Seewölfe 734 1
Jan J.Moreno
Sterben vor Batavia
Blutrot tauchte der Feuerball aus dem Meer auf und weitete sich unauf...
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Seewölfe 734 1
Jan J.Moreno
Sterben vor Batavia
Blutrot tauchte der Feuerball aus dem Meer auf und weitete sich unaufhaltsam nach Norden und Süden aus. Die Segelwachen hatten selten ein faszinierenderes Schauspiel gesehen. Einzelne Eruptionen leckten lodernd bis in den Zenit, und der Himmel stand im wahrsten Sinne des Wortes in Flammen. Sogar die Schebecke der Seewölfe war in glühendes Licht getaucht, das gespenstisch die Segel durchdrang und das stehende Gut als feuriges Spinnennetz erscheinen ließ. Wie gebannt beobachtete der Rudergänger Piet Straaten das Schauspiel. Er war dann der erste, der das beinahe ehrfürchtige Schweigen an Deck brach. „Jemand sollte den Navigator aus der Koje holen“, sagte er. „Dan weiß vielleicht, ob wir Kurs auf einen der feuerspeienden Berge halten, deren Ausbrüche immer wieder Schiffen zum Verhängnis werden ...“ Die Hauptpersonen des Romans: Dom Luis Vaz de Noronha - der Kommandant der „Santa Catarina“ hat gegen Seewolf und seine Arwenacks keine Chance. Dom Miguel Esteves Pessoa - hat seiner Meinung nach eine perfekte Falle aufgebaut, um die „englischen Spione“ zu fangen. Edwin Carberry - der Profos der Arwenacks soll als erster an der Rah aufgehängt werden und hat auch schon den Strick um den Hals. Clinton Wingfield - handelt auf eigene Faust und gegen die Befehle seines und hat damit Erfolg. Philip Hasard Killigrew - entwickelt einen tollkühnen Plan, um se: seiner Männer aus der Gewalt der Portugiesen zu befreien.
1. Der dickliche, gutmütige Paddy Rogers, der nie ein Freund großer Worte war, ließ sich überreden, Dan O'Flynn aus wohlverdientem Schlaf zu purren. Inzwischen stieg der Rand der Sonne als riesige Feuerlohe über die Kimm auf. Die Java-See, nur von einer schwachen Brise bewegt, verwandelte sich in ein Meer aus rot-violetten Farbtönen, die den Eindruck nahenden Unheils noch verstärkten. Der Übergang von der Nacht zum Tag war kurz. Bis Dan O'Flynn an Deck erschien, sorgte die beginnende Helligkeit schon für eine weniger unheimliche Atmosphäre. Von zwei Strich Backbord bis ebenso weit nach Steuerbord verdrängte ein goldgelbes Leuchten den Feuerschein, der sich zunehmend zum Zenit hin verlagerte und in großer Höhe verwehte. Nur noch einige Zirruswolken behielten die intensive Färbung bei.
Die Wolfshündin Plymmie folgte dem Navigator auf dem Fuß. Beim Anblick des rötlichen Himmels stieß sie ein durchdringendes Heulen aus. „Na, na!“ sagte Dan kopfschüttelnd. „Davor brauchst du dich nicht zu fürchten.“ Im selben Atemzug wandte er sich an den Rudergänger: „Paddy behauptete, wir segeln auf einen Vulkan zu. Wo ist de: Berg?“ Mit der flachen Hand die Augen beschattend, blickte er forschend nach Osten. Mittlerweile war die Sonne halb aufgegangen. Sie blendete, und die ruhige See reflektierte die gleißende Helligkeit. „Für einen Moment befürchtete ich tatsächlich einen Vulkanausbruch“, erwiderte der Rudergänger. „Ob du es glaubst oder nicht ...“ ... das Morgenrot hat dich genarrt.“ Dan O'Flynn stützte sich auf den Handlauf des Steuerbordschanzkleids und versuchte, im Süden mehr zu erkennen als nur die
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Dunstschleier, hinter denen die Küste Javas verborgen lag. „Andererseits sind auf den Karten wirklich einige Vulkane verzeichnet. Sie liegen jedoch weit im Landesinneren.“ Eine plötzliche Bö knallte in die Segel. Die Schebecke, die während der Nacht ohnehin nur unter Fock und Besansegel auf Kurs Ostsüdost gelaufen war, legte sich für einen Moment weit nach Backbord über. Als hätte es nur noch dieses Anstoßes bedurft, wurde es unter Deck lebendig. Ein dunkelblonder, zerzauster Haarschopf schob sich aus dem Niedergang vor dem Großmast, gefolgt von einem Narbengesicht mit gewaltigem Rammkinn und kaum weniger imposanter Nase. Witternd blickte sich der Profos nach allen Seiten um. „Wo sind die Rübenschweine?“ fragte er grollend. „Wer bitte, Mister Carberry, Sir?“ Clinton Wingfield, der Moses, war eifrig dabei, die Kuhl aufzuklaren. Seit der griesgrämige Zweitkoch Mac Pellew in einem Anflug von Ironie geäußert hatte, die Crew könnte künftig von den Decksplanken essen, schien es ihm geradezu diebisches Vergnügen zu bereiten, jede Leine sauber aufzuschießen und Salzverkrustungen, Pulverrückstände, Sand und was der Dinge mehr waren, gründlich zu entfernen. „Ich rede von den Portugiesen!“ erklärte Edwin Carberry grollend und nach einem Seitenblick auf die geblähten Segel. Clinton Wingfield zuckte mit den Schultern. „Tut mir leid, Sir, aber die Portugiesen scheint es vor Java nicht zu geben.“ Der Profos lachte dröhnend und schwang sich endgültig aus dem Luk auf Deck. „So“, sagte er. „Nicht zu geben? Das wird sich noch herausstellen, Junge. Ich glaube nicht daran, bevor ich es nicht ganz sicher weiß.“ Seit sie die Malakka-Straße verlassen hatten, waren die Seewölfe nicht mehr von portugiesischen Karavellen belästigt worden. Alfonso Albuquerque, ein Despot durch und durch, schien die Verfolgung
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der englischen „Spione“ aufgegeben zu haben. Immerhin hatte ihm sein Eifer, die Arwenacks hinzurichten, nur Verdruß und Ärger bereitet. Im Hafen von Batavia war die Schebecke das einzige fremde Schiff gewesen, und während des Törns zur Insel Akaboune, wo das Mädchen Amourgeli von Bord ging, hatten die Seewölfe lediglich den Kurs einer Dschunke gekreuzt. Ferris Tucker, der Schiffszimmermann, tauchte nach dem Profos aus dem Niedergang auf. „Deine Zuversicht möchte ich haben, Clint“, sagte er. „Es würde mich sehr wundern, wenn die Portugiesen nicht zumindest den Versuch unternehmen, ihre Hoheitsansprüche über die Java-See auszudehnen. In der Beziehung sind sie kaum anders als die Spanier in der Neuen Welt.“ Carberry grinste bis über beide Ohren. Sein Narbengesicht ähnelte frappierend dem Vollmond, der tief im Westen noch über der See hing und nur zögernd verblaßte. „Der große Reichtum lockt“, erklärte er. „In der Heimat werden Seide und Gewürze zwar nicht mit Gold aufgewogen, aber eine Schiffsladung genügt, dem Eigner einen geruhsamen Lebensabend zu sichern. Auch die Mannschaften stehen sich dabei nicht schlecht.“ Der Moses nickte nachdenklich. „Sir“, sagte er, „warum versucht niemand, Pfeffer und Zimt und all das andere Zeug in Europa anzubauen? Eine Schiffsladung voll Samen und Pflanzen würde das Monopol der Portugiesen innerhalb weniger Jahre unterlaufen. Hat bisher keiner daran gedacht?“ Ferris Tucker, der rothaarige Riese, schürzte die Lippen. Dann schüttelte er den Kopf. „Du bist bestimmt nicht der erste, Junge, dem diese Idee wie eine Erleuchtung Gottes erscheint. Gerade deshalb vergiß sie am besten gleich wieder. Ob Samenkörner nach einer monatelangen Überfahrt noch keimen, bezweifle ich. Wahrscheinlich verderben sie in der salzhaltigen Luft unter Deck. Und Schößlinge brauchen viel
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zuviel Wasser, das an Bord kaum in ausreichender Menge vorhanden ist. Soll die Mannschaft verdursten, nur damit vielleicht einige Pflanzen die Reise überstehen? Darin bleibt immer noch das Risiko, daß das Grünzeug im rauheren Klima nicht anwächst.“ „Schade“, sagte Clinton, nicht mehr und nicht weniger. Für einen kurzen Moment hatte er geglaubt, so etwas wie den Stein der Weisen gefunden zu haben. Doch die Worte des Zimmermanns klangen überzeugend. Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, betrat das Achterdeck. Er warf nur einen flüchtigen Blick zu den sich auflösenden Wolken hinauf und befahl, das Großsegel zu setzen. Die Schebecke lief bisher kaum mehr als drei Knoten Fahrt, und nach auffrischendem Wind sah es zumindest für die nächsten Stunden nicht aus. Anschließend begann die unvermeidliche Prozedur der Positionsbestimmung. Wegen der ungewöhnlich ruhigen See benutzten Dan O'Flynn und der Seewolf außer dem üblichen Jakobsstab auch ein Astrolabium, das genauere Messungen ermöglichte, bei starkem Wellengang aber schwerer zu handhaben war. Das kreisförmige Gerät mit den beweglichen Ziffern diente dazu, die Höhe der Gestirne zu bestimmen und zugleich den Breitengrad zu ermitteln, auf dem sich das Schiff befand. Clinton hatte die Funktionsweise des Astrolabiums bislang nie richtig verstanden, obwohl er mehrfach interessiert zugesehen hatte, wie Sir Hasard, Dan O'Flynn, der Erste Offizier oder Don Juan Peilungen durchführten. Der aus einem Längsstab mit Gradeinteilung sowie mindestens einem verschiebbaren Querholz bestehende Jakobsstab erschien im weitaus vertrauter. Der Beobachter hielt den Stab ans Auge und bewegte den Schieber, bis dessen unteres Ende scheinbar die Kimm berührte und das obere Ende das angepeilte Gestirn. Der Höhenwinkel des Sterns oder der Sonne konnte hinterher an der Gradeinteilung abgelesen werden.
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„Etwas mehr als sechs Grad südlicher Breite“, sagte der Seewolf. „Welche Messung hast du, Dan?“ „Keine Abweichung“, erwiderte Dan O'Flynn. „Wenn die Karten stimmen, sollte an Steuerbord bald Land auftauchen.“ Östlich von Jakarta bildete die Küste einen rund zehn Seemeilen langen, nach Norden gerichteten Vorsprung und fiel dann nach Südosten ab. Dan O'Flynn hatte die an den vergangenen beiden Tagen zurückgelegte Entfernung von schätzungsweise achtzig Meilen auf der Karte mit dem Zirkel abgegriffen, ohne jedoch mehr herauszufinden, als daß die Arwenacks inzwischen über die Hälfte der Entfernung nach Indramayu, der nächsten größeren Stadt, überwunden hatten. Besondere Landschaftsmerkmale gab es nicht, abgesehen davon, daß die Küste mit Buchten reich gesegnet war. So ruhig wie selten lag die Schebecke auf dem Wasser. Die Bugwelle erreichte kaum den Vorsteven, und die Hecksee verwischte schon nach wenigen Kabellängen. Hin und wieder, wenn der laue Wind nicht mehr ausreichte, das Tuch zu blähen, flappten die Segel. „Lieber pulle ich, bis ich kein Fleisch mehr auf den Knochen habe, als daß ich in diesem gottverlassenen Eck der Erde versauere“, schimpfte der Profos, als die Segel zum zweitenmal innerhalb kürzester Zeit schlaff von den Rahruten hingen. „Leute, die Karibik wartet auf uns.“ Seine Aufmerksamkeit wurde abgelenkt, weil endlich auch Sam Roskill an Deck erschien. Der ehemalige Karibik-Pirat, schon immer schlank und sehnig, war noch dünner geworden. Unter seinen Augen lagen schwere Schatten. Das dunkle, strähnig in die Stirn hängende Haar ließ die ungewohnte Blässe des Gesichts deutlich hervortreten. Haltsuchend griff Sam nach einem Tau. Schweiß perlte auf seiner Stirn, und ein rasselnder, tiefer Atemzug ließ ihn zittern. Während der Nacht hatte er einen unerwarteten Rückschlag erlitten. Das schon überwunden geglaubte Fieber war zurückgekehrt, wenn auch nicht so heftig
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wie zuvor. Der Kutscher hatte mit nassen Tüchern seine Stirn gekühlt und von einer völlig normalen Reaktion gesprochen, die zwangsläufig auftreten mußte. Sams Körper war schließlich nie zuvor derartigen magischen Einflüssen ausgesetzt gewesen. „Und das alles wegen einer Frau.“ Verständnislos schüttelte der Profos den Kopf. „Warum mußte er sich ausgerechnet in diese Amourgeli vergaffen? Wenn ich richtig gesehen habe, war der Markt von Batavia voll von dunkelhäutigen Schönheiten.“ „Der Blitz schlägt auch oft an den unmöglichsten Stellen ein“, sagte Mac Pellew, der eben einen Kübel voll Kombüsenabfällen über Bord kippte. Er hatte zumindest Carberrys Bemerkung mitgekriegt und daraus die richtigen Schlüsse gezogen. Mit einer Miene, die sieben Tage Regenwetter verhieß, schaute er den langsam in den Fluten versinkenden Abfällen nach. Von allen Seiten schossen Fische heran – und stoben ebenso schnell wieder auseinander, als ein gut zwei Yards messender Hai majestätisch heranzog. Höchstens eine Handbreite von der Bordwand entfernt, glitt der Meeresräuber an der Schebecke vorbei. Möwen segelten dicht über die Wasseroberfläche hinweg. Ihre heiseren Schreie übertönten das Plätschern der Bugsee. Die Schebecke lag träge vor der leichten Brise, die aus wechselnden westlichen Richtungen wehte. „Das Lüftchen reicht nicht mal für den Spitzbusen“, sagte Big Old Shane, der frühere Schmied von Arwenack. Er meinte das von Will Thorne und Roger Brighton erfundene, ballonförmig dreieckig geschnittene Vorsegel, für dessen Namensgebung der Profos verantwortlich war. Der „Spitzbusen“ wurde auf Raumschots- und Vorwind-Kursen am Fockmast anstelle der Fock gefahren und verlieh der Schebecke eine unheimliche Geschwindigkeit. Nach Lee wurde er unten mit einer langen Spiere ausgespreizt und mit Lee- und
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Luvschot getrimmt. Bei einer derart schwachen Brise, wie sie momentan herrschte, lohnte der zu erwartende Erfolg aber in keiner Weise den Aufwand. „Vielleicht ist die Beinahe-Flaute ein letztes Geschenk der Pawangs“, sagte Batuti. „Die Rache der Magier dafür, daß wir sie ins Wasser geworfen haben?“ Edwin Carberry legte erst die Stirn in Falten, kratzte sich dann ausgiebig und winkte schließlich ungläubig ab. „Das ist dummes Geschwätz“, sagte er wütend. „Kein Mensch kann dem Wind befehlen. Abgesehen davon glaube ich immer noch nicht daran, daß dieser Barhaul Sam das Fieber angehext hat. Zwei Fingernägel und vielleicht ein paar Haare als Utensilien für eine Beschwörung, das ist ausgesprochener Humbug, auf den bestenfalls Wilde hereinfallen.“ Der Profos hatte den Satz kaum zu Ende gebracht, da trafen ihn auch schon vorwurfsvolle Blicke. Jack Finnegan, der vor dem Großmast stand und so tat, als ginge ihn das alles herzlich wenig an, verschränkte sogar verstohlen die Finger hinter dem Rücken zum Zeichen gegen den Bösen Blick. Mac Pellew hatte inzwischen die letzten am Boden des Kübels haftenden Abfälle herausgekratzt und über Bord geworfen. Er wandte sich ruckartig um. „Mister Carberry“, sagte er ungewohnt scharf, „das Fieber hätte Sam beinahe dahingerafft. Willst du trotzdem behaupten, er war nicht krank?“ Der Profos zuckte mit den Schultern. „Weiß ich, ob Sam und diese Amourgeli auf dem Hausboot wirklich nur ein batavisches Reisgericht gegessen haben? Bei dem, was vorher oder nachher war, holt man sich schnell einen heißen Kopf.“ „Sam ist kein so unersättlicher Vielfraß wie du“, erklärte der Zweitkoch respektlos und hob vorsichtshalber den Holzkübel in Brusthöhe, um ihn als Schild zu benutzen. Aber der Profos dachte nicht daran, ihm in irgendeiner Weise zu nahe zu treten. Er überging die Bemerkung mit der Großmut desjenigen, der unerschütterlich von der
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Richtigkeit seiner Behauptung überzeugt ist. Das ganze Drumherum, das an Bord veranstaltet worden war, um von dem Pawang das vermeintliche Gegenmittel zu erhalten, hatte ihn von Anfang an unbeeindruckt gelassen. Seiner Meinung nach hätte eine gehörige Tracht Prügel Barhaul ebenso schnell von der Überlegenheit der Arwenacks überzeugt wie das Affentheater von Jeff Bowie, Batuti und Matt Davies, wenn nicht sogar schneller. Und auf jeden Fall nachhaltiger. Niemand, der den Profoshammer am eigenen Leib gespürt hatte, vergaß ihn jemals wieder. Drei Doppelschläge der Schiffsglocke hallten über Deck und scheuchten die Möwen auf, die sich trotz des Haies um die versinkenden Abfälle balgten. Clinton Wingfield . als jüngstem an Bord fiel zumindest tagsüber die Aufgabe zu, das Stundenglas zu bedienen. 2. Die nächsten beiden Stunden vergingen nicht weniger eintönig. Die Sonne, mittlerweile fast zwei Handbreiten hoch über dem Horizont, brannte unbarmherzig heiß auf die See herunter. Nicht eine Wolke zeigte sich, die Linderung verheißen hätte. Die meisten Männer der Crew gingen an Deck irgendwelchen Arbeiten nach. Will Thorne, der Segelmacher, hockte mit untergeschlagenen Beinen auf der Kuhlgräting und nähte Segeltuchjacken. Blacky und Sven Nyberg spleißten Taue. Ferris Tucker hatte sich mit Pinsel und Farbkübel bewaffnet und versah trotz der Hitze Teile des Schanzkleids, die er zuvor kunstgerecht neu eingepaßt hatte, mit einem ersten Anstrich. Zu tun gab es genug, selbst wenn man, wie Mac Pellew, schläfrig an der Reling lehnte und ein Stück hoffnungslos vertrockneten Schiffszwiebacks badete. Natürlich hatte er das Backwerk kunstgerecht festgelascht und an der Leine zudem einen mehrere Inches messenden Haken angebracht.
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Mac war keineswegs auf kleine Fische aus, sondern auf den Hai, dessen kantige Rückenflosse regelmäßig aus dem Wasser auftauchte. Vorerst dachte er jedoch nicht daran, ein Stück Fleisch zu opfern. Lediglich Sam Roskill, dem abwechselnd heiß und kalt wurde, hatte sich wieder unter Deck und in die Koje verholt. In seinem Kopf dröhnte es wie in einem Bergwerk. „Versuche zu schlafen“, riet ihm der Kutscher, der von erneuten kalten Umschlägen absah, zumal Sam nicht mehr wirklich fiebrig war. „Eine bessere Medizin kann ich dir nicht verordnen. Bis heute abend stehst du wieder einigermaßen sicher auf den Beinen.“ Sam Roskill nickte schwach, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und starrte gedankenverloren die Balken über sich an. Eine fette Schabe versuchte vergeblich, sich in einem Riß im Holz zu verbergen. Der Kutscher, der dem Blick Sams gefolgt war, zerquetschte das Tier zwischen den Fingern. „Falls du Hunger verspürst“, sagte er bei der Gelegenheit, „ich lasse dir von Clint ein paar Bananen und andere Früchte bringen.“ „Eine Muck voll Rum wäre mir lieber. Das ist jedenfalls die Art Medizin, die Kranke nachhaltig wieder auf die Beine bringt.“ Ohne eine Antwort zu geben, wandte sich der Kutscher um und ging. Der Rückschlag, unter dem Sam litt, irritierte ihn zwar, gab aber sicher nicht zu erneuten Befürchtungen Anlaß. Daß der Pawang die Arwenacks mit dem Gegenmittel betrogen hatte, wollte er nicht glauben. Immerhin hatte das Pulver nach der Einnahme eine rasche Besserung bewirkt. „Eine einsame Gegend ist das hier“, wurde der Kutscher empfangen, als er wieder an Deck erschien. Wenn Edwin Carberry scheinbar beiläufig eine solche Bemerkung fallen ließ, steckte meist mehr dahinter. Tatsächlich hielt er den Feldscher zurück, als der an ihm vorbei wollte. „Es gibt eigentlich nur zwei Dinge zu tun ...“
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Der Kutscher blickte den Profos forschend an. Es war unnötig, nach den beiden angeblich so wichtigen Dingen zu fragen. Wie er Ed kannte, würde der ohnehin gleich damit herausrücken. „Was ist los mit dir, Kutscher?“ erkundigte sich Carberry irritiert. „Wo bleibt deine wissenschaftliche Neugier?“ „Erstens“, erwiderte der Feldscher und hielt Ed den Daumen der linken Hand vor die Augen, „denke ich gar nicht daran, so früh am Tag einen Krug Palmwein zu öffnen. Und zweitens“, er spreizte auch den Zeigefinger, „gibt es erst dann etwas zu essen, wenn Mac seinen Riesenfisch gefangen hat, dem er so hartnäckig nachstellt.“ Unüberhörbar laut atmete der Profos aus. „Du willst die Crew verhungern lassen, Mister? Oder glaubst du, daß an dem vertrockneten Zwieback wirklich einer anbeißt?“ „Du kennst Mac.“ Das war allerdings eine Antwort, die jeder nach seinem Belieben auslegen konnte. Edwin Carberry zuckte mit den Schultern, verschränkte die Arme vor der Brust und begann eine unruhige Wanderung über die Kuhl. Je mehr Zeit ereignislos verstrich, desto mehr drängte sich ihm ein unbehagliches Gefühl auf, daß irgendwo hinter der Kimm unsichtbare Gewitterwolken aufzogen. In letzter Zeit hatten sich die Ereignisse oft genug überstürzt. Deshalb wirkte die ungewohnte Ruhe eher wie das Atemholen eines Sturms, bevor er mit doppelter Wucht zuschlug. Carberry fragte sich allen Ernstes, wann und in welcher Form das zu erwartende Unwetter über die Arwenacks hereinbrechen würde. Bis er auf Mac Pellews Hilferuf reagierte, hing der Zweitkoch schon halb über dem Schanzkleid und zerrte wie verrückt an der Angel. Es konnte aber auch sein, daß der Fisch, oder was immer er gefangen hatte, an ihm zerrte, denn er hatte die Schnur mehrfach um seinen rechten Arm geschlungen und schaffte es nun nicht mehr, sich davon zu befreien.
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Luke Morgan und Mac O'Higgins waren als erste bei ihm, packten ihn am Hosenbund und an den Beinen und versuchten, ihn wieder auf die Planken zu ziehen. Dem Zweitkoch behagte das aber offensichtlich ebenso wenig wie der Gedanke, kopfüber im Wasser zu landen. „Die Angel!“ schrie er. „Paßt lieber auf, daß das Vieh nicht mit dem Köder abhaut!“ „He, Leute!“ brüllte Higgy. „Mac hat tatsächlich den Hai am Haken.“ Im Nu waren sie von mindestens einem Dutzend Arwenacks umringt, von denen jeder einen anderen Vorschlag hatte, wie sie den Hai an Bord hieven könnten. Carberry übertönte alle. „Bringt Bootshaken! Und ein Netz! Aber schnell!“ Mittlerweile hingen drei Mann an der Angel, deren Schnur zum Zerreißen gespannt war. Daß der Hai den Haken nicht losließ, erschien unverständlich. Mit vereinten Kräften schaffte es Mac Pellew, seinen Arm aus den Schlingen zu ziehen. Matt Davies, der den ersten Bootshaken übers Schanzkleid hob, riß er den Schaft aus den Händen. Mit aller Kraft stieß er dann zu und rammte dem Hai die eiserne, mit einem Widerhaken versehene Spitze unmittelbar hinter den Kiemen in den Leib. „Niemand frißt ungestraft meine Beute!“ ereiferte er sich: „Der Fisch war das Mittagessen für die Crew.“ Zornesröte überzog Macs Gesicht, und einige Männer begannen unverhohlen zu grinsen. Sein Ärger ließ deutlich werden, daß er tatsächlich einen fetten Brocken an der Angel gehabt und der Hai ihm den Fisch weggeschnappt hatte. Blut färbte das Wasser, als der Zweitkoch erneut mit dem Bootshaken zustieß. Der Hai bäumte sich auf, krachte gegen die Bordwand und wollte abtauchen, aber da streifte ihn das von den Zwillingen geworfene Netz. Keinen Augenblick zu spät, denn die Angelschnur riß mit einem heftigen Ruck. „Aufpassen, Bruderherz!“ rief Jung Philip. „Wenn uns das Biest durch die Lappen
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geht, ist Mac wahrscheinlich mächtig sauer.“ „Schon klar“, erwiderte Hasard und belegte sein Ende des Netzes an einer Nagelbank. „Falls das nicht hält, weiß ich auch nicht.“ Gereizt vom Geruch des eigenen Blutes, begann der Hai zu toben. Seine nadelspitzen Zähne zerfetzten die Maschen des Netzes. Trotzdem verfing sich der graue Räuber immer weiter. Der Bootshaken wurde Mac Pellew aus den Händen gerissen, als der Widerhaken an der kantigen Rückenflosse hängenblieb und der Fisch gleichzeitig mit kräftigen Schwanzschlägen von der Schebecke abrückte. Mac stieß eine Verwünschung aus und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. Erst bei der Gelegenheit stellte er fest, daß die Schnur sein Handgelenk aufgeschürft hatte. Blut rann ihm zwischen die Finger und tropfte auf die Planken. „Steht nicht herum wie die Ölgötzen!“ schnaubte er wütend. „Tut endlich was!“ „Laß den Hai“, schlug Ben Brighton vor. „Es gibt Wichtigeres.“ „Und was wird aus meinem gefangenen Fisch, he?“ rief der Zweitkoch. „Das war ein Barsch – so ein Prachtexemplar.“ Erregt breitete er die Arme aus und zeigte eine Länge von mehr als einem Yard. Carberry musterte ihn durchdringend. Im nächsten Moment ahmte er Macs großspurige Geste nach. „Wenn unser Mister Pellew so viel behauptet, war das Fischchen wohl immerhin fast so groß.“ Er hob die rechte Hand und zeigte die Spanne zwischen Zeigefinger und Daumen. Bei seinen Pranken bedeutete das gut zehn bis zwölf Inches. Das folgende Gelächter ging voll auf Kosten des Zweitkochs und war keineswegs dazu angetan, seine Stimmung zu heben. Als könne er den Hai mit bloßen Blicken töten, starrte er aufs Wasser hinunter, das sich langsam mit blutigem Schaum überzog. Von dem Netz würden nur Fetzen übrigbleiben. Ein Schuß peitschte über Deck.
