Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Klaus Schon
Stoßspannungsund Stoßstrommesstechnik Grundlagen – Messgeräte – Messverfahren
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Dr. Klaus Schon, vormals Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) AG 2.32 Bundesallee 100 D-38116 Braunschweig Deutschland
[email protected]
ISBN 978-3-642-13116-5 e-ISBN 978-3-642-13117-2 DOI 10.1007/978-3-642-13117-2 Springer Heidelberg Dordrecht London New York Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010 Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Einbandentwurf: WMXDesign GmbH, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem Papier Springer ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media (www.springer.com)
Vorwort
Jedes Fachbuch hat auf Grund ständiger Neuentdeckungen, Weiterentwicklungen in der Geräteausstattung und Veränderungen im Umfeld nur eine endliche Aktualität. Während meiner beruflichen Tätigkeit hatte ich den großen Vorteil, mich auf aktuelle Fachbücher der Hochspannungstechnik im Allgemeinen und der Messtechnik im Besonderen stützen zu können. Ein großer Teil davon ist vor mehr als zwei Jahrzehnten erschienen und inzwischen nicht mehr im Handel erhältlich. Ich habe mir daher die Aufgabe gestellt, meine in Jahrzehnten gewonnenen Erfahrungen im Bereich der Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik in dem vorliegenden Fachbuch zu veröffentlichen. Damit ist die Absicht verbunden, die heute noch aktuellen Grundlagen, wie sie in älteren Lehrbüchern dargestellt und heute noch gültig sind, zu übernehmen und mit den neueren Entwicklungen in der gerätetechnischen Ausstattung, bei den Prüfnormen, bei der Kalibrierung der Messeinrichtungen und bei der Datenauswertung zu verbinden. Die Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik wird – neben der Teilentladungsmesstechnik – allgemein als wichtiger Baustein für die sichere Übertragung elektrischer Energie auf Hochspannungspotential angesehen. Sie stellt darüber hinaus hohe Anforderungen an den im Prüffeld mit den Messungen betrauten Ingenieur und Techniker. Außer bei der elektrischen Energieübertragung treten hohe impulsförmige Spannungen und Ströme auch in anderen Bereichen von Physik und Technik auf, in denen sie für viele Anwendungen genutzt werden. Stichworte hierzu sind Plasmaphysik, Leistungselektronik, Medizintechnik, Punktschweißtechnik, elektronische Zündanlagen für Verbrennungsmotoren, Elektroimpulswaffen und elektromagnetische Verträglichkeit. Auch in diesen Bereichen kommt der Impulsmesstechnik eine besondere Bedeutung zu, entweder um eine Über- oder Unterbeanspruchung des Prüflings zu vermeiden oder um die Qualität der Anwendung zu gewährleisten. Zunächst ist festzustellen, dass sich im Bereich der Energietechnik das internationale Prüf- und Messwesen, nicht zuletzt aufgrund der globalisierten Marktwirtschaft, immer stärker auswirkt. Dies betrifft zum einen die nationalen und internationalen Prüfvorschriften, die die Impulsparameter und die grundsätzlichen Messund Auswerteverfahren festlegen, und zum anderen das weltweite Netz aus Prüfund Kalibrierlaboratorien, die nach international vereinbarten Regeln akkreditiert sind und deren Prüf- und Messergebnisse gegenseitig anerkannt werden. Das vorliegende Buch ist nicht als Kopie von Vorschriften gedacht, die sich im Laufe der Zeit ständig geändert haben und erfahrungsgemäß auch zukünftig ändern werden. Gleichwohl wird auf einige Kernpunkte und die Hintergründe eingegangen, insbesondere auf Änderungen in den neuen bzw. revidierten „horizontalen“ IECPrüfvorschriften für die Stoßspannungs- und Stoßstromprüftechnik einschließlich der Bestimmung von Messunsicherheiten bei Prüfungen und Kalibrierungen. Ab Ende 2010 werden die IEC-Publikationen als harmonisierte Fassungen ins europäische und nationale Normenwerk übernommen. Die Einführung der digitalen
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Messtechnik und die in zwei Jahrzehnten enorm verbesserten Eigenschaften von Digitalrecordern und Tischrechnern (PC) erlauben den weitestgehenden Einsatz von Software mit numerischen Rechenverfahren, nicht nur zur Auswertung der aufgezeichneten Zeitverläufe, sondern auch zur Filterung der Daten oder gar zur Beurteilung des dynamischen Verhaltens von Spannungsteilern und Stromsensoren mit Hilfe der Faltung. Zum Verständnis des Inhalts werden beim Leser Grundkenntnisse der allgemeinen Hochspannungstechnik vorausgesetzt. Während in Europa die Messeinrichtungen sowie die Prüf- und Messtechniken auf die maximale Spannungsebene von 400 kV zugeschnitten sind, werden in anderen Teilen der Welt mehr als doppelt so hohe Übertragungsspannungen zur Überbrückung großer Entfernungen zwischen den Energieerzeugern und Verbrauchern benötigt. Aufgrund der enormen wirtschaftlichen Entwicklung im asiatischen Raum sind Spannungen von mehr als 1000 kV für die Drehstromübertragung und 800 kV für die Gleichstromübertragung in der Diskussion. In diesem Zusammenhang wird auch hinterfragt, ob sich die bewährten Messeinrichtungen und Prüftechniken ohne weiteres auf die höheren Spannungen anwenden lassen. Auf dem Gebiet der Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik existiert seit rund einem Jahrhundert eine zunehmende Anzahl von Veröffentlichungen in Fachzeitschriften und Konferenzbänden. Als Kompromiss sind vorwiegend die Literaturstellen der letzten drei Jahrzehnte in das vorliegende Buch aufgenommen worden. Der historisch interessierte Leser wird frühere Literaturstellen in den älteren Fachbüchern, die im ersten Kapitel des Buches zitiert sind, finden. Dem Leser bieten sich darüber hinaus die vielfältigen Möglichkeiten der Recherche im Internet. Bei der Danksagung möchte ich an vorderster Stelle Herrn Prof. Dr.-Ing. Dr.Ing. h. c. Dieter Kind nennen, Professor an der TU Braunschweig und ehemaliger Präsident der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt Braunschweig und Berlin (PTB). Er hat meinen beruflichen Werdegang im Hochspannungslaboratorium der PTB stark beeinflusst und gefördert, mich in vielen kleinen und großen Angelegenheiten unterstützt und mich in die internationale Gemeinschaft der Hochspannungsfachleute eingeführt. Auch bedanke ich mich für sein freundliches Interesse an dem Buchmanuskript und der Durchsicht des ersten Entwurfs. Mein herzlicher Dank gebührt weiterhin den Studenten, die mich im Rahmen ihrer Diplomarbeiten oder praktischen Ausbildung hilfreich unterstützt haben. Dank sagen möchte ich auch den vielen Fachkollegen im In- und Ausland, die in zahlreichen Gesprächen und Diskussionen, sei es in der PTB, in den Arbeitsgremien von CIGRE, IEC und DKE oder auf Sitzungen und Konferenzen, zur Erweiterung und Vertiefung meines Kenntnisstandes beigetragen haben. Mein Dank gilt auch der PTB-Bildstelle und den Firmen, die durch Bereitstellung von Fotos zur Illustration des Buches beigetragen haben. Braunschweig, im Sommer 2010 Klaus Schon
Inhaltsverzeichnis Einleitung ......................................................................................................... 1 1 Kennzeichnung und Erzeugung von Stoßspannungen und Stoßströmen 3 1.1 Parameter von Stoßspannungen .............................................................. 3 1.1.1 Blitzstoßspannung............................................................................ 4 1.1.2 Schaltstoßspannung ....................................................................... 13 1.1.3 Schwingende Stoßspannungen bei Vor-Ort-Prüfungen ................. 15 1.1.4 Steilstoßspannung .......................................................................... 16 1.2 Parameter von Stoßströmen .................................................................. 17 1.2.1 Exponential-Stoßstrom .................................................................. 18 1.2.2 Rechteck-Stoßstrom....................................................................... 19 1.2.3 Kurzschlusswechselstrom.............................................................. 20 1.3 Erzeugung von Stoßspannungen und Stoßströmen ............................... 22 1.3.1 Generatoren für Blitz- und Schaltstoßspannungen ........................ 22 1.3.2 Erzeugung von abgeschnittenen Stoßspannungen ......................... 28 1.3.3 Erzeugung von Steilstoßspannungen ............................................. 29 1.3.4 Generatoren für Exponential-Stoßströme ...................................... 30 1.3.5 Erzeugung von Rechteck-Stoßströmen.......................................... 34 1.3.6 Erzeugung von Kurzschlusswechselströmen ................................. 35 Literatur zu Kapitel 1 .................................................................................. 36 2 Darstellung von Impulsen im Zeit- und Frequenzbereich ...................... 39 2.1 Analytische Darstellung von Stoßspannungen ...................................... 39 2.2 Spektrum von Stoßspannungen ............................................................. 46 2.3 Analytische Darstellung von Stoßströmen ............................................ 49 2.4 Spektrum von Exponential-Stoßströmen............................................... 53 2.5 Analytische Darstellung von Kurzschlusswechselströmen ................... 54 3 Übertragungsverhalten linearer Systeme und Faltung ........................... 57 3.1 Sprungantwort eines Systems und Faltungsintegral.............................. 58 3.2 Fourier-Transformation und Übertragungsfunktion.............................. 61 3.3 Laplace-Transformation ........................................................................ 64 3.4 Eigenschaften von RC- und RLC-Gliedern........................................... 66 3.4.1 Sprungantwort von Tiefpass und Schwingkreis............................. 66 3.4.2 Übertragungsfunktion von Tiefpass und Schwingkreis ................. 69 3.5 Antwortzeit, Anstiegszeit und Bandbreite............................................. 71 3.6 Beispiele für die Faltung ....................................................................... 73 3.6.1 Keilstoßspannung auf RC-Glied .................................................... 73 3.6.2 Keilstoßspannung auf RLC-Glied.................................................. 76 3.6.3 Stoßspannung auf RC-Glied .......................................................... 78 3.6.4 Antwortfehler und Fehlerdiagramm .............................................. 79 3.7 Experimentelle Sprungantwort.............................................................. 83 3.7.1 Auswertung der experimentellen Sprungantwort........................... 83
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3.7.2 Antwortparameter der Sprungantwort ...........................................85 3.7.3 Messschaltungen für die Sprungantwort........................................87 3.7.4 Erzeugung von Sprungspannungen................................................89 3.8 Ergänzende Betrachtungen zum Übertragungsverhalten.......................92 Literatur zu Kapitel 3...................................................................................96 4 Digitalrecorder, Stoßvoltmeter und Impulskalibrator ............................99 4.1 Aufbau und Eigenschaften von Digitalrecordern ................................100 4.2 Fehlerquellen bei der Signalaufzeichnung .......................................... 106 4.2.1 Ideale Digitalisierung................................................................... 107 4.2.2 Digitalrecorder mit realem AD-Wandler .....................................109 4.2.3 Weitere Fehlerquellen..................................................................115 4.3 Software zur Datenauswertung............................................................117 4.4 Stoßvoltmeter ......................................................................................118 4.5 Impulskalibrator ..................................................................................119 Literatur zu Kapitel 4................................................................................. 121 5 Messung von Stoßspannungen................................................................. 125 5.1 Messsystem mit Stoßspannungsteiler..................................................125 5.1.1 Übertragungsverhalten von Stoßspannungsteilern.......................132 5.1.2 Ohmscher Stoßspannungsteiler....................................................138 5.1.3 Kapazitiver Stoßspannungsteiler..................................................147 5.1.4 Gedämpft kapazitiver Stoßspannungsteiler..................................151 5.1.5 Ohmsch-kapazitiv gemischter Spannungsteiler ...........................161 5.2 Kugelfunkenstrecke.............................................................................163 5.3 Kapazitiver Feldsensor ........................................................................ 165 5.3.1 Prinzip des kapazitiven Feldsensors .......................................166 5.3.2 Feldsensor für Linearitätsnachweis von Spannungsteilern ..........168 5.3.3 Dreidimensionaler Feldsensor......................................................169 5.4 Elektrooptischer Sensor.......................................................................170 5.4.1 Pockels-Effekt..............................................................................170 5.4.2 Kerr-Effekt...................................................................................174 Literatur zu Kapitel 5................................................................................. 175 6 Messung von Stoßströmen .......................................................................179 6.1 Messsystem mit niederohmigem Messwiderstand ..............................179 6.1.1 Induktivitäten eines niederohmigen Widerstandes ......................183 6.1.2 Aufbau koaxialer Messwiderstände .............................................186 6.1.3 Stromverdrängung (Skineffekt) ...................................................188 6.1.4 Kettenleiterersatzschaltbild..........................................................192 6.1.5 Experimentelle Sprungantwort von Messwiderständen ...............193 6.1.6 Besondere Bauformen..................................................................194 6.1.7 Grenzlastintegral..........................................................................196 6.2 Strommessspulen nach dem Induktionsprinzip ...................................198 6.2.1 Rogowski-Spule...........................................................................204 6.2.2 Strommessspule mit Magnetkern................................................. 209 6.2.3 Gleichstromwandler.....................................................................211
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6.2.4 Magnetfeldsensor......................................................................... 212 6.3 Stromsensor mit Hall-Sonde ............................................................... 213 6.4 Magnetooptischer Sensor .................................................................... 217 Literatur zu Kapitel 6 ................................................................................ 220 7 Kalibrierung der Messsysteme ................................................................ 223 7.1 Allgemeines zur Kalibrierung und Rückführung ................................ 224 7.2 Vergleich mit einem Referenzsystem bei Stoßspannung .................... 226 7.2.1 Prinzip der Vergleichsmessung ................................................... 227 7.2.2 Festgesetzter Maßstabsfaktor....................................................... 230 7.2.3 Alternativen für den Linearitätsnachweis .................................... 232 7.2.4 Messung der Zeitparameter ......................................................... 233 7.2.5 Dynamisches Verhalten ............................................................... 234 7.3 Alternative Kalibrierung von Stoßspannungsmesssystemen............... 236 7.3.1 Kalibrierung bei Niederspannung ................................................ 237 7.3.2 Auswertung der Sprungantwort ................................................... 238 7.3.3 Einfluss benachbarter Objekte (Näheeffekt)................................ 239 7.3.4 Kurz- und Langzeitverhalten ....................................................... 240 7.4 Kalibrierung von Digitalrecordern ...................................................... 242 7.5 Kalibrierung von Stoßstrommesssystemen ......................................... 244 Literatur zu Kapitel 7 ................................................................................ 247 Anhang 1 Fourier- und Laplace-Transformation..................................... 249 A1.1 Fourier-Transformation .................................................................... 249 A1.2 Laplace-Transformation ................................................................... 251 Anhang 2 Bestimmung von Messunsicherheiten....................................... 255 A2.1 Der GUM ......................................................................................... 255 A2.1.1 Grundkonzept des GUM ........................................................... 256 A2.1.2 Modellfunktion einer Messung ................................................. 257 A2.1.3 Ermittlungsmethode vom Typ A............................................... 258 A2.1.4 Ermittlungsmethode vom Typ B............................................... 260 A2.1.5 Beigeordnete Standardmessunsicherheit................................... 263 A2.1.6 Erweiterte Messunsicherheit..................................................... 264 A2.1.7 Effektiver Freiheitsgrad ............................................................ 265 A2.1.8 Messunsicherheitsbudget .......................................................... 266 A2.1.9 Angabe des vollständigen Messergebnisses.............................. 267 A2.1.10 Abschließende Bemerkungen ................................................. 267 A2.2 Beispiele für die Unsicherheitsberechnung ...................................... 268 A2.2.1 Maßstabsfaktor eines Stoßspannungsmesssystems................... 268 A2.2.2 Unsicherheit der Spannungsmessung bei einer Prüfung ........... 273 Literatur zu Anhang A2............................................................................. 276 Abkürzungen................................................................................................ 277 Sachverzeichnis............................................................................................ 279
Einleitung
In den Betriebsanlagen zur Übertragung und Verteilung elektrischer Energie bei Hochspannung können transiente Überspannungen mit Scheitelwerten von mehr als 1 MV entstehen, die damit weitaus größer als die maximalen Betriebsspannungen in Europa sind. Ursache der Überspannungen sind direkte oder indirekte Blitzeinschläge auf Freileitungen oder in Freiluftschaltanlagen, Kurzschlüsse oder Überschläge durch Versagen der elektrischen Isolierung, Schaltvorgänge in Umspannwerken und das Ansprechen von Überspannungsableitern. Die transienten Spannungen haben Anstiegszeiten vorwiegend im Bereich von Mikrosekunden bis Millisekunden. Bei Über- oder Durchschlägen und beim Ansprechen von Überspannungsableitern kann der Spannungszusammenbruch sehr schnell erfolgen mit Abfallzeiten unter 1 μs. Extrem kurze Zeiten im Bereich von wenigen 100 ns bis hinunter zu 1 ns und noch weniger treten bei Schalt- und Durchschlagvorgängen in gasisolierten Schaltanlagen auf. Auch im Niederspannungsnetz können transiente Spannungen von mehr als 1 kV auftreten, die die eingesetzten elektrischen Geräte in ihrer Funktionsweise beeinflussen oder sogar zerstören können. Transiente Überspannungen führen zu einer kurzzeitig erhöhten Beanspruchung der Isolierung der im Energieversorgungsnetz eingesetzten Betriebsmittel. Alle Betriebsmittel werden daher, bevor sie zum Einsatz kommen, Abnahmeprüfungen mit impulsförmigen Prüfspannungen unterzogen, die den im Netzbetrieb auftretenden Überspannungen angepasst sind. Die Höhe der international genormten Prüfspannungen richtet sich nach der Bemessungsspannung der Betriebsmittel. Im deutschsprachigen Raum werden diese impulsförmigen Prüfspannungen allgemein als Stoßspannungen bezeichnet, die entsprechend ihrem Zeitverlauf weiter unterschieden werden. Mit sehr steil ansteigenden Stoßspannungen lassen sich zwischen platten- oder streifenförmigen Elektrodenanordnungen elektromagnetische Felder zur Verträglichkeitsprüfung elektronischer Geräte und Systeme erzeugen. Auch der bei einer Nuklearexplosion in großer Höhe ausgelöste elektromagnetische Impuls kann auf diese Weise simuliert werden. Die transienten Überspannungen sind häufig die Ursache transienter Ausgleichsströme. So können durch direkte oder indirekte Einwirkung von Blitzeinschlägen schnell veränderliche Ströme mit Scheitelwerten im Bereich von 100 kA und Anstiegszeiten von 1 μs entstehen. Erfolgt der Blitzeinschlag in eine Freileitung, breiten sich die Stromimpulse nach beiden Seiten der Leitung aus und verursachen an den Betriebsmitteln am Leitungsende hohe transiente Spannungen, die sich der Betriebswechselspannung des Netzes überlagern. Zum Schutz der Betriebsmittel werden daher Überspannungsableiter eingesetzt. Beim Ansprechen der Ableiter können sich auch die an der Betriebswechselspannung liegenden Leitungen entladen. Die Ableiter werden dadurch mit einem annähernd rechteckförmigen Stromimpuls mit einer Zeitdauer im Bereich von 1 ms beansprucht. In Analogie zu den Stoßspannungen versteht man unter Stoßströmen transiente Ströme, die
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zur Prüfung von Betriebsmitteln der elektrischen Energieversorgung erzeugt werden. Damit werden im Prüflabor die elektrischen, mechanischen und thermischen Beanspruchungen nachgebildet, die im praktischen Einsatz der Betriebsmittel auftreten können. Nicht zu den Stoßströmen im engeren Sinne gehören die bei Kurzschlüssen im Netz auftretenden Kurzschlussströme mit Netzfrequenz, die nur einige Perioden lang andauern. Diese relativ langsamen Transienten können eine abklingende Gleichstromkomponente aufweisen und erreichen dann Scheitelwerte von 300 kA und mehr. Auch in anderen Bereichen von Physik und Technik treten hohe impulsförmige Spannungen und Ströme mit Anstiegszeiten im Mikro- und Nanosekundenbereich auf oder sind für bestimmte Anwendungen von Nutzen. In der Plasmaphysik werden damit extrem große Magnetfelder zum kurzzeitigen Einschluss von Plasmen erzeugt. Bei elektrischen Punktschweißungen erreichen die Impulsströme Scheitelwerte von 200 kA. Elektronische Zündsysteme für Verbrennungsmotoren erzeugen Impulsspannungen mit Scheitelwerten von maximal 30 kV. In der Leistungselektronik treten Impulsspannungen und -ströme von mehreren 10 kV und bis zu 10 kA auf oder werden zur Prüfung benötigt, z. B. für Solarmodule. Elektrizitätszähler werden mit Stoßströmen, die aus einer netzfrequenten Sinushalbschwingung mit Amplituden von mehreren Kiloampere bestehen, geprüft. In der Medizintechnik wird durch die Umwandlung in akustische Stoßwellen eine Zertrümmerung von Nieren- und Gallensteinen sowie von Kalkablagerungen in Gelenken erzielt. Die Wirkung von Elektroimpulswaffen beruht auf Spannungsimpulsen, die das Nervensystem des Betroffenen für eine begrenzte Zeit lähmen. Schließlich sei auf die vielfältigen Anwendungen bei Untersuchungen zur elektromagnetischen Verträglichkeit von elektronischen Geräten bis hin zu sehr komplexen Systemen, wie sie z. B. Flugzeuge darstellen, verwiesen. Bei allen Anwendungen von Stoßspannungen und Stoßströmen ist eine fundierte Messtechnik erforderlich, sei es, weil eine Über- oder Unterbeanspruchung des Betriebsmittels oder eines anderen Prüflings vermieden werden soll oder weil die Qualität einer Anwendung, z. B. beim elektrischen Punktschweißen, gewährleistet sein muss. Im Vordergrund steht hierbei die Messung der für die Beanspruchung oder Qualität maßgebenden Impulsparameter der Stoßspannung oder des Stoßstromes. Die bei Prüfungen eingesetzten Messmittel müssen hinsichtlich ihrer Messrichtigkeit überprüft werden. In diesem Zusammenhang stehen Begriffe und Inhalte wie Qualitätssicherung, Kalibrierung, Messunsicherheit, international anerkannte Prüfvorschriften und akkreditierte Prüf- und Kalibrierlaboratorien. Die Hochspannungs- und Energietechnik einschließlich der entsprechenden Messtechnik ist in einer Vielzahl von Literaturstellen behandelt. Zusammenfassende Darstellungen mit zahlreichen Literaturzitaten, darunter auch aus den Anfängen der Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik, finden sich in den Fachbüchern [1.1-1.6], die allerdings teilweise nicht mehr auf dem Markt sind. Das vorliegende Buch ist aus der Absicht entstanden, die heute noch aktuellen Grundlagen der Messtechnik mit den neueren Entwicklungen in der gerätetechnischen Ausstattung, den Prüfnormen und der Datenauswertung zu verbinden.
1 Kennzeichnung und Erzeugung von Stoßspannungen und Stoßströmen
Bei der Übertragung und Verteilung elektrischer Energie werden Betriebsmittel wie Leistungstransformatoren, Schaltanlagen, Überspannungsableiter, Isolatoren, Energiekabel, Messwandler usw. eingesetzt, die hohen transienten Spannungen und Strömen infolge innerer und äußerer Überspannungen ausgesetzt sind. Sie werden daher vor ihrem Einsatz mit genormten Stoßspannungen oder Stoßströmen auf ihre Zuverlässigkeit geprüft. Je nach Betriebsmittel und dem vorgesehenen Einsatz unterscheidet man zwischen verschiedenen Zeitverläufen der Prüfspannungen und Prüfströme. Die Zeitverläufe sind durch mehrere Parameter mit Toleranzen bei der Erzeugung und Unsicherheiten bei der Messung definiert. Für die Datenauswertung der in der Regel mit Digitalrecordern gemessenen Zeitverläufe kommen teilweise genormte Auswerteverfahren zum Einsatz. Damit werden die in einer umfangreichen Untersuchung experimentell gewonnenen Erkenntnisse hinsichtlich der Bewertung von Scheitelschwingungen, die einer Blitzstoßspannung überlagert sind, in Abhängigkeit von der Schwingungsfrequenz berücksichtigt. Im zweiten Teil des Kapitels werden verschiedene Generatorschaltungen zur Erzeugung von Stoßspannungen und Stoßströmen grundsätzlich beschrieben.
1.1 Parameter von Stoßspannungen Stoßspannung ist der Oberbegriff für hohe impulsförmige Prüfspannungen, mit denen die Betriebsmittel der Energieversorgung geprüft werden. Neben Schaltund Blitzstoßspannungen mit aperiodischem Zeitverlauf sind auch schwingende Schalt- und Blitzstoßspannungen genormt, die bei Vor-Ort-Prüfungen mit transportablen Generatoren erzeugt werden. Blitzstoßspannungen sind weiterhin in volle und abgeschnittene Blitzstoßspannungen unterteilt, wobei die Abschneidung nach unterschiedlich langer Zeit erfolgen kann. Stoßspannungen mit annähernd linearem Spannungsanstieg werden als Keilstoßspannungen und solche mit sehr steiler Front als Steilstoßspannungen bezeichnet. Die analytische Darstellung von Stoßspannungen erfolgt in Kap. 2.1, die Berechnung des Spektrums in Kap. 2.2. Die Definitionen für die Impulsparameter von Stoßspannungen unterscheiden sich teilweise von denen, die in der Impulstechnik bei Niederspannung gebräuchlich sind. Dadurch will man den besonderen Bedingungen bei der Erzeugung und Messung von Stoßspannungen Rechnung tragen. Die Festlegung dieser Parameter ist bei theoretischen Untersuchungen mit mathematisch vorgegebenen Funktionen, u. a. bei der Berechnung des Übertragungsverhaltens von Messsystemen mit Hilfe der Faltung, zu berücksichtigen (s. Kap. 3).
K. Schon, Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik, DOI 10.1007/978-3-642-13117-2_1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010
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1.1.1 Blitzstoßspannung Mit Blitzstoßspannungen wird die Spannungsfestigkeit von Betriebsmitteln gegenüber äußeren Überspannungen, die infolge Blitzeinwirkung im Versorgungsnetz auftreten können, geprüft. Hierbei unterscheidet man zwischen vollen und abgeschnittenen Blitzstoßspannungen [1.7, 1.8]. Eine genormte volle Blitzstoßspannung steigt innerhalb weniger Mikrosekunden auf ihren Scheitelwert û an und fällt anschließend wesentlich langsamer wieder auf null zurück (Abb. 1.1a). Der ansteigende Teil der Stoßspannung wird als Stirn, das Maximum als Scheitel und der abfallende Teil als Rücken bezeichnet. Der Zeitverlauf lässt sich durch Überlagerung zweier Exponentialfunktionen mit unterschiedlichen Zeitkonstanten näherungsweise darstellen (s. Kap. 2.1). Die Abschneidung einer Blitzstoßspannung erfolgt im Prüffeld mit einer Abschneidefunkenstrecke, wobei zwischen der Abschneidung im Rücken (Abb. 1.1b), im Scheitel und in der Stirn (Abb. 1.1c) unterschieden wird. Die genormte abgeschnittene Blitzstoßspannung weist eine Abschneidezeit zwischen 2 μs (Abschneidung im Scheitel) und 5 μs (Abschneidung im Rücken) auf (Abb. 1.1b). Der Spannungsabfall im Rücken soll deutlich schneller als der Spannungsanstieg in der Stirn erfolgen. Der Prüfling wird durch den schnellen Spannungszusammenbruch einer besonders starken Beanspruchung ausgesetzt. Besondere Anforderungen an die Kurvenform abgeschnittener Stoßspannungen können für einzelne Betriebsmittel gesondert festgelegt werden. In der Stirn abgeschnittene Blitzstoßspannungen weisen Abschneidezeiten zwischen 2 μs bis hinunter zu 0,5 μs auf. Bei kurzer Abschneidezeit ist der Zeitverlauf in der Stirn zwischen 0,3û und dem Abschneidezeitpunkt annähernd linear. Liegen die zeitlichen Abweichungen vom linearen Verlauf innerhalb von ±5 % der Stirnzeit, spricht man von einer Keilstoßspannung mit der virtuellen Steilheit: S
û . Tc
(1.1)
Die verschiedenen Blitzstoßspannungen werden in den Prüfvorschriften durch folgende Zeitparameter gekennzeichnet: x Stirnzeit T1 und Rückenhalbwertzeit T2 für volle Blitzstoßspannungen, x Stirnzeit T1 und Abschneidezeit Tc für genormte abgeschnittene Stoßspannungen (2 μs Tc 5 μs), x Abschneidezeit Tc für in der Stirn abgeschnittene Stoßspannungen (Tc < 2 μs), x Stirnzeit T1 und virtuelle Steilheit S für Keilstoßspannungen. Anfangspunkt bei der Bestimmung der Zeitparameter ist der virtuelle Nullpunkt O1. Er ist festgelegt als der Zeitpunkt, der dem Punkt A der Stoßspannung bei 0,3û um die Zeit 0,3T1 vorangeht (Abb. 1.1a, b, c). Grafisch erhält man O1 als Schnittpunkt der Stirngeraden durch die Punkte A und B mit der Nulllinie. Die Definition des virtuellen Nullpunktes O1 ist erforderlich, da der Nullpunkt O der aufgezeichneten Zeitverläufe wegen überlagerter Störspannungen und begrenzter Bandbreite des Messsystems häufig nicht erkennbar ist.
1 Kennzeichnung und Erzeugung von Stoßspannungen und Stoßströmen
a)
u(t)/û 11 0,9
B
0.5 0,5
0,3
A
00 01
t
TAB T1 T2
b) u(t)/û 1 0,9
ua
B C
0,3
0,7ua
A D
0
01
0,1ua t
T1
Tc
c) u(t)/û 1 0,9
ua B
0,3
C
0,7ua
A D
0
01
T1 Tc
0,1ua t
Abb. 1.1. Beispiele für Blitzstoßspannungen mit aperiodischem Zeitverlauf nach [1.7] a) volle Blitzstoßspannung b) im Rücken abgeschnittene Blitzstoßspannung c) in der Stirn abgeschnittene Blitzstoßspannung bzw. Keilstoßspannung
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Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Die Stirnzeit T1 ist die Zeit zwischen dem virtuellen Nullpunkt O1 und dem Schnittpunkt der Stirngeraden durch A und B mit der Scheitellinie (Abb. 1.1): T1
1 TAB , 0,6
(1.2)
wobei TAB das Zeitintervall zwischen den Punkten A bei 0,3û und B bei 0,9û in der Stirn der Stoßspannung ist. Für Blitzstoßspannungen ist T1 < 20 μs definiert, anderenfalls liegt eine Schaltstoßspannung vor (s. Kap. 1.1.2). Die Rückenhalbwertzeit T2 ist die Zeit zwischen dem virtuellen Nullpunkt O1 und dem Punkt bei 0,5û im Rücken einer vollen Blitzstoßspannung (Abb. 1.1a). Die Abschneidezeit Tc ist die Zeit zwischen dem virtuellen Nullpunkt O1 und dem virtuellen Abschneidezeitpunkt, der sich als Schnittpunkt der Geraden durch die Punkte C bei 0,7ua und D bei 0,1ua mit der Horizontalen in Höhe von ua ergibt. Für eine im Rücken oder im Scheitel abgeschnittene Stoßspannung ist ua durch den Schnittpunkt der Geraden durch C und D mit der Stoßspannung festgelegt (Abb. 1.1b). Bei einer in der Stirn abgeschnittene Stoßspannung ist ua gleich dem Scheitelwert û (Abb. 1.1c). Die Festlegung auf den virtuellen Abschneidezeitpunkt berücksichtigt, dass der Beginn der Abschneidung nicht immer eindeutig aus dem aufgezeichneten Zeitverlauf ersichtlich ist. Ursache hierfür sind die endliche Dauer der Abschneidung und eine begrenzte Bandbreite des Messsystems, die zu einem abgerundeten Verlauf der aufgezeichneten Stoßspannung im Abschneidebereich führen [1.9]. Weiterhin können sich elektromagnetisch eingekoppelte Störungen, die beim Zünden der Abschneidefunkenstrecke entstehen, im Bereich des Scheitels überlagern. Die Zeitdauer des Spannungszusammenbruchs ist als TCD/0,6 definiert, wobei TCD die Zeit zwischen den Punkten C und D ist. Zur Kennzeichnung einer vollen Stoßspannung werden die Zahlenwerte für die Stirn- und Rückenhalbwertzeit in Mikrosekunden als Kurzzeichen angefügt. Die genormte volle Blitzstoßspannung 1,2/50 hat dementsprechend eine Stirnzeit T1 = 1,2 μs und eine Rückenhalbwertzeit T2 = 50 μs. Die Impulsparameter sind in Abb. 1 für glatte Kurvenverläufe angegeben, bei denen der Scheitelwert û gleich dem Wert der Prüfspannung ist. In der Prüfpraxis kann jedoch der Stoßspannung im Scheitel eine Schwingung überlagert sein, die je nach deren Frequenz das geprüfte Betriebsmittel unterschiedlich stark beansprucht. Die Impulsparameter beziehen sich daher definitionsgemäß auf eine fiktive Prüfspannungskurve, die mit einem besonderen Auswerteverfahren aus den aufgezeichneten Daten der Blitzstoßspannung berechnet wird (s. Kap. 1.1.1.2). Mit der entsprechenden Software ist somit ein einheitliches Vorgehen bei der Auswertung von Stoßspannungen mit und ohne Scheitelschwingung beliebiger Frequenz möglich. Als äquivalente glatte Blitzstoßspannung wird eine Stoßspannung ohne Scheitelschwingung bezeichnet, deren Prüfspannungswert und Zeitparameter gleich den entsprechenden Werten der berechneten Prüfspannungskurve einer Stoßspannung mit Scheitelschwingung ist. Eine in der Stirn abgeschnittene Stoßspannung ist grundsätzlich als Prüfspannungskurve definiert.
1 Kennzeichnung und Erzeugung von Stoßspannungen und Stoßströmen
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1.1.1.1 Toleranzen und Messunsicherheiten Bei der Erzeugung von Blitzstoßspannungen sind Abweichungen von den in den Prüfnormen für die Betriebsmittel festgelegten Werten der Impulsparameter zulässig. Die Toleranzen für Blitzstoßspannungen betragen [1.7]: x r3 % für den Wert der Prüfspannung, x r30 % für die Stirnzeit T1 und x r20 % für die Rückenhalbwertzeit T2. Der Grund für die großen Toleranzen der Zeitparameter liegt in der unterschiedlich starken Rückwirkung der Prüflinge auf die Generatorschaltung, wodurch die Kurvenform und damit die Parameter der erzeugten Blitzstoßspannung mehr oder weniger stark beeinflusst werden. Die Elemente des Stoßspannungsgenerators, mit denen die Kurvenform eingestellt wird, brauchen daher bei geringfügig veränderter Last durch den Prüfling nicht jedes Mal neu angepasst zu werden. Für die Abschneidezeit Tc sind keine Toleranzen festgelegt. Bei der normgerechten Stoßspannungsprüfung eines Betriebsmittels sollen der Wert der Prüfspannung und die Zeitparameter innerhalb festgelegter Grenzwerte der erweiterten Messunsicherheit ermittelt werden. Diese betragen [1.8]: x 3 % für den Prüfspannungswert von vollen und abgeschnittenen Blitzstoßspannungen mit Abschneidezeiten Tc 2 μs, x 5 % für den Prüfspannungswert von in der Stirn abgeschnittenen Blitzstoßspannungen mit Abschneidezeiten 0,5 μs Tc < 2 μs und x 10 % für die Zeitparameter. Anmerkung: Messunsicherheiten werden ohne Vorzeichen angegeben, sind aber als positive und negative Grenzwerte zu verstehen.
Die erweiterte Messunsicherheit ist ein Kennwert, der den Bereich der Werte oberhalb und unterhalb des Messergebnisses charakterisiert, die unter den gegebenen Messbedingungen als möglich mit einer Überdeckungswahrscheinlichkeit von rund 95 % angesehen werden (s. Kap. A2). Die Messunsicherheit der Impulsparameter einer am Prüfling anliegenden Stoßspannung setzt sich zusammen aus der Unsicherheit des Messsystems, die im Kalibrierschein für den Maßstabsfaktor und die Zeitparameter als Ergebnis einer umfassenden Kalibrierung angegeben ist, und weiteren Unsicherheitsbeiträgen, die bei der Stoßspannungsprüfung zu beachten sind. Letztere berücksichtigen die aktuellen Bedingungen bei der Spannungsmessung, die von denen bei der Kalibrierung abweichen. Abweichungen können beispielsweise durch eine andere Umgebungstemperatur, abweichende Stoßspannungsform oder Langzeitdrift des Messsystems verursacht sein. Anmerkung: Die festgelegten Grenzwerte für die erweiterte Messunsicherheit und Toleranz des Prüfspannungswertes von vollen Stoßspannungen sind identisch, was aus messtechnischer Sicht grundsätzlich unbefriedigend ist.
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Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
1.1.1.2 Überlagerte Schwingungen Die im Prüfkreis tatsächlich auftretenden Prüfspannungen können Schwingungen im Scheite und Schwingungen in der Stirn aufweisen. Ursache dieser überlagerten Schwingungen sind Induktivitäten und Kapazitäten des Stoßspannungsgenerators und des Prüf- und Messkreises einschließlich der Hochspannungszuleitungen sowie eine nicht optimale Reihenfolge bei der Zündung der Generatorfunkenstrecken oder Reflexionsvorgänge. Um die Schwingungen richtig erfassen zu können, muss das Messsystem eine ausreichend große Bandbreite aufweisen (mindestens 10 MHz bei Stirnschwingungen und 5 MHz bei Scheitelschwingungen). Schwingungen im Prüfkreis müssen klar unterschieden werden von denen, die durch Eigenresonanz des Stoßspannungsteilers bei ungünstiger Konstruktion entstehen können. Treten im Prüfkreis Schwingungen mit der Eigenresonanz des Spannungsteilers auf, werden diese am Ausgang des Spannungsteilers mit verstärkter Amplitude wiedergegeben. Der Spannungsteiler ist dadurch ungeeignet zur Messung der schwingenden Prüfspannung. Schwingungen im Scheitel von Blitzstoßspannungen erfordern ein besonderes Auswerteverfahren zur Ermittlung des Prüfspannungswertes, der für die Beanspruchung des Betriebsmittels maßgebend ist. Seit längerem ist bekannt, dass die Beanspruchung der Isolierung in Betriebsmitteln von der Frequenz der überlagerten Scheitelschwingung abhängt. Danach beansprucht eine Stoßspannung mit hochfrequenter Scheitelschwingung die Isolierung nicht so stark wie eine Stoßspannung mit niederfrequenter Scheitelschwingung und gleichem Extremwert. In älteren Prüfnormen war daher der Extremwert einer Blitzstoßspannung mit überlagerter Schwingung der Frequenz f < 500 kHz als Prüfspannungswert festgelegt, während für f 500 kHz der Prüfspannungswert als Scheitelwert û der mittleren Kurve 2 durch die Scheitelschwingung 1 bestimmt wurde (Abb. 1.2).
u(t)
ȕ
1
û 2 0,5û
0
t
Abb. 1.2. Frühere Auswertung einer Blitzstoßspannung 1 mit hochfrequenter Scheitelschwingung der Frequenz f 500 kHz (Prinzip). Durch die schwingende Stoßspannung wurde eine mittlere Kurve 2 gelegt, deren Scheitelwert û als Prüfspannungswert festgelegt war.
1 Kennzeichnung und Erzeugung von Stoßspannungen und Stoßströmen
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Der Faktor, mit dem früher die Amplitude der überlagerten Scheitelschwingung zu multiplizieren war, betrug daher entweder k = 1 oder k = 0 (s. Abb. 1.4b, Kurve 1). Diese Auswertung ist nicht zuletzt auch aus messtechnischer Sicht unbefriedigend, da die Frequenz der Scheitelschwingung im kritischen Bereich um 500 kHz nicht genau bestimmbar ist. Eine eindeutige Entscheidung, welches Auswerteverfahren zur Anwendung kommen soll, ist somit nicht möglich. Zudem war der Verlauf der mittleren Kurve durch die Scheitelschwingung nicht genau definiert, sondern vom optischen Eindruck des Betrachters abhängig. Neuere Untersuchungen in mehreren Hochspannungsprüffeldern über die Durchschlagfestigkeit von gasförmigen, flüssigen und festen Isolierungen bei Blitzstoßspannungen mit überlagerter Scheitelschwingung bestätigen grundsätzlich die frequenzabhängige Beanspruchung der Isolierung, jedoch in einer modifizierten Form [1.10]. Bei der Durchführung der umfangreichen Versuchsserien wurden jeweils für gleichartige Probekörper die Durchschlagwerte der Stoßspannungen sowohl ohne als auch mit Scheitelschwingung ermittelt. Das Beispiel in Abb. 1.3 zeigt schematisch die Spannungsverläufe kurz vor dem Durchschlag. Hierbei stellt Kurve 1 die gedämpft schwingende Stoßspannung dar, die durch Überlagerung der glatten Stoßspannung 3 (Basisspannung) und der Schwingung 4 erzeugt wurde. Kurve 2 ist die äquivalente glatte Stoßspannung (Prüfspannung), die gleichfalls zum Durchschlag des Probekörpers führte wie die schwingende Stoßspannung 1. Bei den Untersuchungen wurden die Amplitude, Frequenz und Phasenverschiebung der überlagerten Schwingung in weiten Grenzen variiert. u(t) 1
Ue Ut Ub
2
3
Uos 0
4
t
Abb. 1.3. Schwingende Stoßspannung 1 und äquivalente glatte Blitzstoßspannung 2, die beide nach [1.10] zum Durchschlag des Probekörpers führen. Die schwingende Stoßspannung 1 wurde durch Überlagerung der glatten Stoßspannung 3 mit der Schwingung 4 erzeugt.
10
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Die Ergebnisse der Durchschlagversuche lassen sich für alle untersuchten Isolierungen, Probekörper und Versuchsparameter in einem Diagramm zusammenfassen, das die experimentell ermittelten Werte des k-Faktors über der Frequenz f der Scheitelschwingung zeigt [1.10]. Trotz der Streuung der Werte für die verschiedenen Isolierstoffe ist deutlich erkennbar, dass der k-Faktor und damit der Einfluss der Scheitelschwingung auf den Durchschlag oberhalb von 100 kHz stetig abnimmt und für f 5 MHz ganz verschwindet (Abb. 1.4a). Die in der halblogarithmischen Darstellung eingezeichnete, mit dem Logarithmus der Frequenz abfallende Gerade durch die empirisch gewonnenen Werte kennzeichnet den grundsätzlichen Frequenzverlauf des k-Faktors. Anstelle des früher angenommenen abrupten Wechsels der Bewertung von Scheitelschwingungen bei 500 kHz hat sich somit ein gleitender Übergang im Frequenzbereich von 100 kHz bis 5 MHz als richtig erwiesen. Mit dem frequenzabhängigen k-Faktor gilt für den Scheitelwert Ut der äquivalenten glatten Blitzstoßspannung 2, die ebenso zum Durchschlag führt wie die schwingende Stoßspannung 1, der Zusammenhang (Abb. 1.3): Ut
U b k f U os
U b k f U e U b
(1.3)
wobei Ub den Scheitelwert der Basisspannung 3, Uos die Amplitude der überlagerten Scheitelschwingung 4 und Ue den Extremwert der schwingenden Stoßspannung 1 bezeichnen. Weitere Untersuchungen befassen sich mit der Ausarbeitung eines Verfahrens mit dem Ziel, die gewonnenen Ergebnisse über den Frequenzeinfluss von überlagerten Scheitelschwingungen in die Prüfvorschriften einzubringen [1.11-1.16]. Eine gute Approximation des grundsätzlichen Verlaufs der experimentell ermittelten k-Faktoren über der Frequenz f der Scheitelschwingung ist – neben dem geradlinigen Kurvenzug in Abb. 1.4a – durch die Prüfspannungsfunktion:
k f
1 1 2,2 f 2
(1.4)
mit f in Megahertz gegeben (Kurve 2 in Abb. 1.4b). Die Prüfspannungsfunktion k(f) mit dem Vorzug der Stetigkeit ersetzt die frühere, mehrere Jahrzehnte lang gültige Bewertung von Scheitelschwingungen nach Kurve 1 in Abb. 1.4b. Die Prüfspannungsfunktion k(f) ist Grundlage eines genormten Filterungsverfahrens zur Berechnung der Prüfspannungskurve, die die wirksame Beanspruchung eines Betriebsmittels durch volle und im Rücken abgeschnittene Stoßspannungen mit überlagerter Scheitelschwingung kennzeichnen soll [1.7]. Hierbei werden die Ergebnisse der Durchschlagversuche mit schwingenden Stoßspannungen in [1.10] auf die Beanspruchung eines Prüflings bei der Spannungsprüfung übertragen. Das Verfahren wird an Hand der Kurvenverläufe in Abb. 1.3 kurz beschrieben. Ausgangspunkt der Auswertung ist der aufgezeichnete Datensatz einer schwingenden Prüfspannung 1, an die die Basiskurve 3 als glatte Stoßspannung
1 Kennzeichnung und Erzeugung von Stoßspannungen und Stoßströmen
11
gemäß Gl. (2.8) angepasst wird. Die Differenz der beiden Kurven 1 und 3 ergibt die überlagerte Schwingung 4, die mit der Prüfspannungsfunktion k(f) nach Gl. (1.4) gefiltert wird. Durch Überlagerung der gefilterten Schwingung mit der Basiskurve 3 erhält man die Prüfspannungskurve, von der der Prüfspannungswert Ut und die Zeitparameter ermittelt werden. Bei einer schwingenden, im Rücken abgeschnittenen Stoßspannung erfolgt die Filterung für die entsprechende volle Stoßspannung, die bei reduziertem Spannungspegel aufgezeichnet wird. Das Ergebnis wird anschließend auf die abgeschnittene Kurvenform im entsprechenden Spannungs- und Zeitformat übertragen. a)
1,20
proposal (1) oil air hom SF6 hom SF6 inhom PE sample A Sample B
1,00 k-factor [1]
0,80 0,60 0,40 0,20 0,00 -0,20 10
100
1000
10000
Oscillation frequency [kHz] b)
1 0,8 k(f)
0,6 0,4
0 10
2
1
0,2 100
500
103
104
kHz
105
f Abb. 1.4. Prüfspannungsfunktion k(f), mit der die Scheitelschwingung einer Blitzstoßspannung gewichtet wird, um die Beanspruchung der Isolierung eines Prüflings zu kennzeichnen a) Experimentell ermittelte Werte des k-Faktors für feste, flüssige und feste Isolierungen [1.10] b) Definition der Prüfspannungsfunktion k(f) in den Prüfnormen 1 Verlauf entsprechend früherer Definition mit k = 1 für f < 500 kHz und k = 0 für f 500 kHz 2 Verlauf nach Gl. (1.4) entsprechend der Definition in [1.7]
12
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik Anmerkung: Die mit dem Filterungsverfahren berechnete Prüfspannungskurve weist – im Gegensatz zu den experimentellen Untersuchungen in [1.10] mit äquivalenter glatter Stoßspannung entsprechend Kurve 2 in Abb. 1.3 – für Frequenzen bis etwa 10 MHz eine überlagerte Scheitelschwingung mit frequenzabhängiger Amplitude auf.
Als Alternative zu dem umfassenden Filterungsverfahren bietet sich das manuelle Auswerteverfahren an [1.7]. Es liefert eine äquivalente glatte Stoßspannung als Prüfspannungskurve, vergleichbar mit Kurve 2 in Abb. 1.3. Zunächst wird die Basiskurve 3 grafisch als mittlere Kurve durch die aufgezeichnete schwingende Stoßspannung 1 gelegt. Die Differenz der beiden Kurven 1 und 3 ergibt die überlagerte Schwingung 4 mit der Amplitude Uos. Aus der Dauer der Halbschwingung im Zeitbereich des Extremwertes von Kurve 1 erhält man die Schwingungsfrequenz f, mit der der Faktor k(f) nach Gl. (1.4) und damit der Prüfspannungswert Ut nach Gl. (1.3) berechnet werden. Die maßstabsgetreu auf den Scheitelwert Ut vergrößerte Basiskurve stellt dann die glatte Prüfspannungskurve entsprechend Kurve 2 in Abb. 1.3 dar, von der auch die Zeitparameter bestimmt werden. Da die grafische Auswertung einer schwingenden Stoßspannung vom subjektiven Empfinden des Bearbeiters abhängt und dadurch einen zusätzlichen Unsicherheitsbeitrag liefern kann, empfiehlt sich die rechnergestützte Datenauswertung mit entsprechender Software. Damit lässt sich die Basiskurve als doppelexponentieller Zeitverlauf nach Gl. (2.8) berechnen und an die schwingende Stoßspannung anpassen. Mit beiden Auswerteverfahren werden auch das im Digitalrecorder erzeugte Rauschen (s. Kap. 4.2) und die Stirnschwingungen eliminiert, mit dem Filterungsverfahren allerdings nur vollständig für Schwingungsfrequenzen von 10 MHz und mehr. Die experimentelle Ermittlung der k-Faktoren (s. Abb. 1.4a) wie auch deren näherungsweise Darstellung durch die Prüfspannungsfunktion k(f) nach Gl. (1.4) sind mit Unsicherheiten behaftet. Zur Begrenzung des daraus resultierenden Unsicherheitsbeitrages (s. Kap. A2.2.2) bei der Bestimmung des Prüfspannungswertes und der Zeitparameter ist die Anwendung der Auswerteverfahren auf ein Überschwingen, bezogen auf die Basisspannung, von maximal 10 % begrenzt. Schwingungen in der Stirn einer Blitzstoßspannung beeinflussen die Ermittlung des virtuellen Nullpunktes O1 und damit auch der Zeitparameter. Mit den beiden o. a. Auswerteverfahren für Scheitelschwingungen mit k(f) nach Gl. (1.4) lassen sich auch Stirnschwingungen ganz oder teilweise eliminieren. Zur Beseitigung von Stirnschwingungen existieren weitere Rechenverfahren, u. a. die digitale Filterung der aufgezeichneten Daten, Beschneidung des Fourier-Spektrums der schwingenden Blitzstoßspannung oder abschnittsweise Anpassung durch ein Exponentialglied, eine Parabel oder eine Gerade [1.17-1.19]. Als Ergebnis erhält man wie bei der früher üblichen grafischen Auswertung eine durch die Stirnschwingung verlaufende mittlere Kurve, deren Punkte bei 0,3û und 0,9û zur Ermittlung von O1 und T1 herangezogen werden (Abb. 1.5). Stirnschwingungen finden sich vorwiegend im Anfangsverlauf einer Stoßspannung und beeinflussen dann nur die Bestimmung des Punktes A bei 0,3û. Wenn wie in dem Beispiel in Abb. 1.5 die Auswertung der Stirn bei 0,3û mehrdeutig ist, wird als einfache Näherungslösung vorgeschlagen, den mittleren der drei Schnittpunkte zu nehmen, d. h. die Berechung der vollständigen mittleren Kurve erübrigt sich dann [1.20].
1 Kennzeichnung und Erzeugung von Stoßspannungen und Stoßströmen
13
Untersuchungen an synthetischen Kurvenverläufen mit und ohne Stirnschwingung zeigen, dass jedes Glättungsverfahren den Impulsverlauf mehr oder weniger stark verfälscht. Die Stirnzeit einer geglätteten Stoßspannung ist daher nicht identisch mit der des Originalverlaufs ohne Stirnschwingung. Mitentscheidend für die Qualität der Glättung ist der Frequenzabstand in den Spektren der Schwingung und der Stoßspannung. Eine hochfrequente Schwingung lässt sich besser durch Filterung entfernen als eine Schwingung, deren Frequenz im charakteristischen Frequenzbereich der Stoßspannung liegt. Bei einer in der Stirn abgeschnittenen Stoßspannung kann sich die überlagerte Stirnschwingung bis zum Scheitel erstrecken. Im Bereich des Scheitels sollte nur sehr behutsam geglättet werden, um eine Verfälschung des Scheitelwertes zu vermeiden. u t û 1 0,9
2
1
0,3 0
t
Abb. 1.5. Auswertung einer Blitzstoßspannung mit Schwingung in der Stirn 1 gemessener Originalverlauf mit drei Schnittpunkten bei 0,3û 2 mittlere Kurve durch die Stirnschwingung
1.1.2 Schaltstoßspannung
Bei der Prüfung mit Schaltstoßspannungen wird die Beanspruchung des Betriebsmittels durch innere Überspannungen infolge von Schalthandlungen im Netz nachgebildet. Der idealisierte Verlauf einer aperiodischen Schaltstoßspannung ist wie der einer vollen Blitzstoßspannung durch Überlagerung von zwei Exponentialfunktionen festgelegt, wobei die Zeitkonstanten jedoch wesentlich größer sind (s. Kap. 2.1). Schaltstoßspannungen werden neben dem Prüfspannungswert (Scheitelwert) durch zwei Zeitparameter gekennzeichnet, die im Gegensatz zu Blitzstoßspannungen auf den augenscheinlichen Nullpunkt O des Zeitverlaufs bezogen sind (Abb. 1.6). Die durchaus vorhandene Abweichung im Anfangsverlauf von Schaltstoßspannungen ist wegen der größeren Werte der Zeitparameter vernachlässigbar. Die Scheitelzeit Tp ist als Zeit zwischen dem Nullpunkt O und dem Zeitpunkt des Scheitels definiert, die Rückenhalbwertzeit T2 als Zeit zwischen O und dem Punkt bei 0,5û im Rücken der Schaltstoßspannung.
14
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Zusätzlich zu Tp und T2 sind weitere Zeitparameter definiert. Die Zeitdauer Td ist festgelegt als die Zeit, während der die Spannung größer als 0,9û ist. Schaltstoßspannungen können im Rücken unter die Nulllinie durchschwingen. In besonderen Fällen kann es daher erforderlich sein, die Zeit Tz zwischen dem Nullpunkt O und dem ersten Nulldurchgang im Rücken der Schaltstoßspannung anzugeben. Weiterhin ist für Schaltstoßspannungen auch die Stirnzeit T1 nach Gl. (1.2) definiert. Sie dient als Kriterium für die Unterscheidung von Blitz- und Schaltstoßspannungen. Schaltstoßspannungen weisen eine Stirnzeit von mindestens 20 μs auf. u(t)/û 1 0,9
B
Td
, 0.5 0,3
A
0
t
TAB Tp
T2
Abb. 1.6. Schaltstoßspannung und deren Impulsparameter (aperiodischer Verlauf)
Schaltstoßspannungen werden durch die Zahlenwerte der Zeitparameter Tp und T2 gekennzeichnet. Die genormte Schaltstoßspannung 250/2500 hat eine Scheitelzeit Tp = 250 μs (Toleranz: r20 %) und eine Rückenhalbwertzeit T2 = 2500 μs (Toleranz: r60 %). Die großen Toleranzen erlauben wiederum die Prüfung unterschiedlicher Betriebsmittel, ohne dass jedes Mal die Elemente des Stoßspannungsgenerators an die veränderte Last angepasst werden müssen. Die zulässigen Messunsicherheiten stimmen mit denen für Blitzstoßspannungen überein und betragen 3 % für den Prüfspannungswert (Scheitelwert) und 10 % für die Zeitparameter. Die Messunsicherheit setzt sich zusammen aus der Unsicherheit des anerkannten Messsystems und gegebenenfalls weiteren Unsicherheitsbeiträgen während der Stoßspannungsprüfung (s. Kap. 1.1.1.1). Die Scheitelzeit Tp scheint auf Grund ihrer Definition eine einfach zu ermittelnde Messgröße zu sein. Bei der automatisierten Datenauswertung können jedoch bereits kleine Digitalisierungsfehler des Recorders oder überlagerte Störungen im zeitlich ausgedehnten Scheitelbereich zu falschen Werten der Scheitelzeit führen. Die in den Prüfvorschriften festgelegte Messunsicherheit für Tp wird dann
1 Kennzeichnung und Erzeugung von Stoßspannungen und Stoßströmen
15
nicht eingehalten. Da die Scheitelzeit wegen ihrer Bedeutung in der Prüfpraxis weiterhin als Zeitparameter beibehalten werden soll, erfolgt deren Bestimmung nicht direkt, sondern aus dem Zeitintervall TAB zwischen 0,3û und 0,9û, multipliziert mit dem Faktor K: Tp
K TAB .
(1.5)
Für die Schaltstoßspannung 250/2500 mit doppelexponentiellem Zeitverlauf nach Gl. (2.8) liefert die Rechnung TAB = 99,1 μs und damit K = 2,523. Für andere Werte von Tp und T2 innerhalb der zulässigen Toleranzen der genormten Schaltstoßspannung 250/2500 lässt sich K näherungsweise nach folgender Zahlenwertgleichung berechnen [1.7]: K
2,42 3,08 103 TAB 1,51 10 4 T2 ,
(1.6)
wobei für TAB und T2 der gemessene Zahlenwert in Mikrosekunden einzusetzen ist. Der Fehler bei der Berechnung von Tp mit K nach Gl. (1.6) liegt innerhalb von r1,5 %, was in der Regel bei Prüfungen vernachlässigbar sein dürfte. Für andere Schaltstoßspannungen gilt Gl. (1.6) nicht. Den Faktor K = Tp /TAB erhält man dann aus dem mit Gl. (2.8) berechneten Verlauf einer Schaltstoßspannung, die dieselbe Zeit TAB wie der gemessene Verlauf aufweist. Bei Vor-Ort-Prüfungen mit Schaltstoßspannungen ist einheitlich K = 2,4 festgelegt (s. Kap. 1.1.3). 1.1.3 Schwingende Stoßspannungen bei Vor-Ort-Prüfungen
Spannungsprüfungen an Betriebsmitteln der elektrischen Energieversorgung werden nicht nur im Hochspannungslabor, sondern immer öfter direkt am Einsatzort des Betriebsmittels durchgeführt [1.21, 1.22]. Dadurch lassen sich der ordnungsgemäße Aufbau, die fehlerfreie Inbetriebnahme, der einwandfreie Betrieb nach einer Reparatur oder das Langzeitverhalten überprüfen. Für diese Vor-OrtPrüfungen gelten häufig erschwerte Umgebungsbedingungen und andere als die im Prüflabor stationär vorhandenen Erzeugeranlagen und Messeinrichtungen werden benötigt. Neben den aperiodischen Blitz- und Schaltstoßspannungen nach Abb. 1.1a und 1.6 können auch schwingende Stoßspannungen verwendet werden. Als Beispiel zeigt Abb. 1.7 eine schwingende Schaltstoßspannung (Kurve 1) und ihre obere Einhüllende (Kurve 2). Durch die überlagerte Schwingung wird nahezu eine Verdoppelung des Scheitelwertes einer glatten Stoßspannung erreicht, so dass der für die Vor-Ort-Prüfung erforderliche transportable Generator entsprechend kleiner ausfallen kann. Die Bestimmung des Nullpunktes und der Stirnzeit von schwingenden Blitzoder Schaltstoßspannungen erfolgt in gleicher Weise wie für die entsprechenden aperiodischen Stoßspannungen, d. h. für Blitzstoßspannungen ist der virtuelle Nullpunkt O1 und für Schaltstoßspannungen der augenscheinliche Nullpunkt O
16
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
maßgebend. Die Rückenhalbwertzeit T2 ist definiert als Zeitabschnitt zwischen O1 bzw. O und der Zeit, bei dem die obere Einhüllende der schwingenden Stoßspannung auf 50 % des Maximalwertes abgefallen ist (Abb. 1.7). Die Scheitelzeit Tp einer Schaltstoßspannung bei Vor-Ort-Prüfungen ergibt sich aus der Zeit TAB entsprechend Gl. (1.5) mit einem einheitlich festgelegten Wert K = 2,4. u(t)/û 1 2
0,5
1 0
t
Tp T2
Abb. 1.7. Schwingende Schaltstoßspannung 1 für Vor-Ort-Prüfungen. Die obere Einhüllende 2 ist für die Bestimmung der Rückenhalbwertzeit T2 maßgebend.
Wegen der erschwerten Umgebungsbedingungen gelten für die bei Vor-OrtPrüfungen erzeugten aperiodischen und schwingenden Blitz- und Schaltstoßspannungen größere Toleranzen und teilweise auch größere Messunsicherheiten als für die im Hochspannungsprüffeld erzeugten Prüfspannungen. Die Toleranzgrenzen für den Prüfspannungswert der erzeugten Blitz- und Schaltstoßspannungen betragen ±5 %. Für Blitzstoßspannungen liegen die zulässigen Werte der Stirnzeit zwischen 0,8 μs und 20 μs, Rückenhalbwertzeit zwischen 40 μs und 100 μs und Schwingungsfrequenz zwischen 15 kHz und 400 kHz. Schaltstoßspannungen sind durch Scheitelzeiten zwischen 20 μs und 400 μs, Rückenhalbwertzeiten zwischen 1000 μs und 4000 μs und Schwingungsfrequenzen zwischen 1 kHz und 15 kHz festgelegt. Die maximal zulässigen erweiterten Messunsicherheiten bei Vor-OrtPrüfungen betragen 5 % für den Wert der Prüfspannung, 10 % für die Zeitparameter und 10 % für die Schwingungsfrequenz [1.21]. 1.1.4 Steilstoßspannung
Sehr steil ansteigende Spannungen entstehen beispielsweise beim Trennerschalten in SF6-Anlagen. Die Normung der bei Prüfungen eingesetzten Steilstoßspannungen ist nicht einheitlich, sondern den zuständigen Komitees für die einzelnen Be-
1 Kennzeichnung und Erzeugung von Stoßspannungen und Stoßströmen
17
triebsmittel überlassen. Mit konventionellen Stoßspannungsgeneratoren in induktivitätsarmer Ausführung mit ca. 1 μH je Stufe lassen sich Steilheiten von maximal 2,5 kV/ns erzielen. Stoßspannungen mit größeren Steilheiten werden mit einem Stoßspannungsgenerator in Verbindung mit einem Nachkreis oder einem explodierenden Draht erzeugt (s. Kap. 1.3.3). Bei entsprechender Ausführung der Schaltung lassen sich Steilstoßspannungen mit Steilheiten von bis zu 100 kV/ns entsprechend einer Anstiegszeit von 5 ns bei 500 kV erzeugen. Abb. 1.8 zeigt schematisch die Ausgangsspannung u1 eines Stoßspannungsgenerators und die am Ausgang des Nachkreises entstehende Steilstoßspannung u2. Bei optimaler Abstimmung zwischen den Elementen des Stoßspannungsgenerators, Schaltelementes und Nachkreises setzt u2 im Zeitpunkt des Scheitels von u1 ein. Der Verlauf im Rücken hängt vom Schaltungsaufbau des Generators und vom Prüfling einschließlich des Spannungsteilers ab. Durch Induktivitäten der Schaltungselemente im Prüfkreis und infolge von Reflexionsvorgängen können sich der Steilstoßspannung hochfrequente Oszillationen überlagern. Bei Anschluss einer Streifenleiteranordnung an den Nachkreis lassen sich impulsförmige elektromagnetische Felder zwischen den Elektroden erzeugen. In dieser Anordnung werden Geräte und komplexe Systeme hinsichtlich ihrer elektromagnetischen Verträglichkeit (EMV) geprüft [1.2, 1.23, 5.5]. u1, u2
u1
u2
t Abb. 1.8. Steilstoßspannung u2 am Ausgang des Nachkreises zu einem Stoßspannungsgenerator mit der Ausgangsspannung u1 (nach [1.2])
1.2 Parameter von Stoßströmen In Analogie zu den Stoßspannungen werden impulsförmige Ströme mit großer Amplitude als Stoßströme bezeichnet, mit denen die Wirkung von Blitz- und Kurzschlussströmen bei der Prüfung von Betriebsmitteln nachgebildet wird. Der Zeitverlauf von Stoßströmen kann je nach dem vorgesehenen Prüfzweck sehr unterschiedlich sein. Grundsätzlich lassen sich Stoßströme mit exponentiellem und rechteckförmigem Zeitverlauf unterscheiden. Im weiteren Sinne gehören zu den
18
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Stoßströmen auch Kurzschlusswechselströme, die eine begrenzte Anzahl von Schwingungen mit Netzfrequenz und überlagertem transientem Gleichanteil aufweisen. Stoßströme werden durch ihren Scheitelwert und mehrere Zeitparameter charakterisiert. Außerdem können die Impulsladung und der Energieinhalt von Bedeutung sein. Die analytische Darstellung von Stoßströmen erfolgt in Kap. 2.3 und Kap. 2.5, die Berechnung des Spektrums in Kap. 2.4. 1.2.1 Exponential-Stoßstrom
Der Exponential-Stoßstrom weist einen relativ schnellen, annähernd exponentionellen Anstieg bis zum Scheitel auf, dem ein eher langsamer Abfall auf null folgt. Je nach Schaltung des Generators und Prüflings verläuft der Abfall entweder exponentiell oder wie eine stark gedämpfte Sinusschwingung (Abb. 1.9). Im letzteren Fall ist mit einem Durchschwingen des Stoßstromes unter die Nulllinie zu rechnen. i(t)/î 1,0 0,9
B
0,5
0,1 01
A TAB T1
t T2
Abb. 1.9. Beispiel für einen Exponential-Stoßstrom mit durchschwingendem Rücken
Die Kenngrößen eines Exponential-Stoßstromes sind neben dem Scheitelwert î als Wert des Prüfstromes die Stirnzeit T1 und Rückenhalbwertzeit T2. Beide Zeitparameter sind auf den virtuellen Nullpunkt O1 bezogen, der sich durch den Schnittpunkt der Stirngeraden mit der Nulllinie ergibt. Im Gegensatz zu Stoßspannungen verläuft bei Stoßströmen die Stirngerade durch die Punkte A bei 0,1î und B bei 0,9î. Die Stirnzeit berechnet sich zu: T1
1,25TAB ,
(1.7)
1 Kennzeichnung und Erzeugung von Stoßspannungen und Stoßströmen
19
wobei TAB die Zeit zwischen den beiden Punkten A und B ist. Die Zeit TAB entspricht somit der im Niederspannungsbereich üblichen Definition für die Anstiegszeit Ta eines Impulses (s. Kap. 3.5). Die Rückenhalbwertzeit T2 ist festgelegt als die Zeit zwischen dem virtuellen Nullpunkt O1 und dem Zeitpunkt, bei dem der Stoßstrom auf 50 % seines Scheitelwertes abgefallen ist [1.24]. ExponentialStoßströme werden durch Angabe ihrer Stirnzeit und Rückenhalbwertzeit in Mikrosekunden gekennzeichnet. Beispielsweise hat der Stoßstrom 8/20 eine Stirnzeit T1 = 8 μs und eine Rückenhalbwertzeit T2 = 20 μs. Die Toleranzgrenzen bei der Erzeugung des Stoßstromes 8/20 betragen ±10 % für den Scheitelwert und jeweils ±20 % für die Zeitparameter. Für andere Impulsformen können die Toleranzangaben abweichen. Die Grenzwerte der erweiterten Messunsicherheit sind 3 % für den Scheitelwert und 10 % für die Zeitparameter. Das Unterschwingen eines Exponential-Stoßstromes unter die Nulllinie soll nicht mehr als 30 % des Scheitelwertes betragen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass das geprüfte Betriebsmittel durch das Unterschwingen mit entgegen gesetzter Polarität beschädigt wird. Die Berechnungen in Kap. 2.3 zeigen, dass die Bedingung für das maximale Unterschwingen im einfachen Stoßstromkreis nach Abb. 1.16 nur für T2 > 20 μs eingehalten wird. Das Unterschwingen muss gegebenenfalls durch eine entsprechende Abschneideeinrichtung begrenzt werden. Die Ladung eines Stoßstromes i(t) ist definiert als das Zeitintegral über den Absolutbetrag des Zeitverlaufs: Q
f
³ it dt .
(1.8)
0
Die obere Integrationsgrenze wird so gewählt, dass die restliche, nicht erfasste Ladung vernachlässigbar ist. Eine weitere Messgröße ist das Joulsche Integral als Zeitintegral des Stromquadrats: W
f
2 ³ i t dt ,
(1.9)
0
mit dem der maximal erlaubte Energieumsatz in einem Prüfling oder Messwiderstand berechnet wird. Die in den Prüfnormen für ein Betriebsmittel festgelegten Werte für Q und W dürfen nicht unterschritten werden, d. h. die untere Toleranzgrenze ist null. 1.2.2 Rechteck-Stoßstrom
Den typischen Verlauf eines Rechteck-Stoßstromes, auch als Langzeit-Stoßstrom bezeichnet, zeigt Abb. 1.10. Er ist durch den Prüfstromwert î und den Zeitparameter Td gekennzeichnet [1.24]. Als Prüfstromwert ist der Maximalwert des Stromes
20
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
einschließlich einer überlagerten Schwingung festgelegt. Rechteck-Stoßströme weisen häufig eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Dachschräge auf. Der Zeitparameter Td ist festgelegt als die Zeit, in der die Stromstärke ständig größer als 0,9î ist. Diese Definition kann zu Missverständnissen führen, wenn dem Rechteckstrom entsprechend Abb. 1.10 Schwingungen überlagert sind, die den Wert bei 0,9î unterschreiten. Bemessungswerte für Td sind 500 μs, 1000 μs und 2000 μs oder längere Zeiten bis 3200 μs. Wegen der langen Scheiteldauer stellt die Prüfung mit Rechteck-Stoßströmen eine starke Belastung des Prüflings dar. Als zusätzlicher Zeitparameter dient die Gesamtdauer Tt, während der die Stromstärke größer als 0,1î ist. Hierbei gilt die Forderung Tt d 1,5 Td. Damit ist indirekt eine Anforderung an die Anstiegszeit festgelegt; weitere Anforderungen gibt es nicht. Zur Kennzeichnung des Zeitverlaufs von Rechteck-Stoßströmen werden die Werte Td/Tt angegeben. i(t)/î 1 0,9 Td
0,1 0 Tt
t
Abb. 1.10. Beispiel für einen Rechteck-Stoßstrom mit überlagerter Schwingung
Als obere Toleranz bei der Erzeugung von Rechteck-Stoßströmen sind jeweils +20 % für î und Td festgelegt, als Untergrenze gilt 0. Ein mögliches Unterschwingen des Rechteck-Stoßstromes unter die Nulllinie darf 10 % des Prüfstromwertes î nicht überschreiten. Für die Ladung nach Gl. (1.8) und das Joulsche Integral nach Gl. (1.9) gelten wiederum null als untere Toleranzgrenze. Die zulässigen Messunsicherheiten betragen 3 % für den Scheitelwert und 10 % für die Zeitparameter. 1.2.3 Kurzschlusswechselstrom
Kurzschlusswechselströme entstehen bei Kurzschlüssen im Versorgungsnetz und dauern gewöhnlich nur einige Perioden an. Der Schaltwinkel ȥ kennzeichnet den Zeitpunkt, zu dem der Kurzschluss beginnt, im Vergleich zum Nulldurchgang der Netzspannung. Er bestimmt maßgebend den Zeitverlauf des Kurzschlusswechsel-
1 Kennzeichnung und Erzeugung von Stoßspannungen und Stoßströmen
21
stromes. Im Allgemeinen ergibt sich ein unsymmetrischer Verlauf, der durch einen netzfrequenten Wechselstrom mit überlagertem transientem Gleichstromanteil gekennzeichnet ist (Abb. 1.11a). Im Extremfall erreicht der Scheitelwert î des Kurzschlusswechselstromes infolge des überlagerten Gleichanteils nahezu die doppelte Amplitude des stationären Wechselstromes. Die maximale Stromstärke kann dadurch mehrere 100 kA betragen. Nach exponentiellem Abklingen des Gleichstromanteils eilt der Kurzschlussstrom der Spannung um den Phasenwinkel ij nach, der durch den Widerstand und die Induktivität des Kurzschlusskreises gegeben ist. Bei bestimmten Schalt- und Phasenverhältnissen entsteht ein symmetrischer Kurzschlussstrom ohne Gleichanteil (Abb. 1.11b). a) i(t) î
1 2
0
t
b) i(t) î
0
ts
t
Abb. 1.11. Beispiele für Kurzschlusswechselströme a) unsymmetrischer Kurzschlusswechselstrom 1 mit transientem Gleichanteil 2 b) symmetrischer Kurzschlusswechselstrom
In den Prüfnormen sind neben dem wahren Effektivwert: I rms
1T 2 ³ i t dt T 0
(1.10)
weitere Effektivwerte des Kurzschlussstromes definiert [1.24]. Der symmetrische Effektivwert ergibt sich aus der Differenz der oberen und unteren Einhüllenden des
22
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Kurzschlussstromes, dividiert durch 2¥2. Als konventioneller Effektivwert der Wechselstromkomponente wird die Differenz zwischen dem Scheitelwert einer Halbschwingung und dem Mittel der beiden benachbarten Scheitelwerte mit entgegen gesetzter Polarität genommen, dividiert durch 2¥2 (Drei-ScheitelVerfahren). Als Toleranzgrenzen bei der Erzeugung von Kurzzeitwechselströmen sind ±5 % für den Scheitel- und Effektivwert festgelegt. Die erweiterte Messunsicherheit darf 5 % nicht überschreiten.
1.3 Erzeugung von Stoßspannungen und Stoßströmen Das Grundprinzip der überwiegend eingesetzten Generatorschaltungen zur Erzeugung von Stoßspannungen und Stoßströmen besteht darin, dass ein Speicherkondensator langsam aufgeladen und bei einem voreingestellten Spannungswert über einen Hochspannungsschalter schnell auf ein Netzwerk und den Prüfling entladen wird. Mit dem Netzwerk wird die Kurvenform des Spannungs- oder Stromimpulses bestimmt, die allerdings von dem angeschlossenen Prüfling gleichfalls beeinflusst wird. Das eingesetzte Messsystem ist daher direkt am Prüfling und nicht am Generatorausgang anzuschließen (s. Kap. 5 und 6). Die Bauelemente der Generatoren sind möglichst induktivitätsarm und für eine hohe Impulsbelastung ausgelegt. Neben den Generatorschaltungen mit kapazitivem Speicher kommen auch andere Möglichkeiten in Betracht, z. B. induktive Speicher zur Erzeugung von Stoßströmen oder Transformatoren zur Erzeugung von Schaltstoßspannungen. 1.3.1 Generatoren für Blitz- und Schaltstoßspannungen
Zur Erzeugung von Blitz- und Schaltstoßspannungen dienen hauptsächlich zwei Grundschaltungen (Abb. 1.12). Beiden Schaltungen gemeinsam ist der Stoßkondensator Cs, der von einem gleichgerichteten Wechselstrom über den Ladewiderstand RL relativ langsam auf die Spannung U0 aufgeladen wird. Erreicht U0 die Zündspannung der Kugelfunkenstrecke FS, schaltet diese durch und Cs entlädt sich in kurzer Zeit über den Entladekreis, der durch den Belastungskondensator Cb, Dämpfungswiderstand Rd und Entladewiderstand Re gebildet wird. Nicht eingezeichnet sind die unvermeidlichen Induktivitäten der Schaltungselemente und deren Zuleitungen. Sie lassen sich im Ersatzschaltbild zusammenfassen und durch eine in Serie mit Rd liegende Induktivität berücksichtigen. An Cb kann die Stoßspannung u(t) abgegriffen und dem Prüfling zugeführt werden. Dessen Impedanz wirkt auf den Schaltkreis zurück und beeinflusst mehr oder weniger die Kurvenform der erzeugten Stoßspannung. Während Rd hauptsächlich für die Aufladung von Cb und damit für die Stirnzeit T1 der Stoßspannung entscheidend ist, wirkt sich Re auf die Entladung von Cb und damit auf die Rückenhalbwertzeit T2 aus. Die beiden Schaltungen in Abb. 1.12 unterscheiden sich voneinander durch die Lage des Entladewiderstandes Re, der in Schaltung A hinter und in Schaltung B
1 Kennzeichnung und Erzeugung von Stoßspannungen und Stoßströmen
23
vor dem Dämpfungswiderstand Rd angeordnet ist. Die Zündspannung, bei der die Kugelfunkenstrecke durchschaltet, wird durch den Abstand der beiden Kugeln eingestellt. Dadurch ist auch der Scheitelwert der erzeugten Stoßspannung u(t) vorgegeben. Nach der Entladung von Cs und Cb erlischt der Zündfunke, die Schaltfunkenstrecke FS öffnet und Cs kann wieder von der Gleichspannungsquelle über RL aufgeladen werden. Die Höhe der Gleichspannung U0 bzw. die Ladestromstärke bestimmt die Zündhäufigkeit der Schaltfunkenstrecke und damit die Impulsrate. Bei kleinen Stoßgeneratoren bis 10 kV sind anstelle der Kugelfunkenstrecke bevorzugt elektronische Schalter im Einsatz. Der Zusammenhang zwischen den Schaltungselementen und der Kurvenform der erzeugten Blitz- oder Schaltstoßspannung wird in Kap. 2.1 hergeleitet.
a)
G
U0
~
b)
G
~
FS
RL
Cs
RL
U0
Rd
Re
FS
Cb
u(t)
Rd
Cs
Re
Cb
u(t)
Abb. 1.12. Einstufige Grundschaltungen zur Erzeugung von Stoßspannungen a) Grundschaltung A b) Grundschaltung B
Die maximal im Stoßkondensator Cs gespeicherte Energie: W
1 CsU 02 2
(1.11)
kennzeichnet die Leistungsfähigkeit des Stoßspannungsgenerators. Der Ausnutzungsgrad Ș ist als Quotient aus dem Scheitelwert û der erzeugten Stoßspannung und der Ladespannung U0 definiert:
K
uˆ U0
§C · f ¨¨ s ¸¸ . © Cb ¹
(1.12)
Zur Erzielung eines großen Ausnutzungsgrades und damit großen Scheitelwertes muss Cs >> Cb sein. In der Schaltung B nach Abb. 1.12b mit Cs = 5Cb ergibt sich
24
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
z. B. Ș § 0,8 für eine Blitzstoßspannung 1,2/50. Der Ausnutzungsgrad von Schaltung B ist grundsätzlich größer als der von Schaltung A und für Blitzstoßspannungen größer als für Schaltstoßspannungen. Angaben zum Ausnutzungsgrad einer Stoßspannungsanlage werden als Diagramme vom Hersteller mitgeliefert. Die einstufigen Grundschaltungen nach Abb. 1.12 werden für Stoßspannungen bis maximal 300 kV realisiert. Mit der Vervielfachungsschaltung nach E. Marx lassen sich relativ kompakte Generatoren für Blitz- und Schaltstoßspannungen – im englischsprachigen Raum auch als Marx-Generatoren bezeichnet – mit Ladespannungen von bis zu 10 MV aufbauen. Abb. 1.13 zeigt das Prinzip eines mehrstufigen Stoßspannungsgenerators in der Schaltung B, der aus einer Anzahl n gleicher Grundschaltungen aufgebaut ist. Das Prinzip der Vervielfachungsschaltung besteht darin, dass die einzelnen Stoßkondensatoren Csƍ jeder Stufe zunächst langsam auf U0ƍ aufgeladen und beim Zünden der Schaltfunkenstrecken schlagartig in Reihe geschaltet werden, so dass sich die einzelnen Stufenspannungen addieren zur Summenladespannung nU0ƍ. Der äußere Belastungskondensator Cb wird dann über die Reihenschaltung aller Dämpfungswiderstände Rdƍ aufgeladen und über alle Reƍ und Rdƍ wieder entladen. Im Vergleich zu der einstufigen Schaltung nach Abb. 1.12b gilt Re = nRe’, Rd = nRd’, Cs = Cs’/n und U0 = nU0’. Rd‘
Re‘
Cs‘ RL‘
Rd‘ Re‘
Cs‘ RL‘
Rd‘
Cb
u(t)
Re‘
Cs‘ RL‘ G
Rd‘ Re‘
RL
~ Cs‘
Abb. 1.13. Vervielfachungsschaltung von Grundschaltung B nach E. Marx zur Erzeugung von Stoßspannungen von mehreren Megavolt
1 Kennzeichnung und Erzeugung von Stoßspannungen und Stoßströmen
25
Andere Vervielfachungsschaltungen mit einer Modifikation oder Kombination beider Grundschaltungen sind ebenfalls im Einsatz. Stoßspannungsgeneratoren werden in der Regel mit austauschbaren Sätzen für die Widerstände und Kondensatoren zur Erzeugung von Blitz- und Schaltstoßspannungen geliefert. Beim Ladevorgang können äußere Entladungen auftreten, die durch unterschiedliche Maßnahmen unterdrückt werden. Abb. 1.14 zeigt zwei unterschiedliche Ausführungen von Stoßspannungsgeneratoren mit einer Summenladespannung von rund 3 MV. Die einzelnen Generatorstufen sind deutlich erkennbar. Während Stoßspannungsgeneratoren in der Regel aus rechteckförmig aufgebauten Einzelstufen mit metallischem Rahmen bestehen (Abb. 1.14a), haben die Einzelstufen des Generators in Abb. 1.14b eine dreieckförmige Grundfläche mit isolierenden Seitenplatten [1.25]. a)
b)
Abb. 1.14. Zwei Ausführungen von Stoßspannungsgeneratoren a) Summenladespannung 3,2 MV, 320 kJ (HIGHVOLT Prüftechnik Dresden GmbH) b) Summenladespannung 3 MV, 300 kJ (Haefely Test AG)
Wichtige Voraussetzung für das einwandfreie Funktionieren der Vervielfachungsschaltung ist das sichere und zeitlich abgestufte Zünden der übereinander angeordneten Kugelfunkenstrecken. Hierzu wird die unterste Funkenstrecke mit einer geringfügig reduzierten Schlagweite betrieben, so dass sie etwas eher als die
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Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
anderen Funkenstrecken durchzündet. Dies kann auch durch eine getriggerte Hilfsentladung erreicht werden. Beim Durchzünden der untersten Funkenstrecke liegt an der darüber liegenden Funkenstrecke kurzzeitig die doppelte Spannung an, die zum schnellen Durchzünden führt. Entsprechend werden die anderen Funkenstrecken gezündet. Weiterhin ist wichtig, dass durch Photoemission beim Zünden einer Funkenstrecke ausreichend viele Anfangselektronen zum raschen Zünden der darüber liegenden Funkenstrecke erzeugt werden. Mit steigender Stufenzahl eines Stoßspannungsgenerators kann es vorkommen, dass eine oder mehrere Funkenstrecken nicht zünden. Insbesondere bei kleinen Ladespannungen von weniger als 20 % der maximalen Summenladespannung ist ein sicheres Durchzünden nicht immer gewährleistet. Abhilfe bringt die gesteuerte Triggerung aller Funkenstrecken, die entweder elektrisch oder optisch mit potenzialfreien Laserquellen in besonders ausgeführten Generatoren erzielt wird. Stoßspannungsgeneratoren mit getriggerten Funkenstrecken sind erforderlich bei kombinierten Wechsel- und Stoßspannungsprüfungen, wobei die Stoßspannung bei definierter Phasenlage der Wechselspannung ausgelöst wird. Die Reproduzierbarkeit der Stoßspannung hängt auch ganz wesentlich von der Stabilität der Ladegleichspannung ab [1.26]. Beim Zünden der Funkenstrecken entstehen elektromagnetische Felder, die auf die Messeinrichtung einwirken und das Messergebnis beeinflussen können. Die Störeinflüsse lassen sich durch Schirmung der Messeinrichtung nur bedingt unterbinden (s. Kap. 5.1 und 6.1). Die Polarität der erzeugten Stoßspannung wird durch einfaches Umpolen des Gleichrichters G in Abb. 1.13 gewechselt. Nach einem Spannungsstoß oder bei Abbruch des Ladevorgangs können gefährlich hohe Restladungen auf den Kondensatoren verbleiben. Es genügt dann nicht, nur die Kondensatoren der untersten Stufen kurzzeitig zu erden, da diese sich anschließend wieder aufladen. Bei neueren Bauarten von Stoßspannungsgeneratoren werden nach dem Abschalten die Restladungen aller Kondensatoren automatisch über ein umlaufendes Metallband zur Erde abgeleitet. Die Stoßhäufigkeit eines Generators bei maximaler Ladespannung wird vom Hersteller auf ein oder zwei Stöße je Minute begrenzt, um die eingesetzten Bauelemente thermisch nicht zu überlasten. Dem Belastungskondensator Cb sind der Prüfling und die Stoßspannungsmesseinrichtung parallel geschaltet. Deren Kapazitäten einschließlich der Streukapazitäten addieren sich zu Cb und können dadurch die Kurvenform der Stoßspannung beeinflussen. Gegebenenfalls müssen die Widerstände Re und Rd in Abb. 1.13 angepasst werden, um die zulässigen Toleranzen für die Stirnzeit und Rückenhalbwertzeit einzuhalten. Der Einfluss unterschiedlicher Prüflingskapazitäten auf die Zeitparameter wird klein gehalten, wenn der Generator mit einem möglichst großen Cb betrieben wird. Der Belastungskondensator Cb in Abb. 1.13 – ebenso wie der Entladewiderstand Re in der vergleichbaren Schaltung A – wird gelegentlich mit einem Niederspannungsteil versehen und dann als kapazitiver bzw. ohmscher Stoßspannungsteiler eingesetzt. Damit lässt sich zwar die Generatorausgangsspannung, jedoch nicht die am Prüfling anliegende Stoßspannung messen. Hierfür ist die Reihenfolge Generator – Prüfling – Messteiler festgelegt (s. Kap. 5.1). Auch ist das dynami-
1 Kennzeichnung und Erzeugung von Stoßspannungen und Stoßströmen
27
sche Verhalten des mit Cb gebildeten Spannungsteilers in der Regel ungenügend, da die erforderlichen Kapazitäten im Hoch- und Niederspannungsteil nur mit Kondensatoren realisiert werden können, die große Induktivitäten aufweisen. Die bereits in der Grundschaltung des Stoßspannungsgenerators vorhandene Neigung zu Schwingungen durch Induktivitäten der Bauelemente und des zum Belastungskondensator Cb parallel liegenden Prüflings ist in der Vervielfachungsschaltung nach Abb. 1.13 noch verstärkt. Lange Hochspannungszuleitungen vom Generator zum Prüfling tragen ebenfalls zu der gedämpften Schwingung bei, die sich der Stoßspannung im Scheitel überlagert und dadurch die Beanspruchung des Prüflings erhöht. Insbesondere bei Blitzstoßspannungen mit kurzer Stirnzeit ist mit einem Überschwingen im Scheitel zu rechnen, da sich wegen des verringerten Dämpfungswiderstandes Rd die Induktivitäten im Prüfkreis stärker auswirken. Ein nicht optimales Zünden der einzelnen Generatorstufen führt bei kleiner Belastungskapazität Cb zu einer gedämpften Schwingung in der Stirn der Stoßspannung mit einer Frequenz oberhalb von 1 MHz. Die verstärkte Beanspruchung des Prüflings durch ein Überschwingen der Blitzstoßspannung im Scheitel wird zwar bei der Datenauswertung durch die frequenzabhängige Prüfspannungsfunktion k(f) berücksichtigt (s. Kap. 1.1.1), jedoch ist es natürlich besser, die Schwingungsneigung durch geeignete Schaltungsmaßnahmen von vornherein zu unterbinden. Zur Reduzierung der Schwingung kann der Stoßspannungsgenerator durch verschiedene Kompensationsschaltungen ergänzt werden [1.27-1.29]. Allerdings ist damit häufig eine Verlängerung der Stirnzeit der Stoßspannung verbunden, was nicht immer toleriert werden kann. Weiterhin ist zu bemerken, dass ein ausgeprägtes kurzzeitiges Überschwingen im Scheitel eine erhöhte Anforderung an die dynamischen Eigenschaften des Messsystems stellt. Bei unzureichender Bandbreite des Messsystems wird das Überschwingen nicht richtig erfasst, so dass der Maximalwert der Prüfspannung zu klein angegeben wird. Bei der Stoßspannungsprüfung von Induktivitäten mit Lb < 40 mH, wie sie z. B. die Niederspannungswicklung eines Leistungstransformators darstellt, wird der Rücken der Blitzstoßspannung stark verformt und die Rückenhalbwertzeit beträgt weniger als 40 μs, also weniger als die zulässige untere Toleranzgrenze. Sogar ein Durchschwingen der Blitzstoßspannung unter null ist möglich. In der Regel reicht die Spannung einer Generatorstufe zur Prüfung aus. Mit einer parallel zum Dämpfungswiderstand Rd (s. Abb. 1.12b) geschalteten Induktivität Ld = 400 μH lässt sich die Rückenhalbwertzeit wieder erhöhen. Bei noch kleineren Induktivitäten mit Lb < 4 mH bringt eine Induktivität Ld < 100 μH parallel zu Rd und ein zusätzlicher Widerstand Rb = RdLb /Ld parallel zum Belastungskondensator Cb Abhilfe [1.2, 1.30-1.32]. Der Einfluss der Prüflingslast und der Schaltungselemente auf die Kurvenform der erzeugten Stoßspannung kann mit unterschiedlichen Verfahren und Software zur Berechnung linearer Schaltkreise theoretisch untersucht werden mit dem Ziel, die Generatorschaltung zu optimieren [1.33-1.38]. Der umgekehrte Weg, für vorgegebene Werte der Zeitparameter T1 und T2 die entsprechenden Schaltungselemente des Stoßspannungsgenerators zu berechnen, wird in [1.39] behandelt.
