Asylantrag wurde 1987 zurückgezogen und Aufenthaltsgenehmigungen als Staatenlose beantragt. Im April 1987 stellte Mahmut B. unter dem Alias-Namen »Ahmet Omeirat« (geboren 1968 in Beirut) einen erneuten
—————— 94 Vgl. den Beitrag in der ZDF-Sendung »Frontal 21« vom 14. Februar 2005 »Zum Heiraten gezwungen«: http://www.zdf.de/ZDFde/inhalt/28/0,1872,2261788,00.html [10. März 2005].
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Asylantrag. Jetzt behauptete er, 1987 nach Deutschland eingereist zu sein, aus dem Libanon zu stammen und kurdischer Volkszugehörigkeit zu sein. Erneut wurde der Asylantrag zurückgezogen und eine Aufenthaltsgenehmigung als Staatenloser beantragt. 1990 heiratete Mahmut B. nach islamischem Recht die in Bremen lebende Zabida Al-Zain (die angab, 1972 im Libanon geboren zu sein). In den Jahren 1991 bis 2002 wurden sieben Kinder geboren. Im Dezember 1991 präsentierte Mahmut B. eine Bescheinigung der libanesischen Botschaft, wonach er nicht die libanesische Staatsangehörigkeit besitze und daher von dort auch keinen Pass erhalten könne. Im Oktober 2002 wurde er dem türkischen Generalkonsul in Essen vorgeführt. Gürci B. (alias: Zabida Alzain) behauptete, im Oktober 1988 nach Deutschland eingereist zu sein und stellte unter der Alias-Personalie »Zabida Al-Zain, geboren 1972 in Beirut« einen Asylantrag. Dabei behauptete sie, libanesische Staatsangehörige zu sein. Nachdem sie zunächst mit ihrer Familie untergetaucht war, stellte ihre Mutter für sich und die Kinder einen neuen Asylantrag. Als Identität wurde »Leila Nahmi, geboren 1973 in Bir Hassan« angegeben. Sie seien Kurden aus dem Libanon. Diese Anträge wurden später wieder zurückgezogen. Im Dezember 1991 beantragte Gürci B. unter der Alias-Identität »Zabida Alzayn« eine Aufenthaltsgenehmigung. Diese erhielt sie, weil sie aufgrund ihrer Falschangaben dem Kreis der staatenlosen Kurden aus dem Libanon zugerechnet wurde, für den man eine Rückkehr für nicht zumutbar hielt. Umfangreiche Ermittlungen deutscher Behörden – in Zusammenarbeit mit türkischen Stellen – ergaben, dass sowohl Mahmut B. als auch seine Ehefrau zweifelsfrei türkische Staatsangehörige sind. Sowohl Gürci B. als auch ihre Eltern und ihre 14 Geschwister sind im türkischen Standesregister als türkische Staatsangehörige aufgeführt. Unter anderem konnte ermittelt werden, dass Gürci B. in Izmir eine Grundschule besucht hat. Mahmut B., seine Eltern und seine beiden Brüder sind ebenfalls als türkische Staatsangehörige im türkischen Standesregister eingetragen. Die in Deutschland geborenen Kinder sind nach türkischem Recht ebenfalls türkische Staatsangehörige. Inzwischen wurden Passpapiere beschafft und die Ehefrau mit den Kindern in die Türkei abgeschoben. Der Ehemann konnte sich der Abschiebung bisher entziehen, da er den türkischen Wehrdienst verweigerte und deshalb ausgebürgert wurde. Er hat damit erfolgreich sein Abschiebungshindernis selbst geschaffen. Beim Landtag Nordrhein-Westfalen wurde eine Petition eingereicht, wonach die Frau und die Kinder nach Deutschland zurückgeholt werden sollten, um die Familie in Deutschland zusammenzuführen. Nach Angaben des Kreises Soest/Westfalen hat die Stadt Soest für die Familie B. (von 1986 bis Mitte 2003) insgesamt rund 214.000 Euro Sozialhilfe
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aufgebracht. Hinzu kommt die Arbeitslosenhilfe in Höhe von rund 50.000 Euro: Insgesamt hat die Familie damit rund 265.000 Euro staatlicher Unterstützung erhalten, wobei die Krankenversicherungskosten noch nicht enthalten sind. Sämtliche Aufenthaltstitel wurden durch Täuschung der deutschen Behörden mittels Angabe falscher Identitäten und damit durch Straftaten erlangt. Durch ihr Verhalten haben sich die Eheleute Sozialleistungen größeren Ausmaßes erschlichen.
Gewalt gegen Frauen Zwei Morde waren in den vergangenen Jahren Anlass für integrationspolitische Debatten: Die Hinrichtung des niederländischen Filmemachers und Provokateurs Theo van Gogh durch einen islamischen Extremisten im November 2004 und der Berliner Türkin Hatun Sürücü im Februar 2005 durch einen ihrer Brüder. Bei der Ermordung in Berlin handelte es sich bereits um den sechsten »Ehrenmord« vor islamischem Hintergrund in fünf Monaten in der Stadt.95 Vier der Täter und der Opfer stammten aus den kurdischen Gebieten der Türkei.96 Unter den Kurden Ost- und Südanatoliens spielen Stammestraditionen bis in die Gegenwart eine zentrale Rolle (Kleff 1985: 33f.). Das kurdischstämmige Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, Giyasettin Sayan, analysiert den Hintergrund und die Motive der Berliner Morde: »Sie [Opfer und Täter] stammten aus kurdischen Gebieten, aus Gebieten, wo noch feudale Verhältnisse, also Stammesstrukturen, herrschen, wo die Familie eine große Rolle spielt, Blutsverwandtschaft sehr wichtig ist und die Menschen sich gegenseitig kontrollieren. […] Dort heißt es, die Frau ist eine Ehre des Mannes, des Stammes, der Familie. Wenn jemand diese Ehre verletzt, ist das eine Kränkung der Familie und des Stammes, eine kollektive Entehrung, und dann muss etwas geschehen. Das kann heißen, die Tötung der Frau und auch des Mannes, der das getan hat. Das ist ein ungeschriebenes Stammesgesetz in dieser Kultur.«97
Diese überkommenen Vorstellungen (Wilms 2009: 74ff.) wurden zunächst durch die innertürkische Binnenwanderung in die Gecekondus der großen Städte getragen und von dort aus in die westdeutschen Industriezentren. Fanden diese Vorstellungen von Ehre und Moral und ihre inhumanen Konsequenzen, solange sie sich »weit hinten in der Türkei« abspielten, keine besondere Beachtung, so stehen Ehrenmorde jetzt im Zentrum des öffentlichen
—————— 95 »UN: Weltweit 5000 Opfer pro Jahr«, in: Die Welt vom 19. Februar 2005. 96 Vgl. »Tatmotiv Ehre?«, in: taz vom 22. September 2005. 97 »Diese Familien leben nach Stammesgesetzen«. Interview mit Giyasettin Sayan in: taz vom 22. September 2005.
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Interesses (Bundeskriminalamt 2006). Der türkische Schriftsteller Aras Ören stellt fest: »Es gibt verschiedene kulturelle Zeiten, die nebeneinander am gleichen Ort existieren.«98 Generell finden solche Morde »im Namen der Ehre« auf Beschluss des Familienrates statt. Ein – aus Sicht der Familie so empfundener – »Fehltritt« einer Tochter wird in der ethnischen Gruppe als Skandal angesehen, das Ansehen der Familie – insbesondere die Ehre ihrer männlichen Mitglieder – gilt als verletzt. Dies erfordert Genugtuung. Für die daraus resultierenden Gewalttätigkeiten, wie Mordversuche, werden meist die jüngeren Brüder ausgesucht, weil darauf spekuliert wird, dass sie noch unter das Jugendstrafrecht fallen. »Ein solcher Beschluss wird häufig auf die minderjährigen (männlichen) Familienmitglieder übertragen, weil bekannt ist, dass das deutsche Strafrecht für Jugendliche ›lediglich‹ eine Höchststrafe von zehn Jahren vorsieht. Welches männliche Familienmitglied den Anschlag verübt, ist unerheblich, entscheidend ist, dass die Familie reagiert und der Schaden beziehungsweise die Strafe, die der Täter auf sich nimmt, so gering wie möglich ist« (Toprak 2005: 159; Kleff 1985: 210ff.).
Die politische Botschaft dieser öffentlichen Hinrichtungen ist unmissverständlich und für die Adressaten unüberhörbar: Auf den Ausbruch aus den überkommenen Ehrvorstellungen steht die Todesstrafe. Hintergrund dieser Morde sind nicht individuelle Eifersuchtsdramen, sondern der Versuch, mittels Einschüchterung die kulturelle Hegemonie und die männlich bestimmte Ordnungsmacht aufrecht zu erhalten. Mittels dieser öffentlichen Hinrichtungen wird jedes Ausbrechen mit dem Tode bedroht. »Das ist das Schlimme, dass Familien, die sich seit Jahrzehnten hier befinden, noch immer unter der Kulturhoheit des Stammes, des asiret, stehen, und auch unter dessen Bildungs- und Erziehungshoheit – dass also nicht Berliner oder deutsche Institutionen, Erziehungsinstitutionen, Schule etc., die Hoheit über die Kinder haben, sondern der Stamm und die Familie. Das ist ein Phänomen, über das man wirklich sehr viel mehr forschen und berichten müsste.«99
Einer repräsentativen Untersuchung im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend aus dem Jahr 2004 zufolge, leiden türkische und türkischstämmige Frauen in Deutschland unter einem hohen Maß an Gewalt. So gaben 30 Prozent der türkischstämmigen befragten Frauen, die zum Befragungszeitpunkt in einer festen Paarbeziehung lebten, an, durch den
—————— 98 »Das ist eben auch ein Teil dieser Kultur«. Interview mit Aras Ören in der taz vom 5. Oktober 2005. 99 »Diese Familien leben nach Stammesgesetzen«. Interview mit Giyasettin Sayan in: taz vom 22. September 2005.
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Partner körperliche oder sexuelle Gewalt erlebt zu haben (gegenüber 18 Prozent der osteuropäischen Migrantinnen und 13 Prozent aller Befragten) (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2004: 121). Dabei lag sowohl die Schwere der Gewalthandlungen besonders hoch als auch der Anteil jener Frauen, die angaben, in den vergangenen fünf Jahren mehrfach von Gewalttätigkeit betroffen gewesen zu sein (ebd.: 124ff.). Die Täter stammen meist aus Familie und Verwandtschaft. Die Untersuchung zeigt auf, dass »insbesondere die türkischen Migrantinnen Gewalt vergleichsweise häufig durch Partner oder andere Personen aus der Familie erfahren und vergleichsweise selten durch unbekannte oder flüchtig bekannte Personen sowie durch Personen aus Arbeit, Ausbildung, Schule, Nachbarschaft oder Beruf« (ebd.: 128). Die Untersuchung gibt auch Hinweise auf den Anteil der Zwangsheiraten unter Türkinnen in Deutschland. Ein Viertel der befragten verheirateten türkischen Frauen gab an, ihren Partner vor der Heirat nicht kennengelernt zu haben. Bei der Hälfte aller türkischen Frauen war der Partner von Verwandten ausgesucht worden, davon gaben 23 Prozent an, sie hätten ihren Partner lieber selbst ausgesucht, 17 Prozent gaben an, sie hätten das Gefühl gehabt, zu der Ehe gezwungen worden zu sein, drei Viertel waren mit der Wahl einverstanden (ebd.: 130f.). Die Autoren kommen zu dem Schluss: »Zwar sind diese Ergebnisse aufgrund der geringen Fallzahlen nicht verallgemeinerbar, sie deuten aber darauf hin, dass ein Teil der türkischen Migrantinnen – in einer Größenordnung von etwa 10 % (je nach Definition) – in Ehen lebt, die nicht freiwillig eingegangen oder erzwungen wurden« (ebd.: 131). Hier ist der türkisch-stämmigen Berliner Frauenrechtlerin Seyran Ateş zuzustimmen: »Ob es zehn oder 20 Prozent sind, ist irrelevant. Tatsache ist doch, dass erschreckend viele junge Frauen türkischer Herkunft Sklavinnen auf dem muslimischen Heiratsmarkt sind. Und die Folgen sind gravierend: unglückliche Ehen, ungewünschte Kinder, die keine Liebe kennen – ein Tumor in unserer Gesellschaft.«100 Die Anzahl der »Ehrenmorde« in Deutschland ist schwer zu erfassen (Wilms 2009: 71ff.). Das hat in erster Linie mit den Erfassungskriterien der Polizeilichen Kriminalstatistik zu tun, die das Delikt »Mord im Namen der Ehre« nicht kennt. Hinzu kommt, dass nur teilweise Staatsangehörigkeiten von Opfern und Tätern erfasst werden und auch die erfassten Zahlen aufgrund der zahlreichen Einbürgerungen nur bedingt aussagekräftig sind. Auch sind als Selbstmorde erscheinende oder getarnte »Ehrenmorde« nicht erfasst (Schirrmacher/Spuler-Stegemann 2004: 206f.). Eine Abfrage des Bundeskriminalam-
—————— 100 Seyran Ateş in einem Interview mit »Focus vom 4. April 2005: »Zwangsehen sind wie ein Tumor«.
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tes unter den Ländern ergab Hinweise auf 55 Fälle (einschließlich Versuche) innerhalb von acht Jahren (1996 bis 2004) (Bundeskriminalamt 2006: 9). Von den 70 Tatverdächtigen hatten 50 die türkische Nationalität (Bundeskriminalamt 2006: 14). In Berlin waren im Jahr 2004 vier Ermittlungsverfahren anhängig, im Jahr 2005 zwei. 2007 kam es zu einer vollendeten Tat, 2008 (Stand 1.12.) zu zwei vollendeten Taten und einer versuchten Tat (Abgeordnetenhaus Berlin Drs. 16/12736: 1).
4. Integration in das Bildungssystem
»Überall dort, wo die Ausbildung immer wichtiger wird und der Zugang zu den besseren Schulen immer schwieriger, sieht man, dass die Hochqualifizierten versuchen, den Niedrigstqualifizierten auszuweichen«. Paul Scheffer
Kinder müssen im Zusammenhang mit der »Gastarbeiter«-Zuwanderung als die eigentlich Leidtragenden der Veränderungen angesehen werden, die mit der Wanderung ihrer Familien einhergehen. Sie müssen mit den häufig belastenden Konsequenzen umgehen – oftmals ohne ausreichende Unterstützung ihrer Eltern. Verließen zunächst meist nur die Väter die Familie, um im Ausland zu arbeiten, so folgte in vielen Fällen die Mutter nach, so dass die Kinder bei den Großeltern aufwuchsen. Wurden die Kinder dann nachgeholt, wurden sie nicht nur der gewohnten Umgebung entrissen, sondern mussten nicht selten mit Eltern leben, die beide ganztätig berufstätig waren – eine Aufeinanderfolge erheblicher Brüche und ein Mangel an Förderung, die für die psychosoziale Entwicklung eines Kindes erhebliche Auswirkungen haben können (Piroth 1977: 43f.; Akpinar 1980: 98ff.). Gleichzeitig eröffneten sich ihnen meist größere Chancen als in ihren Herkunftsländern, in den deutschen Schulen wurden andere pädagogische Konzepte verfolgt als beispielsweise in türkischen Schulen. So empfanden Kinder, die bereits in der Türkei in die Schule gegangen waren, »es als angenehm, dass in deutschen Schulen ein liberaleres Klima herrscht als in türkischen, dass sie beispielsweise in deutschen Schulen von den Lehrern nicht geschlagen« wurden (Kleff 1985: 210). Im April 1970 lebten in den Ausländerfamilien in der Bundesrepublik Deutschland 557.000 Kinder, davon 211.000 (38 Prozent) im schulpflichtigen Alter (Der Bundesminister des Innern 1972: 26). Von 1970 bis 1975 kamen in der Bundesrepublik Deutschland rund 600.000 Kinder von Ausländern zur Welt (Bodenbender 1976: 33). Die Zahl der ausländischen Kinder in Schulkindergärten und Vorschulen hatte sich von 1970 bis 1979 von 800 auf rund 10.000 erhöht (Trommer/Köhler 1981: 128). Innerhalb von 15 Jahren – vom Schuljahr 1965/66 bis zum Schuljahr 1980/81 – hatte sich die Gesamtzahl der ausländischen Schüler von 35.000 auf 552.000 fast versechzehnfacht (ebd.: 210). 83 Prozent davon besuchten Grund- oder Hauptschulen (ebd.: 211). Der überwiegende Teil der ausländischen Schüler (86 Prozent) stammen aus sechs Anwerbeländern (Hopf 1981: 841):
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Türkei Italien Griechenland Jugoslawien Spanien Portugal
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45,7 Prozent 13,4 Prozent 8,9 Prozent 10,3 Prozent 4,5 Prozent 3,3 Prozent
War die Verteilung der Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit in Westdeutschland im Allgemeinen sehr ungleich, galt dies auch für die Schulen in den Ländern: Die Stadtstaaten und die Flächenländer Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Hessen verzeichneten hohe Anteile, Länder wie Schleswig-Holstein oder Niedersachsen niedrige. Anteile ausländischer Schüler an Grund- und Hauptschulen 1979101 Berlin (West) Hamburg Baden-Württemberg Hessen Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz Niedersachsen Schleswig-Holstein
18,4 Prozent 12,2 Prozent 11,8 Prozent 11,3 Prozent 11,1 Prozent 4,7 Prozent 3,9 Prozent 3,3 Prozent
Quelle Trommer/Köhler 1981: 212.
Kamen in Nordrhein-Westfalen 1969 noch 44 Grundschüler auf einen ausländischen Mitschüler, so hatte sich das Verhältnis innerhalb von fünf Jahren auf 16 zu eins verändert. An den Hauptschulen lag das Verhältnis 1969 noch bei 70 zu eins, 1974 bereits bei 19 zu eins. Dabei handelt es sich um Durchschnittswerte des bevölkerungsreichsten Landes, in Ballungszentren wie Duisburg oder Essen sah die Situation bereits deutlich anders aus (Sundhausen 1976: 80). Trotz des rasanten Anwachsens der Schülerzahlen ausländischer Herkunft innerhalb weniger Jahre ignorierte die Bildungspolitik die damit verbundenen Herausforderungen bis in die zweite Hälfte der 1970er Jahre hinein (Arbeitsgruppe Bildungsbericht 1994: 368f.; Hopf 1981: 845). Die Schulen – insbesondere in den ethnischen Kolonien – waren auf diese Herausforderungen nicht vorbereitet – weder hinsichtlich der Lehrerausbildung noch der Ausstattung
—————— 101 Innerhalb der Länder sind weitere starke Unterschiede nach Nationalitäten, Schularten, Regionen (Ballungs- oder ländliche Räume) sowie innerhalb der Städte zu verzeichnen (Trommer/ Köhler 1981: 131ff.; 142f.).
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mit geeigneten Lehrmitteln oder mit räumlichen Kapazitäten (u.a.: Abgeordnetenhaus von Berlin 1974: 14ff.; Bodenbender 1976: 34; Dohse 1981: 501ff.; Hopf 1984). »Diesen Kindern und Jugendlichen eine Schul- und Berufsausbildung zu vermitteln, ist mit dem herkömmlichen Ausbildungssystem nahezu unmöglich, weil sie ohne Deutschkenntnisse kommen und die Zeit für eine qualifizierte Schulausbildung zu kurz ist. Die bis zum äußersten belasteten Schulen der Ausländerballungsgebiete können diese schwierige Aufgabe weder quantitativ noch qualitativ bewältigen« (Presse- und Informationsamt des Landes Berlin 1979: 7).
Die betroffenen Schulen bewältigten die spezifischen Herausforderungen meist in der Form eines »täglichen Krisenmanagements« (Hopf 1981: 859). Ende der 1970er Jahre hatten zwei Drittel der zugezogenen ausländischen Jugendlichen die Berliner Schulen entweder gar nicht oder nur kurze Zeit besucht (Prognos 1980: 147). Alleine 1977 waren 11.000 ausländische Kinder und Jugendliche nach Berlin nachgezogen, davon 6.000 aus der Türkei (Spies 1979: 55). Für Baden-Württemberg zeigte der Mikrozensus des Jahres 1978, dass rund die Hälfte der ausländischen Schüler in Deutschland geboren waren (Trommer/Köhler 1981: 141). Hinzu kam, dass der Nachwuchs in vielen Fällen erst nach Abschluss der Schulausbildung im Heimatland nach Deutschland zum Geldverdienen geholt wurde. Einen Hinweis darauf geben die Kindergeldzahlungen. So wurde 34,8 Prozent der türkischen Staatsangehörigen in der Bundesrepublik Kindergeld für in der Türkei lebende Kinder im Alter von bis zu 15 Jahren gezahlt, ab dem 16. Lebensjahr nur noch in 4,9 Prozent der Fälle (Stingl 1983: 76). Der Nachzug zum spätest möglichen Zeitpunkt – die Altersgrenze lag bei 16 Jahren – erschwerte die Integration in die hiesigen Verhältnisse erheblich (Mehrländer 1974: 200ff.). Die neu dazukommenden Kinder und Jugendlichen (»Zusteiger«) bereiteten den Schulen erhebliche Probleme, was »zum Teil an nicht verlässlichen Altersangaben in den Pässen, zum Teil an zu unterschiedlicher schulischer Vorbildung [lag]. […] Für jedes Kind musste mit dem Erstunterricht in der deutschen Sprache neu begonnen werden« (Der Regierende Bürgermeister 1978: 20). Diese Kinder – vorsichtige Schätzungen für Berlin gingen alleine für die Jahre 1978 von rund 6.200 und 1979 von 7.100 aus (Institut für Zukunftsforschung Berlin 1980: 36) – kamen im laufenden Schuljahres in die Klassen. Gemeinsam mit den »Aussteigern« – Kindern, die unentschuldigt dauerhaft dem Unterricht fernblieben – sorgten sie für eine erhebliche Fluktuation in den Klassen (Institut für Zukunftsforschung Berlin 1980: 256f.; Trommer/Köhler 1981: 144).
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»Die Bandbreite der Zusteiger reicht vom Analphabeten bis zum Gymnasiasten«, waren die Erfahrungen der betroffenen Schulen (Institut für Zukunftsforschung Berlin 1980: 59). Durch den Zugang von Ausländerkindern zu den Hauptschulen setzten Verdrängungsprozesse ein und es verstärkte sich deren Charakter als »Restschulen«. Die leistungsfähigeren einheimischen Schüler wechselten verstärkt in die Gesamtschulen. »In der Hauptschule ist eine deutliche Absetzbewegung von bildungswilligen deutschen Schülern zu beobachten. Sie besuchen in stärkerem Maße die Gesamtschule, in der sich der Hauptschüleranteil stark erhöht. In der Hauptschule verbleibt ein Rest von deutschen Schülern, der immer weniger in der Lage ist, Ausländern eine Integrationsperspektive aufzuzeigen bzw. integrationsorientierte Verhaltensweisen zu vermitteln« (Institut für Zukunftsforschung Berlin 1980: 61).
»Das Entstehen eines ausbildungs- und arbeitslosen Subproletariats von ausländischen Jugendlichen im Ausländer-Ghetto mit all seinen Gefahren hat bereits begonnen«, warnten 1980 Gutachter für den Berliner Senat (ebd.: 259). Generell galt, dass viele Kinder schlechte, meist völlig unzureichende Voraussetzungen für die deutsche Schule mitbrachten. »Ihre muttersprachlichen Inkompetenzen (verkürzte Dialekt-Muttersprache, deutsche Sprachbrocken mit eingeschränkter semantischer Anbindung) sind die negativen Voraussetzungen für Misserfolg auf der deutschen Schule und ein späteres Leben am Rande der deutschen Gesellschaft, der Gesellschaft des Heimatlandes und der eigenen Familie« (ebd.: 40).
Die Integration in den Arbeitsmarkt wurde von Anfang an durch das späte Nachholen der Kinder und die mangelnde Durchsetzung der Schulpflicht durch Staat und Elternhäuser erschwert, vor allem für die älteren Schüler, ab zwölf Jahren (Trommer/Köhler 1981: 143f.). Fachleute schätzten 1981, dass »höchstens die Hälfte der berufsschulpflichtigen ausländischen Jugendlichen auch tatsächlich die Berufsschule besuchten« (Schober 1981: 18; Trommer/ Köhler 1981: 144ff.). Allerdings wurde auch von Fällen berichtet, dass Ausländer wegen Platz- oder Lehrermangels abgewiesen oder auf Wartelisten gesetzt wurden (Schober 1981: 18). Mehr als 92.000 ausländische Jugendliche zwischen 15 und 19 Jahren (57 Prozent dieser Altersgruppe) erhielten keinerlei berufliche Qualifizierung. 75.000 junge Ausländer (rund ein Drittel der Altersgruppe) standen weder in einem Arbeits- noch in einem Ausbildungsverhältnis (ebd.: 19f.). Die Chancen auf einen Ausbildungsplatz waren eindeutig wesentlich geringer als bei den einheimischen Altersgenossen: Von den ausländischen Hauptschülern, die die Schule ohne Abschluss nach der siebten oder achten Klasse verließen, gelang nur 16 Prozent der Übergang in eine betriebliche Berufsausbildung, bei der deutschen Vergleichsgruppe lag der Anteil bei 31 Prozent (Stegmann 1981: 10).
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Die Unterschiede beim Übergang in die Berufsausbildung und Berufstätigkeit fasste eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit 1982 zusammen: »Während von den deutschen Hauptschülern nach der neunten Klasse 51 Prozent eine duale Ausbildung begonnen hatten, lag der entsprechende Anteil bei den ausländischen Jugendlichen bei nur 36 Prozent. Deutsche Hauptschüler verblieben nach der neunten Klasse zu 14 Prozent im allgemeinbildenden Schulsystem, ausländische Jugendliche zu 8 Prozent. Ausländische Hauptschüler mündeten dreimal häufiger direkt in eine Erwerbstätigkeit (ohne Ausbildung) als deutsche Jugendliche (10 Prozent zu 3 Prozent). Ausländische Jugendliche – insbesondere Mädchen – erhielten häufiger als deutsche weder einen Ausbildungsplatz noch einen Arbeitsplatz und verblieben daher im Haushalt der Eltern (6 Prozent, deutsche Jugendliche ein Prozent).
Muttersprache In der schulischen Bildung wurde großen Wert auf die Beibehaltung der Muttersprache gelegt, um der »kulturellen Identität« willen und um die Fähigkeit zur Reintegration in das Herkunftsland aufrecht zu erhalten. »Die ausländischen Schüler sollen die Möglichkeit haben, auch an muttersprachlichem Unterricht teilzunehmen. Seine Aufgabe ist es, um die Erhaltung der Verbindung der Schüler zur Sprache und Kultur ihrer Heimat bemüht zu sein«, hieß es in einer Rahmenvereinbarung der Kultusministerkonferenz aus dem Jahr 1971.102 Doch nicht selten begannen schon hier die Schwierigkeiten: Welches war die »Muttersprache«? Das »zehnjährige Kind, das als Herkunftsland Jugoslawien angibt, kommt aus dem Bundesstaat Makedonien und gehört einer der dortigen nationalen Minderheiten an, der türkischen. Seine Erstsprache ist demnach Türkisch, es wird hier noch mit den Eltern gesprochen; seine Zweitsprache ist Makedonisch (eine südslawische Sprache), das es in den ersten Klassen der makedonischen Grundschule lernte und das es heute mit den älteren Geschwistern spricht; seine Drittsprache ist Serbokroatisch (die wichtigste slawische Sprache Jugoslawiens), das in der makedonischen Schule von der zweiten Klasse an unterrichtet wird und das heute die Sprache des nationalen Zusatzunterrichts ist, außerdem wird es mit den anderen jugoslawischen Kindern in der deutschen Schule gesprochen; die Viertsprache schließlich ist Deutsch, in den Varianten Süddeutsch und Normdeutsch, gesprochen mit deutschen Spielkameraden bzw. mit den deutschen Lehrern« (Stölting 1974: 144).
—————— 102 »Unterricht für Kinder ausländischer Arbeitnehmer. Beschluss der KMK vom 3. Dezember 1971«, abgedruckt in: Müller 1974: 188.
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Für die Kultusministerkonferenz war die Erhaltung der »sprachlichen und kulturellen Identität« der ausländischen Schüler von zentraler Bedeutung (KMK 1976: 3). Dazu bedurfte es einer doppelten Orientierung – sowohl hin auf einen Erfolg im deutschen Schulwesen als auch auf eine mögliche Wiedereingliederung in das Schulwesen des Herkunftslandes. Ziel sei es, »den ausländischen schulpflichtigen Kindern und Jugendlichen eine erfolgreiche Mitarbeit in den deutschen Schulen zu ermöglichen und ihnen die Wiedereingliederung in die heimatlichen Schulen offen zu halten. Es geht darum, die ausländischen Schüler zu befähigen, die deutsche Sprache zu erlernen und die deutschen Schulabschlüsse zu erreichen sowie die Kenntnisse in der Muttersprache zu erhalten und zu erweitern« (KMK 1977: 3).
Die ausländischen Kinder waren häufig durch den regulären Schulbesuch, muttersprachlichen Ergänzungsunterricht und möglicherweise den Besuch einer Koranschule überfordert. Darauf hatte die Bund-Länder-Kommission zur Ausländerbeschäftigungspolitik bereits 1977 hingewiesen (Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung 1977: 15; ebenso: Hoffmann-Nowotny 1978: 38f.). In Berlin nahmen am muttersprachlichen Unterricht etwa 25 Prozent der türkischen Kinder, 36 Prozent der jugoslawischen und 50 Prozent der griechischen Kinder teil. 1978 besuchten rund 2.000 Kinder Koranschulen (Institut für Zukunftsforschung Berlin 1980: 299). Der muttersprachliche Unterricht sollte »in der Regel« durch Lehrer des Heimatlandes erteilt werden. Die einzelnen Länder konnten darüber entscheiden, ob er in ihrer Verantwortung oder der der diplomatischen Vertretungen stehen sollte, hieß es noch im Beschluss der KMK von 1971.103 Im Beschluss der KMK von 1976 fehlte dieser Passus und es hieß weniger eindeutig, dass in »Vorbereitungsklassen mit Schülern gleicher Muttersprache […] Unterrichtsinhalte in der Muttersprache durch ausländische Lehrer vermittelt werden« können (KMK 1977: 5). Auch wurde den Ländern freigestellt, bei der Einstellung dieser Lehrkräfte den »Nachweis von Grundkenntnissen in der deutschen Sprache« zu verlangen (ebd.: 8). Der muttersprachliche Ergänzungsunterricht durch Lehrkräfte aus der Türkei behinderte die Entwicklung der deutschen Sprachkompetenz und förderte gleichzeitig ein idealisiertes Bild der türkischen Verhältnisse. »Die im Ergänzungsunterricht eingesetzten Bücher, häufig Unterrichtswerke, die in der Türkei zugelassen sind, thematisieren weder die den Schülern vertrauten Lebenssituationen in der Bundesrepublik, noch sind sie geeignet, ein realistisches Bild von der heutigen Türkei zu vermitteln. Für die türkischen Schüler relevante Situationen, ihre Konflikte mit der Familie oder der deutschen Umwelt werden in der Regel nicht zum Gegenstand des Unterrichts
—————— 103 »Unterricht für Kinder ausländischer Arbeitnehmer. Beschluss der KMK vom 3. Dezember 1971«, abgedruckt in: Müller 1974: 188
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gemacht. Nicht nur die Entwicklung einer deutschen Sprachkompetenz, vor allem der Aufbau einer personalen und sozialen Identität und, in Verbindung damit, die Entwicklung von sozialer Kompetenz werden durch den muttersprachlichen Ergänzungsunterricht in seiner gegenwärtigen Form massiv eingeschränkt […]« (Institut für Zukunftsforschung 1981: 138).
Ursula Mehrländer kommt zu dem Schluss: »Dieser muttersprachliche Sonderunterricht verhindert den Schulerfolg der Ausländerkinder in den deutschen Klassen, ohne dass sichergestellt ist, dass zurückgekehrte Schüler den Anschluss an das Schulsystem im Heimatland finden« (Mehrländer 1978: 133).
»Vorbereitungsklassen« Laut Beschluss der Kultusministerkonferenz des Jahres 1976 sollte der Ausländeranteil in Regelklassen nicht mehr als ein Fünftel betragen (KMK 1977: 4). Deshalb wurden – nicht zuletzt um die deutschsprachigen Klassen zu entlasten – Kinder nichtdeutscher Herkunftssprache in eigenen Klassen gesammelt (Piroth 1977a: 42). Dabei gingen die Länder unterschiedliche Wege: So setzten Berlin und Hamburg auf eine Eingliederung in das reguläre Schulsystem von Beginn an, Bayern und Baden-Württemberg ließen »Nationalklassen« bilden und Nordrhein-Westfalen sah »Vorbereitungsklassen« vor (Akpinar 1980: 101ff.; Herbert/Hunn 2008: 766). Länder wie Berlin behalfen sich bei sehr hohen Konzentrationen von Kindern nichtdeutscher Herkunftssprache an Schulen ebenfalls mit der Einrichtung solcher Klassen (Kodran u.a. 1981: 927ff.). Bei einer entsprechend großen Anzahl sollten Kinder, die nicht des Deutschen mächtig waren, in sprachlich homogenen Vorbereitungsklassen gesammelt werden. Diese sollten »die Eingewöhnung der ausländischen Schüler in die deutsche Schule […] erleichtern und […] beschleunigen« und waren »Bestandteile der deutschen Schule« (KMK 1977: 4). Sie sollten auf zwei Jahre (im KMK-Beschluss von 1971 war noch ein Jahr festgelegt gewesen) begrenzt bleiben (ebd.: 5) und fungierten als »Auffangsklassen« (Piroth 1976: 62). Das Ziel, den Übergang in die Regelklassen zu fördern, ließ sich in der Praxis aber häufig nicht wie geplant erreichen (Piroth 1976: 59; Akpinar 1980: 110ff.). Mehrjährige »Vorbereitungsklassen«, in denen die Kinder aus einem Herkunftsland unter sich blieben, waren der Integration in die deutschen Verhältnisse nicht förderlich. Gleiches galt für den erheblichen politischen und ideologischen Einfluss, der den Regierungen der Heimatländer eingeräumt wurde: durch von dort entsandte Lehrkräfte, die nach den Lehrplänen der Herkunftsländer unterrichteten (Stölting 1976: 57) bis hin zu von den Konsulaten zur Verfügung gestellten Schulbüchern (Piroth 1976: 63). Fortbildungsmaßnahmen in pädagogischer und didaktischer Hinsicht standen für die ausländischen
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Lehrkräfte nicht im notwendigen Maß zur Verfügung (Akpinar 1980: 116f.). Hinzu kam der Unterricht in den Koranschulen, der ebenfalls in vielen Fällen nicht geeignet war, die Integrationsfähigkeit und die Integrationsbereitschaft zu fördern (Institut für Zukunftsforschung 1981: 143ff.; Herbert/Hunn 2008: 766f.). In vielen Fällen wurden sprachhomogene, das heißt im Regelfall türkischsprachige »Vorbereitungsklassen« an den Grundschulen in den ethnischen Kolonien gebildet (Kodran u.a. 929). Der zum Spracherwerb notwendige Kontakt zu deutschsprachigen Mitschülern war in diesen Klassen nicht möglich, in vielen Fällen verzögerte sich der beabsichtigte Übergang in die Regelklassen, was die negativen Effekte noch verstärkte. In Berlin-Kreuzberg waren 1979/80 von 61 ersten Klassen 21 reine Ausländerklassen, davon 17 Vorbereitungsklassen (Institut für Zukunftsforschung Berlin 1980: 52f.). »Die befragten Schulleiter sind sich hierin einig, dass mit der zunehmenden Anzahl der türkischen Kinder insgesamt eine gravierende Abnahme der Integrationsbereitschaft zu verzeichnen ist (die sich nicht allein auf die Bereitschaft, Deutsch zu lernen, beschränkt), die durch die rein türkischen Klassen in besonderem Maße verstärkt wird« (ebd.: 245).
Die Kinder, die nach Ableistung einer fünfjährigen türkischen Schulpflicht nach Deutschland kamen, wo sie dann wieder der Schulpflicht unterlagen, waren den Leistungsanforderungen in der Hauptschule nicht gewachsen, so dass in Berlin die Quote derjenigen, die die Hauptschule ohne Abschluss verließen, zunächst bei 90 Prozent lag, später auf 50 Prozent (1977) gesenkt werden konnte (Der Regierende Bürgermeister 1978: 25). Den deutschen Schulen, die weder pädagogisch noch personell auf diese neuen Aufgaben vorbereitet waren, fehlten unter anderem lange Zeit geeignete Schulbücher und Lehrmittel (Friberg/Hohmann 1976: 15; Dohse: 1979: 338; Kodran u.a. 1981: 937). So kam es immer wieder zu öffentlichen Kontroversen. Das Kommissariat der deutschen Bischöfe monierte 1973: »In der Praxis haben sich die Einführungs- und Übergangsklassen, in denen auch Unterricht in der Heimatsprache erteilt wird, überhaupt nicht bewährt. Vor allem im Bewusstsein der Eltern stellen sie eine Art Heimatschule dar«.104 Der Deutsche Gewerkschaftsbund beklagte: »In den meisten Schulen werden […] aus den Vorbereitungs- bzw. Einführungsklassen mehrjährige Nationklassen mit fast ausschließlichem muttersprachlichem Unterricht. […] Die Gründe für die heute festzustellende Pervertierung der nominellen Vorbereitungsklassen
—————— 104 »Thesen und Forderungen. Gutachten zur Schul- und Berufsbildung und zur sozialen Integration ausländischer Kinder in der Bundesrepublik. Herausgegeben vom Kommissariat der deutschen Bischöfe – Katholisches Büro Bonn, abgedruckt in: Müller 1974: 201; Piroth 1977: 46ff.
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in soziale Sackgassen sind […] in schulorganisatorischen Schwächen, im Lehrermangel sowie in der fehlenden politischen Durchsetzungskraft gegenüber heimatstaatlichen Vertretungen und manchen ausländischen Lehrern zu suchen. Auf diesem Gebiet müssen unverzüglich einschneidende Maßnahmen getroffen werden. Der Grundsatz, dass Lehrer, Inhalte und Zeitplan des Unterrichts in den Vorbereitungsklassen eben dem Ziel der Eingewöhnung und Integrationsförderung zu dienen haben, muss mit aller Konsequenz zur Anwendung kommen«.105
Auch solle der muttersprachliche Unterricht zwingend in der Verantwortung der deutschen Kultusverwaltungen erteilt werden: »Nur so kann gewährleistet werden, dass Lehrinhalte und Methoden den Anforderungen unserer Zeit und dem Interesse der Kinder dienen und dass Unterricht und Lehrbücher dem Grundgesetz der Bundesrepublik und den Verfassungen der Bundesländer entsprechen«.106 Da sowohl die deutsche Politik als auch viele Gastarbeiter mit einer Rückkehr in die jeweiligen Herkunftsländer rechneten, war auch die Haltung der Eltern gegenüber der schulischen Bildung in Deutschland entsprechend zwiespältig, sie sollte keinesfalls eine Reintegration der Kinder im Heimatland erschweren: »Die ausländischen Arbeitereltern sind bemüht, die kulturellen Bedingungen und Orientierungen ihrer Kinder zu erhalten, die zugleich Verbindungen mit der Familie und mit der Heimat darstellen. Sie fürchten eine Entfremdung, die den Kindern bei Rückkehr in die Heimat die weiteren Bildungs-, Berufs- und Lebenswege erschwert. Die Erziehung und Bildung ihrer Kinder in der BRD soll deshalb die bisherige Erziehung und Bildung nicht blockieren oder abbauen, die Kinder also nicht ›germanisieren‹« (Müller 1974: 162).
Die Orientierung der Kinder innerhalb der Familien erfolgte auf ein Leben in der Minderheit und nicht in der Gesamtgesellschaft (Müller 1975: 37). Bereits Anfang der 1970er Jahre wurde eine Verweigerungshaltung festgestellt: »Vielen ausländischen Eltern erscheint als Konsequenz einer Ablehnung der Assimilation eine möglichst weit reichende bildungsmäßige Askese der beste Weg, um ihren Kindern bei Rückkehr in die Heimat Bildungs- und Sozialchancen zu erhalten. Das ist deshalb eine falsche und die Kinder schädigende Einstellung, weil die entscheidenden Prozesse der Persönlichkeitsbildung nicht auf Eis gelegt oder in einen Dornröschenschlaf versetzt und bei Rückkehr in die Heimat wieder abgerufen werden können« (Müller 1974: 166f.).
Die Angst vor Entfremdung von Familie und Herkunftskultur, vor einer Verletzung des heimatlichen Sittenkodex, wirkte sich auch auf die Haltung der Eltern zum deutschen Schulwesen und dort vermittelte Inhalte aus. So wurde
—————— 105 »Stellungnahme und Forderungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes zum Unterricht für Kinder ausländischer Arbeitnehmer vom 7. Mai 1973«, abgedruckt in: Müller 1974: 191. 106 Ebd.: 192.
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die Einrichtung der »Vorklassen« von vielen Eltern als national homogene Klasse, in der die heimatliche Kultur vermittelt wurde, verstanden (und nicht als befristete Hilfe zum Übergang in die allgemeine Regelklasse). Dementsprechend protestierten zahlreiche türkische und griechische Eltern gegen die Abschaffung der Vorklassen als »Dauereinrichtung« und kritisierten dies als Maßnahme zur »Zwangsintegration« (Gomolla/Radtke 2002: 106). Berliner Lehrer gaben an, es gebe einen »heimlichen Lehrplan« für reine Ausländerklassen (meist Klassen mit türkischen Kindern), so werde »die Lerneinheit zur sexuellen Aufklärung weggelassen, da die Kinder bereits die Arbeit mit Bildern verweigern, auf denen nur halbbekleidete Menschen dargestellt sind. Meist ist das Weglassen oder Vereinfachen von Lehrinhalten jedoch durch sprachliche Schwierigkeiten begründet« (Institut für Zukunftsforschung Berlin 1980: 249). »Gerade auch mit der Problematik der geschlechtsspezifischen Erziehung haben die Schulen in den reinen Ausländerklassen besonders zu kämpfen, die Mädchen (ab 10 Jahren etwa) weigern sich, im Unterricht ihre Kopftücher abzunehmen und am Sportunterricht teilzunehmen, die Gewalttätigkeit der Jungen hat erschreckende Ausmaße angenommen« (ebd.: 240f.).
Je höher der Anteil nicht-deutschsprachiger Schüler in einer Klasse war, desto schwieriger wurde es, die Lehrinhalte zu vermitteln. Die Erfahrungen zeigten bereits Ende der 1970er Jahre, dass auch in gemischten Regelklassen »insgesamt eine Niveauverschlechterung relativ zum Anteil der Kinder mit sprachlichen Schwierigkeiten festgestellt werden muss« (ebd.: 249). Zu der widersprüchlichen Orientierung der »Gastarbeiter« und der deutschen Bildungspolitik kam die »Bildungsferne« vieler »Gastarbeiter« und ihrer Angehörigen: Eine repräsentative Befragung von »Gastarbeitern« im Jahr 1971 ergab, dass 71 Prozent der türkischen Männer maximal einen fünfjährigen Grundschulbesuch vorzuweisen hatten, sechs Prozent hatten sechs Jahre und mehr, sieben Prozent gaben an, überhaupt keine Schule besucht zu haben. Mehr als die Hälfte (51 Prozent) hatten nach eigenen Angaben keinen Beruf erlernt (Mehrländer 1974: 29f.). So erwiesen sich viele Eltern als überfordert, ihre Kinder auf die schulischen Anforderungen vorzubereiten, ihnen die notwendigen Hilfestellungen zu geben und die Motivation zu vermitteln. Grund für ein gewisses Misstrauen war auch die Begegnung mit Verhaltensweisen anderer Kinder – und auch bei den eigenen Kindern – die sie als respektlos und unangemessen empfanden. Für viele war es auch nicht nachvollziehbar, dass ihr Kind, das im Herkunftsland bereits seine Schulpflicht erfüllt hatte, in Deutschland noch einmal zur Schule gehen sollte.
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Vor diesem Hintergrund ist es auch erklärlich, dass ein hoher Anteil der schulpflichtigen ausländischen Kinder in der Bundesrepublik keine Schule besuchte – so gingen im Schuljahr 1971/72 rund 211.000 Schüler auf eine allgemeinbildende Schule. Die Gesamtzahl der Kinder und Jugendlichen wurde damals auf über 950.000 geschätzt, davon waren rund 350.000 schulpflichtig (Sundhausen 1976: 76). Befragungen Anfang der 1970er Jahre ergaben einen Anteil von 20 Prozent der Gastarbeiterkinder, die trotz Schulpflicht nicht zur Schule gingen (Mehrländer 1974: 209; Dohse 1979: 338f).
Rudimentäre Grundwortschätze Mangelnde Deutschkenntnisse waren für die Betriebe von Anfang an ein großes Problem: Nicht nur wurde die Integration in die betriebsinternen Arbeitsabläufe dadurch erschwert, auch die Unfallhäufigkeit hing damit zusammen (Borris 1974: 96) und Sprachkurse verursachten Kosten. Immer häufiger gingen Betriebe dazu über, anstelle regulärer Sprachkenntnisse lediglich einen rudimentären Grundwortschatz zu vermitteln. Er reichte für eine Verständigung in automatisierten Arbeitsprozessen und Kooperationszwängen, mehr war weder nötig noch erwünscht (ebd.: 178ff.). So berichtet ein Vertreter des Unternehmensverbandes Ruhrbergbau 1966: »Anfangs haben wir einen Fehler gemacht, indem wir Sprachlehrer, d.h. gelernte Pädagogen, damit beauftragt hatten, den Sprachunterricht zu erteilen. Sie sind im Allgemeinen dabei gescheitert, weil ein Lehrer seine Ehre daran setzt, den Ausländern ein richtiges Deutsch zu vermitteln, er betrachtet die Sprache als Kulturgut. Nun hat die Sprache ja zwei verschiedene Funktionen. Einmal die Funktion, ein Kulturgut zu sein und dann die Funktion, ein Verständigungsmittel zu sein. Wir haben vollständig umschalten müssen auf die Sprache als primitives Verständigungsmittel und bemühen uns, in diesen 4 Wochen den Ausländern einen Sprachschatz von 400 Hauptwörtern zu vermitteln, die wir sorgfältig ausgewählt und in einem Bilderbuch zusammengestellt haben.« (Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände 1966: 81f.).
Mit einem solchen »Pidgin-Deutsch« (ebd.: 84; Heidelberger Forschungsprojekt 1975: 26ff.), das häufig ein Leben lang beibehalten wurde, war zwar eine elementare Verständigung in den Betrieben möglich, eine Integration im außerbetrieblichen Wohnumfeld war damit hingegen weder beabsichtigt noch möglich. Man konnte mit dieser pragmatischen Lösung den Aufwand minimieren und den Verständigungsnotwendigkeiten entsprechen. Diese Sprachform prägte die »Gastarbeiter«-Generation. Sie erwies sich allerdings auch als Hindernis für eine weitergehende Integration in das deutsche Lebensumfeld, weil
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die Herkunftssprache im außerbetrieblichen Alltag dominierend blieb. Festzustellen ist, »dass die Menschen der ›Gastarbeitergeneration‹ mit dieser Form seit 30 Jahren in Deutschland erfolgreich mit Deutschen im Alltag kommunizieren. Der kritische Punkt liegt darin, dass es für sie offensichtlich nicht nötig war, diese Sprachform im Laufe der Jahre weiter auszubauen. […] In Lebenssituationen, wie sie für die ›Gastarbeiter‹ typisch sind, ist Deutsch eine Nebensprache mit sehr begrenzten Funktionsbereichen: in der Familie, der Nachbarschaft, überhaupt in weiten Bereichen der informellen Öffentlichkeit sprechen sie türkisch o. ä.« (Maas 2005: 104f.).
Hier gingen die Interessen der Unternehmen einerseits und der »Gastarbeiter« andererseits konform: Die Unternehmen wollten die Kosten für die Einarbeitung der ausländischen Arbeitskräfte möglichst niedrig halten, die »Gastarbeiter« wollten Verdiensteinbußen weitgehend vermeiden und soviel Geld wie möglich mit nach Hause nehmen. Die Mehrheit der »Gastarbeiter« war auf eine Rückkehr und eine Maximierung des Erlöses ihres »Ausfluges« hin orientiert, deshalb war ihr Interesse unter anderem an der deutschen Sprache und an Weiterbildung in nachvollziehbarer Weise nur sehr begrenzt. 1967 stellte ein Vertreter des DGB fest: »Auch heute noch strömen Zehntausende ausländischer Arbeiter herein in der Absicht, durch spartanische Lebensführung, primitives Wohnen und zahlreiche Überstunden sich das Kapital zu einer Existenz oder einem Eigenheim zu ersparen. […] In Deutschland verhindert das psychologische Ghetto, das er aus Heimweh und Sparsamkeit um sich errichtet, jede weitergehende Einsicht. Schließlich ziehen auch bei uns Schulabgänger das Moped der Berufsausbildung vor« (Stephan 1969: 41).
Sprachkenntnisse und Aufstiegsmöglichkeiten hingen – wenig überraschend – deutlich miteinander zusammen: »Ausländische Arbeitnehmer mit Kenntnissen in der deutschen Sprache nehmen im Allgemeinen eine höherwertige Stellung im Betrieb ein als jene, die überhaupt nicht Deutsch sprechen« stellte die Bundesanstalt für Arbeit bereits 1968 in ihrer Repräsentativuntersuchung fest (Bundesanstalt für Arbeit 1970: 88). Der Facharbeiteranteil unter den »Gastarbeitern« lag bei jenen mit sehr guten Deutschkenntnissen mehr als doppelt so hoch wie der Gesamtdurchschnitt. »Dies deutet darauf hin, dass ausländische Arbeiter – wenn sie mit der deutschen Sprache gut vertraut sind und hinreichende Fachqualifikationen besitzen – in der Betriebshierarchie tendenziell ähnlich häufig Facharbeiterpositionen einnehmen wie vergleichbare deutsche Arbeiter. […] Die ungünstigere Situation der ausländischen Arbeiter ohne jegliche Deutschkenntnisse kommt noch stärker darin zum Ausdruck, dass 56% von ihnen, von den Frauen sogar 60%, zum Zeitpunkt der Befragung in einfachen Hilfsarbeiten tätig waren. Mit zunehmenden deutschen Sprachkenntnissen fällt der Anteil der Ungelernten bis auf 16% unter den Arbeitern, die sehr gut Deutsch sprechen« (Bundesanstalt für Arbeit 1973: 75f.).
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So stellte der Leiter der Personalabteilung bei den Kölner Ford-Werken 1967 fest, dass der größte Teil der ausländischen Arbeiter von der Ausbildung her einem Niveau zuzuordnen ist, welches eindeutig unter dem der deutschen ungelernten und angelernten Arbeitskräfte liegt. »Zwar haben die meisten Ausländer eine Schule besucht. Doch sind sie häufig nur formal in die Schule gegangen und sind nicht selten wegen Witterungsverhältnissen oder Ernte der Schule ferngeblieben. Die Ausländer bringen in den seltensten Fällen die fachliche Voraussetzung für einen Aufstieg mit« (Habbel 1969: 67). Nach der »Repräsentativuntersuchung ’72« der Bundesanstalt für Arbeit gaben 59 Prozent der ausländischen Befragten an, ihre Deutschkenntnisse am Arbeitsplatz erworben zu haben. Nur sechs Prozent gaben an, Sprachkurse besucht zu haben (Bundesanstalt für Arbeit 1973: 31). Angesichts ihrer Konzentration auf das Geldverdienen sahen sie offensichtlich nur selten die Möglichkeit, zusätzlich Zeit und Energie für – teilweise – unentgeltlich angebotene Kurse aufzuwenden. Hinzu kommt, dass diese didaktisch und inhaltlich häufig nicht auf die »Gastarbeiter« ausgerichtet waren. »Eingestanden werden muss […] auch, dass das Niveau mancher Sprachkurse im Vergleich zur Schulbildung der ausländischen Arbeitnehmer, die […] oft nur wenige Jahre dauerte, einfach zu hoch angesetzt ist und der Ausländer dadurch schon sehr bald nach dem Anlaufen der Kurse die Lust am Mitmachen verliert« (ebd.: 31). Sprachkenntnisse spielen eine entscheidende Rolle für die Möglichkeit von Integration. Das galt von Beginn der Zuwanderung nach Deutschland und gilt bis heute. Jene »Gastarbeiter«, die nur einen niedrigen Schulabschluss, aber gute oder sehr gute Deutschkenntnisse hatten oder sich aneigneten, hatten deutliche höhere Chancen zum Facharbeiter aufzusteigen (Forschungsverbund 1979: 126f.). Je besser die Sprachfertigkeiten, desto höher der Verdienst, desto höher die Aufstiegschancen und desto häufiger – das ist wenig überraschend – der Kontakt zu Einheimischen (ebd.: 216). So waren die Sprachkenntnisse der türkischen »Gastarbeiter« besonders gering und ihre Aufstiegschancen besonders schlecht, ihre innerethnischen Kontakte waren am deutlichsten ausgeprägt, ihre Abgrenzung von den Deutschen (gemeinsam mit den Griechen) am stärksten (ebd.: 114, 153, 183, 189). Die Bildung ethnischer Kolonien hatte auch gravierende negative Auswirkungen für die betroffenen Kinder. Je verfestigter die ethnischen Kolonien in den Städten wurden, desto geringer war die Notwendigkeit der sprachlichen Anpassung – zumal die Umgebung ja durchaus »einsprachig« war: geprägt durch die Sprache des Herkunftslandes. Auch dies zeichnete sich bereits vor mehr als 30 Jahren ab. So stellte der Sozialwissenschaftler Hermann Müller 1974 fest: »Eine wachsende Aufgabe des Deutschunterrichts ist die Aufhebung kommunikativer Barrieren. Ausländer-Ghettos und reine Ausländerklassen wie
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-schulen sind solche Barrieren. Warum sollen ausländische Kinder hier Deutsch lernen und sprechen, wenn sie diese Sprache in ihrer Umgebung gar nicht brauchen?« (Müller 1974: 169). Die Folgen waren nicht überraschend: Rund 60 Prozent aller Kinder ausländischer Staatsangehöriger erreichten in den 1970er Jahren den Hauptschulabschluss nicht (Bodenbender 1976: 35).
Statt »Eindeutschung« die »multikulturelle Gesellschaft« Der Wirklichkeit an den Schulen in ethnisch-sozialen Ballungen der 1970er und 1980er Jahre wurde zu lange mit abstrakten Formeln begegnet, die weder Lehrkräften noch Schülern und Eltern in ihrer konkreten Situation gerecht wurden oder gar weiterhalfen. Sie überbetonten die Rolle der Herkunftskultur und unterschätzten die Anpassungsleistungen, die notwendige Bedingung für eine erfolgreiche Integration und damit die Voraussetzung für sozialen Aufstieg waren. »Die durch das Integrationsproblem an unsere Gesellschaft herangetragenen bildungspolitischen Herausforderungen müssen angenommen werden. Das bedeutet, dass ethnische Minderheiten als multikultureller Faktor in das Bildungssystem aufzunehmen sind – nicht als störender, lästiger Einfluss, sondern als wünschenswerte kulturelle Bereicherung« (Institut für Zukunftsforschung 1980: 26),
formulierten etwa Gutachter für den Berliner Senat 1980. Sie sahen in der Beibehaltung und Entwicklung der Erstsprache einen »wichtigen Entwicklungs- und Stabilisierungsfaktor« für ausländische Kinder. Sie setzten auf die Förderung der Erstsprache und einen »bilingualen Unterricht« als wesentlichen Beitrag zur Lösung der Integrationsprobleme (Institut für Zukunftsforschung 1980: 30, 97ff.). Das Problem lag allerdings nicht im mangelnden »bilingualen und bikulturellen Bildungsweg«, sondern vielmehr in der »multikulturellen Erziehung«. Das Ziel bestand darin, die von der Herkunft bestimmte Identität der Kinder und Jugendlichen bewahren zu wollen. Einerseits wurde der »Kenntnis« der deutschen Sprache und Kultur eine wesentliche Rolle für die Möglichkeit der Integration zugesprochen, andererseits sollte die persönliche und nationale Identität, die Bindung an die Familie, die Muttersprache und die Kultur des Herkunftslandes nicht verloren gehen (ebd.: 97). Während den deutschen Schulen die Aufgabe zugedacht wurde, sich zu »internationalisieren« und »multikulturelle Lerneinheiten für alle Grundschüler« anzubieten (ebd.: 94), stand bei den Kindern der Zuwanderer die Bewahrung der eigenen »Identität« im Vordergrund. Dass sich während eines Zuwanderungs-, Niederlassungs- und vor allem Integrationsprozesses die Identität des
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Zuwanderers zwangsläufig wandelt, geriet dabei in den Hintergrund (hierzu schon Piroth 1977b: 44). Auf eine bilinguale und multikulturelle Erziehung wurde große Hoffnung gesetzt. Geradezu euphorisch wurden die erwarteten Auswirkungen beschrieben: »Berlin (West) könnte eine beispielhafte, fortschrittliche Rolle im europäischen Bildungswesen einnehmen, wenn es sich entschieden abwenden würde von einer einseitig auf Eindeutschung ausgerichteten Schulpolitik hin zu dem Ziel einer multikulturellen Gesellschaft. Der erste Schritt dazu wäre (dem Beispiel Großbritanniens und Schwedens folgend) die bildungspolitische Entscheidung für eine multikulturelle Schule, die ausländischen Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit zum Erwerb ihrer deutschen (Schul-)Bildung in ihrer jeweiligen Heimatsprache einräumen würde, mindestens aber das Recht zum vollständigen Erwerb ihrer Heimatsprache bis hin zu deren abgeschlossener Alphabetisierung und deren grundsätzlicher Anerkennung als erster Fremdsprache. Eine derartige bildungspolitische Entscheidung würde den Konzeptionsmangel der bestehenden Integrationsversuche und deren relativen Misserfolg beseitigen, dem Mengenproblem der zweiten und dritten Ausländergeneration besser gerecht werden, die Chancengleichheit – die im Grundgesetz und im Schulgesetz verankert ist – in Bezug auf den Erwerb von Bildung erst realisieren und das Recht des Einzelnen auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit verwirklichen. […] Sie wäre Teil einer Integrationspolitik, die eine multikulturelle Gesellschaft als positives Ziel dem einer einseitigen Anbindung von Ausländern an deutsche Sprache und Kultur entgegensetzen würde« (Institut für Zukunftsforschung 1980: 102f.)
