G. F. UNGER
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G. F. UNGER
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Ein Begriff für Western-Kenner G. F. UNGER ist der erfolgreichste WesternSchriftsteller deutscher Sprache. BASTEI-LÜBBE veröffentlicht in dieser Reihe exklusiv seine neuesten Romane.
Ein Mann wie Starretter Im nördlichen Texas brennen Siedlungen und kleine Ranches. Postkutschen und Banken werden überfallen, und kaum noch ein Goldtransport erreicht sein Ziel. Selbst die Texas Ranger versagen angesichts der Macht der Banditen. Und immer mehr erhärtet sich der Verdacht, dass die vielen Banden von einem Hauptquartier aus gelenkt und generalstabsmäßig eingesetzt werden. Trotzdem zerplatzt der grausige Spuk eines Tages wie eine Seifenblase, aber es gibt nur wenige Menschen, die wissen, wem das Land seine Befreiung verdankt. Es ist Jim Starretter, der den Mörder seiner Familie suchte und sich schwor, nicht zu ruhen, bis er den Verbrecher seiner gerechten Strafe zugeführt hatte …
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BASTEI-LÜBBE G. F. UNGER IM TASCHENBUCH-PROGRAMM: 45 225 Beaver Kelly 45 226 Kriegerehre 45 227 Jessup 45 228 Verdammter Befehl 45 229 Rubins Saloon 45 230 Die Rache der Lily Brown 45 231 Hope City 45 232 Mescalero-Fährte 45 233 Sallys Mine 45 234 Arizona-Fehde 45 235 Einsamer Job 45 236 Queens-Reiter 45 237 Fährte der Wölfe 45 238 Keine Gnade für Carlos 45 239 Todesengel 45 240 Dukes Gesetz 45 241 River-City-Marshal 45 242 Die Chancenlosen 45 243 Er kam vom Tonto Rim 45 244 Hunter 45 245 Fort der Gejagten 45 246 Der Höllenhund 45 247 Peacemaker 45 248 Die Zaubersharps
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G. F. UNGER
Ein Mann � wie � Starretter �
Western-Roman BASTEI LÜBBE
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BASTEI LÜBBE TASCHENBUCH Band 45 249 1. Auflage: Dezember 2003 Vollständige Taschenbuchausgabe Bastei Lübbe Taschenbücher ist ein Imprint der Verlagsgruppe Lübbe Originalausgabe All rights reserved ©2003 by Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach Lektorat: Will Platten Titelillustration: Prieto/Norma Agency, Barcelona Umschlaggestaltung: QuadroGrafik, Bensberg Satz: Wildpanner, München Druck und Verarbeitung: AlT Trondheim, Norwegen Printed in Norway ISBN 3-404-45249-6
Sie finden uns im Internet unter http://www.bastei.de oder http://www.luebbe.de
Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer
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In den Siebzigerjahren, also nach dem amerikanischen Bürgerkrieg, trieben sich im nördlichen Texas und in New Mexiko viele Gesetzlose herum. Sie bildeten starke Banden und überfielen erbarmungslos alles, was ihnen Beute verschaffte, also kleine Siedlungen, Ranches, Stationen der Postlinien und Banken. Das Gesetz war machtlos, denn die Entfernungen waren gewaltig. Kein Aufgebot konnte lange genug in den Sätteln bleiben. Und selbst wenn einmal eine Bande vernichtet wurde, entstand dafür gleich eine neue. Der Aufschwung im Land stagnierte und war ständig in Gefahr. Als dann die Minen wieder zu fördern begannen und es verstärkt Gold- und Silbertransporte und im Gegenzug die Lohngeldtransporte gab, nahm das Unwesen noch einmal zu. Allmählich wurde jedoch klar, dass all diese Banden von einem Hauptquartier aus gelenkt und generalstabsmäßig geführt und eingesetzt wurden. Irgendwo im texanischen Panhandle, aber auch im Indianer-Territorium Oklahoma, wo fünf IndianerNationen unter eigener Verwaltung lebten, fanden diese Banden sicheren Unterschlupf, also jenseits des Red River, Canadian und im Cimarron-Gebiet. 6
Sie legten riesige Entfernungen zurück, waren so genannte »Langreiter« auf besonders schnellen und dabei auch ausdauernden Pferden. Selbst die Texas Ranger blieben mehr oder weniger erfolglos. Es musste endlich etwas unternommen werden …
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Es ist eine geheime Zusammenkunft von einem Dutzend wichtigen Männern, die eigentlich zusammen in der Lage sein sollten, die Zukunft des Landes beeinflussen zu können. Es sind Rancher, Minenbesitzer, die Bosse von Post- und Frachtlinien, Banker, Pferdezüchter, Besitzer von Handelsketten. Sie kamen aus weiten Entfernungen herbei. Und der Treffpunkt ist das schon halb verfallene Pueblo am Caddo Creek. Ein Feuer brennt zwischen den Ruinen. Ernest Skinner, dem die Circle Arrow Ranch gehört – das Brandzeichen ist ein Kreis, den ein Pfeil von rechts nach links durchbohrt –, ergreift nach dem Abendessen das Wort. Er deutet auf die Reste des Hammels über der Feuerglut. »Es hat Ihnen also geschmeckt«, beginnt er. »Doch eigentlich dürften wir keinen großen Appetit gehabt haben – oder?« Es ist Nacht. Sie sehen ihn im Feuerschein schweigend an, und sie sehen einen großen, hageren Rindermann, dessen beste Zeit vorbei ist, weil die 8
harten Jahre nicht spurlos an ihm vorübergingen und langes Reiten ihm immer schwerer fällt. Nach der kurzen Pause spricht er weiter: »Mir wurden vor zwei Wochen ein guter Zuchthengst und ein Dutzend Zuchtstuten gestohlen und einer meiner Reiter, der sie zu bewachen hatte, mit einem Pfeilschuss getötet. Ich denke, auch Sie, Gentlemen, könnten mir ähnliche Verluste mitteilen. Es wurde uns allen inzwischen klar, dass wir uns in einem Krieg befinden, so wie damals, als Guerilla-Horden das Hinterland der feindlichen Parteien terrorisierten. Und wir sind uns wohl auch einig, dass diese jetzigen Banden von einem Hauptquartier aus gelenkt werden. Oder ist da jemand von Ihnen anderer Meinung?« Er macht eine Pause und blickt in die Runde. Der Feuerschein beleuchtet versteinerte Gesichter. Und er sieht in funkelnde Augen. Es sind hier am Feuer harte Männer versammelt. Keiner ist ein so genanntes »Weichei«, o nein! Sie alle haben in diesem Land schon vor dem Krieg harte Pionierarbeit geleistet und gegen die Comanchen und Bandoleros gekämpft. Doch damals waren sie diesen Banden gewachsen mit ihren Reitern. Einer von ihnen spricht heiser: »Skinner, Sie sollten uns jetzt sagen, warum Sie uns kommen ließen. Ich bin fast zwei Tage geritten, und nur Ihr 9
guter Name hat mich Ihrer Einladung folgen lassen. Also?« Der Sprecher ist ein gewisser Joel McLowry, dessen Ranch an einem Zufluss des Red River liegt und der schon mehr als einen Pferdedieb hängte. Die anderen Köpfe im Kreis des Feuerscheins nicken. Ernest Skinner hebt die Hände, als wollte er um Entschuldigung bitten. Dann spricht er hart: »Auf die Hilfe des Gesetzes können wir nicht länger warten. Wir müssen uns selbst helfen. Und so möchte ich den Gentlemen einen Vorschlag machen. Entweder werden wir uns danach alle völlig einig – oder wir verlieren immer wieder.« Als er abermals eine Pause macht, spricht einer der Männer: »Ich besitze die Aurora-Mine. Meine Männer arbeiten hart, aber zweimal wurden die Lohngelder geraubt. Noch einmal und ich kann die Löhne nicht mehr zahlen. Was schlagen Sie vor, Mister?« Als er verstummt, kann man die Spannung im Kreis fast körperlich spüren. Ernest Skinner hebt abermals die Hände, auf deren Rücken Lassonarben sind. Dann spricht er trocken: »Wir brauchen einen Mann, der das Hauptquartier und den dort agierenden Generalstabschef findet. Und dann 10
müssen wir mit mehr als hundert Reitern hin als vereinigte Bürgerwehr.« Als er verstummt, da schweigen sie wieder einige Atemzüge lang. Jemand fragt: »Skinner, dieser Mann muss ein besonderer Mann sein. Haben Sie so einen Mann, der dieser Aufgabe gewachsen ist, also mutig und schlau genug und also mit allen Wassern gewaschen, einen, dem diese Hurensöhne nicht sofort den Hals durchschneiden oder eine Kugel verpassen, einen Mann, den sie für ihresgleichen halten, sodass er überall herumreiten kann? Gibt es so einen Mann?« »Ich habe ihn«, erwidert Ernest Skinner hart. »Doch bevor er diesen Auftrag annimmt, muss er wissen, dass wir alle hinter ihm stehen. Denn er wird Dinge tun müssen, die ihn außerhalb des Gesetzes stellen. Es könnte dann sein, dass wir all unseren Einfluss beim Gouverneur geltend machen müssen, um ihn vor einer Strafe zu schützen. Er wird eine Zeit lang wie ein Bandit unter ihnen leben müssen wie ein Hund unter Wölfen. Wir alle müssen schwören, dass er sich auf unseren Einfluss verlassen kann. Und es muss jetzt und hier geschehen. Wollen Sie also, Gentlemen? Oder schließen sich welche von uns aus?« Das Schweigen dauert nun etwas länger. Dann fragt eine Stimme: »Können wir den Mann sehen, seinen Namen erfahren?« 11
Ernest Skinner schüttelt den grauhaarigen Kopf. »Nein, keinen Namen. Aber den Mann können Sie sehen – maskiert. Das muss sein, wenn er sicher sein will. Denn es ist damit zu rechnen, dass sich unter uns jemand befindet, der für die bösen Horden spioniert. Es ist doch wohl klar, wie sehr wir von Spionen überwacht werden. Denn diese Banden schlagen nur dort zu, wo etwas zu einer ganz bestimmten Zeit zu holen ist. Das betrifft besonders die Lohngeldtransporte. Sie können den Mann maskiert sehen. Er arbeitet dann in unserem Auftrag, sozusagen als Detektiv, und er bekommt ein Honorar von tausend Dollar im Monat. Wenn Sie also einverstanden sind, dann schwören wir jetzt. Oder will sich jemand ausschließen?« Ernest Skinner fragt es mit einem Klang von Verachtung in der Stimme. Aber es meldet sich niemand. Dann spricht er langsam und klar: »Wir schwören bei Gott oder was uns sonst heilig ist, dass wir hinter unserem Mann, den wir einfach nur Jim nennen, stehen werden, weil er alles in unserem Auftrag tun wird. Gentlemen, heben Sie Ihre Rechte und sagen Sie laut Mann für Mann: ›Ich schwöre.‹ McLowry, beginnen Sie.« Und so geschieht es tatsächlich. Sie alle schwören nun der Reihe nach. 12
Als es dann wieder still ist, ruft Ernest Skinner über die Schulter hinweg in die Dunkelheit der Nacht: »Hoi, Jim, kommen Sie!« Sie sehen zuerst eine schattenhafte Gestalt auftauchen, die dann langsam an die Grenze des Feuerscheins tritt und dort verharrt. Der Mann trägt einen langen Reitmantel, sodass seine Gestalt nicht zu erkennen ist. Ein Hut beschattet sein Gesicht, das dennoch mit einem Halstuch maskiert ist. Sie hören seine ruhige Stimme sagen: »Ich werde tun, was ich kann. Denn Banditen ermordeten meine Familie. Sie können also sicher sein, dass ich etwas in Gang bringe. Aber wenn einer von Ihnen seinen Schwur bricht – nun, Gentlemen …« Er bricht ab, wendet sich um und verschwindet wieder in der Nacht. Wenig später hören sie ein Pferd sich im Trab entfernen. Puck Starretter – denn dies ist Jims richtiger Name -entfernt sich nicht sehr weit vom alten Pueblo, nur so weit, dass der Trab seines Pferdes nicht mehr zu hören ist und man am Feuer annehmen muss, er wäre nach Norden verschwunden. Als er anhält, bleibt er im Sattel und denkt nach. Er hat sich die Gesichter der Männer am Feuer, die ja vom Feuerschein gut beleuchtet wurden, sorgfältig 13
eingeprägt und ist sicher, sie alle wiedererkennen zu können. Indes er wartet und dabei sorgfältig in die stille Nacht lauscht, deren Stille nur von den Geräuschen des Kleingetiers am Boden und von den Pfiffen der jagenden Nachtfalken am Himmel unterbrochen wird, löst sich die geheime Versammlung beim alten Pueblo auf. Sie alle bis auf Ernest Skinner reiten in verschiedene Richtungen davon. Zwei der Reiter kommen sogar dicht an Puck Starretter vorbei, der im tiefen Mondschatten einer alten Burreiche verharrt. Sie können ihn nicht entdecken. Puck Starretter reitet zum Pueblo zurück und sitzt beim fast schon erloschenen Feuer ab, an dem immer noch Ernest Skinner als letzter Mann der Versammlung hockt. Starretter nimmt auf der anderen Seite des Feuers Platz und schürt es etwas an, sodass sich die Männer besser betrachten können. Und das tun sie eine Weile wortlos. Schließlich murmelt Skinner: »Und Sie wollen es wahrhaftig wagen, mein Junge, obwohl Sie wissen, auf was Sie sich einlassen?« Puck nickt, und in seinem Gesicht regt sich nichts. Alles was er fühlt, ist tief in ihm verborgen. Es ist ein ruhig wirkendes Gesicht. Dennoch strömt es ständig eine sanfte und zugleich stählerne Höflichkeit aus. Doch nun erscheint auf diesem Gesicht mit den 14
tiefen, dunklen Linien und dem hart geschlossenen Mund der schwache Hauch eines Lächelns. Dann spricht er mit ruhiger Stimme: »Wir haben ja schon alles eingehend besprochen, Major. Und Sie gaben mir ja auch schon die ersten tausend Dollar. Ja, ich will es versuchen. Doch wenn meine Auftraggeber eines Tages nicht hinter mir stehen sollten, dann …« »Das wird nicht geschehen, Lieutenant Starretter.« Mit diesen Worten unterbricht ihn Ernest Skinner, der einst während des Krieges in der Texasbrigade Starretters Kommandeur war. Und weil sie auch nach dem Krieg noch in Verbindung blieben – etwa so wie Vater und Sohn – erfuhr Skinner, dass Banditen die junge Frau seines Lieutenants ermordeten bei einem Überfall auf die kleine Ranch am Brazos. Puck Starretter grinst plötzlich und spricht: »Major, ich werde Ihnen bald einige Pferde stehlen. Ihre Jungs sollten mir dann nicht zu dicht auf die Pelle rücken. Sonst schieße ich deren Pferde ab. Und das täte ich verdammt ungern.« Er erhebt sich nach diesen Worten mit einer geschmeidigen Bewegung und verharrt noch einige Atemzüge lang. Ruhig spricht er: »Einer der Mörder nahm den Familienschmuck meiner Frau mit. Bei einer der Banden werde ich ihn finden. Und zugleich 15
mache ich auch meinen Job, für den Sie mich anwarben. Es ist alles besprochen.« Er wendet sich ab, tritt zu seinem grauen und narbigen Wallach, sitzt auf und reitet endgültig davon. Ernest Skinner aber bleibt noch am Feuer hocken, starrt in die Flammen. Und nun erinnert er sich wieder an jene Zeit, als sie in der Texasbrigade ritten und Starretter sein jüngster Lieutenant war. Es gab nie einen besseren Mann in seinen Schwadronen. Es ist fünf Nächte später, als der Circle Arrow Ranch abermals Pferde gestohlen werden, diesmal von der Nordweide, wo es eine Grenzhütte in einem Hügeltal mit weiträumigen Weidekoppeln gibt. Die Fährte führt nach Nordwesten auf das Panhandle zu, also in das wilde, unübersichtliche Gebiet der Gesetzlosen. Ernest Skinner schickt dem Pferdedieb – denn die Spuren sagen, dass es nur einer war – drei seiner Reiter nach. Aber der Vorsprung des Verfolgten und der sechs wertvollen Pferde beträgt viele Stunden. Deshalb bekommen sie den Pferdedieb erst am dritten Tage in Sichtweite und treiben ihre Tiere noch einmal zum letzten Spurt an, sind sich ihrer Sache sehr sicher. Doch dann zeigt es sich, dass sich der Pferdedieb nicht vor ihnen fürchtet, sondern anhält, absitzt, sein 16
Pferd quer stellt und mit einer Sharps zu schießen beginnt, deren Lauf er über den Sattel legte. Die Kugel trifft das Pferd des ersten Verfolgers. Die beiden anderen Reiter halten bei ihrem Anführer an, der fluchend aus einem Dornenbusch kriecht, in den ihn das stürzende Pferd warf. Sie lassen ihn noch eine Weile fluchen. Dann aber fragt einer: »Sollen wir von seiner Sharps auch unsere Pferde abschießen lassen, Pete? Sollen wir zu Fuß zurück zur Ranch?« Pete – er ist einer der drei Vormänner der Circle Arrow Ranch – vergisst einen Moment die schmerzenden Dornenwunden in seinem Fleisch und blickt zum Pferdedieb hin. Die Entfernung beträgt etwa vierhundert Yards. Um ihn mit ihren eigenen Gewehren beschießen zu können, müssten sie mehr als zweihundert Yards heran. Aber bis dahin schießt er sie ab. Pete beginnt wieder zu fluchen, hebt die Arme und droht mit schüttelnden Fäusten zu dem Pferdedieb hinüber. Dann aber wendet er sich zu seinen beiden Begleitern um und knirscht: »Er hat gewonnen, verdammt, er hat gewonnen. Verdammt, ihr müsst mir die Dornen aus meinem Balg ziehen. Dann reiten wir heim. Und wenn ich hinter dir auf deinem Pferd sitze, Jesse, dann wirst du nicht furzen wie sonst 17
immer. Und selbst wenn du zu platzen drohst, wirst du nicht furzen, verdammt!« »Furzen ist gesund«, knurrt Jesse. »Ich wette, selbst die feinsten Ladys furzen.« »Was weißt du von feinen Ladys, he? Findest du die in den Hurenhäusern, die du besuchst? Oder hast du schon mal mit einem Mädchen was gehabt, das kein Geld genommen hat?« Petes Stimme knirscht verächtlich. Doch Jesses Stimme hat einen protestierenden Klang: »He, ich habe schon mit fünfzehn Jahren ein Mädchen geschwängert in unserem Dorf. Und die war gewiss keine Hure und tat es umsonst. Leider weiß ich nicht, was für ein Kind es geworden ist. Denn ihre Brüder jagten mich eine Woche lang, bis ich ihnen endlich entkam.« Jesse verstummt traurig. Abermals vergisst Pete die Dornenschmerzen in seinem Fleisch. Er und Carlos starren Jesse mitleidig an. Dann brummt Pete: »Oooh, du armer Hund. Vielleicht furzt du nur aus Kummer.« Sie beginnen wie wild zu lachen und fühlen sich ganz und gar als Verlierer. Dann starren sie dem Pferdedieb nach, der die sechs Stuten weiter nach Nordwesten treibt und ihnen zuwinkt, als wollte er sich freundlich verabschieden und sie trösten. 18
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Es tut Puck Starretter wirklich Leid, dass er das unschuldige Pferd erschießen musste, um die Verfolger aufzuhalten. Denn wenn sie in RevolverSchussnähe gekommen wären, hätte es schlimmer ausgehen können. Und er weiß, dass er noch viel schlimmere und bösere Dinge wird tun müssen, will er seinen Job erledigen. Er hat sich auch äußerlich verändert, wirkt abgerissen, ungepflegt, ganz und gar wie ein Satteltramp oder ein Gejagter mit Schatten auf der Fährte. Doch sein vernachlässigtes Äußeres gehört ja zu seiner Tarnung wie die gestohlenen Pferde. Er weiß, dass er sich inzwischen im Gebiet des Panhandles befindet, denn schließlich ist er ja schon drei Tage und zwei Nächte mit den gestohlenen Pferden auf der Flucht. Und vielleicht wurde der donnernde Schuss der schweren Buffalo-Sharps viele Meilen weit gehört in dem sonst so stillen und geheimnisvollen Land. Irgendwo in der Ferne, jenseits des Quellgebiets des Wichita, da muss sich der Palo Duro Canyon befinden. Er wird östlich an ihm vorbei und dabei in 19
das Indianer-Territorium Oklahoma hineinreiten müssen. Ok-kla-ho-ma heißt in der Choktaw-Sprache so viel wie »Land des roten Mannes«. Und irgendwo und irgendwann wird er auf Gesetzlose stoßen. Was wird dann sein? Es ist am späten Nachmittag, fast schon Abend, als er das Gefühl bekommt, beobachtet zu werden. Er kennt dieses instinktive Gefühl. Doch so sehr er sich auch umsieht und auf all die Zeichen achtet, die ihm etwas verraten könnten, zum Beispiel das Verhalten der Vögel in der Luft, irgendwelche Bewegungen in der Ferne, Blinken von Metall in der Abendsonne – nichts ist zu erkennen. Dennoch spürt er das unbehagliche Gefühl, beobachtet zu werden. Als dann im Westen die Sonne mit letzter Glut verschwindet und von Osten her die Schatten der Nacht herangeschlichen kommen, da hält er an einem fast wasserlosen Creek an und schlägt sein Camp auf. Er spannt sein Lasso zwischen zwei armdicken Cottonwoods aus, sodass es zu einer Pflockleine für die Pferde wird. Längst hat er den entführten Tieren indianisches Zaumzeug verpasst und ist so in der Lage, sie anzubinden. 20
Er sattelt seinen Wallach ab und schlägt sein Camp auf. Es gibt einige Wasserlöcher im fast trockenen Creek, sodass er sich auch waschen kann, bevor er sich das Abendessen bereitet, Speck für die Tortillas brät und Kaffee kocht. Dabei lauscht er mit all seinen Sinnen in die Nacht, die ihn und das Feuer mit all ihren lauernden Geheimnissen umgibt. Und er wittert immer stärker, dass er nicht allein ist. Wann also wird er Besuch bekommen? Das fragt er sich mit immer wachsamer werdender Neugierde. Wieder einmal mehr denkt er über sein Leben nach dem Krieg nach. Er ritt damals zurück in das kleine Dorf am Brazos nahe der Mexiko-Grenze. Und er traf dort das Mädchen wieder, mit dem er als junger Bursche bei jenen wenigen Festen tanzte und das sich von ihm küssen ließ. Doch weitergehen durfte er nicht. Er war damals ein sehr junger Cowboy und verdiente keine zwanzig Dollar im Monat. Doch dann ritt er wie so viele junge Texaner in den Krieg, nicht um den Sklavenhaltern des Südens beizustehen, sondern aus Protest dagegen, dass Texas als Rebellenstaat galt, weil er sich aus der Union lösen wollte. Dabei hatte man Texas, als es der 21
Union beitrat, zugesichert, jederzeit wieder austreten zu können. Obwohl einst einfacher Cowboy, wurde er wegen besonderer Leistungen immer wieder befördert und brachte es zuletzt zum Lieutenant. Doch sein Gönner war jener Major Ernest Skinner. Er heiratete nach dem Krieg jenes Mädchen und übernahm die kleine Ranch ihrer Eltern. Dann aber kamen die Banditen, jene Exguerillas. Er wird jäh aus seinen Gedanken gerissen, als eine harte Stimme spöttisch fragt: »He, sitzt du auf deinen Ohren?« »Nein«, erwidert er über die Schulter zurück in die Schwärze der Nacht, »ich weiß schon seit heute Nachmittag, dass ich nicht allein durchs Land reite.« Einige Atemzüge lang bleibt es still. Dann aber nähern sich von drei Seiten einige Gestalten und verharren vor ihm und seinem Feuer. »Du bist mit einigen hübschen Caballos unterwegs«, spricht dann eine der Gestalten. »Wohin willst du mit ihnen?« »Dorthin, wo ich sie verkaufen kann, Freunde. Vielleicht kennt ihr jemanden, der Pferde kauft? Oder?« Nun lachen sie dreistimmig. Dann spricht ihr Sprecher von vorhin: »Du hast Glück. Wir stießen auf das tote Pferd mit dem CircleArrow-Brand und folgten dann deiner Fährte. Du hast dem mächtigen Cattle-King Ernest Skinner 22
Pferde gestohlen und dann die Verfolger mit einer Sharps aufgehalten. Aber wir werden jetzt dennoch dein Gepäck untersuchen und auch dich gründlich filzen. Hast du was dagegen?« »Das wäre wohl dumm. Sucht ihr vielleicht einen Stern, Freunde?« Nun lachen sie wieder dreistimmig, so als amüsierte sie die Situation und gefiele ihnen wie ein Spiel. Sie kommen zu ihm, und er kann sie sich im Feuerschein genauer ansehen. Einer ist ein Mexikaner, der zweite Mann ein Angloamerikaner – und der Dritte ein Halbblut. Puck erhebt sich und streckt die Hände hoch. Dabei spricht er: »Ich denke, dass wir zur selben Sorte gehören. Deshalb ist es in meinem Sinne, dass ich für euch sauber bin. Also, dann sucht mal, Jungs.« Sie betrachten ihn nun noch schärfer und lauernder im Feuerschein. Dann aber beginnen sie ihn und sein weniges Gepäck gründlich zu durchsuchen. Dabei finden sie natürlich auch das viele Geld in seiner Jacke. Es sind zehn Hundertdollar-Noten und etwas Kleingeld in seiner Hosentasche, auch in der Weste. Aber sonst finden sie nichts, was ihr Misstrauen bestätigen könnte. 23
Ihr Sprecher hält noch die Dollarscheine in der Hand. »Du schleppst eine Menge Geld mit dir herum«, sagte er rau. »Was ist, wenn wir es dir abnehmen, bevor es andere böse Hombres tun?« Da nimmt Puck Starretter die Hände herunter, und seine Rechte verhält nun neben dem Revolvergriff, der ein Stück aus seinem Hosenbund ragt. »Amigos«, sagt er und grinst blinkend im Feuerschein, »das wäre nicht gut für einen von euch, denn einen würde ich schaffen, da bin ich sicher, vielleicht sogar zwei. Ich dachte bisher, dass ich in diesem Land wie ein Wolf unter Wölfen wäre. Oder nicht?« Sie schweigen abermals eine Weile, und er spürt ihr Misstrauen wie eine scharfe Witterung gegen sich prallen. Und längst glaubt er, dass sie eine Art Grenzpatrouille der Gesetzlosen des Panhandle sind, die die Aufgabe hat, jeden Zuzug in dieses Land zu überwachen und herauszufinden, wer sich in ihrem Gebiet aufhalten möchte. Es vergehen einige Sekunden, in denen alles auf der Kippe steht. Ihre Blicke sind böse. Denn sie fühlen sich herausgefordert. Doch der Mann, den sie da vor sich sehen, wirkt auf sie beachtlich und ganz und gar nicht wie ein 24
Bluffer. Sie spüren instinktiv, dass er kämpfen würde. Längst haben sie auf ihren rauchigen Wegen herausgefunden, ob sie Bluffern oder Furchtlosen gegenüberstehen. Ihr Sprecher – es ist der Mexikaner – lacht plötzlich leise und mit einem Klang von Respekt, spricht dann: »Bueno, Hombre, bueno. Vielleicht wirst du dich in unserem Land wohl fühlen. Wenn du weiter nach Norden reitest, wirst du auf einen Weg stoßen, der zu einer kleinen Stadt führt. Es sind nur etwa dreißig Meilen. Dort wirst du gewiss einen Käufer für deine Caballos finden.« Er wendet sich nach diesen Worten halb ab, hält dann inne und dreht sich wieder zurück, reicht Puck Starretter das Geld hin. Dabei fragt er: »Warum stiehlst du einem mächtigen Mann Pferde, wenn du selbst genug Geld hast?« Starretter grinst wieder blinkend zwischen seinem Vollbart. »Geld kann man nicht genug haben. Und die Pferde von Skinner – nun, es war eine günstige Gelegenheit. Die Pferdewächter schnarchten in ihrer Hütte. Und einem mächtigen Mann gute Pferde zu stehlen – nun, das macht einfach Spaß.« Der Mexikaner grinst nun ebenfalls und nickt. »Ja, es macht Spaß, wenn man weiß, dass man damit dem Strick entkommen kann.« 25
Er wendet sich ab und verschwindet mit seinen beiden schweigsamen Begleitern in der Nacht, wo irgendwo ihre Pferde stehen. Puck atmet langsam aus, denn er wusste die ganze Zeit, dass er ein verwegenes Spiel wagte. Doch schließlich kniffen die drei Männer. Dies aber machte sie gewiss nicht zu seinen Freunden. Wahrscheinlich sind sie sich sicher, dass sie ihm noch einmal begegnen werden – möglicherweise in jener kleinen Stadt oder auch anderswo. Sie nannten ihm nicht den Namen der Stadt. Oder hat sie gar keinen Namen? Er reitet den ganzen nächsten Tag durch das wilde, unübersichtliche Land und treibt dabei die sechs Pferde vor sich her. Einige Male sieht er kleine Anwesen da und dort. Es sind zumeist Ranchos. Manchmal sieht er auch Äcker und Felder. Es wird Mais und Baumwolle geerntet. Die Leute auf den Feldern und Äckern sind mexikanischer Abstammung. Sie züchten auch Schweine und Maultiere, und sie haben mit den Gesetzlosen, die dieses Land beherrschen, nichts zu tun. Sie versorgen das Land mit Nahrung, und vielleicht verkaufen sich ihre Töchter für ein paar Dollars an die Banden der Gesetzlosen. Wahrscheinlich ist das Zusammenleben hier geregelt. 26
Einige Male sieht Puck auch Rinder. Zweimal begegnen ihm Reiter, die ihn scharf und misstrauisch abschätzen, auch Blicke auf die Brandzeichen seiner sechs ledigen Pferd werfen. Er kann ziemlich sicher sein, dass sie die Brandzeichen genau kennen. Denn die Circle Arrow Ranch ist fast in ganz Texas bekannt, zumal ihr Besitzer einst ein Kriegsheld war. Es ist dann fast schon Abend, als Puck Starretter die für ihn noch namenlose Stadt in der Ferne im Schein der Abendsonne zu sehen bekommt. Sie liegt unterhalb des Palo Duro Canyon, also östlich von ihm am Red River. Und die rote Sonne färbt von Westen her den Fluss tatsächlich rot. Puck hält an und betrachtet das Bild. Es muss eine alte Stadt sein, die einst zur Spanierzeit rings um eine Mission entstand, aber eigentlich kaum mehr als ein Dorf ist. Er sieht alte Hütten und Häuser, aus Adobe oder Bruchstein gemauert. Auch der Glockenturm der alten Mission steht noch. Rings um den Ort gibt es abermals Äcker und Felder, doch es arbeitet niemand mehr dort. Man hat Feierabend gemacht. Die Glocke im Turm beginnt zu läuten. Und alles wirkt so friedlich. Aber Puck Starretter ist sich sehr sicher, dass es überall rings um diesen Ort und auch jenseits des 27
Red River verborgene Camps gibt, für deren Bewohner die Stadt sozusagen der Nabel der Welt ist. Und so bekommt für Starretter alles seinen Sinn. Aber wo mag das Hauptquartier dieser Banden oder Horden sein? Wo sitzt der große Boss, der Chef? Als er sich das fragt, da weiß er auch schon, dass es nicht dieser Ort ist. Er wird jenseits des Red River zwischen Canadian und Cimarron suchen müssen. Er reitet weiter, treibt die sechs Pferde vor sich her. Und dann erreicht er ein verwittertes Schild, auf dem er im letzten Licht des Tages den Namen des Ortes lesen kann. SANTA MARIA Er reitet in den Ort hinein und dann in die Einfahrt einer Schmiede, zu der ein Mietstall gehört mit Corrals und Schuppen. Ein kleiner Mexikaner kommt herbei und sieht zu dem fremden Gringo empor, wirft dann einen Blick auf die Brandzeichen der Tiere. »Señor«, spricht Puck auf ihn nieder, »kann ich die Tiere hier unterstellen und versorgen lassen? Ich kam her, um sie zu verkaufen. Und wo ist hier ein Gasthaus, in dem ich essen und unterkommen kann?« Der kleine Mexikaner starrt ihn staunend an. 28
»Man nennt mich hier nur Pedro, nicht Señor«, spricht er dann. »Sie sind ein sehr höflicher Mann, der auch den Kleinen Respekt erweist. Ich werde für die Pferde sorgen für zwei Dollar. Und die Fonda von Señora Bellow ist auf dieser Seite der Plaza zu finden. Sie ist eine Gringa. Es sind nur zweihundert Schritte stadteinwärts.« »Ich danke Ihnen, Señor Pedro«, erwidert Puck ebenso höflich wie zuvor. Er greift in seine Westentasche und wirft Pedro zwei Dollar zu, die dieser auffängt wie Fliegen. Dann sitzt er ab und nimmt die Satteltaschen von seinem Wallach. Noch einmal wendet er sich an Pedro und sagt: »Wenn Sie mir einen Käufer für meine sechs Stuten vermitteln, dann zahle ich Ihnen eine Belohnung.« Doch Pedro schüttelt in der Dämmerung des sterbenden Tages den Kopf. »Sie müssen die Caballos erst umbränden lassen. Mit diesem Brand sind sie nicht zu einem guten Preis zu verkaufen. Ich werde morgen Juan Cabazza zu Ihnen schicken. Der hat schon mehr als einmal dieses Brandzeichen verändert.« Als Puck Starretter das hört, da verspürt er ein Gefühl des Triumphes. Doch zugleich weiß er, dass es nicht viel zu bedeuten hat, wenn man hier Brandzeichen ändert. Er hat noch nicht einmal den Anfang einer Fährte. 29
Und so geht er aus dem Hof und biegt auf der staubigen Dorfstraße nach rechts ab, kommt an Hütten und Häusern vorbei, in denen die Lampen angezündet wurden. Auf den Veranden sitzen die Menschen beim Abendessen. In einem der Häuser weint ein Kind, das von einer Frauenstimme beruhigt wird. Die Stimme beginnt dann zu singen, und der Gesang folgt ihm noch ein Stück. Er spürt, dass man ihn als Fremden erkennt und aufmerksam beobachtet. Denn er muss immer wieder durch herausfallende Lichtbahnen. Dann erreicht er die Plaza und sieht die Fonda. Ja, es ist ein großes Gasthaus, fast schon ein Hotel, in einem alten Gemäuer, das vielleicht einmal das Haus eines wohlhabenden Mannes war, eines Granden, damals, als noch die Spanier die Herren waren und Sklaven für sich arbeiten ließen. Die Fonda ist hell erleuchtet. Durch einen Torbogen gelangt er in den Innenhof zu den Tischen rings um den Brunnen, an denen Gäste sitzen und das Abendessen einnehmen bei Laternen- und Lampenschein. Als er verhält und nach einem Tisch Ausschau hält, an dem er Platz nehmen könnte, da tritt eine Frau aus den Arkaden hervor.
