Starretter
Ich wußte nicht genau, wo die Grenze zwischen Sonora und dem Arizona-Territorium verlief, aber irgendwie fü...
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Starretter
Ich wußte nicht genau, wo die Grenze zwischen Sonora und dem Arizona-Territorium verlief, aber irgendwie führte sie quer durch das San Pedro Valley. Wahrscheinlich hatte ich sie in den letzten Stunden längst schon passiert. Es war ein hitzeflimmernder Tag, und ich sehnte mich nach einer langen Rast. Ich war nämlich in den vergangenen Tagen und Nächten unablässig geritten, immer nur geritten, um aus Sonora herauszukommen. Ich saß auf einem prächtigen Hengst. Es war ein besonderes Tier, wie es unter zehntausend gewiß kein zweites gab. Dieser rote Hengst war ein Tausend-Dollar-Hengst, ein einmaliges Tier, das durchaus der »Stammvater« einer berühmten Pferdezucht werden könnte, führte man ihm die richtigen Stuten zu. Ich hatte den Hengst selbst gefangen und gezähmt. Na gut, ich besaß also ein TausendDollar-Pferd, und überdies befanden sich noch tausend Dollar in meiner Tasche. Man kann also sagen, daß ich als erfolgreicher Mann aus Sonora kam. Und nun ritt ich auf Santa Rosa zu, und hatte dabei das Gefühl, als näherte ich mich dem Paradies. Verdammt, wieso hätte ich wissen können, daß mich in Santa Rosa die Hölle erwartete! Der vorliegende Roman erschien schon einmal in dieser Reihe als Band 715 und im � Western-Bestseller als Band 1428. �
Von Santa Rosa hatte ich schon gehört. Auch von der schönen Isabel Fernando, die dort wohnte. Sie sollte was ganz Besonderes sein und nur besonderen Burschen ihre Gunst schenken. Und ich hielt mich für einen besonderen Burschen. Ich ritt langsam näher und erinnerte mich an das, was mein ehemaliger Partner Jesse Maddegan mir über die schöne Isabel erzählt hatte. Wir waren lange zusammen für einen reichen Don geritten, hatten ihn und seine Familie beschützt und seine entführte Tochter befreit, für die er Lösegeld zahlen sollte. Jesse Maddegan war dabei so böse angeschossen worden, daß er nach zwanzig Meilen tot aus dem Sattel fiel. Nun, ich würde Isabel Fernando von ihm grüßen. Und dann? Oh, ich war ziemlich sicher, daß ich bleiben durfte. Denn Maddegan und ich, wir gehörten zur selben Sorte. Und eine Frau wie Isabel Fernando würde das sofort spüren. Ich ritt also mit frohen Erwartungen auf die kleine Stadt am San Pedro River zu. Nicht nur wegen der schönen Isabel, sondern auch, weil ich mich nach einem Bad sehnte, verschwitzt und verdreckt, wie ich war. Aber diese Isabel Fernando sollte eine wunderschöne Badewanne haben, so ein emailliertes Ding mit bunten Blumen drauf und allem Pipapo. Während ich mich den ersten Hütten und Häusern näherte, hielt ich Ausschau nach Isabels Haus. Jesse Maddegan hatte es mir genau geschrieben. Ein reicher Don hatte es einst für seine Geliebte errichten lassen. Seitdem war es immer gut erhalten und gepflegt worden mitsamt dem wunderschönen Garten, in dem eine natürliche Quelle sprudeln sollte. Nun, ich entdeckte also das schöne Anwesen bald schon rechts vom staubigen Wagenweg inmitten von Bäumen und umgeben von einer dichten Hecke. Und so ritt ich hinüber. Das weiß angestrichene Holztor stand offen. Deshalb ritt ich bis vor die Veranda. Und hier sah ich Isabel Fernando. Oh, ich wußte sofort, daß sie es war. Denn Jesse Maddegan hatte sie mir trefflich beschrieben. Sie saß in einem bequemen Schaukelstuhl und las ein Buch, das sie bei meinem Heranreiten in den Schoß legte, um mich zu mustern. O Moses, was für ein Weib! Sie sah aus wie eine spanische Donna, also eine gebildete, stolze und glutäugige Adlige. Und sie strömte dabei etwas aus, was wie das Locken der Sünde war. Dann hörte ich ihre dunkle Stimme. Sie sprach das Englisch einer gebildeten Donna. »Hallo, Fremder«, sagte sie. »Was führt Sie zu mir?« Ich zog meinen alten Hut und schwenkte ihn wie ein spanischer Grande. Dann sagte ich: »Wenn Sie Donna Isabel Fernando sind, dann bin ich hier richtig. Und weil es keine zweite so wunderschöne Frau auf tausend Meilen in der Runde geben kann, muß ich richtig sein. Jesse Maddegan hat Sie mir nämlich beschrieben. Er sagte mir, daß man bei Ihrem Anblick glaubt, der Blitz hätte einen getroffen, und man eine Weile den Atem anhält. Mein Name ist Starretter, John Starretter. Jesse Maddegan und ich waren
fast wie Brüder.« Nach diesen Worten verharrte ich im Sattel meines herrlichen Hengstes und wartete. Ich spürte, wie ihr Instinkt gegen mich prallte und in mich einzudringen versuchte. Dabei starrte sie in meine Augen. Ich war ein langer, sehniger und hagerer Bursche, dunkel fast wie ein Comanche, mit einigen tiefen Linien im Gesicht. Ja, ich sah hart aus und war ganz sicher kein schöner oder auch nur hübscher Bursche. Doch ich sah wie ein Mann aus. Und noch niemals hatte ich Schwierigkeiten bei Frauen – auch nicht bei den ganz stolzen und scheinbar so unnahbaren. Die waren später sogar die wildesten in meinen Armen. Ich spürte also ihre Ausstrahlung. Dann fragte sie: »Jesse Maddegan?« Ich bewegte bedauernd den Kopf. »Wir müssen alle mal sterben«, murmelte ich. »Eine Nacht vor seinem Tode hockten wir an einem Feuer, und er erzählte mir von Ihnen, Donna Isabel.« Sie sah mir immer noch gerade in die Augen. Dann erhob sie sich mit einer geschmeidigen Bewegung aus dem Schaukelstuhl und trat zum Rand der Veranda. Sie streckte ihre Hand aus, und mein roter Hengst schnupperte daran wie ein Hund. Sie sagte: »Ein wunderbares Tier. Aber es trägt noch kein Brandzeichen. Haben Sie keine Sorge, daß es Ihnen jemand wegnehmen könnte?« »Mir nimmt niemand etwas weg, das ich mir nicht wieder zurückholen könnte«, erwiderte ich. »Diesen Hengst fing ich aus einer Herde, deren King er war.« Wieder sah sie mich an. Dann nickte sie. »Ja, das glaube ich, John Starretter. Steigen Sie ab. Finden wir heraus, ob wir uns gegenseitig etwas geben können. Sie kommen aus Sonora herüber? Waren Sie dort erfolgreich?« Ich nickte. »Doch, Isabel, ich denke schon!« erwiderte ich. »Jedenfalls so erfolgreich, daß ich mir einige Tage und Nächte der Erholung gönnen kann, um mich für gewisse Entbehrungen zu entschädigen.« Sie lachte kehlig. Ihre Lippen waren voll und lebendig. Und ihre Zahnreihen blinkten. Ich saß ab und trat zu ihr auf die Veranda. Isabel war einen Kopf kleiner als ich. Sie trat dicht vor mich hin und sah zu mir empor. »Ich bin nicht für jeden zu haben, mein Freund«, sprach sie. »Aber einen Mann, der mir gefällt und der in der Lage ist, meine Dienste zu bezahlen, weise ich nicht ab. Und du bist wie Jesse Maddegan. Ja, diese Sorte ist mir immer recht gewesen.« Wir gingen hinein. Denn für mein Pferd würde Pedro sorgen, sagte sie mir. * O Leute, für einen Burschen wie mich war alles so, als wäre ich ins Paradies gekommen. Daß ich bei einer Nobelputa war, vergaß ich ganz und gar. Denn die schöne und rassige Isabel ließ mich dies nicht merken. Auch meinem Hengst ging es gut im kleinen Corral hinter dem Haus unter den alten Bäumen. Es war alles wunderschön. Jesse Maddegan hatte wirklich nicht übertrieben. Und so war ich ein Bursche, der sich wirklich für sein langes Reiten und Kämpfen einmal
richtig belohnte. Am dritten Tag – es war schon Nachmittag – saßen wir bei Kaffee und Kuchen auf der Veranda, als ein rotköpfiger Bursche angeritten kam. Er gehörte ganz offensichtlich zu der stets herausfordernd wirkenden Sorte, die erst dann Ruhe gab, wenn man sie kleingemacht hatte. Aber weil dies nur selten passierte, wurde sie um so herausfordernder, je weiter sie kam mit ihrem großspurigen und besitzergreifenden Stil. Er hielt vor der Veranda sein Pferd an und sagte: »Isabel, schick ihn weg! Denn jetzt bin ich hier. Ich komme in einer halben Stunde wieder. Dann muß er verschwunden sein.« Er grinste mich herausfordernd an, ganz so, als hätte er alle Trümpfe in der Hand. Ich sah schon an seinem Pferd, daß er kein mittelloser Bursche war. Auch sein Sattel war ein teures Stück. Bevor er das Tier herumziehen konnte, sagte ich: »Laß dich nur nicht in den nächsten zwei oder drei Tagen hier blicken, Rotkopf. Ich bleib' noch eine Weile. Wenn du mich störst, hau' ich dir die Ohren ab. Verstanden?« Er staunte. Dann lachte er schallend und sagte schließlich: »Isabel, klär ihn mal auf. Sag ihm, wer ich bin, bevor er zu weit geht und ich ihm die Haut abziehen muß.« Er zog sein geschecktes Pferd herum und ritt wieder weg. Isabel aber seufzte und sagte dann schlicht: »Das ist ein Königssohn, John, mein Lieber. Das war Joel Hickman. Schon was von Orson Hickman und der Spanish Bit Ranch gehört?« Sie sagte es mit einem warnenden und zugleich auch bedauernden Klang in der Stimme. Ich wußte nun Bescheid, denn natürlich hatte ich schon von der Spanish Bit Ranch gehört. Sie war ein Kingdom, und Orson Hickman war der King. Sein Wort war Gesetz in seinem Machtbereich. Und dieser großspurige Rotkopf war sein Sohn. Ich sah Isabel an und fragte: »Soll ich gehen? Oder macht es dir etwas aus, wenn ich noch bleibe?« »O John …«, sagte sie, verstummte und schien in sich hineinzulauschen. Dann sah sie mich an und murmelte: »Er ist ein großmäuliger Lümmel. Aber er ist gefährlich wie eine Giftviper. Nein, wegen eines solchen Kerls schicke ich dich nicht fort. Bleib hier, wenn du dich traust. Aber du solltest wissen, daß du dir einen Feind machst.« Damit hatte sie alles gesagt. Ich grinste sie an. »Dann bleibe ich noch, schöne Isabel.« * Es war schon nach Mitternacht, als ich in Isabels Armen lag und durch das offene Fenster das böse Wiehern meines Hengstes hörte, den ich Sonora getauft hatte, weil ich ihn in Sonora fing. Ich wußte sofort, was sein Wiehern zu bedeuten hatte. Mit dem Colt in der Hand – und nackt, wie ich war – sprang ich aus dem Fenster in den Garten hinter dem Haus und rannte zum Corral, in dem Sonora stand. Doch sie hatten ihn schon weggebracht. Sonora hatte zu oft gegen ein Lasso angekämpft und stets verloren. Deshalb kämpfte er
nicht mehr, wenn sich eine Lassoschlinge um seinen Hals gelegt hatte. Und so war es gewiß auch jetzt gewesen. Deshalb hatten sie ihn so leicht wegbringen können. Er war zu schlau, um gegen eine Lassoschlinge anzukämpfen nach all seinen Erfahrungen aus der Zeit, in der ich ihn einbrechen und zähmen mußte. Da stand ich nun, nackt, mit einem Revolver in der Faust, und war erst einmal geschlagen. Oh, ich wußte genau Bescheid. Dieser verrückte Rotkopf Joel Hickman hatte sich das ausgedacht, um mich von Isabel fortzuholen. So einfach war das für einen wilden Jungen, der sich für größer hielt, als er war. Doch so einfach es war, so gefährlich war es auch. Er hatte mir mein Pferd gestohlen. Und im ganzen Süden – von Texas bis nach Arizona – hängte man Pferdediebe oder erschoß sie, wenn sie lieber kämpfend starben. Isabel sah oben aus dem Fenster zu mir nieder, als ich mich wieder dem Haus näherte. »Komm herein«, sagte sie. »Nackt kannst du wohl nicht nach deinem Pferd suchen.« Nein, das konnte ich wirklich nicht. Und jetzt in der Nacht hatte es auch nicht viel Sinn. Aber morgen, wenn es Tag war … Ich ging zurück zu Isabel. Und oben nahm sie mich wieder in die Arme und schenkte mir ihre ganze Zärtlichkeit. Vielleicht fürchtete sie, daß ich bald ein toter Mann sein würde, so tot wie Jesse Maddegan, der ein Bursche war wie ich, zum Untergang bestimmt wie alle von unserer Sorte. * Er hatte auf mich gewartet. Es war das alte, harte, rauhe Spiel. Und ich kannte es aus dem Effeff. Dieser verdammte, dumme, großspurige Narr hätte es wissen müssen. Ja, ich hatte Abschied genommen von der wunderbaren Isabel Fernando, indes sie noch schlief – oder auch nur so tat. Ich hatte mich davongeschlichen und ihr fünf goldene Doppeladler zurückgelassen. Dafür mußte ein guter Cowboy fünf lange Monate arbeiten. Aber sie war solch ein nobles Geschenk wert, und ich wußte, ich durfte jederzeit wiederkommen. Ich ging in die Stadt hinein mit meinem Bündel unter dem Arm und dem Gewehr in der Hand. Es war noch früher Morgen. Die Stadt war noch gar nicht richtig in Betrieb und ahnte nicht, was bald geschehen würde. Vor dem Cowboy Dream Saloon stand mein Hengst und trug einen prächtigen silberbeschlagenen Sattel. Er war an der Haltestange festgebunden und nahm sein Maul aus dem Wasserbecken. Schnaubend sah er mir entgegen, denn der leichte Morgenwind hatte ihm meine Witterung zugetragen. Ich sah, was sie mit ihm gemacht hatten. Denn auf seinem linken Hinterschenkel war das Brandzeichen. Es war frisch, und gewiß schmerzte es noch böse, obwohl sie es mit
Fett bestrichen hatten, wie es nach dem Bränden üblich war. Ich begriff beim Näherkommen, daß sie meinen Hengst noch in der vergangenen Nacht – also gleich nachdem sie ihn mir gestohlen hatten – mit diesem Brandzeichen versehen hatten. Das Ding glich einem etwas verschnörkelten H, aber auch einer alten spanischen Kandare, also einem Spanish Bit. Und dies war das Brandzeichen von Orson Hickman. Oha, dieses Spiel wurde immer böser und der Einsatz immer höher. In mir war nun ein bitterer Zorn, und ich wußte, ich hatte nun die Wahl. Ich konnte aufhören und mich fortschleichen, sozusagen meine Strafe akzeptieren und hinnehmen, ich konnte aber auch weitermachen. Doch wenn ich weitermachte, dann wurde es eine riesengroße Sache. Das war mir klar. Und ich war verdammt allein in dieser fremden Stadt am Rande eines Kingdoms, in dem Orson Hickman herrschte. Dann sah ich den rotköpfigen Joel aus dem Saloon kommen, gähnend und sich reckend. Ihm folgten noch einige Burschen, offenbar die Mannschaft, die er führte, und zugleich seine »Spielgefährten«, wie sie einem Königssohn gewissermaßen zustanden, damit er sich als Anführer üben konnte. Es waren grinsende, ihm ganz und gar ergebene Burschen, jung wie er, großspurig und stolz, weil sie sich wie Auserwählte fühlten. Sie alle sahen mir entgegen mit grinsender Herausforderung und verächtlicher Drohung zugleich. Denn was konnte ihnen schon passieren? Ich war ein Fremder in ihrer Stadt und verdammt allein. Nur wenn ich ein kompletter Narr war, würde ich mich mit ihnen anlegen. Einen Moment dachte ich darüber nach, ob es in dieser Stadt einen Sheriff oder einen Town Marshal gab. Aber ich wußte im selben Moment, daß solche Sternträger gewiß von Orson Hickman eingesetzt worden waren und ich von ihnen keine Hilfe hätte erwarten können. Aber wahrscheinlich gab es gar keine Gesetzesmänner hier, weil die mächtige Ranch in diesem Lande das einzige Gesetz war. Ich hielt etwa sechs Schritte vor der Saloonveranda an und sah auf Joel Hickman, der breitbeinig dastand, die Daumen am Revolvergürtel eingehakt, und mich höhnisch angrinste. Ich ließ meine Sattelrolle unter meinem Arm zu Boden fallen. In der Hand hielt ich das Gewehr um den Kolbenhals gefaßt. Es war durchgeladen und schußbereit. Ich konnte damit einhändig schießen wie mit einem Colt. Meine Rechte aber hing über dem Revolverkolben. Ich war also für alles bereit. Und jeder konnte das begreifen. Aber die wilden Jungens auf der Saloonveranda glaubten es wahrscheinlich nicht. Sie kamen gar nicht auf die Idee, daß es einen Narren geben könnte, der es gegen sie versuchte. Und das war ihr großer Fehler. Ich sagte: »Junge, ich weiß jetzt, daß du einen mächtigen Vater hast. Doch der kann dir nicht helfen. Denn du hast mein Pferd gestohlen. Und Pferdedieb ist Pferdedieb. Überdies hast du nicht nur mein Pferd gestohlen, sondern ihm Schmerzen zugefügt durch das unberechtigte Bränden. Junge, ich muß dich erschießen.« Aber er lachte wild und stieß einen Schrei aus, der wie: »Jetzt!« klang.
Dabei schnappte er nach seinem Colt. Seine Spielgefährten taten es ebenfalls, und wahrscheinlich glaubten sie nicht, daß es richtig ernst werden könnte. Sie waren gewiß der Meinung, daß sie mir nur ihre Revolver unter die Nase halten müßten, um mich zum Aufgeben zu zwingen. Das hatte wahrscheinlich bisher stets genügt, denn die mächtige Spanish Bit stand ja hinter ihnen. Sie waren fünf Mann. Und noch bevor sie ihre Revolver heraus hatten, schoß ich schon. Mein Gewehr krachte in der Linken und mein Colt in der Rechten. Sie kamen gar nicht zum Schuß. Ich selbst gab nur drei Schüsse ab, die sämtlich trafen. Die restlichen zwei ließen ihre Waffen fallen wie glühende Eisen. Sie warfen die Hände in die Höhe und kreischten, daß es genug wäre. Ja, es war mehr als genug. Ich hatte drei von ihnen ziemlich böse angeschossen. Und ich hatte mein Pferd wieder, das jedoch jetzt das Brandzeichen der Spanish Bit Ranch von Orson Hickman trug. Nun, das war es also. Ich nahm meine Sattelrolle auf, in der sich alles befand, was ich an Ausrüstung besaß. Ich trat damit zu meinem Hengst, der erregt schnaubte und drauf und dran war, sich loszureißen, weil er noch nicht an Gewehr- und Revolverfeuer gewöhnt war. Dies würde er erst noch lernen müssen. Bevor ich die Sattelrolle an den Schnallen des Hinterzwiesels befestigte, überlegte ich kurz, ob ich den Sattel behalten sollte. Es war nicht mein Sattel. Dieser lag noch in dem Schuppen bei Isabels Corral. Aber auch mein Sattel war ein erstklassiges Stück, von einem wirklichen Meister gearbeitet. Und überdies war mir dieser Joel Hickman etwas schuldig. Ich hörte ihn auf der Veranda stöhnen und dann wimmernd sagen: »Holt Hilfe! Ich verblute. Dieser Hurensohn hat mich fast totgeschossen. Helft mir doch, Leute! Sonst laufe ich aus und muß sterben.« Ja, er wimmerte. Ich sah zu ihm und zu den beiden anderen angeschossenen Burschen hin. »Sterben müssen wir alle mal«, sagte ich hart. »Und ihr blöden Hammel wart schon dicht dran.« Dann wandte ich mich den beiden unverletzt gebliebenen Burschen zu, die immer noch mit erhobenen Händen verharrten. »Helft ihnen!« befahl ich. »Nun macht schon endlich!« Sie bewegten sich. Ich schnallte meine Sattelrolle fest. Das Gewehr hatte ich in den Scabbard geschoben. Nun band ich Sonora los und saß auf. Als ich mich umsah, erkannte ich, daß die halbe Stadt zusah und vielleicht schon von Anfang an zugesehen hatte. Die Leute sahen aus den Fenstern, standen vor den Häusern und Geschäften. Es waren die Bürger dieser kleinen Stadt Santa Rosa am San Pedro River. Und sie sahen mich an wie einen Geist. Ich begriff, daß ich etwas getan hatte, was sie geradezu für ungeheuerlich hielten und was sie kaum glauben konnten, obwohl sie es mit eigenen Augen sahen. Ich ritt durch die Stadt nach Norden. Denn nach Norden wollte ich. Und es war mir gewissermaßen schnuppe, daß ich durch das Gebiet der Spanish Bit Ranch mußte. Der Wagenweg führte durch das San Pedro
Valley, und dieser Wagenweg war frei für alle Leute, also auch für mich. Nur Narren würden mich aufhalten, nur Narren, jawohl. Die Leute starrten mich an wie einen Geist, als ich durch die Stadt zum nördlichen Ausgang ritt. Ich sah vom Sattel aus zu ihnen nieder – oder empor, wenn sie aus den Fenstern blickten. Ich ließ sie meinen Stolz spüren – und auch meine Verachtung. Denn ich kannte solche Städte. Für manche hatte ich gekämpft und ihnen geholfen, den verlorenen Stolz zurückzugewinnen. Ich kannte das System der Macht eines Großen, das ganze Schema, nach dem alles vonstatten ging. Und hier, in der sogenannten Neuen Welt, spielten es die rücksichtslosen Mächtigen. Es war so alt wie der Mensch. Ich ritt aus der Stadt nach Norden. Links von mir floß der San Pedro River. Es war ein schönes, grünes, sattes Weideland auf der Ostseite der Catalina-Berge, die einst von den Spaniern nach der heiligen Katharina benannt worden waren. Einige Male dachte ich an die schöne Isabel Fernando. O Mann, ich wußte, ich würde noch lange an sie denken, so wie es ja auch Jesse Maddegan getan hatte, als er noch lebte. Und ich ritt jetzt auf einem Tausend-Dollar-Hengst mit dem Spanish-Bit-Brand. Natürlich machte ich mir einige Sorgen. * Eigentlich wäre ich noch ganz gern in Santa Rosa geblieben. Es schien eine nette Stadt zu sein mit reichlich Wasser in den Brunnen und Abwässern zum San Pedro hinunter. Vielleicht hätte ich in der näheren Umgebung ein Stück Blaugrasland kaufen können. Denn Blaugras war gut für eine Pferdezucht. Die blaue Farbe des Grases zeigte an, daß es bestimmte Mineralien enthielt, die für die Pferdezucht in besonderem Maße wichtig waren, so daß sie sich prächtiger entwickelten als auf normaler Weide. Und ich wollte eine Pferdezucht anfangen. Mit meinem Hengst war das geradezu eine Pflicht. Wenn ich ihm die richtigen Stuten besorgte, konnte der Erfolg gar nicht ausbleiben. Was also mußte ich tun? Die Antwort war eigentlich ganz einfach. In den Santa Catalinas gab es Wildpferde, die von den edlen Tieren der Spanier abstammten. Ich mußte also nur zwei oder drei Helfer anwerben und auf Pferdejagd gehen, bis ich etwa zwei Dutzend erstklassige Stuten eingefangen hatte. Dann mußte ich ein gutes Stück Land mit Blaugras haben und eine Hütte, einige Corrals und Weidekoppeln darauf errichten. Dann konnte ich warten. Und meine fast neunhundert Dollar würden Jahre reichen, jedenfalls so lange, bis meine Fohlen herangewachsen waren. Das also schwebte mir vor. Denn ich wollte nicht länger mehr von meinem Colt leben. Ich war dieses Leben satt, und ich hatte es auch vor einigen Wochen meinem sterbenden Freund Jesse Maddegan versprochen. Am frühen Mittag – als der Tag schon heiß war und ich mir ein Bad im Fluß wünschte – erreichte ich eine Furt, bei der einige Adobehütten standen, Kinder im Fluß badeten und
drei Frachtwagen standen, die offenbar zu einem fahrenden Händler gehörten. Solch ein fahrender Store paßte mir gut. Denn ich hatte in Santa Rosa meine Vorräte nicht ergänzen können. Es waren auch einige Reiter hier versammelt, die fast alle mexikanischer Abstammung waren. Sie hockten überall herum, unterhielten sich, spielten auf einer Decke Karten, rauchten, tranken und wirkten so, als wären sie froh, mal wieder andere Gesichter zu sehen. Ich begriff, daß es in diesem Lande – wahrscheinlich auf der anderen Seite des Flusses – verborgene Camps gab, vielleicht auch Siedlungen. Ich hielt bei den Wagen an und stieg ab, um dem Händler und dessen beiden Gehilfen meine Wünsche zu sagen. Aber während ich ihn gerade nach Rosinen und Dörrobst fragte, ertönte ein schriller Pfiff, und einige der herumlungernden Reiter schwangen sich in die Sättel und ritten durch die Furt auf die andere Seite des Flusses. Nur wenige Leute blieben, und sie gehörten offensichtlich wie die spielenden Kinder zu den Adobehütten der kleinen Furtsiedlung. Dann hörte man donnernden Hufschlag. O ja, da kam eine starke Mannschaft herangaloppiert. Was sollte ich tun? Ebenfalls durch die Flirt auf die andere Seite flüchten? Ja, was die Reiter taten, die durch den Fluß ritten, war wie eine Flucht. Ich wollte nicht! Verdammt, warum sollte ich die Flucht ergreifen? Ich war John Starretter und kein furchtsamer Pinscher. Da war er also wieder, dieser verdammte Stolz! Ich konnte einfach nicht weglaufen. Dieser verdammte Stolz hatte mich schon als jungen Burschen zu einem Revolvermann gemacht. Der fahrende Händler und dessen Gehilfen, die zugleich auch die Fahrer der beiden anderen Wagen waren, bildeten eine schweigende Gruppe, und ich erkannte Sorge und Bitterkeit in ihren Gesichtern. Nein, Furcht war es nicht, denn sie waren mutige Männer. Aber dennoch war ihnen mulmig zumute. Das sah ich ihnen an. Wer mochte da wohl kommen? Ich ging zu einem Holzstapel, der hier aufgetürmt war. Es war Brennholz, so wie man es nach dem Hochwasser am Ufer fast eines jeden Flusses einsammeln konnte. Ich setzte mich und steckte mir eine Pfeife an. Und dann sah ich sie über den Rand der Uferhügel kommen. Ja, sie ließen ihre Pferde galoppieren, brausten heran wie eine unaufhaltsame Kriegshorde. Man hörte ihre heiseren Schreie. Und an ihrer Spitze ritt ein hünenhafter Mann auf einem großen Rappen. Ob dieser Mann Orson Hickman ist? fragte ich mich. Denn es sah wirklich so aus, als käme ein Mächtiger mit seinen Mannen angedonnert. Sie erreichten die Siedlung und dann die drei Frachtwagen an der Furt. Wie auf ein unhörbares Kommando verteilten sie sich. Plötzlich war es bis auf das Schnauben der Pferde, das Knarren der Sättel und das leise Klimpern der Sporen und des Geschirrs still. Ich saß ruhig da und sah mir alles an, rauchte dabei und wirkte gewiß wie ein unbeteiligter Zuschauer. Aber ich sah das Brandzeichen der Spanish Bit Ranch auf allen Pferden.