Die Erwartungen sollten enttäuscht werden.
Schulische Segregation heute In der Bundesrepublik Deutschland besteht ein ausgesprochen enger Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg (Ditton 2008). Die Zuwanderung hat dies noch einmal verschärft. Die Pisa-Studie 2003 ergab, dass in den Feldern Mathematik, Leseverständnis und Naturwissenschaften ohne Migrantenschüler im internationalen Vergleich die Plätze zehn, neun und acht erreicht werden. Stellt man dem die Gesamtpopulation (einschließlich Migrantenschüler) gegenüber, verschiebt sich die Rangfolge auf die Plätze 16, 18 und 15 (van Ackeren 2006: 61). »Die schlechte Position des deutschen Bildungssystems nach Ergebnissen der Pisa-Studie ist das Ergebnis insbesondere der im Vergleich klar schlechteren Situation der Migrantenkinder – und eben nicht der Kinder der einheimischen Bevölkerung« (Esser 2004: 212). 40 Prozent aller Jugendlichen mit ausländischem Pass bleiben in Deutschland im Anschluss an ihre Pflichtschulzeit ohne jede Ausbildung (gegenüber 15 Prozent der deutschen Jugendlichen). 15 Prozent der Bevölkerung ohne Migrati-
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onshintergrund im Alter zwischen 20 und 64 Jahren haben keinen beruflichen Abschluss, 44 Prozent der Bevölkerung mit Migrationshintergrund, 53 Prozent der Ausländer, 72 Prozent der türkischen Staatsangehörigen (Griechen 61 Prozent; Italiener 56 Prozent) (Beauftragte 2007: 50). Auf mehr als eine Million Menschen wird jene Gruppe der Zuwanderer und deren Nachkommen geschätzt, die ihre Schul- und Ausbildungszeit in Deutschland verbracht haben, aber über keine berufliche Qualifizierung verfügen (Boos-Nünning 2006: 20). So sind etwa 70 Prozent der ausländischen Arbeitslosen Ungelernte (Beauftragte 2007: 50). Strukturell weisen türkischstämmige Personen und Personen aus den anderen ehemaligen Anwerbestaaten wesentlich geringere Bildungsbeteiligungsquoten und einen niedrigeren Bildungsstand auf als Einheimische (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008: 40ff.). Sie verfehlen wesentlich häufiger einen Schulabschluss, sind an Sonder- und Hauptschulen stark über- und an Gymnasien stark unterrepräsentiert, ihr Risiko sitzen zu bleiben ist höher, die Chancen, höhere Abschlüsse zu erhalten, sind geringer. Seltener ist die Suche nach einem Ausbildungsplatz erfolgreich, öfter wird die Ausbildung abgebrochen. Die Chancen junger Menschen, in Deutschland erfolgreich ins Berufsleben zu starten, haben sich insgesamt verschlechtert: Zwischen 1992 und 2005 sank das Ausbildungsplatzangebot um 159.000 Plätze, die Zahl der Absolventen aus allgemein bildenden Schulen nahm hingegen im gleichen Zeitraum um 179.000 Personen zu (Beicht/Friedrich/Ulrich 2007: 6). Besonders stark betroffen von dieser negativen Entwicklung im Übergang von Schule in Ausbildung sind ausländische Jugendliche und Jugendliche »mit Migrationshintergrund« (ebd.: 4). Nicht zuletzt die demographische Entwicklung (sinkende Anzahl Jugendlicher) hat seit 2006 zu einer leichten Entspannung auf dem Ausbildungsstellenmarkt geführt. Wie sich die Lage weiterentwickeln wird ist einerseits abhängig von der Konjunktur und andererseits von dem Ausmaß der Eingliederung der inzwischen mehr als 300.000 »Altbewerber« (ebd.: 10).
Anteile der Nationalitäten an den ausländischen Schülern im Schuljahr 2006/07 Türkisch Italienisch Serbisch Griechisch Russische Föderation Polnisch Quelle: Diefenbach 2008: 45
42,5 Prozent 6,5 Prozent 5,1 Prozent 3,5 Prozent 2,6 Prozent 2,5 Prozent
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Im Einzelnen können folgende Formen und Mechanismen der Segregation genannt werden: Je später der Zuzug, desto schwieriger ist die erfolgreiche Integration in das Bildungswesen: »Schülerinnen und Schüler in deutschen Grundschulen, die selbst im Ausland geboren und mit ihren Eltern eingewandert sind, zeigen sehr schwache Leseleistungen [deutschsprachiger Texte] und die Differenz zu den Gleichaltrigen ohne Migrationshintergrund ist größer als in anderen Staaten« (Konsortium Bildungsberichterstattung 2006: 173). Je älter Zuwanderer sind, wenn sie nach Deutschland einreisen, desto größer ist der Anteil der Ungelernten (Troltsch 2003: 52ff.). Auf den Zusammenhang von Einreise oder Nachzug und Bildungserfolg weist auch der Berufsbildungsbericht der Bundesregierung hin: »Sind Jugendliche außerhalb Deutschlands geboren, steigt der Anteil junger Erwachsener ohne Berufsabschluss stark an (38,1%), derjenigen über 24 Jahre auf 41,2%« (Deutscher Bundestag Drs. 14/3244: 65). Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) kommt in seiner Untersuchung über die deutsche Sprachfähigkeit von Zuwanderern zu einem eindeutigen Ergebnis: »Insbesondere die Kinder, die kurz nach der Einreise ihrer Eltern die Schule besuchen, haben deutlich unterdurchschnittliche Bildungschancen und leiden ein (Arbeits-)Leben daran« (DIW 2001). Es gibt einen starken Zusammenhang zwischen Schulart und sozialer sowie ethnischer Zusammensetzung der jeweiligen Schülerschaft. Bei den Gymnasien dominieren Einheimische mit höherem sozialem Status, in den Hauptschulen und integrierten Gesamtschulen sind Zuwanderer und Schüler aus Familien mit niedrigem sozialen Status sehr stark vertreten. Der Anteil von Schülern deutscher Herkunft liegt in Hauptschulen bei 43,9 Prozent, in Gymnasien hingegen bei 74,6 Prozent (Baier/Pfeiffer 2007: 21). Repräsentative Schülerbefragungen des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen haben ergeben, dass sich Hauptschüler von Gymnasiasten im Wesentlichen dadurch unterscheiden, »dass sie häufiger nichtdeutscher, insbesondere türkischer, jugoslawischer und italienischer Herkunft sind, einen schlechten sozioökonomischen Status besitzen, deutlich älter sind, seltener einem Verein angehören, häufiger Geräte wie Fernseher und Spielkonsole im Zimmer stehen habe, in ihrem Verhalten seltener durch die Eltern kontrolliert werden und eine stärkere Orientierung an Männlichkeitsnormen aufweisen« (Baier/Pfeiffer 2007: 23).
Heike Diefenbach (2008: 54f.) hat auf der Basis des Sozioökonomischen Panels errechnet, dass im Zeitraum von 1985 bis 2006 Kinder mit türkischem Migrationshintergrund zu 72,8 Prozent von der Grund- auf eine Hauptschule wechselten und nur zu 5,7 Prozent auf ein Gymnasium. Ihnen folgen Kinder mit italienischem Hintergrund mit einem Anteil von 69,2 Prozent Wechsel auf die Hauptschule. Kinder mit Migrationshintergrund »ehemaliges Jugoslawien« wechselten zu 63,3 Prozent auf eine Hauptschule. Die Verteilung – insbeson-
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dere der Zuwanderer – weist auf »Tendenzen der Segregation« hin (Konsortium Bildungsberichterstattung 2006: 161). Im Zuge der Bildungsexpansion hat sich eine sozial selektive Wanderung in Richtung Real- und Gesamtschulen vollzogen, so dass die Hauptschule in den meisten deutschen Ländern zur Schule der »Zurückgelassenen« geworden ist (Solga/Wagner 2008: 193f.). Ihre Potentiale zur Kompensation der von den Schülern mitgebrachten Benachteiligungen sind damit weiter eingeschränkt (ebd.: 213). Ein hoher Migrantenanteil geht in der Regel einher mit einem niedrigen sozialen Status der Familien, aus denen die Schüler stammen. Hier fallen dann verschiedene Problemlagen zusammen, ergänzen oder verstärken sich wechselseitig. »Soziale Segregation und ›ethnische‹ Segregation sind in Deutschland eng aneinander gekoppelt und stellen eine wichtige Herausforderung für die Bildungspolitik dar« (Konsortium Bildungsberichterstattung 2006: 161). Auf die erfolgte sozial-räumliche Trennung der Bevölkerungsgruppen, die sich in den Bildungseinrichtungen widerspiegelt, weist sehr deutlich hin, dass – 60 Prozent der Kinder mit Migrationshintergrund in den westdeutschen Ländern Kindertageseinrichtungen besuchen, in denen der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund über dem Landesdurchschnitt liegt (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008: 53). – 30 Prozent aller Kinder mit nichtdeutscher Familiensprache Kindertagesstätten besuchen, in denen mindestens 50 Prozent ebenfalls zu Hause nicht Deutsch sprechen (ebd.: 53). – jeder vierte Jugendliche mit, aber nur jeder zwanzigste ohne Migrationshintergrund eine Schule besucht, in der Zuwanderer die Mehrheit stellen (Konsortium Bildungsberichterstattung 2006: 162). – nur 31,2 Prozent der deutschen Jugendlichen in Klassen unterrichtet werden, in denen der Migrantenanteil den Durchschnittswert der jeweiligen Stadt bzw. des jeweiligen Landkreises übersteigt, hingegen 82,6 Prozent der türkischen Jugendlichen (Baier/Pfeiffer/Windzio 2006: 256). Die bereits in Kapitel 3 behandelte sozialräumliche Spaltung der Städte mit der Konsequenz der Verfestigung ethnisch-sozialer Unterschichtenkonzentrationen macht sich für die vorschulische und schulische Segregation in besonderer Weise bemerkbar – sie ist in der Regel noch stärker ausgeprägt als die residentielle Segregation (BBR 2008: 11). Je größer die Städte, desto stärker die Konzentration nichtdeutscher Kinder an Grundschulen – in den Großstädten ist sie am stärksten ausgeprägt (BBR 2008: 11). Das liegt unter anderem am Verhalten der einheimischen Eltern (und der Aufsteiger bei den Zuwanderern), die ihre Kinder nicht an Schulen unterbringen wollen, an denen der Migrantenanteil hoch ist (siehe unten). Hinzu kommt die zunehmend verbreitete Auflösung
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fester Grundschuleinzugsbereiche (»Schulsprengel«) (Klemm 2008: 27). Hierdurch wird die ethnisch-soziale Polarisierung verstärkt: Schulen mit überdurchschnittlich hohen Anteilen von Kindern mit Migrationshintergrund stehen Schulen gegenüber, die nur sehr geringe Anteile haben. Für die Berliner Grundschulen haben Ditton und Krüsken (2006: 142) ermittelt, dass in 172 Schulkassen (16 Prozent) kein einziger Schüler »nicht deutscher Herkunft« zu verzeichnen ist, wohingegen sich 64 Schulkassen (sechs Prozent) ausschließlich aus Kindern dieser Herkunft zusammensetzten. Im Durchschnitt der Berliner Grundschulen liegt der Anteil dieser Schüler bei 34 Prozent. Dabei zeigt sich, dass auf der Ebene der Schulklassen ein sehr starker Zusammenhang zwischen den Leseleistungen und dem Anteil von Schülern nicht deutscher Herkunft besteht (ebd.: 142f.). »Die Ergebnisse zeigen […] übereinstimmend, dass bei hohen Anteilen weniger privilegierter bzw. bildungsferner sozialer Gruppen bedeutsam schlechtere Leistungen im Lesen erreicht werden. Über die aufgrund der individuellen Schülervoraussetzungen zu erwartenden Wirkungen hinaus ergeben sich markant schlechtere schulische Leistungen, wenn eine Schulklasse eine ungünstige Zusammensetzung nach Merkmalen der sozialen Herkunft aufweist« (ebd.: 152).
In Schulen mit mehr als 50 Prozent Zuwandereranteil dominieren jene Jugendlichen, die zu Hause kein Deutsch sprechen. Hier wird auch der Zusammenhang zwischen ethnischer Konzentration im Wohnumfeld und Nutzung der Zweitsprache (Deutsch) deutlich: Jeder sechste Schüler dieser Schulen verwendet die Herkunftssprache auch im Freundeskreis. Jugendliche Zuwanderer, die Schulen mit niedrigem Zuwandereranteil (weniger als ein Viertel) besuchen, sprechen hingegen zum überwiegenden Teil (93 Prozent) mit Freunden Deutsch. »Schulen mit sehr hohem Migrantenanteil arbeiten offenbar in einem sozialen Umfeld, das insgesamt durch Abschottung sozialer und ethnischer Gruppen geprägt ist« (Konsortium Bildungsberichterstattung 2006: 163). Die soziale Zusammensetzung einer Schule (oder einer Schulart, wie der Hauptschule) beeinflusst maßgeblich das soziale Umfeld, in dem sich die Kinder und Jugendlichen bewegen (Solga/Wagner 2008: 196f.). Kinder aus sozial schwachen Familien wären dabei in besonderer Weise auf ein förderndes Umfeld angewiesen. Heike Diefenbach (2008: 77) spricht von einer »ethnischen Segmentierung«: »Im Verlauf ihrer Bildungskarriere werden ausländische Schüler von deutschen Schülern immer stärker getrennt, so dass im Ergebnis eine ethnische Differenzierung entsteht, und zwar insofern als ausländische Schüler und deutsche Schüler zumindest teilweise parallele Schülerschaften darstellen mit jeweils deutlich häufiger von den einen als von den anderen
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besuchten Schultypen und dementsprechend mit jeweils mehr oder weniger binnenethnischen, zumindest aber nach dem Merkmal ›Deutsch‹ – ›Nicht-Deutsch‹ getrennten Milieus. Insofern muss man das deutsche Bildungssystem als (wenn auch nicht in allen Bundesländern oder an allen Schultypen gleichermaßen) ethnisch segmentiert bezeichnen«.
Es gibt einen Zusammenhang zwischen ethnisch-sozialen Konzentrationen in Schulkassen und deren Leistungsstand. Die Pisa-Studie sieht den kritischen Wert bei einem Anteil von 20 Prozent erreicht. Demnach »sind ab einem 20prozentigem Anteil von Migranten, in deren Familie Deutsch nicht Umgangssprache ist, deutlich niedrigere mittlere Leistungen auf Schulebene zu beobachten« (Baumert u.a. 2003: 56; Esser 2006a: 342ff.). Über keinen beruflichen Abschluss verfügten 2005 in der Altersgruppe zwischen 25 und 34 Jahren 12,6 Prozent der Einheimischen, hingegen 41,7 Prozent der Zuwanderer (Beauftragte 2007: 229): Kein beruflicher Abschluss 2005 in der Altersgruppe 25–34 Jahre ohne Migrationshintergrund mit Migrationshintergrund (Spät-)Aussiedler und Nachkommen zugewanderte und in Deutschland geborene Ausländer
12,6 Prozent 41,7 Prozent 28,1 Prozent 48,7 Prozent
Die erheblichen Unterschiede zwischen den verschiedenen Zuwanderer-Gruppen (Nationalitäten, Eingebürgerte, Spätaussiedler etc.) können noch weiter aufgegliedert werden. So erreichen Jugendliche aus EU-Staaten, Ostasien und dem amerikanischen Kontinent deutlich häufiger die Hochschulreife als deutsche Jugendliche. Jugendliche aus den Staaten der EU haben gegenüber gleichaltrigen Deutschen eine mehr als zwei Mal so hohe Chance, eine gymnasiale Oberstufe bzw. das Abitur zu erreichen. Jugendliche aus der Türkei, Italien und den Staaten der ehemaligen Sowjetunion erreichen dieses Abschlussniveau hingegen weniger als halb so oft wie Deutsche (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008: 90f.). Jugendliche ohne Schulabschluss kommen zu 90 Prozent aus Haupt- und Sonderschulen (Solga 2002: 16). Die Bildungsexpansion der zurückliegenden Jahrzehnte hat die Haupt- und Sonderschulen noch stärker zu »Restschulen« werden lassen. Die soziale Auslese zu ihren Ungunsten hat sich durch den Bildungsaufstieg breiter Schichten noch einmal verstärkt. »Die soziale Distanz zwischen Haupt- und Realschülern – ganz zu schweigen von der zu Gymnasiasten – ist deutlich größer geworden« (ebd.: 17). Bereits im Bildungssystem wird die Grundlage für berufliches und gesellschaftliches Scheitern oder für erfolgreiche Integration gelegt. Von den 20- bis 29-jährigen ausländischen
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Jugendlichen ohne Schulabschluss bleiben 83 Prozent ohne Ausbildung, jene mit Hauptschulabschluss zu 33 Prozent (Solga 2002: 20). Seit den 1970er Jahren sind nichtdeutsche Schüler an Sonderschulen mit steigender Tendenz deutlich überdurchschnittlich vertreten: 1999 lag ihr Anteil bei nahezu 15 Prozent (der Anteil der nichtdeutschen Schüler an allen Schülern lag hingegen bei 9,4 Prozent) (Powell/Wagner 2001: 9). Der Anteil an den Sonderschülern im Förderschwerpunkt »Lernen« (Sonderschulen für Kinder mit Lernbehinderungen) lag bei 17,7 Prozent (Powell/Wagner 2001: 14; Kornmann 2003: 82ff.). 20 Prozent der ausländischen Jugendlichen auf Sonderschulen verlässt diese ohne Abschluss. Das sind 2,5 Mal so viele als die deutschen Jugendlichen. Damit sind ihre Chancen auf einen Arbeitsplatz und auf einen erfolgreichen Einstieg ins Arbeitsleben ausgesprochen gering (Powell/Wagner 2001: 23). Trotz hoher Einbürgerungszahlen, die die Statistik entsprechend verzerren, weisen Jugendliche ausländischer Staatsangehörigkeit die höchsten Ungelerntenquoten auf (Bundesministerium für Bildung und Forschung 2004: 95). Im Durchschnitt der Jahre 1996 bis 2004 war sie mehr als drei Mal so hoch wie bei 15- bis 29-Jährigen mit deutscher Staatsangehörigkeit: 29,6 Prozent gegenüber 8,6 Prozent (Troltsch 2006: 45). Ausbildungsbeteiligungsquote ausländischer Jugendlicher in den alten Ländern 2002 2003 2004 2005 2006
29,4 Prozent 28,4 Prozent 26,3 Prozent 24,6 Prozent 23,7 Prozent
Quelle: Bundesministerium für Bildung und Forschung 2008: 126
Die Ausbildungsbeteiligungsquote der ausländischen Jugendlichen geht damit seit Jahren kontinuierlich und im Vergleich zu deutschen Jugendlichen überproportional zurück. 2006 war die Quote für ausländische Jugendliche weniger als halb so hoch wie für deutsche (56,9 Prozent) (Bundesministerium für Bildung und Forschung 2008: 126). Weniger als ein Drittel der Bewerber mit Migrationshintergrund konnte 2006 eine betriebliche duale Ausbildung beginnen (Bundesministerium für Bildung und Forschung 2008: 129). »Eine Analyse der längerfristigen Entwicklung der Ausländeranteile hat ergeben, dass der Rückgang der Zahl ausländischen Auszubildenden nicht nur durch einen berufsstrukturellen Wandel zu erklären ist. Denn die sinkende Zahl ausländischer Auszubildender ist nicht allein durch einen allgemeinen Rückgang der Auszubildendenzahlen in den durch ausländische Jugendlichen stark besetzten Ausbildungsberufen bedingt; vielmehr sinken die Ausländer-
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anteile in den meisten Berufen bzw. Berufsgruppen, und zwar stärker, als es durch den Rückgang des Ausländeranteils in der Wohnbevölkerung aufgrund von Einbürgerungen zu erklären ist« (Bundesministerium für Bildung und Forschung 2008: 128).
Diese negative Entwicklung ist auch auf einen Verdrängungsprozess zurückzuführen: Aufgrund des insgesamt ungünstigeren Lehrstellenmarktes drängen verstärkt deutsche Jugendliche in Ausbildungsberufe, die bisher als unattraktiv galten und vorwiegend von ausländischen Bewerbern übernommen wurden. »Bis Mitte der 90er Jahre mündeten Jugendliche ausländischer Nationalität verstärkt in solche Segmente ein, die sich für junge Deutsche im Hinblick auf Kriterien wie Übernahmemöglichkeiten, Arbeitsmarktchancen, Bezahlung, Arbeitsbedingungen u.ä. als weniger attraktiv darstellten. In Zeiten der Lehrstellenknappheit werden sie offensichtlich von deutschen Mitbewerbern verdrängt« (Uhly/Granato 2006: 54).
Jugendliche mit höheren Abschlüssen verdrängen zunehmend solche mit niedrigen Abschlüssen auf dem Lehrstellenmarkt: Jugendliche ohne Hauptschulabschluss haben so gut wie keine Chance auf einen Ausbildungsplatz, Jugendliche mit Hauptschulabschluss nur sehr geringe. Der Verdrängungsprozess durch Realschüler und Abiturienten trifft damit zugewanderte Jugendliche besonders stark (Konsortium Billdungsberichterstattung 2006: 83). Bis Haupt- und Realschulabsolventen einen Ausbildungsplatz finden, vergeht durchschnittlich immer mehr Zeit: 1993 waren noch 53 Prozent aller Jugendlichen, die eine Lehre begannen, jünger als 18 Jahre. Bis 2006 sank der Anteil auf nur noch 34 Prozent. Gleichzeitig stieg der Anteil der mindestens 20-Jährigen von 20 auf 33 Prozent (Beicht/Friedrich/Ulrich 2007: 1). Zu den Ursachen gehören neben dem Ausbildungsplatzdefizit die gestiegenen Anforderungen und die aus Sicht von Experten gesunkenen Qualifikationen der Bewerber (ebd.: 6f.). Jugendliche mit ausländischem Pass stellen rund 9,3 Prozent der Schüler an beruflichen Schulen. Mit 14,8 Prozent der Schüler nehmen ausländische Jugendliche einen hohen (und überproportionalen) Anteil im Berufsvorbereitungsjahr und im Berufsgrundbildungsjahr ein (Bundesministerium für Bildung und Forschung 2008: 128). Diese Bildungsgänge werden meist als Ausweichund Übergangsmöglichkeit genutzt, wenn kein Ausbildungsplatz gefunden werden konnte sowie zur Qualifizierung und damit für bessere Vermittlungschancen (Reißig u.a. 2006). Die Zahl der Jugendlichen, die dieses Übergangssystem nutzen und weiterhin auf eine Lehrstelle warten (»Altbewerber«) belief sich 2006 auf mehr als 300.000 (Beicht/Friedrich/Ulrich 2007: 7) Jugendliche ausländischer Staatsangehörigkeit brechen Berufsvorbereitungsmaßnahmen mehr als doppelt so häufig ab wie ihre deutschen Altersgenossen (17,4 gegenüber 8,4 Prozent) (Bundesministerium für Bildung und Forschung 2004: 55f.).
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Zuwanderer können Schulabschlüsse schlechter verwerten als Einheimische – sie erreichen seltener eine Berufsausbildung. »Übertrieben formuliert liegen die Übergangschancen bei Migranten mit Hauptschulabschluss oder Mittlerer Reife mit 59,2 oder 56,9 Prozent beinahe auf dem Niveau deutscher Jugendlicher, die entweder keinen Schulabschluss oder nur ein Abgangszeugnis besitzen bzw. eine Sonderschule abgeschlossen haben. (47,1 Prozent). Deutsche Jugendliche mit Haupt- oder Realschulabschluss beginnen dagegen nach Schulabgang zu 78,3 bzw. 81,6 Prozent eine berufliche Ausbildung. Mit 17,1 Prozent haben Migranten ohne Schulabschluss de facto keine Möglichkeit zur beruflichen Ausbildung. In der Konsequenz übernehmen drei von vier Jugendlichen aus diesen Gruppen entweder eine Tätigkeit als ungelernte Arbeitskraft oder im Haushalt« (Troltsch 2003: 54).
Männliche ausländische Jugendliche brechen zu 60 Prozent ihre Berufsausbildung ab (Frauen: 35 Prozent) (ebd.: 58). Mehr als jeder zweite jugendliche Zuwanderer ohne abgeschlossene Berufsausbildung (53,8 Prozent) sucht gar nicht erst einen Ausbildungsplatz. »Die Jugendlichen antizipieren in der Hauptsache ungünstige persönliche Voraussetzungen für die Aufnahme einer Ausbildung. Auch sind sie – aufgrund ihrer nach eigener Einschätzung fehlenden Lernbereitschaft – stärker an einer praktischen Arbeit oder an Alternativen zu einer Ausbildung interessiert« (ebd.: 56f.). Unabhängig von formalen Kriterien – wie Schulabschluss und Noten – haben Zuwanderer schlechtere Erfolgschancen am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt. Der »Migrationshintergrund beeinflusst die Erfolgsaussichten von Bewerbern auch unabhängig von den Schulabschlüssen und Schulnoten – und zwar negativ. D.h. der Migrationshintergrund ist für sich allein genommen ein Merkmal, das mit größeren Schwierigkeiten beim Zugang zu einer dualen Ausbildung verbunden ist« (Ulrich/Granato 2006: 46).
Selbst bei einem erfolgreichen Abschluss einer Berufsausbildung haben junge Türken schlechtere Chancen als junge Deutsche auf einen Arbeitsplatz. Seibert und Solga (2006) führen dies auf Zuschreibungen negativer Eigenschaften vor allem zur türkischen Gruppe zurück. »Der erfolgreiche Abschluss einer (deutschen) Berufsausbildung vermag offenbar vorhandene negative ethnische Leistungsannahmen nicht zu kompensieren« (Seibert/Solga 2005: 377). Diese spezifischen Arbeitsmarktnachteile von Jugendlichen türkischer Herkunft können allerdings auch andere Gründe als die genannten Vorurteile deutscher Arbeitgeber haben. Kalter (2006) nennt mangelnde Sprachkenntnisse, die soziale Herkunft, in der Folge unzureichende Einbindung der Eltern und Jugendlichen/Heranwachsenden in (interethnische) Netzwerke. Sie beeinflussen das Suchverhalten nach einem Arbeitsplatz. Kalter (2006: 157) kommt zu dem Ergebnis, dass die Nachteile türkischer Jugendlicher »weniger eine
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Frage von diskriminierendem Verhalten auf der Arbeitgeberseite zu sein scheinen, als vielmehr mit dem Mangel an Aufnahmeland-spezifischen Kapitalien zu tun haben«.
Zunehmende Bildungsungleichheit Insgesamt hat die »Bildungsungleichheit« in den vergangenen Jahrzehnten zugenommen. Dabei bilden türkische Staatsangehörige jene Gruppe, »die sich am deutlichsten von den Deutschen unterscheidet« (Kalter/Granato 2004: 80). Der deutliche Anstieg der Zahl der türkisch-stämmigen Studenten an deutschen Hochschulen zeigt zwar, dass ein Aufstieg prinzipiell möglich ist (Schulze/Soja 2003: 200). So hat die Zahl der studierenden türkisch-stämmigen Frauen in den zurückliegenden 20 Jahren nahezu verzehnfacht (BoosNünning/Karakaşoğlu 2005: 222). Allerdings vergrößert sich gleichzeitig die Kluft zwischen den Aufsteigern und jenen, die zurückgelassen werden: »Während auf der einen Seite inzwischen eine wachsende Gruppe gut ausgebildeter, zum Teil hoch qualifizierter Jugendlicher mit Migrationshintergrund steht, wächst auf der anderen Seite die Gruppe derjenigen, die auf Sonderschulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen verwiesen werden und in ihrer schulischen Laufbahn scheitern« (Schulze/Soja 2003: 201). Die 2005 veröffentlichte Pisa-Studie (Pisa 2003) stellt fest, dass drei Viertel der Jugendlichen mit Eltern aus der Türkei in Deutschland geboren und aufgewachsen sind. »Umso auffälliger ist, dass weniger als ein Drittel dieser Schülerinnen und Schüler im Alltag vorwiegend deutsch spricht und fast 20 Prozent sogar angeben, hauptsächlich die türkische oder die kurdische Sprache zu verwenden« (PISA-Konsortium Deutschland 2005: 279). Dabei steht fest, dass die Beherrschung der Unterrichtssprache eine entscheidende Voraussetzung für den Lernerfolg in der Schule ist. Auch werden die Unterschiede unter den Zuwanderer-Gruppen deutlich: Die AussiedlerKinder sprechen zu über 40 Prozent vorwiegend deutsch, obwohl fast 90 Prozent von ihnen nicht in Deutschland geboren sind. »Umgekehrt stellt sich die Situation für die Jugendlichen türkischer Abstammung dar. Fast drei Viertel von ihnen sind in Deutschland geboren. Aber weniger als ein Drittel gehört zur Gruppe der ›Deutschsprachigen‹« (ebd.: 291). Die Autoren kommen zu dem Schluss: »Die Gruppe der hier geborenen fünfzehnjährigen Schülerinnen und Schüler mit Eltern aus der Türkei ist anhand dieser Ergebnisse offenbar als eine Gruppe einzuschätzen, für deren soziale und wirtschaftliche Herkunft eine unzureichende Grundlage besteht. Nur eine Minderheit von ihnen spricht im Alltag vorwiegend deutsch und ihre mit fünfzehn Jahren er-
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reichten Kompetenzen liegen im Durchschnitt auf einem niedrigeren Niveau. Dieser Befund ist alarmierend, gerade in Anbetracht der Tatsache, dass diese Jugendlichen bereits in Deutschland geboren worden sind, ihre gesamte Schulzeit in Deutschland verbracht haben und diese Gruppe einen relativ großen Anteil in der Bevölkerung aufweist« (ebd.: 294).
Auffallend ist die hohe Rate von jungen Zuwanderern aus der Türkei, die über keinerlei Schulabschluss verfügen oder einen Hauptschulabschluss erreichen, jedoch keine berufliche Ausbildung abschließen – der Anteil liegt bei 56,1 Prozent (Kristen 2003: 27). Angesichts der sozialen Herkunft der türkischen Zuwanderer können diese Befunde nicht überraschen. Mit einer Einschulungsrate von nur 68 Prozent bei Mädchen liegt die Türkei weltweit an 110. Stelle. Landesweit besuchen mehr als 600.000 schulpflichtige Mädchen keine Schule. Nach Angaben von UNICEF verfügt in einigen Provinzen die Hälfte der Mädchen über keine Schulausbildung.107 Noch in den 1980er Jahren lag die Analphabetenquote bei Mädchen und Frauen in der Osttürkei nur in drei Provinzen über 50 Prozent, ansonsten weit darunter (Ritter/Richter 1990: 32). Zuwanderer aus der Türkei und ihre Nachkommen (erste und zweite Generation), die die Hauptschule abgeschlossen haben, verzeichnen die niedrigste Ausbildungsquote unter den Zuwanderern, Aussiedler die höchste. »Offensichtlich gelingt auch die Integration der in Deutschland geborenen Türken ins Berufsausbildungssystem nicht«, heißt es im Bericht »Bildung in Deutschland« (Konsortium Bildungsberichterstattung 2006: 155). Nach Abschluss einer beruflichen Ausbildung müssen türkische junge Männer mit einer um die Hälfte erhöhten Wahrscheinlichkeit (gegenüber deutschen jungen Männern) den Beruf wechseln (Boos-Nünning 2006: 12). Sehr häufig misslingt der Übergang ins Erwerbsleben: Zwei Fünftel der Türken zwischen 20 und 26 Jahren sind entweder erwerbslos (16 Prozent) oder Nichterwerbspersonen (23 Prozent), nur knapp ein Viertel befindet sich in Ausbildung, 37 Prozent in Beschäftigung. Insgesamt zeigt sich, dass das Erwerbspersonenpotential bei den jungen Menschen mit Zuwanderungshintergrund nicht ausgeschöpft wird.
Bevölkerung im Alter von 20 bis unter 26 Jahren 2005 nach Migrationshintergrund, Herkunftsregionen* und Ausbildungs-/Erwerbsstatus
—————— 107 Türkei: Auf in die Schule, Mädchen!, http://www.unicef.de/index.php?id=2045 [25. Juli 2006].
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In Ausbildung
erwerbstätig
erwerbslos Nichterwerbspersonen
Deutsche ohne Migrationshintergrund
41,3 %
43,2 %
9,0 %
6,6 %
Personen mit Migrationshintergrund
37,7 %
35,6 %
11,8 %
15,0 %
Spätaussiedler
40,3 %
39,8 %
10,0 %
9,5 %
Türkei
24,4 %
36,9 %
16,2 %
22,5 %
* Derzeitige oder frühere 1. Staatsangehörigkeit der Befragten oder der Eltern
Quelle: Mikrozensus, zit. nach: Konsortium Bildungsberichterstattung 2006: 159
Besonders auffallend sind hier die Unterschiede bei den Frauen: Liegt die Quote der Nichterwerbspersonen bei den einheimischen Frauen (ohne Migrationshintergrund) bei unter zehn Prozent, liegt sie bei den Frauen mit Migrationshintergrund bei 23 Prozent, bei den Türkinnen bei 37 Prozent. Der Bericht »Bildung in Deutschland« sieht vor diesem Hintergrund »zwei grundlegende Probleme jenseits des Arbeitsmarktes sichtbar werden […]: zum einen ein fundamentales Bildungs- und Qualifizierungsproblem, das sich schwerpunktmäßig auf die Zugewanderten aus der Türkei und den sonstigen Staaten [weder sonstige Anwerbestaaten noch EU-Staaten noch Aussiedler] bezieht: zum anderen das kulturelle Problem der Erwerbsbeteiligung der Frauen. In Anbetracht der zentralen Rolle der Frauen in der Erziehung kann man dieses Problem für das Gelingen von Integration auch für die nachfolgende Generation auf längere Sicht nicht ernst genug nehmen« (Konsortium Bildungsberichterstattung 2006: 160).
Eine herausragende Rolle spielt die Sprachkompetenz: Der sprachlichen Integration kommt eine besondere Bedeutung zu. Ein besonderes Augenmerk muss dabei auf Jugendliche der zweiten Generation gelegt werden, zu denen viele mit türkischem Migrationshintergrund gehören.
Ursachen Wo sind die Ursachen für die strukturellen Defizite zu suchen? Liegen sie in erster Linie in den Institutionen des Aufnahmelandes und ihrer Organisationslogik? Oder sind die Zuwanderer verantwortlich, die nicht die Voraussetzungen mitbringen oder die Absicht haben, ihren Kindern zu einem erfolgreicheren Einstieg in das deutsche Bildungs- und Ausbildungswesen zu verhel-
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fen? Welche Bedeutung hat das andere Verständnis von Bildung und Pädagogik, von Aufgaben der Schule und Aufgaben der Eltern in den Herkunftsländern? Welche Rolle spielen der ethnische Zusammenhang im Aufnahmeland und die ethnischen Kolonien für die Entwicklung der sprachlichen Kompetenzen? Diese Themen sollen hier erörtert werden. Eltern, die es sich leisten können, betätigen sich als »Schulschleuser« und meiden Schulen mit hohen Ausländeranteilen. Dies wird durch die immer stärker verbreitete Auflösung verbindlicher Schulsprengel in den deutschen Ländern (wie in Nordrhein-Westfalen) möglich. Die Möglichkeit, die Kinder an Schulen außerhalb des jeweiligen Schulsprengels anzumelden, wird von (einheimischen und zugewanderten) Eltern genutzt, die ein sozial schwieriges und nachteiliges Umfeld für ihre Kinder vermeiden wollen. Dies trägt unter anderem zu hohen Zuwandereranteilen an bestimmten Schulen bei. »Die Entmischung der Schülerpopulation durch Schulwahl geht jedenfalls nicht von ›integrationsunwilligen‹, ethnisch vergemeinschafteten Migranten aus, sondern von deutschen und ausländischen Eltern, die über das notwendige soziale und kulturelle Kapital verfügen, um wählen und ihre Wahl auch realisieren zu können« (Radtke 2004: 170). Frank-Olaf Radtke (ebd.: 170f.) kommt zu dem Ergebnis, dass in der deutschen Grundschullandschaft zunehmend Auswahlmechanismen greifen, die »unter der Hand eine ethnische Ungleichverteilung« befördern. So versuchen auch Grundschulen verstärkt, pädagogische Schwerpunkte zu setzen und damit ein eigenes Profil zu gewinnen, was eine Lenkung der Schülerströme (mittels Aufhebung oder Relativierung des örtlichen Einzugsgebietes als Zugangskriterium) möglich macht. »Soziale und ethnische Herkunft werden auf diese Weise zum dominanten Organisationsprinzip der Grundschulen, ohne dass jemand der absichtsvollen Segregation geziehen werden könnte. Die sich einstellende ethnische Konzentration ist nicht ein unabänderliches Ereignis, sondern das Resultat einer Reihe unkoordinierter Entscheidungen unterschiedlicher Akteure in den Organisationen, aber auch der Eltern, die eine verdeckte Auseinandersetzung um Startvorteile in der Gesellschaft führen«. (ebd.)
Diese Mechanismen werden durch den Versuch verstärkt, auch das Bildungswesen marktförmig zu organisieren (van Ackeren 2006a). Schulen sollen in den Wettbewerb um Schüler und deren Eltern eintreten. Zu diesem Zweck muss Transparenz hinsichtlich der Leistungen der Schulen geschaffen werden. Eltern sollen die notwendigen Informationen erhalten, um die Investitionen in die schulische Ausbildung ihres Nachwuchses zielgerecht steuern zu können. Dazu werden von den Schulen zunehmend Leistungsindikatoren veröffentlicht (Abschlussquoten etc.). Diese Ausweitung des individuellen Entscheidungsspielraums hat allerdings Nebenwirkungen: Die zusätzlichen Informations-
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möglichkeiten können nicht von allen Eltern gleichermaßen genutzt werden. Eltern mit niedrigem sozialem Status verfügen über geringere Möglichkeiten, sie zu beschaffen und auszuwerten. Hinzu kommen die zusätzlichen Kosten, die entstehen, wenn Schüler nicht die wohnortnahe Schule besuchen sollen. Diese Kosten sind von sozial Schwachen schwerer aufzubringen. Dementsprechend machen die sozial starken Eltern von diesen Optionen Gebrauch, weniger die sozial schwachen und bildungsferneren Eltern, was – insbesondere in den Ballungszentrum- die schulische Segregation weiter befördert (van Ackeren 2006a: 306ff.; Esser 2006a: 361ff.). Mechtild Gomolla und Frank-Olaf Radtke haben die Mechanismen untersucht, nach denen Schüler auf die Schularten verteilt und innerhalb der Schulen behandelt werden. Sie setzen dabei nicht bei den Schwierigkeiten an, die Zuwandererkinder vor allem in den ethnischen Kolonien häufig mitbringen, sondern bei den Interessen der Organisation Schule. Danach liege es im Interesse der Grundschulen, Schüler ausländischer Herkunft in Sonderschulen abzudrängen, um die eigene Problemlast zu reduzieren. Gomolla und Radtke erblicken hierin einen Fall »institutioneller Diskriminierung« (Gomolla/Radtke 2002: 194ff.; Gomolla 2003: 97ff.; Radtke 2004), ein »Muster der Diskriminierung und Abweisung« (Gomolla 2003: 105). Sonderschulen sind jedoch keineswegs speziell auf die Förderung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund ausgerichtet. Es »kann faktisch kein Beleg dafür gefunden werden, dass Sonderschulen besondere Kompetenzen in der Vermittlung von (Fremd-) Sprachen und der Anwendung von Didaktik besitzen, die zur Überwindung von Problemlagen nichtdeutscher Jugendlicher beitragen« (Powel/Wagner 2001: 19). »Anderssprachigkeit« wird auf diese Weise in »Lernbehinderung« umdefiniert: »Migrantenjugendliche werden bereits lange vor ihrem Übergang auf den Ausbildungsmarkt zu ›Lernbehinderten‹ gemacht« (Solga 2002: 20). Gomolla und Radtke unterstellen, die Schulen sortierten jene Schüler aus, die nicht der erwünschten »Norm« entsprechen (Sprachdefizite, schwierige soziale Herkunft, kulturell bedingte Fremdheiten). Sie ersparten sich auf diese Weise die Schwierigkeiten und den größeren Aufwand, der mit der Aufnahme solcher Schüler verbunden wäre, und entsprechen den Funktions- und Bestandsinteressen ihrer Organisation. Dieser Ansatz schärft den Blick für Argumentationsmuster und Mechanismen, die diskriminierende Wirkung entfalten können. Die Frage, ob in Grundschulen bei Übergangsempfehlungen diskriminierende Praktiken festgestellt werden müssen, ist umstritten: Das »Konsortium Bildungsberichterstattung« hält es für wahrscheinlich, dass Kinder mit Zuwanderungshintergrund bei Übergangsempfehlungen der Grundschulen benachteiligt werden (Konsortium Bildungsberichterstattung 2006: 165). Cornelia Kristen (2006: 92) kommt hingegen zu einem anderen Ergebnis:
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»Türkische und deutsche Kinder weisen damit bei gleichen Zensuren auch nahezu identische Chancen auf eine Empfehlung für einen der beiden höheren Bildungsgänge auf. Insgesamt ergeben die Analysen also keine Hinweise darauf, dass die Lehrerinnen und Lehrer Empfehlungen in Abhängigkeit der ethnischen Herkunft aussprechen«. Bisher gibt es nur einige Studien, die die These von der »institutionellen Diskriminierung« empirisch überprüft haben. »Die Befunde zur Erklärung der Nachteile von Migrantenkindern gegenüber deutschen Kindern durch institutionelle Diskriminierung sind insgesamt gesehen […] bislang spärlich und nicht übereinstimmend« (Diefenbach 2008: 139; so auch Esser 2006a: 291). Strukturen der Institution Schule wirken unter anderem durch eine frühe Differenzierung der Kinder in unterschiedliche Schultypen. Sie alleine können aber die soziale Selektivität von Schule nicht hinreichend erklären (Ditton 2008: 269). Der Bildungsstand der Eltern spielt – wie erwähnt – eine wichtige Rolle (ebd.: 270). Ein wesentlicher Kritikpunkt an der These von der »institutionellen Diskriminierung« besteht darin, dass die individuellen Probleme und Defizite, die Kinder von Zuwanderern, insbesondere in ethnisch-sozialen Unterschichtenkonzentrationen, mitbringen, als bloße Konstruktionen und Vorwände interpretiert und damit ausgeblendet werden. Jeglicher Hinweis wird unter das Verdikt eines »Kulturrassismus« gestellt (Gomolla/Radtke 2002: 266). Den Lehrkräften wird unterstellt, sie würden nur nach passenden Argumenten suchen, um die Schule (und damit auch sich selbst) vor Belastungen und Problemen zu schützen. Allerdings ist der Versuch, über Quoten die Anteile von Migrantenkindern an der eigenen Gesamtschule in Grenzen zu halten, nicht nur im Interesse der Lehrkräfte und der Schulleitungen zu sehen, in der Liga der Gymnasien mitspielen zu dürfen (ebd.: 272). Tatsächlich liegt dies auch im Interesse aller betroffenen Schüler – unabhängig von ihrer ethnischen und sozialen Herkunft. Unterstellungen nationalistischer Voreingenommenheit bei Lehrern wie: »Der Verweis auf sprachliche Defizite im Rahmen negativer Schullaufbahnentscheidungen fungiert oft als Synonym für eine als homogen imaginierte ›deutsche Kultur‹« (Gomolla 2003: 105), ignorierten auch die essentielle Bedeutung, die die Beherrschung der Sprache des Aufnahmelandes – nicht nur in Deutschland – für eine erfolgreiche Integration hat. Dass das Leitbild einer »multikulturellen Schule« anstelle einer »deutschen Schule« hier weiterhelfen könnte, muss ebenfalls bezweifelt werden. Auch der Hinweis auf das niederländische schulische Integrationskonzept (ebd.: 20) kann angesichts der dortigen Integrationsbilanz nicht überzeugen. »Das Versäumnis der Politik, die Bildungsinstitutionen systematisch an die migrationsbedingte sprachliche und
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kulturelle Pluralisierung anzupassen, öffnet das Feld für vielfältige Formen der Diskriminierung im pädagogischen Alltag« (ebd.: 106). Dieses Argumentationsmuster sieht die Ursache stets in unzureichenden Leistungen der Schulen in Deutschland (und nicht bei den Leistungen, die die Zuwanderer zu erbringen hätten). Hinzu kommt, dass man sich auch von einer stärkeren »sprachlichen und kulturellen Pluralisierung« der Schulen keine Wende zum Besseren erwarten darf (worauf weiter unten eingegangen wird). Im schulischen Alltag sind die Lehrkräfte allerdings in vielen Fällen mit besonders aggressiv auftretenden Kindern mit islamischem Hintergrund konfrontiert. Schüler nehmen nicht am Unterricht teil, Auseinandersetzungen mit aggressiven, unbeherrschten und unkonzentrierten Jugendlichen verbrauchen Zeit. Der Kampf kostet Zeit und Kraft, die fehlen, wenn es um das Vermitteln der eigentlichen Lehrinhalte geht. Das gilt insbesondere für viele Hauptschulen, an denen eine »hoch verdichtete Gewaltkultur« vorherrscht108 (Baier/ Pfeiffer 2007). Die Eltern sind sehr häufig nicht kooperationsbereit. Sie demonstrieren gegenüber den Problemen der Kinder und damit auch der Schule ausgeprägtes Desinteresse. Hinzu kommt der Einfluss islamistischer Gruppen, wie der Unterricht durch die »Islamische Föderation« in Berlin, die negativ auf die Integrations- und damit auch Anpassungsbereitschaft der Kinder einwirken. Überkommene Familien- und festgefügte Clanstrukturen sind es zudem, die die Integrationschancen der Jugendlichen gegen Null tendieren lassen. Ein »Quartiersmanager« aus dem »Rollbergviertel« in Berlin-Neukölln beschreibt die Lage: »Viele Migranten in der Rollbergsiedlung stammen aus bildungsfernen Schichen; für die stellt Bildung fast keinen Wert dar. Dem zahlreichen Nachwuchs dieser Familien ist in einer Wissensgesellschaft die Dauerarbeitslosigkeit gewissermaßen in die Wiege gelegt. Bildung allein kann Integrationshemmnisse, wie das übermächtige Patriarchat, altertümliche religiöse Bräuche und Aberglaube sowie die totalitäre Macht der Familie, meist des Familienoberhauptes, über den Einzelnen, überwinden helfen. Nur Bildungsanstrengungen vom Kindergarten an können lebenslange Ausgrenzung verhindern sowie islamistische Rückzugstendenzen eindämmen. In vielen Familien muss bei der Bildung, aber auch bei dem von unserer Gesellschaft erwarteten sozialen Verhalten bei Null angefangen werden. […] Auch der anhaltende Trend bei vielen türkischen und arabischen Männern, Ehefrauen aus den Heimatdörfern zu ›importieren‹, sowie der fatale Einfluss der heimatlichen Satelliten-TV-Programme verlangsamen den Spracherwerb erheblich – und somit auch Bildung und Integration« (Duhem 2005: 24).
—————— 108 So der Kriminologe Christian Pfeiffer, im Interview des Deutschlandradio vom 4. April 2006: »Lust auf Leben wecken« http://www.dradio.de/dkultur/-sendungen/kulturinterview/ 486417/ [23. April 2007].
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Dass es sich hier um »Differenzkonstruktionen« handelt, die »zur Legitimation von Ausgrenzung instrumentalisierbar [werden] und […] sich als anschlussfähig für alltagsweltliche rassistische Diskurse, wie beispielsweise islamfeindliche Strömungen« erweisen (Gomolla 2003: 107), muss selbst als ideologische Konstruktion und Fehldeutung der gesellschaftlichen Wirklichkeit, ihren Notwendigkeiten und Mechanismen angesehen werden. Es handelt sich hier um den Versuch, die alltäglichen Erfahrungen unter das Verdikt von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu stellen, auf diese Weise zu diskreditieren und möglichst aus dem öffentlichen Diskurs zu verdrängen.
Bildungsstand der Eltern Von besonderer Bedeutung für das schulische Fortkommen der Kinder ist das Bildungsniveau der Eltern (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2005: 81). »Eine der wichtigsten Ressourcen für Bildungsinvestitionen ist die von den Eltern gesammelte eigene Bildungserfahrung« (Kirsten/Granato 2004: 126). Dies gilt für elterliche Unterstützung bei Hausaufgaben und außerschulischen Lernprozessen ebenso wie für die Kenntnis der Struktur des Bildungssystems, die die Voraussetzung darstellt, sich dort geschickt zu verhalten (ebd.: 126f.). Die Herkunft aus »bildungsfernen Schichten« im Herkunftsland, Fremdheit gegenüber dem deutschen Bildungssystem, seinen Leistungsanforderungen und Mechanismen kommen zu mangelnden Sprachkenntnissen erschwerend hinzu. Die »Bildungserfahrung der Eltern entfaltet ihre volle Wirksamkeit nicht zuletzt dadurch, dass sie ganz selbstverständlich zur kontinuierlichen Unterstützung der Kinder im Alltag bereitsteht« (ebd.: 127). Die Gründe für die offensichtlichen Defizite und Probleme liegen auch in einer verbreiteten Unkenntnis über die Bedeutung beruflicher Ausbildung und nicht zuletzt in den traditionellen Vorstellungen über das Rollenverständnis von Mädchen. So bewegen sich die Ausbildungsquoten weiblicher Jugendlicher bei türkischen Staatsangehörigen mit 31,8 und bei griechischen mit 32 Prozent deutlich unter dem Durchschnitt deutscher Auszubildender (Loeffelholz/Hernold 2001: 68). »Schüler, die aus einem Elternhaus kommen, in dem das ethnische Milieu ausgeprägter ist, besuchen häufiger die Hauptschule. So sind etwa drei Viertel der Schüler mit mindestens einem schlecht deutsch sprechenden Elternteil auf der Hauptschule, während dieser Anteil bei Kindern mit gut deutsch sprechenden Eltern nur die Hälfte ausmacht« (Alba/Handl/ Müller 1994: 218, 229).
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Von Lehrern wird immer wieder beklagt, dass in den ethnischen Kolonien nicht nur »bildungsferne« Zuwanderer und deren Nachkommen dominieren, sondern dass es sich in vielen Fällen auch um »spracharme Familien« handelt – Familien, in denen über das schulische Leben, Hausaufgaben und Probleme nicht gesprochen wird. Fest steht, dass »die Ausstattung der Familien mit bildungsrelevanten Ressourcen entscheidend für eine erfolgreiche strukturelle Integration von Migrantenkindern ist« (Kirsten/Granato 2004: 141). Die Einbindung von Eltern und Schülern in soziale und informelle Netzwerke ist ebenfalls für die Chance von Bedeutung, eine Lehrstelle oder einen Arbeitsplatz zu finden. Unterdurchschnittliche Teilhabe an solchen Netzwerken (u. a. aufgrund der eigenen beruflichen Position oder aufgrund länger andauernder Arbeitslosigkeit) wirken sich negativ auf die Chancen der Kinder aus (Boos-Nünning 2006: 18ff.). Umgekehrt erhöht die Einbindung von Jugendlichen in freiwilligen Organisationen vor Ort die Chance, einen Ausbildungsplatz zu finden. »Wer bereits während der Schulzeit aktiv bei der örtlichen Feuerwehr, dem Technischen Hilfswerk (THW), einem Rettungsdienst öder Ähnlichem mitarbeitet, findet später nachweislich rascher als andere einen Ausbildungsplatz« (Beicht/Friedrich/Ulrich 2007: 5). Viele Zuwanderer haben häufig besonders ausgeprägte Bildungsaspirationen für ihre Kinder (Diefenbach 2008: 91). Allerdings stehen diese Wünsche nicht zwangsläufig in einem direkten Zusammenhang mit dem eigenen Handeln. Die Kinder werden im Laufe der Schulzeit häufig mit ihren Problemen alleine gelassen. Die Eltern kennen nicht die Leistungsanforderungen deutscher Schulen und die Notwendigkeiten, die sich daraus ergeben. Wenn sie Deutsch nicht verstehen, können sie ihren Kinder nicht helfen. Hinzu kommen soziokulturelle Gründe (Leenen/Grosch/Kreidt 1990). So wird darauf verwiesen, dass die Bildungseinstellungen der türkischen Zuwanderer vielfach nicht kompatibel zu dem deutschen System seien. »Die Eltern haben aber nicht einfach nur ›Informationsdefizite‹, sondern eine andere Vorstellung von Schule und Lernen, aus der sich auch die Distanz bzw. eine gewisse Abwehrhaltung der deutschen Schule gegenüber erklärt […] Sie sehen alle Fragen schulischer Bildung und beruflicher Ausbildung zunächst aus der Perspektive ihrer sozialen Vorerfahrung« (ebd.:758).
So hat in der traditionellen türkischen Schulwelt der Lehrer eine völlig andere und sehr viel stärkere Rolle als in Deutschland: »In der türkischen Schulwelt hat der Lehrer einen allgemeinen Erziehungsauftrag, soll gleichsam fortführen, was in der Familienerziehung begonnen und angelegt wurde. […] Die Eltern lassen ihm nahezu freie Hand und signalisieren damit zugleich die Erwartung, dass er auftretende Konflikte selbst lösen sollte. Das Verhalten des Kindes in der Schule fällt in das Aufgabenfeld des Lehrers, aus dem sich die Eltern heraushalten werden« (ebd.: 759).
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Dazu gehört auch das Recht zu körperlichen Strafen, das bis zum Schuleintritt ausschließlich dem Vater vorbehalten war. Dies erklärt unter anderem die immer wieder festgestellte große Distanz und die gering ausgeprägte Mitwirkungsbereitschaft vieler türkischer Eltern in Angelegenheiten der Schule. »Weiterhin ist in der Türkei zu beobachten, dass die Eltern sich sehr selten in die schulischen Angelegenheiten einmischen. Dort herrscht die allgemeine Meinung, dass die Schule bzw. der Lehrer das einzig Richtige und Angemessene tun wird, und alle Entscheidungen werden mit großem Respekt angenommen. Ein Widersprechen ist nicht angemessen und wird als Kompetenzüberschreitung interpretiert« (Toprak 2004: 121).
In diesen Zusammenhang gehört auch das bei der Einschulung gebräuchliche Sprichwort: »Das Fleisch gehört dir, die Knochen mir«. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass dem Lehrer in Erziehungsfragen alle Freiheiten zugestanden werden (ebd.: 122). Unterschiedliche kulturelle Prägungen führen in Deutschland dann nicht selten zu Missverständnissen auch im schulischen Alltag. »Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund stehen mitunter hilflos zwischen den Werten, die in der Schule vermittelt werden, und den in der Herkunftskultur verankerten Werten ihrer Familie. Eltern und Lehrer mögen das gleiche Verhalten völlig unterschiedlich interpretieren, da sie durch unterschiedliche kulturelle Brillen schauen. Wenn ein Lehrer, der eher independent orientiert ist, den Eltern mitteilen möchte, dass sich ihr Kind ›gut‹ in der Schule entwickele, und ihnen sagt, dass der Sohn oder die Tochter in der Lage sei, unabhängig und selbstständig zu arbeiten, so mögen die Eltern dies als Kritik an der sozialen Eingliederung ihres Kindes in der Klassengemeinschaft verstehen und heraushören, dass ihr Kind isoliert von der Gruppe sei« (Keller 2004: 117).
Die Bedeutung »kulturellen Gepäcks« zur Erklärung von Nachteilen von Zuwandererkindern im deutschen Bildungssystem ist umstritten. Diefenbach (2008: 89ff.) betont, sie würden durch empirische Studien nicht gestützt und erklärten zudem unter anderem nicht, warum ausgerechnet italienische neben den türkischen Kinder am schlechtesten abschnitten (Diefenbach 2008: 89ff.). Hinzu kommt, dass diese Argumentation mit »Herkunftskulturen« voraussetzt, dass es sich dabei um homogene Kulturen handelt – was beispielsweise für das Herkunftsland Türkei nicht unterstellt werden kann. Eine weitere These zum Thema Nachteile von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund im Bildungssystem lautet, die mangelnde Aufenthaltssicherheit führe Zuwanderer dazu, Investitionen in Bildung geringer zu schätzen und stattdessen kurzfristige Einkommenserzielung in den Vordergrund zu rücken. Diese These kann für die 1970er und 1980er Jahre Plausibilität beanspruchen, angesichts der verfestigten Aufenthaltsrechte der großen Zuwanderergruppen, kann sie allerdings nicht aufrecht erhalten werden (Diefenbach 2008: 110f.).
