Strukturwandel der Öffentlichkeit
ist z u e r s t 1962 i m L u c h t e r h a n d V e r l a g
erschienen u n d hat dort...
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Strukturwandel der Öffentlichkeit
ist z u e r s t 1962 i m L u c h t e r h a n d V e r l a g
erschienen u n d hat dort insgesamt 17 Auflagen erlebt. » A u f g a b e d e r v o r l i e g e n d e n U n t e r s u c h u n g ist d i e A n a l y s e d e s T y p u s b ü r g e r l i c h e Ö f f e n t l i c h k e i t . « U m d i e s e r k o m p l e x e n A u f g a b e g e r e c h t zu den,
integriert
Habermas
Aspekte
aus
soziologischen,
staatsrechtlichen, politologischen sowie sozial- u n d
wer-
ökonomischen,
ideengeschichtlichen
U n t e r s u c h u n g e n , b ü r g e r l i c h e Ö f f e n t l i c h k e i t b e g r e i f t e r als e i n e e p o c h a l t y i s c h e K a t e g o r i e , d i e sich n i c h t a u s d e r s p e z i f i s c h e n
Entwicklungsge-
schichte der im europäischen Hochmittelalter entspringenden b ü r g e r l i c h e n G e s e l l s c h a f t h e r a u s l ö s e n l ä ß t . >Öffentlichkeit< f a ß t e r als e i n e h i s t o r i s c h e K a t e g o r i e u n d z e i g t b e i s p i e l s w e i s e , d a ß in e i n e m p r ä z i s e n S i n n e t w a v o n ö f f e n t l i c h e r Meinung< erst i m England des späten 17. u n d im F r a n k r e i c h des 1 8 . J a h r h u n d e r t s die R e d e sein k a n n . I m V o r w o r t f ü r d i e N e u a u f l a g e l e g t H a b e r m a s b e s o n d e r e s G e w i c h t auf d i e Frage, w e l c h e n Beitrag die v o r l i e g e n d e Studie z u d e n h e u t e w i e d e r r e l e v a n ten D i s k u s s i o n e n der D e m o k r a t i e t h e o r i e leisten k a n n . U n t e r diesem A s p e k t ist das B u c h v o r a l l e m r e z i p i e r t w o r d e n , n i c h t s o s e h r b e i s e i n e m e r s t e n Erscheinen, w o h l aber im Z u s a m m e n h a n g der Studentenrevolte u n d der v o n ihr ausgelösten neokonservativen Reaktion.
Jürgen Habermas Strukturwandel der Öffentlichkeit Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft Mit einem Vorwort zur Neuauflage 1 9 9 0
Suhrkamp
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie http://dnb.ddb.de . suhrkamp taschenbuch Wissenschaft 891 Erste Auflage 1990 © dieser Ausgabe Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1962, 1990 Unveränderter Nachdruck der zuerst 1962 im Hermann Luchterhand Verlag, Neuwied, erschienenen Ausgabe, ergänzt um ein Vorwort zur Neuauflage 1990 Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile. Kein Teil dieses Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert, oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Druck: N o m o s Verlagsgesellschaft, Baden-Baden Printed in Germany Umschlag nach Entwürfen von Willy Fleckhaus und Rolf Staudt I S B N 3-518-28491-6 I S B N 978-3-518-28491-9 10
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Wolfgang Abendroth in Dankbarkeit
Inhalt
I
II
III
Vorwort zur Neuauflage 1 9 9 0 Vorwort zur ersten Auflage
11 51
Einleitung: Propädeutische Abgrenzung eines Typus bürgerlicher Öffentlichkeit
54
§ 1 Die Ausgangsfrage § 2 Zum Typus repräsentativer Öffentlichkeit Exkurs: Das Ende der repräsentativen Öffentlichkeit, illustriert am Beispiel Wilhelm Meisters § 3 Zur Genese der bürgerlichen Öffentlichkeit
54 58 67 69
Soziale Strukturen der Öffentlichkeit
86
§ 4 Der Grundriß § 5 Institutionen der Öffentlichkeit § 6 Die bürgerliche Familie und die Institutionalisierung einer publikumsbezogenen Privatheit § 7 Die literarische im Verhältnis zur politischen Öffentlichkeit
86 90
107 116
Politische Funktionen der Öffentlichkeit
122
§ 8 Der Modellfall der englischen Entwicklung § 9 Die kontinentalen Varianten § 1 0 Bürgerliche Gesellschaft als Sphäre privater Autonomie: Privatrecht und liberalisierter Markt § 1 1 Die widerspruchsvolle Institutionalisierung der Öffentlichkeit im bürgerlichen Rechtsstaat
122 133
142 148
IV
Bürgerliche Öffentlichkeit - Idee und Ideologie § 1 2 Public opinion - opinion publique - öffentliche Meinung: zur Vorgeschichte des Topos § 1 3 Publizität als Prinzip der Vermittlung von Politik und Moral (Kant) § 1 4 Zur Dialektik der Öffentlichkeit (Hegel und Marx) § 1 5 Die ambivalente Auffassung der Öffentlichkeit in der Theorie des Liberalismus (John Stuart Mill und Alexis de Tocqueville)
V
VI
Sozialer Strukturwandel der Öffentlichkeit
161
161 178 195
209
22 5
§ 16 Tendenzielle Verschränkung der öffentlichen Sphäre mit dem privaten Bereich § 1 7 Polarisierung von Sozial- und Intimsphäre § 1 8 Vom kulturräsonierenden zum kulturkonsumierenden Publikum § 1 9 Der verwischte Grundriß: Entwicklungslinien des Zerfalls bürgerlicher Öffentlichkeit
267
Politischer Funktionswandel der Öffentlichkeit
275
§ 2 0 Vom Journalismus schriftstellernder Privatleute zu den öffentlichen Dienstleistungen der Massenmedien - Werbung als Funktion der Öffentlichkeit § 2 1 Das umfunktionierte Prinzip der Publizität § 2 2 Hergestellte Öffentlichkeit und nichtöffentliche Meinung: das Wahlverhalten der Bevölkerung § 2 3 Die politische Öffentlichkeit im Prozeß der sozialstaatlichen Transformation des liberalen Rechtsstaates
225 238 248
275 293
312
326
VII Zum Begriff der öffentlichen Meinung § 24 Öffentliche Meinung als staatsrechtliche Fiktion und die sozialpsychologische Auflösung des Begriffs § 2 5 Ein soziologischer Versuch der Klärung
Literaturhinweise Namenverzeichnis Sachverzeichnis
Vorwort zur Neuauflage 1990 Die Frage einer Neuauflage stellt sich aus einem äußeren Anlaß. Der Verkauf des Luchterhand-Verlages, der dankenswerterweise meine ersten Bücher gefördert hat, machte einen Verlagswechsel nötig. Je mehr ich, beim ersten Wiederlesen des Buches nach fast dreißig Jahren, in Versuchung war, Änderungen vorzunehmen, zu streichen und zu ergänzen, um so deutlicher ist mir die Untunlichkeit eines solchen Vorgehens zu Bewußtsein gekommen: der erste Eingriff hätte mich genötigt zu erklären, warum ich nicht das ganze Buch in eine neue Fassung bringe. Das wiederum würde die Kräfte eines Autors überfordern, der sich inzwischen anderen Dingen zugewendet und mit der verzweigten Forschungsliteratur nicht Schritt gehalten hat. Schon damals ist die Untersuchung aus der Synthese einer kaum zu bändigenden Fülle von Beiträgen mehrerer Disziplinen entstanden. Zwei Gründe mögen den Entschluß zu einem unveränderten Wiedererscheinen der vergriffenen 1 7 . Auflage rechtfertigen. Zum einen die stetige Nachfrage nach einer Publikation, die sich in verschiedenen Studiengängen als eine Art Lehrbuch eingebürgert hat; zum anderen die Aktualität, die die nachholende Revolution in der Mitte und im Osten Europas unter unseren Augen dem Strukturwandel der Öffentlichkeit verliehen hat. Für die Aktualität dieses Themas - und einer perspektivenreichen Behandlung des Themas spricht auch die Aufnahme des Buches in den USA, wo eine englische Ubersetzung erst im vergangenen Jahr nachgeholt worden ist. Ich möchte die Gelegenheit der Neuauflage für Kommentare nutzen, die den Abstand eines Menschenalters weniger überbrücken 1
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1 J . Habermas, D i e nachholende Revolution, Ffm. 1990 2 The Structural Transformation of the Public Sphere, M I T Press, Boston 1989. 3 Aus diesem Anlaß fand im September 1989 an der University of N o r t h Carolina in Chappel Hill eine lebhafte und für mich außerordentlich lehrreiche Konferenz statt, an der neben Soziologen, Politologen und Philosophen auch Historiker, L i teraturwissenschaftler, Kommunikationsforscher und Anthropologen teilgenommen haben. Ich danke den Teilnehmern für Anregungen. 11
als deutlich machen sollen. Seit der Entstehungszelt Ende der 50er, Anfang der 6 0 e r Jahre haben sich trivialerweise Forschungen und theoretische Fragestellungen geändert; geändert hat sich seit den Tagen des zu Ende gehenden Adenauer-Regimes der außer wissenschaftliche Kontext des zeitgeschichtlichen Erfahrungshorizonts, aus dem sozialwissenschaftliche Arbeiten auch ihre Perspektive gewinnen; geändert hat sich schließlich meine eigene Theorie, freilich weniger in den Grundzügen als im Grad ihrer Komplexität. Nachdem ich mir über einschlägige Themenbereiche einen ersten, gewiß nur oberflächlichen Eindruck verschafft habe, möchte ich jene Veränderungen wenigstens illustrativ - und zur Anregung für weitere Studien - in Erinnerung rufen. Dabei folge ich dem Aufbau des Buches insofern, als ich zunächst auf die historische Entstehung und das Konzept der bürgerlichen Öffentlichkeit (Kap. I bis III.), dann auf den Strukturwandel der Öffentlichkeit eingehe, und zwar unter den beiden Gesichtspunkten der sozialstaatlichen Transformation sowie der Veränderung der Kommunikationsstrukturen durch die Massenmedien (Kap. V. und VI.). Anschließend erörtere ich die theoretische Perspektive der Darstellung und deren normative Implikationen (Kap. IV. und VII.); dabei interessiere ich mich für den Beitrag, den die vorliegende Studie zu den heute wieder relevanten Fragen der Demokratietheorie leisten kann. Unter diesem Aspekt ist das Buch vor allem rezipiert worden, nicht so sehr bei seinem ersten Erscheinen, wohl aber in Zusammenhängen der Studentenrevolte und der von ihr ausgelösten neokonservativen Reaktion. Dabei ist es gelegentlich, von links wie rechts gleichermaßen, polemisch verarbeitet worden. 4
I. Entstellung und Konzept der bürgerlichen Öffentlichkeit ( 1 ) . Wie dem Vorwort zur ersten Auflage zu entnehmen ist, hatte ich mir als erstes zum Ziel gesetzt, den Idealtypus bürgerlicher Öffentlichkeit aus den historischen Kontexten der englischen, franzö4 W. Jäger, Öffentlichkeit und Parlamentarismus. Eine Kritik an Jürgen Habermas, Stuttgart 1 9 7 3 ; zu den Rezensionen vgl. R. Görtzen, J . Habermas: Eine Bibliographie seiner Schriften und der Sekundärliteratur 1 9 5 2 - 1 9 8 1 , Ffm. 1 9 8 1 , 24f. 12
sischen und deutschen Entwicklung im 1 8 . und frühen 1 9 . Jahrhundert zu entfalten. Die Herausarbeitung eines epochenspezifischen Begriffs erfordert die stilisierende Hervorhebung kennzeichnender Merkmale aus einer sehr viel komplexeren gesellschaftlichen Realität. Wie bei jeder soziologischen Verallgemeinerung sind Auswahl, statistische Relevanz und Gewichtung der geschichtlichen Trends und Beispiele ein Problem, das vor allem dann große Risiken birgt, wenn man nicht wie der Historiker auf Quellen zurückgeht, sich vielmehr auf Sekundärliteratur stützt. Von sehen der Historiker sind mir zu Recht »empirische Defizite« vorgerechnet worden. Eine milde Beruhigung bedeutet mir das freundliche Urteil von Geoffrey Eley, der in seinem ausführlichen und detailliert belegten Beitrag zu der erwähnten Konferenz feststellt: »On rereading the book . . . it is striking to see how securely and even imaginatively the argument is historically grounded, given the thinness of the literature available at the time.« Die auf eine breite Literatur gestützte, zusammenfassende Darstellung von H. U. Wehler bestätigt die Grundzüge meiner Analyse. In Deutschland hat sich bis zum Ende des 1 8 . Jahrhunderts »eine kleine, aber kritisch diskutierende Öffentlichkeit« herausgebildet. Mit einem vor allem aus Stadtbürgern und Bürgerlichen zusammengesetzten, über die Gelehrtenrepublik hinausgreifenden allgemeinen Lesepublikum, das nun nicht mehr nur wenige Standardwerke immer wieder intensiv liest, sondern seine Lektüregewohnheiten auf laufende Neuerscheinungen einstellt, entsteht gleichsam aus der Mitte der Privatsphäre heraus ein relativ dichtes Netz öffentlicher Kommunikation. Der sprunghaft ansteigenden Zahl der Leser entspricht eine erheblich erweiterte Produktion von Büchern, Zeitschriften und Zeitungen, die Zunahme der Schriftsteller, der Verlage und Buchhandlungen, die Gründung von Leihbibliotheken und Lesekabinetten, vor allem von Lesegesellschaften als der sozialen Knotenpunkte einer neuen Lesekultur. Anerkannt ist inzwischen auch die Relevanz des in der deutschen Spätaufklärung entstehenden Vereinswesens; es erhielt eine zukunftweisende Be5
6
5 G . Eley, Nations, Publics, and Political Cultures. Placing Habermas in the N i n e teenth Century, M s . 1989. 6 H . U . Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte B d . 1, M ü . 1987, 3 0 3 - 3 3 1 .
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deutung eher durch seine Organisationsformen als durch seine manifesten Funktionen. Die Aufklärungsgesellschaften, Bildungsvereinigungen, freimaurerischen Geheimbünde und Illuminatenorden waren Assoziationen, die sich durch die freien, d.h. privaten Entscheidungen ihrer Gründungsmitglieder konstituierten, aus freiwilligen Mitgliedern rekrutierten und im Innern egalitäre Verkehrsformen, Diskussionsfreiheit, Majoritätsentscheidungen usw. praktizierten. In diesen gewiß noch bürgerlich exklusiv zusammengesetzten Sozietäten konnten die politischen Gleichheitsnormen einer künftigen Gesellschaft eingeübt werden. Die Französische Revolution wurde dann zum Auslöser eines Politisierungsschubes einer zunächst literarisch und kunstkritisch geprägten Öffentlichkeit. Das gilt nicht nur für Frankreich, sondern auch für Deutschland. Eine »Politisierung des gesellschaftlichen Lebens«, der Aufstieg der Meinungspresse, der Kampf gegen Zensur und für Meinungsfreiheit kennzeichnen den Funktionswandel des expandierenden Netzes öffentlicher Kommunikation bis zur Mitte des 1 9 . Jahrhunderts. Die Zensurpolitik, mit der sich die Staaten des Deutschen Bundes gegen die bis 1 8 4 8 verzögerte Institutionalisierung einer politischen Öffentlichkeit wehren, zieht Literatur und Kritik nur um so gewisser in den Strudel der Politisierung. Peter U. Hohendahl nutzt mein Konzept der Öffentlichkeit, um diesen Prozeß im einzelnen zu verfolgen; allerdings sieht er bereits im Scheitern der Revolution von 1 8 4 8 die Zäsur für den einsetzenden Strukturwandel der frühliberalen Öffentlichkeit. G Eley macht auf neuere Forschungen zur englischen Sozialgeschichte aufmerksam, die sich dem vorgeschlagenen theoretischen Rahmen der Öffentlichkeitsanalyse gut einfügen, da sie die Prozesse der Klassenformation, der Verstädterung, der kulturellen Mobilisierung und der Entstehung neuer Strukturen öffentlicher 7
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7 R. v. Dülmen, Die Gesellschaft der Aufklärer, Ffm. 1986. 8 K. Eder, Geschichte als Lernprozeß? Ffm., 1985, 123ft. 9 Vgl. die Beiträge von Etienne Francois, Jack Censer und Pierre Retat zu: R. Koselleck, R. Reichardt (Hg.), D i e französische Revolution als Bruch des gesellschaftlichen Bewußtseins, M ü . 1988, S. 117ff. 10 H . U . Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte B d . 2, 520-546. 1 1 P. U . Hohendahl, Literarische Kultur im Zeitalter des Liberalismus 1 8 3 0 - 1 8 7 0 , M ü . 1985, bes. K a p . II und I I I . 14
Kommunikation auf der Linie jener voluntary associations, die sich im 18. Jh. konstituieren, und anhand des popular liberalism im England des 1 9 . Jahrhunderts untersuchen. Für die Transformation der zunächst bildungsbürgerlich und literarisch bestimmten, kulturräsonnierenden Öffentlichkeit zu einer durch Massenmedien und Massenkultur beherrschten Sphäre sind vor allem die kommunikationssoziologischen Untersuchungen von Raymond Williams erhellend. Gleichzeitig wiederholt und begründet Eley den Einwand, daß meine Uberstilisierung der bürgerlichen Öffentlichkeit zu einer ungerechtfertigten Idealisierung führt, und zwar nicht nur zu einer Uberzeichnung der rationalen Aspekte einer durch Lektüre vermittelten und in Gesprächen fokussierten öffentlichen Kommunikation. Selbst wenn man von einer gewissen Homogeneität des bürgerlichen Publikums ausgeht, das für den Streit der Parteien im - wie immer auch fraktionierten, letztlich doch - gemeinsamen Klasseninteresse die Grundlage für einen wenigstens im Prinzip erreichbaren Konsens sehen konnte, ist es falsch, vom Publikum im Singular zu sprechen. Abgesehen von Differenzierungen innerhalb des bürgerlichen Publikums, die sich bei Veränderung der optischen Distanzen auch innerhalb meines Modells vornehmen lassen, entsteht ein anderes Bild, wenn man von Anfang an mit konkurrierenden Öffentlichkeiten rechnet und dabei die Dynamik der von der dominierenden Öffentlichkeit ausgeschlossenen Kommunikationsprozesse berücksichtigt. (2). Von »Ausschluß« kann in einem Foucaultschen Sinne die Rede sein, wenn es sich dabei um Gruppen handelt, deren Rolle für die Formierung einer bestimmten Öffentlichkeit konstitutiv ist. »Ausschluß« gewinnt einen anderen, weniger radikalen Sinn, wenn sich in denselben Kommunikationsstrukturen gleichzeitig mehrere Arenen bilden, wo neben der hegemonialen bürgerlichen Öffentlichkeit andere subkulturelle oder klassenspezifische Öffentlichkeiten 12
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12 J . H . Plumb, The Public, Literature and the Arts in the Eighteenth Century, in: M . R. Marrus (Ed.), The Emergence of Leisure, N . Y. 1974. 13 Patricia Hollis (Ed.), Pressure from without, L o n d o n 1974. 14 R. Williams, The L o n g Revolution, L o n d o n 1 9 6 1 ; ders., Communications, L o n don 1962. 15
unter eigenen, nicht ohne weiteres kompromißfähigen Prämissen auftreten. Den ersten Fall habe ich seinerzeit gar nicht berücksichtigt, den anderen Fall habe ich zwar im Vorwort erwähnt, aber nicht behandelt. Im Hinblick auf die jakobinische Phase der französischen Revolution und auf die Chartistenbewegung habe ich von Ansätzen zu einer »plebejischen« Öffentlichkeit gesprochen und gemeint, diese als eine im geschichtlichen Prozeß unterdrückte Variante der bürgerlichen Öffentlichkeit vernachlässigen zu dürfen. Aber im Gefolge von E. Thompsons bahnbrechendem Werk »Making of the English Working Class« sind eine Fülle von Untersuchungen zu den französischen und englischen Jakobinern, zu Robert Owen und der Praxis der Frühsozialisten, zu den Chartisten, auch zum Linkspopulismus im Frankreich des frühen 1 9 . Jahrhunderts erschienen, die die politische Mobilisierung der ländlichen Unterklassen und der städtischen Arbeiterbevölkerung in eine andere Perspektive rücken. In direkter Auseinandersetzung mit meinem Konzept der Öffentlichkeit hat Günter Lottes Theorie und Praxis des englischen Radikalismus im späten 1 8 . Jahrhundert am Beispiel der Londoner Jakobiner untersucht. Er zeigt, wie sich aus der traditionellen Volkskultur, unter dem Einfluß der radikalen Intelligenz und unter Bedingungen moderner Kommunikation eine neue politische Kultur mit eigenen Organisationsformen und Praktiken entwickelt hat: »Die Entstehung der plebejischen Öffentlichkeit bezeichnet mithin eine spezifische Phase in der historischen Entwicklung des Lebenszusammenhangs der klein- und unterbürgerlichen Schichten. Sie ist einerseits eine Variante der bürgerlichen Öffentlichkeit, weil sie sich an ihrem Vorbild orientiert. Andererseits ist sie mehr als das, weil sie das emanzipatorische Potential der bürgerlichen Öffentlichkeit in einem neuen sozialen Kontext zur Entfaltung bringt. Die plebejische Öffentlichkeit ist gewissermaßen eine bürgerliche Öffentlichkeit, deren soziale Voraussetzungen aufgehoben sind.« Der Ausschluß der kulturell und politisch mobil gewordenen Unterschichten bewirkt bereits eine Pluralisierung 15
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15 E . Thompson, Making of the English Working Class, L o n d o n 1963, deutsch Ffm. 1985. 16 G . Lottes, Politische Aufklärung und plebejisches Publikum, M ü . 1979, 1 1 0 ; vgl.
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der im Entstehen begriffenen Öffentlichkeit. Neben der hegemonialen, und verschränkt mit Ihr, bildet sich eine plebejische Öffentlichkeit. In einer anderen Weise funktioniert der Ausschluß des Volkes in den traditionalen Formen der repräsentativen Öffentlichkeit. Hier bildet das Volk die Kulisse, vor der die Herrschaftsstände, Adelige, kirchliche Würdenträger, Könige usw. sich selbst und ihren Status darstellen. Das Volk gehört, indem es von der repräsentierten Herrschaft ausgeschlossen wird, zu den Konstitutionsbedingungen dieser repräsentativen Öffentlichkeit. Ich meine nach wie vor, daß dieser (in § 2 nur skizzierte) Öffentlichkeitstypus den geschichtlichen Hintergrund für die modernen Formen der öffentlichen Kommunikation bildet. Diese Kontrastierung hätte Richard Sennett davor bewahren können, seine Diagnose des Zerfalls der bürgerlichen Öffentlichkeit an einem falschen Modell zu orientieren. Sennett trägt nämlich Züge der repräsentativen Öffentlichkeit in die klassische bürgerliche hinein; er verkennt die spezifisch bürgerliche Dialektik von Innerlichkeit und Öffentlichkeit, die mit der publikumsbezogenen Privatheit der bürgerlichen Intimsphäre im 1 8 . Jahrhundert auch literarisch zur Geltung gelangt. Weil er die beiden Typen von Öffentlichkeit nicht hinreichend unterscheidet, glaubt er, das diagnostizierte Ende der »Öffentlichen Kultur« mit dem Formenverfall des ästhetischen Rollenspiels einer distanziert unpersönlichen und zeremonialisierten Selbstdarstellung belegen zu können. Der maskierte Auftritt, welcher private Gefühle, Subjektives überhaupt den Blicken entzieht, gehört aber zu dem hochstilisierten Rahmen einer repräsentativen Öffentlichkeit, deren Konventionen schon im 1 8 . Jahrhundert zerbrechen, als sich die bürgerlichen Privatleute zum Publikum und damit zum Träger eines neuen Typs von Öffentlichkeit formieren. Allerdings hat mir erst M. Bachtins großes Werk »Rabelais und seine Welt« (Ffm. 1 9 8 7 ) für die innere Dynamik einer Volkskultur die Augen geöffnet. Offenbar war diese keineswegs nur Kulisse, also ein passiver Rahmen der herrschenden Kultur, sondern die 17
auch O . N e g t , A . Kluge, Erfahrung und Öffentlichkeit. Z u r Organisationsanalyse bürgerlicher und proletarischer Öffentlichkeit, Ffm. 1972. 17 R. Sennett, The Fall of Public Man, N . Y 1977.
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periodisch wiederkehrende, verhalten-gewaltsame Revolte eines Gegenentwurfs zur hierarchischen Welt der Herrschaft mit ihren offiziellen Feiern und alltäglichen Disziplinen. Erst dieser stereoskopische Blick läßt erkennen, wie ein Ausschließungsmechanismus, der ausgrenzt und unterdrückt, zugleich nicht-neutralisierbare Gegenwirkungen hervorruft. Wenn wir den gleichen Blick auf die bürgerliche Öffentlichkeit richten, stellt sich der Ausschluß der Frauen aus dieser (wiederum) von Männern beherrschten Welt anders dar, als ich es seinerzeit gesehen habe. (3). Kein Zweifel bestand an dem patriarchalischen Charakter der Kleinfamilie, die zugleich den Kern der Privatsphäre der bürgerlichen Gesellschaft wie auch den Ursprungsort der neuen psychologischen Erfahrungen einer auf sich gerichteten Subjektivität gebildet hat. Inzwischen hat aber die wachsende feministische Literatur unsere Wahrnehmung für den patriarchalischen Charakter der Öffentlichkeit selbst geschärft - einer Öffentlichkeit, die alsbald über das von Frauen mitgeprägte Lesepublikum hinauswuchs und politische Funktionen übernahm. Es fragt sich, ob Frauen in derselben Weise wie Arbeiter, Bauern und der »Pöbel«, also die »unselbständigen« Männer, aus der bürgerlichen Öffentlichkeit ausgeschlossen wurden. Beiden Kategorien wurde die gleichberechtigte aktive Teilnahme an der politischen Meinungs- und Willensbildung verweigert. Unter Bedingungen einer Klassengesellschaft geriet so die bürgerliche Demokratie von Anbeginn in Widerspruch zu wesentlichen Prämissen ihres Selbstverständnisses. Diese Dialektik ließ sich noch mit den Begriffen der marxistischen Herrschafts- und Ideologiekritik erfassen. Aus dieser Perspektive habe ich untersucht, wie sich das Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatsphäre im Zuge der Erweiterung der demokratischen Teilhaberrechte und der sozialstaatlichen 18
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18 N . Z . Davis, Humanismus, Narrenherrschaft und Riten der Gewalt, Ffm. 1987, bes. K a p . 4; zu den Traditionen der gegenkulturellen Feste, die weit hinter die Renaissance zurückreichen, vgl. J . Heers, Vom Mummenschanz zum Machttheater, Ffm. 1986. 19 C . Hall, Private Persons versus Public Someones: Class, Gender and Politics in England,
1 7 8 0 - 1 8 5 0 , in:
C.
Steedman,
C.
U r w i n , V. Walkerdine
(Eds.),
Language Gender and Childhood, L o n d o n 1985, 10 ff.; J . B. Landes, Women and the Public Sphere in the A g e of the French Revolution, Ithaca 1988. 18
Kompensation für klassenspezifische Benachteiligungen verändert hat. Gleichwohl hat sich dieser Strukturwandel der politischen Öffentlichkeit vollzogen, ohne den patriarchalisch geprägten Charakter der Gesellschaft im ganzen zu berühren. Die im 2 0 . Jahrhundert endlich errungene staatsbürgerliche Gleichstellung hat den bis dahin unterprivilegierten Frauen zwar die Chance eröffnet, eine Verbesserung ihres gesellschaftlichen Status zu erkämpfen. Aber für Frauen, die über die politische Gleichberechtigung auch in den Genuß sozialstaatlicher Verbesserungen kommen mochten, hat sich damit noch nicht eo ipso jene an der askriptiven Geschlechterdifferenz hängende Unterprivilegierung verändert. Der inzwischen breitenwirksam in Gang gekommene Emanzipationsschub, für den der Feminismus seit zwei Jahrhunderten kämpft, liegt ebenso wie die soziale Emanzipation der lohnabhängig Arbeitenden auf der Linie einer Universalisierung von Bürgerrechten. Anders als die Institutionalisierung des Klassenkonflikts greifen jedoch Veränderungen des Geschlechterverhältnisses nicht nur ins ökonomische System, sondern in den privaten Kernbereich des kleinfamilialen Binnenraumes ein. Daran zeigt sich, daß die Exklusion der Frauen für die politische Öffentlichkeit auch in dem Sinne konstitutiv gewesen ist, daß diese nicht nur kontingenterweise von Männern beherrscht wurde, sondern in ihrer Struktur und in ihrem Verhältnis zur Privatsphäre geschlechtsspezifisch bestimmt gewesen ist. Anders als der Ausschluß der unterprivilegierten Männer hatte die Exklusion der Frauen eine strukturbildende Kraft. Diese These vertritt Carol Pateman in einem einflußreichen, zunächst 1 9 8 3 erschienenen Aufsatz. Sie dekonstruiert die vertragstheoretischen Rechtfertigungen des demokratischen Rechtsstaates, um nachzuweisen, daß das Vernunftrecht die paternalistische Herrschaftsübung nur kritisiert, um das Patriarchat in Form einer Bruderherrschaft zu modernisieren: »Patriarchalism has two dimensions: the paternal (father/son) and the masculine (husband/wife). Political theorists can represent the outcome of the theoretical battle as a victory for contract theory because they are silent about the sexual or conjugal aspect of patriarchy, which appears as non-polit19
ical or natural.« C. Patern an bleibt skeptisch gegenüber einer gleichberechtigten Integration der Frauen in eine politische Öffentlichkeit, die in ihren Strukturen bis heute den patriarchalischen Zügen einer, öffentlicher Thematisierung entzogenen, Privatsphäre verhaftet geblieben sei: »Now that the feminist struggle has reached the point where women are almost formal civic equals, the opposition is highlighted between equality made after a male image and the real social position of women as w o m e n . « ( i 2 2 ) Diese einleuchtende Überlegung dementiert freilich nicht die ins Selbstverständnis der liberalen Öffentlichkeit eingebauten Rechte auf uneingeschränkte Inklusion und Gleichheit, sondern nimmt sie in Anspruch. Foucault begreift die Formationsregeln eines machthabenden Diskurses als Ausschlußmechanismen, die jeweils ihr »Anderes« konstituieren. In diesen Fällen gibt es keine Kommunikation zwischen Innen und Außen. Es gibt keine gemeinsame Sprache der am Diskurs Teilhabenden mit den protestierenden Anderen. In dieser Weise läßt sich das Verhältnis der repräsentativen Öffentlichkeit der traditionalen Herrschaft zur abgewehrten Gegenkultur des Volkes begreifen: das Volk mußte sich in einem anderen Universum bewegen und ausdrücken. Deshalb waren dort Kultur und Gegenkultur so zusammengebunden, daß die eine mit der anderen untergegangen ist. Hingegen artikuliert sich die bürgerliche Öffentlichkeit in Diskursen, an die sich nicht nur die Arbeiterbewegung, sondern auch das von ihr ausgeschlossene »Andere«, also die feministische Bewegung, anschließen konnte, um sie - und die Strukturen der Öffentlichkeit selbst - von innen zu transformieren. Die universalistischen Diskurse der bürgerlichen Öffentlichkeit standen von Anbeginn unter selbstbezüglichen Prämissen; sie blieben nicht immun gegen eine Kritik von innen, weil sie sich von Diskursen des Foucaultschen Typs durch ein Potential der Selbsttransformation unterscheiden. 20
20 C . Pateman, The Fraternal Social Contract, in: J . Keane (Ed.), Civil Society and the State, L o n d o n 1988, 1 0 5 ; im gleichen Sinne A . W. Gouldner, The Dialectic of Ideology and Technology, N . Y . 1976, 1 0 3 : »The integration of the patriarchical family system with a system of private property was the fundamental grounding of the private; a sphere that did not routinely have to give an accounting of itself, neither by providing information about its conduct or judification for it. Private property and patriarchy were thus indirectly the grounding for the public.« 20
(4). Die beiden von G. Eley angemahnten Defizite haben Folgen für die Idealtypische Fassung des Modells der bürgerlichen Öffentlichkeit. Wenn die moderne Öffentlichkeit verschiedene Arenen für einen über Druckerzeugnisse, also Bildung, Information u n d U n t e r haltung vermittelten, mehr oder weniger diskursiv aus getragenen Meinungsstreit umfaßt, in denen nicht nur verschiedene Parteien von locker assoziierten Privatleuten miteinander konkurrieren, sondern von Anfang an ein dominierendes bürgerliches auf ein plebejisches Publikum trifft, und wenn man weiterhin die feministische Dynamik des ausgeschlossenen Anderen im Ernst berücksichtigt, dann ist das (in § 1 1 entwickelte) Modell der Widerspruch-
vollen Institutionalisierung der Öffentlichkeit im bürgerlichen Rechtsstaat zu starr angelegt. Die in der liberalen Öffentlichkeit aufbrechenden Spannungen müssen deutlicher als Potentiale der Selbsttransformation hervortreten. Dann kann auch der Kontrast zwischen der frühen politischen Öffentlichkeit bis zur Mitte des 1 9 . Jahrhunderts und einer vermachteten Öffentlichkeit in den sozialstaatlichen Massendemokratien etwas vom Gegensatz einer idealistisch überhöhten Vergangenheit und der kulturkritisch verzerrten Gegenwart verlieren. Dieses implizit normative Gefälle hat viele Rezensenten gestört. Es verdankt sich nicht nur, worauf ich noch zurückkomme, dem ideologiekritischen Ansatz als solchem, sondern auch der Ausblendung von Aspekten, die ich z w a r genannt, aber in ihrem Gewicht unterschätzt habe. Eine falsche Gewichtung falsifiziert freilich nicht die großen Linien des Transformationsprozesses, den ich dargestellt habe. IL Strukturwandel der Öffentlichkeit - drei Revisionen ( 1 ) . Der Strukturwandel der Öffentlichkeit ist eingebettet in die Transformation von Staat und Ökonomie. Diese habe ich damals in einem theoretischen Rahmen konzipiert, der in der Hegeischen Rechtsphilosophie vorgezeichnet war, vom jungen Marx ausgearbeitet worden ist und seit Lorenz von Stein in der Tradition des deutschen Staatsrechts seine spezifische Gestalt erhalten hat. Die staatsrechtliche Konstruktion des Verhältnisses einer Freiheiten gewährleistenden öffentlichen Gewalt zur privatrechtlich orga21
nisierten Wirtschaftsgesellschaft verdankt sich einerseits der liberalen Grundrechtstheorie des Vormärz, die - mit klarer politischer Intention - auf einer scharfen Trennung von öffentlichem und privatem Recht bestanden hat, andererseits den Folgen des Scheiterns der »deutschen Doppel-Revolution von 1 8 4 8 / 4 9 « (Wehler), d.h. einer Rechtstaatsentwicklung ohne Demokratie. Diese für Deutschland spezifische Verzögerung in der stufenweisen Herstellung staatsbürgerlicher Gleichheit pointiert E. W Böckenförde folgendermaßen: »Mit der Herausbildung des Sich-Gegenüberstehens von >Staat< und >Gesellschaft< ergibt sich das Problem des Anteils der Gesellschaft an der staatlichen Entscheidungsgewalt und ihrer Ausübung . . . Der Staat setzt die Individuen und die Gesellschaft in die bürgerliche Freiheit, er erhielt sie darin durch die Schaffung und Gewährleistung der neuen allgemeinen Rechtsordnung, aber die Einzelnen und die Gesellschaft erlangten keine politische Freiheit, d.h. keinen Anteil an der beim Staat konzentrierten politischen Entscheidungsgewalt und keine institutionalisierte Möglichkeit der aktiven Einflußnahme auf sie. Der Staat als Herrschaftsorganisation stand gewissermaßen in sich selbst, d.h. soziologisch getragen von Königtum, Beamtentum und Heer, teilweise auch dem Adel, und war als solcher von der durch das Bürgertum repräsentierten Gesellschaft organisatorisch und institutionell >getrennt<.« Dieser historische Hintergrund bildet auch den Kontext für das besondere Interesse an einer Öffentlichkeit, die erst in dem Maße politisch funktionsfähig wird, wie sie die Wirtschaftsbürger als Staatsbürger instand setzt, ihre Interessen auszugleichen bzw. zu verallgemeinern und so wirksam zur Geltung zu bringen, daß sich die Staatsgewalt zum Medium einer Selbstorganisation der Gesellschaft verflüssigt. Das meinte der junge Marx mit der Idee der Zurücknahme des Staates in eine an ihr selbst politisch gewordene Gesellschaft. Die Idee einer Selbstorganisation, die über die öffentliche Kommunikation frei assoziierter Gesellschaftsmitglieder kanalisiert wird, verlangt (in einem ersten Sinne) die Überwindung jener von Böckenförde skizzierten »Trennung« von Staat und Gesellschaft. 21
21 E.W. Böckenförde, Die Bedeutung der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft im demokratischen Sozialstaat der Gegenwart, in: ders., Staat, Gesellschaft, Freiheit, Ffm. 1976, 190f. 22
Mit dieser staatsrechtlich konstruierten Trennung verbindet sich noch eine andere, allgemeinere Bedeutung, nämlich jene Ausdifferenzierung einer über Märkte gesteuerten Ökonomie aus den vormodernen Ordnungen der politischen Herrschaft, die seit der frühen Neuzeit die allmähliche Durchsetzung der kapitalistischen Produktionsweise und die Herausbildung moderner Staatsbürokratien begleitet hat. Diese Entwicklungen finden aus der Retrospektive des Liberalismus ihren Fluchtpunkt in der Autonomie einer »bürgerlichen Gesellschaft« imSinne von Hegel und Marx, d. h. in der ökonomischen Selbststeuerung einer privatrechtlich organisierten, rechtsstaatlich garantierten Wirtschaftsgesellschaft. Dieses Modell einer fortschreitenden Trennung von Staat und Gesellschaft, das nicht mehr nur auf die spezifischen Entwicklungen in den deutschen Staaten des 1 9 . Jahrhunderts reagiert, sondern eher am Prototyp der englischen Entwicklung abgelesen ist, hat die Folie abgegeben, auf der ich die im späteren 1 9 . Jahrhundert einsetzende Trendumkehr analysiert habe. Diese Verschränkung von Staat und Ökonomie entzieht nämlich dem Sozialmodell des bürgerlichen Privatrechts und des liberalen Grundrechtsverständnisses den Boden. Die faktische Aufhebung einer tendenziellen Trennung von Staat und Gesellschaft habe ich anhand ihrerjuristischen Spiegelungen einerseits als neokorporatistische »Vergesellschaftung des Staates«, andererseits als eine »Verstaatlichung der Gesellschaft« konzipiert, die infolge der interventionistischen Politiken eines nunmehr aktiven Staates eintritt. Dies alles ist inzwischen sehr viel genauer untersucht worden. Hier sei nur an die theoretische Perspektive erinnert, die sich bildet, wenn man den normativen Sinn der Selbstorganisation einer Gesellschaft, die die Trennung von Staat und Wirtschaftsgesellschaft radikaldemokratisch aufhebt, anhand der tatsächlich eingetretenen funktionalen Verschränkung beider Systeme überprüft. Ich habe mich vom Gesichtspunkt eines der politischen Öffentlichkeit innewohnenden Potentials zur gesellschaftlichen Selbstorganisation leiten lassen und war an den Rückwirkungen interessiert, die jene komplexen Entwicklungen zu Sozialstaat und organisiertem Kapitalismus in den Gesellschaften westlichen Typs gehabt haben, und zwar Rückwirkungen 22
22 D . G r i m m , Recht und Staat der bürgerlichen Gesellschaft, Ffm. 1987. 23
- auf die Privatsphäre und die gesellschaftlichen Grundlagen privater Autonomie (2): - auf die Struktur der Öffentlichkeit sowie auf Zusammensetzung und Verhalten des Publikums (3), schließlich - auf den Legitimationsprozeß der Massendemokratie selber (4). Unter diesen drei Aspekten treten an meiner Darstellung in den Kapiteln V bis VII Schwächen hervor. ( 2 ) . In den modernen Naturrechtskonzeptionen, aber auch in den Gesellschaftslehren der schottischen Moralphilosophen, ist die bürgerliche Gesellschaft (civil society) stets der öffentlichen Gewalt oder der Regierung (government) als eine im ganzen private Sphäre gegenübergestellt worden. Gemäß dem Selbstverständnis der berufsständisch stratifizierten frühmodernen bürgerlichen Gesellschaft konnten die Sphäre des Warenverkehrs und der gesellschaftlichen Arbeit wie auch das von produktiven Funktionen entlastete Haus und die Familie unterschiedslos der privaten Sphäre der »bürgerlichen Gesellschaft« zugeschlagen werden. Beide waren gleichsinnig strukturiert; die Stellung und der Dispositionsspielraum der privaten Eigentümer im Produktionsprozeß bildeten die Grundlage einer Privatautonomie, die in der Intimsphäre der Kleinfamilie ihre gleichsam psychologische Rückseite hatte. Für die ökonomisch abhängigen Klassen hat dieser enge struktureile Zusammenhang nie bestanden. Aber erst mit der beginnenden sozialen Emanzipation der Unterschichten und der massenhaften Politisierung der Klassengegensätze im 1 9 . Jahrhundert kam auch in der Lebenswelt der bürgerlichen Sozialschichten die gegenläufige Strukturierung beider Bereiche, der familialen Intimsphäre und des Beschäftigungssystems, zu Bewußtsein. Was später als Zug zur »Organisationsgesellschaft«, als die Verselbständigung der Organisationsebene gegenüber dem Netzwerk einfacher Interaktionen, begriffen worden ist, habe ich in § 1 7 als »Polarisierung von Sozial- und Intimsphäre« beschrieben. Der durch Familie, Nachbarschaftskontakte, Gesel23
23 J . Habermas, D i e klassische Lehre von der Politik in ihrem Verhältnis zur Sozialphilosophie, sowie: Naturrecht und Revolution, beide in: ders., Theorie und Praxis (1963), Ffm. 1 9 7 1 , 48ff. u. 89ff.; J . Keane, Despotism and Democracy. The Origins of the Distinction between Civil Society and the State 1 7 5 0 - 1 8 50, in: ders., Civil Society and the State, L o n d o n 1988, 3 5 ff. 24
ligkeit, überhaupt durch informelle Beziehungen bestimmte private Lebensbereich differenziert sich nicht nur aus; gleichzeitig verändert er sich sozialschichtenspezifisch im Zuge langfristiger Tendenzen wie der Verstädterung, der Bürokratisierung, der betrieblichen Konzentration, schließlich der Umstellung auf Massenkonsum bei wachsender arbeitsfreier Zeit. Aber nicht die ergänzungsbedürftigen empirischen Aspekte dieser Umstrukturierung von Erfahrungswelten interessierten mich hier, sondern der theoretische Gesichtspunkt, unter dem ich die Statusveränderung der Privatsphäre seinerzeit dargestellt habe. Nach der Universalisierung der staatsbürgerlichen Gleichheitsrechte konnte die private Autonomie der Massen nicht mehr wie die jener Privatleute, die sich in den Assoziationen der bürgerlichen Öffentlichkeit zum Publikum der Staatsbürger zusammengeschlossen hatten, in der Verfügung über privates Eigentum ihre gesellschaftliche Basis finden. Wohl hätten die kulturell und politisch mobilisierten Massen in einer expandierenden Öffentlichkeit ihre Kommunikations- und Teilnahmerechte effektiv in Anspruch nehmen müssen, wenn das in dieser präsumtiv angelegte Potential gesellschaftlicher Selbstorganisation freigesetzt werden sollte. Aber selbst unter ideal günstigen Kommunikationsbedingungen wäre von ökonomisch unselbständigen Massen ein Beitrag zur spontanen Meinungs- und Willensbildung nur in dem Grade zu erwarten gewesen, wie sie ein Äquivalent zur gesellschaftlichen Unabhängigkeit der Privateigentümer erworben hätten. Die eigentumslosen Massen konnten ja die sozialen Bedingungen ihrer privaten Existenz nicht mehr durch Teilnahme an einem privatrechtlich organisierten Güter- und Kapitalverkehr in die Hand bekommen. Die Sicherung ihrer Privatautonomie war auf sozialstaatliche Statusgarantien angewiesen. Diese derivierte Privatautonomie hätte aber für die in der Verfügung über Privateigentum begründete originäre Privatautonomie nur in dem Maße ein Äquivalent bilden können, wie die Bürger als Klienten des Wohlfahrtsstaates in den Genuß von Statusgarantien gekommen wären, die sie sich als demokratische Staatsbürger selber verliehen. Das wiederum schien mir damals erst in dem Maße möglich zu werden, wie sich die demokratische Kontrolle auf den Wirtschaftsprozeß im ganzen ausdehnte. 2
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Diese Überlegung stand im Kontext einer ausgedehnten staatsrechtlichen Kontroverse der 50er Jahre, deren Exponenten Ernst Forsthoff und Wolf gang Abendroth gewesen sind. Rechtsdogmatisch ging es in diesem Streit um die Einfügung des Sozialstaatsprinzips in die überkommene Architektonik des Rechtsstaates. Während die Carl-Schmitt-Schule meinte, die Struktur des Rechtsstaates nur mit dem unbedingten Vorrang der Gewährleistung der klassischen Freiheitsrechte vor den Ansprüchen auf sozialstaatliche Gewährungen wahren zu können, verstand Abendroth das Sozialstaatsprinzip gleichzeitig als vorrangige Auslegungsmaxime für die Verfassungsinterpretation und als Gestaltungsmaxime für den politischen Gesetzgeber. Der Sozialstaatsgedanke sollte als Hebel für einen radikaldemokratischen Reformismus dienen, der die Perspektive für einen Übergang zum demokratischen Sozialismus mindestens offenhielt. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland sei, wie Abendroth meinte, darauf angelegt, »den materiellen Rechtsstaatsgedanken der Demokratie, also vor allem den Gleichheitssatz und die Verbindung des Gleichheitssatzes mit dem Teilhabedenken, im Selbstbestimmungsgedanken auf die Wirtschafts- und Sozialordnung auszudehnen.« (unten S. 3 3 0 ) Aus dieser Perspektive schrumpft freilich die politische Öffentlichkeit zum Vorhof eines theoretisch und verfassungsrechtlich präjudizierten Gesetzgebers, der von vornherein weiß, auf welche Weise der demokratische Staat seiner Berufung »zur inhaltlichen Gestaltung der sozialen Ordnung« zu folgen hat, nämlich durch ein »Eingreifen des Staates in jenes Eigentum . . . , das private Verfügungsmacht über große Produktionsmittel und dadurch demokratisch nicht legitimierbare Herrschaft über wirtschaftliche oder soziale Machtstellungen ermöglicht.« Sowenig das Beharren auf der liberalen Rechtsstaatsdogmatik den veränderten sozialen Verhältnissen gerecht wurde, so sehr verriet 24
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24 E . Forsthoff (Hg.), Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, Darmstadt 1968. 25 E . Forsthoff, Begriff
und Wesen des sozialen Rechtsstaates; E . R .
Huber,
Rechtsstaat und Sozialstaat in der modernen Industriegesellschaft; beides in: Forsthoff (1968), 165 ff. und 589 ff. 26 W. Abendroth, Z u m Begriff des demokratischen und sozialen Rechtsstaates, in: Forsthoff (1968), 123 f.
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doch die faszinierende Programmatik Abendroths auch die Schwächen des hegelmarxistischen Denkens in Totalitätsbegriffen. Wenn meine Distanz zu diesem Ansatz inzwischen gewachsen Ist, kann dieser Umstand die in der Widmung ausgedrückte intellektuelle und persönliche Verpflichtung gegenüber Wolf gang Abendroth nicht verringern. Ich muß nur feststellen, daß sich eine funktional ausdifferenzierte Gesellschaft holistischen Gesellschaftskonzepten entzieht. Der Bankrott des Staatssozialismus, den wir heute beobachten, hat noch einmal bestätigt, daß ein modernes, marktgesteuertes Wirtschaftssystem nicht beliebig von Geld auf administrative Macht und demokratische Willensbildung umgepolt werden kann, ohne daß seine Leistungsfähigkeit gefährdet würde. Außerdem haben uns die Erfahrungen mit einem an seine Grenzen stoßenden Sozialstaat sensibel gemacht für Bürokratisierungs- und Verrechtlichungsphänomene. Diese pathologischen Effekte treten auf als Folgen staatlicher Interventionen in Handlungsbereiche, die so strukturiert sind, daß sie sich gegen den rechtlich-administrativen Regelungsmodus sperren. (3). Zentrales Thema der zweiten Hälfte des Buches ist der in die Integration von Staat und Gesellschaft eingebettete Strukturwandel der Öffentlichkeit selbst. Die Infrastruktur der Öffentlichkeit veränderte sich mit den Formen der Organisation, des Vertriebs und des Konsums einer erweiterten, professionalisierten, auf neue Leserschichten eingestellten Buchproduktion und einer auch in den Inhalten veränderten Zeitungs- und Zeitschriftenpresse; sie veränderte sich noch einmal mit dem Aufstieg der elektronischen Massenmedien, mit der neuen Relevanz der Werbung, mit einer zunehmenden Fusion von Unterhaltung und Information, der stärkeren Zentralisation auf allen Gebieten, dem Zerfall des liberalen Vereinswesens, überschaubarer kommunaler Öffentlichkeiten usw. Diese Tendenzen sind wohl richtig erfaßt, auch wenn inzwischen detailliertere Untersuchungen vorliegen. Mit der Kommerzialisierung und der Verdichtung des Kommunikationsnetzes, mit dem wach27
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27 F. Kubier (Flg.), Verrechtlichung von Wirtschaft, Arbeit und sozialer Solidarität, Baden-Baden 1984; J . Habermas, L a w and Morality, in: The Tanner Lectures Vol. V I I I Cambr., Mass., 1988, 2 1 7 - 2 8 0 . 28 R. Williams, Television: Technology and Cultural F o r m , L o n d o n 1974; ders.. 27
senden Kapitalaufwand für und dem steigenden Organisationsgrad von publizistischen Einrichtungen wurden die Kommunikationswege stärker kanalisiert und die Zugangschancen zur öffentlichen Kommunikation immer stärkerem Selektionsdruck ausgesetzt. Damit entstand eine neue Kategorie von Einfluß, nämlich eine Medienmacht, die, manipulativ eingesetzt, dem Prinzip der Publizität seine Unschuld raubte. Die durch Massenmedien zugleich vorstrukturierte und beherrschte Öffentlichkeit wuchs sich zu einer vermachteten Arena aus, in der mit Themen und Beiträgen nicht nur um Einfluß, sondern um eine in ihren strategischen Intentionen möglichst verborgene Steuerung verhaltenswirksamer Kommunikationsflüsse gerungen wird. Eine realistische Beschreibung und Analyse der vermachteten Öffentlichkeit verbietet gewiß die unkontrollierte Einmengung wertender Gesichtspunkte; aber sie darf auch nicht mit der empirischen Einebnung wichtiger Unterschiede erkauft werden. Deshalb habe ich unterschieden zwischen den kritischen Funktionen selbstgesteuerter, von schwachen Institutionen getragener, auch horizontal vernetzter, inklusiver und mehr oder weniger diskursförmiger Kommunikationsprozesse einerseits und andererseits jenen Funktionen der Einflußnahme auf Entscheidungen von Konsumenten, Wählern und Klienten von sehen der Organisationen, die in eine massenmediale Öffentlichkeit intervenieren, um Kaufkraft, Loyalität oder Wohlverhalten zu mobilisieren. Diese extrahierenden Eingriffe in eine nur noch als Umwelt des jeweils eigenen Systems wahrgenommene Öffentlichkeit treffen auf eine öffentliche Kommunikation, die sich spontan aus lebensweltlichen Quellen regeneriert. Das war mit der These gemeint, daß sich »die unter Bedingungen des Sozialstaates fungierende Öffentlichkeit als ein Prozeß der Selbsterzeugung zu begreifen (habe); sie muß sich schrittweise in Konkurrenz mit jener anderen Tendenz erst einrichten, die in einer immens erweiterten Sphäre der Öffentlichkeit das Prinzip der 29
K e y w o r d s : A Vocabulary of Culture and Society, L o n d o n 1983; D . P r o k o p (Hg.) Medienforschung B d . 1, Konzerne, Macher, Kontrolleure, Ffm. 1985. 29 Vgl. W. R. Langenbucher, (Hg.), Z u r Theorie der politischen Kommunikation, M ü . 1974. 28
Öffentlichkeit, gegen sich selbst gewendet, in seiner kritischen Wirksamkeit reduziert.« (unten S. 3 3 7 ) Während ich an der Beschreibung der veränderten Infrastruktur einer vermachteten Öffentlichkeit im großen und ganzen festhalten würde, sind an der Analyse und vor allem an meiner Einschätzung des veränderten Publikumsverhaltens Revisionen angebracht. Dafür sehe ich rückblickend verschiedene Gründe. Die Soziologie des Wählerverhaltens stand, zumindest in Deutschland, erst in den Anfängen. Ich habe damals meine eigenen Primärerfahrungen mit den ersten, auf der Grundlage von Umfrageergebnissen nach Marketing-Strategien geführten Wahlkämpfen verarbeitet. Ahnlich schockierende Erfahrungen dürfte die DDR-Bevölkerung soeben mit den Feldzügen der in ihr Territorium eindringenden Westparteien gemacht haben. Auch das Fernsehen hatte in der Bundesrepublik noch kaum Fuß gefaßt; ich lernte es erst Jahre später in den USA kennen, konnte also meine Lektüre nicht an Erfahrungen aus erster Hand kontrollieren. Ferner ist der starke Einfluß von Adornos Theorie der Massenkultur unschwer zu erkennen. Die deprimierenden Ergebnisse der damals gerade abgeschlossenen empirischen Untersuchungen zu »Student und Politik« mögen zudem ein weiterer Grund dafür gewesen sein, den kritikfördernden, kulturell mobilisierenden Einfluß der formalen, insbesondere der sich ausweitenden sekundären Schulbildung zu unterschätzen; freilich war auch der Prozeß, den Parsons später »Erziehungsrevo 1 ution« genannt hat, in der Bundesrepublik noch nicht in Gang gekommen. Schließlich fällt auf, daß die Dimension alles dessen fehlt, was inzwischen unter der Bezeichnung politische Kultur< große Aufmerksamkeit gefunden hat. G. A. Almond und S. Verba hatten noch 1 9 6 3 die >civic culture< anhand weniger Einstellungsvariablen erfassen wollen. Selbst die breiter ansetzende, auf Ronald Ingleharts »The Silent Revolution« (Princeton 1 9 7 7 ) zurückgehende Wertwandelforschung erstreckte sich noch nicht in ganzer Breite 30
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30 J . Habermas, L. v. Friedeburg, Chr. Oehler, F. Weltz, Student und Politik, Neuwied 1961. 31 The Civic Culture: Political Attitudes and Democracy in five Nations, Princeton 1963; vgl. G . A l m o n d , S. Verba, (Eds.), The Civic Culture Revisited, Boston 1980. 29
auf die zu kulturellen Selbstverständlichkeiten verfestigten politischen Mentalitäten, in denen das Reaktionspotential eines Massenpublikums geschichtlich verwurzelt ist. Kurzum, meine Diagnose einer geradlinigen Entwicklung vom politisch aktiven zum privatistischen, »vom kulturräsonierenden zum kulturkonsumierenden Publikum« greift zu kurz. Die Resistenzfähigkeit und vor allem das kritische Potential eines in seinen kulturellen Gewohnheiten aus Klassenschranken hervortretenden, pluralistischen, nach innen weit differenzierten Massenpublikums habe ich seinerzeit zu pessimistisch beurteilt. Mit dem ambivalenten Durchlässigwerden der Grenzen zwischen Trivial- und Hochkultur und einer »neuen Intimität zwischen Kultur und Politik«, die ebenso zweideutig ist und Information an Unterhaltung nicht bloß assimiliert, haben sich auch die Maßstäbe der Beurteilung selber verändert. Auf die breitgestreute Literatur zur Soziologie des politischen Verhaltens kann ich nicht einmal Hinweise geben, weil ich sie nur sporadisch verfolgt habe. Ebenso wichtig für den Strukturwandel der Öffentlichkeit ist die Medienforschung, sind insbesondere die kommunikationssoziologischen Untersuchungen zu sozialen Effekten des Fernsehens. Ich war seinerzeit angewiesen auf Ergebnisse der von Lazarsfeld begründeten Forschungstradition, die in den 7 0 e r Jahren wegen ihres individualistisch-verhaltenswissenschaftlichen, auf die Psychologie kleiner Gruppen beschränkten Ansatzes heftig kritisiert worden ist. Auf der anderen Seite ist der 32
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32 Vgl. dagegen R. N . Bellah et. al., Habits of the Heart, Berkeley 1985. 33 Z . B . S . H . Barnes, M a x Kaase (Eds.), Political Action - Mass Participation in Western Democracies, Beverly Hills 1979. 34 Vgl. das Jubiläumsheft: Ferment in the Field, Journal of Communication Vol. 33, 1983. Für Literaturhinweise danke ich Rolf Meyersohn, der selbst seit Jahrzehnten auf dem Gebiet der Soziologie der Massenmedien und der Massenkultur arbeitet. 3 5 Zusammenfassend J . T. Klapper, The Effects of Mass Communication, Glencoe i960. 36 T. Gitlin, Media Sociology: The Dominant Paradigm, Theory and Society, Vol. 6, 1978, 205-253; vgl. dazu die Verteidigung von E . K a t z , Communication R e search since Lazarsfeld, Publ. O p . Quart., Winter 1987, 25-45. 3°
Ideologiekritische Ansatz mit stärker empirischen Akzenten weitergeführt worden und hat die Aufmerksamkeit der Kommunikationsforschung einerseits auf den institutionellen Kontext der Medien, andererseits auf den kulturellen Kontext der Rezeption gelenkt. Stuart Halls Unterscheidung zwischen drei verschiedenen Interpretationsstrategien der Zuschauer, die sich der Struktur des Angebots entweder unterwerfen, ihr opponieren oder das Angebot mit eigenen Deutungen synthetisieren, zeigt gut den Perspektivenwechsel gegenüber älteren Erklärungsmodellen, die noch mit linearen Wirkungsketten rechneten. (4). Im letzten Kapitel des Buches hatte ich den Versuch gemacht, beide Linien zusammenzuführen: die empirische Diagnose des Zerfalls der liberalen Öffentlichkeit mit dem normativen Gesichtspunkt einer radikaldemokratischen Einholung und Einlösung der objektiv, gleichsam über die Köpfe der Beteiligten hinweg sich vollziehenden funktionalen Verschränkung von Staat und Gesellschaft. Diese beiden Aspekte spiegein sich jeweils in gegenläufigen Konzeptualisierungen der »öffentlichen Meinung«. Als staatsrechtliche Fiktion behält die öffentliche Meinung in der normativen Demokratietheorie die Einheit einer kontrafaktischen Größe; in den empirischen Untersuchungen der Medienforschung und der Kommunikationssoziologie hat sich diese Entität längst aufgelöst. Man muß aber beiden Aspekten Rechnung tragen, wenn man den in der sozialstaatlichen Massendemokratie tatsächlich eingespielten Legitimationsmodus erfassen will, ohne die Unterscheidung zwischen autochthonen und vermachteten Prozessen der öffentlichen Kommunikation preiszugeben. Aus dieser Absicht erklärt sich das am Ende des Buches proviso37
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37 C . Lodziak, The Power of Television, L o n d o n 1986. 38 T Gitlin, The Whole World is Watching, Berkeley 1983; H . Gans, Deciding What's N e w s . N . Y . 1979; einen Überblick gibt: G. Tuckmann, Mass Media Institutions, in: N . Smelser (Ed.), Handbook of Sociology, N . Y . 1988, 6 0 1 - 6 2 5 . Aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive lehrreich: C . Calhoun, Populist Politics, Communications Media and Large Scale Societal Integration, Social Theory Vol. 6, 1988, 2 1 9 - 2 4 1 . 39 St. Hall, Encoding and Decoding in the TV-Divourse, in: ders., (Ed.), Culture, Media, Language, L o n d o n 1980, 1 2 8 - 1 3 8 ; D . Morley, Family Television, L o n don 1988. 31
risen entworfene Modell einer durch Massenmedien beherrschten Arena, in der gegenläufige Tendenzen aufeinandertreffen. Der Grad der Vermachtung sollte sich daran bemessen, wie weit die informellen, nicht-öffentlichen Meinungen, also jene kulturellen Selbstverständlichkeiten, die den lebensweltlichen Kontext und den Boden der öffentlichen Kommunikation bilden, mit dem Kreislauf der formellen, über Massenmedien hergestellten quasi-öffentlichen Meinungen, auf die Ökonomie und Staat als auf Ereignisse der Systemumwelt einzuwirken versuchen, kurzgeschlossen oder in welchem Maße beide Bereiche durch kritische Publizität vermittelt werden. Als Träger einer kritischen Publizität konnte ich mir seinerzeit nur intern demokratisierte Verbände und Parteien vorstellen. Innerparteiliche und verbandsinterne Öffentlichkeiten erschienen mir als virtuelle Knotenpunkte einer noch regenerationsfähigen öffentlichen Kommunikation. Diese Konsequenz ergab sich aus dem Zug zu einer Organisationsgesellschaft, in der nicht mehr assoziierte Individuen, sondern Mitglieder organisierter Kollektive in einer polyzentrischen Öffentlichkeit um die Zustimmung passiver Massen konkurrieren, um sowohl miteinander wie vor allem gegenüber dem massiven Komplex der staatlichen Bürokratien um Macht- und Interessenausgleich zu ringen. Unter den gleichen Prämissen hat beispielsweise Norberto Bobbio noch in den 8oer Jahren seine Demokratietheorie entworfen. Mit diesem Modell kam allerdings jener Pluralismus unversöhnlicher Interessen wieder ins Spiel, der bereits die liberalen Theoretiker zu Einwänden gegen die »Tyrannei der Mehrheit« bewogen hatte. Tocqueville und J . St. Mill hatten vielleicht doch nicht so unrecht, wenn sie in der frühliberalen Vorstellung einer diskursiven Meinungs- und Willensbildung nur die verschleierte Macht der Majorität wiederzuerkennen glaubten; unter normativen Gesichtspunkten wollten sie die öffentliche Meinung allenfalls als gewalteinschränkende Instanz zulassen, keineswegs als ein Medium der möglichen Rationalisierung von Gewalt überhaupt. Wenn es sich tatsächlich so verhielt, daß »ein strukturell unaufhebbarer Interessenantagonismus einer . . . in ihren kritischen Funktionen reorgani40
40 N . B o b b i o , The Future of Democracy, Oxford 1987. 32
sierten Öffentlichkeit enge Grenzen zieht« (unten S. 339), genügte es jedenfalls nicht, der liberalen Theorie, wie Ich es in § 1 5 getan habe, eine ambivalente Auffassung der Öffentlichkeit zu attestieren.
III. Ein veränderter theoretischer Rahmen Gleichwohl halte ich nach wie vor an der Intention fest, die die Untersuchung im ganzen angeleitet hat. Die sozialstaatlichen Massendemokratien dürfen sich, ihrem normativen Selbstverständnis zufolge, nur solange in einer Kontinuität mit den Grundsätzen des liberalen Rechtsstaates sehen, wie sie das Gebot einer politisch fungierenden Öffentlichkeit ernst nehmen. Dann muß aber gezeigt werden, wie es in Gesellschaften unseres Typs möglich sein soll, daß »das von Organisationen mediatisierte Publikum, durch diese hindurch, einen kritischen Prozeß öffentlicher Kommunikation in Gang setzt.« (unten S. 337) Diese Fragestellung hat mich am Schluß des Buches auf jenes Problem zurückgeworfen, das ich zwar berührt, aber nicht mehr angemessen behandelt habe. Der Beitrag des »Strukturwandels der Öffentlichkeit« zu einer zeitgenössischen Demokratietheorie mußte ins Zwielicht geraten, wenn es der »unaufgehobene Pluralismus der konkurrierenden Interessen . . . zweifelhaft macht, ob aus ihm je ein allgemeines Interesse derart hervorgehen kann, daß daran eine öffentliche Meinung ihren Maßstab fände.« (unten S. 339) Mit den theoretischen Mitteln, die mir damals zur Verfügung standen, konnte ich dieses Problem nicht lösen. Für die Herstellung des theoretischen Rahmens, in dem ich die Frage heute reformulieren und eine Antwort wenigstens skizzieren kann, waren weitere Schritte nötig. Ich möchte mit einigen Stichworten an die Stationen dieses Weges erinnern. ( 1 ) . Nur auf den ersten Blick könnte der »Strukturwandel der Öffentlichkeit« im Stile einer deskriptiven, an Max Weber orientierten Gesellschaftsgeschichte geschrieben worden sein; die Dialektik der bürgerlichen Öffentlichkeit, die den Aufbau des Buches bestimmt, verrät sogleich den ideologiekritischen Ansatz. Die Ideale des bürgerlichen Humanismus, die das Selbstverständnis von Intimsphäre und Öffentlichkeit prägen und sich in den Schlüsselbegriffen von 33
Subjektivität und Selbstverwirklichung, rationaler Meinungsund Willensbildung sowie persönlicher und politischer Selbstbestimmung artikulieren, haben die Institutionen des Verfassungsstaates soweit imprägniert, daß sie als utopisches Potential über eine Verfassungswirklichkeit, die sie zugleich dementiert, auch hinausweisen. Die Dynamik der geschichtlichen Entwicklung sollte auch von dieser Spannung zwischen Idee und Wirklichkeit zehren. Diese Denkfigur verführt freilich nicht nur zu einer Idealisierung der bürgerlichen Öffentlichkeit, die über den in der idealtypischen Begriffsbildung angelegten methodischen Sinn von Idealisierung hinausschießt; sie stützt sich auch, mindestens implizit, auf geschichtsphilosophische Hintergrundannahmen, die spätestens von den zivilisierten Barbareien des 2 0 . Jahrhunderts widerlegt worden sind. Wenn die bürgerlichen Ideale eingezogen werden, wenn das Bewußtsein zynisch wird, verfallen jene Normen und Wertorientierungen, für die die Ideologiekritik Einverständnis voraussetzen muß, wenn sie daran appellieren will. Ich habe deshalb vorgeschlagen, die normativen Grundlagen der kritischen Gesellschaftstheorie tiefer zu legen. Die Theorie des kommunikativen Handelns soll ein in der kommunikativen Alltagspraxis selbst angelegtes Vernunftpotential freilegen. Damit ebnet sie zugleich den Weg für eine rekonstruktiv verfahrende Sozialwissenschaft, die kulturelle und gesellschaftliche Rationalisierungsprozesse auf ganzer Breite identifiziert und diese auch hinter die Schwelle moderner Gesellschaften zurückverfolgt; dann braucht man nicht mehr nur in einer epochenspezifisch auftretenden Formation der Öffentlichkeit nach normativen Potentialen zu fahnden. Der Zwang zur Stilisierung einzelner prototypischer Ausprägungen einer institutionell verkörperten kommunikativen Rationalität entfällt zugunsten eines empirischen Zugriffs, der die Spannung des abstrakten Gegensatzes zwischen Norm und Wirklichkeit auflöst. Anders als in den klassischen Annahmen des Historischen Materialismus treten überdies der 41
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41 Z u r Kritik am Marxschen Ideologiebegriff vgl. J . Keane, Democracy and Civil Society. O n the Predicaments of European Socialism, L o n d o n 1988, 2 1 3 ft. 42 S. Benhabib, N o r m , Critique, Utopia, N . Y . 1987 43 J . Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Ffm. 1 9 8 1 , B d . 2, 548ff. 34
strukturelle Eigensinn und die interne Geschichte kultureller Deutungssysteme und Uberlieferungen hervor. ( 2 ) . Die demokratietheoretische Perspektive, aus der ich den Strukturwandel der Öffentlichkeit untersucht habe, war dem Abendroths chen Konzept einer Weiterentwicklung des demokratischen und sozialen Rechtsstaates zur sozialistischen Demokratie verpflichtet; allgemein blieb sie einem inzwischen fragwürdig gewordenen Totalitätskonzept von Gesellschaft und gesellschaftlicher Selbstorganisation verhaftet. Die sich selbst verwaltende Gesellschaft, die alle Lebensbereiche, einschließlich ihrer ökonomischen Reproduktion, über eine planende Gesetzgebung programmiert, sollte durch den politischen Willen des souveränen Volkes integriert werden. Aber die Unterstellung, daß die Gesellschaft insgesamt als eine Assoziation im großen vorgestellt werden kann, die über die Medien Recht und politische Macht auf sich selbst einwirkt, hat angesichts des Komplexitätsgrades funktional differenzierter Gesellschaften jede Plausibilität verloren. Insbesondere prallt die holistische Vorstellung eines gesellschaftlichen Ganzen, dem die vergesellschafteten Individuen wie die Mitglieder einer umfassenden Organisation angehören, an den Realitäten des marktgesteuerten Wirtschafts- und eines machtgesteuerten Verwaltungssystems ab. In »Technik und Wissenschaft als >Ideologie<« ( 1 9 6 8 ) hatte ich noch versucht, die Handlungssysteme von Staat und Ökonomie handlungstheoretisch voneinander abzugrenzen, und zwar nach Maßgabe des zweckrationalen oder erfolgsorientierten Handelns einerseits, des kommunikativen Handelns andererseits. Diese kurzschlüssige Parallelisierung von Handlungssystemen und Handlungstypen führte zu Ungereimtheiten. Diese haben mich schon in den »Legitimationsproblemen des Spätkapitalismus« ( 1 9 7 3 ) veranlaßt, das in der »Logik der Sozialwissenschaften« ( 1 9 6 7 ) eingeführte Konzept der Lebenswelt mit dem Konzept des grenzerhaltenden Systems zusammenzuführen. Daraus geht in der »Theorie des kommunikativen Handelns« ( 1 9 8 1 ) das zweistufige 44
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44 J . Habermas, Historischer Materialismus und die Entwicklung
normativer
Strukturen, in: ders., Z u r Rekonstruktion des Historischen Materialismus, Ffm. 1976, 9-48. 45 A . Honneth, Kritik der Macht, Ffm. 1985, 265 ff.
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Konzept der Gesellschaft als Lebenswelt und System hervor. Dieses hat schließlich für das Demokratiekonzept einschneidende Folgen. Ökonomie und Staatsapparat betrachte ich seitdem als systemisch integrierte Handlungsbereiche, die nicht mehr von innen demokratisch umgestaltet, d.h. auf einen politischen Integrationsmodus umgestellt werden könnten, ohne in ihrem systemischen Eigensinn beschädigt und damit in ihrer Funktionsfähigkeit gestört zu werden. Der Bankrott des Staatssozialismus hat das bestätigt. Die Stoßrichtung radikaler Demokratisierung wird nun vielmehr gekennzeichnet durch eine Verschiebung von Kräften innerhalb einer prinzipiell aufrechterhaltenen »Gewaltenteilung«. Dabei soll nicht zwischen Staatsgewalten, sondern zwischen verschiedenen Ressourcen der gesellschaftlichen Integration ein neues Gleichgewicht hergestellt werden. Ziel ist nicht mehr schlechthin die »Aufhebung« eines kapitalistisch verselbständigten Wirtschafts- und eines bürokratisch verselbständigten Herrschaftssystems, sondern die demokratische Eindämmung der kolonialisierenden Übergriffe der Systemimperative auf lebensweltliche Bereiche. Damit wird die praxisphilosophische Vorstellung der Entfremdung und Aneignung objektivierter Wesenskräfte verabschiedet. Eine radikaldemokratische Veränderung des Legitimationsprozesses zielt ab auf eine neue Balance zwischen den Gewalten der gesellschaftlichen Integration, so daß sich die sozialintegrative Kraft der Solidarität - die »Produktivkraft Kommunikation« - gegen die »Gewalten« der beiden anderen Steuerungsressourcen, Geld und administrative Macht, durchsetzen und damit die an Gebrauchswerten orientierten Forderungen der Lebenswelt zur Geltung bringen kann. (3) Die sozialintegrative Kraft kommunikativen Handelns hat ihren Ort zunächst in jenen partikularen Lebensformen und Lebenswelten, die mit jeweils konkreten Überlieferungen und Interessenlagen verflochten sind - nach Hegels Worten in der Sphäre der »Sittlichkeit«. Aber die solidaritätsstiftenden Energien dieser Lebenszusammenhänge übertragen sich nicht unvermittelt auf die politische 46
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46 Vgl. zu den Einwänden meine »Entgegnung« in: A . Honneth, H . Joas (Hg.), Kommunikatives Handeln, Ffm. 1986, 377ff. 47 Vgl. mein Interview mit H . P. Krüger in: J . Habermas (1990), 82ff. 36
Ebene der demokratischen Verfahren für den Macht- und Interessenausgleich. Das ist erst recht nicht in posttraditionalen Gesellschaften der Fall, wo eine Homogenität der Hintergrundüberzeugungen nicht vorausgesetzt werden kann und ein präsumtiv gemeinsames Klasseninteresse dem unübersichtlichen Pluralismus gleichberechtigt konkurrierender Lebensformen gewichen ist. Gewiß, in der intersubjektivistischen Fassung eines Solidaritätsbegriffs, der Verständigung an kritisierbare Geltungsansprüche und damit an das Neinsagenkönnen von individuierten und zurechnungsfähigen Subjekten bindet, entfallen bereits die üblichen Konnotationen von Einheit und Ganzheit. Auch in dieser abstrakten Fassung darf jedoch der Ausdruck »Solidarität« nicht das falsche Modell einer Rousseauschen Willensbildung suggerieren, das Bedingungen festlegen sollte, unter denen sich der empirische Wille der vereinzelten Bürger unmittelbar in den vernünftigen, am Gemeinwohl orientierten Willen moralischer Staatsbürger verwandeln konnte. Rousseau stützte diese (immer schon illusorische) Tugendzumutung auf eine Rollentrennung von >bourgeois< und >citoyen<, die ökonomische Unabhängigkeit und Chancengleichheit zu Voraussetzungen für den autonomen Staatsbürgerstatus machte. Der Sozialstaat dementiert diese Rollentrennung: »In den modernen westlichen Demokratien hat sich dieses Verhältnis umgekehrt: demokratische Willensbildung wird zu einem Instrument der Förderung sozialer Gleichheit im Sinne der möglichst gleichmäßigen Verteilung des Sozialprodukts auf die Individuen.« U. Preuss betont mit Recht, daß sich heute im politischen Prozeß die öffentliche Rolle des Staatsbürgers mit der privaten Rolle des Klienten wohlfahrtsstaatlicher Bürokratien verschränkt: »Die wohlfahrtsstaatliche Massendemokratie (hat) die paradoxe Kategorie des >vergesellschafteten Privatmenschen< hervorgebracht, den wir gemeinhin als Klienten bezeichnen und der in dem Maße mit der Staatsbürgerrolle verschmilzt, in dem er sich gesellschaftlich universalisiert.« (ebd. S. 48). Der demokratische Universalismus schlägt in einen »verallgemeinerten Partikularismus« um. 48
48 U . Preuss, Was heißt radikale Demokratie heute?, in: Forum für Philosophie (Hg.), Die Ideen von 1789 in der deutschen Rezeption, Ffm. 1989, 37-67. 37
In § 1 2 habe ich bereits Rousseaus »Demokratie der nicht-öffentlichen Meinung« kritisiert, weil dieser den Allgemeinwillen eher als einen »Konsensus der Herzen als der Argumente« begreife.. Statt dessen muß die Moral, die Rousseau den Staatsbürgern zumutet und die er in den Motiven und Tugenden des Einzelnen unterbringt, im Prozeß der öffentlichen Kommunikation selber verankert werden. Diese Pointe bringt B. Manin auf den Begriff: »It is necessary to alter radically the perspective common to both liberal theories and democratic thought: the source of legitimacy is not the predetermined will of individuals, but rather the process of its formation, that is, deliberation, itself . . . A legitimate decision does not represent the will of all, but is one that results from the deliberation of all. It is the process by which everyone's will is formed that confers its legitimacy on the outcome, rather than the sum of already formed wills. The deliberative principle is both individualistic and democratic . . . We must affirm, at the risk of contradicting a long tradition, that legitimate law is the result of general deliberation, and not the expression of general will«. Damit verschiebt sich die Beweislast von der Moral der Bürger auf solche Verfahren der demokratischen Meinungs- und Willensbildung, die die Vermutung, vernünftige Resultate zu ermöglichen, begründen sollen. (4). Deshalb eignet sich »politische Öffentlichkeit« als Inbegriff derjenigen Kommunikationsbedingungen, unter denen eine diskursive Meinungs- und Willensbildung eines Publikums von Staatsbürgern zustande kommen kann, zum Grundbegriff einer normativ angelegten Demokratietheorie. In diesem Sinne definiert J . Cohen den Begriff »deliberative democracy« folgendermaßen: »The notion of a deliberative democracy is rooted in the intuitive ideal of a democratic association in which the justification of the terms and conditions of association proceeds through public argument and reasoning among equal citizens. Citizens in such an order share a commitment to the resolution of problems of collective choice through public reasoning, and regard their basic institutions as le49
49 B. Manin, O n Legitimacy and Political Deliberation, Political Theory, vol. 1 5 , 1987, 3 5 1 f.: explizit bezieht sich Manin nicht auf den »Strukturwandel«, sondern auf die »Legitimationsprobleme«, vgl. Fußnote 35, p. 367. 38
gitimate insofar as they establish a framework for free public deliberation.* Dieser Diskursbegriff der Demokratie vertraut auf die politische Mobilisierung und Nutzung der Produktivkraft Kommunikation. Dann muß aber gezeigt werden, daß konfliktträchtige gesellschaftliche Materien überhaupt rational, d.h. im gemeinsamen Interesse der Betroffenen geregelt werden können; und zweitens muß erklärt werden, warum sich das Medium öffentlicher Argumentationen und Verhandlungen für diese vernünftige Willensbildung eignet. Sonst behielte das liberalistische Modell recht mit seiner Prämisse, daß der »Ausgleich« unversöhnlich aufeinanderstoßender Interessen nichts anderes als das Ergebnis eines strategisch geführten Kampfes sein kann. Nun haben in den letzten beiden Jahrzehnten John Rawls und Ronald Dworkin, Bruce Ackermann, Paul Lorenzen und K. O. Apel Argumente dafür beigebracht, wie praktisch-politische Fragen, soweit sie moralischer Natur sind, rational entschieden werden können. Diese Autoren haben den »moralischen Gesichtspunkt« expliziert, unter dem sich unparteilich beurteilen läßt, was jeweils im allgemeinen Interesse liegt. Wie sie die Universalisierungsgrundsätze und Moralprinzipien auch immer formuliert und begründet haben, in diesen ausgedehnten Diskussionen dürfte klar geworden sein, daß sich eine Interessenverallgemeinerung - und eine angemessene Anwendung von Normen, die solche allgemeinen Interessen verkörpern - auf gute Gründe stützen kann. Darüber hinaus habe ich zusammen mit K. O. Apel einen diskursethischen Ansatz entwickelt , der Argumentationen als das geeignete Verfahren für die Lösung moralisch-praktischer Fragen auszeichnet. Damit wird auch die zweite der beiden genannten Fragen beantwortet. Die Diskursethik beansprucht nicht nur, aus dem normativen Gehalt der notwendigen pragmatischen Voraussetzungen von Argumentation 50
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50 J . Cohen, Deliberation and Democratic Legitimacy, in: A . Hamlin, Ph. Pettit (Eds.), The G o o d Polity, Oxford 1989, 1 2 - 3 4 ; auch Cohen bezieht sich nicht auf den »Strukturwandel«, sondern auf drei meiner späteren (englischen) Publikationen, siehe Fußnote 1 2 , p. 33. 51 K. Günther, D e r Sinn für Angemessenheit, Ffm. 1987. 52 Vgl. jetzt: K. O . Apel, Diskurs und Verantwortung, Ffm. 1988. 53 J . Habermas, Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, Ffm. 1 9 7 3 , 140ff.; ders., Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, Ffm. 1983. 39
überhaupt ein allgemeines Moralprinzip gewinnen zu können. Dieses Prinzip selbst bezieht sich vielmehr auf die diskursive Einlösung von normativen Geltungsansprüchen; es bindet nämlich die Gültigkeit von Normen an die Möglichkeit einer begründeten Zustimmung vonseiten aller möglicherweise Betroffenen, soweit diese die Rolle von Argumentationsteilnehmern übernehmen. Nach dieser Lesart ist die Klärung politischer Fragen, soweit es ihren moralischen Kern betrifft, auf die Einrichtung einer öffentlichen Argumentationspraxis angewiesen. Obgleich politische Grundsatzfragen fast immer auch moralische Aspekte berühren, sind freilich keineswegs alle Fragen, die nach institutionellen Definitionen der Entscheidung durch politische Instanzen bedürfen, moralischer Natur. Politische Kontroversen beziehen sich oft auf empirische Fragen, auf die Interpretation von Sachverhalten, auf Erklärungen, Prognosen usw. Andererseits sind Probleme von großer Tragweite, sogenannte Existenzfragen, häufig gar nicht Fragen der Gerechtigkeit, sondern berühren, als Fragen des guten Lebens, das ethisch-politische Selbstverständnis - sei es der Gesellschaft im ganzen oder einzelner Subkulturen. Die meisten Konflikte entspringen schließlich der Kollision von Gruppeninteressen und betreffen Verteilungsprobleme, die nur auf dem Wege der Kompromißbildung gelöst werden können. Aber diese Differenzierung innerhalb des Bereichs politisch entscheidungsbedürftiger Fragestellungen spricht weder gegen den Vorrang moralischer Überlegungen, noch gegen die argumentative Form der politischen Kommunikation im ganzen. Empirische Fragen sind von evalutiven Fragen oft nicht zu trennen und bedürfen selbstverständlich der argumentativen Bearbeitung. Die ethisch-politische Selbstverständigung darüber, wie wir als Angehörige eines bestimmten Kollektivs leben wollen, muß mit moralischen Normen wenigstens im Einklang stehen. Verhandlungen müssen sich auf den Austausch von Argumenten stützen; und ob sie zu fairen Kompromissen führen, hängt wesentlich von Verfahrensbedingungen ab, die moralisch beurteilt werden müssen. Der diskurstheoretische Ansatz hat den Vorzug, die Kommunika54
54 J . Habermas, Towards a Communication Concept of Rational Collective WillFormation, Ratio Juris, Vol. 2, J u l y 1989, 1 4 4 - 1 5 4 . 40
tionsvoraussetzungen spezifizieren zu können, die in den verschiedenen Formen der Argumentation und in Verhandlungen erfüllt sein müssen, wenn die Ergebnisse solcher Diskurse die Vermutung der Vernünftigkeit für sich haben sollen. Damit eröffnet er den normativen Überlegungen empirisch-soziologische Anschlußmöglichkeiten. ( 5 ) . Da der Diskursbegriff der Demokratie zunächst im Rahmen einer normativen Theorie geklärt und plausibel gemacht werden muß, bleibt die Frage offen, wie eine diskursive Meinungs- und Willensbildung unter Bedingungen sozialstaatlicher Massendemokratien so eingerichtet werden kann, daß das Gefälle zwischen aufgeklärtem Selbstinteresse und Gemeinwohlorientierung, zwischen den Rollen des Klienten und des Staatsbürgers überbrückt wird. In die Kommunikationsvoraussetzungen jeder Argumentationspraxis sind ja die Zumutung der Unparteilichkeit und die Erwartung eingebaut, daß die Teilnehmer ihre jeweils mitgebrachten Präferenzen in Frage stellen und transzendieren; die Erfüllung beider Voraussetzungen muß sogar zur Routine gemacht werden. Die A n t w o r t des modernen Naturrechts auf dieses Problem war die Einführung des legitimen rechtlichen Zwangs. Und das Folgeproblem, wie die für den Rechtszwang erforderliche politische Macht ihrerseits moralisch gebändigt werden könne, hat Kant mit der Idee des Rechtsstaates beantwortet. Die diskurstheoretische Entfaltung dieser Idee mündet nun in die Vorstellung, daß das Recht ein weiteres Mal auf sich selbst angewendet wird: es muß auch noch den diskursiven Modus gewährleisten, wonach sich Erzeugung und Anwendung von Rechtsprogrammen unter Bedingungen der Argumentation vollziehen sollen. Das bedeutet die Institutionalisierung rechtlicher Verfahren, die eine annähernde Erfüllung der anspruchsvollen Kommunikationsvoraussetzungen für faire Verhandlungen und zwanglose Argumentationen sichern. Diese idealisierenden Voraussetzungen verlangen die vollständige Inklusion aller möglicherweise Betroffenen, die Gleichberechtigung der Parteien, Zwanglosigkeit der Interaktion, Offenheit für Themen und Beiträge, Revidierbarkeit der Ergebnisse usw. In diesem Zusammenhang dienen die rechtlichen Prozeduren dazu, die in der realen Gesellschaft auftretenden Selektionszwänge räumlicher, zeitlicher und sachli41
eher Art innerhalb einer als ideal unterstellten Kommunikationsgemeinschaft zur Geltung zu bringen. So läßt sich beispielsweise die Mehrheitsregel als ein Arrangement verstehen, das eine nach Möglichkeit diskursive, letztlich wahrheitsorientierte Meinungsbildung mit dem Zwang zur zeitlich terminierten Willensbildung kompatibel macht. Nach der diskurstheoretischen Lesart muß die Mehrheitsentscheidung eine interne Beziehung zur Argumentationspraxis aufrechterhalten, woraus sich weitere institutionelle Vorkehrungen (wie z.B. Begründungszwänge, Regeln der Beweislastverteilung, wiederholte Lesungen von Gesetzesvorlagen usw.) ergeben. Eine Mehrheitsentscheidung darf nur so zustande kommen, daß ihr Inhalt als das rational motivierte, aber fehlbare Ergebnis einer unter Entscheidungsdruck vorläufig beendeten Diskussion über die richtige Lösung eines Problems gelten darf. Unter demselben Gesichtspunkt einer rechtlichen Institutionalisierung von allgemeinen Kommunikationsbedingungen für eine diskursive Willensbildung lassen sich auch andere Institutionen verstehen, z.B. die Regelungen für Zusammensetzung und Arbeitsweise parlamentarischer Körperschaften, für Verantwortlichkeiten und Immunitäten der gewählten Repräsentanten, auch der politische Pluralismus des Mehrparteiensystems, der Zwang von Volksparteien, verschiedene Interessenlagen programmatisch zu bündeln usw. Die diskurstheoretische Entzifferung des normativen Sinnes bestehender Institutionen eröffnet zudem eine Perspektive für die Einführung und Erprobung neuer institutioneller Arrangements, die einer Klientelisierung der Staatsbürger entgegenwirken können. Sie müssen die Distanz zwischen beiden Rollen abstufen, indem sie den kurzgeschlossenen Kreislauf zwischen eigenen, unmittelbaren Präferenzen und dem verallgemeinerten Partikularismus der verbandsförmig organisierten Interessen unterbrechen. Dazu gehört auch die originelle Idee einer Verbindung des »multiple preference orderin g« mit dem Wählervotum. Solche Anregungen müssen sich auf eine Analyse der in die bestehenden Arrangements eingebauten 55
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55 Vgl. meine Tanner-Lectures (1988), 246fr. 56 Gestützt auf R. E. G o o d i n , Laundering Preferences, in: J . Elster, A . Hylland (Eds.), Foundations of Social Choice Theory, Cambridge 1986, 7 5 - 1 0 1 , e n t w i c kelt C . Offe diese Überlegung in seinem ideenreichen Aufsatz: Bindung, Fessel, 42
Hemmschwellen stützen, die die Staatsbürger zu unpolitischer Folgebereitschaft konditionieren und daran hindern, reflexiv über die Wahrnehmung ihrer kurzfristigen Eigeninteressen hinauszudenken. Mit anderen Worten: die diskurstheoretische Entschlüsselung des demokratischen Sinnes rechtsstaatlicher Institutionen muß ergänzt werden durch die kritische Untersuchung der in sozialstaatlichen Massendemokratien wirksamen Mechanismen der Entfremdung der Bürger vom politischen Prozeß. (6). Der normative Gehalt eines Demokratiebegriffs, der auf diskursförmige Wert- und Normbildungsprozesse in öffentlichen Kommunikationen bezogen ist, erschöpft sich freilich nicht in geeigneten institutionellen Arrangements auf der Ebene des demokratischen Rechtsstaates. Er weist vielmehr über die formal verfaßten Kommunikations- und EntScheidungsprozesse hinaus. Die in Körperschaften organisierte Meinungsbildung, die zu verantwortlichen Entscheidungen führt, kann dem Ziel der kooperativen Wahrheitssuche nur in dem Maße gerecht werden, wie sie durchlässig bleibt für frei flottierende Werte, Themen, Beiträge und Argumente einer sie umgehenden politischen Kommunikation. Diese muß grundrechtlich ermöglicht, aber sie kann nicht im ganzen organisiert werden. Die diskurstheoretisch begründete Erwartung vernünftiger Ergebnisse gründet sich vielmehr auf das Zusammenspiel der institutionell verfaßten politischen Willensbildung mit den spontanen, nicht-vermachteten Kommunikationsströmen einer nicht auf Beschlußfassung, sondern auf Entdeckung und Problemlösung programmierten, in diesem Sinne nicht-organisierten Öffentlichkeit. Wenn die Idee der Volkssouveränität auf hochkomplexe Gesellschaften noch realistisch Anwendung finden soll, muß sie von der konkretistischen Deutung einer Verkörperung in physisch anwesenden, partizipierenden und mitbestimmenden Gliedern eines Kollektivs abgelöst werden. Unter Umständen führt eine direkte Erweiterung formeller Mit57
Bremse. D i e Unübersichtlichkeit von Selbstbeschränkungsformeln, in: A . Flonneth, T h . McCarthy, C . Offe, A . Wellmer, Zwischenbetrachtungen, Ffm. 1989, 739-77557 C . Offe, U . K. Preuss, C a n Democratic Institutions make efficient Use of Moral Resources? (Ms. 1989) 43
bestimmungs- und Partizipationsmöglichkeiten nur zur Intensivierung des »verallgemeinerten Partikularismus«, d.h. zu jener privilegierten Durchsetzung von lokalen und gruppenspezifischen Sonderinteressen, die von Burke bis zu Weber, Schumpeter und den Neokonservativen unserer Tage Argumente für einen demokratischen Elitismus geliefert hat. Dem kann eine prozedurale Fassung der Volks Souveränität als Inbegriff der Bedingungen für die Ermöglichung eines diskursförmigen Prozesses der öffentlichen Kommunikation vorbeugen. Die vollends zerstreute Volkssouveränität kann sich nur noch in jenen subjektlosen, freilich anspruchsvollen Kommunikationsformen »verkörpern«, die den Fluß der politischen Meinungs- und Willensbildung so regulieren, daß ihre falliblen Ergebnisse die Vermutung praktischer Vernünftigkeit für sich haben. Die kommunikativ verflüssigte Souveränität bringt sich in der Macht öffentlicher Diskurse zur Geltung, die Themen von gesamtgesellschaftlicher Relevanz entdecken, Werte interpretieren, Beiträge zu Problemlösungen leisten, gute Gründe produzieren und schlechte entwerten. Diese Meinungen müssen freilich in Beschlüssen demokratisch verfaßter Körperschaften Gestalt annehmen, weil die Verantwortung für praktisch folgenreiche Beschlüsse eine institutionelle Zurechnung verlangt. Diskurse herrschen nicht. Sie erzeugen eine kommunikative Macht, die die administrative nicht ersetzen, sondern nur beeinflussen kann. Dieser Einfluß beschränkt sich auf die Beschaffung und den Entzug von Legitimation. Die kommunikative Macht kann den systematischen Eigensinn öffentlicher Bürokratien, auf die sie »im Modus der Belagerung« einwirkt, nicht ersetzen. Wenn sich die Volkssouveränität derart in Verfahren auflöst, bleibt auch der symbolische Ort der Macht, der seit 1 7 8 9 , also seit der revolutionären Abschaffung paternalistischer Herrschaftsformen, ein Vakuum bildet, leer und wird nicht, wie U. Rödel im Anschluß an Claude Lefort sagt, mit neuen identitären Symbolisierungen wie Volk oder Nation besetzt. 58
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58 J . Habermas, Volkssouveränität als Verfahren. Ein normativer Begriff der Öffentlichkeit? in: Die Ideen von 1789 (1989), 7-36, 59 U . R ö d e l , G . Frankenberg, H . Dubiel, Die demokratische Frage, Ffm. 1989, K a p . IV. 44
IV. Zivilgesellschaft oder politische Öffentlichkeit Unter derart präzisierten und veränderten Prämissen können wir schließlich zur Beschreibung einer politischen Öffentlichkeit zurückkehren, in der sich mindestens zwei Prozesse kreuzen - die kommunikative Erzeugung legitimer Macht einerseits und andererseits die manipulative Inanspruchnahme der Medienmacht zur Beschaffung von Massenloyalität, Nachfrage und »compliance« gegenüber systemischen Imperativen. Die offengebliebene Frage nach der Basis und den Quellen einer informellen Meinungsbildung in autonomen Öffentlichkeiten kann nun nicht mehr mit dem Hinweis auf sozialstaatliche Statusgarantien und mit der holistischen Forderung nach der politischen Selbstorganisation der Gesellschaft beantwortet werden. An dieser Stelle schließt sich vielmehr der Kreis zwischen dem Strukturwandel der Öffentlichkeit und jenen langfristigen Trends, die die Theorie des kommunikativen Handels als Rationalisierung der Lebenswelt begreift. Eine politisch fungierende Öffentlichkeit braucht nicht nur die Garantien rechtsstaatlicher Institutionen, sie ist auch auf das Entgegenkommen von kulturellen Überlieferungen und Sozialisationsmustern, auf die politische Kultur einer an Freiheit gewöhnten Bevölkerung angewiesen. Die zentrale Fragestellung des Buches wird heute unter dem Titel einer »Wiederentdeckung der Zivilgesellschaft« aufgenommen. Der pauschale Hinweis auf ein »Entgegenkommen« ausdifferenzierter Lebenswelten und ihrer Reflexionspotentiale genügt nicht. Er bedarf der Konkretisierung nicht nur im Hinblick auf Sozialisationsmuster und kulturelle Überlieferungen. Eine aus-Motiven und Wertorientierungen gespeiste liberale politische Kultur bildet gewiß einen günstigen Boden für spontane öffentliche Kommunikationen. Aber noch wichtiger sind die Verkehrs- und Organisationsformen, sind die Institutionalisierungen von Trägern einer nichtvermachteten politischen Öffentlichkeit. Hier setzen die jüngsten Analysen von C. Offe ein, der den Begriff der »Assoziationsverhältnisse« in der Absicht verwendet, »die globalen Kategorien der Lebensform und der Lebenswelt, die der Diskursethik ein Widerlager im Sozialen sichern sollen, mit eher soziologischen 45
Kategorien zu konfrontieren.« Der vage Begriff der Assoziationsverhältnisse knüpft nicht von ungefähr an jenes »Vereinswesen« an, das einst das soziale Stratum der bürgerlichen Öffentlichkeit gebildet hat. Er erinnert auch an die inzwischen gängige Bedeutung des Ausdrucks »Zivilgesellschaft«, die, anders als die moderne, seit Hegel und Marx übliche Ubersetzung von >societas civilis< in bürgerliche Gesellschaft<, die Sphäre einer über Arbeits-, Kapital- und Gütermärkte gesteuerten Ökonomie nicht mehr einschließt. In den einschlägigen Publikationen sucht man freilich vergeblich nach klaren Definitionen. Den institutionellen Kern der »Zivilgesellschaft« bilden jedenfalls nicht-staatliche und nicht-ökonomische Zusammenschlüsse auf freiwilliger Basis, die, um nur unsystematisch einige Beispiele zu nennen, von Kirchen, kulturellen Vereinigungen und Akademien über unabhängige Medien, Sport- und Freizeitvereine, Debattierclubs, Bürgerforen und Bürgerinitiativen bis zu Berufsverbänden, politischen Parteien, Gewerkschaften und alternativen Einrichtungen reichen. J . Keane schreibt diesen Assoziationen die Aufgabe bzw. die Funktion zu, »to maintain and to redefine the bounderies between civil society and state through two interdependent and simultaneous processes: the expansion of social equality and liberty, and the restructuring and democratization of the S t a t e . « Es handelt sich also um meinungsbildende Assoziationen. Sie gehören nicht wie hochgradig verstaatlichte politische Parteien zum administrativen System, erzielen aber über publizistischen Einfluß politische Wirkungen, weil sie entweder direkt an der öffentlichen Kommunikation teilnehmen oder, wie z.B. alternative Projekte, wegen des programmatischen Charakters ihrer Tätigkeiten durch ihr Beispiel einen impliziten Beitrag zur öffentlichen Diskussion leisten. Ahnlich schreibt Offe den Assoziationsverhältnissen die Funktion zu, geeignete Kontexte zu bilden für eine politische Kommunikation, die mit hinreichend guten Argumenten die Staatsbürger zu »verantwortlichem Handeln« disponiert: »Verantwortlich zu handeln bedeutet, daß der Handelnde seinen eigenen Handlungen gegenüber methodisch die Prüfungsperspektive zugleich des Exper60
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60 Offe in: Honneth et. al. (1989), 755. 61 Keane, Democracy and Civil Society (1988), 14. 46
ten, des generalisierten Anderen und des eigenen Selbst im f u t u r u m ex actum einnimmt und auf diese Weise die Kriterien des Handelns sachlich, sozial und zeitlich validiert.« Die Konjunktur des Begriffs der Zivilgesellschaft verdankt sich jener Kritik, die vor allem Dissidenten aus staatssozialistischen Gesellschaften an der totalitären Vernichtung der politischen Öffentlichkeit geübt haben. Eine wichtige Rolle spielt dabei der kommunikationstheoretische Begriff des Totalitarismus, den Hannah Arendt entwickelt hat. Vor dieser Folie wird verständlich, warum in der Zivilgesellschaft die meinungsbildenden Assoziationen, um die sich autonome Öffentlichkeiten kristallisieren können, eine prominente Stellung einnehmen. Die totalitäre Herrschaft unterwirft gerade diese kommunikative Praxis der Bürger der Kontrolle der Geheimdienstapparate. Die revolutionären Veränderungen in Ost- und Mitteleuropa haben diese Analysen bestätigt. Nicht zufällig sind sie durch eine Reformpolitik ausgelöst worden, die »Glasnost« auf ihre Fahnen schrieb. Wie in einem großangelegten sozialwissenschaftlichen Experiment ist, exemplarisch in der DDR, der Herrschaftsapparat durch den wachsenden Druck friedlich operierender Bürgerbewegungen revolutioniert worden. Und aus diesen bildete sich zunächst die Infrastruktur einer neuen Ordnung, die sich schon in den Ruinen des Staatssozialismus abzeichnete. Schrittmacher der Revolution waren jene freiwilligen Assoziationen in den Kirchen, den Menschenrechtsgruppen, den ökologische und feministische Ziele verfolgenden Oppositionskreisen, gegen deren latenten Einfluß die totalitäre Öffentlichkeit immer schon gewaltsam stabilisiert werden mußte. Anders verhält es sich in Gesellschaften des westlichen Typs. Hier bilden sich freiwillige Assoziationen innerhalb des institutionellen Rahmens des demokratischen Rechtsstaates. Und hier stellt sich eine andere Frage, die ohne erheblichen empirischen Aufwand nicht beantwortet werden kann: ob und in welchem Umfang eine von Massenmedien beherrschte Öffentlichkeit den Trägern der 62
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62 C . Offe in: Honeth et. al. (1989), 758. 63 Vgl. die Beiträge von J . Rupnik, M . Vajda und Z . A . Pelczynski zu Keane (Ed.), Civil Society and the State (1988), Part Three. 47
Zivilgesellschaft Chancen einräumt, mit der Medienmacht der politischen und wirtschaftlichen Invasoren aussichtsreich zu konkurrieren, also das Spektrum der durch Einflußnahme von außen kanalisierten Werte, Themen und Gründe zu verändern, innovativ zu entschränken und kritisch zu filtern. Mir scheint, daß für die Behandlung dieses Problems der im »Strukturwandel« entwickelte Begriff der politisch fungierenden Öffentlichkeit immer noch die angemessene analytische Perspektive bietet. Aus diesem Grunde schließen sich A. Arato und Jean Cohen bei ihrem Versuch, den Begriff der Zivilgesellschaft für eine zeitgenössische Demokratietheorie fruchtbar zu machen, an die in der Theorie des kommunikativen Handelns entworfene Architektur von »System und Lebenswelt« an. Ich schließe mit dem Hinweis auf eine originelle Studie, die die Auswirkungen elektronischer Medien auf die Umstrukturierung einfacher Interaktionen zum Gegenstand hat. Der Titel »No Sense of Place« steht für die Behauptung, daß jene Strukturen zerfließen, in denen die vergesellschafteten Individuen bisher ihre sozialen Standorte wahrgenommen und sich selbst lokalisiert haben. Diesmal geraten sogar die sozialen Grenzen in Bewegung, die die elementaren lebensweltlichen Koordinaten des Raumes und der historischen Zeit gebildet haben: »Many of the features of our information age< make us resemble the most primitive of social, and political forms: the hunting and gathering society. As nomadic peoples, hunters and gatherers have no loyal relationship to territory. They, too, have little >sense of place<; specific activities are not tightly fixed to specific physical settings. The lack of boundaries both in hunting and gathering and in electronic societies leads to many striking parallels. Of all known societal types before our own, hunting and gathering societies have tended to be the most egalitarian in terms of the roles of males and females, children and adults, and leaders and followers. The difficulty of maintaining many separate places or distinct 64
64 A . A r a t o , J . Cohen, Civil Society and Social Theory, Thesis Eleven, N r . 2 1 , 1988 (Special Issue on >Civil Society versus The State<) 40-67; dies. Politics and the Reconstruction of the Concept of Civil Society, in: Honneth et. al. (1989), 482503. 48
social spheres, tends to involve everyone in everyone else's business. Eine unvorhergesehene Bestätigung dieser plakativen These bieten wiederum die revolutionären Ereignisse des Jahres 1 9 8 9 . Die Umwälzungen in der D D R , in der Tschechoslowakei und in R u m ä nien bildeten einen Kettenprozeß, der nicht nur einen vom Fernsehen übertragenen historischen Vorgang darstellt, sondern der sich selbst im Modus einer Fernsehübertragung vollzogen hat. Die Massenmedien waren nicht nur entscheidend für die Ansteckungseffekte der weltweiten Diffusion. Auch die physische Präsenz der auf Plätzen und in Straßen demonstrierenden Massen hat, anders als im 1 9 . und im frühen 2 0 . Jahrhundert, revolutionäre Gewalt nur in dem Maße entfalten können, wie sie durchs Fernsehen in eine ubiquitäre Präsenz verwandelt wurde. Im Hinblick auf die Normalität westlicher Gesellschaften ist die von J . Meyrowitz vertretene These zur massenmedialen Entschränkung sozial definierter Grenzen freilich zu linear. Einwände liegen auf der Hand. Jene Entdifferenzierung und Entstrukturierung, die in unserer Lebenswelt mit der elektronisch hergestellten globalen Omnipräsenz der Ereignisse und mit der Synchronisierung von Ungleichzeitigkeiten eintreten, haben für die soziale Selbstwahrnehmung gewiß erhebliche Folgen. Diese Entschränkung geht aber Hand in Hand mit einer Vervielfachung der zugleich spezifizierten Rollen, mit der Pluralisierung von Lebensformen und der Individualisierung von Lebensentwürfen. Die Entwurzelung geht einher mit der Konstruktion eigener kommunitärer Zugehörigkeiten und Herkünfte, die Egalisierung mit der Ohnmacht gegenüber undurchschauter systemischer Komplexität. Es sind eher komplementäre Entwicklungen, die ineinandergreifen. So haben die Massenmedien auch in anderen Dimensionen gegenläufige Effekte. Vieles spricht dafür, daß das demokratische Potential einer Öffentlichkeit, deren Infrastruktur von den wachsenden Selektionszwängen der elektronischen Massenkommunikation geprägt ist, ambivalent ist. Damit will ich sagen, daß ich, wenn ich heute noch einmal an eine Untersuchung des Strukturwandels der Öffentlichkeit herangehen 65
65 J . M e y r o w i t z , N o Sense of Place, Oxford 1985*. 49
würde, nicht wüßte, welches Ergebnis sie für eine Demokratietheorie haben würde - vielleicht eines, das Anlaß wäre für eine weniger pessimistische Einschätzung und für einen weniger trotzigen, bloß postulierenden Ausblick als seinerzeit. Ffm., im März 1 9 9 0
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J . H.
Vorwort zur ersten Auflage Aufgabe der vorliegenden Untersuchung ist die Analyse des Typus »bürgerliche Öffentlichkeit«. Die Arbeitsweise der Untersuchung wird von den spezifischen Schwierigkeiten ihres Gegenstandes gefordert. Zunächst verbietet es dessen Komplexität, daß sie sich den ressortspezifischen Verfahrensweisen eines einzigen Faches verschreibt. Die Kategorie der Öffentlichkeit muß vielmehr in jenem breiten Feld aufgesucht werden, von dem einst die traditionelle »Politik« ihren Blick bestimmen ließ; innerhalb der Grenzen einer jeden einzelnen der sozialwissenschaftlichen Disziplinen, für sich genommen, löst sich der Gegenstand auf. Die Problematik, die sich aus der Integration soziologischer und ökonomischer, staatsrechtlicher und politologischer, sozial- und ideengeschichtlicher Aspekte ergibt, liegt auf der Hand: beim gegenwärtigen Stand der Differenzierung und Spezialisierung in den Sozialwissenschaften wird kaum jemand mehrere, geschweige denn alle diese Disziplinen »beherrschen« können. Die andere Eigentümlichkeit der Methode ergibt sich aus dem Zwang, zugleich soziologisch und historisch verfahren zu müssen. Wir begreifen »bürgerliche Öffentlichkeit« als epochaltypische Kategorie; sie läßt sich nicht aus der unverwechselbaren Entwicklungsgeschichte jener im europäischen Hochmittelalter entspringenden »bürgerlichen Gesellschaft« herauslösen und, idealtypisch verallgemeinert, auf formal gleiche Konstellationen beliebiger geschichtlicher Lagen übertragen. So wie wir zu zeigen versuchen, daß in einem präzisen Sinne etwa von »öffentlicher Meinung« erst im England des späten 1 7 . und im Frankreich des 1 8 . Jahrhunderts die Rede sein kann, so behandeln wir überhaupt »Öffentlichkeit« als eine historische Kategorie. Darin unterscheidet sich unser Verfahren a limine von dem Ansatz der formalen Soziologie, deren 1
1 Vgl. W. Hennis, Bemerkungen zur wissenschaftsgeschichtlichen Situation der politischen Wissenschaft, in: Staat, Gesellschaft, Erziehung, B d . 5, S. 203 ff., ders. Politik und praktische Philosophie, N e u w i e d 1 9 6 3 ; vgl. dazu meine Abhandlung: Die klassische Lehre von der Politik in ihrem Verhältnis zur Sozialphilosophie, in: Theorie und Praxis, N e u w i e d 1963, S. 13 ff.
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fortgeschrittener Stand heute von der sogenannten strukturellfunktionalen Theorie bezeichnet wird. Andererseits hält sich die soziologische Untersuchung geschichtlicher Trends auf einer Allgemeinheitsstufe, auf der einmalige Vorgänge und Ereignisse nur exemplarisch zitiert, nämlich als Beispiele einer über den Einzelfall hinausgreifenden gesellschaftlichen Entwicklung interpretiert werden können. Von der Übung strenger Historie unterscheidet sich dieses soziologische Vorgehen durch eine, wie es scheint, größere Ermessensfreiheit gegenüber dem historischen Material; es gehorcht indessen seinerseits den ebenso strengen Kriterien einer Strukturanalyse gesamtgesellschaftlicher Zusammenhänge. Nach den beiden methodologischen Vorbemerkungen möchten wir noch einen Vorbehalt in der Sache selbst anmelden. Die Untersuchung beschränkt sich auf Struktur und Funktion des liberalen Modells bürgerlicher Öffentlichkeit, auf dessen Entstehung und Wandlung; sie bezieht sich also auf die zur Dominanz gelangten Züge einer historischen Gestalt und vernachlässigt die im geschichtlichen Prozeß gleichsam unterdrückte Variante einer plebejischen Öffentlichkeit. In jenem Stadium der Französischen Revolution, das mit dem Namen Robespierres verknüpft ist, tritt eine Öffentlichkeit, sozusagen für einen Augenblick, in Funktion, die ihr literarisches Gewand abgestreift hat - nicht mehr die »gebildeten Stände« sind ihr Subjekt, sondern das ungebildete »Volk«. Gleichwohl bleibt auch diese plebejische Öffentlichkeit, die in der Chartistenbewegung ebenso untergründig fortlebt wie vor allem in den anarchistischen Traditionen der kontinentalen Arbeiterbewegung, an den Intentionen der bürgerlichen Öffentlichkeit orientiert - geistesgeschichtlich, wie diese, ein Erbe des 1 8 . Jahrhunderts. Deshalb sei sie streng unterschieden von der plebiszitär-akklamativen Form der reglementierten Öffentlichkeit industriegesellschaftlich hochentwickelter Diktaturen. Beide haben formal gewisse Züge gemeinsam; aber von der literarisch bestimmten Öffentlichkeit eines Publikums räsonierender Privatleute unterscheiden sie sich je auf ihre Weise - als illiterat die eine, als gleichsam postliterarisch die andere. Die Übereinstimmung gewisser plebiszitärer Erscheinungsformen täuscht nicht darüber hinweg, daß die beiden, in unserem Zusammenhang gleichermaßen vernachlässigten Varianten bürgerlicher 52
Öffentlichkeit, auf ihren verschiedenen Stufen der gesellschaftlichen Entwicklung auch verschiedene politische Funktionen übernommen haben. Unsere Untersuchung stilisiert die liberalen Elemente bürgerlicher Öffentlichkeit und deren sozialstaatliche Transformationen. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft danke ich für großzügige Unterstützung. Die Arbeit hat, mit Ausnahme der §§ 1 3 und 1 4 , der Philosophischen Fakultät Marburg als Habilitationsschrift v o r g e l e gen. Frankfurt, im Herbst 1 9 6 1
J . H.
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I Einleitung Propädeutische Abgrenzung eines Typus bürgerlicher Öffentlichkeit § i Die Ausgangsfrage Der Sprachgebrauch von »öffentlich« und »Öffentlichkeit« verrät eine Mannigfaltigkeit konkurrierender Bedeutungen. Sie stammen aus verschiedenen geschichtlichen Phasen und gehen, in ihrer synchronen Anwendung auf Verhältnisse der industriell fortgeschrittenen und sozialstaatlich verfaßten bürgerlichen Gesellschaft, eine trübe Verbindung ein. Allerdings scheinen dieselben Verhältnisse, die sich gegen den überkommenen Sprachgebrauch zur Wehr setzen, eine wie immer konfuse Verwendung dieser Worte, ja ihre terminologische Handhabung doch zu verlangen. Denn nicht nur die Umgangssprache, zumal die vom Jargon der Bürokratien und der Massenmedien schon geprägte, hält daran fest; auch die Wissenschaften, vor allem Jurisprudenz, Politik und Soziologie, sind offensichtlich außerstande, traditionelle Kategorien wie »öffentlich« und »privat«, »Öffentlichkeit«, »öffentliche Meinung« durch präzisere Bestimmungen zu ersetzen. Zunächst hat sich dieses Dilemma ironisch an der Disziplin gerächt, die ausdrücklich die öffentliche Meinung zu ihrem Gegenstand macht: unter dem Zugriff der empirischen Techniken hat sich das, was der public opinion research eigentlich fassen sollte, als unfaßbare Größe aufgelöst, gleichwohl entzieht sich die Soziologie der Konsequenz, diese Kategorien überhaupt aufzugeben; von öffentlicher Meinung handelt sie nach wie vor. »Öffentlich« nennen wir Veranstaltungen, wenn sie, im Gegensatz zu geschlossenen Gesellschaften, allen zugänglich sind - so wie wir von öffentlichen Plätzen sprechen oder von öffentlichen Häusern. Aber schon die Rede von »öffentlichen Gebäuden« meint nicht nur deren allgemeine Zugänglichkeit; sie müssen nicht einmal für den öffentlichen Verkehr freigegeben sein; sie beherbergen einfach Einrichtungen des Staates und sind als solche öffentlich. 1
i Vgl. unten S. 345 ff. 54
Der Staat ist die »öffentliche Gewalt«. Er verdankt das Attribut der Öffentlichkeit seiner Aufgabe, für das öffentliche, das gemeinsame Wohl aller Rechtsgenossen zu sorgen. - Wiederum eine andere Bedeutung hat das Wort, wenn etwa von einem »öffentlichen Empfang« gesprochen wird; bei solchen Gelegenheiten entfaltet sich eine Kraft der Repräsentation, in deren »Öffentlichkeit« etwas von der öffentlichen Anerkennung eingeht. Gleichwohl verschiebt sich die Bedeutung, wenn wir sagen, daß sich jemand öffentlich einen Namen gemacht hat; die Öffentlichkeit des Rufs oder gar des Ruhms stammt aus anderen Epochen als die der »guten Gesellschaft«. Mit alledem ist die häufigste Verwendung der Kategorie im Sinne der öffentlichen Meinung, einer empörten oder unterrichteten Öffentlichkeit, sind Bedeutungen, die mit Publikum, Publizität, publizieren zusammenhängen, noch gar nicht berührt. Das Subjekt dieser Öffentlichkeit ist das Publikum als Träger der öffentlichen Meinung; auf deren kritische Funktion ist Publizität, etwa die Öffentlichkeit bei Gerichtsverhandlungen, bezogen. Im Bereich der Massenmedien hat Publizität freilich ihre Bedeutung geändert. Von einer Funktion der öffentlichen Meinung wird sie auch zum Attribut dessen, der die öffentliche Meinung auf sich zieht: public relations, Anstrengungen, die neuerdings »Öffentlichkeitsarbeit« heißen, sind auf die Herstellung solcher publicity gerichtet. - Die Öffentlichkeit selbst stellt sich als eine Sphäre dar - dem privaten steht der öffentliche Bereich gegenüber. Manchmal erscheint er einfach als die Sphäre der öffentlichen Meinung, die der öffentlichen Gewalt gerade entgegengesetzt ist. Je nachdem rechnet man zu den »Organen der Öffentlichkeit« die Staatsorgane oder aber die Medien, die, wie die Presse, der Kommunikation im Publikum dienen. Eine sozialgeschichtliche Analyse des Bedeutungssyndroms von »öffentlich« und »Öffentlichkeit« könnte die verschiedenen historischen Sprachschichten auf ihren soziologischen Begriff bringen. Schon der erste etymologische Hinweis auf Öffentlichkeit ist aufschlußreich. Im Deutschen wird das Substantiv aus dem älteren Adjektiv »öffentlich« erst während des i8.< Jahrhunderts in Analogie
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zu publicite und publicity gebildet; noch am Ende des Jahrhunderts ist das Wort so ungebräuchlich, daß es von Heyn atz beanstandet werden kann. Wenn Öffentlichkeit erst in dieser Periode nach ihrem Namen verlangt, dürfen wir annehmen, daß sich diese Sphäre, jedenfalls in Deutschland, erst damals gebildet und ihre Funktion übernommen hat; sie gehört spezifisch zur »bürgerlichen Gesellschaft«, die sich zur gleichen Zeit als Bereich des Warenverkehrs und der gesellschaftlichen Arbeit nach eigenen Gesetzen etabliert. Gleichwohl ist von »öffentlich« und dem, was nicht öffentlich, was »privat« ist, schon lange vorher die Rede. Es handelt sich um Kategorien griechischen Ursprungs, die uns in römischer Prägung überliefert sind. Im ausgebildeten griechischen Stadtstaat ist die Sphäre der Polis, die den freien Bürgern gemeinsam ist (koine), streng von der Sphäre des Oikos getrennt, die jedem einzeln zu eigen ist (idia). Das öffentliche Leben, bios politikos, spielt sich auf dem Marktplatz, der agora, ab, ist aber nicht etwa lokal gebunden: Öffentlichkeit konstituiert sich im Gespräch (lexis), das auch die Form der Beratung und des Gerichts annehmen kann, ebenso wie im gemeinsamen Tun (praxis), sei es der Kriegführung, sei es der kämpferischen Spiele. (Zur Gesetzgebung werden oft Landfremde berufen; sie gehört nicht eigentlich zu den öffentlichen Aufgaben.) Die politische Ordnung ruht bekanntlich auf Sklavenwirtschaft in patrimonialer Form. Die Bürger sind zwar von produktiver Arbeit entlastet; die Teilhabe am öffentlichen Leben hängt aber von ihrer privaten Autonomie als Hausherren ab. Die Privatsphäre ist nicht nur dem (griechischen) Namen nach ans Haus gebunden; beweglicher Reichtum und Verfügung über Arbeitskraft sind ebensowenig Ersatz für die Gewalt über Hauswirtschaft und Familie, wie umgekehrt Armut und fehlende Sklaven an sich schon ein Hindernis für die Zulassung zur Polis wären - Verbannung, Enteignung und Zerstörung des Hauses sind eins. Die Stellung in der Polis basiert also auf der Stellung des Oikodespoten. Unter dem Schirm seiner Herrschaft vollzieht sich die Reproduktion des Lebens, die Arbeit der Sklaven, der Dienst der Frauen, geschieht Ge2
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2 Deutsches Wörterbuch der Brüder G r i m m , B d . V I I , Leipzig 1889, A r t . »Öffentlichkeit«, S. 1 1 8 3 . 3 Weigands Deutsches Wörterbuch , Gießen 1 9 1 0 , B d . I I , S. 232. 5
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burt und Tod; das Reich der Notwendigkeit und der Vergänglichkeit bleibt im Schatten der Privatsphäre versunken. Ihm gegenüber hebt sich die Öffentlichkeit, im Selbstverständnis der Griechen, als ein Reich der Freiheit und der Stetigkeit ab. Im Licht der Öffentlichkeit kommt erst das, was ist, zur Erscheinung, wird allen alles sichtbar. Im Gespräch der Bürger miteinander kommen die Dinge zur Sprache und gewannen Gestalt; im Streit der Gleichen miteinander tun sich die Besten hervor und gewinnen ihr Wesen - die Unsterblichkeit des Ruhms. So wie in den Grenzen des Oikos die Lebensnot und die Erhaltung des Lebensnotwendigen schamhaft verborgen sind, so bietet die Polis das freie Feld für die ehrenvolle Auszeichnung: wohl verkehren die Bürger als Gleiche mit Gleichen (homoioi), aber jeder bemüht sich hervorzustechen (aristoiein). Die Tugenden, deren Katalog Aristoteles kodifiziert, bewähren sich einzig in der Öffentlichkeit, finden dort ihre Anerkennung. Dieses Modell der hellenischen Öffentlichkeit, wie es uns mit der Selbstdeutung der Griechen stilisiert überliefert ist, teilt, seit der Renaissance, mit allem sogenannt Klassischen die eigentümlich normative Kraft - bis in unsere Tage. Nicht die gesellschaftliche Formation, die ihm zugrunde liegt, sondern das ideologische Muster selbst hat seine Kontinuität, eben eine geistesgeschichtliche, über die Jahrhunderte bewahrt. Zunächst sind, durch das Mittelalter hindurch, die Kategorien des Öffentlichen und des Privaten in den Definitionen des römischen Rechts, ist die Öffentlichkeit als res publica tradiert worden. Eine rechtstechnisch wirksame Anwendung finden sie freilich erst wieder mit der Entstehung des modernen Staates und jener, von ihm getrennten, Sphäre der bürgerlichen Gesellschaft. Sie dienen dem politischen Selbstverständnis ebenso wie der rechtlichen Institutionalisierung einer im spezifischen Sinne bürgerlichen Öffentlichkeit. Inzwischen sind deren gesellschaftliche Grundlagen, seit etwa einem Jahrhundert, allerdings wieder in Auflösung begriffen; Tendenzen des Zerfalls der Öffentlichkeit sind unverkennbar: während sich ihre Sphäre immer großartiger erweitert, wird ihre Funktion immer kraftloser. Gleichwohl ist Öffentlichkeit nach wie vor ein Organisationsprinzip unserer politischen Ordnung. Sie ist offenbar mehr und anderes als ein Fetzen 4
4 Zuletzt bei H . Arendt, The H u m a n Condition, Chicago 1958. 57
liberaler Ideologie, den die soziale Demokratie unbeschadet abstreifen könnte. Wenn es gelingt, den Komplex, den wir heute, konfus genug, unter dem Titel »Öffentlichkeit« subsumieren, in seinen Strukturen historisch zu verstehen, dürfen wir deshalb hoffen, über eine soziologische Klärung des Begriffs hinaus, unsere eigene Gesellschaft von einer ihrer zentralen Kategorien her systematisch in den Griff zu bekommen.