Ja, es war die Hickman-Mannschaft. Aber war ihr Anführer Orson Hickman? Nein, das konnte nicht sein. Er war zu jung für einen Mann, der schon erwachsene Söhne hatte. Er war kaum älter als ich, also etwa dreiunddreißig bis fünfunddreißig Jahre. * In den nächsten Minuten erlebte ich als Beobachter, wie hart die Spanish Bit Ranch mit den Menschen umsprang, die ihr in ihrem Machtgebiet nicht paßten. Es ging alles unheimlich schnell. Denn diese rauhen Reiter hatten offensichtlich bereits beim donnernden Herangaloppieren ihre Befehle erhalten. Die drei Fracht- oder Verkaufswagen des fahrenden Händlers brannten schnell, weil die Reiter sofort die Petroleumbehälter fanden und diese ausleerten: Nun brannte alles stark qualmend, und der leichte Wind trieb den Qualm über den San Pedro River, durch dessen Furt ein gutes Dutzend Reiter geflüchtet war. Der Händler und dessen zwei Gehilfen standen regungslos da. Sie wurden bewacht von einigen Spanish-Bit-Reitern. Letztere saßen grinsend auf ihren Pferden, schußbereite Colts in den Fäusten. Man sah ihnen an, daß ihnen dies alles eine grimmige Freude bereitete. Die Stimme ihres Anführers ertönte nun laut: »He, Jackson, du bist gewarnt worden, aber du glaubtest wohl, wir bluffen nur. Jetzt weißt du es genau, nicht wahr? In diesem Land treibt niemand ungestraft Handel mit Feinden der Spanish Bit. Wir haben dir verboten, mit diesem Pack westlich des San Pedro Handel zu treiben. Wer nicht hören will, muß fühlen.« Der Händler, dessen Name offenbar Jackson war, erwiderte nichts. Aber er zitterte am ganzen Körper vor ohnmächtiger Wut. Heiliger Rauch, dachte ich, das ist ja finsterstes Mittelalter! Dieser Orson Hickman kommt sich ja vor wie ein Halbgott. Der Bursche auf dem großen, schwarzen Pferd sah sich nun prüfend um. Die in der Furt spielenden Kinder waren längst in den Adobehütten der kleinen Siedlung verschwunden, auch die Frauen waren nicht mehr zu sehen. Nur ein paar Männer standen noch vor den Hütten und spähten herüber. Und ich saß noch auf dem Holzstoß. Mein roter Hengst stand etwa zwei Dutzend Schritte von mir entfernt im Schatten eines Baumes. Ich hatte die Zügelenden an einen niedrigen Ast gebunden. Auf dem Hinterschenkel meines Hengstes war das frische Brandzeichen deutlich zu erkennen. Der Mann auf dem Rappen sah es. Und dann richtete er seinen Blick auf mich. »Wer reitet diesen Hengst?« So fragte er barsch. Ich erhob mich langsam vom Holzstoß, und ich wußte, jetzt bekam ich Verdruß. Denn dieser Bursche, dessen Namen ich noch nicht kannte, gehörte genau zu jener Sorte, mit der ich stets Verdruß bekam. »Den reite ich«, erwiderte ich. Er kam herangeritten, um mich aus der Nähe zu betrachten. »Ich bin Sid Capote«, sprach er zu mir nieder. »Ich bin der Erste Vormann der Spanish Bit. Es könnte aber dennoch sein, daß jemand dich eingestellt und auf die Lohnliste
gesetzt hat und ich das noch nicht weiß. Hickman selbst vielleicht oder einer seiner beiden Söhne. Wer bist du also? Und wer hat dir erlaubt, diesen Hengst zu reiten? Das ist ein Tausend-Dollar-Pferd.« Ich sah zu ihm hoch und grinste schief. Dann sagte ich: »Dieser Hengst wurde mir von einigen dummen Jungen aus Isabel Fernandos Corral gestohlen. Sie hatten es dann eilig, ihm dieses Brandzeichen aufzudrücken, und warteten danach im Cowboy Dream Saloon auf mich. Sie waren zu fünft, und ich war allein. Doch nachdem ich drei von ihnen von den Beinen schoß, gaben die beiden anderen auf. Ich konnte das Brandzeichen leider noch nicht entfernen. Alles klar, Mister Capote?« Meine Frage zuletzt kam kühl und war für ihn eine Herausforderung. Ich erkannte das in seinen Augen. »Joel? War es dieser verdammte Rotkopf Joel Hickman? Ist er tot?« »Er wird es überstehen«, erwiderte ich. »Aber eine andere Frage: Was macht die Spanish Bit Ranch mit Pferdedieben?« Es war eine Frage für ihn wie ein Tritt gegen die Schienbeine, und er knirschte mit den Zähnen, als zermalmte er Steine zu Pulver. Dann aber zeigte er mir die ganze unduldsame Arroganz der Spanish Bit. Denn er sprach: »Wir stehlen keine Pferde – niemand von der Spanish Bit. Joel Hickman wird den Hengst wiedererkannt haben. Uns werden ständig Pferde und Rinder gestohlen. Wir hatten mal ein besonderes Hengstfohlen, das mitsamt seiner Mutter abhanden kam. Das wird es sein. Vielleicht hast du es gestohlen vor ein oder zwei Jahren, und du bist der Pferdedieb.« Oha, er wußte, daß er log. Denn der Hengst war älter als zwei Jahre, wahrscheinlich fünf oder sechs. Er konnte niemals dieses Hengstfohlen sein. Ich grinste zu ihm hoch. »Lügner«, sagte ich und war darauf gefaßt, daß er von seinem Pferd herunterkommen würde, um es mir zu geben. Aber er hob nur seine Hand und schnippte mit den Fingern. Und da bekam ich es auch schon. Einige seiner Reiter hatten sich inzwischen genähert und umgaben uns. Zwar hielten sie einigen Abstand, doch sie waren nahe genug. Zuerst bekam ich von hinten eine lange Maultiertreiberpeitsche um den Hals geknallt. Ich bekam zwar noch meinen Colt heraus, doch die lange Peitschenschnur riß mich um wie eine Lassoleine. Ich fiel rücklings auf den Holzstoß und schoß schräg gen Himmel. Dann schlug mir eine Bullpeitsche fast die Revolverhand ab. Ich mußte den Colt fallen lassen. Als ich hochkam, fiel das Ende der Maultiertreiberpeitsche zwar von meinem Hals ab, um den es sich gewickelt und mir schmerzvoll die Luft abgeschnürt hatte. Doch dafür bekam ich nun eine Lassoschlinge übergeworfen. Und der Reiter, der das andere Ende des Lassos wahrscheinlich am Sattelhorn festgemacht hatte, ließ sein Tier anspringen. Er schleifte mich über den Boden rings um die Siedlung am Fluß und um die drei brennenden Wagen herum. Zuletzt – als mir schon fast die Sinne schwanden – zog er mich zur Furt hinunter und hinein. Ich konnte nicht mehr aufstehen, versank im Wasser und wußte nichts mehr. Aber ich sollte wohl auch ersaufen. Das war ihre Absicht.
* � Ich erwachte, weil sie an mir herumkneteten, mir immer wieder den Brustkorb einzudrücken versuchten und meine Arme hoben und senkten. Irgendwann begriff ich, daß sie mit mir Wiederbelebungsversuche machten. Und dann mußte ich mich auf die Seite drehen und mich übergeben. Zwischendurch hustete ich mir fast die Seele aus dem Leibe. Oha, es war schrecklich, und es dauerte eine Weile, bis ich endlich Linderung verspürte und nach der überwundenen Not keuchend auf dem Rücken lag. Über mir waren einige Gesichter, zuerst undeutlich und verschwommen wie hinter Nebelschleiern, dann aber zunehmend deutlicher und klarer. Es waren vier Männer und eine Frau, die bei mir knieten und auf mich niederblickten. Die Frau war eine Schönheit. Dies begriff ich sofort. Ich sah eine Weile in ihre grünen Augen, bis ihre vollen Lippen sich öffneten und ihre weißen Zahnreihen blinkten. Ja, sie schenkte mir ein sprödes Lächeln. Es war nicht freundlich und warmherzig, so als freute sie sich darüber, daß sie mich wieder zum Leben erweckt hatte, sondern herbe und hart. Die vier Männer waren verschieden alt. Einer war jung, ein anderer alt – und zwei mußten etwa in meinen Jahren sein. Ich räusperte mich und fragte dann: »Habe ich den San Pedro leergetrunken?« Sie schüttelten die Köpfe. Einer sagte: »Der hat Humor. Aber wahrscheinlich spürt er noch nicht, wie schlimm sie ihn zugerichtet haben.« Indes er es sagte, begann ich auch schon die Schmerzen zu spüren. Die Frau war es, die nun sagte: »Wir sollten ihn auf ein Pferd setzen und mit ihm verschwinden.« Das taten sie dann auch. Sie setzten mich auf ein Pferd. Jemand saß hinter mir auf und hielt mich im Sattel aufrecht. Denn mir ging es wirklich nicht gut. Wohin wir ritten, bekam ich nicht mit. Mir schwanden immer wieder die Sinne. Nur manchmal tauchte ich für Sekunden aus meiner Bewußtlosigkeit auf und begriff, daß wir durch unübersichtliches und rauhes Land nach Westen ritten. Es mußten die Santa Catalinas sein, in die wir auf verborgenen und schwierigen Pfaden immer tiefer hineinritten. Irgendwann halfen sie mir vom Pferd und trugen mich in eine Hütte. Dort legten sie mich auf irgendein Lager. Erleichtert und zugleich vor Schmerzen stöhnend, streckte ich mich aus. Endlich hatte ich Ruhe. O verdammt, was hatte die Spanish Bit mit mir gemacht! Aber ich kannte den Namen des Mannes, an den ich mich zuerst halten würde. Sid Capote war sein Name. Und hinter ihm stand Orson Hickman. Sie wollten mich ertränken und hatten mir meinen Hengst gestohlen. Oha, ich wußte längst, daß den Mächtigen ihre Macht oft zu Kopf steigt, so daß sie zu Despoten werden. Despoten mußte man vernichten. Mit diesem Gedanken schlief ich ein – oder besser gesagt, verlor ich erneut das
Bewußtsein. Aber ich wußte, irgendwann würde ich mich wieder besser fühlen – irgendwann. Und dann … * Aber so schnell ging es nicht. Ich bekam Fieber, das mich einige Tage schüttelte. Am ganzen Körper hatte ich Risse, Abschürfungen, Blutergüsse und Quetschungen. Zwei meiner Rippen waren angeknickt. Ja, ich war einige Tage richtig krank. Und dabei war ich doch ein zäher und eisenharter Bursche. Andere Männer an meiner Stelle hätten die Folter der Spanish-Bit-Reiter gewiß nicht überlebt. Die wären daran gestorben. Ich wurde gut gepflegt. Sie rieben mich mit irgendeiner Salbe ein, von der ein gewisser Pete Skinner behauptete, daß sie auch gut für Pferde und Rinder sei und sogar gegen Krätze und Läuse helfen würde. Ich kannte inzwischen auch die anderen Männer beim Namen. Und die grünäugige Schöne, deren Haar so schwarz glänzte wie das Gefieder eines Raben, hieß Jessica, Jessica Warden. Sie war Witwe. Ihren Mann Morgan Warden hatte Sid Capote auf dem Gewissen. Denn es hatte vor einigen Monaten einen Weidekrieg gegeben. Die kleinen Rancher taten sich zusammen gegen die unduldsame Macht der Spanish Bit. Es gab einen erbitterten Kampf beider Mannschaften. Die kleinen Rancher und deren wenige Reiter verloren und mußten in das unübersichtliche Gebiet westlich des San Pedro River flüchten. Und in solch einem verborgenen Camp war ich nun und wartete auf meine Gesundung. Dies alles war mir schon klar. Manchmal bekamen wir Besuch aus anderen verborgenen Camps. Man wußte inzwischen auch von meinem Kampf in Santa Rosa. Von den drei Burschen, die ich mit dem Colt und Gewehr von den Beinen schoß, war keiner gestorben. Sie würden es überleben. Es gab also in den Santa Catalinas mehrere Camps wie das unsere. In einigen lebten Banditen und Geächtete, die dies schon waren, bevor die Spanish Bit alle kleineren Nachbarn vertrieb und sich ausbreitete nach allen Seiten. Aber in anderen Camps lebten einstige Rancher oder Siedler, die von ihren Anwesen gejagt wurden, deren Rinder und Pferde man wegtrieb und deren Reiter man verprügelte und einschüchterte, bis sie aus dem Lande ritten. So war das also. Die Verjagten und Entrechteten lebten westlich des San Pedro in verborgenen Camps. Und ich gehörte nun zu ihnen. Denn ich wollte meinen Hengst zurückhaben. Und ich wollte Sid Capote. Danach würde Orson Hickman an die Reihe kommen. Ja, wir würden Krieg führen wie Guerillas gegen einen despotischen Herrscher. Es gab keine Hilfe für uns, kein Gesetz, keinen Sheriff oder Marshal. Das ganze ArizonaTerritorium wurde noch bis nach New Mexico hinüber von Apachen beherrscht. Die Städte darin waren wie Inseln in einem von Piraten und Haien verseuchten Meer. Die Armee besaß nur wenige Forts und kleinere Camps. Minen und Ranches mußten sich selbst schützen. Diese Gesetzlosigkeit nutzte Orson Hickman rücksichtslos aus. Er festigte seine Macht
mehr und mehr und schien inzwischen unüberwindbar zu sein. Aber seine Leute hatten mich übel behandelt und mir meinen Hengst gestohlen. * Als ich am fünften Tage am späten Nachmittag im Schatten eines Baumes vor der Hütte saß und meine kaum verharschten Wunden ohne Verbände und Pflaster der reinen Luft aussetzte, damit sie schneller heilen sollten, da kam Jessica. Ich verglich sie immer mit der schönen Isabel Fernando. Aber eigentlich waren sie nicht miteinander zu vergleichen. Isabel verkaufte Zärtlichkeit, und wenn sie sich auch nur Männern hingab, die sie mochte, so war sie doch nur eine Nobelputa, die ihre Gäste in einem nobel ausgestatteten Haus verwöhnte. Diese Jessica Warden war anders. Auch sie war schön und begehrenswert, aber auf eine kühlere Weise; und sie hatte ihren Mann geliebt, ihm geholfen, die kleine Ranch aufzubauen. Sie war ihm eine Gefährtin gewesen durch dick und dünn. Ja, sie gehörte zu jener Sorte von Frauen, die ihrem Mann der beste Partner und Gefährte sind und ihm unbedingt auch Kinder schenken wollen. Doch jetzt brannte der Haß in ihr, ein wilder, unversöhnlicher Haß. Sie setzte sich zu mir auf die Bank vor der Hütte, sah mich an und lächelte ein wenig. Dann fragte sie ganz ruhig und sachlich: »Werden Sie bleiben, John Starretter, und an unserem Krieg teilnehmen? Orson Hickman hat uns vertreiben können, weil wir feste Plätze hatten, die wir einzeln nicht verteidigen konnten. Doch jetzt ist es anders. Jetzt sind wir frei, ungebunden, können reiten, wann und wohin wir wollen. Jetzt hat er die festen Plätze, die er verteidigen muß – nämlich seine Vorwerke, Grenzhütten – und sein Hauptquartier, die Spanish Bit Ranch. Wir können überall zuschlagen. Ja, wir machen Krieg, richtigen Krieg. Er hat zu viele von uns verjagt, bestohlen und beraubt. Und er hat auch welche von uns töten lassen. Machen Sie mit, John Starretter?« Ich zögerte. Dann murmelte ich: »Es würde genügen, ihn selbst, seinen Vormann Capote und seine Söhne zu erledigen. Dann würde weniger Blut vergossen werden. Es müßten nur wenige von uns sterben.« »Ich weiß«, murmelte sie. »Aber das ist noch keine Antwort auf meine Frage, John Starretter.« »Nein«, erwiderte ich. Dann sah ich sie von der Seite her an. Sie tat mir leid. Denn sie war voll Bitterkeit und Haß. Dieser Haß würde sie zerstören. Obwohl sie als Frau ein Wunder war, galt dies jetzt nur noch für die äußerliche Hülle. Ich sagte: »Jessica, Sie sind so schön, ein richtiges Wunder. Aber wenn Sie nicht aufhören zu hassen, werden Sie sich selbst zerstören. Und selbst wenn Ihre Rachepläne in Erfüllung gehen sollten, wird es Sie nicht befriedigen. Rache befriedigt nie.« »Doch«, erwiderte sie, wandte sich mir zu und blickte mir starr in die Augen. »Sie sind uns etwas schuldig, John Starretter«, forderte sie. »Und wir brauchen jeden Mann, der noch mit Orson Hickman eine Rechnung zu begleichen hat. Werden Sie also mit uns reiten?« Ich mußte mich entscheiden.
Irgendwie tat sie mir leid. Ich konnte sie nicht allein lassen. Denn die anderen, dies wußte ich, haßten so wie sie. Sie alle waren so besessen von ihrem Haß, daß sie irgendwann einmal blind ins Verderben reiten würden. Sie hatten mich aus dem Fluß gezogen und mich zu neuem Leben erweckt. Nun brauchten sie jemanden, der zwar mit ihnen ritt, doch kühlen Kopf bewahrte, obwohl er Orson Hickmans Untergang genauso wollte wie sie. Deshalb nickte ich. »Ja, ich will mit euch reiten. Wann soll das sein?« »Sobald Sie wieder lange genug im Sattel bleiben können, John. Wir werden uns mit anderen Reitern vereinigen und einen großen Coup landen. Orson Hickman wird eine große Herde verlieren.« Sie erhob sich und ging wieder. Sie trug Cowboystiefel und einen geteilten Reitrock aus Wildleder. Am Revolvergurt hing ein kleiner Colt. Ich bewunderte ihren Gang. Oh, sie war wunderbar anzusehen. Doch sie hatte nichts anderes im Kopf als Rache und Vergeltung. Es konnte sein, daß alle Männer, die mit ihr ritten, eines Tages ins Verderben reiten würden. Vielleicht konnte ich sie davor bewahren. Denn ich war erfahren, kannte mich aus in allen harten Spielen, und das Schema dieser harten Spiele variierte nur wenig. Ich war ein erfahrener Revolvermann. Und ich wußte, ich konnte es mit Sid Capote aufnehmen. Ich hatte ihn bei unserem ersten Zusammentreffen für zu stolz gehalten, um andere Männer auf mich zu hetzen. Jetzt wußte ich, daß es ihm nichts ausmachte. Sie würden mich nicht mehr mit einer langen Maultiertreiberpeitsche von hinten überrumpeln können, indes ich darauf wartete, daß Capote vom Pferd stieg und es von Mann zu Mann mit mir austragen würde. Vielleicht war ich ihm seiner Meinung nach nicht ebenbürtig, aber diesen Irrtum würde er bald einsehen. Nun, ich blickte also hinter Jessica her und wünschte mir, daß ich sie vor dem innerlichen Absterben all ihrer guten Gefühle bewahren konnte. Aber warum eigentlich wollte ich das? Was lag mir an ihr? Ich kannte sie ja kaum. Wollte ich nur meine Schuld bezahlen, weil sie und ihre Gefährten mich aus dem Fluß zogen, in dem ich schon fast ertrunken war? Oder interessierte sie mich als Frau, daß ich mir solche Sorgen um sie machte? * In den drei folgenden Tagen füllte sich das verborgene Camp. Es kamen immer wieder Reiter in kleinen Gruppen. Und so waren wir hier schließlich fast drei Dutzend Männer und vier Frauen. Am vierten Tag kam Jessica mal wieder zu mir. Ich hockte am Creek, der dieses kleine Tal durchfloß und am Ende als Wasserfall in eine tiefe Schlucht stürzte.
Ich hatte schon einige Forellen gefangen, und als sie sich neben mich setzte, fragte ich: »Willst du welche?« Dabei deutete ich auf die Fische im Gras. »Ich werde sie für uns zubereiten«, versprach sie. »Und wenn wir sie gegessen haben, dann reiten wir. Wir alle! Nur die drei Frauen bleiben hier.« Ich nickte. Dann fragte ich: »Diese Männer haben doch fast alle Frauen und Kinder. Wo sind die denn?« Sie seufzte. »Einige Frauen zogen mit den Kindern zu irgendwelchen Verwandten oder Freunden. Sie wollten nur eins: weg von der Spanish Bit Ranch. Andere Frauen verließen ihre Männer, denn es gibt immer wieder Frauen, die es bei Verlierern nicht lange aushalten. Es zogen aber auch viele Männer weg – die Furchtsamen. Wir sind hier der harte Kern der Verjagten. Und heute noch reiten wir. Unser Plan ist einfach. Wir teilen uns in zwei Gruppen. Die erste Gruppe stiehlt eine Herde und lockt die Spanish-BitMannschaft hinter sich her. Nach einiger Zeit gibt sie die gestohlenen Rinder auf und flüchtet. Aber weil sie die Spanish-Bit-Mannschaft hinter sich herlockte, haben wir – die zweite Gruppe – reichlich Gelegenheit, eine größere Herde zu sammeln und zum Coronado-Paß zu treiben. Wir haben bereits Abnehmer dafür. Sie übernehmen die Rinder oben auf dem Paß und treiben sie weiter nach Norden. Wir aber halten die Verfolger drei Tage und drei Nächte auf. Dann ist der Vorsprung der Treibherde groß genug. So wird es gemacht.« »Basta«, knurrte ich trocken. »Ja, basta«, wiederholte sie spröde. Dann erhob sie sich, nahm die Fische und ging davon. Ich blieb noch eine Weile am Creek. Ja, ich würde mitreiten. Denn ich mußte das Land kennenlernen. Und eigentlich gefiel es mir sehr, der Spanish Bit Ranch eine Rinderherde zu stehlen. Jessica Warden und deren Gefährten hatten einen Anspruch auf meine Hilfe. Ich kannte sie inzwischen einigermaßen. Als ich zum Camp zurückkam, waren die anderen schon beim Essen. Auch ich aß einige Bissen. Danach brachen wir auf. Pete Skinner und ein alter Bursche, der auf den Namen Wichita hörte, waren Cowboys auf der Warden Ranch gewesen. Paco Cabazzo und Dan Taggert waren Nachbarn der Warden Ranch, Kleinrancher, die erbarmungslos von ihrem Eigentum verjagt wurden. Wir bildeten den Kern der zweiten Mannschaft, die eine möglichst große Herde stehlen und zum Coronado-Paß hinauftreiben wollte, wenn es der ersten Mannschaft gelang, alle Spanish-Bit-Reiter wegzulocken. Wir ritten den Rest des Tages und fast die ganze Nacht. Als es Tag wurde, befanden wir uns auf einem bewaldeten Hügel, von dem wir einen guten Überblick über das weite Weideland hatten. Wir sahen nicht nur Hunderte, sondern Tausende von Rindern. Und in etwa einer guten Meile Entfernung erkannten wir eine Brennmannschaft mit einem Wagen. Ein halbes Dutzend Reiter trieb Rinder zu dem Feuer, wo die Brenneisen glühend gemacht wurden. Pete Skinner wandte sich an mich und sagte: »Viele Rinder auf dieser Weide tragen noch die Brandzeichen ihrer ursprünglichen Besitzer. Jetzt muß die Spanish Bit diese Rinder umbränden.« Ich nickte nur. Es wurde allmählich Mittag, und wir warteten immer noch in guter Deckung auf dem bewaldeten Hügel. Einige Male kamen uns die Zusammentreiber der Brennmannschaft auf der Suche nach Rindern ziemlich nahe. Wir mußten damit rechnen, daß sie auf unsere
Fährte stoßen würden, die zum Hügel hinaufführte. Aber zum Glück kehrten sie immer wieder rechtzeitig um. Und so konnten wir in aller Ruhe weiter warten. Doch dann kam am frühen Nachmittag von Osten her ein Reiter in Sicht, der schon in einiger Entfernung von der Brennstelle dreimal mit dem Colt in die Luft schoß und anhielt. Als er sah, daß die Reiter der Brennmannschaft sich sammelten und einer von ihnen als Erwiderung ebenfalls dreimal den Colt krachen ließ, machte er wieder kehrt und galoppierte davon. Die Brennmannschaft folgte ihm und versuchte, ihn einzuholen. Sie tauchten immer wieder in Senken ein und kamen auf dem Rücken der Bodenwellen zum Vorschein. Nur ein Mann blieb unten beim Brennwagen und dem Feuer, in dem die Brandeisen lagen. Er nahm sie heraus und warf sie wütend neben dem Feuer zu Boden. »Es hat geklappt«, sagte einer von uns. »Unsere erste Gruppe hat gute Arbeit geleistet und lockt die ganze Spanish-Bit-Mannschaft hinter sich her. Jetzt sind wir an der Reihe.« Wir saßen auf und ritten den Hügel abwärts auf das verlassene Brenncamp zu. Der einsame Bursche – er war gewiß nicht nur der Fahrer des Brennwagens, sondern auch der Koch – sah uns mit aufgerissenen Augen entgegen. Er versuchte nicht zu kämpfen, denn das wäre sein Tod gewesen. Doch er rechnete sich aus, daß es ihm übel ergehen würde. Und da hatte er sich nicht getäuscht. Denn die Männer, mit denen ich ritt, kannten keine Gnade. Jetzt erst wurde mir klar, wie verbittert sie waren, haßerfüllt und beherrscht von Rachewünschen. Es ging sehr schnell. Sie packten ihn, zogen ihm die Hosen aus und brannten ihm das Brandzeichen der Spanish Bit auf beide Hinterbacken. Er kreischte und wimmerte schrecklich, obwohl er gewiß ein harter Bursche war. Sie rieben ihm die Brandwunden mit Fett ein, so wie man es bei den gebrändeten Rindern tat, bevor man sie wieder laufenließ. Er aber lief nicht davon, sondern blieb mit seinem nackten, arg mißhandelten Hintern bäuchlings liegen. Ich holte vom Wagen einen Lappen und einen kleinen Holzeimer voll Wasser, tauchte den Lappen darin ein und legte ihn auf die beiden Brandwunden. Einige der Männer knurrten unwillig. Und einer sagte böse: »He, was soll das, du barmherziger Samariter? Weißt du nicht, was sie mit so manchem von uns und unseren Reitern gemacht haben, um uns zum Aufgeben zu zwingen, damit das Land frei wurde für diesen Hurensohn Orson Hickman? Weißt du das nicht?« Ich schüttelte unwillig den Kopf. »Aber wir sind keine Barbaren«, erwiderte ich. »Wir sind zwar im Krieg mit der Spanish Bit, aber keine Barbaren. Dieser Bursche hier war froh, einen Job zu haben als Koch und Fahrer bei einer Brennmannschaft. Der ist nur ein kleiner Wicht.« Sie grollten und knurrten, waren mit mir ganz und gar nicht einverstanden. In ihnen war zuviel Haß. Ich wußte, ich ritt nicht mit edlen Rittern, denen Stolz und Ehre über alles ging. Die kleinen Leute konnten sich einen solchen Luxus nicht erlauben. Ihr Existenzkampf ist zu schwer, zu mühsam, und zu oft wird Anständigkeit von den Mitmenschen als Schwäche oder gar Dummheit ausgelegt. Wir ritten auseinander, um eine große Herde zu sammeln. Das war nicht schwer, denn
im Umkreis von einer Meile gab es mehr als tausend Rinder. Und so gingen wir an die Arbeit. In wenigen Stunden war es Nacht. * Nun, wir trieben die gehörnten Biester die ganze Nacht. Zum Glück war es eine helle Nacht mit einem Dreiviertelmond und funkelnden Sternen. Es war eine schwere Arbeit, weil die Rinder an das Treiben noch nicht gewöhnt waren. Einige Male drohte eine Stampede auszubrechen. Und immer wieder wollten die Longhorns auseinanderlaufen. Erst als es Tag wurde, bekamen wir sie mehr und mehr unter Kontrolle und brachten sie in die von uns gewünschte Richtung auf den Weg. Das Brüllen der Rinder, unsere heiseren Schreie und Pfiffe, das Klatschen der Bullpeitschen und Lassoenden und auch das Klappern der Hörner gegeneinander, dies alles war ein gewiß meilenweit zu hörender Lärm. Und jetzt bei Tage war auch die gewaltige Staubwolke, die über der Herde aufstieg und hinter ihr noch lange in der Luft schwebte, meilenweit zu sehen. Wir mußten hinauf zum Coronado-Paß, bevor uns die Spanish-Bit-Mannschaft eingeholt hatte. Und das war verdammt kein Zuckerschlecken. Es wurde also ein harter Tag für uns. Und während wir uns keine Ruhepause gönnten, sicherte einer von uns von den höheren Hügelkämmen aus ständig nach Osten und Südosten. Denn aus dieser Richtung würden die Verfolger kommen. Ich dachte immer wieder an Sid Capote. Würde er die Verfolger anführen? Dann kam er vielleicht in die Reichweite meiner Waffen. Ich wollte mit ihm kämpfen, Mann gegen Mann. Nun, der lange, heiße, staubige Tag des harten Treibens verging, und die Spanish-BitMannschaft kam immer noch nicht in Sicht. Allmählich begannen wir zu glauben, daß wir gewinnen konnten. Und so war es auch. Am späten Nachmittag erreichten wir den Anfang des Paßanstiegs und sandten Jessica und einige ältere Reiter voraus. Wir anderen blieben zurück, um die vor dem Schluchtmaul sich drängende Herde zusammenzuhalten und Tier für Tier hinaufzujagen. In der Dämmerung rief ich den anderen durch den Lärm der brüllenden Rinder zu, daß ich nach der Spanish-Bit-Mannschaft Ausschau halten würde, verließ die Herde und suchte mir einen Weg nach Osten. Immer wieder hielt ich an, um zu lauschen. Die Nacht kam. Am Himmel zeigten sich die Gestirne, begannen zu leuchten und ihr Silberlicht auf die Erde zu ergießen. Alle aufragenden Dinge warfen so tiefe Schatten wie bei Tage, wenn die Sonne schien. Endlich hörte ich sie kommen. O ja, da kam eine hart und rauh reitende Mannschaft angedonnert, sandte ihren Hufschlag meilenweit voraus in dem stillen Land. Ich wußte, sie kamen zu spät. Es gab den Paßweg hinauf viele Möglichkeiten, sie mit einigen Gewehren aufzuhalten. Sie konnten die Herde nicht mehr einholen. Und über die Wasserscheide würden sie nicht kommen, solange dort oben Gewehre auf sie feuerten.