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Niemandem war aufgefallen, daß sich Stenmark und der Moses kurz zurückgezogen hatten. Beide standen unmittelbar vor dem Niedergang zum Achterdeck, und während der Schwede die noch qualmende Muskete neben sich an eine Lafette lehnte, reichte ihm Clinton Wingfield die nächste Waffe. Der zweite Schuß traf den Hai zwischen die Kiemen. Der Fisch stieg fast senkrecht aus dem Wasser und fiel auf die Seite zurück. Seine Bewegungen erlahmten. „Wir haben ihn!“ triumphierte Mac Pellew. „Verpaß ihm noch eine Kugel, Sten!“ Der Schwede hatte zwar schon die dritte und letzte Muskete in Anschlag gebracht, und Clinton beeilte sich mit dem Nachladen, aber einen guten Schuß konnte er nicht mehr anbringen. Der Hai hatte das Wasser derart aufgewühlt, daß er selbst knapp unter der Oberfläche nur als verzerrter Schatten wahrzunehmen war. Mac, vom Jagdfieber endgültig gepackt, begann lautstark zu kommandieren: „Philip, Hasard! Holt das Netz dichter! Oder soll uns der Fisch im letzten Moment noch verloren gehen?“ Und: „Wo bleiben andere Bootshaken? Verdammt, Leute, steht nicht herum und haltet Maulaffen feil! Helft mir lieber!“ Er, der sonst eher distinguierte Kombüsenmann, ereiferte sich mehr als alle anderen. Der Hai, dessen Bewegungen zusehends erlahmten, war „seine“ Beute, die er unbedingt einbringen wollte. In Gedanken sah er die Männer bereits beim Backen und Banken, wie sie riesige Stücke Haifischfleisch, mit Zitronensaft beträufelt, vor sich auf den Tellern hatten und mit vollem Mund das Essen genossen. Es ging eben nichts über die Phantasie eines guten Schiffskochs. Mac war kein Freund der üblichen Rationen aus Pökelfleisch, gesalzenem Fisch, hartem Zwieback und von Maden durchlöchertem, stinkendem Käse. Verfeinern würde er seinen frischen Fang mit den einheimischen Früchten, die in Batavia gekauft worden waren. Grüne Pepayas, wie die Indonesier die melonenähnliche Frucht nannten, ergaben
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gekocht ein schmackhaftes Gemüse. Das gelb-orange, saftige Fruchtfleisch der Mangos harmonierte bestimmt hervorragend zu dem nach seiner Ansicht wenig Eigengeschmack entwickelnden Hai. Außerdem gab es noch die frischen, geschälten Nanas, in Europa bereits als Ananas bekannt, die der Kutscher von Straßenhändlern gekauft hatte. Mit einem kräftigen Reiswein sollten die Arwenacks hinreichend für den Ärger mit den Pawangs entschädigt werden. Hand über Hand holten die Seewölfe das Netz mit dem sich nur noch schwach bewegenden Hai ein. Mac Pellew, der nicht schnell genug auswich, erhielt einen Stoß in die Seite, der ihn taumeln ließ. Er war jedoch viel zu verblüfft, als daß er sich darüber aufgeregt hätte. „Jetzt langsamer!“ bestimmte der Profos. „Sonst reißt er sich los.“ Vergeblich versuchte Mac, Einzelheiten zu erkennen. Mittlerweile hatten sich alle Männer – auch die Freiwächter – auf der Kuhl versammelt, und jeder wollte einen Blick nach außenbords erhaschen. Stenmark gab einen letzten Schuß aus allernächster Nähe ab, als die Zwillinge und ihre Helfer den Hai schon aus dem Wasser hievten. Endlich konnten Carberry und Shane mit den Bootshaken das Netz von der Unterseite her stützen. Augenblicke später wuchteten sie den Hai über das Schanzkleid. Der Fisch fiel auf den Rücken und zeigte seinen hellen Bauch sowie das halb geöffnete Maul mit den vielen Reihen mörderischer Zähne. „Seht euch das an!“ Der Profos zeigte auf eine gut eine Elle messende tiefe Wunde, die von keinem ihrer Peekhaken stammte. „Sieht so aus, als hätten sich diese Biester schon gegenseitig angefallen.“ Die Verletzung konnte ebenso gut von einem anderen Hai wie von messerscharfen Korallen stammen. Jedenfalls war sie wohl die Ursache dafür, daß sich der Fisch nicht schneller von der Angel losgerissen hatte.
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„Der Bursche mißt mindestens zwei Yards“, erklärte Mac Pellew zufrieden. „Was habe ich euch gesagt?“ „Ich kann mich nur entsinnen, daß du von der Sprotte gesprochen hast, die so dumm war, deinen Zwieback zu fressen, und die du als Köder dem Hai in den Rachen gestopft hast. Aber die war bestenfalls so groß.“ Erneut demonstrierte Carberry eine Fingerspanne, diesmal jedoch um gut fünf Inches kürzer. Mac reagierte nicht darauf. Er begann, dem Hai die Reste des Netzes abzustreifen. Die Haut des Tieres war rauh wie eine Raspel. Völlig unerwartet wälzte sich der Hai herum. Mac schrie auf. Im allerletzten Moment zog er die Hand aus dem Bereich des zuschnappenden Maules und sprang zur Seite, konnte aber nicht mehr verhindern, daß die Zähne sein Hosenbein erwischten und den Stoff bis hinauf zum Knie zerfetzten. Kreidebleich im Gesicht, taumelte er dem Profos in die Arme. Nur ein gequältes Stöhnen drang über seine Lippen, zu mehr war er nicht fähig. Der Schreck war ihm gehörig in die Glieder gefahren. Aus weit aufgerissenen Augen sah er zu, wie der neben der Kuhlgräting stehende Seewolf den Degen zog, die Klinge an Batuti weiterreichte und der Gambiamann den Hai endgültig tötete. Das Blut des Tieres vermischte sich mit dem Salzwasser und verlief, der Decksneigung folgend, zur Bordwand hin. Für Clinton Wingfield bedeutete das, daß er abermals den Scheuerstein zur Hand nehmen mußte, um die Planken zu säubern. „Schafft den Fisch in die Kombüse!“ Mac Pellew gab sich alle Mühe, sich das Entsetzen nicht anmerken zu lassen, das noch in seinen Knochen steckte. Wer aber seine scheuen Seitenblicke zu Old Donegal bemerkte, der konnte in seinen Gedanken lesen wie in einem aufgeschlagenen Buch. „Beinahe hätte dich der Hai verspeist - und nicht umgekehrt“, sagte Carberry mit dem Einfühlungsvermögen eines Metzgers, dem
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das Schlachtvieh geliefert wird. „Da hat nicht viel gefehlt.“ 3. Bis zum Mittag frischte der Wind etwas auf. Die bislang ruhige, kaum gekräuselte See ließ erste kleinere, noch kurze Wellen mit glasigen Kämmen erkennen, die im Verlauf einer halben Stunde vereinzelt weiße Schaumköpfe zeigten. Die Sonne brannte unvermindert heiß vom Firmament. Nur in der Ferne zogen Wolken auf. Sie verwehten jedoch rasch im strahlenden Blau des Tages. Die Schebecke segelte inzwischen auf Sichtweite unter Land, das sich als fruchtbare, üppig bewachsene Küstentiefebene präsentierte. Die Sicht wurde, obwohl nach wie vor Dunst über den ausgedehnten Dschungelregionen hing, von Stunde zu Stunde besser und ließ erkennen, daß das Gelände in einiger Entfernung felsig anstieg. Durchs Spektiv gewann Dan O'Flynn den Eindruck, daß das Inselinnere von schwer zugänglichem vulkanischem Hochland geprägt wurde. Die Küste war nicht besiedelt. Vergeblich hielten die Arwenacks nach Booten von Eingeborenen oder verborgenen Anlegestellen Ausschau. Der Kurs der Schebecke, die mit raumem Wind über Steuerbordbug segelte, führte vorübergehend wieder nach Nordosten. Küste und Uferschelf sprangen in weitem Bogen nach Norden vor. Auf der Karte entsprach das ungefähr dem Längengrad von Bandung. Die zum Hindureich von Pajajaran gehörende Stadt lag allerdings mindestens fünfzig Meilen tief im Landesinneren. Schlag acht Glasen rundete die Schebecke den nördlichsten Punkt und wechselte auf den anderen Bug. Mac Pellew, der die Kombüse nicht mehr verlassen hatte, seit er sich intensiver mit dem toten Hai beschäftigte, mußte das Backen und Banken für kurze Zeit verschieben. Seiner ohnehin griesgrämigen Miene war das wenig förderlich.
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„Wenn der Fisch kalt wird, schmeckt er nicht mehr“, herrschte er den Moses an, den zweifellos die geringste Schuld traf. Der Junge war für das Aufbacken zuständig, weil Mac ausgerechnet heute allen Ehrgeiz dafür aufwandte, der Crew ein besonderes Mahl vorzusetzen. Aber dann zusehen zu müssen, wie die Kerle an Deck hantierten, statt sich zum Backen und Banken einzufinden, war zumindest ärgerlich. Als Fock und Großsegel wieder prall standen, ließ der Zweitkoch das Essen auftragen. Das Feuer im Herd war inzwischen niedergebrannt und wärmte kaum mehr. Die nicht zu verwertenden Überreste des Haies hatte er längst ins Meer gekippt und lediglich die mächtigen Kiefer mit den spitzen Zähnen zurückbehalten, die ihm beinahe zu einem Holzbein verholfen hätten. In zwei Töpfen schleppten Clint und er den Fisch durchs Vorschiff. Mac hatte mit Zutaten nicht gegeizt und sogar eine Flasche der eisernen Rum-Reserve aufgebrochen. Dementsprechend wohlriechend war der Duft, der sich unter Deck ausbreitete und die Männer anzog wie eine Kerzenflamme die Motten. Philip Hasard Killigrew, der Seewolf höchstpersönlich, brachte einen Toast auf den Zweitkoch aus. Dabei blieb es dann aber auch. Die Deckswache gab im ungünstigsten Moment Alarm. Während die Crew an Deck stürmte, war Mac Pellew nahe daran, sich die Haare auszureißen. Schließlich angelte er sich selbst eine der Schüsseln und eine Muck voll Reiswein und begann zu essen. Mit vollem Mund kauend, sagte er zum Moses: „Bleib wenigstens du hier, Clint. Nachher, wenn die Kerle den kalten Fisch vor sich haben, meckern sie wieder. Dann brauche ich jemanden, der ihnen bestätigt, wie wohlschmeckend der Hai war.“ Aber Clint schüttelte den Kopf. „Mein Platz ist oben, Mister Pellew. Als Pulveraffe.“ Der Koch verdrehte anklagend die Augen.
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„Weit und breit ist kein Schiff zu sehen. Wer sollte uns also angreifen?“ Er trank einen Schluck Reiswein und schob ein Stück Hai hinterher. Aber der erhoffte Genuß wollte sich nicht mehr einstellen. Allein zu essen, bereitete ihm zur Zeit wenig Vergnügen. An Deck war es ungewöhnlich ruhig. Abgesehen von dem stärker gewordenen Rauschen der Bugwelle, hörte er nicht mal das Geräusch hastiger Schritte. Und niemand rannte die Culverinen aus. „Was ist los da oben?“ fragte er im Selbstgespräch. „Ist neuerdings alles verrückt geworden?“ Für einen Moment drängte sich ihm der irrwitzige Gedanke auf, Portugiesen könnten die Schebecke geentert haben. Aber dann wäre Kampflärm zu hören gewesen. Kein Arwenack hätte sich ohne Gegenwehr überrumpeln lassen. Mac Pellew lauschte und war irgendwie von Unbehagen geplagt. Augenblicke später schluckte er, was er im Mund hatte, halb zerbissen herunter und schob die Schüssel von sich. Weder der Hai noch die Mangos oder der körnige, feste Reis schmeckten ihm mehr. „Die Pest über diesen Albuquerque und seine Nachstellungen!“ stieß er hervor. Vorsichtshalber, ehe er als letzter an Deck ging, nahm er eins der neben den Schüsseln liegenden Messer an sich. Obwohl ihm sein Verstand sagte, daß es keinen wirklichen Anlaß für Befürchtungen gab, fühlte er sich ohne Waffe unbehaglich. Noch ehe er die Kuhl betrat, hörte er vertraute Stimmen. Carberry sprach in gedämpftem Tonfall mit Hasard und dem Ersten Offizier. Ähnlich zurückhaltend in der Lautstärke gab er sich sonst nur in den Gemächern der königlichen Lissy. Aber vor was, um alles in der Welt, empfand er solche Ehrfurcht? Mac Pellew stutzte, bevor er endgültig an Deck trat. Ein dumpfes Rumoren wie von einem fernen Gewitter lag in der Luft. Doch Donner war niemals so lange anhaltend, so grollend, als öffne sich jeden
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Moment die See mit einem gewaltigen Beben. Die Arwenacks standen an Steuerbord ihres Schiffes und blickten mehr oder weniger fasziniert landwärts. Die Spektive gingen von Hand zu Hand. „Beeil dich, Mac! Du auch, Clint!“ Bob Grey zog sie zu sich ans Schanzkleid und deutete mit dem ausgestreckten Arm nach Süden. So unmittelbar nach der Düsternis unter Deck ins grelle Sonnenlicht zu blicken, schmerzte die Augen. Schützend hob der Koch beide Hände an die Stirn. Trotzdem sah er nicht sofort, was Bob Grey meinte. Außerdem irritierte ihn das anhaltende Grollen und Rumoren. „Mein Gott“, sagte Clinton Wingfield ergriffen. „Was ist das?“ Dan O'Flynn reichte dem Jungen seinen Kieker. „Sieh genau hin!“ riet er. Jetzt entdeckte auch Mac, welches Naturschauspiel die Aufmerksamkeit der Seewölfe ablenkte. „Der Ausbruch wird wieder stärker“, sagte Hasard. „Hoffentlich kriegen wir nicht mehr als ein bißchen Asche davon ab.“ Im Süden – zwanzig bis fünfundzwanzig Meilen entfernt – verhängte sich der Himmel. Eine riesige Staubund Aschewolke wuchs pilzförmig in die Höhe. Vor dem dunkler werdenden Hintergrund war das Feuer besser zu erkennen, das in bogenförmigen Eruptionen aus dem Innern der Erde hoch geschleudert wurde. Magma floß in zähen Strömen vielfach verästelt über die Flanken eines Berges und setzte den umgebenden Dschungel in Brand. Sehr bald würde dichter Rauch das Geschehen gnädig verhüllen und bestenfalls noch ein gelegentliches irrlichterndes Aufflackern der Glut erkennen lassen. Mac Pellew dachte an den Sonnenaufgang. War das ungewöhnlich intensive Morgenrot eine Vorankündigung des aus der Erde emporquellenden Feuers gewesen? Ein Omen, das denen, die es zu
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deuten vermochten, die nahe Zukunft verriet? Aber der Tag war noch nicht zu Ende. Mac fröstelte bei dem Gedanken daran, die heftiger werdenden Eruptionen könnten ein Seebeben auslösen. In letzter Zeit war die Schebecke oft genug zum Spielball der Elemente geworden. Bislang zeigten sich die einzigen Auswirkungen des Vulkanausbruchs in einer unruhigen Wellenbewegung, als hätte jemand einen Stein ins Wasser geworfen, von dem sich konzentrische Ringe ausbreiteten. Zum Glück segelte der Mittelmeer-Dreimaster am Rand dieser Zone, weit genug vom Zentrum entfernt, so daß ihn nur die Ausläufer streiften. Die Gischt auf den Wellenkämmen wurde zu einem feinen weißen Sprühregen, der die See wie ein Schaumteppich überzog. „Dem Berg fehlt erst seit kurzem die Spitze“, sagte Clinton Wingfield nachdenklich, als er dem Navigator das Spektiv zurückreichte. „Der erste Ausbruch hat einen Teil des Kraterrandes weggesprengt“, erwiderte Dan O'Flynn. „Wir können von Glück reden, daß wir mehr als nur wenige Meilen entfernt sind.“ Mac Pellew hüstelte unterdrückt, aber keineswegs unauffällig. Das war sein letzter Versuch, die Mannen an die mittlerweile nur noch lauwarmen Haifilets zu erinnern. Seltsamerweise schien niemand mehr von unerträglichem Hunger oder gar Durst geplagt zu werden. Mac konnte sich ebenfalls kaum von dem Anblick des feuerspeienden Berges lösen. Der Wind trug die mittlerweile mehrere Meilen durchmessende Aschewolke nach Osten. Da der brennende Urwald und die anhaltenden Eruptionen für steten Nachschub sorgten, löste sie sich aber nicht auf, sondern wurde eher noch dichter. Rings um den Vulkankegel mit seinen kahlen Flanken, die aber nur durchs Spektiv einigermaßen zu erkennen waren, herrschte inzwischen eine undurchdringliche rötliche Dämmerung. „Wann wird uns die Wolke erreichen?“ fragte Ferris Tucker.
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Der Seewolf zuckte mit den Schultern. „Schwer zu sagen“, erwiderte er. „In ein bis zwei Stunden vielleicht. Das hängt vor allem davon ab, wie der Ausbruch die Windrichtung beeinflußt.“ * Tatsächlich schralte der Wind schon im Laufe der nächsten halben Stunde und drehte auf südliche Richtung. Der Seewolf gab Befehl, abzufallen. Vorübergehend verschwand die Küste außer Sichtweite, doch die sich immer noch ausdehnende Rauchund Aschewolke, die inzwischen einen Bereich von gut drei Strich abdeckte, brodelte unübersehbar an der Kimm. Der Alltag kehrte an Bord des MittelmeerDreimasters zurück. Nacheinander versammelten sich die hungrigsten Seelen wieder zum Backen und Banken. Der Fisch war kalt, und irgendwie schmeckte selbst der Zitronensaft inzwischen wäßrig. Der Pepaya-Salat hatte an Biß verloren, und in den mit Reiswein gefüllten Mucks tummelten sich Fliegen und sogar ein Falter, der wer weiß woher den Weg an Bord gefunden hatte. „Ihr könnt behaupten, was ihr wollt“, sagte Edwin Carberry, „aber Mac hat sich heute ungewöhnlich viel Mühe gegeben. Schuld sind wir selbst, daß der Fisch inzwischen kalt ist.“ „Wo steckt das Köchlein überhaupt?“ erkundigte sich Big Old Shane. „Wenn man ihn Mal richtig bis über alle Toppen lobt, ist er nicht, da.“ „Vielleicht weiß er nicht, daß wir nur Gutes über ihn reden“, erklärte Jeff Bowie. Luke Morgan schlug mit der flachen Hand auf die Tischplatte, daß die Mucks hüpften. „Genau so wird es sein. Außerdem ist er stocksauer auf uns. Verstehen kann ich ihn sogar. Würde einer von euch sein Leben oder wenigstens sein Bein riskieren, um den anderen zu einer ausgefallenen Mahlzeit zu verhelfen?“ Prompt begannen die Männer, sich über die Angelkünste ihres Zweitkochs die Mäuler zu zerreißen, bis Carberry aufstand
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und, um Aufmerksamkeit heischend, in die Hände klatschte. „Das hat Mac nicht verdient, daß wir hinter seinem Rücken über ihn herziehen“, sagte er. „Wir können froh sein, daß wir einen Koch wie ihn haben.“ „Und den Kutscher“, sagte Gary Andrews. „Natürlich auch den Kutscher“, erklärte der Profos. „Ich habe ihn nicht vergessen, falls du das glaubst.“ „Wenn du die Muck auf beider Wohl hebst, Mister Profos, dann brauchen wir aber noch einen Krug voll Reiswein“, sagte Pete Ballie, der Gefechtsrudergänger der Arwenacks. „Mit leeren Bechern läßt sich schlecht anstoßen.“ Carberry warf einen flüchtigen Blick in seine Muck und seufzte ergeben. „Ich habe noch genug“, erklärte er. „Und für deinen Brand bin ich nicht verantwortlich.“ „Wahrscheinlich haben die Fliegen alles gelenzt“, behauptete Pete Ballie und zog damit die Lacher auf seine Seite. Keiner hatte bemerkt, daß mittlerweile der Seewolf und hinter ihm Don Juan unter dem Schott standen. Erst als sich Hasard vernehmlich räusperte, ruckten die Köpfe herum. „Alle Achtung“, sagte er. „Die Gentlemen scheinen ihre gute Laune wiedergefunden zu haben. Ich würde gern mitlachen.“ „Das gilt auch für mich“, erklärte Don Juan. „Aye, Sir.“ Carberry grinste breit. „Der Hai ist wärmstens zu empfehlen.“ Dem Seewolf entging nicht, daß der Profos einen flüchtigen Blick in die Runde warf. Er setzte sich auf die nächste freie Bank und goß sich und seinem spanischen Freund die Becher voll Reiswein. „Laßt euch von uns nicht stören“, sagte er. „Wie ich sehe, ist noch eine ganze Menge von dem Fisch übrig. Was ist los? Schmeckt der Hai nicht oder ...?“ „Doch, doch“, versicherte Will Thorne – nur klang das wenig überzeugend. „Der Fisch könnte etwas wärmer sein“, sagte Jan Ranse in schulmeisterlichem Tonfall. „Geronnenes Fett mit wäßrigem Zitronengeschmack und welkem Salat ist
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nicht jedermanns Sache. Was natürlich nicht heißen soll, daß uns die übliche Bordverpflegung, wie sie auf Kriegsschiffen gang und gäbe ist, lieber wäre.“ Hasard packte sich ein großes Stück auf den Teller und sagte: „Wenn das jedem klar ist, sollten Mac und der Kutscher eigentlich die am meisten geachteten Männer an Bord sein.“ Er hatte noch mehr sagen wollen, doch ein erneutes dumpfes Rumoren, deutlich lauter als bisher, unterbrach ihn. Diesmal war es kein lang anhaltendes Grollen, sondern es steigerte sich innerhalb weniger Augenblicke zu einem nicht allzu weit entfernten Gewitter. Ruckartig hob Carberry den Kopf und lauschte. Einige der Mannen verzogen ebenfalls unwillig die Gesichter. „Das ist kein Gewitter, Sir“, sagte der Profos. „Jedenfalls keines mit Blitz und Hagelschlag, sondern eher mit Pulverdampf und Eisenregen.“ Hasard ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Nachdenklich schob er sich das Stück Haifilet, das er gerade abgestochen hatte, zwischen die Zähne und fragte kauend: „Wie Weit trägt der Wind heute, Ed?“ „Drei, vier Meilen, kaum mehr. Die besonderen Umstände ...“ „Die Frage ist nur, interessiert uns, was da dichter unter Land geschieht?“ „Ich vermute, daß wir es mit Piraten zu tun haben“, sagte Don Juan de Alcazar. „Und dennoch braucht jemand unsere Hilfe.“ Mit einer leichten, aber unmißverständlichen Kopfbewegung deutete der Seewolf Richtung Niedergang. „Ed, kümmere dich darum.“ Mehr brauchte er nicht zu sagen. „Aye, Sir! Wir ändern den Kurs.“ Der Profos grinste breit und, wie es schien, erwartungsvoll. „Vorwärts, Männer!“ befahl er. „Ihr habt euch bis jetzt die Bäuche vollgeschlagen, nun tut auch was dafür.“ 4.