§ 2 Zum Typus repräsentativer Öffentlichkeit Während des europäischen Mittelalters ist der römisch-rechtliche Gegensatz von publicus und privatus, obschon gebräuchlich, ohne Verbindlichkeit. Gerade der prekäre Versuch einer Anwendung auf die Rechtsverhältnisse der feudalen Grund- und Lehnsherrschaft liefert unfreiwillig Indizien dafür, daß es einen Gegensatz zwischen Öffentlichkeit und Privatsphäre nach antikem (oder modernem) Modell nicht gegeben hat. Freilich macht auch hier eine wirtschaftliche Organisation der gesellschaftlichen Arbeit das Haus des Herrn zum Mittelpunkt aller Herrschaftsverhältnisse; gleichwohl ist die Stellung des Hausherrn im Produktionsprozeß mit der »privaten« Verfügungsgewait des oikodespotes oder des pater familias nicht zu vergleichen. Grundherrschaft (und die aus ihr abgeleitete Lehnsherrschaft) mag noch, Inbegriff aller herrschaftlichen Einzelrechte, als jurisdictio gefaßt werden; dem Gegensatz von privater Verfügung (dominium) und öffentlicher Autonomie (imperium) fügt sie sich nicht. Es gibt niedere und hohe »Oberkeiten«, niedere und hohe »Gerechtsamkeiten«, aber keinen irgend privatrechtlich fixierbaren Status, aus dem Privatpersonen in eine Öffentlichkeit sozusagen hervortreten könnten. Die im Hochmittelalter voll ausgebildete Grundherrschaft wird in Deutschland erst mit dem 1 8 . Jahrhundert im Zuge von Bauernbefreiung und Grundentlastung 5
5 Vgl. dazu Kirchner, Beiträge zur Geschichte des Begriffs »öffentlich« und »öffentliches Recht«, Diss. Göttingen 1949, S. 2. Res publica ist der dem populus allgemein zugängliche Besitz, die res extra commercium, die von dem für die privati und deren Eigentum geltenden Recht ausgenommen ist; z . B . flumen publicum, via publica usw. (ebd. S. 10ff.). 58
zu privatem Grundbesitz. Hausgewait ist nicht private Herrschaft, sei es im Sinne des klassischen, sei es im Sinne des modernen Zivilrechts. Wenn dessen Kategorien auf gesellschaftliche Verhältnisse, die für eine Scheidung von öffentlicher Sphäre und privatem Bereich keine Basis hergeben, übertragen werden, entstehen Schwierigkeiten: »Wenn wir das Land als die Sphäre des Öffentlichen fassen, so haben wir es im Hause und bei der vom Hausherrn geübten Gewalt eben mit einer öffentlichen Gewalt zweiter Ordnung zu tun, die gewiß im Hinblick auf die ihr übergeordnete des Landes eine private ist, aber doch in einem sehr anderen Sinne als in einer modernen Privatrechtsordnung. So scheint es mir erklärlich, daß >private< und >öffentliche< Herrschaftsbefugnisse zu einer untrennbaren Einheit zusammenschmelzen, so daß sie beide Ausfluß einer einheitlichen Gewalt sind, daß sie an Grund und Boden haften und wie wohlerworbene private Rechte behandelt werden können.« Allerdings stammt aus der altgermanischen Rechtstradition mit »gemeinlich« und »sunderlich«, »common« und »particular« eine gewisse Entsprechung zum klassischen »publicus« und »privatus«. Jener Gegensatz bezieht sich auf genossenschaftliche Elemente, soweit diese sich unter feudalen Produktionsverhältnissen behauptet haben. Die Allmende ist öffentlich, publica; der Brunnen, der Marktplatz sind für den gemeinsamen Gebrauch öffentlich zugänglich, loci communes, loci publici. Diesem »Gemeinen«, von dem sprachgeschichtlich eine Linie zum gemeinen oder öffentlichen Wohl (common wealth, public wealth) führt, steht das »Besondere« gegenüber. Es ist das Abgesonderte in einer Bedeutung des Privaten, die wir noch heute bei der Gleichsetzung von Sonderinteressen mit Privatinteressen nach vollziehen. Im Rahmen der feudalen Verfassung bezog sich andererseits das Besondere auch auf denjenigen, der mit besonderen Rechten ausgestattet war, mit Immunitäten und Privilegien; in dieser Hinsicht ist das Sundere, die Freiung überhaupt der Kern der Grundherrschaft und damit zugleich des »Öffentlichen«. Die Zuordnung germanisch-rechtlicher und römischrechtlicher Kategorien verkehrt sich, sobald jene vom Feudalismus absorbiert werden - der common man ist der private man. An dieses Verhältnis erinnert der Sprachgebrauch von common soldier im 6
6 O . Brunner, Land und Herrschaft, Brünn 1 9 4 3 , S. 386f. 59
Sinne von private soldier - der gemeine Mann ohne Rang, ohne das Besondere einer dann als »öffentlich« interpretierten Befehlsgewalt. In mittelalterlichen Urkunden wird »herrschaftlich« mit publicus synonym verwendet; publicare heißt: für den Herrn in Beschlag nehmen. In der Bedeutungsambivalenz von »gemein« (common) als gemeinsam, d. i. allen (öffentlich) zugänglich, und gemein, d.i. von Sonder-, nämlich Herrenrecht, überhaupt von (öffentlichem) Rang ausgeschlossen, spiegelt sich bis auf den heutigen Tag die Integration von Elementen genossenschaftlicher Organisation in einer auf Grundherrschaft basierenden Gesellschaftsstruktur. Öffentlichkeit als ein eigener, von einer privaten Sphäre geschiedener Bereich läßt sich für die feudale Gesellschaft des hohen Mittelalters soziologisch, nämlich anhand institutioneller Kriterien, nicht nachweisen. Gleichwohl heißen die Attribute der Herrschaft, etwa das fürstliche Siegel, nicht zufällig »öffentlich«; nicht zufällig genießt der englische König »publicness« - es besteht nämlich eine öffentliche Repräsentation von Herrschaft. Diese repräsentative Öffentlichkeit konstituiert sich nicht als ein sozialer Bereich, als eine Sphäre der Öffentlichkeit, vielmehr ist sie, wenn sich der Terminus darauf übertragen ließe, so etwas wie ein Statusmerkmal. Der Status des Grundherrn, auf welcher Stufe auch immer, ist an sich gegenüber den Kriterien »öffentlich« und »privat« neutral; aber sein Inhaber repräsentiert ihn öffentlich: er zeigt sich, stellt sich dar als die Verkörperung einer wie immer »höheren« Gewalt. Der Be7
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7 Kirchner, a. a. O . , S. 22. 8 Wir vernachlässigen das Problem der spätmittelalterlichen Stadtherrschaft: auf der Ebene des »Landes« begegnen uns die Städte, die meistens zum Kammergut des Fürsten gehören, als ein dem Feudalismus integrierter Bestandteil. Im Frühkapitalismus übernehmen allerdings die freien Städte eine für die Ausbildung bürgerl. Öffentlichkeit entscheidende Rolle. Vgl. unten § 3 S. 67ff. 9 The O x f o r d Dictionary, 1909, B d . V I I , 2. 10 Vgl. zur Begriffsgeschichte von »Repräsentation« die Hinweise H . G . Gadamers (Wahrheit und Methode, Tübingen i960, S. 1 3 4 A n m . 2): »Das den R ö m e r n vertraute Wort erfährt im Lichte des christlichen Gedankens der Inkarnation und des corpus mysticum eine ganz neue Bedeutungswendung. Repräsentation heißt nun nicht mehr Abbildung oder bildliche Darstellung . . . sondern es heißt jetzt Vertretung . . . Repraesentare heißt Gegenwärtigseinlassen . . . Das Wichtigste an dem juristischen (sakralrechtlichen) Repräsentationsbegriff ist, daß die persona 60
griff dieser Repräsentation hat sich bis in die jüngste Verfassungslehre hinein erhalten. Ihr zufolge kann Repräsentation »nur in der Sphäre der Öffentlichkeit vor sich gehen . . . es gibt keine Repräsentation, die >Privatsache< wäre«. Und zwar gibt sie vor, ein unsichtbares Sein durch die öffentlich anwesende Person des Herrn sichtbar zu machen: » . . . etwas Totes, etwas Minderwertiges oder Wertloses, etwas Niedriges kann nicht repräsentiert werden. Ihm fehlt die gesteigerte Art Sein, die einer Heraushebung in das öffentliche Sein, einer Existenz fähig ist. Worte wie Größe, Hoheit, Majestät, Ruhm, Würde und Ehre suchen diese Besonderheit repräsentationsfähigen Seins zu treffen.« Vertretung, etwa im Sinne der Repräsentation der Nation oder bestimmter Mandanten, hat mit dieser repräsentativen Öffentlichkeit, die an der konkreten Existenz des Herrn haftet und seiner Autorität eine »Aura« gibt, nichts zu tun. Wenn der Landesherr die weltlichen und geistlichen Herren, die Ritter, Prälaten und Städte um sich versammelt (oder, wie es ja im Deutschen Reich bis 1 8 0 6 noch geschieht, wenn der Kaiser die Fürsten und Bischöfe, Reichsgrafen, Reichsstädte und Abte zum Reichstag einlädt), dann handelt es sich nicht um eine Delegiertenversammlung, die jemand anderen repräsentiert. Solange der Fürst und seine Landstände das Land »sind«, statt es bloß zu vertreten, können sie in einem spezifischen Sinne repräsentieren; sie repräsentieren ihre Herrschaft, statt für das Volk, »vor« dem Volk. Die Entfaltung der repräsentativen Öffentlichkeit ist an Attribute der Person geknüpft: an Insignien (Abzeichen, Waffen), Habitus (Kleidung, Haartracht), Gestus (Grußform, Gebärde) und Rheto11
repraesentate das nur Vor- und Dargestellte ist und daß dennoch der Repräsentant, der ihre Rechte ausübt, von ihr abhängig ist.« Vgl. auch die Ergänzung auf S. 476: »Repraesentatio im Sinne von Darstellung auf der Bühne - was im Mittelalter nur heißen kann: im religiösen Spiel - findet sich schon im 1 3 . und 14. Jahrhundert . . . D o c h heißt repraesentatio deshalb nicht etwa Aufführung, sondern meint bis ins 17. Jahrhundert hinein die dargestellte Gegenwart des Göttlichen selber.« 1 1 C . Schmitt, Verfassungslehre , Berlin 1957, S. 208ff.; zur geistesgeschichtlichen 3
Lokalisierung dieses mittelalterlichen Begriffs von Öffentlichkeit vgl. A . Dempf, Sacrum Imperium, Darmstadt 1954 bes. K a p . 2 S. 21 ff. über die »Formen der Öffentlichkeit«. 61
rik (Form der Anrede, förmliche Rede überhaupt), mit einem Wort - an einen strengen Kodex »edlen« Verhaltens. Dieser kristallisiert sich während des hohen Mittelalters im höfischen Tugendsystem, einer christianisierten Form der aristotelischen Kardinaltugenden, die das Heroische zum Chevaleresken, Seigneuralen mildert. Bezeichnenderweise verliert in keiner dieser Tugenden das Physische völlig seine Bedeutung - denn Tugend muß sich verkörpern, muß sich öffentlich darstellen lassen können. Zumal beim Turnier, dem Abbild der Reiterschlacht, kommt diese Repräsentation zur Geltung. Gewiß kennt auch die Öffentlichkeit der griechischen Polis eine agonale Schaustellung der arete; aber die Öffentlichkeit der höfisch-ritterlichen Repräsentation, die sich denn auch an Festtagen, den »Hohen Zeiten«, eher als an Gerichtstagen voll entfaltet, ist keine Sphäre der politischen Kommunikation. Als Aura feudaler Autorität signalisiert sie einen sozialen Status. Ihr fehlt daher auch der angebbare »Ort«: der ritterliche Verhaltenskodex ist allen Herren, vom König herab bis zum halbbäuerlichen Einschildritter, als Norm gemeinsam; in ihm orientieren sie sich nicht nur bei definierter Gelegenheit am definierten Ort, etwa »in« einer Öffentlichkeit, sondern stets und überall, wo sie in Ausführung ihrer Herrenrechte repräsentieren. Nur die Geistlichen unter den Herren haben, über die weltlichen Anlässe hinaus, ein Lokal ihrer Repräsentation - die Kirche. Im kirchlichen Ritual, in Liturgie, Messe, Prozession überlebt heute noch repräsentative Öffentlichkeit. Einem bekannten Wort zufolge waren das englische Oberhaus, der preußische Generalstab, die Französische Akademie und der Vatikan in Rom die letzten Säulen 12
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1 2 Carl Schmitt bemerkt, daß zur repräsentativen Öffentlichkeit, die rhetorische Formel ebenso gehört wie die Diskussion zur bürgerlichen: »Gerade die nicht diskutierende und nicht räsonnierende, sondern die, wenn man so sagen darf, repräsentative Rede (ist) das Entscheidende . . . Weder in einen Diskurs noch in ein Diktat, noch in Dialektik verfallend, bewegt sie sich in ihrer Architektur. Ihre große Diktion ist mehr als Musik; sie ist eine in der Rationalität sich formenden Sprechens sichtbar gewordene menschliche Würde. Alles das setzt eine Hierarchie voraus, denn die geistige Resonanz der großen Rhetorik k o m m t aus dem Glauben an die Repräsentation, die der Redner beansprucht.« (Römischer K a tholizismus und politische F o r m , München 1 9 2 5 , S. 3 2 F ) . 13 A . Hauser, Sozialgeschichte der Kunst und Literatur, München 1 9 5 3 , 1, S. 2 1 6 .
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der Repräsentation; am Ende ist nur die Kirche übergeblieben, »so einsam, daß, wer in ihr nur äußere Form sieht, mit epigrammatischem Spott sagen muß, sie repräsentiere nur noch die Repräsentation«. Übrigens veranschaulicht das Verhältnis der Laien zur Priesterschaft, wie die »Umgebung« zu der repräsentativen Öffentlichkeit hinzugehört und doch auch von ihr ausgeschlossen ist - sie ist in dem Sinne privat, demzufolge jener private soldier von der Repräsentanz, von militärischer Würde ausgeschlossen ist, obwohl er »dazu gehört«. Diesem Ausschluß entspricht ein Geheimnis im inneren Zirkel der Öffentlichkeit: sie basiert auf einem Arkanum; Messe und Bibel werden lateinisch, nicht in der Sprache des Volkes gelesen. Die Repräsentation höfisch-ritterlicher Öffentlichkeit erreicht ihre letzte, unvermischte Gestalt an den französischen und burgundischen Höfen im 1 5 . Jahrhundert. Das berühmte spanische Zeremoniell ist das Petrefakt dieser Spätblüte. In dieser Form erhält sie sich an den Habsburger Höfen noch über Jahrhunderte. Neu formiert sich die repräsentative Öffentlichkeit, von der stadtsässigen Adelskultur des frühkapitalistischen Oberitalien ausgehend, zuerst in Florenz, dann auch in Paris und London. Gerade in der Assimilation der mit dem Humanismus schon beginnenden bürgerlichen Kultur bewährt sie allerdings ihre Kraft: die humanistische Bildungswelt wird zunächst dem höfischen Leben integriert. Im Gefolge der frühen Fürstenerzieher, schon um 1 4 0 0 , dient der Humanismus, der ja erst im Laufe des 1 6 . Jahrhunderts die Künste philologischer Kritik entfaltet, einer Umstilisierung des Hoflebens selbst. Mit dem »Cortegiano« löst ein humanistisch gebildeter Hofmann den christlichen Ritter ab. Seinem Typus entsprechen etwas später der altenglische gentleman und in Frankreich der honnete homme. Ihre heitere und beredte Geselligkeit kennzeichnet die neue, auf den Hof als ihren Mittelpunkt bezogene »Gesellschaft«. 14
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14 C . Schmitt, a. a. O . , S. 26. 15 J . Huizinga, Herbst des Mittelalters, München 1928. 16 Im Gegensatz zu der bekannten Interpretation Jacob Burckhardts vgl. die D a r stellung Brunners, Adeliges Landleben, Salzburg 1949, S. 108 ff. 1 7 Gadamer entwickelt den geistesgeschichtlichen Zusammenhang dieser frühen bildungshumanistischen Tradition mit jenen Topoi des Sensus communis und des »Geschmacks« (einer moralphilosophischen Kategorie), an deren soziologischen
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Der eigenständige, auf seine Grundherrschaft gestützte Landadel verliert an Kraft der Repräsentation; repräsentative Öffentlichkeit konzentriert sich am Hof des Fürsten. Alle ihre Momente schießen endlich im barocken Fest sinnfällig und prunkend noch einmal, zusammen. Das barocke Fest hat gegenüber den weltlichen Festen des Mittelalters, noch der Renaissance, an Öffentlichkeit im buchstäblichen Sinne schon eingebüßt. Turnier, Tanz und Theater ziehen sich von den öffentlichen Plätzen in die Anlagen des Parkes zurück, von den Straßen in die Säle des Schlosses. Der Schloßpark, der erst in der Mitte des 1 7 . Jahrhunderts aufkommt, sich dann freilich, mit der Architektur des französischen Jahrhunderts überhaupt, rapide über Europa verbreitet, ermöglicht ebenso wie das barocke Schloß selbst, das sozusagen um den großen Festsaal herumgebaut ist, ein gegenüber der Außenwelt schon abgeschirmtes Hofleben. Aber der Grundriß der repräsentativen Öffentlichkeit bleibt nicht nur erhalten, er tritt sogar noch deutlicher hervor. Mademoiselle de Scudery berichtet in ihren »C on vers ati o ns« von den Anstrengungen der großen Feste; sie dienten nicht so sehr dem Pläsir der Teilnehmer als der Demonstration der Größe, eben der grandeur ihrer Veranstalter - das Volk, das nichts als zuzuschauen brauchte, habe sich am beImplikationen die Bedeutung des höfischen Humanismus für die Ausbildung von »Öffentlichkeit« deutlich wird. Vom Bildungsideal des Gracian heißt es: »Innerhalb der Geschichte der abendländischen Bildungsideale liegt seine Auszeichnung darin, daß es von ständischen Vorgegebenheiten unabhängig ist. Es ist das Ideal einer Bildungsgesellschaft . . . >Geschmack< ist nicht nur das Ideal, das eine neue Gesellschaft aufstellt, sondern erstmals bildet sich im Zeichen dieses Ideals des >guten Geschmacks< das, was man seither die >gute Gesellschaft nennt. Sie erkennt sich und legitimiert sich nicht mehr durch Geburt und Rang, sondern grundsätzlich durch nichts als die Gemeinsamkeit ihrer Urteile oder besser dadurch, daß sie sich überhaupt über die Borniertheit der Interessen und die Privatheit der Vorlieben zum Anspruch auf Urteil zu erheben weiß . . . Im Begriff des Geschmacks ist also ohne Zweifel eine Erkenntnisweise gemeint. Es geschieht im Zeichen des guten Geschmacks, daß man zur Abstandnahme von sich selbst und den privaten Vorlieben fähig ist. Geschmack ist daher seinem eigensten Wesen nach nichts Privates, sondern ein gesellschaftliches Phänomen ersten Ranges. E r kann sogar der privaten Neigung des einzelnen wie eine richterliche Instanz entgegentreten, namens einer Allgemeinheit, die er meint und vertritt.« (Gadamer, a. a . O . , S. 321.) 64
sten unterhalten. Auch hier ist also das Volk nicht ganz ausgeschlossen; es bleibt auf den Gassen stets gegenwärtig; Repräsentation ist immer noch auf eine Umgebung angewiesen, vor der sie sich entfaltet. Erst die bürgerlichen Honoratiorenbankette werden, hinter verschlossenen Türen, exklusiv. »Es unterscheidet die bürgerliche von der höfischen Gesinnung, daß im Bürgerhaus auch der Festraum noch wohnlich, im Schloß selbst der Wohnraum noch festlich ist. Und wirklich entwickelt sich seit Versailles das königliche Schlafzimmer zu einem zweiten Brennpunkt der Schloßanlage. Findet man hier nun das Bett aufgeschlagen wie eine Schaubühne, auf erhöhter Estrade, ein Thron zum Liegen, durch eine Schranke von dem Raum der Zuschauer getrennt, so ist ja in der Tat dieser Raum der tägliche Schauplatz der Zeremonien des Levers und Couchers, die das Intimste zu öffentlicher Bedeutsamkeit erheben.« In der Etikette Ludwig XIV. erreicht repräsentative Öffentlichkeit die raffinierte Pointe ihrer höfischen Konzentration. Die aristokratische »Gesellschaft«, die aus jener Renaissancegesellschaft hervorgeht, hat nicht mehr, oder doch nicht mehr in erster Linie, eigene Herrschaft, nämlich die eigene Grundherrschaft, zu repräsentieren; sie diente der Repräsentation des Monarchen. Diese höfisch-adelige Herrenschicht kann das Parkett einer, bei aller Etikette doch hochgradig individualisierten, Geselligkeit erst zu jener, im 1 8 . Jahrhundert eigentümlich freischwebenden, aber deutlich herausgehobenen Sphäre der »guten Gesellschaft« ausbilden, nachdem, auf der Basis der frühkapitalistischen Verkehrswirtschaft, die nationalen und territorialen Machtstaaten entstanden sind und die 18
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18 R. A l e w y n , Das große Welttheater, Die Epoche der höfischen Feste, Hamburg 1959, S. 14. 19 »Bei allen öffentlichen Gelegenheiten, Siegesfeiern und Friedensschlüssen sind Illuminationen und Feuerwerk nur der Abschluß eines Tages, den im M o r g e n grauen das Krachen der Böller und das Blasen der Stadtpfeifer von allen Türmen eröffnet hat, an dem die Brunnen der Stadt mit Wein gespeist und ganze Ochsen öffentlich am Spieß gebraten worden waren und den Tanz und Spiel und Gesang und Gelächter einer Menge, die von weither zusammengeströmt ist, bis in die späte N a c h t hinein erfüllen. Das war im Barock nicht anders als von altersher und ist erst durch das bürgerliche Zeitalter allmählich geändert worden.« ( A l e w y n , a. a. O . , S. 23.) 20 A l e w y n , a. a. O . , S. 43.
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feudalen Grundlagen der Herrschaft erschüttert haben. Die letzte, auf den Hof der Monarchen zusammengeschrumpfte und zugleich verschärfte Gestalt der repräsentativen Öffentlichkeit ist bereits Reservat inmitten einer vom Staat sich trennenden Gesellschaft. Nun erst scheiden sich private und öffentliche Sphäre in einem spezifisch modernen Sinne. Im Deutschen findet sich denn auch das vom lateinischen privatus entlehnte »privat« erst seit der Mitte des 1 6 . Jahrhunderts, und zwar in der Bedeutung, die damals engl, »private«, franz. »prive« auch angenommen haben. Es heißt soviel wie: ohne öffentliches Amt, not holding public office or official position, sans emplois, que l'engage dans les affaires publiques. »Privat« meint den Ausschluß von der Sphäre des Staatsapparats; denn »öffentlich« bezieht sich inzwischen auf den mit dem Absolutismus ausgebildeten Staat, der sich gegenüber der Person des Herrschers objektiviert. Das Publikum, the public, le public ist im Gegensatz zum »Privatwesen« die »öffentliche Gewalt«. Die Staatsdiener sind öffentliche Personen, public persons, personnes publiques; sie haben ein öffentliches Amt inne, ihre Amtsgeschäfte sind öffentliche (public office, service public), und öffentlich heißen die Gebäude und Anstalten der Obrigkeit. Auf der anderen Seite gibt es Privatleute, Privatämter, Privatgeschäfte und Privathäuser; Gottheit schließlich spricht vom Privatmann. Der Obrigkeit stehen die von ihr ausgeschlossenen Untertanen gegenüber; jene dient, so heißt es, dem öffentlichen Wohl, diese verfolgen ihren privaten Nutzen. Die großen Tendenzen, die sich bis zum Ende des 1 8 . Jahrhunderts durchsetzten, sind bekannt. Die feudalen Gewalten, Kirche, Fürstentum und Herrenstand, an denen die repräsentative Öffentlichkeit haftet, zersetzen sich in einem Prozeß der Polarisierung; sie zerfallen am Ende in private Elemente auf der einen, in öffentliche auf der anderen Seite. Die Stellung der Kirche wandelt sich im Zu21
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21 Vgl. P. Joachimsen, Z u r historischen Psychologie des deutschen Staatsgedankens, in: Die Dioskuren, Jahrbuch für Geisteswissenschaften, i , 1 9 2 1 . 22 Weigands Deutsches Wörterbuch, a. a. O . , S. 475. 23 Grimmsches Wörterbuch, a. a. O . , S. 2 1 3 7 F 24 The O x f o r d Dictionary, a. a. O . , S. 1388 f. 25 Dictionnaire de la Langue Franchise, 1 8 7 5 , B d . I I I , A r t . »prive«.
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sammenhang mit der Reformation; die Bindung an die göttliche Autorität, die sie repräsentiert, Religion, wird zur Privatsache. Die sogenannte Religionsfreiheit sichert geschichtlich die erste Sphäre privater Autonomie; die Kirche selbst existiert als eine öffentlichrechtliche Körperschaft unter anderen fort. - Die entsprechende Polarisierung der fürstlichen Gewalt wird zuerst durch die Trennung des öffentlichen Budgets vom privaten Hausgut des Landesherrn sichtbar markiert. Mit Bürokratie und Militär (zu einem Teil auch mit der Gerichtsbarkeit) objektivieren sich die Institutionen der öffentlichen Gewalt gegenüber der nach und nach privatisierten Sphäre des Hofes. - Aus den Ständen schließlich entwickeln sich die herrschaftsständischen Elemente zu Organen der öffentlichen Gewalt, zum Parlament (und zum andern Teil zur Gerichtsbarkeit); die berufsständischen Elemente, soweit sie in den städtischen Korporationen und gewissen landständischen Differenzierungen schon angelegt sind, entwickeln sich zur Sphäre der »bürgerlichen Gesellschaft«, die dem Staat als der genuine Bereich privater Autonomie gegenüberstehen wird.
Exkurs: Das Ende der repräsentativen Öffentlichkeit, illustriert am Beispiel Wilhelm Meisters Starke Wirksamkeit üben Formen repräsentativer Öffentlichkeit freilich bis an die Schwelle des 1 9 . Jahrhunderts aus; das gilt erst recht für das ökonomisch wie politisch zurückgebliebene Deutschland, in dem damals Goethe die zweite Fassung seines »Wilhelm Meister« schrieb. Darin findet sich jener Brief, mit dem sich Wilhelm von der durch seinen Schwager Werner verkörperten Welt der bürgerlichen Geschäftigkeit lossagt. Er erklärt an dieser Stelle, warum für ihn die Bretter die »Welt«, nämlich die Welt des Adels, der guten Gesellschaft - Öffentlichkeit in ihrer repräsentativen Gestalt - bedeuten: »Ein Bürger kann sich Verdienst erwerben und zur 26
26 Auf diesen Brief hat unter soziologischem Aspekt Werner Wittich aufmerksam gemacht in seinem Beitrag »Der soziale Gehalt von Goethes Roman >Wilhelm Meisters Lehrjahre< in: Erinnerungsgabe für M a x Weber, München und Leipzig 1 9 2 3 , B d . I I , S. 279ff.
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höchsten Not seinen Geist ausbilden, seine Persönlichkeit geht aber verloren, mag er sieh stellen, wie er will. Indem es dem Edelmann, der mit den Vornehmsten umgeht, zur Pflicht • wird, sich selbst einen vornehmen Anstand zu geben, indem dieser Anstand, da ihm weder Tür noch Tor verschlossen ist, zu einem freien Anstand wird, da er mit seiner Person, es sei bei Hofe oder bei der Armee, bezahlen muß, so hat er Ursache, etwas auf sie zu halten, und zu zeigen, daß er etwas auf sich hält.« Der Edelmann ist Autorität, indem er sie darstellt; er zeigt sie, verkörpert sie in seiner ausgebildeten Persönlichkeit, mithin »ist er eine öffentliche Person, und je ausgebildeter seine Bewegungen, je sonorer seine Stimme, je gehaltener und gemessener sein ganzes Wesen ist, desto vollkommener ist er . . . und alles übrige, was er an und um sich hat, Fähigkeit, Talent, Reichtum, alles scheinen nur Zugaben zu sein«. Goethe faßt noch einmal den Abglanz repräsentativer Öffentlichkeit; deren Licht ist freilich im Rokoko des französischen Hofes gebrochen und noch einmal gebrochen in der deutschen Nachahmung der Duodezfürsten. Um so preziöser treten die einzelnen Farben hervor: das zur Grazie stilisierte Auftreten des »Herrn«, der kraft Repräsentation »öffentlich« ist und der in dieser Öffentlichkeit sich feierlich eine Aura schafft. Goethe legt der »öffentlichen Person«, die im Sprachgebrauch seiner Zeit bereits die jüngere Bedeutung eines Dieners der öffentlichen Gewalt, des Staatsdieners, angenommen hatte, wiederum den traditionellen Sinn öffentlicher Repräsentanz unter. Allerdings verschiebt sich »Person« unversehens zur »gebildeten Persönlichkeit«; genaugenommen hat der Edelmann im Zusammenhang dieses Briefes etwas von einem Vorwand für die durchaus bürgerliche, bereits vom Neuhumanismus der deutschen Klassik geprägte Idee der sich frei entfaltenden Persönlichkeit. In unserem Zusammenhang ist Goethes Beobachtung wichtig, daß das Bürgertum nicht mehr repräsentieren, sich von Haus aus eine repräsentative Öffentlichkeit nicht mehr erwirken kann. Der Edelmann ist, was er repräsentiert, der Bürger, was er produziert: »Wenn der Edelmann durch die Darstellung seiner Person alles gibt, so gibt der Bürger durch seine Persönlichkeit nichts und soll nichts geben. Jener darf und soll scheinen; dieser soll nur sein, und was er scheinen will, ist lächerlich und abgeschmackt.« Die repräsentative Erschei68
nung, die sich der nouveau riche zulegen will, wird zur Komik des bloßen Scheins. Darum rät Goethe, ihn nicht zu fragen: »Was bist Du? sondern nur: was hast Du? welche Einsicht, welche Kenntnis, welche Fähigkeit, wieviel Vermögen?« Ein Wort, das sich noch die aristokratische Prätention Nietzsches zu eigen machen wird: daß sich der Mann nicht in dem bewähre, was er kann, sondern als der, der er ist. Wilhelm gesteht dem Schwager das Bedürfnis, »eine öffentliche Person zu sein und in einem weiten Kreis zu gefallen und zu wirken«. Da er jedoch kein Edelmann ist und auch als Bürger nicht vergeblich sich bemühen will, es bloß zu scheinen, sucht er, sozusagen, als Öffentlichkeitsersatz - die Bühne. Das ist das Geheimnis seiner theatralischen Sendung: »Auf den Brettern erscheint der gebildete Mensch so gut persönlich in seinem Glanz, als in den oberen Klassen.« Wohl mag die geheime Äquivokation der »gebildeten Persönlichkeit« (»das Bedürfnis, meinen Geist und Geschmack auszubilden«), die bürgerliche Intention in der als Edelmann entworfenen Figur es überhaupt ermöglichen, theatralische Darstellung mit öffentlicher Repräsentation in eins zu setzen; aber die Wahrnehmung des Zerfalls repräsentativer Öffentlichkeit in der bürgerlichen Gesellschaft ist andererseits so zutreffend und die Neigung, ihr dennoch zuzugehören, so stark, daß es bei dieser Verwechslung nicht sein Bewenden haben kann. Wilhelm tritt als Hamlet vor sein Publikum, zunächst auch mit Erfolg. Das Publikum jedoch ist bereits Träger einer anderen Öffentlichkeit, die mit der repräsentativen nichts mehr gemein hat. In diesem Sinne muß Wilhelm Meisters theatralische Sendung scheitern. Sie verfehlt gleichsam die bürgerliche Öffentlichkeit, zu deren Podium das Theater inzwischen geworden ist: Beaumarchais' Figaro ist schon auf die Bühne getreten, und mit ihm, nach Napoleons berühmtem Wort, die Revolution.
§ 3 Zur Genese der bürgerlichen Öffentlichkeit Mit dem frühen Finanz- und Handelskapitalismus, der seit dem 1 3 . Jahrhundert von den oberitalienischen Städten aus auch nach West69
und Nordeuropa ausstrahlt, erst die niederländischen Stapelplätze (Brügge, Lüttich, Brüssel, Gent usw.), dann an den Kreuzungen der Fernhandelswege die großen Messen entstehen läßt, bilden sich Elemente einer neuen Gesellschaftsordnung; sie werden allerdings zunächst von der alten Herrschaftsordnung noch mühelos integriert. Jene anfängliche Assimilation des bürgerlichen Humanismus an eine adelige Hofkultur, die wir exemplarisch während der Entstehung der florentinischen Renaissancegesellschaft beobachten können, muß auch auf diesem Hintergrund gesehen werden. Der Frühkapitalismus ist konservativ, nicht nur in der von Sombart so lebhaft beschriebenen Wirtschaftsgesinnung, in einer vom Typus des »ehrenhaften« Erwerbs geprägten Geschäftspraxis, sondern auch politisch. Solange er von den Früchten der alten Produktionsweise (der feudal gebundenen landwirtschaftlichen Produktion einer unfreien Bauernschaft und der korporativ gebundenen Kleinwarenproduktion des städtischen Handwerks) lebt, ohne sie umzugestalten, bleiben seine Züge ambivalent: dieser Kapitalismus stabilisiert einerseits die ständischen Herrschaftsverhältnisse und setzt andererseits diejenigen Elemente frei, in denen jene einst sich auflösen werden. Wir meinen die Elemente des neuen Verkehrszusammenhangs: den Waren- und Nachrichtenverkehr, den der frühkapitalistische Fernhandel schafft. Natürlich verfügen die Städte seit ihren Anfängen über lokale Märkte. Diese bleiben indessen in der Hand der Gilden und Zünfte streng reglementiert, ein Instrument eher der Herrschaft über die nähere Umgebung als des freien Warenverkehrs zwischen Stadt und Land. Mit dem Fernhandel, für den - nach Pirennes Beobachtungen - die Stadt nur mehr Operationsbasis war, entstehen Märkte anderer Art. Sie konsolidieren sich zu periodischen Messen und etablieren sich bald, mit der Entwicklung finanzkapitalistischer Techniken (Messebrief und Wechsel sind ja auf den Messen der Cham27
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27 W. Sombart, D e r moderne Kapitalismus , I I , I, München und Leipzig 1 9 1 9 , 3
S.2 ff. 3
28 M . D o b b , Studies in the Development of Capitalism, L o n d o n 1954, S. 160f.: »At any rate, it is clear that a mature development of merchant and financial capital is not of itself a guarantee, that capitalist production will develop under its wing.« 29 M . D o b b , a. a . O . , S. 83 ff. 70
pagne schon im 1 3 . Jahrhundert gebräuchlich), als Börsen: 1 5 3 1 wird Antwerpen zur »ständigen Messe«. Dieser Tauschverkehr entwickelt sich nach Regeln, die gewiß auch durch politische Gewalt manipuliert sind; jedoch entfaltet sich ein weitgespanntes horizontales Netz ökonomischer Abhängigkeiten, die sich im Prinzip nicht mehr den, auf Formen der geschlossenen Hauswirtschaft basierenden, vertikalen Abhängigkeitsverhältnissen des herrschaftsständischen Systems einordnen lassen. Freilich bleibt die politische Ordnung von den neuen Prozessen, die sich als solche dem bestehenden Rahmen entziehen, unangefochten, solange die alte Herrenschicht nur als Konsument daran partizipiert; wenn sie einen wachsenden Teil der Eigenerzeugnisse für die, durch den Fernhandel zugänglich gewordenen, Luxus guter abzweigt, gerät deshalb die alte Produktion, und damit die Basis ihrer Herrschaft, noch nicht in Abhängigkeit vom neuen Kapital. Ahnlich verhält es sich mit dem Nachrichtenverkehr, der sich in den Bahnen des Warenverkehrs entfaltet. Die am Markt orientierte kaufmännische Kalkulation bedurfte, mit der Ausdehnung des Handels, häufiger und genauer der Information über räumlich entfernte Vorgänge. Seit dem 1 4 . Jahrhundert wird deshalb der alte kaufmännische Briefverkehr zu einer Art berufsständischen Korrespondenzsystems ausgebaut. Die ersten, an bestimmten Tagen abgehenden Botenkurse, die sogenannten Ordinariposten, organisierten die Kaufmannschaften für ihre Zwecke. Die großen Handelsstädte sind zugleich Zentren des Nachrichtenverkehrs/ Auch dessen Permanenz wird in dem Maße, in dem der Verkehr der Waren und der Wertpapiere permanent wird, dringlich. Etwa gleichzeitig mit der Entstehung von Börsen institutionalisieren Post und Presse Dauerkontakte und Dauerkommunikation. Allerdings genügt den Kaufleuten ein berufsständisch sekretiertes, den städtischen und höfischen Kanzleien ein verwaltungsinternes Informationssystem. An Publizität der Information ist beiden nicht gelegen. Ihren Interessen entsprechen vielmehr die »geschriebenen Zeitungen«, die von Nachrichtenhändlern gewerbsmäßig organi30
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30 H . See, Die Ursprünge des modernen Kapitalismus, Wien 1948. 31 In Deutschland vor allem Straßburg, Nürnberg, Augsburg, Frankfurt, K ö l n , Hamburg, Lübeck und Leipzig. 71
sierten Privatkorrespondenzen. Der neue Kommunikationsbereich fügt sich, mit seinen Institutionen des Nachrichtenverkehrs, den bestehenden Formen der Kommunikation ohne weiteres ein, solange das entscheidende Moment, Publizität, fehlt. Wie, nach einer Bestimmung Sombarts, erst von »Post« die Rede sein kann, wenn die regelmäßige Gelegenheit zum Brieftransport dem Publikum allgemein zugänglich wird, so gibt es auch eine Presse im strengen Sinne erst, seitdem die regelmäßige Berichterstattung öffentlich, wiederum: dem Publikum allgemein zugänglich wird. Das aber geschieht erst Ende des 1 7 . Jahrhunderts. Bis dahin ist der alte Kommunikationsbereich der repräsentativen Öffentlichkeit durch den neuen einer publizistisch bestimmten Öffentlichkeit nicht grundsätzlich bedroht. Die gewerbsmäßig vertriebenen Nachrichten werden noch nicht publiziert; die unregelmäßig publizierten Neuigkeiten sind noch nicht zu Nachrichten versachlicht. 32
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32 Das geschieht schon sehr früh in Venedig durch die Avisenschreiber, die scittori d'avisi; in R o m heißen sie gazettani, in Paris nouvellistes, in L o n d o n writers of letters, in Deutschland schließlich Zeitunger oder Novellisten. Sie werden im Laufe des 16. Jahrhunderts zu Lieferanten förmlicher Wochenberichte, eben der geschriebenen Zeitungen, für die in Deutschland die sogenannten Fuggerzeitungen charakteristisch sind. (Diese etwa 40000 Relationen aus den Jahren zwischen 1565 und 1605 stammen freilich nicht nur aus solchen Nachrichtenbüros, sondern auch von Angestellten und Geschäftsfreunden des Hauses Fugger.) 33 W Sombart, a. a. O . , B d . I I , S. 369. 34 Lange hat die Relation des Straßburger Druckers und Händlers Johann Carolus als die älteste Zeitung gegolten; vgl. jedoch die Untersuchung von Helmut F i scher, Die ältesten Zeitungen und ihre Verleger, Augsburg 1936. 3 5 Z u r traditionellen F o r m der Herrschaft gehörte auch die Kompetenz der Darstellung und Ausdeutung jeweils dessen, was als »die alte Wahrheit« gilt. Mitteilungen über tatsächliches Geschehen bleiben auf dieses Traditionswissen bezogen. Neues erscheint unter dem Aspekt der mehr oder minder wunderbaren Begebenheit. »Neue Tatsachen« verwandeln sich im H o f der »alten Wahrheit«, wenn sie nur eine bestimmte Schwelle des Gewöhnlichen überschreiten, zum »Ausgezeichneten« - zu Zeichen und Wundern. Fakten verkehren sich zu Chiffren. Neues und Neuerfahrenes gewinnen, w o sie bloß Stellvertreter des durch U b e r lieferung verbürgten Wissens sein dürfen, Rätselstruktur. Dabei werden geschichtliche Ereignisse von natürlichen nicht geschieden; Naturkatastrophen und historische Daten eignen sich zur wunderlichen Geschichte gleichermaßen. N o c h die Flugblätter des 1 5 . und jene von Fall zu Fall erscheinenden Einblattdrucke des 16. Jahrhunderts, die sich »Neue Zeitungen« nannten, bezeugen die Kraft, mit 72
Die Elemente des frühkapitalistischen Verkehrszusammenhangs, der Waren- und der Nachrichtenverkehr, erweisen ihre revolutionäre Kraft erst in der Phase des Merkantilismus, in der sich die National- und Territorialwirtschaften zugleich mit dem modernen Staat herausbilden. Als 1597 die deutsche Hanse endgültig aus London ausgewiesen wird und wenige Jahre später die Kompagnie der Merchant Adventurers in Hamburg sich festsetzt, bezeichnet das nicht nur den kommerziellen und politischen Aufstieg Englands, sondern überhaupt eine neue Stufe, die der Kapitalismus inzwischen erreicht hat. Seit dem 1 6 . Jahrhundert organisieren sich auf erweiterter Kapitalbasis die Handelskompagnien, die sich nicht mehr wie die alten Staplers mit immer noch beschränkten Märkten begnügen. Sie erschließen in Expeditionen großen Stils neue Gebiete für den eigenen Markt. Um dem steigenden Kapitalbedarf zu genügen und die wachsenden Risiken zu verteilen, geben sich diese Kompagnien bald die Gestalt von Aktiengesellschaften. Darüber 36
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der sich ein ungebrochenes Traditionswissen Mitteilungen zu assimilieren weiß, deren anschwellender Strom allerdings schon auf eine neue Gestalt der Öffentlichkeit hinweist. Solche Blätter verbreiteten unterschiedslos die Kunde von Religionskämpfen, Türkenkriegen und Papstentscheidungen ebenso wie von Blutund Feuerregen, Mißgeburten, Heuschreckenplagen, Erdbeben, Ungewittern und Himmelserscheinungen; von Bullen, Wahlkapitulationen, Entdeckungen neuer Erdteile ebenso wie von Judentaufen, Hexenverbrennungen, Teufelsstrafen, Gottesurteilen und Totenauferstehung. Häufig waren die N e u e n Zeitungen, wie vorher die Flugblätter, in Lied- oder Gesprächsform gehalten, also zur E r zählung, zu Vortrag und Vorsingen oder zum gemeinsamen Absingen bestimmt. Damit wird die Neuigkeit der historischen Sphäre der »Nachricht« enthoben und, als Zeichen und Wunder, in jene Sphäre der Repräsentation zurückgenommen, in der eine ritualisierte und zeremonialisierte Teilnahme des Volkes an der Öffentlichkeit bloße, einer selbständigen Interpretation unfähige Zustimmung gestattet. Als »Neue Zeitungen« werden bezeichnenderweise auch Lieder abgedruckt, etwa die sogenannten historischen Volkslieder, die politische Tagesereignisse sogleich in die Sphäre des Heldenepos entrückten. Vgl. E . Everth, Die Öffentlichkeit in der Außenpolitik, Jena 1 9 3 1 , S. 1 1 4 . Im Allgemeinen: Karl B ü cher, Die Grundlagen des Zeitungswesens, in: Ges. Aufsätze zur Zeitungskunde, Tübingen 1926, S. 9 ff. Der Inhalt mancher fliegender Zeitungen hat sich bis heute in F o r m von Kinderreimen erhalten. 36 G . Schmoller, Umrisse und Untersuchungen, Leipzig 1898, S. 37. 37 In der Gründungscharta von 1 5 5 3 nennen sich die »Adventurers« eine C o r p o r a tion und Compagnie der Merchant Adventurers zur Entdeckung unbekannter Gebiete, Landstriche, Inseln und Plätze. Vgl. See, a. a. O . , S. 67f. 73
hinaus bedürfen sie aber starker politischer Garantien. Die Außenhandelsmärkte gelten jetzt mit Recht als »Institutionelle Produkte«; sie resultieren aus politischen Anstrengungen und militärischer Gewalt. Die alte Operationsbasis der städtischen Heimatgemeinden erweitert sich so zur neuen des staatlichen Territoriums. Es beginnt jener Prozeß, den Heckscher als die Nationalisierung der Stadtwirtschaft beschrieben hat. Freilich konstituiert sich darin selbst erst, was seitdem »Nation« genannt wird - der moderne Staat mit seinen bürokratischen Einrichtungen und einem wachsenden finanziellen Bedarf, der seinerseits beschleunigend auf die merkantilistische Politik zurückwirkt. Weder private Darlehensverträge zwischen Fürst und Finanzier noch öffentliche Anleihen reichen zu seiner Deckung aus; erst ein wirksames Steuersystem hilft dem Kapitalbedarf ab. Der moderne Staat ist wesentlich Steuerstaat, die Finanzverwaltung das Kernstück seiner Verwaltung überhaupt. Die damit fällige Absonderung des fürstlichen Hausgutes vom Staatsgut ist exemplarisch für die Versachlichung der persönlichen Herrschaftsbeziehungen. Die Lokalverwaltungen werden in England durch das Institut des Friedensrichters, auf dem Kontinent, nach französischem Vorbild, mit Hilfe der Intendantur unter Kontrolle der Obrigkeit gebracht. Die Reduktion der repräsentativen Öffentlichkeit, die mit der Mediatisierung der ständischen Autoritäten durch die des Landesherrn einhergeht, gibt einer anderen Sphäre Raum, die mit dem Namen der Öffentlichkeit im modernen Sinne verknüpft ist: der Sphäre der öffentlichen Gewalt. Diese objektiviert sich in einer ständigen Verwaltung und dem stehenden Heer; der Permanenz der Kontakte im Waren- und Nachrichtenverkehr (Börse, Presse) entspricht nun eine kontinuierliche Staatstätigkeit. Die öffentliche Gewalt konsolidiert sich zu einem greifbaren Gegenüber für diejenigen, die ihr bloß unterworfen sind und an ihr zunächst nur negativ ihre Bestimmung finden. Denn das sind die Privatleute, die, weil sie kein Amt 38
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38 Vgl. E . F. Heckscher, Merkantilismus, Jena 1 9 3 2 , B d . I, S. 108ff. 39 Im Geltungsbereich des rezipierten römischen Rechts wird die Fiktion des Fiskus zum juristischen Ausdruck eines gegenüber der Person des Fürsten verselbständigten staatlichen Haushaltes, die den Untertanen zugleich den Vorteil bietet, gegenüber dem Staat privatrechtliche Ansprüche anmelden zu können. 74
innehaben, von der Teilnahme an der öffentlichen Gewalt ausgeschlossen sind. »Öffentlich« in diesem engeren Sinne wird s y n onym mit staatlich; das Attribut bezieht sich nicht mehr auf den repräsentativen »Hof« einer mit Autorität ausgestatteten Person, vielmehr auf den nach Kompetenzen geregelten Betrieb eines mit dem Monopol legitimer Gewaltanwendung ausgestatteten Apparats. Grundherrschaft verwandelt sich in »Polizei«; die ihr subsumierten Privatleute bilden, als die Adressaten der öffentlichen Gewalt, Publikum. Die merkantilistische, formell an der aktiven Handelsbilanz orientierte Politik verleiht dem Verhältnis von Obrigkeit und Untertan eine spezifische Gestalt. Die Erschließung und Erweiterung der Außenhandelsmärkte, auf denen sich die privilegierten Kompagnien unter politischem Druck eine Monopolstellung erobern, mit einem Wort: der neue Kolonialismus, tritt bekanntlich nach und nach in den Dienst der Entwicklung gewerblicher Wirtschaft im Innern; im gleichen Maße setzen sich die Interessen des Manufakturkapitals gegenüber denen des Handelskapitals durch. Auf diesem Wege revolutioniert das eine Element des frühkapitalistischen Verkehrszusammenhangs, der Warenverkehr, nun auch die Produktionsstruktur : der Austausch des eingeführten Rohmaterials gegen die eigenen Fertig- und Halbfertigfabrikate muß als Funktion eines Prozesses begriffen werden, in dem sich die alte Produktionsweise zur kapitalistischen umwandelt. Dobb macht darauf aufmerksam, wie sich diese Wendung in der merkantilistischen Literatur des späten 1 7 . Jahrhunderts abzeichnet. Der Außenhandel gilt nicht mehr per se als Quelle des Reichtums, sondern nur noch insoweit, als er die Beschäftigung der einheimischen Bevölkerung ermöglicht - employment created by trade. Die Maßnahmen der Verwaltung bestimmen sich zunehmend an diesem Ziel der Durchsetzung der kapitalistischen Produktionsweise. An Stelle der berufsständischen Korporationsprivilegien treten die fürstlichen Personalprivilegien, die bestehende Gewerbe in kapitalistische Produktion überführen oder neue Manufakturen schaffen sollen. D a 40
40 D o b b , a . a . O . , S. 2 1 8 : »Greater export meant greater opportunity for the employment of labour in home manufacture; and increased employment of labour represented a widened scope for investment of capital in industry.« 75
mit verbindet sich, bis ins einzelne, die Reglementierung des Produktionsprozesses selbst. Als Pendant zur Obrigkeit konstituiert sich die bürgerliche Gesellschaft. Die Tätigkeiten und Abhängigkeiten, die bisher in den Rahmen der Hauswirtschaft gebannt waren, treten über die Schwelle des Haushalts ins Licht der Öffentlichkeit. Schumpeters Feststellung, »daß die alten, die ganze Persönlichkeit in überpersönliche Zwecksysteme einspannenden Formen erstorben waren und die Individ u alwi rts c h aft jeder Familie zum Mittelpunkt ihres Daseins geworden, damit eine private Sphäre begründet war, der nun die öffentliche als ein unterscheidbares Etwas gegenübertrat«, trifft bloß eine Seite des Vorgangs - die Privatisierung des Reproduktionsprozesses, nicht auch schon dessen neue »öffentliche« Relevanz. Die privatisierte wirtschaftliche Tätigkeit muß sich an einem unter öffentlicher Anleitung und Aufsicht erweiterten Warenverkehr orientieren; die ökonomischen Bedingungen, unter denen sie sich nun vollzieht, liegen außerhalb der Schranken des eigenen Haushalts; sie sind zum ersten Male von allgemeinem Interesse. Diese öffentlich relevant gewordene Privatsphäre der Gesellschaft meint Hannah Arendt, wenn sie das moderne Verhältnis der Öffentlichkeit zur Privatsphäre, im Unterschied zum antiken, durch die Entstehung des »Sozialen« charakterisiert. »Die Gesellschaft ist die Form des Zusammenlebens, in der die Abhängigkeit des Menschen von seinesgleichen um des Lebens selbst willen und nichts sonst zu öffentlicher Bedeutung gelangt, und wo infolgedessen die Tätigkeiten, die lediglich der Erhaltung des Lebens dienen, in der Öffentlichkeit nicht nur erscheinen, sondern die Physiognomie des öffentlichen Raums bestimmen dürfen.« 41
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41 Das zeigen klassisch Colberts Reglements für die industriellen Techniken der Textilmanufaktur. A b e r auch in England bestehen bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts Reglements, die sich auf das Rohmaterial, die A r t seiner Verarbeitung und die Beschaffenheit der Fertigwaren beziehen. Vgl. Heckscher, a. a. O . , B d . I, S. 1 1 8 ff. und S. 201 ff. 42 J . Schumpeter, Die Krise des Steuerstaates, Leipzig 1 9 1 8 , S. 16. 43 H . Arendt, a . a . O . , S. 43, zitiert nach der deutschen Übersetzung: Vita Activa Stuttgart i960, S. 47 »Zivilsozietät«, civil society, societe civile verraten freilich noch im Sprachgebrauch des 18. Jahrhunderts oft die ältere Tradition der »Politik«, die »die bürgerliche Gesellschaft« noch nicht vom »Staat« unterscheidet.
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In der Wandlung der aus der Antike überlieferten Ökonomie zur Politischen Ökonomie spiegeln sich die veränderten Verhältnisse, ja, der Begriff des Ökonomischen selbst, der bis ins 17. J a h r h u n d e r t an den Aufgabenkreis des Oikodespoten, des pater familias, des Hauswirts gebunden war, gewinnt jetzt erst an der Praxis des nach Grundsätzen der Rentabilität kalkulierenden Geschäftsbetriebs seine moderne Bedeutung: die Hausherrenpflichten verengen und verschärfen sich im Haushälterischen zur Sparsamkeit. Die moderne Ökonomie orientiert sich nicht mehr am Oikos, an die Stelle des Hauses ist der Markt getreten; sie wird zur »Kommerzi enwi rtschaft«. In der Kameralistik des 1 8 . Jahrhunderts (die ihren Namen ja von camera, der landesherrlichen Schatzkammer, herleitet) rangiert dieser Vorläufer der Politischen Ökonomie neben der Finanzwissenschaft auf der einen und der, aus der traditionellen Ökonomie sich herauslösenden Lehre von der Agrartechnik auf der anderen Seite, bezeichnenderweise als ein Teil der »Polizei«, der eigentlichen Verwaltungslehre; so eng ist die Privatsphäre der bürgerlichen Gesellschaft den Organen der öffentlichen Gewalt zugeordnet. Innerhalb dieser, während der merkantilistischen Phase des Kapitalismus umgestalteten politischen und sozialen Ordnung (deren neue Gestalt zum guten Teil schon darin zum Ausdruck kommt, daß in ihr die Momente des Politischen und Sozialen überhaupt auseinandertreten) entfaltet nun auch das zweite Element des frühkapitalistischen Verkehrszusammenhangs eine eigentümliche Sprengkraft - die Presse. Die ersten Zeitungen im strengen Sinne, ironischerweise auch »politische Zeitungen« geheißen, erscheinen zuerst wöchentlich, um die Mitte des 1 7 . Jahrhunderts schon täglich. Die Privatkorrespondenzen enthielten damals eingehende und weltläufige Nachrichten von Reichstagen und Kriegsereignissen, 44
Vgl. dazu M . Riedel, Aristotelestradition am Ausgang des 18. Jahrhunderts, in: Festschrift F. O . .Brunner, Göttingen 1962, S. 276ft. ders. Hegels Bürgerliche Gesellschaft und das Problem ihres Ursprungs, in: A R S Bei 48 1962, S. 539ff. Sehr viel früher gewinnt die neue Sphäre des Sozialen ihren angemessenen unpolitischen Begriff im modernen N a t u r recht; vgl. meine Abhandlung: Die klassische Lehre von der Politik in ihrem Verhältnis zur Sozialphilosophie, in: Theorie und Praxis, a. a. O . , S. 13 ff. 44 O . Brunner, Adeliges Landleben, a. a. O . , S. 242 ff. 77
von Ernteerträgen, Steuern, Edelmetalltransporten, vor allem natürlich Nachrichten aus dem internationalen Handelsverkehr. Aber nur ein Rinnsal dieses Nachrichtenstroms dringt durch das Filter dieser »geschriebenen« Zeitungen bis in jene gedruckten Zeitungen. Die Bezieher der Privatkorrespondenzen hatten kein Interesse daran, daß deren Inhalt publik wurde. Deshalb sind die politischen Zeitungen nicht für die Kaufleute da, sondern umgekehrt die Kaufleute für die Zeitungen. Custodes novellarum hießen sie bei ihren Zeitgenossen eben wegen dieser Abhängigkeit der öffentlichen Berichterstattung von ihrem privaten Nachrichtenverkehr. Das Sieb der inoffiziellen Nachrichtenkontrolle der Kaufherren und der offiziellen Nachrichtenzensur der Verwaltungen passieren im wesentlichen Auslandsnachrichten, Hofnachrichten und die belangloseren Handelsnachrichten; aus dem Repertoire der Einblattdrucke erhalten sich die traditionellen »Neuigkeiten« - die Wunderkuren und Wolkenbrüche, die Morde, Seuchen und Verbrennungen. So gehören die zur Veröffentlichung gelangenden Informationen zu den Restkategorien des an sich verfügbaren Nachrichtenmaterials; gleichwohl bedarf es der Erklärung, warum sie jetzt überhaupt verbreitet und allgemein zugänglich, eben öffentlich gemacht werden. - Es ist fraglich, ob das Interesse der Avisenschreiber dazu ausgereicht hätte; immerhin hatten sie ein Interesse an der Publikation. Der Nachrichtenverkehr entwickelt sich ja nicht nur im Zusammenhang mit Bedürfnissen des Warenverkehrs, die Nachrichten selber werden zu Waren. Die gewerbsmäßige Berichterstattung unterliegt deshalb denselben Gesetzen des Marktes, deren Entstehung sie ihr eigenes Dasein überhaupt verdankt. Nicht zufällig entwickeln sich die gedruckten Zeitungen häufig aus denselben Korrespondenzbüros, die schon die geschriebenen Zeitun45
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45 Vgl. K. Kempters, Die wirtschaftliche Berichterstattung in den sog. Fuggerzeitungen, München 1936. 46 Hermann B o d e , Anfänge der wirtschaftlichen Berichterstattung, Heidelberg 1908, S. 25: »Die Zeitung war ein Nachrichtenorgan zweiter Ordnung, während der Brief im 17. Jahrhundert noch ganz allgemein als die zuverlässigere und schnellere Nachrichtenquelle galt.« Vgl. auch Heinrich Goitsch, Entwicklung und Strukturwandlung des Wirtschaftsteils der deutschen Tageszeitung, Diss. Frankfurt 1939. 47 O . G r o t h , Die Zeitung, B d . I, Berlin - Leipzig 1928, S. 580. 78
gen besorgten. Jede briefliche Information hat ihren Preis; es Hegt darum nahe, den Gewinn durch Erweiterung des Absatzes z u steigern. Ein Teil des vorliegenden Nachrichtenmaterials wird schon aus diesem Grunde periodisch gedruckt und anonym verkauft - erhält somit Publizität. Stärkeres Gewicht hatte indessen das Interesse der neuen Obrigkeiten, die sich bald die Presse zu Zwecken der Verwaltung nutzbar machten. Indem sie sich dieses Instruments bedienen, um Befehle und Verordnungen bekanntzugeben, werden die Adressaten der öffentlichen Gewalt recht eigentlich erst zum »Publikum«. Von Anbeginn hatten die politischen Zeitungen über Reisen und Rückkehr der Fürsten, über die Ankunft auswärtiger Standespersonen, über Feste, »Solennitäten« des Hofes, Ernennungen usw. berichtet; auch erschienen im Zusammenhang dieser Hofnachrichten, die als eine Art Umsetzung der Repräsentation in die neue Gestalt der Öffentlichkeit begriffen werden können, »Verordnungen des Landesherrn zum Besten der Untertanen«. Jedoch wurde die Presse alsbald Verwaltungsinteressen systematisch dienstbar. Noch eine Presseverordnung der Wiener Regierung vom März 1769 bezeugt den Stil dieser Praxis: »Damit der Zeitungsschreiber wissen möge, was für inländische Anordnungen, Anstalten und andere vorkommende Sachen für das Publikum geeignet sind, sollen solche von den Behörden wöchentlich zusammengefaßt und an den Zeitungsverfasser abgegeben werden.« Schon Richelieu besaß, wie wir aus den Briefen des Hugo Grotius, damals schwedischen Gesandten in Paris, wissen, einen wachen Sinn für die Nützlichkeit des neuen Instruments. Er protegiert die 1 6 3 1 von Renaudot gegründete Staatszeitung. Sie ist das Vorbild für die unter Karl II. seit 1 6 6 5 erscheinende »Gazette of London«. Zwei Jahre früher war dort der offiziell autorisierte »Intelligencer« erschienen, der an einen, sporadisch bereits 1 6 4 3 erscheinenden »Daily Intelligencer of Court, City and Country« anknüpfen kann. Allerorten werden diese zuerst in Frankreich als Hilfsmittel der Adreß- oder Intelligenzcomptoirs entstandenen Inseratenblät48
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48 Zitiert nach G r o t h , a. a. O . , I, S. 585. 49 E . Everth, a. a. O . , S. 202. 50 Stanley Morrison, The English Newspaper, Cambridge 1 9 3 2 . 79
ter zu den bevorzugten Instrumenten der Regierung, Vielfach werden die Intelligenzcomptoirs von der Regierung übernommen und die Intelligenzzeitungen in Amtsblätter verwandelt. Mit dieser Einrichtung sollte, laut einer preußischen Kabinettsordre aus dem Jahre 1 7 2 7 , »dem Publico genützet« und die »Verkehrung facilitiret« werden. Neben den Verordnungen und Ausschreibungen »in Polizey, Commerden und Manufaktur« erscheinen die Notierungen der Fruchtmärkte, die Taxen auf Lebensmittel, überhaupt die wichtigsten Preise einheimischer wie eingeführter Produkte; außerdem Börsenkurse und Verkehrsnachrichten, Wasserstandsberichte usw. Insofern konnte die kurpfälzisch-bayrische Regierung »dem commercierenden Publikum« ein Intelligenzblatt ankündigen »zum Dienste der Handlung und des gemeinen Mannes, damit er sich sowohl in den von Zeit zu Zeit ergehenden landesherrlichen Verordnungen als der Preise verschiedener Waren halber ersehen und seine Waren desto höher anbringen könne«. Die Obrigkeit adressiert ihre Bekanntmachungen an »das« Publikum, im Prinzip also an alle Untertanen; aber für gewöhnlich erreicht sie auf diesem Wege nicht den »gemeinen Mann«, sondern allenfalls die »gebildeten Stände«. Zusammen mit dem Apparat des modernen Staates ist eine neue Schicht der »Bürgerlichen« entstanden, die eine zentrale Stellung im »Publikum« einnehmen. Ihr Kern sind die Beamten der landesherrlichen Verwaltung, vornehmlich Juristen (jedenfalls auf dem Kontinent, wo die Technik des rezipierten römischen Rechts als Instrument der Rationalisierung des gesellschaftlichen Verkehrs gehandhabt wird). Hinzu kommen Arzte, Pfarrer, Offiziere und Professoren, die »Gelehrten«, deren Stufenleiter sich über Schulmeister und Schreiber zum »Volk« hin verlängert. 51
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51 ¥ . Sombart, a . a . O . , B d . I I , S. 406ff.; auch K. Bücher, Ges. Aufsätze zur Zeitungskunde, a. a. O . , S. 87. Wie in den ersten Intelligenzzetteln, so beziehen sich die Inserate auch noch in den Intelligenzblättern des 18. Jahrhunderts auf Waren und Termine außerhalb des üblichen Geschäftsverkehrs, auf Gelegenheitskäufe, Bücher und Heilmittel, Reisebegleitung, Dienstboten usw. Geschäftsanzeigen, Reklame im eigentlichen Sinne, sind kaum verbreitet: der lokale Güter- und A r beitsmarkt regelt sich noch face to face. 52 G r o t h , a. a. O . , I, S. 598. 53 R. Stadelmann und W. Fischer, Die Bildungswelt des deutschen Handwerks, 80
Inzwischen sind nämlich die eigentlichen »Bürger«, die alten Berufsstände der Handwerker und Krämer, sozial abgestiegen; sie haben mit den Städten selbst, auf deren Bürgerrecht ihre Stellung beruhte, an Bedeutung verloren. Gleichzeitig sind die großen Handelskaufleute aus dem engeren Rahmen der Stadt herausgewachsen und haben sich über die Kompagnien unmittelbar mit dem Staat verbunden. So gehören auch die »Kapitalisten«, Händler, Bankiers, Verleger und Manufakturisten, wo sich nicht, wie in Hamburg, die Stadt gegenüber der fürstlichen Territorialgewalt behaupten konnte, zu jener Gruppe der »Bürgerlichen«, die ebensowenig Im traditionellen Sinne »Bürger« sind wie der neue Stand der Gelehrten. Diese Schicht der »Bürgerlichen« ist der eigentliche Träger des Publikums, das von Anbeginn ein Lesepublikum ist. Sie kann nicht mehr, wie seinerzeit die städtischen Großkaufleute und Beamten der Adelskultur der italienischen Renaissancehöfe, als ganze der Adelskultur des ausgehenden Barocks integriert werden. Ihre beherrschende Stellung in der neuen Sphäre der bürgerlichen Gesellschaft führt vielmehr zu einer Spannung zwischen »Stadt« und »Hof«, deren national typische Erscheinungsformen uns noch beschäftigen werden. Die Obrigkeit löst in dieser, von der merkantilistischen Politik in 54
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Berlin 1 9 5 5 , 8 . 40. Vgl. auch Br. K u s k e , D e r Einfluß des Staates auf die geschichtliche Entwicklung der sozialen Gruppen in Deutschland, in: Köln. Zeitschr. f. Soz. B d . 2, 1949, S. 193 ff. 54 Diesen Unterschied betont, eben im Vergleich der sozialen Entwicklung H a m burgs mit der im übrigen Reich, Percy Ernst Schramm, Hamburg, Deutschland und die Welt, München 1943, S. 37: »Was den echten Bürger ausmachte, gerade das ging ihnen (den >Bürgerlichen<) ab, nämlich die durch den Bürgereid bekräftigte Zugehörigkeit zu einer städtischen G e m e i n s c h a f t . . . Diese andern, die keine >Bürger<, sondern >Bürgerliche< waren, dienten ihrem Herrn, ihrer Kirche, ihrem Unternehmer oder waren >frei< als Angehörige eines freien Berufes; aber unter sich hatten sie nichts weiter gemein, als daß sie bürgerlichen Standes^ waren - was nicht viel mehr besagte, als daß diese Bezeichnung sie gegenüber Adel, Bauerntum und den unteren Schichten der Stadt abgrenzte. Denn nicht einmal einen Wohnsitz in der Stadt verlangte dieser Ausdruck; auch der Pastor in seiner Landgemeinde, der Ingenieur in seinem Bergwerksrevier, der Amtmann im Fürstenschloß waren bürgerlichen Standest Auch sie rechnete man im weiteren Sinne zum gebildeten Bürgertum, zur Bourgeoisie, die vom Volk, vom peuple, sich streng unterschied.« 55 Vgl. unten § 4 , S. 44ff. 81
erster Linie betroffenen und beanspruchten Schicht eine Resonanz aus, die das publicum, das abstrakte Gegenüber der öffentlichen Gewalt, sich als eines Gegenspielers, als des Publikums der nun entstehenden bürgerlichen Öffentlichkeit bewußt werden läßt. Eine solche entwickelt sich nämlich in dem Maße, in dem das öffentliche Interesse an der privaten Sphäre der bürgerlichen Gesellschaft nicht mehr nur von der Obrigkeit wahrgenommen, sondern von den Untertanen als ihr eigenes in Betracht gezogen wird. Neben den Trägern des Handels- und Finanzkapitalismus wird ja die wachsende Gruppe der Verleger, Manufakturisten und Fabrikanten von Verwaltungsmaßnahmen abhängig; wobei durchaus die Absicht besteht, daß sie in ihrer gewerblich-unternehmerischen Tätigkeit nicht nur reglementiert, sondern durch Reglement zur Initiative angespornt werden sollen. Der Merkantilismus begünstigt keineswegs, wie es ein verbreitetes Vorurteil will, den Staatsbetrieb; vielmehr fördert die Gewerbepolitik, freilich auf bürokratischem Wege, den Auf- und Abbau kapitalistisch arbeitender Privatbetriebe. Das Verhältnis von Obrigkeit und Untertanen gerät dadurch in die eigentümliche Ambivalenz von öffentlichem Reglement und privater Initiative. So wird jene Zone problematisiert, in der die öffentliche Gewalt auf dem Wege kontinuierlicher Verwaltungsakte mit den Privatleuten Verbindung hält. Das gilt nicht einmal nur für die Kategorie der an der kapitalistischen Produktion unmittelbar Beteiligten. In dem Maße, in dem diese sich durchsetzt, schrumpft die Eigenversorgung und wächst die Abhängigkeit der lokalen Märkte von den territorialen und nationalen, so daß breite Schichten der Bevölkerung, vor allem der städtischen, als Konsumenten von den Maßnahmen der merkantilistischen Politik in ihrer täglichen Existenz betroffen sind. Nicht um die berühmten Kleiderordnungen, sondern um Preistaxen und Steuern, überhaupt um die öffentlichen Eingriffe in den privatisierten Haushalt bildet sich schließlich eine kritische Sphäre: bei Getreideknappheit wird auf dem Verordnungswege der Brotverzehr für freitagabends unter56
56 Heckscher, a . a . O . , B d . I, S. 258; dazu auch: W. Treue, Das Verhältnis von Fürst, Staat, Unternehmer in der Zeit des Merkantilismus, in: Viertel] ahresheftef. Sozial- und Wirtschgesch., B d . 44, 1957, S. 26ff. 82
sagt. Weil die dem Staat gegenübergetretene Gesellschaft einerseits von öffentlicher Gewalt einen privaten Bereich deutlich abgrenzt, andererseits aber die Reproduktion des Lebens über die Schranken privater Hausgewait hinaus zu einer Angelegenheit öffentlichen Interesses erhebt, wird jene Zone des kontinuierlichen Verwaltungskontraktes zu einer »kritischen« auch in dem Sinne, daß sie die Kritik eines räsonierenden Publikums herausfordert. Das Publikum kann diese Herausforderung um so eher annehmen, als es das Instrument, mit dessen Hilfe die Verwaltung die Gesellschaft zu einer im spezifischen Sinne öffentlichen Angelegenheit schon gemacht hatte, nur umzufunktionieren braucht - die Presse. Schon seit dem letzten Drittel des 1 7 . Jahrhunderts werden die Zeitungen durch Zeitschriften ergänzt, die nicht in erster Linie Informationen, sondern auch pädagogische Instruktionen, sogar Kritiken und Rezensionen enthalten. Zunächst wenden sich wissenschaftliche Zeitschriften an den Kreis der gebildeten Laien: das Journal des Savants ( 1 6 6 5 ) des Denys de Sallo, dann die Acta Eruditorum ( 1 6 8 2 ) von Otto Mencken und schließlich die berühmten Monatsgespräche ( 1 6 8 8 ) von Thomasius, die das Muster für eine ganze Gattung von Zeitschriften prägen. Im Laufe der ersten Hälfte des 1 8 . Jahrhunderts hält mit dem sogenannten gelehrten Artikel das Räsonnement Einzug auch in die Tagespresse. Als auch das Hallenser Intelligenzblatt seit 1 7 2 9 außer den Intelligenzsachen gelehrte Artikel, Buchrezensionen, ab und zu »eine von einem Professore entworffene, auf den Zeitlauff gerichtete historische Relation« erscheinen läßt, sieht sich der preußische König bewogen, diese Entwicklung selbst in die Hand zu nehmen. Noch das Räsonnement als solches wird dem Reglement unterworfen. Alle ordentlichen Professoren der juristischen, medizinischen und philosophischen Fakultäten sollen nämlich abwechselnd »eine besondere, in reiner und deutlicher Schreibart verfaßte Anmerkung bei dem Anzeig directorio zeitig und längstens Donnerstages einsenden«. Überhaupt sollen die Gelehrten »dem Publiko verwendungsfähige Wahrheiten« mitteilen. Die Bürgerlichen machen sich hier noch im 57
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57 Sombart, a . a . O . I, I, S. 365. 58 Zitiert nach G r o t h , a. a. O . , I, S. 623. 83
Auftrag des Landesherren die Gedanken, die alsbald ihre eigenen sind und gegen jenen sich richten. In einem Rescript Friedrichs IL aus dem Jahre 1 7 8 4 heißt es: »Eine Privatperson ist nicht berechtigt, über Handlungen, das Verfahren, die Gesetze, Maßregeln und Anordnungen der Souveräne und Höfe, ihrer Staatsbedienten, Kollegien und Gerichtshöfe öffentliche, sogar tadelnde Urteile zu fällen oder davon Nachrichten, die ihr zukommen, bekanntzumachen oder durch den Druck zu verbreiten. Eine Privatperson ist auch zu deren Beurteilung gar nicht fähig, da es ihr an der vollständigen Kenntnis der Umstände und Motive fehlt.« Wenige Jahre vor der Französischen Revolution zeigen sich in Preußen die Verhältnisse wie zu einem Modell verfestigt, die in Frankreich, vor allem aber in England schon zu Beginn des Jahrhunderts in Fluß geraten sind. Die inhibierten Urteile heißen »öffentlich« mit dem Blick auf eine Öffentlichkeit, die fraglos als eine Sphäre der öffentlichen Gewalt gegolten hatte, nun aber von dieser sich als das Forum ablöste, auf dem die zum Publikum versammelten Privatleute sich anschickten, die öffentliche Gewalt zur Legitimation vor der öffentlichen Meinung zu zwingen. Das publicum entwickelt sich zum Publikum, das subjectum zum Subjekt, der Adressat der Obrigkeit zu deren Kontrahenten. Die Wortgeschichte hält die Spuren dieser folgenreichen Um Wendung fest. In England ist seit der Mitte des 1 7 . Jahrhunderts von »public« die Rede, wofür bis dahin »world« oder »mankind« gebräuchlich war. Ebenso taucht im Französischen le public als Bezeichnung dessen auf, was, dem Grimmschen Wörterbuch zufolge, im 1 8 . Jahrhundert als »Publikum« von Berlin aus auch in Deutschland sich einbürgerte; bis dahin sprach man von der Lesewelt oder auch einfach von der Welt (heute noch im Sinne von: alle Welt, tout le monde). Adelung unterscheidet das Publikum, das sich um einen Redner oder Schauspieler herum am öffentlichen Orte als Menge versammelt, vom Lesepublikum; in beiden Fällen aber handelt es sich um ein »richtendes Publikum«. Was dem Urteil des Publikums unterbreitet wird, gewinnt »Publizität«. Ende des 1 7 . Jahrhunderts wird engl, publicity aus frz. publicite entlehnt; in 59
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59 Zitiert nach W. Schöne, Zeitungswesen und Statistik, Jena 1924, S. 77. 60 Wörterbuch der hochdeutschen Mundart, Wien, 1808, 3. Teil, S. 856. 84
Deutschland taucht das Wort im 1 8 . Jahrhundert auf. Die K r i t i k selber stellt sich In Gestalt der »öffentlichen Meinung« dar, ein der »opinion publique« in der zweiten Hälfte des 1 8 . Jahrhunderts nachgebildetes Wort. In England entsteht »public opinion« etwa gleichzeitig; von general opinion ist allerdings schon lange vorher die Rede.
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II Soziale Strukturen der Öffentlichkeit § 4 Der Grundriß Bürgerliche Öffentlichkeit läßt sich vorerst als die Sphäre der zum Publikum versammelten Privatleute begreifen; diese beanspruchen die obrigkeitlich reglementierte Öffentlichkeit alsbald gegen die öffentliche Gewalt selbst, um sich mit dieser über die allgemeinen Regeln des Verkehrs in der grundsätzlich privatisierten, aber öffentlich relevanten Sphäre des Warenverkehrs und der gesellschaftlichen Arbeit auseinanderzusetzen. Eigentümlich und geschichtlich ohne Vorbild ist das Medium dieser politischen Auseinandersetzung: das öffentliche Räsonnement. In unserem Sprachgebrauch bewahrt dieses Wort unüberhörbar die polemische Nuance beider Seiten: die Berufung auf Vernunft und ihre verächtliche Herabsetzung zur nörgelnden Vernünftelei zugleich. Bislang hatten die Stände mit den Fürsten Verträge ausgehandelt, in denen von Fall zu Fall die konfligierenden Machtansprüche in Abgrenzung der ständischen Freiheiten von den fürstlichen Oberkeiten oder Herrlichkeiten ausbalanciert wurden. Diese Praxis führt seit dem 1 3 . Jahr1
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1 Kant gebraucht »räsonieren« und »Räsonnement« naiv im Sinne der Aufklärung. E r steht gleichsam noch diesseits der Barrikaden; Hegel stellt sich darüber. Das räsonierende Denken, das als bloße Verstandesbetrachtung nicht zur konkreten Allgemeinheit des Begriffs durchdringt, findet er, getreu der platonischen Tradition, exemplarisch bei den Sophisten ausgebildet. Von ihrem Räsonnement heißt es, »daß die Pflicht, das zu Tuende nicht aus dem an und für sich seienden Begriff der Sache genommen wird, sondern es sind äußerliche G r ü n d e , wodurch über Recht und Unrecht, Nützlichkeit und Schädlichkeit entschieden wird« (Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, B d . I I , ed. Michelet, Ausg. Glockner B d . X V I I I , S. 22). Hegel setzt das Räsonnement, zumal in seinem öffentl. Gebrauch, herab, um die politische Autorität, mit der es das räsonierende Publikum freilich polemisch zu tun hat, als M o m e n t einer überlegenen Stufe zu rechtfertigen: »Der Begriff des Monarchen ist der schwerste Begriff für das Räsonnement, d. h. für die reflektierende Verstandesbetrachtung, weil es in den vereinzelten Bestimmungen stehenbleibt.« (Rechtsphilosophie, ed. Gans, Ausgabe Glockner, B d . V I I , S . 2 8 3 1 . §*79)2 Solche Statusverträge, die meist bei Gelegenheit der Erbhuldigung geschlossen wurden, sind natürlich mit Verträgen im Sinne des modernen Privatrechts nicht zu vergleichen; siehe Brunner, Land und Herrschaft, a. a. O . , S. 484 ff.
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hundert zunächst zu einer Dualislerung der Herrschaftsstände und des Fürsten; bald repräsentieren nur mehr die Landstände das Land, dem der Landesherr gegenübertritt. - Bekanntlich n i m m t diese Entwicklung in England mit der Relativierung der fürstlichen Gewalt durch das Parlament einen anderen Verlauf als mit der Mediatisierung der Stände durch den Monarchen auf dem Kontinent. Mit diesem Modus des Machtausgleichs bricht nun der dritte S t a n d , denn er kann sich nicht mehr als ein Herrschaftsstand etablieren. Eine Teilung der Herrschaft durch Abgrenzung von Herrenrechten (Herrenrechte waren auch die ständischen »Freiheiten«) ist auf der Basis der Verkehrswirtschaft nicht mehr möglich - die privatrechtliche Verfügungsgewalt über das kapitalistisch fungierende Eigentum ist ja unpolitisch. Die Bürgerlichen sind Privatleute; als solche »herrschen« sie nicht. Ihre Machtansprüche gegen die öffentliche Gewalt richten sich darum, nicht gegen die Zusammenballung von Herrschaft, die »geteilt« werden müßte; sie unterlaufen vielmehr das Prinzip der bestehenden Herrschaft. Das Prinzip der Kontrolle, das das bürgerliche Publikum diesem entgegensetzt, eben Publizität, will Herrschaft als solche verändern. Der im öffentlichen Räsonnement sich darstellende Machtanspruch, der eo ipso auf die Form eines Herrschaftsanspruchs verzichtet, müßte, wenn er sich durchsetzen würde, zu mehr als nur zu einer Auswechslung der Legimiationsbasis einer im Prinzip aufrechterhaltenen Herrschaft führen (§ 7). Die Maßstäbe der »Vernunft« und die Formen des »Gesetzes«, denen das Publikum Herrschaft unterwerfen und dadurch substantiell verwandeln möchte, enthüllen ihren soziologischen Sinn erst in einer Analyse der bürgerlichen Öffentlichkeit selbst, zumal der Tatsache, daß es Privatleute sind, die in ihr als Publikum miteinander verkehren. Das Selbstverständnis des öffentlichen Räsonnements ist spezifisch von solchen privaten Erfahrungen geleitet, die aus der publikumsbezogenen Subjektivität der kleinfamilialen Intimsphäre stammen. Diese ist der geschichtliche Ursprungsort von Privatheit, im modernen Sinne gesättigter und freier Innerlichkeit. Der antike Sinn des »Privaten« - einer von Lebensnotdurft ver3
3 Vgl. W. Naef, Frühformen des modernen Staates im Spätmittelalter, in: Historische Zeitschrift, B d . 1 7 1 , 1 9 5 1 , S. 225ff.
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hängten Zwangsläufigkeit - ist zugleich mit den Anstrengungen und den Abhängigkeitsverhältnissen der gesellschaftlichen Arbelt, so scheint es, aus dem inneren Bezirk der Privatsphäre, aus dem Hause verbannt. In dem Maße, in dem der Warenverkehr die Grenzen der Hauswirtschaft sprengt, grenzt sich die kleinfamiliale Sphäre gegenüber der Sphäre gesellschaftlicher Reproduktion ab: der Prozeß der Polarisierung von Staat und Gesellschaft wiederholt sich innerhalb der Gesellschaft noch einmal. Der Status eines Privatmannes kombiniert die Rolle des Warenbesitzers mit der des Familienvaters, die des Eigentümers mit der des »Menschen« schlechthin. Die Verdoppelung der Privatsphäre auf der höheren Ebene der Intimsphäre (§ 6) bietet die Grundlage für eine Identifikation jener beiden Rollen unter dem gemeinsamen Titel des »Privaten«; auf sie geht in letzter Instanz auch das politische Selbstverständnis der bürgerlichen Öffentlichkeit zurück. Bevor Öffentlichkeit im Spannungsfeld zwischen Staat und Gesellschaft politische Funktionen ausdrücklich übernimmt, bildet allerdings die dem kleinfamilialen Intimbereich entspringende Subjektivität sozusagen ihr eigenes Publikum. Noch bevor die Öffentlichkeit der öffentlichen Gewalt durch das politische Räsonnement der Privatleute streitig gemacht und am Ende ganz entzogen wird, formiert sich unter ihrer Decke eine Öffentlichkeit in unpolitischer Gestalt - die literarische Vorform der politisch fungierenden Öffentlichkeit. Sie ist das Übungsfeld eines öffentlichen Räsonnements, das noch in sich selber kreist - ein Prozeß der Selbstaufklärung der Privatleute über die genuinen Erfahrungen ihrer neuen Privatheit. Neben der Politischen Ökonomie ist ja Psychologie die andere, spezifisch bürgerliche Wissenschaft, die im 1 8 . Jahrhundert entsteht. Psychologische Interessen leiten auch das Räsonnement, das sich an den öffentlich zugängig gewordenen Gebilden der Kultur: im Lesesaal und im Theater, in Museen und Konzerten entzündet. Indem Kultur Warenform annimmt und sich damit zu »Kultur« (als etwas, das um seiner selbst willen dazusein vorgibt) recht eigentlich erst entfaltet, wird sie als der diskussionsreife Gegenstand beansprucht, über den sich die publikumsbezogene Subjektivität mit sich selbst verständigt. Die literarische Öffentlichkeit ist freilich keine autochthon bürger88
liehe; sie wahrt eine gewisse Kontinuität zu der repräsentativen Öffentlichkeit des fürstlichen Hofes. Die Kunst des öffentlichen Räsonnements erlernt die bürgerliche Avantgarde des gebildeten Mittelstandes in Kommunikation mit der »eleganten Welt«, einer höfisch-adeligen Gesellschaft, die freilich, im Maße der Verselbständigung des modernen Staatsapparats gegenüber der persönlichen Sphäre des Monarchen, nun ihrerseits vom Hof sich immer mehr löste und in der Stadt ein Gegengewicht bildete. Die »Stadt« ist nicht nur ökonomisch Lebenszentrum der bürgerlichen Gesellschaft; im kulturpolitischen Gegensatz zum »Hof« bezeichnet sie vor allem eine frühe literarische Öffentlichkeit, die in den coffeehouses, den salons und den Tischgesellschaften ihre Institutionen findet. Die Erben jener humanistisch-aristokratischen Gesellschaft schlagen, in den Begegnungen mit den bürgerlichen Intellektuellen, durch ihre alsbald zur öffentlichen Kritik entfalteten geselligen Konversationen die Brücke zwischen der Restform einer zerfallenden: der höfischen, und der Vorform einer neuen: der bürgerlichen Öffentlichkeit (§ 5). Unter dem üblichen Vorbehalt der mit solchen Illustrationen verbundenen Vereinfachung läßt sich der Grundriß der bürgerlichen Öffentlichkeit im 1 8 . Jahrhundert als ein Schema sozialer Bereiche graphisch wie folgt darstellen: Privatbereich
Sphäre d. öffentl. Gewalt
Bürgerliche Gesellschaft politische Staat (Bereichd. Warenverkehrs Öffent(Bereich d. »Polizei«) u. d. gesellsch. Arbeit) lichkeit literar. Öffentlichkeit (Clubs, Presse) Kleinfam. Binnenraum (bürgerl. Intelligenz)
(Kulturgütermarkt) »Stadt«
Hof (adlig-höf. Gesellschaft)
Die für unseren Zusammenhang fundamentale Trennungslinie zwischen Staat und Gesellschaft scheidet die öffentliche Sphäre vom 89
privaten Bereich. Der öffentliche Bereich beschränkt sich auf die öffentliche Gewalt. Ihr rechnen wir noch den Hof zu. Im privaten Bereich ist auch die eigentliche »Öffentlichkeit« einbegriffen; denn sie ist eine Öffentlichkeit von Privatleuten. Innerhalb des den Privatleuten vorbehaltenen Bereichs unterscheiden wir deshalb Privatsphäre und Öffentlichkeit. Die Privatsphäre umfaßt die bürgerliche Gesellschaft im engeren Sinne, also den Bereich des Warenverkehrs und der gesellschaftlichen Arbeit; die Familie mit ihrer Intimsphäre ist darin eingebettet. Die politische Öffentlichkeit geht aus der literarischen hervor; sie vermittelt durch öffentliche Meinung den Staat mit Bedürfnissen der Gesellschaft.
§ 5 Institutionen der Öffentlichkeit Le public heißen im Frankreich des 1 7 . Jahrhunderts die lecteurs, spectateurs, auditeurs als Adressaten, Konsumenten und Kritiker der Kunst und Literatur; noch verstand man darunter in erster Linie den Hof, dann auch die Teile des städtischen Adels samt einer schmalen bürgerlichen Oberschicht, die in den Logen der Pariser Theater sitzen. Zu diesem frühen Publikum gehören also Hof und »Stadt«. Ein modernes Moment bildet sich schon in der durchaus aristokratischen Geselligkeit dieses Kreises aus; mit dem Hotel de Rambouillet tritt an Stelle des höfischen Saales, in dem der Fürst seine Feste feiert und mäzenatisch die Künstler um sich versammelt, das, was später Salon heißen sollte. Nach seinem Vorbild entstanden die preziösen ruelles, die gegenüber dem Hofe eine gewisse Selbständigkeit behaupteten. Obschon sich hier jene, für den Salon des 1 8 . Jahrhunderts typische Verbindung der ökonomisch unproduktiven und politisch funktionslosen Stadtaristokratie mit den bedeutenden, oft aus dem Bürgertum stammenden Schriftstellern, 4
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4 E . Auerbach (Das französische Publikum des 17. Jahrhunderts, München 1 9 3 3 , S. 5) findet das Wort im Sinne von Theaterpublikum bereits 1629 belegt; bis dahin bezog sich der substantivische Gebrauch von public ausschließlich auf den Staat bzw. das öffentliche Wohl. 5 Damals verstand man darunter, ganz im Sinne der italienischen Renaissance, noch den Prunksaal, eben nicht das cabinet, den circle, die reduite usw. 90
Künstlern und Wissenschaftlern bereits abzeichnet, kann sich doch im herrschenden Klima der honnetete der Geist von der Autorität der adligen Gastgeber noch nicht lösen und zu der Autonomie entfalten, die Konversation in Kritik, Bonmots in Argumente verwandelt. Erst mit der Regentschaft Philipps von Orleans, der die Residenz von Versailles nach Paris verlegt, verliert der Hof die zentrale Stellung in der Öffentlichkeit, ja seine Stellung als Öffentlichkeit. Indem nämlich »die Stadt« dessen kulturelle Funktionen übernimmt, verändert sich nicht nur der Träger der Öffentlichkeit, sondern diese selbst. Die Sphäre der königlichen Repräsentation, mit ihr der grand goüt von Versailles, wird zur mühsam erhaltenen Fassade. Der Regent und seine beiden Nachfolger bevorzugen die kleinen Gesellschaften, wenn nicht gar den Familienkreis, und entziehen sich bis zu einem gewissen Grade der Etikette. Das großartige Zeremoniell weicht fast bürgerlicher Intimität: »Am Hof Ludwigs XVI. haben an sechs Tagen der Woche die Zusammenkünfte den Charakter einer Privatgesellschaft. Der einzige Ort, wo sich während der Regence so etwas wie eine Hofhaltung entwickelt, ist das Schloß der Herzogin von Maine zu Sceaux, das zum Schauplatz von glänzenden, kostspieligen und erfindungsreichen Festlichkeiten und zu einem neuen Kunstzentrum, einem richtigen Musenhof wird. Die Veranstaltungen der Herzogin enthalten aber den Keim der endgültigen Zersetzung des Hoflebens in sich: sie bilden den Ubergang zwischen dem Hof im alten Sinn und den Salons des 1 8 . Jahrhunderts - den geistigen Erben des Hofes.« In England hatte der Hof die Stadt niemals so wie im Frankreich des Sonnenkönigs beherrschen können. Gleichwohl läßt sich nach der Großen Revolution im Verhältnis von court und town ein ähnlicher 6
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6 A . Hauser, Sozialgeschichte der Kunst und Literatur, München 1 9 5 3 , B d . I I , S. 6 7 L o n d o n war niemals wie Paris dem König unmittelbar unterworfen. D i e Stadt, die durch gewählte Ratsherren sich selbst verwaltete und die Polizeigewalt durch eigene Miliz ausübte, war der Gerichtsbarkeit von' Hof und Parlament weniger zugänglich als jede andere Stadt im Lande. U m die Wende zum 18. Jahrhundert wählten die etwa 1 2 0 0 0 Steuerzahler, die fast alle Mitglieder der 89 Gilden und. Kompagnien waren, 26 Ratsherren und 200 Ratsmitglieder - eine für diese Zeit beispiellos breite, fast »demokratische« Basis. Gleichwohl tritt im Verhältnis von court und town nach der Großen Revolution ein U m s c h w u n g ein, der etwa der Entwicklung unter der Regence zu vergleichen ist. 9
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Umschwung beobachten wie eine Generation später im Verhältnis von cour und ville. Bei den Stuarts, bis zu Karl IL, dienten Literatur und Kunst der Repräsentation des Königs. »Nach der Revolution verblaßte jedoch der Glanz des Hofes. Weder die politische Stellung der Krone noch die persönlichen Eigenschaften ihrer Träger entsprachen noch dem Maßstab der Vergangenheit. Der strenge Wilhelm, die leidende Anna, die deutschen Könige mit dem Namen Georg, der Landwirt Georg, die häusliche Viktoria: niemand unter ihnen hegte den Wunsch, im Stile Elisabeths Hof zu halten. Der Hof war fürderhin die Residenz einer zurückgezogen lebenden königlichen Familie, auf die man aus der Ferne zeigte und der man sich nur unter Schwierigkeiten, bei förmlichen Anlässen von sprichwörtlicher Langeweile, zu nähern vermochte.« Das Ubergewicht der »Stadt« wird durch jene neuen Institutionen befestigt, die, bei all ihrer Verschiedenheit, in England und Frankreich gleiche gesellschaftliche Funktionen übernehmen: die Kaffeehäuser in ihrer Blütezeit zwischen 1 6 8 0 und 1 7 3 0 , die Salons in der Zeit zwischen Regentschaft und Revolution. Sie sind, hier wie dort, Zentren einer zunächst literarischen, dann auch politischen Kritik, in der sich zwischen aristokratischer Gesellschaft und bürgerlichen Intellektuellen eine Parität der Gebildeten herzustellen beginnt. Um die Mitte des 1 7 . Jahrhunderts, nachdem nicht nur der zuerst verbreitete Tee, sondern auch Schokolade und Kaffee zum üblichen Getränk wenigstens der wohlhabenden Schichten der Bevölkerung geworden waren, eröffnete der Kutscher eines Levantekaufmanns das erste Kaffeehaus. Im ersten Jahrzehnt des 1 8 . Jahrhunderts gibt es davon in London bereits über 3 0 0 0 , jedes mit einem inneren Kreis von Stammgästen. Wie sich Dryden im Kreise der jungen Schriftstellergeneration bei Will's über »Antike und Moderne« stritt, Addison und Steele etwas später bei Button's ihren little senate hielten, so tagten schon im Rotaclub, unter dem Präsidium eines Adlaten von Milton, Maiwell und Pepys mit Harrington, der 8
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8 G . M . Trevelyan, Kultur- und Sozialgeschichte Englands, Hamburg 1948, S. 327. 9 L. Stephen, English Literature and Society in the 18th Century, L o n d o n 1903, zuletzt 1947, S. 37. Vgl. auch H . Reinhold, Z u r Sozialgeschichte der Kaffees und des Kaffeehauses, in: Köln. Zeitschr.f. Soz. und Sozialpsych., B d . 1 0 , 1958, S. 1 5 1 ff. (Sammelrezension). 92
wohl die republikanischen Ideen seiner »Oceana« hier vorgetragen hat. Wie in den Salons hat sich die Literatur in diesen Kaffeehäusern zu legitimleren, in denen die »Intelligenz« mit der Aristokratie zusammentrifft. Ein mit der großbürgerlichen Schicht zu verbindender Adel ist hier jedoch im Besitz der gesellschaftlichen Funktionen, die dem französischen genommen sind; er repräsentiert landed und moneyed interest. So erstreckt sich das Räsonnement, das sich an Werken der Kunst und Literatur entzündet, alsbald auch auf ökonomische und politische Dispute, ohne daß ihnen, wie solchen Diskursen in den Salons, die Garantie wenigstens unmittelbarer Folgenlosigkeit sicher sein konnte. Auch damit mag es zusammenhängen, daß zur Kaffeehausgesellschaft ausschließlich Männer zugelassen waren, während ja der Salonstil, wie das Rokoko überhaupt, wesentlich von Frauen geprägt war. Die allabendlich verlassenen Frauen der Londoner Gesellschaft führten dann auch einen handfesten, aber vergeblichen Kampf gegen die neue Institution. Das Kaffeehaus eröffnete nicht nur zwangloseren Zugang zu den maßgeblichen Zirkeln, es erfaßte vor allem die breiteren Schichten des Mittelstandes, sogar Handwerker und Krämer. Was Ned Ward vom täglich mehrfachen Kaffeehausbesuch des »wealthy shopkeeper« berichtet, gilt für den armen ebenso. 10
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10 H . Westerfrölke, Englische Kaffeehäuser als Sammelpunkte der literarischen Welt, Jena 1924, S. 21 ff. 1 1 Bereits aus dem Jahre 1674 stammt das Pamphlet »The Women's Petition against Coffee, representing to Public Consideration of the Grand Inconvenciences according to their Sex from the Excessive use of that D r y i n g , Enfeebling liquor«. 12 Trevelyan, a. a. O . , S. 3 1 5 , Fußnote. 13 Vgl. einen Bericht in der National Review, N r . 8, zitiert nach Westerfrölke, a . a . O . , S. 1 5 : »Jeder Beruf, Handelsstand, Klasse, jede Partei hatte ihr L i e b lingskaffeehaus. Die Rechtsgelehrten diskutierten über Rechtswissenschaft oder Gelehrsamkeit, kritisierten den neuesten Fall oder erzählten den letzten >Westminster-Bissen< bei N a n d o ' s oder im Grecian, in der Umgebung des Temple . . . Die City-Leute trafen sich, das Steigen und Fallen der Aktien zu erörtern und den Stand der Versicherungsprämien bei Garraway's oder im Jonathan's festzustellen. Die Geistlichen tauschten Universitätsklatsch aus oder stellten über Dr. Sacheverells letzte Predigt bei Truby's oder im Child's Betrachtungen an. Die Soldaten versammelten sich über ihren Beschwerden im O l d oder Young Man's in der N ä h e von Charing Cross. Das St. James' oder das Smyrna waren das Hauptquartier der Whig-Politiker, während die Tories den C o c o a Tree oder Ozinda's viel besuchten, alle in der St. James' Street gelegen. Schotten hatten ihre Zusam93
In Frankreich bildeten demgegenüber die Salons eine eigentümliche Enklave. Während das Bürgertum, von der Führung in Staat und Kirche freilich so gut wie ausgeschlossen, in der Wirtschaft nach und nach alle Schlüsselstellungen einnahm und die Aristokratie dessen materielle Überlegenheit durch königliche Privilegien und eine um so strengere Betonung der Hierarchie im gesellschaftlichen Umgang kompensierte, begegneten sich hier der Adel und das ihm sich assimilierende Großbürgertum der Banken und der Bürokraten mit der »Intelligenz« sozusagen auf gleichem Fuße. Der Plebejer d'Alembert ist keine Ausnahme; in den Salons der Damen von Welt, adliger wie bürgerlicher, verkehren Söhne von Prinzen und Grafen, von Uhrmachern und Krämern. Im Salon ist der Geist nicht länger Dienstleistung für den Mäzen; die »Meinung« emanzipiert sich von den Bindungen der wirtschaftlichen Abhängigkeit. Waren die Salons auch unter Philipp zunächst noch Stätten eher der galanten Vergnügungen als der gescheiten Diskurse, so verbinden sich doch bald mit den Diners die Diskussionen. Diderots Unterscheidung zwischen Schriften und Reden macht die Funktionen der neuen Sammelpunkte deutlich. Kaum einer der großen Schriftsteller des 1 8 . Jahrhunderts hätte seine wesentlichen Gedanken nicht zuerst in solchen discours, eben in Vorträgen vor den Akademien und vor allem in den Salons zur Diskussion gestellt. Der Salon hielt gleichsam das Monopol der Erstveröffentlichung: ein neues Opus, auch das musikalische, hatte sich zunächst vor diesem Forum zu legitimieren. Des Abbe Galiani Dialoge über den Getreidehandel geben ein anschauliches Bild davon, wie sich Konversation und Diskus14
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menkünfte im Forest's. Franzosen bei Giles's oder O l d Slaughter's im St. Martins Lant. D i e Spieler würfelten im White's und den Schokoladenhäusern um Covent Garden herum, die Künstler beehrten die Nachbarschaft des Gresham College und die führenden Schöngeister versammelten sich bei Will's, Button's oder Tom's in Great Russell Street, w o nach dem Theater Pikett gespielt wurde und die beste Unterhaltung bis Mitternacht herrschte . . . D i e reicheren Kaufleute plauderten über Steigen und Fallen der Aktien bei L l o y d ' s . Bei Robin's und M r s . Rochefort's berieten sich die fremden Gesandten und Bankleute. D i e Kunstfreunde beehrten D o n Salteros Kaffeehaus in Cheyne Walk . . . « 14 Hauser, a. a. O . , I I . S. 7. 15 N o s ecrits n'operant que sur une certaine classe de citoyens, nos discours sur toutes. 94
sion elegant verschränken, das Unwichtige, die Reisen und das Wohlergehen, so gravitätisch behandelt werden wie das Wichtige, Theater und Politik, en passant. Im Deutschland dieser Zeit gibt es keine »Stadt«, die die repräsentative Öffentlichkeit der Höfe durch Institutionen einer bürgerlichen hätte ablösen können. Aber ähnliche Elemente finden sich auch hier, zuerst in den gelehrten Tischgesellschaften, den alten Sprachgesellschaften des 1 7 . Jahrhunderts. Natürlich sind sie weniger wirksam und verbreitet als Kaffeehaus und Salon. Sie sind von der politischen Praxis eher noch strenger abgeschlossen als die Salons; ihr Publikum rekrutiert sich jedoch wie in den Kaffehäusern aus Privatleuten, die produktive Arbeit tun: nämlich aus der städtischen Ehrbarkeit der fürstlichen Residenz, mit einem starken Ubergewicht der akademisch gebildeten Bürgerlichen. Die auf Gottscheds Leipziger Gründung des Jahres 1 7 2 7 zurückgehenden »Deutschen Gesellschaften« knüpfen an die Sprachorden des vorangehenden Jahrhunderts an. Diese waren noch von den Fürsten einberufen worden, vermieden aber ständische Exklusivität; spätere Versuche, sie in Ritterorden umzuwandeln, scheitern bezeichnenderweise. Sie gehen, wie es in einer der Gründungsurkunden heißt, darauf aus, »daß so unter ungleichen Standespersonen eine Gleichheit und Gesellschaft getroffen würde.« Solche Orden, Kammern und Akademien widmen ihre Sorgfalt der Muttersprache, weil diese jetzt als das Medium der Verständigung zwischen den Menschen als Menschen begriffen wird. Uber die Schranken der gesellschaftlichen Hierarchie hinweg treffen sich hier die Bürger mit den sozial anerkannten, aber politisch einflußlosen Adligen als »bloßen« Menschen. Nicht sowohl die politische Gleichheit der Mitglieder als vielmehr ihre Exklusivität gegenüber dem politischen Bereich des Absolutismus überhaupt ist das Entscheidende: die soziale Gleichheit war zunächst nur als eine Gleichheit außerhalb des Staates möglich. Der Zusammenschluß der Privatleute zum Publikum wird deshalb im geheimen, Öffentlichkeit noch weitgehend unter Ausschluß der Öffentlichkeit antizipiert. Die für Logen typi16
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16 E . Manheim, Die Träger der öffentlichen Meinung, Wien 1 9 2 3 , S. 83. 17 Die Sprache gilt als »Organ eines transzendentalen Gemeinsinns« und als »Medium eines öffentlichen Konsensus«, vgl. Manheim, a. a. O . , S. 88 und S. 92.
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sehe, aber auch bei anderen Bünden und Tischgesellschaften verbreitete Arkanpraxis der Aufklärung ist dialektischen Charakters, Die Vernunft, die sich in der rationalen Kommunikation eines Publikums gebildeter Menschen im öffentlichen Gebrauch des Verstandes verwirklichen soll, bedarf, weil sie jedes Herrschaftsverhältnis bedroht, selber des Schutzes vor einer Veröffentlichung. Solange die Publizität ihren Sitz in der fürstlichen Geheimkanzlei hat, kann sich Vernunft nicht unvermittelt offenbaren. Ihre Öffentlichkeit ist noch auf Geheimhaltung angewiesen, ihr Publikum bleibt, selbst als Publikum, intern. Das Licht der also zum Selbstschutz verschleierten Vernunft enthüllt sich von Stufe zu Stufe. Daran erinnert das berühmte Lessingwort über die Freimaurerei, die ja damals eine gemeineuropäische Erscheinung ist: diese sei ebenso alt wie die bürgerliche Gesellschaft - »wenn nicht gar die bürgerliche Gesellschaft nur ein Sprößling der Freimaurerei ist«. Die Praxis der geheimen Gesellschaften verfällt in dem Maße der eigenen Ideologie, in dem sich das räsonierende Publikum, und damit die bürgerliche Öffentlichkeit, deren Schrittmacher es war, gegen die obrigkeitlich reglementierte durchsetzt. Aus publizistischen Enklaven des bürgerlichen Gemeinsinnes werden sie »zu Innengebilden, die die Absonderung von der inzwischen bestehenden Öffentlichkeit zur Grundlage haben«. Andere Gesellschaften, vor allem diejenigen, die im Laufe des 1 8 . Jahrhunderts aus der Mitte der bürgerlichen Honoratioren entstehen, erweitern sich demgegenüber zu offenen Vereinigungen, die, auch auf der Basis der Kooptation, relativ leicht Zugang gewähren. In ihnen hat der bürgerliche Umgangsstil, haben Intimität und eine gegen höfische Konvention ausgespielte Moral Selbstverständlichkeit gewonnen, bedürfen jedenfalls nicht mehr der Veranstaltung zeremonieller Brüderlichkeit. Wie sehr sich Tischgesellschaften, Salons und Kaffeehäuser in Um18
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18 Lessing, Ernst und Falk, Gespräche für Freimaurer, 1778. Z u m ganzen K o m p l e x vgl. E . Lennhoff und O . Posner, Internationales Freimaurerlexikon, Zürich, Leipzig, Wien 1 9 3 2 , und B. Fay, L a Franc-Maconnerie et la Revolution intellectuelle du X V I I I e siede, Paris 1 9 3 5 . 19 Manheim, a . a . O . , S. 1 1 .
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fang und Zusammensetzung ihres Publikums, im Stil des Umgangs, im Klima des Räsonnements und in der thematischen O r i e n t i e r u n g unterscheiden mögen, sie organisieren doch allemal eine der Tendenz nach permanente Diskussion unter Privatleuten; sie verfügen daher über eine Reihe gemeinsamer institutioneller Kriterien. Zunächst ist eine Art gesellschaftlichen Verkehrs gefordert, der nicht etwa die Gleichheit des Status voraussetzt, sondern von diesem überhaupt absieht. Gegen das Zeremoniell der Ränge setzt sich tendenziell der Takt der Ebenbürtigkeit durch. Die Parität, auf deren Basis allein die Autorität des Arguments gegen die der sozialen Hierarchie sich behaupten und am Ende auch durchsetzen kann, meint im Selbstverständnis der Zeit die Parität des »bloß Menschlichen«. Les hommes, private gentlemen, die Privatleute bilden das Publikum nicht nur in dem Sinne, daß Macht und Ansehen der öffentlichen Amter außer Kraft gesetzt sind; auch wirtschaftliche Abhängigkeiten dürfen im Prinzip nicht wirksam sein; Gesetze des Marktes sind ebenso suspendiert wie die des Staates. Nicht als ob mit den Kaffeehäusern, den Salons und den Gesellschaften im Ernst diese Idee des Publikums verwirklicht worden sei; wohl aber ist sie mit ihnen als Idee institutionalisiert, damit als objektiver Anspruch gesetzt und insofern, wenn nicht wirklich, so doch wirksam gewesen. Die Diskussion in einem solchen Publikum setzt zweitens die Problematisierung von Bereichen voraus, die bislang nicht als fragwürdig galten. »Das Allgemeine«, mit dem sich das Publikum kritisch beschäftigt, blieb dem Interpretationsmonopol der kirchlichen und staatlichen Autoritäten nicht nur von der Kanzel herab, vielmehr in Philosophie, Literatur und Kunst auch dann noch vorbehalten, als die Entwicklung des Kapitalismus für bestimmte soziale Kategorien bereits ein an Information und immer mehr Informationen rational orientiertes Verhalten verlangte. In dem Maße aber, in dem die philosophischen und die literarischen Werke, Kunstwerke überhaupt, für den Markt hergestellt und durch ihn vermittelt werden, ähneln 20
20 H . Plessner definiert Öffentlichkeit, freilich in einem anderen Zusammenhang, als die »Geltungssphäre des Taktes«. Diplomatische Beziehungen, bestehen z w i schen Rollenträgern, Taktbeziehungen zwischen natürlichen Personen, vgl.: Grenzen der Gemeinschaft, B o n n 1924, besonders S. 100.
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sich diese Kulturgüter jener Art Informationen an: als Waren werden sie im Prinzip allgemein zugänglich. Sie bleiben nicht länger Bestandteile der Repräsentation kirchlicher wie höfischer Öffentlichkeit; genau das ist mit dem Verlust ihrer Aura, mit der Profanierung ihres einst sakramentalen Charakters gemeint. Die Privatleute, denen das Werk als Ware zugänglich wird, profanieren es, indem sie autonom, auf dem Wege der rationalen Verständigung untereinander, seinen Sinn suchen, bereden und damit aussprechen müssen, was eben in der Unausgesprochenheit solange autoritative Kraft hatte entfalten können. »Kunst« und »Kultur« verdanken, wie Raymond Williams nachweist, überhaupt erst dem 1 8 . Jahrhundert ihre moderne Bedeutung einer von der Reproduktion des gesellschaftlichen Lebens abgelösten Sphäre. Der gleiche Vorgang, der Kultur in Warenform überführt und sie damit zu einer diskussionsfähigen Kultur überhaupt erst macht, führt drittens zur prinzipiellen Unabgeschlossenheit des Publikums. So exklusiv jeweils das Publikum sein mochte, es konnte sich niemals ganz abriegeln und zur Clique verfestigen; denn stets schon verstand und befand es sich inmitten eines größeren Publikums all der Privatleute, die als Leser, Hörer und Zuschauer, Besitz und Bildung vorausgesetzt, über den Markt der Diskussionsgegenstände sich bemächtigen konnten. Die diskutablen Fragen werden »allgemein« nicht nur im Sinne ihrer Bedeutsamkeit, sondern auch der Zugänglichkeit: alle müssen dazugehören können. Wo sich das Publikum institutionell als feste Gruppe von Gesprächspartnern etabliert, setzt es sich nicht mit dem Publikum gleich, sondern beansprucht allenfalls, als sein Sprecher, vielleicht gar als sein Erzie21
21 R. Williams, Culture and Society 1 7 8 0 - 1 9 5 0 , N e w York i960: » A n art had formerly been any human skill (Kunst im Sinne der Kunstfertigkeit, des Könnens. J . F L ) ; but A r t , now, signified a particular group of skills, the >imaginative< or >creative< arts . . . F r o m . . . a skill, it had become . . . to be a kind of institution, a set body of activities of a certain kind.« D e m entspricht der Bedeutungswandel von »culture«: »It had meant, primarily, the tending of natural growth (Kultur im Sinne etwa der Pflanzenkultur) and then, by analogy, a process of human training ( z . B . ein >Mann von Kultur<). But this letter use, which had usually been a culture of something, was changed . . . to culture as such, a thing in itself.« (S. XIV. F.) Auch R. Wittram (Das Interesse an der Geschichte, Göttg. 1958, S. 40ff.) gibt einige begriffsgeschichtliche Anmerkungen zu »Kultur«. 98
her, In seinem Namen aufzutreten, es zu vertreten - die neue Gestalt der bürgerlichen Repräsentation. Das Publikum der ersten Generationen weiß sich auch da, wo es sich in Form eines angebbaren Personenkreises konstituiert, inmitten eines größeren Publikums. Es ist potentiell immer auch schon eine publizistische Körperschaft, denn es kann sich diskutierend von innen nach außen wenden wofür etwa die »Diskurse der Mahlern«, die Bodmer und Breitinger seit 1 7 2 1 in Zürich erscheinen lassen, eins unter vielen Beispielen sind. Das »große« Publikum, das sich außerhalb der frühen Publikumsinstitutionen diffus bildet, hat freilich im Verhältnis zur Masse der Landbevölkerung und des städtischen »Volkes« immer noch einen überaus geringen Umfang. Die primäre Schulbildung ist, wo es sie überhaupt gibt, inferior; der Anteil der Analphabeten ist sogar, wenigstens in England, größer als in der vorangegangenen, der elisabethanischen Epoche. Hier lebt zu Beginn des 1 8 . Jahrhunderts mehr als die Hälfte der Bevölkerung an der Grenze des Existenzminimums: die Massen sind nicht nur weitgehend illiterat, sondern auch so pauperisiert, daß sie Literatur gar nicht bezahlen könnten. Sie verfügen nicht über die für eine noch so bescheidene Teilnahme am Kulturgütermarkt erforderliche Kaufkraft. Gleichwohl entsteht mit dem diffusen Publikum, das sich im Zuge der Kommerzialisierung des kulturellen Verkehrs bildet, eine neue soziale Kategorie. Die höfische Aristokratie des 1 7 . Jahrhunderts stellt nicht eigentlich 22
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22 Vgl. R. D . Altick, The English C o m m o n Reader, A Social History of the Mass Reading Public, Chicago 1957, besonders das erste Kapitel, dessen Ergebnisse S. 30 resümiert sind: »If, speculating from such little information as we have, we tried to chart the growth of the reading public in the first three centuries after Caxton, the line would climb slowly for the first hundred years. During the Elizabethan period its rate of ascent would considerably quicken. The line would reach a peak during the Civil War and Commonwealth, when interest in reading was powerfully stimulated b y public excitements. B u t during the Restoration it would drop, because of the lessening of popular turmoil, the damage the war had done to the educational system, and the aristocratic domination of current literature in the age of D r y d e n . A fresh ascent would begin in the early eighteenth century, the time of Addison and Steele
dily. «
and thereafter the line would climb stea-
23 J . Watt, The Reading Public, in: The Rise of the N o v e l , L o n d o n 1957. 99
ein Lesepublikum dar. Zwar unterhält sie Literaten wie Ihre Bediensteten, aber der mäzenatisch begründeten Produktion entspricht eher eine Art conspicious consumption als im Ernst die Lektüre eines interessierten Publikums. Dieses bildet sich erst mit den ersten Dezennien des 18. Jahrhunderts, nachdem der Verleger den Mäzenaten als Auftraggeber des Schriftstellers ersetzt und am Markt die Verteilung der Werke übernommen hat. Wie die Literatur so gewinnt auch das Theater erst ein Publikum im strengen Sinne, als die Hof- und Residenztheater, in Deutschland typisch zu beobachten, »öffentlich« werden. Freilich hatte das Volk, der Pöbel, wie es in den zeitgenössischen Quellen genannt wird, in England und Frankreich schon seit dem 17. Jahrhundert Zutritt, etwa zum Globe-Theatre oder zur Comedie - sogar Dienstboten, Soldaten, Lehrlinge, junge Schreiber und ein stets zum »Spektakel« aufgelegtes Lumpenproletariat. Aber sie alle sind noch Teil jenes anderen Typus der Öffentlichkeit, in der die »Ränge« (als dysfunktional architektonisches Relikt noch in unseren Theaterbauten erhalten) vor den Augen des akklamierenden Volkes Repräsentation entfalten. Wie sich das »Parterre« zum bürgerlichen Publikum erst wandeln muß, zeigen symptomatisch die Pariser Polizeiverordnungen, die, seit dem königlichen Erlaß von 1641, gegen Lärm und Streit und buchstäblich Totschlag angehen; denn alsbald soll nicht nur die »Gesellschaft« in den Logen und auf den Balkons vor den filous geschützt werden, sondern auch ein bestimmter Teil des Parterrepublikums selbst - der bürgerliche, für den zunächst die marchands de la rue St. Denis (die Inhaber der neuentstandenen Mode- und Luxusgeschäfte: Juweliere, Optiker, 24
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24 Hauser, a . a . O . , I I , S. 53: »Das Mäzenatentum wird durch den Verlag ersetzt; die Subskription, die man sehr zutreffend als kollektives Gönnertum bezeichnet hat, bildet den Ubergang zwischen den beiden. D a s Patronat ist die rein aristokratische F o r m der Beziehung zwischen Schriftsteller und Publikum; die Subskription lockert die Bindung, bewahrt aber noch gewisse Züge vom persönlichen Charakter dieses Verhältnisses; erst die Publikation von Büchern für das allgemeine, dem A u t o r völlig unbekannte Publikum entspricht der auf dem anonymen Warenverkehr beruhenden Struktur der bürgerlichen Gesellschaft.« 25 Parfaict berichtet sogar von einem Dichter, der den Erfolg seines Stückes stolz daran bemaß, daß bei der Premiere vier Portiers getötet wurden, vgl. Auerbach, a. a. O . , S. 1 3 . 100
Musikalienhändler, Handschuhmacher) exemplarisch sind. I m Parterre sammelt sich allmählich, was man später zu den gebildeten Ständen rechnet, ohne schon der großbürgerlichen Oberschicht zuzugehören, die in den Salons verkehrt. - I n England ist die Zäsur deutlicher. Das Volkstheater erlag ganz; zur Zeit Karls I L hielt sich in London ein einziges Theater unter der Patronage des Hofes, »und auch dort ging es nicht die Bürger, sondern lediglich die Gesellschaft an«. Erst in der nachrevolutionären Phase, mit dem Ubergang von Drydens Komödien zu Congreves Dramen, öffnen sich die Theater einem Publikum, von dem Gottsched erst während der sechziger Jahre des folgenden Jahrhunderts sagen kann: »In Berlin heißt das Ding itzt Publikum.« Deutschland erhält ja, im Gefolge der kritischen Bemühungen Gottscheds und Lessings, erst IJ66 mit dem »Deutschen Nationaltheater« eine feste Bühne. Strenger noch als am neuen Lese- und Zuschauerpublikum läßt sich am Konzertpublikum die Verschiebung kategorial fassen, die nicht eine Umschichtung des Publikums im Gefolge hat, sondern das »Publikum« als solches überhaupt erst hervorbringt. Bis zum ausgehenden 18. Jahrhundert blieb nämlich alle Musik an die Funktionen repräsentativer Öffentlichkeit gebunden, blieb, wie man es heute nennt, Gebrauchsmusik. Ihrer gesellschaftlichen Funktionen nach beurteilt, diente sie der Andacht und Würde des Gottesdienstes, der Festlichkeit höfischer Gesellschaften, überhaupt dem Glanz der feierlichen Szene. Die Komponisten waren als Kirchen-, Hof- oder Ratsmusiker angestellt und arbeiteten, wie die bediensteten Schriftsteller für ihre Mäzene, die Hofschauspieler für die Fürsten, nach Auftrag. Bürger hatten kaum Gelegenheit, außer in der Kirche oder in Gesellschaft des Adels, Musik zu hören. Zunächst emanzipierten sich private Collegia Musica; bald etablierten sie sich als öffentliche Konzertgesellschaften. Der Eintritt gegen Entgelt machte die Musikdarbietung zur Ware; zugleich entsteht aber so etwas wie zweckfreie Musik: zum erstenmal versammelt sich ein Publikum, um Musik als solche zu hören, ein Liebhaberpublikum, zu dem jeder, Besitz und Bildung vorausgesetzt, Zutritt hat. 26
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26 Trevelyan, a. a. O . , S. 255.