28
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Schaltstoßspannungen lassen sich auch mit Prüftransformatoren erzeugen, die mit einem Spannungssprung erregt werden. Auf die Niederspannungswicklung wird in der einen Schaltung die Netzwechselspannung im Scheitel, in einer anderen Schaltung die Ladung eines Kondensators geschaltet. Die auf der Hochspannungsseite des Transformators entstehenden Schaltstoßspannungen weisen meist andere als die genormten Zeitverläufen auf, insbesondere sind die Scheitel- und Rückenhalbwertzeiten länger. Bei entsprechender Beschaltung der Prüftransformatoren entstehen schwingende Schaltstoßspannungen [1.2, 1.5, 1.40]. Schwingende Stoßspannungen für Vor-Ort-Prüfungen werden in der Regel mit Stoßspannungsgeneratoren erzeugt, bei denen der Dämpfungswiderstand Rd in der Grundschaltung nach Abb.1.12b durch eine Induktivität ersetzt oder ergänzt ist. Durch die überlagerte Schwingung ist der Maximalwert nahezu doppelt so groß wie der Scheitelwert einer aperiodischen Stoßspannung, die mit der gleich großen Ladespannung erzeugt wird [1.2, 1.5]. 1.3.2 Erzeugung von abgeschnittenen Stoßspannungen
Abgeschnittene Stoßspannungen lassen sich mit Hilfe einer parallel zum Belastungskondensator Cb des Stoßspannungsgenerators angeschlossenen Kugelfunkenstrecke erzeugen. Für ein reproduzierbares Abschneiden im Rücken von Stoßspannungen ist eine getriggerte Funkenstrecke erforderlich [1.1]. In der Stirn abgeschnittene Stoßspannungen können ohne Triggerung erzeugt werden, wenn die Kugelfunkenstrecke mit UVC-Licht bestrahlt ist. Durch die UVC-Bestrahlung der Durchschlagstrecke entstehen ausreichend viele Anfangselektronen zum Zünden der Funkenstrecke, wodurch die Reproduzierbarkeit der Abschneidung verbessert wird [1.41]. Die so erzielte Reproduzierbarkeit dürfte für die meisten Anwendungen, unter anderem auch zur Kalibrierung der Messsysteme mit abgeschnittenen Stoßspannungen, ausreichend sein. Zur Erzielung unterschiedlicher Steilheiten der Stoßspannung mit gleichem Scheitelwert muss der Abstand der Kugelfunkenstrecke nachgestellt werden. Die atmosphärischen Umgebungsbedingungen beeinflussen ebenfalls den Scheitelwert (s. Kap. 5.2). Zur Erzeugung abgeschnittener Stoßspannungen von mehr als 600 kV wird der Einsatz einer Mehrfachfunkenstrecke vorgeschlagen [1.4, 1.42]. Sie besteht aus n Kugelfunkenstrecken, die übereinander angeordnet sind und über einen parallel geschalteten n-stufigen Spannungsteiler aus Widerständen oder Kondensatoren die gleiche Potenzialdifferenz erhalten. Die Zündung der Mehrfachfunkenstrecke wird eingeleitet durch Triggerung der untersten zwei oder drei Funkenstrecken. Beim Durchzünden entstehen Überspannungen im Spannungsteiler, wodurch die oberen Funkenstrecken ebenfalls sicher durchzünden. Die Triggerung kann elektronisch oder mit Laserimpulsen erfolgen. Zur Erzielung eines sehr schnellen Spannungszusammenbruchs werden gasgefüllte Kugelfunkenstrecken oder MehrfachPlattenfunkenstrecken verwendet.
1 Kennzeichnung und Erzeugung von Stoßspannungen und Stoßströmen
29
1.3.3 Erzeugung von Steilstoßspannungen
Mit konventionellen Stoßspannungsgeneratoren in niederinduktiver Ausführung lassen sich Stoßspannungen mit Steilheiten von maximal 2,5 kV/ns erzeugen. Größere Steilheiten sind wegen der unvermeidlichen Eigeninduktivitäten der Generatorelemente von mehr als 1 μH je Stufe und der Zuleitungen nicht direkt zu erzielen. Zur Erzeugung von Steilstoßspannungen mit deutlich größeren Steilheiten wird der Stoßspannungsgenerator in Verbindung mit einem Nachkreis betrieben [1.43-1.46]. In der Prinzipschaltung nach Abb. 1.15 ist C1 der Belastungskondensator des Stoßspannungsgenerators 1 mit einer Kapazität von 1…2 nF. Im Nachkreis 2 stellt L die unvermeidliche Ersatzinduktivität der Zuleitungen und der Schaltungselemente dar, die in Reihe zum Widerstand R1 liegt. Bei Erreichen des Scheitelwertes der Stoßspannung u1 zündet die Funkenstrecke FS durch, wodurch der Kondensator C2 des Nachkreises mit einer Kapazität von (0,1…0,2)C1 schnell aufgeladen und anschließend über die Last R2 wieder entladen wird. 1
2
FS
C1 1,2/50
u1
R1
L
C2
R2
u2
Abb. 1.15. Erzeugung von Steilstoßspannungen mit einem Stoßspannungsgenerator 1 und dem Nachkreis 2 mit Mehrfach-Plattenfunkenstrecke FS
Der Ladevorgang und damit die Steilheit der Ausgangsspannung u2 hängt außer vom Widerstand R1 von der Induktivität L des Nachkreises und der Durchzündzeit der Funkenstrecke FS ab. Um L möglichst niedrig zu halten, werden induktionsarme Bauteile wie Keramikkondensatoren und Massewiderstände im Nachkreis verwendet. Als Funkenstrecke dienen mit Druckgas betriebene Kugelfunkenstrecken oder Mehrfach-Plattenfunkenstrecken. Der Abfall im Rücken der Steilstoßspannung wird durch den Lastwiderstand R2 bestimmt. Mit Hilfe einer schnellen Abschneidefunkenstrecke am Ausgang des Nachkreises lassen sich auch Steilstoßspannungen mit annähernd rechteckförmigem Zeitverlauf erzeugen. In der Prüfpraxis haben sich verschiedene Varianten der Prinzipschaltung nach Abb. 1.15 entwickelt. Bei sorgfältigem Aufbau lassen sich Anstiegszeiten der Steilstoßspannung bis hinunter zu einigen Nanosekunden und Steilheiten in der Größenordnung von 100 kV/ns erzielen. Steilstoßspannungen können ebenfalls mit explodierenden Drähten als Schalter erzeugt werden [1.47]. Zur Erzeugung sehr großer Steilstoßspannungen liegt der Kupferdraht am Ausgang eines Stoßspannungsgenerators und wird durch eine Blitzstoßspannung explosionsartig zum Schmelzen gebracht. In Verbindung mit
30
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
den Kreisinduktivitäten und -kapazitäten entsteht eine Steilstoßspannung, deren Scheitelwert und Zeitparameter durch die Länge und den Durchmesser des Drahtes bestimmt sind. Der Scheitelwert der durch die Drahtexplosion erzeugten Steilstoßspannung kann dabei ein Mehrfaches der Summenladespannung des Generators betragen. Die maximal erreichbare Spannungssteilheit beträgt 10 kV/ns. Die Anordnung mit dem explodierenden Draht wird auch dazu benutzt, einen Stoßstrom mit steilem Anstieg in einen Prüfling zu kommutieren, der parallel zum Draht und dem Stoßspannungsgenerator liegt. In Prüfanordnungen zum Nachweis der elektromagnetischen Verträglichkeit elektronischer Geräte oder zur Untersuchung der Abschirmwirkung von Elektronikschaltschränken ist an den Nachkreis in Abb. 1.15 ein horizontaler Streifenleiter angeschlossen, so dass zwischen dem Streifenleiter und der Erde ein pulsförmiges elektromagnetisches (EMP-) Feld entsteht. Die Streifenleiteranordnung kann je nach Einsatz große Dimensionen aufweisen, so dass sich ganze Baugruppen bis hin zum Verteilerschrank der Energieversorgung oder Kraftfahrzeuge prüfen lassen [1.48]. Mit derartigen EMP-Generatoren werden Anstiegszeiten des elektromagnetischen Feldes von einigen Nanosekunden erzielt, die vergleichbar denen bei nuklearen Höhenexplosionen (NEMP) sind [1.49]. Die größten Anlagen dieser Art finden sich naturgemäß im militärischen Bereich. 1.3.4 Generatoren für Exponential-Stoßströme
Zur Erzeugung von Exponential-Stoßströmen im Prüflabor dient in der Regel eine Schaltung mit einem kapazitiven Energiespeicher C, der auf eine vorgegebene Spannung U0 aufgeladen und über einen Schalter, in der Regel ein Thyristor oder eine getriggerte Funkenstrecke, schlagartig auf den Prüfling P über den Widerstand R und die Induktivität L entladen wird (Abb. 1.16). Am eingebauten Messwiderstand Rm kann die dem Stoßstrom i(t) proportionale Messspannung um(t) abgegriffen werden. Der Zeitverlauf des erzeugten Stoßstromes ist außer durch R, L und C auch durch Rm und die Prüflingsimpedanz vorgegeben (s. Kap. 2.3). G
§
S
U0
R
L
i(t) P
C Rm
um(t)
Abb. 1.16. Prinzipschaltbild eines Generators mit kapazitivem Energiespeicher C zur Erzeugung von Exponential-Stoßströmen
1 Kennzeichnung und Erzeugung von Stoßspannungen und Stoßströmen
31
Die Prüfnormen sehen eine Vielfalt unterschiedlicher Impulsformen vor. Durch entsprechende Wahl der Einschübe in Tischgeräten oder Umschalten der Bauelemente in größeren Anlagen lassen sich Stoßstromgeneratoren verhältnismäßig leicht den Erfordernissen anpassen. Die Berechnung der gewünschten Zeitverläufe und der Bauelemente erfolgt mit Hilfe verschiedener Verfahren [1.50, 1.51]. In [1.52] wird ein Verfahren unter Einsatz kommerzieller Software beschrieben, mit dem sich die Kreiselemente eines modular aufgebauten Stoßstromgenerators für eine vorgegebene Impulsform berechnen lassen. Sind die charakteristischen Daten des Prüflings nicht bekannt, können diese ebenfalls mit dem Rechenverfahren bestimmt werden. Die sonst zeitraubenden experimentellen Vorarbeiten zur Anpassung der Kreiselemente an die gewünschte Impulsform entfallen dadurch. Im Einsatz sind kompakte Tischgeräte mit Scheitelwerten von einigen 10 kA bis hin zu räumlich ausgedehnten Stoßstromanlagen mit 200 kA und mehr. Die maximale Ladespannung U0 von Tischgeräten und Anlagen reicht von 10 kV bis 200 kV. Stoßstromgeneratoren für sehr große Stromstärken sind modular mit mehreren parallel geschalteten Stoßkondensatoren aufgebaut, die im Teil- oder Ganzkreis angeordnet sind (Abb. 1.17). Anmerkung: Die Ausgangsklemmen des Stoßstromgenerators müssen zur Vermeidung gefährlich hoher Leerlaufspannungen über den niederohmigen Prüfling oder, wenn die Stoßstromanlage außer Betrieb ist, über einen Kurzschlussbügel verbunden sein.
Abb. 1.17. Ausführung eines 200-kA-Stoßstromgenerators (100 kV, 250 kJ) in modularer Bauweise (HIGHVOLT Prüftechnik Dresden GmbH)
Grundsätzlich lassen sich auch Stoßspannungsgeneratoren so umbauen, dass sie im Kurzschlussbetrieb Stoßströme erzeugen [1.53]. Die erreichbaren Stromstärken
32
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
liegen unter den subjektiv erwarteten Werten, z. B. 40 kA bis 70 kA für einen Stromimpuls 8/20 je nach Kapazität der Stoßkondensatoren Cs eines 2-MVStoßspannungsgenerators. Der Zeitverlauf und damit die Impulsparameter des Exponential-Stoßstromes werden von den Impedanzen des Gesamtkreises einschließlich des angeschlossenen Prüflings, der Messeinrichtung und der Zuleitungen bestimmt. Abb. 1.18 zeigt die Beeinflussung der Zeitparameter T1 und T2 bei erhöhtem Widerstand Rp des Prüflings P im Entladekreis eines als Tischgerät ausgeführten 20-kAStoßstromgenerators mit einer Ladespannung von 10 kV in der Schaltung nach Abb. 1.16. Der gleiche Effekt wird auch durch einen erhöhten Messwiderstand Rm verursacht. Während bei einem Kurzschluss der Generatorausgangsklemmen, also Rp = 0, ein Stoßstrom 8/20 erzeugt wird, nimmt mit zunehmendem Rp die Stirnzeit ab und die Rückenhalbwertzeit wird verlängert. Außerdem erhöht sich mit steigendem Widerstand dessen Spannungsabfall und der Generator kann nicht mehr die spezifizierte maximale Stromstärke erzeugen. Bei Kenntnis der Werte von C und L im Ersatzschaltbild ist der Einfluss des Widerstandes auf T1 und T2 auch berechenbar (s. Kap. 2.3). 10 μs 8 T1
6 4 2 0 0
2
4
6
8
10
6
8
ȍ
10
Rp
250 μs 200 T2
150 100 50 0 0
2
4 Rp
Abb. 1.18. Beeinflussung der Zeitparameter T1 und T2 von Stoßströmen durch den Lastwiderstand Rp im Entladekreis des Stoßgenerators nach Abb. 1.16
Der Rücken der in der Schaltung nach Abb. 1.16 erzeugten Stoßströme besteht aus einer mehr oder weniger ausgeprägten Schwingung, die teilweise auch unterhalb der Nulllinie verlaufen kann (Abb. 1.9). Das Unterschwingen mit entgegen gesetzter Polarität beträgt bei einem Stoßstrom 8/20 rund ein Drittel des Stromhauptscheitels (s. Kap. 2.3). Ein Unterschwingen in dieser Größenordnung ist bei
1 Kennzeichnung und Erzeugung von Stoßspannungen und Stoßströmen
33
der Prüfung von Ableitern und anderen Betriebsmitteln unerwünscht. Durch Erhöhen des Dämpfungswiderstandes R in Abb. 1.16 wird zwar das Unterschwingen reduziert, andererseits verringert sich jedoch auch der Scheitelwert. Eine wirkungsvolle Verbesserung bei schwingenden Stoßströmen bringt die Crowbar-Technik (Abb. 1.19). Damit lassen sich sehr große Stromimpulse erzeugen, die im Rücken exponentiell ohne Schwingung abfallen. Wesentliches Element der erweiterten Generatorschaltung ist die getriggerte CrowbarFunkenstrecke CFS mit dem Funkenstreckenwiderstand RCR [1.54, 1.55]. Die angegebenen Schaltkreiselemente L1, R1 und L2, R2 berücksichtigen die Eigeninduktivitäten und Leitungswiderstände der Generatorschaltung und des Prüflings. Die Crowbar-Funkenstrecke ist zunächst geöffnet, und der auf U0 aufgeladene Kondensator C entlädt sich nach Zünden der Funkenstrecke FS zum Zeitpunkt t = 0 über die Schaltkreiselemente und den Prüfling P wie in der Schaltung von Abb. 1.16. Der Strom durch den Prüfling steigt an (Abb. 1.20). Zum Zeitpunkt des Stromscheitels t = tp wird die Crowbar-Funkenstrecke mit Hilfe der Triggerfunkenstrecke TF gezündet, wodurch der Kreis mit L2, R2 und dem Prüfling P über den Funkenstreckenwiderstand RCR kurzgeschlossen wird. Zur Scheitelzeit tp steckt in L2 » L1 nahezu die gesamte, ehemals in C gespeicherte Energie, die sich nun über den Prüfling entlädt. Nach Erreichen des Scheitels nimmt der Stoßstrom exponentiell mit der Zeitkonstanten L2/(Rcr + R2) ab; ein Unterschwingen tritt hierbei nicht auf (Kurve 2 in Abb. 1.20). FS
L1
R1
t=0
U0
R2
L2
i(t) CFS
C TF
RCR P t = tp
Abb. 1.19. Stromimpulsgenerator mit Crowbar-Funkenstrecke CFS zur Vermeidung des Durchschwingens im Rücken von Stoßströmen
Exponential-Stoßströme lassen sich auch mit induktiven Energiespeichern erzeugen. Hierbei wird eine Spule mit Gleichstrom über einen Ladekreis mit zunächst geschlossenem Schalter, der parallel zum Prüfling liegt, aufgeladen und dann schlagartig durch Öffnen des Schalters in den Prüfling kommutiert. Als schnelle Kommutierungsschalter dienen Lichtbogenschalter oder Drähte, die bei großer Stromstärke explosionsartig verdampfen und den Ladekreis unterbrechen [1.2, 1.47, 1.56]. Zur Simulation multipler Blitzeinschläge werden Stoßstromgene-
34
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
ratoren eingesetzt, die eine schnelle Sequenz von Stoßströmen mit unterschiedlichen Impulsformen und beiden Polaritäten erzeugen können [1.57, 1.58]. i(t) 2
1
tp
t
Abb. 1.20. Impulsverlauf 1 ohne Crowbar-Funkenstrecke und Impulsverlauf 2 mit CrowbarFunkenstrecke (schematisch)
1.3.5 Erzeugung von Rechteck-Stoßströmen
Die Prinzipschaltung eines Generators zur Erzeugung von Rechteck- (Langzeit-) Stoßströmen mit einer Dauer von mehr als 1 μs für Ableiterprüfungen zeigt Abb. 1.21. Die in Serie geschalteten LC-Glieder bilden einen n-stufigen Kettenleiter. Die parallel liegenden Kondensatoren C' werden von der gleichgerichteten Wechselspannung auf die Gleichspannung U0 aufgeladen und über eine getriggerte Funkenstrecke FS auf den Abschlusswiderstand R1 und den Prüfling P entladen. Für den Abschlusswiderstand des homogenen Kettenleiters gilt: R1
L C
(1.13)
mit L = nLi und C = nC'. Gegebenenfalls ist der ohmsche Anteil des Prüflings P bei R1 in Gl. (1.13) zu berücksichtigen. Die Scheiteldauer Td des RechteckStoßstromes nach Abb. 1.10 berechnet sich näherungsweise zu: Td | 2
n 1 LC . n
(1.14)
Aus Gl. (1.13) und Gl. (1.14) lassen sich L und C für den geforderten Rechteck-Stoßstrom mit der Dauer Td berechnen. Numerische Berechnungen für einen Generator mit n = 8 Gliedern zeigen, dass eine unsymmetrische Ausführung des
1 Kennzeichnung und Erzeugung von Stoßspannungen und Stoßströmen
35
Kettenleiters vorteilhaft ist, um eine möglichst rechteckförmige Impulsform ohne großes Über- und Unterschwingen am Anfang und Ende zu erzielen. Die Werte für die einzelnen Induktivitäten L1 … Ln unterscheiden sich deutlich, während die Teilkapazitäten C' des Kettenleiters konstant bleiben [1.1, 1.59]. G
§
U0
L1
L2
C‘
Ln-1
C‘
C‘
Ln
FS
R1
i(t)
C‘
P
Abb. 1.21. Prinzipschaltbild eines Generators für Rechteck-Stoßströme
1.3.6 Erzeugung von Kurzschlusswechselströmen
Kurzschlusswechselströme zur Prüfung von Betriebsmitteln der Energieversorgung lassen sich im Hochleistungsprüffeld mit leistungsstarken Maschinensätzen bis zu den höchsten Stromstärken von mehreren 100 kA erzeugen. Der Kurzschlussstrom ist bei der Prüfung von Leistungsschaltern auf wenige Perioden bzw. Halbschwingungen begrenzt, so dass die maximale Prüfdauer im Bereich von 1 s liegt [1.2, 1.24]. Die Vorgänge lassen sich mit dem einfachen Ersatzschaltbild in Abb. 1.22 beschreiben. R
S
ûsinȦt
G
L
i(t) Abb. 1.22. Ersatzschaltbild der Prüfanordnung mit Generator G zur Erzeugung von Kurzschlusswechselströmen
Der Kurzschlusskreis ist durch den Widerstand R und die Induktivität L des Prüflings und der Anschlussleitungen nachgebildet. Zum Schaltzeitpunkt t = t0 wird die Wechselspannung mit dem Augenblickswert u(t0) = û sinȥ auf den Kurzschlusskreis geschaltet, wobei ȥ der Schaltwinkel ist (s. Kap. 2.5). Unter Annah-
36
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
me einer starren Wechselspannung, die unverändert mit ûsin(Ȧt + ȥ) am Prüfling ansteht, fließt für eine vorgegebene Dauer bzw. Periodenanzahl ein Kurzschlusswechselstrom i(t) nach Gl. (2.36). Im stationären Betrieb eilt der Kurzschlussstrom der Wechselspannung wegen der induktiven Last um den Phasenwinkel ij nach. Je nach Schaltwinkel ȥ ist dem stationären Kurzschlusswechselstrom eine mehr oder weniger große Gleichkomponente überlagert, die exponentiell mit der Zeit abklingt (Abb. 1.11a). Der Kurzschlusswechselstrom mit überlagerter Gleichkomponente, durch die der Scheitelwert bis auf den doppelten Wert erhöht wird, stellt eine besonders starke Belastung des Prüflings dar. Kurzschlusswechselströme mit geringeren Stromstärken können auch mit einem statischen Generator erzeugt werden, der von einem Digital-Analog-Wandler mit der gewünschten Kurvenform angesteuert wird.
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1 Kennzeichnung und Erzeugung von Stoßspannungen und Stoßströmen
37
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38
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
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2 Darstellung von Impulsen im Zeit- und Frequenzbereich Einmalige und kontinuierliche Signale lassen sich durch ihre Kurvenform im Zeitbereich oder durch ihr Spektrum im Frequenzbereich darstellen. Beide Darstellungsformen sind äquivalent. Welche Form im Einzelfall bevorzugt wird, hängt von der Messaufgabe und dem vorgegebenen Ziel ab. Sowohl aus dem Zeitverlauf als auch aus dem Spektrum lassen sich Anforderungen zur korrekten Messung eines Signals ableiten. Stoßspannungen und Stoßströme sind durch ihren Zeitverlauf definiert, der durch den Prüfspannungswert – in der Regel der Scheitelwert – und zwei Zeitparameter gekennzeichnet wird (Kap. 1.1 bzw. Kap. 1.2). Für diese Parameter sind in den Prüfvorschriften Messunsicherheiten festgelegt, die ein anerkanntes Messsystem einhalten muss und die vorzugsweise durch Kalibrierverfahren im Zeitbereich nachzuweisen sind. Dagegen sind die im Niederspannungsbereich eingesetzten Messgeräte, darunter auch die nicht speziell zur Aufzeichnung von Stoßspannungen und Stoßströmen hergestellten analogen Oszilloskope und Digitalrecorder, eher durch Parameter im Frequenzbereich wie Frequenzgang und Bandbreite charakterisiert. Daher werden in diesem Kapitel neben den Zeitverläufen auch die Spektren von Stoßspannungen und Stoßströmen behandelt. Dies ermöglicht eine Aussage, ob das Übertragungsverhalten des eingesetzten Messgerätes für die Messaufgabe geeignet ist.
2.1 Analytische Darstellung von Stoßspannungen Die mit den beiden Grundschaltungen in Abb. 1.12 erzeugten Blitz- oder Schaltstoßspannungen lassen sich näherungsweise analytisch darstellen, wobei Streukapazitäten und Leitungsinduktivitäten vernachlässigt und die Schaltfunkenstrecken als ideale Schalter angenommen werden. Der grundsätzliche Rechenweg wird am Beispiel der Schaltung A kurz aufgezeigt (Abb. 1.12a). Nach Zünden der Funkenstrecke FS zur Zeit t = 0 entlädt sich der auf U0 aufgeladene Kondensator Cs über den aus Rd, Re und Cb bestehenden Kreis. Durch den Entladestrom: id(t) = ie(t) + ib(t) nimmt die Spannung an Cs ab und an Cb baut sich die Stoßspannung u(t) auf. Die Maschengleichung für den Kreis in Abb. 1.12a lautet: U0
1 t ³ id dt Cs 0
id Rd u t ,
K. Schon, Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik, DOI 10.1007/978-3-642-13117-2_2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010
(2.1)
40
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
die nach weiterer Umformung in eine homogene Differentialgleichung 2. Ordnung übergeht und mit den bekannten Lösungsansätzen gelöst werden kann. Einen alternativen Lösungsweg bietet die Laplace-Transformation (s. Kap. A1). Mit den Regeln und Korrespondenzen in den Tabellen A1.1 und A1.2 erhält man die zu Gl. (2.1) äquivalente Gleichung im Bildbereich: U0 1 Id p pCs
I d Rd U .
(2.2)
Mit: Id = Ie + Ib = U/Re + CbUp und den Zeitkonstanten IJ1 und IJ2 lässt sich Gl. (2.2) nach U = U(p) auflösen: U0 1 . RdCb 1 p / W1 1 p / W 2
U p
(2.3)
Nach Rücktransformation in den Zeitbereich mit p = jȦ und den Korrespondenzen in Tabelle A1.2 ergibt sich die Stoßspannung u(t) als Differenz zweier Exponentialfunktionen zu:
U 0 W1W 2 e t / W 1 - e t / W 2 . Rd Cb W1 W 2
u (t )
(2.4)
Die beiden Zeitkonstanten IJ1 und IJ2 sind Wurzeln einer quadratischen Gleichung mit den Schaltungselementen: 1
W 1,2
2
§ B0 · ¸ B1 ¨ © 2 ¹
(2.5a)
1 1 1 Rd Cb Rd Cs ReCb
(2.5b)
1 . RdCb ReCs
(2.5c)
B0 # 2
mit B0
und B1
2 Darstellung von Impulsen im Zeit- und Frequenzbereich
41
In gleicher Weise lässt sich auch die Ausgangsspannung von Schaltung B in Abb. 1.12b berechnen. Für u(t) ergibt sich ein weitgehend identischer Ausdruck wie in Gl. (2.4) mit dem einzigen Unterschied, dass Cs an die Stelle von Cb im dritten Glied auf der rechten Seite von Gl. (2.5b) tritt. Für die betrachteten Blitz- und Schaltstoßspannungen ist ReCs << RdCb, so dass die Zeitkonstanten IJ1, IJ2 und der Wirkungsgrad Ș der Schaltung A (Index „A“) näherungsweise berechnet werden können [1.1, 1.33-1.35]:
W1, A | Rd Re Cb Cs ,
(2.6a)
W 2, A |
Rd Re CbCs , Rd Re Cb Cs
(2.6b)
KA |
Re Cs . Rd Re Cb Cs
(2.6c)
Die Zeitkonstanten und der Wirkungsgrad der Schaltung B (Index „B“) ergeben sich zu:
W1, B | Re Cb Cs ;
(2.7a)
CbCs ; Cb Cs
(2.7b)
W 2, B | Rd
KB |
Cs . Cb Cs
(2.7c)
Auf die Unvollkommenheit der beiden idealisierten Grundschaltungen in Abb. 1.12 wurde bereits in Kap. 1.3.1 hingewiesen. Berücksichtigt man die Induktivitäten und Streukapazitäten des Stoßspannungsgenerators und Prüflings, ist eine analytische Berechnung des vollständigen Ersatzschaltkreises praktisch ausgeschlossen. Hierfür besser geeignet ist Software, die entweder allgemein zur Berechnung elektrischer Schaltkreise oder speziell zur Optimierung von Stoßspannungsgeneratoren zur Verfügung steht [1.36-1.39]. Für theoretische Untersuchungen hinsichtlich des Zeitverlaufs und Spektrums von Schalt- und Blitzstoßspannungen oder des Übertragungsverhaltens von Spannungsteilern eignet sich die von Gl. (2.4) abgeleitete Fassung:
u t û A e -t / W 1 - e -t / W 2 .
(2.8)
42
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Hierin ist A 1 ein Faktor, mit dem die beiden Exponentialfunktionen zu multiplizieren sind, damit die Stoßspannung ihren Scheitelwert û zur Scheitelzeit tp erreicht (Abb. 2.1). Für Blitz- und Schaltstoßspannungen gilt IJ1 >> IJ2. Dies bedeutet, dass der Zeitverlauf der Stoßspannung im Rücken hauptsächlich durch das Exponentialglied mit IJ1 in Gl. (2.8) bestimmt ist. u(t)
~ et / W 1
ûA 1
u(t)
û
0
tp
~
t
et /W2
-ûA Abb. 2.1. Darstellung einer Stoßspannung u(t) als Überlagerung zweier Exponentialverläufe mit den Zeitkonstanten IJ1 und IJ2 nach Gl. (2.8)
Die Scheitelzeit tp ergibt sich durch Nullsetzen der ersten Ableitung von Gl. (2.8) zu:
W1W 2 W ln 1 . W1 - W 2 W 2
tp
(2.9)
Die Symbole für die Scheitelzeit und die anderen Zeitparameter, die sich aus Gl. (2.8) berechnen lassen, werden hier klein geschrieben im Unterschied zur Großschreibung der genormten Zeitparameter in [1.7, 1.8], die für Blitzstoßspannungen auf den virtuellen Nullpunkt bezogen sind (Abb. 1.1). Mit der Scheitelzeit tp nach Gl. (2.9) kann der Faktor A berechnet werden: A
1 e
-t p / W 1
-e
-t p / W 2
.
(2.10)
Zur analytischen Darstellung einer Stoßspannung mit den Zeitparametern T1 und T2 müssen die entsprechenden Zeitkonstanten IJ1 und IJ2 in Gl. (2.8) bekannt sein. Der Zusammenhang zwischen den Zeitkonstanten und den Zeitparametern
2 Darstellung von Impulsen im Zeit- und Frequenzbereich
43
der Stoßspannung wird heutzutage numerisch ermittelt, während früher IJ1 und IJ2 mit Hilfe von Auswertediagrammen bestimmt wurden. Die Vorgehensweise zur Bestimmung der Zeitkonstanten IJ1 und IJ2 einer Stoßspannung nach Gl. (2.8) für ein vorgegebenes Wertepaar der Zeitparameter T1 und T2 >> T1 wird im Folgenden kurz umrissen. Der erste Schritt besteht darin, einen Anfangswert für IJ1 zu schätzen. Da im Rücken von Blitz- und Schaltstoßspannungen das zweite Exponentialglied in Gl. (2.8) mit der Zeitkonstanten IJ2 vernachlässigbar ist (s. Abb. 2.1), vereinfacht sich Gl. (2.8) für die Rückenhalbwertzeit t2 § T2 zu: u t
T2 ûA e -T2 / W 1
0 ,5û ,
woraus sich mit A § 1 ein erster Näherungswert:
W1 |
T2 ln (2 A)
(2.11)
ergibt. Mit dem Schätzwert IJ2 § T1/3 kann ein erster Datensatz für die Stoßspannung nach Gl. (2.8) berechnet werden. In den weiteren Iterationsschritten werden mit den Gln. (2.9) bis (2.11) verbesserte Werte berechnet und in Gl. (2.8) eingesetzt, bis die Zeitparameter T1 und T2 die vorgegebenen Sollwerte erreichen. Beim Vergleich einer mit Gl. (2.8) berechneten und einer gemessenen Blitzstoßspannung ist bei höheren Genauigkeitsansprüchen der Unterschied zwischen dem mathematischen Nullpunkt O und dem virtuellen Nullpunkt O1 zu berücksichtigen (s. Kap. 1.1). Dies kann z. B. bei der Faltungsrechnung erforderlich sein (s. Kap. 3.1). Der Unterschied zwischen O und O1, der von der Kurvenform der Blitzstoßspannung abhängt, wird hier mit t0 bezeichnet. Er berechnet sich aus dem Strahlensatz für die Gerade durch die Punkte bei 0,3û und 0,9û zu: t0
O O1
T 0,3 û 1 t30 O 0,5 TAB t30 O , û
(2.12)
wobei t30(O) auf den mathematischen Nullpunkt O der Stoßspannung bezogen ist (Abb. 2.2a). Für die synthetische Blitzstoßspannung 1,2/50 liegt O1 um t0 = 0,22 μs vor O. Die auf O1 bezogene Rückenhalbwertzeit T2 mit dem Bemessungswert 50 μs ist dadurch um knapp 0,5 % größer als der für O berechnete Wert, was sicher in den meisten Fällen vernachlässigbar sein dürfte. Auf die Stirnzeit, die nach Gl. (1.1) berechnet wird, hat der Zeitunterschied t0 keine Auswirkung. Für in der Stirn abgeschnittene Stoßspannungen ist gegebenenfalls der Zeitunterschied zwischen den Nullpunkten O und O1 bei der Abschneidezeit zu berücksichtigen. Für eine synthetische Blitzstoßspannung 1,2/50, die nach tc(O) = 500 ns abgeschnitten wird, liegt O1 um t0 = 61 ns vor O (Abb. 2.2b). Die auf O1 bezogene Abschneidezeit ist um diesen Betrag größer (relativ rund 12 %) und beträgt somit Tc = 561 ns. Gibt man andererseits Tc = 500 ns vor und berechnet die synthetische Blitzstoßspannung nach Gl. (2.8) in erster Näherung bis zu der verkürzten Zeit t(O) = Tc - t0 = 439 ns, ergibt sich ein Scheitelwert von nur rund 93 % des ur-
44
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
sprünglichen Wertes û. Um wieder den ursprünglichen Scheitelwert û zu erhalten, muss die Stoßspannung steiler ansteigen (Kurve u* in Abb. 2.2b). Dadurch verändert sich wiederum die Lage von O1 und damit auch von t0 und Tc. Weitere Iterationsschritte sind erforderlich, worauf aber nicht weiter eingegangen werden soll. Gegebenenfalls ist zu prüfen, ob die größere Steilheit von u* und kürzere Abschneidezeit möglicherweise von Einfluss auf das Messergebnis ist, da die Anforderungen an das dynamische Verhalten des Messsystems höher sind. a) u(t)
t0 TAB O1
O t30
t90
t
b) u*
u t0
O1
û = û* t0
O
t30
t90 tc* tc
t
Abb. 2.2. Mathematischer Nullpunkt O und virtueller Nullpunkt O1 von Stoßspannungen a) volle Blitzstoßspannung b) in der Stirn abgeschnittene Blitzstoßspannung
Die synthetische Stoßspannung nach Gl. (2.8) zeigt einen abrupten Einsatz von der Nulllinie bei t = 0, wohingegen in der Prüfpraxis eher mit einem allmählichen Einsatz der vom Generator erzeugten Stoßspannung zu rechnen ist. Zur besseren Annäherung an den tatsächlichen Anfangsverlauf einer Stoßspannung mit allmählichem Einsatz wird in Gl. (2.8) gelegentlich noch eine weitere Funktion hinzugefügt, die die Abrundung des Anfangsverlaufs bewirkt. Auch für die Zeit t > tc nach dem Spannungszusammenbruch einer abgeschnittenen Blitzstoßspannung kann ein Exponentialverlauf mit einer dritten Zeitkonstante IJ3 angesetzt werden: uc (t tc )
u (tc ) e -(t -tc ) / W 3 .
(2.13)
2 Darstellung von Impulsen im Zeit- und Frequenzbereich
45
Weiterhin lässt sich die Keilstoßspannung, die eine in der Stirn abgeschnittene Stoßspannung darstellt, durch die Dreieckfunktion: u t
û t tc
St
=0
für 0 t tc
(2.14)
für t > tc
mit der Steilheit S annähern. Die einfache Dreieckfunktion hat den Vorteil, dass sie für grundsätzliche Berechnungen (s. Kap. 3) besser zu handhaben ist als die in der Stirn abgeschnittene Blitzstoßspannung mit dem Zeitverlauf nach Gl. (2.8) bis zur Abschneidezeit tc, ohne dass signifikante Unterschiede im Ergebnis auftreten. Für einige wichtige Stoßspannungsverläufe sind die numerisch berechneten Parameterwerte in Tabelle 2.1 zusammengestellt. Für Blitzstoßspannungen (LI) bezieht sich die Scheitelzeit tp auf den mathematischen Nullpunkt O. Der virtuelle Nullpunkt O1 liegt um die Zeit t0 davor. Für Schaltstoßspannungen (SI) ist definitionsgemäß O1 Ł O und damit t0 Ł 0 und Tp Ł tp. Die in der Stirn abgeschnittene Blitzstoßspannung (LIC) hat eine Abschneidezeit von tc = tp = 0,5 μs, bezogen auf den mathematischen Nullpunkt O. Der Quotient ûLIC/ûLI gibt den Scheitelwert der abgeschnittenen Blitzstoßspannung (LIC) relativ zu dem der entsprechenden vollen Blitzstoßspannung (LI) an. Tabelle 2.1. Parameterwerte der nach Gl. (2.8) berechneten Stoßspannungen im Vergleich zu den genormten Parametern in [1.7, 1.8] Parameter Kurzzeichen IJ1 μs IJ2 μs A μs tp 1) t0 μs T1 μs μs Tc ûLIC/ûLI 1)
Blitzstoßspannung 1,2/50 0,84/60 LI LIC (0,5 μs) LI LIC (0,5 μs) 68,217 83,666 0,405 0,2746 1,037 1,022 2,089 0,5 1,576 0,5 0,2210 0,061 0,1563 0,074 1,2 0,524 0,84 0,509 --0,561 --0,574 --0,728 --0,851
Schaltstoßspannung 250/2500 SI 3155 62,487 1,104 250 0 165,1 -----
bezogen auf den mathematischen Nullpunkt O
Gelegentlich besteht die Aufgabe, für den mit einem Digitalrecorder aufgezeichneten Datensatz einen geschlossenen mathematischen Ausdruck zu finden, um ihn durch weitere Rechenalgorithmen bearbeiten zu können. Grundsätzlich lässt sich die Synthese bzw. Zerlegung eines beliebigen Signals nach Fourier mit Sinusschwingungen durchführen. Zur Synthese von Stoßspannungen eignen sich eher Parabelabschnitte oder Exponentialfunktionen, die abschnittsweise an den aufgezeichneten Zeitverlauf angepasst werden. Die Summe dieser Funktionen repräsentiert dann in guter Näherung den vollständigen Datensatz. So enthält der Test Data Generator (TDG), mit dem die Software zur Auswertung von Stoßspannungen und Stoßströmen geprüft wird, neben den analytisch vorgegebenen Prüfimpulsen auch die Reihendarstellung von gemessenen Impulsen (s. Kap. 4.3). Beide Ar-
46
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
ten von Prüfimpulsen lassen sich dadurch in gleicher Weise bearbeiten, um die Eigenschaften des verwendeten Digitalrecorders nachzubilden (Quantisierung, Überlagerung von Rauschen usw.). Ein Beispiel zur Darstellung des Datensatzes eines TDG-Prüfimpulses mit überlagerten Oszillationen durch eine Summe komplexer Exponentialfunktionen ist in [1.18] beschrieben. Die Reihendarstellung bietet u. a. die Möglichkeit, durch Reduzierung der Anzahl der Exponentialfunktionen die mittlere Kurve durch die Oszillationen zu ermitteln.
2.2 Spektrum von Stoßspannungen Zur Berechnung des Spektrums von synthetischen Stoßspannungen stehen das komplexe oder reelle Fourier-Integral und die Laplace-Transformation zur Verfügung (s. Kap. A.1). Bevorzugt wird im Folgenden die Laplace-Transformation. Mit Hilfe der Laplace-Korrespondenzen in Tabelle A1.2 ergibt sich die LaplaceTransformierte der doppelexponentiellen Stoßspannung nach Gl. (2.8) zu:
F p
ª « 1 ûA« «p 1 « W1 ¬
º » ». 1 » p W 2 »¼ 1
(2.15)
Mit p = jȦ und nach Multiplikation der Brüche in Gl. (2.15) mit ihren konjugiert komplexen Nennern kann die Laplace-Transformierte in ihren Real- und Imaginärteil getrennt werden. Ihr Absolutbetrag, bezogen auf F(Ȧ = 0), ist gleich der normierten Amplitudendichte der Stoßspannung: F Z
F jZ F 0
1 W1 - W 2
2
ª º ª ZW 2 W1 W2 Z W 22 º 1 « » « » 2 2 2 1 Z W 2 2 ¼» «¬1 Z W 1 1 Z W 2 ¼» ¬«1 Z W 1
2
. (2.16)
Das Spektrum abgeschnittener Stoßspannungen ist grundsätzlich ebenfalls mit Hilfe der Laplace-Transformation berechenbar, allerdings fällt die Rechnung wegen der zahlreichen Ausdrücke recht umfangreich aus. Eine in der Stirn abgeschnittene Blitzstoßspannung lässt sich näherungsweise durch eine Dreieckfunktion nach Gl. (2.14) ersetzen, deren Spektrum einfacher zu berechnen ist. Die Unstetigkeit beim Abschneidezeitpunkt wird beseitigt, indem die Dreieckfunktion u(t) durch die Summe von drei zeitlich unbegrenzten Funktionen gemäß:
2 Darstellung von Impulsen im Zeit- und Frequenzbereich
u(t) = ua + ub + uc
47
(2.17)
ausgedrückt wird, die sich für t > tc gegenseitig auslöschen (Abb. 2.3). Hierbei ist ua eine Rampe mit der Steilheit û/tc, ub ein zum Abschneidezeitpunkt einsetzender negativer Sprung mit der Amplitude -û und uc eine um t = tc verzögert einsetzende Rampe mit negativer Steilheit -û/tc.
ua(t)
t
u(t)
ub(t)
û
tc t
^= tc
t
-û uc(t)
tc t
Abb. 2.3. Äquivalente Darstellung einer Dreieckfunktion (links) durch die Summe der drei zeitlich unbegrenzten Funktionen ua, ub und uc (rechts)
Die Summe der drei Kurvenzüge führt mit den Rechenregeln und Korrespondenzen in den Tabellen A1.1 und A1.2 auf die Laplace-Transformierte der Dreieckfunktion: ª 1 º 1 p tc 1 F p û « e e p tc » . 2 2 p tc p ¬« tc p ¼»
(2.18)
Nach Trennung von Gl. (2.18) in Real- und Imaginärteil erhält man: ª sinZ t § cosZ t 1 c cosZ t c c sinZ tc j¨ F p ûtc « 2 2 ¨ Z t Z t «¬ Z tc Z tc © c Z tc 2 c
·º ¸» . ¸» ¹¼
(2.19)
48
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Unter Berücksichtigung von p = jȦ und F(Ȧ=0) = ûtc /2 ergibt sich die normierte Amplitudendichte der Dreieckfunktion als Absolutbetrag zu: F Z
F jZ F 0
2
Z tc 2
Z tc 2 21 cosZ tc Z tcsinZ tc .
(2.20)
Der Ausdruck in Gl. (2.20) wird für Ȧ = 0 unbestimmt, da Nenner und Zähler den Wert null annehmen. Auch für kleine Ȧ-Werte ist Gl. (2.20) unbrauchbar, da sich starke Schwingungen von F(Ȧ) infolge geringster Rechenungenauigkeiten ausbilden. Durch Reihenentwicklung von cosȦtc und sinȦtc erhält man: F Z
n
1 1 2
8 n 1 Z tc n 4 n!
für n = 6, 8, 10 … .
(2.21)
Die Reihe in Gl. (2.21) für die Dreieckfunktion konvergiert rasch für Ȧtc < 1. Die normierte Amplitudendichte ist für Ȧtc < 0,1 praktisch gleich 1. Dies entspricht einer Frequenz f < 32 kHz bei einer Abschneidezeit tc = 0,5 μs. Oberhalb dieser Frequenz ist Gl. (2.20) zur Berechnung der Amplitudendichte verwendbar. Abb. 2.4 zeigt die auf den jeweiligen Gleichanteil F(f = 0) bezogene Amplitudendichte verschiedener Stoßspannungen (Kurven 1 bis 5). Die Amplitudendichte F(f) eines jeden Spannungsimpulses ist annähernd konstant bis zu einer von der Impulsform bestimmten Grenzfrequenz und fällt dann mit steigender Frequenz mehr oder wenig schnell ab. Aus der Frequenzcharakteristik kann die obere 3-dBGrenzfrequenz f2 bestimmt werden, bei der die normierte Amplitudendichte auf 1/¥2 § 0,7 abgefallen ist. Zum Vergleich ist auch die Amplitudendichte des Stoßstromes 8/20 eingezeichnet (Kurve 6). Die Schwingung im Zeitverlauf zeigt sich als Resonanzüberhöhung im Frequenzverlauf, bevor der steile Abfall im Spektrum eintritt (s. Kap. 2.4). Die Schaltstoßspannung 250/2500 (Kurve 1 in Abb. 2.4) weist mit f2 § 50 Hz eine obere Grenzfrequenz in der Größenordnung der Netzfrequenz auf. Für die Blitzstoßspannung 1,2/50 (Kurve 3) beträgt f2 = 2,4 kHz. Oberhalb von 200 kHz, also bei etwa dem 100-fachen Wert von f2, ist die Amplitudendichte auf weniger als 1 % abgesunken. Im Vergleich hierzu unterscheidet sich die Amplitudendichte der Stoßspannung 0,84/60, die zur Kalibrierung von Digitalrecordern und Stoßvoltmetern genommen wird, nur unwesentlich (Kurve 2). Für die als Keilstoß eingesetzte Dreieckfunktion mit der Abschneidezeit tc = 0,5 μs ergibt sich die höchste Grenzfrequenz mit f2 = 1,1 MHz, und die Amplitudendichte reicht in den Frequenzbereich von 100 MHz (Kurve 5 in Abb. 2.4). Grundsätzlich gilt, dass das Spektrum sich umso weiter zu höheren Frequenzen erstreckt, je kürzer und steiler der Impuls ist. Für den idealen Dirac-Impuls mit unendlich schmaler Impulsbreite ist bekanntlich das Spektrum konstant bis zu unendlich hohen Frequenzen.
2 Darstellung von Impulsen im Zeit- und Frequenzbereich
49
1,5 1.5 6
1,25 1.25 1,01 F(f)
0,5 0.5
5
3
0,75 0.75
4
2
1
0,25 0.25 00 10-3 10-2 10-1 100 101 102 103 kHz 104 1.E+00 1.E+01 1.E+02 1.E+03 1.E+04 1.E+05 1.E+06 1.E+07 f Abb. 2.4. Amplitudendichte F(f) von verschiedenen Stoßspannungen und einem Stoßstrom 1 Schaltstoßspannung 250/2500 2 Blitzstoßspannung 0,84/60 3 Blitzstoßspannung 1,2/50 4 Blitzstoßspannung 1,2/5 5 Dreieckfunktion (tc = 0,5 μs) 6 Stoßstrom 8/20
2.3 Analytische Darstellung von Stoßströmen Unter der Annahme linearer Elemente im RLC-Gesamtkreis nach Abb. 1.16 gilt für die Spannungen die Maschengleichung: uC = uL + uR
(2.22)
1 ³ idt C
(2.23)
und für die Ströme:
U0
L
di Ri , dt
wobei U0 die Ladespannung am Kondensator C zu Beginn der Entladung bei t = 0 ist. Wendet man auf Gl. (2.23) die Laplace-Transformation mit den Korrespondenzen in Tabelle A1.1 an, so ergibt sich die äquivalente Gleichung im Bildbereich zu: U0 1 p Cp
L pi Ri
(2.24)
50
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
und aufgelöst für den Strom: i p
U0 1 . R L p2 p 1 L LC
(2.25)
Die Form von Gl. (2.25) ist vergleichbar mit der von Gl. (2.3) für Stoßspannungen, deren Lösung durch den Ansatz mit zwei Exponentialfunktionen entsprechend Gl. (2.4) bzw. Gl. (2.8) gegeben ist. Im Unterschied zu den Stoßspannungen sind jedoch bei einigen Stoßströmen die Werte für die Stirnzeit und die Rückenhalbwertzeit nicht sehr verschieden. Der Ansatz nach Gl. (2.8) mit den beiden Exponentialgliedern lässt sich dann nicht auf alle Stoßströme übertragen, u. a. nicht auf den Stoßstrom 8/20. Für diesen Fall liefert die Rücktransformation von Gl. (2.25) in den Zeitbereich mit den Korrespondenzen in Tabelle A1.1 zwei weitere Lösungen, zum einen für den gedämpft schwingenden Stoßstrom: it
U 0 G t e sin Zd t , Zd L
(2.26a)
zum andern für den aperiodisch gedämpften Stoßstrom: i t
U0
Z*d L
.
e G t sinh Z*d t
(2.26b)
Hierbei sind:
G
R , 2L
(2.27) 2
Zd
1 § R · ¨ ¸ , LC © 2 L ¹
Z*d
1 § R · . ¸ ¨ LC © 2L ¹
(2.28a)
2
(2.28b)
In Abb. 2.5 sind für verschiedene Dämpfungswiderstände R1 < R2 < R3 die berechneten Zeitverläufe von Exponential-Stoßströmen eingezeichnet. Kurve 1 zeigt einen schwach gedämpften Stoßstrom nach Gl. (2.26a), Kurve 2 den Stoßstrom 8/20, ebenfalls berechnet nach Gl. (2.26a), und Kurve 3 einen aperiodisch gedämpften Stoßstrom nach Gl. (2.26b). Für R = 0 ergibt sich aus Gl. (2.26a) der theoretische Sonderfall einer ungedämpften Sinusschwingung.
2 Darstellung von Impulsen im Zeit- und Frequenzbereich
51
Die positiven und negativen Maxima eines gedämpft schwingenden Stoßstromes erhält man durch Nullsetzen der ersten Ableitung von Gl. (2.26a) zu: tmax,k
º 1 ª § Zd · ¸ kʌ » «arctan ¨ G ¹ © ¼
Zd ¬
für k = 0, 1, 2, … .
(2.29)
Hierbei sind die Scheitelzeit tp = tmax,0 durch k = 0 und die Zeit des ersten Durchschwingens durch k = 1 bestimmt. Die Amplitude des ersten Durchschwingens erhält man durch Einsetzen von t = tmax,1 in Gl. (2.26a). Bei Prüfungen gelten Grenzwerte für das Unterschwingen, da eine größere Stromamplitude mit entgegen gesetzter Polarität den Prüfling zerstören kann. 2 1.5
i t î
1
1
2
0.5
3
0 0
20
40
-0.5
μs
60
t
-1
Abb. 2.5. Verlauf von Exponential-Stoßströmen, berechnet nach Gln. (2.26a) und. (2.26b) 1 schwach gedämpfter Stoßstrom 2 Stoßstrom 8/20 3 aperiodisch gedämpfter Stoßstrom
Zu beachten ist, dass die nach Gl. (2.26a) berechneten Stoßströme auf den mathematischen Nullpunkt O bezogen sind. Der Unterschied zwischen O und dem genormten virtuellen Nullpunkt O1 bestimmt sich in Analogie zu den Stoßspannungen nach Abb. 2.2a, wenn t30 durch t10 ersetzt wird, zu: t0
O O1
0,125 TAB t10 O ,
(2.30)
wobei t10(O) die auf O bezogene Zeit des Amplitudenwertes 0,1î und TAB die Zeit zwischen den Amplitudenwerten bei 0,9î und 0,1î sind. Für den synthetischen Stoßstrom 8/20 liegt O1 um t0 § 0,28 μs vor O. Auf die mit Gl. (1.7) berechnete Stirnzeit hat dies keine Auswirkung, aber die auf O1 bezogene Rückenhalbwertzeit T2 ist um 1,4 % größer als der für O ermittelte Wert. Bei Prüfungen wird man den
52
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Unterschied zwischen O und O1 in Anbetracht der großen zulässigen Toleranz für T2 meist tolerieren und auf eine Korrektion verzichten können. Bei höheren Genauigkeitsansprüchen ist jedoch die Berechnung des Exponential-Stoßstroms nach Gl. (2.26a) mit einem um t0 kleineren Wert für T2 durchzuführen, für den Stoßstrom 8/20 also T2 § 19,72 μs. Soll eine bestimmte Impulsform mit den Zeitparametern T1 und T2 erzeugt werden, lassen sich die erforderlichen Schaltkreiselemente R, L und C in Abb. 1.16 durch Iteration mit numerischen Rechenverfahren aus Gl. (2.26a) bestimmen [1.52]. Sie ersetzen die früher vorgeschlagenen graphischen Verfahren mit Hilfe von Diagrammen [1.1, 1.50, 1.51]. In der Regel wird die Kapazität C des Ladekondensators, der einen beträchtlichen Kostenanteil eines Stoßstromgenerators ausmacht, vorgegeben und die beiden anderen Schaltkreiselemente ergeben sich für die gewünschte Impulsform aus der Rechnung. Als Beispiel zeigt Abb. 2.6 für den synthetischen Stoßstrom 8/20 die Zeitverläufe, die sich aus der Berechnung der Schaltkreiselemente mit Gl. (2.26a) für unterschiedliche Ladekondensatoren ergeben. Man erkennt, dass bei gleicher Ladespannung U0 der Scheitelwert î mit der Ladekapazität C größer wird und die für 50 μF, 40 μF und 30 μF berechneten Zeitverläufe, bezogen auf den jeweiligen Scheitelwert î, deckungsgleich sind. Der auf den genormten virtuellen Nullpunkt O1 bezogene Stoßstrom 8/20 erreicht seinen Scheitel nach tp = 10,6 μs; das maximale Durchschwingen von 33,5 % tritt nach 36,8 μs auf. 5
1
A/V4
2
3
i t U0
2
3
1 0 -1 -2
0
10
20
30
40
50
μs
60
t
Abb. 2.6. Synthetischer Stoßstrom 8/20 berechnet nach Gl. (2.26a) für unterschiedliche Ladekondensatoren C in der Schaltung nach Abb. 1.16 1 C = 50 μF 2 C = 40 μF 3 C = 30 μF
Die für den synthetischen Stoßstrom 8/20 mit Gl. (2.26a) berechneten Schaltkreiselemente für die drei Ladekondensatoren und der Quotient aus dem Scheitelwert und der Ladespannung sind in Tabelle 2.2 zusammengestellt. Die angegebenen Werte in den ersten drei Tabellenzeilen beziehen sich auf den virtuellen
2 Darstellung von Impulsen im Zeit- und Frequenzbereich
53
Nullpunkt O1. Zum Vergleich sind für C = 30 μF auch die Werte für den mathematischen Nullpunkt O in der letzten Tabellenzeile angegeben. Tabelle 2.2: Schaltkreiselemente und Stromscheitel für den synthetischen Stoßstrom 8/20 nach Gl. (2.26a), bezogen auf den virtuellen Nullpunkt O1 bzw. mathematischen Nullpunkt O C
R
L
î/U0
Nullpunkt
μF
ȍ
μH
A/V
O1
50
0,102
1,235
4,15
O1
40
0,128
1,547
3,31
O1
30
0,173
2,067
2,48
O
30
0,188
2,13
2,38
2.4 Spektrum von Exponential-Stoßströmen Das Spektrum von Exponential-Stoßströmen ergibt sich aus Gl. (2.26a) mit den Korrespondenzen der Laplace-Transformation in Tabelle A1.2 zu: I p î
1 . R 1 p p L LC
(2.31)
2
Nach Trennung in den Real- und Imaginärteil erhält man mit p = jȦ die normierte Amplitudendichte: F Z
F jZ F 0
1
1 LCZ
2 2
RCZ
.
(2.32)
2
Als Beispiel zeigt Kurve 6 in Abb. 2.4 die normierte Amplitudendichte des Stoßstromes 8/20 im Vergleich zu verschiedenen Stoßspannungen. Sie weist bei einer Frequenz von 16,4 kHz entsprechend der gedämpften Schwingung im Zeitverlauf (Abb. 2.5, Kurve 2) eine Überhöhung von 36 % auf. Die obere 3-dBGrenzfrequenz liegt bei f2 = 27 kHz. Der Abfall der Amplitudendichte verläuft steiler als bei den angegebenen Stoßspannungen.
54
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
2.5 Analytische Darstellung von Kurzschlusswechselströmen Ausgehend von dem einfachen Ersatzschaltkreis für den Kurzschlusswechselstrom in Abb. 1.22 lässt sich folgende Differentialgleichung nach Schließen des Schalters S aufstellen: u t û sin Z t \
L
dit R i t , dt
(2.33)
wobei ȥ den Schaltwinkel zum Zeitpunkt des Schließens von S bedeutet. Als Lösung der Differentialgleichung erhält man den Kurzschlusswechselstrom:
>
i t î sin Z t \ M sin \ M e t / W
@
(2.34)
mit der Amplitude: û
î
R ZL 2 2
,
(2.35)
dem Phasenwinkel:
M
arc tan
ZL R
(2.36)
und der Zeitkonstanten:
W
L . R
(2.37)
Der Kurzschlusswechselstrom nach Gl. (2.34) setzt sich aus einem stationären und einem transienten Anteil zusammen (Abb. 1.11a). Der stationäre Anteil (erstes Glied in der Rechteckklammer) besteht aus einer ohmschen und einer induktiven Komponente, die mit der treibenden Spannung in Phase bzw. um 90 ° nacheilend ist. Die resultierende Komponente hat den Phasenwinkel ij entsprechend Gl. (2.36). Der transiente Anteil des Kurzschlusswechselstromes (zweites Glied in der Rechteckklammer) stellt einen Gleichstrom dar, der exponentiell mit der Zeitkonstanten IJ abklingt. Der anfängliche Verlauf des Kurzschlusswechselstromes hängt vom Zeitpunkt ts bzw. Schaltwinkel ȥ ab, zu dem die Wechselspannung auf den RL-Kreis geschaltet wird. Bei ungünstigen Schalt- und Phasenverhältnissen kann sich der stationäre und der transiente Stromanteil so überlagern, dass der erste Scheitelwert des Kurzschlusswechselstromes bei kleinem R nahezu den doppelten Amplitu-
2 Darstellung von Impulsen im Zeit- und Frequenzbereich
55
denwert des stationären Stromes erreicht (Abb. 1.11a). Dies bedeutet natürlich eine erhebliche Belastung des Prüflings. Erfolgt die Schaltung im Nulldurchgang der Wechselspannung und ist R sehr klein, entfällt praktisch der Gleichstromanteil und der Kurzschlusswechselstrom verläuft nahezu sinusförmig (Abb. 1.11b).
3 Übertragungsverhalten linearer Systeme und Faltung
Das Übertragungsverhalten beschreibt den Zusammenhang zwischen den Ein- und Ausgangssignalen u1(t) und u2(t) eines linearen Systems (Abb. 3.1). Dieser Zusammenhang lässt sich im Zeitbereich durch die Sprungantwort g(t) und im Frequenzbereich durch die komplexe Übertragungsfunktion H(jȦ) ausdrücken. Welche Beziehung im Einzelnen bevorzugt wird, hängt davon ab, ob das Eingangssignal ebenfalls im Zeit- oder im Frequenzbereich vorgegeben ist. Eine sehr effektive Möglichkeit zur analytischen Bestimmung des Übertragungsverhaltens stellt die Laplace-Transformation einer Zeitfunktion in den Spektralbereich dar. Der Übergang vom Zeitbereich in den Frequenzbereich und umgekehrt ist mit einer großen Sammlung von Korrespondenzen einfach zu realisieren. Die für lineare Systeme unter idealen Bedingungen abgeleiteten Zusammenhänge lassen sich auf die in der Praxis eingesetzten Stoßspannungsteiler und andere Komponenten von Spannungsmesssystemen übertragen. Sie gelten, ohne dass jedes Mal darauf verwiesen wird, sinngemäß auch für die Komponenten von Strommesssystemen.
u1(t)
g(t) H(jȦ)
u2(t)
Abb. 3.1. Kennzeichnung eines linearen Systems durch die Sprungantwort g(t) bzw. Übertragungsfunktion H(jȦ)
Im Niederspannungsbereich und im Bereich der Messtechnik hoher Wechselspannungen und -ströme bei Netzfrequenz ist es üblich, elektrische Messgeräte durch ihren Frequenzgang und dessen Parameter zu kennzeichnen. Dagegen werden Stoßspannungsteiler, Shunts und Messspulen, die zur Messung von Impulsen im Zeitbereich vorgesehen sind, vorzugsweise durch ihre Sprungantwort charakterisiert. Dies hat den Vorteil, dass mit geringem Aufwand deutlich größere Signalamplituden als bei der Frequenzgangsmessung erzeugt werden können und die Ausgangssignale selbst bei großem Maßstabsfaktor noch gut messbar sind. Wegen des besseren Signal-Störverhältnisses wird der Einfluss elektromagnetischer Störungen auf den Spannungsteiler und das Messkabel reduziert. Für Oszilloskope und Digitalrecorder, die sowohl zur Messung von Stoßspannungen als auch von sinusförmigen Signalen verwendet werden, sind beide Darstellungsformen im Frequenz- und Zeitbereich üblich.
K. Schon, Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik, DOI 10.1007/978-3-642-13117-2_3, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010
58
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Ist das Übertragungsverhalten eines linearen Systems im Zeit- oder Frequenzbereich bekannt, lässt sich dessen Ausgangssignal für beliebige Eingangssignale mit dem Faltungssatz berechnen. Dies eröffnet eine Reihe von Möglichkeiten, Stoßspannungs- und Stoßstrommesssysteme und deren Komponenten ohne aufwändige experimentelle Untersuchungen grundsätzlich zu analysieren und zu optimieren. So kann der Messfehler eines linearen Messsystems, also die Abweichung des Ausgangssignals vom Eingangssignal, für verschiedene Zeitverläufe des Eingangssignals durch Rechnung bestimmt werden. Weiterhin können Erkenntnisse zur Verbesserung des Übertragungsverhaltens auf Grund theoretischer Untersuchungen gewonnen werden. Für die Untersuchungen stehen sowohl analytische als auch numerische Lösungsansätze zur Verfügung. Die enorm hohe Rechenleistung des PC ebenso wie die deutlich verbesserten Eigenschaften von Digitalrecordern bieten seit mehr als einem Jahrzehnt die technischen Voraussetzungen für die praktische Anwendung numerischer Algorithmen zur Berechnung der Übertragungseigenschaften von Messsystemen.
3.1 Sprungantwort eines Systems und Faltungsintegral Das Übertragungsverhalten eines linearen Systems lässt sich durch dessen Sprungantwort, früher häufig auch Schrittantwort genannt, im Zeitbereich eindeutig charakterisieren. Wird an den Eingang des Systems die Sprungspannung u1(t) = U10 s(t)
(3.1)
angelegt, ergibt sich am Systemausgang die Sprungantwort (s. Abb. 3.1): u2(t) = U20 g(t).
(3.2)
Hierbei sind s(t) die Einheitssprungfunktion mit dem zeitlichen Verlauf: s(t) = 0
für t d 0,
=1
für t > 0,
und g(t) die Einheitssprungantwort. Der Quotient U10 /U20 bezeichnet das nominelle Teilungs- oder Übersetzungsverhältnis des Systems. Der Einfachheit halber wird hier, wenn nicht besonders darauf hingewiesen wird, als Sprungantwort die Einheitssprungantwort g(t) verstanden. Abb. 3.2 zeigt als Beispiel die Sprungfunktion s(t) und Sprungantwort g(t) eines gedämpft schwingenden Systems, das neben einer ohmschen und kapazitiven auch eine induktive Komponente aufweist. Die Sprungantwort linearer Systeme lässt sich durch einen Satz von verschiedenen Antwortparametern charakterisieren (s. Kap. 3.7.1). Die schraffierten Teilflächen der Sprungantwort markieren die Abweichungen von der anregenden Sprungfunktion und werden als Teilantwortzeiten TĮ, Tȕ, TȖ, usw. bezeichnet. Ihre
3 Übertragungsverhalten linearer Systeme und Faltung
59
Summe ergibt die Antwortzeit T, wobei die Teilantwortzeiten oberhalb der Einheitslinie mit negativem Vorzeichen einzusetzen sind. Für die Antwortparameter eines Stoßspannungsteilers sind in den Prüfnormen Grenzwerte festgelegt, mit denen ein ausreichendes dynamisches Messverhalten garantiert sein soll. s(t), g(t) -Tȕ
-Tį
1 g(t)
s(t)
TĮ
TȖ
T = TĮ - Tȕ + TȖ - Tį + …
0
t
Abb. 3.2. Einheitssprung s(t) und Einheitssprungantwort g(t) eines schwingenden Systems. Die Summe der Teilantwortzeiten TĮ, -Tȕ, TȖ, -Tį, … ergibt die Antwortzeit T der Sprungantwort.
Ist die Sprungantwort g(t) eines Systems bekannt, bietet das Faltungsintegral, auch Duhamel-Integral genannt, die Möglichkeit, das Ausgangssignal u2(t) für ein beliebiges Eingangssignal u1(t) zu berechnen [3.1-3.4]: u2 t
º d ªt « ³ u1 W g t W dW » dt ¬«0 ¼»
º d ªt « ³ u1 t W g W dW » . dt ¬«0 ¼»
(3.3)
Beide Fassungen von Gl. (3.3) sind wegen des kommutativen Gesetzes identisch. Eine der insgesamt vier möglichen Darstellungsformen des Faltungsintegrals ist gegeben durch: u2 t u1 0 g t
t
³ u1W
0
dg t W dW . dt
(3.4)
Anschaulich wird das Eingangssignal u1(t) als Überlagerung vieler kleiner zeitversetzter Einzelsprünge betrachtet (Abb. 3.3). Jeder einzelne Sprung ǻu1,i erzeugt am Ausgang des Systems die entsprechende Sprungantwort ǻu2,i. Die zeitgerechte Überlagerung der einzelnen Sprungantworten ergibt das zeitdiskrete Ausgangssignal u2(kǻt), das für infinitesimale Zeitintervalle ǻt in u2(t) übergeht. Für Stoßspannungen gilt u1(0) = 0, so dass auf der rechten Seite von Gl. (3.4) nur das Integral übrig bleibt.
60
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
u1(t)
ǻu1,i
t
ǻt
Abb. 3.3. Zeitdiskrete Darstellung eines Spannungssignals u1(t) durch zeitversetzte Spannungssprünge ǻu1,i, die am Systemausgang die entsprechenden Sprungantworten ǻu2,i erzeugen.
Das Faltungsintegral ist nur für wenige Sprungantworten und Eingangsspannungen analytisch lösbar. Die mit Digitalrecordern gemessenen Zeitverläufe von g(t) und u1(t) liegen als zeitdiskrete Abtastwerte vor und das Faltungsintegral in Gl. (3.4) wird numerisch berechnet [3.5-3.8]. Für die numerische Integration bietet sich die einfache Trapez-Regel an, die bei ausreichender Anzahl von Stützstellen eine genügend genaue Berechnung des Faltungsintegrals erlaubt. Mit der Abkürzung für die Ableitung bzw. den Differentialquotienten der Sprungantwort: g'
ǻg ǻt
und unter der Voraussetzung u1(0) = 0 lässt sich folgender Faltungsalgorithmus angeben: u 2 kǻt u 2 ,k
k 1 ª u g' º ǻt « 1,k 0 ¦ u1,i g' k 1 » i 1 ¬ 2 ¼
(3.5)
für k = 2, 3, 4, … N. Der Anfangswert des Ausgangssignals für k = 1 ist: u2 ,1
ǻt u1,1 g'0 . 2
(3.6)
Hierbei bezeichnet N die Anzahl und ǻt den äquidistanten Zeitabstand der diskreten Abtastwerte von g(t) und u1(t). Die Abtastfrequenz bei der Aufzeichnung muss für beide Signale identisch sein. Für die numerische Differenziation der Sprung-
3 Übertragungsverhalten linearer Systeme und Faltung
61
antwort empfiehlt sich die Bildung des zentralen Mittelwertes aus den benachbarten Werten entsprechend: g' k
g k 1 g k 1 2ǻt
(3.7)
für k = 1, 2, 3, … N. Der erste Wert gƍ0 zur Anfangszeit t = 0 ist durch Gl. (3.7) nicht definiert. Er wird entweder gleich dem ersten berechenbaren Wert g1’ gesetzt oder, wenn sich die Ableitung der Sprungantwort zu Beginn stark ändert, vorzugsweise durch Extrapolation der ersten fünf Werte g1’ … g5’ bestimmt. Beispiele für die analytische und numerische Faltung werden in Kap. 3.6 gebracht. Mit der Faltung lässt sich das dynamische Verhalten von Stoßspannungsund Stoßstrommesssystemen an Hand ihrer Sprungantwort nachweisen, ohne dass aufwändige experimentelle Untersuchungen durchgeführt werden müssen. So lassen sich die Abweichungen eines Messsystems bei der Messung des Scheitelwertes und der Zeitparameter in Abhängigkeit von den Zeitparametern berechnen. Der Eignungsnachweis durch Faltung ist für breitbandige Messsysteme mit sehr guten Eigenschaften, wie sie in Metrologieinstituten oder ausgezeichneten Kalibrierlaboratorien vorgehalten werden, besonders nützlich, wenn ein noch genaueres Messsystem für Vergleichsmessungen nicht zur Verfügung steht. Auf die Voraussetzungen für die Anwendung der Faltung wird in Kap. 3.6 eingegangen. Es liegt nahe, die numerische Fassung des Faltungsintegrals in Gl. (3.5) dahingehend umzustellen, dass die Eingangsspannung u1(kǻt) aus der Ableitung der Sprungantwort gƍ(kǻt) und dem Ausgangssignal u2(kǻt) berechnet werden kann. Die Umkehrung der Faltung, die Entfaltung, im Zeitbereich liefert jedoch nur in wenigen Fällen ein befriedigendes Ergebnis. Die von Störungen überlagerten und mit kleinen Abtastfehlern aufgezeichneten Verläufe von u2(kǻt) und gƍ(kǻt), ja selbst kleinste Rechenungenauigkeiten des PC führen zu einem sehr schnellen Aufschaukeln der Fehler, die sich den Rechenwerten für u1(kǻt) überlagern. Das Ergebnis der Entfaltungsrechnung ist dann ohne weitere Gegenmaßnahmen unbrauchbar. In begrenztem Umfang helfen Glättungsverfahren und eine iterative Vorgehensweise, bei der jedes Zwischenergebnis durch Faltung überprüft wird, weiter. Erfolgversprechender ist häufig die entsprechende Entfaltung im Frequenzbereich, die kurz in Kap. 3.2 behandelt wird [3.9-3.20].
3.2 Fourier-Transformation und Übertragungsfunktion Als Alternative zur Sprungantwort lässt sich das Übertragungsverhalten eines Systems durch dessen Übertragungsfunktion kennzeichnen. Jedes Signal mit bekanntem Zeitverlauf kann nach Fourier in Teilschwingungen u(Ȧt) = û sin(Ȧt + ij) mit der Amplitude û, der Kreisfrequenz Ȧ und dem Phasenwinkel ij zerlegt werden (s.
62
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Kap. A1). Eine Teilschwingung u1,i am Eingang eines linearen Systems ruft an seinem Ausgang eine Schwingung u2,i mit gleicher Frequenz, aber im allgemeinen unterschiedlicher Amplitude und abweichendem Phasenwinkel hervor (Abb. 3.4a). Zwischen den beiden Teilschwingungen u1,i und u2,i mit der Kreisfrequenz Ȧ besteht eine zeitliche Verschiebung, die als Laufzeit: t0
M 1 M 2 Z
b
(3.8)
Z
mit b = ij1 – ij2 bezeichnet wird. Die Gesamtheit der Teilschwingungen am Ausgang, die sich entsprechend ihrer Amplituden und Phasenwinkel überlagern, ergibt das Ausgangssignal u2(t). Der Quotient aus den Fourier-Transformierten der Aus- und Eingangssignale eines linearen Systems ergibt die komplexe Übertragungsfunktion: H jZ
U 2 jZ U1 jZ
û2 e jZ t M 2 û1 e jZ t M 1
H jZ e jM 1M 2
H Z e jb .
(3.9)
Hierbei werden der Absolutwert als Übertragungsfaktor H(Ȧ) und die Phasendifferenz b(Ȧ) = ij1 – ij2 als Übertragungswinkel bezeichnet. H(Ȧ) und b(Ȧ) lassen sich in ihrer Gesamtheit als Amplitudengang bzw. Phasengang des Systems über der Frequenz darstellen. Der Absolutwert H(Ȧ) ist gleichbedeutend mit dem reziproken Teilungs- oder Übersetzungsverhältnis eines Spannungsteilers bzw. Wandlers oder mit dem Verstärkungsfaktor eines Verstärkers [3.3]. Für den Sonderfall der idealen Übertragung gilt H = 1 und b = 0. Ein- und Ausgangssignal des Systems sind dann identisch. Wegen der endlichen Ausbreitungsgeschwindigkeit von Signalen in passiven oder aktiven Systemen kann dieser Sonderfall im strengen Sinne nicht auftreten. Theoretisch möglich und in der Praxis anzustreben ist die verzerrungsfreie Übertragung mit H = H0 = konst. und b/Ȧ = t0 = konst. Das Ausgangssignal u2 ist gegenüber u1 vergrößert oder verkleinert und um die Laufzeit t0 verzögert (Abb. 3.4b). Das Ausgangssignal stellt dann ein maßstabsgetreues Abbild des Eingangssignals dar. Ist die komplexe Übertragungsfunktion H(jȦ) eines Systems bekannt, lässt sich das Ausgangssignal u2(t) für ein beliebiges Eingangssignal u1(t) berechnen. Die Berechnung erfolgt im Spektralbereich entsprechend der Beziehung: U2(jȦ) = H(jȦ)·U1(jȦ),
(3.10)
die sich nach Umformung von Gl. (3.9) ergibt. Zunächst wird mit Hilfe des Fourier-Integrals nach Gl. (A1.1) die Spektralfunktion U1(jȦ) von u1(t) bestimmt, d. h. das Eingangssignal wird in seine Frequenzanteile zerlegt. Dann wird jeder Frequenzanteil mit der entsprechenden Frequenzkomponente der Übertragungsfunktion multipliziert. Die Rücktransformation der Spektralfunktion U2(jȦ) erfolgt gemäß Gl. (A1.4) und liefert das gesuchte Ausgangssignal u2(t) im Zeitbereich:
3 Übertragungsverhalten linearer Systeme und Faltung
u 2 t
1 f jZ t ³ U 2 j Z e dZ . 2ʌ f
63
(3.11)
In Kap. A1.1 wird darauf hingewiesen, dass das komplexe Fourier-Integral nach Gl. (A1.1) nur für wenige elementare Fälle analytisch auswertbar ist. In der Messpraxis wird daher die Frequenzanalyse überwiegend numerisch mit Hilfe der schnellen Fourier-Transformation (FFT, Fast Fourier Transform) durchgeführt. Diese Auswertemöglichkeit wird von den meisten Messgeräten mit digitaler Speicherung der Messdaten angeboten. Die Anzahl der Stützstellen bei der FFT muss eine Zweierpotenz sein. Für höhere Genauigkeitsansprüche und beliebige Stützstellenzahl ist die diskrete Fourier-Transformation (DFT, Discrete Fourier Transform) eher geeignet. a)
u(t)
u1,i
u2,i t
t0 b)
u(t) u1 u2
0
t0
t
Abb. 3.4. Verzerrungsfreie Signalübertragung eines linearen Systems. Das Eingangssignal u1(t) wird nach Fourier in Teilschwingungen u1,i zerlegt, die nach Durchlaufen des Systems in die Teilschwingungen u2,i übergehen und durch Synthese das Ausgangssignal u2(t) ergeben. a) i-te Teilschwingung des Ein- und Ausgangssignals mit der Kreisfrequenz Ȧ b) Eingangssignal u1(t) und Ausgangssignal u2(t) des Systems bei verzerrungsfreier Übertragung
Die Berechnung von u2(t) nach Gl. (3.11) mit den Spektralfunktionen H(jȦ) und U1(jȦ) entspricht der Faltung im Zeitbereich (s. Kap. 3.1). Der Amplitudenund Phasengang eines geschirmten Systems, das über ein Koaxialkabel reflexionsfrei an den Frequenzgenerator angeschlossen wird, lässt sich auch bei höheren Frequenzen grundsätzlich sehr gut messen. Für Stoßspannungsteiler, die in der
64
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Regel groß und ungeschirmt sind, ist die Messung des Frequenzgangs nicht üblich. Wegen der begrenzten Signalamplitude des Frequenzgenerators und des großen Teilungsverhältnisses ist das Teilerausgangssignal recht klein, so dass mit einer starken Störbeeinflussung gerechnet werden muss. Das Übertragungsverhalten von Stoßspannungsteilern wird daher bevorzugt durch ihre Sprungantwort g(t) charakterisiert (s. Kap. 3.1, Kap. 3.7). Für weitergehende Berechnungen, z. B. für die Faltung im Frequenzbereich mit den Gln. (3.10) und (3.11), mag es vorteilhaft sein, aus dem Zeitbereich in den Frequenzbereich zu wechseln, um die Übertragungsfunktion H(jȦ) zu erhalten. Der Übergang ist möglich, da zwischen der Übertragungsfunktion H(jȦ) und dem Dirac-Impuls, also der zeitlichen Ableitung der Sprungantwort, folgende Beziehung gilt: H (jZ )
f
dg
jZ t dt , ³ dt e f
(3.12)
die sich auch aus Gl. (3.14) mit den Laplace-Transformierten ergibt. Das Integral in Gl. (3.12) ist wiederum nur für wenige analytische Funktionen lösbar. In der Regel liegt g(t) als numerischer Datensatz vor, der numerisch differenziert und durch eine FFT in den Frequenzbereich transformiert werden kann. Die Übertragungsfunktion H(jȦ) ist gemäß Gl. (3.9) als Quotient U2(jȦ)/U1(jȦ) im Frequenzbereich definiert. Liegen die Ein- und Ausgangssignale im Zeitbereich vor, lassen sich mit Gl. (A1.1) die entsprechenden Spektralfunktionen bilden. Bei der Quotientenbildung zur Berechnung von H(jȦ) ist darauf zu achten, dass für den Nenner U1(jȦ) keine Nullstelle existiert und eine Division durch null ausgeschlossen ist. Bei Stoßspannungsprüfungen interessiert in erster Linie die Prüfspannung u1(t), die am Prüfling anliegt, deren Zeitverlauf aber nicht immer von den Komponenten des Messsystems unverfälscht gemessen werden kann. Durch Umstellung von Gl. (3.10) ergibt sich die Spektralfunktion U1(jȦ) als Quotient U2(jȦ)/H(jȦ). Diese Rechenoperation entspricht der Entfaltung im Zeitbereich. Die U1(jȦ) entsprechende Zeitfunktion u1(t) wird nach Gl. (A1.4) berechnet. Der Rechenweg für die Entfaltung über die Spektralfunktionen ist häufig erfolgreicher als der über die Zeitfunktionen.
3.3 Laplace-Transformation Die Laplace-Transformation in den Bildbereich und die Rücktransformation in den Zeitbereich bieten eine weitere, sehr bequeme und umfassende Möglichkeit, das Übertragungsverhalten eines Systems analytisch zu bestimmen. Die Übertragungsfunktion eines linearen Systems nach Gl. (3.9) lässt sich formal als Quotient der Laplace-Transformierten von Aus- und Eingangsspannung ausdrücken:
3 Übertragungsverhalten linearer Systeme und Faltung
H p
U 2 p , U1 p
65
(3.13)
wobei p im Allgemeinen eine komplexe Veränderliche ist. Wenn das System durch ein passives Netzwerk mit Widerständen, Kondensatoren und Induktivitäten charakterisiert ist, liefern die Kirchhoffschen Gesetze mit dem Heavisideschen Operator p für Differenziation und 1/p für Integration die Bestimmungsgleichung für die Ausgangsspannung U2(p), wenn am Systemeingang U1(p) anliegt. Für eine Reihe von Ein- und Ausgangsfunktionen existieren entsprechende Korrespondenzen der Laplace-Transformation, die direkt in Gl. (3.13) eingesetzt werden können. Der Vorteil der Laplace-Transformation liegt darin, dass die bekannten Rechenregeln und Korrespondenzen (s. Kap. A1) sehr effektiv eingesetzt werden können und die Rechnung stark vereinfachen. Beispiele für die LaplaceTransformation und Rücktransformation finden sich in Kap. 3.4. Der Sprungfunktion s(t) im Zeitbereich entspricht die Bildfunktion 1/p (s. Tabelle A1.2). Legt man die Sprungfunktion an den Eingang eines Systems, so ist U1(p) = 1/p und die Ausgangsspannung U2(p) gleich der Sprungantwort G(p). Aus Gl. (3.13) ergibt sich damit eine einfache Beziehung zwischen den LaplaceTransformierten der Übertragungsfunktion H(p) und der Sprungantwort: G p
1 H p . p
(3.14)
Zur Rücktransformation von G(p) in den Zeitbereich stehen wiederum die Rechenregeln und Korrespondenzen in den Tabellen A1.1 und A1.2 zur Verfügung. Beispiele für die analytische Berechnung der Sprungantwort von RC- und RLCGliedern mit Hilfe der Laplace-Transformation werden in Kap. 3.4.1 behandelt. Bei einer anderen Aufgabenstellung sei die Sprungantwort G(p) bekannt und die Ausgangsfunktion des Systems ist für eine beliebige Eingangsfunktion zu bestimmen. Mit den Gln. (3.13) und (3.14) erhält man die Ausgangsfunktion im Bildbereich: U 2 p
p U1 p G p .
(3.15)
Die Rücktransformation von U2 (p) in den Zeitbereich mit Hilfe der Korrespondenzen in Tabelle A1.2 liefert die gesuchte Zeitfunktion u2(t). Dieses Verfahren entspricht der analytischen Faltung im Zeitbereich (s. Kap. 3.1). Mit dem Faltungssatz der Laplace-Transformation ergibt sich aus Gl. (3.15) direkt das Faltungsintegral in Gl. (3.4). Das Rechnen mit der Laplace-Transformation ist auch in diesem Fall einfacher als die Auswertung des Faltungsintegrals im Zeitbereich. Das gleiche gilt für die Lösung linearer Differentialgleichungen, die zur Netzwerkanalyse mit Hilfe der Kirchhoffschen Gesetze für Spannungen und Ströme aufgestellt werden.
66
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Die Übertragungsfunktion lässt sich gleichfalls als Quotient des Ausgangsstromes zur Eingangsspannung: H p
I2 p U1 p
(3.16)
oder anderer Kombinationen der Ein- und Ausgangsgrößen definieren. Die Übertragungsfunktion nach Gl. (3.16) hat die Dimension einer Admittanz. Ein wichtiges Anwendungsgebiet ist die Überprüfung der Unversehrtheit der Wicklungen von Leistungstransformatoren. Die Prüfung wird häufig mit Stoßspannungen durchgeführt, wobei die simultan aufgezeichneten Strom- und Spannungsverläufe anschließend durch Fourier-Transformation in den Frequenzbereich transformiert werden. Je nach Typ und Zustand des Transformators ergibt sich ein charakteristischer Verlauf der Übertragungsfunktion über der Frequenz. Wird bei einer späteren Überprüfung der Transformatorwicklung eine Abweichung im Verlauf der Übertragungsfunktion festgestellt, ist dies als Hinweis auf eine mögliche Schädigung im Betrieb zu werten. Dieses Verfahren lässt sich auch als „OnlineMonitoring“ einsetzen, wobei die betriebsbedingten transienten Vorgänge im Netz als anregende Eingangsspannung genutzt werden [3.21-3.24].
3.4 Eigenschaften von RC- und RLC-Gliedern RC- und RLC-Glieder stellen Systeme dar, die auch in den vereinfachten Ersatzschaltbildern von Stoßspannungs- und Stoßstrommesssystemen anzutreffen sind. Zum grundsätzlichen Verständnis des Übertragungsverhaltens von Stoßspannungsteilern, Shunts und anderen Komponenten eines Messsystems ist es daher aufschlussreich, das Übertragungsverhalten von RC- und RLC-Gliedern zu kennen. Ihre Sprungantworten sind durch relativ einfache analytische Ausdrücke festgelegt, die sich mit Hilfe der Laplace-Transformation und Rücktransformation aufstellen lassen. Sprungantwort und Übertragungsfunktion der beiden Systeme werden über die Laplace-Operation im Bildbereich ineinander umgewandelt. Der Amplitudengang verschiedener RC- und RLC-Glieder wird berechnet. 3.4.1 Sprungantwort von Tiefpass und Schwingkreis
Abb. 3.5a zeigt ein als Tiefpass geschaltetes RC-Glied, an dessen Eingang die Einheitssprungspannung s(t) angelegt und am Kondensator C die Einheitssprungantwort g(t) abgegriffen wird. Die Maschengleichung lautet im Zeitbereich: s t
Ri
1 ³ idt , C
(3.17)
3 Übertragungsverhalten linearer Systeme und Faltung
67
aus der sich die Laplace-Transformierte im Bildbereich ergibt (s. Kap. A1): 1 p
§ 1 · ¸¸ . I p ¨¨ R Cp ¹ ©
(3.18)
Mit I(p)= pCG(p) erhält man die Einheitssprungantwort im Bildbereich: G p
1 . p 1 RCp
(3.19)
Die Rücktransformation in den Zeitbereich liefert mit den Korrespondenzen in Tabelle A1.2 die Einheitssprungantwort des RC-Gliedes (Abb. 3.5b):
t
g t 1 e W ,
(3.20)
wobei IJ = RC die Zeitkonstante ist. Die Zeitkonstante IJ ergibt sich graphisch als Schnittpunkt der Tangente an g(t = 0) = 0 mit der Horizontalen durch 1 oder aus der Fläche A zwischen g(t) und der Horizontalen durch den Wert 1. a) R 1
i (t)
s(t)
0
C
g(t)
b) g(t) 11
A
f
³ >1 g t @dt
0
00
IJ
t
Abb. 3.5. Übertragungsverhalten eines RC-Gliedes als Tiefpass a) Schaltung mit Einheitssprung s(t) am Eingang b) Einheitssprungantwort g(t) am Ausgang mit der Antwortzeit T = IJ = RC = A
68
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Für das RLC-Glied nach Abb. 3.6a ergibt sich aus der Maschengleichung für die Laplace-Transformierte: 1 p
§ 1 · ¸¸ . I ¨¨ R Lp Cp ¹ ©
(3.21)
Der weitere Rechengang erfolgt analog zum RC-Tiefpass und liefert die Einheitssprungantwort am Kondensator C im Bildbereich: G p
1 1 2 p LCp RCp 1
1 F p . p
(3.22)
Die Rücktransformation in den Zeitbereich erfolgt zweckmäßigerweise durch Integration der Rücktransformierten von F(p) entsprechend Regel 1 in Tabelle A1.1. Als Ergebnis erhält man für den hier interessierenden Fall R < 2(L/C) 1/2 die Einheitssprungantwort des RLC-Gliedes: · § G g t 1 e G t ¨¨ cosZ0t sinZ0t ¸¸ Z0 ¹ ©
(3.23)
mit der Abklingkonstante į und der Eigenkreisfrequenz Ȧ0:
G
Z0
R 2L
(3.24a)
2
1 § R · ¨ ¸ . LC © 2 L ¹
(3.24b)
Für sehr kleine Widerstände R ist į << Ȧ0, und die Einheitssprungantwort ergibt sich aus Gl. (3.23) mit Ȧ0* = (LC) -1/2 näherungsweise zu: g t | 1 e G t cosZ0* t .
(3.25)
Die Amplitude der stark schwingenden Sprungantwort kann nahezu den doppelten Wert der anregenden Sprungspannung erreichen. Für den aperiodischen Grenzfall mit Ȧ0 = 0 geht Gl. (3.23) wegen sinx/x = si(x) = 1 über in: g t 1 e G t 1 G t .
(3.26)
3 Übertragungsverhalten linearer Systeme und Faltung
69
Abb. 3.6b zeigt drei Sprungantworten des RLC-Kreises für verschiedene Werte von į und Ȧ0. Kurve 1 stellt die Sprungantwort eines schwach gedämpften und Kurve 2 eines normal gedämpften Kreises nach Gl. (3.23) dar; Kurve 3 kennzeichnet den aperiodischen Grenzfall nach Gl. (3.26). a) L
R 1 0
i (t) C
s(t)
g(t)
b) g(t) 1 2 1 3
0
t
Abb. 3.6. Übertragungsverhalten von RLC-Gliedern a) Schaltung mit Sprung s(t) am Eingang b) Einheitssprungantwort g(t) am Ausgang 1 schwach gedämpfte Schwingung 2 gedämpfte Schwingung 3 aperiodischer Grenzfall
3.4.2 Übertragungsfunktion von Tiefpass und Schwingkreis
Die Übertragungsfunktion H(p) und die Sprungantwort G(p) eines Systems sind im Bildbereich über Gl. (3.14) miteinander verknüpft. Für das als Tiefpass geschaltete RC-Glied mit G(p) nach Gl. (3.19) erhält man den einfachen Ausdruck: H p
p G p
1 , 1 pW
(3.27)
70
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
dessen Absolutwert mit p = jȦ den Amplitudengang H(Ȧ) des RC-Gliedes ergibt: H Z
H jZ
1
H p
1 ZW 2
.
(3.28)
Für das RLC-Glied mit G(p) nach Gl. (3.22) lautet die Übertragungsfunktion: H p
1
p G p
(3.29)
2
LCp RCp 1
und der Amplitudengang: H Z
H jZ
1
1 Z LC 2
2
Z RC
.
(3.30)
2
Abb. 3.7 zeigt in doppellogarithmischer Auftragung den berechneten Amplitudengang H(f) zweier RC-Glieder (Kurven 2 und 3) und eines RLC-Gliedes (Kurve 4) im Vergleich zur Amplitudendichte F(f) einer Blitzstoßspannung 1,2/50 (Kurve 1), wie sie auch als Kurve 3 in Abb. 2.4 zu sehen ist. 10 f 1
102
103
104
105
106
0,1 H(f), F(f)
1
0,01
4
107 Hz 108 3 2
20 dB 0,001 0,0001 Abb. 3.7. Amplitudengang H(f) von RC- und RLC-Gliedern im Vergleich zur Amplitudendichte F(f) der Blitzstoßspannung 1,2/50 1 Blitzstoßspannung 1,2/50 2 RC-Glied mit RC = 436 ns 3 RC-Glied mit RC = 43,6 ns 4 RLC-Glied mit RC = 436 ns
Die Zeitkonstante des RC-Gliedes mit H(f) entsprechend Kurve 2 beträgt IJ = RC = 436 ns. Sie ist so gewählt, dass die nach Gl. (3.35) berechnete Anstiegszeit Ta = 2,2RC = 960 ns mit der der Blitzstoßspannung nach Gl. (3.34) übereinstimmt.
3 Übertragungsverhalten linearer Systeme und Faltung
71
Reduziert man die Anstiegszeit des RC-Gliedes auf ein zehntel, also Ta = 96 ns und damit IJ = 43,6 ns, erhält man den Amplitudengang nach Kurve 3 mit einer 3dB-Grenzfrequenz von 3,7 MHz. Der Amplitudengang des RLC-Gliedes (Kurve 4) mit RC = 0,436 μs und LC = 0,275·10-12 s zeigt ein leichtes Überschwingen bei 220 kHz entsprechend der Schwingung im Zeitverlauf der Sprungantwort. Die 3dB-Grenzfrequenz beträgt 410 kHz. Der Amplitudengang der drei untersuchten Systeme erstreckt sich zu deutlich höheren Frequenzen als die Amplitudendichte der Blitzstoßspannung 1,2/50. Die Frage, welche Grenzfrequenz ein Messsystem zur maßstabsgetreuen Erfassung von Stoßspannungen aufweisen muss, wird in Kap. 3.8 behandelt.
3.5 Antwortzeit, Anstiegszeit und Bandbreite Eine wichtige Kenngröße der Einheitssprungantwort g(t) ist die Antwortzeit T. Die mathematische Definition lautet: f
³ >1 g t @dt .
T
(3.31)
0
Für das RC-Glied in Abb. 3.5a mit der Zeitkonstanten IJ = RC und der Sprungantwort g(t) nach Gl. (3.20) erhält man die Antwortzeit:
T
t
e W dt W
RC ิ A ,
(3.32)
0
wobei A = RC die schraffierte Fläche in Abb. 3.5b kennzeichnet. Die Zeitkonstante IJ des RC-Gliedes, ebenso dessen Antwortzeit T, ergibt sich auch grafisch als die Zeit, zu der die Tangente an die Sprungantwort im Ursprung die Horizontale mit dem Wert 1 schneidet (Abb. 3.5b). Für das RLC-Glied in Abb. 3.6a mit der Sprungantwort nach Gl. (3.23) berechnet sich die Antwortzeit zu: T
f
³e
0
G t §¨
· G ¨ cosZ0t Z sinZ0t ¸¸ dt 0 © ¹
RC .
(3.33)
Die Antwortzeit T lässt sich auch grafisch als Summe der in Abb. 3.2 schraffiert eingezeichneten Teilflächen der Sprungantwort bestimmen, wobei die Teilflächen mit g(t) > 1 mit negativem Vorzeichen berücksichtigt werden: T = TĮ - Tȕ + TȖ - Tį + … .