Die Nacht war hell. Und bei Tage konnten die Gewehre oben am Paß noch genauer schießen. Sie hatten verloren. Das freute mich. Ich ritt neben der breiten Fährte der Herde in guter Deckung und blieb im Sattel. Es dauerte nicht lange, dann kamen sie. Im Mond- und Sternenschein erkannte ich Sid Capote auf dem großen Rappen an der Spitze. Dann zählte ich die Reiter hinter ihm. Es waren mehr als drei Dutzend. Das mußte fast die ganze Spanish-Bit-Mannschaft sein! Als sie vorbei waren, überlegte ich. Mir war nämlich ein Gedanke gekommen. Ich entschied mich rasch und machte mich auf den Weg. Wohin? Nun, lieber Leser meiner Geschichte, das war ja wohl klar, oder? * Ich wußte ungefähr, wo die Spanish Bit Ranch lag. Denn Jessica und die anderen Männer hatten mir oft genug das Land erklärt, mir die Täler und Hügel, die Creeks und Ebenen in den Staub mit dünnen Stöckchen gezeichnet. Ich ritt stetig durch die Nacht, hielt die ungefähre Richtung ein und orientierte mich im Mond- und Sternenschein nach Bergen und Hügelketten. Nachdem ich die Formationen in diesem Land erst einmal begriffen hatte, halfen mir meine Erfahrungen und auch mein Instinkt. Es war fast schon grauer Morgen, als ich die Spanish Bit Ranch erreichte auf meinem vor Erschöpfung stolpernden Pferd. Ein Mann, der ein Gewehr trug, trat mir aus einem halboffenen Schuppen entgegen. Er war der Nachtwächter und mexikanischer Abstammung. Arglos fragte er, weil er mich für einen der Ranchreiter hielt, der aus irgendwelchen Gründen zur Ranch kam: »Na, kannst du dem Boß eine gute Nachricht bringen? Habt ihr die Herde zurückgeholt?« Er war bei seinen Fragen dicht an mein Pferd herangetreten und sah zu mir empor. Als ich erkannte, daß er endlich mißtrauisch wurde, weil ich ihm fremd war, hämmerte ich ihm meinen Colt auf den Hut. Er ging auf die Knie und stöhnte. Ich glitt aus dem Sattel und zog ihn in den Schatten des halboffenen Schuppens, aus dem er gekommen war. Es dauerte eine Weile, bis er wieder einigermaßen bei Verstand war. Und so begann ich, ihm einige Fragen zu stellen. »Ich bin hier nur der Pferdebursche«, stöhnte er. »Mit Paco zusammen sorge ich für die Pferde, und wir sind die letzten Namen auf der Lohnliste.« »Na gut«, murmelte ich, »dann beantworte meine Fragen, und ich lasse dich am Leben. Weißt du, ich bin der Mann, dem der rote Hengst gehört.« »Aaah«, stöhnte er und hielt sich den schmerzenden Kopf. »Das ist ein Jahrhunderthengst. Es geht ihm gut. Denn ich wußte sofort, was ich einem solch herrlichen Tier schuldig bin. Er warf Kevin und Orson Hickman auch schon mehrmals ab, so daß sie aufgaben, ihn reiten zu wollen. Den kann niemand zähmen.« »Doch«, sagte ich.
Ich fand dann im Schuppen an einem Wandhaken einige Lassos, und so nahm ich eines, um meinen Gefangenen zu fesseln, indes ich mein Verhör fortsetzte. Er antwortete willig, und ich bekam mehr und mehr den Eindruck, daß er in mir nicht so sehr den Feind der Spanish Bit Ranch sah, sondern vielmehr den bewunderungswürdigen Besitzer eines Jahrhunderthengstes. Er war ein Bursche, der Pferde über alles liebte, wahrscheinlich mehr als die Menschen. Aber ich, der diesen Hengst besaß, war eine Ausnahme. Ich knebelte ihn dann auch noch, damit man ihm später nicht vorwerfen konnte, er habe nicht gebrüllt und keinen Alarm geschlagen. Dann nahm ich das müde Pferd und ging im Morgengrauen – Nebel stiegen – über den weiten Ranchhof zu den Corrals hinüber. Ich machte mir keine Sorgen, daß ich vorerst in Gefahr war. Denn ich bewegte mich ganz normal wie jeder andere heimgekehrte Reiter. Ich sah auf das Haupthaus. Es war groß, weitläufig und zweistöckig, aus Adobe gebaut und weiß getüncht. Um dieses Haupthaus gruppierten sich die anderen Gebäude, Schuppen und Werkstätten. Ich wußte, im Haupthaus schlief jetzt jener Orson Hickman und vertraute auf seinen Vormann Sid Capote. Der Wächter hatte mich gefragt, ob ich gute Nachrichten für den Boß bringen würde. Nun, ich würde Orson Hickman in wenigen Minuten aufsuchen. Doch erst mußte ich meinen Hengst für einen schnellen Aufbruch bereitmachen. Als ich den Corrals nahe genug war, hörte ich ihn schnauben und leise wiehern. Ja, er hatte meine Witterung in die Nüstern bekommen und begrüßte mich. Es konnte nicht anders sein. Als ich das müde Pferd in einen Corral brachte, um es gegen den Hengst einzutauschen, kam er heran – zuerst vorsichtig, mit vorgestrecktem Kopf, prüfend und witternd. Aber dann, als er sicher war, daß ich es war, stieß er mir die Nase unter die Achselhöhle. Und ich tätschelte seinen Hals und seine Hinterhand. Ja, wir feierten Wiedersehen. Als ich ihm den Sattel auflegte, schnaubte er zufrieden. Denn er wußte, jetzt begann wieder das alte Leben – und das war sehr viel anders, als in einem Corral eingesperrt zu werden. Wir würden wieder die Freiheit spüren. Ich führte ihn bis vor die Veranda des Haupthauses. In diesem Moment öffnete sich die Tür. Ein massiger Mann in Unterzeug und Pantoffeln trat heraus und fragte mit heiserer, barscher Stimme: »He, was für eine Meldung sollst du mir bringen? Habt ihr die Herde zurückgeholt und die Viehdiebe erledigt?« Ich erwiderte noch nichts, sondern trat auf die Veranda, bis ich dicht vor ihm hielt. Er erkannte nun, daß ich kein Reiter von ihm war. Und im Morgengrauen und den leichten Morgennebeln erkannte er endlich auch den Hengst. Er zuckte zusammen und knurrte überrascht. Aber er war nur mit seinem Unterzeug bekleidet und unbewaffnet. Das ungeduldige Warten hatte ihn vor die Tür getrieben, weil es ihn nicht schlafen ließ. Wahrscheinlich hatte er auch die Hufschläge gehört, als ich kam und als ich Sonora aus dem Corral vor das Haus führte. »He«, sagte er. Ich grinste böse. »Ich habe mir nur meinen Hengst geholt«, sagte ich. »Und in den nächsten Tagen
werde ich noch meine Rechnung mit Sid Capote begleichen, Mister Hickman. Was die Herde betrifft, sie ist über den Paß gelangt, bevor Capote mit der Mannschaft auftauchte. Ich wette, Ihre Mannschaft sitzt die nächsten drei Tage und Nächte vor dem Paß fest. Sonst noch Fragen, Mister Hickman?« Er staunte mich an, als wäre ich ein Ochse mit zwei Köpfen. Und er war ein bulliger Bursche, so ein richtiger zweibeiniger Toro, ein Kampfstier also. Seine besten Jahre hatte er allerdings schon hinter sich. Deshalb versuchte er auch nicht, mich anzugreifen. »O Mann«, keuchte er, »Sie müssen verrückt sein. Ich werde Ihr Fell an ein Scheunentor nageln lassen.« »Nicht, wenn ich Sie jetzt töte«, murmelte ich. »Dann können Sie nur noch aus der Hölle auf mich spucken.« Nach diesen Worten verließ ich ihn, trat zu meinem Pferd, saß auf und ritt davon. Er sah mir wortlos nach. In mir war ein bitteres Bedauern. Ich hatte ihn geschont, denn ich war kein Mörder. Und dennoch wußte ich, daß es dumm und geradezu selbstmörderisch war, ihn am Leben zu lassen. Denn er würde jetzt die Hölle gegen mich in Gang bringen! Aber ich konnte nicht anders. Ich vermochte keinen waffenlosen Mann zu töten, der im Unterzeug vor mir stand und fast lächerlich auf mich wirkte. Wohin sollte ich jetzt reiten? Indes ich dies überlegte, fiel mir Isabel Fernando in Santa Rosa wieder ein. * Sonora, mein prächtiger Hengst, war ausgeruht. Und weil er ein Hengst und ehemaliger Herdenking war, wollte er es mir mal zeigen. Es hätte ihm gefallen, wenn er der Boß gewesen wäre. Und so kämpften wir erst mal ein wenig auf freundschaftliche Weise miteinander, bis er dann endlich merkte, daß ich der Boß war. Von da an lief er willig und versuchte nicht mehr, seinen Kopf durchzusetzen. Und so ritt ich durch den immer heller und klarer werdenden Morgen und begann bald schon, meine Fährte zu verwischen. Ich vertraute darauf, daß Orson Hickman nicht auf die Idee kommen würde, mich in Santa Rosa zu suchen. Er mußte eher annehmen, daß ich aus dem Land ritt, möglichst tausend Meilen weit, nachdem ich mir den Hengst zurückholte. Ich ritt bis gegen Mittag und suchte mir während der flimmernden Mittagshitze einen schattigen Platz, von dem aus ich meine Fährte eine Meile weit beobachten konnte. Dann legte ich mich lang und schlief sofort ein. Aber es war kein tiefes Schlafen. Ich schlief gewissermaßen »einäugig«, denn ich wachte immer wieder auf, hob den Kopf und sah auf meiner Fährte zurück bis zu den Hügeln. Da mein Platz sich auf einer bewaldeten Anhöhe befand, hatte ich einen guten Überblick und eine weite Sicht. Doch es kam niemand auf meiner Fährte. Ich hatte diese jenseits der Hügel wahrscheinlich gut genug verwischt und zwischen anderen Fährten verschwinden lassen. Auch war ich ein langes Stück in einem Creek geritten. Und noch eine Chance rechnete ich mir aus: Vielleicht gelang es Orson Hickman nicht
schnell genug, den Rest seiner Mannschaft zusammenzuholen, oder es gab keinen guten Fährtenleser unter diesen Reitern. Nun, ich schlief mit Unterbrechungen länger als zwei Stunden, aß von dem mitgenommenen Proviant und fühlte mich dann etwas besser. Als ich wieder aufsaß und weiter in Richtung Santa Rosa ritt, dachte ich immer intensiver an die schöne Isabel Fernando. Sie konnte einen Mann die harten und bitteren Tage vergessen lassen. Wie würde sie mich aufnehmen, wenn ich plötzlich bei ihr auftauchte? Denn vor Mitternacht konnte ich nicht in Santa Rosa sein. Vielleicht hatte sie dann schon einen anderen Gast! Als ich mich das fragte, fiel mir Jessica Warden ein. Sie waren so sehr verschieden, diese beiden Frauen. Ob Jessica auch so zärtlich lieben konnte wie Isabel? fragte ich mich. Ich wußte es nicht, begriff aber, daß die Antwort damit zusammenhing, ob es uns gelingen würde, Orson Hickman und dessen Macht zu zerschlagen. Gelang uns das nicht, konnte man wohl mit Sicherheit annehmen, daß Jessica nie wieder eine normale Frau werden würde. * Es war fast schon Mitternacht, als ich vor Isabels Haus mein Pferd zügelte. Im Mondund Sternenschein sah ich, daß die Balkontür und auch die beiden Fenster im ersten Stock offen waren. Isabel liebte die frische Nachtluft in ihrem wunderschönen Schlafzimmer. Wenn sie nicht zu fest schlief, mußte sie den Hufschlag meines Pferdes gehört haben. Erst recht mußte sie mein Kommen gehört haben, wenn sie noch wach war, weil sie einen Gast bei sich hatte. Letzteres hätte mir allerdings weniger gefallen. Mein Hengst schnaubte. Er war lange und weit genug gelaufen, um sich nun ein wenig Ruhe zu wünschen. Und er war schon mal hier und kannte den Corral hinter dem Haus, wo Pedro – Isabels Hausbursche für alles – ihn bestens versorgt hatte. Dieses Schnauben war in der stillen Nacht ziemlich weit zu hören. Und wie ich gleich darauf feststellte, hatte auch Isabel es mitbekommen. Denn nun beugte sie sich oben über die Balkonbrüstung. »Hey, mein Engel«, sagte ich aus dem Sättel zu ihr hinauf. »Hast du mich nicht ein wenig vermißt?« Sie erwiderte mit einem Klang ungläubigen Staunens in der Stimme: »O John, John Starretter, bist du verrückt, herzukommen? Ist das der Hengst? Hast du ihn dir zurückgeholt? Weißt du nicht, daß Joel Hickman immer noch angeschossen im Hotel liegt und sich ständig zwei Reiter der Spanish Bit in Santa Rosa aufhalten?« Der Klang ungläubigen Staunens in ihrer Stimme war dem echter Besorgnis gewichen. »Die sollen mir nur nicht über den Weg laufen«, erwiderte ich. »Willst du mich hier nicht haben?« »Oh«, seufzte sie, »Was bist du nur für ein Bursche! Stell dein Pferd in den Corral und komm durch die Hintertür ins Haus. Ich mache dir auf. Hast du Hunger?« »Auf alles, was du mir geben kannst«, erwiderte ich.
»Du bist verrückt«, sagte sie und verschwand. Ich ritt um das Haus herum. Pedro, der einige Häuser weiter bei seinen Eltern wohnte, würde erst morgen kommen. Also mußte ich meinen Hengst selbst versorgen. Ich stellte ihn in den halboffenen Schuppen, gab ihm Heu und Mais und sah nach, ob im Wassertrog genug sauberes Wasser war. Dann ging ich durch die Hintertür ins Haus und riegelte sie hinter mir ab. Isabel war in der Küche. Im Morgenrock stand sie am Herd und tat ein Steak in die heiße Pfanne, daß es nur so zischte. »Damit du zu Kräften kommst«, sagte sie über die Schulter. »Du mußt lange geritten sein. Mir scheint, du bist hagerer geworden, du verdammter Comanche.« Sie nannte mich manchmal Comanche, weil ich ihr erzählt hatte, daß eine meiner Großmütter zumindest eine halbe Comanchin gewesen war. Ich trat zu ihr und nahm sie in meine Arme, verschwitzt und staubig, wie ich war. Nachdem wir uns lange geküßt hatten, kümmerte sie sich wieder um das Steak in der zischenden Pfanne. Aber sie sagte über die Schulter: »Du bist wahrhaftig kein schöner Mann. Und du stinkst nach Schweiß, nach Staub, Leder und Tabak. Aber wenn du mich in die Arme nimmst, macht mir das nichts aus – gar nichts. Ich genieße dich als Mann. Verdammt, das muß mir passieren!« Ich begriff, was sie meinte. Vielleicht war es wirklich schlimm für eine Edelputa, wenn sie sich in einen Mann verliebte. Denn wenn es die große Liebe war, mußte sie ihm treu sein. Und dadurch veränderte sich ihr ganzes Leben. Vielleicht würde Isabel deshalb gegen ihre Liebe zu mir ankämpfen. Aber darüber wollte ich nicht nachdenken – nicht in dieser Nacht. Ich würde überhaupt nicht über die Zukunft nachdenken. Vielleicht ritt ich morgen schon los, um tausend Meilen weiter erst wieder richtig anzuhalten. In dieser Nacht dachte ich nicht ein einziges Mal an jene Jessica Warden. * Als wir am späten Vormittag beim Frühstück saßen, sagte sie plötzlich unerwartet spröde aus einer tiefen Nachdenklichkeit heraus: »Und wenn du die letzte Tasse Kaffee getrunken hast, dann reitest du fort und kommst nie wieder – nie mehr, verdammt!« Sie wirkte wütend, doch sie war es nicht, nein, sie war im Gegenteil sehr traurig. Aber sie wollte wütend sein, um ihre Entschlossenheit zu erhalten. Sie fürchtete sich davor, weich zu werden und den gefaßten Entschluß wieder aufzugeben. Und so fügte sie noch spröder hinzu: »Aus uns kann nichts werden, denn du kennst meine Vergangenheit. Vor Jahren – nach einer bösen Enttäuschung und einem mißglückten Selbstmordversuch – schwor ich mir, nie wieder einen Mann mit dem Herzen zu lieben. Ich will es immer noch nicht. Also hau ab, John Starretter, hau ab und vergiß mich! Denn wenn wir zusammenbleiben, würdest du dich – und sei es auch erst nach Jahren – daran erinnern, was ich einmal war. Aus uns kann nichts werden! Eines Tages werde ich nach San Francisco gehen und ein neues Leben beginnen. Du würdest mich nur an mein altes Leben erinnern. Hau einfach ab. Ohne Geschenk, hörst du, ohne die verdammten Dollars
auf dem Tisch!« Das war es also. Ich begriff es schnell. Und ich konnte sie verstehen. Sollte ich sie umzustimmen versuchen? Ich erkannte in ihren Augen, daß sie entschlossen war, gegen das, was sie für mich spürte, anzukämpfen, so wie ein wildes Pferd gegen Unterwerfung und Gefangenschaft ankämpft. Sie wollte frei sein und fürchtete sich vor der Zukunft mit einem Mann, der ihre Vergangenheit kannte. »Gut, Isabel«, murmelte ich. »Du bist vielleicht – was unsere Zukunft betrifft – klüger als ich. Aber ich werde dich so schnell nicht vergessen können. Warum haben wir uns einige Jahre zu spät kennengelernt?« »Weil alles Schicksal ist«, erwiderte sie und erhob sich mit einer schnellen Bewegung, um den Tisch abzuräumen. Sie konnte nicht mehr sitzen bleiben, mußte etwas tun. Ich hinderte sie nicht daran, sondern ging durch die Hintertür hinaus, nachdem ich mir den Waffengurt umgelegt, die Jacke angezogen und den Hut aufgesetzt hatte. Mehr brauchte ich nicht mitzunehmen. Denn meine Sattelrolle war bei meinem Sattel im halboffenen Schuppen, in dem mein Hengst schnaubte. Pedro arbeitete im Hinterhof, der mehr ein Garten war. Er kam mit einem Korb voll reifer Tomaten. Ich warf ihm fünf Dollar zu. Dann sattelte ich mein Pferd, stieg auf, ritt um das Haus und gelangte aus der kleinen Gasse auf die einzige Straße von Santa Rosa. Es war nun fast Mittag, Die Leute kamen von den Feldern in die Stadt zurück, um die heiße Tageszeit im Schatten zu verbringen, um Siesta – also Mittagsruhe – zu halten. Manche saßen auch schon im Schatten der überdachten Verändert und unter den Arkaden in Schaukelstühlen oder auf Bänken. Sie alle sahen mich, und wahrscheinlich wußten sie sofort, woher ich kam. Als ich am Cowboy Dream Saloon vorbeiritt, erhob sich dort ein Mann aus einem Schaukelstuhl. Ich kannte ihn. Es war Bruce Latimer, ein Revolvermann aus El Paso. Wir hatten manchmal auf der gleichen Seite gekämpft. Immer wieder waren wir uns in Städten wie El Paso, Nogales, Laredo, Durango, Tucson oder Socorro begegnet. Manchmal gehörten wir zur selben Pokerrunde. Und ich wußte, stets fragte sich jeder von uns, wer von uns beiden wohl der schnellere Revolvermann war. Als ich ihn an den Rand der Saloonveranda treten sah, wußte ich, daß er es jetzt herausfinden wollte. Er stieß mit dem Zeigefinger den Hut in den Nacken und sagte laut genug durch den dumpfen Hufschlag meines Pferdes: »Halt an, Starretter!« Ich hielt an und drehte den Kopf des Pferdes in seine Richtung, so daß ich ihn über die Pferdeohren vor mir sah. »Was soll's denn sein, Latimer?« Meine Stimme klang kühl. Er grinste schief. Dann erwiderte er: »Vor wenigen Minuten kam ein Reiter und ließ mit Seife an die Spiegel des Saloons schreiben, daß Hickman tausend Dollar für die Ergreifung des Pferdediebs Starretter zahlt – tot oder lebendig. Steig ab, Starretter, damit wir herausfinden, was herauszufinden mich schon immer juckte. Tausend Dollar sind Gründe genug – oder?« »Sicher, Latimer, sicher«, murmelte ich.
Und dann stieg ich ab. Was konnte ich anderes tun? Latimer war ein Prämienjäger. Aber er war auch ein Revolvermann, der jedem Gegner eine Chance ließ. Er war gleichsam ein Coltritter mit Revolverstolz. Also würde es ein faires Duell geben. Dennoch seufzte ich bitter. Heute war mein Pechtag. Isabel hatte mich fortgeschickt. Und hier hatte Latimer auf mich gewartet. Wahrscheinlich hatte man in der Stadt gewußt, daß ich bei Isabel war. Jemand hatte meinen Hengst hinter dem Haus gesehen. Und die Nachricht machte dann schnell die Runde in Santa Rosa. Ich saß also ab, zog meinen Hengst zur Seite und band ihn an einem Haltebalken fest. Dann trat ich weit genug von ihm weg, bevor ich mich Latimer zuwandte. Er war von der Veranda heruntergekommen und wartete mitten auf der Fahrbahn. »Eines Tages«, sagte er spröde, »mußte es mal so kommen. Das wußte ich immer schon.« Ich nickte nur wortlos, trat nun ebenfalls zur Fahrbahnmitte und wandte mich ihm zu. Nun standen wir uns etwa acht Schritte voneinander entfernt gegenüber. Er sagte: »Wenn der Hahn noch mal kräht.« Ich nickte nur und war bereit. Ich hatte meine Füße etwas auseinander fest in den Staub der Fahrbahn gestellt und beugte meinen Oberkörper aus den Hüften heraus leicht vor, um unter Umständen, auch ohne zu wackeln, eine Kugel auffangen zu können, falls Latimer schneller sein sollte als ich. Wir verharrten unbeweglich, starrten uns gegenseitig an und warteten auf das Krähen des Hahns in einem der Höfe. Vorhin hatte das Biest mehrmals gekräht. Jetzt aber schwieg es. Die Sekunden verrannen und wurden zu Minuten. Wir standen in der Mittagssonne, und wir schwitzten nicht nur wegen der Hitze. Es war nicht einfach, sich derart lange zu konzentrieren und für blitzschnelle Reflexe bereitzuhalten. Heiliger Rauch, wie lange würde es noch dauern? Mußten wir vielleicht noch Stunden auf das vereinbarte Signal warten? Und dann endlich wurden wir erlöst. Ja, es war wie eine Erlösung. Denn das Biest von einem Hahn krähte endlich. Und nun waren unsere Reflexe schneller als jeder Gedanke. Die Revolver erschienen wie durch Zauberei in unseren Händen. Und dann schossen wir. Ich sah, wie meine Kugel in seiner Herzgegend einschlug, und spürte den scharfen Schmerz über einer meiner Rippen. Ich begriff in dieser Sekunde, da ich ihn umfallen sah, daß er mich nicht gut genug treffen konnte. Denn ich stand immer noch und spürte nur diesen Schmerz wie von einem Peitschenhieb. Er aber fiel in den Staub und rührte sich nicht mehr. Bruce Latimer hatte sich die tausend Dollar Abschußprämie nicht verdienen können. Doch es gab gewiß bald eine Menge anderer Burschen, die es versuchen würden. Und kaum einer von ihnen würde wie Latimer gegen mich antreten – also in einem fairen Duell. Sie würden mich aus dem Hinterhalt abzuschießen versuchen. Als ich mit meinen Gedanken so weit war, begriff ich, daß es Dummheit war, Orson Hickman am Leben gelassen zu haben.
Ich seufzte bitter. Dann trat ich zu Latimer und sah auf ihn nieder. Er war tot. Ich hatte keine Wahl gehabt. Bei einem so schnellen Mann mußte ich blitzschnell zielen und voll auf den Mann schießen. Ich sah mich um, hielt den Colt noch in der Hand … Da und dort standen die Leute vor den Häusern, den Geschäften – oder sahen aus den Fenstern. Es war still in der Stadt Santa Rosa, die in Orson Hickmans Schatten lebte. Vor dem Hotel standen zwei Männer, die ich für Reiter der Spanish-Bit-Mannschaft hielt. Isabel hatte mir ja gesagt, daß zwei Cowboys der Ranch bei Joel Hickman wären und sich um ihn kümmerten. Das waren sie. Aber sie unternahmen nichts, starrten nur zu mir her. In mir war ein böser und bitterer Zorn. Am liebsten wäre ich hingegangen zu ihnen und hätte sie aus der Stadt gejagt. Ich tat es nicht, statt dessen ging ich in den Saloon hinein, vor dem Bruce Latimer im Schaukelstuhl gesessen und auf mich gewartet hatte. Ich wollte sehen, was auf dem Spiegel hinter der Bar im Auftrag von Orson Hickman mit Seife geschrieben stand. Ja, ich wollte es mit eigenen Augen lesen. Den ganzen Wortlaut. Der Barmann hinter der langen Bar rieb mit einem Lappen auf der Schanktischplatte herum, so als wollte er das Holz durch Reibung zum Glühen bringen. Dabei sah er mich an. Ich aber sah auf den Spiegel hinter der Bar. Und da stand zu lesen: Tausend Dollar Belohnung für den Abschuß von John Starretter, dem Pferdedieb. Diese Prämie zahlt Orson Hickman. Ich konnte es zuerst nicht glauben. Doch da stand es schwarz auf weiß. Orson Hickman mußte verrückt vor Haß sein. Oder er fühlte sich zu sehr als Halbgott, wie es bei Despoten oft der Fall ist. »Soll ich es wieder abwischen?« So fragte der Barmann heiser. »Aber dann wird mich Hickman dafür bestrafen lassen. Ich habe es nicht angeschrieben. Dies ist nicht meine Schrift. Sein Reiter schrieb es. Ich …« Er verstummte, und er fürchtete meinen Zorn. Denn draußen auf der Straße lag der berühmt-berüchtigte Revolvermann Bruce Latimer, den ich im Zweikampf getötet hatte. Ich schüttelte den Kopf. »Nein, Sie brauchen es nicht abzuwischen. Im Gegenteil, ich möchte noch etwas hinzuschreiben. Wo ist das Seifenstück?« Er griff unter den Schanktisch und reichte es mir. Und so trat ich hinter die Bar und schrieb: Latimer versuchte es schon. Jetzt ist er tot. Und Hickman wird keine Prämie mehr zahlen können. Starretter. Ich warf die Seife auf den Schanktisch und ging hinaus. Draußen saß ich auf und ritt aus
der Stadt. Als ich am Hotel vorbeikam, standen dort immer noch die beiden Spanish-BitReiter, die für Joel Hickman sorgten wie Knappen für einen Prinzen. Ich sah nicht mal zu ihnen hin. Sie waren unwichtig. Ich mußte Orson Hickman vernichten. Eine andere Wahl hatte ich nicht. Aber er besaß alle nur denkbaren Vorteile und Trümpfe. Er hatte eine Menge Geld und viele Reiter, dazu noch zwei Söhne, die mich, wenn er tot war, weiter für Prämien würden jagen lassen. Ich mußte sie alle vernichten. Eine andere Wahl hatte ich nicht. Oder? * Mein Ziel war die Spanish Bit Ranch. Ich ritt bis nach Mitternacht. Dann zogen Wolken herauf und löschten das Licht der Gestirne. Ich hielt an, sattelte ab und legte mich zur Ruhe nieder. Als dann der Morgen kam, wurde es ein grauer Tag. Es fing an zu regnen, aber das war mir recht, denn dadurch wurde die Sicht schlecht. Ich konnte mich ein wenig sorgloser durch das Land bewegen, wenn es darum ging, Täler zu durchreiten und Ebenen zu überqueren. Ich nahm mir Zeit. Denn erst nach Anbruch der Nacht wollte ich die Spanish Bit Ranch erreichen. Im Verlauf des Tages sah ich da und dort Rinder, doch keine Reiter weit und breit. Die Spanish-Bit-Mannschaft versuchte wahrscheinlich immer noch, über den Coronado-Paß zu kommen, um die gestohlene Herde einzuholen. Und die wenigen zurückgebliebenen Reiter befanden sich irgendwo in dem riesigen Weidegebiet. Es war dann etwa eine Stunde vor Mitternacht, als ich die Lichter der großen Ranch vor mir sah. Ich war zu allem bereit und ritt geradewegs darauf zu, so als wäre ich ein heimkehrender Reiter der Spanish-Bit-Mannschaft. Es wiederholte sich jetzt alles wie vor zwei Nächten, denn der gleiche Nachtwächter, der mich vorgestern empfing und mich fragte, ob ich dem Boß eine gute Nachricht bringen würde, trat mir auch jetzt wieder entgegen. Und diesmal fragte er: »Na, habt ihr die Herde wieder zurückgeholt?« »Nein, Hombre«, erwiderte ich. »Wir kennen uns ja schon, nicht wahr? Muß ich dir wieder was auf den Hut geben?« »O Heilige Jungfrau Maria«, stöhnte er, ließ augenblicklich seine Schrotflinte fallen und hob die Hände. »Nicht schon wieder. Ich bin doch nur ein unwichtiger Hombre auf der Ranch, ebenso wie Paco, mein Vetter. Wir sind nur Pferdeburschen und Nachtwächter und …« »Schon gut«, unterbrach ich ihn. »Wer ist noch hier? Der Boß? Sein Sohn Kevin? Und wie viele Reiter?« »Sie sind alle fort«, seufzte er. »Nur der Koch, der einbeinige Schmied und Wagenbauer, Paco und ich sind hier. Sie sind alle fort und suchen …« Er brach ab, weil ich bitter fluchte.