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Im Laternenschein treffen sich ihre Blicke, und er wird sich darüber klar, dass diese Frau etwas Besonderes ist. Ihre Ausstrahlung trifft ihn voll und unvermittelt. Und der Klang ihrer Stimme verstärkt den Eindruck noch. »Willkommen in meinem Haus«, spricht sie. »Gewiss sind Sie fremd hier in Santa Maria, denn ich sah Sie noch niemals. Ich bin Julia Bellow. Mir gehört dieses Haus. Gewiss wollen Sie speisen – oder?« Er sieht sie immer noch an. Im Laternenschein leuchten ihre Augen grün, türkisgrün wie die Sterne am Himmel. Und ihr Gesicht ist von einer eigenwillig wirkenden Schönheit. Es ist das schöne und einmalige Gesicht einer Frau, die das Leben kennt und gelernt hat, sich in einer Welt zu behaupten, in der es keine Gnade gibt. »Mein Name ist Jim Starr«, sagt er. »Und ich bin wahrhaftig zum ersten Mal hier. Hätte ich gewusst, dass es Sie hier gibt …« »Halt, Mister Starr«, unterbricht sie ihn. »Bitte kein billiges Süßholzraspeln.« 31
»Vergeben Sie mir.« Er lächelt und lässt seine Zahnreihen blinken. »Eigentlich möchte ich hier nicht nur essen, sondern auch wohnen. Ich kam her zum Pferdehandel.« Als er es sagt, werden ihre Augen einen Moment schmal wie die einer Katze, wenn sie eine Beute erspäht. Dann spricht sie ruhig: »Sie können ein Zimmer bekommen. Und in der Badestube kann mein Hausbursche Ihnen eine Holzwanne füllen. Wollen Sie vorher oder nachher essen, Mister Starr?« Er erwidert sofort: »Nachher. Und ich könnte frische Wäsche gebrauchen.« »Der Store ist nebenan«, sagt sie und lächelt. »Ich kann Ihnen eine Auswahl in die Badestube bringen lassen – Unterzeug, Hemden – und was sonst noch?« »Das wäre gut, Ma’am. Und wenn ich dann sauber, frisch gekleidet und rasiert bin, würden Sie dann mit mir zu Abend essen und einen guten Wein mit mir trinken?« Sie sieht ihn fest an und schüttet dann den Kopf. »Sie reiten zu schnell, Mister Starr. Wir werden sehen.« Eine gute Stunde später sitzt er an einem Tisch unter den Arkaden des Innenhofes und wird von einem Mexikanermädchen bedient. Es gibt Hammelbraten. 32
Puck Starretter, der sich hier Jim Starr nannte, sieht wie neu aus. Nur die Haare müsste er sich stutzen lassen. Doch sonst wirkt er ganz anders als zuvor, nämlich rasiert und wieder sauber gekleidet. Als er in den Ort kam, wirkte er wie ein heruntergekommener Satteltramp, der zu lange unter freien Himmel lebte. Doch jetzt sieht man einen beachtlich wirkenden Mann, der gewiss noch niemals besondere Schwierigkeiten hatte, wenn es darum ging, eine Frau zu erobern. Er genießt das Abendessen und wartet auf Julia Bellow, die er ja eingeladen hat. Und obwohl sie ihm gegenüber eine abweisende Haltung einnahm, ihm sagte, dass er zu schnell reiten würde, also ein Süßholzraspler wäre und zu heftig darauf aus wäre, sie zu erobern, ist er überzeugt, dass sie kommen wird – wenigstens um ein Glas Wein mit ihm zu trinken. Die meisten Tische im Innenhof sind nun leer. Die Gäste haben längst gegessen und verschwanden in der Cantina, die sich im Nebenraum befindet und zugleich auch ein Saloon ist, wie ihn die Anglos lieben. Als Puck mit dem Essen fertig ist und sich eine Zigarre bringen lässt, kommt Julia Bellow mit dem Wein und zwei Gläsern. Zuvor trank er zum Essen nur köstliches Quellwasser. 33
Sie setzt sich mit einer leichten Bewegung zu ihm an den Tisch und betrachtet ihn noch einmal prüfend, schenkt dann wortlos die Gläser halb voll. »Das ist ein besonderer Wein«, sagt sie und lächelt. »Und ich frage mich, ob Sie ihn verdienen. Denn offenbar sind Sie ein Pferdedieb. Sie kamen mit sechs Circle-Arrow-Stuten zu uns. Sind Sie also ein Pferdedieb?« »Und ein Spieler, ein Glücksjäger und Herumtreiber, den es nirgendwo lange hält, nicht einmal bei besonders schönen Frauen.« »Das glaube ich.« Wieder lächelt sie und hebt das Glas. »Trinken wir auf Ihre Freiheit. Ich glaube fast, dass Sie sich vor Verantwortung fürchten. Doch es muss wohl auch solche Exemplare Ihrer Gattung geben. Trinken wir.« Sie tun es und sehen sich dabei im Lampenschein fest in die Augen. »Und was ist mit Ihnen, schöne Julia?« Er fragt es, als sie die Gläser abgesetzt haben und sich wieder in die Augen sehen. Ihre sind grün, seine rauchgrau. Dann fragt sie fast grob: »Und wie schnell sind Sie mit Ihrem Revolver?« »Ich fragte, was mit Ihnen ist, schöne Julia. Warum führt eine Frau Ihrer Klasse in solch einem armseligen Nest ein Gasthaus wie dieses? Was hat Sie hergeführt und warum sind Sie geblieben?« 34
Als er verstummt, da erhebt sie sich und spricht dabei: »Ich sagte es schon, Mister Starr, Sie reiten zu schnell.« Nach diesen Worten wendet sie sich mit einer leichten und schnellen Bewegung ab und verlässt ihn. Und so bleibt er mit seiner Zigarre und dem Wein allein zurück und beginn über die Frau nachzudenken. Denn irgendwie spürte er ihre stolze Einsamkeit und vergisst für eine Weile, warum er in dieses Land ritt und in den kleinen Ort hier kam. Er ist ein Mann, der an ein Schicksal glaubt, das die Wege der Menschen bestimmt und dem niemand entkommen kann. Warum traf er hier auf diese Frau, die ihn vom ersten Moment an beeindruckte? Und was ist, wenn es auch ihr so erging? War das dann ein Spiel des Schicksals? Er erinnert sich endlich wieder daran, warum er hier ist und dass der Stallbursche Pedro morgen einen gewissen Juan Cabazza zu ihm schicken will, der ein Künstler im Umbränden sein soll. Nun, man wird sehen, was dieser Künstler aus dem Circle-Arrow-Brand machen kann. Er schläft lange und gut, seit langer Zeit wieder in einem Bett mit sauberer Wäsche. Ja, er genießt diesen Luxus. 35
Das Frühstück nimmt er allein ein beim Brunnen im Innenhof. Und bei Tageslicht sieht er auch die vielen schönen Blumen und blühende Büsche. Er wartet darauf, dass sich Julia Bellow sehen lässt, aber er wartet vergebens. Dafür kommt ein dicker und feist wirkender Mann zu ihm, ein Mann mit Hängebacken, die sein Bart nur unvollkommen verdecken kann, ein Mann mit buschigen Augenbrauen und rabenschwarzen Haaren. Der Mann setzt sich unaufgefordert zu ihm und betrachtet ihn lauernd mit kieselharten Augen. Doch Puck erwidert den Blick des anderen. Dann endlich spricht der Mann: »Ich bin John Finch. Man nennt mich in diesem Land auch Fat Cat. Und ich kaufe Pferde. Sie kamen mit sechs schönen Stuten her. Wenn Juan Cabazza sie umgebrändet hat und ich mit dem neuen Brand zufrieden bin, dann zahle ich fünfzig Dollar pro Tier.« Puck grinst ihn an. »Es sind trächtige Zuchtstuten, selbst allerbeste Zucht«, spricht er dann fast sanft. »Die sind Stück für Stück zweihundert Dollar wert. Für fünfzig Dollar pro Stute hätte ich mir nicht die Mühe gemacht.« Der Dicke, den sie hier Fat Cat nennen, grinst nun ebenfalls und zeigt seine kleinen Katzenzähne. Ja, jetzt lässt er an einen dicken schwarzen Kater denken. 36
Dann spricht er mit einem Lachen in der Kehle, so als amüsierte ihn das alles: »Juan Cabazza wird fünf Dollar für jedes geänderte Brandzeichen nehmen. Dann bleiben Ihnen nur fünfundvierzig Dollar, mein Freund. Und Sie werden in diesem Land nirgendwo mehr bekommen, auch nicht weiter im Norden jenseits des Red River. Sie haben sich ohnehin in diesem Gebiet hier unbeliebt gemacht. Denn hier betreibt niemand unerlaubt Pferdehandel. Ich kann Ihnen die Tiere zu meinem Preis nur deshalb abkaufen, weil ich der Organisation eine Entschädigung zahle.« »Eine Organisation?« Puck fragt es scheinbar ungläubig. Der Dicke nickt. »Sie sind wie ein dummer Hund mit Ihrer Beute in ein Wolfsrevier gekommen. Und nur durch mich genießen Sie noch einmal Nachsicht. Also?« Er spricht das letzte Wort hart und fordernd. Dann wartet er, und er muss nicht lange warten. Dann murmelt Puck: »So, ich bin also ein dummer Hund in einem Wolfsrevier? Na gut, ich lerne schnell und weiß, wenn ich in einer Falle sitze. Warum nehmt ihr mir nicht einfach die Beute weg?« Abermals zeigt der Dicke grinsend zwischen schmalen Lippen seine Katzenzähne. Dann spricht er: »Ein Pferdedieb, der einem Cattle-King wie Ernest Skinner sechs wertvolle Zuchtstuten von der Weide 37
holen und damit auch noch entkommen kann, der ist zu gebrauchen für viele Aufgaben. Sie sollten in den nächsten Tagen den Red River durchfurten und zur nächsten Stadt reiten. Man wird Verbindung mit Ihnen aufnehmen. Sie bleiben nicht mehr unbeobachtet in diesem Land. Wollen wir jetzt zum Mietstall gehen und dem Künstler zusehen?« Puck nickt und versucht seinem Gesicht einen Ausdruck zu geben, als wäre er sehr beeindruckt. Sie erheben sich und verlassen den Innenhof, treten auf die staubige Dorfstraße und gehen durch den fast knöcheltiefen Staub zum Mietstall und zur Schmiede. Der kleine Ort wirkt wie ausgestorben, denn die Bewohner arbeiten jetzt auf den Feldern und Äckern. Vor dem Saloon und der Cantina stehen nur wenige Sattelpferde. Und vor dem Store wird ein Wagen mit irgendwelchen Waren beladen, so als würden die Vorräte für einen Monat auf eine Ranch geschafft. Als sie in den Hof des Mietstalls kommen, da sehen sie jenen Juan Cabazza bei der Arbeit. Denn für Puck gibt es keinen Zweifel, dass es sich nur um diesen Mann handeln kann. Puck verspürt eine starke Neugierde. Denn wie wird dieser »Künstler« den CircleArrow-Brand ändern? Er darf dabei keinen Fehler machen, nicht pfuschen. Alles muss sauber passen. 38
Sonst ist die Brandzeichen-Fälschung für jeden kundigen Blick leicht zu erkennen. Cabazza hat noch einen jungen Mexikaner bei sich. Und auch Pedro hält sich bereit. Sie haben eines der Pferde in die halb offene Schmiede geholt, wo sonst Pferde beschlagen werden. Es gibt hier ein Gestell, in dem sich wilde Pferde, die noch nicht zugeritten wurden, nicht bewegen können. Eine der Stuten steht in diesem Käfig. Und sie haben dem Tier die Beine festgebunden, sodass es sich nicht mehr bewegen kann, nur noch atmen. Juan Cabazza wirft jenem Finch und Puck einen schnellen Blick zu. Er ist ein schon alter und grauköpfiger Bursche, wahrscheinlich ein halber Comanche. Dann holt er mit der Zange ein glühendes Ding aus dem Schmiedefeuer und betrachtet es noch einmal prüfend. Puck erkennt, dass es sich um ein Gebilde aus glühendem Draht handelt. Der glühende Draht ist etwa so dick wie ein Daumen. Doch er wurde zuvor zu einem Zeichen zurechtgebogen. Cabazza grinst zufrieden und zeigt dabei braune Zahnstummel zwischen den ledern wirkenden Lippen.
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Dann aber handelt er schnell. Er tritt zu der Stute und drückt die glühende Form auf das Circle-ArrowBrandzeichen. Es ist eine gekonnte Bewegung, sicher ausgeführt. Das Pferd wiehert schrill, will sich bewegen, tanzen, auskeilen. Doch es sitzt fest. Der Geruch von verbranntem Fell und Fleisch breitet sich aus. Cabazza aber tritt zurück und betrachtet sein Werk wie ein Künstler sein fertiges Bild, in das er all sein Empfinden setzte und zum Ausdruck bringen wollte. Auch Finch und Puck treten näher, ebenso Cabazzas beide Helfer. Und so sehen sie alle eine Art Wunder. Aus dem Circle-Arrow-Brand wurde ein sauberes Arrow-Wheel, also ein Rad, aus dem vier Pfeilspitzen in alle Himmelsrichtungen ragen. »Arrow-Wheel«, sagt Cabazza kehlig, »ein Pfeilrad.« Er bückt sich nun zu einem Eimer nieder und holt dort eine grünliche Schmiere heraus, klatscht sie auf die stinkende Brandwunde und reibt diese ein, indes das Pferd keucht, schnaubt und stöhnt. John Finch wendet sich an Puck Starretter. »Nun?« So fragt er. »Ist er ein Künstler oder nicht?«
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Es ist früher Mittag, als Puck im Innenhof des Casa sitzt und auf das Mittagessen wartet. Er ist der einzige Gast an diesem frühen Mittag. Seine Gedanken sind mit der bitteren Erkenntnis beschäftigt, dass er nun seinen Job erledigen muss, für den er sich verpflichten ließ und bezahlt wird. Brandzeichenfälschung ist in Texas ein schweres Verbrechen, ganz gleich ob es sich dabei um Pferde oder Rinder handelt. Solche Fälscher werden wie Pferdediebe behandelt. Da und dort hängt man sie auf, anderswo schneidet man ihnen ein halbes Ohr ab und hängt sie erst, wenn man sie noch einmal bei solchem Tun erwischt, nachdem sie schon das Zeichen tragen. Wenn Puck Starretter redlich seinen Job machen will, muss er etwas tun. Zu einem Gerichtshof kann er diesen Fälscher nicht bringen. Also muss er selbst Richter und Vollstrecker seines Urteils sein. Nun erst spürt er die Schwere der Last. Ja, was soll er tun? Er wird aus seinen bitteren Gedanken gerissen, als Julia Bellow zu ihm tritt. Sie trägt ein grünes Kleid von der Farbe ihrer Augen. Und ihr rotgoldenes Haar leuchtet in der Sonne. »Nun, Pferdedieb, wann reiten Sie weiter?« So fragt sie mit ironischem Spott in der Stimme. Und 41
das macht ihn in seiner Bitterkeit wegen seiner Ausweglosigkeit wütend. Deshalb erwidert er: »Wenn ich einen Platz in deinem Bett bekommen würde, dann bliebe ich eine Weile. Oder sehnst du dich nicht in deiner Einsamkeit nach einem Mann, Julia?« Ihre Augen werden wieder einmal schmal. Er kennt dies schon. Und auch ihr Mund, der zumeist so lebendig wirkt, bekommt harte Lippen. Er begreift, dass diese Frau auch hart sein und kämpfen kann. »Du verdammter Pferdedieb und Sattelstrolch«, stößt sie hervor, »warum sollte ich mich mit dir einlassen? Dann wäre ich eine Hündin, die es mit jedem Straßenköter treibt.« »Nein«, widerspricht er und wirkt nun sehr ruhig und ernst. Und dann spricht er noch ruhiger als zuvor weiter: »Ich denke, abgesehen davon, dass wir verschiedenen Geschlechtes sind, gehören wir zur gleichen Sorte.« »Welche Sorte?« Sie fragt es hart. »Wir wanderten auf harten Wegen. Uns ist nichts mehr fremd auf dieser Erde. Und wir verspüren ständig ein Misstrauen gegen die ganze Welt, achten nur auf uns selbst. Und dabei sind wir einsam in unseren Herzen. Julia, ich könnte dich für ein paar Stunden diese verdammte Welt vergessen lassen. Du bist noch jung und gewiss voller Feuer, immer noch 42
eine wunderschöne Rose, längst noch keine Hagebutte. Ich könnte dich zum vollen Leben erwecken. Und du würdest dich an unsere gemeinsamen Stunden noch lange erinnern können.« Als er verstummt, da sind ihre Augen weit geöffnet, wirken staunend und ungläubig. Dann nickt sie. »O ja, du verstehst dich darauf, eine Frau mit Worten betrunken zu machen. Was weißt du von mir, dass du glaubst, mich so einschätzen zu können, du verdammter Pferdedieb?« Sie wendet sich ab und verschwindet wieder in der Casa. Er aber lauscht tief in sich hinein und denkt über seine Worte nach, die er soeben zu ihr sprach, so als wäre er ein erfahrener Verführer, wie es jener Casanova war, der im vorigen Jahrhundert lebte und über den er aus einem Buch, das er in einem Herrenhaus in Alabama las, erfuhr, dass er an die tausend Frauen vernascht haben soll. Er wird wenig später aus seinen Gedanken gerissen, denn die junge Bedienung bringt ihm das Mittagessen. Er ist zu dieser frühen Mittagszeit immer noch der einzige Gast. Doch das wird sich bald ändern. Er fragt die hübsche Mexikanerin: »Conchita, kennst du diesen Juan Cabazza?« »Wer kennt den nicht, Señor.« Die Kleine lächelt, und er sieht in ihren funkelnden Augen einen 43
Ausdruck, der ihm sagt, dass sie ihm auch auf eine andere Weise gefällig sein würde. »Wohnt Cabazza hier in der Stadt, Conchita?« »Nein, Señor, er hat eine Meile von hier einen kleinen Rancho und züchtet Maultiere mit seinem Gehilfen Paco. Sie müssen nur nach Norden am Arroyo entlang reiten. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun, Señor?« In ihren Augen erkennt er, dass es ein Angebot ist. »Du bist ein mehr als hübsches Mädchen«, sagt er lächelnd, »doch ich habe mich in deine Patrona verliebt. Sag ihr das, wenn sie dich fragt, ob ich dein Angebot annehmen wollte.« Conchita lacht nun leise und wendet sich mit einer Bewegung ab, dass ihre Röcke schwingen. Über die Schulter spricht sie zu ihm zurück: »Sie sind ein schlauer Hombre, Señor Jim Starr, ein sehr schlauer Hombre.« Er grinst und macht sich über das Essen her. Dabei denkt er darüber nach, was er tun muss. Ja, er muss es tun oder seinen Job aufgeben. Es ist ein verdammter Job, den er angenommen hat, weil er die Mörder seiner Familie finden will. Er weiß nur, dass die Mordbanditen nach Norden zogen. Und einer von ihnen – wahrscheinlich ihr Anführer – nahm den Familienschmuck seiner jungen Frau an sich. 44
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Er reitet am frühen Nachmittag aus der Stadt und erkundet die weitere Umgebung. Auf dem Rückritt – er ritt einen großen Halbkreis von mehreren Meilen – kommt er an jenem kleinen Rancho von Cabazza vorbei. Es wurde Abend. Auf den Äckern und Feldern wurde schon die Arbeit eingestellt. Einige Wägen fahren hoch beladen mit Mais zur Stadt. Ja, es ist Erntezeit. Auch Melonen und Kürbisse werden eingebracht in die Scheunen rings um Santa Maria. Als er an Cabazzas Adobehütte vorbei kommt, sieht er Cabazza mit dessen Gehilfen in einem der Corrals. Sie satteln sich Pferde. Offenbar wollen sie in die Stadt reiten, vielleicht in die Cantina oder zu den Mädchen ins Bordell. Was könnte sie sonst in die kleine Stadt locken? Und er hat Cabazza auch dreißig Dollar für das Umbränden gezahlt. Er hält an und wartet, bis sie aus dem Hof geritten kommen. Cabazza grinst ihn an mit seinen braunen Zähnen und fragt: »Gefällt es Ihnen hier bei uns in Santa Maria, Señor?« 45
»Ich werde morgen weiter nach Norden reiten«, erwidert er. »Ich glaube nicht, dass wir uns dann noch einmal wiedersehen werden, Cabazza. Denn ich werde keine Pferde mehr stehlen. Das bringt zu wenig ein. Ich nahm die sechs Caballos aber nur mit, um Ernest Skinner und die großspurige CircleArrow-Mannschaft zu ärgern. Es war für mich nur ein Spaß.« »Das glaube ich.« Cabazza grinst. »Ich hielt Sie auch nicht für einen Pferdedieb.« »Und für was dann?« Sie reiten nebeneinander Steigbügel an Steigbügel. Hinter ihnen folgt Paco, der junge Gehilfe. Cabazza betrachtet Starretter noch einmal forschend im letzten Licht der zunehmenden Abenddämmerung. Vor ihnen – keine Meile mehr entfernt – beginnen die Lichter von Santa Maria zu leuchten. »Für was sonst?« Puck wiederholt die Frage. Da hält Cabazza an. Auch Paco zügelt seinen Pinto hinter ihnen. »Mein Gefühl sagt mir«, murmelt Cabazza, »dass Sie nicht das sind, für was Sie gehalten werden wollen. Ich denke schon den ganzen Tag darüber nach. Mein Instinkt warnt mich ständig, wenn ich an Sie denke und Ihr Bild vor meinem geistigen Auge erscheint, caramba.« Starretter nickt langsam. Dann sieht er sich um. 46
Sie halten in einer Senke des Weges, der neben dem trockenen Bett des Arroyos zur Stadt führt. Man kann sie in dieser Senke nicht sehen. Und so entschließt Starretter sich und spricht ganz ruhig: »Cabazza, dein Instinkt ist wirklich untrüglich. Ich bin wohl das, was man einen Banditenjäger nennen könnte. Und die sechs Stuten sollten meine Tarnung sein.« Er hat kaum ausgesprochen, als Cabazza auch schon die Hände hebt, so als wollte er sich ergeben voller jäher Furcht. Doch Starretter weiß längst, dass der Mann ein Wurfmesser in der Nackenscheide trägt, und wartet nicht, bis er es herauszaubert. Dennoch bekommt Cabazza das Messer noch heraus. Doch als er es mit der gleichen Bewegung – es ist ja eine ausholende Bewegung von hinten nach vorn – schleudern will, da trifft ihn die Kugel. Zugleich zeigt es sich, wie gefährlich der junge Paco ist, was aber eigentlich kein Wunder ist bei seinem Lehrmeister, dem er ein getreuer Diener war. Denn auch Paco schleudert ein Messer. Aber auch er hat kein Glück. Denn Puck Starretter ist während des Krieges durch viele Kämpfe gegangen und ist ein erfahrener Revolvermann geworden. Auch Paco trifft die Kugel im Moment des Werfens. Und so fetzt das Messer nur Pucks Hemd auf. 47
Das Krachen der Schüsse verhallt in weiter Runde in der zur Nacht gewordenen Dämmerung. Die Pferde schnauben ein wenig, aber es sind Tiere, die an das Krachen von Waffen jeder Art gewöhnt wurden. Sie verharren. Und Puck Starretter atmet langsam aus und lauscht in die Runde. Was ist nun zu tun? Es wäre dumm, einfach weiter in den Ort zu reiten. Und da fällt ihm ein, dass sich ziemlich dicht neben dem Weg der trockene Arroyo befindet, ein trockenes Bachbett also. Und so weiß er, was zu tun ist. Es ist längst schon tiefe Nacht, als er sich von der entgegengesetzten Richtung den Hütten und Häusern nähert, also von Süden her. Die beiden Toten liegen nördlich von Santa Maria im Arroyo, ebenso die Sättel. Denn er jagte die beiden Pferde sattellos davon. Sie werden gewiss zum Rancho laufen und sich dort an den Wassertrog beim Brunnen stellen. Über die beiden Toten und deren Sättel ließ Starretter das trockene Steilufer niederbrechen, und erst das nächste Hochwasser, wenn der Arroyo nach Wolkenbrüchen für wenige Stunden zu einem Fluss werden wird, könnte Cabazza und dessen Gehilfen wieder freilegen und mit sich zum Red River reißen. Sie werden für immer verschwunden bleiben. 48
Nun, Puck Starretter umritt also Santa Maria und kommt von Süden her in die Stadt zurück. Man sieht ihn kommen, vorüberreiten, wenn er die Lichtbahnen durchquert. Es sitzen noch Menschen vor ihren Hütten und Häusern. Später dann, nachdem er seinen Wallach im Mietstall abgegeben hat, macht er sich zu Fuß auf den Weg zu Julia Bellow und deren Casa. Und abermals sehen sie ihn – nun zu Fuß – durch die Lichtbahnen gehen. Es wurde schon spät. Er fragt sich, ob er noch ein Abendbrot bekommen wird. Aber eigentlich hat er keinen Appetit. Gewiss, er hat während des Krieges immer wieder töten müssen und ist dafür belobigt und befördert worden. Doch jetzt ist alles anders. Er musste töten. Dass ihn Cabazza und Paco dazu gewissermaßen zur Selbstverteidigung zwangen, weil sie nach ihren Wurfmessern griffen, macht ihm die Verarbeitung des Geschehenen nicht leichter. Und so begreift er, dass er sich wie im Krieg befindlich fühlen muss, will er weiter seinen Job tun. Denn er wird noch andere Männer töten müssen. Als er wenig später in den Innenhof des CasaHotels tritt, sind dort die Tische längst leer und abgeräumt. Aber im Schatten der Arkaden sieht er die Gestalt von Julia Bellow sitzen. Und so weiß er, dass sie auf 49
ihn gewartet hat – aus welchen Gründen auch immer. Er tritt langsam zu ihr und sagt ruhig: »Ich komme gewiss zu spät – oder?« »Aber immerhin bist du gekommen«, erwidert sie kehlig, spricht dann weiter und lässt ihn nun etwas hören, was er nicht erwartet hat. Denn ihre Worte sind: »Ich habe über deine Worte nachgedacht, Pferdedieb. Ja, ich bin einsam hier. Und ich fühle mich noch längst nicht als Hagebutte. Ich möchte herausfinden, ob ich noch Feuer habe und du dieses Feuer in mir erwecken kannst. Gehen wir hinauf.« Er hört es und will es kaum glauben. Dennoch ist es so. Sie erhebt sich, kommt hinter dem Tisch hervor, tritt zu ihm und nimmt ihn bei der Hand. Es ist Stunden später, als sie beide wach nebeneinander liegen. Sie hören es an ihren Atemzügen. Und so fragt sie: »Wirst du bleiben?« »Nein, Julia, nein. Es war wunderschön mit dir. Du warst für mich wie ein Stern in dunkler Nacht. Aber ich muss reiten – heute noch. Ich muss.« »Weil du Schatten auf deiner Fährte hast oder selbst ein Schatten auf einer Fährte bist? Ich nannte dich einen Pferdedieb, um dich herauszufordern, 50
aber ich wusste von Anfang an, dass du kein kleiner Pferdedieb bist, eher ein …« Sie verstummt plötzlich. Und so fragt er: »… ein was?« »Ein Jäger. Sage mir, wer du bist, Jim Starr – wenn das überhaupt dein richtiger Name ist. Ist er es?« Sie fragt es zuletzt hart und rollt sich mit ihrem nackten Körper über ihn. Ihr Atem trifft sein Gesicht, und so ist er einen Moment versucht, ihr etwas über sich zu sagen. Doch dann holt ihn sein Verstand wieder ein. Denn er weiß, dass er in diesem Land einem Jäger auf Tigerjagd gleicht und das, was am Tag zuvor geschah, nur ein Anfang war. Und so erwidert er: »Jim ist mein richtiger Name. Aber ich habe auch einen Spitznamen. Schon als kleiner Junge bekam ich ihn, weil ich sehr lebendig und so eine Art ruheloser Kobold war. Meine Freunde nennen mich immer noch so, nämlich Puck. Und diese Unruhe ist immer noch in mir. Ich kann nirgendwo länger bleiben. Ich muss immerzu weiter. Denn die Welt ist riesengroß. Abenteuer machen das Leben süß und die Tage gut. Die Welt ist weit, und alle Dinge sind auf eine besondere Art wundervoll. Dann spürt man immer wieder, wie großartig es ist, lebendig zu sein. Julia, weißt du, wie wunderbar es ist, wenn man die starken Düfte des Landes, den beißenden Rauch der Campfeuer, den Geruch 51
regenfeuchter oder sonnenwarmer Erde oder harziger Kiefern spürt?« Sie schweigt einige lange Atemzüge. Dann murmelt sie: »Du verdammter Sattelstrolch, was willst du mir vormachen? Ich bin kein dummes Huhn mehr. Längst habe ich begriffen, dass zumeist nur die erste Hälfte eines Weges freundlich und hell sein kann, auf was man auch trifft. Die zweite Hälfte wird, wenn man müde ist und verschiedene Dinge zu bedauern hat, freudlos und schwer. Ich fürchte mich vor dieser zweiten Hälfte. Und deshalb will ich die erste Hälfte auskosten. Und noch eines weiß ich genau, nämlich, dass die Schwachen nicht zählen, weil sie eines Tages untergehen wie alles Schwache auf unserer Erde. Oh, verdammt, ich kann das alles nicht besser sagen, weiß nur, dass ich meine erste Hälfte auskosten will.« »Das kannst du nicht hier in diesem armseligen Nest«, spricht er. »Warum bist du hier? Dir würden auf der ganzen Welt die Männer zu Füßen liegen. Was hält dich hier fest, schöne Julia?« Sie liegt immer noch auf ihm. Ihr Haar bedeckt sein Gesicht. Es riecht gut, dieses Haar. Und er fragt sich, warum er nicht eine Weile bei ihr bleiben sollte. Dann fragt sie: »Würdest du mich mitnehmen in die weite Welt, Puck?«
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Nun hat auch sie ihn tatsächlich Puck genannt, so wie seine Frau, die vor mehr als einem Jahr mit den kleinen Zwillingen ermordet wurde. Sein Instinkt sagt ihm, dass ihre Frage ihn nur auf die Probe stellen soll. Sie will herausfinden, was sie ihm wert ist. »Nein, ich kann dich nicht mitnehmen«, murmelt er. Sie rollt sich hastig von ihm herunter und bleibt dann bewegungslos neben ihm liegen. Wahrscheinlieh wartet sie darauf, dass er nach ihr greift, doch er tut es nicht, sondern erhebt sich. »Du bist auf einer Fährte«, murmelt sie. »Nun weiß ich es genau. Wärest du auf der Flucht, würdest du mich mitnehmen – aber nicht auf einer Fährte, auf der du sterben könntest. Nun gut, dann hau endlich ab!« Ihre Stimme klirrt. Er steht nackt neben dem Bett. Durchs Fenster dringt das erste graue Licht herein. Er kann Julias Körper einigermaßen deutlich erkennen. »Vergib mir, Julia. Und ich glaube auch nicht, dass du mitkommen würdest. Dich hält hier in dieser alten Casa etwas fest – vielleicht ist es der Geist eines Dons. Wie bist du überhaupt in den Besitz dieses …« »Das geht dich nichts an«, unterbricht sie ihn. »Geh lieber! Hau endlich ab! Nimm deine Sachen, zieh dich an und hau ab. Du brauchst mir für die 53
Unterkunft und die Verpflegung nichts zahlen. Du warst mein Gast.« Er erwidert nichts mehr, sondern gehorcht. Bevor er mit seinen wenigen Siebensachen die Casa verlässt, geht er in die Küche und packt sich etwas Proviant ein. Auf dem Weg zum Mietstall kaut er an einem Stück Rauchfleisch. Er muss den Stallmann aus dessen Schlafverschlag rufen, um seine Rechnung bezahlen zu können. Überdies hat der Stallmann auch seine Sharps im Verschlag in Verwahrung. Denn das Gewehr ist sehr wertvoll. Solche Buffalo-Sharps sind selten. Er gibt dem gähnenden Stallmann ein gutes Trinkgeld und fragt ihn: »Wie ist die Señora Bellow in den Besitz des Hotels gekommen?« Der kleine Mexikaner kratzt sich hinterm Ohr. Dann erwidert er zögernd: »Sie kam mit einem Hombre her. Sie waren eigentlich nur auf der Durchreise, wahrscheinlich auf der Flucht. Er war ein Spieler und spielte eine ganze Nacht gegen Miguel Hernandez, dem die Casa gehörte. Er gewann ihm die Casa ab, doch Hernandez war ein schlechter Verlierer und fühlte sich betrogen. Sie zogen dann beide ihre Revolver und trafen sich gegenseitig ins Herz. Und so wurde die schöne Señora eine Witwe und übernahm die Casa als Erbin ihres Mannes. Wir 54
alle in Santa Maria haben uns gewundert, dass sie bei uns blieb. Und dafür gibt es nur eine einzige Erklärung.« »Welche, Señor Roberto, welche?« Puck fragt es mit einem begierigen Klang in der Stimme. Roberto kratzt sich wieder hinterm Ohr. Dann murmelt er: »Es gibt da eine alte Legende aus jener Zeit, da die Dons mit ihren eisengepanzerten Soldaten hier überall nach Gold suchten. Sie fanden auch welches, kamen aber nicht damit fort. Sie wurden von den Indianern belagert und ausgehungert. Doch ihr Gold wurde nicht gefunden. Also muss es hier noch irgendwo verborgen sein. Jener Hernandez erzählte dem Paar diese Geschichte, weil er zuletzt die Casa als Einsatz ins Spiel brachte und den Wert besonders hoch geschätzt haben wollte. Wir alle in Santa Maria glauben, dass die Patrona überall in der Casa nach dem Gold der Dons sucht. Doch das haben vor ihr schon viele Menschen getan. Vielleicht wurde es längst gefunden, vor hundert oder noch mehr Jahren. Es gibt viele Gerüchte. Überdies ist der Mann der Patrona hinter der Casa im Garten begraben. Sie pflegt das Grab wie am ersten Tag, obwohl das alles schon länger als ein Jahr her ist. Señor Finch, der Ihnen die sechs Caballos abkaufte, würde die Señora gern zu seiner Frau machen. Aber sie sagte ihm – und dafür gibt es Zeugen –, dass er sich wohl 55
mächtig überschätzen würde. Übrigens, Señor, die sechs Caballos sind seit gestern unterwegs, wahrscheinlich nach Kansas.« Puck nickt stumm, als er das hört. Wenige Minuten später ist er unterwegs. Zu seiner Rechten im Osten vertreibt das erste Morgenlicht die letzten Schatten der flüchtenden Nacht nach Westen. Er denkt immer wieder an Julia Bellow und spürt ein tiefes Bedauern. Doch er hat nicht nur einen Job übernommen, sondern verfolgt auch noch eigene Interessen. Hier im Panhandle, dem gesetzlosen Land der Banditen, da könnte es sein, dass er irgendwo und irgendwie auf den Familienschmuck seiner Frau stößt – etwa am Hals einer anderen Frau. Denn Frauen gibt es genug im Panhandle, wenn sie auch Huren sind.