72
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
In der allgemeinen Impulstechnik ist es üblich, Strom- und Spannungsimpulse durch ihre Anstiegszeit Ta zu kennzeichnen. Sie ist als die Zeit zwischen den beiden Punkten bei 10 % und 90 % des Impulsscheitels bzw. Endwertes definiert (Abb. 3.8). Stoßspannungen und Stoßströme werden dagegen durch die Stirnzeit T1 gekennzeichnet (s. Kap. 1). Für die idealisierte Stoßspannung mit dem doppelexponentiellen Zeitverlauf nach Gl. (2.8) gilt für die Anstiegszeit näherungsweise: Ta |
4 T1 5
4 TAB . 3
(3.34)
Als Anstiegszeit eines Messgerätes ist die Anstiegszeit der Sprungantwort gemeint. Für ein Messgerät mit RC-Charakter nach Abb. 3.5 besteht zwischen der Anstiegszeit Ta der Sprungantwort und dessen Antwortzeit T der Zusammenhang: Ta | 2 ,2 RC
2 ,2T .
(3.35)
Näherungsweise gilt diese Beziehung auch für andere Systeme mit Sprungantworten, die nur ein geringfügiges Überschwingen von wenigen Prozent aufweisen. 1 0,9
u(t)
0,1 0
Ta
t
Abb. 3.8. Definition der Anstiegszeit Ta eines Impulses
In der Messpraxis werden mitunter Messgeräte eingesetzt, die eine nicht zu vernachlässigende Eigenanstiegszeit Ta,e aufweisen. Bei der Auswertung eines gemessenen Impulses ergibt sich dann statt der Impulsanstiegszeit Ta ein größerer Messwert Ta,m. Unter bestimmten Voraussetzungen, die in der Messpraxis im Allgemeinen gegeben sind, gilt der Zusammenhang: Ta,2m
Ta2 Ta,2e .
(3.36)
Die tatsächliche Anstiegszeit des Impulses berechnet sich hieraus zu: Ta
Ta, m 2 Ta,e 2 .
(3.37)
3 Übertragungsverhalten linearer Systeme und Faltung
73
Ist die Eigenanstiegszeit des Messgerätes deutlich kleiner als die des Impulses, kann in der Messpraxis auf eine Umrechnung nach Gl. (3.37) verzichtet werden. Beträgt die Eigenanstiegszeit des Messgerätes weniger als ein Fünftel von der des Impulses, also Ta,e < 0,2 Ta, gilt Ta | Ta,m mit einem Fehler von weniger als 2 %. Äquivalent zur Angabe der Anstiegszeit im Zeitbereich ist die Angabe der Bandbreite B im Frequenzbereich mit 3-dB-Grenzfrequenz. Für alle breitbandigen Systeme, deren Bandbreite praktisch gleich der oberen Grenzfrequenz ist, gilt folgender einfacher Zusammenhang [1.4]: B
0 ,35...0,45 . Ta
(3.38)
Der Faktor 0,35 gilt hierbei für ein System, dessen Sprungantwort den Endwert ohne Überschießen erreicht, z. B. ein RC-Glied. Eine Bandbreite von 10 MHz entspricht dann einer Anstiegszeit der Sprungantwort von Ta = 35 ns. Der Faktor 0,45 gilt für ein System mit rund 10 % Überschwingen in der Sprungantwort.
3.6 Beispiele für die Faltung In den vorangegangenen Kapiteln sind die Grundlagen der Faltung zur Berechnung des Ausgangssignals linearer Systeme für beliebige Eingangssignale behandelt. Die analytische Berechnung mit dem Faltungsintegral nach Gl. (3.3) führt nur für einige wenige Sprungantworten und Eingangssignale zu einer Lösung. Vergleichbar mit der analytischen Faltung ist die Berechnung des Ausgangssignals mit Hilfe der Laplace-Transformation, die sich dank der Korrespondenzen im Zeit- und Bildbereich auf eine Vielzahl von Systemen und Signalen anwenden lässt. Am Beispiel einfacher RC- und RLC-Glieder werden mit Hilfe der LaplaceTransformation grundsätzliche Eigenschaften linearer Systeme hergeleitet. Die Ergebnisse haben Modellcharakter und sind hilfreich zum Verständnis des Messverhaltens von Stoßspannungsteilern und anderen Komponenten eines Messsystems. Die numerische Faltung wird am Beispiel von drei synthetischen Spannungsteilern behandelt. Die für Blitzstoßspannungen mit unterschiedlichen Stirnzeiten berechneten Antwortfehler lassen sich grafisch in Fehlerdiagrammen darstellen.
3.6.1 Keilstoßspannung auf RC-Glied Als erstes Beispiel wird das Verhalten des RC-Gliedes nach Abb. 3.5a bei Anlegen einer Keilstoßspannung mit unendlich steiler Abschneidung zur Zeit tc untersucht. Die Laplace-Transformierten der Keilstoßspannung u1(t) und der Sprung-
74
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
antwort g(t) des RC-Gliedes mit IJ = RC sind durch Gl. (2.18) bzw. Gl. (3.19) bestimmt. Die Laplace-Transformierte der Ausgangsspannung ergibt sich zu: U 2 p
p U1 p G p
û1 1 tc p e pt c e pt c . tc p 2 1 RCp
(3.39)
Die Rücktransformation in den Zeitbereich mit Hilfe von Tabelle A1.2 liefert die Ausgangsspannung im Zeitbereich: u 2 t
û1 tc
^ >t W 1 e W @ > t t W t 1 e t /
c
c
t t c / W
@ `,
(3.40)
wobei der Inhalt der zweiten Rechteckklammer auf der rechten Gleichungsseite nur für t > tc einen Beitrag liefert. Abb. 3.9a zeigt, dass die Ausgangsspannung u2(t) des RC-Gliedes dem Anstieg der Eingangsspannung u1(t) mit einer Verzögerung folgt und nach einer gewissen Einschwingzeit parallel verschoben zu u1(t) verläuft. Die konstante Zeitverzögerung von u2(t) im eingeschwungenen Zustand ist nach Gl. (3.40) gleich der Antwortzeit T = IJ = RC (der Ausdruck in der zweiten eckigen Klammer in Gl. (3.40) bleibt hierbei unberücksichtigt). Dies bedeutet andererseits, dass zur Abschneidezeit tc mit tc >> IJ die Ausgangsspannung um die Differenz Gû niedriger als die Eingangsspannung ist. Bei unendlich steilem Zusammenbruch von u1(t) zur Zeit tc ergibt sich ein Scheitelwertfehler Gû der Ausgangsspannung von: Gû =u2(tc) – u1(tc) = - û1 T/tc = - S T,
(3.41)
wobei S = û1/tc die Steilheit im Anstieg der Keilstoßspannung und T = RC die Antwortzeit des RC-Gliedes nach Gl. (3.32) sind. Beispielsweise beträgt der relative Scheitelwertfehler Gû/û1 = -5 % für eine Abschneidezeit tc = 500 ns und Antwortzeit T = 25 ns. Eine Keilstoßspannung mit endlich steiler Abschneidung lässt sich ähnlich wie in Abb. 2.3 wiederum aus mehreren, in diesem Fall fünf zeitversetzten Funktionen zusammensetzen. Die entsprechenden fünf Ausgangsfunktionen ergeben als Summe die Ausgangsspannung u2(t). Im Unterschied zur unendlich steilen Abschneidung von u1(t) schwingt die Ausgangsspannung über den Wert u2(t = tc) hinaus und erreicht ihren Scheitelwert û2 erst zu einem späteren Zeitpunkt tc* > tc (Abb. 3.9b). Bei der Auswertung der aufgezeichneten Ausgangsspannung erhält man daher den Eindruck, dass tc* der Abschneidezeitpunkt sei. Durch das Überschwingen im Scheitel entsteht ein kleinerer Scheitelwertfehler Gû* < Gû [3.25, 3.26]. Er lässt sich aus den beiden Steilheiten der Ausgangsspannung kurz vor und nach dem Spannungszusammenbruch abschätzen [1.9]. Die Ergebnisse gelten näherungsweise auch für eine in der Stirn abgeschnittene Stoßspannung, deren Kurvenform der idealisierten Keilstoßspannung recht nahe kommt (s. Abb. 1c). Ein
3 Übertragungsverhalten linearer Systeme und Faltung
75
weiteres Merkmal ist, dass die nach tc abfallende Gerade der Keilstoßspannung die Ausgangsspannung u2(t) im Scheitel schneidet [3.11]. a)
u(t) įû T u1 u2
t
tc b)
u(t) įû* įû T u1 u2
tc
tc*
t
Abb. 3.9. Keilstoßspannung u1 am Eingang eines RC-Gliedes und durch analytische Faltung berechnete Ausgangsspannung u2 b) endlich steile Abschneidung bei tc a) unendlich steile Abschneidung bei tc
An dieser Stelle sei betont, dass das Nacheilen von u2(t) gegenüber u1(t) um die Antwortzeit T klar von der Laufzeit t0 nach Gl. (3.8) zu unterscheiden ist. In den beiden Beispielen in Abb. 3.9 ist t0 Ł 0. Eine signifikante Signallaufzeit tritt beispielsweise auf, wenn die Ausgangsspannung des RC-Gliedes am Ende eines längeren Koaxialkabels gemessen wird. Stoßspannungsteiler weisen auf Grund ihrer Abmessungen, der Hochspannungszuleitung und des am Teilerausgang angeschlossenen Koaxialkabels zum Messgerät ebenfalls eine mehr oder weniger große Signallaufzeit auf. Die aufgezeichnete Ausgangsspannung u2(t) ist im eingeschwungenen Zustand gegenüber der am Teilereingang angelegten
76
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Eingangsspannung u1(t) um die Gesamtzeit t0 + T verschoben (Abb. 3.10). Die Beiträge des Spannungsteilers und des Koaxialkabels zur Laufzeit lassen sich bei Bedarf an Hand der Teilerabmessungen und des Datenblattes für das Koaxialkabel näherungsweise berechnen. In der Regel ist jedoch die Laufzeit t0 bei Stoßspannungsprüfungen von untergeordnetem Interesse. u(t) įû
t0
T
u1 u2 0
t0
tc
tc+ t0
t
Abb. 3.10. Zeitverzögerung der Ausgangsspannung u2 gegenüber der Eingangsspannung u1 um die Signallaufzeit t0
Die Antwortzeit T eines Spannungsteilers lässt sich außer aus der Sprungantwort auch aus der simultanen Aufzeichnung der Ein- und Ausgangsspannungen bestimmen. Hierbei wird neben u2(t) auch u1(t) mit einem zusätzlichen Spannungsteiler oder Tastkopf und einem zweiten Digitalrecorder oder Recorderkanal aufgezeichnet, wobei der der Eingangsspannung zugeordnete Kanal den anderen Kanal triggert. Bei reduziertem Spannungspegel können die Spannungsteiler mit kurzen Messkabeln mit vernachlässigbarer Eigenlaufzeit verwendet werden. Die Zeitverschiebung zwischen u1 und u2 im eingeschwungenen Zustand ergibt nach Abb. 3.9 direkt die Antwortzeit T des Messsystems. Ist u1(t) eine Keilstoßspannung mit steilem Spannungszusammenbruch, lässt sich T aus der Steilheit S und der Differenz įu der Scheitelwerte nach Gl. (3.41) berechnen. In der Messpraxis werden beide Verfahren nur gelegentlich angewandt, da die erforderlichen Voraussetzungen häufig nicht zutreffen. 3.6.2 Keilstoßspannung auf RLC-Glied Das Übertragungsverhalten eines RLC-Gliedes ist, abgesehen vom aperiodischen Grenzfall, durch mehr oder weniger starke Oszillationen der Sprungantwort gekennzeichnet (Abb. 3.6b). Bei ausgeprägtem Überschwingen kann die Antwortzeit T nach Gl. (3.31) auch negative Werte annehmen. Als Sonderfall ist auch T = 0 möglich. Zwei Beispiele sollen den grundsätzlichen Einfluss von oszillierenden Sprungantworten auf die Ausgangsspannung verdeutlichen. Die analytische Be-
3 Übertragungsverhalten linearer Systeme und Faltung
77
rechnung erfolgt in gleicher Weise wie für das RC-Glied mit Hilfe der LaplaceTransformierten für die Keilstoßspannung mit unendlich steilem Rücken nach Gl. (2.18) und für die Sprungantwort nach Gl. (3.22). Auf die Ableitung und Wiedergabe der umfangreichen Gleichungen wird an dieser Stelle verzichtet. Die Ergebnisse der Faltungsrechnung sind in Abb. 3.11 für die beiden RLCGlieder mit schwingender Sprungantwort (Kurven 1 und 2 in Abb. 3.6b) grafisch dargestellt. Während bei kleiner Antwortzeit T die Ausgangsspannung u1(t) nach kurzer Einschwingdauer nahezu deckungsgleich mit der ansteigenden Flanke der Eingangsspannung u1(t) verläuft (Abb. 3.11a), ist bei größerer Antwortzeit ein deutliches Nacheilen von u2(t) zu erkennen (Abb. 3.11b). Im eingeschwungenen Zustand ist diese Zeitverschiebung wie beim RC-Glied gleich der Antwortzeit T. a)
u(t) T |0 u2 u1
0
tc
t
b)
u(t) T u2 u1
0
tc
t
Abb. 3.11. Keilstoßspannung u1 am Eingang eines RLC-Gliedes und durch analytische Faltung berechnete Ausgangsspannung u2 für zwei verschiedene Antwortzeiten T der Sprungantwort a) T § 0 (Sprungantwort nach Kurve 1 in Abb. 3.6b) b) T > 0 (Sprungantwort nach Kurve 2 in Abb. 3.6b)
78
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Weiterhin ist ersichtlich, dass sich die Oszillation der Sprungantwort je nach Steilheit der Eingangsspannung unterschiedlich stark auf die Ausgangsspannung auswirkt. So ist im vergleichsweise langsamen Anstieg von u2(t) die Oszillation der Sprungantwort kaum, im steilen Abfall für t > tc dagegen deutlich erkennbar. Der Zeitverlauf u2(t) nach dem unendlich steilen Abfall von u1(t), der einen negativen Spannungssprung darstellt, entspricht nicht exakt der Sprungantwort. Er wird vom Verlauf von u1(t) vor dem Abschneiden beeinflusst, der sich als Summe der Antwortsignale für die drei Komponenten ua bis uc der Dreieckfunktion entsprechend Abb. 2.3 ergibt. Das Beispiel in Abb. 3.11a lässt erkennen, dass man mit einem auf T § 0 optimierten Messsystem wohl den Scheitelwert, nicht aber automatisch auch die Stirnzeit der angelegten Stoßspannung richtig erfassen kann. Wenn der Punkt bei 0,3û2, der in die Bestimmung der Stirnzeit T1 eingeht, wegen der überlagerten Stirnschwingung nicht im eingeschwungenen Bereich liegt, können sich deutliche Abweichungen vom richtigen Wert der Stirnzeit ergeben. Erfolgt die Abschneidung der Eingangsspannung in endlicher Zeit, schwingt die Ausgangsspannung ähnlich wie beim RC-Glied über den Abschneidepunkt hinaus und erreicht einen größeren Scheitelwert als bei der unendlich steilen Abschneidung (s. Abb. 3.9b). Zur optimalen Dimensionierung eines Stoßspannungsteilers ist daher die Antwortzeit nicht allein maßgebend.
3.6.3 Stoßspannung auf RC-Glied Legt man an den Eingang des RC-Gliedes (s. Kap. 3.4.1) eine Stoßspannung mit der Laplace-Transformierten nach Gl. (2.15), ergibt sich die LaplaceTransformierte der Ausgangsspannung zu: U 2 p
p U1 p G p
º ûA ª 1 1 1 . (3.42) » « RC ¬ p 1 / W 2 p 1 / W 2 ¼ p 1 / RC
Die Rücktransformation liefert mit den Korrespondenzen in Tabelle (A1.2) die Ausgangsspannung im Zeitbereich: u2 t
û A ª e t / RC e t / W 1 « RC ¬« 1 / W 1 1 / RC
e t / RC e t / W 2 º ». 1 / W 2 1 / RC ¼»
(3.43)
Kurve 1 in Abb. 3.12 zeigt den Anfangsverlauf einer Blitzstoßspannung 1,2/50, die als Eingangsspannung u1(t) am RC-Glied anliegt. Die Kurven 2 bis 4 stellen die nach Gl. (3.43) berechneten Ausgangsspannungen u2(t) für drei verschiedene Zeitkonstanten IJ = RC dar. Das RC-Glied mit der Zeitkonstanten RC = T = 436 ns (Kurve 3 in Abb. 3.12) ist dadurch gekennzeichnet, dass die Anstiegszeit seiner Sprungantwort mit Ta = 2,2T = 960 ns gleich der Anstiegszeit der Blitzstoßspan-
3 Übertragungsverhalten linearer Systeme und Faltung
79
nung 1,2/50 nach Gl. (3.34) ist. Erwartungsgemäß weichen die Ausgangsspannungen umso stärker von der Eingangsspannung ab, je größer die Zeitkonstante RC bzw. Anstiegszeit Ta ist. Weiterhin ist festzustellen, dass jede Ausgangsspannung (Kurven 2 bis 4) im Scheitel von der Eingangsspannung (Kurve 1) geschnitten wird. Im Rücken verläuft u2(t) annähernd parallel verschoben zu u1(t), wobei der zeitliche Abstand gleich der Antwortzeit und Zeitkonstante des RC-Gliedes ist.
1
1
0.75
3
4
2
u1, u2 0.5
R u1
0.25
u2
C
0 0
1
2
3
4
μs
5
t Abb. 3.12. Ausgangsspannung u2 eines RC-Gliedes mit der Zeitkonstanten IJ = RC bei Anlegen einer Blitzstoßspannung 1,2/50 2 Ausgangsspannung u2 für RC = 43,6 ns 1 Anfangsverlauf u1 der Blitzstoßspannung 1,2/50 3 Ausgangsspannung u2 für RC = 436 ns 4 Ausgangsspannung u2 für RC = 1 μs
3.6.4 Antwortfehler und Fehlerdiagramm Das Beispiel in Kap. 3.6.3 behandelt die Berechnung der Ausgangsspannung eines RC-Gliedes für eine am Eingang angelegte Blitzstoßspannung 1,2/50 mit der Laplace-Transformation, was der analytischen Faltung entspricht. Durch Vergleich der berechneten Ausgangsspannung u2(t) mit der vorgegebenen Eingangsspannung u1(t) lassen sich die Abweichungen der Ausgangsspannung für den Scheitelwert und die Stirnzeit leicht ermitteln. Diese Abweichungen werden auch als Übertragungsfehler oder Antwortfehler des Systems bezeichnet. Mit den Antwortfehlern įû für den Scheitelwert und įT1 für die Stirnzeit ist das dynamische Verhalten eines Messsystems für Stoßspannungen bzw. Stoßströme umfassend charakterisiert. Für die drei in Kap. 3.6.3 untersuchten RC-Kreise, die als synthetische Spannungsteiler mit RC-Verhalten aufgefasst werden können, sind die relativen Antwortfehler įû und įT1 in Tabelle 3.1 zusammengestellt. Die Antwortfehler lassen sich in Abhängigkeit von der Stirnzeit oder eines anderen Zeitparameters in Fehlerdiagrammen grafisch darstellen. Abb. 3.13 zeigt die Sprungantworten von Systemen erster und zweiter Ordnung und einem oszillierenden System, die hier repräsentativ für drei synthetische Stoßspannungsteiler
80
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
stehen. Die Antwortzeiten betragen T = 50 ns (Kurve 1), 100 ns (Kurve 2) und 19,9 ns (Kurve 3). Jede Antwortzeit ist größer als der in [1.8] für Referenzteiler empfohlene Grenzwert von 15 ns, so dass demnach keiner der drei synthetischen Spannungsteiler als Referenzteiler für Blitzstoßspannungen geeignet wäre. Tabelle 3.1. Berechnete Antwortfehler įû und įT1 der synthetischen Spannungsteiler mit RCVerhalten nach Kap. 3.6.3 für die Blitzstoßspannung 1,2/50 RC in ns (Kurve in Abb. 3.12)
43,6 (2)
436 (3)
1000 (4)
įû in %
-0,03
-0,8
-3,6
įT1 in %
0,25
53,7
221
Die Ergebnisse der numerischen Faltung mit dem Algorithmus nach Gl. (3.5) führen jedoch zu einer anderen Beurteilung. Die Antwortfehler įû und įT1 der drei synthetischen Stoßspannungsteiler mit den Sprungantworten nach Abb. 3.13 sind in Abb. 3.14 über der Stirnzeit T1 von vollen Blitzstoßspannungen aufgetragen. Sie liegen innerhalb von ±0,02 % für den Scheitelwert und innerhalb von ±3 % für die Stirnzeit. Damit ist der Nachweis erbracht, dass das Übertragungsverhalten der drei synthetischen Spannungsteiler als Referenzteiler für Blitzstoßspannungen mit Stirnzeiten im Toleranzbereich T1 = 1,2 μs ± 30 % ausreichend ist [3.5, 3.27].
1,5 3 1 g(t) 1
0,5
2 0 0
0,25
0,5
0,75
μs
1
t Abb. 3.13. Sprungantworten linearer Systeme mit der Antwortzeit T als Beispiel für drei synthetische Stoßspannungsteiler 1 System erster Ordnung (T = 50 ns) 2 System zweiter Ordnung (T = 100 ns) 3 System mit Oszillation (T = 19,9 ns)
Für abgeschnittene Blitzstoßspannungen sind die Antwortfehler įû und įT1 der drei synthetischen Spannungsteiler in Abhängigkeit von der Abschneidezeit Tc in Fehlerdiagrammen aufgetragen (Abb. 3.15). Der Spannungsabfall nach dem Ab-
3 Übertragungsverhalten linearer Systeme und Faltung
81
schneiden erfolgt exponentiell mit einer Zeitkonstante von 50 ns. Für Tc 2 μs ergeben sich erwartungsgemäß die gleichen Antwortfehler wie für volle Blitzstoßspannungen. Mit abnehmender Abschneidezeit werden die Antwortfehler zunehmend negativ, d. h. die Scheitelwerte und Stirnzeiten der abgeschnittenen Blitzstoßspannungen werden zu niedrig gemessen. Die synthetischen Spannungsteiler wären nur noch in einem sehr eingeschränkten Bereich von Tc als anerkannte Stoßspannungsteiler oder gar Referenzteiler einsetzbar. In der Prüfpraxis weisen jedoch die abgeschnittenen Stoßspannungen im Abschneidebereich einen eher abgerundeten Scheitel auf. Die dynamische Beanspruchung der Spannungsteiler fällt somit geringer aus und die Antwortfehler sind kleiner als die für einen spitzen Scheitel berechneten Werte in Abb. 3.15. Durch Anpassung der synthetischen Stoßspannung an den tatsächlichen Verlauf lässt sich dieses Verhalten für die numerische Faltung nachbilden. a) 0,05 % 0 įû -0,05
3
0,6
1 2
0,8
1,0
1,2
1,4
μs
1,6
1,2
1,4
μs
1,6
T1
b)
4 % 2
2
įT1
1 0 -2
3 0,6
0,8
1,0 T1
Abb. 3.14. Antwortfehler įû und įT1 der drei synthetischen Teiler mit den Sprungantworten 1, 2 und 3 in Abb. 3.13, berechnet mit dem Faltungsalgorithmus nach Gl. (3.5) für volle Blitzstoßspannungen mit veränderlicher Stirnzeit T1 und konstanter Rückenhalbwertzeit T2 = 50 μs a) Scheitelwertfehler įû = f (T1) b) Stirnzeitfehler įT1 = f (T1)
Bei der Berechnung der Antwortfehler von realen Stoßspannungsteilern mit dem numerischen Faltungsalgorithmus nach Gl. (3.5) ist zu berücksichtigen, dass die experimentell gewonnenen Zeitverläufe von g(t) und u1(t) mehr oder weniger fehlerhaft sind. Die Messung der Sprungantwort von Stoßspannungsteilern kann wegen der bekannten Unzulänglichkeiten der Mess- und Prüfschaltungen immer nur näherungsweise erfolgen (s. Kap. 3.7). Abgesehen von der endlichen Steilheit der erzeugten Sprungspannung und den Messfehlern des Digitalrecorders, lässt sich der räumlich ausgedehnte, ungeschirmte Stoßspannungsteiler nicht reflexions- und störungsfrei an den Sprunggenerator anschließen. Die an den Spannungs-
82
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
teiler angelegte Stoßspannung, also die Eingangsspannung u1(t), ist grundsätzlich nicht bekannt. Sie muss mit einem zusätzlichen, fehlerfreien Spannungsteiler gemessen werden, wobei allerdings ein Referenzteiler wegen der zulässigen Fehlergrenzen von ±1 % für den Scheitelwert und ±5 % für die Zeitparameter nicht von vornherein als fehlerfrei gelten kann. Ersetzt man den Zeitverlauf von u1(t) durch die Daten einer synthetischen Stoßspannung, z. B. durch den doppelexponentiellen Impuls nach Gl. (2.8), muss die Auswirkung des abweichenden Zeitverlaufs auf das Ergebnis der Faltung untersucht werden.
a)
Tc 0
0
1
1,5
2
μs
2,5
3
% įû
0,5
1
-4
2
-6
Tc
b) 0
įT1
0,5
1
1,5
2
μs
2,5
2 % 0 -2 -4 -6 -8 -10
3
1
2
Abb. 3.15. Antwortfehler įû und įT1 der drei synthetischen Spannungsteiler mit den Sprungantworten 1, 2 und 3 in Abb. 3.13, berechnet mit dem numerischen Faltungsalgorithmus nach Gl. (3.5) für abgeschnittene Blitzstoßspannungen mit veränderlicher Abschneidezeit Tc a) Scheitelwertfehler įû = f(Tc) b) Stirnzeitfehler įT1 = f(Tc)
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das numerische Faltungsverfahren sehr hilfreich zur Beurteilung des dynamischen Verhaltens von Stoßspannungsteilern sein kann. Wegen der Unzulänglichkeiten bei der Messung von g(t) und u1(t) ist jedoch eine messtechnische Überprüfung der Ergebnisse der Faltungsrechnung empfehlenswert. Hierzu bietet sich eine Vergleichsmessung mit einem genauen Referenzteiler bei Stoßspannung mit mindestens einem Wert des betreffenden Zeitparameters an. Durch die Kombination von Rechnung und Messung verringert sich der Aufwand für die Kalibrierung eines Stoßspannungsteilers deutlich. Der Unterschied der berechneten und gemessenen Parameterwerte geht in die Unsicherheitsberechnung ein (s. Kap. A2).
3 Übertragungsverhalten linearer Systeme und Faltung
83
3.7 Experimentelle Sprungantwort Die Sprungantwort von Stoßspannungs- und Stoßstrommesssystemen und deren Komponenten wird mit Digitalrecordern unter definierten Messbedingungen aufgezeichnet und mit Software ausgewertet. Im Unterschied zur mathematisch exakten Sprungantwort in Kap. 3.1 ist bei der experimentell ermittelten Sprungantwort mit einer Reihe von Unzulänglichkeiten und Störeinflüssen zu rechnen, die sich auf die Bestimmung des Nullpunktes und der Antwortparameter auswirken. Eine genaue Beurteilung des dynamischen Verhaltens eines Messsystems wird dadurch erschwert. Im Vergleich zu Stoßspannungsteilern ist die experimentelle Sprungantwort von Stromsensoren in der Regel mit geringen Störeinflüssen behaftet. Trotz der genannten Einschränkungen vermag die experimentelle Sprungantwort dennoch wertvolle Hinweise auf das Übertragungsverhalten eines Messsystems und dessen Komponenten zu liefern. An Hand der Sprungantwort ist eine nicht optimale Ausführung des Messsystems erkennbar, die dann durch Simulationsrechnung mit kommerzieller oder selbst entwickelter Software verbessert werden kann. Der Verlauf der Sprungantwort im Referenzzeitbereich ermöglicht eine Aussage über die Beeinflussung des Maßstabsfaktors durch die Zeitparameter der zu messenden Stoßspannung. Aus der experimentellen Sprungantwort lassen sich mehrere Antwortparameter ableiten, die als Kriterium für das ausreichende dynamische Verhalten des Messsystems dienen. Die Sprungantwort dient weiterhin als Fingerabdruck des Messsystems zu dessen Identifikation und zum Nachweis der Langzeitstabilität bei Kontrollmessungen im Rahmen des Qualitätsmanagements. Schließlich kann die experimentelle Sprungantwort mit gewissen Einschränkungen für die numerische Faltungsrechnung verwendet werden, um die Antwortfehler eines Messsystems für vorgegebene Eingangsimpulse zu berechnen.
3.7.1 Auswertung der experimentellen Sprungantwort Die experimentelle Sprungantwort eines Messsystems weist je nach dessen Bauart und Abmessungen sehr unterschiedliche Zeitverläufe auf. Ihre Auswertung wird durch mehrere Unzulänglichkeiten der Messschaltung und Störeinflüsse beeinträchtigt. So weist die vom Generator erzeugte Sprungspannung nicht immer den Idealverlauf auf und Messfehler des Digitalrecorders gehen in die Aufzeichnung der Sprungantwort ein. Stoßspannungsteiler mit Hochspannungszuleitung, die in der Regel nicht oder nur ungenügend geschirmt sind, empfangen wegen ihrer großen Abmessungen und antennenartigen Bauweise elektromagnetische Störungen aller Art und strahlen andererseits selber das Messsignal ab [3.28-3.30]. Durch Fehlanpassung des Spannungsteilers an den Sprunggenerator kommt es zu Reflexionsvorgängen und damit zu gedämpft abklingenden Wanderwellen auf der Zuleitung. Häufig ist der Spannungsteiler bei der Sprungantwortmessung mit einer anderen Zuleitung als im Stoßspannungsprüfkreis versehen. Die genannten Unzulänglichkeiten treten mit zunehmender Teilerhöhe verstärkt auf, wie am Beispiel
84
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
eines gedämpft kapazitiven 6-MV-Stoßspannungsteilers gezeigt wird [3.31]. Optimale Messbedingungen liegen dagegen bei koaxialen Widerständen vor, die auf Grund der kleineren Abmessungen und geschirmten Bauweise einen reflexionsfreien Anschluss an den Sprunggenerator über Koaxialkabel ermöglichen. Auch die Sprungantwort von Strommessspulen, durch deren Öffnung der Stromleiter geführt und mit dem Innenwiderstand des Sprunggenerators reflexionsfrei abgeschlossen wird, lässt sich im Allgemeinen problemlos aufzeichnen. Der Anfangsverlauf der aufgezeichneten Sprungantwort: und damit auch der Nullpunkt sind bei unzureichender Bandbreite des Recorders und wegen elektromagnetischer Störeinflüsse häufig nicht eindeutig zu bestimmen. In den Prüfvorschriften ist daher als Nullpunkt O1 der Zeitpunkt definiert, bei dem die Sprungantwort zuerst monoton von null ansteigt [1.8, 1.24]. Die Auswertung der Sprungantwort am Ende der Aufzeichnung zur Festlegung des Amplitudenwertes „1“ ist wegen überlagerter Störungen ebenfalls problematisch. Im Zeitbereich zwischen 0,5tmin und 2tmax, dem Referenzzeitbereich, wird daher aus dem Mittel der Abtastwerte für die Sprungantwort ein Referenzniveau berechnet, dem der Wert „1“ zugeordnet wird (Abb. 3.16). Die Sprungantwort eines anerkannten Messsystems darf sich im Referenzzeitbereich nur innerhalb von ±2 % und im weiteren Verlauf von 2tmax bis 2T2max nur innerhalb von ±5 % ändern. Die Zeiten tmin und tmax entsprechen hierbei dem Minimal- bzw. Maximalwert des jeweiligen Zeitparameters T1, Tp oder Tc, für den das Messsystem anerkannt werden soll. Für die Stirnzeit einer genormten Blitzstoßspannung 1,2/50 ist tmin = T1min = 0,84 μs und tmax = T1max = 1,56 Ps. Erfahrungen und Vorschläge hinsichtlich der rechnergestützten Auswertung von Sprungantworten finden sich in [3.29-3.40, 5.40]. g(t)
g
Tȕ
ȕ
Referenzniveau
1 TȖ TĮ Referenzzeitbereich
0 O1
t1
ts
0,5tmin
2tmax t
Abb. 3.16. Experimentelle Sprungantwort g(t) eines Messsystems mit definiertem Nullpunkt O1, Referenzniveau, Referenzzeitbereich und Antwortparametern nach [1.8, 1.24]
3 Übertragungsverhalten linearer Systeme und Faltung
85
Anmerkung: In älteren Prüfbestimmungen und Literaturstellen vor Herausgabe von [1.8, 1.24] war der virtuelle Nullpunkt O1 definiert als Schnittpunkt der Tangente an den steilsten Teil der Sprungantwort mit der Zeitachse. Weiterhin ersetzte die Tangente den aufgezeichneten Anfangsverlauf der Sprungantwort unterhalb ihres steilsten Teils. Die festgelegte Auswertung konnte jedoch dazu führen, dass ein signifikanter Teil am Anfang der Sprungantwort verloren ging, was natürlich Auswirkung auf die Berechnung der Antwortparameter (s. Kap. 3.7.2) hatte. Die geänderte Festlegung des Nullpunktes O1 in [1.8, 1.24] kann zu Abweichungen bei den Antwortparametern, insbesondere bei TĮ und TN, gegenüber früheren Auswertungen führen.
3.7.2 Antwortparameter der Sprungantwort Zur Kennzeichnung der Sprungantwort dienen mehrere Antwortparameter. Die Einhaltung der vorgegebenen Grenzwerte gilt als Nachweis, dass das dynamische Verhalten des Messsystems ausreichend ist und die festgelegten Fehlergrenzen für den Scheitelwert und die Zeitparameter nicht überschritten werden. Die Bedeutung der Antwortparameter ist jedoch in den revidierten Prüfvorschriften zurückgegangen und empfohlene Grenzwerte für die Antwortparameter finden sich nur noch bei Referenzsystemen für Stoßspannung [1.8]. Für Stoßstrommesssysteme haben sich die Antwortparameter mit festgelegten Grenzwerten nicht durchgesetzt [1.24]. Zum einen gibt es eine Vielfalt von genormten Stoßströmen, für die fundierte Grenzwerte hätten bestimmt werden müssen, zum anderen bietet sich durch die direkte Berechnung der Messabweichungen mit dem Faltungsalgorithmus eine weit effektivere Alternative an (s. Kap. 3.1). Die Sprungantwort g(t) ist durch vier Antwortparameter gekennzeichnet [1.8]: 2 t max
³ >1 g (t )@ d t
TN
Experimentelle Antwortzeit:
(3.44)
O1
t1
³ >1 g t @ d t
(3.45)
³ >1 g t @ d t d 0,02 ts
(3.46)
TĮ
Teilantwortzeit TD:
O1
t
Beruhigungszeit ts:
TN
O1
Überschießen E:
E
gˆ 1 .
(3.47)
86
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Die experimentelle Antwortzeit TN nach Gl. (3.44) ermöglicht in begrenztem Umfang eine Abschätzung des Scheitelwertfehlers der gemessenen Stoßspannung. Sie unterscheidet sich von der mathematischen Definition der Antwortzeit T nach Gl. (3.31) durch die untere und obere Integrationsgrenze. Die Teilantwortzeit TĮ nach Gl. (3.45) dient zur Beurteilung der Messrichtigkeit eines Messsystems bei schnellen Spannungsänderungen in der Stirn einer Stoßspannung, z. B. bei überlagerten Oszillationen. Die Beruhigungszeit ts nach Gl. (3.46) ist die kürzeste Zeit, die die angegebene Ungleichung für alle Zeiten t t ts der Sprungantwort bis zur oberen Integrationsgrenze 2tmax erfüllt. Die Beruhigungszeit ist anschaulich so zu deuten, dass für t > ts der restliche Beitrag der Sprungantwort zur Antwortzeit nicht mehr als 2 % von ts beträgt. Neben TN gilt ts als der wichtigste Antwortparameter der Sprungantwort. Das Überschießen ȕ ist durch den Betrag gegeben, um den der Größtwert der schwingenden Einheitssprungantwort das Referenzniveau übersteigt. Weist ein Spannungsteiler in seiner Sprungantwort ein großes Überschießen auf, wird vor allem die Stirn der gemessenen Stoßspannung verfälscht wiedergegeben. Durch Simulationsrechnungen mit verschiedenen Zeitverläufen der Sprungantwort und Stoßspannung ergibt sich ein Diagramm, dass den erlaubten Bereich für ȕ in Abhängigkeit vom Verhältnis TĮ /T1 kennzeichnet [3.41]. Anmerkung: Wegen der geänderten Definition des Anfangs O1 der Sprungantwort in [1.8] hat die Anfangsstörzeit T0 praktisch keine Bedeutung mehr und wird hier nicht behandelt.
Die Kennzeichnung der Sprungantwort eines Stoßspannungsteilers durch die Antwortparameter und die Festlegung entsprechender Grenzwerte in [1.8] mag praktisch erscheinen, ein eindeutiger quantitativer Zusammenhang zwischen diesen Antwortparametern und den Messabweichungen eines Stoßspannungsteilers ist jedoch nicht gegeben. Die mit dem Faltungsalgorithmus berechneten Beispiele in Kap. 3.6.4 zeigen, dass die festgesetzten Grenzwerte der Antwortparameter für einen Stoßspannungsteiler nicht immer gerechtfertigt sind. Die Richtigkeit der Software, mit der die Antwortparameter aus dem Datensatz der aufgezeichneten Sprungantwort berechnet werden, kann mit analytisch berechenbaren Sprungantworten idealer Systeme aus Kap. 3.4.1 nachgewiesen werden [3.42]. Hierbei sind die teilweise unterschiedlichen Definitionen der Antwortparameter für die experimentelle und analytische Sprungantwort zu berücksichtigen, insbesondere hinsichtlich des Nullpunktes und der Integrationsgrenzen. Die Antwortparameter können grundsätzlich auch grafisch aus der aufgezeichneten Einheitssprungantwort nach Abb. 3.16 ermittelt werden. So ergibt sich die experimentelle Antwortzeit aus der Summe der Teilflächen zwischen der Sprungantwort g(t) und dem Referenzniveau, wobei die Teilflächen oberhalb der Einheitslinie negatives Vorzeichen erhalten: TN = TD - Tȕ + TȖ - … .
(3.48)
Die graphische Bestimmung der Antwortparameter aus Oszillogrammen wird jedoch nur noch selten angewandt, da die früher eingesetzten analogen Oszillosko-
3 Übertragungsverhalten linearer Systeme und Faltung
87
pe, die eine grafische Auswertung erforderten, weitgehend durch Digitalrecorder mit rechnergestützter Datenauswertung ersetzt wurden. 3.7.3 Messschaltungen für die Sprungantwort Zur Aufzeichnung der Sprungantwort eines Spannungsteilers kommen drei Messanordnungen in Betracht. Die Schaltung nach Abb. 3.17a mit horizontaler Verbindungsleitung zwischen dem Sprunggenerator 1, Dämpfungswiderstand 2 und Spannungsteiler 3 entspricht am ehesten der üblichen Anordnung des Spannungsteilers im Stoßspannungsprüfkreis und wird daher in den Prüfvorschriften empfohlen. Der Sprunggenerator 1 befindet sich auf gleicher Höhe wie der Teilerkopf und die Zuleitungslänge entspricht der Teilerhöhe. Als Erdrückleiter zwischen Sprunggenerator und Teilerfuß dient eine mindestens 0,5 m breite niederinduktive Kupferfolie 5. Normgerecht sind auch die anderen beiden Messschaltungen in Abb. 3.17b und c, obwohl allein schon die unterschiedliche Länge der Hochspannungszuleitung eine veränderte Sprungantwort erwarten lässt. Dient die Sprungantwort nur als Fingerabdruck zur Identifizierung und Überprüfung der Beständigkeit eines Spannungsteilers ohne weitere Auswertung, wird die Anordnung nach Abb. 3.17c bevorzugt. In dieser einfach zu realisierenden Schaltung verläuft die Hochspannungszuleitung schräg vom Teilerkopf zum Sprunggenerator. Für die Sprungantwortmessung ist der Spannungsteiler möglichst in der gleichen Anordnung wie bei der Stoßspannungsprüfung aufzubauen. Der Stoßspannungsteiler, die Hochspannungszuleitung, gegebenenfalls ein externer Dämpfungswiderstand und das koaxiale Messkabel mit Abschlussimpedanz bilden stets eine Einheit. Jede Veränderung der Zuleitung und deren räumliche Anordnung beeinflusst die Sprungantwort (s. Abb. 5.17). Auch der Abstand zur Hallenwand oder zu anderen Objekten und selbst die Hallengröße haben einen Einfluss. In der Regel muss der für die Stoßspannungsprüfung verwendete Recorder durch einen anderen Recorder mit größerer Abtastrate und Empfindlichkeit ersetzt werden. Die Bandbreite des Recorders für die Sprungantwortmessung soll der Bandbreite bei der Stoßspannungsprüfung entsprechen. Der Sprunggenerator und die ungeschirmte Zuleitung zum Spannungsteiler strahlen einen Teil der Sprungenergie ab, der als elektromagnetische Welle den ungeschirmten Spannungsteiler erreicht. Auf den unteren Teil des Spannungsteilers wird dadurch ein Störsignal eingekoppelt, das früher als die über die Zuleitung und den Spannungsteiler geführte Sprungspannung eintrifft. Dieses Störsignal ist zwar im Vergleich zum Nutzsignal klein, durchläuft aber - anders als die am Teilerkopf ankommende Sprungspannung - nicht den Spannungsteiler und wird daher nicht weiter gedämpft. Das Störsignal überlagert sich der Sprungantwort zu Beginn der Aufzeichnung, wodurch der Anfang der Sprungantwort teilweise verdeckt wird. Die Störüberlagerung macht sich besonders in den beiden Schaltungen mit vertikaler und schräger Zuleitung bemerkbar (Abb. 3.17b und c), da der Abstand des Sprunggenerators und der Zuleitung zum Teilerfuß geringer ist als in der Anordnung nach Abb. 3.17a.
88
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Die horizontale Hochspannungszuleitung in der Anordnung nach Abb. 3.17a hat, wenn sie unendlich lang wäre, einen Wellenwiderstand Z (s. Kap. 5.1.1.2). Für eine Zuleitung mit einem Durchmesser d = 2 cm und einer Höhe h = 2 m über dem Hallenboden beträgt Z = 360 : nach Gl. (5.8). Ist der Spannungsteiler am Anfang der Zuleitung mit einem Dämpfungswiderstand Rd = Z angepasst, werden Wanderwellenvorgänge auf der Zuleitung, die sich der Sprungantwort überlagern würden, weitgehend unterbunden. Durch den angepassten Dämpfungswiderstand 2 reduziert sich auch der Einfluss unterschiedlicher Zuleitungslängen auf die Sprungantwort und damit auf das Messverhalten des Spannungsteilers. Unterschiedlich lange Zuleitungen sind für einen Referenzteiler, der zur Kalibrierung verschieden großer Stoßspannungsteiler eingesetzt wird, erforderlich. Die Größenunterschiede müssen mit der entsprechenden Zuleitungslänge des Referenzteilers kompensiert werden (s. Kap. 5.1.4.2). a)
1
2
3 4 5
b)
c)
3
2 1
5
4
3
2 1
5
Abb. 3.17. Aufbauten für die Sprungantwortmessung bei Spannungsteilern (schematisch) a) Empfohlene Anordnung des Spannungsteilers mit horizontaler Hochspannungszuleitung b) Spannungsteiler mit rechtwinkliger Anordnung der Hochspannungszuleitung c) Spannungsteiler mit schräger Hochspannungszuleitung 1 Sprunggenerator 2 Dämpfungswiderstand 3 Stoßspannungsteiler 4 Messgerät 5 Erdflächenleiter
4
3 Übertragungsverhalten linearer Systeme und Faltung
89
3.7.4 Erzeugung von Sprungspannungen Zur Erzeugung von Sprungspannungen eignet sich das Schaltungsprinzip nach Abb. 3.18. Bei geöffnetem Schalter S wird die Gleichspannung U0 über den hochohmigen Begrenzungswiderstand R1 an die Abschlussimpedanz Za gelegt. Dadurch steigt die Spannung an Za relativ langsam an, wobei die Ladezeit und der Spannungsendwert durch U0 , Za, R1 und R2 bestimmt sind. Wird der Schalter S geschlossen, entsteht je nach Polarität der anliegenden Gleichspannung U0 ein negativer oder positiver Spannungssprung gegen null, dessen Steilheit vom Schalter selbst und der Leitungsinduktivität im Entladekreis abhängt. Die steile Flanke beim Kurzschließen der Spannung wird für die Sprungantwortmessung genutzt. R1 U0 R2
S
Za
Abb. 3.18. Schaltungsprinzip eines Generators mit Reed-Kontakt S zur Erzeugung von Sprungspannungen an der Abschlussimpedanz Za
Als schneller Schalter dient vorzugsweise ein Reed-Relais mit einem mit Quecksilber benetztem Kontakt, wodurch im Gegensatz zu mechanischen Schaltern ein prellfreies Schalten von Spannungen bis maximal 1000 V bzw. von Strömen bis 2 A möglich ist. Der Übergangswiderstand des kurzgeschlossenen ReedKontaktes – und damit der Ausgangswiderstand des Sprunggenerators – liegt unter 10 m:. Der bewegliche Reed-Kontakt wird mit Hilfe einer Erregerspule, die in Abb. 3.18 nicht eingezeichnet ist, einmalig oder periodisch betätigt. Die Periodendauer der erzeugten Rechteckspannung lässt sich bei abnehmender Erregerfrequenz der Relaisspule nahezu beliebig lang wählen, so dass auch Sprungantworten im Bereich von Sekunden aufgezeichnet werden können. Bei niederinduktivem Aufbau des Sprunggenerators lassen sich Anstiegszeiten der Sprungspannung von weniger als 1 ns erzielen. Die ökologisch bedingten Restriktionen bei der Verwendung von Quecksilber haben das Angebot an leistungsstarken Reed-Kontakten stark eingeschränkt. Das Schaltungsprinzip nach Abb. 3.18 eignet sich grundsätzlich für alle Komponenten eines Stoßspannungs- oder Stoßstrommesssystems. Stellt Za einen kapazitiven Spannungsteiler ohne oder mit nur kleinem Dämpfungswiderstand dar, muss auf die maximal zulässige Strombelastung des Reed-Kontaktes beim Kurzschließen geachtet werden. Stromstärken oberhalb des Bemessungswertes führen
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Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
zu Kontaktstörungen und stark verkürzter Lebensdauer des Reed-Kontaktes. Wenn ein Recorder oder Koaxialshunt über ein Koaxialkabel an den Generator angeschlossen wird, empfiehlt sich der Einsatz eines Serienwiderstandes gleich dem Kabelwellenwiderstand zur Vermeidung von wiederholten Reflexionen. Eine weitere Möglichkeit, Sprungspannungen mit kurzer Anstiegszeit zu erzeugen, bieten Kabelgeneratoren (Abb. 3.19). Das an einem Ende offene Koaxialkabel mit dem Wellenwiderstand Z wird über den Vorwiderstand R1 auf die Spannung U0 aufgeladen. Beim Schließen des Schalters S läuft eine steile Spannungswelle in das Kabel ein, die am offenen Kabelende reflektiert wird und mit entgegen gesetzter Amplitude zum Kabeleingang zurückläuft. An der Abschlussimpedanz Za entsteht ein Spannungssprung. dessen Amplitude vom Verhältnis der Impedanzen Za und Z bestimmt ist. Nach doppelter Kabellaufzeit wird für Za = Z die Spannung an der Abschlussimpedanz wieder null. Für Za Z treten nach doppelter Kabellaufzeit Reflexionserscheinungen auf. Die Dauer des erzeugten Rechteckimpulses hängt von der Kabellänge L und der Kabellaufzeit t = 2L/v mit v = 1/¥L0C0 § 0,2 m/s ab. Die Impulsdauer ist meist auf 500 ns begrenzt, da bei längerem Koaxialkabel der Rechteckimpuls auf Grund der Dämpfungsverluste im Kabel eine Dachschräge bekommt. Mit einem mit Quecksilber benetzten ReedKontakt als Schalter S und bei optimaler Anpassung des Prüflings an den Kabelgenerator sind Sprungamplituden von maximal 500 V und Anstiegszeiten von weniger als 0,5 ns erreichbar. R1
S
U0 Z Za
Abb. 3.19. Prinzipschaltbild eines Kabelgenerators. Das von der Gleichspannung U0 über den Widerstand R1 aufgeladene Kabel wird bei Schließen des Schalters S entladen, wobei eine Rechteckspannung mit der Dauer der doppelten Kabellaufzeit am Prüfling mit der Impedanz Z = Za entsteht.
Sprunggeneratoren mit elektronischen Schaltern, z. B. mit Thyristoren oder Avalanche-Transistoren, sind ebenfalls gebräuchlich [3.43, 3.44]. Der Abgleich der elektronischen Bauelemente muss zur Vermeidung eines schrägen Impulsdaches sorgfältig durchgeführt sein. Die Amplitude und Anstiegszeit der Sprungspannung beträgt bis zu 1000 V und mehr als 10 ns für Thyristorschaltungen, und maximal einige 10 V und weniger als 1 ns für Avalanche-Transistoren. Elektronische Sprunggeneratoren weisen häufig einen Ausgangswiderstand in der Größenordnung des Wellenwiderstandes von Koaxialkabeln auf.
3 Übertragungsverhalten linearer Systeme und Faltung
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Sprungspannungen mit wesentlich mehr als 1000 V lassen sich mit Kugelfunkenstrecken als Schalter erzeugen [3.32, 3.45]. Während mit Ölfunkenstrecken Anstiegszeiten bis hinunter zu 10 ns erreichbar sind, ermöglichen kleine druckgasisolierte Funkenstrecken Werte im Bereich von wenigen Nanosekunden. Die Funkenstrecke wird in Verbindung mit einer gleichgerichteten Wechselspannung oder einem Generator betrieben, der eine Stoßspannung mit langer Stirnzeit erzeugt. Die Funkenstrecke zündet im Bereich des Scheitels, wo die Spannungsänderung praktisch null ist. Funkenstrecken werden auch in Verbindung mit einem Hochspannungskabel als Kabelgenerator eingesetzt [3.45, 3.46]. Eine große Sprungamplitude hat den Vorteil, dass die Antwort des vollständigen Messsystems, also einschließlich des Recorders mit internem Abschwächer, ermittelt werden kann. Andererseits weicht die mit der Funkenstrecke erzeugte Ausgangsspannung u1(t) in der Regel deutlich vom Idealverlauf einer Sprungspannung ab. Folglich ist die am Ausgang des Messsystems gemessene Spannung u2(t) nicht die exakte Sprungantwort. Mit Hilfe der Faltungsrechnung im Frequenzbereich kann jedoch die Sprungantwort näherungsweise berechnet werden. Aus u2(t) und u1(t) lassen sich mit der FFT die Fourier-Transformierten bestimmen, deren Quotient nach (3.9) die Übertragungsfunktion H(jȦ) des Systems ergibt. Mit (3.14) und nach Rücktransformation in den Zeitbereich erhält man schließlich eine gute Näherung für die Sprungantwort g(t). Wenn der Eingangsspannung u1(t), die ersatzweise als Sprungspannung dient, die hohen Signalfrequenzen fehlen, kann die dafür berechnete Sprungantwort jedoch keine Information über das Verhalten des Messsystems bei diesen hohen Frequenzen liefern. Die bisher genannten Sprunggeneratoren sind als punktförmig im Vergleich zu den Abmessungen eines Stoßspannungsteilers anzusehen. Die von der Punktquelle elektromagnetisch ausgestrahlte Kugelwelle erreicht den Teilerkopf und Teilerfuß zu unterschiedlichen Zeiten. Der in den ungeschirmten Teilerfuß eingestrahlte Anteil macht sich als Störüberlagerung am Anfang der Sprungantwort bemerkbar und überdeckt dadurch dessen Nullpunkt (s. Kap. 3.7.1). Zur Vermeidung dieses Störeffektes wird die Verwendung eines Pulsgenerators mit verteilten Quellen vorgeschlagen [3.25]. Dieser Pulsgenerator besteht aus zehn übereinander angeordneten elektronischen Sprunggeneratoren, die über Lichtwellenleiter simultan getriggert werden. Die Kugelwellen der einzelnen Quellen überlagern sich, so dass näherungsweise eine Zylinderwelle abgestrahlt wird. Das entstehende E-Feld breitet sich nahezu parallel zum Pulsgenerator aus und erreicht den Spannungsteiler etwa zur gleichen Zeit wie der leitungsgebundene Spannungssprung. Die Anstiegszeit der erzeugten Sprungspannung beträgt 10 ns bei einer Amplitude von 500 V. Die bei Einsatz des mehrstufigen Pulsgenerators und eines konventionellen einstufigen Sprunggenerators aufgezeichneten Sprungantworten eines 3,8-MVStoßspannungsteilers unterscheiden sich allerdings nur minimal. Mit den Generatoren für Sprungspannungen lassen sich auch Sprungströme zur Kalibrierung der Komponenten von Stoßstrommesseinrichtungen erzeugen [6.23, 6.26, 6.27]. Hierbei wird der Messwiderstand - oder der Stromleiter durch die Messspule - an den Sprunggenerator über einen Abschlusswiderstand zur Vermeidung von Reflexionen angeschlossen. Sind Reflexionen nicht zu vermeiden, kann
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Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
die Sprungantwort nur bis zum Auftreten der ersten Reflexion ausgewertet werden. Mit Quecksilber benetzte Reed-Kontakte erzeugen Stromamplituden von maximal 1 A bis 2 A. Wegen der meist sehr kleinen Werte für den Messwiderstand bzw. äquivalenten Widerstand von Shunts und Messspulen erhält man Amplituden von nur 1 mV und darunter, so dass zur Aufzeichnung mit dem Recorder ein Vorverstärker erforderlich ist. Der Einsatz von elektronischen Schaltungen und Funkenstrecken zur Erzeugung höherer Stromstärken ist oft mit dem Nachteil einer größeren Anstiegszeit, einer Dachschräge im Rücken oder überlagerter Schwingungen verbunden. Die Sprungantwort des Prüflings lässt sich dann nicht direkt experimentell ermitteln, sondern muss mit Hilfe der Fourier-Transformierten aus den Ein- und Ausgangsspannungen berechnet werden [3.47].
3.8 Ergänzende Betrachtungen zum Übertragungsverhalten Aufgabe eines Messsystems ist die fehlerfreie Messung der Prüfspannung oder des Prüfstromes. Wichtige Voraussetzung hierfür ist ein von der Frequenz unabhängiger Übertragungsfaktor H(f ) des Messsystems bis zur oberen Grenzfrequenz f2, die oberhalb der Grenzfrequenz f2ƍ des Signalspektrums F(f ) liegen muss (Abb. 3.20). Die untere Grenzfrequenz des Messsystems ist in der Regel f1 = 0, kann jedoch auch einen Wert oberhalb von null aufweisen. Bei der Grenzfrequenz f2 ist der Übertragungsfaktor um 3 dB gefallen; H(f2) beträgt dann nur noch 1/¥2, also rund 70 % des ursprünglichen Wertes. Für die Messtechnik mit Genauigkeitsanforderungen im Prozentbereich ist dieser Amplitudenabfall in der Regel zu groß. Der für f2 angegebene Zahlenwert führt oft zu einer subjektiven Fehleinschätzung des Übertragungsverhaltens eines Messsystems. Die Frage stellt sich, welche obere Grenzfrequenz f2 ein Messsystem zur genauen Messung von Stoßspannungen aufweisen muss. Zu ihrer Beantwortung gibt es mehrere Ansätze. H(f ), F(f ) H(f ) 1 0,7 F(f )
f1
f2‘
f2
lg f
Abb. 3.20. Übertragungsfaktor H(f) eines Messsystems mit den Grenzfrequenzen f1 und f2 und Amplitudendichte F(f) eines Impulses mit der oberen Grenzfrequenz f2’ (schematisch)
3 Übertragungsverhalten linearer Systeme und Faltung
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In der Impulsmesstechnik gilt die Forderung, dass die Anstiegszeit eines Messsystems nicht mehr als ein zehntel der Anstiegszeit des zu messenden Signals betragen soll. Für die Blitzstoßspannung 1,2/50 mit der Stirnzeit T1 = 1,2 μs, die nach Gl. (3.34) einer Anstiegszeit Ta = 960 ns entspricht, wird diese Forderung von dem RC-Glied mit der Zeitkonstanten RC = T = 43,6 ns und der Anstiegszeit Ta = 2,2T = 96 ns gerade erfüllt (Kurve 3 in Abb. 3.7). Die obere Grenzfrequenz des RC-Systems beträgt f2 = 3,7 MHz und ist damit um den Faktor 1500 größer als die Grenzfrequenz f2ƍ = 2,4 kHz im Spektrum der Blitzstoßspannung (Kurve 1 in Abb. 3.7). Ein alternatives Kriterium ist, dass der Bereich des annähernd konstanten Amplitudengangs H(f) des Messsystems (Kurve 3 in Abb. 3.7) sich mindestens bis zu der Frequenz erstrecken muss, bei der die Amplitudendichte F(f) des Signals (Kurve 1 in Abb. 3.7) um mehr als 60 dB entsprechend einem Faktor von 1000 gefallen ist. Eine verlässliche Aussage für beliebige Zeitverläufe des Messsignals und Sprungantworten des Messsystems gewinnt man mit Hilfe der Faltung. Hierbei wird der zeitliche Verlauf der Ausgangsspannung des Messsystems berechnet, und der Vergleich mit der Eingangsspannung liefert den Übertragungsfehler, also die Messabweichungen für den Scheitelwert und die Zeitparameter. Durch Modellrechnungen für Systeme mit unterschiedlichem Frequenzgang kann das Messsystem mit der Bandbreite B bzw. oberen Grenzfrequenz f2 gefunden werden, für das die Übertragungsfehler im Scheitel und in der Stirnzeit kleiner als die vorgegebenen Grenzwerte sind (s. Kap. 3.6). Betrachtet man die Ergebnisse der numerischen Faltungsrechnung in Kap. 3.6.4, lässt sich für die erforderliche obere Grenzfrequenz des Messsystems die Faustformel: f2 (100 … 1000) f2’ aufstellen, wobei der Faktor 1000 für die Messung der Stirnzeit und der Faktor 100 für die Messung des Scheitelwertes von Stoßspannungen mit einer Messabweichung von weniger als 1 % gilt. Die Blitzstoßspannung 1,2/50 (Kurve 1 in Abb. 3.7) mit f2’ = 2,4 kHz erfordert demnach eine Bandbreite des Messsystems von mindestens 240 kHz für den Scheitelwert und 2,4 MHz für die Stirnzeit. Anforderungen an die obere Grenzfrequenz zur Messung von Schwingungen, die dem Scheitel oder der Front der Stoßspannung überlagert sein können, sind hierbei nicht berücksichtigt. Die Keilstoßspannung mit einer Abschneidezeit von 0,5 μs hat eine Grenzfrequenz f2ƍ = 1,1 MHz (Kurve 6 in Abb. 2.4). Die obere Grenzfrequenz des Messsystems sollte entsprechend der Faustformel mehr als 110 MHz für den Scheitelwert betragen. In der Prüfpraxis sind abgeschnittene Stoßspannungen im Scheitelbereich eher abgerundet. Dies bedeutet, dass das Amplitudenspektrum eine kleinere Grenzfrequenz aufweist, so dass die Anforderungen an die Bandbreite des Messsystems geringer ausfallen. Vergleichbare Überlegungen sind anzustellen, wenn das Messsystem eine von null abweichende untere Grenzfrequenz f1 aufweist. Das Messsystem wirkt dann als Hochpass und ist nicht in der Lage, den Gleichanteil eines Messsignals zu erfassen. Auch langsam veränderlichen Spannungen oder Strömen werden nicht ori-
94
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
ginalgetreu gemessen. Die Auswirkungen betreffen vor allem den Rücken von Schaltstoßspannungen und Rechteck-Stoßströmen sowie Kurzschlussströme mit langsam abfallendem Gleichanteil. Der von einem Messsystem mit Hochpasscharakter aufgezeichnete Rücken zeigt einen scheinbar schnelleren Abfall, so dass z. B. die Rückenhalbwertzeit T2 einer Schaltstoßspannung zu kurz gemessen wird. Messsysteme für Kurzschlussströme sollen je nach Art der Prüfung eine untere Grenzfrequenz von mindestens 0,2 Hz aufweisen, um den transienten Gleichanteil richtig zu erfassen [1.24]. Die Impulsverformung durch ein Messsystem mit unzureichender Grenzfrequenz bzw. Anstiegszeit wird an zwei einfachen Beispielen mit Rechteckimpulsen behandelt. Ein Messsystem mit der unteren Grenzfrequenz f1 = 0 wird als Tiefpass oder, wenn die obere Grenzfrequenz f2 sehr groß ist, als Breitbandsystem bezeichnet. Beispiel für einen einfachen Tiefpass ist das RC-Glied nach Abb. 3.21a, bei dem der Widerstand zwischen Ein- und Ausgang liegt. Wegen seiner integrierenden Wirkung auf das Eingangssignal wird der RC-Tiefpass auch als Integrierglied bezeichnet. Legt man an den Eingang des RC-Tiefpasses eine Rechteckspannung u1(t) mit der Dauer td an, wird der Kondensator C am Ausgang über den Widerstand R mit der Zeitkonstanten IJ = RC aufgeladen. Eine möglichst originalgetreue Ausgangsspannung u2(t) = u1(t) erhält man für RC << td. Mit größer werdender Zeitkonstante bzw. abnehmender Grenzfrequenz des RC-Tiefpasses tritt eine zunehmende Rundung der Anstiegs- und Abfallflanken auf (Abb. 3.21b); für RC >> td ist die Ausgangsspannung stark verzerrt (Abb. 321c). a)
R û u1(t)
0
C
u2(t)
td
b)
c)
u2(t)
u2(t)
û
td
t
td
Abb. 3.21. Verformung eines Rechtecksignals der Dauer td durch einen Tiefpass a) RC-Tiefpass mit Rechtecksignal am Eingang b) Ausgangssignal für RC << td c) Ausgangssignal für RC >> td
t
3 Übertragungsverhalten linearer Systeme und Faltung
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Ein Messsystem mit der unteren Grenzfrequenz f1 > 0 wirkt als Hochpass oder, wenn die obere Grenzfrequenz f2 begrenzt ist, als Bandpass. Der einfachste Hochpass ist wiederum ein RC-Glied, bei dem der Kondensator C zwischen Ein- und Ausgang liegt und die Ausgangsspannung am Widerstand R abfällt (Abb. 3.22a). Wegen seiner differenzierenden Wirkung auf das Eingangssignal wird der RCHochpass auch als Differenzierglied bezeichnet. Legt man wiederum eine Rechteckspannung u1(t) an den Eingang des RC-Hochpasses, ist die Ausgangsspannung u2(t) wegen der differenzierenden Wirkung mehr oder weniger stark verformt (Abb. 3.22b und c). Charakteristisch ist die Dachschräge für eine Zeitkonstante RC > td (Abb. 3.22b). Für das Differenzierglied mit RC >> td ergeben sich positive und negative Nadelimpulse an den Flanken der Rechteckspannung (Abb. 3.22c). Da der Hochpass die Gleichkomponente eines Messsignals nicht übertragen kann, sind die schraffiert eingezeichneten positiven und negativen Teilflächen des Ausgangsimpulses gleich groß. a)
C û R
u1(t)
0
u2(t)
td b)
c) u2(t)
u2(t) û
û û td
t
td -û
Abb. 3.22. Verformung eines Rechtecksignals der Dauer td durch einen Hochpass a) RC-Hochpass mit Rechtecksignal am Eingang b) Ausgangssignal für RC << td c) Ausgangssignal für RC >> td
t
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Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
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3 Übertragungsverhalten linearer Systeme und Faltung
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4 Digitalrecorder, Stoßvoltmeter und Impulskalibrator
In den meisten Prüf- und Kalibrierlaboratorien werden Digitalrecorder zur Aufzeichnung des zeitlichen Verlaufs von Stoßspannungen und Stoßströmen verwendet. Andere Bezeichnungen sind Digitaloszilloskop, Transientenrecorder und Digitalisierer, mit denen auch bestimmte Konstruktions- und Funktionsprinzipien assoziiert sind. Analoge Stoßoszilloskope, gegebenenfalls mit Speicherbildschirm oder fotografischer Aufzeichnung, kommen in modernen Prüffeldern nur noch selten zum Einsatz und werden hier nicht weiter behandelt. Der mit einem analogen Stoßoszilloskop aufgezeichnete Kurvenverlauf lässt sich zwar grundsätzlich auch in einen digitalen Datensatz umwandeln, z. B. mit Hilfe einer speziellen Bildröhre mit gerastertem Auslesespeicher oder eines Kameravorsatzes mit analog-digitaler Bildumwandlung, jedoch sind die Fehler beim Schreiben des Signals mit dem Elektronenstrahl auf dem Bildschirm und bei der anschließenden Umwandlung im Vergleich zu denen der stetig verbesserten Digitalrecorder deutlich größer. Mit Stoßvoltmetern wird der Prüfspannungswert (Scheitelwert) gemessen, wobei auch hier die Digitaltechnik die analogen Schaltungen weitgehend ersetzt hat. Zur regelmäßigen Überprüfung und Kalibrierung der Messgeräte dienen genaue Impulskalibratoren, die Impulsspannungen mit vergleichbaren Zeitverläufen wie die von Stoßspannungen und Stoßströmen erzeugen. Ein großer Vorteil von Digitalrecordern liegt in der rechnergestützten Auswertung der digitalisierten Kurvenverläufe mit Hilfe spezieller Software. Die normgerechte Bestimmung der Impulsparameter ist teilweise recht kompliziert, insbesondere die von Blitzstoßspannungen mit überlagerten Schwingungen. Die Software zur Auswertung der Messdaten eines Recorders unterliegt daher einer besonderen Prüfung mit den Daten synthetischer Prüfimpulse, die in ihrer Vielfalt den in der Prüfpraxis vorkommenden Stoßspannungen und Stoßströmen entsprechen. Die mit der Auswertesoftware ermittelten Parameter eines Prüfimpulses müssen mit den Referenzwerten innerhalb festgelegter Grenzen übereinstimmen. Stoßspannungs- und Stoßstrommessgeräte sind auf Grund ihrer Konstruktion und eines Schirmgehäuses gegenüber der Einwirkung elektromagnetischer Felder weitgehend geschirmt. Bei Verwendung von Messgeräten aus dem Niederspannungsbereich müssen besondere Vorkehrungen zum Schutz vor leitungsgebundenen und elektromagnetisch eingekoppelten Störungen getroffen werden. Eine Schirmung durch einen Faraday-Käfig und eine gefilterte Netzversorgung sind unerlässlich (s. Kap. 5.1 und 6.1). Störungen werden auch über Datenleitungen, die vom Messgerät zu peripheren Geräten außerhalb des Faraday-Käfigs führen, eingekoppelt. Die Datenübertragung zum externen PC und zu anderen Geräten erfolgt daher in der Regel über Optokoppler mit Lichtwellenleiter.
K. Schon, Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik, DOI 10.1007/978-3-642-13117-2_4, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010
100
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
4.1 Aufbau und Eigenschaften von Digitalrecordern Das vereinfachte Blockschaltbild eines Digitalrecorders ist in Abb. 4.1 wiedergegeben. Das Eingangssignal u(t) gelangt über einen Abschwächer 1 und Vorverstärker 2 zum Analog-Digital-Wandler 3 und wird als digitaler Datensatz im Halbleiterspeicher 4 temporär gespeichert. Von hier kann der Datensatz in einen stationären internen oder externen Datenspeicher 5 zur weiteren Auswertung verschoben oder mit Hilfe eines Digital-Analog-Wandlers als analoger Zeitverlauf auf einem Bildschirm ausgegeben werden. Der Inhalt des temporären Datenspeichers 4 wird, wenn die Triggerbedingung erfüllt ist, von einem neuen Eingangssignal überschrieben, so dass im Speicher immer die zuletzt aufgezeichneten Daten stehen.
1
3
2 A
u(t)
D
4 SP
5
Taktgeber und Steuerlogik Abb. 4.1. Einfaches Blockschaltbild eines Digitalrecorders 1 Eingangsabschwächer 2 Verstärker 3 Analog-Digital-Wandler 4 Datenspeicher 5 Datenausgänge für externe Geräte (PC, Bildschirm, Plotter usw.)
Wichtigster Baustein des Digitalrecorders ist der AD-Wandler 3, der das analoge Eingangssignal in äquidistanten Zeitintervallen abtastet und entsprechend seiner Amplitudenauflösung quantisiert. Aus der Anfangszeit der digitalen Aufzeichnungstechnik stammt eine Reihe grundverschiedener Arbeitsprinzipien zur Umwandlung eines schnell veränderlichen Analogsignals in einen digitalen Datensatz [4.2, 4.3]. Weitgehend durchgesetzt hat sich der elektronische ADWandler mit Flash-Konverter, der die zur Signalaufzeichnung erforderlichen hohen Abtastraten bei einer Amplitudenauflösung N zwischen 8 und 14 Bit ermöglicht [4.4, 4.5]. Die Eingangsschaltung des Flash-Konverters besteht aus einem mehrstufigen Spannungsteiler 1, der mit Hilfe der Referenzspannung U0 auf die jeweiligen Spannungspegel entsprechend der Amplitudenauflösung abgeglichen ist (Abb. 4.2). Parallel hierzu liegt eine Kette von 2N Komparatoren 2. Das analoge Eingangssignal u(t) wird zu den Taktzeiten von allen Komparatoren gleichzeitig mit den Referenzspannungen des Spannungsteilers verglichen. Als Ergebnis wird an den Komparatorausgängen eine „0“ oder „1“ angezeigt. In der nachfolgenden Kodierschaltung 3 werden die 2N Komparatorsignale in einen Binärcode mit N Bit Auflösung umgesetzt.
4 Digitalrecorder, Stoßvoltmeter und Impulskalibrator
101
U0 u(t)
0
+ -
Bit
R
0 1 2
0
+ -
R
1 N
1
+ -
R 1
2
3
Abb. 4.2. Vereinfachtes Blockschaltbild eines Analog-Digital-Wandlers mit Flash-Konverter 2 Komparatoren 3 Kodierschaltung 1 Spannungsteiler mit Referenzspannung U0
Die maximal erreichbare Geschwindigkeit der AD-Umsetzung hängt hauptsächlich von den Schaltzeiten der Komparatoren und der Verzögerung der Kodierschaltung ab. Auf eine Sample-and-Hold-Schaltung, die eine zusätzliche Zeitverzögerung bewirken würde, wird beim Flash-Konverter zu Lasten einer genaueren Abtastung verzichtet. Das „flatterhafte“ Verhalten des Flash-Konverters bei der schnellen Abtastung ist Ursache des Rauschens, das sich dem aufgezeichneten Messsignal überlagert. Durch Zusammenschaltung von zwei und mehr ADWandlern, die zeitversetzt im Wechselbetrieb das Messsignal abtasten, lässt sich eine Vervielfachung der Abtastrate erzielen. Der Digitalrecorder ist streng genommen kein lineares Messsystem wie das analoge Oszilloskop, da die Information über das Messsignal zwischen benachbarten Abtastpunkten infolge der Digitalisierung verloren geht. Das analoge Messsignal wird durch die Summe der Abtastwerte zu diskreten Zeiten kǻt ersetzt (Abb. 4.3). Durch Festlegung ausreichend hoher Mindestwerte für die Abtastrate und Amplitudenauflösung kann der Digitalrecorder jedoch als quasilinear bei der Messung von Stoßspannungen und Stoßströmen angesehen werden. Diese Aussage gilt auch für Schwingungen, die der Stoßspannung mit den im Prüfkreis maximal auftretenden Frequenzen überlagert sind. Charakteristische Angaben zu einem Digitalrecorder sind die Amplitudenauflösung, maximal einstellbare Abtastrate, Analogbandbreite bzw. Anstiegszeit und Speicherkapazität. Die Amplitudenauflösung bezeichnet die Anzahl der Quantisierungsstufen bei Vollaussteuerung des AD-Wandlers und wird als 2er-Potenz in Bit angegeben. Die speziell für Stoßspannungs- und Stoßstrommessungen entwi-
102
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
ckelten Recorder haben eine Auflösung von 8 Bit bis 14 Bit [4.6]. Einer Mindestauflösung von N = 8 Bit entsprechen 28 = 256 Quantisierungsstufen mit einer Stufenhöhe von rund 0,4 % der Vollaussteuerung. Digitalrecorder mit stufenlos einstellbarer Eingangsverstärkung erlauben die Anpassung der Signalamplitude an die Vollaussteuerung, so dass die Amplitudenauflösung durch den AD-Wandler stets im optimalen Bereich gehalten werden kann. Bei Recordern, die diese Möglichkeit nicht aufweisen, wird die Auflösung mit abnehmender Signalamplitude immer schlechter. Für die Signalamplitude ist daher ein Mindestwert von 4/N vorgeschrieben, der nicht unterschritten werden soll [4.1]. Dies bedeutet, dass die Signalaussteuerung eines Recorders mit N = 8 Bit mindestens 50 % der Vollaussteuerung im gewählten Eingangsbereich betragen muss. Die Amplitudenauflösung lässt sich scheinbar erhöhen, wenn das Messsignal mit einer wesentlich größeren als die erforderliche Abtastrate erfasst wird („oversampling“). Hierbei werden mehrere benachbarte Abtastwerte jeweils zu einem Mittelwert zusammengefasst, der sich in der Regel zwischen zwei Quantisierungsstufen befindet. Das Messsignal wird dann durch die Gesamtheit der Mittelwerte dargestellt, so dass der durchaus berechtigte Eindruck einer höheren Auflösung entsteht. u(t)
uk+i uk+i-1 uk+1 uk
k k+1
k+i
k+n
t
Abb. 4.3. Beispiel für eine abgetastete Spannung bei hoher Amplitudenauflösung (schematisch)
Die Abtastrate gibt die Anzahl der Abtastungen je Sekunde an und wird in MS/s oder GS/s (Mega- bzw. Gigasamples per second) ausgedrückt. Diese Bezeichnungen haben sich auch im deutschen Sprachgebrauch durchgesetzt, da die formal richtige Einheit „Hz“ für die Abtastfrequenz leicht zu Verwechselungen mit der Bandbreite oder Signalfrequenz führt. Die erforderliche Abtastrate bei einer normgerechten Prüfung richtet sich nach der Zeit TAB der Stoßspannung (s. Abb. 1.1 und 1.6) bzw. des Stoßstromes (s. Abb. 1.9) und darf nicht kleiner als 30/TAB sein. Für Blitzstoßspannungen mit der kürzesten Stirnzeit T1 = 0,84 μs beträgt daher die Mindestabtastrate 60 MS/s. Diese hohe Abtastrate ist vor allem zur Auswertung der Stirnzeit und einer möglicherweise überlagerten Schwingung erforderlich. Bei einigen Recordern kann die Abtastrate nach einer voreinstellbaren
4 Digitalrecorder, Stoßvoltmeter und Impulskalibrator
103
Aufzeichnungszeit geändert werden. Dadurch lässt sich eine Stoßspannung in der Stirn mit einer hohen und im Rücken mit einer niedrigen Abtastrate aufzeichnen. Der Vorteil hierbei ist, dass wegen der reduzierten Anzahl von Abtastwerten im Rücken weniger Speicherplatz benötigt wird. Die Anstiegszeit des Recorders darf nicht mehr als 3 % von TAB betragen, was für Blitzstoßspannungen mit der kürzesten Stirnzeit T1 = 0,84 μs einer Mindestbandbreite von rund 25 MHz entspricht (s. Kap. 3.4). Recorder zur Messung von Blitzstoßspannungen weisen Bandbreiten zwischen 40 MHz und 60 MHz und Abtastraten von bis zu 200 MS/s auf [4.6]. Höhere Bandbreiten lassen sich wegen des internen Abschwächers für Eingangsspannungen von bis zu 2 kV nur schwer realisieren. Die für den Niederspannungsbereich entwickelten Recorder mit Eingangsspannungen von maximal 100 V haben größere Abtastraten und Bandbreiten, die bei einer Auflösung von 8 Bit im Bereich von 1 GS/s bzw. 400 MHz liegen. Sie sind damit auch zur Aufzeichnung der Sprungantwort von Komponenten „schneller“ Stoßspannungs- und Stoßstrommesssysteme gut geeignet. Der temporäre Datenspeicher, in den die Abtastwerte kontinuierlich eingeschrieben werden, hat eine begrenzte Speicherkapazität. Ist der Datenspeicher voll, wird je nach dem gewählten Aufzeichnungsmodus die weitere Aufzeichnung gestoppt oder der Inhalt vom weiteren Signalverlauf automatisch überschrieben. Die Aufzeichnung eines Signals mit höherer Abtastrate bedingt einen entsprechend großen Datenspeicher, um den gleichen Zeitverlauf zu speichern Zur optimalen Signalaufzeichnung gibt es zwei Triggereinstellungen. Damit wird zum einen der Triggerwert, zum anderen die Aufteilung des Speicherplatzes vor und nach Erreichen des Triggerwertes festgelegt. Die phasengenaue Abtastung eines kontinuierlichen Signals oder der zeitliche Vorlauf eines Impulses lässt sich damit bequem einstellen. Im Gegensatz zum analogen Oszilloskop, bei dem die Aufzeichnung durch einen Triggerimpuls erst ausgelöst wird, beendet dieser beim Digitalrecorder die Aufzeichnung. Das zeitlich vor dem Triggerereignis liegende Signal ist damit im Datenspeicher festgehalten. Wegen dieses als Pre-Trigger bezeichneten Modus treten Triggerprobleme, wie sie beim Betrieb analoger Oszilloskope bekannt sind, beim Digitalrecorder nicht auf. Die meisten Digitalrecorder erlauben die repetierende Aufzeichnung einer Serie gleicher Impulse und Auswertung des gemittelten Impulsverlaufs. Dadurch erzielt man einen Glättungseffekt, da die bei Abtastung eines einzelnen Impulses auftretenden Digitalisierungsfehler mit Normalverteilung zum großen Teil kompensiert werden. Weiterhin gibt es Digitalrecorder, die mit Hilfe eines aus der Analogtechnik bekannten Samplingverfahrens eine Serie von aufeinander folgenden Impulsen zeitversetzt abtasten und dann die Abtastwerte zeitgerecht wieder zusammenfügen können. Die wirksame Abtastrate wird dadurch deutlich erhöht, was unter anderem vorteilhaft bei der Messung von Sprungantworten ist. Allerdings bleibt die Bandbreite des Digitalrecorders unverändert. Für die Weiterverarbeitung der im Recorder temporär gespeicherten Daten steht eine Vielzahl von Möglichkeiten zur Verfügung. Die Daten können mit einer relativ langsamen Wiederholfrequenz von 1 kHz repetierend aus dem Datenspeicher des Recorders ausgelesen und über einen Digital-Analog-Wandler als analo-
104
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
ges Signal auf einem internen oder externen Bildschirm wiedergegeben werden. Aufgrund der Trägheit des menschlichen Auges entsteht so der Eindruck eines feststehenden Kurvenzuges. Weiterhin lassen sich die aufgezeichneten Daten in einen anderen internen Festspeicher des Recorders oder in ein eingebautes Disketten- oder CD-ROM-Laufwerk verschieben, so dass sie für spätere Auswertungen oder zum Vergleich mit anderen Aufzeichnungen erhalten bleiben. Ein Digitalrecorder für Stoßspannungs- und Stoßstrommessungen hat in der Regel mindestens zwei Messkanäle mit gleichen Betriebsdaten. Dies erlaubt die gleichzeitige Messung von Strom- und Spannungstransienten oder die Durchführung von Vergleichsmessungen zwischen dem Messsystem und einem Referenzsystem (s. Kap. 7.2 und Kap. 7.5). Auch wird die Durchführung des Störtests erleichtert, bei dem die zeitliche Zuordnung der erzeugten Störspannung zur gemessenen Stoßspannung interessiert. Durch sorgfältige Schirmung der einzelnen Baugruppen untereinander und Einbau in ein als Faraday-Käfig wirkendes Schirmgehäuse wird der Einfluss elektromagnetischer Störungen, wie sie bei Stoßspannungs- und Stoßstromprüfungen auftreten, weitgehend reduziert. Der AD-Wandler des Digitalrecorders benötigt zur Vollaussteuerung eine Eingangsspannung von wenigen Volt. Durch interne oder externe Eingangsabschwächer und Vorverstärker wird das Messsignal an diesen Wert angepasst. Die Abschwächer sind als kompensierte RC-Teiler aufgebaut. Die speziell für Stoßspannungsmessungen entwickelten Digitalrecorder haben interne Abschwächer für Impulsspannungen von bis zu 1000 V oder gar 2000 V, wie sie üblicherweise am Ausgang von Stoßspannungsteilern maximal abgegriffen werden. Digitalrecorder aus dem Niederspannungsbereich verarbeiten Eingangsspannungen von nicht mehr als 100 V und benötigen daher bei Stoßspannungsmessungen einen externen Vorteiler [4.7, 4.8]. Die hohen Eingangsspannungen sind von Vorteil bei der Unterdrückung von Störspannungen, die durch Einwirkung elektromagnetischer Felder auf das Messkabel entstehen. Bei der Abschwächung des Messsignals am Recordereingang werden auch die Störspannungen entsprechend stark reduziert. Die Eingangsimpedanz des Recorders soll mindestens 1 Mȍ bei einer Parallelkapazität von nicht mehr als 50 pF betragen. Die Verformung der Zeitverläufe, insbesondere im Rücken von Schaltstoßspannungen, wird dadurch begrenzt. Zusätzlich sind Recorder, die in Verbindung mit breitbandigen Widerstandsteilern oder Messwiderständen betrieben werden, auch mit einem Eingangswiderstand gleich dem Kabelwellenwiderstand von 50 ȍ, 60 ȍ oder 75 ȍ zur Vermeidung von Reflexionen des Messsignals ausgestattet. Wird ein Recorder, der nicht speziell für Stoßspannungsmessungen konzipiert ist, mit seinem niederohmigen Eingangswiderstand betrieben, ist auf dessen zulässige Belastung zu achten. Bei großer Eingangsspannung und langer Impulsdauer besteht die Gefahr, dass der niederohmige Eingangswiderstand in seinem Wert verändert oder gar zerstört wird. Zum Schutz der Eingangsschaltung dieser Recorder ist es daher ratsam, den niederohmigen Abschluss vorzugsweise durch einen externen Widerstand mit ausreichend hoher Impulsbelastung zu realisieren. Digitalrecorder werden in verschiedenen Ausführungen hergestellt. Neben Einzelgeräten mit internem oder separatem Rechner zur Steuerung und Datenauswer-
4 Digitalrecorder, Stoßvoltmeter und Impulskalibrator
105
tung gibt es Digitalrecorder in komplexen mobilen Anlagen. Abb. 4.4 zeigt drei Ausführungen von Digitalrecordern, die von den Herstellern mit unterschiedlicher Amplitudenauflösung, Abtastfrequenz und Peripherie angeboten werden. a)
b)
c)
Abb. 4.4. Verschiedene Ausführungen von Digitalrecordern für Stoßspannungsmessungen a) Recorder mit externem Notebook und LWL-Übertragung (HIGHVOLT Prüftechnik Dresden) b) Recorder mit eingebautem PC, Drucker und CD-Laufwert (DR. STRAUSS Messtechnik) c) Recorder im fahrbaren Tischgestell mit Bildschirm und Drucker (HAEFELY TEST AG)
Digitalrecorder für Stoßspannungs- und Stoßstrommessungen sind mit Software zur objektiven und normgerechten Auswertung der aufgezeichneten Spannungen ausgestattet (s. Kap. 4.3). Interne Zusatzfunktionen ermöglichen die Bestimmung weiterer Impulsparameter wie die Maximal- und Minimalwerte, Anstiegszeit und Zeitdauer zwischen bestimmten Signalwerten. Auch die Filterung der aufgezeichneten Datensätze zur Glättung des Kurvenverlaufs, Bestimmung der Mittelwerte aus einer Reihe von Aufzeichnungen, numerische Integrati-
106
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
on des gespeicherten Signalverlaufs und Berechnung des Spektrums mit Hilfe der schnellen Fourier-Transformation (FFT) sind mit internen oder externen Rechnern möglich. Der Ausdruck der gespeicherten Daten auf Papier ermöglicht die manuelle Auswertung des Zeitverlaufs ähnlich wie bei einem analogen Oszillogramm. Im Zweifelsfall kann somit die Richtigkeit der Auswertesoftware für die Parameter der gemessenen Zeitverläufe überprüft werden. Für die bei Stoßspannungs- und Stoßstrommessungen eingesetzten Digitalrecorder, analogen Stoßoszilloskope und Stoßvoltmeter sind in den Prüfvorschriften einheitliche Anforderungen festgelegt [4.1]. Die maximal zulässigen Messunsicherheiten betragen 2 % für den Scheitelwert von Stoßspannungen und Stoßströmen (3 % für in der Stirn abgeschnittene Blitzstoßspannungen) und 4 % für die Zeitparameter. Darüber hinaus gilt eine Reihe von Einzelanforderungen für die drei Messgerätetypen. Für Digitalrecorder in Referenzmesssystemen gelten geringere Unsicherheiten von 0,7 % für den Scheitelwert von Stoßspannungen und Stoßströmen (2 % für in der Stirn abgeschnittene Blitzstoßspannungen) und 3 % für die Zeitparameter. Seit Einführung des Digitalrecorders für Stoßspannungs- und Stoßstrommessungen Anfang 1970 sind beachtliche Fortschritte hinsichtlich der Amplitudenund Zeitauflösung von AD-Wandlern zu verzeichnen. Auch die analoge Eingangsschaltung von Recordern, insbesondere die Genauigkeit der Eingangsabschwächer und deren Frequenzabgleich, wurde stetig verbessert, wenn auch nicht in dem Ausmaß wie der Digitalteil. Einen weiteren Fortschritt bei der Verringerung von Messfehlern stellen verbesserte Kalibriertechniken dar, vor allem durch die Einführung genauer Impulskalibratoren. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der durch den Digitalrecorder verursachte Unsicherheitsbeitrag bei Stoßspannungsund Stoßstrommessungen deutlich reduziert werden konnte.
4.2 Fehlerquellen bei der Signalaufzeichnung Zur Messung von Stoßspannungen und Stoßströmen werden Digitalrecorder und Stoßvoltmeter eingesetzt, deren analoge und digitale Bausteine charakteristische Messfehler verursachen. Bereits die ideale Digitalisierung eines Signals ist wegen der begrenzten Amplituden- und Zeitauflösung mit Fehlern verbunden. Sie werden als Quantisierungs- oder Abtastfehler bezeichnet, deren Maximalwerte sich theoretisch relativ leicht abschätzen lassen. Die Digitalisierung im Recorder wird durch den AD-Wandler erzielt (s. Kap. 4.1). Der reale AD-Wandler mit seinen analogen Schaltkreisen (Komparatoren, Spannungsteiler) nach Abb. 4.2 verursacht auf Grund seiner technischen Unvollkommenheit weitere Fehler, die sich teilweise nur durch aufwändige Messungen ermitteln lassen. Hierbei kann man die Fehlereinflüsse unterteilen in jene, die bereits bei der Abtastung einer Gleichspannung vorhanden sind, und solche, die zusätzlich bei hochfrequenten Signalen auftreten. Weitere Fehlerquellen stellen Eingangsabschwächer und Verstärker des Recorders dar, die grundsätzlich bereits durch den früheren Einsatz analoger Oszilloskope
4 Digitalrecorder, Stoßvoltmeter und Impulskalibrator
107
bekannt sind. Dies gilt ebenfalls für die Einwirkung von Störungen, die durch die hohen elektrischen und magnetischen Felder bei der Erzeugung von Stoßspannungen und Stoßströmen verursacht werden. 4.2.1 Ideale Digitalisierung Bei der Quantisierung eines Signals mit N Bit stehen bei Vollaussteuerung des AD-Wandlers 2N Spannungsstufen zur Verfügung. Bei N = 10 Bit wird somit eine Amplitudenauflösung von rund 0,1 % erreicht. Das grundsätzliche Verhalten eines AD-Wandlers wird durch seine Quantisierungscharakteristik bei Gleichspannung gekennzeichnet. Sie zeigt den digitalen Ausgabewert des AD-Wandlers in Abhängigkeit von der Eingangsspannung u1. Der Ausgabewert wird hier im Folgenden als Ausgangsspannung u2 angegeben. Legt man an den Eingang eines idealen ADWandlers eine Gleichspannung u1 an und erhöht diese in kleinen Schritten, so bleibt die Ausgangsspannung u2 zunächst unverändert auf dem Stufenwert kǻu stehen. Hierbei bezeichnet ǻu = u2,max /2N die Stufenhöhe der Ausgangsspannung entsprechend der Amplitudenauflösung N und dem Maximalwert u2,max (Abb. 4.5, Kurve 1). Erst wenn u1 auf den Schwellenwert für die nächste Stufe erhöht wird, springt u2 auf die Quantisierungsstufe (k+1)ǻu. Insgesamt ergibt sich bei idealer Quantisierung eine treppenförmige Charakteristik mit gleicher Stufenbreite wo und Stufenhöhe ǻu. Kurve 2 in Abb. 4.5 ist ein Beispiel für die Quantisierungscharakteristik eines realen, d. h. fehlerbehafteten AD-Wandlers mit unterschiedlicher Stufenbreite wk (s. Kap.4.2.2). u2 u2,max 1 2
ǻu wo
k·¨u sk
0
u1
wk
u1,max
Abb. 4.5. Quantisierungscharakteristik von AD-Wandlern bei Gleichspannung 1 ideale AD-Wandlung mit gleicher Stufenbreite wo und Stufenhöhe ǻu 2 fehlerbehaftete AD-Wandlung mit ungleicher Stufenbreite wk
u1
108
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Bei der idealen Abtastung eines beliebigen Signals liegt der Signalwert zur Abtastzeit kǻt in der Regel zwischen zwei Quantisierungsstufen und wird durch den nächstgelegenen Wert der Quantisierungsstufe ersetzt und gespeichert. Der quantisierte Abtastwert uk weicht daher um den Quantisierungsfehler įi,k von dem exakten Signalwert ab. Der für ein beliebiges Signal maximal auftretende Quantisierungsfehler įi,max ist gegeben durch die halbe Differenz zwischen zwei benachbarten Quantisierungsstufen: įi,max = 0,5 LSB,
(4.1)
wobei LSB (Least Significant Bit) die kleinste Digitalisierungsstufe ist. Für N = 8 Bit erhält man einen maximalen Quantisierungsfehler įi,max § 0,2 %, bezogen auf Vollaussteuerung. Bei kleinerer Signalaussteuerung wird der relative Quantisierungsfehler entsprechend größer. Die diskreten Quantisierungsfehler įi,k bei der idealen Abtastung eines Signals lassen sich ohne nähere Kenntnis des Zeitverlaufs durch eine Rechteckverteilung mit den Grenzwerten ±įi,max kennzeichnen. Für insgesamt m Einzelwerte berechnet sich die Standardabweichung ıi allgemein zu (s. Kap. A2): 1 m 2 ¦ G i, k m 1 k 1
Vi
(4.2)
und bei Annnahme einer Rechteckverteilung mit Gl. (4.1):
Vi
1 3
G i, max
1 12
LSB 0,289 LSB | 0,3 LSB .