Denn ich war hergekommen, um es mit Orson Hickman auszutragen. Nun war er fort. Wahrscheinlich hatte er den Rest seiner Reiter zusammengeholt und suchte nach mir. Weil er es jedoch nicht für möglich hielt, daß ich in Santa Rosa sein könnte, suchte er mich westlich des San Pedro River in den Santa Catalinas, dem Land der von ihm Vertriebenen und Verjagten. Ich verharrte still im Sattel. Denn nun mußte ich mich für etwas entscheiden, was mir zuwider war. Aber ich war nicht hergekommen, um freundlich guten Tag oder gute Nacht zu wünschen. Ich war hergekommen, weil ich den Kampf aufgenommen hatte und Orson Hickman vernichten wollte. Daß ich ihn nicht antraf, war sein Glück. Doch jetzt kam es darauf an, ihm seine Basis zu schwächen. Ich war allein. Er aber ließ mich als Pferdedieb jagen und hatte eine Abschußprämie auf mich ausgesetzt. Dabei hatte sein Sohn mir den Hengst gestohlen und ihm den Brand der Spanish Bit aufgedrückt. Es herrschte Krieg. Und noch einmal konnte ich ihn nicht schonen wie vor zwei Tagen, als er im Unterzeug und in Pantoffeln vor mir stand. Ich mußte mich also entscheiden, Böses zu tun – oder besser gesagt, Gutes zu tun auf böse Weise. Ja, so war es wohl. Und so entschied ich mich. »Wie heißt du denn, Hombre?« So fragte ich. »Juan, Juan Gonzales«, erwiderte er. »Und Paco ist mein Vetter.« »Dann wecke ihn und den Schmied und den Koch«, sagte ich. »Denn ich bin hergekommen, um hier alles zu zerstören.« Er stieß einen ungläubigen Laut aus. Nein, er konnte nicht glauben, was er soeben hörte. Denn er war ein kleiner und unwichtiger Bursche. Orson Hickman war für ihn ein riesengroßer Boß, weil er über ein halbes Hundert Reiter oder andere Helfer gebot. Und ich war allein, ein Mann, den man jagen würde, sobald man seine Fährte fand oder seiner ansichtig wurde. Ein Mann, auf den eine Kopfprämie ausgesetzt war und der eigentlich gar keine Chance hatte. Deshalb staunte er voller Unglauben. »Wenn ihr kämpfen wollt, Juan«, knurrte ich vom Pferd zu ihm nieder, »dann töte ich euch. Seid nur keine Narren.« Dann ritt ich vorwärts auf das große Ranchhaus zu. * Eine halbe Stunde später war ich fast eine Meile weit geritten, hielt auf einem Hügel an und blickte zurück. Die Spanish Bit Ranch brannte. Ihr Feuerschein erhellte meilenweit in der Runde die Nacht und färbte den dunklen Wolkenhimmel rot. Die Ranch und ihre Nebengebäude waren nicht mehr zu retten. Ich hatte es gründlich gemacht. Denn es war Krieg. Ein Despot wollte mich abschießen lassen für tausend Dollar Prämie, nur weil ich es wagte, seine Selbstherrlichkeit anzutasten, und einen seiner Söhne, der mir das Pferd stahl, auf seine richtige Größe zurechtgestutzt hatte. Immer wieder sagte ich mir dies, denn nur so war es mir möglich, meinem Tun vor mir
selbst eine Unausweichlichkeit zu geben. Denn wenn ich Orson Hickman vernichten wollte, durfte es keine Schonung mehr geben. Denn wenn er mich erwischen sollte, würde er auch mir gegenüber keine Schonung kennen. Ich blickte lange auf die brennende Ranch. Sie war für das ganze Land und alle Menschen darin das Symbol der Macht und Unduldsamkeit. Nun würde sie zu Asche werden. Ich verspürte keinen Triumph, keine rachsüchtige Freude. Es war mir bewußt, daß ich auf böse Weise Krieg führte. Ich würde nicht froh werden können über diesen vermeintlichen Sieg. Und ich ahnte, daß Orson Hickman mich nun noch entschlossener jagen würde. Endlich ritt ich weiter. Ich mußte Orson Hickman suchen. Denn je später ich ihn fand und töten konnte, um so mehr würde er gegen mich in Gang bringen. Dabei redete ich mir nicht ein, daß ich gegen ihn kämpfte, um den Vertriebenen und Verjagten beizustehen und ihnen zu ihrem Recht zu verhelfen, auch nicht, was Jessica Warden und deren Rache betraf. Nein, ich machte mir nichts vor. Der Krieg fand allein zwischen der mächtigen Spanish Bit Ranch und mir statt. Und angefangen hatte ihn Joel Hickman. * Ich verbrachte den dieser Nacht folgenden Tag irgendwo in einem Versteck in den Santa Catalinas, ruhte aus und briet mir einige Forellen, die ich in einem Creekloch fing. Am Abend dann ritt ich weiter und beobachtete im letzten Licht des Tages von einem langen Hügelkamm aus den Weg, der vom Coronado-Paß in die Ebene hinunterführte. Aber außer Rindern sah ich nichts. Dennoch mußten wenig später – nachdem es Nacht geworden war – Reiter gekommen sein. Denn dort unten leuchtete plötzlich das rote Auge eines Campfeuers in die Nacht. Ich machte mich auf den Weg, umritt das Feuer nach Norden zu und gelangte, nach Süden einbiegend, auf einen Hügelkamm, an dessen Fuß auf der Westseite das Feuer in die Nacht leuchtete. Es war fast ein Dutzend Reiter dort am Feuer. Sie kochten ab, und es gab keinen Zweifel daran, daß es Spanish-Bit-Reiter waren, die erfolglos vom Coronado-Paß zurückgekommen waren und ab morgen wieder diese Weide besetzten und kontrollierten. Von hier aus würden sie zu ihren Grenzhütten reiten, ihren Vorwerken oder Brennwagen, die sie zurückließen, als der Boß sie gegen die Viehdiebe schickte. Sie waren ein Teil der großen Spanish-Bit-Mannschaft. Und wenn ihr Boß erst erfuhr, daß ich die Ranch zerstörte, dann würde er sie abermals in Marsch setzen. Sie würden das Land nach mir durchkämmen. Ich grinste bitter in die Nacht. Dann suchte ich mir auf dem Hügelkamm einen guten Platz, lud mein Gewehr durch und begann zu schießen. Nein, ich schoß nicht auf die Männer am Feuer. Dies brachte ich nicht fertig. Ich würde aus dem Hinterhalt nicht mal auf Orson Hickman oder einen seiner Söhne geschossen haben – und auch nicht auf den Vormann Sid Capote.
Meine erste Kugel traf den Kaffeekessel über dem Feuer. Unten heulten sie auf, warfen sich in Deckung. Sie sprangen auseinander, als wäre eine Riesenfaust zwischen sie gefahren. Und dann begannen sie auf mein Mündungsfeuer zu schießen. Nun war alles ganz klar. Auch ich schoß auf ihre Mündungsfeuer und lud noch einmal das Magazin meines Spencer-Karabiners. Als wir mal Feuerpause hatten, heulte eine Stimme: »Oh, du Hurensohn, wer bist du?« Ich rief zurück: »Starretter, ich bin Starretter! Sagt eurem Boß, er hätte sich mit dem falschen Mann angelegt! Die Ranch habe ich schon zerstört. Und bevor seine Kopfgeldjäger sich die ausgesetzte Prämie verdienen können, werde ich ihn zur Hölle schicken! Sagt ihm das!« Sie heulten an Stelle einer Antwort, denn sie waren ihm treu ergeben. Ich ging zu meinem Hengst, saß auf und ritt davon. Was ich tat, war eigentlich völlig sinn- und nutzlos. Aber es hatte mir eine grimmige Befriedigung bereitet. Ich war im Krieg gegen die mächtige Spanish Bit Ranch, und wie die Spanish-Bit-Reiter früher alle kleinen Nachbarn in Angst und Schrecken versetzten, so würde ich es nun mit ihnen machen. Allerdings war das, was ich vorhatte – nämlich nach Orson Hickman zu suchen und seinen Reitern Furcht und Schrecken einzujagen, wo ich nur konnte –, mehr als gefährlich. Gewiß, ich besaß das schnellste Pferd im ganzen Land. Ich vermochte allen Verfolgern davonzureiten. Doch ich kannte das Land – dieses unübersichtliche Gebiet, in dem die Spanish-BitMannschaft herrschte – nicht gut genug. Es war durchaus möglich, daß ich in eine Falle ritt oder eingekreist wurde, wenn die Jagd auf mich erst richtig in Gang kam. Verdammt, ich hatte Orson Hickmans Hauptquartier vernichtet. Wäre es nicht besser für mich, wenn ich das Weite suchte? Aber immer dann, wenn ich mit meinen Gedanken so weit war und mir diese Frage stellte, sagte ich mir, daß eine Flucht keinen Sinn hatte, weil Orson Hickmans Rache mir bis in die entferntesten Winkel der Welt folgen würde. Ich könnte nicht fortlaufen, ich mußte es auskämpfen. Nun, ich ritt also noch einige Meilen und erblickte dann ein Licht am Rande eines Wagenwegs, der trotz der Dunkelheit sehr gut zu erkennen war. Man sah deutlich, wie er die Hügel und sonstigen Hindernisse umging und sich regelrecht durchs Land schlängelte. Ich wußte, dies mußte der alte Wagenweg von Nogales im Süden zu den Forts im Norden sein. Ich wußte, an diesem Wagenweg, der quer durch das Gebiet der Spanish Bit Ranch führte, mußte es Pferdewechselstationen geben. Denn die Postkutschen – falls sie wegen der Apachengefahr überhaupt verkehrten – mußten alle dreißig Meilen ihre Gespanne wechseln. Zu fast jeder dieser Relaisstationen gehörte ein kleiner Store, auch eine Gaststube für Reisende, in der man sie während des Gespanntausches bewirten konnte. Ich brauchte dringend einige Dinge, Proviant zum Beispiel, auch Lagergerät zum Kochen. Denn ich würde wahrscheinlich wochenlang unter freiem Himmel leben und ständig in Bewegung bleiben müssen.
Ich zögerte nicht lange, sondern ritt auf das Licht in der Nacht zu. Ja, es war eine Pferdewechselstation der Post- und Frachtlinie. Dazu gehörten eine kleine Siedlung und einige Corrals und zwei Brunnen. Bei meinem Kommen begannen einige Hunde zu bellen. Es mußten große und gewiß gefährliche Hunde sein. Man hörte es am Bellen und Knurren. Mein Hengst schnaubte warnend. Ich wußte längst, er mochte keine Hunde, wenn diese ihn aus der Nähe ankläfften. Ich hielt an und wartete. Eine heisere Stimme brachte die Hunde zur Ruhe. Der Mann sprach Spanisch, doch ich verstand jedes Wort. Er sagte: »Hört auf, ihr verdammten Beißer. Ruhig! Oder es gibt was auf die Nasen. Vielleicht brate ich auch einen von euch in der Pfanne, wenn die Vettern meiner Frau kommen, diese verdammten Apachen!« Nun wußte ich schon fast alles. Der Stationsmann, wahrscheinlich ein Mexikaner oder Halbblut, war mit einer Apachin verheiratet. Dies verschaffte ihm ein wenig mehr Sicherheit vor den Apachen. Die Hunde waren nun, ruhig, knurrten nur noch tief in ihren Kehlen. Und der Mann fragte: »Ay, wer ist draußen?« »Nur ein einzelner Reiter«, erwiderte ich. »Wenn Sie einen Store haben, dann möchte ich gern ein paar Dinge kaufen. Darf ich kommen?« »Sicher«, erwiderte er. Er war ein riesiger Bursche, und er hielt eine abgesägte Schrotflinte um den Kolbenhals gepackt. »Sie können auch ein Steak haben«, ließ er mich wissen. »Ich werfe meine Frau dann aus dem Bett. Die macht Ihnen schnell eine Mahlzeit. Conchita allerdings, die ist besetzt für diese Nacht. Bei der läuft jetzt nichts.« Ich schüttelte den Kopf und grinste. Denn diese Welt war doch immer wieder sehr menschlich, was Laster und Sünden betraf. Auch die einsamen Cowboys in den entlegenen Vorwerken und Grenzhütten der Spanish Bit wollten manchmal ein wenig Spaß haben. Und bis nach Santa Rosa war es zu weit. Doch hier gab es eine Conchita, die sich verdient machte bei diesen einsamen Burschen. »Ich möchte nur einige Einkäufe machen«, sagte ich. »Und dieser Conchita wünsche ich viel Glück mit ihren Besuchern.« Er sah nun endlich das Brandzeichen am Hinterschenkel meines Hengstes. »Oh«, machte er, »die Bit-Ranch-Reiter kaufen bei mir zumeist nur Tabak und Schnaps. Da brauchen wir erst gar nicht in den Laden zu gehen. Das hole ich dir heraus. Also, was brauchst du? Rede schon, Mann, und dann solltest du auf der Stelle weiterreiten! Denn Sid Capote ist hier. Bei Conchita. Der hat es nicht gern, wenn seine Reiter herausfinden, daß er auch nur …« Er sprach nicht weiter, denn er ahnte wohl, daß seine nächsten Worte von einem Spanish-Bit-Reiter vielleicht als Beleidigung aufgefaßt werden könnten. Denn wahrscheinlich wollte er den Satz mit den Worten vollenden wollen: »… ein geiler Bock ist wie ihr alle von der Bit Ranch.« Ich grinste. Und in mir war ein grimmiges Frohlocken.
Dann fragte ich: »Ist er allein hier?« »Ja, er kam vor zwei Stunden. Nun schläft er sicherlich schon in Conchitas Armen.« Er verstummte kichernd. Mir war nun alles klar. Sid Capote war mit den Reitern, die ich in ihrem Camp beschossen hatte, vom Coronado-Paß gekommen, hatte sich dann von ihnen getrennt, um hierher zu reiten und sich von Conchita trösten zu lassen für die Niederlage, die er mit seiner Mannschaft erlitten hatte. Ich saß ab. »Ich will mehr als nur Tabak und Schnaps«, sagte ich. »Gehen wir hinein!« * Die beiden Hunde beschnupperten mich ständig, indes ich im kleinen Store einkaufte. Der Stationsmann sah mich im Lampenschein immer wieder aufmerksam an. Plötzlich sagte er: »Señor, ich glaube nicht, daß Sie ein Cowboy der Spanish Bit Ranch sind, obwohl Sie ein Pferd mit diesem Brand reiten.« Ich grinste ihn hart und ohne jede Freundlichkeit an. »Am besten ist es für Sie, Señor, wenn Sie sich keine Gedanken machen um mich und sich auch sonst um nichts kümmern. Und was die Spanish Bit Ranch betrifft, Señor – die gibt es nicht mehr. Sie ist bis auf die Fundamente abgebrannt.« Er zuckte zusammen, staunte mich an. Dabei begann er zu ahnen, daß es wirklich besser für ihn war, wenn er sich um nichts kümmerte, um gar nichts, nur um seine Station hier. Er bediente mich nun wortlos. Dann packten wir alles in meine beiden fast leeren Satteltaschen und in die Sattelrolle, die ich hereinholte. Er stand dann mit seinen beiden Hunden bei mir, indes ich das dicke Bündel meiner Habseligkeiten hinter dem Sattel festzurrte. Dann saß ich auf. »Gehen Sie schlafen, Señor«, sprach ich höflich. »Nehmen Sie die beiden Hunde mit ins Haus, und kümmern Sie sich um nichts. Verstanden?« Er zögerte. Und weil er ein großer und starker Mann war, regte sich Trotz in ihm. Ich sah es ihm an, wie er sich stolz aufrichtete. Doch als er den Mund öffnen wollte, da sagte ich: »Mein Name ist Starretter. Und ich habe die Spanish Bit Ranch niedergebrannt. Ich führe Krieg gegen die Spanish Bit. Wollen Sie mitmachen, Amigo?« Ich sprach sehr freundlich. Doch er wußte dennoch, wie messerscharf ich war. »Nein«, erwiderte er. Und dann verschwand er mit den Hunden im Haus und schloß sehr sachte die Tür hinter sich. Ich nahm mein Lasso vom Sattelhorn, schüttelte es aus und machte die Schlinge bereit für einen schnellen Wurf. Dann ritt ich ein Stück weiter vor ein hübsches Adobehaus, vor dem ein großes Pferd angebunden stand. Ich sah, daß es Sid Capotes großer Rappe war. Nun, da ich nahe genug war in der Dunkelheit, erkannte ich das Riesenpferd. In einigem Abstand zur Tür stellte ich mich in den Steigbügeln auf und rief in spanischer Sprache: »Señor, Señor, wachen Sie auf. Hier ist Juan. Ich komme mit wichtigen Befehlen vom Patron. Kommen Sie heraus, Señor!« O ja, er kam heraus. Es dauerte wirklich nicht lange.
Im Unterzeug kam er heraus, trat vor die Tür und knurrte böse: »Verdammt, Juan, warum brüllst du hier herum wie ein …« Weiter kam er nicht. Ich konnte ja auch nicht warten, bis er mich in der Nacht erkennen würde. Und so warf ich das Lasso und riß dann meinen Hengst herum, ließ ihn anspringen. Ja, ich hatte Sid Capote an meinem Lasso und in der Schlinge, so wie sie es damals mit mir machten. Ich zog ihn in die Nacht hinaus. Und er brüllte wie ein Stier. Es war gewiß eine böse Sache. Doch so hatten sie es mit mir gemacht, nachdem sie die Frachtwagen des fahrenden Händlers mitsamt der darin enthaltenen Ware vernichtet hatten. Zuletzt hatten sie mich am Lasso in den San Pedro gezogen, um mich dort ertrinken zu lassen. Denn ich war bewußtlos geworden. Dieser Mann, den ich jetzt wie einen brüllenden Stier am Lasso hatte, gab damals die Befehle. Ich zog ihn mit meinem galoppierenden Pferd fast eine halbe Meile weit von der Station weg in die Nacht hinein. Als ich schließlich anhielt, brüllte er nicht mehr. Er stöhnte nur noch. Ich ritt zu ihm, um die Lassoschlinge zu lösen. Er wollte hochkommen und richtete sich etwas auf. Das half mir, ihm die Lassoschlinge abzunehmen. Dann sank er wieder zurück. Ich sagte zu ihm nieder: »Du hast Glück, Capote. Es ist kein Fluß in der Nähe, in den ich dich schleifen kann, damit du ersäufst. Ich lasse dich am Leben, weil auch ich damals am Leben blieb. Aber lauf mir nie wieder über den Weg. Hast du das verstanden?« Nun versuchte er wieder hochzukommen. Denn er war ein harter Mann. Aber er vermochte sich nur aufzusetzen und starrte zu mir empor. Zuerst waren seine Worte nur ein Gestammel und Gekeuche. Doch dann konnte ich verstehen, was er sagte, nämlich: »… du Hurensohn, du machst einen Fehler, wenn du mich nicht tötest. Denn …« Ich hörte nicht länger zu, sondern ritt an. Was er mir sagen wollte, war ja leicht zu erraten. Wahrscheinlich war es ein Fehler, ihn am Leben zu lassen. Diesen Fehler hatte ich schon bei seinem Boß Orson Hickman gemacht, als ich mir den Hengst zurückholte. Aber ich konnte nicht anders handeln. Ich war kein Mörder. Ich würde ihn nur im Duell töten können. Aber vorerst »spielte« er nicht mit. Er würde eine Weile krank sein. Vielleicht würde ihn jene Conchita, die ich nicht vom Ansehen kannte, liebevoll pflegen. Ich ritt in die Nacht. Und in meinen Gedanken versuchte ich die ganze Situation noch einmal zu überdenken. Man hatte Hickman eine große Herde gestohlen und rechtzeitig über den Coronado-Paß bringen können. Dann wurde seine Mannschaft im engen Paß aufgehalten. Und es nützte ihm nichts, daß er all seine Reiter aufbot und auch selbst hinritt. Er mußte schließlich aufgeben und die gestohlene Herde abschreiben. Das war eine Niederlage. Dann hatten er und sein Vormann Sid Capote die Mannschaft wieder in Gruppen zu den Weidegebieten geschickt, zu all den Grenzhütten und Vorwerken, die es zu überwachen gab. Er selbst war heimgekehrt und hatte von seiner Ranch nur noch eine Brandruine
vorgefunden. Das war die zweite und noch größere Niederlage. Was also würde er tun? Natürlich würde er nach mir suchen. Und die auf mich ausgesetzte Kopfprämie würde er erhöhen. Jetzt ließ er nicht nur einen Pferdedieb, sondern auch einen Brandstifter jagen. Seiner Meinung nach würde ich über den San Pedro fliehen, um dort Schutz und Zuflucht zu finden. Bisher hatte es ihm offenbar genügt, die Menschen, die ihm im Wege waren, deren Weide und Wasser er haben wollte und deren kleinen Ranches er zu seinen Vorwerken machte, über den San Pedro verjagt zu haben. Doch jetzt würde er sie auch jenseits des San Pedro ausräuchern und dabei die Hoffnung haben, auch auf mich zu treffen. Ich dachte wieder an Jessica Warden und ihre Freunde. Wenn alles geklappt hatte, konnten sie jenseits des Coronado-Passes die Herde an die Aufkäufer übergeben. Danach brauchten sie nur noch zu warten, bis die Spanish-Bit-Reiter es aufgaben, den Paß zu erstürmen, und unverrichteter Dinge wieder abzogen. Dann konnten auch sie heimkehren in ihre verborgenen Camps jenseits des San Pedro. Ich mußte sie warnen, ihnen sagen, daß die Spanish Bit Ranch abgebrannt war und Orson Hickman jetzt einem Amokläufer gleichen würde. Ja, ich mußte hin zu Jessica Warden. * Es war ein weiter Weg. Denn das Land war weit und unübersichtlich. Als ich am nächsten Tag den San Pedro erreichte, fand ich auf viele Meilen keine Durchfurtungsmöglichkeit. Überall war Treibsand. Der Fluß war gar nicht tief. Man konnte fast überall bis auf den Grund sehen. Aber besonders dort, wo alles so harmlos aussah und man glaubte, man könnte mühelos hinüber, kaum daß sich Pferde den Bauch naß machten, da war dieser sandige Grund besonders tückisch. Und zum Schwimmen war das Wasser für Pferde nicht tief genug. Als ich dann – es war schon fast Abend und die Sonne längst hinter den Santa Catalinas verschwunden – um eine Flußbiegung ritt – nein, reiten wollte –, da riß ich meinen Hengst schnell zurück und drängte ihn in Deckung. Denn da war eine Furt. Und durch diese Furt ritten Reiter. Es war die Spanish-Bit-Mannschaft, jedenfalls der Großteil ihrer Reiter. Denn den Mann, der sie anführte, erkannte ich sofort. Es war Orson Hickman. Er hatte also die meisten seiner Reiter abermals gesammelt. Sicherlich hatte er geflucht, als man seinen Vormann Sid Capote nicht finden konnte. Und so war er, ohne noch länger zu warten, ohne ihn losgeritten. Er war also unterwegs, um alle verborgenen Camps aufzuspüren und zu vernichten, um Viehdiebe zu jagen und nach mir zu suchen. Ich beobachtete sie, wie sie durch die Furt ritten, und konnte sie Mann für Mann zählen. Ich zählte achtunddreißig Reiter, und die meisten von ihnen waren Revolverreiter. Sie
hatten auch einige Packpferde dabei. Ich wartete, bis es dunkel genug war. Dann folgte ich ihnen. Ich wußte, sie würden nicht mehr weit reiten, sondern ein Camp beziehen. Denn sie würden morgen den Spuren folgen wollen, die von der Furt aus in die Santa Catalinas führten. Es war eine dunkle Nacht. Am Himmel zogen schwarze Wolken. Ich ritt vorsichtig. Sie hatten Staub aufgewirbelt, der noch lange in der Luft hing. Dieser »Staubfährte« folgte ich durch die Uferhügel des San Pedro. Doch schon in der ersten tiefen Senke hinter dieser Hügelkette sah ich auf ihr Feuer nieder. Ja, sie hatten angehalten, um auf das Tageslicht zu warten. Auch ich hielt an und saß ab. Was sollte ich tun? Sie umreiten, um Jessica Warden und ihre Leute zu warnen? Oder? Ich dachte über dieses »Oder« nach, versuchte mir Möglichkeiten auszudenken. Denn eines war klar: Orson Hickman würde mit seinen Revolverreitern eine blutige Fährte reiten. Er war gereizt wie ein verwundeter Toro. Er wollte vernichten. Jessica und deren Leute würden dafür büßen müssen, daß ich seine Ranch niedergebrannt hatte. Und eigentlich mußte ich mehr für sie tun als sie nur warnen. Ich entschloß mich plötzlich. * Es war dann etwa zwei Stunden nach Mitternacht. Das Feuer war niedergebrannt, und sie schliefen fest. Sie hatten oberhalb der Senke zwei Wächter aufgestellt. Als ich den ersten erreichte, wobei ich so leise war wie ein Schatten, hörte ich sein leises Schnarchen. Er hockte am Boden, mit dem Rücken an einen großen Stein gelehnt. Ich gab ihm was auf den Hut. Er seufzte und schlief dann auf andere Weise weiter. Weil er umkippte, schnarchte er auch nicht mehr. Dann mußte ich auf die andere Seite der Senke, also einen Halbkreis schlagen, dessen Durchmesser etwa eine Steinwurfweite betrug. Der zweite Wächter machte es mir ebenfalls leicht, denn er zündete sich eine Zigarette an, die er sich in der Nacht sozusagen »blind« gedreht hatte. Auch er bekam was auf den Hut. Der Rest war geradezu lächerlich einfach. Denn Orson Hickman, der große Boß, lag nicht inmitten seiner Reiter, sondern hatte sich abgesondert, so wie sich ein Offizier, ein Kapitän oder sonstige Befehlshaber von den Befehlsempfängern absondern, um ihre Andersartigkeit und Machtstellung zu dokumentieren. Und je höher der Rang, um so einsamer sind sie stets. Orson Hickman lag also unter einem Busch und hatte sein Pferd dicht neben sich angebunden, doch weit genug entfernt, daß es ihn nicht treten oder mit »Äpfeln« bewerfen konnte. Er schnarchte.