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Am späten Nachmittag durchfurtet er bei einer kleinen Siedlung den Red River, der zu dieser Zeit Niedrigwasser führt. Dennoch wird er nass, weil sein Wallach ein kurzes Stück in der Strömung schwimmen muss. Und so sitzt er drüben ab und zieht die Stiefel aus, um das Wasser aus ihnen zu schütten. Eigentlich müsste er ein Feuer anmachen, um seine Hosen zu trocknen, doch er vertraut auf seine Körperwärme. Als er wieder aufsitzen will, sieht er ein halbes Dutzend Reiter kommen. Es sind Indianer in blauen Uniformen, angeführt von einem Sergeanten. Er weiß, dass er es mit der Indianer-Polizei des Territoriums der fünf Nationen zu tun bekommt. Denn hier in Oklahoma haben die Roten ihre eigene Verwaltung. Und wenn diese Reiter es wollen, weil er ihnen nicht gefällt, dann können sie ihn durch den Red River zurück auf die andere Seite jagen. Es liegt an ihnen, ob er durchreiten kann nach Kansas. Es ist ja nur ein kurzes Stück von etwa fünfzig Meilen und gewissermaßen der Pfannenstiel von Oklahoma, der sehr viel schmaler ist als der von Texas. 57
Die sechs Roten betrachten ihn hart, abweisend und feindlich. Dann fragt der Sergeant, den man an den drei messingfarbenen Winkeln am Ärmel erkennen kann: »Was willst du in unserem Land?« »Durchreiten nach Kansas.« »Bist du ein Marshal? Hast du einen Blechstern in der Tasche?« »Nein, Sergeant.« »Soll ich dir glauben, obwohl die meisten Weißen ständig lügen?« »Dann sieh mir in die Augen, Sergeant, und frag deinen Instinkt.« Die sechs Roten beginnen nun zu grinsen, ja, sie grinsen wie Weiße, obwohl man doch sagt, dass Indianer niemals grinsen. Der Sergeant starrt Puck Starretter lange in dessen rauchgraue Augen, doch der hält dem Blick des Indianers offen und freimütig stand. »Bist du ein Revolvermann auf einer Fährte oder auf der Flucht?« Puck weiß nun, dass er jetzt keinen Fehler machen darf. Wenn er jetzt lügt, dann wird der Sergeant es wittern. Und so erwidert er: »Ich folge sechs Pferden, die einen Arrow-Wheel-Brand tragen.«
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Der Sergeant verzieht sein hartes Gesicht. Dann gibt er seinen Reitern einen Wink, und so öffnen sie ihren Kreis nach Norden zu. Er kann weiterreiten, und er tut es mit einem Gefühl der Dankbarkeit. Denn der rote Sergeant der Indianerpolizei von Oklahoma vertraute seinen Worten. Er sieht sich nach einer Weile um. Die sechs Roten sehen ihm nach. Er ist von der Strömung des Red River ein Stück abgetrieben worden und erreicht nun wieder den schmalen Reit- und Fahrweg. Und hier trifft er erneut auf die Fährten. Es sind viele Hufspuren, alte und junge. Er glaubt nun, dass er wahrhaftig auf der Fährte der sechs Stuten reitet, die jener Fat Cat Finch ihm abkaufte und nun von Helfern nach Norden bringen lässt. Einige Male sitzt er ab und prägt sich die Hufspuren genau ein. Das ist nicht so einfach unter den vielen anderen. Aber er ist ein erfahrener Fährtenleser. Jedes Pferd hat seine bestimmte Art, die Hufe aufzusetzen. Manche drehen dabei die Hufe etwas. Es wird Abend. Von Osten her kriechen die Schatten der Nacht heran. Und bald wird das ganze Land von der Dunkelheit beherrscht, in der tausend Geheimnisse zu lauern scheinen. Er hält an, um sein Camp aufzuschlagen. 59
Als er später seinen Wallach versorgt hat, am Feuer sitzt und Speck brät, da denkt er an die vergangene Nacht mit der schönen Julia Bellow in deren Bett. Er verspürt ein Bedauern. Am frühen Morgen ist er wieder unterwegs auf der Fährte und fragt sich, wohin sie ihn führen wird. Als er im Morgengrauen des vorherigen Tages Santa Maria verließ, dieses armselige Nest, da hatte er nicht damit gerechnet, dass er auf die Fährte der sechs Stuten stoßen würde, die jener Fat Cat Finch nach Norden schickte. Dass er nun auf dieser Fährte reitet, betrachtet er als ein gutes Omen. Und wieder einmal mehr im Verlauf der nächsten Stunden denkt er während des stetigen Reitens über sein Leben nach – auch über Ellen, die seine Frau wurde und ihm Zwillinge gebar. Ellen hatte ihn sesshaft werden lassen, mit einer richtigen Familie, all die Unruhe in ihm getilgt, die von Kindheit an in ihm war, sodass man ihm den Spitznamen Puck gab. Es war eine schöne Zeit gewesen. Er war zur Ruhe gekommen und hatte begonnen, eine Ranch aufzubauen. Dann aber kamen Banditen und Mörder und zerstörten alles wieder. 60
Und nun hasst er alle Gesetzlosen, will sich an allen rächen, die zu dieser Sorte gehören. Er hätte eigentlich auch jenen Fat Cat Finch töten müssen, der gestohlene Pferde kauft und somit als Pferdedieb einzuordnen ist. Und Pferdediebe werden in Texas gehängt. Aber es ergab sich keine Gelegenheit, Finch zum Duell zu zwingen. Doch zumindest ist Finch nun enttarnt. Er, Puck Starretter, wird dies eines Tages brieflich an Ernest Skinner berichten. Er denkt an diesem Tag auch manchmal an Julia Bellow. Sie war die erste Frau nach Ellens Tod. Über ein Jahr hat er warten können, und es ist ihm nicht schwer gefallen. Denn Ellen war zu stark in seinem Herzen. Er wäre sich wie ein Betrüger ihrer Liebe vorgekommen. Doch in der vergangenen Nacht ist es dann passiert. Soll er sich nun verachten? Hätte er länger warten müssen, bevor er sich erneut mit einer Frau einließ? Er verspürt ständig einen Widerstreit seiner Gefühle. Und so reitet er Meile um Meile auf dem schmalen Weg und überzeugt sich immer wieder davon, dass er noch auf der richtigen Fährte ist. Eine der Stuten dreht die rechte Hinterhand stets leicht, sodass sich der Abdruck des Hufeisens leicht 61
verwischt. Und so kann er diese Hufspur am einfachsten unter all den vielen anderen erkennen. Als es Mittag wird, ist er keinem Menschen begegnet, hat auch keinen in der Ferne gesehen. Das zerhackte, wilde und unübersichtliche Land scheint menschenleer zu sein. Aber die vielen Fährten sprechen dagegen. Der schmale Weg stößt dann ganz plötzlich hinter einer Hügelkette auf einen Wagenweg, eine von Radfurchen und vielen Hufspuren geprägte, staubige Straße. Sie kommt von New Mexico herüber und führt nach Kansas – oder umgekehrt, führt also von West nach Ost oder von Ost nach West. Vor ihm im Norden muss der Canadian River sein, noch weiter im Norden der Cimarron. Aber muss er so weit nach Norden? Er hält an und überlegt. Denn er will ja das Hauptquartier der vereinigten Banden der Gesetzlosen finden. Lange starrt er auf die Fährte der sechs Stuten. Er kann sie zwischen den anderen Hufspuren gut erkennen. Sie schwenkt auf dem Wagenweg wie viele andere Fährten nach Westen ein, also nach New Mexico. Und so wird ihm klar, dass die Verfolgten den Palo Duro Canyon umgehen wollen, weil dort der Red River nicht zu durchfurten ist. 62
Und so fragt er sich, was er im Westen zwischen dem Palo Duro Canyon und den Canadian finden wird. Denn auch nach Colorado ist es nicht mehr weit. Und in Colorado wird Gold gefunden. Von Kansas aber kommen Geldtransporte nach Colorado. Er biegt nach Westen ein. Vor ihm befindet sich eine Ansammlung roter Felsen, die wie eine versteinerte Elefantenherde wirken, wenn auch sehr viel größer als Elefanten. Als er zwischen diesen Felsen hindurchreitet, da stößt er auf die Postkutsche. Sie steht zwischen den Felsen und ist abgespannt. Eine Gruppe von Menschen hockt da und dort auf Steinen, wirkt ratlos und verloren in ihrer Hilflosigkeit. Neben der Kutsche liegen zwei leblose Gestalten im Staub, wahrscheinlich Tote. Als Puck herangeritten kommt, erheben sich alle. Eine heisere Frauenstimme sagt: »He, Sie schickt der Himmel!« Mit diesen Worten tritt die Frau ihm und seinem Wallach in den Weg. Er hält an und greift an die Hutkrempe, spricht auf die dicke Frau nieder. »Ma’am, ich brauche nicht zu fragen, was ich für Sie tun kann.« »Nein, Mister, das brauchen Sie nicht, wenn Sie ein normales Hirn haben und nicht betrunken sind.« Er nickt und sieht sich um.
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Die beiden Toten im Staub sind offensichtlich der Fahrer und dessen Begleitmann. Sie wurden vom hohen Bock geschossen. Die Passagiere wirken verstört. Es ist noch eine weitere Frau dabei, eine junge und mehr als hübsche, der man ihr Gewerbe unschwer ansehen kann, denn sie ist etwas zu sehr geschminkt und zu bunt gekleidet. Die fünf männlichen Passagiere sehen aus wie Minenleute oder Handelsvertreter. Und sie alle wirken wie Menschen, die die größte Niederlage ihres Lebens erlitten haben. Die dicke Frau aber ist noch immer voller Energie. Denn sie sagt mit einer Stimme, die so klingt, als würde man eine rostige Tür öffnen: »He, junger Mann, diese Mistkerle haben unser Gespann fortgejagt. Sie könnten es auf Ihrem prächtigen Hoppehoppe-Tier leicht einfangen. Aber wir können Ihnen dafür kein Honorar zahlen, denn wir wurden ausgeraubt. Diese Drecksäcke gaben sich nicht mit dem Gold aus der Kiste zufrieden. Sogar diesem hübschen Ding hier nahmen sie alle Dollars ab, mit denen sie ein neues Leben beginnen wollte. Wollen Sie also, oder sind auch Sie ein Bandit?« Starretter wirft einen Blick auf die große Kiste. Der Deckel ist offen. Und gewiss war sie mit Goldbarren oder Beuteln mit Goldstaub gefüllt. 64
Er greift vor der Dicken abermals an die Hutkrempe und verbeugt sich leicht im Sattel. »Ma’am, ich werde versuchen, Ihre Wünsche zu erfüllen auf meinem Hoppehoppe-Tier. Ladys und Gentlemen, gedulden Sie sich ein wenig.« Er setzt sein Pferd wieder in Bewegung. Eine Weile sehen sie ihm schweigend nach. Dann sagt einer der Männer bitter: »Wer weiß – dieses verdammte Land ist voller Banditen. Warum hat mich meine Firma nur mit einer wertvollen Uhren-Kollektion in dieses Land geschickt? Es waren Uhren für mehr als zehntausend Dollar.« Sie geben dem jammernden Handelsvertreter keine Antwort. Jeder hat mit seinen eigenen Verlusten zu tun. Dann aber deutet einer der Männer – er ist gekleidet, wie sich die Minenbesitzer kleiden, nämlich mit einem Cordanzug, einer Melone auf dem Kopf und einer Krawatte zum weißen Hemd – auf das grell geschminkte Mädchen. »He, Nelly, du brauchst dir am wenigsten von uns allen Sorgen zu machen. Du kannst im nächsten Saloon wieder Dollars verdienen. Aber uns wird man in Hope keinen Kredit geben, weil wir keine Sicherheiten anbieten können. Du aber hast eine prächtige Sicherheit – oder nicht? Du hast etwas, was schon deine Urahne, die alte Eva, bei Adam einsetzte, weil 65
er verrückt danach war. Und so entstand die Menschheit, hahahaha!« Er lacht voller Bitterkeit. Jene Nelly aber verzieht ihr hübsches Gesicht und erwidert: »Sie sind ein ungebildeter Mensch, Herb Stone. Irgendein schlauer Mann hat mal gesagt, dass man dumm sein könne, wenn man nur genug Geld besäße. Aber Ihre Mine in Colorado nützt Ihnen jetzt nichts. Und deshalb sollten Sie jetzt nicht dumm sein.« Als sie verstummt, da grollt der Minenbesitzer Herb Stone und spricht verächtlich: »Nelly, damals in Denver warst du sehr dankbar, als ich dir fünf Dollar für eine halbe Stunde gab. Vielleicht…« »Schluss jetzt«, unterbricht ihn die Dicke grob. »Lassen Sie die Kleine zufrieden, Mister.« Sie bewegt sich schwerfällig und geht zu jener Nelly hin, setzt sich zu ihr auf den großen Stein. Die beiden so unterschiedlichen Frauen betrachten sich einige Atemzüge lang. Dann fragt die Dicke: »Wohin wolltest du mit der Ernte deines Schaffens?« »Nach Boston. Ich hatte genug gespart und wollte mir einen Bonbon- und Schokoladen-Laden kaufen.« Als sie verstummt, murmelt die Dicke: »Bonbonund Schokoladen-Laden. Schokoladen-Laden – wie sich doch manche Worte ähnlich sind! Laden-Laden. Kindchen, du wirst es wieder schaffen. Du bist noch 66
jung und hübsch. Sieh mich an. Ich habe meinen Saloon in Cripple Creek verkauft und hatte das ganze Geld bei mir. Ich kann nicht wie du neu anfangen, verdammt.« Sie schweigen nun alle. Erst nach mehr als einer halben Stunde sagt einer der Männer: »Wir sollten die Toten nicht länger so liegen lassen, sondern auf das Kutschdach legen. Und wenn dieser Reiter wirklich das Gespann zurückbringen kann, wer von uns könnte die Kutsche fahren? Ich kann es nicht. Denn ich bin nur ein Erzprüfer, der …« Er wird von einem anderen Mann unterbrochen, dessen Stimme sich vor Freude fast überschlägt, als er ruft: »Da kommt er ja mit dem Gespann! Er bringt die Pferde zurück! Und vielleicht …« Bis nach Hope sind es knapp fünf Meilen. Starretter wird sich beim Heranfahren darüber klar, in was für einer strategisch günstigen Lage die Stadt liegt. Zwei Wagenwege kreuzen sich in Hope. Einen Creek gibt es auch, und er nimmt gewiss alle Abfälle mit zum Canadian. Es ist eine noch junge Stadt. Er kann es an den Häusern, Hütten und all den Nebengebäuden erkennen. Als er in den Wagenhof der Post- und Frachtlinie fährt, kommen der Posthalter und dessen Gehilfe aus 67
dem Gebäude. Sie sehen die beiden Toten auf dem Wagendach und beginnen zu fluchen. Dann starren sie zu Starretter hoch, dessen Wallach hinter der Kutsche angebunden ist. Starretter klärt sie mit wenigen Worten auf. Als er dann vom Bock springt und nach hinten geht, um sein Pferd loszubinden, sind die Passagiere aus der Kutsche geklettert und beginnen zu schimpfen und zu fluchen über dieses Land, über die Mörder und Banditen. Und weil nun ein Mann mit einem Stern auf der Weste auftaucht, mit weiteren Neugierigen, da richtet sich der Zorn der Überfallenen und Ausgeraubten auf den Sternträger. Starretter kümmert sich nicht mehr um das Durcheinander, Geschimpfe und Gefluche. Er verlässt den Wagenhof der Postund Frachtgesellschaft. Sein Wallach folgt ihm wie ein Hund.
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Er wandert neugierig die Main Street hinunter, und immer noch folgt ihm der Wallach wie ein Hund. Die Schmiede befindet sich beim Mietstall am anderen Ende der Stadt. Es gibt viele Quergassen, und der Creek auf der Südseite befindet sich hinter den Häusern. Die Stadt wirkt freundlich, sauber. Er erreicht die Plaza. Hier ist die Bank, links von ihr auf der Südseite steht die Town Hall, dieser gegenüber auf der Nordseite gibt es den Saloon. Die Menschen da und dort betrachten ihn. Und jeder, der sich auskennt, dem wird klar, dass ein zweibeiniger Wolf nach Hope kam. Hope, was für ein vielversprechender Name. Sie alle hier, die diese Stadt an der Kreuzung zweier Wagenwege, die ja Lebensadern dieses Landes sind, mit Fleiß aufbauten, waren gewiss voller Hoffnung. Sie schufen sich diese Stadt. Er erreicht die Einfahrt zum Mietstall und zur Schmiede. Und auf einem Schild kann er sehen, dass es hier auch einen Pferdehandel gibt. Er geht hinein in den weiten Hof und sieht Pferde in den Corrals stehen. Und in einem Corral erkennt er die sechs Stuten. 69
Er lässt sich nichts anmerken, doch er fragt sich, ob hier ein ehrlicher Pferdehandel stattfindet oder nicht. Gewiss, die Brandzeichen wurden perfekt geändert. Aber … Nun, es gibt gewiss viele Aber. Der Stallmann kommt mit der Mistkarre aus dem Stall, hält inne, stellt die Karre ab und nähert sich ihm. Auch dieser Stallmann ist – wie fast alle – ein alter Cowboy, der nicht mehr reiten kann, weil sein Rücken das nicht mehr mitmacht. Er fragt: »Wollen Sie den Grauen einstellen? Soll ich ihn versorgen? Das kostet einen Dollar mit Futter, gutem Futter.« »Ich will«, erwidert Starretter und wirft dem Mann die Zügelenden zu. Dann deutet er zu den Corrals hinüber: »Sind die Pferde alle zu verkaufen? Ich sehe da ein paar trächtige Stuten.« »Das sind wertvolle Zuchtstuten.« Der Stallmann grinst stolz. »Und die sind schon verkauft für dreihundert Dollar das Stück. Aber jede Stute ist ja gewissermaßen doppelt zu rechnen mit dem Fohlen im Bauch, nicht wahr, hahaha?« Starretter nickt. »Und wer betreibt hier den Pferdehandel?« 70
»Mrs Reva Savage. Ihr gehört auch das Hotel. Wenn Sie dort ein Zimmer nehmen, dann bekommen Sie mit ihr zu tun. Und Sie werden sich an ihr erfreuen, denn sie ist der schönste Anblick auf tausend Meilen in der Runde. Und sie ist mein Boss. Ich hatte noch niemals solch einen Boss, hahahaha!« Er lacht wieder ziemlich albern. Starretter nickt nur, nimmt sein Gepäck vom Wallach, nachdem er diesem noch einmal dankbar gegen Hals und Brust klopfte. Und dann macht er sich auf den Weg. Er ist neugierig auf jene Frau, die hier in Hope einen Pferdehandel und ein Hotel betreibt und von der dieser Stallmann so begeistert ist. Er muss wieder zurück zur Plaza, denn dort hat er das Hope-Hotel gegenüber der Bank gesehen. Abermals spürt er die vielen Blicke der Leute. Aber er ist fremd hier und erregt Neugierde. Denn jeder, der ihn sieht, der spürt, dass er ein besonderer Mann ist. Und so fragt man sich gewiss, zu welcher Sorte er gehört, zur bösen oder guten – oder zu jener dritten Sorte, die sich ständig auf der Grenze bewegt, die es zwischen Gut und Böse gibt. Sie sehen, wie er den Revolver trägt, sich mit geschmeidiger Leichtigkeit bewegt, obwohl er an die achtzig Kilo wiegt. Und sie sehen auch die schwere Buffalo-Sharps in seiner Hand. Er hat die beiden Satteltaschen über der 71
Schulter hängen und die Sattelrolle unter den Arm geklemmt. So sehen sie ihn gehen. Vor der Sattlerei hockt der Sattler auf einem Schemel und arbeitet an einen wertvollen Sattel, verziert und veredelt ihn mit silbernen Conchos und Beschlägen. Puck hält inne und betrachtet den Sattel. »Gefällt er Ihnen?« Der Sattler fragt es stolz. »Das ist kein Arbeitssattel«, erwidert Starretter. »Für wen ist dieses prächtige Stück? Doch gewiss nicht für einen Rindermann.« »Überhaupt nicht für einen Mann«, grinst der Sattler. »Dieser Sattel ist für die schönste Frau auf tausend Meilen in der Runde. Und ihr ist solch ein Sattel angemessen, denn sie reitet besser als alle Männer.« »Und ihr Name ist Reva Savage«, spricht Starretter trocken. »Oho, ich kenne sie noch nicht, habe sie noch nicht gesehen, doch hörte ich Wunderdinge über ihre Schönheit und jetzt von Ihnen über ihre Reitkünste.« Er will weiter, doch der Sattler fragt: »Führten Geschäfte Sie zu uns nach Hope? Sie sind doch der Mann, der die überfallene Postkutsche in die Stadt zurückbrachte?« »Was blieb mir anderes übrig?« Starretter grinst und geht weiter. 72
Jetzt ist er noch neugieriger auf diese Reva Savage. Dabei fragt er sich, ob sie wohl weiß, dass sie Pferdehandel mit gestohlenen Pferden betreibt, oder ahnungslos ist. Aber eigentlich hat er die Sache mit den Pferden ja sozusagen abgehakt. Er wollte nur als Pferdedieb ins Land der Gesetzlosen – ins Panhandle von Texas – gelangen und nicht für einen Gesetzesmann gehalten werden, der seinen Stern oder die Marshal-Plakette in der Tasche trägt. Es geht jetzt um ganz andere Dinge, zum Beispiel darum, wer die Bande war, die die Postkutsche überfiel und den Fahrer und dessen Begleitmann vom hohen Bock schoss. Er ist ziemlich sicher, dass die Mordbanditen und Straßenräuber hier in der Stadt zu finden sind. Aber auch das ist vorerst nicht sein Ziel. Denn wenn Hope das Hauptquartier der vielen Banden ist, dann muss er ihren Boss ausfindig machen, auch herausfinden, welches Nachrichtensystem die Gesetzlosen haben. Erst dann kann zugeschlagen werden von einem Aufgebot, einer Vigilantentruppe oder Bürgermiliz. Er erreicht endlich das Hotel und tritt ein. Und da erblickt er sie und weiß, dass es wahrscheinlich wirklich keine schönere Frau auf tausend Meilen in der Runde gibt. Ja, sie bietet einen Anblick, den man bestaunen und in sich aufnehmen muss wie ein schönes Bild. 73
Und all jene, die sie ansehen, fragen sich gewiss, ob sie sich an diese Frau heranwagen dürfen, ihr angemessen wären, ihr Selbstvertrauen stark genug ist. Denn die meisten Männer bekommen gewiss in ihrer Nähe das jämmerliche Gefühl, so etwas wie unbedeutende Pinscher zu sein. Sie steht hinter dem Anmeldetisch und ist mit einer Eintragung ins Gästebuch beschäftigt. Bei seinem Eintreten hebt sie den Kopf. Einige Sekunden lang sehen sie sich an. Dann lächelt sie, zeigt ihm weiße Zahnreihen zwischen vollen und lebendigen Lippen. Ihre Ausstrahlung trifft ihn voll, und es ist vor allen Dingen diese Ausstrahlung, der sie ihren hinreißenden Anblick verdankt. Ihr Haar ist rabenschwarz, die Farbe ihrer Augen dunkelgrün. Es sind schräg gestellte Katzenaugen. Und überhaupt geht etwas Katzenhaftes von ihr aus. Noch bevor sie etwas sagt, weiß er genau, dass ihm ihre Stimme gefallen wird. Und so ist es auch. Sie fragt mit einer dunklen und melodisch klingenden Stimme: »Ein Zimmer?« »Gewiss«, erwidert er und lächelt zurück. »Und Sie vergeben mir, dass ich Sie wie ein Wunder ansehe. Denn Sie sind das gewiss gewöhnt.« Sie lacht leise und streicht eine Haarsträhne aus ihrer Stirn. Ihr schwarzes Haar hat sie hinter dem Nacken mit einem roten Band zusammengebunden. 74
Und sie trägt auch nur ein einfaches Kleid. Dennoch ist sie wunderschön. »Ja, das bin ich gewöhnt«, spricht sie ruhig. Er verharrt mit seinem Gepäck am Eingang gleich nach dem ersten Schritt. Sie deutet plötzlich mit dem Finger auf ihn und wirkt nun sehr burschikos, also ungezwungen. Aber er spürt, dass ihre Überraschung nur gespielt ist, als sie fragt: »Sind Sie nicht der Mann, der die Postkutsche zurück nach Hope brachte?« »Es ließ sich nicht vermeiden«, erwidert er und tritt näher, hält erst dicht vor dem Anmeldetisch an, bis nur noch ein Yard sie voneinander trennt. Sie sehen sich einige Atemzüge lang wortlos in die Augen. »Hope wird nun für die Ausgeraubten sorgen müssen«, spricht sie dann. »Aber die Stadt besteht ja aus lauter hilfsbereiten und mitleidigen Bürgern, aus Gutmenschen. Sie alle sind Ihnen gewiss dankbar für Ihre gute Tat, Mister.« »Starr, Jim Starr ist mein Name. »Und was führte Sie nach Hope?« »Aaah, ich bin ständig unterwegs«, antwortet er und grinst. »Ich finde nirgendwo Ruhe. Und selbst die schönsten Frauen konnten mich nirgendwo festhalten.« »Nirgendwo«, murmelt sie nachdenklich, indes sie ihm immer noch in die Augen blickt. 75
»Nirgendwo«, wiederholt sie. »Ich glaube, dieses Wort passt zu Ihnen. Nirgendwo, das sagt nichts. Was also führte Sie nach Hope?« Er grinst nun wieder und erwidert: »Vielleicht bin ich auf der Flucht oder auf einer Fährte. Vielleicht trage ich einen Stern in der Tasche oder bin Kopfgeldjäger mit einer Rolle Steckbriefen in der Satteltasche. Alles ist möglich, nicht wahr? Bekomme ich nun ein Zimmer?« Sie nickt, greift hinter sich ans Schlüsselbrett und nimmt dort einen Schlüssel vom Haken. »Es ist oben das dritte Zimmer rechts. Sie werden sich wohl fühlen.« »Das glaube ich, denn das ist schon jetzt so bei Ihrem Anblick, Lady. Aber es hätte keinen Sinn, Ihnen den Hof zu machen – oder?« »Warum nicht, Mister Starr?« »Weil Sie eine Frau sind, die selbst die Initiative ergreift.« Er nimmt den Schlüssel und geht hinauf. Ihre Blicke folgen ihm, bis er um die Biegung der Treppe verschwindet. Dann murmelt sie: »Ein zweibeiniger Wolf oder gar ein Tiger ist gekommen. Nun, wir werden sehen, Mister Jim Starr.« Starretter ist nicht lange allein in seinem Zimmer. Es ist ein schönes Zimmer, keine primitive Kammer. 76
Aber die ganze Stadt ist ja nicht primitiv. Hier wurde alles solide und für längere Zeit gebaut. Doch alles ist ziemlich neu. Es klopft, und als er die Zimmertür öffnet, steht er dem Marshal gegenüber, den er schon im Wagenhof sah, als die beiden Toten abgeladen wurden vom Dach der Kutsche. Er lässt den Mann wortlos ein. Sie verharren voreinander und sehen sich an. Der Town Marshal lässt an einen Toro denken, an einen schwarzen Kampfstier, der ständig gereizt wirkt und alles auf die Hörner zu nehmen droht. Er spricht langsam: »Der Stallmann sagte mir, dass Sie sich für Pferde interessieren. Kamen Sie deshalb zu uns nach Hope?« Starretter grinst einmal mehr. Es ist ein herausforderndes Grinsen, das die Augen des Marshals schmaler werden und seine Nasenflügel vibrieren lässt, so als wollte der Mann Witterung aufnehmen. Dann murmelt Starretter: »Ich sah sechs hübsche Stuten mit frischen Brandzeichen. Jede soll dreihundert Dollar gebracht haben. Aber ich kenne einen Mann, der sie für fünfzig Dollar an einen Fat Cat Finch verkauft hat. Da trugen sie noch einen anderen Brand. Und wenn man zufällig auf so etwas stößt, da wundert man sich – oder?« Der Town Marshal schüttelt den Kopf. 77
»Das geht mich nichts an«, knurrt er. »Ich bin kein Sheriff oder ein US Deputy Marshal. Ich bin nur ein Town Marshal, dessen Befugnisse nicht über die Stadtgrenzen hinausgehen. Nun gut, ich wollte Sie mir mal näher ansehen. Sie nennen sich Jim Starr. Vielleicht ist das Ihr richtiger Name, vielleicht auch nicht. Meiner ist richtig, nämlich Hackland, John Hackland. Und sollten Sie so eine Art Weidedetektiv sein, der hinter gestohlenen Pferden her ist, dann sind Sie dabei, mit einem Stock in einem Hornissennest herumzustochern. Erwarten Sie von mir keine Hilfe.« Nach diesen Worten wendet er sich ab und verschwindet, ohne die Tür hinter sich zu schließen. Das aber tut Starretter nun bedächtig, und dabei denkt er darüber nach, ob sein Vorgehen richtig ist. Eigentlich wollte er als Gesetzloser in dieses Land einreiten und so Verbindung zu einer der vielen Banden bekommen, sich solch einer Bande anschließen. Doch dann lernte er Julia Bellow kennen, nahm ein Bad und kleidete sich wieder in sauberes Zeug, wirkte nicht mehr wie ein abgerissener Satteltramp und Pferdedieb. Er fragt sich jetzt, wann die Gesetzlosen in diesem Land mit ihm Verbindung aufnehmen werden, um herauszufinden, wer er ist, zu welcher Sorte er gehört. 78
Nur eines weiß er schon ziemlich sicher: Marshal John Hackland ist wahrscheinlich ein redlicher Town Marshal. Und dass die Gesetzlosen das zulassen, gehört gewiss zu ihrer Tarnung in dieser Stadt. Er verbringt einige Stunden auf seinem Zimmer, wäscht und rasiert sich, legt sich auch für zwei Stunden aufs Bett und versucht sich zu entspannen. Es wird später Nachmittag, als er ans Fenster tritt und die Straße beobachtet. Eigentlich sind es ja zwei Straßen, die über die Plaza führen und sich auf ihr kreuzen. Er beginnt mit seinem Revolver das schnelle Ziehen zu üben, denn er weiß, dass dies wahrscheinlich sehr wichtig werden könnte, viel wichtiger als bisher auf seinen Wegen. Er hat kräftige, sehr geschmeidige Hände, die zupacken können. Und seine blitzschnell Handgelenke sind breit. Gewiss wäre er in früheren Zeiten auch ein guter Degenfechter gewesen. Doch die Zeit der degenfechtenden Kavaliere ist vorbei. Jetzt sind Revolver an die Stelle von Florett und Degen getreten. In der Stadt und auf der Plaza wird es lebendig. Reiter und Fahrzeuge jeder Sorte kommen herein. Manche halten auf der Plaza. Und als es Abend wird, kreuzt ein langer Frachtwagenzug – es sind mehr als fünfzig schwere Murphy-Frachtwagen mit 79
Anhängern – die Plaza. Jeder Wagen wird von einem Dutzend Maultieren gezogen. Man hört zwischen all den Geräuschen das Knallen der Maultierpeitschen wie Gewehrschüsse. Der Wagenzug wird gewiss auf der anderen Seite des Creeks sein großes Camp aufschlagen. Er muss ja einige Hundert Maultiere tränken. Von Norden her kommt die Postkutsche aus Kansas über die Plaza. Sie hatte offenbar eine gute Fahrt, wurde nicht überfallen. Puck geht endlich hinunter zum Abendessen. Und nun sieht er jene schöne Reva Savage zum zweiten Mal an diesem Tag. Er muss von der Treppe hinüber zum Speiseraum am Anmeldetisch vorbei. Und hier steht sie im Lampenschein und betrachtet ihn mit einem Ausdruck von Feindschaft in ihren grünen Augen. Er hält inne und lächelt sie an, fragt freundlich: »Was gibt es denn zum Abendessen, Ma’am?« Ihr Ausdruck wird nun richtig biestig. »Steaks mit Bohnen, Mister Starr. Stimmt es, dass Sie mit dem Marshal über die sechs Stuten sprachen und behaupteten, sie hätten vor kurzer Zeit ein anderes Brandzeichen gehabt?« »Das hatten sie wirklich«, erwidert er, und sein Lächeln wandelt sich zu einem Grinsen. »Ich muss es nämlich wissen«, spricht er weiter, »denn ich selbst habe die sechs Stuten dem Cattle-King Ernest 80
Skinner gestohlen und dann an einen gewissen Fat Cat Finch verkauft, notgedrungen sozusagen, weil ich Spielgeld brauchte nach einer Pechsträhne beim Poker. Es ärgert mich, dass die sechs Stuten hier den sechsfachen Preis erbrachten. Ja, das ärgert mich, Ma’am. Und was mich dabei wieder freut, ist die Tatsache, dass Sie und ich gewissermaßen Komplizen sind, ich als Pferdedieb und Sie als Hehlerin. Oder ist es nicht so?« Ihr Blick ist nun eiskalt, doch er wartet ihre Antwort nicht ab, sondern verschwindet im Speiseraum, hört sie jedoch böse sagen: »Oh, du verdammter Hurensohn …« Er weiß nun, dass sie keine richtige Lady ist, sondern nur wie eine solche aussieht.