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Soziale Bedingungen des Spracherwerbs Unter den sprachlich förderungsbedürftigen Vorschulkindern stellen Kinder mit Zuwanderungshintergrund in allen Ländern der Bundesrepublik Deutschland die Mehrzahl (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2008: 20). Da der Erwerb und das Beherrschen der deutschen Sprache eine zentrale Bedeutung für jegliche Form von Integration haben, sehen die staatlichen Akteure hier einen zentralen Ansatzpunkt. Dabei stehen zwei Aspekte im Zentrum: die möglichst früh ansetzende und umfassende Förderung des Erwerbs der deutschen Sprache sowie die Förderung der Erst-(Mutter-) Sprache. Im Nationalen Integrationsplan haben sich alle beteiligten Akteure auf diese Ziele verständigt (Bundesregierung 2007: 47ff.). Esser betont, der »Erwerb der Sprache des Aufnahmelandes [sei] eine zentrale Bedingung […] jeder weiteren Sozialintegration der Migranten außerhalb des ethnischen Kontextes. Bildungserfolg, die Platzierung auf interessanten Positionen, die Aufnahme von Kontakten und die Strukturierung von Identitäten hängen allesamt deutlich von sprachlichen Kompetenzen ab und wirken, wenigstens teilweise – darauf wieder zurück« (Esser 2006: 11; Esser 2006a: 54ff., Hervorhebung im Original). Dabei geht es bei der strukturellen Integration in Bildungswesen und Arbeitsmarkt vor allem um eine möglichst gute und akzentfreie Beherrschung der Zweitsprache. »Speziell die (für den jeweiligen Kontext!) übliche korrekte und akzentfreie (phonologische) Aussprache einerseits und die fehlerfreie Beherrschung der Schrift andererseits sind hierbei besonders bedeutsam« (ebd.: 61). Das Erlernen der Sprache des Aufnahmelandes erfolgt nach den Prinzipien Motivation, Opportunitäten und Kosten (ebd.: 53; 74ff.). Um die Investitionen (Anstrengungen) des aktiven Erlernens einer Zweitsprache auf sich zu nehmen, müssen Anreize vorhanden sein, ein Zugewinn in Aussicht stehen. Mit steigender Bildung nimmt grundsätzlich die Verwertbarkeit der Zweitsprache zu (ebd.: 82). Es gibt einen deutlichen Zusammenhang zwischen dem ethnischen Kontext im Aufnahmeland und dem Zweitsprachenerwerb. Je ausgeprägter die innerethnischen Kontakte im Alltag sind (Medienkontakte in der Herkunftssprache, die Muttersprache als Umgangssprache in der Familie, im Freundeskreis etwa) desto größer ist der Nutzen der Herkunftssprache und desto geringer ausgeprägt ist die Motivation, die Mühen des Erlernens der Zweitsprache auf sich zu nehmen. »Das dürfte bei hohen ethnischen Konzentrationen und in dabei institutionell gut ausgebauten ethnischen Gemeinden ganz besonders der Fall sein, weil sich dann mehrere der Bedingungen bündeln und sogar gegenseitig verstärken« (Esser 2006: 31f.; 2006a: 85ff.; 143ff.; 337ff.).
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Die Größe der jeweiligen ethnischen Gruppe spielt dabei eine wichtige Rolle: »Bei stärkeren ethnischen Konzentrationen wirken sich die ungünstigen Bedingungen einer geringen Bildung, einer kürzeren Aufenthaltsdauer und eines höheren Einreisealters in der Tat jeweils besonders stark aus« (Esser 2006: 43; 2006a: 131ff.). Auch die schulische Segregation (die – wie schon dargestellt – ausgeprägter ist als die residentielle) trägt einen großen Teil dazu bei. Spezifische Strukturen der Sprachumwelt haben spezifische Auswirkungen. So wirkt sich eine hohe Konzentration türkischer Schüler für diese besonders negativ aus: »Je höher der Anteil der türkischen Kinder ist, umso höher ist der Förderbedarf in Deutsch für die türkischen Kinder« (Esser 2006a: 358). Sie bleiben unter sich, der Zugang zur Zweitsprache nimmt ab und die Motivation zu ihrer Nutzung sinkt damit. Die Existenz von Gelegenheitsstrukturen, von Opportunitäten und Zugängen, zum Erlernen der Sprache des Aufnahmelandes, müssen daher sehr viel stärker als bisher in die Überlegungen einbezogen werden. Hier wäre »ein Feld der praktischen Intervention, vor allem im Vorschulbereich, von dem man viel eher annehmen kann, dass eine solche Intervention nachhaltigere Wirkungen auf die Integration hat als die allermeisten Maßnahmen, die bisher versucht oder vorgeschlagen worden sind, wie etwa bilingualer Unterricht in den Schulen oder Sprachkurse für Erwachsene […]« (Esser 2008: 227).
Dabei gibt es gerade bei Türken eine stärkere Tendenz zur Aufgabe der Muttersprache als bei allen anderen Gastarbeiternationalitäten, besonders im Vergleich zu den Griechen und den (Ex-)Jugoslawen. Das weist darauf hin, »dass die dem […] Augenschein nach besonders starke Orientierung auf die Muttersprache bei den Türken nichts weiter ist als eine Folge der besonderen alltäglichen Bedingungen, die für die Beibehaltung der Muttersprache sorgen; mit einer besonderen ›türkischen‹ Neigung zum Kulturerhalt hat das offenbar nichts zu tun« (Esser 2006: 57). Es gibt einen eindeutigen Zusammenhang zwischen dem Erwerb der Zweitsprache und dem Einreisealter. Es gibt eine »kritische Periode« etwa nach dem 13. Lebensjahr (Esser 2008: 209ff, 219; 2006: 252ff.), nach der aus neurophysiologischen Gründen die Fähigkeiten zum Erlernen einer Zweitsprache drastisch abnehmen. Je früher ein Kind die Zweitsprache lernt, desto größer sind seine Chancen einer erfolgreichen Bildungskarriere. Es gibt außerdem einen deutlichen Zusammenhang zwischen der im Herkunfts- oder im Aufnahmeland erworbenen Bildung bzw. der Bildung der Eltern und einem erfolgreichen Erwerb der Zweitsprache (Esser 2006a: 109ff.).
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Es gibt keinen nachweisbaren Zusammenhang zwischen kompetenter Zweisprachigkeit und schulischem Erfolg. Seit den 1970er Jahren wird immer wieder wird ein eigenständiger positiver Effekt der Beibehaltung der Muttersprache behauptet. Esser kommt dagegen zu dem Schluss: »Die empirischen Belege für die Vermutung, dass bilinguale Fertigkeiten eine über die Effekte der Zweitsprachenkompetenz hinausgehende positive Wirkung auf das soziale und psychische Wohlergehen der Migranten(kinder) haben, sind jedenfalls äußerst spärlich und es zeigt sich eher, dass die (sprachliche) Assimilation dazu führt, was gelegentlich der Beibehaltung der Muttersprache bzw. der Bilingualität und – allgemein – der multikulturellen Orientierung und Einbettung zugeschrieben wird; ein höheres Selbstwertgefühl und geringere psychische Probleme« (Esser 2006: 75).
Der Sprachgebrauch im Elternhaus hat einen starken negativen Einfluss auf die Leseleistungen in der Zweitsprache (Esser 2006: 66). Generell besteht ein enger Zusammenhang zwischen der sozioökonomischen Position und dem kulturellen Kapital der Eltern einerseits und der Lesekompetenz in der Zweitsprache andererseits (ebd.: 67). Dabei spielen für die einzelnen Zuwanderergruppen unterschiedliche Gründe für Misserfolge beim Lernen eine Rolle. Bei den Aussiedlerkindern wirkt sich vor allem das hohe Einreisealter negativ aus, bei den Kindern der Gastarbeiternachkommen, speziell der Türken, sind Bildung, Status und kulturelles Kapital der Eltern von entscheidender Bedeutung. (ebd.: 67). Esser kommt zu dem Schluss, dass ethnisch-sprachliche und die damit meist verbundene Konzentration von Kindern aus sozial schwachen Schichten sowie die damit einhergehenden Wirkungen auf das Lernklima und Lerneffizienz »eine der zentralen Ursachen der ethnischen Unterschiede in den schulischen (Sprach-)Leistungen sind und dass entsprechende Mischungen in den Schulen und Schulklassen ein wichtiger Teil der Lösung des Problems wären (unter Beachtung evtl. Schwellenwerte, etwa nach den Ergebnissen aus der PISA-Studie)« (ebd.: 70). Die negativen Auswirkungen ethnischer Konzentration in Schulklassen betreffen nicht nur die Entwicklung der sprachlichen Kompetenz, sondern auch die Bereitschaft zur Gewaltanwendung. In den aktuellen Untersuchungen des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen findet sich »ein Zusammenhang zwischen dem Migrantenanteil einer Klasse und dem eigenen Gewaltverhalten. Dort, wo viele Migrantenkinder in einer Klasse sind, neigt das einzelne Kind verstärkt zur Gewalt. […] Wenn Migrantenkinder aber nun in eine Klasse gehen, in der es mehrheitlich deutsche Kinder gibt, passen sie ihr Verhalten an das der Deutschen an. Klassen mit hohem Migrantenanteil bieten demgegenüber mehr Möglichkeiten für die Bildung von (ethnisch homogenen) Gruppen und Cliquen, aus denen heraus Gewalt verübt wird« (Baier/Pfeiffer/Windzio 2006: 262).
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Die Beherrschung der Zweitsprache hat auch entscheidenden Einfluss auf den beruflichen Erfolg. »Auf dem Arbeitsmarkt scheint es nach diesen Ergebnissen, ganz ähnlich wie beim Zusammenspiel der ethnischen Konzentration mit den anderen Lernumständen bei Spracherwerb und Bildung, eine kumulierte Wirkung zu geben: Gerade unter den besseren Bedingungen wirkt sich der Abbau der (sprachlichen) Defizite einkommensfördernd aus, während bei schlechten Sprachkenntnissen auch eine höhere Bildung kaum etwas nützt« (Esser 2006: 90).
Je besser die Sprachkenntnisse sind, desto größer sind auch die Erfolgschancen, einen Ausbildungsplatz zu finden: »Jugendliche mit Migrationshintergrund, die Deutsch als erste Sprache erlernten, haben eine doppelt so große Chance auf einen Ausbildungsplatz wie Migranten, die zuerst eine andere Sprache erlernt haben. Deutsche Sprachkenntnisse sind zentral für die Bildungs- und Ausbildungsbeteiligung; es ist daher unabdingbar, dass Migrantenkinder und ihre Familien beim frühzeitigen Erlernen der deutschen Sprache gefordert und gefördert werden« (Friedrich 2005: 11).
5. Die Debatte um Integration »After all, what exactly is a culture? What marks its boundaries? In what way is a sixteenyear-old British-born boy of Pakistany origin living in Bradford of the same culture as a fiftyyear-old man living in Lahore? Does a sixteen-year-old white boy from Bradford have more in common culturally with his fifty-year-old father than with that sixteen-year old ›Asian‹?« Kenan Malik
Seit geraumer Zeit gehört es zum politischen Konsens, dass sich die dauerhaft und rechtmäßig in Deutschland lebenden Zuwanderer in die Gesellschaft integrieren sollen. Zu Recht ist festgestellt worden: »Zur ›Integration‹ der Zuwanderer gibt es eigentlich in einer modernen, auf Leistung, Freiheit und Gleichheit aufgebauten Gesellschaft, zumal in Zeiten der wirtschaftlichen Globalisierung und der politischen Integration in Europa, keine vernünftige Alternative« (Esser 1998: 130). Mit der Verabschiedung des »Nationalen Integrationsplans« und eines zweiten »Integrationsgipfels« im Bundeskanzleramt stand das Thema »Integration« in den zurückliegenden Jahren auf der politischen Tagesordnung an prominenter Stelle (Weinmann 2008). Über die herausragende Bedeutung von »Integration« von Zuwanderern besteht in den politischen Verlautbarungen Einigkeit. Erkannt wird darin eine Aufgabe von nationaler Bedeutung (so der »Nationale Integrationsplan« 2007: 12) und »eine politische Schlüsselaufgabe« (Bundeskanzleramt 2006: 1). Der Schwerpunkt liegt auf einer Bestimmung ex negativo: »mangelnde Beherrschung der deutschen Sprache, Schwächen in Bildung und Ausbildung, höhere Arbeitslosigkeit und die fehlende Akzeptanz von Grundregeln unseres Zusammenlebens bis hin zur Verletzung von Gesetzen, nicht zuletzt von Frauenrechten« (Bundeskanzleramt 2006: 2ff.). Positiv gewendet bleibt die inhaltliche Bestimmung vage. Erfolgreiche Integration wird verstanden als »Identifikation, Teilhabe und Verantwortung«. Grundlage für ein zu entwickelndes »gemeinsames Verständnis von Integration« müssten »neben unseren Wertvorstellungen und unserem kulturellen Selbstverständnis unsere freiheitliche und demokratische Ordnung, wie sie […] im Grundgesetz ihre verfassungsrechtliche Ausprägung findet« sein.
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Integration/Assimilation Der Begriff »Integration« ist sowohl in der politischen als auch in der sozialwissenschaftlichen Debatte umstritten (Mammey 2005; Imbusch/Rucht 2005; Lange/Schimank 2004). Im Aufenthaltsgesetz postuliert der Gesetzgeber als Zweck der »Integrationskurse«, die »Ausländer an die Sprache, die Rechtsordnung, die Kultur und die Geschichte in Deutschland heran[zu]führen. Ausländer sollen dadurch mit den Lebensverhältnissen im Bundesgebiet so weit vertraut werden, dass sie ohne die Hilfe oder Vermittlung Dritter in allen Angelegenheiten des täglichen Lebens selbständig handeln können« (Paragraph 43, Abs. 2 AufenthG). Das Ziel von Integrationspolitik muss darin bestehen, allen dauerhaft und rechtmäßig in Deutschland lebenden Personen unabhängig von ihrer Herkunft gleiche Teilhabechancen zu ermöglichen. Angehörige dieses Personenkreises sollen unabhängig von Herkunft und Religion die Möglichkeit haben, sich einzugliedern. Einerseits müssen die staatlichen Institutionen Integrationsbedingungen bieten (Makroebene), andererseits muss der Zuwanderer sich selbst um Eingliederung aktiv bemühen (Mikroebene). Integration – so das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung – besteht in der »Chancengleichheit für Deutsche und Zuwanderer in allen Teilräumen des Bundesgebietes. Das Ziel sind gleichwertige regionale Lebensbedingungen für Deutsche und Zuwanderer. […] Am Ende des Integrationsprozesses sollten dann keine Unterschiede in den Lebenschancen und -bedingungen bestehen, die nur auf den Status ›deutsch‹ oder ›nicht deutsch‹ bzw. eine entsprechende ethnische Herkunft zurückzuführen sind« (Böltken/Gatzweiler/ Meyer 2002: 397).
Demnach können als Indikatoren für Integration beispielsweise die durchschnittlichen Wohnverhältnisse gelten, die Verteilung auf die Schularten, die erzielten Schulabschlüsse, Arbeitslosen- und Sozialhilfequoten (Statistisches Bundesamt 2005; Siegert 2006). Auf gesellschaftlicher Ebene kann es sowohl ein Übermaß an Integration geben als auch einen Mangel an Integration, »Desintegration«. Überintegration bedeutet, dass die Teilsysteme durch das Ganze blockiert werden, was wiederum zur Lähmung des Gesamtsystems führt, wie in den früheren sozialistischen Staaten (Lange/Schimank 2004:14). Der Extremfall von Desintegration wäre der Zerfall einer Einheit. Beides – Überintegration und Desintegration – geht mit einem Verlust an Freiheitsgraden einher (Lange/Schimank 2004: 14). So kann eine Politik der »Deregulierung« als Reduktion von Integration verstanden werden. Der Konflikt um die Sinnhaftigkeit einer solchen Politik, um die Frage, wer ihre Profiteure sind und welche gesellschaftlichen Folgen sie
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hat, gehört zu den zentralen Kontroversen der vergangenen Jahre. Gesellschaftliche Integration kann nur annäherungsweise bestimmt werden. Sie »stellt so eine Balance zwischen Des- und Überintegration dar, einen mittleren Ordnungszustand, der durch ein Zuviel oder Zuwenig an Ordnung gestört werden kann. Gesellschaftliche Integration ist damit auch ein zeitpunkt-relativer Maßstab. Aussagen darüber sind nur sinnvoll, wenn der Gesellschaftszustand zum Zeitpunkt t1 integrierter bzw. weniger integriert als zum Zeitpunkt t0 ist. Man verfügt über keinen absoluten, außerhistorischen Maßstab für das angemessene Niveau gesellschaftlicher Integration« (Schimank 2008: 554).
Schimank (2008: 555f.) unterscheidet drei Dimensionen gesellschaftlicher Integration: Sozialintegration (Integration der Gesellschaftsmitglieder in die Gesellschaft), Systemintegration (Integration der Teilsysteme in die Gesellschaft) sowie ökologische Integration (Verhältnis der Gesellschaft zu ihrer physikalischen, chemischen und biologischen Umwelt). Integrationsleistungen auf individueller Ebene – wie der Erwerb der Sprache des Aufnahmelandes – sind Voraussetzungen selbstbestimmten Handelns. Das gilt nicht nur für den Alltag, der ohne fremde Hilfe bewältigt werden soll. Es gilt darüber hinaus für die Entscheidungsfreiheit, sich den mitgebrachten kulturellen Zusammenhängen gegenüber zu verhalten: mehr oder weniger bewahrend, mehr oder weniger distanzierend. Für die Konzepte von Integration und Assimilation aus handlungs- und systemtheoretischer Perspektive sollen hier Hoffmann-Nowotnys und Essers Ansätze skizziert werden. Hoffmann-Nowotny bestimmt »Integration« als Teilhabe an der Gesellschaft (berufliche Stellung, Mitgliedschaft in Gewerkschaften, Vereinen) und bezieht sie vornehmlich auf Voraussetzungen des Aufnahmesystems (Hoffmann-Nowotny: 1986: 22). »Assimilation« wird verstanden als Teilhabe an der »Kultur« (Sprache, Werte, Normen) des Aufnahmelandes (Hoffmann-Nowotny 1987: 61f.) und meint damit die »motivationalen Voraussetzungen auf Seiten der Migranten« (Hoffmann-Nowotny 1990: 22). Von den Aufnahmeländern sollte Integration politisch gefördert, Assimilation aber nicht erzwungen werden (ebd.: 62). Er weist darauf hin, dass es in einer modernen differenzierten Gesellschaft keine einheitliche und statische Kultur gibt. Integration in die Kultur des Aufnahmelandes kann infolgedessen nur heißen, »dass die Einwanderer an die ihrer jeweiligen Schichtlage entsprechende Subkultur assimiliert sind. Angesichts der marginalen strukturellen Position der Einwanderer […] muss der von ihnen realistischerweise zu erwartende Assimilationsgrad immer mit Bezug auf die Subkultur der unteren Unterschicht des Einwanderungslandes betrachtet werden und kann nicht an den Idealen der dominierenden Mittelschichtkultur gemessen werden« (Hoffmann-Nowotny 1973: 176).
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Die Integration einer Zuwanderergruppe wäre dann erreicht, »wenn sie ihren Minoritätscharakter verloren hätte, mit anderen Worten Unterprivilegierung und Überprivilegierung nicht mehr mit zugeschriebenen Merkmalen zusammenfielen« (ebd.: 194). Die Assimilationsbereitschaft hängt wesentlich von den Integrationschancen ab, die sich Zuwanderern bieten (ebd.: 190ff.). Von der »Integration« einer Gruppe kann also dann gesprochen werden, wenn sich innerhalb dieser Gruppe ähnliche Ungleichheiten wie in der Gesamtbevölkerung ergeben. Ungleichheit ist ein logisches Ergebnis marktförmig organisierter kapitalistischer Gesellschaften. Essers Ansätze gehen von der »Wert-Erwartungs-Theorie« aus. Danach wird jene Handlungsoption gewählt, die die höchsten Erträge verspricht und von der erwartet wird, dass diese Erträge auch tatsächlich erzielt werden (Esser 2008: 88). Für Zuwanderer gibt es grundsätzlich zwei Optionen – jene in Richtung Aufnahmegesellschaft und jene in Richtung der eigenen ethnischen Gruppe. Für die Investitionen, die für die Integrationsleistungen erforderlich sind, gilt, dass das mitgebrachte ethnisch geprägte Kapital zumindest zu großen Teilen durch die Wanderung entwertet wird (Sprache, Netzwerke etc.). Werden die Investitionen allerdings im Umfeld der eigenen ethnischen Gruppe und ihrer Strukturen getätigt, so bleiben größere Teile des mitgebrachten Kapitals verwertbar. Auch wenn die zu erzielenden Profite tendenziell niedriger liegen als bei einer Investition in ein Fortkommen in die Aufnahmegesellschaft, spricht dies für die Option »eigene ethnische Gruppe« – nicht zuletzt auch deshalb, weil Investitionen in die Aufnahmegesellschaft mit höheren Kosten und höherem Risiko verbunden sind (ebd.: 88). Die Wahrscheinlichkeit, die Option »eigene ethnische Gruppe« zu wählen steigt mit der Größe dieser Gruppe, »weil dann strukturell die Wahrscheinlichkeit kleiner wird, auf einheimische Akteure zu treffen, mit Folgen etwa für den Spracherwerb oder die Aufnahme interethnischer Beziehungen« (ebd.: 89). Hinzu treten »ethnische Grenzziehungen«: Sie können unter anderem erfolgen durch residentielle Segregation oder durch »ethnische Organisationen, etwa in Form einer ethnischen Binnenökonomie, der institutionellen Vervollständigung ethnischer Gemeinden und des Ausbaus ethnischer Netzwerke, mental über die Entstehung oder Verstärkung ethnischer Identitäten […]« (ebd.: 91). Grundsätzlich gilt: »Bei auf das Aufnahmeland bezogenen Optionen tritt, auch unbeabsichtigt, eine Angleichung zwischen den Gruppen ein, bei überwiegend auf die ethnische Gruppe bezogenen Optionen nicht« (ebd.: 92). Unter Assimilation versteht Esser »den Prozess der Eingliederung des Wanderers in das Aufnahmesystem« sowie einen »Zustand der Ähnlichkeit des
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Wanderers in Handlungsweisen, Orientierungen und interaktiver Verflechtung zum Aufnahmesystem« (Esser 1980: 22). Integration definiert Esser als »Gleichgewichtszustand von personalen bzw. relationalen Systemen«. Gleichgewicht hat dabei drei Dimensionen: »das individuelle Gleichgewicht, die gleichgewichtige Verflechtung einer Person in relationale Bezüge und das Gleichgewicht eines Makrosystems als spannungsarmes, funktionales Verhältnis der Subeinheiten zueinander« (ebd.: 23). Zentrale Faktoren einer »raschen und stabilen Integration des Wanderers« sind nach Esser »Sprachkenntnisse, kognitive Flexibilität und personale Autonomie, eine hohe Dringlichkeit der Problemlösung beim Wanderer (und bei Personen des Aufnahmesystems) […], sowie die Existenz von ethnischen Rückzugsbereichen (ethnische Gemeinden) und die Einfachheit des zu organisierenden Problemspektrums (Anspruchsniveau und Erwartungen)« (ebd.: 75). Integration ist demnach »einerseits die Voraussetzung für jede verhaltenswirksame Assimilation, andererseits kann sie (z. B. in ethnischen Enklaven) den weiteren Assimilationsprozess (wegen des Fehlens ›treibender‹ Entbehrungserlebnisse) beenden bzw. verlangsamen« (ebd.: 82). Als Faktoren der Assimilation nennt Esser Motivation, Fertigkeiten, kognitive Fähigkeiten der Person, Opportunitäten, Barrieren und Handlungsalternativen. »Integration« bedeutet vom Wortsinn her die Herstellung eines Ganzen aus unterschiedlichen Teilen. Dabei müssen die Teile unverzichtbarer Bestandteil des Ganzen sein (Esser 2000: 261ff.). Integration kann sich auf drei Räume beziehen: das Aufnahmeland, das Herkunftsland oder die ethnische Kolonie im Aufnahmeland. Bei Integration geht es zum einen um das Verhältnis von Teilsystemen zu einander und um die Frage, in welcher Beziehung die Teile zum Ganzen stehen (Systemintegration). Sie ist von den Absichten und Motiven der einzelnen Akteure weitgehend unabhängig (Esser 2000: 270). Zum zweiten geht es um die Integration der Handelnden in einen gesellschaftlichen Zusammenhang, um ihre Beziehungen zueinander, wie um die Eingliederung in das Bildungswesen und den Arbeitsmarkt des Aufnahmelandes (soziale Integration). Um sich dort etablieren und erfolgreich positionieren zu können, sind Wissen, Kompetenzen und Fertigkeiten (»kulturelles Kapital«) vonnöten. Dieses kulturelle Kapital wird auch im Zuge der Interaktion mit den Mitgliedern der Aufnahmegesellschaft erworben, am Arbeitsplatz, in der Nachbarschaft, in Kindergarten und Schule.. Das setzt allerdings eine Integration in den Arbeitsmarkt ebenso voraus wie ausreichende Gelegenheitsstrukturen zur Kontaktaufnahme im Alltag mit Einheimischen, und nicht das Leben in einer ethnischen Kolonie, in der sich die alltäglichen Kontakte auf die Angehörigen dieser Kolonie weitestgehend beschränken.
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Bedingung erfolgreicher Integration ist ein gewisses Maß an Assimilation. »Assimilation« (»Angleichung« von lateinisch similis – ähnlich) ist die Bedingung der Möglichkeit erfolgreicher Integration: Zu Unrecht wird sie in der politischen Integrationsdebatte nahezu automatisch mit negativem Vorzeichen versehen und mit »Zwang« oder »Zwangsgermanisierung« gleichgesetzt109 (Esser 1990: 22ff.). Hartmut Esser stellt fest, »dass in manchen Öffentlichkeiten alleine das Wort ›Assimilation‹ Schauer der Befremdung, wenn nicht der Entrüstung hervorruft […]« (Esser 2004a: 42). Dabei bleibt außer Acht, dass eine Angleichung von Zuwanderern in gewisser Weise unumgänglich für eine erfolgreiche Integration ist. Dazu gehört in erster Linie die Sprache, aber auch eine Reihe von über die Bildungseinrichtungen vermittelten Fertigkeiten. In diesem Sinne bedeutet Assimilation tatsächlich in gewissem Maße Anpassung an die Aufnahmegesellschaft. »Assimilation als permanentes Erfordernis der Ausrichtung des Verhaltens und Handelns an den Strukturbedingungen sozialer Systeme bezeichnet eine allgemeine Existenzbedingung aller Individuen in der modernen Gesellschaft« (Bommes 2003: 96). Esser unterscheidet zwischen kultureller Assimilation (Wissen, Fertigkeiten, Sprache), struktureller Assimilation (Besetzung von Positionen in Funktionsbereichen wie dem Bildungssystem oder dem Arbeitsmarkt), sozialer Assimilation (Angleichung in den Beziehungsmustern, wie im Heiratsverhalten) und emotionaler Assimilation (die gefühlsmäßige Identifikation mit der Aufnahmegesellschaft) (Esser 2000: 289). Folgende Fragen sind in diesem Zusammenhang von zentraler Bedeutung: Vollzieht sich Integration als Prozess quasi zwangläufig (wie die Vertreter der Chicagoer Schule und der Zyklus-Modelle – race-relation-cycle – behaupten, siehe dazu Kapitel Drei)? Vollziehen sich mit Assimilation und Integration zwangsläufig Angleichungen an die Mittelschicht des Aufnahmelandes? Wie sind (stabile) ethnische Unterschichtungen zu erklären? Welche Rolle spielt das mitgebrachte ethnische Kapital im Prozess der Integration – wird es auf mittlere Sicht zunehmend an Bedeutung verlieren, ist es als eher hinderlich für den sozialen Aufstieg einzustufen oder kann es auch positive Effekte für den Integrationsprozess haben? Zugewanderte Gruppen können sich auch an – aus dieser Sicht – »falsche« Segmente der Aufnahmegesellschaft angleichen wie an »gewisse inner-städtische Subkulturen mit ihren oft sogar gegen Schulerfolg und Aufstieg gerichte-
—————— 109 So u.a. Stölting (1976: 51): »Für diese ›Integration‹ dürfen die Ausländer nicht mit dem Preis der kulturellen und sprachlichen Assimilation an die deutsche Bevölkerung zahlen müssen, sie sollen vielmehr ihre ethnische Identität behalten«.
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ten Orientierungen und ›Werten‹, und gerade die ›Assimilation‹ daran führt zur ethnischen Schichtung und auch dauerhaften Marginalisierung« (Esser 2008: 101). Je größer die Gruppe, je ausgebauter die ethnische Kolonien, je ausgeprägter die Kettenwanderung und je stärker die Ablehnung durch die Aufnahmegesellschaft sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich ethnisch-soziale Ballungen auf Dauer verfestigen. Nur wenn die »ethnischen Grenzziehungen« mittel- und langfristig ihre Bedeutung verlieren, ist über den Zeitablauf Integration zu erwarten. Ethnische Ressourcen (Sprache, Einbindung in Netzwerke), so ist von Portes und Rumbaut (2001: 274ff.) argumentiert worden, können vor solchen Prozessen der downward assimilation schützen und bei der Integration unverzichtbar sein: Über die Einbindung in Familie und die damit verbundene soziale Kontrolle kann ein Abgleiten in Devianz verhindert werden. Überdies sei Unterstützung und Solidarität gerade für Zuwandererkinder in armen Verhältnissen häufig lediglich vom eigenen ethnisch geprägten Umfeld zu erwarten. Die Pflege und Anerkennung des mitgebrachten sozialen Kapitals stärke auch das Selbstbewusstsein der Zuwanderer und ihrer Nachkommen. Insofern sei eine »segmentierte Assimilation« der Erfolg versprechende Pfad hin zu einer Integration. Diese These wird zumindest von den (bereits dargestellten) Befunden gestützt, wonach in den Armutsstadteilen der Städte, es häufig die Zugewanderten sind, die durch eine starke Binnenintegration geringer ausgeprägte soziale Verwahrlosungserscheinungen zeigen als die dort lebenden Deutschen. Hinzu kommt, dass wirtschaftlicher Erfolg auch über die ethnische Ökonomie erzielt werden kann. Zweierlei bleibt darüber hinaus zu berücksichtigen: Eine Politik, die auf Zwangsassimilation setzte, würde Gegenreaktionen wie Re-Ethnisierung provozieren (ebd.: 284ff.). Sie ist daher – nicht nur aus normativen Gründen – kontraproduktiv. Andererseits bleiben die zentralen Institutionen, über die strukturelle Integration erfolgt (wie Schulen und Arbeitsmarkt) von der jeweiligen Landessprache und Kultur geprägt. Wer dort erfolgreich sein will, muss entsprechende Anpassungsleistungen erbringen. Daher ist entscheidend, dass die ethnische Orientierung dem nicht im Wege steht. »Es kommt nicht auf die Ethnisierung ›an sich‹ an, sondern darauf, dass die mit den ethnischen Optionen verbundenen Aktivitäten tatsächlich für den sozialen Aufstieg effizient sind, speziell weil die ethnischen Ressourcen gerade jene Werte unterstützen, die Bildungserfolg, Leistung und sozialen Aufstieg allgemein fördern« (Esser 2008: 103). Alba/Nee (2004: 27) verstehen Assimilation als »Prozess der Abnahme und, vielleicht auch an irgendeinem entfernten Endpunkt, der Auflösung eth-
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nischer Differenz und daran gebundener sozialer und kultureller Unterschiede«. Kulturelle Unterschiede verlieren über Generationen ihre Bedeutung, was nicht bedeutet, dass Angehörige ethnischer Minderheiten jegliche herkunfts-bedingte Identität und Charakteristika aufgeben. »Zu einem bestimmten Zeitpunkt mag die ethnische Zugehörigkeit entscheidend sein für praktisch alle Lebenschancen der Mitglieder einer Gruppe – wo sie wohnen, welche Arten von Arbeitsplätzen sie erhalten usw. –, und zu einem späteren Zeitpunkt mag die Bedeutung dieser Zugehörigkeit so weit in den Hintergrund getreten sein, dass die Relevanz von Ethnizität nur noch bei gelegentlichen familiären Ritualen zu beobachten ist« (ebd.: 28).
Gesellschaftliche Assimilation liegt nach Esser dann vor, wenn »es die ethnischen Gemeinden nur noch als eher private und individualisierte Segregationen nach persönlichen Präferenzen, aber nicht (mehr) als institutionell vollständige, selbstgenügsame und ethnisch codierte und abgegrenzte ›Parallelgesellschaften‹ gibt« (Esser 2000: 51). Auf der Ebene des Individuums bedeuten Integration und Assimilation nicht, dass Zuwanderer ihre Herkunft verleugnen, Traditionen und Präferenzen etc. ablegen müssen. »Integration hat nicht erst stattgefunden, wenn der Migrant nicht mehr als solcher erkennbar werden kann, da das Andere durchaus mit dem Integrationsbegriff vereinbar ist« (Kecskes 2004: 216). Die Zugehörigkeit zu ethnischen Gruppen sollte allerdings auf mittlere Sicht ihre Bedeutung verlieren, da dauerhaftes Bestehen ethnischer Gruppen erfahrungsgemäß mit sozialen Schichtungen in der Aufnahmegesellschaft einhergeht. »Alle dauerhaft ethnisch differenzierten Gesellschaften sind, mehr oder weniger ausgeprägte, ethnische Schichtungen. Es gibt praktisch keine ethnisch differenzierte Gesellschaft, die nicht gleichzeitig eine ethnisch geschichtete Gesellschaft wäre« (Esser 2000: 296). In jüngster Zeit gerät etwas stärker in den Blick, dass auch die Zuwanderer und ihre Nachkommen erhebliche Adaptionsleistungen erbringen müssen (Michalowski 2006a: 148). Grundlegende Missverständnisse werden offenbar, wenn etwa an den Integrationskursen kritisiert wird, sie enthielten »Vorstellungen von einer wenn schon nicht homogenen, so doch von einer relativ eindeutigen Mehrheitskultur sowie eine einseitige Orientierungsrichtung […]: Neuzuwandernde haben sich an jener implizierten Mehrheitskultur zu orientieren – und nicht umgekehrt« (Kunz 2005: 265). Hartmut Esser verweist darauf, dass alle Erfahrungen zeigen, dass ein hohes Maß an Anpassung an die Aufnahmegesellschaft unvermeidlich ist. »Entgegen den immer etwas naiven Auffassungen von den Möglichkeiten eines bloß horizontalen Nebeneinanders der Gruppen in multiethnischen Gesellschaften und des Verzichts auf kulturelle Angleichungen, gibt es, wenn ethnische Schichtungen vermieden werden sollen, also keine Alternative zur (strukturellen) Assimilation. Sie ist die Bedingung der
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sozialen Integration der Migranten und Minderheiten in die Aufnahmegesellschaft und einer Systemintegration, die auf mehr beruhen soll, als der deferenten Hinnahme des Schicksals der Unterschichtung« (Esser 2000: 306).
Kontroversen der 1970er und 1980er Jahre In den 1970er Jahren wurden ausländische Arbeitnehmer in sozialistischem Gesellschaftsverständnis als »industrielle Reservearmee« des Kapitals betrachtet. Die Funktion der Gastarbeiterbeschäftigung wurde entsprechend darin gesehen, »Krisen des ökonomischen Systems aufzuhalten, die in der kapitalistischen Struktur angelegt sind« (Bülow/Windisch 1973: 20). Aus dieser Perspektive betrachtet kam es darauf an das Bewusstsein der »Gastarbeiter« zu schärfen, darauf, dass sie ihre Interessen als Lohnabhängige erkannten, die mit denjenigen der einheimischen Kollegen identisch waren (ebd.: 21). Die ausländischen Arbeitnehmer wurden in der Klassenanalyse als »Klasse im Übergang« (Blaschke 1980) gesehen, über deren »politische Konfliktfähigkeit in den nächsten Jahren und Jahrzehnten« spekuliert wurde (ebd.: 16). Ihre Interessen stimmten zwar »objektiv« mit denen der einheimischen Industriearbeiterklasse überein, durch die Unterschichtung und den dadurch ermöglichten Aufstieg hätten die einheimischen Arbeiter allerdings ein »falsches Bewusstsein« (und nicht das Klassenbewusstsein, das objektiv ihren Interessen entsprochen hätte) entwickelt. Eine Lösung der Probleme der »Gastarbeiter« sah man nicht nur in der Zubilligung gleicher Rechte, man setzte vielmehr auf »eine soziale Revolution, die die Besonderheiten der Ausländer und der Eingeborenen ›aufhebt‹, d. h. im umfassenden Sinne: die Entfremdung [aufhebt]« (Widersprüche-Redaktion 1983: 9). In der Phase der »Gastarbeiter«-Anwerbung bis zum Anwerbestopp 1973 vollzog der Staat das, was die Wirtschaft von ihm forderte. Bestritten werden kann daher nicht, dass die ausländischen Arbeitnehmer die Funktion einer »industrielle Reservearmee« wahrnahmen. Dennoch schätzten marxistische Analytiker die Rolle des Staates falsch ein. Etwa wenn sie den Familiennachzug in den Jahren nach dem Anwerbestopp 1973 als gezielte Politik einer »mittelfristigen Planung des Arbeitsmarktes« und als bevölkerungspolitische Maßnahme interpretierten: »Die Familienzusammenführung, die nun durchgeführt wird, verlagert die Reproduktion der Arbeitskraft aus den Heimen in die Familien und ist darüber hinaus ein Element mittelfristiger Planung des Arbeitsmarktes: Die höchsten Zahlen ausländischer Schulabgänger sind
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nach den geburtenstarken deutschen Jahrgängen zu erwarten. Unter der Annahme eines stabilen oder expandierenden Arbeitsmarktes stellen diese Jugendlichen dann ein Potential dar, das für Beschäftigungen ohne oder mit geringer formaler Qualifikation gebraucht wird, auf die sich die meisten ausländischen Jugendlichen aufgrund ihrer schulischen Ausbildung auch einstellen müssen. Im Gegensatz zu unmittelbar zur Arbeitsaufnahme eingereisten Migranten bieten diese Jugendlichen den Vorteil, dass sie bereits in der Kindheit und der Schulzeit mit Anpassungs- und Sprachschwierigkeiten zu leben gelernt haben« (Potts 1988: 178).
Eine Rekonstruktion der politischen Verhältnisse der 1970er Jahre lässt deutlich werden, dass die Politik aus Gründen der rechtlichen Selbstbindung und aus »humanitär« verstandenen Gründen nicht vermochte, die Zuwanderung zu steuern. Von einem stabilen oder expandierenden Arbeitsmarkt war damals nicht auszugehen. Insofern erweisen sich marxistische Ansätze als ungeeignet, die politische Wirklichkeit zu verstehen. Die immer länger werdende durchschnittliche Aufenthaltsdauer und der Familiennachzug verdeutlichten mehr und mehr, dass aus den »Gastarbeitern« Zuwanderer geworden waren. Für die Städte und Ballungszentren waren sie spätestens seit Mitte der 1970er Jahre zu einem festen Bestandteil ihrer Wohnbevölkerung geworden. Die Politik stand vor der Aufgabe einer Umsteuerung in Richtung Integration in die deutsche Gesellschaft. Die überwiegend negativen Indikatoren – vor allem die mangelnden formalen Bildungsabschlüsse – machten verstärkte Anstrengungen und in Teilen einen Kurswechsel unumgänglich. »Der alarmierende Befund, insbesondere im Hinblick auf die Zukunftsperspektiven von einer Mio. ausländischen Kindern und Jugendlichen im Bundesgebiet, macht umfassende Anstrengungen dringlich, um größten individuellen und gesamtgesellschaftlichen Schaden abzuwenden. Die bereits vorhandenen und erst recht die sich ohne eine rasche entscheidende Wende für die nahe Zukunft abzeichnenden Probleme stellen eine Aufgabe dar, die, wenn sie nicht alsbald gelöst wird, unlösbar zu werden droht und dann verhängnisvolle Konsequenzen befürchten lässt. […] Es muss anerkannt werden, dass hier eine nicht mehr umkehrbare Entwicklung eingetreten ist […] Den (vermutlich in großer Zahl) bleibewilligen Zuwanderern, namentlich der zweiten und dritten Generation, muss das Angebot zur vorbehaltlosen und dauerhaften Integration gemacht werden«,
erklärte der Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Heinz Kühn (SPD), 1979 (Kühn 1979: 2). Weil man unzutreffender Weise immer noch annahm, ein Großteil der Zuwanderer werde wieder in seine Herkunftsländer zurückkehren, weigerte sich die deutsche Politik, klare Forderungen an die Zuwanderer und deren Integrationsbereitschaft zu stellen. Durchgängig war in allen einschlägigen Stellungnahmen nur von »Information«, »Beratung«, »Eingliederungs- und Lebenshil-
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fen« die Rede.110 Es blieb bei Hinweisen auf die wohlverstandenen Eigeninteressen der »Gastarbeiter« an einer erfolgreichen Integration und bei vereinzelten Bemerkungen, dass der Erfolg von Integrationsbemühungen »von der Mitarbeit der ausländischen Arbeitnehmer« abhängig sei (Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung 1973: 5). Ein pädagogisierender Integrationsbegriff, der gegen alle geschichtliche Erfahrungen mit Wanderungs- und Niederlassungsprozessen an einer unbedingt zu konservierenden Herkunftsidentität festhielt, stand dabei im Mittelpunkt. »Damit bezeichnet der […] Begriff ›Integration‹ einen Prozess des gesellschaftlichen Wandels […], in dem beide Seiten unter Wahrung ihrer psychosozialen und kulturellen Identität – sich lernend aufeinander zu bewegen und in diesem Lernprozess schrittweise das Ausmaß und den Standort wechselseitiger Annäherung jeweils neu bestimmen« (Institut für Zukunftsforschung 1980: 22).
Eine sozial-fürsorgliche Grundhaltung entsprach dem Geist der Zeit – sie war (und ist bis heute) eine der Ursachen für ausgebliebene und misslungene Integration. Neben den Gewerkschaften haben sich auch die Wohlfahrtsverbände seit den 1960er Jahren ihr Klientel gesichert und die »Gastarbeiter« nach konfessionellen und weltanschaulichen Gesichtspunkten zur Betreuung unter sich aufgeteilt (Lehmann-Grube 1962: 509; Filla/Gerhard 1972: 246f.; Thränhardt 1983; Schwarz 1992: 95ff.). Anfang der 1980er Jahre wurden 600 Beratungsstellen mit rund 800 Sozialberatern in Westdeutschland gezählt (Deutscher Bundestag, Drs. 1629: 10). Thränhardt kam 1983 (68) zu dem Schluss: »Der Ausländerbereich ist ein besonders deutliches Beispiel für die Gefahren wohlfahrts-verbandlicher Verwaltung, die in einen kartellhaften Korporatismus mündet. Die Betreuten werden – trotz aller Bemühungen der Mitarbeiter der Verbände – tendenziell in einem Zustand pädagogisiert-betreuter Unmündigkeit gehalten«. Die Kritik an einer »Pädagogisierung der Ausländerprobleme« (Griese 1984a: 45) bezog sich vor allem auf die damit unterstellte »Hilfsbedürftigkeit« der Ausländer als »Objekte«. Damit werde erneut Herrschaft ausgeübt und Emanzipation verhindert. Die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse würden allerdings ausgeblendet (Brumlik/Keckeisen 1978), die Probleme entpolitisiert (Hamburger 1984: 60). Die Kritik an der Expansion des Sozialberatungswesens (Brumlik 1980) war bereits von Schelsky (1976) anhand der Alternativen eines »selbstständigen« oder aber »betreuten« Menschen thematisiert wor-
—————— 110 U. a.: die »Grundsätze zur Eingliederung ausländischer Arbeitnehmer und ihrer Familien«. Sie wurden 1972 von Vertretern des Bundes, der Länder, der kommunalen Spitzenverbände, der Tarifparteien, der Kirchen und Wohlfahrtsverbände erarbeitet, veröffentlicht in: Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung 1973: 4ff.
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den. Er konstatierte ein Umschlagen der »sozial hilfreich gemeinte(n) Betreuung der sozial Schwachen auf die Dauer in eine Herrschaft der sozialen Betreuer […], die dann ein politisches Eigeninteresse daran haben, die Betreuten materiell und vor allem in ihrem Selbstverständnis hilflos und hilfsbedürftig, also unselbstständig zu erhalten« (Schelsky 1976: 18). Die entstehende Betreuungs- und Integrationsindustrie musste ein Interesse an der Existenz von »Ausländern« haben, da sie die Beschäftigung sicherten und ihre Existenz legitimierten. »Die ›Ausländerpädagogik‹ hatte die Qualifizierung der Pädagogen, nicht der Ausländer zur Folge. Immer ehr Pädagogen verdanken der misslichen Situation der Ausländer und der Propagierung (und beinahe schon Produktion) ihrer Probleme ihren Arbeitsplatz, ihre Karriere, ihre berufliche Sicherheit. Kurzum: Pädagogen haben ein Interesse an Ausländerproblemen« (Griese 1984a: 45).
Der zugezogenen Wohnbevölkerung, der weitgehend elementare Sprachkenntnisse fehlten, begegnete man nicht mit der deutlich artikulierten Erwartung, dass die unverzichtbaren Kenntnisse unverzüglich angeeignet werden müssten (verbunden mit Unterstützungsmaßnahmen seitens des Aufnahmelandes), sondern mit dem ausgeprägten Bemühen, fremdsprachige Betreuer für die einzelnen Gruppen in Kindergärten, Kindertagesstätten und anderen Einrichtungen einzustellen. Das von dieser wohlmeinenden Maßnahme ausgehende Signal war allerdings kontraproduktiv: Das Leben in Deutschland war auch ohne das Erlernen der deutschen Sprache möglich, der deutsche Staat schien keinen erkennbaren Wert darauf zu legen.
Wahrung der Identität Erschwerend für die Integration wirkte in jeder Hinsicht die Unentschiedenheit, ob man auf die möglichst vollständige Integration und damit das dauerhafte Verbleiben der »Gastarbeiter« und ihrer Nachkommen setzen sollte, oder ob man die Rückkehr in das Heimatland als das eigentliche Ziel und damit die Reintegration in die Herkunftsgesellschaft erreichen wollte. Die Politik der Bundesregierungen der 1970er und 1980er Jahre hatte grundsätzlich drei Ziele: Integration derjenigen, die hier dauerhaft bleiben wollten, Förderung der Rückkehrbereitschaft sowie Zuzugsbegrenzung (Bundesministerium des Innern 1982: 18ff.). Dabei standen die beiden ersten Ziele in klarem Widerspruch (Hunn 2005: 451ff.; zur Rückkehrförderung siehe Kapitel 2): Die Förderung der Rückkehrbereitschaft setzte zwar auf Anreize, war aber letztlich eine Verdrängungspolitik und unzweifelhaft mit dem Druck verbunden, auch von dieser Option Gebrauch zu machen (Hunn 2005: 478ff.; Bürkner/Heller/
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Unrau 1987; Pöschl/Schmuck 1984: 106ff.). In diesem Zusammenhang muss auch die kontroverse öffentliche Debatte gesehen werden, die vor allem die türkische Zuwanderung in den Fokus nahm. Angesichts wirtschaftlicher Krise, zunehmender Arbeitslosigkeit und anderer schlechter Integrationsindikatoren unter türkischen Zuwanderern (Mehrländer 1981) bei gleichzeitig wachsender Zuwanderung (über Familiennachzug und Asyl) wurden die Forderungen nach restriktivem, steuerndem Eingreifen des Staates lauter (Hunn 2005: 454ff.). Dies wirkte sich auf die Haltung vieler »Gastarbeiter« negativ aus. Noch immer bekundete ein wachsender Teil dieser Gruppe dauerhafte Niederlassungsabsichten (Pöschl/Schmuck 1984: 44ff.). Das politische Klima in der Bundesrepublik signalisierte jedoch deutlich, dass eine »Einwanderung« von weiten Teilen der Bevölkerung nicht erwünscht war (Hunn 2005: 507ff.). Hinzu kam eine nationalistische Linie türkischer Massenmedien (Hunn 2005: 509ff.). Die durch diese Faktoren beeinflusste Distanzierung und Orientierung an einer Rückkehr (Mehrländer 1981: 544ff.) ließ das Interesse an einer Öffnung hin zur deutschen Gesellschaft, die in vieler Hinsicht fremd war und blieb, nicht in ausreichendem Maße aufkommen. Hierdurch unterschieden sich die »Gastarbeiter« auch von »Einwanderern«, die im Zusammenhang mit der Auswanderung eine bewusste Entscheidung für das Einwanderungsland treffen und sich dort aktiv um soziale und kulturelle Eingliederung bemühen. »Ausländer, die in solche Länder einreisen, tun das bewusst als Einwanderer; sie brechen Brücken hinter sich ab und sind entschlossen, so schnell wie möglich alles zu überwinden, was sie von der neuen Gesellschaft, der sie nun angehören wollen, trennt und unterscheidet. Diese Gesellschaft wiederum sieht in ihnen erwünschte neue Mitglieder, da sie auf Zuwachs von außen angewiesen ist« (Müller 1974: 162).
Nicht zu unrecht wurde behauptet, dass das Festhalten am politischen Ziel einer in großem Stil erfolgenden Rückkehr auch ein Vorwand war, sich nicht näher mit den Konsequenzen eines Verbleibens in Deutschland und einer daraus resultierenden Integrationspolitik auseinanderzusetzen (Rist 1980: 196). So wurde bei der Debatte um Integrationsfragen immer wieder die Formel bemüht, Integration müsse unter Beibehaltung der nationalen und kulturellen Identität der »Gastarbeiter« und unter Achtung fremder Kulturen erfolgen. Das Memorandum zur Ausländerintegration des Ausländerbeauftragten der Bundesregierung, Heinz Kühn, sprach 1979 von einer »auch dem Einwanderer zu garantierende(n) Chance zur Wahrung einer am Herkunftsland orientierten ›nationalen Identität‹« (Kühn 1979: 27). Der Berliner Senat erklärte 1979, er wolle »Aktivitäten fördern, die den Ausländern die Chance vermitteln, in Berlin ihre kulturelle Identität zu wahren und ihre Kultur der deutschen Bevölkerung nahe zu bringen« (Presse- und Informationsamt des Landes Berlin 1979: 13). So auch der damalige Präsident
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des Senats der Freien Hansestadt Bremen, Hans Koschnick (SPD): »Die Integration sollte vielmehr mit dem Ziel erfolgen, die Eigenständigkeit und nationale Identität der Ausländer beizubehalten, damit die Frage nach der eigenverantwortlich zu entscheidenden Rückkehr nicht ausgeschlossen und die Wiedereingliederung in das Heimatland nicht unnötig erschwert wird« (Koschnick 1980: 3). Eine Integrationspolitik, die mit einem dauerhaften Verbleib der meisten Zuwanderer rechnete und deshalb auf eine weitgehende Angleichung der Zuwanderer an die deutsche Mehrheitsbevölkerung setzte, wurde aus unterschiedlichen Motiven als »Zwangsgermanisierung«, als Alternative zwischen Germanisierung und Remigration (Richter 1983: 115) angeprangert: Von jenen, die dies als Ausfluss eines deutschen Nationalismus und Rassismus bezeichneten und von jenen, die mit der Aufrechterhaltung einer nationalen und kulturellen Identität prinzipiell die Rückkehroption nicht ausschließen wollten (zur regierungsinternen Debatte in den 1960er Jahren: Schönwälder 2001: 316ff., 522ff.; kritisch: Hoffmann-Nowotny 1987: 57f.). So wandte sich der damalige bayerische Staatsminister für Arbeit und Sozialordnung, Fritz Pirkl (CSU), 1981 »gegen ein Integrationsverständnis, das letztlich auf Eindeutschung hinausläuft« (Rede im Bayerischen Landtag, Bayerischer Landtag: Plenarprotokoll 9/85 vom 25. März 1981: 5352). Das bedeutete: »Alle Maßnahmen zur Integration in unsere Gesellschaft müssen im Rahmen des Möglichen den Weg zurück in die Heimat offen halten, müssen Rückkehrfähigkeit und Rückkehrwilligkeit erhalten.« (ebd.: 5354) [Hervorhebung im Original]. »Integration umfasst zum einen die soziale, materielle und mitmenschliche – ich möchte sagen äußere – Eingliederung der bei uns lebenden Ausländer, die mit Nachdruck gefördert und vorangetrieben werden muss. […] Hiervon ist jedoch die ›innere Integration‹, das heißt die volle nationale und kulturelle Eingliederung zu unterscheiden; also etwa eine Eindeutschung. […] Notwendig erscheint es uns […], neben der sozialen, materiellen und mitmenschlichen Eingliederung die Muttersprache und die heimatliche Kultur insbesondere bei den ausländischen Kindern und Jugendlichen ebenso zu wahren und zu fördern wie – soweit dies in unserer Gesellschaft möglich ist – familiäre Strukturen und gesellschaftliche Traditionen« (ebd.: 5354f.).
Nach Auffassung der Bayerischen Staatsregierung durfte Integration nicht als ein »Aufgeben heimatlicher Sprache und Kultur verstanden« werden. »Eine solche Akkulturation ist nicht Ziel der Bayerischen Staatsregierung und ließe sich in der Regel auch nur im Verlauf mehrerer Generationen verwirklichen« (Interpellation, Anlage: Bayerischer Landtag: Plenarprotokoll 9/85 vom 25. März 1981, 5436). Seine Distanz zu Integrationsvorstellungen brachte der damalige
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bayerische Staatsminister für Unterricht und Kultus, Hans Maier (CSU), zum Ausdruck: »Angesichts einer Entwicklung, in deren Verlauf unsere bisher national und kulturell weitgehend homogene Gesellschaft sich differenziert und eine in bestimmten Landesteilen multinationale und multikulturelle Bevölkerungsschichtung sich entwickelt, geht es vor allem darum, den Kindern und Jugendlichen der zweiten oder dritten Ausländergeneration bei der Entwicklung ihrer sozialen und kulturellen Identität behilflich zu sein, sie ihnen aber nicht einfach durch Zwang zur Übernahme der sprachlichen und kulturellen Normen des Gastlandes aufzuoktroyieren. […] Der Fehler liegt in der Annahme des Dauerverbleibs und des uneingeschränkten Willens aller Ausländer zur Assimilierung. Zu dieser Preisgabe ihrer Identität sind aber die ausländischen Familien in der ganz überwiegenden Mehrzahl keineswegs bereit«111.
Damit konnte sich die Bayerische Staatsregierung auch auf die »Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften über die schulische Betreuung der Kinder von Wanderarbeitern« aus dem Jahr 1977 (Amtsblatt der EG Nr. L 199/32 vom 6. August 1977) berufen, in der es hieß: »Ferner ist es wichtig, dass die Aufnahmemitgliedstaaten in Zusammenarbeit mit den Herkunftsmitgliedstaaten geeignete Maßnahmen treffen, um die Unterweisung der genannten Kinder in ihrer Muttersprache und in der heimatlichen Landeskunde zu fördern, damit insbesondere ihre etwaige Wiedereingliederung in den Herkunftsmitgliedstaat erleichtert wird.«
Maier (1979: 79) brachte in einer Kontroverse mit Bundesbildungsminister Jürgen Schmude (SPD) seine Skepsis gegenüber der Assimilationskraft Deutschlands zum Ausdruck und betonte die Unzeitgemäßheit des Nationalstaats und daran anknüpfender Integrationsforderungen. »Wer glaubt denn, aus der halben oder ganzen Million Türken würden durch ›Öffnung‹ und ›Integration‹ im Handumdrehen türkische Deutsche werden? Es werden Türken in Deutschland bleiben – und jeder Tag mit neuem Familiennachzug verstärkt die Forderung nach Bewahrung von Herkunft, Sprache, religiösem und nationalem Selbstverständnis in einer andersnationalen, anderskulturellen Umwelt, Forderungen, die ich im übrigen für berechtigt halte […]«.
Es dürfe nicht als Aufgabe der Schule angesehen werden, »in rückwärtsgewandter Orientierung am Nationalstaat, germanisierende Integration« zu betreiben (ebd.). Integration sollte demnach nur solange erfolgen, wie ein Verbleib in der Bundesrepublik Deutschland vorgesehen war. Eine »Integration auf Zeit« war allerdings ein Konzept, das Zuwanderer und vor allem deren Kinder überfor-
—————— 111 So in einer Stellungnahme vor der Bayerischen Landtag vom 7. Mai 1980, zit. nach: Bayerischer Landtag: Plenarprotokoll 9/85 vom 25. März 1981: 5437
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derte. Eine doppelte Orientierung – hin zum Aufnahmeland und zurück zum Herkunftsland – trug wesentlich zu den mangelnden Integrationserfolgen bei. Eine dezidiert andere Politik vertrat der Berliner Senat unter Richard von Weizsäcker (CDU): Er forderte von jenen Zuwanderern, die bleiben wollten, eine dauerhafte Umorientierung. »Nach Auffassung des Senats müssen unsere ausländischen Mitbürger auf die Dauer zwischen zwei Möglichkeiten wählen: Entweder Rückkehr in die alte Heimat […] oder Verbleib in Berlin; dies schließt die Entscheidung ein, auf die Dauer Deutscher zu werden. Keine Dauerlösung ist dagegen ein dritter Weg; Nämlich hier zu bleiben, aber nicht und nie Berliner werden zu wollen. Dies würde zu einer ständigen und wechselseitigen Isolierung der Bevölkerungsanteile führen. Mehrere Städte würden in einer Stadt wachsen, und das muss fehlschlagen. Berlin muss die Mauer ertragen, Unsere Stadt kann nicht auch noch Zäune ertragen, die wir selbst ziehen oder zulassen«112.
Multikulturalismus als Staatsdoktrin Die Konzepte »Assimilation/Integration« und »multikulturelle Gesellschaft« unterscheiden sich in der Bewertung gruppenbezogener Merkmale wie Herkunft, Kultur, Identität. Vertreter multikultureller Positionen messen diesen kollektiven Eigenschaften eine zentrale Rolle zu für ein friedliches und gleichberechtigtes Zusammenleben verschiedener ethnischer Gruppen. »Nur wenn Zugewanderte ihre eigene Kultur bejahen können und damit auch in der neuen Umgebung akzeptiert werden, gewinnen sie selbst die innere Stabilität, um sich für die neue Kultur zu öffnen. Gelingt dies nicht, sind Getto-Verhalten und Feindlichkeit gegenüber der aufnehmenden Gesellschaft eine Folge …« (Miksch 1997: 44).