27 Zitiert nach G r o t h , a. a. O . , I, S. 620.
28 Hauser, a . a . O . , I I , S. 841.; vgl. auch L. Balet, Die Verbürgerlichung der deutschen Kunst, Literatur und Musik im 18. Jahrhundert, Leyden 1938, S. 38: »Re-
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Kunst, von ihren Funktionen der gesellschaftlichen Repräsentation entlastet, wird zum Gegenstand der freien Wahl und der wechselnden Neigung. Der »Geschmack«, nach dem sie sich fortan richtet, äußert sich im kompetenzfreien Urteil von Laien, denn im Publikum darf jedermann Zuständigkeit beanspruchen. Der Streit um das Laienurteil, um das Publikum als kritische Instanz, ist dort am heftigsten, wo ein Kreis von Connaisseurs bis dahin die spezialistische Kompetenz mit sozialem Privileg verbunden hatte - in der Malerei, die wesentlich Malerei für die sachverständigen Sammler des Adels gewesen war, bis die Künstler auch hier sich schließlich genötigt sahen, für den Markt zu arbeiten. Im gleichen Maße emanzipieren sich die Maler von den Bindungen der Zunft, des Hofes und der Kirche; aus dem Handwerk wird eine ars liberalis, auch dies freilich nur auf dem Weg über ein staatliches Monopol. In Paris wird 1648 unter Le Brune die Kunstakademie gegründet; und schon drei Jahre nachdem sie (1667) von Colbert mit ähnlichen Privilegien ausgestattet wird wie die Academie Franchise, wendet sie sich mit dem ersten »Salon« an die Öffentlichkeit. Allerdings haben während der Regierungszeit Ludwigs XIV. höchstens zehn solcher Ausstellungen stattgefunden. Erst seit 1737 werden sie regelmäßig; und wiederum zehn Jahre später erscheinen La Fonts berühmte Reflexionen, die zum erstenmal das Prinzip formulieren: »Ein ausgestelltes Bild ist ein zum Licht des Drucks gegebenes Buch, ein auf der Bühne dargestelltes Stück - jedermann hat das Recht, darüber zu urteilen.« Die Museen institutionalisieren, wie Konzert und Theater, das Laienurteil über Kunst: die Diskus29
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gelmäßige öffentliche Konzerte gab es in Frankfurt seit 1 7 2 3 , in Hamburg seit 1724, in Straßburg seit 1 7 3 0 , in Lübeck seit 1 7 3 3 , und in Leipzig wurden 1743 von einigen unternehmenslustigen Kaufleuten die >Großen Konzerte< gegründet, die sich später zu den berühmten, noch heute bestehenden >Gewandhauskonzerten< ausweiteten.« 29 Sie fanden anläßlich der Jahresversammlung der Akademie im Hof des Palais Royal unter freien Himmel statt; 1699 siedelt der erste »Salon« in den L o u v r e über. N a c h 1704 kommen aber diese Ausstellungen über ein Menschenalter ganz aus der Ü b u n g . 30 L a Font, Reflexions sur quelques causes de l'etat present de la peinture, zitiert nach A . Dresdner, Die Entstehung der Kunstkritik im Zusammenhang des europäischen Kunstlebens, München 1 9 1 5 , S. 1 6 1 . 102
sion wird zum Medium ihrer Aneignung. Die zahllosen Pamphlete, die Kritik und Apologie der herrschenden Kunsttheorie zum Gegenstand haben, knüpfen an die Salongespräche an und werden ihrerseits von diesen aufgenommen - Kunstkritik als Konversation. Den inneren Kreis des neuen Kunstpublikums bilden denn auch in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts die amateurs eclaires. In dem Maße, in dem die öffentlichen Ausstellungen weitere Kreise anziehen, die Kunstwerke mit dem breiten Publikum über die Köpfe der Kenner hinweg unmittelbar in Berührung bringen, können diese zwar nicht länger ihre Position behaupten, ihre Funktion ist jedoch unentbehrlich geworden; sie wird jetzt von der professionellen Kunstkritik übernommen. Wie auch sie recht eigentlich aus dem Salon hervorgeht, zeigt sich sogleich an ihrem ersten und bedeutendsten Vertreter: Diderot schreibt seine »Salonberichte«/ kunstverständige Beurteilungen der periodischen Akademieausstellungen seit 1759 für Grimms literarische Korrespondenz, eine Zeitschrift also, die vom bekannten Salon der Madame d'Epinay inspiriert war und auch für dessen Hausgebrauch produziert wurde. In den Institutionen der Kunstkritik, Literatur-, Theater- und Musikkritik einbegriffen, organisiert sich das Laienurteil des mündigen oder zur Mündigkeit sich verstehenden Publikums. Die neue Profession, die dem entspricht, erhält im zeitgenössischen Jargon den Namen des Kunstrichters. Dieser übernimmt eine eigentümlich dialektische Aufgabe: er versteht sich als Mandatar des Publikums und als dessen Pädagoge zugleich. Die Kunstrichter können sich 1
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31 Bahnbrechend sind vor allem die Kritiken der »Salons« von 1765 und 1 7 6 7 ; sie alle sind aber erst nach der Revolution veröffentlicht worden. 32 Grundsätzlich ist jedermann, sofern er nur an der öffentlichen Diskussion teilnimmt, ein Buch kauft, einen Platz im Konzert oder Theater erwirbt, eine Kunstausstellung besucht, zur freien Beurteilung aufgerufen und berechtigt. A b e r im Streit der Urteile darf er sich dem überzeugenden Argument nicht verschließen, soll er »Vorurteile« ablegen. Mit der Ü b e r w i n d u n g jener in der repräsentativen Öffentlichkeit gezogenen Schranke zwischen den Laien und den Eingeweihten sind spezielle Kompetenzen, ererbte wie erworbene, soziale und intellektuelle, im Prinzip hinfällig. D a aber das wahre Urteil in der Diskussion erst ermittelt werden soll, erscheint die Wahrheit als ein Prozeß, nämlich als einer der Aufklärung. Teile des Publikums mögen darin weiter fortgeschritten sein als andere. Das Publikum kennt daher, wenn schon keine Privilegierten, so doch Experten. Sie 103
- i n ihrem Streit mit den Künstlern ist das der zentrale Topos - als Sprecher des Publikums verstehen, weil sie sich keiner Autorität außer der des Arguments bewußt sind und sich mit allen, die sich von Argumenten überzeugen lassen, eins fühlen. Gleichzeitig können sie sich gegen das Publikum selber wenden, wenn sie als Experten gegen »Dogma« und »Mode« an die Urteilsfähigkeit der schlecht Unterrichteten appellieren. Aus dem gleichen Zusammenhang wie dieses Selbstverständnis erklärt sich auch die tatsächliche Stellung des Kritikers: sie ist damals keine Berufs rolle im strengen Sinne. Der Kunstrichter behält etwas vom Amateur; seine Expertise gilt auf Widerruf; in ihr organisiert sich das Laienurteil, ohne jedoch durch Spezialisierung etwas anderes zu werden als das Urteil eines Privatmannes unter allen übrigen Privatleuten, die in letzter Instanz niemandes Urteil außer ihrem eigenen als verbindlich gelten lassen dürfen. Darin eben unterscheidet sich der Kunstrichter vom Richter. Zugleich müssen sie sich aber vor dem ganzen Publikum Gehör verschaffen können, das über den engeren Kreis der Salons, Kaffeehäuser und Gesellschaften, noch zu deren Blütezeit, hinauswächst. Bald wird die Zeitschrift, zuerst die handgeschriebene Korrespondenz, dann die gedruckte Monats- oder Wochenschrift zum publizistischen Instrument dieser Kritik. Die kunst- und kulturkritischen Journale sind als Instrumente der 33
dürfen und sollen das Publikum erziehen, aber nur soweit sie durch Argumente überzeugen, und nicht durch bessere Argumente selbst belehrt werden können. 33 Die Avisenschreiberei avanciert, sobald die Presse kritische Funktionen übernimmt, zum literarischen Journalismus. Dessen Ursprung aus dem geselligen R ä sonnement steht den frühen Journalen, die sich Monatsgespräche, Monatliche Unterredungen usw. nennen, auf der Stirn geschrieben. Ihre Verbreitung ist exemplarisch in Deutschland zu verfolgen. Aus den Thomasianischen Zeitschriften gehen als erste die »Gelehrten Anzeigen« hervor, die mit Referaten und Rezensionen Philosophie und Wissenschaften öffentlich zur Diskussion stellen. Die bekannten »Frankfurtischen Gelehrten Zeitungen« (seit 1736) befassen sich ebenfalls mit den »schönen Wissenschaften«. Im Anschluß an Gottscheds B e m ü h u n gen entfalteten sich die literaturkritischen Journale mit der von Nicolai ( 1 7 7 7 ) in Berlin gegründeten »Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen K ü n ste« zu voller Blüte. Seit Lessings und M y l i u s ' »Beiträgen zur Historie und Aufnahme des Theaters« (1750) entsteht die journalistische Theaterkritik. A u c h musikkritische Journale werden, obgleich weniger häufig als Theaterzeitschriften, gegründet, nachdem A d a m Hiller in Leipzig mit seinen »Wöchentlichen N a c h 104
institutionalisierten Kunstkritik typische Schöpfungen des 18. Jahrhunderts. »Merkwürdig genug ist es ja«, so wundert sich Dresdner mit Recht, »daß die Kunstkritik, nachdem die Welt jahrtausendelang ohne sie sehr gut ausgekommen ist, gegen die Mitte des 18. Jahrhunderts mit einem Male auf der Bildfläche erscheint.« Auf der einen Seite ist Philosophie nur mehr als eine kritische, sind Literatur und Kunst bloß noch im Zusammenhang mit Literaturund Kunstkritik möglich; in den »kritischen Journalen« kommt das, was die Werke selbst kritisieren, erst zu ihrem eigenen Ende. Andererseits gelangt auch das Publikum erst auf dem Wege über die kritische Aneignung von Philosophie, Literatur und Kunst dazu, sich aufzuklären, ja, sich als den lebendigen Prozeß der Aufklärung zu begreifen. Ein Schlüsselphänomen in diesem Zusammenhang sind die moralischen Wochenschriften. Hier sind die Momente noch beisammen, die später auseinandertreten. Die kritischen Journale haben sich vom geselligen Gesprächskreis bereits ebenso abgelöst wie von den Werken, auf die sie sich räsonierend beziehen. Jene Wochenschriften sind hingegen Teil der Kaffeehausdiskussionen unmittelbar und verstehen sich doch auch als ein Stück Literatur - mit gutem Grund hat man sie periodische Essays genannt. Als Steele und Addison 1709 die erste Nummer des »Tatler« herausbrachten, waren die Kaffeehäuser bereits so zahlreich, die Kreise der Kaffeehausbesucher schon so weit gezogen, daß der Zusammenhang dieser tausendfachen Zirkel nur noch durch eine Zeitung gewahrt werden konnte. Gleichzeitig ist die neue Zeitschrift so 34
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richten und Anmerkungen die Musik betreffend« (1767) das Muster erst einmal geschaffen hat. 34 Dresdner, a. a. O . , S. 17. 35 L. Stephan, a. a. O . , S. 76: »The periodical essay represents the most successful! innovation of the day . . . because it represents the mode b y which the most cultivated writer could be brought into effective relation with the genuine interests of the largest audience.« 36 D e r »Tatler« wendet sich ausdrücklich an die »worthy citizens w h o live more in a coffeehouse than in their shops«; Ausgabe vom 17. 5. 1709. 37 D e r »Tatler« erreichte sogleich eine Auflage von 4000. Wie stark das Interesse war, zeigt das allgemeine Bedauern, als der »Tatler« mit der Wende zum Jahre 1 7 1 1 plötzlich sein Erscheinen einstellt. Näheres bei Westerfrölke, a. a. O . , S. 64. 105
innig mit dem Kaffeehausleben verwoben, daß man es selbst aus den einzelnen Nummern geradezu hat rekonstruieren können. Die Zeitungsartikel werden vom Kaffeehauspublikum nicht nur zum Gegenstand ihrer Diskussionen gemacht, sondern als deren Bestandteil begriffen; das zeigt die Flut von Zeitschriften, aus der die Herausgeber wöchentlich eine Auswahl abdrucken. Die Leserbriefe erhalten, als der »Spectator« vom »Guardian« abgelöst wird, eine eigene Institution: an der Westseite von Button's Kaffeehaus wird ein Löwenkopf angebracht, durch dessen Rachen der Leser seine Briefe einwirft. Auch die Dialogform, die manche der Artikel beibehalten, bezeugt die Nähe zum gesprochenen Wort. Dieselbe Diskussion wird, in ein anderes Medium übertragen, fortgesetzt, um über die Lektüre wieder ins ursprüngliche Medium der Konversation einzugehen. Manche der späteren Wochenschriften dieses Genres erscheinen sogar ohne Datum, um die gleichsam überzeitliche Kontinuität des Prozesses wechselseitiger Aufklärung zu betonen. In den moralischen Wochenschriften tritt die Intention der Selbstverständigung derer, die sich zur Mündigkeit berufen fühlen, deutlicher hervor als in den späteren Journalen. Was sich zum Kunstrichtertum alsbald spezialisieren wird, ist in diesen Wochenschriften noch Kunst und Kunstkritik, Literatur und Literaturkritik in einem. Das Publikum hält sich mit dem Tatler, dem Spectator, dem Guardian den Spiegel vor; es versteht sich noch nicht auf dem Umweg einer Reflexion über Werke der Philosophie und Literatur, der Kunst und der Wissenschaft, sondern dadurch, daß es selbst als Gegenstand in die »Literatur« eingeht. Addison begreift sich als censor of manners and morals; er handelt von Wohltätigkeitsveranstaltungen und Armenschulen, macht Verbesserungsvorschläge für das Erziehungswesen, ermahnt zu Formen gesitteten Umgangs, polemisiert gegen das Laster des Spiels ebenso wie gegen Fanatismus und Pedanterie, gegen die Geschmacklosig38
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38 Seitdem erschienen die Zuschriften wöchentlich als »Roaring of the L i o n « . 39 Die englischen Vorbilder blieben für drei Generationen moralischer Wochenschriften verbindlich auch auf dem Kontinent. In Deutschland erschien 1 7 1 3 , in Hamburg, »Der Vernünftler«. E r wurde später v o m »Hamburger Patrioten« ( 1 7 2 4 - 1 7 2 6 ) an Erfolg weit übertroffen. Während des ganzen Jahrhunderts wächst in Deutschland die Zahl dieser Zeitschriften auf 1 8 7 ; in England sollen es während des gleichen Zeitraums 227, in Frankreich 3 1 gewesen sein.
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keit der Schöngeister und die Verschrobenheit der Gelehrten; er arbeitet an der Verbreitung der Toleranz, an der Emanzipation der bürgerlichen Sittlichkeit von der Moraltheologie, der Lebensweisheit von der Philosophie der Scholaren. Das Publikum, das derlei liest und bespricht, hat sich darin selbst zum Thema.
§ 6 Die bürgerliche Familie und die Institutionalisierung einer publikumsbezogenen Privatheit Während die frühen Institutionen der bürgerlichen Öffentlichkeit in ihrem Ursprung der vom Hof sich lösenden adligen Gesellschaft verhaftet sind, ist das in Theatern, Museen und Konzerten sich bildende »große« Publikum ein bürgerliches auch nach den Kriterien seiner sozialen Herkunft. Sein Einfluß gewinnt um 1750 Oberhand. Schon die moralischen Wochenschriften, die ganz Europa überfluten, treffen jenen Geschmack, der die mittelmäßige »Pamela« zum Bestseller des Jahrhunderts emporträgt. Sie entspringen bereits Bedürfnissen eines bürgerlichen Lesepublikums, die sich später in den literarischen Formen des bürgerlichen Trauerspiels und des psychologischen Romans genuin befriedigen können. Die Erfahrungen, über die ein sich leidenschaftlich selbst thematisierendes Publikum im öffentlichen Räsonnement der Privatleute miteinander Verständigung und Aufklärung sucht, fließen nämlich aus Quellen einer spezifischen Subjektivität: deren Heimstätte, im buchstäblichen Sinne, ist die Sphäre der patriarchalischen Kleinfamilie. Bekanntlich konsolidiert diese sich, hervorgehend aus Wandlungen der Familienstruktur, die sich mit der kapitalistischen Umwälzung seit Jahrhunderten anbahnen, als der in bürgerlichen Schichten dominante Typus. Der städtische Adel freilich, besonders der für das übrige Europa maßgebende der französischen Hauptstadt, hält weiterhin »Haus« und verpönt die Innerlichkeit bürgerlichen Familienlebens. Die Geschlechterfolge, zugleich Erbfolge der Privilegien, wird durch den Namen allein ausreichend garantiert; dazu bedarf es nicht einmal des gemeinsamen Hausstandes der Ehepartner, die oft genug ihr eigenes »hötel« bewohnen und sich zuweilen in der außerfamilialen Sphäre des Salons häufiger treffen als im Kreis der eigenen 107
Familie. Die maitresse ist Institution und dafür symptomatisch, daß die fluktuierenden, gleichwohl streng konventionalisierten Beziehungen des »gesellschaftlichen Lebens« eine Privatsphäre im bürgerlichen Sinne nur selten erlauben. Verspielte Intimität, wo sie dennoch zustande kommt, unterscheidet sich von der dauerhaften Intimität des neuen Familienlebens. Diese hebt sich andererseits gegen die älteren Formen großfamilialer Gemeinsamkeit ab, wie sie vom »Volke« noch, besonders auf dem Lande, weit über das 18. Jahrhundert hinaus festgehalten werden und vorbürgerlich auch in dem Sinne sind, daß sie sich der Unterscheidung von »öffentlich« und »privat« nicht fügen. Aber schon der sich verbürgerlichende englische Landadel des 17. Jahrhunderts scheint von einem derart ans »ganze Haus« gebundenen Lebensstil abgewichen zu sein. Die Privatisierung des Lebens läßt sich an einem architektonischen Stilwandel beobachten: »An den neugebauten Häusern wurden gewisse architektonische Änderungen vorgenommen. Die hohe, mit Deckengebälk versehene Halle . . . kam nun aus der Mode. Speisezimmer und Wohnzimmer wurden jetzt in Stockwerkhöhe aufgeführt, wogegen die verschiedenen Zwecke, denen die alte Halle hatte dienen müssen, einer Anzahl von Räumen gewöhnlicher Größe zugeteilt wurden. Auch der Hof, . . . in dem sich ein so großer Teil des Lebens abgespielt hatte, schrumpfte zusammen . . . , ebenso wurde der Hof von der Mitte des Hauses an seine Hinterfront verlegt.« Was Trevelyan hier vom Landsitz der englischen Gentry berichtet, gilt auf dem Kontinent für die Bürgerhäuser des folgenden Jahrhunderts: »In den modernen großstädtischen Privathäusern sind fast alle dem >ganzen Hause< dienenden Räume auf das dürftigste Maß beschränkt: die breiten Vorplätze sind zu einem armseligen schmalen Hausgang zusammengeschrumpft, statt der Familie und der Hausgeister tummeln sich nur noch Mägde und Köchinnen in der profanierten Küche; namentlich sind aber die Höfe . . . häufig zu schmalen, feuchten, stinkenden Winkeln geworden . . . Schauen wir in das Innere unserer Wohnungen, so findet sich's, daß das >Familienzimmer<, der gemeinsame Aufenthalt für Mann und Weib und Kinder und Gesinde immer kleiner geworden oder ganz verschwunden ist. Da40
40 Trevelyan, a. a. O . , S. 242.
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gegen werden die besondern Zimmer für einzelne Familienglieder immer zahlreicher und eigentümlicher ausgestattet. Die Vereinsamung des Familiengliedes selbst im Innern des Hauses gilt für vornehm.« Riehl analysiert jenen Prozeß der Privatisierung, der das Haus, wie er es einmal ausdrückt, für die einzelnen wohnlicher, für die Familie aber enger und ärmer werden läßt. Die großfamiliale »Öffentlichkeit« der Wohnhalle, in der die Frau des Hauses an der Seite des Hausherrn vor Gesinde und Nachbarschaft repräsentiert, weicht der kleinfamilialen des Wohnzimmers, wo die Ehegatten mit ihren unmündigen Kindern sich vom Personal absondern. Hausfeste werden zu Gesellschaftsabenden, das Familienzimmer wird zum Empfangszimmer, in dem sich die Privatleute zum Publikum versammeln: »Jene dem ganzen Haus gewidmeten Plätze und Hallen sind auf das kleinste zusammengedrängt. Der bedeutsamste Raum im vornehmen bürgerlichen Hause wird dagegen einem ganz neuen Gemach zugeteilt: dem Salon . . . Der Salon dient aber auch nicht dem >Hause<, sondern der >Gesellschaft<; und diese Gesellschaft des Salons ist weit entfernt, gleichbedeutend zu sein mit dem engen, festgeschlossenen Kreis der Freunde des Hauses.« Die Linie zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit geht mitten durchs Haus. Die Privatleute treten aus der Intimität ihres Wohnzimmers in die Öffentlichkeit des Salons hinaus; aber eine ist streng auf die andere bezogen. Nur noch der Name des Salons erinnert an den Ursprung des geselligen Disputierens und des öffentlichen Räsonnements aus der Sphäre der adligen Gesellschaft. Von dieser hat sich der Salon als Ort des Verkehrs der bürgerlichen Familienväter und ihrer Frauen inzwischen gelöst. Die Privatleute, die sich hier zum Publikum formieren, gehen nicht »in der Gesellschaft« auf; sie treten jeweils erst aus einem privaten Leben sozusagen hervor, das im Binnenraum der patriarchalischen Kleinfamilie institutionelle Gestalt gewonnen hat. 41
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41 W. FL Riehl, Die Familie, 10. Aufl., Stuttgart 1889, S. 174 u. 179. 42 E b d . S. 187: »Das architektonische Symbol für die Stellung des einzelnen zur Familie war im alten Haus der Erker. Im Erker, der eigentlich zum Familienzimmer, zur Wohnhalle gehört, findet der einzelne wohl seinen Arbeits-, Spiel- und Schmollwinkel, er kann sich dorthin zurückziehen, aber er kann sich nicht abschließen, denn der Erker ist gegen das Zimmer offen.« 43 E b d . S. 1 8 5 . 109
Dieser ist der Ort einer psychologischen Emanzipation, die der politisch-ökonomischen entspricht. Obschon die Sphäre des Familienkreises sich selbst als unabhängig, als von allen gesellschaftlichen Bezügen losgelöst, als Bereich der reinen Menschlichkeit wahrhaben möchte, steht sie mit der Sphäre der Arbeit und des Warenverkehrs in einem Verhältnis der Abhängigkeit - noch das Bewußtsein der Unabhängigkeit läßt sich aus der tatsächlichen Abhängigkeit jenes intimen Bereichs von dem privaten des Marktes begreifen. In gewisser Weise können sich Warenbesitzer als autonom verstehen. Im Grade ihrer Emanzipation von staatlichen Direktiven und Kontrollen entscheiden sie nach Maßgabe der Rentabilität frei, darin niemandem zu Gehorsam verpflichtet und nur den anonymen, nach einer, wie es scheint, dem Markte innewohnenden ökonomischen Rationalität funktionierenden Gesetzen unterworfen. Diese sind mit der ideologischen Garantie des gerechten Tausches versehen und sollen überhaupt Gewalt durch Gerechtigkeit überwinden können. Eine solche in der Verfügung über Eigentum gegründete, in der Teilnahme am Tauschverkehr gewissermaßen auch verwirklichte Autonomie der Privatleute muß sich als solche darstellen lassen. Der Selbständigkeit der Eigentümer auf dem Markte entspricht eine Selbstdarstellung der Menschen in der Familie. Deren, wie es scheint, vom gesellschaftlichen Zwang gelöste Intimität ist das Siegel auf die Wahrheit einer im Wettbewerb geübten Privatautonomie. Private Autonomie, die ihren ökonomischen Ursprung verleugnet, eine außerhalb des Bereichs der durch den autonom sich dünkenden Marktteilnehmer einzig praktizierten, 44
44 Vgl. Hans Paul Bahrdt, Öffentlichkeit und Privatheit als Grundformen städtischer Soziierung (Manuskript) 1956, S. 32: »Die Verinnerlichung und Kultivierung des familiären Lebens, Wohnkultur der bewußten Gestaltung der engsten dinglichen Umwelt, Privatbesitz von Bildungsmitteln und gemeinsame Benutzung durch die kleine soziale G r u p p e , geistiger Austausch als die normale und integrierende F o r m des Zusammenlebens von Blutsverwandten, ein von der K i r che relativ unabhängiges religiöses Leben im Kreis der Familie, individuelle E r o tik, Freiheit der Partnerwahl, die im Endstadium der Entwicklung nicht einmal mehr das Vetorecht der Eltern anerkennt - all das sind typische Erscheinungen des Ausbaus der privaten Sphäre und zugleich der bürgerlichen Kultur und Gesittung« (inzwischen in erweiterter Fassung erschienen in: H . P. Bahrdt, D i e m o derne Großstadt, Hamburg 1 9 6 1 , S. 36ft.). 110
verleiht denn auch der bürgerlichen Familie das Bewußtsein ihrer selbst. Sie scheint freiwillig und von freien Einzelnen begründet und ohne Zwang aufrechterhalten zu werden; sie scheint auf der dauerhaften Liebesgemeinschaft der beiden Gatten zu beruhen; sie scheint jene zweckfreie Entfaltung aller Fähigkeiten zu gewähren, die die gebildete Persönlichkeit auszeichnet. Die drei Momente der Freiwilligkeit, der Liebesgemeinschaft und der Bildung schließen sich zu einem Begriff der Humanität zusammen, die der Menschheit als solcher innewohnen soll und wahrhaft ihre absolute Stellung erst ausmacht: die im Worte des rein oder bloß Menschlichen noch anklingende Emanzipation eines nach eigenen Gesetzen sich vollziehenden Inneren von äußerem Zweck jeder Art. Diese Idee, die sich die kleinfamihale Intimsphäre von sich selber macht, kollidiert allerdings mit den realen Funktionen der bürgerlichen Familie noch im Bewußtsein der Bürgerlichen selber. Denn natürlich ist die Familie von dem Zwang nicht ausgenommen, dem die bürgerliche Gesellschaft wie jede vor ihr unterstand. Sie spielt ihre genau umschriebene Rolle im Verwertungsprozeß des Kapitals. Sie garantiert als ein genealogischer Zusammenhang die personelle Kontinuität, die sachlich in der Akkumulation des Kapitals besteht und im Recht auf freie Vererbung des Eigentums verankert ist. Vor allem dient sie, als eine Agentur der Gesellschaft, der Aufgabe jener schwierigen Vermittlung, die beim Schein der Freiheit die strenge Einhaltung der gesellschaftlich notwendigen Forderungen dennoch herstellt. Freud hat den Mechanismus der Internalisierung väterlicher Autorität entdeckt; seine Schüler haben ihn sozialpsychologisch dem Typus der patriarchalischen Kleinfamilie zugeordnet. Jedenfalls entsprach der Selbständigkeit des Eigentümers auf dem Markte und im eigenen Betrieb die Abhängigkeit der Frau und der Kinder vom Familienvater; die Privatautonomie dort setzte sich hier in Autorität um und machte jene prätendierte Freiwilligkeit der Individuen illusorisch. Auch die Vertragsform der Ehe, die die autonome Willenserklärung beider Partner unterstellt, war weithin Fiktion; zumal die Eheschließung, soweit die Familie Träger des Kapitals ist, von Rücksichten auf dessen Erhaltung und 45
45 Vgl. besonders Erich F r o m m in: M a x Horkheimer, Autorität und Familie, Paris
1936, S. 7jti. i n
Mehrung nicht freibleiben konnte. Die Gefährdung, die dadurch der Idee der Liebesgemeinschaft entsteht, beschäftigt als Konflikt von Liebe und Vernunft, sprich: Geld- und Standesheirat, die Literatur bis in unsere Tage, und nicht nur die Literatur. Schließlich widersprachen auch die Bedürfnisse des Berufes einer Idee von Bildung, die sich selbst einziger Zweck sein darf. Bald hat dann Hegel begriffen, wie Bildung in dem Kern, den sie als bürgerliche nicht wahrhaben darf, der gesellschaftlich notwendigen Arbeit verhaftet bleibt. Der alte Widerspruch setzt sich bis heute fort im Streit um Persönlichkeitsbildung auf der einen und einer bloße Fertigkeiten vermittelnden Ausbildung auf der anderen Seite. Wenn derart die Bedürfnisse der bürgerlichen Gesellschaft das Selbstverständnis der Familie als einer Sphäre der intim sich herstellenden Humanität arg durchlöchern, so sind doch solche immerhin aus den Erfahrungen der kleinfamilialen Privatsphäre erwachsenen Ideen der Freiheit, der Liebe und der Bildung nicht Ideologie schlechthin. Als ein in die Gestalt der wirklichen Institution mit aufgenommener objektiver Sinn, ohne dessen subjektive Geltung die Gesellschaft sich nicht hätte reproduzieren können, sind diese Ideen auch Realität. Mit dem spezifischen Begriff der Humanität verbreitet sich im Bürgertum eine Auffassung vom Bestehenden, das ganz vom Zwang des Bestehenden Erlösung verspricht, ohne in ein Jenseits auszubrechen. Das Transzendieren der festgehaltenen Immanenz ist das Moment Wahrheit, das bürgerliche Ideologie über Ideologie selbst hinaushebt; am ursprünglichsten eben dort, wovon die Erfahrung der »Humanität« ihren Ausgang nimmt: in der Humanität der intimen Beziehung der Menschen als bloßer Menschen im Schutz der Familie. 46
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46 Vgl. meine Glosse »Heiratsmarkt« in: Zeitschrift Merkur, N o v . 1956. 47 D e r Renaissancehumanismus hat soziologisch andere Wurzeln als der englischfranzösische Aufklärungshumanismus und der Neuhumanismus der deutschen Klassik, von denen hier die Rede ist. 48 Vgl. M . Horkheimer, Autorität und Familie, a. a. O . , S. 64: »Die Verdinglichung des Menschen in der Wirtschaft als bloße Funktion einer ökonomischen G r ö ß e setzt sich zwar auch in der Familie fort, soweit der Vater zum Geldverdiener, die Frau zum Geschlechtsobjekt oder zur häuslichen Leibeigenen, und die Kinder, sei es zu Erben des Vermögens oder zu lebendigen Versicherungen werden, von denen man alle Mühe später mit Zinsen zurückerwartet. D e r Mensch hat jedoch 112
In der Sphäre der kleinfamilialen Intimität verstehen die Privatleute sich als unabhängig auch noch v o n der privaten Sphäre ihrer w i r t schaftlichen Tätigkeit - eben als Menschen, die zueinander in »rein menschliche« Beziehung treten können; deren literarische Form ist damals der Briefwechsel. Das 18. Jahrhundert wird nicht zufällig zu einem des Briefes; Briefe schreibend entfaltet sich das Individuum in seiner Subjektivität. In den Anfängen des modernen Postverkehrs hauptsächlich ein Transportmittel für Neue Zeitungen, dient der Brief bald auch gelehrter Korrespondenz und familiärer Artigkeit. Aber noch der »wohlgesetzte« Familienbrief des 17. Jahrhunderts, der dem Gatten »Ehelieb und Treu zuvor« entbietet oder den Herrn Vater wie die Frau Mutter des kindlichen Gehorsams versichert, lebt von den trockenen Mitteilungen, den »Zeitungen«, die sich dann zur eigenen Rubrik verselbständigt hatten. Herders Braut hingegen fürchtet bereits, ihre Briefe möchten »nichts als Erzählung« enthalten, »und Sie sind gar imstande und halten mich für eine gute Zeitungsschreiberin«. Im Zeitalter der Empfindsamkeit sind Briefe Behälter für die »Ergießung der Herzen« eher als für »kalte Nachrichten«, die, wenn sie überhaupt erwähnt werden, der Entschuldigung bedürfen. Der Brief gilt, im zeitgenössischen Jargon, der Geliert so viel verdankt, als »Abdruck der Seele«, als ein »Seelenbesuch«; Briefe wollen mit Herzblut geschrieben, wollen geradezu geweint sein. Das psychologische Interesse wächst von Anbeginn in der doppelten Beziehung auf sich selbst und auf den anderen: Selbstbeobachtung geht eine neugierige teils, teils mitfüh49
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in der Familie, w o die Beziehungen nicht durch den Markt vermittelt sind und sich die einzelnen nicht als Konkurrenten gegenüberstehen, stets auch die M ö g lichkeit besessen, nicht bloß als Funktion, sondern als Mensch zu wirken. Während im bürgerlichen Leben das gemeinschaftliche Interesse einen wesentlich negativen Charakter trägt und in der A b w e h r von Gefahren sich bestätigt, hat es in der Geschlechtsliebe und vor allem in der mütterlichen Sorge eine positive G e stalt. Die Entfaltung und das G l ü c k des anderen wird in dieser Einheit g e w o l l t . . . Die bürgerliche Familie führt insofern nicht nur zur bürgerlichen Autorität, sondern zur A h n u n g eines besseren menschlichen Zustandes.« 49 G . Steinhausen, Geschichte des deutschen Briefes, Berlin 1889, besonders S. 245 ff50 E b d . S. 288. 51 In Deutschland hat ohnehin der Pietismus diesen Formen säkularisierter Sentimentalität vorgearbeitet. 113
lende Verbindung ein mit den seelischen Regungen des anderen Ichs. Das Tagebuch wird zu einem an den Absender adressierten Brief; die Ich-Erzählung das an fremde Empfänger adressierte Selbstgespräch; gleichermaßen Experimente mit der in den kleinfamilial-intimen Beziehungen entdeckten Subjektivität. Diese, als der innerste Hof des Privaten, ist stets schon auf Publikum bezogen. Der Gegensatz zur literarisch vermittelten Intimität ist Indiskretion, nicht Publizität als solche. Fremde Briefe werden nicht nur ausgeliehen, abgeschrieben; manche Briefwechsel sind von vorneherein, wie in Deutschland die Beispiele Gellerts, Gleims und Goethes zeigen, zum Druck vorgesehen. Eine damals geläufige Redewendung bestätigt denn auch dem gelungenen Briefe, er sei »zum Drucke schön«. So erklärt sich der Ursprung der typischen Gattung und eigentlichen literarischen Leistung jenes Jahrhunderts aus der direkt oder indirekt publizitätsbezogenen Subjektivität der Briefwechsel und der Tagebücher: der bürgerliche Roman, die psychologische Schilderung in autobiographischer Form. Sein frühes und für lange Zeit wirkungsvollstes Exemplar, die »Pamela« (1740), entstand geradezu aus Richardsons Absicht, eine der beliebten Sammlungen von Musterbriefen herzustellen. Unter der Hand gedieh dann dem Autor die als Aufhänger herangezogene Geschichte zur Hauptsache. Zum Muster, nicht zwar für Briefe, aber für Romane in Briefen, ist die »Pamela« in der Tat geworden. Nicht nur Richardson selbst bleibt mit »Clarissa« und »Sir Charles Grandison« bei der einmal gefundenen Form. Als sich Rousseau mit »La Nouvelle Heloise«, schließlich Goethe mit »Werthers Leiden« der Form des Briefromans bedient, gibt es kein Halten mehr. Das ausgehende Jahrhundert bewegt sich in dem, zu seinem Beginn fast kaum erforschten, Terrain der Subjektivität genüßlich und mit Sicherheit. Die Beziehungen zwischen Autor, Opus und Publikum verändern sich: sie werden zu intimen Beziehungen der psychologisch am »Menschlichen«, an Selbsterkenntnis ebenso wie an Einfühlung interessierten Privatleute untereinander. Richardson weint über die Akteure seiner Romane ebenso wie seine Leser; Autor und Leser werden selbst zu den Akteuren, die »sich aussprechen«. Besonders Sterne raffiniert ja die Rolle des Erzählers durch Reflexionen, durch 114
Adressen, fast durch Regieanweisungen; er setzt den Roman noch einmal in Szene für das einbezogene Publikum, nicht zu Zwecken der Verfremdung, sondern um den Unterschied von Schein und Sein vollends zu verschleiern. Die Realität als Illusion, die die neue Gattung kreiert, nennt das Englische mit »fiction« beim Namen: den Charakter eines bloß Fingierten streift sie ab. Der psychologische Roman schafft erst jenen Realismus, der jedem gestattet, in die literarische Handlung als Ersatzhandlung für eine eigene einzutreten, die Beziehungen zwischen den Figuren, zwischen Leser, Figuren und Autor als Ersatzbeziehungen der Wirklichkeit unterzuschieben. Auch das zeitgenössische Drama wird durch die Einführung der »vierten Wand« zu fiction, nicht anders als der Roman. Derselben Madame de Stael, die in ihrem Hause ausschweifend jenes Gesellschaftsspiel pflegte, bei dem sich nach dem Essen alle Anwesenden zurückziehen, um sich gegenseitig Briefe zu schreiben, kommt es zu Bewußtsein, daß die Personen sich selbst und anderen zu »sujets de fiction« werden. Die Sphäre des Publikums entsteht in den breiteren Schichten des Bürgertums zunächst als Erweiterung und gleichzeitig Ergänzung der Sphäre kleinfamilialer Intimität. Wohnzimmer und Salon befinden sich unter dem gleichen Dach; und wie die Privatheit des einen auf die Öffentlichkeit des anderen angewiesen, die Subjektivität des privaten Individuums auf Publizität von Anbeginn bezogen ist, so ist auch in der zu »fiction« gewordenen Literatur beides zusammengefaßt. Einerseits wiederholt der sich einfühlende Leser die in der Literatur vorgezeichneten privaten Beziehungen; er erfüllt die fingierte Intimität aus der Erfahrung der realen, und erprobt sich an jener für diese. Andererseits ist die von Anfang an literarisch vermittelte Intimität, ist die literaturfähige Subjektivität tatsächlich zur Literatur eines breiten Lesepublikums geworden; die zum Publikum zusammentretenden Privatleute räsonieren auch öffentlich über das Gelesene und bringen es in den gemeinsam vorangetriebenen Prozeß der Aufklärung ein. Zwei Jahre nachdem Pamela auf der literarischen Bühne erscheint, wird die erste öffentliche Bücherei gegründet; Buchclubs, Lesezirkel, Subskriptionsbüchereien schie52
52 Vgl. Hauser, a. a. O . , B d . I I , S. 74; über die Rolle des Erzählers vgl. W. Kays er, Entstehung und Krise des modernen Romans, Göttingen 1954. 115
ßen aus dem Boden und lassen in einer Zeit, in der sich, wie seit 1 7 5 0 in England, auch der Umsatz der Tageszeitungen und Wochenzeitschriften innerhalb eines Viertel)ahrhunderts verdoppelt, die Romanlektüre in den bürgerlichen Schichten zur Gewohnheit werden. Diese bilden das Publikum, das aus jenen frühen Institutionen der Kaffeehäuser, der Salons, der Tischgesellschaften längst herausgewachsen ist und nun durch die Vermittlungsinstanz der Presse und deren professioneller Kritik zusammengehalten wird. Sie bilden die Öffentlichkeit eines literarischen Räsonnements, in dem sich die Subjektivität kleinfamilial-intimer Herkunft mit sich über sich selbst verständigt. 53
§ 7 Die literarische im Verhältnis zur politischen Öffentlichkeit Der Prozeß, in dem die obrigkeitlich reglementierte Öffentlichkeit vom Publikum der räsonierenden Privatleute angeeignet und als eine Sphäre der Kritik an der öffentlichen Gewalt etabliert wird, vollzieht sich, als Umfunktionierung der schon mit Einrichtungen des Publikums und Plattformen der Diskussion ausgestatteten literarischen Öffentlichkeit. Durch diese vermittelt, geht der Erfahrungszusammenhang der publikumsbezogenen Privatheit auch in die politische Öffentlichkeit ein. Die Vertretung der Interessen einer privatisierten Sphäre der Verkehrs Wirtschaft wird mit Hilfe von Ideen interpretiert, die auf dem Boden kleinfamiliarer Intimität gewachsen sind: Humanität hat hier ihren genuinen Ort, und nicht, wie es ihrem griechischen Vorbild entspräche, in der Öffentlichkeit selbst. Mit der Entstehung einer Sphäre des Sozialen, um deren Regelung die öffentliche Meinung mit der öffentlichen Gewalt streitet, hat sich das Thema der modernen Öffentlichkeit, im Vergleich zur antiken, von den eigentlich politischen Aufgaben der gemeinsam agierenden Bürgerschaft (Rechtsprechung im Inneren, Selbstbehauptung nach außen) zu den eher zivilen Aufgaben einer öffentlich räsonierenden Gesellschaft (der Sicherung des Warenverkehrs) verschoben. Die politische Aufgabe bürgerlicher Öffentlichkeit ist die 53 G . D . Leavis, Fiction and the Reading Public, L o n d o n 1 9 3 2 , S. 1 3 0 ; auch: Altick, a. a. O . , S. 30ff.
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Regelung der Zivilsozietät (im Unterschied zur res publica); mit den Erfahrungen einer intimisierten Privatsphäre gleichsam im Rücken, bietet sie der etablierten monarchischen Autorität die Stirn; in diesem Sinne hat sie von Anbeginn privaten und polemischen Charakter zugleich. Dem griechischen Modell der Öffentlichkeit fehlen beide Züge: denn der private Status des Hausherrn, von dem sein politischer als Bürger abhängt, beruht auf Herrschaft ohne irgendeinen durch Innerlichkeit vermittelten Schein der Freiheit; und agonal ist das Verhalten der Bürger bloß im spielerischen Wettbewerb miteinander, der eine Scheinform des Kampfes gegen den äußeren Feind darstellt, und nicht etwa in der Auseinandersetzung mit der eigenen Regierung. Die Dimension der Polemik, innerhalb deren Öffentlichkeit während des 18. Jahrhunderts zu politischer Wirkung gelangt, wird, während der beiden vorangehenden Jahrhunderte, in der staatsrechtlichen Kontroverse um das Prinzip absoluter Herrschaft schon entfaltet. Die apologetische Literatur der Staatsarkana bringt die Mittel zur Sprache, mit deren Hilfe der Fürst seine Souveränität, die jura imperii, allein behaupten kann - eben die arcana imperii, jener ganze durch Macchiavell inaugurierte Katalog geheimer Praktiken, die die Erhaltung der Herrschaft über das unmündige Volk sichern sollen. Der Arkanpraxis wird später das Prinzip der Publizität entgegengehalten. Die zeitgenössischen Gegner, die Monarchomachen, stellen die Frage, ob das Gesetz von der Willkür der Fürsten abhängen oder ob dessen Befehl nur auf Grund eines Gesetzes statthaft sein soll. Als den Gesetzgeber haben sie damals freilich die Ständeversammlungen im Sinn: die Polemik der M on arc horn achen lebt noch von der Spannung zwischen dem Fürsten und den Herrschaftsständen, aber sie richtet sich bereits gegen dieselbe absolutistische Bürokratie, auf die, seit dem Ende des 17. Jahrhunderts, dann auch die bürgerliche Polemik abzielt. Ja, gegen den gemeinsamen Gegner verschlingen sich, noch bei Montesquieu, die beiden Frontlinien oft bis zur UnUnterscheidbarkeit. Einzig zuverlässiges 54
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54 Z u m klassischen Begriff der societas civilis vgl. M . Riedel, Aristotelestradition am Ausgang des 1 8 . J h . , in: Festschrift f. O t t o Brunner, Göttingen 1962, S. 278 ff. 55 C . Schmitt, Die Diktatur 2, München - Leipzig 1928, S. 14ff. 117
Kriterium der Unterscheidung der jüngeren von der alten Polemik ist der strenge Begriff des Gesetzes, der nicht nur Gerechtigkeit im Sinne der wohlerworbenen Rechte, sondern Gesetzlichkeit durch die Setzung genereller und abstrakter Normen verbürgt. Gewiß kennt die philosophische Tradition, sowohl die aristotelisch-scholastische als auch die moderne cartesische, die Kategorie der lex generalis oder universalis; aber im Bereich der Sozialphilosophie und Politik wird sie erst von Hobbes implizite eingeführt, von Montesquieu ausdrücklich definiert. »Whoever has the legislative or supreme power of any commonwealth, is bound to govern by established standing laws, promulgated and known to the people, and not by extemporary decrees . . . « . Locke schreibt dem Gesetz, im Unterschied zu Befehl und Anordnung, constant and lasting force zu. In der französischen Literatur des folgenden Jahrhunderts wird diese Bestimmung präzisiert: »Les lois . . . sont les rapports necessaires qui derivent de la nature des choses.« Sie sind Vernunftsregeln von einer gewissen Allgemeinheit und Dauer. Regierung mit Dekreten und Edikten nennt Montesquieu une mauvaise sorte de legislation. Damit ist die Umkehrung des in Hobbes' Staatstheorie endgültig formulierten Prinzips der absoluten Herrschaft vorbereitet: Veritas non auctoritas facit legem. Dem »Gesetz«, Inbegriff der generellen, abstrakten und permanenten Normen, zu deren bloßem Vollzug Herrschaft herabgesetzt werden soll, wohnt eine Rationalität inne, in der das Richtige mit dem Gerechten konvergiert. 56
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Geschichtlich hat sich der polemische Anspruch dieser Art Rationalität gegen die Arkanpraxis der fürstlichen Autorität im Zusammenhang mit dem öffentlichen Räsonnement der Privatleute entwickelt. Wie die Arkana einer Aufrechterhaltung der auf voluntas gegründeten Herrschaft, so soll Publizität der Durchsetzung einer auf ratio gegründeten Gesetzgebung dienen. Schon Locke bindet $6 Z u m strengen Gesetzesbegriff des 18. Jahrhunderts vgl. E. Lask, Fichtes G e schichtsphilosophie, 1902; von juristischer Seite zuletzt: E.W.
Böckenförde,
Gesetz und gesetzgebende Gewalt, Berlin 1958, S. 20ff. 57 J . L o c k e , Two Treaties of Civil Government, L o n d o n 1 9 5 3 , S. 1 8 2 . 58 E b d . S. 1 9 1 . 59 Montesquieu, Oeuvres completes, ed. Masson, Paris 1 9 5 0 , 1 , I, S. 1. 60 E b d . X X I X , 17, S. 289.
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das öffentlich bekanntgemachte Gesetz an einen c o m m o n consent; und Montesquieu führt es schlechthin auf die raison humaine zurück; aber den Physiokraten ist es, wovon noch zu handeln sein wird, vorbehalten, das Gesetz explizit auf die in der öffentlichen Meinung sich aussprechende Vernunft zu beziehen. In der bürgerlichen Öffentlichkeit entfaltet sich ein politisches Bewußtsein, das gegen die absolute Herrschaft den Begriff und die Forderung genereller und abstrakter Gesetze artikuliert, und schließlich auch sich selbst, nämlich öffentliche Meinung, als die einzig legitime Quelle dieser Gesetze zu behaupten lernt. Im Laufe des 1 8 . Jahrhunderts wird die öffentliche Meinung die legislative Kompetenz für jene Normen beanspruchen, die ihr selbst den polemisch-rationalistischen Begriff erst verdanken. Die Kriterien der Generalität und Abstraktheit, die die Gesetzesnorm auszeichnen, mußten für die Privatleute, die sich im Kommunikationsprozeß der literarischen Öffentlichkeit ihrer aus der Intimsphäre hervorgehenden Subjektivität versichern, eine eigentümliche Evidenz haben. Denn als Publikum stehen sie bereits unter dem unausgesprochenen Gesetz einer Parität der Gebildeten, dessen abstrakte Allgemeinheit einzig die Gewähr dafür bietet, daß die ihm ebenso abstrakt, als »bloße Menschen« subsumierten Individuen gerade durch sie in ihrer Subjektivität freigesetzt werden. Die zu bürgerlich-revolutionären Propagandaformeln der »Gleichheit« und »Freiheit« erstarrten Klischees bewähren hier noch ihren lebendigen Zusammenhang: das öffentliche Räsonnement des bürgerlichen Publikums vollzieht sich im Prinzip unter Absehung von allen sozial und politisch präformierten Rängen nach allgemeinen Regeln, die, weil sie den Individuen als solchen streng äußerlich bleiben, der literarischen Entfaltung ihrer Innerlichkeit; weil sie allgemein gelten, dem Vereinzelten; weil sie objektiv sind, dem Subjektivisten; weil sie abstrakt sind, dem Konkretesten einen Spielraum sichern. Gleichzeitig beansprucht, was unter solchen Bedingungen aus dem öffentlichen Räsonnement resultiert, Vernünftigkeit; ihrer Idee nach verlangt eine aus der Kraft des besseren Arguments geborene öffentliche Meinung jene moralisch prätentiöse Rationalität, die das Rechte und das Richtige in einem zu treffen 61
61 Vgl. unten § 1 2 . 119
sucht. Die öffentliche Meinung soll der »Natur der Sache« entsprechen. Deshalb können »Gesetze«, die sie nun auch für die Sozialsphäre' aufstellen möchte, neben den formellen Kriterien der Generalität und Abstraktheit, auch Rationalität als ein materiales Kriterium für sich beanspruchen. In diesem Sinne erklären die Physiokraten, daß allein opinion publique den ordre naturel erkennt und sichtbar macht, damit ihn dann der aufgeklärte Monarch in Gestalt genereller Normen zur Grundlage seines Handelns machen kann - Herrschaft soll auf diesem Wege mit Vernunft zur Konvergenz gebracht werden. Das an der zentralen Kategorie der Gesetzesnorm demonstrierte Selbstverständnis der politischen Öffentlichkeit ist durch das institutionsgerechte Bewußtsein der literarischen Öffentlichkeit vermittelt. Uberhaupt schieben sich die beiden Gestalten der Öffentlichkeit eigentümlich ineinander. In beiden formiert sich ein Publikum von Privatleuten, deren in der Verfügung über privates Eigentum gegründete Autonomie sich in der Sphäre der bürgerlichen Familie als solche darstellen, in Liebe, Freiheit und Bildung, mit einem Wort: als Humanität sich innerlich verwirklichen möchte. Die Sphäre des Marktes nennen wir die private; die Sphäre der Familie, als Kern der privaten, die intime. Diese dünkt sich von jener unabhängig, während sie in Wahrheit tief in den Bedürfnissen des Marktes verstrickt ist. Die Ambivalenz der Familie, Agent der Gesellschaft und doch auch in gewisser Weise die antizipierte Emanzipation von der Gesellschaft zu sein, drückt sich in der Stellung der Familienmitglieder aus; sie sind einerseits durch patriarchalische Herrschaft zusammengehalten, andererseits durch menschliche Intimität einander verbunden. Als Privatmann ist der Bürgerliche beides in einem: Eigentümer über Güter und Personen sowie Mensch unter Menschen, bourgeois und homme. Diese Ambivalenz der Privatsphäre zeigt auch noch die Öffentlichkeit; je nachdem nämlich, ob sich die Privatleute im literarischen Räsonnement qua Men62
62 Z u m »natürlichen System der Geisteswissenschaften des .17. Jahrhunderts« vgl. die bekannte Untersuchung von Dilthey, Ges. Schrift. B d . I I , 5. Aufl., Göttg. 1957. D e n sozialphilosophischen Sinn und den soziologischen Zusammenhang des rationalistischen »Natur«begriffs klärt F. Borkenau, D e r Ubergang vom feudalen zum bürgerlichen Weltbild, Paris 1934. 120
sehen über Erfahrungen ihrer Subjektivität verständigen; oder ob sich die Privatleute im politischen Räsonnement qua Eigentümer über die Regelung ihrer Privatsphäre verständigen. Der Personenkreis beider Formen des Publikums deckt sich nicht einmal ganz: Frauen und Unselbständige sind von der politischen Öffentlichkeit faktisch wie juristisch ausgeschlossen; während die weibliche Leserschaft, auch Lehrlinge und Dienstboten, an der literarischen Öffentlichkeit oft stärkeren Anteil haben als die Privateigentümer und Familienväter selbst. Dennoch gilt in den gebildeten Ständen die eine Form der Öffentlichkeit als mit der anderen identisch; Öffentlichkeit erscheint im Selbstverständnis der öffentlichen Meinung eins und unteilbar. Sobald sich die Privatleute nicht nur qua Menschen über ihre Subjektivität verständigen, sondern qua Eigentümer die öffentliche Gewalt in ihrem gemeinsamen Interesse bestimmen möchten, dient die Humanität der literarischen Öffentlichkeit der Effektivität der politischen zur Vermittlung. Die entfaltete bürgerliche Öffentlichkeit beruht auf der fiktiven Identität der zum Publikum versammelten Privatleute in ihren beiden Rollen als Eigentümer und als Menschen schlechthin. Die Identifikation des Publikums der »Eigentümer« mit dem der »Menschen« läßt sich um so eher vollziehen, als der soziale Status der bürgerlichen Privatleute in der Regel ohnehin die Merkmale von Besitz und Bildung verknüpft. Vor allem wird die Fiktion der einen Öffentlichkeit aber dadurch erleichtert, daß sie ja tatsächlich Funktionen im Zusammenhang der politischen Emanzipation der bürgerlichen Gesellschaft vom merkantilistischen Reglement, überhaupt vom absolutistischen Regiment übernimmt: weil sie das Prinzip der Publizität gegen die etablierten Autoritäten wendet, kann anfangs die objektive Funktion der politischen Öffentlichkeit mit deren aus Kategorien der literarischen Öffentlichkeit gewonnenem Selbstverständnis, kann das Interesse der Privateigentümer mit dem individueller Freiheit überhaupt konvergieren. Locke's Basisformel der preservation of property subsumiert unter dem Titel »Eigentum« unbefangen life, liberty and estate in einem Atemzug; so leicht kann damals - nach einer Unterscheidung des jungen Marx - die politische Emanzipation mit der »menschlichen« identifiziert werden. 121
III Politische Funktionen der Öffentlichkeit § 8 Der Modellfall der englischen Entwicklung Eine politisch fungierende Öffentlichkeit entsteht zuerst in England mit der Wende zum 18. Jahrhundert. Kräfte, die auf die Entscheidungen der Staatsgewalt Einfluß nehmen wollen, appellieren an das räsonierende Publikum, um Forderungen vor diesem neuen Forum zu legitimieren. Im Zusammenhang mit dieser Praxis bildet sich die Stände Versammlung in ein modernes Parlament um, ein Prozeß, der sich freilich über das ganze Jahrhundert hinzieht. Es bleibt zu klären, warum in England soviel früher als in anderen Ländern Konflikte heranreifen, die derart unter Anteilnahme des Publikums ausgetragen werden. Als appellable Instanz besteht eine literarische Öffentlichkeit auch auf dem Kontinent. Dort wird sie indessen politisch erst virulent, als unter der Obhut des Merkantilismus die Durchsetzung der kapitalistischen Produktionsweise so weit fortgeschritten ist wie in England schon nach der Glorreichen Revolution. Denn hier entstanden in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts eine große Anzahl neuer Kompagnien, die vor allem die Textilmanufaktur und die Metallindustrie, auch die Papierfabrikation versorgen und erweitern. Der traditionelle Gegensatz zwischen landed und moneyed interest, der sich in England, wo die jüngeren Söhne der Landaristokratie schnell zu erfolgreichen Kaufleuten aufsteigen und die Großbourgeoisie oft genug Grundbesitz erwirbt, ohnehin nicht zu einem scharfen Klassengegensatz ausgeprägt hatte, wird nun von einem neuen Interessengegensatz überlagert: von dem zwischen den restriktiven Interessen des Kommerzund Finanzkapitals auf der einen und den expansiven Interessen des Manufaktur- und Industriekapitals auf der anderen Seite. Dieser Konflikt tritt mit dem Beginn des 18. Jahrhunderts ins Bewußtsein; erst seitdem sind commerce und trade nicht mehr ohne weiteres mit manufacture und industry synonym. Freilich wiederholt sich mit 1
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1 A m Grundbesitz »hingen« die meisten Parlamentssitze; vgl. K. Kluxen, Das P r o blem der politischen Opposition, München 1956, S. 7 1 . 2 D o b b , a. a. O . , S. 1 9 3 . 122
diesem Gegensatz ein, schon für die früheren Phasen der kapitalistischen Entwicklung typischer Antagonismus zwischen den Interessen einer älteren Generation, die sich auf dem Markt schon festgesetzt hatte, und denen einer jüngeren Generation, die den neuen Zweigen des Handels und Gewerbes Märkte erst erschließen muß. Hätte sich diese Konstellation auch weiterhin auf den engen Kreis der merchant-princes, wie noch zu Zeiten der Tudors, beschränkt, so wäre es wohl kaum dazu gekommen, daß beide Parteien an die neue Instanz des Publikums appellierten. Im nachrevolutionären England erfaßte aber der auf die Kapitalsphären als solche übergreifende Gegensatz eben in dem Maße, in dem sich die kapitalistische Produktionsweise durchsetzte, breitere Schichten; und da aus denselben Schichten inzwischen ein räsonierendes Publikum geworden war, lag es nahe, daß die jeweils schwächere Partei darauf bedacht war, die politische Auseinandersetzung in die Öffentlichkeit hineinzutragen. Um die Jahrhundertwende drängt so der Parteizwist auch in die nicht wahlberechtigte Bevölkerung ein. Am Beginn dieser Entwicklung stehen drei Ereignisse aus den Jahren 1694/95. Die Gründung der Bank von England bezeichnet, anders als die der Börsen von Lyon und Amsterdam, eine neue Stufe des Kapitalismus; sie verspricht die Befestigung des bislang durch den Handelsverkehr allein zusammengehaltenen Systems auf der Basis einer kapitalistisch revolutionierten Produktionsweise. Die Aufhebung des Instituts der Vorzensur bezeichnet eine neue Stufe in der Entwicklung der Öffentlichkeit; sie ermöglicht das Eindringen des Räsonnements in die Presse und läßt diese sich zu einem Instrument entfalten, mit dessen Hilfe politische Entscheidungen vor das neue Forum des Publikums gezogen werden können. Die erste Kabinettregierung bezeichnet endlich eine neue Stufe in der 3
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3 Die spezifische F o r m des modernen Kapitalismus setzt sich bekanntlich in dem Maße erst durch, in dem Finanz- und Handelskapital die alten Produktionsweisen in Stadt (Kleinwarenproduktion) und Land (feudale Landwirtschaftsproduktion) zunächst in Abhängigkeit bringen und dann in eine Produktion auf der Basis der Lohnarbeit überführen. Dauerhaft scheinen sich die kapitalistischen Formen des Warenverkehrs (Finanz- und Handelskapitalismus) nur dort
fortsetzen
zu kön-
nen, w o auch die Ware Arbeitskraft getauscht, mithin kapitalistisch produziert wird. 4 Z u m ersten Male bestellt der König ein einheitliches Whigkabinett (1695-1698). 123
Entwicklung des Parlaments; sie Ist ein erster Schritt auf dem langen Wege zur Parlamentarisierung der Staatsgewalt, die schließlich dazu führt, daß sich die politisch fungierende Öffentlichkeit selbst als Staatsorgan etabliert. Schon in den 70er Jahren des 17. Jahrhunderts hatte sich die Regierung zu Proklamationen genötigt gesehen, die sich gegen die Gefahren der Kaffeehausgespräche wenden; die Kaffeehäuser gelten als Brutstätten politischer Unrast: »Men have assumed to themselves a liberty, not onely in coffeehouses, but in other places and meetings, both public and private, to censure and defame the proceedings of State, by speaking evil of things they understand not, and endeavouring to create and nourish an universal jealousie and dissatisfaction in the minds of all His Majesties good subjects. « Mit dem Licensing Act fällt 1695 die Vorzensur; die Königin mahnt die Abgeordneten mehrfach, die Zensur wiederherzustellen, aber vergebens. Die Presse unterliegt zwar weiterhin dem strengen Law of Libel und den Einschränkungen zahlreicher Privilegien von Krone und Parlament; auch hat die 1712 beschlossene Stempelsteuer einen vorübergehenden Rückschlag zur Folge: die Auflagen der Presse sinken, der Umfang der Zeitschriften wird geringer, einige verschwinden ganz. Verglichen mit der Presse in den übrigen europäischen Staaten genießt jedoch die englische einzigartige Freiheiten. Harley ist der erste Staatsmann, der die neue Situation zu nutzen versteht. Er engagiert Literaten vom Typ Defoes, den man den ersten Berufsjournalisten genannt hat und der die Sache der' Whigs 5
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Die Zeit vom Regierungsantritt Wilhelms I I I . bis zu dem der Hannoverschen D y nastie ist eine Übergangszeit, in der die K r o n e ihr Ministerium teils nach freiem Ermessen wählte, teils nach der Stimmung im Unterhaus bestellt. Vgl. W. H a s bach, Die parlament. Kabinettsregierung, 1 9 1 9 , S. 45 ff. 5 Zitiert nach C S . Emden, The People and the Constitution, O x f o r d 1956, S. 33. Ähnliche Proklamationen wurden 1674 und 1695 erlassen. - Im übrigen stellt den Zusammenhang zwischen den Kaffeehäusern und den Anfängen der »öffentlichen Meinung« her: Hans Speier, The Historical Development of Public Opinion, in: Social Order and the Risks of War, N e w Y o r k 1 9 5 2 , S. 323 ff. 6 Das erst 1792 v o m liberalen F o x ' s Libel Act abgelöst wird. 7 Die »taxe on knowledge«, wie man sie genannt hat, bestand bis 1 8 5 5 . Vgl. L. Hanson, Government and the Press ( 1 6 9 5 - 1 7 6 3 ) , L o n d o n 1936, S. 1 1 f. 124
nicht nur, wie bisher, in Pamphleten, sondern in den neuen Journalen verficht. Er macht den »Parteigeist« in Wahrheit erst zum »public spirit«. Defoes »Review«, Tutchins »Observator«, Swifts »Examiner« werden in Klubs und Kaffeehäusern, im Hause und auf der Straße diskutiert. Walpole und Bolingbroke selbst wenden sich an die Öffentlichkeit. In Männern wie Pope, Gay, Arbuthnot, Swift stellt sich eine eigentümliche Verbindung von Literatur und Politik her, vergleichbar der von Literatur und Journalismus in Addison und Steele. Freilich war die führende Presse während dieser ersten Jahrzehnte niemals in Händen der Opposition. Die »London Gazette«, lange Zeit das einzige Regierungsblatt, noch vom Typ der alten, sparsam auf Nachrichten beschränkten »politischen Zeitung«, wurde 1 7 0 4 durch die dreimal wöchentlich erscheinende »Review« ergänzt; deren Platz nahm 1711 der »Examiner« ein. Am Ende der Regierungszeit der Queen Anne treten die Whigs mit dem »British M e r c h a n t « dem 1 7 1 3 gegründeten »Mercator« entgegen. Unter Georg I. beginnt dann die Jahrzehnte währende Herrschaft der Whigs; aber nicht sie, die 1722 mit dem »London Journal« die damals bedeutendste und am weitesten verbreitete Zeitung aufkauften, schaffen den politischen Journalismus großen Stils, sondern die jetzt als Opposition sich konstituierenden Tories unter Bolingbroke: »Das Neue, was die Opposition fertigbrachte, war die Schaffung einer Volksmeinung. Bolingbroke und seine Freunde verstanden es, eine solche auf einen Punkt gerichtete und mit gleichsinnigen Will ensimpulsen ausgestattete öffentliche Meinung zu formen, mit der sich Politik treiben ließ. Volksaufwieglung und Parolengeschrei, Unruhen und Aufläufe waren noch nicht das Neue . . . Es gab auch noch keine regelmäßigen öffentlichen Versammlungen . . . Vielmehr wurde diese öffentliche Meinung durch einen anderen Faktor dirigiert: durch die Begründung eines selbständigen Journalismus, der sich gegen die Regierung zu behaupten verstand und die kritische 8
8 Z w e i Whigs schrieben unter dem Pseudonym C a t o Leitartikel, die sich besonders beim sogenannten Panamaskandal in »the loudest cries for justice« gefielen. Aufsehen erregte die Zeitung, als sie im August 1 7 2 1 Verhandlungen der vom Parlament eingesetzten Untersuchungskommission publizierten und kommentierten: ein erster A k t politischer Publizistik im strengen Sinne. 12)
Kommentierung und öffentliche Opposition gegen die Regierung zum normalen Status erhob.« Im Sommer 1726 erschienen, gleichsam der literarische Auftakt der »langen Opposition«, drei von Bolingbroke inspirierte Zeitsatiren: Swifts »Gulliver«, Popes »Dunciad« und Gays »Fables«; Bolingbroke bringt im November desselben Jahres die erste Nummer des »Craftsman« heraus, die publizistische Plattform der Opposition bis zur Emigration des Herausgebers nach Frankreich (1735). Mit dieser Zeitschrift, der später »Gentleman's Magazine« folgt, etabliert sich erst die Presse recht eigentlich zum kritischen Organ eines politisch räsonierenden Publikums, als: fourth Estate. Die damit zur Institution erhobene stetige Kommentierung und Kritik von Maßnahmen der Krone, von Beschlüssen des Parlaments veränderten die nun vor das Forum der Öffentlichkeit zitierte öffentliche Gewalt. Zur »öffentlichen« wird sie dadurch in einer doppelten Bedeutung. Der Entwicklungsgrad der Öffentlichkeit bemißt sich fortan am Stand der Auseinandersetzung zwischen Staat und Presse, wie sie sich über das ganze Jahrhundert hinzieht. Die Juniusb riefe, die vom 21. November 1768 bis 12. Mai 1772 im »Public Advertiser« erscheinen, in ihrer Art Vorläufer des politischen Leitartikels, markieren diesen Stand weithin sichtbar. Man hat diese Folge satirischer Artikel zum »Bahnbrecher der modernen Presse« erklärt, weil darin der König, Minister, hohe Militärs und Juristen öffentlich politischer Machenschaften beschuldigt und geheimgehaltene Zusammenhänge von politischer Bedeutung darin aufgedeckt wurden, in einer Weise, die seither für eine kritische Presse vorbildlich ist. Uber ein wirksames Instrument gegen solche Kritik verfügt das Parlament in jenem aus Zeiten seiner Auseinandersetzung mit der Krone stammenden Privileg, das ihm Geheimhaltung der Verhandlungen verbürgte. 1681 war zwar die Publikation der »Votes« autorisiert worden, jene kärglichen Nachrichten über gewisse Resultate 9
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9 Kluxen, a. a. O . , S. 187. 10 Vgl. jetzt M . Schlenke, England und das Friderizianische Preußen 1 7 4 0 - 1 7 6 3 , Freiburg - München 1963. 1 1 W. Bauer, Die öffentliche Meinung in der Weltgeschichte, Berlin - Leipzig 1950, S. 2 2 f . 7
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der Parlamentsverhandlungen; aber das Parlament insistiert hartnäckig auf dem Verbot, diese selbst der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Äußerst behutsam betreibt, seit dem Regierungsantritt der Queen Anne, »The Political State of Great Britain« so etwas wie Parlamentsberichterstattung, eine Aufgabe, die seit 1 7 1 6 auch vom »Historical Register« wahrgenommen wurde. Freilich bevorzugen beide Journale jeweils die Regierung, so daß sich die Opposition mit gelegentlichen Berichten über die wichtigsten Reden ihrer Vertreter in den Wochenblättern oder mit einer Sammlung der Reden in Broschürenform zufrieden geben mußte. Seit Anfang der dreißiger Jahre, in jenem neuen, vom »Craftsman« geschaffenen Klima politischer Kritik, berichten »Gentleman's Magazine« und bald darauf auch dessen Gegenspieler, das »London Magazine«, über parlamentarische Debatten. Das Parlament sah sich immer wieder genötigt, das Publikationsverbot zu erneuern. Zuletzt verschärfte es 1738 die alten Beschlüsse sogar dahingehend, daß eine Veröffentlichung seiner Debatten auch zwischen den Sitzungsperioden als ein breach of privilege zu ahnden sei. Erst Wilkes gelingt es im Jahre 1771 als Alderman von London das Parlamentsprivileg zwar nicht juristisch, aber faktisch außer Kraft zu setzen: der Strafvollzug an dem wegen breach of privilege verurteilten Redakteur der »Evening Post« unterblieb. Der Ausschluß der Öffentlichkeit von den Parlamentsverhandlungen war ohnehin zu einer Zeit nicht länger aufrechtzuerhalten, in der ein »Memory« Woodfall den »Morning Chronicle« deshalb zur führenden Londoner Tageszeitung machte, weil er sechzehn Spalten Parlamentsreden wörtlich produzieren konnte, ohne, was verboten war, auf der Galerie des Unterhauses Notizen zu machen. Ein Platz auf der Galerie wurde den Journalisten vom Speaker erst im Jahre 1803 offiziell eingeräumt; fast ein Jahrhundert hatten sie sich illegal Zugang verschaffen müssen. Aber erst im Neubau des Parlaments, nach dem Brand von 1834, wurden Berichterstattertribünen eingerichtet - zwei Jahre, nachdem die er12
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12 Diese Parlamentsberichte hatten seit 1641 überhaupt die ersten Tageszeitungen dargestellt. 13 Hanson, a. a. O . , S. 81. 14 D e r sich außerdem auf die traditionelle Geschäftsordnungspraxis des »Ausschlusses von Fremden« stützen konnte. 127
ste Reformbill das von der öffentlichen Meinung seit langem kritisch kommentierte Parlament zu deren Organ umwandelt. Diese Wandlung erstreckt sich über fast eineinhalb Jahrhunderte. In ihrer Stetigkeit ist sie zum Studium des Hineinwachsens eines räsonierenden Publikums in die Funktionen politischer Kontrolle besonders geeignet. In England hatte sich, als dem einzigen Staat am Ende des 1 7 . Jahrhunderts, gleichzeitig mit der Beendigung des konfessionellen Bürgerkriegs eine Verfassung durchgesetzt, die die bürgerlichen Revolutionen des 18. und 19. Jahrhunderts auf dem Kontinent zwar nicht im ganzen vorwegnimmt, aber doch mit der Verwirklichung rechtsstaatlicher Elemente (Habeas Corpus Act, Declaration of Rights) im eigenen Land überflüssig macht. Bei einem Stand des Kapitalismus, auf dem sich das Industriekapital gerade erst entwickelt, aber noch unter der Herrschaft des ohnehin eher an der Konservierung der alten Produktionsweise interessierten Kommerzkapitals steht, stammen auch die führenden Repräsentanten des moneyed interest aus den konservativen Schichten der großen, mit dem Adel vielfach verflochtenen Bourgeoisie. Deren beider Mitglieder begegnen sich im Parlament auf dem Boden einer gewissen sozialen Homogenität aristokratischen Gepräges. Insofern waren die ökonomisch und sozial führenden Klassen 1688 auch politisch zur Herrschaft gelangt. Den Charakter der Ständeversammlung verlor das Unterhaus jedoch nicht nur deshalb, weil es sich in zunehmendem Maße statt aus Delegierten von Korporationen, aus Nominierten der herrschenden Klassen zusammensetzte. Vielmehr bildeten von Anbeginn jene bürgerlichen Schichten des protestantischen, handel- und gewerbetreibenden Mittelstandes (deren kapitalistische Interessen die Revolution wesentlich mitgetragen hatten, ohne jetzt im Parlament unmittelbar vertreten zu sein) so etwas wie einen stetig sich erweiternden vorparlamentarischen Hof. Hier verfolgen sie, bald auch publizistisch mit entsprechenden Organen ausgestattet, als kritisches Publikum die Verhandlungen und Entscheidungen des Parlaments; gleichviel 15
15 K. Löwenstein, Z u r Soziologie der parlamentarischen Repräsentation in England, in: Erinnerungsgabe für M a x Weber, B d . I I , München - Leipzig 1 9 2 3 , vgl. S. 94. 128
ob sie, wie in London und Westminster, meist noch zur Wählerschaft, oder ob sie, wie sonst, zur Masse der Nichtwähler gehörten. Der Funktionswandel des Parlaments ist nicht allein darauf zurückzuführen, daß der souveräne König, an die Bill of Rights gebunden, zum King in Parliament herabgesetzt wird. Den qualitativen Unterschied zum bisherigen System schafft erst jene neue Beziehung des Parlaments zur Öffentlichkeit, die am Ende zur vollen Publizität der parlamentarischen Verhandlungen führt. Nun muß sich auch der König, der das Parlament nicht ausschalten kann, innerhalb des Parlaments eines festen Anhangs versichern. Die Entstehung des Whig-Tory-Gegensatzes im Zeichen von »Resistance« hie, »Divine Right« dort, die Spaltung des Parlaments bei der Auseinandersetzung um die Exclusion Bill in »Parteien«, deren Gegensatz den älteren zwischen Parlament und country auf der einen, Krone und councellors auf der anderen Seite ablöst, mag strukturell mit objektiven Interessenlagen der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen in Zusammenhang gebracht werden. Die parlamentarische Entwicklung dieser »Fraktionen« kann jedoch nurmehr aus dem neuen Spannungsfeld des Parlaments verstanden werden, das sich im folgenden Jahrhundert zwischen dem öffentlichen Räsonnement eines kritischen Publikums und dem korrumpierenden Einfluß eines auf indirektes Regiment angewiesenen Königs entfaltet. Die im Parlament unterlegene Minderheit kann stets in die Öffentlichkeit ausweichen und an das Urteil des Publikums appellieren; die Mehrheit, durch Bestechung zusammengehalten, sieht sich dazu verpflichtet, die authority, über die sie verfügt, durch reason, die ihr von der Opposition bestritten wird, zu legitimieren. Dieses Verhältnis entwickelt sich nach jener eigentümlichen Verkehrung der Fronten, die die Resistancepartei der Whigs für ein Menschenalter an die Regierung brachte und umgekehrt die jakobitischen Legitimisten, auf dem Boden der Revolutionsordnung, zur Widerstandspraxis nötigte. Von 1727 an, mit der Wirksamkeit des »Craftsman«, entstand eine systematische Opposition, die, zeitweise sogar mit so etwas wie einem Schattenkabinett ausgerüstet, bis 1742 die politischen Kontroversen aus dem Parlament, 16
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16 D o r t besaß jeder männliche steuerzahlende Haushaltsvorstand Wahlrecht. 1 7 Im einzelnen vgl. Löwenstein, a. a. O . , S. 9 5 ff. 129
durch Literatur und Presse, ans große Publikum vermittelt. Die Tones übernehmen in der Theorie die Prinzipien der Old Whigs, die Modern Whigs der Regierung übernehmen in der Praxis die der Tories. Politische Opposition auf nationaler Ebene war bis dahin als der Versuch einer gewaltsamen Durchsetzung von Interessen in Formen der Fronde und des Bürgerkriegs möglich gewesen; jetzt nahm sie, durch ein räsonierendes Publikum vermittelt, die Gestalt der Dauerkontroverse zwischen Regierungs- und Oppositionspartei an. Uber den Tagesanlaß hinaus erstreckt sich diese Diskussion grundsätzlich auf die »Topics of Government«; über Gewaltentrennung, englische Freiheiten, Patriotismus und Korruption, Partei und Fraktion, über die Frage der Gesetzlichkeit des neuen Verhältnisses der Opposition zur Regierung - bis hin zu den elementaren Fragen der politischen Anthropologie. Aus dem publizistischen Räsonnement dieser dreißiger Jahre stammt denn auch die von Bolingbroke selbst im Zusammenhang seiner pessimistischen Anthropologie entwickelte Theorie der Opposition/ Bolingbroke stellt das Verhältnis von private und public interest jetzt dar als das Verhältnis von court und country, von »in power« und »out of power«, von pleasure und happiness, passion und reason: die Opposition, als die country-party, erscheint gegenüber der von »influence« korrumpierten court-party immer im Recht. Seit dem frühen 18. Jahrhundert wird es üblich, von den offiziellen Wahlresultaten das zu unterscheiden, was man damals »sense of the people« nennt. Als ungefährer Maßstab für diesen gelten die Durchschnittsergebnisse der Grafschaftswahlen. The sense of the people, the common voice, the general cry of the people, und schließlich: the public spirit bezeichnen fortan eine Größe, auf die sich die Opposition berufen kann; mit deren Hilfe sie in der Tat Walpole und seine Parlamentsmehrheit mehrfach zum Nachgeben gezwungen hat. Solche Ereignisse dürfen freilich noch nicht als Zeichen einer Art Herrschaft der öffentlichen Meinung verstanden werden. Die wirklichen Machtverhältnisse lassen sich zuverlässiger an der Unwirksamkeit der seit 1680 häufig organisierten Massenpe8
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18 Kluxen, a. a. O . , S. 103 ff. 19 1 7 3 3 / 3 4 in der Frage der Septennial Bill und 1739 in der Frage des Krieges mit Spanien. 130
titionen ablesen. Zwar folgte sowohl 1 7 0 1 als 1 7 1 0 entsprechenden Petitionen tatsächlich die Auflösung des Parlaments; aber das waren im Grunde bloße Akklamationen, deren sich der König bediente. Das stellt sich zwischen 1768 und 1 7 7 1 heraus, als im Zusammenhang mit der Wilkes-Agitation den Petitionen zahlreicher Grafschaften, Städte und Flecken die verlangte Parlamentsauflösung eben nicht folgte: der König hatte kein Interesse daran, sich angesichts einer ohnehin gefügigen Parlamentsmehrheit den Gefahren einer Neuwahl auszusetzen. Selbst die Parlamentsauflösung von 1784 (aus deren Anlaß der König in einer berühmt gewordenen Rede vor den Commons die Feststellung traf, er fühle sich verpflichtet, to recur to the sense of the people) verdankt sich nicht in erster Linie dem Druck dieser »Volksmeinung«. Gleichwohl entstehen in diesen Jahren, neben den neuen großen Tageszeitungen wie der Times (1785), die anderen Institutionen des politisch räsonierenden Publikums. Zu Zeiten von Wilkes nehmen public meetings an Umfang und Häufigkeit zu. Auch bilden sich jetzt politische Vereine in großer Zahl. Die sechsundzwanzig county-associations, die 1 7 7 9 nach dem Vorbild der Yorkshire Association gegründet wurden, befaßten sich mit Petitionen zu Fragen der Kriegsfinanzierung, der Parlamentsreform usw. Zwar verbanden sich schon Ende des 17. Jahrhunderts Parlamentarier zu lockeren Klubs. Aber noch 1741 fällt es beispielsweise dem »Gentleman's Magazine« schwer, die gewählten Abgeordneten nach ihrer politischen Richtung zu charakterisieren; eine klare Parteizugehörigkeit ließen sie überhaupt nicht erkennen. Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts gewinnen außerhalb des Parlaments, outdoors, die Parteien eine organisatorische Basis über jene petitions, public meetings und political associations hinaus. Sie gewinnen mit der Gründung lokaler Komitees ihre erste feste organisatorische Gestalt. 1792, drei Jahre nach Ausbruch der Französischen Revolution, wird das politisch räsonierende Publikum durch eine Unterhausrede von Fox in seiner Funktion öffentlicher Kritik indirekt sanktioniert. Zum erstenmal ist im Parlament von public opinion im strengen Sinne die Rede: »It is certainly right and prudent to consult 20
20 Vgl. die ausgewogene Beurteilung bei Emden, a. a. O . , S. 194 bis 196. 131
the public opinion . . . If the public opinion did not happen to square with mine; if, after pointing out to them the danger, they did not see it in the same light with me, or if they conceived that another remedy was preferable to mine. I should consider it as my due to my king, due to my Country, due to my honour to retire, that they might pursue the plan which they thought better, by a fit instrument, that is by a man who thought with them . . . but one thing is most clear, that I ought to give the public the means of forming an opinion.« Ebenso bemerkenswert wie die Feststellung selbst ist ihr Anlaß: Fox wendet sich gegen Pitt, der 1791 seine Kriegsvorbereitungen gegen Rußland unter dem Druck der öffentlichen Meinung wieder einstellte. Das politische Räsonnement des Publikums hat sich bis zur Schwelle des 19. Jahrhunderts immerhin so weit organisiert, daß es in der Rolle eines permanenten kritischen Kommentators die Exklusivität des Parlaments definitiv aufgebrochen und sich zum offiziell bestellten Diskussionspartner der Abgeordneten entwickelt hat. Fox spricht mit dem Gesicht zum Publikum; »they«, die Subjekte der public opinion, gelten nicht länger als diejenigen, die man wie »strangers« von den Verhandlungen ausschließen kann. Der Parlamentsabsolutismus muß ihrer Souveränität schrittweise weichen. Auch ist nicht mehr vom »sense of the people«, gar von vulgar oder common opinion die Rede. »Public opinion« heißt es jetzt; sie bildet sich in öffentlicher Diskussion, nachdem das Publikum durch Erziehung und Mitteilung instand gesetzt ist, eine begründete Meinung zu fassen; daher Fox' Maxime, to give the public the means of forming an opinion. Vier weitere Jahrzehnte zieht sich indessen die Diskussion über eine Erweiterung des Wahlrechts noch hin; endlich, zwei Jahre nach der Julirevolution, wird die Reform bill verabschiedet, die die obsolete Wahlkreiseinteilung revidiert, und nun auch dem gehobenen Mittelstand, aus dem sich ja das räsonierende Publikum in seiner Masse rekrutiert, das Recht der politischen Mitbestimmung eingeräumt: von den damals etwa 24 Millionen Einwohnern darf nun fast eine Million wählen. Die Bedingungen für die vorübergehende Ära eines government by public opinion werden 1834 mit Peels sogenanntem Tamworth Manifestum vollständig; zum erstenmal publiziert eine 21
21 29 Parliamentary H i s t o r y 974. 132
Partei ihr Wahlpro gramrn. Öffentliche Meinung bildet sich im Streit der Argumente um eine Sache, nicht unkritisch in der, sei es naiven, sei es plebiszitär manipulierten Zustimmung zu oder Abstimmung über Personen durch den common sense. Darum bedarf sie als ihres Gegenstandes der definierten Sachverhalte eher als der prominenten Person. Die Konservativen veröffentlichen ihr Programm; die Whigs ermahnen zur gleichen Zeit in einem Wahlaufruf: »Remember that you are now fighting for things, not men - for the real consequences of your reform.« 22
§ 9 Die kontinentalen Varianten Auch in Frankreich entsteht, allerdings erst seit etwa der Mitte des 18. Jahrhunderts, ein politisch räsonierendes Publikum. Vor der Revolution kann dieses jedoch seine kritischen Impulse nicht, wie es im zeitgenössischen England möglich war, wirksam institutionalisieren. Ohne Zustimmung der Zensur darf keine Zeile gedruckt werden; ein politischer Journalismus kann sich nicht entwickeln, die periodische Presse insgesamt bleibt kümmerlich. Das wöchentlich erscheinende Amtsblättchen, der »Mercure de France«, hatte, obschon die am weitesten verbreitete Zeitung, noch 1 7 6 3 nicht mehr als 1600 Abonnenten, von denen ein rundes Drittel in Paris wohnte und 900 in der Provinz; der Rest ging ins Ausland. Unterderhand las man freilich die illegal eingeführten Zeitungen, vor allem die holländischen. Nicht nur ein ausgebildeter politischer Journalismus fehlt, sondern auch die Ständeversammlung, die unter seinem Einfluß allmählich zu einer Volksvertretung sich hätte umbilden können: die Generalstände sind seit 1614 nicht mehr einberufen worden. Die bestehenden Parlamente, oberste Gerichtshöfe, die in der Tat die einzige, 23
22 E m d e n , a. a. O . , S. 205. 23 Schon L u d w i g XIV. muß 1679, 1683 und 1686 Einfuhrverbote für ausländische Zeitungen erlassen. Damals erwerben sich die Gazettes de Hollande, die freiesten Europas, den Ruf, den sie das 18. Jahrhundert hindurch behalten. Durch diese publizistischen Kanäle üben auch die mit der Aufhebung des Edikts von Nantes vertriebenen Hugenotten Einfluß auf ihre Heimat aus. Vgl. E . Everth, Die Öffentlichkeit in der Außenpolitik, a. a. O . , S. 299. 133
vom König nicht ganz abhängige politische Kraft darstellen, verkörpern nicht etwa die Spitzen des Bürgertums, sondern jene verbürgerlichten Zwischengewalten, soweit sie sich gegen den Zentralismus des absolutistischen Regiments noch behaupten konnten. Schließlich fehlt auch die soziale Basis solcher Institutionen. Allerdings nicht das handel- und gewerbetreibende Bürgertum überhaupt; die Spekulanten und Bankiers, Händlermanufakturisten, Großkaufleute und Steuerpächter formieren sich unter der Regentschaft schon zur höheren Bourgeoisie, in deren Händen sich der Reichtum der Nation sammelt. Aber sie können politisch nicht auf die Geschicke der Nation einwirken; sie verbinden sich nicht, wie in England, mit Adel und hoher Beamtenschaft (noblesse de robe ) zu einer homogenen Oberschicht, die, auf sicheres Prestige gestützt, gegen den König die Interessen der kapitalbildenden Klassen auch politisch hätten vertreten können. Die Standesunterschiede sind streng. Wohl erwarben reiche Kaufleute, normalerweise in dritter Generation, den Adelstitel, meistens solche, die mit den Pfründen hoher Beamtenposten verbunden sind; sie scheiden aber damit aus der Sphäre von Produktion und Distribution aus. Um die Jahrhundertmitte bringt der Abbe Coyer dieses Problem unter dem Titel »La Noblesse Commergante« zu Bewußtsein, er löst einen Sturm von Pamphleten aus. Andererseits gerät der Adel, der sich von Handel und Gewerbe ebenso wie vom Bankgeschäft als nichtstandesgemäßen Beschäftigungen ausschließt, ökonomisch in Abhängigkeit von der Krone: vom bürgerlichen Standpunkt produktiver Arbeit aus betrachtet, ein parasitärer Stand, dem seine politische Bedeutungslosigkeit mit Steuerprivilegien und königlichen Patenten bezahlt wird. Der König monopolisiert weithin die öffentliche Gewalt. Das Negativ der bürgerlichen Gleichheit ist hergestellt: Alle, außer dem einen König (und seinen Beamten), sind gleichermaßen Untertanen, gleichermaßen der Obrigkeit bloß unterworfen - sind Privatleute. Deren Sphäre ist, ob Bürger oder nicht, die societe civile - ein während des 18. Jahrhunderts klassentheoretisch nicht leicht zu durchschauendes Gebilde. Vielfach ist das Bürgertum im Ständestaat noch gleich24
24 Vgl. die soziologische Analyse der noblesse de robe bei Borkenau a. a. O . , S. 172 ff. 134
sam eingefaßt, wie die feudale Rolle der bürgerlichen Parlamente, wie die Anpassung der hohen Bourgeoisie an den Adel zeigt; und vielfach erschließt sich der Adel in seinen Salons der aufgeklärten Denkweise bürgerlicher Intellektueller eher als die Bürgerlichen selbst. Gleichwohl sind Bürgertum, Adel und Krone in Status und Funktion so voneinander abgehoben, daß die »Sektoren«, der politische, der ökonomische, und dazwischen jener, den die »Gesellschaft« einnimmt, sich im Modell leicht trennen lassen. In der ersten Hälfte des Jahrhunderts befaßt sich, trotz Montesquieu, die Kritik der »Philosophen« vorab mit Religion, Literatur und Kunst; erst im Stadium ihrer enzyklopädischen Publikation entfaltet sich die moralische Intention der Philosophen, zumindest indirekt, zur politischen. Die Enzyklopädie ist als publizistisches Unternehmen großen Stils angelegt. Robespierre kann sie später als »Einleitungskapitel der Revolution« feiern. Im letzten Drittel des Jahrhunderts treten Clubs, in der Art der frühen, von englischen Ideen inspirierten Herrengesellschaft im Club de PEntresol, die Nachfolge der von Frauen regierten Bureaux d'Esprit an; die Initiatoren der öffentlichen Kritik, die Philosophen, werden aus Belletristen zu Ökonomen. Ökonomisten heißen die Physiokraten, die sich erst bei Quesnay, später bei Mirabeau und Turgot treffen; über ein Jahrzehnt hält ihr Club zusammen. Ihre Lehre verfechten sie in der »Gazette du commerce« und im »Journal de d'Agricul25
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25 E . G . Barber, The Bourgeoisie in 18th Century France, N . Y . 1959. 26 1750 erscheint zunächst Diderots Prespectus, eine Voran kündi gun g, die alsbald in ganz Europa ein Echo findet; ein Jahr später D'Alemberts Discours Preliminaire, ein brillanter Aufriß des gesamten Werkes. Seine Schrift ist ausdrücklich an das public eclaire adressiert. Sie spricht im N a m e n einer societe de gens des lettres. U n d 1758 erinnert Diderot in einem Brief an Voltaire an die Verpflichtungen gegenüber der Öffentlichkeit: inzwischen haben sich 4000 Subskribenten gefunden, zwei- bis dreimal so viel, wie damals die meistgelesene Zeitung an A b o n n e n ten zählte. 27 Auf Anregung Bolingbrokes, des Emigranten, hatte sich beim A b b e Alary, der in einem Entresol wohnte (daher der N a m e C l u b de l'Entresol), eine private Gesellschaft gebildet, eine informelle Akademie von Gelehrten, Geistlichen und B e a m ten, die Nachrichten austauschten, Pläne entwickelten, die Verfassung des Staates ebenso untersuchten wie die Bedürfnisse der Gesellschaft. Auch Walpole verkehrte hier neben dem Marquis d'Argenson und dem alten A b b e de St. Pierre. Vgl. R. Koselleck, Kritik und Krise, Freiburg - München 1959, S. 53 ff. 135
ture, du Commerce et des Finances«; bis schließlich mit Turgot und Malesherbes 1774 zwei ihrer bedeutendsten Vertreter in die Regierung berufen werden - gleichsam die ersten Exponenten der öffentlichen Meinung. Aber erst Necker gelingt es bekanntlich, der politisch fungierenden Öffentlichkeit eine Bresche ins absolutistische System zu schlagen: er gibt die Bilanz des Staatshaushaltes öffentlich bekannt. Drei Monate später ließ der König den Minister fallen. Immerhin hatte sich das politische Räsonnement des Publikums als Instanz der Regierungskontrolle bewährt, bezeichnenderweise am Nervpunkt der bürgerlichen Interessen: im Ausmaß der Staatsverschuldung symbolisierte sich ja das Mißverhältnis von ökonomischer Macht und politischer Machtlosigkeit auf der einen, von finanzieller Abhängigkeit und absolutistischer Regierung auf der anderen Seite. Die im Schoß der ausgehaltenen, ökonomisch wie politisch funktionslosen, aber gesellschaftlich repräsentativen Nobilität mit der Hilfe aufgestiegener Intellektueller ausgebrütete Sphäre eines am Ende auch politisch räsonierenden Publikums wird jetzt definitiv zu der Sphäre, in der die bürgerliche Gesellschaft ihre Interessen reflektierend zur Darstellung bringt. Seit Neckers Compte Rendu läßt sich diese Öffentlichkeit in ihrer politischen Funktion nur mehr unterdrücken, nicht eigentlich unwirksam machen. Auf dem Wege der Cahiers de Doleance wird das Räsonnement des Publikums in öffentlichen Angelegenheiten offiziell zugelassen. Das führt bekanntlich zur Einberufung der Generalstände; die in England ununterbrochene Tradition der Ständeversammlung wird auf einer Stufe 28
28 A m Vorabend der Revolution ist es Necker, der den Reifegrad der bürgerlichen Öffentlichkeit bemerkt: »Der Geist des geselligen Lebens, die Vorliebe für A c h tung und L o b , haben in Frankreich einen Gerichtshof eingesetzt, vor dem alle Menschen, die auf sich die Blicke ziehen, zu erscheinen verpflichtet sind: die öffentliche Meinung (opinion publique) ist es.« U n d weiter heißt es: »Die Mehrzahl der Fremden hat Mühe, sich eine richtige Idee von der Autorität zu machen, welche die öffentliche Meinung in Frankreich ausübt. Sie verstehen nur schwer, daß es eine unsichtbare Macht gibt, die ohne Kasse, ohne Leibwache, ohne A r mee Gesetze gibt, die selbst im Schlosse des Königs befolgt werden; und doch gibt es nichts, das wahrer wäre.« Seitdem geht die Rede von »Herrn Neckers öffentlicher Meinung« um, findet sogar Eingang in Berichte an den König. (Zitiert nach Bauer, a . a . O . , S. 234, und M . v . B ö h m , R o k o k o , Frankreich im 18. Jahrhundert, Berlin 1 9 2 1 , S. 3 1 8 . ) 136
der gesellschaftlichen Entwicklung wiederaufgenommen, da diese nur noch die Rolle eines modernen Parlaments übernehmen kann. Die Revolution schafft in Frankreich über Nacht, freilich auch weniger beständig, wozu in England eine stetige Entwicklung über ein Jahrhundert gebraucht hatte: für das politisch räsonierende Publikum die bis dahin fehlenden Institutionen. Es entstehen die Clubparteien, aus denen sich die Fraktionen des Parlaments rekrutieren; es bildet sich eine politische Tagespresse. Und schon die Generalstände setzen die Öffentlichkeit ihrer Verhandlungen durch. Seit August erscheint das tägliche »Journal des Debattes et des Decrets« für die parlamentarische Berichterstattung. Mindestens so wichtig wie die faktische Institutionalisierung der politischen Öffentlichkeit ist ihre juristische Normierung: der revolutionäre Vorgang wird sogleich verfassungsrechtlich interpretiert und definiert; damit mag es zusammenhängen, daß auf dem Kontinent der bürgerlichen Öffentlichkeit ihre, sei es tatsächlich, sei es möglichen politischen Funktionen so präzise bewußt werden. Es entsteht hier ein terminologisch deutlicher umrissenes Selbstbewußtsein als im zeitgenössischen England. Die politischen Funktionen der Öffentlichkeit werden aus Kodifikationen der französischen Revolutionsverfassung alsbald zu Parolen, die sich über Europa ausbreiten. Nicht zufällig ist im Deutschen »Öffentlichkeit« dem Französischen nachgebildet; in der ursprünglichen Lesart, als »Publizität« kursiert sie in dem Spottvers, der in den Tagen der Revolution durch die deutschen Lande geht: 29
Das große Losungswort, das ein jeder kräht, Vor dem in ihren Staatsperücken Sich selbst des Volkes Häupter bücken, Horch auf! Es heißt - Publizität. 30
Den Komplex der »Öffentlichkeit« ergänzt die Verfassung von 1791, die im großen und ganzen die »Declaration des Droits de 29 D a z u vgl. ausführlich Bauer, a. a. O . , K a p . X I I I , S. 239 ff. 30 D e r Vers findet sich bei R. Smend, Z u m Problem des Öffentlichen und der Öffentlichkeit, in: Gedächtnisschrift für Jellinek, München 1955. 137
l'Homme et du Citoyen« (vom 26. 8. 1789) übernimmt, in § 11: »Die freie Mitteilung der Gedanken und Meinungen ist eines der kostbarsten Rechte des Menschen, jeder kann mithin frei sprechen, schreiben, drucken, mit Vorbehalt der Verantwortlichkeit für den Mißbrauch dieser Freiheit in den durch Gesetz bestimmten Fällen.« Die Verfassung von 1793 bezieht die freie Vereinigung ausdrücklich in den Schutz der freien Meinungsäußerung ein: »Das Recht, seine Gedanken und Meinungen mitzuteilen, sei es durch die Presse oder auf jede andere Weise, das Recht, sich friedlich zu versammeln . . . können nicht verwehrt werden«, um dann, gleichsam zur Entschuldigung für diese Vorsicht, einen Hinweis aufs Ancien Regime hinzuzufügen: »Die Notwendigkeit, diese Rechte zu verkünden, besteht beim Vorhandensein oder der frischen Erinnerung des Despotismus.« Zum Zeitpunkt, da dieser Artikel in Kraft tritt, entspricht er freilich schon nicht mehr der Verfassungswirklichkeit. Im August des vorangegangenen Jahres, zwei Tage nach dem Sturm auf die Tuilerien, wurden in einem Edikt der Pariser Kommune die Gegner der Revolution als »empoisonneurs de l'opinion publique« denunziert und ihre Pressen beschlagnahmt. Am 17. 1. 1800, zwei Tage nach dem Staatsstreich, hebt Napoleon die Pressefreiheit überhaupt auf. Von dem Verbot der politischen Presse werden nur 13 Blätter namentlich ausgenommen. Seit 1811 duldet er außer dem offiziellen »Moniteur« nur noch drei Zeitungen, und auch die unter strenger Zensur. Die zurückgekehrten Bourbonen führen sich zwar mit der Proklamation ein, die Freiheit der Presse zu achten. Auch heißt es in der Charte vom Juni 1814 (Artikel 8): »Die Franzosen haben das Recht, ihre Ansichten zu veröffentlichen und drucken zu lassen, wenn sie sich den Gesetzen fügen, welche die Mißbräuche dieser Freiheiten unterbinden sollen.« Aber die Opposition konnte sich nur sehr vorsichtig äußern. Erst die Julirevolution, die ihr Stichwort von dem eben durch 31
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31 Die Entwicklung der Menschen- und Bürgerrechte, ed. F. Härtung, Göttingen 1954, S. 33 und S. 35. Ahnliche Garantien gibt als erstes Land Virginia in der Bill of Rights vom 1 2 . 6 . 1 7 7 6 , Art. 1 2 : »Die Freiheit der Presse ist eines der großen Bollwerke der Freiheit und kann niemals, außer durch despotische Regierungen, eingeschränkt werden«, ebd. S. 27. 32 Ebenda. 33 Härtung, a . a . O . , S. 45. 138
Thiers und Mignet gegründeten Oppositionsblatt, dem »National«, bezieht, gibt der Presse und den Parteien, gibt schließlich dem durch Wahlrechtsreform erweiterten und in voller Öffentlichkeit verhandelnden Parlament den mit den revolutionären Menschenrechten verbürgten Spielraum zurück. In Deutschland regt sich so etwas wie ein parlamentarisches Leben überhaupt erst, und dann auch nur kurzfristig, im Gefoige der französischen Julirevolution an den Residenzorten einiger süd- und südwestdeutscher Territorien, wo die von der Wiener Schlußakte 1815 empfohlenen Vertretungskörperschaften an gewisse landständische Traditionen angeknüpft hatten, dann freilich durch die Karlsbader Beschlüsse fast überall gelähmt worden waren. Die deutschen Verhältnisse unterscheiden sich von den englischen durch die vom kontinentalen Absolutismus überhaupt länger konservierten ständischen Schranken, insbesondere denen zwischen Adel und Bürgertum; die Bürgerlichen halten ihrerseits streng auf Abstand gegenüber dem Volk. Zu ihm gehören neben der Landbevölkerung (vom Landarbeiter über den Pächter zum Freisassen) und der eigentlichen Unterschicht (Tagelöhner, Soldaten und Bediensteten) die Krämer, Handwerker und Arbeiter. »Volk« deckt sich mit peuple, beides Kategorien, die während des 18. Jahrhunderts die gleiche Bedeutung annehmen; hier wie dort gelten Ladentisch wie Handarbeit als die subjektiv verbindlichen Kriterien der Abgrenzung gegenüber dem eigentlichen Bürgertum. Die einstmals Bürger, Stadtbürger par excellence waren, Einzelhändler und Handwerker, werden von den »Bürgerlichen« nicht mehr zur Bourgeoisie gerechnet. Deren Kriterium ist die Bildung; die Bürgerlichen gehören zu den gebildeten Ständen - Geschäftsleute und Akademiker (Gelehrte, Geistliche, Beamte, Ärzte, Juristen, Lehrer usw.). Von den französischen Verhältnissen unterscheiden sich die deutschen indessen durch die den Höfen gegenüber durchaus unselbständige Stellung des Adels. Er vermag es nicht, die von ökonomischen wie politischen Funktionen abgeschnittene Sphäre der 34
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34 »Le roi regne et ne gouverne pas.« 35 Vgl. den zeitgenössischen Bericht »Schreiben von München, betreffend
den
bayerischen Landtag von 1 8 3 1 « , in: Historisch-Politische Zeitschrift, B d . I, Hamburg 1 8 3 2 , S. 94ff. 139
»Gesellschaft« in Kommunikation mit bürgerlichen Intellektuellen zur kulturell maßgebenden eines räsonierenden Publikums auszubilden. Das politisch räsonierende Publikum findet vor allem in den privaten Zusammenkünften der Bürgerlichen seinen Ort. In den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts sind die aufblühenden Zeitschriften, auch die politischen, geradezu Kristallisationspunkte des geselligen Lebens unter den Privatleuten. Nicht nur, daß die Journale selbst die »Lesesucht«, ja die »Lesewut« des aufgeklärten Zeitalters bezeugen; seit den siebziger Jahren verbreiten sich private und kommerzielle Lesegesellschaften über alle Städte, selbst über die kleineren, so daß eine allgemeine Diskussion über Wert und Unwert dieser Einrichtungen einsetzen kann. Für das Ende des Jahrhunderts konnten in Deutschland mehr als 270 Lesegesellschaften festgestellt werden. Es handelt sich dabei meist um Vereine mit eigenen Räumen, die Gelegenheit bieten, sowohl Zeitschriften wie Zeitungen zu lesen als auch, ebenso wichtig, über das Gelesene sich zu unterhalten. Die ältesten Lesezirkel waren nichts anderes als Gemeinschaftsabonnements gewesen, die den Bezug der Zeitungen verbilligen halfen. Die Lesegesellschaften hingegen entspringen nicht mehr solchen finanziellen Motiven. Diese Vereine, die ihren Vorstand satzungsgemäß wählen, über die Aufnahme neuer Mitglieder mit Mehrheit beschließen, Streitfragen überhaupt auf parlamentarischem Wege erledigen, die Frauen ausschließen und Spiele verbieten, dienen einzig dem Bedürfnis der bürgerlichen Privatleute, als räsonierendes Publikum Öffentlichkeit zu bilden: Zeit36
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36 E . H e i l b o r a , Zwischen zwei Revolutionen, Berlin 1929, B d . I, D e r Geist der Schinkelzeit 1789 bis 1848, S. 97ft. 37 So beispielsweise das »Journal von und für Deutschland«, 1790, I I , S. 5 5; oder die »Jenaische Allgemeine Literaturzeitung« 1797 N r . 30, S. 255. Z u r Entstehung einer politischen Öffentlichkeit im Deutschland des ausgehenden 18. Jahrhunderts allgemein vgl.: F. Valjavec, Die Entstehung der politischen Strömungen in Deutschland 1 7 7 0 - 1 8 1 5 , München 1 9 5 1 . 38 Vgl. die materialreiche Dissertation von I. Jentsch, Z u r Geschichte des Zeitungswesens in Deutschland, Leipzig 1937. Gleiches gilt für die Schweiz, ebd. S. 3 3 , A n m . 10. Vgl. auch die ausführliche Untersuchung von M . Braubach, Ein publizistischer Plan der Bonner Lesegesellschaft, in: Festschrift f. L. Bergsträßer, D ü s seldorf 1954, S. 21 ff. 140
Schriften zu lesen und darüber zu sprechen, persönliche Meinungen auszutauschen und diejenige mitzuformulieren, die man dann seit den neunziger Jahren die »öffentliche« nennt. Am meisten gehalten und gelesen wurden Journale politischen Inhalts: Schlözers »Staatsanzeigen« und Wielands »Teutscher Merkur«, Archenhoiz' »Minerva«, das »Hamburger Politische Journal«, das »Journal von und für Deutschland«. Auf Schlözers Zeitschrift, die eine Auflage von 4000 erreichte, fiel ein Hannoveraner Abglanz englischer Pressefreiheit; sie galt als die »bete noire der Großen«, denn diese hatten, so ging damals die Redensart, Angst, »in den Schlözer zu kommen«. Auch die brutale Reaktion der Fürsten auf die ersten politischen Publizisten im deutschen Südwesten ist immerhin Symptom für eine gewisse kritische Kraft der Öffentlichkeit. Wekherlin, der zuerst 1778 mit dem »Felleisen« hervortritt, und Schubart, der schon 1774 mit seiner »Deutschen Chronik« bekannt wird, zahlen beide einen hohen Preis. Der eine stirbt im Gefängnis; dem anderen wird in zehn Jahren Festungshaft das Rückgrat gebrochen: Gehirnwäsche noch auf direkte Art. 39
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39 Im berühmten Lesezimmer der »Hamburger Harmonie« lagen um die Jahrhundertwende 47 deutsche, 8 französische und 2 englische Zeitschriften aus. Unterhaltungszeitschriften, im Gefolge der alten moralischen Wochenschriften, gehören nicht eigentlich zum Repertoire; die lesen die Frauen zu Hause. 40 G r o t h , a. a. O . , B d . I, S. 706. 41 Vgl. dazu L. Balet, a. a. O . , S. 132!'.: »Ein Jahr lang lag Schubart in der Zelle des alten Turmes (der Festung Hohenasperg) auf Stroh. D e r Schlafrock war ihm zuletzt am Leib verfault . . . N a c h 2*/ Jahren Haft erlaubt man ihm, sich in der 4
freien Luft zu bewegen. 1780 durfte er zum ersten Mal mit seiner Frau und seinen Kindern korrespondieren, und im selben Jahre wurde die enge Haft in Festungshaft verwandelt. N a c h zehnjähriger Haft wurde er endlich freigelassen . . . « Von diesem Schubart hat übrigens der junge Schiller seine ersten politischen Impulse empfangen; auch die »Räuber« gehören ja auf ihre Weise zu den Anfängen der politischen Publizistik. 141
§ io Bürgerliche Gesellschaft als Sphäre privater Autonomie: Privatrecht und liberalisierter Markt Die historischen Exkurse über die Entstehung einer politisch fungierenden Öffentlichkeit in England und auf dem Kontinent bleiben abstrakt, so lange sie sich auf den institutionellen Zusammenhang von Publikum, Presse, Parteien und Parlament und auf das Spannungsfeld einer Konfrontation von Autorität und Publizität, als des Prinzips einer kritischen Kontrolle der Kabinette, beschränken. Sie können belegen, daß Öffentlichkeit während des 18. Jahrhunderts politische Funktionen übernimmt, aber die Art der Funktion selbst ist nur aus jener spezifischen Phase der Entwicklungsgeschichte der bürgerlichen Gesellschaft im ganzen zu begreifen, in der sich Warenverkehr und gesellschaftliche Arbeit von staatlichen Direktiven weitgehend emanzipieren. In der politischen Ordnung, mit der dieser Prozeß zu seinem vorläufigen Abschluß gelangt, nimmt die Öffentlichkeit nicht zufällig eine zentrale Stellung ein: sie wird geradezu das Organisationsprinzip der bürgerlichen Rechtsstaaten mit parlamentarischer Regierungsform, etwa in England nach der großen Reformbill von 1832; gleiches gilt, mit gewissen Einschränkungen, auch für die sogenannten konstitutionellen Monarchien nach dem Muster der belgischen Verfassung von 1830. Die politisch fungierende Öffentlichkeit erhält den normativen Status eines Organs der Selbstvermittlung der bürgerlichen Gesellschaft mit einer ihren Bedürfnissen entsprechenden Staatsgewalt. Die soziale Voraussetzung dieser »entfalteten« bürgerlichen Öffentlichkeit ist ein tendenziell liberalisierter Markt, der den Verkehr in der Sphäre der gesellschaftlichen Reproduktion soweit irgend möglich zu einer Angelegenheit der Privatleute unter sich macht und so die Privatisierung der bürgerlichen Gesellschaft erst vollendet. Von deren Etablierung als eines privaten Bereichs konnte unter dem Absolutismus ja zunächst nur in dem privativen Sinne die Rede sein, daß die gesellschaftlichen Beziehungen ihres quasi öffentlichen Charakters entkleidet wurden; die politischen Funktionen, juristische und administrative, wurden zur öffentlichen Gewalt zusammengezogen. »Privat« war der von dieser öffentlichen Sphäre 142
getrennte Bereich keineswegs schon im Sinne einer Befreiung von obrigkeitlichem Reglement; nur als merkantilistisch reglementierter entstand er überhaupt. Andererseits setzt das »einheitsstiftende System« des Merkantilismus auch schon den Anfang einer Privatisierung des Reproduktionsprozesses in dem positiven Sinne: daß dieser sich allmählich autonom, eben nach eigenen Gesetzen des Marktes entfalte. Denn im Maße der von oben geförderten Durchsetzung der kapitalistischen Produktionsweise werden die gesellschaftlichen Beziehungen durch Tauschverhältnisse vermittelt. Mit der Ausdehnung und Freisetzung dieser Sphäre des Marktes gewinnen die Warenbesitzer private Autonomie; der positive Sinn von »privat« bildet sich überhaupt am Begriff der freien Verfügung über kapitalistisch fungierendes Eigentum. Wieweit dieser Vorgang schon in der merkantilistischen Phase gedeiht, zeigt die Privatrechtsgeschichte der Neuzeit. Die Auffassung des Rechtsgeschäfts als eines durch freie Willenserklärung gegründeten Vertrages ist dem Tauschvorgang frei konkurrierender Warenbesitzer nachgebildet. Zugleich unterstellt ein Privatrechtssystem, das die Beziehungen der Privatleute untereinander prinzipiell auf private Verträge zurückführt, die nach Gesetzen des freien Marktverkehrs sich herstellenden Tauschbeziehungen als maßgeblich. Freilich stehen die Vertragspartner nicht in jedem Fall auch in einem Verhältnis von Tauschpartnern; aber dieses, als für die bürgerliche Gesellschaft zentrale Verhältnis, gibt für die Vertragsverhältnisse überhaupt das Modell ab. - Mit den Grundfreiheiten des Privatrechtssystems artikuliert sich auch die Kategorie der allgemeinen Rechtsfähigkeit, die Garantie für die Rechtsstellung der Person; diese ist nicht länger nach Stand und Geburt definiert. Der status libertatis, der status civitatis und der status familiae weichen dem einen status naturalis, der jetzt generell allen Rechtssubjekten zugeschrieben wird - eine Entsprechung zur grundsätzlichen Pa42
42 Z u r rechtstheoretischen Geschichte dieser Begriffe vgl. Hermann Going, D e r Rechtsbegriff der menschlichen Person und die Theorie der Menschenrechte, Sonderveröffentlichung der Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht, Berlin und Tübingen 1950, S. 1 9 1 ff. Die Durchsetzung der »allgemeinen Rechtsfähigkeit« in den Privatkodifikationen des 18. und beginnenden 19, Jahrhunderts verfolgt H . Conrad, Individuum und Gemeinschaft in der Privatrechtsordnung, Heft 18 der Juristischen Studiengesellschaft, Karlsruhe 1956. 143
rität der Warenbesitzer auf dem Markt und der Gebildeten in der Öffentlichkeit. Mit den großen Kodifikationen des bürgerlichen Rechts wird ein Normensystem entwickelt, das eine im strengen Sinne private Sphäre, nämlich den von ständischen wie von staatlichen Auflagen tendenziell befreiten Verkehr der Privatleute miteinander sichert. Sie garantieren die Institution des privaten Eigentums und, als dessen Konnex, die Grundfreiheiten des Vertrags, des Gewerbes und der Vererbung. Die Entwicklungsphasen sind allerdings auf dem Kontinent, eben durch die Kodifikationen, deutlicher markiert als in England, wo sich der gleiche Vorgang im Rahmen des Common Law abspielt; dennoch werden hier die speziellen Rechtsformen und -institute einer Gesellschaft freien Warenverkehrs eher ausgebildet als in Ländern römisch-rechtlicher Tradition. In Preußen wird das Allgemeine Landrecht 1794, in Österreich das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch 1811 publiziert; zwischen beiden rangiert das klassische Werk des bürgerlichen Privatrechts, der Code Civil von 1804. Es ist für alle diese Gesetzbücher bezeichnend, daß sie nicht nur im Interesse der bürgerlichen Gesellschaft, sondern auch in deren spezifischem Medium entstanden sind: sie sind vielfach durch das öffentliche Räsonnement der zum Publikum versammelten Privatleute hindurchgegangen. Durch Preisausschreiben und Befragungen wird die öffentliche Meinung am Gesetzgebungswerk auch da beteiligt, wo parlamentarische Körperschaften nicht vorhanden waren oder, etwa im napoleonischen Frankreich, unwirksam blieben. Wie in Berlin und Wien wird auch in Paris der Gesetzesbuchentwurf zunächst der Öffentlichkeit, und nicht nur einem internen Forum der Fachleute, zur Begutachtung vorgelegt (1800). Ja, die Entwürfe selbst sind nicht einmal von den traditionellen Trägern der Jurisprudenz, sondern von gebildeten Vertrauensmännern der Regierung, gewissermaßen Kontaktleuten zu dem bereits politisch fungierenden Publikum, ausgearbeitet worden; Grundgedanken wurden in Diskussionszirkeln wie etwa der Berliner Mittwochsgesellschaft erörtert, der Suarez angehörte. 43
43 Nämlich: die Kapitalgesellschaft, der Realkredit, das Wertpapier, Elemente des Handels- und Schiffahrtsrechtes, des Bergrechtes sowie das gesamte Wettbewerbsrecht. 144
Die Privatrechts geschiente der Neuzeit beginnt nicht erst mit den Positivierungen des Naturrechts im 1 8 . Jahrhundert. Allein, das rezipierte römische Recht, das zunächst nur im Gegensatz zum Kirchenrecht als das private begriffen wurde, entfaltete sich doch erst mit der Auflösung der überlieferten Rechtsformen, sowohl der alten Herrschaftsstände als auch der stadtbürgerlichen Berufsstände, zum Recht der emanzipierten bürgerlichen Gesellschaft. Unterm Absolutismus, mehr Rechtstechnik als Recht ohnehin, dient es den Landesfürsten als Instrument in der Auseinandersetzung der auf Zentralisierung bedachten Obrigkeiten mit dem Partikularismus ständischer Gewalten. Die bürgerliche Gesellschaft soll aus ihren korporativen Bindungen gelöst und der administrativen Hoheit des Fürsten unterstellt werden. Auch in dieser Funktion garantiert das römische Recht noch nicht eine Privatrechtsordnung im strengen Sinne. Das »Privatrecht« bleibt, auch wo es von den Polizeiverordnungen nicht ganz aufgesogen wird, obrigkeitlich gebunden; diese beziehen Nebenaufgaben der »öffentlichen Wohlfahrt«, auch Handels-, Gewerbe- und Arbeitsrecht mit ein. Die Pandekten, an denen sich damals die herrschende Theorie des Privatrechts orientiert, werden gegenüber der Rechtswirklichkeit zur Fiktion: »Im Arbeitsrecht kennen die Pandekten für freie Arbeitsverhältnisse nur die wenig differenzierte freie Dienstmiete; aber das örtliche Gesinderecht geht von Hausgewalt und Hausgemeinschaft, das Handwerksrecht von der berufsständischen Stellung, das ländliche Arbeitsrecht von bäuerlichen Dienstpflichten aus. Das Schuldrecht der Pandekten setzt im großen und ganzen Vertragsfreiheit voraus; die örtlichen Regelungen sind voll von Preisbindungen, Taxen, Ablieferungs- und Anbletungspflichten, Produktions beschränkungen und Abschlußpflichten . . . Einer abstrakten, allgemeinen und daher scheinbar freien wirtschaftsindividualistischen Rechtsordnung steht gegenüber ein fast erdrückendes Ausmaß von obrigkeitlichen, berufsständischen und korporativen Bindungen des Vertragsrechts, des Arbeitsrechts, des Wohnungsrechts und des Liegenschaftsrechts, 44
44 Z . B. Ordnung der Kleider, der Hochzeiten, der Hurerei, des Wuchers, der G o t teslästerung, der Lebensmittelfälschung usw. vgl. F. Wieacker, Privatrechts geschiente der Neuzeit, Göttingen 1 9 5 2 , S. 108ff. 145
das heißt aller sozialen und wirtschaftlichen Brennpunkte des Privatrechts,« Das moderne Privatrecht räumt seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit diesen Bindungen grundsätzlich auf. Immerhin dauert es alsdann noch ein weiteres Jahrhundert, bis die Entwicklung from status to contract konkret alle Schranken durchbrochen hat, die die Verwertung des industriellen Kapitals, zugleich die Durchsetzung der kapitalistischen Produktionsweise damals behinderten; bis das Eigentum dem freien Tauschverkehr der Marktteilnehmer überlassen wird; seine Vererbung dem freien Willen der einzelnen Eigentümer; Wahl und Ausübung der Gewerbe sowie die Ausbildung der Beschäftigten dem Gutdünken der Unternehmer; die Festsetzung des Lohnes dem freien Vertrag zwischen Arbeitgeber und Arbeiter. In England wird 1757, zuerst in der Textilindustrie, den Friedensrichtern die Aufgabe staatlicher Lohnregulierung abgenommen; bis 1813 wird die freie Lohnarbeit in allen Gewerbezweigen eingeführt; ein Jahr später das Elisabethanische Gesetz, das für Lehrlinge eine siebenjährige Ausbildungszeit vorsieht, aufgehoben. Dem entsprechen scharfe Koalitionsverbote. Ebenso dringt die Gewerbefreiheit schrittweise seit der Mitte des 18. Jahrhunderts vor. In Frankreich beginnt diese Entwicklung mit dem Ausbruch der Revolution; bis 1791 sind fast alle staatlichen Direktiven, alle ständischen Regulative in Handel und Gewerbe beseitigt. Was sich in Osterreich schon unter Josef II. durchsetzen konnte, blieb in Preußen, nach der Niederlage von 1806, den Stein-Hardenbergschen Reformen vorbehalten. Auch die feudalistischen Erbfolgegesetze werden lange erfolgreich verteidigt. In England setzt sich erst mit dem Reformgesetz von 1843 die individualistische Auffassung durch, daß die Erbfolge von der kollektiven Wirtschaftseinheit der Haus- und Familiengemeinschaft gelöst und auf den individuellen Eigentümer bezogen werden muß. Bevor der Warenverkehr zwischen den Nationen (und auf deutschem Boden zwischen den Territorien) von Zollschranken befreit wurde, bricht sich das industrielle Kapital im Inneren freie Bahn; der Markt der Güter, der Grundstücke und der 45
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45 F. Wieacker, a. a. O . , S. 1 1 0 . 46 L. Brentano, Geschichte der wirtschaftlichen Entwicklung Englands, Jena 1928, I I I , S. 223 ff. 146
Arbeit, des Kapitals selbst, untersteht am Ende dieser Entwicklung beinahe ausschließlich Gesetzen freier Konkurrenz. Die Liberalisierung der Außenhandelsbeziehungen kann selbst in England erst nach dem Sturz der Korngesetze 1846 konsequent durchgeführt werden. Auf höherer Stufe hatte sich der alte Widerspruch zwischen den an die etablierten Marktpositionen gebundenen defensiven Interessen einerseits und den expansiven Interessen des jeweils in neuen Sektoren investierten Kapitals andererseits reproduziert. Diesmal jedoch führte er, von den mächtigen Kräften der industriellen Revolution angetrieben, nicht bloß zu einer vorübergehenden Lockerung alter Monopole und, auf längere Sicht, zu einem bloßen Wechsel in den marktbeherrschenden Positionen. Das Bedürfnis der neuen Industrien nach erweiterten Absatzgelegenheiten für ihre Produkte, nach erweiterter Zufuhr von Rohstoffen für ihre Produkte, endlich nach erweiterten Lebensmitteleinfuhren, die das Subsistenzniveau ihrer Produzenten, der Lohnarbeiter, niedrighalten - dieses objektive Interesse an einer Beseitigung der staatlichen Reglements, Privilegien und Kontrollen trifft das damalige England, als die zugleich see- und marktbeherrschende Nation, in einer Lage, in der es vom laisser faire alles gewinnen und es durch nichts verlieren kann. Englands industrieller Vor sprung steigert sein Interesse am Freihandel. Nach der Emanzipation der nordamerikanischen Kolonien vom Mutterland hatte man zudem die Probe aufs Exempel machen können. Der Handel mit einem freien Land erwies sich als mindestens so profitabel w i e der Austausch innerhalb ein und desselben kolonialen Systems. So 47
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47 W. Ashley, The Economic Organization of England, A n Outline History, L o n don 1 9 2 3 , S. 1 4 1 : »Long before 1 7 7 6 , by far the greater part of English industry had become dependent on capitalistic enterprise in the two important respects that a commercial capitalist provided the actual w o r k m e n with their materials and found a market for their finished goods.« Vgl. auch H . O . Meredith, Economic History of England, L o n d o n 1949, S. 221 ff. 48 R. Hilferding, Das Finanzkapital, Berlin 1 9 5 5 , S. 447ff. 49 »The victory of Trafalgar, and the consequent establishing of the unrivalled maritime power of Britain, seemed to render it unnecessary to pay any special attention to the political aspects of national wealth or to raise any question as to what trades were good for the community. A l l ground for interference on the part of the Stare with the manner in which a man employed his capital seemed to be taken away, and when the 19th century opened public opinion was inclined to leave the 147
bestimmt denn free trade, die Wirksamkeit freier Konkurrenz nach außen wie im Inneren, jene ganze Phase, die man die liberale nennt. Ja, man hat sich daran gewöhnt, vom Konkurrenzkapitalismus dieser spezifischen Gestalt das Wesen des Kapitalismus abzuleiten. Demgegenüber ist daran zu erinnern, daß er in der langen Geschichte der kapitalistischen Entwicklung nur einen glücklichen Augenblick währt: denn er geht aus einer einmaligen geschichtlichen Konstellation im England des ausgehenden 18. Jahrhunderts hervor. Die übrigen Länder haben nicht einmal in der Blüte der liberalen Ära - Mitte des 19. Jahrhunderts - die Prinzipien des laisser faire im internationalen Handel ohne Vorbehalt verwirklicht. Immerhin emanzipiert sich die bürgerliche Gesellschaft als Privatsphäre von den Direktiven der öffentlichen Gewalt einzig in dieser Phase so weit, daß damals die politische Öffentlichkeit zu ihrer vollen Entfaltung im bürgerlichen Rechtsstaat kommen kann. 50
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§11 Die widerspruchsvolle Institutionalisierung der Öffentlichkeit im bürgerlichen Rechtsstaat Der Idee zufolge, die die bürgerliche Gesellschaft von sich hat, kann das System der freien Konkurrenz sich selbst regulieren; ja, nur unter der Voraussetzung, daß keine außerökonomische Instanz in den Tauschverke.hr eingreift, verspricht es, im Sinne der Wohlfahrt aller und der Gerechtigkeit nach dem Maßstab individueller Leistungsfähigkeit zu funktionieren. Die allein von Gesetzen des capitalist perfectly free to employ his wealth in any enterprise he chose, and to regard the profit which he secured as the best proof that his enterprise was beneficial to the State.« W. Cunningham, The Progress of Capitalism in England, C a m bridge 1 9 2 5 , S. 107. 50 Die Liberalisierung des Außenhandels beginnt mit dem Vertrag, den William Pitt 1786 mit Frankreich schließt. 51 Das gilt für Deutschland nicht in gleichem Maße wie für England und Frankreich. A m Ende des 18. Jahrhunderts besteht in Preußen eine Trennung von Staat und Gesellschaft erst virtuell; vgl. dazu die sozialhistorische Studie von W. C o n z e , Staat und Gesellschaft in der frührevolutionären Epoche Deutschlands, in: H i storische Zeitschrift, B d . 186, 1958, S. 1 - 3 4 ; vgl. auch W. C o n z e (Hg.), Staat und Gesellschaft im deutschen Vormärz, Stuttgart 1963. 148
freien Marktes bestimmte Gesellschaft präsentiert sich nicht nur als herrschaftsfreie Sphäre, sondern überhaupt als eine von Gewalt freie; die ökonomische Macht eines jeden Warenbesitzers wird innerhalb einer Größenordnung vorgestellt, in der sie auf den P r e i s mechanismus keinen Einfluß nehmen, infolgedessen nie unmittelbar als Macht über andere Warenbesitzer wirksam werden kann. Sie bleibt der gewaltlosen Entscheidung des Marktes, die sich anonym und in gewisser Weise autonom aus dem Tauschprozeß ergibt, unterworfen. In diese Richtung einer tendenziell machtneutralisierten und herrschaftsemanzipierten Privatsphäre weisen auch die juristischen Garantien ihrer ökonomischen Grundverfassung. Rechtssicherheit, nämlich die Bindung der Staatsfunktionen an generelle Normen, schützt, zusammen mit den im System des bürgerlichen Privatrechts kodifizierten Freiheiten, die Ordnung des »freien Marktes«. Staatliche Eingriffe ohne Ermächtigung durch ein Gesetz sind, ihrem soziologischen Sinne nach, nicht primär darum verwerflich, weil sie naturrechtlich statuierte Prinzipien der Gerechtigkeit verletzten, sondern einfach, weil sie unvorhersehbar wären und darum genau die Art und das Maß an Rationalität versagten, das im Interesse der kapitalistisch fungierenden Privatleute liegt. Sonst würden nämlich jene »Garantien der Kalkulierbarkeit« fehlen, die schon Max Weber am industriellen Kapitalismus entdeckt hat : Die Kalkulation der Profitchancen verlangt einen Verkehr, der sich gemäß berechenbaren Erwartungen abspielt. Kompetenzmäßigkeit und Justizförmigkeit sind daher Kriterien 52
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52 »The man w h o is moved to exploit his consumers through unduly high prices will survive only long enough to discover that they have deserted him in favor of his numerous competitors. To pay a worker less than the going wage is to invite him to go where the going wage is paid. It requires only a moment's reflection to conclude that a businessman with power neither to overcharge his costumers nor to underpay his labor (and for similar reasons his others suppliers) has very little power to do anybody ill. To minimize the exercise of private power, and especially the opportunity for its misuse, was to remove most of the justification for exercise of government authority over the economy.« J . K. Galbraith, American Capitalsm, Boston 1 9 5 2 , S. 3 1 . 53 M a x Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 1956, B d . I I , S. 6 5 1 : »Der industrielle Kapitalismus . . . muß auf die Stetigkeit, Sicherheit und Sachlichkeit des Funktionierens der Rechtsordnung, auf den rationalen, prinzipiell berechenbaren Charakter der Rechtsfindung und Verwaltung zählen können.« 149
des bürgerlichen Rechtsstaates; »rationale« Verwaltung und »unabhängige« Justiz sind organisatorisch die Voraussetzung. Das Gesetz selber, an das Exekutive und Justiz sich zu halten haben, muß für jedermann gleichermaßen verbindlich sein; es darf prinzipiell keine Dispensierung oder Privilegierung erlauben. Darin entsprechen die Gesetze des Staates denen des Marktes: beide lassen gegenüber dem Staatsbürger und dem Privatmann keine Ausnahmen zu; sie sind objektiv, nämlich nicht von einzelnen zu manipulieren (der Preis entzieht sich der Beeinflussung jedes einzelnen Warenbesitzers); sie sind nicht an bestimmte einzelne adressiert (der freie Markt verbietet Sonderabsprachen). Die Marktgesetze spielen sich freilich von selber ein, was ihnen in der klassischen Ökonomie den Schein eines ordre naturel verlieh; während die Gesetze des Staates doch ausdrücklich der Setzung bedürfen. Nun könnte auch der Fürst als Gesetzgeber fungieren, sofern er nur bereit ist, seine Befehle, Staatstätigkeit überhaupt, an allgemeine Normen zu binden, wobei diese ihrerseits an den Interessen des bürgerlichen Verkehrs orientiert sein müßten. RechtsStaatlichkeit als solche verlangt nicht auch schon die Konstitutionalisierung der Öffentlichkeit im Rahmen einer parlamentarischen (oder wenigstens parlamentarisch gebundenen) Regierungsform. Desgleichen hatten ja die Physiokraten im Sinn; ihr sogenannter 54
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54 Ich spreche vom »bürgerlichen Rechtsstaat« stets im materialen Sinne einer bestimmten politischen Verfassung; die Formalisierung des Rechtsstaatsbegriffes in der deutschen Jurisprudenz des späteren 19. Jahrhunderts ist eine ihrerseits soziologisch zu erklärende Anpassung, die in den angedeuteten Zusammenhang gehört. Im übrigen vgl. U . Scheuner, »Die neuere Entwicklung des Rechtsstaats in Deutschland«, in: Festschrift des deutschen Juristentages, B d . I I , Karlsruhe i960, S. 229ff. 5 5 Wobei die Justiz ihrerseits eine wissenschaftliche Jurisprudenz fordert; vgl. Wieacker, a. a. O . , S. 257; »Die Neutralität einer sich selbst verantwortlichen wissenschaftlichen Jurisprudenz hat eine unmittelbare Gerechtigkeitsfunktion. Indem sie den Richter an feststehende, von der öffentlichen Meinung gebilligte und nachprüfbare Lehrsätze bindet, drängt sie die widerstreitenden, eigennützigen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Interessen in einer freien Gesellschaft, deren Funktionsprinzip der geregelte Kampf, der Wettbewerb ist, aus dem R a u m der Rechtspflege ab. Hierdurch aber verwirklicht sie gerade die Spielregel dieser Gesellschaft, nämlich Schlichtung und formale Richtigkeit anstatt Machtdurchsetzung.«
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legaler Despotismus versprach sich gerade von aufgeklärten Monarchen eine Herrschaft der öffentlichen Meinung. Allein, die mit dem Industriekapital konkurrierenden Interessen, vor allem das landed interest, sei es der adligen Grundherrn, sei es der verbürgerlichten Großgrundbesitzer, ist noch in der liberalen Phase so stark, daß es selbst das englische Parlament bis 1832 beherrscht und weitere vierzehn Jahre die Abschaffung der Korngesetze hinausgezögert hat. Der aufgeklärte Monarch der Physiokraten bleibt deshalb pure Fiktion: im Konflikt der Klasseninteressen würde Rechtsstaatlichkeit nicht schon per se eine Gesetzgebung nach Maßgabe der Bedürfnisse bürgerlichen Verkehrs garantieren. Erst mit der Gesetzgebungskompetenz selbst erstreitet sich das Publikum der Privatleute diese Gewißheit. Der Rechtsstaat als ein bürgerlicher etabliert die politisch fungierende Öffentlichkeit als Staatsorgan, um den Zusammenhang von Gesetz und öffentlicher Meinung institutionell zu sichern. Aus solcher Herkunft haftet ihm indessen ein eigentümlicher Widerspruch an. Der verrät sich zunächst in einer Ambivalenz des Gesetzesbegriffs: »Im politischen Kampf gegen eine starke königliche Regierung mußte die Mitwirkung der Volksvertretung als maßgebendes Kennzeichen des Gesetzes immer stärker betont und zuletzt ausschlaggebend werden. Wenn zum Gesetz politisch vor allem die Mitwirkung der Volksvertretung gehört, so erklärt sich die . . . Umkehrung: was unter Mitwirkung der Volksvertretung zustande kommt, ist ein Gesetz. Herrschaft des Gesetzes heißt dann Mitwirkung oder schließlich Herrschaft der Volksvertretung.« Einerseits geht also in den Begriff des Gesetzes als eines Willensausdrucks das Moment des gewaltsam durchgesetzten Herrschaftsanspruches ein. Andererseits behält der Begriff des Gesetzes als eines Ausdrucks der Vernunft aber auch da andere, ältere Momente seines im Zusammenhang von Parlament und Publikum festgehaltenen Ursprungs aus öffentlicher Meinung. Darum stellt Carl Schmitt der einen, der politischen Bestimmung des Gesetzes die andere Bestimmung voran: »Gesetz ist nicht der Wille eines oder vieler Menschen, sondern etwas Vernünftig-Allgemeines; nicht voluntas, sondern ra56
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56 L. Brentano, a. a. O . , S. 209 ff. 57 C . Schmitt, Verfassungslehre, a. a. O . , S. 148. 151
tio.« Die Herrschaft des Gesetzes hat eine Intention auf die Auflösung von Herrschaft überhaupt; eine typisch bürgerliche Idee insofern, als nicht einmal die politische Garantie der von politischer Herrschaft sich emanzipierender Privatsphäre die Gestalt von Herrschaft annehmen soll. Die bürgerliche Idee vom Gesetzesstaat, nämlich die Bindung aller Staatstätigkeit in einem nach Möglichkeit lückenlosen System von Normierungen, die durch öffentliche Meinung legitimiert sind, zielt schon auf eine Beseitigung des Staates als eines Herrschaftsinstrumentes überhaupt. Souveränitätsakte gelten als apokryph per se. Weil das öffentliche Räsonnement der Privatleute überzeugend den Charakter einer gewaltlosen Ermittlung des zugleich Richtigen und Rechten behauptet, kann auch eine, auf die öffentliche Meinung sich rückbeziehende Gesetzgebung nicht ausdrücklich als Herrschaft gelten; und doch ist die Kompetenz der Gesetzgebung so offensichtlich in einem harten Kampf mit den alten Gewalten erst errungen worden, daß ihr selbst der Charakter einer »Gewalt« nicht abgesprochen werden kann: Locke nennt sie legislative power, Montesquieu pouvoir; ohne Gewalt, daher auch ohne bestimmte soziale Kategorie als deren Träger, dünkt beiden Autoren nur die Justiz, die die gegebenen Gesetze bloß »anwendet«. Gleichwohl ist die Unterscheidung der gesetzgebenden von der vollziehenden Gewalt dem Gegensatz von Regel und Handlung, von ordnendem Verstand und tätigem Willen nachgebildet. Obschon als »Gewalt« konstruiert, soll Gesetzgebung der Ausfluß nicht eines politischen Willens, sondern rationaler Übereinkunft sein. - Auch Rousseaus demokratische Verkehrung der Fürstensouveränität in Volkssouveränität löst das Dilemma nicht: öffentliche Meinung ist der Willkür schlechthin entgegengesetzt und den immanenten Gesetzen des Publikums räsonierender Privatleute derart unterworfen, daß ihr das Attribut selbst des höchsten, über alle Gesetze erhabenen Willens, eben Souveränität, streng genommen gar nicht zugesprochen werden dürfte. Öffentliche Meinung will, ihrer eigenen Intention nach, weder Gewaltenschranke noch selber Gewalt, noch gar Quelle aller Gewalten sein. In ihrem Medium soll sich vielmehr der 58
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58 E b d . S. 1 3 9 . 59 Böckenförde, a. a. O . , S. 35.