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Es ist etwa zwei Stunden vor Mitternacht, als er im Saloon am Spieltisch sitzt und sich in einer Pokerrunde zu behaupten versucht. Einer der Mitspieler ist der Wagenboss des Frachtwagenzuges, die drei anderen Spieler sind offensichtlich Reiter, die auf Pferden in die Stadt geritten kamen. Denn sie riechen nach Pferdeschweiß und haben Staub auf ihrer Weidekleidung. Man könnte sie also für Rinderleute halten, aber wahrscheinlich sind sie Revolverschwinger, die mit ihren Colts schnelles Geld verdienen. Puck hält sich in der Pokerrunde recht gut, obwohl er sich mit wirklich hartgesottenen Spielern im Krieg befindet. Denn Poker ist nichts anderes als Krieg. Es ist dann zwischen Mitternacht und Morgen, als einer der Spieler – es ist der Wagenboss – genug hat und sich mit den Worten erhebt: »Mir langt es. Und in zwei Stunden muss ich meinen Wagenzug in Bewegung bringen.« Er geht davon. Aber für ihn nimmt nun ein anderer Mann den Platz ein, ein Mann, den die drei Revolverschwinger offenbar kennen, denn sie nicken 82
ihm zu und wirken sehr respektvoll, etwa so wie die Wölfe eines Rudels gegenüber dem Leitwolf. Puck Starretter spürt es deutlich mit seinem feinen Instinkt. Er blickt in die gelben Augen des Mannes und wird von diesem feinen Instinkt sofort gewarnt. Es ist plötzlich ein unangenehmes Gefühl in ihm. Und so wird er noch wachsamer als zuvor. Der Neue lässt ihn an einen hageren Wolf aus der Apachenwüste denken. Und diese Sorte von Wölfen muss sich manchmal auch von Klapperschlangen ernähren und deshalb blitzschnell zuschnappen können. Alles an diesem Mann wirkt irgendwie fahl, ausgebleicht, aschblond, aber nicht farblos. Und die tiefen Linien in seinem Gesicht verraten eine gnadenlose Härte – auch gegen sich selbst. Er nickt Starretter zu und spricht mit einer leisen, kalten und etwas klirrenden Stimme: »Sie sind neu hier in Hope, nicht wahr? Mein Name ist Finnegan, Al Finnegan. Und wer sind Sie?« »Jim Starr, aber was ist schon ein Name in diesem Land, nicht wahr?« Finnegan nickt. Er bekommt seine Karten zugeteilt, doch bevor er sie aufnimmt, sagt er mit trügerischer Freundlichkeit: »Ich nehme an, dass ich mit Gentlemen spiele und dies ein ehrliches Pokerspiel ist?« 83
Die drei Revolverschwinger nicken. Und Starretter grinst nur. Und dann beginnt das neue Spiel. Starretters Gedanken jagen sich nun, denn sein Instinkt warnt ihn immer intensiver. Er spürt den Anprall von Feindschaft und Gefahr, und dieser Strom geht von Finnegan aus. Und so beginnt er mehr und mehr zu ahnen, dass dieser Finnegan gekommen ist, um ihn zu töten, weil jemand ihm den Auftrag dazu gab. Ja, er hat mit einem Stock im Hornissennest gestochert, als er der schönen Reva Savage sagte, dass sie mit gestohlenen Pferden handelt und er sich ihr gegenüber als Pferdedieb ausgab. Er hat damit etwas in Gang gebracht. Wurde Finnegan von ihr geschickt? Über diese Frage denkt er nach und verliert für einige Runden die Konzentration beim Spiel, was ihn seine Einsätze kostet, ihn dreimal verlieren lässt. Doch dann konzentriert er sich wieder und wird sich darüber klar, wie geschickt dieser Finnegan beim Kartenmischen und Austeilen ist. Seine Hände sind die eines Zauberkünstlers, der Karten verschwinden lassen und wieder herbeizaubern kann, jemandem Dollarstücke aus der Nase fallen lässt und andere Kunststücke vollbringt. Er bekommt dann vier Könige und ein Ass zugeteilt und erkennt sofort die Gefahr. Zwar hat er 84
die Karten nicht ausgeteilt, aber wenn dieser Finnegan sich selbst einen fünften König zuteilte, wird er behaupten, dass Puck Starretter den fünften König in sein Blatt geschmuggelt hat, um selbst vier in der Hand zu haben. Und so grinst Starretter, wirft seine Karten hin und erhebt sich. »Ich passe«, sagt er. »Mein Blatt ist zu gut.« Er richtet seinen Blick auf Finnegan und spricht härter: »Versuchen Sie es doch ehrlich und offen – draußen auf der Plaza. Warum erst dieser dämliche Zirkus hier am Tisch? Ich wette, Sie haben den fünften König.« Er wendet sich ab, um zu gehen. Doch auch Finnegan erhebt sich nun. Seine Stimme klirrt: »Halt, Jim Starr, halt!« Und so hält Starretter wieder an und wendet sich ihm zu. »Wer hat Sie geschickt, Finnegan?« Er fragt es laut genug, sodass es überall gehört wird im Raum, der ja auch von anderen Geräuschen und Stimmengewirr erfüllt ist. Aber Finnegan gibt ihm keine Antwort, sondern schnappt nach seinem Revolver. Er ist unwahrscheinlich schnell. Eine Klapperschlange könnte nicht schneller zuschnappen als seine Hand nach dem Colt. 85
Doch als er den Lauf der Waffe hochschwingt, tritt Starretters Fuß gegen die Kante der Tischplatte, denn er reißt sein Bein noch etwas schneller hoch, als Finnegan die Waffe aus dem Holster zieht und den Lauf in die Schussrichtung schwingt. Und so schießt Finnegan in die dicke Tischplatte. Dann aber bekommt er Starretters Kugel und stirbt stehend. Im Raum ist es atemlos still. Nur der Pulverdampf breitet sich aus. Am Schanktisch aber flüstert eines der Animiermädchen fast tonlos, aber dennoch in der Stille hörbar: »O Vater im Himmel …« Starretter hält sich die Seite. Denn Finnegans Kugel durchschlug die Tischplatte, verlor so an Durchschlagskraft und prallte von einer Rippe ab. Unter seiner pressenden Hand spürt er den Schmerz und durch die Kleidung das warme Blut seines Körpers. Doch er hält den noch leicht rauchenden Revolver in der Faust und ist bereit für alles. Jene drei Revolverschwinger, die Finnegan so viel Respekt zeigten, wirken geschockt. Er nickt ihnen zu und spricht trocken: »Er wollte nicht, dass ich passe. Oder seht ihr das anders?« Sie schlucken mehr oder weniger mühsam und starren auf die Waffe in seiner Hand. Dann spricht einer: »Nein, er wollte es nicht.« 86
Er wendet sich ab und geht hinaus. Draußen lehnt er sich an die Wand und holt einige Male vorsichtig Luft. Denn bei jedem Atemzug schmerzt seine Rippe. Langsam setzt er sich in Bewegung, hält wieder an und flucht schmerzvoll. Auf der Plaza ist zu dieser Stunde kein Betrieb mehr. Auch sonst wurde es überall ruhig in der Stadt. Er verharrt einige Atemzüge lang und sieht sich um. Zum Hotel hinüber ist es nicht weit. Er muss nur die Plaza überqueren. Und so macht er sich abermals auf den Weg, hält sich etwas schief dabei, erreicht endlich das Hotel und tritt ein. Und hier erlebt er ein Überraschung. Denn hinter dem Anmeldetisch sitzt die Dicke aus der Postkutsche. Ja, es ist die dicke Frau. Als er vor dem Tisch verhält, öffnet sie die Augen und erkennt ihn sofort. »He, Mister, es geht Ihnen wohl nicht besonders gut«, sagt sie. »Was machen Sie denn hier?« Er fragt es staunend, trotz seiner eigenen Not. »Arbeiten«, spricht die Dicke. »Ich bin hier angestellt, weil ich sonst verhungern müsste. Ich bin ja aus dem Gewerbe und jeden Dollar wert. Was ist mit Ihnen?« »Ich wurde angeschossen, Ma’am.« 87
»Nennen Sie mich einfach Clara«, sagt die Dicke. »Mein Name ist Clara Bulldog. Kommen Sie ins Waschzimmer. Dort gibt es einen Verbandskasten. Das habe ich schon herausgefunden.« Er folgt ihr dankbar. Es ist schon später Vormittag, als er erwacht, die leichten Schmerzen spürt und sich die Erinnerung einstellt. Er hat einen gefährlichen Revolvermann getötet, den jemand auf ihn ansetzte. Und dann hat die dicke Clara Bulldog ihn wie eine erfahrene Krankenschwester verarztet. Wenn die Kugel noch eine stärkere Durchschlagskraft gehabt hätte, wäre sie nicht nur an seiner Rippe abgeglitten. Sie hätte die Rippe gebrochen und wäre in seinen Körper eingedrungen. Doch die dicke Tischplatte nahm ihr die Durchschlagskraft. Er hatte Glück. Weil dieser Al Finnegan ohne Vorwarnung zog, hatte er auch jenen wichtigen Sekundenbruchteil Vorsprung. Aber er schoss in die hoch gekippte Tischplatte. Puck verspürt ein Gefühl von Dankbarkeit gegenüber der dicken Frau. Sie hat seine Wunde wirklich gut versorgt und mit einem breiten Pflaster zusammengezogen, sodass ein Nähen nicht notwendig war. 88
Er wird nun eine Narbe mehr an seinem Körper haben. Und da seine Wunde zuvor heftig blutete, wird es wohl keine böse Entzündung geben. Er erhebt sich vorsichtig und stellt fest, dass sich die Wunde spannt, sodass er sich etwas krumm halten muss. Langsam tritt er ans Fenster und blickt auf die Plaza hinunter. Dort herrscht jetzt am späten Vormittag einiges Leben und Treiben. Vor der City Hall, der Bank und dem Saloon sind Pferde angebunden, auf denen Reiter in die Stadt kamen. Auch leichte Einspänner, so genannte Buggys, sind abgestellt. Inmitten der Plaza sind einige Verkaufsstände. Es ist offenbar Markttag. Er erkennt Reva Savage an den Ständen. Sie kauft Gemüse und andere Dinge ein. Denn dort werden Eier, Obst und auch schon gerupfte Hühner angeboten. Reva Savage wird von einem Mexikanerjungen begleitet, der zwei Körbe trägt, in denen die Einkäufe untergebracht werden. Das alles dort auf der Plaza ist ein friedliches Bild. Er sieht auch Marshal John Hackland über die Plaza gehen. Der greift vor Reva Savage höflich an den Hut. Das tun auch alle anderen Männer, die ihr 89
begegnen. Aber sie bietet ja auch einen wunderschönen Anblick. Starretter spürt hier oben am Fenster die allgemeine Verehrung, die man dieser wunderbaren Frau entgegenbringt. Sie kommt nun zum Hotel zurück, gefolgt von dem Jungen, der schwer an den Körben zu schleppen hat. Bevor sie das Hotel erreicht, hebt sie den Blick und entdeckt Puck Starretter am Fenster. Der wird sich bewusst, dass er nur seine Unterhose trägt, sonst am Oberkörper bis auf das breite Pflaster nackt ist. Denn seine ganze Oberkleidung war von seinem Blut getränkt und besudelt worden. Doch er zieht sich nicht zurück, sondern beugt sich noch etwas vor, spricht auf Reva Savage nieder: »Bitte, schicken Sie den Jungen zum Store. Ich brauche neue Hemden.« Sie nickt nur und verschwindet im Hotel. Aber wenig später kommt der Junge wieder heraus und läuft über den Platz. Puck tritt in seinem Zimmer vor den Spiegel und betrachtet sich forschend. Er verspürt Hunger. Auch die Wunde unter dem Pflaster spannt nicht mehr so. Er kann sich wieder einigermaßen aufrecht halten, indes er sich im Zimmer umherbewegt, seinen Revolver wieder in die Hand nimmt und damit zu üben beginnt. Er darf das Gefühl für seine Waffe 90
nicht verlieren. Das schnelle Ziehen ist nicht alles. Der Lauf muss sein verlängerter Zeigefinger sein, mit dem er auf das Ziel deutet. Nur dann kann er aus der Hüfte schießend sicher treffen. Es dauert nicht lange, dann klopft es an der Tür. »Es ist offen, nur herein!«, ruft er halblaut. Dann aber staunt er über den Besuch, denn es ist die schöne Reva selbst, die ihm die Auswahl aus dem Store bringt. Sie lässt die Tür hinter sich offen und betrachtet den halb nackten Mann prüfend, spricht dann: »Sie haben mächtig Glück gehabt, Mister Starr. Denn Al Finnegan war ein gefürchteter Revolvermann und galt als unbesiegbar. Und er zog zuerst, wie man mir sagte, war also im Vorteil. Eigentlich müssten auch Sie einen Ruf als Revolvermann haben. Doch niemand hat von einem Jim Starr gehört. Dabei sind Sie Texaner. Wer also sind Sie?« Indes sie diese Worte spricht, wendet sie sich zur Seite und wirft das Bündel von Hemden, Hosen und Westen aufs Bett. Dann wendet sie sich ihm wieder zu und blickt ihn fest an. »Was Sie nicht nehmen, bringt der Junge wieder zum Store«, spricht sie und wiederholt ihre Worte: »Wer also sind Sie? Doch gewiss kein Pferdedieb, oder?« 91
Er grinst und erwidert: »In der Not frisst der Teufel Fliegen. Und ich brauchte Spielgeld, weil ich eine Pechsträhne hatte. So etwas erlebt jeder Spieler einmal.« Er tritt bei diesen Worten näher zu ihr und kann ihr deshalb von oben in den Ausschnitt ihres Kleides sehen. Es ist kein frivol wirkender Ausschnitt, sondern ein ganz normaler, kein herausfordernder also. Deshalb kann er erst jetzt den Anhänger der Halskette sehen. Es ist eine schöne Halskette, doch von dieser Sorte gibt es viele, die sich alle ähnlich sehen. Doch der Anhänger … Es durchzuckt ihn wie der Schmerz eines Nadelstiches. Und dann spürt er etwas wie ein Tritt in den Magen. »He, Mister Pferdedieb, was ist mit Ihnen? Schmerzt die Wunde plötzlich so böse? Sie wird sich doch wohl nicht entzünden?« Reva Savages Stimme klingt ein wenig spöttisch. Dann wendet sie sich ab und geht hinaus, zieht die Tür sachte hinter sich zu. Er aber geht zu einem der beiden Armstühlen und setzt sich. Dann hebt er die Rechte und wischt sich übers Gesicht. Denn der Anhänger, den er tief im Kleidausschnitt an der Kette hängen sah, ist ein goldenes, mit 92
dunkelroten Rubinen besetztes Kreuz. Ja, Rubine sind rot, aber diese sind besonders kräftig in der Farbe, sozusagen roter noch als rot. Und er glaubt nicht, dass es noch ein zweites Kreuz wie dieses auf dieser Erde gibt. Dieses Kreuz gehörte zum Familienschmuck der Vorfahren seiner Frau. Und die waren einst schottische Seefahrer, vielleicht gar Piraten und kamen manchmal mit Schätzen heim, die sie da und dort erbeuteten. In Puck Starretter ist plötzlich das grimmige Gefühl eines Triumphes.
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Einige Tage und Nächte vergehen. Puck Starretter gilt nun in Hope als der Revolvermann und Spieler, dem der legendäre Al Finnegan nicht gewachsen war. Er macht den Eindruck, als fühlte er sich in Hope wohl. Und jede Nacht sitzt er am Spieltisch inmitten einer Runde von hartgesottenen Spielern. Doch er gilt als ehrlicher Spieler, bei dem sich Gewinn und Verlust die Waage halten. Man begegnet ihm mit Respekt, zumal er sich nicht wie ein eitler Revolverheld verhält – arrogant und herausfordernd. Indes die Tage und Nächte vergehen, kommen immer wieder üble Nachrichten nach Hope, als wäre die kleine Stadt eine friedliche Insel in einer von Piraten und Haifischen verseuchten See. Es gibt im Umkreis von mehr als hundert Meilen überall Überfälle. Gold- und Silbertransporte aus Colorado nach Kansas City und Geldtransporte von Kansas City nach den Fundgebieten in Colorado werden immer wieder überfallen. Wagenzüge müssen an Banditenbanden Zoll bezahlen. Das gilt auch für die großen Treibherden, die über den Red River wollen. Und wenn die Trailbosse den 94
Zoll nicht zahlen, dann müssen sie das nach dem Verkauf der Herde in Dodge City, Abilene oder Wichita tun. Ranches wie jene von Ernest Skinner, McLowry und anderen verlieren immer wieder Pferde. Es ist ein gesetzloses Land. Und Puck Starretter kann nichts anderes tun, als abwarten, so sehr seine Ungeduld auch wächst. Er kann nichts anderes tun als warten. Am Spieltisch lernt er fast jede Nacht die verschiedensten Typen von Männern kennen und wundert sich schon längst nicht mehr darüber, dass sie alle über reichlich Geld verfügen. Immer wieder tauchen Gruppen in Hope auf, die sich hier amüsieren wollen. Zuerst nehmen sie Drinks im Saloon, dann verschwinden sie im Bordell – und zuletzt – sozusagen zum Abschied – tauchen sie wieder im Saloon auf, versuchen ihr Glück an den Spieltischen. Denn außer Poker wird hier auch Black-Jack, Faro und Roulette gespielt, an der Bar mit den ledernen Würfelbechern geschüttelt. Als Puck vor der vierten Nacht seine Warterei schon aufgeben will und fast entschlossen ist, seine Taktik zu ändern, da taucht plötzlich Fat Cat John Finch auf. Es passiert am späten Abend im Speiseraum des Hotels. 95
Puck sitzt in der Decke am für ihn stets reservierten Tisch und beendet soeben sein Abendessen, als Finch zu ihm tritt und an seinem Tisch Platz nimmt. Und abermals grinst Finch wie eine fette Katze. Dann spricht er: »Mann, Sie haben eine Menge Wirbel gemacht in der Organisation. Und so hat man mich kommen lassen, damit ich bestätigen kann, dass Sie wahrhaftig mal der Pferdedieb waren, dem ich die sechs Stuten abkaufte. Und Sie haben Al Finnegan umgelegt, für den man Ersatz braucht. Wollen Sie an Finnegans Stelle treten?« Puck Starretter grinst und fragt dann: »Warum sollte ich?« »Weil es mehr einbringt, als um ein paar Dollars zu spielen. Finnegan hat hier in Hope den Town Marshal unter Kontrolle gehalten, und so blieb Hope unsere Stadt, strahlte aber gleichzeitig Rechtschaffenheit und Frieden aus. Hierher konnten sich alle Banden immer wieder zurückziehen zu Ruhepausen. Hier konnten die Männer Spaß haben, alle Sünden begehen und sich sicher fühlen. Aber unter den Bürgern von Hope gärt es immer mehr. Auch sie zahlen Schutzgelder. Und der Marshal könnte eines Tages eine Bürgerwehr anführen. Sie haben dem Marshal einen guten Dienst erwiesen, als Sie Finnegan umlegten. Doch jetzt müssen Sie an Finnegans Stelle treten.« 96
»Muss ich?« Bei der Frage klingt in Starretters Stimme Ironie, ja fast Hohn. Abermals zeigt Finch sein Katzengrinsen mit schmalen Lippen und kleinen, spitzen Zähnen im runden Gesicht. »Ja, Sie müssen. Denn Sie haben der Organisation Schaden zugefügt. Und es ist doch für Sie eine Hühnerfutter-Ernte, wenn Sie unseren Männern beim Poker ihre Prämien wieder abzunehmen versuchen. Wenn Sie sich weigern, dann …« »Halt! Keine Drohungen, Finch, nur keine Drohungen. Aber ich will Ihnen einen Vorschlag machen. Ich steige nicht blind in eine Organisation ein und führe deren Befehle aus. Ich will mit dem Boss reden. Und wenn er mir gefällt, dann mache ich vielleicht mit. Ich bin doch kein blindes Huhn, Finch. Und eine Frage müssen Sie mir jetzt sofort beantworten: Was für eine Rolle spielt Reva Savage? Sie führt hier das große Hotel und verkauft gestohlene Pferde. Was macht sie sonst noch?« Finch zuckt fast unmerklich zusammen, aber es ist dennoch zu erkennen. Dann sieht er sich vorsichtig um. Als er dann spricht, flüstert seine Stimme fast tonlos. »Die schöne Reva …«, beginnt er, zögert einige Atemzüge lang und spricht endlich weiter, »… gehört dem Boss. Und vielleicht beherrscht sie ihn mit ihrer Schönheit ganz und gar, sodass eigentlich 97
sie der Boss ist. Machen Sie nur keinen Fehler mit dieser Katze. Ich will Ihnen ganz offen sagen, dass man mich für Sie verantwortlich macht, weil ich Ihnen gestohlene Pferde abkaufte, obwohl Sie nicht zur Organisation gehörten und es sein könnte, dass Sie sich einschleichen wollten. Sie werden eine Probe bestehen müssen. Oder man wird Sie abschießen wie einen dummen Hund, der ein Wolf sein wollte. Also, wie ist es nun? Was kann ich berichten?« »Das habe ich vorhin schon gesagt, Finch. Wenn der Boss mir gefällt, dann mache ich mit.« Finch starrt ihn eine Weile an. Dann murmelt er: »Sie sind ein stolzer Bursche. Nun, ich werde Bericht erstatten.« Er erhebt sich nach diesen Worten und geht hinaus. Puck beendet das Abendessen mit einer Tasse Kaffee. Als er sich erheben will, um zu seinem Spieltisch im Saloon auf der rechten Seite der Plaza zu gehen, da kommt Reva Savage herein. Der Speiseraum ist leer. Die letzten Gäste sind gegangen, um sich irgendwo zu amüsieren. Reva Savage setzt sich mit einer leichten Bewegung zu ihm an den Tisch. Ihre dunkelgrünen Augen sind fest auf ihn gerichtet. »Finch hat mein letztes Misstrauen beseitigt«, lächelt sie. »Vielleicht sind wir nun nicht mehr so wie 98
Katze und Hund. Wir werden sehen. Hat es Ihnen geschmeckt, Jim Starr?« »Ja, Ihre Köchin ist gut.« Er grinst. »Aber ich frage mich, wie gut Sie mit mir im Bett sein würden. Denn ich habe schon schöne Frauen gehabt, die mich sehr enttäuschten. Sind vielleicht auch Sie solch eine Niete, und nicht der erwartete Hauptgewinn, den man bei einer Tombola aus dem Topf ziehen kann?« Sie erhebt sich und lächelt dabei verächtlich. »Oh, Sie Narr«, spricht sie auf ihn nieder. »Ihr schneller Colt verschafft Ihnen noch längst keine Narrenfreiheit.« Es ist am nächsten grauen Morgen, als er aus dem Saloon kommt und sein Zimmer betritt. Er hat in dieser Nacht siebenundfünfzig Dollar gewonnen. Doch für einen Berufsspieler – und als solcher tritt er hier auf – ist das kaum mehr als Hühnerfutter, wie man kleine Gewinne verächtlich bezeichnet, für die man eine lange Nacht spielte. Doch als er in sein Zimmer tritt, da ist er gewarnt und auf alles vorbereitet. Denn in der Empfangsdiele saß wieder die dicke Clara Bulldog als Nachtportier hinter dem Anmeldetisch. Sie empfing ihn mit den Worten: »Glück gehabt, Spieler?« 99
Er grinst und legt ihr fünf Dollar hin, sagt dabei: »Das sind fast zehn Prozent, Clara. Und ich bin immer noch in Ihrer Schuld. Vielleicht gewinne ich mal tausend Dollar. Dann bekommen Sie hundert.« Er wollte nach diesen Worten nach oben. Doch sie sagte schnell: »Jemand ist in Ihrem Zimmer. Mir entgeht nichts in diesem Haus. Meine Ohren sind gut. Jemand ist in Ihrem Zimmer. Passen Sie auf, Jim.« Er ist also jetzt, da er ins Zimmer tritt, gewarnt und hat die Hand am Revolver. Das Zimmer ist nicht völlig dunkel. Durchs Fenster fällt schon das erste Grau des Morgens herein. Und so kann er die Gestalt auf seinem Bett erkennen. Bevor er etwas sagen oder fragen kann, hört er Reva Savages Stimme flüstern: »Ich bin es, Jim. Komm her!« Er will es nicht glauben, und ihn durchfährt ein Gefühl des Zorns und Bitterkeit. Doch er beherrscht sich, tritt ein und schließt die Tür hinter sich. Dann spricht er, indes er am Bett verhält, auf die schöne Reva nieder: »Du willst mir also beweisen, dass du keine Niete im Bett bist. Ich habe dich also herausgefordert.« Sie lacht verhalten und flüstert dann mit leiser und betörend klingender Stimme: »Oh, du verdammter Pferdedieb, du hast mir von Anfang an 100
gefallen. Doch ich wusste nicht, zu welcher Sorte du gehörst und ob ich dir trauen könnte. Das weiß ich erst jetzt. Und nun komm endlich zu mir. Ich habe lange genug gewartet.« Er bewegt sich immer noch nicht. Seine Gedanken und Gefühle jagen sich, eilen tausend Meilen in der Sekunde. Und ständig ist die Frage in ihm: Was für ein Spiel spielt sie? Er hat Al Finnegan, den gefürchteten Revolvermann, getötet, den jemand auf ihn ansetzte, der ihm misstraute. Doch dann kam Fat Cat Finch in die Stadt und veränderte die ganze Situation. Und an der Halskette von Reva Savage sah er das mit Rubinen besetzte goldene Kreuz, das zum alten Familienschmuck seiner Frau gehörte. Ihm fällt Julia Bellow in Santa Maria wieder ein. Die ließ sich ebenfalls sehr schnell mit ihm ein und nannte ihn Pferdedieb. Jetzt wurde er wieder so genannt, diesmal von einer anderen Schönen. Aber die liegt aus anderen Gründen in seinem Bett. Und das könnte gefährlich werden. Sein Instinkt warnt ihn. Doch er wird dieses Spiel mitspielen. Er wird ihr Angebot annehmen und sich mit ihr in ein Abenteuer stürzen. Immerhin ist sie eine schöne Frau mit einem Körper wie jene Venus, die den Schönheitswettstreit 101
der Göttinnen gewann, von Paris zur Schönsten gewählt wurde. Sie verlässt ihn am späten Vormittag. Und er bleibt noch liegen mit dem Revolver unter dem Kopfkissen. Es gibt eine Menge nachzudenken für ihn. O ja, sie war keine Niete im Bett. Sie beschenkte ihn, als wäre sie die Göttin der Liebe selbst, herabgestiegen aus dem Olymp. Und er gab ihr voll zurück, was sie ihm schenkte. Und so waren sie eigentlich ein vollendet auf einander abgestimmtes Liebespaar, das das Schicksal zusammengeführt harte. Sie sprachen nur wenige Worte. Und wortlos verließ sie ihn auch. Nein, sie verlangte von ihm nichts, gar nichts. Und dennoch wusste er, dass sie Macht über ihn gewinnen wollte. Ja, sie will ihn abhängig machen, zu einem Sklaven ihres Körpers, der so wunderbar und voller Feuer ist. Und so fragt er sich in seinen Gedanken an diesem Vormittag nach den Stunden der Liebe und Zärtlichkeit, warum sie ihn hörig machen und so Macht über ihn gewinnen will. Denn er wäre nicht der erste Mann in der Weltgeschichte, der einer Frau ganz und gar verfällt, von ihr beherrscht und ihr willenloses Werkzeug wird. 102
Irgendwann wird sie ihm ihre Forderungen stellen. Und wenn er sie nicht erfüllen kann oder will, dann wird ihm ihr Körper und ihr ganzes Feuer der Lust nicht mehr gehören. O verdammt, denkt er, was für eine Frau, was für eine Hexe! Vielleicht war Al Finnegan ihr Liebhaber und kaufte sie so seinen schnellen Revolver. Doch dann wurde er von mir besiegt. Was für eine böse, berechnende Hexe, die ihre Schönheit einsetzt. Das wird ein übles und gefährliches Spiel. Er erhebt sich endlich, und als er sich wäscht und rasiert, da betrachtet er sich sehr kritisch im Spiegel und gesteht sich ein, dass er die Nacht mit dieser schönen Frau voller Lust genossen hat, so wie die Nacht in einem noblen Bordell mit einer Edelhure. Und warum soll er es nicht wieder genießen, bis er herausfindet, was sie von ihm für sich verlangt? Überdies ist da noch etwas, nämlich das goldene Rubinkreuz. Von wem bekam sie es? Besitzt sie auch den anderen Schmuck seiner Frau, nämlich die beiden Ringe, den Armreif und die Ohrgehänge? Ja, er wird sich auf ihr Spiel einlassen. Als er hinuntergeht, ist es Mittagszeit. Der Speiseraum ist gefüllt mit hungrigen Gästen, zumeist sind es Reiter, deren Pferde draußen am Haltebalken stehen. Aber auch zwei Handelsvertreter sind 103
unschwer zu erkennen, ebenso zwei Rancher und ein Mann, der wie ein Prediger wirkt. Dann kommt Fat Cat Finch herein, wie eine fette Katze gleitend, sich trotz seines Gewichtes leicht bewegend. Puck Starretter glaubt, dass sich unter dem Fett von Finchs Körper kräftige und stählerne Muskeln verbergen. Finch grinst ihn an. Aber erst als auch er sein Essen bekommt, murmelt er: »Der Boss ist hier. Nehmen Sie nach dem Essen Ihr Pferd und reiten Sie den Creek aufwärts. Er wird Sie bei den roten Felsen erwarten …« Er macht eine Pause und isst erst einige Bissen. Dann richtet er den Blick hart auf Starretter. »Enttäuschen Sie mich nur nicht. Übrigens, die sechs Stuten sind nun unterwegs nach Kansas. Dafür sind Sie hier, und es besteht immer noch der Verdacht, dass Sie sich mit meiner Hilfe hier in dieses Gebiet eingeschlichen haben. Man wird von Ihnen ein Probestück verlangen, sozusagen ein Beweis dafür, dass Sie kein Gesetzesmann sind.« Starretter nickt nur wortlos. Aber seine Gedanken jagen sich abermals. Was wird er tun müssen, um einen Platz in diesem System zu bekommen? Er wird den Boss treffen. 104
Aber was für ein Boss ist es – nur der einer im ganzen Land operierenden Banden oder der Chef des Hauptquartiers, dem sie alle unterstehen?