Die Nacht war wirklich sehr dunkel. Man konnte kaum weiter als fünf oder sechs Schritte sehen. Der Schein des erlöschenden Feuers reichte nicht mehr weit. Nur wenn man gegen den Wolkenhimmel sah, vermochte man sich an den Umrissen der aufragenden Dinge und den Rändern der Senke zu orientieren. Ich gab auch ihm was auf die Birne, weil dies die einzige Möglichkeit war, ihn aus diesem Camp schaffen zu können. Er hatte seinen Sattel als Kopfkissen benutzt. Nun nahm ich das Ding, trat zu seinem Pferd und sattelte das Tier, wobei ich beruhigende Worte flüsterte. Als ich dann Orson Hickman aufhob, mußte ich meine ganze Kraft aufbieten. Denn er war ein Klotz von einem Mann, gedrungen und muskulös wie ein Toro. Er wog gewiß mehr als zweihundert Pfund. Und so hatte ich Mühe, ihn quer über den Sattel zu bekommen und darauf mit seinem eigenen Lasso festzuzurren. Ich keuchte vor Anstrengung. Dann lauschte ich in die Runde. Oh, diese Schlafmützen, diese Penner. Sie verließen sich ganz und gar auf ihre beiden Wächter und darauf, daß sie eine starke Mannschaft waren. Ich führte das Pferd mit Orson Hickman aus der Senke empor und erreichte im Halbkreis wieder mein eigenes Tier. Und als ich aufsaß, fragte ich mich, was Jessica Warden und deren Freunde und Gefährten wohl sagen würden, wenn ich ihnen den Mann brachte, der sie vertrieben hatte. Ja, was würden sie mit ihm tun? * Als der Morgen graute, hielt ich an, band ihn los und sah zu, wie er knurrend und knirschend vom Pferd rutschte und eine Weile am Boden hockte, sich die Beule am Kopf befühlte. Ich befahl: »Steh auf, Hickman. Unser Weg ist noch weit. Steh auf und steig auf dein Pferd.« Er sah zu mir hoch. Und schon einmal hatte er mir in einer ziemlich lächerlichen Verfassung gegenübergestanden, nämlich im Unterzeug. Nun spürte er eine schmerzende Beule und war ohne Waffen und ohne Stiefel. Langsam erhob er sich. »Oh, du verdammter Teufel«, keuchte er, »wie hast du das geschafft? Du konntest mich mitten aus meiner Mannschaft heraus …« »Nicht mitten aus deiner Mannschaft heraus«, verbesserte ich ihn. »Du hast dich ja weit genug von deinen Leuten weg zur Ruhe gelegt. Es war lächerlich leicht, dich zu entführen. Es wäre schwerer gewesen, eine Henne aus einem Hühnerstall zu holen. Denn die Hühner würden einen höllischen Spektakel veranstaltet haben. Na los, aufsitzen! Es geht weiter!« Er schüttelte seinen massigen Schädel wie ein sturer Bulle. »Nein«, sagte er knurrend, »so nicht. Ich bin nicht irgendeine Pfeife, mit der man so umspringen kann. Ich bin Orson Hickman. Und ich werde bestimmt nicht auf dieses Pferd steigen, bevor du nicht von diesem Tier da heruntergekommen bist, das meinen Brand trägt. Na los, komm herunter, Starretter. Komm schon, du verdammter Brandstifter und Pferdedieb!«
Ich seufzte, denn es war mir sofort klar, daß er selbst dann nicht gehorchen würde, wenn ich ihm meinen Colt unter die Nase hielt. Er hatte jetzt nach den Niederlagen einen Zustand erreicht, in dem er ganz und gar einem Toro glich – einem Kampfstier also –, der nur noch blindlings gegen alles anrannte. Bevor er kuschte und sich ergab, wollte er lieber kämpfend untergehen. Er konnte nicht anders, denn er war zu sehr ein stolzer Despot. Was also blieb mir anderes übrig? Und so seufzte ich nochmals bitter und saß ab. Ich löste die Schnalle meines Revolvergurts und hängte ihn ums Sattelhorn meines Hengstes. Dann trat ich auf Orson Hickman zu. Er war älter als ich, doch er hätte nicht mein Vater sein können. Da fehlten ihm gewiß an die fünf Jahre. Er war gut beisammen. Und als er nun auf mich losstürmte, da war er schnell. Ich wich aus, entkam seiner Faust und ließ ihn über meinen Fuß stolpern. Er fiel brüllend, kam hoch und bekam meinen Haken von links auf Kinnwinkel und Ohr. Er fiel nach rechts, kam wieder hoch und warf sich nach vorn. Er wollte meine Beine über den Knien umfassen und mich umwerfen. Aber ich riß mein Knie hoch und traf ihn mitten ins Gesicht. Seine Unterarme und Hände glitten von meinen Beinen ab. Er fiel auf sein Gesicht, indes ich rückwärtssprang. Es dauerte eine Weile, bis er sich auf den Bauch rollte und wieder hochkam. Aber er hatte keine Chance mehr. Mein Knie schmerzte zwar, und ich konnte ihn nur humpelnd und hinkend umkreisen, aber er war benommen und sah mich wahrscheinlich gar nicht mehr richtig. Ich gab es ihm und hielt dann schnaufend inne. Nun mußte ich ihn abermals hochheben und quer über dem Sattel festbinden. * Es war ein weiter Weg zu Jessica Wardens verborgenem Camp. Irgendwann an diesem Vormittag hatte Hickman dann doch darum gebeten, im Sattel sitzen zu können. Sein Gesicht war jetzt angeschwollen, das Nasenbein gebrochen. Ich hatte angehalten an einem Creek, damit er sich das Blut abwaschen und das Gesicht kühlen konnte. Ich fragte mich immer wieder, was wohl seine Mannschaft tat, als sie sein Verschwinden bemerkte. Doch mein Vorsprung war groß genug. Selbst wenn es ihr gelang, unserer Fährte zu folgen, obwohl ich sie gut verwischt hatte, lagen sie drei Stunden zurück. Denn sie hatten auf das Tageslicht warten müssen. Ich gönnte Orson Hickman also eine Erholungspause am Creek. Nach einer Weile fragte er mich: »Wohin bringst du mich, du Hurensohn?« Er hätte einem leid tun können, wenn man nicht gewußt hätte, welch gnadenloser Despot er war. Doch ich wußte es. Er war mein Todfeind. Er ließ mich für Kopfprämien jagen. Nein, ich konnte mit ihm kein Mitleid haben. Er sah mich böse an. »Ich habe dich was gefragt, verdammt! Wohin bringst du mich, du Hurensohn?«
Ich schüttelte leicht den Kopf und seufzte bitter. »Paß auf«, sagte ich. »Deine stolze und mächtige Zeit ist vorbei. Du kannst niemanden mehr verjagen, herumstoßen, abschießen lassen oder sonst etwas Derartiges tun. Wenn du mich noch mal einen Hurensohn nennst, schlage ich dir so lange aufs Maul, bis du deine sämtlichen Zähne verschluckt hast. Verstanden?« Er starrte mich an, als wollte er mich mit den Blicken töten. Dann erzitterte er, vibrierte am ganzen Leib. Und ich wußte, nun begriff er erst richtig, wie sehr er verloren hatte. Ich sprach weiter: »Du warst mit deinen Revolverreitern unterwegs, um abermals die Menschen anzugreifen und zu verjagen, die du bereits über den San Pedro getrieben hast. Du hast sie von ihrem Grund und Boden verjagt, ihnen ihre Existenz genommen, du hast geraubt und gemordet.« Er staunte ungläubig, denn immer wieder mußte er erst neu begreifen, daß nichts mehr nach seinem Willen ging, daß er keine Macht mehr besaß, daß er so gut wie erledigt war. Er setzte mehrmals an, um etwas zu sagen. Vielleicht wollte er mir ein Angebot machen, mich auf seine Seite ziehen. Aber dann sprach er: »Ich habe noch zwei Söhne. Das sind tüchtige Jungen. Und dann ist da auch noch mein Vormann Sid Capote. Die machen dir die Hölle heiß. Paß auf, ich nagle deine Haut doch noch an eine Scheunentür.« »Steig auf«, erwiderte ich. »Es geht weiter.« * Ich nahm mir in den nächsten Stunden sehr viel Zeit, unsere Fährte zu verwischen. Denn ich war mir sicher, daß die Spanish-Bit-Mannschaft erfahrene Fährtenleser bei sich hatte, wahrscheinlich Halbbluts, die imstande waren, die Hufabdrücke von Orson Hickmans Wallach unter vielen anderen Hufspuren herauszufinden. Ich bot also meine ganze Erfahrung auf, unsere Fährte unverfolgbar zu machen. Überdies hoffte ich, daß die Mannschaft ohne Boß erst einmal ziemlich kopflos war. Ich hatte ihren großen Boß aus ihrer Mitte weggeholt. Dies war für sie gewiß ein böser Zauber. Und wenn Orson Hickmans Sohn Kevin bei der Mannschaft war, würde es nicht leicht sein für ihn, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Er konnte sich ausrechnen, daß alles, was er in Gang bringen würde, seinen Vater gefährden mußte. Und wenn er nichts in Gang brachte, sondern erst mal abwartete, was die Entführer seines Vaters tun würden, ließ er wertvolle Zeit verstreichen. Wahrscheinlich würde er nach Sid Capote suchen lassen. Denn nicht Hickmans Söhne standen nach Orson Hickman an der Spitze der Spanish Bit, sondern Sid Capote. Aber auch ihn hatte ich ebenfalls für eine Weile aus dem harten Spiel genommen. Auch Orson Hickman kam im Verlauf des Tages, indes wir gemeinsam ritten und er schweigend miterlebte, wie gut ich unsere Fährte verwischte, zu den gleichen Folgerungen wie ich. Denn einmal brach es aus ihm heraus: »Mach dir nur nicht zu viele Hoffnungen. Wenn Sid Capote mit dem Rest der Mannschaft nachgekommen ist und sich alle Reiter unter seiner Führung vereinigt haben, sind es mehr als fünfzig Mann. Sie werden das Land durchkämmen und uns finden. Wohin reiten wir überhaupt?« Er machte sich verdammt große Sorgen. Und er befand sich in einer von ihm noch nie
erlebten Situation. Ich grinste ihn an. »Oh, es gibt in diesem Land eine ganze Menge Leute, die werden sich freuen, dich einmal ganz klein und häßlich zu erleben, ohne die Macht und den Schutz deiner Revolverreiter. Dein Sohn Joel stahl mir mein Pferd. Dein Vormann Sid Capote ließ mich an einem Lasso halbtot schleifen und wollte mich im Fluß ertränken lassen. Und du setztest einen Kopfpreis auf mich aus, nur weil ich mir mein Eigentum zurückholte. Du behauptest, ich sei ein Pferdedieb. Irrtum! Dein Sohn ist einer. Und so wie mir erging es vielen anderen Menschen. Stets werden sie von euch zu Verbrechern gestempelt, dabei seid ihr die Ungeheuer. Es wird Zeit, daß man dich für deine selbstherrliche Moral zur Rechenschaft zieht.« Als ich verstummte, knirschte meine Stimme. Aber ich sah, daß er innerlich erschauderte, daß ihm die Furcht im Halse aufstieg und er nicht sprechen konnte, so sehr saß sie ihm wie ein Kloß in der Kehle. Wir ritten schweigend weiter. Ich behielt ihn jetzt noch aufmerksamer im Auge als zuvor. Denn jetzt mußte ich damit rechnen, daß er alles auf eine Karte setzen würde, um freizukommen. Und wahrhaftig, er versuchte es, als wir einen steilen Abhang hinunterritten und unsere Pferde auf dem Geröll etwas rutschten und sich unsere Steigbügel berührten. Er warf sich zu mir herüber und schaffte es tatsächlich, mich zu umklammern und mit seinem Gewicht vom Pferd zu reißen. Wir rollten den Geröllhang hinunter, uns dabei umklammernd wie die Klammeraffen. Aber unten – noch bevor wir still lagen – bekam ich mein angezogenes Knie zwischen uns und drückte ihn weg von mir. Als wir aufsprangen, war ich um jenen Sekundenbruchteil früher auf den Füßen, auf den es ankam. Ich traf ihn rechts und links am Kopf. Ja, ich gab es ihm mit Erbitterung und Wut. Aber dann traf er mich tatsächlich einmal voll, weil ich auf dem Geröll ausrutschte. Es war ein gewaltiger Schlag unter das Kinn. Ich fiel nach hinten und überschlug mich rückwärts den Hang hinunter. Zum Glück machte er nun einen großen Fehler. Wäre er zu meinem Pferd gesprungen, um sich dort das Gewehr aus dem Sattelhalfter zu holen, wäre ich erledigt gewesen. Er hätte schießen können, bevor ich hochgekommen und die drei oder vier Sprünge den Hang hinauf bis zu ihm gelangt wäre. Aber er war zu begierig, mich mit seinen bloßen Händen zu töten. Seine Mordlust trieb ihn zu sehr an. Er sprang mir nach, um sich auf mich zu werfen. Er wollte mir mit beiden Händen an die Kehle, mich mit seinem Körpergewicht zu Boden drücken. Aber ich bekam die angezogenen Füße zwischen uns und stemmte sie ihm gegen den Leib. Da ich sowieso schon mit dem Kopf tiefer lag, konnte ich ihn über mich hinweg hangabwärts stoßen. Er krachte, sich überschlagend, mit dem Rücken auf das Geröll. Ich hörte sein Stöhnen. Dann blieb ihm die Luft weg. Er mußte mit seinem Rücken auf einige große Steine gefallen sein. Er konnte nicht mehr. Ich erhob mich keuchend, betastete mein Kinn und war froh, daß die Kinnlade nicht gebrochen war. Dann holte ich die Pferde und wartete wortlos und immer noch schnaufend, bis er sich erheben und aufsitzen konnte.
Stumm ritten wir weiter. Es war nicht mehr sehr weit bis zu Jessica Wardens verborgenem Camp. * Als wir die schmale Schlucht erreichten, durch die wir in das Tal gelangen würden, rief uns Wichita an. »He, Starretter, gibt es dich überhaupt noch? Du warst so plötzlich verschwunden am Coronado-Paß. Wen bringst du denn da mit? Hoi, ist das nicht …?« Er hatte Orson Hickman erkannt. Und dennoch konnte er es nicht glauben. Deshalb versagte ihm vor ungläubigem Staunen die Stimme. »Ja, er ist es«, rief ich zu ihm hinauf. »Ich habe zwar unsere Fährte gut verwischt, aber es könnte dennoch sein, daß uns in einigen Stunden seine Mannschaft durch diese Schlucht folgen wird.« »Hier kommt niemand durch«, rief er herunter. »Ich habe hier einige Sprengstoffstangen bei mir. Die werfe ich jedem auf den Kopf, der ohne meine Erlaubnis in die Schlucht reitet.« Er verstummte mit einem grimmigen Lachen. Wir ritten in die Schlucht. Ich sah mir diesmal die aufragenden Wände von Sandgestein genauer an. Und ich kam zu der Erkenntnis, daß diese Wände einstürzen und zusammenfallen würden, wenn in dieser Schlucht starke Sprengladungen zur Explosion kamen. Es war tatsächlich so, daß dort oben ein einziger Mann einer ganzen Armee mit Hilfe weniger Sprengstoffstangen, wie man sie in den Minen verwandte, den Zugang verwehren konnte. Und so war ich beruhigt. Als wir dann in das Tal kamen und die Hütten sahen, da entdeckte man uns zwar, doch schenkte man uns noch keine große Beachtung. Man wußte ja zu gut, daß uns der Wächter am Schluchteingang nicht durchgelassen hätte, würden wir keine Freunde sein. Ich sah dann plötzlich Jessica Warden. Sie kniete am Creek auf einem flachen Stein neben zwei anderen Frauen und wusch Wäsche. Nun sahen sie mich mit Orson Hickman. Eine der Frauen stieß einen lauten Ruf aus, zeigte auf uns und rief dann: »Hickman! Da kommt Hickman! Der Teufel Hickman kommt geritten!« Es war ein fast kreischendes Schreien. Und dann vergaß die Frau ihre Wäsche und kam angelaufen. Dabei hob sie Steine vom Boden auf und begann, diese auf Hickman zu werfen. Sie traf aber nur Hickmans Pferd, so daß es zu steigen und zu tanzen begann und Hickman Mühe hatte, im Sattel zu bleiben und das Tier unter Kontrolle zu halten. Dabei brüllte er wild und böse: »Verdammt, ich werde diese Schlampe niederreiten, wenn sie nicht aufhört mit dem Steinewerfen!« Nun hatten Jessica und die andere Frau die Steinewerferin eingeholt und hielten sie fest, beruhigten sie. Jessica kam dann näher und starrte zu Orson Hickman empor. Sie sah auf meinen Hengst, dann wieder auf Hickman und schließlich zu mir empor. »Es ist gut, daß du ihn bringst«, sagte sie spröde. »Ich wußte die ganze Zeit, daß du
nicht einfach verschwunden oder weggeritten bist. Ich wußte immer, daß du etwas tun würdest, was keiner von uns gewagt hätte. Steigen Sie ab, Mister Hickman. Von jetzt an sitzen Sie nicht mehr auf dem hohen Roß. Von jetzt an gehen Sie zu Fuß bis zum bitteren Ende. Herunter vom Gaul!« Ihre Stimme klirrte. »Ja, herunter vom Pferd! Der soll zu Fuß gehen und nie wieder auf uns niederblicken«, rief die dritte der Frauen. Und die Steinewerferin griff die Anklage auf und schrie: »Damals, als er unsere Hütte anzünden ließ, da saß er auch hoch oben auf seinem Pferd und blickte auf uns herab, sah hämisch grinsend zu, wie wir unsere wenige Habe aus der brennenden Hütte zu retten versuchten. Wir sollten ihn gleich jetzt aufhängen. Starretter, helfen Sie uns, ihn aufzuhängen?« Die Frau war wie von Sinnen. Und ich begann erst jetzt richtig zu begreifen, wie sehr sie ihn alle haßten. Ich nickte Orson Hickman zu. »Der Wunsch dieser Ladys ist ein Befehl, Hickman. Also los, steigen Sie ab und laufen Sie.« Er starrte mich aus blutunterlaufenen Augen an, schnaufte und atmete schwer. »Ihr dreckiges Pack«, knurrte er. »Ihr genießt es wohl sehr, daß ich in eure Hände fiel. Aber ich sage euch, daß mein Vormann und meine Jungs euch für alles Böse, was ihr mir antut, bestrafen werden. Ich zahle euch alles mit Zinsen zurück.« Nach diesen Worten saß er ab, und nun endlich wurde ihm wieder bewußt, daß er ein Gefangener war, kein mächtiger Despot mehr, der drohen und strafen konnte. Und jedes Wort der Drohung aus seinem Mund würde den Haß gegen ihn noch schlimmer machen. Einen Moment lang fühlte ich mich nicht wohl in meiner Haut. Denn es konnte sein, daß ihn diese Menschen hier in ihrem Haß zu quälen und zu martern beginnen würden, um ihn für alles büßen zu lassen, was er ihnen antun ließ. Sie konnten ihn steinigen, mit Knüppeln totschlagen oder mit dem Kopf nach unten über ein Feuer hängen. Ich aber würde die Hauptschuld tragen, denn ich hatte ihn hergebracht. Deshalb sagte ich rauh zu Jessica, wobei ich sie fest ansah: »Jessica, deshalb habe ich ihn nicht hergebracht!« Sie alle starrten mich nun an, auch Orson Hickman. Es lag wohl noch etwas in meiner Stimme, was mehr wirkte als meine Worte. Jessica Warden fragte schließlich: »Weshalb dann?« »Er hat euch alle verjagen, berauben und rechtlos machen können, weil ihr keine Gemeinschaft wart, nur kleine Leute, weit verstreut in einem unermeßlichen Land, jeder auf sich selbst angewiesen und ohne Chance gegen seine Revolvermannschaft. Wenn ihr euch jetzt zusammenschließt – ihr alle in den vielen verborgenen Camps und Siedlungen westlich des San Pedro –, dann habt ihr die Mehrheit, die nach unserer Verfassung bestimmen kann, was gemacht wird und wie es gemacht wird. Ihr könnt eine verwaltende Ordnung schaffen. Und ich bin sicher, die Bürger der kleinen Stadt Santa Rosa würden auf eurer Seite sein. Aber dazu gehört, daß ihr jetzt schon damit anfangt und auch mit Hickman nach Recht und Gesetz verfahrt. Hast du verstanden, Jessica?« Oha, sie verstand mich sofort. Denn sie war eine kluge Frau. Sie begriff sofort die einmalige Chance. Ich erkannte es in ihren Augen. Denn sie sah staunend zu mir hoch, und ich begriff
irgendwie, daß sie mich plötzlich anders sah als zuvor. Sie nickte plötzlich heftig. Inzwischen waren einige Männer herübergekommen von den Hütten. Ich erkannte Pete Skinner, Paco Cabazzo und Dan Taggert. Sie nickten mir zu und betrachteten dann Orson Hickman mit drohendem Grimm. Ich war müde und ausgebrannt. Es war an der Zeit auszuruhen. Und wahrscheinlich konnte ich Jessica nun alles überlassen. Denn sie hatte begriffen, was ich wollte. * Ich erwachte aus einem tiefen und langen Schlaf, lag still und brauchte eine Weile, bis ich wußte, wo ich war. Dann kam die Erinnerung an das Geschehene zurück. Ja, ich hatte Orson Hickman hergebracht und dann alles Jessica und ihren Leuten hier überlassen. Was hatten sie inzwischen getan? Hatten sie Hickman umgebracht? Oder …? Ich erhob mich und trat aus der kleinen Hütte, die schon damals mein Quartier war, als man mich gesund gepflegt hatte. Es war später Nachmittag. Ich erkannte es am Stand der Sonne. Und da es auch später Nachmittag gewesen war, als ich mit Hickman hier eintraf, mußte ich vierundzwanzig Stunden geschlafen haben. In mir war ein böser Hunger. Drüben in einem Corral stand mein roter Hengst und witterte zu mir herüber. Ich sah mich um. Viele Leute waren gekommen, auch Kinder waren dabei. Sie alle blickten zu mir her. Und dann sah ich Jessica. Sie trat aus ihrer Hütte und winkte mir. »Komm essen, John!« So rief sie herüber. Ich setzte mich in Bewegung, gähnte noch einige Male und dehnte und reckte mich. Der lange Schlaf hatte mir gutgetan. Wenn ich erst den bösen Hunger gestillt haben würde, fühlte ich mich gewiß prächtig. Indes ich die wenigen Schritte zu Jessicas Hütte hinüberging, riefen mir Frauen und Männer anerkennende Worte zu. Es klang immer wieder: »Gut gemacht, Starretter!« »Jetzt wird bald alles anders!« »Wir holen alle zusammen, die er bestohlen, in den Dreck getreten und vertrieben hat.« »Starretter, durch dich beginnt eine neue Zeit.« Ich hörte noch mehr solcher Zurufe, und noch bevor ich Jessicas Hütte erreichte, wurde mir klar, daß Jessica schon mit allen geredet und sie davon überzeugt hatte, daß sie nun alle die Chance hatten, eine starke Gemeinschaft zu werden und eine verwaltende Ordnung zu schaffen. Wir hatten den mächtigen Despoten in unserer Gewalt. Seine Revolverreiter waren ohne Führung. Von Osten her hatten sie keinen direkten Zugang zu unserem Tal hier. Nur auf einem tagelangen Umweg konnten sie hinter die Bergkette gelangen und uns hier angreifen. Aber wir hatten ihren Boß, den großen King. Es stand also alles recht gut. Als ich in die Hütte trat, stand Jessica am gemauerten Herd und füllte zwei Zinnteller
mit Steaks, Bohnen und Kartoffeln. Auf dem Tisch standen schon ein Topf mit Kaffee und auch Tassen und Zucker. Sie brachte die gefüllten Teller und setzte sich mir gegenüber auf die Bank. Wir sahen uns eine Weile an. Sie lächelte ernst. »John, wir holen alle zusammen – alle, die in diesem Land leben, weil sie von Orson Hickman vertrieben wurden. Wir haben auch einen Reiter nach Santa Rosa gesandt, damit die Bürger von dort eine Delegation mit Vollmachten senden.« »Vollmachten – für was?« »Für eine Wahl. Wir werden hier in einigen Tagen einen Gerichtshof wählen, dazu einen Sheriff. Ja, wir werden alles nach Recht und Gesetz machen, so wie du es mir gestern erklärt hast. Ich habe alles genau begriffen und konnte die wichtigsten Leute davon überzeugen. Es hat dann übergegriffen auf alle. Wir wollen eine verwaltende Ordnung schaffen. Niemand soll je wieder allein einem Piraten ausgeliefert sein. Wir …« »Wenn die Spanish-Bit-Mannschaft euch vorher nicht wieder ausräuchert und auseinanderjagt wie Hasen«, unterbrach ich sie. »Denn es gibt immerhin noch Sid Capote und Orson Hickmans zwei Söhne. Ihr werdet euch erst noch gegen die Revolverreiter der Raubranch behaupten müssen.« Sie nickte heftig. »Das werden wir«, sprach sie überzeugt. »Die Tatsache, daß Orson Hickman in unserer Gewalt ist, hat alles verändert. Es war doch damals so, daß er uns nicht alle zur gleichen Zeit vertrieb. Dieser Prozeß zog sich auf Jahre hin. Und so blieben wir einzelne in diesem Lande westlich des San Pedro. Doch nun kommen sie alle her. In zwei oder drei Tagen sind hier mehr als hundert Menschen versammelt, Männer, Frauen und Kinder – alle Verjagten …« »… und wahrscheinlich auch einige Pferdediebe, Banditen und Geächtete«, unterbrach ich sie wieder. »Das mag sein«, erwiderte sie trotzig, »ja, das mag sein. Doch wir werden hier zahlreicher sein als die Einwohnerschaft von Santa Rosa. Hickmans Revolverreiter sollen nur kommen. Wir sichern uns jetzt schon nach allen Seiten. Unsere Späher werden sie rechtzeitig melden, so daß wir sie empfangen können. Es wird alles gut. Wir werden alle bald wieder zurück zu unseren kleinen Ranches, Farmen und Siedlerstätten gehen können. Unser Gerichtshof, den wir wählen werden, wird alle aus dem Besitz der Spanish Bit Ranch entschädigen. Du hast diese Wende eingeleitet, John Starretter. Dafür danken sie dir alle. Sie werden dich zum Sheriff wählen.« Als ich das hörte, vergaß ich das Kauen und schüttelte dann heftig den Kopf. »Nein«, sagte ich, »so nicht. Das geht nicht. Ich habe die Spanish Bit Ranch niedergebrannt. Ihr könnt einen Brandstifter nicht zum Sheriff wählen. Das geht nicht. Ich führte einen Privatkrieg gegen Orson Hickman. Eigentlich wollte ich ihn töten. Doch zum Glück erkannte ich noch rechtzeitig, daß ich all jenen, die er vertrieb und beraubte wie ein Pirat, eine Chance geben mußte. Und die habt ihr jetzt. Aber laßt mich nur raus aus diesem …« Nun hielt ich inne, denn ich hätte fast »Spiel« gesagt. Aber es war kein Spiel. Es war der Versuch zu einem neuen Anfang im Land, zu einer neuen Zeit. Jessica sah mich an. »Du bist ein ehrlicher Bursche«, murmelte sie, »einer wie kein anderer unter
zehntausend.« Mich ritt plötzlich irgendwie der Teufel, so ungewaschen und unrasiert ich auch war. Denn ich hörte mich sagen: »Und du würdest eine wunderbare Frau sein, Jessica, wenn du nicht nur deine Rache im Kopf hättest. Du wärst was ganz Besonderes auf dieser Erde. Wie lange willst du noch um deinen Mann trauern und an nichts anderes als an Rache denken?« Sie starrte mich zornig an. Einen Moment glaubte ich, daß sie mir ihren noch mehr als zur Hälfte gefüllten Teller an den Kopf werfen würde. Sie unterließ es nach kurzem Kampf mit sich selbst. Aber sie holte tief Luft, um mir wenigstens etwas an den Kopf zu werfen. Doch ich sah sie fest an und sagte: »Ja, schimpf nur kräftig! Trotzdem: Du bist immer noch eine Rose und erst in fünfzig Jahren eine Hagebutte. Warum willst du dich nicht an deiner Blüte erfreuen?« Da staunte sie wieder, und ihr Zorn begann sich zu legen. Ich sah es in ihren grünen Augen. Und dann kam eine nach innen gerichtete Nachdenklichkeit in ihren Gesichtsausdruck. Es schien so, als würde sie tief in sich hineinlauschen. Ich verharrte. Und ich hoffte, daß ich mit meinen ziemlich drastischen Worten etwas in ihr bewegt oder aufgebrochen hatte. Als wieder Blick in ihre Augen kam, ich also erkennen konnte, daß sie mich wieder wahrnahm, da sagte ich: »Jessica, ich würde mir verdammt viel Mühe geben, dich noch einmal glücklich zu machen. Halt! Ich erwarte jetzt von dir kein einziges Wort. Ich will nur, daß du in nächster Zeit darüber nachdenkst und dir bewußt bist, wie jung wir eigentlich noch sind. Wir haben noch nicht mal die Hälfte unseres Lebenswegs hinter uns. Es lohnt sich noch.« Ich brauchte ihr nicht zu erklären, was sich noch lohnte. Denn das war ja wohl klar. Und wahrhaftig, sie begann erst zögernd, dann etwas entschlossener zu nicken. »Ja, vielleicht versuche ich es«, murmelte sie. Draußen wurde es wieder laut. Offenbar kamen neue Besucher ins Camp, um dabeizusein, wenn eine menschliche Gemeinschaft abrechnete mit einem gestürzten Despoten. * Es war irgendwie wie ein Wunder. Aus irgendwelchen Gründen, die wir nicht kannten – noch nicht kannten –, kam die Spanish-Bit-Revolvermannschaft nicht. Warum ergriff sie nicht die Möglichkeit, uns vom Rücken von der Gebirgskette der Santa Catalinas westlich des San Pedro aus anzugreifen? Sie hätten mehrere Möglichkeiten durch Schluchten und Canyons gehabt, wenn ihnen unsere Zugangsschlucht, zu gefährlich war. Doch sie kamen nicht. Keiner unserer Späher sichtete sie. Waren sie etwa noch da, wo ich ihnen den Boß aus ihrer Mitte holte? Wagte Kevin Hickman keine Entscheidungen zu treffen? Wartete er auf Sid Capote, den Ersten Vormann? Da würde er noch lange,warten, denn Capote konnte noch nicht wieder reiten, da war ich sicher. Und Joel Hickman lag vielleicht immer noch im Hotel von Santa Rosa und pflegte seine Wunde. Wie es auch war, die Spanish-Bit-Mannschaft kam jedenfalls nicht.