Ausländer, »die sich in ihrer Identität gefährdet sehen und sich häufig zurückziehen, … fühlen sich abgelehnt, und besonders junge Menschen versuchen damit fertig zu werden, indem sie aggressiv reagieren. Tätlichkeiten zwischen zugewanderten Ethnien wie zwischen Kurden und Türken oder auch gegenüber den Deutschen können dann die Folge sein. Erst wenn fremde kulturelle Traditionen bejaht und von der neuen Umwelt akzeptiert werden, ist es möglich, sich den Einflüssen der neuen Umgebung in Offenheit zuzuwenden« (ebd.: 46). Es geht um den »engen Zusammenhang von Identität und Anerkennung« (Taylor 1997: 21, um eine »Politik der Anerkennung« und die Bewahrung kultureller Identitäten. Kulturell verschiedene Gruppen sollen das Recht
—————— 112 Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Richard von Weizsäcker, in seiner Regierungserklärung vom 2. Juli 1981, zit. nach: Der Senator für Gesundheit, Soziales und Familie, Ausländerbeauftragter 1983: 4f.
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haben, nebeneinander gleichberechtigt zu bestehen. So geht es um Förderung »soziale[r] Organisationsform[en] kultureller Unterschiede« (Zubrzycki 1987: 15), also um Kindergärten, Schulen, Vereine etc., die sich entlang ethnischer und kultureller Linien definieren. Der Begriff des Multikulturalismus wurde von dem in Kanada lebenden Soziologen Charles Hobart 1964 geprägt und wurde dann von der kanadischen Politik aufgegriffen (Mintzel: 1997: 22ff.). Dabei ging es zunächst um das Bildungswesen, dem »eurozentristische« Lehrinhalte vorgehalten wurden und von denen eine Anerkennung der »ethnischen Vielfalt« gefordert wurde (ebd.: 24) Auch für den Begriff des Multikulturalismus gilt, das er einerseits normativ verwendet wird (als politisches Programm für Formen anzustrebenden Zusammenlebens in einem Land) und andererseits rein positivistisch: »Die Realität des Zusammenlebens mit ethnischen Minderheiten wird mit dem Begriff ›multikulturelle Gesellschaft‹ umschrieben. Damit wird nicht mehr und nicht weniger gesagt, als dass wir in einem Land mit kultureller Vielfalt und entsprechenden Konflikten und Chancen leben« (Miksch 1997: 40) Da genügt für die Behauptung von Multikulturalität einer Gesellschaft bereits der Hinweis auf eine ethnisch heterogene Herkunft und Zusammensetzung der Bevölkerung (Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen 2004: 2; Geißler 1992: 78)) So behaupten etwa Cohn-Bendit/Schmid (1992: 14), Deutschland sei bereits vor den großen Wellen der »Gastarbeiter«-Zuwanderung »multikulturell« gewesen und verweisen dazu auf die polnischstämmigen Einwanderer im Ruhrgebiet. Dass sich diese Personen komplett an die Aufnahmegesellschaft assimiliert haben und heute – außer dem Namen – nichts auf ihre Herkunft aus preußisch-polnischen Landschaften hinweist, hindert die Autoren nicht daran, auch in diesem Zusammenhang das Etikett »multikulturell« zu verwenden. Gleichzeitig konstatieren sie in der gleichen Schrift: »Wenn es in Deutschland je so etwas wie einen melting pot gegeben hat, dann hier [im Ruhrgebiet]« (ebd.: 223). Generell gilt, dass der Begriff der »multikulturellen Gesellschaft« »vielfach vage, beliebig und schillernd« ist (Mintzel 1997: 48). Die begriffliche Vagheit bietet den Vorteil, jede Kritik am Multikulturalismus mit der Begründung zurückweisen zu können, dieser oder jener Aspekt sei nie Gegenstand des Konzepts gewesen, im übrigen habe es ein dezidiertes »Konzept« nie gegeben. Die Parlamentarische Versammlung des Europarates bezeichnete 1983 in einer Empfehlung die »multikulturelle Gesellschaft innerhalb Europas als einen nicht mehr umkehrbaren und sogar anstrebbaren Tatbestand im Sinne der Förderung des europäischen Ideals und Europas weltweiter Mission« (Council of Europe 1983).
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Die Erfahrungen jener Länder, in denen der Multikulturalismus zur Staatsdoktrin wurde, bieten allerdings keinen Anlass für die Annahme, der Multikulturalismus fördere die Integration einer Gesellschaft oder die strukturelle Integration von Zuwanderern. In einem Vergleich acht europäischer Länder hinsichtlich des Zusammenhangs von multikultureller Politik, Wohlfahrtsstaat und Integration stellt Ruud Koopmans (2008: Zusammenfassung) fest, dass »multikulturelle Politikansätze, die Migranten einen leichten Zugang zu gleichen Rechten gewähren und keine starken Anreize setzen, die Sprache des Aufnahmelandes zu erlernen und interethnische Kontakte zu pflegen, in der Kombination mit großzügigen wohlfahrtsstaatlichen zu einer geringen Erwerbsbeteiligung, starker Segregation und einer deutlichen Überrepräsentation von Immigranten unter Strafgefangenen führen.« In den Niederlanden wurde mehr als ein Jahr vor der Ermordung Theo van Goghs der »Zusammenbruch des multikulturellen Konsenses in der Öffentlichkeit« diagnostiziert (Böcker/Thränhardt 2003: 5). Der multikulturelle Traum wandelte sich zu einem Albtraum (Koopmans 2008: 1). Eine Analyse der politisch-kulturellen Integration kommt zu dem Ergebnis, »dass niederländische Minderheiten zu den sozial-ökonomisch am wenigsten integrierten in Westeuropa zählen« und »dass eine zu große Betonung der Beibehaltung der ›Identitäten‹ der Migranten zur Folge haben kann, dass viele nicht ausreichend darauf vorbereitet sind, auf dem Arbeitsmarkt und im Bildungssystem zurecht zu kommen. Die Arbeitslosigkeit von Migranten im Vergleich zur Mehrheitsbevölkerung und die Segregation im Bildungswesen sind in den Niederlanden in der Tat stärker als in vielen anderen westeuropäischen Ländern, einschließlich Deutschland« (Duyvené de Witt/Koopmans 2001: 13; Koopmans 2008: 7ff.). In Australien ist seit Mitte der 1990er Jahre eine radikale Umsteuerung in der Einwanderungs- und Integrationspolitik, und das heißt ebenfalls eine klare Abkehr vom Multikulturalismus, zu konstatieren. Anstelle der Betonung sozialer und kultureller Rechte für einzelne Bevölkerungsgruppen wurden die nationale Einheit und der Zusammenhalt in den Mittelpunkt der Regierungspolitik gestellt (Baringhorst 2003: 16). Großbritannien mit einem seit mittlerweile Jahrzehnten politisch durchgesetzten »dogmatischen Multikulturalismus« (Hillebrand 2006: 4) und einer Ideologie des »Anti-Rassismus« erlebt immer wieder heftige Straßenschlachten. In einer Analyse vom Mai 2006 kommt der Direktor des Londoner Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung, Ernst Hillebrand, zu dem Schluss: »Großbritanniens Multikulturalismus ist, zumindest was die Integration von Muslimen betrifft, weitgehend gescheitert. Das Land steht vor den Scherben einer Politik, die Integration nicht über die Adaption an die Landeskultur, sondern über die pro-aktive und staatlich
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geförderte Proklamation und Affirmation der kulturellen und religiösen Andersartigkeit der Immigranten erreichen wollte« (Hillebrand 2006: 1).
Eine nach Unruhen in mehreren britischen Städten 2001 eingesetzte Kommission zum »kommunalen Zusammenhalt« zeigte sich erschreckt über das Ausmaß der Gräben, die die städtischen Gesellschaften trennen und über die Parallelstrukturen, die sich herausgebildet haben. »Whilst the physical segregation of housing estates and inner city areas came as no surprise, the team was particulary struck by the depth of polarisation of our towns and cities. The extend to which these physical divisions were compounded by so many other aspects of our daily lives, was very evident. Separate educational arrangements, community and voluntary bodies, employment places of worship, language, social and cultural networks, means that many communities operate on the basis of a series of parallel lives. These lifes often do not seem to touch at any point […]« (Home Office 2001: 9).
Die Kommission zitiert einen Muslim aus Pakistan mit den Worten: »When I leave this meeting with you I will go home and not see another white face until I come back here next week.« (ebd.: 9). Großbritannien hat – trotz wesentlich besserer wirtschaftlicher Entwicklung und insgesamt geringerer Arbeitslosigkeit als in Deutschland – eine drei Mal so hohe Arbeitslosigkeit bei Muslimen zu verzeichnen als bei Gruppen christlicher oder hinduistischer Herkunft (Hillebrandt 2006: 2f.). Insgesamt ist in Großbritannien die wirtschaftlich-soziale Integration der pakistanischen Einwanderer noch weniger gelungen, als die der türkisch-stämmigen Zuwanderer in Deutschland. Der britische Multikulturalismus ist vor allem durch die Betonung religiöser Identitäten gekennzeichnet. Dies hat den islamistischen Wortführern in die Hände gespielt, die ihre Position entsprechend ausbauen konnten. »In der Tat ist interessant zu sehen, wie sehr gerade Labour-Administrationen auf lokaler und nationaler Ebene sich der Logik einer essentiell religiösen Definition der Identität von Immigrantengruppen unterworfen haben und diese mit ihrer Politik selbst verstärken« (ebd.: 5).
Unbeabsichtigte Nebenwirkungen Dort, wo soziale Marginalisierung und ausgeprägtes ethnisch-kulturelles Selbstbewusstsein im Aufnahmeland zusammenkommen, werden das Konfliktpotential moderner Gesellschaften sowie Tendenzen zur ethnisch-sozialen Abschottung durch den Multikulturalismus verschärft. »Unbeabsichtigte Nebenwirkungen« der multikulturellen Minderheiten-Politik in Großbritannien geben hierauf deutliche Hinweise (Baringhorst 1999). Bradford, jene Stadt mit
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der drittgrößten muslimischen Gemeinde Großbritanniens, die durch die Rushdie-Affäre 1989 und Krawalle muslimischer Jugendlicher in den 1990er Jahre Schlagzeilen machte, zeichnete sich durch eine besonders konsequent betriebene Politik des Multikulturalismus aus. Den Forderungen ethnischreligiöser Gemeinschaften nach Sonderrechten und Sonderbehandlungen wurde weitgehend entsprochen: Das ging weit über die Beachtung religiöser Speisevorschriften an Schulen hinaus und umfasste die Förderung ethnischer Organisationen, die besondere Berücksichtigung bei der Vergabe von Sozialwohnungen, die Beachtung der Muttersprachen sowohl im schulischen Leben als auch bei anderen öffentlichen Institutionen sowie die Beteiligung ethnischer Minderheiten am kommunalen Entscheidungsprozess (ebd.: 294ff.; sowie: Steiner-Khamsi 1992: 108ff.) Hinzu kam eine Politik des »Anti-Rassismus«, die einen ausgesprochen ideologischen Charakter annahm (ebd.: 110). Öffentlich Bedienstete wurden zur Teilnahme an »Anti-Rassismus-TrainingsKursen« verpflichtet. Die Behauptungen dieses Anti-Rassismus wurden so zusammengefasst: »Rassismus macht Weiße krank. Die Symptome des Rassismus sind Destruktivität, zwanghaftes Dominanzbedürfnis, Größen- und Verfolgungswahn, Realitätsverleugung bis hin zu völligem Realitätsverlust. Weiße, die darunter leiden, werden zu hilflosen Opfern der Illusion, die auserwählte Rasse zu sein und eine Mission erfüllen zu müssen. Ihr selbstauferlegter Auftrag ist facettenreich: Einmal besteht er in der Austilgung anderer Rassen, ein anderes Mal in deren ›Zivilisierung‹ und Bildung. Die neueste Form von Rassismus ist die Fürsorgehaltung. Sie führt dazu, dass Schwarze von der Hilfeleistung Weißer abhängig gemacht werden. Rassismus ist das Problem der Weißen. Weiße sollten deshalb in themenzentrierten Selbsthilfegruppen lernen, damit umzugehen und sich allmählich davon zu befreien« (ebd.: 111).
Die Folge dieser Politik war eine Vertiefung der Kluft zwischen einheimischen »Weißen« und Zuwanderern. Auf Seiten der Einheimischem wuchs der Widerstand gegen die Indoktrinierung, nationalistische Parteien erzielten Wahlerfolge (da sich sowohl Konservative wie Labour dem Multikulturalismus und Anti-Rassismus verschrieben hatten). Auf der anderen Seite entstand keine »Einwanderer-Solidarität«. Es kam vor allem zu einer Islamisierung im fundamentalistischen Sinne (Baringhorst 1999: 299ff.). Nicht die gemäßigten Muslime und deren Organisationen profitierten von der Politik des Multikulturalismus, sondern die Vertreter einer harten Identitätspolitik. Ausgerechnet die Sprecher des öffentlich geförderten und politisch hofierten Moscheenrates waren es, die die »Satanischen Verse« Salman Rushdies öffentlichkeitswirksam verbrannten. So förderte die dezidierte Politik in Bradford nicht die Integration der Stadtgesellschaft, zumal die weit überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit der Zuwanderer-Gruppen (deren Angehörige meist die britische Staatsan-
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gehörigkeit hatten) bestehen blieb: »[…] als negative und kontra-produktive Konsequenz der Reformpolitik muss festgehalten werden, dass trotz aller öffentlichen Appelle und Bekenntnisse zur Toleranz die Kluft zwischen einheimischen und eingewanderten Bevölkerungsgruppen in Bradford größer denn je zu sein scheint« (ebd.: 305). Auch die Analyse von Hillebrand (2006: 7) kommt zu dem Schluss: »Die Praxis des britischen Multikulturalismus hat im Endeffekt keine integrierende, sondern eine segregierende Wirkung entfaltet«. Die Mahnung Radtkes aus dem Jahr 1990 hat daher nichts an ihrer Gültigkeit verloren: »Überall auf der Welt verschärfen sich die ethnisch aufgeladenen Verteilungskämpfe, die nicht mehr von frei assoziierenden Interessengruppen, sondern von Schicksalsgemeinschaften ausgefochten werden. Auch das sollte der Multikulturalismus bedenken, wenn er über die unvermeidlichen Konflikte in modernen Gesellschaften nachdenkt« (Radtke 1990: 34).
Konstruktionsfehler Die schlechte politische Bilanz des Multikulturalismus liegt nicht in einer falschen oder unzureichenden Umsetzung der damit verbundenen politischen Vorstellungen113, sondern im Konzept selbst. Zu Recht ist festgestellt worden: »Wenn sich in den traditionellen Einwanderungsländern eine praktische Verwirklichung des Multikulturalismus als nicht möglich erwies, ist zu fragen, ob das Modell einen Konstruktionsfehler aufweist« (Hinrichs 2004: 15). Dieser »Konstruktionsfehler« liegt begründet – in der Orientierung an der »kulturellen Identität« der Zuwanderergruppen und in der Idealisierung und romantisierenden Betrachtung der Herkunftskultur; – in der von einigen Vertretern des Multikulturalismus propagierten Auflösung des Staatsvolkes; – in der Tatsache, dass der Multikulturalismus die Unterschiedlichkeiten von Zuwanderern und Einheimischen, statt die Gemeinsamkeiten sowie die Notwendigkeit von Anpassungsleistungen in das Zentrum zu rücken; – im Kulturbegriff als solchem, der offen lässt, ob es den Multikulturalisten lediglich um die mehr oder weniger private Pflege und Bewahrung kultu-
—————— 113 So die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach, in einem Vortrag in der Kanadischen Botschaft am 2. August 2005: »Der Mehrheit trotzen – eine Lehre aus der Geschichte«:, veröffentlicht unter: http://www.perlentaucher.de/artikel/2557.html (19. August 2005).
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reller Traditionen oder möglicherweise auch um die »politische Kultur« oder um »Rechtskultur« der Herkunftsregionen geht; – in der Förderung von Konfliktpotentialen. Zwar führten die Verfechter des Multikulturalismus immer wieder an, die Achtung kultureller Identität müsse durchaus ihre Grenze in der Achtung der Menschenrechte finden (stellvertretend: Kymlika 1999: 63; Geißler 1992: 86ff.). Doch ändert das nichts an der zentralen Rolle, die sie Kultur und Identität zusprachen. Damit knüpfte man in Deutschland an die Positionen der 1970er und 1980er Jahre an, die eine Integration der »Gastarbeiter« unter Hinweis auf deren Anspruch zu bewahrender (kultureller oder nationaler) Identität ablehnten oder zumindest hiermit Vorbehalte begründeten. Erschwerend hinzu kommt ein diffuser Kulturbegriff (Hamburger 1984: 66; Peters 1997: 228; Reckwitz 2001). Er ruft Missverständnisse darüber hervor, was in einem demokratischen Rechtsstaat verhandelbar ist und was nicht. Was unterscheidet beispielsweise eine »multikulturelle Demokratie« (so die Grünen-Politikerin Claudia Roth114) von einer »regulären« Demokratie westlichen Typs? Die Autoren des Zwölften Kinder- und Jugendberichts der Bundesregierung empfehlen »im Zuge der wachsenden Multikulturalität unserer Gesellschaft« (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2005: 72) den Einheimischen und Zugewanderten, eine »konstruktive Auseinandersetzung mit kultureller Heterogenität zu ermöglichen, gemeinsame Referenzpunkte zu verdeutlichen, die eine Basis für einen gemeinsamen Dialog und für Begegnung bilden« (ebd.: 73). Floskeln wie »Integration […] meint den beständigen Prozess der Verständigung über die gemeinsamen Grundlagen und Regeln des Zusammenlebens in einem Gemeinwesen« (Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen 2000: 202) erwecken den Eindruck, Pluralität würde nicht durch geltendes Recht begrenzt und Handlungsfreiheit nicht durch die allgemeinen Gesetze eingeschränkt (Kötter 2003: 46). So kann eben nicht unter Berufung auf die Religionsfreiheit ein Recht auf Einführung der Witwenverbrennung und der Polygamie abgeleitet werden (Peters 62f.). In diesem Sinne ist es das Recht und im Sinne des Rechtsfriedens auch die Pflicht der Aufnahmegesellschaft, die Grundlagen des Zusammenlebens zu definieren.
—————— 114 Grußwort zur Demonstration »Gemeinsamen für den Frieden und gegen den Terror«, 21. November 2004, Pressedienst Bündnis 90/Die Grünen, Bundesvorstand: 3
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Die Ambivalenz von Gruppen Zur Kultur von Kollektiven gehören auch kollektive Identitäten. »Selbstbilder, Wir-Bewusstsein, Traditionsbezüge, kollektive Zukunftserwartungen. Kollektive Selbstdeutungen beinhalten ein Bewusstsein der Gemeinsamkeit bestimmter Eigenschaften, Gruppensolidarität, die Selbstzuschreibung kollektiver Eigenschaften und Errungenschaften, die Wahrnehmung von Unterschieden und Kontrasten gegenüber anderen Gruppen und die Bewertung von solchen Unterschieden, sowie überhaupt Wahrnehmungen oder Interpretationen der Beziehungen zur sozialen Umwelt (Gleichstellung oder Diskriminierung, Respekt oder Missachtung)« (Peters 1997: 230f.).
Max Weber (1921/1980: 237) beschrieb den »ethnischen Gemeinschaftsglauben« als »soziale Konstruktion«. »Wir wollen solche Menschengruppen, welche aufgrund von Aehnlichkeiten des äußeren Habitus oder der Sitten oder beider von Erinnerungen an Kolonisation und Wanderung einen subjektiven Glauben an eine Abstammungsgemeinsamkeit hegen, derart, dass dieser für die Propagierung von Vergemeinschaftungen wichtig wird, dann, wenn sie nicht ›Sippen‹ darstellen, ›ethnische Gruppen‹ nennen, ganz einerlei, ob eine Blutsgemeinschaft objektiv vorliegt oder nicht.«
Ethnischer Gemeinschaftsglauben ist wandelbar, er kann an »alle denkbaren Unterschiede der ›Schicklichkeits‹vorstellungen« anknüpfen und sie zu »ethnischen Konventionen« machen (ebd.: 239). Vor diesem Hintergrund ist es abwegig, »Identität« ein Ewigkeitspostulat zuzuschreiben, wie etwa Taylor (1997: 31): »Was aber wäre, wo es um Identität geht, legitimer als danach zu streben, dass sie niemals verloren geht?«115. Er kann an den Glauben an Blutsverwandtschaft, an Sitte, an Religion, Sprache etc. anknüpfen. Der ethnische Gemeinschaftsglauben ist vor allem durch »ethnische Grenzziehungen«, durch Abgrenzung gegenüber anderen »ethnischen Gruppen« gekennzeichnet (Wimmer 2008: 66ff.). Diese Grenzziehung als politischer Prozess konstruiert nicht nur »fremde« Gruppen, sondern trägt auch zu einem Zusammenhalt der eigenen Gruppe bei. Die Wandelbarkeit ethnischer Selbstverständnisse spricht allerdings nicht gegen deren Wirkmächtigkeit und Authentizität (Peters 1997: 240). Alleine die Wahrnehmung als ethnische Gruppe hat sowohl für soziales als auch für politisches Handeln Konsequenzen. Der Aufbau derartiger Gruppenidentitäten kann sowohl intern (aus der Gruppe heraus) als auch extern erfolgen: Die Mehrheit oder andere Gruppen schreiben einer Gruppe eine »ethnische« Identität zu (Offe 1996: 35).
—————— 115 An anderer Stelle spricht er von Maßnahmen zur Sicherung der Kultur von Bevölkerungsgruppen, die geeignet sein müssten deren »Fortbestand für alle Zukunft [zu] sichern« Taylor 1997: 75, FN 16)
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Auch diese Zuschreibung könne sich im Laufe der Zeit verändern: So interessierte sich die Öffentlichkeit über Jahrzehnte nicht für die religiöse Orientierung der Zuwanderer aus islamisch geprägten Regionen: Wurden sie zunächst in ihrer ökonomischen Funktion als die »Gastarbeiter« wahrgenommen, so wurden im Laufe der 1970er Jahre nationale Kategorien vorherrschend (»Türken« oder »Jugoslawen«). Im Laufe der 1980er Jahre wurden aus ihnen Muslime. Die Ursachen hierfür sind vielfältig – von der Revolution im Iran 1979 bis zur Rushdie-Affäre 1989 und erst recht dem 11. September 2001. Interne und externe Identitätsformierung können sich gegenseitig verstärken. Das erklärt, warum sich ausgewanderte Gruppen stärker an nationalen, ethnischen oder religiösen Aspekten ihrer Herkunftsländer orientieren, als im Herkunftsland üblich. Wenn solche Gruppen politische Anerkennung und Gruppenrechte fordern (und erhalten) und wenn ihnen von außen bestimmte Eigenschaften zugeschrieben werden (Muslime, Türken etc.), umso relevanter wird das Problem des Zwangscharakters, den diese Kategorisierung mit sich bringt. Da es sich um soziale Konstruktionen handelt, ist durchaus anzunehmen, dass Individuen einer Gruppe zugeordnet werden, der sie sich nicht zugehörig fühlen – weil sie sich grundsätzlich keiner Gruppe zuordnen oder weil sie sich einer oder mehreren anderen Gruppe(n) zugehörig fühlen. Die extern vorgenommene Kategorisierung muss keinesfalls mit der ethnischen Selbstidentifikation übereinstimmen (Wimmer 2008: 66). Die Festigung solcher Gruppenidentitäten schränkt die Exit-Optionen derjenigen ein, die dazu gerechnet werden, aber nicht dazu gehören wollen (Offe 1996: 36). Gruppenrechte können mit dem Verlust von individueller Handlungsfreiheit einhergehen. »Es ist […] ein Problem von Gruppenrechten, dass die Vorteile nicht unzweideutig gewährt werden, sondern von (einigen) Gruppenmitgliedern durch entsprechende Verluste und Einbußen ihrer Freiheit bezahlt werden müssen. Dies gilt etwa für die Fälle, dass das einer Gruppe eingeräumte Privileg von einzelnen Gruppenmitgliedern durchaus nicht als Freiheitsgewinn gewürdigt wird – sondern eher, z.B. weil ihre Bindungen an die Religion, die Sprache oder andere Grundlagen kollektiver Identität nicht sehr eng sind, als Freiheitsverlust. Es kann dann sehr wohl sein, dass Individuen ihre bürgerlichen Freiheitsrechte durch das Regime der Gruppenrechte verletzt sehen, das sie der Herrschaft der Gruppenautoritäten unterwirft« (Offe 1996: 39; Strecker 2006: 290ff.).
Hinzu kommt die Rolle von Gruppeneliten. Kulturelle, religiöse, ethnische oder nationale Identität wird und wurde von diesen Eliten häufig zur Durchsetzung politischer Interessen instrumentalisiert (Meyer 2002: 13). Das gilt beispielsweise für türkische und vor allem muslimische Wortführer in Deutschland, die sich immer wieder wie »Identitätswächter« (Kandel 2002: 145; auch: Zentrum Demokratische Kultur 2004: 153ff.) verhalten, Feindbilder pflegen
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(ebd.: 73) und damit die Abgrenzung ihrer Klientel als »Gruppe« verfestigen. Verhielten sie sich als »Integrationslotsen«, liefen sie Gefahr, sich auf Dauer überflüssig zu machen. Dass Wortführer ethnischer Organisationen ihre Klientel pflegen, ist in Einwanderungssituationen nicht untypisch (Breton 1974: 199f.). Islamisten betreiben eine »destruktive Identitätspolitik« (Kandel 2005: 66), ihr immer wieder dargelegtes mittelfristiges Ziel ist die »Konstruktion von islamischen Parallelgesellschaften« (ebd.: 66, dort auch zahlreiche Belege für entsprechende Absichtserklärungen). Langfristig streben sie »monokulturelle Gesellschaften« an, in denen keine Religionsfreiheit mehr gewährt wird. Die Betonung der Differenz zur umgebenden Gesellschaft steht dabei im Mittelpunkt – das gilt nicht nur für den schulischen Raum, wo immer wieder versucht wird, eine Entpflichtung durchzusetzen, beispielsweise keine Teilnahmepflicht am Schwimm-, Sport- oder Biologieunterricht (Peters 1997: 69f.). Das Bundesverfassungsgericht hat dazu im Mai 2006 – aus Anlass der Verfassungsbeschwerde christlich motivierter Eltern, die sich weigerten, ihre Kinder an einer staatlich anerkannten Schule zu belassen – allgemein gültig festgestellt: »Die Allgemeinheit hat ein berechtigtes Interesse daran, der Entstehung von religiös oder weltanschaulich motivierten ›Parallelgesellschaften‹ entgegenzuwirken und Minderheiten zu integrieren. Integration setzt dabei nicht nur voraus, dass die Mehrheit der Bevölkerung religiöse oder weltanschauliche Minderheiten nicht ausgrenzt; sie verlangt auch, dass diese sich selbst nicht abgrenzen und sich einem Dialog mit Andersdenkenden und -gläubigen nicht verschließen. Für eine offene pluralistische Gesellschaft bedeutet der Dialog mit solchen Minderheiten eine Bereicherung. Dies im Sinne gelebter Toleranz einzuüben und zu praktizieren, ist eine wichtige Aufgabe der öffentlichen Schule. Das Vorhandensein eines breiten Spektrums von Überzeugungen in einer Klassengemeinschaft kann die Fähigkeit aller Schüler zu Toleranz und Dialog als einer Grundvoraussetzung demokratischer Willensbildungsprozesse nachhaltig fördern«116
Zu den Gruppeneliten hinzu treten noch die »Patronage-Staaten« (Offe 1996: 43), die ihre ausgewanderten Landsleute und deren Nachkommen als Lobby zu formieren suchen. Mit seiner Rede in der Kölnarena am 10. Februar 2008 hat der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan dies in der deutschen Öffentlichkeit noch einmal deutlich gemacht (abgedruckt in der FAZ vom 15. Februar 2008 »Erdogans Kölner Rede«). Insbesondere seine Betonung der türkischen Identität und die Absage an jede Form von »Assimilation« wurden kontrovers diskutiert. Seine zentrale Botschaft lautete: Auch türkische Zuwanderer bleiben Türken, behalten auch im Aufnahmeland ihre türkische
—————— 116 BVerfG, 2 BvR 1693/04 vom 31.5.2006, 18, http://www.bverfg.de/entscheidungen/ rk20060531_2bvr169304.html [21. Juni 2006].
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Identität. Damit haben sie die Chance, eine einflussreiche nationale Lobby zu bilden (Luft 2008a). Hier steht der Selbstbehauptungswille von Zuwanderergruppen und derjenigen, die für sich in Anspruch nehmen, sie zu vertreten, gegen das Interesse der Aufnahmegesellschaft, dass die Zuwanderer sich erfolgreich integrieren.
Kulturalismus Der Multikulturalismus legt die Menschen auf die Zugehörigkeit zu Kulturen fest, er »kulturalisiert«. Kulturelle Eigenschaften werden dabei als essentielle, nicht ablegbare Eigenschaften von Menschen angesehen. »Dem Begriff ›multikulturelle Gesellschaft‹ liegt ein statisch-unhistorischer Kulturbegriff mit einseitig ethnisch-nationalen Aspekten zugrunde« (Griese 1991: 21). Die Herkunftskultur determiniert menschliches Handeln nach diesem Verständnis soweit, dass Gerichte Tätern türkisch/arabischer und/oder islamischer Herkunft mildernde Umstände aufgrund ihrer Einbindung in die Herkunftskultur zubilligen. Die Behauptung, die Täter hätten nicht anders handeln können, unterstellt eine Art »kulturellen Befehlsnotstand«, der mit rechtsstaatlichen Maßstäben nicht zu rechtfertigen ist. »Archaische Sitten- und Wertvorstellungen«117, angeblich irreversible Volkseigenschaften können kein zu rechtfertigen Ausgangspunkt für die Strafjustiz sein: Es geht um Eigenschaften, die sich zwar aus der kulturellen Prägung ergeben, die aber weder alle Individuen eines Volkes oder einer Gruppe kennzeichnen noch durch externe Einflüsse auf Dauer unveränderbar wären. Eine solch deterministische Auffassung unterschätzt das menschliche Gespür für Würde und Gerechtigkeit. Immer wieder gibt es Menschen, die große Risiken für sich und ihre Angehörigen auf sich nehmen und herrschender Lehre oder Wertvorstellungen in ihren Ländern widersprechen. Ein solches abweichendes Verhalten muss von Migranten erwartet werden (dazu ausführlich: Luft 2003: 371ff.; Baumeister 2007; Willms 2009: 92ff.). Hier wird die Einschätzung von Malik (2008: 159) exemplarisch bestätigt: »In the postwar world, the empire of race gave way to the empire of culture. Just as race once determined every aspect of human behaviour, so now culture did the same«. In der Fokussierung auf die Herkunftskultur von Migranten wird der Eindruck erweckt, so Hoffmann-Nowotnys (1992: 12) zutreffende Bemerkung, »das wichtigste Auswanderungsmotiv sei der Wunsch, im Einwanderungsland
—————— 117 Die Pressestelle des Landgerichts Bremen (Hrsg.): Die Pressestelle des Landgerichts Bremen teilt auf Anfrage mit: Urteil in dem Prozess gegen vier Kurden wegen Totschlags vom 4.2001: 3.
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die Kultur des Herkunftskontextes intensiv leben und pflegen zu können«. Das hätte im Herkunftsland in den allermeisten Fällen einfacher erfolgen können. Menschen entwickeln (nicht nur) im Laufe von Migrations- und Niederlassungsprozessen neue, zusammengesetzte, »hybride« Identitäten, die sich nicht allein über die Aspekte der Herkunftskultur (Religion, Nationalität, Ethnie) definieren lassen (Maalouf 2000). So muss die Annahme einer homogenen (Herkunfts-)Kultur in Zeiten der Globabilisierung als unplausibel angesehen werden (Reckwitz 2001: 194). Auch ist der Hinweis berechtigt, dass eine Überbetonung kultureller Distanz seitens der Mehrheitsgesellschaft dazu beiträgt, dass Zuwanderer mit einer »Re-Kulturalisierung« darauf reagieren (HoffmannNowotny 1990: 25).
»Vielvölkerrepublik« Die Betonung der »kulturellen Identität«, etwa einer »kulturautonomen Integration« und die damit verbundene Forderung »explizite(r) Anerkennung und materielle(r) wie ideelle(r) Förderung der verschiedenen Institutionen der Einwandererkolonien« (Schulte 1990: 25) schwächte das Bewusstsein für notwendige Anpassungsleistungen. Vorstellungen kollektiver Abgrenzungen wurden durch Visionen einer »modernen Vielvölkerrepublik« (Leggewie 1993: 142) bestärkt. Zielvorstellung war dabei eine »Gesellschaft ohne kulturelles Zentrum und ohne hegemoniale Mehrheit. Dieser Aggregatzustand tritt ein, wenn das historische Gerüst des europäischen Universalismus, der Nationalstaat als Denk- und Handlungseinheit, nachgibt und transnationale Mobilität in einem Maße stattfindet, dass die Weltgesellschaft von einer Abstraktion zur alltäglich erfahrbaren Realität wird« (ebd.: XIII).
Diese »Gesellschaft von Fremden« stelle eine »auf den ersten Blick chaotische Konstellation von Personen und Gemeinschaften dar, die zueinander in einem Verhältnis struktureller Fremdheit und situativer Vergemeinschaftung stehen« (ebd.). Dass sich im Zuge der Globalisierung nicht nur Informationen und Kapital weltweit bewegen, sondern auch Menschen, kann nicht bezweifelt werden. Die von Leggewie ersonnene Konstruktion unterschätzt die Relevanz der Institution Staat. Der Staat ist es – nicht eine »Weltgesellschaft« – der Einheimischen und Zugewanderten Schutz bietet. Eine Auflösung aller historischen, kulturellen und ethnischen Verbundenheiten würde kaum eine Chance auf demokratische Zustimmung erhalten. Ähnliches gilt für die Empfehlung Butterwegges, darüber zu streiten, »ob das nationalistische Konstrukt ›deutsches Volk‹ über-
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haupt noch zeitgemäß ist und öffentliche Aufmerksamkeit verdient oder ob die Globalisierung – hier verstanden als Prozess eines wirklichen Zusammenwachsens der Welt – die Politik nicht zu einer kosmopolitischen Umorientierung zwingt« (Butterwegge 2006: 218). Das Grundgesetz sieht das deutsche Volk als Schöpfer dieser Verfassung und als Ursprung der Staatsgewalt (Isensee 2004: Rn 24ff.) (Art. 20 Abs. 2 S.1: »Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.«). »Das Grundgesetz bestimmt seinen Ort nicht im Universum verfassungspatriotischer Ideen, sondern in einem bestimmten Volk auf dem Boden Mitteleuropas. […] Der Trägerverband der grundgesetzlichen Demokratie ist das deutsche Volk, nicht etwa eine rechtlich undefinierbare, multinationale Gesellschaft« (ebd.: Rn 38). Die Forderung Butterwegges lässt die Bedeutung jedweder geschichtlich gewachsener, kultureller Identität außer Acht. Sie verharrt zudem in der Negation, ohne eine Alternative anzudeuten, wer an die Stelle des Volkes als Legitimationsquelle treten soll und welche demokratiepolitischen Konsequenzen dies hätte. Gleiches gilt für die Rolle des Nationalstaates, auch hier stellt sich die Frage, »welche legitimatorische Kraft ins Zentrum rücken würde, wenn der Nationalstaat nicht existierte oder seine Kraft verlöre« (Thränhardt 2003: 11). Nach Ansicht von Thränhardt »würden sich andere Exklusionsmechanismen entwickeln. Migranten wären aber unter Umständen noch mehr gefährdet als andere Gruppen, weil sie meist schwach sind« (ebd.: 11).
Verschiedenheit Der Multikulturalismus stellt das Trennende, die Verschiedenheit in den Mittelpunkt, »als Politik der Differenz, welche die Unterschiede begrüßt, forciert und festschreibt« (Burger 1997: 183). Hierin liegt ein weiterer Konstruktionsfehler. Anhänger des Multikulturalismus betonten häufig auch das ihm inhäherente Konfliktpotential, »dass die multikulturelle Gesellschaft eine Konfliktgesellschaft ist und bleiben wird« (Cohn-Bendit/Schmid 1992: 12). Sie begründeten dies mit den Kontakten von »Kulturen, Lebensstilen und Wertsystemen« (ebd.: 31). Multikulturalistische Politik erweckt den Eindruck, es gehe in erster Linie darum, dass Zuwanderer ihre Andersartigkeit bewahrten. Koopmans (2008: 5) verweist auf einen Fall in den Niederlanden. Dort hob ein Amsterdamer Gericht, die Entscheidung der Gemeinde auf, wonach einer muslimischen Frau, die ihr Gesicht mittels Burka vollständig bedeckt hielt, sozialstaatliche Leistungen verweigert werden sollten. Die Gemeinde hatte ihre Entscheidung mit dem Argument begründet, dass die Frau faktisch nicht zu beschäftigen sei, da weder Kunden noch Kollegen ihre Augen und ihr Gesicht
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sehen könnten. Das Urteil des Gerichts, so Koopmans, die Interpretation der religiösen Pflichten der Frau als vorrangig gegenüber ihrer Beschäftigungsfähigkeit anzusehen, bedeute in der Konsequenz, dass diese Frau lebenslang abhängig von wohlfahrtsstaatlicher Versorgung bleibe. Dass die Frau diese Entscheidung getroffen habe, sei nicht zuletzt der Höhe der staatlichen Unterstützung geschuldet, die ihr ein Leben jenseits der Armutsgrenze sichere. Vor dem Hintergrund der international vorhandenen Erfahrungen muss festgestellt werden, dass der Multikulturalismus das Integrationspotential westlicher Gesellschaft mehr geschwächt als gestärkt hat. »Wenn, wie im Multikulturalismusmodell, Gruppenexistenzen sich durch Differenz und Verschiedenheit begründen, kann man von einem Koexistenzmodell sprechen, nicht von einem Integrationsmodell. […] Da dieses also auf Koexistenz, nicht auf Integration setzt, ist es als systematisches Integrationsmodell auf gesamtstaatlicher Ebene nicht geeignet« (Hinrichs 2004: 16).
Die Idee des Multikulturalismus weckt falsche Erwartungen. Natürlich sind alle Sprachen gleichermaßen wertvoll, und Mehrsprachigkeit ist in jeder Hinsicht eine Bereicherung. So wird zu Recht beklagt, dass die Mehrsprachigkeit bei Zuwanderern (sofern es sich nicht um »doppelte Halbsprachigkeit« handelt) zu wenig Beachtung und Anerkennung fänden. »Ihr aus dem familiären Aufwachsen und dem Leben in einer ethnischen Subkultur resultierendes ›ethnisches Kapital‹, das sich z. B. in Zwei- (Mehr)Sprachigkeit und interkulturellen Kompetenzen niederschlagen kann, wird in der deutschen Gesellschaft und in der Arbeitswelt allerdings nicht positiv eingeschätzt und daher in der Regel nicht berücksichtigt« (BoosNünning 2006: 6).
Eine Sprachenpolitik, die stark auf die Bewahrung von Herkunftssprachen setzt, die auf Gruppenrechte setzt und damit Gruppenidentitäten fördert, mindert jedoch die Chancen der Zuwanderer: »Die Opportunitätskosten, die mit dem Studium einer Regionalsprache verbunden sind, bestehen häufig darin, dass eine Fremdsprache nicht erlernt wird, die von größerem praktischem Nutzen ist. So bezahlen Schüler eine stärkere sprachliche Identität mit einer Einbuße an künftigen Arbeitsmarktchancen – und dabei liegt die Wahl, welche Sprache sie erlernen, in der Regel nicht einmal bei ihnen oder ihren Eltern, sondern wird von regionalen Eliten getroffen« (Offe 1996: 40).
In der Lebenswirklichkeit werden beispielsweise bei der Ausbildungsplatzsuche die wenigsten Handwerksmeister die Türkisch- oder Urdu-Kenntnisse der Bewerber positiv in Rechnung stellen. Denn Sprachen werden zwar als gleichermaßen wertvoll und erhaltenswert angesehen, ihr »kommunikativer Gebrauchswert« (alleine gemessen an der Zahl der weltweit vorhandenen Sprecher dieser Sprache) unterscheidet sich allerdings drastisch (Esser 2006:
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18). Für den Handwerksmeister in Deutschland sind die Kenntnisse der deutschen Sprache entscheidend, Türkischkenntnisse haben für ihn keine Bedeutung. Hinzu kommt, dass in der deutschen Zuwanderungswirklichkeit eine »doppelte Halbsprachigkeit« verbreitet ist: »Die Lösung des Problems liegt im Elternhaus und in der Erziehung. Die zwei oder drei Sprachen beherrschenden jungen Eltern haben untereinander eine Kommunikationsmethode, die nicht nur ihnen selbst schadet, sondern sich auch auf die Sprachfähigkeit ihrer Kinder negativ auswirkt. Während bei ihnen zuhause ständig das Fernsehgerät läuft und die Programme ständig zwischen den unzähligen türkischsprachigen und deutschsprachigen Kanälen gewechselt werden, wechseln auch sie je nach Thema ihres Gespräches die Sprache. Es vergehen kaum fünf Minuten, in denen sie die Sprache nicht wechseln. Ihre Kommunikation mit dem Kind geschieht in gleicher Weise, so dass sie als Bezugspersonen für ihr Kind in Bezug auf das Spracherlernen nichts Positives bewirken können. Im Gegenteil, das Kind erlernt im Elternhaus keine Sprache, sondern ein Kauderwelsch von Wörtern unterschiedlicher Sprachen. Zum Spracherlernen im Baby- und Kindesalter ist aber die Rolle der Eltern entscheidend« (Celebi-Bektas 2006).
Das Konzept Multikulturalismus bestärkt all jene Zugewanderten, die die Ursachen für mangelhafte Integration nicht bei sich selbst zu suchen, sondern in rassistischen und diskriminierenden Strukturen der Aufnahmegesellschaft. In der einschlägigen Literatur wird diese Perspektive mit ihren impliziten oder expliziten Schuldzuweisungen nahezu durchgehend eingenommen. Für Großbritannien stellt Ernst Hillebrand ein ähnliches Diskursverhalten fest: »Arbeitslosigkeit, Schulversagen und Armut sind dieser Logik zufolge nicht das Ergebnis von Qualifikations- und Integrationsdefiziten, sondern das Ergebnis von religiös-kultureller Diskriminierung durch die Briten« (Hillebrandt 2006: 6).
Ideologie der Mittelklasse Die »multikulturelle Gesellschaft« ist ein »Konstrukt ohne Integrationspotential« (Mäder 1999). Sie ist eine Schöpfung akademischer Mittelschichten. Wenn sie von Multikulturalität reden, meinen sie die Vielfalt der gehobenen Gastronomie, die gesteigerten Möglichkeiten sinnlicher Genüsse, das »Exotische«, das sie damit verbinden (Treibel 2003: 65). Der damalige Dezernent für Kultur und Freizeit der Stadt Frankfurt am Main, Hilmar Hoffmann, brachte diese Haltung des »kulinarischen Multikulturalismus« beredt zum Ausdruck: »Solange Nestwärme dem Menschen ein Gefühl von Geborgenheit vermittelt, wird er sich über den eigenen Kreis der Familie und der Freunde neugierig hinausbewegen, um das für ihn Exotische zu genießen und Vielfalt als Bereicherung zu würdigen. Wir empfinden die Vielfalt der Großstadt als besonderen Reiz, auch die Vielfalt ihrer Menschen als permanente Anregung, als stimulierende Erlebnis-Variante. Wer sich aussuchen kann, aus besonderem
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Anlass indisch, chinesisch, vietnamesisch, türkisch, griechisch, französisch oder hessisch essen zu gehen, empfindet auch diese Freiheit als selbstverständlichen Teil unseres gemeinsamen Reichtums. Noch sehr viel intensiver können wir die Existenz verschiedener Kulturen in einer Stadt als Reichtum entdecken, als Ressource vielfältiger Genüsse von Kreativität und Innovation. Gelebte Kulturalität gründet in erster Linie auf Toleranz: Vielfalt als Chance zu begreifen, empfiehlt uns die Postmoderne.«118
Wie stark diese Perspektive und die Wirklichkeit auseinander klaffen, macht ein Blick auf die französischen Verhältnisse deutlich (die noch bedrückender sind als jene in Deutschland): »Viel wichtiger [als die belebende Vielfalt] sind demgegenüber die konfliktträchtigen Elemente des multikulturellen Zusammenlebens, wie latente Aggressivität, Abkapselung, Angst/ Unsicherheit (z. B. in öffentlichen Verkehrsmitteln), Kleinkriminalität, Rücksichtslosigkeit, Indifferenz und Desinteresse an öffentlichen Angelegenheiten, Schmutz und Umweltzerstörung und die für das Erscheinungsbild französischer Großstädte (nicht nur der ›Banlieues‹) abseits der vom internationalen Tourismus bevorzugten Stadtgebiete so charakteristische ästhetische Verwahrlosung« (Manfrass 1991: 42f.).
Im Modell einer multikulturellen Gesellschaft spiegelt sich das Lebensgefühl der gehobenen Mittelklasse wider. Die Angehörigen der gehobenen Mittelschichten aber wissen zu wenig von den zugewanderten Unterschichten und ihrem tristen Dasein in den ethnischen Kolonien. Sie wissen zu wenig von der Lebenswirklichkeit der sozial schwachen einheimischen Bevölkerung, um beurteilen zu können, welche überdurchschnittlichen Integrationsleistungen ihnen im Alltag abgefordert werden und welche Anstrengung dies bedeutet. So ist das immer wieder vorgebrachte Postulat, in der multikulturellen Gesellschaft müssten ständig neue »Spielregeln« des Zusammenlebens ausgehandelt werden119, für die Betroffenen schlicht und einfach eine Überforderung. Die Behauptung, für die »kommunikative Einigung auf gemeinsame Mindestregeln multikulturellen Zusammenlebens« sei der »herrschaftsfreie Dialog […] die ideale Bedingung« (Gaitanides 1999: 179) war und bleibt lebensfremd. Unterschiedliche wirtschaftliche und soziale Ausgangspositionen, unterschiedliche kulturelle Hintergründe sowie die Tatsache, dass es immer noch um die Integration einer Minderheit in ein von einer Mehrheit geprägtes Land geht, lassen dieses Modell als völlig ungeeignet erscheinen, um divergierende Interessen – auch innerhalb der jeweiligen Gruppen – zu einem Ausgleich kommen zu lassen.
—————— 118 Hoffmann, Hilmar: Im Laboratorium fürs Überleben. Die Utopie von der multikulturellen Gesellschaft, in: Süddeutsche Zeitung vom 3. Juni 1989 119 So unter anderem die ehemalige Ausländerbeauftragte des Berliner Senats, Barbara John (2004): 2; in diesem Sinne auch die ehemalige Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, Marieluise Beck; »Multikulti ist noch kein Konzept«, in: Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion (Hg.): Profil Grün, 2/ 2005: 21
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Im Leugnen oder Ignorieren der Alltagsprobleme, so ist zu Recht festgestellt worden, »drückt sich eine Geringschätzung der einheimischen Unterschichten aus, die von diesen empfindlich gespürt wird« (Tönnies 1996: 79). Die Verachtung des »kleinen Mannes« und seiner angeblich latent xenophoben Grundhaltung zieht sich wie ein roter Faden durch die Argumentation der »migrationspolitischen Fachöffentlichkeit« (hierzu ausführlich Luft 2003: 364ff.). Dangschat (2002: 29ff.) kommt zu dem Schluss, dass »die Idee des ›Multikulturalismus‹ ein bigottes und verlogenes Konzept der bildungsbürgerlichen Mittelschicht für die bildungsbürgerliche Mittelschicht« sei. Zu Recht erkennt er, dass ein solches Entlastungskonzept von jenen gesellschaftlichen Kreisen entworfen wird, die selbst weder beruflich noch privat mit den Zuwanderern in Konkurrenz oder Nachbarschaft stehen. »Eine ausreichende Bildung, eine brauchbare Menge an ökonomischem Kapital, insbesondere eine hohe Artikulationsfähigkeit, soziales Kapital und die Lust am Bewegen in differenzierten sozialen Kontexten bringen sie in die Lage, in den Kontakten zu ›dem Fremden‹ nur Öffnung, Erweiterung, Anregung und Bedürfnisbefriedigung zu sehen – interethnische Kontakte sind für sie eine Chance und werden bisweilen demonstrativ inszeniert. Die Integrationsarbeit auf dem Arbeitsplatz und in den Wohnquartieren wird hingegen von den ›Anderen‹ betrieben, von denjenigen, deren Qualifikationsstruktur wenig Selbstbewusstsein hat entstehen lassen, die aus gesellschaftlichen Bereichen stammen, in denen Risiken lähmend wirken […] Das Multikulti-Angebot ist also eine ›Entlastungsstrategie‹ derer, die von der Segregation profitieren, denn sie leben wegen der Segmentation und Segregation in relativ ›störungsfreien‹ Kontexten. Gewöhnlich nennt man solches Vorgehen ›Verträge zu Lasten Dritter‹; die noch häufiger geschlossen würden, wenn sie nicht als sittenwidrig eingeordnet wären«.
In den sozial schwierigen Gebieten geht es eben nicht um die »Kleinmütigen«, die durch das »Anders- und Fremdartige« »überfordert« werden (John 2004). Sybille Tönnies hat diese soziale Dimension in den Blick genommen. Sie kritisiert, dass die in der Bundesrepublik geführte Debatte über ausländerpolitische Fragen ideologisch voreingenommen und einseitig aus der Perspektive der Sinnvermittler und Sinnproduzenten geführt wird: »[…] in der bisherigen Diskussion wurde zu wenig darüber gesprochen, was der Ausländerzustrom für die Schichten bedeutet, die die Integration praktisch zu leisten haben. […] Solange wir […] in einer Gesellschaft leben (und das wird, wie es scheint, noch eine Weile der Fall sein), die unten und oben, arm und reich sehr wohl kennt, in der sich die Schere sogar immer weiter öffnet, müssen wir der Tatsache ins Gesicht sehen, dass die Ausländerfrage in den oberen Schichten anders aussieht als in den unteren. Die Neigung zur Multikulturalität ist eine ›kultivierte‹ Haltung, die die erfreulichen Seiten der Völkermischung würdigen kann, und sie liegt den gebildeten Schichten nahe, die vom unmittelbaren Existenzkampf relativ abgehoben sind. Als Bewohner der besseren Viertel einer Stadt kann man sehr wohl einen orientalischen Nachbarn, der ebenfalls wohlhabend und gebildet ist, als
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kulturelle Bereicherung schätzen; man kann auch die gesteigerte Farbenpracht und Geräuschentfaltung, die mit südlichen Mitbürgern einhergeht, würdigen – solange man nicht unter einer Wohnung mit einer achtköpfigen türkischen Familie lebt, sondern nur gelegentlich die pittoresken Aspekte der fremden Kultur erlebt und von der multikulturellen Wirklichkeit weit entfernt ist. Die unteren Schichten kommen tatsächlich durch einen zu hohen Ausländeranteil in Bedrängnis. Anders als die Oberschichten konkurrieren sie mit Ausländern um Wohnungen, Arbeits- und Kindergartenplätze; es sind ihre Kinder, die in den Schule und auf den Spielplätzen mit den etwas festeren Fäusten der Ausländerkinder zurechtkommen müssen. […] man darf die Schwierigkeiten einer Kulturvermischung nicht leichtfertig unterschätzen. Eine solche Betrachtungsweise wird von den Freunden der Multikulturalität scharf zurückgewiesen und als vorurteilsbelastet bezeichnet. Die ökonomische Bedrückung, in die die deutschen Unterschichten mit steigendem Ausländeranteil kommen, wird geleugnet; die Rivalität auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt wird ignoriert, die bedeutend höhere Kriminalitätsrate bei ausländischen Jugendlichen wird vertuscht, die ernsten Probleme in den Grund- und Hauptschulen, die Überforderung von Lehrern und Schülern in bestimmten Stadtteilen wird nicht beachtet – und in dieser Haltung drückt sich eine Geringschätzung aus, die von diesen empfindlich gespürt wird. (…) Die Millionen Menschen, die zu dieser im Stich gelassenen Schicht gehörten, fühlen sich nicht mehr beschützt von der Linken; sie spüren, dass die Intellektuellen sie heimlich verachten und ihre Sympathie auf die Ausländer verschoben haben, deren Nöte traditioneller Art sind: Krieg, Obdachlosigkeit, Hunger« (Tönnies 1996: 78ff.).
Kritik von Links Die Kritik von Links interpretierte den Multikulturalismus als bürgerliche Ideologie, die die Klassenherrschaft verschleiern und damit aufrechterhalten sollte. »Die Auslöschung der Klassengeschichte der Ethnisch-Australier und die Rekonstruktion ihrer Erfahrung und Geschichte in ihren Heimatländern und in Australien als ausschließlich kulturell bedingt (d. h. im besonderen nichtpolitisch, nicht auf Klassen basierend und in diesem Sinne ahistorisch) sind die tatsächlichen Ergebnisse eines als Ideologie verwendeten Multikulturalismus. […] Im Grunde genommen repräsentieren diese Vorgehensweisen die aufeinander folgenden Stadien bei der Rekonstruktion der australischen Klassenbeziehungen zum Zweck der Aufrechterhaltung von Hegemonie und Klassenherrschaft […]« (Jakubowicz 1987: 24f.).
Die Entstehung eines einheitlichen Klassenbewusstseins sollte demnach durch die Ethnisierung verhindert werden. »›Ethnik‹ hat sich zu einem wichtigen Ort des Klassenkampfes entwickelt – einem Weg, der von den herrschenden Kräften in Australien benutzt wird, um sowohl die Arbeiterklasse aufzusplittern, als auch die konservative Haltung und die Klassendominanz zu verstärken. […] Die Realisierung des anfänglichen Potentials des Multikulturalismus als Befreiungsprozess kann nur dann eintreten, wenn dieser in den Kampf um kulturelle Befreiung aller Australier der Arbeiterklasse eingegliedert wird, unabhängig von deren ›ethnischen‹ Hintergrund
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bzw. internationalem geschichtlichen Werdegang und unter Anerkennung dieser kulturellen Vielschichtigkeit« (ebd.: 42).
Die linke Kritik am Multikulturalismus zielte auf den Kulturalismus ab, auf die Behauptung kultureller Unterschiede zur einheimischen Bevölkerung als zentralem Bezugspunkt und als den das Verhalten von Zuwanderern bestimmenden Faktor. Vergessen würden daher: die soziale Dimension, die Funktionen in einer modernen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft, die sowohl Zuwanderer als auch Einheimische einnähmen. Zuwanderer würden nicht als Wohnungssuchende, Arbeiter, Taxifahrer, Eltern wahrgenommen, sondern als Türken, Muslime, Italiener etc., als »(kleine) Repräsentanten einer fremden Kultur, die ihr Verhalten wie eine zweite Natur determiniert, so dass sie mit den Lebensumständen im Aufnahmeland notwendig in Konflikt geraten müssen. Oder sie gelten als solche, die zum eigenen Überleben ihre ethnische Identität erhalten müssen, uns also immer fremd bleiben werden. […] Man kehrt an ihnen hervor, worin sie sich kulturell unterscheiden, lässt aber unberücksichtigt, was sie, die in eine funktional differenzierte Gesellschaft integriert wurden und dort ihre Leistungen als Taxifahrer, Putzfrauen, Kreditnehmer erbringen, mit der Mehrheitsbevölkerung sozial gemein haben. Damit löst sich das Problem von seinen rationalen Grundlagen und wechselt über in den Bereich des Mythos« (Radtke 1993: 95f.).
Die Kritik von Links warf den Multikulturalisten (nicht zu Unrecht) vor, von den realen Machtverhältnissen (in wirtschaftlicher und rechtlicher Hinsicht) zu abstrahieren (Klingeberg 1983) – im Übrigen nicht nur von den Machtverhältnissen, sondern auch von den Interessen der »Gastarbeiter« selbst. Multikulturalisten folgten einem naiven Kulturbegriff: »[…] wie soll eine fortschrittliche multikulturelle Kultur entstehen, gar eine Gesellschaft und ganz ohne an den Produktionsverhältnissen, den Kapitalinteressen und daraus resultierenden Verfassungen, Gesetzen und Dienstanweisungen zu rütteln?« (ebd.: 109). Der Multikulturalismus hindere die Zuwanderer daran, sich gegen die Gruppennormen zu stellen, aus dem Gruppenzwang auszubrechen und sich den Anforderungen in der neuen Umgebung zu stellen. »Die Individuen werden in dieser Vorstellung wiederum zu Gefangenen ihrer Herkunftskultur. Wenn dazu noch die relative Autonomie der Gruppenkulturen und Gruppennormen gegenüber den gesellschaftlichen Strukturen behauptet wird, werden letztere … von dem Legitimationsdruck entlastet, der sich aus dem Gleichheitspostulat des Rechtsstaates ergibt […]« (Dittrich/Radtke 1990: 29).
Skeptisch zeigte sich diese Position auch gegenüber den Erwartungen, es werde sich eine neue, fortschrittliche Kultur aus der Vermischung unterschiedlicher nationaler Kulturen bilden. »Die Erwartung ist, es könne auf dem Boden der BRD – sozusagen als eine Art Gemisch – eine neue Kultur mit neuen fortschrittlichen Merkmalen entstehen, wenn sich das Deutsche
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mit dem Gastarbeiterischen vermischt. Wenn das so wäre, dann sicher nicht in Form einer türkisch-deutschen Mischkultur oder einer spanisch-deutschen Mischkultur. Wenn eine multikulturelle Mischung entstehen soll – dazu noch fortschrittlich – dann wohl nur aus bestimmten Elementen der jeweiligen Kulturen und sicher nicht aus den nationalistisch geprägten« (Klingeberg 1983: 110).