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Es ist Nachmittag, als er auf seinem Wallach aus Hope reitet und den Weg creekaufwärts nimmt. Denn oberhalb von Hope ist der Creek noch sauber und rein. Unterhalb der Stadt ist er ein Abwasser und kann sich bis zum Red River nicht mehr völlig von all dem Dreck und Abfall der Menschen reinigen. Starretter muss etwa eine Meile reiten, dann erreicht er die roten Felsen, zwischen denen sich der Creek hindurchschlängelt. Den Mann, der hier auf einem Rotfuchs sitzend herausgeritten kommt, erkennt er wieder. Er sah ihn im Speiseraum sitzen und würdig – auch seiner Kleidung nach – wie ein Prediger wirkend. Der Mann hat harte, kalte Augen und ist hager wie ein Wüstenwolf. Dennoch strömt er eine asketische Kraft aus, etwa so wie einer jener Eiferer, die aus einer schlechten Welt eine gute zu machen versuchen und immerzu Gott anrufen und Bibelzitate im Mund führen. Der Mann verzieht die harten Lippen und spricht fast salbungsvoll: »Du hast mir Schaden zugefügt, Jim Starr, und ich frage mich, ob du ein verdammter Hurensohn bist, den ich vernichten sollte.« 106
»Dann versuch es mal«, erwidert Starretter und grinst. »Oder hast du einen Gewehrschützen auf einem Felsen, der mich jetzt schon im Visier hat?« Aber der Mann auf dem Rotfuchs grinst nur hart, schweigt und betrachtet Starretter hart. Dieser spürt den an ihm tastenden Instinkt des Mannes fast wie eine körperliche Berührung und hat deutlich das Gefühl, als wollte etwas in ihn eindringen. Aber er hält dem Blick stand. »Mein Name ist Hiob McClusky, und ich mache dir jetzt noch einmal klar, dass du mir etwas schuldig bist, nämlich Al Finnegan. Und so wirst du Finnegans Job übernehmen.« »Und der wäre, McClusky, der wäre?« »Das Eintreiben der Schutzgelder von jedem Bürger der Stadt Hope. Hier ist Finnegans Buch. In ihm stehen alle Namen und auch die Höhe der Beträge, die zu kassieren sind. Und deine zweite Aufgabe ist, Marshal Hackland unter Kontrolle zu halten. Denn der versucht vielleicht noch mal, eine Bürgerwehr zu gründen. Wir haben ihn gewarnt. Finnegan hatte den Auftrag, ihn endlich abzuschießen, wenn er noch einmal einen Widerstand zu organisieren versuchte. Hast du alles verstanden?« »Genau.« Starretter grinst. »Und was ist, wenn ich nicht will, sondern für mich allein …« 107
»Dann lebst du nicht mehr lange. Dann wirst du abgeschossen wie ein dummer Hund.« Mit diesen Worten unterbricht ihn McClusky. Dann wirft er ihm das kleine Notizbuch zu, das Starretter mit der Linken fängt. Es gibt nichts mehr zu sagen. McClusky zieht seinen Rotfuchs herum und verschwindet zwischen den Felsen. Starretter aber blättert in dem kleinen Buch, das Finnegans Hauptbuch für seine »Geschäftstätigkeit« war. In zwei Wochen sind die nächsten Schutzgelder fällig. Dann muss er an Finnegans Stelle tätig werden. Es ist schon fast Abend, als Starretter wieder nach Hope kommt und seinen Wallach im Mietstall abgibt. Er wechselt mit dem Stallmann einige Worte und macht sich auf den Weg zum Hotel. Dabei denkt er über die Auskunft nach, die ihm der Stallmann gab, als er ihn nach Hiob McClusky fragte, der sich wie ein Prediger kleidet und auch so auftritt. Der kleine Excowboy grinste seltsam, dachte nach und überlegte sich ganz offensichtlich jedes Wort seiner Antwort. Dann aber sprach er vorsichtig: »Über den sollte ich besser nichts sagen. Der kommt und geht. Noch niemals hat er hier eine Predigt 108
gehalten und die Sünder auf den rechten Weg zu bringen versucht. Der kommt von irgendwoher. Und sein Pferd ist dann mit rotgelbem Staub bedeckt.« Puck denkt immer noch über die vorsichtigen Worte des Stallmannes nach, als er die Town Hall erreicht, in der sich auch das Marshal’s Office und die drei Gitterzellen des Stadtgefängnisses befinden. Im Office wird die Lampe angezündet, aber das herausfallende Licht wirft noch keine Lichtbahn über die Plaza, denn es ist noch nicht dunkel genug. Die Nacht wird erst in einer halben Stunde ihren Mantel über Hope werfen. Und dann werden alle Lichter dieser Stadt richtig leuchten und den Menschen eine heile Welt vorgaukeln. Denn diese Stadt ist nichts anderes als ein Alibi. Sie täuscht inmitten des Bösen eine heile Welt vor und ist voller Furcht im Schatten dieses Bösen. Puck Starretter entschließt sich und tritt ein. Marshal John Hackland sitzt hinter seinem narbigen Schreibtisch und reinigt den Revolver. Und weil das so ist, hat er seine Füße mit den Sporen nicht auf der zerkratzten und zernarbten Schreibtischplatte liegen. Unter den buschigen Augenbrauen hinweg starrt er zu Starretter empor und fragt mürrisch: »Was wollen Sie, Spieler?« »Mit Ihnen reden, Hackland – nur reden.« 109
»Dann reden Sie. Setzen Sie sich und reden Sie. Vielleicht werde ich dann etwas schlauer werden über Sie.« Starretter setzt sich. Und dann betrachten sie sich eine Weile wortlos, versuchen gegenseitig etwas zu spüren. Endlich spricht Starretter ruhig: »Ich soll an Al Finnegans Stelle treten.« Hackland nickt langsam. »Ich habe mich schon gefragt, wem sie diesen Auftrag erteilen würden. Also sollen Sie der Stadthalter hier in Hope sein für die Organisation. Sie sollen mich unter Kontrolle halten und gewiss auch die Schutzgelder eintreiben wie ein Steuereintreiber. Und Sie wollen es tun?« »Warum nicht?« Wieder blicken sie sich wortlos an. Dann nickt Hackland. »Ja, das ist logisch. Sie haben Finnegan getötet, den sie alle fürchteten. Nun übernehmen Sie seinen Job. Und alle werden sich vor Ihnen fürchten.« Als Hackland verstummt, ist er mit der Säuberung seiner Waffe fertig und beginnt sie zu laden. Und als er sie geladen hat, knurrt er: »Ich könnte Sie jetzt erschießen, aber was brächte mir das ein?« Er macht eine Pause und legt den geladenen Colt griffbereit auf die Tischplatte. Dann starrt er Starretter hart an. »Glauben Sie nur nicht, dass ich ein feiger Hund bin. Ich bin nur allein 110
in dieser Stadt, die sich Hope nennt. Hoffnung, oho! Auf was hoffen die hier? Dieses Land im Umkreis von mehr als hundert Meilen könnte richtig aufblühen. Jetzt stagniert es. Nur die wichtigen Wagenwege, die hier durchführen und Lebensadern sein könnten, erhalten Hope noch wie einen Kranken. Und so wird der Anschein erweckt, in diesem Land würde es früher oder später aufwärts gehen. Verdammt, wenn ich nicht so allein wäre …« Er bricht ab und macht eine resignierende Handbewegung. Abermals schweigen sie eine Weile. Dann spricht Starretter langsam Wort für Wort: »Ich bekam meine Befehle von einem gewissen Hiob McClusky. Ist er der Boss jener Organisation, die Sie vorhin erwähnten?« Der Marshal grinst schief, verzerrt grimmig das Gesicht. »Die Organisation ist wie ein Untier mit vielen Köpfen. Finden Sie das doch selbst heraus. Sie gehören ja jetzt mit dazu. Und Sie wohnen überdies bei der schönen Reva Savage. Ich hörte, Sie waren auch mal Pferdedieb, stahlen weiter im Süden jenem mächtigen Cattle-King Ernest Skinner sechs wertvolle, trächtige Zuchtstuten, die dann hier von der schönen Reva übernommen wurden. Mann, Sie sitzen doch an der Quelle, wenn Sie die Organisation näher kennen lernen wollen. Aber sehen Sie sich vor. 111
Denn das Nachrichtensystem dieser Organisation ist bestens. Sie verständigen sich mit Hilfe von Signalspiegeln, die sie von der Armee übernommen haben, als diese nach dem Krieg ausgemustert wurden. Und es fliegen auch Brieftauben. Sie haben alles auf mehr als hundert Meilen unter Kontrolle. Und ich wäre ein Narr, würde ich allein dagegen anzustinken versuchen.« Er verstummt grimmig und voller Bitterkeit. Puck Starretter sagt nichts mehr. Er erhebt sich und geht hinaus und schräg über die Plaza zum Hotel hinüber. Er hat eine Menge nachzudenken. Längst hätte er an seinen Auftraggeber Ernest Skinner einen Bericht schreiben müssen und Skinner auf irgendeine Weise zukommen lassen sollen. Doch was hätten Skinner und dessen Vereinigung dann unternehmen können? Nichts, gar nichts. Puck Starretter begreift mehr und mehr, dass er vollkommen allein auf sich gestellt ist. Und er weiß noch zu wenig, hat noch keinen Durchblick. Bisher kennt er nur diesen Hiob McClusky. Und was ist mit der schönen Reva, die den Familienschmuck seiner ermordeten Frau trägt? Warum schenkte sie sich ihm, ohne etwas dafür zu erwarten – wie es den Anschein hat?
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Ob sie auch diesmal wieder in seinem Zimmer auf ihn warten wird, wenn er vom Spieltisch zurück ins Hotel kommt? Wenn er daran denkt, was er mit ihr erlebte, dann verspürt er Lust auf sie. Welchem jungen Mann an seiner Stelle erginge es nicht ebenso? Ja, immer wenn er an die Stunden mit dieser Frau denkt, da verspürt er Lust und begreift zugleich auch die Gefahr, dass er ihr verfallen könnte, dass sie ihn süchtig macht nach ihr wie nach einer süßen Droge, von der man abhängig wird. Er geht hinauf auf sein Zimmer, wäscht sich und zieht sich ein frisches Hemd an. Der Speiseraum unten ist ziemlich gefüllt. Doch sein Tisch in der Ecke ist reserviert. Reva geht umher, spricht mit den Gästen und beaufsichtigt die beiden jungen Bedienungen, verschwindet manchmal in der Küche. Puck denkt einmal: O ja, sie kann ein Hotel führen. Dann kommt sie auch zu ihm an den Tisch und fragt lächelnd: »Nun, Mister Starr, ist alles in Ordnung? Sind Sie zufrieden?« Er erkennt in ihren Augen, wie sehr ihre drei letzten Worte zweideutig gemeint sind. »Ich bin im Paradies«, erwidert er und grinst.
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Da lacht sie melodisch und geht weiter, ruft über die Schulter halblaut zurück: »Viel Glück mit den Karten!« Es ist viele Stunden später zwischen Mitternacht und Morgengrauen, als er aus der Spielhalle des Saloons ins Hotel kommt. Und er ist voller Erwartung. Was wird oben in seinem Zimmer sein? Hinter dem Anmeldetisch sitzt wieder die dicke Clara Bulldog in ihrer Funktion als weiblicher Nachtportier. Als Puck an den Tisch tritt, öffnet sie ihre Schweinsaugen und richtet sich im Armstuhl gerader auf. Dann beugt sie sich weit vor, dass ihre gewaltigen Brüste unter dem Kleid wie reife Melonen auf dem Tisch liegen, und deutet mit dem rechten Daumen nach oben. Ihre Augen funkeln listig. »Wenn Sie jetzt hoffen, dass sie wieder in Ihrem Zimmer wartet, dann werden Sie mächtig enttäuscht sein. Sie ist in ihrer Wohnung, zu der man über die Hintertreppe gelangt. Und es ist ein Mann bei ihr, dessen Pferd hinter dem Schuppen steht. Er wird gewiss noch vor Morgengrauen verschwinden. Haben Sie diesmal viel gewonnen?« Die Frage zuletzt kommt fast gierig. 114
»Ja, heute gewann ich zweihundert Dollar«, grinst er und legt ihr zwanzig Dollar hin, die sie blitzschnell an sich bringt, wobei sie sagt: »Mister Jim, Sie sind ein richtiger Gentleman. Ich bin sehr froh darüber, dass ich Sie zusammengeflickt habe.« »Und ich erst, Lady – und ich erst!« Er grinst. Und dann geht er nicht nach oben, sondern zur Hintertür. Denn er will sich den Mann und dessen Pferd ansehen. Das Pferd hinter dem Schuppen ist ein Rapphengst, der böse schnaubt, als er zu ihm tritt. Im ersten Grau der sterbenden Nacht betrachtet er das Brandzeichen des Tieres, ebenso den kostbaren Sattel. Dann hört er den Mann kommen und zieht sich hinter einen Brennholzstapel zurück, von dem sich gewiss die Küche versorgt. Er kann den Mann ziemlich gut erkennen und weiß, dass er ihn noch niemals gesehen hat. Aber dieser Mann war bei Reva Savage. Hat sie sich auch ihm geschenkt wie ein süßes Gift? Ist er ihr hörig, sodass er sie immer wieder besuchen und besitzen muss für eine Nacht? Und was tut er dafür? Der Mann sitzt auf und reitet im Schritt davon. Erst als er vom Stadtrand weit genug entfernt ist, lässt er den Rappen antraben. 115
Wieder sind in Puck Starretter viele Fragen. Wer war der Mann, dem ein wertvoller Rapphengst und ein diesem Tier angemessener Sattel gehören? Bekam Reva Savage von solchen Besuchern vielleicht den Schmuck seiner Frau? Starretters Gedanken jagen sich. Er befindet sich in einer Stadt mitten im Banditenland. Und warum sollte diese Bande damals nicht hierher geflüchtet sein? Und passiert es nicht überall auf dieser Welt, dass sich Künstlerinnen der Liebe reich belohnen lassen für ihre Kunst und so die wirklichen Herrscherinnen sind? Warum soll es nicht auch hier so sein? Wahrscheinlich schenkte sich damals jene Kleopatra nicht nur jenem Cäsar. Unter den Menschen ist alles möglich. Puck schleicht hinauf in sein Zimmer und legt sich hin. Aber er kann lange nicht einschlafen. Zu viele Gedanken und Gefühle sind in ihm. Und zuletzt ist die Frage in ihm: Mit wie vielen Männern wird er sich die schöne Reva teilen müssen, um herauszufinden, woher sie das Rubinkreuz seiner Frau bekam? Hat sie es wie ein Hehlerin gekauft? Oder bekam sie es geschenkt? 116
Vor Puck türmt sich ein ganzer Berg von Fragen auf.
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Als er beim Mittagessen sitzt, lässt sich Reva nicht blicken. Wahrscheinlich liegt sie noch im Bett, denkt er. Wie viele Liebesnächte hintereinander hält eine Frau wie sie aus? Denn selbst ein Vulkan kann nicht ewig tätig sein. Irgendwann erlischt seine Feuerkraft. Seine ironische Bitterkeit wird unterbrochen, denn Fat Cat Finch taucht mit der Geschmeidigkeit einer fetten Katze bei ihm auf und setzt sich zu ihm. »Wir müssen reiten«, sagt er. »Ich bekam einen Befehl. Und ich muss dich mitbringen, Jim Starr. Ich denke, dass du jetzt zeigen musst, ob du zu uns gehören willst oder kneifst. Denn du hast ja noch hier in Hope fast zwei Wochen Zeit, bis die monatlichen Schutzgelder zu kassieren sind. Mach dich auf ein langes Reiten gefasst. Nimm für drei Tage Proviant mit. Ja, auch ich muss mitreiten. Wir werden alle gebraucht, denn es handelt sich um eine große Sache. Also in einer halben Stunde beim Mietstall.« Er erhebt sich und geht hinaus. Aber für ihn kommt nun Reva, und sie wirkt frisch und reizvoll, so als hätte ihr die vergangene Nacht nicht das Geringste abverlangt.
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Sie blickt lächelnd auf Puck nieder. Der Speiseraum ist leer. Puck ist der einzige Gast, weil er als Letzter kam. Sie fragt: »Hast du mich vermisst?« »Sehr«, erwidert er. »Ich konnte nur von dir träumen. Doch in meinem Traum beschenkte ich dich mit kostbarem Schmuck, der noch wertvoller war als das schöne Rubinkreuz, das du so gerne trägst, so als wärest du eine Heilige.« Sie lacht kehlig. »Mir schenken alle Männer Geschmeide, weil ich es wert bin«, spricht sie lachend. »Und auch du solltest das eines Tages tun. Doch vorerst spielst du nur um ein paar Dollars. Aber das kann sich ändern. Ich hörte, dass du für einige Tage und Nächte fort sein wirst. Umso schöner wird unser Wiedersehen sein. Das verspreche ich dir.« Sie geht mit einem Lachen in die Küche zurück, aus der sie kam. Puck aber erhebt sich. Ja, er wird mit Finch reiten und zuvor im Store noch einige Einkäufe machen, um unterwegs nicht hungern zu müssen. Was erwartet ihn in den nächsten Tagen und Nächten? Er weiß es nicht. Aber er muss es wagen. Offenbar ist ein großer Coup geplant und werden deshalb alle Banden der Organisation zusammengezogen. Sogar Fat Cat 119
Finch, der ja eigentlich in dem kleinen Nest Santa Maria einen Vorposten besetzt hält, den man passieren muss, um ins Panhandle-Gebiet zu gelangen, muss diesmal mitreiten. Als Puck mit seinem wenigen Gepäck eine halbe Stunde später in den Hof des Mietstalls kommt, da wartet Fat Cat Finch schon und lässt Zeichen höchster Ungeduld erkennen. »Wir müssen pünktlich am Sammelpunkt sein«, faucht er. »Der Colonel duldet keine Verspätungen oder andere Schlampereien. Dann gibt es Abzüge vom Beuteanteil.« Sie reiten wenig später los. Marshal John Hackland steht vor seinem Office, als sie daran vorbeireiten und die Stadt nach Norden zu verlassen. Fat Cat Finch straft sein scheinbar fettes Aussehen wieder einmal mehr Lügen. Denn er sitzt nicht wie ein Klops im Sattel, sondern reitet geschmeidig, gibt seinem Pferd alle Hilfen. Puck begreift immer mehr, dass er diesen Finch nicht unterschätzen sollte. Sie lassen ihre Pferde stetig traben, Meile um Meile und Stunde um Stunde. Einmal sehen sie in der Ferne auf einem Hügelkamm das Aufblitzen eines Signalspiegels. Und zweimal stoßen andere Reiter zu ihnen, sodass sie bald ein halbes Dutzend sind.
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Fat Cat Finch führt auf kaum erkennbaren Pfaden. Er kennt sich aus in diesem Land, so als hätte er lange darin gelebt. Es ist später Nachmittag, fast schon Abend, als sie nach einem harten Ritt auf schwitzenden Pferden den Sammelplatz erreichen. Ja, es ist ein Sammelplatz aller Banden des Panhandle. Auch jener Hiob McClusky, der sich das Aussehen eines Predigers gibt, ist hier. Er hockt mit drei anderen Männern an einem Feuer. Und diese Männer wirken hartgesotten und gefährlich, so als wären sie die Anführer aller anderen. Es sind mehr als drei Dutzend, die sich in vier Gruppen geteilt haben. Und so wird sich Puck Starretter darüber klar, dass sich hier vier Banden versammelt haben, deren Anführer dort am Feuer sitzen, während ihre Reiter in einigem Abstand in vier Gruppen einen losen Kreis bilden. Fat Cat Finch und Puck Starretter sitzen ab. Dann gesellen sie sich wortlos jener Gruppe zu, die hinter Hiob McClusky hockt. Das Schweigen dauert immer noch an. Puck Starretter begreift endlich, dass sie auf etwas warten. Das Lager ist umgeben von roten Felsen. Und bei einem der Felsen rinnt eine Quelle aus dem Boden 121
und bildet einen kleinen Tümpel, dessen Abfluss der Anfang eines Creeks ist. Es wird langsam dunkel. Der rote Schein des Feuers wird immer kräftiger und beginnt gegen die Schatten der Nacht anzukämpfen. Diese Nacht scheint tausend Geheimnisse zu verbergen. Puck spürt immer stärker, dass alle Männer jetzt angespannt lauschen. Und er erinnert sich an Fat Cat Finchs Worte. Er sprach von einem Colonel. Offenbar warten sie alle auf diesen Colonel. Dann ist er plötzlich da, kommt auf einem schwarzen Pferd um einen der roten Felsen herumgeritten und ist selbst nur als Gestalt zu erkennen. Die Krempe seines Hutes verdeckt sein bärtiges Gesicht. Und sein Oberkörper ist unter einem dunklen Umhang verborgen, einem OffiziersRegenumhang der Unionsarmee. Langsam im Schritt kommt er näher und hält am Rand des Feuerscheins an. Dann klingt seine feste, befehlsgewohnte Stimme: »McClusky, machen Sie Meldung.« Hiob McClusky erhebt sich und nimmt Haltung an. »Sir, es sind alle da, auch der neue Mann, der sich Jim Starr nennt und Al Finnegans Stelle eingenommen hat.« »Ich weiß, McClusky«, erwidert der Reiter. 122
Dann klingt seine Stimme noch härter und befehlender. »Männer, es ist ein großer Goldtransport von den Minen in Colorado nach Kansas City unterwegs. Dieser Transport ist ein Sammeltransport von mehr als einem Dutzend Minen. Er wird begleitet von einer starken Mannschaft. Es wird ein harter Kampf stattfinden zwischen uns und der Begleitmannschaft. Einige von euch werden sterben. Doch für die anderen lohnt sich der Einsatz. Gold – eine Million Dollar in Gold, gegossen in Zwanzig-Pfund-Barren! Wollt ihr es euch holen?« Seine Stimme fragt es scharf und herausfordernd. Und so wie er, so haben gewiss jene Piratenkapitäne ihre Schiffsbesatzungen gefragt, ob sie ein mit Gold beladenes Schiff der Spanier angreifen und erobern wollten. Die Reiter der vier Banden springen hoch und brüllen vielstimmig ein gellendes und wildes: »Jaaa!« Dann herrscht eine Weile fast atemloses Schweigen. Die Stimme des schwarzen Reiters klingt nun sehr ruhig: »Hiob McClusky hat das Kommando. Er wird genau nach dem von mir ausgearbeiteten Plan handeln. Und ich werde beobachten, ob meine Truppe funktioniert. Versager werden wegen Feigheit vor dem Feind bestraft. McClusky, brechen Sie jetzt auf. Sie werden bei Tagesanbruch am Ziel 123
sein und bis gegen Mittag ausruhen können. Befolgen Sie genau meinen Einsatzplan. Vorwärts, Männer!« Nach dieser scharfen Aufforderung, die wie ein militärischer Befehl klingt, zieht der schwarze Reiter sein Pferd herum und verschwindet wieder um den roten Felsen herum, der so groß ist wie eine Kirche. Nun klingt die Stimme von Hiob McClusky: »In die Sättel, Jungs! Eine Million in Gold! Denkt immer daran, eine Million Dollar in Gold!« Sie alle springen auf und stoßen ein Gebrüll aus, als müssten oder wollten sie jetzt schon angreifen. Doch zunächst müssen sie noch eine lange Nacht reiten. Und erst morgen gegen Mittag soll der Goldtransport an jener Stelle sein, die der schwarze Reiter – der wahrscheinlich jener Colonel ist – zum Überfall bestimmt hat wie ein Generalstabsoffizier. Wieder reiten sie Meile um Meile und Stunde um Stunde, denn sie müssen ja zum Wagenweg, der Denver in Colorado mit Kansas City in Kansas verbindet. Sie reiten in fast militärischer Ordnung, so als wären sie vier Züge einer Schwadron. Aber fast alle waren ja während des Krieges Soldaten in einer der beiden Armeen oder ritten als Guerillas. 124
Puck Starretter hat unterwegs genügend Zeit zum Nachdenken. Er sah ja die Blinkzeichen eines Signalspiegels, wie ihn die Armeen dort benutzten, wo es keine Telegrafenleitungen gab. Er hörte ja auch, dass Brieftauben eingesetzt wurden. Also gibt es ein Nachrichtensystem, gewiss von dem »Colonel« eingerichtet. Deshalb sind all die vielen Überfälle auf den Wagenwegen möglich, können präzise geplant werden. Und man weiß, welche Beute unterwegs ist, sei es in Postkutschen, in Wagenzügen oder auf Maultieren. Denn heimkehrende Goldgräber schließen sich oft zu Gruppen zusammen, um sich gegenseitig Schutz zu geben und mit ihrer Ausbeute den Goldwölfen entkommen zu können. Und auch heimkehrende Trailbosse, die ihre Herden bei den Verladebahnhöfen verkauft haben und das Bargeld heim nach Texas bringen wollen, werden gemeldet. Es ist wie im Mittelalter, als die Raubritter die Reisenden überfielen. Puck Starretter denkt auch darüber nach, was er tun soll, wenn der Überfall stattfindet. Er wird schießen müssen wie alle anderen Reiter. Und er wird den Überfallenen nicht helfen können durch eine Warnung. 125
Doch eine solche Situation hat Ernest Skinner ihm ja schon angekündigt. Er wird unter Banditen wie ein Bandit handeln müssen – oder er ist verloren. Und er steht ja immer noch unter Bewährung. Fat Cat Finch wird auf ihn achten. Denn diesem Finch wird man anlasten, wenn er ein Spion ist. In Puck Starretter wächst ein ungutes Gefühl, denn er wird bei einem Massaker hilf- und tatenlos zusehen müssen. Ja, das sieht er so kommen. Und noch andere Fragen sind in ihm. Von wem bekam Reva Savage das Rubinkreuz? Wer von den vier Anführern der zusammengeholten Banden beschenkte Reva Savage? Und hat der Mann ihr noch mehr geschenkt? Wer ist es? Oder ist es sogar dieser »Colonel«? Sie erreichen nach einem harten Nachtritt dann die Stelle, wo der Überfall stattfinden wird. Gegen Mitternacht durchfurteten sie den Canadian und ritten weiter auf den Cimarron zu. Nun halten sie an der Cimarron-Furt. Hiob McClusky stellt sich in den Steigbügeln hoch und ruft: »McGill! Spillburn! Ihr reitet mit euren Jungs hinüber und verbergt euch gut im Ufergebüsch. Wenn sie durch die Furt kommen, keilen wir sie ein. Wir lassen keinen aus dem Fluss heraus, keinen!« Bei seinem letzten Wort gellt seine Stimme wild. 126
Und Puck Starretter weiß nun endgültig, dass es ein großes Blutvergießen und Morden geben wird, ein Massaker mit Toten auf beiden Seiten. Und er kann sich nicht davonschleichen, um den Goldtransport zu warnen. Er sitzt in der Falle. Und so wächst in ihm ein böser Zorn, eine gnadenlose Verachtung. Soeben hörte er zum ersten Male die Namen von zwei Anführern, nämlich McGill und Spillburn. Nur ein Name ist ihm neu. Und über den »Colonel« weiß er nichts. Wo mag er leben? Vielleicht gar in der Stadt Hope – oder auf einem der kleinen Ranchos in Hopes Nähe? Wie mag sein Name sein? War er ein richtiger Colonel oder einer der vielen Guerillaführer, die sich selber einen militärischen Rang gaben? Das Massaker findet am späten Mittag statt, denn der Goldtransport ist pünktlich und kommt deshalb zu der vom »Colonel« vorausgesagten Zeit. Es sind zwölf beladene Maultiere und drei Dutzend schwer bewaffnete Reiter. Und sie kommen selbstbewusst zur Furt herunter, denn sie fühlen sich stark und unüberwindlich mit ihren Gewehren. Sie sind angeworbene Kämpfer der redlichen Sorte, keine Goldwölfe und Banditen. An der Spitze reitet ein großer, hagerer Mann in Lederkleidung und einer Feder am Hut. Noch bevor 127
er aus der Furt an Land geritten kommt, trifft ihn die Kugel mitten in die Brust. Dann bricht die Hölle los. Und noch bevor die Begleitmannschaft des Goldtransportes zu kämpfen beginnen kann, trifft es schon fast ein Dutzend von ihnen. Es wird tatsächlich ein grausames, gnadenloses Massaker von Mördern, denen die Gier nach dem Gold jede Gewissensbisse nimmt. Und Puck Starretter kann nichts dagegen tun, ja, er muss mitschießen, ist nur sicher, dass seine Kugeln nicht treffen. Aber er muss so tun, als würde er töten wie die anderen auch. Der Kampf dauert fast eine halbe Stunde. Erst dann rührt sich nichts mehr in der Furt im kaum mehr als knietiefen Wasser, in dem die toten Pferde liegen, hinter denen die Überfallenen Deckung suchten. Nur den Maultieren geschieht nichts. Puck Starretter kann ein Stöhnen nicht unterdrücken. Fat Cat Finch, der neben ihm liegt, grinst zu ihm herüber. Dann lässt er ein seltsames Lachen hören und zitiert: »So wie der Mensch in seiner vollendeten Entwicklung das edelste Geschöpf ist, so ist er, von Gesetz und Recht getrennt, von allen das übelste.« Nach diesem Zitat lässt er wieder das seltsame Lachen hören und fragt dann zu Puck herüber: »Weißt du, Pferdedieb, wer das mal gesagt hat?« 128