(4.3)
Die Standardabweichung ıi nach Gl. (4.3) ist die Standardmessunsicherheit der idealen Quantisierung eines beliebigen Signals (s. Kap. A.2). Bei der Abtastung eines Signals wird im Allgemeinen nicht genau der Zeitpunkt des Maximalwertes getroffen. Der Amplituden- bzw. Scheitelwert wird dann zu klein ermittelt und es entsteht ein (negativer) Abtastfehler. Ohne Berücksichtigung der Quantisierungsstufen tritt der ungünstigste Fall dann auf, wenn die beiden dem Maximalwert benachbarten Abtastwerte auf gleicher Höhe liegen. Für eine Sinusspannung mit der Amplitude û und der Frequenz f beträgt der negative Amplitudenfehler im ungünstigsten Fall: ¨u = -û [1 - cos(ʌ ¨tf)],
(4.4)
wobei ¨t das Abtastintervall, also der Kehrwert der Abtastfrequenz, ist (Abb. 4.6). Bei einer Sinusspannung mit f = 4,5 MHz, die mit 100 MS/s abgetastet wird (Abtastintervall ¨t = 10 ns), muss daher mit einem negativen Amplitudenfehler von bis zu -1 % gerechnet werden [4.9].
4 Digitalrecorder, Stoßvoltmeter und Impulskalibrator
109
u(t) û
¨u
0
ʌ
t
¨t
Abb. 4.6. Maximaler Amplitudenfehler ǻu einer Sinusspannung bei ungünstiger Abtastung
Für volle Stoßspannungen ist der Abtastfehler im Scheitel bei einer Abtastfrequenz von 100 MS/s vernachlässigbar. Für in der Stirn abgeschnittene Blitzstoßspannungen mit Tc = 0,5 μs kann der Abtastfehler bei 100 MS/s theoretisch bis zu -1% betragen (Abb. 4.7). In der Prüfpraxis ist der aufgezeichnete Verlauf im Scheitel jedoch abgerundet und der absolute Scheitelwertfehler daher niedriger.
u(t) û
¨u
¨t
0
tc
t
Abb. 4.7. Maximaler Scheitelwertfehler ǻu einer abgeschnittenen Stoßspannung bei ungünstiger Abtastung
4.2.2 Digitalrecorder mit realem AD-Wandler Die Quantisierungscharakteristik eines realen AD-Wandlers weicht mehr oder weniger vom idealen Verlauf ab. Im Beispiel der Kurve 2 in Abb. 4.5 haben die einzelnen Quantisierungsstufen eine unterschiedliche Breite. Die relative Abwei-
110
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
chung der Stufenbreite w(k) der k-ten Stufe zur mittleren Stufenbreite wo, die der Stufenbreite der Idealkurve 1 entspricht, wird als statische differenzielle Nichtlinearität d(k) bezeichnet. Die im Beispiel gezeigte Häufung von Stufen mit zu kleiner und großer Stufenbreite führt zu einer Verformung der Quantisierungskurve 2 des realen AD-Wandlers im Vergleich zur Idealkurve 1. Die auf Vollaussteuerung bezogene maximale Abweichung der beiden Kurven bei der k-ten Stufe ist die statische integrale Nichtlinearität s(k). Sie verursacht, wie leicht einzusehen ist, Messfehler nicht nur für den Scheitelwert, sondern auch für die Zeitparameter von Stoßspannungen und Stoßströmen. Die Quantisierungscharakteristik realer AD-Wandler kann ganz unterschiedliche Verläufe aufweisen. In den Prüfvorschriften für Digitalrecorder, die bei Stoßspannungs- und Stoßstromprüfungen eingesetzt werden, sind Grenzwerte für die statischen und dynamischen Nichtlinearitäten festgelegt (s 0,5 %, d 0,8w0). Die Anforderung an die statische integrale Nichtlinearität wird von hochwertigen 8-Bit- und 10-Bit-Recordern in Referenzsystemen mit s < 0,1 % deutlich unterschritten [4.10]. Die Quantisierungscharakteristik des AD-Wandlers stellt eine wichtige Eigenschaft des Digitalrecorders dar. Die normgerechte Ermittlung mit Gleichspannung ist allerdings selbst bei vollautomatisierter Durchführung sehr zeitaufwändig. Die Anzahl der angelegten Gleichspannungsstufen soll mindestens das Fünffache der Anzahl der Quantisierungsstufen betragen, also rund 5000 Gleichspannungsstufen bei einem 10-Bit-Recorder. Die Kalibrierung von hochauflösenden Digitalrecordern setzt eine entsprechend hohe Stabilität sowohl der Gleichspannungsquelle als auch des Recorders für mehrere Stunden voraus. Bei einer ausgefeilten Kalibriertechnik für einen 14-Bit-Recorder wird eine sehr stabile Gleichspannung, die auf ein Josephson-Spannungsnormal rückgeführt ist, in Stufen mit einer Auflösung von 16 Bit erzeugt und die Recorderausgangsspannung mit einem Präzisionsdigitalvoltmeter gemessen [4.11]. In weiteren Veröffentlichungen wird über die Verwendung von Rampen- und Sinusspannungen mit Fourieranalyse an Stelle von Gleichspannungen berichtet, um die Zeit zur Aufnahme der Quantisierungskurve zu verkürzen [4.12, 4.13]. Hierbei ist die Steilheit bzw. die Wiederholfrequenz der Kalibrierspannung auf kleine Werte begrenzt, damit das dynamische Verhalten des Recorders keinen zusätzlichen Einfluss auf die Quantisierung verursacht. Die bei Gleichspannung aufgenommene Quantisierungscharakteristik eines Recorders gilt nicht ohne weiteres für schnell veränderliche Signale. Oberhalb einer bestimmten Signalfrequenz verschlechtert sich das dynamische Verhalten des ADWandlers durch die Streukapazitäten, Induktivitäten und Instabilitäten des internen Spannungsteilers und der Komparatoren. Zur messtechnischen Untersuchung von AD-Wandlern bieten sich zunächst Sinusspannungen an, die sich auch mit Frequenzen im Megahertzbereich ausreichend genau erzeugen lassen. Das Prinzip der Auswertung ist in Abb. 4.8 erkennbar. Die Abtastung der Sinusspannung erfolgt über mehrere Perioden und liefert m gespeicherte Abtastwerte uk. Diese werden durch einen idealen Sinusverlauf u(t) hinsichtlich Frequenz, Amplitude, Phase und Offset approximiert. Die Abweichungen der Abtastwerte von den entsprechenden Sinuswerten bei den diskreten Abtastzeiten k¨t sind die Abtastfehler įr,k.
4 Digitalrecorder, Stoßvoltmeter und Impulskalibrator
a)
111
ǻt u(t), uk
t
b) įr,k kǻt Abb. 4.8. Abtastung einer Sinusspannung mit einem 8-Bit-Recorder (ǻt = 10 ns) a) Abtastwerte uk mit angepasstem Sinusverlauf u(t) b) Abweichungen įr,k der Abtastwerte zum Sinus
Im Gegensatz zur idealen Quantisierung (s. Kap. 4.2.1) sind die Abtastfehler des realen AD-Wandlers nicht auf 0,5 LSB begrenzt, sondern können weit größere Werte annehmen. Die empirische Standardabweichung der Abtastfehler įr,k bei der realen Digitalisierung berechnet sich zu:
Vr
1 m 2 ¦ G r,k . m 1 k 1
(4.5)
Mit ır gewinnt man eine Information über den frequenzabhängigen Digitalisierungsfehler des Recorders. Trägt man die für unterschiedliche Sinusfrequenzen ermittelten ır-Werte über der Frequenz f auf, ergibt sich ein für den untersuchten Digitalrecorder charakteristischer Fehlerverlauf. In der Regel steigt die Kurve ır(f) von einem Anfangswert, der ungefähr dem Wert ıi der idealen Quantisierung nach Gl. (4.3) entspricht, linear mit der Frequenz der Sinusspannung an [4.14-4.17]. Für Digitalrecorder wird gelegentlich die Effektive Bitzahl: EB
N log 2
Vr Vi
(4.6)
mit ıi nach Gl. (4.3) und ır nach Gl. (4.5) angegeben [4.9, 4.14-4.19]. Der ADWandler des Recorders wird damit über die Standardabweichung mit einem idealen Wandler verglichen. Der Verlauf der Effektiven Bitzahl über der Sinusfrequenz ergibt für die meisten Recorder eine typische Kurve, die an den vertrauten
112
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Frequenzgang analoger Messgeräte erinnert (Abb. 4.9). Bei niedrigen Frequenzen ist die EB konstant und beträgt etwas weniger als die Bemessungsauflösung N. Oberhalb einer bestimmten Grenzfrequenz, die bei den heute erhältlichen Recordern etwa 5 MHz beträgt, nimmt die EB ab, da der Abtastfehler ır in Gl. (4.6) mit der Frequenz ansteigt. Die EB-Kurven 1, 2 und 5 sind charakteristisch für Recorder mit 10 Bit, 8 Bit und 6 Bit. Die EB-Kurven 3 und 4 von zwei weiteren 8-BitRecordern in Abb. 4.9 weichen vom typischen Verlauf des 8-Bit-Recorders (Kurve 2) ab. Die EB-Kurve 3, die schon bei niedrigen Frequenzen deutlich unterhalb des Bemessungswertes liegt und eher der EB-Kurve eines 6-Bit-Recorders entspricht, gehört zu einem preiswerten 8-Bit-Digitaloszilloskop mit besonders großer Rauschüberlagerung. Die andere auffällige EB-Kurve 4, die bereits bei einer Frequenz von 0,1 MHz abfällt und bei 1 MHz nur noch 6 EB aufweist, gehört zu einem der ersten für Stoßspannungsmessungen eingesetzten 8-Bit-Recorder.
10 8 EB
1
2
6 4
4
2 0 105
106
f
107
3
Hz
5
108
Abb. 4.9. Effektive Bitzahl EB(f ) verschiedener Digitalrecorder 1 10-Bit-Recorder 2, 3, 4 8-Bit-Recorder 5 6-Bit-Recorder
Der EB-Verlauf vermittelt einen anschaulichen Überblick über das dynamische Verhalten eines AD-Wandlers und erlaubt in begrenztem Umfang eine Beurteilung verschiedener Recorder. Die EB-Charakteristik erfasst allerdings nicht alle frequenzabhängigen Einflussgrößen eines Digitalrecorders. So beziehen sich die Abtastfehler įr,k, mit denen ır und damit auch die EB-Zahl berechnet werden, auf den rechnerisch angepassten Sinus und nicht auf eine tatsächlich am Recordereingang anliegende Sinusspannung. Das Übertragungsverhalten der Eingangsschaltung bleibt somit unberücksichtigt. Weiterhin lassen sich aus der mit der Frequenz fallenden EB-Charakteristik keine quantitativen Aussagen über den Messfehler des Recorders bei der Abtastung beliebiger Signale gewinnen, wie das bei Kenntnis des Frequenzgangs analoger Messgeräte möglich ist. Bei genauer Betrachtung der Fehler įr,k in Abb. 4.8 ist für eine Vielzahl von Digitalrecordern festzustellen, dass im Nulldurchgang der Sinusspannung die größten und im Amplitudenbereich die kleinsten Abtastfehler įr,k auftreten. Die Fehler sind offensichtlich von der Steilheit der Eingangsspannung abhängig. Si-
4 Digitalrecorder, Stoßvoltmeter und Impulskalibrator
113
nusspannungen, deren Signalsteilheit zwischen einem Maximum und null variiert, eignen sich daher nicht besonders gut zur Prüfung des dynamischen Verhaltens von AD-Wandlern. Das grundsätzliche Verhalten des AD-Wandlers lässt sich besser mit Rampen- bzw. Dreieckspannungen untersuchen, deren Steilheit über den gesamten Aussteuerungsbereich des AD-Wandlers konstant ist. An die Linearität der Dreieckspannung wird wegen der statistischen Auswertung keine besonders hohe Anforderung gestellt. Die Auswertung der vom Recorder aufgezeichneten Abtastwerte erfolgt in vergleichbarer Weise wie für Sinusspannungen. Die Abtastwerte im ansteigenden Teil der Dreieckspannung werden durch eine Gerade mit der Steilheit S approximiert und deren Abweichungen įr,k bei den Abtastzeiten k ¨t ermittelt. Berechnet man hieraus ır nach (4.5) und trägt ır in Abhängigkeit von der Rampensteilheit S auf, ergibt sich für jeden AD-Wandler ein charakteristischer Verlauf ır(S), der als mittlerer Fehlerverlauf angesehen werden kann. Abb. 4.10 zeigt als Beispiel das unterschiedliche Verhalten ır (S) der beiden 8Bit-Recorder, die auch durch ihre vom Normalverlauf abweichenden EB-Kurven 3 und 4 in Abb. 4.9 auffallen. Zum Vergleich ist die ır-Kurve eines idealen ADWandlers nach Gl. (4.3) eingetragen. Der Vorteil der Kenntnis von ır (S) liegt darin, dass die steilheitsabhängigen Fehler des Digitalrecorders für beliebige Signale entsprechend deren Steilheit zum Abtastzeitpunkt rechnerisch korrigiert werden können [4.14-4.16].
2.5 LSB
4 (8 Bit)
2
1.5 ır
3 (8 Bit)
1 0.5 8 Bit ideal
0 0
0.5
1
1.5
μs-1
2
S Abb. 4.10. Digitalisierungsfehler ır der beiden 8-Bit-Recorder 3 und 4 in Bild 4.9 und eines idealen 8-Bit-Recorders in Abhängigkeit von der Rampensteilheit S
Oberhalb einer kritischen Steilheit des Eingangssignals kann es vorkommen, dass einzelne Komparatorstufen des AD-Wandlers infolge von Parallelkapazitäten zunächst nur unregelmäßig und bei noch größeren Steilheiten überhaupt nicht mehr ansprechen. Die entsprechenden Quantisierungsstufen sind dann statistisch mit geringerer Häufigkeit als benachbarte Stufen vorhanden oder treten gar nicht mehr auf. Dieses Verhalten lässt sich als Histogramm der Quantisierungsstufen für
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Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
verschiedene Signalsteilheiten anschaulich darstellen. Während bei niedriger Steilheit alle 2N Quantisierungsstufen annähernd gleich häufig vorhanden sind, weisen mit zunehmender Signalsteilheit bestimmte Quantisierungsstufen eine abnehmende Häufigkeit auf, bis sie nach einem bestimmten Muster ganz ausfallen. Der AD-Wandler büßt dadurch einen mit der Signalsteilheit zunehmenden Teil seiner ursprünglichen Amplitudenauflösung ein [4.14-4.19]. Die relative Abweichung der Häufigkeit einer Quantisierungsstufe von der mittleren Häufigkeit wird als differentielle Nichtlinearität bei dynamischer Beanspruchung bezeichnet [4.1]. Schnelle AD-Wandler mit Flash-Konverter haben die bereits weiter oben angesprochene Eigenart, dass die Abtastwerte um eine oder mehrere Quantisierungsstufen (LSB) um den Signalverlauf streuen. Den gespeicherten Rohdaten ist daher ein statistisch verteiltes Rauschen überlagert. Dieses Rauschen hat einen scheinbar positiven Einfluss auf die Quantisierungscharakteristik. Da für jede eingestellte Gleichspannung u1 der Ausgabewert u2 als Mittelwert einer großen Anzahl von Abtastwerten bestimmt wird, kann u2 wegen des Rauschanteils auch Werte zwischen zwei benachbarten Quantisierungsstufen annehmen. Die Quantisierungscharakteristik ist daher nicht stufig, sondern zeigt einen eher stetigen Anstieg. Der Eindruck entsteht, dass ein quasilinearer Zusammenhang zwischen der Ein- und Ausgangsspannung des AD-Wandlers besteht. Oder anders ausgedrückt, die wirksame Amplitudenauflösung scheint größer als der Bemessungswert zu sein. Dieser Effekt lässt sich bei der mehrfachen Aufzeichnung eines beliebigen Signals nutzen, wenn hieraus die mittlere Kurve bestimmt wird. Das bei der schnellen AD-Wandlung im Recorder erzeugte Rauschen überlagert sich der aufgezeichneten Stoßspannung und kann dadurch die Bestimmung des Scheitelwertes und der Zeitparameter beeinträchtigen (s. Kap. 4.2.2). Ein 8Bit-Recorder hat eine typische Rauschüberlagerung von drei und mehr Quantisierungsstufen, wodurch der Scheitelwert der aufgezeichneten Stoßspannung scheinbar um 1 % bis 2 % erhöht wird. Recorder mit 10 Bit und mehr weisen eine Rauschüberlagerung auf, die wegen der kleineren Quantisierungsstufen meistens unter 0,5 % liegt. Bei in der Stirn abgeschnittenen Stoßspannungen, die nur einen oder zwei Abtastwerte im Scheitel aufweisen, ist auch eine Reduzierung des Scheitelwertes möglich. Bei Anwendung der beiden Verfahren zur Bestimmung des Prüfspannungswertes von vollen und im Rücken abgeschnittenen Stoßspannungen mit überlagerter Stirnschwingung (s. Kap. 1.1.1.2) wird das hochfrequente Rauschen in der Regel eliminiert. Eine zusätzliche Glättung des Kurvenverlaufs durch andere Verfahren ist dann nicht erforderlich. Ist eine Glättung der Rohdaten zur Beseitigung des Rauschanteils unumgänglich, z. B. bei einer in der Stirn abgeschnittenen Stoßspannung, lassen sich vergleichbare Verfahren wie die zur Reduzierung von überlagerten Oszillationen einsetzen: digitale Filterung der Rohdaten innerhalb einer „Fensterbreite“ oder abschnittsweise Approximation der Rohdaten mit Parabeln oder Geraden. Die Filterung einer in der Stirn abgeschnittenen Stoßspannung darf nicht den Scheitel einbeziehen, da dieser sonst verschliffen oder erhöht wird. Die Wirksamkeit des verwendeten Glättungsverfahrens kann mit Testimpulsen, die mit dem „Test Data Generator“ (TDG) generiert werden, überprüft werden (s. Kap. 4.3).
4 Digitalrecorder, Stoßvoltmeter und Impulskalibrator
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Die Frequenz der Abtastung bei der AD-Wandlung wird mit Hilfe eines Oszillators mit begrenzter Stabilität erzeugt. Die Abtastung eines Signals erfolgt daher nicht immer exakt zu den vorbestimmten Zeiten, sondern ist mit einer statistischen Streuung behaftet. Die Streuung der Abtastzeiten um ihren exakten Wert wird als „Jitter“ bezeichnet. Für Digitalrecorder liegt sie im Bereich von einigen 10 ps bis 100 ps und braucht daher bei Stoßspannungs- und Stoßstrommessungen in der Regel nicht berücksichtigt zu werden. 4.2.3 Weitere Fehlerquellen Digitalrecorder haben Eingangsabschwächer und Vorverstärker, mit denen die Signalamplitude an den AD-Wandlereingang angepasst wird. Die Qualität eines Recorders zeigt sich nicht nur in hohen Bemessungswerten für die Amplitudenund Zeitauflösung des Digitalteils, sondern auch im exakten Abgleich des Analogteils. Dies betrifft die Eingangsbereiche des Recorders über einen weiten Frequenzbereich einschließlich Gleichspannung. Ein unvollkommener Abgleich der einzelnen Spannungsbereiche wirkt sich bei einer Bereichsumschaltung als Nichtlinearität aus, die vom Hersteller meist mit 1 % bei Gleichspannung oder Wechselspannung von 1 kHz angegeben wird. Die Linearitätsabweichung lässt sich durch Kalibrierung der einzelnen Spannungsbereiche bestimmen und bei höheren Genauigkeitsansprüchen durch eine Korrektion des Maßstabsfaktors berücksichtigen. Beim bevorzugten Kalibrierverfahren wird ein genauer Impulskalibrator eingesetzt, der genormte Impulsspannungen mit festgelegten Werten für den Scheitelwert und die Zeitparameter entsprechend dem jeweiligen Zeitverlauf der Stoßspannung oder des Stoßstromes erzeugt (s. Kap. 4.5). Die Messabweichungen des Recorders für den Scheitelwert und die Zeitparameter werden für jeden Eingangsbereich ermittelt. Wird der Digitalrecorder mit einem externen Abschwächer eingesetzt, muss dieser auf den verwendeten Eingangsbereich des Recorders abgeglichen sein [4.20]. Das dynamische Verhalten eines Digitalrecorders lässt sich an Hand seiner Sprungantwort genauer analysieren. Zur Erzeugung von Sprungspannungen eignen sich Generatoren mit Reed-Kontakten, die mit Quecksilber benetzt sind (s. Kap. 3.7.4). Die maximale Sprungamplitude ist allerdings auf 500 V bis 1000 V begrenzt. Bei optimalem Abgleich der einzelnen Messbereiche des Recorders erreicht die Sprungantwort ohne großes Über- oder Unterschwingen ihren Endwert innerhalb von 1 μs. Selbst hochwertige Digitalrecorder weisen jedoch in den einzelnen Messbereichen ganz unterschiedliche Anfangsverläufe der Sprungantwort mit einem Über- oder Unterschwingen von bis zu 2 % in den ersten 10 μs auf [4.9, 4.10, 4.21]. Infolgedessen werden der Scheitelwert und die Stirnzeit von Stoßspannungen fehlerhaft gemessen. Abb. 4.11 zeigt die mit einem Kabelgenerator ermittelte Sprungantwort eines sehr gut abgeglichenen 8-Bit-Recorders in zwei Zeitbereichen. Die Anstiegszeit des Recorders ergibt sich zu 0,7 ns und entspricht damit der angegebenen Bandbreite von 400 MHz. Abgesehen von minimalen Schwingungen in den ersten 20 ns, die größtenteils vom Sprunggenerator und von der Messschaltung selbst herrühren, ist der Verlauf der Sprungantwort als nahezu
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Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
ideal anzusehen. Für Eingangsspannungen von mehr als 100 V wird der Recorder mit einem externen Tastkopf betrieben, dessen Abgleich ebenfalls an Hand der aufgezeichneten Sprungantwort erfolgt.
1
g(t) 0.5 0 0
2
4
6
8
ns
10
t 1
g(t) 0.5
0 0
50
100
150
ns
200
t Abb. 4.11. Sprungantwort g(t) eines 8-Bit-Recorders mit 400 MHz Bandbreite in zwei verschiedenen Zeitbereichen
Die Polarität der Eingangsspannung kann die Aufzeichnung ebenfalls beeinflussen, wenn der Vorverstärker des Recorders für positive und negative Eingangsspannungen nicht exakt abgeglichen ist [4.22]. Ein möglicher Polaritätseinfluss wird mit positiven und negativen Impulsen ermittelt, die von einem Impulskalibrator (s. Kap. 4.5) oder einem Sprunggenerator (s. Kap 3.6.2) erzeugt werden. Erfolgt die Kalibrierung mit Sprungspannungen, ist die Richtung des Sprunges, nicht die angelegte Spannung maßgebend. Wird z. B. eine positive Spannung angelegt und kurzgeschlossen, entsteht ein negativer Spannungssprung. Auch auf die Kurz- und Langzeitstabilität des Recorders ist zu achten. Durch Kalibrierung der verwendeten Messbereiche kurz vor und nach dem Einsatz eines Digitalrecorders erhält man die Information über die Kurzzeitstabilität. Regelmäßige Kontrollmessungen des Maßstabsfaktors im Laufe eines Betriebsjahres geben Auskunft über die Langzeitstabilität. Beim Zünden der Funkenstrecken von Stoßspannungsgeneratoren treten hohe elektromagnetische Felder auf, die in nicht ausreichend geschirmten Recordern Störspannungen erzeugen können [4.23]. Die Störungen machen sich vor allem als hochfrequente Überlagerung im Anfangsbereich der aufgezeichneten Stoßspannung bemerkbar und können daher die Stirnzeit verfälschen. Bei abgeschnittenen
4 Digitalrecorder, Stoßvoltmeter und Impulskalibrator
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Stoßspannungen ist auch der Bereich kurz vor und nach dem Abschneidezeitpunkt betroffen, so dass der Scheitelwert beeinflusst wird. Die speziell für Stoßspannungsmessungen entwickelten Recorder sind von vornherein recht wirksam gegen direkte elektromagnetische Störeinwirkungen geschützt. Der Schutz beinhaltet nicht nur das äußere Schirmgehäuse, sondern auch zusätzliche Maßnahmen, die bereits in die Konstruktionsplanung der einzelnen Baugruppen eingegangen sind. Störeinwirkungen auf das Messkabel zum Recorder müssen durch eine zusätzliche Kabelschirmung, Vermeidung von Erdschleifen und andere Maßnahmen unterbunden werden (s. Kap. 5.1). Digitalrecorder aus dem Niederspannungsbereich lassen sich nachträglich durch Einbringen in ein Schirmgehäuse und Filterung der Spannungsversorgung schützen. Das Schirmgehäuse und eine zusätzliche Schirmung des Messkabels sind unentbehrlich bei Stoßstrommessungen. Das vom Stoßstrom erzeugte magnetische Feld induziert in der Erdschleife eine Spannung, die einen entsprechenden Störstrom über den äußeren Kabelschirm und das Schirmgehäuse des Recorders treibt. Dadurch entsteht ein magnetisches Gegenfeld, das das Primärfeld kompensiert und so eine Störung des Messsignals verhindert (s. Kap. 6.1).
4.3 Software zur Datenauswertung Die Auswertung der aufgezeichneten Daten von Stoßspannungen und Stoßströmen erfolgt mit Software, die entweder vom Hersteller des Digitalrecorders mitgeliefert oder individuell vom Anwender entwickelt wird. Im Vordergrund der rechnergestützten Datenauswertung steht die normgerechte Bestimmung des Prüfspannungswertes und der Zeitparameter aus den gespeicherten Rohdaten. Die Kalibrierung des Digitalrecorders mit einem Impulskalibrator gemäß [4.1] schließt indirekt bereits die Überprüfung der Auswertesoftware ein, allerdings nur für die wenigen genormten Impulsformen des Kalibrators mit meist glattem Kurvenverlauf. Bei der Auswertung von Stoßspannungen mit überlagerter Scheitelschwingung sind Besonderheiten zu beachten. So muss die Auswertesoftware die Schwingung erkennen, die der Stoßspannung im Scheitel überlagert ist, und den für die Isolierung wirksamen Wert der Prüfspannung berechnen (s. Kap. 1.1.1.2). Für die Auswertesoftware bei Vor-Ort-Prüfungen mit schwingender Stoßspannung gelten wiederum andere Festlegungen. Bei Stoßstromprüfungen sind weitere Parameter wie die Ladung und das Unterschwingen des Stoßstromes mit entgegen gesetzter Polarität zu bestimmen. In jedem Fall sind die aufgezeichneten Rohdaten für den Fall einer Überprüfung der Datenauswertung aufzubewahren. Die Prüfvorschriften geben mit Ausnahme der Filterung mit der Prüfspannungsfunktion k(f) keine direkten Vorgaben oder Empfehlungen hinsichtlich der Verwendung bestimmter Verfahren oder Algorithmen bei der Datenverarbeitung. Anstelle einer mehr oder weniger aufwändigen individuellen Evaluierung der eingesetzten Auswertesoftware wird deren Richtigkeit mit den Datensätzen ausgewählter Impulsformen überprüft. Ein erster Ansatz für diese pragmatische Vorge-
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Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
hensweise erfolgte im Rahmen eines internationalen Ringvergleichs, bei dem die Softwareprüfung mit unveränderlichen Datensätzen erfolgte [4.24]. Eine interessante Weiterentwicklung stellt der Prüfdatengenerator (Test Data Generator, TDG) dar, der Teil einer Prüfvorschrift ist [4.25]. Damit wird eine Software bezeichnet, mit der sich die Datensätze verschiedener Prüfimpulse nach Vorgabe des Anwenders erzeugen lassen. Hierunter finden sich sowohl analytisch berechenbare als auch experimentell gewonnene Impulsverläufe. Letztere werden vom Prüfdatengenerator abschnittsweise als analytische Funktionen auf der Basis von Polynomen dritter Ordnung, die an die aufgezeichneten Daten angepasst sind, generiert. Die TDG-Prüfimpulse repräsentieren volle und abgeschnittene Blitzstoßspannungen, Schaltstoßspannungen und Stoßströme. Darunter finden sich auch Beispiele von Stoßspannungen bei der Prüfung von Transformatoren. Die Prüfimpulse sind teilweise überlagert von Rauschen, Schwingungen in der Stirn und im Scheitel. Insbesondere lässt sich damit die Auswertesoftware hinsichtlich der korrekten Berechnung des Prüfspannungswertes von Stoßspannungen mit überlagerter Scheitelschwingung unter Anwendung der Prüfspannungsfunktion k(f) überprüfen (s. Kap. 1.1.1.2). Bei der Auswahl der TDG-Prüfimpulse kann der Anwender die Bemessungsauflösung, die Abtastrate, das überlagerte Rauschen und andere Parameter entsprechend den Eigenschaften des von ihm genutzten Digitalrecorders vorgeben. Dadurch wird das Format der vom Prüfdatengenerator erzeugten Daten weitgehend dem Datenformat des Digitalrecorders angepasst. Für den Prüfspannungswert und die Zeitparameter der TDG-Prüfimpulse sind jeweils der Mittelwert sowie obere und untere Grenzwerte festgelegt, die sich entweder auf Rechenwerte für die analytisch vorgegebenen Impulse oder auf Ergebniswerte internationaler Vergleichsmessungen stützen [4.25, 4.26]. Stimmen die mit der Auswertesoftware ermittelten Prüfspannungswerte und Zeitparameter innerhalb der festgelegten Grenzen mit den Vorgabewerten überein, ist die Softwareprüfung für die untersuchten Prüfimpulse bestanden. Aus den angegebenen Grenzwerten für den Prüfspannungswert und die Zeitparameter lässt sich für die jeweilige Stoßspannung die Standardunsicherheit der Software berechnen, die bei der Messunsicherheit des vollständigen Messsystems zu berücksichtigen ist.
4.4 Stoßvoltmeter Stoßvoltmeter dienen der Messung des Scheitelwertes (Prüfspannungswertes) von Stoßspannungen innerhalb der vom Hersteller angegebenen Bereichsgrenzen für die Zeitparameter. Sie werden bevorzugt bei Serienprüfungen gleichartiger Prüflinge eingesetzt. Vom Hersteller werden mitunter die Messabweichungen angegeben, die bei der Messung sehr kurzer oder langer Stoßspannungen auftreten und dann durch Korrektion bei den Messwerten berücksichtigt werden können. Die Korrektion kann bei digitalen Stoßvoltmetern automatisch durch Software erfolgen. Zur Kontrolle der Kurvenform der Stoßspannung ist zusätzlich ein Oszil-
4 Digitalrecorder, Stoßvoltmeter und Impulskalibrator
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loskop zu verwenden, um überlagerte Oszillationen in der Front und Schwingungen im Scheitel zu erkennen. Die moderne Bauart eines Stoßvoltmeters besteht wie beim Digitalrecorder aus einem schnellen AD-Wandler, mit dem der Impulsverlauf abgetastet wird. Es wird jedoch nur der Prüfspannungswert zur Anzeige gebracht. Die Digitaltechnik ermöglicht grundsätzlich auch die normgerechte Auswertung von Stoßspannungen mit überlagerter Scheitelschwingung unter Berücksichtigung der Prüfspannungsfunktion k(f) (s. Kap. 1.1.1.2). Stoßvoltmeter mit AD-Wandler unterliegen vergleichbaren Fehlereinflüssen wie Digitalrecorder. Sie lassen sich mit einem Impulskalibrator hinsichtlich des Scheitelwertes kalibrieren. Bei älteren Bauarten wird die gemessene Stoßspannung zunächst durch ein RC-Glied in einen langsameren Impuls umgewandelt, der dann von einem Spitzenspannungsmesser ausgewertet wird.
4.5 Impulskalibrator Digitalrecorder und andere Messgeräte für Stoßspannungen und Stoßströme können auf unterschiedliche Weise kalibriert werden. Das bevorzugte Verfahren zur Bestimmung des Maßstabsfaktors und der Zeitparameter ist die Kalibrierung mit Impulsen, die vergleichbare Kurvenformen wie die genormten Stoßspannungen und Stoßströme aufweisen [4.1]. Alternativ sind Sprungspannungen zur Kalibrierung einsetzbar. Impulskalibratoren erzeugen doppelexponentielle Blitz- und Schaltstoßspannungen, abgeschnittene Stoßspannungen mit variabler Abschneidezeit bis hinunter zu 0,5 μs, Rechteck- und Sprungspannungen. Je nach Impulsform beträgt die maximale Ausgangsamplitude einige 100 V bis 2000 V. Als Zeitparameter der erzeugten Impulsspannungen sind die jeweils zulässigen Grenzwerte für die kürzeste Stirnzeit und die längste Rückenhalbwertzeit festgelegt. Der Zeitverlauf der Impulsspannungen ist weitgehend glatt. Bei ungünstiger Belastung des Kalibratorausgangs können im Anfangsverlauf der Kalibrierimpulse Oszillationen auftreten, die die Bestimmung des Punktes bei 0,3û und damit der Stirnzeit der aufgezeichneten Stoßspannung erschweren. Die grundsätzliche Schaltung eines analogen Impulskalibrators ist vergleichbar mit der Grundschaltung von Stoßspannungsgeneratoren nach Abb. 1.12, wobei aber in der Regel ein Thyristor, ein anderes elektronisches Bauteil oder ein mit Quecksilber benetzter Reed-Kontakt die Funkenstrecke als Schalter ersetzt. Der Ladekondensator Cs wird auf den vorgegebenen Spannungswert aufgeladen und dann schnell auf das die Impulsform bestimmende RC-Glied entladen. Am Kalibratorausgang entsteht eine doppelexponentielle Impulsspannung, deren Scheitelwert in erster Näherung durch das Produkt aus der eingestellten Gleichspannung und dem Ausnutzungsgrad der Schaltung bestimmt ist. Aufgrund der Nichtlinearität elektronischer Schalter kann der Ausnutzungsgrad spannungsabhängig sein, was sich vor allem bei kleinen Scheitelwerten von weniger als 100 V bemerkbar
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Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
macht. Durch eine entsprechende Regeleinheit lässt sich die Nichtlinearität weitgehend kompensieren. Impulskalibratoren dieser Bauart sind in erster Linie zur Kalibrierung des hochohmigen Eingangs von Digitalrecordern mit einer Eingangsimpedanz von mindestens 1 Mȍ und nicht mehr als 50 pF geeignet. Bei größerer Belastung des Kalibratorausgangs, die auch durch die Kapazität eines längeren Koaxialkabels zum Digitalrecorder gegeben sein kann, ist je nach Bauart mit einer Verformung der Kalibrierimpulse zu rechnen, die sich insbesondere auf die Stirnzeit auswirkt. Verschiedene Ausführungen von Impulskalibratoren, die eine voll- oder teilautomatisierte Kalibrierung von Recordern mit Stoßspannungen und von Spannungsteilern mit Sprungspannungen erlauben, zeigt Abb. 4.12. a)
c)
b)
Abb. 4.12. Verschiedene Ausführungen von Impulskalibratoren a) Impulskalibrator 80 V bis 1600 V für alle genormten Impulsformen (HAEFELY TEST AG) b) Generator für Sprungspannungen bis 1000 V (DR. STRAUSS Messtechnik GmbH) c) Impulskalibrator bis 330 V, bestehend aus dem Basisgerät und einem individuellem Kalibratorkopf für eine Impulsform (HIGHVOLT Prüftechnik Dresden GmbH)
Die Entwicklung von Digitalrecordern mit immer größerer Amplitudenauflösung verlangt nach Impulskalibratoren mit entsprechend hoher Genauigkeit. Ein sehr präziser Impulskalibrator bis 300 V besteht aus einem mit Quecksilber benetzten Reed-Kontakt als Schalter und genau ausgemessenen Schaltungselementen für die Impulsformung. Die Ausgangsspannung der Schaltung mit hochwertigen Bauelementen wird unter Berücksichtigung der Streukapazitäten und
4 Digitalrecorder, Stoßvoltmeter und Impulskalibrator
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Leitungsinduktivitäten berechnet. Auch die Eingangsimpedanz des Digitalrecorders und die Kapazität des Verbindungskabels zum Impulskalibrator gehen in die Rechnung ein. Dieser berechenbare Impulskalibrator verspricht Unsicherheiten von 0,05 % bis 0,14 % für den Scheitelwert der erzeugten Kalibrierimpulse und von weniger als 0,5 % für die Zeitparameter. Eine leistungsstarke Variante des berechenbaren Impulskalibrators mit MOSFET-Schalter und niedriger Ausgangsimpedanz ist zur genauen Kalibrierung von Recordern bis zu 1000 V und sogar von Stoßspannungsteilern geeignet [4.27, 4.28]. Neben Impulskalibratoren mit einigen fest vorgegebenen Impulsformen werden auch programmierbare Funktionsgeneratoren verwendet, mit denen sich beliebige Impulsformen erzeugen lassen. Der gewünschte Kurvenverlauf wird als Gleichung oder Datentabelle eingegeben und von einem Digital-Analog-Wandler in die entsprechende analoge Ausgangsspannung umgesetzt. Der Ausgangswiderstand der Funktionsgeneratoren beträgt in der Regel 50 ȍ und ist damit gegenüber der Eingangsimpedanz des geprüften Digitalrecorders von 1 Mȍ so klein, dass praktisch keine Rückwirkung auf die Impulsform auftritt. Wegen der kleinen Ausgangsspannung in der Größenordnung von 10 V kann allerdings nur der Direkteingang des Recorders ohne Abschwächer kalibriert werden. Besonders vorteilhaft ist die Möglichkeit, die Impulsform beliebig zu variieren und so das dynamische Verhalten von Digitalrecordern im interessierenden Bereich der Zeitparameter genauer zu untersuchen [4.29]. Der Impulskalibrator ist ein wichtiges Glied in der Kette der Rückführung von Stoßspannungs- und Stoßstrommessungen auf die SI-Einheiten für Spannung und Zeit. Die Überprüfung der Kalibratoreigenschaften in einem akkreditierten Kalibrierlabor gewährleistet die geforderte Rückführung auf die nationalen Messnormale mit den zulässigen Messunsicherheiten. Die Anforderungen an Impulskalibratoren zur Kalibrierung von Digitalrecordern in Referenzmesssystemen sind in [4.1] festgelegt und betragen 0,7 % für den Scheitelwert von vollen Stoßspannungen, 1 % für in der Stirn abgeschnittene Blitzstoßspannungen und 2 % für alle Zeitparameter. Impulskalibratoren, die auf Digitalrecorder desselben Herstellers abgestimmt sind, ermöglichen eine voll- oder zumindest halbautomatische Kalibrierung in allen Messbereichen. Wichtig ist eine gute Stabilität des Impulskalibrators, da die vollständige Kalibrierung eines Digitalrecorders in allen Messbereichen und bei verschiedenen Aussteuerungen für alle Impulsformen mehrere Stunden in Anspruch nehmen kann. Internationale Ringvergleiche an Impulskalibratoren sichern die Grundlage für das einheitliche Messen von Stoßspannungen und Stoßströmen [4.30, 4.31].
Literatur zu Kapitel 4 [4.1] DIN EN 61083-1 (VDE 0432 Teil 7): Messgeräte und Software bei Stoßspannungsund Stoßstromprüfungen – Teil 1: Anforderungen an Messgeräte (2002)
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Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
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4 Digitalrecorder, Stoßvoltmeter und Impulskalibrator
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5 Messung von Stoßspannungen
Zur konventionellen Messung von Stoßspannungen im Hochspannungsprüffeld werden vorwiegend Messsysteme mit Stoßspannungsteiler verwendet. Die Aufgabe des Spannungsteilers ist klar: er soll die am Prüfling anliegende Stoßspannung erfassen und an seinen Ausgangsklemmen ein maßstabsgetreu verkleinertes, genaues Abbild der Stoßspannung bereitstellen, das vom Messgerät auf der Niederspannungsseite gemessen und ausgewertet werden kann. Im Einsatz sind ohmsche, kapazitive und ohmsch-kapazitive Spannungsteiler, wobei für letztere die Widerstände und Kondensatoren sowohl in Reihe als auch parallel angeordnet sein können. Wichtige Eigenschaften eines Stoßspannungsteilers sind das Übertragungsverhalten bei Impulsbeanspruchung und die Linearität bis zur maximalen Einsatzspannung. Als Messgerät auf der Niederspannungsseite werden überwiegend Digitalrecorder mit rechnergestützter Datenauswertung der aufgezeichneten Stoßspannungsverläufe eingesetzt. Messsysteme mit Spannungsteiler haben sich seit Jahrzehnten für Stoßspannungsmessungen mit Scheitelwerten von bis zu mehreren Megavolt bewährt. Gelegentlich sind noch Kugelfunkenstrecken im Einsatz, deren Durchschlagspannungen in Abhängigkeit vom Kugeldurchmesser und -abstand bis zu 2 MV genormt sind. Sie werden hauptsächlich zum Linearitätsnachweis eines Stoßspannungsmesssystems verwendet. Die Tendenz zu immer höheren Übertragungsspannungen, vor allem im außereuropäischen Bereich, bereitet zunehmend Schwierigkeiten bei der Entwicklung von Stoßspannungsteilern mit entsprechend hohen Bemessungsspannungen. Eine andere Messmöglichkeit bieten kapazitive Feldsonden, die das elektrische Feld potentialfrei erfassen und durch eine Vor-OrtKalibrierung unter bestimmten Voraussetzungen zur Stoßspannungsmessung eingesetzt werden können. Schließlich sind die auf elektrooptischen Effekten beruhenden Pockels- und Kerr-Zellen zu nennen, die die Wirkung des elektrischen Feldes auf die optischen Eigenschaften von Kristallen und anderen Stoffen ausnutzen.
5.1 Messsystem mit Stoßspannungsteiler Der grundsätzliche Aufbau eines Stoßspannungsprüfkreises besteht aus dem Stoßspannungsgenerator 1 mit Belastungskondensator Cb, Prüfling 2, Messsystem 3 mit Dämpfungswiderstand Rd, Messgerät M und den unvermeidlichen Hochspannungszuleitungen (Abb. 5.1). Das Messsystem 3 mit seiner Hochspannungszuleitung ist so angeordnet, dass es die am Prüfling 2 anliegende Stoßspannung misst. Gelegentlich wird der Belastungskondensator Cb mit einem Niederspannungskondensator ergänzt und als Messsteiler mit einem Messgerät verwendet. Das separate
K. Schon, Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik, DOI 10.1007/978-3-642-13117-2_5, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010
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Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Messsystem 3 ist damit scheinbar entbehrlich (s. Kap. 1.3.1). In dieser Anordnung ist jedoch der Messteiler zwischen Generator 1 und Prüfling 2 positioniert. Abgesehen von dem meist unbefriedigenden Übertragungsverhalten des Belastungskondensators kann die vom Messteiler in dieser Position gemessene Stoßspannung von der am Prüfling anliegenden Spannung abweichen. Die Messschaltung mit Cb im Spannungsteiler ist daher nicht normenkonform.
1
2
3 Rd
Cb M
Abb. 5.1. Stoßspannungsprüfkreis mit Prüfling und Messsystem (schematisch) 1 Stoßspannungsgenerator mit Belastungskondensator Cb 2 Prüfling 3 Messsystem mit Dämpfungswiderstand Rd und Messgerät M
Das vollständige Stoßspannungsmesssystem besteht aus mehreren Komponenten (Abb. 5.2). Der konventionelle Stoßspannungsteiler 1 weist in der Regel einen ungeschirmten Hochspannungsteil und einen geschirmten Niederspannungsteil auf. Als Bauelemente werden Widerstände oder Kondensatoren oder eine Kombination davon verwendet, die in Reihen- oder Parallelschaltung angeordnet sind. Am Teilerkopf sind eine oder mehrere Toruselektroden 2 zur Feldsteuerung angebracht. Feldberechnungen zeigen, dass das elektrische Feld am Teilerkopf ein Maximum aufweist. Durch kapazitive Kopplung der Toruselektrode(n) wird das elektrische Feld in der Umgebung des Teilerkopfes vergleichmäßigt und der Einfluss der Hochspannungszuleitung 3 verringert. Die Zuleitung 3 besteht im einfachsten Fall aus einem Metalldraht oder, zur Verringerung der Leitungsinduktivität, aus einem leitenden Band, Schlauch oder Rohr. Die Länge der Zuleitung entspricht annähernd der Teilerhöhe. Der externe Dämpfungswiderstand 4 dämpft Oszillationen im Signalverlauf, die zum einen durch Reflexionen von Wanderwellen auf der Hochspannungszuleitung und zum anderen durch schwingungsfähige LC-Komponenten des Messkreises verursacht werden [5.1-5.4]. Zur Vermeidung von Überschlägen sollte der Spannungsteiler einschließlich Kopfelektrode, Zuleitung und Dämpfungswiderstand einen Abstand zu Wänden und benachbarten Gegenständen aufweisen, der mindestens seiner Bauhöhe entspricht. Richtwerte hierfür sind 3 m bei 1 MV Blitzstoßspannung und 5 m bei 1 MV Schaltstoßspannung.
5 Messung von Stoßspannungen
127
Wird an den Eingang eines Spannungsteilers die Stoßspannung u1(t) angelegt, entsteht am Teilerausgang die verkleinerte Spannung u2(t), die über das Messkabel 5 dem Messgerät 6 als Eingangsspannung u3(t) zur Auswertung zugeführt wird. Zur wellenmäßigen Anpassung wird am Anfang oder Ende des meist längeren koaxialen Messkabels ein Widerstand angeordnet, der gleich dem Kabelwellenwiderstand ist, und der die bei schnellveränderlichen Messsignalen auftretenden Reflexionsvorgänge unterdrücken soll. Der Spannungsteiler ist auf dem niederinduktiven Erdflächenleiter 7 in der Prüfhalle zusammen mit dem Prüfling und dem Stoßgenerator aufgebaut. Das Messgerät 6 befindet sich üblicherweise in einem gesonderten Mess- und Beobachtungsraum mit Blick in die Prüfhalle. Die Spannungen u2(t) und u3(t) sollen ein maßstabsgetreues Abbild der Stoßspannung u1(t) sein. Abweichungen hiervon werden durch die Qualität der Messeinrichtung bestimmt und sind durch Grenzwerte in den Prüfnormen festgelegt.
4
3 2
1 u1(t) 6
5 7
u2(t)
u3(t)
Abb. 5.2. Komponenten eines Stoßspannungsmesssystems (ohne Kabelabschlusswiderstand) 1: Spannungsteiler 2: Toruselektrode 3: Hochspannungszuleitung 4: Dämpfungswiderstand 5: Koaxiales Messkabel 6: Digitalrecorder 7: Erdrückleiter zum Stoßgenerator
Die Bauelemente (Widerstände, Kondensatoren) des Hochspannungsteils sind in einem Isolierzylinder aus Hartpapier, Plexiglas oder glasfaserverstärktem Kunststoff untergebracht, der damit sowohl für die mechanische Stabilität als auch für die elektrische Festigkeit maßgebend ist. Zur Verbesserung der Überschlagfestigkeit im Innern und der Wärmeabfuhr nach außen bei Dauerbelastung sind Stoßspannungsteiler mitunter mit Isoliergas unter erhöhtem Druck oder mit Isolieröl gefüllt. Stoßspannungsteiler für höhere Spannungen sind in der Regel modular aufgebaut mit mehreren gleichen, übereinander montierten Einheiten von je 1 m bis 2 m Bauhöhe. Die minimale Bauhöhe ist durch die Überschlagspannung des Isolierzylinders bestimmt. Bei einigen Spannungsteilern ist eine Toruselektrode
128
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
auch am Teilerfuß vorhanden. Die Toruselektroden am Teilerkopf und Teilerfuß können so dimensioniert sein, dass sie wie ein äußerer Überspannungsableiter wirken und bei Überschreiten der Bemessungsspannung den Überschlag einleiten. Dadurch wird zwar der Spannungsteiler selbst geschützt, aber nicht der am Anfang der Hochspannungszuleitung angeordnete externe Dämpfungswiderstand 4, über den der gesamte Kurzschlussstrom fließen würde. Für besondere Messaufgaben sind kleinere Stoßspannungsteiler bis zu einigen 100 kV zwecks vollständiger Schirmung in einem Metallgehäuse untergebracht. Größere Spannungsteiler sind in der Regel nicht vollkommen geschirmt. Wird dennoch von einem geschirmten Stoßspannungsteiler gesprochen, ist damit meistens ein Spannungsteiler mit großen Toruselektroden am Kopf und Fuß gemeint. Deren Schirmwirkung ist jedoch begrenzt, insbesondere gegen hochfrequente Störungen, wie sie z. B. beim Zünden von Funkenstrecken entstehen. Als Messkabel 5 vom Teilerausgang zum Messgerät werden einfach oder doppelt geschirmte Koaxialkabel verwendet. Bei schnellveränderlichen Messsignalen, vor allem bei der Messung von Sprungantworten, abgeschnittenen Stoßspannungen und Steilstoßspannungen, ist der Wellenwiderstand: Z
L C
(5.1)
zu berücksichtigen, wobei L die Induktivität und C die Kapazität des Koaxialkabels darstellen. Übliche Werte für den Wellenwiderstand Z sind 50 ȍ, 60 ȍ und 75 ȍ. Zur Vermeidung von Reflexionserscheinungen bei hochfrequenten Signalen wird das Koaxialkabel an mindestens einem Ende durch einen Widerstand R = Z abgeschlossen. Fehlt der Abschlusswiderstand, wird das Messsignal am hochohmigen Messgeräteeingang ganz oder teilweise reflektiert und läuft zum Kabelanfang zurück. Hier kommt es bei Fehlanpassung wiederum zu einer Reflexion. Insgesamt bildet sich dadurch längs des verlustbehafteten Kabels eine Wanderwelle aus, die hin und her läuft und sich dem Messsignal als gedämpft abklingende Schwingung überlagert. Die Ausbreitungsgeschwindigkeit einer Wanderwelle im Koaxialkabel beträgt: c
c0
Hr
,
(5.2)
wobei c0 die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum und İr die Permittivität des Kabeldielektrikums sind. Für Isolierungen aus Polyethylen (İr = 2,25) oder Teflon (İr = 2) beträgt die Signallaufzeit IJ im Kabel annähernd 5 ns/m. Für ein 10 m langes Koaxialkabel ergibt sich aus der doppelten Laufzeit 2IJ der hin- und herlaufenden Wanderwelle eine Schwingungsdauer von 100 ns. Diese Zeit ist kurz im Vergleich zur Stirnzeit einer vollen Blitzstoßspannung. Auch bei nicht angepasstem Kabelabschluss wird daher die Wanderwellenschwingung, die wegen der Kabelverluste
5 Messung von Stoßspannungen
129
gedämpft abklingt, die Auswertung einer vollen Blitzstoßspannung kaum beeinflussen. In der Regel wird jedoch auf einen Abschlusswiderstand nicht verzichtet, um gegebenenfalls hochfrequente Schwingungen oder steile Spannungsänderungen richtig erfassen zu können. Verlustarme Koaxialkabel, deren Innenleiter durch eine isolierende Wendel gestützt wird, haben ein Dielektrikum aus Luft oder Isoliergas. Wegen İr § 1 beträgt die Kabellaufzeit nur 3,3 ns/m. In großen Prüffeldern kann das Messkabel eine Länge von 50 m und mehr erreichen. Bei größeren Längen ist auf die Qualität des Kabels zu achten. Ein längeres Koaxialkabel minderer Qualität hat einen ohmschen Widerstand, der in Verbindung mit einem niederohmigen Eingangswiderstand des Messgerätes einen nicht zu vernachlässigenden Spannungsabfall längs des Kabels verursacht. Die Eingangsspannung u3 am Messgerät ist dann um 1 % bis 2 % kleiner als die Teilerausgangsspannung u2 Die Kapazität von Koaxialkabeln mit Bemessungsspannungen von einigen Kilovolt liegt bei 60 pF/m bis 100 pF/m. Die Kabelkapazität liegt dem Niederspannungsteil des Teilers parallel und stellt bei großer Kabellänge eine deutliche Belastung des Teilerausgangs dar. Je nach Ausführung des Spannungsteilers werden dadurch der Maßstabsfaktor des Messsystems und die Kurvenform der am Recorder anliegenden Messspannung beeinflusst. Aus diesem Grund ist das Messsystem bei Prüfungen und Kalibrierungen stets mit demselben oder einem in Länge und Ausführung vergleichbaren Messkabel einzusetzen. Als Messgerät 6 werden vorzugsweise Digitalrecorder mit einer Amplitudenauflösung von 8 Bit bis 16 Bit verwendet (s. Kap. 4). Sie ermöglichen eine weitgehend automatisierte Datenerfassung, Digitalisierung und rechnergestützte Auswertung des Messsignals. Zur Vermeidung von Erdschleifen ist das Messgerät nicht direkt, sondern über den Schirm des Messkabels geerdet (Abb. 5.2). Gelegentlich sind noch analoge Stoßoszilloskope im Einsatz, die jedoch ohne Zusatzgeräte nur eine manuelle Auswertung der aufgezeichneten Zeitverläufe mit unzureichender Genauigkeit erlauben. Wenn nur der Prüfspannungswert gemessen werden soll, können analoge oder digitale Stoßvoltmeter eingesetzt werden. Die normgerechte Kurvenform der Stoßspannung ist dann hinsichtlich der Zeitparameter und Oszillationen zusätzlich mit einem Oszilloskop zu kontrollieren. Beim Zünden der Funkenstrecken eines Stoßspannungsgenerators oder einer Abschneidefunkenstrecke entstehen starke elektromagnetische Störfelder, die auf das Messsystem in vielfältiger Weise einwirken. Die speziell für Stoßspannungsmessungen entwickelten Messgeräte sind durch eine entsprechende Schaltung und Schirmung gegen leitungsgebundene und elektromagnetisch eingekoppelte Störungen weitgehend geschützt. Zur Verbesserung des Nutz-Störsignalverhältnisses sind Eingangsspannungen von bis zu 2000 V entsprechend der maximalen Teilerausgangsspannung üblich. Ist das Messgerät für diese hohen Eingangsspannungen nicht ausgelegt, wird es durch einen externen Vorteiler ergänzt. Messgeräte, die auf Grund ihrer Bauart nicht von vornherein gegen Störeinwirkungen ausreichend geschützt sind, werden in einer geschirmten Kabine betrieben (Faraday-Käfig). Die Spannungsversorgung des Messgerätes erfolgt über einen außerhalb der Schirmkabine befindlichen Trenntransformator und ein an der äußeren Kabinenwand montiertes Netzfilter. Dies ermöglicht den potentialfreien Be-
130
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
trieb des Messgerätes und erschwert bei entsprechender Bauweise des Trenntransformators das Eindringen transienter Störungen in die Netzversorgung. Die Schirmkabine ist geerdet, so dass die durch das elektrische Feld auf der Kabinenoberfläche influenzierte Quellenspannung abgeleitet wird und nicht ins Innere zum Messgerät gelangt. Die Erdung der Kabine ist darüber hinaus lebenswichtig, da manche Netzfilter die (ungeerdete) Schirmkabine auf die halbe Netzspannung aufladen. Zur Abfuhr der vom Messgerät erzeugten Wärme weist die Schirmkabine Lüftungsöffnungen auf, die mit einem Wabengitter oder einem feinmaschigen Metallnetz versehen sind und dadurch das Eindringen von Störfeldern erschweren. Bei Betrieb des Messgerätes in einer Schirmkabine und Einwirkung eines magnetischen Feldes empfiehlt sich eine zusätzliche Schirmung des Messkabels. Gut geeignet hierfür sind im Fußboden eingelassene Metallrohre oder flexible Wellmantelrohre, durch die das Messkabel geführt wird. Auch ein doppelt geschirmtes Koaxialkabel ist geeignet, allerdings erlaubt dessen Metallgeflecht mit steigender Frequenz einen immer größeren Durchgriff des äußeren Störfeldes. Der äußere Schirm wird mit der geerdeten Schirmkabine an der Stelle der Kabeldurchführung verbunden. In der Regel ist es vorteilhaft, das andere Ende der äußeren Schirmung mit dem inneren Schirm am Teilerausgang zu verbinden (s. Abb. 6.4). Potentialanhebungen im Erdkreis oder von Magnetfeldern induzierte Quellenspannungen können sich dann über Störströme im geschlossenen Erdkreis entladen und gelangen nicht über die Kopplungsimpedanz ins Innere der Schirmkabine zum Messgerät [5.5, 5.6]. Zur Vermeidung von Störeinkopplungen in das Messgerät darf es zum Zeitpunkt der Stoßspannungserzeugung keine elektrisch leitende Verbindung zu Geräten (PC, Drucker usw.) außerhalb der Schirmkabine geben. Sehr praktisch und wirkungsvoll ist die optoelektronische Datenübertragung über Lichtwellenleiter (LWL) vom Messgerät zum PC einschließlich der Peripheriegeräte, wodurch die volle Schirmwirkung der Schirmkabine erhalten bleibt. Den elektromagnetischen Störfeldern ausgesetzt ist auch der Stoßspannungsteiler, der mit Ausnahme des Niederspannungsteils in der Regel ungeschirmt ist und daher als Antenne wirkt. Das vom Spannungsteiler aufgefangene Störsignal überlagert sich zu charakteristischen Zeiten dem Messsignal. So macht sich das Zünden der Generatorfunkenstrecken am Anfang der aufgezeichneten Stoßspannung bemerkbar, so dass die Bestimmung des 30-%-Punktes und damit der Stirnzeit einer Blitzstoßspannung beeinträchtigt sein kann. Bei einer in der Stirn abgeschnittenen Stoßspannung beeinflusst das Zünden der Abschneidefunkenstrecke den Scheitelbereich. Dabei zeigt sich die Störung bereits vor dem Scheitel der abgeschnittenen Stoßspannung, weil die elektromagnetisch in den Spannungsteiler eingekoppelte Störung einen kürzeren Laufweg in Luft zurücklegt als das leitungsgebundene Messsignal. Je nach Verlauf der Störung kann der aufgezeichnete Scheitelwert der abgeschnittenen Stoßspannung größer oder kleiner werden. Die in das Messsystem insgesamt eingekoppelte Störung lässt sich hinsichtlich ihrer Größe und zeitlichen Zuordnung zur Stoßspannung durch zwei Messungen mit einem zweikanaligen Digitalrecorder erfassen. Zunächst wird die Stoßspannung in der üblichen, vollständigen Messschaltung mit dem Digitalrecorder aufgezeichnet. Die zweite Aufzeichnung erfolgt bei derselben Ladespannung, aber mit
5 Messung von Stoßspannungen
131
aufgetrennter Hochspannungszuleitung des Spannungsteilers zum Stoßspannungsgenerator. Zur zeitsynchronen Steuerung der beiden Aufzeichnungen mit dem ersten Recorderkanal wird dem zweiten Kanal ein Triggersignal zugeführt, entweder direkt vom Triggerausgang des Stoßspannungsgenerators oder von einem als Antenne wirkenden Draht. Durch Vergleich der beiden Aufzeichnungen ergibt sich die Größe und zeitliche Zuordnung der Störung. Das Verhältnis der angelegten Stoßspannung zur angezeigten bzw. aufgezeichneten Ausgangsspannung des Messsystems ist durch den (Impuls-) Maßstabsfaktor F gekennzeichnet [1.8]. In der Messpraxis wird F unter der Annahme, dass das Messsystem linear ist und die Stoßspannung im Scheitel keine überlagerte Schwingung aufweist, aus dem Quotienten der Scheitelwerte:
F
û1 û3
|
û1 û2
(5.3)
ermittelt (Abb. 5.2). Allgemein ausgedrückt: der angezeigte Messwert muss mit dem Maßstabsfaktor multipliziert werden, um auf den gesuchten Wert der Prüfspannung zu kommen. Der Maßstabsfaktor soll bevorzugt durch eine Vergleichsmessung bei Stoßspannung mit einem genauen Referenzmesssystem bestimmt werden (s. Kap. 7.2). Er ist in der Regel ein Zahlenwert ohne Einheit. Die Messpraxis zeigt, dass der Maßstabsfaktor keine Konstante ist, sondern von einer Reihe von Einflussgrößen abhängt. Hierzu zählen der Scheitelwert und die Zeitparameter der Stoßspannung selbst, die Umgebungstemperatur, der Abstand zu benachbarten Gegenständen usw. Für die vorgesehene Messaufgabe darf sich der Maßstabsfaktor nur innerhalb festgelegter Grenzen ändern. Ein Messsystem mit einem Universalteiler für alle Spannungsformen kann unterschiedliche Maßstabsfaktoren für Gleich-, Wechsel-, Blitz- und Schaltstoßspannungen aufweisen. Für die einzelnen Komponenten eines Messsystems (Spannungsteiler, Digitalrecorder, Vorteiler usw.) lassen sich individuelle Maßstabsfaktoren angeben. Teilweise sind hierfür auch andere Bezeichnungen wie Teilungsverhältnis, Übersetzungsverhältnis oder Verstärkungsfaktor üblich. Das Produkt der Maßstabsfaktoren der Einzelkomponenten ergibt den Maßstabsfaktor des vollständigen Messsystems. Dieses Verfahren ist als Alternative zur Vergleichsmessung mit einem Referenzsystem anerkannt. Bei der Ermittlung der individuellen Maßstabsfaktoren sollen die Einzelkomponenten unter vergleichbaren Einsatzbedingungen betrieben werden wie im Gesamtsystem. Die Maßstabsfaktoren der Komponenten können auch mit Messverfahren bei Niederspannung ermittelt werden [4.22]. Der aus den Einzelkomponenten berechnete Maßstabsfaktor ist durch einen Linearitätstest des vollständigen Messsystems bis zur höchsten Einsatzspannung zu bestätigen (s. Kap. 7.3). Damit erfolgt auch der Nachweis, dass das Messsystem keine äußeren Teilentladungen aufweist, die die Messrichtigkeit beeinträchtigen.
132
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
5.1.1 Übertragungsverhalten von Stoßspannungsteilern Der Spannungsteiler stellt in der Regel die wichtigste Komponente eines Stoßspannungsmesssystems dar. Sein Übertragungsverhalten lässt sich im Frequenzbereich durch die Übertragungsfunktion H(jȦ) oder im Zeitbereich durch die Sprungantwort g(t) kennzeichnen (s. Kap. 3). Während in der Messpraxis mit Stoßspannungen die Sprungantwort bevorzugt wird, ist für theoretische Untersuchungen auch die Übertragungsfunktion interessant. Beide Darstellungsformen lassen sich ineinander umrechnen und bieten die Möglichkeit, mit Hilfe der Faltung die Ausgangsspannung eines Spannungsteilers mit bekanntem Übertragungsverhalten für beliebige Eingangsspannungen zu berechnen. Die Faltung ist eine Alternative zur Vergleichsmessung mit einem genauen Referenzteiler bei Stoßspannung mit unterschiedlichen Stirn- oder Abschneidezeiten. Hierbei werden die Messabweichungen des untersuchten Spannungsteilers für den Scheitelwert und die Zeitparameter der jeweiligen Stoßspannungsform ermittelt (s. Kap. 5.1.4.2 und 7.2.5). Für einen ideal aufgebauten, homogenen Spannungsteiler lässt sich eine einfache Faustformel für die obere Grenzfrequenz aufstellen. Unter der Annahme, dass der Spannungsimpuls mit Lichtgeschwindigkeit den Spannungsteiler durchläuft, gilt als absoluter Grenzwert für die obere Grenzfrequenz [5.7]: f2
150 MHz , h
(5.4)
wobei h die Teilerhöhe in Meter ist. Entsprechend dieser Faustformel nimmt die obere Grenzfrequenz bzw. Bandbreite eines ideal aufgebauten Spannungsteilers mit steigender Teilerhöhe und damit größerer Bemessungsspannung ab. Ein 1,5 m großer Stoßspannungsteiler für 500 kV erreicht nach Gl. (5.4) eine Bandbreite von 100 MHz. Die tatsächlich von realen Spannungsteilern erzielten Werte liegen jedoch deutlich darunter. Bei sehr großen Spannungsteilern reicht die Bandbreite noch aus, um volle Stoßspannungen originalgetreu messen zu können, nicht aber in der Stirn abgeschnittene Blitzstoßspannungen [3.31]. Ist der Spannungsteiler unvollkommen abgeglichen, sind größere Messabweichungen beim Scheitelwert und bei den Zeitparametern die Folge. Voraussetzung für ein gutes Übertragungsverhalten des realen Stoßspannungsteilers ist der optimale Frequenzabgleich der Hoch- und Niederspannungsteile unter Berücksichtigung aller Komponenten. Hierzu gehören nicht nur die sichtbar vorhandenen Bauelemente, sondern auch die unvermeidlichen Streukapazitäten und Eigeninduktivitäten. Aus der Niederspannungstechnik ist der Begriff kompensierter Spannungsteiler bekannt, d. h. Nieder- und Hochspannungsteil sind hinsichtlich der Bauelemente unter Berücksichtigung der Parallelkapazitäten und Eigeninduktivitäten gleich aufgebaut. Diese Forderung kann bei Hochspannungsteilern mit großen Abmessungen kaum eingehalten werden. Ursache sind die Streukapazitäten des Hochspannungsteils zur Erde und zu den Wän-
5 Messung von Stoßspannungen
133
den, die mit steigender Signalfrequenz einen zunehmenden Anteil des Messsignals ableiten. Für den kleinen Niederspannungsteil gibt es dafür kein Äquivalent. Ein Abgleich des Stoßspannungsteilers ist daher wegen seiner großen Abmessungen nur innerhalb eines begrenzten Frequenzbereichs möglich. Für die theoretische Analyse des Übertragungsverhaltens von Stoßspannungsteilern gibt es zwei verschiedene Ansätze. Im ersten Ansatz wird der Spannungsteiler, gegebenenfalls einschließlich Dämpfungswiderstand und Abschlusswiderstand, durch ein Ersatzschaltbild mit konzentrierten Elementen wie Widerstände, Kapazitäten und Induktivitäten dargestellt. Dieser Ansatz gilt für Signale, deren Zeitparameter groß gegenüber der Signallaufzeit durch den Spannungsteiler sind. Der zweite Ansatz betrachtet den räumlich ausgedehnten Teiler als Kettenleiter mit homogen verteilten Elementen, die nacheinander von einem schnellveränderlichen Signal durchlaufen werden. Der Vorteil des Kettenleiterersatzschaltbildes liegt in der einheitlichen Darstellung für die verschiedenen Teilerarten, die allgemeine Aussagen hinsichtlich des Übertragungsverhaltens ermöglicht. Die Wirkung der Hochspannungszuleitung mit Dämpfungswiderstand und das am Teilerausgang angeschlossene Koaxialkabel mit Abschlusswiderstand müssen jedoch gesondert betrachtet werden. Das gleiche gilt für jede Abweichung von der Homogenität des Spannungsteilers, die sich zwangsläufig durch das Niederspannungsteil ergibt oder zur Verbesserung des Übertragungsverhaltens gewollt ist. Für die genormten Stoßspannungen mit Zeitparametern im Mikrosekundenbereich ist die Betrachtung des Spannungsteilers als räumlich ausgedehnten Kettenleiter nicht unbedingt erforderlich. Die Signallaufzeit im Spannungsteiler ist selbst bei großer Bauhöhe kurz gegenüber den Zeitparametern einer vollen Blitzstoßspannung. Ein vereinfachtes Ersatzschaltbild mit konzentrierten Elementen einschließlich der unvermeidlichen Streukapazitäten und Induktivitäten dürfte daher in vielen Fällen ausreichen. Allein der Spannungszusammenbruch bei einer abgeschnittenen Blitzstoßspannung erfolgt in einer Zeit, die mit der Laufzeit im Spannungsteiler vergleichbar ist und daher mit dem Kettenleiterersatzschaltbild zu untersuchen wäre. Die genaue Erfassung des Spannungszusammenbruchs ist jedoch nicht Gegenstand einer normgemäßen Stoßspannungsprüfung. Der folgende Teil befasst sich zunächst mit den Erdkapazitäten und Induktivitäten eines Stoßspannungsteilers und anschließend mit dem allgemeinen Kettenleiterersatzschaltbild. In den Kapiteln für ohmsche und kapazitive Spannungsteiler wird auf die vereinfachten Ersatzschaltbilder mit konzentrierten und verteilten Komponenten näher eingegangen. 5.1.1.1 Streukapazität des Spannungsteilers zur Erde Zunächst wird der Einfluss der Streukapazität eines Stoßspannungsteilers zur Erde auf das Übertragungsverhalten näher untersucht. In dem allgemeinen Ersatzschaltbild nach Abb. 5.3 wird der Hochspannungsteiler durch eine Reihenschaltung von N gleichen Impedanzen Z1ƍ dargestellt, von denen verteilte Streukapazitäten Ceƍ zur Erde und zu geerdeten Wänden führen. In erster Näherung werden
134
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
alle Werte von Ceƍ als gleich groß angenommen. Betrachtet man den Spannungsteiler als schlanken, vertikalen Zylinder, der mit seinem Fuß auf Erdpotential steht, so berechnet sich dessen gesamte Erdkapazität Ce zu [3.2]: Ce
2 ʌ İ0 l . § 2 l· ¸¸ ln¨¨ © 3 d¹
(5.5)
Hierbei bedeuten l die Länge und d den Durchmesser des Zylinders. Gemäß Gl. (5.5) kann mit einem Kapazitätsbelag von (10 … 15) pF/m für große, schlanke Spannungsteiler und 20 pF/m für kleine, dicke Spannungsteiler gerechnet werden. Der nur wenig mit der Teilerhöhe variierende Kapazitätsbelag rechtfertigt näherungsweise die Vereinfachung, dass die verteilten Erdkapazitäten Ceƍ in Abb. 5.3 gleiche Werte aufweisen. Über die Erdkapazitäten fließt ein mit der Frequenz des Messsignals ansteigender Ableitstrom zur Erde. Dies hat zur Folge, dass die höherfrequenten Signalanteile den Niederspannungsteil nicht erreichen und dadurch in der Teilerausgangsspannung u2(t) fehlen. Wie stark sich dieser Effekt auf das Übertragungsverhalten bei hohen Frequenzen auswirkt, hängt von der Art des Spannungsteilers und Größe der Impedanzen Z1ƍ im Verhältnis zu Ceƍ ab. u1(t) C e‘
Z 1‘
C e‘
Z 1‘ Z 1‘
C e‘ Z 1‘
C e‘ C e‘
Z2
u2(t)
Abb. 5.3. Ersatzschaltbild eines Hochspannungsteilers mit verteilten Erdkapazitäten Ce’
5.1.1.2 Hochspannungszuleitung und Dämpfungswiderstand Die Hochspannungszuleitung und die in der Regel ebenfalls vorhandene Kopfelektrode des Teilers liefern weitere Beiträge zur Erdkapazität. Die Erdkapazität
5 Messung von Stoßspannungen
135
Ce,h eines horizontalen Drahtes mit dem Durchmesser d und der Länge l, der in einer Höhe h über Erdpotential verläuft, ist unter der Voraussetzung (4h)2>>l2 [3.2]: Ce, h
2 ʌ İ0 l . § 2l · ln¨ ¸ ©d ¹
(5.6)
Die Erdkapazität der Hochspannungszuleitung ist demnach nicht von der Höhe und nur geringfügig vom Durchmesser des Drahtes bzw. Rohres mit d < l abhängig. Für eine rohrförmige Zuleitung mit der Länge l = 1 m und einem Durchmesser d = 2 cm ergibt sich nach Gl. (5.6) eine Erdkapazität von 12 pF. Da Gl. (5.6) gleichfalls für gebogene Drähte und Rohre mit nicht zu kleinem Biegeradius gilt, lässt sich damit auch die Erdkapazität von Toruselektroden abschätzen. Hochspannungszuleitung und Toruselektrode weisen außerdem Streukapazitäten zum Teiler auf, was bei der Toruselektrode direkt zur Feldsteuerung ausgenutzt wird. Weiterhin hat die horizontale Hochspannungszuleitung eine Induktivität [3.2]: Lh
P 0l 2ʌ
ln
4h , d
(5.7)
die sich im Ersatzschaltbild zu der Hochspannungsimpedanz addiert. Eine Zuleitung mit d = 2 cm Durchmesser, die sich in h = 1,5 m Höhe über dem Erdboden befindet, hat demnach eine auf die Länge bezogene Induktivität Lh = 1,14 μH/m. Der externe Dämpfungswiderstand Rd am Anfang der Hochspannungszuleitung (s. Abb. 5.2) hat, wie bereits angegeben, zwei Aufgaben: Vermeidung der hochfrequenten Wanderwellenvorgänge auf der Zuleitung infolge von Reflexionen sowie Dämpfung der Schwingungen, die durch Induktivitäten und Kapazitäten im Hochspannungskreis entstehen. Der Einfluss des Dämpfungswiderstandes auf die Sprungantwort verschiedener Stoßspannungsteiler wird in [5.4] gezeigt. Ein optimierter Wert für den reflexionsfreien Leitungsabschluss lässt sich aus dem Wellenwiderstand der idealisierten Hochspannungszuleitung abschätzen. Für eine unendlich lange horizontale Leitung mit dem Durchmesser d und der Höhe h über einer geerdeten Fläche ist der Wellenwiderstand bestimmt durch [3.2]: Z
L' C'
1 2ʌ
4h P0 4 h ln | 60 ln ȍ, H0 d d
(5.8)
wobei Lƍ und Cƍ die auf die Längeneinheit bezogene Induktivität bzw. Erdkapazität der Zuleitung sind. Demnach steigt der Wellenwiderstand nur geringfügig mit der Höhe h der horizontalen Zuleitung, also mit der Größe des Spannungsteilers, an. Für eine unendlich lange Leitung mit h = 1,5 m und d = 2 cm berechnet sich der Wellenwiderstand zu Z = 342 ȍ. Von den Abmessungen her entspräche dies der horizontalen Hochspannungszuleitung eines 500-kV-Stoßspannungsteilers.
136
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
5.1.1.3 Allgemeines Kettenleiterersatzschaltbild Im Kettenleiterersatzschaltbild wird der räumlich ausgedehnte Spannungsteiler durch homogen verteilte Kettenglieder dargestellt, eine Betrachtungsweise, wie sie auch in anderen Bereichen, z. B. in der Leitungstheorie, bei höheren Frequenzen üblich ist (Abb. 5.4). Das am Teilerkopf eingespeiste Messsignal durchläuft die einzelnen Kettenglieder nacheinander bis zum letzten Glied auf Erdpotential, wobei die gesamte Laufzeit durch den Kettenleiter gegenüber der Signaldauer nicht mehr vernachlässigbar ist. Damit lässt sich eine einheitliche Theorie aufstellen, die allgemeine Erkenntnisse zum Übertragungsverhalten von Stoßspannungsteilern liefert. Das allgemeine Kettenleiterersatzschaltbild nach Abb. 5.4a zeigt eine große Anzahl n von gleichen Längsimpedanzen Zlƍ und Querimpedanzen Zqƍ, die auf die Länge bezogen sind. Die Längsimpedanzen stellen die realen Bauelemente des Spannungsteilers (Widerstände, Kondensatoren) einschließlich ihrer unvermeidlichen Parasitärelemente wie Induktivitäten und Parallelkapazitäten dar (Abb. 5.4b). Die Querimpedanzen bilden die verteilten Streukapazitäten des Spannungsteilers gegen Erde nach. Der Niederspannungsteil wird ebenfalls als gleiches Kettenglied am Fuß des Kettenleiters dargestellt. a)
b) u1(t) Z q‘
Zl‘ Ceƍ
Z q‘
Zl‘ R‘
Z q‘
Zl‘
Z q‘
Zl‘
C‘p
L‘ C‘
Z l‘
Ceƍ
u2(t)
Abb. 5.4. Ersatzschaltbild eines Hochspannungsteilers als Kettenleiter a) Allgemeines Kettenleiterersatzschaltbild mit Längsimpedanzen Zl und Querimpedanzen Zq b) Einzelnes Glied des Kettenleiters
Der am oberen Eingang des Kettenleiters angelegte Spannungsimpuls u1(t) durchläuft den Kettenleiter bis zum untersten, geerdeten Kettenglied, an dem die Ausgangsspannung u2 (t) abgegriffen wird. Die Übertragungsfunktion des Ketten-
5 Messung von Stoßspannungen
137
leiters berechnet sich aus dem Quotienten der Aus- und Eingangsspannungen und lautet in normierter Laplace-Schreibweise [5.1, 5.7-5.9]:
u p F p n 2 u1 p
sinh n
1 n
sinh
Zl p Zq p Zl p Zq p
.
(5.9)
Hierbei sind Zl und Zq die aufsummierten komplexen Längs- und Querimpedanzen des n-stufigen Kettenleiters entsprechend Abb. 5.4: Zl p
n Z l' p
und
Zq p
1 ' Z q p . n
Mit F(p) nach Gl. (5.9) ergibt sich die normierte Sprungantwort des Stoßspannungsteilers durch inverse Laplace-Transformation formal zu (s. Tabelle A1.2): ½ 1 g t L1 ® F p ¾ . ¿ ¯p
(5.10)
Auf die Angabe der allgemeinen Lösung von Gln. (5.9) und (5.10) für die Längs- und Querimpedanzen nach Abb. 5.4 wird an dieser Stelle verzichtet. In den folgenden Kapiteln werden für den ohmschen und den gedämpft kapazitiven Stoßspannungsteiler typische Werte der Impedanzen Zl und Zq eingesetzt und damit F(p) und g(t) berechnet und diskutiert. Wegen der vereinfachenden Darstellung des Stoßspannungsteilers durch das Kettenleiterersatzschaltbild mit gleichgroßen Erdkapazitäten und gleichem Endglied für den Niederspannungsteil vermag das Ergebnis der Berechnungen jedoch nur einen allgemeinen Überblick über das dynamische Verhalten von Stoßspannungsteilern zu liefern. Bei der praktischen Ausführung eines Stoßspannungsteilers kann man durch eine abgestimmte Konstruktion des Niederspannungsteils häufig ein verbessertes erzielen [5.10-5.12]. Die Vor- und Nachteile der Nachbildung eines Spannungsteilers durch das Kettenleiterersatzschaltbild mit analytischem Lösungsansatz sind weiter oben bereits kurz angesprochen. Heutzutage bieten kommerziell oder vom Anwender selbst entwickelte Rechenprogramme zur Netzwerkanalyse elektrischer Schaltungen und zur Berechnung elektrischer Felder eine praxisorientierte und effektive Möglichkeit für theoretische Untersuchungen an Stoßspannungsteilern. Damit lässt sich das Übertragungsverhalten eines Spannungsteilers an Hand seines individuellen elektrischen Ersatzschaltbildes oder durch Feldberechnungen bestimmen. Die Darstellung und Berechnung als Kettenleiter, dessen Einzelglieder der Wirklichkeit besser angepasst sind, ist natürlich mit diesen Rechenprogrammen ebenfalls möglich. Der Einfluss der Hochspannungszuleitung mit Dämpfungswiderstand, des Messkabels mit Abschlusswiderstand und der Steuerelektroden des Span-
138
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
nungsteilers kann berücksichtigt werden. Die Richtigkeit des Rechenmodells für den untersuchten Spannungsteiler wird durch Vergleich der berechneten und der mit einem Digitalrecorder aufgezeichneten Sprungantwort überprüft [5.13-5.18]. Dieser Vergleich liefert wichtige Erkenntnisse zur Verbesserung des Modellansatzes und damit zur Verbesserung der Konstruktion des Spannungsteilers selbst. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass Unzulänglichkeiten beim Versuchsaufbau und Störeinflüsse die Messung der Sprungantwort beeinflussen (s. Kap 3.7). 5.1.2 Ohmscher Stoßspannungsteiler Ohmsche Stoßspannungsteiler werden zur Messung von Blitzstoßspannungen bis 2 MV und Steilstoßspannungen bis zu einigen 100 kV verwendet. Für Schaltstoßspannungen sind ohmsche Spannungsteiler wegen des größeren Leistungsumsatzes weniger geeignet. Abb. 5.5 zeigt die Schaltung des vollständigen Messsystems mit ohmschem Spannungsteiler. Typische Werte für den Hochspannungswiderstand R1 sind 1 k: bis 20 k: je nach Bemessungsspannung und Impulsart. Die kleineren Widerstandswerte gelten für Teiler mit niedriger Bemessungsspannung, die zur Messung sehr kurzer Impulse geeignet sind. Der Dämpfungswiderstand Rd am Anfang der Hochspannungszuleitung, der Wanderwellenschwingungen auf der Zuleitung unterdrücken oder zumindest reduzieren soll, liegt in der Größenordnung von 100 : bis 400 :. Typische Werte für den Niederspannungswiderstand R2 sind 0,5 : bis 10 :. Das Ausgangssignal u2(t) gelangt über das Koaxialkabel 2 mit dem Wellenwiderstand Z = 50 ȍ oder 75 ȍ zum Eingang des Messgerätes 3 (in der Regel ein Digitalrecorder). Zur Vermeidung von Reflexionsvorgängen ist das Koaxialkabel am Recordereingang mit dem Widerstand R = Z abgeschlossen. Dieser liegt zusammen mit der Kabelkapazität Ck niederfrequenzmäßig parallel zu R2 und kann bei größeren Werten von R2 das Teilungsverhältnis beeinflussen. Für einen ohmschen Stoßspannungsteiler kommen verschiedene Widerstandsarten in Betracht. Als Hochspannungswiderstand bei größeren Spannungsteilern wird häufig ein mäanderförmig angeordneter Widerstandsdraht aus NiCr oder CuNi verwendet, der mit Textilfäden zu einem Widerstandsband mit einer Breite von bis zu 1 m verwoben ist. Das Widerstandsband kann entweder flexibel mit mehreren Metern Länge oder starr in vergossener Form als Stab oder Rohr hergestellt werden. Damit lassen sich sowohl kleine Dämpfungswiderstände als auch große Stoßspannungsteiler mit den höchsten Bemessungsspannungen rationell herstellen. Durch die mäanderförmige Anordnung des Widerstandsdrahtes erreicht man eine weitgehende Reduzierung der Induktivität. Die restliche, auf die Länge bezogene Induktivität des Widerstandsbandes liegt im Bereich von weniger als 1 μH/m bis 30 μH/m. Bei optimaler Auslegung des Mäanders wird die Wirkung der Induktivität durch die Kapazität der parallel liegenden Drahtabschnitte zumindest teilweise kompensiert [5.19]. Bei einer anderen Ausführung des Hochspannungswiderstandes ist ein Widerstandsdraht um ein Trägerrohr gewickelt. Zur Reduzierung der Induktivität werden zwei Wicklungen mit entgegen gesetzter Wickelrichtung als bifilare Wicklung aufgebracht [5.20].
5 Messung von Stoßspannungen
139
Rd 1 R1 3
2 Z
u1(t) R2
u2(t)
u3(t) R=Z
Abb. 5.5. Stoßspannungsmesssystem mit ohmschem Spannungsteiler und Digitalrecorder 1 Ohmscher Stoßspannungsteiler 2 Koaxialkabel mit Wellenwiderstand Z 3 Digitalrecorder
Für „schnelle“ Spannungsteiler mit Bemessungsspannungen von weniger als 500 kV kommen auch induktivitätsarme Einzelwiderstände in Reihenschaltung zum Einsatz. Kohleschichtwiderstände haben ein gutes Hochfrequenzverhalten und eine große Stoßspannungsfestigkeit. Die auf einem Isolierkörper aufgebrachte Kohleschicht darf jedoch keine Wendel oder Teilwendel aufweisen, mit der üblicherweise ein festgelegter Widerstandswert erzielt werden soll. An der Grenzlinie der eingearbeiteten Nut zur umgebenden Kohleschicht können sich Entladungen ausbilden, die zum Überschlag führen und die Kohleschicht schädigen. Schichtwiderstände haben den Nachteil, dass sie im Vergleich zu Drahtwiderständen energetisch geringer belastbar sind. Die erforderliche Strombelastung wird dadurch erzielt, dass jeder Serienwiderstand aus einer Parallelschaltung mehrerer Widerstände besteht. In der Parallelschaltung ist auch die Gesamtinduktivität weiter verringert. Ein noch besseres Frequenzverhalten haben Chip- und KeramikWiderstände, bei denen die Widerstandsschicht auf einem Quarz-Substrat aufgebracht ist. Massewiderstände in Reihenschaltung können ebenfalls verwendet werden [5.21]. Über den Einsatz niederohmiger Flüssigkeitsteiler mit NaCl- oder CuSO4-Lösungen zur Messung kurzer Spannungsimpulse im 100-kV-Bereich wird in [5.22, 5.23] berichtet. Der große Temperaturkoeffizient verhindert jedoch einen Einsatz der Flüssigkeitsteiler bei höheren Genauigkeitsanforderungen. Der Niederspannungsteil ist in der Regel in einer geschirmten Box untergebracht und besteht aus einer Parallelschaltung von Einzelwiderständen zur Erzielung einer hohen Strombelastung und kleinen Induktivität. In der Regel sind die im Hoch- und Niederspannungsteil eingesetzten Widerstände von gleicher Bauart, so dass sie gleiches Temperaturverhalten aufweisen, aber unterschiedlich belastet werden. Das in der Niederspannungstechnik bekannte Prinzip des kompensierten
140
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Spannungsteilers, nach dem das Verhältnis der Induktivitäten L1/L2 auf der Hochund Niederspannungsseite gleich dem der Widerstände R1/R2 sein soll, wird nicht immer eingehalten. Einerseits lässt sich eine entsprechend kleine Induktivität auf der Niederspannungsseite nicht erzielen, andererseits ist ein derartiger Abgleich des Spannungsteilers nicht unbedingt von Vorteil. Eine Induktivität auf der Niederspannungsseite kann die Wirkung der Erdkapazitäten auf der Hochspannungsseite teilweise ausgleichen und das Übertragungsverhalten des Spannungsteilers im gewünschten Frequenzbereich verbessern. Die Sprungantwort weist zwar ein kleines Überschwingen, aber kürzere Anstiegs- und Antwortzeiten auf [5.24]. Zur Kompensation von Parallelkapazitäten im Hochspannungsteil kann es vorteilhaft sein, dem Niederspannungswiderstand eine Kapazität entsprechend dem Teilungsverhältnis parallel zu schalten. Das Koaxialkabel und der Eingangswiderstand des Messgerätes liegen gleichfalls parallel zum Niederspannungsteil. Ist der Recordereingang mit dem Wellenwiderstand des Koaxialkabels, also niederohmig abgeschlossen, muss bei einem längeren, qualitativ nicht so hochwertigen Koaxialkabel der Leiterwiderstand berücksichtigt werden. Koaxialkabel weisen einen Leiterwiderstand auf, der üblicherweise zwischen 15 mȍ/m und 150 mȍ/m liegt. Bei einem längeren Koaxialkabel kann dadurch ein Spannungsabfall von einigen Prozent des Messsignals auftreten. Das Messgerät zeigt dann eine zu kleine Spannung an, wenn der Spannungsabfall nicht durch eine Kalibrierung erfasst wird. Betrachtet man den ohmschen Spannungsteiler ohne Messkabel, Messgerät und Abschlusswiderstand R, so ist dessen Teilungsverhältnis durch den Quotienten der angelegten Hochspannung u1 und der Teilerausgangsspannung u2 festgelegt. Für Gleichspannung und niederfrequente Signale ist das Teilungsverhältnis eines linearen Spannungsteilers gleich dem Widerstandsverhältnis (Abb. 5.5): u1 u2
R1 R2 Rd . R2
(5.11)
Das durch die Widerstände bestimmte Teilungsverhältnis bzw. der Maßstabsfaktor ist jedoch bei höheren Frequenzen nicht mehr gültig. Die unvermeidlichen Erdkapazitäten und Induktivitäten der Bauteile beeinflussen das Übertragungsverhalten und müssen im Ersatzschaltbild entsprechend berücksichtigt werden. 5.1.2.1 Ohmscher Spannungsteiler als Kettenleiter Das grundsätzliche Übertragungsverhalten eines ohmschen Spannungsteilers für hochfrequente Signale lässt sich am Kettenleiterersatzschaltbild mit homogen verteilten Elementen theoretisch untersuchen. Abb. 5.6 zeigt ein einzelnes Glied des n-gliedrigen Kettenleiters. Neben dem Widerstand Rƍ enthält es die Induktivität Lƍ, Parallelkapazität Cpƍ und Erdkapazität Ceƍ, die in zwei Hälften aufgeteilt ist. Die im allgemeinen Schaltbild des Kettenleiterelementes eingezeichnete Kapazität Cƍ in Reihe zu Rƍ und Lƍ entfällt hier natürlich (s. Abb. 5.3b).