Dies machte die Menschen in unserem Camp noch mutiger und entschlossener. Mit jedem Tag wuchs ihre Gemeinschaft durch neue Zugänge. Am dritten Tag kam dann von Süden her eine Abordnung der Bürgerschaft von Santa Rosa. Es waren nun mehr als hundert Menschen in dem kleinen Tal versammelt. Sie errichteten Hütten und Zelte, und es entwickelte sich ein buntes Leben und Treiben. Die Leute aus Santa Rosa erzählten, daß man Joel Hickman weggeholt hatte. Und der Doc von Santa Rosa wurde in einem Wagen zur Post- und Frachtstation geholt, wo der rauhe und gnadenlose Erste Vormann der Spanish Bit halbtot bei der schönen Conchita lag, deren Reize und Vorzüge selbst in Santa Rosa manchmal Gesprächsstoff waren. Es war dann an einem Vormittag, als die erste Versammlung stattfand. Ich ging nicht hin zum Creek, wo sich alles sammelte, weil dort ein Felsen stand, von dem aus man wie von einer Kanzel reden konnte auf eine lauschende Gemeinde. Ich ging zu Orson Hickman und löste dort den Wächter ab. Hickman hockte unter einem alten, knorrigen Baum. Es war eine Burreiche mit gewaltigen Ästen und Wurzeln, die wie sich krümmende Schlangenleiber aus dem Boden kamen. Das eisenharte Holz dieser Burreiche war nichts für Äxte und Sägen. Wohl deshalb stand sie noch und konnte groß und mächtig werden. Man hatte Orson Hickman eine Kette um einen Fuß gelegt und mit einem Vorhängeschloß gesichert. Das andere Ende der Kette war um den Baum gelegt und ebenfalls mit einem Schloß gesichert. Er war angekettet wie ein Tanzbär und hatte dennoch etwas Bewegungsfreiheit, konnte also sitzen, liegen, stehen und um den Baum laufen. Jetzt hockte er also am Boden und starrte aus geröteten Augen zu mir hoch. Sein Atem ging schwer. Manchmal knirschte er mit den Zähnen. Ich setzte mich zu ihm, und beide blickten wir von unserem leicht erhöhten Platz zum Creek hinunter, wo sich die Leute vor dem Felsen sammelten wie Gläubige unter der Kanzel einer Kirche. Ich sagte nach einer Weile: »Dort findet jetzt eine Art gesetzgebende Versammlung statt für ein neues County. Man wird einen Gerichtshof wählen – und einen Sheriff. All das wird nun vollzogen werden, was du bisher verhindern konntest. Es geht dir bald nach Recht und Gesetz an den Kragen, Orson Hickman.« Er sah mich stumm an. Und sein Haß prallte gegen mich wie ein heißer Atem. Dann murmelte er: »Jetzt ist mir natürlich klar, daß ich dich unterschätzt habe und es dumm war, dir den Hengst zu nehmen und dich zurechtzustutzen. Es war der größte Fehler meines Lebens, dich zum Feind und nicht zum Verbündeten zu machen. Du hättest neben Sid Capote eine große Rolle spielen können in dem Rinderreich, das wir uns geschaffen hätten. Ganz Arizona hätten wir uns erobert – ganz Arizona! Ich hatte schon die Basis dafür geschaffen. Und dann kamst du. Aber wir können das noch in Ordnung bringen. Du könntest ein Fürst werden unter einem König. Meine Söhne, Sid Capote, du und ich – wir könnten Großes vollbringen. Sieh dir doch diese armseligen Leute dort an. Jetzt fühlen sie sich stark. Doch wenn ich wieder freikäme, würde ich sie auseinanderjagen wie ein Löwe ein Rudel kläffender Köter. Was hast du davon, ihnen zu helfen? Und was hättest du, wenn du mir hilfst? Denk mal darüber nach, Starretter.« Nun hatte er alles gesagt. Er, der bisher so stolze und unversöhnliche Despot, kroch zu Kreuze, bettelte um Hilfe. Aber ich schüttelte nur stumm den Kopf. Nein, ich gab ihm nicht mal eine Antwort. Da
schwieg auch er. Wir beobachteten schweigend den Verlauf der Versammlung. Manchmal vermochten wir Wortfetzen zu verstehen und begriffen daher immer wieder, um was es ging. Nach einigen Sprechern stieg dann Jessica Warden auf den Felsen und sprach zu den Leuten. Sie rief wenig später einen Mann zu sich herauf. Der Mann war schon recht betagt, weißhaarig, knorrig, mit einem gepflegten Vollbart. Ich kannte ihn einigermaßen vom Sehen und Reden. Er hieß Sam Beam und besaß in Santa Rosa das Waffen- und Eisenwarengeschäft. Er selbst war Büchsenmacher und Waffenschmied. Aus den Wortfetzen, die zu Orson Hickman und mir herauf drangen, entnahmen wir, daß Jessica diesen Mann nochmals vorstellte und dann die Versammlung aufforderte, ihn zum Richter zu wählen. Es gingen dann fast alle Hände hoch. Unten beim Felsen saß ein Protokollführer an einem Tisch und schrieb. Man kam zum nächsten Punkt der Tagesordnung. Die Menschen waren mit Begeisterung dabei. Zuletzt wurden zwölf Geschworene gewählt. Als Orson Hickman dies klar wurde, knurrte er: »Wie schnell würde ich die Kläffer und Hasenfüße mit einem einzigen Dutzend meiner Reiter auseinanderjagen. Wie schnell ginge das. Ich gehe jede Wette ein, daß sie es nicht wagen werden, über mich Gericht zu halten – oha, niemals! Dieses Kroppzeug fühlt sich nur stark als Menge und weil ich an diesen verdammten Baum gekettet bin wie ein Sträfling. Aber das Blatt wendet sich bald.« Er machte sich selbst Mut, weil es für ihn die einzige Möglichkeit war, seine Hilflosigkeit zu ertragen. Denn im Augenblick standen seine Chancen schlecht. Dennoch spürte er eine ständig wachsende Unruhe. Denn wo blieb die Spanish-BitMannschaft? Warum kam sie immer noch nicht, um ihren Boß zu befreien? Warum suchte sie nicht schon diesseits der Bergkette nach den verborgenen Camps? Oder tat sie das schon, und wir wußten es nur noch nicht? Saß Sid Capote bereits wieder im Sattel? Was war mit Orson Hickmans Söhnen? Brachten diese nichts in Gang? Ja, ich machte mir Sorgen. Die Versammlung am Creek löste sich nun auf. Sam Beam, der jetzt Richter war, kam mit einigen Begleitern herauf zur Burreiche. Auch Jessica war dabei. Sie verhielten vor uns, indes wir uns erhoben. Ich zog mich seitlich etwas aus dem sich bildenden Halbkreis, war wieder nur Gast und Zuhörer. Jessica trat neben mich. »Du hättest unser Sheriff werden können«, murmelte sie. »Alle hätten dir ihre Stimme gegeben – alle. Nun ist es Dan Taggert.« »Das ist gewiß der richtige Mann für diesen Posten«, murmelte ich. Dann hörten wir zu, was Richter Sam Beam zu Orson Hickman sagte, nämlich: »Mister Hickman, es hat sich in diesem Lande ein Gerichtshof mit dem Sitz in Santa Rosa gebildet. Der Richter bin ich. Mein Name ist Sam Beam. Mister Dan Taggert wurde zum Sheriff gewählt. Und alle gesunden Männer zwischen siebzehn und siebzig haben sich verpflichtet, jederzeit für die Bürgerwehr verfügbar zu sein. Gegen Sie findet morgen eine Gerichtsverhandlung statt. Der Sheriff wird als Ankläger fungieren. Wir werden viele Zeugen vernehmen und aussagen lassen. Weil die Anklage auf Mord, Anstiftung zum Mord und Landfriedensbruch lauten wird, wurde auch eine
Jury gewählt. Sie haben das Recht, einen Verteidiger …« Weiter kam Richter Sam Beam nicht, denn nun brüllte Orson Hickman los: »Ihr seid ja verrückt, ihr verdammten Ärsche! Gerichtshof! Sheriff! Jury! Verhandlung gegen mich! Ihr habt wohl Locokraut gefressen und seid davon verrückt geworden? Ich werde euch …« Seine Worte wurden immer unverständlicher, denn sein Brüllen wurde zum blindwütigen Toben. Seine Stimme überschlug sich und veränderte sich zu einem heiseren Krächzen. Wir alle standen da und beobachteten ihn. Und wir waren gewissermaßen Zeugen seines ersten nervlichen Zusammenbruchs. Plötzlich verstummte er und schnappte nach Luft. Er trat einen Schritt rückwärts und lehnte sich an den knorrigen Stamm der Burreiche, schnaufte eine Weile und bekam sich endlich wieder unter Kontrolle. »Ich brauche keinen Verteidiger«, knurrte er. »Und was die Jury betrifft, so bekenne ich mich für nicht schuldig. Wenn das jemand von der Jury nicht akzeptieren sollte, dann …« Er verstummte. Denn nun hatte er sich wieder unter Kontrolle und wußte, daß seine Drohungen eigentlich nur seine Hilflosigkeit erkennen ließen. Er setzte sich wieder, winkte lässig mit der Hand und murmelte: »Haut ab! Laßt mich hier nicht mit euch die gleiche Luft atmen. Vielleicht kommen morgen oder in dieser Nacht noch meine Reiter. Dann werde ich über euch Gericht halten, ihr verdammten Kröten. Kröten zertritt man.« Er hatte nun alles gesagt. Sie gingen. Der Mann, den ich als Wächter abgelöst hatte, übernahm wieder seinen Job. Jessica kam neben mich. »Wir werden ihn hängen«, sagte sie zu mir. Und sie tat mir leid wegen ihres Hasses. Aber es war wohl wirklich so, daß sie ihn hängen mußten, weil es zu viele Anklagen gegen ihn geben würde. Jedes Gericht würde ihn schuldig sprechen. * Es war am nächsten Morgen, als die große Gerichtsverhandlung gegen Orson Hickman eröffnet wurde. Wieder hielt ich mich zurück, blieb etwas abseits. Und meine Gefühle waren gemischt. Ich spürte eine gewisse Erleichterung, keinen Triumph, dafür aber um so mehr Besorgnis. Denn würden sie alle gerecht verfahren? Oder machte der Haß sie ungerecht, blindwütig und ließ sie nur an Rache denken? Wieder fand die Versammlung unten am Creek bei dem großen Felsen statt, der nun als Tribüne diente, auf dem die Verhandlung stattfand. Man brachte Orson Hickman. Er wirkte sehr ruhig und beherrscht. Nein, jetzt tobte, schimpfte, drohte und grollte er nicht mehr. Jetzt gab er sich den Anschein unheilvoller Gelassenheit, so als wollte er ständig zum Ausdruck bringen: Ihr frevelt gegen euren Herrn und König. Und deshalb wird eure Strafe schwer und hart sein, verlaßt euch drauf. Ich bin mächtiger als ihr. Bald werdet ihr für eure Unbotmäßigkeit büßen. Ja, dies alles strömte er aus. Und ich mußte es ihm lassen, er wirkte dabei ziemlich imposant. Aber dann ging es los. Der gestern zum Sheriff gewählte Dan Taggert ergriff das Wort und übernahm die Anklage. Und bald schon wurde der erste Zeuge aufgerufen. Es war eine Frau. Sie stieg auf den Felsen, damit sie von allen gesehen wurde, und hatte
zwei Kinder bei sich, einen Jungen von etwa neun oder zehn Jahren und ein kleineres Mädchen von vielleicht sechs oder sieben. »Sie sind Mabel Mahoun, nicht wahr?« So fragte der Richter Sam Beam. »Und das sind Ihre Kinder Joshua und Ann?« »So ist es, Euer Ehren«, erwiderte Mabel Mahoun. »Und ich bin hier mit meinen Kindern, weil ich Gerechtigkeit will. Denn wenn es keine Gerechtigkeit mehr gibt auf dieser Erde, dann lohnt es sich nicht zu leben.« »Und warum wollen Sie Gerechtigkeit, Mrs. Mahoun? Was ist geschehen? Hängt es mit Mister Orson Hickman zusammen, der wegen Landfriedensbruch, Mord und Anstiftung zum Mord vor diesem Gericht steht?« »So ist es, Euer Ehren. Ich beschuldige Orson Hickman des Mordes an meinem Mann und der Brandstiftung an unserer kleinen Ranch.« »Sie werden auf alles, was Sie gegen den Angeklagten sagen, einen Eid leisten müssen, Mrs. Mahoun.« »Gewiß, Euer Ehren. Beim Leben meiner Kinder, jedes Wort, was ich sagen werde, wird die reine Wahrheit sein.« »Dann sprechen Sie, Mrs. Mahoun.« Sie alle – man spürte es irgendwie – hielten nun den Atem an. Und sie alle waren sich bewußt, daß dies jetzt in diesem Lande eine historische Stunde war. Ein Mächtiger stand als Angeklagter vor Gericht und sollte gestürzt werden. Mrs. Mabel Mahoun aber begann zu sprechen: »Wir kamen vor mehr als fünf Jahren in dieses Land östlich des San Pedro River und steckten nach dem Heimstättengesetz unsere Parzellen ab an einer guten Wasserstelle, die am Fuße einiger Hügel einen kleinen See bildete. Wir bauten unsere Hütte, eine Scheune und Corrals. Ich legte einen Garten und auch einige Felder an, die mein Mann einzäunte, damit die Rinder nicht hineinkonnten. Denn von der Rinderzucht allein konnten wir nicht leben. Wir mußten unsere Nahrungsmittel selbst anbauen. Wir hatten auch zwei Milchkühe mitgebracht. Mein Mann fing dann nach und nach immer wieder einige Wildrinder, um ihnen unseren Brand aufzudrücken. Mit einigen unserer Nachbarn hielten wir gute Nachbarschaft. Nach drei Jahren trieben wir mit einigen Nachbarn eine Fleischherde zum Verkauf an den Regierungsbeauftragten für die Indianerreservate. Es gab nicht viel Geld, nur wenige Dollars für jeden von uns. Aber es war ein Anfang. Wir konnten in Santa Rosa ein paar notwendige Dinge kaufen. Und es sah so aus, als ginge es mit uns allen nun stetig aufwärts. Doch dann kam Orson Hickman, dieser Mann da!« Sie deutete nun auf Orson Hickman. »Er kam mit einigen Reitern«, sprach sie weiter, »und sagte uns, daß wir auf seiner Weide wären und uns zum Teufel scheren sollten. Denn er würde nicht warten, bis wir nach fünf Jahren aufgrund des Heimstättengesetzes den Besitztitel bekämen. Er würde uns vorher zum Teufel jagen. Oh, Euer Ehren, mein Mann war ein stolzer und furchtloser Bursche, und er sagte diesem Mister Hickman, daß er sich zum Teufel scheren möge. Aber Hickman lachte nur. Er sagte, daß er uns drei Tage Zeit geben würde, von hier zu verschwinden. Dann ritten sie fort. Doch zuvor zerstörten sie meinen Gemüsegarten und erschossen unsere beiden Milchkühe.« Sie machte nun eine kleine Pause und wandte sich an Orson Hickman, sah ihn an und wollte etwas sagen. Doch sie brachte keinen Ton heraus. Der kleine Junge aber rief plötzlich: »Mörder, Mörder, Mörder!« Und er zeigte dabei auf Orson Hickman.
Unter all den Zuschauern und Zuhörern gab es nun Bewegung. Es war ein Grollen in der Versammlung. Dann ertönten auch schon einzelne Rufe: »Aufhängen! Los, was soll das Theater, hängen wir ihn jetzt gleich! Mit uns hat er das auch so gemacht. Mabel Mahoun spricht für uns alle!« Aber Richter Sam Beam verschaffte sich Gehör. Er rief scharf: »Ruhe, Leute! Keine Emotionen! Mrs. Mahoun, berichten Sie weiter. Was geschah nach Ablauf des Ultimatums?« Mabel Mahoun wandte sich wieder dem Richter und den Geschworenen zu. »Sie kamen mit mehr als einem Dutzend Reitern. Mein Mann trat ihnen entgegen. Denn er konnte nicht glauben, daß sie es wagen würden, ihn vor den Augen seiner Familie zu töten. Aber sie taten es, bei Gott, sie taten es. Er konnte mit der Schrotflinte nichts gegen sie ausrichten. Sie schossen ihn zusammen. Und er – dieser Mann da! – gab den Befehl. Ich hörte ihn rufen: ›Gebt es ihm, Jungens!‹ Ja, diesen Befehl rief er vom Sattel aus. Ich schwöre es.« Sie rief die letzten Worte mit zitternder Stimme. Dann fügte sie hinzu: »Vielleicht hätten diese Mörder auch mich und meine Kinder getötet. Doch ich fiel vor ihren Pferden auf die Knie und bat um unser Leben. Da durfte ich ein paar Sachen auf unseren Wagen laden und davonfahren. Unterwegs traf ich auf die Farlows, die Sloanes und Beteens, welche ebenfalls vertrieben worden waren und in das Land westlich des San Pedro wollten. Ich schloß mich ihnen an. Und so kamen wir hierher. Ich habe alles gesagt, Euer Ehren.« Sie wandte sich mit ihren beiden Kindern ab und ging weg. Man sah, daß sie am ganzen Körper zitterte. Orson Hickman aber rief hart: »Dieser Narr trat uns mit einer schußbereiten Schrotflinte entgegen. Sollte ich meine Männer aus den Sätteln schießen lassen?! Er wollte kämpfen und bekam seinen Kampf. Basta!« Nun wurde es wieder laut. Das Grollen der Menge wollte nicht aufhören. Ich aber ging weg, wanderte ein Stück den Creek entlang und fand einen ruhigen Platz unter einem Baum. Ich setzte mich ins Gras und dachte daran, daß sie dort bei den Felsen nun eine Anklage nach der anderen gegen Orson Hickman vorbringen würden. Er hatte keine Chance. Nachdem ich Mabel Mahoun gehört hatte, wußte ich, daß auch die anderen ähnliche, vielleicht sogar noch schwerere Anklagen gegen ihn erheben würden. Er war erledigt. Und ich hatte das in die Wege geleitet, als ich ihn aus seinem Camp und fast mitten aus seiner Mannschaft heraus entführte. Konnte ich stolz sein? Hätte ich ihn nicht besser selbst getötet, um es den Leuten zu ersparen? Doch dann würden sie nicht die Chance erhalten haben, eine Gemeinschaft zu werden und sich eine verwaltende Ordnung nach Gesetz zu verschaffen. Handelten sie wirklich nach Recht und Gesetz? Oder täuschten sie das nur vor, um Rache zu nehmen? All diese Gedanken gingen mir durch den Kopf. Von meinem Platz aus konnte ich die Versammlung zwar sehen, aber nicht mehr hören, was gesprochen wurde. Ich sah, daß immer neue Zeugen vernommen wurden. Dort bei dem großen Felsen fand nun eine Abrechnung statt. Und wo blieb die Spanish-Bit-Mannschaft?
Wo waren Hickmans Söhne Kevin und Joel? Wo blieb sein rauher Vormann Sid Capote? Wenn sie nicht bald kamen, konnten sie ihren Boß nicht mehr retten. Und wenn sie kamen, was dann? Würde die Gemeinschaft auch dann noch zusammenstehen und gegen die Revolverreiter kämpfen? Ich erhob mich wieder und ging zurück zur Gerichtsverhandlung, hörte noch, wie ein Zeuge aussagte, daß Hickman einen Siedler wegen Rinderdiebstahls hängen ließ. Ich selbst hätte mich auch als Zeuge melden können, um zu berichten, wie Sid Capote mich im Fluß ertränken lassen wollte, nachdem Joel Hickman mir in Santa Rosa den Hengst gestohlen hatte und mit dem Brand der Spanish-Bit-Mannschaft versehen ließ. Aber meine Aussage war gewiß nicht mehr nötig. Orson Hickman hatte verloren. Und überdies hätte er mir vorwerfen können, seine Ranch niedergebrannt zu haben. Ich hatte ebenfalls ungesetzlich gehandelt und mit ihm einen Krieg geführt. Gewiß, es gab zu der Zeit noch kein Gesetz im Land, keinen Gerichtshof und keinen Sheriff. Aber ich verspürte eine Unsicherheit. Verdammt, ich hätte es mit Orson Hickman bis zum Ende austragen sollen und mir nicht von diesen Leuten die Dreckarbeit abnehmen lassen dürfen. Richter Sam Beam wandte sich nun an Orson Hickman und fragte diesen, was er zu seiner Verteidigung vorzubringen habe. Eine lautlose Stille trat ein, so als hielten alle den Atem an. Keiner wollte sich entgehen lassen, was Orson Hickman sagen würde. Zuerst hörten wir sein grollendes, verächtliches Lachen. »Oh, ihr Pfeifen«, sprach er dann, »ihr fühlt euch jetzt so großartig, daß ihr völlig vergessen habt, daß ihr nur Kroppzeug seid. Ihr habt es nur dem einzigen wirklich beachtlichen Burschen unter euch zu verdanken, daß ihr mich wie einen brüllenden Löwen im Käfig habt – nur dem da!« Er deutete bei seinen letzten Worten über ihre Köpfe hinweg auf mich. Alle wandten sich nach mir um. Ich wußte, er machte sie auf mich aufmerksam, um ihnen klarzumachen, wie klein sie doch waren, wie furchtsam, uneinig und unentschlossen, obwohl sie alle schon so lange im Lande lebten. Aber als er sie nach und nach zu vertreiben begann, da halfen sie sich nicht gegenseitig. Sie fürchteten sich zu sehr vor ihm und seiner Macht. Er versuchte jetzt zu erreichen, daß sie sich wieder an ihre Furcht erinnerten und sich darüber klar wurden, daß sich doch eigentlich durch mich allein sehr wenig geändert haben konnte, sobald seine rauhe Mannschaft kommen würde. Doch da hörte ich Jessica Wardens Stimme rufen: »Starretter hat uns begreifen lassen, daß wir als Gemeinschaft stärker sind als eine Raubranch. Das ist sein Verdienst, gewiß. Doch ich bin sicher, daß wir uns bewähren werden, wenn es darauf ankommen wird. Nicht wahr, Leute?« »Ja, ja!« brach es nun vielstimmig aus ihnen heraus, Und es war wie ein Schwur. Da schwieg Orson Hickman. Doch als es nach einer Weile ruhig wurde, da klang seine tiefe Stimme: »Wir werden ja sehen, was sein wird, wenn meine Reiter kommen! Wir werden ja sehen, was sein wird, wenn einige von euch zur Hölle fahren.« Es blieb still.
Dann sagte die fast tonlose Stimme einer ziemlich alten Frau: »Ja, das werden wir sehen.« Nun ergriff der Richter wieder das Wort. »Sheriff, wollen Sie in Ihrer Funktion als Ankläger noch etwas zu den Geschworenen sagen?« »Gewiß, Euer Ehren«, erwiderte Dan Taggert und trat vor die Geschworenen hin. »Es ist ganz einfach«, begann er. »Sie haben alle Anschuldigungen gehört. Sie wissen auch, daß alle Zeugen ehrenwerte Menschen sind, welche unter Eid aussagten. Sie hörten von diesen ehrenwerten Menschen, was der Angeklagte zu verantworten hat. Nun bitte ich Sie um einen gerechten Spruch. Es kann nur einen einzigen Spruch geben: Schuldig!« Wieder war es still, und sie alle hielten den Atem an. Der Richter fragte: »Und Sie, Angeklagter? Da Sie Ihre Verteidigung selbst übernahmen, was haben Sie noch zu sagen?« »Daß ihr es nicht wagen werdet, mich schuldig zu sprechen, und daß ich jeden, der es tun sollte, mit den Ohren an eine Scheunentür nageln lasse – das ist alles, was ich zu sagen habe.« Orson Hickmans Stimme verklang grollend. Und wieder ließ sein Anblick an einen wutschnaubenden Toro denken, der mit den Hufen scharrte und schon die Hörner drohend zum Angriff gesenkt hielt. Der Richter klopfte mit einem Stück Holz, das man ihm auf den Tisch gelegt hatte, als man diesen auf den Felsen stellte, dreimal auf die Platte. »Die Verhandlung wird für eine Stunde unterbrochen, damit die Geschworenen über ihren Spruch beraten können.« Sie gingen alle auseinander, zerstreuten sich ein wenig, bildeten jedoch viele diskutierende Gruppen. Es war Zeit zum Mittagessen. Doch keiner verspürte jetzt Hunger. Ich wußte, sie würden jetzt ungeduldig warten. Diese Stunde würde ihnen endlos vorkommen. Ich fragte mich, ob sie den Mut haben würden, einen gestürzten Despoten zu hängen, sollte der Geschworenenspruch auf schuldig lauten und der Richter die Todesstrafe aussprechen. Wer würde der Henker sein wollen? Jessica trat zu mir, sah zu mir empor. »Das bringen wir auch noch hinter uns«, sagte sie ruhig. Ich erkannte in ihren Augen nun nicht mehr den Ausdruck von Haß und Härte. In ihr hatte sich etwas verändert. Ich spürte es irgendwie. Vielleicht hatte sich im Lauf der Verhandlung in allen Leuten etwas verändert. Sie hielt plötzlich inne, sah zu mir empor. Jessica fragte schlicht: »Wenn hier alles vorbei ist, kommst du dann mit mir auf die Warden Ranch, die ein Vorwerk der Spanish Bit wurde? Hilfst du mir, die Ranch wieder in Gang zu bringen? Pete Skinner ist schon alt. Und Wichita wird gewiß fortreiten, wenn wir hier Recht und Gesetz haben. Hilfst du mir, John?« Ich sah in ihre Augen und erkannte, daß sie bereit war für einen neuen Anfang. Und so nickte ich. »Wir werden eine Pferdezucht anfangen mit meinem Hengst.« *
Noch bevor die Stunde um war, füllte sich der Platz vor dem Felsen am Creek wieder. Der Richter, der Sheriff, der Gefangene – und dann auch die Geschworenen, sie alle waren dann versammelt. Der Richter fragte den Obmann der Geschworenen, ob sie zu einem Spruch gekommen seien. »Yes, Euer Ehren«, erwiderte der Storehalter aus Santa Rosa, denn er war der Obmann oder Sprecher der Geschworenen. »Und wie lautet der Spruch?« »Schuldig, Euer Ehren.« »Einstimmig?« »Einstimmig, Euer Ehren.« Abermals wurde es so still, daß man nur das leise Plätschern des Creeks vernahm. Dann sprach Richter Beam ruhig: »Nachdem die Geschworenen den Angeklagten für schuldig halten, bin ich bereit, das Urteil zu sprechen.« Er machte eine kleine Pause und sah dann auf Orson Hickman. »Ich verurteile Sie zum Tode durch den Strang. Man wird Sie morgen bei Sonnenaufgang am Halse aufhängen, bis Sie tot sind, Orson Hickman.« Wieder schlug er mit dem Holz auf den Tisch, so als wäre dies ein Hammer. »Die Verhandlung ist geschlossen«, sprach er heiser. Ich stand mit Jessica ein wenig abseits und murmelte: »Und wer wird der Henker sein?« Sie sah zu mir empor, aber sie wußte keine Antwort. Schließlich murmelte sie etwas unsicher: »Oh, sicherlich werden es viele von uns gerne tun, da bin ich sicher.« »Ich nicht«, erwiderte ich. »Es sind zweierlei Dinge, jemanden zu verurteilen oder das Urteil zu vollstrecken. Es sind zweierlei Dinge, solange die Spanish-Bit-Mannschaft noch kommen könnte.« Indes wir so verharrten, führten sie Orson Hickman nur wenige Schritte entfernt an uns vorbei zurück zur Burreiche. Er starrte zu mir herüber, und sein ganzer Haß strömte gegen mich wie ein heißer Atem. Ich sah in seinen Augen, wie sehr er mich haßte. Denn ich war es ja, der ihn vernichtet hatte. Nun sollte er am Halse aufgehängt werden, er, der stets in der stolzen Pose des despotischen Herrschers durch dieses Land ritt und Befehle erteilte. Sheriff Dan Taggert ging rechts neben ihm. Hinter ihnen gingen die beiden Gehilfen. Sie trugen Gewehre. Und da explodierte Orson Hickman plötzlich. Sie hatten ihn ja nicht gefesselt. Dies schien ihnen überflüssig zu sein. Er wirbelte herum und schlug Taggert die Linke in seine Magenpartie. Seine Rechte aber schnappte nach Taggerts Colt. Und in der gleichen Bewegung schwang er weiter herum und richtete die Mündung auf mich. Es war eine einzige reflexhafte Explosion. Denn Taggert konnte nichts dagegen tun, ja, er behinderte zurücktaumelnd sogar seine beiden Gehilfen. Sie konnten Hickman nicht mehr am Schießen hindern. Ich stieß Jessica zur Seite und zog dabei die Waffe. Dann schossen wir fast gleichzeitig.