»Nein«, erwidert Puck. »Aber du wirst es mir gleich sagen – oder?« »Das war dieser Aristoteles, der Schüler von Plato und der Erzieher des sagenhaften Alexander des Großen, hahahaha!« Sein Lachen klingt fast irre. Und das ist für Puck ein Zeichen, wie sehr dieser Mann von seinem Gewissen bedrängt wird. Wahrscheinlich wird es nicht nur ihm so gehen, sondern auch vielen anderen. Vielleicht bedauert es jetzt so mancher, weil die Gier nach Gold stärker war oder weil sie alle von jenem »Colonel« zu sehr beherrscht werden. Er hat ja auch klar genug gedroht, dass »Feigheit vor dem Feind« bestraft würde. Puck sieht einen der Banditen etwas abseits stehen und sich übergeben. Und so wiederholt er sich in Gedanken das Zitat jenes Aristoteles. So wie der Mensch in seiner vollendeten Entwicklung das edelste Geschöpf ist, so ist er, von Gesetz und Recht getrennt, von allen das übelste. Er blickt zu Fat Cat Finch hinüber. »Du hast Recht«, spricht er heiser, »verdammt, Finch, du hast Recht. Aber obwohl du das weißt, gehörst auch du zu den Verlorenen wie wir alle.« »So ist es«, grinst Finch. »Aber dafür gibt es Gold.« 129
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Puck Starretter benötigt Stunden, indes sie Meile um Meile zurück nach Hope reiten, um das Erlebte zu verarbeiten. Manchmal möchte er glauben, einen bösen Traum erlebt zu haben. Aber es war kein böser Traum, sondern schreckliche Wirklichkeit. Wie schon seit ewigen Zeiten haben Menschen wieder einmal mehr aus Gier nach Beute gnadenlos gemordet und sich als die bösesten Raubtiere der Erde erwiesen. Die vier Banden trennten sich wieder. Jede Bande wird sich zurückziehen in ihr Gebiet. Inzwischen kennt Puck Starretter auch den Namen des vierten Bandenanführers. Der Name ist Torne Kelly. Er wiederholt die vier Namen einige Male in seinen Gedanken, prägt sie sich ein. Hiob McClusky, Torne Kelly, Bat McGill, Morg Spillburn. Und der fünfte Name ist Fat Cat Finch, mit dem er am nächsten Tag allein zurück nach Hope unterwegs ist. Denn jene Männer, die sich auf dem Hinweg zu ihnen gesellten, trennten sich wieder von ihnen. Als sie einmal rasten, um die Pferde verschnaufen zu lassen, fragt er Finch: »Wohin sind sie geritten?« 130
Finch grinst und macht eine lässige Handbewegung. »Die reiten wieder zu den Signalstationen auf den fernen Hügeln. Diese Stationen bilden eine Kette. Und die Reiter sind eigentlich nur Meldereiter, die reiten und Nachrichten weitergeben müssen, wenn Spiegelsignale wegen schlechten Wetters nicht möglich sind. Denn nicht überall sind Brieftauben zu verwenden. Wir haben noch nicht genug davon. Manchmal werden solche Tauben auch von Falken und anderen Raubvögeln erlegt. Die Sache mit den Tauben ist nicht ideal und noch ziemlich umständlich. Man muss sie immer wieder von ihrem Schlag dorthin schaffen, von wo aus man sie mit Nachrichten auf die Reise schickt. Doch zum Glück scheint in diesem Land fast immer die Sonne und haben wir mehr als ein Dutzend ehemalige Signalspiegel der Armee im Einsatz. Der Colonel hat das alles geplant wie ein militärischer Stratege.« Er verstummt mit einem Klang von Stolz. Puck Starretter schweigt eine Weile, obwohl er viele Fragen stellen möchte. Sie rasten an einer Wasserstelle, haben sich erfrischt und sehen den grasenden Pferden zu. Finch dreht sich nun eine Zigarette. Als er sie angeraucht hat, fragt Puck Starretter: »Dieser Colonel – wer ist er? Kennt ihn einer von euch eigentlich näher? Oder 131
taucht er immer so geheimnisvoll auf und verschwindet wieder wie bei dieser Aktion?« Finch grinst seltsam. Sein Gesicht drückt nun eine Mischung von Listigkeit, Ironie und Überlegenheit aus. »Ach, die vier Anführer kennen ihn gewiss«, spricht er dann nachdenklich. »Er muss mit McClusky, Kelly, McGill und Spillburn zusammen durch den Krieg geritten sein, war ihr Anführer oder Kommandeur, den sie Colonel nannten. Aber ich denke, er war kein Colonel in einer regulären Armee, eher ein Guerillaführer.« Als er verstummt, stellt Starretter die nächste Frage: »Und was ist mit den zwölf Maultieren? Wohin bringen die das Gold? Und wann bekommen wir unsere Anteile an der großen Beute? Es war ja ein Riesenraub, der eines Tages in die Geschichte dieses Landes eingehen wird, ebenso wie das gnadenlose Massaker. Wir selbst verloren fünf Mann und hatten ein halbes Dutzend Verwundete. Und die andere Seite …« Er verstummt und wischt sich übers Gesicht, fragt dann: »He, Finch, wie wirst du damit fertig?« Finch raucht erst einige Züge, hüllt sein Gesicht in Rauch ein. Dann klingt seine Stimme heiserer als zuvor: »Wir führen Krieg. Die ganze Menschheit führt seit ewigen Zeiten Krieg, um zu rauben und Beute zu machen. 132
Und als Soldaten wurden wir im Krieg belobigt, wenn wir Feinde vernichtet hatten, auch befördert. Wir haben mit dem Begleitkommando des Goldtransportes gekämpft. Sie konnten sich wehren, hatten ihre Chance. Wir waren besser und deshalb die Sieger. Du bist Texaner und warst gewiss auch im Krieg, hast gegen die Yankees gekämpft und viele von ihnen getötet. Was war jetzt anders?« »Es war Mord«, erwidert Starretter. »Aber ich habe absichtlich daneben geschossen. Ihr alle seid eine verdammte Mordbande. Und man hat mich zu euch geschickt, um euch auszukundschaften. Finch, du wirst nicht nach Santa Maria zurückkönnen.« Starretters Stimme knirschte am Anfang, aber die letzten Worte spricht er mit ruhige Härte, denn er kann nicht anders. Finch verzieht sein rundes Katzengesicht. Dann spricht er höhnend: »He, hältst du dich vielleicht für eine Art Herkules, der einen AugiasStall ausmisten will?« »So kann man es wohl sehen, Finch. Und ich muss es allein tun. Denn ich kann keine Hilfe herbeirufen. Ihr seid in vier Banden aufgeteilt, kommt nur für kurze Zeit zusammen und trennt euch wieder. Aber ich kenne jetzt zumindest die vier Anführer – und auch dich. Du sitzt in Santa Maria wie ein Wächter am Anfang des Panhandles. An dir müssen alle vorbei.« 133
Finch nickt. »Ja, so ist es. Und ich kann von Santa Maria Brieftauben losschicken. Und für dich habe ich gebürgt, weil du Ernest Skinner sechs wertvolle Zuchtstuten gestohlen hast. Ist er dein Auftraggeber? Was bekommst du dafür?« »Tausend Dollar im Monat, Finch. Und jetzt kannst du ziehen.« Starretters Stimme klingt nicht laut, doch sie klirrt. Man hört ihr an, dass sie einem Mann gehört, der sich zwingen muss, etwas zu tun, was unausweichlich ist, weil er keine andere Wahl hat. Es gibt hier kein Recht und Gesetz, keinen Gerichtshof. Was Starretter tun muss, ist der ewige Kampf des Guten gegen das Böse. Doch er muss das Gute auf böse Weise tun. Finch starrt ihn mit aufgerissenen Augen an, als er zu ihm spricht: »Also sage es mir, Finch. Wohin wird das Gold gebracht? Und wann wird die Beute verteilt?« Finch stößt ein wildes Lachen aus. Dann spricht er: »Wir alle haben ein Konto auf der Bank, du Narr. Ich kann dir das sagen, weil du gleich tot sein wirst. Und wenn du mich schaffen solltest, dann kann es mir egal sein, was du erfahren hast.« Nach diesen Worten greift er zur Waffe, die er tief an der linken Hüfte trägt. O ja, er ist schnell, sehr schnell. Deshalb war auch keine Panik in ihm, 134
sondern nur Selbstvertrauen. Er ist ein wirklicher Revolvermann, nicht nur ein zweitklassiger Revolverschwinger. Als er den Lauf seiner Waffe hochschwingt, da trifft es ihn. Er taumelt rückwärts und schießt dabei dicht vor Starretters Stiefelspitzen in den Boden, fällt dann stöhnend auf die Knie und nach vorn auf sein Gesicht. Denn er war schon stehend tot. Starretter lässt ebenfalls ein Stöhnen hören, einen Laut der Bitterkeit. Denn er befand sich plötzlich in der Unausweichlichkeit seines Handelns. Es ist gegen Mittag des nächsten Tages, als er zurück nach Hope kommt und sein müdes Pferd im Mietstall abgibt. Er selbst wirkt müde und ausgebrannt. Aber es ist nicht so sehr die körperliche Erschöpfung, die ihm zusetzt, sondern all das Ungeheuerliche des Erlebten. Er hatte die Reiter des Goldtransportes nicht warnen können. Und er musste Finch töten. Dass dies im fairen Duell geschah, Finch sogar zuerst zur Waffe griff, entlastet ihn nur wenig. Der Stallmann fragt ihn nach Finch. Doch er erwidert, dass Finch weiter nach Santa Maria geritten sei. Als er dann zum Hotel geht, staubig, verschwitzt und hungrig, da muss er wieder am City House vorbei. Marshal John Hackland steht dort in der 135
offenen Tür und blickt ihm schmaläugig entgegen. Und auch er fragt: »Sie ritten vor Tagen mit Finch fort, kommen jedoch allein zurück. Was ist mit Finch?« Starretter hält inne und blickt dem Marshal fest in die Augen. »Finch ist weiter nach Santa Maria«, wiederholt er, was er vorhin schon dem Stallmann sagte. Die schmalen Augen des Marshals werden nun zu Schlitzen. Er will sich wortlos abwenden und in seinem Office verschwinden. Doch Starretters Worte halten ihn auf. »Ich bin schon eine Weile in dieser Stadt und kenne fast alle Bürger hier zumindest vom Sehen. Doch den Bankier sah ich noch nie. Was ist der für ein Mann?« John Hackland wendet sich ihm zu. Sie sind beide fast von gleicher Größe und können sich fest in die Augen sehen. »Sein Name ist Fitzgerald, Jeffrey Fitzgerald. Er gehört zu den Städtegründern, die all ihre Chips auf das Aufblühen dieses Landes setzten, auf Siedler, Farmer, Rancher. Doch hier herrschen die Banditen. Und Sie, Jim Starr, wollen in etwa einer Woche hier Schutzgelder kassieren als Al Finnegans Nachfolger. Nun, die Bank wird hauptsächlich von den beiden Angestellten geleitet. Fitzgerald ist zumeist irgendwo unterwegs. Man sagt, dass er sich im Land umsieht, um zukünftigen Siedlern oder Ranchern gute 136
Empfehlungen zu geben, wo das beste Ackerland oder gute Rinderweide ist mit Wasserstellen oder gar Creeks. In der Bank hängt eine von ihm selbst verfertigte Karte mit Parzellen-Einteilungen nach dem Heimstättengesetz. Er macht sich verdient, dieser Gutmensch von einem Bankier. Eines Tages wird er mehr als hundert Siedlern Kredite geben und sie wie Sklaven schuften lassen, damit sie Zinsen zahlen und Tilgungen ihrer Schulden aufbringen können.« Hackland will sich nun endgültig abwenden und im Office verschwinden. Doch noch einmal hält er inne. »Wissen Sie, Jim Starr, mir entgeht nichts in dieser Stadt, besonders nicht in den Nächten. Ich stehe oft in der Dunkelheit und beobachte. Die schöne Reva Savage treibt es mit vielen Männern, wahrscheinlich auch mit Ihnen. Sehen Sie sich vor. Ich weiß noch nicht, warum Sie hergekommen sind. Aber irgendwann werde ich es wissen.« Nach diesen Worten verschwindet er endgültig und schließt die Tür ziemlich hart hinter sich. Starretter aber geht weiter, und seine Gedanken jagen sich. Er ist dabei, hinter einige Geheimnisse zu kommen, dies spürt er instinktiv. Als er wenig später in den Innenhof des Hotels kommt, da sieht er Reva Savage am Tisch bei der 137
sprudelnden Quelle sitzen, die mit Bruchsteinen gesäumt ist. Die Mittagszeit ist längst vorbei. Es sind keine Gäste mehr da. Er hält inne und sieht, dass Reva mit einer Schreibarbeit beschäftigt ist, irgendeiner Buchführung. Als sie aufblickt und ihn erkennt, da klappt sie das Buch zu und lächelt ihn an. Er erinnert sich an die Worte des Marshals, der ihm sagte, dass sie es mit vielen Männern treiben würde. Dabei sieht sie so wunderschön aus, so edel und sauber, ganz und gar wie das Bild einer vollendeten Frau, die sich unter Kontrolle hat und ihre Selbstachtung nie verliert. Er lächelt zurück und fragt: »Bekomme ich noch etwas zu essen?« »Die Küche ist schon zu«, erwidert sie. »Doch bei dir mache ich eine Ausnahme. Komm in die Küche, sobald du dich gewaschen hast. Du stinkst gewiss nach Pferdeschweiß und deinem eigenen.« Sie sagt es mit einem nachsichtigen Lachen in der Kehle. »Du musst weit geritten sein. Hat es sich gelohnt? Brachte es mehr ein als ein paar lausige Dollar als Spieler oder Pferdedieb?« Aber sie wartet nicht auf seine Antwort, sondern eilt davon. 138
Er aber glaubt plötzlich, dass sie genau weiß, wohin er ritt und woher er kommt. Wahrscheinlich weiß sie über alles Bescheid, was im ganzen Panhandle geschieht. Und das hängt gewiss damit zusammen, dass sie es mit mehreren Männern treibt. Einen dieser Männer kennt er ja. Es ist dieser Hiob McClusky. Die dicke Clara hat es ihm gesagt. Und so könnte es sein, dass auch Torne Kelly, Bat McGill und Morg Spillburn zu ihr kommen. Er wäscht sich an der Quelle gründlich. Als er in die Küche tritt, steht sein Essen auf dem Küchentisch. »Es ist Hammelbraten«, sagt sie und lächelt ihn an. »Er wird dir schmecken.« Er setzt sich ihr gegenüber, betrachtet sie einige Atemzüge lang und fragt dann: »Und wann wirst du wieder in mein Bett kommen?« Sie lächelt ihn seltsam an. Dann beugt sie sich vor und legt ihre Hände auf seine, die rechts und links neben dem Teller auf der Tischplatte liegen. Er blickt nieder auf ihre Hände. Es sind wunderschöne Hände, geschmeidig und dennoch kräftig. Frauen mit solchen Händen sind gute Klavierspielerinnen oder erstklassige Geigerinnen – aber vielleicht auch gut mit einem Florett. Aber er vergisst die Vollkommenheit ihrer Hände. 139
Denn er sieht einen Ring an ihrem Finger, den er nur zu gut kennt. Es ist ein Rubinring mit einem Kranz von Diamanten, deren Kontrast das Rot noch mehr zum Leuchten bringt. Dieser Ring hat zum Familienschmuck seiner Frau gehört, den ihre Vorfahren einst mit in die neue Welt brachten. Er murmelt: »Einen wunderschönen Ring hast du da. Der passt zum Rubinkreuz. Du besitzt sehr wertvollen Schmuck. Hast du den geschenkt bekommen, weil du so schön und so gut im Bett bist?« »Warum beleidigst du mich, Jim?« Sie fragt es nachsichtig und fügt nach einem langen Atemzug hinzu: »In diesem Land muss sich eine Frau wie ich auf ihre Weise behaupten. Warum dürfen es nur die Männer mit vielen Frauen treiben? Wenn du mir das nicht zu…« »Schon gut«, unterbricht er sie und beginnt zu essen.
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Einige Tage vergehen, und in den Nächten sitzt er im Saloon und spielt Poker. Seine Mitspieler wechseln ständig. Einige kennt er, denn sie waren dabei, als sich die vier Banden vereinigten, um den großen Goldtransport zu überfallen, und es das große Massaker gab. Auch sie kennen ihn, und in der dritten Nacht sagt einer zu ihm: »Hast du schon deinen Anteil in der Bank abgeholt?« »Nein«, erwidert er und fragt: »In der Bank?« »Sicher, wir alle haben dort unser Konto. Und auch du musst jetzt dort eines haben. Geh nur hin. Du warst mit dabei, also musst auch du jetzt ein Konto dort haben.« Der Mann – ein rothaariger, sommersprossiger Bursche mit kalten Augen – grinst ihn an. Dann spricht er weiter: »Wir haben gestern das Gold in die Bank geschafft. Es war kurz nach Mitternacht, als das Gewitter drohte. Und die Maultiere sind nun schon weit weg von hier. Du kennst dich wohl noch nicht richtig mit dem Ablauf der Dinge aus. Aber du kamst doch mit Fat Cat Finch. Hat der dich nicht richtig aufgeklärt, wie das hier läuft?« 141
»Das hat er wohl vergessen«, erwidert Puck und grinst ebenfalls. »Aber jetzt kannst du mir das ja erklären. Wie heißt du?« »Ach, sie nennen mich einfach nur Rusty. Also, Junge, es läuft so: Alle Beute wird in die Bank geschafft. Denn es ist unsere Bank. Unsere Beuteanteile werden uns auf unser Konto gutgeschrieben, und immer, wenn wir in die Stadt kommen, um uns zu amüsieren und alle Sünden zu begehen, da können wir uns Geld holen. Komisch, dass dir das noch keiner gesagt hat. Du bist doch der Bursche, mit dem Al Finnegan den Ärger bekam und sollst hier seine Stelle einnehmen und den Marshal unter Kontrolle halten. Und dennoch bist du – was unsere Gepflogenheiten betrifft – ein blindes Huhn. Na gut, jetzt weißt du also Bescheid. Ich sehe, dass Rosy jetzt frei ist. Also gehe ich mit ihr hinauf.« Rusty stößt sich vom Schanktisch ab und geht zur Treppe hinüber, wo Rosy mit einem Freier herunterkam und auf der vorletzten Treppenstufe wartet. »Viel Spaß mit Rosy!«, ruft Puck ihm nach. Dann leert er sein Glas und kehrt an den Spieltisch zurück, wo sich nach der kurzen Pause auch die anderen Mitspieler einfinden. In Puck Starretters Kopf jagen sich die Gedanken. Und weil er sich deshalb nicht auf das Spiel 142
konzentriert, verliert er hintereinander dreimal seine Einsätze. Doch was er vorhin hörte und bisher nur ahnte oder vage vermutete, das weiß er nun zuverlässig. Er vermag es kaum zu glauben, denn es ist ungeheuerlich. Da ist eine Stadt mit gewiss zumeist rechtschaffenen Bürgern, die einen Marshal einsetzten. Aber sie wird beherrscht von Banditen, ohne es richtig zu merken. Es genügte ein »Statthalter« wie jener Al Finnegan. Denn die Gesetzlosen des PanhandleGebietes sind leicht in der Lage, die kleine Stadt Hope zu vernichten. Doch das ist ja längst noch nicht alles. Denn die Bank von Hope gehört den Gesetzlosen. Sie verwaltet ihre Beute, macht gewiss Geschäfte mit den Einlagen. Und nun lagert in dieser Bank für eine Million Gold, erbeutet bei einem schrecklichen Massaker. Puck Starretter vermag dies alles nur schwer zu glauben. Doch es muss so sein. Und so nimmt er sich vor, am nächsten Morgen in die Bank zu gehen. Als er einige Stunden später zwischen Mitternacht und Morgengrauen das Hotel betritt, da empfängt ihn die dicke Clara wie immer mit einem freundlichen Lächeln. Sie muss früher – also vor 143
mehr als zwanzig Jahren – einmal ein sehr hübsches Mädchen gewesen sein. »Na, machten Sie reiche Beute, mein Freund?« So fragt sie hoffnungsvoll. Aber Puck legt ihr nur fünf Dollar hin, also zehn Prozent seines Spielgewinns. Er tut es gern, denn er fühlt sich ihr verpflichtet, weil sie ihm die Wunde so gut versorgte, dass sie sich nicht entzündete und gut verheilte. Und irgendwie mag er die Dicke, der die Banditen beim Postkutschenüberfall alle Ersparnisse raubten, mit denen sie zu einem neuen Anfang und in ein anderes Leben wollte. »Sie müssen mich nicht ständig an Ihrem Gewinn beteiligen, mein Freund«, sagt sie und lässt die fünf Dollar dennoch verschwinden. Ihr Gesichtsausdruck verändert sich nun und wirkt mitfühlend und bedauernd. Dann murmelt sie, wobei sie mit dem Daumen nach oben zeigt: »Das wird auch heute wieder nichts, mein Freund, mit der heißen Katze. Hiob McClusky ist bei ihr. Aber er wird sie bald verlassen durch die Hintertür. Oha, ich war ja früher selbst mal ein wildes Ding und mochte alle Männer, konnte manchmal nicht genug von ihnen bekommen. Aber die schöne Reva – also ich denke, sie muss eine Nymphomanin sein. Oder sie genießt es, sich Männer zu Sklaven zu machen. Mein Junge, fallen 144
Sie nur nicht zu sehr auf sie herein. Die vernascht euch Männer wie ein Kind die Kandisstangen, hihihihi.« Sie scheint sich an ihre eigene Zeit zu erinnern, bevor sie all ihre Reize verlor. Plötzlich fragt sie: »He, mein junger Freund, Sie wissen doch, was eine Nymphomanin ist?« Er wollte sich schon zum Gehen wenden, doch er verharrt noch einmal. »Nymphomanie ist der krankhaft gesteigerte Geschlechtstrieb einer Frau. Aber das trifft auf Reva Savage gewiss nicht zu, Clara. Reva will die Männer wie süchtig machen, um sie beherrschen zu können. Machen Sie sich keine Sorgen um mich, meine liebe Freundin.« Als er verstummt, da sieht sie ihn forschend an. Dann murmelt sie: »Freund, irgendwann werde ich besser Bescheid wissen über Sie. Aber was ich auch herausfinden werde, ich mag Sie. Auf mich können Sie zählen.« Er nickt und geht durch den Gang zur Hintertür, verschwindet durch sie in den dunklen Hof. Denn es ist nun Zeit zum Handeln. Er kann die Dinge nicht mehr laufen lassen, nachdem er das schreckliche Massaker erlebte und sich so hilflos fühlte wie noch nie in seinem Leben. Er muss jetzt eingreifen, etwas tun. Und er ist allein. Mit Fat Cat Finch fing er an. Jetzt muss er diesen Weg weitergehen. 145
Er findet McCluskys Rotfuchs hinter dem Schuppen an der gleiche Stelle, wo der schwarze Hengst jenes anderen Mannes stand, der bei Reva war. Jetzt ist es Hiob McClusky. Verdammt, denkt Puck, bedient sie alle Anführer der großen Bande? Gehört sie allen? Teilen sie sich die schöne Reva und stimmen sie sich gegenseitig ab, wann sie an der Reihe sind? Wenn das so ist, dann sind sie zu fünft – nämlich der Bursche mit dem schwarzen Hengst und dann McClusky, Kelly, McGill und Spillburn. Was verbindet sie? Und von wem bekam Reva den Familienschmuck meiner Frau? Oder hatten sie diesen Schmuck zuvor unter sich aufgeteilt, und sie erhielt von jedem dieser Hurensöhne eins der Stücke? Wenn das so wäre, dann müssten sie die Bande gewesen sein, die von Mexiko herüberkam und meine Familie überfiel, als ich abwesend war, um den wertvollen Zuchtbullen zu holen, mit dem ich meine Longhorns kreuzen wollte. Verdammt, dann hätte ich die Bande endlich gefunden. Denn es war ja zu erwarten, dass sie weiter im Norden zu finden sein würde. Und deshalb nahm ich ja auch den Auftrag von Ernest Skinner und dessen Vereinigung an. Oho, ich habe sie! 146
Als er mit seinen Gedanken so weit ist, hört er Hiob McClusky kommen und zieht sich um die Ecke des Schuppens zurück. Als McClusky dann aufsitzen will und schon einen Fuß im Steigbügel hat, da tritt er vor und schlägt mit dem Revolver zu. Es ist noch nicht Tag, als McClusky zu stöhnen beginnt, sich aufsetzt und nach der Beule an seinem Kopf tastet. Dann sieht er die Gestalt des Mannes zu seinen Füßen und starrt zu ihm hoch. »He, wer bist du?«, krächzt er und hält sich den Kopf. Starretter hockt sich dicht vor ihm auf die Absätze. Und so betrachten sie sich eine Weile wortlos in der sterbenden Nacht. »Und was bedeutet das alles?« Hiob McClusky fragt es ahnungsvoll und setzt hinzu: »Bei dir hatte ich stets ein ungutes Gefühl. Wenn Fat Cat Finch nicht für dich gebürgt hätte, dann …« »Finch ist tot«, unterbricht ihn Starretter, »aber er hatte seine Chance im Duell und zog sogar zuerst. Auch du bekommst deine Chance, wenn du meine Fragen beantwortest und nicht lügst.« »Dann frage«, knurrt McClusky. Starretter erhebt sich. »Ich habe deinen Revolver, den kleinen Derringer und auch das Messer aus dem 147
Stiefelschaft. Aber du kannst deinen Revolver zurückbekommen. Wie war das damals am Brazos, als ihr aus Mexiko herüberkamt und die kleine Ranch überfielt, die Frau und die beiden Kinder umbrachtet? Wie habt ihr den kostbaren Schmuck gefunden, der doch so gut versteckt war?« McClusky atmet rasselnd. Dann murmelt er: »Die Frau gab ihn uns, damit wir sie und ihre Kinder am Leben lassen sollten. Aber wir wollten keine Augenzeugen auf unserer Fährte zurücklassen. Ja, es war ein wunderschöner, kostbarer Schmuck, den wir auf so einer kleinen Ranch niemals vermutet hätten. Er war zu kostbar, um ihn zu verkaufen. Was willst du noch wissen?« McCluskys Stimme klingt nun kühl. Er ist eiskalt und hat begriffen, dass er einen Handel eingehen kann und er seinen Einsatz bringen muss. »Wer ist euer Anführer – ich meine jenen Colonel, den Mann auf dem schwarzen Pferd? Wer ist der Bankier, der Stratege, dem ihr eure Beute anvertraut wie Bankeinlagen, die Zinsen bringen sollen? Ist er es?« »Ja, er ist es. Noch andere Fragen? Oder bekomme ich nun meine Chance? Wo sind wir hier? Wie hast du mich hergebracht?« »Quer über deinem Sattel. Und ich ging zu Fuß – nur eine halbe Meile. Hier ist dein Revolver.« 148
Er wirft ihm den Revolver vor die Füße und tritt drei Schritte zurück. Inzwischen ist das erste Grau des kommenden Tages hochgekommen. Sie können sich einigermaßen gut sehen. Aber McClusky erhebt sich noch nicht. Er fragt: »Wie hast du uns gefunden?« »Fast zufällig, obwohl ich es gehofft hatte. Eine Vereinigung von Ranchern und anderen Unternehmern hat mich beauftragt, in euer Land zu reiten und dort herauszufinden, von wem all das Böse ausgeht zwischen Red River und Cimarron. Und dann sah ich am Hals der schönen Reva das Rubinkreuz. Na los, willst du nicht endlich aufstehen und um dein Leben kämpfen? Ihr habt diese Chance zwar nicht verdient, ich müsste euch eigentlich ohne Gnade abknallen, einfach vernichten, wie man all das Böse vernichten müsste auf dieser Erde.« McClusky stößt einen Laut aus, der fast wie ein ironisches Lachen klingt. »Ach«, spricht er dann, »auf irgendeine Weise ist jeder Mensch mehr oder weniger mies und schlecht. Nur die Heiligen sind es nicht. Bist du ein Heiliger? Wie ist dein richtiger Name?« »Starretter.« Er starrt nach dieser Frage, auf die er offensichtlich keine Antwort erwartet hat, auf die Waffe nieder. Er sitzt noch am Boden mit leicht 149
angezogenen Knien. Und der Revolver liegt genau zwischen diesen Knien. Langsam greift er zu und erhebt sich damit, achtet sorgfältig darauf, dass die Mündung zum Boden zeigt. Mit zwei Fingern hält er den Griff fest und lässt die Waffe ins Holster gleiten. Dann stellt er sich breitbeinig hin, um festen Stand zu haben. »Ich bin ziemlich schnell«, grinst er im Morgengrauen. »Vielleicht schneller als du. Eigentlich bist du ein Narr, dass du mir eine Chance im Duell gibst. Ich hätte das an deiner Stelle nicht getan. Die schöne Reva hat jetzt den ganzen Schmuck. Wir haben ihn ihr nach und nach geschenkt. Denn sie hat uns süchtig nach sich gemacht. Sie ist eine Hexe.« Als er das letzte Wort gesprochen hat, schnappt er blitzschnell nach seiner Waffe. Aber er ist nicht schnell genug. Die Schüsse verhallen in den leichten Morgennebeln. Gewiss hört man sie auch in der nur eine halbe Meile entfernten Stadt. Aber wer kümmert sich hier schon um irgendwelche Schüsse? Puck Starretter hebt den schweren Toten auf dessen Pferd, bindet ihn quer über dem Sattel fest 150
und jagt den Rotfuchs nach Norden, also weg von der Stadt. Dann macht er sich auf den Rückweg. Es ist eine grimmige Genugtuung in ihm. Und er weiß, dass er weitermachen muss.