5 Messung von Stoßspannungen
141
Unter der Annahme, dass das Niederspannungsteil als letztes Glied des Kettenleiters gleich aufgebaut ist, ergibt sich aus dem allgemeinen Ansatz nach Gl. (5.9) für die Sprungantwort des ohmschen Teilers [5.7-5.9]: f
g t 1 2e at
¦ 1 k
cosh bk t
k 1
mit:
a
bk
a2
R 2L
a sinh bk t bk
Cp 2 2 1 k ʌ Ce
(5.12)
und
k 2ʌ2 , § Cp 2 2 · k ʌ ¸¸ LCe ¨¨1 ¹ © Ce
(5.13)
R = nRƍ, L = nLƍ, Ce = nCeƍ, Cp = Cpƍ/n. Ce' 2
R‘ C‘p L‘
Ce' 2 Abb. 5.6. Einzelnes Glied im Kettenleiterersatzschaltbild eines ohmschen Spannungsteilers
Als Beispiel zeigt Abb. 5.7 die nach Gl. (5.12) berechnete Sprungantwort g(t) eines ohmschen Spannungsteilers für drei verschiedene Werte des Gesamtwiderstandes R = 2 kȍ, 5 kȍ und 10 kȍ. Die induktive Zeitkonstante wird als konstant angenommen und beträgt jeweils L/R = 10 ns, d. h. mit zunehmendem Widerstand wird auch die Induktivität entsprechend größer. Die resultierende Erdkapazität beträgt Ce = 40 pF, die Parallelkapazität Cp = 1 pF. Diese Werte sind charakteristisch für einen Stoßspannungsteiler mit einer Bemessungsspannung von 1 MV. Bei ei-
142
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
nem kleinen Widerstand R ist der Einfluss von Ce gering und die Serieninduktivität L verursacht ein ausgeprägtes Überschwingen der Sprungantwort (Kurve 1). Ein kleiner Widerstand bedeutet, dass in Gl. (5.12) ein oder mehrere bk-Werte imaginär werden und die Hyperbelfunktionen in die entsprechenden trigonometrischen Funktionen mit den Absolutwerten von bk im Argument übergehen. Mit steigendem Widerstand wächst der Einfluss der Erdkapazität, wodurch die Sprungantwort langsamer ansteigt und das Überschwingen abnimmt (Kurve 2). Oberhalb eines kritischen Wertes von R existieren in Gl. (5.12) nur noch Hyperbelfunktionen und es ergibt sich eine asymptotisch gegen den Endwert g() = 1 verlaufende Sprungantwort (Kurve 3). 1.5 1 2
1 g(t)
3
0.5
0 0
50
100
150
ns
200
t
Abb. 5.7. Berechnete Sprungantwort g(t) eines ohmschen Spannungsteilers als Kettenleiter mit Einzelelementen nach Abb. 5.5 (L/R = 10 ns, Ce = 40 pF, Cp = 1 pF) 1: R = 2 kȍ 2: R = 5 k ȍ 3: R = 10 kȍ
An dieser Stelle sei nochmals darauf hingewiesen, dass ein begrenztes Überschwingen der Sprungantwort eines Stoßspannungsteilers in der Messpraxis durchaus akzeptabel oder sogar wünschenswert ist. Durch das kurzzeitige Überschwingen wird die Antwortzeit nach Gl. (3.31) reduziert, die ein von mehreren Kriterien für die Richtigkeit der Scheitelwertmessung ist. Maßgebend hierbei ist, dass das Überschwingen zu einer Zeit wieder abgeklungen ist, die deutlich vor dem Auftreten des Stoßspannungsscheitels liegt, d. h. für die Beruhigungszeit muss gelten ts « Tp (s. Kap. 3.7.1). Ein geringes Überschwingen der Sprungantwort wirkt sich in der Regel zuerst auf die Stirnzeit, bei größerem Überschwingen dann auch auf den Scheitelwert der Stoßspannung aus. Die berechneten Sprungantworten in Abb. 5.7 weisen zur Zeit t = 0 einen Anfangssprung auf. Ursache hierfür sind die Parallelkapazitäten Cpƍ im Hoch- und Niederspannungsteil, die in Verbindung mit den Erdkapazitäten Ceƍ im Einschaltmoment einen kapazitiven Spannungsteiler darstellen, der entsprechend dem Tei-
5 Messung von Stoßspannungen
143
lungsverhältnis die angelegte Sprungspannung anteilig sofort auf den untersten Kondensator Cpƍ des Kettenleiters überträgt. Dieser Anfangssprung ist um so ausgeprägter, je größer das Verhältnis Cp/Ce ist. In der Messpraxis wird ein derartiger Anfangssprung jedoch nicht beobachtet. Das einfache Kettenleiterersatzschaltbild vermag nicht alle Einzelheiten richtig nachzubilden, wie man leicht einsehen kann. So werden die einzelnen Kettenglieder im Hochspannungsteil wie auch im Niederspannungsteil als identisch angenommen. Der Skineffekt wird ebenso wenig berücksichtigt wie der Einfluss der Hochspannungszuleitung und des Messkabels. Auch ist der tatsächlich erzeugte Spannungssprung nicht unendlich steil, wie in der Rechnung angenommen wird, was vor allem den Anfangsverlauf der Sprungantwort beeinflusst. Zur Verbesserung des Ersatzschaltbildes in Abb. 5.6 gibt es verschiedene Anregungen, z. B. die Parallelkapazität Cpƍ mit einer Induktivität in Reihe zu ergänzen [5.7, 5.8]. Um den Unterschied zwischen dem Nieder- und Hochspannungsteil im Kettenleiterersatzschaltbild besser berücksichtigen zu können, werden beide Teile separat voneinander betrachtet [5.10]. Hierzu wird zunächst der durch den Hochspannungsteil bei kurzgeschlossenem Niederspannungsteil fließende Stoßstrom berechnet, der dann im zweiten Schritt als eingeprägter Strom in den Niederspannungsteil injiziert wird und den Spannungsabfall u2(t) erzeugt. Der Einfluss der Hochspannungszuleitung mit Dämpfungswiderstand ist ebenfalls theoretisch untersucht worden [5.11]. 5.1.2.2 Ersatzschaltbild mit konzentrierten Elementen Ein ohmscher Spannungsteiler mit einem Widerstand R 10 kȍ weist entsprechend Kurve 3 in Abb. 5.7 eine Sprungantwort auf, die sich ohne Überschwingen asymptotisch dem Endwert annähert. Für große Widerstandswerte sind die auf den Widerstand bezogene Induktivität L/R und die Parallelkapazität Cp « Ce vernachlässigbar. Damit geht Gl. (5.12) in den vereinfachten Ausdruck für die Sprungantwort eines hochohmigen Kettenleiters über [5.7-5.9]: f § k 2ʌ2 g t 1 2 ¦ 1 k exp¨ ¨ RCe k 1 © Damit ergibt sich die Antwortzeit zu:
T
RCe . 6
· t¸ . ¸ ¹
(5.14)
(5.15)
Sie ist identisch mit der Antwortzeit einer einfachen Schaltung mit konzentrierten Elementen und RC-Verhalten, deren Zeitkonstante durch IJ = T und deren Sprungantwort durch Gl. (3.20) gegeben ist (s. Kap. 3.4.1). Abb. 5.8. zeigt das entsprechende Ersatzschaltbild, das häufig nicht nur für hochohmige Widerstandsteiler,
144
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
sondern ganz allgemein an Stelle des Kettenleiterersatzschaltbildes für nicht zu schnelle Spannungssignale verwendet wird. Es lässt sich zeigen, dass die Sprungantwort der vereinfachten Ersatzschaltung nach Abb. 5.8 einen annähernd gleichen Verlauf wie die des Kettenleiters nach Gl. (5.14) mit asymptotischer Annäherung an den Endwert aufweist [1.1].
R1 2
R1
u 1(t)
2 2 Ce 3
R2
u 2(t)
Abb. 5.8. Vereinfachtes Ersatzschaltbild eines hochohmigen Stoßspannungsteilers mit Ce
Eine realistische Abschätzung der Erdkapazität Ce liefert Gl. (5.6). Als grober Richtwert für einen Spannungsteiler gilt eine Erdkapazität von 15 pF/m. Die negative Wirkung der Erdkapazität lässt sich konstruktiv durch feldsteuernde Maßnahmen, z. B. durch Anbringen großer Toruselektroden am Teilerkopf und -fuß, oder durch zusätzliche, den Teilerwiderständen parallel geschaltete Kondensatoren mit abgestufter Kapazität verringern bzw. teilweise kompensieren. Wegen des Einflusses der Erdkapazität sind ohmsche Spannungsteiler mit mehr als 20 kȍ zur Messung von Blitzstoßspannungen kaum anzutreffen. Zu kleine Widerstände kommen wiederum auch nicht in Betracht, da das Überschwingen der Sprungantwort und die Belastung des Stoßspannungsgenerators zu groß werden. Der Einsatz niederohmiger, induktionsarmer Widerstandsteiler ist daher vorwiegend der Messung von Steilstoßspannungen mit geringer Impulsdauer vorbehalten. 5.1.2.3 Feldkonformer Widerstandsteiler Bisher wurde immer davon ausgegangen, dass der Widerstand im Hochspannungsteil linear über der Teilerhöhe angeordnet ist. Stellt man sich den Spannungsteiler als homogene, vom Strom durchflossene Widerstandssäule vor, wäre die Spannungs- und Feldverteilung längs dieser Säule ohne Berücksichtigung der Erdkapazität ebenfalls linear. Die Feldverteilung zwischen der Hochspannungsund Erdelektrode allein, d. h. ohne Widerstandssäule, ist jedoch stark nichtlinear. So nimmt in der Umgebung einer Kugelelektrode die Feldstärke mit dem Quadrat
5 Messung von Stoßspannungen
145
des Abstands von der Kugel ab. Dies bedeutet, dass die Feldstärke in der näheren Umgebung des Teilerkopfes besonders groß ist im Vergleich zu der Feldstärke im unteren Bereich des Spannungsteilers. Im Extremfall entfällt mehr als die Hälfte der Feldstärke auf die oberen 20 % der Teilerhöhe. Im oberen Bereich des Spannungsteilers gibt es daher zwischen den beiden Feldern eine ausgeprägte Differenz, die zu einer starken Normalkomponente des resultierenden Feldes senkrecht zur Teilersäule führt. Diese Normalkomponente des Feldes ist treibende Kraft dafür, dass ein frequenzabhängiger Ableitstrom über die Erdkapazitäten des Teilers fließt und dessen Übertragungsverhalten zu hohen Frequenzen hin verschlechtert. Es gibt verschiedene Ansätze, die Normalkomponente des elektrischen Feldes und damit den kapazitiven Ableitstrom zur Erde auszuschalten. Die Normalkomponente ist null, wenn die Stromverteilung und damit die Widerstandsverteilung des Spannungsteilers dem ungestörten Feldverlauf der Hochspannungselektrode angepasst ist. Der hierfür erforderliche Widerstandsbelag pro Längeneinheit ergibt sich aus Feldberechnungen oder Feldmessungen. Er erreicht im Bereich der Kopfelektrode sehr große Werte und nimmt zum Teilerfuß hin ab. Die Sprungantwort eines derartigen feldkonformen Stoßspannungsteilers zeigt auch tatsächlich einen steileren Anstieg, d. h. die Anstiegszeit hat sich signifikant verringert gegenüber der eines vergleichbaren Spannungsteilers mit linearer Widerstandsaufteilung [5.25, 5.26]. Das Prinzip der feldkonformen Widerstandsanpassung lässt sich natürlich besonders wirkungsvoll auf hochohmige Spannungsteiler mit Bemessungsspannungen von 1 MV und mehr anwenden, die dadurch gleichermaßen zur Messung von Blitz- und Schaltstoßspannungen geeignet sind [5.27]. Der grundsätzliche Nachteil eines feldkonformen Stoßspannungsteilers ist jedoch, dass im Bereich der Kopfelektrode der vergleichsweise hochohmige Widerstand einer noch stärkeren Spannungsbeanspruchung als beim linearen Spannungsteiler ausgesetzt ist. Die Gefahr eines Durch- bzw. Überschlags im oberen Bereich eines feldkonformen Spannungsteilers ist dadurch erhöht. Der feldkonforme Spannungsteiler kann daher nicht mit der Bemessungsspannung eines linearen Spannungsteilers gleicher Bauhöhe betrieben werden. Versucht man, diesen Nachteil durch eine größere Bauhöhe des feldkonformen Spannungsteilers zu beheben, verschlechtert sich aber dessen Übertragungsverhalten und der Vorteil gegenüber dem kleineren Spannungsteiler mit linearer Widerstandsverteilung verringert sich oder geht ganz verloren. 5.1.2.4 Optimierter Messabgriff, Überlagerung von Teilspannungen, kapazitive Rückkopplung Ein anderer Vorschlag zur Verbesserung des Messverhaltens ohmscher Stoßspannungsteiler mit linearer Widerstandsverteilung betrifft die Positionierung des Spannungsabgriffs. Der Abgriff erfolgt nicht, wie sonst üblich, am Niederspannungsteil im Teilerfuß, sondern an einer Stelle, die zwischen dem Kopf und Fuß des Spannungsteilers liegt. Der Vorteil des optimierten Messabgriffs liegt darin, dass die hochfrequenten Signalanteile, die über die verteilten Erdkapazitäten ab-
146
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
fließen und den Niederspannungsteil im Teilerfuß nicht erreichen, zum großen Teil noch mit erfasst werden können. Die optimierte Position des Messabgriffs wird hierbei als die Stelle definiert, bei der die Antwortzeit der berechneten Sprungantwort T = 0 ist. Entsprechend den theoretischen Untersuchungen liegt bei einem Spannungsteiler der Höhe H der optimierte Messabgriff bei zopt = 0,57H und damit geringfügig oberhalb der Hälfte des Gesamtwiderstandes [5.28-5.30]. Die theoretischen Ergebnisse werden durch eingehende Messungen an einem 800-kV-Stoßspannungsteiler, bei dem die Messimpedanz in unterschiedlicher Teilerhöhe eingefügt wird, weitgehend bestätigt [5.29]. Da der Messabgriff auf Hochspannungspotential liegt, muss das Messgerät entweder selbst auf hohes Potential gelegt oder über eine optoelektronische Messwertübertragungsstrecke angeschlossen werden. Die experimentelle Sprungantwort weist für den optimierten Messabgriff bei zopt = 0,57H ein geringes Überschwingen und eine kurze Beruhigungszeit auf, während am Teilerkopf (z = H) ein großes Überschwingen und am Teilerfuß (z = 0) ein langsames Anschleichen an den Endwert ohne Überschwingen auftritt. Für den optimierten Messabgriff ergibt sich eine minimale Anstiegszeit der Sprungantwort von 10 ns. Die Oszillogramme von vollen und abgeschnittenen Blitzstoßspannungen, die jeweils für den optimierten Messabgriff und den Abgriff auf Erdpotential aufgezeichnet wurden, lassen allerdings in diesem Zeitbereich keinen Unterschied erkennen. Ein Vorteil des optimierten Messabgriffs besteht darin, dass an der Stelle zopt der Fremdfeldeinfluss verschwindet. Der Spannungsteiler kann daher sehr hochohmig ausgeführt werden. In gleiche Richtung zielt ein Vorschlag ab, das Messverhalten von Spannungsteilern durch Überlagerung von Teilspannungen zu verbessern [5.31]. Hierbei ist der Spannungsteiler aus mehreren Einzelstufen aufgebaut, die jede einen eigenen Messwertumformer mit Abgriff für die Teilspannung aufweist. Die Teilspannungen werden optoelektronisch zu einem Summierglied übertragen und dort zur Gesamtspannung addiert. Die experimentellen Untersuchungen bei Gleichspannung bis 250 kV bestätigen die Vorteile dieses Verfahren gegenüber dem konventionellen Messprinzip mit Abgriff am Niederspannungsteil. Die Summation der Teilspannungen zur Gesamtspannung zeigt eine ausgezeichnete Linearität, selbst bei Einwirkung künstlich erzeugter Teilentladungen in der Teilermitte, die einen erhöhten Leckstrom zur Hochspannungselektrode und Erde verursachen. Nach Auffassung der Autoren ist das Summierverfahren gleichfalls zur Messung von Wechselspannungen und des Scheitelwertes von Stoßspannungen geeignet. Ein weiterer Vorschlag zur Verbesserung des Übertragungsverhaltens betrifft einen gasisolierten Spannungsteiler für 1 MV in metallgekapselter Ausführung [5.32]. Die Stoßspannung wird dem ohmschen Spannungsteiler im Metallkessel über eine knapp 3 m hohe Durchführung zugeführt. Der Spannungsteiler ist somit vollständig geschirmt, aber die große Streukapazität zum geerdeten Kessel verschlechtert das Übertragungsverhalten bei höheren Frequenzen. Zur Verbesserung des Frequenzgangs werden die höherfrequenten Signalanteile am Teilerkopf kapazitiv ausgekoppelt und mit entsprechender Signalverzögerung dem Messabgriff am Unterwiderstand zugeführt. Die Koppelkapazität wird hierbei durch eine an der inneren Kesselwand isoliert angebrachten Plattenelektrode und der zentrischen
5 Messung von Stoßspannungen
147
Hochspannungszuleitung realisiert. Die Anstiegszeit des ohmschen Spannungsteilers von ursprünglich 70 ns kann dadurch auf weniger als 10 ns reduziert werden. 5.1.3 Kapazitiver Stoßspannungsteiler Rein kapazitive Spannungsteiler werden bevorzugt zur Messung von Wechselund Schaltstoßspannungen bis zu den höchsten Prüfspannungen eingesetzt. Zur Messung schnellveränderlicher Spannungen sind sie weniger gut geeignet. Zum einen stellen die verwendeten Hochspannungskondensatoren mit ihren Induktivitäten ein im Megahertzbereich schwingendes LC-Netzwerk dar. Zum anderen wird eine in den Teilerkopf einlaufende steile Spannungswelle am Teilerfuß reflektiert, läuft nahezu ungedämpft zum Teilerkopf zurück, wird dort wieder reflektiert usw. Längs des Spannungsteilers bilden sich Wanderwellenschwingungen im Frequenzbereich bis 100 MHz aus. Die Sprungantwort eines kapazitiven Spannungsteilers zeigt daher heftige Oszillationen, die nur schwach durch die ohmschen Verluste der Verbindungsleitungen und Kondensatoren und durch den Skineffekt gedämpft sind [5.7-5.9]. Mit einem externen Dämpfungswiderstand Rd von 300 ȍ bis 600 ȍ am Anfang der Hochspannungszuleitung oder am Teilerkopf lassen sich die Schwingungen so weit verringern, dass der kapazitive Spannungsteiler auch zur Messung von Blitzstoßspannungen eingesetzt werden kann. Abb. 5.9 zeigt das vollständige Stoßspannungsmesssystem mit rein kapazitivem Spannungsteiler. Auf den gedämpft kapazitiven Stoßspannungsteiler mit intern verteilten Dämpfungswiderständen wird in Kap. 5.1.4 eingegangen. Rd 1 C1 R=Z
u1(t) C2
3
2
Z, Ck
u2(t) 4
C3 u3(t) R3
Abb. 5.9. Stoßspannungsmesssystem mit rein kapazitivem Spannungsteiler und Digitalrecorder 1 Kapazitiver Spannungsteiler 2 Koaxialkabel mit Wellenwiderstand Z und Kabelkapazität Ck 3 Digitalrecorder 4 Abschluss C3R3 bei längerem Koaxialkabel
148
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Obwohl sich der rein kapazitive Spannungsteiler wegen seines begrenzten Übertragungsverhaltens nicht zur Messung schnellveränderlicher Signale eignet, wird die Messschaltung auf der Niederspannungsseite in der Regel nach hochfrequenzmäßigen Gesichtspunkten ausgeführt. Am Ausgang des kapazitiven Spannungsteilers wird das Messkabel nicht direkt, sondern über einen Längswiderstand R gleich dem Kabelwellenwiderstand Z von 50 ȍ oder 75 ȍ angeschlossen. Für schnellveränderliche Spannungen wirkt das Koaxialkabel zunächst wie ein Widerstand mit dem Wellenwiderstand Z. Die Reihenschaltung von R und Z verursacht daher eine Halbierung des vom Teilerausgang in das Kabel einlaufenden Spannungsimpulses. Nach der Kabellaufzeit IJ erreicht der Spannungsimpuls das andere Kabelende am Recorder, wo es wegen des hochohmigen Eingangswiderstandes von 1 Mȍ oder mehr verdoppelt wird, so dass die volle Messspannung am Recorder anliegt. Das quasi offene Kabelende am Recordereingang bewirkt, dass eine Spannungswelle reflektiert wird und zum Spannungsteiler zurückläuft. Nach der doppelten Kabellaufzeit 2IJ findet sie dort, da die große Niederspannungskapazität C2 praktisch einen Kurzschluss für hochfrequente Signale darstellt, mit dem Längswiderstand R = Z einen reflexionsfreien Abschluss vor und wird dadurch vollständig absorbiert. Für niederfrequente Signale ist die Kabellaufzeit vernachlässigbar und der Kabelwellenwiderstand Z in Abb. 5.9 nicht wirksam. Da R vernachlässigbar klein gegenüber dem hochohmigen Recordereingang ist, liegt nahezu die volle Signalspannung am Recorder an. Damit ist der kapazitive Stoßspannungsteiler für nieder- und hochfrequente Messsignale gleichermaßen abgeglichen. Der Kabelabschluss darf nicht wie beim ohmschen Spannungsteiler in Abb. 5.5 als Parallelwiderstand am Recordereingang ausgeführt sein, da diese Schaltung zu einer schnellen Entladung von C2 und damit zu einer Verkürzung der gemessenen Rückenhalbwertzeit führen würde. Bei Verwendung langer Koaxialkabel ist die in Abb. 5.9 gestrichelt eingezeichnete Reihenschaltung aus R3 und C3 am Recordereingang von Vorteil bei der Messung schnellveränderlicher Signale. Das Koaxialkabel belastet den Teilerausgang nach der doppelten Kabellaufzeit 2IJ des Signals mit der Kabelkapazität Ck, die parallel zu C2 liegt. Bei größeren Kabellängen ist Ck gegenüber C2 nicht mehr vernachlässigbar klein, so dass sich die wirksame Kapazität des Niederspannungsteils erhöht. Das Teilungsverhältnis zu Beginn der Signalübertragung und nach der doppelten Kabellaufzeit ist daher verschieden. Dies führt zu einem anfänglichen Überschwingen des Messsignals bis zur Zeit 2IJ. Zur Kompensation wird dem Eingang des Recorders ein Kondensator C3 mit einem Reihenwiderstand R3 parallel geschaltet (Burch-Abschluss). Ein optimiertes Übertragungsverhalten mit reduziertem Überschwingen ergibt sich für R3 = Z und Ck + C3 = C1 + C2 [5.12, 5.33]. Das Koaxialkabel ist damit hochfrequenzmäßig an beiden Kabelenden mit seinem Wellenwiderstand abgeschlossen. Im Hochspannungsteil werden für C1 meist ölimprägnierte Hochspannungskondensatoren mit einer Gesamtkapazität von mehreren 100 pF eingesetzt. Auf der Niederspannungsseite werden für C2 ebenfalls ölimprägnierte Kondensatoren oder Kunstofffolienkondensatoren mit geringer Induktivität verwendet. Bei der
5 Messung von Stoßspannungen
149
Auswahl von C2 ist auf den Temperaturkoeffizienten zu achten, der in gleicher Größenordnung wie der von C1 liegen sollte. Die große Kapazität und Strombelastung von C2 lässt sich durch Parallelschalten einer Vielzahl von Kondensatoren erzielen, wodurch auch die Induktivität auf der Niederspannungsseite reduziert wird. Eine vollkommene Kompensation der induktiven Komponente des Hochspannungskondensators ist auch beim kapazitiven Spannungsteiler nicht immer beabsichtigt. Eine größere Induktivität auf der Niederspannungsseite ist mitunter vorteilhaft, da sie zu einer kürzeren Anstiegszeit der Sprungantwort unter Inkaufnahme eines geringen Überschwingens führt. Druckgaskondensatoren nach Schering und Vieweg, die in der Wechselspannungsmesstechnik aufgrund ihrer hervorragenden Eigenschaften häufig Verwendung finden, werden in Verbindung mit einem induktionsarmen Kondensator im Niederspannungsteil auch als Stoßspannungsteiler eingesetzt [5.34]. Die Schwingungsneigung lässt sich durch einen Dämpfungswiderstand zwischen dem Druckgaskondensator und dem Niederspannungskondensator reduzieren. Die konzentrische Elektrodenanordnung eines Druckgaskondensators verspricht grundsätzlich ein breitbandiges Übertragungsverhalten und eine wirkungsvolle Abschirmung gegenüber äußeren Störungen. Die Belastung des Stoßspannungsgenerators durch den Druckgaskondensator mit einer Kapazität von 10 pF bis 100 pF ist gering. An Stelle eines gesonderten kapazitiven Spannungsteilers wird gelegentlich der Belastungskondensator Cb des eingesetzten Stoßspannungsgenerators mit zusätzlichem Niederspannungskondensator für Messzwecke verwendet. Die Kapazität von Cb liegt üblicherweise im Bereich von 1 nF bis 10 nF. Die in Serie geschalteten Einzelkondensatoren haben entsprechend große Kapazitätswerte und zeigen ein weniger gutes Frequenzverhalten. Besondere Bauformen des Belastungskondensators sind intern mit niederohmigen Dämpfungswiderständen versehen und eignen sich dadurch besser zur Messung von Blitzstoßspannungen. In Kap. 5.1 wurde jedoch bereits darauf hingewiesen, dass diese Anordnung des Spannungsteilers mit Cb zwischen Generator und Prüfling nicht den Prüfvorschriften entspricht. Eine ansatzweise Berechnung und Diskussion des Übertragungsverhaltens von rein kapazitiven Spannungsteilern an Hand des Kettenleiterersatzschaltbildes nach Abb. 5.4 findet man in [5.7]. Das berechnete Übertragungsverhalten ist durch die bereits eingangs angesprochenen hochfrequenten Schwingungen im Teilerinnern charakterisiert, die wegen der fehlenden Dämpfung sehr groß sind und lange andauern. Da der rein kapazitive Spannungsteiler ohne Dämpfungswiderstand zur Messung schnellveränderlicher Spannungen ungeeignet ist, wird hier auf weitere Einzelheiten nicht eingegangen. Das Übertragungsverhalten des gedämpft kapazitiven Stoßspannungsteilers wird in Kap. 5.1.4 behandelt. Der kapazitive Spannungsteiler hat Streukapazitäten gegen Erde in gleicher Größenordnung wie der ohmsche Spannungsteiler. In Analogie zum ohmschen Spannungsteiler lässt sich die resultierende Erdkapazität Ce unter Vernachlässigung der Induktivitäten und Widerstände durch eine konzentrierte Kapazität von 2 /3Ce im vereinfachten Ersatzschaltbild berücksichtigen (Abb. 5.10a). Das Ersatzschaltbild lässt sich noch weiter vereinfachen, indem die Hochspannungskapazität
150
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
C1 um den Anteil Ce/6 verringert wird (Abb. 5.10b). In beiden Ersatzschaltbildern ist infolge der Wirkung der Erdkapazität der Strom durch den Niederspannungskondensator C2 verringert, so dass die Ausgangsspannung u2(t) an C2 kleiner wird. Das Teilungsverhältnis û1/û2 ist dementsprechend vergrößert. a)
b)
u1(t)
u1(t)
2C1 C1 – 1/6Ce 2C1 2/
3Ce
C2
u2(t)
C2
u2(t)
Abb. 5.10. Vereinfachte Ersatzschaltbilder des kapazitiven Stoßspannungsteilers, in denen die Erdkapazität Ce berücksichtigt wird durch eine: b) reduzierte Hochspannungskapazität C1 - 1/6 C e a) Parallelkapazität 2/3 Ce
Zur Begrenzung des Einflusses der Erd- und Kabelkapazitäten ist man bestrebt, C1 möglichst groß zu machen. Andererseits ist das Frequenzverhalten von Hochspannungskondensatoren mit großer Kapazität herstellungsbedingt nicht besonders gut. Außerdem wird der Stoßspannungsgenerator stärker belastet, wodurch die Kurvenform der Stoßspannung beeinflusst wird. Vergleicht man die Wirkung der Erdkapazität mit der beim ohmschen Spannungsteiler, erkennt man einen entscheidenden Unterschied. Das Frequenzverhalten des kapazitiven Spannungsteilers wird entsprechend den vereinfachten Ersatzschaltbildern in Abb. 5.10 durch die Erdkapazität nicht beeinflusst. Das Teilungsverhältnis scheint demnach für niedrige und hohe Frequenzen gleich zu sein. Tatsächlich sind jedoch in einem entsprechend erweiterten Ersatzschaltbild auch Induktivitäten und Widerstände zu berücksichtigen, wodurch das Übertragungsverhalten und damit das Teilungsverhältnis wiederum frequenzabhängig wird. Die Ergebnisse für den optimalen Messabgriff bei ohmschen Spannungsteilern lassen sich auf kapazitive Spannungsteiler übertragen. Die theoretischen Untersuchungen zeigen, dass die optimale Höhe des Messabgriffs wiederum bei zopt = 0,57H liegt (s. Kap. 5.1.2.4). An dieser Stelle ist nicht nur die Antwortzeit T = 0, sondern auch der Einfluss äußerer Fremdfelder verschwindet. Ein kapazitiver Spannungsteiler mit einem Messabgriff bei zopt kann daher mit einer relativ kleinen Kapazität auf der Hochspannungsseite auskommen, was geringere Herstellungskosten verursacht [5.30].
5 Messung von Stoßspannungen
151
5.1.4 Gedämpft kapazitiver Stoßspannungsteiler Der gedämpft kapazitive Stoßspannungsteiler, im deutschsprachigen Raum auch als Zaengl-Teiler bekannt, eignet sich besonders gut zur Messung von Blitzstoßspannungen und anderen schnellveränderlichen Spannungen bis in den UHVBereich [1.5, 3.31, 5.7-5.9]. Er besteht in Anlehnung an den homogenen Kettenleiter aus einer größeren Anzahl von in Serie geschalteten Widerständen und Kondensatoren im Hoch- und Niederspannungsteil. Abb. 5.11 zeigt den grundsätzlichen Aufbau des vollständigen Messsystems mit gedämpft kapazitivem Stoßspannungsteiler. Eine Anzahl von zehn R1ƍC1ƍ-Gliedern im Hochspannungsteil wird als ausreichend betrachtet. Durch die verteilten Dämpfungswiderstände R1ƍ werden die Schwingungen, die im rein kapazitiven Teiler infolge der Wanderwellen auftreten, erfolgreich unterdrückt. Der gedämpft kapazitive Stoßspannungsteiler wirkt kapazitiv für niedrige und ohmsch für hohe Signalfrequenzen. Rd R1‘ C1‘ . .
1
. . . u1(t) R2 C2
Z- R2
3
2
Z, Ck
C3 u2(t)
4
R3
u3(t)
Abb. 5.11. Messsystem mit gedämpft kapazitivem Spannungsteiler und Digitalrecorder 1 Gedämpft kapazitiver Stoßspannungsteiler (Zaengl-Teiler) 2 Koaxialkabel mit Wellenwiderstand Z und Kabelkapazität Ck 3 Digitalrecorder 4 Abschluss C3R3 bei längerem Koaxialkabel
Im Hochspannungsteil von gedämpft kapazitiven Stoßspannungsteilern für hohe Betriebsspannungen werden in der Regel ölgefüllte Kondensatoren, im Niederspannungsteil ebenfalls ölgefüllte Kondensatoren oder Kunststofffolienkondensatoren verwendet. Besonders geeignet für den Einsatz in „schnellen“ gedämpft kapazitiven Teilern mit Bemessungsspannungen unterhalb von 1 MV sind keramische HF-Plattenkondensatoren mit Wulstrand, die eine Permittivität Hr 60 aufweisen. Sie zeichnen sich durch eine sehr geringe Induktivität und gute Langzeit-
152
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
beständigkeit aus. Die Kapazität eines einzelnen Plattenkondensators mit dieser Permittivität beträgt je nach dessen Größe maximal 2000 pF, die zulässige Impulsbelastung 50 kV. Durch die Reihenschaltung der Plattenkondensatoren erreicht die Gesamtkapazität des Spannungsteilers nur einige 100 pF bei einer Bemessungsspannung von weniger als 1 MV. Keramische Plattenkondensatoren mit höherer Permittivität haben ein anderes Dielektrikum und werden wegen ihrer größeren Spannungs- und Temperaturabhängigkeit im Stoßspannungsteiler nicht eingesetzt; auch ist die Langzeitbeständigkeit unbefriedigend. Die Gesamtkapazität C1 im Hochspannungsteil eines gedämpft kapazitiven Spannungsteilers sollte 100 pF nicht unterschreiten, um den Fremdfeldeinfluss benachbarter Objekte gering zu halten. Bei höheren Ansprüchen an die Messgenauigkeit muss der Einfluss der Streukapazität zur Erde gesondert untersucht werden (s. Kap. 7.3.3). Als interne Dämpfungswiderstände R1ƍ zwischen den einzelnen Kondensatoren C1ƍ im Hochspannungskreis kommen die in Kap. 5.1.2 genannten Bauformen in Betracht. Ungewendelte Kohleschichtwiderstände eignen sich gut wegen ihrer geringen Induktivität und großen Impulsbelastbarkeit. Die Spannungsbeanspruchung der Widerstände ist besonders groß bei abgeschnittenen Stoßspannungen und vergleichbar schnellen Spannungsänderungen, da dann die Kondensatoren in erster Näherung wie ein Kurzschluss wirken. Die erforderliche Strombelastung wird durch Parallelschalten mehrerer Einzelwiderstände zum Widerstand R1ƍ des einzelnen Kettengliedes erreicht. Bei der Dimensionierung des Niederspannungsteils muss natürlich auch der externe Dämpfungswiderstand Rd berücksichtigt werden, um einen sowohl für schnelle als auch langsame Messsignale abgeglichenen Spannungsteiler zu erhalten. Für den konventionellen Abgleich eines kompensierten Spannungsteilers mit externem Dämpfungswiderstand gilt ohne Berücksichtigung der Erdkapazitäten: R1 R2 Rd R2
C1 C2 C1
L1 L2 . L2
(5.16)
Bei Verwendung eines längeren Messkabels ist gegebenenfalls dessen Kapazität in Gl. (5.16) zu berücksichtigen. Für übliche Teilungsverhältnisse zwischen 500:1 und 2000:1 beträgt der Widerstand R2 im Niederspannungsteil nur einige wenige zehntel Ohm, während C2 im Bereich von 0,5 μF liegen kann. Durch Parallelschalten einer Vielzahl von RC-Seriengliedern im Niederspannungsteil werden die erforderlichen Werte von R2 und C2 bei gleichzeitig reduzierter Induktivität L2 erreicht. Zur Kompensation des Einflusses der Erdkapazität kann eine erhöhte Induktivität auf der Niederspannungsseite wiederum vorteilhaft sein. 5.1.4.1 Kettenleiterersatzschaltbild des gedämpft kapazitiven Stoßspannungsteilers Das Kettenleiterersatzschaltbild des gedämpft kapazitiven Stoßspannungsteilers mit homogenem Aufbau lässt sich entsprechend Abb. 5.4a mit n Einzelgliedern
5 Messung von Stoßspannungen
153
darstellen (Abb. 5.12). In den einzelnen Kettengliedern repräsentieren Rƍ und Cƍ die tatsächlich eingebauten Widerstände und Kondensatoren des Spannungsteilers. Weitere Elemente des Ersatzschaltbildes sind die unvermeidlichen Längsinduktivitäten Lƍ der Bauelemente und ihrer Zuleitungen, die Streukapazitäten Cpƍ parallel zu den Bauelementen und die Erdkapazitäten Ceƍ/2 am Anfang und Ende eines jeden Kettengliedes. Ce' 2
Rƍ Cƍp
Lƍ Cƍ
Ce' 2 Abb. 5.12. Element des Kettenleiterersatzschaltbildes nach Abb. 5.4a für einen gedämpft kapazitiven Stoßspannungsteiler
Aus der allgemeinen Lösung von Gl. (5.9) für die Übertragungsfunktion eines Kettenleiters erhält man mit Gl. (5.10) die Sprungantwort g(t) des gedämpft kapazitiven Spannungsteilers zu [5.7-5.9]:
g t
Ce 1 6 C Cp
a sinh bk t b k at k . (5.17) 2 e ¦ 1 § Cp Ce ·§ Cp 2 2 · k 1 ¸ ¨1 ¸ ¨ 1 k ʌ ¸ ¨ C C k 2 ʌ 2 ¸¹¨© Ce ¹ © cosh bk t
f
Mit R = nRƍ, L = nLƍ, C = Cƍ/n, Ce = nCeƍ, Cp = Cpƍ/n ergeben sich a und bk zu: a
bk
R , 2L
§ Cp Ce ·¸ k 2 ʌ 2 ¨1 ¨ C C k 2 ʌ 2 ¸¹ © . a2 § Cp 2 2 · k ʌ ¸¸ L Ce ¨¨1 ¹ © Ce
154
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Abb. 5.13 zeigt Beispiele für die nach Gl. (5.17) berechnete Sprungantwort eines gedämpft kapazitiven Spannungsteilers mit der Kapazität C = 150 pF und den drei Widerständen R = 0,75 kȍ, 1 kȍ und 2 kȍ. Die Erd- und Parallelkapazitäten sind mit Ce = 40 pF bzw. Cp = 1 pF, die Induktivität mit L = 2,5 μH eingesetzt. Der grundsätzliche Verlauf der Sprungantwort des gedämpft kapazitiven Spannungsteilers ähnelt dem des ohmschen Spannungsteilers in Abb. 5.7, allerdings mit einem anderen Zeitmaßstab. Im Vergleich zum ohmschen Spannungsteiler ist der Widerstand im gedämpft kapazitiven Spannungsteiler wesentlich kleiner, so dass dessen Erdkapazität erst bei deutlich höheren Frequenzen wirksam wird. Der gedämpft kapazitive Stoßspannungsteiler weist daher grundsätzlich ein besseres Übertragungsverhalten auf als der ohmsche Spannungsteiler bei gleichzeitig geringerer Belastung des Prüfkreises. 1.5
1 1
2
g(t)
3 0.5
0 0
20
40
ns
60
t Abb. 5.13. Berechnete Sprungantwort g(t) eines gedämpft kapazitiven Spannungsteilers als Kettenleiter mit Einzelelementen nach Abb. 5.12 (C = 150 pF, Ce = 40 pF, Cp = 1 pF, L = 2,5 μH) 1: R = 0,75 kȍ 2: R = 1 k ȍ 3: R = 2 kȍ
Für kleine Widerstandswerte werden die Koeffizienten bk in Gl. (5.17) imaginär und die Hyperbelfunktionen gehen in trigonometrische Funktionen über. Als Folge zeigt die für R = 0,75 kȍ berechnete Sprungantwort g(t) eine ausgeprägte Schwingung (Kurve 1 in Abb. 5.13). Für R = 1 kȍ ist das Überschwingen von g(t) deutlich geringer (Kurve 2). Für noch größere Widerstände weist die Sprungantwort einen asymptotisch dem Endwert zustrebender Zeitverlauf auf (Kurve 3). Der Anfangsverlauf der berechneten Sprungantwort g(t) in Abb. 5.13 setzt wie beim ohmschen Spannungsteiler mit einem Sprung ein, was wiederum mit dem kapazitiven Teilungsverhältnis der Parallelkapazitäten Cpƍ in Verbindung mit den Erdkapazitäten Ceƍ erklärt werden kann (s. Kap. 5.1.2.1). Der Endverlauf der Sprungantwort bleibt unter dem Wert eins, da ein Teil des Messsignals über die Erdkapazitäten abfließt, wodurch sich das wirksame Teilungsverhältnis erhöht.
5 Messung von Stoßspannungen
155
Der Unterschied zwischen dem berechneten Endwert g(t = ) und dem Einheitswert ist zeit- bzw. frequenzunabhängig und wird in Gl. (5.17) auf der rechten Seite durch den zweiten Term Ce/6 (C+Cp) ausgedrückt. Für den Grenzfall C = erhält man den ohmschen Spannungsteiler mit g(t = ) = 1. Mit dem allgemeinen Kettenleiterersatzschaltbild wird das Übertragungsverhalten von gedämpft kapazitiven Stoßspannungsteilern nur unvollständig erfasst. Der Einfluss des Niederspannungsteils und der Hochspannungszuleitung kann wie beim ohmschen Spannungsteiler durch zusätzliche und verbesserte Ansätze berücksichtigt werden [5.10, 5.11]. Der Einfluss der Induktivität im Niederspannungsteil von Stoßspannungsteilern mit Bemessungsspannungen von mehreren Megavolt wird in [5.36] behandelt. Eingehende Untersuchungen an einem 6-MVStoßspannungsteiler zeigen die Schwierigkeiten bei der Messung und Auswertung der Sprungantwort von Messsystemen im UHV-Bereich [3.31]. Ein weiterer Beitrag befasst sich mit dem Einfluss des koaxialen Messkabels mit dem Wellenwiderstand Z, das über einen Längswiderstand R = Z - R2 am Teilerausgang angeschlossen ist (s. Abb. 5.11). Damit ist das Messkabel auf der Teilerseite unter Berücksichtigung des Widerstandes R2 im Niederspannungsteil mit seinem Wellenwiderstand abgeschlossen. Ein am hochohmigen Recordereingang reflektierter und zum Teilerausgang zurücklaufender Spannungsimpuls wird dadurch absorbiert. Bei Verwendung eines längeren Messkabels, dessen Kapazität Ck nicht mehr vernachlässigbar klein gegenüber C2 ist, empfiehlt sich wie beim rein kapazitiven Spannungsteiler ein Burch-Abschluss [5.33] mit R3 und C3 am Messgeräteeingang (s. Abb. 5.11). Die theoretischen Untersuchungen für eine angenommene Kabelkapazität Ck = 0,1(C1 +C2 + C3) zeigen, dass ein optimales Übertragungsverhalten für R3 = k·Z und k(Ck + C3) = (C1 +C2) mit k = 1,25 erzielt wird. Das anfängliche Überschwingen der Sprungantwort während der Kabellaufzeit 2IJ wird damit deutlich verringert. Unter Berücksichtigung der Kabeldämpfung wird ein reduzierter Wert 1 < k < 1,25 empfohlen [5.12]. Für den gedämpft kapazitiven Spannungsteiler gilt wie für den ohmschen Spannungsteiler, dass ein geringes, zeitlich begrenztes Überschwingen der Sprungantwort zur Verringerung der Anstiegs- und Antwortzeiten durchaus erstrebenswert ist. Aus dieser Sicht wird für den optimal gedämpften kapazitiven Stoßspannungsteiler ein Gesamtwert des internen Dämpfungswiderstandes von: Ropt
3...4
L Ce
(5.18)
postuliert [5.7]. Für einen gedämpft kapazitiven Spannungsteiler mit L = 2,5 μH und Ce = 40 pF ergeben sich Werte für Ropt, die zwischen 750 ȍ und 1000 ȍ liegen. Die für diese Grenzwerte berechneten Sprungantworten zeigen die Kurven 1 und 2 in Abb. 5.13. Da sowohl L als auch Ce annähernd linear mit der Teilerhöhe zunehmen, bleibt Ropt konstant und Gl. (5.18) gilt sowohl für kleine als auch große Spannungsteiler, also unabhängig von der Bemessungsspannung. Bei der Dimensionierung von gedämpft kapazitiven Stoßspannungsteilern wird für den internen
156
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Dämpfungswiderstand eher der untere Grenzwert von Ropt nach Gl. (5.18) oder ein noch kleinerer Wert angestrebt. Durch das größere Überschwingen der Sprungantwort, das bei kurzer Zeitdauer akzeptabel ist, erzielt man eine kleinere Antwortzeit. Eine Variante stellt der schwach gedämpfte kapazitive Stoßspannungsteiler mit Bemessungsspannungen oberhalb von 1 MV dar. Der intern verteilte Dämpfungswiderstand beträgt insgesamt [5.36-5.38]: R | 0 ,25...1,5
L , C
(5.19)
wobei L die Induktivität des Messkreises und C die Kapazität des Spannungsteilers sind. Für den schwach gedämpften Spannungsteiler ergibt sich demnach ein im Hochspannungsteil verteilter Widerstand von nur 50 ȍ bis 200 ȍ. Im Niederspannungsteil wie auch in der Hochspannungszuleitung sind keine zusätzlichen Dämpfungswiderstände vorgesehen. Scheinbarer Vorteil des schwach gedämpften kapazitiven Spannungsteilers ist, dass er wegen der kleinen Zeitkonstante RC gleichzeitig als Belastungskondensator Cb des Stoßspannungsgenerators eingesetzt werden kann. Die Kombination von Belastungskondensator und Messteiler ist allerdings für die normgerechte Prüfung von Betriebsmitteln nicht zulässig [1.8]. Die innere Bedämpfung eines kapazitiven Stoßspannungsteilers mit verteilten Widerständen hat einen weiteren Vorteil. Berechnungen der Spannungsverteilung innerhalb eines Hochspannungskondensators zeigen, dass bei Anlegen eines Spannungssprungs unterschiedlich große, örtlich und zeitlich veränderliche Schwingungen erzeugt werden. Hierbei wird der als Kettenleiter nach Abb. 5.4 dargestellte Kondensator am Kopf mit einer Überspannung beansprucht, deren Maximalwert ein Mehrfaches der Sprungamplitude beträgt. Mit den intern verteilten Dämpfungswiderständen lässt sich zwar nicht die anfängliche Höhe der Überspannung, aber deren Dauer deutlich verkürzen. So ist bei einem verteilten Dämpfungswiderstand von insgesamt 1 kȍ bereits nach 50 ns eine lineare Spannungsverteilung längs der Kondensatorsäule erreicht. Die kürzere Spannungsbeanspruchung der Kondensatoren ist natürlich für deren Lebensdauer vorteilhaft [5.39]. 5.1.4.2 Ausführung als Referenzteiler Gedämpft kapazitive Stoßspannungsteiler weisen bei richtiger Dimensionierung und Verwendung induktionsarmer Bauelemente ein ausgezeichnetes Übertragungsverhalten auf. Sie sind daher – neben niederohmigen Widerstandsteilern – als Referenzteiler bei der Kalibrierung anderer Spannungsteiler mit Stoßspannungen gut geeignet. Referenzteiler zeichnen sich durch reduzierte Grenzwerte der erweiterten Messunsicherheit aus, die 1 % für den Prüfspannungswert von vollen und im Rücken abgeschnittene Stoßspannungen, 3 % für in der Stirn abgeschnitte-
5 Messung von Stoßspannungen
157
ne Stoßspannungen und 5 % für die Zeitparameter betragen [1.8]. Sie werden in der Regel nur zur Kalibrierung anderer Stoßspannungsteiler im Hochspannungslabor eingesetzt und unterliegen daher keinen erschwerten Prüfbedingungen durch Witterungseinflüsse oder mechanische Beanspruchung. Abb. 5.14 zeigt im Vordergrund einen gedämpft kapazitiven Stoßspannungsteiler als Referenzteiler bis 500 kV. Er besteht im Hochspannungsteil aus 20 Stufen mit keramischen HFPlattenkondensatoren in Serie mit ungewendelten Kohleschichtwiderständen. Die Gesamtkapazität beträgt 150 pF, der interne Dämpfungswiderstand 400 ȍ. Jeder Dämpfungswiderstand zwischen den Plattenkondensatoren besteht aus einer Parallelschaltung von sechs ungewendelten Kohleschichtwiderständen.
Abb. 5.14. Ansicht eines gedämpft kapazitiven Stoßspannungsteilers für 500 kV im Vordergrund mit Abschneidefunkenstrecke und Stoßspannungsgenerator im Hintergrund (PTB)
Der Niederspannungsteil ist in einer Metalldose im Fuß des gedämpft kapazitiven Spannungsteilers untergebracht. Die Dimensionierung nach Gl. (5.16) entspricht einem Teilungsverhältnis von rund 2000. Kohleschichtwiderstände und Kondensatoren mit Folienwickel sind wegen ihrer Hochfrequenzeigenschaften und Impulsspannungsfestigkeit gut geeignet. Durch Parallelschalten einer größe-
158
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
ren Anzahl von Widerständen R2 in Reihe mit den Kondensatoren C2 verteilt sich die Strombelastung und die Gesamtinduktivität des Niederspannungsteils wird klein gehalten. Abb. 5.15a zeigt eine induktionsarme Anordnung, in der die Widerstände mit den Kondensatoren radial in einer Kreisebene angeordnet sind. Die Verbindung zum senkrecht dazu stehenden Hochspannungsteil erfolgt zentrisch über einen vergoldeten Steckkontakt. Die Fußpunkte der Widerstände sind mit der Metalldose verlötet, die mit dem geerdeten Teilerfuß verschraubt ist. Abb. 5.15b zeigt eine Variante des Niederspannungsteils in extrem induktionsarmer Ausführung mit Chip-Kondensatoren und Chip-Widerständen. Die Bauelemente sind auf einer bedruckten Platine zwischen konzentrischen Cu-Ringen eingelötet. a)
b)
Abb. 5.15. Zwei Ausführungen des Niederspannungsteils eines gedämpft kapazitiven Stoßspannungsteilers (PTB) a) Ausführung mit Kunststofffolienkondensatoren und Schichtwiderständen b) Ausführung mit Chip-Kondensatoren und Chip-Widerständen
Als externer Dämpfungswiderstand Rd dient eine Serien- und Parallelschaltung von Kohleschichtwiderständen oder ein in Harz vergossenes niederinduktives Widerstandsgewebe am Anfang der rohrförmigen Hochspannungszuleitung, deren Länge durch steckbare Einzelrohre variabel ist. Da der Dämpfungswiderstand mit Rd = 330 ȍ annähernd dem Wellenwiderstand der horizontalen Zuleitung entspricht, treten nahezu keine Wanderwellenschwingungen auf der Zuleitung auf. Die internen und externen Dämpfungswiderstände haben insgesamt 730 ȍ, was dem in Gl. (5.18) empfohlenen unteren Grenzwert für Ropt nahe kommt. Die in der Messschaltung nach Abb. 3.17a aufgezeichnete Sprungantwort des Referenzteilers mit externem Dämpfungswiderstand ist in Abb. 5.16 wiedergegeben. Der Referenzteiler ist hinsichtlich des Überschwingens so abgeglichen, dass die Teilantwortzeiten TĮ und Tȕ der Sprungantwort betragsmäßig etwa gleich sind
5 Messung von Stoßspannungen
159
(s. Kap. 3.7.2). Die resultierende Antwortzeit ist damit TN § 0. Da der Dämpfungswiderstand dem Wellenwiderstand der Hochspannungszuleitung entspricht, hat deren Länge nur geringen Einfluss auf die Sprungantwort und damit auf die Antwortparameter des Referenzteilers. Ein signifikanter Unterschied zwischen den Sprungantworten des Referenzteilers mit den beiden unterschiedlich aufgebauten Niederspannungsteilen in Abb. 5.15 ist nicht erkennbar.
a) 1.25 1 1 g(t)
g( t)
0.75 0,5 0.5
0.25 0 0
0
0
0,5
05
1
1
t
1,5
15
2
μs
2,5
2 μs 25
Abb. 5.16. Sprungantwort des gedämpft kapazitiven Stoßspannungsteilers in Abb. 5.14 (Rd = 330 ȍ, Zuleitungslänge L = 1,5 m)
Der Referenzteiler wird zur Kalibrierung anderer Stoßspannungsteiler eingesetzt, die in der Regel eine größere Bauhöhe aufweisen. Für die Vergleichsmessung muss daher der Referenzteiler über eine entsprechend lange Hochspannungszuleitung an den gemeinsamen Messpunkt der Y-Schaltung angeschlossen werden (s. Kap. 7.2.1). Durch die unterschiedlich langen Zuleitungen darf sich aber das Messverhalten des Referenzteilers nicht signifikant ändern, was an Hand der aufgezeichneten Sprungantwort und deren Antwortparameter überprüft werden kann. Abb. 5.17 vermittelt einen Eindruck über die Abhängigkeit der experimentellen Antwortzeit TN und Beruhigungszeit ts des Referenzteilers von dem externen Dämpfungswiderstand Rd, der Höhe H des Sprungspannungsgenerators, der Länge L und Beschaffenheit der Hochspannungszuleitung sowie der Bandbreite B des verwendeten Digitalrecorders. Tabelle 5.1 enthält weitere Angaben zu der Versuchsanordnung für die Sprungantwortmessung. Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen, dass die für die experimentelle Antwortzeit ermittelten Werte insgesamt nur um ±8 ns vom Bemessungswert TN = 0 abweichen. Für die Beruhigungszeit ergibt sich als Mittelwert ts = 180 ns mit einer Streuung innerhalb von ±20 ns. Die geringe Variation der beiden Antwortparameter wirkt sich daher lediglich bei der Messung einer in der Stirn abgeschnittenen Blitzstoßspannung aus. Beispielsweise führt eine um 5 ns erhöhte Antwortzeit zu einem Scheitelwertfehler, der bei einer nach 0,5 μs abgeschnittenen Stoßspannung weniger als 1% beträgt. Die Änderungen im Messaufbau beeinflussen geringfügig
160
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
auch die anderen Antwortparameter. Insgesamt ist damit nachgewiesen, dass auch bei unterschiedlichem Aufbau des Referenzteilers die Messung des Scheitelwertes und der Zeitparameter von vollen und in der Stirn abgeschnittenen Blitzstoßspannungen innerhalb der zulässigen Fehlergrenzen gewährleistet ist [5.40]. 10 ns5
TN
0 -5
: B = 20 MHz : B = 400 MHz
-10
200 ns 100
ts
0
Anordnung: 1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
Abb. 5.17. Experimentelle Antwortzeit TN und Beruhigungszeit ts eines gedämpft kapazitiven Spannungsteilers bei unterschiedlicher Anordnung (s. Tabelle 5.1) Rd externer Dämpfungswiderstand L Länge der Hochspannungszuleitung H Höhe des Sprunggenerators B Bandbreite des Recorders Tabelle 5.1. Weitere Angaben zu der Anordnung des Referenzteilers in Abb. 5.17 Anordnung (Abb. 5.17)
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
in ȍ
333
346
366
366
366
366
366
366
366
366
366
H
in m
2,7
2,7
2,7
1,4
2,7
3,3
3,3
3,3
3,3
3,3
3,3
L
in m
2,5
2,5
2,5
2,5
2,5
2,5
2,5
4,5
4,5
5,5
5,5
Rd
Zuleitung
<····················Cu-Rohr, 2 cm Durchmesser ·························>
Schlauch Draht
Gedämpft kapazitive Stoßspannungsteiler mit Bemessungsspannungen von mehr als 800 kV werden in der Regel mit ölimprägnierten Folienkondensatoren hergestellt, deren Permittivität frequenzabhängig sein kann. Die Sprungantwort dieser Spannungsteiler weist, nachdem annähernd 95 % des Endwertes erreicht sind, einen stark verlangsamten Anstieg im weiteren Zeitverlauf auf. Dieses Verhalten wird oft als Kriechen bezeichnet. Der Spannungsteiler ist somit nicht als Referenzteiler geeignet. Die Sprungantwort kann jedoch optimiert werden, indem auf der Niederspannungsseite ein Widerstand in Reihe mit einem Kondensator parallel geschaltet wird. Um zusätzlich den Einfluss einer großen Kabelkapazität zu
5 Messung von Stoßspannungen
161
kompensieren, wird die RC-Reihenschaltung als Burch-Abschluss am hochohmigen Recordereingang ausgeführt (s. Kap. 5.1.3). Ist die Teilerausgangsspannung zu groß für den Recorder, wird der Burch-Abschluss als gedämpft kapazitiver Sekundärteiler realisiert. Mit einem Netzwerkprogramm lässt sich das Ersatzschaltbild des Spannungsteilers und damit die Sprungantwort berechnen. Durch Vergleich der berechneten und gemessenen Sprungantworten wird das Ersatzschaltbild weiter optimiert. Am Beispiel eines 1-MV-Teilers für Schaltstoßspannungen wird gezeigt, dass durch eine entsprechend verbesserte Schaltung des Niederspannungsteils das ausgeprägte Kriechen der Sprungantwort vollständig verschwindet. Die experimentelle Antwortzeit des Teilers für Schaltstoßspannungen verringert sich dadurch von ursprünglich 1 μs auf 32 ns, die Beruhigungszeit von 26 μs auf 2,4 μs [5.41].
5.1.5 Ohmsch-kapazitiv gemischter Spannungsteiler Der ohmsch-kapazitiv gemischte Spannungsteiler lässt sich als ohmscher Spannungsteiler auffassen, bei dem die Parallelkapazitäten Cpƍ im Kettenleiterersatzschaltbild nach Abb. 5.6 absichtlich vergrößert sind. Ziel ist die Verbesserung des Übertragungsverhaltens bei höheren Frequenzen, da sich der frequenzabhängige Einfluss der Erdkapazität bei großer Parallelkapazität Cp verringert. Die Realisierung der zusätzlichen Parallelkapazität fällt unterschiedlich aus. In Abb. 5.18 ist jedem der n Serienwiderstände auf der Hochspannungsseite ein Kondensator C1ƍ und dem Niederspannungswiderstand ein Kondensator C2 parallel geschaltet. Unter Berücksichtigung des Dämpfungswiderstandes Rd und der Kabelkapazität Ck ergibt sich für den abgeglichenen Spannungsteiler ohne Berücksichtigung von Streukapazitäten und Induktivitäten das Teilungsverhältnis bei Niederfrequenz: u1 u2
C1 C2 Ck C1
R1 R2 Rd R2
(5.20)
mit C1 = C1ƍ/n und R1 = nR1ƍ. Die einzelnen Parallelkapazitäten C1ƍ können auch über der Teilerhöhe abgestuft sein. Bei niedrigen Frequenzen wirkt der gemischte Spannungsteiler ohmsch, bei höheren Frequenzen kapazitiv. Zur Reduzierung des Einflusses der Streukapazität Ce wird ein Verhältnis von C1/Ce 3 angestrebt [1.4]. Der reflexionsfreie Abschluss des Koaxialkabels bei hohen Frequenzen wird wie beim rein kapazitiven Spannungsteiler durch einen Längswiderstand R gleich dem Kabelwellenwiderstand Z am Ausgang des Spannungsteilers realisiert. Bei einer Variante des gemischten Spannungsteilers gibt es außer den Verbindungen am obersten und untersten Teilwiderstand R1ƍ keine weiteren galvanischen Querverbindungen zwischen den Widerständen und Kondensatoren auf der Hochspannungsseite. Allerdings bewirkt der besondere, annähernd konzentrische Aufbau des gemischten Spannungsteilers eine kapazitive Kopplung des ohmschen und kapazitiven Zweiges. Eine kapazitive Kopplung erzielt man ebenfalls durch meh-
162
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
rere über der Teilerhöhe verteilte Toruselektroden, die die Widerstandssäule ohne direkte galvanische Verbindung untereinander und zu den Widerständen umschließen [1.4]. Das Übertragungsverhalten eines ohmsch-kapazitiv gemischten Spannungsteilers lässt sich an Hand des Kettenleiterersatzschaltbildes eingehender untersuchen [1.5]. Die Frequenzabhängigkeit des Maßstabsfaktors macht sich in der Sprungantwort durch eine Amplitudenänderung bemerkbar. Die Forderung, dass zur Verbesserung des Übertragungsverhaltens die Parallelkapazität mindesten das Dreifache der Erdkapazität betragen soll, führt bei einem mehrstufigen Spannungsteiler zu großen Parallelkapazitäten C1ƍ. Die zur Verfügung stehenden, meist ölimprägnierten Hochspannungskondensatoren weisen jedoch eine beträchtliche Induktivität auf, die das Übertragungsverhalten des gemischten Stoßspannungsteilers verschlechtert.
Rd
C1'
R1'
.
. 1
.
.
.
.
.
.
C1'
R1'
C2
R2 u (t) 2
u1(t) R=Z
Z, Ck
2
3
u3(t)
Abb. 5.18. Messsystem mit ohmsch-kapazitiv gemischtem Spannungsteiler 1 ohmsch-kapazitiv gemischter Stoßspannungsteiler 2 Koaxialkabel mit Wellenwiderstand Z und Kabelkapazität Ck 3 Digitalrecorder
Ohmsch-kapazitiv gemischte Spannungsteiler stellen eine zusätzliche kapazitive Belastung des Stoßspannungskreises dar. Nicht zuletzt auch wegen der erhöhten Herstellungskosten durch den zusätzlichen Kondensatorteil hat der ohmschkapazitiv gemischte Spannungsteiler in der Stoßspannungsmesstechnik im Vergleich zum gedämpft kapazitiven Spannungsteiler an Bedeutung verloren. Einsatz
5 Messung von Stoßspannungen
163
findet der gemischte Spannungsteiler noch in der Ausführung als Universalteiler, der zur Messung von Gleich-, Wechsel- und Stoßspannungen gleichermaßen einsetzbar ist. Hierbei kann der kapazitive Zweig zur Verbesserung des Übertragungsverhaltens mit in Reihe geschalteten Widerständen wie ein gedämpft kapazitiver Spannungsteiler ausgeführt sein [5.42]. Der Maßstabsfaktor und die Bemessungsspannung für die drei Spannungsarten sind in der Regel verschieden.
5.2 Kugelfunkenstrecke Kugelfunkenstrecken werden als Messfunkenstrecke zur Überprüfung der Anzeige eines Messsystems für den Scheitelwert von Wechsel- oder Stoßspannungen eingesetzt. Kugelfunkenstrecken gibt es in vertikaler oder horizontaler Anordnung, wobei eine der Kugeln geerdet ist (Abb. 5.19). Außer den angedeuteten Mindestabständen A und B zur Erde und zu benachbarten Objekten sind weitere Anforderungen an die Geometrie der Kugelhalterung einzuhalten, die für jeden Kugeldurchmesser D individuell festgelegt sind [1.41]. Der niederinduktive Vorwiderstand Rv 500 ȍ soll Oszillationen im Prüfkreis beim Durchschlag der Funkenstrecke dämpfen und die Kugeloberflächen vor Beschädigung durch zu hohe Stromstärken bewahren. a)
b) Rv
U
U
B
Rv
D B
S
A
D
S A
Abb. 5.19. Kugelfunkenstrecke zu Überprüfung von Stoßspannungsmesseinrichtungen a) vertikale Anordnung der Kugeln b) horizontale Anordnung der Kugeln
Zum Zeitpunkt des Zündens einer Messfunkenstrecke müssen genügend viele freie Ladungsträger vorhanden sein. Stoßspannungsgeneratoren mit offenen Schaltfunkenstrecken stellen in der Regel eine genügend große Anzahl von Anfangselektronen für einen reproduzierbaren Durchschlag der Messfunkenstrecke zur Verfügung. Werden Stoßgeneratoren mit gekapselten Schaltfunkenstrecken verwendet, ist eine zusätzliche Ionisierungsquelle für die Messfunkenstrecke erforderlich. Diese kann ein Ultraviolettstrahler sein, der ein Strahlungsspektrum im
164
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Wellenbereich UVC erzeugt. Die weichere Strahlung in den Bereichen UVA und UVB wird hierfür als nicht ausreichend betrachtet. Die früher verwendeten ionisierenden Präparate (D-Strahler) sollen wegen der potenziellen Strahlengefährdung der Mitarbeiter nicht oder nur unter besonderen Sicherheitsvorkehrungen zur Ionisierung von Messfunkenstrecken eingesetzt werden. Bei der Überprüfung eines Messsystems mit der Kugelfunkenstrecke wird zunächst eine Serie von mindestens zehn gleichen Stoßspannungen erzeugt, deren Scheitelwert knapp unter der Durchschlagspannung liegt, die für den Kugeldurchmesser D, die Schlagweite S und die Polarität festgelegt ist. Das Zeitintervall zwischen den einzelnen Stoßspannungen soll mindestens 30 s betragen. Weitere Serien mit jeweils geringfügig erhöhter Stoßspannung folgen. Wenn in einer Serie die Hälfte der angelegten Stoßspannungen zum Durchschlag führt, erhält man die 50-%-Durchschlagspannung U50. Für die jeweiligen Werte von D und S sind die U50-Werte zwischen 10 kV und 2,2 MV für atmosphärische Normalbedingungen in Tabellen zusammengestellt [1.41]. Die graphische Darstellung in Abb. 5.20 für positive Stoßspannungen verdeutlicht, dass für jeden Kugeldurchmesser zunächst ein linearer Zusammenhang zwischen der Durchschlagspannung und der Schlagweite besteht, der aber mit steigender Spannung verloren geht. 2500
D=200 cm
kV
2000 150 cm
1500 100 cm
U50
1000 50 cm
500
25 cm
0 0
50
100
cm
150
S Abb. 5.20. Durchschlagspannung U50 von Kugelfunkenstrecken für positive Blitz- und Schaltstoßspannungen bei atmosphärischen Normalbedingungen (Temperatur: 20 °C, Luftdruck: 101,3 kPa, absol. Luftfeuchte: 8,5 gm-3)
Die Unsicherheit der Durchschlagwerte für die Schlagweiten S 0,5D wird mit 3 % für einen Vertrauensbereich von nicht weniger als 95 % angegeben. Für grö-
5 Messung von Stoßspannungen
165
ßere Schlagweiten ist mit einer größeren Unsicherheit zu rechnen (gestrichelter Kurvenverlauf in Abb. 5.20). Um die bei Spannungsprüfungen geforderte Messunsicherheit von 3 % für den Scheitelwert einzuhalten, müssen die von den atmosphärischen Normalbedingungen abweichenden Einflussgrößen auf den Durchschlag wie Raumtemperatur, Luftdruck und Luftfeuchte durch Korrekturfaktoren berücksichtigt werden [1.1, 1.41]. Staubteilchen und andere Partikel, auch Insekten, können zu Frühdurchschlägen und damit zu Fehlmessungen führen. Die vor weit mehr als einem halben Jahrhundert als Ergebnis internationaler Vergleichsmessungen festgelegten Durchschlagwerte und Messverfahren für Kugelfunkenstrecken wurden durch neuere Untersuchungen weitgehend bestätigt und ergänzt [5.43, 5.44]. Die Zuverlässigkeit der verwendeten Messfunkenstrecke und Vertrauenswürdigkeit der gemessenen Durchschlagwerte ist durch eine Zusatzprüfung nachzuweisen. Hierbei dürfen bei einer Serie von 15 Stoßspannungen mit einem Scheitelwert, der für Blitzstoßspannungen 1 % und für Schaltstoßspannungen 1,5 % unter U50 liegt, nicht mehr als zwei Durchschläge auftreten. In den Industrieländern werden Kugelfunkenstrecken nur noch selten bei Spannungsmessungen verwendet. Gründe hierfür sind die starke elektromagnetische Beeinflussung der im Prüflabor eingesetzten elektronischen Geräte, der hohe Aufwand zum ordnungsgemäßen Betrieb der Messfunkenstrecke und die fehlende Möglichkeit, die Kurvenform der Stoßspannung und deren Zeitparameter zu messen. Kugelfunkenstrecken werden jedoch nach wie vor zur Überprüfung des Maßstabsfaktors und zum Nachweis der Linearität von Stoßspannungsteilern eingesetzt (s. Kap. 7.2.3). Da die Linearitätsprüfung mit der Kugelfunkenstrecke nur als Relativverfahren und meist in kurzer Zeit durchgeführt wird, bleiben die atmosphärischen Bedingungen während der Versuchszeit annähernd konstant und eine Korrektur der Durchschlagwerte entfällt. Bei entsprechendem Aufwand und sorgfältiger Versuchsdurchführung lässt sich die Linearität eines Stoßspannungsteilers innerhalb einer Abweichung von ±1 % nachweisen.
5.3 Kapazitiver Feldsensor Der klassische Stoßspannungsteiler ist wegen seiner großen Abmessungen und begrenzten Bandbreite nicht für jede Prüfanordnung und jedes Betriebsmittel geeignet. Beispiele hierfür sind Messungen in gasisolierten Schaltanlagen, ölisolierten Hochspannungsgeräten und leistungsstarken, wassergekühlten Impulsgeneratoren. In diesen Anordnungen lassen sich kapazitive Feldsensoren mit geringen Abmessungen integrieren, die das transiente elektrische Feld erfassen und bei entsprechender Beschaltung und Kalibrierung auch eine Spannungsmessung ermöglichen. Je nach Dielektrikum des vom elektrischen Feld durchsetzten Raumes und der Beschaltung lassen sich verschiedene Varianten der Messanordnung mit kapazitivem Feldsensor unterscheiden. Kapazitive Feldsensoren mit größeren Abmessungen werden zum Linearitätsnachweis von Spannungsteilern verwendet.
166
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
5.3.1
Prinzip des kapazitiven Feldsensors
Das Prinzip des kapazitiven Feldsensors in einer koaxialen, gasisolierten Elektrodenanordnung zeigt Abb. 5.21a. Der Sensor 1 besteht aus einer beidseitig metallisierten Kunststofffolie auf einer Trägerplatte, die in die Wandung des Außenleiters 3 oder in eine Flanschöffnung eingelassen ist. Die obere Sensorelektrode fängt entsprechend ihrer Streukapazität C1 einen Teil des elektrischen Feldes zwischen dem auf der Spannung u1(t) liegenden Innenleiter 2 und dem geerdeten Außenleiter 3 auf. Zusammen mit der Kapazität C2 der metallisierten Folie entsteht ein kapazitiver Spannungsteiler, dessen Ausgangsspannung u2(t) dem Messgerät über den Widerstand R = Z und das Koaxialkabel mit dem Wellenwiderstand Z zugeführt wird (Abb. 5.21b). Die Abschlussimpedanz Ra mit Ca am Ende des Koaxialkabels soll den Einfluss der im Vergleich zu C2 nicht zu vernachlässigenden Kabelkapazität Ck auf den Zeitverlauf des schnellveränderlichen Messsignals kompensieren (Burch-Abschluss, s. Kap. 5.1.3). Für die Dimensionierung der Abschlussimpedanz gilt Ra = kZ und k(Ca + Ck) = (C1 + C2) mit k = 1 nach [5.33] oder k = 1,25 nach [5.12]. Je nach Abmessung und Bandbreite der Messanordnung können mit derartigen Feldsonden transiente Spannungen auch noch im Nanosekundenbereich gemessen werden [5.45-5.48].
a) 2
C1 u1(t)
1
C2
3
u2(t)
b) C1
R
C2
u2(t)
Z, Ck
u1(t) Ra Ca
um(t)
Abb. 5.21. Kapazitiver Feldsensor zur Spannungsmessung in einer gasisolierten Schaltanlage a) Anordnung des Sensors in der Außenwandung (schematisch) 1 Feldsensor 2 Innenleiter 3 Außenleiter b) Elektrisches Ersatzschaltbild des Sensors mit Messschaltung
5 Messung von Stoßspannungen
167
Bei einer anderen Ausführung des Feldsensors wird an Stelle von C2 ein Messwiderstand R2 eingesetzt. Eine kleine Messelektrode stellt wiederum die Streukapazität C1 zum Innenleiter her. Über C1 und R2 fließt der kapazitive Strom: i
C1
du1 , dt
(5.21)
der an R2 den Spannungsabfall u2(t) = iR2 verursacht. Demnach ist u2(t) der Ableitung der gesuchten Spannung u1(t) proportional. Dieser Sensortyp wird auch als Ơ(E-dot-) Sensor bezeichnet, wobei der hochgestellte Punkt für die differenzierte Feldgröße steht. Nach Integration von u2(t) erhält man die gesuchte Messgröße: u1 t
t
1 ³ u2 t dt . R2C1 0
(5.22)
Zur Integration von u2(t) gibt es mehrere Möglichkeiten. Die Integration kann passiv durch eine zu R2 parallel geschaltete Kapazität, aktiv mit einem Integrationsverstärker, oder, wenn der Signalverlauf als digitaler Datensatz zur Verfügung steht, numerisch mit dem PC erzielt werden (s. Kap. 6.2.1). Bei kleinen Abmessungen des Ơ-Sensors und sehr hochfrequenten Feldern bzw. Spannungen erfolgt die Integration vorzugsweise passiv durch Parallelschalten einer Kapazität C2 zum hochohmigen Messwiderstand R2, wobei C2 auch durch eine definierte Streukapazität realisiert sein kann. Diese Integrationsschaltung lässt sich wiederum interpretieren als kapazitiver Spannungsteiler entsprechend Abb. 5.21b, bei dem C2 durch den hochohmigen Eingangswiderstand Ri = R2 des Messgerätes belastet wird. Die an C2 abgegriffene Spannung ist dann der Spannung u1(t) zwischen Innen- und Außenleiter direkt proportional. Bei extrem schnell veränderlichen Spannungen im Bereich von Nanosekunden und darunter reichen die klassischen Formeln und Ersatzschaltbilder der Elektrotechnik nicht aus, um die Vorgänge beim Einsatz von Feldsensoren erschöpfend zu beschreiben. Schnellveränderliche elektrische Felder sind immer mit transienten Magnetfeldern verknüpft, die im Messkreis Spannungen influenzieren und Ströme induzieren können. Die Geometrie der Messsonde bestimmt, ob das elektrische Feld als Nutzsignal und das Magnetfeld als Störsignal wirkt oder umgekehrt. Die Messanordnung ist dann so zu optimieren, dass das jeweilige Nutzsignal möglichst groß und das Störsignal vernachlässigbar klein wird. Der Zusammenhang zwischen den elektrischen und magnetischen Feldern wird durch die Maxwellschen Gleichungen festgelegt, die für einfache geometrische Anordnungen zu übersichtlichen Gleichungen und Ersatzschaltbildern führen [5.49]. Ist die Wellenlänge der Felder nicht mehr kurz gegenüber den Sondenabmessungen, dürfen Laufzeiteffekte nicht unbeachtet bleiben. Betrachtet man die Feldsonde im UHF-Bereich von einigen Gigahertz als Antenne, lässt sich das Übertragungsverhalten und die optimale Sensorform mit der Antennentheorie bestimmen [5.50].
168
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
5.3.2 Feldsensor für Linearitätsnachweis von Spannungsteilern Auch in konventionellen Prüfaufbauten werden Feldsensoren mit entsprechend größeren Abmessungen zur Messung von Stoßspannungen eingesetzt. Sie lassen sich einfach aus einer beidseitig mit Kupfer beschichteten Platine, wie sie zur Herstellung elektronischer Schaltungen gebräuchlich ist, anfertigen. Bei einem Durchmesser von 0,5 m und einer Plattendicke von 0,5 mm bis 2 mm wird eine Kapazität C2 im Bereich von 1 nF bis 10 nF erzielt. Mit C2 und der Streukapazität C1 zum Hochspannungskreis entsteht ein kapazitiver Spannungsteiler, der über ein geschirmtes Messkabel mit dem hochohmigen Eingang eines Digitalrecorders zur Aufzeichnung der Zeitverläufe verbunden wird. Ein Dämpfungswiderstand entsprechend dem Kabelwellenwiderstand zwischen Plattenkondensator und Messkabel soll Wanderwellenschwingungen unterbinden. Diese Messanordnung kann, wenn sie an ihrem Einsatzort kalibriert wird, den Stoßspannungsteiler bei einer Prüfung vollständig ersetzen. Sie wird jedoch hauptsächlich zum Nachweis der Linearität von Stoßspannungsteilern bis zur höchsten Betriebsspannung eingesetzt. Der Plattenkondensator wird hierzu auf dem Hallenboden oder auf einem Hocker in der Nähe des zu prüfenden Stoßspannungsteilers platziert. Da es sich beim Linearitätstest nur um eine Relativmessung mit unterschiedlichen Spannungspegeln handelt, ist eine Kalibrierung der Feldsonde selbst nicht zwingend erforderlich. Voraussetzung für den erfolgreichen Einsatz ist die Ladungsfreiheit der Prüf- und Messanordnung, was mitunter eine gründliche und recht aufwendige Ausschaltung aller möglichen Störquellen durch Teilentladungen erfordert. Unter dieser Voraussetzung ist der Linearitätsnachweis bis zu einigen Megavolt innerhalb von ±1 % möglich [5.51]. Bei einer anderen Anordnung, die zur direkten Messung von Stoßspannungen vorgesehen ist, wird die kleine Messelektrode eines Feldsensors isoliert in die untere, geerdete Platte eines kreisrunden Plattenkondensators mit einem Durchmesser von 1,15 m eingearbeitet. Eine zweite, im Abstand von 1 m darüber angeordnete Plattenelektrode wird direkt mit dem Stoßspannungsgenerator verbunden [5.52]. Der Feldsensor mit der Niederspannungskapazität C2 befindet sich dadurch in einem weitgehend homogenen Feld zwischen den beiden mit je einem Torusschirm versehenen Plattenelektroden, die die Hochspannungskapazität C1 bilden. Das Messsignal wird im geschirmten Fuß der unteren Plattenelektrode nach Verstärkung einem Digitalrecorder zugeführt. Die Verbindung zum PC im Messraum für die weitere Auswertung erfolgt über eine digitale Datenverbindung mit Lichtwellenleiter. Das Übertragungsverhalten der Messanordnung erfüllt mit der Antwortzeit TN < 10 ns und der Beruhigungszeit ts < 150 ns die Anforderungen zur Messung von Blitzstoßspannungen. Die Plattenanordnung kann jedoch auf Grund des großen Durchmessers und Plattenabstandes nicht vollständig den Einfluss von Fremdfeldern durch benachbarte Prüfaufbauten verhindern, so dass ein Abstand von mehr als 5 m erforderlich ist. Dies bedeutet, dass der Feldsensor bei jeder Veränderung des Prüfaufbaus innerhalb dieses Abstandes oder bei jedem Ortswechsel neu kalibriert werden muss.
5 Messung von Stoßspannungen
169
5.3.3 Dreidimensionaler Feldsensor Den bisher beschriebenen Feldsensoren ist gemeinsam, dass sie nur eine Feldrichtung erfassen und dass sich eine Elektrode auf Erdpotential befindet. Potenzialfreie Feldmessgeräte sind wesentlich komplexer aufgebaut. Sie bestehen aus einem kugelförmigen Sensorkopf, der an beliebiger Stelle im Hochspannungsfeld fixiert werden kann, einer analogen Übertragungsstrecke mit Lichtwellenleiter und dem auf Erdpotenzial befindlichen Messgerät. Im Einsatz sind Sensoren mit einem Durchmesser von 4 cm bis 10 cm, auf deren Oberfläche je zwei sich gegenüber liegende kalottenförmige Messelektroden für jede Feldrichtung aufgebracht sind [5.53-5.55]. Durch Reihenschaltung mit HF-Kondensatoren im Kugelinnern entstehen wiederum Spannungsteiler, deren Ausgangsspannungen über Lichtwellenleiter dem Auswertegerät zugeführt werden. Die Spannungsversorgung der elektronischen Schaltung in der Kugel erfolgt über Batterien, die einen Betrieb von mehreren Stunden ermöglichen. Je nach Ausführung des Kugelsensors und der Elektronikschaltung werden Bandbreiten von maximal 100 MHz erreicht, wobei die untere Grenzfrequenz weniger als 50 Hz beträgt. Potenzialfreie Feldmessgeräte sind außer zur räumlichen Ausmessung transienter elektrischer Felder auch zur Messung von Stoßspannungen einsetzbar, insbesondere zum Linearitätsnachweis von Stoßspannungsteilern. Oberhalb von 1 MV sind die Abmessungen des Prüfaufbaus sehr viel größer als die des Feldsensors, so dass Feldverzerrungen durch das Einbringen des Sensors vernachlässigbar sind. Im Gegensatz zu einem Spannungsteiler für mehr als 1 MV, der auf Grund seiner Abmessungen eine begrenzte Bandbreite aufweist, lassen sich mit breitbandigen Feldsensoren auch höherfrequente Schwingungen in der Stirn und im Scheitel von Stoßspannungen, insbesondere von abgeschnittenen Blitzstoßspannungen, noch gut nachweisen. Grundvoraussetzung für die Verwendung von Feldsensoren zur Spannungsmessung ist, dass am Einsatzort keine Raumladungen einwirken, wie sie z. B. durch Teilentladungen oder das Zünden von Funkenstrecken entstehen. Die Kalibrierung von Feldmesseinrichtungen selbst umfasst im Wesentlichen die Bestimmung des Maßstabsfaktors und dessen Abhängigkeit von der Stärke und Frequenz des elektrischen Feldes. Ortsfeste Feldsensoren zur Spannungsmessung in gasisolierten Schaltanlagen werden direkt im eingebauten Zustand oder in einer Nachbildung der Anlage kalibriert [5.50]. Potenzialfreie Feldsensoren werden im nahezu homogenen, berechenbaren Wechselfeld zwischen zwei großen Plattenelektroden positioniert. Die Amplitude und Frequenz der angelegten Sinusspannung lässt sich innerhalb der durch die Elektrodengeometrie und Erzeugerschaltung vorgegebenen Grenzwerte variieren [5.56]. Durch Ausrichten der Sensorachsen wird die Anzeige für alle drei Feldachsen überprüft. Der Linearitätsnachweis bis zur höchsten, mit dem Sensor messbaren Feldstärke kann in der Hochspannungshalle im elektrischen Feld zwischen der Kopfelektrode eines Hochspannungstransformators und der Hallenschirmung bei Netzfrequenz durchgeführt werden. Für Frequenzen oberhalb von 1 MHz erfolgt die Kalibrierung im transversal-elektromagnetischen Feld einer TEM- oder GTEM-Zelle. Ist der potenzialfreie Feldsensor zur Messung von Stoßspannungen im Prüffeld vorgesehen,
170
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
werden der Maßstabsfaktor und die Zeitparameter durch Vergleichsmessung mit einem Referenzteiler bei verringerter Stoßspannung bestimmt. Die Position des Sensors bei der Kalibrierung und der Prüfung muss identisch sein.
5.4 Elektrooptischer Sensor Unter der Einwirkung eines elektrischen Feldes E verändern bestimmte Kristalle und Flüssigkeiten ihre optischen Eigenschaften. Beim Durchgang einer Lichtwelle durch einen solchen Stoff mit dem Brechungsindex n tritt eine induzierte Doppelbrechung auf: n
n0 aE bE 2 ... ,
(5.23)
wobei n0 den natürlichen Brechungsindex kennzeichnet. Während der PockelsEffekt den linearen Zusammenhang zwischen dem Brechungsindex und der Feldstärke kennzeichnet und daher b = 0 ist in Gl. (5.23), beschreibt der Kerr-Effekt die quadratische Abhängigkeit mit a = 0. Der Pockels-Effekt tritt in zwei Varianten auf, die von der Richtung des elektrischen Feldes bestimmt sind. Beim longitudinalen Pockels-Effekt haben das elektrische Feld und die Lichtwelle die gleiche Richtung, beim transversalen Pockels-Effekt (wie auch beim Kerr-Effekt) wirkt das elektrische Feld senkrecht zur Lichtwelle ein.
5.4.1 Pockels-Effekt Das Grundprinzip einer Anordnung, die den longitudinalen Pockels-Effekt zur Spannungsmessung ausnutzt, zeigt Abb. 5.22. Mit einem Laser 1 wird ein in zRichtung laufender Lichtstrahl der Wellenlänge Ȝ erzeugt, der mit dem Polarisator 2 linear polarisiert wird. Das Ȝ/4-Plättchen 3 ist eine dünne Kristallscheibe, die eine Drehung der Polarisation der Lichtwelle um eine viertel Wellenlänge (ǻij = ʌ/2) bewirkt. Dadurch wird der Arbeitspunkt der Pockels-Zelle in einen Bereich gelegt, der für die Aussteuerung durch das äußere Feld günstig ist. Die Drehung der Polarisationsebene um ʌ/2 entsteht durch natürliche Doppelbrechung in dem optisch einachsigen Kristallplättchen. Wie in Abb. 5.22 angedeutet, existieren in diesen Kristallen zwei senkrecht zueinander stehende Achsen xƍ und yƍ, entlang derer sich die Brechungszahlen und damit die Ausbreitungsgeschwindigkeiten unterscheiden. Das in x-Richtung linear polarisierte Licht trifft auf das Ȝ/4-Plättchen 3 auf, wobei der Winkel zur optischen Achse und damit zur „langsamen“ yƍ-Achse 45 ° beträgt. Beim Weg durch das Plättchen lässt sich das Licht anschaulich durch zwei orthogonale Teilwellen gleicher Amplitude darstellen, die sich auf Grund der natürlichen Doppelbrechung mit unterschiedlicher Geschwindigkeit in z-Richtung als zirkular polarisiertes Licht ausbreiten. Bei entsprechender Dicke und Ausrich-
5 Messung von Stoßspannungen
171
tung des Plättchens beträgt die Phasenverschiebung zwischen den Teilwellen am Plättchenausgang gerade Ȝ/4 [5.57-5.59]. Die eigentliche Pockels-Zelle 4 ist ebenfalls ein optisch einachsiger, doppelbrechender Kristall der Länge l. Die Ausbreitungsrichtung des polarisierten Lichts liegt in der optischen Achse des Kristalls, in der sich die natürliche Doppelbrechung nicht auswirkt. Durch Anlegen einer Spannung U an den Kristall bewirkt das elektrische Feld E = U/l eine induzierte Doppelbrechung, die zu einer vergleichbaren Ausbildung von xƍ- und yƍ-Achsen mit unterschiedlicher Ausbreitungsgeschwindigkeit der orthogonalen Teilwellen führt. In Abhängigkeit von der durchlaufenen Wegstrecke z im Kristall besteht daher zwischen den beiden Teilwellen der Gangunterschied: 2ʌ
ǻM z
O
ǻn z ,
(5.24)
wobei ǻn den Unterschied der Brechungsindizes, also den Unterschied der Ausbreitungsgeschwindigkeiten für die beiden Teilwellen kennzeichnet. Für ǻn gilt der bereits angesprochene lineare Zusammenhang mit der Feldstärke: ǻn
n03 rij E .
(5.25)
Hierbei ist rij der in dieser Anordnung wirksame elektrooptische Koeffizient, der von der Kristalltemperatur, der Wellenlänge Ȝ des Lichts und der Frequenz des elektrischen Feldes bzw. der angelegten Spannung abhängig ist.
6
E 5 xƍ x
z
4
yƍ
l 3
y 2 1
Abb. 5.22. Longitudinaler Pockels-Effekt zur Spannungsmessung (Prinzipschaltung) 1 Laser 2 Polarisator 3 Ȝ/4-Plättchen 4 Kristall 5 Analysator 6 Fotodetektor
172
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Am Ausgang der Pockels-Zelle 4 befindet sich der Analysator 5, der senkrecht zum Eingangspolarisator 2 ausgerichtet ist. Der Analysator lässt nur das Licht mit der Komponente in seiner Polarisationsrichtung durch, so dass die Phasenmodulation in eine Intensitätsmodulation umgewandelt wird. Für die Lichtintensität I am Ausgang des Analysators gilt: I
§ ǻM I 0 sin 2 ¨¨ © 2
· ¸. ¸ ¹
(5.26)
Hierbei sind I0 die Lichtintensität und ǻij die Phasenverschiebung für z = l am Kristallausgang bzw. Eingang des Polarisators. So würde z. B. in der Anordnung nach Abb. 5.22 ohne das Ȝ/4-Plättchen 3 und ohne das äußere Feld E vom Analysator 5 kein Licht durchgelassen werden, da wegen ǻij = 0 auch I = 0 ist. Für eine Gesamtphasenverschiebung von ǻij = ʌ erreicht die Intensität I = I0 ein Maximum. Da ǻij nach den Gln. (5.24) und (5.25) der Feldstärke proportional ist, lässt sich für Gl. (5.26) mit E = U/l auch schreiben: I
§ʌ ʌ U · ¸. I 0 sin 2 ¨¨ ¸ © 4 2 Uʌ ¹
(5.27)
Der erste Term in der Klammer von Gl. (5.27) berücksichtigt die Phasenverschiebung ʌ/2 durch die Ȝ/4-Drehung der Lichtwelle am Kristalleingang. Der Term Uʌ bezeichnet die Halbwellenspannung, für die sich ein Phasenunterschied von Ȝ/2 = ʌ der beiden orthogonalen Lichtwellen am Kristallausgang ergibt. Die Uʌ-Werte verschiedener Kristalle liegen im Bereich von 10 kV. Wegen der Mehrdeutigkeit von sin2x für x > ʌ wird ein Arbeitsbereich angestrebt, der im annähernd linearen Teil des Sinusquadrats nach Gl. (5.27) mit U < Uʌ /2 liegt (Abb. 5.23). Ein bipolares Spannungssignal mit kleiner Amplitude bewirkt daher eine annähernd lineare Aussteuerung des Analysators. Die mit dem Ȝ/4-Plättchen erzielte Nullpunktsverlagerung entsprechend einer Anfangs-Phasendrehung um ʌ/2 ließe sich alternativ durch eine angelegte Gleichspannung Uʌ /4 erzielen. Der Fotodetektor 6 in Abb. 5.22 erfasst die spannungsabhängige Lichtintensität gemäß Gl. (5.27) und wandelt diese in ein elektrisches Signal zur weiteren Auswertung um. Beim transversalen Pockels-Effekt, bei dem die Feldstärke senkrecht auf die Lichtwelle im Kristall einwirkt, laufen vergleichbare Vorgänge wie beim longitudinalen Pockels-Effekt ab. Bei der Entwicklung von Pockels-Zellen für den Einsatz in Hochspannungsmesssystemen stehen zwei Bauarten im Vordergrund: Pockels-Zellen, die zwischen zwei Plattenelektroden angeordnet sind und wie ein konventionelles Spannungsmesssystem direkt an die Hochspannungsquelle angeschlossen werden, und Pockels-Zellen, die als Feldmessgerät frei im elektrischen Feld positionierbar sind. Beide Varianten verwenden LWL-Verbindungen zur Ein- und Auskopplung des Laserlichts. Bei der technischen Realisierung dieser Messsysteme mit Pockels-
5 Messung von Stoßspannungen
173
Zellen sind beachtliche Fortschritte zu verzeichnen. Die Hauptanstrengungen bei der Entwicklung liegen im Aufbau elektrooptischer Spannungswandler als Ersatz konventioneller induktiver Spannungswandler in der Energieversorgung. Vor allem die im asiatischen Raum geplanten hohen Übertragungsspannungen in der Spannungsebene 1 MV und mehr stellen Anforderungen, die von konventionellen Messsystemen mit Spannungsteilern und -wandlern auf Grund der erforderlichen Abmessungen, des Isolationsaufwandes und der Bandbreite bei akzeptablen Kosten kaum zu erfüllen sind. Lösungen mit elektrooptischen Spannungswandlern für Mess- und Schutzzwecke im Energieversorgungsnetz sind im praktischen Einsatz und werden inzwischen kommerziell angeboten [5.60-5.62]. Das gleiche gilt für die magnetooptischen Stromwandler, die nach dem Faraday-Effekt arbeiten (s. Kap. 6.4).
1
I I0
0,5
U ʌ 2
0 t
0
t
Uʌ 2
U
Abb. 5.23. Anfangsverlauf (schematisch) der Kennlinie I/I0 einer Pockels-Zelle mit Ȝ/4-Plättchen nach Gl. (5.27). Bei kleiner Aussteuerung durch eine angelegte Spannung U wird der lineare Bereich der Kennlinie ausgenutzt.
Wegen der sehr schnell ablaufenden Vorgänge im Kristall sind mit PockelsZellen Bandbreiten von null bis in den Gigahertz-Bereich realisierbar. In der Erprobung befinden sich daher auch breitbandige elektrooptische Messsysteme zur Messung von transienten Feldern und Stoßspannungen. Im Spektralbereich oberhalb von einigen 100 kHz kann jedoch der Pockels-Kristall infolge des inversen piezoelektrischen Effekts zu mechanischen Eigenschwingungen angeregt werden, die in der Ausbreitungsrichtung des Lichtes liegen. Die periodische Längenänderung des Kristalls verursacht eine Oszillation des Phasenwinkels ǻij, die vom Fotodetektor (6 in Abb. 5.22) in eine elektrische Schwingung umgewandelt wird. Das Messsignal, z. B. eine Stoßspannung, wird dann von dieser Schwingung überlagert (Abb. 5.24).