Anstatt sich mit einer Verbesserung der sozialen Lage der Unterschichten (einheimischer wie zugewanderter) zu befassen, beschäftige man sich gutbürgerlich mit dem unverfänglichen Thema der Kultur. Der Multikulturalismus »lenkt ab von den realen politischen Problemen, die im Felde der Sozialpolitik und der Herstellung sozialer Gerechtigkeit zu suchen wären und verschiebt das Problem in den Bereich einer Kulturdiskussion, die das diffuse Unbehagen an den Fremden mit neuer Nahrung versorgt« (Radtke 1993: 98). Der Multikulturalismus verdecke die Widersprüchlichkeit der kapitalistischen Gesellschaft: »Der programmatisch-pädagogische Multikulturalismus, zu dem sich Sozialdemokraten und große Teile der Grünen bekennen, stellt eine neue (manchmal hilflose) Form des Antifaschismus bzw. Antirassismus dar und dient in vielen Fällen der Psychohygiene seiner Vertreter. Diese Form des Multikulturalismus tendiert zu einer sozial-romantischen Verklärung der in der Gesellschaft virulenten Widersprüche, sie neigt zu einem Kulturalismus, der die strukturellen Gegebenheiten und die materiellen Konflikte unterschätzt und steht in der Gefahr, bei Folklorisierung zu enden.«120
Der Multikulturalismus setze auf Moral und moralischen Druck, anstelle wirtschaftliche, soziale und rechtliche Gleichstellungspolitik zu betreiben. »Multikulturalismus in Deutschland ist ein groß angelegtes, volkspädagogisches Umerziehungsprogramm, mit dem die ganze Bevölkerung, bevorzugt die Jugend, aber auch die Parteien, die Wissenschaft und die Medien, in neue Problembeschreibungen eingeübt werden sollen. Die immer wiederholte Suggestion ›Wir leben in einer multikulturellen Gesellschaft‹ soll der beklagten Verleugnung einer ›neuen Realität‹ entgegenwirken, die mit der Einwanderung seit der Mitte der 50er Jahre entstanden sei. Die Gesellschaft soll ein neues Bewusstsein über sich selbst entwickeln; sie soll ihr altes Selbstverständnis der nationalen Homogenität austauschen durch die Idee der ›Multikulturalität‹, in der als Normalität akzeptiert wird, dass Menschen unterschiedlicher nationaler, kultureller, religiöser und sprachlicher Herkunft in einer Gesellschaft gleichberechtigt nebeneinander leben (müssen). Der Bevölkerung sollen neue moralische Maßstäbe beigebracht werden. So wie die westdeutsche Gesellschaft nach der ›Kulturrevolution‹ von 1968 gelernt hat, z. B. ihre Kinder zu Hause und in der öffentlichen Schule nicht mehr zu prügeln, soll sie nun lernen, dass man Ausländern tolerant und respektvoll begegnet. Der Multikulturalismus ist ein Steuerungsversuch, der angesichts eines fehlenden politischen Konsenses zur sozialen und rechtlichen Inklusion der Zuwanderer auf das Steuerungsmedium Moral setzt und versucht, sich gegen jenen Zerfallsprozess der Gesellschaft zu stemmen, der gerade doch durch das Nachlassen der Bindewirkung der Moral ausgelöst ist« (Radtke 1993: 96f.).
—————— 120 Radtke, Frank-Olaf: Multikulturalismus – vier Formen der Ethnisierung, in: Frankfurter Rundschau vom 19. Juni 1990
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Kritik von Rechts Im völkisch-nationalen Denken gibt es sehr unterschiedliche Bewertungen des Multikulturalismus. Von den Modernisierungsverweigerern wird er als Instrument der Zerstörung völkischer Identität angesehen und werden Forderungen nach mindestens massenhafter »Rückführung«, wenn nicht gar Vernichtung »rassefremder« Ausländer damit gerechtfertigt. Von Vertretern der »neuen Rechten« wird der Grundgedanke aufgegriffen und ein »Multikulturalismus von rechts« entwickelt. Gemeinsam bleibt die Ablehnung der westlichen, repräsentativen Demokratie. Auf der Grundlage eines biologischen Volks- und Rassegedankens wird »die Propagierung der multikulturellen Gesellschaft [als] ein weiterer Versuch zur Zerstörung des Volkes« bezeichnet (Kosiek 1991: 113). Das Erbe des sozialistischen Internationalismus trete – nach dem Niedergang des Kommunismus – der Multikulturalismus an. »Der Multi-Kulti-Antifaschismus der Neunziger ist der legitime Spross des klassischen Realsozialismus« (Richter 1993: 3). Das Ziel bleibe gleich: die Zerstörung der »immer noch von intakten Völkern« getragenen »Industriegesellschaften des Westens« (ebd.: 3). Im Zentrum dieses Ansatzes, wie er in der Monatsschrift Nation und Europa, einem »der wichtigsten Sprachrohre deutscher Rechtsextremisten« (Bundesminister des Innern 2005: 73), vertreten wird, steht die völkische Identität: Die »Idee vom ethnisch, kulturell und historisch definierten Staatsvolk«, die »Idee von den unveräußerlichen Bestandsrechten dieses Staatsvolkes, wozu etwa das Recht auf Erhalt der ethnischen Identität; des Lebensraums […] gehört« (ebd.: 4). In diesem biologistischen Denken werden Völker als »biologische Tatsachen« (Kosiek 1991: 120), als »unterschiedliche genetische Sammelbecken«, als »Fortpflanzungsgemeinschaften« (ebd.: 118) angesehen. Zuwanderung wird als »Überfremdung«, die »bis zum Völkertod führen« kann, betrachtet (ebd.: 120). Um »Völker- und Rassenmischungen« (ebd.: 123) zu verhindern, müssten unter anderem die »Heiratsschranken an den Volksgrenzen« als »natürliche und für die jeweilige Menschenart und ihre Kultur notwendige Grenzen« beachtet werden (ebd.: 120). Hier wird unmittelbar an die nationalsozialistische Rassenlehre angeknüpft, deren Irrationalität und destruktive Konsequenzen bekannt sind. Die Konsequenz dieses Ansatzes ist einerseits die Ablehnung jeglicher »Integration« von Zuwanderern, andererseits eine Politik mit dem Ziel, »volksfremde« Gruppen zu entfernen: So formuliert die NPD das Ziel, eine »menschenfeindliche Integrationspolitik [zu] beenden sowie die deutsche Volkssubstanz [zu] erhalten« (NPD-Parteivorstand 2004: Punkt 8).
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In ihrem »Aktionsprogramm« kündigt sie die »Rückführung der Ausländer in ihre Heimat« an (NPD-Parteivorstand o.J.: 13). Rechtsextremisten wie der umtriebige Jürgen Rieger bringen ihre rassistisch-biologistische Weltanschauung auf den Punkt und liefern damit den ausländerfeindlichen Gewalttätern eine »Rechtfertigung«: »Multikulturelle Gesellschaft bedeutet Mischung und Mischung bedeutet Untergang letztendlich jeder Kultur« (so Rieger und Schönborn in einem Interview, in: Ulbrich 1991: 264). Dieses absurde Untergangsszenario rechtfertigt für Rieger eine Art Notwehr des deutschen Volkes, wie sie schon die Nationalsozialisten im »Dritten Reich« betrieben hätten. Hasserfüllt propagiert er in Form einer »sich selbst erfüllenden Voraussage« die Vernichtung »rassefremder« Gruppen: »[…] wir werden hier Rassenkriege bekommen, die ungeahnt sind. Und da täusche man sich nicht: Die Deutschen sind Schafe, die Deutschen lassen sich unheimlich viel gefallen, lassen sich auch von Asylbewerbern Rassismusvorwürfe gefallen. […] Nur man täusche sich nicht. […] Churchill hat gesagt, die Deutschen lecken einem entweder die Füße ab oder sie sitzen einem an der Kehle. Noch lecken die Deutschen den Ausländern hier die Füße, irgendwann sitzen sie den Ausländern aber an der Kehle. Das sage ich. Ich möchte das nicht, das will ich betonen, aber es wird kommen. Und es wird deswegen kommen, weil die Ausländerzahl hier laufend zunimmt. Dann sitzen die Deutschen den Ausländern an der Kehle und dann passiert mit den Ausländern, was mit den Juden und Zigeunern passiert ist« (so Rieger und Meinolf Schönborn in einem Interview, in: Ulbrich 1991: 264).
Hier wird Gewalt nicht nur gerechtfertigt, sondern geradezu gefordert. Verfassungsschutz und Öffentlichkeit haben allen Grund, ein wachsames Auge darauf zu werfen.
Multikulturalismus von Rechts Völlig andere Konsequenzen ziehen Vertreter der »neuen Rechten« aus dem Konzept des Multikulturalismus. Ausgehend von der zentralen Rolle, die sie der Bewahrung der »kulturellen Identität« zusprechen, wird die Politik der Integration als »rassistisch« bezeichnet. Ein »völkisch-kultureller Fundamentalismus« (Bauer 1991:139) wird als Reaktion auf den globalen Kapitalismus und die Vorherrschaft eines »amerikazentrierten Imperialismus« (Benoist 2003: 107) angepriesen. Für den Theoretiker der französischen Neuen Rechten (Manfrass 1991: 147), Alain de Benoist, stellt der »liberale Individualismus« (Benoist 2003: 112) die größte Bedrohung der nationalen Identität Frankreichs dar. »Die Amerikanisierung der Welt, die Vereinheitlichung der Produktionsweisen und Konsumgewohnheiten, die Herrschaft der Ware, die Ausbreitung des Weltmarktes, die systemati-
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sche Erosion der Kulturen unter den Folgen der Globalisierung untergraben die Identität der Völker noch weitaus mehr, als es die Einwanderung tut. Die Eröffnung einer Fast-FoodFiliale oder eines Supermarktes stellt für unsere Identität sicher eine größere Bedrohung dar als der Bau einer Moschee!« (Benoist 2003: 128).
Auch Vertreter der Neuen Rechten betonen die Differenz: »Unterscheiden zu können zwischen ›Wir‹ und ›Die‹, das macht ›kulturelle Identität‹ aus« (Bauer 1991: 138). Vor dem Hintergrund der Bedrohung durch die »Destruktivität der industriekapitalistischen Einheitszivilisation« (Bauer 1991: 138) vertrage sich der Multikulturalismus – verstanden als Bewahrung kultureller Vielfalt – durchaus mit dem Konzept des »Ethnopluralismus« der »neuen Rechten« (Pfeiffer 2005: 70ff.). Die Linke missbrauche den Multikulturalismus nur, um eine »Einschmelzung der Völker« (Bauer 1991: 142) zu rechtfertigen. Die Rechte habe hingegen die politischen Konzepte, um den Multikulturalismus in eine adäquate Praxis umzusetzen. Da eine »umfassende Repatriierung der Abermillionen von Fremden in ihre Heimatländer […] kaum vorstellbar« sei (ebd.), müsse man von der Parole »Ausländer raus« abgehen und für ein dauerhaftes Zusammenleben in einer »ethnopluralen« Gesellschaft Konzepte entwickeln. Dabei werden jene Zuwanderer, die sich nicht westlich-hedonistischen Lebensweisen anpassen, die an ihrer nationalen und kulturellen Identität festhalten, zum Vorbild: »Bedenkt man, wie sehr die Europäer und namentlich die Deutschen dem genormten Konsumverhalten und weichlichen Hedonismus der Wohlstandsgesellschaft verfallen sind, so wirkt es fast beschämend, mit welcher Härte und Zähigkeit fern ihrer Heimat lebende Ausländer in diesem Sumpf an ihren kulturellen Überlieferungen, religiösen und politischen Wertorientierungen festzuhalten versuchen. Ob es nun der vielbeschworene Familiensinn der Türken ist, deren ausgeprägte Vaterlandsliebe, die in der glitzernden Hedonistenwelt besonders beanspruchte religiöse Standfestigkeit hier lebender Muslime, die Opferbereitschaft kurdischer Nationalisten: all dies […] wird noch einmal als lobenswertes, anschauliches Beispiel dienen können, wenn es darum geht, dem verkommenen Europäertum und so manchen verwahrlostverwestlichten Landsleuten die Köpfe wieder zurechtzurücken« (ebd.: 146).
Auch Bauer fordert eine Abkehr von Vorstellungen einer »als ›Integration‹ beschönigten rassistischen Assimilationspolitik« und fordert »deren Überwindung durch die Anerkennung des Prinzips kultureller Vielfalt, durch die Achtung der Unterschiedlichkeit der Menschen und Respektierung ihres Rechts, gemäß dieser ihrer Anders- und Eigen-Artigkeit zu leben« (ebd.: 147). Diesen Ansatz entwickelt der Autor weiter und verlangt, dass die Zuwanderer-Gruppen in Deutschland als »Minderheiten« anerkannt werden müssten, verbunden mit »kultureller und politischer Autonomie«. »Hier zeigt sich denn auch, dass das Konzept der multikulturellen Gesellschaft die logische Konsequenz des neurechten Ethnopluralismus ist« (ebd.: 149).
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Gefordert wird ein Rätesystem, in dem jede Volksgruppe einen »Zentralrat« bildet, der diese Minderheit vertritt. Diese Räte entsenden – proportional zur Größe der Minderheit – Vertreter in die Parlamente auf kommunaler, Landes- und Bundesebene. Die »Volksgruppen« sollen »möglichst weit reichende, eigene Gerichtsbarkeit« erhalten (ebd.: 149). Diese Konstruktion eines Vielvölkerstaates von Rechts bietet dem Autor die Gelegenheit, das allgemeine Wahlrecht, den Parteienpluralismus und die parlamentarische Demokratie ad acta zu legen (Zu den politischen Vorstellungen der Neuen Rechten u.a.: Gessenharter 2004: 31ff.; sowie Pfahl-Traughber 2004: 73). Das »›allgemeine Wahlrecht‹ ist doch ohnehin nur eine Unsitte, die es zu überwinden, jedoch nicht weiter auszubreiten gilt« (Bauer 1991: 150). Hier dient das Modell einer multikulturellen Gesellschaft als Vorwand, um den »organischen Stände-Staat« anstelle der – lediglich als »formal« denunzierten – Prinzipien westlicher Demokratie zu setzen. »Multikulturelle Gesellschaft, das heißt also auch: Überwindung des formlosen westlichen Massendemokratismus und pseudopluralistischen Parteienschwindels zugunsten einer ›organischen‹ Staats- und Gesellschaftsordnung« (Bauer 1991: 151). Der Autor knüpft damit an eine Zentrale Idee antidemokratischen Denkens in der Weimarer Republik an, in der eine »organisch-konservative« gegen eine »mechanisch-liberale« Weltanschauung gesetzt wurde. »Volk«, »Gemeinschaft« und »Organismus« bildeten die Begriffstrias eines die Republik und Demokratie abwertenden Denkens (Sontheimer 1983: 255ff.). Mit diesem Konstrukt werden zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Gegen »fremdethnische« Zuwanderer werden Mauern hochgezogen, sie werden dauerhaft in Volksgruppen-Ghettos gesperrt, in denen sie unter sich bleiben und ihre Identität pflegen sollen. Wenn schon Zuwanderung nicht rückgängig gemacht oder in Zukunft unterbunden werden kann, soll wenigstens »Überfremdung« vermieden werden.
Chancengleichheit Grundsätzliche Erwägungen und die Erfahrungen anderer Länder sprechen dagegen, am Leitbild einer multikulturellen Gesellschaft festzuhalten (Fücks 2005). Gleiches gilt für Versuche, ein »freiheitliches Konzept multikultureller Gesellschaft« zu entwerfen (Bielefeldt 2005: 6). Das Ziel »freier Selbstbestimmung« (Bielefeldt 2005: 9) wird durch eine Politik, die Zuwanderern wie Einheimischen die Teilhabe am erarbeiteten (und zu erarbeitenden) Reichtum sichert, die also zuerst und unabhängig von Herkunft auf die strukturelle In-
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tegration abstellt, besser gelingen als durch eine Politik, die durch die Betonung kultureller Differenzen (die es zweifelsohne gibt) Gräben vertieft, wo Solidarität vonnöten wäre (Gogolin/Nauk 2000: 171). Eine auf die Zukunft der Menschen in einem Staat gerichtete Politik muss sich vom Multikulturalismus verabschieden. Sie darf nicht verschweigen, dass eine dauerhafte Niederlassung in einem fremden Land erhebliche Anpassungsnotwendigkeiten mit sich bringt und kulturelle Veränderungsprozesse zur Folge hat. Das gilt unabhängig von der ausgeprägten Pluralisierung moderner Gesellschaften und der Erosion einheitsstiftender Werte und Identifikationen. »Jede Gesellschaft, auch unabhängig davon, ob sie als Nationalstaat organisiert ist oder nicht, setzt mit ihrer, formellen wie informellen ›Verfassung‹ gewisse, nicht einfach ›multikulturell‹ wegzudefinierende Bedingungen« (Esser 2004: 208). Wer sich dieser Einsicht verweigert, wird die Unterschichtung der deutschen Gesellschaft durch große Gruppen der Zuwanderer festschreiben und damit Unfreiheit fördern. Dies wurde bereits vor mehr als 35 Jahren festgestellt: »Ein […] Dilemma betrifft den berechtigten Wunsch der ausländischen Bevölkerung, die Rückkehr in die Herkunftsländer nicht durch den Verlust der eigenen kulturellen Identität unmöglich zu machen. Wirkliche Assimilation und der langfristige Aufenthalt in der Bundesrepublik sind aber auf Dauer ohne einen zumindest teilweisen Verlust der kulturellen Identität nicht möglich. Dies gilt besonders für die in der Bundesrepublik heranwachsenden Kinder der ausländischen Arbeitnehmer. Chancengleichheit ohne eine weitgehende Orientierung an den Verhaltensstandards der Aufnahmegesellschaft dürfte unmöglich sein. Selbst wenn die Bevölkerung tolerant genug wäre, ›kulturelle Inseln‹ in Wohngebieten zu akzeptieren, ist ein Leben in zwei zum Teil widerstreitenden Kulturkreisen, das lehrt die Erfahrung, nur unter Verlust an Lebenschancen in beiden Kulturen möglich. An dieser Tatsache ändert auch das Schlagwort von der ›Germanisierung‹ der Ausländer nichts. Ganz unabhängig vom Verlust oder von der Aufrechterhaltung der kulturellen Identität machen die mit dem Aufenthalt in der Bundesrepublik und zunehmender Assimilation steigenden Ansprüche der ausländischen Arbeitnehmer eine Rückkehr in die Herkunftsländer, das zeigen die Daten, ohnehin unwahrscheinlich. Der […] Argumentation folgend würde also die dauerhafte und uneingeschränkte Aufrechterhaltung der eigenen kulturellen Identität die Chancengleichheit verhindern und damit das erwähnte Konfliktpotential schaffen« (Forschungsverbund 1979: 252).
6. Zur Steuerbarkeit von Zuwanderung und Integration »Eine Rechtsordnung, die sich ernst nimmt, darf nicht Prämien auf die Missachtung ihrer selbst setzen. Sie schafft sonst Anreize zur Rechtsverletzung, diskriminiert rechtstreues Verhalten […] und untergräbt damit die Voraussetzungen ihrer eigenen Wirksamkeit.« Bundesverfassungsgericht, 2006
Zuwanderungspolitik folgte auch in Deutschland zu lange der irrtümlichen Vorstellung, »Migration könne wie ein Wasserhahn durch angemessene Politik auf- und zugedreht werden« (Castles 2005: 15). Zuwanderungsprozesse sind jedoch dynamische und vor allem langfristige Prozesse. Wurden sie – aus welchen Motiven auch immer – angestoßen, fällt es demokratischen Rechtsstaaten erfahrungsgemäß schwer, sie jeweiligem Bedarf entsprechend zu steuern und die Zuwanderung zu begrenzen (Cornelius/ Tsuda 2004: 3ff.). »Einmal in Gang gesetzt, werden Migrationsbewegungen zu sich selbst erhaltenden Prozessen« (Castles 2005: 15). Divergierende Interessen gesellschaftlicher Gruppen (Industrie, Wohlfahrtsverbände, Flüchtlingsinitiativen etc.), Rivalitäten, Kompetenzkonflikte und unklare Entscheidungsstrukturen innerhalb der Bundesregierungen, konjunkturelle Einflüsse (Kapitel 2), die »humanitäre Rückführungshemmung westlicher Gesellschaften« (MüllerSchneider 2000: 203), mangelndes Problembewusstsein politischer Eliten und der Durchsetzungswille der Zuwanderer – gespeist von Perspektivlosigkeit im Herkunftsland und (teilweise illusorischen) Vorstellungen über die Erfolgsaussichten im Zielland – bilden das Ursachenbündel. Eine der zentralen Ursachen internationaler Wanderung ist bekanntlich ein Entwicklungsgefälle zwischen Herkunfts- und Zielländern (Hoffmann-Nowotny 1975: 73). Hinzu müssen Wanderungsgelegenheiten kommen – wie im Falle Türkei/ Bundesrepublik Deutschland die Anwerbung von Gastarbeitern. Aus diesen Wanderungsopportunitäten entstehen schließlich Mechanismen, die dem Wanderungsprozess eine Dynamik verleihen, die wiederum zur Verselbständigung der Wanderungen führt. Diese Eigendynamik sowohl infolge der »»Gastarbeiter«-Anwerbung« als auch im Zuge der Zuwanderung über das Asyl lässt deutlich werden, dass es zwar eine Reihe staatlicher Regelungsinstrumente gibt, mit denen auf Umfang und Art von Zuwanderung Einfluss genommen werden kann (Böcker/ Groenendijk 2006: 170; Sachverständigenrat für Zuwanderung und Integration 2004: 125ff.), diese aber »auf Dauer erkennbar nicht aus[reichen], um eine Zunahme der ausländischen Wohnbevölkerung und immer längere Auf-
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enthaltszeiten zu verhindern« (Sachverständigenrat für Zuwanderung und Integration 2004: 26). Insofern handelt es sich bei der Behauptung, es gebe keine ungesteuerte Zuwanderung in die Bundesrepublik Deutschland (Sachverständigenrat für Zuwanderung und Integration 2004: 125; Davy 2006: 37), ganz offensichtlich um eine Selbsttäuschung. Es ist der Politik bis zum »Asylkompromiss« 1993 nur sehr eingeschränkt gelungen, Zuwanderungsprozesse zu begrenzen und zu steuern. Auf zwei Feldern erzielten Regulierungsmaßnahmen nachhaltige Wirkung: Bei der Zuwanderung über das Asyl und bei der Zuwanderung von Spätaussiedlern. Die Zuwanderung über das Asyl wurde mit den Neuregelungen 1993 stark reduziert (Sachverständigenrat für Zuwanderung und Integration 2004: 137ff.). Der Preis dafür bestand darin, dass legale Zugangsmöglichkeiten zum Verfahren weitgehend verschlossen wurden. »Da Flüchtlingen aufgrund der seit 1993 gültigen Regelungen eine legale Einreise zu Asylzwecken nur noch sehr eingeschränkt möglich ist, reisen sie oft unter Umgehung der Grenzkontrollen oder unter unrichtigen Angaben (z. B. als Touristen, Familienbesucher, Geschäftsreisende) ein, um Zugang zum Asylverfahren zu erhalten« (Sachverständigenrat für Zuwanderung und Integration 2004: 139).
Die Steuerung der Zuwanderung von Spätaussiedlern erfolgte stufenweise: Mit dem Kriegsfolgenbereinigungsgesetz von 1993 musste von jedem Antragsteller einzeln nachgewiesen werden, dass er als Angehöriger der deutschen Minderheit noch unter dem Kriegsfolgenschicksal leidet. Diese Bestimmung galt für alle Länder – mit Ausnahme der Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Hier wird noch immer ein kollektives Kriegsfolgenschicksal angenommen. Von 1991 bis Ende 2002 wanderten über 1,9 Millionen Menschen als Spätaussiedler nach Deutschland, davon kamen mehr als 90 Prozent aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion, hier vor allem aus Kasachstan und der Russischen Föderation (BAFL 2003: 68f.). 1996 wurde ein obligatorischer Sprachtest eingeführt, nur wer diesen besteht wird seitdem als Spätaussiedler anerkannt. Ebenso galt seit 1993 eine Kontingentierung, nach der jährlich maximal 225.000 Spätaussiedler aufgenommen werden sollen. Das Kontingent wurde mit dem 1.1.2000 auf 100.000 Personen reduziert (Sachverständigenrat für Zuwanderung und Integration 2004: 148ff.). Die Erfahrungen der »Gastarbeiter-Politik« zeigen, dass es ein Irrtum war, – anzunehmen, Deutschland könne sich Arbeitskräfte auf Zeit aus dem Ausland holen und sie bei nachlassendem Bedarf wieder zur Rückreise veranlassen.
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– eine Politik zu betreiben, die sich dem Druck der Wirtschaft beugte, das Rotationsprinzip von Anfang ins Leere laufen ließ, aber aus politischen Opportunitätserwägungen daran festhielt. Diesen Erfahrungen zum Trotz empfehlen internationale Gremien bis heute das »Rotationsprinzip« (Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen 2005: 17) und argumentieren für eine Arbeitsmigration ähnlich der in Westdeutschland in den 1960er Jahren (ebd.: 23). Auch die EU-Kommission spricht sich für eine intensivierte »Politik zur Anwerbung von Wirtschaftsmigranten und zur Erleichterung ihrer Aufnahme« aus.121 Tatsächliche oder vermeintliche Konkurrenzen (um Arbeitsplätze, soziale Versorgung), Fremdheitserfahrungen im eigenen unmittelbaren Wohnumfeld oder Vorbehalte gegen Zuwanderer aus anderen Kulturen tragen zu einer eher restriktiven und ablehnenden Haltung in der einheimischen Bevölkerung bei. Das ist in Deutschland seit Jahrzehnten der Fall122. Bereits in den 1960er Jahren lehnte eine Mehrheit der Westdeutschen eine dauerhafte Zuwanderung ab. Anfang der 1980er Jahre befürwortete eine große Mehrheit der Bevölkerung eine Begrenzung der Zuwanderung und eine Rückkehr der »Gastarbeiter« und ihrer Nachkommen (Herbert 2003. 241). Es ist bis heute so geblieben (Dorbitz/Lengerer/Ruckdeschel 2005: 52ff.). Dennoch ist es über die Jahrzehnte zu einer starken Zuwanderung gekommen. Dieser Widerspruch kann dazu beitragen, dass die öffentlich artikulierten politischen Zielvorstellungen der Regierenden und ihr tatsächliches politisches Handeln eklatant voneinander abweichen. »Das kann bedeuten, dass Politiker sich damit zufrieden geben, Anti-Einwanderungsrhetorik zu betreiben, während sie in Wirklichkeit Politiken verfolgen, die zu mehr Einwanderung führen und damit wichtige wirtschaftliche oder Arbeitsmarktziele verfolgen. Das erklärt die versteckten Zielsetzungen vieler Migrationspolitiken – also Politiken, die vorgeblich bestimmten Zielvorgaben folgen, während sie in Wirklichkeit das Gegenteil tun« (Castles 2005: 20f.).
Das »Aufenthaltsgesetz« dient der »Steuerung und Begrenzung des Zuzugs von Ausländern in die Bundesrepublik Deutschland« (Paragraph 1 AufenthG, Abs. 1, S. 1). Inwieweit kann nationalstaatliche Politik Zuwanderung tatsächlich noch steuern?
—————— 121 Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Grünbuch über ein EU-Konzept zur Verwaltung der Wirtschaftsmigration, KOM(2004) 811: 13. 122 Zur kontinuierlich ablehnenden Haltung der Westdeutschen u.a.: Herbert/Hunn 2006: 786; 792; Herbert/Hunn 2007: 695f.; Herbert/Hunn 2008: 754.
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Staat und transnationale Migration Die Vorstellung von Wanderung von einem Herkunftsland in ein Aufnahmeland, wohin sich Migranten entweder dauerhaft oder zum Zweck einer zeitlich befristeten Arbeitsaufnahme begeben, wird in Zeiten globaler Vernetzungen ergänzt durch Wanderungen, die sich nicht mehr auf ein Land (Herkunfts- und Ankunftsland) beschränken, sondern zwischen und jenseits von ihnen stattfinden, die »Transmigration«. Sie kann verstanden werden »als eine moderne Variante der nomadischen Lebensform« (Pries 2001: 9). »Für Transmigranten ist das Wechseln von Orten in unterschiedlichen Nationalgesellschaften kein auf einen Zeitpunkt begrenztes einmaliges Ereignis als Ausnahmeerscheinung, sondern ein normaler Bestandteil von transnationalen Lebens- bzw. häufig Überlebensstrategien.« (Pries 2003: 25). Durch sie entstehen Sozialräume, die sich nicht auf einzelne Staaten beschränken, sondern sich »zwischen und oberhalb von verschiedenen Wohn- und Lebensorten aufspannen« (Pries 2001: 9; Haug 2000; Hunger/Jeuthe 2006; Mau 2007a).
Traditionell stand am Beginn eines Wanderungsvorganges die Entscheidung zum Verlassen des Herkunftslandes (aus wirtschaftlichen, politischen oder individuellen Gründen). Konsequenz dieser Auswanderung war die Orientierung hin auf das Land, in dem man Aufnahme gefunden hatte und in dem man ein neues Leben beginnen wollte. Die bewusste Einwanderung war gekoppelt an den Willen, sich in der neuen Heimat erfolgreich zu etablieren. Wie hat sich dieses traditionelle Muster verändert? Die zunehmende Mobilität im 20. Jahrhundert machte es möglich, große Distanzen leichter zu überwinden und senkte damit die Barrieren, sich für eine Wanderung (mit leicht zu realisierender Rückkehroption) zu entscheiden. Wie hat sich dieses traditionelle Muster verändert? Der Ausbau des Eisenbahnnetzes ließ die Überwindung räumlicher Distanzen auch für breite Massen erschwinglich werden. Die Verbreitung des Telefons und der Massenkommunikationsmittel (nicht zuletzt das Internet) ermöglichten es, die Brücke zur Heimat aufrechtzuerhalten. Waren es zu Beginn der 1960er Jahre noch Kurz- und Langwellensender und wenige heimatsprachliche Zeitungen an Kiosken großer Bahnhöfe, die den »Gastarbeitern« den medialen Kontakt zur Heimat ermöglichten, so entwickelten sich in den 1970er Jahren ein türkischer Kinomarkt sowie ein »ethnischer Videomarkt« (Weber-Menges 2006: 129). In Berlin verfügten in den 1980er Jahren 60 Prozent der türkischen Haushalte über Videorekorder (Gitmez/Wilpert 1987: 102). Mit der Einführung des Kabelfernsehens, der Satellitenübertragung und Zulassung privater Rundfunkanbieter in der Türkei stieg das Angebot ausländischer und insbesondere türkischer Fernsehsender stark an. Mittlerweile ist eine »muttersprachliche Medieninfrastruktur für nahezu alle Migrantengruppen« in Deutschland entstanden (Weber-Menges 2006: 132).
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Die mediale Orientierung hin zum Herkunftsland war bis Mitte der 1980er Jahre auf Briefe, (teure) Telefonate, Radio und Video-Kassetten begrenzt. Mit der Verbreitung des Satellitenfernsehens wurde die »Heimat« jedoch viel stärker im Alltagsleben von Zuwanderern gegenwärtig, so dass der quantitative Aspekt umschlug in einen qualitativen: Das Verhaftet-Bleiben in der heimatlichen Welt trotz eines Lebens in Deutschland wurde damit auf eine ganz andere Weise möglich, als das bis dato der Fall war. Dies ließ ein Spannungsfeld entstehen, dessen Pole der Verbleib im Aufnahmeland und das Verhaftet-Sein mit dem Herkunftsland sind. Angesichts immer dichterer Kommunikationsnetze und Verflechtungszusammenhänge, einer sich somit dynamisch entwickelnden »Transnationalisierung unserer sozialen Welt« (Pries: 2008: 7) sieht Pries eine »transnationale Bürgergesellschaft« (Pries 2008: 18) im Entstehen. Ihr Bezugssystem besteht – so die Vorstellung – aus neuen sozialen Lebenswelten, »neuen transnationalen sozialen Wirklichkeiten« (Pries 2001: 32), »multikulturellen Sozialräume(n)«. (ebd.: 58) Hier soll dann konsequenterweise auch nicht mehr von Integration oder Assimilation gesprochen werden. »Im Gegensatz zu klassischen Migranten, die sich über mehrere Generationen in die Aufnahmegesellschaft assimilieren, positionieren sich Transmigranten quer zu dieser« (Goebel/Pries 2003: 37). Die Transmigranten leben mit »komplexen, verwobenen und verschachtelten Vergesellschaftungsbezügen […] durch die sich die Individuen wie durch unterschiedliche Kraftfelder bewegen und in denen die Individuen mehrere Mitgliedschaften erwerben können« (ebd.: 38). Sie verfügen über »facettenreiche widersprüchliche Zugehörigkeit« (Pries 2005: 35). Anstelle der »stark wertgeladenen und durch politische Debatten entsprechend vorbelastet(en)« Begriffe Integration und Assimilation wird deshalb von »Inkorporation« gesprochen. Sie wird verstanden als der »ergebnisoffene soziale Prozess der ökonomischen, kulturellen, politischen und sozialen Eingliederung von Migranten auf der lokalen, regionalen, nationalen und transnationalen Ebene […], also sowohl in der (bzw. den) Herkunftsregion(en) und der (bzw. den) Ankunftsregion(en)« (Goebel/Pries 2003: 42). Auf der Grundlage eines solchen Verständnisses verlieren Staat und Aufnahmegesellschaft folgerichtig das Recht, von Zuwanderern zu verlangen, bestimmte Integrationsvoraussetzungen zu erbringen und diese auch zu definieren. »Mit ihm [dem Prozess der Transnationalisierung der internationalen Migration] verliert die Nationalgesellschaft ihren alleinigen Vergesellschaftungsanspruch« (ebd.: 43).123
—————— 123 Eine teilweise revidierte Position findet sich in Pries (2008: 122ff): »Nationalstaat und Nationalgesellschaft sind zwar nach wie vor die wichtigste sozial-räumliche Bezugseinheit für Ver-
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Wenn »multikulturelle Sozialräume« an die Stelle von Staaten treten sollen, bleibt allerdings festzustellen, dass diese Konstrukte Menschen weder Schutz noch Einbeziehung in sozialstaatliche Systeme bieten können. Letztlich bleiben auch Migranten auf den Staat verwiesen. Die jeweilige nationale Kultur stellt immer noch den zentralen Bezugsrahmen für die Integration von Zuwanderern dar. »[…] solange die zentralen Institutionen der Aufnahmegesellschaft, und dabei erneut der Bildungsbereich, um die nationalen Kulturen herum organisiert sind, ist das zur Plazierung erforderliche oder hilfreiche kulturelle Kapital stets nur dasjenige der jeweiligen Nationalkultur – und eben nicht das der ethnischen Gruppe« (Esser 2000: 302).
Der Nationalstaat löst sich nicht auf, er »zerfasert« und unterliegt einer umfassenden Transformation (Leibfried/Zürn 2006: 41f). Bommes (2003: 99) hat darauf hingewiesen, dass sich auch transnationale Migranten »assimilieren« müssen, wenn sie erfolgreich an Sozialsystemen partizipieren wollen. Ebenfalls darf nicht übersehen werden, dass es sich bei der Frage nach der Zulässigkeit von Integrationserwartungen und nach den Bedingungen von Integration um Machtfragen handelt. Wer entscheidet beispielsweise in einem »zukunfts- und ergebnisoffenen Prozess« (Goebel/Pries 2003: 43) der »Inkorporation« welche Rechtsnormen gelten, welche Sprache die »Landessprache« ist? Auch wenn immer wieder vom Bedeutungsverlust des (National-)Staates gesprochen und sein Verschwinden vorhergesagt wurde (Albrow 1998; kritisch: Isensee 2004: Rn 6ff.), bleibt der »moderne Staat […] das heute weltweit anerkannte Modell politischer Herrschaft« (ebd.: Rn 61). Der Nationalstaat stellt – trotz unbestreitbarer »Transnationalisierung« – immer noch den entscheidenden Bezugsrahmen für Integration dar (Esser 2004a: 57). »Insgesamt belegen die feststellbaren empirischen Beziehungen die überragende und auch im Rahmen einer verstärkten Transnationalität des Migrationsgeschehens andauernde Bedeutung der institutionellen und kulturellen Vorgaben des Aufnahmelandes für die Erklärung der (intergenerationalen) Integration, und zwar in allen vier behandelten Bereichen: Zweitsprachenerwerb, Bilingualität, Bildung und Arbeitsmarkt. Hinweise auf eine besondere Bedeutung der ethnischen Ressourcen, wie der Erhalt der Muttersprache oder die Verfügung über ethnische Netzwerke, für die strukturelle Integration gibt es dagegen so gut wie nicht. Ethnische Bindungen und Beziehungen behindern sie eher […]« (Esser 2006: 102).
Trotz Zunahme internationaler Verflechtungen und humanitärer Interventionen als Ausdruck einer »Weltinnenpolitik« hat die Globalisierung auch den
—————— gesellschaftungsprozesse […] Nationalstaat und Nationalgesellschaft sind aber immer weniger ein fester Behälter, in dem sich die Gesellschaft und das Soziale ›autopoietisch‹, also allein aus den inneren Regeln heraus selbst (re-)produzieren. Immer weniger lässt sich das Bild aufrechterhalten, nach dem Nationalgesellschaften im Vergleich zu anderen Sozialeinheiten durchweg und fraglos als homogenere Gebilde dargestellt werden« [Hervorhebungen im Original].
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Staat und dessen Aufgaben in vielfacher Hinsicht verändert, aber nicht zum Verschwinden gebracht. »Heute reichen soziale Transaktionen in vielen Kernbereichen über die nationalstaatlichen Grenzen hinaus, doch bleibt die Mehrheit politischer Institutionen und Regulierungen in ihrer Funktion und Reichweite an das nationalstaatliche Territorium gebunden« (Leibfried/Zürn 2006: 35). Der Staat ist auch heute zentrale Bezugsinstitution für die Mehrheit der jeweiligen Bevölkerung. »Nach wie vor bildet der Nationalstaat den dominierenden Horizont rechtlichen Schutzes, politischer Solidaritätserwartungen und demokratischer Mitbestimmungsmöglichkeiten der Bevölkerung. Auch weitere Fortschritte in der politischen Integration Europas lassen angesichts der geschichtlichen und kulturellen Heterogenität seiner Staaten eine Verschiebung der sozialstaatlichen Solidaritätserwartungen auf die europäische Ebene nicht erwarten« (Kaufmann 2005: 28).
Auch die immer stärkere Delegation von Kompetenzen auf die Ebene der EU ändert nichts daran, dass dem Staat – so das Bundesverfassungsgericht (2005: Abs. 75) – Aufgaben von substantiellem Gewicht verbleiben. Immer stärkere Zusammenarbeit stehe nicht im Widerspruch zum Ziel »die nationale Identität und Staatlichkeit in einem einheitlichen europäischen Rechtsraum zu wahren«.
Vollzugsdefizite In westlichen Gesellschaften haben Zuwanderer, die einmal deren Territorium erreicht haben, große Chancen, dauerhaft oder zumindest über längere Zeiträume bleiben zu können – auch wenn sie keinen legalen Status zugesprochen bekommen. Das hat verschiedene Ursachen: Die Möglichkeit unterzutauchen und sich illegal aufzuhalten (meist mit Hilfe ethnischer Netzwerke), rechtsstaatliche Verfahren (Rechtswegegarantie) bis hin zu Vollzugsdefiziten. Sie haben dazu geführt, dass ein großer Teil der abgelehnten Asylbewerber nicht in das Herkunftsland zurückgebracht wird. So stellte Hailbronner fest, »der Ausgang des Asylverfahrens nur noch in den wenigsten Fällen über das Bleiberecht entscheidet. In fast allen westeuropäischen Staaten ›verschwinden‹ nach dem negativen Ausgang des Asylverfahrens weit mehr Asylbewerber als – freiwillig oder gezwungenermaßen – ausreisen, sofern sie nicht nach regelmäßig längerem Inlandsaufenthalt ohnedies aus humanitären oder sonstigen Gründen geduldet werden« (Hailbronner 1992: 135).
Die EU-Kommission geht davon aus, dass innerhalb der EU nur jede dritte Ausweisungsverfügung tatsächlich umgesetzt wird.124 Dieses Ins-Leere-Laufen
—————— 124 Europäische Kommission: Schritte zu einem Gemeinsamen Einwanderungspolitik, KOM (2007) 780 endgültig: 5
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staatlicher Entscheidungen trägt mit zu einer ablehnenden Haltung innerhalb der Bevölkerung bei. »Folgenlose Ablehnungsbescheide der Behörden und Gerichte diskreditieren die gesamte Asylpraxis. […] Sie schmälern die Bereitschaft der Bevölkerung zur Aufnahme Schutzbedürftiger […]«, stellt die Zuwanderungskommission der Bundesregierung fest (Unabhängige Kommission Zuwanderung 2001: 150). Die über das Asylrecht erfolgende unkontrollierte Zuwanderung hat mehrere Ursachen. Zum einen befinden sich die Asylbehörden in einer doppelt schwierigen Lage: Erstens tragen die Vollzugsdefizite dazu bei, dass viele Zuwanderer, die kein Asylrecht zugesprochen bekommen, trotzdem ihr Ziel erreichen und geraume Zeit in Deutschland verbleiben können. Zweitens stehen die Verwaltungen und die politisch Verantwortlichen unter dem politischen Druck von Nichtregierungsorganisationen, die zwangsweise Rückführungen grundsätzlich unterbunden sehen möchten. »Die insbesondere von der Flüchtlingslobby vorgebrachten moralischen Ansprüche sind mitunter so hochgeschraubt, dass normativ richtiges Handeln für westliche Staaten, die abgelehnten Asylbewerber in ihre Herkunftsländer zurückzubringen, grundsätzlich nicht mehr möglich erscheint« (Müller-Schneider 2000: 205). Auf diese Weise trug die relative Ineffizienz deutscher Asylverwaltungen nicht unwesentlich dazu bei, dass der Versuch, über einen Asylantrag einen Aufenthalt zu erreichen, lange Zeit lohnend schien. Die Wahrscheinlichkeit, selbst bei abgelehntem Antrag längere Zeit bleiben und diese Zeit für die eigenen Ziele nutzen zu können, ist jedenfalls bis heute recht hoch. Das wiederum ist ein Anreiz, es doch mit einer Einreise nach Deutschland zu versuchen. »Ohne das Kalkül des Bleibens wäre der Zustrom zweckfremd handelnder Asylmigranten geringer, denn diese würden davon ausgehen, dass sie unmittelbar nach Abschluss ihres Verfahrens in ihr Herkunftsland zurückkehren müssen und somit weniger Zeit zur Realisierung ihrer irregulären Zwecke haben. Dadurch würde aber die Attraktivität des gesamten Migrationsprojektes sinken« (ebd.: 209).
Das gilt auch für die Kalkulation der Schleuser, die sich für sie nur auszahlt, wenn der von ihnen nach Deutschland gebrachte Zuwanderer nicht oder erst nach möglichst langer Zeit das Land wieder verlässt. »Schleuser und die hinter ihnen stehenden weltweit operierenden Organisationen haben ein großes Interesse daran, dass die von ihnen eingeschleusten Personen möglichst lange im Zielland bleiben. Baldige oder erzwungene Rückführungen sind geschäftsschädigend und machen es den Ausländern unmöglich, weiter Geld zu erwirtschaften, das häufig auch zur Abzahlung gestundeter Schleuserkosten benötigt wird. Schöpft der Rechtsstaat nicht alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel aus, eine Ausreisepflicht notfalls auch mit Zwang durchzusetzen, kapituliert er vor dieser Form der organisierten Kriminalität« (Unabhängige Kommission Zuwanderung 2001: 151).
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Der Vollzug des Ausländerrechts ist genuine Aufgabe der Exekutive. Das Trennungsgebot von Legislative und Exekutive als Ausdruck der Gewaltenteilung wird hier in vielen Fällen durch Petitionsausschüsse und Härtefallkommissionen systematisch verletzt (Luft 2003: 71ff.). Eine strukturelle Benachteiligung der staatlichen Institutionen (Justiz und Exekutive) hinsichtlich einer wirksamen Argumentation in der öffentlichen Auseinandersetzung kommt erschwerend hinzu. In der öffentlichen Kommunikation über den Vollzug ausländer- oder asylrechtlicher Entscheidungen besteht eine Asymmetrie: Die staatlichen Akteure (Vertreter der Ausländerbehörde, des Innenministeriums) stehen einer Vielzahl zivilgesellschaftlicher und parteipolitischer Akteure gegenüber. Hinsichtlich der inhaltlichen Argumentation sind die Vertreter der Exekutive eingeschränkt, weil sie die Pflicht haben, nicht zusätzliche Nachfluchtgründe zu schaffen. Hinzu kommt die Bereitschaft der Medien, »formal-rechtlichen« Argumentationen weniger Raum zu geben als moralisch hoch aufgeladenen: Wenn behauptet wird, eine vorgesehene Abschiebung führe zum sicheren Tod des Betroffenen, und in jedem Fall müsse doch über »Recht und Gesetz« die »Menschlichkeit« stehen, dann ist die Auseinandersetzung meist an einem Punkt angekommen, an dem Hinweise auf rechtsstaatliche Verfahren, in denen die humanitären Aspekte eingehend geprüft werden, nur noch auf Unverständnis stoßen oder als Zynismus gewertet werden. Die Frage der Zuwanderung wird auf diese Weise immer mehr dem Willen des Gesetzgebers (damit letztlich dem Volk als Souverän) sowie rechtsstaatlichen Verfahren entzogen. An dessen Stelle setzen sich Nichtregierungsorganisationen, denen es an demokratischer Legitimation ermangelt. Die von parlamentarischen Mehrheiten beschlossenen Gesetze werden mit mehr oder weniger aggressiv vorgetragener moralischer Attitüde kritisiert: Wir »befinden […] uns in Deutschland hinsichtlich der Flüchtlinge im Zustand der legalisierten Unbarmherzigkeit und der legalisierten Missachtung der Menschenwürde«, so Helmut Frenz, Pastor der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche und ehemalige Flüchtlingsbeauftragte der Schleswig-Holsteinischen Landesregierung (Frenz 1998: 21). Die Unfähigkeit, Asylverfahren zu straffen und vor allem bei negativem Ausgang für eine Rückkehr zu sorgen, muss als wesentliche Ursache für den Asylkompromiss von 1993 angesehen werden. Die Politik entschied sich vor diesem Hintergrund für eine grundlegende Einschränkung des legalen Zugangs zum deutschen Asylverfahren, sie entging damit nicht dem »zentralen asylpolitischen Dilemma«: »Um die irreguläre Asylmigration effektiv zu steuern, muss eine Entscheidung für eine von zwei Alternativen getroffen werden, die beide mit einer erheblichen Verletzung humanitärliberaler Werte einhergehen: Einmal handelt es sich um eine liberale und großzügige Verfah-
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rensgestaltung, die aufgrund ihres Anreizcharakters für irreguläre Asylmigranten aber nur bei ausreichend starker Abschottung möglich ist. Die andere Möglichkeit wäre der bestmögliche Schutz verfolgter Menschen durch weitgehend ungehinderten Zugang, der aber eine Einschränkung der liberalen Verfahrengestaltung erfordert« (Müller-Schneider 2000: 308).
Illegale Zuwanderung Um die illegale Zuwanderung wird in Deutschland und Europa eine heftige Auseinandersetzung geführt. Hier ist es besonders offensichtlich, dass es um einen Machtkampf zwischen den Zuwanderungswilligen und ihren Unterstützern einerseits und den europäischen staatlichen Institutionen andererseits geht. Elementare humanitäre Verpflichtungen, internationales Seerecht, ausländerrechtliche Vorschriften derjenigen Staaten, über die die illegalen Zuwanderer den Zugang nach Europa suchen und schließlich das Verhalten der betroffenen europäischen Regierungen, die Gesetzen Geltung verschaffen müssen und unter dem Druck einer kritischen Öffentlichkeit stehen, sind die Bedingungsfaktoren, unter denen illegale Zuwanderung nach Europa angestrebt und realisiert wird. Die Bandbreite der staatlichen Reaktionen auf illegale Zuwanderungen reicht vom Versuch, sie weitgehend zu unterbinden oder zumindest nicht ansteigen zu lassen durch verschärftes Grenzregime einerseits und der Hinnahme durch Legalisierung andererseits. Die deutschen Bundesregierungen haben seit den 1990er Jahren ihren Schwerpunkt auf Restriktionen beim Zugang nach Deutschland gelegt (Baumann 2008: 23ff.): So wurden Bundesgrenzschutz und Bundespolizei seit 2005 personell erheblich verstärkt (Kass 2004: 54). 2006 wurde das »Gemeinsame Analyse- und Strategiezentrum Illegale Migration« (GASIM) zum behördenübergreifenden Informationsaustausch geschaffen. Die Federführung hat die Bundespolizei (Bundestagsdrucksache 16/11636). Auf europäischer Ebene wurden die Maßnahmen zur Begrenzung illegaler Zuwanderung erheblich verstärkt: Seit Mai 2005 besteht die »Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen« (Frontex) als »europäische Grenzpolizei« mit Sitz in Warschau. »Die Agentur koordiniert die operative Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten im Bereich des Schutzes der Außengrenzen, unterstützt die Mitgliedstaaten bei der Ausbildung von nationalen Grenzschutzbeamten und legt u.a. gemeinsame Ausbildungsnormen fest, erstellt Risikoanalysen, verfolgt die Entwicklungen der für die Kontrolle und Überwachung der Außengrenzen relevanten Forschung, unterstützt die Mitgliedstaaten in Situationen, die eine verstärkte technische und operative Unterstützung an den Außengrenzen erfordern, und
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leistet die erforderliche Unterstützung für die Organisation gemeinsamer Rückführungsaktionen der Mitgliedstaaten.«125
Sie verfügt 2009 über einen Etat von 130 Millionen Euro (2005: 6 Millionen) (Bendel 2008: 16). Dafür stehen »Soforteinsatzteams für Grenzsicherungszwecke« (»Rapid Border Intervention Teams«: RABIT) zur Verfügung. Eine politische Einigung über eine entsprechende Verordnung war im Frühjahr 2007 erzielt worden (Pressemitteilung des BMI vom 20. April 2007). Im Februar 2008 legte die EU-Kommission konkrete Pläne für die Schaffung eines »Europäischen Grenzüberwachungssystems« (EUROSUR) vor126. Damit soll die Migrationskontrolle intensiviert werden, gleichzeitig auch die Todesrate illegaler Einwanderer durch Rettung von mehr Menschenleben auf See gesenkt werden. Die Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über »gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger«127 wurde im Oktober 2008 erlassen. Mit ihr soll die Rückführungspolitik der Mitgliedstaaten vereinheitlicht werden (Bendel 2008: 14f.; Franßen-de la Cerda 2008; 2009). Sie regelt das gesamte Verfahren des Umgangs mit Zuwanderern, die sich illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates aufhalten und macht Änderungen im Aufenthaltsgesetz nötig (Franßen-de la Cerda 2009: 19ff.). Im Rahmen verstärkter und wirksamerer Binnenkontrollen wurden in der »Finanzkontrolle Schwarzarbeit« (FKS) der Zollverwaltung 2003 Mitarbeiter von Arbeits- und Zollverwaltung zur Bekämpfung von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung zusammengeführt (Haake 2007). Im Gegensatz dazu will eine breite Palette zivilgesellschaftlicher Akteure den Umgang mit illegalen Ausländern in Deutschland grundlegend verändern (Bundesministerium des Innern 2007: 8f.). Unter dem Motto »Papiere für alle« werden die »Bleiberechtskämpfe« (AutorInnenkollektiv 2000: 11) illegaler Zuwanderer von extremen Gruppen zum Teil auch gewalttätig unterstützt. Der demokratische Rechtsstaat steht hier unter erheblichem Druck: Die Wanderungsdynamik nimmt durch die globale Medienberichterstattung und die dadurch ausgelösten Anziehungskräfte sowie aufgrund von wirtschaftlichen,
—————— 125 http://europa.eu/agencies/community_agencies/frontex/index_de.htm [01.04.07]; Kass, Rüdiger: Grenzschutz in einem offenen Europa – die grenzpolizeiliche Arbeit der Bundespolizei, in: Bundeskriminalamt (Hrsg.): Illegale Migration. Gesellschaften und polizeiliche Handlungsfelder im Wandel (= Beiträge der Herbsttagung des Bundeskriminalamtes vom 14. bis 16. November 2006), Wiesbaden 2007, S. 61 f.; Laitinen, Ilkka: FRONTEX – Handlungsfelder und konzeptionelle Ansätze der europäischen Grenzpolizei, in: ebd., 64-74 126 http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2008:0068:FIN:DE:PDF [25. Februar 2008] 127 http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2008:348:0098:0107:DE:PDF [28. Januar 2009]
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sozialen und politischen Missständen in den Heimatländern zu. Der Staat hat dafür zu sorgen, dass Gesetze – auch Gesetze, die die Zuwanderung regulieren – eingehalten und durchgesetzt werden. Gleichzeitig fordern zahlreiche Gruppen von der Politik, der Staat solle seine Abwehrhaltung aufgeben. Sie stellen grundsätzlich das Recht des Staates auf wirksame Kontrolle der Zuwanderung (Welte 2002) in Frage oder bestreiten es vollständig. In den 1990er Jahren hatte sich unter der Parole »kein Mensch ist illegal« die linksextreme Unterstützerszene ein Aktionsbündnis geschaffen. Neben der politischen Kritik an vorgeblichem staatlichem Rassismus standen gewalttätige Aktionen, so genannte Antirassistische Grenzcamps, um die Arbeit des Bundesgrenzschutzes an der 1.264 Kilometer langen Grenze zu Polen und zur Tschechischen Republik – die »Menschenjagd des BGS« (AutorInnenkollektiv 2000: 122) – gezielt zu stören. Ihr Ziel: »Sabotage am Grenzregime«128. Ihre Mittel: »Aktionen der Kommunikationsguerilla über klassische Aufklärung bis hin zur effektiven Störung«, »taktische Experimente, hinterhältiges Amusement und gezielte Irritationen. Unsere Absicht ist, wirksame Gegenmaßnahmen zu entfalten, die die Barbarei des herrschenden Grenzregimes nicht nur bloßstellen, sondern, wo immer möglich, Einhalt gebieten. Der Kampf gegen Grenzen ist ein Kampf gegen Infrarotkameras, Plastikfesseln und Grenzschleier. Aber auch gegen Borniertheit, Ressentiment und Rassismus«, hieß es in einer Selbstdarstellung (ebd.: 3). Der immer wieder vorgebrachte Hinweis, ein stärkeres Vorgehen gegen illegale Zuwanderung rufe im Gegenzug Schleuser und Schlepper verstärkt auf den Plan und kurbele deren Geschäft an,129 kann kein Argument gegen staatliche Maßnahmen sein. Jedes Vorgehen gegen Gesetzesverstöße müsste dann unterbleiben, da es die Phantasie potentieller Gesetzesbrecher beflügeln könnte. Im Übrigen trifft die Behauptung nicht zu. Jedes Nachlassen in den Abwehrmaßnahmen, jede Änderung im Asylrecht und bei dessen Vollzug wird von Schleusern aufmerksam registriert und für ihre Zwecke genutzt. Es erhöht die Attraktivität des Ziellandes. So zeigen die Erfahrungen, dass unter anderem bereits die öffentliche Diskussion über Abschiebestopps in einzelne Länder den Schleusern das Signal gibt, hier könne sich eine Erfolg versprechende Zugangsmöglichkeit für ein Bleiberecht auftun. Umgekehrt ist die schnelle Rückführung illegaler Zuwanderer in ihre Herkunftsländer ein wirksames Mittel zur Bekämpfung der Schleusertätigkeit. »Diese Abwehrmaßnahmen
—————— 128 »Sommercamp an der Grenze«, Vierte Ausgabe der Zeitung der bundesweiten Kampagne »kein mensch ist illegal«, Juni 1999: 3 129 So unter anderem der damalige Sprecher von Pro Asyl, Heiko Kaufmann, zit. nach: »Auf dem Pfad des Schlangenkopfes«. In: Die Welt vom 13. Juni 2000/Bade 2000/Eichenhofer 1999:18.