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Als er die ersten Hütten an der Stadtgrenze erreicht, tritt ihm von rechts der Marshal aus der Dunkelheit eines halb offenen Schuppens entgegen. John Hackland hat ein Gewehr bei sich, einen SpencerKarabiner. Und der Revolvergriff ragt unter dem offenen Mantel hervor. Sie halten voreinander und betrachten sich im Morgengrauen. Der Marshal schnüffelt hörbar und murmelt dann: »Jim Starr, Sie riechen noch nach dem Rauch von Schwarzpulver. Und da draußen krachten zwei Schüsse. Aber Sie würden keine Fragen von mir beantworten, nicht wahr?« »So ist es, Hackland«, erwidert Starretter. Doch seine Stimme klingt nicht unfreundlich. Dann stellt er eine Frage: »Dieser Bankier Jeffrey Fitzgerald, der ist wohl nur selten in der Stadt?« »Sehr selten. Aber er hat zwei gute Angestellte. Doch auch sie haben nicht viel zu tun. Das würde sich erst ändern, wenn das Panhandle nicht von den Gesetzlosen beherrscht würde, wenn es Sicherheiten gäbe für Siedler, Farmer und Rancher, denen die Bank mit Krediten einen Aufbau ermöglichen 152
könnte. Aber wer will sich schon in diesem Land niederlassen?« »Ja, wer schon.« Starretter nickt. Er setzt sich wieder in Bewegung. Auch der Marshal tut es. Und so marschieren sie nebeneinander im Gleichschritt weiter in die Stadt hinein. Erst vor dem City House halten sie an. Und hier sagt John Hackland: »Jim Starr, ich habe es Ihnen schon mal gesagt: Ich bin kein feiger Hund. Aber ich bin allein. Sonst würde ich hier einiges ändern. Sie sollen hier Al Finnegans Stelle einnehmen, mich und die Stadt unter Kontrolle halten. Das hat Ihnen gewiss Hiob McClusky gesagt, der Finnegans Boss war. Werden Sie in den nächsten Tagen die fälligen Schutzgelder kassieren?« »Nein, das werde ich nicht, Hackland.« Nach diesen Worten geht Starretter schräg über die Plaza zum Hotel hinüber. Hier sitzt immer noch die dicke Clara. Ihr Nachtdienst ist noch nicht beendet. Sie sieht Puck forschend entgegen und spricht dann: »Ich sitze nicht auf meinen Ohren. Als ich mal vor der Tür Luft schnappen war, hörte ich vor der Stadt zwei Schüsse. Oh, mein Junge, ich machte mir wahrhaftig Sorgen.« »Um wen?«
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Die dicke Clara lächelt ernst. »Ja, um wen wohl, Jim, um wen wohl? Schlafen Sie gut. Es war eine verdammt lange Nacht für Sie.« Er nickt nur und geht hinauf. Als er auf seinem Bett liegt, da weiß er, dass er nicht einfach so einschlafen kann, obwohl er sich ausgebrannt fühlt. Nur eines weiß er: Er muss weitermachen. Und er wird bald zur Bank gehen und dort fragen, ob ein Gönner für ihn ein Konto eröffnet hat. Und dann … Wie fast immer nach den langen Nächten am Spieltisch für ein paar Dollar Gewinn, verzichtet er auch diesmal aufs Frühstück und schläft bis Mittag durch. Ja, er ist schließlich doch eingeschlafen, nachdem es längst schon Tag geworden war. Natürlich hat er schlecht geträumt. Als er hinunter in den Speiseraum kommt, ist er der letzte Gast. Reva wartet auf ihn. Sie sitzt an seinem Tisch in der Ecke, der ja ständig für ihn reserviert ist. Ihre dunkelgrünen Katzenaugen blicken ihm forschend entgegen. Dann fragt sie: »Wie geht es dir?« Er blickt auf ihren makellosen Hals, und er sieht dort die Halskette. 154
Die Rubine funkeln mit den Diamanten um die Wette. Es ist das kostbarste Stück aus dem Familienschmuck seiner Frau. Er ist komplett in Reva Savages Besitz, nämlich das Rubinkreuz, der Ring – und nun die Halskette, die Revas Hals eng umschließt. Er sagt: »Dein Schmuck entspricht deiner Schönheit. Es muss ein alter Schmuck sein, die Juwelen einer alten Familie in Europa, die man mit in die neue Welt nahm und von Generation zu Generation weiter vererbt, weil das Tradition ist. Wer schenkte dir diese wunderschönen Dinge?« »Das geht dich nichts an«, erwidert sie und ruft dann von ihrem Platz aus durch die offene Tür in die Küche hinein: »Estrella, bring das Essen für Mister Starr! Dann darfst du deine Mittagspause machen.« »Si, Señora, si«, tönt es zurück. Wenig später bringt die junge Mexikanerin das Essen, entfernt sich dann nach einem Knicks. Es ist ein scharfes mexikanisches Gericht, nämlich Jungschweinebraten mit geschmortem Gemüse. Es schmeckt ihm. Sie beobachtet ihn lächelnd und sagt dann: »Du solltest in der kommenden Nacht nicht zu lange am Spieltisch sitzen. Denn ich werde in deinem Zimmer auf dich warten. Es wird wieder so sein wie bei unserer ersten Nacht. Löst das Freude in dir aus?« 155
Er hält inne mit der Gabel auf dem Weg zum Mund. Und er staunt sie verblüfft an. Dann lässt er die gefüllte Gabel wieder auf den Teller sinken und erwidert: »Aber ich kann dir keinen kostbaren Schmuck schenken. Ich bin nur ein Spieler und Revolvermann. Und ich weiß nicht, ob ich noch länger in Hope bleibe. Reva, du schenkst dich auch anderen Männern, und das gefällt mir nicht.« Sie lacht leise: »Jim, ich bin wie jene Kleopatra, und ich weiß noch nicht, wer von euch allen Cäsar ist. Betrachte mich als Geschenk, wie du es sonst niemals in deinem Leben erhalten würdest.« Sie will sich erheben, doch er fragt: »Wie bist du hierher nach Hope gekommen und in den Besitz dieses Hotels gelangt?« Sie lächelt seltsam, diesmal ernst und nachdenklich. Dann spricht sie ruhig: »Hope war vor einem Jahr noch ein armseliges Nest. Wir hielten hier mit einer Postkutsche zum Gespannwechsel. Aber die Leute hier imponierten mir. Sie bauten etwas auf und glaubten an die Zukunft dieser Stadt, wollten hier sozusagen der Nabel einer Welt werden, die das ganze Panhandle einschließt. Ich hatte etwas Geld und baute das Hotel. Es wurde vor vier Monaten fertig. Doch zur selben Zeit kamen Gesetzlose ins Panhandle und übernahmen die Kontrolle. Hope 156
wurde zwar fertig errichtet, doch der Name wurde zur Illusion. Und ich musste sehen, wie ich mich hier behaupten konnte. Also setzte ich meine Schönheit ein. Was ist falsch daran? Ich will nicht untergehen.« Nach diesen Worten erhebt sie sich, will gehen. Doch noch einmal hält sie inne und fasst mit zwei Fingern nach der kostbaren Halskette. »Die würde ich niemals verkaufen, ebenso wenig wie den anderen Schmuck. Ja, ich lasse mich beschenken. Und wer weiß, vielleicht kannst auch du mir eines Tages deine Dankbarkeit beweisen. Du hast einen schnellen Revolver.« Nach diesen Worten wendet sie sich mit schwingenden Röcken und geht durch die offene Küchentür aus dem Speiseraum. Er starrt auf das Essen, hebt nach einer Weile wieder die gefüllte Gabel zum Mund. Und dabei erinnert er sich an jene Stunden mit ihr in seinem Bett. O ja, er wird in der kommenden Nacht nicht sehr lange Poker spielen. Denn er möchte Reva wieder für ein paar Stunden besitzen. Sie ist wie süßes Gift in ihm. Es ist am frühen Nachmittag, als er die Bank betritt. Hinter der Barriere sitzen zwei Angestellte an Schreibtischen. Eine geschlossene Tür trennt den Vorraum zu hinteren Räumen ab. 157
Die beiden Bankclerks wirken erfahren und hartgesotten. Sie sind hemdsärmlig, tragen jedoch Krawatten und Ärmelhalter. Bei seinem Eintreten grinsen sie. Einer sagt: »Wir haben uns schon gefragt, wann endlich Sie endlich kommen werden und sich nach Ihrem Kontostand erkundigen.« »Also habe ich ein Konto hier?« Sie nicken beide. Und ihr Sprecher sagt: »Ja, ein nobler Gönner, den wir nicht kennen, hat fünftausend Dollar auf Ihren Namen eingezahlt. Wollen Sie was abheben?« Er schüttelt den Kopf. »Aber einen Konto-Auszug hätte ich gern. Eine Quittung für mein Guthaben. Und dann würde ich gerne den Boss der Bank kennen lernen.« Er macht eine kleine Pause, grinst sie ebenso an wie sie ihn und fügt hinzu: »Ich muss doch den Mann sehen, dem ich fünftausend Dollar anvertraue. Oder gibt es hier keine Zinsen für Guthaben?« Nun lachen sie beide schallend. »Mann, Jim Starr«, spricht dann ihr Sprecher, »Sie sind offenbar einer von der spaßigen Sorte. Unser Boss ist nicht in Hope. Der überlässt uns die Geschäftsführung. Und es gab ja auch niemals Klagen. Wollen Sie wirklich nichts abheben?« Puck schüttelt den Kopf. »Ich gewinne genug beim Poker. Aber irgendwo muss sich doch euer 158
Boss aufhalten. Ich möchte ihn einfach mal kennen lernen. Wenn er nicht in Hope wohnt, wo dann?« Die beiden Clerks der Hope-Bank überlegen. Und wieder ist es der bisherige Sprecher, der schließlich sagt: »Er hat in der Nähe eine Pferdezucht. Aber wo, das wissen wir nicht. Wenn er wieder mal nach Hope kommt, um uns zu kontrollieren, dann richten wir ihm Ihre Wünsche aus.« Er beugt sich nach diesen Worten vor, schreibt eine Quittung aus und reicht sie Puck über die Barriere. »Das wär’s wohl für heute.« Er grinst. »Sie sind doch Al Finnegans Nachfolger, nicht wahr? Bald müssen die Schutzgelder eingetrieben werden. Sie haben ja Finnegans Merkbuch. Die Gelder müssen Sie hier einzahlen.« »Und wer holt sie dann hier ab?« Abermals grinsen sie, ja, sie kichern sogar belustigt. »Ja, jemand holt sie hier ab, Mister Starr. Und weil das so ist, bleibt diese Stadt Hope ungeschoren und benehmen sich alle Besucher hier manierlich, hat unser Marshal keine Probleme mit den wilden Jungs.« Puck Starretter nickt nun und geht hinaus. Und er will nicht glauben, was ihm jetzt endlich klar ist. 159
Aber es ist so: Hope ist der Ruheort der Gesetzlosen des Panhandle. Und die Bank gehört ihnen. Es gibt ja einige Dutzend Farmer und kleine Rancher in der Umgebung, die Kredite bekamen und Zinsen nebst Tilgung aufbringen müssen. Aber das Ganze ist eine große Tarnung. Die vereinigten Banden unter der Leitung jenes »Colonels« fühlen sich mächtig und sicher auf mehr als hundert Meilen in der Runde. Sie haben sich gewissermaßen ihr eigenes County geschaffen. Und wer weiß, vielleicht wird dieses Gebiet eines Tages als County auch anerkannt. Mit Geld ist auf dieser Erde alles möglich. Und in der Bank lagert nun ja sehr viel Geld und Gold. Puck Starretter ist innerlich ziemlich aufgewühlt. Er geht zum Saloon hinüber, setzt sich dort auf die Veranda und lässt sich ein Bier und eine Zigarre herausbringen. O ja, er muss nachdenken. Was kann er tun? Es wird nicht damit getan sein, dass er jenen »Colonel« und die drei jetzt noch lebenden Bandenführer unschädlich macht, sie also im Duell zu töten versucht, wobei er selbst getötet werden könnte. Aber schon bei dem Gedanken verspürt er einen heftigen Widerwillen, weil er begreift, dass er sich 160
gewissermaßen zum Richter und Vollstrecker machen muss. Doch dann denkt er an das schrecklich Massaker, an die vielen Toten beim Kampf um das Gold und an die ständige Bedrohung, die von der Bande ausgeht. Und so spürt er eine Last auf seiner Seele, die er nicht einfach abschütteln kann. Er wird aus seinen bitteren Gedanken gerissen, denn Marshal John Hackland kommt zu ihm auf die Veranda und nimmt neben ihm Platz. Noch schweigen sie. Hackland dreht sich erst eine Zigarette. Er macht es bedächtig, als wollte er Zeit gewinnen und müsste noch nachdenken. Dann aber entschließt er sich und murmelt: »Man hat einen gewissen Hiob McClusky gefunden, tot und auf einem Pferd festgebunden. Der Gaul hat offenbar nicht den Heimweg gefunden. Dieser McClusky gab sich wie ein Prediger, wie ein frommer Mann, der verlorene Seelen retten will. Man sagte, dass er in die verborgenen Camps der Gesetzlosen ritt und dort Predigten hielt. Die Menschen glauben manchmal an die unmöglichsten Dinge und halten einen Wolf für einen braven Hund.« »Was wollen Sie, Hackland?« Puck fragt es mit einem Klang von Nachsicht in der Stimme, wendet den Kopf zur Seite und sieht den Town Marshal an. 161
Der pafft erst noch einige Züge, murmelt dann aber: »Wenn Sie ein Lawman sind, ein US Deputy Marshal oder Sheriff, dann sollten wir endlich zusammenarbeiten. Oder glauben Sie, ich gehörte auch zu den Banditen?« »Nein, Hackland, nein. Das glaube ich nicht. Aber wenn Sie über mich Bescheid wissen, dann könnte man das vielleicht aus Ihnen herausprügeln.« Wieder schweigen sie eine Weile. Dann murmelt der Marshal mit einem Klang von Bitterkeit: »Manchmal muss man es wagen, einem Menschen Vertrauen entgegenzubringen. Also, was kann ich für Sie tun?« »Wenn Sie einen zuverlässigen Mann haben, der einen Brief an die hundert Meilen weit nach Süden bringen kann …« Puck vollendet den Satz nicht, aber er spricht dann: »In der Bank liegt für eine Million geraubtes Gold. Es war mit einer starken Begleitmannschaft von den Minen in Colorado nach Kansas City unterwegs. Und es gab ein schreckliches Massaker. Ich brauche Hilfe. Sie und ich, wir sind letztlich nicht genug, wenn vier Banden ohne Anführer sind und ihre Beute aus ihrer Bank holen wollen. Ja, es ist eine Banditen-Bank. Oder wissen Sie das nicht?« »Doch.« John Hackland grinst böse. »Doch. Aber ich musste froh sein, dass man mich zur Tarnung hier den Blechstern tragen ließ. Ich habe die ganze 162
Zeit darauf gewartet, dass sich hier etwas verändert. Jetzt scheint es so weit zu sein.« Sie sehen sich eine Weile schweigend an und spüren plötzlich instinktiv eine Gemeinsamkeit. Es ist, als würden sie sich schon sehr viel länger kennen. Hackland sagt dann: »Ja, ich hätte einen zuverlässigen Mann, ein Halbblut, der sein Geld als Zureiter und Wildpferdjäger verdiente. Doch er ist alt geworden. Aber gewiss kann er noch hundert Meilen im Sattel bleiben. Wohin muss er?« »Ich zeichne ihm eine Karte auf den Briefumschlag. Er muss zur Circle Arrow Ranch, südlich vom alten Pueblo am Caddo Creek. Er muss zu Ernest Skinner. Wenn er diesem meinen Brief übergeben hat, bekommt er hundert Dollar – das schreibe ich Skinner –, und dann wird Skinner alles in die Wege leiten. Doch jetzt etwas anderes, Hackland: Wo hält sich dieser Jeffrey Fitzgerald auf, wenn er nicht hier in seiner Bank ist?« John Hackland hebt die Hand und wischt sich übers Gesicht. Und seine Hand zittert ein wenig. »Vorsicht«, murmelt er dann. »Als die redlichen Bürger von Hope mich zum Marshal machten, weil sie mir mehr zutrauten, als ich ihnen geben konnte, da ließ Fitzgerald mich kommen. Er hat zwei unterschiedliche Augen mit einer unheimlich suggestiven Kraft. Wenn er einen anschaut, hat man das Gefühl, dass er die geheimsten Gedanken in 163
einem lesen kann. Und ganz gewiss ist er ein schneller Revolvermann. Er sagte mir, dass ich ganz schnell ein toter Mann wäre, wenn ich ernsthaft versuchen wollte, hier die Verhältnisse zu ändern. Und daran habe ich mich gehalten. Ich war ja allein unter Bürgern mit Familien, die ihr Leben nicht riskieren durften, ihren Frauen und Kindern zuliebe.« Als Hackland verstummt, nickt Starretter. Er erhebt sich, stellt das leere Bierglas auf die Fensterbank und sagt: »Ich bringe Ihnen den Brief an Ernest Skinner nach dem Abendessen, wenn ich zum Saloon gehe, um Poker zu spielen.«
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Er spielt nur bis kurz nach Mitternacht und weiß die ganze Zeit, dass sein Bericht an Ernest Skinner, den Boss der mächtigen Circle Arrow Ranch, schon einige Stunden unterwegs ist. Und das alte Halbblut Jack Blue wird für den Ritt länger als zwei Tage brauchen. Dann wird Ernest Skinner die Mächtigen des Landes zusammenholen lassen. Und auch das kann fast zwei Tage dauern. Sie werden ein großes Aufgebot aufstellen und sich auf den Weg machen. Auch das braucht seine Zeit. Zwei, drei Tage bestimmt. Also kann er hier erst in etwa neun Tagen mit Hilfe rechnen. Das ist eine mächtig lange Zeit, in der viel geschehen und sich die Welt hier in Hope und im Panhandle völlig verändern kann. Er aber wird abwarten und weiter als Spieler auftreten müssen, der im Saloon um ein paar Dollar spielt. Denn die Einsätze hier sind nicht hoch. Selbst die Banditen, die aus den verborgenen Camps kommen, um sich in Hope zu amüsieren und Sünden zu begehen, bekommen offenbar nur geringe 165
Summen von ihren Konto ausgezahlt, damit sie nicht hemmungslos alles verprassen. Jener »Colonel« kennt sich aus mit dieser Sorte von Männern. Nun, Puck spielt also nur bis kurz nach Mitternacht und hört dann auf, obwohl er immer wieder gewinnt. Und so hat er bis Mitternacht siebenundfünfzig Dollar gewonnen. Deshalb legt er – als er das Hotel betritt – der dicken Clara sechs Dollar hin. »Mein Junge«, sagt sie lächelnd, »Sie sind mein großer Wohltäter. Aber dennoch ist das alles verdammt wenig, wenn man bedenkt, was die Banditen mir abgenommen haben. Es waren mehr als siebentausend Dollar in großen Scheinen. Ich hätte mir damit einen kleinen Laden mit Süßigkeiten oder Dessous für Ladys in einer noblen Stadt an der Ostküste kaufen können. Verdammt, es waren mehr als siebentausend Dollar!« Sie spricht zuletzt mit harter Stimme. Er aber sagt: »Vielleicht bekommen Sie es wieder zurück, Clara. Verlieren Sie nur nicht die Hoffnung.« Ihre Augen werden nun schmal. »He«, sagt sie heiser, »he, mein Junge …« Aber sie spricht nicht weiter. Dafür deutet sie mit dem Daumen nach oben und lächelt breit, wobei sie sich offensichtlich an etwas erinnert, was sie früher einmal selbst erlebte – damals, als sie noch jung und 166
selbst wunderschön war, bevor sie ein fetter Klops wurde. »Sie ist wieder oben bei Ihnen im Zimmer«, flüstert sie. »Heute sind Sie der Glückliche. Oha, ich war ja früher auch mal unersättlich und konnte nicht genug bekommen. Aber die da oben schlägt alle Rekorde. Und sie ist so schön und gleicht gewiss der Göttin Venus, so als würde diese noch mal geboren worden sein. Doch Vorsicht, mein Junge, Vorsicht! Vielleicht ist sie in Wirklichkeit eine Spinne, und du weißt ja, dass die weiblichen Spinnen ihre Männchen fressen, indem sie ihnen das Blut aussaugen. Vorsicht!« Er grinst. »Ja, Clara, davon habe ich schon gehört. Wir hatten in der Schule eine wunderschöne Lehrerin. Und die nahm uns größeren Jungen nacheinander zu sich ins Bett und erteilte uns diesen besonderen Unterricht. Wir waren ihr sehr dankbar, denn auch das gehört wohl zur Biologie.« Er geht mit einem leisen Lachen nach oben. Und als er in sein Zimmer tritt, da hört er ihre Stimme flüstern: »Da bist du ja endlich, Jim.« Er verharrt und verspürt einen Widerstreit von Gefühlen. Ja, er spürt ein Gefühl der Abneigung, zugleich aber erinnert er sich an alles, was sie ihm gab und von ihm forderte. Noch niemals in seinem Leben hatte er so eine Frau. Ja, sie wirkt wie eine Droge, 167
von der man nicht genug bekommen kann. Und er weiß, dass es den anderen Männern, mit denen er sie sich teilen darf, ebenso ergeht. Und so entkleidet er sich und tritt ans Bett. In der Dunkelheit des Zimmers kann er ihren Körper wie ein Geheimnis schimmern sehen. Und er hört ihre Stimme flüstern: »Komm, Jim – komm und mach mich glücklich.« Nun, er ist ein junger, gesunder Mann. Sie ist eine wunderschöne Frau. Und so denkt er: Warum nicht, verdammt, warum nicht? Immerhin nimmt sie kein Geld wie eine Hure. Aber dann fällt ihm ein, dass sie ja den kostbaren Schmuck seiner toten Frau genommen hat und er herausfinden will, von wem sie ihn geschenkt bekam. Doch als er dann neben ihr liegt und sie sich über ihn rollt, da vergisst er das alles und nimmt sich, was sie ihm bietet. Nicht einmal ein Heiliger hätte ihr widerstehen können. Ja, das glaubt er. Und damit entschuldigt er sich vor sich selbst wegen seiner Schwäche. Denn der Mensch findet ja fast immer eine Entschuldigung für seine Schwächen. Das ist nun einmal menschlich. Es ist dann fast schon die Stunde des ersten Morgengrauen, als sie erschöpft nebeneinander liegen. Sie flüstert: »Ich hatte noch nie einen Mann 168
wie dich. Keiner konnte mich dem Himmel so nahe bringen wie du.« Er hält sie in seinem rechten Arm und spürt ihren Körper, ihren Puls, ihren Atem. Dann aber murmelt er: »Aber ich kann dir keine kostbaren Juwelen schenken.« »Das musst du auch nicht«, flüstert sie. Er wagt es nun, sie direkt zu fragen. Und so flüstert er: »Wer ist der noble Bursche, der dich wie eine Göttin der Liebe beschenkte? Wer ist dieser Bursche? Ist es der Mann, den die Gesetzlosen des Panhandle ›Colonel‹ nennen, der Mann mit zwei unterschiedlichen Augen?« Er spürt, wie ihr Körper plötzlich vibriert. Dann fragt sie kaum hörbar: »Was weißt du von einem Colonel?« »Aaah, man hört da und dort etwas. Ich wurde Al Finnegans Nachfolger. Und jener Fat Cat Finch führte mich hier ein. Dann bekam ich von Hiob McClusky meine Befehle. Sag mir also, wem du so kostbare Juwelen wert bist.« Sie schweigt lange in seinem Arm. Dann flüstert sie: »Ich fürchte mich vor ihm. Und er könnte mir seine Geschenke leicht wieder abnehmen. Das alles ist für ihn nur ein Spiel.« »Ist es der Colonel?« Er fragt es nun härter.
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»Du musst nicht eifersüchtig sein«, flüstert sie, »nein, das musst du nicht. Ich will mich nur mit den Waffen einer Frau behaupten – mehr nicht.« »Und von mir willst du meinen schnellen Revolver, Reva?« Sie löst sich von ihm und setzt sich auf. »Ja, es könnte sein, dass ich mal deinen Schutz benötige. Was ist falsch daran, wenn sich eine Frau …« »Schon gut«, unterbricht er sie und stellt die Frage abermals: »Ist es jener Colonel, dessen Name Jeffrey Fitzgerald ist und der die Hope-Bank gegründet hat? Ist er es? Sag es mir endlich!« Sie erhebt sich, verharrt am Bettrand. Hinter ihr ist das Fenster, durch das das erste Morgenlicht ins Zimmer fällt. Er kann ihren makellosen Körper bewundern und verspürt abermals das Durcheinander seiner Gefühle. Dann hört er sie flüstern: »Ja, es ist Jeffrey Fitzgerald, der Bankier. Ja, sie nennen ihn ›Colonel‹. Und Hiob McClusky fand man tot auf seinem Pferd festgebunden. Jim, ich fürchte mich. Denn ich weiß, ich bin in ihren Händen. Ich denke, sie sind eine Bande, die mich unter sich teilen. Oh, verdammt!« Ihre Stimme klingt hilflos. Sie beginnt sich anzukleiden. Und bevor sie sein Zimmer verlässt, flüstert sie: »Jim Starr, ich gab dir, 170
was eine Frau einem Mann nur geben kann. Dafür verlange ich deinen Schutz. Denn du konntest Al Finnegan besiegen, den sie alle für unbesiegbar hielten. Ja, ich verlange deinen Schutz.« Nach diesen Worten verlässt sie das Zimmer. Er aber bleibt bewegungslos liegen. Sein Verstand holt ihn immer mehr ein. Die Wirkung der heißen Liebesnacht schwächt sich ab. Und je länger er gründlich nachzudenken versucht, umso unsicherer wird er in seiner Beurteilung von Reva Savage. Ist sie eine wunderschöne, doch verlogene Hure, die sich Macht über für sie wichtige Männer verschaffen will? Oder ist sie eine Gefangene dieser Bande? Ja, es muss die Bande sein, die damals von Mexiko herüberkam, frische Pferde brauchte und deshalb seine Ranch überfiel. Es ist gegen Mittag, als er erwacht, denn abermals konnte er erst nach Sonnenaufgang einschlafen. Er weiß, dass Reva jetzt unten ist, denn sie muss sich stets um viele Mittagsgäste kümmern. Ihr Restaurant ist ja das einzige in Hope. Sonst gibt es nur zwei primitive Bodegas. Er erhebt sich, wäscht und rasiert sich und kleidet sich an. 171
Die ganze Zeit denkt er an die Juwelen, an den Familienschmuck seiner geschändeten und dann ermordeten Frau. Er entschließt sich ganz plötzlich, verlässt sein Zimmer und geht den Gang entlang zur Hintertür, durch die man zur Treppe gelangt, die vom Hof aus hinauf zu Revas Wohnung führt. Die Tür ist verschlossen, doch er kann durch das hochgeschobene Fenster einsteigen. Es ist eine schöne Wohnung im Hausgiebel. Und im Schlafzimmer steht ein nobles Messingbett mit großen Messingkugeln auf den Bettpfosten. Solche Betten gibt es in den Nobelbordells in New Orleans. Er beginnt das Zimmer zu durchsuchen, und er weiß nicht, was er zu finden hofft, vielleicht noch andere Dinge, die seiner Frau gehörten, die damals ebenfalls verschwanden, zum Beispiel ein wertvoller Handspiegel und ein Kamm mit einem Rücken aus Silber. Doch er findet nichts, auch nicht die silberne Pillendose. Als er auch das Wohnzimmer durchsucht hat, kehrt er ins Schlafzimmer zurück und sieht sich dort noch einmal um. Sein Blick fällt wieder auf das noble Messingbett und bleibt auf den großen Messingkugeln haften. Er weiß, dass die Kugeln innen hohl sind. 172
Als er die Erste vom Pfosten abdreht, da klappert es leicht in ihr. Als er den Inhalt auf dem Bett ausleert, da sieht er den Ring seiner Frau. In den anderen Kugeln findet er die Halskette und das Rubinkreuz mit der dünnen Kette, an der es umzuhängen ist. In ihm ist eine grimmige Zufriedenheit, und er kommt sich nicht wie ein Dieb vor. Denn schließlich gehörte das alles seiner Frau. Was soll er nun tun? Soll er alles an sich nehmen oder wieder zurück in die Messingkugeln tun? Aber er muss nicht lange nachdenken. Er steckt den kostbaren Schmuck ein und kehrt in sein Zimmer zurück. Wenig später findet er sich zum späten Mittagessen ein wie immer. Doch heute sind noch einige späte Gäste im Speiseraum. Reva setzt sich deshalb nicht an seinen Tisch. Einige der Gäste haben die Nacht in Hope verbracht, waren im Bordell, tranken im Saloon und spielten Karten. Nun wirken sie ziemlich ausgebrannt. Er weiß, dass sich die drei Männer gestern Geld von ihrer Bank holten. Er erinnert sich auch daran, sie gesehen zu haben, als die vier Banden auf den Goldtransport warteten. 173
Als er gestern zum Saloon ging und dem Marshal den Brief an Ernest Skinner in der Dunkelheit übergab, da ließ er sich erklären, wo jener Fitzgerald seine Pferdezucht betreibt.
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Es ist ein Ritt von etwa fünf Meilen am Creek hinauf und dann an einem Zufluss dieses Creeks nach Westen. Die kleine Ranch liegt in einem grünen Hügeltal an einem kleinen See. Und das Gras in weiter Runde des Tales ist Blaugras. Blaugras ist das beste Gras für eine Pferdezucht, denn es enthält wertvolle Mineralien. Die Ranch besteht aus einem kleinen Ranchhaus, einer Hütte, die als Unterkunft für die Reiter dient, einer Scheune und einigen Corrals. In einem dieser Corrals arbeiten zwei Männer mit einem Hengst, versuchen ihn zuzureiten. Aber sie werden immer wieder abwechselnd abgeworfen. Ein dritter Mann sitzt auf einer Corralstange und sieht zu. Als Puck heranreitet, hört er diesen Mann rufen: »Jungs, den schafft ihr nicht! Also muss ich es wohl selbst tun. Fangt ihn ein und bringt ihn her. Ich springe von hier aus in den Sattel. Bringt ihn her und gebt mir die Zügelenden in die Hand.« Der Mann auf der Corralstange muss jener Fitzgerald sein. Denn Puck erkennt die Stimme 175
wieder. Ja, so klang sie damals. Eine solche Stimme vergisst man nie. Er sieht nun Puck Starretter heranreiten und ruft über die Schulter: »He, was wollen Sie, Mann?« Starretter winkt nur lässig. »Ich will mit Ihnen reden. Drüben im Haus. Kommen Sie herüber, Mister Fitzgerald.« Er lenkt seinen Wallach über den Hof zum Ranchhaus hinüber und sitzt dort ab. Und Fitzgerald kommt tatsächlich von den Corrals herüber. Als er nahe genug ist, grollt seine harte Stimme: »Mann, wenn Sie keinen vernünftigen Grund haben, dann werde ich mächtig böse. Wer sind Sie überhaupt?« »Ich bin der Mann, der Al Finnegan besiegte.« Puck spricht mit trügerischer Freundlichkeit und betrachtet Fitzgerald aufmerksam, sieht diesem auch fest in die so verschieden farbigen Augen. Eines ist schwarz, das andere gelb, und es geht tatsächlich eine suggestive Kraft von dem glitzernden Blick aus. Puck Starretter hat plötzlich das Gefühl, als könnte der Mann in sein Innerstes sehen und seine Gedanken lesen. Und so legt auch er seine ganze Kraft in seinen Blick, lässt alles daran abprallen. Aber Pucks letzte Worte beeindruckten den Mann nun wohl doch. Denn seine Augen werden plötzlich schmal, sind nur noch zwei Schlitze, die alles 176
verborgen halten, so als befürchtete er, dass sein Gegenüber in ihm lesen könnte. »Nun gut, Sie haben Finnegan zur Hölle geschickt. Das passiert früher oder später jedem Revolvermann. Denn irgendwann gerät er an einen besseren Gegner. Und so sind alle dieser Gilde zum Untergang bestimmt. Also, was wollen Sie? Warum kamen Sie her? Ich will hier nicht gestört werden bei meinen Pferden, die für mich das Edelste auf dieser Erde sind.« »Ich komme, um Ihnen etwas zu zeigen. Und dann wollen wir uns darüber unterhalten. Gehen wir ins Haus, Fitzgerald.« Nach diesen Worten geht Starretter durch die offene Tür ins Haus hinein. Und so bleibt Fitzgerald nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Doch er rückt noch einmal seinen Revolver zurecht, obwohl er das schon getan hat, als er von den Corrals herüberkam. Drinnen tritt Starretter an den Tisch und wendet sich Fitzgerald zu, der auf der anderen Seite verhält, sodass sie nur noch durch den Tisch voneinander getrennt sind. »Also, was ist? Meine Geduld ist nun am Ende!« Fitzgeralds Stimme klirrt voll böser Ungeduld. Starretter aber greift in die Tasche und legt drei Dinge auf den Tisch: Die Halskette, den Ring und das Rubinkreuz mit der dünnen Kette. 177
»Das waren noble Geschenke«, spricht er dann mit trügerischer Ruhe. »Solche Geschenke erhielten früher die Mätressen von Königen und anderen Herrschern. Und diese Mätressen waren oft die wahren Herrinnen.« »Haben Sie Reva Savage diese Juwelen gestohlen?« Fitzgerald fragt es hart und drohend. Seine Hand hängt hinter dem Revolvergriff. Starretter verzieht den Mund zu einem harten Lächeln. »Oha, Sie großspuriger Hurensohn«, spricht er. »Sie haben hier etwas in Gang gebracht, für das Sie letztlich nicht groß genug sind. Diese Juwelen gehörten zum Familienschmuck meiner Frau. Ihre Vorfahren brachten ihn aus Europa mit in die neue Welt. Und Sie kamen mit Ihrer Bande von Mexiko herüber. Ich bin gekommen, um Sie zu töten. Wahrscheinlich verdienen Sie kein faires Duell, aber ich kann Sie nicht töten, ohne Ihnen eine Chance zu geben. Gehen wir also hinaus und erledigen wir das.« Fitzgeralds Augen werden weder groß und weit. Nun strömen sie wieder jene suggestive Kraft aus, mit der er gewiss schon so manchen Gegner lahmte. Starretter aber lässt ihn spüren, dass diese Kraft auf ihn nicht wirkt.