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Dan O'Flynn enterte in den Ausguck auf. Eine Weile suchte er durchs Spektiv die Kimm ab, konnte aber noch wenig erkennen. „Steuerbord voraus erstreckt sich eine schmale, dicht bewaldete Landzunge!“ rief er zum Deck hinunter. „Ich nehme an, das Schiff steht dahinter.“ Unablässig dröhnten die Geschütze. Allerdings wurden keine Breitseiten abgefeuert, sondern einzelne Schüsse in annähernd gleichbleibendem zeitlichem Abstand. Hasard und Don Juan erschienen an Deck, als die Schebecke schon nach Steuerbord abfiel, um die Landzunge zu runden. Ein rascher Blick über die nahezu vollzählig versammelte Crew zeigte dem Seewolf erwartungsvolle Gesichter. „Sir“, sagte der Stückmeister, der soeben gemeinsam mit den Zwillingen die letzte seiner zwölf Culverinen klarierte, „das ist kein Gefecht zwischen Schiffen.“ Hasard nickte knapp. Er warf einen kurzen Blick zur Tonne am Großmast hinauf, von wo aus Dan O'Flynn noch immer mehr zu erkennen versuchte. „Ich weiß“, erwiderte er. „Den Eindruck konnte ich sogar unter Deck gewinnen.“ „Dem Klang nach hat der Kapitän eines Kriegsschiffs ein Übungsschießen befohlen“, sagte Al Conroy. „Aus den Abständen zwischen den einzelnen Schüssen kann man einigermaßen gut auf die Bestückung des Schiffes schließen. Sieben oder acht Kanonen je halbe Batterie, schätze ich –unter der Voraussetzung, daß eine halbwegs gut gedrillte Geschützbedienung zur Verfügung steht.“ „Ich halte es für ebenso wahrscheinlich, daß Piraten ein festes Ziel an Land unter Beschuß genommen haben“, erwiderte der Seewolf. „Die Zermürbungstaktik mit Einzelfeuer ist nicht gerade neu.“ Die dicht bewaldete Nehrung lag noch drei Kabellängen querab. Die Arwenacks standen bereit, die Schebecke unmittelbar vor der Spitze der Landzunge schnell durch den Wind zu bringen. Das Dröhnen der Geschütze wurde nur noch von dem
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schmalen Streifen aus Mangroven, Kautschukund Pepaya-Bäumen gedämpft. „Ich sehe verwehenden Pulverdampf!“ meldete Dan. „Das Schiff steht offenbar knapp eine Meile entfernt.“ Die Schebecke segelte am Wind mit Steuerbordhalsen. „Klar zum Wenden!“ befahl Ben Brighton. Durch etwas Abfallen wurde die Fahrt des Dreimasters beschleunigt. „Über das Ruder!“ Pete Ballie stand an der Pinne. Verbissen dreinblickend, legte er das Ruder nach Steuerbord. Gleichzeitig holte die Crew auf dem Achterdeck den Besan nach Luv, um das Manöver zu unterstützen. Die Schebecke lag daraufhin nahezu im Wind. In fliegender Eile wurde die Großrahrute rundgebraßt. Die Fahrt voraus nahm schnell ab, das backstehende Vorsegel drückte den Dreimaster weiter herum. Fast auf Reichweite zu den Mangroven ging das Schiff mit dem Bug durch den Wind. Gefahr aufzulaufen, bestand nicht. Der Uferschelf fiel wenige Yards vor den dicht verwurzelten Pflanzen steil ab. Die Färbung des Wassers bewies das eindeutig, deshalb verzichtete der Erste Offizier darauf, loten zu lassen. Augenblicke später begann sich das Großsegel erneut zu füllen. „Vorsegel rund!“ Die Männer am Vormast erledigten ihre Aufgabe ebenso schnell und sicher wie die restliche Crew. Obwohl das Schiff in dieser Phase des Wendemanövers merklich abfiel, bestand keine Gefahr, auf Legerwall zu geraten. Augenblicke später standen die Segel ohnehin wieder voll und wurden am Wind getrimmt. Die Schebecke lief erneut gute Fahrt voraus. „Klar Deck überall!“ Das Tauwerk wurde belegt und aufgeschossen. Schlamperei im Vorfeld eines zu erwartenden Seegefechts konnte tödliche Folgen nach sich ziehen. Über Steuerbordbug segelte die Schebecke nun auf Westkurs in die gut zwei Meilen
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lange, aber unregelmäßig geformte Bucht zwischen Nehrung und Festland ein. „Segel voraus!“ meldete Dan. „Distanz knapp tausend Yards!“ Das fremde Schiff hatte Luvposition inne. Es lag mit teilweise aufgegeiten Segeln vor der Küste. „Das sind keine Piraten“, sagte Juan de Alcazar. Die Überraschung war ihm anzumerken. Wie Hasard und wohl die meisten Arwenacks hatte auch er erwartet, eine Dhau indonesischer Küstenräuber anzutreffen. Aber das Schiff war eindeutig eine Galeone, ein Dreimaster mit dem verhältnismäßig hohen Achterkastell sowie am Bugspriet, am Fock- und am Großmast gefahrenen Rahsegeln. Lediglich am Besanmast führte es wegen der günstigen Steuereigenschaft noch ein Lateinersegel. „Portugiesen!“ stieß der Seewolf unwillig zwischen den Zähnen hervor. Es klang wie ein Fluch. „Wo sie auftauchen, verbreiten sie Furcht und Schrecken unter den Einheimischen.“ „Es sollte mich nicht wundern, wenn das Schiff zu Albuquerques Flotte gehört“, sagte Juan. „Er gibt nicht eher Ruhe, bis er rund um die Java-See Dutzende von Stützpunkten errichtet und die Eingeborenen christianisiert hat.“ Hasard beobachtete durchs Spektiv. Noch schienen die Portugiesen nicht bemerkt zu haben, daß sich ihnen ein fremdes Schiff näherte. Ihre Aufmerksamkeit galt ausschließlich dem an der Küste gelegenen Dorf. Mittlerweile hatten sie die Hälfte der aus Holz und Lehmziegeln errichteten Häuser in Schutt und Asche gelegt. Allem Anschein nach hatten die Angegriffenen versucht, sich zu verteidigen. In der Nähe der Galeone trieben mehrere Wracks von Fischerbooten mit zersplitterten Rümpfen, gebrochenen Masten und zerfetzten Segeln. Javaner oder Sundanesen –oder welche Bevölkerungsgruppe auch immer hier siedelte – waren nirgendwo zu sehen. Vermutlich hatten sie sich vor dem Zorn der Portugiesen in den nahen Dschungel und in eine trügerische Sicherheit
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zurückgezogen. Weder die Soldaten noch die Seeleute auf der Galeone würden sich mit der Zerstörung des Dorfes zufriedengeben. Ihre Absicht war eindeutig: mit den Booten an Land pullen, sobald sich den Kanonen kein brauchbares Ziel mehr bot. Der Seewolf setzte den Kieker kurz ab. „Laß das Großsegel wegnehmen“, sagte er zu Ben Brighton. Der Erste gab den Befehl sofort weiter. Die Fahrt der Schebecke verlangsamte sich zunächst nur unmerklich. Zwischen den Culverinen standen die Kohlebecken mit den glimmenden Lunten bereit, und der Moses schüttete soeben den letzten Sandeimer auf die Planken aus. Nur noch knapp siebenhundert Yards betrug die Distanz zu den Portugiesen, als sie auf die Schebecke aufmerksam wurden. Dan O'Flynn und der Seewolf bemerkten gleichzeitig die Veränderung an Deck der Galeone. Die Geschützbedienungen rannten nach Lee und bemühten sich sichtlich um die Kanonen, die auf der Seite des Schiffes nicht ausgerannt waren. Obwohl die Galeone die bessere Position innehatte, war der erste Feuerschlag auf seiten der Arwenacks. Die Portugiesen konnten es gar nicht schaffen, innerhalb kürzester Zeit die Segel aus dem Gei zu lösen, Fahrt aufzunehmen und zugleich die Backbordbreitseite einzusetzen. Die Distanz zwischen beiden Schiffen war inzwischen zu gering. Der Seewolf wandte sich an den Stückmeister, der mit Hilfe der Zwillinge die letzten Richtarbeiten an den Culverinen vornahm: „Al, halte auf die Stückpforten und die Masten. Die Halunken sollen hinreichend Gelegenheit erhalten, ihr Vorgehen zu bedauern.“ Offenbar kannten die Portugiesen die Schebecke, die sich mit schäumender Bugwelle näherte, als wolle sie die Galeone in Grund und Boden bohren. Zumindest hatten sie von dem englischen Dreimaster gehört. Die grell bemalten, wie Zähne in einem riesigen Maul wirkenden Stückpforten wurden aufgezogen, noch ehe die ersten Rohre geladen sein konnten. Das
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war nicht mehr als eine Drohgebärde, die den Arwenacks lediglich ein spöttisches Grinsen entlockte. Carberry rieb sich erwartungsvoll die Hände. „Die benehmen sich wie aufgescheuchte Hühner, in deren Stall der Fuchs eingedrungen ist“, erklärte er. Allzu abwegig war der Vergleich keineswegs. In ihren bunten Uniformen mit den Federhüten wirkten die Soldaten tatsächlich wie eine Schar durcheinander flatternden Federviehs. „Passierkurs bei zweihundert Yards!“ befahl der Seewolf. Der Rudergänger ließ die Schebecke leicht abfallen, bis sie nahezu parallel zur Küste segelte. Auf der Galeone wurden inzwischen die Enternetze hochgezogen –deutliches Zeichen dafür, daß die Portugiesen ihre Geschütze nicht schnell genug geladen hatten. An Bord herrschte zwar nicht gerade Wuhling, aber doch einiger Zustand. „Die montieren Drehbassen auf dem Schanzkleid“, stellte Dan fest. „Als ob wir schon im ersten Anlauf entern wollten.“ Hasard sah ringsum nur angespannte Gesichter. Die Arwenacks warteten darauf, Dom Albuquerque einige seiner Gemeinheiten mit gleicher Münze heimzuzahlen. „Sir?“ fragte Carberry den Seewolf. „Schicken wir die Galeone zu den Fischen?“ Für einen Moment wirkte Hasard unschlüssig. Dann schüttelte er den Kopf. „Wir warten ab, was geschieht. Ich würde Dom Alfonso liebend gern seine eigene Schwäche vor Augen führen.“ Der Profos kniff die Brauen zusammen und musterte seinen Kapitän eindringlich. „Du hast einen Plan, Sir? Wie ich dich kenne, wird Albuquerque anschließend vor Wut platzen.“ Philip Hasard Killigrew winkte flüchtig ab. „Später, Ed. Vielleicht. Das hängt davon ab, was wir an Bord der Galeone in Erfahrung bringen. Auf jeden Fall entern wir. Nimm dir genügend Männer aufs
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Vorschiff und sorge dafür, daß die Netze rasch gekappt werden.“ * Bis die Schebecke mit der Galeone auf gleicher Höhe lag, hatten die Portugiesen erst drei achtere Geschütze ausgerannt. Dem Aussehen der Rohre nach zu urteilen, handelte es sich um einen Cannon-Typ, der die Kernschußweite der Culverinen von etwa 270 Yards nicht erreichte, dafür aber wegen des verhältnismäßig großen Kalibers als Nahkampfwaffe besser geeignet war. „Klar zum Feuern, Sir!“ meldete Al Conroy. „Dann zeig den Portugiesen, was wir können!“ Wegen der aufgespannten Enternetze hatte der Stückmeister einige Ladungen neu gesetzt. Er verwendete nun anstelle der einfachen Vollkugeln Stangengeschosse, die überhaupt erst die kräftigen Netze zerreißen konnten. Unmittelbar nacheinander und ohne die Wirkung des ersten Schusses abzuwarten, zündete Al die beiden vorderen Backbordculverinen. Dem Dröhnen der Pulverexplosionen folgte das Geräusch berstenden Holzes, das auf die geringe Distanz vom Wind herangetragen wurde. Noch während der Pulverdampf ätzend über die Kuhl wirbelte, begannen die Zwillinge, die Rohre mit dem in Pützen bereitstehenden Wasser abzukühlen, die Rückstände der verbrannten Ladungen zu entfernen und die Seele mit einem in Essigwasser getränkten Schwamm zu reinigen. Die begrenzte Zahl der Geschütze an Bord eines Schiffes verlangte zwangsläufig eine Erhöhung der Feuergeschwindigkeit. Beide Geschosse hatten die Galeone dicht über der Wasserlinie getroffen und einen der Geschützstände zerstört. Hinter dem unregelmäßig ausgezackten Leck waren die Umrisse einer umgestürzten und zersplitterten Lafette sowie ein steil in die Höhe ragendes Bronzerohr zu erkennen.
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Flammen züngelten auf, wurden aber sofort von beherzten Männern bekämpft. Das Schicksal eines Schiffes hing oft genug davon ab, wie schnell es gelang, ein sich ausbreitendes Feuer einzudämmen, bevor die in Geschütznähe liegenden Kartuschen oder Pulverfässer in der Hitze explodierten. Al Conroy achtete kaum auf das Geschehen. Er nutzte die vergleichsweise kurze Zeitspanne, während der die Galeone querab lag, um die restlichen Culverinen abzufeuern. Ein Stangengeschoß zerfetzte das achtere Enternetz und zersplitterte die Besanrahrute, die zudem aus dem Rack brach und mit verheerender Wucht auf das erhöhte Achterdeck niederkrachte. Augenblicke später war die Schebecke an dem portugiesischen Dreimaster vorbei, ohne daß von diesem ein einziger Schuß abgegeben worden war. Die Portugiesen schickten den Arwenacks ihre eisernen Grüße hinterher, doch lagen beide Schüsse zu kurz. Ungefähr fünfzehn Yards hinter dem Ruderblatt stiegen zwei schäumende Fontänen aus der See auf. Gierig griffen sie nach dem achteren Grätingsdeck, brachen aber ebenso schnell wieder in sich zusammen. wie sie entstanden waren. „Klar zum Halsen!“ hallte der Befehl des Seewolfs über die Decks der Schebecke. Die Taue wurden zum Laufen klargelegt und zugleich der Besan geborgen. „Auf das Ruder!“ Ohne Achtersegel und dem Druck des Ruderblattes gehorchend, fiel die Schebecke ab. Sie lief vorübergehend vor dem Wind, bis die Rahruten erst vierkant und dann angebraßt waren. Beim Anluven auf den neuen Bug hielt die Crew das Vorsegel lebend. In Windeseile wurden der Besan neu gesetzt und alle Segel am Wind getrimmt. Es war eine beachtliche Leistung, die die Arwenacks innerhalb kürzester Zeit vollbrachten. Inzwischen hatten die Portugiesen Fahrt aufgenommen. Ihr Versuch, der Schebecke davonzulaufen, war jedoch von vornherein zum Scheitern verurteilt. Der schnelle und
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wendige Mittelmeer-Dreimaster war der Galeone bei weitem überlegen. Die einzige Gefahr bestand darin, daß die Portugiesen infolge ihrer anhaltenden Luvposition der Schebecke den Wind aus den Segeln nehmen konnten. Wenn sie dann auch noch ihre Geschütze klar hatten, würden die Seewölfe einige Treffer hinnehmen müssen. An der Querbalustrade am Backbordniedergang stehend, beobachtete Hasard. Sein Schiff schloß rasch auf. Auf dem Achterdeck der Galeone mühten sich Soldaten mit mehreren Drehbassen ab, hatten die Einpfünder aber noch nicht schußbereit. Knapp hundert Yards betrug die Distanz, als sich Hasard flüchtig zu Pete Ballie umwandte. „Ruder ein Strich Steuerbord!“ befahl er. Pete nickte knapp. „Aye, Sir! Ruder liegt an!“ Die Schebecke ging höher an den Wind. Prompt verlegten die Portugiesen ihre Bemühungen ebenfalls nach Steuerbord. Keiner schien daran zu zweifeln, daß die sie verfolgenden Engländer versuchten, ihrerseits die günstigste Position in dem bevorstehenden Schlagabtausch herauszusegeln. Auch wenn dabei Gefahr bestand, aufzulaufen. Die landwärts hellen Flecken im Wasser deuteten auf ausgedehnte Sandbänke hin. Nur Verrückte konnten den Kurs steuern, auf den die Schebecke einschwenkte. Hasard verzichtete auf einen erneuten Blick durchs Spektiv. Er wußte, daß er an Bord der Galeone nur verblüffte Gesichter sehen würde. Eineinhalb Kabellängen betrug die Distanz zum Strand. Davon bot höchstens ein Drittel genügend Wasser unter dem Kiel. Noch siebzig Yards. Die Portugiesen setzten die Pulverkammern in die achtern montierten Drehbassen ein. „Untiefen voraus!“ meldete Carberry mit dröhnender Stimme. „Ich weiß“, war die einzige Erwiderung des Seewolfs. Von seinem Standort aus hatte er einen recht guten Überblick.
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Pete Ballie hielt die Pinne mit eiserner Hand. Ihm war keine Regung anzusehen. Trotzdem wischte er sich mehrmals mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. „Al, klar zum Feuern?“ rief Hasard zur Kuhl hinunter. „Dir bleiben nur wenige Augenblicke.“ „Mir und den Zwillingen, Sir“, erwiderte der Stückmeister, der die Galeone nicht mehr aus den Augen ließ. „Ich hatte schon weniger Zeit zur Verfügung.“ Der Neigungswinkel der Culverinen war flacher als sonst. Al hatte nahezu alle Richtkeile gelöst und auf die Lafetten gelegt. Mit der glimmenden Lunte in der Hand wartete er darauf, daß er endlich die Abdeckungen von den Zündlöchern entfernen konnte. Philip und Jung Hasard warteten ebenfalls jeder zwischen zwei Culverinen. Den Portugiesen erschien das Verhalten der Engländer nun doch nicht mehr ganz geheuer. Kein Kapitän konnte so versessen darauf sein, die Luvposition zu halten, daß er deswegen das Risiko einging, sein Schiff auf eine Sandbank zu setzen. Aus der Deckung des Schanzkleids heraus feuerten die Soldaten ihre Musketen ab. Einige Kugeln durchschlugen die Segel, die anderen platteten sich an den Planken auf. Getroffen wurde keiner der Arwenacks. „Ruder hart Backbord!“ Ein Ächzen durchlief den Rumpf, als die Schebecke weit nach Lee überholte, sich aber sofort wieder aufrichtete. Gerade noch fünfzig Yards hinter dem Heck der Galeone ging sie vorübergehend platt vor den Wind. Dröhnend entluden sich die Geschütze in zweifach rollendem Donner. Mannslange Flammenzungen stachen zu den Portugiesen hinüber, von denen wohl etliche immer noch nicht wußten, wie ihnen geschah. Teile des hohen Achterkastells wurden im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Rumpf gebrochen. Der Eisenhagel fegte das Schanzkleid samt den montierten Drehbassen quer über das erhöhte
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Achterdeck und ermöglichte den Arwenacks einen unerwarteten Einblick auf die pompöse Einrichtung der Kapitänskammer. Soldaten, Seeleute und Trümmerstücke landeten ringsum im Wasser. Der Seewolf schätzte, daß mindestens zwanzig Männer ein unfreiwilliges Bad nahmen. Um Verletzte konnte er sich nicht kümmern. Die Portugiesen hatten, während sie das Eingeborenendorf beschossen, sicher auch nicht danach gefragt. Im übrigen war die Küste fast zum Greifen nahe. 5. Auf der Galeone herrschte heillose Verwirrung, die sich noch steigerte, als die Schebecke weiter aufschloß. Die Zwillinge zündeten die beiden vorderen, mit Grobschrot geladenen Drehbassen. Danach war das Achterdeck des Gegners endgültig wie leergefegt. Vom Vorschiff aus wurden die ersten Enterhaken geworfen. Da die Besantakelage kaum noch stand, verfingen sie sich lediglich in den inzwischen schon schlaff durchhängenden Netzen. Wieder schob sich die Schebecke in Luv auf die Galeone zu. Diesmal mit kaum mehr als fünf Schritten Abstand zwischen den Bordwänden. Pete Ballie legte das Ruder mit unübertrefflichem Fingerspitzengefühl. Besanund Großrüsten splitterten, als er die Portugiesen schließlich seitlich rammte. Zu dem Zeitpunkt schwang sich der erste Trupp unter Carberrys Führung an Bord des gegnerischen Schiffes. Mit ihren Schiffshauern kappten Stenmark, Roger Brighton und Blacky die Netze, während der Profos, Ferris Tucker, Bob Grey, Luke Morgan und Higgy kompromißlos angriffen. Drei auf die Kuhl geschleuderte Höllenflaschen, deren Explosion kaum weniger verheerend wirkte als zuvor die Drehbassenladungen, hielten ihnen die ersten Seesoldaten weit genug vom Hals. Außerdem hatten sie von Bord der
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Schebecke Unterstützung. Batuti und Big Old Shane verschossen mit ihren Langbogen Pulverpfeile. Die Gegenwehr der Portugiesen blieb dementsprechend lasch. Den zweiten Trupp führte der Seewolf an. Sein Radschloßdrehling spie sechsfachen Tod. Gleich darauf klirrten die Degen und Entermesser im Kampf Mann gegen Mann. „Ar-we-nack!“ Der Kampfruf der Engländer übertönte die Flüche der Portugiesen, denen sehr schnell klar wurde, daß sie auf verlorenem Posten standen. Schon sprangen die ersten freiwillig außenbords, bevor sie denselben Weg mit einer Kugel im Leib oder einer blutenden Degenwunde antreten mußten und dann womöglich nicht mal mehr das rettende Ufer erreichten. Hasard, gefolgt von den Zwillingen und Don Juan, suchte den Kommandanten des Kriegsschiffs. Er fand ihn vor der achteren Pulverkammer. Der Mann hielt eine Palmöllampe in Händen und war offenbar gewillt, lieber das Schiff, sich selbst und die Mehrzahl der Mannschaft in die Luft zu sprengen, als vor den Engländern zu kapitulieren. Die Verachtung, mit der er das Wort „Spione“ ausstieß, bewies, daß er zumindest vom Hörensagen von den Arwenacks wußte. „Eine Lampe ans Pulver zu halten, bringt Unheil!“ rief der Seewolf. Im nächsten Augenblick sprang er den Portugiesen an, der das brennende Öl kurzerhand in Richtung Pulverkammer schleuderte und mit blankem Degen herumwirbelte. Sie kreuzten die Klingen. Obwohl der Mann auf den ersten Blick eher schwerfällig wirkte, stand Hasard keinem unerfahrenen Degenfechter gegenüber. Der Portugiese war von gedrungener Statur, mit unverkennbarem Bauchansatz, den einige fette Jahre in Wohlleben unweigerlich mit sich brachten. Sein Alter konnte der Seewolf schwer schätzen. Trotz des schütteren Haarkranzes war der Mann noch keine Vierzig. Auch der aus dünnen, schlohweißen Fäden bestehende
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Ziegenbart änderte nichts an dieser Einschätzung. Er verachtete die Engländer. Das wurde schon deutlich, als er den Seewolf ansah. Lieber starb er gemeinsam mit den Bastarden, als ihnen sein Schiff zu überlassen. Mit dem Degen war er schnell. Es gab kein vorsichtiges Abtasten, kein Suchen nach den Schwächen des Gegners – der Kommandant der Galeone drang sofort mit aller Härte auf den Seewolf ein. Im Hintergrund des engen Ganges, unmittelbar vor der Pulverkammer, ergoß sich das Öl aus der zersplitterten Lampe über die Decksplanken. Der Docht flackerte. Für einen Augenblick sah es so aus, als würde die kleine blaue Flamme erlöschen, aber dann züngelte sie hell auf und leckte irrlichternd über die Öllache hinweg. In ohnmächtigem Zorn mußten die Zwillinge und Don Juan mit ansehen, wie sich das Feuer ausbreitete. Noch wäre es möglich gewesen, die Flammen zu ersticken, nur konnten sie nicht an dem Portugiesen vorbei. „Ihr werdet zur Hölle fahren!“ Triumphierend schleuderte er Hasard die Worte entgegen. Hasard ließ sich zu keiner Unvorsichtigkeit hinreißen. Er wußte, daß sein Gegner nichts anderes erreichen wollte. „Dann hast du wenigstens Gesellschaft, Senhor“, sagte er spöttisch. „Von deinesgleichen einmal abgesehen.” Der Portugiese fintierte und wollte ihn von unten her aufspießen. Aber Hasard parierte den Hieb, wobei er dem Kommandanten den Hemdsärmel aufschlitzte. „Die Pistole weg!“ herrschte er Jung Philip an, der seine doppelläufige Waffe zog und auf den Gegner anlegte. Ob sein Sohn wirklich abdrücken würde, wußte er nicht – ihm blieb auch keine Zeit, darüber nachzudenken, denn der Portugiese stieß einen gellenden Aufschrei aus und warf sich nach vorn. Nur eine Handbreite vor Hasards Gesicht zuckte die Klinge vorbei und krachte gegen die Wand, aus der sie einen