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haben auf jeden Fall eine unvergleichlich größere Zahl von Zuwanderern verhindert«, so Bade (Bade 2000). Illegale Zuwanderer haben die Rechtspflicht, sich bei den deutschen Behörden zu melden, mit anschließendem ausländerrechtlichen Verfahren und Leistungsansprüchen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Das Verbleiben in der Illegalität bedeutet zwangsläufig, an den wohlfahrtsstaatlichen Leistungen gar nicht oder nur äußerst begrenzt teilhaben zu können. Illegal Beschäftigte geraten deshalb häufig in besonders starke Abhängigkeiten und sind Diskriminierung und Betrug ausgesetzt. Oft werden die Geschleusten von den Schleppern auch für ihre kriminellen Aktivitäten eingesetzt und mit erpresserischen Methoden finanziell abhängig gemacht: Daraus werden Forderungen abgeleitet, illegalen Zuwanderern im Aufenthaltsland Rechte zuzubilligen (hinsichtlich der Inanspruchnahme der Sozialsysteme, der Bildungseinrichtungen und der Justiz) und den staatlichen Ordnungsanspruch zurückzunehmen. Sie stehen damit im Konflikt mit dem staatlichen Anspruch, Migration zu kontrollieren. Im Ergebnis muss der Staat bei der Gewährung dieser Rechte darauf verzichten, Personen ohne Aufenthaltsrecht in die Herkunftsländer zurück zu verbringen. Das gilt für die immer wieder erhobenen Forderungen, illegalen Zuwanderern müssten »soziale Mindeststandards« zugestanden werden – wozu die schulische und berufliche Bildung der Kinder sowie ein rechtlich durchsetzbarer Anspruch auf medizinische Versorgung und »Zugang zum öffentlichen Gesundheitssystem« (Die deutschen Bischöfe – Kommission für Migrationsfragen 2001: 42f.; BMI 2007: 11ff.; 22ff.) gerechnet werden. Alles allerdings unter der Voraussetzung, dass keine der staatlichen Stellen die Recht- oder Unrechtmäßigkeit des Aufenthalts feststellt (wozu sie nach Paragraph 87 Abs. 2 AufenthG verpflichtet sind; BMI 2007: 25ff.) und damit unter Umständen eine Abschiebung bewirkt. So sind Grundschulen in Berlin und anderen Städten von ihrer gesetzlichen Verpflichtung entbunden, nach dem Aufenthaltsstatus der Kinder zu fragen (Alscher/Münz/Özcan, Veysel 2001: 44; Pflaumer 2006: 97). Um in der Beschäftigung illegaler Zuwanderer die Ausbeutung einzudämmen, solle es für sie die Möglichkeit geben, bei Polizei und Staatsanwaltschaft Anzeige zu erstatten und vor Gericht den vereinbarten Lohn durchzusetzen (ebd.: 100). Hier besteht das Problem, dass die Solidargemeinschaft der Beitragszahler für Menschen in Anspruch genommen wird, die sich an diesem System nicht beteiligen. Darüber hinaus würden weitere Anreize zu einer illegalen Zuwanderung gesetzt. Ausgeblendet wird der Konflikt zwischen dem politischen und staatlichen Interesse, Zuwanderung nach Deutschland zu begrenzen und dem Interesse der potentiellen Zuwanderer, nach Deutschland zu gelangen und dort möglichst lange Zeit zu bleiben. Etwa wenn angesichts der Schwierigkei-
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ten von illegalen Zuwanderern, Unterkünfte zu finden, vorgeschlagen wird, »billige Übernachtungsmöglichkeiten« durch Steuergelder zu fördern, wobei die Betreuer auf Statusfeststellungen verzichten sollten (Alscher/Münz/Özcan, Veysel 2001: 47). Das Problem der illegalen Zuwanderung lässt sich nicht lediglich durch Abwehrmaßnahmen an den Außengrenzen der Schengener Vertragsstaaten, die keine Kontrollen mehr an ihren Binnengrenzen praktizieren, lösen. Hinzukommen müssen Kooperationen mit den Herkunftsländern (Kugelmann 2007: 82f.) sowie ein nachhaltiger Abbau der Fluchtursachen, zu denen auch westliche Länder beitragen (Nuscheler 2004: 215ff.). Hinzu muss eine Vielzahl von Maßnahmen kommen: Das schnelle Zurückführen aufgegriffener illegaler Ausländer in ihre Heimatländer gehört ebenso dazu wie die internationale Zusammenarbeit gegen die Schlepperorganisationen. Grundsätzlich muss der politische Wille handlungsleitend sein, illegale Zuwanderer tatsächlich zurückzuführen. Auch hier muss eine Eigendynamik beachtet werden: »Solange die Schleusung für viele Migranten letztlich eine ›Erfolgsgeschichte‹ ist, entsteht auf Grund der vielfältigen Informationskanäle im Herkunftsland für immer mehr Menschen ein Anreiz, sich selbst in westliche Gesellschaften einschleusen zu lassen« (Müller-Schneider 2002: 61). Legalisierungsprogramme fallen sehr unterschiedlich aus. Sie reichen von zeitlich befristeten (legalen) Aufenthalten (bei weiter bestehender Ausreisepflicht, wie bei der »Duldung«), vorübergehenden oder dauerhaften Aufenthaltsrechten mit oder ohne Zugang zum Arbeitsmarkt bis hin zur Einbürgerung (Kluth: 2007: 22). »Legalisierungen sind systematisch betrachtet rechtliche Nachbesserungen im Hinblick auf eine Situation, in der Rechtsdurchsetzung empirisch nicht möglich war oder ist. Man konnte oder kann politisch ungewollte Zuwanderung politisch nicht wirksam verhindern und insofern ist illegale Migration immer auch Ausdruck eines Leistungsversagens des Staates, der die beanspruchte Kontrolle über den Zugang und Aufenthalt auf seinem Territorium nicht gewährleisten kann. Legalisierungen beenden daher einen Zustand, in dem etwas zwar nicht erlaubt war, die Einhaltung des Rechts aber nicht durchgesetzt werden konnte« (Bommes 2007: 34).
Hier wird der Eindruck erweckt, Legalisierungsprogramme seien die einzig sinnvolle Antwort auf illegale Zuwanderung. Illegaler Aufenthalt und illegale Zuwanderung können nur in totalitären Staaten weitestgehend verhindert werden. Demokratische Rechtsstaaten müssten dazu einen Kontrollapparat (hinsichtlich Grenz- und Binnenkontrollen) aufbauen, der die Freiheitsrechte der Bürger erheblich beschnitte. Deshalb kann das Argument, dass demokratische Staaten illegale Zuwanderung nicht verhindern können keineswegs dazu herangezogen werden, Legalisierungen als einzig sinnvolle staatliche Reaktion darzustellen.
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In diesem Zusammenhang werden auch »Erwägungen« der Regierung Brandt herangeführt, unrechtmäßig eingereiste türkische Staatsangehörige nachträglich zu »legalisieren« (Schönwälder 2001: 502). Sie zeigten, dass Legalisierungen »keine unüberwindlichen Barrieren im Recht oder der politischen Kultur entgegenstehen«. Hier findet allerdings ohne Zweifel eine Überinterpretation statt (Schönwälder/Vogel/Sciortino 2004: 73). Im Übrigen wäre eine nachträgliche Legalisierung des Aufenthalts von illegal Zugewanderten rechtspolitisch widersinnig. Jene, die sich unter Verstoß gegen deutsches Recht in Deutschland aufhalten, würden durch eine Legalisierung belohnt, während jene, die kein Aufenthaltsrecht haben, sich aber korrekt ausweisen, des Landes verwiesen würden. Legalisierungsprogramme verstärken die Pull-Faktoren. Die Erfahrungen zeigen, dass sie Erwartungshaltungen wecken (Kluth 2007: 23). So legalisierte Portugal zwischen 2000 und 2002 rund 200.000 illegale Zuwanderer, 2003 hielten sich bereits 50.000 neue illegale Zuwanderer im Land auf (BAMF 2003: 7). In Spanien gab es ähnliche Effekte. Aufgrund der nicht mehr vorhandenen Binnengrenzen haben solche Maßnahmen auch unmittelbare Folgen für die anderen Mitgliedstaaten der EU. So stellte die EU-Kommission im Dezember 2007 fest: »Jede Politik, die legale Einwanderung oder die Bekämpfung der illegalen Einwanderung zum Gegenstand hat, stößt an ihre Grenzen, wenn die Mitgliedstaaten einseitig Regulierungsmaßnahmen in beträchtlichem Umfang ergreifen. […] Innerstaatliche Maßnahmen, die ohne Absprache getroffen werden, können den Zusammenhalt und die Solidarität in Europa schwächen«130
Föderalismus Die Länder sind in der deutschen Politik »Mitregenten und Vetospieler« (Schmidt 2007: 196). Über den Bundesrat wirken sie maßgeblich an der Gesetzgebung mit und können bei entsprechenden parteipolitischen Konstellationen als Vetospieler eine Blockadepolitik betreiben oder auf die Gesetzesinhalte erheblichen Einfluss ausüben. Im Rahmen der Politikverflechtung war die Länderebene deshalb an den politischen Auseinandersetzungen zur Ausländerpolitik der 1970er, 1980er und 1990er Jahre (nicht nur über die Konferenz der Innenminister und -senatoren) maßgeblich beteiligt – obwohl dem Bund die ausschließliche Gesetzgebungskomptenz zukommt. Auch hinsicht-
—————— 130 Europäische Kommission: Schritte zu einem Gemeinsamen Einwanderungspolitik, KOM (2007) 780 endgültig: 6.
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lich der Praxis der Implementation, durch die Verwaltungskompetenz der Länder (Art. 83f. GG), sind sie wichtige Akteure. Ihr unterstehen auch Ausländer- und Aufenthaltsgesetze. Durch die Art und Weise der Umsetzung des Asyl- und Ausländerrechts (und der damit verbundenen Spielräume) können damit auch die Länder Wanderungsbewegungen beeinflussen. Zwar verfügt die Bundesregierung über das Recht »allgemeine Verwaltungsvorschriften« zu erlassen (Art. 85, Abs. 2 GG) und macht davon regelmäßig Gebrauch. Allerdings müssen die Länder (der Bundesrat) diesen Vorschriften zustimmen. Auch allgemeine Verwaltungsvorschriften lassen regelmäßig erhebliche Gestaltungsmöglichkeiten in der Praxis zu (Joppke 1999: 81; Thränhardt 2001; Herbert/Hunn 2006: 803ff.). Diese Gestaltungsspielräume sind von den Ländern mittels eigener Erlasse stets genutzt worden: etwa bei der Regelung zur erleichterten Erteilung von Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis 1978 (Dederichs 1979a), bei den nachzuweisenden Deutschkenntnissen (Dederichs 1979b), bei der Einbürgerung (Hagedorn 2001a; Henkes 2008: 121ff.), bei der Versorgung und Unterbringung von Asylbewerbern, beim Vollzug der Ausreisepflicht abgelehnter Asylbewerber (Borttscheller 1996) und bei der Handhabung der Kontrollpflichten beim Umgang mit illegalen Zuwanderern (Bundesministerium des Innern 2007: 13f.). Neben ausdrücklichen politischen Vorgaben spielen eine unzureichende Personalausstattung der zuständigen Behörden und daraus resultierende Vollzugsdefizite eine wichtige Rolle in der asyl- und ausländerrechtlichen Praxis. So haben zu lange Verfahren der Verwaltungsgerichtsbarkeit und eine schlechte personelle (und materielle) Ausstattung vieler Ausländerbehörden (ein Problem, das in Großstädten häufig seit Jahrzehnten besteht131) gravierende gesellschaftliche Folgen. Es kann mehrere Jahre dauern, bis ein Urteil zu einem Asylantrag Rechtskraft erlangt. Dabei gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern: Durchschnittlich sechs Monaten dauert eine Entscheidung in der ersten Instanz vor Verwaltungsgerichten in Rheinland-Pfalz, bis zu 34 Monate in Berlin, jeweils 2005 (Bundesministerium des Innern 2006a: 47). Eine relativ große Gruppe bilden die rund 190.000 »geduldeten« Ausländer, die sich ohne Aufenthaltsrecht in Deutschland aufhalten, aber nicht abgeschoben werden können: Schätzungen des BMI besagen, dass die Mehrheit dieser Gruppe ihre Ausreisepflicht (Paragraph 50 AufenthG) hintertreibt, das heißt ihrer Pflicht zur Mitwirkung nicht nachkommt, die Identität verschleiert und
—————— 131 Vgl. die Schilderungen des Leiters des dortigen Ausländeramtes 1990: »Wozu braucht Frankfurt ein Amt für multikulturelle Angelegenheiten?«, in: iza Informationen zur Ausländerarbeit, H. 4/1990: 49.
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andere Missbrauchsmöglichkeiten nutzt (Bundesministerium des Innern 2006a: 80f.). In etwa 80 Prozent der Asylverfahren legen die Antragsteller keine Pässe vor, weil sie keine besitzen, sie vernichtet haben oder verbergen (Bericht der Unabhängigen Kommission »Zuwanderung« 2001: 147). Die Verfahren von Polizei und Ausländerbehörden hierzu sind äußerst komplex, aufwändig und zeit- und personalintensiv (Luft 2003: 47ff.; Finotelli 2006: 133ff.). Diese Herausforderung kann nur bewältigt werden, wenn die Verwaltungen über ausreichende Personalausstattung verfügen und die beteiligten Behörden eng zusammenarbeiten. Das gilt nicht nur für Polizei, Staatsanwaltschaft und Ausländerbehörden, sondern auch für die beteiligten Sozial-, Jugend- und Standesämter. Hier gibt es in der Praxis erhebliche Mängel und Defizite. Auch hängt es vom politischen Willen der jeweiligen Landesregierungen ab, ob die im Aufenthaltsgesetz vorgesehenen »Ausreiseeinrichtungen« (Paragraph 61 Abs. 2 AufenthG) geschaffen werden, in denen »durch Beratung und Betreuung die Bereitschaft zur freiwilligen Ausreise gefördert« werden soll.
Härtefallkommissionen Einen grundlegenden rechtssystematischen Bruch stellen die Härtefallkommissionen dar, deren Einrichtung das Aufenthaltsgesetz den Landesregierungen ausdrücklich ermöglicht (Paragraph 23a AufenthG). Davon haben mittlerweile alle Länder Gebrauch gemacht. Die Verfahren sind mittels Landesverordnungen zu regeln. Härtefallkommissionen bieten die Möglichkeit, nach Durchlaufen des Instanzenzuges und trotz eindeutiger Rechtslage letztlich doch noch ein dauerhaftes Bleiberecht zu erreichen und unter Ausschluss des Rechtswegs ablehnende Entscheidungen zu revidieren. Sie haben somit weitergehende Rechte als Petitionsausschüsse der Parlamente (Schönenbroicher 2004: 355). Sie institutionalisieren den ohnehin starken Einfluss demokratisch nicht legitimierter Nichtregierungsorganisationen und geben ihnen eine weitere Möglichkeit, auf die Verfahrensergebnisse Einfluss zu nehmen. Die Einbindung der Flüchtlingsinitiativen und die Entschärfung des mit dem Vollzug ausländerrechtlicher Entscheidungen verbundenen Konfliktpotentials war eines der wesentlichen Motive des Gesetzgebers, die Möglichkeit der Einrichtung solcher Kommissionen gesetzlich festzuschreiben (ebd.: 352f.). Härtefallkommissionen stellen ein institutionalisiertes Misstrauen gegenüber den Ausländerbehörden, den Gerichten und den geltenden Gesetzen dar, weil ihre Existenz unterstellt, dass nicht gewissenhaft alle Gründe, die gegen einen Vollzug der Ausreisepflicht sprechen, berücksichtigt worden seien.
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»Die Aufenthaltsgewährung in Härtefällen bedeutet […] die Umkehrung aller vorangegangener – in der Regel zahlreicher, langwieriger und ausführlich begründeter – asyl- und ausländerrechtlicher Entscheidungen (Ablehnung des Asylantrags und der Asylfolgeanträge, Ablehnung der ausländerrechtlichen Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung). Mit der Gewährung eines Aufenthaltsrechts außerhalb des Gesetzes würden diese Entscheidungen im Ergebnis für unbeachtlich erklärt. Ein Aufenthaltsrecht würde vergeben, obwohl dies zuvor ausgeschlossen worden war. Es geht also keineswegs nur um eine Milderung der Folgen der vorangegangenen gerichtlichen Entscheidung. Vielmehr würde der Tenor der ablehnenden Entscheidungen in das genaue Gegenteil verkehrt, wenngleich die Entscheidungen auch nicht formell aufgehoben werden würden« (ebd.: 354).
Ob diese Kommissionen verfassungskonform sind (oder ob hier ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung vorliegt), ist ebenso offen wie die Frage, ob der Rechtswegeausschluss tatsächlich haltbar ist (Schönenbroicher 2004: 355ff.). Schönenbroicher sieht darin einen »Rückfall in Denkweisen und Mechanismen der Herrschaftsausübung des Absolutismus: An die Stelle des ausdifferenzierten, vom Parlament beschlossenen Handlungsprogramms tritt die verborgene Dezision der Exekutive, angestoßen von einem von Vorgaben des Gesetzgebers freien Gremium ohne unmittelbare demokratische Legitimation« (ebd.: 356).
Vergemeinschaftung Durch die schrittweise Abschaffung der internen Grenzkontrollen durch das Schengener Abkommen von 1985 wurde die Vergemeinschaftung des Asylund Flüchtlingsrechts auf EU-Ebene vorgegeben (Woyke 2006; Kluth 2006; 2007: 20 f.; Peek 2008; Ette/Kreienbrink 2008: 52ff.; Angenendt/Kruse 2003: 490ff.; Borella 2008: 179ff.). Dabei handelt es sich um ein zentrales Feld nationaler Souveränität, das im Vertrag von Amsterdam 1997, konkretisiert im Haager Programm von 2004, der einzelstaatlichen Souveränität entzogen und dem Gemeinschaftsrecht unterworfen wurde (Weber 2004: 117). Bis 2010 soll ein Gemeinsames Europäisches Asylsystem geschaffen werden (Kugelmann 2007). Es sollen die rechtlichen Rahmenbedingungen, der Status von Asylbewerbern, die Praxis von Asylverfahren sowie der Umgang mit und die Unterstützung von Herkunftsländern der Asylbewerber vereinheitlicht werden. EUweit soll unter den gleichen Bedingungen Schutz gewährt werden.132 Vier Richtlinien (Dublin-Verordnung, Aufnahmebedingungen-Richtlinie, Anerkennungsrichtlinie und Asylverfahrens-Richtlinie) sind in der ersten Phase bis 2006 in Kraft getreten. Zudem legte die Kommission im Juni 2007 ein
—————— 132 Europäische Kommission: Grünbuch über das künftige Gemeinsame Europäische Asylsystem, KOM(2007) 301 endgültig
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»Grünbuch über das künftige Gemeinsame Europäische Asylsystem« vor (KOM2007 301 endgültig), in dem die weitere Ausgestaltung der Vereinheitlichung thematisiert wurde.133 Die im Dezember 2008 vorgelegten Vorschläge der Kommission beinhalten unter anderem, dass die Richtlinie über die Aufnahmebedingungen wieder geändert werden soll.134 Damit sollen die Standards verbessert und unter anderem der Zugang zum Arbeitsmarkt und zu Sozialleistungen erleichtert werden. Damit würden nicht nur die Pull-Faktoren für diesen Zuwanderungsweg erhöht, es würde auch der deutsche Asyl-Kompromiss des Jahres 1993 weitgehend aufgekündigt. Wozu das ausgebaute und komplexe deutsche Asylsystem (mit Rechtswegegarantie) ein »Europäisches Unterstützungsbüro für Asylfragen«135 und damit zusätzliche institutionelle Strukturen benötigt, bleibt unklar. Mit der Zielvorgabe, auch die Einwanderungs- und Asylpolitik zu vergemeinschaften, wurden diese Politikfelder den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) in Luxemburg unterstellt, der sich durch eine rigorose richterliche Rechtsfortbildung, insbesondere hinsichtlich des Assoziationsrechts mit der Türkei, einen Namen gemacht hat (Hailbronner 2000: 37f.). Deshalb ist, darauf hat Hailbronner bereits 1998 hingewiesen, »gerade für die häufig vage und kompromissartig formulierten politisch hoch sensitiven Regelungsbereiche wie das Ausländerrecht von fundamentaler Bedeutung, dass in Zukunft der EuGH letzt verbindlich über die Auslegungen dieser Norm entscheiden wird« (ebd.: 40). In einer Analyse wirft Hailbronner (1999: 2187) den Richtern des EuGH »rechtspolitisches Sendungsbewusstsein« und unzulässige »richterliche Rechtsfortbildung« vor: »Es entwickelt sich eine ›Rechtsfortbildung‹, die sich nicht mehr darauf beschränkt, die Lücken des Gemeinschaftsrecht zu schließen, sondern die den Gemeinschaftsgesetzgeber dadurch korrigiert, indem seine Gesetze zwar nicht als gemeinschaftsrechtswidrig, aber doch völlig anders ausgelegt werden, als Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte der Vorschrift es eigentliche nahe legen würden« (ebd.: 2189).
Herzog und Gerken haben in einer Analyse mehrerer Entscheidungen des EuGH nachgewiesen, dass er seine Kompetenzen zu Lasten der Mitgliedstaa-
—————— 133 Hierzu auch: Europäische Kommission: Künftige Asylstrategie. Ein integriertes Konzept für EU-weiten Schutz, KOM(2008) 360 endgültig. 134 Europäische Kommission: Ein humanes und faires Verfahren für Asylbewerber: EU-Kommission schlägt Änderungen am Gemeinsamen Europäischen Asylsystem vor, IP/08/1875 vom 3. Dezember 2008; Fragen und Antworten zur Änderung der Richtlinie über Aufnahmebedingungen, MEMO/08/760 vom 3. Dezember 2008. 135 Europäische Kommission: Kommission schlägt Einrichtung eines Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen vor. IP/09/275 vom 18. Februar 2009.
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ten in einer Weise nutzt, zu der er durch die nationalen Parlamente nicht legitimiert ist. »Die beschriebenen Fälle zeigen, dass der EuGH zentrale Grundsätze der abendländischen richterlichen Rechtsauslegung bewusst und systematisch ignoriert, Entscheidungen unsauber begründet, den Willen des Gesetzgebers übergeht oder gar in sein Gegenteil verkehrt und Rechtsgrundsätze erfindet, die er dann bei späteren Entscheidungen wieder zugrundelegen kann. Sie zeigen, dass der EuGH die Kompetenzen der Mitgliedstaaten selbst im Kernbereich nationaler Zuständigkeiten aushöhlt. […] Der EuGH ist als letztinstanzlicher Wächter der Subsidiarität und als Schützer der Belange der Mitgliedstaaten ungeeignet«. (Herzog/ Gerken 2008)
Dies und die Bedeutung der in den vergangenen Jahren vorgelegten Richtlinien der EU-Kommission sind offenbar von den nationalen Regierungen und Fachleuten massiv unterschätzt worden. Die Eigendynamik des EU-Rechts, völkerrechtlicher Bestimmungen und der Rolle des EuGH fanden nicht die notwendige Beachtung bei der Abschätzung der Folgen (Groenendijk 2006: 194; zur Rolle des EuGH für die Sozialpolitik: Leibfried 2006a). Im Jahr 2007 sind mit dem Richtlinienumsetzungsgesetz136 alleine elf Richtlinien der Europäischen Union zum Ausländer- und Asylrecht in nationales Recht umgesetzt worden (Maaßen 2006). Die große Zahl einzelner Richtlinien ist Ausdruck eines inkonsistenten ausländerrechtlichen Konzeptes auf der Ebene der EU, das zwangsläufig »Umsetzungs- und Anwendungsprobleme« mit sich bringt (Maaßen 2006: 162). Hier steht ein Recht zur Auslegung – so Hailbronner – »das aufgrund eines nicht selten unzureichenden Konsenses der Mitgliedstaaten von dilatorischen Formelkompromissen, bewussten und unbewussten Unklarheiten, Widersprüchen und komplizierten Optionen für die Mitgliedstaaten geprägt ist« (Hailbronner 2007: 7). Die Steuerungsmöglichkeiten der nationalen Gesetzgeber, Rechtsprechung und Verwaltungen werden durch die Vergemeinschaftung drastisch reduziert. »Dem deutschen Recht verbleibt künftig weitgehend nur noch die Funktion der Ausführung und der Lückenfüllung, von der Zuwanderung von Erwerbstätigen einmal abgesehen« (Renner 2005: 19). Die nationalen Gerichte sind an die Richtlinien gebunden, auch wenn sie innerstaatlichem Recht widersprechen (Hailbronner 2007: 10; Kluth 2006: 6f.). Dies begründet und sichert die »Definitions- und Interpretationshoheit des EuGH« (Kluth 2007: 7). Auf der anderen Seite können Pläne, Asylanträge außerhalb der EU (»Auffangzentren« in Nordafrika) zu behandeln und damit eine »Abkopplung vom Territorialbezug«, wie sie das Haager Programm vorsieht, die Kommission
—————— 136 Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007, BGBL. I 1970ff.
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allerdings nicht aufgegriffen hat, nur realisiert werden, wenn es zu einer »weit reichenden Vergemeinschaftung der Grundlagen für die Voraussetzungen über den Zugang zum Staatsgebiet« kommt (Kugelmann: 2007: 83). Die EU-Kommission sieht in einer kompensatorischen Einwanderung die Möglichkeit, Defizite in der demographischen Struktur der Mitgliedstaaten auszugleichen und so vor allem Engpässe auf dem Arbeitsmarkt auszugleichen.137 Dazu sollen »nationale Einwanderungsprofile« erstellt werden.138 Hier soll der Arbeitsmarktbedarf im Zentrum stehen. Abgesehen davon, dass ein »Bedarf« meist interessengesteuert artikuliert wird und deshalb umstritten ist (Luft 2008: 15ff.), bleibt die Frage, ob hier andere Einflussfaktoren – wie die Einstellung der jeweiligen nationalen Bevölkerung zu Zuwanderung – nicht zusätzlich berücksichtigt werden müssten. Da dies in der Praxis sehr schwierig sein wird, sind erhebliche Zweifel angebracht, ob eine Steuerung auf der Ebene der EU auf diesem Gebiet tatsächlich sinnvoll ist.
Familienzusammenführung Für die Frage, ob sich ethnische Kolonien in Deutschland dauerhaft etablieren oder nicht, spielen die Regelungen des Familiennachzugs eine wichtige Rolle. Über den Ehegattennachzug erfolgt häufig eine Zuwanderung in die Sozialsysteme. Darauf weist die Tatsache hin, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2005 28,4 Prozent der Zuwanderer von der Zahlung des Teilnahmebeitrags für den Besuch eines Integrationskurses befreien musste, weil Sozialleistungen bezogen wurden (BMI 2006a: 103). »Die aufgrund des Familiennachzugs weiter steigende Zahl von Migranten kommt überwiegend aus ländlichen Gebieten oder aus Krisengebieten. Armut, geringe Bildung, Orientierung an traditionellen Werten der Agrargesellschaft einerseits, von Krieg und Flucht vor den politischen Verhältnissen im Heimatland andererseits bilden den emotionalen und kognitiven Hintergrund der Migranten. D.h., die konstruktiven Potentiale der Migranten sind, wenn sie dieses Land betreten, gering, die Konflikte, die sie mit sich tragen, groß. Das ist nicht den Personen anzulasten, sondern ihren Lebensumständen«139.
Nur wenn verhindert wird, dass sich die ethnischen Kolonien immer wieder neu mit Zuwanderern »auffüllen«, die weder eine formale schulische Bildung
—————— 137 Unter anderem: Europäische Kommission: Eine gemeinsame Einwanderungspolitik für Europa: Grundsätze, Maßnahmen und Instrumente, KOM(2008) 359 endgültig: 6ff. 138 Europäische Kommission: Eine gemeinsame Einwanderungspolitik für Europa: Grundsätze, Maßnahmen und Instrumente, KOM(2008) 359 endgültig: S. 7. 139 So das Neuköllner Jugendamt in einem Positionspapier: Bezirksamt Neukölln von Berlin, Abteilung Jugend: »Mehr Vorsorge – Weniger Nachsorge« vom 5. Februar 2004: 6.
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noch Grundkenntnisse der deutschen Sprache mitbringen, kann es eine Chance auf Entspannung und strukturelle Besserung geben. Grundsätzlich wäre eine Einschränkung des Familiennachzugs notwendig, um die Situation in den ethnischen Kolonien zu entspannen. Dies wäre allerdings alleine aufgrund der rechtlichen Verpflichtungen auf der Ebene der EU kaum durchsetzbar sein (Kugelmann 2007: 86f .) Unverzichtbar und keineswegs eine »Extremposition«140 ist allerdings, dass nachziehende Familienangehörige bereits im Herkunftsland Sprach- und Landeskenntnisse nachweisen. Das ist integrationspolitisch von elementarer Bedeutung. Dies gilt umso mehr, als in den meisten ethnischen Kolonien keine ausreichenden Gelegenheitsstrukturen bestehen, die Sprache zu erlernen. Verpflichtende Sprachtests im Herkunftsland haben sich bewährt. Sie sind seit 1996 für Aussiedler vorgeschrieben. Deren zunehmender Erfolg auf dem Arbeitsmarkt wird auch auf diese Maßnahmen zurückgeführt (OECD 2005: 36). Integrationspolitisch von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass der Gesetzgeber 2007 den Nachweis einfacher Sprachkenntnisse zur Voraussetzung für die Erteilung eines Visums zum Ehegattennachzug gemacht hat (Paragraph 28 I 5 und Paragraph 30 I 1 Nr. 2 AufenthG) (Deutscher Bundestag Drs. 16/7259; Breitkreuz/Franßen-de la Cerda/Hübner 2007: 381ff.). Sinnvoll – allerdings nur begrenzt anwendbar – ist die Pflicht zum Nachweis eines gesicherten Lebensunterhaltes beim Nachzug des Ehepartners (Paragraph 28 I 3 AufenthG). Insbesondere der Nachzug von Ehefrauen aus der Türkei ist eine Schlüsselfrage für die Integrationspolitik. Wenn mittelfristig Chancen bestehen sollen, die Dynamik der Desintegration zu durchbrechen, muss hier angesetzt werden. »Die Sprachkenntnisse würden das Selbstvertrauen der Ehefrauen stärken und eigenständige Handlungsfähigkeit ermöglichen. […] Durch eine entsprechende Vorschrift würden die Männer im Vorfeld der Eheschließung in Zugzwang kommen und müssten ihren Frauen erlauben, bereits im Heimatland Deutschkenntnisse zu erwerben und damit einhergehend mehr Selbstbewusstsein und Eigeninitiative zu entwickeln« (Toprak 2005a: 176).
Die Innenministerkonferenz forderte im Juni 2005 den Bundesinnenminister dazu auf, in einer Änderung des Aufenthaltsgesetzes das Mindestalter für nachziehende Ehegatten auf 21 Jahre festzulegen und »grundlegende Sprachkenntnisse« vom nachziehenden Ehepartner zu fordern.141 Im Aufenthaltsge-
—————— 140 So die ehemalige Ausländerbeauftragte der Bundesregierung in ihrem Bericht zur Lage der Ausländer, Berlin/Bonn 2002: 34 141 Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder: Sammlung der zur Veröffentlichung freigegebenen Beschlüsse der 178. Sitzung der Ständigen Konferenz der Innen-
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setz ist ein Mindestalter von 18 Jahren beider Ehegatten vorgeschrieben (Paragraph 30 Abs. 1 S.1. Nr. 1 und 2. AufenthG; Kluth/Hundt/Maaßen 2008: 373ff.) Der Nachweis einfacher Sprachkenntnisse als Bedingung für den Ehegattennachzug wurde stark kritisiert.142 Er wirke sozial selektiv und widerspreche der staatlichen Verpflichtung zum Schutz der Familie. Tatsächlich ist die Anzahl der erteilten Visa zum Ehegattennachzug zurückgegangen – im ersten Halbjahr 2008 um 20,3 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum im Jahr 2007.143 Unabhängig davon, ob dies zeitlich begrenzte Effekte sind, bleibt festzustellen, dass die gesetzliche Regelung damit ihr Ziel erreicht hat: über den Familiennachzug das Fortschreiben der ersten Generation ad infinitum einzugrenzen.
Der Beitritt der Türkei zur Europäischen Union Die türkische oder türkisch-stämmige Bevölkerungsgruppe ist die größte Ausländergruppe in Deutschland. Sie ist zugleich diejenige, die die schwächsten Integrationsindikatoren aufweist (Luft 2008a: 68ff.). Hartmut Esser (1998: 132) zeigt die Sonderentwicklung der Türken in Deutschland auf: »Sie bilden, bei aller Assimilation in Teilbereichen, entgegen allen Prognosen der Assimilationsmodelle so etwas wie eine ethno-religiöse Subnation der Bundesrepublik. Zwar steigen auch hier – wie bei allen anderen Gruppen – Aufenthaltsdauer und Sprachkenntnisse, neuerdings sogar die Bereitschaft zur Einbürgerung; aber sowohl in den sozialen Beziehungen wie – insbesondere – in der ethnischen Identifikation und den kulturellen Orientierungen sind sie eine eigene Gruppe geblieben. Ökonomisch stehen sie nach wie vor am unteren Ende der Positionsskala. Sie ›unterschichten‹ […] die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland. Verstärkt wird die Segmentation der Türken ohne Zweifel auch durch ihre Zugehörigkeit zum islamischen Glauben. Und schon die schiere Anzahl trägt dazu bei, dass die ganz unter sich bleiben können: Zwei Millionen sind schon deutlich mehr als eine ›Minderheit‹, und wer irgendetwas sucht, braucht deshalb seine ethnische Gemeinde nicht zu verlassen.«
Es besteht ein Zusammenhang zwischen der Integration der hier bereits lebenden Zuwanderer aus der Türkei und ihrer Nachkommen sowie dem Aus-
—————— minister und -senatoren der Länder am 24. Juni 2005 in Stuttgart, http://www.innenminis terium.baden-wuerttemberg.de/sixcms/media.php/1227/ Freie_Beschl%FCsse_24062005.pdf [22. September 2005], TOP 11. Nachzug ausländischer Ehegatten nur nach Vollendung des 21. Lebensjahres und bei Nachweis von Grundkenntnissen der deutschen Sprache 142 Unter anderem: Deutscher Bundestag, Drs. 16/7288; 16/9137; 16/9722; 16/10052; 16/ 10198; 16/10732; 16/7259; 16/10198; 16/11753; 16/11811 143 Deutscher Bundestag, Drs. 16/10198: 1
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maß zusätzlicher Zuwanderung. Der vormalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) legte großen Wert darauf, dass kein Zusammenhang zwischen den Themen Integration und EU-Beitritt hergestellt werde. »Ich warne vor einem: davor, die Debatte über die Frage […] ob man Beitrittsverhandlungen mit der Türkei […] aufnehmen soll, mit der Integrationsdebatte im Inneren unseres Landes zu verquicken. Ich warne davor, weil das in keinem Fall im deutschen Interesse sein kann: nicht was die Friedlichkeit im Inneren unserer Gesellschaft angeht und schon gar nicht, was die deutschen außenpolitischen Interessen angeht. Also lassen Sie uns das trennen.« (Rede von Bundeskanzler Gerhard Schröder zum Haushaltsgesetz 2005 vor dem Deutschen Bundestag am 24. November 2004, Bulletin der Bundesregierung Nr. 104-1 vom 24. November 2004: 10) Politik muss mittel- und langfristige Folgen von Entscheidungen abschätzen, das heißt in diesem Fall, prüfen, welche Wanderungsbewegungen durch einen EU-Beitritt der Türkei ausgelöst oder zumindest deutlich verstärkt werden könnten. An derartigen Politikfolgeabschätzungen hat es bislang, insbesondere im Zusammenhang mit der »Gastarbeiter«-Anwerbung, gefehlt. Seit den 1960er Jahren haben die türkischen Regierungen die Auswanderung als Mittel ihrer Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik eingesetzt. Offene und verdeckte Arbeitslosigkeit wurde nach Westeuropa, in erster Linie in die Bundesrepublik, exportiert. »Für die Türkei war und ist sie [die Einführung der Freizügigkeit für türkische Arbeitnehmer] eine der wichtigsten Forderungen an die EG, denn die Freizügigkeitsregelung ist eine wesentliche beschäftigungspolitische Zielsetzung, die schnell Arbeitsmarktentlastungseffekte bieten könnte« (Gümrükçü 1986: 123). Bereits in der 1980er Jahren war klar, dass die Gewährung von Niederlassungsfreiheit für türkische Staatsangehörige in der EG einen erheblichen weiteren Wanderungsschub auslösen würde. »Da im Falle einer vollen Freizügigkeitsregelung die türkischen Arbeitnehmer mit anderen EG-Angehörigen gleichgestellt und gleichbehandelt werden müssten, würde die Auswanderung aus der Türkei […] neue Dimensionen gewinnen« (ebd.: 4). Hinzu kam – wie gezeigt wurde – das starke Interesse an Devisen. Dieses zentrale Interesse war einer der wesentlichen Gründe, warum die Türkei alles daran setzte, ihre Staatsangehörigen auch im Ausland weiter an sich zu binden. Versuche der deutschen Bundesregierungen, die Zuwanderung aus der Türkei zu begrenzen, wurden seitens der offiziellen türkischen Politik heftiger Kritik unterzogen. Dabei blieb unbeachtet, dass das deutsch-türkische Anwerbeabkommen auf Initiative der Türkei zustande gekommen war. So erklärte Staatspräsident General Kenan Evren in seiner Neujahrs-Ansprache 1982:
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»Wir verfolgen mit Schrecken und Bestürzung, wie die nämlichen Länder, die ehemals billige Arbeitskräfte riefen, um ihren eigenen wirtschaftlichen Fortschritt voranzutreiben, unter Missachtung der Menschenrechte nun dieselben Arbeiter des Landes zu verweisen suchen. Unsere Regierung setzte sich gegen dieses Unrecht mit aller Kraft zur Wehr. Wir hoffen aber noch, dass diese Ungerechtigkeiten rückgängig gemacht werden« (zit. nach: Geiss 1976: 98).
Darüber hinaus waren langfristige außenpolitische Ziele handlungsleitend. Der damalige türkische Staatspräsident Süleyman Demirel erklärte im April 1994 bei einem Empfang des Zentrums für Türkeistudien in Essen: »Für die Ausreise von rund 60 bis 70 Prozent der etwa drei Millionen Türken in Europa war ich in den 60er und 70er Jahren verantwortlich, weil ich immer eine Lobby in Europa haben wollte.«144 Die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in der Türkei haben sich zwar in den zurückliegenden 40 Jahren verbessert, dennoch bestehen bis heute erhebliche Probleme, die die Wanderungsmotive in großen Teilen weiterhin bestehen lassen. Die Türkei gehört zu jenen Regionen, in denen das Pro-KopfEinkommen durchschnittlich auf rund einem Fünftel des Niveaus in der EU15 liegt (Schimany 2007: 165). Innerhalb der Türkei gibt es sehr stark ausgeprägte strukturelle Unterschiede in den Lebensverhältnissen. »Die Türkei bringt ein ungelostes und mittelfristig unlösbares soziale Gefalle im Gepäck nach Europa mit. Die Türkei ist von einem wohlhabenden Osten und Nordosten einerseits und dem deutlich ärmeren Südosten gekennzeichnet: Städte wie Istanbul oder Ankara haben einen bemerkenswert hohen Lebensstandard – auch im EU-Vergleich. Städte im Südosten hingegen können hier nicht mithalten und sind teilweise auf dem Niveau eines Entwicklungslandes. Begründet ist das soziale Gefälle in der Bevölkerungsentwicklung. Die jährliche Bevölkerungszunahme von etwa 1,8 Millionen hat enorme negative Effekte auf die Infrastruktur und die gesamte soziale Entwicklung. Der Überhang junger Menschen, die in den nächsten Jahren ins Berufsleben treten werden, wird die Lage noch zusätzlich verschärfen« (Riemer 2005: 88).
So wachsen weiterhin in den besonders schwach entwickelten Gebieten starke Generationen heran, für die die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rückständigkeit nur einen Weg aus der Misere weist: die Wanderung in die urbanen Zentren oder in das europäische, vor allem deutsche Ausland. Wenn auch die Fertilität in der Türkei mittelfristig zurückgeht (Schimany 2007: 167), bleiben die Geburtenraten in der Türkei sehr ungleich verteilt, wobei die am schwächsten entwickelten Regionen die höchsten Raten aufweisen. Gerade diese starken Jahrgänge verfügen über äußerst geringe formale Bildung und haben keine ausreichenden Chancen auf Integration in den heimischen Arbeitsmarkt. Bevölkerungswissenschaftler weisen darauf hin, dass es sich hier um das Zen-
—————— 144 »Türkei/Deutschland: Demirel ruft Türken zur Einbürgerung in Deutschland auf«. dpa-Meldung vom 16. April 1994
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trum eines bis weit in die Zukunft hinein bestehenden Auswanderungsdrucks handelt. »Die östlichen Regionen weisen eine deutlich höhere Geburtenrate auf als die Westtürkei. Sozioökonomische Disparitäten innerhalb des Landes beeinflussen die Migrationsströme, und das hohe Geburtenniveau bewirkt eine hohe demographische Dynamik und einen zusätzlichen Abwanderungsdruck […] Zu berücksichtigen ist hierbei, dass bildungsferne Schichten aus peripheren Räumen mit traditionellen Wertvorstellungen die türkische Arbeitsmigration nach Deutschland stark geprägt haben und die Integrationsprobleme der zweiten und dritten Generation eine Folge der vergangenen ›Gastarbeitermigration‹ sind. Da die Kettenmigration (Zuzug von Ehepartnern, Verwandten, Freunden und Bekannten) weiterhin von großer Bedeutung ist, stellt nicht die Migration allgemein, sondern die sich selbst verstärkende selektive Migration aus der Türkei ein Problem für die deutsche Migrations- und Integrationspolitik dar« (ebd.: 167f.).
Während die meisten der 25 Mitgliedsländer der EU eine rückläufige oder zumindest stagnierende demographische Tendenz aufweisen, wird die Türkei über die kommenden Jahrzehnte von einem weiterhin starken Wachstum der Bevölkerung gekennzeichnet sein: von 75 Millionen (2007) auf rund 99 Millionen 2050 – so die Prognosen (ebd.: 167). Zu Recht ist festgestellt worden, dass sich die Türkei hinsichtlich ihres Entwicklungsniveaus nur wenig von Schwellenländern unterscheidet und dass nach einem Beitritt die Türkei »das bevölkerungsreichste Mitgliedsland der EU und zugleich das am wenigsten entwickelte« (Wöhlcke/Höhn/Schmid 2004: 39) wäre. Zu den Ursachen des starken Bevölkerungswachstums zählen nicht nur die hohe Geburtenrate, sondern auch Errungenschaften wie eine reduzierte Kindersterblichkeit (1965 starben noch 166 von 1.000 Säuglingen, 1997 nur noch 40) und eine höhere Lebenserwartung (Kröhnert 2005: 1). Allein die wirtschaftliche, soziale und demographische Lage in der Türkei lässt es als hinreichend wahrscheinlich erscheinen, dass die Niederlassungsfreiheit für EU-Bürger zu einer erheblichen Verstärkung der Wanderung nach Deutschland führen würde. Die wirtschaftswissenschaftliche Abteilung des Osteuropa-Instituts München nennt in einem Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums der Finanzen ein Migrationspotential von 4,4 Millionen Menschen (Osteuropa-Institut München 2004: 77). Seit der »Gastarbeiter«-Anwerbung hat – wie gezeigt wurde – eine ausgeprägte Kettenwanderung eingesetzt. In dieser Hinsicht bestehen stabile Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland. Diese Eigendynamik sollte den Zuwanderungsprozess der nächsten Jahrzehnte wesentlich kennzeichnen (Kapitel 2). 53 Prozent der rund 2,5 Millionen türkischstämmigen Einwohner sind über den Familiennachzug nach Deutschland gekommen (Thalheimer 2003: 83).
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Außerdem suchten sich die Zuwanderungswilligen auch den Weg über das Asyl. So wurden nach Angaben des UNO-Flüchtlingshilfswerkes UNHCR in den Jahren 1992 bis 2002 in den westeuropäischen Staaten 58,5 Prozent aller Asylanträge türkischer Staatsangehöriger in Deutschland gestellt (ebd.: 83). Die Anerkennungsquoten (einschließlich der Feststellung von Abschiebehindernissen) beliefen sich nach Angaben des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFL) 2001 auf rund 18 und 2002 auf 14 Prozent. Damit liegen sie zwar bei den zugangsstärksten Herkunftsländern an der Spitze, geben aber dennoch einen deutlichen Hinwies darauf, dass in den allermeisten Fällen asylfremde Motive für die Versuche, ein Bleiberecht in Deutschland zu erlangen, maßgeblich waren und sind (ebd.: 89). Auch in sozialer Hinsicht sind die Zuwanderer über das Asyl vergleichbar mit den Arbeitsmigranten der 1960er Jahre: »Der überwiegende Teil türkischer Asylbewerber ist männlich, ledig, zwischen 20 und 30 Jahre alt, kommt hauptsächlich aus der Land- und Forstwirtschaft, dem Hotel-, Gaststätten- und Baugewerbe, war als Reinigungskraft oder Fahrer beschäftigt oder auch arbeitslos«, analysiert eine Studie des BAFL (ebd.: 98). Vor diesem Hintergrund ist die Bundesrepublik Deutschland das Mitglied der EU, das am stärksten von einer Türkei-Mitgliedschaft in der Europäischen Union betroffen wäre.
Die Steuerbarkeit von Integrationsprozessen Seit Jahrzehnten wurden in der Bundesrepublik erhebliche öffentliche Ausgaben zur Förderung der Integration von Zuwanderern (Ausländern und Aussiedlern) getätigt. Die Sprachprogramme in der Bundesrepublik der vergangenen Jahrzehnte dürften »weltweit zu den größten staatlich organisierten Sprachprogrammen gehört haben« (Böcker/Thränhardt 2003b: 6). Bund, Länder, Kommunen und Wohlfahrtsverbände haben hier Milliardenbeträge investiert (Unabhängige Kommission Zuwanderung 2001: 204ff.; Fuchs/Wollmann 1987). Integrationspolitik ist von widersprüchlichen Ansätzen geprägt. Auf der einen Seite wird der Eindruck erweckt, der Staat sei für die Integration von Zuwanderern verantwortlich. So beklagt der (damalige) stellvertretende Bundesvorsitzende der »Türkischen Gemeinde in Deutschland« und Geschäftsführer des »Türkischen Bundes in Berlin-Brandenburg«, Kenan Kolat:145 »Die
—————— 145 Kolat wurde im Oktober 2005 zum Bundesvorsitzenden der Türkischen Gemeinde in Deutschland gewählt. Er trat damit die Nachfolge von Hakki Keskin an, der für die Links-
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Bundesrepublik hat es offenbar nicht geschafft, den Kindern, die zu Hause ihre Muttersprache sprechen, Deutsch beizubringen« (Kolat 2005). Die staatliche Übernahme der Integrationskosten für Gering- und Nichtqualifizierte im jetzigen Zuwanderungsgesetz wertete er als »erstmalige Akzeptanz der Integration als staatliche Aufgabe«146. Hier bleibt allerdings unbeachtet, dass ein Sozialstaat zwar umfangreiche staatliche Hilfen zur Verfügung stellen kann (weil er ein grundlegendes Interesse daran haben muss, dass sich die wachsende zugewanderte Bevölkerung strukturell integriert), er allerdings den Zuwanderern den eigenen Beitrag zu einer erfolgreichen Integration in die Aufnahmegesellschaft nicht abnehmen kann. Auf der anderen Seite wird seit einigen Jahren sehr viel stärker die politische Erwartung artikuliert, dass Zuwanderer eigene Beiträge leisten. Hier vollzog sich in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden eine »Normverschiebung«, die unter anderem dazu geführt hat, dass in diesen Ländern »integrationsrelevante Mindesterwartungen formuliert werden können, was noch in den 1990er Jahren als assimilationistisch und damit nicht zulässig zurückgewiesen worden wäre« (Michalowski 2006: 63). Hier zeichnen sich drei politische Handlungsfelder ab: – Vor dem Hintergrund einer allgemeinen Reduktion sozialstaatlicher Leistungen und einer Politik, die stärker auf die Effizienz und Kontrolle dieser Leistungen setzte, wurden Ausländer zur Teilnahme an einem Integrationskurs grundsätzlich verpflichtet (Paragraph 44 a AufenthG) und bei Verweigerung aufenthaltsrechtliche Konsequenzen angedroht (Paragraph 8 Abs. 3). – Hinzu kommt, dass der Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt – vor allem der massenhafte Abbau von Arbeitsplätzen für un- und angelernte Arbeitskräfte – eine berufliche Qualifikation als unverzichtbar für eine Integration in den Arbeitsmarkt erscheinen lässt. Mit den staatlich finanzierten Maßnahmen korrespondiert ein Anspruch gegenüber jenen, die sie nutzen. – Gleichzeitig wurden die Anstrengungen, qualifizierte und hoch qualifizierte Zuwanderer zu gewinnen, intensiviert (Green-Card-Initiative). – Zuwanderer sollen bereits im Herkunftsland elementare Sprachkenntnisse nachweisen (wie dies bereits bei der Gruppe der Spätaussiedler praktiziert wird) und damit bessere Voraussetzungen für eine erfolgreiche Integration mitbringen.
—————— partei in den Deutschen Bundestag gewählt worden war. Newsletter des Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg vom 24. Oktober 2005 146 Pressemitteilung des Türkischen Bundes in Berlin-Brandenburg: Zum Zuwanderungskompromiss: Ein kleiner Wurf, vom 18. Juni 2004
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Da rigide Maßnahmen wie in den USA, wo Einwanderer die ersten fünf Jahre nach ihrer Einreise vom öffentlichen Sozialleistungssystem ausgeschlossen sind (Hunger 2006: 37), in Sozialstaaten wie Deutschland politisch nicht realisierbar sind, versucht die Politik auf diese Weise, die Inanspruchnahme des Sozialstaats durch Zuwanderer zu verringern. Im Folgenden sollen einige Felder staatlicher Integrationspolitik analysiert werden.
Staatsangehörigkeit und Integration Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Übernahme der Staatsangehörigkeit in Deutschland und erfolgreicher Integration? Soll die Einbürgerung als Ergebnis vollzogener Integration erfolgen, oder ist sie vielmehr Voraussetzung, damit sich Zuwanderer erfolgreich integrieren können? Bevor auf die Bedeutung der Staatsangehörigkeit für die Integration eingegangen wird, soll die Deabtte darüber analysiert werden. Das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht aus dem beginnenden Zwanzigsten Jahrhundert basierte auf dem Abstammungsprinzip (ius sanguinis – Blutsrecht) und wurde als Ausdruck ethnisch-nationalistischer Orientierung und als »deutscher Sonderweg« gewertet147 (Münch 2007: 146ff. m.w.N.). Inzwischen besteht weitgehende Übereinstimmung darüber, dass die These nicht aufrecht erhalten werden kann, wonach die im Laufe der vergangenen Jahrhunderte sehr unterschiedlichen Staatsangehörigkeitskonzepte in erster Linie Ausdruck eines bestimmten (offenen oder völkisch geschlossenen) Nationenverständnis seien (Brubaker 1994: 24ff.). Die historische Wirklichkeit ist sehr viel komplexer (Weil 2001: 93f.; Gosewinkel 2001: 50ff.; Gosewinkel 2008: 33). Dieter Gosewinkel (2008: 34) resümiert: »Die Rechtsprinzipien wurden instrumenteller, nach wechselnden (wirtschafts- und bevölkerungs-) politischen Zielsetzungen gehandhabt. Schließlich trifft die gelegentlich mitschwingende These, das ius soli sei gegenüber dem ius sanguinis das ›modernere‹ (auch demokratische, ›offene‹) Prinzip historisch nicht zu.« So galt beispielsweise das ius soli im 18. Jahrhundert in Großbritannien und Frankreich: »Menschen waren an den Herrn gebunden, der das Land besaß, auf dem sie geboren wurden« (Weil 2001: 99). Die Französische Revolution brach mit dieser feudalistischen Tradition. »Dies war nicht ethnisch motiviert, sondern bedeutete lediglich, dass die väterliche Verwandtschaftslinie das Krite-
—————— 147 U. a. Oberndörfer 1998: 161ff. Zur Kritik an dieser Bewertung auch: Hagedorn: 2001: 30ff.
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rium ›Untertänigkeit‹ zurückdrängte. Dies bedeutete die Wiedereinführung römischen Rechts in das moderne Staatsangehörigkeitsrecht« (ebd.: 99). Preußen übernahm 1842 das ius sanguinis aus dem französischen Recht – ohne ethnische Orientierung, denn »es schloss polnische und jüdische Preußen ein und Deutsche aus anderen deutschen Staaten aus« (ebd.: 99). Erst die Nationalsozialisten ethnisierten das Staatsangehörigkeitsrecht nach rassistischen Kriterien. Sie vollzogen damit einen »Bruch mit der tradierten institutionellen Struktur der deutschen Staatsangehörigkeit insgesamt«. Die nationalsozialistische Politik leitete einen »Prozess der Auflösung und des Umbaus […] [der deutschen Staatsangehörigkeit ein], der sie in mehrfacher Hinsicht scharf vom Vergangenen abhebt« (Gosewinkel 2003: 369). Das deutsche Abstammungsprinzip von 1913, so Gosewinkel (2003: 426), »war nicht das Vehikel des Rassestaates, und es begründete keine Kontinuitätslinie zur nationalsozialistischen Volkstumspolitik oder ließ diese gar als zwangsläufige Konsequenz erscheinen. Es folgte einer Ratio der Kontrolle, die restriktiv, aber nicht hermetisch war, und sich nicht grundsätzlich von der restriktiven Einwanderungspolitik anderer Staaten der Zeit unterschied. Das Abstammungsprinzip war historisch immer verbunden mit der Möglichkeit der Einbürgerung, die keine Gruppe – auch nicht Juden – absolut ausschloss. Die Weitergabe der Staatsangehörigkeit durch Abstammung (›Blutsprinzip‹) barg eine juristische Metapher. Sie setzte keine biologisch-rassische Homogenität mit einem imaginären Volkskörper voraus und konstituierte sie auch nicht. Dass die Blutmetapher des Abstammungsprinzips als Substanzgleichheit des Blutes gedeutet wurde, beruht auf einer polemischen Verzerrung durch den radikalen völkischen Nationalismus.«
Grundsätzlich wurde in der Geschichte das Staatsangehörigkeitsrecht nach politischem Bedarf geregelt (Bevölkerungsentwicklung, Aus- oder Einwanderung, Stabilität der Grenzen, Minderheitenprobleme etc.). Die beiden Prinzipien wurden selten ausschließlich und durchgehend angewandt, Mischformen waren und sind eher die Regel als die Ausnahme: Auswanderungsländer führten Elemente des ius sanguinis ein, weil sie die Verbindung zu ausgewanderten Staatsangehörigen aufrechterhalten wollten. Kolonialmächte suchten mit Hilfe des ius soli den Zusammenhalt mit den Kolonien zu wahren (Gosewinkel 2008: 36). Länder mit Einbürgerungsregeln nach dem ius soli-Prinzip schränkten dies ein, um Einwanderung zu begrenzen oder führten es ein, um eine Gleichbehandlung von Staatsangehörigen und Zuwanderern und deren Nachkommen zu erzielen (vor allem hinsichtlich der Wehrpflicht) (Weil 2001: 100ff). Thränhardt weist darauf hin, dass das ius sanguinis einen Schutz vor Bevölkerungspolitiken darstellt, vor der »Logik der ökonomischen Optimierung der Bevölkerung«. Deshalb sei das »in der internationalen Migrationsdiskussion oft verketzerte ius sanguinis eine wichtige demokratische Errungenschaft« (Thränhardt 2003: 17). Gerdes und Faist (2006: 327) betonen,, dass sich hinsichtlich
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der Staatsangehörigkeit »die These der Kontinuität eines ethno-nationalen Selbstverständnisses in Deutschland […] nicht aufrecht erhalten lässt.« In der Bundesrepublik war parteiübergreifend ein republikanisches Verständnis vorherrschend: Das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz und die Einbürgerungsrichtlinien sahen Integrationsleistungen (Sprachkenntnisse, Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung), eine Mindestaufenthaltsdauer sowie weitgehende Straffreiheit vor (Hagedorn 2001a: 51 ff.). »›Ethnische‹ Ausschlusskriterien gab es nicht.« (ebd.: 57). Sollten Einbürgerungen bis in die 1980er Jahre Ausnahmen bleiben, wurden diese seit Anfang der 1990er Jahre erleichtert. Der Gesetzgeber schaffte in der 1993 in Kraft getretenen Reform erhebliche Einbürgerungserleichterungen, darin enthalten sogar ein Rechtsanspruch auf Einbürgerung nach 15 Jahren rechtmäßigen Aufenthalts und gesichertem Lebensunterhalt (Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen 2002: 61). Diese Anspruchseinbürgerungen stellen heute den Regelfall dar, ihr Anteil ist im Zeitraum von 2000 bis 2007 von 28,7 Prozent auf 68,4 Prozent gestiegen (Worbs 2008: 20). Seit Jahren verfügt die Mehrheit der hier dauerhaft lebenden ausländischen Staatsangehörigen (ab 16 Jahren) über die Mindestaufenthaltsdauer von acht Jahren, die wiederum Voraussetzung für eine Anspruchseinbürgerung ist. Ende 2007 waren es 70 Prozent (4,1 Millionen Personen) (Worbs 2008: 28). Diese Gruppe wird in Anlehnung an die angelsächsische Debatte um citizenship als Denizens (Bewohner) bezeichnet. Warum wird der Status des Denizens nur in geringem Maße gegen den Status des Staatsangehörigen eingetauscht? Zu den Gründen gehört in erster Linie, dass sich seit Jahrzehnten der Statusunterschied zwischen Staatsangehörigen und dauerhaft und rechtmäßig in Deutschland lebenden Ausländern abschwächt. Aufgrund zahlreicher internationaler Abkommen hat sich die Rechtsstellung der Ausländer an die der eigenen Staatsangehörigen in weiten Teilen angeglichen. Dies dokumentiert auch die Politik auf EU-Ebene, wonach Rechte der Angehörigen von Drittstaaten, die langfristige Aufenthaltsrechte haben, ausgeweitet werden sollen148 (Welte 2008). So ist wohlfahrtsstaatliche Inklusion nicht an formelle Staatsangehörigkeit gebunden, sondern an dauernden (und rechtmäßigen) Aufenthalt. Arbeits- und sozialrechtlich waren die ausländischen den einheimischen Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland von Anfang an gleichgestellt (das aktive Wahlrecht zum Betriebsrat wurde 1972 eingeführt). Arbeitslosenunterstützung und Arbeitslosenhilfe erhielten sie unter den gleichen Bedingun-
—————— 148 Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen
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gen wie die einheimischen Kollegen (bei einer gültigen Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis) (siehe Kapitel 2). Mit der Dauer des Aufenthalts verfestigte sich der Aufenthaltsstatuts der ausländischen Arbeitnehmer immer mehr. Die Gleichstellung ist hinsichtlich sozialer Rechte am weitesten entwickelt: Ausländer mit Arbeitsgenehmigung oder unbefristeter Aufenthaltserlaubnis sind der deutschen Sozialversicherung unterstellt, verfügen bei Arbeitslosigkeit über gleiche Rechte, beim Kindergeld, BAFÖG sowie beim Bezug von Sozialhilfe. »Der Einbezug von türkischen Migranten in das System der sozialen Sicherung auf der Basis des Sozialversicherungsabkommens zwischen Deutschland und der Türkei ist als so umfassend zu bezeichnen, dass entscheidende Verbesserungen der sozialen Situation durch Einbürgerung nur im Individualfall von Relevanz zu sein scheinen« (Prümm 2004: 60). Legen wir für die Einbürgerungsentscheidung eine pragmatische KostenNutzen-Abwägung zugrunde (ebd.: 42), so sind die Anreize, die deutsche Staatsangehörigkeit für einen Zugewinn an Rechten zu erwerben, nicht besonders groß: Das gilt natürlich in erster Linie für EU-Bürger. Sie verfügen über aktives und passives kommunales Wahlrecht, vollständige Berufs- und Niederlassungsfreiheit. Durch die Privilegierung von EU-Bürgern ist der Denizenship-Status außerordentlich gestärkt worden. Für Drittstaatsangehörige gilt ein rechtlicher Ausschluss nur in Ausnahmefällen: So ist die Approbation für Ärzte und Apotheker deutschen Staatsangehörigen und EU-Bürgern vorbehalten (Prümm 2004: 61f). Den Beamtenstatus können ebenfalls Drittstaatsangehörige nicht erhalten, sie können aber als Angestellte im öffentlichen Dienst beschäftigt sein. Andere instrumentelle Motive für den Erwerb der Staatsangehörigkeit können negative Freiheiten sein, wie der Schutz vor Ausweisung, also absolute Aufenthaltssicherheit. Wer von Ausweisung bedroht ist, ist allerdings ohnehin nicht einbürgerungsberechtigt. Was den Nachzug von Familienangehörigen angeht, so genießen Staatsangehörige gegenüber der einbürgerungsberechtigten Gruppe keine zusätzlichen Rechte. In der pragmatischen Kosten-Nutzen-Abwägung schlagen einige Aspekte, die im Zusammenhang mit einer Abgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit stehen, negativ zu Buche: Das gilt beispielsweise für die Angst vor einem »Identitätsverlust«, die Befürchtung negativer Reaktionen im persönlichen Umfeld (Ausgrenzung) und die Bedeutung für die Rückkehroption (psychologische Funktion). Diese Punkte setzen allerdings voraus, dass die Herkunftsidentität mit der Staatsangehörigkeit emotional stark verbunden ist. Hier kommt dann auch das Interesse der Herkunftsländer ins Spiel. Das hat (wie bereits erwähnt) im Februar 2008 die Rede des türkischen Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan in der Kölnarena noch einmal in Erinnerung gerufen. Die Erwartung, die in
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Deutschland lebenden Arbeitsmigranten als wirkungsvolle Lobby zur Durchsetzung »türkischer Interessen« nutzen zu können, kennzeichnet die türkische Politik bereits seit vielen Jahren. Rechneten zunächst auch die türkischen Regierungen mit nur befristeten Aufenthalten der angeworbenen »Gastarbeiter«, so setzte sich im Laufe der Zeit immer stärker die Perspektive einer »türkischen Lobby« in Deutschland durch. Die türkische Politik war daher auch sehr an der Reform des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts und der generellen Hinnahme des Doppel-Passes interessiert. Der damalige türkische Botschafter in Deutschland, Tugay Ulucevik, erklärte 1999 in einem Interview: »Wenn der Bundestag ein Gesetz beschließt, das es diesen türkischen Bürgern ermöglicht, die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben zu können, ohne auf ihre bestehende Staatsangehörigkeit verzichten zu müssen, würde damit den Erwartungen der türkischen Bevölkerung in Deutschland entsprochen. Die Türkei würde jeden zeitgemäßen Schritt begrüßen, der die Integration der türkischen Bürger in die deutsche Gesellschaft ermöglichen würde.«149
Der zur Bundestagswahl 1998 gegen die CDU gerichtete Wahlaufruf des damaligen türkischen Ministerpräsidenten Mesut Yilmaz an seine in Deutschland eingebürgerten Landsleute dokumentierte diese Haltung, wie auch die Tatsache, dass die türkische Regierung ihren Landsleuten in Deutschland ermöglichte, das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht massenhaft zu umgehen. Obwohl das Prinzip der doppelten Staatsangehörigkeit in Deutschland abgelehnt wurde, erlaubte es die Türkei insgesamt 260.000 Landsleuten, die sich hatten ausbürgern lassen, um die Voraussetzung für den Erhalt der deutschen Staatsangehörigkeit zu erfüllen, danach die türkische Staatsangehörigkeit neu zu beantragen und zu erhalten. Diese Praxis wurde 1997 nach Protesten der Bundesregierung aufgegeben (Şen/Sauer/Halm 2001: 100). Das Staatsangehörigkeitsgesetz des Jahres 2000 sah vor diesem Hintergrund vor, dass die deutsche Staatsangehörigkeit auch dann automatisch verloren geht, wenn im Inland neben der deutschen noch eine weitere erworben wird (Paragraph 25 StAG). Betrachtet man die empirischen Untersuchungen zum Einbürgerungsverhalten, dann sind zwei weitere Aspekte von Bedeutung: – Die Generation: Wo wurden Kindheit und Jugend als wichtigste Sozialisationsphasen verbracht? Nicht der Ort der Geburt scheint also von Bedeutung (Söhn 2008: 100); – Die emotionale Identifikation (Diehl 2002: 304): Wer sich zumindest teilweise als Deutscher fühlt, lässt sich eher einbürgern.