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Charakter der vollziehenden Gewalt, Herrschaft selbst verändern. Die »Herrschaft« der Öffentlichkeit ist ihrer eigenen Idee zufolge eine Ordnung, In der sich Herrschaft überhaupt auflöst; Veritas n o n auctoritas facit legem. Diese Umkehrung des Hobbesschen Satzes geht beim Versuch, die Funktion der öffentlichen Meinung mit Hilfe des Souveränitätsbegriffs zu fassen, ebenso verloren wie in der staatsrechtlichen Konstruktion der pouvoirs. Pouvoir als solche wird durch eine politisch funktionierende Öffentlichkeit z u r Debatte gestellt. Diese soll voluntas in eine ratio überführen, die sich in der öffentlichen Konkurrenz der privaten Argumente als der Konsensus über das im allgemeinen Interesse praktisch Notwendige herstellt. Wo die rechtsstaatliche Ordnung sich nicht, wie in England, aus älteren Formationen des Ständestaates faktisch herausschält, sondern wie auf dem Kontinent in einem zugrunde gelegten Gesetz, eben dem Grundgesetz oder der Verfassung ausdrücklich sanktioniert wird, finden sich darin deutlich die Funktionen der Öffentlichkeit artikuliert. Eine Gruppe von Grundrechten bezieht sich auf die Sphäre des räsonierenden Publikums (Freiheit der Meinung und der Rede, Pressefreiheit, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit usw.) und auf die politische Funktion der Privatleute in dieser Öffentlichkeit (Petitionsrecht, gleiches Wahl- und Stimmrecht usw.). Eine andere Gruppe von Grundrechten bezieht sich auf den in der Intimsphäre der patriarchalischen Kleinfamilie begründeten Freiheitsstatus des einzelnen (persönliche Freiheit, Unverletzlichkeit der Wohnung usw.). Die dritte Gruppe von Grundrechten bezieht sich auf den Verkehr der Privateigentümer in der Sphäre der bürgerlichen Gesellschaft (Gleichheit vor dem Gesetz, Schutz des Privateigentums usw.). Die Grundrechte garantieren: die Sphären der Öffentlichkeit und des Privaten (mit der Intimsphäre als deren Kern); die Institutionen und Instrumente des Publikums einerseits (Presse, Parteien) und die Basis der Privatautonomie (Familie und Eigentum) andererseits; schließlich die Funktionen der Privatleute, ihre politischen als Staatsbürger ebenso wie ihre ökonomischen als Warenbesitzer (und als »Men60
60 Vgl. Theorie und Praxis, a. a. O . , S. 82ff. J
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sehen« die der individuellen Kommunikation, z.B. durch das Briefgeheimnis). Als eine Folge der grundrechtlich umschriebenen Sphäre der Öffentlichkeit und ihrer Funktionen ergab sich für das Verfahren der Staatsorgane selbst Öffentlichkeit als organisatorisches Prinzip; in diesem Sinne ist von Publizität die Rede. Die Publizität der Parlamentsverhandlungen sichert der öffentlichen Meinung ihren Einfluß, sichert den Zusammenhang zwischen Abgeordneten und Wählern als Teilen ein und desselben Publikums. Etwa zur gleichen 61
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61 Vgl. F. Härtung, Die Entwicklung der Menschen- und Bürgerrechte, a. a. O . 62 Wenn man die Grundrechte im rechtsstaatlichen Zusammenhang der politisch fungierenden Öffentlichkeit mit einer politisch emanzipierten Privatsphäre begreift, stellt sich auch deren Genealogie durchsichtig dar. Die bürgerlichen M e n schenrechte sind klar von den ständischen Freiheitsrechten geschieden. Von der Magna Charta Libertatum ( 1 2 1 5 ) führt über die Petition of Rights (1628), die Habeas Corpus A k t e (1679) und die bill of Rights (1689) kein direkter Weg zur ersten Menschenrechtserklärung von Virginia (1776). Die ständischen Freiheitsrechte sind wesentlich Verträge zwischen Korporationen, die Grenzen rechtlich zulässiger Einflußnahme festsetzen, nicht aber die Autonomie einer Privatsphäre durch die politischen Funktionen eines Publikums von Privatleuten, eben der Öffentlichkeit, verbriefen. Sofern im Zuge der Ausbildung der bürgerlichen G e sellschaft, und der patriarchalischen Kleinfamilie als einer ihrer vorzüglichen Institutionen, auch die Kirche den Charakter repräsentativer Öffentlichkeit immer mehr einbüßt und Religion, seit der Reformation, Privatsache, die private A u s übung der Religion mithin Funktion und zugleich Symbol der neuen Intimsphäre wird, darf die sogenannte Religionsfreiheit als das historisch früheste » G r u n d recht« gelten. Wenn G . Jellinek (Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, Leipzig 1909) indessen den Ursprung der Grundrechte schlechthin aus dem Ringen um die religiöse Freiheit ableitet, dann hypostasiert er einen geistesgeschichtlichen Zusammenhang, der seinerseits nur als Teil eines umfassenden gesellschaftlichen deutlich zu begreifen ist. In jenen Auseinandersetzungen z w i schen Kolonien und Mutterland, aus denen die erste Formulierung der M e n schenrechte resultiert, spielt nicht die Religionsfreiheit die entscheidende Rolle, sondern die Frage der politischen Mitbestimmung der zum Publikum versammelten Privatleute über solche Gesetze, die in ihre private Sphäre eingriffen: no taxation without representation (vgl. die einleitenden Bemerkungen von Fr. Härtung, a. a. O . , S. 2 ff., der die Kontroverse um Jellinek resümiert). Die Sicherung der Intimsphäre (mit der Freiheit der Person und speziell des religiösen Kultus) ist der historisch frühe Ausdruck einer für die Reproduktion des Kapitalismus in der Phase des liberalisierten Marktverkehrs notwendig werdenden Sicherung der Privatsphäre überhaupt. Vgl. die Textsammlung von R. Schnur, Z u r Geschichte der Erklärung der Menschenrechte, Darmstadt 1964. 54
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Zeit setzt sich die Publizität auch im Gerichtsverfahren durch. Selbst die unabhängige Justiz bedarf der Kontrolle durch öffentliche Meinung; ja, ihre Unabhängigkeit von selten der Exekutive ebenso wie von privater Seite scheint nur im Medium des kritikbereiten Publikums gewährleistet zu sein. Die wirksamsten Widerstände bot dem Prinzip der Publizität die Verwaltung; aber nicht in erster Linie, weil bestimmte Vorgänge gerade im öffentlichen Interesse der Geheimhaltung unterworfen wären, sondern vor allem natürlich deshalb, weil die Bürokratie neben der Armee das einzige, im Absolutismus ausgebildete Machtmittel in der Hand des Fürsten gegen die Interessen der bürgerlichen Gesellschaft darstellte. Immerhin bezeugt noch im Rahmen des aufgeklärten Absolutismus ein Befehl des Preußenkönigs an seine Staatsminister aus dem Jahre 1804 exemplarisch die nun sich verbreitende Einsicht, »daß eine anständige Publicität der Regierung und den Unterthanen die sicherste Bürgschaft gegen die Nachlässigkeit und den bösen Willen der untergeordneten Officianten ist und verdient auf alle Weise befördert und geschützt zu werden«. Die grundgesetzliche Fixierung einer politisch fungierenden Öffentlichkeit verrät nur mehr in dem zentralen Artikel, der besagt, daß alle Gewalt vom Volke ausgeht, den Charakter einer selbst durch Gewalt mühsam genug errungenen Herrschaftsordnung. Ansonsten prätendiert der bürgerliche Rechtsstaat auf Grund der fungierenden Öffentlichkeit eine Organisation der öffentlichen Gewalt, die deren Unterordnung unter Bedürfnisse einer selbst als machtneutralisiert und herrschaftsemanzipiert geltenden Privatsphäre gewährleistet. Die Verfassungsnormen sind somit auf ein Modell der bürgerlichen Gesellschaft abgestellt, dem deren Realität keineswegs entspricht. Die Kategorien, die vom historischen Prozeß des Kapitalismus, auch seiner liberalen Phase, abgezogen sind, haben selbst historischen Charakter: sie bezeichnen gesellschaftliche Tendenzen, aber eben nur Tendenzen. So sind denn die »Privat63
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63 Die justizpolitischen Forderungen der bürgerlichen Öffentlichkeit fanden ihren ersten präzisen Ausdruck im napoleonischen Zivilprozeßrecht, dem C o d e de Procedure. Auf dem linken Rheinufer gilt es unmittelbar; seine Maximen setzen sich aber seit 1 8 1 5 auch in den übrigen deutschen Territorien durch. 64 Zitiert nach G r o t h , a. a. O . , B d . I, S. 7 2 1 . MS
leute«, mit deren durch Eigentum sozial garantierter Autonomie der Rechtsstaat ebenso rechnet wie mit den Bildungsqualifikationen des Publikums, zu dem sie sich formieren, in Wahrheit eine kleine Minderheit, selbst wenn man zur großen die kleine Bourgeoisie hinzurechnet. Ungleich zahlreicher ist das »Volk«, vor allem die Landbevölkerung. Und immer noch, nach den politischen Gesetzen der vorkapitalistischen Gesellschaft wirksam sind die auf Bürokratie und Armee gestützten Fürsten einerseits, die großen Grundbesitzer, adelige Grundherren andererseits. Dennoch beziehen sich die neuen Verfassungen, geschriebene wie ungeschriebene, auf Bürger und Menschen schlechthin; und zwar notwendigerweise, solange sie die »Öffentlichkeit« zu ihrem Organisationsprinzip haben. Die bürgerliche Öffentlichkeit steht und fällt mit dem Prinzip des allgemeinen Zugangs. Eine Öffentlichkeit, von der angebbare Gruppen eo ipso ausgeschlossen wären, ist nicht etwa nur unvollständig, sie ist vielmehr gar keine Öffentlichkeit. Jenes Publikum, das als Subjekt des bürgerlichen Rechtsstaates gelten darf, versteht denn auch seine Sphäre als eine öffentliche in diesem strengen Sinne; es antizipiert in seinen Erwägungen die Zugehörigkeit prinzipiell aller Menschen. Schlechthin Mensch, nämlich moralische Person, ist auch der einzelne Privatmann. Wir haben den geschichtlichen und gesellschaftlichen Ort, an dem dieses Selbstverständnis sich entwickelt hat, bezeichnet: in der auf ein Publikum bezogenen Intimsphäre der patriarchalischen Kleinfamilie wächst das Bewußtsein dieser, wenn man so will, gestaltlosen Menschlichkeit heran. Unterdessen hatte das Publikum sehr wohl seine bestimmte Gestalt gewonnen; es ist das bürgerliche Lesepublikum des 18. Jahrhun65
65 Auf dieser Allgemeinheitsstufe können wir die nationalen Unterschiede zwischen England, Frankreich und Deutschland, die zugleich Unterschiede in der E n t wicklungshöhe des Kapitalismus sind, vernachlässigen. In diesem Betracht unvergleichlich sind natürlich die Verhältnisse in den U S A , w o gesellschaftliche Struktur und politische Ordnung die in Europa überlieferten Elemente der feudalen Grundherrschaft und eines absolutistischen Fürstentums nicht zu verarbeiten brauchten. (Unsere an europäischen Verhältnissen orientierte Analyse vernachlässigt überhaupt die Spezifica der amerikanischen Entwicklung; zum politischen System vgl. zuletzt Ernst Fraenkel, Das amerikanische Regierungssystem, Köln Opladen i960). 156
derts. Literarisch bleibt diese Öffentlichkeit auch, als sie politische Funktionen übernimmt; Bildung ist das eine Zulassungskriterium der Besitz das andere. Faktisch decken beide Kriterien weithin den gleichen Personenkreis; denn Schulbildung ist damals eher Folge als Voraussetzung eines gesellschaftlichen Status, der seinerseits primär durch Eigentumstitel bestimmt ist. Die gebildeten Stände sind auch die besitzenden. Der Zensus, der die Zulassung zur politisch fungierenden Öffentlichkeit reguliert, kann daher mit dem Steuerzensus zusammenfallen: schon die Französische Revolution nimmt ihn ja zum Maßstab der Unterscheidung von Aktiv- und Passivbürgern. Diese Einschränkung des Wahlrechts brauchte jedoch nicht als Einschränkung der Öffentlichkeit selber zu gelten, solange sie als die bloß juristische Ratifikation eines in der Privatsphäre ökonomisch errungenen Status, eben des Status des zugleich gebildeten und besitzenden Privatmannes gelten durfte. Die allgemeine Zugänglichkeit zu jener Sphäre, die der Rechtsstaat in ihren politischen Funktionen institutionalisiert, muß durch die Struktur der bürgerlichen Gesellschaft von vornherein, nicht erst hernach durch die politische Verfassung, die diese sich gibt, entschieden werden. Öffentlichkeit ist dann garantiert, wenn die ökonomischen und sozialen Bedingungen jedermann gleiche Chancen einräumen, die Zulassungskriterien zu erfüllen: eben die Qualifikationen der Privatautonomie, die den gebildeten und besitzenden Mann ausmachen, zu erwerben. Diese Bedingungen hat die zeitgenössische Politische Ökonomie dar getan; Jeremias Bentham war ohne Adam Shmith nicht denkbar. Die Voraussetzungen der klassischen Ökonomie sind bekannt. Sie konzipiert ein System, dessen immanente Gesetze dem einzelnen eine sichere Grundlage bieten, um seine wirtschaftliche Tätigkeit rational nach Maßgabe der Maximierung des Profits zu kalkulieren. Solche Kalkulationen trifft jeder für sich, ohne Absprache mit anderen; die Warenproduktion ist subjektiv anarchisch, objektiv harmonisch. Die erste Voraussetzung ist mithin eine ökonomische: die 66
66 Z u r Wissenssoziologie der ökonomischen Theorien vgl. G . Eisermann, Ö k o n o mische Theorien und sozioökonomische Struktur, in: Zeitschrift f. d. Ges. Staatswissenschaft, B d . n o , 1954, S. 457ff. 1
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Garantie des freien Wettbewerbs. Die zweite geht davon aus, daß sich alle Waren zu ihrem »Wert« austauschen; der wiederum soll sich nach dem zu seiner Herstellung notwendigen Arbeitsquantum bemessen. Als Waren gelten dabei die produzierten Güter und die produzierende Arbeitskraft gleichermaßen. Da diese Bedingung nur erfüllt ist, wenn jeder Anbieter seine Waren selber herstellt, umgekehrt jeder Arbeiter die Produktionsmittel selber besitzt, läuft die zweite Voraussetzung auf eine soziologische hinaus: auf das Modell einer Gesellschaft von Kleinwarenproduzenten. Sie hängt mit der ersten insofern zusammen, als die ökonomische Voraussetzung der unabhängigen Preisbildung die soziologische eines relativ breiten und gleichmäßig gestreuten Eigentums an Produktionsmitteln einschließt. Die dritte Voraussetzung ist eine theoretische, die vom älteren Mill zunächst eingeführt, in einer späteren Formulierung als Says che s Gesetz überliefert wird: bei vollständiger Mobilität von Produzenten, Produkten und Kapital werden sich ihm zufolge Angebot und Nachfrage stets ausgleichen. Mithin sollen die Kapazitäten stets ausgelastet, die Arbeitskraftreserven ausgeschöpft sein und das System im Prinzip krisenfrei auf hohem, dem Entwicklungsstand der Produktivkräfte jederzeit angemessenen Niveau sich im Gleichgewicht halten. Unter diesen Voraussetzungen, aber nur unter diesen, würde jedermann gleichermaßen die Chance haben, mit Tüchtigkeit und »Glück« (dem Äquivalent für die Undurchsichtigkeit des gleichwohl streng determinierten Marktgeschehens) den Status eines Eigentümers und somit eines »Menschen«, die Qualifikationen eines zur Öffentlichkeit zugelassenen Privatmannes, Besitz und Bildung, zu erwerben. Auch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren sie, wie aus der polemischen Funktion der Politischen Ökonomie selber zu ersehen ist, keineswegs erfüllt. Immerhin war das liberale Modell der Wirklichkeit soweit angenähert, daß das Interesse der bürgerlichen Klasse mit dem allgemeinen Interesse identifi67
67 Polemisch gegenüber dem landed interest, vgl. etwa Ricardos Streitschrift gegen die hohen Getreidepreise (An Essay on the Influence of a L o w Price of C o r n on the Profits of Stock, L o n d o n 1 8 1 5 ) , in der er ja zu dem Schluß gelangt, daß das Interesse des Grundeigentümers dem jeder anderen Gesellschaftsklasse entgegengesetzt ist. 158
ziert und der dritte Stand als Nation etabliert werden konnte - die Öffentlichkeit als Organisationsprinzip des bürgerlichen Rechtsstaates war in jener Phase des Kapitalismus glaubwürdig. Wenn jedermann, wie es scheinen mochte, die Möglichkeit hatte, ein » B ü r ger« zu werden, dann sollten zur politisch fungierenden Öffentlichkeit eben nur Bürger Zutritt haben, ohne daß diese ihr Prinzip dadurch eingebüßt hätte. Im Gegenteil, nur Eigentümer waren in der Lage, ein Publikum zu bilden, das legislativ die Grundlagen der bestehenden Eigentumsordnung schützen konnte; nur sie hatten jeweils private Interessen, die automatisch in dem gemeinsamen Interesse der Wahrung einer bürgerlichen Gesellschaft als Privatsphäre konvergierten. Nur von ihnen war mithin eine wirksame Vertretung des Allgemeininteresses zu erwarten, denn sie hatten es nicht nötig, zur Ausübung ihrer öffentlichen Rolle aus der privaten Existenz irgend herauszutreten: zwischen dem Privatmann als homme und citoyen besteht kein Bruch, solange der homme zugleich Privateigentümer ist und als citoyen für die Stabilität der Eigentumsordnung als einer privaten sorgen soll. Das Klasseninteresse ist die Basis der öffentlichen Meinung. Es muß sich jedoch während jener Phase auch objektiv mit dem Allgemeininteresse so weit wenigstens gedeckt haben, daß diese Meinung als die öffentliche, durchs Räsonnement des Publikums vermittelte und folglich als vernünftige hat gelten können. In Zwang wäre sie damals schon umgeschlagen, wenn das Publikum als die herrschende Klasse sich hätte abschließen, das Prinzip der Öffentlichkeit hätte fallen lassen müssen: Räsonnement wäre zu Dogma, die Einsicht einer nicht mehr öffentlichen Meinung zu Befehl geworden. Solange die genannten Voraussetzungen als gegeben angenommen werden konnten, solange Öffentlichkeit als Sphäre existierte und als Prinzip funktionierte, war das, was das Publikum zu sein und zu tun glaubte, Ideologie und zugleich mehr als bloße Ideologie. Auf der Basis der fortwährenden Herrschaft einer Klasse über die andere hat diese gleichwohl politische Institutionen entwickelt, die als ihren objektiven Sinn die Idee ihrer eigenen Aufhebung glaubhaft in sich aufnehmen: Veritas non auctoritas facit legem, die Idee der Auflösung der Herrschaft in jenen leichtfüßigen Zwang, der nurmehr in der zwingenden Einsicht einer öffentlichen Meinung sich durchsetzt. 1
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Wenn Ideologien nicht nur das gesellschaftlich notwendige Bewußtsein in seiner Falschheit schlechthin anzeigen, wenn sie über ein Moment verfügen, das, indem es utopisch das Bestehende über sich selbst, sei es auch zur Rechtfertigung bloß, hinaushebt, Wahrheit ist, dann gibt es Ideologie überhaupt erst seit dieser Zeit. Ihr Ursprung wäre die Identität der »Eigentümer« mit den »Menschen schlechthin«; sowohl in der Rolle, die den Privatleuten als Publikum in der politisch fungierenden Öffentlichkeit des bürgerlichen Rechtsstaates zukommt - in der Identifizierung der politischen mit der literarischen Öffentlichkeit; als auch in der öffentlichen Meinung selber, in der das Interesse der Klasse, durchs öffentliche Räsonnement vermittelt, den Schein des Allgemeinen annehmen kann - in der Identifizierung der Herrschaft mit ihrer Auflösung in bare Vernunft. Wie dem auch sei, die entfaltete bürgerliche Öffentlichkeit ist an eine komplizierte Konstellation gesellschaftlicher Voraussetzungen gebunden; sie haben sich allemal bald und tiefgreifend verändert, und mit ihrer Veränderung tritt der Widerspruch der im bürgerlichen Rechtsstaat institutionalisierten Öffentlichkeit hervor: mit Hilfe ihres Prinzips, das der eigenen Idee zufolge aller Herrschaft entgegengesetzt ist, war eine politische Ordnung begründet, deren gesellschaftliche Basis Herrschaft nun doch nicht überflüssig machte. 68
68 Z u r Geschichte des Ideologiebegriffes vgl. zuletzt die Textsammlung von K. Lenk, Ideologiekritik und Wissenssoziologie, 2. Aufl. N e u w i e d 1964, dort auch Literaturhinweise.
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IV Bürgerliche Öffentlichkeit - Idee und Ideologie § 1 2 Public opinion - opinion publique - öffentliche Meinung: zur Vorgeschichte des Topos 1
Das Selbstverständnis der Funktion bürgerlicher Öffentlichkeit hat sich im Topos der »öffentlichen Meinung« kristallisiert. Dessen Vorgeschichte, bis zur artikulierten Bedeutung des späten 18. Jahrhunderts, ist freilich lang und bisher nur in großen Zügen zu übersehen. Sie soll uns gleichwohl als Einführung zu jener Idee der bürgerlichen Öffentlichkeit dienen (§ 1 2 ) , die, nachdem sie in der Kantschen Rechtslehre ihre klassische Formulierung gefunden hat (§ 13), von Hegel und Marx ihrer Problematik überführt wird (§ 14) und in der politischen Theorie des Liberalismus um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Ambivalenz von Idee und Ideologie eingestehen muß (§ 15). »Opinion« übernimmt im Englischen und im Französischen die unkomplizierte Bedeutung von lat. opinio, der Meinung, des ungewissen, nicht voll ausgewiesenen Urteils. Die philosophische Kunstsprache, von Piatons »doxa« bis zu Hegels »Meinen«, entspricht darin genau dem Sinnverständnis der Alltagssprache. Für unseren Zusammenhang ist jedoch die andere Bedeutung von opinion wichtiger, nämlich »reputation«, der Ruf, das Ansehen, das, 2
1 Wir sehen in diesem Zusammenhang von der weitläufigen Geschichte des »Sensus Communis« ab; vgl. Gadamer, a . a . O . , S. 16ff. u. S. 23ff. Ebenso besteht, durch den Begriff der »allgemeinen Meinung« vermittelt, ein Zusammenhang des Topos »öffentliche Meinung« mit der klassischen Tradition des »Consensus O m n i u m « ; vgl. K l . Oehler, D e r consensus omnium als Kriterium der Wahrheit in der antiken Philosophie und der Patristik, in: Antike und Abendland, B d . X , 1 9 6 1 , S. 103 ff. Solche gezsf ^geschichtlich gewiß relevanten Verbindungslinien gleiten aber über spezifische Bruchstellen der
gesellschaftlichen Entwicklung
hinweg, die gleichzei-
tig Schwellen der polemischen Begriffsbildung sind - so auch beim Übergang von der »Meinung« zur »öffentlichen Meinung«. 2 R. Mischke (Die Entstehung der öffentlichen Meinung im 18. Jahrhundert, Diss. Hamburg 1958) vernachlässigt zu sehr die englische Entwicklung. D e r ausgezeichneten Untersuchung R. Kosellecks (Kritik und Krise, a . a . O . ) verdanke ich viele Hinweise. 161
was man in der Meinung der anderen darstellt. Opinion im Sinne der ungesicherten Meinung, die den Wahrheitsbeweis erst noch bestehen müßte, verbindet sich mit opinion im Sinne eines im Kern fragwürdigen Ansehens bei der Menge. Das Wort trägt dabei so stark den Bedeutungston der kollektiven Meinung, daß sich alle Attribute, die auf ihren gesellschaftlichen Charakter hinweisen, als Pleonasmus erübrigen. Zusammenstellungen wie: common opinion, general opinion, vulgar opinion fehlen noch bei Shakespeare ganz; von public opinion, ist erst recht keine Rede, auch nicht von public spirit. Ebenso heißen im Französischen Sitten und Bräuche, überhaupt kurrente Vorstellungen und verbreitete Konventionen ohne Umschweif »les opinions«. Zu public opinion, opinion publique, der Prägung des späten 18. Jahrhunderts, die auf das Räsonieren eines urteilsfähigen Publikums bezogen sein wird, entwickelt sich »opinion« freilich nicht in gerader Linie; denn beide ursprünglichen Bedeutungen: die boße Meinung und das Ansehen, das sich im Spiegel der Meinungen herstellt, stehen ja im Gegensatz zu jener Vernünftigkeit, die öffentliche Meinung prätendiert. Allerdings ist im Englischen der Gegensatz von opinion zu truth, reason, judgement nicht so prägnant wie im Französischen die während des 17. Jahrhunderts fest eingeschliffene Gegenüberstellung von opinion und critique. 3
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3 Die Nuancen treten etwa im Sprachgebrauch Shakespeares deutlich hervor. Vom großen Ruf, ja R u h m (Julius Caesar I, 2, 323: all tending to the great opinion, that R o m e holds of his name); über den guten Ruf eines Gentlemans (Henry I V , V, 4, 48: T h o u hast redeem'd thy lost opinion); und das bereits käufliche Wohlwollen, das man bei anderen genießt (Julius Caesar, I I , 1 , 1 4 5 : Purchase us a good opinion); bis hin zu dem zweifelhaften und unsteten G l a n z bloß äußerer Geltung (Othello, I, 3, 2 2 5 : Opinion - a souvereign mistress of effects); fließen die beiden Grundbedeutungen ineinander. Shakespeare charakterisiert sie in jener Gegenüberstellung der »craft of great opinion« und der »great truth of mere simplicity« (Henry V I I I , IV, 4, 105). 4 J . Bartlett, A Complete Concordance of Sharkespeare, L o n d o n 1956, s. unter »opinion« und unter »spirit«. 5 Wohl wurde »Kritik« auch in England um etwa 1600 in die Nationalsprache übernommen; die Humanisten verwandten das Wort zunächst im philologisch-historischen Zusammenhang ihrer quellenkritischen Studien; seit Shaftesbury befaßt sich derjenige mit »criticks«, der nach Regeln des guten Geschmacks zu urteilen versteht. Allein, hier gerät opinion nicht in Gegensatz zu criticism. Kritikus ist im
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Eine folgenreiche Vermittlung leistet Hobbes, indem er »conscience^ Bewußtsein und Gewissen in einem, mit »opinion« identifiziert. Hobbes läßt sich bekanntlich von den Erfahrungen des konfessionellen Bürgerkriegs leiten und entwirft im Leviathan ( 1 6 5 1 ) einen Staat, der, auf die auctoritas des Fürsten allein gegründet, von den Uberzeugungen und Gesinnungen der Untertanen unabhängig ist. Weil die Untertanen von der im Staatsapparat objektivierten Öffentlichkeit ausgeschlossen sind, wird der Streit ihrer Gesinnungen politisch unentscheidbar, ja, aus der Sphäre der Politik ist er ganz verwiesen - der Bürgerkrieg findet unter dem Diktat einer konfessionell neutralisierten Obrigkeit sein Ende. Die Konfession ist Privatsache, private Gesinnung; für den Staat folgenlos: eine ist ihm soviel wert wie die andere, das Gewissen wird zur Meinung. Entsprechend definiert Hobbes die »Kette der Meinungen«, die vom faith bis zum judgement reicht. Er nivelliert alle Akte des Glaubens, Urteilens und Vermeinens in der Sphäre des »Meinens«. Auch »conscience« ist »nothing else but man's settled judgement and opinion«. Sowenig Hobbes mit der Identifikation von conscience und opinion dieser geben wollte, was er jener nahm - den Anspruch auf Wahrheit - , sosehr hat er doch den geistesgeschichtlichen Kommentar zu einer Entwicklung gegeben, die mit der Privatisierung der Religion wie des Eigentums, mit der Emanzipation der bürgerlichen Privatleute aus den halböffentlichen Bindungen der Kirche und der ständestaatlichen Zwischengewalten nun deren Privatmeinung erst recht zur Geltung verhalf. Hobbes' Abwertung der religiösen Gesinnung führt in Wahrheit zur Aufwertung privater Uberzeugung überhaupt. 6
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übrigen auch im zeitgenössischen Deutschland der Kunstrichter, der Sprachrichter; vgl. dazu A . Bäumler, Kants Kritik der Urteilskraft, Halle 1 9 2 3 , S. 46'ff. 6 H o b b e s , Elements of Law, 1, 6, 8: »Men, when they say things upon their conscience, are not therefore presumed certainly to k n o w the truth of what they say. Conscience therefore I define to be opinion of evidence.« 7 Elements of Law, I I , 6, 1 2 . 8 Vgl. C . Schmitt, D e r Leviathan, Hamburg 1938, S.94: »In dem Augenblick, in dem die Unterscheidung von Innen und Außen anerkannt wird, ist die Überlegenheit des Innerlichen über das Äußerliche und damit die des Privaten über das Öffentliche im K e r n bereits entschiedene Sache.« In anderem Zusammenhang hoffe ich zu zeigen, wie sich auf dem Wege von Luther zu Calvin zu Hobbes die refor163
Schon Locke, der drei Jahre nach der Enthauptung Karls I. und ein Jahr nach dem Erscheinen des »Leviathan« das College Christ Church in Oxford bezieht, kann daher neben dem göttlichen und dem staatlichen Gesetz das »Law of Opinion« als eine Kategorie gleichen Ranges darstellen - und In den späteren Auflagen seines »Essay Concerning Human Understandlng« hartnäckig verteidigen. Das Law of Opinion richtet Tugenden und Laster; ja, Tugend bemißt sich geradezu am public esteem. Wie die vollständige Formulierung »Law of Opinion and Reputation« verrät, kehrt bei Locke die ursprüngliche Bedeutung dessen, was man in der Meinung der anderen darstellt, wieder; andererseits ist diese opinion deutlich von der Unzuverlässigkeit des bloßen Meinens, des äußeren, gar trügerischen Scheins gereinigt: das Law of Opinion wird als »measure of virtue and vice« auch Philosophical Law genannt. »Opinion« meint das informelle Geflecht der folkways, deren indirekte soziale Kontrolle wirksamer ist als die formelle Zensur unter Androhung kirchlicher oder staatlicher Sanktionen. Jenes Gesetz heißt darum auch Law of Private Censure. Zwar hat es, gegenüber der Naturwüchsigkeit kollektiver Sitten und Bräuche, bereits jenes Moment Bewußtsein, das die »Meinung« jetzt von ihrer Herkunft aus dem privatisierten Bekenntnis, der verweltlichten Moral bezieht - gleichwohl fehlt hier nicht ohne Grund das Effort public opinion. Law of Opinion wird keineswegs als Gesetz der öffentlichen Meinung verstanden; denn weder entsteht »opinion« in öffentlicher Diskussion - sie gewinnt vielmehr ihre Verbindlichkeit »by a secret and tacit consent«, noch findet sie irgend Anwendung auf die Gesetze des Staates, weil sie doch im »consent of private men« begründet ist, »who have not authority enough to make a law«. Schließlich ist opinion nicht, wie public opinion, an Voraussetzungen der Bildung (und des Besitzes) gebunden; an ihr mitzuwirken erfordert ja nicht etwa Teilnahme an einem Räsonnement, sondern schlichte 9
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matorische Unterscheidung des regnum spirituale v o m regnum politicum verschiebt und schließlich den Sinn des innerweltlichen Gegensatzes einer privatisierten Gesellschaft zur politischen Obrigkeit, von society und government bestimmt. 9 L o c k e , A n Essay concerning H u m a n Understanding, I I , § 1 1 ; vgl. Koselleck, a . a . O . , S . 4 1 ff. 10 L o c k e , Essay, a . a . O . , § 1 2 . 164
Äußerung jener »Gewohnheiten«, die später der öffentlichen Meinung kritisch als Vorurteile gerade gegenüberstehen. Immerhin erhält opinion, vermittelt durch Ihre Identifikation mit »conscience«, bei Locke einen Stellenwert, der sie dem polemisch abgewerteten Zusammenhang mit dem puren prejudice enthebt; diesem bleibt opinion im Französischen verhaftet. Das »philosophische« Gesetz ist für Lockes Zeitgenossen Bayle statt des Law of Opinion das Regime de la Critique. Bayle löste critique von ihrem philologisch-historischen Ursprung, machte sie zur Kritik schlechthin, zur Erwägung des pour et contre einer auf alles anwendbaren, opinion in jeder Gestalt zerstörenden raison. Freilich betrachtet er das Geschäft der Kritik als ein streng privates. Wohl wird die Wahrheit in der öffentlichen Diskussion der Kritiker untereinander ermittelt, aber der Bereich der Vernunft bleibt gleichwohl ein innerlicher, dem öffentlichen des Staates entgegengesetzt. Nach innen kritisch, bleibt raison nach außen subaltern. Wie bei Hobbes »conscience«, so ist bei Bayle »critique« Privatsache und für die öffentliche Gewalt ohne Folgen. So unterscheidet er auch zwischen critique auf der einen, satires, libelles diffamatoires auf der anderen Seite; Kritik, die sich der politischen Grenzüberschreitung schuldig macht, entartet zum Pamphlet. In England hingegen entwickelt sich zur gleichen Zeit aus dem Pamphlet die politisch räsonierende Presse. Die Enzyklopädisten, die sich ja auf Bayle nicht nur dessen enzyklopädischen Unternehmens wegen als ihren Vorgänger berufen, übernehmen opinion in der polemischen Bedeutung eines Geisteszustandes der Ungewißheit und der Leere. Wer die raison zu handhaben weiß, wer sich auf critique versteht, ist sich bewußt, wie man »le joug de la scolastique, de l'opinion, de l'autorite, en un mot des prejuges et de la barbarie« abschüttelt; der deutsche Herausgeber übersetzt etwas voreilig: »das Joch der Scholastik, der öffentlichen Meinung, der Autorität«. Tatsächlich hatte, ein Jahr zuvor, zum erstenmal ein Autor von opinion publi11
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1 1 Vg. Koselleck, a . a . O . , S. 89ff. 12 1695
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Bayles »Dictionnaire historique et critique« erschienen.
13 D'Alembert, Discours Preliminaire, Einleitung zur Enzyklopädie von 1 7 5 1 , ed. Köhler, Hamburg 1 9 5 5 , S. 148. 14 E b d . S. 149. 165
que gesprochen, nämlich Rousseau in seinem berühmten Diskurs über Kunst und Wissenschaft. Er verwendet die neue Zusammenstellung noch im alten Sinn von opinion; das Attribut publique verrät allenfalls den Seitenwechsel der Polemik. Die Kritiker, heißt es jetzt, untergraben die Grundlagen des Glaubens und vernichten die Tugend, widmen ihr Talent und ihre Philosophie der Zerstörung und Unterhöhlung dessen, was dem Menschen heilig ist; sie richten sich gegen die öffentliche Meinung (c'est de l'opinion publique qu'ils sont ennemis). Im Englischen nimmt die Entwicklung von opinion zu public opinion ihren Weg über public spirit; noch 1793 nennt Friedrich Georg Forster als Äquivalent zu opinion publique dieses ältere public spirit an Stelle von public opinion, obwohl damals bereits beide Worte synonym im Umlauf sind. Schon Steele überträgt public spirit von der hohen und opferbereiten Gesinnung einzelner Subjekte auf jene objektive Größe des Zeitgeistes, einer general opinion, die vom Instrument dieser Meinung, der Presse, seitdem kaum noch getrennt werden kann. Bolingbroke greift das Wort auf, um den Zusammenhang der politischen Opposition mit dem »sense of the people« zu begründen. In den Craftsman-Artikeln des Jahres 1730 nennt er den public spirit des von der Opposition aufgeklärten und angeleiteten Volkes einen Spirit of Liberty gegen die Korruption der Machthaber. »The knowledge of the millions« sei ebensowenig lächerlich wie verächtlich, da in der Masse der Bevölkerung ein richtiges Gefühl lebendig sei - »if all men cannot reason, all men can feel«. Der public spirit in diesem Sinne behält von Lockes opinion noch Züge der Unmittelbarkeit: das Volk in seinem zuverlässigen common sense ist gewissermaßen untrüglich. Von dem, was bald public opinion heißen wird, trägt er indessen schon Züge der Aufklärung: nicht ohne den politischen Journalismus, den Bolingbroke selbst mit geschaffen hat, formiert sich der sense of the people zum oppositionell wirksamen public spirit. Im Bewußtsein dieses Konservativen, dem die Rolle des räsonierenden Frondeurs und damit ersten Oppositionellen im Sinne moderner parlamentarischer Tak15
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15 J . J . Rousseau, Schriften zur Kulturkritik, ed. Weigand, Hamburg 1 9 5 5 , S. 34. 16 Vgl. Spectator N r . 204, 1 7 1 2 . 1 7 Craftsman vom 27. 7. 1 7 3 4 .
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tik aufgenötigt ist, verbindet sich merkwürdig ein Stück vorweggenommenen Rousseauismus mit den Prinzipien öffentlicher Kritik. Im public spirit ist noch beides zusammen: der unverbildete Sinn fürs Rechte und Richtige unmittelbar; und die Artikulation der opinion zum judgement durch öffentlichen Austrag der Argumente. Erst Edmund Burke hat vor Beginn der Französischen Revolution, deren ebenbürtiger Kritiker er werden sollte, die fälligen Unterscheidungen getroffen. Allerdings noch nicht in seiner berühmten Rede an die Wähler von Bristol, in der er exemplarisch die liberale Theorie der virtual representation entwickelt. Drei Jahre später schreibt er an die gleichen Wähler »On the Affairs of America« einen Brief. Inzwischen hatte die Sezession der nordamerikanischen Kolonien vom Mutterland stattgefunden, die Declaration of Rights war veröffentlicht. »I must beg leave to observe that it is not only the invidious branch of taxation that will be resisted, but that no other given part of legislative right can be exercised without regard to the general opinion of those who are to be governed. That general opinion is the vehicle and organ of legislative omnipotence.« D i e staatsrechtlich nicht sehr deutliche Bestimmung der öffentlichen Meinung als Vehikel und Organ legislativer Allmacht (oder Souveränität) läßt gleichwohl keinen Zweifel am Begriff dieser » general opinion«. Die Meinung des räsonierenden Publikums ist nicht mehr einfach opinion, entspringt nicht bloßer inclination, sondern privatem Nachdenken über die public affairs und deren öffentlicher Diskussion: »In a free country«, schreibt Burke wenige Monate später, »every man thinks he has a concern in all public matters; that he has a right to form and to deliver an opinion on them. They sift, examine and discuss them. They are curious, eager, attentive and jealous; and by making such matters the daily subjects of their thoughts and discoveries, vast numbers contract a very tolerable knowledge of them, and some a very considerable one . . . Whereas 18
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18 Zuletzt D . Hilger, Edmund Burke und seine Kritik der Französischen Revolution, Stuttgart i960, S. 122ft".; ich vernachlässige interessante Lehrstücke über politische Öffentlichkeit, mit denen zur gleichen Zeit die schottischen Moralphilosophen ihre evolutionistische Theorie der bürgerlichen Gesellschaft ergänzen. Hinweise in: Theorie und Praxis, a. a. O . , S. 47ff. 19 Burke's Politics, ed. Hoffmann and Levack, N e w Y o r k 1949, S. 106. 167
in other countries none but men whose office calls them to it having much care or thought about public affairs, and not daring to try the force of their opinions with one another, ability of this sort is extremely rare in any station of life. In free countries, there is often found more real public wisdom and sagacity in shops and manufactories than in the cabinets of princes in countries where none dares to have an opinion until he comes into them. Your whole importance therefore depends upon a constant, discreet use of your own reason.« Alsbald nimmt Burkes general opinion, in Parallelisierung mit public spirit, den Namen public opinion an: das Oxford Dictionary gibt für 1781 den ersten Beleg. In Frankreich tritt das entsprechende Wort schon um die Mitte des Jahrhunderts auf; aber die Bedeutung hat sich damals gegenüber opinion noch kaum geändert. Opinion publique gilt als die von Tradition und bons sens getragene Meinung des Volkes, sei es, daß sich Rousseau kulturkritisch auf ihre Natürlichkeit beruft, sei es, daß die Enzyklopädisten sie ideologiekritisch aufzulösen trachten. Erst als sie von den Physiokraten dem public eclaire selbst zugeschrieben wird, nimmt opinion publique die strenge Bedeutung einer Meinung an, die durch kritische Diskussion in der Öffentlichkeit zur wahren Meinung geläutert ist - in ihr löst sich der Gegensatz von opinion und critique auf. Die Physiokraten, Exponenten eines nun auch politisch räsonierenden Publikums, behaupten bekanntlich als erste die Eigengesetzlichkeit der bürgerlichen Gesellschaft gegenüber Maßnahmen des Staates; im Hinblick auf das absolutistische Regiment jedoch verhalten sie sich apologetisch. Ihre Lehre gleicht, nach einem Wort von Marx, der bürgerlichen Reproduktion des Feudalsystems. Im Ubergang vom Merkantilismus zum Liberalismus halten sie an der Basis der feudalen Herrschaft, an Agrikultur als der einzig produktiven Arbeit fest; diese aber wird schon unter Gesichtspunkten der kapitalistischen Produktion aufgefaßt. Zum Hüter des ordre naturel sei der Monarch bestellt; dabei wird ihm die Einsicht in die Gesetze der natürlichen Ordnung durch public eclaire vermittelt. Louis Sebastien Mercier, der aus solchen Zusam20
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20 Burke, a . a . O . , S. 1 1 9 . 21 D a z u vgl. Jürgen K u c z y n s k i , Z u r Theorie der Physiokraten, in: Grundpositionen der französischen Aufklärung, Berlin 1 9 5 5 , S. 27ff.
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menhängen als erster den strengen Begriff der opinion publique gefaßt und ihre gesellschaftliche Rolle durchdacht zu haben scheint, unterscheidet denn auch peinlich zwischen den Regierenden und den Gelehrten. Diese bestimmen die öffentliche Meinung, jene setzen in die Praxis um, was sich an Folgerungen aus dem sachverständig angeleiteten Räsonnement des Publikums ergibt: »Les bons livres dependent des lumieres dans routes les classes du peuple; ils ornent la verite. Ces sont eux qui de ja gouvernent l'Europe; ils eclairent le gouvernement sur ses devoirs, sur sa faute, sur son verkable interet, sur l'opinion publique qu'il doit ecouter et suivre: ces bons livres sont des maitres patients qui attendent le reveil des administrateurs des Etats et le calme de leurs passions.« L'opinion publique ist das aufgeklärte Ergebnis der gemeinsamen und öffentlichen Reflexion auf die Grundlagen der gesellschaftlichen Ordnung; sie resümiert deren natürliche Gesetze; sie herrscht nicht, aber ihrer Einsicht wird der aufgeklärte Herrscher folgen müssen. Mit dieser Lehre von der doppelten Autorität der öffentlichen Meinung und des Fürsten, von ratio und voluntas, interpretieren die Physiokraten die Stellung des politisch räsonierenden Publikums noch innerhalb der Schranken des bestehenden Regimes. Während die englischen Zeitgenossen den public spirit als eine Instanz verstanden, die die Gesetzgeber zur Legitimation zwingen kann, setzt sich in Frankreich die Isolierung der Gesellschaft vom Staat noch darin fort, daß in den Köpfen dieser Intellektuellen die kritische Funktion der opinion publique von der legislativen streng getrennt bleibt. Gleichwohl geht auch in diesen frühen Begriff der öffentlichen Meinung schon die spezifische Idee der politisch fungierenden Öffentlichkeit ein. Le Harpe hat einmal von Turgot sagen können: »II est le premier parmi nous qui ait change les actes de 1'auto rite souveraine en ouvrages de raisonnement et de persuasion« - das meint bereits Rationalisierung der Herrschaft. Aber Turgot verbin22
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22 R. Mischke, a . a . O . , S. 170ff.
Schon Carl Schmitt, Die Diktatur,
a.a.O.,
S. 109 ff., macht auf diesen Zusammenhang aufmerksam. 23 L. S. Mercier, Notions claires sur les gouvernements, Amsterdam 1787, S. V I ff. 24 E b d . S . V I I . 25 Zitiert nach L. Say, Turgot, 1 8 9 1 , S. 108; auf diese charakteristische Stelle macht Koselleck, a . a . O . , S. 1 2 3 , aufmerksam. 169
(let diese Idee so wenig wie die übrigen Physiokraten mit der demokratischen Garantie, daß die Privatleute, die in Gestalt der öffentlichen Meinung die fälligen Einsichten produzieren, diesen nun auch legislative Verbindlichkeit verleihen können: wohl ist die Maxime des Absolutismus, auctoritas facit legem, außer Kraft gesetzt; aber ihre Umkehrung noch nicht vollzogen. Der Räson der öffentlichen Meinung wird am Ende ihre konstitutive Funktion doch vorenthalten. Rousseau andererseits, der mit aller wünschbaren Klarheit die demokratische Selbstbestimmung des Publikums begründet, bindet die volonte generale an eine opinion publique, die mit der unreflektierten opinion, mit Meinung in ihrem veröffentlichten Zustande zusammenfällt. Auch Rousseau will im »Gesellschaftszustand« einen ordre naturel wiederherstellen; aber dieser scheint ihm nicht etwa den Gesetzen der bürgerlichen Gesellschaft immanent, sondern der bisherigen Gesellschaft schlechthin transzendent. Ungleichheit wie Unfreiheit folgen ja aus der Korruption jenes Naturzustandes, in dem die Menschen nichts als ihre menschliche Natur verwirklichen, während der Bruch zwischen Natur und Gesellschaft jeden einzelnen in homme und citoyen auseinanderreißt. Das Urgeschehen der Selbstentfremdung geht aufs Konto des zivilisatorischen Fortschritts. Der geniale Trick des Contrat social soll diesen Riß heilen: jeder unterstellt der Gemeinschaft Person und Eigentum samt allen Rechten, um durch Vermittlung des Gemeinwillens fortan an den Rechten und Pflichten aller teilzuhaben. Der Gesellschaftspakt fordert eine Ubereignung ohne Vorbehalt, der homme geht im citoyen auf. Rousseau entwirft die unbürgerliche Idee einer penetrant politischen Gesellschaft, in der die autonome Privatsphäre, die vom Staat emanzipierte bürgerliche Gesellschaft, keinen Platz hat. Deren Basis ist davon nicht ausgenommen: das Eigentum ist privates und öffentliches gleichzeitig, ganz so, wie jeder Staatsbürger nur mehr als Teilhaber am Gemeinwillen sich selber zum Untertan 26
26 »Die Verpflichtungen, die uns mit dem Gesellschaftskörper verknüpfen, sind nur verbindlich, weil sie gegenseitig sind, sie sind ihrer N a t u r nach so beschaffen, daß man bei ihrer Erfüllung nicht für den anderen arbeiten kann, ohne auch für sich selbst zu arbeiten.« Rousseau, Contrat Social, I I , 4. Zitiert nach der Übersetzung von Weigand, München 1959, S. 30
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hat. Infolgedessen geht der Gemeinwille nicht aus der K o n k u r renz der privaten Interessen hervor; eine solche volonte de tous e n t spräche dem liberalen Modell unter Voraussetzung privater A u t o nomie, die das Modell des Contrat social gerade aufhebt. D i e volonte generale, Garantie eines unter Bedingungen des G e s e l l schaftszustandes wiederhergestellten Naturzustandes, ragt vielmehr als eine Art Instinkt der Menschheit aus diesem in jenen rettend hinein. So sieht Rousseau, gegen Montesquieu gewendet, den Geist der Verfassung weder in Marmor noch in Erz gegraben, sondern im Herzen der Staatsbürger verankert und das ist: in der opinion - »ich spreche von den Sitten, den Bräuchen und besonders der Volksmeinung« . Lockes Law of Opinion wird durch Rousseaus Contrat social zum Souverän. Die nichtöffentliche Meinung wird unter dem Titel einer anderen opinion publique zum einzigen Gesetzgeber erhoben, und zwar unter Ausschaltung der Öffentlichkeit des räsonierenden Publikums. Die Prozedur der Gesetzgebung, die Rousseau vorsieht, läßt daran keinen Zweifel. Es bedarf nur des gesunden Menschenverstandes (bon sens), um das Gemeinwohl wahrzunehmen. Die einfachen, ja einfältigen Menschen würden durch die politischen Finessen der öffentlichen Diskussion bloß irritiert: lange Debatten gäben partikularen Interessen Auftrieb. Der Eintracht der Versammlungen stellt Rousseau die gefährlichen Einsprüche der Schönredner gegenüber. Die volonte generale ist eher ein Konsensus der Herzen als der Argumente. Diejenige Gesellschaft ist. am besten regiert, in der die Gesetze (lois) den ohnehin eingewurzelten Sitten (opinions) entsprechen. Die Schlichtheit der Sitten bewahrt vor dornenvollen Diskussionen (discussions epineuses). Der Luxus hingegen korrumpiert die gesunde Einfalt, unterjocht eine Gruppe der anderen und alle zumal der öffentlichen Meinung (et tous ä l'opinion). An dieser Stelle schlägt wiederum der konkur27
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27 Vgl. Weigands A n m e r k u n g zu I I I , 1 5 , a . a . O . , S. 164. 28 Contrat Social I I , 1 2 . a . a . O . , S. 49. 29 Z u m folgenden Contrat Social, IV, I und I I , a.a. O . , S. 91 ff. 30 E b d . I I I , I, a . a . O . , S. 53. 31 E b d . I I I , e, a. a . O . , S. 60. 32 Ebenda. 171
rierende Sprachgebrauch durch: l'opinion ist die durch Presse und Salondiskurse vermittelte Meinung des public eclaire; gegen ihren korrumpierenden Einfluß hebt Rousseau, ganz im Stile seiner Preisschrift von 1750, die opinion der schlichten Sitten und der guten Seelen mit aller Entschiedenheit ab. Trotz ihrer Naturwüchsigkeit bedarf diese opinion in ihrer doppelten Funktion der Lenkung. Einmal hat sie unmittelbar als Konvention die Aufgabe sozialer Kontrolle; über sie wacht der Zensor, nicht sowohl Richter der Volksmeinung als vielmehr deren Sprachrohr: »L'opinion publique est l'espece de loi dont le censeur est le ministre.« Dies ist das einzige Kapitel im »Contrat Social«, in dem von »opinion publique« die Rede ist. Und der Kommentar macht in der Tat die beinahe wörtliche Ubereinstimmung mit Lockes »Law of Opinion« deutlich: »Qui juge des mceurs juge de l'honneur; et qui juge de l'honneur prend sa loi de l'opinion.« Diese hat indessen, anders als bei Locke, auch noch die Aufgabe der Gesetzgebung. Hier bedarf sie ebenfalls der Anleitung. Wie opinion in der Funktion der sozialen Kontrolle vom censeur, so muß sich opinion in der Funktion der Legislative vom legislateur artikulieren lassen. Dieser befindet sich einer opinion gegenüber, die zwar souverän ist, aber auch in der Gefahr der Borniertheit schwebt, in prekärer Lage. Er kann sich weder der Gewalt, noch öffentlicher Diskussion (ni la force ni la resolution) bedienen, muß also zur Autorität einer indirekten Beeinflussung Zuflucht nehmen, »qui puisse entrainer sans violence et persuader sans convaincre«. Rousseaus Demokratie der nicht-öffentliche öffentlichen Meinung postuliert am Ende die manipulative Gewaltausübung. Der Gemeinwille hat immer recht, heißt es an der berüchtigten Stelle, aber nicht immer ist das ihn leitende Urteil erleuchtet; man muß ihm daher die Dinge so vor Augen stellen, wie sie sind, manchmal wie sie ihm erscheinen sollen. 33
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33 E b d . IV, 7, a . a . O . , S. n o f . 34 E b d . I I , 8. 35 E b d . 36 W. Hennis (Der Begriff der öffentlichen Meinung bei Rousseau, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, B d . X L I I I , 1957, S. i n f f . ) verkennt, daß R o u s seau opinion publique mit der nicht-öffentlichen Meinung identifiziert. Gerade das kulturkritische Mißtrauen gegen die Leistung der »öffentlichen Meinung« im strengen Sinne der zeitgenössichen Physiokraten nötigt die demokratische Idee
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Aber warum nennt Rousseau die souveräne Volksmeinung nicht einfach opinion, warum identifiziert er sie mit opinion publique? Die Erklärung ist einfach. Eine direkte Demokratie fordert die Realpräsentanz des Souveräns. Die volonte generale als corpus mysticum ist an den corpus physicum des einhellig versammelten Volkes gebunden. Die Idee des Dauerplebiszits stellt sich Rousseau im Bilde der griechischen Polis dar: das Volk war dort gleichsam ohne Unterbrechung auf dem Platz versammelt; so wird auch in Rousseaus Augen die »place publique« zum Fundament der Verfassung. Von diesem bezieht opinion publique ihr Attribut, also von den zur Akklamation versammelten Staatsbürgern, nicht vom öffentlichen Räsonnement eines public eclaire. Die Physiokraten befürworten den um eine kritisch wirksame Öffentlichkeit ergänzten Absolutismus; Rousseau will Demokratie ohne öffentliche Diskussion - und beide Seiten beanspruchen den gleichen Titel: opinion publique. Deren Bedeutung wird darum im Frankreich vor der Revolution eigentümlich polarisiert. Aber die Revolution selbst fügt die beiden auseinandergerissenen Funktionen der öffentlichen Meinung, Kritik und Legislative, zusammen. Die Verfassung von 1791 verschränkt das Prinzip der Volkssouveränität mit dem des parlamentarischen Rechtsstaates, der die politisch fungierende Öffentlichkeit grundrechtlich verbürgt. Der französische Begriff der öffentlichen Meinung ist gegenüber dem englischen radikalisiert; ihn hat der Abgeordnete Bergasse in einer Diskussion der Nationalversammlung über die staatsrechtliche Bedeutung der opinion publique auf die pathetische Formel gebracht: »Vous savez que ce n'est que par l'opinion publique que vous pou37
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des »Contrat Social« zu gewissen Konsequenzen einer Diktatur. Vgl. zuletzt I. Fetscher, Rousseaus politische Philosophie, N e u w i e d
i960, dort auch, weitere
Literatur. 37 Contrat Social, I I I , 14. a . a . O . , S. 8 1 : »Die Souveränität kann nicht stellvertretend ausgeübt werden . . . Sie besteht wesensmäßig in dem Gemeinwillen, und der Wille ist unvertretbar; er ist er selbst oder er ist ein anderer . . . Jedes Gesetz, das das Volk nicht in Person ratifiziert hat, ist nichtig.« 38 Dafür charakteristisch die Flugschrift des A b b e Sieves, die 1788 erschien: deutsche Ausg.: Was ist der Dritte Stand? ed. Brandt, Berlin 1924; vgl. meine A b handlung: Naturrecht und Revolution, in: Theorie und Praxis, a.a.O., S. 52ff., bes. S. 57ff. 173
vez acquérir quelque pouvoir pour faire le bien; vous savez que ce n'est que par elle que la cause si longtemps désespérée du peuple a prévalu; vous savez que devant elle toutes les autorités se taisent, tous les préjugés disparaissent, tous les intérêts particuliers s'effacent.« Zur gleichen Zeit hat in England Jeremy Bentham für die Bedürfnisse der Constituante eine Schrift abgefaßt, die den Zusammenhang der öffentlichen Meinung mit dem Prinzip der Öffentlichkeit zum erstenmal in monographischer Form expliziert. Einerseits bedarf die Ausübung der politischen Gewalt, weil sie »einer Menge von Versuchungen ausgesetzt ist«, der permanenten Kontrolle durch die öffentliche Meinung; die Öffentlichkeit der parlamentarischen Verhandlungen sichert eine »Oberaufsicht des Publikums«, dessen Kritikfähigkeit als ausgemacht gilt: »Die Gesamtheit desselben (the public, le corps publique) bildet ein Gericht, das mehr wert ist, als alle Tribunale zusammengenommen. Man kann sich stellen, als trotze man seinen Ansprüchen, man kann sie hinstellen als schwankende und divergierende Meinungen, die sich gegenseitig aufheben und zerstören; doch fühlt jeder, daß dieses Gericht, obgleich der Möglichkeit zu irren ausgesetzt, unbestechlich ist; daß es beständig sucht, sich zu erleuchten, daß es die ganze Weisheit und Gerechtigkeit eines Volkes in sich faßt, daß es immer über das Schicksal der Staatsmänner (public men, hommes publiques) entscheidet, und daß die Strafen, die es auferlegt, unvermeidlich sind.« Außerdem wird die Versammlung instand gesetzt, sich Einsichten des Publikums zunutze zu machen: - »unter 39
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39 Zitiert nach R. Redslob, Staatstheorien der französischen
Nationalversammlung,
Leipzig 1 9 1 2 , S. 65, A n m . I. 40 Diese Vorschläge haben allerdings auf die französischen Verfassungsgeber keinen Einfluß ausüben können. Das Original ist französisch abgefaßt; es erschien zuerst 1 8 1 6 in Genf. Wir zitieren nach der deutschen Übersetzung des gleichen Jahres: Taktik oder Theorie des Geschäftsganges
in deliberierenden
Volksständever-
sammlungen, Erlangen 1 8 1 7 , besonders 3. Kapitel. S. 10ff. »Von der Publizität«. Die spezifischen Termini geben wir auch englisch (nach: A n Essay on Political Tactics, The Works of Jeremy Bentham, ed. B o w r i n g , B d . I I , Edinburgh
1843,
S. 299 ff.) und französisch (nach: Tactic des Assemblées Legislatives, ed. D u mont, 2. Auflage Paris 1822), weil sich im Sprachgebrauch noch charakteristische Unterschiede zeigen: im deutschen Text finden sich für »öffentliche und »Öffentlichkeit«
Umschreibungen.
41 Bentham, a.a.O., S. 1 1 .
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Meinung«
Vorwaltung der Öffentlichkeit ist nichts leichter (under the guidance of publicity, sous le regime de la publicite)«. Andrerseits benötigt freilich die öffentliche Meinung ihrerseits der Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlungen, um sich zu unterrichten: »Bei einem Volke, das lange Zeit öffentliche Versammlungen gehabt hat, wird der Gemeingeist (general feeling, esprit general) auf einen höheren Ton gestimmt sein; die gesunden Ideen werden allgemeiner, die schädlichen Vorurteile, öffentlich nicht von Rhetoren, sondern von Staatsmännern bekämpft, verlieren ihre Gewalt . , . Vernunft und Untersuchungsgeist werden in allen Klassen der Gesellschaft Sitte.« Bentham begreift die öffentlichen Verhandlungen des Parlaments bloß als einen Teil der öffentlichen Verhandlungen des Publikums überhaupt. Erst die Öffentlichkeit innerhalb und außerhalb des Parlamentes kann die Kontinuität des politischen Räsonnements und dessen Funktion sicherstellen: nämlich die Herrschaft, wie Burke sich ausgedrückt hatte, von einer matter of will in eine matter of reason zu überführen. Die Bestellung der Abgeordneten darf nicht blindem Entschluß folgen, sondern muß selbst schon die einsichtige Entscheidung einer Sache sein: »In einer vom Volke erwählten und von Zeit zu Zeit erneuerten Versammlung ist die Öffentlichkeit absolut notwendig, um den Wahlherren die Möglichkeit zu verleihen, mit Sachkenntnis zu verfahren.« Hauptsächlich seit Georg III. habe sich die lebendige Kraft der öffentlichen Meinung gegen die toten Satzungen durchgesetzt - »since public opinion, more enlightened, has had a greater ascendency (depths ['opinion publique plus eclairee a pris plus d'ascendent)«; im deutschen Text ist an dieser Stelle immer noch von »Volks-Meinung« die Rede. In England sei das Beste durch eine beständige Verletzung der Gesetze bewirkt worden: vom »regime of publicity« spricht Bentham daher als »still very imperfect and newly tolerated (le regime de la publicite, tres imparfait, encore et nouvellement tolere)«. 42
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42 E b d . S. 1 5 . 43 E b d . S. 14. 44 E b d . S. i6i. 45 E b d . S. 33. A n einer anderen Stelle ist die Rede von einer Rettung im »Schutze des Volkes«; statt dessen heißt es in der französischen Ausgabe, a. a. O . , S. 28: II n'y a de sauve garde que dans la protection de l'opinion publique. 175
Der um eine Generation jüngere Guizot, der seit 1 8 2 0 Vorlesungen zu Ursprung und Geschichte des bürgerlichen Rechtsstaates gehalten hat, gibt der »Herrschaft der öffentlichen Meinung« bereits die klassische Formulierung: »Gest le plus le caractere du Systeme qui n'admet nulle part la legitimite du pouvoir absolu d'obliger tous les citoyens a. chercher sans cesse, et dans chaque occasion, la verite, la raison, la justice, qui doivent regier le pouvoir de fait. C'est ce que fait le Systeme representatif: 1. par la discussion qui oblige les pouvoirs ä chercher en commun la verite; 2. par la publicite qui met les pouvoirs occupes de cette recherche sous les yeux des citoyens; 3. par la liberte de la presse qui provoque les citoyens euxmemes ä chercher la verite et ä la dire au pouvoir.« Friedrich Georg Forster scheint in den frühen neunziger Jahren opinion puplique als »öffentliche Meinung« zunächst im deutschen Westen eingebürgert zu haben; die »Parisischen Umrisse«, Briefe an seine Frau vom Ende des Jahres 1793, bezeugen jedenfalls diese neue Größe zuerst in der deutschen Literatur. Zumal Forsters wichtige Unterscheidung von öffentlicher Meinung und Gemeingeist zeigt, daß sich der Begriff der politisch fungierenden Öffentlichkeit in England und Frankreich vollends ausgebildet hat, bevor er nach Deutschland importiert wird: »Schon haben wir 7000 Schriftsteller, und dessen ungeachtet, wie es keinen deutschen Ge46
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46 Guizot, Histoire des origines du gouvernement representatif en E u r o p e , B r u xelles 1 8 5 1 , I I , S. 10f. Auch C . Schmitt macht auf die Bedeutung dieser Stelle aufmerksam in: Die geistesgeschichtliche Lage des Parlamentarismus, München/ Leipzig 1 9 2 3 , S. 22, A n m . 47 Vom Ursprung der öffentlichen Meinung in Frankreich schreibt Forster in seinen »Parisischen Umrissen«; »Ich setze wohl bedächtig ihre ersten Umgestaltungen noch in die letzten Zeiten der Monarchie, denn die Größe der Hauptstadt, die in ihr konzentrierte Masse von Kenntnissen, Geschmack, Witz und Einbildungskraft; das daselbst immer schärfer ätzende Bedürfnis eines epikureisch kitzelnden Unterrichts; die Losgebundenheit von Vorurteilen in den oberen und mehr oder weniger auch in den mittleren Ständen; die stets gegen den H o f strebende Macht der Parlamente; die durch die Freiwerdung von Amerika, und Frankreichs Anteil daran in Umlauf gekommenen Ideen von Regierung, Verfassung und Republikanismus . . . : Dies alles bahnte Denkfreiheit und Willensfreiheit dergestalt den Weg, daß schon eine geraume Zeit vor der Revolution eine entschiedene öffentliche Meinung durch ganz Paris und aus diesem Mittelpunkt über das ganz Frankreich beinahe unumschränkt regierte«. Zitiert nach Bauer, a . a . O . , S. 238. 176
meingeist gibt, so gibt es auch keine deutsche öffentliche Meinung. Selbst diese Wörter sind uns so neu, so fremd, daß jedermann Erläuterungen und Definitionen fordert, indes kein Engländer den anderen mißversteht, wenn vom public spirit, kein Franzose den anderen, wenn von opinion publique die Rede ist.« Wie sehr Forster mit der Kommentarbedürftigkeit der entlehnten Vokabeln recht hat , bestätigt Wieland, der damals dem breiteren Publikum eher als Publizist denn als Anwärter auf Klassikereditionen bekannt war. Ein halbes Jahrzehnt nach Forsters Bemerkungen führt er eines seiner »Gespräche unter vier Augen« über eben diese »öffentliche Meinung«. Wielands Bestimmungen bringen nichts Neues. Öffentliche Meinung kommt zum Durchbruch, »wo Wahnbegriffe und Vorurteile, die unser unmittelbares Wohl oder Weh betreffen . . . , endlich der Übermacht der Wahrheit weichen«; sie stimmt im Resultat mit der »schärfsten Untersuchung der Sache, nach genauester Abwägung aller Gründe für und wider« überein; und soll auch in Deutschland bald die »Kraft eines Gesetzes haben«. Die öffentliche Meinung geht von den Unterrichteten aus und verbreitet sich »hauptsächlich unter denjenigen Klassen, die, wenn sie in Masse wirken, das Ubergewicht machen«. Dazu gehören freilich nicht »die untersten Volksklassen«, die Sansculotten, weil sie unter dem Druck von Mangel und Arbeit weder Muße noch Gelegenheit haben, »sich um Dinge, die ihre körperlichen Bedürfnisse nicht zunächst angehen, zu bekümmern«. Wohl gehen in Wielands Reflexionen deutlich auch Rousseau'sche Elemente ein, solche, an die später, während der Freiheitskriege, die politische Romantik anknüpft, um die öffentliche Meinung mit 48
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48 G e o r g Forsters sämtliche Schriften, ed. Gervinus, V, 2 Leipzig 1843, »Über öffentliche Meinung«, S. 249. 49 N o c h Posselts »Europäische Annalen«, deren erster Band 1795 mit einem Artikel »Frankreichs Diplomatie oder Geschichte der öffentlichen Meinung in Frankreich« erscheint, verrät die Unsicherheit des Sprachgebrauchs. 50 C . M . Wieland, Sämtl. Werke, Leipzig 1857, B d . 3 2 , S. 191 ff. 51 E b d . S. 200. 52 E b d . S. 2 1 8 . 53 E b d . S. 192. 54 E b d . S. 198. 177
dem stummen Volksgeist zu identifizieren. Jedoch dominiert bei Wieland selbst ein Begriff der öffentlichen Meinung, der, in der etwas pedantischen Tradition der deutschen Aufklärung, vor allem Priestertrug und Kabinettsgeheimnis vor das Forum des öffentlichen Räsonnements zitieren möchte. 55
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§ 13 Publizität als Prinzip der Vermittlung von Politik und Moral (Kant) Noch bevor der Topos der öffentlichen Meinung im deutschen Sprachbereich eingebürgert wird, findet die Idee der bürgerlichen Öffentlichkeit mit der rechts- und geschichtsphilosophischen Entfaltung des Prinzips der Publizität durch Kant ihre theoretisch ausgereifte Gestalt. Der kritische Prozeß, den die öffentlich räsonierenden Privatleute gegen die absolutistische Herrschaft anstrengen, versteht sich selbst als unpolitisch: die öffentliche Meinung will Politik im Narnen der 55 E b d . S. 1 9 3 : Öffentliche Meinung ist diejenige, »die sich unvermerkt der meisten Köpfe bemächtigt hat, und auch in Fällen, w o sie noch nicht laut zu werden wagt, doch, gleich einem Bienenstock, der in kurzem schwärmen wird, sich durch ein dumpfes, immer stärker werdendes Gemurmel ankündigt«; ähnlich a . a . O . , S. 2 1 2 f. Den zumal in der antinapoleonischen Publizistik entfalteten Zusammenhang des Begriffs der öffentlichen Meinung mit der Volksgeistlehre weist nach: R. Flad, D e r Begriff der öffentlichen Meinung bei Stein, A r n d t , Humboldt, Berlin - Leipzig 1929. 56 »Solange die Moral eine ausschließliche Behörde der Priesterschaft, und der Politik das anmaßliche Geheimnis der Höfe und Kabinette ist, müssen sich diese und jene zu Werkzeugen der Täuschung und Unterdrückung mißbrauchen lassen; das Volk wird das Opfer schändlicher Wortspiele, und die Gewalt erlaubt sich alles und darf sich alles ungestraft erlauben, da es von ihrer Willkür abhängt, Unrecht zu Recht, Recht zu Unrecht zu stempeln, und das, w o v o r sie sich am meisten fürchtet, die Bekanntmachung der Wahrheit, zum Verbrechen zu machen, und als solches zu bestrafen. N i c h t so, wenn die Vernunft sich ihrer ewigen unverjährbaren Rechte wieder bemächtigt hat, um alle Wahrheiten, an deren Erkenntnis allen alles gelegen ist, wieder ans Licht hervorzuziehen, und ihnen mit Hilfe aller Musenkünste, unter allen nur ersinnlichen Gestalten und Einkleidungen, die möglichste Popularität zu verschaffen. Eine Menge berichtigter Begriffe und Tatsachen kommen dann in Umlauf; eine Menge Vorurteile fallen wie Schuppen von den Augen . . . « (Ebd. S. 208 f.) 178
Moral rationalisieren. Im 18. Jahrhundert geht die aristotelische Tradition einer Philosophie der Politik bezeichnenderweise in M o ralphilosophie auf, wobei - bis in den Bedeutungshorizont des damals so eigentümlich betonten Wortes »social« hinein - das »Moralische«, ohnehin mit »Natur« und »Vernunft« zusammengedacht, sich auch auf die in Entstehung begriffene Sphäre des »Sozialen« erstreckte. Nicht zufällig hatte der Autor des »Wealth of Nations« einen Lehrstuhl für Moralphilosophie inne. In diesem Zusammenhang steht der Satz: »Die wahre Politik kann keinen Schritt tun, ohne vorher der Moral gehuldigt zu haben, und obzwar Politik für sich selbst eine schwere Kunst ist, so ist doch Vereinigung derselben mit der Moral gar keine Kunst; denn diese haut den Knoten entzwei, den jene nicht aufzulösen vermag, sobald beide einander widerstreiten.« Kant schrieb diesen Satz im Anhang seines Entwurfs zum Ewigen Frieden. Darin wiederholt er zwei in der Rechtslehre abgeleitete Postulate: die bürgerliche Verfassung eines jeden Staates soll republikanisch und das Verhältnis der Staaten untereinander, im Rahmen einer weltbürgerlichen Föderation, pazifistisch sein. Alle Rechtspflichten, die die bürgerliche Freiheit im Inneren und den weltbürgerlichen Frieden nach außen sichern, schießen zur Idee der vollkommen gerechten Ordnung zusammen. Zwang kann dann nicht länger in Gestalt persönlicher Herrschaft oder gewaltsamer Selbstbehauptung ausgeübt werden, sondern nur so, »daß einzig Vernunft Gewalt hat«. Die selbst zur ausschließlichen Herrschaft erwachsenen Rechtsverhältnisse, die als die Möglichkeit eines mit jedermanns Freiheit nach allgemeinen Gesetzen zusammenstimmenden wechselseitigen Zwangs vorgestellt werden, stammen aus praktischer Vernunft - äußerster Gegenschlag gegen das Prinzip: auctoritas non Veritas fach legem. Einst konnte Hobbes mit dieser Formel die absolute Gewalt der Fürsten sanktionieren, weil Friedensstiftung, nämlich das Ende des konfessionellen Bürgerkrieges, offenbar nur um den Preis zu erlangen war, daß die öffentliche Gewalt in der Hand des Monarchen monopolisiert und die bürgerliche Gesellschaft, samt ihrem Gewissensstreit, als Privatsphäre neutralisiert wurden. Vor der Dezision nach Eingebungen einer Klugheit, die sich in der Person des Sou57
57 I. Kants Werke, ed. Ernst Cassirer, Berlin, B d . V I , S. 467f. 179
veräns sozusagen existentiell auswies, war jedes Räsonnement nach Regeln der Sittlichkeit zur politisch folgenlosen Gesinnung herabgesetzt. Als diese durch Kant, zwei Jahrhunderte danach, in Form des Gesetzes der praktischen Vernunft rehabilitiert wurde, als gar die politische Gesetzgebung ihrer Kontrolle moralisch unterstellt sein sollte, hatten sich inzwischen jene bürgerlichen Privatleute zum Publikum formiert und die Sphäre ihres Räsonnements, nämlich Öffentlichkeit, in die politischen Funktionen einer Vermittlung von Staat und Gesellschaft eingesetzt. Darum gilt Kants Publizität als dasjenige Prinzip, das allein die Einhelligkeit der Politik mit der Moral verbürgen kann. Er begreift »Öffentlichkeit« als Prinzip der Rechtsordnung und Methode der Aufklärung zumal. »Unmündigkeit«, so beginnt ja die berühmte Abhandlung, »ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes sondern der Entschließung und des Mutes l i e g t . . . « Die Befreiung aus selbstverschuldeter Unmündigkeit heißt Aufklärung. Im Hinblick auf den einzelnen bezeichnet diese eine subjektive Maxime, nämlich selbst zu denken. Im Hinblick auf die Menschheit im ganzen bezeichnet sie eine objektive Tendenz, nämlich den Fortschritt zur vollkommen gerechten Ordnung. In beiden Fällen muß Aufklärung durch Öffentlichkeit vermittelt werden: »Es ist für jeden einzelnen Menschen schwer, sich aus der ihm beinahe zur Natur gewordenen Unmündigkeit herauszuarbeiten . . . Daß aber ein Publikum sich selbst aufkläre, ist eher möglich; ja es ist, wenn man ihm nur Freiheit läßt, beinahe unausbleiblich.« In Anbetracht der Aufklärung scheint daher Selbstdenken mit Lautdenken ebenso wie der Gebrauch der Vernunft mit ihrem öffentlichen Gebrauch zusammenzufallen: »Zwar sagt man: die Freiheit zu sprechen oder zu schreiben, könne uns zwar durch obere Gewalt, aber die Freiheit zu denken durch sie gar nicht genommen werden. Allein wieviel und mit welcher Richtigkeit würden wir wohl denken, wenn wir nicht gleichsam in Ge58
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58 E b d . B d . V I , S. 468 ff. 59 E b d . B d . I V S. 169. 60 E b d . S. 1 7 0 . 61 Werke, a . a . O . , B d . IV, S. 389.
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meinschaft mit andern, denen wir unsere und die uns ihre Gedanken mitteilen, dächten!« Kant, wie den Enzyklopädisten, stellt sich Aufklärung, der öffentliche Gebrauch der Vernunft, zunächst als Sache der Gelehrten dar, besonders derjenigen, die mit Prinzipien reiner Vernunft zu tun haben, der Philosophen also. Es geht, wie in den Disputationen der Scholastiker, noch in den berühmten Streitgesprächen der Reformatoren, um Lehren und Meinungen, »welche die Fakultäten unter dem Namen der Theoretiker untereinander abzumachen haben . . . , wovon das Volk sich selbst bescheidet, daß es nichts davon versteht«. Der Streit der Fakultäten vollzieht sich als die kritische Auseinandersetzung der unteren mit den oberen. Diese nämlich, Theologie, Jurisprudenz und Medizin, gründen in der einen oder anderen Weise auf Autorität. Auch unterstehen sie der staatlichen Aufsicht, da sie die »Geschäftsleute der Gelehrsamkeit«, Geistliche, Richter und Arzte ausbilden. Sie wenden Wissenschaft bloß an (verstehen sich auf das Machwerk, savoir faire). Hingegen haben es die unteren Fakultäten mit Erkenntnissen aus reiner Vernunft zu tun. Deren Vertreter, die Philosophen, lassen sich, vom Interesse der Regierung unabhängig, allein von dem der Vernunft leiten. Ihr Geist »geht auf öffentliche Darstellung der Wahrheit«. Die Vernunft muß in solchem Streit der Fakultäten »öffentlich zu sprechen berechtigt sein, weil (sonst) die Wahrheit nicht an den Tag kommen würde«. Und zwar, wie Kant hinzufügt, zum Schaden der Regierung selbst. Die Öffentlichkeit, innerhalb derer die Philosophen ihr kritisches Handwerk betreiben, ist indessen, ihres akademischen Mittelpunktes ungeachtet, keine bloß akademische. Wie sich die Diskussion der Philosophen im Angesicht der Regierung, ihr zur Unterrichtung und zur Prüfung abspielt, so auch vor dem Publikum des »Volkes«, um es anzuleiten, sich der eigenen Vernunft zu bedienen. Die Stellung dieses Publikums ist zweideutig: einerseits unmündig und der Aufklärung noch bedürftig, konstituiert es sich andrerseits 62
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62 Werke, a . a . O . , B d . IV, S . 3 6 3 . 63 Werke, a . a . O . , B d . V I I , S. 344. 64 E b d . S. 343. 65 E b d . S. 330. 181
als Publikum schon unter dem Anspruch einer Mündigkeit solcher, die der Aufklärung fähig sind. Denn am Ende taugt dazu nicht etwa nur der Philosoph, sondern jedermann, der seine Vernunft öffentlich zu gebrauchen versteht. Der Streit der Fakultäten ist gleichsam nur der Herd, von dem das Feuer der Aufklärung ausstrahlt und von wo aus es immer wieder angefacht wird. Nicht allein in der Republik der Gelehrten verwirklicht sich Öffentlichkeit, sondern im öffentlichen Gebrauch der Vernunft aller, die sich darauf verstehen. Sie müssen freilich aus den Schranken ihrer Privatsphäre so hervortreten, als ob sie Gelehrte wären: »Ich verstehe aber unter dem öffentlichen Gebrauche seiner eigenen Vernunft denjenigen, den jemand als Gelehrter von ihr vor dem ganzen Publikum der Leserwelt macht. Den Privatgebrauch nenne ich denjenigen, den er in einem gewissen ihm anvertrauten bürgerlichen Posten oder Amte von seiner Vernunft machen darf . . . Hier ist es nun freilich nicht erlaubt zu räsonieren; sondern muß man gehorchen. Sofern sich aber dieser Teil der Maschine zugleich als Glied eines ganzen gemeinen Wesens, ja sogar der Weltbürgergesellschaft ansieht, mithin in der Qualität eines Gelehrten, der sich an ein Publikum im eigentlichen Verstände durch Schriften wendet, kann er allerdings räsonieren .. ,« Daraus ergibt sich das Postulat der Öffentlichkeit als Prinzip: »Der öffentliche Gebrauch seiner Vernunft muß jederzeit frei sein, und der allein kann Aufklärung unter Menschen zustande bringen; der Privatgebrauch derselben aber darf öfters sehr enge eingeschränkt sein, ohne doch darum den Fortschritt der Aufklärung sonderlich zu hindern.« Jeder ist zum »Publizisten« berufen, der »durch Schriften zum eigentlichen Publikum, nämlich der Welt« spricht. Mit der »Welt«, in der sich Publikum konstituiert, ist Öffentlichkeit als Sphäre bezeichnet: Kant spricht von Weltkenntnis, er nennt den Mann von Welt. Dieser Sinn von Weitläufigkeit artikuliert sich im Begriff des Weltbürgertums, schließlich in dem des Weltbesten zur Idee einer Welt, die vielleicht im »Weltbegriff« der Wissenschaft am deutlichsten hervortritt - denn in Reinheit stellt sich Welt 66
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66 Werke, a . a . O . , B d . IV, S. 1 7 1 . 67 E b d . S. 1 7 1 . 68 E b d . S. 1 7 2 . 182
in der Kommunikation vernünftiger Wesen her. Während der Schulbegriff der Wissenschaft nur eine »Geschicklichkeit zu gewissen beliebigen Zwecken« meint, ist deren Weltbegriff einer, »der das betrifft, was jedermann notwendig interessiert«. Das ist nicht Welt im transzendentalen Verstände: als Inbegriff aller Erscheinungen die Totalität ihrer Synthesis und insofern eins mit »Natur«. Diese »Welt« verweist vielmehr auf die Menschheit als Gattung, aber so, wie sich deren Einheit in der Erscheinung darstellt: die Welt jenes räsonierenden Lesepublikums, das sich damals in den breiten bürgerlichen Schichten eben entwickelt. Es ist die Welt der Literaten, aber auch der Salons, in denen sich »die gemischten Gesellschaften« diskutierend austauschen; hier in den Bürgerhäusern etabliert sich das Publikum. »Wenn man auf den Gang der Gespräche in gemischten Gesellschaften, die nicht bloß aus Gelehrten und Vernünftlern, sondern auch aus Leuten von Geschäften oder Frauenzimmern bestehen, acht hat, so bemerkt man, daß außer dem Erzählen und Scherzen noch eine Unterhaltung, nämlich das Räsonieren darin Platz findet.« Das räsonierende Publikum der »Menschen« konstituiert sich zu dem der »Bürger«, wo es sich über die Angelegenheiten des »gemeinen Wesens« verständigt. Diese politisch fungierende Öffentlichkeit wird unter der »republikanischen Verfassung« zum Organisationsprinzip des liberalen Rechtsstaates. In seinem Rahmen ist die bürgerliche Gesellschaft als Sphäre privater Autonomie etabliert (jedermann soll seine »Glückseligkeit« auf jedem Wege suchen dürfen, der ihm nützlich dünkt). Die bürgerlichen Freiheiten sind durch allgemeine Gesetze gesichert; der Freiheit der »Menschen« entspricht die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz (Abschaffung aller »angeborenen Rechte«). Die Gesetzgebung selbst geht auf den »aus Vernunft abstammenden Volks willen« zurück; denn Gesetze haben empirisch ihren Ursprung im »öffentlichen Zusammenstimmen« des räsonierenden Publikums; weshalb Kant sie auch öffentliche Gesetze nennt im Unterschied zu den privaten, die wie Brauch und Sitte unausdrücklich Geltung beanspruchen. »Ein öffentli69
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69 Kritik der reinen Vernunft , Werke, B d . I I I , S. 561 f., A n m . 2
70 Kritik der praktischen Vernunft, a . a . O . , B d . V* S. 165. 71 Eine Unterscheidung, die nicht etwa mit der des öffentlichen und privaten Rechts 183
dies Gesetz aber, welches für alle das, was ihnen rechtlich erlaubt oder unerlaubt sein soll, bestimmt, ist der Aktus eines öffentlichen Willens, von dem alles Recht ausgeht, und der also selbst niemand muß unrecht tun können. Hierzu aber ist kein andrer Wille, als der des gesamten Volks (da alle über alle, mithin ein jeder über sich selbst beschließt), möglich.« Dabei folgt die Argumentation ganz der Rousseau'schen, mit der entscheidenden Ausnahme in dem einen Punkt: daß das Prinzip der Volkssouveränität nur unter Voraussetzung eines öffentlichen Gebrauchs der Vernunft realisiert werden kann. »Es muß in jedem gemeinen Wesen . . . ein Geist der Freiheit sein, da jeder in dem, was allgemeine Menschenpflicht betrifft, durch Vernunft überzeugt zu sein verlangt, daß dieser Zwang rechtmäßig sei, damit er nicht mit sich selbst in Widerspruch gerate.« Die Beschränkung der Öffentlichkeit, meint Kant mit dem Blick auf die damals heißumstrittenen Freimaurerlogen, sei »die veranlassende Ursache aller geheimen Gesellschaften. Denn es ist ein Naturberuf der Menschheit, sich, vornehmlich in dem, was den Menschen überhaupt angeht, einander mitzuteilen«. In diesem Zusammenhang fällt das berühmte Wort von der Freiheit der Feder als dem »einzigen Palladium der Volks rechte«. Schon in der »Kritik der reinen Vernunft« hatte Kant dem öffentlichen Konsensus der Räsonierenden untereinander die Funktion einer pragmatischen Wahrheitskontrolle zugeschrieben: »Der Probierstein des Fürwahrhaltens, ob es Überzeugung oder bloße Überredung sei, ist also äußerlich die Möglichkeit, dasselbe mitzuteilen und das Fürwahrhalten für jedes Menschen Vernunft gültig zu befinden.« Der intelligiblen Einheit des transzendentalen Bewußtseins entspricht die in der Öffentlichkeit sich herstellende Einigung aller empirischen Bewußtseine. Später, in der Rechtsphilosophie, erhält diese durch Publizität verbürgte »Einstimmung aller Urteile ungeachtet der Verschiedenheit der Subjekte untereinander«, für 72
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übereinstimmt. Im Kantischen. Sinne ist das bürgerliche Recht insgesamt öffentlich, vgl. Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, Werke, a . a . O . , B d . V I I . 72 Werke, a . a . O . , B d . V I , S . 3 7 8 . 73 E b d . S. 389: »Was ein Volk über sich selbst nicht beschließen kann, das kann der Gesetzgeber auch nicht über das Volk beschließen.« 74 E b d . S. 389. 75 Im Abschnitt: »Vom Meinen, Wissen und Glauben«, Werke, B d . I I I , S. 550. 184
die Kant nur noch der Name der »öffentlichen Meinung« fehlt, über ihren pragmatischen Wert hinaus, konstitutive Bedeutung: die politischen, nämlich auf das Recht anderer bezogenen Handlungen, sollen selber mit Recht und Moral nur so weit in Ubereinstimmung stehen können, als ihre Maximen der Publizität fähig, ja bedürftig sind. Vor der Öffentlichkeit müssen sich alle politischen Handlungen auf die Grundlage der Gesetze zurückführen lassen, die ihrerseits vor der öffentlichen Meinung als allgemeine und vernünftige Gesetze ausgewiesen sind. Im Rahmen eines durchgängig normierten Zustandes (der bürgerliche Verfassung und ewigen Frieden zur »vollkommenen gerechten Ordnung« vereinigt) ist das Naturgesetz der Herrschaft durch die Herrschaft der Rechtsgesetze abgelöst - kann Politik grundsätzlich in Moral überführt werden. Wie aber könnte die Einhelligkeit der Politik mit der Moral gewahrt sein, solange dieser Rechtszustand noch nicht besteht? Um ihn herzustellen, ist nicht einmal das Wollen aller einzelnen Menschen, in einer gesetzlichen Verfassung nach Freiheitsprinzipien zu leben, nämlich die distributive Einheit des Willens aller, hinreichend; es bedürfte dazu der kollektiven Einheit des vereinigten Willens: alle zusammen müßten diesen Zustand wollen. Infolgedessen glaubt auch Kant, keinen anderen Anfang eines rechtlichen Zustandes erwarten zu dürfen, als den durch politische Gewalt. Die indirekte Gewaltnahme der zum Publikum versammelten Privatleute versteht sich aber nicht selbst als politisch, das moralische Selbstverständnis der bürgerlichen Öffentlichkeit verpflichtet auch diejenigen Anstrengungen, die ihr politische Funktion überhaupt erst verschaffen, zur Enthaltsamkeit gegenüber Methoden einer politischen Gewalt, von der Publizität gerade Befreiung verspricht. Kant löst dieses Dilemma geschichtsphilosophisch. Auch ohne Zutun der innerlich freien Individuen werden sich ihm zufolge äußerlich freie Verhältnisse herstellen, unter denen dann Politik dauerhaft in Moral aufgehen kann. Bekanntlich konstruiert Kant einen Fortschritt des Menschengeschlechts und seiner gesellschaftlichen Verfassung zum Besseren aus bloßem Zwang der Natur, auch ohne 76
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76 Das nennt Kant die »Einhelligkeit der Politik mit der Moral nach dem transzendentalen Begriffe des öffentlichen Rechts«, Werke, B d . V I , S. 468 ff. 77 Vgl. R. Koselleck, a . a . O . , bes. S. 8iff. 185
Ansehung dessen, was die Menschen selbst nach Freiheitsgesetzen tun sollten; freilich besteht dieser Fortschritt dann nicht in einem wachsenden Quantum der Moralität, sondern ausschließlich in einer Vermehrung der Produkte der Legalität. Wenn sich die Natur des »Antagonismus der Gesellschaft«, der Kämpfe im Inneren wie auch der Kriege zwischen den Völkern, bedient, um alle Naturanlagen der Menschheit in einer »allgemein das Recht verwaltenden bürgerlichen Gesellschaft« zu entfalten, dann wird diese »vollkommen gerechte bürgerliche Verfassung« selbst eine »pathologisch abgedrungene Zusammenstimmung« sein müssen, die als ein »moralisches Ganzes« nur erscheint. In ihr wird ein Problem seine praktische Auflösung gefunden haben, das Kant theoretisch in der Form stellt: »eine Menge von vernünftigen Wesen, die insgesamt allgemein Gesetze für ihre Erhaltung verlangen, deren jedes aber insgeheim sich davon auszunehmen geneigt ist, so zu ordnen und ihre Verfassung einzurichten, daß, obgleich sie in ihren Pm^gesinnungen einander entgegenstreben, diese einander doch so aufhalten, daß in ihrem öffentlichen Verhalten der Erfolg ebenderselbe ist, als ob sie keine solche bösen Gesinnungen hätten« - eine Variation auf Mandevilles Slogan »private vices public benefits«. Kant entwickelt dann auch nach diesem Grundsatz die bestimmten soziologischen Voraussetzungen politisch fungierender Öffentlichkeit: sie hängen allemal an den privater Autonomie überlassenen gesellschaftlichen Beziehungen frei konkurrierender Warenbesitzer. Zum politisch räsonierenden Publikum sind nur Privateigentümer zugelassen, denn deren Autonomie wurzelt in der Sphäre des Warenverkehrs und geht darum auch mit dem Interesse an ihrer Erhaltung als einer privaten Sphäre zusammen: »Die dazu erforderliche Qualität ist, außer der natürlichen (daß es kein Kind, kein Weib sei), die einzige: daß er sein eigener Herr sei, mithin irgendein Eigentum habe (wozu auch jede Kunst, Handwerk, oder schöne Kunst, oder Wissenschaft gezählt werden kann), welches ihn ernährt; d. i. daß er, in den Fällen, wo er von andern erwerben muß, 78
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78 Werke, B d . V I I , S.404. 79 Werke, B d . V I , S . 4 5 2 F
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um zu leben, nur durch Veräußerung dessen, was sein ist, erwerbe, nicht durch Bewilligung, die er anderen gibt, von seinen Kräften Gebrauch zu machen, folglich, daß er niemanden als dem gemeinen Wesen im eigentlichen Sinne des Wortes diene. Hier sind nun Kunstverwandte und große (oder kleine) Gutseigentümer alle einander gleich .. . « Kant, der das Unbefriedigende dieser Unterscheidung bemerkt - »es ist, ich gestehe es, etwas schwer, die Erfordernis zu bestimmen, um auf den Stand eines Mitmenschen, der sein eigener Herr ist, Anspruch machen zu können« - gelangt gleichwohl zu einer trefflichen Abgrenzung gegenüber dem, w a s später freie Lohnarbeit heißen sollte. Während die Lohnarbeiter genötigt sind, als einzige Ware ihre Arbeitskraft zu tauschen, verkehren die Privateigentümer untereinander als Warenbesitzer durch den Tausch von Gütern. Nur diese sind ihre eigenen Herren, nur sie sollen zum Stimmrecht, zum öffentlichen Gebrauch der Vernunft im exemplarischen Sinn berechtigt werden. Diese Einschränkung verträgt sich mit dem Prinzip der Öffentlichkeit wiederum nur dann, wenn innerhalb der Privatsphäre durch den wirksamen Mechanismus freier Konkurrenz gleiche Chancen für den Erwerb von Eigentum bestehen. So mag zwar der freie Wa80
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So Werke, B d . V I , S . 8 f . 3 7
81 »Der Hausbediente, der Ladendiener, der Taglöhner, selbst der Friseur sind bloß operarii, nicht artifices und nicht Staatsglieder, mithin auch nicht Bürger zu sein qualifiziert«, sondern bloß »Schutzgenossen«, im Genuß des Rechtsschutzes der Gesetze, nicht aber des Rechtes auf Gesetzgebung selber - »obgleich der, welchem ich mein Brennholz aufzuarbeiten, und der Schneider, dem ich mein Tuch gebe, um daraus ein Kleid zu machen, sich in ganz ähnlichen Verhältnissen gegen mich zu befinden scheinen, so ist doch jener von diesem, wie Friseur vom Perükkenmacher (dem ich auch das Haar dazu gegeben haben mag), also wie Taglöhner vom Künstler oder Handwerker, der ein Werk macht, das ihm gehört, solange er nicht bezahlt ist, unterschieden. D e r letztere, als Gewerbetreibende, verkehrt also sein Eigentum mit dem anderen (opus), der erstere den Gebrauch seiner Kräfte, den er einem anderen bewilligt (operam)«. E b d . S. 379, A n m . 82 In anderem Zusammenhang spielt Kant anekdotisch auf das damals eben in U m lauf gesetzte Schlagwort des »laisser faire« an: »Ein französischer Minister berief einige der angesehensten Kaufleute zu sich und verlangte von ihnen Vorschläge, wie dem Handel aufzuhelfen sei . . . Nachdem einer dies, der andere das in Vorschlag gebracht hatte, sagte ein alter Kaufmann, der so lange geschwiegen hatte: Schafft gute Wege, schlagt gut Geld, gebt ein promptes Wechselrecht und dgl., übrigens aber >laßt uns machen
renverkehr »in einer Reihe von Nachkommen eine beträchtliche Ungleichheit in Vermögensumständen unter den Gliedern eines gemeinen Wesens (des Söldners und Mieters, des Gutseigentümers und der ackerbauenden Knechte usw.) hervorbringen; nur (darf er) nicht verhindern, daß diese, wenn ihr Talent, ihr Fleiß und ihr Glück es ihnen möglich macht, sich nicht zu gleichen Umständen zu erheben befugt wären. Denn sonst würde er (der eine den anderen) zwingen dürfen, ohne durch anderer Gegenwirkung wiederum gezwungen werden zu können . . . Man kann ihn (jeden) in jedem Zustande für glücklich annehmen, wenn er sich nur bewußt ist, daß es nur an ihm selbst (seinem Vermögen, oder ernstlichen Willen) oder an Umständen, die er keinem anderen schuld geben kann, aber nicht an dem unwiderstehlichen Willen anderer liege, daß er nicht zu gleicher Stufe mit anderen hinaufsteigt, die, . . . was das Recht betrifft, vor ihm nichts voraus haben«. Ohne dadurch das Prinzip der Öffentlichkeit zu verletzen, sind mithin die Nichteigentümer vom Publikum der politisch räsonierenden Privatleute ausgeschlossen. Sie sind in diesem Sinne auch keine Bürger, sondern solche, die es mit Talent, Fleiß und Glück einmal dazu bringen können; bis auf Widerruf bloße Schutzgenossen, die den Schutz der Gesetze genießen, ohne sie selber machen zu dürfen. Kant teilte das Vertrauen der Liberalen, daß sich mit der Privatisierung der bürgerlichen Gesellschaft solche sozialen Voraussetzungen als die Naturbasis des Rechtszustandes und einer politisch funktionsfähigen Öffentlichkeit von selber herstellen würden, ja fast sich schon eingespielt haben mochten; und weil eine gesellschaftliche Verfassung dieser Art als der ordre naturel so deutlich, wie es schien, sich schon abzeichnete, fällt es Kant nicht schwer, geschichtsphilosophisch den rechtlichen Zustand als aus Naturzwang hervorgehend zu unterstellen, der es ihm erlaubt, Politik zu einer Frage der Moral zu machen. Die Fiktion einer dem freien Warenverkehr immanenten Gerechtigkeit macht die Gleichschaltung von bourgeois und homme, der interessierten Privateigentümer mit autonomen Individuen schlechthin, plausibel. Das spezifische Verhältnis von Privatsphäre und Öffentlichkeit, aus dem die Verdoppelung des eigennützigen bourgeois in Gestalt des uneigennützigen 83
83 Werke, a. a . O . , B d . V I , S. 3761.
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homme, des empirischen Subjekts im intelligiblen, hervorgeht, ermöglicht auch die Betrachtung des citoyen, des stimmberechtigten Staatsbürgers, unter dem doppelten Aspekt von Legalität und Moralität. In seinem »pathologisch abgedrungenen« Verhalten kann er zugleich als ein moralisch freier erscheinen, solange nur durch eine Absicht der Natur, nämlich auf der Basis einer herrschaftsemanzipierten und machtneutralisierten Gesellschaft frei konkurrierender Privateigentümer, die Konkordanz der politischen Öffentlichkeit mit ihrem aus der literarischen Öffentlichkeit gewonnenen Selbstverständnis gesichert ist, nämlich in der Weise, daß die interessierten Privatleute, zum Publikum versammelt, also in ihrer Eigenschaft als Staatsbürger, sich äußerlich so verhalten, als ob sie innerlich freie Menschen wären. Unter den sozialen Voraussetzungen, die private vices in public virtues übersetzen, ist ein weltbürgerlicher Zustand, und damit Subsumtion der Politik unter Moral empirisch vorstellbar. Als res publica phänomenon kann er die res publica noumenon zur Erscheinung bringen; kann er, auf demselben Boden der Erfahrung, zwei heterogene Gesetzgebungen vereinigen, ohne daß eine der anderen Eintrag tun dürfte: die der Privatleute als sinnlich getriebener Warenbesitzer und als geistig freier Menschen zumal. Wie im gesellschaftlichen Bereich, stellt sich ja für die Welt überhaupt das Verhältnis des Phänomenalen zum Noumenalen nach Maßgabe der Auflösung der dritten Antinomie reiner Vernunft so dar: daß eine jede Wirkung in Ansehung ihrer intelligiblen Ursache als frei, und doch im Hinblick auf deren empirische Erscheinung zugleich als notwendig, nämlich als Glied des durchgängig kausalen Zusammenhangs aller Begebenheiten in der Sinnenwelt gedacht werden muß. Diese systematisch zentrale Unterscheidung vermag freilich Kant in der politischen Philosophie nicht konsequent durchzuhalten - er kann ja nicht im Ernst Gesetze der praktischen Vernunft von empirischen Bedingungen abhängig machen. Soweit aber jene Naturbasis des Rechtszustandes als solche fragwürdig ist, muß die Herstellung eines rechtlichen Zustandes - der einer moralischen Politik bisher vorausgesetzt war - selber zu Inhalt und Aufgabe der Politik gemacht werden. Auch der Öffentlichkeit, die Politik mit Gesetzen 84
84 Kritik der reinen Vernunft , Werke, a . a . O . , B d . I I I , S. 374ff. 2
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der Moral in Einklang halten soll, würde dadurch eine neue Funktion zuwachsen, eine, die sich gar am Ende innerhalb des Kantschen Systems nicht mehr interpretieren ließe. Wer immer die politisch Handelnden seien, der Fürst, eine Partei, ein zur Führung Bestellter oder der einzelne Staatsbürger, wenn sie sich nicht nach schon bestehenden Gesetzen richten können, sondern einen rechtlichen Zustand erst herbeiführen wollen, genügt es nicht, auf eine bloß negative Zusammenstimmung mit der Willkür aller übrigen bedacht zu sein - sie müssen vielmehr auf deren Willkür positiv Einfluß zu nehmen versuchen. Das mag durch Gewalt geschehen und geschieht in der Regel so. Eine Einflußnahme auf die Willkür anderer, wenn sie moralisch verfährt, gebietet indessen eine Orientierung am allgemeinen Zweck des Publikums, eben am Bedürfnis der Wohlfahrt der bürgerlichen Gesellschaft im ganzen. Die moralische Absicht einer Handlung muß mithin im Bereich einer solchen Politik an ihrem möglichen Erfolg in der Sinnenwelt kontrolliert werden. Der politischen Tugend darf Glückseligkeit nicht gleichgültig sein: alle politischen Maximen bedürfen nun, um mit Recht und Politik vereinigt zusammenzustimmen, der Publizität deshalb, weil »sie dem allgemeinen Zweck des Publikums (der Glückseligkeit) gemäß sein müssen«, denn »es mit seinem Zustande zufrieden zu machen«, sei die eigentliche Aufgabe der Politik. Vorher hatte es hingegen noch in der gleichen Abhandlung geheißen: »Die politischen Maximen müssen nicht von der aus ihrer Befolgung zu erwartenden Wohlfahrt eines jeden Staates, also nicht vom Zweck, den sich ein jeder derselben zum Gegenstande macht . . . , als dem obersten . . . Prinzip der Staatsweisheit, sondern von dem reinen Begriff der Rechtspflicht . . . ausgehen, die physischen Folgen daraus mögen auch sein, welche sie wollen.« Unter der geschichtsphilosophischen Voraussetzung einer schon bestehenden Naturbasis eines Rechtszustandes konnte, ja mußte Kant das Heil des Staates vom Wohl seiner Bürger, Moralität von Legalität trennen. Auf diese Voraussetzung verläßt er sich aber nicht durchweg; das zeigt die Ambivalenz seiner Geschichtsphilosophie, in der neben den vielen systemkonformen Äußerungen, 85
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85 Werke, B d . V I , S . 4 7 3 1 . 86 E b d . S.466. 190
die Moralität vom Fortschritt ausschließen und diesen einer Vermehrung der Produkte der Legalität vorbehalten, sich auch das ihnen widersprechende Geständnis findet, »daß, da das menschliche Geschlecht beständig im Fortrücken in Ansehung der Kultur, als dem Naturzwecke desselben, ist, es auch im Fortschreiten zum Besseren in Ansehung des moralischen Zwecks seines Daseins begriffen sei«. Und im gleichen Zusammenhang: »Überdem lassen sich manche Beweise geben, daß das menschliche Geschlecht im ganzen wirklich in unserem Zeitalter, in Vergleichung mit allen vorigen, ansehnlich zum selbst Besseren fortgerückt sei.« Wenn ein rechtlicher Zustand selbst erst politisch, und zwar durch eine in Ubereinstimmung mit der Moral gehaltene Politik hervorgebracht werden muß, ist der Fortschritt der Legalität von einem in der Moralität geradezu abhängig, und die res publica phänomenon wird Produkt der res publica noumenon selber: » . . . da werden alle Talente nach und nach entwickelt, der Geschmack gebildet, und selbst durch fortgesetzte Aufklärung der Anfang zur Gründung einer Deckungsart gemacht, welche die grobe Naturanlage zur sittlichen Unterscheidung mit der Zeit in bestimmte praktische Prinzipien, und so eine pathologisch abgedrungene Zusammenstimmung zu einer Gesellschaft endlich in ein moralisches Ganzes verwandeln kann.« Das Verhältnis der res publica phänomenon und der res publica noumenon fügt sich nicht mehr dem theoretisch festgestellten Verhältnis von Wesen und Erscheinung. »Die Idee«, heißt es beim Streit der philosophischen Fakultät mit der juristischen, »einer mit dem natürlichen Rechte der Menschen zusammenstimmenden Konstitution: daß nämlich die dem Gesetz Gehorchenden auch zugleich, vereinigt, gesetzgebend sein sollen, liegt bei allen Staatsformen zum Grunde, und das gemeine Wesen, welches, ihr gemäß durch reine Vernunftbegriffe gedacht, ein platonisches Ideal heißt (res publica noumenon), ist nicht ein leeres Hirngespinst, sondern die ewige Norm für alle bürgerliche Verfassung überhaupt und ent87
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87 Werke, a . a . O . , B d . V I , S. 393. 88 E b d . S.394. 89 Werke, a . a . O . , B d . IV, S. 1 5 5 . 191
fernet allen Krieg.« Nun erinnert man sich an den Kantischen Gebrauch von »Ideal«, das eine Idee in individuo meint, nämlich ein einzelnes, durch die Idee allein bestimmbares oder gar bestimmtes Ding. Es sei noch weiter von der Realität entfernt als die Idee; beiden kann nur regulative Funktion zugesprochen werden: wie die Idee die Regel gibt, so dient das Ideal zum Urbilde der Bestimmung eines Nachbildes, stets bloßes »Richtmaß unserer Handlung« und durchaus verschieden von dem Ideal, dem Piaton als einer Idee des göttlichen Verstandes konstitutive Bedeutung fälschlich unterschoben habe. Um so erstaunlicher, daß im Zusammenhang der von uns angezogenen Textstelle die res publica noumenon geradezu ein platonisches Ideal genannt wird. Das ist kein bloßes Versprechen, denn im Anschluß daran heißt es: eine diesem Ideal gemäß »organisierte bürgerliche Gesellschaft ist die Darstellung derselben nach Freiheitsgesetzen durch ein Beispiel in der Erfahrung (res publica phaenomenon) und kann nur nach mannigfaltigen Befehdungen und Kriegen mühsam erworben werden; ihre Verfassung aber, wenn sie im großen einmal errungen worden, qualifiziert sich zur besten unter allen«. Schon der vorangegangene Satz hatte im gleichen Sinne indikativisch geschlossen: » . . . und entfernet allen Krieg.« Bei der Bestimmung des Ideals überhaupt heißt es hingegen: »Das Ideal aber in einem Beispiele realisieren wollen, wie etwa den Weisen in einem Roman, ist untunlich und hat überdem etwas Widersinniges und wenig Erbauliches an sich, indem die natürlichen Schranken, welche der Vollständigkeit in der Idee kontinuierlich Abbruch tun, alle Illusion in solchem Versuche unmöglich und dadurch das Gute, das in der Idee liegt, selbst verdächtig und einer bloßen Erdichtung ähnlich machen.« In Kants politischer Philosophie sind zwei Versionen deutlich auszumachen. Die offizielle bedient sich der Konstruktion einer aus Naturzwang allein hervorgehenden weltbürgerlichen Ordnung, unter deren Voraussetzung sodann die Rechtslehre die politischen Handlungen in der Art von moralischen Handlungen ableiten kann: in einem ohnehin bestehenden rechtlichen Zustand (das ist 90
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90 Werke, a . a . O . , B d . V I I , S . 4 0 3 I . 91 Kritik der reinen Vernunft , Werke, a . a . O . , B d . I I I , S. 395. 2
92 E b d . S. 396. 192
derjenigen äußeren Bedingung, unter der den Menschen ein Rechtwirklich zuteil werden kann), meint moralische Politik nicht mehr als rechtliches Handeln aus Pflicht unter positiven Gesetzen. Die Herrschaft der Gesetze wird durch Publizität, nämlich durch eine Öffentlichkeit gewährleistet, deren Funktionsfähigkeit mit der Naturbasis des Rechtszustandes überhaupt gesetzt ist. Die andere Version der Geschichtsphilosophie, die inoffizielle, geht davon aus, daß Politik auf die Herstellung eines rechtlichen Zustandes erst dringen muß. Sie bedient sich deshalb der Konstruktion einer aus Naturzwang und moralischer Politik zumal hervorgehenden weltbürgerlichen Ordnung. Politik kann nicht ausschließlich moralisch, als ein pflichtgemäßes Handeln unter positiv bestehenden Gesetzen begriffen werden: deren Positivierung, als das eigentliche Ziel ihres Handelns, bedarf vielmehr der Rücksichtnahme auf einen im allgemeinen Zweck des Publikums, nämlich dessen Wohlfahrt, kollektiv vereinigten Willen. Das soll wiederum durch Publizität gewährleistet sein. Aber nun muß Öffentlichkeit Politik und Moral in einem spezifischen Sinne vermitteln; in ihr soll eine intelligible Vereinigung der empirischen Zwecke aller zustande kommen, soll Legalität aus Moralität hervorgehen. In dieser Absicht wird Geschichtsphilosophie es übernehmen, das Publikum anzuleiten; denn in ihr, als der Propädeutik eines weltbürgerlichen Zustandes, kommen die Gesetze der Vernunft mit den Bedürfnissen der Wohlfahrt überein: sie selbst muß zur öffentlichen Meinung werden. So kommt es zu der merkwürdigen Selbstimplikation der Geschichtsphilosophie; sie veranschlagt die Rückwirkung einer Theorie der Geschichte auf deren eigenen Verlauf: »Ein philosophischer Versuch, die allgemeine Weltgeschichte nach einem Plane der Natur, der auf die vollkommene bürgerliche Vereinigung in der Menschengattung abziele, zu bearbeiten, muß als möglich und selbst für diese Naturabsicht beförderlich angesehen werden.« Mit fortschreitender Aufklärung wird »ein gewisser Herzensanteil, den der aufgeklärte Mensch am Guten, das er vollkommen begreift, zu nehmen nicht vermeiden kann, nach und nach bis zu den Thronen hinauf gehen«. So soll die Philosophie der 93
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93 Werke, a . a . O . , B d . IV. S. 164. 94 E b d . S. 163. 193
Geschichte selber zum Teil der Aufklärung werden, die sie als deren Gang diagnostiziert, nämlich dadurch, daß ihre Erkenntnisse ins Räsonnement des Publikums eindringen. Kant widmet im Zusammenhang seiner »wahrsagenden Geschichte der Menschheit« folgerichtig einen eigenen Paragraphen den Schwierigkeiten »der auf das Fortschreiten zum Weltbesten angelegten Maximen in Ansehung ihrer Publizität«. Zur öffentlichen Belehrung des Volkes seien freie Rechtslehrer, eben die Philosophen bestellt, die unter dem Namen von Aufklärern als für den Staat gefährlich verschrieen sind. Das Fortschreiten zum Weltbesten bedarf jedoch ihrer Tätigkeit in aller Öffentlichkeit - »so verhindert das Verbot der Publizität den Fortschritt eines Volkes zum Besseren«. Die systemsprengenden Konsequenzen einer ihre politische Absicht und Wirkung selbst noch implizierenden Geschichtsphilosophie treten gerade an der Kategorie der von ihr beanspruchten Öffentlichkeit hervor: Vernunft fordert, auf dem geschichtlichen Wege ihrer Verwirklichung, als Entsprechung zur intelligiblen Einheit des Bewußtseins überhaupt eine Geeintheit der empirischen Bewußtseine; Öffentlichkeit soll jene zu dieser vermitteln; ihre Allgemeinheit ist die eines empirischen Bewußtseins überhaupt, dem die Hegeische Rechtsphilosophie seinen Namen geben wird: öffentliche Meinung. Zwanglos fügte sich Öffentlichkeit den Kategorien des Kantischen Systems nur solange ein, als die auch für die politische Philosophie zunächst verbindliche Trennung von empirischem und intelligiblem Subjekt, von phänomenalem und noumenalem Bereich überhaupt, mit den sozialen Voraussetzungen des liberalen Modells der Öffentlichkeit: mit dem klassischen Verhältnis von bourgeoishomme-citoyen, eben mit der bürgerlichen Gesellschaft als jenem ordre naturel rechnen kann, der private vices in public virtues konvertiert. Weil eine Reihe von Fiktionen, in denen sich das Selbstverständnis des bürgerlichen Bewußtseins als öffentliche Meinung artikuliert, bis ins Kantische System hineinreichen, ist aus ihm wiederum die Idee der bürgerlichen Öffentlichkeit gerade in ihrem Zusammenhang mit der Voraussetzung einer Naturbasis des Rechts95
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95 Werke, a . a . O . , B d . V I I , S. 402ff. 96 Ebenda. 194
zustandes zu gewinnen. Nicht zufällig kehrt sich der Begriff der Öffentlichkeit, sobald sie sich dieses Zusammenhangs nicht mehr sicher sein kann, gegen die Grundlagen des Systems selbst. Bereits Hegel wird es ausdrücklich bezweifeln, daß die bürgerliche Gesellschaft je als eine derart natürliche Ordnung würde funktionieren können. Obschon Naturbasis des Rechtszustandes, droht die privatisierte Sphäre des Warenverkehrs und der gesellschaftlichen Arbeit an ihren immanenten Konflikten zu zerbrechen. Unter solchen Umständen taugt aber auch Öffentlichkeit nicht mehr zum Prinzip einer Vermittlung von Politik und Moral - in Hegels Begriff der öffentlichen Meinung wird die Idee der bürgerlichen Öffentlichkeit bereits als Ideologie denunziert.