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ellenlangen Splitter herausriß. Hasard stieß sofort nach und nagelte die Waffe des Portugiesen mit dem Handschutz fest. Der Kommandant riß sich zwar ruckartig los, wobei beide Degen mit einem gräßlichen Geräusch aneinander schliffen, aber gleichzeitig traf Hasards zur Faust geballte Linke das Schlüsselbein des Portugiesen. Ein gequältes Stöhnen beantwortete den Hieb. Der Seewolf sah die Reaktion seines Gegners voraus, duckte sich blitzschnell und ließ sich zur Seite fallen. Daß er hart mit dem Rücken gegen die Trittstufen des Niedergangs krachte und sich das Holz zwischen seine Schulterblätter bohrte, war weitaus weniger schlimm als die Absicht des Portugiesen, ihm mit dem Degen den Kopf abzuschlagen. Die Klinge wischte nämlich erst um Haaresbreite über ihn hinweg und sauste danach wie ein Fallbeil nach unten. Hasards Fußspitze traf das rechte Handgelenk des Gegners. Der Kommandant stieß einen gellenden Schmerzensschrei aus und ließ die Klinge fallen. Im Nu war Don Juan neben ihm und zerrte ihm die Arme auf den Rücken. Philip Hasard Killigrew setzte dem Portugiesen die Spitze seines Degens an die Kehle. Der Mann schluckte schwer und starrte ihn aus erschreckt aufgerissenen Augen an. Jeden Moment rechnete er damit, daß ihn die Waffe des Engländers durchbohrte. Trotzdem brachte er soviel Beherrschung auf, sein Zittern weitgehend zu unterdrücken. „Du bist mein Gefangener, Senhor.“ Hasard stieß ihn vor sich her den Niedergang hinauf. Obwohl sich das Feuer schon ausbreitete, versuchten die Zwillinge, die Flammen zu löschen, die an der Wand des Pulvermagazins hochleckten. Mit ihren Hemden schlugen sie auf die funkenstiebende Glut ein, um zu retten, was noch zu retten war. Juan half ihnen dabei nach Kräften. Der Rauch stach in ihre Lungen, reizte zum Husten und ließ die Augen tränen. Trotzdem gaben sie nicht auf, hielten den Atem an oder holten hinter vorgehaltener
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Hand Luft. Ein irrlichterndes Flackern erfüllte das Halbdunkel unter Deck mit seinem glühenden Schein. Es erlosch zögernd, während dicke Rußflocken durch den Gang tanzten. Den Ausschlag gab, daß Don Juan endlich zwei Ledereimer voll Wasser herbeischleppte, die er hinter dem Pulvermagazin gefunden hatte. Den Inhalt der einen Pütz schüttete er mit Schwung über das Schott, den anderen kippte er auf die Decksplanken, wo sich das Wasser nicht weniger schnell verteilte, als zuvor das Öl aus der Lampe. Augenblicke später war das Feuer erloschen. Jung Hasard wischte sich mit dem Hemd den Schweiß von der Stirn. Erstaunt registrierte er, daß sein Bruder breit zu grinsen begann. „Was paßt dir nicht?“ herrschte er Philip an. Erst dann stutzte er und musterte das achtlos zusammengeknüllte Hemd, das nicht einmal mehr als Scheuerlappen zu gebrauchen war. Der Stoff war zerschlissen und verkohlt. Ahnungsvoll fuhr sich Hasard junior mit dem Unterarm übers Gesicht mit dem Erfolg, daß er den Ruß noch besser verteilte. Aber wenigstens erkannte er, warum Philip so unausstehlich grinste. „Na und?“ fragte er schulterzuckend. „Batuti hat nie anders ausgesehen.“ Philip nahm sein eigenes Hemd und wischte sich ebenfalls übers Gesicht. Danach war er nicht weniger schwarz als Hasard. „Zufrieden?“ erkundigte er sich. „Klar doch. Wir sehen aus, als seien wir geradewegs der Hölle entsprungen.“ „Auf was warten wir dann noch? An Deck, Bruderherz! Ich fürchte, die anderen lassen uns keine Portugiesen übrig.“ Sie folgten Don Juan, der vor ihnen her nach oben hastete. Der anfängliche Kampflärm war inzwischen merklich leiser geworden. Schüsse fielen überhaupt nicht mehr. *
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Das Achterdeck der portugiesischen Galeone befand sich von Anfang an fest in der Hand der Arwenacks. Nachdem die letzten beiden von Ferris Tuckers mit Nägeln und groben Eisenteilen gefüllten Höllenflaschen im Bereich des Vorschiffs detoniert waren, stürmte der Profos, einem Racheengel gleich, den Niedergang zur Kuhl hinunter. Der einzige Unterschied war nur der, daß er anstelle eines Flammenschwertes seine Fäuste gebrauchte, dies aber kaum weniger wirkungsvoll. Egal ob Seemann oder Soldat, wer immer den Profoshammer empfing, versank fast augenblicklich in einem Meer blitzender Sterne. Bis der Seewolf mit dem Kommandanten auf dem Oberdeck erschien, hatte sich die anfängliche Überzahl der Verteidiger bereits ins Gegenteil verkehrt. Ungefähr fünfundzwanzig Arwenacks standen nur noch fünfzehn Soldaten und sieben oder acht Seeleute gegenüber. Der Kampf hatte sich auf die Back und in die Wanten verlagert, aber auch dort standen die Portugiesen auf verlorenem Posten. Sogar Clinton Wingfield hatte inzwischen die Galeone geentert. Er handhabte einige Belegnägel, als hätte er nie etwas anderes getan, und verpaßte jenen Kerlen einen tiefen und traumlosen Schlaf, die schneller als erwartet aus dem Traumland zurückkehrten und sich bemüßigt fühlten, abermals ins Geschehen einzugreifen. Vor dem Großmast focht Stenmark gegen zwei Soldaten, die ihn hart bedrängten. Der blonde Schwede versuchte vergeblich, den Mast zwischen sich und die Portugiesen zu bringen. Brüllend stürmte Carberry auf sie los. Der Himmel mochte wissen, wo er die knapp mannshohe Planke aufgetrieben hatte, die er wie eine Keule schwang. Die Portugiesen fuhren herum. In ihren Augen mischten sich Haß und Verzweiflung. Carberry schmetterte dem ersten die Planke vor die Brust, daß dem Kerl Hören und Sehen verging. Es gab ein dumpfes, klatschendes Geräusch, dem gleich darauf ein zweites Patschen folgte, als sich der
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Soldat auf den Decksplanken ausstreckte. Er zuckte nicht mal mehr, so heftig hatte ihn der Hieb des Profosen erwischt. Der andere Kerl stach mit dem Degen zu, als wollte er den Profos aufspießen wie ein seltenes Insekt. Nur tat er das den Bruchteil eines Lidschlags zu spät. Edwin Carberry wirbelte nämlich die Planke erneut hoch und benutzte sie als Schild. Der Degen zersprang klirrend. Entsetzt starrte der Portugiese auf die ihm verbliebene, knapp zwei Handspannen messende Klinge. Sein Entschluß, selbst mit diesem schäbigen Rest den Engländern noch Widerstand zu leisten, trug ihm endgültig Carberrys Widerwillen ein. Der Profos ließ die Planke einfach fallen – mit der Kante auf die polierten Stiefelspitzen des Soldaten. Der Kerl stieß ein Heulen aus, das ungefähr so klang, als habe jemand Plymmie, die an Deck der Galeone inzwischen ebenfalls kräftig mitmischte, auf den Schwanz getreten. Mit gebrochenen Zehen einen Veitstanz aufzuführen, schaffte er nicht mehr – geschweige denn, dem verhaßten Engländer den Degenstumpf in den Leib zu rennen. Der Profos hatte nun wieder beide Hände frei. Mit der einen umschloß er das Handgelenk des Gegners wie mit einem eisernen Schraubstock, mit der anderen schlug er zu. Aber keineswegs mit der Faust, sondern vielmehr mit der flachen Hand. Es klatschte laut und vernehmlich, und auf den Wangen des bedauernswerten Soldaten waren augenblicklich die Abdrücke aller fünf Finger zu erkennen. „Freundchen“, erklärte der Profos in bestem Portugiesisch, „ich kann es auf den Tod nicht leiden, wenn Affenärsche wie du zu derart schlechten Waffen greifen. Du willst doch nicht, daß sich jemand daran verletzt, oder?“ Die Augen des Mannes quollen schier über. Aber nicht, weil er sich die Mahnung des Profosen zu Herzen nahm, sondern schlicht und einfach, weil Carberrys Griff wie eine eiserne Schraubzwinge wirkte, die sich immer fester um sein Handgelenk zusammenzog.
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Carberry drehte ihn herum, verpaßte ihm einen kräftigen Tritt in den Achtersteven und schaute grinsend zu, wie er schwungvoll zum Schanzkleid katapultiert wurde. Im nächsten Moment lernte der Mann das Fliegen. Sein Versuch, am Handlauf Halt zu finden, scheiterte, weil er viel zu schnell war. Mit den Armen rudernd, kippte er außenbords. Es war der letzte auf diesem Weg. Den Degen an der Kehle des Kommandanten, sorgte der Seewolf sehr schnell dafür, daß die noch kämpfenden Soldaten ihre Waffen streckten. Clinton Wingfield durfte Degen, Schiffshauer und Piken einsammeln. Er schichtete alles vor dem Backbordniedergang auf. „Was wird damit?“ wollte er schließlich wissen, während Batuti und Shane die Gefangenen an die Geschütze fesselten. „Wirf's über Bord“, sagte der Profos. „Was sollen wir sonst mit dem Zeug?“ 6. Mit trotziger Miene verfolgte der Kommandant der Galeone das Tun der Engländer. Sein schlohweißer Ziegenbart zitterte unablässig, und mancher Engländer, der ihn mit einem forschenden Blick bedachte, wartete unwillkürlich darauf, das Meckern eines Ziegenbocks zu hören. Doch der äußere Eindruck täuschte. Der Mann hatte ohnehin nichts mehr zu verlieren und zeigte sich in keiner Weise zur Zusammenarbeit bereit. Die Fragen des englischen Kapitäns, der mit Rücksicht auf seinen Rang darauf verzichtet hatte, ihn wie die einfachen Decksleute ebenfalls an die Lafetten zu binden, beantwortete er mit eisigem Schweigen. „Die Angst hat ihm die Sprache verschlagen“, sagte B en Brighton spöttisch. „Laß unseren Profos die Fragen stellen, Sir.“ Hasards Rechte zuckte vor, packte den Portugiesen am Hemdkragen und drehte den Stoff langsam zusammen. „Du hast gehört, was mein Erster Offizier vorschlägt“, sagte der Seewolf. „Der Große
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da, mit dem Narbengesicht, das ist unser Profos. Was glaubst du, bleibt von dir übrig, wenn er dich ein bißchen zwiebelt?“ Der Kommandant starrte blicklos vor sich hin. Nicht ein Muskel zuckte in seinem Gesicht. Hasard stemmte die Fäuste in die Hüfte. „Dein Schiff gehört zu Albuquerques Eroberungsflotte. Warum wurde das Dorf beschossen? Haben sich die Eingeborenen euren Mönchen widersetzt?“ Der Portugiese schürzte die Lippen. Im nächsten Moment spie er verächtlich aus. Sein Speichel traf Hasards nackte Brust. Im ersten Zorn war der Seewolf versucht, den Mann die Faust spüren zu lassen. Aber dann rief er nur laut nach Mister Carberry. „Aye, Sir!“ Hasard deutete auf den Kommandanten. „Sorge dafür, daß er redet! Egal wie.“ Carberry nickte knapp. „Ich werde diesem Ziegenbock die Flötentöne beibringen. Darauf kannst du dich verlassen, Sir.“ Sich erwartungsvoll die Finger langziehend, daß die Gelenke hörbar knackten, wandte er sich an den Portugiesen: „Sag lieber gleich, was wir wissen wollen. Ich hole ja doch alles aus dir heraus. Aber dann wird es für dich unangenehm.“ Der Mann wich einen Schritt zurück. Danach noch einen. Das Flackern in seinen Augen war unverkennbar. Dennoch schwieg er beharrlich. Luke Morgan und Gary Andrews hinderten ihn schließlich daran, weiter zurückzuweichen. „Ihm hat es tatsächlich die Sprache verschlagen“, sagte der Profos. „Was tut man dagegen? Wie löst man so einem verstockten Lümmel die Zunge?“ „Mit Rum“, antwortete Gary Andrews. „Das hilft immer.“ Carberry schaute ihn daraufhin so mitleidig an, daß er sich prompt auf die Lippe biß. „Unser Rum ist viel zu schade für solche Burschen“, widersprach Carberry. „Schnapp dir Pütz und Öskelle, und dann sehen wir weiter.“ Die Stirn gerunzelt, musterte er den Portugiesen. „Ich wiederhole mich nicht gern. Sollten Euer
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Gnaden jedoch bereit sein, jetzt auf meine Fragen zu antworten ...“ Der Kommandant dachte nicht daran. Er bemerkte nicht, daß Luke Morgan — der Hitzkopf aus der Crew der Seewölfe — hinter seinem Rücken dem Profos Zeichen gab. Und selbst wenn — er wäre hilflos gewesen. Als Carberry nickte, zerrte Morgan den Portugiesen bis zum Luk zurück. Ein Tritt in die Kniekehlen zwang den Mann auf die Gräting. Der ehemalige Deserteur, dem Drill und Zwang in der englischen Armee nicht gepaßt hatten, und der wegen seines Widerspruchs oft genug harte Strafen verbüßt hatte, handelte hart und kompromißlos. Gary Andrews hatte mittlerweile einen gut zwei Galeonen fassenden Ledereimer mit Seewasser gefüllt. Bedächtig schleppte er die Pütz heran und stellte sie neben dem Luken-still ab. Dann brachte er einen hölzernen Becher zum Vorschein, den er sich unter den Hosenbund geklemmt hatte. „Sperr schön den Mund auf!“ forderte er den Kommandanten auf. „Du siehst richtig blaß aus. Aber unser Feldscher sagt immer, Salz sei gut für eine rosige Haut.“ Der Portugiese glaubte ihm nicht. Zumindest preßte er die Lippen noch fester aufeinander als zuvor. Gary warf Luke Morgan einen vielsagenden Blick zu. Der hatte daraufhin nichts Eiligeres zu tun, als dem Portugiesen die Nase zuzuhalten. Anfangs widerstand der Kommandant dem Drang, durch den Mund einzuatmen. Aber dann quollen seine Augen immer weiter aus den Höhlen hervor. Er begann zu zittern. „Warum läßt du es dir so schwerfallen?“ fragte Luke spöttisch. „Wir wollen dir nichts Böses antun, nur ein wenig miteinander plaudern. Daran ist nichts Verwerfliches, oder?“ In Gedanken zählte er bis zehn. Dann rang der Portugiese tatsächlich schon krampfhaft nach Luft. Ein gequältes Stöhnen drang über seine Lippen, als er gierig die Lungen mit Luft füllte.
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Gary Andrews wartete einen kurzen Moment. Schließlich wollte er nicht, daß der Gefangene am Seewasser erstickte. Danach zwängte er ihm den Becher zwischen die Zähne und kippte langsam den gesamten Inhalt aus. Das Wasser war nicht nur überaus salzhaltig, es roch auch stark nach Tang und Algen. Der Mann mußte einfach schlucken. In der Folge traten seine Augen noch weiter hervor. Der Portugiese ächzte und gurgelte und versuchte vergeblich, sich loszureißen. Immerhin schaffte er es, das meiste von dem Wasser wieder auszuspucken. „Gib ihm noch eine Ration!“ bestimmte Luke Morgan. Abermals setzte Gary den Becher an. Dem Kommandanten blieb nichts anderes übrig, als widerwillig zu schlucken. „Vielleicht will er jetzt reden“, sagte Edwin Carberry. Luke faßte den Mann unter den Achseln und wuchtete ihn hoch. Ein sanfter Schlag zwischen die Schulterblätter beendete dessen sofort einsetzendes krampfhaftes Husten gleich wieder. „Heraus mit der Sprache!“ drängte der Seewolf ungeduldig. „Was hast du uns zu sagen, Senhor?“ „Für eure Frechheiten werdet ihr hängen!“ stieß er keuchend hervor. „So wahr ich Dom Luis Vaz de Noronha bin.“ „Natürlich“, sagte Carberry, als wäre das die einfachste Sache der Welt. „Wenn es weiter nichts ist. Verrate mir nur, wie du das anstellen willst, Dom Luis.“ Soeben wurde von den Arwenacks das letzte Segel aufgetucht. Mit auslaufender Fahrt trieben die Schebecke und die Galeone nahezu parallel zur Küste. Von den Eingeborenen, stellte Hasard fest, war allem Anschein nach immer noch nichts zu sehen. Zweifellos hatten sie beobachtet, daß es nun den Portugiesen ans Leder ging. Nur war fraglich, ob sie deshalb den Arwenacks trauen würden. Schlechte Erfahrungen ließen sich keineswegs leicht aus der Welt schaffen. „Sind weitere Kriegsschiffe in der Nähe?“
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Dom Luis Vas de Noronha schüttelte den Kopf. „Keine“, sagte er mit heiserer Stimme. „Wie viele?“ fragte der Seewolf noch einmal. „Ich bin nicht gewohnt, mich zu wiederholen ...“ „Dann sind wir ausnahmsweise einer Meinung.“ Hasard bedeutete Gary Andrews, mit dem Einflößen des Seewassers fortzufahren. Der nächste Becher, den er schon bereit hielt, löste de Noronhas Lippen endgültig. „Ich rede“, sagte er heiser. „Schieß los! Dein Schiff gehört zu Dom Alfonsos Flotte? Du sollst mit deinen Männern das Land besetzen und die Eingeborenen zum christlichen Glauben bekehren. Ist es nicht so?“ „Was ist falsch daran?“ erwiderte der Kommandant. „Die ,Santa Catarina' lag in dieser Bucht, weil wir keine Heiden als Handelspartner wollen.“ „Anscheinend auch keine Ketzer“, murmelte Ben Brighton gerade so laut, daß ihn der Seewolf verstehen konnte. „Die ,Santa Catarina' gehört zu einer größeren Flotte?“ „Ja.“ „Wie viele Schiffe?“ „Insgesamt sieben.“ „Mit euch?“ fragte Carberry. „Mein Gott, Senhor Capitan, laß dir nicht jeden Wurm einzeln aus der Nase ziehen.“ „Liegen die anderen Schiffe in der Nähe?“ erkundigte sich Hasard. „Vor Indramayu.“ Überrascht zog der Seewolf die Brauen hoch. Die Arwenacks befanden sich also wieder auf dem besten Weg, in ein Wespennest zu stechen. Er hatte nicht ahnen können, daß die Portugiesen in derartiger Stärke vor Java präsent waren. Immerhin hatten sie sich in Batavia nicht blicken lassen. Dan O'Flynn, der Navigator der Arwenacks, beantwortete seine nächste Frage schon im voraus. „Bis Indramayu sind es wenig mehr als fünfzehn Seemeilen“, sagte er.
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„Sir ...“ Carberry reckte angriffslustig das Kinn, verstummte aber sofort wieder, denn der Seewolf schien nicht auf ihn zu achten. In Gedanken versunken, blickte Hasard über die Bucht. Seine umwölkte Stirn verriet, daß er wenig angenehme Überlegungen wälzte. „Ich weiß, was du sagen willst, Ed. Trotzdem ...“ Ben Brighton ergriff spontan Partei für den Profos: „Eine solche Gelegenheit bietet sich so schnell nicht wieder. Außerdem haben wir mit Albuquerque ein Hühnchen zu rupfen.“ Hasard bedachte Dom Luis mit einem nachdenklich forschenden Blick. Der Kommandant gab sich redlich Mühe, den seine Mundwinkel umspielenden überheblichen Zug zu verbergen, schaffte es jedoch nur unvollkommen. Innerhalb weniger Augenblicke hatte sich sein Verhalten erneut kraß geändert. Wie er verhielt sich nur jemand, der davon überzeugt war, den Gegner übertölpelt zu haben. Offenbar glaubte er, daß die Engländer die sechs Schiffe angreifen würden. Bislang hatten sie sich nur der portugiesischen Sprache bedient, aber Ben hatte englisch gesprochen. Verstand de Noronha also die Muttersprache der meisten Arwenacks? In dem Moment entschloß sich der Seewolf endgültig, die Portugiesen im Hafen von Indramayu anzugreifen. Schon vor Carberrys auffordernder Bemerkung hatte er mit dem Gedanken daran gespielt. „Sind die Schiffe gut bestückt?“ fragte er den Portugiesen. Dom Luis rümpfte die Nase. „Sie sind schlechter ausgerüstet als meine ,Santa Catarina“, erwiderte er. „Mit veralteten Steingeschützen, aber dafür ein paar mehr Drehbassen.“ Ohne mit der Wimper zu zucken, hielt er jetzt Hasards durchdringendem Blick stand. „Was ist mit den Mannschaften?“ fragte Hasard. „Was soll schon sein?“ entgegnete Dom Luis. „Ich verstehe nicht ...“ Der Seewolf trat so nahe vor den Portugiesen hin, daß er dessen Atem
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spüren konnte. Mit der Rechten umfaßte er das Kinn des Mannes und zwang ihn, ihm in die Augen zu sehen. „Wir werden die Schiffe angreifen. Hast du wirklich nicht daran gedacht, Senhor Capitan?“ Der Kommandant tat überrascht. Er war ein guter Schauspieler. „Ein Schiff gegen sechs, ist das nicht ein allzu schlechtes Verhältnis?“ „Dom Luis sorgt sich um uns“, sagte Carberry spöttisch. „Ich finde das rührend.“ „... wie seine Geschichte von der miserablen Bewaffnung auch. Er hofft tatsächlich, daß wir uns die Schädel einschlagen lassen.“ „Was tun wir dagegen?“ „Wir greifen an.“ Der Seewolf sagte das, als sei es die einfachste Sache der Welt. „An Indramayu segeln wir ohnehin vorbei, und Dom Alfonso Albuquerque braucht einen Dämpfer. Nach uns werden irgendwann andere Engländer die Malakka-Straße durchqueren. Ihnen gebührt etwas mehr Respekt, als er uns entgegengebracht wurde.“ „Die sechs Schiffe sind vermutlich gut bestückt. Wir können nicht einfach in den Hafen einlaufen und sie überfallen. Das würde selbst unsere Schebecke nicht unbeschadet überstehen.“ „Dom Luis hat keine Einwände“, sagte der Seewolf nach einem Seitenblick auf den portugiesischen Kommandanten, der auf gewisse Weise zufrieden wirkte. „Unter diesen Umständen solltest du deine Meinung ändern.“ Er verfiel in einen verschwörerischen Tonfall. „Wir haben immer Mittel und Wege gefunden, unseren Willen durchzusetzen. Und wir sind stets gut dabei gefahren.“ * „Die Schäden sind nicht so schlimm, wie sie aussehen“, sagte eine halbe Stunde später der Schiffszimmermann der Arwenacks zu Philip Hasard Killigrew. „Reparieren läßt sich alles – das ist nur eine Frage der Zeit.“
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„Wie lange brauchst du?“ „Zwei, drei Tage, wenn jeder mit zupackt.“ „Du mußt es in dieser Nacht schaffen, Ferris.“ „Ausgeschlossen.“ Ferris Tucker schüttelte den Kopf. „Ich kann vielleicht einiges, aber deshalb bin ich noch lange kein Zauberkünstler.“ „Achterdeck und Schanzkleid müssen nur aufgeklart werden. Auch auf die Besanrute sind wir nicht unbedingt angewiesen. Hauptsache ist, du kriegst die Lecks im Rumpf dicht.“ „Die fünfzehn Seemeilen bis Indramayu hält die ‚Santa Catarina' noch durch. Aber für einen weiteren Törn lege ich nicht die Hand ins Feuer. Der Kahn könnte uns unter dem Hintern absaufen.” Hasard nickte zufrieden. „Nimm dir so viele Männer, wie du brauchst“, forderte er den Zimmermann auf. „Und sieh zu, daß wir morgen früh mit der Galeone in See gehen können.“ Ein besorgter Blick galt der südlichen Kimm. Die anhaltende Schwärze wogte dort wie ein lebendes, alles verschlingendes Ungeheuer. Der Vulkan spie Unmengen Rauch und Asche aus, und nur gelegentlich schimmerte noch das rötliche Glühen der ausfließenden Lava wie ein fahles Wetterleuchten durch den Dunst. Sonderlich wohl fühlte sich der Seewolf nicht bei dem Anblick. Nachdem die Enterhaken gelöst waren, brachte Ben Brighton die Schebecke auf Distanz zur „Santa Catarina“ und ließ zwei Schiffslängen achteraus ankern. Das Eingeborenendorf, von dem noch leichter Rauch aufstieg, lag knapp eine dreiviertel Meile zurück. „Da tut sich was!“ meldete Dan O'Flynn, der mit bloßem Auge die Bewegung zwischen den zerstörten Häusern wahrnahm. „Sieht so aus, als sammelten sich die Javaner.“ Die Küste, teils sandig, teils üppig bewachsen, lag nur wenig mehr als fünfhundert Yards querab. Die Eingeborenen hatten gewiß keine Schwierigkeiten, beide Schiffe zu erreichen. Zudem war die Nacht nahe.