—————— 149 In einem Interview mit der Bild-Zeitung: »Botschafter: Türken erwarten doppelte Staatsbürgerschaft« vom 7. Januar 1999
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Söhn (2008: 83) ermittelte auf Basis des SOEP (Sozio-Ökonomischen Panels), dass ein knappes Drittel der lange in Deutschland lebenden Ausländer ein Interesse an einer Einbürgerung haben. Zusammenfassend kann gesagt werden: Je weniger ein Zugewinn an Rechten zu erwarten ist, desto seltener wollen sich Ausländer einbürgern lassen. Deshalb zieht eine Mehrheit offensichtlich den Status des Denizenship mit den damit verbundenen weitgehenden (insbesondere sozialen) Rechten einer Staatsangehörigkeit vor.
Mehrstaatigkeit Das bis 1999 geltende Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz hielt grundsätzlich an der Vermeidung von Mehrstaatigkeit fest (Gerdes/Faist 2006: 327). Dies entsprach (und entspricht bis heute) dem politischen Willen der Mehrheit der Staatsbürger, wie Erhebungen belegen (Worbs 2008: 40f.). Nach der Landtagswahl 1999 in Hessen – die die CDU durch ihre Kampagne gegen die doppelte Staatsangehörigkeit für sich entscheiden konnte (Hofrichter/Westle 2000; Raschke 2001: 250ff.) – war die FDP über ihre Regierungsbeteiligung in Rheinland-Pfalz in die Rolle eines Vetospielers gelangt. SPD und Bündnis 90/ Die Grünen mussten sich von ihren ursprünglichen Absichten einer generellen Hinnahme von Mehrstaatigkeit verabschieden (Hagedorn 2001a: 40). Sie übernahmen stattdessen das von ihnen ursprünglich kritisierte150 »Optionsmodell« der FDP151: Danach erhalten seit dem Jahr 2000 in Deutschland geborene Kinder ausländischer Staatsangehöriger neben der Staatsangehörigkeit ihrer Eltern (unter festgelegten Voraussetzungen) zusätzlich die deutsche Staatsangehörigkeit kraft Geburt. Zwischen dem 18. und 23. Lebensjahr müssen sie sich für eine Staatsangehörigkeit entscheiden, tun sie es nicht oder entscheiden sich für die ausländische Staatsangehörigkeit, verlieren sie automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit. Vor dem Hintergrund der politischen Entwicklung 1999 waren insbesondere Repräsentanten der SPD bemüht, zu beteuern, grundsätzlich halte man auch mit der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts an der Vermeidung von
—————— 150 »Der Vorschlag der FDP nach einer doppelten Staatsbürgerschaft für Kinder ist ein Scheinkompromiss. Mit diesem Modell wird keine bessere Integration möglich sein. Neue Probleme werden geschaffen. […] Der deutsche Staat soll diesen Menschen dann die Staatsbürgerschaft wieder entziehen, das ist verfassungswidrig und unpraktikabel. « Gleiche Rechte für Alle«. Beschluss des 1. ordentlichen Länderrates von Bündnis 90/Die Grünen, 23. Januar 1999 151 »FDP setzt ihr Staatsbürger-Modell durch«, Süddeutsche Zeitung vom 12. März 1999
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Mehrstaatigkeit fest.152 So erklärte der damalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) im Deutschen Bundestag: »Die in dem Gesetzentwurf vorgesehene Optionspflicht entspricht der Beibehaltung des Grundsatzes, dass Mehrstaatigkeit nach Möglichkeit vermieden werden soll.«153 Der damalige nordrhein-westfälische Innenminister Fritz Behrens (SPD) erklärte im Bundestag: »Ich halte es zumindest für eine Fehleinschätzung – eher noch für eine Verdrehung von Tatsachen oder gar für reine Agitation –, wenn behauptet wird, das Gesetz führe zu einer nahezu schrankenlosen Hinnahme von Mehrstaatigkeit. Ich will noch einmal aus meiner Sicht deutlich unterstreichen, dass die neue Regelung nicht auf die Hinnahme von Mehrstaatigkeit abzielt. Sie nimmt Mehrstaatigkeit vielmehr nur hin, weil dem Einbürgerungsbewerber ansonsten unzumutbare Belastungen entstehen würden. Bei sachgerechter Betrachtung werden sich die Auswirkungen der vorgesehenen Erweiterung der Zahl der Ausnahmetatbestände […], die eine Hinnahme von Mehrstaatigkeit rechtfertigen, in Grenzen halten.«154
Eigentliches Ziel blieb die generelle (zumindest weitestgehende) Hinnahme von Mehrstaatigkeit. Das Optionsmodell erwies sich hier als nicht hinderlich, weil man damit rechnete, dass ein schwacher Staat die Optionspflicht ohnehin nicht werde durchsetzen können. Man setzte darauf, die Optionspflicht zu einem späteren Zeitpunkt abschaffen zu können. So erklärte der damalige schleswig-holsteinische Innenminister Ekkehard Wienholtz (SPD) bei der Verabschiedung des Gesetzes im Bundesrat im April 1999, er hoffe und erwarte, dass der wahrscheinliche Verwaltungsaufwand dazu führen werde, früher oder später von der Pflicht zur Entscheidung abzugehen. »Das wird ein zukünftiger Gesetzgeber später genau zu betrachten haben, der, so hoffe ich, die Einsicht und die politischen Mehrheiten dafür hat, klüger zu sein, als wir es heute sein können.«155 Die gegenwärtig vorliegenden Anträge und Vorstöße von SPD, Grünen und Linken, die Optionspflicht abzuschaffen,156 nehmen die wesentlichen Kritikpunkte auf, die 1999 von CDU und CSU formuliert worden waren
—————— 152 Debatte im Deutschen Bundestag am 19. März 1999, Plenarprotokoll 14/28: 2281ff. 153 Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 14/28 vom 19. März 1999: 2317 154 Deutscher Bundestag, Sitzung vom 07. Mai 1999, Plenarprotokoll 14/40: 3452 155 Bundesrat: Plenarprotokoll 737 vom 30.04.1999: 134; Die damalige Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesinnenministerium, die SPD-Politikerin Vogt, unternahm im Dezember 2004 einen – weitgehend unbeachtet gebliebenen – Vorstoß in die gleiche Richtung: »Akzeptieren, dass Leute ihre Herkunft nicht ablegen«, Interview in: Berliner Zeitung vom 30. Dezember 2004 156 U. a. ein Gesetzesantrag des Landes Berlin (Bundesrats-Drucksache 647/08 vom 02.09.08; Antrag der Fraktion »Die Linke«, Deutscher Bundestag, Drs. 16/9165 vom 08.05.2008; Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und der SPD in der Bremische Bürgerschaft (Landtag), Drs. 17/338 vom 02.04.2008
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(Konfliktpotential, Verwaltungsaufwand).157 Das ist insofern bemerkenswert, als sich seit 1999 keine sachlichen Veränderungen hinsichtlich der Optionspflicht ergeben haben. Es drängt sich der Eindruck auf, dass nach Verstreichen einer Schamfrist die vor wenigen Jahren noch in den Wind geschlagenen Argumente als Vorwand genutzt werden, um das Ziel – die Abschaffung der Optionspflicht und damit eine weitgehende Hinnahme von Mehrstaatigkeit – zu erreichen. Ein solch taktisches Verhalten und eine immer kürzer werdende Verfallszeit von Gesetzen schwächt das Vertrauen in die Politik, ihre Glaubwürdigkeit und Transparenz. »Jedenfalls das Staatsangehörigkeitsrecht sollte in Zukunft nicht zu einem Experimentierfeld kurzatmiger gesetzgeberischer Beschlüsse werden« (Münch 2007: XXXIX). Tatsächlich birgt die Optionspflicht ein erhebliches Konfliktpotential. Es steht zu erwarten, dass ein großer Teil der betroffenen jungen Erwachsenen entweder seiner Optionspflicht nicht nachkommen oder gegen den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit den Rechtsweg beschreiten wird. Angesichts der Erfahrungen, die deutsche Behörden mit der Durchsetzbarkeit des Ausländerrechts haben, muss bezweifelt werden, dass der Staat die Optionspflicht auch tatsächlich wird durchsetzen können. Die öffentliche Empörung, wenn einem in Deutschland geborenen und aufgewachsenen jungen Menschen die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen werden soll, lässt sich vorhersehen. Es ist deshalb schon 1999 die Befürchtung geäußert worden, dass der Staat »aus politischen, rechtlichen und verwaltungsökonomischen Gründen die doppelte Staatsbürgerschaft schlicht hinnehmen wird«158. In den Jahren 2000 bis 2007 erhielten rund 305.000 Kinder nach dem Optionsrecht zusätzlich den deutschen Pass. Für Kinder von Ausländern, die vor dem 1.1.2000 in Deutschland geboren wurden, bis dahin noch nicht das zehnte Lebensjahr vollendet hatten, gab es eine zusätzliche Regelung: Erfüllten die Eltern die Voraussetzungen, konnten sie für diese Kinder bis Ende des Jahres 2000 einen Einbürgerungsantrag stellen, für sie war ein Einbürgerungsanspruch geschaffen worden. Hierunter fallen rund 49.000 Personen. Die ersten von ihnen erreichten 2008 bereits die Volljährigkeit und wurden daher von den staatlichen Stellen auf ihre Optionspflicht hingewiesen (Worbs 2008: 27f.). Seit dem Jahr 2000 wird bei nahezu jeder zweiten Einbürgerung Mehrstaatigkeit hingenommen (45,9 Prozent). 2006 und 2007 sogar in jeweils über 50
—————— 157 Vgl. den Antrag des Freistaates Bayern im Bundesrat vom 29.04.1999, Drs. 188/2/99; den Beitrag des damaligen Bremer Innensenators Ralf H. Borttscheller: »Großzügig, folgenreich«, in: FAZ vom 19.04.1999 sowie die Mitteilung des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 15.03.1999 »Entwurf Nr. 3 zum Staatsangehörigkeitsgesetz ist die dritte Mogelpackung« 158 Ralf H. Borttscheller: »Großzügig, folgenreich«, in: FAZ vom 19.04.1999 sowie Hailbronner 1999a
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Prozent der Fälle (51 und 52,4 Prozent) (Worbs 2008: 26). Tatsächlich sind die Möglichkeiten, die alte Staatsangehörigkeit beizubehalten, stark erweitert worden (Hailbronner 2002: 24). So wurde im Dezember 2001 das EuroparatsÜbereinkommen zur Vermeidung von Mehrstaatigkeit gekündigt (Renner 2002: 393). EU-Bürger und Schweizer werden seit August 2007 generell unter Beibehaltung ihrer bisherigen Staatsangehörigkeit eingebürgert (Worbs 2008: 26). »Die deutsche Staatsangehörigkeit garantiert ein unkündbares Recht auf Leben in einem der reichsten und sichersten Länder der Erde, den uneingeschränkten Zugang zu den Leistungen des Sozialstaats und die Statusrechte eines EU-Bürgers. Der deutsche Pass ermöglicht freies Reisen in die meisten Länder der Welt« (Thränhardt 2008: 5). Bleibt die Frage, warum der Eindruck erweckt wird, eine Entscheidung beim Erwerb der Staatsangehörigkeit sei unzumutbar. Sich zum Staat Bundesrepublik Deutschland zu bekennen und in der Konsequenz die alte Staatsangehörigkeit abzugeben, das könne nicht verlangt werden. »Was sind das für Verfassungspatrioten, die ihre mit der Verfassung verbundene Staatsbürgerschaft so gering schätzen, dass die Option für diese Staatsbürgerschaft ihnen regelmäßig unzumutbar vorkommt? Gerade wer die Zugehörigkeit zu einer Nation nicht als Naturgegebenheit, sondern als Willens- und Freiheitsakt versteht, muss bereit sein, dafür ein Opfer zu fordern oder zu bringen«,
kommentierte Jan Ross in der Zeit.159 Daneben ist fraglich – darauf hat Münch (2007: 173f) hingewiesen – ob die Ausländereigenschaft einen sachlich gerechtfertigten Grund für die Privilegierung durch den Erwerb mehrfacher Staatsangehörigkeit darstellt oder ob nicht eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes vorliegt. Mehrstaater können sich die für sie günstigere Rechtsordnung aussuchen, konkurrierende Gerichtsstände nutzen, Klagen in beiden Heimatstaaten erheben, Kläger können sich den für sie günstigeren Gerichtsstand aussuchen (forum hopping). So kann das Gebot der Chancengleichheit der Parteien im internationalen Privatrecht verletzt werden (Münch 2007: 173f). »Die Gewährung, d.h. die staatliche Hinnahme der Mehrstaatigkeit, ist also eine erhebliche Privilegierung der Mehrstaater gegenüber allen anderen Staatsangehörigen, die nur eine Staatsangehörigkeit besitzen.« (ebd.: 175) Die vermehrte Hinnahme von Mehrstaatigkeit sollte die Zahl der Einbürgerungen erhöhen, unter anderem weil sie als Indikator für gelungene Integration gewertet wurden. Dabei wird – wie im Integrationsdiskurs der 1970er und 1980er Jahre durchgehend – eine zu bewahrende kollektive »Identität» von
—————— 159 Ross, Jan: »Doppelbürger – halbe Bürger«. In: Die Zeit vom 7. Januar 1999
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Ausländern bemüht. So hieß es von Kritikern, die Forderung nach der Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit behindere die Integration von Ausländern in Deutschland, denn sie gefährde deren »Identität«. »Die Identität ist gerade nicht dadurch zu bewahren, dass die Politik Menschen dazu zwingt, ihren alten Pass im Tausch gegen die vollen Rechte abzugeben. Diesen unsauberen Handel lehnen wir ab«, hieß es in einem Beschluss des Länderrats von Bündnis 90/Die Grünen zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts.160 Dabei bleibt außer Acht, dass sich in Migrationsprozessen und in Zeiten raschen gesellschaftlichen Wandels Identitäten nahezu zwangsläufig verändern (wie in Kapitel 5 erörtert). In diesem Zusammenhang wurde auch darauf hingewiesen, dass die Forderung, türkischen Zuwanderern müsse es gestattet werden, ihre bisherige Staatsangehörigkeit auch bei der Einbürgerung in Deutschland zu behalten, die »fortdauernde Geltung abstammungsbegründeter türkischer Staatsangehörigkeit« voraussetzt.161 Während bei den türkischen Staatsangehörigen das Abstammungsprinzip ohne Debatte als Selbstverständlichkeit hingenommen werde, werde es im deutschen Fall als typisch für deutsche Rückständigkeit erklärt. »Leichtfertig wird übersehen, dass die Ideologisierung der doppelten Staatsbürgerschaft durch die Hintertür genau das fortschreibt, was man mit einer Reform des Staatsangehörigkeitsrechts auflösen möchte – die Konzentrierung auf die Ethnie. Die Blindheit vor diesem Widerspruch lässt sich wahrscheinlich nur mit den Bewältigungsversuchen der jüngeren deutschen Geschichte erklären. Für Ethnizismus kann man sich erwärmen, solange er nur kein germanischer ist« (Seidel 1999: 972).
In den 1990er Jahren wurde auf die Prüfung von deutschen Sprachkenntnissen oder anderen Integrationsindizien gänzlich verzichtet (Hagedorn 2001a: 58). Mit dem neuen Staatsangehörigkeitsrecht des Jahres 2000 wurde die Aufenthaltsfrist weiter verkürzt (auf acht Jahre), ausreichende Sprachkenntnisse wurden aber wieder verlangt. Die hinter der Schaffung von Rechtsansprüchen stehende Erwartung, dass sich mit einem längeren Aufenthalt in Deutschland Integration automatisch ergeben werde,162 hatte sich allerdings in vielen Fällen als falsch erwiesen. So verwies der damalige Bremer Innensenator Borttscheller auf die Erfahrungen der Einbürgerungsbehörden, in den letzten Jahren die Integrationsleistungen der Einbürgerungsbewerber teilweise erheblich zurückgegangen seien.
—————— 160 Bündnis 90/Die Grünen: »Gleiche Rechte für Alle«. Beschluss des Länderrats vom 23. Januar 1999 161 Lübbe, Hermann: Wie wird man Deutscher?, in: Rheinischer Merkur vom 02.April1993 162 »Das Erfordernis eines achtjährigen Mindestaufenthaltes der Eltern ist ein zeitliches Indiz für die Integration der Eltern.« So die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung (2002: 55).
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»Interessant ist, dass sich diese Situation entwickelt hat, nachdem die Einbürgerungsvoraussetzungen vom Gesetzgeber Anfang der 1990er Jahre drastisch vereinfacht worden waren. Eine angemessene Beherrschung der deutschen Sprache durfte seitdem vom Großteil der Einbürgerungsbewerber nicht mehr verlangt werden. Ich kann nicht erkennen, wieso der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit für solche Personen einen Integrationsschub bewirken könnte, wenn es einen solchen Schub offenkundig bis dahin nicht gegeben hat.«163
Warum ein weiter erleichterter Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit den Integrationswillen fördern solle, wird vor diesem Hintergrund nicht ersichtlich. Die Bedeutung der Staatsangehörigkeit für den Integrationsprozess ist seit Jahren überschätzt worden. Zugleich wurden tatsächliche Integrationsprobleme unterschätzt. So behauptete der ehemalige CDU-Generalsekretär Geißler 1990: »Der Ausländerstatus ist ein größeres Integrationshemmnis als die Sprachbarriere, die es bei jungen Ausländern überhaupt nicht mehr gibt, oder als eine unvollständige Schulausbildung. Diese Menschen werden durch den Ausländerstatus ausgegrenzt, auch wenn sie bei uns geboren sind und seit Jahren bei uns leben«164 [Hervorhebung durch den Verfasser]. Auch der damalige Bundesinnenminister Schily (SPD) stellte 1999 in der politischen Auseinandersetzung um die Hinnahme von Mehrstaatigkeit die integrationsfördernde Wirkung von Einbürgerungen in den Mittelpunkt: »Wer einen deutschen Pass hat, wird nicht länger abseits stehen.«165 Welche Integrationschancen sollten sich mit der zweiten Staatsangehörigkeit für die Kinder in den ethnischen Kolonien der Großstädte verbessern? Was nützt ein deutscher Pass, wenn die deutsche Sprache im Elternhaus nicht gesprochen wird und auf diese Weise auch die Kinder keine Chance haben, die Schule erfolgreich zu absolvieren und anschließend einen Ausbildungsplatz zu bekommen? Eingebürgerte zwar haben häufiger Abitur als Ausländer, gehen seltener von der Schule ohne Abschluss ab, sind seltener arbeitslos, sind hinsichtlich der beruflichen Stellung besser platziert, haben höhere Einkommen, bessere Sprachkenntnisse. Sie sind stärker assimiliert, »ihre private(n) soziale(n) Verkehrskreise [reichen] tiefer als die die der Ausländer in die Mehrheitsgesellschaft herein« (Salentin/Wilkening: 2003: 293). Der Fehler in der Debatte besteht hier allerdings darin, einen Kausalzusammenhang zwischen der Ein-
—————— 163 Der Senator für Inneres der Freien Hansestadt Bremen: Vortrag beim Expertengespräch der Hanns-Seidel-Stiftung: »Die ausbleibende Integration«, Pressemitteilung vom 22. März 1999 164 Geißler, Heiner (1990): Meise zu Meise? Plädoyer für eine »multikulturelle Gesellschaft«. In: Der Spiegel. Jg. 44, H. 13: 164 165 Bundesministerium des Innern: »Bundesinnenminister Otto Schily stellt Arbeitsentwurf zur Reform des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts vor«, Pressemitteilung vom 13. Januar 1999
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bürgerung und der erfolgreichen Integration zu behaupten, den es in Wahrheit nicht gibt (Wunderlich 2005: 47). »Niemand tritt einem deutschen Verein bei, oder heiratet einen deutschen Partner, weil er oder sie jetzt einen deutschen Pass hat. Eher scheint es so zu sein, dass Prozesse sozialer, kultureller und identifikativer Integration relativ unabhängig vom Ereignis ›Einbürgerung‹ verlaufen, bzw. dass solche Prozesse oft schon vor der Einbürgerung stattgefunden haben und die Motivbildungen beeinflussen, aber keine Wirkungen sind« (Wunderlich 2005: 183).
Die Behauptung, die Verleihung der Staatsangehörigkeit – unter genereller Hinnahme von Mehrstaatigkeit – sei eine wichtige Voraussetzung für die Integration oder gar der »Schlüssel zur Integration« entbehrt jeder Grundlage (Şen 2002: 55; Keskin 2005: 30ff.; Schulte 1999: 192f.). So wies der ehemalige Direktor der Stiftung Zentrum für Türkeistudien, Faruk Şen, darauf hin: »Nicht die Segregation in Städten ist das primäre Problem, sondern dass die politische Partizipation in ethnisch segregierten Quartieren nicht gewährleistet ist. […] Die weitere Förderung der Einbürgerung ist damit nicht nur ein Aspekt von Integrationspolitik, sondern, viel mehr als Sprach- und Integrationskurse, ihr Schlüsselinstrument.«166
Die Erfahrungen in Frankreich oder in Großbritannien zeigen, dass auch eine Politik der massenhaften Einbürgerung keineswegs erhebliche Integrationsprobleme verhindert: Eine Politik der staatsrechtlichen »Inklusion« kann durchaus mit sozial-ökonomischer »Exklusion« einhergehen (Manfrass 1991: 16ff.; Hagedorn 2001a: 44ff.; Eckardt 2007: 32ff.; Riedel 2007; Michalowski: 2007: 47ff). Die rechtliche Inklusion garantiert nicht automatisch die bessere Platzierung in den Funktionssystemen, dazu bedarf es anderer Leistungen von Seiten der Migranten. Eine Drittstaatsangehörigkeit bei verfestigtem Aufenthaltsstatus versperrt keine nennenswerten Zugänge in den Arbeitsmarkt. »Die abstrakte Gleichheit, die die Staatsangehörigkeit schafft, ist in der differenzierten Gesellschaft empirisch nicht wahrnehmbar, da für die Ausstattung der Bevölkerung mit Ressourcen nicht die Staatsangehörigkeit sondern die Inklusion in den Wohlfahrtsstaat maßgeblich ist« (Prümm 2004: 96). Über 70 Prozent der asiatischen und afro-karibischen Einwanderer in Großbritannien haben die britische Staatsangehörigkeit erworben. Dennoch verzeichnet das Land seit Jahrzehnten immer wieder aufflammende Unruhen (Baringhorst 1999). Studien zur Anfälligkeit für gewalttätiges Handeln von Zuwanderern in Deutschland zeigen, dass die Staatsangehörigkeit keine Bedeutung für die Erklärung von Gewalthandeln hat (wobei ihr Vorhandensein in diesen Studien verstanden wird als Ausdruck von Integration, die nicht vorhan-
—————— 166 Şen, Faruk: Einbürgerung ist der Schlüssel zur Integration, in: FAZ vom 28. September 2004
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dene deutsche Staatsangehörigkeit als Ausdruck mangelnder gesellschaftlicher Anerkennung (Babka von Gostomski 2003: 264). Generell gilt: Über das Gelingen von Integration entscheidet nicht der Pass, sondern Integrationsbereitschaft, Bildungsstand sowie soziale und wirtschaftliche Verhältnisse, die eine Eingliederung ermöglichen. Nur eine »sozial geglückte Einbürgerung« kann ein erstrebenswertes Ziel sein (Manfrass 1991: 88). »Eine großzügigere Ausgestaltung und Handhabung des Staatsangehörigkeitsrechts allein kann nicht die ethnischen, kulturellen und vor allem sprachlichen Unterschiede einebnen, die Einheimische von Zugezogenen trennen. Die hieraus entstehenden sozialen und politischen Spannungen kann man nicht durch Erteilung eines anderen Passes beseitigen« (Renner 1994: 161). Eine Politik, die auf Einbürgerungen setzt ohne die soziale Integration zur Voraussetzung zu machen, trägt, so die niederländischen Erfahrungen, zu einer Abwertung der Staatsangehörigkeit bei (Böcker/Thränhardt 2003: 134). Auch die Behauptung, eine Übernahme der Staatsangehörigkeit zwinge die Politik, sich der Interessen der Zuwanderer anzunehmen und fördere die Integration (Rittstieg 2002: 21; Schoch 2000: 48), muss bezweifelt werden. Die französischen und britischen Erfahrungen (Manfrass 1991: 22f.; Hillebrand 2006: 5) sprechen eher dafür, dass der gesteigerte Einfluss ethnisch-religiöser Minderheitenorganisationen und deren Wortführer (der gerade bei knappen Mehrheiten besonders groß ist) zur Verfestigung von Minderheitenstrukturen führt und das Konfliktpotential erhöht. »Politische Mitwirkung ohne erfolgreiche soziale Integration beinhaltet m. E. eher Risiken politischer Instabilität und Konfliktsteigerung als zusätzliche Chancen sozialer Integration« (ebd.). Vieles spricht dagegen eher dafür, die Einbürgerung als Abschluss eines gelungenen Integrationsprozesses zu verstehen. So resümiert Claudia Diehl (2002: 308) die Ergebnisse des Integrationssurveys des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung: »Betrachtet man die Einbürgerungsmuster der türkisch- und italienischstämmigen jungen Einwanderer, dann zeigt sich, dass diese Abfolge weitgehend Realität ist. Besonders einbürgerungswillig sind diejenigen, deren strukturelle, kulturelle und identifikative Eingliederung schon fortgeschritten ist. Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass durch die Einbürgerung besonders wenig interessierte und herkunftslandorientierte Einwanderer zu Deutschen werden«.
Der Staatsbürger ist »Konstitutions- und Integrationselement des politischen Gemeinwesens in seiner konkreten Form« (Grawert 2004: Rn 135). Das Bundesverfassungsgericht hatte erst in der erfolgreichen Beschwerde gegen den Europäischen Haftbefehl im Juli 2005 die Bedeutung der Staatsangehörigkeit hervorgehoben. »Die staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten, die für jeden einzelnen mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit verbunden sind, bilden
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zugleich konstituierende Grundlagen des gesamten Gemeinwesens.«167 Vor diesem Hintergrund sollte sowohl bei der Aufnahmegesellschaft als auch bei den Antragstellern ein Bewusstsein für die Bedeutung dieses Schrittes vorhanden sein. Wenn das Bundesverfassungsgericht davon spricht, dass die Folgen des Zweiten Weltkrieges von den »Deutschen als Schicksalsgemeinschaft« zu tragen seien168 (Offe 1996: 30), dann erfolgt mit der Einbürgerung die Aufnahme in diese »Schicksalsgemeinschaft«. Das bedeutet auch, dass von Einbürgerungswilligen legitimerweise verlangt werden kann, dass sie sich mit dem Staat, dessen Angehöriger sie werden wollen, befasst und sich Landeskenntnisse angeeignet haben. Dazu gehören in erster Linie Grundkenntnisse der Geschichte und Politik Deutschlands (nicht nur der Sprache). Deutschland, Frankreich, Großbritannien und die USA sind hier ähnliche Wege gegangen (Weinbach 2005: 202ff.; Michalowski 2008: 35f.)169. Der Staat sollte nicht auf jede identifikatorische Integration verzichten, wie es in der technokratischen Einbürgerungspraxis bis vor wenigen Jahren gang und gäbe war. Einbürgerungsfeiern können zu dieser Identifikation beitragen. In Großbritannien, das die Feiern 2004 einführte und von Ländern wie USA, Kanada und Australien übernahm, wurden damit gute Erfahrungen gemacht (Duke-Evans 2006; Wunderlich 2005: 157ff.). Die Staatsangehörigkeitspolitik muss wie alle anderen Politiken auch, demokratisch legitimiert sein. Grundlegende politische Themen, wie das Staatsangehörigkeitsrecht, müssen in einem transparenten Verfahren und unter Abschätzung langfristiger Folgen, behandelt werden. Der Umgang mit diesem Thema in den vergangenen Jahren genügt diesen Ansprüchen nicht. Ein möglichst »barrierefreier« Einbezug als Staatsangehöriger führt nicht zu den gewünschten Integrationserfolgen. Im Gegenteil: Die Erfahrungen vieler europäischer Nachbarländer (insbesondere jene mit ausdrücklich multikulturalistischer Politik) zeigen, dass »gut gemeinte« Politikansätze nicht-intendierte Folgen zeitigen. So waren die Niederlande in den 1990er Jahren zum »Einbürgerungsparadies« gemacht worden (ebd.: 30). Mit der weitgehenden Hinnahme von Mehrstaatigkeit war dort »ein entscheidender Durchbruch bei der Einbürgerung« erzielt worden (Thränhardt 2008: 30). Gleichzeitig haben die Niederlande allerdings eine sehr viel schlechtere Integrationsbilanz ihrer Zuwanderer vorzuweisen als unter anderem die Bundesrepublik Deutschland.
—————— 167 Bundesverfassungsgericht: BVerfGE, 2 Bvr 2236/04 vom 18.7.2005, Abs. Nr. 66 http:// www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20050718_2bvr223604.html, [18.02.08] 168 Bundesverfassungsgericht (2004): BVerfGE, 2 BvR 955/00 vom 26.10.2004, Abs. Nr. 132 http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20041026_2bvr095500.html, Stand: 18.02.2008 169 Die Einbürgerungstestverordnung trat am 1. September 2008 in Kraft.
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Insofern ist die Einbürgerungsquote kein aussagefähiger Integrationsindikator, er ist auch kein »indispensable means of integration« wie ihn der »Migrant Integration Policy Index« (MIPEX 2007: 16) ansieht.
Integration und Recht Was kann von einem Zuwanderer, der sich in Deutschland einbürgern lassen möchte, verlangt werden? Womit muss sich der Einbürgerungswillige identifizieren? Kann nach den Modernisierungsschüben des 20. Jahrhunderts eine »Leitkultur« noch hinreichend inhaltlich bestimmt werden? Was außer der Rechtstreue kann billigerweise verlangt und erwartet werden? Zu Recht ist festgestellt worden: »Nicht-rechtliche Verhaltensnormen wie Sitten und Bräuche haben ihre verhaltenssteuernde und gesellschaftserhaltende Bedeutung mehr und mehr verloren« (Kötter 2003: 33). Auf welches Leitbild können sich in einer funktional differenzierten, kulturell pluralistischen Gesellschaft die Bürger noch verständigen? Welche gemeinsamen Vorstellungen teilen beispielsweise progressive Linksliberale und konservative Katholiken, sich entblößende Teilnehmer der love-parade in Berlin und fromme Lieder singende Teilnehmer der Fronleichnamsprozession in München? Diese Frage fängt beim Schutz des ungeborenen Lebens an und hört bei der »Homosexuellen-Ehe« nicht auf. Es bestehen jeweils fundamentale Differenzen über ein gutes Leben ebenso wie über das, was unter bonum commune verstanden wird. Zu Weltbildern, kulturellen Normen und zum Verständnis grundlegender Rechtsgüter werden sich hier wenige Überschneidungen feststellen lassen. Einigkeit muss nur darüber bestehen, dass die jeweiligen Gesetze in ihrer Eigenschaft als Gesetz zu respektieren sind, auch wenn sie inhaltlich kritisiert und bei vorhandenen Mehrheiten wieder geändert werden sollen. »Öffentliche Kritik bei gleichzeitigem Gehorsam gegen die Gesetze ist die einzige Weise, der Alternative zwischen dem Despotismus einer für unfehlbar erklärten Herrschaft (sei es monarchisch oder republikanisch) einerseits und dem Bürgerkrieg andererseits zu entgehen« (Spaemann 1994: 166f.). Das Bundesverfassungsgericht hat bei seiner Entscheidung zur Verleihung des Status der Körperschaft des öffentlichen Rechts an die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas festgestellt: »Jede Vereinigung hat, wie jeder andere Bürger auch, die staatsbürgerliche Pflicht zur Beachtung der Gesetze.«170 Darüber hinaus gehende Verpflichtungen seien allerdings mit dem Grundgesetz
—————— 170 BVerfGE, 2 BvR 1500/97 vom 19.12.2000, Abs.-Nr. 80, http://www.bundesverfassungs gericht.de/entscheidungen/rs20001219_2bvr150097.html
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nicht vereinbar, wobei das Gericht insbesondere zu Loyalitätsforderungen auf Distanz geht: »Von den korporierten Religionsgemeinschaften eine über die genannten Anforderungen hinausgehende Loyalität zum Staat zu verlangen, ist zum Schutz der verfassungsrechtlichen Grundwerte nicht notwendig und mit ihnen im Übrigen auch nicht vereinbar« (Abs. Nr. 92). »›Loyalität‹ ist ein vager Begriff, der außerordentlich viele Deutungsmöglichkeiten eröffnet bis hin zu der Erwartung, die Religionsgemeinschaft müsse sich bestimmte Staatsziele zu eigen machen oder sich als Sachwalter des Staates verstehen. Der Begriff zielt nämlich auch auf eine innere Disposition, auf eine Gesinnung, und nicht nur auf ein äußeres Verhalten« (Abs. Nr. 94).
Für Ausländer kann in diesem Zusammenhang kein strengerer Maßstab angelegt werden als für deutsche Staatsangehörige (Denninger 2002: 31ff.). Die Grundrechtsbindung des Staates gilt für beide gleichermaßen (Rossi 2007: 394f). Wenn der Staat mehr als Gesetzesgehorsam verlangt, besteht die Gefahr des Entgleisens zur »Gesinnungstyrannei«: »[…] wenn die Loyalität der Bürger sich gründet auf inhaltliche Zustimmung zu den Gesetzen des Staates, muss der Staat alles daransetzen, sich der Zustimmung zu versichern, und er müsste die Bekundung von Dissens in Bezug auf seine Gesetzgebung als Aufkündigung der Loyalität verstehen und als Aufforderung zum Ungehorsam verfolgen. Nur wo der Gehorsam gegen die Gesetze von der Zustimmung zu deren Inhalt unterschieden ist, nur dort kann jene Kritik an den Gesetzen freigegeben werden, die zu deren Verbesserung führen kann« (Spaemann 1994: 163).
Die Pflicht zur Rechtstreue lässt Glaubensüberzeugungen, politische Überzeugungen und Wertmaßstäbe unberührt. Hier hat der Staat nichts vorzuschreiben und nichts zu beurteilen. Der Staat ist nicht für das »Seelenheil« zuständig. Da sich der moderne Staat »mit keiner Religion mehr identifiziert, kann er Menschen jedweder Religion als seine Bürger akzeptieren, wie diese den Staat als ihre Heimstatt annehmen können« (Isensee 2004, Rn 96). Der Staat muss Gesetzesgehorsam forden, er wird jedoch dann zu einer Gesinnungsdiktatur, wenn er im Namen der Toleranz die Anerkennung bestimmter »Werte« verlangt, obwohl dafür keine gesetzliche Grundlage besteht. Ein Beispiel hierfür bietet der Fragebogen des Innenministeriums von BadenWürttemberg, der für Einbürgerungsbewerber entwickelt wurde. Frage 29 lautet: »Stellen Sie sich vor, Ihr volljähriger Sohn kommt zu Ihnen und erklärt, er sei homosexuell und möchte gerne mit einem anderen Mann zusammenleben. Wie reagieren Sie?«171 Tatsächlich haben staatliche Institutionen keinerlei Recht, die persönliche Haltung zu Fragen der Homosexualität abzufragen – weder von Muslimen, noch von Katholiken, noch von Personen anderer
—————— 171 Der Fragebogen war abgedruckt in: taz vom 4. Januar 2006: »Die Gesinnungsprüfung«
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Glaubensüberzeugung. So ist es nur konsequent, dass der »Lesben- und Schwulenverband« (LSVD) in einem »Migrationspolitischen Papier« verlangt, das Thema Homosexualität müsse »integraler Bestandteil von Sprach- und Integrationskursen werden«172 (Michalowski 2006b: 99). Diese Form staatlicher Ersatzreligion, die im Namen der Toleranz einen Katechismus aufstellt und Bekenntnisse aller Art verlangt (die Homosexualität ist nur eines von vielen denkbaren Themen) ist eine Spielart des Fundamentalismus und daher abzulehnen. Rechtstreue bedeutet, das Gewaltmonopol des Staates anzuerkennen und »Konflikte in den Bahnen des Rechts« auszutragen (Isensee 2004, Rn 93). Das bedeutet eine Absage an jede Form der Selbstjustiz. »Der Justizgewährleistungsanspruch ist der rechtsstaatliche Ausgleich für das Verbot, Richter in eigener Sache zu sein« (Isensee 2004, Rn 93). Selbstjustiz darf es im modernen Rechtsstaat nicht geben. Das gilt auch dann, wenn eine Handlung nach religiösem Verständnis als Verbrechen betrachtet wird (wie die »Satanischen Verse« von Salman Rushdie oder der Film »Submission« von van Gogh). Die Bereitschaft, Rechtsnormen des Aufnahmelandes zu befolgen, gehört zur »Grundvoraussetzung des Funktionierens rechtlich gesteuerter Gesellschaften […] Sie muss auch das Ziel sozialer, insbesondere kultureller Integration sein« (Kötter 2003: 38). In jeder Kultur gibt es (sich im Laufe der Zeit verändernde) Rechtsnormen, die von den Bewohnern verinnerlicht wurden. Daher können zugewanderte Personen »in Konflikte zwischen den von ihnen verinnerlichten Sozialnormen und den Handlungserwartungen unseres Rechts« geraten (ebd.: 39). Das gilt beispielsweise im kurdischen Bereich für die Einbindung in Stammes- und Verwandtschaftsbeziehungen, die Verpflichtung zu absolutem Gehorsam und weiter bestehenden Feudalstrukturen (Wehr 2000: 62ff.). Daraus resultieren Rechtsstrukturen und Rechtsvorstellungen, die mit den gegenwärtigen in westeuropäischen Ländern wenig gemein haben. Das gilt sowohl für die Schlichtungsinstanzen, die die Stämme herausgebildet haben und die bis heute zur sozialen Wirklichkeit in den Siedlungsgebieten gehören, als auch für das Familien- und Eherecht, die Blutrache, die Sippenhaft und die Ehrvorstellungen (ebd.: 72ff.; Baumeister 2007). Diese Formen und Normen der Konfliktaustragung finden sich (abgeschwächt und in Mischformen) bis heute auch in den ethnischen Kolonien in deutschen Großstädten wieder. In kollektivistisch orientierten Kulturen genießen abstrakte Rechtsnormen eine geringere Akzeptanz als in individualistisch orientierten (Bierbrauer 1998: 181; ders. 2006: 28ff.). Das gilt für den Zusammenhalt der Familie, der im
—————— 172 Beschluss des 18. LSVD-Verbandstages am 25. März 2006, http://typo3.lsvd.de/615.0.html [6. April 2006]
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Konfliktfalle höher als deutsche Rechtsvorstellungen bewertet wird. Es gilt auch für die Strafhöhe, wenn sie dem Prinzip der Vergeltung und der Rache und dem entsprechenden Rechtsempfinden nicht entspricht (Wehr 2006: 163) sowie für sehr viel stärkere Rolle »informeller Streiterledigungsverfahren« (Bierbrauer 1998: 182). Hier entstehen tief greifende Probleme, denn ohne die Bereitschaft, die Rechtsordnung zu akzeptieren, wird dem Rechtsstaat die Grundlage entzogen (Kötter 2003: 36). Hier muss von Zuwanderern zwingend ein erhebliches Maß an Anpassungsbereitschaft erwartet werden: »Der Zuwanderer ist deshalb gezwungen, charakteristische Elemente seiner Herkunftsidentität aufzugeben und sich dem Recht der Aufnahmegesellschaft zu unterwerfen. Das ist die Folge der Anerkennung des Rechts als Steuerungsmittel. […] Kulturelle Integration mit Mitteln des Rechts ist demnach möglich. Ihr Ziel ist die Gewährleistung der Rechtsbefolgung. Von der Vorstellung, dass dies unter Wahrung der kulturellen Identität des Zuwanderers erreicht werden könne, sollte man sich verabschieden« (ebd.: 46).
Ziel von Integrationspolitik muss in diesem Zusammenhang sein, dass Zuwanderer trotz anderer Sozialisation die deutschen Rechtsnormen befolgen (ebd.: 51). Hier haben die Integrationskurse eine wesentliche Aufgabe. Die im Grundgesetz verbürgte Religionsfreiheit gilt auch für nicht-christliche Religionen. Allerdings müssen ihre Anhänger die Religionsfreiheit ihrer Mitbürger anerkennen: Sie gilt uneingeschränkt auch für jene, die sich vom Islam abwenden (»Abfall vom Glauben«) und konvertieren oder sich von jeglicher Religion lossagen. Religionsfreiheit findet dort ihre Grenze, wo politisierte Religion, wie der Islamismus, Sonderrechte einfordert. Die unverzichtbare staatliche Rechtseinheit macht die Realisierung eines islamisches Zivilrechts, das sich an der Scharia als Rechtsordnung orientiert, in Deutschland unmöglich. Es wäre Ursache tief greifender Desintegration. Die friedensstiftende Kraft des Rechts ginge damit verloren. Deutsche Politik sollte gerade in diesem Zusammenhang unpräzise und zweideutige Formulierungen vermeiden, weil sie Missverständnisse von interessierter Seite provozieren. Etwa wenn die Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen formulierte: »So müssen wir uns z. B. mit den berechtigten Ansprüchen der islamischen Religionsgemeinschaften auseinandersetzen und gegebenenfalls unsere Rechtsvorstellungen ändern und anpassen« (Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen 2000: 203). In Indien ist die Einführung eines eigenen Zivilrechts für Muslime Quelle gewalttätiger Konflikte (Tibi 1998: 226). »In diesem Sinne verschafft sich die muslimische Minderheit ein Ghetto mit eigenen Rechtsstrukturen, was die Hindu-Mehrheit provoziert und zum Radikalismus treibt. Indische Hindus weisen jede Politik zurück, die den indischen Muslimen einen Sonderstatus einräumt –
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was parallel für die Mehrheit des indischen Staates erhebliche Konsequenzen hat« (ebd.: 232).
Antisemitische Ausfälle sind in Moscheen oder islamistischen Publikationen ebenso wenig hinnehmbar wie in nicht-islamischem Umfeld (u.a. Dantschke 2002; Gessler 2004: 49ff.). Die mindere Stellung der Frau, wesentlich aus der Scharia begründet, muss ebenfalls zurückgewiesen werden (u.a.: Schirrmacher/Spuler-Stegemann 2004: 186ff.). Gewalt gegen Frauen, Morde im Namen der Ehre sind keine typisch islamischen Phänomene, sie existieren auch in anderen Kulturkreisen (Schirrmacher/Spuler-Stegemann 2004: 204). Es kann aber nicht darüber hinweggesehen werden, dass auch im zeitgenössischen Islam in etlichen Ländern derartiger Gewalt zumindest Vorschub geleistet, wenn sie nicht sogar ausdrücklich gerechtfertigt wird (Schirrmacher/SpulerStegemann 2004: 208f.).
Kommunale Integrationspolitik Ethnische Kolonien sind dort, wo sie ethnisch-soziale Unterschichtenkonzentrationen bilden – wie gezeigt wurde –, in vielen Fällen zu Mobilitätsfallen und Sackgassen geworden. Sie bilden eine Integrationsbarriere. Es gibt daher für die Stadtpolitik gute Gründe, ethnisch-soziale Konzentrationen nicht hinzunehmen oder gar zu fördern. Es geht deshalb am Problem vorbei, wenn behauptet wird, diese sei allein auf Ressentiments der einheimischen Bevölkerung zurückzuführen: »Die Politik der Desegregation ist also letztlich nur mit den fremdenfeindlichen Empfindlichkeiten der Deutschen zu begründen, für die Zuwanderer selbst ist sie kaum hilfreich. […] die Städte sind auf Zuwanderung angewiesen, die Zuwanderer aber dürfen die real existierende Gemütlichkeit nicht stören und sollen deshalb keine sichtbaren Konzentrationen bilden« (Häußermann 1998: 149).
Hier bleibt unbeachtet, dass es die Mittel- und Oberschichten (sowie die Identitätspolitiker in den ethnischen Kolonien) sind, die von der ethnisch-sozialen Segregation profitieren. Sie können auf diese Weise von der vergrößerten Vielfalt des städtischen Waren- und Dienstleistungsangebots Gebrauch machen, gleichzeitig aber hinsichtlich Wohnen und Schule »unerwünschter« (weil anstrengender) Nachbarschaft aus dem Wege gehen. Die Wirklichkeit wird mit dem »Argument« der Fremdenfeindlichkeit auf den Kopf gestellt: Gerade in den ethnischen Kolonien bleiben die Zuwanderer weitgehend unter sich und sich selbst überlassen, sie »stören« auf diese Weise die besser gestellten einhei-
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mischen (und zugewanderten) Mittel- und Oberschichten nicht. Insofern ist Dangschat zuzustimmen: »Die Etablierten entziehen sich beiden Gruppen [marginalisierten Einheimischen wie Zuwanderern] durch residentielle Segregation (über Bildung und Einkommen) und reduzieren die Solidarität mit den ›nicht-etablierten Außenseitern‹ auf Bekundungen ihrer Einstellungen und selbst gesteuerte, gezielte Kontakte (vom Klönen mit der portugiesischen Putzfrau über den Einkauf beim türkischen Gemüsehändler, das Essengehen beim Italiener, Griechen, Chinesen oder Spanier bis zum Besuch der brasilianischen Bühnenshow)« (Dangschat 1998: 56).
Die ethnisch-soziale Segregation treibt den Wortführern ethnischer und religiöser Organisationen, die sich als Identitätswächter verstehen, ihre Klientel in die Arme. Hier finden sie ein jugendliches Publikum, dem sie mit ihren ethnisch-religiösen Identifikationsangeboten ein neues und stabilisierendes Selbstbewusstsein vermitteln können. Heitmeyer weist darauf hin, dass im Ergebnis »Menschen unter dem Deckmantel des ›Schutzes‹ und der kollektiven Identitätsentwicklung in neue religiös und politisch motivierte Abhängigkeiten manövriert werden« (Heitmeyer 1998: 455). Wer die Situation mittelfristig verbessern will, muss die bescheidenen Möglichkeiten kommunaler Politik nutzen, ethnisch-soziale Konzentrationen nicht noch weiter zu fördern (Dangschat 2004: 66ff.). In jüngster Zeit wird immer wieder dafür plädiert, die positiven Auswirkungen von Segregation in den Fokus zu rücken. Integrationspolitik müsse »mit einer verbreiteten Denkgewohnheit brechen, in dem sie davon ausgeht, dass eine räumliche Konzentration ethnischer Gruppen in einzelnen Stadtteilen unvermeidlich und daher zugelassen ist« (Schönig 2005: 199). Auch wird mit Hinweis auf Konflikt vermeidende Auswirkungen von Segregation, davor gewarnt, zwischen »einander fremden oder gar feindlich gesinnten Bevölkerungsgruppen« räumliche Nähe zu erzwingen (Häußermann/Siebel 2001: 48). Die Städte dürften – von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen – keineswegs über diese Möglichkeiten verfügen. Diese Argumentation weist, wie auch die Schlussfolgerung, in die falsche Richtung: »Nicht ein Zuviel, sondern ein Zuwenig an Segregation ist dann das Problem« (Häußermann/Siebel 2001: 48). Die Hinweise auf die Segregation von Oberschichten (zugewanderten und einheimischen), die nicht als Problem eingeschätzt und deshalb hingenommen wird (ebd.: 51), führen auch nicht weiter. Insgesamt sind sie Ausdruck einer Widersprüchlichkeit: Einerseits wird dafür plädiert, auch positive Effekte von Segregation wahrzunehmen und zu fördern, andererseits wird (zu Recht) eine möglichst breite soziale Mischung in Großsiedlungen gefordert (ebd.: 65ff.). Das zentrale Problem der Kommunen ist die Überlappung von ethnischer und
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sozialer Segregation, die zu Armutsvierteln mit starken ethnischen Komponenten geführt hat (ebd.: 63). Die Kommission »Zuwanderer in der Stadt« empfiehlt, von dem Ziel einer räumlichen Mischung von Zuwanderern und Einheimischen abzurücken, da die Segregation ohnehin nicht mehr abzuwenden sei. Deshalb wird die integrationshemmende Funktion ethnischer Kolonien der Einfachheit halber geleugnet: »Auch in Deutschland findet eine räumliche Konzentration von Zuwanderern in den Städten statt und ist letztlich nicht zu verhindern. Zu einem gewissen Teil sollte sie auch nicht verhindert oder behindert werden. Wir müssen uns von der Vorstellung lösen, dass die ›Mischung‹ von Zuwanderern und Einheimischen in den Wohnquartieren der Städte ein handhabbares Instrument zur Integration der Zuwanderer in der Aufnahmegesellschaft ist. Freiwillige ethnische Segregation ist weder zu vermeiden noch ist sie von vornherein schädlich für eine erfolgreiche Integration von Zuwanderern« (Schader-Stiftung 2005: 19).
Häußermann und Siebel hatten bereits 2001 (81) ein ähnliches Plädoyer vorgetragen: »Die Stadtpolitik sollte freiwillige Segregation nicht bekämpfen wollen, sollte Abstand nehmen vom illusorischen und schädlichen Ziel einer Verteilung der Zuwanderer über das Stadtgebiet […]«. Häußermann/Kronauer/ Siebel (2004:27) stilisieren das Kriterium der »Freiwilligkeit« von Segregation zum entscheidenden Kriterium einer Bewertung: »Eine räumlich segregierte Kultur kann also sowohl Ressource als auch Fessel sein. Das ist einerseits abhängig von der Dauer der Existenz einer solchen Subkultur, andererseits und insbesondere aber davon, ob die Bewohner freiwillig oder gezwungen in einem solchen Ghetto leben. Bei unfreiwilliger Konzentration führt die Kolonie zu erzwungener Isolation, weil sie auch diejenigen gefangen hält, die sich entfernen und in die Mehrheitskultur integrieren wollen«.
Dem ist entgegenzuhalten: Was heißt hier »Freiwilligkeit«? Zu Recht wird immer wieder darauf verwiesen, dass Zuwanderer mittels Mechanismen des Wohnungsmarktes und Diskriminierung in sozial schwache Viertel gedrängt wurden. So wenig wie die Segregation in der Entstehungsphase der ethnischen Kolonien in erster Linie aus freiem Willen erfolgte, so wenig handelt es sich heute um einen Ausdruck der freien Entscheidung der Zuwanderer und ihrer Nachkommen: Entweder werden sie in die ethnischen Kolonien hineingeboren, mit geringen Chancen, sie in Richtung Mehrheitsgesellschaft zu verlassen, oder sie werden aus den Herkunftsländern nachgeholt, womit die kulturelle Dominanz im Wohnquartier langfristig aufrecht erhalten wird. Die »Freiwilligkeit« ist ein denkbar ungeeignetes Kriterium, um zwischen positiven oder mindestens hinnehmbaren Folgen ethnisch-sozialer Konzentrationen und sol-
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chen Konsequenzen (einschließlich unintendierter Folgen), die im Interesse des bonum commune, vermieden werden müssen, zu unterscheiden.173 Der Leiter der Stadtentwicklungsplanung der Stadt München, Stephan Reiß-Schmidt, hat derartige Vorschläge als realitätsfern und kontraproduktiv kritisiert und betont, dass am »Ziel der Mischung von Zugewanderten und Einheimischen in Wohnquartieren, in Kindergärten und Schulen, am Arbeitsund Ausbildungsplatz« festgehalten werden müsse (Reiß-Schmidt 2006: 2). »›Freiwillige‹ und ›maßvolle‹ Segregation mit differenzierten Erwägungen zu akzeptieren kann also bedeuten, eine schließlich nicht mehr zu stoppende Spirale der räumlichen und sozialen Trennung in Gang zu setzen – vor allem, wenn durch Engpässe des Wohnungsmarktes, Arbeitslosigkeit und fehlende Ausbildungsplätze für Jugendliche ethnische und soziale Benachteiligungen kumulieren. Die Vorteile stabilisierender ethnischer Netzwerke können dann eher zu zusätzlichen Integrationsbarrieren werden« (Reiß-Schmidt 2006: 2).
Einer Segregation kann nur mit Aussicht auf Erfolg entgegengewirkt werden, wenn die verschiedenen Ebenen – Bund, Länder, Kommunen – auf den verschiedenen Feldern der Arbeitsmarkt-, der Bildungs- und der Wohnungspolitik zusammenwirken (Häußermann/Siebel 2004b: 77).