Seine Kugel verfehlte mich, denn er wollte zu schnell sein. Ich traf ihn voll. Und so war es wohl Schicksal, daß nicht der Henker, sondern ich ihn töten mußte. Es war nun mal so. Und erst nachdem alles geschehen war, holten mich meine Gedanken wieder ein. Ja, er war tot. Ich sah das Einschußloch über seinem Herzen, indes er noch einen Sekundenbruchteil aufrecht verhielt und sein wilder Blick mich ansah. Dann fiel er. Das Krachen der beiden Schüsse verhallte im Tal. Einige Stimmen fluchten – teils hilflos, teils vor bitterer Überraschung. Auch ich verspürte eine gewisse Hilflosigkeit. Ich hatte reflexhaft handeln müssen, und nun war alles geschehen. Nun war ich doch gewissermaßen Orson Hickmans Henker geworden, denn ob Kugel oder Strick, tot war tot. Doch da hatte ich mich in den Leuten getäuscht. Die Stimme jener alten Frau, die ich schon einmal hörte, als sie sagte: »Ja, das werden wir sehen!«, rief heiser: »Leute, er soll hängen! Also hängt ihn!« Und da kamen sie von allen Seiten. Ich zog mich mit Jessica ein Stück zurück, um ihnen nicht im Weg zu sein. Und dann sahen wir, wie sie den toten Orson Hickman zur Burreiche trugen, um ihn dort an einen Ast zu hängen, obwohl er schon tot sein mußte. Oh, wie sehr haßten sie ihn. Und wie sehr mußten sie unter ihm gelitten haben. Meine Kugel zählte nicht. Er sollte hängen, weil sie glaubten, mit ihm dann auch alles Böse zu vernichten. Von der Nordseite des Tales kam ein Reiter herangaloppiert. Er brüllte mit gellender Stimme: »Sie kommen! Sie kommen! Die Spanish-Bit-Mannschaft kommt! Hickmans Reiter kommen!« Einen Moment war es still. Sie alle verharrten und starrten nach dem Nordende des Tales. Aber dort war noch nichts zu sehen. Sie alle verharrten nicht lange. Dann machten sie weiter. Und wenig später baumelte Orson Hickmans schwere und massige Gestalt an einem Lasso von einem der mächtigen Äste der Burreiche. Ich begriff endlich, warum sie es getan hatten, obwohl die Spanish-Bit-Mannschaft im Anmarsch war. Ja, ich begriff es. Auch Jessica begriff es, denn sie sagte: »Nein, sie sind nicht mehr feige. Sie führen das Urteil ihres Gerichtshofes aus und wollen dazu stehen. – Da kommen sie.« Sie meinte mit den letzten Worten die näher kommende Spanish-Bit-Mannschaft. Auch ich blickte nach Norden. Dort kamen sie um ein Waldstück herumgeritten, welches sie bisher vor unseren Blicken verbarg. Sie kamen auch nicht im wilden Galopp herangedonnert. Deshalb hörte man keinen Hufschlag. Sie wußten wahrscheinlich zu gut, daß sie längst schon gesichtet und angemeldet worden waren. Deshalb hatten sie keine Eile. Sie kamen im leichten Trab, geordnet und diszipliniert wie eine Armeeabteilung. Vorn an der Spitze – und darüber staunte ich – ritt Sid Capote, rechts und links neben sich
Orson Hickmans Söhne Joel und Kevin. Ja, Capote und Joel saßen wieder im Sattel. Kevin hatte ohne sie nichts gewagt und tagelang mit der Mannschaft verharrt. Erst als Capote und Joel zu ihm stießen, kam etwas in Gang. Und dann brauchten sie wahrscheinlich noch Tage, bis sie dieses verborgene Camp aufspüren konnten. Aber jetzt kamen sie. Jedoch zu spät. Denn dort, an einem der mächtigen Äste der Burreiche, hing Orson Hickman mit einem Strick um den Hals. Was würden sie tun? Während ich mir diese Frage stellte, sah ich mich um. Denn jetzt kam es darauf an, was die Leute hier, die an diesem Platz eine Gemeinschaft wurden, tun würden. Sie mußten jetzt ihre große Bewährungsprobe bestehen. Es war der Sheriff Dan Taggert, der die Worte rief: »Also los, Männer! Die machen uns klein, wenn wir nicht kämpfen! Zeigen wir ihnen, daß wir nun eine entschlossene Gemeinschaft sind!« Er hatte kaum ausgesprochen, da begannen sie zu brüllen. Ja, es war ein Gebrüll, wie wenn eine Truppe sich zum Angriff in einer Schlacht bereitmacht. Ich wußte, unter diesen Männern hier waren viele, die im Krieg gekämpft hatten, also mal Soldaten waren. Und auch die Frauen riefen mit lauten Stimmen entschlossene Worte. Sie rannten dann alle, um Gewehre und Schrotflinten zu holen aus den Hütten, Zelten und von dort, wo ihr Gepäck war. Dann formierten sie sich zu einer Front, hinter sich die Frauen und Kinder. Indes kamen die Spanish-Bit-Reiter im Schritt heran. Längst schon hatten sie Orson Hickmans gedrungenen Körper am Ast der Burreiche erkannt. Sie wußten nun, daß sie zu spät kamen. Der große, mächtige und unduldsame Boß war tot. Es mußte wie ein gewaltiger Schock auf sie wirken. Ein Götze war von seinem Sockel gestürzt worden. Und diese entschlossene Front von Menschen hatte es getan. Sie hielten an. Ich sah auf Sid Capote. Denn auf diesen würde es nun ankommen. Aber Sid Capote war immer noch ein kranker Mann. Nun, da er nur noch einen halben Steinwurf weit von mir entfernt auf seinem schwarzen Riesenpferd hockte, erkannte ich es deutlich. Nein, er saß nicht wie ein gesunder Mann im Sattel. Er ließ erschöpft die Schultern hängen. Gewiß hatte er sich von dem, was ich ihm antat, einigermaßen gut erholt. Doch dann zerbrach ihn dieser Ritt. Ich wußte, wie schlecht es mir damals ging, als sie mich fast zu Tode geschleift hatten, wie lange ich danach brauchte, um wieder zu Kräften zu kommen. Sid Capote war zwei oder drei Tage zu früh in den Sattel geklettert und mehr als fünfzig Meilen geritten. Joel Hickman, der neben ihm das Pferd verhielt, war ebenfalls noch krank und von diesem Ritt erschöpft. Sie alle waren jetzt deprimiert, weil sie zu spät kamen. Kevin Hickman aber – ich erkannte ihn, weil er Joel so ähnlich sah –, der links neben Sid Capote sein Pferd verhielt, stieß nun einen wilden Schrei aus. Er wandte sich im
Sattel und starrte auf die Bit-Ranch-Reiter. Dann warf er einen Arm hoch und brüllte: »Na los, geben wir es ihnen! Vorwärts! Macht sie klein!« Und er stieß seinem Pferd die Sporen in die Weichen und ließ es anspringen. Aber als er sich nach einem halben Dutzend Sprüngen im Sattel wandte, da sah er, daß ihm kein einziger Reiter folgte – auch Sid Capote und sein Bruder Joel nicht. Da hielt er an, ließ das Pferd auf der Hinterhand ein Stück rutschen. Er befand sich nun zwischen seiner Mannschaft und uns. Und er sah, daß wir sehr viel zahlreicher waren und die Gewehre und Revolver schußbereit hielten. Er kam in seiner wilden Wut zu sich. Er zog sein Pferd herum, so daß er nach links auf Sid Capote und den Bruder und nach rechts auf uns blicken konnte. Er versuchte zu verstehen, warum sie ihm nicht gefolgt waren. Indes war Dan Taggert neben mich getreten. Er rief hinüber: »Ihr könnt Orson Hickman mitnehmen! Er wurde von einem Geschworenengericht schuldig gesprochen und verurteilt. Ich bin der neue Sheriff. Der Gerichtshof wird sich in Santa Rosa etablieren. Wahrscheinlich wird es bald viele Anklagen gegen euch geben. Bei Landfriedensbruch und Verstößen gegen die Heimstättengesetze kann ich einen US Marshal zu Hilfe rufen. Und ein US Marshal wiederum kann die Armee um Hilfe ersuchen. Ihr habt verloren. Nehmt ihn und verschwindet aus dem Land!« Seine Worte klangen laut, hallten in die Runde. Und dann blieb es eine Weile still. Es stand nun alles vor einem Ausbruch von Gewalt. Denn noch brannte sozusagen die Lunte und kroch langsam weiter mit ihrem glühenden Ende. Sid Capote hockte müde im Sattel. Vielleicht war es nicht nur seine körperliche Erschöpfung, sondern auch die bittere Erkenntnis, daß er seinen Boß nicht hatte retten können, die ihn resignieren ließ. Er sah sich mit einer langsamen und müden Bewegung im Sattel nach den Bit-RanchReitern um und erkannte sicherlich, was wir alle mehr oder weniger deutlich erkennen konnten. Die Spanish-Bit-Reiter hatten keinen King mehr. Es wurde ihnen immer bewußter, wie stark doch diese Gemeinschaft der Kleinen geworden war, so daß sie es wagte, den mächtigen Orson Hickman zu hängen. Und immer wieder wandten sich ihre Blicke zu der bewegungslos am Baume hängenden Gestalt ihres ehemaligen Bosses. Dabei wurde ihnen klar, daß etwas zu Ende gegangen war. Sid Capote erkannte dies wohl in seinen Reitern und zog daraus die Konsequenz. Er rief heiser: »Larkin! Scott! Slim! Brazos! Nehmt den Boß ab! Wir bringen ihn heim!« Dann zog er sein Pferd herum und drehte uns den Rücken zu. Er ritt an den Reitern vorbei den Weg zurück, den sie gekommen waren. Sie folgten ihm bis auf jene vier, deren Namen er rief – und bis auf Joel und Kevin Hickman. Diese schlossen sich den vier Reitern an, die zur Burreiche ritten. Wir alle beobachteten, wie sie Orson Hickman vom Strick schnitten. Kevin nahm den Toten vor sich auf das Pferd. Dann ritten sie davon, folgten Sid Capote und der abreitenden Mannschaft.
Hinter ihnen aber wurden Stimmen laut. Nein, es war kein triumphierender Jubel, kein Siegesgeschrei – es war anders. Da waren Rufe der Erleichterung, erlöstes Aufatmen, dankbares Beten, Stöhnen, Schnaufen. Ein kleines Kind begann in den Armen seiner Mutter fröhlich zu krähen, denn es war noch zu klein, um zu wissen, was geschehen war. Ich wandte mich Jessica zu. »Das war es wohl«, sagte sie. »Eine neue Zeit beginnt für uns alle in diesem Land. Reiten wir morgen zur Warden Ranch, ja?« Ich nickte. Aber ich war mir längst nicht sicher, ob nun alles gut war. Gewiß, die Spanish Bit Ranch war zerstört. Orson Hickman war tot. Seine Mannschaft hatte gekniffen. Viele dieser Reiter würden außer Landes reiten. Doch was würden Sid Capote und Orson Hickmans Söhne tun? * Diese Frage stellte ich wenig später auch Jessica, Pete Skinner, Wichita und Paco Cabazzo. Und als Sam Taggert zu uns kam, fragte ich es auch ihn. Sie alle wußten es nicht zu sagen. Denn es gab mehrere Möglichkeiten. Und so entschloß ich mich und sagte: »Ich reite ihnen nach und beobachte sie. Wenn ich Bescheid weiß, was sie tun, komme ich nach Santa Rosa.« Ich sah Jessica an. »Wenn wir zu deiner Ranch wollen, Jessica, werden wir uns in Santa Rosa gewiß ausrüsten müssen. Wir treffen uns dort.« Sie nickte stumm, und ich wußte, sie machte sich Sorgen. Aber wir alle mußten uns wahrscheinlich noch Sorgen machen. Als ich mein Pferd sattelte, kam Jessica aus der Hütte und brachte mir einen Beutel mit Proviant. »Es ist Rauchfleisch und das Brot, das ich gestern gebacken habe. Paß gut auf dich auf, John Starretter. Weißt du, du hast mir eine Menge versprochen. Und ich fange an, daran zu glauben. Auch über deine Worte, daß wir noch mehr als das halbe Leben vor uns haben, habe ich nachgedacht. Ja, ich möchte noch einmal so glücklich werden wie mit Morg Warden. Er würde das selbst so wollen. Also paß gut auf dich auf.« Ich nickte. Und ich hätte sie gern in meine Arme genommen. Doch ich wußte, es war noch zu früh. Ich mußte ihr Zeit lassen. Sie war ja bereit. Das war schon sehr viel. Ich nahm sie also nicht in die Arme, aber ich hob meine Hand und strich ihr mit den Fingerspitzen über die Wange. Sie lächelte zu mir hoch. Es war ein Einverständnis zwischen uns, das keiner besonderen Worte mehr bedurfte. Ich saß auf und ritt davon. Schon hinter dem ersten Waldstück fand ich heraus, was sie getan hatten. Sie schlugen zwei dünne Bäume, deren Stangen geeignet waren, einen Schleppschlitten nach Indianerart herzustellen. Dazwischen spannten sie wahrscheinlich eine Plane. Und so transportierten sie dann Orson Hickmans Leichnam zur Ranch. Als sie dann am späten Nachmittag das Tal durch eine Schlucht verlassen hatten und ich ihnen folgte, da sah ich sie über die Ebene nach Osten ziehen. Aber so imposant, wie sie zu uns ins Tal kamen, wirkten sie nicht mehr. Sie ritten nicht mehr geschlossen wie eine Ritterschar. Nein, sie bildeten schon kleine Gruppen, die zueinander bereits Abstände hielten.
Es war klar, die harte Spanish-Bit-Mannschaft brach auseinander. Hinter der nächsten Hügelkette – an einem Creek – sah ich dann die Feuer der auseinandergebrochenen Mannschaft in die Nacht leuchten. Auch ich legte mich zur Ruhe nieder. Als es Tag wurde, brachen die einzelnen Gruppen gleich vom Campplatz in verschiedenen Richtungen auf. Eine Gruppe strebte nach Nordosten. Sie würde am San Pedro entlang nach Fort Grant und von dort über Socorro nach Santa Fe reiten. Zwei andere Gruppen wandten sich nach Süden, doch ritten sie nicht gemeinsam. Sid Capote und die beiden Hickman-Brüder verfügten nur noch über vier Reiter. Letztere waren offenbar der harte Kern der Mannschaft. Den ganzen Tag zogen sie weiter mit dem Schleppschlitten, auf dem der Tote lag. Ich folgte ihnen im weiten Abstand und blieb stets in guter Deckung. Doch selbst wenn sie mich bemerkt hätten, auf meinem Hengst war ich sicher vor ihnen. So verging also der Tag. Wir durchfurteten den San Pedro schon am frühen Vormittag, und als es Abend wurde, erreichten sie die zerstörte Spanish Bit Ranch. Ich blieb auf einem Hügel zurück und beobachtete sie im letzten Schein der hinter mir untergehenden Sonne. Von der einst so großen und imposant wirkenden Ranch war außer einigen Corrals, Weidekoppeln und verkohlten Balken auf den Grundmauern nicht mehr viel zu sehen. Ich hatte alles niedergebrannt und vernichtet. Und es blieb mir auch nicht erspart, Orson Hickman zu töten. Dabei hatte ich das gewiß nicht gewollt. Aber irgendwie war ich wohl eine Art Werkzeug des Schicksals gewesen. Und dies alles geschah nur deshalb, weil ich bei Isabel Fernando zu Gast war und Joel Hickman mich dafür zurechtstutzen wollte. Er stahl mir meinen Hengst und drückte ihm den Bit-Brand auf. Ja, so hatte es angefangen. Und dort drüben endete es nun. Ich konnte im letzten Schein der untergehenden Sonne erkennen, wie sie Orson Hickman – eingehüllt in eine Zeltplane – in die rasch ausgehobene Grube legten. Und was würden sie dann tun? fragte ich mich. Dann vernahm ich das Grollen eines fernen Donners. Die Sonne war im Westen untergegangen. Von Osten krochen die Schatten der Nacht heran. Von Süden aber kam das Gewitter. Blitze zuckten. Und der Donner krachte immer stärker. Die Abstände zwischen dem Zucken der Blitze und dem Donner wurden immer kürzer. Über das Land würden bald Wolkenbrüche niedergehen. Selbst die trockenen Creeks würden sich in Wildwasser verwandeln. Der Boden konnte bei solchen Wolkenbrüchen die Wassermengen gar nicht so schnell aufnehmen. Ich wußte, daß die Reiter dort bei der zerstörten Ranch nun fortreiten würden. Sie mußten irgendwo Schutz suchen. Aber die Wolkenbrüche würden mit ihren Wassermassen jede Spur vernichten. Auch ich mußte mir einen Schutz suchen. * Erst nach Mitternacht war alles vorbei. Aber das Land stand überall unter Wasser. Ich �
hatte mich mit meinem Hengst unter einige überhängende Felsen geflüchtet. Doch wir waren beide so naß, als wären wir aus einem Fluß gekommen. Die Nacht wurde hell. Sid Capote und die beiden Hickman-Brüder waren mit ihren wenigen ihnen noch verbliebenen Reitern verschwunden. Wohin würden sie geritten sein? Ich dachte an viele Möglichkeiten Doch letztlich fiel mir immer wieder Santa Rosa ein, die kleine Stadt, die bisher im Schatten von Orson Hickman lebte und die nun der Sitz eines Gerichtshofes und eines Sheriffs werden sollte. Wenn sich Capote mit seinen Männern vor dem Unwetter irgendwo verkrochen hatte wie ich, dann würden auch sie erst jetzt unterwegs sein. Vielleicht konnte ich sie mit meinem schnellen Hengst schlagen und Santa Rosa vor ihnen erreichen. Und dann? Oh, was dann sein würde, konnte ich mir nicht ausrechnen. Ich wußte nur, ich mußte hin. Denn der Sheriff, der Richter und all die anderen Leute würden erst in zwei oder gar drei Tagen dort eintreffen. Die ließen sich Zeit und mußten auch ihre Habseligkeiten transportieren. Ich machte mich also auf den Weg. Es war ein mühsames Reiten. Überall stand noch das Wasser. Jeder kleine Bach war zum reißenden Fluß geworden. Ich mußte immer wieder Umwege reiten, doch ich blieb stetig im Sattel, auch als der Tag kam. Ich aß dann und wann etwas von dem kalten Proviant und freute mich, wie gut und ausdauernd mein Hengst die Meilen hinter sich brachte. Ja, ich war sehr sicher, daß ich vor Capote in Santa Rosa ankommen würde – wenn Capote überhaupt nach Santa Rosa wollte. Aber ich zweifelte nicht daran. Es war ein weiter Weg. Dennoch schaffte ich es bis zum späten Nachmittag. Als ich die Häuser von Santa Rosa erreichte, ritt ich im Schritt. Vor dem Mietstall hockte der alte Hedro Sanches und reparierte einen Sattel. Ich fragte vom Pferd auf ihn nieder: »Sind Reiter gekommen? Kam Capote mit den Hickman-Brüdern?« Hedro Sanches schüttelte seinen grauen Kopf. Ich kannte seinen Namen, weil Jessica und die Männer mir viel über die Leute von Santa Rosa erzählten. Er kannte mich natürlich noch besser als ich ihn. Diese kleine Stadt wußte gut Bescheid über mich. Ich war der kleine Mann, der den großen Umsturz oder Wandel herbeigeführt hatte. Hedro Sanches sagte: »Nein, Señor. Es ist zur Zeit kein Fremder in der Stadt, es sei denn, er hätte sich zu Fuß hereingeschlichen. Was ist geschehen dort in den Santa Catalinas? Man holte eine Abordnung aus unserer Stadt in das verborgene Camp. Unsere besten Männer sind hin. Was ist geschehen?« Ich stieg aus dem Sattel, trat zum Wassertrog und wusch mein schwitzendes Gesicht und den Nacken. Mein Hengst tauchte neben mir seine Nase in das Wasser. Als ich mich Hedro Sanches zuwandte, wartete dieser immer noch auf eine Antwort. »Sie haben Sam Beam zum Richter und Dan Taggert zum Sheriff gewählt«, begann ich. Und dann berichtete ich ihm alles, was geschehen war. Ich wußte, er würde dafür sorgen, daß es bald jeder Mensch in dieser Stadt erfuhr. Ich endete mit den Worten: »Die Spanish-Bit-Mannschaft brach also auseinander. Doch bei Sid Capote und den Hickman-Brüdern sind noch vier harte Burschen. Ich kann mir
vorstellen, daß sie nach Santa Rosa kommen, um diese kleine Stadt noch kleinzumachen.« »Und warum sollten sie das tun wollen, Senor?« Hedro Sanches fragte es zweifelnd und ungläubig. Ich hob die Schultern und ließ sie sinken. »Sie bekamen gesagt, daß sich in Santa Rosa von nun an ein Gerichtshof und ein Sheriff etablieren würden. Und sie wissen, daß die Stadt gegen sieben Revolverschwinger keine Chance hat. Sie haben alles verloren, was sie verlieren konnten – die Ranch, die Macht, Orson Hickman. Sie erlitten eine Niederlage, wie sie vernichtender nicht sein konnte. Deshalb werden sie gnadenlos zuschlagen, damit die Stadt nicht zur Basis und zum Ausgangspunkt einer neuen Zeit werden kann. Ihre große Ranch wurde zerstört, vernichtet. Nun …« Ich brauchte nicht weiterzureden. Denn er begriff nun die Gefahr. Und so sprang er auf von seinem Schemel, auf dem er vor dem Arbeitsgestell mit dem Sattel gesessen hatte. »Dann muß ich sie alle warnen!« rief er und lief aus dem Hof auf die Straße hinaus, wandte sich dort stadteinwärts. Ich stand noch einige Atemzüge lang neben meinem Hengst beim Wassertrog. Sonora schnaubte, und es kam mir vor, als wollte er mich auffordern. Aber zu was? Nun war ich also hier und hatte diese kleine Stadt gewarnt. Konnte ich jetzt wieder verschwinden? Nein, gewiß nicht. Der Richter, der Sheriff, die übrigen Männer der Abordnung von Santa Rosa – und all die Menschen, die nun aus den Santa Catalinas als geeinte Gemeinschaft zurückkamen, würden vor zwei oder drei Tagen nicht hier sein können. In dieser kleinen Stadt waren also nicht mehr viele kampffähige Männer. Sie war so leicht zu vernichten wie die Spanish-Bit-Ranch. Ich mußte bleiben. Aber wo? Ich konnte mich nicht in den Ortseingang stellen und sieben Revolvermänner aufhalten. Was also konnte – oder mußte – ich tun? Und so versuchte ich mir vorzustellen, wie das alles wohl ablaufen würde, wenn die sieben letzten Reiter der Bit kamen. Als ich mir das vorzustellen begann, sah ich es fast wie eine wirkliche Szene vor Augen. Und ich wußte auch, daß diese Stadt nicht kämpfen würde. Es waren ja nur noch wenige Männer da. Außer Hedro Sanches waren es nur Alte, Kinder und Frauen. Alle maßgebenden Männer waren ja zur großen Versammlung in die Santa Catalinas geritten, wo sich dann die Entscheidung für die Zukunft des Landes auf hundert Meilen in der Runde vollzog. Ich saß auf und ritt am Stall entlang bis zu dessen Hinterseite. Dann suchte ich mir einen Weg durch die Gärten und Felder und umritt die kleine Stadt in einem Halbkreis. Von der anderen Seite gelangte ich schließlich in den hinteren Garten von Isabel Fernandos Haus. Hier gab es einen Stall, in dem zumeist ihr Pferd stand, zu dem ein leichter, zweirädriger Wagen mit einem klappbaren Lederdach gehörte. Damit fuhr sie manchmal aus. Ihr Pferd stand jedoch jetzt nicht im Stall, sondern im Corral. Nun stellte ich den Hengst in den Stall, denn ich wollte ihn möglichst lange verborgen halten. Als ich ihn abgesattelt hatte, kam Pedro, ihr Hausbursche für alles.
Er erschrak bei meinem Anblick und sagte: »Ay, Señor …« Ich fragte: »Ist die Señorita allein, Pedro?« »Si.« Er nickte. »Aber es eilt eine Nachricht wie ein Lauffeuer durch die Stadt, daß …« »Ich weiß«, unterbrach ich ihn. »Und ihr habt alle Angst, nicht wahr, Furcht vor der Rache der Spanish Bit?« »Si.« Er nickte noch heftiger als zuvor. »Die Leute von Santa Rosa werden alles ertragen müssen, denn gegen sieben Revolvermänner können sie nicht ankämpfen. Es sind nicht mal mehr sieben kampffähige Männer in der Stadt, mich mit eingeschlossen.« Ich seufzte, und ich fühlte mich irgendwie schuldig an der so hoffnungslosen Situation dieser Stadt. Verdammt, warum kam ich nicht früher auf den Gedanken, daß die Hickman-Brüder und Sid Capote zu Amokläufern werden könnten? Ich sagte: »Pedro, du hast mich nicht gesehen.« Er starrte mich an und nickte schließlich. Ich ließ ihn stehen und betrat durch die Hintertür Isabel Fernandos schönes Haus. Durch die Küche ging ich in die schöne Wohnhalle und sah Isabel durch die offene Tür im Verandaschatten auf der weichgepolsterten Schaukelbank, die wie ein hängendes Sofa war. Sie las in einem Buch. Plötzlich wandte sie den Kopf und sah zur offenen Tür, die ich nun ausfüllte mit meiner hageren Gestalt. Sie lächelte mich an und sagte: »Oh, ich weiß immer, wenn du in der Nähe bist, John Starretter. Es ist still geworden in dieser Stadt. Was ist dort draußen geschehen? Pedro berichtete mir von Gerüchten, die wie ein Lauffeuer durch die Stadt eilen. Was ist wirklich geschehen?« Ich ging zu ihr und setzte mich neben sie auf das leicht schaukelnde Hängesofa. Nein, ich berührte sie nicht. Auch sie machte keine Anstalten, sich an mich zu drängen. Denn sie war eine Frau mit einem besonderen Instinkt. Sie wußte stets, was in den Männern vorging. Und mir stand nicht der Sinn nach Zärtlichkeiten. Ich war angespannt und in lauernder Bereitschaft. Denn ich wußte, daß ich wahrscheinlich sterben würde, wenn Capote und die anderen Männer kamen. Ich konnte eigentlich keine Chance gegen sieben Revolvermänner haben. Ich erzählte ihr die Sache mit kurzen Worten. Doch ich schien ihr nicht viel Neues zu sagen. Sie hatte das alles schon von Pedro erfahren – und dieser von Hedro Sanches, dem Mietstallmann. Als ich verstummte, sagte sie spröde: »Steig auf dein Pferd und reite weg, John Starretter. Diese Menschen werden es dir nicht danken, wenn du hier stirbst. Im Gegenteil, sie werden dich verfluchen, weil du ihnen die Rache der Bit Ranch auf den Hals schicktest. So ist es doch, nicht wahr? Sie werden auch zu mir kommen, Joel vor allen Dingen. Weil ich dich damals nicht wegschickte, wie er es verlangte, kam all das Unglück in Gang. Er wird kommen und auch mich bestrafen. Bei mir begann das Unglück der Spanish Bit Ranch und der Hickmans. Ja, er wird kommen.« »Deshalb bin ich ja hier«, murmelte ich. »Denn er wird der erste sein, den ich erledigen werde. Verstehst du?« Sie riß ihre schwarzen Augen auf, sah mich einige Atemzüge lang sprachlos an. »O John …«, begann sie. Doch dann erhob sie sich. »Du siehst müde aus, halb verhungert. Ich werde dir etwas zu essen machen. Und wenn du dich ausruhen willst, dann werden Pedro und ich für dich wachen und aufpassen.
Sobald die Kerle in die Stadt kommen, werde ich dich wecken. Du wirst nämlich ausgeruht sein müssen und im Vollbesitz deiner Fähigkeiten. Sonst sind deine Chancen noch kleiner als ohnehin.« Sie sprach sehr sachlich, und all die Strömungen, die sie aussenden konnte, um in einem Manne den Wunsch nach Zärtlichkeiten zu erwecken, hielt sie zurück. Aber das war mir recht. Ich würde bald kämpfen müssen. Es war jetzt keine Zeit mehr für andere Dinge. Vielleicht las sie meine Gedanken. Denn sie lächelte und sprach: »Mach dir nur keine Sorgen, John. Zuerst bekommst du was zu essen. Und dann ruhst du dich aus. Pedro wird aufpassen. Sie können dich nicht überrumpeln. Komm ins Haus, mein Lieber.« Ich gehorchte. Indes sie in der Küche zu hantieren begann, wusch ich mich. Sie hatte eine Wasserpumpe in der Küche und eine große Wanne, in die ich meinen Kopf bis zu den Schultern hineinstecken konnte. Sie brachte mir auch frisches Unterzeug und ein nagelneues Flanellhemd. Ja, nun fühlte ich mich besser. Nur müde war ich vom langen Reiten und dem wenigen Schlaf in letzter Zeit. Ja, ich würde mich ihr und Pedro anvertrauen. Und ich wußte ziemlich sicher, Joel Hickman würde zuerst hierher kommen. Isabel brachte das Essen auf den Tisch. Es war ein herrliches Steak mit Gemüse und einer scharfen Soße, dazu gab es Bratkartoffeln mit viel Zwiebeln und ein Glas Rotwein. Auch sie trank ein Glas, indes sie mir gegenübersaß und zusah, wie es mir schmeckte. In ihren Augen war ständig ein ernstes Forschen. Einmal sagte sie: »Du hättest lieber fortreiten sollen, John. Es ist dumm, für diese Stadt zu kämpfen. Die Menschen werden es dir nicht danken. Wahrscheinlich werden sie dich verfluchen. Und ich – oh, ich hätte mich mit Joel gewiß schon irgendwie arrangiert.« Ich leerte das Glas. Es war ein guter Wein, und er schmeckte herb und nach irgendwelcher Erde. Sie wollte mir nachschenken, doch ich wehrte ab. »Nein, betrinken darf ich mich nicht«, sagte ich dabei und aß die letzten Bissen vom Teller. »Ich glaube, der Wein ist mir schon etwas zu Kopf gestiegen«, murmelte ich kauend. »Ich hätte besser Kaffee trinken sollen.« »Ah, das geht in wenigen Minuten vorbei.« Sie lächelte, »Du hast gut gegessen und bist müde. Bald geht es dir besser.« Ich nickte und wischte mir über Stirn und Augen. Verdammt, mir war plötzlich ganz seltsam. Irgendwie war etwas mit meinem Kopfe. Es war doch nicht möglich, daß ich bei einem solch guten und reichlichen Essen von einem Glas Rotwein betrunken wurde. Nein, das konnte nicht sein. Ich versuchte zu denken, doch das fiel mir zunehmend schwerer. Und dann wußte ich, was geschehen war. Ich wollte aufspringen, aber mein Körper gehorchte mir nicht mehr. Es war ein merkwürdiger Zustand, in dem ich mich befand. Irgendwie war ich wie gelähmt. Und ich starrte Isabel Fernando an, die wunderschöne, reizvolle, begehrenswerte Edelputa, die sich nur an besondere Männer verkaufte und eine niveauvolle Gastgeberin war.