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„Schafft Blendlaternen an Deck der Schebecke“, befahl der Seewolf. „Und verstärkt die Wachen.“ Zusammen mit Bill, Piet Straaten, Higgy, Jack Finnegan und Paddy Rogers enterte Dan in die Jolle der Portugiesen ab. Sie pullten zu ihrem Schiff hinüber. „Glaubst du, daß uns die Javaner als Freunde akzeptieren?“ fragte Old Donegal Daniel O'Flynn seinen Schwiegersohn. „Unser Angriff auf die Portugiesen kann ihnen nicht entgangen sein.“ „Du willst an Land gehen?“ argwöhnte der Seewolf. „Warum nicht. Jemand muß mit den Einheimischen reden und ihnen den Unterschied zwischen Engländern und Portugiesen klarlegen.“ Hasard dachte an Sam Roskill, der die Folgen des Fiebers immer noch nicht völlig überwunden hatte. Das eine Zusammentreffen der Crew mit den Pawang-Magiern reichte ihm zur Genüge, auf eine nochmalige Kraftprobe war er nicht erpicht. „Ich rate davon ab, an Land zu gehen“, erwiderte er deshalb. „Nicht nur Dom Luis' Vorgehen, sondern auch der Vulkanausbruch haben die Javaner in Aufregung versetzt. Wahrscheinlich halten sie die Eruptionen für ein böses Omen.“ „Du meinst, die Eingeborenen glauben, daß ihnen Naturgeister und Dämonen zürnen, weil Fremde in der Bucht erschienen sind.“ Der Admiral nickte verstehend. „Dann bekämpfen sie uns entweder mit Waffen oder mit ihrer Magie.“ „Beides ist kein angenehmer Gedanke. Ich lasse höchst ungern auf Menschen schießen, deren einziges Verbrechen darin besteht, daß sie sich Albuquerque nicht unterwerfen wollen.“ Von der Schebecke aus wurde wenig später Signal gegeben. Dan O'Flynn meldete, daß sich ein Trupp Eingeborener im Uferdickicht näherte. „Es geht los“, sagte Hasard. „Sie erscheinen eher, als ich dachte.“ Tatsächlich waren die anrückenden Krieger wenig später auch von der Galeone
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aus zu sehen. Sie hatten ihre halbnackten Körper mit dunklen Farben bemalt, die sie weitgehend mit dem Hintergrund verschmelzen ließen. Ohne Dans Warnung wäre ihre Annäherung wohl erst sehr spät bemerkt worden. Drei Dutzend Männer, mit Speeren, Pfeil und Bogen und Steinäxten bewaffnet, durchwateten im Schutz einiger Mangroven das seichte Wasser. Ihre Absichten waren von Anfang an klar. „Sieht nicht so aus, als wollten sie sich für unser Eingreifen bedanken“, sagte Old Donegal. Die Javaner waren gute Schwimmer. Wie Fische glitten sie zeitweise dicht unter der Wasseroberfläche dahin. Sie schwammen seewärts, und teilten sich dann, um beide Schiffe von Lee her anzugreifen. Nahezu gleichzeitig wurde es auf der Schebecke lebendig. Ein langgezogenes, klagendes Heulen, wie es sonst nur verdammte Seelen ausstießen, hallte über die Bucht. Unmittelbar darauf zuckte in doppelter Masthöhe ein Feuerball auf, der sich für die Dauer eines Lidschlags ausweitete und in einem Funkenregen erlosch. Der zweite kugelförmige Blitz entstand wie aus dem Nichts heraus dicht über dem Wasser und hüllte die vordersten Javaner in grellen Glutschein. Fasziniert blickte Old Donegal gegen die untergehende Sonne, die als dunkelroter Feuerball schon tief über dem Land hing. Er blinzelte und hatte Mühe, wie die anderen auch, das Geschehen in allen Einzelheiten zu verfolgen. Trotzdem wirkte er überaus zufrieden. „Den Feuerzauber hat sich Dan ausgedacht“, sagte er. „Die armen Leutchen werden nun mehr als zuvor glauben, daß ihnen die Götter zürnen.“ Zwei weitere Pulverpfeile explodierten über den Köpfen der Eingeborenen und besiegelten ihre Panik. Wie eine Schule aufgescheuchter Tümmler stoben sie nach allen Seiten auseinander. Ihre Absicht, die Schiffe der Fremden anzugreifen, war zumindest für die nächsten Stunden vergessen.
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Als dann auch noch zwei der schon vor Malakka von den Arwenacks eingesetzten Rauchbomben ihre dunklen Schwaden ausspien, die dem Rauch des fernen Vulkanausbruch wenig nachstanden, hatten die Männer auf der Schebecke die Auseinandersetzung endgültig zu ihren Gunsten entschieden. Nachdenklich musterte der Seewolf die an die Lafetten gefesselten Portugiesen. Lediglich Dom Luis Vaz de Noronha saß mit auf den Rücken gebundenen Händen und fest verschnürten Füßen auf der Kuhlgräting. Daß er diese Vergünstigung nicht zu schätzen wußte, bewiesen die finsteren Blicke, die er den Engländern zuwarf. Am liebsten hätte er wohl jedem Arwenack die Kehle durchgeschnitten, doch klaffte zwischen bloßem Wollen und seinen Möglichkeiten ein unüberwindbarer Abgrund. „Wir müssen uns beeilen“, sagte Hasard eindringlich. Old Donegal vollführte eine geringschätzige Bewegung. „Die Eingeborenen werden ihren Angriff so schnell nicht wiederholen“, erwiderte er. Hasard schlug sich mehrmals mit der geballten Rechten in die geöffnete linke Handfläche. „Ich rede von den sechs Schiffen vor Indramayu“, erklärte er. „Der Vulkanausbruch hat die Javaner aufgescheucht, und die Portugiesen werden ähnlich reagieren. Wahrscheinlich sind sie schon im Begriff, Anker zu lichten. Wenn wir den gut bestückten Schiffen auf See begegnen, stehen unsere Chancen weitaus schlechter, alle zu den Fischen zu schicken.“ 7. Rings um die beiden Schiffe wurde die Nacht zum Tag. Der flackernde Schein der Blendlaternen konkurrierte mit dem schaurig-schönen Naturschauspiel des wieder stärker werdenden Lavaflusses. Das anhaltende dumpfe Grollen aus dem Landesinneren ging in dem steten Hämmern und Sägen, das die Bucht
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erfüllte, nahezu ungehört unter. Ferris Tuckers Anweisungen folgend, schufteten die Arwenacks wie die Besessenen. Innerhalb weniger Stunden dichteten die Männer die Lecks im Rumpf der „Santa Catarina“ provisorisch so weit ab, daß selbst bei schwerer See kaum Wasser eindringen konnte. Auf Schönheit legte niemand Wert. Die Kraweelbauweise der Galeone, bei der die Schiffsplanken an ihren Längsnähten zusammenstießen, so daß außen und innen am Rumpf glatte Flächen entstanden, wäre nur mit größerem Aufwand fachgerecht auszubessern gewesen. „Wir werden das Schiff nicht lange segeln“, sagte der Seewolf. „Nur bis Indramayu.“ „Hütet euch, ihr Portugiesen, wenn Korsaren Geschenke bringen“, sagte Ferris Tucker. „Oder wie war das damals mit dem Trojanischen Pferd?“ Kurz vor Mitternacht verholte der Seewolf mit der Arbeitscrew auf die Schebecke und in die Kojen. Die Männer hatten sich den Schlaf redlich verdient. Was nun noch zu tun war, schafften der Schiffszimmermann, Batuti, Carberry und Big Old Shane allein. Alles auf dem Achterdeck der „Santa Catarina“ nicht mehr Verwendbare wanderte außenbords. Das Schanzkleid wäre ohnehin nur noch als Brennholz zu gebrauchen gewesen. Hecklaterne und Backbordrüsten zusammen mit den Besanwanten an Backbord fehlten ganz, Dementsprechend weit war der achtere Mast nach Steuerbord geneigt. Da auch die Rahrute den Weg alles Irdischen gegangen war, erübrigte sich die Frage, ob das Besansegel noch einmal gesetzt werden sollte. Die vier Männer spannten Taue, die wenigstens den Anschein einer Reling erweckten. Die teilweise ebenfalls nicht mehr benutzbaren Drehbassen warfen sie allerdings nicht über Bord, sondern stapelten sie vor dem Mast. „Ein bißchen Ballast kann nicht schaden“, sagte der Profos und rieb sich erwartungsvoll die Pranken.
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Schlag drei Glasen waren sie mit sämtlichen Arbeiten fertig. Shane gähnte demonstrativ, fuhr sich mit beiden Händen durch das dichte graue Bartgestrüpp und sagte zuversichtlich: „Irgendwo auf dem lausigen Kahn liegen bestimmt einige Fäßchen herum. Die sollten wir nicht mit auf Grund setzen.“ „Von was sprichst du?“ fragte Tucker. „Von Rum“, erklärte der Riese. „Wäre doch schade, wenn ein guter Tropfen verdirbt.“ Carberry bedachte die Portugiesen, von denen inzwischen die meisten in verrenkten Stellungen neben den Lafetten lagen und schliefen, mit einem nachdenklichen Blick. „Am liebsten würde ich die Kerle hochpurren“, sagte er grollend. „Die schlafen wie in Abrahams Schoß, und wir haben die Arbeit am Hals.“ „Laß sie, Ed“, erwiderte Shane. „Der Rum kann nur im Vorschiff liegen. Dort war noch keiner von uns.“ Er fügte verhalten hinzu: „Eigentlich ist es eine Schande, daß wir die Galeone nicht sofort nach brauchbaren Dingen durchsucht haben. Früher wäre uns das nicht passiert.“ Der Profos ließ ein dumpfes, dröhnendes Lachen hören. „Was haben die Portus schon, was uns interessiert? Weder Gold noch Silber, Waffen brauchen wir nicht, und unser Proviant dürfte ohnehin abwechslungsreicher sein. Auf den Fraß, den Albuquerque seinen Kerlen vorsetzt, bin ich nicht scharf.“ „Aber auf den Rum“, behauptete Batuti. „Wer sagt das?“ fragte Carberry grollend. Er klatschte Shane und Tucker seine Pranken zwischen die Schulterblätter und fuhr fort: „Auf was wartet ihr? Soll ich allein suchen?“ Das sollte er natürlich nicht. Schließlich wollte jeder etwas von dem Rum abkriegen. Die Deckswache hatte keine Ahnung, warum die vier Mannen plötzlich zur Kuhl abenterten und durch die Ladeluke im Schiffsinnern verschwanden. Aber selbst wenn Roger Brighton, Jeff Bowie, Bill und
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die Zwillinge den Grund gekannt hätten, wären sie nicht auf die Idee verfallen, ihren Posten zu verlassen. Sie mußten damit rechnen, daß die Eingeborenen zum Morgen hin noch einmal einen Angriff versuchten. Die vorderen Räume im Schiff hatten der Mannschaft als Unterkunft gedient. Das Bild war hier wie auf anderen Schiffen stets das gleiche: einfache, eng beieinanderstehende Kojen, niedrige Deckenhöhen, daß nicht nur der Profos den Kopf einzog, und ein Mief, an den man sich erst mal gewöhnen mußte. Auf Sklavenschiffen roch es kaum strenger als im Vorschiff der „Santa Catarina.“ Die vier Arwenacks fanden lediglich ein paar private Habseligkeiten. Auf einer der Kojen lag eine zerfledderte Bibel, gleich daneben eine blutbefleckte Mönchskutte. „Domini canes“, sagte Ferris Tucker überrascht. „Unter den Gefangenen ist aber kein Mönch.“ „Vielleicht haben ihn die Javaner ...“ Carberry fuhr sich unmißverständlich mit der Handkante über die Kehle. „Damit wäre dann klar, warum Dom Luis das Dorf beschießen ließ.“ Sie erreichten die Vorpiek. Ferris Tucker zuckte mit den Schultern. „Da wird bestimmt nichts Wertvolles aufbewahrt“, sagte er. Shane versuchte dennoch, das Schott zu öffnen. Es war versperrt. „Diese Rübenschweine!“ sagte der Profos überrascht. „So ist das also ...“ Mit der Tranfunzel, die nur einen schwachen Lichtschein verstrahlte, leuchtete er das Schott ab. Der in das rostige Schloß passende Schlüssel war nicht da. „Aufbrechen!“ erklärte er. Ferris und Shane stemmten ihre Dolche in die schmale Fuge und versuchten, das Schloß aufzusprengen. Dem ersten Versuch widerstand es noch, aber dann war ein deutliches Knacken zu vernehmen, und als der Profos abermals zupackte, glitt die Tür knarrend auf. Die Luft in der Vorpiek war zum Schneiden. Carberry prallte unwillkürlich zurück, aber als er in den engen, spitz
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zulaufenden Raum leuchtete, ließ er ein überraschtes Grunzen vernehmen. Zwei angstschlotternde halbnackte Gestalten wichen vor ihm in den hintersten Winkel zurück. Nach der absoluten Dunkelheit, in der sie sich befunden hatten, blendete sie sogar das fahle Licht der Tranfunzel. „Verdammt“, sagte der Profos inbrünstig. „Diese Mistkerle sollte man kielholen.“ Natürlich meinte er die Portugiesen, nicht die beiden Eingeborenen, deren Körper mit blutverkrusteten Striemen übersät waren. „Dom Luis hat sie auspeitschen lassen“, sagte Batuti. Auf Portugiesisch fügte er hinzu: „Ihr braucht euch nicht zu fürchten. Wir sind eure Freunde.“ Ob ihn die Javaner verstanden, konnte er nicht erkennen. Jedenfalls trafen sie keine Anstalten, die Vorpiek zu verlassen. Carberry rümpfte die Nase. Deren Größe ermöglichte es ihm, wie Plymmie zu schnüffeln. „Was riecht hier bloß so säuerlich wie vergorener Wein?“ fragte er. Die Antwort erhielt er, als er etwas weiter in die Vorpiek leuchtete. Vor der Wand lag nämlich ein kleines, kaum mehr als zwei Gallonen fassendes Fäßchen. Die Dauben waren undicht. Zwischen ihnen quoll eine dunkle Flüssigkeit hervor, die sich schon in einer großen Lache über den Boden ausgebreitet hatte und allmählich von den Planken aufgesaugt wurde. „Das ist Wein“, sagte Shane mit Kennermiene. „Du mußt nur genau hinsehen, Mister Carberry.“ Es war sogar roter Wein. Der Profos bückte sich, tauchte die Finger in die Lache und stellte fest, daß er abscheulich schmeckte. Es konnte nur eine besondere Art der Folter sein, den Gefangenen dieses Gesöff in die Vorpiek zu stellen. „Sie sind Moslems“, sagte Ferris Tucker unvermittelt. Shane verstand in dem Moment herzlich wenig. „Wer?“ fragte er irritiert. „Die beiden Javaner“, erklärte der Schiffszimmermann. „Paß auf!“ An den Fingern begann er die Fakten abzuzählen:
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„Mission der ,Santa Catarina' ist es, neues Land in Besitz zu nehmen und die Eingeborenen zum christlichen Glauben zu bekehren. Wir wissen, daß der überwiegende Teil der Bevölkerung Moslems sind. Ihre Lehre verbietet, Alkohol zu trinken. Was tut Dom Luis also mit seinen Gefangenen, um ihren Willen zu brechen? Er läßt sie auspeitschen und sperrt sie danach in das finsterste Loch an Bord. Damit sie nicht verdursten, gibt er ihnen ein Fäßchen voll Wein.“ „Das sollte er mal mit mir versuchen“, sagte Carberry zornig. „Für dich wäre das natürlich keine Strafe. Aber die beiden haben keine andere Wahl als entweder zu verdursten oder sich selbst untreu zu werden. Ich nehme an, wir haben es mit den Dorfältesten oder Häuptlingen zu tun.“ „Sie verstehen kein Portugiesisch ...“ „Und wir nicht ihre Sprache. Abgesehen davon wollen sie bestimmt nicht mit uns reden.“ Shane bedeutete den Javanern, daß sie die Vorpiek verlassen sollten. Als sie auch dann noch nicht reagierten, zog er sie kurzerhand heraus. Beide hatten Angst, waren aber zu schwach, sich zur Wehr zu setzen. „Euch geschieht nichts“, sagte Carberry. „Verdammt – warum wollt ihr denn nicht verstehen?“ Mit hängenden Schultern und gesenkten Köpfen standen sie da – wie Schafe, die zur Schlachtbank geführt werden sollen. Dom Luis hatte ihren Willen gebrochen, von dem einstmals stolzen Leuchten in ihren Augen war nur ein schwaches Glimmen geblieben. „Sie sterben lieber, als daß sie ihr Volk verraten“, sagte Batuti. „Dann müssen wir sie zu ihrem Glück zwingen.“ Shane schob die Javaner vor sich her zum Niedergang und an Deck. Sie reagierten erst beim Anblick der gefesselten Portugiesen. Einer der beiden stürzte sich sofort auf den Kommandanten und hätte Dom Luis auf der Stelle erwürgt, wäre er nicht vom Profos daran gehindert worden.
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„Schluß jetzt!“ sagte Carberry verärgert. „Ich schlage mir nicht die halbe Nacht um die Ohren, nur um euch Kampfhähne anschließend daran zu hindern, daß ihr euch gegenseitig umbringt. Dabei könnte mir egal sein, was die lausigen Portus mit euch anstellen, oder was ihr am liebsten mit ihnen tun würdet.“ Er zog die Javaner ans Schanzkleid und deutete erst auf die Jakobsleiter und danach auf die außenbords vertäute Jolle. „Wir bringen euch zu unserem Kapitän. Das ist ein Mann, dem könnt ihr vertrauen wie eurem eigenen Vater. Er wird wissen, was wir mit euch Burschen anfangen sollen.“ Schebecke und Galeone waren von einer ungewohnten Helligkeit umgeben. Die Blendlaternen entrissen der Nacht einen gut zwanzig Schritte breiten Streifen rings um die Schiffe. Kein Angreifer konnte unbemerkt nahe genug heran. Carberry blinzelte in das grelle Licht, als er die Jolle an Backbord der Schebecke längsseits steuerte. Vergeblich suchte er nach einer Möglichkeit, an Bord zu gelangen. „He, ihr da oben!“ rief er. „Sollen wir uns Flügel wachsen lassen?“ Eine Jakobsleiter rauschte abwärts und rollte sich auf. Carberry ergriff eine der hölzernen Sprossen und hielt sie den vor ihm kauernden Javanern hin. Wenigstens das begriffen sie. „Aufpassen da oben! Wir haben Besuch mitgebracht.“ „Das sehen wir“, erklang die Stimme von Bob Grey. „Habt ihr die Burschen so zugerichtet?“ Der Profos verkniff sich eine allzu heftige Erwiderung. „Statt dumme Fragen zu stellen, solltest du Hasard informieren. Die Eingeborenen haben wir aus der Vorpiek der ‚Santa Catarina' befreit.“ * Mehr als ihre Namen waren von den Javanern nicht zu erfahren. Muzzaffar Deepavali und Mahathir Johore fürchteten
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die Arwenacks kaum weniger als die Portugiesen. Obwohl ihnen ausreichend Wasser, Brotfladen und Obst vorgesetzt wurden und sich der Kutscher ihrer Wunden annahm und die am tiefsten ins Fleisch eingefressenen Striemen abdeckte, legten sie ihr Mißtrauen nicht ab. „Irgendwann werden sie verstehen lernen“, sagte der Seewolf zuversichtlich. „Und bis dahin?“ fragte Batuti. „Wir schicken sie in ihr Dorf zurück. Vielleicht bewahrt uns das vor einem neuerlichen Angriff. Ich rechne damit, daß es die Javaner im Zwielicht des Morgengrauens noch einmal versuchen.“ Kurz nach acht Glasen setzten vier Arwenacks die Eingeborenen zum Strand über. Abgesehen von dem nur noch hin und wieder zu vernehmenden fernen Grollen des Vulkans, blieb die Nacht ruhig. Die Rudergasten entließen Deepavali und Johore in knietiefem Wasser aus ihrer Obhut und pullten sofort zur Schebecke zurück. Jeder hatte das Gefühl, von Dutzenden Augen beobachtet zu werden, obwohl sich nirgendwo eine Bewegung abzeichnete. Der Sonnenaufgang, eine halbe Stunde später, überzog den Himmel mit einem fahlen Grau. An diesem Tag schien es nicht richtig hell werden zu wollen. Die Sonne selbst war nicht mehr als ein verwaschener Fleck hinter trägen Dunstschleiern. „Wenn nicht bald ein richtiger Wind aufkommt, werden Ruß und Asche tagelang in der Atmosphäre hängen“, sagte Dan O'Flynn, den das Phänomen faszinierte. Am liebsten hätte er eine Expedition landeinwärts unternommen, so nahe wie möglich an den feuerspeienden Berg und die Lavaströme heran. Doch er wußte, daß er Hasards Einwilligung dazu nie erhalten würde. Die Gefahren eines solchen Vorhabens waren entschieden zu groß, abgesehen davon, daß es außer der Befriedigung von Dans persönlicher Neugier den Arwenacks keinerlei Vorteile gebracht hätte.
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Philip Hasard Killigrew befahl alle Männer – mit Ausnahme der Wachen auf der „Santa Catarina“ – an Deck der Schebecke. „Wir gehen umgehend ankerauf und segeln Kurs Indramayu“, sagte er. „Aber nur die Galeone wird den Hafen anlaufen. Ich habe die Nacht genutzt und die vorliegenden Karten studiert. Wenn auf die Eintragungen halbwegs Verlaß ist, kann ein Schiff allein die Einfahrt blockieren. Das bedeutet, daß die Portugiesen in einer Falle sitzen, aus der ihnen nur viel Glück und vor allem ein günstiger Wind heraushelfen könnten.“ „Falls die erwarteten sechs Schiffe noch vor Topp und Takel liegen“, wandte Ben Brighton ein. „Das“, erwiderte der Seewolf, „werden wir herausfinden.“ Er ließ seinen Blick über die bis auf fünf Mann vollzählig versammelte Crew schweifen. Sogar Sam Roskill stand auf der Kuhl – außer einer ungewöhnlichen Blässe war ihm nichts mehr von dem beinahe tödlichen Zwischenfall mit den Magiern anzumerken. „Ich nehme an, Sir, du brauchst Freiwillige für den kurzen Törn auf der Galeone!“ rief Carberry. „Dann wirst du mich als ersten auf die Liste setzen.“ „Ich bin Nummer zwei“, erklärte Ferris Tucker. „Zur. Abwechslung mal auf einem portugiesischen Kahn zu segeln, schadet bestimmt nicht.“ Keiner wollte zurückstehen. Hasard hatte letztlich die Qual der Wahl und überließ es dem Profos, die Mannschaft zusammenzustellen. Carberry entschied sich für elf Mann –mehr waren sicher nicht erforderlich, die „Santa Catarina“ ohne den Besan zu segeln. Eine zahlenmäßig größere Crew hätte außerdem bedeutet, daß sie für die Rückkehr zur Schebecke eine zweite Jolle brauchten. Neben Carberry und dem Schiffszimmermann waren Batuti und natürlich Big Old Shane mit von der Partie und außer ihnen Bob Grey, Luke Morgan, Stenmark, Pete Ballie, Bill, Sven Nyberg, Higgy und Dan O'Flynn.
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„Was geschieht mit Dom Luis und seinen Leuten?“ fragte Mac O'Higgins wie beiläufig. „Bleiben sie an Bord oder ...?“ „Wir setzen sie an Land“, erwiderte der Seewolf. „Genau das wollten sie doch: neues Land für Albuquerque erobern. Nach der Erfahrung, was es bedeutet, sich ohne Waffen durch den Regenwald zu schlagen, werden sie fürs erste von ihren Gelüsten geheilt sein. Natürlich können sie auch am Strand auf eins ihrer Schiffe warten.“ Es gab nicht mehr viel zu bereden. In seiner Kammer besprach der Seewolf mit dem Profos und Dan das Vorgehen. Beide zeigten sich zuversichtlich, was den reibungslosen Ablauf betraf. Die Portugiesen würden kaum eine Chance haben, und sollten sie doch einige Breitseiten abfeuern, trafen sie lediglich ihr eigenes Schiff. „Ed ...“ sagte Hasard zum Abschluß. „Sir?“ „Geht kein unnötiges Risiko ein. Ich will, daß wir uns gesund wiedersehen.“ „Aye, Sir. Lieber geben wir die ,Santa Catarina' auf, bevor wir uns in Schwierigkeiten bringen lassen.“ Als die zwölf Männer wenig später zur Galeone pullten, wurden auf der Schebecke schon die Segel gesetzt und der Anker gelichtet. Zumindest den größten Teil der rund fünfzehn Seemeilen bis Indramayu würde der schnellere und selbst mit verminderter Mannschaftsstärke schlagkräftigere Mittelmeer-Dreimaster dem anderen Schiff voraus segeln. Der Wind hatte leicht auf südöstliche Richtung gedreht. Er trug verstärkt Asche des Vulkanausbruchs heran. Auf den Segeln lagerte sich eine feine Staub schicht ab, und wer zufällig über das Schanzkleid wischte, hatte hinterher schwarze Finger. Die Schebecke segelte fast auf Tuchfühlung an der „Santa Caterina“ vorbei, als drüben die Portugiesen von Bord „gingen“. Carberry hatte sich für eine ebenso wirkungsvolle wie zeitsparende Methode entschieden, die ungeliebten Gegner loszuwerden. Auf der Schebecke amüsierten sich die Arwenacks köstlich, als jeweils zwei ihrer
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Gefährten einen Seesoldaten an Beinen und Armen packten und mit Schwung in hohem Bogen über Bord beförderten. Natürlich ließ der Profos, da er kein Unmensch war, vorher die Fesseln der Betroffenen lösen. Sobald sie im Wasser planschten, stießen die Kerle die wüstesten Verwünschungen aus, ernteten dafür aber nur schallendes Gelächter, das ihren Zorn weiter anstachelte. Den Seeleuten der „Santa Catarina“ und Dom Luis Vaz de Noronha blieb das erfrischende Bad ebenso wenig erspart. Eingebunden in ein Stück Segeltuch, warf ihnen Ferris Tucker mehrere Dolche sowie zwei Pistolen hinterher. Die Feuerwaffen waren zumindest in nächster Zeit nicht zu verwenden, da ihr Pulver das Wasser anzog wie ein trockener Schwamm, aber mit den Messern waren die Portugiesen nicht ganz hilflos. Endlich wurden auch auf der Galeone Fock und Großsegel sowie Großmarssegel gesetzt. Schwerfälliger als die Schebecke nahm das Schiff Fahrt auf. Den letzten Portugiesen, die wohl immer noch gehofft hatten, irgendwie wieder an Bord zu gelangen, blieb endgültig keine andere Wahl, als an Land zu schwimmen. Sie würden möglichst schnell aus der Nähe des Eingeborenen-Dorfes verschwinden oder sich mit den Javanern arrangieren müssen. 8. Auf den Seekarten erinnerte das Aussehen der Küste vor Indramayu an einen nach Westen blickenden Vogelkopf. Die Stadt selbst lag im Bereich des Nackens, bevor das Land erst nach Südosten und dann nach Süden zurückwich. Einzelne Felsformationen wechselten ab mit üppigem Pflanzenreichtum. In ihrer Vielfalt waren die Buchten unüberschaubar. Dichter Mangrovendschungel hatte von den meisten Besitz ergriffen und würde die kleineren Einschnitte irgendwann verlanden lassen.