Finanzielle Handlungsfähigkeit Historisch betrachtet haben Städte stets auf Zuwanderungsdruck in zwei Phasen reagiert: Zunächst wurde versucht, dem Problem durch Schließung Herr zu werden. Das gilt sowohl für die starke Binnenwanderung in der Mitte des 19. Jahrhunderts, von der die Städte überfordert waren (Reulecke 1985: 24f.; Borscheid 1979: 33ff.), für die zerstörten Städte nach dem Zweiten Weltkrieg, in die unter anderem Vertriebene drängten (wie Bremen, Kossert 2008: 52), als auch für die Phase des Niederlassungsprozesses der »Gastarbeiter« und ihrer Familien in den 1970er Jahren, auf die mit Zuzugssperren reagiert wurde. In allen Fällen erwiesen sich die Versuche der Schließung als rein defensive Reaktionen und damit als inadäquat angesichts der Dimension der zu bewältigenden Probleme. Deshalb orientierten sich die Städte in einer zweiten Phase um und versuchten die neue städtische Wohnbevölkerung einzugliedern (wie durch die Entwicklung einer kommunalen Sozialpolitik in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert, Kapitel 3). Die deutschen Städte und Ballungszentren sind mit den Folgen der Zuwanderung aus den Anwerbestaaten der sechziger und siebziger Jahre ebenso
—————— 173 Häußermann/Siebel (2007: 111) haben jüngst konzediert, dass »freiwillige Segregation […] faktisch nur schwer von der erzwungenen zu unterscheiden ist«.
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konfrontiert wie mit den Folgen des großen Aufkommens an Asylbewerbern in den 1980er und 1990er Jahren. Die Folgen einer vorwiegend an den Interessen der Großindustrie ausgerichteten Arbeitszuwanderung der 1960er Jahre sind angesichts des wirtschaftlichen Strukturwandels und einer Erosion hunderttausender Arbeitsplätze (insbesondere in altindustriellen Räumen) (Gaebe 2004: 108ff.), eine hohe Arbeitslosigkeit und entsprechende überdurchschnittliche Sozialhilfelasten bei gleichzeitigen Einnahmeverlusten vor allem beim Steueraufkommen. Vor dem Hintergrund tief greifender sozialer Umstrukturierungsprozesse in den Städten verschärft die Zuwanderung die aktuellen Probleme der Kommunen. »Es kommen Menschen ohne Aussicht auf Arbeit. Arbeitslosigkeit und Verarmungsprozesse könnten die bislang hohe Integrationskraft der Städte zunehmend in Frage stellen, Phänomene der Globalisierung erschweren lokale Handlungsansätze. Die Zuwanderung fällt heute mit Problemen zusammen, die der Wandel für die Städte mit sich bringt« (Brech 1997: 16f.).
Deindustrialisierung und ständig an Geschwindigkeit gewinnende Rationalisierung führen zu einer strukturellen Arbeitslosigkeit. Der Wandel hin zur Dienstleistungsgesellschaft kann die weggefallenen Arbeitsplätze im industriellen Sektor nicht kompensieren. Auch deshalb nicht, weil die neuen Arbeitsplätze Qualifikationen erfordern, über die die Zuwanderer häufig nicht verfügen. »Fallen Arbeitsplätze im produzierenden Gewerbe weg, so verlieren mehr Ausländer ihr Beschäftigungsverhältnis als Deutsche. Gelingt der Stadt hingegen eine wirtschaftliche Revitalisierung zugunsten neuer Industrien und einem Ausbau des Dienstleistungssektors, so haben sie wiederum aufgrund ihrer mangelnden Qualifikation geringe Chancen, eine neue Anstellung zu finden« (Friedrichs 1998: 253).
Mit dem sich dramatisch verschlechternden Arbeitsmarkt sind die Integrationschancen rapide gesunken. Die allgemein zunehmenden sozialen Spaltungsprozesse in den Städten sind einerseits deren Ursache, verstärken diese andererseits wiederum (Häußermann 1998: 159ff.; Anhut/Heitmeyer 2000: 27ff.). Die Steuerungskapazitäten der Kommunen nehmen ab, das Konfliktpotential nimmt zu. Kommunen haben kein institutionalisiertes Mitwirkungsrecht auf Bundesebene, ihr Gewicht in der vertikalen Gewaltenteilung ist schwach. Dabei nehmen sie heute den Hauptteil der Verwaltungsaufgaben wahr. Zwei Drittel der staatlichen Investitionen werden von Kommunen getätigt, 75 bis 90 Prozent der ausführungsbedürftigen Bundesgesetze werden in den Kommunen implementiert, mehr als zwei Drittel der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes sind bei den kommunalen Arbeitgebern des öffentlichen Dienstes beschäftigt. Zudem sieht das Grundgesetz (Art. 28) nicht nur das
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Demokratiegebot für die Gemeinden vor, sondern postuliert mit dem Örtlichkeits- und Universalitätsprinzip eine »Allzuständigkeit«, die nach dem Eigenverantwortlichkeitsprinzip ausgefüllt werden soll. Gemeinden haben keine originäre Staatlichkeit und Staatsgewalt, sie bilden keine eigenständige staatliche Ebene neben Bund und Ländern. Staatsrechtlich sind sie Teil der Exekutive der Länder. In dieser Position sind sie stark mit anderen Akteuren verflochten und von deren Entscheidungen abhängig. Kommunen können ihre Einnahmen nur in geringem Umfang selbst gestalten – darüber entscheiden die Länder (kommunaler Finanzausgleich) und der Bund (Bogumil/Holtkamp 2006: 52ff., 131ff.). Gleiches gilt für die Ausgaben: Kommunen können weder den Umfang ihrer Pflichtaufgaben definieren, noch können sie sich den Mega-Trends entziehen – den Folgen des Strukturwandels am Arbeitsmarkt und der Mobilität international tätiger Unternehmen, die ihre Exit-Optionen nutzen. Das gilt ebenso für die verschiedenen Zuwanderungsphasen, die vor allem auf der Ebene des Bundes zu verantworten waren, denen sich aber vor allem die Städte ausgesetzt sahen: die »Kommunalisierung der Folgekosten von Zuwanderung« (Bommes 2007a: 115; von Loeffelholz 2008). Für die Finanz-, Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik zeichnet in erster Linie der Bund verantwortlich, so dass die Bundespolitik maßgeblich die Ausgabenstruktur von Städten beeinflusst. Die Bedingungen struktureller Integration (bzw. ausbleibender Integration) werden im Regelfall von anderen Institutionen im politischen Mehrebenensystem gestaltet. Kommunalpolitik nimmt dennoch Einfluss auf die soziale und strukturelle Integration von Zuwanderern. Das gilt hinsichtlich des Wohnumfeldes, schulischer und vorschulischer Integration, der Umsetzung staatlicher Leistungsgesetze und der (nicht zu unterschätzenden) Förderung zivilgesellschaftlicher Initiativen. Zudem haben die Kommunen seit Beginn der 1990er Jahre das Thema »Integration von Zuwanderern« explizit bearbeitet – durch die Schaffung eigener Verwaltungseinheiten (Ämter, Dezernate) mit Querschnittsaufgaben und durch die Entwicklung von Handlungskonzepten (Baraulina/ Friedrich 2008: 300ff.). Seit 2005 (Arbeitsmarktreform) übernehmen die Kommunen zusammen mit den lokalen Agenturen für Arbeit oder in getrennter Trägerschaft die Betreuung der Bezieher des Arbeitslosengelds Zwei, die vorher überwiegend Arbeitslosen- oder Sozialhilfe erhielten. Mit der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe für erwerbsfähige Personen wurden die Kommunen zumindest von Kosten der Zuwanderung zu großen Teilen entlastet (Bommes 2007a: 115). Die im Zuwanderungsgesetz vorgesehenen Sprach- und Integrationskurse werden durch den Bund finanziert und organisiert (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge).
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Die Kommunen werden dabei von staatlichen und von EU-Programmen unterstützt (Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration 2005: 128ff.). Das bedeutet, dass in erster Linie finanzielle Mittel für bauliche Investitionen bereitgestellt werden, wie sie vor allem die Gebiete im Bund-Länder-Programm »Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – die soziale Stadt« erhalten haben (Häußermann 2005). Die bauliche Aufwertung, die dem Eindruck der Verwahrlosung und der Abkoppelung von »besseren« Wohngebieten entgegenwirkt, ist nicht zu unterschätzen (ebd.: 83). Bauliche Mittel können allerdings die Auswirkungen zunehmender sozio-ökonomischer Polarisierung nicht wettmachen. »Wenn sich die Schere der Einkommen und Vermögen öffnet und der Arbeitsmarkt für sozial benachteiligte Gruppen allenfalls für prekäre Jobs offen ist, dann wird sich das in Großstädten immer wieder in Armutsgebieten zeigen – und diese sind immer wieder die gleichen, auch wenn sie über Jahre hinweg thermo-saniert, begrünt, verkehrsberuhigt und über Beteiligungsverfahren den Quartiersplatz gestaltet bekommen haben« (Dangschat/ Hamedinger 2007: 227f.).
Es reicht nicht aus, neue Stadtteilzentren zu errichten, es muss vor allem in den vorschulischen Einrichtungen ausreichend Personal vorhanden sein, um gerade jenen Kindern, deren Eltern nicht über ausreichende Ressourcen verfügen, bessere Startchancen zu geben. Hier ist festzustellen, dass in den allermeisten Kommunen eher Personal abgebaut wird. Um der sozialen Polarisierung und interethnischen Konflikten entgegenzuwirken, sind erhebliche finanzielle Anstrengungen unumgänglich. Bund, Länder und Kommunen benötigen dafür eine solide finanzielle Basis. Die Kommunen befanden sich aber über viele Jahre in einer schweren Finanzkrise. Steigende Sozialausgaben und über Jahre sinkende Einnahmen haben die Defizite in den städtischen Verwaltungshaushalten auf Rekordniveau ansteigen lassen (Gemeindefinanzbericht 2005: 5ff.). Die Zahl der Städte, Gemeinden und Kreise in Nordrhein-Westfalen, die sich in der »Haushaltssicherung« befinden, hat sich im Zeitraum von 2000 bis 2005 verdoppelt – von 99 auf 198. Damit waren die Fehlbeträge bei nahezu jeder zweiten Gemeinde so hoch, dass sie ein genehmigungspflichtiges Haushaltssicherungskonzept aufzustellen hatten. Zu Beginn des Jahres 2009 lag die Zahl bei 104 Städten und Gemeinden des Landes Nordrhein-Westfalen, die eine vorläufige Haushaltswirtschaft ohne rechtsgültigen Haushalt führen.174 Starke Einschnitte bei den Investitionen und beim Personal gehören zu den Folgen. Die Konsolidierungspotentiale der kommunalen Haushalte sind in vielen Fällen bereits ausgeschöpft (Bogu-
—————— 174 Kommunalhaushalte: Haushaltssanierung und vorläufige Haushaltswirtschaft, http://www. im.nrw.de/bue/280.htm [26. Februar 2009]
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mil/Holtkamp 2006: 133). Die Kommunen, die bereits viel in Sachen Integration leisten (Bertelsmann-Stiftung/Bundesministerium des Inneren 2005), können so ihren Aufgaben, die in gesamtstaatlichem Interesse liegen, nicht gerecht werden. So nehmen die Handlungsnotwendigkeiten zu, während gleichzeitig die Handlungsmöglichkeiten zurückgehen. Konnten die Städte jahrzehntelang ein Wachstum von Bevölkerung und Arbeitsplätzen (und damit auch von Einnahmen) verzeichnen, so zeigt sich hier seit den 1980er Jahren eine grundlegende Wende (Häußermann 1998: 159ff.). Dabei ist die Situation der Kommunen sehr unterschiedlich – je nach Größe und nach Lage in strukturschwachen oder strukturstarken Gebieten. Diese Disparitäten haben zugenommen und stellen ein grundsätzliches Problem dar (Gemeindefinanzbericht 2008: 5; Junkernheinrich/Micosatt 2008: 16ff.). Besonders stark betroffen sind die strukturschwachen Großstädte. Der wirtschaftliche Strukturwandel verbunden mit dem großflächigen Wegbrechen von Arbeitsplätzen im sekundären Sektor, sozial selektive Umlandwanderungen durch Suburbanisierung, die Sammlung von Modernisierungsverlierern in den Städten, zurückgehende Geburtenraten und infolge dessen steigende Ausgaben bei zurückgehenden Steuereinnahmen. Hinzu kommt eine Politik der Privatisierung, die die Steuerungsmöglichkeiten zunehmend einschränkte: Hier ist vor allem auf die Privatisierung kommunaler Wohnungsbestände zu verweisen. Sie hat die Möglichkeiten der Stadtverwaltungen stark reduziert, zu einer sozialen Mischung der Wohnbevölkerung beizutragen (Häußermann 1998: 162ff.; 167ff.). Jährlich fallen mehr als 100.000 Wohnungen aus der Sozialbindung heraus, innerhalb von rund 20 Jahren (1980 und 1999) ist die Zahl von vier auf 1,9 Millionen gesunken (Häußermann/Kronauer/Siebel 2004: 31f.; Holm 2008). Häußermann und Siebel ist zuzustimmen: »Ein marktfernes Segment der Wohnungsversorgung, möglichst dezentral organisiert, ist eine wichtige Ressource der städtischen Integrationspolitik. Globalisierung des deutschen Immobilienmarkts bedeutet auch eine Verengung des Handlungsspielraums einer städtischen Integrationspolitik« (Häußermann/Siebel 2007: 117). Je geringer die Zahl der Sozialwohnungen ist, desto größer ist die Gefahr, dass die verbliebenen sich in Großwohnanlagen konzentrieren, was wesentlich zur Verstärkung ethnisch-sozialer Unterschichtenkonzentration beiträgt (Gestring/ Janßen/Polat 2006: 110).
Arbeitsmarktpolitik Ein immer größerer Teil der arbeitsfähigen Bevölkerung wird – spätestens seit Beginn der 1990er Jahre – dauerhaft vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen. Das
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gilt für viele europäische Länder, wie unter anderem für Frankreich (Estèbe 2005: 94ff.). Seit Mitte der 1970er Jahre hat sich die Zuwanderung in die Bundesrepublik Deutschland vom Bedarf des Arbeitsmarktes abgekoppelt. Zuwanderer weisen seitdem überdurchschnittlich hohe Arbeitslosenquoten auf (Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2007: 244). Die Arbeitslosenquote türkischer Staatsangehöriger liegt seit Ende der 1970er Jahre an der Spitze der größeren Zuwanderergruppen (ebd.: 245). Die Bundesrepublik verzeichnete in den vergangenen Jahren mehr als eine halbe Million arbeitsloser ausländischer Arbeitnehmer (644.000 im Durchschnitt des Jahres 2006) (Bundesagentur für Arbeit 2007: 25), zuzüglich noch einmal rund 300.000 Personen aus der »stillen Reserve« (Fuchs/Weber 2005: 60). Dies geht vor allem auf den Abbau von industriellen Arbeitsplätzen zurück, die in erster Linie von un- und gering qualifizierten Arbeitnehmern besetzt wurden. Die Strukturveränderungen auf dem Arbeitsmarkt wirken sich vor allem für Zuwanderer nachteilig aus. Schulische und berufliche Qualifikation sind für die Integration in den Arbeitsmarkt von zentraler Bedeutung. Die Integration von Zuwanderern aus Drittstaaten in den Arbeitsmarkt geht seit Jahren zurück. Aufgrund der spezifischen Altersstruktur werden in den kommenden Jahren allerdings wesentlich mehr Ausländer (vor allem türkische Staatsangehörige) in den Arbeitsmarkt eintreten als aus Altersgründen ausscheiden. Als ein seit Jahrzehnten gültiger Erfahrungssatz des deutschen Arbeitsmarktes gilt: »Niedrige Qualifikation – hohes Arbeitsmarktrisiko« (Reinberg/Hummel 2005: 1). Im Jahr 2005, so das IAB, lag die Arbeitslosenquote bei den Geringqualifizierten mit 26 Prozent fast drei Mal so hoch wie bei Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung (9,7 Prozent) und über sechs mal höher als bei den Akademikern (Reinberg/ Hummel 2007: 5). Reinberg/Hummel (2005: 3) kommen zu dem Schluss: »Weder ein Niedriglohnsektor noch ein Wirtschaftswachstum in realistischen Größenordnungen allein werden die Probleme der Geringqualifizierten auf dem Arbeitsmarkt lösen können.« Für immer größere Gruppen der Gesellschaft, häufig mangelhaft qualifizierte Zuwanderer und ihre Nachkommen, stehen aufgrund des Strukturwandels keine Arbeitsplätze zur Verfügung. Ein öffentlich geförderter Arbeitsmarkt wird immer mehr an Bedeutung gewinnen. Der Ausbau eines zweiten und vor allem dritten Arbeitsmarkts ist für diese Gruppen deshalb unverzichtbar. Immer wieder wird behauptet, der Arbeitsmarkt bedürfe zusätzlicher Arbeitskräfte und deshalb müsse es weitere Zuwanderung geben. So empfehlen internationale Gremien bis heute das »Rotationsprinzip« (Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen 2005: 17). Auch die EU-Kommission spricht sich für eine intensivierte »Politik zur Anwerbung von Wirtschafts-
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migranten und zur Erleichterung ihrer Aufnahme« aus175 (Luft 2007a). Das ist angesichts der genannten Zahlen unplausibel. Deshalb müssen die Mitgliedstaaten selbst darüber entscheiden, ob und wenn ja, in welchem Umfang sie Drittstaatsangehörigen den Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen. Die erste Aufgabe muss darin bestehen, den hier bereits lebenden Zuwanderern den Eintritt in gesicherte Beschäftigungsverhältnisse zu ermöglichen. »Es ist nicht mehr die Frage, ob und wie viele qualifizierte Zuwanderer wir benötigen. Gesellschafts- und wirtschaftspolitisch geht es heute in erster Linie darum, die zu qualifizieren, das heißt mit Eintrittskarten für Wirtschaft und Gesellschaft auszustatten, die schon da sind« (Strohmeier 2002: 62). Dazu müssen in erster Linie die Qualifizierungsdefizite überwunden werden. Ein Akademikermangel kann nur dann verhindert werden, wenn die ausscheidenden geburtenstarken Jahrgänge durch deutlich besser qualifizierte geburtenschwächere Jahrgänge ersetzt werden (Biersack/Kettner/Schreyer 2007: 5). Dies setzt eine Bildungsexpansion voraus, die noch aussteht. »Arbeitsmarktorientierte Zuwanderung sollte weiterhin nicht generell als Ausgleich für Versäumnisse in der Bildungspolitik fungieren […]«, stellt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung fest (2002: 4). Eine zunehmende Zuwanderung Geringqualifizierter würde Verdrängungsprozesse auf dem Arbeitsmarkt verstärken, die Konkurrenz im Niedriglohnsektor und bei den »prekären Beschäftigungsverhältnissen« verschärfen. Insgesamt ist festzustellen: »Ein Großteil der Stadtbewohner ist ökonomisch entbehrlich geworden. Sie haben gleichsam keinen Gegner mehr, der sie respektieren müsste, weil er auf sie auch angewiesen ist, und damit wird ihnen in einer Arbeitsgesellschaft auch die soziale Anerkennung verweigert« (Häußermann/Kapphan 2004: 210). Für immer größere Gruppen der Gesellschaft, häufig mangelhaft qualifizierte Zuwanderer und ihre Nachkommen, stehen aufgrund des Strukturwandels keine Arbeitsplätze zur Verfügung. Ein öffentlich geförderter Arbeitsmarkt wird daher immer mehr an Bedeutung gewinnen. Der Ausbau eines zweiten und vor allem dritten Arbeitsmarkts ist für diese Gruppen deshalb unverzichtbar176 (Dörre 2007: 24f.).
—————— 175 Europäische Kommission KOM(2004) 811 endgültig: Grünbuch über ein EU-Konzept zur Verwaltung der Wirtschaftsmigration, Brüssel: 13 176 Deutscher Caritasverband 2006: Stellungnahme zur Anhörung der »AG Arbeitsmarkt« zum Thema »Dritter Arbeitsmarkt« am 18. Oktober 2006.
7. Schluss: Integrationspolitischer Realismus »Es muss also die Frage erlaubt sein, warum bei der Überschreitung einer Menge Feinstaubs oder der Lärmbelästigung eine ganze Apparatur gesetzlicher Verordnungen, Investitionen in Anlagen und technologischer Innovationen greift, während eine Polarisierung der Gesellschaft (beispielsweise durch Schwellenwerte einer nicht zu überschreitenden Arbeitslosigkeitsquote, der Drop-Out-Quote des Bildungssystems oder der Konzentration sozial benachteiligter Gruppen in Wohnquartieren) schulterzuckend oder ›mit Besorgnis‹ oder ›mit Bedauern‹ zur Kenntnis genommen werden, ohne dass die Ursachen hierfür bekämpft werden« Jens S. Dangschat und Alexander Hamerdinger
Integration hängt wesentlich von den sozioökonomischen Mega-Trends ab. Von ihren Auswirkungen sind die sozial schwachen Einheimischen und die sozial schwachen Zuwanderer besonders betroffen. Bei Letzteren kommen noch spezifische – mit der Wanderung im Zusammenhang stehende – Aspekte hinzu: Durch Migration wird das mitgebrachte Humankapital entwertet – das gilt für die Sprache und für die Einbindung in soziale Netzwerke. Zudem fehlen Ressourcen, die spezifisch für das Aufnahmeland sind: dort anerkannte Abschlüsse, Informationen über Bildungswege, über notwendige Investitionen in (vor-)schulische Bildung, kulturelles Wissen (Diefenbach 2008: 103; Becker 2007: 26). Hinzu kommen (unterschiedlich ausgeprägte) soziale Distanzen, kulturelle Präferenzen (Konservierung einer Herkunftsidentität) sowie Aspekte der Wanderungsgeschichte,177 die eine erfolgreiche Integration einzelner Gruppen besonders erschweren können. Integrationspolitik muss auch berücksichtigen, dass Integration im städtischen Kontext nur durch einen verstärkten innerstädtischen Lastenausgleich erreicht werden kann. Integrationspolitischer Realismus lässt nicht aus dem Auge, dass auch ein demokratischer Staat nicht auf Identifikation verzichten kann. Eine Voraussetzung besteht darin, den legitimen Anspruch von Zuwanderern anzuerkennen, dass ihr »kulturelles Gepäck« nicht missachtet wird. Bei aller Rhetorik zu Multikulturalität, Identität von Zuwanderern und gegenseitigen Aufeinanderzugehens muss Integrationspolitik schließlich beachten, dass auch einheimische Mehrheiten (die selbstverständlich keine homogene Einheiten darstellen) Rechte haben und dass ihre Veränderungsbereitschaft (gerade in Zeiten der Globalisierung) nicht überfordert wird. Entsprechend muss auch die Zuwan-
—————— 177 Wie bei der türkischen Gruppe unter den »Gastarbeitern«, die als letzte der großen Gruppen kam und deren Angehörige daher mit jenen Arbeitsplätzen und Wohnungen vorlieb nehmen mussten, die von den früher Angeworbenen noch nicht besetzt worden waren (Esser 1983b: 175; Mehrländer 1981: 86).
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derung gesteuert werden. Integrationspolitischer Realismus verzichtet daher ebenso auf ressentimentgeladene Skandalisierung wie auf multikulturalistische Stereotypisierung.
Sozioökonomische Rahmenbedingungen Unter den großen Volkswirtschaften weist Deutschland die höchste Belastung der Arbeitseinkommen durch direkte Steuern und Sozialabgaben auf. Gleichzeitig unterliegen Gewinn- und Vermögenseinkommen der niedrigsten Abgabenquote innerhalb der Europäischen Union. Dieses starke Ungleichgewicht wird nach Angaben der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) auch daran deutlich, dass Kapitalgesellschaften in Deutschland im EU-Vergleich den niedrigsten Steuerbelastungen ausgesetzt sind. Das liegt auch daran, dass neben gesetzlichen Steuervergünstigungen die zu versteuernden Gewinne durch legale »Gestaltungsmöglichkeiten« klein gerechnet werden können (Schäfer 2007: 2ff.). Die Nettoeinkommen der privaten Haushalte sind seit Anfang der 1990er Jahre gesunken (Datenreport 2008: 149). Bei den Lohneinkommen ist noch zu berücksichtigen, dass die Diskrepanz zwischen hohen und niedrigen Einkommen in vergangenen Jahren stark gewachsen ist – stärker als unter anderem in den USA. Ein realer Anstieg ist nach Berechnung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW 2007) fast nur bei hohen und höchsten Einkommen zu verzeichnen. Die Gesellschaft spaltet sich immer stärker, die Gruppen, die dauerhaft an den Rand gedrängt und von wichtigen Teilhabechancen ausgeschlossen werden, werden immer größer. Von der allgemein feststellbaren wirtschaftlichen und sozialen Auseinanderentwicklung in Deutschland sind Zuwanderer am stärksten betroffen (DIW 2005). Eine Studie zur Einkommensentwicklung in Deutschland kommt 2008 zu folgenden Ergebnissen: »Seit Mitte der 1980er Jahre hat sich die Einkommensposition von Migranten spürbar verschlechtert, während sich die von Ansässigen verbessert hat. 2006 hatten Menschen mit Migrationshintergrund nicht nur ein deutlich geringeres Einkommen als Ansässige, real stand ihnen sogar weniger zur Verfügung als 1986. […] das Medianeinkommen von Migranten [ging] von 1986 bis 2006 um zwei Prozent zurück. Von 1996 bis 2006 nahm es sogar um sieben Prozent ab. Dagegen erhöhte sich das Einkommen Ansässiger reichlich um ein Viertel. Die Einkommensschere zwischen beiden Bevölkerungsgruppen öffnete sich. […] von 1986 bis 2006 [nahm] der Anteil einkommensschwacher Migranten von knapp 28 auf 44 Prozent zu. Dagegen blieb der Anteil einkommensschwacher Ansässiger mit reichlich 19
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Prozent praktisch unverändert. 2006 hatten Migranten mehr als doppelt so häufig ein geringes Einkommen wie Ansässige.« (Miegel/Wahl/Schulte 2008: 31)
Die Zahl der Migranten in Deutschland wuchs zwischen 1996 und 2006 um 3,5 Millionen. »Die Zahl einkommensschwacher Migranten nahm um 2,9 Millionen, die Zahl einkommensstarker um 0,6 Millionen zu. Im mittleren Einkommensbereich blieb ihre Zahl unverändert. Von den 2,9 Millionen einkommensschwachen Migranten, die zwischen 1996 und 2006 kamen, waren rund zwei Drittel Paare mit Kindern. Diese Kinder stellten 82 Prozent der seit 1996 hinzugekommenen Kinder in einkommensschwachen Haushalten« (ebd.: 9). Zu berücksichtigen sind hierbei die großen Unterschiede zwischen den einzelnen Gruppen (bezogen auf die Herkunftsregionen). So verfügen mehr als die Hälfte der Zuwanderer aus Drittländern und über 40 Prozent der Migranten aus der Türkei und dem ehemaligen Jugoslawien über Einkommen in der niedrigsten Gruppe. Am besten schneiden Zuwanderer aus westlichen Ländern ab (allerdings gilt das nicht für jene aus den ehemaligen Anwerbestaaten Italien, Spanien, Portugal und Griechenland) (DIW 2005: 83f.). Die großen Städte werden in Zukunft ihre geschichtliche Rolle als »gigantische Integrationsmaschinen« (Häußermann/Oswald 1997: 11) nur mehr sehr eingeschränkt übernehmen können. Gleichzeitig wird die Zahl marginalisierter Bewohner – sowohl einheimischer wie ausländischer – erheblich zunehmen. Bei wachsenden sozialen Problemen und sinkender Aufnahmekapazität des Arbeitsmarktes spricht Vieles dafür, dass sich die Konflikte in den Städten weiter verschärfen werden. Gleichzeitig verlieren diese zunehmend die politische und ökonomische Kraft, die Konflikte einzugrenzen oder gar zurückzudrängen. »In der Vergangenheit war Armut in den westlichen Metropolen entweder ein Rückstand oder konjunkturbedingt. Sie war ein auf die Arbeiterklasse beschränktes Phänomen ohne besondere geographische Verteilung und schien durch weiteres Wirtschaftswachstum überwindbar. Heute dagegen haben wir es allem Anschein nach mit einer immer langfristigeren, wenn nicht sogar bleibenden Armut zu tun, die von allen makroökonomischen Trends abgekoppelt ist. Sie hat sich in jenen berüchtigten ›Verbanntenvierteln‹ festgefressen, in denen sich soziale Isolation und Entfremdung gegenseitig verstärken, während die Kluft zwischen der dort deponierten Bevölkerung und dem Rest der Gesellschaft wächst« (Wacquant 2001: 21).
Wacquant (2001: 25) sieht eine doppelte Transformation der Arbeitswelt als Ursache: »Einer dieser beiden Prozesse ist quantitativer Natur und besteht in der Vernichtung von Millionen von Arbeitsplätzen für Geringqualifizierte, die dem doppelten Druck der Automatisierung und der Konkurrenz ausländischer Arbeitnehmer weichen müssen. Der andere Prozess ist qualitativer Natur und umfasst die Verschlechterung und Entstrukturierung der
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Grundbedingungen von Arbeit, Bezahlung und Sozialversicherung für alle bis auf einen kleinen Teil extrem gut abgesicherter Arbeitskräfte«.
So wächst in den Städten der Anteil jener, die von Wacquant (2001: 25) als »absolute Überschussbevölkerung« bezeichnet werden – die auch bei anziehender Konjunktur keine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben (Nullmeier 2003: 183). Deshalb müssen erhebliche Anstrengungen unternommen werden, nicht nur berufsbezogene Deutschkenntnisse zu vermitteln, sondern auch ergänzende Hilfen zur beruflichen Qualifizierung anzubieten (Decke 2007). Darüber hinaus muss – wie bereits dargelegt – auf den Ausbau des zweiten und dritten Arbeitsmarkts gesetzt werden. Durch die gegenwärtige Weltwirtschaftskrise werden massenhaft Arbeitsplätze wegfallen (Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose 2009: 39ff.). Gleichzeitig werden die Steuereinnahmen drastisch zurückgehen. Wegbrechenden staatlichen Einnahmen stehen hingegen steigende Ausgaben gegenüber (Konjunkturprogramme, Mehrausgaben für Transferleistungen). Dies wird sich in rapide steigender Neuverschuldung auswirken. Zeitgleich haben sich Bund und Länder als Ergebnis der Föderalismus-Kommission II massive Ausgabenrestriktionen (»Schuldenbremse«) auferlegt (Deutscher Bundestag, Drs. 16/12410). Das dort formulierte Konsolidierungsziel wird »die Gebietskörperschaften und die Sozialversicherungen vor harte Entscheidungen« stellen (Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose 2009: 79). Damit wird sich die Schere zwischen Handlungserfordernissen und Handlungsmöglichkeiten weiter öffnen. So ist bereits darauf hingewiesen worden, dass es äußerst unwahrscheinlich geworden ist, dass die Beschlüsse des ۛ»Bildungsgipfels« 2008 umgesetzt werden, wonach die Bildungsausgaben bis 2015 auf zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes gesteigert werden sollen (Ulbricht 2009). Die Chancen, der Desintegration und Verteilungskonflikten entgegenzuwirken, stehen zumindest aus dieser Perspektive schlecht. ۛ»In Krisenzeiten stellt sich […] die Frage nach der Rechtfertigung der Verteilung von Macht und Ressourcen.« (Benz 2006: 154).
Lastenausgleich Im deutschen Bildungssystem durchlaufen Kinder einen mehrstufigen Ausleseprozess, der zur Folge hat, dass ein starker negativer Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungsressourcen der Eltern einerseits und dem Bildungserfolg der Kinder andererseits besteht (siehe Kapitel 4). Dieser »Bildungstrichter« führt dazu, dass von 100 Akademikerkindern 83 eine Berechtigung zum Hochschulzugang erwerben, bei den Kindern von Nicht-Akademi-
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kern liegt diese Zahl hingegen lediglich bei 23 (Isserstedt u.a. 2007: 62). Bereits zu Schulbeginn zeigen sich dabei erhebliche »ethnische ›Startnachteile‹«, die sich »später weiter kumulieren und verfestigen und somit auch langfristig indirekt zum Erhalt ethnischer Sichtung beitragen« (Becker/Biedinger 2006: 680). Sie drücken sich unter anderem in unterschiedlichen sprachlichen Kompetenzen aus, wobei wiederum türkische Kinder die größten Schwierigkeiten, Aussiedlerkinder die geringsten aufweisen (Becker/Biedinger 2006: 674ff.). Der Kindergartenbesuch erfüllt hinsichtlich Spracherwerb und des Erwerbs kultureller Kompetenzen wichtige Funktionen. Entscheidend sind dabei die Dauer des Kindergartenbesuchs, die ethnisch-soziale Zusammensetzung der Gruppen und die Qualifikation des Personals. »Höhere Bildung ist, das zeigen alle Forschungsergebnisse, das wirksamste Mittel, um die Beschränkung auf eigenethnische, lokal enge Sozialbeziehungen aufzulösen und die Integration in die Mehrheitsgesellschaft zu befördern. Voraussetzung dafür sind allerdings Bildungsprozesse, die in frühem Alter ansetzen und die fehlenden kulturellen Ressourcen des Elternhauses zu kompensieren in der Lage sind« (Häußermann/Siebel 2007: 109).
Bildung ist die notwendige Voraussetzung, um die Verfestigung ethnisch-sozialer Unterschichten in deutschen Städten zu stoppen. »Kinder aus Zuwandererfamilien können in der Regel nur über Bildungsabschlüsse langfristig attraktive und gesellschaftlich anerkannte Positionen im Einwanderungsland einnehmen und damit im Kontext des Einwanderungslandes aufsteigen« (Kristen 2003: 26). Gerade Kinder aus bildungsfernen Familien – und darum handelt es sich bei großen Zuwanderergruppen – benötigen eine umfassende Förderung, damit sie sich erfolgreich um Lehrstellen bemühen, ein Studium beginnen oder den Eintritt in das Berufsleben vollziehen können. Zentrale Bedingung der Möglichkeit eines erfolgreichen Bildungsweges ist die Beherrschung der Sprache des Aufnahmelandes. Dabei ist immer wieder auf die negativen Auswirkungen der besonders ausgeprägten schulischen Segregation hingewiesen worden. »Die Klassenzusammensetzung erweist sich […] als höchst relevant für das erreichte Leistungsniveau – und damit auch für die weiteren schulischen Perspektiven und die zu erwartenden Bildungskarrieren der Schüler«, heben Ditton und Krüsken (2006: 153) als Ergebnis ihrer Vollerhebung der zweiten Jahrgangsstufe der Grundschulen in Berlin hervor. »Die Konzentration von Kindern in Armut bzw. in Armutsnähe hat eine erhebliche Beeinträchtigung ihrer Lebenschancen zur Folge – sei es durch den täglichen Umgang mit Kindern in der Nachbarschaft oder durch die in der Regel noch höhere Konzentration von Kindern aus problembeladenen Familien in den Schulen« (Häußermann u.a. 2007: 78)
Die besonders hohen Anteile von Kindern nichtdeutscher Herkunftssprache in Kindergärten (Pfeiffer/Windzio/Baier 2006: 278ff.) und Schulen in den
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großen Städten (Kapitel 4) wirken sich als Barrieren für den Spracherwerb aus. Stärker als bisher müssen daher die sozialen Bedingungen des Zweitspracherwerbs in den Blick genommen werden. Wo Gelegenheitsstrukturen fehlen, die deutsche Sprache zu sprechen, entsteht auch keine Motivation, sie zu nutzen. »Beim Spracherwerb und beim Schulerfolg werden dabei vor allem die sozialen und ethnolinguistischen Konzentrationen in der Wohnumgebung und in den Schulklassen bedeutsam. Sie führen zu einer wechselseitigen Verstärkung mit den jeweils schlechten anderen Bedingungen, wie einem höheren Einreisealter und einer geringen Bildung der Eltern« (Esser 2006a: 546)
Die Vernachlässigung dieser Zusammenhänge und die nahezu vollständige Konzentration der Politik auf die Sprachförderung und das Angebot von Sprachkursen (von den Kindergärten bis zu Sprachkursen für Neuzuwanderer) kann als Erklärung für das Ausbleiben nachhaltiger Erfolge bei etlichen Gruppen angesehen werden. Esser (2006a: 136ff.) hat zu Recht moniert, dass eine aussagefähige Evaluation der Sprachkurse (die u.a. eine Kontrollgruppe voraussetzt, die keine Kurse absolviert und Drittvaribalen wie die mitgebrachten Bildungsressourcen) und damit ein empirischer Nachweis, dass die Ausgaben sinnvoll eingesetzt werden, bisher aussteht. Eine Evaluation von Sprachfördermaßnahmen in Baden-Württemberg (Hofmann u.a. 2008) brachte zu Tage, dass die sprachliche Leistungsfähigkeit der Kinder, die bereits im Kindergarten sprachlich besonders gefördert werden, gegenüber einer Vergleichsgruppe ohne derartige Förderung nur unwesentlich positiv beeinflusst wurde. »Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Kluft zwischen den Kindern mit und ohne Förderbedarf unmittelbar nach der Förderung weiterhin bestehen bleibt, das heißt es gelang den Kindern mit Förderbedarf nicht, ein Sprachniveau zu erreichen, das sich denjenigen von Kindern ohne Förderbedarf annähert« (Hofmann u.a. 2008: 297). Die Schlussfolgerung, die die Autoren angesichts »dieses geringen Erfolgs spezifischer Förderprogramme« ziehen, führt allerdings nicht weiter, weil es das zugrunde liegende Problem ignoriert – sie schlagen eine Förderung in Gruppen von zwei bis drei Kindern vor (Hofmann u.a. 2008: 297). Angesichts der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung in den Großstädten führte dies im Übrigen zu einer Explosion der Kosten. Die Konsequenz muss vielmehr lauten: Es müssen die Gelegenheiten zu Kontakten mit der deutschen Mehrheitsgesellschaft im Wohnumfeld gefördert werden, Sprachförderung darf keinesfalls alleine stehen. Hier muss (aus den in Kapitel 4 dargestellten Gründen) angesetzt werden: – denn die positiven Zusammenhänge von Zweitspracherwerb und Bildungs- sowie Berufserfolg sind offensichtlich
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– da deutlich negative Zusammenhänge zwischen ethnischer Kolonie und mangelndem Zweitsprachenerwerb bestehen, – weil es deutliche Zusammenhänge zwischen dem Migrantenanteil einer Klasse und dem Gewaltverhalten der Kinder und Jugendlichen gibt. Eine veränderte Zusammensetzung der Wohnbevölkerung in den ethnischsozialen Unterschichtenkonzentrationen durch administrative Maßnahmen ist nicht erreichbar. Seit Jahrzehnten sollen die ethnischen Segregationen und die sozial selektiven innerstädtischen Wanderungen gebremst werden – gelungen ist dies, wie dargelegt, bisher nicht. Eine Aufwertung der einschlägigen Wohngebiete gestaltet sich schwierig und führt überdies zu neuen Verdrängungsprozessen. Im Ergebnis wird das Problem dann nur verschoben, nicht aber gelöst. Eine gleichmäßige Verteilung ethnischer und sozialer Gruppen über das Stadtgebiet kann nicht das Ziel kommunaler Politik sein, wohl aber darf die Konzentration ethnisch-sozialer Unterschichten in Armutsvierteln nicht hingenommen werden. Insgesamt müssen sich die gut ausgestatteten Bürger stärker als bisher an einem »innerstädtischen Lastenausgleich« (Heitmeyer/Anhut 2000: 560) beteiligen. Man könnte dies als notwendigen »neuen urbanen Gesellschaftsvertrag« (Kersten 2007: 54) bezeichnen. Der notwendige Lastenausgleich gilt auch für vorschulische Einrichtungen und Schulen. Die weit überdurchschnittlichen Anteile von Kindern nichtdeutscher Herkunftssprache in vorschulischen Einrichtungen und Grundschulen müssen gesenkt werden. Dies kann nur durch eine Verteilung auf andere Stadtteile geschehen, deren Schülerschaft homogener zusammengesetzt ist.178 Die Hauptlast der Integration kann sinnvoller Weise auf Dauer nicht weitgehend den sozial schwächsten Angehörigen dieser Gesellschaft überlassen bleiben, die weder die Möglichkeit zur Abwanderung haben noch die Fähigkeit, wirkungsvoll Widerspruch anzumelden. An der konkreten Integrationsaufgabe – soweit sie von deutscher Seite aus zu leisten ist – müssen alle sozialen Schichten mitwirken. Die hier vorgeschlagene Verteilung würde auf erheblichen politischen Widerstand stoßen. Dabei würde sich herausstellen, ob die immer wieder strapazierte Aussage, Integration sei eine »gesamtgesellschaftliche Aufgabe«, nur den politischen Konsens der Sonntagsreden darstellt, oder ob dies auch Konsequenzen für die gesellschaftliche Wirklichkeit hat. Sollte die Entsolidarisierung und das Festhalten an Privilegien inzwischen so weit fortgeschritten sein, dass eine Wahrung der gesamtgesellschaftlichen Interessen unmöglich wird, besteht die Gefahr, dass sich das latente Konfliktpotential in absehbarer Zeit entlädt. Tatsächlich wäre
—————— 178 Pfeiffer/Windzio/Baier (2006: 278ff.) weisen auf einen entsprechenden Modellversuch der Kindergärten in Schwäbisch Gmünd hin.
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eine innerstädtische Verteilung nur als Übergangslösung zu praktizieren, allerdings dürfte dieser Übergang erhebliche Zeit andauern. Das Hauptproblem dürfte in der schwierigen politischen Durchsetzbarkeit dieser Maßnahme liegen. Bei der hier vorgeschlagenen Verteilung, die nicht auf gemeinsames Wohnen setzt, bliebe die Balance zwischen Nähe und Distanz erhalten (zur Problematik räumlicher Nähe unterschiedlicher Gruppen u. a.: Häußermann/Siebel 2004: 53ff.). Auch würden sich leichter gemischte Netzwerke mit ihren positiven Effekten bilden (Blasius/Friedrichs/Klöckner 2008: 111; 147). Massey hat darauf hingewiesen, dass die weißen Amerikaner kein Interesse an einer Desegregation der ghettoisierten afroamerikanischen Bevölkerung haben könnten, weil sie von der Trennung der Lebenswelten profitierten (unter anderem blieben sie dadurch verschont von einer höheren Kriminalitätsbelastung). »A major reason for the lack of change is that most Americans, particularly whites, perceive themselves as benefitting from the social arrangements that produce racial segregation. If poverty rates are higher for blacks and if crime is associated with poverty, then, by isolating blacks in segregated neighbourhoods, the rest of society insulates itself from the crime and other social problems that stems from the higher rate of black poverty« (Massey 1995: 1224).
Allerdings ist dies, das betont Massey, eine sehr kurzfristige Perspektive. Langfristig werde sich durch die Kumulation der Probleme durch starke Segregation die Situation gesamtgesellschaftlich negativ auswirken. »By segregating blacks and their social problems, in other words, poor whites derive a benefit in the form of lower rates of neighbourhood crime. Even though society as a whole may be damaged by this arrangement, and long-term costs may be greater, whites generally perceive themselves to be better off as a result of segregation« (Massey 1995: 1226). Nur eine auf diese Weise nachhaltige Stadtpolitik schafft die Bedingungen der Möglichkeit einer Integration in die Aufnahmegesellschaft. »Despite the efforts of white Americans to escape urban problems through segregation, they will inevitably end up by paying the costs – directly in the form of higher expenses for insurance, health care, criminal justice, security, and education, and indirectly in the form of reduced competitiveness in world markets, diminished quality of life, and a retreat from American democratic ideals« (Massey 1995: 1232).
Der wirtschaftlich starke Teil der Bevölkerung kann zwar immer wieder (bei der Wahl der Wohnung oder der Schule) seine Abwanderungsoptionen nutzen, mittel- und langfristig kann er aber den gesellschaftlichen Folgen – auch seiner Entscheidungen – nicht ausweichen. Dies kann auch für die Bildungspolitik festgestellt werden. Wenn die internationale Wettbewerbsfähigkeit der außerordentlich exportorientierten Bundesrepublik aufrechterhalten werden soll, die
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die Voraussetzung ökonomischen Wachstums ist, muss einerseits mehr als bisher in Bildung investiert werden.179 Andererseits muss mehr Chancengerechtigkeit verwirklicht werden, die es auch Kindern sozial schwacher Herkunft (ob zugewandert oder nicht) leichter macht, sich erfolgreich strukturell zu integrieren. »Die Rekrutierungspotentiale aus den hochschulnahen Bildungsmilieus sind so gut wie ausgeschöpft. Die zusätzlichen Studierenden, die Deutschland dringend braucht, müssen aus den hochschulfernen und einkommensschwächeren Schichten rekrutiert werden« (Dobischat 2007: 2). Hinzu müssen weitere Schwerpunkte kommen, wie ein verstärkter Ausbau von Ganztagsschulen. Die Kinder in ethnischen Kolonien, die meist zu den Armutsvierteln gehören, brauchen personell und materiell besonders gut ausgestattete Schulen. Deshalb sind Modelle, bei denen Schulen mit besonders niedrigem Sozialindex ein Anrecht auf zusätzliche Mittel erhalten, sinnvoll. Sie benötigen Schulen, die ihnen auch an Nachmittagen die Gelegenheit bieten, (spielerisch) zu lernen, sich in einem fördernden pädagogisch geschulten Umfeld zu bewegen, das ihnen zuhause weitgehend fehlt. Die Kinder können hier auch stabile soziale Beziehungen erfahren, die dazu beitragen, ihre soziale Kompetenz zu fördern. Hinzukommen muss ferner die verstärkte Förderung von Patenschaften für Kinder von Zuwanderern, die ihren Ausdruck unter anderem in unentgeltlicher Nachhilfe findet – die Aktivierung der Zivilgesellschaft (Pfeiffer/Windzio/Baier 2006: 280). Die Schulen in diesen Vierteln müssen sich zudem stärker auf die Familien ausrichten, das heißt, sie müssen die Eltern in ihre Arbeit nahezu genauso einbeziehen wie die Kinder.
Identifikation Integrationspolitischer Realismus bedeutet auch das Bewusstsein dafür, dass der demokratische Staat auf Identifikation nicht verzichten kann – wenn es keine »Demokratie ohne Demokraten« geben soll. Erfahren Zuwanderer die Aufnahmegesellschaft positiv, erhalten sie Chancen zu einem sozialen Aufstieg und zu wirtschaftlichem Erfolg, missachtet die Aufnahmegesellschaft nicht Essentialia des mitgebrachten »kulturellen Gepäcks«, so wird sich in den allermeisten Fällen auch eine Identifikation mit dem Gemeinwesen einstellen. Meist bieten die Aufnahmegesellschaften mehr Entfaltungsmöglichkeiten und mehr Chancen als die Herkunftsländer, die diese Menschen nicht ohne Grund
—————— 179 Berechnungen dazu liegen vor: Jaich 2008
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verlassen haben. Dennoch orientieren sich auch die Zuwanderer und erst recht ihre Nachkommen immer weniger an den Verhältnissen, die sie zurückgelassen haben, sondern zunehmend an den Verhältnissen im Aufnahmeland. Dies führt – bei Perspektivlosigkeit und dauerhafter Randständigkeit – zu Frustration. »Loyalitäten sind eine besondere Form der Orientierung und der Bewertung. Sie entstehen nur, wenn die übrige Situation als belohnend erlebt wird, wenn das der Situation auch ›ursächlich‹ zugeschrieben werden kann und wenn es keine bessere Alternative gibt« (Esser 2000: 304). Jugendliche Zuwanderer ohne positive Perspektive werden sich nicht mit dem Gemeinwesen identifizieren, in dem sie leben. Es ist eine Frage des gesellschaftlichen Klimas. Wenn es den Teilnehmern in der öffentlichen Debatte an nationalem Selbstwertgefühl mangelt, kann dies nicht von Zuwanderern abverlangt werden.180 Von Seiten der Aufnahmegesellschaft sind Selbstbewusstsein und Respekt von Bedeutung. Mangelnder demokratischer Patriotismus (Mayer 2007), mangelnde Identifikation mit dem Gemeinwesen, fördern die Integration nicht. Allerdings ist auch in Staaten, in denen ein ausgeprägter Nationalstolz vorherrscht (wie in Frankreich), die Integration von Zuwanderern nicht besser (eher schlechter) als in Deutschland gelungen. Entscheidend ist also, dass Zuwanderer nicht als Gruppen an den Rand gedrängt werden, sie ihre Perspektive nicht in der dauerhaften ethnisch-sozialen Unterschichtung der Aufnahmegesellschaft sehen müssen. Unabhängig davon kann der demokratische Verfassungsstaat nicht auf eine »normative Symbolwelt der politischen Kultur« verzichten (Goehler 2003: 311) – wie dies bereits im Zusammenhang mit der Einbürgerung erörtert wurde. Wenn es im Grundgesetz Art. 1 Abs. 2 heißt: »Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt«, dann wäre dies der Rahmen auf den sich »Bekenntnisse« im Rahmen von Einbürgerungsverfahren zu beziehen haben. Im Sinne eines interpretations- und integrationsfähigen »kulturellen Orientierungsangebots« (Goehler 2003: 311) kann in diesem Zusammenhang auch von einer »Leitkultur« gesprochen werden. »Leitkultur ist, wenn nicht ideologisch missverstanden, ein entscheidender Integrationsfaktor für das Gemeinwesen, welcher den Bezug auf die Werte der Verfassung mit verbleibenden nationalen Identitäten als Symbolsystem verbindet« (ebd.: 314). Respekt bedeutet, unabhängig von den notwendigen Angleichungsprozessen, dass mitgebrachte Sprache, Religion und kulturelle Herkunft Anerkennung und Wertschätzung erfahren. Misstrauen und Missachtung tragen zu
—————— 180 Müller, Reinhard: Leitkultur, in: FAZ vom 3. November 2005
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Rückzug und Abschottung bei. »Wenn ich das Gefühl habe, dass meine Sprache verachtet, meine Religion verspottet, meine Kultur herabgewürdigt wird, dann reagiere ich damit, dass ich die Attribute meiner Andersheit demonstrativ zur Schau trage« (Maalouf 2000: 42f.). Bezogen auf die religiöse Identität von Zuwanderern bedeutet dies, der jeweiligen Religion nicht mit der Haltung religiöser Entfremdung, Ängsten und Hass zu begegnen. Das gilt aktuell für den Islam.181 Es darf nicht vergessen werden, dass die christlichen Kirchen lange Jahrhunderte benötigten, um sich von Gewalttätigkeit, Unterdrückungen und anderen Irrungen zu befreien. In Europa vollzog sich die »Entwicklung von Demokratie und Menschenrechten in scharfer Auseinandersetzung mit Kirche und christlichem Glauben« (Uertz 2005: 15). Der katholische »Integralismus« kämpfte noch vor ein paar Generationen gegen »Modernismus«, Gewissens-, Religions- und Meinungsfreiheit. Jede Hochreligion kennt unterschiedliche und miteinander konkurrierende Lesarten der heiligen Schriften. Jede Hochreligion kennt Spannungsbögen – auch, was das Verhältnis von irdischer zu göttlicher Sphäre betrifft. So gibt es neben dem islamischen Fundamentalismus auch einen Fundamentalismus christlicher Provenienz, der insbesondere in den USA über erheblichen Einfluss verfügt. Seine Prediger gefallen sich darin, zur letzten Schlacht von Armageddon aufzurufen, die im Nahen Osten stattfinden soll. Der in der russischen Orthodoxie verbreitete und geduldete Antisemitismus sei nur am Rande erwähnt. So wenig es statthaft wäre, den Protestantismus des 20. Jahrhunderts in der evangelikal-fundamentalistischen Version Billy Grahams mit dem Christentum und den Lehren des Neuen Testaments zu identifizieren, so wenig gerechtfertigt wäre es, den radikalen Wahhabitismus mit dem Islam und den Lehren des Koran gleichzusetzen. Diese Hinweise können die Gewaltexzesse unter Berufung auf den Islam nicht relativieren. Sie machen jedoch deutlich, dass es keinen Grund für die Haltung einer moralischen Überlegenheit gegenüber dem Islam gibt. In diesem Zusammenhang bleibt festzustellen, dass es genauso zweifelhaft sein muss, die Terrorattentate des 11. September 2001 »dem Islam« zuzuschreiben, wie es zweifelhaft wäre, die Folterungen irakischer Kriegsgefangener und Zivilisten durch amerikanische und britische Soldaten der »christlichen Zivilisation« oder der westlichen Welt zuzuschreiben. Immer wieder wurden Gruppen als »fremd« und »bedrohlich« wahrgenommen – das gilt für Migranten unterschiedlichster Herkunft: Iren, Italiener und Polen, die im 19. Jahrhundert als Bedrohung konfessioneller Homogenität empfunden und rassistisch abgewertet wurden (Lucassen 2005: 27ff.), das gilt
—————— 181 Für wertvolle Hinweise in diesem Zusammenhang danke ich Karl-Heinz Schmidt.
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als Extremfall für Deutsche jüdischen Glaubens, die trotz vollständiger Assimilation und Identifikation millionenfach ermordet wurden, das gilt für die traumatisierten deutschen Vertriebenen und Flüchtlinge, denen insbesondere im ländlichen Raum mit rassistischen Stereotypen begegnet wurde (Kossert 2008: 71ff.).
Mehrheiten Die hohen Anteile von »Menschen mit Migrationshintergrund« erwecken den Eindruck, als löse sich das Verhältnis von »Mehrheit« und »Minderheit« sukzessive auf. Zumindest bezogen auf den Islam kann dies nicht behauptet werden. Ihm wird eine Bevölkerung von rund 3,2 Millionen in Deutschland zugerechnet. Damit befindet er sich langfristig in einer eindeutigen Minderheitenposition. Trotzdem wird im politischen Diskurs von intellektuellen Wortführern häufig unterstellt, dass von eindeutigen Mehrheits- bzw. Minderheitenverhältnissen nicht mehr gesprochen werden könne.182 Dies fördert »Überfremdungsängste«, die meist gespeist werden aus der Angst vor der eigenen Schwäche. Mit dem Mehrheits-Minderheiten-Verhältnis verbunden ist die Einsicht, dass die Definition der Grundlagen des Zusammenlebens nicht »Verhandlungssache« ist, sondern der Definitionsmacht der aufnehmenden Kultur unterliegt. Dies gehört zu den Rechten der Mehrheit (Offe 1996: 42). Dies ist eine wichtige Voraussetzung für eine Integrationspolitik, die kraft ihres Selbstbewusstseins zusätzliche kulturelle Pluralität durch Zuwanderung zuzulassen in der Lage ist. Das Spannungsverhältnis zwischen ungeteilter Religions- und Bekenntnisfreiheit auf der einen Seite und dem Anspruch auf Bewahrung der »Grundgestalt der eigenen Ordnung« (Böckenförde 2008: 141), das heißt der Bewahrung der kulturellen und religiösen Prägungen eines Staatswesens auf der anderen Seite, muss vor diesem Hintergrund betrachtet werden. Was bedeutet dies praktisch? Muslime haben unter anderem das Recht, auch in Deutschland Moscheen zu errichten. Der Auszug aus den Hinterhofmoscheen und der Neubau von Moscheen haben vielfach den Islam erst öffentlich sichtbar gemacht. Gibt es hier Grenzen? Es ist legitim, zu erwarten, dass gewachsene religiöse Prägungen eines Landes oder einer Region respektiert werden.
—————— 182 »In dieser Ignoranz drohen sie der Akkulturation den Boden klarer Macht- und Mehrheitsverhältnisse, ohne den sie nicht möglich ist, zu entziehen. Dagegen ist es gerade die Aufgabe kluger Einwanderungspolitik, diese Verhältnisse klar und bestimmt, aber nicht auftrumpfend immer wieder herzustellen« (Hondrich 2007: 200f.).
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»[…] wo es sich um religiös homogene Territorien handelt, da ist es das Recht der großen Mehrheit, ihre gemeinschaftlichen religiös-kulturellen Lebensäußerungen zu privilegieren, also etwa in christlichen Ländern den Sonntag, in islamischen den Freitag und in Israel den Sabbat. Eine kleine religiöse Minderheit in solchen Ländern kann nicht verlangen, das Gesicht dieser Region durch demonstrative Bauten verändern zu dürfen. Christliche Kirchen in islamischen Ländern und Moscheen in christlichen sollen unscheinbar sein. In Rom muss man keinen Muezzin rufen und in Mekka keine Kirchenglocke läuten hören. Es muss genug sein, wenn die jeweiligen Christen oder Muslime in diesen Ländern an würdigen Orten ihren Gottesdienst feiern dürfen und wenn es niemandem verwehrt ist, sich der jeweils anderen Religionsgemeinschaft anzuschließen« (Spaemann 2007: 158f.).
Integrationspolitischer Realismus setzt auf Versöhnung. Potentiale gesellschaftlicher Spannungen, womöglich Potentiale für Kulturkonflikte, dürfen nicht verschärft werden. Das heißt aber auch – und steht dazu nicht in Widerspruch – Konflikte selbstbewusst auszutragen. Konflikte können zerstörerisch sein, Konflikte gehören aber untrennbar zur Geschichte von Einwanderung und Integration. Konflikte haben in diesen Prozessen auch eine ausgleichende und letztlich in vieler Hinsicht integrative Funktion. Sie moralistisch zu diskreditieren dient nicht dem friedlichen Zusammenleben in einem demokratischen Rechtsstaat. Der Multikulturalismus provoziert Identitätskonflikte, die von allen Beteiligten – so die geschichtliche Erfahrung – unnachsichtig ausgefochten werden. In Zeiten wieder zunehmender Spaltungen besteht kein vernünftiger Grund, weitere Konfliktlinien zu verschärfen. Verfassungsstaat und Gesellschaft in Deutschland sind – darin ist Paul Kirchhof (2000: 15) zuzustimmen »nicht multikulturell, wohl aber kulturoffen«.
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