174
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Pockels-Zellen für höhere Spannungen bestehen aus mehreren dünnen Kristallplättchen, die mit Abstandshaltern übereinander angeordnet oder als „Stack“ zusammengeklebt sind. Die mehrschichtige Anordnung der Kristalle hat sich auch als vorteilhaft zur Reduzierung der Schwingungsamplitude und Verschiebung der Resonanzerscheinung in den höheren, nicht mehr störenden Frequenzbereich erwiesen. Durch digitale Filterung des Messsignals lassen sich die restlichen Schwingungen und Rauschanteile weiter reduzieren. Als Messunsicherheiten bei Stoßspannungsmessungen bis 700 kV werden 3 % für den Scheitelwert und 10 % für die Zeitparameter angegeben [5.60, 5.63-5.66]. 1,25 1,0 u/u0 0,75 0,5 0,25 0
0
25
50
75
μs
100
t Abb. 5.24. Durch den inversen piezoelektrischen Effekt einer Pockels-Zelle erzeugte Schwingung, die sich der gemessenen Stoßspannung überlagert (schematisch)
5.4.2 Kerr-Effekt Auch der Kerr-Effekt, der 1875 noch vor dem Pockels-Effekt entdeckt wurde, beruht auf der Drehung der Polarisationsebene einer Lichtwelle in dem KerrMedium infolge eines senkrecht einwirkenden elektrischen Feldes. Wegen der quadratischen Abhängigkeit der induzierten Doppelbrechung beim Kerr-Effekt ergibt sich der Gangunterschied der beiden Wellenkomponenten zu: ǻM
2ʌ l K E 2 ,
(5.28)
wobei K die Kerr-Konstante und l die effektive Länge des Mediums sind. Die Intensitätsmodulation des Lichtstrahls nach Durchlaufen des Kerr-Mediums verläuft wiederum proportional dem Quadrat der Sinusfunktion entsprechend Gl. (5.26), wobei aber das Argument gemäß Gl. (5.28) proportional U 2 ist. Als Beispiel zeigt Abb. 5.25 das berechnete Ausgangssignal 2 eines Messsystems mit Kerr-Zelle für eine Dreieckspannung 1.
5 Messung von Stoßspannungen
175
Der Kerr-Effekt wurde in einer Vielzahl von Arbeiten hinsichtlich der Nutzung in der Hochspannungs- und Feldmesstechnik, Impulsphysik und Isolierstofftechnik eingehend untersucht [5.67-5.70]. Die zunächst hauptsächlich bevorzugten optischen Kerr-Medien waren brennbare bzw. explosible und giftige Flüssigkeiten wie Nitrobenzol. Seit einiger Zeit sind auch weniger gefährliche Stoffe im Einsatz, darunter Gase, Wasser, Transformator- und Silikonöl. Kerr-Zellen in Miniaturausführung eignen sich gut zur Untersuchung von Raumladungsverteilungen in flüssigen Isolierstoffen unter Einwirkung transienter Felder. Wegen der quadratischen Abhängigkeit von der Feldstärke geht die Information über die Richtung des elektrischen Feldes bzw. Polarität der Spannung verloren. Deshalb und wegen der großen Instabilität und Temperaturabhängigkeit von Kerr-Zellen konzentrieren sich die neueren Untersuchungen eher auf die Nutzung des Pockels-Effektes in Kristallen. 1 1
0,8 u/u0 0,6 0,4
2
0,2 0 0
1
2
3
μs
4
t Abb. 5.25. Ausgangssignal 2 einer Kerr-Zelle für eine Dreieckspannung 1 (schematisch)
Literatur zu Kapitel 5 [5.1] Bellaschi, P. L.: The measurement of high-surge voltages. Trans. A.I.E.E. 52 (1933), S. 544-567 [5.2] Feser, K.: Messung hoher Stoßspannungen. ETZ Bd. 104 (1983), S. 881-886 [5.3] Modrusan, M.: Hochspannungsteiler: Typen, Messeigenschaften und Einsatz. Bull. ASE/UCS 74 (1983), S. 1030-1037 [5.4] Zaengl, W., Weber, H. J.: A high voltage divider made for education and simulation. 6. ISH New Orleans (1989), Beitrag 41.06
176
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
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178
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
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6 Messung von Stoßströmen
Die konventionelle Messung von Stoßströmen bis zu den höchsten Stromstärken von einigen 100 kA erfolgt mit niederohmigen Messwiderständen oder Messspulen mit und ohne Magnetkern. Sie werden in Übereinstimmung mit der allgemeinen Bezeichnung für Messmittel aller Art auch als Stromsensoren bezeichnet. Messwiderstände liefern eine dem Strom, Messspulen eine der zeitlichen Ableitung des Stromes proportionale Ausgangsspannung. Die Messung erfolgt mit den gleichen Messgeräten, die auch in der Stoßspannungsmesstechnik zum Einsatz kommen, in erster Linie Digitalrecorder. Beim Einsatz von Messspulen ist vor der Datenauswertung eine Integration der Ausgangsspannung erforderlich. Eine weitere Messmöglichkeit bieten Sensoren, die auf der Grundlage des HallEffektes arbeiten. Sie werden seit mehreren Jahrzehnten zur Strommessung bis zu einigen 10 kA eingesetzt. Viel versprechend ist die zukünftige Verwendung magnetooptischer Sensoren, deren Messprinzip auf dem Faraday-Effekt beruht. Die Jahrzehnte lange technische Entwicklung hat beachtliche Fortschritte vor allem beim Einsatz in Gleich- und Wechselstrommesssystemen gebracht. Ihre Verwendung bei Stoßstrommessungen ist noch im Versuchsstadium. Grundsätzlich eignen sich magnetooptische Sensoren besonders vorteilhaft zur Messung hoher Stromstärken, insbesondere, wenn der Stromleiter auf Hochspannungspotenzial liegt. Die Verwendung der verschiedenen Sensorarten ist mit Vor- und Nachteilen grundsätzlicher Art verbunden. Wichtige Entscheidungskriterien für die Auswahl eines Stromsensors sind die Potenzialfreiheit und die Übertragung des Gleichanteils des Messstromes. Strommesssysteme sind elektrischen und magnetischen Feldern ausgesetzt, die zu einer Störbeeinflussung des Messsignals führen können. Je nach Konstruktion des Sensors und Anordnung des Messkreises lässt sich die Wirkung der Störungen weitgehend beseitigen.
6.1 Messsystem mit niederohmigem Messwiderstand Zur Messung von Stoß- und Kurzschlussströmen werden traditionell niederohmige Messwiderstände eingesetzt. Der Messwiderstand Rm wird in den Stromkreis an geeigneter Stelle eingebracht und von dem zu messenden Strom i(t) direkt durchflossen (Abb. 6.1). In der bevorzugten Position ist Rm einpolig geerdet. Messwiderstände für Stoßströme sind in der Regel als Vierpol mit definiertem Spannungsabgriff ausgebildet. Unter idealen Voraussetzungen ist der Spannungsabfall uR(t) am Messwiderstand Rm dem Strom i(t) proportional: uR t
Rm i t .
K. Schon, Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik, DOI 10.1007/978-3-642-13117-2_6, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010
(6.1)
180
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Eine wichtige Voraussetzung für die Gültigkeit von Gl. (6.1) ist, dass Rm in dem betrachteten Frequenzbereich rein ohmsch wirkt. Der Wert von Rm liegt üblicherweise im Bereich von 50 μ: bis 50 m:. Ein niedriger Wert von Rm ist aus verschiedenen Gründen vorteilhaft. Der Leistungsumsatz im Messwiderstand ist begrenzt und eine Änderung oder gar Schädigung von Rm durch eine zu große Eigenerwärmung oder Spannungsbeanspruchung wird vermieden. Weiterhin bleibt die vom Stoßstromgenerator im Kurzschlussbetrieb erzeugte Impulsform weitgehend unverändert. Schließlich ist die Spannung an Rm auch bei sehr hohen Stromstärken auf Werte unter 2000 V begrenzt und kann mit den speziell für Stoßspannungsmessungen gebauten Messgeräten direkt erfasst werden. i(t)
M
Z, RL
Rm
um(t)
Re
uR(t)
Abb. 6.1. Messschaltung für Stoßströme mit niederohmigem Messwiderstand Rm (Prinzip) M: Messgerät mit Eingangswiderstand Re
Ein niederohmiger Messwiderstand hat andererseits den Nachteil, dass die Ausgangsspannung uR bei geringen Stromstärken sehr klein ist. Das Messgerät muss dann eine hohe Empfindlichkeit aufweisen und Störspannungen können das Messergebnis stärker beeinflussen. Ein niederohmiger Widerstand erschwert auch die Messung der Frequenz- oder Sprungantwort, da die verfügbaren Generatorschaltungen in der Regel nur für geringe Stromstärken ausgelegt sind und daher nur einen kleinen Spannungsabfall an Rm hervorrufen. Die am Messwiderstand abgegriffene Impulsspannung uR(t) wird über ein Messkabel dem Messgerät M mit dem Eingangswiderstand Re zugeführt. Zur Vermeidung einer Erdschleife im Messkreis durch doppelte Erdung ist das Messgerät M nicht direkt, sondern über den Schirm des Koaxialkabels mit Erde verbunden und die Netzversorgung erfolgt über einen Trenntransformator. Aber auch ohne direkte Erdung des Messgerätes kann sich über die resultierende Erdkapazität Ce des Gehäuses und des Trenntransformators ein geschlossener Stromkreis ausbilden (Abb. 6.2). Das vom Stoßstrom i(t) erzeugte Magnetfeld H durchsetzt die durch Schraffur gekennzeichnete Fläche und induziert in der Erdschleife die Störspannung uin, die den Störstrom iSt treibt. Der Störstrom fließt über den Kabelschirm und erzeugt über die Kopplungsimpedanz Zk im Kabelinnern die Störspannung ust, die sich der Messspannung überlagert [5.5, 5.6].
6 Messung von Stoßströmen
181
M
i(t)
iSt
Rm
Re H
H iSt
iSt
Ce
uin
Abb. 6.2. Elektromagnetische Beeinflussung einer Stoßstrommessung mit niederohmigem Widerstand Rm. Das vom Stoßstrom i(t) erzeugte Magnetfeld H in der durch Schraffur markierten Fläche induziert eine Spannung uin,. die über die Erdkapazität Ce des Messgerätes den Störstrom iSt in der Erdschleife treibt.
Die frequenzabhängige Kopplungsimpedanz eines Koaxialkabels ist definiert als Zk = ust /iSt, wobei der Innenleiter und die Innenseite des Kabelschirms an einem Ende kurzgeschlossen sind (Abb. 6.3). Eine gute Schirmwirkung des Koaxialkabels ist durch eine kleine Kopplungsimpedanz gekennzeichnet. Die Kopplungsimpedanz eines Koaxialkabels fällt zunächst mit zunehmender Frequenz, steigt dann aber wieder infolge der Induktivität des Kabelschirmgeflechts an.
uSt
iSt
iSt
Abb. 6.3. Zur Definition der Kopplungsimpedanz ZK = uSt /iSt eines geschirmten Koaxialkabels, über dessen Schirm der Störstrom iSt fließt.
Die induzierte Spannung uin treibt nicht nur einen Störstrom längs des äußeren Kabelschirms, sondern auch über den quasi parallel geschalteten Innenleiter des Koaxialkabels. Die Stromstärke ist von den in diesem Stromkreis wirkenden Impedanzen, hauptsächlich Re, abhängig. Bei hochohmigem Eingang des Messgerätes ist dieser Anteil des Störstromes in der Regel vernachlässigbar. Auch das Koaxialkabel und das in einiger Entfernung aufgestellte Messgerät sind dem vom Stoßstrom erzeugten Magnetfeld ausgesetzt. Auf dem unmagnetischen Kabelschirm und Gerätegehäuse bilden sich jedoch Wirbelströme aus, die ein magnetisches Gegenfeld erzeugen und dadurch dem Eindringen des Magnetfeldes entgegenwirken. Durch Inhomogenitäten ist die Schirmwirkung zwar begrenzt, die resultierende Störbeeinflussung des Messsignals ist aber gering im
182
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Vergleich zu der infolge der Erdschleife. Ebenso kann die Störbeeinflussung durch das elektrische Feld, das bei der Erzeugung des Stoßstromes auftritt, in der Regel als gering erachtet werden. Die Vermeidung von Kabelmantel- und Gehäuseströmen infolge von Erdschleifen ist daher das Hauptziel, um die Störbeeinflussung des Messkreises zu unterbinden. Eine wirksame Abhilfe bringt die zusätzliche Schirmung des Koaxialkabels und Unterbringung des Messgerätes in eine Schirmkabine (Abb. 6.4). Beide Enden des äußeren Kabelschirms und die Schirmkabine S sind geerdet. Der durch das äußere Magnetfeld erzeugte Störstrom iSt fließt nun über den äußeren Kabelschirm und die Schirmkabine zur Erde. Ein magnetisches Gegenfeld wird aufgebaut, wodurch das Innere der Abschirmung feldfrei wird. Als äußerer Schirm sind ein im Fußboden eingelassenes Metallrohr oder ein flexibles Wellmantelrohr gut geeignet. Ein doppelt geschirmtes Koaxialkabel mit Schirmgeflecht hat wiederum den Nachteil, dass bei höheren Frequenzen die Schirmwirkung nachlässt. Eine gute Schirmwirkung hat auch ein verdrilltes Leiterpaar, das von einem Schirm umgeben ist.
i(t) M Rm
iSt Ce
S iSt
Abb. 6.4. Schirmung des Koaxialkabels und Messgerätes zur Vermeidung des Störeinflusses von Kabelmantel- und Gehäuseströmen
Die Messung von Impulsen mit Anstiegszeiten von deutlich weniger als 1 μs erfordert bei Verwendung eines längeren Koaxialkabels mit dem Wellenwiderstand Z, dass die Bedingung für den reflexionsfreien Abschluss am Messgeräteeingang erfüllt ist, also Re = Z. Andernfalls können die sich im Kabel ausbreitenden Wanderwellen die Auswertung des Messsignals beeinflussen. Da bei hohen Stromstärken entsprechend große Spannungen an Rm auftreten, muss auch Re eine ausreichend hohe Impulsbelastbarkeit aufweisen. Bei Verwendung eines längeren Messkabels ist gegebenenfalls dessen Leiterwiderstand RL zu berücksichtigen, insbesondere wenn das Kabel mit seinem Wellenwiderstand, also niederohmig, abgeschlossen ist. Der auf die Längeneinheit bezogene Wert von RL liegt üblicherweise im Bereich von (15 … 150) m:/m. Die beiden in Reihe liegenden Widerstände RL und Re bilden einen Spannungsteiler für das Messsignal. Am Eingang des Messgerätes liegt die Spannung:
6 Messung von Stoßströmen
um t
Rm Re i t , RL Re
183
(6.2)
die gegenüber uR(t) nach Gl. (6.1) um den Spannungsabfall am Messkabel verringert ist. Hat zum Beispiel das Messkabel einen Leiterwiderstand RL = 0,5 :, wird die am Eingangswiderstand Re = Z = 50 : anliegende Messspannung um und damit der Stoßstrom i(t) um 1 % zu niedrig gemessen.
6.1.1 Induktivitäten eines niederohmigen Widerstandes Niederohmige, nicht speziell zur Messung kurzer Stromimpulse ausgelegte Widerstände zeigen bereits oberhalb von 1 kHz kein rein ohmsches Verhalten mehr. Das einfache Ersatzschaltbild weist neben dem ohmschen Anteil R eine in Reihe liegende Induktivität L auf (Abb. 6.5). Ein in den Widerstand eingeprägter Stoßstrom i(t) ruft die beiden Teilspannungen uL(t) = Ldi/dt und uR(t) = R i(t) hervor, die sich zur Gesamtspannung u(t) addieren (Abb. 6.6). Charakteristisch ist die induktive Spannungsspitze von uL(t), die bei großer Steilheit des Stoßstromes sogar größer als die ohmsche Teilspannung uR(t) sein kann. Die Induktivität verhindert somit eine maßstabsgetreue Messung des Stoßstromes. i (t)
R
uR u(t)
L
uL Abb. 6.5. Vereinfachtes Ersatzschaltbild eines niederohmigen Widerstandes R mit Selbstinduktivität L
In der äquivalenten Darstellung im Frequenzbereich steigt die Amplitudendichte F(f) der Ausgangsspannung u(t) mit der Frequenz an und erreicht bei der oberen Grenzfrequenz f2, die durch ȦL = R gekennzeichnet ist, den doppelten Wert gegenüber dem Gleichanteil F0 (Abb. 6.7). Zur Erzielung eines breitbandigen Verhaltens muss daher die induktive Komponente eines Widerstandes durch eine geeignete Bauform und die verwendeten Materialien möglichst klein gehalten werden. Ergänzend sei bemerkt, dass Widerstände im Allgemeinen auch eine Parallelkapazität im Ersatzschaltbild aufweisen, die hier aber wegen des kleinen Widerstandswertes keinen Einfluss hat und in Abb. 6.5 nicht berücksichtigt ist.
184
a)
b)
c)
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
i (t)
t
u(t)
t uL(t)
t
uR(t)
t Abb. 6.6. Stoßantwort eines niederohmigen Widerstandes mit Selbstinduktivität nach Abb. 6.5 bei Einspeisung eines Stoßstromes a) Stoßstrom i(t), eingespeist in den Widerstand b) Spannung u(t) am Widerstand mit Selbstinduktivität (Stoßantwort) c) Induktive und ohmsche Teilspannungen uL bzw. uR entsprechend dem Ersatzschaltbild
Die induktive Komponente niederohmiger Messwiderstände lässt sich auf zwei Hauptanteile zurückführen. Der eine Anteil ist von der Bauform des Widerstandes und dessen Zuleitungen bestimmt. So berechnet sich die Selbstinduktivität eines draht- bzw. zylinderförmigen Leiters aus nicht magnetischem Material (μr = 1) mit dem Durchmesser d und der Länge l zu [3.2]: L
ȝ0 l § l · ¨ 4 ln 3 ¸ , d 8ʌ © ¹
(6.3)
wobei μ0 = 0,4 ʌ·10-6 H/m § 1,257 μH/m die magnetische Feldkonstante ist. Ein zylinderförmiger Schichtwiderstand mit d = 1 cm und l = 5 cm hat danach eine
6 Messung von Stoßströmen
185
Selbstinduktivität von 9 nH. Ist der Widerstand mit zwei Anschlussdrähten mit dem Durchmesser d = 1 mm und der Gesamtlänge l = 2 cm versehen, beträgt deren Induktivität ebenfalls 9 nH. Als Gesamtinduktivität erhält man 18 nH. Aus der Beziehung ȦL = R bestimmt sich für R = 1 mȍ die obere Grenzfrequenz, bei der die induktive gleich der ohmschen Komponente ist, zu f2 = 9 kHz.
F(f)
F0
0 f2
log f
Abb. 6.7. Frequenzgang eines Widerstandes mit Induktivität (schematisch)
Der zweite Induktivitätsanteil wird durch die Art und Form des Messabgriffs am Widerstand verursacht. Das Prinzip wird am einfachen Modell eines rohrförmigen, vom Strom i(t) durchflossenen Widerstandskörpers erläutert (Abb. 6.8). Hierbei bleibt der Skineffekt zunächst noch unberücksichtigt. Bei homogener Widerstandsverteilung und großer Rohrlänge ergeben sich durch den Stromfluss kreisförmige Äquipotenziallinien auf der Rohrwandung. Greift man an den Messstellen M1 und M2 die Potenziale ij1 und ij2 ab, erhält man unter vereinfachenden Voraussetzungen die Messspannung: uR = ij1 – ij2 = R i(t),
(6.4)
wobei R den wirksamen Widerstand des Rohres zwischen den Messstellen M1 und M2 darstellt [1.1]. Weiterhin erzeugt der Strom nach dem Durchflutungsgesetz (s. Kap. 6.2) außerhalb des Widerstandszylinders ein tangentiales Magnetfeld, das mit zunehmendem Abstand r > a von der Widerstandsoberfläche kleiner wird. Im Rohrinnern ist das Magnetfeld vernachlässigbar. Vom Spannungsabgriff bei M1 und M2 denke man sich kurze Verbindungsleitungen zu den Ausgangsbuchsen 1 und 2, an die das Messkabel zum Messgerät angeschlossen wird. Dadurch entsteht eine Messschleife, die entsprechend der schraffierten Fläche (b - a)h einen Teil des Magnetfeldes einschließt. Am Messausgang 1-2 liegt daher außer der ohmschen Teilspannung uR nach (6.4) eine durch die zeitliche Änderung des Magnetflusses ĭ(r, t) in der Messschleife induzierte Teilspannung uL = - dĭ/dt an. Als resultierende Messspannung um(t) ergibt sich unter Beachtung der Vorzeichenregel für die induzierte Teilspannung: um t uR uL
R i t M
di t . dt
(6.5)
186
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Hierbei ist M die wirksame Gegeninduktivität, die aus den geometrischen Abmessungen der Messschleife berechnet wird. Für die als rechteckig angenommene Messschleife ist die Gegeninduktivität: M
ȝ0 h 2ʌ
b
ȝ0 h b ln . 2ʌ a
dr
³ a r
(6.6)
i(t)
M1
h
1
ij1
um(t)
ĭ(r,t)
2
M2
ij2
i(t) a
b
r
Abb. 6.8. Modell eines vom Strom i(t) durchflossenen dünnwandigen Rohrwiderstandes mit Potenzialabgriff an den Messstellen M1 und M2 (nach [1.1])
Im Ersatzschaltbild nach Abb. 6.5 muss die Gegeninduktivität M der Selbstinduktivität L des Messwiderstandes zugerechnet werden. Widerstände mit derartigem Spannungsabgriff haben eine vergrößerte Zeitkonstante (L+M)/R und dadurch Anstiegszeiten, die kaum besser als 1 μs sein dürften. Ziel einer jeden Konstruktion von breitbandigen Messwiderständen ist es daher, den Spannungsabgriff in den vom Magnetfeld freien Bereich zu legen. 6.1.2 Aufbau koaxialer Messwiderstände Die Forderung, den Spannungsabgriff eines Messwiderstandes in den vom Magnetfeld freien Bereich zu legen, lässt sich durch eine koaxiale Bauform erfüllen. Im einfachsten Fall besteht der niederohmige Messwiderstand aus einer Parallel-
6 Messung von Stoßströmen
187
schaltung gleichgroßer Einzelwiderstände mit gutem Hochfrequenzverhalten, die in einem Metallzylinder untergebracht sind. In der zylinderförmigen Anordnung des Messwiderstandes mit parallel geschalteten Einzelwiderständen nach Abb. 6.9 tritt der transiente Strom in den Anschlussbolzen 1 ein und verteilt sich gleichmäßig auf die Widerstände 2. Das äußere Metallrohr 3 dient als Stromrückleiter, wodurch das resultierende Magnetfeld im Innern verschwindet (s. Kap. 6.1.1). Der Spannungsabgriff an den Widerständen und die Zuleitung 4 zum koaxialen Messabgriff 5 befinden sich daher im feldfreien Raum, so dass hier keine Störspannung induziert werden kann. Die dem Strom proportionale Spannung wird an 5 abgegriffen und über ein Messkabel dem Messgerät zugeführt. Messwiderstände dieser Bauart lassen sich ohne großen Aufwand für Stoßströme von mehreren 10 kA mit meist befriedigendem Übertragungsverhalten herstellen.
2
i(t)
i(t) 1
5
i(t) 3
4
Abb. 6.9. Messwiderstand mit parallel geschalteten Einzelwiderständen in einem Metallgehäuse 1 Stromanschluss 2 Einzelwiderstände 3 Stromrückleiter 4 Messabgriff und Zuleitung zur Ausgangsbuchse 5 koaxiale Ausgangsbuchse
Durch die Parallelschaltung der Einzelwiderstände verringert sich die Gesamtinduktivität und das Frequenzverhalten wird verbessert. Bei nicht so hohen Ansprüchen an das Übertragungsverhalten genügen bifilar gewickelte Drahtwiderstände, die mit einem geringen Temperaturkoeffizienten hergestellt werden und auch bei großer Strombelastung annähernd konstant bleiben. Ein besseres Frequenzverhalten weisen Schichtwiderstände und Chip-Widerstände mit keramischem Träger auf. Schichtwiderstände sollten ungewendelt sein. Mit der Wendelung, die vor allem bei Kohleschichtwiderständen üblich ist, wird ein genauer Abgleich des Widerstandes auf einen vorgegebenen Sollwert erzielt. Die Wendelung kann aber zu Entladungen und Überschlägen zwischen benachbarten Widerstandsbahnen führen, die zunächst eine irreversible Widerstandserhöhung und später die Zerstörung des Widerstandes verursachen. Ein optimales Übertragungsverhalten bietet der vollkommen homogen aufgebaute koaxiale Messwiderstand, auch Koaxialshunt oder Rohrshunt genannt. Über die ersten Bauformen dieser Messwiderstände wird in [6.1] berichtet. Bei der
188
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Konstruktion nach Abb. 6.10 wird der Stoßstrom i(t) dem Koaxialshunt beim Anschluss 1 zugeführt, fließt durch den rohrförmigen Widerstand 3 zur rechten Metallplatte und wieder zurück über das äußere Metallrohr 4, das vom Stromanschluss 1 durch den Isolierring 2 getrennt ist. Die dem Stoßstrom proportionale Spannung am Widerstandsrohr 3 wird über den Messabgriff 5 der koaxialen Ausgangsbuchse 6 zugeführt. Durch die koaxiale Anordnung wird wiederum erreicht, dass sich im Innern des Koaxialshunts kein Magnetfeld ausbilden kann und deshalb keine Störspannung am Messabgriff 5 induziert wird.
i(t)
i(t) 1 6
i(t) 2
3
4
5
Abb. 6.10. Aufbau eines breitbandigen Koaxialshunts für Stoßstrommessungen 1 Stromanschluss 2 Isolierring 3 Widerstandsrohr 4 Stromrückleiter 5 Messabgriff mit Zuleitung zur Ausgangsbuchse 6 Koaxiale Ausgangsbuchse
Der homogene Rohrwiderstand 3 besteht aus einer unmagnetischen Widerstandslegierung oder einer mit Graphit beschichteten Isolierfolie. Wie weiter unten noch gezeigt wird, bestimmt die Dicke des Widerstandskörpers die erreichbare Bandbreite und die thermische Belastbarkeit durch den Stoßstrom. Das Material des Rohrwiderstandes muss einen kleinen Temperaturkoeffizienten aufweisen und reversibel sein, selbst bei Temperaturen von 100 °C und mehr. Der Koaxialshunt nach Abb. 6.10 kommt dem Ideal eines reinen Wirkwiderstandes ohne störende Selbstinduktivität weitgehend nahe. Abb. 6.11 zeigt einige Ausführungen von niederohmigen Messwiderständen, darunter die drei senkrecht aufgestellten Koaxialshunts für Stoßströme mit Scheitelwerten von bis zu 100 kA und Bandbreiten von mehr als 100 MHz.
6.1.3 Stromverdrängung (Skineffekt) Auch wenn der Koaxialshunt nach Abb. 6.10 weitgehend homogen und induktivitätsarm aufgebaut ist, kann seine Bandbreite nicht unbegrenzt erhöht werden. Ein zeitveränderlicher Strom erzeugt in einem Stromleiter ein magnetisches Feld, das seinerseits Ströme erzeugt, die als Wirbelströme bezeichnet werden. Die Wirbel-
6 Messung von Stoßströmen
189
ströme überlagern sich dem ursprünglichen Strom und beeinflussen dadurch die Stromverteilung im Leiter. Der resultierende Strom ist nicht mehr homogen über den gesamten Leiterquerschnitt verteilt, sondern wird durch den Skineffekt mit steigender Frequenz mehr und mehr in den äußeren Randbereich des Leiters verdrängt. Die Wirbelströme erzeugen weiterhin ein magnetisches Gegenfeld, das sich dem ursprünglichen Magnetfeld so überlagert, dass das resultierende Magnetfeld im Innern des Stromleiters verschwindet. Die im Leiter unter idealisierenden Annahmen auftretenden, miteinander verknüpften elektrischen und magnetischen Felder lassen sich mit den Maxwellschen Gleichungen oder über das Durchflutungsgesetz und Induktionsgesetz bestimmen [3.1].
Abb. 6.11. Ausführung verschiedener Messwiderstände, darunter drei Koaxialshunts für Stoßstrommessungen in senkrechter Aufstellung (HILO-TEST)
Wegen der Stromverdrängung macht es keinen Sinn, einen niederohmigen Messwiderstand für hochfrequente Ströme aus Vollmaterial zu realisieren. Selbst bei den üblichen rohrförmigen Bauformen kann die Wandstärke bei hohen Signalfrequenzen nicht voll für den Stromfluss genutzt werden. Die Stromdichte nimmt sehr schnell von einem Maximalwert î am Außenrand des Widerstandsrohres zum Rohrinnern hin ab (Abb. 6.12). Die ungleiche Stromverteilung über den Leiterquerschnitt ist gleichbedeutend mit einer Erhöhung des Widerstandes gegenüber dem Gleichstromwiderstand. Kenngröße für die Stromverdrängung in einem Leiter mit der Leitfähigkeit ı und der Permeabilität ȝ = ȝr ȝ0 ist die Eindringtiefe:
G
1 ʌ ȝı f
,
(6.7)
190
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
bei der der Strom mit der Frequenz f auf den 1/e-ten Teil (ca. 37 %) abgefallen ist. Diese Beziehung gilt exakt für unendlich lange platten- und zylinderförmige Leiter, die eine sehr große Dicke bzw. einen großen Durchmesser im Vergleich zur Eindringtiefe aufweisen. Bei einer Rohrwandstärke d << į wirkt sich die Stromverdrängung nur gering aus und der Widerstand behält bis zu der für į vorgegebenen Frequenz nahezu seinen Wert bei Gleichstrom. Zur Begrenzung der Stromverdrängung wird die Eindringtiefe į nach Gl. (6.7) durch Verwendung unmagnetischer Materialien mit geringer Leitfähigkeit ı möglichst groß gemacht. Geeignete Widerstandsmaterialien mit μr = 1 sind Konstantan, Manganin und Chrom-Nickel-Legierungen im normal leitenden Zustand. Auch eine dünne, auf einem Isolierkörper aufgebrachte Graphitschicht zeigt ein gutes Frequenzverhalten, hat aber je nach Herstellungsverfahren nur eine begrenzte Beständigkeit gegenüber thermischer Überlastung und mechanischer Beanspruchung.
i î
î e 0
į
d
r
Abb. 6.12. Ungleichmäßige Stromverteilung im Querschnitt eines rohrförmigen Leiters infolge des Skineffekts
Das Übertragungsverhalten eines Messwiderstandes Rm lässt sich in vergleichbarer Weise wie für einen Stoßspannungsteiler durch die Sprungantwort g(t) charakterisieren (s. Kap. 3.1 und 3.7). Sie ist definiert als die Ausgangsspannung von Rm bei Einspeisung eines Sprungstromes, dividiert durch dessen Amplitude I0 und Rm. Für einen eingeprägten Sprungstrom liefern die Maxwellschen Gleichungendie Stromverteilung im unmagnetischen Widerstandsrohr, woraus sich die Sprungantwort des Koaxialwiderstandes ergibt zu [1.1, 6.2, 6.3]: f § k 2ʌ2 g t 1 2 ¦ 1 k exp¨ ¨ ȝ ı d2 k 1 0 ©
· t¸ . ¸ ¹
(6.8)
6 Messung von Stoßströmen
191
In Abb. 6.13 ist die nach Gl. (6.8) berechnete Einheitssprungantwort eines Koaxialshunts mit der spezifischen Leitfähigkeit ı = 1 m/ȍmm2 für drei verschiedene Wanddicken d wiedergegeben. Der grundsätzliche Verlauf der Sprungantwort weist keine induktive Spannungsspitze auf, d. h. der Koaxialshunt zeigt im Gegensatz zum einfachen Widerstand in Abb. 6.6 kein induktives Verhalten. Der endliche Anstieg der Sprungantwort ist vom Verhältnis der Wanddicke d des Widerstandsrohres zur Eindringtiefe į nach Gl. (6.7) bestimmt. Für d = 0,1 mm ergibt sich eine Anstiegszeit von 3 ns (Kurve 1 in Abb. 6.13). Aus Nickel-ChromLegierungen lassen sich sehr dünne Widerstandsfolien bis hinunter zu 10 μm herstellen, deren Eindringtiefe į nach Gl. (6.7) rund 17 μm bei 1 GHz beträgt. In [6.4] wird über kurze Koaxialshunts von etwa 3 cm Länge mit extrem dünnen Widerstandsfolien aus Cu (1 μm) und NiCr (10 μm) berichtet. Die gemessenen Anstiegszeiten liegen unter der Eigenanstiegszeit von 0,4 ns des damals verfügbaren Oszilloskops.
1 1
2
3
g(t)
0.5
0 0
10
20
30
40
ns
50
t Abb. 6.13. Sprungantwort eines Koaxialshunts mit Skineffekt, berechnet nach Gl. (6.8) für eine Leitfähigkeit ı = 1 m/ȍmm2 und für drei verschiedene Wanddicken d 1 d = 0,1 mm 2 d = 0,2 mm 3 d = 0,3 mm
Die Sprungantwort von Koaxialshunts nach Gl. (6.8) ist vom Gleichungstyp her identisch mit der Sprungantwort des hochohmigen Spannungsteilers nach Gl. (5.14), der durch das RC-Kettenleiterersatzschaltbild bzw. durch das vereinfachte Ersatzschaltbild in Abb. 5.8 charakterisiert ist. Der formale Vergleich der Ausdrücke in den Gln. (6.8) und (5.14) liefert die Antwortzeit T und Bandbreite B des Koaxialshunts: T
B
P0 V d 2
(6.9a)
6 1,46
P0 V d 2
.
(6.9b)
192
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Demnach kann das dynamische Verhalten eines Koaxialshunts vor allem durch Verringerung der Widerstandsdicke d und in geringerem Umfang durch Reduzierung der Leitfähigkeit ı verbessert werden. Die spezifische Leitfähigkeit geeigneter Legierungen liegt im Bereich von (0,8 … 2) m/ȍmm2 bei Raumtemperatur. 6.1.4 Kettenleiterersatzschaltbild In Analogie zum ohmschen Spannungsteiler wird der Koaxialshunt mit der Sprungantwort nach Gl. (6.8) durch das Kettenleiterersatzschaltbild in Abb. 6.14a mit n verteilten Längsinduktivitäten Lƍ und Querwiderständen Rƍ dargestellt [6.2, 6.3]. Für den Grenzfall n = liefert die Parallelschaltung der n Querwiderstände Rƍ = nR0 den Gleichstromwiderstand R0 und die Reihenschaltung der n Längsinduktivitäten Lǯ = L0 /n die resultierende Induktivität L0. Für Stoßströme mit Stirnzeiten von mehr als 1 μs lässt sich ein vereinfachtes Ersatzschaltbild mit diskreten Elementen und vergleichbarer Sprungantwort ableiten (Abb. 6.14b). Aus der Forderung, dass die Antwortzeiten der Sprungantwort beider Ersatzschaltbilder gleich sind, ergibt sich für die Induktivität im vereinfachten Ersatzschaltbild zunächst ein Wert von 2/3 L0. Einen verbesserten Wert von 0,43L0 erhält man aus der Gleichheit der Anstiegszeiten beider Ersatzschaltbilder. Abschließend sei jedoch daran erinnert, dass das Übertragungsverhalten durch die Stromverdrängung gekennzeichnet ist und dass der Koaxialshunt auf Grund seiner besonderen Bauform praktisch keine Induktivität aufweist. a) i
L' 2
L ´ R´
L ´
R´
L´
R´
R´
L' 2
R´
um
b) i
0,43 L0
2R0
2R0
um
Abb. 6.14. Ersatzschaltbilder des Koaxialshunts a) Kettenleiterersatzschaltbild mit n Elementen Lǯ = L0 /n und Rǯ = nR0 b) vereinfachtes Ersatzschaltbild mit gleicher Anstiegszeit wie das Kettenleiterersatzschaltbild
6 Messung von Stoßströmen
193
6.1.5 Experimentelle Sprungantwort von Messwiderständen Zur Erzeugung von Sprungströmen stehen die in Kap. 3.7.4 genannten Sprunggeneratoren zur Verfügung. Der niederohmige Messwiderstand wird meist in Serie mit einem internen und /oder externen Abschlusswiderstand von 50 ȍ an den Sprunggenerator angeschlossen. Bei Verwendung von Reed-Kontakten, die mit Quecksilber benetzt sind, lassen sich Stromstärken von maximal 1 A bis 3 A prellfrei schalten. Die Sprungantworten erreichen dann nur Amplituden von 1 mV oder weniger, so dass ein Vorverstärker für die Aufzeichnung mit dem Recorder erforderlich ist. Bei Verwendung eines Kabelgenerators kann man durch Parallelschalten mehrerer Kabel eine Stromerhöhung erzielen. Elektronisch aufgebaute Sprunggeneratoren liefern ebenfalls höhere Ausgangsstromstärken, weisen aber deutlich größere Anstiegszeiten auf. Mit gasgefüllten Funkenstrecken lassen sich höhere Spannungen schalten und damit größere Stromamplituden erzeugen. Abb. 6.15 zeigt die gemessene Sprungantwort eines breitbandigen 5-kAKoaxialshunts mit dünnem Widerstandsblech aus einer Chrom-Nickel-Legierung. Die Anstiegszeit des Koaxialshunts beträgt 3 ns, was nach Gl. (3.38) einer Bandbreite von mehr als 100 MHz entspricht. Dieser Wert ist vergleichbar mit der Anstiegszeit der nach Gl. (6.8) berechneten Sprungantwort eines Koaxialshunts mit der Dicke d = 0,1 mm (Abb. 6.13, Kurve 1). Ein Überschwingen der experimentellen Sprungantwort tritt nicht auf, d. h. in Übereinstimmung mit den theoretischen Betrachtungen weist der untersuchte Koaxialshunt keine Selbstinduktivität auf. In den ersten 25 ns zeigt die Sprungantwort ein „Anschleichen“ an das Endniveau, was jedoch auf den nicht ganz ideal verlaufenden Sprung des verwendeten Kabelgenerators zurückzuführen ist. Für die Messung der Sprungantwort wurde der Stromrückleiter des Koaxialshunts (4 in Abb. 6.10) über ein trichterförmiges Übergangsstück an den Schirm des Koaxialausgang des Kabelgenerators angeschlossen, um einen möglichst reflexionsfreien Übergang zu erzielen.
1 g(t)
0.5 0 0
50
100
t
150
ns
200
Abb. 6.15. Experimentelle Sprungantwort eines 5-kA-Koaxialshunts
Grundsätzlich ist festzustellen, dass die Bedingungen zur Messung der Sprungantwort von Koaxialshunts im Vergleich zu Stoßspannungsteilern als nahezu ideal bezeichnet werden können. Koaxialshunts weisen kleinere Abmessungen auf, sind in der Regel vollständig geschirmt und Wanderwellenvorgänge im Messkreis kön-
194
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
nen durch einen Abschlusswiderstand gleich dem Kabelwellenwiderstand unterbunden werden. Die experimentelle Sprungantwort eines Koaxialshunts ist daher weitgehend frei von Störeinflüssen. Hat der erzeugte Stromsprung nicht den erwarteten Idealverlauf, kann der Einfluss auf die Sprungantwort gegebenenfalls durch eine Faltungsrechnung korrigiert werden. Dies sind gute Voraussetzungen für die Verwendung der Sprungantwort bei der numerischen Faltungsrechnung, um die Eignung eines Koaxialshunts zur Messung eines vorgegebenen Stromimpulses nachzuweisen (s. Kap. 3.1 und 3.6). Die Einhaltung festgelegter Fehlergrenzen für den Scheitelwert und die Zeitparameter lässt sich damit für beliebige Stromverläufe rechnerisch überprüfen. Mit der Faltungsrechnung, gegebenenfalls in Verbindung mit einer Kontrollmessung durch Vergleich mit einem Referenzsensor, steht daher ein wirkungsvolles Nachweisverfahren für das dynamische Verhalten von Koaxialshunts zur Verfügung. Damit erübrigt sich die Festlegung von Antwortparametern und deren Grenzwerte, wie sie für Stoßspannungsteiler auf Grund von Modellrechnungen für Blitz- und Schaltstoßspannungen angegeben, aber nicht immer zutreffend sind [3.27, 3.41, ].
6.1.6 Besondere Bauformen Für Anstiegszeiten unterhalb von 1 ns bzw. Frequenzen von mehr als 1 GHz kann die Länge eines Koaxialshunts nicht mehr als kurz gegenüber der Wellenlänge des Messsignals angesehen werden. Die Anordnung des Widerstandselementes und der Übergang vom Widerstand zum Messkabelanschluss muss hochfrequenzmäßig optimiert werden, um noch kürzere Anstiegszeiten zu erzielen. Extrem große Bandbreiten erzielt man mit scheibenförmigen Widerständen, wobei das Widerstandselement eine NiCr-Folie mit einer Dicke zwischen 10 μm bis 50 μm oder eine auf einer Isolierfolie aufgebrachte Graphitschicht sein kann [6.5, 6.6]. In der Anordnung nach Abb. 6.16 erfolgt der Anschluss der Stromquelle über die Koaxialleitung 1, in der sich eine ebene Welle ausbreitet, die senkrecht auf den Scheibenwiderstand 2 auftrifft. Die Isolierscheibe 3 gibt der dünnen Widerstandsfolie mechanischen Halt. Vom Innenleiter fließt der Strom radial über den Scheibenwiderstand 2 zum Außenleiter und zurück zur Stromquelle. Der Spannungsabgriff am Scheibenwiderstand erfolgt über eine Konusleitung 4, durch die der Wellenwiderstand des Anschlusses reflexionsfrei von praktisch null auf den Wellenwiderstand des bei 5 angeschlossenen Koaxialkabels ansteigt. Die Anstiegszeit des scheibenförmigen Widerstandes mit einer 15 μm dicken NiCr-Folie wird mit weniger als 0,35 ns angegeben, was der Eigenanstiegszeit des verwendeten Oszilloskops entspricht. Wegen der geringen Dicke eignen sich Scheibenwiderstände zur Messung sehr kurzer Stromimpulse mit Scheitelwerten von maximal 10 kA. Den Scheibenwiderstand gibt es auch als 50-ȍAbschlusswiderstand von Oszilloskopen mit Bandbreiten von 500 MHz und mehr. Die theoretische Betrachtung der Vorgänge beim Scheibenwiderstand führt auf dieselben Gleichungen für die Sprungantwort und die Anstiegszeit, wie sie in den Gln. (6.8) und (6.9a) für den Koaxialshunt angegeben sind.
6 Messung von Stoßströmen
195
i(t)
5 4 3 1
2
Abb. 6.16. Prinzip eines scheibenförmigen Messwiderstandes 1 koaxialer Stromleiter 2 Scheibenwiderstand 3 Isolierscheibe 4 reflexionsfreier Übergang 5 Ausgangsbuchse
Neben dem dynamischen Verhalten von Messwiderständen ist die maximale Strombelastung ein wichtiges Kriterium. Koaxialshunts für sehr hohe Stromstärken müssen bei langer Impulsdauer eine entsprechend große Wandstärke aufweisen, um die Joulsche Selbsterwärmung und die damit verbundene Widerstandsänderung zu begrenzen. Eine große Wandstärke führt jedoch wegen des Skineffekts zu deutlich längeren Anstiegszeiten. Verschiedene Varianten zur Verbesserung des Übertragungsverhaltens von Hochstromshunts finden sich in [6.7, 6.8]. Beim Reusenwiderstand ist das Widerstandsrohr durch mehrere kreisförmig angeordnete Widerstandsdrähte oder -stäbe ersetzt, wodurch ein Durchgriff des vom Messstrom erzeugten Magnetfeldes auf den Messabgriff im Innern der Reusenanordnung entsteht. In der Messschleife des Abgriffs wird dadurch eine Spannung induziert, die die Ausgangsspannung bei den höheren Frequenzanteilen anhebt. In der Sprungantwort macht sich dies durch einen steileren Anstieg und ein Überschwingen bemerkbar. Die Berechnung verschiedener Reusenwiderstände unter Berücksichtigung des Skineffekts zeigt, dass die Sprungantwort stark von der Anzahl der Stäbe bzw. Drähte abhängt. Bei größerem Überschwingen der Sprungantwort sind Anstiegszeiten im Bereich von 1 ns und teilweise negative Antwortzeiten erreichbar. Einen vergleichbaren Durchgriff des Magnetfeldes auf den Messabgriff erzielt man beim Rohrshunt, in dem ein oder mehrere Längsschlitze in den Außenzylinder, der als Rückleiter dient, angebracht werden. Aber selbst bei optimaler Dimensionierung ist der erzielte Frequenzgang unbefriedigend und muss durch aufwändige elektrische Kompensationsschaltungen entzerrt werden [1.4]. Eine andere Ausführungsvariante eines Koaxialshunts für sehr hohe Stromstärken besteht darin, dass die Zuleitung des Messabgriffs in die Wandung des Widerstandsrohres verlagert wird. Dadurch wird ein wohl definierter Teil des zeit- und
196
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
ortsabhängigen Magnetfeldes in die Messleitung eingekoppelt mit dem Ziel, den Frequenzgang des Shunts zu verbessern. Die optimale Anordnung der Messleitung im Widerstandsrohr lässt sich aus dem zeitlichen und räumlichen Verlauf des Magnetfeldes für einen Sprungstrom berechnen. In der Ausführung nach Abb. 6.17 verläuft die Messleitung 4 isoliert in einer Nut, die entsprechend dem berechneten Verlauf in das Widerstandsrohr 2 eingefräst ist. Für einen 250-kAKoaxialshunt, der bei Kurzschlussmessungen eingesetzt wird, ergibt sich dadurch eine beachtliche Verringerung der Anstiegszeit von 350 μs auf 1 μs [6.9-6.11]. i
i
5
4
3
2
1
Abb. 6.17. Querschnitt eines 250-kA-Koaxialshunts mit ideal profiliertem Messabgriff im Widerstandsrohr zur Verbesserung des dynamischen Verhaltens 1 Stromanschluss 2 Widerstandsrohr mit Nut 3 Rückleiter 4 Messabgriff, isoliert in einer Nut angeordnet 5 koaxiale Ausgangsbuchse
Bei einer einfacheren Ausführungsvariante ist das Widerstandsrohr aus mehreren Schichten einer Widerstandsfolie zusammengesetzt. Zwischen zwei der Folienschichten ist die Messleitung isoliert eingebettet. Die optimale Führung der Messleitung vom Spannungsabgriff zur Ausgangsbuchse ist wiederum berechnet. Für den geschichteten Koaxialshunt verbessert sich dadurch die Anstiegszeit von 125 ns auf 9 ns [6.12].
6.1.7 Grenzlastintegral Die hohe Energieaufnahme von Messwiderständen bei großer Stromstärke wurde bereits angesprochen. Die Erwärmung des Messwiderstandes durch einen einzelnen Stoßstrom darf näherungsweise als adiabatisch angenommen werden, da wegen der kurzen Stromflussdauer die Wärmeabfuhr an die Umgebung praktisch null ist. Unter dieser Voraussetzung und bei Vernachlässigung des Skineffektes ergibt
6 Messung von Stoßströmen
197
sich die von einem Impulsstrom i(t) im Messwiderstand R mit der Masse m und der spezifischen Wärmekapazität c in Wärme umgesetzte Energie zu: f
2 ³ i t R dt m cǻT .
(6.10)
0
Sieht man zunächst R als konstant an, folgt aus Gl. (6.10) die Temperaturerhöhung ¨T des Messwiderstandes zu: ǻT
mit:
ı ȡ c A
1
VU cA2
f
2 ³ i dt
(6.11)
0
spezifische Leitfähigkeit des Widerstandsmaterials Dichte des Widerstandsmaterials spezifische Wärmekapazität des Widerstandsmaterials Querschnitt des Widerstandes.
Für die in Frage kommenden Widerstandsmaterialien sind die Werte von ȡ und c nur geringfügig verschieden. NiCr-Legierungen haben zwar eine um den Faktor 2 bis 3 geringere Leitfähigkeit als Kupfer oder Manganin, werden aber wegen der größeren Stromeindringtiefe nach Gl. (6.7) häufig bevorzugt. Am wirkungsvollsten lässt sich die Temperaturerhöhung ¨T nach Gl. (6.11) durch Vergrößerung des Querschnitts A begrenzen. Da die Wanddicke des Widerstandsrohres wegen des Skineffektes klein bleiben soll, ist die Begrenzung von ¨T nur durch eine Vergrößerung des Rohrdurchmessers zu erreichen. Der gewünschte Widerstandswert wird mit der entsprechenden Rohrlänge erzielt. Die Temperaturerhöhung des Messwiderstandes ist entsprechend seinem Temperaturkoeffizienten mit einer Widerstandsänderung verbunden. Die Widerstandsänderung durch einen einzelnen Stoßstrom kann als reversibel angenommen werden, solange das Grenzlastintegral:
IG
f
2 ³i dt
(6.12)
0
den für den Messwiderstand angegebenen Grenzwert nicht überschreitet. Mit dem Grenzlastintegral lässt sich der zulässige Scheitelwert eines Impulsstromes für eine vorgegebene Impulsform berechnen. Beispielsweise ist ein Widerstand, dessen Grenzlastintegral vom Hersteller mit IG = 2·10 4 A2s angegeben wird, zur Messung von 1 ms langen Rechteckimpulsen bis zu einem Scheitelwert von 4,5 kA einsetzbar. Bei einer Impulsdauer von 10 ms beträgt der zulässige Scheitelwert nur noch 1,5 kA. Für einen Stoßstrom 8/20 mit dem Zeitverlauf nach Gl. (2.26a) berechnet sich der maximal zulässige Scheitelwert zu î = 63,6 kA.
198
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Das Grenzlastintegral nach Gl. (6.12) wird vom Hersteller des Messwiderstandes für eine festgelegte Übertemperatur, in der Regel ǻT = 100 K, angegeben. Damit lässt sich die maximale reversible Widerstandsänderung durch einen einzelnen Stoßstrom abschätzen. Für eine Temperaturerhöhung von ǻT = 100 K und einen angenommenen, typischen Wert des Temperaturkoeffizienten von 510-5 K-1 erhöht sich der Messwiderstand um 0,5 %. Dies ist gleichbedeutend mit einer ebenso großen Messabweichung des Scheitelwertes infolge der Temperaturerhöhung. Da sich die Nichtlinearität infolge der Widerstandsänderung auf den gesamten Zeitverlauf des Stoßstromes auswirkt, beeinflusst sie grundsätzlich auch die Stirnzeit. Der Einfluss wird hier als vernachlässigbar angenommen. Das Grenzlastintegral gilt nicht bei Belastung des Widerstandes durch kurz aufeinander folgende Stoßströme, ebenso wenig bei Dauerbelastung durch Gleichoder Wechselströme. Bei einer Stoßfolge summieren sich die Anteile der Einzelstöße zur Temperaturerhöhung, wobei aber auch Wärme wieder an die Umgebung abgegeben wird. Vorteilhaft für die Wärmeabgabe eines Koaxialshunts sind ein großer Durchmesser und eine große Länge. Nach längerer Dauer der Impulsbelastung stellt sich, solange die Widerstandsänderung infolge der Temperaturerhöhung reversibel ist, ein quasistationärer Zustand für die aufgenommene und abgegebene Wärme ein. Bei einer Dauerbelastung durch Gleich- oder Wechselstrom beträgt die zulässige Stromstärke oft weniger als 1 % des maximalen Stoßstromes.
6.2 Strommessspulen nach dem Induktionsprinzip Jeder Strom I in einem Leiter und jede Durchflutung Ĭ im Raum erzeugt ein Magnetfeld. Gemäß dem Durchflutungsgesetz ist das Linienintegral der magnetischen Feldstärke H proportional zu I und Ĭ:
³ Hds 4
I .
(6.13)
Für das einfache Beispiel eines geraden, unendlich langen Stromleiters liegen die umgebenden Feldlinien aus Symmetriegründen auf Kreisen mit dem Radius r. Das Linienintegral in Gl. (6.13) ist 2ʌr. Die magnetische Feldstärke H ergibt sich zu: H r
I . 2ʌ r
(6.14)
Das Durchflutungsgesetz gilt für Gleich- und Wechselströme. Es gilt auch dann, wenn die Permeabilität des betrachteten Raumes unterschiedliche Werte hat. Stellt man senkrecht zu einem homogenen Magnetfeld eine Messschleife mit der Fläche A, wird sie vom magnetischen Fluss ĭ durchsetzt:
6 Messung von Stoßströmen
)
³ B dA A B ȝ A H .
199
(6.15)
Hierbei sind μ = μr μ0 die Permeabilität, μ0 = 0,4 ʌ·10-6 H/m § 1,256 μH/m die magnetische Feldkonstante und μr die Permeabilitätszahl (relative Permeabilität) des durchfluteten Stoffes. Für Luft und alle unmagnetischen Stoffe ist μr = 1. Ein zeitveränderlicher Strom i(t) im Leiter 1 erzeugt ein Magnetfeld H(t), das in der offenen Messschleife gemäß dem Induktionsgesetz die Spannung: ui t
d) t dt
(6.16)
induziert (Abb. 6.18). Das negative Vorzeichen in Gl. (6.16) bedeutet, dass die induzierte Spannung ui einen Strom in der Messschleife hervorrufen will, dessen Magnetfeld dem ursprünglichen Magnetfeld H(t) entgegen wirkt.
i(t)
ui(t) H(t)
2
1 Abb. 6.18. Prinzipskizze zur Erläuterung des Durchflutungs- und Induktionsgesetzes. Der im Leiter 1 fließende Strom i(t) erzeugt die magnetische Feldstärke H(t), die in der Messschleife 2 die Spannung ui(t) induziert.
Legt man an Stelle der einfachen Messschleife eine Toroid-Spule mit N Windungen um den Stromleiter, wird die Induktionswirkung N-fach verstärkt (Abb. 6.19). Für die induzierte Spannung ergibt sich mit den Gln. (6.15) und (6.13): ui t
N
d) dt
M
di , dt
(6.17)
wobei M die Gegeninduktivität zwischen der Messspule und dem Stromleiter ist. Auf Angabe des negativen Vorzeichens in Gl. (6.17) wird verzichtet. Messspulen
200
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
sind teilweise mit einem Zeichen versehen, das die Stromrichtung des durchgesteckten Leiters für eine positive Ausgangsspannung angibt. Die ideale Toroidspule mit einem mittleren Spulenumfang lm gleich der eingeschlossenen Feldlinienlänge hat die Gegeninduktivität: M
PNA lm
.
(6.18)
Gemäß Gl. (6.17) ist die induzierte Spannung ui(t) am Ausgang der Messspule der zeitlichen Änderung des zu messenden Stromes proportional. Die Ausgangsspannung muss daher über der Zeit integriert werden, um den gesuchten Strom i(t) zu erhalten: it
1 f ³ ui t dt . M 0
(6.19)
Grundsätzlich unterscheidet man zwischen Strommessspulen mit und ohne Magnetkern, wovon die Größe von M maßgeblich abhängt. Da die Induktionswirkung nur für zeitveränderliche Messgrößen besteht, lassen sich mit Messspulen keine Gleichströme messen. Besondere Bauformen mit Magnetkern, zusätzlichen Hilfswicklungen und einem Elektronikmodul ermöglichen jedoch auch die Messung von Gleich- und langsam veränderlichen Wechselströmen (s. Kap. 6.2.3).
i(t)
H(t)
ui(t)
Abb. 6.19. Induzierte Spannung u i (t) am Ausgang einer torusförmigen Spule mit N Windungen durch das vom Strom i(t) erzeugte Magnetfeld H(t)
6 Messung von Stoßströmen
201
In der praktischen Ausführung einer Spulenwicklung wird das eine Drahtende in Gegenrichtung durch die Spulenwindungen zum anderen Ende der Wicklung zurückgeführt, um den Störeinfluss äußerer Magnetfelder zu reduzieren. Anstelle der Rückführung des Drahtes kann auch eine zweite Wicklung mit entgegen gesetzter Wickelrichtung aufgebracht sein. Zur Schirmung gegen elektrische Felder wird die Messspule mit einem geschlitzten Torusschirm umgeben, gelegentlich auch mit zwei Schirmen, wobei der umlaufende Längsschlitz das Eindringen des mit dem Messstrom verbundenen Magnetfeldes ermöglicht. Die Integration der induzierten Spannung ui nach Gl. (6.19) wird häufig mit passiven oder aktiven Schaltungen erzielt. Die passive Integration mit dem RLGlied ist besonders einfach zu realisieren, da die Selbstinduktivität L der Messspule zur Integration herangezogen wird. Im Ersatzschaltbild liegt der Widerstand R zwischen den Ausgangsklemmen, an dem die Ausgangsspannung um abgegriffen wird (Abb. 6.20a). Durch die Integration mit dem RL-Glied ist um dem Strom direkt proportional. Häufig ist R bereits in die Strommessspule eingebaut und dem Wellenwiderstand des Koaxialkabels zum Messgerät angepasst. In einer anderen passiven Integrierschaltung ist der Messspule ein RC-Glied nachgeschaltet, und die dem Messstrom proportionale Spannung um wird am Kondensator C abgegriffen (Abb. 6.20b). Der Dämpfungswiderstand Rd in Abb. 6.20b hat die Aufgabe, hochfrequente Eigenschwingungen der Messspule zu bedämpfen. a) 1 L
ui
R
C0
um
b) 1
L
R ui
C0
Rd
C
Abb. 6.20. Ersatzschaltbild der Messspule 1 mit passiver Integrierschaltung a) Integration mit Selbstinduktivität L und Widerstand R b) Integration mit Kondensator C und Widerstand R
um
202
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Aktive Integrierschaltungen bestehen aus mehr oder weniger aufwändig gebauten Operationsverstärkern mit kapazitiver Rückkopplung, womit je nach Verstärkung untere Grenzfrequenzen von deutlich weniger als 1 Hz erzielt werden. Eher selten findet man in der Messpraxis die Integration der Spulenausgangsspannung mit numerischen Rechenverfahren, auf die in Kap. 6.2.1 eingegangen wird. Die passive RL-Integration nach Abb. 6.20a findet man vor allem bei Messspulen mit Magnetkern. Wegen der großen relativen Permeabilität μr ist gewährleistet, dass die in der Messspule induzierte Spannung ui – und damit auch die nach Integration gewonnene Ausgangsspannung um – im unteren Frequenzbereich von einigen Hertz noch ausreichend groß ist. Sie sind daher zur Messung niederfrequenter Signale geeignet. Messspulen ohne Magnetkern werden vorwiegend mit aktiven Integrierschaltungen betrieben. Passive Integrierschaltungen sind nur für Sonderbauformen zur Messung extrem hochfrequenter Stromsignale ausreichend. Das dynamische Verhalten der Messspulen wird vorzugsweise durch die Sprungantwort charakterisiert. Als Sprunggenerator werden die gleichen Schaltungen wie bei Stoßspannungsteilern und Messwiderständen eingesetzt (s. Kap. 3.7.4). In der vereinfachten Anordnung nach Abb. 6.21 wird vom Ausgang des Sprunggenerators 1 ein Stromleiter konzentrisch durch die Öffnung der Messspule 2 geführt und über den breitbandigen Widerstand R = 50 ȍ mit der Kupferfolie 3, die als induktionsarmer Rückleiter zum Sprunggenerator dient, verbunden. Über den Stromleiter in der Spulenöffnung fließt zunächst ein Gleichstrom, der beim Schließen des Schalters S schlagartig unterbrochen wird. Für die Messspule wirkt sich dies wie ein negativer Sprungstrom aus, dessen Amplitude bei Verwendung eines mit Quecksilber benetzten Reed-Kontaktes maximal 1 A bis 2 A beträgt. Die Sprungantwort der Messspule bzw. deren Ableitung wird dem Recorder 4 direkt oder bei geringer Amplitudenaussteuerung über einen Vorverstärker zugeführt. Der Eingangswiderstand Re ist gleich dem Wellenwiderstand Z des Messkabels. Eine symmetrische Anordnung zur Messung der Sprungantwort von extrem breitbandigen Messspulen in einer koaxialen TEM-Zelle ist in [6.13] beschrieben. Zur einfachen Kennzeichnung des dynamischen Verhaltens von Messspulen wird entweder die Anstiegszeit der Sprungantwort oder die daraus berechnete Bandbreite bzw. obere Grenzfrequenz angegeben (s. Kap. 3.5). Bei ausreichend langer Aufzeichnungsdauer erkennt man, dass die Sprungantwort mit der Zeit abnimmt und gegen null strebt. Dies entspricht dem begrenzten Übertragungsverhalten der Messspulen im unteren Frequenzbereich. Dieser Nachteil spielt bei der Messung von Exponential-Stoßströmen mit Zeitparametern im Bereich von 1 μs keine Rolle, muss aber bei langen Rechteck-Stoßströmen und bei Kurzschlussströmen mit überlagertem Gleichstromanteil berücksichtigt werden. Hersteller von Strommessspulen geben in der Regel den Amplitudenabfall an, der als prozentualer Abfall der Sprungantwort nach 1 μs oder 1 s definiert ist. Mit dem Amplitudenabfall lässt sich abschätzen, ob die Messspule zur Messung eines niederfrequenten Stromimpulses innerhalb der zulässigen Fehlergrenzen geeignet ist. Genauere Kenntnis hierüber erhält man durch eine Frequenzgangmessung im unteren Frequenzbereich. Eine untere Grenzfrequenz von weniger als 0,2 Hz wird als ausreichend zur Messung von Kurzschlussströmen angesehen [1.24].
6 Messung von Stoßströmen
2
Rv
U
S
1
203
4
R
3
Z Re
Abb. 6.21. Prinzip der Messschaltung zur Aufzeichnung der Sprungantwort einer Messspule 1 Sprunggenerator 2 Messspule mit Integrator 3 Flächenleiter als Stromrückleiter 4 Digitalrecorder mit Eingangswiderstand Re = Z
Die galvanische Trennung der Messspule vom Primärstromkreis ermöglicht die potenzialfreie Messung an beliebiger Stelle des Stromkreises, was bei vielen Messaufgaben von Vorteil ist. Liegt der Stromleiter auf Hochspannungspotenzial, muss die Messspule einschließlich des Messkabels zum Recorder durch besondere Maßnahmen gegen das hohe elektrische Feld und die Gefahr eines Überschlags geschützt sein. Anstelle des Messkabels wird dann eher ein Lichtwellenleiter (LWL) mit optoelektronischem Sender auf der Hochspannungsseite und entsprechendem Empfänger auf der Niederspannungsseite benutzt. Die Signalübertragung erfolgt hierbei entweder analog oder digital über einen Analog-Digitalwandler. Diese Technik wird inzwischen bei Messwandlern im Energieversorgungsnetz für Mess- und Schutzzwecke eingesetzt [6.14, 6.15]. Neben dem netzfrequenten Wechselstrom sollen mit der Messspule auch transiente Störungen erfasst werden. Die Stromversorgung der Elektronik lässt sich mit Hilfe leistungsstarker Laserdioden bis zu einigen 100 mW ebenfalls über LWL-Kabel auf Hochspannungspotenzial bringen [6.16]. Eine weitere Möglichkeit bietet die Messdatenübertragung über Funk in Verbindung mit einer GPS-basierten zeitlichen Zuordnung von Strömen und Spannungen, um die Phasenverschiebung zwischen den an verschiedenen Standorten auftretenden Messgrößen erfassen zu können [6.17]. Die Messspule wird in ihrer Wirkungsweise gelegentlich mit dem im Versorgungsnetz für Messzwecke eingesetzten Stromwandler auf eine Stufe gestellt. Sie unterscheiden sich jedoch auf Grund ihrer äußeren Beschaltung deutlich voneinander [1.2]. Das Induktionsgesetz nach Gl. (6.17) gilt bei unbelastetem Ausgang der Messspule, und die induzierte Spannung ui ist der Ableitung des Primärstromes proportional. Der Stromwandler wird dagegen praktisch im Kurzschluss betrieben, d. h. ui § 0, und der Sekundärstrom des Stromwandlers ist entsprechend dem Windungsverhältnis dem Primärstrom proportional. Der kurzgeschlossene
204
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Stromwandler benötigt daher anders als die leer laufende Induktionsspule keinen Integrator, um eine dem Primärstrom proportionale Messgröße zu erhalten. 6.2.1 Rogowski-Spule Die Rogowski-Spule ist eine Toroidspule ohne Magnetkern, die seit rund einem Jahrhundert zur potenzialfreien Messung von Wechsel- und Impulsströmen eingesetzt wird. In der ursprünglichen Form der Rogowski-Spule sind die Windungen um einen flexiblen Pressspanstreifen gewickelt, der zur Messung um den Stromleiter gelegt wird [6.18]. Die ständige Weiterentwicklung von Rogowski-Spulen ermöglicht ihren Einsatz für viele Messaufgaben in der Energietechnik und Impulsphysik. Je nach Bauart lassen sich kleinste Ströme mit Anstiegszeiten im Nanosekundenbereich oder größte netzfrequente Kurzschlussströme messen [6.196.22]. Neben festen Rogowski-Spulen in geschlossener Ringform gibt es Bauformen, die aus zwei Hälften mit getrennten Wicklungen bestehen. Sie lassen sich leicht öffnen, um den Stromleiter legen und wieder schließen, ohne dass der Prüfaufbau verändert werden muss (Abb. 6.22a). Bei optimaler Ausführung der Schließvorrichtung ist die Reproduzierbarkeit von Strommessungen besser als 0,1 %. Bei einer anderen Bauform ist die Wicklung in Zickzackform auf einer beidseitig bedruckten Platine ausgeführt. Sehr praktisch sind biegsame Rogowski-Spulen mit leicht zu öffnendem Spulenkörper, den man bequem um den Stromleiter legen kann. Die Reproduzierbarkeit dieser Bauart liegt bei 1 %. Die flexible RogowskiSpule in Abb. 6.22b ist über ein längeres Messkabel direkt mit einem handlichen batteriebetriebenen Integrator verbunden, dessen Ausgangsspannung von einem Digitalrecorder für die weitere Datenauswertung aufgezeichnet werden kann. a)
b)
Abb. 6.22. Verschiedene Ausführungen von Rogowski-Spulen a) Rogowski-Spule mit zwei festen Wicklungshälften (Foto: PTB) b) Flexible Rogowski-Spule mit Schraubverschluss und elektronischem Integrator (PEM)
6 Messung von Stoßströmen
205
Rogowski-Spulen zeichnen sich in der Regel durch eine geringe Nichtlinearität aus. Voraussetzung hierfür ist, dass die zeitliche Stromänderung di/dt den vom Hersteller angegebenen Grenzwert nicht überschreitet und dass keine Verformung der Spule durch die magnetischen Kräfte des zu messenden Stromes auftritt. Für die insgesamt erzielbare Messgenauigkeit einer Rogowski-Spule ist die Gleichmäßigkeit und Festigkeit der Wicklung entscheidend. Eine mit hoher Präzision auf einem stabilen (unmagnetischen) Ringkern gewickelte Rogowski-Spule zeigt nur eine geringe Abhängigkeit von der Lage des Stromleiters im Spulenfenster oder des Rückleiters außerhalb der Spule. Die gleiche Aussage gilt für eine RogowskiSpule, die auf zwei festen Kernhälften gewickelt ist. Die Änderungen įui der induzierten Ausgangsspannung bei zentrischer und exzentrischer Positionierung des Stromleiters liegen innerhalb von ±0,1 % (Bild 6.23). Diese Lageabhängigkeit hat praktisch keinen Einfluss auf die Strommessung im Rahmen der angestrebten Messunsicherheit im Prozentbereich. Dagegen weisen flexible Rogowski-Spulen mit Schließmechanismus eine deutlich größere Lageabhängigkeit von 1 % bis 2 % auf [6.23]. Für reproduzierbare Messungen mit flexiblen Rogowski-Spulen ist daher eine stets zentrische Lage des Stromleiters empfehlenswert. a) 0.1
% 0.05
įui 0 0
45
90
135
180
225
270
315
360
-0.05
Drehwinkel ȕ
b)
Abb. 6.23. Einfluss der Position des Stromleiters im Fenster einer Rogowski-Präzisionsspule a) Änderung įui der induzierten Ausgangsspannung in Abhängigkeit von der Lage des exzentrisch angeordneten Stromleiters b) Skizze zur Erläuterung des Drehwinkels ȕ bei der Untersuchung der Lageabhängigkeit
Die induzierte Ausgangsspannung einer Rogowski-Spule muss integriert werden, um den gesuchten Zeitverlauf des Stromes gemäß Gl. (6.19) zu erhalten. Passive Integrierschaltungen nach Abb. 6.20 eignen sich nur, wenn die RogowskiSpule speziell zur Messung sehr kurzer Stromimpulse mit Frequenzanteilen von mehr als 1 kHz konstruiert ist. Mit elektronischen Integrierschaltungen lassen sich auf Grund der hohen Verstärkung auch langsam veränderliche Stromimpulse mit
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Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Frequenzanteilen von 1 Hz und weniger messen. Passive oder elektronische Integrierschaltungen sind Komponenten des gesamten Strommesssystems und tragen neben der Rogowski-Spule zur Messunsicherheit bei. Numerische Integrationsverfahren werden eher selten angewandt, obwohl sie eine Reihe von Vorteilen aufweisen. Hierbei wird die induzierte Ausgangsspannung ui(t) der Rogowski-Spule nach Gl. (6.17) mit einem Digitalrecorder aufgezeichnet und steht damit als Datensatz für die numerische Integration zur Verfügung. Dadurch, dass der analoge elektronische Integrator entfallen kann, stellt die numerische Integration eine preisgünstige Alternative dar, die außerdem genauere Ergebnisse zu liefern vermag. Der Digitalrecorder und der PC werden nicht zusätzlich für die numerische Integration benötigt, da sie in der Regel auch bei Verwendung eines analogen Integrators für die anschließende Signalaufzeichnung und Datenauswertung gebraucht werden. Als Rechenalgorithmus für die numerische Integration von Gl. (6.19) bietet sich die Trapezregel an, die auch in kommerzieller Software für allgemeine Datenerfassung und -auswertung häufig implementiert ist. Bei genügend großer Anzahl von Abtastwerten ist dieser Rechenalgorithmus im Bereich der für das vollständige Messsystem angestrebten Messunsicherheit von 0,1 % bis 1 % nahezu fehlerfrei. Als Anwendungsbeispiel zeigt Abb. 6.24 die mit einem Digitalrecorder gemessene Ausgangsspannung ui(t) einer Rogowski-Spule und den durch numerische Integration von ui(t) gewonnenen Verlauf i(t) des Stoßstromes 8/20 in normierter Darstellung [6.23].
1
ui
ui, i
i
0.5
0 0
10
20
30
μs
40
-0.5
t Abb. 6.24. Anwendungsbeispiel der numerischen Integration für einen Stoßstrom 8/20 ui: induzierte Ausgangsspannung der Rogowski-Spule i: durch numerische Integration von ui gewonnener Stromverlauf
Bei Anwendung der numerischen Integration ist zu berücksichtigen, dass die induzierte Ausgangsspannung der Rogowski-Spule ein differenziertes Signal darstellt und damit höhere Ansprüche an die Abtastrate und Bandbreite des aufzeichnenden Digitalrecorders stellt als der Stromimpuls selbst. Dies betrifft insbesondere die Sprungantwort von Rogowski-Spulen (Abb. 6.25). Die untersuchte Rogowski-Spule ist speziell zur Messung sehr großer Wechsel- und Kurzschlussströme konzipiert und weist daher einen inneren Durchmesser von 30 cm auf.
6 Messung von Stoßströmen
207
Wegen der großen Abmessungen der Messspule zeigt die durch numerische Integration von ui(t) gewonnene Sprungantwort g(t) eine verhältnismäßig große Anstiegszeit von 0,8 μs. Dieser Wert ist jedoch nicht typisch für Rogowski-Spulen; mit kleineren Rogowski-Spulen lassen sich weit kürzere Anstiegszeiten im Nanosekundenbereich erzielen. 1.25
g
1
ui
ui, g 0.75
0.5 0.25 0 -0.25
0
5
10
μs
15
t
Abb. 6.25. Anwendungsbeispiel der numerischen Integration für die Sprungantwort ui: induzierte Ausgangsspannung der Rogowski-Spule g: durch numerische Integration von ui gewonnene Sprungantwort
Die maximal zulässige Stromstärke, die mit einer Rogowski-Spule gemessen werden kann, ist bestimmt durch den zulässigen Grenzwert ui,max der induzierten Spannung. Um eine Überbeanspruchung der Isolation von Windungen und Zuleitungen zu vermeiden, sollte ui,max auf 500 V begrenzt sein. Für einen reinen Sinusstrom mit der Amplitude î ergibt sich mit Gl. (6.17) die induzierte Spannung zu: ʌ· § ui t Z M î sin ¨ Z t ¸ . 2¹ ©
(6.20)
Demnach verläuft die induzierte Spannung ui(t) ebenfalls sinusförmig mit einer integrationsbedingten Phasenverschiebung von ʌ/2 und einer frequenzabhängigen Amplitude ûi = ȦM î. Beträgt die zulässige Isolationsspannung ui,max = 300 V, lässt sich die Rogowski-Spule mit einer Gegeninduktivität M = 1 μH zur Messung netzfrequenter Wechselströme von bis zu 1 MA einsetzen. Deutlich kleinere Grenzwerte ergeben sich für Stoßströme, die wegen der großen (di/dt)-Werte in der Stirn bereits bei relativ niedrigen Stromstärken große Spannungen induzieren. Wird di/dt näherungsweise als Quotient des Scheitelwertes î und der Stirnzeit T1 ausgedrückt, folgt aus Gl. (6.17) für den maximal zulässigen Scheitelwert îmax des zu messenden Stoßstromes: î max |
T1 û i, max M
(6.21)
208
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
mit ûi,max als Grenzwert der induzierten Spannung. Danach darf für eine Rogowski-Spule mit M = 1 μH und ûi,max = 300·¥2 V der Scheitelwert eines Stoßstromes 8/20 nicht größer als îmax = 3,4 kA sein. Rogowski-Spulen zur Messung von Stoßströmen werden mit deutlich kleineren Gegeninduktivitäten als 1 μH hergestellt. Die Gegeninduktivität M einer Rogowski-Spule lässt sich entsprechend Gl. (6.20) durch Messung der von einem Sinusstrom induzierten Spannung bestimmen. Die Frequenz des Messstromes muss deutlich über der unteren Grenzfrequenz f1 der Messspule liegen. Beträgt f1 weniger als 1 Hz, kann M durch Vergleich mit einem Normalstromwandler bei netzfrequentem Wechselstrom mit ausreichender Genauigkeit ermittelt werden. Da Gl. (6.20) nur für sinusförmige Wechselströme gilt, muss eine Verfälschung des Messergebnisses durch höhere Harmonische im Prüfstrom vermieden werden. Messwandlermesseinrichtungen, die nur die Grundschwingung des Wechselstromes auswerten, sind für die Vergleichsmessung in Verbindung mit einem Normalstromwandler gut geeignet. Mit Rogowski-Spulen in besonderer Ausführung lassen sich sehr schnellveränderliche Ströme erfassen. Zur Vermeidung unerwünschter Störeinkopplungen durch externe elektrische Felder umgibt man die Spule mit einem geschlitzten Metallschirm (s. Kap. 6.2). Die Optimierung des Schirms, der die Bandbreite der Rogowski-Spule reduziert, wird in [6.24] behandelt. Bei Anstiegszeiten im Nanosekundenbereich ist die Signallaufzeit in der Spule gegenüber der Signalanstiegszeit vergleichsweise lang. Die „elektrisch lange“ Rogowski-Spule kann dann nicht mehr einfach als konzentrierte Induktivität angesehen werden, sondern wird im Ersatzschaltbild als Verzögerungsleitung mit verteilten Elementen und definierter Signallaufzeit dargestellt. Durch das schnellveränderliche Magnetfeld werden in den einzelnen Spulenwindungen entsprechende Teilspannungen induziert, die annähernd gleichzeitig mit gleich großer Amplitude auftreten. Sie lassen sich im Ersatzschaltbild durch verteilte Spannungs- oder Stromquellen darstellen. Die kapazitive Kopplung zwischen den Spulenwindungen und dem umgebenden elektrischen Schirm wird durch Querkapazitäten berücksichtigt. Für schnellveränderliche Stromimpulse wirkt die Rogowski-Spule in Verbindung mit dem Schirm als Wanderwellenleitung mit dem Wellenwiderstand Z. Theoretisch und experimentell lassen sich je nach Beschaltung der RogowskiSpule an den Wicklungsenden unterschiedliche Wanderwellenvorgänge nachweisen. Besonders günstige Messbedingungen liegen vor, wenn die Rogowski-Spule an dem einen Ende direkt und am anderen Ende über einen niederohmigen Messund Integrationswiderstand Rm « Z mit dem Schirm verbunden ist. Die bei einem Stromsprung induzierten Teilspannungen der einzelnen Windungen rufen in der Rogowski-Spule zwei gegenläufige Stromwanderwellen hervor, die an den Wicklungsenden reflektiert werden und an Rm einen dem Stromsprung proportionalen Spannungssprung verursachen. Wegen Rm 0 ist der Reflexionsfaktor r < 1, so dass die Spannungsamplitude nach jeweils der doppelten Laufzeit der RogowskiSpule stufig abnimmt. Der treppenförmige Spannungsverlauf stimmt mit der Betrachtungsweise für langsame Vorgänge überein. Hierbei wird die „elektrisch kurze“ Rogowski-Spule durch konzentrierte Elemente beschrieben, die zu einem exponentiellen Spannungsabfall mit der Zeitkonstante L/R führen [6.25, 6.26].
6 Messung von Stoßströmen
209
6.2.2 Strommessspule mit Magnetkern Die Weiterentwicklung magnetischer Werkstoffe mit ausgezeichnetem Frequenzgang der Permeabilität und niedrigen Wirbelstromverlusten ermöglicht bereits seit einigen Jahrzehnten die Herstellung von sehr breitbandigen Strommessspulen mit Eisen- oder Ferritkern [6.27, 6.28]. Wegen der großen Permeabilitätszahl des Magnetkerns sind die Gegeninduktivität M und damit die induzierte Spannung ui(t) nach Gl. (6.17) wesentlich größer als bei der eisenlosen Rogowski-Spule. Die Integration von ui(t) erfolgt nach Abb. 6.20a vorzugsweise durch ein internes LR-Glied mit der Selbstinduktivität L und einem Widerstand R, der dem Wellenwiderstand Z = 50 ȍ des anzuschließenden Koaxialkabels entspricht. Da das Integrierglied sich direkt in der Spule befindet, kann fälschlicherweise der Eindruck entstehen, dass die Spule ohne Integrationseinheit funktioniert. Als Beispiel zeigt Abb. 6.26 eine Messspule mit zwei Wicklungs- und Magnetkernhälften, die sich im geöffneten Zustand leicht um einen Stromleiter anbringen und durch die Spannvorrichtung wieder zusammenfügen lässt. Die Ausgangsspannung der Messspule ist durch das interne RL-Integrierglied dem Messstrom proportional und wird über das Messkabel direkt oder über einen Abschwächer dem Digitalrecorder zur Aufzeichnung zugeführt.
Abb. 6.26. Breitbandige Messspule mit Magnetkern und internem Integrierglied in der Ausführung mit zwei Wicklungs- und Magnetkernhälften, die sich leicht öffnen und wieder schließen lassen (Pearson)
Die Bemessungsstromstärke von Messspulen mit Magnetkern kann je nach Bauform bis zu 500 kA für Impulsströme betragen. Außer für den Scheitelwert sind vom Hersteller auch Grenzwerte für das Produkt aus Scheitelwert und Dauer eines Rechteckstromes festgelegt. Mit zunehmender Impulsdauer nimmt der zulässige Scheitelwert ab. Die maximale Dauerbelastung durch netzfrequente Wechselströme beträgt in der Regel nur einige Prozent der zulässigen Impulsbelastung. Die große Permeabilität des Magnetkerns ermöglicht einerseits untere Grenzfrequenzen von weniger als 1 Hz, andererseits lassen sich obere Grenzfrequenzen von mehr als 100 MHz erzielen. Abb. 6.27 zeigt die Sprungantwort g(t) einer breitbandigen 5-kA-Messspule mit Magnetkern und internem Integrierglied in drei
210
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Zeitbereichen [6.29]. Die Auswertung der Sprungantwort bis 150 ns liefert eine Antwortzeit von 8 ns und Beruhigungszeit von 30 ns (Abb. 6.27a). Im weiteren Verlauf bleibt die Sprungantwort bis 0,5 ms annähernd konstant mit Abweichungen innerhalb von ±1 % (Abb. 6.27b) und fällt nach 91 ms auf 70 % des Anfangswertes ab (Abb. 6.27c). Die obere Grenzfrequenz ergibt sich aus der Anstiegszeit der Sprungantwort zu 25 MHz, die untere Grenzfrequenz aus einer Frequenzgangmessung zu 1 Hz. Mit dem Magnetkern der Messspule sind die bekannten Nachteile wie Nichtlinearität, Polaritätseinfluss, Remanenz, Kernsättigung durch Gleichströme usw. verbunden, die jedoch für den vorgesehenen Einsatz und die angestrebte Messunsicherheit im Prozentbereich in der Regel vernachlässigt oder durch Kalibrierung reduziert werden können.
a)
1
0,5 g(t) 0
50
100
ns
150
t
b) 1 0,5 g(t) 0
0,1
0,2
0,3
0,4
ms 0,5
t
c) 1 0,5 g(t) 0
100
200
300
400 ms 500 t
Abb. 6.27. Sprungantwort einer breitbandigen 5-kA-Messspule mit Magnetkern für unterschiedlich lange Aufzeichnungszeiten a) Aufzeichnung bis 150 ns b) Aufzeichnung bis 0,5 ms c) Aufzeichnung bis 500 ms
Bei entsprechender Ausführung der Messspulen mit Ferritkernen lassen sich Impulsströme mit Frequenzanteilen oberhalb von 1 GHz bzw. mit Anstiegszeiten
6 Messung von Stoßströmen
211
von weniger als 1 ns messen. Die Messspulen sind wie Rogowski-Spulen gegen äußere elektrische Felder geschirmt, während das Magnetfeld durch einen Längsschlitz im Schirm auf die Spulenwicklung einwirken kann. Zur Dämpfung höherfrequenter Schwingungen dienen interne Dämpfungswiderstände, die zwischen einem Teil der Spulenwindungen und dem äußeren Schirm geschaltet sind [6.27]. 6.2.3 Gleichstromwandler Mit Gleichstromwandlern können sowohl Wechsel- oder Impulsströme als auch Gleichströme gemessen werden. Der Gleichstromwandler arbeitet nach dem Nullfluss-Prinzip als kompensierter Stromwandler [6.30, 6.31]. Er besteht aus drei Magnetkernen, einer gemeinsamen Sekundärwicklung, verschiedenen Hilfswicklungen und einem Elektronikmodul mit Nullflussdetektor (Abb. 6.28). Der Wandler ist in der Regel als Ringkernwandler ausgeführt, durch dessen Öffnung der Primärleiter (in Abb. 6.28 als Wicklung dargestellt) geführt wird. Durch den Primärstrom ip wird in den drei Magnetkernen ein Magnetfeld erzeugt, das mit Hilfe des Kompensationsstromes ik in der Wicklung W2 kompensiert wird. Hierzu werden den beiden Eingängen des Operationsverstärkers OP die AC- und DC-Anteile des Messsignals getrennt zugeführt. Während der AC-Anteil iAC transformatorisch in der Hilfswicklung W1 erzeugt wird, entsteht der DC-Anteil iDC einschließlich der niederfrequenten Stromanteile mit Hilfe des Elektronikmoduls.
W4 NullflussDetektor
ip W3
ip
iDC
ik
W2
W1
+ _ Rm
iAC
OP
Abb. 6.28. Prinzipschaltbild eines Gleichstromwandlers mit Nullflussdetektor. Der Kompensationsstrom ik erzeugt am Messwiderstand Rm eine dem Primärstrom ip proportionale Spannung.
Ein Oszillator treibt zunächst über die symmetrischen Hilfswicklungen W3 und W4 die beiden anderen Magnetkerne in entgegen gesetzter Flussrichtung in die
212
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Sättigung, wodurch der resultierende Fluss im Hauptkern gleich null wird. Enthält nun der Primärstrom einen DC-Anteil, erzeugt dieser einen entsprechenden Fluss in den beiden Kernen, der dazu führt, dass sich die Kerne nicht mehr im gleichen Sättigungszustand befinden. Die Ströme durch W3 und W4 sind dann nicht mehr identisch und ihre Differenz ist proportional zum DC-Strom des Primärleiters. Der dem DC-Anteil proportionale Strom wird dem positiven Eingang des Operationsverstärkers OP zugeführt. Der resultierende Kompensationsstrom ik mit den DCund AC-Anteilen ist daher ein maßstabsgetreues, galvanisch getrenntes Abbild des Primärstromes. Der hierzu proportionale Spannungsabfall am Messwiderstand Rm lässt sich mit einem Digitalrecorder aufzeichnen und auswerten. Die Auflösung des Gleichstromwandlers mit Elektronikmodul nach Abb. 6.28 ist durch das Nullfluss-Prinzip sehr hoch und ermöglicht Strommessungen mit einer relativen Messunsicherheit im Bereich von einigen 10-6. Je nach Ausführung des Gleichstromwandlers sind Bandbreiten von bis zu 500 kHz bei Stromstärken von maximal 5 kA und von bis zu 10 kHz bei maximal 25 kA erreichbar. Auf Grund der geringen Messunsicherheit eignet sich der Gleichstromwandler besonders gut zur genauen Kalibrierung anderer Strommesssysteme bis zu den genannten Stromstärken und Frequenzen. 6.2.4 Magnetfeldsensor Wird die Rogowski-Spule auf eine einzelne Windung reduziert, erhält man die in Abb. 6.18 gezeigte Induktionsschleife 2. Bei entsprechend kleinen Abmessungen eignet sie sich besonders gut als Sensor zur Messung schnell veränderlicher Magnetfelder in räumlich begrenzter Umgebung. Die zur Induktionsschleife senkrechte Komponente des Magnetfeldes induziert am Ausgang des Sensors eine Spannung ui, die entsprechend dem Induktionsgesetz nach Gl. (6.16) der zeitlichen Änderung des Magnetfeldes proportional ist. Die magnetische Feldstärke ergibt sich durch Integration dieser Ausgangsspannung. Durch eine Kalibrierung des Sensors am Einbauort kann der Strom, der nach dem Durchflutungsgesetz das Magnetfeld erzeugt, bestimmt werden. Induktionsschleifen sind häufig in gasisolierten Schaltanlagen und leistungsstarken Pulsgeneratoren eingebaut. Abb. 6.29 zeigt schematisch drei mögliche Einbauvarianten der Induktionsschleife in der Außenwand einer gasisolierten Leitung. Neben der einfachsten Anordnung A in Abb. 6.29 wird die Messschleife zur Unterdrückung von Störeinflüssen auch erdsymmetrisch ausgeführt (B in Abb. 6.29) oder in einer Nut oder Ausfräsung des Rohrleiters angeordnet (C in Abb. 6.29). Die Messschleife kann dabei so ausgeführt sein, dass sie weitgehend gegen die Einwirkung elektrischer Felder geschirmt ist [6.26, 6.32]. Die Induktionsschleife lässt sich im vereinfachten Ersatzschaltkreis durch ihre Selbstinduktivität L, eine Spannungsquelle und einen Last- und Messwiderstand R darstellen (Abb. 6.20a). Die Größe der Zeitkonstante L/R im Vergleich zur Dauer und Anstiegszeit des Messsignals bestimmt die Art der Integration. Handelt es sich um sehr hochfrequente Magnetfelder und ist L/R verhältnismäßig groß, also R
6 Messung von Stoßströmen
213
sehr klein, wirkt der Messkreis integrierend und zeigt eine der magnetischen Feldstärke proportionale Messgröße an. Die obere Grenzfrequenz wird hierbei durch Streukapazitäten der Messschleife und des Schaltkreises bestimmt. Für niederfrequente Magnetfelder ist L/R verhältnismäßig klein und der Messkreis wirkt differenzierend, so dass ein elektronischer Integrationsverstärker erforderlich ist, um eine der magnetischen Feldstärke proportionale Anzeige zu erhalten.
i(t) 1
A
B
C
2
Abb. 6.29. Drei verschiedene Ausführungen A, B und C von Induktionsschleifen zur Erfassung schnellveränderlicher Magnetfelder in einer gasisolierten Leitung (Prinzip) 1 Innenleiter 2 Außenleiter mit drei Beispielen von Induktionsschleifen
Dreidimensionale Magnetfelder im freien Raum lassen sich mit einem kugelförmigen Sensor potenzialfrei messen. Auf der Metallkugel sind drei Induktionsschleifen orthogonal zu den drei Raumachsen ausgerichtet [6.33]. Die batteriebetriebene Elektronik ist im Kugelinnern auf engstem Raum untergebracht. Der elektronische Integrationsverstärker selbst hat eine 3-dB-Bandbreite von 30 Hz bis 10 MHz. Darüber hinaus wirkt die Messschleife selbstintegrierend bis zu einer oberen Grenzfrequenz von 300 MHz. Das analoge Ausgangssignal wird optisch über Lichtwellenleiter dem Empfänger auf Erdpotenzial zur weiteren Auswertung zugeführt. Die gemessenen Feldverläufe in der Nähe der Durchführung eines Leistungstransformators bei Schaltvorgängen, der Kabeldurchführung einer gasisolierten Anlage beim Trennerschalten und eines Ableiters bei Stoßstromprüfungen zeigen den weiten Einsatz- und Frequenzbereich der Messeinrichtung.
6.3 Stromsensor mit Hall-Sonde Stromsensoren dieser Art nutzen den Hall-Effekt aus, der durch bewegte Ladungsträger in einem Magnetfeld auf Grund der Lorentz-Kraft hervorgerufen wird. Befindet sich ein leitendes oder halbleitendes Plättchen der Dicke d in einem dazu senkrechten Magnetfeld mit der Induktion B und wird von einem Steuerstrom Is
214
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
durchflossen, werden die Elektronen senkrecht zur ursprünglichen Stromrichtung und senkrecht zum Magnetfeld ausgelenkt (Abb. 6.30). Infolge der Ladungsverschiebung wird an den Außenkanten des Plättchens die Hall-Spannung uH erzeugt: uH
RH
Is B . d
(6.22)
Der Hall-Koeffizient RH ist umgekehrt proportional zur Ladungsträgerkonzentration ne des Plättchenmaterials und zur Elementarladung e0. Für metallische Leiter mit hoher Ladungsträgerkonzentration ist RH und damit uH relativ klein. Erst der Einsatz von Halbleitern mit um Größenordnungen kleineren Ladungsträgerkonzentrationen und damit höheren Werten von RH hat zu einer breiten Anwendung des Hall-Effekts geführt. Durch Aufdampfen sehr dünner Halbleiterschichten auf ein Trägermaterial wird die wirksame Plättchendicke d klein gehalten. Der HallEffekt tritt sowohl bei Gleich- als auch Wechselfeldern auf. B Is uH ~ B d
Abb. 6.30. Prinzip des Hall-Effekts. Die Hall-Spannung uH wird beim Durchgang des Stromes Is durch ein Halbleiter-Plättchen unter Einwirkung eines Magnetfeldes B erzeugt.
Das Grundprinzip eines auf dem Hall-Effekt basierenden Stromsensors wird an Hand von Abb. 6.31 erläutert. Der Stromleiter wird durch die Öffnung des Ringkernes geführt und erzeugt im Kern ein Magnetfeld mit der Induktion BFe. Der Kern ist mit einem Luftspalt į versehen, in dem das Hall-Plättchen eingebracht ist und von den magnetischen Feldlinien HLuft durchsetzt wird. Wegen der Kontinuität der Induktion im Magnetkern und im Luftspalt gilt: BFe
ȝr ȝ0 H Fe
BLuft
ȝ0 H Luft .