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Meist nur auf Rufweite voneinander entfernt, segelten die Schebecke der Seewölfe und die „Santa Catarina“ in Sichtweite der Küste. Auf beiden Schiffen war der Ausguck doppelt besetzt, doch niemand meldete Segel an der Kimm. Der frühe Morgen blieb so trübe, wie er begonnen hatte. Der milchige Fleck der langsam höhersteigenden Sonne verlor zwar seine rötliche Färbung, konnte den Dunst über der Java-See aber nach wie vor nicht aufreißen. Rund viereinhalb Meilen nördlich von Indramayu verabschiedete sich der Seewolf von Carberry und seinen Männern. Die Schebecke lief eine tief ins Land eingeschnittene, in ihrer Ausdehnung von See her nur schwer überschaubare Bucht an. Sie war zugleich der Treffpunkt für später. In ungefähr einer halben Stunde würde die „Santa Catarina“ Indramayu erreichen. * Dem Profos und seiner Crew blieb hinreichend Zeit für Vorbereitungen. Batuti, Dan, Shane, Stenmark und Bill hatten ohnehin die letzte Stunde genutzt, um nacheinander sämtliche noch brauchbaren Geschütze der Galeone zu klarieren. Für den Fall einer frühzeitigen Entlarvung durch die Portugiesen waren sie zumindest nicht völlig wehrlos. Ferris Tucker, Pete Ballie und Mac O'Higgins hatten die Aufgabe übernommen, eine der beiden großen Jollen bis zum Dollbord mit Schießpulver zu füllen. Die Portugiesen sollten ein Feuerwerk erleben, das sie zeit ihres Lebens nicht mehr vergaßen. Sogar das Bugschapp füllten sie mit den Leinensäckchen der Pulverkartuschen, nachdem sie zuvor Werg als Schutz gegen eindringende Nässe auf die Planken ausgebreitet hatten. Die Jolle, groß genug für eine zwölfköpfige Crew, wurde innerhalb kurzer Zeit zum Pulvermagazin. Immer mehr Fäßchen fanden unter den Duchten Platz. Sorgfältig stopften die drei
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Arwenacks die Zwischenräume mit Werg und weiteren Kartuschen aus. Den Mast hatten sie schon vorher aufgerichtet. Das Segel zu setzen, falls der Wind weiterhin günstig stand, würde nur noch wenige Augenblicke in Anspruch nehmen. Andernfalls bestand die Möglichkeit, daß zwei von ihnen das Boot weit genug in den Hafen pullten. Nacheinander fierten sie die beiden großen Jollen ab und nahmen das mit dem Pulver präparierte Boot in Schlepptau. Das andere, das sie später unter Segel zur Schebecke zurückbringen sollte, wurde längsseits an Steuerbord vertäut. Die Toppen der Schiffe waren das erste, was die Arwenacks von Indramayu sahen. Dan O'Flynn entdeckte sie durchs Spektiv, obwohl alle anderen zu dem Zeitpunkt nicht viel mehr als den dichter werdenden Dunst registrierten, der langsam wie Nebel aus der Höhe niedersank. Hin und wieder verschwand die Sonne völlig hinter den Rauchschwaden. „Wir haben Glück“, sagte Dan zu den Gefährten. „Vielleicht verdanken wir gerade den schlechten Sichtverhältnissen, daß die Schiffe noch vor Anker liegen.“ Felsen und ein schmaler Gischtstreifen etwa eine dreiviertel Meile voraus kennzeichneten den Beginn der Hafeneinfahrt. „Fiert das Großsegel!“ befahl der Profos. Noch bevor die Fahrt der „Santa Catarina“ langsamer wurde, verschwanden Ferris Tucker und Big Old Shane unter Deck. Wenig später waren ein dumpf dröhnendes Klopfen und das Kreischen von Metall auf Holz zu vernehmen. Die beiden bohrten das Schiff an verschiedenen Stellen an, um es in Kürze in der Hafeneinfahrt auf Grund zu setzen. „Die Bilge läuft langsam voll“, meldeten sie, als sie wieder an Deck erschienen. „Hoffentlich geht alles gut“, erwiderte Carberry. „Warum sollte es nicht?“ Ferris Tucker zeigte sich zuversichtlich. Er war nicht der einzige, dessen Anspannung sich löste, je näher ihr Ziel in Reichweite rückte.
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Drei Kabellängen vor der nun deutlich sichtbaren Hafeneinfahrt erfolgte der letzte Kreuzschlag. Carberry segelte danach mit halbem Wind über Steuerbordbug. Ein flüchtiger Blick galt den im Topp flatternden Farben Portugals. Natürlich hatten die Mannschaften der anderen Schiffe inzwischen die Annäherung der „Santa Catarina“ bemerkt, doch sie sahen nur eine ihrer eigenen Galeonen und nichts, was einen Verdacht überhaupt erst hätte aufkeimen lassen. „Sie sind ahnungslos wie Schafe, deren Pferch schon von Wölfen umzingelt ist“, sagte Batuti. Zum erstenmal gewann Carberry der unnatürlichen Dämmerung auch etwas Gutes ab. Asche und Rauch ließen die Sichtweite schrumpfen und breiteten gnädig den Deckmantel der Verschleierung aus. Selbst mit ihren Kiekern konnten die Portugiesen nicht ohne Weiteres feststellen, daß sich Fremde an Bord der Galeone befanden. Dom Luis hatte zumindest hinsichtlich der Zahl der Schiffe die Wahrheit gesagt. Vor Indramayu lagen tatsächlich sechs Dreimaster. Ihre Bestückung war indes ganz und gar nicht den Batterien der „Santa Catarina“ unterlegen. Dan O'Flynn stieß einen überraschten Pfiff aus, als er durch den Kieker feststellte, daß zwei Galeonen nicht nur auf Back, Kuhl und Achterdeck Geschütze führten, sondern auch auf dem darunter liegenden Mannschaftsdeck. „Beide Galeonen verfügen je Breitseite über achtzehn schwere Stücke“, sagte er. „Die anderen bringen es immerhin noch auf sechs bis acht Stücke. Wenn uns die Flotte unter Segeln begegnet wäre, hätten wir ganz schön dumm ausgesehen.“ „Zum Glück ist es anders.“ Edwin Carberry wandte sich zum Rudergänger um: „Bring unseren Kahn quer vor die Einfahrt, Pete. Für die Portus sollte es allerdings nach einem Ruderschaden aussehen.“ Die „Santa Catarina“ passierte die vorgelagerten Klippen, an denen sich gischtend und tosend die Brandung brach.
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Der anhaltende Südost erschwerte den im Hafen liegenden Schiffen das Auslaufen, da er nicht nur die Flut in die Bucht hineintrieb, sondern die Schiffe auch in Richtung auf die Felsen gedrückt hätte. Den Seewölfen war es egal, ob sie sich vorzeitig den Rumpf aufrissen. Immerhin erklangen schon Ferris Tuckers Axthiebe, der die Rumpfplanken durchschlug. Durch die Bohrlöcher war zwar Wasser eingeströmt, aber längst nicht soviel wie erwartet. Die Galeone lag seitdem bestenfalls zwei Handspannen tiefer. Die Hafeneinfahrt war nicht breiter als fünfzig Schritte und erforderte unter ungünstigen Umständen das ganze Können einer Crew, ihr Schiff heil hindurchzubringen. Außerdem gab es, wie die Färbung des Wassers deutlich bewies, nur in der Mitte eine tiefere Fahrrinne. Bei Niedrigwasser hatte der Hafen zweifellos seine Tücken. Noch etwa zweihundertfünfzig Yards waren es bis zum Beginn des Hafenbeckens. Pete Ballie ließ die Galeone anluven. Noch sah es so aus, als würde das Schiff die Engstelle ohne Schwierigkeiten passieren. Carberry befahl, das Großmarssegel wegzunehmen. Nur noch unter den Fock fiel die „Santa Catarina“ wieder ab. Diesmal verzichtete der Rudergänger darauf, gegenzuhalten. Er nickte dem Profos zu, der angespannt zu den Kriegsschiffen blickte, und sagte: „Alles klappt, als hätten wir es ein Dutzendmal geübt. Unser Kahn wird genau dort auflaufen, wo wir ihn haben wollen.“ Ferris Tucker erschien schweißüberströmt auf der Kuhl. Weit ausholend, trieb er die schwere Zimmermannsaxt tief ins Holz. „Die brauchen wir hoffentlich nicht mehr“, sagte er. „Das Schiff säuft demnächst ab.“ Wenn die Arwenacks genau hinhörten, konnten sie das Gurgeln und Plätschern des einströmenden Wassers hören. Im Laufe weniger Minuten war eine deutliche Krängung nach Backbord wahrzunehmen. Die „Santa Catarina“ schlug quer. Wie ein Korken im Flaschenhals schob sie sich die letzten Yards auf die Engstelle zu.
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Ein harter Ruck folgte. Er hätte die Arwenacks von den Beinen gefegt, wären sie nicht darauf vorbereitet gewesen. Der Bug schrammte über dicht unter Wasser liegenden Felsen. Das durch Mark und Bein gehende Geräusch splitternden Holzes mußte weithin zu hören sein. An Bord der BeuteGaleone war es jedenfalls ohrenbetäubend. Carberry ließ kurzerhand die Fallen der Fockrah kappen. Die Beobachter an Bord der Kriegsschiffe waren sicherlich beeindruckt, obwohl das Unglück selbst mit derart rigorosen Maßnahmen nicht mehr aufzuhalten gewesen wäre. Dröhnend krachte die Rah samt Segel aufs Vorschiff nieder. Augenblicke später saß die „Santa Catarina“ endgültig auf. Der Bug hatte sich inmitten der Felsen festgekeilt. Von nun an galt es schnell zu handeln, bevor die Portugiesen doch Verdacht schöpften und mit mehreren Breitseiten die Hoffnungen der Arwenacks auf einen schnellen und gründlichen Erfolg ebenso gründlich zerstörten. Stenmark und Bill enterten über die Steuerbordverschanzung ab. Ob die im Schlepp befindliche Jolle den Portugiesen aufgefallen war, konnten sie nicht sagen. Auf jeden Fall schwammen sie zu dem Boot und kappten, nachdem sie sich übers Dollbord auf die Mastducht gezogen hatten, die Vorleine. Daß die von ihnen abtropfende Nässe einige Kartuschen und etliches Werg aufweichte, war unerheblich. Der Großteil lag ohnehin unter ölgetränkten Persennings verborgen, die nicht nur vor Spritzwasser, sondern auch vor allzu neugierigen Blicken schützen sollten. Die Galeone ächzte und stöhnte und sackte wieder ein Stück ab. Aus der anfänglichen Krängung nach Backbord wurde allmählich eine deutliche Neigung nach achtern. Vielleicht würde sich das Schiff sogar wieder von den Felsen losreißen, sobald das Heck noch tiefer sank. Mit Hilfe der Riemen manövrierten beide Seewölfe die fast bis zum Dollbord im Wasser liegende und entsprechend
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schwerfällig reagierende Jolle hinter der Galeone vorbei. Sobald sie den Sichtschutz des Schiffshecks verließen, setzte Stenmark das Segel, das sich knatternd entfaltete. Bill laschte die Pinne fest, daß sich Winddrift und Ruderausschlag gegenseitig aufhoben. Das Boot trieb geradewegs auf die vor Anker liegende Flotte zu. Knapp zweihundertfünfzig Yards trennten die „Santa Catarina“ von dem ersten der schwer armierten Kriegsschiffe. Und genau dort erschien jetzt ein Trupp Soldaten. Weder Stenmark noch Bill verstanden, was ihnen die Kerle zuriefen. „Selbst wenn sie unsere Trennung durchschauen“, sagte der Schwede, „können sie jetzt nichts mehr unternehmen.“ Offenbar waren die Portugiesen mißtrauisch geworden, weil nur zwei Mann in der Jolle saßen. Ahnten sie, was unter den Persennings verborgen lag? Jedenfalls fielen unmittelbar nach einem neuerlichen Anruf, der zum Beidrehen aufforderte, die ersten Musketenschüsse. Die Entfernung war noch zu groß für ein einigermaßen sicheres Zielen. Die Kugeln schlugen nahezu ein halbes Dutzend Schritte vor dem Boot wirkungslos ins Wasser. „Wenn sie das Pulver treffen, sind wir gleich mit erledigt“, sagte Stenmark. Es war Zeit, sich zu empfehlen. Die Jolle lag ohnehin gut auf Kurs. Bill ließ sich rücklings über Bord kippen. Stenmark winkte erst zu den Portugiesen hinüber, ehe er Bill folgte. Die erneute Musketensalve war besser gezielt, blieb aber dennoch wirkungslos. Plötzlich herrschte auf allen Schiffen eine hektische Aktivität. Soldaten enterten in die Boote ab, andere begannen in fliegender Eile, die Geschütze zu klarieren. Stenmark und Bill schwammen nebeneinander mit gleichmäßigen Zügen zum Heck der „Santa Catarina“. Während die Arwenacks von Deck aus den Portugiesen einen letzten Gruß schickten, würden sie die an Steuerbord vertäute Jolle für die Rückkehr zur Schebecke klarieren.
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Batuti und Big Old Shane standen bereits mit ihren Langbogen und Brandpfeilen auf den Sehnen auf der Kuhl. Geduldig warteten sie, bis die Pulverjolle mehr als die Hälfte der Distanz überwunden hatte. Erst dann entzündeten sie in den Kohlebecken das Pech ihrer Pfeile. Sie schossen gleichzeitig. Shanes Pfeil prallte gegen das Segel, glitt daran ab und fiel neben dem Boot ins Wasser, wo er flackernd erlosch, doch Batuti traf die Mastducht. innerhalb weniger Augenblicke breiteten sich die Flammen aus. Glimmendes Werg wirbelte mit dem aufsteigenden Rauch davon. Nur noch fünfzig Yards trennten die Jolle vom ersten Schiff. Jeder Versuch, sie jetzt noch zu versenken, würde die sich anbahnende Katastrophe nur beschleunigen. Die Portugiesen konnten lediglich versuchen, den Brander aus der Gefahrenzone zu schleppen. Tatsächlich näherte sich ein mit sechs Soldaten bemanntes Boot der Jolle. Die Kerle versuchten mit Peekhaken, das brisante Geschenk der Arwenacks vom Kurs abzubringen, und es sah beinahe so aus, als hätten sie damit Erfolg. „Feuer frei!“ befahl der Profos der Arwenacks. Während auf den Kriegsschiffen gerade erst die Stückpforten geöffnet wurden, senkten die Seewölfe schon die glimmenden Lunten auf die Zündlöcher ihrer Geschütze. Nacheinander spien die Cannons Tod und Verderben. Obwohl die Männer im Vertrauen darauf, daß die Rohre nicht schon beim erstenmal krepierten, zum Teil erhöhte Pulverladungen gesetzt hatten, stanzte gut die Hälfte der schweren Eisenkugeln lediglich deckshohe Fontänen aus dem Hafenwasser. Es zeigte sich eben doch, daß die koordinierende Hand eines Al Conroy fehlte. Die Kugeln, die trafen, zerspellten lediglich Decksaufbauten und blieben sonst wirkungslos. Augenblicke später zuckten die ersten Feuerlanzen aus den Rohrmündungen der Kriegsschiffe hervor. Die Arwenacks
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befanden sich aber schon auf dem Rückzug, als das Bersten und Krachen etlicher Einschläge die „Santa Catarina“ erschütterten und Holzsplitter tödlichen Geschossen gleich über Deck fegten. Wie ein weidwundes Tier schüttelte sich die Galeone, vom Bug her erklang das Splittern der Rumpfplanken. Danach ergoß sich die See in mächtigem Schwall in den Bauch des Schiffes. Von den Klippen losgebrochen, begann die Galeone zu sinken. Die Arwenacks legten sich mächtig in die Riemen, um schnell den Sog des sinkenden Schiffes zu verlassen. Noch versperrte ihnen der Rumpf den Blick auf den Brander und die Kriegsschiffe. Der Donner einer ohrenbetäubenden Explosion hallte über die Bucht. Hinter der „Santa Catarina“ schoß ein wahres Flammeninferno in den Himmel, gefolgt von einer mächtigen schwarzen Wolke, deren Inneres rötlich brodelte. Augenblicke später regnete es ringsum Glut, Asche und glimmende Holzstücke, keins größer als zwei oder drei Inches. Auf der Beute-Galeone fing das noch an Deck liegende Focksegel Feuer. „Und der Herr ließ brennendes Pech und Schwefel vom Himmel fallen“, sagte Batuti. „Steht es nicht so in der Bibel geschrieben?“ „So ungefähr“, erwiderte Shane. „Als Strafe für die Sünden der Menschen.“ Die Jolle mit den beherzten Soldaten, die versucht hatten, das Unheil vielleicht noch aufzuhalten, war spurlos verschwunden. Obwohl der Glutball der Explosion rasch in sich zusammenfiel, breitete sich hinter den Arwenacks lodernder Feuerschein aus. Nicht nur das Vorschiff der „Santa Catarina“, die deutlich sichtbar auf Tiefe ging, brannte, sondern auch die anderen Schiffe. Jedes hatte seinen Teil der Pulverladung empfangen, und alle verzweifelten Löschversuche der Mannschaften blieben angesichts der unzähligen Brandherde nur Stückwerk. Der auf begrenztem Raum entstehende Feuersturm wirbelte Asche und Dunst in die Höhe, und zum erstenmal wurden
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einige der Bauwerke von Indramayu sichtbar. Eine riesige steinerne Buddhastatue inmitten eines glockenförmig angelegten Tempelkomplexes schien die Arwenacks anzustarren. In den Augen der Figur, jedes so groß wie ein mehrschreibiger Block, spiegelte sich trotz der Distanz von über einer halben Meile das Feuer. „Dad würde jetzt sagen, schaut nicht zurück, denn das bringt Unheil“, warnte Dan O'Flynn. Allerdings meinte er die Worte nicht so ernst, wie sie sich anhörten, denn er wandte selbst mehrmals den Kopf und überzeugte sich davon, daß die Schiffe wirklich zu lodernden Fackeln wurden, deren Mannschaften keine andere Wahl blieb, als sich an Land zu retten. Alfonso Albuquerque, der Despot von Malakka, würde toben, sobald er erfuhr, wem er diesen Anschlag verdankte. „Eigentlich war alles viel zu leicht“, sagte Luke Morgan. „Ich hoffe, das dicke Ende folgt nicht noch nach.“ „Warum sollte es?“ fragte der Profos. „In spätestens einer Stunde stehen wir wieder auf der Schebecke und segeln der Karibik entgegen.“ * Ungefähr zur selben Zeit meldete der Ausguck auf dem Mittelmeer-Dreimaster Segel an der Kimm. Das Schiff war jedoch so weit entfernt, daß es nicht mal im Spektiv deutlicher als ein fahler weißer Fleck vor dem Hintergrund des im Norden noch blauen Himmels erkennbar wurde. Offenbar segelte es in gleichbleibendem Abstand zur Küste auf Südostkurs. Es konnte sich ebenso gut um eine portugiesische Karavelle wie um einen Holländer oder eine große Dhau handeln. Als das Schiff nach einer Weile aus der Sicht verschwand, vergaßen die Arwenacks den Zwischenfall bald wieder. Außerdem gab es weit Interessanteres zu beobachten. „Sie haben es geschafft!“ rief Jack Finnegan aus der Tonne am Großmast.
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Aufgeregt deutete er nach Süden, Richtung Indramayu, wo, zunächst nur für ihn sichtbar, Feuerschein aufloderte. Nach kurzer Zeit färbte sich der Himmel so weit in den Zenit hinein rot, daß auch von Deck aus der Erfolg des Angriffs mit der Beute-Galeone unübersehbar war. Zu aller Überraschung opferte Mac Pellew sechs noch mit Wachs versiegelte Krüge voll Palmwein. „Zur Feier des Tages“, erklärte er. „Für jedes versenkte Schiff einer.“ Bis die Jolle mit Carberry und seinen Männern die Schebecke erreichte, würde ungefähr eine Stunde vergehen. Die Arwenacks hatten mehr als genug Zeit, sich den Palmwein schmecken zu lassen. Jeder hoffte darauf, daß Mac oder der Kutscher dann weitere volle Krüge spendierten. Immerhin ließ sich absehen, daß die erste Ration bald bis auf den letzten Tropfen gelenzt war. Die Stimmung an Bord war schon lange nicht mehr so ausgelassen gewesen. 9. Dom Miguel Esteves Pessoa, der Kommandant des Viermasters „Mar Tenebroso“, was übersetzt „Meer der Finsternis“ bedeutet, war im Auftrag der Admiralität nach Indonesien gesegelt – und ein klein wenig auch im eigenen Interesse. Er hatte eine Monate währende, entbehrungsreiche Reise rund um die halbe Welt auf sich genommen, um nach langen Jahren einen Freund wieder zu treffen und ihm die Nachricht seiner Beförderung zum Kommandanten eines Kriegsschiffs zu überbringen. Aber dann war alles anders gekommen, als er erwartet hatte. Erst in Malakka hatte er erfahren, daß Francisco Salazar, zuvor Erster Offizier auf der „Serra da Estrela“, inzwischen ein Seebegräbnis erhalten hatte. Nach Aussagen Dom Otelo Saraiva de Carvalhos, des von Francisco als unfähig geschilderten Kommandanten, dessen Abberufungsschreiben er in der Tasche
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hatte, war der Erste von englischen Spionen getötet worden. Die Ereignisse hatten sich überstürzt, als ebendiese Engländer aus der Gefangenschaft Alfonso Albuquerques fliehen konnten. Dummerweise hatte Dom Otelo, der den Aufenthalt der Engländer kannte, auch noch das Wort des Herrschers erhalten, daß er nicht wie vorgesehen an Bord der „Mar Tenebroso“ nach Portugal zurückkehren und einen Schreibtischposten antreten müsse, sondern in Malakka bleiben dürfe. Miguel Esteves Pessoa hatte also in doppelter Hinsicht mit leeren Händen dagestanden. Was Wunder, daß er sich dazu entschloß, den englischen Spionen zu folgen und von ihnen Rechenschaft für den Tod des Freundes zu fordern. Der Kurs der Arwenacks führte nach Osten, das hatte er bald herausgefunden. Er folgte ihrem Kielwasser in der Gewißheit, sie bald einzuholen. Die „Mar Tenebroso“ war ein schnelles und gut bestücktes Schiff, das keinen Gegner zu fürchten brauchte. Vor Batavia waren ihm die Spione nur noch mit wenig mehr als zwanzig Stunden Vorsprung entwischt. Diese Auskunft verdankte er, obwohl alle anderen beharrlich geschwiegen hatten, einigen angesehenen Batavern, die den Engländern nicht nur die Pest an den Hals wünschten, sondern weitaus schlimmere Dinge. Irgendwo östlich von Batavia würde er, Dom Miguel Esteves Pessoa, zum entscheidenden Gefecht antreten. Er spürte es mit jeder Faser seines Körpers, daß der Dreimaster der Engländer bald an der Kimm auftauchen mußte. „An Steuerbord voraus, Capitan!“ Der Ruf des Ausgucks schreckte ihn aus seinen Überlegungen auf. Aber da war kein Segel, wie er erwartet hatte. „Feuer, Capitan! Auf der Höhe von Indramayu!“ Der Himmel, eben noch von düsterem Grau, begann sich blutig rot zu färben. Der Ausguck hatte von seiner erhöhten Position aus die Veränderung lediglich einige Minuten eher bemerkt. Die Schnelligkeit,
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mit der sich der Feuerschein ausbreitete, erschreckte. Es sah ganz danach aus, als hätte eine Feuersbrunst die Stadt erfaßt. Dom Miguel entsann sich, daß die Kapitäne in Malakka von einem Stützpunkt vor Indramayu gesprochen hatten. Demnach verfügte Albuquerque über ein beachtliches Aufgebot in der Java-See. „Segel, Capitan! Steuerbord querab!“ Siedendheiß durchfuhr es ihn. Der Gedanke lag nahe, daß die Engländer die Stadt überfallen hatten. Nach allem, was in Malakka geschehen war, traute ihnen Dom Miguel ein solches Vorgehen durchaus zu. Er ließ den Kurs ändern. „Die Geschütze klar zum Feuern!“ Jeder Handgriff war hundertmal geübt und würde selbst bei völliger Finsternis ebenso präzise erfolgen. Innerhalb weniger Minuten waren die Rohre ausgerannt und standen Kohlebecken und Lunten bereit. Die Pulveraffen mannten Munition und Kartuschen an Deck. Miguel Esteves Pessoas hochgesteckte Erwartungen wurden enttäuscht, als sich herausstellte, daß das gesichtete Segel keineswegs zu dem gesuchten Dreimaster gehörte. Bestenfalls handelte es sich um ein Boot einheimischer Fischer. Dennoch ließ er den neuen Kurs beibehalten. „Capitan!“ meldete der Ausguck schließlich. „Das sind keine Eingeborenen!“ * Dan O'Flynns Miene verhärtete sich von einem Augenblick zum anderen. Unter zusammengekniffenen Lidern spähte er nach Norden, wo sich inmitten der endlos scheinenden, den trist grauen Himmel spiegelnden Wasserwüste ein heller Fleck abzeichnete, der rasch größer wurde. „Ed!“ sagte er. In seiner Stimme lag eine Betonung, die dem Profos wenig behagte. Auch die anderen Arwenacks wurden aufmerksam. Die Segel – mittlerweile waren sie für jeden unübersehbar – mußten zwar nicht
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unbedingt eine Gefahr bedeuten, trotzdem erschien Vorsicht angebracht. „Vielleicht ist es die Schebecke“, sagte Sven Nyberg. „Hasard hat das Feuer gesehen und segelt uns entgegen.“ „In einem Punkt hast du wahrscheinlich recht“, erwiderte Dan. „Jemand hat das Feuer gesehen. Aber das Schiff ist nicht die Schebecke.“ „Küstenpiraten?“ Dan O'Flynn zuckte mit den Schultern. „Wir werden es wissen, sobald sie näher heran sind. Vorsichtshalber sollten wir dichter unter Land gehen.“ Sie waren denkbar schlecht bewaffnet. Außer Shanes und Batutis Langbogen und einem ausreichenden Vorrat an Pulver- und Brandpfeilen verfügten sie nur über ihre teils doppelläufigen Steinschloßpistolen und fünf Musketen sowie den Munitionsvorrat, den sie in ihren Kugelbeuteln stets bei sich trugen. In der Jolle, auf engem Raum, hatten sie damit wenig Aussichten, einen möglichen Piratenüberfall erfolgreich abzuwehren. Das fremde Schiff änderte Augenblicke später ebenfalls seinen Kurs und fiel zwei Strich nach Steuerbord ab. Unschwer war zu erkennen, daß es vor der Jolle die Küste erreichen konnte. „Vergeßt die Piraten“, sagte Dan O'Flynn nach einer Weile. „Das Schiff ist ein Viermaster.“ „Portugiesen?“ fragte Bob Grey ahnungsvoll. „Außer Albuquerques Leuten treiben sich nur wenige Europäer in diesen Gewässern herum“, schnaubte Carberry und rollte wild mit den Augen. „Wenn dem so ist, fürchte ich, haben uns die Burschen diesmal am Wickel.“ Der Viermaster entpuppte sich als Karavelle. Daß Dan O'Flynn die portugiesische Flagge im Topp erkannte, war zu dem Zeitpunkt schon nicht mehr der Rede wert. Aber daß es sich bei dem Schiff eindeutig um einen schwer armierten Zweidecker mit blutrot gestrichenen Stückpforten handelte, ging den Arwenacks doch an die Nieren.