§ 14 Zur Dialektik der Öffentlichkeit (Hegel und Marx) Im Publikum der räsonierenden Privatleute kommt zustande, was bei Kant das »öffentliche Zusammenstimmen«, bei Hegel »öffentliche Meinung« heißt; in ihr findet »die empirische Allgemeinheit der Ansichten und der Gedanken der vielen« ihren Ausdruck. Auf den ersten Blick scheint Hegel diese Größe nur um Nuancen anders zu bestimmen als Kant: »Die formelle, subjektive Freiheit, daß die einzelnen als solche ihr eigenes Urteilen, Meinen und Raten über die allgemeinen Angelegenheiten haben und äußern, hat in dem Zusammen, welches öffentliche Meinung heißt, ihre Erscheinung.« Erläuternd zu diesem Paragraphen definiert er die Funktion der Öffentlichkeit nach dem Vorbild des 18. Jahrhunderts, nämlich als Rationalisierung von Herrschaft: »Was jetzt gelten soll, gilt nicht mehr durch Gewalt, wenig durch Gewohnheit und Sitte, wohl aber durch Einsicht und Gründe«; und wenig später: »Das Prinzip der 97
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97 Hegel, Grundlinien einer Philosophie des Rechts, ed. Hoffmeister, S. 2 6 1 , § 3 0 1 : »Der Ausdruck: die vielen«, erläutert Hegel diesen Paragraphen, »bezeichnet die empirische Allgemeinheit richtiger als das gang und gäbe: Alle - denn wenn man sagen w i r d , daß es sich von selbst verstehe, daß unter diesen allen zunächst wenigstens die Kinder, Weiber u.s.f. nicht gemeint seien, so versteht es sich hiermit noch mehr von selbst, daß man den ganz bestimmten Ausdruck: Alle nicht gebrauchen sollte.« 98 Rechtsphilosophie, ed. Hoffmeister, § 3 1 6 , S. 272. 195
modernen Welt fordert, daß, was jeder anerkennen soll, sich ihm als ein Berechtigtes zeige.« Und wie Kant die Öffentlichkeit des Räsonnements für den Probierstein der Wahrheit ausgibt, an dem sich das Fürwahrhalten als für eines jeden Menschen Vernunft gültig erweisen kann, so verspricht sich auch Hegel von der öffentlichen Meinung, »daß es ein anderes ist, was sich jemand zu Hause bei seiner Frau oder seinen Freunden einbildet, und wieder ein anderes, was in einer großen Versammlung geschieht, wo eine Gescheitheit die andere auffrißt«. Andererseits haftet der öffentlichen Meinung doch auch das Zufällige der bloß formellen Allgemeinheit an, die ihre Substanz in einem anderen außer ihr findet: sie ist das Erkennen bloß als Erscheinung. Soweit der öffentliche Gebrauch der Vernunft eine Sache des Gelehrten ist, Kants Streit der Fakultäten, geht das Erkennen über seine bloße Erscheinung hinaus; deshalb fällt für Hegel die Wissenschaft außerhalb des Bereichs öffentlicher Meinung: »Die Wissenschaften, da sie, wenn sie nämlich anders Wissenschaften sind, sowohl sich überhaupt nicht auf dem Boden des Meinens und subjektiver Ansichten befinden, als auch ihre Darstellung nicht in der Kunst der Wendungen, des Anspielens, halben Aussprechens und Versteckens, sondern in dem unzweideutigen, bestimmten und offenen Aussprechen der Bedeutung und des Sinnes besteht, fallen nicht unter die Kategorie dessen, was die öffentliche Meinung ausmacht.« Diese Herabsetzung der öffentlichen Meinung ergibt sich zwangsläufig aus Hegels Begriff der bürgerlichen Gesellschaft. Wohl preist er deren Gesetze einmal, mit Hinweis auf die Politische Ökonomie von Smith, Say und Ricardo, als das Scheinen der Vernünftigkeit; aber seine Einsicht in den zugleich anarchischen und antagonistischen Charakter dieses Systems der Bedürfnisse zerstört entschieden die liberalen Fiktionen, auf denen das Selbstverständnis der öffentlichen Meinung als der baren Vernunft beruhte. Hegel entdeckt ja die tiefe Spaltung der bürgerlichen Gesellschaft, die »die von Natur gesetzte . . . Ungleichheit . . . nicht nur nicht aufhebt, sondern . . . zu einer Ungleichheit der Geschicklichkeit, des Vermögens und 99
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99 Zusatz zu §§ n 6 , 1 1 7 , Ausgabe Glockner, B d . V I I , S. 424, 426. 100 Gans, a . a . O . , S.424, Zusatz zu § 3 1 5 . 1 0 1 Rechtsphilosophie, ed. Hoffmeister, S. 277, § 3 1 9 .
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selbst der Intellektuellen und moralischen Bildung erhebt«. Denn »durch die Verallgemeinerung des Zusammenhangs der Menschen durch ihre Bedürfnisse und der Weisen, die Mittel für diese zu bereiten und herbeizuführen, vermehrt sich die Anhäufung der Reichtümer . . . auf der einen Seite, wie auf der anderen Seite die Vereinzelung und Beschränktheit der besonderen Arbeit und damit die Abhängigkeit und Not der an diese Arbeit gebundenen Klasse , . . Es kommt hierin zum Vorschein, daß bei dem Ubermaße des Reichtums die bürgerliche Gesellschaft nicht reich genug ist, das heißt an dem ihr eigentümlichen Vermögen nicht genug besitzt, dem Ubermaß der Armut und der Erzeugung des Pöbels zu steuern.« Das Proletariat bestimmt sich zwar an den Ständen der bürgerlichen Gesellschaft bloß negativ, als eine Kategorie der Armenfürsorge; aber die im Umriß entworfene Theorie der Unterkonsumtion (mit den Konsequenzen eines antizipierten Imperialismus vgl. § 246) diagnostiziert einen Interessenkonflikt, der das gemeinsame und angeblich allgemeine Interesse der politisch räsonierenden Privateigentümer als bloß partikuläres diskreditiert. Die öffentliche Meinung der zum Publikum versammelten Privatleute behält für ihre Einheit und Wahrheit nicht länger eine Basis; sie fällt auf die Stufe eines subjektiven Meinens der Vielen zurück. Die ambivalente Stellung der öffentlichen Meinung folgt aus der »Desorganisation der bürgerlichen Gesellschaft« notwendig. Denn wie würde ein Staat aussehen müssen, der, nach Hegels Ausdruck, mit der bürgerlichen Gesellschaft »verwechselt« wird, nämlich »seine Bestimmung in die Sicherheit und den Schutz des Eigentums und der persönlichen Freiheit« setzt? Tendenziell wird ja der bürgerliche Rechtsstaat, mit dessen Hilfe die Privatleute Herrschaft nach Maßgabe ihrer öffentlichen Meinung in Vernunft überführen sollen, tatsächlich in die bürgerliche Gesellschaft gleichsam zurückgenommen, mit ihr »verwechselt«. Wo aber der Privatstand als solcher »zur Teilnahme an der allgemeinen Sache in der gesetzgebenden Gewalt erhoben wird«, müßte sich die Desorganisation der 102
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102 E b d . S. 1 7 5 , § 200. 103 E b d . S.2oof., § § 2 4 3 , 245. 104 E b d . S. 208, § 258. 105 E b d . S. 264, § 303. 197
bürgerlichen Gesellschaft in den Staat hinein fortsetzen. Wenn das antagonistische System der Bedürfnisse in partikulare Interessen zerrissen ist, würde eine politisch fungierende Öffentlichkeit der Privatleute »zu einem unorganischen Meinen und Wollen und zur bloß massenhaften Gewalt gegen den organischen Staat« führen. Um dem vorzubeugen, muß polizeiliche Vorsorge der drohenden Desorganisation ebenso steuern wie korporative Bindung. Das Interesse an der Handels- und Gewerbefreiheit bedarf, »je mehr es blind in den selbstsüchtigen Zweck vertieft ist, um so mehr einer solchen (Bindung), um zum Allgemeinen zurückgeführt zu werden und um die gefährlichen Zuckungen und die Dauer des Zwischenraums, in welchem sich die Kollisionen (der bürgerlichen Gesellschaft in) bewußtloser Notwendigkeit ausgleichen sollen, abzukürzen und zu mildern«. Mit diesem Begriff einer korporativ zurückgekoppelten Gesellschaft hat Hegel die Linie des Liberalismus definitiv überschritten; auch der Begriff der Öffentlichkeit, die einer solchermaßen eingeschränkten Privatsphäre zugehört, kann nicht länger der liberale sein. Öffentliche Meinung hat die Form des gesunden Menschenverstandes, ist in der Art von Vorurteilen im Volke verbreitet, spiegelt allerdings noch in dieser Trübung »die wahrhaften Bedürfnisse und richtigen Tendenzen der Wirklichkeit«. Sie kommt zum Bewußtsein ihrer selbst - in der Ständeversammlung; darin sind die Berufsstände der bürgerlichen Gesellschaft an der Gesetzgebung beteiligt. »Die Öffentlichkeit der Ständeversammlung« dient darum nicht etwa dem Zusammenhang parlamentarischer Diskussionen mit dem politischen Räsonnement des Publikums, das die Staatsgewalt kritisierte und kontrollierte. Sie ist vielmehr Prinzip der staatsbürgerlichen Integration von oben, denn »die Eröffnung dieser Gelegenheit von Kenntnissen hat die allgemeine Seite, daß so die öffentliche Meinung erst zu wahrhaften Gedanken und zur Einsicht in den Zustand und Begriff des Staates und dessen Angelegenheiten, und damit erst zu einer Fähigkeit, darüber vernünftiger zu urteilen, 106
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106 E b d . S. 263, § 302. 107 E b d . S. 198, § 236. 108 E b d . S. 273, § 3 1 7 . 109 E b d . S. 272, § 3 1 4 . 198
kommt; sodann auch die Geschäfte, die Talente, Tugenden und Geschicklichkeiten der Staatsbehörden und Beamten kennen und achten lernt. Wie diese Talente an solcher Öffentlichkeit eine mächtige Gelegenheit der Entwickelung und einen Schauplatz hoher Ehren erhalten, so ist sie wieder das Heilmittel gegen den Eigendünkel der einzelnen und der Menge und ein Bildungsmittel für diese, und zwar eines der größten«. Die zum »Bildungsmittel« herabgesetzte Öffentlichkeit gilt nicht länger als ein Prinzip der Aufklärung und als eine Sphäre der sich verwirklichenden Vernunft. Öffentlichkeit dient bloß der Integration des subjektiven Mein ens in die Objektivität, die sich der Geist in Gestalt des Staates gegeben hat. Hegel hält an der Idee der Verwirklichung der Vernunft in einer »vollkommen gerechten Ordnung« fest; in ihr stimmen Gerechtigkeit und Glückseligkeit überein. Als Garant der Ubereinstimmung ist indessen das politische Räsonnement des Publikums, ist öffentliche Meinung disqualifiziert; der Staat als die Wirklichkeit der sittlichen Idee übernimmt diese Bürgschaft per se, durch seine bloße Existenz: »Die öffentliche Meinung verdient daher ebenso geachtet als verachtet zu werden, dieses nach ihrem konkreten Bewußtsein und Äußerung, jenes nach ihrer wesentlichen Grundlage, die, mehr oder weniger getrübt, in jenes Konkrete nur scheint. Da sie in ihr (selbst) nicht den Maßstab der Unterscheidung noch die Fähigkeit hat, die substantielle Seite zum bestimmten Wissen in sich heraufzuheben, so ist die Unabhängigkeit von ihr die erste formelle Bedingung zu etwas Großem und Vernünftigem (in der Wirklichkeit wie in der Wissenschaft).« Opinion publique wird in die Sphäre der opinion zurückverwiesen; die im existierenden Staat realisierte Vernunft behält deshalb ihrerseits das undurchdringliche Moment persönlicher Herrschaft, das bei Kant im Medium der Öffentlichkeit durchdrungen und aufgelöst werden sollte. Hegel resümiert seine Analyse der öffentlichen Meinung in dem Satz: »Die Subjektivität, welche als Auflösung des bestehenden Staatswesen in dem seine Zufälligkeit geltend machen wollenden, sich ebenso zerstörenden Meinen und Räsonieren ihre äußerlichste Erscheinung hat, hat ihre wahrhafte Wirklichkeit in 110
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n o E b d . S. 272, § 3 1 5 . i n E b d . S. 274, § 3 1 8 . 199
ihrem Gegenteile, der Subjektivität, als identisch mit dem substantiellen Willen, welche den Begriff der fürstlichen Gewalt ausmacht.« Innerhalb des Staates gelangt die subjektive Freiheit, wie durch ein Wortspiel, zu ihrem Recht im Subjekt des Monarchen. Der vollzieht nicht etwa das Recht des Publikums, in dem, nach Kant, allein die Vereinigung der Zwecke aller möglich ist. Die fürstliche Gewalt hat vielmehr in der Unmittelbarkeit jener sittlichen Welt ihre Grundlage, aus der die Subjekte sich erst zum Recht Ihrer Subjektivität emporgearbeitet haben. Der Monarch erfährt nämlich, »daß ein Volk über seine substantielle Grundlage, das Wesen und den bestimmten Charakter seines Geistes sich nicht täuschen lasse, aber über die Weise, wie es diesen weiß, und nach einer Weise, seine Handlungen, Ereignisse usf. beurteilt - von sich selbst getäuscht wird«. Herrschaft wird allein von einem Volksgeist in Schranken gehalten, der mit der naturwüchsigen Ordnung substantieller Sittlichkeit eins ist: das Reich der Aufklärung hingegen, in der sich der Volksgeist als die öffentliche Meinung weiß, bleibt ohne Verbindlichkeit. Einhelligkeit der Politik mit der Moral weist Hegel überhaupt als eine falsch gestellte Frage ab; gegen die durch Öffentlichkeit vermittelte Rationalisierung der Herrschaft setzt er einen weltgeschichtlichen Existentialismus der Volksgeister: »Es ist zu einer Zeit der Gegensatz von Moral und Politik und die Forderung, daß die zweite der ersteren gemäß sei, viel besprochen worden. Hierher gehört nur, darüber überhaupt zu bemerken, daß das Wohl eines Staates eine ganz andere Berechtigung hat als das Wohl des einzelnen, und die sittliche Substanz, der Staat, ihr Dasein, d. i. ihr Recht, unmittelbar in einer nicht abstrakten, sondern in konkreter Existenz hat und daß nur diese konkrete Existenz, nicht einer der vielen für moralische Gebote gehaltenen allgemeinen Gedanken, Prinzip des Handelns und Benehmens sein kann. Die Ansicht von dem vermeintlichen Unrecht, das die Politik immer in diesem vermeintlichen Gegensatz haben soll, beruht doch vielmehr auf der Seichtigkeit der Vorstellungen von Moralität, von der Natur des Staates und dessen Verhältnisse zum moralischen Gesichts112
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H 2 E b d . S. 278, § 320.
1 1 3 E b d . S. 274, § 3 1 7 . Vgl. auch: Phänomenologie des Geistes, ed. Hoffmeister, a . a . O . , S. 392.
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punkte.« Hegel entschärft die Idee der bürgerlichen Öffentlichkeit, weil die anarchische und antagonistische Gesellschaft nicht die herrschaftsemanzipierte und machtneutralisierte Sphäre des Verkehrs autonomer Privatleute darstellt, auf deren Basis ein Publikum der Privatleute politische Autorität in rationale überführen könnte. Auch die bürgerliche Gesellschaft kann der Herrschaft nicht entraten; ja, im Maße ihrer natürlichen Tendenz zur Desorganisation bedarf sie erst recht der Integration durch politische Gewalt. Hegels ständestaatliche Konstruktion reagiert auf Widersprüche, die er in der Wirklichkeit des bürgerlichen Rechtsstaates angelsächsischer oder französischer Prägung durchaus schon feststellt; nur hat er diese Wirklichkeit nicht als eine der fortgeschrittenen bürgerlichen Gesellschaft wahrhaben wollen. Der junge Marx hat das durchschaut. Er weiß, daß die »politischen« Stände der vorbürgerlichen Gesellschaft in der bürgerlichen sich zu bloß »sozialen« Ständen aufgelöst haben; ihnen gleichwohl die politische Funktion einer Vermittlung von Staat und Gesellschaft zuzuschreiben, kommt dem ohnmächtig restaurativen Versuch gleich, »in der politischen Sphäre selbst den Menschen in die Beschränktheit seiner Privatsphäre zurückzustürzen«. Die faktisch vollzogene Trennung von Staat und Gesellschaft will die neuständische Verfassung in der Art der preußischen, die Hegel verklärt, durch eine »Reminiszenz« rückgängig machen. Marx sieht, daß sich eine »Republik«, eben die Form des bürgerlichen Rechtsstaates, dort herausbilden muß, »wo die Privatsphäre eine selbständige Existenz erlangt«. Bis dahin hatte die Gesellschaft »unmittelbar einen politischen Charakter, d. h. die Elemente des bürgerlichen Lebens, wie zum Beispiel der Besitz oder die Familie oder die Art und Weise der Arbeit, waren in der Form der Grundherrlichkeit, des Standes und der Korporation zu Elementen des Staatslebens erhoben. Sie bestimmten in dieser Form das Verhältnis des einzelnen Individuums zum Staatsganzen, d. h. sein politisches Verhältnis, d. h. sein Ver114
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1 1 4 E b d . S. 287, § 337. 1 1 5 Vgl. M . Riedel, Hegels »bürgerliche Gesellschaft« und das Problem ihres geschichtlichen Ursprungs, in: A R S P , X L V I I I , 4, 1962, S. 539ff. 1 1 6 Marx/Engels, Ges. Werke, Berlin 1958, B d . I, S. 285. 1 1 7 E b d . S. 2 3 3 . 201
hältnis der Trennung und der Ausschließung von den anderen Bestandteilen der Gesellschaft . . . Die politische Revolution, welche den politischen Staat als allgemeine Angelegenheit, d. h. als wirklichen Staat konstituierte, zerschlug notwendig alle Stände, Korporationen, Innungen, Privilegien . . . Die politische Revolution hob damit den politischen Charakter der bürgerlichen Gesellschaft auf. Sie zerschlug die bürgerliche Gesellschaft in ihre einfachen Bestandteile, einerseits in die Individuen, andererseits in die materiellen und geistigen Elemente, welche den Lebensinhalt, die bürgerliche Situation dieser Individuen bilden. Sie entfesselte den politischen Geist, der gleichsam in den verschiedenen Sackgassen der feudalen Gesellschaft zerteilt, zerlegt, zerlaufen war; sie sammelte ihn aus dieser Zerstreuung, sie befreite ihn aus ihrer Vermischung mit dem bürgerlichen Leben und konstituierte ihn als die Sphäre des Gemeinwesens, der allgemeinen Volksangelegenheiten in idealer Unabhängigkeit von jenen besonderen Elementen des bürgerlichen Lebens.« Marx behandelt, wie der letzte Satz verrät, die politisch fungierende Öffentlichkeit ironisch - die »ideale Unabhängigkeit« einer öffentlichen Meinung räsonierender Privateigentümer, die sich als autonome Menschen schlechthin verstehen. Aber um das Ideologische daran zu fassen, nimmt er die Idee der bürgerlichen Öffentlichkeit ebenso ernst, wie es dem Selbstverständnis der politisch fortgeschrittenen Verhältnisse in England und Frankreich entspricht. Marx kritisiert die neuständische Verfassung der Hegeischen Staatsphilosophie am Maßstab der bürgerlich-rechtsstaatlichen nur, um die »Republik« vor ihrer eigenen Idee als den existierenden Widerspruch zu entlarven und der festgehaltenen Idee der bürgerlichen Öffentlichkeit wie im Spiegel die gesellschaftlichen Bedingungen der Möglichkeit ihrer ganz unbürgerlichen Realisierung vorzuhalten. Marx denunziert die öffentliche Meinung als falsches Bewußtsein: sie verheimlicht vor sich selbst ihren wahren Charakter als Maske des bürgerlichen Klasseninteresses. Seine Kritik der Politischen Ökonomie trifft in der Tat die Voraussetzungen, auf denen das Selbstverständnis der politisch fungierenden Öffentlichkeit be118
1 1 8 E b d . S.368. 202
ruhte. Ihr zufolge kann sich das kapitalistische System, sich selbst überlassen, nicht krisenfrei als eine »natürliche Ordnung« reproduzieren. Ferner beruht der Verwertungsprozeß des Kapitals auf der Aneignung von Mehrwert aus der Mehrarbeit jener Warenbesitzer, die über ihre Arbeitskraft als einzige Ware verfügen - statt einer mittelständischen Gesellschaft von Kleinwarenproduzenten bildet sich deshalb eine Klassengesellschaft, in der die Chancen des sozialen Aufstiegs vom Lohnarbeiter zum Eigentümer immer geringer werden. Schließlich werden die Märkte im Zuge der Akkumulation des Kapitals oligopolitisch verformt, so daß auch mit einer unabhängigen Preisbildung nicht länger gerechnet werden darf - die Emanzipation der bürgerlichen Gesellschaft vom obrigkeitlichen Reglement führt nicht etwa zur Neutralisierung von Macht im Verkehr der Privatleute untereinander; statt dessen bilden sich in den Formen bürgerlicher Vertragsfreiheit neue Gewaltverhältnisse, zumal zwischen Eigentümern und Lohnarbeitern. Diese Kritik zerstört alle Fiktionen, auf die sich die Idee der bürgerlichen Öffentlichkeit beruft. Offenbar fehlen zunächst einmal die gesellschaftlichen Voraussetzungen für die Gleichheit der Chance, daß jedermann mit Tüchtigkeit und »Glück« den Status eines Eigentümers und damit die Qualifikationen eines zur Öffentlichkeit zugelassenen Privatmannes, Besitz und Bildung, erwerben kann. Die Öffentlichkeit, der Marx sich konfrontiert sieht, widerspricht ihrem eigenen Prinzip allgemeiner Zugänglichkeit - das Publikum kann nicht länger beanspruchen, mit der Nation, die bürgerliche Gesellschaft mit Gesellschaft überhaupt identisch zu sein. Ebensowenig geht die Gleichung von »Eigentümern« und »Menschen« auf; denn durch ihren Gegensatz zur Klasse der Lohnarbeiter wird ihr Interesse an der Erhaltung der Sphäre des Warenverkehrs und der gesellschaftlichen Arbeit als einer privaten zu einem partikulären Interesse herabgesetzt, das sich nur durch Ausübung von Gewalt über andere durchsetzen kann. Unter diesem Gesichtspunkt kann sich Verfügung über privates Eigentum eben nicht um standslos in die Freiheit autonomer Menschen umsetzen. Die bürgerliche Privatautonomie läßt »jeden Menschen im andern Menschen nicht die Verwirklichung, sondern vielmehr die Schranken 203
seiner Freiheit finden«; und die Rechte, die diesen »Egoismus« garantleren, sind »Menschenrechte« im Sinne des abstrakten Menschen, der in Verfolgung seiner Privatinteressen nicht über die Unfreiheit des Eigentümers, eines Agenten im Verwertungsprozeß des Kapitals, hinauskommt, mithin niemals sich zu jenem »wirklichen und wahren« Menschen entfaltet, als der der bourgeois die Funktionen eines citoyen übernehmen möchte. Der Trennung von Staat und Gesellschaft entspricht »die Spaltung des Menschen in den öffentlichen und in den Privatmenschen«. Aber als bourgeois ist der Privatmann sowenig schlechthin homme, daß er, um wahrhaft staatsbürgerliche Interessen wahrnehmen zu können, aus seiner bürgerlichen Wirklichkeit »heraustreten, von ihr abstrahieren; von dieser ganzen Organisation in seine Individualität sich zurückziehen« müßte. Die Auffassung, in der die zum Publikum versammelten Privatleute nach Rede und Gegenrede übereinstimmen, darf deshalb nicht mit dem Richtigen und Rechten verwechselt werden: auch die dritte, die zentrale Identifikation der öffentlichen Meinung mit Vernunft zerbricht. Solange in der Reproduktion des gesellschaftlichen Lebens Machtverhältnisse nicht wirksam neutralisiert sind und die bürgerliche Gesellschaft selbst noch auf Gewalt beruht, kann auf ihrer Basis kein Rechtszustand errichtet werden, der politische durch rationale Autorität ersetzt. So ist denn auch die Auflösung feudaler Herrschaftsverhältnisse im Medium des räsonierenden Publikums nicht die vorgebliche Auflösung politischer Herrschaft überhaupt, sondern deren Perpetuierung in anderer Gestalt - und der bürgerliche Rechtsstaat, samt der Öffentlichkeit als dem zentralen Prinzip seiner Organisation, bloße Ideologie. Gerade die Trennung des privaten vom öffentlichen Bereich verhindert auf dieser Stufe des Kapitalismus, was die Idee der bürgerlichen Öffentlichkeit verspricht. Im Streit um die Wahlreformen, die damals zu Beginn der dreißiger Jahre in England und Frankreich eine gewisse Ausdehnung des gleichen Wahlrechts zur Folge hatten, objektivierte sich der Kampf um die Verwirklichung des bürgerlichen Rechtsstaats. Bezeichnender119
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1 1 9 E b d . S. 365. 120 E b d . S. 356. 1 2 1 E b d . S. 324. 204
weise sieht Marx darin aber auch schon einen Vorgang, der über die Konstitutionarisierung der bürgerlichen Öffentlichkeit hinaustreibt; im gleichen Zusammenhang heißt es nämlich: »Daß die bürgerliche Gesellschaft massenweise, womöglich ganz in die gesetzgebende Gewalt eindringe, daß sich die wirkliche bürgerliche Gesellschaft der fiktiven bürgerlichen Gesellschaft der gesetzgebenden Gewalt substituieren will, das ist nichts als ihr Streben, sich politisches Dasein zu geben.« Der junge Marx gibt, vor 1848, der Tendenz zur Verallgemeinerung des Wahlrechts eine radikaldemokratische Deutung; er antizipiert bereits eine Umfunktionierung der bürgerlichen Öffentlichkeit, die er, nach dem Juniaufstand der Pariser Arbeiter, sehr viel deutlicher diagnostizieren wird: »Das parlamentarische Regime lebt von der Diskussion, wie soll es die Diskussion verbieten? Jedes Interesse, jede gesellschaftliche Einrichtung wird hier in allgemeine Gedanken verwandelt, als Gedanke verhandelt, wie soll irgendein Interesse, eine Einrichtung sich über dem Denken behaupten und als Glaubensartikel imponieren? Der Rednerkampf auf der Tribüne ruft den Kampf der Pressebengel hervor, der debattierende Klub im Parlament ergänzt sich notwendig durch debattierende Klubs in den Salons und in den Kneipen; die Repräsentanten, die beständig an die Volksmeinung appellieren, berechtigen die Volksmeinung, in Petitionen ihre wirkliche Meinung zu sagen. Das parlamentarische Regime überläßt alles der Entscheidung der Majorität, wie sollen die großen Majoritäten jenseits der Parlamente nicht entscheiden wollen? Wenn Ihr auf dem Gipfel des Staates die Geigen streicht, was könnt Ihr anders erwarten, als daß die drunten tanzen?« Marx hat bereits zehn Jahre vorher die Perspektive dieser Entwicklung im Auge: in dem Maße, in dem nichtbürgerliche Schichten in die politische Öffentlichkeit eindringen und sich in den Besitz ihrer Institutionen setzen, an Presse, Parteien und Parlament teilhaben, wendet sich die vom Bürgertum geschmiedete Waffe der Publizität mit der Spitze gegen es selbst. Marx hat die Vorstellung, daß auf diesem Wege die Gesellschaft selbst politische Gestalt annehmen wird; die Wahlreformen scheinen innerhalb der etablierten Öffent122
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E b d . S. 370.
123 K. M a r x , D e r 18. Brum aire des Louis Bonaparte, Berlin 1 9 5 3 , S. 60. 205
lichkeit bereits die Tendenz Ihrer Auflösung anzuzeigen: »Indem die bürgerliche Gesellschaft ihr politisches Dasein wirklich als ihr wahres gesetzt hat, hat sie zugleich Ihr bürgerliches Dasein in seinem Unterschied von ihrem politischen als unwesentlich gesetzt; und mit dem einen Getrennten fällt sein anderes, sein Gegenteil. Die Wahlreform ist also innerhalb des abstrakten politischen Staates die Forderung seiner Auflösung, aber ebenso der Auflösung der bürgerlichen Gesellschaft.« Die bürgerliche Öffentlichkeit ist geschichtlich im Zusammenhang mit einer vom Staat getrennten Gesellschaft entstanden: das »Soziale« konnte sich in dem Maße als eine eigene Sphäre konstituieren, in dem die Reproduktion des Lebens einerseits private Formen annahm, aber andererseits, als der private Bereich insgesamt, öffentliche Relevanz erhielt. Die allgemeinen Regeln des Verkehrs der Privatleute untereinander wurden nun eine öffentliche Angelegenheit. In der Auseinandersetzung, die die Privatleute alsbald mit der öffentlichen Gewalt um diese Angelegenheit führten, gelangte die bürgerliche Öffentlichkeit zu ihrer politischen Funktion: die zum Publikum versammelten Privatleute machten die politische Sanktionierung der Gesellschaft als einer privaten Sphäre öffentlich zum Thema. Nun war aber um die Mitte des 19. Jahrhunderts vorauszusehen, wie diese Öffentlichkeit, infolge ihrer eigenen Dialektik, von Gruppen besetzt werden würde, die, weil sie der Verfügung über Eigentum und damit einer Basis privater Autonomie entbehren, an der Erhaltung der Gesellschaft als privater Sphäre kein Interesse haben können. Wenn sie, als ein erweitertes Publikum, anstelle des bürgerlichen zum Subjekt der Öffentlichkeit avancieren, wird sich deren Struktur von Grund auf wandeln müssen. Sobald die Masse der Nichteigentümer die allgemeinen Regeln des gesellschaftlichen Verkehrs zum Thema ihres öffentlichen Räsonnements erhebt, wird die Reproduktion des gesellschaftlichen Lebens als solche zur allgemeinen Angelegenheit und nicht mehr bloß ihre Form privater Aneignung. Die demokratisch revolutionierte Öffentlichkeit, »die die wirkliche Gesellschaft der fiktiven bürgerlichen Gesellschaft der gesetzgebenden Gewalt substituieren will«, wird daher grundsätzlich zu einer Sphäre der öffentlichen Beratung und Beschließung 124
124 Werke, a . a . O . , S. 325. 206
über die Leitung und Verwaltung aller zur Reproduktion der Gesellschaft notwendigen Prozesse. Das Rätsel einer »politischen Gesellschaft«, das Marx mit seiner Kritik der Hegeischen Staatsphilosophie aufstellt, findet wenige Jahre später in der Parole einer Vergesellschaftung der Produktionsmittel sein lösendes Wort. Unter solchen Voraussetzungen soll dann Öffentlichkeit im Ernst auch verwirklichen können, was sie immer schon versprach - die Rationalisierung der politischen Herrschaft als einer Herrschaft von Menschen über Menschen. »Sind im Laufe der Entwicklung die Klassenunterschiede verschwunden und ist alle Produktion in den Händen der assoziierten Individuen konzentriert, so verliert die öffentliche Gewalt den politischen Charakter. Die politische Gewalt im eigentlichen Sinne ist die organisierte Gewalt einer Klasse zur Unterdrückung einer anderen.« Schon seine Untersuchung über Proucihons »Elend der Philosophie« hatte Marx mit dem Satz geschlossen, daß »nur bei einer Ordnung der Dinge, wo es keine Klassen und keinen Klassengegensatz gibt, die gesellschaftlichen Evolutionen aufhören, politische Revolutionen« zu sein. Mit der Auflösung der »politischen« Gewalt in »öffentliche« hat die liberale Idee einer politisch fungierenden Öffentlichkeit ihre sozialistische Formel gefunden. Engels hat sie bekanntlich, im Anschluß an ein Wort von St. Simon, so interpretiert, daß an die Stelle der Regierung über Personen die Verwaltung von Sachen und die Leitung von Produktionsprozessen treten werden.' Nicht die Autorität als solche wird verschwinden, wohl aber die politische; die verbleibenden und zum Teil sich neu bildenden öffentlichen Funktionen verwandeln ihren politischen Charakter in einen administrativen. Das ist aber nur möglich, wenn »die assoziierten Produzenten . . . ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden.« Marx gewinnt aus der immanenten Dialektik der bürgerlichen Öf125
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125 Ebenda. 126 Werke, a . a . O . , B d . IV, S. 182. 127 Engels, Anti-Dühring, Berlin 1954, S. 348. 128 M a r x , Das Kapital, Berlin 1 9 5 3 , B d . I I I , S. 873. 207
fentlichkeit die sozialistischen Konsequenzen eines Gegenmodells, in dem sich das klassische Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatsphäre eigentümlich verkehrt. Kritik und Kontrolle der Öffentlichkeit werden darin auf jenen Teil der bürgerlichen Privatsphäre ausgedehnt, der mit der Verfügung über die Produktionsmittel den Privatleuten eingeräumt war - auf den Bereich gesellschaftlich notwendiger Arbeit. Autonomie basiert, diesem neuen Modell zufolge, nicht länger auf privatem Eigentum; sie kann überhaupt nicht mehr in der Privatsphäre, sie muß in der Öffentlichkeit selbst begründet werden. Privatautonomie ist Derivat der originären Autonomie, die das Publikum der Gesellschaftsbürger in Ausübung der sozialistisch erweiterten Funktionen der Öffentlichkeit erst konstituiert. Die Privatleute werden eher Privatleute eines Publikums sein als das Publikum eines von Privatleuten. An Stelle der Identität von bourgeois und homme, der Privateigentümer mit den Menschen, tritt die von citoyen und homme; die Freiheit des Privatmannes bestimmt sich nach der Rolle der Menschen als Gesellschaftsbürger; nicht mehr bestimmt sich die Rolle des Staatsbürgers nach der Freiheit der Menschen als Privateigentümer. Denn die Öffentlichkeit vermittelt nicht mehr eine Gesellschaft von Privateigentümern zum Staat, vielmehr sichert das autonome Publikum durch die planmäßige Gestaltung eines in der Gesellschaft aufgehenden Staates sich als Privatleuten eine Sphäre persönlicher Freiheit, Freizeit und Freizügigkeit. Darin wird sich der informelle und intime Umgang der Menschen untereinander zum ersten Male als ein wirklich »privater« vom Zwang der gesellschaftlichen Arbeit, nach wie vor ein »Reich der Notwendigkeit«, emanzipiert haben. Beispiele für die neue Form derivierter Privatautonomie, die sich der primären Öffentlichkeit eines Publikums von Gesellschaftsbürgern verdankt, finden sich in einer von ökonomischen Funktionen gelösten Intimsphäre. Mit der Beseitigung des Privateigentums entfällt, wie Engels dem kommunistischen Manifest in seinen »Grundzügen des Kommunismus« vorausschickt, die alte Basis und die bisherige Funktion der Familie, zugleich die Abhängigkeit des Weibes vom Mann und des Kindes von den Eltern. Dadurch »wird das Verhältnis der beiden Geschlechter zu einem reinen Privatverhältnis, welches nur die beteiligten Parteien angeht und worin sich die Gesell208
schaft nicht zu mischen hat«. Ähnlich äußert sich Marx schon in der »Rheinischen Zeitung«: »Wäre die Ehe nicht die Basis der Familie, so wäre sie ebensowenig Gegenstand der Gesetzgebung, als es etwa die Freundschaft ist.« Beide halten erst dann ein Verhältnis als »privates« für realisiert, wenn es von rechtlicher Normierung überhaupt entlastet ist. 129
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§ 15 Die ambivalente Auffassung der Öffentlichkeit in der Theorie des Liberalismus (John Stuart Mill und Alexis de Tocqueville) Die Dialektik der bürgerlichen Öffentlichkeit hat sich nicht so vollendet, wie sie in den frühen sozialistischen Erwartungen antizipiert war. Die Ausdehnung der politischen Gleichheitsrechte auf alle sozialen Klassen gelang im Rahmen dieser Klassengesellschaft selbst. Die »erweiterte« Öffentlichkeit führte nicht grundsätzlich zur Aufhebung jener Basis, auf der das Publikum der Privateigentümer so etwas wie eine Herrschaft der öffentlichen Meinung zunächst angestrebt hatte. Andererseits behielt die Ideologiekritik an der Idee der bürgerlichen Öffentlichkeit so augenscheinlich recht, daß unter den veränderten sozialen Voraussetzungen der »öffentlichen Meinung« um die Jahrhundertmitte, als der ökonomische Liberalismus seinen Höhepunkt eben erreichte, dessen sozialphilosophische Repräsentanten genötigt sind, das Prinzip der bürgerlichen Öffentlichkeiten noch wo sie es feierten, fast schon zu verleugnen. Diese ambivalente Auffassung der Öffentlichkeit in der Theorie des Liberalismus gesteht sich zwar den strukturellen Konflikt der Gesellschaft, aus dem sie selbst resultiert, nicht ein; der sozialistischen Kritik ist aber die liberalistische Apologie in der anderen Hinsicht überlegen, daß sie fundamentale Voraussetzungen, die beiden, sowohl dem klassischen Modell der bürgerlichen Öffentlichkeit als auch seinem dialektisch entworfenen Gegenmodell, gemeinsam sind, überhaupt in Frage stellt. Die Idee der Rationalisierung politischer Herrschaft hatte das bür129 Engels, Grundsätze des Kommunismus, Werke, a. a . O . , B d . IV, S. 361 ff. 1 3 0 Werke, a . a . O . , B d . IV, S. 1 8 2 . 209
gerliche Bewußtsein des 18. Jahrhunderts im Rahmen der Geschichtsphilosophie entworfen; aus deren Perspektive konnten auch die gesellschaftlichen Voraussetzungen einer politisch fungierenden Öffentlichkeit in der Art einer »natürlichen Ordnung« konzipiert werden. Es sollte ja eine Naturbasis der Öffentlichkeit geben können, die grundsätzlich einen autonomen und im Prinzip harmonischen Ablauf gesellschaftlicher Reproduktion garantiert. Entsprechend wäre öffentliche Meinung einerseits von strukturellen Gegensätzen entlastet; andererseits würde sie in dem Maße, in dem sie die immanenten Bewegungsgesetze der Gesellschaft erkennt und ihnen Rechnung trägt, nach verbindlichen Maßstäben entscheiden können, welche Regelungen im allgemeinen Interesse praktisch notwendig sind. Solche Umstände vorausgesetzt, bedürfte es keiner Willensbildung im Hinblick auf detaillierte Dispositionen, sondern nur der Wahrheitsfindung im Prinzipiellen. Jenes Modell einer politisch fungierenden Öffentlichkeit, das die Konvergenz der öffentlichen Meinung mit Vernunft prätendiert, unterstellt es als objektiv möglich, durch natürliche Ordnung oder, was auf dasselbe hinauskommt, durch eine strenge am Allgemeininteresse orientierte Organisation der Gesellschaft, Interessenkonflikte und bürokratische Dezisionen auf ein Minimum herabzusetzen und, soweit diese sich doch nicht ganz vermeiden lassen, zuverlässigen Kriterien der öffentlichen Beurteilung zu unterwerfen. - Während nun die Sozialisten der Idee der bürgerlichen Öffentlichkeit nachweisen, daß ihre Basis diesen Voraussetzungen nicht genügt und, um ihnen zu genügen, auf eine andere Basis gestellt werden muß, nehmen die Liberalen die Erscheinungen des gleichen Widerspruchs zum Anlaß, die Voraussetzungen einer Naturbasis, auf denen die Idee der politisch fungierenden Öffentlichkeit überhaupt beruht, selber in Zweifel zu ziehen - um dann allerdings der Konservierung einer relativierten Gestalt bürgerlicher Öffentlichkeit desto entschiedener das Wort zu reden. Mit dem Liberalismus verliert deshalb das bürgerliche Selbstverständnis der Öffentlichkeit die Form der Geschichtsphilosophie zugunsten eines Common-sense-Meliorismus - es wird »realistisch«. 131
1 3 1 H . Resting, Geschichtsphilosophie und Weltbürgerkrieg, Heidelberg S. 24 ff. und S. 2 1 9 ff. 210
1959,
Selbst die äußere Erscheinung der Öffentlichkeit, aus der ihre Idee immer noch eine gewisse Evidenz bezogen haben mochte, hatte sich mit der Chartistenbewegung in England, mit der Februarrevolution auf dem Kontinent gründlich verändert. Bis dahin konnte das Publikum, obschon es faktisch in die kommunal überschaubare, hierarchisch gestufte Repräsentation der sozialen Ränge mehr oder minder fest eingefügt war, dennoch als Publikum freier Individuen interpretiert werden. Der Umgang vollzog sich im Medium der vom Adel rezipierten und zugleich bürgerlich variierten »Gesellschaft« nach intakten Regeln der Ebenbürtigkeit und Offenheit, nach dem Kodex des Selbstschutzes und der Gefälligkeit. Die Bereitschaft, die vorgegebenen Rollen wechselseitig zu akzeptieren und gleichzeitig zu irrealisieren, gründete im berechtigten Vertrauen darauf, daß innerhalb des Publikums, unter Voraussetzung des ihm gemeinsamen Klasseninteresses, Freund-Feind-Verhältnisse tatsächlich ausgeschlossen waren. Und eine gewisse Vernünftigkeit sprach bereits aus den räsonablen Formen der öffentlichen Diskussion ebenso wie aus der Konvergenz der Meinungen in den Maßstäben der Kritik und dem Ziel der Polemik. Allein, die reflektierenden Zeitgenossen der entfalteten bürgerlichen Öffentlichkeit mußten beobachten, wie dieser Schleier zerriß; das Publikum erweitert sich, zunächst informell, durch Verbreitung von Presse und Propaganda; mit seiner sozialen Exklusivität verliert es auch den Zusammenhang durch die Institute des geselligen Verkehrs und einen verhältnismäßig hohen Standard der Bildung. Die bislang in die Privatsphäre abgedrängten Konflikte stoßen jetzt in die Öffentlichkeit vor; Gruppenbedürfnisse, die von einem sich selbst regulierenden Markt keine Befriedigung erwarten können, tendieren zu einer Regulation von sehen des Staates; die Öffentlichkeit, die diese Forderungen jetzt vermitteln muß, wird zum Feld der Interessenkonkurrenz in den vergröberten Formen gewaltsamer Auseinandersetzung. Gesetze, die unter dem »Druck der Straße« zustande kommen, lassen sich schwerlich noch aus dem räsonablen Konsensus der öffentlich diskutierenden Privatleute verstehen; sie entsprechen mehr oder minder unverhohlen dem Kompromiß konkurrierender Privatinteressen. In dieser Lage beobachtet Mill, wie die handarbeitende Bevölke21 1
rung, wie (in den USA) Frauen und Farbige auf Gewährung des allgemeinen Wahlrechts dringen. Ausdrücklich billigt er alle Bewegungen, die sich gegen die Aristokratie des Geldes, des Geschlechts und der Farbe, gegen die Minoritätendemokratie der Warenbesitzer, die Plutokratie des großen Bürgertums empören. Auch Tocqueville bescfrwört als oppositioneller Abgeordneter in der Nationalversammlung wenige Tage vor der Februarrevolution, die er präzise voraussagt, die Regierung, nach und nach auch das Volk in den Kreis der Wahlberechtigten aufzunehmen. »Vielleicht hat es zu keiner Zeit und in keinem Lande, mit Ausnahme der Assemblee Nationale, ein Parlament gegeben, das vielseitigere und glänzendere Talente aufzuweisen hatte als unseres heute. Indessen beachtet die Nation zu ihrem größten Teil kaum, was vor sich geht, und hört fast nichts von dem, was auf der öffentlichen Bühne über ihre Angelegenheiten gesprochen wird; und die handelnden Personen selbst, die dort auftreten, mehr mit dem beschäftigt, was sie verbergen, als mit dem, was sie zeigen, scheinen ihre Rolle nicht allzu ernst zu nehmen. Tatsächlich spielt sich das öffentliche Leben nur noch da ab, wo es nicht hingehört, und es hat aufgehört zu existieren, wo man nach dem Gesetz erwartet, ihm zu begegnen. Woher kommt das? Es kommt daher, daß die Gesetze die Aus132
1 3 2 Im Zusammenhang mit Fragen der Frauenemanzipation heißt es sogar, Werke, ed. Wessel, Leipzig 1 8 7 5 , B d . 1 2 , S. 5 f.: »In allen Dingen sollte die Voraussetzung zugunsten der Gleichheit sein. Es muß erst ein G r u n d dafür angegeben werden, warum ein Ding einer Person erlaubt und der anderen untersagt sein soll. A b e r wenn die Ausschließung sich fast auf alles erstreckt, was diejenigen, die nicht von ihr betroffen sind, am höchsten schätzen und dessen Entziehung sie als die größte Beleidigung empfinden, wenn nicht nur die politische Freiheit, sondern auch die persönliche Freiheit des Handelns das Vorrecht einer Kaste ist, wenn selbst in der Erwerbstätigkeit fast alle Beschäftigungen, welche die höheren Fähigkeiten auf irgendeinem wichtigen Gebiete in Anspruch nehmen, welche zu Auszeichnung, Reichtum oder auch nur zu materieller Unabhängigkeit führen, als das ausschließliche Eigentum der herrschenden Klasse allseitig u m friedet gehalten werden, während der abhängigen Klasse beinahe keine anderen Türen offen bleiben als solche, denen alle, welche anderswo eintreten können, verächtlich den Rücken kehren; dann sind die armseligen Zweckmäßigkeitsgründe, welche als Entschuldigung für eine so ungeheuerlich parteiische Verteilung vorgebracht werden, selbst wenn sie nicht völlig unhaltbar wären, nicht imstande, ihr den Charakter einer schreienden Ungerechtigkeit zu nehmen.« 212
Übung aller politischen Rechte auf eine einzige Klasse beschränkt haben . . . « Die Wettbewerbsordnung kommt nicht mehr mit ausreichender Glaubwürdigkeit ihrem Versprechen nach, daß sie mit dem vorgeblich chancengleichen Erwerb privaten Eigentums auch den Zugang zur politischen Öffentlichkeit freihält. Deren Prinzip verlangt statt dessen die Zulassung der handarbeitenden Klassen, der besitzlosen und ununterrichteten Massen unmittelbar - eben durch Ausdehnung der politischen Gleichheitsrechte. Wahlrechtsreform ist das Thema des 19. Jahrhunderts: die Erweiterung des Publikums und nicht mehr, wie im 18. Jahrhundert, das Prinzip der Publizität als solches. Die Selbstthematisierung der öffentlichen Meinung entfällt im gleichen Maße, wie sich ihr mit der Arkanpraxis der Kabinette das fest umschriebene polemische Ziel entzieht und sie selbst gewissermaßen diffus wird. Die Einheit der öffentlichen Meinung und ihre Eindeutigkeit ist nicht länger durch den gemeinsamen Gegner garantiert. Liberale wie Mill und Tocqueville werten den Vorgang, den sie um des Prinzips der Öffentlichkeit willen bejahen, in seinen Auswirkungen um desselben Prinzips willen auch wiederum ab. Denn die unversöhnten Interessen, die mit der Erweiterung des Publikums in die Sphäre der Öffentlichkeit einströmen, verschaffen sich in einer aufgespalteten öffentlichen Meinung ihre Repräsentation und machen die öffentliche Meinung, in Gestalt der jeweils herrschenden Meinung, zu einer Zwangsgewalt, obschon sie einmal jede Art von Zwang in einzig den der zwingenden Einsicht auflösen sollte. So beklagt Mill geradezu das »Joch der öffentlichen Meinung«, die »moralischen Zwangsmittel der öffentlichen Meinung«; und sein großes Plädoyer »On Liberty» richtet sich bereits gegen die Gewalt der Öffentlichkeit, die bis dahin als Garantie der Vernunft gegen Gewalt überhaupt gegolten hatte. Es zeige sich »in der Gesamtheit eine wachsende Neigung, die Gewalt der Gesellschaft durch die Macht der öffentlichen Meinung ins Ungehörige auszudehnen«. Herrschaft der öffentlichen Meinung erscheint als die Herrschaft der Vielen und der Mittelmäßigen: »Im Staatsleben klingt es wie ein Gemeinplatz, daß die öffentliche Meinung die Welt regiert. Die einzige Gewalt, die hier 133
133 Ich zitiere nach der ausgezeichnet ausgewählten Ausgabe von Landshut: Tocqueville, Das Zeitalter der Gleichheit,*Stuttgart 1954, S. 248 f. 213
noch den Namen verdient, ist die der Massen und der Regierungen, so lange sie sich zum Werkzeuge der Bestrebungen und Neigungen der Massen machen . . . Und was noch eine bedeutungsvollere Neuerung ist, die Masse schöpft ihre Meinungen gegenwärtig nicht durch Würdenträger der Kirche oder des Staats, aus Führern oder Schriften, die über das Gewöhnliche hervorragen. Für ihre Denkarbeit sorgen Männer von so ziemlich demselben Schlage, die unter dem Antrieb des Augenblicks durch die Zeitungen zu ihnen reden.« Auch Tocqueville betrachtet öffentliche Meinung eher als Zwang zur Konformität denn als eine Kraft der Kritik: »In dem Maße, in dem die Bürger sich einander angleichen und ähnlicher werden, verringert sich bei jedem die Neigung, einem bestimmten Menschen oder einer bestimmten Klasse blindlings Glauben zu schenken. Die Geneigtheit zum Glauben an die Masse nimmt zu, und immer mehr ist es die öffentliche Meinung, die die Welt regiert . . . Die Öffentlichkeit besitzt also bei den demokratischen Völkern eine einzigartige Macht. Sie überzeugt nicht von ihren Anschauungen, sie zwingt sie auf und prägt sie den Gemütern durch einen gewaltigen geistigen Druck aller auf den Verstand des einzelnen ein. In den Vereinigten Staaten übernimmt die Mehrheit die Aufgabe, den einzelnen eine Menge fertiger Meinungen vorzusetzen, und enthebt ihn damit der Verpflichtung, sich selbst eine eigene zu bilden. So gibt es in philosophischen, sittlichen oder politischen Fragen eine große Zahl von Theorien, die jeder im Vertrauen auf die Öffentlichkeit unbesehen übernimmt.« Wie Mill dünkt es auch Tocqueville an der Zeit zu sein, die öffentliche Meinung als eine Macht zu betrachten, die bestenfalls als Gewaltenschranke dienen kann, vor allem aber selbst wirksamer Beschränkung unterworfen werden muß: »Wenn ein Mensch oder eine Partei in den Vereinigten Staaten unter einer Ungerechtigkeit leidet, an wen sollen sie sich wenden? An die öffentliche Meinung? Sie ist es ja, die die Mehrheit bildet; an die gesetzgebende Körperschaft? Sie vertritt die Mehrheit und gehorcht blind; an die Exekutive? Sie wird von der Mehrheit ernannt . . . ; an die öffentliche Ordnung? Sie ist nichts anderes als die Mehr134
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134 Mill, Ü b e r die Freiheit, ed. Pickford, Frankfurt 1860, S . 9 2 F 135 Tocqueville, a . a . O . , S. 263f.
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heit unter Waffen; an die Geschworenen? Das Geschworenen k o 11 e gium ist die Mehrheit ., , « Es ist die gleiche Fragestellung, von der aus sich für Mill das alte Problem der Freiheit des Gedankens und der Rede anders darstellt, als es bis dahin im Kampf des Publikums mit der Obrigkeit seit Miltons berühmter Rede Areopagitica immer sich dargestellt hatte. Wo anstelle der fürstlichen Gewalt die, wie es scheint, nicht minder willkürliche der Öffentlichkeit selbst getreten ist, trifft der Vorwurf der Unduldsamkeit nun die zur herrschenden Meinung gewordene öffentliche. Die Forderung nach Toleranz wendet sich an diese, nicht an die Zensoren, die sie einst unterdrückten; und das Recht der freien Meinungsäußerung soll nicht länger das kritische Räsonnement des Publikums vor dem Zugriff der Polizei schützen, sondern vor dem Zugriff des Publikums selber die Nonkonformisten: »In unserem Zeitalter ist schon das Beispiel der Nicht-Ubereinstimmung . . . eine verdienstliche Leistung. Gerade, weil die Gewaltherrschaft der (öffentlichen) Meinung so gewachsen ist, daß das Außergewöhnliche zum Vorwurf wird, ist es erwünscht, daß, um diese Gewaltherrschaft zu brechen, dies Außergewöhnliche häufiger werde.« Mill entwickelt für die in der Öffentlichkeit streitenden Meinungen einen Begriff der Toleranz nach Analogie des Religionsstreites. Das räsonierende Publikum kann zu einer vernünftigen Meinung gar nicht mehr gelangen, weil »nur die Verschiedenheit der Meinungen in dem gegebenen Zustand des menschlichen Verstandes allen Seiten der Wahrheit eine Aussicht auf ehrliches Spiel gewährt«. Die Resignation vor der rationalen Unauflösbarkeit der in der Öffentlichkeit konkurrierenden Interessen ist in einer perspektivistischen Erkenntnistheorie verkleidet: weil die partikularen Interessen am Allgemeinen gar nicht mehr gemessen werden, behalten die Meinungen, in die sie sich ideologisch umsetzen, einen irreduziblen Glaubenskern. Nicht nach Kritik, sondern nach Toleranz verlangt Mill, weil die dogmatischen Restbestände wohl unterdrückt, nicht aber auf den gemeinsamen Nenner der Vernunft gebracht werden können. Der Einheit der Ver136
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136 E b d . S. 44. 137 Mill, a . a . O . , S.94. 138 E b d . S.66. 215
nunft und der öffentlichen Meinung fehlt die objektive Bürgschaft einer gesellschaftlich verwirklichten Konkordanz der Interessen, der rationalen Erweis barkeit eines allgemeinen Interesses überhaupt. Bentham hatte noch die Majorität als Kriterium dafür benennen können, ob eine Entscheidung im allgemeinen Interesse gefällt worden sei. Mill kann hingegen, auf Grund seiner Erfahrungen mit der Chartistenbewegung, darauf hinweisen, daß die Majorität des erweiterten Publikums nicht mehr aus Privateigentümern besteht, sondern aus Proletariern, »die alle dieselbe gesellschaftliche Stellung einnehmen und in der Hauptsache derselben Berufsklasse angehören, nämlich aus gewöhnlichen Handarbeitern. Wir sprechen damit keinen Vorwurf aus; alles was wir zuungunsten einer solchen Majorität sagen, würde ebensosehr für eine aus Gewerbsleuten oder Gutsbesitzern bestehende numerische Majorität gelten. Wo eine Identität der Stellung und der Berufstätigkeit stattfindet, wird sich auch eine Identität der Neigungen, Leidenschaften und Vorurteile herausstellen; und eine dieser Klassen mit absoluter Macht ausstatten, ohne ihr in Neigungen, Leidenschaften und Vorurteilen anderer Art ein Gegengewicht zu geben, heißt nichts anderes, als den sichersten Weg einschlagen, um jede Aussicht auf Verbesserung zu vernichten . . . « Die öffentliche Meinung wird zu einer Macht unter anderen Mächten. Mill kann darum nicht glauben, »daß Bentham seine großen Gaben in der nützlichsten Weise verwertete, als er nicht nur vermittels des allgemeinen Stimmrechts die Majorität ohne König oder Oberhaus auf den Thron heben wollte, sondern auch alle Hilfsmittel seines Scharfsinns erschöpfte, um mit allen nur erdenklichen Mitteln das Joch der öffentlichen Meinung immer enger um den Hals aller öffentlichen Beamten zu schmieden . . . Sicherlich hat man doch genug für eine Macht getan, wenn man sie zur stärksten macht; von da ab muß man eher dafür Sorge tragen, daß diese stärkste Macht nicht alle anderen verschlinge«. Die politisch fungierende Öffentlichkeit steht nicht länger unter der Idee einer Auflösung der Macht, sie soll vielmehr deren Aufteilung dienen; öffentliche Meinung wird zur bloßen Gewaltenschranke. Den Ursprung dieser Umdeutung verrät Mills Geständnis: von da 139
139 Mill, Werke, a . a . O . , B d . X , S. 176. 216
ab müsse man Sorge tragen, daß die Macht der öffentlichen Meinung nicht alle Macht überhaupt verschlinge. Die liberalistische Interpretation des bürgerlichen Rechtsstaates ist re-aktionär: sie reagiert auf die Kraft der anfänglich in dessen Institutionen mit aufgenommenen Idee der Selbstbestimmung eines räsonierenden Publikums, sobald dieses von den besitzlosen und ungebildeten Massen unterwandert wird. Weit entfernt, von Anbeginn sogenannte demokratische neben ursprünglich liberalen Momenten, also heterogene Motive vereinigt zu haben, wird der bürgerliche Rechtsstaat erst vom Liberalismus unter diesem dualistischen Aspekt gedeutet. Mill wendet sich gegen eine Idee der Öffentlichkeit, der zufolge es wünschenswert sei, »wenn die Vielen alle politischen Fragen vor ihr eigenes Tribunal ziehen und nach ihrem eigenen Ermessen entscheiden, weil unter solchen Umständen die Philosophen genötigt sein werden, die Menge aufzuklären und dahin zu bringen, daß sie ihre tiefere Auffassung der Dinge würdigen lernt«. Er hält vielmehr dafür, »daß politische Fragen nicht durch eine direkte oder indirekte Berufung an die Einsicht oder den Willen einer ununterrichteten Menge entschieden werden sollen, sondern nur durch die nach gehöriger Überlegung gebildeten Ansichten einer verhältnismäßig kleinen Zahl speziell für diese Aufgabe erzogener Personen.« - Tocqueville teilt Mills Auffassung vom »Representative Government«: die von den Leidenschaften der Masse bestimmte öffentliche Meinung bedarf der Reinigung durch die maßgebenden Einsichten materiell unabhängiger Bürger; die Presse, obschon ein wichtiges Instrument der Aufklärung, genüge dazu nicht. Die politische Repräsentation muß freilich auf einer sozialen Hierarchie aufruhen; Tocqueville erinnert an die pouvoirs intermediaires, die korporativen Gewalten der vorbürgerlichen, ständisch gegliederten Gesellschaft, an die Familien und Personen, die durch Geburt, Bildung und Reichtum, vor allem durch Grundbesitz und damit verbundene Privilegien »hervorragten und zum 140
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140 Dazu vgl. zuletzt E . Fraenkel, Die repräsentative und die plebiszitäre K o m p o nente im demokratischen Verfassungsstaat, »Recht und Staat«, Heft 2 1 9 / 2 0 , Tübingen 1958. 1 4 1 E b d . S. 2 5 1 . 142 E b d . S. 247. 217
Befehlen bestimmt zu sein schienen«. Es bleibt ihm bewußt, daß sich eine neue Aristokratie nicht einfach aus dem Boden der bürgerlichen Gesellschaft stampfen läßt, »aber mir scheint, daß die einfachen Bürger, indem sie sich vereinigen, in der Lage sind, sehr wohlhabende, sehr einflußreiche, sehr starke Gebilde zu schaffen, mit einem Wort: aristokratische Personen . . . Eine politische, industrielle, kommerzielle und selbst eine wissenschaftliche oder literarische Vereinigung ist ein gebildeter und mächtiger Bürger, der sich weder nach Belieben zwingen noch im Verborgenen unterdrücken läßt«. Gebildete und mächtige Bürger sollen in Ermangelung einer geborenen Aristokratie das Elitepublikum bilden, dessen Räsonnement die öffentliche Meinung bestimmt. Gegen eine öffentliche Meinung, die, wie es scheint, aus einem Instrument der Befreiung zu einer Instanz der Unterdrückung pervertiert worden ist, kann der Liberalismus, seiner eigenen ratio zufolge, nur wieder Öffentlichkeit der Meinung selbst aufbieten. Allerdings bedarf es nun der restriktiven Veranstaltung, um einer in die Minderheit geratenen öffentlichen Meinung gegenüber den herrschenden Meinungen den Einfluß zu sichern, den sie per se nicht mehr zu entfalten vermag. Um das Prinzip der Öffentlichkeit noch gegen die Gewaltherrschaft einer verdunkelten öffentlichen Meinung selbst zu behaupten, soll sie mit Momenten der repräsentativen Öffentlichkeit so weit angereichert werden, daß sich ein esoterisches Publikum der Repräsentanten bilden kann. Ihm gegenüber hätte sich das Publikum, das sich bloß repräsentieren lassen kann, darauf zu beschränken, daß es »in der Regel mehr den Charakter und die Talente der Person, welche es beruft, diese Fragen statt seiner zu entscheiden, als die Fragen selbst zum Gegensatz seiner Beurteilung macht«. Diesen Satz schreibt Mill nur vier Jahre nach jenem Wahlaufruf, in dem die Whigs ihre Wähler an die strenge Intention der politisch fungierenden Öffentlichkeit gemahnt hatte: remember that you are now fighting for things, not men! Nur zu leicht wird das pro und contra von Argument und Gegenargument durch den Mechanismus der Personalisierung ver143
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143 Tocqueville, a . a . O . , S. 65. Vgl. auch: S. 67, 76, 81. 144 E b d . S. 105 h 145 Mill, Werke, a . a . O . , B d . X , S. 249. 218
drängt, stellen sich objektive Verhältnisse in biographischer Verkleidung dar. Mill findet sich mit der Sozialpsychologie des Massenpublikums ab und verlangt eine buchstäblich deklassierte, eine repräsentativ abgestufte Öffentlichkeit. Tocqueville, der seiner Herkunft nach eher ein Frondeur gegen den monarchischen Absolutismus des 18. Jahrhunderts als ein Liberaler des 19. Jahrhunderts und darum doch auch für den Liberalismus wiederum wie geschaffen ist, beklagt die Vernichtung der alten pouvoirs intermediaires und fordert die Schaffung neuer Zwischengewalten, um die öffentliche Meinung wirksam in die Teilung und Verschränkung der Gewalten einzubeziehen; Mill gab ihm darum ja den Namen eines »Montesquieu unseres Zeitalters«. Das Bürgertum, nicht mehr liberal, zum Liberalismus sich bekehrend, greift auf die Sicherheiten vorbürgerlicher Einrichtungen zurück: auf jene Abwehrrechte ständischer Freiheiten, die sich von den Freiheiten bürgerlicher Menschenrechte in ihrem Wesen unterscheiden. 146
146 Vgl. die Beobachtung des konservativen Staatsrechtlers Friedrich Julius Stahl (Die gegenwärtigen Parteien in Staat und Kirche, Berlin 1863, S. 73): »Die liberale Partei behauptet den Gedanken der Gleichheit gegen den Adel, gegen alle Stände als solche, weil sie nach der Basis der Revolution keine organische Gliederung zugeben kann. Allein, soll die Gleichheit positiv durchgeführt werden, soll die Klasse der Besitzlosen dieselben Rechte mit ihr erhalten, dann gibt sie den Gedanken auf und macht politisch rechtliche Unterschiede zugunsten der Vermöglichen. Sie will Zensus für die Repräsentation, Kautionen für die Presse, läßt nur die Fashionablen in den Salon kommen, gewährt dem Armen nicht die Ehre und die Höflichkeiten wie dem Reichen. Diese Halbdurchführung der Prinzipien der Revolution ist es, was die Parteistellung der Liberalen charakterisiert.« Freilich trifft das spezifisch die deutschen Verhältnisse. Z w a r hat auch im Deutschland des Vormärz eine kühnere liberale Theorie der schmächtigen konstitutionellen Praxis die klassische Idee der Öffentlichkeit vorgezeichnet: »Vollständige Öffentlichkeit besteht also darin«, so Welckers programmatische Definition (Staatslexikon oder Enzyklopädie der Staatswissenschaften,
15 Bde.,
1 8 3 4 - 1 8 4 8 , 1 5 . Auflage, 1 8 5 5 ; Artikel: Öffentlichkeit und öffentliche M e i nung), »daß alle Staatsangelegenheiten als den ganzen Staat und allen seinen Bürgern gemeinschaftlich angesehen, mithin durch möglichste Zulassung ihres Zusehens und Zuhörens, durch öffentliche Darlegung und durch Freiheit aller Organe der öffentlichen Meinung zugänglich gemacht werden.« Und Niebuhr hält streng auf die Konvergenz von öffentlicher Meinung und Vernunft: »Die öffentliche Meinung ist die, welche in den von den persönlichen Einwirkungen, welche die Machthaber irreleiten können, unangefochtenen Gemütern von 219
selbst und bei aller Verschiedenheit der Individualität und der vielfachsten Verhältnisse übereinstimmend entsteht; und wenn sie in der Tat ein allgemein ausgesprochenes und nicht nachgesprochenes Urteil ist, für eine Repräsentation der allgemeinen Vernunft und Wahrheit, für eine Stimme Gottes gelten kann.« Bluntschli jedoch zitiert diesen Satz nur (Bluntschlis Staatswörterbuch in drei Bänden, ed. Löhning, Zürich 1 8 7 1 , Artikel: Öffentliche Meinung), um demgegenüber die Parole eines national adaptierten Liberalismus auszugeben: »Es ist eine radikale Übertreibung, wenn die öffentliche Meinung für untrüglich erklärt und geradezu ihr die Herrschaft von Rechts wegen zugeschrieben wird. Die Männer, welche eine tiefere Einsicht haben auch in das politische Leben und seine Bedürfnisse, sind in allen Zeiten nicht zahlreich, und es ist sehr ungewiß, ob es ihnen gelingt, ihre Meinung zur öffentlichen Meinung auszubreiten. Die Minderheit der Wissenden und der Weisen stimmt keineswegs immer mit der großen Mehrheit der Mittelklassen überein. Das gemeine Urteil auch der gebildeten Klassen wird fast immer oberflächlich sein. Es ist nicht möglich, daß sie alle Umstände kennen und alle Gründe aufgedeckt haben, von denen der E n t scheid in wichtigen Dingen abhängt. Die öffentliche Meinung kann von m o mentanen Leidenschaften der Menge getrübt, sie kann sogar künstlich irregeleitet werden. Ein einziges bedeutendes Individuum kann richtig sehen, wo alle Welt ringsumher falsch sieht.« ( a . a . O . , B d . I I , S. 745f.) Indem Bluntschli die öffentliche Meinung definitiv einer unter mehreren Klassen zuordnet (»sie ist die Meinung vornehmlich der großen Mittelklasse«), bricht er mit dem Prinzip der Öffentlichkeit, nämlich der allgemeinen Zugänglichkeit jenes Bereichs, in dem rational über das im allgemeinen Interesse praktisch Notwendige befunden werden soll; er stuft sie, indem er ihr im Rahmen einer naturgegebenen Klassengesellschaft soziologisch den Ort anweist, als Ideologie ein, ohne sie als solche noch zu kritisieren. Die Klasse der Handarbeiter hat sich, seiner Meinung nach, vom politischen Leben füglich zurückzuhalten: »In der Tat, auf dem Gegensatze der Kopf- und Handarbeit, der geistigen und der leiblichen Tätigkeit beruht der Unterschied, der auch für die Organisation des Staates und für dessen politisches Leben von großer Bedeutung ist . . . Für die liberalen Berufe des dritten Standes ist eine höhere Bildung ein unerläßliches Erfordernis, und gewöhnlich haben daher auch nur diese Personen die Fähigkeit und die M u ß e , für den Staat geistig zu arbeiten. D e n großen, mehr mit der materiellen Bebauung des Bodens, mit dem Handwerk, dem Kleinhandel, der Fabrikarbeit beschäftigten Klassen fehlt es dagegen durchweg an der nötigen Bildung und an der M u ß e , um sich den Staatsgeschäften zu widmen.« ( a . a . O . , B d . I I I , S. 879.) A b e r auch das Bürgertum übt nicht etwa die politischen Funktionen einer, dem Volke verschlossenen, Restöffentlichkeit aus; vielmehr hat sich öffentliche Meinung auf Kritik und Kontrolle einer Obrigkeit zu beschränken, die von vornherein dem Monarchen, gestützt auf den grundbesitzenden Adel, zusteht. »Die Aristokratie ist von N a t u r geneigt, sich mit der Monarchie in die Gewalt zu teilen, der dritte Stand ist von Haus aus geneigt, Kritik und Kontrolle zu üben.« (Ebd. S. 881) Auf der Basis eines Klassenkompromisses zwischen der Bourgeoisie und 220
Über Mill geht allerdings Tocqueville insofern hinaus, als sich seine Analyse der Öffentlichkeit nicht nur auf die »Gewaltherrschaft der öffentlichen Meinung«, sondern auch auf eine komplementäre Erscheinung bezieht, nämlich auf den Despotismus eines im wachsenden Maße bürokratisierten Staates. In der Perspektive der ständischen Opposition gegen das Ancien Regime geübt, beobachtet Tocqueville mit großer Besorgnis die Tendenz, die er »Zentralisierung der Regie run gs gew alt« nennt. Tatsächlich wurde die starke Staatsgewalt, die der Merkantilismus vergeblich angestrebt hatte, vom liberalen 19. Jahrhundert hervorgebracht; in England wird bekanntlich jetzt erst mit dem Civil Service eine moderne Zentralverwaltung geschaffen. Tocqueville demonstriert die Entmündigung des Bürgers am Beispiel der USA: »Über ihnen allen erhebt sich eine ungeheure Vormundschaftsgewalt, die allein sich damit befaßt, ihre Annehmlichkeiten zu sichern und über ihr Ergehen zu wachen. Sie ist absolut, ins einzelne gehend, regelmäßig, vorausschauend und milde. Sie wäre der väterlichen Gewalt zu vergleichen, wenn wie bei dieser das Ziel die Erziehung zum erwachsenen Menschen wäre; aber sie sucht im Gegenteil, den Menschen unabänderlich im Zustand der Kindheit zu halten. Sie sieht es gern, wenn die Bürger es sich gut gehen lassen, vorausgesetzt, daß sie an nichts anderes denken. Sie arbeitet gern für ihr Wohlergehen; aber sie will allein dafür tätig sein und allein darüber befinden. Sie sorgt für ihre Sicherheit, sieht ihre Bedürfnisse voraus und sichert sie, fördert ihre Vergnügungen, führt ihre wichtigsten Angelegenheiten, leitet ihre Arbeit, den in Deutschland politisch immer noch maßgebenden feudalen Gewalten wird nicht nur der Zugang zur Öffentlichkeit ein Privileg, auch diese selbst versteht sich nicht mehr als Sphäre, in der der Staat durch das Räsonnement eines Publikums von Privatleuten zur Gesellschaft vermittelt, Obrigkeit in ihrer herrschaftlichen Substanz aufgelöst wird; »Es ist nicht wahr, daß die öffentliche Meinung herrsche, da sie weder herrschen kann noch herrschen will. Sie überläßt die Regierung den damit betrauten Organen. Sie ist keine schöpferische, sondern zunächst eine kontrollierende Macht.« ( a . a . O . , B d . I I , S. 747.) Den Zusammenhang dieser verformten liberalen Ideologie mit dem spezifischen Verhältnis von Staat und Gesellschaft in Preußen-Deutschland während des 19. Jahrhunderts analysiert T h . Sc hied er, Das Verhältnis von politischer und gesellschaftlicher Verfassung und die Kritik des bürgerlichen Liberalismus, in: Historische Zeitschrift, B d . 177, 1954, S. 49-74. 221
regelt ihre Nachfolge, verteilt ihre Erbschaften; könnte sie ihnen nicht völlig die Last zu denken und die Mühe zu leben abnehmen?« Auch der Sozialismus erscheint Tocqueville nur als eine Verlängerung dieser Tendenzen, die schließlich den Steuerstaat zugunsten einer Staatswirtschaft liquidieren und den Schrecken der verwalteten Welt etablieren würden. 1848 tritt er darum, nun Minister im Revolutionskabinett, der Forderung, das Recht auf Arbeit in der Verfassung zu sichern, mit dem Argument entgegen, daß dadurch der Staat auf die Dauer zum einzigen industriellen Unternehmer werden müsse: »Wenn es erst einmal so weit ist, dann ist die Steuer nicht mehr ein Mittel, die Regierungsmaschinerie in Gang zu bringen, sondern das Hauptmittel zur Förderung der Industrie. Indem er auf diese Weise alles Kapital der einzelnen Bürger bei sich anhäuft, wird der Staat schließlich zum einzigen Eigentümer aller Dinge. Das aber ist der Kommunismus .. . « Zur gleichen Zeit war die Revolutionstheorie des Kommunistischen Manifestes selbst noch auf die eingeschränkte Staatsgewalt des Liberalismus berechnet. Erst einige Jahre später, zunächst in der Schrift über den Staatsstreich des Dritten Napoleon (18 52), kommen Marx angesichts einer Erscheinung Bedenken, der er den gleichen Namen gibt wie vor ihm Tocqueville: »Zentralisation der Regierungsgewalt« . In der Adresse des Generalrats an der Pariser Kommune zeigt er sich bereits so betroffen von der Wucht der Staatsmacht - »mit ihren allgegenwärtigen Organen, stehender Armee, Polizei, Bürokratie, Geistlichkeit, Richterstand, Organe, geschaffen nach dem Plan einer systematischen und hierarchischen Teilung der Arbeit« - , daß er den Sozialismus, die Uberführung der politischen in öffentliche Gewalt, nunmehr für möglich hält, wenn die Arbeiterklasse »nicht die fertige Staatsmaschinerie einfach in Besitz nimmt«. Vielmehr soll die bürokratisch-militärische Maschinerie zerbrochen werden - ein Satz, den Marx 1871 an Kugelmann schreibt, und dessen Exegese Lenin bekanntlich sein wich147
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147 Tocqueville, a . a . O . , S.98. 148 E b d . S. 260. 149 M a r x , D e r 18. Brumaire, a . a . O . , S. n 6 f . 150 M a r x , D e r Bürgerkrieg in Frankreich, Berlin 1 9 5 2 , S. 65. 1 5 1 Ebenda. 222
tigstes Buch widmet, bevor er selbst den »zerbrochenen« Staatsapparat des Zaren durch den ungleich mächtigeren des Zentralkomitees zu ersetzen ökonomisch wie technisch sich genötigt sieht. In der Kritik des Gothaer Programms faßt Marx die sozialistische Idee der politisch fungierenden Öffentlichkeit noch einmal in der suggestiven Metapher vom Absterben des Staates zusammen; ihrer Verwirklichung muß das »Zerbrechen der bürokratischen Staatsmaschinerie« vorangehen. Die liberalistische Warnung v o i der Zentralisation der Regierungsgewalt gemahnt die Sozialisten an die problematische Voraussetzung, die ihre eigene Idee mit der der bürgerlichen Öffentlichkeit teilt: eine »natürliche Ordnung« der gesellschaftlichen Reproduktion. Beim Entwurf der Kommune-Verfassung, Vorwegnahme der Ablösung des bürgerlichen Parlamentarismus durch ein Räte-System, steht die Überzeugung im Hintergrund, daß die ihres politischen Charakters entkleidete öffentliche Gewalt, die Verwaltung von Sachen und die Leitung von Produktionsprozessen sich nach den einmal entschlüsselten Gesetzen der politischen Ökonomie ohne ausgedehnte Kontroversen regeln lassen müßte. Unausdrücklich stellt sich noch für Marx die sozialistisch emanzipierte öffentliche Meinung, wie einst den Physiokraten, als Einsicht in den ordre naturel dar. In den auf die Blütezeit des Liberalismus folgenden hundert Jahren eines allmählich sich »organisierenden« Kapitalismus löst sich das ursprüngliche Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatsphäre tatsächlich auf; die Konturen der bürgerlichen Öffentlichkeit zerfallen. Aber weder das liberale noch das sozialistische Modell sind zur Diagnose einer Öffentlichkeit geeignet, die zwischen den beiden im Modell stilisierten Konstellationen eigentümlich in der S c h w e b e bleibt. Zwei dialektisch aufeinander verweisende Tendenzen bezeichnen einen Zerfall der Öffentlichkeit: sie durchdringt immer weitere Sphären der Gesellschaft und verliert gleichzeitig ihre politische Funktion, nämlich die veröffentlichten Tatbestände der Kontrolle eines kritischen Publikums zu unterwerfen. M. L. G o l d schmidt registriert die gleichen »two disturbing tendencies: first a consequent disregard of the individuals right of privacy; and second, a tendency toward too little publicity, with a consequent in223
crease of secrecy in areas ... considered public«. Öffentlichkeit scheint in dem Maße die Kraft Ihres Prinzips, kritische Publizität, zu verlieren, in dem sie sich als Sphäre ausdehnt und noch den privaten Bereich aushöhlt. 152
1 5 2 M . L. Goldschmidt, Publicity, Privacy and Secrecy, in: The Western Political Quarterly, B d . V I I , 1954, S. 401. 224
V Sozialer Strukturwandel der Öffentlichkeit . § 16 Tendenzielle Verschränkung der öffentlichen Sphäre mit dem privaten Bereich Die bürgerliche Öffentlichkeit entfaltet sich im Spannungsfeld zwischen Staat und Gesellschaft, aber so, daß sie selbst Teil des privaten Bereichs bleibt. Die grundsätzliche Trennung jener beiden Sphären, auf der sie beruht, meint zunächst nur die Entflechtung der im Typus hochmittelalterlicher Herrschaftsformen zusammengehaltenen Momente gesellschaftlicher Reproduktion und politischer Gewalt. Mit der Ausbreitung marktwirtschaftlicher Beziehungen entsteht die Sphäre des »Sozialen«, die die Schranken grundständischer Herrschaft durchbricht und zu Formen obrigkeitlicher Verwaltung nötigt. Im Maße ihrer Vermittlung durch den Tauschverkehr wird die Produktion von Kompetenzen öffentlicher Autorität befreit und umgekehrt die Administration von produktiven Arbeiten entlastet. Die in den National- und Territorialstaaten konzentrierte öffentliche Gewalt erhebt sich über einer privatisierten Gesellschaft, wie immer auch deren Verkehr zunächst durch Eingriffe der Obrigkeit gelenkt wird. Zur Sphäre privater Autonomie entfaltet sich diese Privatsphäre erst im Maße der Emanzipation vom merkantilistischen Reglement. Auch die Umkehrung dieser Tendenz, der zunehmende staatliche Interventionismus, ausgeprägt seit dem letzten Viertel des 1 9 . Jahrhunderts, führt darum nicht schon per se zu einer Verschränkung der öffentlichen Sphäre mit dem privaten Bereich: über die aufrechterhaltene Trennung von Staat und Gesellschaft hinweg könnte eine interventionistische Politik, die man als neomerkantilistisch bezeichnet hat, die Autonomie der Privatleute einschränken, ohne doch als solchen den privaten Charakter ihres Verkehrs untereinander anzutasten. Als Privatsphäre überhaupt wird die Gesellschaft erst in Frage gestellt, wenn die gesellschaftlichen Mächte selber Kompetenzen öffentlicher Autorität erwerben. »Neomerkantilistische« Politik geht dann mit einer Art »Refeudalisierung« der Gesellschaft Hand in Hand. Der neue Interventionismus des ausgehenden 1 9 . Jahrhunderts 225
wird von einem Staat getragen, der durch die Konstitutionalisierung einer (in Deutschland freilich noch sehr begrenzten) politisch fungierenden Öffentlichkeit mit den Interessen der bürgerlichen Gesellschaft tendenziell gleichgeschaltet ist. Folglich vermitteln die Eingriffe der öffentlichen Gewalt in den Verkehr der Privatleute Impulse, die mittelbar aus ihrer Sphäre selbst stammen. Der Interventionismus entspringt einer Übersetzung solcher Interessenkonflikte, die nicht mehr innerhalb der Privatsphäre allein ausgetragen werden können, ins Politische. So entspricht auf längere Sicht der staatlichen Intervention in die gesellschaftliche Sphäre auch die Übertragung öffentlicher Kompetenzen auf private Körperschaften. Und mit der Ausdehnung der öffentlichen Autorität über private Bereiche ist auch der gegenläufige Prozeß einer Substitution staatlicher Gewalt durch gesellschaftliche verbunden. Erst diese Dialektik einer mit fortschreitender Verstaatlichung der Gesellschaft sich gleichzeitig durchsetzenden Vergesellschaftung des Staates zerstört allmählich die Basis der bürgerlichen Öffentlichkeit die Trennung von Staat und Gesellschaft. Zwischen beiden, und gleichsam »aus« beiden, entsteht eine repolitisierte Sozialsphäre, die sich der Unterscheidung von »öffentlich« und »privat« entzieht. Sie löst auch jenen spezifischen Teil des privaten Bereiches, in dem die zum Publikum versammelten Privatleute die allgemeinen Angelegenheiten ihres Verkehrs untereinander regeln, nämlich Öffentlichkeit in ihrer liberalen Gestalt, auf. Der Zerfall der Öffentlichkeit, der am Wandel ihrer politischen Funktionen nachgewiesen wird (Kapitel VI), ist in dem strukturellen Wandel, des Verhältnisses von öffentlicher Sphäre und privatem Bereich überhaupt begründet (Kapitel V). Seit der großen Depression, die 1873 beginnt, geht die liberale Ära, mit einem sichtbaren Umschwung auch in der Handelspolitik, zu Ende. Nach und nach bringen alle kapitalistisch fortgeschrittenen Länder die heiligen Grundsätze des free trade, denen ohnehin nur das auf dem Weltmarkt herrschende England ohne Zwiespalt angehangen hatte, einem neuen Protektionismus zum Opfer. Ebenso verstärkt sich auf den inneren Märkten, zumal in den zentralen Industrien, der Zug zu oligopolitischen Zusammenschlüssen. Dem entspricht die Bewegung auf dem Kapitalmarkt. Die Aktiengesell226
schaft erweist sich in Deutschland ebenso wie in den USA die trust company als wirksames Vehikel der Konzentration. Die Entwicklung löste bald in Amerika eine Antitrust-, in Deutschland eine Antikartellgesetzgebung aus. Bezeichnenderweise überflügeln die beiden jungen Industrieländer darin sowohl Frankreich als auch vor allem England, wo der Kapitalismus eine längere und stetigere Tradition hat, jedenfalls kräftiger in der sogenannten Manufakturperiode verwurzelt ist. Im soeben geeinigten Deutschland entwickelt sich hingegen der industrielle Kapitalismus »spontan« erst mit Beginn der imperialistischen Periode, sogleich unter dem Zwang, sich politisch privilegierte Sphären für Außenhandel und Kapitalexport zu sichern. Der Anschluß an die westeuropäisch-nordamerikanische Entwicklung des parlamentarischen Rechtsstaates ist beim Funktionswechsel, vor allem beim Zuwachs der Funktionen, die der Kapitalismus in dieser Phase der Staatsmaschinerie abverlangt, zunächst unmöglich gemacht. Die Beschränkungen des Wettbewerbs auf dem Gütermarkt, sei es durch die Konzentration des Kapitals und die Konzernierung großer Unternehmen, die eine oligopolitische Stellung einnehmen, sei es direkt durch eine Aufteilung des Marktes auf dem Wege der Absprachen über Preis und Produktion, setzt sich im letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts international durch. Das Gegenspiel von expansiven und restriktiven Tendenzen, das eine Liberalisierung des Marktverkehrs bereits in der Entwicklung des Kommerzund Finanzkapitals nie dauerhaft hatte zum Zuge kommen lassen, bestimmt auch die Bewegungen des Industriekapitals und läßt, entgegen der optischen Verzerrung der klassischen Ökonomie, die liberale Ära zu einer Episode werden: die Periode zwischen 1 7 7 5 und 1 8 7 5 erscheint aus der Perspektive der Gesamtentwicklung des Kapitalismus nur als »vast secular boom«. Was Say mit seinem berühmten Gesetz dem Laisser-faire-Kapitalismus schlechthin zu1
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1 W. Hallgarten, Vorkriegsimperialismus, Paris 1 9 3 5 . 2 G . Lukäcs, Einige Eigentümlichkeiten der geschichtlichen Entwicklung Deutschland, in: Die Zerstörung der Vernunft, N e u w i e d 1962, S. 37-83; ferner: H . Plessner, Die verspätete Nation, Stuttgart 1959, vgl. meine R e z . in:
»Frankfurter
Hefte«, N o v . 1959; zuletzt R. Dahrendorf, Demokratie u. Sozialstruktur in Dtld., in: Europäisches Archiv f. Soziologie i960, I, I, S. 86ff. 3 Dobb, a.a.O., S.258. 227
schrieb, nämlich ein automatisch sich einspielendes Gleichgewicht im gesamtwirtschaftlichen Kreislauf von Produktion und Konsum, war tatsächlich nicht v o m System als solchem, sondern von konkreten historischen Bedingungen abhängig, die sich noch im Laufe des Jahrhunderts, nicht ohne Einfluß des in der kapitalistischen Produktionsweise selber begründeten Antagonismus, änderten. Im übrigen versagt Says Gesetz auch im Hinblick darauf, daß sich das Systemgleichgewicht, jeweils nach der Uberwindung von Krisen, keineswegs automatisch auf dem höchst erreichbaren Niveau der verfügbaren Produktivkräfte wieder einspielte. Die bürgerliche Gesellschaft muß sich im Laufe dieser Entwicklung noch des leisesten Scheins einer machtneutralisierten Sphäre begeben. Das liberale Modell, in Wahrheit eines der Kleinwarenwirtschaft, hatte nur horizontale Tauschbeziehungen individueller Warenbesitzer vorgesehen. Bei freiem Wettbewerb und unabhängigen Preisen sollte dann keiner so viel Macht erwerben können, daß sie ihm erlaubt hätten, über einen anderen zu verfügen. Entgegen dieser Erwartungen konzentriert sich aber nun, bei unvollständigem Wettbewerb und abhängigen Preisen, gesellschaftliche Macht in privater Hand. Im Geflecht der vertikalen Beziehungen zwischen kollektiven Einheiten bilden sich Verhältnisse teils einseitiger Abhängigkeit, teils gegenseitigen Drucks. Konzentrations- und Krisenprozesse ziehen den Schleier des Aquivalententausches von der antagonistischen Struktur der Gesellschaft. Je mehr sie als ein bloßer Zwangszusammenhang durchsichtig wird, um so dringlicher wird das Bedürfnis nach einem starken Staat. F r a n z Neumann 4
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4 Vgl. D o b b , a . a . O . , S. 257: » A n age of technical change which rapidly augmented the productivity of labour also witnessed an abnormally rapid natural increase in the ranks of the proletariat, together with a series of events which simultaneously widened the field of investment and the market for consumption goods to an unprecedented degree. We have seen how straitly in previous centuries the growth of capitalist industry was cramped by the narrowness of the market, and its expansion thwarted by the low productivity which, the methods of production of the period imposed; these obstacles being reinforced from time to time by scarcity of labour. At the industrial revolution these barriers were simultaneously swept away; and, instead, capital accumulation and investment were faced, from each point of the economic compass, with everwidening horizons to lure them on.« 5 Vgl. j . H . Bunzel, Liberal T h e o r y and the Problem of Power, in: The Western Political Quarterly, B d . X I I I , i960, S. 374-188. 228
macht gegen das liberale Selbstverständnis des »Nachtwächterstaates« mit Recht den Einwand: er sei immer so stark gewesen, wie die politische und soziale Situation im bürgerlichen Interesse es erforderte. Gleichwohl gehörte es, solange der Staat ein liberaler war, zu eben diesen Interessen, daß im großen und ganzen die Sphäre des Warenverkehrs und der gesellschaftlichen Arbeit privater Autonomie überlassen blieb (es sei denn, man sähe, wie Achinger, in der Verwirklichung der allgemeinen Schul- und Wehrpflicht schon den Beginn der Intervention in die private Sphäre). Jene »Zentralisation der Regierungsgewalt«, die Marx und Tocqueville gleichzeitig zum Problem w u r d e , rührte streng genommen noch nicht an das für den bürgerlichen Rechtsstaat konstitutive Verhältnis von öffentlichem und privatem Bereich. Selbst das Interesse, das die große Industrie, zum Zweck der Eroberung und Sicherung privilegierter auswärtiger Märkte, an einer Ausweitung des militärischen Apparates nimmt, verstärkt ja zunächst nur eine der bestehenden Funktionen der öffentlichen Gewalt. Erst als dem Staat neue Funktionen zuwachsen, gerät die »Barriere« zwischen ihm und der Gesellschaft ins Wanken. Die Machtzusammenballung in der privaten Sphäre des Warenverkehrs auf der einen Seite, die als Staatsorgan etablierte Öffentlichkeit mit ihrem institutionalisierten Versprechen allgemeiner Zugänglichkeit auf der anderen Seite, verstärkten die Neigung der ökonomisch Schwächeren: nun dem durch Marktposition Überlegenen mit politischen Mitteln entgegenzutreten. In England kam es 1867 und 1883 zu Wahlrechtsreformen; in Frankreich hatte Napoleon III. das allgemeine Stimmrecht eingeführt; dessen plebiszitär-konservative Folgen hatte Bismarck vor Augen, als er in die Verfassung, zunächst des Norddeutschen Bundes, dann des neugegründeten Deutschen Reiches das allgemeine Wahlrecht aufnahm. 6
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6 Das Wort, das von Lass alle stammt, wird stets mit Wilhelm v. Humboldts berühmter Abhandlung in Zusammenhang gebracht, »Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen«, in: Werke ed. Flitner, I, Darmstadt i960, S. 56 ff. 7 Fr. N e u m a n n , D e r Funktionswandel des Gesetzes im Recht der bürgerlichen G e sellschaft, in: Zeitschrift für Sozialforschung, B d . V I , S. 542ff.; ders., Ö k o n o m i e und Politik, in: Zeitschrift für Politik, N . F., B d . I I , 1955, S. 1 ff. 8 H . Achinger, Sozialpolitik als G es ells chaf tsp o 1 i ti k, Hamburg 19 5 8, S. 1 5 5 . 229
Gestützt auf diese formell zugestandene Möglichkeit politischer Mitbestimmung suchten die pauperisierten Schichten, wie auch die von ihnen bedrohten Klassen, einen Einfluß zu gewinnen, der die verletzte Chancengleichheit im ökonomischen Bereich, wenn, sie überhaupt je bestanden hatte, politisch kompensieren sollte. Die Entlastung der Öffentlichkeit von privaten Interessen scheiterte, sobald die Konditionen, zu denen die Privatisierung der Interessen stattfinden sollte, selber in den Streit der organisierten Interessen hineingezogen wurden. Die Gewerkschaften bilden nicht nur auf dem Arbeitsmarkt ein organisiertes Gegengewicht, sie erstreben über die sozialistischen Parteien Einfluß auf die Gesetzgebung selber; dem begegnen die Unternehmer, überhaupt die »staatserhaltenden Kräfte«, wie man sie seitdem nennt, mit der unmittelbaren Einlösung ihrer privaten gesellschaftlichen Macht in politische. Bismarcks Sozialistengesetz ist ein Paradefall; aber die Sozialversicherung, die er gleichzeitig einrichtet, zeigt auch, inwieweit der staatliche Eingriff in die Privatsphäre dem Druck von unten nachgeben muß. Die Eingriffe des Staates in die private Sphäre seit Ende des vergangenen Jahrhunderts lassen erkennen, daß es den breiten, zur Mitbestimmung jetzt zugelassenen Massen gelingt, die ökonomischen Antagonismen in politische Konflikte zu übersetzen: teils kommen die Interventionen den Interessen der ökonomisch Schwächeren entgegen, teils dienen sie auch deren Abwehr. Eine deutliche Zurechnung zu kollektiven Privatinteressen der einen oder anderen Seite ist im Einzelfall nicht immer leicht. Im allgemeinen stehen allerdings staatliche Eingriffe, auch wo sie gegen »herrschende« Interessen erzwungen worden sind, im Interesse der Erhaltung eines Systemgleichgewichts, das über den freien Markt nicht mehr gesichert werden kann. Strachey zieht daraus die, nur prima facie paradoxe, Folgerung, »daß es gerade der Kampf der demokratischen Kräfte gegen den Kapitalismus war, der dem System das Fortbestehen ermöglichte. Denn nicht nur machte er die Lebensbedingungen des Arbeiters erträglich. Zugleich hielt er jene Absatzmärkte für die Fertigprodukte offen, die sich ein selbstmörderischer Vorstoß des Kapitalismus in eine zunehmend ungleiche Volkseinkommensverteilung mehr und mehr zerstört hätte«. 9
9 J . Strachey, Kapitalismus heute und morgen, Düsseldorf 1957, S. 154. 230
Dieser Mechanismus, den Galbraith auch unter dem Aspekt der countervailing powers analysiert hat, erklärt den Zusammenhang der Tendenzen zur Kapitalkonzentration mit einem wachsenden staatlichen Interventionismus. Einen Anhaltspunkt für die zunehmende Staatstätigkeit geben schon die Größenordnungen der staatlichen Haushalte. Dennoch bleibt dieses quantitative Kriterium ungenügend; eine qualitative Aufschlüsselung der öffentlichen Eingriffe in die private Sphäre läßt erst deutlich erkennen, daß der Staat nicht nur seine Tätigkeit innerhalb der alten Funktionen erweitert, sondern überhaupt eine Reihe neuer Funktionen hinzu gewonnen hat. Neben den traditionellen Ordnungsfunktionen, die der Staat im Inneren durch Polizei und Justiz und eine sehr vorsichtig gehandhabte Steuerpolitik, nach außen, gestützt auf die Streitkräfte, durch seine Außenpolitik auch schon in der liberalen Ära wahrn a h m , treten jetzt Gestaltungsfunktionen. Ihre Unterscheidung gelingt natürlich um so leichter, je weiter sich im L a u f e des 20. Jahrhunderts der sozialstaatliche Aufgabenkreis differenziert. Die Aufgabe von Schutz, Entschädigung und Ausgleich für die ökonomisch schwächeren Sozialgruppen, der Arbeiter und Angestellten, der Mieter, der Verbraucher usw. haben wir bereits erwähnt (in diesen Bereich fallen z. B. die Maßnahmen mit dem Ziel einer Umvertei10
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10 J . K. Galbraith, American Capitalism, the concept of countervailing power, a. a. O . Z u r Kritik vgl. die ausgezeichnete Abhandlung von A . Schweizer, A C r i tique of Contervailing Power, in: Social Research, Bd. X X I , 1954, S. 253 ff. 11 Für die U S A gut dokumentiert durch: Berle and Means, The Modern Corpora-' tion and Private Property, N e w York 1932; The Structure of the American E c o nomy, B d . I, ed. National Resources Planning Board, U . S. Government Printing Office 1939; The Concentration of Productive Facilities, ebd. 1947; A Survey of Contemporary Economics, ebd. 1948. Für Deutschland: H . König, K o n zentration und Wachstum, eine empirische Untersuchung der westdeutschen Aktiengesellschaft in der Nachkriegszeit, in: Zeitschrift f. d. gesamte Staatswirtschaft, B d . 1 1 5 , 1959, S. 229ff. 12 S. Fabricant. The Trends of Government Acxivities in the U . S . A . since 1900, N e w York 1952; Urs. Hicks, British Public Finances, their Structure and Development 1 8 8 0 - 1 9 5 2 , L o n d o n 1954. Schon Adolf Wagner spricht vom »Gesetz« der wachsenden Ausdehnung des Finanzbedarfs in: Lehrbuch der politischen Ö k o n o m i e , B d . V, 3. Aufl. Leipzig 1883, S. 76ff. 13 F. N e u m a r k , Wirtschafts- und Finanzpolitik des Interventionsstaates, Tübingen 1 9 6 1 ; von juristischer Seite vgl. U . Scheuner, Die staatliche Intervention im Bereich der Wirtschaft, Veröff. d. Ver. dt. Staatsrechtslehrer I I , Berlin 1954, S. iff. 231
lung des Einkommens). - Anders liegt die Aufgabe, langfristige Veränderungen der gesellschaftlichen Struktur entweder abzuwenden, wenigstens zu mildern, oder aber planmäßig zu unterstützen, sogar zu lenken (hierher gehört etwa ein Komplex wie die Mittelstandspolitik). - Die folgenschwere Beeinflussung der privaten und die Regelung der öffentlichen Investitionstätigkeit fällt bereits in den weiteren Aufgabenkreis einer Kontrolle und Balancierung des gesamtwirtschaftlichen Kreislaufes. Die Konzentrationsprozesse haben nicht nur eine Konjunkturpolitik auf den Plan gerufen; sie schaffen mit dem Zug zu großen Einheiten auch gewisse Voraussetzungen, die eine solche Politik im großen Stil erst ermöglichen: die Wirtschaft wird nämlich im gleichen Maße den ökonometrischen Methoden der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, wie sie in England, den Vereinigten Staaten und Kanada kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges eingeführt worden sind, zugänglich. Endlich übernimmt der Staat auch, über die gewöhnlichen Amts geschaffte hinaus, Dienstleistungen, die bis dahin privater Hand überlassen waren: sei es, daß er Privatpersonen mit öffentlichen Aufgaben betraut, sei es, daß er privatwirtschaftliche Tätigkeiten durch Rahmenplanungen koordiniert oder selbst als Hersteller und Verteiler aktiv wird. Der Sektor der öffentlichen Dienstleistungen dehnt sich zwangsläufig aus, »weil mit steigendem wirtschaftlichen Wachstum Faktoren wirksam werden, die das Verhältnis der priva14
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14 Strachey, a . a . O . , S. 35. 15 Hier ist der Übergang von bloß ordnenden zu gestaltenden Funktionen fließend, aber in der Tendenz deutlich. Rechtlich findet dieser Vorgang in einer Erweiterung und damit Verwandlung des alten Polizeirechts seines Ausdruck, vgl. dazu H . Huber, Recht, Staat und Gesellschaft, Bern 1954, S. 3 2 : »Polizeirecht ist das Recht, das zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung das Publikum vor Gefahren schützt. Es hat einen negativen, einen A b weh rch arakter. Es war bis vor kurzem ein Zweig des öffentlichen Rechts, der sich dem Privatrecht geradezu anschmiegte. Gegenwärtig kommt mehr und mehr die Neigung auf, die Gefahrenabwehr durch positive Gestaltung des Soziallebens zu ersetzen oder zu ergänzen. So hatte etwa das Baupolizeirecht vor gesundheitlichen Gefahren, vor Feuergefahr, vor Gefährdung des Verkehrs zu schützen, der N a t u r - und Heimatschutz vor Verunstaltungen des O r t s - und Landschaftsbildes. Heute wollen Orts-, Regional- und Landesplanung nicht mehr nur das Negative bekämpfen, sondern etwas Positives gestalten, nämlich die Benützung des Raumes durch den Menschen für Siedlungen und Erwerb.« 232
ten zu den sozialen Kosten umgestalten«. Neben den öffentlichen Kosten der privaten Produktion entstehen, im Verhältnis zur wachsenden Kaufkraft der breiten Massen, ebenso öffentliche Kosten des privaten Konsums. Die Formel der »kollektiven Daseinsvorsorge« verdeckt die Vielfalt der dem Sozialstaat neu zugewachsenen Funktionen; und auch die mannigfach sich durchkreuzenden kollektiv organisierten Privatinteressen, die diesem Zuwachs zugrunde liegen. Der Staat greift durch Gesetz und Maßnahme tief in die Sphäre des Warenverkehrs und der gesellschaftlichen Arbeit ein, weil sich die konkurrierenden Interessen der gesellschaftlichen Kräfte in politische Dynamik umsetzen und, durch den staatlichen Interventionismus vermittelt, auf die eigene Sphäre zurückwirken. Dabei kann, im großen und ganzen betrachtet, der »demokratische Einfluß« auf die Wirtschaftsordnung nicht geleugnet werden: die Masse der Nichteigentümer hat durch öffentliche Interventionen in den privaten Bereich, die der Tendenz zu Kapitalkonzentration und oligopolistischer Organisation entgegenwirken, es erreichen können, daß sich ihr Anteil am Volkseinkommen langfristig nicht vermindert, bis zur Mitte unseres Jahrhunderts allerdings auch nicht wesentlich erhöht zu haben scheint. Da nun der Interventionismus aus solchen Zusammenhängen hervorgeht, sind die interventionistisch abgeschirmten Sozialbereiche 16
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16 K. Littmann, Zunehmende Staatstätigkeit und wirtschaftliche
Entwicklung,
Köln 1947, S. 164. Von den Rüstungskosten soll hier abgesehen werden, da der militärische Schutz schon zu den klassischen Funktionen des Staates gehört. 1 7 D a das kapitalistische System dazu tendiert, den Sektor privatwirtschaftlicher Erzeugung so wenig wie möglich zugunsten des Sektors öffentlicher Dienstleistungen einschränken zu lassen, entsteht zwischen beiden ein Ungleichgewicht, das jüngst von Galbraith analysiert worden ist; vgl. dessen Untersuchung: G e sellschaft im Überfluß, Düsseldorf 1959. Auch A . D o w n s , W h y Government Budget is too small in a Democracy?, in: World Politics, B d . X I I , i960, S. 5 4 1 563. 18 E . Forsthoff, Die Verfassungsprobleme des Sozialstaats, München 1954; W. Friedmann ( L a w and Social Change, London 1 9 5 1 , S. 298) unterscheidet fünf Funktionen: »they result from the activities of the State: Firstly, as Protector; secondly, as Dispenser of Social Services; thirdly, as Industrial
Manager;
fourthly, as Economic Controller; fifthly, as Arbitrator.« 19 Vgl. Strachey, a . a . O . , S. 1 3 0 - 1 5 1 . 233
von einer staatlich bloß reglementierten Privatsphäre streng zu unterscheiden - die privaten Einrichtungen selbst nehmen zu einem guten Teil halböffentlichen Charakter an; man kann geradezu vom quasi political character of private economic units sprechen. Aus der Mitte der öffentlich relevanten Privatsphäre der bürgerlichen Gesellschaft bildet sich eine repolitisierte Sozialsphäre, in der sich staatliche und gesellschaftliche Institutionen zu einem einzigen, nach Kriterien des Öffentlichen und Privaten nicht länger mehr zu differenzierenden Funktionszusammenhang zusammenschließen. Rechtlich findet diese neue Interdependenz bis dahin geschiedener Sphären ihren Ausdruck in der Durchbrechung des klassischen Privatrechtssystems. In der sozialstaatlich verfaßten Industriegesellschaft mehren sich Verhältnisse und Beziehungen, die mit Instituten weder des privaten noch des öffentlichen Rechts zureichend geordnet werden können; sie zwingen vielmehr zur Einführung sogenannter sozialrechtlicher Normen. Die sozialistische Kritik an dem bloß formalen Charakter des bürgerlichen Rechts hat stets betont, daß die privatrechtlich verbürgte Autonomie nur in dem Maße allen Rechtssubjekten gleichermaßen zukommen könnte, in dem gleiche ökonomische Erfolgschancen die Realisierung der juristisch gleichen Gestaltungschancen gestatten. Zumal die Trennung der Produzenten von den Produktionsmitteln, das Klassenverhältnis, das der industrielle Kapitalismus im 19. Jahrhundert voll ausbildet, verwandelte das formal gleiche Rechtsverhältnis zwischen Kapitalisten und Lohnarbeitern in ein faktisches Unterordnungsverhältnis; sein privatrechtlicher Ausdruck verschleierte eine quasi-öffentliche Gewalt. Karl Renner hat die zentrale Institution des Privatrechts, das Eigentum an Produktionsmitteln, und seine Konnexgarantien, die Freiheiten des Vertrags, des Gewerbes und der Vererbung, unter diesem Gesichts20
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20 J . M . Clark, The Interplay of Politics and Economics, in: Freedom and C o n t r o l in modern Society, ed. Berger, e. al. N e w York 1954, S. 192ft.; A . Berle, Power without Property, L o n d o n i960. 21 Vgl. A . Menger, Das bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen, Tübingen, 2. Aufl. 1890. 22 K. Renner, Die Rechtsinstitute des Privatrechts und ihre Funktion, Tübingen, 2. Aufl. 1929. 234
punkt analysiert und dargetan, daß sie ihrer tatsächlichen Funktion nach Bestandteile des öffentlichen Rechts sein müßten: dem Kapitalisten sichere das Privatrecht die Ausübung einer »delegierten öffentlichen Kommandogewalt«. Spätestens seit dem Ausgang des ersten Weltkrieges folgt indessen auch die rechtliche Entwicklung bis zu einem gewissen Grade der gesellschaftlichen und bringt eine komplizierte Typenvermengung hervor, die zunächst unter dem Stichwort einer »Publizierung des Privatrechts« registriert wurde; später lernte man denselben Vorgang auch unter dem reziproken Gesichtspunkt einer Privatisierung des öffentlichen Rechts betrachten: »Elemente des öffentlichen Rechts und Elemente des Privatrechts werden miteinander bis zur Unkenntlichkeit und Unentwirrbarkeit verzahnt.« Die Eigentumsrechte werden nicht nur durch die schon erwähnten wirtschaftspolitischen Interventionen eingeschränkt, sondern ebenso durch rechtliche Verbürgungen, die die formale Vertragsgleichheit der Partner in typischen sozialen Situationen auch materiell wiederherstellen sollen. Kollektivverträge, die, exemplarisch im Arbeitsrecht, an die Stelle der individuellen treten, sichern den schwächeren Partner. Kautelen im Interesse des Mieters lassen den Mietvertrag für den Vermieter fast schon zu einem öffentlichen Raumnutzungsverhältnis werden. Und wie Arbeitnehmer und Mieter, so genießen auch die Verbraucher spezielle Garantien. Ahnliche Entwicklungen zeichnen sich im Betriebsverfassungs-, Wohnsiedlungs- und Familienrecht ab. Rücksichten der öffentlichen Sicherheit binden die Eigentümer von Betrieben, Grundstükken, Gebäuden usw. zuweilen in einem Ausmaße, daß man von »publizistischem Obereigentum« gesprochen hat. Liberale Staatsrechtler perhorreszieren diesen Trend der »Aushöhlung« von Eigentumsrechten mit dem Hinweis, daß man heute das Eigentum dem Eigentümer formell belasse und ihn dennoch expropriiere, sogar ohne Entschädigung und ohne den Rechtsschutz eines geregel23
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23 Hedemann, Einführung in die Rechtswissenschaft, 2. Aufl. 1927, S. 229. 24 H . Huber, a. a. O . , S. 34. 25 F. Wieacker, Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgesetzbücher und die Entwicklung der modernen
Gesellschaft,
in: Juristische
Studiengesellschaft
Karlsruhe, Heft 3, Karlsruhe 1 9 5 3 , S. 21 ff. 235
ten Enteignungsverfahrens: »So entstehen neue Formen von Sozialisierung durch konfiskatorische Gesetzgebung, mit denen auch der doktrinäre Marxismus nicht gerechnet hatte.« Gleichzeitig mit der zentralen Institution des Privatrechts, dem Eigentum, werden natürlich deren Konnexgarantien, wird vor allem die Freiheit des Vertrages betroffen. Das klassische Vertrags verhältnis unterstellt volle Unabhängigkeit in der Bestimmung der Vertragsbedingungen. Diese ist inzwischen starken Einschränkungen unterworfen worden. In dem Maße, in dem sich die Rechtsbeziehungen sozialtypisch angleichen, pflegen auch die Verträge selber schematisiert zu werden. Die zunehmende Standardisierung der Vertragsverhältnisse beschneidet normalerweise die Freiheit des ökonomisch schwächeren Partners, während das schon erwähnte Instrument des Kollektivvertrages eben die Gleichheit der Marktposition herstellen soll. Die Tarifverträge zwischen Unternehmerverbänden und Gewerkschaften verlieren ihren im strengen Sinne privatrechtlichen Charakter; sie nehmen geradezu öffentlich-rechtlichen Charakter an, weil die getroffene Serienregelung als Gesetzessurrogat fungiert: »Die Funktion der Verbände beim Abschluß eines Gesamtarbeitsvertrages gleicht weniger der Ausübung von Privatautonomie als der Rechtsetzung kraft Delegation.« Die originäre Privatautonomie ist zu einer derivierten auch schon juristisch soweit herabgesetzt, daß sie vielfach für die Gültigkeit von Verträgen nicht mehr als erforderlich betrachtet wird. Die Rechtswirkung faktischer Vertragsverhältnisse gleicht sich den klassischen Rechtsverhältnisse an. Schließlich wird das Privatrechtssystem durch die zunehmende Zahl der Verträge zwischen der öffentlichen Gewalt und Privatpersonen durchlöchert. Der Staat paktiert mit Privatleuten auf der 26
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26 Huber, a . a . O . , S. 33. 27 E b d . S. 3 7 F 28 Spiros Simitis, Die faktischen Vertragsverhältnisse, Frankfurt 1958. 29 Das deutsche Recht kennt die Fiktion des Fiskus, die den Staat zum Privatrechts subjekt und damit zum möglichen Partner für Vertragsverhältnisse mit Privatpersonen qualifiziert; das hatte einst unterm Absolutismus den guten Sinn, den U n tertanen ein gewisses Maß an Rechtssicherheit auch ohne die Garantie einer Teilnahme an der Gesetzgebung zu gewähren. Ahnlich unterscheidet das französische Recht den Staat als Privatrechtssubjekt der gestions privees vom Staat als 236
Basis des do ut des; die Ungleichheit der Partner, die Abhängigkeit des einen vom anderen, löst die Grundlage des strengen Vertragsverhältnisses auch hier auf; es handelt sich, am klassischen Modell gemessen, nurmehr um Pseudoverträge. Wenn heute Behörden, bei der Ausübung ihrer sozialstaatlichen Aufgaben, eine gesetzliche Normierung weitgehend durch das Instrument des Vertrages ersetzen, haben solche Verträge, ihrer privatrechtlichen Form ungeachtet, quasi-öffentlichen Charakter: denn eigentlich beruht »unser Rechtssystem auf dem Gedanken, daß privatrechtliche Verträge letztlich unter dem Gesetz, nicht auf gleicher Stufe mit dem Gesetz stehen, und unser öffentliches Recht läßt Raum für Verträge nur, wo Gleichordnungsverhältnisse existieren .. .«. Mit der »Flucht« des Staates aus dem öffentlichen Recht, der Übertragung von Aufgaben öffentlicher Verwaltung auf Unternehmungen, Anstalten, Körperschaften, halbamtliche Geschäftsträger privaten Rechts, zeigt sich auch die Kehrseite einer Publizierung des privaten Rechts, nämlich: die Privatisierung des öffentlichen Rechts. Zumal wenn sich die öffentliche Verwaltung selbst bei ihren verteilenden, versorgenden und fördernden Leistungen privatrechtlicher Mittel bedient, werden die klassischen Kriterien des öffentlichen Rechts hinfällig. Denn weder hindert die öffentlichrechtliche Organisation etwa einen kommunalen Lieferanten daran, zu seinem »Kunden« ein Privatrechtsverhältnis einzugehen; noch schließt die weitgehende Normierung eines solchen Rechtsverhältnisses dessen privatrechtliche Natur aus. Weder ist eine Zuordnung zum öffentlichen Recht durch Monopolstellung und Kon30
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öffentlich-rechtlichem Subjekt der gestions publiques. Beide Funktionen waren in der liberalen Ä r a verhältnismäßig durchsichtig und daher leicht zu trennen; die U n te r sc hei d u n g wird jedoch in dem Maße schwieriger, in dem der Staat Funktionen in der privaten Sphäre der Gesellschaft selber übernimmt und seine Beziehungen zu den privaten Wirtschaftssubjekten durch Vertrag regelt: »Predominantly industrial, commercial, and managerial operations, such as the provision of transport, electricity, or gas, or the management of health services, are now normally carried out by incorporated public authorities, which are subject to the rules of private law, although responsible to Ministers and Parliaments for the general conduct of the Operation.« Friedmann, a . a . O . , S. 63. 30 Huber, a . a . O . , S.40. 31 Z u m folgenden vgl. W. Siebert, Privatrecht im Bereich der öffentlichen Verwaltung, in: Festschrift für Hans Niedermeyer, Göttingen 1 9 5 3 , besonders S. 223 f. 237
trahierungszwang geboten; noch dadurch, daß das Rechtsverhältnis durch Verwaltungsakt begründet worden ist. Das publizistische Moment des öffentlichen Interesses verbindet sich in dem Maße mit dem privatrechtlichen der vertraglichen Formulierung, in dem mit Kapitalkonzentration und Interventionismus aus dem Prozeß wechselseitiger Vergesellschaftung des Staates und einer Verstaatlichung der Gesellschaft eine neue Sphäre hervorgeht. Diese kann sinnvoll weder als eine rein private noch als eine genuin öffentliche aufgefaßt und eindeutig den Bereichen privaten oder öffentlichen Rechts zugeordnet werden. 32
§ 1 7 Polarisierung von Sozial- und Intimsphäre In dem Maße, in dem Staat und Gesellschaft sich wechselseitig durchdringen, löst sich die Institution der Kleinfamilie aus dem Zusammenhang mit Prozessen der gesellschaftlichen Reproduktion: die Intimsphäre, einst das Zentrum der privaten Sphäre überhaupt, rückt, soweit diese selbst sich entprivatisiert, gleichsam an deren Peripherie. Die Bürgerlichen der liberalen Ära lebten ihr privates Leben prototypisch in Beruf und Familie; der Bereich des Warenverkehrs und der gesellschaftlichen Arbeit war ebenso Privatsphäre wie das unmittelbar von ökonomischen Funktionen entlastete »Haus«. Diese beiden, damals gleichsinnig strukturierten Sphären, entwickeln sich nun gegenläufig: »und zwar kann man sagen, daß die Familie immer privater, Arbeits- und Organisationswelt immer >öffentlicher< werden«. Der Terminus »Arbeits- und Organisationswelt« verrät schon etwas von der Tendenz zur Objektivierung eines einst privater Disposition unterstehenden Bereichs; sei es beim Eigentümer die Sphäre der eigenen, sei es beim Lohnarbeiter die der fremden Verfü33
32 Eine eingehende Analyse dieses gesamten Komplexes bietet zuletzt Spiros Simitis, D e r Sozialstaatsgrundsatz in seinen Auswirkungen auf das Recht von Familie und Unternehmen, Habilitationsschrift d. Jurist. Fakultät Frankfurt, 1963, M a nuskript. 33 H . Schelsky, Schule und Erziehung in der industriellen Gesellschaft, Würzburg 1957, S. 33. 238
gung. Die Entwicklung des industriellen Großbetriebes hängt unmittelbar, die des bürokratischen mittelbar vom Stand der Konzentration des Kapitals ab. In beiden entwickeln sich Formen gesellschaftlicher Arbeit, die vom Typus privater Berufsarbeit spezifisch abweichen. Unter arbeitssoziologischem Aspekt hat die formelle Zugehörigkeit eines Unternehmens zum privaten und einer Behörde zum öffentlichen Bereich ihre Trennschärfe verloren. Wie immer ein Großbetrieb noch der Verfügung von individuellen Eigentümern, Großaktionären oder Verwaltungsdirektoren unterstehen mag, gegenüber den privaten Dispositionen hat er sich doch so weit objektivieren müssen, daß sich die »Arbeitswelt« als eine Sphäre eigener Ordnung zwischen privatem und öffentlichem Bereich etabliert hat - im Bewußtsein sowohl der Angestellten und Arbeiter als auch derer, die über die weiterreichenden Kompetenzen verfügen. Diese Entwicklung beruht natürlich auch auf der materiellen Entprivatisierung einer formell aufrechterhaltenen Autonomie der Produktionsmitteleigentümer. Unter dem Stichwort der Trennung von Eigentumstiteln und Verfügungsfunktionen ist das ja mehrfach am Beispiel der großen Kapitalgesellschaften analysiert worden, weil hier die Restriktion der unmittelbaren Ausübung von Eigentumsrechten zugunsten des Spitzenmanagements und einiger Großaktionäre besonders deutlich wird. Auf dem Wege der Selbstfinanzierung gewinnen solche Unternehmen oft Unabhängigkeit vom Kapitalmarkt; im gleichen Maße vergrößern sie ihre Selbständigkeit gegenüber der Masse der Kapitalanteilseigentümer. Wie immer der ökonomische Effekt sei, der soziologische steht exemplarisch für eine Entwicklung, die dem Großbetrieb überhaupt, auch unabhängig von der Unternehmensform, jenen Charakter einer Sphäre individueller Privatautonomie, wie er für Geschäft und Werkstatt der Selbständigen in der liberalen Ära typisch war, nimmt. Sie ist von Rathenau sehr früh erkannt und auf die Formel gebracht worden: daß sich die großen Unternehmen zu »Anstalten« entwickeln. Der juristische Institutionalismus hat diese Anregung 34
34 O b mit einer starken Position der Verwaltung gegenüber der Hauptversammlung auch managementspezifische Interessen, etwa am Ausbau des Unternehmens, auf Kosten möglicher Gewinnsteigerung zum Zuge kommen und die privatkapitalistische Form der Akkumulation schon aufweichen, mag dahingestellt sein. 239
aufgegriffen und zu einer Theorie eigener Observanz ausgearbeitet. Obwohl verwandte Lehren, die (von James Burnham und Peter F. Drucker am Beispiel amerikanischer Verhältnisse dargestellt) nach dem Kriege großen publizistischen Erfolg errangen, kaum weniger ideologische Züge tragen, haben sie doch einen gewissen deskriptiven Wert: sie diagnostizieren zutreffend den »Schwund des Privaten« in der Sphäre gesellschaftlicher Arbeit. Zunächst übernimmt der Großbetrieb gegenüber seinen Angestellten und Arbeitern gewisse Status gar antien, sei es durch Teilung von Kompetenzen, sei es durch Gewährung sozialer Sicherheiten und Dienste, sei es durch Bemühungen - wie immer im einzelnen auch fragwürdig - um eine Integration der Beschäftigten am Arbeitsplatz; aber krasser als diese objektiven Veränderungen sind die subjektiven. Die statistische Sammelkategorie der »Diensttuenden« verrät im Namen schon eine neue Einstellung zur Arbeit: der durchs Privateigentum einst auch subjektiv deutlich gezogene Unterschied zwischen denen, die in der eigenen, und denen, die in der Privatsphäre anderer Leute arbeiten mußten, verwischt sich zugunsten eines »Dienstverhältnisses«, das vom »öffentlichen Dienst« der Beamten gewiß nicht die Rechte (und Pflichten), wohl aber Züge eines versachlichten Arbeitsverhältnisses angenommen hat, welches den Beschäftigten an eine Institution eher als an Personen bindet. Mit dem Großbetrieb wird ein gegenüber der Trennung von Privat Sphäre und Öffentlichkeit neutrales gesellschaftliches Gebilde zum herrschenden Organisationstypus der gesellschaftlichen Arbeit: »Die Industriewerke bauen Wohnungen oder verhelfen dem Arbeitnehmer sogar zu Hausbesitz, sie legen öffentliche Parks an, bauen Schulen, Kirchen und Bibliotheken, veranstalten Konzerte und Theaterabende, halten Fortbildungskurse ab, sorgen für 35
35 Sie hat dann in der reformistischen Ideologie der Gewerkschaften ebenso wie in der faschistischen Praxis der sogenannten Arbeitsfront eine Rolle gespielt: beide Male, obschon in entgegengesetzter politischer Absicht, führte die Isolierung der institutionellen Momente des Großunternehmens von seinen ökonomischen Funktionen freilich zur Illusionierung des Tatbestandes, daß ein Unternehmen in dem Maße, in dem es kapitalistisch nach Grundsätzen der Profitmaximierung arbeitet, auch privaten Interessen dienen muß; daß daher der Unternehmenszweck nicht eo ipso mit den Interessen der Belegschaft oder gar der Gesellschaft im ganzen zusammenfallen kann. 240
Alte, Witwen und Waisen. Mit anderen Worten: eine Reihe von Funktionen, die ursprünglich von nicht nur im juristischen, sondern auch Im soziologischen Sinn öffentlichen Institutionen erfüllt wurden, werden von Organisationen übernommen, deren T ä t i g keit nicht-öffentlich ist . . . Der Oikos eines Großunternehmens durchsetzt mitunter das Leben einer Stadt und bringt jene Erscheinung hervor, die mit Recht als Industriefeudalismus bezeichnet wird . . . Dasselbe gilt mutatis mutandis für die großen Verwaltungsbürokratien der Metropolen, die ihren öffentlichen Charakter (im soziologischen Sinn) in dem gleichen Maße verlieren, in dem sie sich in Großbetriebe verwandeln.« Amerikanische Autoren können daher die Sozialpsychologie des sogenannten Organization Man ohne Rücksicht darauf untersuchen, ob es sich jeweils um eine private Gesellschaft, eine halböffentliche Körperschaft oder eine öffentliche Verwaltung handelt - »Organization« meint den Großbetrieb schlechthin. Verglichen mit dem typischen Privatunternehmen des 19. Jahrhunderts verselbständigt sich die Berufssphäre als ein quasi-öff entlicher Bereich gegenüber einer auf die Familie zusammengeschrumpften Privatsphäre; heute bezeichnet die berufsfreie Zeit geradezu das Reservat des Privaten, während mit der Berufsarbeit der »Dienst« beginnt. Als eine Entprivatisierung der Berufs Sphäre stellt sich dieser Vorgang allerdings nur aus der historischen Perspektive der Privateigentümer dar, umgekehrt als eine Privatisierung erscheint er den Arbeitern und Angestellten, und zwar in dem Maße, in dem sie nicht mehr ausschließlich und ungeregelt einem patriarchalischen Regiment, statt dessen einem psychologischen Arrangement unterworfen sind, das für scheinprivates Wohlbefinden die betriebsklimatischen Vorkehrungen trifft. Im gleichen Maße wie sich die Sphäre des Berufs verselbständigt, zieht sich die der Familie auf sich selbst zurück: weniger der Verlust produktiver zugunsten konsumtiver Funktionen charakterisiert den Strukturwandel der Familie seit der liberalen Ära, als vielmehr ihre fortschreitende Ausgliederung aus dem Funktionszusammen36
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36 H . P. Bahrdt, Öffentlichkeit und Privatheit als Grundformen städtischer Soziierung, a . a . O . , S. 43 ff. 37 L. v. Friedeburg, Soziologie des Betriebsklimas, Ffm. 1963. 241
hang der gesellschaftlichen Arbeit überhaupt. Auch die patriarchalische Kleinfamilie des bürgerlichen Typs war ja längst keine Produktionsgemeinschaft mehr; dennoch beruhte sie wesentlich auf dem Familieneigentum, das kapitalistisch fungierte. Dessen Erhaltung, Mehrung und Vererbung war die Aufgabe des Privatmannes als des Warenbesitzers und Familienoberhauptes in einer Person: die Tauschverhältnisse der bürgerlichen Gesellschaft wirkten tief in die Personbeziehungen der bürgerlichen Familien hinein. Mit der Einbuße ihrer Basis, mit der Ablösung des familialen Eigentums durch individuelle Einkommen, verliert die Familie über ihre Funktionen in der Produktion, die sie weithin schon abgegeben hatte, hinaus auch diejenigen für die Produktion. - Die für heutige Verhältnisse typische Reduktion des Familieneigentums auf das Einkommen der einzelverdienenden Lohn- und Gehaltsempfänger raubt der Familie zudem die Möglichkeit der Selbstversorgung im Falle eines Notstandes und der Eigenvorsorge für das Alter. Die klassischen Risiken, vor allem Arbeitslosigkeit, Unfall, Krankheit, Alter und Sterbefälle, sind heute durch sozialstaatliche Garantien weithin abgedeckt; ihnen entsprechen Grundleistungen, normalerweise in Form von Einkommenshilfen. Weder sind diese Hilfen an die Familie adressiert, noch wird der Familie in nennenswertem Umfang eine subsidiäre Hilfeleistung selber zugemutet. Gegen die sogenannten basic needs, die die bürgerliche Familie einst als privates Risiko zu tragen hatte, wird heute das einzelne Familienmitglied öffentlich abgesichert. Tatsächlich erweitert sich nicht nur der Katalog der »gängigen Risiken« über die klassischen Notstandssituationen hinaus auf Lebenshilfen aller Art, auf Dienste der Wohnungsbeschaffung und Arbeitsvermittlung, der 38
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38 In der Bundesrepublik sind mehr als drei Viertel der Bevölkerung Anwärter auf Versicherungs- oder Versorgungsrenten; in jeden zweiten Haushalt fällt jetzt schon mindestens eine laufende Rente. 39 »Erst in unserem Zeitalter ist die Frage, wie der einzelne mit seiner Existenz zurechtkommt, Gegenstand ununterbrochener
öffentlicher Sorge
geworden.