(6.23)
Der Zusammenhang zwischen dem Strom i und der magnetischen Feldstärke H ist durch das Durchflutungsgesetz nach Gl. (6.13) gegeben. Das Linienintegral der magnetischen Feldstärke erstreckt sich über den Magnetkern der Länge lFe und den Luftspalt mit lLuft = į und lautet in vereinfachter Fassung: i
³ Hds H Fe lFe H Luft G .
(6.24)
6 Messung von Stoßströmen
215
Aus den Gln. (6.23) und (6.24) ergibt sich bei Verwendung eines hochpermeablen Magnetkerns für die Induktion im Luftspalt: Bį
BLuft
ȝ0 i
lFe G ȝr
|
ȝ0
G
i.
(6.25)
Nach Einsetzen von Gl. (6.25) in Gl. (6.22) erhält man für die Hall-Spannung: uH
RH
I s ȝ0 i d G
KH i .
(6.26)
Unter den genannten Voraussetzungen ist die rückwirkungsfrei abgegriffene HallSpannung uH der Induktion B und damit dem zu messenden Strom i proportional. Mit Hall-Stromsensoren dieser Bauart lassen sich Gleich-, Wechsel- und Stoßströme mit Stromstärken von maximal 20 kA potenzialfrei messen. Je nach Kernmaterial und Bemessungsstromstärke werden Bandbreiten von bis zu 25 kHz erzielt. Die mit dieser Anordnung erreichbaren Messunsicherheiten liegen bei einigen Prozent [6.31].
H
uH ~ i
i
Is Abb. 6.31. Prinzip eines Hall-Sensors zur Strommessung. Das Halbleiter-Plättchen, an dem die Hall-Spannung uH ~ i abgegriffen wird, liegt im Luftspalt des Magnetkerns.
Höhere Ansprüche an die Messgenauigkeit können mit der Grundschaltung nach Abb. 6.31 nicht erfüllt werden. Bisher wurde stillschweigend vorausgesetzt,
216
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
dass die Permeabilitätszahl μr des Magnetkerns eine Konstante ist. Diese Annahme ist in der Regel nicht gerechtfertigt, da mit zunehmender Stromstärke der Magnetkern in die Sättigung geht und die Proportionalität zwischen B und H und damit auch zu i nicht eingehalten wird. Abhilfe bringt eine auf dem Magnetkern angebrachte Kompensationswicklung, mit der die Induktion im Kern zu null gemacht wird (Nullfluss-Prinzip). Der Kompensationsstrom ik wird von der HallSpannung abgeleitet und über einen Operationsverstärker OP durch die Kompensationswicklung Nk geschickt (Abb. 6.32). Das Hall-Element wirkt in dieser Schaltung wie ein Nulldetektor für den magnetischen Fluss im Kern. Eine dem Kompensationsstrom und damit auch dem Messstrom proportionale Spannung um lässt sich am Messwiderstand Rm abgreifen. Durch das Nullfluss-Prinzip wird eine Messunsicherheit von weniger als 1 % erreicht [6.30].
H + -
i Nk
Rm
OP
ik Is
um ~ i
Abb. 6.32. Strommesssystem nach dem Hall-Prinzip mit einer Kompensationswicklung Nk, die vom Verstärker OP gespeist wird (schematische Darstellung). Die vom Kompensationsstrom ik erzeugte Spannung an Rm ist dem zu messenden Strom i proportional.
Der Hall-Sensor mit Kompensationswicklung lässt sich bei höheren Frequenzen auch als konventioneller Stromwandler betreiben, wobei Bandbreiten im Bereich von 200 kHz erzielt werden. In der täglichen Messpraxis sind oft handliche Zangenstromwandler mit Hall-Sensor im Einsatz. Die Zange mit dem Magnetkern lässt sich bequem öffnen und um den Stromleiter legen.
6 Messung von Stoßströmen
217
6.4 Magnetooptischer Sensor In den meisten festen und flüssigen dielektrischen Materialien, die optisch durchlässig sind, tritt ein magnetooptischer Effekt auf, der als Faraday-Effekt bezeichnet wird. Er beschreibt die Drehung der Polarisationsebene einer linear polarisierten Lichtwelle beim Durchgang durch das transparente Medium unter Einwirkung eines Magnetfeldes. Das parallel zum Lichtstrahl einwirkende Magnetfeld H bewirkt ähnlich wie beim elektrooptischen Effekt (s. Kap. 5.4) eine induzierte Doppelbrechung, wodurch die beiden orthogonalen Teilwellen des Lichtstrahls das Medium mit unterschiedlicher Phasenlaufzeit durcheilen. Die dadurch verursachte Drehung der Polarisationsebene um den Winkel ȕ beträgt nach Durchlaufen des Mediums der Länge l (Abb. 6.33):
E
V l B V l P0 H ,
(6.27)
wobei V die Verdet-Konstante des Mediums mit μr = 1 ist. Die Verdet-Konstante ist von der Wellenlänge des Lichtes und in geringem Umfang auch vom Medium abhängig. Mitunter wird anstelle von V auch das Produkt μ0V zahlenmäßig angegeben. Bei positiver Verdet-Konstante und Ausbreitung der Lichtwelle parallel zum Magnetfeld erfolgt die Drehung der Polarisationsebene im Uhrzeigersinn (mathematisch negativer Drehsinn) [5.57, 5.58].
ȕ
H
l
Abb. 6.33. Prinzip des Faraday-Effekts. Die Polarisationsebene einer ebenen Lichtwelle, die parallel zum Magnetfeld H ein transparentes Medium der Länge l durchläuft, dreht sich um den Winkel ȕ.
Die grundlegenden Eigenschaften magnetooptischer Sensoren und deren Einsatz bei der Messung hoher Gleich-, Wechsel- und Stoßströme werden in zahlreichen Arbeiten behandelt [5.59, 6.34-6.40]. In der praktischen Ausführung unter-
218
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
scheidet man grundsätzlich zwischen Sensoren in Block- und Faserform. Beim Sensor in Blockform wird das zur Lichtwelle parallele Magnetfeld von dem zu messenden Strom erzeugt, wobei der Stromleiter in mehreren Windungen um den Sensor gewickelt ist (s. Abb. 6.33). Die dem Strom proportionale Drehung der Polarisationsebene am Ausgang des Sensors wird von einem Analysator in eine Intensitätsmodulation und von einem Fotodetektor in ein elektrisches Signal zur weiteren Auswertung umgewandelt. Die Herstellung von Sensoren in Blockform wird als einfach und ihre Langzeitbeständigkeit als gut bezeichnet. Die Antwortzeit liegt bei einigen 0,1 μs entsprechend einer Bandbreite im Bereich von 1 MHz. Eine besondere Ausführung eines Sensors in Blockform stellt der magnetooptische Glasring-Wandler dar. Er besteht aus einer quadratischen Glasplatte mit einer zentrischen Bohrung, durch die der Stromleiter geführt wird [5.57, 6.35, 6.37]. In der Glasplatte bildet sich um den Stromleiter ein Magnetfeld aus mit Feldkomponenten, die abschnittsweise annähernd parallel zu den Glaskanten verlaufen. Eine linear polarisierte Lichtwelle wird parallel zu einer Glaskante in die Glasplatte eingekoppelt und jeweils an den Plattenecken um 90° abgelenkt, so dass sie parallel zu den vier Glaskanten verläuft und in der Nähe der Eintrittsstelle wieder austritt. Die Drehung der Polarisationsebene der Lichtwelle durch das vom Strom erzeugte Magnetfeld wird wiederum von einem Analysator und Detektor erfasst und ausgewertet. Magnetooptische Stromsensoren in Faserform sind neuerdings stärker in den Vordergrund des Interesses gerückt. Als Sensorfasern werden die bereits seit längerem als Lichtwellenleiter bei der potenzialfreien Datenübertragung eingesetzten Glasfasern verwendet. In der grundsätzlichen Anordnung ist die Glasfaser 1 in einer oder mehreren Windungen um den Stromleiter 2 gewickelt (Abb. 6.34). Als Lichtquelle dient eine Laserdiode 3 mit einem vorgeschalteten Polarisator 4 zur Erzeugung einer linear polarisierten Lichtwelle. Das vom Strom i erzeugte Magnetfeld H verläuft parallel zur Sensorfaser und verursacht entsprechend dem Faraday-Effekt eine Drehung der Polarisationsebene um den Winkel ȕ ~ i. Der Analysator 5 wandelt die Polarisationsmodulation der austretenden Lichtwelle in eine Intensitätsmodulation um, die vom Detektor 6 als elektrisches Signal mit der Information über den Drehwinkel ȕ der Polarisationsebene angezeigt wird. Bei der praktischen Ausführung des vereinfachten Messprinzips nach Abb. 6.34 treten jedoch große Probleme auf. So wird die Polarisation durch geringste thermische und mechanische Einwirkungen auf die gewickelte Glasfaser verändert. Auch weisen reale Lichtwellenleiter Unsymmetrien auf, die die Polarisation beeinflussen. Nach jahrzehntelangen Forschungs- und Entwicklungsarbeiten an verschiedenen Stellen ist der Durchbruch für den praktischen Einsatz des faseroptischen Stromsensors inzwischen gelungen. So wird der Lichtstrahl am Ende des Lichtwellenleiters reflektiert und durchläuft diesen ein zweites Mal in entgegen gesetzter Richtung. Störende Einflussgrößen wie Temperatur, Druck und Unsymmetrie werden dadurch kompensiert. Durch mehrere patentierte Maßnahmen lassen sich die Störeinwirkungen weitgehend beseitigen. Für Gleich- und Wechselströme sind Messunsicherheiten von 0,1 % bis zu den höchsten Stromstärken von 500 kA erreichbar [6.39, 6.40].
6 Messung von Stoßströmen
219
Der Einsatz magnetooptischer Stromsensoren bietet eine Reihe von Vorteilen. Die optische Sensorfaser selbst ist ein passives Bauteil, das keine externe Stromversorgung benötigt. Die Lichtquelle und die Detektoreinheit mit Steuerung und Regelung können potenzialfrei auf Niederspannungspotenzial betrieben werden. In trockener Umgebung beeinflusst die Sensorfaser nicht das elektrische und magnetische Feld eines auf Hochspannung befindlichen Stromleiters und erfordert selbst keinen besonderen Isolationsaufwand. Untersuchungen an Glasfasern zeigen jedoch, dass je nach Überzugsmaterial die Überschlagfestigkeit von Glasfasern bei einer relativen Luftfeuchte von mehr als 40 % reduziert wird [6.41].
1 H 2
i 5 4
6
3
Abb. 6.34. Faseroptischer Stromsensor nach dem Faraday-Effekt (Prinzip) 1 Sensorfaser 2 Stromleiter 3 Laserdiode 4 Polarisator 5 Analysator
6 Fotodetektor
Magnetooptische Stromsensoren weisen eine untere Grenzfrequenz null auf und können hohe Stromstärken praktisch rückwirkungsfrei messen. Die Haupteinsatzgebiete liegen zunächst in der Messung sehr hoher Gleich- und Wechselströme sowie deren Harmonische und überlagerte Transienten. In den Energieversorgungsnetzen wird für Mess- und Schutzzwecke der Ersatz induktiver Stromwandler durch so genannte unkonventionelle Stromwandler nach dem Faraday-Effekt angestrebt. Da Bandbreiten im Bereich von 10 MHz erreichbar sind, wird auch der Einsatz bei der Messung von Stoßströmen untersucht. Die erzielbare Bandbreite ist hierbei umso größer, je kleiner das Produkt aus Windungszahl und Wicklungsradius ist. Der Einsatz magnetooptischer Stromsensoren ist daher vor allem vorteilhaft bei der Messung von Stoßströmen mit großer Amplitude [6.35].
220
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
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6 Messung von Stoßströmen
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7 Kalibrierung der Messsysteme
Bei der normgerechten Prüfung von Betriebsmitteln der elektrischen Energieversorgung werden zur Messung der Prüfspannungen und Prüfströme anerkannte Messsysteme eingesetzt. Anerkennung bedeutet hierbei, dass das Messsystem die in den Prüf- und Kalibriervorschriften festgelegten Anforderungen erfüllt. Der Nachweis erfolgt durch eine auf nationale oder internationale Messnormale rückführbare (rückverfolgbare) Kalibrierung der Messsysteme, wobei zum einen die übergeordneten „horizontalen“ Prüf- und Kalibriervorschriften [1.7, 1.8, 1.24] und zum anderen die speziellen Prüfvorschriften für die einzelnen Betriebsmittel wie Leistungstransformatoren, Kabel, gasisolierte Schaltanlagen, Überspannungsableiter usw. zu beachten sind. Die international gültigen Prüf- und Kalibriervorschriften in der Elektrotechnik werden überwiegend von der International Electrotechnical Commission (IEC) als Ergebnis der Zusammenarbeit internationaler Fachexperten herausgegeben [7.1]. Nach Übersetzung werden sie als harmonisierte, d. h. fachlich unveränderte Fassung in das europäische und nationale Normenwerk übernommen. Verantwortlich für die Normung im Hochspannungs- und Hochstrombereich ist das Technical Committee (TC) 42 der IEC. Für die Normung in Deutschland im Bereich Elektrotechnik ist die Deutsche Elektrotechnische Kommission (DKE) zuständig, die aus dem Zusammenschluss von DIN und VDE entstanden ist [7.2]. Das dem TC 42 entsprechende deutsche Spiegelgremium der DKE für die HochspannungsPrüftechnik ist das Komitee K 124. Die wissenschaftlich-technischen Grundlagen der Normung für die Energietechnik werden in verschiedenen Organisationen ausgearbeitet, von denen die Conseil International des Grands Réseaux Électriques (CIGRE) an vorderster Stelle steht [7.3]. Die Qualifikation und Anerkennung eines Messsystems und dessen Komponenten erfolgt im Verlauf von mehreren Prüfungen und Kalibrierungen. Der Hersteller des Messsystems führt zunächst eine (ggf. mit dem Kunden vertraglich festgelegte) Abnahmeprüfung durch, die aus einer allgemeinen Typprüfung und einer Stückprüfung besteht. In der Regel ist dabei auch die erste Eignungsprüfung zur Festlegung des Maßstabsfaktors und der Messabweichungen für die Zeitparameter einbezogen. Regelmäßig zu wiederholende Eignungsprüfungen und Kontrollmessungen schließen sich an, mit denen der Nutzer die Messbeständigkeit des Messsystems im Laufe seines Einsatzes überprüft. Die charakteristischen Daten, die Ergebnisse der Prüfungen und Kalibrierungen und jede Veränderung oder Reparatur des Messsystems werden in einer Identifikationsakte dokumentiert. Bevorzugtes Kalibrierverfahren zur Ermittlung des Maßstabsfaktors und der Messabweichungen für die Zeitparameter ist die Vergleichsmessung des vollständigen Messsystems mit einem genauen Referenzsystem bei Stoßspannung bzw. Stoßstrom. Als Alternative zur Vergleichsmessung werden beim Komponentenverfahren die einzelnen Komponenten eines Messsystems getrennt kalibriert.
K. Schon, Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik, DOI 10.1007/978-3-642-13117-2_7, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010
224
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Hierbei können auch Messverfahren, die in der Niederspannungstechnik üblich sind, eingesetzt werden. Die Linearität des vollständigen Messsystems bis zum Bemessungswert ist dann mit einem geeigneten Verfahren nachzuweisen. Nach einer einführenden Betrachtung zu den Themen Kalibrierung, Rückführung und Akkreditierung befassen sich die nachfolgenden Kapitel mit den hauptsächlich angewandten Kalibrierverfahren bei der Eignungsprüfung konventioneller Messsysteme. Das Prinzip der Messverfahren und die Anforderungen an die Messsysteme sind für Stoßspannungen und Stoßströme weitgehend vergleichbar. Die festgelegten Grenzwerte für die zulässigen Messabweichungen der Impulsparameter und die Messunsicherheiten stimmen mit wenigen Ausnahmen überein.
7.1 Allgemeines zur Kalibrierung und Rückführung Kalibrierung eines Messsystems bedeutet, dass dessen Eigenschaft durch ein genormtes oder durch Verfahrensanweisungen festgelegtes Messverfahren bestimmt wird. Als Ergebnis der Kalibrierung erhält man für die gesuchte Messgröße einen Zahlenwert, der mit einer Messunsicherheit behaftet ist. Diese Messunsicherheit setzt sich zusammen aus den einzelnen Unsicherheitsbeiträgen der verschiedenen Einflussgrößen der Messung und wird als Maß für die Qualität der Messung angesehen (s. Kap. A2). Die Einzelheiten der Kalibrierung, der Messwert und die Messunsicherheit werden im Kalibrierschein angegeben. Besondere Bedeutung hat die Rückführung (oder Rückverfolgbarkeit) einer Messung auf die entsprechenden nationalen oder internationalen Messnormale, die in jedem Industrieland von einem nationalen Metrologieinstitut vorgehalten werden. In Deutschland ist hierfür die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) zuständig, die die in Physik und Technik benötigten Messnormale mit geringsten Messunsicherheiten entwickelt [7.4]. Regelmäßige Ringvergleiche mit den Metrologieinstituten anderer Industriestaaten sichern die Einheitlichkeit der Messungen in der ganzen Welt, so auch im Bereich der Hochspannungstechnik [7.5-7.7]. Die Messmöglichkeiten der PTB und anderer Metrologieinstitute sind in der Datenbank Calibration and Measurement Capability (CMC) aufgelistet [7.8]. Zusammen mit der PTB sorgen die von der Deutschen Akkreditierungsstelle (DAKKS) akkreditierten Prüf- und Kalibrierlaboratorien für die Weitergabe der Maßeinheiten bis hin zu den Werksnormalen eines Betriebes [7.9, 7.10]. Akkreditierung bedeutet die international gültige Anerkennung, dass die allgemeinen Anforderungen an das Managementsystem und die für die jeweilige Messgröße geltenden besonderen Anforderungen an die technische Kompetenz des Laboratoriums einschließlich der Mitarbeiter erfüllt sind [7.11, 7.12]. In der 2010 neu gegründeten DAKKS sind die bis dahin weitgehend eigenständig operierenden Akkreditierungsstellen wie der Deutsche Kalibrierdienst (DKD), die Deutsche Akkreditierungsstelle Technik (DATech) und rund 20 weitere Akkreditierungsstellen in Deutschland entsprechend dem Akkreditierungsstellengesetz (AkkStelleG)
7 Kalibrierung der Messsysteme
225
unter Bundesaufsicht zusammengefasst. Sie ist in den beiden europäischen und weltweiten Organisationen der Akkreditierungsstellen eingebunden [7.13, 7.14]. Die Akkreditierung beinhaltet weiterhin eine regelmäßige Überwachung und Begutachtung der Kalibrier- und Prüflaboratorien in einem Zeitabstand von ein bis anderthalb Jahren. Einige der vom DKD und von der DATech vor 2010 akkreditierten Laboratorien sind außerhalb Deutschlands ansässig. Grundsätzlich genießt jedoch jede nationale Akkreditierungsstelle in ihrem Land einen Gebietsschutz, so dass dort andere Akkreditierungsstellen nur in begründeten Ausnahmefällen tätig sein können. Die förmliche Akkreditierung eines Kalibrier- oder Prüflabors ist nicht ausdrücklich in [7.11] gefordert. Das Labor muss jedoch für seine Tätigkeiten die erforderliche Kompetenz aufweisen und diese jederzeit nachweisen können. Hierzu gehören dieselben Kriterien wie bei der Akkreditierung, insbesondere ein umfangreiches Qualitätsmanagementsystem, rückgeführte und regelmäßig rekalibrierte Referenzmesssysteme, geeignete Räumlichkeiten und Prüfeinrichtungen, gut ausgebildete Mitarbeiter und Dokumentation aller Ergebnisse. Wichtige Grundlage für die Qualität eines hergestellten Produktes ist die Richtigkeit der durchgeführten Prüfungen und Messungen innerhalb der festgelegten Messunsicherheiten. Besonderes Augenmerk gebührt daher den eingesetzten Messmitteln. In größeren Industrienationen wie Deutschland mit einer Vielzahl von Herstellern und Prüfinstituten kann die erforderliche Anzahl von rückführbaren Kalibrierungen der Messmittel nicht allein vom nationalen Metrologieinstitut, sondern nur in enger Zusammenarbeit mit den akkreditierten Kalibrierlaboratorien bewältigt werden. Hierdurch entsteht eine Hierarchie der Messmittel hinsichtlich ihrer Genauigkeit, ausgehend vom nationalen Messnormal in der PTB oder in einem Metrologieinstitut eines anderen Landes (Abb. 7.1).
PTB Nationales Normal
Kalibrierlabor Referenzmesssystem
Prüflabor Anerkanntes Messsystem
Industrie und Forschung Messmittel mit Herstellerspezifikation Abb. 7.1. Hierarchie der in Deutschland eingesetzten Messmittel für Hochspannung und Hochstrom, die auf die Messnormale der PTB rückgeführt sind.
226
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Eine zentrale Rolle spielen die Referenzsysteme der akkreditierten Kalibrierlaboratorien. Sie sind in der Regel direkt gegen die nationalen Messnormale kalibriert und werden zur rückführbaren Kalibrierung einer Vielzahl von anerkannten Messsystemen in den Prüflaboratorien und anderen Stellen benötigt. Ein Kalibrierlabor kann mit seinem genauen Referenzsystem auch weitere Referenzsysteme kalibrieren, allerdings dann mit reduzierter Genauigkeit. In der Industrie, Forschung und Entwicklung sind sowohl (rückführbar) kalibrierte als auch nicht kalibrierte Messmittel im Gebrauch, deren Messgenauigkeit extrem hoch oder mittelmäßig sein kann. Teilweise interessiert nicht die absolute Genauigkeit, die durch Rückführung auf die nationalen Messnormale erlangt wird, sondern nur die Empfindlichkeit der Anzeige bei vergleichenden Messungen. Prüfungen und Kalibrierungen eines Produktes nach anerkannten Normen und Regeln sowie die Dokumentation der Ergebnisse stellen einen wichtigen Teil des Qualitätsmanagements dar. Viele Hersteller von Betriebsmitteln und Messsystemen unterhalten selbst akkreditierte Prüf- oder Kalibrierlaboratorien mit Messsystemen, die auf die nationalen oder internationalen Messnormale rückgeführt sind. Dadurch kann der Hersteller das Vertrauen in seine Produkte stärken, so dass erneute Prüfungen und Kalibrierungen beim Kunden entbehrlich sind. Durch internationale Abkommen ist die gegenseitige Anerkennung der in verschiedenen Industrieländern operierenden Kalibrier- und Prüflaboratorien, die nach [7.11] akkreditiert sind, grundsätzlich geregelt. Dies ist eine wichtige Voraussetzung für den von technischen Handelshemmnissen freien internationalen Warenverkehr, wie er von der World Trade Organisation (WTO) gefordert wird [7.15]. Selbstverständlich behält der Käufer eines Produktes sein Recht auf weitere Prüfungen und Kalibrierungen durch sein eigenes oder ein neutrales Laboratorium.
7.2 Vergleich mit einem Referenzsystem bei Stoßspannung Die Vergleichsmessung eines Messsystems mit einem genauen Referenzsystem bei Stoßspannung ist das bevorzugte Kalibrierverfahren bei der Eignungsprüfung [1.8]. Damit werden der Maßstabsfaktor des Messsystems und die Abweichungen bei der Messung der Zeitparameter von Stoßspannungen direkt unter Bezug auf das Referenzsystem ermittelt. Der Maßstabsfaktor ist von einer Reihe von Parametern abhängig, deren Einfluss in verschiedenen Messreihen untersucht wird. Hierzu zählen insbesondere die Spannungsabhängigkeit und das dynamische Verhalten des Messsystems bei unterschiedlichen Zeitverläufen der Stoßspannung. Weitere Einflussgrößen wie die Umgebungstemperatur, das Kurz- und Langzeitverhalten, die Nähe benachbarter Objekte und die Einkopplung von Störungen werden in der Regel nicht durch Vergleichsmessungen, sondern mit anderen Verfahren ermittelt. Die Ermittlung des Maßstabsfaktors und der Zeitparameter ist mit Messunsicherheiten verbunden, die unter Berücksichtigung der Messunsicherheit des Referenzsystems mit den Regeln des GUM bestimmt werden (s. Kap. A2).
7 Kalibrierung der Messsysteme
227
7.2.1 Prinzip der Vergleichsmessung Abb. 7.2 zeigt schematisch den Aufbau für die Vergleichsmessung des zu kalibrierenden Messsystems X mit dem Referenzsystem N bei Stoßspannung. Die beiden Spannungsteiler einschließlich ihrer Dämpfungswiderstände Rd,X bzw. Rd,N bilden zusammen mit den Hochspannungszuleitungen zum Belastungskondensator Cb des Stoßspannungsgenerators G von oben gesehen ein „Y “. Der gemeinsame Messpunkt P wird in der Regel durch die Kopfelektrode eines Isolierstützers realisiert. In der weitgehend symmetrischen Y-Schaltung ist die Beeinflussung der Spannungsteiler untereinander und zu benachbarten Wänden (Näheeffekt) sowie der Störeinfluss durch das Zünden der Funkenstrecken des Stoßspannungsgenerators ein Minimum, bzw. beide Messsysteme werden gleich beeinflusst. Ebenfalls geeignet ist die T-Schaltung mit entsprechender T-förmiger Anordnung der beiden Spannungsteiler und des Stoßspannungsgenerators. Messsystem X Rd,X
Rd
P
Rd,N G MX
Cb
FS
Referenz N Ansicht von oben: X MN
P
Cb
G
N Abb. 7.2. Räumliche Anordnung für die Vergleichsmessung in Y-Schaltung (Prinzip) X Messsystem N Referenzsystem MX, MN Messgerät (Recorder) P Messpunkt FS Abschneidefunkenstrecke Cb Belastungskondensator G Stoßspannungsgenerator
Zur Durchführung von Vergleichsmessungen mit abgeschnittenen Stoßspannungen wird der Isolierstützer ersetzt durch eine Kugelfunkenstrecke FS (in Abb. 7.2 gestrichelt eingezeichnet) mit Anschluss an den gemeinsamen Messpunkt P. Zur zeitgenauen Abschneidung im Scheitel oder im Rücken ist eine getriggerte Funkenstrecke erforderlich. Die Abschneidung in der Stirn erzielt man durch Ver-
228
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
ringerung des Kugelabstandes, wobei eine Bestrahlung der ungetriggerten Funkenstrecke mit sehr kurzwelligem ultraviolettem Licht (UVC) die Anzahl der freien Ladungsträger erhöht und dadurch die Streuung der Abschneidezeiten reduziert. Eine Veränderung des Kugelabstandes zur Einstellung der gewünschten Abschneidezeit beeinflusst aber auch die Durchschlagspannung und damit den Scheitelwert der in der Stirn abgeschnittenen Stoßspannung, was durch entsprechende Nachregelung der Ladespannung des Stoßspannungsgenerators ausgeglichen wird. Bei kleiner Schlagweite der Funkenstrecke muss trotz UVCBestrahlung mit einer größeren Streuung der Abschneidezeit und damit auch des Scheitelwertes einer in der Stirn abgeschnittenen Blitzstoßspannung gerechnet werden. Referenzteiler für Blitzstoßspannungen sind in der Regel für Bemessungsspannungen von nicht mehr als 500 kV ausgelegt. Mit einer Teilerhöhe von weniger als 2 m weisen sie ein gutes Übertragungsverhalten auf und sind bequem zu transportieren für Vor-Ort-Kalibrierungen. Zur Durchführung von Vergleichsmessungen mit großen Stoßspannungsteilern muss der kleinere Referenzteiler über eine entsprechend lange Hochspannungszuleitung an den gemeinsamen Messpunkt P in Abb. 7.2 angeschlossen werden. Als Zuleitung eignet sich ein stabiler Rohrleiter mit einem Durchmesser von wenigen Zentimetern, der aus mehreren steckbaren Einzelrohren zur individuellen Längenanpassung besteht. Der Messpunkt P sollte mindestens auf gleicher Höhe wie der Teilerkopf des Messsystems X sein, damit der Winkel zwischen dem Spannungsteiler und der Zuleitung 90° nicht unterschreitet. Bei kleineren Winkeln kommt die Hochspannungszuleitung dem Spannungsteiler näher, wodurch der Störeinfluss infolge elektromagnetischer Kopplung verstärkt wird. Als niederinduktive Erdrückleiter der beiden Spannungsteiler zum Stoßspannungsgenerator können Bahnen aus Kupferfolie mit einer Breite von mindestens 0,5 m verwendet werden. Der Stoßspannungsgenerator selbst ist aus Sicherheitsgründen über den Tiefenerder der Hochspannungshalle geerdet. Das bei der Kalibrierung des Messsystems X verwendete koaxiale Messkabel zwischen Spannungsteiler und Messgerät soll identisch sein mit dem Messkabel, das bei der Spannungsprüfung von Betriebsmitteln eingesetzt wird, oder diesem zumindest hinsichtlich Beschaffenheit und Länge entsprechen. Die Messkabel beider Spannungsteiler zu den Messgeräten werden so verlegt, dass die Einkopplung elektromagnetischer Störungen minimiert ist. Optimal ist die Verlegung der Messkabel in geerdeten Rohren oder Kanälen im Hallenfußboden. Die verwendeten Messgeräte sind entweder von vornherein für den Einsatz bei Stoßspannungsmessungen konstruiert und elektromagnetisch geschirmt oder werden durch Betrieb in einem geerdeten Faraday-Käfig mit gefilterter Netzversorgung vor Störeinflüssen geschützt (s. Kap. 5.1). Digitalrecorder und andere Messgeräte für Stoßspannungsmessungen sind, auch wenn sie zusammen mit dem Spannungsteiler bei der Vergleichsmessung kalibriert werden, einer gesonderten Kalibrierung in allen Messbereichen zu unterziehen [4.1]. Die Richtigkeit der Auswertesoftware wird mit den Daten ausgewählter Testimpulse überprüft [4.25]. Die Kalibrierung großer Stoßspannungsmesssysteme durch Vergleichsmessung mit einem Referenzsystem erfolgt vorzugsweise als Vor-Ort-Kalibrierung im
7 Kalibrierung der Messsysteme
229
Prüflabor. Zum einen erspart man sich das Transportrisiko zum Kalibrierlabor, falls das zu kalibrierende Messsystem X überhaupt transportabel ist, zum anderen sind die Einsatzbedingungen bei der Vor-Ort-Kalibrierung vergleichbar mit denen, die das Messsystem X bei der Stoßspannungsprüfung an Betriebsmitteln vorfindet. Dies betrifft insbesondere die Räumlichkeiten der Prüfhalle, den Standort des Messsystems, die Erdungsverhältnisse und den Zeitverlauf der erzeugten Stoßspannung. Die bei der Kalibrierung festgestellte Messunsicherheit lässt sich dann direkt auf die Spannungsmessung bei Prüfungen übertragen. Gegebenenfalls sind einige wenige Unsicherheitsbeiträge zusätzlich zu berücksichtigen, z. B. das Langzeitverhalten des Messsystems (s. Kap. A2.2). Erfolgt dagegen die Kalibrierung des Messsystems X in den Räumlichkeiten eines dafür beauftragten Kalibrierlabors, weichen die Messbedingungen in der Regel von denen im Prüflabor ab. Beim Einsatz des kalibrierten Messsystems X im Prüflabor muss dann zusätzlich zu der im Kalibrierschein angegebenen Messunsicherheit eine Reihe weiterer Unsicherheitsbeiträge angesetzt werden. Zur regelmäßigen Durchführung der Kalibrierungen im Rahmen der Eignungsprüfungen und Kontrollmessungen besitzt das Prüflabor entweder ein eigenes Referenzsystem oder die Kalibrierung wird von einem Kalibrierlabor mit dessen Referenzsystem ausgeführt. Bei der Vergleichsmessung ist ein Überschwingen der Blitzstoßspannung im Scheitel zu vermeiden. Scheitelschwingungen treten vor allem dann auf, wenn der Stoßspannungsgenerator für kurze Stirnzeiten eingerichtet ist und im Prüf- und Messkreis Induktivitäten wirksam sind. Die Scheitelschwingung wird in der Regel von Referenzteilern mit gutem Übertragungsverhalten richtig erfasst, nicht aber von großen Stoßspannungsteilern mit Bemessungsspannungen im Megavoltbereich. Wenn die Scheitelschwingung gar nicht oder zu gering angezeigt wird, ergeben sich Abweichungen zu den mit dem Referenzsystem ermittelten Impulsparametern, die bei glattem Zeitverlauf der Stoßspannung nicht auftreten würden. Die Prüfvorschriften in [1.8] geben für diesen Fall keinen Lösungsweg vor. Zwar lassen sich durch verschiedene Kompensationsschaltungen die Schwingungen des Stoßspannungsprüfkreises eliminieren, jedoch verlängert sich dadurch die Stirnzeit (s. Kap. 1.3.1). Eine Kalibrierung bei kurzer Stirnzeit ist somit nur möglich, wenn die Induktivitäten im Prüf- und Messkreis verringert werden. Ein ganz anderer Fall liegt vor, wenn die mit dem Messsystem X gemessene Scheitelschwingung größer ist, als sie vom Referenzsystem N angezeigt wird [7.16]. Dann liegt die Vermutung nahe, dass das Übertragungsverhalten des Spannungsteilers im Messsystem X eine Resonanzstelle in dem entsprechenden Frequenzbereich aufweist. Beim Einsatz des Messsystems X bei Prüfungen wird eine vorhandene Scheitelschwingung der Stoßspannung verstärkt aufgezeichnet und damit eine erhöhte Beanspruchung des geprüften Betriebsmittels vorgetäuscht. Häufig besteht die Aufgabe, nicht das vollständige Messsystem, sondern nur den Stoßspannungsteiler als Einzelkomponente zu kalibrieren. Hierfür wird der Ausgang des Spannungsteilers mit einem kalibrierten Digitalrecorder des Kalibrierlabors verbunden. Aus messtechnischer Sicht ist es problematisch, den zweiten Kanal des im Referenzsystem eingesetzten Recorders zu verwenden. Dadurch werden die Abschirmungen der langen Messkabel beider Spannungsteiler am Re-
230
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
cordereingang auf gleiches Potenzial gelegt, so dass Ausgleichsströme fließen und die Messsignale beeinflussen können. Weiterhin sollten die Eingangsspannungen der beiden Recorderkanäle wegen der Gefahr eines stärkeren Übersprechens nicht zu sehr voneinander abweichen. Eine sehr viel größere Eingangsspannung auf dem einen Kanal würde eine Störspannung in den anderen Kanal einkoppeln. Bei annähernd gleicher Aussteuerung der beiden Recorderkanäle besteht die Möglichkeit, die Vergleichsmessung mit vertauschten Kanälen zu wiederholen und durch Mittelung der Messwerte die Störungen zu eliminieren. Zur Untersuchung von Störeinflüssen kann es hilfreich sein, die Vergleichsmessung hintereinander in zwei Messserien durchzuführen, wobei der Digitalrecorder jeweils nur an einem der beiden Spannungsteiler angeschlossen ist. Voraussetzung für die serielle Messung ist eine gute Reproduzierbarkeit des Stoßspannungsgenerators während der beiden Messserien. Die Auswertung der Messdaten bei der Kalibrierung eines Messsystems und bei der Prüfung eines Betriebsmittels ist grundsätzlich verschieden. Bei der Kalibrierung wird das Ergebnis, nämlich der Maßstabsfaktor oder die Zeitparameter des Messsystems, in der Regel als Mittelwert einer Mehrzahl von Wiederholungsmessungen angegeben. Durch die Mittelwertbildung hat die Streuung der Einzelwerte, die durch die begrenzte Auflösung und das interne Rauschen des Digitalrecorders verursacht wird, kaum Einfluss auf den Kalibrierwert. Dagegen erhält man bei der Spannungsprüfung in der Regel jeweils nur einen Einzelwert für den Scheitelwert und die Zeitparameter, der bei einer Wiederholungsprüfung deutlich abweichen kann. Hat das Messsystem mit Recorder eine Auflösung von 8 Bit, können sich bei aufeinander folgenden Messungen die einzelnen Scheitelwerte um 0,5 % und mehr voneinander unterscheiden. Die maximal mögliche Abweichung ist dann im Unsicherheitsbudget für die Prüfspannung durch einen zusätzlichen Unsicherheitsbeitrag zu berücksichtigen.
7.2.2 Festgesetzter Maßstabsfaktor Wichtigstes Ziel bei der Kalibrierung eines Stoßspannungsmesssystems ist die Bestimmung des festgesetzten Maßstabsfaktors. Er ist allgemein definiert als der Faktor, mit dem die Anzeige des Messgerätes zu multiplizieren ist, um die angelegte Stoßspannung zu erhalten. Das Prinzip der Auswertung einer Vergleichsmessung bei Stoßspannung zeigt Abb. 7.3. In dem Beispiel sind das zu kalibrierende Stoßspannungsmesssystem X und das Referenzsystem N gleichartig aufgebaut und bestehen beide aus je einem Stoßspannungsteiler mit Digitalrecorder. Für jede Stoßspannung u(t) werden die Ausgangsspannungen der beiden Spannungsteiler simultan aufgezeichnet und die Scheitelwerte ûX und ûN ermittelt. Mit den korrekten Werten der Maßstabsfaktoren FN und FX gilt für den Scheitelwert û der angelegten Stoßspannung: uˆ
uˆ N FN
uˆX FX ,
(7.1)
7 Kalibrierung der Messsysteme
231
aus der sich der gesuchte Maßstabsfaktor FX des Messsystems X bestimmen lässt: FX
uˆ N FN . uˆ X
(7.2)
Häufig zeigt das Referenzsystem N den Scheitelwert der Stoßspannung, also das Produkt ûNFN, direkt an. Gl. (7.2) stellt die Grundform der Modellgleichung dar, mit der der Maßstabsfaktor FX des Messsystems X und dessen Messunsicherheit bestimmt wird. Da FX durch die Vergleichsmessung auf das Referenzsystem N bezogen ist, geht dessen Messunsicherheit entsprechend den Regeln des GUM als wichtiger Unsicherheitsbeitrag ins Unsicherheitsbudget ein (s. Kap. A2.1). u(t)
Messsystem X
uX(t)
Referenz N
uN(t)
Abb. 7.3. Modell der Vergleichsmessung zwischen dem zu kalibrierenden Messsystem X und dem Referenzsystem N bei Stoßspannung. Beide Messsysteme bestehen aus einem Stoßspannungsteiler und Digitalrecorder zur Aufzeichnung der Teilerausgangsspannungen uX und uN.
Die Durchführung und Auswertung der Vergleichsmessung zur Bestimmung des festgesetzten Maßstabsfaktors wird am Beispiel der genormten Blitzstoßspannung 1,2/50 erläutert. Als Stirnzeit der Stoßspannung wird zweckmäßigerweise ein mittlerer Wert T1cal im zulässigen Toleranzbereich zwischen T1min = 0,84 μs und T1max = 1,56 μs gewählt; die Rückenhalbwertzeit ist gleich dem oberen Toleranzwert T2max = 60 μs. Zunächst wird bei einem Stoßspannungspegel von mindestens 20 % der Bemessungsspannung des Messsystems X eine Serie von n 10 Messungen durchgeführt, wobei die Teilerausgangsspannungen uX und uN jeweils
232
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
simultan aufgezeichnet werden. Durch die Simultanmessung wird der Einfluss der Streuung des Stoßspannungsgenerators eliminiert. Für jeden der n Einzelstöße werden die Scheitelwerte ûX und ûN ermittelt und der Quotient ûN/ûX gebildet. Der Mittelwert der n Quotienten, multipliziert mit FN, ergibt nach Gl. (7.2) den Maßstabsfaktor FX für den gewählten Spannungspegel. Mit der experimentellen Standardabweichung s(ûN/ûX) der n Quotienten erhält man für FX den Unsicherheitsbeitrag sFN/¥n vom Typ A (s. Beispiel in Kap. A2.2.1). In weiteren Messserien wird die Spannungsabhängigkeit des Maßstabsfaktors FX bis zur vorgesehenen maximalen Einsatzspannung des Messsystems X ermittelt. Hierbei unterscheidet die Prüfvorschrift zwei Verfahren [1.8]. Ist das Referenzsystem N bis zur Bemessungsspannung U0 des Messsystems X einsetzbar, wird die Vergleichsmessung für mindestens fünf Stoßspannungspegel durchgeführt, üblicherweise bei 20 %, 40 %, … bis 100 % von U0. Man erhält somit mindestens fünf Werte des Maßstabsfaktors FX über den gesamten Spannungsbereich (Abb. 7.4). Deren Mittelwert Fm, gekennzeichnet durch die gestrichelte Horizontale, ergibt den festgesetzten Maßstabsfaktor des Messsystems X, der für den gesamten Spannungsbereich gültig ist. Die größte Abweichung der Einzelwerte FX vom Mittelwert Fm, dividiert durch ¥3, liefert einen Unsicherheitsbeitrag vom Typ B. Ist das Referenzsystem nicht bis zur vollen Bemessungsspannung des Messsystems X einsetzbar, wird ein alternatives Verfahren für den Linearitätsnachweis angewandt (s. Kap. 7.2.3). 2060
Fx
2050 Fm 2040 2030 2020 0
20
40
60
80
%
100
û/U0 Abb. 7.4. Maßstabsfaktor FX eines Stoßspannungsmesssystems X mit der Bemessungsspannung U0 in Abhängigkeit vom Spannungspegel û/U0. Die gestrichelte Linie kennzeichnet den Mittelwert Fm = 2040,9, der für den gesamten Spannungsbereich als festgesetzter Maßstabsfaktor gilt.
7.2.3 Alternativen für den Linearitätsnachweis Wenn das Referenzsystem N eine kleinere Bemessungsspannung als das zu kalibrierende Messsystem X aufweist, kann die Vergleichsmessung und Bestimmung des festgesetzten Maßstabsfaktors Fm nur bis zu einem reduzierten Stoßspannungspegel erfolgen. Der restliche Linearitätsnachweis bis zur Bemessungsspan-
7 Kalibrierung der Messsysteme
233
nung von X wird dann durch Vergleich mit einem anderen Messsystem durchgeführt. Für die Linearitätsprüfung bis zu sehr hohen Spannungen kommen mehrere Alternativen in Betracht. Hierbei ist nicht die absolute Genauigkeit der Spannungsmessung, sondern eine möglichst geringe Abweichung von der Linearität oder von vorgegebenen Normwerten entscheidend. Eine ausreichende Linearität bei Stoßspannungsmessungen innerhalb von ±1 % kann von folgenden Alternativsystemen erwartet werden [7.17-7.19]:
x x x x
anerkanntes Messsystem mit ausreichend großer Bemessungsspannung, Ladespannung des Stoßspannungsgenerators, Feldmesssonde und Kugelfunkenstrecke.
Die Durchschlagwerte einer Kugelfunkenstrecke sind in [1.41] wegen des Einflusses von Temperatur, Luftdruck und Luftfeuchte zwar nur mit einer Unsicherheit von 3 % angegeben, doch wegen der kurzen Messzeit bei der Linearitätsprüfung bleiben die Umgebungsbedingungen annähernd konstant und haben daher praktisch keinen Einfluss. Erfahrungsgemäß streuen die Einzelwerte der Durchschlagspannung während einer Messserie nur innerhalb von ±1 %, wenn die Kugelfunkenstrecke mit sehr kurzwelligem ultraviolettem Licht (UVC-Licht) bestrahlt wird und dadurch eine genügend große Anzahl freier Elektronen zum raschen Einleiten des Durchschlagvorgangs erzeugt wird. Treten bei der Vergleichsmessung mit einem Alternativsystem größere Abweichungen von der Linearität auf, muss die Ursache nicht unbedingt beim Messsystem X liegen. Eine weitere Linearitätsprüfung mit einem anderen Alternativsystem ist dann zur Klärung möglich. Die bei der Linearitätsprüfung mit dem Alternativsystem festgestellte Abweichung geht nicht in die Berechnung des mittleren Maßstabsfaktors Fm ein, sondern wird als entsprechender Unsicherheitsbeitrag vom Typ B im Unsicherheitsbudget des Messsystems X berücksichtigt [1.8]. 7.2.4 Messung der Zeitparameter Die Richtigkeit der Zeitparametermessung mit dem Messsystem X wird ebenfalls durch Vergleich mit dem Referenzsystem N überprüft. Dieselben Aufzeichnungen der Stoßspannung, aus denen sich der Maßstabsfaktor nach Kap. 7.2.2 ergibt, können auch zur Auswertung der Zeitparameter herangezogen werden. Als Beispiel wird die Stirnzeit von Stoßspannungen betrachtet, die formal als T1 = TAB/0,6 nach Gl. (1.1) festgelegt ist. Aus den vorzugsweise n = 10 simultanen Aufzeichnungen beider Messsysteme ergibt sich die mittlere Messabweichung įT1 als Differenz der mit dem Messsystem X gemessenen Stirnzeit T1X und dem als richtig angenommenen Messwert T1N des Referenzsystems N: įT1
T1X T1N .
(7.3)
234
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
In der Regel ist das Referenzsystem N selbst nicht ganz fehlerfrei, sondern weist eine Messabweichung für die Stirnzeit innerhalb der zulässigen Grenzwerte auf. Diese Messabweichung kann von dem gemessenen Wert T1N als Korrektion subtrahiert werden, um den mit Gl. (7.3) berechneten Wert von įT1 zu verbessern. Die mittlere Messabweichung įT1 nach Gl. (7.3) ist von systematischer Art. Sie lässt sich daher als Korrektion für die bei Stoßspannungsprüfungen mit dem Messsystem X ausgewertete Stirnzeit verwenden. Voraussetzung ist, dass die Stoßspannung annähernd die gleiche Stirnzeit wie bei der Kalibrierung aufweist. Die Stirnzeit T1 und damit auch įT1 werden, wenn der Maßstabsfaktor des Messsystems X spannungsabhängig ist, ebenfalls geringfügig von der Spannungshöhe beeinflusst. Der Grund hierfür ist, dass sich die Nichtlinearität des Maßstabsfaktors bei 0,9 û der Stoßspannung stärker auswirkt als bei 0,3û. Die Messabweichungen für die Zeitparameter von abgeschnittenen Stoßspannungen und Schaltstoßspannungen werden in vergleichbarer Weise ermittelt. 7.2.5 Dynamisches Verhalten Als Ergebnis der Vergleichsmessungen nach Kap. 7.2.2 und Kap. 7.2.4 erhält man den Maßstabsfaktor des Messsystems X und die Messabweichungen der Zeitparameter zunächst nur für einen einzigen Zeitverlauf der Stoßspannung. Beim praktischen Einsatz eines anerkannten Messsystems sind jedoch auch Stoßspannungen mit abweichenden Zeitparametern zu messen. Ein Nachweis, dass das Messsystem unterschiedliche Zeitverläufe von Stoßspannungen innerhalb der festgelegten Toleranz- und Fehlergrenzen richtig messen kann, ist daher erforderlich. Die Untersuchung des dynamischen Verhaltens erfolgt wiederum bevorzugt durch Vergleich des Messsystems X mit einem Referenzsystem N bei Stoßspannungen, deren Stirn-, Scheitel- und Abschneidezeiten innerhalb der vorgegebenen Toleranzgrenzen variiert werden. Als Rückenhalbwertzeit von Blitz- oder Schaltstoßspannungen wird jeweils der obere Toleranzwert T2max eingestellt. Bei der Vergleichsmessung werden der Scheitelwert und die Zeitparameter der Stoßspannung mit beiden Messsystemen simultan gemessen. In der Regel zeigt das Messsystem X einen anderen Scheitelwert als das Referenzsystem an. Die Abweichung įû des mit X gemessenen Scheitelwertes ûX in Bezug zum Referenzwert ûN bei dem gewählten Zeitparameter ist: įû
ûX ûN .
(7.4)
In gleicher Weise werden aus den Aufzeichnungen der beiden Messsysteme die Messabweichungen für die Zeitparameter ermittelt. Die Messabweichungen für den Scheitelwert und die Zeitparameter lassen sich in übersichtlicher Weise in Tabellen auflisten oder – wie im Folgenden gezeigt wird – grafisch in Fehlerdiagrammen darstellen [7.20-7.22].
7 Kalibrierung der Messsysteme
235
7.2.5.1 Fehlerdiagramm für Scheitelwert und Zeitparameter Ein optimal abgeglichener Spannungsteiler mit einer Bemessungsspannung von nicht mehr als 1 MV wird in der Regel nur geringe Messabweichungen für genormte Blitz- und Schaltstoßspannungen aufweisen. Größere Abweichungen sind bei der Messung abgeschnittener Blitzstoßspannungen zu erwarten. Als Beispiel ist in Abb. 7.5 das Fehlerdiagramm eines ohmschen 2-MV-Spannungsteilers für abgeschnittene Blitzstoßspannungen wiedergegeben. Es zeigt die relativen Messabweichungen įû für den Scheitelwert und įT1 für die Stirnzeit in Abhängigkeit von der Abschneidezeit Tc. Die Stirnzeit der abgeschnittenen Stoßspannung wird hier als Messgröße gewählt, da sie entsprechend ihrer Definition nach Gl. (1.2) eindeutig zu bestimmen ist und gleichermaßen für volle und im Rücken abgeschnittene Blitzstoßspannungen gilt. a)
Tc 0
0,5
1
0
0,5
1
1,5
2
μs
2,5
1,5
2
μs
2,5
0 % įû
-4 -6 -8
b) 0
Tc
% -5 įT1 -10
-15 Abb. 7.5. Fehlerdiagramm eines 2-MV-Widerstandsteilers für abgeschnittene Blitzstoßspannungen in Abhängigkeit von der Abschneidezeit Tc a) Relative Messabweichung įû für den Scheitelwert b) Relative Messabweichung įT1 für die Stirnzeit
Typisch für den untersuchten Spannungsteiler dieser Größenordnung mit einem Gesamtwiderstand von 12 kȍ ist, dass die Messabweichungen įû und įT1 mit abnehmender Abschneidezeit zunehmend in den negativen Bereich abfallen. Ursa-
236
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
che hierfür sind die Streukapazitäten des Spannungsteilers, über die ein frequenzabhängiger Teil des Messstromes zur Erde abfließt und somit nicht zur Anzeige des Messwertes beiträgt (s. Kap. 5.1.1.1). Die Kenntnis der systematischen Messabweichungen įû und įT1 in Abb. 7.5 ermöglicht eine Korrektion der Scheitelwerte und Stirnzeiten, die vom Messsystem für abgeschnittene Stoßspannungen angezeigt werden. Der gesamte Bereich der Abschneidezeit Tc kann auch in zwei oder mehr Teilabschnitte unterteilt werden, für die jeweils ein entsprechender Mittelwert der Messabweichungen įû und įT1 bestimmt und als Korrektion verwendet wird. Als Alternative zur Korrektion des gemessenen Scheitelwertes kann der Maßstabsfaktor des Messsystems für den gesamten Bereich oder einen Teilabschnitt von Tc neu festgesetzt werden, so dass dadurch die Messabweichung įû im Mittel null ist.
7.3 Alternative Kalibrierung von Stoßspannungsmesssystemen Hauptkomponenten eines Stoßspannungsmesssystems sind der Spannungsteiler mit Dämpfungswiderstand und der Digitalrecorder. Weitere Komponenten können der externe Abschwächer am Recordereingang und das Messkabel oder ein anderes Signalübertragungssystem zwischen dem Spannungsteiler und Recorder sein. Die Kalibrierung der Einzelkomponenten stellt eine Alternative zur Vergleichsmessung des vollständigen Messsystems mit einem Referenzsystem bei Stoßspannung dar. Hierbei können die Maßstabsfaktoren der einzelnen Komponenten und die Messabweichungen für die Zeitparameter auch mit Messgeräten und Messverfahren ermittelt werden, die im Niederspannungsbereich gebräuchlich sind. Das Produkt der Maßstabsfaktoren der einzelnen Komponenten ergibt den Maßstabsfaktor des vollständigen Messsystems. Der Linearitätsnachweis bis zur maximalen Einsatzspannung erfolgt bei Stoßspannung mit einem der in Kap. 7.2.3 genannten Verfahren [1.8]. Das dynamische Verhalten der Komponenten eines Stoßspannungsmesssystems kann ebenfalls mit Alternativverfahren bei Niederspannung ermittelt werden. Zur experimentellen Untersuchung des Spannungsteilers eignen sich niederohmige Impulsgeneratoren, die Stoßspannungen mit einigen 100 V Ausgangsspannung und variabler Stirnzeit erzeugen [4.22]. Eine weitere Möglichkeit bietet die Auswertung der experimentellen Sprungantwort des Stoßspannungsteilers in einem Zeitbereich, der durch die Toleranzgrenzen der Zeitparameter der Stoßspannung vorgegeben ist (s. Kap. 7.3.2). Schließlich wird auf die Faltung verwiesen, mit der die Ausgangsspannung eines Stoßspannungsteilers mit bekannter Sprungantwort für beliebige Eingangsspannungen berechnet werden kann (s. Kap. 3.1 und Kap. 3.6).
7 Kalibrierung der Messsysteme
237
7.3.1 Kalibrierung bei Niederspannung Zur Bestimmung des Maßstabsfaktors von Stoßspannungsteilern bei Niederspannung eignen sich je nach Bauart Gleich- oder Wechselspannungskalibratoren mit Ausgangsspannungen von einigen 100 V in Verbindung mit einem Digitalvoltmeter [4.22]. Der Maßstabsfaktor des Spannungsteilers ergibt sich als Quotient der angelegten Eingangsspannung und der gemessenen Ausgangsspannung. Zur störungsfreien Messung der recht kleinen Ausgangsspannung ist es ratsam, den Messkreis nicht mit der allgemeinen Laborerde zu verbinden. Ein weiteres Alternativverfahren besteht darin, die Widerstände bzw. Kapazitäten auf der Hoch- und Niederspannungsseite eines Stoßspannungsteilers mit einer NiederspannungsMessbrücke zu messen und hieraus den Maßstabsfaktor zu berechnen. Neben der Bestätigung durch einen Linearitätstest ist zu überprüfen, ob der mit Gleich- oder Wechselspannungsmessverfahren ermittelte Maßstabsfaktor auch für Stoßspannungen gilt. Jedes der genannten Niederspannungsverfahren eignet sich gut für die regelmäßigen Kontrollmessungen zur Überprüfung der Langzeitstabilität des Maßstabsfaktors. Das dynamische Verhalten eines Stoßspannungsteilers lässt sich umfassend mit einem niederohmigen Impulsgenerator untersuchen, der doppelexponentielle Spannungsimpulse nach Gl. (2.8) mit variabler Anstiegszeit und Scheitelwerten von mehreren 100 V erzeugt. Die auf den Eingang des Spannungsteilers gegebenen Spannungsimpulse und die Ausgangsimpulse werden von einem Digitalrecorder mit ausreichend hoher Auflösung simultan aufgezeichnet und anschließend wie Stoßspannungen ausgewertet. Die Abweichungen der gemessenen Scheitelwerte und Zeitparameter von den entsprechenden Werten der Eingangsspannung lassen sich anschaulich wiederum in Fehlerdiagrammen darstellen. Als Beispiel zeigt Abb. 7.6 das Fehlerdiagramm eines ohmschen 700-kV-Stoßspannungsteilers in Abhängigkeit von der Stirnzeit T1 der angelegten Spannungsimpulse mit einem Scheitelwert von 400 V. Mit abnehmender Stirnzeit der Spannungsimpulse werden der Scheitelwert zu niedrig und die Stirnzeit zu groß gemessen [4.22]. Auch wenn in dem Beispiel in Abb. 7.6a die Messabweichung įû innerhalb der Grenzwerte ±1 % bleibt, empfiehlt es sich, den Maßstabsfaktor des Stoßspannungsteilers um 0,6 % zu erhöhen. Dies ist gleichbedeutend mit einer entsprechenden Vergrößerung der gemessenen Scheitelwerte, wodurch sich die Fehlerkurve in Abb. 7.6a insgesamt nach oben zu kleineren Absolutwerten |įû| verschiebt. Im Toleranzbereich der Stirnzeit T1 = 1,2 μs ± 30 % liegt die Messabweichung įû dann innerhalb von nur ±0,1 % und erreicht bei langen Stirnzeiten den Wert įû = +0,3 %. Die Messabweichung įT1 für die Stirnzeit in Abb. 7.6b lässt sich zur Korrektion der mit diesem Spannungsteiler gemessenen Stirnzeiten verwenden (s. Kap. 7.2.4). Weitere Untersuchungen an dem ohmschen Spannungsteiler bestätigen und ergänzen die Ergebnisse der Impulskalibrierung bei Niederspannung. Die durch Gleichspannungs-, Wechselspannungs- und Widerstandsmessungen ermittelten Werte für den Maßstabsfaktor stimmen innerhalb von ±0,2 % überein. Zusätzliche Messungen der Ein- und Ausgangsspannungen des Spannungsteilers bei Wechsel-
238
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
spannung mit Frequenzen von bis zu 150 kHz zeigen eine Abnahme der Ausgangsspannung mit steigender Frequenz. Dies entspricht in der Tendenz dem Verlauf der Messabweichung įû mit abnehmender Stirnzeit (Abb. 7.6a). Vergleichsmessungen mit einem Referenzsystem bei Stoßspannung betätigen weitgehend die bei Niederspannung gewonnenen Messwerte [4.22].
a)
T1 0
2
4
6
0
2
4
6
μs
8
0 -0.2 % -0.4 -0.6 įû -0.8 -1
b)
10 %8
6
įT1
4 2 0 μs
8
T1 Abb. 7.6. Fehlerdiagramm eines ohmschen 700-kV-Spannungsteilers in Abhängigkeit von der Stirnzeit T1. Die Messungen wurden mit Impulsspannungen von 400 V durchgeführt. a) Relative Messabweichung įû für den Scheitelwert b) Relative Messabweichung įT1 für die Stirnzeit
7.3.2 Auswertung der Sprungantwort Als Alternative zur Vergleichsmessung bei Stoßspannung mit unterschiedlichen Zeitparametern (s. Kap. 7.2.5) lässt sich das dynamische Verhalten eines Stoßspannungsteilers an Hand seiner Sprungantwort beurteilen. Das Verfahren wird hier an einem Beispiel für volle Blitzstoßspannungen mit der Stirnzeit T1 erläutert. Die aufgezeichnete Sprungantwort g(t) wird zunächst leicht gefiltert, um Überlagerungen durch das interne Rauschen des Digitalrecorders und durch kleine, hochfrequente Schwingungen weitgehend zu beseitigen. Im nächsten Schritt wird das Referenzniveau als Mittel der Sprungantwort im Referenzzeitbereich zwischen 0,5tmin und 2tmax bestimmt und gleich eins gesetzt (s. Kap. 3.7.1). Hierbei bezeichnen tmin = 0,84 μs und tmax = 1,56 μs die Toleranzgrenzen der Stirnzeit einer genormten Blitzstoßspannung. Die Sprungantwort darf im Referenzzeitbereich um
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239
nicht mehr als 2 % und im weiteren Zeitverlauf zwischen 2tmax und 2T2max um nicht mehr als 5 % vom Referenzniveau abweichen, wobei T2max = 60 μs der obere Toleranzwert der Rückenhalbwertzeit ist (Abb. 7.7). Weiterhin darf die Sprungantwort zur Zeit der Stirnzeit T1cal der Stoßspannung, mit der der festgesetzte Maßstabsfaktor Fm durch Vergleichsmessung bestimmt wird (s. Kap. 7.2.2), um nicht mehr als 1 % vom Referenzniveau abweichen. 1,2 1.2
1.1 1,1
Referenzniveau
g(t)
±5 %
±2 %
1,01
0.9 0,9
Referenzzeitbereich 00.8
00
1000 0,5
0,5tmin
2000 1
T1cal
3000 1,5
4000 2
5000 2,5
t
6000 3
7000 3,5
μs 8000 4
2tmax
Abb. 7.7. Ausschnittsvergrößerung der Sprungantwort g(t) eines Stoßspannungsteilers (schematisch). Das Referenzniveau ist das Mittel der Sprungantwort im Referenzzeitbereich zwischen 0,5tmin und 2tmax.
Sind die Anforderungen an die Sprungantwort erfüllt, wird das dynamische Verhalten des Spannungsteilers als ausreichend zur Messung von Blitzstoßspannungen im Toleranzbereich der Stirnzeit T1 = 1,2 μs ± 30 % anerkannt. Aus der maximalen Abweichung der Sprungantwort vom Referenzniveau innerhalb des Referenzzeitbereichs lässt sich ein entsprechender Unsicherheitsbeitrag vom Typ B ableiten, der beim Maßstabsfaktor zu berücksichtigen ist (s. Kap. A2). Im Beispiel von Abb. 7.7 beträgt die Abweichung der Sprungantwort vom Referenzniveau weniger als 1 %, woraus sich eine Standardmessunsicherheit von weniger als 0,6 % ergibt. 7.3.3 Einfluss benachbarter Objekte (Näheeffekt) Der Maßstabsfaktor eines Stoßspannungsteilers wird vom Abstand zu benachbarten Objekten und Wänden beeinflusst. Dieser Näheeffekt lässt sich ohne großen Aufwand mit einem Digitalvoltmeter oder einer Messbrücke bei Niederspannung
240
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
erfassen. Eine Wechselspannung mit einer Amplitude von einigen 100 V und einer Frequenz von vorzugsweise 1 kHz wird an den Spannungsteiler angelegt und dessen Ausgangsspannung für verschiedene Wandabstände gemessen. Ursache für die Beeinflussung des Maßstabsfaktors ist die Streukapazität Ce des Spannungsteilers, über die ein Teil des Messstroms direkt zur Erde oder über geerdete Objekte abgeleitet wird und dadurch der Messung am Teilerausgang verloren geht (s. Kap. 5.1.1.1). Für einen kapazitiven Spannungsteiler ist dies gleichbedeutend mit einer Verringerung der wirksamen Kapazität auf der Hochspannungsseite, die mit einem Kapazitätsmessgerät direkt ermittelt werden kann. Als Beispiel zeigt Abb. 7.8 die wirksame Hochspannungskapazität C1 eines gedämpft kapazitiven 500-kV-Stoßspannungsteilers in Abhängigkeit vom Abstand d zu einem geerdeten Metallgitter. Bei einem Abstand d = 1,4 m, der gleich der Höhe des Spannungsteilers ist, beträgt die Kapazitätsabnahme 0,14 % vom Bemessungswert C10 = 150 pF. Dementsprechend ist die Spannung am Teilerausgang zu niedrig. Zum Ausgleich kann der Maßstabsfaktor entsprechend erhöht werden, was aber hier wegen der geringen Beeinflussung der Hochspannungskapazität nicht unbedingt erforderlich ist. Das Ergebnis dient als Orientierung bei der Abschätzung des Näheeffekts infolge des Einflusses von Objekten wie Stoßspannungsgenerator oder andere Spannungsteiler sowie der Abschätzung eines entsprechenden Unsicherheitsbeitrages für den Maßstabsfaktor. Wegen der Gefahr eines Überschlags zur Wand brauchen kleinere Wandabstände als die Teilerhöhe beim Näheeffekt nicht berücksichtigt zu werden. 100 % 99,8 d
C1 /C10 99,6
2 1
99,4
99,2 0
1
2
3
m
4
d
Abb. 7.8. Einfluss einer geerdeten Gitterwand 2 auf die Hochspannungskapazität C1 eines im Abstand d aufgestellten gedämpft kapazitiven Stoßspannungsteilers 1 mit C10 = 150 pF
7.3.4 Kurz- und Langzeitverhalten Das Kurzzeitverhalten elektronischer Messgeräte wird üblicherweise nach einer festgelegten Warmlaufphase für eine Betriebszeit von 1 h, 8 h oder 24 h angegeben. Innerhalb der Betriebszeit garantiert der Hersteller für die Einhaltung der
7 Kalibrierung der Messsysteme
241
spezifizierten Messeigenschaften. Für einen Stoßspannungsteiler ist häufig nur die maximale Stoßfrequenz angegeben, die zu keiner merklichen Beeinträchtigung der erwarteten Lebensdauer führt. In der Regel ist sie auf ein oder zwei Stöße je Minute bei maximaler Ladespannung begrenzt. Bei hoher Stoßfrequenz und Ladespannung ist mit einer Selbsterwärmung des Stoßspannungsteilers zu rechnen, die entsprechend dem Temperaturkoeffizienten eine meist reversible Änderung des Maßstabsfaktors verursacht. Zur Untersuchung des Selbsterwärmungseffekts wird der Spannungsteiler zunächst mit Stoßspannungen für die vorgegebene Dauer und Stoßfrequenz beansprucht. Unmittelbar nach Abschalten und Erden der Anlage wird der Maßstabsfaktor mit einem der in Kap. 7.3.1 angegebenen Messverfahren bei Niederspannung ermittelt. Die Änderung des Maßstabsfaktors gegenüber dem Anfangswert kennzeichnet das Kurzzeitverhalten des Stoßspannungsteilers. Die Differenz zwischen dem Endwert und dem Anfangswert, dividiert durch ¥3, ist nach [1.8] der Unsicherheitsbeitrag vom Typ B für den Maßstabsfaktor infolge des Kurzzeitverhaltens (s. Kap. A2). Genaue Kenntnis über das Langzeitverhalten eines Messsystems erhält man durch regelmäßige Überprüfung des Maßstabsfaktors im Rahmen der vorgeschriebenen Kontrollmessungen und Eignungsprüfungen. Wenn dabei Abweichungen vom festgesetzten Wert Fm festgestellt werden, kann die Ursache hierfür von zufälliger oder systematischer Art sein. Eine geringe Streuung der Messwerte innerhalb von ±1 % ist durchaus akzeptabel und in der Regel dadurch bedingt, dass die Messbedingungen bei Wiederholungsmessungen selten völlig identisch sind. Der festgesetzte Maßstabsfaktor Fm bleibt erhalten und die beobachtete Messabweichung, dividiert durch ¥3, wird als Unsicherheitsbeitrag vom Typ B berücksichtigt. Eine systematische Änderung des Maßstabsfaktors kann infolge Alterung der Bauelemente im Spannungsteiler oder Messgerät auftreten und sich über Jahre erstrecken. Diese auch als (Langzeit-)Drift bezeichnete Änderung verläuft in der ersten Zeit nach Inbetriebnahme des Messsystems meist exponentiell, bis sich nach längerer Zeit ein nahezu konstanter Wert für den Maßstabsfaktor einstellt. Beträgt die Änderung mehr als 1 %, ist der Maßstabsfaktor neu festzusetzen und ein restlicher Unsicherheitsbeitrag abzuschätzen (s. Kap. A2). Beim erstmaligen Einsatz eines neuen Stoßspannungsmesssystems ist das Ausmaß einer möglichen Alterung und die daraus resultierende Änderung des Maßstabsfaktors häufig nicht genau bekannt. In diesem Fall kann zunächst einer verlässlichen Quelle, z. B. Herstellerangaben, ein erster Wert der Abweichung des Maßstabsfaktors für die angegebene Zeit, in der Regel ein Jahr, entnommen werden. In der Regel ist jedoch nicht bekannt, ob die angegebene Abweichung auf einer zufälligen Streuung oder einer systematischen Änderung des Messsystems beruht. Eine Extrapolation auf eine andere als die angegebene Zeit erscheint dann nicht gerechtfertigt. Die angegebene Langzeitabweichung, dividiert durch ¥3, ergibt den Unsicherheitsbeitrag vom Typ B für den Maßstabsfaktor infolge der Langzeitalterung. Erst durch regelmäßige Kontrollmessungen und Eignungsprüfungen in der Folgezeit erhält man genauere Kenntnis über das Langzeitverhalten des Messsystems und kann gegebenenfalls den Unsicherheitsbeitrag für den Maßstabsfaktor verringern.
242
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
7.4 Kalibrierung von Digitalrecordern Die in Stoßspannungs- und Stoßstrommesssystemen eingesetzten Digitalrecorder, ebenso wie Stoßoszilloskope und Stoßvoltmeter, sind umfassend hinsichtlich ihrer Messeigenschaften zu untersuchen. Wie beim vollständigen Messsystem garantiert der Hersteller die Grundeigenschaften des Recorders und der Anwender überprüft die Langzeitstabilität im Rahmen der regelmäßigen Eignungsprüfungen und Kontrollmessungen. Im Vordergrund steht die Bestimmung des Maßstabsfaktors und der Messabweichungen für die Zeitparameter in allen Messbereichen des Recorders. Weitere Anforderungen betreffen die Amplituden- und Zeitauflösung, Nichtlinearität und Anstiegszeit [4.1]. Die Software, mit der die aufgezeichneten Messdaten ausgewertet werden, unterliegt einer gesonderten Richtigkeitsprüfung mit den Daten typischer Stoßspannungen und Stoßströme (s. Kap. 4.3). Die bevorzugte Kalibrierung von Digitalrecordern zur Bestimmung des Maßstabsfaktors und der Zeitparameter erfolgt mit Impulsen, die einen vergleichbaren Zeitverlauf aufweisen wie die genormten Stoßspannungen und Stoßströme. Für den praktischen Einsatz stehen Impulskalibratoren zur Verfügung, die die Impulsspannungen mit Scheitelwerten von bis zu 2000 V und beiden Polaritäten erzeugen (s. Kap. 4.5). Die Einhaltung der Anforderungen an die Impulskalibratoren selbst wird durch eine rückführbare Kalibrierung nachgewiesen. Der Vorteil bei Verwendung der genormten Kalibrierimpulse ist offensichtlich: bei der Kalibrierung zeichnet der Recorder die gleichen Impulsformen auf und wertet diese mit derselben Software aus wie bei Stoßspannungs- oder Stoßstromprüfungen. Dies gilt auch für den Algorithmus, mit dem die aufgezeichneten Daten der Impulse vor der Auswertung geglättet und das interne Rauschen des Recorders oder überlagerte Schwingungen reduziert werden. Die Kalibrierung des Recorders beinhaltet damit indirekt auch eine Überprüfung der Auswertesoftware für die ausgewählten Kalibrierimpulse. Bei der Kalibrierung eines Digitalrecorders mit Normimpulsen werden der Scheitelwert und die Zeitparameter jeweils als Mittelwert aus mindestens zehn Aufzeichnungen für jeden Messbereich bei verschiedenen Aussteuerungen bestimmt. Durch Vergleich der Mittelwerte mit den jeweiligen Vorgabewerten des Impulskalibrators ergeben sich der Maßstabsfaktor des Recorders und die Messabweichungen der Zeitparameter für die untersuchten Eingangsbereiche. Die vollständige Kalibrierung eines Digitalrecorders mit vollen und abgeschnittenen Stoßspannungen in allen Messbereichen bei verschiedenen Aussteuerungen umfasst häufig mehr als eine Million Einzelimpulse. Stammen Kalibrator und Recorder von demselben Hersteller, wird in der Regel die automatisierte Erfassung und Auswertung der Messdaten unterstützt. Wenn der Digitalrecorder mehrere Eingangskanäle aufweist, können diese zwecks Zeitersparnis in Parallelschaltung mit einem Impulskalibrator gleichzeitig kalibriert werden. Hierbei ist jedoch der Einfluss der parallel geschalteten Eingangswiderstände und -kapazitäten der Recorderkanäle auf die erzeugten Kalibrierimpulse zu berücksichtigen.
7 Kalibrierung der Messsysteme
243
Beim alternativen Kalibrierverfahren wird der Digitalrecorder mit Sprungspannungen kalibriert. Diese lassen sich recht genau mit Hilfe einer Gleichspannungsquelle und eines mit Quecksilber benetzten Reed-Kontaktes mit Amplituden von maximal 500 V erzeugen (s. Kap. 3.7.2). Das Alternativverfahren mit Sprungspannungen hat einen grundsätzlichen Nachteil: für die Auswertung der aufgezeichneten Daten ist eine andere als die für Stoßspannungen und Stoßströme entwickelte Software erforderlich. Der Maßstabsfaktor ergibt sich als Quotient aus der am Recordereingang anliegenden Gleichspannung und der Amplitude, die als Mittelwert der mehrfach aufgezeichneten Sprungantwort in einem festgelegten Zeitfenster ausgewertet wird. Für genormte Blitzstoßspannungen und ExponentialStoßströme reicht dieses Zeitfenster von 0,5T1 bis T2max. Innerhalb des Zeitfensters darf sich die Sprungantwort des Recorders nur um maximal 1 % ändern. Eine zusätzliche Anforderung besteht für die Anstiegszeit der angelegten Sprungspannung, die kleiner als 10 % der unteren Zeitfenstergrenze bei 0,5T1 sein soll. Vor der Datenauswertung wird das der Sprungantwort bei der Signalabtastung im ADWandler überlagerte Rauschen durch Filterung weitgehend reduziert. Der Scheitelwert einer aufgezeichneten Stoßspannung 1 lässt sich durch Vergleich mit der Amplitude einer Sprungspannung 2 direkt überprüfen (Abb. 7.9). Dieses Verfahren ist gleichfalls für analoge Stoßoszilloskope geeignet. Die meisten Digitalrecorder erleichtern die Bestimmung des Scheitelwertes am Bildschirm durch zwei horizontale Hilfslinien, die auf das Nullniveau und den Impulsscheitel eingestellt werden und deren Differenz den Scheitelwert angibt. An Stelle der Sprungspannung kann eine Gleichspannung verwendet werden. Das Kalibrierverfahren mit Sprungspannung ist jedoch zu bevorzugen, da diese wie die Stoßspannung selbst ein dynamisches Signal darstellt und das Nullniveau mit angibt. Wenn der aufgezeichneten Stoßspannung ein Rauschen überlagert ist, wird die Sprungspannung an die mittlere Kurve der Aufzeichnung angepasst. 2 1
1
u(t ) û 0.5
0 0
2
Tp
t
4
μs
6
Abb. 7.9. Bestimmung des Scheitelwertes einer aufgezeichneten Stoßspannung 1 durch direkten Vergleich mit einer Sprungspannung 2 zur Scheitelzeit Tp
244
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Zur Kalibrierung von Digitalrecordern bieten sich ebenfalls Sinusspannungen an. Sie haben den Vorteil, dass sie berechenbar sind und mit einem Sinuskalibrator sehr genau erzeugt werden können. Durch Vergleich der aufgezeichneten Stoßspannung mit einer Sinusspannung lassen sich die vom Recorder angezeigten Messwerte für den Scheitelwert und die Stirnzeit der Stoßspannung überprüfen. Die Sinusspannung wird weitgehend an den Anfangsverlauf der aufgezeichneten Stoßspannung angepasst, wodurch eine annähernd gleich große dynamische Beanspruchung des Recorders erzielt wird (Abb. 7.10). Die doppelte Sinusamplitude entspricht hierbei dem Scheitelwert der Stoßspannung und die Sinusfrequenz wird so gewählt, dass die Zeitdifferenz zwischen 30 % und 90 % der doppelten Sinusamplitude gleich der dazu äquivalenten Zeit TAB der aufgezeichneten Stoßspannung ist. Für eine genormte Blitzstoßspannung 1,2/50 mit TAB = 0,6T1 = 0,72 μs beträgt die Frequenz der äquivalenten Sinusspannung f = 295,9 kHz [4.29]. 1
1,0 0,9
B
u(t ) û
2
A
0,3
-1
0
1
TAB
2
3
μs
4
t
Abb. 7.10. Kalibrierung der Stirnzeit T1 einer genormten Blitzstoßspannung 1 durch Vergleich mit einer gleich großen Sinusspannung 2. Für T1 = 1,2 μs ist die Zeit TAB zwischen 0,3û und 0,9û identisch mit der einer Sinusspannung der Frequenz f = 295,9 kHz.
7.5 Kalibrierung von Stoßstrommesssystemen Das grundlegende Schema der Messverfahren und Anforderungen ist vergleichbar mit dem für Stoßspannungsmesssysteme. Für den Anwender eines Stoßstrommesssystems sind neben den vom Hersteller anzugebenden Grundeigenschaften vor allem der Maßstabsfaktor und die Messabweichungen für die Zeitparameter einschließlich der Messunsicherheiten wichtig [1.24]. Die Langzeitstabilität dieser Eigenschaften ist durch regelmäßige Eignungsprüfungen und Kontrollmessungen nachzuweisen und zu dokumentieren. In der konventionellen Prüfpraxis werden
7 Kalibrierung der Messsysteme
245
als Stromsensoren hauptsächlich koaxiale Messwiderstände (s. Kap. 6.1) und Messspulen mit oder ohne Magnetkern (s. Kap. 6.2) verwendet. Beide Sensorarten liefern Ausgangsspannungen, die dem Stoßstrom entweder direkt oder nach Integration proportional sind und von Digitalrecordern aufgezeichnet werden. Bevorzugtes Kalibrierverfahren ist wiederum die Vergleichsmessung des vollständigen Messsystems X mit einem Referenzsystem N bei Stoßstrom. Hierbei liegen die Stromsensoren beider Messsysteme in Reihe und werden von demselben Strom durchflossen. In der Kalibrierschaltung nach Abb. 7.11 stellt der Stromsensor des Messsystems X eine Messspule mit Magnetkern dar. Der Stromleiter wird zentrisch durch die Spulenöffnung geführt. Die dem Strom i(t) proportionale Ausgangsspannung der Messspule mit internem Integrierglied ist potenzialfrei und wird als uX(t) von einem für Stoßstrommessungen geeigneten Digitalrecorder aufgezeichnet und ausgewertet. Als Stromsensor des Referenzsystems N mit dem Maßstabsfaktor FN wird vorzugsweise ein koaxialer Messwiderstand eingesetzt, der am Recordereingang die Referenzspannung uN(t) hervorruft. Bei der Messung der in [1.24] genormten Stoßströme ist es in der Regel nicht unbedingt erforderlich, die Eingänge der Recorder mit dem Kabelwellenwiderstand abzuschließen.
Messsystem X
uX i
Stoßstromgenerator
uN Referenz N
Abb. 7.11. Prinzip der Vergleichsmessung zwischen dem Messsystem X mit Messspule und internem Integrierglied und dem Referenzsystem N mit Koaxialshunt bei Stoßstrom
Ist der Recorder des Referenzsystems N nicht speziell für Stoßstrommessungen konzipiert, wird er zusammen mit dem Messkabel zur Vermeidung induktiv eingekoppelter Störspannungen zusätzlich geschirmt. Der durch das Magnetfeld induzierte Störstrom wird so über den äußeren Schirm gegen Erde abgeleitet und beeinflusst nicht die Messung (s. Kap. 6.1). Wegen des Magnetkerns der Messspule sind Kontrollmessungen an der um 180° gedrehten Messspule empfehlenswert, um einen möglichen Polaritätseinfluss aufzudecken.
246
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Wenn der Stromsensor des zu kalibrierenden Messsystems X ein Messwiderstand ist, empfiehlt sich zur Vermeidung von Erdungsproblemen die Verwendung einer potenzialfreien Messspule im Referenzsystem N. Dieses Referenzsystem ist gegen ein anderes Referenzsystem mit Messwiderstand kalibriert, was allerdings zwangsläufig mit einer Genauigkeitseinbuße verbunden ist. Bei der Vergleichsmessung werden die Ausgangsspannungen uX(t) und uN(t) der beiden Stromsensoren simultan mit den zugehörigen Digitalrecordern aufgezeichnet und mit Software hinsichtlich des Scheitelwertes, der Zeitparameter und gegebenenfalls weiterer Messgrößen des Stoßstromes ausgewertet. Die Einzelheiten der Messung und Auswertung sind in vergleichbarer Weise wie für Stoßspannungen festgelegt (s. Kap. 7.2). Die Vergleichsmessung wird bei mindestens fünf Stromstärken zwischen 5 % bis 100 % der Bemessungsstromstärke des Messsystems X durchgeführt. Bei jeder Stromstärke wird ein mittlerer Maßstabsfaktor FX gemäß Gl. (7.2) aus mindestens zehn Aufzeichnungen berechnet. Der festgesetzte Maßstabsfaktor Fm ergibt sich als Mittelwert der Einzelwerte bei allen Stromstärken. Die Unsicherheitsbeiträge vom Typ A und B werden in analoger Weise wie für ein Stoßspannungsmesssystem bestimmt. Kann die Vergleichsmessung mit dem Referenzsystem N nicht bis zur vollen Bemessungsstromstärke des Messsystems X durchgeführt werden, ist die Linearität von X durch Vergleich mit einem alternativen Messsystem nachzuweisen. Grundsätzlich gut geeignet für die Linearitätsprüfung sind Rogowski-Spulen mit Integrator, die auf einem festen (unmagnetischen) Kern gewickelt sind (s. Kap. 6.2.1). Die von beiden Messsystemen für den Stoßstrom angezeigten Scheitelwerte sollen um nicht mehr als 1 % voneinander abweichen. Bei größerer Abweichung wird zur weiteren Klärung die Linearitätsprüfung mit einem anderen Messsystem wiederholt. Wenn der Stromsensor des Messsystems X ein Messwiderstand ist, kann der Linearitätsnachweis auch durch eine Rechnung erbracht werden. Ein einzelner Stromimpuls verursacht beim Messwiderstand R eine nahezu adiabatische Temperaturerhöhung ǻT nach Gl. (6.11), die entsprechend dem Temperaturkoeffizienten KTK eine Widerstandsänderung ǻR = RKTKǻT und damit eine prozentual gleichgroße Änderung des Maßstabsfaktors hervorruft (s. Kap. 6.1.7). Die Widerstandserhöhung lässt sich für den jeweiligen Zeitverlauf des Stoßstromes aus den Angaben des Herstellers für das Grenzlastintegral und die maximale Temperaturerhöhung berechnen. Beim Alternativverfahren werden die Komponenten eines Strommesssystems einzeln kalibriert, wobei auch Messverfahren bei kleinen Stromstärken zur Anwendung kommen. Auf eine vergleichbare Beschaltung der Komponenten am Einund Ausgang wie beim Einsatz im vollständigen Messsystem ist zu achten. Das Produkt der Maßstabsfaktoren der einzelnen Komponenten ergibt den Maßstabsfaktor des vollständigen Messsystems. Zusätzlich ist dessen Linearität mit Stoßstrom bis zur maximal vorgesehenen Stromstärke nachzuweisen. Der Nachweis, dass das dynamische Verhalten des Messsystems X ausreichend ist, lässt sich außer durch eine Vergleichsmessung auch mit Hilfe der numerischen Faltungsrechnung normgerecht erbringen (s. Kap. 3.6). In der Regel weist der im Messsystem eingesetzte Recorder nicht die zur Messung der Sprungantwort erfor-
7 Kalibrierung der Messsysteme
247
derliche Amplitudenauflösung auf. Er wird dann durch einen empfindlicheren Recorder, ggf. mit externem Vorverstärker, ersetzt. Inwieweit die aufgezeichnete Sprungantwort des Stromsensors durch die Eigenschaften des Recorders und Vorverstärkers beeinflusst wird, muss gesondert untersucht werden. Mit der Faltung werden die Ausgangssignale des Stromsensors für ausgewählte Stoßstromverläufe mit variablen Zeitparametern berechnet. Aus der Differenz der normierten Zeitverläufe am Ein- und Ausgang des Sensors erhält man die Abweichungen für den Scheitelwert und die Zeitparameter. Die Ergebnisse lassen sich in Tabellen oder Fehlerdiagrammen übersichtlich zusammenstellen (s. Kap. 7.2.5.1). Grundsätzlich sind die Voraussetzungen für die Anwendung der Faltung auf koaxiale Messwiderstände nahezu optimal. Durch deren geschirmte Bauweise und die Möglichkeit, den Stromsprung über ein Koaxialkabel reflexionsfrei einzuspeisen, lässt sich die Sprungantwort messtechnisch richtig erfassen. Das Ergebnis der Faltungsrechnung für einen koaxialen Messwiderstand kann daher in der Regel als verlässlich angesehen werden.
Literatur zu Kapitel 7 [7.1] Internetadresse: www.iec.ch [7.2] Internetadresse: www.dke.de [7.3] Internetadresse: www.cigre.org [7.4] Internetadresse: www.ptb.de [7.5] Schon, K.; Lucas, W.: Worldwide interlaboratory test comparisons of high voltage impulse dividers. 2nd ERA Conference on High Voltage Measurements and Calibration, Arnhem (1994), S. 3.1.1-3.1.9 [7.6] Bonamy, A.; Bossi, S.; Deschamps, F., do Vale, A., Garnacho, F., Hughes, R.C., Lightfoot, H. A., Rizzi, G., Simon, P.; Schon, K., Schulte, R., van Boetzelaer, A.W., Vaz, A., International comparison of hv impulse dividers. 7. ISH Dresden (1991), Beitrag 61.07 [7.7] Hällström, J., Aro, M., Bergman, A., Bovier-Labierre, V., Garnacho, F., Juvik, J. I., Kiseliev, V., Lian Hong, Z., Lucas, W., Li, Y., Pykälä, M.-L., Rungis, J., Schon, K., Truong, V. H.: Worldwide comparison of lightning impulse voltage measuring systems at 400 kV level. IEEE Trans. IM, Vol. 56 (2007), S. 619-623 [7.8] Internetadresse: www.bipm.org [7.9] Internetadresse: www.dakks.eu [7.10] Schon, K.: Der Deutsche Kalibrierdienst (DKD) auf dem Gebiet der HochspannungsMessgrößen. Tagungsband zum HIGHVOLT-Kolloquium ’03, Dresden, 2003 [7.11] DIN EN ISO/IEC 17025: Allgemeine Anforderungen an die Kompetenz von Prüf- und Kalibrierlaboratorien (2005) [7.12] DIN ISO 9001: Qualitätssicherungssysteme (2000) [7.13] Internetadresse: www.european-accreditation.org [7.14] Internetadresse: www.ilac.org [7.15] Internetadresse: www.wto.org [7.16] Gobbo, R., Pesavento, G.: Analysis of the new procedure of divider qualification according to IEC 60-2. 9. ISH Graz (1995), Beitrag 4515
248
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
[7.17] Breilmann, W., Hinrichsen, V.: Two methods of linearity tests of approved measuring systems for LI < 3 MV and SI < 2 MV. 13. ISH Delft (2003), Beitrag 643 [7.18] Suomalainen, E.-P., Hällström, J., Piiroinen, J.: Capacitive divider as a field sensor for voltage linearity measurement on AC dividers. 13. ISH Delft (2003), Beitrag 418 [7.19] Rizzi, G., Tronconi, G., Gobbo, R., Pesavento, G.: Determination of the linearity of impulse divider in the light of the revision of IEC 60: Comparison among several methods. 8. ISH Yokohama (1993), Beitrag 52.05 [7.20] Kind, D., Korff, H., Schon, K.: Abschneidefehler zur Beurteilung von Stoßspannungsteilern. PTB-Bericht PTB-E-28 (1986), S. 22-26 [7.21] Kind, D., Korff, H., Schmidt, A., Schon, K.: Chopping errors for characterizing hv impulse dividers. 5. ISH Braunschweig (1987), Beitrag 71.02 [7.22] Kind, D., Schon, K., Schulte, R.: The calibration of standard impulse dividers. 6. ISH New Orleans (1989), Beitrag 41.10 [7.23] Oliveira, O. B., Junqueira, A. J. S., Chagas, F. A.: Linearity test of HV measuring systems – experimental results. 8. ISH Yokohama (1993), Beitrag 52.06
Anhang 1 Fourier- und Laplace-Transformation
Die Fourier-Transformation wie auch die Laplace-Transformation sind Integraltransformationen, die in Wissenschaft und Technik von großer praktischer Bedeutung sind. Sie werden sehr erfolgreich zur Lösung vieler Aufgabenstellungen eingesetzt. In den meisten Anwendungen wird damit eine reelle, kontinuierliche Funktion im Zeitbereich in eine komplexe Funktion im Spektralbereich (allgemein: Bildbereich) überführt. Die Laplace-Transformation gilt hierbei als Verallgemeinerung der Fourier-Transformation. Eine direkte Anwendung beider Transformationen liefert die komplexe Übertragungsfunktion eines linearen Systems im Frequenzbereich und hieraus dessen Amplituden- und Phasengang. Mit der Laplace-Transformation lassen sich komplizierte Rechenoperationen im Zeitbereich wie Differenziation und Integration durch einfache algebraische Operationen im Bildbereich ersetzen. Die Ergebnisfunktion im Bildbereich wird anschließend durch Rücktransformation in den Zeitbereich wieder als Zeitfunktion ausgedrückt. Für eine Reihe von Funktionen gibt es entsprechende Korrespondenzen in Tabellen. Die Laplace-Transformation lässt sich auch erfolgreich zur Lösung des Faltungssatzes einsetzen [3.1, 3.2]. Analogon zur Laplace-Transformation ist die hier nicht weiter behandelte Z-Transformation, mit der eine zeitdiskrete Funktion in eine komplexe diskrete Funktion im Frequenzbereich umgewandelt wird.
A1.1 Fourier-Transformation Ein Impuls ist ein einmaliger Zeitvorgang, der sich durch Überlagerung einer unendlich großen Anzahl sinusförmiger Teilschwingungen mit unterschiedlichen Amplituden und Phasenwinkeln darstellen lässt. Mathematisch wird die Zerlegung einer Zeitfunktion f(t) in Teilschwingungen durch das komplexe Fourier-Integral: F (jZ )
F Z e jM Z
f
³ f (t ) e
jZ t
dt .
(A1.1)
f
mit der Kreisfrequenz Ȧ = 2ʌf beschrieben. F(jȦ) wird als Spektralfunktion oder Fourier-Transformierte der Zeitfunktion f(t) bezeichnet. Im Unterschied zu einem periodischen Signal, das bekanntlich ein diskretes Spektrum hat und durch eine unendliche Fourier-Reihe dargestellt werden kann, weist ein Impuls ein kontinuierliches Spektrum auf. Die auf das infinitesimale Frequenzintervall dȦ bezogene Amplitude einer Teilschwingung, d. i. die Amplitudendichte F(Ȧ), ist gegeben durch den Betrag der komplexen Spektralfunktion, der sich aus der Wurzel der Quadratsumme von Real- und Imaginärteil von F(jȦ) ergibt:
K. Schon, Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik, DOI 10.1007/978-3-642-13117-2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010
250
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
F (Z )
F (jZ )
Re^F jZ ` 2 Im^F jZ ` 2 .