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„Ich will mich an die nächste Rah knüpfen lassen, wenn wir das verdammte Schiff nicht kennen“, schimpfte Carberry. „Mit so etwas spaßt man nicht“, wehrte Pete Ballie erschrocken ab. „Ich sage noch ganz andere Dinge“, erklärte der Profos grollend. „Erinnert ihr euch an den großen Kahn im Hafen von Malakka? Clinton hat uns zwei der Offiziere in die Hände gespielt, damit wir ihre Uniformen anziehen konnten ...“ „Soll ich dir was sagen, Ed?“ fragte Sven Nyberg. „Die Portus erinnern sich bestimmt genauso gut an uns.“ „Für die Affenärsche sind wir wie ein rotes Tuch ...“ Die Viermastkaravelle war eindeutig schneller als die voll bemannte Jolle. Es sah weiß Gott nicht so aus, als sollten die Arwenacks ungeschoren bleiben. Der Profos befahl ein Kreuzen auf Biegen und Brechen, das sie näher an die Küste bringen würde. Doch die Portugiesen durchschauten ihre Absicht frühzeitig. Selbst Hasard hätte das kleine Boot nicht besser ausmanövrieren können. „Senhor Capitan versteht sein Handwerk“, sagte Carberry anerkennend. „Leider kämpft er auf der falschen Seite.“ Die ersten Schüsse fielen. Noch lagen die Einschläge querab, und nicht einmal die Gischt der aufsteigenden Fontänen erreichte die Arwenacks. Trotzdem wurde deutlich, daß sich die Portugiesen nicht länger hinhalten ließen. Mit Hilfe von Feuersteinen versuchten Batuti und Shane, ihre Brandpfeile anzustecken. Es war ein mühseliges Unterfangen, das vor allem der Wind vereitelte. Wenn sie wenigstens über eine Handvoll Werg verfügt hätten, in dem sich die aus den Steinen geschlagenen Funken hätten festsetzen können! Mit halbem Wind nach Nordosten abdrehend, versuchte Pete Höhe zu gewinnen. Aber die Karavelle blieb wie eine Klette in Lee hängen – mit dem gebotenen Abstand, der zugleich das Vorhaben der Arwenacks vereitelte, nach einer Halse achtern an dem Viermaster vorbeizuziehen.
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Die Geschützmannschaften schossen sich allmählich auf das kleine Boot ein. Die Einschläge lagen zunehmend näher. Schon ein einziger Treffer ins Segel würde das Schicksal der zwölf Arwenacks besiegeln. Mit einer wütenden Bewegung schleuderte der Gambiamann die Feuersteine ins Wasser und zog, da er selbst keine Feuerwaffe trug, dem neben ihm sitzenden Luke Morgan die doppelläufige Pistole aus dem Gürtel. Den Brandpfeil an die Mündung haltend, drückte er ab. Tatsächlich ließen die Funken der Pulverexplosion das Pech aufglimmen, doch erlosch die Glut sofort wieder. Erst nach dem zweiten Schuß züngelten Flammen auf, an denen Big Old Shane auch einen seiner Pfeile entzündete. Batuti schoß als erster. Die Distanz zur Karavelle betrug wenig mehr als zweihundert Yards. Da Rückenwind den Flug des Pfeiles unterstützte, konnte er das Ziel gar nicht verfehlen. Der Brandpfeil ging auf dem Vorschiff nieder. Aber bevor das Feuer um sich greifen und größeren Schaden anrichten konnte, wurde es von der Mannschaft gelöscht. Shanes Erfolg blieb ebenso dürftig. Er platzierte seinen Pfeil zwar außenbords unterhalb des Schanzkleids, aber auch da war es den Portugiesen ein leichtes, die aufzüngelnden Flammen mit einem Guß aus bereitstehenden wassergefüllten Pützen zu ersticken. Sie revanchierten sich mit einer Breitseite des unteren Batteriedecks, die das Schiff vorübergehend in dichten Pulverdampf hüllte. Instinktiv zogen die Arwenacks die Köpfe ein. Schon der erste Einschlag überschüttete sie mit einem wahren Sturzbach, der Batutis zweiten Brandpfeil löschte und die Männer bis auf die Haut durchnäßte. Dem Geräusch des zerreißenden Segels folgte das Splittern des Mastes. Die Jolle neigte sich in der plötzlich aufgewühlten See, holte weit nach Luv über und stieg im nächsten Moment mit dem Bug in die Höhe.
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Einem Geschoß gleich krachte der Mast ins Heck und zerschmetterte die Pinne. Pete Ballie hatte insofern das Glück, daß er das Unheil ahnte und sich rechtzeitig außenbords fallen ließ. Er verspürte lediglich noch einen tobenden Schmerz in der linken Schulter, als ihn die Spiere streifte, dann versank alles um ihn her in Bedeutungslosigkeit. Carberry brüllte Befehle, die in dem losbrechenden Chaos niemand mehr verstand. Es hatte keinen Sinn, die Jolle retten zu wollen. Ohne Segel waren sie den Portugiesen ohnehin hilflos ausgeliefert. Eine Kugel riß den halben Bug weg. Gurgelnd ergoß sich die See durch das Leck ins Boot, das innerhalb weniger Lidschläge auf Tiefe ging. „Schwimmt zur Küste!“ brüllte der Profos aus Leibeskräften, bis ihn ein Schwall Wasser halb erstickte und er das Gefühl hatte, daß ihn unbarmherzige Fäuste in eine lichtlose Tiefe zerrten. Aber dann tauchte er prustend und spuckend wieder auf und versuchte, sich wassertretend an der aufgewühlten Oberfläche zu halten. Wie durch einen dichten Schleier hindurch sah er, daß die Karavelle erneut den Kurs änderte und auf ihn zuhielt. Außerdem wurden Boote zu Wasser gelassen. „Wir schaffen es nicht, Ed.“ Batuti hatte seinen Langbogen und einige Pfeile gerettet und schwamm in Carberrys Nähe. Die Frage war nur, ob er wirklich daran dachte, die Waffe einzusetzen. Gegen einige Dutzend Seesoldaten hatte er keine Chance. Knapp eine Meile lag die dicht bewaldete Küste entfernt. Der Profos verlangte sich selbst das Letzte ab. Dennoch schaffte er es nicht, das Rettung versprechende Land zu erreichen. Die Portugiesen fischten ihn nach weniger als der halben Strecke aus dem Wasser. Den unmißverständlich auf ihn gerichteten Pistolen hatte er nichts entgegenzusetzen. Wie einen nassen Sack zerrten ihn die Kerle an Bord. Sich herumwälzend, sah er gerade noch die Faust mit dem auf ihn niedersausenden Belegnagel. Er brachte
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nicht schnell genug die Arme hoch. Dann explodierte etwas in seinem Schädel. * Als er wieder zu sich fand, hämmerten, bohrten und gruben Hunderte fleißiger Bergwerkarbeiter unter seiner Schädeldecke. Den tobenden Schmerz zu ignorieren, war gar nicht so einfach, denn der Portugiese hatte zugeschlagen, als gelte es, einen Elefanten niederzustrecken. Ein anderer als der Profos hätte den mörderischen Hieb kaum unbeschadet überstanden. Er konnte sich nicht bewegen. Die Kerle hatten ihm die Arme auf den Rücken gezerrt und ihn mit dicken Leinen bis zur völligen Bewegungsunfähigkeit gefesselt. Carberry wußte nicht, wie lange er ohne Besinnung gewesen war. Indes konnte kaum viel Zeit vergangen sein, denn die sanfte Dünung und das monotone Geräusch der eintauchenden Riemen verrieten ihm, daß er sich noch auf der Jolle befand. Trotzdem breitete sich schon ein Prickeln in seinen Gelenken aus, als gerate das Blut in den Adern allmählich ins Stocken. Mühsam öffnete er die von Schweiß und Salzwasser verklebten Augen. Die plötzliche Helligkeit blendete. Wie durch einen dichten Schleier hindurch sah er, als er mühsam den Kopf drehte, Shanes bärtiges Gesicht neben sich. Der frühere Schmied von Arwenack versuchte ein Grinsen, das ihm jedoch gründlich mißlang. Eher wurde eine verzerrte Grimasse daraus. „Willkommen unter den Lebenden, Mister Profos”, raunte er. „Wir sind noch nicht in der Hölle?“ erwiderte Carberry. Der heisere Klang der eigenen Stimme irritierte ihn. „Bald“, murmelte Shane. „Wahrscheinlich sogar eher, als dir lieb sein dürfte.“ Ein kräftiger Fußtritt ließ ihn verstummen. Auch Shane war im wahrsten Sinne des Wortes verschnürt worden. Deshalb mußte er sich die rauhe Behandlung gefallen lassen.
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„Die Kerle fürchten uns“, behauptete der Profos. „Sonst hätten sie uns nicht so eingewickelt.“ Auch er empfing einen Tritt, der seinen Haß auf die Portus nur noch steigerte. Über ihnen wuchs die Bordwand der Karavelle auf. Nach wie vor ragten die rußgeschwärzten Mündungen der Kanonen in zwei Reihen unter den blutrot gestrichenen Pfortendeckeln hervor. Sie waren eine unübersehbare Machtdemonstration. Die Soldaten hievten Carberry und Shane samt der Jolle an Deck und stellten sie anschließend recht unsanft auf die Füße. Der Profos hatte ohnehin nicht angenommen, daß nur sie beide aufgefischt worden waren. Jetzt sah er, daß Batuti, Dan, Morgan, Stenmark und Dill ihr Schicksal teilten. Was aus den anderen geworden war, blieb offen. Vielleicht waren sie ertrunken, oder sie hatten sich tatsächlich retten können. Da die Karavelle Fahrt aufnahm, sah es nicht so aus, als würden die Portugiesen länger nach ihnen suchen. Kurs lag an nach Indramayu. 10. „Du!“ sagte einer der neben dem Kommandanten stehenden Offiziere überraschend und deutete auf Stenmark. „Tritt vor!“ Als der Schwede dem Befehl nicht sofort Folge leistete, rammte ihm einer der Soldaten den Musketenschaft zwischen die Schulterblätter, daß er, einen unterdrückten Schmerzenslaut ausstoßend, nach vorn taumelte. „Ich kenne dich“, sagte der Offizier. „Aus Malakka.“ Offenbar erwartete er eine Antwort, denn je länger Sten beharrlich schwieg, desto düsterer wurde seine Miene. „Hast du mir nichts zu sagen?“ fauchte er schließlich gereizt. „Ich war nie in Malakka, Senhor“, antwortete Stenmark. „Wir sind friedliche ...“
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„Gebt ihm die Peitsche zu spüren!“ befahl der Kommandant. Zwei kräftige Kerle, die zumindest von der Statur dem Profos der Arwenacks wenig nachstanden, zerrten den Schweden zum Großmast, wo sie zwar die Fesseln lösten, seine Arme aber um den Mast legten und die Hände erneut zusammenbanden. Er fand keine Gelegenheit, sich zur Wehr zu setzen. „Zwanzig Hiebe!“ bestimmte der Kommandant. Stenmark erhielt weder ein Stück Leder noch Werg zwischen die Zähne, als der Zuchtmeister mit der Bestrafung begann. Die Portugiesen wollten ihn schreien hören. Er tat ihnen nicht den Gefallen. Auch nicht, als die Peitsche schmerzhafter in sein Fleisch einschnitt. Irgendwann waren die zwanzig Hiebe vorüber. Stenmark hatte das Gefühl, als sei sein ganzer Körper in siedendes Öl getaucht worden. Trotzdem blieb ihm eine wohltuende Ohnmacht verwehrt. Die Stimmen der Portugiesen drangen aber nur noch wie aus weiter Ferne an sein Ohr. Jemand band ihn los und schleppte ihn zur Kuhlgräting. Gleich darauf schlug ein Schwall Salzwasser über ihm zusammen und klärte seine umnebelten Sinne ein wenig. Das Salz biß in den Wunden, brachte aber zugleich die Blutungen zum Stillstand. „Diesmal“, sagte der Kommandant, „erhaltet ihr verfluchten englischen Spione keine Gelegenheit mehr zur Flucht wie in Malakka. Ihr werdet einer neben dem anderen an der Großrah baumeln. Zuvor will ich aber das Versteck eures Schiffes wissen.“ Er deutete auf Batuti. „Du, Neger, hast am allerwenigsten mit solchem Gesindel zu tun. Ich wäre bereit, dir die Freiheit zu schenken, wenn du mir verrätst, wo die Schebecke vor Anker liegt.“ „Frage deine Landsleute!“ erwiderte der Gambiamann schroff. „Zumindest diejenigen, die uns im Hafen von Indramayu überfallen und die Pulverkammer in Brand geschossen haben.
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Allerdings glaube ich nicht, daß ihnen das sonderlich gut bekommen ist.“ „Willst du mir erzählen, die Schebecke sei versenkt worden?“ „So ist es.“ Batuti nickte. „Ihr seid die einzigen Überlebenden?“ „Ich nehme es an.“ „Du lügst!“ „Dann kann ich dir nicht helfen, Senhor.“ „Ich lasse dich kielholen!“ „Warum, glaubst du, waren wir mit der Jolle auf See? Die Feuersbrunst im Hafen von Indramayu ist nicht zu übersehen.“ Inzwischen war das. Flammenmeer in sich zusammengesunken, doch der Himmel ließ weiterhin den Widerschein der Glut erkennen. Falls es nicht regnete, und danach sah es nicht aus, würde das rötliche Glühen den restlichen Tag über bis weit in die Nacht hinein bestehen bleiben. „Die Schebecke wartet irgendwo in der Nähe auf euch“, erklärte der Kommandant. „Es gibt unzählige Buchten, die als Versteck dienen könnten.“ „Du traust uns viel zu, Senhor. Mehr als wozu wir fähig sind. Glaubst du wirklich, wir wären so verrückt, mit nur einer kleinen Jolle und noch dazu kaum bewaffnet am helllichten Tag eine Flotte von sechs Kriegsschiffen anzugreifen?“ Die Frage stimmte den Portugiesen und seine Offiziere zumindest nachdenklich. Die Hände hinter dem Rücken verschränkt, begann er eine unruhige Wanderschaft über das Achterdeck und hielt nur hin und wieder inne, um die Gefangenen mit brennenden Blicken zu fixieren. Die Arwenacks mußten in denkbar unbequemer Haltung verharren, von Soldaten bewacht, die sie nur zu gern mit den Piken malträtiert hätten. Währenddessen näherte sich die Viermastkaravelle unter vollen Segeln Indramayu. Überraschend befahl der Kommandant – Dom Miguel nannten ihn seine Offiziere –, den Kurs nach Osten zu ändern. Die Hände um die Querbalustrade verkrampft, starrte er zu den Gefangenen auf die Kuhl hinunter.
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„Ich lasse mich nicht für dumm verkaufen“, sagte er gefährlich leise, und das war bei einem Mann wie ihm schlimmer, als hätte er lauthals losgebrüllt. „Die Schebecke ankert versteckt in einer der vielen Buchten. Euer Kapitän wird euch vermissen und nach euch suchen. Und er wird die ,Mar Tenebroso` gefechtsbereit finden und sich wünschen, nie nach Malakka gesegelt zu sein.“ Die Karavelle war in der Tat ein harter Brocken, der nicht leicht zu knacken sein würde. Dazu war Hasard noch gezwungen, mit reduzierter Mannschaft anzugreifen. Er hatte, wenn Dom Miguel seinen Standort richtig wählte, nur eine verschwindend geringe Chance. Rund vier Meilen südöstlich von Indramayu und zwei Meilen vor der Küste ließ der Kommandant aufschießen und die Segel ins Gei hängen. „Hier warten wir darauf, daß uns die Engländer angreifen“, sagte er. „Sie werden über kurz oder lang erscheinen, davon bin ich überzeugt.“ Mit Akribie überwachte er, daß sämtliche Geschütze neu geladen und mit Persennings abgedeckt wurden. Die Rohre auszurennen, sobald die Segel der Schebecke an der Kimm erschienen, und die „Mar Tenebroso“ in eine schwimmende Festung zu verwandeln, würde nur wenige Minuten in Anspruch nehmen. Dom Miguel wandte sich anschließend an seine Gefangenen: „Ihr dürft zusehen, wie ich euer Schiff zu den Fischen schicke“, sagte er spöttisch. „Trotzdem will ich euch Gelegenheit geben, wenigstens euer Leben zu retten. Verratet mir, wo sich die Schebecke versteckt hält!“ „Sie wartet in der Hölle auf dich“, schnaubte Carberry. Dom Miguel war nicht aus der Ruhe zu bringen. „Du bist der nächste, der die Peitsche spürt“, sagte er. „Weil du kräftig aussiehst, erhältst du fünfundzwanzig Hiebe. Dafür bedanken kannst du dich bei dir selbst, du Großmaul.“
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Der Profos schluckte eine entsprechende Erwiderung hinunter. Er sah ein, daß es nicht ratsam war, den Kommandanten unnötig zu reizen. Die Züchtigung ließ er ohne einen Laut über sich ergehen. Er schwor sich, als Ausgleich dafür seinen Profos-Kollegen gehörig in die Mangel zu nehmen, falls er ihn jemals erwischte. Ausgepeitscht zu werden, war nicht jedermanns Sache. Die Peitsche machte aus guten Männern schlechte, und schlechte wurden aufsässiger als zuvor. Und nicht alle überlebten eine größere Anzahl von Hieben. „Ich lasse euch die Wahl“, sagte Dom Miguel. „Alle zwei Stunden wird ein anderer von euch an den Mast gebunden und ausgepeitscht. Es sei denn, ich erfahre vorher das Versteck der Schebecke.“ Er deutete auf Bill. . „Du bist der nächste!“ 11. Als Pete Ballie wieder zu sich fand, war die Karavelle schon ziemlich weit entfernt. Im ersten panikartigen Aufwallen der Gefühle begann er um sich zu schlagen, aber eine Hand legte sich beruhigend auf seine Schulter, und Ferris Tuckers Stimme sagte: „Verhalte dich ruhig, Pete! Zumindest wir beide haben es geschafft, uns vorerst davonzustehlen.“ Der Gefechtsrudergänger begriff, daß ihn Ferris entweder vor dem Ertrinken oder vor den Portugiesen gerettet hatte. Im Sichtschutz des zersplitterten Heckteils der Jolle trieben sie mit der Strömung nach Süden, und der Schiffszimmermann versuchte beharrlich, die Richtung zur Küste hin zu korrigieren. Daran, daß möglicherweise Haie dieses Seegebiet beherrschten, dachten sie lieber nicht. Sie wären den gefräßigen Räubern genauso ausgeliefert gewesen wie den Geschützen der Karavelle. Endlich, nach einer Zeitspanne, die ihnen wie eine kleine Ewigkeit erschienen war, drehte das Kriegsschiff ab.