Will man die Wandlungen herausstellen, die sich daraus für die Lebensformen des einzelnen, genauer, des privaten Haushalts ergeben haben, so muß man alle Formen sozial begründeter Leistungen in Versicherung, Versorgung und Fürsorge so betrachten, wie sie beim Einzelhaushalt ankommen.« H . Achinger, a . a . O . , S.79T. 242
Berufs- und Erziehungsberatung, der Gesundheitsüberwachung usw.; überdies werden die Entschädigungen Immer mehr durch vorbeugende Maßnahmen ergänzt, wobei »sozialpolitisches Vorbeugen mit dem Einbruch in neue, bisher private Sphären geradezu identisch ist«. Die sozialpolitische Kompensation der weithin abgetragenen familialen Eigentumsbasis erstreckt sich, über die materiellen Einkommenshilfen hinaus, auf funktionelle Lebenshilfen. Mit den Funktionen der Kapitalbildung verliert nämlich die Familie zunehmend auch Funktionen der Aufzucht und der Erziehung, des Schutzes, der Betreuung und Anleitung, ja elementarer Tradition und Orientierung; sie verliert verhaltensprägende Kraft überhaupt in Bereichen, die in der bürgerlichen Familie als die innersten Höfe des Privaten galten. In gewisser Weise wird also auch die Familie, dieser private Rest, durch die öffentlichen Garantien ihres Status entprivatisiert. Andererseits entfaltet sich die Familie nun erst recht zum Verbraucher von Einkommen und Freizeit, zum Abnehmer der öffentlich gesicherten Entschädigungen und Lebenshilfen: private Autonomie erhält sich nicht so sehr in den dispositionellen als in den konsumtiven Funktionen; sie besteht heute weniger in der Verfügungsgewalt von Warenbesitzern als in der Genußfähigkeit der Leistungsberechtigten. Dadurch entsteht der Schein intensivierter Privatheit in einer auf den Bereich der kleinfamilialen Konsumentengemeinschaft zusammengeschrumpften Intimsphäre. Wiederum behaupten beide Aspekte ihr Recht: eine Reihe von Funktionen privater Verfügung wird durch öffentliche Garantien des Status ersetzt; im engeren Rahmen dieser sozialstaatlichen Berechtigungen und Verpflichtungen wirkt sich aber der primäre Verlust an privater Dispositionsgewalt sekundär als eine Entlastung aus, weil sich die Konsumtion der Einkommens-, Lebenshilfe- und Freizeitchancen nur um so »privater« entfalten kann. In der von Schelsky festgestellten Tendenz zur Polarisierung der mit publizistischem Gehalt angereicherten Großorganisationen auf der einen, den privatistisch sich verengenden Intimgruppen auf der anderen Seite, »einer wachsenden Spaltung zwischen privatem und öffentlichem Leben«, findet eine komplizierte Entwicklungsgeschichte ihren Ausdruck. 40
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40 Ebenda. 41 H . Schelsky, Wandlungen der deutschen Familie in der Gegenwart, 1 9 5 3 , S. 20; 243
Im Verhältnis der Entlastung von ihren ökonomischen Aufgaben verlor die Familie komplementär auch die Kraft zur personalen Verinnerlichung. Der von Schelsky diagnostizierte Zug zur Versachlichung der familialen Binnenverhältnisse entspricht einer Entwicklung, in deren Verlauf die Familie als primäre Agentur der Gesellschaft immer weniger beansprucht wird. Der viel berufene Abbau der väterlichen Autorität, eine in allen fortgeschrittenen Industrieländern beobachtete Tendenz der Ausbalancierung der familieninternen Autoritätsstruktur, gehört in den gleichen Zusammenhang. Die einzelnen Familienmitglieder werden nun in höherem Maße von außerfamilialen Instanzen, von der Gesellschaft unmittelbar sozialisiert; hier sei nur an jene explizit pädagogischen Funktionen erinnert, die die bürgerliche Familie formell an die Schule, informell an anonyme Kräfte außerhalb des Hauses abgeben mußte. Die Familie, die aus den unmittelbaren Zusammenhängen der Reproduktion der Gesellschaft immer mehr ausgegliedert wird, behält mithin einen Innenraum intensivierter Privatheit nur dem Schein nach zurück: in Wahrheit büßt sie mit ihren ökonomischen Aufgaben auch die schützenden Funktionen ein; gerade der ökonomischen Beanspruchung der patriarchalischen Kleinfamilie von außen entsprach die institutionelle Kraft zur Ausbildung eines Bereichs der Innerlichkeit, der heute, mit sich allein gelassen, unter dem Zugriff außerfamilialer Instanzen auf das Individuum unmittelbar, in eine Sphäre der Scheinprivatheit sich aufzulösen begonnen hat. Diese heimliche Aushöhlung der familialen Intimsphäre findet im 42
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besonders S. 253fr.; ders., Gesellschaftlicher Wandel, in: Auf der Suche nach Wirklichkeit, Düsseldorf 1965, S. 337ff. 42 R. König, Materialien zur Soziologie der Familie, Bern 1946; Burgess und L o c k e , The Family, N e w York 1 9 5 3 ; Winch und Ginnis, Marriage and Family, N e w York 195343 Vgl. Herbert Marcuse, Trieblehre und Freiheit, in: Frevel in der Gegenwart, Frankfurt 1957, S. 401-424. »Der jungen Generation wird das Realitätsprinzip weniger durch die Familie als außerhalb der Familie beigebracht; die gesellschaftlich üblichen Verhaltensweisen und Reaktionen lernt sie außerhalb der geschützten Privatsphäre der Familie« (ebd. S. 4 1 3 ) . 44 Näheres dazu in meinem Aufsatz: Pädagogischer Optimismus vor Gericht einer pessimistischen Anthropologie, in: N e u e Sammlungen, B d . I, 1 9 6 1 , besonders S. 253 f., zuletzt: J . K o b , Erziehung in Elternhaus und Schule, Stuttgart 1963. 244
Haus- und Städtebau ihren architektonischen Ausdruck. Die Abgeschlossenheit des Privathauses, nach außen durch Vorgarten und Zaun deutlich betont, nach innen durch Vereinzelung und vielfältige Gliederung der Räume ermöglicht, ist heute ebenso durchbrochen, wie umgekehrt mit dem Verschwinden des Salons, der Empfangsräume überhaupt, seine Aufgeschlossenheit gegenüber dem geselligen Verkehr einer Öffentlichkeit gefährdet ist. Verlust der Privatsphäre und eines gesicherten Zugangs zur Öffentlichkeit ist für die städtische Wohn- und Lebensweise heute charakteristisch, gleichviel, ob die alten großstädtischen Wohnformen durch die technisch-ökonomische Entwicklung stillschweigend umfunktioniert worden sind, oder ob man auf Grund dieser Erfahrungen neue vorstädtische Siedlungsformen entwickelt hat. Das amerikanische Modell einer solchen Vorstadtwelt bietet William H. Whyte. Unter dem Konformitätszwang eines Nachbarschaftsverkehrs, der architektonisch bereits durch die Anlage von gemeinsamen Höfen für eine Reihe von Häusern vorgeformt ist, entwickelt sich im sozial homogenen Milieu der prototypischen suburb »eine zivile Version des Garnisonslebens«. Einerseits löst sich die Intimsphäre vor den Blicken der »Gruppe« auf: »So wie die Türen innerhalb der Häuser . . . verschwinden, so verschwinden auch die Zäune zwischen den Nachbarn. Das Bild, das im großen Wohnzimmerfenster erscheint, ist das Bild dessen, was im Zimmer vorgeht - oder dessen, was innerhalb der Wohnzimmer anderer Leute vorgeht.« Die dünnen Wände gewähren zur Not eine blicksichere, aber keineswegs eine schallsichere Bewegungsfreiheit: auch sie übernehmen Funktionen einer sozialen Kommunikation, die von sozialer Kontrolle schwer zu unterscheiden ist. Privatheit ist nicht das gegebene Medium des Wohnens, sondern eins, das jeweils erst hergestellt werden muß: »Um zu einem Privatleben zu kommen, muß man etwas tun. Ein Bewohner eines Hofes z.B. stellt seinen Lehnstuhl an die Vorderseite des Hauses statt auf die Hofseite, um zu zeigen, daß er nicht gestört werden will.« Im gleichen Verhältnis, wie sich das Privatleben veröffentlicht, nimmt die Of45
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45 W. H . Whyte, Herr und Opfer der Organisation, Düsseldorf 1958, S. 282. 46 E b d . S. 352. 47 Ebenda. 245
fentlichkeit selbst Formen der Intimität an - in der »Nachbarschaft« ersteht die vorbürgerliche Großfamilie in neuer Gestalt. Hier wiederum verlieren die Momente der Privatsphäre und der Öffentlichkeit ihre Trennschärfe. Der Refeudalisierung fällt auch das Räsonnement des Publikums zum Opfer. Die Diskussionsform der Geselligkeit weicht dem Fetisch einer Gemeinschaftlichkeit an sich: »Nicht in einsamer selbstsüchtiger Betrachtung erfüllt man sich« private Lektüre war stets die Voraussetzung des Räsonnements im Kreise bürgerlichen Publikums »sondern dadurch, daß man Dinge mit anderen Leuten tut; selbst gemeinsam Fernsehprogramme zu betrachten, hilft, einen zu einem richtigen Menschen zu machen«. Aber nicht nur, wo der moderne Städtebau dieser Entwicklung entgegenkommt, auch dort, wo die bestehende Architektur von ihr gleichsam überspült wird, ist tendenziell die gleiche Zerstörung des Verhältnisses von Privatsphäre und Öffentlichkeit zu beobachten. Das hat Bahrdt für das Arrangement der »Blockbebauung« gezeigt, die früher, mit der Häuserfront zur Straße, jeweils abgeteilten Gärten und Höfen nach hintenhinaus, sowohl eine zweckmäßige Aufteilung der Wohnung innen als auch eine sinnvolle Ordnung der Stadt im ganzen ermöglichte. Heute ist sie, schon durch den verkehrstechnischen Funktionswechsel der Straßen und Plätze, überholt. Sie sichert weder eine räumlich geschützte Privatsphäre, noch schafft sie freien Raum für die öffentlichen Kontakte und Kommunikationen, die die Privatleute zum Publikum zusammenführen könnten. Bahrdt faßt seine Beobachtungen so zusammen: »Der Prozeß der Urbanisierung kann beschrieben werden als eine fortschreitende Poiarisierung des gesellschaftlichen Lebens unter dem Aspekt >Öffentlichkeit< oder »Privatheit<. Hierbei ist zu beachten, daß zwischen Öffentlichkeit und Privatheit stets eine Wechselbeziehung besteht. Ohne schützende und stützende Privatsphäre gerät das Individuum in den Sog der Öffentlichkeit, die selbst jedoch gerade durch diesen Vorgang denaturiert wird. Entfällt das für die Öffentlichkeit konstitutive Moment der Distanz, gehen ihre Mitglieder auf Tuchfühlung, so verwandelt sich die Öffentlichkeit in Masse . . . Die soziale Problematik der modernen Großstadt besteht 48
48 E b d . S. 353.
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im Augenblick nun nicht so sehr darin, daß das Leben in ihr allzu verstädtert ist, sondern darin, daß es wesentliche Merkmaie städtischen Lebens wieder verloren hat. Das Wechselverhältnis von öffentlicher und privater Sphäre ist gestört. Es ist nicht deshalb gestört, weil der Großstadtmensch per se Massenmensch ist und deshalb keinen Sinn mehr für die Kultivierung der Privatsphäre hat, sondern weil es ihm nicht mehr gelingt, das immer komplizierter werdende Leben der Gesamtstadt in der Weise zu überblicken, daß es für ihn öffentlich ist. Je mehr sich die Stadt im ganzen in einen schwer durchschaubaren Dschungel verwandelt, desto mehr zieht er sich in seine Privatsphäre zurück, die immer weiter ausgebaut wird, aber schließlich doch zu spüren bekommt, daß die städtische Öffentlichkeit zerfällt, nicht zuletzt, weil der öffentliche Raum zur schlecht geordneten Fläche eines tyrannischen Verkehrs pervertiert ist.« Die Einschrumpfung der privaten Sphäre auf die inneren Bezirke einer weitgehend funktionsentlasteten und autoritätsgeschwächten Kleinfamilie - das Glück im Winkel - ist nur dem Scheine nach eine Perfektion der Intimität; denn in dem Maße, in dem sich die Privatleute aus ihren verbindlichen Rollen als Eigentümer in die rein »persönlichen« ihres unverbindlichen Freizeitspielraums zurückziehen, geraten sie hier, ohne Abschirmung durch einen institutionell gesicherten Familieninnenraum, unter den Einfluß halböffentlicher Instanzen unmittelbar. Das Freizeitverhalten gibt den Schlüssel für die Scheinwerferprivatheit der neuen Sphäre, für die Entinnerlichung deklarierter Innerlichkeit. Was sich heute gegenüber einer verselbständigten Sphäre des Berufs als Freizeitbereich abgrenzt, nimmt tendenziell den Raum jener literarischen Öffentlichkeit ein, auf die einst eine in der Intimsphäre der bürgerlichen Familie ausgebildete Subjektivität bezogen war. 49
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49 H . P. Bardt, Von der romantischen Großstadtkritik zum U r b a n e n Städtebau, i n : Schweizer Monatshefte 1958, S. 644f. 50 Vgl. Helmuth Plessner, Das Problem der Öffentlichkeit und die Idee der E n t fremdung, Göttingen i960, S.9: »Da die zunehmend intensivierten Mittel der Massenkommunikation jeder propagandistischen Beeinflussung offenstehen und im Hause selber eine Öffentlichkeit schaffen, wie Zeitung u n d Bücher es nie vermochten, treibt die Entsicherung privater Sphäre, gefühlsmäßig jedenfalls, einer
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§ 18 Vom kulturräsonierenden zum kulturkonsumierenden Publikum Die Sozialpsychologie jenes während des 18. Jahrhunderts aus dem Erfahrungszusammenhang der kleinfamilialen Intimsphäre sich bildenden Typus publikumsbezogener Privatheit gibt, wie für die Entfaltung der literarischen Öffentlichkeit, auch Aufschluß über gewisse Bedingungen ihres Zerfalls: anstelle der literarischen Öffentlichkeit tritt der pseudo-öffentliche oder scheinprivate Bereich des Kulturkonsums. Wenn sich damals die Privatleute ihrer Doppelrolle als bourgeois und homme bewußt waren und gleichzeitig die Identität der Eigentümer mit »Menschen« schlechthin behaupteten, so verdankten sie dieses Selbstbewußtsein der Tatsache, daß sich aus dem Kern der Privatsphäre selber eine Öffentlichkeit entfaltete. Obwohl, im Hinblick auf ihre Funktion, nur Vorform der politischen Öffentlichkeit, hatte diese literarische Öffentlichkeit doch auch selbst schon die Art »politischen« Charakter, durch den sie der Sphäre gesellschaftlicher Reproduktion enthoben war. Die bürgerliche Kultur war nicht bloße Ideologie. Weil das Räsonnement der Privatleute in den Salons, Klubs und Lesegesellschaften dem Kreislauf von Produktion und Konsum, dem Diktat der Lebensnotdurft nicht unmittelbar unterworfen war; weil es vielmehr in diesem griechischen Sinne einer Emanzipation von dem Lebensnotwendigen »politischen« Charakter auch in seiner bloß literarischen Form (der Selbstverständigung über die neuen Erfahrungen der Subjektivität) besaß, konnte sich hier die Idee, die dann zur Ideologie herabgesetzt wurde, überhaupt ausbilden - nämlich Humanität. Die Identifikation des Eigentümers mit der natürlichen Person, dem Menschen schlechthin, setzt nämlich innerhalb des privaten Bereichs eine Trennung voraus zwischen Geschäften einerseits, die die Privatleute je für sich im Interesse der individuellen Reproduktion ihres Lebens verfolgen, und jenem Umgang andrerseits, der die Privatleute als Publikum verbindet. Genau diese Schwelle wird aber nivelliert, sobald und soweit die literarische ÖfKrise entgegen.« Im gleichen Sinne M . L. Goldschmidt, Publicity, Privacy, Secrecy, a. a. O . , S. 404ff. 248
fentlichkeit in den Konsumbereich hineinwächst. Das sogenannte Freizeitverhalten ist apolitisch schon deshalb, weil es, in den Kreislauf von Produktion und Konsum einbezogen, eine vom unmittelbar Lebensnotwendigen emanzipierte Weit nicht zu konstituieren vermag. Wenn Freizeit der Arbeitszeit als deren Komplement verhaftet bleibt, kann sich in ihr die Verfolgung je privater Geschäfte nur fortsetzen und nicht in die öffentliche Kommunikation der Privatleute miteinander umsetzen. Wohl mag sich die vereinzelte Befriedigung von Bedürfnissen unter Bedingungen der Öffentlichkeit, nämlich massenhaft vollziehen, aber daraus entsteht noch nicht Öffentlichkeit selbst. Wenn die Gesetze des Marktes, die die Sphäre des Warenverkehrs und der gesellschaftlichen Arbeit beherrschen, auch in die den Privatleuten als Publikum vorbehaltene Sphäre eindringen, wandelt sich Räsonnement tendenziell in Konsum, und der Zusammenhang öffentlicher Kommunikation zerfällt in die wie immer gleichförmig geprägten Akte vereinzelter Rezeption. Geradezu umgestülpt wird dadurch jene publikumsbezogene Privatheit. Die Muster, die aus ihrem Stoff einst literarisch gestanzt worden sind, kursieren heute als das ausgesprochene Fabrikationsgeheimnis einer patentierten Kulturindustrie, deren Erzeugnisse, durch die Massenmedien öffentlich verbreitet, im Bewußtsein der Verbraucher den Schein bürgerlicher Privatheit ihrerseits erst hervorbringen. Diese sozialpsychologische Umfunktionierung des ursprünglichen Verhältnisses von Intimbereich und literarischer Öffentlichkeit hängt soziologisch mit dem Strukturwandel der Familie selbst zusammen. Einerseits können sich die Privatleute von der ideologischen Verklammerung ihrer Doppelrolle als bourgeois und homme frei machen; aber dieselbe Ablösung der Intimsphäre von der Basis des kapitalistisch fungierenden Eigentums, die die Einlösung ihrer Idee in einer Öffentlichkeit emanzipierter Privatleute zu ermöglichen scheint - hat doch auch andererseits neue Abhängigkeitsverhältnisse hervorgebracht. Die Autonomie der Privatleute, die jetzt nicht mehr originär in der Verfügung über privates Eigentum begründet ist, wäre als eine von öffentlichen Statusgarantien der Pri51
51 Vgl. meine Untersuchung: Z u m Verhältnis von Arbeit und Freizeit, in: Festschrift für Rothacker, B o n n 1958, S. 2 1 9 ff. 249
vatheit derivierte Autonomie nur zu verwirklichen, wenn die »Menschen« (nicht mehr als bourgeois wie früher, sondern) als citoyen vermittels einer politisch fungierenden Öffentlichkeit diese Bedingungen ihrer privaten Existenz selbst in die Hand bekämen. Damit kann unter den gegebenen Umständen nicht gerechnet werden. Wenn aber die Bürger in ihrer familialen Existenz Autonomie nicht aus der Verfügung über Privateigentum und auch nicht aus der Teilnahme an politischer Öffentlichkeit ziehen können, entfällt beides: einerseits ist keine institutionelle Sicherung für eine Individuierung der Person nach dem Muster der »protestantischen Ethik« mehr gegeben; noch sind andrerseits soziale Bedingungen absehbar, die den Weg der klassischen Verinnerlichung durch den Bildungsweg einer »politischen Ethik« ersetzen und damit dem Individuationsprozeß eine neue Grundlage geben könnten. Der bürgerliche Idealtypus sah vor, daß sich aus der wohlbegründeten Intimsphäre der publikumsbezogenen Subjektivität eine literarische Öffentlichkeit herausbildete. Diese wird statt dessen heute zu einem Einfallstor für die, über die konsumkulturelle Öffentlichkeit der Massenmedien in den kleinfamilialen Binnenraum eingeschleusten sozialen Kräfte. Der entprivatisierte Intimbereich wird publizistisch ausgehöhlt, eine entliterarisierte PseudoÖffentlichkeit zur Vertrautheitszone einer Art Überfamilie zusammengezogen. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts sind die Institutionen, die den Zusammenhang des Publikums als eines räsonierenden bis dahin sicherten, erschüttert. Die Familie verliert die Funktion eines »literarischen Propagandakreises«; schon die »Gartenlaube« ist idyllische Verklärungsform, in der die mittelständische Kleinstadtfamilie die lebendige Bildungstradition der lektüretreibenden Großbürgerfamilie vorangegangener Generationen rezipiert und fast nur noch imitiert. Die Musenalmanache, Dichterzeitschriften, deren Tradition in Deutschland mit den Leipziger und Göttinger Almanachen 1770 einsetzte und von Schiller, Chamisso, Schwab ins nächste Jahrhundert fortgesetzt worden waren, wurden um 1850 von einem Typus der literarischen Familienzeitschrift abgelöst, der mit erfolgreichen Verlagsunternehmen wie »Westermanns Monatsheften« oder eben der »Gartenlaube« eine fast schon zur Ideologie gewor52
52 Vgl. Herbert Marcuse, Eros und Zivilisation, Stuttgart 1957.
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dene Lesekultur kommerziell stabilisiert, aber immerhin die Familie als literarische Resonanzfläche noch voraussetzt. Diese ist inzwischen zerbrochen. Die programmatischen Literaturzeitschriften, seit dem Ende des 1 9 . Jahrhunderts die polemischen Plattformen einer modisch wechselnden Avantgarde, haben nie Verbindung mit der Schicht eines kulturell interessierten Bürgertums gehabt oder auch nur gesucht. Literarische Familienzeitschriften sind mit dem Strukturwandel der bürgerlichen Familie selbst obsolet geworden. Ihren Platz nehmen heute die weitverbreiteten Werbeillustrierten der Leseringe ein - selber, ihrem deklarierten Ziel der Umsatzsteigerung von Büchern zum Trotz, schon Zeugnisse einer Kultur, die nicht mehr der Kraft des Buchstabens vertraut. Als die Familie ihren literarischen Zusammenhang verliert, gerät auch der bürgerliche »Salon« außer Mode, der die Lesevereine des 18. Jahrhunderts ergänzt, zum Teil auch abgelöst hatte. »Das Verschwinden des Alkohols hat dabei vielfach die umgekehrte Rolle gespielt wie die Einführung des gesellschaftsbildenden Kaffees in Europa vom Ende des 17. Jahrhunderts an. Herrengesellschaften und -Vereinigungen starben ab, Stammtische lösten sich auf, Klubs verödeten; der Begriff der gesellschaftlichen Verpflichtungen, der eine so große Rolle gespielt hatte, wurde schal.« Die bürgerlichen Formen der Geselligkeit haben im Laufe unseres Jahrhunderts Substitute gefunden, denen bei aller regionalen und nationalen Vielfalt tendenziell doch eines gemeinsam ist: die Abstinenz vom literarischen und politischen Räsonnement. Im Modell weicht die gesellige Diskussion einzelner den mehr oder minder unverbindlichen Gruppenaktivitäten. Auch diese finden feste Formen des informellen Beisammenseins; ihnen fehlt jedoch jene spezifische Kraft der Institution, die einst den Zusammenhang der geselligen Kontakte als das Substrat der öffentlichen Kommunikation sicherte - um »group activities« bildet sich kein Publikum. Auch im gemeinsamen Kinobesuch, im gemeinsamen Empfang von Radio- oder Fernsehsendungen hat sich das charakteristische Verhältnis der publikumbezogenen Privatheit aufgelöst: die Kommunikation des kulturell räsonierenden Publikums blieb auf Lektüre angewiesen, 53
53 L. L. Schücking. D i e Soziologie der literarischen Geschmacksbildung, München 1923, S. 60. 251
die man in der Klausur der häuslichen Privatsphäre betrieb. Die Freizeitbeschäftigungen des kulturell konsumierenden Publikums finden hingegen selbst in einem sozialen Klima statt, ohne daß sie irgend in Diskussionen eine Fortsetzung zu finden brauchten : mit der privaten Form der Aneignung entfällt auch die öffentliche Kommunikation über das Angeeignete. Deren dialektische Beziehung zueinander wird im sozialen Rahmen der Gruppenaktivität spannungslos ausgeglichen. Auf der anderen Seite setzt sich die Tendenz zum öffentlichen Räsonnement auch fort. Sogenannte Gespräche werden formell organisiert und als Bestandteil der Erwachsenenpädagogik zugleich departementalisiert. Konfessionelle Akademien, politische Foren, literarische Organisationen leben von der Besprechung einer diskussionsfähigen und kommentarbedürftigen Kultur; Funkanstalten, Verlage, Vereine bestreiten mit Podiumsdiskussionen ein florierendes Nebengewerbe. Der Diskussion scheint somit sorgfältige Pflege gesichert und dem Feld ihrer Ausbreitung keine Schranke gesetzt. Unter der Hand hat sie sich aber spezifisch verändert: sie nimmt selbst die Gestalt eines Konsumguts an. Zwar war die Kommerzialisierung der Kulturgüter einst Voraussetzung für das Räsonnement; es selbst blieb aber grundsätzlich von den Tauschbeziehungen ausgenommen, blieb Zentrum eben jener Sphäre, in der die Privateigentümer als »Menschen«, und nur als solche, einander begegnen wollten. Grob gesprochen: für Lektüre, Theater, Konzert 54
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54 B. J . Fine (Television and Family Life, A Survey of two N e w England C o m m u n i ties, Boston 1952) definiert die fernsehende Familie als »unity without conversation*. E . E . M a c c o b y (Television. Its Impact on School Children, Public O p i nion Quarterly, B d . XV, Heft 3, 1 9 5 1 , S. 421 f.) kam in den von ihr untersuchten Fällen zu dem Ergebnis, daß in neun von zehn Familien keine »Gespräche« stattfanden: »It appears that the increased family contact brought about b y television is not social except in the most limited sense: that of being in the same room with other people. Whether the shared experience of television programs gives family members a similar perceptual framework with which to view the world, so that there are fewer differences in point of view among family members and fewer grounds for conflicts is a matter which cannot be appraised with the data on hand. 55 D . Riesman, The Tradition, the written Word and the Screen Image, Antioch College Founders D a y Lecture, Yellow Springs, O h i o 1 9 5 5 . 56 Z u r Kommentarbedürftigkeit der modernen Kunst vgl. A . Gehlen, Zeitbilder, Bonn i960.
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und Museum hatte man zu zahlen, nicht aber auch noch fürs Gespräch über das, was man gelesen, gehört und gesehen hatte und im Gespräch erst ganz sich aneignen mochte. Heute wird das Gespräch als solches noch verwaltet: professionelle Dialoge vom Katheder, Podiumsdiskussionen, round table shows - das Räsonnement der Privatleute wird zur Programmnummer der Stars in Funk und Fernsehen, wird kassenreif zur Ausgabe von Eintrittskarten, gewinnt Warenform auch noch da, wo auf Tagungen sich jedermann »beteiligen« kann. Die Diskussion, ins »Geschäft« einbezogen, formalisiert sich; Position und Gegenposition sind im vorhinein auf gewisse Spielregeln der Darbietung verpflichtet; Konsensus in der Sache erübrigt sich weitgehend durch den des Umgangs. Problemstellungen sind als Fragen der Etikette definiert; Konflikte, einst in öffentlicher Polemik ausgetragen, werden auf die Ebene personeller Reibereien abgedrängt. Das derart arrangierte Räsonnement erfüllt gewiß wichtige sozialpsychologische Funktionen, vorab die eines quietiven Handlungsersatzes; seine publizistische Funktion büßt es indessen immer mehr ein. Der Kulturgütermarkt übernimmt in der erweiterten Gestalt des Freizeitmarktes neue Funktionen. Zwar blieb einst den Werken der Literatur und der Kunst, der Philosophie und der Wissenschaft die ihnen ungewohnte Warenform so wenig äußerlich, daß sie erst auf dem Wege über den Markt als autonome Gebilde einer von Praxis, wie es schien, abgelösten Kultur sich konstituieren konnten; denn das Publikum, dem sie zugänglich wurden, verhielt sich zu ihnen als Gegenständen des Urteils und des Geschmacks, der freien Wahl und der Neigung. Gerade durch die kommerzielle Vermittlung entstanden die kritischen und ästhetischen Bezüge, die sich von bloßer Konsumtion unabhängig wissen. Eben deshalb beschränkt sich aber auch die Funktion des Marktes darauf, die Kulturgüter zu verteilen, sie dem ausschließlichen Gebrauch der Mäzene und adeligen Connoisseurs zu entziehen. Noch gewinnen die Tauschwerte keinen Einfluß auf die Qualität der Güter selbst: bis heute haftet ja dem Geschäft mit Kulturgütern etwas 57
57 Eine Untersuchung über die soziologischen Aspekte des Tagungsbetriebes auf Evangelischen Akademien steht noch aus. Hinweise gibt H . Schelsky, Ist die Dauerreflexion institutionalisierbar?, in: Zeitschrift für evangelische Ethik 1957, Heft 4, S. 153ff. 253
von der Inkompatibilität dieser Art Erzeugnisse mit ihrer Warenform an. Nicht zufällig erhält sich allerdings das einst branchenspezifische Bewußtsein nur mehr in gewissen Reservaten; denn schon sind die Gesetze des Marktes in die Substanz der Werke eingedrungen, sind Ihnen als Gestaltungsgesetze immanent geworden. Nicht mehr bloß Vermittlung und Auswahl, Aufmachung und Ausstattung der Werke - sondern ihre Erzeugung als solche richtet sich in den weiten Bereichen der Konsumentenkultur nach Gesichtspunkten der Absatzstrategie. Ja Massenkultur erwirbt sich ihren zweifelhaften Namen eben dadurch, daß ihr erweiterter Umsatz durch Anpassung an die Entspannungs- und Unterhaltungsbedürfnisse von Verbrauchergruppen mit relativ niedrigem Bildungsstandard erzielt wird, anstatt umgekehrt das erweiterte Publikum zu einer in ihrer Substanz unversehrten Kultur heranzubilden. Auf diese altmodische Weise hatte sich ja am Ende des 18. Jahrhunderts das Publikum der gebildeten Stände in Schichten des gewerbetreibenden Kleinbürgertums hinein ausgedehnt. An vielen Orten gründeten damals Kleinhändler, als Inhaber offener Läden meist von den bürgerlichen Klubs ausgeschlossen, ihre eigenen Vereine; noch verbreiteter waren die Gewerbevereine, die ganz die Form von Lesegesellschaften haben. Es handelt sich dabei häufig um Zweigstellen der bürgerlichen Lesevereine: die Leitung, auch die Auswahl des Lesestoffes, blieb den Honoratioren überlassen, die, so recht in der Manier der Aufklärung, Bildung in die sogenannten niederen Stände hineintragen wollten. Gebildet ist, wer eine Enzyklopädie besitzt; diesen Maßstab übernehmen nach und nach auch die Krämer und Handwerker. Das »Volk« wird zur Kultur erzogen, nicht Kultur selbst zu einer der Masse herabgesetzt. Entsprechend sind die Funktionen des Marktes streng zu unterscheiden: je nachdem, ob er einem Publikum den Zugang zu Kulturgütern erst verschafft und dann, im Maße der Verbilligung der Produkte, einem immer größeren Publikum den Zugang ökonomisch erleichtert', oder ob er den Inhalt der Kulturgüter den eigenen Bedürfnissen derart adaptiert, daß er den breiten Schichten auch psychologisch den Zugang erleichtert. Meyersohn spricht in diesem 58
58 Einer zeitgenössischen Quelle zufolge gab es davon in Deutschland um 1800 etwa zweihundert: J . A . Weiß, Ü b e r das Zunftwesen, Frankfurt 1798, S. 229. 254
Zusammenhang von einer Ermäßigung der entrance requirements into leasure. In dem Maße, in dem Kultur nicht nur ihrer Form, sondern auch dem Inhalt nach zur Ware wird, entäußert sie sich solcher Momente, deren Aufnahme eine gewisse Schulung voraussetzen - wobei die »gekonnte« Aneignung das Können selbst wiederum steigert. Nicht schon Standardisierung als solche, sondern jene besondere Präformierung der Erzeugnisse, die ihnen Kons umreife, nämlich die Garantie verleiht: ohne strenge Voraussetzungen, freilich auch ohne spürbare Folgen rezipiert werden zu können, setzt die Kommerzialisierung der Kulturgüter in ein umgekehrtes Verhältnis zu ihrer Komplexität. Umgang mit Kultur übt, während der Verbrauch der Massenkultur keine Spuren hinterläßt; er vermittelt eine Art von Erfahrung, die nicht kumuliert, sondern regrediert. Die beiden Funktionen des Kulturgütermarktes: die Erleichterung des Zugangs auf die bloß ökonomische, oder auf psychologische Art, gehen nicht notwendig Hand in Hand. Das zeigt sich bis auf den heutigen Tag an seinem für das literarische Räsonnement wesentlichsten Sektor, dem Büchermarkt, der von zwei komplementären Erscheinungen beherrscht ist. Durch die in hohen Auflagen vertriebenen Taschenbuchreihen wird einer verhältnismäßig kleinen Schicht von gebildeten und bildungsbereiten Lesern (überwiegend Schülern und Studenten) die hochqualifizierte Literatur zugänglich gemacht, für deren Erwerb, in üblicher Ausstattung angeboten, ihre Kaufkraft sonst nicht ausreichen würde. Obwohl die werbetechnisch geschickte Aufmachung und eine gut durchdachte Organisation des Vertriebs dieser Buchgattung, wie keiner anderen, den Anschein eines auf leichten Verbrauch und schnelle Ab59
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59 R. Meyersohn, Commercialism and Complexity in Popular Culture, 55. Meeting of American Sociological Association, N e w York i960, Manuskript. 60 Meyersohn, a . a . O . , S. 5: »The average American has by now watched television for perhaps eighteen hours a week for ten years, but this enormous build up of time has had no apparent consequences for his performance in front of a 'Television set.« 61 Vgl. dazu T h . W. A d o r n o , Ü b e r den Fetischcharakter in der Musik und die R e gression des H ö r e n s , in: Dissonanzen, Göttingen 1956, S. 9ff. 62 H . M . Enzensberger, Bildung als Konsumgut, Analyse der Taschenbuchproduktion, in: Einzelheiten, Ffm. 1962, S. 1 1 off. 255
nutzung angelegten Warencharakters verliehen hat, bewährt in diesem Fall der Markt die emanzipatorische Funktion einer ausschließlich ökonomischen Erleichterung des Zuganges: der Inhalt der Taschenbücher bleibt von Gesetzen des Massenumsatzes, dem sie ihre Verbreitung verdanken, im allgemeinen unberührt. Mit den Taschenbüchern erscheint nämlich - ein Paradox, auf das Wolfgang Kayser hingewiesen hat - das Uberdauernde im Gewände des Vergänglichen, hingegen mit den Leseringbüchern das Vergängliche im Gewand des Dauerhaften: halbledern und goldverziert. Auch die Buchgemeinschaften, die sich nach dem ersten Weltkrieg, zuerst in den angelsächsischen Ländern, gebildet haben und heute bereits den größten Teil des Marktes kontrollieren, vermindern das Unternehmerrisiko und verbilligen das Einzelexemplar; Absatzstrategie und Vertriebsorganisation, die das Sortiment umgehen und die Auswahlchancen der Konsumenten im gleichen Verhältnis vermindern, in dem sie den unmittelbaren Kontakt des Lektorats mit Bedürfnissen des Massengeschmacks intensivieren, erleichtern jedoch diesen Verbrauchern aus überwiegend niedrigeren Sozialschichten den Zugang zur Literatur nicht nur ökonomisch. Sie ermäßigen vielmehr die »Eintrittsbedingungen« psychologisch derart, daß die Literatur selbst auf die Bequemlichkeit und Annehmlichkeit jener Rezeption geringer Voraussetzungen und schwacher Folgen zugeschnitten sein muß. - An diesem Beispiel wird im übrigen deutlich, wie das sozialpsychologische Kriterium der Konsumentenkultur, die nichtkumulative Erfahrung, mit dem soziologischen Kriterium einer Destruktion der Öffentlichkeit zusammengeht: die Buchgemeinschaften entziehen die große Masse der belletristischen Literatur nicht nur dem Sortiment, sondern auch der Kritik. Das interne Werbemittel der Leseringillustrierten schließt, als die einzige Verbindung zwischen Verlegern und Lesern, den Kreis der Kommunikation kurz. Die Buchgemeinschaf63
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63 W. Kayser, Das literarische Leben der Gegenwart, in: Deutsche Literatur in unserer Zeit, ed. Kayser, Göttingen 1959, .S. 22. 64 Kayser (ebd. S. 17ff.) errechnet für die Buchgemeinschaften der Bundesrepublik einen Mitgliederbestand von etwa 3 Millionen; diese beziehen etwa 30 Millionen Bücher im Jahr, das ist weit mehr als die Hälfte der belletristischen Jahresproduktion insgesamt. 256
ten verwalten ihre Kundschaft verlagsunmittelbar - und abseits von der literarischen Öffentlichkeit. Damit mag umgekehrt auch die Positionsschwächung der Kritik selbst zusammenhängen, in der ja einst, als sich Rezensenten vom Typus Schillers und Schlegels für eine umfangreiche Nebentätigkeit dieser Art nicht zu gut dünkten, das Laienurteil der literarisch Interessierten Privatleute institutionalisiert war. Der tendenzielle Zerfall einer literarischen Öffentlichkeit wird freilich in seinem ganzen Ausmaß erst überschaubar, wenn die Erweiterung des Lesepublikums auf fast alle Bevölkerungsschichten zur tatsächlichen Verbreitung der Buchlektüre in Verhältnis gesetzt wird: in der Bundesrepublik lesen mehr als ein Drittel aller möglichen Leser überhaupt keine Bücher, mehr als zwei Fünftel schaffen sich keine Bücher an; dem entsprechen die Vergleichszahlen für die angelsächsischen Länder und Frankreich. Die Ablösung eines kulturell räsonierenden Lesepublikums durch das Massenpublikum der Kulturkonsumenten kann sich deshalb innerhalb der Reichweite des Büchermarktes nur unzureichend spiegeln. Dieser Prozeß bedient sich anderer Transformatoren als des par excellence bürgerlichen Bildungsmittels - des Buches. Die erste Zeitung mit einer Massenauflage von immerhin mehr als 50000 Exemplaren war bezeichnenderweise das Organ der Chartistenbewegung - Cobbet's Political Register, das seit 1816 erscheint. Die gleiche ökonomische Lage, die die Massen zu einer Teilnahme an der politischen Öffentlichkeit drängt, versagt ihnen doch auch den Bildungsstandard, der ihnen Teilnahme in der Art und auf der Ebene der bürgerlichen Zeitungsleser ermöglicht hätte. Alsbald gewähren daher eine Penny-Presse, die in den frühen dreißiger Jahren Auflagen zwischen 100000 und 200000 Exemplaren erreicht, um die Mitte des Jahrhunderts, die noch weiter verbreitete WeekendPresse jene »psychologischen Erleichterungen«, die seither das Ge65
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65 1955 befanden sich in mehr als einem Drittel aller Haushaltungen der Bundesrepublik keine Bücher; über mindestens ein eigenes Buch verfügten 58 Prozent der Haushalte, vgl. Jahrbuch der öffentlichen Meinung, Allensbach 1957, S. 1 0 2 . 66 Z u r Soziologie des Bücherkonsums vgl. zuletzt: R. Escarpit, Das Buch und der Leser, Köln 1 9 6 1 , bez. S. 120 ff.;
eine ökonomische Analyse gibt P. Meyer-
D o h m , Der westdeutsche Büchermarkt, Stuttgart 1957. 257
sieht der kommerziellen Massenpresse prägen. Parallele Entwicklungen zeichnen sich nach der Juli-Revolution mit dem Start Emile Girardins in Paris und mit Benjamin Days »New York Sun« auch in den USA ab. Es dauert freilich noch ein halbes Jahrhundert, bis Pulitzer die »New York World« erwarb und, wie zur gleichen Zeit das Londoner »Lloyd's Weekly Newspaper«, in Auflagen, die sich sehr bald der Millionengrenze nähern, mit Hilfe der Methoden eines »gelben Journalismus« nun wirklich in die breiten Massen eindringt. Den Namen des Yellow Journalism bezieht die Sensationspresse der achtziger Jahre von der gelben Farbe der Comics (der repräsentativen Figur des »Yellow Kid«). Die Techniken des cartoon, des news picture, der human interest story stammen freilich aus dem Repertoire der Wochenendpresse, die schon vorher ihre news- und fictionstories optisch ebenso wirksam wie literarisch anspruchslos dargeboten hatte. Gegen Ende des Jahrhunderts setzt sich auch auf dem Kontinent die »amerikanische« Form der Massenpresse durch; Wochenendpresse und illustrierte Zeitschriften sind hier ebenfalls Schrittmacher der eigentlichen Boulevardzeitungen. Die Massenpresse beruht auf der kommerziellen Umfunktionierung jener Teilnahme breiter Schichten an der Öffentlichkeit, die vorwiegend Massen überhaupt Zugang zur Öffentlichkeit zu verschaffen. Ihren politischen Charakter büßt indessen diese erweiterte Öffentlichkeit in dem Maße ein, in dem die Mittel der »psychologischen Erleichterung« zum Selbstzweck einer kommerziell fixierten Verbraucherhaltung werden konnten. Schon an jener frühen Penny-Presse läßt sich beobachten, wie sie für die Maximierung 67
67 R . E . Park, The Natural History of the Newspaper, in: W. Schramm, Mass C o m munication, Urbana 1944, S. 2 1 : »1t was in the Sunday World that the first seven column cut was printed. Then followed the comic section and all the other devices with which we are familiar for compelling a dullminded and reluctant public to read. After these methods had been worked out, they were introduced into the daily. The final triumph of the Yellow journal was Brisbanes Heart to Heart Editorial - a column of predigested plattitudes and moralizing, with half page diagramms and illustrations to reinforce the text. N o w h e r e has Herbert Spencers maxime that the art of printing is economy of attention been so completely realized.« U b e r deutsche Massenzeitschriften des 19. Jahrhunderts berichtet: J . Kirchner, Redaktion und Publikum, in: Publizistik, B d . V, i960, S. 463 ff. 258
ihres Absatzes mit einer Entpolitisierung des Inhaltes zahlt - by eliminating political news and political editorials on such moral topics as in temperance and gambling. Die journalistischen Grundsätze der Bildzeitung haben eine ehrwürdige Tradition. Im Verhältnis zur Erweiterung des Zeitungspublikums verliert daher, langfristig gesehen, die politisch räsonierende Presse an Einfluß; vielmehr erlangt das kulturkonsumierende Publikum, das sein Erbe aus der literarischen Öffentlichkeit eher bestreitet als aus der politischen, eine bemerkenswerte Domi68
nanz.
6 9
Der Kulturkonsum ist freilich von literarischer Vermittlung in hohem Maße entlastet; nicht-verbale Mitteilungen oder solche, die, wenn nicht überhaupt in Bild und Ton übersetzt, durch optische und akustische Stützen erleichtert sind, verdrängen in mehr oder minder großem Maße die klassischen Formen der literarischen Produktion. Auch in der Tagespresse, die ihnen doch noch am nächsten steht, lassen sich diese Trends feststellen. Stark aufgelockerter Umbruch und vielfältige Illustration unterstützen die Lektüre, deren Spontaneitätsspielraum überhaupt durch eine Vorformung des Stoffes (patterning, predigesting) eingeschränkt ist. Die redaktionellen Stellungnahmen treten hinter Agenturnachrichten und Korrespondentenberichten zurück; das Räsonnement verschwindet hinter dem Schleier der intern getroffenen Entscheidungen über Selektion und Präsentation des Materials. Sodann verändert sich der Anteil der politischen oder politisch relevanten Nachrichten: public 68 W. G . Bleyer, H i s t o r y of the American Journalism, Boston 1927, S. 184. 69 Einer in Deutschland vor wenigen Jahren durchgeführten Untersuchung zufolge, lesen von den Erwachsenen, deren Tageszeitung einen entsprechenden Beitrag enthält,
86%
die
Berichterstattung
über
Unglücksfälle,
Verbrechen
und
»menschliche Schicksale«, 85 % lesen den lokalen Teil, aber nur 4 0 % den Leitartikel, 52 % politische Nachrichten im Innern des Blattes und 59 % den politischen Hauptartikel. Ende 1957 wurden von der erwachsenen Bevölkerung in der B u n desrepublik über 7 0 % von mindestens einer Tageszeitung erreicht; und zwar lasen regelmäßig 1 7 % eine Boulevardzeitung, 63 % eine lokale Zeitung, 2,4 % eine der großen Tageszeitungen, die über das gesamte Bundesgebiet streuen. Fast die Hälfte der Erwachsenen lesen regelmäßig illustrierte Wochenzeitschriften und ein weiteres Viertel andere, überwiegend unterhaltende Magazine, Wochenend- und Frauenzeitschriften, Rundfunk- und Fernsehblätter. ( D I V O ,
Der
westdeutsche Markt in Zahlen, Frankfurt 1958, S. 145 ff.) 259
affairs, social problems, economic matters, education, health - nach einer Einteilung amerikanischer Autoren eben die delayed reward news, werden von den immediate reward news: comic, corruption, accidence, desaster, sports, recreation, social events, human interest nicht nur zurückgedrängt, sondern - wie aus der charakteristischen Bezeichnung schon hervorgeht - auch tatsächlich weniger und seltener gelesen. Schließlich nehmen die Nachrichten überhaupt Formen der Einkleidung an, werden vom Format bis ins stilistische Detail einer Erzählung angeglichen (news stories); die strenge Scheidung von fact und fiction wird immer häufiger aufgegeben. Nachrichten und Berichte, selbst Stellungnahmen werden mit dem Inventar der Unterhaltungsliteratur ausgestattet, während andrerseits die belletristischen Beiträge streng »realistisch« auf die Verdoppelung des ohnehin unter Klischees subsumierten Bestehenden abstellen und ihrerseits die Grenze zwischen Roman und Reportage aufheben. Was sich derart in der Tagespresse erst andeutet, ist in den neueren Medien schon fortgeschritten: die Integration der einst getrennten Bereiche von Publizistik und Literatur, nämlich Information und Räsonnement auf der einen, Belletristik auf der anderen Seite, bringt eine eigentümliche Realitätsverschiebung, geradezu eine Verschlingung verschiedener Realitätsebenen zustande. Auf dem gemeinsamen Nenner des sogenannten human interest entsteht das mixtum compositum eines angenehmen und zugleich annehmlichen Unterhaltungsstoffes, der tendenziell Realitätsgerechtigkeit durch Konsumreife ersetzt und eher zum unpersönlichen Verbrauch von Entspannungsreizen ver-, als zum öffentlichen Gebrauch der Vernunft anleitet. Funk, Film und Fernsehen bringen den Abstand, den der Leser zum gedruckten Buchstaben einhalten muß, gradweise zum Verschwinden - eine Distanz, die die Privatheit der Aneignung ebenso verlangte, wie sie die Öffentlichkeit eines räsonierenden Austausches über das Gelesene erst ermög70
71
72
70 W. Schramm und D.W. White, A g e , Education and Economic Status as Factors in N e w s p a p e r Reading, in: Schramm, a . a . O . , S. 402ff. 71 G . Seldes, The Great Audience, N e w York 1 9 5 1 . 72 H . M . Hughes, Human Interest Stories and Democracy, in: Berelson und J a n o w i t z , Public Opinion and Communication, Glencoe 1950, S. 3 1 7 f t . 260
lichte. Mit den neuen Medien ändert sich die Kommunikationsform als solche; sie wirken darum, in des Wortes strikter Bedeutung, penetranter als die Presse je es vermochte. Das Verhalten des Publikums nimmt unter dem Zwang des »Don't talk back« eine andere Gestalt an. Die Sendungen, die die neuen Medien ausstrahlen, beschneiden, im Vergleich zu gedruckten Mitteilungen, eigentümlich die Reaktionen des Empfängers. Sie ziehen das Publikum als Hörende und Sehende in ihren Bann, nehmen ihm aber zugleich die Distanz der »Mündigkeit«, die Chance nämlich, sprechen und widersprechen zu können. Das Räsonnement eines Lesepublikums weicht tendenziell dem »Geschmacks«- und »Neigungsaustausch« von Konsumenten - noch das Reden über das Konsumierte, »die Prüfung der Geschmackskenntnisse«, wird zum Teil des Konsums selbst. Die durch Massenmedien erzeugte Welt ist Öffentlichkeit nur noch dem Scheine nach; aber auch die Integrität der Privatsphäre, deren sie andererseits ihre Konsumenten versichert, ist illusionär. Im Laufe des 1 8 . Jahrhunderts hatte das bürgerliche Lesepublikum im intimen Briefwechsel so gut wie in der Lektüre einer daraus sich entwickelnden psychologischen Roman- und Novellenliteratur eine literaturfähige und publizitätsbezogene Subjektivität kultivieren können. In dieser Gestalt interpretierten die Privatleute ihre neue Existenzform, die ja auf dem liberalen Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatsphäre beruhte. Die Erfahrung der Privatheit ermöglichte das literarische Experiment mit der Psychologie des 73
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73 »Television and radio, because they appear, among all of the media, to have most direct line of communication to individuals, are perhaps the most influential. A t its best the newspaper exerts a tremendously powerful influence. B u t it is less personalized than the broadcast (and the pictures) media, and certainly less intimate in concept. The press however allow lor privacy of thought, for only one person can read a speach in the newspaper, but several may watch and listen to it . . . A televised speach is directed eletronically >to you<, the listener. The same speach reprinted in the morning paper is one step removed from immediacy and directness.« C h . S. Steinberg, The Mass communicators, N e w York 1958, S. 1 2 2 . 74 Vgl. dazu G . Anders, Die Antiquiertheit des Menschen, München 1 9 5 7 ; ferner: L. Bogart, The A g e of Television, N e w York 1958. 75 D . Riesman, Die einsame Masse, Berlin 1956, S. 446, vgl. dazu auch die Beiträge in den Sammelbänden: White und Rosenberg, Mass Culture, N e w Y o r k 1 9 5 5 ; Larabee und Meyersohn, Mass Leisure, N e w York 1959. 261
Bloß-Menschlichen, mit der abstrakten Individualität der natürlichen Person. Indem heute die Massenmedien die literarischen Hülsen von jenem Selbstverständnis der Bürger abstreifen und sich ihrer als der gängigen Formen für die öffentlichen Dienstleistungen der Konsumentenkultur bedienen, verkehrt sich der ursprüngliche Sinn. Die sozialisierten Muster der psychologischen Literatur des 18. Jahrhunderts, unter denen Sachverhalte des 20. für human interest und die biographische Note aufbereitet werden, übertragen einerseits die Illusion integrer Privatsphäre und intakter Privatautonomie auf Verhältnisse, die beidem die Basis längst entzogen haben. Andrerseits werden sie auch politischen Tatbeständen so weit übergestülpt, daß sich Öffentlichkeit selber im Bewußtsein des konsumierenden Publikums privatisiert; ja, Öffentlichkeit wird zur Sphäre der Veröffentlichung privater Lebensgeschichten, sei es, daß die zufälligen Schicksale des sogenannten kleinen Mannes oder die planmäßig aufgebauter Stars Publizität erlangen, sei es, daß die öffentlich relevanten Entwicklungen und Entscheidungen ins private Kostüm gekleidet und durch Personalisierung bis zur Unkenntlichkeit entstellt werden. Sentimentalität gegenüber Personen und der entsprechende Zynismus gegenüber Institutionen, die sich mit sozialpsychologischer Zwangsläufigkeit daraus ergeben, schränken dann natürlich die Fähigkeit kritischen Räsonnements gegenüber der öffentlichen Gewalt, wo es objektiv noch möglich wäre, subjektiv ein. Der einst schützende Raum der familialen Intimsphäre ist auch in den Schichten, die man früher zu den »gebildeten« gerechnet hätte, soweit aufgebrochen, daß die privaten Beschäftigungen der Romanlektüre und des Briefwechsels als Voraussetzung für die Teilnahme an literarisch vermittelter Öffentlichkeit außer Kraft gesetzt sind. Bezogen auf das Verhalten des bürgerlichen Lesepublikums darf es als ausgemacht gelten, daß die Verbreitung der Buchlektüre im erweiterten Publikum der Massenmedien rapide abgenommen hat. Die Gewohnheit, sich in Briefen persönlich auszutauschen, dürfte mindestens im gleichen Maße geschwunden sein. Sie wird vielfach durch die Teilnahme an der brieflichen Zwiesprache er76
76 L.
Löwenthal, Die biographische M o d e , in: Sociologica, Frankfurt
S. 363 ff.; ders., Literatur und Gesellschaft, N e u w i e d 1964.
262
1955,
setzt, die Zeitungs- und Zeitschriftenredaktionen, auch die Funkund Fernsehstationen mit ihrer Lesergemeinde pflegen. Uberhaupt empfehlen sich die Massenmedien als Adressaten für persönliche Nöte und Schwierigkeiten, als Autoritäten der Lebenshilfe: sie bieten reichlich Gelegenheit zu Identifikationen - zu einer Art Regeneration des privaten Bereichs aus dem bereitgestellten Fond öffentlicher Ermunterungs- und Beratungsdienste. Das ursprüngliche Verhältnis der Intimsphäre zur literarischen Öffentlichkeit kehrt sich um: die publizitätsbezogene Innerlichkeit weicht tendenziell einer intimitätsbezogenen Verdinglichung. Die Problematik der privaten Existenz wird in einem gewissen Grade von der Öffentlichkeit aufgesogen, unter der Oberaufsicht publizistischer Instanzen wenn nicht ausgetragen, so doch ausgebreitet. Andererseits erhöht sich das Bewußtsein der Privatheit gerade durch eine solche Publizierung, mit der die von den Massenmedien hergestellte Sphäre Züge sekundärer Intimität angenommen hat. Diesem sozialpsychologischen Befund entspricht soziologisch nun nicht, wie es ein verbreitetes Vorurteil will, ein Publikum, das gleichsam nur von der Peripherie her durch halbliterate Konsumentenmassen überschwemmt und aufgerissen, in seinen Zentren, zumal in den oberen Rängen des neuen Mittelstandes, über eine gewisse Kontinuität mit der Tradition jener literarisch räsonierenden Privatleute des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts verfügte. Sonst stände nämlich zu erwarten, daß sich die Einrichtungen und Verhaltensweisen der neuen Konsumentenkultur in den unteren sozialen Schichten eher und weiter verbreiten würden als in den höhe77
78
77 Ü b e r die erstaunliche Wirkung publizistischer »Lebenshilfe« berichtet, auf G r u n d empirischer Studien, Elisabeth Noelle, Die Wirkung der Massenmedien, in: Publizistik, Band V, i960, S. 532ff.: »Wenn in einer N u m m e r der >Constanze< ein Ratschlag stand, wie man einen schadhaften Hemdkragen erneuert, so probieren das von den Leserinnen dieser N u m m e r eine Million aus . . . Nahezu zweieinhalb Millionen Leserinnen einer N u m m e r lagerten einige Tage oder Wochen lang stündlich fünf Minuten die Beine hoch, weil das in der >Constanze< gestanden hatte.« E b d . S. 538f. 78 D i e gleiche Komplementarität der Trends zur »Entinnerlichung« einerseits und andererseits zu einer Differenzierung und Individualisierung, die reaktiv den Schein von Privatheit erzeugen, analysiert H J . Knebel am Beispiel des Sozialtourismus: Soziologische Strukturwandlungen im modernen Tourismus, Stuttgart i960, S. 124ff.
263
ren. Einer solchen Annahme entsprechen die gegenwärtigen Verhältnisse nicht; vielmehr ist die regelmäßige Lektüre von Wochenendmagazinen, illustrierten Zeitschriften und Boulevardblättern, ist regelmäßiger Radio- und Fernsehempfang, auch ein regelmäßiger Kinobesuch in den höheren Statusgruppen und unter der Stadtbevölkerung immer noch relativ stärker anzutreffen als in den niederen Statusgruppen und unter der Landbevölkerung. Fast durchgehend steigt diese Art Kulturkonsum mit dem Status, gemessen an Kriterien der Berufsstellung, des Einkommens und der Schulbildung, ebenso wie mit dem Grad der Verstädterung, vom Dorf über Klein- und Mittelstadt bis zur Großstadt. Einerseits dürfen die Linien der Publikumserweiterung nicht ohne weiteres aus seiner heutigen sozialen Zusammensetzung derart nach rückwärts projiziert werden, als seien in den Kreis des städtisch-bürgerlichen Lesepublikums jener »gebildeten Stände« gleichsam immer neue Randschichten einbezogen worden; andrerseits schließt der Tatbestand aber auch die entgegengesetzte Version aus, daß das Publikum der Massenmedien von »unten«, aus der Arbeiterschaft, und von »außen«, aus der Landbevölkerung, das alte Publikum aufgesprengt und verdrängt habe. Sozialgeschichtliche Beobachtungen legen es vielmehr nahe, bis zu einem gewissen Grade von jenem Fall einer Erweiterung des Publikums, der bei der Einführung des Fernsehens in den USA unter Kontrolle einer empirisch entwickelten Sozialforschung beobachtet werden konnte, auf die Erweiterung und gleichzeitige Umbildung des kulturräsonierenden zum kulturkonsumierenden Publikum auch der früheren Stadien zu extrapolieren. In den USA wurde festgestellt, daß unter den Gruppen, die sich als erste zur Anschaffung eines Fernsehapparats entschlossen, solche Käufer überwogen, deren Schulbildungsgrad der Höhe ihres Einkommens nicht entsprach. Wenn eine Verallgemeinerung erlaubt ist, gehören die Verbraucherschichten, in die neue Formen 79
80
79 D I V O , a . a . O . , S. 145ff.
und Jahrbuch der öffentlichen
Meinung,
a.a.O.,
S. 51 ff. Die Häufigkeit des Kinobesuchs hängt freilich in erster Linie von der Altersstufe ab. Z u m Ganzen vgl. auch G . Kieslich, Freizeitgestaltung in einer Industriestadt, D o r t m u n d 1956. 80 C . E . Swanson, R . D . Jones, Television O w n i n g and its Correlates, in: Journal of Applied Psychology, Oct. 1 9 5 1 , S. 352ff. 264
der Massenkultur zuerst eindringen, weder zur etablierten Bildungsschicht noch zu den sozialen Unterschichten, sondern verhältnismäßig oft zu solchen im Aufstieg begriffenen Gruppen, deren Status noch der kulturellen Legitimierung bedarf. Durch diese Initialgruppe vermittelt, verbreitet sich das neue Medium dann allerdings zunächst innerhalb des höheren sozialen Stratums, um von dort auf die niederen Statusgruppen allmählich überzugreifen. Aus solchen Zusammenhängen mag sich auch die Abspaltung einer »Intelligenz« von den bürgerlichen Bildungsschichten erklären; diese haben nämlich, ihrem ideologisch konservierten Selbstverständnis zum Trotz, auch innerhalb des neuen Publikums der Kulturkonsumenten ihre, nun freilich weniger rühmliche, Führungsrolle durchaus behauptet. Von Richardsons »Pamela« hatte man sagen können, daß sie vom ganzen Publikum, d.h. von »allen«, die überhaupt lasen, gelesen wurde. Dieses intime Verhältnis der Künstler und Literaten zu ihrem Publikum lockert sich etwa seit dem Naturalismus; zugleich verliert das »zurückbleibende« Publikum die kritische Gewalt über die Produzenten. Moderne Kunst lebt fortan unter einem Schleier der Propaganda: die publizistische Anerkennung von Künstler und Werk steht nur noch in einem zufälligen Verhältnis zu deren Anerkennung im breiten Publikum. Jetzt erst entsteht eine »Intelligenz«, die sich ihre fortschreitende Isolierung, zunächst vom Publikum der bürgerlich Gebildeten, als eine - illusionäre - Emanzipation von sozialen Standorten überhaupt verständlich macht, sich als »freischwebende Intelligenz« interpretiert. Auch Hauser datiert ihren Ursprung auf etwa die Mitte des 19. Jahrhunderts: »Erst nach seinem Sieg über die Revolution und der Niederlage des Chartismus fühlte sich das Bürgertum in seiner Macht so sicher, daß es keine Gewissenskonflikte und Gewissensbisse mehr hatte und einer Kritik nicht mehr zu bedürfen glaubte. Damit ging aber für die Bildungsschicht, namentlich für ihren literarisch produktiven Teil, das Gefühl verloren, daß sie in der Gesellschaft eine Mission zu erfüllen habe. Sie sah sich von der Gesellschaftsklasse, deren Wortführerin sie bisher war, abgeschnitten und fühlte sich zwischen den ungebildeten Schichten und dem 81
81 Diese Interpretation gibt R. Meyersohn, Social Research in Television, in: Mass Culture, a . a . O . , S. 347.
265
Bürgertum, das ihrer nicht mehr bedurfte, vollkommen isoliert. Mit diesem Gefühl entstand erst aus der früheren, bürgerlich verwurzelten Bildungsschicht das soziale Gebilde, das wir als >Intelligenz< bezeichnen.« Ein Jahrhundert später ist allerdings diese Intelligenz sozial ganz integriert; aus der lumpenproletarischen Boheme ist die Gruppe der gut bezahlten Kulturfunktionäre zur Respektabilität der manageriellen und bürokratischen Führungsschichten aufgestiegen. Geblieben ist die Avantgarde als Institution; ihr entspricht die fortdauernde Entfremdung zwischen den produktiven und kritischen Minderheiten der Spezialisten und der spezialistischen Amateure, die mit den Prozessen hochgradiger Abstraktion in Kunst, Literatur und Philosophie, mit dem spezifischen Altern im Umkreis der Moderne, auch freilich mit bloßem Kulissenwechsel und modischer Spiegelfechterei Schritt halten, auf der einen Seite - und dem großen Publikum der Massenmedien auf der anderen. Der Zerfall der literarischen Öffentlichkeit faßt sich in dieser Erscheinung noch einmal zusammen: der Resonanzboden einer zum öffentlichen Gebrauch des Verstandes erzogenen Bildungsschicht ist zersprungen; das Publikum in Minderheiten von nicht-öffentlich räsonierenden Spezialisten und in die große Masse von öffentlich rezipierenden Konsumenten gespalten. Damit hat es überhaupt die spezifische Kommunikationsform eines Publikums eingebüßt. 82
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82 Hauser, a. a. O . , B d . I I , S. 379. 83 A m Beispiel der Soziologen zeigt das R. König, Wandlungen in der Stellung der sozialwissenschaftlichen Intelligenz, in: Soziologie und moderne Gesellschaft, Verhandlungen des 14. Deutschen Soziologentages, Stuttgart 1959, S. 53ff.; im allgemeinen: T h . Geiger, Aufgaben und Stellung der Intelligenz in der Gesellschaft, Stuttgart 1949. 84 T h . W. A d o r n o , Das Altern der neuen Musik, in: Dissonanzen, a . a . O . , S. 102ff. 85 Vgl. A . Gehlen, Bemerkungen zum Thema »Kulturkonsum und K o n s u m k u l tur«, Tagungsbericht des »Bundes«, Wuppertal 1 9 5 5 , S. 6 ff. 266
§ 1 9 Der verwischte Grundriß: Entwicklungslinien des Zerfalls bürgerlicher Öffentlichkeit Auf dem Wege vom kulturräsonierenden zum kulturkonsumierenden Publikum hat, was sich einst als literarische Öffentlichkeit von der politischen noch unterscheiden ließ, den spezifischen Charakter eingebüßt. Die durch Massenmedien verbreitete »Kultur« ist nämlich eine Integrationskultur: sie integriert nicht nur Information und Räsonnement, die publizistischen Formen mit den literarischen Formen der psychologischen Belletristik zu einer von human interest bestimmten Unterhaltung und »Lebenshilfe«; sie ist elastisch genug, sich gleichzeitig auch Elemente der Werbung zu assimilieren, ja, selber als eine Art Super-Slogan zu dienen, der, gäbe es ihn nicht schon, zum Zwecke von public relations für den Status quo schlechthin hätte erfunden werden können. Die Öffentlichkeit übernimmt Funktionen der Werbung. Je mehr sie als Medium politischer und ökonomischer Beeinflussung eingesetzt werden kann, um so unpolitischer wird sie im ganzen und dem Schein nach privatisiert. S6
87
86 H . M . Enzensberger, Bewußtseins-Industrie, in: Einzelheiten, a . a . O . , S. 7 ff. 87 Vgl. W. Thomssen, Z u m Problem der Scheinöffentlichkeit,
inhaltsanalytisch
dargestellt an der Bildzeitung, Frankfurt i960, Manuskript. Der Untersuchung lagen 69 Zeitungen der Hamburger Bundesausgabe zugrunde, davon streuten jeweils 23 Ausgaben gleichmäßig über die Halbjahrgänge 2 / 1 9 5 3 , 1 / 1 9 5 6 , 2/1958. Diese Untersuchung erlaubt es, die Größenordnung des genannten Trends an einem extremen Beispiel anzugeben: die dafür gewählte Tageszeitung, die Bildzeitung, eignet sich diagnostisch deshalb gut, weil sie innerhalb der Tagespresse, also der klassischen Gattung der Publizistik, ein Stadium der Entwicklung bezeichnet, in dem die Tageszeitung bereits Formen eines täglich erscheinenden Magazines annimmt. Die Auflockerung im U m b r u c h ist so weit fortgeschritten, daß von der Gesamtfläche durchschnittlich nur 40 % auf den Text selber entfallen, während ungefähr je ein Viertel Uberschriften und Bildern vorbehalten ist; den restlichen Raum nimmt Reklame ein. E t w a die Hälfte der Gesamtfläche des Textes w i r d mit Nachrichten und Berichten, ein Viertel mit Unterhaltung bestritten; auf Sportnachrichten entfällt ein Anteil von 12 % , auf redaktionelle Mitteilungen 7 % ; diese dienen nicht etwa dem Räsonnement, sondern einem unmittelbaren Kontakt mit den Lesern durch Briefberatung, Preisausschreiben, Umfragen usw. Von den Nachrichten und Berichten erstrecken sich kaum mehr als ein viertel auf Sachbereiche, die - im weiteren Sinne - als politisch relevant gelten dürfen: auf Politik (inklusive »Leitartikel«) 19 % und aufklärende Informationen
267
Das Modell der bürgerlichen Öffentlichkeit rechnete mit der strikten Trennung des öffentlichen vom privaten Bereich, wobei die Öffentlichkeit der zum Publikum versammelten Privatleute, die den Staat mit Bedürfnissen der Gesellschaft vermittelt, selbst zum privaten Bereich zählte. Im Maße der Verschränkung des öffentlichen mit dem privaten Bereich wird dieses Modell unanwendbar. Es entsteht nämlich eine repolitisierte Sozialsphäre, die sich weder soziologisch noch juristisch unter Kategorien des Öffentlichen oder Privaten subsumieren läßt. In diesem Zwischenbereich durchdringen sich die verstaatlichten Bereiche der Gesellschaft und die vergesellschafteten Bereiche des Staates ohne Vermittlung der politisch räsonierenden Privatleute. Das Publikum wird von dieser Aufgabe durch andere Institutionen weitgehend entlastet: einerseits durch Verbände, in denen sich die kollektiv organisierten Privatinteressen unmittelbar politische Gestalt zu geben suchen; andererseits durch Parteien, die sich, mit Organen der öffentlichen Gewalt zusammengewachsen, gleichsam über der Öffentlichkeit etablieren, deren Instrumente sie einst waren. Der Prozeß des politisch relevanten Machtvollzugs und Machtausgleichs spielt sich direkt zwischen den privaten Verwaltungen, den Verbänden, den Parteien und der öf8 % . Die übrige Fläche ist auf Verbrechen, Unglücke und Berichte aus dem Alltag (32 % ) , auf Prozesse (13 % ) , auf »Gesellschaft«, Film, M o d e , Schönheitswettbewerbe usw. ( 2 1 % ) , auf Lebenshilfe und Unterrichtung ( 7 % ) aufgeteilt. Dabei sind diese Artikel in der A r t aufgemacht, daß bei der einen Hälfte der Text, bei der anderen die Illustration überwiegt. N u r ein Drittel der gesamten Nachrichtenfläche wird von Beiträgen eingenommen, die in »sachlicher« F o r m orientieren; zwei Drittel von solchen, die eingekleidet und überwiegend auf human interest abgestimmt wird; unter den Hauptartikeln der Titelseite steigt der Anteil der als human interest stories aufgemachten Beiträge auf 7 2 % . So erstaunt denn auch das abschließende Ergebnis der Untersuchung nicht, demzufolge Nachrichten und Berichte aller Kategorien, die als »öffentlich relevant« eingestuft werden dürfen (Mitteilungen von oder Stellungnahmen zu Ereignissen, die durch ihren Stellenwert im Lebensprozeß der Gesellschaft eine Bedeutung über den Einzelfall hinaus erhalten), nicht mehr als ein Viertel der gesamten Nachrichtenfläche einnehmen; das entspricht einem Anteil von etwa einem Drittel an der Gesamtzahl aller Nachrichten und Berichte. Unter den Hauptartikeln der Titelseite wächst w i e derum der Anteil der als »nicht öffentlich relevant« eingestuften Beiträge auf 7 3 % ; nur 1 8 % dürfen als »öffentlich relevant« gelten, die nicht einmal in der Aufmachung einer human interest story den Leser vom sachlichen Gehalt ablenken. Einen Gesamtüberblick gibt Tabelle 6, a . a . O . , S. 50.
268
fentlichen Verwaltung ab; das Publikum als solches wird in diesen Kreislauf der Macht sporadisch und auch dann nur zu Zwecken der Akklamation einbezogen. Die Privatleute müssen, soweit sie Lohnoder Gehaltsempfänger und Leistungsberechtigte sind, ihre öffentlich relevanten Ansprüche kollektiv vertreten lassen. Die Entscheidungen aber, die ihnen als Verbraucher und als Wähler individuell verbleiben, geraten in demselben Maße, in dem ihnen öffentliche Relevanz zukommt, unter den Einfluß ökonomischer und politischer Instanzen. Soweit die gesellschaftliche Reproduktion von der Verbrauchsentscheidung und der politische Machtvollzug von der Wahlentscheidung der Privatleute noch abhängt, besteht ein Interesse, darauf Einfluß zu nehmen - hier, um den Absatz zu steigern, dort, um den Stimmenanteil der oder jener Partei formell zu vergrößern oder um informell dem Druck bestimmter Organisationen ein größeres Gewicht zu geben. Der soziale Spielraum der privaten Entscheidungen ist zwar durch objektive Faktoren wie Kaufkraft und Gruppenzugehörigkeit, überhaupt durch den sozioökonomischen Status, präjudiziert. Innerhalb dieses Spielraums lassen sie sich aber um so eher beeinflussen, je mehr das ursprüngliche Verhältnis von Intimsphäre und literarischer Öffentlichkeit sich umgekehrt hat und eine publizistische Aushöhlung der Privatsphäre ermöglicht. So tritt denn der Kulturkonsum auch in den Dienst ökonomischer und politischer Werbung. Während einst das Verhältnis der literarischen zur politischen Öffentlichkeit für jene zentrale Identifikation der Eigentümer mit »Menschen« schlechthin konstitutiv war, ohne daß darum beide ineinander aufgegangen wären, besteht heute die Tendenz der Absorption einer plebiszitierten »politischen« Öffentlichkeit durch die konsumkulturell entpolitisierte. Marx teilte noch die Perspektive der besitzlosen und ununterrichteten Massen, die, ohne die Zulassungsbedingungen der bürgerlichen Öffentlichkeit zu erfüllen, dennoch in sie vordrangen, um die ökonomischen Konflikte in die einzig erfolgversprechende Form des politischen Konflikts umzusetzen. Seiner Meinung nach würden sie die rechtsstaatlich institutionalisierte Plattform der Öffentlichkeit nicht benützen, um sie zu zerstören, sondern um sie zu dem zu machen, was ihr liberaler Schein nach wie vor versprach. In Wirklichkeit führte jedoch die Okkupation der politischen Öffent269
lichkeit durch die Masse der Nichteigentümer zu jener Verschränkung von Staat und Gesellschaft, die der Öffentlichkeit ihre alte Basis entzog, ohne ihr eine neue zu geben. Der Integration des öffentlichen und des privaten Bereichs entsprach nämlich eine Desorganisation der Öffentlichkeit, die einst Staat und Gesellschaft vermittelte. Diese Vermittlungsfunktion geht vom Publikum auf solche Institutionen über, die sich, wie die Verbände, aus der Privatsphäre, oder, wie die Parteien, aus der Öffentlichkeit heraus gebildet haben und nun Machtvollzug und Machtausgleich im Zusammenspiel mit dem Staatsapparat intern betreiben; dabei bemühen sie sich über die ihrerseits verselbständigten Massenmedien bei dem mediatisierten Publikum um Zustimmung oder mindestens Duldung. Publizität wird gleichsam von oben entfaltet, um bestimmten Positionen eine Aura von good will zu verschaffen. Ursprünglich garantierte Publizität den Zusammenhang des öffentlichen Räsonnements sowohl mit der legislativen Begründung der Herrschaft als auch mit der kritischen Aufsicht über deren Ausübung. Inzwischen ermöglicht sie die eigentümliche Ambivalenz einer Herrschaft über die Herrschaft der nichtöffentlichen Meinung: sie dient der Manipulation des Publikums im gleichen Maße wie der Legitimation vor ihm. Kritische Publizität wird durch manipulative verdrängt. Wie sich, mit dem Prinzip der Publizität, gleichzeitig die Idee der politisch fungierenden Öffentlichkeit und ihre tatsächliche Funktion wandeln, zeigt sich daran, daß sich der - noch vom Liberalismus prätendierte - Zusammenhang von öffentlicher Diskussion und Gesetzesnorm auflöst und nicht länger beansprucht wird. Der liberale Begriff der Gesetzesnorm, an die Exekutive und Justiz gleichermaßen, wenn auch nicht in gleicher Weise gebunden sind, implizierte die Momente der Allgemeinheit und Wahrheit (Gerechtigkeit = Richtigkeit). Seine Struktur spiegelt die der bürgerlichen Öffentlichkeit wider, denn einerseits ist Allgemeinheit der Gesetze im strengen Sinne nur so lange verbürgt, als die intakte Autonomie der Gesellschaft als privater Sphäre es erlaubt, spezielle Interessenlagen aus der Gesetzgebungsmaterie auszusparen und die Normierung auf die generellen Bedingungen des Interessenausgleichs zu beschränken. »Wahrheit« der Gesetze ist andererseits so lange nur 270
verbürgt, als eine im Parlament zum Staatsorgan erhobene Öffentlichkeit es erlaubt, das im allgemeinen Interesse praktisch Notwendige durch öffentliche Diskussion zu ermitteln. Daß dabei gerade die Formalität jener Allgemeinheit die »Wahrheit« als Richtigkeit im materiellen Sinne des bürgerlichen Klasseninteresses sicherte, gehörte zur alsbald aufgedeckten Dialektik dieses Gesetzesbegriffs; sie beruht auf der Dialektik der bürgerlichen Öffentlichkeit selbst. Da die Trennung von Staat und Gesellschaft überwunden wird und der Staat vorsorgend, verteilend und verwaltend in die Gesellschaftsordnung eingreift, läßt sich die Generalität der Norm als Prinzip nicht mehr durchweg halten. Die der Normierung bedürftigen Tatbestände sind jetzt auch soziale Tatbestände im engeren Sinne, daher konkret, nämlich an bestimmte Personengruppen und unstete Situationen gebunden. Gesetze, auch wo sie sich nicht ausdrücklich als Maßnahmegesetze (eben als nichtgenerelle Norm) zu verstehen geben, nehmen unter diesen Umständen oft schon den Charakter verwaltender Detaildispositionen an; der Un88
89
88 »Generalität« der N o r m ist im strengen Sinne des bürgerlichen Gesetzesbegriffs nicht schon durch das formale
Kriterium der Allgemeinheit erfüllt; diesem Sinn
ist erst Genüge getan, wenn die allgemeine Formulierung, die Dispensierungen und Privilegierungen ausschließt, unter gegebenen gesellschaftlichen Verhältnissen auch faktisch an keine bestimmte Gruppe innerhalb der Gesellschaft adressiert ist. Die Rechtswirkung des nach materialen Kriterien allgemeinen Gesetzes darf nicht selektiv sein; sie muß »elementar« oder »prinzipiell« sein in der Weise, daß sie sich auf die Grundlagen der gesamtgesellschaftlichen Ordnung und insofern auf den möglichen Personenkreis aller Mitglieder der Gesellschaft bezieht. Rechssätze, die nicht nur Prinzipien des gesellschaftlichen Verkehrs im ganzen, sondern konkrete Tatbestände innerhalb des Rahmens der Gesamtordnung normieren, heißen, im Unterschied zu den generellen, »spezifisch«, gleichviel, ob sie ihrer Formulierung nach allgemein gefaßt sind. N u r in der liberalen Phase des Kapitalismus war die bürgerliche Gesellschaft so weit als eine privatautonome Sphäre vom Staat »getrennt«, daß sich die Gesetzgebung der Tendenz nach auf ein System genereller N o r m e n beschränkt; und nur in dieser Phase mußte die Allgemeinheit der Formulierung auch die Generalität der tatsächlichen Rechtswirkung implizieren. Vgl. F. N e u m a n n , D e r Funktionswandel des Gesetzes im Recht der bürgerlichen Gesellschaft, a . a . O . ; meine Abhandlung über N a t u r recht und Revolution, in: Theorie und Praxis, a . a . O . , S. 52ff. 89 Z u r begrifflichen Distinktion vgl. u. a. H . Schneider, Ü b e r Einzelfallgesetze, in: Festschrift für Carl Schmitt, Berlin 1959, S. 197 ff. 271
terschied von Gesetz und Maßnahme wird unscharf. Teils sieht sich die Gesetzgebung zu Konkretisierungen genötigt, die tief in die Kompetenzen der Verwaltung eingreifen; häufiger erweitern sich die Kompetenzen der Verwaltung derart, daß deren Tätigkeit kaum mehr als bloßer Gesetzesvollzug gelten darf. Forsthoff faßt die drei typischen Vorgänge zusammen, in denen sich die klassische Trennung und zugleich Verschränkung dieser beiden Gewalten der Tendenz nach auflöst. Das geschieht, indem der Gesetzgeber gleichsam selber zur Aktion schreitet und Maßnahmen trifft; er greift in die Befugnisse der Verwaltung ein (Fall des Maßnahmegesetzes). Oder indem der Gesetzgeber der Verwaltung seine Funktionen überträgt; diese wird zu ergänzender Normsetzung auf dem Verordnungswege ermächtigt (Fall des Ermächtigungsgesetzes). Oder schließlich, indem der Gesetzgeber angesichts einer regelungsbedürftigen Materie von Normierung überhaupt absieht und der Verwaltung freien Lauf läßt. Im gleichen Maße, in dem jene wechselseitige Durchdringung von Staat und Gesellschaft eine P.rivatsphäre auflöst, deren Eigenständigkeit die Generalität der Gesetze ermöglichte, wurde auch der Boden des relativ homogenen Publikums räsonierender Privatleute erschüttert. Die Konkurrenz organisierter Privatinteressen dringt in die Öffentlichkeit ein. Mochten einst die, auf dem gemeinsamen Nenner des Klasseninteresses neutralisierten, weil privatisierten Einzelinteressen eine gewisse Rationalität und auch Effektivität öffentlicher Diskussion gestatten, so ist an deren Stelle heute die 90
90 E . Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, München 195 5, B d . I, S . 9 F ; vgl. dazu Fr. Neumann, D e r Funktionswandel des Rechtsgesetzes, a . a . O . , S. 577. Neumann
analysiert
auch die politische Funktion
der Bemühungen
Carl
Schmitts, die ausschließliche Geltung des klassischen Gesetzes begriff s für die G e setzgebung in der Weimarer Republik zu restaurieren. Analoge
Funktionen ha-
ben heute Bemühungen der Carl-Schmitt-Schule, die ausschließliche Geltung des Rechtsstaatsbegriffs auf verfassungsrechtlicher Ebene zu restaurieren. Vgl. etwa E . Forsthoff, Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaats, in: Veröff. d. Ver. D t . Staatsrechtslehrer, Heft 1 2 , Berlin 1954, These X V : »Sozialstaat und Rechtsstaat lassen sich auf der Verfassungsebene nicht verschmelzen. Der Entfaltungsraum des Sozialstaats ist Gesetzgebung und Verwaltung. Sozialer Rechtsstaat ist die typusbestimmende Kennzeichnung eines Staates, die Verfassung, Gesetzgebung und Verwaltung umgreift. E r ist kein Rechtsbegriff.«
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Demonstration konkurrierender Interessen getreten. Der im öffentlichen Räsonnement ermittelte Konsensus weicht dem nichtöffentlich erstrittenen oder einfach durchgesetzten Kompromiß. D e n auf diesem Wege zustande gekommenen Gesetzen läßt sich, selbst wenn ihnen das Moment der Allgemeinheit in vielen Fällen erhalten bleibt, das Moment der »Wahrheit« nicht länger vindizieren; denn auch die parlamentarische Öffentlichkeit, die Stätte, an der sie sich auszuweisen hatte, ist zerbrochen: »Die Diskussion verliert, wie das in der Literatur häufig des näheren beschrieben worden ist, ihren schöpferischen Charakter. Die Reden, die im Plenum des Parlaments gehalten werden, sind nicht mehr dazu da, andersdenkende Abgeordnete zu überzeugen, sondern wenden sich - jedenfalls in den grundsätzlichen, das politische Leben bestimmenden Fragen direkt an die Aktivbürgerschaft . . . Die Öffentlichkeit, die einmal von den Vorgängen innerhalb der parlamentarischen Versammlung gelebt und dieser ihrerseits einen besonderen Glanz vermittelt hat, erhält so einen plebiszitären Charakter.« Es entspricht diesen tatsächlichen Veränderungen, wenn nun auch der Begriff der Gesetzesnorm selbst die Merkmale der Allgemeinheit und Wahrheit positivistisch preisgibt. Seit den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts setzt sich in Deutschland die Lehre vom doppelten Gesetzesbegriff durch. Gesetz im materiellen Sinne heißt seitdem jeder verbindlich angeordnete Rechtssatz, unabhängig davon, ob es sich um allgemeine Regeln oder einzelne Maßnahmen handelt; formell heißen hingegen alle die Gesetze, die, gleich welchen Inhalts, durch parlamentarische Prozedur zustande kommen. Der ursprüngliche, bei Kant so deutlich ausgeprägte Zusammenhang der politisch fungierenden Öffentlichkeit mit einer Herrschaft der Gesetze fällt zwischen diesen beiden Gesetzesbegriffen hindurch. Der veränderten Struktur des Gesetzes ist anzusehen, daß dem Grundsatz der Publizität die Aufgabe einer Rationalisierung politischer Herrschaft nicht mehr zugemutet wird. Das mediatisierte Publikum ist zwar, innerhalb einer immens erweiterten Sphäre der Öffentlichkeit, unvergleichlich vielseitiger und häufiger
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91 G . Leibholz, Strukturwandel der modernen Demokratie, in: Strukturprobleme
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der Demokratie, Karlsruhe 1958, S. 94h 92 Vgl. Böckenförde, a . a . O . , Teil I I I , S. 210ff.
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zu Zwecken der öffentlichen Akklamation beansprucht, aber gleichzeitig steht es den Prozessen des Machtvollzugs und des Machtausgleichs so fern, daß deren Rationalisierung durch das Prinzip der Öffentlichkeit kaum noch gefordert, geschweige denn gewährleistet werden kann.
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VI Politischer Funktionswandel der Öffentlichkeit § 20 Vom Journalismus schriftstellernder Privatleute zu den öffentlichen Dienstleistungen der Massenmedien Werbung als Funktion der Öffentlichkeit Die Umfunktionierung des Prinzips der Öffentlichkeit basiert auf einer Umstrukturierung der Öffentlichkeit als Sphäre, die am Wandel ihrer vorzüglichsten Institution, der Presse, dingfest zu machen ist. Einerseits wird im Maße ihrer Kommerzialisierung die Schwelle zwischen Warenzirkulation und Publikumsverkehr eingeebnet; innerhalb des privaten Bereichs verwischt sich die klare Abgrenzung zwischen Öffentlichkeit und Privatsphäre. Andererseits hört aber Öffentlichkeit in dem Maße, in dem die Unabhängigkeit ihrer Institutionen nur mehr durch gewisse politische Garantien gesichert werden kann, überhaupt auf, ausschließlich ein Teil des privaten Bereichs zu sein. Aus dem System privater Korrespondenzen hervorgegangen und noch lange Zeit von ihnen überflügelt, war das Zeitungsgewerbe zunächst in Formen handwerklicher Kleinbetriebe organisiert; die Kalkulationen richteten sich in dieser ersten Phase nach Grundsätzen einer bescheidenen, in den traditionalistischen Grenzen des Frühkapitalismus gehaltenen Profitmaximierung; das Interesse des Verlegers an seinem Unternehmen war rein geschäftlich. Seine Tätigkeit beschränkte sich im wesentlichen auf die Organisation des Nachrichtenverkehrs und die Kollationierung der Nachrichten selbst. - Zu diesem ökonomischen tritt indessen ein neues, ein im weiteren Sinne politisches Moment hinzu, sobald sich die Nachrichten- zur Gesinnungspresse entfaltete und der Avisenschreiberei im schriftstellernden Journalismus eine Konkurrenz entstand. Den großen Zug der Entwicklung bezeichnet Bücher mit einem Satz: »Die Zeitungen wurden aus bloßen Nachrichtenpublikationsanstalten auch Träger und Leiter der öffentlichen Meinung, Kampfmittel der Parteipolitik. Dies hatte für die innere Organisation der Zeitungsunternehmung die Folge, daß sich zwischen die Nachrich1
i Vgl. oben das Schema S. 88. 275
tensammlung und die Nachrichtenpublikation ein neues Glied einschob: die Redaktion. Für den Zeitungsverleger aber hatte es die Bedeutung, daß er aus einem Verkäufer neuer Nachrichten zu einem Händler mit öffentlicher Meinung wurde.« Der eigentliche Umschwung vollzog sich freilich nicht erst mit der Verselbständigung einer Redaktion; er begann mit den »gelehrten Zeitungen« auf dem Kontinent, den moralischen Wochenschriften und politischen Zeitschriften in England, sobald sich einzelne Schriftsteller des neuen Instruments der periodischen Presse bedienten, um ihrem in pädagogischer Absicht betriebenen Räsonnement publizistische Wirkung zu verschaffen. Man hat von dieser zweiten Phase als einer des »schriftstellernden Journalismus« gesprochen. Jetzt trat der erwerbswirtschaftliche Zweck solcher Unternehmen meist ganz in den Hintergrund; ja sie verstießen gegen alle Regeln der Rentabilität, oft Verlustgeschäfte von Anbeginn. Der pädagogische, später zunehmend der politische Impuls, ließ sich sozusagen durch den Konkurs finanzieren. In England waren Zeitungen und Zeitschriften dieser Art häufig »Steckenpferde der Geldaristokratie«, auf dem Kontinent entsprangen sie öfter der Initiative einzelner Gelehrten und Schriftsteller. Diese trugen zunächst das wirtschaftliche Risiko allein; sie beschafften nach eigenem Ermessen das Material, honorierten ihre Mitarbeiter und waren Eigentümer der Zeitschriften, deren Nummern für die Verleger eine fortlaufende Reihe einzelner Objekte darstellten. Erst nach und nach traten die Herausgeber ihre Unternehmerfunktionen an den Verleger ab. Aus dieser Entwicklung wird die profilierte Stellung des Redakteurs verständlich, der sich weiterhin als »Herausgeber« und »Verfasser« in einem behauptete. Die Beziehung zwischen Verleger und Redakteur ging damals, um die Wende zum 19. Jahrhundert, nicht in einem Angestelltenverhältnis auf; vielfach blieb dieser am Gewinn beteiligt. Zwar bestand auch, vor allem bei den Tageszeitungen alten Stils, die sich von lite2
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2 K. Bücher, Die Anfänge des Zeitungswesens, in: Die Entstehung der Volkswirtschaft, B d . I, S. 257, 10. Aufl., Tübingen 1 9 1 7 . 3 D . P. Baumert, Die Entstehung des deutschen Journalismus, München/Leipzig 1921. 4 U . de Voider, Soziologie der Zeitung, Stuttgart 1959, S. 22. 276
rarischem und politischen Räsonnement freihielten, der traditionelle Typus des Zeitungsunternehmers bis ins 1 9 . Jahrhundert fort: noch Markus Dumont war, als er 1805 die Kölnische Zeitung übernahm, Verfasser, Herausgeber, Verleger und Drucker in einer Person. Aber die konkurrierende Zeitschriftenpresse der publizistisch tätigen Schriftsteller führte, wo sich solche Unternehmen konsolidierten, zur Einrichtung hauptamtlicher und selbständiger Redaktionen. In Deutschland ging Cotta mit gutem Beispiel voran: er bestellte Posselt zum verantwortlichen Redakteur der »Neuesten Weltkunde«; zwischen »Herausgeber« und Verleger waren die publizistischen und die ökonomischen Funktionen nun getrennt. Mit dieser redaktionellen Autonomie hängt es zusammen, daß sich während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch in der Tagespresse der Leitartikel durchsetzt. Wie wenig freilich mit der neuen Gestalt des redaktionellen Journalismus bereits die Rentabilität des Unternehmens über seine publizistische Intention, wie wenig Geschäft über Gesinnung die Oberhand erlangte, zeigt wiederum das Beispiel Cottas, dessen »Allgemeine Zeitung«, ihres bedeutenden Einflusses ungeachtet, über Jahrzehnte ein Zuschußunternehmen blieb. In der Phase, da sich die Öffentlichkeit als eine politisch fungierende durchsetzt, bewahren auch die verlegerisch konsolidierten Zeitungsunternehmen ihren Redaktionen jene Art Freiheit, die für die Kommunikation der Privatleute als Publikum im allgemeinen charakteristisch war. Die Verleger sicherten der Presse die kommerzielle Basis, ohne sie jedoch als solche zu kommerzialisieren. Eine Presse, die sich aus dem Räsonnement des Publikums entwickelt und dessen Diskussion bloß verlängert hatte, blieb durchaus Institution dieses Publikums selbst: wirksam in der Art eines Vermittlers und Verstärkers, nicht mehr bloßes Organ des Informationstransportes und noch kein Medium der Konsumentenkultur. Exemplarisch ist dieser Typus der Presse in Revolutionszeiten zu beobachten, wenn die Zeitungen der kleinsten politischen Zusammenschlüsse und Vereinigungen nur so aus dem Boden schießen - im Paris des Jahres 1789 bildet jeder halbwegs hervorragende Politiker seinen Klub, jeder zweite sein Journal: 450 Klubs und über 200 Journale entstanden 277
dort allein zwischen Februar und Mai! Solange die bloße Existenz einer politisch räsonierenden Presse problematisch bleibt, ist sie zu einer kontinuierlichen Selbstthematisierung gezwungen: bis zur dauerhaften Legalisierung der politisch fungierenden Öffentlichkeit war das Erscheinen einer politischen Zeitung und deren Behauptung gleichbedeutend mit Engagement im Kampf um den Freiheitsspielraum der öffentlichen Meinung, um Öffentlichkeit als Prinzip. Gewiß waren auch die Zeitungen alten Stils rigoros der Zensur unterworfen gewesen; aber der Widerstand gegen diese Schranken konnte, solange die Zeitung ausschließlich Nachrichten vermittelte, niemals in ihren eigenen Spalten ausgetragen werden. Die obrigkeitsstaatlichen Reglements setzen die Presse zu einem bloßen Gewerbe herab, gleichermaßen wie alle übrigen Gewerbe polizeilichen Anweisungen und Verboten ausgeliefert. Die Gesinnungspresse ist hingegen als eine Institution des diskutierenden Publikums primär damit befaßt, dessen kritische Funktion zu behaupten; so wird Betriebskapital erst sekundär, wenn überhaupt, um einer profitablen Verwertung willen investiert. Erst mit der Etablierung des bürgerlichen Rechtsstaates und der Legalisierung einer politisch fungierenden Öffentlichkeit wird die räsonierende Presse vom Gesinnungsdruck entlastet; sie kann jetzt ihre polemische Stellung räumen und die Erwerbschancen eines kommerziellen Betriebs wahrnehmen. In England, Frankreich und den USA bahnt sich eine solche Entwicklung von der Gesinnungszur Geschäftspresse während der dreißiger Jahre des 1 9 . Jahrhunderts ungefähr gleichzeitig an. Das Anzeigengeschäft erlaubt eine neue Grundlage der Kalkulation: bei erheblich herabgesetzten Preisen und einer vervielfachten Abnehmerzahl durfte der Verleger damit rechnen, einen entsprechend wachsenden Teil seines Zeitungsraumes für Annoncen zu verkaufen. Auf diese dritte Phase der Entwicklung trifft Büchers bekannte Definition zu, »daß die Zeitung den Charakter einer Unternehmung annimmt, welche Anzeigenraum als Ware produziert, die durch einen redaktionellen Teil absetzbar wird«. Diese ersten Versuche einer modernen Geschäftspresse gaben der Zeitung den eindeutigen Charakter des privatwirtschaftlichen Erwerbsunternehmens zurück; jetzt freilich, gegen5
5 G r o t h , a . a . O . , B d . I V , S.8ff.
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über den Handwerksbetrieben der alten »Verleger«, auf der neuen Stufe des hochkapitalistischen Großbetriebs; schon um die Mitte des Jahrhunderts war eine Reihe von Zeitungsunternehmen als Aktiengesellschaften organisiert. Mochte anfangs, inmitten einer primär politisch motivierten Tagespresse, die Umstellung einzelner Unternehmen auf eine ausschließlich kommerzielle Basis noch eine bloße Möglichkeit gewinnbringender Investition darstellen, so wurde sie alsbald für alle Herausgeber eine Notwendigkeit. Die Vergrößerung und Vervollkommnung des technischen und organisatorischen Apparats erforderte nämlich eine Erweiterung der Kapitalbasis, eine Erhöhung des geschäftlichen Risikos und zwangsläufig die Unterordnung der Unternehmenspolitik unter Gesichtspunkte der Betriebsökonomie. Schon 1 8 1 4 wird die »Times« auf der neuen Schnellpresse gedruckt, die nach viereinhalb Jahrhunderten Gutenbergs Holzpresse ablöste. Ein Menschenalter später revolutioniert die Erfindung des Telegrafen die Organisation des gesamten Nachrichtennetzes. - Aber 6
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6 Im Deutschland von 1848 handelt es sich um die Nationalzeitung, die Kreuzzeitung und die N e u e Rheinische Zeitung, vgl. dazu Fr. L e n z , Werden und Wesen der öffentlichen Meinung, München 1956, S. 157. 7 Interessen des Börsenverkehrs hatten, zumal im Zeichen eines rapide anwachsenden industriellen Aktienkapitals, schon vorher den Pariser Charles Havas, dazwischen 1830 und 1840 ältere Korrespondenzunternehmen in seiner Hand vereinigte, zur Einrichtung von Taubenposten veranlaßt: er verbreitete vor allem N a c h richten der Londoner Börse an Banken, Firmen und Zeitungen. 1849 konnte er die erste Telegrafenlinie benutzen. Gleichzeitig sucht der Geschäftsführer der Berliner Nationalzeitung, Bernhard Wolff, die Telegrammspesen für sein Blatt dadurch zu ermäßigen, daß er die Meldungen im Abonnement weiterverkauft; so entstand nach der Agence Havas das Wolffsche Telegrafenbüro; beiden folgt 1857 in L o n don die berühmte Reuters Ltd. Diese drei, zunächst privatwirtschaftlich organisierten Unternehmen beherrschen über ein halbes Jahrhundert den europäischen Markt. Erst liefern sie ausschließlich Wirtschaftsnachrichten, bald auch politische (vgl. E . Dovifat, Zeitungslehre, Berlin 1 9 5 5 , B d . 1, S. 62ff.). Der A n r e i z , den die Agenturen für die Börseninteressenten bieten, nicht nur ihr großer Bedarf an K a p i tal, führt alsbald zu Verflechtungen der Telegrafenbüros mit den bedeutendsten Bankinstituten; Wolff verbindet sich mit Bleichröder und Delbrück, Schickler & C o . ; Havas mit dem Credit Lyonnais und Reuters mit der U n i o n Bank of Scotland, sowie der L o n d o n and Provincial Bank: so konnten den insiders, die mit einem Zeitvorsprung in den Besitz wichtiger Nachrichten kamen oder ihrerseits Nachrichten in die Öffentlichkeit schleusten, unter Umständen Spekulationsvor279
nicht nur die privatwirtschaftlichen Interessen des eigenen Betriebs gewinnen an Gewicht, die Zeitung gerät auch in dem Verhältnis, in dem sie sich zu einem kapitalistischen Unternehmen entwickelt, ins Feld betriebsfremder Interessen, die auf sie Einfluß zu nehmen suchen. Die Geschichte der großen Tageszeitungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beweist, daß die Presse im Maße ihrer Kommerzialisierung selbst manipulierbar wird. Seitdem der Absatz des redaktionellen Teiles mit dem Absatz des Annoncenteils in Wechselwirkung steht, wird die Presse, bis dahin Institution der Privatleute als Publikum, zur Institution bestimmter Publikumsteilnehmer als Privatleuten - nämlich zum Einfallstor privilegierter Privatinteressen in die Öffentlichkeit. Das Verhältnis von Verlag und Redaktion ändert sich entsprechend. Die redaktionelle Tätigkeit hatte sich unter dem Druck der technisch fortgeschrittenen Nachrichtenvermittlung ohnehin schon von einer literarischen Tätigkeit zur journalistischen spezialisiert : die Auswahl des Materials wird wichtiger als die der Leitartikel; die Bearbeitung und Beurteilung der Nachrichten, ihre Durchsicht und Zurichtung vordringlicher als die schriftstellerisch wirksame Verfolgung einer »Linie«. Vor allem seit den siebziger Jahren zeichnet sich die Tendenz ab, daß nicht mehr in erster Linie die hervorragenden Publizisten, sondern talentierte Verleger der Zeitung Rang und Namen geben. Der Verlag beruft die Redakteure in der Erwartung, daß sie weisungsgebunden im privaten Interesse eines Erwerbsunternehmens arbeiten. 8
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teile gesichert werden. Als ebenso wichtig erwies sich die informelle Verfilzung der Agenturen mit ihren Regierungen; sie konnten von Fall zu Fall für propagandastische Zwecke eingesetzt werden. 8 Vgl. Groth, a.a. O . , B d . IV, S. 14ff. 9 Vom Berliner Zeitungsmarkt dieser Zeit liegen Berichte vor, die auf die Positionsschwächung des Redakteurs gegenüber dem Verleger nachdrücklich hinweisen. »Nicht mehr der Redakteur ist es, der den Charakter des Blattes bestimmt, nicht einmal der sogenannte Chefredakteur, der früher mit dem Verleger in täglichem, intimem Konnex stand und Ansichten austauschte. A n seine Stelle ist der Verlagsdirektor oder der Verlagsdezernent getreten, der die ganze Gebarung von der geschäftlichen Seite im Auge hat, sei es im Hinblick auf den A b s a t z , sei es für allgemein propagandistische Z w e c k e , sei es gar mit Rücksicht auf das Inseratengeschäft. D e r Vertreter des Verlages führt bei Konferenzen das Wort, kritisiert die vorausgegangenen 280
Nummern,
gibt Direktiven
für
die kommenden.«
(Karl
Die publizistische Autonomie des Redakteurs wird übrigens auch in der Art Presse empfindlich eingeschränkt, die sich nicht den Marktgesetzen beugt, sondern primär politischen Zielen dient darin eher dem schriftstellernden Journalismus der räsonierenden Zeitschriften verwandt. Wohl behält, auch nachdem sich, in England und Frankreich zuerst, Parlamentsfraktionen und Parteien konstituieren, die politische Presse noch eine Zeitlang ihren individualistischen Stil. Noch um die Mitte des Jahrhunderts herrscht ein Typus der Parteipresse, wie sie in Deutschland, nach der Juli revolution, mit Wirths »Deutscher Tribüne« auf den Plan getreten war; diese Publizisten waren von keiner Partei oder Fraktion abhängig, waren vielmehr selber Politiker, die um ihre Zeitung einen parlamentarischen Anhang scharen. Gleichwohl reichen die Anfänge der parteigebundenen Presse, die von politischen Organisationen kontrolliert wird, in die erste Jahrhunderthälfte zurück, jedenfalls in England und Frankreich. In Deutschland entwickelt sie sich in den sechziger Jahren, erst auf konservativer, dann auf sozialdemokratischer Seite. Der Redakteur untersteht statt dem Verlagsdirektor einer Aufsichtskommission - hier wie dort ein an Direktiven gebundener Angestellter. Die betriebssoziologischen Aspekte des Strukturwandels der Presse sind freilich von allgemeinen Tendenzen der Konzentration und Zentralisation, die sich auch hier durchsetzen, nicht zu lösen. I m letzten Viertel des Jahrhunderts bilden sich die ersten großen Zeitungskonzerne: Hearst in den USA, Northcliffe in England, Ullstein und Mosse in Deutschland. Diese Bewegung hat sich in unserem Jahrhundert, freilich unregelmäßig, fortgesetzt. Die techni10
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Mischke, D e r Berliner Zeitungsmarkt, in: Das Buchgewerbe in der Reichshauptstadt, Berlin 1 9 1 4 , S. 129.) 1:0 Groth, a. a. O . , B d . I I , S. 33 5 ff. 1 1 Ü b e r den gegenwärtigen Stand in den U S A und in Großbritannien unterrichten die Untersuchungen der Commission on the Freedom of the Press (A free and responsible Press, Chicago 1947; vgl. auch R . B . N i x o n , Concentration and A b senteeism in Daily Newspaper Ownership, in: Berelson and Janowitz, Public Opinion and Communication, Glencoe 1950, S. 193ff.) und der Rocal C o m m i s sion on the Press (der sogenannte Ross-Report, L o n d o n 1949); für Frankreich und Deutschland fehlen vergleichbare Analysen; im allgemeinen dürften aber die Verhältnisse nicht grundsätzlich von den angelsächsischen abweichen ( 1 9 3 2 be281
sehe Entwicklung in den Mitteln des Nachrichtenverkehrs (nach dem Telegraf und dem Telefon die drahtlose Telegrafie und Telefonie, Funk und Radio) hat die organisatorische Vereinheitlichung und die ökonomische Verflechtung der Presse teils beschleunigt, teils überhaupt erst ermöglicht. Zu der Gleichschaltung des Nachrichtendienstes durch die monopolistisch organisierten Agenturen trat alsbald die redaktionelle Gleichschaltung kleinerer Zeitungen durch Plattenkorrespondenzen und Beilagenfabriken. Zuerst wurden in den angelsächsischen Ländern zwischen 1870 und 1880 Matern verwendet; um die Jahrhundertwende setzt sich die Maternpresse auch auf dem Kontinent durch. Meist geht diese technologische mit einer organisatorischen Vereinigung in Zeitungsringen oder -ketten zusammen; Heimatzeitungen in den vorwiegend ländlichen Gebieten werden auf diesem Wege oft auch ökonomisch von den benachbarten Stadtzeitungen abhängig und diesen als Bezirks- und Nebenredaktionen angegliedert. 12
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Dennoch erscheint im Pressegewerbe der Grad der ökonomischen Konzentration und ihrer technologisch-organisatorischen Koordination gering im Vergleich zu den neuen Medien des 20. Jahrhunderts - Rundfunk, Tonfilm und Fernsehen. Ja, der Kapitalbedarf erschien so bedeutend und nun auch die publizistische Gewalt so bedrohlich, daß in einigen Ländern die Einrichtung dieser Medien bekanntlich von Anbeginn in staatliche Regie oder unter staatliche Kontrolle genommen wurde. Nichts charakterisiert die Entwicklung der Presse und der jüngeren Medien auffälliger als diese Maßstanden im Reichsgebiet 2483 Tageszeitungen, 1956 im Bundesgebiet 1479, vgl. das Handbuch »Die deutsche Presse 1956« ed. Institut für Publizistik der Freien Universität, Berlin 1956, S. 30). 12 Havas, Reuter, Wolff und Associated Press hatten bald ein internationales Kartell geschlossen, das die Welt in vier Interessengebiete aufteilte und innerhalb der nationalen Grenzen jeweils einer Agentur die Verbreitung auch der Nachrichten der anderen Agenturen vorbehielt. 13 1956 gab es im Bundesgebiet 1479 Tageszeitungen; davon sind fast die Hälfte, mit 28 % der Gesamtauflage, in 62 Ringverbindungen organisiert. Von den Bezirksund Nebenausgaben der 693 Stammzeitungen wurden damals 53 % der Gesamtauflage bestritten; wobei 2,3 % der Zentralzeitungen mit jeweils mehr als 10 lokalen Ausgaben einen Anteil von fast 1 6 % an der Gesamtauflage erreichten. 1954 waren nur 225 Blätter weder einer Stammzeitung noch einem Zeitungsring angeschlossen. Vgl. das Handbuch: Die deutsche Presse 1956, a . a . O . , S. 30ff.
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nahmen: sie machen aus privaten Institutionen eines Publikums von Privatleuten öffentliche Anstalten. Diese Reaktion des Staates auf die Vermachtung einer unter den Einfluß gesellschaftlicher Mächte geratenen Öffentlichkeit läßt sich bereits an der Geschichte der ersten Telegrafenbüros studieren. Die Regierungen brachten die Agenturen zunächst indirekt in Abhängigkeit und verliehen ihnen einen offiziösen Status, indem sie ihren kommerziellen Charakter nicht etwa aufhoben, sondern ausnutzten. Inzwischen ist Reuters Ltd. Eigentum der vereinigten britischen Presse; die für Satzungsänderungen erforderliche Zustimmung des obersten Gerichtshofes verleiht ihr jedoch einen gewissen öffentlichen Charakter. Die aus der Agence Havas nach dem zweiten Weltkrieg hervorgegangene Agence France Press ist ein staatliches Unternehmen, dessen Generaldirektor von der Regierung ernannt wird. Die Deutsche Presseagentur ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die von den Zeitungsverlegern mit einem Anteil am Stammkapital von jeweils höchstens einem Prozent getragen wird; über 10% verfügen aber die Rundfunkanstalten, die ihrerseits öffentlicher Kontrolle unterstehen. Zwar sind Zeitungs- und Filmindustrie im wesentlichen privater Verfügung belassen worden. Aber immerhin gaben die Erfahrungen mit einer zur Konzentration tendierenden Presse Anlaß genug, zu verhindern, daß sich die »natürlichen Monopole« des Rundfunks und des Fernsehens in Form privatwirtschaftlicher Unternehmen entwickelten - wie es in den USA allerdings geschah. In England, Frankreich und Deutschland wurden diese neuen Medien als öffentliche und halböffentliche Körperschaften organisiert, weil anders ihre publizistische gegenüber der privatkapitalistischen Funktion nicht ausreichend hätte geschützt werden können. Damit wird die ursprüngliche Basis der publizistischen Institutionen, wenigstens in diesen ihren fortgeschrittensten Bereichen, geradezu verkehrt: dem liberalen Modell der Öffentlichkeit zufolge wa14
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14 Dovifat, a . a . O . , B d . I, S. 69ff. 15 Die verschiedenen Organisationen der Selbstkontrolle haben, über die Zensur in Geschmacksfragen hinaus, keine zentralen Kompetenzen einer Aufsicht im öffentlichen Interesse erlangt. 16 Für die Bundesrepublik ist diese Entwicklung jüngst durch das sogenannte >Fernsehurteih des Bundesverfassungsgerichts bestätigt worden.
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ren die Einrichtungen des räsonierenden Publikums gegenüber Eingriffen der öffentlichen Gewalt dadurch gesichert, daß sie sich in der Hand von Privatleuten befanden. Im Maße ihrer Kommerzialisierung und der ökonomischen, technologischen wie organisatorischen Konzentration sind sie aber während der letzten hundert Jahre zu Komplexen gesellschaftlicher Macht geronnen, so daß gerade der Verbleib in privater Hand die kritischen Funktionen der Publizistik vielfach bedrohte. Im Vergleich zur Presse der liberalen Ära haben die Massenmedien einerseits eine ungleich größere Reichweite und Wirksamkeit erlangt - mit ihnen hat sich die Sphäre der Öffentlichkeit selber ausgedehnt. Andererseits sind sie aus dieser Sphäre immer weiter herausgerückt und in die einst private Sphäre des Warenverkehrs zurückgenommen worden; je größer ihre Effektivität publizistisch wurde, um so mehr wurde sie dem Druck bestimmter, sei's individueller, sei's kollektiver Privatinteressen zugänglich. Während die Presse früher das Räsonnement der zum Publikum versammelten Privatleute bloß vermitteln und verstärken konnte, wird dieses nun umgekehrt durch die Massenmedien erst geprägt. Auf dem Wege vom Journalismus der schriftstellernden Privatleute zu den öffentlichen Dienstleistungen der Massenmedien verändert sich die Sphäre der Öffentlichkeit durch das Einströmen privater Interessen, die in ihr privilegiert zur Darstellung kommen - , obwohl sie keineswegs mehr eo ipso für die Interessen der Privatleute als Publikum repräsentativ sind. Die Trennung von Öffentlichkeit und Privatsphäre implizierte, daß die Konkurrenz privater Interessen grundsätzlich dem Regulativ des Marktes überlassen und aus dem öffentlichen Streit der Meinungen herausgehalten wurde. In dem Maße, in dem aber die Öffentlichkeit für geschäftliche Werbung in Anspruch genommen wird, wirken unvermittelt Privatleute als Privateigentümer auf die Privatleute als Publikum ein. Dabei kommt, gewiß, die Kommerzialisierung der Presse der Verwandlung der Öffentlichkeit in ein Medium der Werbung entgegen: umgekehrt wird jene aber auch von Bedürfnissen einer Geschäftsreklame vorangetrieben, die autochthon aus ökonomischen Zusammenhängen entsprangen. Die Überschwemmung der Öffentlichkeit mit Werbepublikationen erklärt sich nicht aus der Liberalisierung des Marktverkehrs, ob284
schon die Geschäftsreklame alten Stils etwa gleichzeitig mit ihr aufkam. Die unvergleichlich größeren Anstrengungen eines wissenschaftlich angeleiteten marketing wurden erst im Maße der oligopolistischen Restriktionen des Marktes notwendig. Zumal im industriellen Großbetrieb ergibt sich zwischen technischem und finanziellem Optimum ein Konflikt, der die Tendenz zum sogenannten monopolistischen Wettbewerb verstärkt. In dem Verhältnis, in dem die technischen Aggregate auf Massenproduktion umgestellt werden, verliert nämlich der Produktionsprozeß an Elastizität »Output can no longer be varied . . . ; output is dictated by the capacity of the unified machine-process«. Deshalb bedarf es einer langfristigen Absatzstrategie, die möglichst stabile Märkte und Marktanteile sichert. Die unmittelbare Konkurrenz über die Preise weicht immer mehr einer mittelbaren Konkurrenz auf dem Wege der Herstellung von Märkten mit firmenspezifischem Klientel. Die schwindende Markttransparenz, die für gewöhnlich als Motiv der erweiterten Werbung angesehen wird, ist zum guten Teil umgekehrt deren Folge: eine die Preiskonkurrenz ablösende Konkurrenz über die Werbung schafft erst recht eine unübersichtliche Vielfalt betriebseigener Märkte mit Markenartikeln, die untereinander um so schwieriger nach Maßgabe ökonomischer Rationalität verglichen werden können, je mehr ihr Tauschwert durch psychologische Werbemanipulation mitbestimmt wird. Zwischen der Tendenz zum kapitalistischen Großbetrieb und einer oligopolistischen Beschränkung des Marktes auf der einen, den sprichwörtlichen soap operas, eben einer die gesamte Integrationskultur der Massenmedien durchdringenden Werbung auf der anderen Seite, besteht ein durchsichtiger Zusammenhang. Geschäftliche Werbung, das, was 1820 zuerst in Frankreich Reklame genannt wurde, ist, so sehr sie uns heute als augenfälliges 17
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17 D o b b , a. a. O . , S. 360. 18 Jüngeren Stellungnahmen ist freilich zu entnehmen, daß sogar die Werbewirtschaft von der Hausideologie, Werbung fördere die Transparenz des Marktes, Abstand nimmt; vgl. Jahresbericht 1962, Zentralausschuß der Werbewirtschaft, Godesberg 1963, S. 1 3 . 19 Galbraith, a . a . O . , American Capitalism, S. 46f. 20 H . Wuttke, D i e Reklame, in: Die deutschen Zeitschriften und die Entstehung der öffentlichen M e i n u n g , Leipzig 1 8 7 5 , S. 18 ff. 3
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Ingrediens der Marktwirtschaft selbstverständlich geworden ist, erst eine Erscheinung des Hochkapitalismus; ja, sie gewinnt nennenswerten Umfang erst mit den Konzentrationsprozessen des industriellen Kapitalismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts: »bis weit ins 19. Jahrhundert hinein besteht bei vornehmen Häusern Abneigung selbst gegen einfache Geschäftsanzeigen; Geschäftsreklamen gelten als unanständig«. Im 18. Jahrhundert nahmen Geschäftsanzeigen in den Annoncen- oder Intelligenzblättern nur etwa ein Zwangzigstel des Raumes ein; überdies bezogen sie sich fast ausschließlich auf Kuriosa, auf Waren außerhalb des üblichen Geschäftsverkehrs. Der regelte sich noch weitgehend face to face; der Wettbewerb verließ sich weithin auf Mundpropaganda. Um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts entstehen Annoncenexpeditionen auf der Basis der Geschäftsreklame; in Deutschland gründet die erste Ferdinand Hansenstein im Jahre 1855. Eine enge Zusammenarbeit mit der Presse führte vielfach dazu, daß die großen Werbeagenturen Anzeigenraum im Abonnement aufkaufen und so einen wichtigen Teil der Presse überhaupt unter ihre Kontrolle bringen. Heute arbeiten in der Bundesrepublik über 2000 Firmen für eine Werbung, deren Methoden sich seit der Weltwirtschaftskrise mit dem jeweiligen Stand der ökonomischen, soziologischen und psychologischen Marktforschung wissenschaftlich perfektionieren. Dabei beträgt der Werbeaufwand, der über solche Agenturen geleistet wird, nur etwa ein Drittel des volkswirtschaftlichen Gesamtaufwandes dieser Art. Die beiden anderen Drittel werden von den Unternehmen unmittelbar, großenteils in Außenwerbung investiert; für diese Zwecke hat jeder größere Betrieb eigene Werbeabteilungen eingerichtet. Die volkswirtschaftlichen Gesamtausgaben für Werbung schätzt man in der Bundesrepublik für das Jahr 1956 auf etwa 3 Milliarden DM, das sind ungefähr 3 % aller privaten Ausgaben. Schon im Vorjahr hatten sie am volkswirtschaftlichen Bruttosozialprodukt einen Anteil von 1,3 % erreicht, während sich in England und in den USA die vergleichba21
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21 W. Sombart, D e r Bourgeois, a . a . O . , S. 204. 22 G . Töpfer, Mittler der Werbung, in: D i e deutsche Werbewirtschaft, D e r Volkswirt, Jahrgang 1 9 5 2 , Heft 55, Beilage S. 40ff. 23 Fr. Greiser, Die Kosten der Werbung, ebd. S. 82ff.