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Er nimmt mit der Linken die drei Kostbarkeiten wieder vom Tisch und lässt sie in der Jackentasche verschwinden. »Sie Hurensohn haben mit Ihrer Bande meine Familie umgebracht. Ich weiß es von Hiob McClusky. Auch dem gab ich eine Chance. Na los, gehen wir hinaus und nehmen wir draußen ein Dutzend Schritte Abstand.« Fitzgerald nickt langsam. »Ein edler Rächer, ein Coltritter, oho, einer, der auf ehrenhafte Weise Rache nehmen will, damit er in den Himmel der Edlen kommt. Oho, du Narr, du konntest Finnegan und McClusky schaffen …« Er bricht ab, obwohl er gewiss sagen wollte: »… doch mich schaffst du nicht!« Er wendet sich mit einem Ruck um und geht durch die offene Tür wieder hinaus. Er ist ein großer, hagerer und sehniger Mann mit einem leichten, katzenhaft gleitenden Gang. Ja, jetzt lässt er an einen Tiger denken, der durch den Dschungel streift. Und draußen wird er auf Starretter warten. Starretter weiß es. Viele andere Männer an seiner Stelle hätten diesen Mörder und Anführer einer Mörderbande einfach abgeknallt, vielleicht sogar aus dem Hinterhalt mit einem weit reichenden Gewehr, um kein Risiko einzugehen. Doch das kann Puck Starretter nicht. 179
Er will seinem Feind in die Augen sehen, ihn im Duell besiegen. Und so rückt auch er noch einmal seinen Revolver zurecht und geht ebenfalls hinaus. Jeffrey Fitzgerald hat draußen indes ein Dutzend Schritte gemacht. Er wirbelt im selben Moment herum, als Starretter ins Freie tritt, und hat den ersten Schuss. Denn er wirbelt mit bereits gezogenen Revolver herum. Vielleicht wollte er zu schnell sein, schneller noch, als er es bisher in seinen Revolverkämpfen war. Aber wahrscheinlich hat er niemals einem Gegner eine wirkliche Chance gelassen, weil er ein zweibeiniges Raubtier ist. Seine Kugel fährt in Starretters Jackentasche und stößt diesen herum. Starretter schießt dennoch, fällt auf ein Knie, schießt dabei noch einmal. Dann ist es vorbei. Fitzgerald liegt am Boden und rührt sich nicht mehr. Starretter erhebt sich stöhnend und greift unter die Jacke. Doch er spürt am Körper unter dem Hemd keine Wunde, kein warmes Blut. Und so greift er in die Jackentasche und begreift schnell, was geschehen ist. Der Schmerz in seiner Seite ist groß. Er holt den zertrümmerten Schmuck seiner Frau heraus. Vor allen Dingen das Halsband hat sehr gelitten. Viele 180
der in Gold gefassten Rubine sind zertrümmert. Und auch das Rubinkreuz ist zerstört. Der ganze Schmuck war ja zusammengeballt zu einem harten Knäuel, lag so in seiner Tasche. Und hinein in die Edelsteine und das Gold fuhr die Kugel, stieß sie ihm in die Lebergegend, sodass er wie von einem Leberhaken eines Preiskämpfers auf ein Knie niederging. Und der Schmerz ist immer noch mächtig, aber er kann nicht darauf achten. Denn drüben beim Corral sind ja noch die beiden Zureiter. Aber er glaubt nicht, dass sie zur Bande gehören. Sie tragen keine Revolver, verharren nur und starren herüber. Er fragt sich dennoch, was sie tun werden. Nach einigen Atemzügen, die ihm schwer fallen, hinkt er zu seinem Pferd. Er muss sein rechtes Bein etwas nachziehen. Er sitzt auf und reitet zu den Zureitern hinüber. Sie heben die Hände. Einer sagt: »Wir arbeiten erst seit drei Tagen hier und wissen nicht, was das zu bedeuten hat. Und es geht uns auch nichts an. Aber was sollen wir jetzt tun? Er ist doch der Boss der Bank in Hope und betrieb hier sein Hobby, eine Pferdezucht. Was sollen wir jetzt tun?« »Beerdigt ihn«, erwidert Starretter hart. »Er war ein Bandit und Anführer einer Mörderbande. In einigen Tagen wird ein Aufgebot hier eintreffen und 181
das Gesetz nach Hope bringen. Ihr könnt für die Pferde hier sorgen. Man wird euch den Lohn zahlen.« Er zieht seinen Wallach herum und reitet davon. Die beiden Zureiter sehen sich an. Dann blicken sie auf die leblose Gestalt ihres Bosses. »Liegen lassen können wir ihn nicht«, sagt einer. »Und für die Pferde muss auch gesorgt werden. Wir können nicht einfach abhauen.« »Nein, das können wir nicht, Shorty«, murmelt der andere Mann. »Und wenn ein Aufgebot kommt, dann zahlt man uns vielleicht unseren Lohn.« Langsam mildert sich der Schmerz. Er wird gewiss noch viele Tage eine Schwellung haben und einen blau und grün gefärbten Bluterguss. Einmal hält er an und holt den zertrümmerten Schmuck seiner Frau heraus, hält ihn in der hohlen Hand und betrachtet ihn. Auch die Bleikugel liegt dazwischen. Am wenigsten hat der Ring gelitten. Doch das Halsband und das Rubinkreuz wurden zerstört, die Edelsteine aus den Fassungen gebrochen. Die Steine selbst, von denen er einige für zertrümmert hielt, sind jedoch noch alle heil. Edelsteine sind nun einmal härter als eine Bleikugel. Er denkt sehr intensiv an seine Frau, wird sich darüber klar, dass ihr Schmuck ihm wahrscheinlich 182
das Leben rettete. Denn wenn die Kugel in seine Leber gefahren wäre, hätte er keine Chance gehabt. Das Schicksal wollte offenbar, dass seine Frau auch zwei Jahre nach ihrem schrecklichen Tode noch etwas für ihn tun konnte mit den Juwelen ihrer Vorfahren. Die Dinge im Leben der Menschen verlaufen manchmal auf die verrückteste Weise. Und so kann das alles doch einfach nur vom Schicksal so gewollt sein. Denn an Zufälle kann er nicht glauben. Es ist schon fast Abend, als er in den Hof des Mietstalls reitet. Der Stallmann nimmt ihm den Wallach ab. Doch als Starretter absitzt, da sagt der alte Excowboy: »Ist was, Mister Starr? Sie sehen ziemlich elend aus.« »Nein, es geht mir prächtig«, erwidert er. »Ich bin nur vom Pferd gefallen, als es vor einer Klapperschlange scheute.« Er hinkt davon, und der Stallmann sieht ihm zweifelnd nach. Wenig später kommt Starretter am Marshal’s Office im City House vorbei. Hackland sah ihn wahrscheinlich kommen und erscheint in der offenen Tür. Sein Blick ist eine einzige stumme Frage. Puck tritt wortlos ein und setzt sich drinnen in den Armstuhl vor dem Schreibtisch. Er streckt stöhnend die Beine aus und bohrt die Sporenrädchen in die Dielen. 183
Hackland nimmt in seinem Armstuhl auf der anderen Seite Platz. Dann betrachten sie sich einige Atemzüge lang wortlos. »Ich habe diesen Fitzgerald erschossen«, murmelt Starretter dann. »Haben Sie irgendwo einen starken Schnaps? Und ein Tuch?« Hackland nickt. »Ich habe Brandy und ein Tuch. Aber zum Brandy braucht man Gläser und kein Tuch.« Da öffnet Starretter seine Jacke und zieht sich das Hemd aus der Hose. Der Marshal sieht nun die Schwellung, die sich schon verfärbt hat. »He, was ist das?« So fragt er. Aber dann schafft er die Flasche Brandy und das Tuch herbei, sieht dann zu, wie Starretter das Tuch mit Brandy tränkt, auf die Schwellung legt und das Hemd wieder darüber zieht. »Das war aber kein Pferdetritt«, murmelt Hackland. »Und eine Kugel wäre nicht abgeprallt.« »Es war eine Kugel.« Starretter grinst und holt den zertrümmerten Schmuck seiner Frau aus der Jackentasche. Dann erzählt er Hackland die ganze Geschichte. Hackland hört aufmerksam zu. Nur einmal bewegt er sich und bringt aus dem Schreibtisch zwei Gläser zum Vorschein. 184
»Es ist guter Brandy«, spricht er. »Trinken wir auf Ihr Überleben.« Sie tun es. Dann fragt Hackland: »Und was erwartet uns nun? Was kommt auf uns zu?« »Wir müssen durchhalten, John. Vielleicht dauert es noch einige Tage, bis die drei Bandenanführer herausfinden, was auf Fitzgeralds Pferderanch geschehen ist. Aber wenn sie es wissen, dann werden sie kommen, um die Beute der vier Banden aus der Bank zu holen. Sie sind ohne ihren Anführer. Fitzgeralds großer Plan von einem eigenen County im Panhandle ist nicht mehr durchführbar. Sie werden sich die Beute holen – alles, was sie bisher überall erbeutet haben –, um es unter sich aufzuteilen. Und dann werden sie sich auf den Weg nach Norden machen. Wahrscheinlich kommen sie ohne ihre Reiter, weil sie die betrügen wollen. Würden wir von den Bürgern dieser Stadt Hilfe bekommen, John?« Hackland schüttelt den Kopf. »Nein«, murmelt er. »Hopes Bürger wurden immer wieder zurechtgestutzt. Deren Mut und Stolz wurden zerbrochen. Wir sind allein, mein Freund.« Er deutet auf den zertrümmerten Schmuck. »Das lässt sich reparieren. Aber deine Frau wird nicht wieder lebendig. Vielleicht konnte sie aus dem Jenseits beobachten, dass dir ihr Schmuck das Leben 185
rettete. Und das wird ihr auch im Jenseits Freude machen.« Sie sehen sich an. Und sie wissen, dass sie jetzt Freunde sind.
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Als er ins Hotel tritt, ist es fast schon Nacht geworden. Reva Savage steht hinter dem Anmeldetisch und blickt ihm ungeduldig entgegen. »Offenbar hast du dich mit John Hackland verbrüdert«, spricht sie klirrend. »Du warst verdammt lange bei ihm im Office. Was bedeutet das? Die ganze Stadt fragt sich, was ihr ausheckt. Du müsstest in diesen Tagen an Al Finnegans Stelle überall die üblichen Schutzgelder kassieren. Sie alle warten auf dich. Oder hat sich da etwas geändert in dieser so verdammt feigen Stadt?« Er sieht sie ernst an und fragt: »Hast auch du zahlen müssen, obwohl die verdammten Hurensöhne, die das Panhandle beherrschen, deine …« »Halt, sprich es nicht aus!« Mit diesen scharf gerufenen Worten unterbricht sie ihn Dann sagt sie: »Man hat mich bestohlen. Mein kostbarer Schmuck ist fort. Hast du eine Idee, wer mich bestohlen haben könnte?« In ihren grünen Katzenaugen funkelt es böse, und in ihrer Stimme ist ein hinterhältig wirkender Klang. Er schweigt einige Atemzüge lang. 187
Dann greift er in die Tasche und holt die Kostbarkeiten hervor, legt sie vor Reva aufs Anmeldepult. Sie starrt mit großen Augen ungläubig darauf, greift jedoch dann nach dem unbeschädigten Ring. »Er gehörte meiner Frau«, spricht er ruhig. »Sie wurde von Fitzgerald und dessen Bande auf unserer Ranch ermordet. Es sind Erbstücke von den Vorfahren meiner Frau, die in Schottland ein mächtiger Clan waren, aber flüchten mussten, weil sie sich gegen die englische Krone auflehnten. Die Juwelen bringen dir kein Glück. Nur mir haben sie das Leben gerettet, denn sie haben die Kugel aufgefangen, mit der Fitzgerald mich erledigen wollte. Ich habe ihn vor einigen Stunden getötet. Und jetzt muss diese Stadt zeigen, ob sie es wert ist, frei und stolz zu werden. Reva, auch du wirst bald frei sein in einem Panhandle und in einer Stadt mit einer ganz anderen Zukunft.« Er nimmt ihr den Ring weg und steckt auch den so arg geschädigten Schmuck wieder in die Tasche. Reva kann das Loch sehen, das die Kugel gerissen hat. Sie hebt eine Hand und wischt sich über Stirn und Augen. Als sie ihn dann wieder ansieht, da glitzern ihre Augen. 188
»Aber du hast mich dennoch bestohlen«, flüstert sie fast tonlos. »Du bist ein verdammter Spieler, Pferdedieb – und du beraubst Frauen, die mit dir ins Bett gehen und dich mit allem, was sie geben können, beschenken. Ich werfe dich jetzt aus meinem Hotel. Pack deine Siebensachen und hau ab!« Sie ist nun völlig biestig und glüht vor Zorn. Er nickt nur stumm, wendet sich ab und geht nach oben. Aber als er oben seine wenigen Sachen in die Satteltaschen packt und auch seine Sattelrolle verschnürt, da kommt Reva herein. Sie verharrt an der Tür und spricht zerknirscht wirkend: »Vergib mir, Jim. Ich habe die Kontrolle über mich verloren. Ich war verrückt. Eigentlich sollte auch ich dankbar dafür sein, dass der Schmuck die Kugel aufgehalten hat. Was ist schon ein kostbarer Schmuck gegen dein Leben? Bleib bei mir, Jim. Ich werde deinen Schutz nötiger brauchen als bisher.« Er lächelt nachsichtig und schüttelt den Kopf. »Die ganze Stadt wird Schutz brauchen, Reva. Ich ziehe zu John Hackland ins City House. Wir legen unsere Karten offen auf den Tisch. Und wenn die Stadt uns nicht beisteht, dann soll sie zur Hölle fahren.« Als er verstummt, da verharrt sie einige Atemzüge lang. 189
Dann murmelt sie: »Jim, sie werden euch töten. Sie sind auch ohne Fitzgerald mächtig und werden sich holen, was ihnen ihrer Meinung nach gehört. Fitzgerald hat sie alle beherrscht. Jetzt sind sie nichts anderes mehr als eine gierige Meute. O ja, ich weiß, dass ihre ganze bisherige Beute in der Bank liegt. Es ist eine Banditenbank. Und sie besitzt nicht mal einen Tresor.« Als sie verstummt, da nimmt Puck Starretter seine Sachen und geht an ihr vorbei hinaus. Als er in die Empfangsdiele kommt, sitzt dort schon die dicke Clara hinter der Anmeldung. Sie hat ihren Dienst soeben angetreten. Als er vor ihr verhält, sehen sie sich schweigend an. Dann spricht sie ruhig: »Ich habe immer gespürt, dass Sie mehr als nur ein Spieler sind.« Sie deutet auf den Kamin in der Ecke, in dem das Abzugsrohr des Kanonenofens eingeführt ist. »Ich musste nur die Ofenklappe öffnen, um alles zu hören, was oben gesprochen wurde«, verrät sie ihr bisheriges Geheimnis. »Viel Glück, Jim Starr. Aber das ist ja nicht Ihr richtiger Name – oder?« »Ich heiße Starretter, Puck Starretter, und ich mag Sie sehr, Clara.« Nach diesen Worten geht er hinaus. Als er wenig später zu Hackland ins Office tritt und sein weniges Gepäck einfach fallen lässt, da grinst John Hackland und spricht: »Da liegt der 190
Blechstern, der dich zu meinem Deputy macht. Und dann sollten wir zur Bank gehen – oder?« »Sicher«, nickt Puck. »Sonst haben wir die beiden Bewacher der großen Beute im Rücken.« Sie machen sich wenig später auf den Weg. Als sie gegen die schwere Tür klopfen, ruft drinnen eine harte Stimme: »Die Bank ist erst morgen wieder geöffnet!« Aber sie klopfen nun noch härter. Und da fragt die Stimme: »Verdammt, wer ist da? Hast du etwas mit den Ohren?« »Ich komme mit einer Anweisung vom Colonel!«, ruft Puck zurück. Drinnen ist es eine Weile still. Dann wird die Tür geöffnet. Einer der beiden Banker steht im Lampenlicht mit einer abgesägten Schrotflinte im Anschlag. Er sieht die beiden Männer im herausfallenden Lampenschein, erkennt den Marshal und fragt grob: »Was will der denn?« Puck Starretter hebt einen Zeigefinger. »Der Colonel ist tot«, sagt er. »Ihr habt keinen Boss mehr. Und diese Bank wird aufgelöst, weil ihr Kapital nichts anderes als Banditenbeute ist. Jungs, ihr solltet hier aufgeben.« Der Mann mit der Schrotflinte schüttelt heftig den Kopf. 191
»Ihr könnt uns viel erzählen«, grollt er. »Weg von der Tür! Ich mache sie wieder zu! Haut ab!« Puck Starretter und John Hackland treten tatsächlich zurück. Aber als der Mann die Tür zuschlagen will, da treten sie beide mit aller Kraft dagegen. Drinnen kracht zwar die abgesägte Schrotflinte, doch die dicke Eichentür hält die Schrotkugeln auf. Nur Gewehrkugeln hätten das harte Holz durchschlagen können. Sie springen hinein, und es ist Hackland, der den Mann mit dem Revolverlauf zusammenschlägt. Der andere Mann kommt von die Treppe herunter und erkennt sehr schnell die Situation. Denn es sind zwei Revolver auf ihn gerichtet. »Schon gut«, knirscht er, »schon gut! Habe ich richtig gehört? Der Colonel ist tot? Du bist doch dieser Jim Starr?« »Und du bist ein sehr vernünftiger Bursche.« Puck grinst. »Wir haben zwei schöne Zellen für euch. Denn die Bank wird jetzt von der Stadt Hope gewissermaßen treuhänderisch übernommen.« Es ist dann fast schon Mitternacht, als sie gemeinsam die Runde durch Hope machen. In einer den beiden Bodegas bekommen sie ein Nachtessen, dann gehen sie weiter. 192
Im Saloon ist wenig Betrieb. Die drei Animiermädchen langweilen sich. Und der dürre Klavierspieler greift müde in die Tasten. Mike Traven, der Wirt, starrt auf Pucks Stern und wendet sich an Hackland: »He, was ist das?« »Es werden keine Schutzgelder mehr kassiert«, sagt der Marshal und grinst. »Ihr seid jetzt eine freie Stadt. Wir werden euch beschützen, so gut wir können. Doch wenn ihr uns nicht helft als Bürgerwehr, dann seid ihr keine freie Stadt mehr.« Mike Traven starrt sie beide abwechselnd an. »Ihr seid ja verrückt«, knurrt er dann. »Das Panhandle und diese Stadt gehören den Gesetzlosen. Dies ist ihr County geworden, ihre Zuflucht. Das geben sie nicht einfach so auf. Und die Schutzgelder sind ja nur Zeichen unserer Unterwerfung. Ihr seid verrückt!« Er verstummt mit einem Klang von Überzeugung in der Stimme. Dann schenkt er Hackland und Starretter zwei Gläser aus einer besonderen Flasche ein und sagt: »Mut habt ihr ja. Deshalb habt ihr auch meinen besonderen Respekt. Die Drinks gehen aufs Haus.« Es vergehen drei Tage und drei Nächte. Es ist ein zermürbendes und an den Nerven zehrendes Warten. Hope wirkt wie gelähmt, wie scheintot. Und sie alle wissen, dass jetzt Nachrichten 193
im Panhandle kursieren und sich eine Menge zusammenbraut. Denn die Banden dort draußen im Pfannenstiel, die haben auch in der Stadt ihre Spione und bekommen Nachrichten. Deshalb ist es im ganzen Pfannenstiel gewiss bekannt, dass es nur zwei Männer in Hope gibt, die gegen das System rebellieren wollen, das System des Colonels und dessen vier Banden. Es ist dann am vierten Tag am Vormittag, als Torne Kelly, Bat McGill und Morg Spillburn nach Hope kommen – ja, nur sie allein. Denn sie wollen großspurig ein Exempel statuieren, der Stadt zeigen, dass sie die Macht besitzen. Puck Starretter und John Hackland sitzen auf der Saloon-Veranda. Es war für sie Tag und Nacht ein Nerven belastendes Warten. Nun sehen sie die drei Reiter von Norden her in die Stadt kommen. Die drei Bandenanführer reiten nebeneinander, Steigbügel an Steigbügel. Sie strömen gnadenlose Härte und Furchtlosigkeit aus. Ihr Kommen wirkt irgendwie unaufhaltsam. John Hackland murmelt neben Puck: »Da sind sie. Puck, jetzt können wir wohl nicht mehr davonlaufen, sondern müssen es durchstehen.« »So ist es«, erwidert Puck Starretter und leert das Bierglas, dessen Inhalt längst schal geworden ist. 194
Sie erheben sich und treten mitten auf die Fahrbahn. So warten sie und sehen den drei Reitern entgegen. Diese halten mitten auf der Plaza an, genau dort, wo sich die Wagenwege von Nord nach Süd und Ost nach West kreuzen. Sie sitzen ganz langsam ab und lassen die Zügelenden hinter sich zu Boden fallen, setzen sich Schritt für Schritt in Bewegung. Als sie nur noch zwei Dutzend Schritte von den beiden Marshals entfernt sind, da halten sie inne. Bat McGill ruft herüber: »He, ihr zwei Narren, was glaubt ihr denn, wer ihr seid?« »Sagt uns lieber, was ihr wollt«, erwidert Puck Starretter. »Was wohl? Ihr lasst die beiden Banker aus den Zellen! Und dann zeigt ihr dieser Stadt eure Unterwerfung!« »Wie denn?« »Ihr werdet mitten auf der Plaza vor uns niederknien. Dann dürft ihr bleiben als unsere Statthalter, so wie es früher Al Finnegan war. Na los, kommt her! Wir holen die beiden Gefangenen aus den Zellen. Vorwärts!« »Daraus wird nichts«, erwidert nun John Hackland. »Ich werde euch einsperren, weil ihr den Marshal von Hope bedroht und auch steckbrieflich 195
gesucht werdet. Schnallt eure Waffengürtel los, lasst sie fallen und hebt die Hände!« Seine Worte sind kaum verklungen, da stößt einer der drei Banditen einen scharfen Laut aus. Dies ist das Kommando zum Ziehen der Waffen. Denn nichts anderes wollten sie von Anfang an. Ihre Worte zuvor hatten wenig zu bedeuten. Die Stadt sieht zu aus Fenstern und Türen, aus den Läden und den Gassenmündungen, überall dort, wo es Deckungen gibt. Und sie sehen einen zahlenmäßigen ungleichen Kampf von zwei Männern gegen drei. Die Revolver krachen auf der Plaza, und die Schützen, die fast gleichzeitig zogen, bewegen sich beim Schießen aufeinander zu, wollen näher heran, um besser treffen zu können. Denn sie alle schießen aus der Hüfte. Zuerst fällt John Hackland, der Marshal. Dann fallen Torne Kelly und Bat McGill. Und zuletzt feuern nur noch Morg Spillburn und Puck Starretter, bis dann nur noch Letzterer steht. Dann ist es vorbei. Der Pulverrauch wird vom leichten Wind von der Plaza gefegt. Puck Starretter tritt mit seinem noch rauchenden Revolver zu John Hackland und fragt auf diesen nieder: »He, wie geht es dir?« 196
Da öffnet der Marshal die Augen, grinst verzerrt und fragt zurück: »Haben wir gewonnen?« »Ja, wir machten sie platt, John. Willst du liegen bleiben oder soll ich dir auf die Beine helfen?« »Ja, hilf mir.« Hacklands Stimme knirscht. Es geht ihm nicht gut. Sein Hemd färbt sich dunkel von seinem Blut. Aber er schafft es mit Starretters Hilfe, auf die Beine zu kommen. Und überall kommen die Bürger der Stadt zum Vorschein und sehen zu, wie die beiden Männer im City House verschwinden.
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John Hackland liegt stöhnend auf dem Bett in seiner kleinen Kammer neben den drei Gitterzellen, von denen ja zwei belegt sind. Puck Starretter hat ihn entkleidet, sodass sein mit Blut bedeckter Oberkörper völlig nackt ist. Er kann sich nun die blutende Wunde ansehen. Es ist ein Steckschuss in der Schulter. Denn im Rücken gibt es kein Ausschussloch. Und so fragt er: »Kannst du atmen? Was spürst du in deiner Lunge?« »Ich spucke kein Blut, wie du sehen kannst«, knirscht Hackland. »Meine Lunge kann wohl nicht verletzt sein.« Jemand kommt herein und füllt die kleine Schlafkammer fast völlig aus. Es ist die dicke Clara. »Lasst mal sehen«, verlangt sie, und so macht Puck ihr den Platz am Bett frei. »Es gibt kein Ausschussloch«, sagt er dabei. »Dann drehen wir ihn wieder auf den Bauch.« Claras Stimme klingt energisch. Hackland stöhnt und stößt dann hervor: »Wenn ihr mich ständig dreht, dann werde ich schwindlig wie auf einem Karussell.« Clara lässt ein kurzes Lachen hören. 198
»Humor hat er ja noch. Ein Weichei ist er nicht.« Sie haben Hackland nun auf dem Bauch liegen. Die Dicke betastet die Stelle, wo eigentlich das Ausschussloch sein müsste. Dann aber pfeift sie durch die Zähne und kichert: »Oh, da ist sie ja, die Kugel. Oh, du dummes Stück Blei, dich könnte ich mit einer Stricknadel herausholen. Aber ich habe noch etwas, das besser ist.« Sie hebt ungeniert ihre Röcke. Puck sieht an ihrem dicken Bein eine festgeschnallte Messerscheide, in der ein spitzer Dolch steckt. Sie holt ihn heraus und betrachtet kritisch die Spitze. Dann verlangt sie Brandy oder einen anderen starken Schnaps. »Richtiges Feuerwasser muss es sein, von der Sorte, dass die Knöpfe abspringen.« »Ich weiß, wo ich es finde.« Puck grinst und verschwindet nach vorn ins Office. Als er mit der Flasche zurück ist, nimmt die dicke Clara sie ihm ab und setzt sie an den Mund, lässt einige Schlucke in ihren dicken Hals gluckern. »O ja, der ist gut«, stellt sie fest. »Der lässt Tote wieder auferstehen.« Sie gießt etwas auf die Stelle, wo sie die Kugel herausschneiden will. Auch die dünne Dolchklinge begießt sie.
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Dann aber hantiert sie schnell und geschickt, macht einen tiefen Schnitt und hebelt die Kugel heraus. John Hackland stöhnt erleichtert. »He, dicker Engel«, ächzt er, »ich würde dich gerne küssen.« Sie stößt ein grimmig klingendes Lachen aus und erwidert trocken: »Mich hat schon lange kein Mann mehr geküsst. Aber früher – oho, warum geht die schönste Zeit des Lebens so schnell vorbei, verdammt?« Sie wendet sich Puck zu und spricht mit einem Klang von Bedauern in ihrer Stimme: »Jetzt bist du verdammt allein, mein Junge. Denn diese Stadt, die schämt sich zwar bis auf die Knochen, aber das wird dir nicht helfen. Du bist allein. Denn der da fällt aus. Wenn der sich bewegt, verliert er wieder Blut. Dann läuft er aus.« Ihre Stimme klingt trocken und hart, aber in ihren Augen erkennt Puck Mitgefühl und Sorge. Hackland liegt immer noch auf dem Bauch. Er knirscht nun: »Wollt ihr mir kein Pflaster oder sonst was auf die Wunde kleben? Unterhalten könnt ihr euch später noch über diese armselige Stadt und deren zerbrochene Bürgerschaft. He, mein dicker Engel, wo hast du das Doktern gelernt?«
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Sie zögert mit der Antwort. Dann aber spricht sie ruhig: »Ach, eine alte Frau wie ich, die lernt in ihren Leben eine Menge.« Drei Tage vergehen, ja, ganze drei Tage und Nächte. Und die Stadt verharrt, wirkt wie tot. Es kommen auch keine Besucher aus dem Umland herein. Nur einige kleine Wagenzüge und eine Maultierkolonne durchqueren Hope in verschiedene Richtungen. Doch der Saloon hat kaum Gäste. Die Animiermädchen sitzen herum. Eines der Mädchen – ihr Name ist Rosy – strickt Babysachen. Bald wird man ihr ansehen, dass sie schwanger ist. Dann kann sie nicht mehr arbeiten und will heim zu ihren Eltern. Immer wieder geht Puck Starretter durch die Stadt, zeigt sich einsam und allein. Er hat stets ein Gewehr bei sich. Und der Kolben seines Revolvers ist griffbereit neben der Gürtelschnalle zu sehen. Das Wetter ist in diesen Tagen regnerisch, auch windig. Und so trägt er einen offenen Reitmantel. Darunter ist seine Kleidung dunkel. Nur an seinem Stetson blinkt ein Hutband aus silbernen Conchos. O ja, er macht etwas her. Und er weiß, dass er die Stadt mit seiner Einsamkeit beschämt. 201
Als er am dritten Tag an der Schmiede vorbeikommt, da tritt der Schmied heraus. Puck weiß längst, dass der Schmied Vormann der Feuerwehr und ein Mitglied des dreiköpfigen Stadtrates ist. Sie verharren voreinander. Der Schmied sagt: »Sie zeigen uns nun schon den dritten Tag Ihre Verachtung. Aber was werden Sie tun, wenn die Horden kommen, um ihre Anführer zu rächen und die Bank auszurauben? He, was erwarten Sie von uns? Selbst wenn alle Männer dieser Stadt bereit zum Kampf wären, würden die vereinigten Horden in der Überzahl sein. Oha, wir alle hier wissen Bescheid. Das Panhandle und die Stadt gehören immer noch den Gesetzlosen. Und wie mächtig die sich fühlen, das beweist die Tatsache, dass die Banden ihre Beute in ihrer Bank in unserer Mitte deponiert haben, in ihrer eigenen Bank. Fast alle männlichen Bürger hier haben Familien, also Frauen und Kinder. Sie können von uns nichts erwarten.« »Nein«, erwidert Puck Starretter. »Von euch erwarte ich nichts. Ich bin im Auftrag einer Vereinigung von Patrioten hier, die daran interessiert sind, dass die Gesetzlosen des Panhandle nicht langer wie Raubritter das Land auf zweihundert Meilen in der Runde beherrschen.« 202
Er geht um den Schmied herum und nähert sich wie so oft in den vergangenen Tagen und Nächten dem nördlichen Stadteingang. Denn von Norden her aus dem Panhandle müssen sie kommen. Es ist Nachmittag. Die Sonne steht schon im Westen. Als er verharrt, da spürt er wieder seine Einsamkeit. John Hackland liegt mit Wundfieber im Bett. Die Bürger der Stadt meiden ihn. Und auch Reva Savage zieht sich ins Hotel zurück, wenn er daran vorbeigeht und sie zufällig vor dem Eingang ist. Und weil er auch in den Nächten nicht ins Hotel geht, kann er die dicke Clara nicht besuchen. Er ist allein. Und eigentlich müsste er aufgeben. Denn er wird von einem Trotz beherrscht, der eigentlich nicht zu erklären ist. Ist es ein dummer Trotz oder der Durchhaltewillen eines Kämpfers, der einfach nicht aufgeben kann, weil er daran glaubt, dass ihn die Redlichen nicht im Stich lassen werden, weil sie doch irgendwann begreifen müssen, dass sie sich dann wieder einmal mehr selbst aufgeben? Er hat doch schon die fünf Anführer der Gesetzlosen vernichtet. 203
Die Stadt weiß das inzwischen sehr genau. Er hat die Voraussetzungen für einen neuen Anfang in diesem Land geschaffen. Das müssen die Bürger von Hope doch endlich begreifen. Er blickt in die Ferne nach Norden. Und da sieht er sie kommen. Ja, sie reiten wieder wie damals in vier Gruppen, so als wären sie vier Reitergruppen einer Schwadron. Und er steht hier am Stadtausgang allein mit seinem Revolver und Gewehr. Was soll er tun? Als er noch einmal darüber nachdenkt und sich fragt, ob sich das Sterben für eine feige Stadt lohnt, da weiß er auch, dass die Bürger von Hope die wilde Horde ebenfalls kommen sehen. Denn sie halten längst schon Ausschau von den Dächern ihrer Häuser. Die Nachricht eilt durch die Stadt. Und die wilde Horde kommt immer näher, ist nur noch eine halbe Meile entfernt. Er will schon aufgeben, sich abwenden, zum Mietstall eilen und dort seinen Wallach satteln, auf ihm das Weite suchen. Ja, er will aufgeben, weil er sich zu allein und ohne Hilfe fühlt. Doch da hört er in der Stadt das Feuerhorn tuten, so als wäre irgendwo ein Brand ausgebrochen. 204
Er blickt über die Schulter und sieht sie kommen. Auch die dicke Clara ist dabei mit einem Schrotgewehr. Er erkennt den Saloonwirt, den Sattler, den Storehalter – und dahinter alle anderen. Da sieht er wieder der wilden Horde entgegen. Die Bürger aber sammeln sich neben ihm rechts und links, bilden eine breite Front. Und sie alle sind bewaffnet. Die wilde Horde kommt bis auf zweihundert Yards heran. Sie zügelt ihre Pferde und bildet ebenfalls eine breite Front. Es ist still. Man hört von drüben nur das Schnauben der Pferde. Eine Minute vergeht. Nichts bewegt sich. Jemand ruft heiser: »Verdammt, warum kommen die nicht? Haben die Furcht vor uns?« Als der Mann – er ist der Schreiner und Leichenbestatter – verstummt, da hören sie den Hufschlag eines großen Aufgebotes. Es kommt von Süden her in die Stadt und überquert die Plaza, wird offenbar von Zurufen der Frauen geleitet. Denn an der Spitze dieser Reiterschar reiten drei Männer mit den silbernen Plaketten von US Deputy Marshals. Puck Starretter sieht sich um. An der Spitze erkennt er Ernest Skinner. 205
Und er denkt: O ja, der hat keine Zeit verschwendet. Die haben einen Gewaltritt hinter sich. Nun, lieber Leser dieser Geschichte, es begann in den nächsten Tagen das große Aufräumen im Panhandle. Es wurde frei. Und alle Wege von Süd nach Nord und Ost nach West wurden sicherer. Die Banditen flüchteten nach Norden. Es ist drei Tage später, als Puck Starretter mit Ernest Skinner und anderen Männern der Vereinigung im Saloon sitzt. Die Bank steht nun unter der Verwaltung der Regierung, und in Puck Starretter ist eine tiefe Zufriedenheit, denn die dicke Clara erhielt ihr Geld zurück. Skinner spricht langsam: »Puck, ich bin vom Gouverneur beauftragt, Ihnen das Amt des County Sheriffs anzubieten. Wenn Sie ablehnen sollten, bietet unsere Vereinigung Ihnen in unserer Mitte reichlich Weideland und tausend Rinder an. Sie müssen sich nur entscheiden.« Es ist eine Woche später, als Puck Starretter in Santa Maria ins Casa-Hotel tritt und Julia Bellow wiedersieht. Ihre Augen werden zuerst sehr groß, dann aber schmal. 206
Und schließlich fragt sie ziemlich biestig: »Was willst du denn hier?« Er nimmt den Hut ab und dreht ihn zwischen den Fingern. »Ich baue mir eine Ranch auf«, spricht er dann. »Und ich brauche eine Frau.« »Ist das ein Heiratsantrag, Mister Puck Starretter? Ja, ich habe von deinen Taten schon gehört. Ich weiß auch jetzt, warum du damals fortgeritten bist. Aber warum glaubst du, dass ich hier alles aufgebe und mit dir gehe?« »Weil du mich gewiss nicht vergessen konntest, so wie ich dich auch nicht. Willst du nun oder nicht?« Als er verstummt, da funkeln ihre Augen. »Dein Heiratsantrag könnte romantischer sein. Wenn ich seit jener Nacht nicht wüsste, wie gut wir zueinander passen, würde ich dich nach so einem Antrag zum Teufel schicken.« »Soll ich auf die Knie fallen, schöne Julia? Dann mache ich das.« »Nein, du sollst mir sagen, dass du mich liebst. Oder kannst du das nicht?« »Ich liebe dich, schöne Julia.« ENDE
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