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„Sie haben die Suche aufgegeben“, sagte Pete erleichtert. „Wir müssen Hasard informieren.“ „Natürlich“, erwiderte Ferris Tucker. „Einige Meilen Fußmarsch durch unwegsames Gelände und dichten Dschungel, noch dazu ohne Hilfsmittel, schaffen wir spielend. Du vergißt, daß wir näher bei Indramayu sind als am Versteck der Schebecke.“ Pete Ballie schwieg betroffen. Daran hatte er nicht gedacht. Andererseits war anzunehmen, daß der Seewolf die Feuersbrunst gesehen hatte und die Jolle bald vermißte. Er konnte sich ausrechnen, wie viel Zeit das voll bemannte Boot für den Rückweg brauchte. Nur unmerklich rückte die Küste näher. Die beiden Seewölfe schwiegen sich aus. Es gab nichts zu sagen, was nicht schon gesagt worden wäre. Sie beschränkten sich darauf, mit ihren Blicken immer öfter die See abzusuchen, ob sich irgendwo eine verräterische Dreiecksflosse zeigte. Doch sie blieben unbehelligt. Die letzten dreihundert Yards schwammen sie aus eigener Kraft und ließen das Heckteil treiben. Die Küste war in diesem Bereich weitgehend unzugänglich. Ein üppiges Mangrovendickicht schirmte das Hinterland ab. In den verfilzten, von Lianen und anderen Schmarotzerpflanzen durchsetzten Baumkronen lärmten Scharen von Affen. Ein Schwarm bunt gefiederter Vögel mit ellenlangen Schwanzfedern flatterte erschreckt auf. Die beiden Arwenacks hatten Mühe, sich in dem Wurzeldickicht zu behaupten. Weiter im Norden gab es zwar einen schmalen Kiesstrand, aber Pete Ballie fühlte sich noch zu schwach, gut eine Meile weit gegen die Strömung zu schwimmen. Erst ging ihnen der Schlamm, der sich zwischen den Luftwurzeln ansammelte und in Jahren oder Jahrzehnten neues Land bildete, nur bis zu den Knien. Dann versanken sie sogar bis zu den Hüften in fauligem, Blasen werfendem Morast. Aber sie fanden einige mehr als schenkeldicke
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Luftwurzeln, die stabil genug waren, sie über längere Zeit hinweg zu tragen. Während die nassen Plünnen trotz der hohen Luftfeuchtigkeit langsam am Leib trockneten, warteten Pete Ballie und Ferris Tucker sehnsüchtig darauf, daß die Schebecke in Sichtweite aufkreuzte. Sie hatten nur die Möglichkeit, sich mit Winken bemerkbar zu machen. * Die Hochstimmung an Bord hielt noch eine Weile an, nachdem der Palmwein bis auf den letzten Tropfen gelenzt war. Als dann aber der für alle sichtbare Feuerschein am Himmel fahler wurde, schließlich ganz zu verschwinden begann und die Jolle mit Carberry und seinen Männern noch immer nicht in die versteckte Bucht einlief, regten sich erste Stimmen, die behaupteten, Unvorhergesehenes müsse geschehen sein. Der Seewolf legte noch eine halbe Stunde zu – insgesamt waren somit zwei Stunden vergangen, seit Jack Finnegan den ersten Feuerschein gemeldet hatte –, ehe er den Aufbruch befahl. Daß Carberry schlicht und einfach an der Bucht vorbeigesegelt war, wollte niemand glauben. In engen Schlägen und stets in Sichtweite der Küste, kreuzte die Schebecke nach Süden. Jeder an Bord hielt Ausschau nach einem Segel, nach Wrackteilen oder weiß der Himmel was, was Auskunft über das Schicksal der Gesuchten geben konnte. „Die See ist so leer wie das Bett einer alten Jungfer“, schimpfte Old Donegal inbrünstig. Noch gab er sich keinen übermäßig großen Befürchtungen hin, was das Verschwinden seines Sohnes Dan betraf. Er wußte aus eigener Erfahrung, daß selbst Totgeglaubte putzmunter wieder auftauchen konnten. Seine Odyssee mit den Zwillingen entlang der afrikanischen Westküste bis nach Indien war ein klares Beispiel dafür. Die Gewißheit, daß sie Indramayu anlaufen mußten, um mehr über die Vermißten zu erfahren, verdichtete sich. Aber dann war es wieder Jack Finnegan,
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der sich in der Tonne am Großmast diesmal schier die Seele aus dem Leib brüllte. „Eine halbe Meile voraus! Auf dem schmalen Küstenstreifen! Das sind drei von uns!“ „Ruder ein Strich Steuerbord!“ befahl der Seewolf sofort. Die Schebecke ging so dicht unter Land, wie es wegen der sich abzeichnenden Untiefen gerade noch ratsam erschien. Augenblicke später sahen auch die Männer an Deck drei einsame Gestalten, die ihre Arme wie Windmühlenflügel schwenkten. Sie warteten nicht ab, bis eine Jolle ausgesetzt wurde, sondern liefen durch das hoch aufspritzende seichte Uferwasser der Schebecke entgegen und schwammen die letzten zweihundert Yards. Es waren Bob Grey, Sven Nyberg und Mac O'Higgins. Jeder bestürmte sie mit Fragen, kaum daß sie sich übers Schanzkleid an Deck schwangen. Sie berichteten so knapp wie möglich, aber doch so präzise wie nötig. Hasard und einige Crew-Mitglieder konnten sich an die „Mar Tenebroso“ erinnern, die in Malakka in der Nähe von Muranghs Haus gelegen hatte.. Offenbar waren Carberry und die anderen von den Portugiesen gefangengenommen worden. Vielleicht hatte die Breitseite auf die Jolle sogar Tote gefordert. Genau wußte das keiner der drei Geretteten zu sagen. Sie hatten ohnehin unwahrscheinliches Glück gehabt, daß sie den Portugiesen entwischt waren. „Die Karavelle läuft entweder Indramayu an oder segelt am Hafen vorbei“, sagte Sven Nyberg. Den Arwenacks war klar, daß sie die Verfolgung aufnehmen und alles tun mußten, die „Mar Tenebroso“ bald zu stellen. Hasard war überzeugt, daß sich der Kommandant des Kriegsschiffs nicht mit einer Handvoll Gefangener zufriedengab. Er würde versuchen, alle Arwenacks festzusetzen. Die Tatsache, daß die „Mar Tenebroso“ zur selben Zeit wie die Schebecke entlang der Nordküste Javas auf Ostkurs segelte,
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gab zu denken. Zweifellos hatte das Schiff schon von Malakka aus die Verfolgung aufgenommen. „Vielleicht ist sogar Dom Alfonso an Bord“, sagte Don Juan de Alcazar. „Ich glaube nicht“, widersprach der Seewolf und erhielt dabei Unterstützung von seinem Ersten Offizier. „Albuquerque wäre mit einer Flotte hier aufgekreuzt, nicht mit einem einzelnen Schiff. Aus welchem Grund auch immer, der Kommandant des Viermasters handelt auf eigene Faust.“ Ein lauter Ruf von der Kuhl ließ ihn aufmerken. „Da sind noch zwei!“ jubelte Old Donegal und schwenkte sein Spektiv, als könnte man ihn auf die Weise von Land her sehen. Tatsächlich wäre nicht einmal dem Ausguck die Bewegung aufgefallen. Jack Finnegan widmete seine Aufmerksamkeit allerdings fast ausschließlich der Seeseite. Zwei Männer saßen in dichtem Mangrovengestrüpp und schwenkten ihre Hemden. Bei nur flüchtigem Hinsehen konnte man sie für größere Vögel halten. Erst durch den Kieker wurde erkennbar, daß Ferris Tucker und Pete Ballie wie wild winkten. Die Schebecke war immerhin schon einige Kabellängen an ihrer Position vorbei. Wenig später – an Bord – sagten beide, daß sie die Hoffnung, entdeckt zu werden, schon fast aufgegeben hätten. * Da niemand ausschließen konnte, daß noch mehr Männer an Land auf Hilfe warteten, kreuzte die Schebecke bis in die späten Nachmittagsstunden innerhalb eines Gebietes von knapp drei Seemeilen Ausdehnung. Die Suche blieb jedoch erfolglos. Anschließend ließ der Seewolf Indramayu anlaufen. Der Wind frischte merklich auf und verwirbelte endgültig die noch in den tieferen Schichten der Atmosphäre hängenden Ascheschleier. Obwohl die Sonne endlich wieder den trüben Dunst
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durchbrach, segelte die Schebecke der beginnenden Dämmerung entgegen. Ein düsteres Abendrot lag über der JavaSee, als mehrere Arwenacks nahezu gleichzeitig einen Punkt scharf umrissener Helligkeit entdeckten, der dicht über der Kimm hing – viel zu tief für einen der wenigen Sterne, die gerade erst sichtbar wurden. Hasard wußte sofort, daß sie die Viermastkaravelle gefunden hatten. Der Punkt bewegte sich nicht. Er schien in der endlosen Weite des Ozeans stillzustehen. „Wenn das wirklich die Portugiesen sind“, sagte Old O'Flynn, „dann warten sie auf uns wie die Katze vor dem Mauseloch.“ „Du hast recht, Donegal“, erwiderte der Seewolf. „Unser Gegner hält die Trümpfe in der Hand und ist bereit, sie nacheinander auszuspielen. Warum sonst sollte er da draußen warten und die Laternen setzen? Solange wir um das Leben der Gefangenen bangen müssen, verbietet sich ein Angriff von selbst.“ „Wir haben keine andere Wahl“, widersprach der Alte heftig. „Ich glaube nicht, daß unsere Männer in akuter Gefahr schweben“, sagte Ben Brighton. „Der Portugiese will uns, und er will uns vermutlich nach Malakka zurückbringen.“ „Dessen bin ich mir nicht so sicher“, wandte Don Juan ein. „Der Kommandant der Karavelle baut auf seine überlegene Feuerkraft. Er will doch nur, daß wir angreifen, damit er uns mit ein paar Breitseiten vom Wasser fegen kann.“ „Wir haben immer noch Al Conroy ...“ „...und ein unterbemanntes Schiff“, sagte der Seewolf. „Unsere Stärke liegt diesmal nur in einem überraschenden Angriff, einem schnellen Passiergefecht. Aber die Portus sind darauf vorbereitet. Anderenfalls würden sie uns nicht zwei Meilen vor der Küste erwarten.“ Jeder kannte Hasard gut genug, um zu wissen, daß er keineswegs klein beigab. „Du willst den Schutz der Nacht ausnutzen?“ fragte Donegal. „So ungefähr.“
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Jung Philip sagte warnend: „Die Portugiesen haben doppelte und dreifache Wachen aufgestellt. Die bemerken uns, ehe wir auf eine halbe Meile heran sind.“ „Ich denke nicht daran, die Schebecke aufs Spiel zu setzen“, entgegnete der Seewolf. „Wenigstens nicht sofort. Es gibt bessere Mittel und Wege.“ „Du hast einen Plan, Dad?“ „Vielleicht. Auf jeden Fall sollten wir darüber reden. Wir haben einige Stunden Zeit, bevor wir handeln müssen.“ Hasard wandte sich den Decksleuten zu, die das kurze Zwiegespräch angespannt verfolgt hatten: „Setzt die Laternen! Wir bleiben auf Kreuzkurs vor der Küste, denn ich bin sicher, daß uns die Portugiesen ebenfalls bereits entdeckt haben. Sie dürfen gar nicht erst auf die Idee verfallen, wir könnten ihre Absichten durchschauen.“ * Während der folgenden eineinhalb Stunden ging es an Bord der Schebecke hitziger zu als je zuvor. Ben Brighton, Old Donegal, Al Conroy, Don Juan, die Zwillinge und der Seewolf redeten sich in der Kapitänskammer die Köpfe heiß. Ihre Meinungen gingen diesmal nicht nur weit auseinander, sie waren zum Teil sogar konträr. Hasard hätte sich mit seiner Autorität als Kapitän durchsetzen können. Er tat es nicht, weil er wollte, daß jeder voll hinter dem stand, was sie einfach tun mußten. Letztlich schaffte er es, selbst den hartnäckigsten Verfechter eines überraschenden nächtlichen Angriffs von seinen eigenen Ansichten zu überzeugen. Als die Mannschaft davon erfuhr, war es kurz vor elf Uhr nachts. Für die erforderlichen Vorbereitungen blieben weniger als zwei Stunden Zeit. Ferris Tucker und Bob Grey brannten darauf, den Portugiesen den Angriff auf die Jolle heimzuzahlen. Sie fühlten sich schon wieder fit genug, um kräftig mitzumischen. Roger Brighton und die Zwillinge wählte der Seewolf aus den Freiwilligenmeldungen aus.
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Sogar Clinton Wingfield, der Moses, schreckte vor den Gefahren des Unternehmens nicht zurück. Er protestierte heftig, als ihn Hasard als zu jung bezeichnete, und schließlich schaffte er es mit bestechenden Argumenten, die jeder anerkennen mußte, seine Teilnahme zu sichern. Er war der einzige, der auf der Schebecke nicht unbedingt gebraucht wurde. Also fiel ihm die Aufgabe zu, die Jolle zu übernehmen, mit der die anderen wenigstens. die Hälfte der Entfernung bis zur „Mar Tenebroso“ zurückzulegen gedachten. Aus den hintersten Winkeln seiner Schapps kramte Mac Pellew Schweinsblasen und alle möglichen Tierhäute hervor. Er hatte sie aufgehoben, weil er stets der Meinung gewesen war, irgendwann würden sie gebraucht werden. Will Thorne, der Segelmacher, schnitt eins der alten gelohten Segel in Streifen und tränkte den Stoff zusätzlich in Lampenöl. Pistolen, Pulverflaschen, Kugelbeutel und Feuersteine wurden einzeln in die Stoff streifen eingewickelt, danach noch einmal in die Tierhäute und schließlich in die Schweinsblasen gesteckt, die Mac Pellew selbst aufblies und so dicht verschloß, daß bestimmt kein Wasser eindringen konnte. Jedes fertige Päckchen verstaute er sofort in der Jolle – einschließlich verschiedener Bleigewichte, die den Auftrieb der luftgefüllten Blasen im Wasser ausgleichen sollten. Sechs Pulverfäßchen sowie etliche von Ferris Tuckers Flaschenbomben wurden auf ähnliche Art und Weise vor dem Naßwerden geschützt. Zwei Stunden nach Mitternacht legte die Jolle ab. Clinton übernahm die Pinne. in der Absicht, die „Mar Tenebroso“ von See her anzugehen, pullten die Männer nach Nordwesten. Zweifellos galt die Aufmerksamkeit der Portugiesen in dieser Nacht mehr der Küstenregion als der offenen See. Ungefähr eine dreiviertel Meile vor dem Viermaster begann der schwierigere Teil. Noch mußten die Männer nicht darauf achten, lautlos vorzugehen. Nacheinander
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ließen sie die Schweinsblasen mit den Pulverfässern, den Handfeuerwaffen und den Höllenflaschen ins Wasser gleiten. Die Bleigewichte kompensierten tat-, sächlich den Auftrieb und zogen die Bündel gut ein bis zwei Ellen tief unter die Oberfläche. Zu sehen waren sie schon ab einer Distanz von drei Schritten nicht mehr. Mindestens die letzten hundert Yards bis zur Karavelle mußten die Arwenacks tauchend zurücklegen. Damit ihnen nicht die Luft knapp wurde, hatten sie sich mit doppelt fingerdicken Bambushölzern versorgt, durch die sie unter Wasser atmen konnten. Die kurzen, über die Oberfläche hinausragenden Enden würde während der Nacht wohl niemand bemerken. Clinton Wingfield sah den Männern nach, bis sie von der Nacht verschluckt wurden. Zufrieden spuckte er in die Hände und zog aus dem Bugschapp ein ähnliches, vielleicht etwas weniger gründlich verschlossenes Bündel hervor, wie sie die anderen mitgenommen hatten. Auch ein Bambusröhrehen hatte er sich verschafft. Er war sich klar darüber, daß sein eigenmächtiges Handeln zwangsläufig zu einer empfindlichen Bestrafung führen mußte. Die Arwenacks bildeten eine Gemeinschaft, in der jeder auf den anderen angewiesen war. Ein Verstoß gegen diesen ungeschriebenen Kodex der Korsaren konnte unter Umständen schlimme Folgen nach sich ziehen. Trotzdem glaubte er, so handeln zu müssen. Als er sich übers Dollbords ins Wasser gleiten ließ und sein Bündel mit den Flaschenbomben, Feuersteinen und dem Zunder nach sich zog, waren alle diese Gedanken wie weggewischt. Er dachte nur noch an die Gefahr, die ihm möglicherweise von Haien drohte und daran, daß der Dolch in seinem Gürtel dann nicht die beste Waffe war.
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die Bambushölzer zu atmen, war lediglich umständlich und erforderte höchste Konzentration, weil sie sonst womöglich Wasser schluckten und in Panik gerieten. Sie sahen die Wachen an Deck der „Mar Tenebroso“, aber die Wachen bemerkten sie nicht. Das monotone Plätschern der Dünung am Schiffsrumpf verschluckte die meisten anderen Laute. Die Zwillinge tauchten unter der Gillung auf und hielten sich beidseits am Ruderblatt fest. Ihr Versuch, zwei Pulverfässer unmittelbar vor dem Hennegat zu befestigen, erforderte einige Kletterkünste. Mehrmals rutschten sie an dem glatten Ruderblatt und am Schaft ab. Das Pulver war tatsächlich trocken geblieben. Ebenso die Lunten und Feuersteine. Philip und Hasard brauchten ungefähr eine halbe Stunde, bis sie eins der beiden Fässer sicher mit Leinen belegt und nahezu den gesamten Inhalt des anderen ins Hennegat geschüttet hatten. Jung Hasard tauchte wieder ab und schwamm am Rumpf entlang bis zum Bug. Roger Brighton, Ferris Tucker und Bob Grey hatten ihre Arbeit ebenfalls schon nahezu erledigt. Zwei Fässer baumelten, von Deck aus nur schwer einzusehen, unterhalb der Stückpforten, zwei weitere befanden sich dicht über der Wasserlinie und würden bei ihrer Explosion hoffentlich Lecks reißen, die groß genug waren, Wasser eindringen zu lassen. Im Osten zog ein Hauch fahler Helligkeit herauf, als es an Deck plötzlich lebendig wurde. Die Wachen gaben Alarm. Das konnte nur bedeuten, daß die Schebecke wie abgesprochen auf Angriffskurs lag. Die Arwenacks schickten sich an, die ersten Lunten anzustecken, mit denen sie die Pulverfässer zünden konnten. 12.
* Die Arwenacks gelangten leichter voran, als sie selbst erwartet hatten. Sogar die Strecke, die sie unter Wasser zurücklegen mußten, bereitete kaum Probleme. Durch
Dom Miguel Esteves Pessoa hatte den Angriff der Schebecke früher erwartet, nicht erst mit dem Beginn der Morgendämmerung. Trotzdem war er zufrieden. Die Engländer würden sich
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blutige Köpfe holen. Jeder an Bord war bereit, sie gebührend zu empfangen. Aber bevor die Männer auf der Schebecke starben, sollten sie sehen, was mit ihresgleichen geschah. „Hängt die Gefangenen nebeneinander an die Großrah!“ befahl der Kommandant. Es bereitete ihm Genugtuung, in die Gesichter der Männer zu schauen und ihre Überraschung und das nackte Entsetzen zu sehen, das sie empfanden. Hatten diese Narren wirklich geglaubt, er würde sie verschonen? Der mit dem häßlichen Narbengesicht und dem Rammkinn fluchte unbeherrscht. Pessoa wußte nicht, was Rübenschweine waren, aber es interessierte ihn auch herzlich wenig. Unter Affenärschen konnte er sich schon mehr vorstellen. „Hängt den häßlichen Riesen zuerst auf!“ bestimmte er und spuckte verächtlich aus. Ein unerwarteter Zwischenfall brachte die Prozedur ins Stocken. Zwei der Gefangenen hatten es geschafft, ihre Fesseln während der Nacht so weit zu lösen, daß sie sich plötzlich frei bewegen konnten. Mit dem Mut und der Wildheit zum Tode Verurteilter griffen der schwarzhäutige Hüne und der Kerl mit dem mächtigen grauen Bartgestrüpp die Soldaten an, und es gelang ihnen, zwei Männer niederzuschlagen und ihnen die Piken zu entreißen. Brüllend stürmte der Neger vor, stach einen dritten Soldaten nieder und schlug dem nächsten, der sich ihm in den Weg stellte, den Schaft über den Schädel. Aber dann brachten ihn zwei Piken zu Fall. Im Nu waren zehn, zwölf Männer über ihm und droschen mit Fäusten und den Kolben ihrer Pistolen auf ihn ein, daß Dom Miguel schon meinte, sie würden ihn um das Vergnügen des Aufgehängtwerdens betrügen. Auch der Bärtige schaffte es nicht bis zum Schanzkleid. Er wurde ebenso kompromißlos niedergestreckt wie sein Kumpan. Danach konnten beide nicht mehr aus eigener Kraft stehen und mußte gestützt werden.
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Ein Blick nach Luv zeigte dem Kommandanten, daß die Schebecke noch zu weit entfernt war. Erst in einigen Minuten würde sie auf Schußweite heran sein. Trommelwirbel erklang. Der Profos legte dem Narbengesichtigen den Strick um den Hals und zog den Knoten fest. Decksleute standen bereit, das andere Ende des Strickes aufzunehmen und den Engländer hochzuziehen, sobald der Trommelwirbel verstummte. Dom Miguel dachte an seinen toten Freund Francisco Salazar. Dies war der Augenblick der Rache. Er hob die Hand zum Zeichen für den Trommler. * Clinton Wingfield sah die schattenhaften Gestalten in Lee hantieren und schwamm nach Luv. Falls ihn die Arwenacks entdeckten, würde es Ärger geben, und das wollte er keineswegs. Für eine Weile verharrte er nahe am Schiffsrumpf, ehe er nach einer Möglichkeit Ausschau hielt, in die Höhe zu gelangen. Von der Kuhl hing ein Tau hinunter, das jemand aufzuschießen vergessen hatte. Er konnte das Ende ohne Anstrengung greifen und zog vorsichtig daran. Das Tau hing fest. Langsam, die nackten Füße an der Bordwand abgestützt, hangelte sich der Moses der Arwenacks in die Höhe. Zwischen den geöffneten unteren Stückpforten verharrte er. Die Pfortendeckel eigneten sich hervorragend, sein Bündel abzulegen. Eigentlich mußte er den Portugiesen dafür sogar dankbar sein. Alles war unversehrt. Er stellte die beiden Flaschenbomben griffbereit nebeneinander, nahm Zunder und Feuersteine in die Hand und wartete. Eine Entdeckung fürchtete er nicht. Der Fluchtversuch zweier Gefangener blieb ihm nicht verborgen. Dann ging es dem Profos an den Kragen. Clinton sah die Schebecke unter vollen Segeln, erkannte
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aber auch, daß die Seewölfe niemals rechtzeitig eingreifen konnten. Plötzlich wußte er, auf was er gewartet hatte. Mit zitternden Fingern schlug er die Feuersteine aneinander. Funken fielen auf den Zunder, ließen ihn aufglühen. Im nächsten Moment hatte Clinton eine lose Lunte angesteckt. Der Trommelwirbel begann. Clinton enterte auf. Niemand bemerkte den blonden Haarschopf, der sich hinter dem Schanzkleid vorsichtig in die Höhe schob. Der Moses entzündete die kurze Lunte der ersten Flaschenbombe. Er wußte, wann er die mit Pulver und kantigen Eisenteilen gefüllte Höllenflasche werfen mußte und holte zum richtigen Zeitpunkt aus. Die Fasche detonierte zwischen den Decksleuten, die bereit standen, Carberry zu hängen. Die Explosion hatte eine geradezu verheerende Wirkung. Für die Dauer eines Lidschlags folgte ihr Totenstille, ehe das Geheul der verwundeten Seeleute losbrach. Weder der Kommandant noch die Offiziere noch die Soldaten wußten, was geschehen war. Clinton schleuderte die zweite Höllenflasche mitten hinein in die Menge und schwang sich über das Schanzkleid. Die zweite Explosion stiftete eine heillose Verwirrung. Niemand bemerkte ihn. Ein schwerer Donnerschlag von achtern erschütterte das Schiff und machte die Wuhling vollkommen. Augenblicke später krachte es in Lee mehrmals hintereinander. Flammen schossen in die Höhe, gefolgt von dichtem Pulverqualm. Clinton Wingfield achtete nicht darauf. „Ich bin's, Mister Carberry! Helfen Sie mir, die anderen zu befreien!“ Der Profos hatte ihn ebenfalls nicht bemerkt. Aber er handelte sofort, als seine Fesseln fielen. „Verdammt, Junge, das ist nichts für dich. Bring dich in Sicherheit!“ Clinton dachte nicht daran. An Deck herrschte ein fürchterliches ' Durcheinander. „Erschießt die Gefangenen!“ brüllte der Kommandant, doch die wenigsten verstanden ihn.
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Die Zwillinge, Roger Brighton, Ferris Tucker und Bob Grey waren inzwischen ebenfalls aufgeentert und feuerten mit ihren Pistolen auf die Soldaten, die den noch gefesselten Arwenacks ans Leder wollten. Clinton achtete nicht mehr darauf. Das Schiff leckte bereits stark und krängte zusehends. Die Pulverfässer hatten den Rumpf anscheinend weiter aufgerissen als erwartet. Zwei Seeleute stellten sich ihm entgegen. Er war gewandter und erreichte vor ihnen eine der Ölfunzeln, die während der Nacht fahles Licht an Deck verbreitet hatten. Mit Schwung schleuderte er die Lampe den Kerlen vor die Füße. Das Gehäuse zerbarst, das Öl floß aus und fing sofort Feuer. Im, Nu huschten Flammen über die Decksplanken und züngelten an einigen sauber aufgeschossenen Tauen hoch. Clinton war überzeugt, daß er genügend Unheil angerichtet hatte. Zudem bemerkte er, daß die Arwenacks einer nach dem anderen über Bord sprangen, während auf Kuhl und Back die letzten Flaschenbomben explodierten und die Verwirrung weiter vergrößerten. Lauthals „Ar-we-nack!“ brüllend, schwang sich der Moses ebenfalls außenbords. Mit kräftigen Schwimmstößen strebte er weit genug von der Karavelle fort, daß ihn sogar eine Explosion der Pulverkammer kaum gefährden konnte. Die Arwenacks waren in seiner Nähe. Schweigend beobachteten sie, wie die Schebecke auf Passierkurs und aus einer Distanz von kaum zweihundert Yards eine volle Breitseite auf die schon sichtlich angeschlagene Karavelle abfeuerte. Die Portugiesen zündeten nur wenige Geschütze. Da der Neigungswinkel der Rohre infolge der zunehmenden Krängung nicht mehr stimmte, brachten sie nicht einen einzigen Treffer an. Nach einer eng gesegelten Halse kehrte die Schebecke zurück. Abermals platzierte Al Conroy seine Breitseite haargenau im Ziel. Ein wahrer Eisenhagel zerfetzte den Rumpf der Viermastkaravelle unmittelbar an der Wasserlinie. Rasch auf Tiefe gehend
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und an mehreren Stellen brennend, bedeutete die „Mar Tenebroso“ keine Gefahr mehr. Nacheinander fielen auf der Schebecke Großsegel und Besan. Mit einem schneiten Manöver brachte der Seewolf das Schiff bis dicht an die im Wasser wartenden Arwenacks heran. * Eine Stunde später hatte Hasard auch die Jolle wieder an Bord genommen, die inzwischen abgedriftet war. Clinton erwartete eine Standpauke, die sich gewaschen hatte. Tatsächlich stauchte ihn der Seewolf vor versammelter Crew zusammen. Aber dann schlug er plötzlich andere Töne an.
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Carberry stand daneben und lächelte verhalten, wie ihn selten jemand gesehen hatte. „Ohne dein eigenwilliges Eingreifen, mein Junge“ sagte der Profos, „wäre ich jetzt schon bei den Engeln ...“ „Seit wann haben die Hörner und einen Bocksfuß ?“ rief jemand dazwischen. Der Profos wußte plötzlich nicht mehr, was er eigentlich hatte sagen wollen. Irgendetwas über Clintons besonderen Mut und seine Beherztheit. Stattdessen verfiel er in seinen gewohnten Tonfall. „Steht nicht dumm herum und haltet Maulaffen feil! Gibt es keine Arbeit, Männer? Beeilt euch gefälligst, oder ich ziehe euch die Hammelbeine lang!“ Damit war alles wieder beim alten. Die Schebecke segelte dem Mittag entgegen und nach Osten...
ENDE