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ren Sätze bereits auf 1,9% und 2,3 % beliefen. Die Tätigkeit der Werbeagenturen beschränkt sich nach wie vor auf eine, durch die neuen Medien freilich erweiterte Anzeigenpraxis, vor allem in Zeitungen und illustrierten Zeitschriften. Natürlich gewinnt das Werbefernsehen, im Maße der Verbreitung dieses Kommunikationsmittels überhaupt und im Verhältnis zur Art des organisatorischen Aufbaus, beherrschenden Einfluß. 1957 lasen mindestens die Hälfte der regelmäßigen Tageszeitungsleser in der Bundesrepublik auch die Wirtschaftsanzeigen, 65 % der Rundfunkhörer empfingen den Werbefunk, und zwar behauptete davon fast ein Drittel, ihn täglich zu hören. Während die Massenmedien im allgemeinen gehobene soziale Schichten eher erreichen als die jeweils niedrigeren, kehrt sich das Verhältnis hier um; die Werbeanzeigen und -Sendungen erreichen die niedrigeren Statusgruppen in größerem Umfang und häufiger als die jeweils höheren. Die Sozialisierung ehemaliger Oberschichtengüter erregt in solchen Schichten, die sie in ihrem Konsumstil wenigstens symbolisch nach oben angleichen, größere Aufmerksamkeit. Die Werbewirtschaft nimmt indessen nicht nur die bestehenden publizistischen Organe in Beschlag, sie schafft sich ihre eigenen Zeitungen, Zeitschriften und Hefte. Von den üblichen, oft als illustrierte Broschüren aufwendig ausgestatteten Firmenkatalogen fand sich 195 5 in jedem fünften Haushalt der Bundesrepublik mindestens ein Exemplar. Daneben ist eine publizistische Gattung eigener Art entstanden; die Zahl der Werk- und Kundenzeitschriften machte zur gleichen Zeit fast die Hälfte aller auf dem westdeutschen Markt erscheinenden Zeitschriften aus. Sie erreichten eine Auflagenhöhe von mehr als einem Viertel der Zeitschriftengesam tauflage, eine Verbreitung, die alle Unterhaltungszeitschriften zusammengenommen um mehr als das Doppelte übertrifft. Kommt hinzu, daß diese Unterhaltung selbst - und zwar nicht nur die durch 24
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24 Zwischen 1880 und 1948 hat sich in den U S A der Werbeaufwand pro K o p f der Bevölkerung versiebenfacht, vgl. Schramm, a.a. O . , S. 548. 25 D I V O , a . a . O . , S. 156. 26 Jahrbuch der öffentlichen Meinung, 1957, a.a. O . , S. 53. 27 Handbuch: Die deutsche Presse 1956, a . a . O . , S. 47. Z u diesem Zeitschriftentypus vgl. die Analyse von H . J . F. Kropff, Synthese von Journalismus, industrieller Publizität und Public Relations, in: Publizistik, B d . V, i960, S. 491 ff. 287
Zeitschriften vermittelte - , daß die Programme der Massenmedien auch in ihrem nichtkommerziellen Teil das .Konsumverhalten anregen und auf bestimmte Muster festlegen. David Riesman sieht geradezu das Wesen der Massenunterhaltungsmittel in einer Verbrauchererziehung, die schon in der Kindheit einsetzt und die Erwachsenen unablässig begleitet: »heute ist der zukünftige Beruf jedes Kindes der des gelernten Verbrauchers«. Die massenhaft verbreitete Integrationskultur veranlaßt ihr Publikum per se zu einem Meinungsaustausch über Konsumartikel und unterwirft es dem sanften Zwang stetigen Konsumtrainings. Nun hätte eine ökonomisch notwendig gewordene Invasion der Werbepublikationen in die Sphäre der Öffentlichkeit nicht schon als solche deren Wandel zur Folge haben müssen. Wie seit dem zweiten Drittel des vergangenen Jahrhunderts etwa die Tageszeitungen vom redaktionellen einen Annoncenteil abzuspalten begannen, so hätte auch eine Trennung der publizistischen Funktionen in ein öffentliches Räsonnement der Privatleute als Publikum und in eine öffentliche Präsentation je individueller oder kollektiver Privatinteressen die Öffentlichkeit im wesentlichen unberührt lassen können. Zur Ausbildung einer solchen, von der politischen gleichsam abgespaltenen ökonomischen Öffentlichkeit, einer Werbeöffentlichkeit eigener Provenienz ist es aber nicht gekommen; die publizistische Darstellung privilegierter Privatinteressen war vielmehr von Anbeginn an auch mit politischen Interessen verquickt. Denn zur gleichen Zeit, als über die Werbung die horizontale Interessenkonkurrenz der Warenbesitzer untereinander in die Öffentlichkeit eindrang, war schon die konkurrenzkapitalistische Grundlage als solche in den Streit der Parteien hereingezogen, war auch die vertikale Interessenkonkurrenz der Klassen gegeneinander in die Schranken der Öffentlichkeit getreten. In einer Phase des mehr oder minder unverhüllten Klassenantagonismus, um die Mitte des vorigen Jahrhunderts, ist die Öffentlichkeit selber vom Zwiespalt der two nations zerrissen - so gewinnt denn die öffentliche Darbietung privater Interessen eo ipso politischen Stellenwert. Geschäftliche Werbung großen Stils nimmt in solcher Öffentlichkeit fast immer auch die Qualität einer mehr als nur geschäftlichen Werbung an 28
28 Riesman, Die einsame Masse, a . a . O . , S. 136. 288
schon deshalb, weil sie per se den wichtigsten Faktor in der betriebswirtschaftlichen Kalkulation der Zeitungen und Zeitschriften, auch der neueren Medien, soweit sie auf kommerzieller Basis arbeiten, darstellen. Allerdings gelangt die ökonomische Reklame erst in der Praxis der public relations zum Bewußtsein dieses ihres politischen Charakters. Diese Praxis stammt wie der Terminus selbst aus den USA. Man führte ihre Anfänge auf Ivy Lee zurück, die »publicity techniques on a policy-making level« zur Rechtfertigung des big business, vor allem der damals von gewissen Sozialreformern attackierten Standard Oil Company und der Pennsylvania Rail Road entwickelte. Zwischen den beiden Weltkriegen begannen einige der größten Unternehmen ihre Strategie auch auf Gesichtspunkte der public relations abzustimmen. In den USA erwies sich das, insbesondere im Klima des nationalen Konsensus nach dem Kriegseintritt 1 9 4 0 , als nützlich. Allgemeine Verbreitung, auch in Europa, fanden die neuen Techniken erst nach Beendigung des Krieges. I n den fortgeschrittenen Ländern des Westens treten sie während des letzten Jahrzehnts ihre Herrschaft über die Öffentlichkeit an. Für deren Diagnose sind sie zu einem Schlüsselphänomen geworden. »Meinungspflege« unterscheidet sich von Werbung dadurch, daß sie die Öffentlichkeit ausdrücklich als politische in Anspruch nimmt. Private Reklame wendet sich jeweils an andere Privatleute, soweit sie als Verbraucher in Frage kommen; der Adressat der public relations ist die »öffentliche Meinung«, sind die Privatleute als Publikum und nicht als Konsumenten unmittelbar. Der Absender kaschiert in der Rolle eines am öffentlichen Wohl Interessierten s e i n e geschäftlichen Absichten. Die Beeinflussung der Konsumenten entleiht der klassischen Figur eines räsonierenden Publikums von 29
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29 E . L. Bernays, Crystallising Public Opinion, N e w York 1 9 2 3 ; vgl. auch St. K e l ley, Professional Public Relations and Political Power, Baltimore 1956. 30 P. S. Steinberg, a . a . O . , S. 16ff. 31 »Industry business and labour realised that they cannot survive in a healthy state and meet their competitive problems without some means of achieving and maintaining the good will of the public.« (Steinberg, a . a . O . , S. 92; auch Kapital I I I ,
S.nsff.) 32 H . Gross, Moderne Meinungspflege, Düsseldorf 1 9 5 2 ; zusammenfassend
C.
Hundhausen, Industrielle Publizität als Public Relations, Essen 1957. 289
Privatleuten ihre Konnotationen und macht sich deren Legitimationen zunutze: die rezipierten Funktionen der Öffentlichkeit werden der Konkurrenz organisierter Privatinteressen integriert. Werbung beschränkte sich im großen und ganzen auf das Mittel der Anzeige. Die Meinungspflege geht hingegen mit »promotion« und »exploitation« über Reklame hinaus: sie greift in den Prozeß der »öffentlichen Meinung« ein, indem sie planmäßig Neuigkeiten schafft oder Aufmerksamkeit erregende Anlässe ausnützt. Dabei hält sie sich streng an Psychologie und Technik der mit den Massenmedien verknüpften feature- und pictorial-publicity, mit deren vielfach erprobten Topoi des human interest: romance, religion, money, children, health, animals. Durch dramatische Präsentation der Fakten und kalkulierte Stereotypien stellt sie auf eine »reorientation of public opinion by the formation of new authorities or symbols which will have acceptance« ab. Entweder gelingt es den public-relations-Managern, entsprechendes Material direkt in die Kanäle der Kommunikation einzuschleusen, oder sie arrangieren in der Öffentlichkeit spezifische Anlässe, die in vorhersehbarer Weise die Kommunikationsapparate in Bewegung setzen; ein Lehrbuch empfiehlt für diese Art »making or creating news« zwanzig Methoden. Nimmt man die Vielfalt der Informationen und Instruktionen hinzu, die von Public-relations-Büros in seriöser Aufmachung als »Unterlagen« an die wichtigsten »Verteilerstellen« herangebracht werden, dann wirken Feststellungen, die an der Berufsideologie der alten Trennung von Nachricht und Anzeige festhalten, geradezu antiquiert. Public relations verschmelzen vielmehr eine mit der 33
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33 Steinberg, a. a. O . , S. 92; vgl. auch K a p . I I I , S. 1 1 5 ff. 34 Angefangen von den üblichen Veranstaltungen (Berichten, Reden, Tagungen, Bildung eines Komitees, eines Kongresses usw.) über die geschickte Ausnutzung von Aufhängern (wie Ferien oder Festtage, mit denen sich spezielle Kampagnen assoziieren lassen), über publikumswirksame
Stiftungen,
Preisausschreiben,
Spenden, Stipendien, bis zum planmäßigen Arrangement von Neuigkeiten ( U m zügen, Ausstellungen, Radrennen, Ferienlagern, Gartenschauwettbewerben, der Wahl von Schönheitsköniginnen usw.). Vgl. Steinberg, a . a . O . , S. 23/ff. 35 »The press (aber nicht nur sie) has two major sources of news: its o w n reporters and the public relation man. The press also has two related audience potentials: the numer of readers in the receiving audience w h o form opinions based on the
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anderen: die Werbung darf als Selbstdarstellung eines privaten Interesses gar nicht mehr kenntlich sein. Sie verleiht ihrem Objekt die Autorität eines Gegenstandes öffentlichen Interesses, über das sich, wie es den Anschein haben soll, das Publikum der räsonierenden Privatleute frei seine Meinung bildet. »Engineering of consent«' ist die zentrale Aufgabe, denn erst im Klima eines solchen Konsensus gelingt »promotion to the public, suggesting or urging acceptance of a person, product, organisation or idea«. Die geweckte Bereitschaft der Konsumenten ist durch das falsche Bewußtsein vermittelt, daß sie als räsonierende Privatleute verantwortlich an öffentlicher Meinung mitwirken. Andererseits hat der Konsensus über ein, wie es scheint, im öffentlichen Interesse notwendiges Verhalten tatsächlich etwas von einer inszenierten »öffentlichen Meinung«. Obwohl public relations etwa den Absatz bestimmter Güter fördern sollen, greift ihre Wirkung doch stets auch darüber hinaus; weil Publizität für spezifische Produkte auf dem Umweg über ein fingiertes Allgemeininteresse entfaltet wird, schafft und sichert sie nicht nur das Pofil der Marke und eine Klientel von Verbrauchern - sie mobilisiert vielmehr gleichzeitig für die Firma, die Branche, für ein ganzes System quasipolitischen Kredit, einen Respekt von der Art, wie man ihn öffentlichen Autoritäten entgegenbringt. Der hergestellte Konsensus hat natürlich mit öffentlicher Meinung, mit der endlichen Einstimmigkeit eines langwierigen Prozesses wechselseitiger Aufklärung im Ernst nicht viel gemeinsam; denn das »allgemeine Interesse«, auf dessen Basis allein eine rationale Übereinstimmung öffentlich konkurrierender Meinungen zwanglos sich einspielen konnte, ist genau in dem Maße geschwunden, in dem die publizistischen Selbstdarstellungen privilegierter Privatinteressen es für sich adoptieren. Mit der doppelten Voraussetzung: einer Beschränkung des Publikums auf bürgerliche Privatleute, und der Beschränkung ihres Räsonnements auf die Grundlagen der bür6
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content in the newspaper and the number of persons in the receiving audience w h o are motivated to buy the products advertised in the newspaper.« Steinberg, a . a . O . , S. 137. 36 The Engineering of Consent, ed. E . L. Bernays, Oklahoma 1 9 5 5 . 37 Steinberg, a. a. O . , S. 74. 291
gerlichen Gesellschaft als einer Sphäre privater Verfügung, ist ja auch die alte Basis einer Konvergenz der Meinungen zerbrochen; und eine neue stellt sich nicht schon dadurch her, daß an deren Fiktion die in die Öffentlichkeit einströmenden Privatinteressen festhalten. Dem im Zeichen eines fingierten public interest durch raffinierte opinion-molding services erzeugten Konsensus fehlen Kriterien des Räsonablen überhaupt. Die verständige Kritik an öffentlich diskutierten Sachverhalten weicht einer Stimmungshaften Konformität mit öffentlich präsentierten Personen oder Personifikationen; consent fällt mit dem good will zusammen, den publicity hervorruft. Publizität hieß einst die Entblößung politischer Herrschaft vor dem öffentlichen Räsonnement; publicity summiert die Reaktionen eines unverbindlichen Wohlwollens. Die bürgerliche Öffentlichkeit nimmt im Maße ihrer Gestaltung durch public relations wieder feudale Züge an: die »Angebotsträger« entfalten repräsentativen Aufwand vor folgebereiten Kunden. Publizität ahmt jene Aura eines persönlichen Prestiges und übernatürlicher Autorität nach, die repräsentative Öffentlichkeit einmal verliehen hat. Von einer Refeudalisierung der Öffentlichkeit muß noch in einem anderen, genaueren Sinne die Rede sein, jene Integration von Massenunterhaltung und Werbung, die in Gestalt der public relations bereits »politischen« Charakter annimmt, unterwirft ihrem Kodex nämlich auch noch den Staat selber. Weil die privaten Unternehmen ihren Kunden bei Verbraucherentscheidungen das Bewußtsein von Staatsbürgern suggerieren, muß der Staat seine Bürger wie Verbraucher »ansprechen«. So wirbt auch die öffentliche Gewalt um publicity. 38
38 Ein Bericht aus dem Jahre 1953 nennt für die Bundesrepublik weit mehr als 100 Institute, die Öffentlichkeitsarbeit betreiben, wobei staatsbürgerliche Erziehung von Werbung zuweilen schwerlich mehr zu unterscheiden ist ( H . E . Jahn, Verantwortung und Mitarbeit, Oberlahnstein 1953).
§ 2 i Das umfunktionierte Prinzip der PublizitätEnde der zwanziger Jahre befaßte sich ein deutscher Soziologentag mit dem Thema der öffentlichen Meinung. Bei dieser Gelegenheit wurde zum ersten Male kompetent eine Erscheinung registriert, die für den politischen Funktionswandel der Öffentlichkeit symptomatisch ist - die »journalistische Aktivierung« von Amtern, Parteien und Organisationen. Zwar konstruierte Brinkmann eine windschiefe Antithese zwischen der »freien Presse« und der »amtlichen Publizistik« der öffentlichen wie der privaten Verwaltungen (»mit jener unaufhaltsamen Einbeziehung aller Lebensgebiete in ihre »Publizität« hat die moderne Zeitung sich den Gegenspieler und vielleicht Beherrscher ihres unersättlichen Informationsdranges selbst erzogen: in den Pressestellen und Pressereferaten, die nunmehr jeder der Öffentlichkeit ausgesetzte oder sie suchende Lebensmittelpunkt . . . sich einzurichten veranlaßt sieht«). Schief war diese Gegenüberstellung, weil die weit über die Publikationen klassischen Formats hinausreichende public-relations-Politik der Verwaltungen sich der bestehenden Massenmedien bedient und deren Stellung gefestigt hat. Allein, die Feststellung als solche ist triftig: neben den großen publizistischen Institutionen, und in Verbindung mit ihnen (»ein Apparat, der zwar das Maximum an Öffentlichkeit, aber recht wenig Meinung darstellt«), hat sich ein anderer Apparat etabliert, der dem neuen Publizitätsbedürfnis des Staates und der Verbände entgegenkommt (»dort haben wir . . . eine andere öffentliche Meinung<, die zwar vielerlei und sehr Bestimmtes >meint<, dies aber im wesentlichen auf eine alles andere als >öffentliche< Weise innerhalb der Gesellschaft zu gestalten und durchzusetzen sucht«.) Die Formen der gezielten Meinungslenkung, auf die hier angespielt wird, sind solche, »die bewußt vom liberalen Ideal der Öffentlichkeit abweichen.« Die Staatsbürokratie entlehnt 39
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39 Verhandlungen des 7. Deutschen Soziologentages, Schriften d. Dt. Ges. f. S o z . , Bd. V I I , Tübingen 193 1. Einige Jahre zuvor hatte F. Tönnies die Untersuchungen der älteren deutschen Soziologie zu diesem Thema zusammengefaßt: Kritik der öffentlichen Meinung, Berlin 1922. 40 C . Brinkmann, Presse und öffentliche Meinung, in Verhandlungen, a . a . O . , S.2 ff. 7
41 E b d . S. 30. 293
sie einer Praxis, die die großen Privatunternehmen und die Verbandsorganisationen bereits in Gang gebracht hatten; erst im Zusammenspiel mit ihnen gewinnen ja überhaupt die öffentlichen Verwaltungen ihren »publizistischen Charakter«. Der Machtzuwachs der Verwaltung im Sozialstaat - nicht nur gegenüber dem Gesetzgeber, sondern gegenüber der Regierungsspitze selbst - läßt das eine Moment ihrer »Verselbständigung« augenfällig hervortreten, obschon sie auch in der liberalen Ära niemals als reiner Gesetzesvollzug funktionierte. Das andere Moment, der gegenläufige Vorgang einer Machtübertragung vom Staat auf gesellschaftliche Gruppen, bleibt unauffälliger; im neu erworbenen Spielraum »gestaltenden Ermessens«, in dem die Verwaltung auch selber zum Hersteller, Händler und Verteiler wird, sieht sich nämlich die Exekutive zu einem Verhalten genötigt, das obrigkeitliche Autorität durch ein Arrangement mit der »Öffentlichkeit« ergänzt und teilweise schon ersetzt. Das führt teils zur inoffiziellen Mitwirkung der Verbände, teils zu einer regulären Übertragung administrativer Aufgaben in deren Kompetenz. Werner Weber stellt fest, daß weite Bereiche der Verwaltung dem Staat überhaupt genommen und zu »Bestandteilen eines nebenstaatlichen Ständeverwaltungssystems« gemacht werden. Aber auch wo der Staat seine Verwaltungshoheit behauptet oder ausdehnt, muß er sich im Spannungsfeld organisierter Interessen »akkomodieren«. Obwohl hier die Vereinbarungen außerparlamentarisch, also unter Ausschluß der staatlich institutionalisierten Öffentlichkeit gesucht werden und zustande kommen, werden sie doch von beiden Seiten durch sogenannte Öffentlichkeitsarbeit lautstark vorbereitet und weithin 42
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42 Das Verwaltungshandeln entzieht sich zunehmend der allgemeinen politischen Programmatik; unter dem Mantel sachrationaler Anpassung an die wechselnden Situationen ersetzt es Regierung durch Verwaltung, so daß von Konservativen geradezu über eine »Verdünnung des herrscherlichen Elements« geklagt wird. 43 Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, B d . I, a. a . O . , S. 65. 44 W. Weber, Spannungen und Kräfte im westdeutschen Verfassungssystem, Stuttgart 1 9 5 1 , S. 38 und S. 53; zur umfangreichen Literatur über die Interessenverbände vgl. O . Stammer, Interessenverbände und Parteien, in: K ö l n , Zeitschr. f. Soz. u. Sozialpsych., B d . I X , 1957, S. 587ff. dazu historisch: G . Schulz, Ü b e r Entstehung und Formen von Interessengruppen in Deutschland seit Beginn der Industrialisierung, in: Polit. Vierteljahreszeitschrift, B d . I I , 1 9 6 1 , S. 124ff. 294
sichtbar begleitet. Im Maße einer wechselseitigen Durchdringung von Staat und Gesellschaft verliert die Öffentlichkeit, und mit ihr die als Staatsorgan etablierte Öffentlichkeit, das Parlament, gewisse Vermittlungsfunktionen. Ein kontinuierlicher Integrationsprozeß wird auf andere Weise gesichert: einer Positionsschwächung des Parlaments entspricht eine Stärkung von Transformatoren vom Staat zur Gesellschaft (Verwaltung) und umgekehrt von der Gesellschaft zum Staat (Verbände und Parteien). Indessen zeigt der Aufwand an Publizität, eine manageriell betriebene Entfaltung der public relations, daß die ihrer ursprünglichen Funktionen weitgehend beraubte Öffentlichkeit nun, unter Patronage der Verwaltungen, der Verbände und der Parteien, auf andere Weise in den Prozeß der Integration von Staat und Gesellschaft eingespannt wird. Innerhalb der politisch fungierenden Öffentlichkeit konnten die Konflikte nur darum auf einer Basis verhältnismäßig homogener Interessen und in verhältnismäßig räsonablen Formen der Deliberation ausgetragen, konnten die parlamentarisch zur Entscheidung gebrachten Konflikte nur darum mit dem Anspruch auf Rationalität und Permanenz in einem System abstrakter und genereller Gesetze festgestellt werden, weil die Fülle der materiellen Entscheidungen innerhalb einer als Privatsphäre neutralisierten Verkehrsgesellschaft durch den Marktmechanismus vermittelt und im Prinzip unpolitisch gefällt wurden. Die politische Öffentlichkeit war, freilich nur im Rahmen des den Privatleuten als Privateigentümern gemeinsamen Interesses, von der Konkurrenz individueller Privatinteressen immerhin so weit entlastet, daß die dem politischen Kompromiß vorbehaltenen Entscheidungen durch die Verfahren des politischen Räsonnements bewältigt werden konnten. Sobald hingegen die privaten Interessen, kollektiv organisiert, politische Gestalt anzunehmen genötigt wurden, mußten in der Öffentlichkeit nun auch Konflikte ausgetragen werden, die die Struktur des politischen Kompromisses von Grund auf wandelten. Die Öffentlichkeit wird mit Aufgaben eines Interessenausgleichs belastet, der sich den klassischen Formen parlamentarischer Einigung und Vereinbarung entzieht; ihm sieht man gleichsam die Herkunft aus der Sphäre des 45
45 O . Kirchheimer, Changes in the Structure of Political Compromise, in: Studies in Philosophy and Social Science, B d . I X , 1 9 4 1 , S. 456. 295
Marktes noch an - er muß buchstäblich »ausgehandelt«, durch Druck und Gegendruck auf Abruf erzeugt werden, unmittelbar nur gestützt durch das labile Gleichgewicht einer Machtkonstellation zwischen Staatsapparat und Interessengruppen. Politische Entscheidungen fallen in den neuen Formen eines »bargaining«, das sich neben den älteren Formen des Machtvollzugs: hierarchy und democracy herausgebildet hat. Wohl hat sich einerseits der Kompetenzbereich der Öffentlichkeit erweitert. Weil aber andererseits der Ausgleich der Interessen dem liberalen Anspruch dieser Öffentlichkeit: sich am Allgemeinwohl zu legitimieren, weiterhin untersteht, ohne ihm genügen, noch ihm sich ganz entziehen zu können, verlagert sich das Aushandeln der Kompromisse in außerparlamentarische Bereiche; sei es formell durch Delegation von Zuständigkeiten der staatlichen Organe an gesellschaftliche Organisationen, sei es informell durch normfreie (oder normwidrige) tatsächliche Kompetenzverschiebung. Wo etwa, wie in dem zentralen Konflikt der hochkapitalistischen Gesellschaft, zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ein relativ dauerhafter Interessenausgleich, gar eine »Befriedung« anstelle der Normenschübe produzierenden Kompromisse nicht zu erwarten ist, kann durch Wegfall der staatlichen Zwangsschlichtung einer quasi-politischen Gewaltausübung der sozialen Kampfgruppen gegeneinander ein autonomer Bereich eingeräumt werden. Einerseits handeln die Tarifpartner dann nicht mehr in Ausübung privater Autonomie; sie agieren im Rahmen der politischen Öffentlichkeit und unterstehen daher offiziell dem demokratischen Öffentlichkeitsgebot. Andererseits sprengt aber die Schöpfung von Tarifnormen so sehr die räsonablen Formen der Öffentlichkeit alten Stils, bietet der zugrunde liegende Interessenantagonismus objektiv so wenig die Möglichkeit einer Rechtssetzung nach liberalen Kriterien, daß diese Kompromisse aus der Prozedur der parlamentarischen Legislative und damit aus dem Kompetenzbereich der staatlich institutionalisierten Öffentlichkeit überhaupt herausgehalten 46
47
46 R. A . Dahl, Hierarchy, Democracy and Bargaining in Politics and Economics, in: Research frontiers in Politic and Government, Washington 1 9 5 5 , S. 47ff. 47 H . Ridder, Z u r verfassungsrechtlichen Stellung der Gewerkschaften im Sozialstaat nach dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart i960.
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werden. - Einer derart offiziellen entspricht in sehr viel größerem Umfang die faktische Verlagerung der Kompetenzen politischen Kompromisses vom Gesetzgeber in den Verkehrskreis der Verwaltungen, Verbände und Parteien. Die zunehmende Integration des Staates mit einer Gesellschaft, die nicht schon als solche politische Gesellschaft ist, verlangt Entscheidungen in Form temporärer Gruppenkompromisse, also den direkten Austausch partikulärer Begünstigungen und Entschädigungen ohne Umweg über die institutionalisierten Verfahren der politischen Öffentlichkeit. Daher bleiben Verbände und Parteien grundsätzlich private Vereinigungen; manche sind nicht einmal in Form rechtsfähiger Vereine organisiert und nehmen gleichwohl an der Besetzung öffentlicher Positionen teil. Sie üben nämlich auch Funktionen der politischen Öffentlichkeit aus und stehen unter deren Anspruch: den auf die staatliche Gewalt ausgeübten gesellschaftlichen Druck, über ein bloßes Gewaltverhältnis hinaus, zu legitimieren. So haben die Verbände faktisch die Schranken des bürgerlichen Vereinsrechts gesprengt; ihr deklariertes Ziel ist die Umwandlung privater Interessen vieler einzelner in ein gemeinsames öffentliches Interesse, die glaubwürdige Repräsentation und Demonstration des Verbandsinteresses als eines allgemeinen. Dabei verfügen die Verbände freilich nicht trotz, sondern wegen ihres privaten Charakters über weitreichende politische Macht; vor allem können sie »öffentliche Meinung« manipulieren, ohne sich von ihr selbst kontrollieren lassen zu müssen. Dies ist nämlich das Resultat des doppelten Zwangs zur Ausübung sozialer Gewalt auf der einen, zur Rechtfertigung vor den tradierten Maßstäben einer faktisch im Zerfall begriffenen Öffentlichkeit auf der anderen Seite: daß sich die Organisationen beim mediatisierten Publikum für eine weitgehend intern betriebene, aber auf öffentlichen Kredit angewiesene Kompromißbildung unverbindliche Akklamationen einholen, oder sich wenigstens seiner wohlwollenden Passivität versichern - sei es, um solche Zustimmung in politischen Druck zu transformieren, sei es, um auf Grund der erzielten Duldung politischen Gegendruck zu neutralisieren. 48
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48 Vgl. j . H . Kaiser, Die Repräsentation organisierter Interessen, Berlin 1956. 49 Diese beiläufige Mobilisierung der »öffentlichen« Meinung zum Z w e c k e der U n terstützung oder Absicherung der nicht-öffentlich ausgehandelten Kompromisse 297
wirkt auch auf die Struktur des Kompromisses selbst zurück. Für den »echten« Kompromiß ist ja ein Vorbehalt beider Parteien im Hinblick auf solche festgehaltenen Ziele typisch, die die unversöhnten Interessenlagen und -richtungen eines grundsätzlich fortdauernden Interessengegensatzes widerspiegeln. Ein Verzicht auf diese A r t Vorbehalt muß den K o m p r o m i ß ideologisieren: er setzt diesen nämlich zu einem Statusvertrag innerhalb des fingierten Rahmens einer im Prinzip konfliktfreien
Ordnung herab. A m Beispiel des Bundesarbeitsgerichtsurteils
vom 3 J . i o . 1958 (1 A Z R 623/57) sind diese Tendenzen von Abendroth, R a m m , Ridder u. a. analysiert worden; vgl. etwa W. Abendroth, Innergewerkschaftliche Willensbildung, Urabstimmung und »Kampfmaßnahme«, in: Arbeit und Recht, V I I , 1959, S. 261 ff. Ebenso bemerkenswert wie die juristische Kritik ist der von ihr aufgedeckte soziologische Tatbestand, den das kritisierte Urteil dokumentiert: die integrationspflichtige Kooperation der Verbandsbürokratien im Rahmen einer material fixierten Ordnung unter Verzicht auf das Kompromißbewußtsein eines bloß temporären Ausgleichs divergierender Interessenrichtungen bei fortwährender antagonistischer Interessenlage. (Dem entsprechen die von O . Kirchheimer registrierten Erscheinungen des »Oppositionsschwunds« auch innerhalb des Parlaments. »The Waning of Opposition in Parliamentary Regimes«, in: Social R e search, B d . X X I V , 1957, S. 1 2 7 - 1 5 6 ) . Dieser Tatbestand ist symptomatisch nicht nur für die in unserem Zusammenhang vernachlässigte politische Ambivalenz der Sozialstaatsentwicklung überhaupt (vgl. dazu mein Einleitungskapitel in: Student und Politik, N e u w i e d 1961, S. 34 ff.), sondern spezifisch für den Strukturwandel der Öffentlichkeit. Jene A r t integration spf lichtige Kooperation
der
gegenüber ihren Mitgliederpubliken tendenziell verselbständigten Verbandsbürokratien kann sich nämlich nur in dem Maße durchsetzen, in dem die Formen der politisch räsonierenden Öffentlichkeit, in diesem Fall: der verbandsinternen Organisationsöffentlichkeit, durch die entpolitisierte Öffentlichkeit eines mediatisierten Publikums verdrängt wird, dessen ausdrückliche Akklamation oder stillschweigende Toleranz durch eine »von oben« entfaltete manipulative oder demonstrative Publizität eingeholt wird. Für diesen Zusammenhang sind die Tendenzen wichtig, die wir am Konzentrationsprozeß der Presse (vgl. oben S. 208) analysiert haben: zuerst die Zentralisierung der politischen Presse mit einer wachsenden Abhängigkeit der Zeitungen von den Parteibürokratien; später die Positionsschwächung der Parteipresse als solcher; und schließlich die Entpolitisierung der Presse im ganzen. Für die sozialdemokratische Presse konstatiert Abendroth (im Anschluß an eine Bemerkung Hermann Hellers, Staatslehre, Leiden 1934, S. 1 3 7 ) : »Wenn Heller darauf hinweist, daß die Arbeitnehmerschaft nur durch ihre eigenen Zeitungen geistig w i derstandsfähig bleibe, darf nicht vergessen werden, daß in der Bundesrepublik das charakteristische Moment der durch die demokratischen Parteien gestalteten Parteipresse, das für die Zeit vor 1933 in Deutschland von großer Bedeutung war, nicht mehr besteht und aus ökonomischen wie technischen Gründen wahrscheinlich im alten Maß nicht mehr entstehen kann« (Sultan und Abendroth, Bürokrati-
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Die Öffentlichkeitsarbeit Ist darauf abgestellt, das Prestige der eigenen Person zu stärken, ohne die Kompromißmaterie selbst zum Thema einer öffentlichen Diskussion zu machen: Organisationen und Funktionäre entfalten Repräsentation. »Die öffentlichen Verbände wollen gar nicht als juristische Personen, sondern als kollektive Organisationen auftreten, und zwar deshalb, weil sie nicht so sehr an ihrer formalen Vertretung nach außen, unter Verselbständigung dieser Vertretung vom inneren Verbandsleben, sondern hauptsächlich an der Repräsentanz ihrer Mitglieder in der Öffentlichkeit interessiert sind.« Repräsentation ist weniger Element der inneren Verbandsstruktur, als vor allem »Ausdruck ihres Öffentlichkeitsanspruches «. Natürlich stellt sich dadurch die repräsentative Öffentlichkeit alten Typs nicht wieder her; aber sie leiht doch einer refeudalisierten bürgerlichen Öffentlichkeit gewisse Züge, die nach Schelskys Beobachtung dadurch charakterisiert sind, daß die staatlichen wie nichtstaatlichen Großorganisatoren die »Kundgaben ihrer Positionen managen«. Die Aura persönlich repräsentierter Autorität kehrt als ein Moment der Publizität wieder; insofern ist die moderne Publicity der feudalen Publicness durchaus verwandt. Public relations beziehen sich nicht eigentlich auf public opinion, sondern auf opinion in jenem Verstände der reputation. Öffentlichkeit wird zum Hof, vor dessen Publikum sich Prestige entfalten läßt - statt in ihm Kritik. Einst mußte Publizität gegen die Arkanpolitik der Monarchen durchgesetzt werden: sie suchte Person oder Sache dem öffentlichen Räsonnement zu unterwerfen und machte politische Entscheidungen vor der Instanz der öffentlichen Meinung revisionsfähig. Heute wird Publizität umgekehrt mit Hilfe einer Arkanpolitik der 50
51
52
scher
Verwaltungsstaat
und
soziale
Demokratie,
Hannover
1955,
S. 92,
A n m . 45). 1933 waren etwa die Hälfte aller deutschen Tageszeitungen politisch festgelegt. Bis 1956 ist ihr Anteil in der Bundesrepublik auf etwa ein Viertel gefallen: 65 % der Zeitungen deklarieren sich als überparteilich, 10 % sind Undefiniert; beide Kategorien verfügen über 82 % der Gesamtauflage (vgl. das Handbuch: Die Deutsche Presse 1956, a . a . O . , S. 35ff.). 50 R. Altmann, Z u r Rechtsstellung der öffentlichen Verbände, in: Z . f. Politik, N . F., B d . I I , 1 9 5 5 , 8 . 2 1 4 . 51 E b d . S. 226. 52 Schelsky, Familie, a . a . O . , S. 357. 299
Interessenten durchgesetzt: sie erwirbt einer Person oder Sache öffentliches Prestige und macht sie dadurch in einem Klima nichtöffentlicher Meinung akklamationsfähig. Schon das Wort »Öffentlichkeitsarbeit« verrät, daß umständlich und von Fall zu Fall eine Öffentlichkeit erst hergestellt werden muß, die einst mit der Position der Repräsentanten gegeben und in ihrer Kontinuität durch traditionssichere Symbolik auch gesichert war. Heute müssen Anlässe der Identifikation geschaffen werden - Öffentlichkeit muß »gemacht« werden, es »gibt« sie nicht mehr. Altmann nennt das treffend den Akt der »Kommunifikation«. Der unmittelbare Publizitätseffekt erschöpft sich nicht in jener entkommerzialisierten Werbewirkung einer aura of good will, die Zustimmungsbereitschaft produziert. Diese Publizität taugt nun über eine Beeinflussung der Konsumentenentscheidungen hinaus auch zur politischen Pression, weil sie ein Potential unartikulierter Zustimmungsbereitschaft mobil macht, das notfalls in eine plebiszitär definierte Akklamation übersetzt werden kann. Die neue Öffentlichkeit bleibt insofern auf die bürgerliche noch rückbezogen, als deren institutionelle Formen der Legitimation weiterhin in Kraft sind; auch demonstrative Publizität entfaltet politische Wirksamkeit nur in dem Maße, in dem sie ein Kapital potentieller Wählerentscheidungen glaubhaft machen oder tatsächlich einlösen kann. Diese »Einlösung« ist allerdings dann Aufgabe der Parteien. Der Funktionswandel ergreift die politisch fungierende Öffentlichkeit im ganzen: auch das zentrale Verhältnis von Publikum, Parteien und Parlament ist ihm unterworfen. Der politischen Öffentlichkeit der liberalen Ära gab die Honoratiorenpartei, wie Max Weber sie beschrieben hat, ihr Gepräge. Die Kreise von Bildung und Besitz gründeten unter Führung der Geistlichen und Professoren, der Advokaten, Ärzte, Lehrer und Apotheker, der Fabrikanten und Grundbesitzer lokale politische Klubs, Gelegenheitsverbände zuerst, Wählervereinigungen, die untereinander lediglich 53
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53 R. Altmann, Das Problem der Öffentlichkeit und seine Bedeutung für die D e m o kratie, Diss. Marburg 1954, S. 72. 54 M . Weber, Parteiwesen und Parteiorganisation, in: Staatssoziologie, Berlin 1956, S. off. 5
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durch die Abgeordneten zusammengehalten waren. Die Zahl der hauptberuflichen Politiker blieb gering, deren Funktionen waren zunächst untergeordnet; Politik ist ehrenamtlicher Nebenberuf. Dem formlosen Betrieb, der nicht nur in großen Städten durch eigentliche Vereine mit periodischen Zusammenkünften zum Zweck des Rechenschaftsberichtes der Abgeordneten zusammengefaßt war, ist die Presse als einzige permanente Institution angeschlossen. Es besteht eine durchgängige Kommunikation zwischen den kommunalen Diskussionszentren und den Sessionen des Parlaments/-"' Gerade die organisatorisch lockere Verbindung der »Fraktionspartei« - die praktisch nur im Parlament bestand - über die Honoratiorenkreise mit den Wählern im Lande entsprach dem gewaltlosen Kommunikationsfluß innerhalb eines einzigen Publikums. Die Parität der Gebildeten wurde noch nicht durch eine Aufteilung der Kompetenzen grundsätzlich in Frage gestellt. Auch die Parteien selbst verstanden sich in diesem Rahmen bürgerlicher Öffentlichkeit als eine »Formation von Meinungen«: sie haben, wie es Rudolf Haym in seinem Bericht über die deutsche Nationalversammlung ausdrückt, politische Meinungen in ihrem massenhaften Zusammenhalt zur Basis. Und August Ludwig von Rochau vindiziert dem »Parteigeist« eine Objektivität des Urteils, die dem bloßen Interesse angeblich widersteht. Schon Treitschke gibt allerdings die These von der Meinungspartei preis: »Namentlich die Interessen der Gesellschaftsklassen sind mit den Parteilehren weit fester verflochten 56
5) Weber spricht von der durch den Mechanismus der H o n oratio r e n au s lese recht begrenzten Zahl der direkt Beteiligten, gesteht dann aber: »Die Zahl der indirekt an dem politischen Betrieb vor allem materiell Interessierten war sehr groß. Denn alle Maßregeln eines Ministeriums und vor allem alle Erledigungen von Personalfragen ergingen unter der Mitwirkung der Frage nach ihrem Einfluß auf die Wahlchancen; und alle und jede A r t von Wünschen suchte man durch Vermittlung des örtlichen Abgeordneten durchzusetzen, dem der Minister . . . wohl oder übel G e h ö r schenken mußte. D e r einzelne Deputierte hatte die Amtspatronage, überhaupt Patronage in allen Angelegenheiten seines Wahlkreises inne und hielt seinerseits, um wiedergewählt zu werden, Verbindung mit den örtlichen H o n o r a tioren.« E b d . S. 58. 56 A . v. Rochau, Grundsätze der Realpolitik, Stuttgart 1 8 5 3 , S. 91 f.; zum Ganzen vgl. T h . Schieder, Die Theorie der Partei im älteren deutschen Liberalismus, in: Festschrift für L u d w i g Bergsträßer, Düsseldorf 1954, S. 183ff. 301
als die Parteien selber zugeben.« Ende des Jahrhunderts finden sich schließlich Zeugnisse, die der Illusion der Interessenneutralität auch im Hinblick auf die bürgerlichen Parteien entsagen. Leute wie Friedrich Naumann fordern geradezu eine Klassenpartei für das liberale Lager, denn »nur ein klassenbewußter Liberalismus hat die Festigkeit, im allgemeinen Klassenkampf, der heute einmal da ist, seinen Mann zu stehen«. Inzwischen hatte der Strukturwandel der bürgerlichen Öffentlichkeit eingesetzt; die Institutionen des gesellschaftlich-geselligen Verkehrs, die den Zusammenhang des räsonierenden Publikums sicherten, verloren ihre Kraft oder zerbrachen ganz; der Entwicklung zur kommerziellen Massenpresse entsprach die Umstellung der Honoratiorenparteien auf Massenbasis. Die Sozialisierung der bürgerlichen Gleichheitsrechte veränderte das Gefüge der Parteien. Die losen Wählervereinigungen weichen seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts immer mehr Parteien im eigentlichen Sinne, überlokal organisiert, mit bürokratischem Apparat, ausgerichtet auf ideologische Integration und die politische Mobilisierung der breiten Wählermassen: in England führte Gladstone das Caucussystem ein. Mit diesem Ausbau eines mehr oder weniger betriebsförmig organisierten und zentral gelenkten Apparates von Berufspolitikern verloren die lokalen Komitees ihre Bedeutung. Die Parteien standen nun vor der Aufgabe, mit Hilfe neuer Methoden die Masse der Staatsbürger - die nicht mehr eigentlich »Bürgerliche« waren zum Zweck der Stimmabgabe zu »integrieren«; die Wählerversammlung mit dem Rechenschaftsbericht des lokalen Abgeordneten mußte systematischer Propaganda Platz machen. Jetzt erst entstand überhaupt so etwas wie moderne Propaganda, von Anbeginn, mit dem Janusgesicht der Aufklärung und der Lenkung, der Information und der Reklame, der Pädagogik und der Manipulation. 57
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57 H . v. Treitschke, Parteien und Fraktionen, 1 8 7 1 ; zit. nach Schieder, a . a . O . , S. 194. 58 In: Die Hilfe, 10. Jahrgang 1904, N r . 2, 59 D . Hilger (Die demokratischen Parteien und Parteiendemokratie, in: Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, B d . I, 1956, S. 176ff.) macht an Hand der von W. M o m m s e n (Deutsche Parteiprogramme vom Vormärz bis zur Gegenwart, München 1952) vorgelegten Texte auf den Wechsel der F o r m u lierungen aufmerksam: die an kleine Bildungsschichten adressierten, mitunter 302
Die Interdependenz politisch relevanter Ereignisse war gewachsen: Öffentlichkeit verlor mit ihrer kommunalen Basis ihren Ort; sie verlor ihre klare Abgrenzung gegen die Privatsphäre auf der einen, gegen »Weltöffentlichkeit« auf der anderen Seite; sie verlor ihre Durchsichtigkeit und Überschaubarkeit. Als Alternative zur Klassenpartei entstand jene, meist nicht deutlich genug von ihr geschiedene Form einer »Integrationspartei«; sie »erfaßt« die Wähler temporär und veranlaßt sie zur Akklamation, ohne an ihre politische Unmündigkeit zu rühren. Heute ist diese Massenpartei der Oberflächenintegration, die damals entstand, zum herrschenden Typ geworden. Für sie ist es entscheidend, wer über die Zwangsund Erziehungsmittel verfügt, um das Wahlverhalten der Bevölkerung demonstrativ oder manipulativ zu beeinflussen. Die Parteien sind Instrumente der Willensbildung, aber nicht in der Hand des Publikums, sondern derer, die den Parteiapparat bestimmen. Dieses gewandelte Verhältnis der Parteien zum Publikum auf der einen, zum Parlament auf der anderen Seite läßt sich symptomatisch an der Statusveränderung der Abgeordneten ablesen. Zur Idee des Parlamentarismus gehörte von Anbeginn die Ablehnung des imperativen Mandates, das für alle Arten ständischer Repräsentation typisch gewesen war. Schon 1 7 4 5 erklärt ein Unterhausabgeordneter: »By our constitution, after a gentleman is chosen, he is the representative, or, if you please, the attorney of the people of England«, eine These, die eine Generation später Burke und Blackstone zur klassischen Lehre vom freien Mandat au sar60
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weit ausholenden Erwägungen weichen immer mehr dem politischen Schlagwort. 60 H . Plessner, Das Problem der Öffentlichkeit, a . a . O . , S. 8. 61 Diesen Typus, für den die S o zi al demokratie der wilhelminischen Ä r a repräsentativ ist, lassen wir hier außer acht; er ist für das heutige Parteiensystem nicht mehr charakteristisch. Im übrigen vgl. zur Typologie der modernen Parteien Maurice Duverger, Les Parties Politiques, Paris 19 5 1 , und S. Neumann, Towards a C o m parative Study of Political Parties, in: Modern Political Parties, Chicago 1956,
s. 395
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62 »Jeder Aktivität entbehrt der einfache, nicht zur Organisation gehörige, von den Parteien umworbene Stimmgeber, von welchem persönlich nur bei den Wahlen, sonst nur durch öffentliche, auf ihn gemünzte Reklame N o t i z genommen wird.« (Weber, Staatssoziologie, a . a . O . , S. 68.) 63 Blackstone, Commentareis of the Laws of England, L o n d o n 1783. 303
beiten. In der Formel von der Weisungsunabhängigkeit des Abgeordneten, der nur seinem Gewissen und dem Volk als ganzem verantwortlich ist, hat sie in alle bürgerlichen Verfassungen Eingang gefunden. Im liberalen Rechtsstaat entsprach dieser Ideologie immerhin ein Prozeß der politischen Willensbildung, der durch die Meinungsbildung eines räsonierenden Publikums vermittelt war. Seinem soziologischen Sinne nach bedeutete in dieser Phase das freie Mandat nicht so sehr die Unabhängigkeit des Repräsentanten als solchem; tatsächlich stand ja der Abgeordnete in viel engerem Kontakt mit seinem Wahlkreis, als es seither je der Fall gewesen ist; es war vielmehr Garantie für die paritätische Stellung aller Privatleute innerhalb des räsonierenden Publikums. Damit das Parlament selbst Teil dieses Publikums blieb und die Freiheit der Diskussion intra muros ebenso wie extra muros gesichert war, sollten die Kautelen der Unabhängigkeit des Abgeordneten nicht etwa einen gegenüber dem übrigen Publikum privilegierten Status schaffen - Repräsentation im Sinne vorbürgerlicher Öffentlichkeit - , sie sollten bloß verhindern, daß der Abgeordnetenstatus durch Delegation unterprivilegiert wurde. Dieser Zusammenhang des Publikums zerreißt freilich in dem Maße, in dem die Parteien, zu Exponenten eines Systems von öffentlichen Verbänden geworden, die Interessen stets mehrerer solcher, aus der privaten Sphäre in die Öffentlichkeit gleichsam hineingewachsenen Organisationen vermitteln und vertreten müssen. In der Regel sind sie heute weder Klassenpartei (wie die alte Sozialdemokratie) noch selber ein Interessenverband (nach Art des BFiE). Vielmehr verleiht gerade die Verklammerung der organisierten Interessen und ihre offizielle Übersetzung in die politische Maschine64
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64 Vgl. G G Art. 38. 65 Die beiden Kautelen, Recht auf Immunität und Verzicht auf finanzielle Entschädigung, verschärfen bloß Bestimmungen, die überhaupt die Teilnahme an der bürgerlichen Öffentlichkeit qualifizieren. Diese verstand sich ja als eine von öffentlicher Gewalt emanzipierte, gegen private Macht abgeschirmte Sphäre. D i e Kautelen sollen dem Abgeordneten den Status der dem Publikum zugehörigen Privatleute auch auf parlamentarischer Ebene erhalten, und ihnen nicht etwa zusätzliche Qualitäten eines zur Repräsentation von Autorität berufenen Herren einräumen - die parlamentarische Öffentlichkeit ist der »repräsentativen« ja gerade konträr.
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rie den Partelen jene überragende Stellung, vor der das Parlament zu einem Ausschuß von Fraktionen herabsinkt - und der Parlamentarier selbst »zu einem organisatorisch-technischen Zwischenglied innerhalb der Partei, der er sich im Konfliktfall zu beugen hat«. Nach einer Beobachtung von Kirchheim er steht damit der schwindende parlamentarische Einfluß der Juristen in Zusammenhang : der Advokatentypus weicht dem des Funktionärs. Neben der kleinen Gruppe der »Ministrablen«, die die Führungsämter kumulieren, gelangt eine größere Zahl von eigentlichen Parteifunktionären (Apparatschiks, Propaganda-Experten usw.) und schließlich die große Zahl der mittelbaren oder unmittelbaren Verbandsvertreter (Syndici, Kontaktleute, Spezialisten usw.) ins Parlament. Der einzelne Abgeordnete, zwar zur Mitwirkung an der Bildung der Mehrheitsbeschlüsse innerhalb seiner Partei berufen, entscheidet schließlich fraktionsgebunden. Den Zwang zum stets erneuerten Kompromiß zwischen organisierten Interessen setzt die Partei über die Fraktion in einen Zwang um, der die Einheit ihres Auftretens nach außen gewährt; der Abgeordnete erhält faktisch von seiner Partei ein imperatives Mandat. Das Parlament wird dadurch tendenziell zu einer Stätte, an der sich weisungsgebundene Parteibeauftragte treffen, um bereits getroffene Entscheidungen registrieren zu lassen. Ahnliches hatte schon Carl Schmitt in der Weimarer Republik beobachtet. Der neue Status des Abgeordneten, ist nicht länger durch die Teilhabe an einem allgemein räsonierenden Publikum charakterisiert. Das Parlament selbst hat sich dementsprechend aus einer disputierenden zu einer demonstrierenden Körperschaft entwickelt; denn die parlamentarische Bestätigung der hinter verschlossenen Türen 66
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66 Leibholz, a . a . O . , S. 97. 67 O . Kirchheimer, Majoritäten und Minoritäten in westeuropäischen Regierungen, in: Die N e u e Gesellschaft 1959, S. 256fr.; ders., Parteistruktur und Massendemokratie in Europa, A Ö R , B d . 79, 1954, S. 307ff.; ders., The Party in Mass Society, N e w Y o r k 1958. 68 Auf diesen Sachverhalt berufen sich denn auch die Parteien bei ihrem (rechtlich nicht begründeten) Anspruch auf Niederlegung des Mandats im Falle des A u s tritts eines Abgeordneten aus der Fraktion. 69 C . Schmitt, D i e geistesgeschichtliche Lage des Parlamentarismus, München 1923. 305
ausgehandelten Beschlüsse genügt nicht nur einer formellen Vorschrift; sie dient der Demonstration des Parteiwillens nach außen. Von einer »Versammlung weiser, als Einzelpersönlichkeiten von privilegierten Schichten gewählter Männer, die sich in öffentlicher Diskussion durch Argumente zu überzeugen suchten, in der Annahme, daß die dann von der Mehrheit getroffene Entscheidung das Wahre und Richtige für das Volkswohl sei«, wird das Parlament zur »öffentlichen Tribüne, auf der vor dem ganzen Volk, das durch Rundfunk und Fernsehen in besonderer Weise an dieser Öffentlichkeit teilnimmt, die Regierung und die sie stützenden Parteien ihre Politik dem Volke darlegen und verteidigen, die Opposition aber diese Politik in der gleichen Offenheit angreift und ihre Alternativpolitik entwickelt«. Die Beschreibung Friesenhahns erfaßt freilich nur die eine Seite des Vorgangs, nämlich die Erweiterung der Publizität als solcher, nicht den Wandel ihrer Funktion. Während Öffentlichkeit der Verhandlungen einst die Kontinuität der vorparlamentarischen mit der parlamentarischen Diskussion, die Einheit der Öffentlichkeit und der darin sich bildenden öffentlichen Meinung, mit einem Wort: das deliberierende Parlament als Mitte, aber eben auch als Teil des Publikums im ganzen sichern sollte, und eine Zeitlang auch tatsächlich gesichert hat, leistet sie heute nichts dergleichen; sie kann es auch nicht, denn die Öffentlichkeit selbst, innerhalb wie außerhalb des Parlaments, hat sich strukturell gewandelt: »Sieht man den Sinn der Übertragungen aus dem Bundestag darin, dem Hörer (und Zuschauer) am Empfangsgerät die Möglichkeit zu geben, an der Arbeit der von ihm gewählten Volksvertreter teilzuhaben, dann müßte man zu dem Schluß kommen, daß Fernsehen und Rundfunk diesem Zweck nicht gerecht zu werden vermögen, daß sie vielmehr durch Entstellung und Verzerrung der Debatten eine Störung der Parlamentsarbeit darstellen. Wie sich die eigentliche Beratung vom Plenum in die Ausschüsse und Fraktionen verlagert hat, so ist im Parlament die Deliberation vollständig hinter der Dokumentation zurückgetreten.« Vor der erweiterten 70
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70 E . Friesenhahn, Parlament und Regierung im modernen Staat, in: Veröff. d. Ver. dt. Staatsrechtslehrer, Heft 16, Berlin 1958, S. 3 1 . 71 Wie sehr sich der Zusammenhang der parlamentarischen Diskussion mit dem politischen Räsonnement der Privatleute extra muros gelockert hat, weist an 306
Öffentlichkeit werden die Verhandlungen selbst zur Show stilisiert. Publizität verliert ihre kritische Funktion zugunsten der demonstrativen; noch die Argumente werden in Symbole verkehrt, auf die nicht wiederum mit Argumenten, sondern nur mit Identifikationen geantwortet werden kann. Am Funktionswandel des Parlaments wird die Fragwürdigkeit der Öffentlichkeit als Organisationsprinzip der staatlichen Ordnung offenbar: aus einem Prinzip der (von selten des Publikums gehandhabten) Kritik ist Publizität zu einem Prinzip der (von Seiten demonstrierender Instanzen - der Verwaltung und der Verbände, vor allem der Parteien) gesteuerten Integration umfunktioniert worden. Der plebiszitären Entstellung der parlamentarischen Öffentlichkeit entspricht eine konsumkulturelle Entstellung der juridischen Öffentlichkeit. Denn die Strafprozesse, die interessant genug sind, um von den Massenmedien dokumentiert und kolportiert zu werden, verkehren das kritische Prinzip der Publizität auf analoge Weise; statt einer Kontrolle der Rechtsprechung durch die versammelten Staatsbürger dient es immer mehr der Präparation der gerichtlich verhandelten Vorgänge für die Massenkultur der versammelten Verbraucher. Die Stärke solcher Tendenzen läßt sich an den revisionistischen Bestrebungen messen, die sie auf den Plan gerufen haben. Während im nachnapoleonischen Deutschland Öffentlichkeit als OrganisationsTrends der Parlamentsberichterstattung nach H . Haftendorn, D a s Problem von Parlament und Öffentlichkeit, dargestellt am Beispiel der Parlamentsberichterstattung, Diss. Frankfurt i960, S. 146ff. Die Arbeit des Parlaments selbst hat sich bekanntlich in die Fraktionen und Parteigremien ebenso wie in die Parlamentarischen Fachausschüsse verlagert. Sie dürfen nicht als Substitute des öffentlich räsonierenden Parlaments gelten, denn sie kompensieren dessen Öffentlichkeitsverluste nicht. Auch w o die Ausschüsse von der Geschäftsordnung zu öffentlich verhandelnden Institutionen erklärt werden, etablieren sie sich nicht als Ersatzorgane der parlamentarischen Öffentlichkeit; symptomatisch macht gerade ein »wachsendes Interesse der Öffentlichkeit an ihren Verhandlungen es notwendig, Möglichkeiten zu finden für eine vertrauliche Fühlungnahme. D i e Öffentlichkeit dringt in die Ausschuß Verhandlungen nur ein, um den Gegenstand ihres Interesses in immer neue Stufen der NichtÖffentlichkeit verlegt zu sehen.« E b d . S. 89; vgl. auch B . Dechamps, Macht und Arbeit der Ausschüsse, Meisenheim/Glan 1954; dazu historisch: W. Steffani, Funktion und Kompetenz parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, in: P V S , 1 . Jg., i960, S. 153 ff. 307
prinzip eines liberalen Rechtsstaats seine ersten beredten Vorkämpfer fand; während damals Carl Theodor Welcher und Anselm Feuerbach für Publizität in Parlament und Justiz im Zusammenspiel mit einer frei sich entfaltenden politisch räsonierenden Tagespresse ihre Plädoyers hielten, geht man heute daran, Parlamentsverhandlungen und Gerichtsprozesse vor einer plebiszitierten Öffentlichkeit zu schützen. Der Ältestenrat des Bundestages hat empfohlen, die Sitzungen des Hauses nicht mehr direkt zu übertragen; Strafverteidiger und Strafrechtler verlangen immer dringlicher nach einer Ausschöpfung aller rechtlichen Handhaben oder, wo diese nicht genügen, nach einer Änderung der Gerichtsverfahrensordnung mit dem Ziel, Funk- und Bildberichterstattung im Gerichtssaal zu unterbinden: das Prinzip der Publizität soll in beiden Fällen auf eine Gewährleistung der »unmittelbaren Öffentlichkeit« reduziert werden. Zu Verhandlungen soll zwar weiterhin freier Zutritt gestattet sein; es soll aber vermieden werden, daß aus der parlamentarischen Dokumentation von intern ausgehandelten Beschlüssen eine parteipolitische Großkundgebung, aus dem Strafprozeß ein Schauprozeß zur Unterhaltung der an sich unbeteiligten Konsumenten wird. Die Argumentation richtet sich gegen die plebiszitären Abweichungen vom liberalen Modell. Dafür ist die Unterscheidung von Öffentlichkeit und Publicity typisch, die. Eberhard Schmitt, selbst für Strafprozesse mit »zeitgeschichtlichen Persönlichkeiten«, gewahrt wissen möchte: »Was entgeht einem schon, wenn man in der Presse Bilder von Angeklagten oder Zeugen nicht zu sehen bekommt? Mag ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit bestehen, zu erfahren, welcher Taten zeitgeschichtliche Persönlichkeiten beschuldigt werden, was in dieser Hinsicht in der Verhandlung geklärt wird und wie das Urteil lautet. Das sind Momente, die zu erfahren zur Meinungsbildung der am öffentlichen Leben interessierten Staatsbürger bedeutsam sind und die durch eine zuverlässige Gerichtsberichterstattung auch dem zur Kenntnis gebracht werden dürfen, der 72
72 C . T h . Welcker, Die vollkommene und ganze Pressefreiheit, nach ihrer sittlichen, rechtlichen und politischen Notwendigkeit, und ihre Übereinstimmung mit dem deutschen Fürstenwort, und nach ihrer völligen Zeitgemäßheit, Freiburg 1 8 3 0 ; A . Feuerbach, Betrachtungen über die Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Gerechtigkeitspflege, Siegen 1 8 2 1 . 308
an der Verhandlung nicht teilnimmt. Aber was für Gesichter Angekla gte und Zeugen in der Hauptverhandlung bei Vernehmungen oder bei der Urteilsverkündung machen, das ist für jedes berechtigte Informationsinteresse völlig gleichgültig. Nur wer von dem unseligen Trend zur Publicity ergriffen ist, durch den heutzutage alles überrannt wird, was humanes Denken an selbstverständIichen Rücksichten aufzubringen sich verpflichtet fühlt, kann hier noch von einem berechtigten Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit sprechen.« Es liegt auf der Hand, daß solche reaktiven Maßnahmen nicht zur Wiedereinsetzung der Öffentlichkeit in ihre ursprünglichen Funktionen beitragen können. Der Versuch einer Restauration liberaler Öffentlichkeit durch Reduktion ihrer plebiszitär ausgeweiteten Gestalt wird die Öffentlichkeit allenfalls in den ihr genuin verbliebenen Restfunktionen noch mehr schwächen. Auch heute verpflichtet die Verfassung des Sozialstaates als einer Massendemokratie die Tätigkeit der Staatsorgane zur Öffentlichkeit, damit ein permanenter Prozeß der Meinungs- und Willensbildung wenigstens als freiheitverbürgendes Korrektiv an der Macht- und Herrschaftsausübung wirksam werden kann: »die für die freiheitliche Demokratie lebensnotwendigen Manifestationen dieses Prozesses, die in dem Hervorbringen einer auf die Staatstätigkeit in allen ihren Verzweigungen orientierten öffentlichen Meinung< bestehen, können legitimerweise durchaus in nicht rechtlich sanktionierter >Gewalt<... bestehen, vorausgesetzt, daß auch sie in vollem Umfang >öffentlich< sind, sich öffentlich mit der ihrerseits prinzipiell zur Öffentlichkeit ihrer Betätigung verpflichteten Staatsgewalt konfrontieren«. Die von gesellschaftlichen Organisationen beschlagnahmte, unter dem Druck kollektiver Privatinteressen vermachtete Öffentlichkeit kann über eine Mitwirkung an politischen Kompromissen hinaus Funktionen der politischen Kritik und Kontrolle nur in dem Maße ausüben, indem sie selbst Bedingungen der Publizität rücksichtslos unterworfen ist, nämlich Öffentlichkeit im strengen Sinne wiederum wird. Unter den veränderten Verhältnissen kann die Intention der klassischen Publizitäts73
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73 E . Schmidt, Öffentlichkeit oder Publicity, in: Festschrift für Walter Schmidt, Berlin 1959, S. 351 f. 74 Rid der, Stellung der Gewerkschaften, a . a . O . , S. 27. 309
forderungen vor einer Verkehrung ins Restaurative bewahrt werden, wenn sich, in Ergänzung durch unorthodoxe Publizitätsforderungen, Publizität auch auf Einrichtungen erstrecken soll, die bislang eher von der Öffentlichkeit der anderen leben, als selbst deren Aufsicht unterstehen: in erster Linie auf Parteien, dann aber auch auf politisch effektive Massenmedien und öffentliche Verbände. Sie alle sind' Institutionen der staatsbezogen agierenden gesellschaftlichen Mächte - private Organisationen der Gesellschaft, die öffentliche Funktionen innerhalb der politischen Ordnung ausüben. Um diesen Funktionen im Sinne demokratischer Meinungs- und Willensbildung genügen zu können, müssen sie zunächst in ihrem inneren Aufbau nach dem Prinzip der Öffentlichkeit organisiert sein und eine innerparteiliche bzw. verbandsinterne Demokratie institutionell ermöglichen - eine ungehinderte Kommunikation und öffentliches Räsonnement gestatten. Sodann muß die Verbindung einer solchen Organisationsöffentlichkeit mit der Öffentlichkeit des gesamten Publikums durch Publizität des internen Partei- und Verbandsgeschehens gesichert sein. Schließlich bedarf die Tätigkeit der Organisationen selbst, ihr Druck auf den Staatsapparat, aber auch ihre Gewaltausübung gegeneinander, ebenso einer weitgehenden Publizität wie die vielfältigen Abhängigkeitsverhältnisse und wirtschaftlichen Verflechtungen; dazu gehört es etwa, daß die Organisationen der Öffentlichkeit Einblick in Herkunft und Verwendung ihrer finanziellen Mittel gewähren. In Deutschland bietet das Grundgesetz die Handhabe, solche Publizitätsforderungen 75
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75 O . Stammer und H . Schelsky, Ü b e r die »Organisationswirklichkeit«, eine D i s kussion in: Die N e u e Gesellschaft, I I , 2, 1 9 5 5 , Heft 3, 4, 6; entsprechende H i n weise in: O . Stammer, Politische Soziologie- und Demokratie-Forschung, in: Kölner Zeitschr. f. Soz. u. Sozialpsychol., B d . V I I I , 1956, S. 38011. 76 T h . R a m m , Die Freiheit der Willensbildung, Stuttgart i960, S. 108: »Dem drohenden Zerfall der Gesellschaft in eine Unzahl faktisch kaum kontrollierbarer Sonderordnungen kann relativ einfach dadurch entgegengewirkt werden, daß die öffentliche Meinung vom verbandsinternen Geschehen Kenntnis erhält und durch Kritik darauf einwirkt.« 77 Z u Fragen der Parteifinanzierung in Deutschland vgl. T h . Eschenburg, Probleme der modernen Parteifinanzierung, Tübingen 1 9 6 1 ; ferner: U . Kitzinger, Wahlkampf in Westdeutschland, Göttingen i960, S. 1 5 6 , zuletzt sehr informativ U . Dübber, Parteifinanzierung in Deutschland, Opladen 1962; für die U S A A . Heard, The Costs of Democracy, Univ. of N o r t h Carolina i960; die juristische
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von den Parteien auch auf die öffentlichen Verbände auszudehnen, weil auch sie unter dem grundrechtlichen Schutz der »institutionellen öffentlichen Meinungsfreiheit des Parteienstaates« an der politischen Meinungs- und Willensbildung des Volkes mitzuwirken legitimiert sind. Selbst die politische Publizistik soll, wie alle Institutionen, die in der Öffentlichkeit demonstrativ oder manipulativ einen privilegierten Einfluß ausüben, ihrerseits dem demokratischen Öffentlichkeitsgebot unterstellt werden. Wie immer es juristisch damit bestellt sein mag, unter soziologischem Aspekt stellen solche Forderungen die wichtige Dimension einer Demokratisierung staatsbezogen agierender gesellschaftlicher Organisationen zur Diskussion. Auf Publizität sind nicht mehr nur die Organe des Staates, sondern alle in der politischen Öffentlichkeit publizistisch wirksamen Einrichtungen festgelegt worden, weil der Prozeß der Transformation gesellschaftlicher Macht in politische ebensosehr der Kritik und Kontrolle bedarf, wie die legitime Ausübung der politischen Gewalt über die Gesellschaft. Die in der sozialstaatlichen Massendemokratie nicht anders als im bürgerlichen Rechtsstaat institutionalisierte Idee der Öffentlichkeit, einst: die Rationalisierung der Herrschaft im Medium des öffentlichen Räsonnements der Privatleute, ist jetzt nur mehr zu verwirklichen als eine - beim Pluralismus der organisierten Privatinteressen freilich begrenzte - Rationalisierung der sozialen und politischen Machtausübung unter der wechselseitigen Kontrolle rivalisierender, in ihrem inneren Aufbau ebenso wie im Verkehr mit dem Staat und untereinander auf Öffentlichkeit selbst festgelegter Organisatio78
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nen.
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Nur im Verhältnis zum Fortschreiten einer solchen RationalisieSeite behandelt W. Grundmann, Die Finanzierung der politischen Parteien, in: Ztschr. f. d. Ges. Staatswiss., B d . 1 1 5 , 1959, S. 1 1 3 - 1 3 0 . 78 Altmann, Rechtsstellung der öffentlichen Verbände, a . a . O . , S. 225. 79 H . Ridder, Meinungsfreiheit, in: Neumann, Nipperdey, Scheuner, Die G r u n d rechte, B d . I I , Berlin 1954, S. 257. Vgl. auch: M . Löffler, D e r Verfassungsauftrag der Publizistik, in: Publizistik, B d . V, i960, S. 517ff.; H . C o p i c , Berufsverbot und Pressefreiheit, in: J Z 1963, S. 494ff. 80 U . Lohmar, Innerparteiliche Demokratie, Stuttgart 1963; dazu: W. Abendroth, Innerparteiliche und innerverbandliche Demokratie als Voraussetzung der politischen Demokratie, in: P V S , 5. Jg. 1964, S. 307ff. 311
rung kann sich wiederum, wie seinerzeit in Gestalt des bürgerlichen Publikums der Privatleute, eine politische Öffentlichkeit - nämlich »über das periodische oder sporadische staatsorganschaftliche Wählen und Abstimmen hinaus . . . (eine) . . . in einem kohärenten und permanenten Integrationsprozeß präsente Gesellschaft« bilden. Wie sehr freilich tatsächlich die politische Öffentlichkeit der sozialstaatlichen Massendemokratie in dieser Dimension noch zurückgeblieben, oder besser: wie wenig sie darin überhaupt fortgeschritten ist, läßt sich gerade an der öffentlichen Vorbereitung der Wahlen und am Wahlvorgang selbst analysieren. Die zu diesem Zweck temporär hergestellte, nur vorübergehend mobilisierte Öffentlichkeit bringt nämlich jene andere Publizität der public relations zur Herrschaft, die über den Köpfen eines nichtorganisierten Publikums von Organisationen um so erfolgreicher entfaltet werden kann, je mehr diese selbst sich dem demokratischen Öffentlichkeitsgebot entziehen. Die jüngste Wahluntersuchung zeigt, »wie vorteilhaft es für eine Partei ist, keine Mitglieder zu haben, sondern nur in Wahlzeiten aufzuleben mit der zentralisierten Manövrierfähigkeit einer Reklamefirma, die für einen einzigen Zweck besteht: die Durchführung des Werbefeldzuges«. Ein im Medium der Parteien und Organisationen selbst entfalteter Prozeß öffentlicher Kommunikation steht offenbar im umgekehrten Verhältnis zur demonstrativen und manipulativen Wirksamkeit einer auf die virulente Akklamationsbereitschaft der breiten Bevölkerung, vorab ihres politisch indifferentesten Teiles abzielenden Publizität. 81
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§ 22 Hergestellte Öffentlichkeit und nicht-öffentliche Meinung: das Wahlverhalten der Bevölkerung Das Verhältnis der Leistungsempfänger zum Staat ist nicht in erster Linie politische Beteiligung, sondern eine allgemeine Forderungshaltung, die Versorgung erwartet, ohne eigentlich Entscheidungen 81 Ridder, Stellung der Gewerkschaften, a. a. O . , S. i6i. 82 Kitzinger, a . a . O . , S. 67h
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durchsetzen zu wollen, Die Berührung mit dem Staat vollzieht sich wesentlich im Raum und Vorraum der Verwaltung; sie Ist unpolitisch und von einer »anspruchsvollen Gleichgültigkeit«. Im Sozialstaat, der vorab verwaltet, verteilt und versorgt, reduzieren sich die »politischen« Interessen der stetig Verwaltungsakten subsumierten Staatsbürger primär auf berufsspartengebundene Ansprüche. Deren wirksame Vertretung müssen sie freilich den großen Organisationen übertragen. Was darüber hinaus der Initiative, wie es scheint, des eigenen Votums verbleibt, wird von den Parteien für eine als Abstimmung organisierte Wahl in Regie genommen. Wie sehr politische Öffentlichkeit, als eine Sphäre kontinuierlicher Teilnahme an dem auf die öffentliche Gewalt bezogenen Räsonnement, zerfallen ist, bemißt sich an dem Grad, in dem es zur genuinen publizistischen Aufgabe der Parteien wird, so etwas wie Öffentlichkeit periodisch überhaupt erst herzustellen. Wahlkämpfe ergeben sich nicht mehr, im Rahmen einer institutionell gesicherten Öffentlichkeit, aus einem ohnehin unterhaltenen Streit der Meinungen. Gleichwohl rechnet das demokratische Arrangement der Parlamentswahlen nach wie vor mit den liberalen Fiktionen bürgerlicher Öffentlichkeit. Die Verhaltenserwartungen, die die staatsbürgerliche Rolle des Wählers auch heute noch normativ bestimmen, sind ein sozialpsychologisches Spiegelbild jener Verhältnisse, in denen einst ein Publikum räsonierender Privatleute kritische und legislative Funktionen übernommen hatte. Dem Wähler wird zugemutet, daß er, mit einem gewissen Grad von Urteilsfähigkeit und Kenntnissen, interessiert an öffentlichen Diskussionen teilnimmt, um, in rationaler Form und am allgemeinen Interesse orientiert, das Richtige und Rechte als verbindlichen Maßstab für das politische Handeln finden zu helfen. In einem Aufsatz über Democratic Theory and Public Opinion zählt Be reis on die Momente der »Persönlichkeitsstruktur« des Wählers auf: interest in public affairs; possession of information and knowledge; of stable political principles or moral standards; ability of accurate observation; engagement in communication and discussion; rational behavior; consideration of 83
83 Vgl. meine Abhandlung über den Begriff der politischen Beteiligung, in: Habermas, v. Friedeburg et ab, Student und Politik, a . a . O . , S. 13ff. 313
community Interest. Die soziologischen Konstitutientien der politisch fungierenden Öffentlichkeit sind darin zu psychologischen Charakteren geronnen. Wenn indessen die Masse der wahlberechtigten Bevölkerung, sei es auch nur gemessen an so äußerlichen Kriterien wie dem Grad ihres politischen Interesses, ihrer Informiertheit, ihrer politischen Initiative und Aktivität, ihrer Teilnahme an Diskussionen, das demokratische Verhaltensmuster heute so wenig erfüllt, wie es durch viele empirische Untersuchungen erhärtet worden ist, dann kann eine solche Abweichung nur soziologisch im Zusammenhang mit dem strukturellen und funktionellen Wandel der Öffentlichkeit selbst verstanden werden. Ein entfernter Zusammenhang zwischen dem Wählerpublikum in den sozialstaatlichen Massendemokratien einerseits und dem Publikum der Privatleute in den bürgerlichen Rechtsstaaten des 19. Jahrhunderts anderseits scheint sich zunächst erhalten zu haben. Die Stimmabgabe war der Idee nach nur der abschließende Akt eines kontinuierlichen, öffentlich ausgetragenen Streites von Argument und Gegenargument; zu ihr waren berechtigt, wer ohnehin zur Öffentlichkeit zugelassen war: die Privatleute, und zwar die Haushaltsvorstände vorwiegend aus den städtisch-bürgerlichen Schichten, die über Eigentum und gehobene Schulbildung verfügten. Diese soziale Zusammensetzung des damals überhaupt nur wahlbe84
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84 In: Public Opinion Quarterly X V I , Fall 1 9 5 2 , S. 329. 85 Vgl. die Sammelbände: Burdick und Brodbeck, American Voting Behaviour, Glencoe 1959; Eulau, Eldersveld, Janowitz, Political Behaviour, Glencoe 1956; ferner die Untersuchungen von Lazarsfeld, Berelson, McPhee, Voting, Chicago 1954; Campbell, Gurie, Miller, The Voters Decide, Evanston 1954; Lazarsfeld, Berelson, Goudet, The People's Choice, N . Y. 1944. Das Wahlverhalten der Bevölkerung in England, Frankreich und Deutschland ist, wie vergleichbare U n tersuchungen in diesen Ländern zeigen, dem amerikanischen im großen und ganzen ähnlich: M c C a l l u m , Readman, The British General Election of 1945; L o n don 1947; H . G . Nicholas, The British General Election of 1950, L o n d o n 1 9 5 1 ; D . E . Butler, The British General Election of 1 9 5 5 , L o n d o n 1 9 5 5 ; Nicholas, Williams, The French Election of 1956, in Political Studies, B d . IV, 1956; Harrison und Kitzinger, The French Election of 1958, in: Political Studies, B d . V I I , 1959, S. 147ft.; M . Duverger, L a participation de femmes ä la vie politique, Paris 1 9 5 5 ; Hirsch-Weber, Wähler und Gewählte, Berlin 1957. Viele dieser Materialien sind verarbeitet in: S. M . Lipset, Political Man, N . Y. i960, besonders Part I I : Voting in Western Democracies, S. 139ff. 314
rechtigten Publikums findet heute einen Nachhall In der Zusammensetzung jenes aktiveren Teils einer generell wahlberechtigten Bevölkerung, der von seinem Wahlrecht Gebrauch macht: Männer wählen in der Regel häufiger als Frauen, Verheiratete häufiger als Unverheiratete, Angehörige der höheren Statusgruppen, die über ein größeres Einkommen und einen höheren Bildungsgrad verfügen, häufiger als die Angehörigen der niederen Sozialschichten. Dabei ist ferner bemerkenswert, daß Geschäftsleute, Angehörige des gewerbetreibenden Mittelstandes, in relativ großem Umfange zur Wahl gehen; die Tatsache, daß die Wahlbeteiligung in den Altersgruppen zwischen 3 5 und 5 5 Jahren am höchsten ist, läßt überhaupt einen starken Einfluß, nicht nur der Art der Berufstätigkeit (wie bei den Nachfolgeschichten der bürgerlichen Privatleute), sondern grundsätzlich der beruflichen Verflechtung in Bezüge gesellschaftlicher Arbeit vermuten. Auch die Teilnahme am öffentlichen Räsonnement, seinerzeit die informelle Voraussetzung für eine Beteiligung an der Wahl, scheint heute noch eine Entsprechung darin zu finden, daß Mitglieder privater Vereinigungen in größerem Umfang von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen als die nichtorganisierten Bürger. - Solche im Wahlverhalten der Bevölkerung konservierten Züge einer liberalen Öffentlichkeit lassen sich auch im Fluxus der politischen Kommunikation, den Katz und Lazarsfeld untersucht haben, nachweisen. Im Unterschied zu einer eher horizontalen, sozialschichtenspezifischen Verbreitung von Moden, von Verbrauchsgewohnheiten überhaupt, fließt der politische Meinungsstrom eher vertikal, von den höheren Staatsgruppen zu den jeweils niedrigeren - die »opinion leader in public affairs« sind für gewöhnlich wohlhabender und gebildeter, verfügen über eine bessere gesellschaftliche Stellung als die von ihnen beeinflußten Gruppen. Andrerseits hat man feststellen können, daß diese politisch interessierten, informierten und aktiven Kernschichten des Publikums selbst am wenigsten dazu neigen, ihre Auffassungen im Ernst zur Diskussion zu stellen. Gerade bei den Trägern des zweistufigen, eben durch diese opinion leader vermittelten Kommunikationspro86
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86 J . L i n z , The Social Basis of German Politics, Diss. phil. Columbia University 1958, Manuskript, S. 208f., nach Lipset, a . a . O . , S. 196. 87 E . K a t z , F.F. Lazarsfeld, Personal Influence, Glencoe 1 9 5 5 . 315
zesses verfestigt sich eine einmal angenommene Meinung häufig zu habitueller Starre. Auch die öffentlichkeitsfähigen Meinungen gedeihen ohne den Kommunikationsfluß eines räsonierenden Publikums nicht zu einer öffentlichen Meinung. Auch die gut belegte Tatsache, daß diejenigen, die sich, relativ am besten unterrichtet, auf Diskussionen relativ am häufigsten einlassen, dazu neigen, ihre Vorstellungen ohnehin nur wechselseitig zu bestätigen und allenfalls Zögernde und weniger Beteiligte zu beeinflussen - zeigt, wie wenig sie zu einem Prozeß öffentlicher Meinung beitragen. Die politischen Diskussionen beschränken sich zudem meist auf Ingroups, auf Familie, Freundeskreis und Nachbarschaft, die ohnehin eher ein homogenes Meinungsklima erzeugen. Andererseits rekrutieren sich die von einer Partei zur anderen fluktuierenden Wähler überwiegend aus dem breiten Reservoir der weniger interessierten, weniger informierten und apathischen Bürger, soweit sie sich nicht überhaupt indifferent verhalten und die Wahl ignorieren. Mithin lassen sich in der Regel gerade diejenigen, die sich einer diskutant gebildeten öffentlichen Meinung auf Grund ihrer Disposition am entschiedensten entziehen, noch am ehesten in ihrer Auffassung beeinflussen - nun aber von der demonstrativ oder manipulativ hergestellten Öffentlichkeit der Wahlveranstaker. Der Zerfall des Zusammenhangs des Wählerpublikums als eines Publikums verrät sich in der eigentümlichen Immobilisierung des überwiegenden Teiles der Wählerschaft. Zum Wählerstamm der einen oder anderen Partei gehören freilich zwei sehr verschiedene Gruppen. Auf der einen Seite steht die kleine Minorität der noch mit einem gewissen Recht »aktiv« zu nennenden Bürger, seien es Mitglieder der Parteien oder anderer gesellschaftlicher Organisationen, seien es die nichtorganisierten, aber gut unterrichteten und stark beteiligten, meist auch als opinion leader einflußreichen Wähler. Ihnen steht auf der anderen Seite die freilich in ihren Entschei88
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88 Berelson, a . a . O . , S. 3 1 9 : »In most campaigns, whether political or informational, the people best informed on the issue are the ones least likely to change their minds. Much of this represent attitudinal stability; some of it may represent rigidity.« 89 M . Janowitz und D . Marvick, Competition Pressure and Democratic Consent, Michigan 1956.
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düngen ebenso festgelegte Majorität der Bürger gegenüber, über die der Flugsand tagespolitischer Kontroversen, wie es scheint, spurlos hinwegstreift. Diese Fixierung entsteht teils aus der berechtigten, aber stereotyp eingeschliffenen Wahrnehmung von Gruppeninteressen, teils aus einer Schicht kultureller Selbstverständlichkeit, aus tief eingewurzelten Haltungen und Vorurteilen historisch meist weit zurückliegender, über Generationen vermittelter Erfahrungen. Verschiedene Altersgruppen lassen sich von generationsspezifischen, verschiedene konfessionelle und ethnische Gruppen von entsprechenden Erfahrungen leiten, so daß in die formal gleichen Wahlentscheidungen material ganz heterogene und oft genug konkurrierende Willensimpulse eingehen, und sich um so eher zu einem fiktiven Konsensus summieren, als dessen undiskutierte Voraussetzungen öffentlicher Kommunikation entzogen bleiben. Zwischen den immobilisierten Blöcken stehen oder pendeln nichtfestgelegte Wählergruppen, die sich, nach einer Einteilung von Janowitz, teils aus Kompromißlern, teils aus Neutralisierten, Ambivalenten oder Apathischen zusammensetzen; je nachdem, wie scharf die Kriterien gefaßt sind, hält sich diese Gruppe in einer Größenordnung zwischen einem Viertel und fast der Hälfte aller Wahlberechtigten. Zu ihnen gehören die Nichtwähler und die sogenannten Randschichtenwähler, die mal für die eine, mal für die andere Partei, zuweilen auch gar nicht mobilisiert werden können: nonvoters und changers. Die Charakteristik der Nichtwähler als der relativ am schiechtesten informierten und demokratisch relativ unzuverlässigsten Gruppe gilt, mit gewissen Abstrichen, auch für die Träger des floating vote : independent voters tend to be those who know and care the least«. Gleichwohl sind diese für eine Teilnahme am Prozeß der öffentlichen Meinung wenig qualifizierten Wahlberechtigten die Zielgruppe der Wahlmanager: jede Partei versucht, das Reservoir der »Unentschiedenen« soweit als möglich 90
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90 Lipset, a . a . O . , S. 2701., über the historical background of voting patterns. 91 S. A . Stouffer, C o m m u n i s m , Conformity and Civil Liberties, N . Y.
1955,
S. 83 ff.; H . H . Field, The Non-Voter, in: Public Opinion Quarterly V I I I , 1944, S. 175 ff.; F . H . Stanford, Authoritarianism and Liberty, Phil. 1950. 92 J a n o w i t z , in: Political Behaviour, ed. Eulau, a . a . O . , S. 279. 93 C . Harris, Election, Polling and Research, in: P . O . Q . , B d . X X I , 1957, S. 109. 317
auszuschöpfen, nicht durch Aufklärung, sondern durch Anpassung an die unpolitische Verbraucherhaltung, die in dieser Schicht besonders stark verbreitet ist. - Janowitz stellt mit Recht die Frage, »whether these efforts which rely heavily on massmedia and other promotional devices, do not represent a misuse of limited resources«. Allerdings wirkt die Wahlwerbung auch auf die übrigen Wählergruppen zurück. So ist der Zusammenhang zwischen der Wahlbeteiligung und einer Orientierung an programmatischen Zielen weit schwächer als der mit der werbewirksam dargebotenen Imago der führenden Kandidaten. Die wahlperiodische Neuinszenierung einer politischen Öffentlichkeit fügt sich nämlich der Gestalt ein, die sich als Zerfallsform bürgerlicher Öffenlichkeit vorfindet. Zunächst stellt die von den Massenmedien zubereitete und verbreitete Integrationskultur, obschon ihrem Sinne nach unpolitisch, selber eine politische Ideologie dar; die politische Programmatik, jede demonstrative Äußerung überhaupt, wird mit ihr nicht etwa in Konkurrenz treten dürfen, sondern um eine Konkordanz sich zu bemühen haben. Der von Mannheim schon vor Jahrzehnten diagnostizierte Zerfall der politischen Ideologien scheint nur die eine Seite jenes Vorgangs darzustellen, angesichts dessen Raymond Aron geradezu vom Fin de l'Age Ideologique spricht; auf der anderen Seite richtet sich Ideologie in Gestalt der sogenannten Konsumkultur ein und erfüllt gleichsam auf tieferer Bewußtseinsstufe ihre alte Funktion, nämlich den Zwang zur Konformität mit den bestehenden Verhältnissen. Dieses falsche Bewußtsein besteht nicht mehr wie die politischen Ideologien des 1 9 . Jahrhunderts aus einem in sich stimmigen Zusammenhang von Vorstellungen, sondern aus einem von Verhaltensweisen; es nimmt als ein System fremdgesteuerter Konsumgewohnheiten praktische Gestalt an. Was daran Bewußtsein bleibt, ist die pseudorealistische Abbildung des Bestehenden auf seiner Oberfläche: »Wollte man in einem Satz zusammendrängen, worauf ei94
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94 Janowitz, a. a. O . , S. 280. 95 E b d . 96 R. A r o n , Fin de L ' A g e Ideologique? in: Sociologica, Frankfurt 1 9 5 5 , vgl. auch O . Brunner, Das Zeitalter der Ideologien, in: N e u e Wege der Sozialgeschichte, Göttingen 1956, bes. S. 200f. 318
gentlich die Ideologie der Massenkultur hinausläuft, man müßte sie als Parodie des Satzes > werde, was Du bist< darstellen: als überhöhende Verdoppelung und Rechtfertigung des ohnehin bestehenden Zustandes, unter Einziehung aller Transzendenz und Kritik. Indem der gesellschaftlich wirksame Geist sich darauf beschränkt, den Menschen nur noch einmal das vor Augen zu stellen, was ohnehin die Bedingung seiner Existenz ausmacht, aber dieses Dasein zugleich als seine eigene Norm proklamiert, werden sie im glaubenslosen Glauben an die pure Existenz befestigt.« Werbung ist die andere Funktion, die eine von Massenmedien beherrschte Öffentlichkeit übernommen hat. Die Parteien und ihre Hilfsorganisationen sehen sich deshalb genötigt, die Wahlentscheidungen publizistisch in Analogie zum Reklamedruck auf Kaufentscheidungen zu beeinflussen - es entsteht das Gewerbe des politischen Marketing. Die Parteiagitatoren und Propagandisten alten Stils weichen parteipolitisch neutralen Werbefachleuten, die angestellt sind, um Politik unpolitisch zu verkaufen. Diese Tendenz, obwohl sie sich schon länger abzeichnet, hat sich erst, parallel zur wissenschaftlichen Entwicklung der empirischen Techniken von Markt- und Meinungsforschung, nach dem zweiten Weltkrieg durchgesetzt. Die Widerstände, die in manchen Parteien erst nach mehrfachen Wahlniederlagen gebrochen wurden, verraten, daß die Wahlregisseure den Schwund an eigentlich politischer Öffentlichkeit nicht nur zur Kenntnis nehmen, sondern mit vollem Bewußtsein selber betreiben müssen. Die temporär hergestellte politische Öffentlichkeit reproduziert, bloß zu anderen Zwecken, die Sphäre, der jene Integrationskultur das Gesetz vorschreibt; auch der politische Bereich wird sozialpsychologisch dem Konsumbereich integriert. Adressat solcher Öffentlichkeit ist der Typus des politischen K o n 97
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97 T.W. A d o r n o , Ideologie, in: Exkurse, Frankfurt 1956, S. 1 5 8 ; vgl. auch H o r k heimer und A d o r n o , Kulturindustrie, in: Dialektik der Aufklärung, Amsterdam 1947. 98 H . H . Flöter, D e r manipulierte Mensch und seine Freiheit, in: Die neue Gesellschaft, Jahrgang 1958, Heft 4, S. 272. 99 Charakteristisch dafür ist die Diskussion innerhalb der S P D nach der Wahlniederlage von 1 9 5 7 ; vgl. die Kontroverse in: Die N e u e Gesellschaft, Jahrgang 1958, Heft i, Willi Eichler, Wählermanipulierung oder sozialistische Politik, S. 27 tf., und Jens Feddersen, Politik muß verkauft werden, ebd. S. 21 ff. 319
sumenten, dem Riesman den Namen des »neuen Gleichgültigen« gegeben hat: »Er ist kein unabhängiger Wähler mehr . . . er erkennt keinen Zusammenhang mehr zwischen seinen politischen Meinungen und seiner politischen Funktion. Seine Meinungen dienen ihm daher als bargeldloses Zahlungsmittel in seiner Rolle als Mitglied einer Verbrauchergenossenschaft der politischen Tagesnachrichten. Seine Toleranz gegenüber den Meinungen anderer leitet sich nicht nur von einer charakterlichen Veranlagung her, sondern auch von der Tatsache, daß er sie eben als >bloße< Meinungen ansehen kann, die vielleicht amüsant oder interessant sind, aber nicht mehr das Gewicht einer teilweisen oder gar vollständigen Hingabe an eine politische Handlung tragen.« 100
Die Desintegration der Wählerschaft als Publikum wird daran deutlich, daß Presse und Rundfunk, »in der üblichen Weise gehandhabt«, so gut wie wirkungslos bleiben; im Rahmen der hergestellten Öffentlichkeit taugen die Massenmedien nur als Werbeträger. Die Parteien wenden sich unmittelbar ans »Volk«, faktisch an jene Minderheit, für deren Bewußtseinsstand die Demoskopen einen durchschnittlichen Wortschatz von 500 Vokabeln ermittelt hab e n . Zusammen mit der Presse verliert auch das zweite klassische Instrument der Meinungsbildung seine Bedeutung: die Parteiversammlung. Man weiß inzwischen, daß sie, »in der üblichen Weise gehandhabt«, allenfalls der Ausgabe von Parolen an eine kleine Schar ohnehin getreuer Anhänger dienen kann. Auch Versammlungen taugen nur mehr als Werbeveranstaltungen, an denen die Anwesenden, wenn es hoch kommt, als unbezahlte Statisten für die Fernsehübertragung mitwirken dürfen. 101
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100 Riesman, Die einsame Masse, a . a . O . , S. 354f. TOI G . Schmidtchen, Die befragte Nation, Freiburg 1959, S. 139. 102 N i c h t zufällig präsentiert Schmidtchen ( a . a . O . , S. 1 7 3 ) den folgenden Fall als Beispiel für das auf empirische Befunde gestützte Verhalten der Regierung: »Die Reaktion der Presse auf bestimmte Bemühungen oder Entscheidungen der R e gierung mag ungünstig ausfallen. Eine Umfrage zeigt zur gleichen Zeit, daß die Bevölkerung sich wesentlich positivere Vorstellungen über die Ereignisse gebildet hat. Würde sich die Regierung in ihrer Öffentlichkeitsarbeit in solchen Fällen auf die Stimmen der Presse stützen, könnte eine Informationskampagne eher Verwirrung als Aufklärung stiften, weil der Bevölkerung die Argumente zum großen Teil unverständlich erscheinen müssen.«
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Statt öffentlicher Meinung spielt sich in der manipulierten Öffentlichkeit eine akklamationsbereite Stimmung ein, ein Meinungsklima. Manipulativ ist vor allem die sozialpsychologische Kalkulation von Angeboten, die an unbewußte Neigungen adressiert sind und voraussehbare Reaktionen hervorrufen, ohne andrerseits diejenigen, die sich so der plebiszitären Zustimmung versichern, in irgendeiner Weise verpflichten zu können: die nach sorgfältig eruierten »psychologischen Parametern« gesteuerten und experimentell erprobten Appelle müssen, je besser sie als Symbole der Identifikation wirken sollen, um so mehr ihren Zusammenhang mit politischen Programmsätzen oder gar Sachargumenten verlieren. Ihr Sinn erschöpft sich in der Auslösung jener Art Popularität, »die in der Massengesellschaft heute die unmittelbare Beziehung des Individuums zur Politik ersetzt«. Eine zentrale Rolle spielt daher die Präsentation des Führers oder der Führungs garn i tur; auch sie bedürfen der marktgerechten Aufmachung und Verpakkung. Der Popularitätsindex ist für eine Regierung Maßstab dafür, wieweit sie die nicht-öffentliche Meinung der Bevölkerung unter Kontrolle hat oder wieweit sie ihrer Führungsgarnitur in Popularität umsetzbare Publizität zusätzlich verschaffen muß. Popularität ist nicht als solche mit Publizität identisch, aber ohne sie auf die Dauer nicht aufrechtzuerhalten: die Stimmung, die sie bezeichnet, ist eine abhängige Variable der temporär hergestellten Öffentlichkeit, obschon keineswegs von dieser allein abhängig. Nicht grundlos pflegen Regierungsparteien, um sich im Wahlkampf zu behaupten, objektive Anlässe zu schaffen, Aufhänger für Publizität in Gestalt echter Konzessionen an die Erwartungen der Bevölkerung - etwa durch die Senkung von Verbrauchssteuern auf Massengenußmittel, eine publizistisch besonders ergiebige Maßnahme. Um, wie immer manipulativ, auf die wissenschaftlich analysierten Motive der Wähler einzugehen, sind zuweilen, als Kristallisationspunkt der angestrebten Publizität, auch Maßnahmen nötig, die reale Bedürfnisse befriedigen. Insofern hat die Manipulation selbst der erfindungsreichsten Wahlregie ihre, wenn man so will, natürlichen Grenzen. Daraus dürfte freilich nicht schon der Umkehrschluß zu ziehen sein, daß »je besser die Motive 103
103 Kirchheimer, Majoritäten und Minoritäten, a . a . O . , S. 265. 321
der Wähler bekannt sind, desto nachhaltiger die > Regie rung vom< Volk >manipuliert< werde«. Gewiß muß eine publizistische »Ausschöpfung« der gegebenen Motive auch auf diese eingehen; dabei kann es unter Umständen notwendig sein, Publizitätsanlässe in Form von Verpflichtungen zu schaffen, die reale Bedürfnisse der Wähler befriedigen. Je enger die »natürlichen« Grenzen der Manipulation, um so stärker der Zwang, wissenschaftlich analysierte Motive nicht nur zu benützen, sondern auch zu befriedigen. Eindeutiges läßt sich darüber noch nicht ausmachen. Selbst wenn wir aber hypothetisch den Fall unterstellen: daß, bei sehr eng gezogenen Grenzen der Manipulation, das Akklamationsverfahren im Rahmen der periodisch veranstalteten Öffentlichkeit weitgehend eine Folgebereitschaft der Regierung gegenüber der nicht-öffentlichen Meinung garantierte; selbst dann wären die Bedingungen demokratischer Meinungs- und Willensbildung nicht erfüllt. Denn die zu werbepsychologischen Zwecken gemachten Angebote, so zweckmäßig sie objektiv auch sein mögen, sind dann nicht durch Willen und Bewußtsein (sondern durch das Unterbewußtsein) der Subjekte vermittelt. Diese Art der Willensbildung würde sich eher dem aufgeklärten Absolutismus eines sozialstaatlichen Obrigkeitsregimes als dem sozialen und demokratischen Rechtsstaat einfügen: Alles für das Volk, nichts durch das Volk - nicht zufällig ein Satz aus dem Preußen Friedrichs II. Streng genommen wäre bei dieser Prozedur nicht einmal »Wohlfahrt« garantiert. Denn einer indirekt bestimmenden nicht-öffentlichen Meinung fehlt außer dem Merkmal der Autonomie das der Rationalität als solcher. Die Befriedigung noch so gut ermittelter Motive 104
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104 Schmidtchen, a . a . O . , S. 166; ders., Die Bedeutung repräsentativer B e v ö l k e rungsumfragen für die offene Gesellschaft, in: P V S , 4. Jg. 1963, S. 168 ff. 105 Diese, im übrigen empirisch widerlegte, Annahme liegt den meisten Kritiken an der Funktion der Meinungsforschung innerhalb der Demokratie zugrunde: sie führte, so heißt es, zu einem Schwund an Führungsbereitschaft; vgl. J . C . R a m ney, D o the Polls serve Democracy? in: Berelson und J a n o w i t z , Public opinion and Communication, a . a . O . , S. 132fr.; auch: R. Fröhner, Trägt die Meinungsforschung zur Entdemokratisierung bei? in: Publizistik, B d . I I I , 1958, S. 323 ff., vgl. neuerdings die Kontroverse zwischen K. Sontheimer und G . Schmidtchen: Meinungsforschung und Politik, in: Ztschr. D e r Monat, 16. Jg., April u. Mai 1964. 322
breitester Schichten bietet an sich noch keine Gewähr dafür, daß sie deren objektiven Interessen entspräche. Öffentlichkeit war, ihrer eigenen Idee zufolge, ein Prinzip der Demokratie nicht schon darum, weil in ihr prinzipiell jeder mit gleicher Chance seine persönlichen Neigungen, Wünsche und Gesinnungen vorbringen durfte - opinions; sie war nur in dem Maße zu verwirklichen, in dem diese persönlichen Meinungen im Räsonnement eines Publikums zur öffentlichen Meinung sich ausbilden konnten - zur opinion publique. Die Garantie der allgemeinen Zugänglichkeit verstand man ja nur als die Voraussetzung der Wahrheitsgarantie für eine immerhin Gesetzen der Logik verpflichtete Rede und Gegenrede. Das Verhältnis von hergestellter Öffentlichkeit und nichtöffentlicher Meinung läßt sich am Beispiel einiger Maßnahmen erläutern, die die Wahl zum Deutschen Bundestag 1957 zugunsten der Regierungsparteien beeinflußt haben. (Wir halten uns an dieses Beispiel einer manipulativen Verwendung von empirischen Befunden der Umfrageforschung durch eine bestimmte Partei lediglich wegen der verläßlichen Dokumentation, an der es im Hinblick auf die anderen Parteien mangelt. ) Im großen und ganzen waren vier strategische Maßnahmen für die Öffentlichkeitsarbeit der im Wahlkampf siegreichen Partei bestimmend. Die im Bundestagswahlkampf 1 9 5 3 bewährte Imago des Parteiführers mußte, um Befürchtungen, vor allem angesichts seines Alters, zu begegnen, umstilisiert werden: man präsentierte ihn inmitten »seiner Mannschaft«. Sodann stellte die Propaganda vorwiegend auf Angstgefühle und Sicherheitsbedürfnisse ab, indem einerseits der Gegner wirksam mit der bolschewistischen Gefahr assoziiert, und andrerseits die im Besitz der Staatsge106
106 Vorzüglich die im Hinblick auf parteipolitische Affiliationen gewiß unverdächtigen Untersuchungen von Schmidtchen und Kitzinger; eine Interpretation des manipulativen Gehalts des wissenschaftlich angeleiteten Bundestags wahlkampfes von 1957 gibt L.v. Friedeburg, Z u m politischen Potential der Umfrageforschung, in: Kölner Ztschr. f. Soz. u. Sozialpsychol., B d . 1 3 , 1 9 6 1 , S. 2 0 1 - 2 1 6 ; eine soziologische Analyse der einzelnen Wählergruppen bei Hartenstein, L i e pelt, Schubert, Die Septemberdemokratie, in: Die N e u e Gesellschaft, 1958, Heft I; E . Faul (Hg.), Wahlen und Wähler in Westdeutschland, Hamburg 1 9 6 1 ; V. Graf Blücher (Hg.), D e r Prozeß der Meinungsbildung, dargestellt am Beispiel der Bundestagswahl 1 9 6 1 , Bielefeld 1962. 323
wait befindliche und mit dem Staat als solchen tunlichst identifizierte Partei als der einzige Bürge für Sicherheit, militärische wie soziale, glaubwürdig gemacht wurde: Keine Experimente, Was Du hast, das hast Du usw. Drittens traf die Regierung, um der wahlpolitisch ungünstigen Furcht vor Preissteigerungen entgegenzuwirken, mit der Industrie sogenannte Stillhalteabkommen, auf Grund deren Unternehmer Preiserhöhungen bis nach dem Wahltermin zurückstellten. Zusätzlich verbürgte sich eine Reihe von Markenartikelfirmen durch Anzeigen in der Tagespresse für die Stabilität des Preisniveaus; dem war der Reklamefeldzug eines Einzelhändlerverbandes vorausgegangen. Als wirkungsvollste Maßnahme war schließlich die Rentenreform verabschiedet worden: etwa 6 Millionen Rentner erhielten ab Mai 1957 höhere Bezüge und Nachzahlungen; natürlich blieb die materielle und psychologische Wirkung nicht allein auf die Rente beschränkt. Alle vier Maßnahmen wurden vorher sorgfältig getestet und mit kalkulierten Werbetechniken publizistisch umgesetzt (die weiche Welle) bzw. ausgewertet (Wohlstand für alle). Die einzelnen strategischen Maßnahmen sind nicht im Hinblick auf den Erfolg, den Grad der erreichten Akklamation kontrolliert worden; ihr Gewicht im Verhältnis untereinander ist schwer abzuschätzen. Klarer als nach der propagandistischen Wirkung sind sie nach ihrem politischen Gehalt zu interpretieren: die einzig verbindliche Verpflichtung sind die Regierungsparteien mit ihrer (dem Wahlkampf vorausgegangenen) Zustimmung zur Rentenreform eingegangen. A m Zustandekommen des Gesetzes hatte die Oppositionspartei zwar ebenso Anteil; es ließ sich aber (weil der Bundestag von vielen Wählern mit der Bundesregierung identifiziert wird) von den Regierungsparteien als termingerecht gezielter Publizitätsanlaß eher ausschöpfen. Einerseits verbürgt also selbst diese Methode politischer Willensbildung eine Art Druck der nicht-öffentlichen Meinung auf die Regierung, bei Vermeidung eines riskanten Popularitätsverlustes reale Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen; andrerseits verhindert sie die Ausbildung einer Im strengen Sinne öffentlichen Meinung. Indem nämlich wichtige politische Entscheidungen, ohne freilich dadurch in ihren faktischen Folgen beeinträchtigt zu sein, zu manipulativen Zwecken gefällt und werbewirksam als Publizitätsanlässe
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in die demonstrativ hergestellte Öffentlichkeit eingebracht werden, bleiben sie qua politische Entscheidungen sowohl öffentlichem Räsonnement als auch der Möglichkeit eines plebiszitären Mißtrauensvotums im Bewußtsein präzise definierter Alternativen entzogen: weder ist nämlich, um weiterhin am Beispiel zu illustrieren, die Rentenreform während ihrer Vorbereitungsphase, obschon in der großen Tagespresse weidlich behandelt, systematisch zum Thema eines Prozesses öffentlicher Meinungsbildung erhoben worden (demoskopische Untersuchungen zeigten, daß die Masse der Bevölkerung mit dem Namen der dynamischen Rente keine zutreffenden Vorstellungen verband), noch war sie nachher als ein zentrales sozialpolitisches Problem ausdrücklich Thema des Wahlkampfes (nur die indirekten psychologischen Auswirkungen ließen sich als Basis für eine Propaganda verwerten, die auf grobe Stereotype der Lebensstandardsteigerung abgestellt war). Auch in diesem Fall diente die demonstrativ und manipulativ entfaltete Öffentlichkeit, die unmittelbar für jene starke Minderheit der im Normalfall den Ausgang einer Wahl bestimmenden »Unentschiedenen« veranstaltet wird, einem sozialpsychologisch kalkulierten und reklametechnisch arrangierten Kommunikationsprozeß zwischen gesetzten Symbolen und gegebenen Motiven. Daraus resultierende Voten ergeben auch in ihrer Addition keine öffentliche Meinung, weil beide Bedingungen nicht erfüllt sind: die informellen Meinungen bilden sich weder rational, nämlich in bewußter Auseinandersetzung mit erkennbaren Sachverhalten (vielmehr korrespondieren die öffentlich dargebotenen Symbole mit vielfach unbewußten, dem einzelnen in ihrer Mechanik verborgenen Prozessen); noch bilden sie sich diskutant, nämlich im Für und Wider eines öffentlich geführten Gesprächs (vielmehr bleiben die Reaktionen, obschon durch Gruppenmeinungen vielfach vermittelt, in dem Sinne privat, daß sie nicht der Korrektur im Rahmen eines räsonierenden Publikums ausgesetzt sind). So wird ein als Publikum desintegriertes Publikum der Staatsbürger mit publizistischen Mitteln derart mediatisiert, daß es einerseits für die Legitimation politischer Kompromisse beansprucht werden kann, ohne andrerseits an effektiven Entscheidungen beteiligt oder der Beteiligung auch nur fähig zu sein. Auch in ariderer Hinsicht ist das Beispiel der Rentenreform auf325
Schluß reich: sie gehört ja zum Komplex jener sozialstaatlichen Garantien gegen persönliche Lebensrisiken, die einst privater Autonomie überlassen waren. Der Widerspruch liegt auf der Hand: einerseits wachsen die sozialen Bedingungen privater Existenz, die durch öffentliche Gewalt aufrechterhalten und gesichert sind, und deshalb auch im Kommunikationsprozeß eines politisch autonomen Staatsbürgerpublikums geklärt, eben zum Thema öffentlicher Meinung erhoben w erden müßten; andrerseits kann diese objektiv im wachsenden Maße beanspruchte Instanz sich um so weniger als eine öffentliche Meinung einspielen und die politische wie soziale Gewaltausübung rationalisieren, je mehr sie zum Akklamationszweck der abstrakten Stimmabgabe bloß im Rahmen einer temporär hergestellten Öffentlichkeit demonstrativ oder manipulativ erzeugt wird. r
§ 23 Die politische Öffentlichkeit im Prozeß der sozialstaatlichen Transformation des liberalen Rechtsstaates Das charakteristische Mißverhältnis solcher Funktionen, die die politische Öffentlichkeit heute tatsächlich ausübt, zu denen, die ihr in der veränderten Konstellation der öffentlichen Sphäre zum privaten Bereich nach objektiven Bedürfnissen einer demokratisch organisierten Gesellschaft zugemutet sind, wird dort greifbar, wo die Transformation des liberalen Rechtsstaates zum sogenannten Sozialstaat normativ ausdrücklich geregelt und, oft genug, in ihrer Intention vom Buchstaben wie vom Geiste der verfassungsrechtlichen Institutionen antizipiert ist. 107
In den ersten modernen Verfassungen sind die Abteilungen des Grundrechtskatalogs ein Abbild des liberalen Modells bürgerlicher Öffentlichkeit: sie garantieren die Gesellschaft als Sphäre privater Autonomie; ihr gegenüber eine auf wenige Funktionen limitierte öffentliche Gewalt; und gleichsam zwischen beiden den Bereich der zum Publikum versammelten Privatleute, die als Staatsbürger den Staat mit Bedürfnissen der bürgerlichen Gesellschaft vermitteln, um so, der Idee nach, im Medium dieser räsonierenden Öffentlich107 Vgl. oben § 1 1 . 326
keit Herrschaft als solche zu rationalisieren. Ein öffentlicher Diskurs, an dem sich politische Herrschaft legitimieren sollte, schien unter den Voraussetzungen einer Gesellschaft des freien Warenverkehrs (mit seiner dem Marktmechanismus und dem Aquivalententausch innewohnenden Gerechtigkeit der gleichen Chance beim Erwerb von Eigentum, das hieß: von privater Unabhängigkeit und politischer Mitbestimmung) dann garantiert, wenn der Verkehr der Privatleute auf dem Markt und in der Öffentlichkeit von Herrschaft emanzipiert war. Als herrschaftsemanzipierte Sphäre würden sich innerhalb einer Gesellschaft von Kleinwarenbesitzern alle Machtverhältnisse automatisch neutralisieren. Diesen Vorstellungen entspricht der negatorische Charakter der liberalen Grundrechte: sie wehren staatliche Ein- und Übergriffe in die Bereiche ab, die grundsätzlich den an allgemeine Regeln des Rechtsverkehrs gebundenen Privatleuten vorbehalten bleiben sollen. Der gesellschaftlichen Funktion nach, die damals die Verfassungsgeber im Auge hatten, wirkten freilich die Grundrechte keineswegs nur ausgrenzend; denn auf der Basis, für die diese politische Ordnung konzipiert war, mußten sie als positive Verbürgungen einer chancengleichen Teilnahme am Prozeß der Erzeugung sowohl des gesellschaftlichen Reichtums als auch der öffentlichen Meinung wirksam werden. Im Zusammenspiel mit einer Verkehrsgesellschaft, wie man sie voraussetzte, war eine chancengleiche Gewährung der Teilhabe an sozialen Entschädigungen (über den Markt) und einer Teilnahme an den politischen Einrichtungen (in der Öffentlichkeit) nur indirekt durch die Gewährle 1 stung von Freiheiten und Sicherheiten gegenüber der im Staat konzentrierten Gewalt, war die positive Auswirkung nur auf dem Wege negatorischer Wirksamkeit der Grundrechte zu sichern. Im Gegensatz zu der unter Juristen herrschenden Auffassung ergibt sich daraus unter soziologischem Aspekt, daß die Verfassung des liberalen Rechtsstaates von Anbeginn nicht nur den Staat als solchen und in seinem Verhältnis zur Gesellschaft, sondern den gesellschaftlichen Lebenszusammenhang im ganzen ordnen wollte. Die grundrechtlich fixierte öffentliche Ordnung befaßte deshalb die Privatrechtsord108
108 Vgl. oben § 1 1 . 327
nung in sich. Dadurch rückt auch die geläufige Unterscheidung von liberalen Freiheits- und demokratischen Teilnahmeverbürgungen in ein anderes Licht. Gewiß waren status negativus und status activus so deutlich getrennt wie Positionen und Funktionen von bourgeois und citoyen, von Privatmann und Staatsbürger überhaupt. Allein, wenn man beide Grundrechtsarten soziologisch aus dem ursprünglichen Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatsphäre begreift, enthüllt sich der untrennbare Zusammenhang: der Status wird in der Öffentlichkeit ebenso wie in der Privatsphäre (der bürgerlichen Gesellschaft und der Familie) negatorisch im Vertrauen darauf verbürgt, daß Öffentlichkeit und Markt im erwarteten Sinne funktionieren, solange nur die Autonomie der Privatleute hier wie dort gesichert ist. Selbst die im Parlament als Staatsorgan konstitutionalisierte Öffentlichkeit bleibt sich ja ihrer Herkunft aus dem privatautonomen Verkehr des Publikums bewußt. Auch das Wahlrecht, unmittelbar als ein Teilnahmerecht formuliert, ist die automatische Folge des durch Ausgrenzung gesicherten Privatverkehrs in der Öffentlichkeit. Liberale Menschenrechte und demokratische Bürgerrechte treten, wie die Privatrechtsordnung, die grundrechtlich fixierte öffentliche Ordnung überhaupt, in Theorie und Praxis des bürgerlichen Staatsrechts erst auseinander, als die Fiktivität der hypothetisch zugrunde gelegten Gesellschaftsordnung zu Bewußtsein kommt und die schrittweise verwirklichte Herrschaft des Bürgertums für es selbst ihre Ambivalenz offenbart. 109
Die sozialstaatliche Transformation des liberalen Rechtsstaates ist aus dieser Ausgangslage zu begreifen. Sie ist nämlich durch Kontinuität, und nicht etwa durch einen Bruch mit den liberalen Traditionen charakterisiert. Der soziale Rechtsstaat ist vom liberalen nicht dadurch unterschieden, »daß eine staatliche Verfassung mit dem rechtsverbindlichen Anspruch hervortritt, auch die Verfassung gesellschaftlicher Organisationen auf bestimmte Grundprinzipien festzulegen«, vielmehr verhält es sich umgekehrt so, daß der Sozialstaat gerade in Fortsetzung der Rechtstradition des liberalen 110
109 In diesem Sinne betont Ramm ( a . a . O . , S. 54), »daß das Zivilrecht selbst in seiner konkreten Ausgestaltung Ausfluß der Menschen- und Bürgerrechte war«. 1 1 0 Ridder, Stellung der Gewerkschaften, a . a . O . , S. 16f.