Sie lächelte bedauernd. Dann sprach sie langsam Wort für Wort, so als wüßte sie genau, daß ich es mit meinem betäubten Hirn sonst nicht begreifen würde: »Weißt du, John Starretter, ich stand noch niemals auf der Seite des Verlierers. Ich tat dir ein Pulver in den Wein. Es ist ein Zaubermittel der Yaquis in Sonora. Mit diesem Mittel schütze ich mich, wenn einer meiner Besucher letztlich doch nicht meinen Erwartungen entspricht. Ich werde dich den Hickman-Brüdern und Sid Capote übergeben. Denn ich will davonkommen, wenn sie diese Stadt kleinmachen. Dieses Haus ist mir zu wertvoll. Ich schlage mich stets auf die Seite der Gewinner. Gleich wirst du einschlafen.« Und so war es auch. Ich schien langsam in bodenlose Tiefen zu versinken. * Als ich erwachte, schien mein Kopf eine Trommel zu sein, die immer wieder unter schweren Schlägen erdröhnte. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, daß dieses paukenartige Dröhnen irgendwie mit meinem Puls- oder Herzschlag zusammenhängen mußte. Ich versuchte mich zu bewegen, doch das konnte ich nicht. Ich war nämlich gefesselt. Ich lag in der Wohnhalle auf einem Sofa und war an Händen und Füßen gefesselt. Als ich den Kopf wandte, sah ich Isabel Fernando. Verdammt, sie hatte tatsächlich Tränen in den Augen. Ich sah es im Lampenschein. Denn draußen war es Nacht geworden. Ich versuchte zu sprechen, doch es gelang mir erst nach einigen Versuchen. Und auch dann klang meine Stimme heiser krächzend, und meine Worte waren kaum zu verstehen. Ich fragte: »Isabel, warum hast du das getan?« Sie strich ihre rabenschwarzen Haare zurück. Dann wischte sie mit den Handrücken die Tränen von den Wangen. Schließlich murmelte sie: »Weißt du, ich war schon als kleines Mädchen ganz allein auf mich gestellt. Und später wollten alle scheinbar so guten Onkels nur das eine von mir. Ich war von Anfang an dazu bestimmt, mit meinem Körper für alles zu bezahlen, was ich bekam. Erst allmählich wurde ich erfahren und schlau. Von da an benutzte ich meine Schönheit wie ein süßes Gift. Dieses Haus ist neben einigen Ersparnissen mein einziger Besitz. Ich habe gelernt, stets zu den Gewinnern zu halten, mich mit ihnen zu arrangieren. Am Anfang hielt ich auch dich für einen Gewinner. Aber jetzt habe ich erkannt, daß es ein Irrtum war – und ich will davonkommen. Und ich sage dir, alle Leute hier in der Stadt denken so. Es war dumm, in einem verborgenen Tal der Santa Catalinas eine Gerichtsverhandlung abzuhalten und die Stadt ohne Schutz zu lassen. Es war so dumm wie kaum etwas anderes. Du konntest diese Stadt nicht retten. Aber vielleicht kann ich es.« Sie verstummte hart. Und ich vermochte sie gut zu verstehen. Denn sie war keine edelmütige Heilige. Das Leben hatte ihr dazu keine Gelegenheit gegeben. Ebenso war diese Stadt keine Burg voller Helden. Pedro kam herein. Er blickte zu mir her, und ich sah ihm an, wie sehr er sich schämte. Dann sprach er zu Isabel gewandt: »Sie kommen. Sie haben die Stadt umstellt und kommen von allen Seiten herein. Ich weiß nicht, wer hier auftauchen wird. Darf ich bei
Ihnen bleiben, Patrona?« »Sicher, Pedro«, murmelte sie. »Bei mir bist du sicher, denn wir haben ein wertvolles Geschenk für unsere Besucher. Überdies weiß ich ziemlich sicher, wer zu mir kommen wird.« Nachdem sie dies gesagt hatte, warteten wir. In mir war eine bittere Resignation. Ich war hergekommen, um für diese Stadt zu kämpfen. Doch dann war ich in eine Falle gelaufen. Ich hätte wissen müssen, daß eine Puta immer eine Puta blieb. Wer sich für Geld verkauft, tut es auch um anderer Vorteile willen. Draußen erklang plötzlich der Hufschlag eines Pferdes. Der Reiter hielt vor der Veranda. Wir hörten ihn absitzen, denn der Sattel knarrte. Dann klirrten Sporen. Und dann kam er herein. Ja, es war Joel Hickman, der wilde, verrückte Bursche, der sich damals für eine Art Königssohn hielt, dem man keinen Wunsch abschlagen durfte und der sich alles erlauben konnte. Er hielt seinen Colt in der Faust. Und mit einem schnellen Rundblick erkannte er die ganze Situation. »Oha«, machte er und starrte zu mir her. Dann sah er Isabel an. »Und du glaubst«, fragte er grinsend, »daß du dich damit vor der Bestrafung gerettet hast, die sich die Stadt für ihre Rebellion eingehandelt hat. Du glaubst, daß du uns mit diesem Geschenk gnädig stimmen kannst?« Sie nickte. »Er wollte euch hier erwarten und kämpfen«, sprach sie dann. »Und er hätte gewiß einige von euch getötet, wahrscheinlich dich zuerst, denn er wußte genau, daß du hierher kommen würdest. Er hat sich nicht getäuscht, nicht wahr? Du wärst jetzt schon tot. Sei mir also dankbar, Joel Hickman.« Ihre Stimme wurde zuletzt zornig und fordernd. Er grinste böse und verächtlich. »Oh, man lernt doch nie aus«, sagte er. »Eine Puta bleibt eine Puta, mag sie auch noch so schön sein. Sie verkauft sich und auch andere um eines jeden Vorteils willen.« Er trat zu mir, sah auf mich nieder. »Wir werden dich hängen, wie ihr meinen Vater gehängt habt.« »Du hast Glück gehabt, Joel«, erwiderte ich. »Dein Leben verdankst du dieser Puta da. Du solltest ihr wirklich dankbar sein.« Er dachte nach und nickte. Dann wandte er sich wieder zur Tür und ging bis zu ihr hin. Doch bevor er auf die Veranda trat, hielt er nochmals inne. »Wir holen ihn später«, sprach er über die Schulter. »Und vielleicht bin ich dir dann wirklich dankbar, Isabel – vielleicht.« Er ging hinaus. In der Stadt – nicht weit von uns entfernt – klangen nun einige Schüsse. Sollten doch einige Bürger dieser Stadt kämpfen, sich also in ihren Häusern verschanzt haben und Widerstand leisten? Ich zweifelte daran. Die Schüsse waren wahrscheinlich von den Bit-Reitern abgegeben worden, um den Leuten Angst einzujagen. Die sieben nahmen jetzt die Stadt, schüchterten die Bürger ein und würden bald mit der Bestrafung beginnen.
Würde Santa Rosa brennen wie die Spanish Bit Ranch? Verdammt, ich hatte diesen Krieg zwar nicht begonnen, doch ich hatte die Bit Ranch zerstört. Und nun mußte Santa Rosa dafür büßen. Ich aber lag gefesselt auf einem Sofa und konnte nichts mehr tun. Gab es denn keinen Ausweg aus der Klemme? Ich hob meinen Kopf ein wenig, um Isabel und Pedro besser ansehen zu können. Pedro wirkte unruhig, nervös und ließ mich an einen verprügelten Hund denken. Auch Isabel wirkte unruhig, unzufrieden, enttäuscht und sogar ein wenig wütend. Außerdem schien sie sich zu schämen und wich meinem Blick aus. Ich sagte: »Na, kommt schon, bindet mich los und bringt mir meinen Revolver, damit ich hinausgehen kann. Es war keine gute Idee von euch, mich zu betäuben und zu fesseln. Vorwärts, ihr sollt mich losbinden, habt ihr nicht verstanden!« Meine Stimme klang scharf und befehlend. Denn ich spürte, sie waren verunsichert, schwankend, verspürten Schuldgefühle gegenüber dieser Stadt, und Isabel konnte die Behandlung durch Joel Hickman nicht verwinden. Pedro sagte leise: »Patrona, sie werden ihn wirklich hängen, um Orson Hickmans Tod zu rächen. Sie sind verrückt. Sie konnten nicht verlieren, weil sie bisher nur immer Gewinner waren. Doch jetzt … Wir sollten ihn wahrhaftig losbinden, denke ich. Es war gemein von uns.« »Dann komm her, Pedro«, befahl ich. »Nimm ihr die Entscheidung ab. Denn ich werde nicht davonlaufen, sondern kämpfen.« Er starrte auf Isabel, die seine Arbeitgeberin war. Dann holte er ein Messer aus der Tasche und näherte sich mir. Dabei sah er jedoch nicht auf mich, sondern auf Isabel, bereit, sein Vorhaben aufzugeben, sollte sie es ihm ausdrücklich verbieten. Doch sie sagte nichts, gar nichts. Sie verharrte und sah mich hilflos an. Sie brachte es nicht fertig, sich zu entscheiden. Sie sah bewegungslos zu, wie Pedro meine Fesseln zerschnitt und mich befreite. Wir sprachen dann kein einziges Wort. Ich erhob mich. Mein Revolvergurt mit der Waffe lag in einem der Sessel. Ich nahm ihn, legte ihn um, band das Holster am Beim fest und richtete mich wieder auf. Wortlos nickte ich Isabel und Pedro zu und ging hinaus in die Nacht. In der Stadt wurde wieder geschossen. Stimmen brüllten. Hunde bellten. Ich wußte, die Bande kam jetzt erst richtig in Gang. Als ich die Sattlerei erreichte, stand ein Pferd davor, dem der Sattel abgenommen worden war. Und ein Mann kam heraus, der einen Sattel über der Schulter trug. Drinnen rief eine Stimme, wahrscheinlich die des Sattlers: »Das ist ein DreihundertDollar-Sattel. Wenn ich den nicht eines Tages verkaufen kann …« Aber der Mann lachte nur dröhnend, übertönte die Stimme des Sattlers im Haus. »Was geht mich das an?!« So rief er. »Heute zahlt ihr alle hier!« Nun erst wurde ihm bewußt, daß ich wahrscheinlich kein Bürger dieser Stadt war. Er hatte mich zwar beim Herauskommen bemerkt, mir jedoch keine besondere Bedeutung beigemessen. Vielleicht hatte er mich sogar für einen seiner Kumpane gehalten. Nun hielt er inne, den Sattel auf der Schulter. »He, wer bist du denn?« So fragte er rauh, und es lag ein drohender Klang in seiner Stimme.
Ich sagte: »Bring den Sattel wieder hinein. Hier wird nicht gestohlen. Mein Name ist Starretter.« Da fluchte er laut, ließ den Sattel fallen und schnappte nach dem Revolver. Er war mir nahe genug, daß ich seine Bewegungen genau erkennen konnte. Auch fiel aus der offenen Tür des Sattlerladens etwas Licht. Ich wartete, bis er den Colt heraus hatte. Dann gab ich es ihm. Das Krachen meiner Waffe hallte die Straße entlang. Er fiel mit einem Fluch auf die Knie und schoß vor sich in die Planken des Gehsteigs. Dann legte er sich hin und atmete stöhnend aus. Ich rief: »He, Sattler, Sie können sich den Sattel wieder hereinholen. Der braucht keinen Sattel mehr.« Nun ging ich weiter. Es waren noch sechs Mann gegen mich. Von den Leuten der Stadt würde ich kaum Hilfe bekommen. Als ich den leblosen Körper meines Gegners passierte, stieß mein Fuß gegen seinen Colt, der ihm entfallen war. Ich bückte mich, nahm die Waffe hoch und schob sie hinter meinen Hosenbund. Ich konnte jetzt nicht nachsehen, welche Kammern leer waren. Es wäre zu gefährlich gewesen. Denn ich befand mich in der Situation eines Tigers, der durch den Dschungel schlich und genau wußte, daß überall die Jäger auf ihn lauerten. Wo waren sie? Als ich mir diese Frage stellte, bekam ich auch schon eine Antwort. Denn ich hatte inzwischen eine Gassenmündung erreicht. Als ich verhielt und überlegte, ob ich die dunkle Gassenmündung mit zwei schnellen Sprüngen passieren sollte, rief eine heisere Stimme aus der Gasse: »He, wer bist du?!« Zugleich sah ich die schattenhafte Gestalt des Fragers in der Dunkelheit auftauchen. Der Mann hatte alle Vorteile, denn hinter ihm war es dunkel. Er hob sich kaum gegen diesen Hintergrund ab. »Ich bin Starretter«, sagte ich. »Und wer bist du?« »Kevin Hickman«, erwiderte der Bursche und ließ mich in sein Mündungsfeuer sehen. Ich spürte die Kugel wie einen Peitschenhieb an meiner Seite, etwa eine Handbreit über meinem Gürtel. Und ich schoß auf das Mündungsfeuer. Kevin Hickman fiel in sich zusammen. Ich mußte ihn voll getroffen haben. Nun waren es nur noch fünf Gegner. Aber das Nur war so groß wie ein Berg, denn eigentlich war es ein Witz, in meiner Situation von »nur« fünf Gegnern zu sprechen. Hatte ich noch eine Chance? Vielleicht, wenn es mir gelang, auch noch Sid Capote und Joel Hickman zu erledigen. Ich machte mir die leise Hoffnung, daß die drei anderen Burschen vielleicht aufgeben würden, wenn ich ihre Bosse niederkämpfen konnte. Ich ging langsam weiter, setzte vorsichtig Schritt für Schritt. Links drüben lag der Cowboy Dream Saloon. Dort fiel Lichtschein aus Türen und Fenstern. Und dann sah ich Sid Capote auf den hier zur Veranda ausgebauten Gehsteig treten. Von rechts jedoch, wo sich der Generalstore befand, kam ebenfalls ein Mann heraus. Das waren also zwei. Doch wo waren die anderen drei? Als ich mich umsah, da erblickte ich sie.
Ja, sie waren hinter mir. Und Joel Hickmans Stimme gellte durch die Straße: »Es ist Starretter! Diese verdammte Hure hat ihn freigelassen! Er hat Kevin erledigt! Kevin ist tot!« Man hörte Joel Hickmans Stimme an, daß er wie von Sinnen war. Er lief ziemlich schnell auf mich zu und begann zu schießen. Auch die beiden anderen Kerls rechts und links von mir schossen jetzt fast bei jedem Schritt. Die Kugeln zupften an meiner Kleidung, doch keine traf mich voll. Ich fiel auf ein Knie und schoß zurück. Immer wieder. Joel Hickmans Gestalt hielt an, als wäre sie gegen eine unsichtbare Wand gelaufen. Mein Revolver war nun leer. Ich ließ die Waffe fallen und zog die zweite Waffe aus dem Hosenbund. Als ich abdrückte, machte es nur klick. Ich hatte eine leergeschossene Waffe mitgenommen. Mein erster Gegner bei der Sattlerei hatte damit schon zu oft herumgeballert. Jene Kugel, die er in die Gehsteigbohlen schoß, war seine letzte gewesen. Ich hatte keine Chance mehr. Und so erhob ich mich und ließ die nutzlos gewordene Waffe neben meine eigene in den Staub der Fahrbahn fallen. Sie hatten mich. Zwar konnte ich die beiden Hickman-Brüder erledigen. Doch Sid Capote lebte noch. Und von den vier Revolver-Reitern waren auch noch drei auf den Beinen. Wahrscheinlich hatte ich einen oder gar zwei von ihnen angeschossen. Doch sie waren noch kampffähig. Ja, ich hatte verloren. Und so konnte ich eigentlich nur noch auf den Todesschuß warten. Wer würde ihn mir geben? Capote? Oder einer der Revolverreiter? Konnten sie auf einen waffenlosen Mann schießen? Oder würde mich Sid Capote zuerst noch am Lasso über den Boden schleifen? Eigentlich ist er ja wieder an der Reihe, dachte ich mit bitterem Sarkasmus. Langsam kamen sie von beiden Seiten näher. Sie schossen nicht. »Legt ihn nur nicht um«, rief Sid Capote rauh. »Mit dem habe ich noch was vor. Der gehört mir!« Als er hinter mir verhielt, wandte ich mich ihm zu. »Du bist wahrhaftig ein tüchtiger Bursche, Starretter«, sagte Sid Capote. Er wandte sich an die drei Revolverreiter. »Wir haben verloren«, sprach er. »Die Hickman-Brüder sind tot. Alle Hickmans sind tot. Ihr habt es ja gehört und gesehen. Es ist vorbei. Orson Hickmans großer Traum von einem Rinderreich in Arizona ist ausgeträumt. Reitet eures Weges. Bringt mir mein Pferd – und ein Tier für ihn. Ich nehme ihn mit mir.« * Das war es also. Ich ritt mit Sid Capote, und ich war waffenlos, saß aber sonst ungefesselt im Sattel. Ich ritt auf einem Pferd der Hickman-Brüder. Mein Hengst stand ja immer noch in Isabel Fernandos Stall.
Wir ritten nach Süden. Sid Capote sprach kein Wort. Wir ritten Meile um Meile und erreichten schließlich den San Pedro River, als es schon Tag wurde und überall die Nebel stiegen. An einem schönen Platz, umgeben von Bäumen und Büschen, hielten wir an. »Steig ab«, sagte Sid Capote. »Wir sollten erst einmal Frühstück machen, bevor wir zur Sache kommen. Es hat ja alles Zeit. Und ich genieße gern die Vorfreude.« Wir saßen ab und hoben die Sättel mitsamt dem anderen Gepäck von den Pferden. Ich sammelte Holz und machte ein Feuer an. Er packte Proviant, eine Pfanne und eine Kaffeekanne aus. Es gab dann Pfannkuchen mit Speck, Kaffee und Trockenobst. Wir hockten uns gegenüber wie Sattelgefährten. Doch wir waren Todfeinde. Sid Capote sprach immer noch nicht über das, was er zu tun beabsichtigte. Nach dem Essen drehte er sich eine Zigarette, nahm ein Stück glühendes Holz aus dem Feuer und zündete sie an. Dann sah er mir fest in die Augen und sprach: »Wir hielten uns für verdammt mächtig und groß, eigentlich schon für unüberwindbar. Wir hatten lange Schritte gemacht und durften eigentlich gar nicht mehr verlieren. Doch dann …« Er brach ab und machte eine müde, resignierende Bewegung. »Ja, wir haben dich unterschätzt«, fuhr er schließlich fort. »Wir haben einem gestohlenen Hengst unseren Brand aufgedrückt und hielten das für unser Recht. Und dann hast du es uns gegeben, es uns doppelt und dreifach heimgezahlt. Du hast uns vernichtet, Starretter, auch mich zum Verlierer gemacht. Und ich habe vorher noch niemals verloren. Seit Orson Hickman mich damals als hungrigen Jungen aufgriff und mich wie seine eigenen Söhne erzog, war ich immer nur ein Gewinner.« »Und jetzt kannst du keine Ruhe mehr finden, wie?« murmelte ich. »Dann komm endlich zur Sache. Oder willst du deine Vorfreude auf etwas, was ich nicht kenne, noch länger genießen?« Er grinste breit. Dann warf er die noch nicht mal halb aufgerauchte Zigarette ins Feuer und erhob sich. Er war geschmeidig, wog an die zweihundertzwanzig Pfund. Zweihundertzwanzig Pfund Muskeln und Knochen. Er schnallte seinen Waffengurt los und schleuderte ihn mitsamt der Waffe weit von sich. Nun standen wir uns beide – nur durch das Feuer getrennt – mit bloßen Fäusten gegenüber. »Du hast ein Recht auf diesen Kampf«, knurrte er. »Damals ließ ich dich an einem Lasso schleifen und wollte dich wie einen räudigen Hund ertränken. Dann revanchiertest du dich, machtest mich für einige Tage zu einem kranken Mann. Das gab den Ausschlag. Denn als ich endlich wieder handlungsfähig war, hing Orson Hickman schon am Baum, und all die Kleinen, die wir verjagten, hatten sich zu einer Gemeinschaft vereinigt. Das zerbrach die Bit-Mannschaft. Du warst wirklich erstklassig. Und deshalb will ich dir wie einem ebenbürtigen Mann die Gunst erweisen, es mit mir austragen zu können. Einer von uns beiden wird zum Schluß der wirkliche Sieger sein. Denn Sieger ist stets nur der Überlebende. Gut so?« Ich nickte. Und ich machte nicht den Versuch, noch etwas zu sagen oder mich in sein Denken hineinzuversetzen. Er sprang dann mit einer Schnelligkeit über das Feuer, die mich überraschte, obwohl ich auf seinen Angriff vorbereitet war. Er traf mich mit seinem Schwinger nicht voll,
streifte mich nur. Aber ich ging dennoch zu Boden. Mein Ohr brannte, so als hätte er es mir abgeschlagen. Ich rollte den Hang zum Fluß hinunter, und er folgte mir, traf mich mit seinen Tritten. Ich kämpfte um mein Leben. Denn irgendwie war Capote ein Barbar, der sich beweisen wollte, daß er mich mit bloßen Fäusten vernichten konnte. Nun, ich war gewiß ein harter Bursche, zäh und schnell. Ich wog um die hundertachtzig Pfund, war also auch ein Schwergewicht. Doch er war mir körperlich überlegen. Ich hatte nur eine Chance, wenn ich seinen vernichtenden Schlägen entging und länger bei Atem blieb. Denn das war stets die schwache Stelle bei diesen starken, schweren Männern. Irgendwann begannen sie, früher zu schnaufen als ein hagerer Typ wie ich. Das war also meine Chance. Und so nutzte ich sie. Als er wieder nach mir trat, erwischte ich seinen Fuß mit beiden Händen, warf mich herum und verdrehte sein Bein so gewaltsam, daß er brüllend stürzte. Und noch bevor er mich mit dem anderen Fuß treten konnte, ließ ich ihn frei, kam hoch und trat ihn nun meinerseits mit aller Kraft gegen die Rippen. Oh, er brüllte, und ich wußte, daß ihm die Puste nun noch schneller ausgehen würde. Ich traf ihn, als er hochkam, rechts und links mit Haken am Kopf. Doch dann stieß er mir eine Gerade in den Magen, daß ich mich rückwärts überschlug und im seichten Wasser landete. Instinktiv rollte ich mich zur Seite. Und er landete mit seinem schweren Körper klatschend dort, wo ich soeben noch gelegen hatte. Vater im Himmel, wie sollte das weitergehen! Wie konnte ich seinen gewaltigen Schlägen noch eine Weile entkommen, bis seine Bewegungen wegen des einsetzenden Luftmangels langsamer würden? Noch war Hoffnung in mir, und ich behielt einen einigermaßen klaren Kopf. Aber wenn er mich nur noch einmal so richtig voll erwischen konnte, würde es aus sein mit mir. Und dennoch hatte ich eine kleine Chance. Es war das sandige Flußbett. Es gab hier zwar keinen richtigen Treibsand, aber ein schwerer Mann sank darin tiefer ein als ein wenig schwerer. Und Capote war schwerer als ich. Ich merkte es schnell, da ich ihm leichter ausweichen konnte. Er versank in diesem sandigen Flußbett fast immer wieder bei jedem Schritt und jeder Bewegung bis über die Knie im Sand, obwohl uns das Wasser nur bis knapp über die Knöchel reichte. Ich vermochte mich schneller zu bewegen. Und so gab ich es ihm. Allerdings war es lange Zeit ein deprimierendes Gefühl für mich, ihn zwar mit aller Härte zu treffen, aber keinerlei Wirkung an ihm zu erkennen. Dann und wann erwischte er mich. Und das war grausam. Ich kam immer mühsamer hoch. Als ich wieder einmal rücklings ins Wasser fiel, weil er mir fast den Kopf von den Schultern schlug, fiel ich in tieferes Wasser. Die Strömung erfaßte mich, und mit einem letzten Rest von Verstand versuchte ich nicht, aufzustehen und aus dem Fluß an Land zu streben. Ich ließ mich abtreiben. Capote aber folgte mir brüllend, bis ihm das Wasser bis zum Gürtel reichte, und warf sich dann mit einem Hechtsprung auf mich. Und jetzt konnte ich hoffen, daß er verlieren würde. Denn sein Atem ging sehr viel schwerer als meiner. Das hatte ich längst gemerkt. Es
war leichtsinnig von ihm, mir in das tiefere Wasser zu folgen. Seine Atemnot würde früher einsetzen als meine. Denn ich war ein guter Schwimmer und hatte schon als kleiner Junge tauchen gelernt. Ich konnte länger als eine Minute unter Wasser bleiben. Und das würde ich heute auch schaffen. Er war in seiner wilden Vernichtungswut ein Narr. Und er begann mich sofort unter Wasser zu drücken, wollte mich ertränken wie einen kranken Hund. Ich ließ es zu, daß er mich unter Wasser drückte. Ich umklammerte ihn fest mit meinen Armen und Beinen und nahm ihn mit mir nach unten. Endlich begriff er, was ich beabsichtigte. Er umklammerte mich ebenfalls und nahm diesen Zweikampf an. Denn jetzt ging es darum, wer am längsten unter Wasser bleiben konnte, ohne Luft zu holen. Er traute sich offenbar einiges zu. Und ich fand auch sofort heraus, daß er sich auskannte mit dem Tauchen. Denn er kämpfte nicht mehr, bewegte sich nicht mehr wild und ungestüm. Er klammerte sich zwar an mir fest, tat jedoch nichts mehr. Es ist ja so, daß man beim Tauchen möglichst ruhig und entspannt bleiben soll und nicht in Hektik verfallen darf. Man muß sich zutrauen, unendlich lange mit der Luft in sich auszukommen. Und man darf sie nur ganz langsam und in Abständen ausblasen. Das tat ich. Indes trieben wir stromabwärts, drehten uns umeinander, so daß mal ich und mal er mit dem Rücken am Grund entlangschrammte. Wie lang ist eine Minute? Jede einzelne Sekunde wurde für mich zu einer Ewigkeit. Verdammt, wann endlich gab er auf? Wie lange hielt er das aus? Warum ertrank er nicht vor mir? Diese Gedanken waren in mir. Denn auch mir wurde nun die Luft knapp. Ich wußte, lange würde ich es nicht mehr aushalten, dann mußte ich auftauchen, um neue Luft einzuatmen. Aber was war, wenn er mich nicht ließ? Wenn er noch länger tauchen konnte als ich? Dann endlich, als ich schon den Versuch machen wollte, mich von ihm zu lösen, freizukommen aus seiner Umklammerung, bewegte er sich. Er wollte heraus aus meiner Umklammerung, wollte freikommen, um an die Oberfläche zu gelangen. Aber ich ließ es nicht zu. Ich hielt ihn fest. Und er war nicht mehr stark genug, um sich freizukämpfen. Oh, ich hatte plötzlich wieder Hoffnung, es doch noch zu schaffen. Er erschlaffte dann in meinen Armen und der Umklammerung meiner Beine. Aber ich ließ mich nicht täuschen. Ich wußte, es war sein letzter Trick. Ich sollte glauben, daß er ertrunken wäre. Doch ich hielt ihn immer noch mit ganzer Kraft fest. Meine Sinne schwanden mir. Bald würde ich unter Wasser in halber Bewußtlosigkeit den Mund öffnen. Dann würde ich ebenfalls ertrinken. Denn den San Pedro konnte ich gewiß nicht leertrinken. Ich hatte es richtig vermutet. Noch einmal versuchte er freizukommen, doch seine Bewegungen waren müde und kraftlos. Als er diesmal erschlaffte, wußte ich, daß er tot war und ich am Leben bleiben würde, wenn es mir gelang, wieder an die Oberfläche zu kommen. Mir schwanden die Sinne. Doch irgendwie spürte ich, daß ich oben war, auf dem
Rücken lag und nach Luft schnappte. Als ich versuchte, Grund unter die Füße zu bekommen, reichte mir das Wasser nicht mal bis zur Brust. Ich sah Capote abtreiben. Er war mit dem Gesicht nach unten an die Oberfläche gekommen, emporgehoben von der Strömung, und verschwand wieder. Er war ertrunken, das war sicher. Nach einer Weile kroch ich an Land und verlor die Besinnung. * Irgendwann erwachte ich. Es war Nachmittag. Ich erkannte es am Stand der Sonne. Überall spürte ich Schmerzen. Ich lag unter einem Busch im Schatten. Also mußte mich jemand weiter an Land gezogen haben. Und dann sah ich ein Gesicht über mir. Es war Pedro. Er grinste mit blinkenden Zahnreihen, und seine wirren Locken hingen ihm über die Stirn, »Ay, Señor«, sagte er, »geht's wieder?« Ich »lauschte« auf meine Schmerzen, versuchte zu erfühlen, was alles an mir zerschlagen war. Nach einer Weile fragte ich mühsam: »Wie kommst du hierher, Pedro? Ich träume doch nicht. Du bist doch wirklich – oder?« Er faßte mich an. »Ich bin wirklich, Señor«, erwiderte er. »Die Patrona schickte mich Ihnen nach, als Sid Capote mit Ihnen aus der Stadt ritt. Ich folgte euch wie ein Apache. Ich bin ein guter Verfolger. Ich sah diesen gewaltigen Kampf. Oh, das war ein Kampf zweier Riesen. Und dann blieben Sie Sieger, Señor. Ich werde Sie gut pflegen. Ich habe auch schon die Pferde ins Camp geholt. Und wenn Sie einigermaßen gesund sind, Señor, dann reiten wir nach Santa Rosa. Gut so?« »Ja, gut so«, murmelte ich. »Bueno, Pedro!« Er schwieg einige Atemzüge lang. Dann sprach er: »Sollten Sie am Leben bleiben, hat mir die Patrona aufgetragen, Ihnen auszurichten, daß sie Ihnen alles Glück dieser Erde wünscht. Sie wird nicht mehr in Santa Rosa sein, wenn wir in die Stadt zurückkommen. Donna Isabel Fernando wird dann fort sein. Sie will Ihnen nicht mehr unter die Augen treten, sagte sie.« Ich nickte nur. Isabel Fernando würde also Santa Rosa verlassen. Sollte ich ihr dankbar sein, nachdem sie mich fast meinen Feinden ausgeliefert hatte und erst im allerletzten Moment Reue zeigte? Nun, vielleicht sollte ich auch ihr Glück wünschen. Was mich betraf, würde ich bald bei Jessica Warden sein und ihr helfen beim Aufbau der Warden Ranch. Es würde überhaupt viel zu tun geben in jenem weiten Lande, das Orson Hickman nur eine Weile beherrschen konnte. Ich versank wieder in einen Halbschlaf. Und ich begann von Jessica zu träumen. Ja, es würde – nein, mußte – alles gut werden.
ENDE