(A1.2)
Die einzelnen Teilschwingungen des Signals mit der Amplitudendichte nach Gl. (A1.2) haben eine Phasenverschiebung, die in ihrer Gesamtheit als Phasengang ij(Ȧ) des Signals durch:
M Z arctan
Im ^F jZ ` Re ^F jZ `
(A1.3)
gekennzeichnet ist. Die Kenntnis von ij(Ȧ) ist im Allgemeinen in der Stoßspannungsmesstechnik von untergeordneter Bedeutung. Ist andererseits das Spektrum F(jȦ) eines Signals bekannt, ergibt sich durch Rücktransformation in den Zeitbereich die zugehörige Zeitfunktion f(t) zu: f (t )
1 f jZ t ³ F (jZ ) e dZ . 2ʌ f
(A1.4)
Außer zur Ermittlung des Spektrums nach Gl. (A1.1) hat die Umwandlung einer Zeitfunktion in die Spektralfunktion den Vorteil, dass sich bestimmte Rechenoperationen im Frequenzbereich besser bzw. einfacher als im Zeitbereich durchführen lassen. Die resultierende neue Spektralfunktion wird dann entsprechend Gl. (A1.4) in den Zeitbereich zurück transformiert und ergibt die zugehörige Zeitfunktion. Diese Rechenoperation wird jedoch vorzugsweise mit der LaplaceTransformation durchgeführt (s. Kap. A1.2). Das komplexe Fourier-Integral nach (A1.1) und die Rücktransformierte nach Gl. (A1.4) sind nur für wenige analytisch definierte Signalverläufe und Spektren lösbar. In der Praxis kommt daher der reellen Darstellung des Zeitsignals und Fourier-Integrals größere Bedeutung zu. Die Zeitfunktion lässt sich in der reellen Form darstellen durch: f (t )
f
f
0
0
³ a(Z ) sinZ t dZ ³ b(Z ) cosZ t dZ
(A1.5)
mit den beiden Spektralfunktionen: a(Z )
1 f ³ f (t ) sinZ t dt ʌ f
(A1.6a)
b(Z )
1 f ³ f (t ) cosZ t dt . ʌ f
(A1.6b)
Anhang 1 Fourier- und Laplace-Transformation
251
Die Amplitudendichte eines Signals ist gegeben durch: a 2 (Z ) b 2 (Z ) .
F (Z )
(A1.7)
Die reelle Darstellung ist für numerische Berechnungen vorteilhaft, z. B. wenn die Funktion f(t) als Messdatensatz eines Digitalrecorders vorliegt. Die Integrale in den Gln. (A1.5) und (A1.6) gehen dann in Reihen über. Zur Reduzierung der Rechenzeit bei Vorliegen großer Datenmengen wird häufig an Stelle der diskreten Fourier-Transformation (DFT) nach den Gln. (A1.5) und (A1.6) die schnelle Fourier-Transformation (FFT) eingesetzt [3.1, 3.2]. Die Anzahl der Abtastwerte muss einer 2er-Potenz entsprechen. Der Vorteil der Schnelligkeit wird allerdings mit einer Rechenungenauigkeit erkauft, die aber für viele praktische Anwendungsfälle akzeptabel ist.
A1.2 Laplace-Transformation Eine andere Möglichkeit zur Signalanalyse bietet die Laplace-Transformation einer Zeitfunktion in den Bildbereich [3.1, 3.2]. Sie wurde ursprünglich zur Lösung linearer Differentialgleichungen entwickelt, die sich damit in algebraische Gleichungen umwandeln lassen. Die Laplace-Transformation gilt allgemein für beliebige Funktionen, wird aber häufig auf Zeitfunktionen angewendet. Neben der Signalanalyse liegt ein weiteres wichtiges Anwendungsgebiet der LaplaceTransformation in der einfachen Berechnung von Einschaltvorgängen bei elektrischen Schaltungen. Unter der Voraussetzung, dass die Zeitfunktion f(t) für t < 0 gleich Null ist, lautet die Laplace-Transformierte von f(t): L^ f (t )` F ( p)
f
³ f (t ) e
pt
dt ,
(A1.8)
0
wobei p = ı + jȦ eine komplexe Zahl ist. Zur Bestimmung des Spektrums einer Zeitfunktion wird p = jȦ gesetzt. Die Amplitudendichte F(Ȧ) eines Signals ist in Analogie zu Gl. (A1.2) durch den Absolutbetrag der Laplace-Transformierten bestimmt: F Z
F p
Re ^F p ` 2 Im ^F p ` 2 .
(A1.9)
Außer zur Berechnung des Spektrums eines Zeitsignals liegt der praktische Nutzen der Laplace-Transformation darin, dass sich Rechenoperationen im Bildbereich deutlich einfacher als im Zeitbereich durchführen lassen. Die resultierende neue Bildfunktion kann dann in den Zeitbereich zurück transformiert werden und
252
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
ergibt die zugehörige Zeitfunktion. Die Rücktransformation einer Bildfunktion F(p) in den Zeitbereich lautet formal: V jf
1 pt ³ F p e dp . 2ʌ j V j f
f t
(A1.10)
Die Anwendung der Laplace-Transformation auf elektrische Stromkreise setzt voraus, dass sich zum Zeitpunkt t = 0 alle Energiespeicher im ungeladenen Zustand befinden. Ist diese Bedingung erfüllt, lässt sich die Laplace-Transformierte im Bildbereich direkt mit dem Operator p aus den Impedanzen des Stromkreises entwickeln. Für einen nicht energiefreien Stromkreis muss zunächst die Differentialgleichung für den Stromkreis aufgestellt und hieraus die LaplaceTransformierte gebildet werden. Für die Laplace-Transformation und Rücktransformation existieren allgemeine Rechenregeln, die vorteilhaft angewendet werden können. So werden die Differenziation und Integration einer Funktion wie auch der Faltungssatz und der Entwicklungssatz im Zeitbereich durch einfache algebraische Operationen mit dem Operator p im Bildbereich ersetzt. Für eine Vielzahl von Funktionen der LaplaceTransformation sind die beiden Integrale in den Gln. (A1.8) und (A1.10) bereits ausgewertet und in der Literatur in Tabellenform verfügbar [3.1, 3.2]. Eine kleine Auswahl der Rechenregeln und Korrespondenzen, die in Kap. 2 und Kap. 3 zur Anwendung kommen, ist in den Tabellen A1.1 und A1.2 zusammengestellt. Tabelle A1.1: Einige Rechenregeln der Laplace-Transformation Regel Nr. Spektralfunktion F(p) Zeitfunktion f(t 0) 1
2
1 F p p
dF p dp
Bemerkung
t
³ f t dt
Integration für t 0
t f t
Multiplikation 1. Ableitung
0
3
pF(p) – f(0)
df t dt
4
e ap F p
f(t - 4a)
5
F1(p) F2(p)
t
Zeitfunktion ist um t = a verschoben
³ f1 x f 2 t x dx
Faltung zweier Funktionen
f (at)
Ähnlichkeitssatz (a > 0)
a1f1(t) + a2f2(t)
Linearität
0
6 7
1 § p· F¨ ¸ a ©a¹ a1F1(p) + a2F2(p)
Anhang 1 Fourier- und Laplace-Transformation
253
Tabelle A1.2: Einige Korrespondenzen der Laplace-Transformation Beispiel Nr.Spektralfunktion F(p)
Zeitfunktion f(t 0)
Bemerkung
1
1 p
s(t) = 1
Sprungfunktion, s = 0 für t < 0
2
1
į(t)
Dirac-Stoß
at
Rampenfunktion
3
a p2
4
1 pa
e at
Exponentialfunktion
5
1 p p a
1 e at
Gespiegelte Exponentialfunktion
1
6
p 2 p a
7
1 ap 1 bp
1
t a 1 e at
1 e t / a e t / b ab 1
Z0 8
sin Z 0 t e a t / 2
Doppelexponentialfunktion
Z0
1
b
a2 4
für b !
p 2 a p b 1
Z 0*
sinhZ 0* t e at / 2
Z0*
a2 4
a2 b 4
für b
a2 4
Anhang 2 Bestimmung von Messunsicherheiten
Jede Messung ist unvollkommen und kann daher nicht den „wahren“ Wert der gesuchten Messgröße, sondern nur einen mehr oder weniger genauen Näherungswert liefern, der als Schätzwert bezeichnet wird. Selbst wenn die Messung an einem Prüfling unter scheinbar gleichen Messbedingungen wiederholt wird, zeigt das Messgerät bei ausreichend hoher Auflösung in der Regel voneinander abweichende Messwerte an. Die Unvollkommenheit oder, positiv betrachtet, Qualität einer Messung wird quantitativ durch einen Zahlenwert, die Messunsicherheit, ausgedrückt. Sie ist entsprechend der Definition im Internationalen Wörterbuch der Metrologie (VIM) ein „Kennwert, der zusammen mit dem Messergebnis angegeben wird, d. h. dem Messergebnis durch die Messung beigeordnet wird, und den Bereich der Werte charakterisiert, die der Messgröße vernünftigerweise zugeschrieben werden können“ [A2.1]. Die Kenntnis der Messunsicherheit und ihre Ermittlung hat große praktische Bedeutung. Das Ergebnis einer Messung ist umso verlässlicher, je kleiner die Messunsicherheit ist. Will man ein aus mehreren Komponenten bestehendes Messsystem verbessern, ist es sinnvoll, die Komponente mit der größten Unsicherheit zuerst zu ersetzen. Die Vergleichbarkeit von Messungen an verschiedenen Orten oder zu verschiedenen Zeiten ist nur unter Angabe der Messunsicherheit sinnvoll. Dies gilt ebenso für die Rückführung einer Messgröße auf nationale oder internationale Messnormale [s. Kap. 7.1). Werden bei Prüfungen und Kalibrierungen die festgelegten Grenzwerte der Messunsicherheit nicht eingehalten, führt dies zur Verweigerung der Abnahme des betreffenden Gerätes.
A2.1 Der GUM Der Gedanke, neben dem Messwert eine Aussage über die Genauigkeit der Messung zu geben, ist schon sehr alt. In diesem Zusammenhang wird auf die klassische Gaußsche Fehlerrechnung verwiesen, die jedoch nur Messabweichungen auf Grund statistischer Einflüsse berücksichtigt. Abweichungen durch nicht statistische Einflüsse wurden, soweit sie nicht genau bekannt waren, in der Vergangenheit bei Unsicherheitsberechnungen in der Regel nicht erfasst. Die zunehmende Globalisierung der Weltwirtschaft und die steigenden Genauigkeitsansprüche an die Produkte erfordern international einheitliche Regeln zur Bestimmung von Messunsicherheiten unter Berücksichtigung statistischer und nicht statistischer Einflussgrößen. Als Ergebnis einer anderthalb Jahrzehnte dauernden Zusammenarbeit der wichtigsten Gremien und Organisationen auf diesem Gebiet unter der Leitung des Bureau International des Poids et Mesures (BIPM) entstand ein Leitfaden, der 1995 in redaktionell überarbeiteter Fassung als ISO-Guide veröffent-
K. Schon, Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik, DOI 10.1007/978-3-642-13117-2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010
256
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
licht und in 2008 ergänzt wurde [A2.2]. Dieser Leitfaden mit mehr als 100 Seiten Umfang, kurz GUM genannt, ist eine ausführliche Anleitung zur Bestimmung von Messunsicherheiten. Neben einem allgemein gehaltenen Hauptteil enthält der GUM mehrere Anhänge mit praktischen Hinweisen und Empfehlungen für eine Vielzahl von Messaufgaben. Der GUM ist verbindlich für die nationalen Metrologieinstitute sowie für die akkreditierten Prüf- und Kalibrierlaboratorien in der ganzen Welt. Für die europäischen Laboratorien gilt eine verkürzte Fassung des GUM [A2.3, A2.4]. Der GUM ist auch Grundlage für die Festlegung von Messunsicherheiten in Prüfvorschriften für die verschiedensten Bereiche, so auch in der Hochspannungs- und Hochstromprüftechnik. Mit dem GUM werden alle früheren Verfahren zur Ermittlung von Messunsicherheiten einschließlich der alten Terminologie abgelöst. Das Grundkonzept des GUM wird hier in einfacher Form vorgestellt und durch Beispiele aus den Bereichen Kalibrierung und Prüfung veranschaulicht. A2.1.1 Grundkonzept des GUM
Eingangs wurde bereits auf die Unvollkommenheit einer jeden Messung hingewiesen. Bei Wiederholung der Messung wird man daher trotz größter Sorgfalt mehr oder weniger voneinander abweichende Messwerte erhalten. Mögliche Ursachen für die Abweichungen sind die Inkonstanz der verwendeten Messgeräte, die Unbeständigkeit des Prüflings selbst und die nicht exakt reproduzierbaren Mess- und Umgebungsbedingungen. Eine zentrale Bedeutung im GUM hat die Standardmessunsicherheit, die sowohl für statistische Messgrößen als auch nicht statistische Messgrößen definiert ist. Mit ihr wird der Wertebereich gekennzeichnet, innerhalb dessen der unbekannte „wahre“ Wert einer Messgröße vermutet werden kann. Dieser Bereich und die Häufigkeitsverteilung der Werte einer Eingangsgröße ergeben sich entweder aus den Messungen selbst oder müssen auf der Grundlage verlässlicher Informationen geschätzt werden. Häufig kann eine Normal- oder Rechteckverteilung der möglichen Werte angenommen werden. Die einzelnen Schritte zur Bestimmung der Messgröße und deren Messunsicherheit sind in Abb. A2.1 schematisch dargestellt und werden in den folgenden Unterkapiteln noch ausführlicher beschrieben. Die aufgeführten Gleichungen und Beispiele gelten für unkorrelierte Eingangsgrößen, wie es in der Hochspannungsund Hochstromprüftechnik die Regel ist. Im ersten Schritt wird die Modellfunktion der Messung aufgestellt, die die funktionale Abhängigkeit der gesuchten Messgröße Y von allen denkbaren Eingangsgrößen Xi beschreibt. Jede der N Eingangsgrößen Xi ist mit einer Standardmessunsicherheit u(xi) behaftet, die sich entweder direkt aus einer Messung nach der Methode vom Typ A oder durch eine Abschätzung aus verlässlichen Daten nach der Methode vom Typ B ergibt. Aus den einzelnen Beiträgen u(xi) werden mit Hilfe der Modellfunktion die entsprechenden Standardmessunsicherheiten ui(y) der Messgröße Y berechnet und als beigeordnete Standardmessunsicherheit uc(y) zusammengefasst. Nach Multiplikation mit dem Erweiterungsfaktor k wird im industriellen Messwesen die erweiterte Messunsi-
Anhang 2 Bestimmung von Messunsicherheiten
257
cherheit U = k uc(y) angegeben, die den Bereich der möglichen Werte von Y mit einer Überdeckungswahrscheinlichkeit von mindestens 95 % kennzeichnet. Modellfunktion Y = f (X1, X2, …, XN )
Typ A
Typ B
Ermittlungsmethode
Standardmessunsicherheiten u(xi) ĺ ui(y)
Ermittlungsmethode
Standardmessunsicherheiten u(xi) ĺ ui(y)
Beigeordnete Standardmessunsicherheit uc(y)
Erweiterte Messunsicherheit U = kuc Abb. A2.1. Konzept der Unsicherheitsbestimmung nach dem GUM (schematisch)
Die Abschätzung der Standardmessunsicherheiten u(xi) der nicht durch Messung festgelegten Eingangsgrößen erfordert großen Sachverstand und verlangt im Allgemeinen den größten Aufwand bei der Unsicherheitsbestimmung. Eine gewisse Subjektivität in der Beurteilung einer Messaufgabe durch verschiedene Fachexperten ist hierbei nicht auszuschließen, so dass sich für dieselbe Messung etwas abweichende Ansätze und Werte ergeben werden. Die weiteren Schritte der Unsicherheitsbestimmung bis hin zur Angabe der erweiterten Messunsicherheit U sind eher formal durchzuführen unter Verwendung der vorgegebenen Formeln. A2.1.2 Modellfunktion einer Messung
In der Regel ergibt sich eine Messgröße Y (auch Ergebnis- oder Ausgangsgröße genannt) aus der Kombination von N verschiedenen Eingangsgrößen Xi. Die Abhängigkeit der Ausgangsgröße von den Eingangsgrößen lässt sich allgemein durch die funktionale Beziehung f, auch Modellfunktion der Messung genannt, angeben: Y
f X 1 , X 2 , ... , X i , ... , X N .
(A2.1)
Hierbei können die Eingangsgrößen Xi selbst Messgrößen sein, die von anderen Größen wie Umgebungstemperatur, Luftdruck usw. abhängen oder mit Korrektio-
258
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
nen für systematische Abweichungen beaufschlagt sind. Jede Eingangsgröße Xi in der Modellfunktion weist nicht nur einen Wert xi, sondern auch eine Standardmessunsicherheit u(xi) auf. Mit der Modellfunktion nach Gl. (A2.1) wird dann nicht nur der Ergebniswert y, sondern auch die beigeordnete Standardmessunsicherheit uc(y) unter Beachtung der Regeln des GUM berechnet. Bei einer komplizierten Messaufgabe mit einer Vielzahl von Eingangsgrößen kann die Modellfunktion sehr komplex sein. Außer als ein- oder mehrfacher analytischer Ausdruck kann sie auch als numerischer Rechenalgorithmus oder in Form einer experimentell ermittelten Datentabelle vorliegen. Auf jeden Fall soll die Modellfunktion jede Eingangsgröße Xi einschließlich aller Korrektionen und Korrekturfaktoren erfassen, die einen signifikanten Beitrag zum Ergebniswert und dessen Messunsicherheit beisteuert. Als einfaches Beispiel einer Modellfunktion wird die Messung eines temperaturabhängigen Widerstandes R betrachtet. Hierfür lässt sich die Modellfunktion: V R f V , I , Tk ,4 >1 TK 4 20qC @ I aufstellen, wobei V die angelegte Spannung, I die Stromstärke, TK der Temperaturkoeffizient und ș die Umgebungstemperatur bedeuten. In der Regel werden V, I und ș gemessen, während TK einem Datenblatt entnommen wird. Die zugehörigen Standardmessunsicherheiten ergeben sich entweder direkt aus den Messungen oder aus den Datenblättern der Messgeräte. Mit der Modellfunktion werden dann sowohl der Widerstand R als auch dessen erweiterte Messunsicherheit berechnet.
Bei Messungen mit kleinster Unsicherheit wird es unerlässlich sein, den Einfluss jeder Eingangsgröße experimentell sehr genau zu bestimmen. Der GUM bietet jedoch grundsätzlich die Möglichkeit, den Unsicherheitsbeitrag einer Eingangsgröße zum Messergebnis durch eine zuverlässige, durch Erfahrung und Wissen begründete Abschätzung zu ermitteln. Die Genauigkeit der Schätzung wird möglicherweise etwas geringer sein als das Ergebnis einer exakten Messung, was aber häufig im Resultat vernachlässigbar ist. Entsprechend dem GUM ist ein Unsicherheitsbeitrag, der durch eine zuverlässige Schätzung oder durch eine Messung bestimmt wird, als gleichberechtigt anzusehen. Die Schätzung hat gegenüber der genauen Messung den Vorteil, dass Zeit und Aufwand für diese Aufgabe eingespart und damit Kosten verringert werden. A2.1.3 Ermittlungsmethode vom Typ A
Die Methode vom Typ A zur Ermittlung von Standardmessunsicherheiten wird auf Messgrößen angewandt, die sich aus der statistischen Auswertung einer Serie von Einzelmessungen unter gleichen Versuchsbedingungen ergeben. Dies betrifft insbesondere die Vergleichsmessung zwischen dem zu kalibrierenden Messsystem und dem Referenzsystem zur Bestimmung des Maßstabsfaktors und der Messabweichungen der Zeitparameter. Bei unendlich großer Anzahl von Wiederholungsmessungen weisen die einzelnen Messwerte x eine Streuung gemäß der Normalverteilung p(x) nach Gauß auf:
Anhang 2 Bestimmung von Messunsicherheiten
ª x P 2 º exp « » , 2 V 2ʌ ¬« 2V ¼» 1
p x
259
(A2.2)
wobei μ den Erwartungswert der Messgröße bei der größten Auftrittswahrscheinlichkeit und ı die Standardabweichung der Einzelmessung bezeichnen (Abb. A2.2a). Entsprechend der glockenförmigen Verteilungskurve ist die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines bestimmten Messwertes umso geringer, je weiter er vom Erwartungswert abweicht. Die Verteilung bei p = 68,3 % des Maximalwertes tritt bei den Werten μ + ı und μ – ı auf. Bei begrenzter Anzahl n von Wiederholungsmessungen ist der beste Schätzwert für den Erwartungswert μ durch den arithmetischen Mittelwert: 1 n
x
n
¦ xk
(A2.3)
k 1
und der beste Schätzwert für die Standardabweichung ı durch die empirische Standardabweichung s der Einzelmessung: s x
1 n 2 ¦ xk x n 1 k 1
(A2.4a)
gegeben. Der Quadratwert s2(x) wird empirische Varianz genannt. Die empirische Standardabweichung des Mittelwertes ist: sx
s x n
.
(A2.4b)
Sie gibt an, wie gut x den Erwartungswert von X trifft. Überträgt man die Ergebnisse der statistischen Auswertung auf die Ermittlungsmethode vom Typ A, so ist der beste Schätzwert xi für die Eingangsgröße Xi dessen arithmetischer Mittelwert:
xi
Xi ,
(A2.5)
und der beste Schätzwert für die Standardmessunsicherheit die empirische Standardabweichung des Mittelwertes: u xi s X i
s xi n
.
(A2.6)
Die Anzahl der Messungen sollte n 10 sein, anderenfalls ist die Verlässlichkeit der Abschätzung der Unsicherheit vom Typ A nach Gl. (A2.6) an Hand des
260
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
effektiven Freiheitsgrades zu überprüfen (s. Kap. A2.1.7). Ist bereits aus früheren Messungen unter einwandfreien statistischen Bedingungen eine empirische Standardabweichung sp der Einzelmessung bekannt, wird empfohlen, bei einer vergleichbaren Messreihe mit kleiner Anzahl n (n = 1, 2, 3, ...usw.) sp an Stelle von s(xi) in Gl. (A2.6) einzusetzen. A2.1.4 Ermittlungsmethode vom Typ B
Die Methode vom Typ B zur Ermittlung von Standardmessunsicherheiten ist immer dann anzuwenden, wenn sich der Einfluss einer Eingangsgröße auf die Messgröße nicht aus der statistischen Auswertung einer Messreihe ergibt. Grundsätzlich könnte der Einfluss einer Eingangsgröße immer durch statistische Auswertung einer Messreihe ermittelt werden, was jedoch einen großen experimentellen Aufwand bedeutet. Man kann sich die statistische Auswertung ersparen, insbesondere, wenn es sich um eine zweitrangige Eingangsgröße handelt, und bestimmt die Standardmessunsicherheit nach der Methode vom Typ B. Ihre Anwendung erscheint einfach, verlangt aber umfangreiche Erfahrung und Kenntnis der messtechnischen und physikalischen Zusammenhänge zwischen der gesuchten Messgröße Y und den Eingangsgrößen Xi. Bei fachkundiger Anwendung ist die Methode B ebenso verlässlich wie die Methode A. Beiträge zur Standardmessunsicherheit vom Typ B im Bereich der Stoßspannungsmesstechnik werden verursacht durch:
x x x x x x x x x x
Nichtlinearitäten von Spannungsteilern und Messgeräten Dynamisches Verhalten des Messsystems bei unterschiedlichen Impulsformen Auflösung digitaler Messgeräte, Ablesefehler bei analoger Anzeige Kurzzeitstabilität, Eigenerwärmung Langzeitstabilität, Drift Temperatur-, Feuchte- und Druckabhängigkeit Näheeffekt benachbarter Objekte Elektromagnetisch eingekoppelte oder leitungsgebundene Störungen Methode der Datenauswertung, Software Unsicherheit bei der Kalibrierung des Messsystems und dessen Komponenten.
Informationen über die Werte und Unsicherheiten von Eingangsgrößen lassen sich aktuellen und früheren Messergebnissen, Kalibrierscheinen, Herstellerangaben oder Daten aus Handbüchern und Prüfvorschriften entnehmen oder beruhen auf Erfahrungswerten und allgemeinen Kenntnissen über Material- und Messgeräteeigenschaften. Hierbei unterscheidet man folgende Fälle: a) Es liegt nur ein Einzelwert für die Eingangsgröße Xi vor, z. B. ein einzelner Messwert, ein Korrekturwert oder ein Referenzwert aus der Fachliteratur. Dieser wird dann als Eingangswert xi mit der angegebenen Standardmessunsicherheit u(xi) verwendet. Ist u(xi) nicht bekannt, soll der Wert aus den vorliegenden verlässlichen Daten bestimmt oder empirisch abgeschätzt werden.
Anhang 2 Bestimmung von Messunsicherheiten
261
b) Die Eingangsgröße Xi wird mit einem Messgerät erfasst, dessen erweiterte Messunsicherheit U = kuc in einem Kalibrierschein oder Datenbuch des Herstellers angegeben ist (s. Kap. A2.1.6). In der Regel kann eine Normalverteilung nach Gauß angenommen werden, so dass der Erweiterungsfaktor k = 2 ist. Die Standardmessunsicherheit ergibt sich dann zu: u xi
U . k
(A2.7)
c) Für die möglichen Werte der Eingangsgröße Xi liegt keine besondere Kenntnis über die Wahrscheinlichkeitsverteilung vor, nur Ober- und Untergrenzen a+ bzw. a- können abgeschätzt werden. Es wird dann eine Rechteckverteilung angenommen, bei der alle möglichen Werte von Xi innerhalb der Intervallgrenzen gleich wahrscheinlich und außerhalb gleich null sind (Abb. A2.2b). Bei Annahme einer Rechteckverteilung ist der beste Schätzwert der Eingangsgröße gegeben durch den Mittelwert: a a 2
xi
(A2.8)
und dessen Standardmessunsicherheit durch: u xi
a 3
(A2.9)
mit a als der halben Intervallbreite: a
a a . 2
(A2.10)
Die Rechteckverteilung wird wegen ihrer Einfachheit häufig angenommen, sofern keine genauere Information über die Werteverteilung vorliegt. Allerdings ist die Unstetigkeit der Rechteckverteilung an den Grenzen physikalisch oft nicht gerechtfertigt und die Annahme anderer Verteilungen wie Dreieck-, Trapez- oder Normalverteilung scheinen angemessener zu sein. Die Standardmessunsicherheit beträgt u(xi) = a/¥6 für die Dreieckverteilung und u(xi) = ı für die Normalverteilung. Die Rechteckverteilung liefert demnach den größten Unsicherheitsbeitrag, so dass man damit auf der sicheren Seite der Abschätzung liegt. Im GUM ist ausdrücklich vermerkt, dass ein Unsicherheitsbetrag, der bereits bei der Ermittlungsmethode A berücksichtigt ist, nicht noch einmal in voller Größe als Beitrag vom Typ B eingehen soll. Dies betrifft z. B. den Einsatz von Digitalrecordern bei der Kalibrierung des Maßstabsfaktors. Die bei der Mehrfachmessung beobachtete Streuung der n Messwerte, die einen Unsicherheitsbeitrag vom
262
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Typ A liefert, lässt sich auf das begrenzte Auflösungsvermögen und interne Rauschen des Digitalrecorders zurückführen (s. Kap. 4.1). Diese Streuung braucht dann nicht mehr oder nur zu einem kleinen Teil als Unsicherheitsbeitrag vom Typ B berücksichtigt zu werden. Wird der Digitalrecorder jedoch für eine Einzelmessung verwendet, muss die begrenzte Auflösung entsprechend der angegebenen Anzahl von Bits und der Rauschüberlagerung bei der Unsicherheit des Einzelwertes in voller Größe eingesetzt werden. a)
p(x)
0
b)
xi -ı
p(x)
xi
xi+ı
x
2a
1 2a
0 a-
xi
a+
x
2a 3 Abb. A2.2. Wahrscheinlichkeitsverteilungen von Messwerten a) Normalverteilung nach Gauß b) Rechteckverteilung (Gleichverteilung)
Oft muss der Wert einer Eingangsgröße angepasst oder korrigiert werden, um den systematischen Einfluss einer anderen Größe, z. B. eine signifikante Temperatur- oder Spannungsabhängigkeit, zu eliminieren. Da eine derartige Korrektion nie absolut genau sein kann, ist ein restlicher Unsicherheitsbeitrag verlässlich abzuschätzen und im Unsicherheitsbudget zu berücksichtigen. Insgesamt soll die Unsicherheit realistisch und auf der Grundlage von Standardmessunsicherheiten bestimmt werden. Besondere Sicherheitsfaktoren zur Erzielung größerer als die nach dem GUM bestimmten Unsicherheiten sind mit Ausnahme des Erweiterungsfaktors k nicht zulässig.
Anhang 2 Bestimmung von Messunsicherheiten
263
A2.1.5 Beigeordnete Standardmessunsicherheit
Die nach der Methode vom Typ A oder Typ B ermittelte Standardmessunsicherheit u(xi) einer Eingangsgröße Xi wirkt sich auf die Ausgangsgröße Y mit einem entsprechenden Unsicherheitsbeitrag ui(y) aus: ui y ci u xi ,
(A2.11)
wobei ci der Sensitivitätskoeffizient ist. Er beschreibt die Abhängigkeit der Ausgangsgröße Y von der Eingangsgröße Xi und lässt sich aus der partiellen Ableitung der Modellfunktion f nach Xi analytisch oder numerisch bestimmen: ci
wf wX i
X i xi
wf . wxi
(A2.12)
Beispiel für einen Sensitivitätskoeffizienten ist der Temperaturkoeffizient eines Widerstandes, der eine Dimension hat und positiv oder negativ sein kann. Das Vorzeichen des Sensitivitätskoeffizienten ist unter der Annahme von nicht korrelierten Eingangsgrößen ohne Einfluss, da nur das Quadrat der Standardmessunsicherheit bei der weiteren Rechnung verwendet wird. Ist die Modellfunktion f in Gl. (A2.1) sehr komplex und eine Ableitung entsprechend Gl. (A2.12) nicht möglich, wird der Sensitivitätskoeffizient ci numerisch ermittelt. Hierzu wird die Modellfunktion für verschiedene Eingangswerte xi berechnet und ci als Differenzenquotient ǻf /ǻxi bestimmt. Dieser numerische Lösungsweg wird auch in Software zur programmierten Berechnung von Messunsicherheiten beschritten. Die N Unsicherheitsbeiträge ui(y) aller Eingangsgrößen, die als unkorreliert angenommen werden, ergeben die der Ausgangsgröße beigeordnete Standardmessunsicherheit uc(y) entsprechend der Rechenvorschrift: uc y
u12 y u22 y ...u N2 y
N
¦ ui2 y
i 1
N
2 ¦ > ci uxi @ . (A2.13)
i 1
Die Form der Gleichung erinnert an das quadratische Fehlerfortpflanzungsgesetz von Gauß. Die beigeordnete Standardmessunsicherheit uc(y) charakterisiert die Streuung der Werte, die „vernünftigerweise“ der Ausgangsgröße Y zugewiesen werden kann. Diese Werte sind näherungsweise normal verteilt, wenn mindestens drei Unsicherheitsbeiträge vom Typ B mit etwa gleicher Größe und definierter Wahrscheinlichkeitsverteilung, z. B. Rechteck-, Dreieck- oder Normalverteilung, zur beigeordneten Standardmessunsicherheit uc(y) beitragen und die Standardmessunsicherheit vom Typ A sich aus mindestens n = 10 Wiederholungsmessungen ergibt. Die beigeordnete Standardmessunsicherheit nach Gl. (A2.13) überdeckt dann 68,3 % der möglichen Werte der Ausgangsgröße Y.
264
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Anmerkung: Die der Ausgangsgröße beigeordnete Standardmessunsicherheit uc(y) wird im GUM als „combined standard uncertainty“ bezeichnet und ist deshalb mit dem Index „c“ versehen. In der von der EA später herausgegebenen europäischen Kurzfassung des GUM für akkreditierte europäische Prüf- und Kalibrierlaboratorien wird der Index „c“ nicht angegeben [A2.3]. Aus didaktischen Gründen wird hier der Index beibehalten.
Sind zwei oder mehr Eingangsgrößen miteinander korreliert, finden sich auch lineare Glieder in Gl. (A2.13) und das Vorzeichen der Sensitivitätskoeffizienten erhält seine Bedeutung. Eine Korrelation liegt z. B. vor, wenn dasselbe Messgerät zur Messung mehrerer Eingangsgrößen verwendet wird. Zur Vermeidung komplizierter Unsicherheitsberechnungen lässt sich die Korrelation umgehen, indem in der Modellfunktion zusätzliche Eingangsgrößen mit den Kalibrierwerten und Unsicherheiten des Messgerätes berücksichtigt werden. Bei Vorhandensein einer Korrelation kann die beigeordnete Messunsicherheit sogar kleiner sein als im Fall unkorrelierter Größen. Die Berücksichtigung von Korrelationen ist bei genauen Unsicherheitsanalysen mit sehr kleinen Unsicherheitsbeiträgen unumgänglich. Ist die Ausgangsgröße ein Produkt oder Quotient der Eingangsgrößen: Y
p
c X1p1 X 2p2 ... X N N
N
c X i pi ,
(A2.14)
i 1
erhält man einen zu Gl. (A2.13) vergleichbaren Ausdruck: wc y
N
2 ¦ > pi wxi @ ,
(A2.15)
i 1
wobei w(xi) und wc(y) die relativen Standardmessunsicherheiten sind:
wxi
u xi und wc y xi
uc y y
Für beide Arten der Angabe von Messunsicherheiten mit unkorrelierten Eingangsgrößen gilt demnach das quadratische Fehlerfortpflanzungsgesetz. A2.1.6 Erweiterte Messunsicherheit
In vielen Bereichen der industriellen Messpraxis wird eine Überdeckungswahrscheinlich von p = 68,3 % als zu gering empfunden. Man hat sich deshalb weltweit darauf geeinigt, eine erweiterte Messunsicherheit U anzugeben, die einen größeren Anteil der möglichen Werte von Y überdeckt. Dies gilt auch für die Hochspannungs- und Hochstromprüftechnik. Festgelegt ist eine Überdeckungswahrscheinlichkeit von annähernd p = 95 %. Die erweiterte Messunsicherheit U
Anhang 2 Bestimmung von Messunsicherheiten
265
ergibt sich einfach durch Multiplikation der beigeordneten Standardmessunsicherheit uc(y) mit dem Erweiterungsfaktor k zu: U
k uc y .
(A2.16)
Wenn den möglichen Werten der Ausgangsgröße eine Normalverteilung zugeordnet werden kann und die beigeordnete Standardmessunsicherheit uc(y) ausreichend zuverlässig ist, gilt k = 2. Die Zuverlässigkeit wird mit Hilfe des effektiven Freiheitsgrades beurteilt (s. Kap. A2.1.7). Gegebenenfalls muss k > 2 gesetzt werden, um die geforderte Überdeckungswahrscheinlichkeit von 95 % zu erreichen. Die erweiterte Messunsicherheit U ist, wie alle anderen Unsicherheitsangaben, positiv und wird ohne Vorzeichen angegeben. Wenn allerdings das zugehörige Unsicherheitsintervall in seinen Grenzen gemeint ist und mit dem Messwert y verbunden ist, erfolgt die Angabe als y ± U. In älteren Prüfvorschriften und anderen Quellen findet sich noch häufig der Begriff „Gesamtunsicherheit“. In der Regel lässt sich diese Angabe als erweiterte Messunsicherheit U mit dem Erweiterungsfaktor k = 2 interpretieren. A2.1.7 Effektiver Freiheitsgrad
Voraussetzung für die Annahme k = 2 in Gl. (A2.16) entsprechend einer Überdeckungswahrscheinlichkeit p 95 % ist, dass die möglichen Werte der Ausgangsgröße Y normal verteilt sind. Die Richtigkeit der Annahme wird mit Hilfe des effektiven Freiheitsgrades Ȟeff nach der Gleichung:
Q eff
uc4 y N
¦
i 1
ui4 y
(A2.17)
Qi
überprüft, wobei Ȟi der Freiheitsgrad des entsprechenden Unsicherheitsbeitrages ui(y) nach Gl. (A2.11) für i = 1, 2, 3, …, N ist. Erscheint die Annahme einer Normalverteilung nicht gerechtfertigt, muss ein Wert k > 2 bestimmt werden, um eine Überdeckungswahrscheinlichkeit von annähernd 95 % zu erzielen. Der Freiheitsgrad Ȟi ist ein Maß für die Zuverlässigkeit der Abschätzung der jeweiligen Standardmessunsicherheit. Allgemein akzeptierte Werte von Ȟi für die verschiedenen Unsicherheitsbeiträge sind:
x Ȟi = n – 1 für eine Standardmessunsicherheit vom Typ A bei n Beobachtungen, x Ȟi = für einen Beitrag vom Typ B mit Rechteckverteilung, x Ȟi 50 für eine Unsicherheitsangabe aus einem Kalibrierschein mit einer Überdeckungswahrscheinlichkeit von annähernd 95 %.
266
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Mit diesen Werten für Ȟi lässt sich der effektive Freiheitsgrad Ȟeff nach Gl. (A2.17) berechnen. Die Gleichung sieht auf den ersten Blick komplizierter aus, als sie tatsächlich ist. Sie vereinfacht sich, da in der Summe im Nenner von Gl. (A2.17) die Standardmessunsicherheiten vom Typ B mit Rechteckverteilung wegen Ȟi = entfallen. Für den berechneten Wert von Ȟeff entnimmt man Tabelle A2.1 den zugehörigen Erweiterungsfaktor k für eine Überdeckungswahrscheinlichkeit p = 95,45 % [1.8]. Für Ȟeff < 50 ist der Erweiterungsfaktor k > 2. Tabelle A2.1: Erweiterungsfaktor k in Abhängigkeit vom effektiven Freiheitsgrad Ȟeff für eine Überdeckungswahrscheinlichkeit von p = 95,45 % Ȟeff
1
2
k
13,97 4,53
3
4
5
6
7
8
10
20
50
3,31
2,87
2,65
2,52
2,43
2,37
2,28
2,13
2,05
2,00
Der Erweiterungsfaktor k lässt sich alternativ mit der in [1.8] angegebenen Näherungsgleichung berechnen: k
1,96
2 ,374
Q eff
2 ,818
Q eff
2
2 ,547
Q eff 3
.
(A2.18)
A2.1.8 Messunsicherheitsbudget
Im Messunsicherheitsbudget werden alle wesentlichen Daten der Messung und Auswertung entsprechend der Modellfunktion Gl. (A2.1) in Form einer Tabelle übersichtlich zusammengestellt, wie es schematisch Tabelle A2.2 zeigt. Empfehlenswert ist, alle Eingangswerte und Standardmessunsicherheiten nicht relativ, sondern absolut mit ihren Maßeinheiten anzugeben. Bei Verwendung spezieller Software erfolgt die Unsicherheitsberechnung und Erstellung des Unsicherheitsbudgets selbständig nach Eingabe der Modellfunktion und der Eingangsdaten in den Rechner. Die letzte Zeile in Tabelle A2.2 enthält den Ergebniswert y, der sich aus den Messwerten und ggf. Korrektionen ergibt, mit der beigeordneten Standardmessunsicherheit uc(y) und dem effektiven Freiheitsgrad Ȟeff. Tabelle A2.2: Schema eines Unsicherheitsbudgets Größe Xi
Schätzwert StandardFreiheitsgrad messunsicherheit u(xi) Ȟi bzw. Ȟeff xi
Sensitivitäts- Unsicherheitskoeffizient ci beitrag ui(y)
X1
x1
u(x1)
Ȟ1
c1
X2
x2
u(x2)
Ȟ2
c2
u2(y)
:
:
:
:
:
:
:
:
:
:
:
:
XN
xN
u(xN)
ȞN
cN
uN(y)
Y
y
uc(y)
Ȟeff
u1(y)
Anhang 2 Bestimmung von Messunsicherheiten
267
A2.1.9 Angabe des vollständigen Messergebnisses
In Kalibrier- und Prüfscheinen ist das vollständige Messergebnis in der Form „ y ± U “ anzugeben, wobei y der Messwert einschließlich jeder Korrektion und U die erweiterte Messunsicherheit für eine Überdeckungswahrscheinlichkeit (oder: Vertrauensniveau) von annähernd 95 % sind. Dies bedeutet in anderen Worten, dass 95 % der möglichen Werte y im Intervall (y – U) Y (y + U) liegen. Der numerische Wert von U soll auf nicht mehr als zwei signifikante Stellen gerundet werden. Nimmt der Zahlenwert der Messunsicherheit infolge der Rundung um mehr als 5 % ab, ist der aufgerundete Wert anzugeben. Der Messwert selbst ist entsprechend der letzten signifikanten Stelle der erweiterten Messunsicherheit zu runden. Beispiele für die empfohlene Angabe eines gemessenen Spannungswertes mit erweiterter Messunsicherheit sind: (227,2 ± 2,4) kV, 227,2(1 ± 0,011) kV, 227,2(1 ± 1,1·10-2) kV. Die häufig gewählte Angabe „227,2 kV ± 1,1 %“ ist demnach nicht akzeptabel. Weiterhin soll die Überdeckungswahrscheinlichkeit p und der Erweiterungsfaktor k angegeben werden (in der Regel p § 95 % und k = 2 bei Normalverteilung). A2.1.10 Abschließende Bemerkungen
Die Bestimmung von Messunsicherheiten ist ein wichtiges Instrument beim Qualitätsmanagement und gehört zu den Aufgaben der Mitarbeiter von Prüf- und Kalibrierlaboratorien, die die Anforderungen an ISO IEC 17025 erfüllen. Gelegentlich kommt die Frage auf, ob sich die Mitarbeiter in Prüflaboratorien überhaupt mit dem Thema „Messunsicherheit“ befassen müssen, da sie doch bei Prüfungen die Messgeräte einsetzen, die von akkreditierten Kalibrierlaboratorien innerhalb der angegebenen Messunsicherheiten rückführbar kalibriert wurden. Diese Frage ist für Prüflaboratorien im Hochspannungsbereich zu bejahen, insbesondere dann, wenn die Kalibrierung nicht am Einsatzort, also im Prüflabor, sondern im Kalibrierlabor stattfindet. Beim Einsatz des Messsystems im Prüflabor sind dann wegen der abweichenden Mess- und Umgebungsbedingungen weitere Unsicherheitsbeiträge zu berücksichtigen. Dies gilt auch, wenn die Kalibrierung unvollständig ist und nicht alle Einflussgrößen bestimmt werden können, z. B. weil die Linearitätsprüfung nicht bis zur vollen Einsetzspannung des Messsystems durchführbar ist. Erfolgt die Kalibrierung des Messsystems im Prüflabor, kann man davon ausgehen, dass die Einflüsse durch Temperatur, Näheeffekt, Erdungsverhältnisse, Kurvenform der Prüfspannung usw. vollständig und richtig erfasst werden und in das Unsicherheitsbudget eingehen. Die Messunsicherheit, die im Kalibrierschein für das Messsystem angegebenen ist, kann dann in der Regel bei der Messung von Prüfspannungen oder -strömen einfach übernommen werden (s. Kap. A2.2.2). Ge-
268
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
gebenenfalls ist noch ein weiterer Unsicherheitsbeitrag für das Langzeitverhalten des Messsystems zu berücksichtigen. Es liegt in der Verantwortung des Prüflabors, die Angaben im Kalibrierschein des Messsystems zu überprüfen und gegebenenfalls fehlende Unsicherheitsbeiträge zu ergänzen. Die nachträgliche Berücksichtigung von Unsicherheitsbeiträgen ist formal recht einfach. Im ersten Schritt wird aus der im Kalibrierschein angegebenen erweiterten Messunsicherheit U und dem Erweiterungsfaktor k die Standardmessunsicherheit U/k des Messsystems bestimmt (s. Kap. A2.1.4, Absatz b). Diese wird dann mit den Standardmessunsicherheiten der zusätzlichen Eingangsgrößen entsprechend Gl. (A2.13) kombiniert. In gleicher Weise wird das Unsicherheitsbudget durch Beiträge ergänzt, die bei der Spannungs- oder Strommessung im Verlauf einer Prüfung auftreten. Beispielsweise kann sich die Prüfspannung durch Anschluss des Prüflings signifikant ändern, z. B. durch Überlagerung von Schwingungen. Mit den zusätzlichen Unsicherheitsbeiträgen erhält man die der Prüfspannung oder dem Prüfstrom beigeordnete Standardmessunsicherheit uc(y) und hieraus die erweiterte Messunsicherheit U = kuc(y).
A2.2 Beispiele für die Unsicherheitsberechnung An Hand von drei Beispielen wird die Vorgehensweise bei der Unsicherheitsbestimmung nach dem GUM für nicht korrelierte Eingangsgrößen gezeigt. Das erste Beispiel behandelt die Kalibrierung eines Stoßspannungsmesssystems durch Vergleichsmessung mit einem Referenzsystem. Nach Aufstellen der Modellgleichung für den Maßstabsfaktor des Messsystems werden die einzelnen Unsicherheitsbeiträge und hieraus die erweiterte Messunsicherheit des Maßstabsfaktors bestimmt. Das zweite und dritte Beispiel behandeln den späteren Einsatz des kalibrierten Messsystems bei der Spannungsprüfung eines Betriebsmittels, wobei die Stoßspannung mit und ohne Scheitelschwingung gemessen wird. Die Unsicherheit der Spannungsmessung setzt sich zusammen aus der beigeordneten Messunsicherheit des Maßstabsfaktors und zusätzlichen Unsicherheitsbeiträgen, die bei der Spannungsprüfung auftreten und bei der vorangegangenen Kalibrierung nicht berücksichtigt wurden. Ein weiteres Beispiel in [A2.7] behandelt verschiedene Verfahren zur Berechnung der Unsicherheit des atmosphärischen Korrekturfaktors. A2.2.1 Maßstabsfaktor eines Stoßspannungsmesssystems
Der Maßstabsfaktor eines Stoßspannungsmesssystems X wird durch Vergleich mit einem Referenzsystem N in dem Messaufbau nach Abb. 7.2 bestimmt. Beide Messsysteme bestehen aus je einem 1-MV-Stoßspannungsteiler mit Digitalrecorder zur Aufzeichnung der Teilerausgangsspannung. Die Vergleichsmessung findet in der Hochspannungshalle, in der auch das Messsystem X für Prüfungen an Betriebsmitteln eingesetzt wird, bei einer Temperatur von 15 °C statt. Für das Refe-
Anhang 2 Bestimmung von Messunsicherheiten
269
renzsystem N ist im Kalibrierschein ein Maßstabsfaktor FN = 1,015 bei 20 °C mit einer erweiterten Messunsicherheit U = 0,8 % (k = 2) angegeben. Der Kalibrierschein, der 11 Monate zuvor ausgestellt wurde, enthält keinen Unsicherheitsbeitrag für die Langzeitstabilität. Der erste Schritt besteht in der Analyse des Messvorgangs mit dem Ziel, die Modellfunktion entsprechend Gl. (A2.1) aufzustellen. Im Idealfall liefern sowohl das Messsystem X als auch das Referenzsystem N bei der Vergleichsmessung den richtigen Scheitelwert û der angelegten Stoßspannung. Es gilt dann (s. Abb. 7.3): uˆ
uˆX FX
uˆ N FN ,
wobei FX und FN die Maßstabsfaktoren und ûX und ûN die Messwerte für den Scheitelwert auf der Niederspannungsseite des Messsystems X bzw. Referenzsystems N sind. Hieraus ergibt sich die Grundform der Modellfunktion für den Maßstabsfaktor des Messsystems X zu: FX
uˆ N FN . uˆX
(A2.19)
Andere Grundformen der Modellfunktion sind durchaus denkbar, werden aber hier nicht weiter behandelt. Die beiden Messsysteme X und N sind verschiedenen Einflüssen unterworfen, die durch Messung oder verlässliche Abschätzung quantitativ erfasst und in der Modellfunktion für den Maßstabsfaktor FX berücksichtig werden. Beim Messsystem X sind dies die Messwerte für den Quotienten ûN/ûX und die Standardabweichung, die Abhängigkeit von der Spannungshöhe û und der Stirnzeit T1 der Prüfspannung, der Abstand L zu benachbarten Objekten und die Kurzzeitstabilität Sk. Der Maßstabsfaktor FN des Referenzsystems wird durch die Langzeitstabilität SL und Umgebungstemperatur Ĭ beeinflusst. Die vollständige Modellfunktion für den Maßstabsfaktor FX hat dementsprechend die allgemeine Form:
FX = f (ûN/ûX, FN, SL, Ĭ, û, T1, L, Sk).
(A2.20)
Die exakte funktionale Abhängigkeit zwischen der Ausgangsgröße FX und den meisten Eingangsgrößen in Gl. (A2.20) ist im Einzelnen nicht bekannt. Zur Vermeidung aufwändiger Untersuchungen wird die Modellfunktion in vereinfachter Form angesetzt. Der Einfluss der Eingangsgrößen auf FN und FX wird direkt, d. h. implizit der Sensitivitätskoeffizienten ci (s. Kap. A2.1.5), durch die Abweichungen ǻFN,i und ǻFX,k ausgedrückt und größenmäßig verlässlich abgeschätzt. Jede dieser Abweichungen steht formal mit negativem Vorzeichen beim jeweiligen Maßstabsfaktor auf der entsprechenden Seite der Modellfunktion. Nach Einsetzen dieser Abweichungen in Gl. (A2.19) und Auflösen nach dem Maßstabsfaktor FX lautet die vollständige Modellfunktion:
270
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
FX
ûN ûX
2 · 4 § ¨ FN ¦ ǻFN,i ¸ ¦ ǻFX, k ¸ ¨ i 1 ¹ k 1 ©
(A2.21)
mit den durchnummerierten Abweichungen ǻFN,i und ǻFX,k:
x x x x x x
ǻFN1 ǻFN2 ǻFX1 ǻFX2 ǻFX3 ǻFX4
Einfluss der Umgebungstemperatur Ĭ auf das Referenzsystem N Langzeitstabilität SL des Referenzsystems N Spannungsabhängigkeit des Messsystems X Einfluss der Stirnzeit auf das Messsystem X Näheeffekt des Messsystems X infolge Wandabstand L Kurzzeitstabilität SK des Messsystems X.
Jede der aufgeführten Abweichungen besteht grundsätzlich aus einem Zahlenwert für die Abweichung selbst und der zugehörigen Standardmessunsicherheit. Der Zahlenwert einer Abweichung kann auch null innerhalb der angegebenen Unsicherheit sein. Das Langzeitverhalten des Messsystems X wird hier nicht berücksichtigt. Ein entsprechender Unsicherheitsbeitrag ist daher vom Prüflabor selbst aus späteren Kontrollmessungen zu ermitteln. Entsprechend Abb. A2.2b lassen sich Rechteckverteilungen mit symmetrischen Intervallgrenzen a+ und a- abschätzen, innerhalb derer die Werte der jeweiligen Abweichung ǻFN,i und ǻFX,k mit gleicher Auftrittswahrscheinlichkeit liegen. Aus der halben Intervallbreite a der Rechteckverteilung ergibt sich die Standardmessunsicherheit der Abweichung zu a/¥3 gemäß Gl. (A2.9). Da die Unsicherheitsbeiträge von ǻFX1 bis ǻFX4 in Gl. (A2.21) direkt auf den Maßstabsfaktor FX bezogen sind, weist die Modellfunktion eine verhältnismäßig einfache Form auf. In den folgenden Schritten werden die Eingangsgrößen, Abweichungen, Korrektionen und Standardmessunsicherheiten aus Messungen und verlässlichen Datenquellen bestimmt. Zunächst wird der auf 20 °C bezogene Maßstabfaktor FN des Referenzsystems für die Umgebungstemperatur von 15 °C bei der Vergleichsmessung berechnet. Gemäß den Herstellerangaben für den Temperaturkoeffizienten ist der Maßstabsfaktor um -0,3 % zu korrigieren, so dass der aktuelle Wert bei 15 °C FN = 1,012 beträgt. Korrektionen sind jedoch stets mit einer Unsicherheit behaftet. Daher wird die letzte Stelle von FN als unsicher betrachtet und formal eine restliche Abweichung innerhalb von ±0,001 unter Annahme einer Rechteckverteilung nach Abb. A2.2b angesetzt. Die entsprechende Standardmessunsicherheit vom Typ B ergibt sich damit zu u1(FN) = 0,001/¥3 = 0,000577 (Absolutwert) gemäß Gl. (A2.9). Die Langzeitstabilität des Referenzsystems innerhalb eines Jahres wird vom Hersteller mit ±0,5 % angegeben. Daraus resultiert ein weiterer Unsicherheitsbeitrag u2(FN) = 0,005·1,012/¥3 = 0,00292. Die Vergleichsmessung zwischen dem Messsystem X mit der Bemessungsspannung U0 = 1 MV und dem Referenzsystem N wird bei fünf Spannungswerten zwischen 20 % und 100 % von U0 durchgeführt. Der Stoßspannungsgenerator ist auf eine Stirnzeit T1 = 1,1 μs, die ungefähr in der Mitte der zulässigen Toleranzgrenzen liegt, und eine maximale Rückenhalbwertzeit T2max = 60 μs eingestellt. Die Stoßspannungen weisen einen glatten Zeitverlauf ohne Überschwingen im
Anhang 2 Bestimmung von Messunsicherheiten
271
Scheitel auf. Für jeden der fünf Spannungswerte werden n = 10 Wertepaare der Scheitelwerte ûN und ûX gemessen. Als Beispiel zeigt Tabelle A2.3 die bei 20 % von U0 gemessenen Werte ûN und ûX. Gemäß der Modellfunktion Gl. (A2.21) ist es vorteilhaft, nicht die einzelnen Scheitelwerte, sondern den Quotienten ûN/ûX für die weitere Auswertung zu verwenden. Dadurch fällt die Instabilität des Stoßspannungsgenerators heraus. Die Streuung der Werte für den Quotienten ist somit kleiner als für die einzelnen Scheitelwerte und dementsprechend verringert sich die Standardmessunsicherheit vom Typ A. Tabelle A2.3: Messwerte für den Scheitelwert ûN des Referenzsystems N und ûX des Messsystems X und deren Quotienten ûN/ûX bei etwa 20 % der Bemessungsspannung U0 = 1 MV
Messung
Messwert ûN
Messwert ûX
Nr.
kV
V
1
208,0
103,6
2007,7
2
208,2
103,6
2009,7
3
207,1
102,9
2012,6
4
205,9
102,3
2012,9
5
207,3
102,3
2026,4
6
207,7
103,1
2014,5
7
207,8
103,3
2011,6
8
207,7
103,3
2010,6
9
206,8
102,9
2009,7
10
207,8
103,5
2007,7
Mittelwert der Quotienten ûN/ûX: Standardabweichung s(ûN/ûX):
Quotient ûN/ûX
2012,3 5,4
In gleicher Weise werden die Scheitelwerte ûN, ûX und die Quotienten ûN/ûX bei 40 % … 100 % der Bemessungsspannung U0 ermittelt. Das Ergebnis der Vergleichsmessung bei den fünf Spannungswerten zwischen 0,2 MV und 1 MV ist in Tabelle A2.4 zusammengefasst. Für jeden Spannungswert sind der Mittelwert der Quotienten ûN/ûX und die Standardabweichung s(ûN/ûX) angegeben. Mit zunehmender Stoßspannung ist ein Anstieg von ûN/ûX erkennbar. Entsprechend der Modellfunktion steigt damit auch der Maßstabsfaktor FX an. Zur Berechnung der Standardmessunsicherheit vom Typ A gemäß Gl. (A2.6) mit n = 10 wird der Maximalwert smax der Standardabweichungen herangezogen. Für den Einsatz des Messsystems X ist es praktisch, einen mittleren Maßstabsfaktor FXm für den gesamten Spannungsbereich zu verwenden (s. Abb. 7.4). Daher wird in Gl. (A2.21) der Mittelwert der Quotienten ûN/ûX aus den fünf Messreihen eingesetzt. Die Spannungsabhängigkeit des Maßstabsfaktors wird durch einen Unsicherheitsbeitrag bei ǻFX1 berücksichtigt. Dieser Beitrag berechnet sich aus der halben Intervallbreite a1 einer Rechteckverteilung, wobei a1 die maximale Abweichung der einzelnen Quotienten ûN/ûX vom Mittelwert, multipliziert mit FN, bezeichnet (s. Tabelle A2.4).
272
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Tabelle A2.4: Ergebnis der Vergleichsmessung bei fünf Stoßspannungswerten
MV
Quotient ûN/ûX
Standardabweichung s(ûN/ûX)
0,2
2012,3
5,4
0,4
2011,0
5,6
0,6
2015,2
6,2
0,8
2019,9
6,1
1
2025,7
6,9 (= smax)
Mittelwert der Quotienten:
2016,7
Stoßspannung û
Maximale Abweichung der Einzelwerte:
9
In weiteren Vergleichsmessungen mit dem Referenzsystem N wird das dynamische Verhalten des Stoßspannungsmesssystems X untersucht. Hierbei wird die Stirnzeit T1 der Blitzstoßspannung variiert und der Einfluss auf den Maßstabsfaktor ermittelt. Die Messungen ergeben, dass sich der Maßstabsfaktor FX im zulässigen Toleranzbereich T1 = 1,2 μs ± 30 % innerhalb von ±a2 = 0,5 % ändert. Der Näheeffekt bei der Aufstellung des Prüflings während der Vergleichsmessungen wird mit einem Anteil a3 = 0,2 % berücksichtigt. Die Überprüfung der Kurzzeitstabilität ergibt eine Änderung von FX innerhalb von ±a4 = 0,2 %. Aus den genannten Abweichungen a1 bis a4 lassen sich unter Annahme von Rechteckverteilungen die entsprechenden Standardmessunsicherheiten vom Typ B nach Gl. (A2.9) berechnen. Beim Störtest treten im Anfangsverlauf der Stoßspannung Störungen von weniger als 1 % auf, die aber die Bestimmung der Impulsparameter nicht beeinträchtigen und daher beim Messunsicherheitsbudget nicht berücksichtigt werden. Die Werte der Eingangsgrößen und Unsicherheitsbeiträge sind im Messunsicherheitsbudget zusammengestellt (Tabelle A2.5). Die zahlenmäßige Auswertung der Modellfunktion nach Gl. (A2.21) erfolgt zweckmäßigerweise mit Hilfe einer validierten Software [A2.8]. Als Ergebnis der Berechnung sind in der letzten Zeile von Tabelle A2.5 der mittlere Maßstabsfaktor FXm, die beigeordnete Standardmessunsicherheit uc und der effektive Freiheitsgrad Ȟeff angegeben. Der relativ große Wert Ȟeff = 370 bedeutet, dass eine Normalverteilung vorliegt und der Erweiterungsfaktor k = 2 beträgt für eine Überdeckungswahrscheinlichkeit von mindestens 95 %. Das vollständige Ergebnis der Kalibrierung lässt sich schließlich im Kalibrierschein für das Messsystem X in der Form:
FXm = 2041 ± 27 mit einer Überdeckungswahrscheinlichkeit p 95 % (k = 2) zusammenfassen. Die angegebene erweiterte Messunsicherheit des festgesetzten Maßstabsfaktors FXm entspricht relativ 1,3 %. Abschließend sei nochmals darauf hingewiesen, dass die Messunsicherheit für den festgesetzten Maßstabsfaktor nicht unbedingt identisch ist mit der Messunsicherheit, die sich beim Einsatz des Messsystems X zur Spannungsmessung bei ei-
Anhang 2 Bestimmung von Messunsicherheiten
273
ner Prüfung ergibt. Neben der Langzeitstabilität des Messsystems müssen gegebenenfalls zusätzliche Eingangsgrößen im Unsicherheitsbudget für die Spannungsmessung berücksichtigt werden. Dies wird in den folgenden zwei Beispielen für die Messung von Stoßspannungen mit und ohne überlagerter Scheitelschwingung behandelt. Tabelle A2.5: Messunsicherheitsbudget für den mittleren Maßstabsfaktor FXm
Größe
Wert
Xi
xi
Standardmess- Freiheitsgrad unsicherheit u(xi) Ȟi
ûN/ûX
2016,7
2,18 1)
1,0
2,2
FN
1,0150
0,00400 1)
50
2000
8,1 -1,2
9
Sensitivitätsko- Unsicherheitseffizient beitrag ci ui(FXm)
ǻFN1
0,003036
0,000577
f
-2000
ǻFN2
0,0
0,00292
f
-2000
-5,9
ǻFX1
0,0
5,25
f
1,0
5,3
ǻFX2
0,0
5,89
f
1,0
5,9
ǻFX3
0,0
2,36
f
1,0
2,4
ǻFX4
0,0
2,36
f
1,0
2,4
FXm
2041
uc = 13,4
Ȟeff = 370
1)
Normalverteilung (alle anderen Eingangsgrößen: Rechteckverteilung)
A2.2.2 Unsicherheit der Spannungsmessung bei einer Prüfung
Das in Kap. A2.2.1 kalibrierte Messsystem X wird zur Messung des Prüfspannungswertes einer einzelnen Blitzstoßspannung bei der Prüfung eines Betriebsmittels eingesetzt. Im ersten Beispiel wird die Blitzstoßspannung ohne, im zweiten Beispiel mit überlagerter Scheitelschwingung gemessen. Der durch die Kalibrierung bei 15 °C festgesetzte Maßstabsfaktor FXm = 2041 mit der erweiterten Messunsicherheit U(FXm) = 27 ist unter Berücksichtigung zusätzlicher Eingangsgrößen und Unsicherheitsbeiträge den aktuellen Prüfbedingungen anzupassen. Die Spannungsprüfung findet bei einer Temperatur von 21 °C statt. Der auf 15 °C bezogene Maßstabsfaktor FXm erhöht sich dadurch entsprechend dem Temperaturkoeffizienten des Messsystems um ǻF1 = 0,3 %. Kontrollmessungen zeigen, dass sich der Maßstabsfaktor infolge einer Langzeitdrift um ǻF2 = 0,4 % gegenüber FXm erhöht hat. Da die beiden Korrektionen ǻF1 und ǻF2 nur Näherungswerte darstellen, wird für die möglichen Werte des korrigierten Maßstabsfaktors eine Rechteckverteilung mit einer Intervallbreite von jeweils ±0,1 %, bezogen auf FXm, angenommen. Die zahlenmäßige Auswertung der Modellfunktion wird wiederum mit Software durchgeführt [A2.8].
274
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
A2.2.2.1 Stoßspannung ohne Scheitelschwingung Die zu messende Stoßspannung weist in diesem Beispiel einen Zeitverlauf ohne Scheitelschwingung auf. Der Digitalrecorder zeigt einen Scheitelwert von Urec = 324,5 V an. Da die Aussteuerung des 10-Bit-Recorders nur 80 % beträgt, wird für Urec eine Abweichung von ±0,2 % innerhalb einer Rechteckverteilung angesetzt, die auch den Beitrag durch das überlagerte Rauschen berücksichtigt. Für den gesuchten Wert Ut der Prüfspannung lässt sich folgende Modellgleichungohne Scheitelschwingung aufstellen: Ut
U rec F
U rec FXm ǻF1 ǻF2 .
(A2.22)
Die angegebenen Werte und Unsicherheitsbeiträge sind im Messunsicherheitsbudget zusammengestellt (Tabelle A2.6). Als Freiheitsgrad von FXm ist Ȟ = 50 eingetragen (s. Kap. A2.1.7), da der bei der Kalibrierung ermittelte und in Tabelle A2.5 angegebene Wert Ȟeff = 370 in der Regel nicht im Kalibrierschein aufgeführt wird und somit unbekannt ist. Die letzte Tabellenzeile gibt das Ergebnis für den Prüfspannungswert Ut an. Der effektive Freiheitsgrad beträgt 57, so dass eine Normalverteilung der Ergebniswerte vorliegt und der Erweiterungsfaktor k = 2 ist für eine Überdeckungswahrscheinlichkeit p 95 %. Das Ergebnis für den Prüfspannungswert lautet:
Ut = 666,9 kV ± 9,1 kV (p 95 %, k = 2). Die erweiterte Messunsicherheit von Ut beträgt relativ 1,6 %. Sie ist damit nur wenig größer als die im ersten Beispiel bei der Kalibrierung des Messsystems festgestellte Messunsicherheit von 1,3 % für den Maßstabsfaktor. Tabelle A2.6: Messunsicherheitsbudget für den Prüfspannungswert Ut einer Stoßspannung ohne Scheitelschwingung
Größe
Wert
Xi
xi
Standardmess- Freiheitsgrad unsicherheit u(xi) Ȟi
FXm
2041
13,5
50
320 V
4,4 kV
'F 1
6,12
2,04
f
320 V
0,66 kV
'F 2
8,16
2,04
f
320 V
0,66 kV
1)
Urec
324,5 V
0,375 V
f
Ut
666,9·kV
4,55 kV
57
1)
Sensitivitätsko- Unsicherheitseffizient beitrag ci ui(Ut)
2100
Normalverteilung (alle anderen Eingangsgrößen: Rechteckverteilung)
0,77 kV
Anhang 2 Bestimmung von Messunsicherheiten
275
A2.2.2.2 Stoßspannung mit Scheitelschwingung Bei der Spannungsprüfung weist die Blitzstoßspannung im Scheitelbereich ein Überschwingen auf. Der Prüfspannungswert Ut, der für die Beanspruchung der Isolierung des Betriebsmittels wirksam ist, muss daher mit Hilfe der Prüfspannungsfunktion k(f) bestimmt werden (s. Kap. 1.1.1.2). Die aufgezeichnete Stoßspannung mit überlagerter Scheitelschwingung weist den Extremwert Ue = Urec = 324,5 V auf. Zur Bestimmung des Prüfspannungswertes wird das Alternativverfahren mit manueller Auswertung des aufgezeichneten Kurvenverlaufs angewandt. An die schwingende Stoßspannung wird eine doppelexponentielle Basisspannung nach Gl. (2.8) angepasst, deren Scheitelwert sich zu Ub = 299,3 V ergibt. Für die Anpassung wird eine auf Ub bezogene Standardmessunsicherheit von 0,2 % unter Annahme einer Rechteckverteilung angesetzt. Aus der Differenz beider Spannungsverläufe erhält man die schwingende Residualkurve mit der Amplitude ȕ = Urec - Ub. Die Schwingungsfrequenz ergibt sich als Reziprokwert der zweifachen Dauer der Halbschwingung im Zeitbereich des Scheitels zu f = 0,3 MHz. Für diese Frequenz beträgt nach Gl. (1.4) der Wert der Prüfspannungsfunktion k(f) = 0,835. Die Amplitude ȕ der Residualkurve wird mit k(f) multipliziert und dem Scheitelwert der Basiskurve überlagert. Mit den gleichen Vorgaben für den Maßstabsfaktor wie im vorangegangenen Beispiel lässt sich für den gesuchten Prüfspannungswert Ut folgende Modellgleichung aufstellen:
Ut = [Ub + k(f)·ȕ]·F = [Ub + k ( f ) · ( Urec - Ub)]·( FXm·+ ǻF1 + ǻF2). (A2.23) Für die Prüfspannungsfunktion k(f) nach Gl. (1.4) ist in [1.7] keine Unsicherheit angegeben. Das Ergebnis der Untersuchungen in [1.10] zeigt jedoch, dass die experimentell ermittelten k-Werte von den nach Gl. (1.4) berechneten Funktionswerten k(f) innerhalb einer typischen Streubreite von ±0,2 (absolut) abweichen können (s. Abb. 1.4a). Für den Prüfspannungsfaktor k(f) wird daher eine Standardmessunsicherheit u(k) = 0,2/¥3 = 0,115 angenommen, der auch die Unsicherheit der Frequenzbestimmung selbst einschließt. Die Werte und Unsicherheiten sind im Messunsicherheitsbudget zusammengestellt (Tabelle A2.6). Die letzte Zeile in Tabelle A2.6 enthält das Ergebnis für den Prüfspannungswert ût. Der große effektive Freiheitsgrad von 440 zeigt, dass eine Normalverteilung der Ergebniswerte vorliegt und der Erweiterungsfaktor k = 2 für eine Überdeckungswahrscheinlichkeit p 95 % beträgt. Das Ergebnis der Spannungsmessung bei der Prüfung lässt sich schließlich in der Form angeben:
Ut = 658 kV ± 15 kV (p 95 %, k = 2). Die erweiterte Messunsicherheit des Prüfspannungswertes Ut für die Blitzstoßspannung mit überlagerter Scheitelschwingung beträgt relativ 2,3 %. Sie ist damit größer als die für die Blitzstoßspannung ohne Scheitelschwingung festgestellte
276
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Messunsicherheit von 1,6 %, liegt aber noch unter dem zulässigen Grenzwert von 3 %. Tabelle A2.6: Messunsicherheitsbudget für den Prüfspannungswert Ut einer Blitzstoßspannung mit Scheitelschwingung unter Berücksichtigung der Prüfspannungsfunktion k(f) nach Gl. (1.4)
Größe
Wert
Xi
xi
Standardmess- Freiheitsgrad unsicherheit u(xi) Ȟi
FXm
2041
13,5
50
320 V
4,3 kV
'F 1
6,12
2,04
f
320 V
0,65 kV
'F 2
8,16
2,04
f
320 V
0,65 kV
1)
Sensitivitätsko- Unsicherheitseffizient beitrag ci ui(Ut)
Urec
324,5 V
0,375 V
f
1700
0,64 kV
Ub
299,3 V
0,346 V
f
340
0,12 kV
k(f)
0,835
0,115
f
Ut
658,4 kV
7,5 kV
440
1)
52·103 V
6,0 kV
Normalverteilung (alle anderen Eingangsgrößen: Rechteckverteilung)
Literatur zu Anhang A2 [A2.1] ISO/IEC Guide 99: International Vocabulary of Basic and General Terms in Metrology (2007) [A2.2] ISO/IEC Guide 98-3 (2008): Uncertainty of Measurement – Part 3: Guide to the Expression of Uncertainty in Measurement (GUM: 1995) [A2.3] EAL-R2: Expression of the Uncertainty of Measurement in Calibration (1997) [A2.4] DIN 1319-3: Auswertung von Messungen einer einzelnen Messgröße - Messunsicherheit (1996) [A2.5] PTB-Mitt 111 (Sonderdruck): Themenschwerpunkt Messunsicherheit. Wirtschaftsverlag NM, Bremerhaven (2001) [A2.6] Schon, K.: What is new in the future IEC 60060-2: Uncertainty of measurement and convolution. HIGHVOLT Kolloquium ƍ07, Dresden (2007), Beitrag 1.2 [A2.7] Li, Y., Schon, K., Mohaupt, P.: Determinations of measurement uncertainty of the atmospheric correction factor for high-voltage testing. 14. ISH Ljubljana (2007), Beitrag T10500 [A2.8] Metrodata: GUM Workbench, Internetadresse: www.metrodata.de
Abkürzungen
AC AD-Wandler AkkStelleG BIPM CIGRE CMC DAKKS DATech DA-Wandler DC DFT DIN DKD DKE EA EB EMP EMV FFT FS GIS GPS GTEM GUM IEC ISH ISO LI LIC LSB LWL NEMP OP PC PTB SI SI TC TDG TEM
Wechselstrom Analog-Digital-Wandler Akkreditierungsstellengesetz Bureau International des Poids et Mesures Conseil International des Grands Réseaux Électriques Calibration and Measurement Capability Deutsche Akkreditierungsstelle Deutsche Akkreditierungsstelle Technik Digital-Analog-Wandler Gleichstrom Discrete Fourier Transform Deutsches Institut für Normung Deutscher Kalibrierdienst Deutsche Elektrotechnische Kommission European co-operation for Accreditation Effektive Bitzahl Elektromagnetischer Impuls Elektromagnetische Verträglichkeit Fast Fourier Transform Funkenstrecke Gasisolierte Schaltanlage Global Positioning System Gigahertz Transverse Electromagnetic Guide to the Expression of Uncertainty in Measurement International Electrotechnical Commission Internationales Symposium für Hochspannung International Organization for Standardization Blitzstoßspannung (lightning impulse) abgeschnittene Blitzstoßspannung (lightning impulse chopped) kleinste Digitalisierungsstufe (Least Significant Bit Lichtwellenleiter nuklear erzeugter elektromagnetischer Impuls Operationsverstärker Personal computer Physikalisch-Technische Bundesanstalt Schaltstoßspannung (switching impulse) Internationales Einheitensystem Technisches Komitee (der IEC) Test Data Generator transversal elektromagnetisch (transverse electromagnetic)
K. Schon, Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik, DOI 10.1007/978-3-642-13117-2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010
278
UHV UV UVC VIM WTO
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Ultrahochspannung (ultra high voltage Ultraviolettes Licht sehr kurzwelliges ultraviolettes Licht Internationales Wörterbuch der Metrologie Welthandelsorganisation (World Trade Organisation)
Sachverzeichnis
A Abschlusswiderstand 128 Abschneidefunkenstrecke 4, 130 Abschneidezeit 4, 6, 43, 74, 235 Abschneidung 4, 6, 78, 227 Abtastfehler 106, 108, 109, 112 Abtastfrequenz 108 Abtastrate 102 Abtastwert 110 Akkreditierung 224 Alternativverfahren 246 Amplitudenabfall 92, 202 Amplitudenauflösung 101 Amplitudendichte 46, 93, 250, 251 Amplitudengang 62, 93 Analog-Digital-Wandler 100, 106 anerkanntes Messsystem 223, 226 Anfangsstörzeit 86 Anstiegszeit 72, 93 Antwortfehler 79 Blitzstoßspannung 80 Antwortparameter 58, 85 Referenzteiler 160 Antwortzeit 59, 72, 75, 76, 77, 142, 143 Definition 71
Ä äquivalente glatte Blitzstoßspannung 6, 9, 10, 12
A arithmetischer Mittelwert 259 Ausbreitungsgeschwindigkeit im Koaxialkabel 128 Ausgabewert des AD-Wandlers 107
B Bandbreite 73, 132 Basiskurve 12 Basisspannung 9, 10 beigeordnete Standardmessunsicherheit 256, 263, 272 Belastungskondensator 26, 125, 149 Beruhigungszeit 86, 142, 159 bifilare Wicklung 138 Bildfunktion 65 BIPM 255 Blitzstoßspannung 4 abgeschnittene 4, 227 Amplitudendichte 46, 70
analytische Darstellung 39 Antwortfehler 80 erforderliche Messbandbreite 93 Erzeugung 22, 28 Messunsicherheit 7 Rücken 4 Scheitel 4 Spektrum 46 Stirn 4 Stirnzeit 6 Toleranzen 7 virtueller Nullpunkt 4, 6 Zeitverläufe 5 Brechungsindex 170 Breitbandsystem 94 Burch-Abschluss 148, 155, 161, 166
C Chip-Widerstand 139, 187 CIGRE 223 CMC 224 Crowbar-Technik 33
D DAKKS 224 Dämpfungswiderstand 126, 128, 135, 138, 158 DATech 224 Datenspeicher 103 DFT 251 differentielle Nichtlinearität bei dynamischer Beanspruchung 114 Differenzierglied 95 Digital-Analog-Wandler 100, 121 Digitalisierer Siehe Digitalrecorder Digitaloszilloskop Siehe Digitalrecorder Digitalrecorder 12, 99, 129, 206, 229, 230, 261 alternative Kalibrierung 243 Analogteil 115 Anstiegszeit 103 Auflösung 102 Eingangsimpedanz 104 elektromagnetische Störeinwirkung 116 im Referenzsystem 121 Kalibrierung 242 Messunsicherheit 106
K. Schon, Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik, DOI 10.1007/978-3-642-13117-2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010
280
Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Nichtlinearität 115 Dirac-Impuls 64 DKD 224 DKE 223 doppelexponentielle Impulsspannung 42, 119 Drahtwiderstand 139, 187 Dreieckfunktion 45, Siehe Keilstoßspannung Dreieckverteilung 261 Drift 241 Druckgaskondensator 149 Duhamel-Integral Siehe Faltungsintegral Durchflutungsgesetz 185, 189, 198 Durchgriff 195 dynamische Nichtlinearität 110 dynamisches Verhalten 234, 237, 239, 272
E Effektive Bitzahl 111 effektiver Freiheitsgrad 260, 265, 272, 274 Eigenanstiegszeit 72, 191 Eignungsprüfung 223, 241 Eindringtiefe 189 Eingangsabschwächer 104, 115 Eingangsgröße 257 Einheitssprungantwort Siehe Sprungantwort elektromagnetische Störfelder 129 elektromagnetische Störung 130 elektrooptischer Sensor 171 elektrooptischer Spannungswandler 173 EMP 30 empirische Varianz 259 EMV 17 Entfaltung 61, 64 Erdflächenleiter 127 Erdkapazität 134, 142, 145, 180 Erdrückleiter 228 Erdschleife 117, 180, 182 erweiterte Messunsicherheit 257, 264, 267, 268 Erweiterungsfaktor 256, 265, 268 experimentelle Antwortzeit 86, 159 Exponentialfunktion 40 Exponential-Stoßstrom Joulsches Integral 19 Ladung 19 Unterschwingen 19 Extremwert 10
F Faltung 63, 93, 132, 194, 236, 247 Beispiele 73
Faltungsalgorithmus 60 Faltungsintegral 59, 65 Faraday-Effekt 217 Faraday-Käfig 99, 104, 129, 228 faseroptischer Stromsensor 218 Fehlerdiagramm 79, 235, 237, 247 Fehlerfortpflanzungsgesetz 263, 264 feldkonformer Stoßspannungsteiler 145 Feldsensor 168 dreidimensional, potenzialfrei 169 festgesetzter Maßstabsfaktor 230, 231, 232, 246 FFT 251 Filterung 114 Filterungsverfahren 10, 12 Fingerabdruck 83, 87 Flash-Konverter 100, 114 Flüssigkeitsteiler 139 Fourier-Analyse 61 Fourier-Integral 46, 63, 249 Fourier-Transformation 66, 249 diskrete (DFT) 63 schnelle (FFT) 63, 106 Freiheitsgrad 265 Frequenzgang 64 Funktionsgenerator 121
G gasisolierter Stoßspannungsteiler 146 gedämpft kapazitiver Stoßspannungsteiler 151 als Referenzteiler 156 Antwortparameter 159 Kettenleiterersatzschaltbild 152 Sprungantwort 153 Gegeninduktivität 186, 200, 207 Gesamtunsicherheit 265 Glasfaser 218 Glättung der Rohdaten 114 Gleichstromwandler 211 Grenzfrequenz 92, 132, 202, 210, 213 Grenzlastintegral 197 GTEM-Zelle 169 GUM 226, 231, 256
H Hall-Effekt 213 Hall-Spannung 214, 215 Hall-Stromsensor 215 Heavisidescher Operator 65 HF-Plattenkondensator 151 Hierarchie der Messmittel 225 Histogramm der Quantisierungsstufen 113 Hochpass 93, 95 Hochspannungsteil 126, 132, 139, 143
Sachverzeichnis Hochspannungszuleitung 126, 134 Induktivität 135 Wellenwiderstand 135
I Identifikationsakte 223 IEC 223 Impulskalibrator 115, 117, 119, 242 berechenbarer 121 Impulsverformung 94 Induktionsgesetz 189, 199 Induktionsschleife 212 induktive Spannungsspitze 183, 191 Induktivität 138, 140, 183 Stoßspannungsprüfung 27 induzierte Doppelbrechung 170, 217 induzierte Spannung 199, 205 Integration 167, 212 Integrierglied 94, 209 Integrierschaltung 201 interner Dämpfungswiderstand 152 inverser piezoelektrischer Effekt 173
J Jitter 115 Josephson-Spannungsnormal 110
K Kabelgenerator 90, 115, 193 Kabelkapazität 129 Kabelwellenwiderstand 127 Kalibrierimpuls 119 Kalibrierschein 224, 268, 269, 274 Kalibrierung 224 bei Niederspannung 237 durch Vergleichsmessung 227 Vor-Ort-Kalibrierung 228 kapazitiver Feldsensor 165 kapazitiver Stoßspannungsteiler 147 vereinfachtes Ersatzschaltbild 149 Keilstoßspannung 4, 45, 73, 74, 78 Amplitudendichte 48 erforderliche Messbandbreite 93 Spektrum 46, 47 virtuelle Steilheit 4 Zeitverlauf 5 Kerr-Effekt 170, 174 Kerr-Zelle 175 Kettenleiter 133, 151 Kettenleiterersatzschaltbild 133, 136, 149 gedämpft kapazitiver Spannungsteiler 152 Koaxialshunt 192 ohmscher Spannungsteiler 140 k-Faktor 10, 11, 12 Kirchhoffsche Gesetze 65
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koaxialer Messwiderstand Siehe Koaxialshunt Koaxialkabel 128 Ausbreitungsgeschwindigkeit 128 Leiterwiderstand 140, 182 Koaxialshunt 187, 193 Antwortzeit 191 Bandbreite 191 für hohe Frequenzen 194 für hohe Stromstärken 195 Kettenleiterersatzschaltbild 192 Sprungantwort 190 vereinfachtes Ersatzschaltbild 192 Kodierschaltung 100 Kohleschichtwiderstand 139 Komparator 100 Kompensationsschaltung gegen Schwingungen 27, 229 Reusenwiderstand 195 kompensierter Spannungsteiler 132, 140 Komponentenverfahren 223 Kontrollmessung 223, 241 Kopplungsimpedanz 130, 180 Korrektion 236, 262, 267, 270 Korrelation 264 Kriechen 160 Kugelfunkenstrecke 22, 25, 28, 163, 227, 233 50-%-Durchschlagspannung 164 Kurzschlusswechselstrom 20 analytische Darstellung 54 Erzeugung 35 konventioneller Effektivwert 22 symmetrischer Effektivwert 21 wahrer Effektivwert 21 Kurzzeitstabilität 116, 240, 269, 272
L Lageabhängigkeit 205 Langzeitstabilität 116, 241, 269, 270 Laplace-Transformation 40, 46, 49, 53, 57, 64, 249, 251 inverse 137 Korrespondenzen 252 Rechenregeln 251 Laufzeit 62, 75 im Koaxialkabel 128 Least Significant Bit 108 Lichtwellenleiter 130, 203 lineares System 57 Linearitätsnachweis 165, 168, 169, 236, 246 Alternativen 232
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Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
M mäanderförmig 138 Magnetfeld 181 Magnetfeldsensor 212 kugelförmiger 213 magnetische Feldstärke 198 Magnetkern 200, 209 magnetooptischer Effekt 217 magnetooptischer Glasring-Wandler 218 magnetooptischer Stromsensor 217, 219 in Faserform 218 Marx-Generator Siehe Stoßspannungsgenerator Massewiderstand 139 Maßstabsfaktor 129, 131, 140, 231, 236, 237, 268, 271, 272, 273 Spannungsabhängigkeit 232 Maxwellsche Gleichungen 189, 190 Mehrfachfunkenstrecke 28 Messabgriff 185 Messabweichung 235 Messgröße 257 Messleitung 196 Messschleife 185, 199 Messspule 199 Messunsicherheit 224, 229, 255, 272 Berechnungsbeispiele 268 Blitzstoßspannung 7 Impulskalibrator 121 Schaltstoßspannung 14 schwingende Stoßspannung 16 Stoßstrom 19 Messunsicherheitsbudget 266, 272, 274, 275 Messwiderstand 179 koaxiale Bauform 186 Temperaturerhöhung 197 Methode vom Typ A 256, 258 Methode vom Typ B 256, 260 Metrologieinstitut 224 Modellfunktion 231, 268, 269, 271 allgemein 257 einfaches Beispiel 258 Maßstabsfaktor 269 Prüfspannung mit Scheitelschwingung 275 Prüfspannung ohne Scheitelschwingung 274
N Nachkreis 17, 29 Näheeffekt 239, 272 nationales Messnormal 226 natürliche Doppelbrechung 170
NEMP 30 Netzfilter 129 Niederspannungsteil 126, 133, 134, 139, 143 Normalverteilung 256, 258, 261, 272, 274 Nulldetektor 216 Nullfluss-Prinzip 211, 216 Nullpunkt augenscheinlicher 13 mathematischer 43 Sprungantwort 84 virtueller 4, 43 numerische Integration 206
O ohmscher Stoßspannungsteiler 138 als Kettenleiter 140 einfaches Ersatzschaltbild 143 feldkonformer 144 optimierter Messabgriff 145 Sprungantwort 141 ohmsch-kapazitiv gemischter Spannungsteiler 161 Online-Monitoring 66 optimal gedämpfter kapazitiver Stoßspannungsteiler 155 optimierter Messabgriff 145, 150 oversampling 102
P Permeabilität 199 Permeabilitätszahl 199 Phasengang 62, 250 Pockels-Effekt 170 longitudinaler 170 transversaler 170 Pockels-Zelle 172 potenzialfreie Messung 203 Pre-Trigger 103 Prüfdatengenerator Siehe Test Data Generator Prüfspannung 9, 274 Prüfspannungsfunktion 10, 11, 12, 118, 275 Prüfspannungskurve 6, 10, 12 Prüfspannungswert 8, 11, 12, 114, 117, 118, 273, 274, 275
Q Qualitätsmanagement 226 Quantisierung 107 Quantisierungscharakteristik 107, 114 Quantisierungsfehler 106, 108 Quantisierungsstufe 101, 107
R Rampenspannung 113
Sachverzeichnis Rauschen 114, 243 RC-Glied 93 als Bandpass 95 als Hochpass 95 als Tiefpass 66, 94 Amplitudengang 70, 71 Anstiegszeit 71 Antwortzeit 71 Faltung 73, 78 Keilstoß auf RC-Glied 74 Sprungantwort 67 Stoßspannung auf RC-Glied 78 Übertragungsfunktion 69 Zeitkonstante 67 Rechteckverteilung 108, 256, 261, 270, 273 Reed-Kontakt 89, 92, 115, 119, 193, 202 Referenzmesssystem 131, 223, 226, 230, 269 Referenzniveau 84, 238 Referenzteiler 80, 132, 156, 228, 229 Referenzzeitbereich 83, 84, 238 repetierende Aufzeichnung 103 Reusenwiderstand 195 RLC-Glied Amplitudengang 71 Antwortzeit 71 Faltung 76 Keilstoß auf RLC-Glied 77 Sprungantwort 68 Rogowski-Spule 204, 208 Schirmung 208 Rohdaten 117 Rohrshunt Siehe Koaxialshunt Rückenhalbwertzeit 94 Blitzstoßspannung 4, 6 schwingende Stoßspannung 16 Stoßstrom 18 rückführbare Kalibrierung 223 Rückführung 224, 226, 255 Impulskalibrator 121 Rücktransformation 62, 65, 67, 250 Rückverfolgbarkeit Siehe Rückführung
S Sample-and-Hold-Schaltung 101 Schaltstoßspannung 13 Amplitudendichte 48 analytische Darstellung 39 aperiodische 13 Erzeugung 22 Erzeugung mit Prüftransformator 28 Nullpunkt 13 Rückenhalbwertzeit 13
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Scheitelzeit 13 schwingende 15 Stirnzeit 14 Zeitdauer 14 Scheibenwiderstand 194 Scheitelschwingung 6, 8, 9, 10, 11, 12, 117, 118, 229, 273, 275 Scheitelwert 230, 242 Scheitelwertfehler 74 Scheitelzeit 14, 42 Schichtwiderstand 187 Schirmkabine 129, 182 Schirmung 201 Schrittantwort Siehe Sprungantwort schwach gedämpfter kapazitiver Stoßspannungsteiler 156 schwingende Stoßspannung 15, 28 Selbsterwärmung 241 Selbstinduktivität 209 eines Leiters 184 Sensitivitätskoeffizient 263, 269 Sensorfaser 218 Skineffekt 189, 195 Software 99, 105, 117, 242 Spektralfunktion 62, 63, 249 Sprungantwort 57, 58, 64, 65, 81, 137, 138, 140, 147, 158, 193, 202, 210, 238 Antwortparameter 85 Digitalrecorder 115 experimentelle 83, 236 Koaxialshunt 190 Messanordnungen 87 Nullpunkt 84 ohmscher Stoßspannungsteiler 141 Referenzniveau 84 Rogowski-Spule 207 synthetischer Stoßspannungsteiler 80 Überschwingen 142 Sprungfunktion 58, 65 Sprunggenerator 193, 202 mehrstufig 91 Sprungspannung 58, 243 Erzeugung 89 Sprungstrom 91 Standardabweichung 259 der Abtastfehler 111 Standardmessunsicherheit 108, 256, 268, 270 Beiträge 260 statische differenzielle Nichtlinearität 110 statische integrale Nichtlinearität 110 Steilheit 45, 74 Steilstoßspannung 16
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Stoßspannungs- und Stoßstrommesstechnik
Erzeugung 29 explodierender Draht 29 Nachkreis 29 Stirnschwingung 12, 78, 114 Stirnzeit 13, 72, 233, 235, 269 Blitzstoßspannung 4 Korrektion 234 Stoßstrom 18 Störeinkopplung 130 Störspannung 104, 230 Störstrom 117, 180 Störtest 272 Stoßhäufigkeit 26 Stoßkondensator 22, 23 Stoßoszilloskop 99 Stoßspannungsgenerator 125, 227, 229, 271 Ausnutzungsgrad 23, 41 gespeicherte Energie 23 Grundschaltungen A und B 22 Vervielfachungsschaltung 24 Stoßspannungsmesssystem 126 Stoßspannungsprüfkreis 125 Stoßspannungsteiler 127 geschirmter 128 Kapazitätsbelag 134 metallgekapselter 146 Stoßstrom 17, 206 Amplitudendichte 53 analytische Darstellung 50 Crowbar-Technik 33 Erzeugung 30, 34 Exponential- 18 Nullpunkt 51 Rechteck- (Langzeit-) 19 Spektrum 53 Unterschwingen 32, 51 Stoßstrommesssystem Kalibrierung 244 Stoßvoltmeter 99, 118 Streukapazität 133 Strommessspule mit Magnetkern 209 Stromsensor 179 Hall-Effekt 214 Stromverdrängung 189 Stromwandler 203 Stückprüfung 223 Summenladespannung 24 synthetischer Stoßspannungsteiler 73, 79
T TDG-Prüfimpulse 118 Teilantwortzeit 59, 86
Teilungsverhältnis 140 Temperaturerhöhung 197 TEM-Zelle 169, 202 Test Data Generator 45, 114, 118 Tiefpass 94 Toleranzen Blitzstoßspannung 7 Schaltstoßspannung 14 schwingende Stoßspannung 16 Stoßstrom 19 Toroid-Spule 199 Toruselektrode 126, 127, 135 Transientenrecorder Siehe Digitalrecorder transversaler Pockels-Effekt 172 Trenntransformator 129, 180 Trigger 103 Typprüfung 223
U Überdeckungswahrscheinlichkeit 257, 264, 267, 272 Überlagerung von Teilspannungen 146 Überschießen 86 Übertragungsfaktor 62, 92 Übertragungsfehler Siehe Antwortfehler Übertragungsfunktion 57, 62, 64, 65, 66 Kettenleiter 136 Übertragungsverhalten 57, 92, 132, 133 Niederspannungsteil 137 Übertragungswinkel 62 Universalteiler 131, 163 Unsicherheitsbeitrag 241 UVC-Bestrahlung 28, 164, 228
V Verdet-Konstante 217 Vergleichsmessung 82, 131, 223, 231, 245, 268, 270 Alternativen 236 Anordnung 227 Vertrauensniveau 267 verzerrungsfreie Übertragung 62 VIM 255 Vor-Ort-Kalibrierung 228 Vor-Ort-Prüfung 15 Vorverstärker 104, 115
W Wanderwelle 83, 126, 128 Wellenwiderstand Koaxialkabel 128 Wendel 139 Wert der Prüfspannung Siehe Prüfspannungswert Widerstandsband mäanderförmig 138
Sachverzeichnis Wirbelströme 181, 188 WTO 226
Z Zaengl-Teiler Siehe gedämpft kapazitiver Stoßspannungsteiler
Zeitfunktion 250 Zeitparameter 242 Messabweichung 233
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