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Staates zur Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse genötigt ist, denn auch dieser wollte eine Gesamtrechtsordnung von Staat und Gesellschaft zumal sichern. Sobald der Staat zunehmend selbst zum Träger der gesellschaftlichen Ordnung avanciert, muß er sich über die negatorischen Bestimmungen der liberalen Grundrechte hinaus einer positiven Anweisung versichern, wie »Gerechtigkeit« im sozialstaatlichen Eingriff zu verwirklichen sei. Der rechtsstaatliche Gesetzesbegriff ist, wie wir sahen, in seinen beiden Elementen: der Gleichheit verbürgenden Allgemeinheit und der Richtigkeit, d. i. Gerechtigkeit verbürgenden Wahrheit, so weit ausgehöhlt, daß eine Erfüllung seiner formellen Kriterien für eine angemessene Normierung der neuen Materie nicht mehr ausreicht. Anstelle der formellen muß vielmehr eine materielle Garantie treten, die den Interessentenkompromissen programmatisch Regeln einer Justitia Distributiva vorzeichnet: so fällt etwa die Aufteilung des Sozialproduktzuwachses zunehmend in die Kompetenz politischer Instanzen. U m den Verteilerschlüssel, nach dem dabei verfahren wird, ringen die öffentlichen Verbände mit Legislative und Exekutive. Deshalb hat der »Sozialpflichtige« Staat darüber zu wachen, daß sich der zustande kommende Interessenausgleich im Rahmen des allgemeinen Interesses hält. H. P. Ipsen hat in diesem Sinne die Sozialstaatsklausel des Grundgesetzes als Staatszielbestimmung begriffen. Mit ihr ist mehr gesetzt als die verfassungsmäßige Anerkennung einiger bestehender sozialrechtlicher Institute; vielmehr bleibt »als normative Wirkung des verfassungsrechtlichen Sozialstaatsgebots . . . die Verpflichtung aller staatlichen Organe beste111
112
l l i Vgl. Forsthoff, Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaats, a . a . O . , S. 27f.: »Mit dem Wegfall des Dualismus von Staat und Gesellschaft, dem in Bereich der Verwaltung die Eingriffsverwaltung entsprach, sind der Gesetzgebung und Verwaltung sozialgestaltende Aufgaben zugewachsen, deren Bewältigung nicht mehr mit einem bloß rechtsformalen Maßstabe gemessen werden kann. Für diese sozialgestaltenden Funktionen kann es nicht mehr genügen, daß sie in den Schranken der Verfassung und der Gesetze verbleiben, sondern sie müssen in einem gegenständlichen Sinne gerecht geregelt und ausgeübt werden«; siehe auch Forsthoff, Verwaltungsrecht, a . a . O . , B d . I, S. 57ff. 1 1 2 H . P . Ipsen, Das Grundgesetz, Hamburg 1950. Einen Literaturbericht über die staatsrechtliche Diskussion gibt Gerber: Die Sozialstaatsklausel des G r u n d g e setzes, in: A Ö R , B d . 8 1 , Tübingen 1956. 329
hen, durch Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung für die Adaptierung solcher sozialrechtlichen Institute an die jeweiligen Erfordernisse zu sorgen«. In den übrigen westlichen Demokratien gelten teilweise ähnliche Programmsätze; und wo sie nicht verfassungsrechtlich fixiert sind, gelten sie inzwischen als eine Art politische Konvention. In einigen Fällen sind auch die überlieferten Grundrechtskataloge sozialprogrammatisch erweitert worden, prototypisch in der Weimarer Verfassung. Heute finden sich soziale Grundrechte, außer in der Präambel der liquidierten französischen Verfassung von 1946, in der UNO-Deklaration der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948. Sie sichern Teilhabe an sozialen Leistungen und Teilnahme an politischen Einrichtungen: »Die durch Ausgrenzung gesicherte Freiheit bezieht sich auf einen Staat, der sich Grenzen setzt, der den einzelnen seiner gesellschaftlichen Situation, wie sie ist, überläßt . . . Die Teilhabe als Recht und Anspruch meint einen leistenden, zuteilenden, verteilenden, teilenden Staat, der den einzelnen nicht seiner gesellschaftlichen Situation überläßt, sondern ihm durch Gewährungen zu Hilfe kommt. Das ist der soziale Staat.« Diese Gegenüberstellung abstrahiert freilich von dem historischen Zusammenhang, in dem, ihrer gesellschaftlichen Funktion nach beurteilt, die liberalen mit den sozialen Grundrechten stehen. Gewiß beruhen die grundrechtlichen Gewährleistungen, dem rechtsstaatlichen Gesetzesbegriff entsprechend, auf der Ausgren113
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1 1 3 Ridder, a . a . O . , S. 10. 1 1 4 Art. 10 (Ordnung des Wirtschaftslebens nach Grundsätzen der Gerechtigkeit mit dem Ziel der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle); A r t . 15 5 (Verteilung und N u t z u n g des Bodens unter Verhütung von Mißbräuchen); Art. 1 5 6 (Vergesellschaftung privater Unternehmen, Förderung des G e nossenschaftswesens); A r t . 1 5 7 (Arbeitsrechtsverbürgung); A r t . 163 (Pflicht zur Arbeit und Recht auf Arbeit); Art. 164 (Mitwirkungsrecht der Arbeitnehmer). 1 1 5 A r t . 22-27: Recht auf soziale Sicherheit, auf Arbeit, auf angemessene Freizeit, auf Mindestlebensstandard und Gesundheitspflege, auf Erziehung und Bildung, Teilhabe an Kulturgütern überhaupt. Sozialprogrammatische Artikel finden sich freilich in vielen Landesverfassungen: Hess. Verf. Art. 27-47; Bayr. Verf. Art. 1 5 1 ff.; Verf. Rh.-Pf. Art. 23 ff.; Brem. Verf. Art. 37ff.; Verf. N R W A r t . 5
ff.,2 ff. 4
1 1 6 Forsthoff, Sozialer Rechtsstaat, a . a . O . , S. 19. 330
zung der privaten Sphäre und einer politisch fungierenden Öffentlichkeit aus dem unmittelbaren Zugriff der öffentlichen Gewalt; ihr dienten auch die institutionellen Garantien des Eigentums und der Familie. Durch soziale Grundrechte werden sie aber doch nur darum ergänzt, weil die positive Erfüllung der negatorischen Wirkung nicht mehr »automatisch« eintritt; weil die Ausgrenzung staatsfreier Bereiche vom »Entgegenkommen« der immanenten gesellschaftlichen Mechanismen nicht mehr mit einer auch bloß annähernd chancengleichen Teilhabe an sozialen Entschädigungen und Teilnahme an den politischen Einrichtungen honoriert wird; diese werden nun ausdrücklich vom Staat sichergestellt. N u r so kann die politische Ordnung jener einst in den Institutionen des bürgerlichen Rechtsstaates investierten Idee der politisch fungierenden Öffentlichkeit auch heute, unter Bedingungen einer selbst strukturell gewandelten Öffentlichkeit, verpflichtet bleiben. - Diese Dialektik läßt sich besonders deutlich an den liberalen Grundrechten zeigen, die selbst wenn sie ihren ursprünglichen Wortlaut bis in die geltenden Verfassungen hinein bewahrt haben, ihren normativen Sinn verschieben müssen, um der eigenen Intention treu zu bleiben. Die sozialstaatlich veränderte Verfassungswirklichkeit selbst hält zu der Überlegung an, »wieweit diese liberalen Grundrechte, zunächst als Ausgliederungsrechte gegenüber der Staatsgewalt formuliert und gedacht, nun, weil es sich um einen demokratischen und sozialen Rechtsstaat handelt, in Teilhaberrechte umgedacht werden müssen . . . (Das Grundgesetz) ist darauf angelegt, den materiellen Rechtsstaatsgedanken der Demokratie, also vor allem den Gleichheitssatz und die Verbindung des Gleichheitssatzes mit dem Teilhabedenken im Selbstbestimmungsgedanken auf die Wirtschafts- und Sozialordnung auszudehnen und dadurch dem Sozialstaatsgedanken realen Inhalt zu verleihen«. 117
Zunächst ist an jener Gruppe von Grundrechten, die (wie Redeund Meinungsfreiheit, Vereins- und Versammlungsfreiheit, Freiheit der Presse usw.) eine politisch fungierende Öffentlichkeit verbürgen, nachzuweisen, daß sie in Anwendung auf die faktische Gestalt der strukturell gewandelten Öffentlichkeit nicht mehr bloß negatorisch, sondern positiv als Garantien der Teilnahme interpre1 1 7 W. Abendroth in: Veröff. d. Ver. dt. Staatsrechtslehrer, Heft 1 2 , a . a . O . , S. 87E 33
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tlert werden müssen, wenn sie Ihre ursprüngliche Funktion überhaupt sinnvoll sollen erfüllen können. Seitdem die publizistischen Institutionen selbst zu einer gesellschaftlichen Macht geworden sind, die sich zur Privilegierung und Boykottierung der in die Öffentlichkeit einströmenden Privatinteressen und zur Mediatisierung aller bloß individuellen Meinungen eignet, ist die Ausbildung einer im strengen Sinne öffentlichen Meinung nicht schon dadurch wirksam sichergestellt, daß jedermann seine Meinung frei äußern und eine Zeitung gründen kann. Das Publikum ist nicht mehr eins von formell und materiell gleichberechtigten Personen. In konsequenter Interpretation der gesellschaftlichen Funktion privater Meinungsfreiheit gelangt B i d d e r zur Formulierung einer »öffentlichen Meinungsfreiheit«, die den Bürgern die chancengleiche Teilnahme am Prozeß der öffentlichen Kommunikation erst einräumt; entsprechend ergänzt er die klassische Pressefreiheit der Privatleute durch eine institutionelle Verpflichtung der publizistischen Organe auf die Grundordnung des demokratischen und sozialen Rechtsstaats: »Daß man die Pressefreiheit nicht als eine individuell oder auch kollektiv negatorische Freiheit von staatlichen Eingriffen bezeichnen kann, liegt auf der Hand. Im Vordergrund steht die öffentliche Aufgabe der politischen Presse, um derentwillen nachfolgend Freiheiten verbürgt w e r d e n . « Die freie Meinungsäußerung durch die Presse kann nicht mehr als Teil der überkommenen Meinungsäußerung der Individuen als Privatleute betrachtet werden. Denn allen übrigen Privatleuten wird erst durch die Gestaltungsgarantie des Staates ein chancengleicher Zugang zur Öffentlichkeit gewährt; eine bloße Enthaltsamkeitsgarantie des Staates reicht dafür nicht mehr a u s . - Die Freiheiten der Versammlung und der Ver118
119
120
121
1 1 8 H . Ridder, Meinungsfreiheit, in: Neumann, Nipperdey, Scheuner, Die G r u n d rechte, B d . I I , a . a . O . , S. 342ff. 1 1 9 E b d . S. 258. 120 E b d . S. 259. Ridder läßt freilich neben der auf die publizistischen Institutionen bezogenen »öffentlichen Meinungsfreiheit« die auf private Individuen bezogene klassische Freiheit der Meinungsäußerung bestehen, ohne ausdrücklich festzustellen, daß diese von jener abhängig wird und damit selbst den Charakter eines liberalen Grundrechts verliert. 1 2 1 Im gleichen Sinne kann die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 332
interpretiert
werden,
insbesondere
das
Lüth/Harlan-Urteil
elnlgung ändern ihren Charakter analog. Als bürokratisierte Großorganisationen halten Parteien und öffentliche Verbände ein Oligopol der publizistisch effektiven und politisch relevanten Versammlungs- und Vereinsbildung. Die Freiheit der Versammlung u n d der Vereinigung bedarf mithin auch hier einer Gestaltungsgarantie, die den Staatsbürgern die Teilnahme an der politischen Organisation zur Erfüllung einer bestimmten Aufgabe und einer entsprechenden inneren Ordnung ihres Aufbaus verpflichtet. Dieser Verpflichtung entspricht die Verbürgung bestimmter Ansprüche, die im sogenannten Parteiprivileg ihren Ausdruck finden. Die andere Gruppe von Grundrechten, die, mit der institutionellen Garantie des privaten Eigentums als ihrem Kern, die Grundfreiheiten des Privatrechts bestätigen, auch die freie Wahl des Berufs, des Arbeitsplatzes und der Ausbildungsstätte gewährleisten, können nicht mehr als Garantie einer auf Konkurrenzkapitalismus basierenden Privatsphäre verstanden werden. Sie nehmen teils den Charakter von Teilhaberechten an, soweit sie, in Verbindung mit einem materiell ausgelegten Gleichheitssatz, als Verbürgungen sozialer Ansprüche, etwa auf einen der Leistung entsprechenden Arbeitsplatz, eine der Fähigkeit entsprechende Ausbildungsstätte usw. schon verstanden werden müssen. Teils werden sie durch andere sozialstaatliche Garantien eingeschränkt, womit sie den Charakter einer prinzipiellen Ausgrenzung verlieren. So findet etwa die freie Verfügung über privates Eigentum nicht nur im sozialen Vorbehalt einer Kompatibilität mit den Interessen der Gesellschaft im ganzen oder im sozialistischen Vorbehalt einer im Gesamtinteresse möglichen Uberführung in Gemeineigentum seine Schranken; die sozialen Verbürgungen, vor allem im Arbeits-, Miet- und Wohnungsbaurecht, ziehen der liberalen Eigentumsgarantie unmittelbar Grenzen. - Sogar die Grundrechte, die die Integrität des familialen 122
(1958), das Nordrhein-Westf. Presseurteil (1959), das Schmid/»Spiegel«-Urteil ( 1 9 6 1 ) und das Fernsehurteil ( 1 9 6 1 ) , vgl. zusammenfassend: A . A r n d t , Begriff und Wesen d. öffentlichen Meinung, in Löffler (Hg.), Die öffentliche Meinung, München 1962, S. iff., bes. S. 1 1 ff.; H . L e n z , Rundfunkorganisation und öffentliche Meinungsbildungsfreiheit, in: J Z 1963, S. 338 ff. 1 2 2 Z u r Freiheit der Parteien nach den Bestimmungen des Grundgesetzes vgl. von der Heydte, in: Grundrechte, a . a . O . , B d . I I , S. 547ff. 333
Intimbereichs und den persönlichen Freiheitsstatus (Leben, Freiheit und Wohnung) verbürgen, verlieren In Verbindung mit einem materiell ausgelegten Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichk e i t jenen bloß negatorischen Charakter, für den sie im Ubergang von den älteren ständischen zu den bürgerlichen Freiheitsrechten geradezu der Prototyp waren. Denn der Schutz dieser Rechtsgüter ist unter Bedingungen der sozialstaatlich verfaßten Industriegesellschaft durch Abwehr und Ausgrenzung nicht oder vielmehr nur dann zu erreichen, wenn diese auf Teilhaberechte, auf verbürgte Leistungsansprüche sich ihrerseits stützen können. Die Entfaltung persönlicher Freiheit in einer faktisch auf den Umkreis von Familie und Freizeit zusammengeschrumpften Privatsphäre bedarf selber eines durch demokratische Teilhabe öffentlich garantierten Status anstelle der einst durch liberale Ausgrenzung ausreichend geschützten Basis privaten Eigentums. 123
Private Autonomie ist freilich dann nur als eine derivierte möglich; auch die sozialen oder sozialstaatlich umfunktionierten Rechte auf Sicherheit, Entschädigung und freie Entfaltung gründen nicht mehr in einer per se durch Interessen des bürgerlichen Warenverkehrs stabilisierten Rechtsstaatlichkeit; sie beruhen vielmehr auf einer nach Maßgabe des Sozialstaatsgebotes demokratisch je zu vollziehenden Integration der Interessen aller staatsbezogen agierenden Organisationen: »Nur von diesem Gesichtspunkt aus ist es möglich, die Sicherungen individueller Rechte, geschützt durch unparteiliche richterliche Entscheidung, und den materiell verstandenen Gedanken der Gleichheit vor dem Gesetz miteinander zu versöhnen.« Abendroth gibt in diesem Zusammenhang zu bedenken, daß die wirkliche Alternative nicht darin besteht, »ob man die volle wirtschaftliche und soziale Entscheidungsfreiheit eines jeden einzelnen oder seine Unterwerfung unter die planende Gewalt des die Gesellschaft demokratisch repräsentierenden Staates herstellen 124
123 Nipperdey, Das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit, in: G r u n d rechte, a . a . O . , B d . I I I , S. iff. 124 W. Abendroth, Z u m Begriff des demokratischen und sozialen Rechtsstaats im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, in: Sultan und Abendroth, B ü rokratischer Verwaltungsstaat und soziale Demokratie, Hannover, Frankfurt i955,S.9/f. 334
will, sondern darin, ob man die große Masse der Glieder der Gesellschaft der formell privaten (und also an Partikularinteressen, nicht am Gemeinwohl orientierten) Gewalt derjenigen Glieder der G e sellschaft unterwirft, die über die entscheidenden ökonomischen Machtpositionen in der Gesellschaft verfügen können, oder ob m a n die in der gesellschaftlichen Produktion und im gesellschaftlichen Leben notwendige und unvermeidbare Planung der Zufälligkeit der privaten Disposition kleiner Gruppen entzieht und der gemeinsamen Kontrolle aller am gemeinschaftlichen Produktionsprozeß beteiligten Glieder der Gesellschaft unterstellt, deren oberste Entscheidungseinheit der Staat ist. In beiden Fällen wird die Voraussehbarkeit rechtlicher Entscheidungen über die Folgen privater Dispositionen der Glieder der Gesellschaft beschränkt. Aber während bei planenden Maßnahmen eines demokratischen und sozialen Wohlfahrtsstaates diese Voraussehbarkeit zwar nicht in den Einzelheiten, aber doch in der allgemeinen Linie aufrechterhalten bleibt und durch ein geregeltes Verfahren und gegebenenfalls durch G e währleistung von Entschädigungen tragbar gestaltet werden kann, ist sie bei der unaufhebbar durch Oligopole und Monopole durchsetzten Organisation der Gesellschaft . . . vom einzelnen aus gesehen völlig zufälligem Szenenwechsel auf Grund privater Entscheidungen ausgesetzt . . . Deshalb sind hier die wirtschaftlich schwächeren Glieder der Gesellschaft in ihrer sozialen Position immer wieder Veränderungen ausgesetzt, für die es keinerlei Entschädigung gibt. In Wirklichkeit wird also der Einfluß des Rechtes nicht geschwächt, sondern gestärkt, wenn sich der Bereich der öffentlich kontrollierten Sphäre gegenüber derjenigen des früheren bloßen Privatrechts ausdehnt«. Nun weist Forsthoff mit Recht darauf hin, daß auch der Sozialstaat, als Verfassung einer bürgerlichen Gesellschaft, prinzipiell Steuerstaat bleibt und nicht dessen Umwandlung in eine Staatsgesellschaft normativ schon setzt: der soziale Staat beruht, wie der liberale, auf der spezifischen Grundlage einer Abgrenzung der Steuerhoheit vom grundrechtlich gewährten Schutz des Eigentums; »dadurch wird es möglich, über die Steuerhoheit, Eingriffe in Einkommen und Vermögen vorzunehmen, die, wenn sie in gleicher Intensität gegen das Eigentum . . . gerichtet würden, als Enteignung qualifi335
ziert und Entschädigungsansprüche auslösen w ü r d e n « . Im Zuge der sozialstaatlichen Entwicklung wird freilich der qualitative Unterschied zwischen Eingriffen in Einkommen und Vermögen einerseits, in die Verfügung über Eigentum andererseits zu einem graduellen herabgesetzt, so daß gerade die Besteuerung zum Instrument der Kontrolle privaten Eigentums werden kann. Aber der Steuerstaat würde erst dann definitiv in einer Staatsgesellschaft aufgehen, wenn alle soziale Macht eines politisch relevanten Wirkungsgrades auch demokratischer Kontrolle unterstellt wäre. Abendroths Kontrastmodell zur bürgerlichen Öffentlichkeit, demzufolge die Leistung und Verwaltung aller Prozesse gesellschaftlicher Reproduktion einer öffentlichen Meinungs- und Willensbildung der Staatsbürger unterworfen sind, fingiert deshalb bloß das Ziel einer Entwicklungsrichtung - wobei zunächst nicht das Ziel als solches, sondern die Dimension der Entwicklung selbst für die sozialstaatliche Transformation des bürgerlichen Rechtsstaates charakteristisch ist. 125
Die grundrechtliche Fixierung einer vorstaatlichen Privatsphäre und einer die Gesellschaft mit dem Staat vermittelnden, eben politisch fungierenden Öffentlichkeit wird in dem Maße, in dem Staat und Gesellschaft sich wechselseitig durchdringen (und eine mittlere, von einem erst entstehenden Sozialrecht geordnete Sphäre halbprivater, halböffentlicher Beziehungen hervorbringen), von einer konkurrierenden Grundrechtsnormierung in ihrem soziologischen Sinn und ihrer verfassungswirklichen Funktion umgewertet; denn, was indirekt durch Ausgrenzung nicht mehr gewährleistet werden kann, bedarf nun positiv der Gewährung: die Teilhabe an sozialen Leistungen und die Teilnahme an den Einrichtungen der politischen Öffentlichkeit. Gleichzeitig muß sich der Kompetenzbereich dieser Teilhabe in dem Verhältnis, in dem diese Teilhabe effektiv werden soll, ausdehnen. In der politischen Öffentlichkeit agieren deshalb staatsbezogen gesellschaftliche Organisationen, sei es durch Parteien vermittelt, sei es unmittelbar im Zusammenspiel mit der öffentlichen Verwaltung. Teils handelt es sich um die Wirtschaftsverbände im engeren Sinne, die jene, einst individuellen Interessen der aus originärer Privatautonomie handelnden Eigentü125 Forsthoff, Sozialer Rechtsstaat, a . a . O . , S. 32. 336
mer nun kollektiv organisieren; teils handelt es sich um Massenorganisationen, die einen sozialrechtlich gesicherten Privatstatus durch kollektive Vertretung ihrer Interessen in der Öffentlichkeit, eben: private Autonomie durch politische erwerben und behaupten müssen. Zusammen mit den politisch wirksamen Repräsentanten der kulturellen und religiösen Kräfte führt diese Konkurrenz der organisierten Privatinteressen gegenüber dem »Neomerkantilismus« einer interventionistischen Verwaltung zu einer »Refeudalisierung« der Gesellschaft insofern, als mit der Verschränkung von öffentlichem und privatem Bereich nicht nur politische Instanzen gewisse Funktionen in der Sphäre des Warenverkehrs und der gesellschaftlichen Arbeit, sondern auch umgekehrt gesellschaftliche Mächte politische Funktionen übernehmen. - Deshalb erstreckt sich auch diese »Refeudalisierung« auf die politische Öffentlichkeit selbst: in ihr streben die Organisationen mit dem Staat und untereinander politische Kompromisse, möglichst unter Ausschluß der Öffentlichkeit, an, müssen sich dabei aber durch Entfaltung demonstrativer oder manipulierter Publizität beim mediatisierten Publikum plebiszitärer Zustimmung versichern. Diesem tatsächlichen Trend zur Entkräftung der Öffentlichkeit, als Prinzip, steht die sozialstaatliche Umfunktionierung der Grundrechte, überhaupt die Transformation des liberalen zum sozialen Rechtsstaat entgegen: das Öffentlichkeitsgebot wird von den Staatsorganen auf alle staatsbezogen agierenden Organisationen ausgedehnet. Im Maße seiner Verwirklichung würde anstelle eines nicht mehr intakten Publikums individuell verkehrender Privatleute ein Publikum der organisierten Privatleute treten. Nur sie könnten unter heutigen
Verhältnissen über die Kanäle internen Öffentlichkeit, und Organisationen mit dem Staat Publizität, wirksam an einem
der innerparteilichen und verbandsauf Grund der für den Verkehr der und untereinander in Kraft gesetzten Prozeß öffentlicher Kommunikation
teilnehmen. A n diesem hätte sich die Bildung politischer Kompromisse zu legitimieren. Die politische Öffentlichkeit des Sozialstaates ist durch zwei konkurrierende Tendenzen geprägt. Als Zerfallsgestalt bürgerlicher Öffentlichkeit gibt sie einer, von Organisationen über die Köpfe des mediatisierten Publikums entfalteten, demonstrativen und ma337
nipulativen Publizität Raum. Andererseits hält der Sozialstaat, soweit er die Kontinuität mit dem liberalen Rechtsstaat wahrt, am Gebot einer politisch fungierenden Öffentlichkeit fest, demzufolge das von Organisationen mediatisierte Publikum, durch diese selbst hindurch, einen kritischen Prozeß öffentlicher Kommunikation in Gang setzen soll. In der Verfassungswirklichkeit des Sozialstaates liegt diese Gestalt der kritischen Publizität mit jener zu manipulativen Zwecken bloß veranstalteten in Streit; das Maß, in dem sie sich durchsetzt, bezeichnet den Grad der Demokratisierung einer sozialstaatlich verfaßten Industriegesellschaft - nämlich Rationali126
sierung des Vollzugs sozialer und politischer
Gewalt. Der Sozialstaat
hat der Fiktion des liberalen Rechtsstaats entsagt: als sei politisch fungierende Öffentlichkeit mit ihrer Etablierung als Staatsorgan im Ernst verwirklicht. Von Anbeginn haftete ja dem Parlament der Widerspruch einer gegen politische Gewalt überhaupt gerichteten, aber selbst als »Gewalt« begründeten Institution an. Demgegenüber hat sich die unter Bedingungen des Sozialstaates fungierende Öffentlichkeit als einen Prozeß der Selbsterzeugung zu begreifen: sie muß sich schrittweise in Konkurrenz mit jener anderen Tendenz erst einrichten, die in einer immens erweiterten Sphäre der Öffentlichkeit das Prinzip der Öffentlichkeit, gegen sich selbst gewendet, in seiner kritischen Wirksamkeit reduziert. Die Frage freilich, bis zu welchem Grad die in der politischen Öffentlichkeit agierenden Mächte dem demokratischen Öffentlich126 D e r Streit der kritischen Publizität mit der manipulativen erstreckt sich nicht nur auf den politisch relevanten Prozeß von Machtvollzug und Machtausgleich; vielmehr gibt es in der organisationsinternen Öffentlichkeit der Verbraucherverbände Ansätze einer publizistischen Kontrolle des Konsumgütermarktes, dessen Transparenz durch die manipulative Publizistik des monopolistischen Wettbewerbs verschleiert wird (vgl. oben §20). D i e Nivellierung der Schwelle zwischen Öffentlichkeit und Privatsphäre, zunächst einmal innerhalb des privaten Bereichs selbst, führt nicht nur zur Indienstnahme der Öffentlichkeit für Z w e c k e der Werbung, sondern sie ermöglicht grundsätzlich auch umgekehrt ein kritisch-publizistisches Eindringen in die Sphäre des Marktes. A m erfolgreichsten sind diese im allgemeinen sehr schwachen Bestrebungen noch in den U S A , w o die Consumer U n i o n über annähernd eine Million Mitglieder verfügt und monatlich ausgezeichnet informierende Consumer Reports erscheinen läßt. N ä heres im Jubiläumsheft anläßlich des 25jährigen Bestehens dieser Organisation: Consumer Reports, M a y 1 9 6 1 , S. 258ff. 338
keitsgebot effektiv unterworfen werden können; wieweit also die sozialstaatlich beanspruchte Rationalisierung politischer Herrschaft und sozialer Gewalt überhaupt möglich ist: führt am Ende auf die Problematik zurück, die, wie sich in der ambivalenten Auffassung des Liberalismus herausgestellt hat, der Idee der bürgerlichen Öffentlichkeit von Anbeginn schon innewohnte. Diese hatte es als objektiv möglich unterstellt, strukturelle Interessenkonflikte und bürokratische Dezisionen auf ein Minimum herabzusetzen. Das eine Problem ist ein technisches, das andere läßt sich auf ein ökonomisches zurückführen. Von ihrer beider Lösbarkeit hängt es heute erst recht ab, inwieweit politisch fungierende Öffentlichkeit ihrer kritischen Intention nach verwirklicht werden kann. Ich möchte mich an dieser Stelle auf zwei vorläufige Bemerkungen beschränken. 127
Mit der zunehmenden Bürokratisierung der Verwaltungen des Staates und der Gesellschaft scheinen sich die Kompetenzen hochspezialisierter Fachleute, aus der Natur der Sache, immer mehr einer Aufsicht durch räsonierende Körperschaften entziehen zu müssen. Max Weber hat bekanntlich diese Tendenz an dem, freilich immer schon prekären Verhältnis von Parlament und Exekutive analysiert. Demgegenüber ist aber zu berücksichtigen, daß inzwischen den Verwaltungen in der Verwaltung selbst ein ebenbürtiger Partner erwachsen ist: »Die Kontrolle der staatlich-politischen Bürokratie ist heute nur möglich durch die gesellschaftlich-politische Bürokratie in den Parteien und Interessenverbänden. « Diese müßten dann freilich selber im Rahmen ihrer organisationsinternen Öffentlichkeit einer Kontrolle unterstehen. Innerhalb ein und der128
129
1 2 7 Vgl. oben S. 1 3 . 128 Vgl. bes. Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland, in: M . Weber, Politische Schriften, Tübingen 1958, S. 294ff. Das Problem hat sich heute, im Hinblick auf eine wissenschaftlich angeleitete Wirtschaftspolitik, noch k o m plizierter gestaltet; gleichwohl sind die dadurch verschärften Antinomien von Dezision und Diskussion, von Bürokratie und demokratischer Kontrolle nicht unlösbar; vgl. dazu F. N e u m a r k , Antinomien interventionistischer Wirtschaftspolitik, in: Ztschr. f. d. G e s . Staatswiss., B d . 108, 1 9 5 2 , S. 576-593. 129 H . Sultan, Bürokratie und politische Machtbildung, in: Sultan und Abendroth, Bürokratischer Verwaltungsstaat und soziale Demokratie, a . a . O . , S. 32; vgl. auch C J . Friedrich, D e r Verfassungsstaat der Neuzeit, Berlin 1 9 5 3 , S. 5 7 f. 339
selben Organisation dürfte es, soweit es sich um die technische Seite handelt, nicht aus strukturellen Gründen unmöglich sein, durch einen Prozeß öffentlicher Kommunikation zwischen den bürokratischen Dezisionen und einer quasi-parlamentarischen Deliberation ein angemessenes Verhältnis herzustellen. Gewiß stellt sich dieses Problem heute nicht in erster Linie als ein technisches. Der Publizitätsschwund innerhalb der großen Organisationen, der staatlichen wie der gesellschaftlichen, und erst recht die Publizitätsflucht in ihrem Verkehr untereinander, resultiert aus dem unaufgehobenen Pluralismus der konkurrierenden Interessen, der es ohnehin zweifelhaft macht, ob aus ihm je ein allgemeines Interesse derart hervorgehen kann, daß daran eine öffentliche Meinung ihren Maßstab fände. Ein strukturell unauf heb barer Interessenantagonismus würde einer sozialstaatlich in ihren kritischen Funktionen reorganisierten Öffentlichkeit enge Grenzen ziehen; Neutralisierung sozialer Macht und Rationalisierung politischer Herrschaft im Medium öffentlicher Diskussion setzt ja nach wie vor einen möglichen Konsensus, setzt ein objektives, nach allgemeinen und verbindlichen Kriterien mögliches Zusammenstimmen konkurrierender Interessen voraus. Sonst erzeugt das wie immer öffentlich ausgeübte Gewaltverhältnis von Druck und Gegendruck bestenfalls ein von temporären Machtkonstellationen gestütztes, labiles Interessengleichgewicht, das der Rationalität nach Maßgabe eines allgemeinen Interesses grundsätzlich entbehrt. Immerhin zeichnen sich heute zwei Tendenzen deutlich ab, die dem Problem eine andere Wendung geben können. Die industriell fortgeschrittenen Gesellschaften haben auf einem hohen und immer weiter erhöhten Stand der Produktivkräfte eine Expansion des ge130
131
1 3 0 Das einst von C . Schmitt entwickelte Modell des Verwaltungsstaates, dessen technische Funktionsbedingungen einer möglichen Demokratisierung entgegenstehen, ist jüngst in einer soziologischen Analyse aufgenommen worden durch H . Schelsky, D e r Mensch in d. wissenschaftlichen Zivilisation, Arbeitsgem. f. Forschg. N R W , H . 96, Köln-Opladen 1 9 6 1 , bes. S. 2 0 - 3 2 ; dazu kritisch H . R Bahrdt, Helmut Schelsky technischer Staat, in: Atomzeitalter, H . 9, 1 9 6 1 , S. 195 ff. 1 3 1 Vgl. K. Renner, Wandlungen der modernen Gesellschaft, Wien 1 9 5 3 , bes. S. 223 ff.; und K. Mannheim, Freedom, Power and Democratic Planning, O x ford 1950, S. 4 1 - 7 6 . 340
seilschaftlichen Reichtums erreicht, angesichts derer die Erwägung nicht unrealistisch ist: daß ein fortbestehender, wenn nicht gar vervielfältigter Pluralismus der Interessen die antagonistische Schärfe konkurrierender Bedürfnisse im Maße der absehbaren Möglichkeiten ihrer Befriedigung verlieren kann. Das allgemeine Interesse besteht demnach darin, die Bedingungen einer »Gesellschaft im Uberfluß« beschleunigt herbeizuführen, die einen von knappen Mitteln diktierten Ausgleich der Interessen als solchen erübrigt. - Mit den technischen Mitteln der Bedürfnisbefriedigung wachsen andererseits auch die der Zerstörung. Ein militärisch in Dienst genommenes Potential der Selbstvernichtung globalen Ausmaßes hat Risiken heraufbeschworen, an deren Totalität divergierende Interessen mühelos relativiert werden können: der noch unbewältigte Naturzustand zwischen den Völkern hat ein solches Ausmaß allgemeiner Bedrohung angenommen, daß sich in bestimmter Negation das allgemeine Interesse sehr präzise ergibt. Nach Kant sollte schon der »ewige Friede« in einer »weltbürgerlichen Ordnung« begründet werden. 132
133
1 3 2 Freilich stellt sich dieses Problem heute nur noch im internationalen Rahmen einer Konkurrenz von gesamtgesellschaftlichen Systemen industrieller Entwicklung, vgl. F. Perroux, Feindliche Koexistenz, Stuttgart 1 9 6 1 . 133 Die Funktionen der Öffentlichkeit wären für einen zwischenstaatlichen Rechtszustand die gleichen wie für die innerstaatliche Rechtsordnung. Seitdem. Wilson an die internationale öffentliche Meinung als Sanktionsmittel des Völkerbundes hochfliegende Hoffnungen geknüpft hat, sind die Regierungen tatsächlich in wachsendem Maße gezwungen worden, auf die Weltöffentlichkeit wenigstens propagandistisch Rücksicht zu nehmen: »Frieden«, gleichviel wie er definiert wird, scheint heute in derselben Weise zum zentralen Topos einer internationalen öffentlichen Meinung geworden zu sein wie seinerzeit auf nationaler Ebene die Schlagworte der Französischen Revolution; dazu vgl. Ernst Fraenkel, Öffentliche Meinung und internationale Politik, in: Recht und Staat, H . 255/256, Tübingen 1962. - In anderer Hinsicht ist Öffentlichkeit als Prinzip für die internationalen Beziehungen, nämlich für die Frage einer wirksamen Rüstungskontrolle relevant geworden. Niels B o h r hat vor Jahren in Briefen an die Vereinten Nationen den Grundsatz der »Offenen Welt« proklamiert, Oskar Morgenstern zeigt den Zusammenhang der Publizität militärtechnischer Fortschritte mit den Erfordernissen der Strategie im Atomzeitalter, vgl. O . Morgenstern, Strategie heute, Frankfurt
1962, bes. S. 292 ff. Hanno Resting (Der eschatologische
Z w a n g zur Rationalität, in: Zschr. Merkur, H . 179, Jan. 1963, S. 71 ff.) hat das Verdienst, den geschichtsphilosophisch durchgehaltenen Zusammenhang von 341
Wie dem auch sei, beiden Voraussetzungen einer politisch fungierenden Öffentlichkeit: die objektiv mögliche Minimalisierung der bürokratischen Dezisionen und eine Relativierung der strukturellen Interessenkonflikte nach Maßgabe eines erkennbaren Allgemeininteresses - diesen Voraussetzungen läßt sich heute nicht mehr schlechthin ein utopischer Charakter vindizieren. Die Dimension der Demokratisierung sozialstaatlich verfaßter Industriegesellschaften ist nicht von vornherein limitiert durch eine, sei es theoretisch einsehbare, sei es empirisch erwiesene Undurchdringlichkeit und Unauflösbarkeit der irrationalen Beziehungen sozialer Macht und politischer Herrschaft. Der Streit einer kritischen Publizität mit der zu manipulativen Zwecken bloß veranstalteten ist offen; die Durchsetzung der sozialstaatlich gebotenen Öffentlichkeit des politischen Machtvollzugs und Machtausgleichs gegenüber jener zu Zwecken der Akklamation bloß hergestellten ist keineswegs gew i ß ; aber als eine Ideologie, wie die Idee der bürgerlichen Öffentlichkeit zur Zeit ihrer liberalen Entfaltung, läßt sie sich nicht denunzieren: sie bringt allenfalls die Dialektik jener zur Ideologie herabgesetzten Idee zu ihrem Ende. 134
Kant bis Morgenstern durchschaut zu haben: heute wie damals wird die Idee des Friedens an das Prinzip der Öffentlichkeit geheftet, damals in der Erwartung einer moralisch verantworteten Verrechtlichung, heute mit der einer strategisch erzwungenen Entspannung des internationalen Verkehrs; das Ziel indessen ist das gleiche geblieben - die Liquidierung des immer prekärer gewordenen N a turzustandes zwischen den Völkern. Vgl. dazu: R. A r o n , Frieden und Krieg, Eine Theorie der Staatenwelt, Ffm. 1962. 134 Ich vernachlässige an dieser Stelle die neuen Kommunikationsformen zwischen Politik und Wissenschaft; in diesem Zusammenhang wächst einer demokratischen Öffentlichkeit die Aufgabe einer Kontrolle des technischen Fortschritts zu; vgl. H . Krauch, Technische Information und öffentliches Bewußtsein, in: Zschr. Atomzeitalter, 1963, S. 23 5 ff.; ferner J . Habermas, Verwissenschaftliche Politik und öffentliche Meinung, in: R. Reich (Hg.), Festschrift E H . Barth, Zürich 1964, S. 54ft.; ders., Wissenschaft und Politik, in: Zschr. Offene Welt, N r . 86, 1964, S. 4 1 3 ff. 342
VII Zum Begriff der öffentlichen Meinung § 24 Öffentliche Meinung als staatsrechtliche Fiktion und die sozialpsychologische Auflösung des Begriffs »Öffentliche Meinung« nimmt eine andere Bedeutung an, je nachdem, ob sie als eine kritische Instanz im Verhältnis zur normativ gebotenen Publizität des Vollzugs politischer und sozialer Gewalt beansprucht oder als rezeptive Instanz im Verhältnis zur demonstrativ und manipulativ verbreiteten Publizität für Personen und Institutionen, Verbrauchs guter und Programme in Dienst genommen wird. In der Öffentlichkeit konkurrieren beide Formen der Publizität, aber »die« öffentliche Meinung ist ihr gemeinsamer Adressat - was hat es mit dieser Größe selbst auf sich? Die beiden Aspekte der Publizität und der öffentlichen Meinung stehen nicht im Verhältnis von Norm und Faktum - so, als handele es sich um das gleiche Prinzip, dessen tatsächliche Wirksamkeit hinter ihrer gebotenen bloß zurückbleibt (und entsprechend das tatsächliche Verhalten des Publikums hinter dem von ihm erwarteten). Derart wäre eine ideale Größe der öffentlichen Meinung mit ihrer realen Gestalt zu vereinbaren; aber so verhält es sich offenbar nicht. Vielmehr sind die Funktionen der Publizität, die kritische und die manipulative, deutlich unterschieden. Sie stehen in gegenläufigen gesellschaftlichen Wirkungszusammenhängen. Mit beiden Gestalten ist auch je eine andere Verhaltenserwartung für das Publikum gesetzt: die eine ist, um an die bereits eingeführte Unterscheidung anzuknüpfen, auf öffentliche, die andere auf nicht-öffentliche Meinung abgestellt. Auch ist die kritische Publizität samt ihrem Adressaten nicht Norm schlechthin. Als eine verfassungsrechtlich institutionalisierte Norm bestimmt sie, wie immer auch deren gesellschaftliche Basis seit der Ausgangslage des bürgerlichen Rechtsstaates strukturell sich gewandelt hat, immerhin einen wichtigen Teil der Prozeduren, an die der politische Machtvollzug und Machtausgleich faktisch gebunden sind. Es »gibt« diese Publizität ebenso wie einen Adressaten, der die mit ihr gesetzten Verhaltenserwartungen erfüllt - gewiß nicht das Publikum insgesamt, aber 343
eben doch ein funktionsfähiges Substitut. Eine andere, empirisch zu entscheidende Frage ist es, in welchen Bereichen diese Funktionen der Publizität in Kraft sind, in welchem Umfang und unter welchen Bedingungen das ihr zugehörige Publikum heute besteht. Auf der anderen Seite ist die konkurrierende Gestalt der Publizität samt ihrem Adressaten nicht etwa Faktum schlechthin; sie ist von einem spezifischen Selbstverständnis begleitet, dessen normative Verbindlichkeit bis zu einem gewissen Grade auch in Gegensatz zu unmittelbaren Interessen der »Öffentlichkeitsarbeit« treten kann. Bezeichnenderweise entleiht dieses Selbstverständnis wesentliche Elemente gerade ihrem publizistischen Gegenspieler. Die staatsrechtliche und politikwissenschaftliche Analyse der Verfassungsnormen im Verhältnis zur Verfassungsrealität sozialstaatlicher Massendemokratien muß an der institutionalisierten Fiktion der öffentlichen Meinung festhalten, ohne sie doch unmittelbar im Verhalten des Staatsbürgerpublikums noch als eine reale Größe identifizieren zu können. Die Schwierigkeit, die sich daraus ergibt, hat Landshut bezeichnet. Er registriert einerseits die Tatsache, daß »an die Stelle der öffentlichen Meinung die in sich unbestimmte stimmungsmäßige Neigung (tritt). Sie wird jeweils durch bestimmte Maßnahmen und Ereignisse in diese oder jene Richtung gelenkt. Diese stimmungsmäßige Geneigtheit wirkt wie die gleitende Ladung auf einem rollenden Schiff«. Andererseits erinnert er daran, daß die verfassungsmäßigen Institutionen der sozialstaatlichen Massendemokratie mit einer intakten öffentlichen Meinung rechnen, weil diese immer noch die einzig anerkannte Basis der Legitimation politischer Herrschaft ist: »Der moderne Staat setzt als das Prinzip seiner eigenen Wahrheit die Volkssouveränität voraus, und diese wiederum soll die öffentliche Meinung sein. Ohne diese Zurechnung, ohne die Substitution der öffentlichen Meinung als des Ursprungs aller Autorität der für die Gesamtheit verbindlichen Entscheidungen, mangelt der modernen Demokratie die Substanz 1
i Landshut, Volkssouveränität und öffentliche Meinung, in: Festschrift für Laun, Hamburg 1 9 5 3 , $. 583; auch: H . Huber, Öffentliche Meinung und Demokratie, in: Festgabe für Karl Weber, Zürich 1950, S. 34ff.; K. Lohmann, Parlamentarismus und Publizistik, in: Tymbos für Ahlmanns, Berlin 1 9 5 2 , S. 198 ff. 344
ihrer eigenen Wahrheit. « Wenn man das in den verfassungsrechtlichen Normen implizierte Gebot einer politisch fungierenden Öffentlichkeit, ohne an der Idee einer Rationalisierung von Herrschaft auf naive Weise festzuhalten, nicht einfach der Faktizität einer im Zerfall begriffenen Öffentlichkeit preisgeben kann, bieten sich grundsätzlich zwei Wege, den Begriff der öffentlichen Meinung zu definieren. Der eine führt zu Positionen des Liberalismus zurück, der inmitten einer desintegrierten Öffentlichkeit die Kommunikation eines internen Kreises öffentlichkeitsfähiger und meinungsbildender Repräsentanten, ein räsonierendes Publikum in der Mitte des bloß akklamierenden, retten wollte. »Es versteht sich, daß aus dem Wust von Stimmungen, unklaren Meinungen, popularisierenden Ansichten, wie sie die Massenmedien verbreiten, sich sehr viel schwerer eine öffentliche Meinung bilden kann als aus der rationalen Auseinandersetzung der verschiedenen großen Meinungsstürme, die in der bürgerlichen Gesellschaft miteinander stritten. Insofern ist zuzugeben, daß es eine öffentliche Meinung schwerer denn je hat, sich durchzusetzen. « Hennis konstatiert diesen Sachverhalt freilich nur, um die Dringlichkeit besonderer Veranstaltungen darzutun, die der »von den relativ bestinformierten, intelligentesten und moralischsten Bürgern vertretenen Ansicht« als der öffentlichen gegenüber der gemeinen Meinung Gehör und Gehorsam verschaffen 2
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2 Landshut, a . a . O . , S. 586. 3 Natürlich ist »öffentliche Meinung« nicht selbst eine gesetzte N o r m und insofern ein juristischer Begriff; aber das Normensystem unterstellt sie implizite als eine soziale G r ö ß e , die im Sinne bestimmter Grundrechtsgarantien und einzelner P u blizitätsvorschriften erwartungsgemäß funktioniert. 4 So A . Sauvy, Vom Einfluß der Meinung auf die Macht, in: Diogenes, Heft 1 4 / 1 5 , 1957, S. 253: »Es scheint, als ob der am wenigsten unangenehme Z w a n g der Wahrheit, der Z w a n g des Lichts wäre, das heißt die Kontrolle (auf dem Wege) über eine gänzlich aufgeklärte öffentliche Meinung.« D i e Idee der Rationalisierung politischer Herrschaft ist festgehalten; das vorgesehene System vollständiger Publizität »geht weiter als die klassische Teilung der Gewalten, weil es die Gewalt selber teilt, zerstreut«. Dieses rationalistische Konzept bleibt aber gegenüber den materialen Voraussetzungen eines räsonierenden Publikums naiv. 5 W. Hennis, Meinungsforschung und repräsentative Demokratie, Recht und Staat, Heft 200/201, Tübingen 1957, S. 56f.
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sollen. Das Moment der Öffentlichkeit, das Vernünftigkeit verbürgt, soll um den Preis ihres anderen Moments der Allgemeinheit, das allgemeine Zugänglichkeit verbürgt, gerettet werden. Dabei werden die Qualifikationen, die die Privatleute einst als soziale Kriterien der Zugehörigkeit zum Publikum innerhalb der Sphäre des Warenverkehrs und der gesellschaftlichen Arbeit erwerben konnten, zu hierarchischen Qualitäten der Repräsentation verselbständigt, weil mit jener Basis nicht mehr gerechnet werden kann: Eine Repräsentanz dieser Art läßt sich unter den gegebenen Verhältnissen soziologisch nicht mehr befriedigend bestimmen. Der andere Weg führt zu einem Begriff der öffentlichen Meinung, der von materialen Kriterien wie Rationalität und Repräsentanz ganz absieht und sich auf institutionelle Kriterien beschränkt. So setzt Fraenkel öffentliche Meinung mit der im Parlament herrschenden und für die Regierung verbindlichen Auffassung gleich: »Mit Hilfe der Parlamentsdiskussion gibt die öffentliche Meinung der Regierung ihre Wünsche und die Regierung der öffentlichen Meinung ihre Politik bekannt« - die öffentliche Meinung herrscht, aber sie regiert nicht. Leibholz hält diese Gegenüberstellung von Regierung und Parlament, als dem Sprachrohr der öffentlichen Meinung, für unzutreffend; die politisch fungierenden Kontrahenten seien stets die Parteien in ihrer Rolle als Regierung und Opposition. Der Wille der Parteien ist mit dem der Aktivbürgerschaft identisch, so daß jeweils die Mehrheitspartei die öffentliche Meinung repräsentiert: »Wie in der plebiszitären Demokratie der Wille der Mehrheit der Aktivbürgerschaft mit dem jeweiligen Gesamtwillen des Volkes identifiziert wird, wird in einer funktionierenden parteienstaatlichen Demokratie der Wille der jeweiligen Parteienmehrheit in Regierung und Parlament mit der Volonte Generale identifiziert. « Die nicht-öffentliche Meinung gewinnt erst Existenz als eine »öffentliche« in der Verarbeitung durch die Parteien. - Beide Versionen tragen dem Tatbestand Rechnung, daß im Prozeß der 7
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7 E G . Wilson, Public Opinion and the Middle Class, in: The Review of Politics, B d . 17, 1 9 5 5 , S . 4 8 6 - 5 1 0 . 8 E . Fraenkel, Parlament und öffentliche Meinung, in: Festgabe für Herzfeld, Berlin 1957, S. 182. 9 Leibholz, a . a . O . , S. 94. 346
massendemokratischen Meinungs- und Willensbildung die Volksmeinung unabhängig von den Organisationen, von denen sie mobilisiert und integriert wird, kaum eine politisch relevante Funktion mehr behält. Gleichzeitig besteht allerdings darin auch die Schwäche dieser Theorie; indem sie das Publikum, als das Subjekt der öffentlichen Meinung, durch die Instanzen ersetzt, durch die es allein noch politisch aktionsfähig ist, wird dieser Begriff der öffentlichen Meinung eigentümlich neutral. Es ist dieser »öffentlichen Meinung« nicht anzusehen, ob sie auf dem Wege öffentlicher Kommunikation oder durch Mediatisierung zustande gekommen ist; wobei wiederum offen bleibt, ob unter diesem Titel bloß die Vermittlung einer selbst nicht artikulationsfähigen massenhaften Neigung zu verstehen sei oder die Herabsetzung einer der Aufklärung sehr wohl fähigen, aber zwangsintegrierten Meinung zum plebiszitären Echo. Die staatsrechtliche Fiktion der öffentlichen Meinung ist im realen Verhalten des Publikums selbst nicht mehr zu identifizieren; aber auch die Zurechnung zu bestimmten politischen Einrichtungen nimmt ihr, wenn sie von der Ebene des Publikumsverhaltens überhaupt abstrahiert, nicht den fiktiven Charakter. Mit positivistischem Pathos kehrt daher die empirische Sozialforschung auf diese Ebene zurück, um »öffentliche Meinung« unmittelbar festzustellen. Sie abstrahiert freilich umgekehrt von den institutionellen Aspekten und gelangt alsbald zur sozialpsychologischen Auflösung des Begriffs der öffentlichen Meinung als solchen. Schon für den Liberalismus der Jahrhundertmitte ein Problem, kommt »öffentliche Meinung« im letzten Viertel des 1 9 . Jahrhunderts vollends als eine problematische Größe zu Bewußtsein. In einer Abhandlung über »Wesen und Wert der öffentlichen Meinung« aus dem Jahre 1879 heißt es im Tone spätliberaler Resignation: »So ist für die Gegenwart das Neue an Tatsachen und das Bedürfnis der Abwechslung so sehr das Entscheidende geworden, daß die Volksmeinung des festen Haltes an geschichtlicher Uberlieferung . . . ebensosehr entbehrt wie jener eigentümlich tatkräftigen Vorarbeit in der Gedankenwerkstätte großer Männer, die an Prinzipien glaubten und ihnen alles zum Opfer brachten. Was vor hundert Jahren nach dem Glauben der Zeitgenossen ein den einzelnen 347
verpflichtendes Prinzip in der Gesellschaft war (die öffentliche Meinung nämlich), ist im Verlauf der Zeit ein Schlagwort geworden, wodurch der bequemen und geistig trägen Menge der Vorwand geboten wird, sich der eigenen Gedankenarbeit zu entziehen. « Schon ein halbes Jahrzehnt vorher hatte Schäffle die öffentliche Meinung für eine »formlose Reaktion der Masse« ausgegeben und als »Ausdruck der Ansichten, Werturteile oder Willensneigungen des allgemeinen oder irgendeines speziellen Publikums« definiert. Damit ist der normative Bann, den die Staatstheorie über den Begriff verhängt hatte, gebrochen - öffentliche Meinung wird zum Gegenstand sozialpsychologischer Forschung. Als »Massenmeinung« zuerst von Tarde eingehend analysiert, wird sie aus dem Funktionszusammenhang der politischen Institutionen herausgelöst und ihres Charakters als einer »öffentlichen« Meinung sofort entkleidet; sie gilt als Produkt eines Kommunikationsprozesses innerhalb von Massen, der weder an Prinzipien öffentlicher Diskussion gebunden noch auf politische Herrschaft bezogen ist. Als Staatstheoretiker, unter dem Eindruck eines funktionierenden popular government - wie Dicey in England, Bryce in den U S A - , einem freilich sozialpsychologisch schon reflektierten Begriff der öffentlichen Meinung dennoch diesen Zusammenhang bewahrten, setzten sie sich dem Vorwurf mangelnder empirischer Zuverlässigkeit aus. Prototypisch ist dafür die frühe Kritik A . F. Bentleys, der »a quantitative analysis of public opinion in terms of the different elements of the population« vermißt, nämlich »an investigation of the exact things really wanted under the cover of the opinion by 10
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10 F. von Holtzendorff,
Wesen und Wert der öffentlichen Meinung, München
1879, S. 91 f.; vgl. E . Holzen, Wandel und Begriff der öffentlichen Meinung im 19. Jahrhundert, Diss. Hamburg 1958. 1 1 A . Schäffle, Bau und Leben des sozialen Körpers, 2. Aufl., Tübingen 1896, B d . V , S. 1 9 1 . 12 G . Tarde, L'Opinion et la Foule, Paris 1 9 0 1 . 13 A . V . Dicey, L a w and Public Opinion in England, L o n d o n 1905: J . B r y c e , The American. Commonwealth, 2 Bde., 1889, deutsch: Amerika als Staat und Gesellschaft, Leipzig 1924. In der Tradition von Bryce steht A . L. Lowells berühmte Untersuchung über: Public Opinion and Popular Government, N . Y. 1 9 1 3 . A u c h er betont: »Public Opinion to be worthy of the name, to be the proper motive force in a democracy, must be really public; and popular government is based upon the assumption of a public opinion of that kind.« E b d . S. 5. 348
each group of the people, w i t h time and place and circumstances all taken u p into the center of the Statement«. Bentleys These lautet daher: »There is no public opinion . . . not activity reflecting or representing the acitivity of a group or set of groups.« Public opinion wurde zum Titel einer sozialpsychologischen Analyse von Gruppenprozessen, die ihren Gegenstand folgendermaßen bestimmt: public opinion refers to peoples attitudes on an issue when they are members of the same social group. Die Definition verrät deutlich, was eine jahrzehntelange Entwicklung theoretischen u n d vor allem empirisch-methodischen Fortschritts aus dem historischen Begriff der öffentlichen Meinung positivistisch ausscheiden mußte. Zunächst wurde public, als Subjekt der öffentlichen Meinung, mit mass, dann mit group, als dem sozialpsychologischen Substrat eines Kommunikations- u n d Interaktionsprozesses von zwei oder mehr Individuen, gleichgesetzt. »Gruppe« abstrahiert von der Fülle sozialer und historischer Voraussetzungen, auch von den institutionellen Mitteln und erst recht vom Geflecht gesellschaftlicher Funktionen, die für den spezifischen Zusammenschluß von Privatleuten zu einem politisch räsonierenden Publikum einmal bestimmend waren. - Nicht minder abstrakt w i r d »Meinung« selbst begriffen. Opinion w i r d zunächst noch mit expression on a controversial topic, später mit expression of an attitude und dann mit attitude selbst identifiziert. A m Ende braucht eine Meinung nicht einmal mehr der Verbalisierung fähig zu sein; sie umfaßt nicht nur irgend in Vorstellungen sich äußernde Gewohnheiten, jene durch Religion, Brauchtum, Sitte u n d schlichtes »Vorurteil« geprägte Meinung, der im 18. Jahrhundert die öffentliche Meinung kritisch entgegengestellt wurde, sondern Verhaltensweisen schlechthin. Das Attribut der Öffentlichkeit gewinnt sich eine solche Meinung allein durch ihren Zusammenhang mit Gruppenpro14
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14 Zitiert nach P . A . Palmer, The Concept of Public Opinion in Political Theory, in: Berelson und Janowitz, a . a . O . , S. 1 1 . 15 L.W. D o o b , Public Opinion and Propaganda, N . Y. 1948, S. 3 5 ; ähnl.: N . J . Powell, A n a t o m y of Public Opinion, N . Y. 1 9 5 1 , S. 1 ff. 16 W. Albig, Public Opinion, N . Y. 1938, S. 3. 17 M . B . Ogle, Public Opinion and Political Dynamics, Boston 1 9 5 0 , S. 48. 18 D o o b , a . a . O . , S. 3 5 : »In this sense it might appear as though public opinion exists whenever people have attitudes.« 349
zessen. Der Versuch, öffentliche Meinung als »collection of individual opinions« zu bestimmen, wird durch die Analyse von Gruppenbeziehungen bald korrigiert: »we need concepts of what is both fundamental or deep and also common to a group«. Als »öffentlich« gilt eine Gruppenmeinung, wenn sie sich subjektiv als die herrschende durchgesetzt hat: das einzelne Gruppenmitglied hat eine (womöglich irrige) Vorstellung vom Gewicht seiner Meinung und seines Verhaltens, nämlich davon, wieviele der übrigen Mitglieder, und welche, die von ihm vertretene Gewohnheit oder Ansicht teilen oder ablehnen. Inzwischen hat nun Lazarsfeld energisch darauf hingewiesen, daß der sozialpsychologische Begriff der öffentlichen Meinung um den Preis der Eliminierung aller wesentlichen soziologischen und politologischen Momente zu teuer erkauft sei; an einigen Beispielen konfrontiert er ihn mit dem Begriff der staatstheoretischen Tradition, um es freilich dann beim bloßen Postulat einer »classicalempirical synthesis« bewenden zu lassen. Einen ersten Schritt in dieser Richtung bedeutet immerhin die Erweiterung des Untersuchungsfeldes über die Gruppendynamik hinaus auf Institutionen der öffentlichen Meinung, nämlich auf das Verhältnis von Massenmedien und Meinungsprozessen. Wie sehr auch diese Untersuchungen der Kommunikationsstruktur eher psychologische Beziehungen als institutionelle Verhältnisse in den Griff bekommen, zeigt typisch das an sich interessante Theorem vom two-step-flow of communication. Ein wichtigerer Schritt auf dem Wege zur geforderten Synthese von dem klassischen Begriff der öffentlichen Meinung und seinem sozialpsychologischen Surrogat geschieht erst 19
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19 H . L . Child, zitiert nach Powell, a . a . O . , S.4. 20 H y m a n , Towards a T h e o r y of Public Opinion, in: Public Opinion Quarterly, Jg. X X I , Heft I, Spring 1957, S. 58. 21 P R . Hofstätter, Psychologie der öffentlichen Meinung, Wien 1949, S. 53ff. 22 Vgl. dazu D.W. Minor, Public opinion in the Perspective of Political Theory, in: Western Political Quarterly, B d . 1 3 , i960, S. 3 1 - 4 4 . 23 Lazarsfeld, Public Opinion and Classical Tradition, Public Opinion Quarterly, a . a . O . , S. 3 9 f r 24 Zusammenfassend der gleichnamige Aufsatz von E . K a t z , in: Public Opinion Quarterly, a . a . O . , S. 61 ff.; vgl. auch: Katz und Lazarsfeld, Personal Influence, Glencoe 1 9 5 5 .
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mit der Erinnerung an das bis dahin verdrängte Verhältnis zu Instanzen politischer Herrschaft. »Öffentliche Meinung ist das Korrelat zur Herrschaft . . . etwas, das politisch nur existiert in bestimmten Beziehungen zwischen Herrschaft und Volk.« Allein, so wenig der an Institutionen des politischen Machtvollzugs fixierte Begriff der öffentlichen Meinung in die Dimension der informellen Kommunikationsprozesse hineinreicht, so wenig gewinnt andererseits der Begriff einer sozialpsychologisch in Gruppenbeziehungen aufgelösten öffentlichen Meinung wieder Anschluß an jene Dimension, in der die Kategorie einst ihre strategische Bedeutung entfaltet hat und heute noch, eben als staatsrechtliche Fiktion, ihr abgeschiedenes, von den Soziologen nicht recht ernst genommenes Dasein führt. Wenn erst einmal das Subjekt der öffentlichen Meinung - darin Ausdruck eines strukturellen Wandels, nur nicht dessen Begriff - auf eine gegenüber dem Unterschied von Öffentlichkeit und Privatsphäre neutrale Größe, nämlich die Gruppe, zurückgeführt; und wenn öffentliche Meinung selbst in eine, gegenüber dem Unterschied von räsonabler Kommunikation und irrationaler Konformität neutrale Gruppenbeziehung aufgelöst ist, dann kann auch das Verhältnis der Gruppenmeinungen zur öffentlichen Gewalt nur noch im Rahmen einer Hilfswissenschaft für die Verwaltung artikuliert werden: »Demnach wären«, zu dieser Definition führt Schmidtchens Versuch, »als öffentliche Meinung alle jene Verhaltensweisen von beliebigen Bevölkerungsgruppen zu bezeichnen, die geeignet sind, die Strukturen, Praktiken und Ziele der Herrschaft zu modifizieren oder auch zu konservieren.« Die Intention der politisch fungierenden Öffentlichkeit, auf die sich das demokratische Öffentlichkeitsgebot des Sozialstaates immerhin bezieht, ignoriert ein solcher Begriff so vollständig, daß sich mit ihm, empirisch gehandhabt, nicht einmal deren Inexistenz nachweisen ließe. Er qualifiziert nämlich öffentliche Meinung als einen möglichen Reibungswiderstand der Regierungs- und Verwaltungspraxis, der nach Maßgabe von Ergebnissen und Empfehlungen der Mei25
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25 Schmidtchen, a.a. O . , S. 255. 26 Vgl. H . Schelsky, Gedanken zur Rolle der Publizistik in der modernen Gesellschaft, in: Auf der Suche nach Wirklichkeit, Düsseldorf 1965, S. 3ioff. 27 E b d . S. 257. 351
nungsforschung diagnostiziert und mit angemessenen Mitteln manipuliert werden kann: diese nämlich »befähigen die Regierung und ihre Organe, angesichts einer Realität zu handeln, die durch die Reaktion der von der Politik vornehmlich Betroffenen konstituiert wird. Die Umfrageforschung versieht die Aufgabe, im Sinne eines feed back verläßliche Stichproben dieser Realität den Gremien und Institutionen zuzuleiten, denen die Funktion zufällt, . . . das Verhalten der Bevölkerung mit politischen Zielsetzungen in Ubereinstimmung zu bringen«; der Autor bleibt den Beweis für seine Behauptung nicht schuldig. Öffentliche Meinung wird von vornherein im Hinblick auf jene Manipulation definiert, mit deren Hilfe die politisch Herrschenden jeweils versuchen müssen, »die Dispositionen einer Bevölkerung mit politischer Doktrin und Struktur, mit der Art und den Ergebnissen des fortlaufenden Entscheidungsprozesses in Einklang zu bringen«. Öffentliche Meinung bleibt Gegenstand der Herrschaft auch da, wo sie diese zu Konzessionen oder Reorientierungen zwingt; sie ist weder an Regeln öffentlicher Diskussion oder überhaupt an Formen der Verbalisierung gebunden, noch muß sie mit politischen Problemen befaßt oder gar an politische Instanzen adressiert sein. Die Beziehung zur Herrschaft wächst ihr sozusagen hinterrücks zu: die »privaten« Wünsche nach Autos und Kühlschränken fallen unter die Kategorie »Öffentliche Meinung« ebenso wie alle übrigen Verhaltensweisen beliebiger Gruppen, wenn sie nur für die Ausübung sozialstaatlicher Herrschafts- und Verwaltungsfunktionen relevant sind. 28
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§ 25 Ein soziologischer Versuch der Klärung Das Material der Umfrageforschung - beliebige Meinungen beliebiger Bevölkerungsgruppen - qualifiziert sich nicht schon dadurch als 28 E b d . S. 149. 29 E b d . S. 149 ff. 30 E b d . S. 265. 31 In diesem Sinne E . Noelle, Die Träger der öffentlichen Meinung, in: Loeffler (Hg.), Die öffentliche Meinung, a . a . O . , S. 25ff., vgl. bes. das Beispiel S. 29. 32 Vgl. zu dieser Auffassung kritisch: F. Zweig, A note on Public Opinion R e search, in: K y k l o s , B d . X , 1957, S. 147ff. 352
öffentliche Meinung, daß es zur Materie von politisch relevanten Überlegungen, Entscheidungen und Maßnahmen gemacht wird. Die Rückbeziehung der in Ermittlungskriterien definierten Gruppenmeinungen, sei es auf Prozesse der Regierung und Verwaltung, sei es auf die durch demonstrativ oder manipulativ entfaltete Publizität beeinflußte politische Willensbildung, kann die Kluft zwischen der staatsrechtlichen Fiktion der öffentlichen Meinung und der sozialpsychologischen Auflösung ihres Begriffs nicht schließen. Ein historisch sinnvoller, normativ den Ansprüchen sozialstaatlicher Verfassung genügender, theoretisch klarer und empirisch einlösbarer Begriff der öffentlichen Meinung ist nur aus dem Strukturwandel der Öffentlichkeit selber, und aus der Dimension ihrer Entwicklung zu gewinnen. Der Widerstreit der beiden Gestalten von Publizität, von dem die politische Öffentlichkeit heute geprägt ist, muß als Gradmesser eines Prozesses der Demokratisierung in der sozialstaatlich verfaßten Industriegesellschaft ernst genommen werden. Nicht-öffentliche Meinungen fungieren in großer Zahl, und »die« öffentliche Meinung ist in der Tat eine Fiktion; gleichwohl ist an dem Begriff der öffentlichen Meinung in einem komparativen Sinne festzuhalten, weil die Verfassungsrealität des Sozialstaates als der Prozeß begriffen werden muß, in dessen Verlaufe eine politisch fungierende Öffentlichkeit verwirklicht, nämlich der Vollzug sozialer Gewalt und politischer Herrschaft dem demokratischen Öffentlichkeitsgebot effektiv unterstellt wird. Aus dieser Dimension der staatlich-gesellschaftlichen Entwicklung sind demnach die Kriterien zu entwickeln, an denen Meinungen nach dem Grad ihrer Öffentlichkeit empirisch gemessen werden können; ja, eine solche empirische Feststellung der öffentlichen Meinung im komparativen Sinne ist heute das zuverlässigste Mittel, um zu gesicherten und vergleichbaren Aussagen über den demokratischen Integrationswert eines tatsächlichen Verfassungszustandes zu gelangen. 33
Im Modell lassen sich zwei politisch relevante Kommunikationsbereiche gegenüberstellen: auf der einen Seite das System der informellen, persönlichen, nicht-öffentlichen Meinungen, auf der anderen das der formellen, institutionell autorisierten Meinungen. Die 33 Vgl. oben S. 22.
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Informellen Meinungen unterscheiden sich nach dem Grad ihrer Verbindlichkeit: auf der untersten Ebene dieses Kommunikationsbereichs werden die nicht diskutierten kulturellen Selbstverständlichkeiten verbalisiert, die überaus zähen Resultate jenes, der eigenen Reflexion normalerweise entzogenen Akkulturationsprozesses - zum Beispiel die Einstellung zur Todesstrafe, zur Sexualmoral usw. Auf der zweiten Ebene werden die wenig diskutierten Grunderfahrungen der eigenen Lebensgeschichte verbalisiert, die schwerflüssigen Resultate jener aus der Reflexion wieder abgesunkener Sozialisierungsschocks - zum Beispiel die Einstellung zu Krieg und Frieden, bestimmte Sicherheitswünsche usw. Auf der dritten Ebene finden sich die häufig diskutierten kulturindustriellen Selbstverständlichkeiten, die flüchtigen Resultate jener publizistischen Dauerberieselung oder auch propagandistischen Bearbeitung, der die Konsumenten vorzüglich in ihrer Freizeit ausgesetzt sind. Im Verhältnis zu jenen kulturellen Selbstverständlichkeiten, die als eine Art Bodensatz der Geschichte einem in seiner sozialpsychologischen Struktur wohl kaum veränderten Typus der naturwüchsigen »opinion«, des »Vorurteils« zugerechnet werden können, haben die kulturindustriell erzeugten Selbstverständlichkeiten einen zugleich flüchtigeren und künstlicheren Charakter. Diese Meinungen bilden sich im Medium eines gruppenbestimmten »Geschmacks- und Neigungsaustausches«. Uberhaupt sind die Familie, die Gruppe der Altersgenossen, der Bekannten am Arbeitsplatz und in der Nachbarschaft - mit ihren je besonderen Strukturen der Informationslenkung und des Meinungsprestiges, die die Verbindlichkeit von Gruppenmeinungen sichern - der focus für diese Schicht außengesteuerter Meinungen. Wohl kommen auch die kulturellen Selbstverständlichkeiten im Meinungsaustausch solcher Gruppen zur Sprache, aber sie sind eben von anderer Art als die überzeugungsgestützten Vorstellungen, die in der Antizipation ihrer eigenen Folgenlosigkeit sozusagen auf Widerruf kursieren. Auch sie konstituieren, wie jene »opinions«, Normensysteme, die 34
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34 Eine andere Unterscheidung von »Meinungsqualitäten« gibt K. Riezler, What is Public Opinion?, in: Social Research, B d . X I , 1944. 35 W
Mangold, Gegenstand und Methode des
Frankfurt i960. 354
Gruppendiskussionsverfahrens,
Anpassung verlangen, aber eher in der Weise einer sozialen Kontrolle durch »Moden«, deren wechselnde Regeln Folgebereitschaft nur auf Zeit fordern.. Wie jene kulturellen Selbstverständlichkeiten, durch tiefliegende Traditionen vermittelt, subliterarisch genannt werden dürfen, so haben die kulturindustriellen ein gewissermaßen postliterarisches Stadium erreicht. Die kulturindustriell gesteuerten Meinungsinhalte thematisieren das weite Feld innerseelischer und zwischenmenschlicher Beziehungen, das sich die publikumsbezogene und literaturfähige Subjektivität im Rahmen einer intakten bürgerlichen Intimsphäre während des 18. Jahrhunderts psychologisch erst erschlossen hat. Damals waren die privaten Lebensbereiche noch in ihrer ausdrücklichen Beziehung auf die Öffentlichkeit geschützt, denn das öffentliche Räsonnement blieb literarisch vermittelt. Die Integrationskultur liefert Konserven einer herabgekommenen psychologischen Literatur hingegen als öffentliche Dienstleistungen zum privaten Konsum - und zur Kommentierung des Konsums im Meinungsaustausch der Gruppe. Diese Gruppe ist so wenig »Publikum« wie jene Formationen der vorbürgerlichen Gesellschaft, in denen die alten opinions traditionssicher sich ausbildeten und unpolemisch, mit der Wirkung eines »law of opinion«, umliefen. Nicht zufällig haben sich Gruppenforschung und Umfrageforschung gleichzeitig entwickelt: der Typus Meinung, der aus solchen Gruppenbeziehungen hervorgeht, vorformuliert übernommen, flexibel in der Wiedergabe, kaum verinnerlicht und nicht sehr verpflichtend, diese »bloße« Meinung, Bestandteil eines small talks ohnehin, ist ermittlungsreif per se. Die Kommunikationsprozesse der Gruppe stehen unter dem Einfluß der Massenmedien, entweder unmittelbar, oder, was häufiger der Fall ist, durch opinion leaders vermittelt. Unter diesen finden sich oft jene Personen, die über reflektierte, in literarischer und räsonierender Auseinandersetzung gebildete Meinungen verfügen. Solange solche Meinungen aber außerhalb des Kommunikationszusammenhangs eines intakten Publikums bleiben, gehören sie ebenfalls zu den nicht-öffentlichen Meinungen, obwohl sie sich von den drei übrigen Kategorien deutlich abheben. Dem Kommunikationsbereich der nicht-öffentlichen Meinungen steht die Zirkulationssphäre einer quasi-öffentlichen Meinung ge355
genüber. Diese formellen Meinungen lassen sich auf angebbare Institutionen zurückführen; sie sind offiziell oder offiziös als Verlautbarungen, Bekanntmachungen, Erklärungen, Reden usw. autorisiert. Dabei handelt es sich in erster Linie um Meinungen, die in einem verhältnismäßig engen Kreislauf über die Masse der Bevölkerung hinweg zwischen der großen politischen Presse, der räsonierenden Publizistik überhaupt, und den beratenden, beeinflussenden, beschließenden Organen mit politischen oder politisch relevanten Kompetenzen (Kabinett, Regierungskommissionen, Verwaltungsgremien, Parlamentsausschüssen, Parteivorständen, Verbandskomitees, Konzernverwaltungen, Gewerkschaftssekretariaten usw.) zirkulieren. Obwohl diese quasi-öffentlichen Meinungen an ein breites Publikum adressiert sein können, erfüllen sie nicht die Bedingungen eines öffentlichen Räsonnements nach liberalem Modell. Sie sind als institutionell autorisierte Meinungen stets privilegiert und erreichen keine wechselseitige Korrespondenz mit der nichtorganisierten Masse des »Publikums«. Natürlich besteht zwischen beiden Bereichen eine stets über die Massenmedien geleitete Verbindung, und zwar durch jene demonstrativ oder manipulativ entfaltete Publizität, mit deren Hilfe sich die am politischen Machtvollzug und Machtausgleich beteiligten Gruppen beim mediatisierten Publikum um plebiszitäre Folgebereitschaft bemühen. Auch diese Vehikel einer gesteuerten publizistischen Einflußnahme rechnen wir zu den formellen Meinungen, aber als »öffentlich-manifestierte« sollen sie von den »quasi-öffentlichen« unterschieden werden. Außer diesem massiven Kontakt zwischen formellem und informellem Kommunikationsbereich besteht noch die spärliche Beziehung zwischen der räsonierenden Publizistik und jenen vereinzelten Personen, die ihre Meinung noch literarisch zu bilden suchen eine öffentlichkeitsfähige, aber tatsächlich nicht-öffentliche Meinung. Der Kommunikationszusammenhang eines räsonierenden Publikums von Privatleuten ist zerrissen; die aus ihm einst hervorgehende öffentliche Meinung teils in informelle Meinungen von Privatleuten ohne Publikum dekomponiert, teils zu formellen Meinungen der publizistisch wirksamen Institutionen konzentriert. Nicht durch öffentliche Kommunikation, sondern durch die Kom356
munikation der öffentlich-manifestierten Meinungen wird das Publikum der nichtorganisierten Privatleute im Sog demonstrativ oder
manipulativ
entfalteter
Publizität
beansprucht.
Eine im strengen Sinne öffentliche Meinung kann sich hingegen nur in dem Maße herstellen, in dem die beiden Kommunikationsbereiche durch jene andere, die kritische Publizität, vermittelt werden. Eine solche Vermittlung ist freilich heute, in einer soziologisch relevanten Größenordnung, nur auf dem Wege der Teilnahme der Privatleute an einem über die organisationsinternen Öffentlichkeiten geleiteten Prozeß der formellen Kommunikation möglich. Eine Minderheit der Privatleute gehört ja den Parteien und den öffentlichen Verbänden als Mitglieder schon an. Soweit diese Organisationen nicht nur auf der Ebene der Funktionäre und Manager, sondern auf allen Ebenen eine interne Öffentlichkeit gestatten, besteht dann die Möglichkeit einer wechselseitigen Korrespondenz zwischen den politischen Meinungen der Privatleute und jener quasi-öffentlichen Meinung. Dieser Tatbestand mag eine im ganzen zunächst unerhebliche Tendenz bezeichnen; es bedarf der empirischen Ermittlung, welches Ausmaß und welche tatsächliche Auswirkung diese Tendenz hat; ob es sich überhaupt um eine fortschreitende oder vielleicht um eine rückläufige Tendenz handelt. Für eine soziologische Theorie der öffentlichen Meinung ist sie indessen von entscheidender Bedeutung, denn sie gibt die Kriterien für eine Dimension, in der sich öffentliche Meinung unter Bedingungen der sozialstaatlichen Massendemokratie allein konstituieren kann. Im gleichen Verhältnis, wie informelle Meinungen in den Kreislauf der quasi-öffentlichen Meinungen eingeschleust, von ihm ergriffen und umgewandelt werden, gewinnt auch dieser Kreislauf selbst, in Erweiterung durch das Publikum der Staatsbürger, an Öffentlichkeit. Da es freilich öffentliche Meinung keineswegs als solche »gibt«, allenfalls Tendenzen isoliert werden können, die unter den gegebenen Verhältnissen auf die Ausbildung einer öffentlichen Meinung hinwirken, läßt sie sich nur komparativ definieren. Der Grad der Öffentlichkeit einer Meinung bemißt sich daran: in welchem Maße diese aus der organisationsinternen Öffentlichkeit eines Mitgliederpublikums hervorgeht; und wie weit die organisationsinterne Öffentlichkeit mit einer externen Öffentlichkeit kommuni357
ziert, die sich im publizistischen Verkehr über die Massenmedien zwischen gesellschaftlichen Organisationen und staatlichen Institutionen bildet. C. W. Mills gewinnt aus der Gegenüberstellung von »Publikum« und »Masse« empirisch brauchbare Kriterien für eine Definition der öffentlichen Meinung: »In a public, as we may understand the term, (i) virtually as many people express opinions as receive them. (2) Public communications are so organized that there is a chance immediately and effectively to answer back any opinion expressed in public. Opinion formed by such discussion ( 3 ) readily finds an outlet in effective action, even against - if necessary - the prevailing system of authority. And (4) authoritative institutions do not pentrate the public, which is thus more or less autonomous in its Operation.« A n Öffentlichkeit verlieren Meinungen hingegen in dem Verhältnis, in dem sie dem Kommunikationszusammenhang einer »Masse« verhaftet sind: »In a mass, 1. far fewer people express opinions than receive them; for the community of publics becomes an abstract collection of individuals who receive impressions from the mass media. 2. The communications that prevail are so organized that it is difficult or impossible for the individual to answer back immediately or with any effect. 3 . The realization of opinion in action is controlled by authorities who organize and controll the channels of such action. 4. The mass has no autonomy from institutions; on the contrary, agents of authorized institutions penetrate this mass, reducing any autonomy it may have in the formation of opinion by discussion.« Diese abstrakten Bestimmungen eines unter Bedingungen des Öffentlichkeitszerfalls sich vollziehende Meinungsprozesses lassen sich in den Rahmen unseres entwicklungsgeschichtlichen Modells leicht einordnen : die vier Kriterien massenhafter Kommunikation sind in dem Maße erfüllt, in dem der informelle mit dem formellen Kommunikationsbereich bloß durch 36
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36 C . W. Mills, The Power Elite, N . Y . 1956, S. 303 f. 37 Z u r politischen Soziologie der »Masse« vgl. die Untersuchung von W. K o r n h a u ser, The Politics of Mass-Society, Glencoe 1959. 38 Mills, a . a . O . , S. 304; ders., Kritik der soziologischen Denkweise, N e u w i e d 1963, S. 93 ff. 39 Vgl. H . Blumer, The Mass, the Public and Public Opinion, in: Berelson and Janowitz, a . a . O . , S. 34ff. 358
Kanäle der manipulativ oder demonstrativ entfalteten Publizität verbunden ist; über die »kulturindustriellen Selbstverständlichkelten« werden dann die nicht-öffentlichen Meinungen durch die »öffentlich-manifestierten« einem bestehenden System integriert, ohne diesem gegenüber irgend Autonomie zu haben in the formation of opinion by discussion. Demgegenüber kann sich unter Bedingungen sozialstaatlicher Massendemokratie der Kommunikationszusammenhang eines Publikums nur in der Weise herstellen, daß der förmlich kurzgeschlossene Kreislauf der »quasi-öffentlichen« Meinung mit dem informellen Bereich der bisher nicht-öffentlichen Meinungen durch eine in organisationsinternen Öffentlichkeiten entfachte kritische Publizität vermittelt wird. Im gleichen Maße änderten sich auch die im politischen Machtvollzug und Machtausgleich heute bestimmenden Formen von Konsensus und Konflikt: eine derart sich durchsetzende Methode öffentlicher Kontroverse würde Zwangsformen eines durch Druck erzeugten Konsensus ebenso lockern, wie die Zwangsformen der bisher der Öffentlichkeit entzogenen Konflikte mildern können. Konflikt und Konsensus sind, wie die Herrschaft selbst und die Gewalt, deren Stabilitätsgrad sie analytisch bezeichnen, keine Kategorien, an denen die geschichtliche Entwicklung der Gesellschaft spurlos vorübergeht. A m Strukturwandel der bürgerlichen Öffentlichkeit läßt sich studieren, wie es vom Grad und der Art ihrer Funktionsfähigkeit abhängt, ob der Vollzug von Herrschaft und Gewalt als eine gleichsam negative Konstante der Geschichte beharrt - oder aber, selber eine historische Kategorie, der substantiellen Veränderung zugänglich ist.
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Literaturhinwelse Diese H i n w e i s e b e s c h r ä n k e n sich, unter Vernachlässigung d e r o r i g i n a l e n Texte, der Q u e l l e n , W ö r t e r b ü c h e r , K o m p e n d i e n , Statistiken usw., auf die w i c h t i g e r e n Titel der h e r a n g e z o g e n e n S e k u n d ä r l i t e r a t u r ; da sich diese, m i t A u s n a h m e der L i t e r a t u r z u Geschichte u n d Begriff der »öffentlichen M e i n u n g « , fast nie spezifisch auf den K o m p l e x » Ö f f e n t l i c h k e i t « bezieht, w i r d sie gesondert nach thematischen A s p e k t e n aufgeführt.
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372
Namenverzeichnis Abendroth, W. 26f, 35, 334h
Bergasse
Achinger, H .
Bcrgsträßer, L.
229, 242
Ackermann, B.
173 140
Berle, A . A . 232
39
Addison, J . 92, 105
Bernays, E . L .
A d o r n o , T'h.
Bismarck, O . v. 230
29,255,266,319
Alary, A b b e
291
Blackstone, W. 303
13 5
Albig, W. 349
Bleichröder 279
d'Alembert, J . 1 3 5 , 165
Bleyer,W.G.
A l e w y n , R. 65
Blücher, V. Graf
Almond, G . A . 29
Blum er, H . 358
Altick, R,
BluntschÜJ.K.
99, 1 1 6
Altmann, R.
299, 300, 3 1 1
Anders, G .
Bobbio, N . Bode, H .
261
259 323 219h
32
77
Apel, K . O . 39
BodmerJJ.
Arato, A . 48
Böckenförde, E.W. 22f., 1 1 8 , 15
Arbuthnot, J . Arendt, H .
141
47, 57, 76
d'Argenson
178
140
Breitinger, J . J . 99 146,151
Brinkmann, C .
147
Auerbach, E . 90, 100
59, 77, 86, 3 1 6
Bryce, J . 348
17
Bäumler, A
163
Balet, L.
293
Brodbeck, A . J . 3 1 4 Brunner, F. O .
Bachtin, M . Bahrdt, H . R
113,125,130,
134,200
Brentano, L.
318
Ashley, W.
261
Bolingbroke, H . Braubach, M .
57
Arndt, E . M .
Bogart, L.
Borkenau, F.
135
Aristoteles A r o n , R.
B ö h m , M . v. 1 3 6
125
Archenholz, JAV.
99
Bücher, K
1 1 0 , 2 4 1 , 246, 340
101, 141
80,276,278
BunzelJ.H.
228
Burckhardt, j . 63
Barber, E . G .
135
Burdick, E .
Barnes, S. H .
30
Burgess, E.W. 244
314
Bartlett, j . 162
Burke, E. 44, 167f., 1 7 5 , 303
Barth, E H .
Burn ham, J . 240
Bauer, W.
342 126,136
Baumert, D . R Bayle, R
165
Bellah,R.N.
Butler, E . D .
314
Calhoun, C .
31
276 30
Campbell, A .
314
Benhabib, S. 34
Carolus, J . 72
Bentham, L . J .
Censer, J .
Bentley, A . E Berelson, B . R .
157, 174f., 2 1 6 348 260, 2 8 1 , 3 1 3 h , 358
14
Chamisso, A . v . 250 Child, H . L .
350
373
Clark,J.M.
234
Cohen, J . 3 8 h , 48 Coing, H.
Eulau, H .
314
Everth, E .
73, 79, 133
143
Colbert, H . B .
76,102
Fabric an t, S.
Congreve, W.
101
Faul, E .
Conrad, H.
Field, H . H .
277
Fine, B J .
134
Cunningham, W. Dahl, R. A .
146
227
258
Dechamps, B.
307
Defoe, D .
124
Dempf, A .
61
308 317
252
Fischer, H .
72
Fischer, W.
80
Flad, R.
296
Dahrendorf, R. Day,B.
319
Feuerbach, A .
148
Cotta, J . Fr. Coyer
Feddersen, J .
143
Conze, W
231
323
178
Flöter, H . H .
319
Forster, E G .
176
Forsthoff, E .
26,233,272,294,329,
33°> 335>336 Foucault, M .
15,20
348
Fox, C h .
Diderot, D .
40,103,135
Fraenkel, E .
156, 2 1 7 , 346
DiltheyW.
120
Francois, E .
14
DiceyA.V.
Dobb, M.
70, 75, 1 2 2 , 227t., 285
D o o b , L.W.
314 h
Frankenberg, G . Freud, S.
249
44
in
Dovifat, E .
279ff., 283
Friedeburg, L.v.
Downs, A.
233
Friedmann, W. 233 f.
Dresdner, A .
1 0 2 L , 104
Friedrich I I .
Drucker, R F.
240
Friesenhahn, E .
Dryden, J . 92, 1 0 1
Fromm, E.
Dubiel, H .
Fugger
44
2 3 7 h , 240, 3 1 3 , 323
84, 322 306
111
72
Dülmen, R.v.
14
Dumont, M.
277
Gadamer, H . G .
60, 63 f., 1 6 1
Duverger, M .
303, 3 1 4
Galbraith, J . K.
149,231,232,285
D w o r k i n , R.
39
Galiani, F. 94 Gans, H .
Eder, K.
14
Eichler, W.
319
31
Gehlen, A .
252,266
Geiger, T h .
266
Eisermann, G .
157
Geliert, Chr. F.
Eldersveld, S.J.
314
G e o r g I.
1 1 3 f.
125
Eley, G .
13ff., 21
Georg III.
Elster, J .
42
Gerber, K.F.W.v.
Emden, C S . Engels, F.
1 2 4 h , 133
Eschenburg, T h . Escarpit, R.
374
257
Girardin, E . Gitlin, T.
207
Enzensberger, H . M . 310
2 5 5, 267
175 329
258
30,31
Gladstone, W E .
302 h
Gleim, J . W . L .
114
Goethe, J.W.v.
67, 68ff., 1 1 4 L
Görtzen, R.
12
Hedemann, J , W.
Goitsch, H .
78
Heers, J .
Goldschmidt, M . L. Goodin, R . E . Gottheit,].
Heilborn, E .
66 95,101,104
Gracian, B.
140
298 51,172,345 113
Heydte, F. A . v . d. Heynatz
125 56, 66
231
Hilferding, R. Hilger, D .
23
Gross, H .
289
Hiller, A .
Groth, H .
78,79,278,281
Hirsch, E.
104 314
79
Hobbes, T h .
Günther, K.
39
Holzen, E.
Guizot, G . Gurie
147
167,302
Grotius, H .
Grundmann, W.
1 1 8 , 1 5 3 , 162ff., 178 348
Hofstätter, P.R.
311
Hollis, P.
132
Honneth, A . Haftendorn, H . Hall, St.
31
Huber, H .
Hanson, L.
260
63
Hundhausen, C .
39
Hansenstein, F.
Humboldt
285 146
288
178, 229
Hylland, A .
124
Hardenberg, K . A . v . H a r ley
Huizinga, J .
227
112,319
232ff., 235, 237, 344
Hughes, H . M .
Hamlin, A .
348
35,43,46,47,48
Horkheimer, M .
307
Hall garten, W.
14
15
Holtzendorff, F. v.
Gutenberg, j . 279
18
350
Hohendahl,P.U.
176
Hall, C .
333
56
Hicks, U .
286
G r i m m , Brüder Grimm, D.
2 1 , 2 3 , 3 6 , 77,86.
Herder,]. G.
20
63
Greiser, E
Heller, H . Hennis, W.
132
Gouldner, A . W Gray,J.
Hegel, G.F.W.
193, 195 ff., 19911., 207
42
Gottsched, J . Chr. Goudet
224, 248
235
18
42
Hymann, W H .
350
124
Harpe, L e
169
Harrington Harris, C . Harrison
Ingleharts, R. Ipsen, H.P.
92
29 261,329
317 314
Hartenstein, F. Härtung, F.
Jäger, W. 323
1 3 8 , 154
Hasbach, W.
124
Hauser, A .
62, 100f., 1 1 5 , 266
Havas, C h .
2791., 2 8 1 , 283
H a y m , R.
240, 301
Heard, A .
310,352
Hearst, W . R . Heckscher, G .
281 74, 76, 82
12
Janowitz, M .
260,314,3161,318,
349 Jahn, H . E .
291
Jellinek, W. Jentsch,J.
1 3 6 , 154 140
Joachimsen, P. 66 Joas, H .
36
Jones, R . D . Josef I I .
264
146
375
Kaase, M .
30
Kaiser, J .
297
L e n z , F. 96 Lessing, G . E .
Kant, I. 4 1 , 86, 1 6 1 , 178 ft., 1 8 2 ,
Liepelt, K.
184ff., 186ff., 189f., 1 9 2 1 . , 200,
LinzJ.
273, 342
Littmann, K.
164
Karl II
92, 1 0 1
Katz, E.
315
Locke, J .
Karl I.
233
1 1 8 , 1 2 1 , J 52, 164f., 166,
171
30,315,350
Kayser, W.
96, 104
323
256
Lodziak, C .
31
Löffler, M .
311
Keane, J . 20, 24, 34, 46, 47
Löwenstein, K.
Kelley, St.
Löwenthal, L.
289
Kempters, K.
Lohmann, K.
78
Kieslich, G .
Kirchheimer, O . Kirchner, j .
344
Lohmar, U .
264 295,298,305,321
311
Lorenzen, R Lottes, G .
58,60
39 16
Kitzinger, U . W. 3 1 2 h , 3 1 4 , 323
Lowells, A . L .
Klapper, j . T .
Ludwig XIV.
Kluge, A .
30
348 65, 102, 133
Ludwig X V I .
17
Kluxen, K.
122 f., 126, 1 3 0
Knebel, H . J .
128 262
Lukäcs, G .
91
227
263
König, H .
244
Macchiavelli, N .
König, R.
23 1, 266
Maccoby, E . E .
Koselleck, R.
14, 1 3 5 , 140, 165 t., 169,
Maine
91
Malesherbes, G .
185 Krauch, H .
342
Mandeville, B.
KropffJ.E
287
Mangold, W.
Krüger, H.P. Kubier, E.
M a n i n , B.
36
Kuczynski, j .
Kuske, Br.
354
38
Marcuse, H . Marvell, A . 343, 344, 345
Langenbucher, W.R. Larabee, E . Lask, E .
118
Lazarsfeld, R F . Leavis, G . D . L e Brune
30,315,350 116
Lenk, K.
205 ff., 209, 222, 269 M c C a l l u m , R.
314
McCarthy, T h .
43
McPhee, W . N .
314
Means, G .
23 r
Menger, G . 273,305,345 222
160
83 234
Mercier, L . S .
44
Leibholz, G . Lenin, W. I.
316
21 ff., 33, 1 2 1 , 1 6 1 , 201 ff.,
Mencken, O .
101
289
Lefort, C .
376
28
261
M a r x , K.
15
92
Marvick, D . Landshut, S.
95 f., 3 1 8 , 340 250, 344
Marrus, M . R .
222
81
136 1 86
Mannheim, K.
168
27
Kugelmann, L.
Lee, I.
117 252
168,169
Meredith, H . O . M e y e r - D o h m , P. Meyersohn, R.
147 257 30, 255, 265
M e y r o w i t z , J . 49
Pateman, C .
Michelet
Peel, R.
86
Mill, j . St.
32, 1 5 8 , 209, 2 1 1 bis 2 1 9
Miller, W . E .
358
Perroux, F. Pettit, Ph.
Minor, D.W.
St. Pierre, A b b e
135
Pirenne, H .
1611,169,281
Mommsen, W.
Pitt, W
302
Montesquieu, C h . Baron de
117f.,
Mosse, R.
132,148 161, 191 97, 227, 247, 303
Plumb, j . H .
79
Pope, A .
281
Mylius, Chr.
Platon
Posselt
104
15
125 177,277
Powell, N . J . Napoleon I. Napoleon I I I .
229
Naumann, R Neaf, W.
Preuss, U .
70 302
349 37, 43
Prokop, D.
28
Pulitzer,J.
258
87
Necker, J .
136
Negt, O .
Quesnay, F.
13 5 298,310,328
17
Neumann, R
229,271,311,332
R a m m , Th.
Neumann, S.
303
Rathenau, W.
Neumark, R
Rawls,J.
23 1, 339
Nicholas, H . G . Nicolai, R
Nietzsche, E
Reich, R. 237
69
Nipperdey, H . - C . Nixon, R . B . Noelle, E.
3 1 1 , 332, 334
45 h, 42, 43
Ogle, M . B . O w e n , R.
349 16
Reichardt, R.
14
Reinhold, H .
92
Renaudot, Th. Retat, P.
263,352
29, 1 6 1
281
349
79
234, 340 14
Reuter, P.J.
282h
Ricardo, D .
196
Richardson, S. Richelieu
114h
79
Ridder, H .
296, 298, 3 0 9 h , 328ft".
Riedel, M .
77, 201
Riehl, W. Palmer, R A .
174 342
Renner, K.
281
Northcliffe, A . C . W Oehler, K.
313
Redslob, R.
219
Niedermeyer, H .
238
39
Readmann
3 14
104
Niebuhr, B.
Offe, C.
135
70
Plessner, H .
135, 152, 1 7 1 , 219 Morrison, St.
341 39
Philipp von Orleans 9 1 , 94
350
Mirabeau, H . G . de Mischke, R.
47
92
92,215
Mills, C . W Milton, J .
Pelczynski, Z. A . Pepys, S.
132
19, 20
132
109
Riesmann, D .
Parfaict, F.
100
Riezler, K.
Park,R.E.
258
Robespierre, M .
Parsons, T.
29
Rochau, A . L . v .
252,261,288,320
354 135 301
377
Rödel, U .
Stadelmann, R.
44
Rosenberg, B.
80
Stael, A . L. G . d e
261
Rousseau, j . j . 37, 38, 1 1 4 , 1 5 2 , 166, 168, 170, 1 7 2 , 1 7 3 , 177, 184
Stahl, Fr. j . Stammer, O .
294, 3 1 0
Stanford, F . H .
Rupnik, J . 47
317
Steedman, C . Sallo, Denys de Sauvy, A .
Steele, R.
83
345
SayJ.B.
158,196
Schäffle, A .
115
219
348
18
105,125,166
Steffani, W.
3, 307
Stein, K. v.
146, 178
Stein, L. v.
21
Schelsky, H .
238, 243, 299, 340
Steinberg, C h . S .
261,289
Scheuner, U .
150, 2 3 1 , 3 1 1 , 331
Steinhausen, G .
114
221,302
Stephen, L.
Schieder, Th. Schiller, Rv. Schlözer, A . L.
141
Schmidtchen, G . Schmitt, C.
320, 322
26, 63, 1 5 1 , 163, 176, 2 7 1 ,
305, 340 Schmitt, E . Schneider, H .
271
Schöne, W.
81,260,287
Schubart, Chr. Fr. D . Schubert
251
Schwab, G .
230, 232
Suarez, F.
144
Sultan, H .
298, 339
44, 76
348
Thomasius, Chr.
231
16
Thomssen, W.
2671.
Tocqueville, A . Tönnis, F.
32, 209, 2
293 286
Treitschke, H . v. Treue, W.
7 1 , 73 260
Trevelyan, G . M .
Senett, R.
17
Tu c km an n, G .
Shaftesbury, A .
162
Shakespeare, W. Siebert, W.
237
Simitis, Sp.
236h 207
Smelser, N .
31
Smend, R.
137
Smith, A .
162
157, 196
Sombart, W. 70, 72, 286 Speier, H . Spencer, H .
378
124 258
301
82
Seldes, G .
St. Simon, H .
83
Thompson, E.
Töpfer, G .
250
Schweizer, A .
264
125
219F
294
Schumpeter, j . A .
See, H .
141
323
Schücking, L. L. Schulz, G.
317
Strachey, L. G .
Tarde, G .
84
Schramm, W.
Stouffer, S. A .
Swift, J .
73
114
Swanson, C . E .
61,63
Schmoller, G.
92, 105
Sterne, L.
141,250
Turgot, A . R .
92, 1 0 1 , 31
1 3 5 , 169
Tutchin 125 Ullstein, L. Urwin, C.
281 18
Vajda, M .
47
Valjavec, F. Verba, S.
140
29
Voider, U . de Voltaire, F.-M.
276 135
Wagner, A .
White, D . M .
231
Walkerdine, V. Walpole, R. Ward, N . WattJ.
125,130,135
93 70
Weber, K. 344, Weber, M . 3 3 , 4 4 , 1 2 8 , 1 4 9 , 3 0 0 , 3 0 1 , 303O39 Weber, W
294 13, 14,22
Weigand, G .
56,166,171 254
Wekherlein, L. Welcher, C . T h . Wellmer,A.
141 219,308
46
Wieacker, R
145,150,;
Wieland, M .
1 4 1 , 177
Wilhelm I I I .
124
Wilkes
127, 1 3 1
Williams, R.
15,27,98
Wilson, E G .
346
Wirth
Wehler, H . U . WeißJ.A.
260
Whyte,W.H.
18
281
Wittich, W. 67 Wittram, R.
98
Wolff, B.
279 f.
Woodfall
127
Wuttke, H .
285
43
Westerfrölke, H .
93,105
Zweig, F.
352
Sachverzeichnis Abgeordneter
1 3 1 , 1 3 2 , 154, 1 7 5 ,
Absatzstrategie
204
66, 95, 142, 1 4 5 , 1 5 5 ,
Bauernbefreiung Bauernschaft
170, 1 7 3 , 322 Adel, 90, 93, 94, 108, 128, 1 3 4 , 1 3 5 ,
Beamte Beruf
139,156 Ä r a , liberale
1 7 3 , 322, 326, 342
Aktiengesellschaften Aktivbürger
73,226h
Allgemeininteresse Analphabeten
101,157,158,164,201,203
Bevölkerung
82, 92, 123, 3 1 4 , 356
Bewußtsein, öffentliches
Bourgeoisie
90, 9 1 , 337,
Arbeit, produktive
115
Bücherei, öffentliche Bürger
346
1 2 0 , 128, 1 3 3 , 1 3 4 , 1 3 5 ,
139, 156, 188, 194, 204 Buchclub
197, 2 0 1 , 203 Arbeit, gesellschaftliche
119,120
1 0 1 , 1 1 2 , 1:20, 1 2 1 , 1 3 9 , 1 5 5 ,
158, 164, 197, 203
159
99
110,112,142,168,177,194,
Arbeiter
80, 8 1 , 134
Bildung
157,235
58
70
1 1 2 , 288, 300, 333
Besitz
148, 284
Akklamation
89
285
Absolutismus
Arbeit
Autorität, rationale
Avantgarde, bürgerliche
304
115
56,57,68,69,80,81,101,
1 1 6 , 138f., 156, 159, 1 8 3 , 205, 3 1 5 ,
56
316,322
52, 146, 158
Arbeitgeber
146
Bürger, politisch fungierende
Arbeitskraft
56, 158, 187, 203
Bürgerkrieg
128, 1 3 0 , 163, 236
159
-platz
333
Bürgerrecht
8 1 , 328
-recht
145,333
Bürgertum
68,94,112,115,135,
136, 139, 2 1 9 , 242
-Verhältnisse 145 Aristokratie
92, 93, 99, 2 1 2 , 218
Arkanpraxis
96, 1 1 7 , 188, 299
Armee
96, 105, 106, 166, 178,
180, 1 8 1 , 187, 1 9 3 , 199, 200 Ausbildungsstätte
74
56,91, 1 1 0 , 120, 156, 183,
89, 135 h
C o d e Civil coffee-houses
Deliberation 61,62,68,74,75,91,104,
i n , 1 1 7 , 169, 1 7 2 , 1 8 1 , 2 0 1 , 207, 344 Autorität, göttliche Autorität, öffentliche Autorität, politische 380
52,211
1 5 9 , 1 8 3 , 194, 204 144 89 100
56, 67, 97, 142 h, 1 7 1 , 206,
229,326 Autorität
citoyen
conspicious consumption
208, 322, 328, 334 - , private
302
Chartistenbewegung Clubs
333
Außenhandelsmärkte Autonomie
54, 67, 1 17, 154, 15 5, 339
Caucussystem
155h
Aufklärung
Bürokratie
67 225 204,327
340
Delegierten vers am ml u n g 61 Demokratie
173,322,331,344
Demokratie, soziale
58
Demokratie, plebiszitäre
346
Demokratie, verbandsintern Demokratisierung
353
310
Desorganisation Despotismus
198, 201
Deutsches Reich Dialektik
Finanzwissenschaft
138,151
Fortschritt
61
Fraktion
1 9 5 , 2 7 1 , 342
Diskussion
168, .171, 1 7 3 , 1 8 1 , 1 8 2 , 1 3 2 , 164, 169,
1 7 1 , 340, 352 Diskussion, permanente Distribution
1 5 3 , 199, 200, 208, 2 1 5 , 2 1 9 ff., 332 Freiheit, bürgerliche
179,183
Freiheit, persönliche
197
Freiheiten, ständische
87
Freiheitsgesetze
97
Freiheitskrieg
134
Duodezfürsten
130
Freiheit 1 1 7 , 1 1 9 , 120, 1 3 0 , 1 3 8 , 149,
198, 199, 205, 253, 270 Diskussion, öffentliche
177
Freimaurerei
68
186, 192
97
Freiheitsrechte Eigentum
1 1 0 , 1 2 0 , 143 f., 1 4 5 , 1 5 3 ,
Freizeitmarkt
235,327,332,333,335 Eigentum, kapitalistisch fungierendes
252, 253 70
66
333, 334 Gemeineigentum
88,110,111,121,146,
333
1 5 5 , 156, 1 5 8 h , 160, 202, 203, 336,
Gemeingeist
176
337
Gemeinwille
169, 1 7 0 , 1 7 2
Gemeinwohl
335
Eigentumsordnung Einkommen
159
general opinion
336
Emanzipation Enteignung
Gerechtigkeit
Entscheidungsfreiheit
135,165,168,181
Essays, periodische Exekutive
336
209,210
Geselligkeit
63, 64, 65
Gesellschaft
56, 63, 65, 76, 83, 88, 90,
96, 100, 104, 109, i n , 1 1 2 , 1 2 0 , 1 3 6 .
104,105
139, 1 4 2 , 1 4 5 , 148, 149, 158, 169,
150,339
Existenzminimum
62
149, 188, 199, 329
Geschichtsphilosophie
334
Entwicklung, sozialstaatliche
86
Generalstab, preußischer
110,116,121
335
Enzyklopädie
33 3
247
Frühkapitalismus Fürstentum
Eigentümer
334
Freiheitsstatus, persönlicher Freizeitverhalten
158, 1 6 3 , 1 7 0 , 186, 187, 197, 203,
Eigentum, privates
77
180, 190, 1 9 1 , 348
170, 1 7 5 , 1 7 9 , 189, 198, 2 0 1 , 202,
99
Exklusivität, ständische
203, 204, 225, 238, 270, 272, 3 1 1 ,
95
326,329,336,340,348 Familie
Gesellschaft, adlig-höfische
76,90,108,110,112,113,
Gesellschaft, bürgerliche
315,316,330,331,354 Familie, bürgerliche
106f., 1 1 0 , 1 1 9 ,
Fernsehen
5 1 , 54, 56,
57, 67, 69, 76, 77, 82, 89, 90, 96, 1 0 1 , i n , 1 1 2 , 1 2 1 , 1 4 2 , 1 4 3 , 144,
243, 244 Fernhandel
68, 89,
92, 107
120, 1 5 3 , 2 0 1 , 2 4 1 , 243, 249, 250,
147, 149, 156, 157, 1 5 9 , 168, 1 7 0 ,
70, 7 1
179, 1 8 3 , 1 8 5 , 187, 189, 1 9 3 , 1 9 5 ,
305,306,307
Feudalsystem
168
196, 197, 200, 201 f., 202, 204, 205,
Finanzkapital
122
206, 226, 228, 234, 326t., 3 3 5 , 345
Finanz- und Handelskapitalismus Finanzverwaltung
74
70
Gesellschaft, feudale
60
Gesellschaften, geschlossene
54 381
Gewalt, politische 7 1 , 1 7 3 , 1 8 5 , 207,
Gesellschaft, gute 65, 67 Gesellschaft, hochkapitalistische
296
Gesellschaft, humanistisch-aristokrati-
226
Gewalt, vollziehende
Gesellschaft, öffentlich räsonierende Gesellschaftsordnung
Gewaltherrschaft
70
Gesellschaft, politische
2 0 1 , 3 56
Gesellschaft, vorkapitalistische
Gewerbe
146
Gewerbepolitik
82
Gewerberecht
355
145
Gewerbeverein
87, 97, 1 1 0 , 1 1 7 , 1 1 8 , 1 1 9 ,
138, 149, 1 5 1 , 1 5 2 , 164, 1 7 1 , 1 8 5 ,
Gewerkschaft
196
Gilden
Gesetz, allgemeines
130
123,134,144,146
Gewerbefreiheit
156
Gesellschaft des freien Warenverkehrs
Gesetzbuch, allgemeines bürgerliches
254 230,236
70
Gleichheit
180,183
95,119,153,183
Gleichheit, bürgerliche Gleichheitsrecht
144 Gesetz, göttliches Gesetzesbegriff
Großbürgertum
Gesetz, staatliches
Grundbesitz
164
Gesetzgebung
Grundfreiheit
5 6,119,151,152,172,
1 8 3 , 1 8 9 , 1 9 8 , 329 57,151,
Grundrecht
1 7 9 , 1 8 0 , 1 9 0 , 1 9 5 , 1 9 8 , 200, 203,
331
67, 86, 87
Gewalt, gesetzgebende
332
153,327,331,333,334,
Grundrechte, liberale 327, 329, 330,
66
Gewalt, gesellschaftliche
58,59, 60, 6 3 , 6 4 , 65,
337
204,213,215,338,359
226 152,197
Grundrechte, soziale
331
Grundrechtskatalog
326,330
Grundrechtsnormierung
Gewalt, höhere 60 Gewalt, öffentliche
154
Grundordnung, demokratische
57,110,148h, 152,155,172,
Gewalt, militärische
Grundgesetz
59
333
75
165, 226
Gewalt, fürstliche
151
122,155,156
Grundherrschaft
Gesetzgebungskompetenz
Gewalt, feudale
94
Grundbesitz, privater
294
117,150,169,171
18 f.
122
Großgrundbesitzer
152
Gesetzesvollzug
331
Großbourgeoisie
119,120
Gesetzesstaat
134
302
Gleichstellung der Frau
168
151
Gesetzesnorm
Gesetzgeber
Gleichheitssatz
164
Gesetze, natürliche
326
215
Gewalttrennung
1 7 0 , 207
Gesellschaft, vorbürgerliche
Gruppenbeziehungen
74 5 5,59,66, 67,68,
115,116,121,126,134,142,148,
G r u p p endynamik
.
Gruppeninteresse
155,179,207,225,284,292,313,
Gruppenmeinung
326,330,331,351
Gruppenprozeß
336
350
350
Gruppenforschung
74,75,77,79,82,83,84,87,88,89,
382
15 3
Gewaltausübung, soziale
116
Gestalt
338,342,353,354
Gewalt, staatliche
sche 89
Gesetz
311,337,338,342 Gewalt,soziale
355 317 325,350,351,353
349
Handel
Industriegesellschaft, sozialstaatlich
70,123,134,146,147
verfaßte
Handels-und Gewerbefreiheit 198 Handelskapitel
Handels- und Finanzkapitalismus Handeiskompanien Handelsrecht Handwerk
82
354
87, 107, 108, 1 1 7 , 1 1 9
Integration
77, 122
198
Integrationskultur
285,319,355
Intellektuelle, bürgerliche
59, 8 3 , 1 4 5
Hauswirtschaft
1 2 2 , 1 2 8 , 149
7 1 , 79, 83,97
Innerlichkeit
70,93
Hausgewalt
Information
Infor mations 1 enkung
74
145
Handelsverkehr
340,353
Industriekapital
75
Intelligenz
71,76,88
Herrenrecht 60,62, 87
Interaktionsprozeß
Herrenschicht 65 h, 71
Interesse
Herrschaft
Interessenantagonismus
56,59,61,65,66,70,87,
349
329,341
117, 1 1 8 , 1 5 1 , 153, 1 5 9 , 1 6 8 , 1 7 5 ,
Interessenausgleich
178,179,195,197,199,206,327,
Interessengruppen
295
344,351,352,359
Interessenkonflikt
339
Herrschaft der Gesetze
Interessenlage
Herrschaft, politische
121
1 5 2 , 204, 338,
322
Interesse, öffentliches
87
Interesse, partikuläres
Herrschaftsfunktion
352
Interesse, politisches
Herrschaftsordnung
70,15 5
Interessen, private
86,118
Herrschaftsverhältnis
58, 70,96
Hierarchie, gesellschaftliche
95
314
Interessenverband
304
Interventionismus
225, 2 3 1 , 233
Intimität
96,111,112,121
Intimität, bürgerliche
Hof
Intimität, fingierte
63,67,68,75,79,81,84,89,90,
Intimbereich
120
Honoratiorenbankette
Intimsphäre
65
8 8 , 9 0 , 1 1 9 , 1 5 3 , 238, 243,
70
1 1 1 , 1 1 2 , 120, 1 2 1 , 248
Intimsphäre, bürgerliche Intimsphäre, familiale
58,96,112,113,160,161,
!95>34 Identifikation
Journale
2
Individuum
Immunität
113,115,119,185,189,
Industriegesellschaft
104,105
Julirevolution Jurisprudenz
202, 349 234, 334, 338
Justiz
78, 1 1 1
59
Journalismus
88
355
244
Intimsphäre, kleinfamiliale Ideologie
115
88, 333
250, 263, 269
63
Humanismus, bürgerlicher Humanität
115
Intimität, literarisch vermittelte
70
Humanismus
91
115
Intimität, kleinfamiliale
91,95,107,130 homme
305 203
1 7 1 , 290
Hierarchie, soziale 97
Hofkultur
81, 8 2 , 1 5 4 , 1 5 5 ,
290 Interessen, organisierte
339,341,351,353 Herrschaftsanspruch
Herrschaftsstände
288, 340
129
Interessen, objektive
175 Herrschaft, patriarchalische
296, 340
295, 297, 329, 341
Interessenkonkurrenz
152
Herrschaft der öffentlichen Meinung
89, 92
265,266
125,127,144,166 132,139 54,144
152,155,308
383
Kaffeehaus
92,93,95,97,105,106,
116,124 Kalkulation
Kornmunikationsapparate 290 Kommunikationsbereich
149,289
72,354,356,
357f-
Kalkulation, sozialpsychologisch 3 2 1
Kommunikationsfluß
Kapital 7 1 ff., 1 1 1 , 1 4 7 , 1 5 8 , 203
Kommunikationsmittel 287
Kapital, Akkumulation des
Kommunikationsprozeß
111,203
Kapital, industrielles 1 2 3 Kapitalismus
301,316 118,315,
316,325,326,349,355
73,77,97,122,128,148,
149,155,159,227
Kornmunikationsstruktur 350 Kommunikationszusammenhang 358,
Kapitalkonzentration 232
359
Karlsbader Beschlüsse 1 3 9
Kommunikatives Handeln
Kaufkraft 99
Kommunismus 222
Kirche 62, 66, 6 7 , 9 4 , 1 6 3
Konflikt 359
Kirchenrecht 145
Konformität
292,318,351
Klassen
Konkurrenz
146,147,148,153, 171,
68,134,160,175,177,196,
288
3 5 f.
187,284,285
Klassenantagonismus 288
Konkurrenzkapitalismus
Klasse, bürgerliche 158
Konsensus
Klassengegensatz 1 2 2
Konsum
Klassengesellschaft
Konsument
203,209
288,355 71,289
Klasse, herrschende 1 5 9
KonsLimenten
Klasseninteresse
Konsumbereich 3 1 9
151,159
148,223
153,184,291,359
90,308,320,354
Klasseninteresse, bürgerliches 202
Konsumgewohnheiten 3 1 8
Klassenpartei 303
Konsumkultur 3 1 8
Klassenunterschied 207
Konstitutientien, soziologische 3 1 3
Kleinfamilie
89,107,152
Kontrolle
Kleinfamilie, patriarchalische
111
Kleinwarenproduktion 70 Kleinwarenproduzenten Klubs
87, 1 4 7 , 1 5 5 , 1 7 2 , 1 8 0 , 3 0 9 ,
3n>335 Konzentrationsprozeß 286
158, 203
124,131,205,300
Konzert 88 Korporationen 1 2 8
K l u b , bürgerlicher 254
Korporationsprivilegien 75
Koalitionsverbot 146
Krieg 289
Kodifikation 144
Kritik
Körperschaft, öffentliche 67
91,92,102,103,116,127,165,
173,203,309
Kolonialismus 75
Kritik,öffentliche
Kommerzialisierung 284
Kritik, private 165
Kommerzienwirtschaft
Kritiker
Kommerzkapital
77
119,122
Kultur
89,131,135,167
8 3,91,166,167 88,98,191,254
Kommunifikation 300
Kultur, bürgerliche 63
Kommunikation
Kulturgütermarkt
55,62,71,72,89,
89,99,254
96, 1 4 2 , 1 5 4 , 1 8 3 , 290, 3 1 6 , 345,
Kulturindustrie 249
35
Kulturkonsum
1
Kommunikation, öffentliche
152, 312,
317,332,338,340,347,356,357 384
248,259
Kunst 9 0 , 9 1 , 9 3 , 9 7 , 9 8 , 1 0 2 , 1 0 6 , 1 3 5 , 166,186
Kunstkritik
1 0 2 , 1 0 3 , 106
Kunsttheorie
102, 1 0 9 , 1 1 0 , i i i , 1 2 0 , 1 2 3 , 1 4 2 ,
102
1 4 3 h , 146, 147, 1 4 8 , 1 5 0 , 158, 202, 284,287,327
Laissez-faire-Kapitalismus Landadel
147, 227
63,122
Landstände
Marktgesetze
Landrecht, allgemeines
144
124
law of opinion
355 328
286
Masse 99, 3 1 4 , 358 Massendemokratie
173,329
312
Massendemokratie, sozialstaatliche
Lehnsherrschaft
57,58
Lesegesellschaft
140,254
Lesepublikum
295 285
143 f., 384
Marktwirtschaft
186,189,190
312,314,344,357,359
84,101,107,115,156,
182,257
Massenkultur
307, 3 1 9
Massenmedien
54,55,284,285,287,
307,310,319,320,345,350,355,
Lesesaal 88 Lesezirkel
356,358 115
Leserbriefe
Massenmeinung
105
Liberalismus
Massenpresse Mediatisierung
270,339,345,347
Mehrwert
124
337
302 74, 86, 3 3 1 , 347
203
Meinung 94, 1 3 2 , 1 3 8 , 1 4 0 , 159, 1 6 1 ,
182
Literatur 9 1 , 9 2 , 93, 97, 99, 1 0 6 , 1 1 5 ,
164,167,168,172,297,301, 313, 349,350,352,353,358
125,130,355 Literaturkritik
104,106
Meinung, nichtöffentliche
171,172,
3 2 1 f r . , 323fr., 336, 343, 346, 353,
Logen 95 Lohnarbeit
348
Massenorganisation
1 6 1 , 168, 198, 2 1 0 , 2 1 9 ,
Licensing Act Literaten
Marktmechanismus Marktverkehr
56
Lebenszusammenhang Legislative
286,319
150
Markttransparenz
Leben, öffentliches Legalität
285
Marktforschung
87
law of Übel
Marktanteile
146,187
Lohnarbeiter
35 5,359
1 4 7 , 1 8 7 , 203, 208
Lohnregulierung
146
Lumpenproletariat
Meinung, öffentliche
51,54,55,84,
9 0 , 1 1 6 , 1 1 9 , 1 2 0 , 1 2 1 , 1 2 5 , 1 2 8 , 130,
100
131,136,144,151,152,153,154, 155, 1 5 9 , 1 6 1 , 162,164, 166,167,
Macht
66,87,97,149,203,284,297,
302,342
1 7 7 , 1 9 4 , 1 9 5 , 1 9 6 , 1 9 7 , 1 9 8 , 199,
Machtausgleich
342!:., 359
Machtkonstellationen Machtpositionen Machtübertragung Machtvollzug Mandat
296
335 293
294, 342, 343, 3 50, 3 59
305
Manipulation Manufaktur
168,170,171,173,174, 175,176,
317,321,322,352 75,122
Markt 70L, 7 3 , 7 7 , 78, 8 2 , 9 7 , 1 0 0 ,
200, 2 0 1 , 202, 203,209, 2 1 4 , 2 1 5 , 2 1 6 , 2 1 8 , 2 9 1 , 293,299, 3 1 6 , 3 1 7 , 323, 324, 327, 336, 343, 345, 346, 347,348,349,350,351,353,354, 356, 357, 359 Meinung, öffentlich-manfestierte
356,
359 Meinung,politische
320,323,353,
357 385
Meinung, quasi-öffentliche
355,356,
308, 309, 3 1 0 , 320,
1 2 1 , 1 2 3 , 1 2 6 , 1 2 7 , 1 2 9 , 1 3 1 , 136, 137,139,140,142,143,144,148,
33 5.347 Meinungsforschung Meinungsfreiheit
150,153,155,157,159,163,173,
319,351
175,179,180,182,184,188,189,
153,311,332
Meinungsinhalte
1 9 2 , 1 9 3 , 1 9 4 , 1 9 5 , 1 9 8 , 1 9 9 , 201,
355
Meinungsklima
203, 204, 207, 208, 209, 2 1 4 , 2 1 5 ,
321
Meinungslenkung Meinungspflege
223, 224, 229, 245, 246, 2 6 1 , 273,
293
284, 288, 292, 294,295, 299, 3 0 1 ,
289
Meinungsprestige
303,306,307,309,311,312,313,
354
Meinungsprozeß
3 1 4 , 3 1 9 , 320, 3 2 1 , 322, 3 2 3 , 326,
350,358
Menschenrechte
1 3 7 t . , 3 1 5 , 328, 330
Merkantilismus
73, 8 2 , 1 2 2 , 1 4 3 , 1 6 8 ,
221
328h,331,332,338,342, 349,351, 354. 35 5:-357. 3 5 . 3 5 9 8
Öffentlichkeit, bürgerliche
Minderheit
129
Mittelalter Mobilität
132,327
106,107,116,119,120,142,156,
5 7 h , 59, 6 2 h , 94
Mittelstand
1 5 9 , 1 6 0 , 1 6 1 , 1 7 8 , 1 8 5 , 200, 202,
88,128
203, 204, 205, 207, 209, 2 1 0 , 2 1 1 ,
158
223, 224, 225, 226,269, 2 7 1 , 302,
96,164,178,179,185,186,188,
1 9 0 , 1 9 1 , 1 9 3 , 1 9 5 , 200 Moralität
51,52,53,
57, 69, 70, 82, 86, 87, 88, 8 9 , 9 5 , 9 6 ,
Mitbestimmung
Moral
60, 6 2 , 6 3 , 6 7 , 69, 74, 76,79, 84, 88, 90,91,95,96, t o i , 109,116,120,
357.359 Meinungsbildung
3 1 3 . 3!4> 335> 3 3 ^ 3 3 7 . 3 3 8 , 343f-. 359
188,191,193,200
Öffentlichkeit, demokratische
316,
_ 3M. 33 .345 8
Nachrichten
73,78,84
Nachrichtenverkehr Nation
71,73,74,78
73,158
Nationalversammlung Natur
Öffentlichkeit, höfische
188,190,195
N a t u r recht
145
Naturwüchsigkeit Naturzustand Naturzwang
Öffentlichkeit, manipulierte
Normensystem
tierte
116
Öffentlichkeit, Organe der
337 345
144
146,152
Obrigkeit 66, 74, 75, 76, 79, 80, 82, 84, 134,145,163,215,322
386
55
Öffentlichkeit, organisationsinterne
150
339. 357. 359 Öffentlichkeit, parlamentarische Öffentlichkeit, plebejische Öffentlichkeit, plebiszitäre Öffentlichkeit, politische
Öffentlichkeit
321
Öffentlichkeit, obrigkeitlich reglemen-
170,171
N o r m e n , verfassungsrechtliche Normierung
1 1 5 , 1 1 6 , 1 1 9 ff., 1 6 0 , 1 8 8 , 2 4 7 , 2 5 7 ,
185,188,194
N o r m e n , generelle
63, 90, 98
259, 266f., 284
172
Neomerkantilismus
108, 109 57
Öffentlichkeit, literarische 88, 89,90,
186,191
Naturbasis
Öffentlichkeit, hellenische
Öffentlichkeit, hergestellte 3 2 3 , 324
301
179,183,193,196
Naturanlage
Öffentlichkeit, großfamiliale
54,55,56,57,58,59,
308 87,120,121,
1 3 6 , 1 4 7 , 1 8 8 , 205, 2 1 3 , 257, 267, 296, 3 1 1 , 3 1 7 , 3 1 8 , 3 1 9 , 320, 326, 332,336,337,338,353
306
16 f., 5 2
Öffentlichkeit, politisch fungierende 88, in,
136, 1 3 7 , 1 4 0 , 1 4 7 , 1 5 3 , 1 5 4 ,
Parlamentarismus
303
Parlamentsabsolutismus
156,159,160,169,173,177,183,186,
Parlamentsprivileg
187,201,202,222,269,273,313,330,
Partei
3 3 , 3 3 , 3 3 7 , 3 3 ^ , 3 4 2 , 3 4 5 , 3 5 , 353
Parteien
1
6
J
Öffentlichkeit, Prinzip der 3 3 8 , 3 3 9 Öffentlichkeit, refeudalisierte
299
190,205,301,305,316,317 1 3 0 ff., 1 3 9 , 1 4 1 , 1 5 3 , 2 9 3 , 3 0 0 ,
309,319,323,336,339,346,357 Parteiapparat 303
Öffentlichkeit, reglementierte 5 2
Parteibeauftragter
Öffentlichkeit, repräsentative
Passivbürger
157
paterfamilias
58,77
17,5 7,
6of., 63 ff., 68 f., 7 2 , 8 8 , 9 5 , 1 0 1 , 2 1 8 Öffentlichkeit, Strukturwandel der 27,
132
127,3 8 3
305
Person, öffentliche
68,69
Personalprivilegien 75
353 Öffentlichkeit, Zerfall der 17,5 4,5 7
Philosophie
Öffentlichkeitsarbeit
55,300,323,344
Physiokraten
Öffentlichkeitsersatz
69
Öffentlichkeitsgebot
309,311
Ökonomie
97,105,106 119,120,150,151,168,
169,170,173 Pluralismus Polemik
77
340,341
117
Ö k o n o m i e , klassische
150,157
Polis
Ö k o n o m i e , politische
77,202
Politik 5 4 , 7 5 , 8 3 , 9 5 , 1 1 8 , 1 2 4 h , 179,
Ö k o n o m i e , traditionelle Oikodespot Oikos
1 8 5 , 1 8 9 ff., 1 9 3 , 1 9 5 , 2 0 0 , 3 0 1 , 3 4 6
77,135
Politische Ö k o n o m i e
56h,77
Polizei 77,89
355
opinion publique
85,161,168,173,
126,130,138,166,346
Opposition, Theorie der Oppositionspartei Ordnung
Popularität
321,324
Preisbildung
174,199 Opposition
203,323
Presse 5 5 , 7 2 , 7 7 f r . , 8 3 , 8 9 , 1 2 3 f r . , 130, 133,138,141,153,164,171,204,301,
130
320,331
130,324
Presse, kritische
149,158
Ordnung, gerechte
179,185,199
Ordnung, gesellschaftliche Ordnung, natürliche Ordnung, politische
169,3 29
168,203,308
Ordnung, naturwüchsige
56,57,71,77,142,
Pressefreiheit
138,332,356
1 3 8 , 1 4 1 , 2 0 3 , 2 6 4 h , 332
Privataütonomie
153,157,203,208,336
Privatbetriebe 82 Privateigentum
153,216,240
Privateigentümer
Ordnung, soziale 77 Ordnung, weltbürgerliche
195,341 328
307
121,122,153,158,
i86ff., 197,209,284,295 Privatheit
312
Organisation, gesellschaftliche Organisationsprinzip
126
Presse, politische
Privatbereich 89
200
160,327
Organisationen
88,110,157,158,
197
56,57,77
opinion leaders
57,58,62
87,107,116,263
Privatinteressen
59,204,268,284,291,
295,311,329,337 Privatisierung 77,108 f., 188
Parlament 67,87,122ff., 1 3 4 , 1 3 9 , 1 4 2 , 151,205,223,295,300,304,328,338, 346
Privatleben 245 Privatleute
74,82,86ff.,95,104,
109 ff., 1 1 3 , 1 1 9 ff., 1 3 4 , 1 4 0 , 1 4 4 , 387
15 iff.,
156,160,170,189,198,201,
Publikum der Privatleute 3 14
203 f., 206, 208,226, 248 f., 268, 284,
Publikum,mediatisiertes
290, 293, 2 9 5 , 3 1 2 , 3 1 4 , 326ff., 3 3 2 ,
Publikum, politisch räsonierendes
337
1 2 5 , 1 6 8 , 1 6 9 , 1 8 6 , 246, 349
337,346,349,357 Privatleute, bürgerliche
121,291,314
Privatleute, räsonierende
52,115,178,
Publikum, räsonierendes
83, 9 6 , 1 2 2 ,
1 2 3 , 1 2 8 , 1 3 0 , 1 3 1 , 1 3 2 , 140, 159, 1 6 7 , 1 7 1 , 1 8 3 , 217, 284, 2 9 1 , 304,
196 Privatmann 65, 8 8 , 1 2 0 , 156ff., 203,
313,315,325,345,355 Publikum räsonierender Privatleute
328 Privatrecht
59,142,143,144,145,146,
291,313 Publizität
215,225 Privatrechtssystem Privatsphäre
55,71,76,78,84,87,96,
1 1 4 f., 1 1 6 , 1 1 9 , 1 2 1 , 1 4 6 , 1 9 3 f., 205,
143
56fr., 76t., 88ff., 108,
112,116,120,147h, 152,155,157, 1 5 9 , 1 7 0 , 1 7 9 , 1 8 9 , 1 9 8 , 2 0 1 , 208, 223, 224ff., 234,244, 2 6 1 , 272, 284, 303,328,333,351
2 1 3 , 273, 292ff., 299, 307, 3 1 0 , 3 2 1 , 337. 3 3 o 4 3 - > 3 5 ^ 3 59 Publizität, kritische 224, 338, 342, 343, 8
r
357 Publizität, manipulierte 3 3 7, 3 3 8
Privilegien 6 0 , 1 0 2 , 1 2 4 , 202
Publizistik
Produktion
Publizitätsanlässe
70,71,75,82,134
Produktionsmittel
158, 207
310,356 322,324
Publizitätsschwund 340
Produktionsprozeß 76, 2 8 5, 3 3 5 Räsonnement 9 7 , 1 1 9 , 1 2 3 , 1 6 4 , 284,
Produktionsverhältnisse 59 Produktionsweise 70, 7 5 ! , 1 2 2 , 128 Produktionsweise, kapitalistische 75,
Produzenten
1 5 8 , 340
15 8
Profitmaximierung
116,120 86ff., 107,
3
iof., i5,324,355 3
Räsonnement,politisches
57
88,120,132,
136,175,295
Psychologie 290 public opinion
Räsonnement, literarisches Räsonnement, öffentliches
1 0 8 , 1 1 8 , 1 4 4 , 1 5 2 , 1 7 3 , 2 5 1 , 288,
157
Proletariat 19 7 , 2 1 6 Protektionismus
130,136,
169,198323
122,123,143,146 Produktivkräfte
287,291,292,313,357 Räsonnement des Publikums
85,162,164,165,349
Räsonnement, publizistisches
public opinion research 54
Räte-System 223
public relations
Rang, öffentlicher
5 5, 299
Rationalität
publicity
55,56,308,309
Publikum
55, 66, 6 9 , 7 2 , 7 5 , Soff.,
60
1 1 9 , 1 4 9 , 285, 295, 296,
322,345
84fr.,90,9611., 106ff., Ii4ff.,
Rationalität, ökonomische 1 1 0
1 1 8 ff., I22f., I32,
Rationalisierung
I36, I4O, I44, I5I,
209,338
15 3 f f 1 5 9 , 1 6 3 , 1 7 0 , 1 7 4 , 1 7 5 , 1 8 0 ,
Recht 1 4 4 h , 1 8 5 , 1 9 0
189ff., 193 ff., 1 9 5 , 1 9 7 , 206, 208,
Recht, bürgerliches
2 1 1 , 2 1 5 , 246, 250, 267, 270, 272,
Recht, privates
284, 2 9 7 h , 3 1 0 , 3 1 2 , 3 1 5 , 3 2 0 h ,
Recht, römisches
325f>33 > 343>345ff>3$5 Publikum, bürgerliches 8 7 , 1 0 1 , 1 2 1 , 3 1 2 2
388
f
130
185
144 f. 56, 80, 145
Rechtsfähigkeit
143
Rechtsgeschäfte
143
Rechtslehre
Romantik, politische
161,192
Rechtsordnung
Rechtsphilosophie Rechtspflicht
Rundfunk
180 184
Salon 89ff., 9 5 , 9 7 , 1 0 1 ff., 1 0 7 , 1 0 9 ,
145,179
Rechtsprechung
329
1 1 5 h , 183
Rechtssicherheit
149
Sansculotten
Rechtsstaat
177
306, 320
1 4 8 , 1 5 1 , 1 5 5 h , 3 1 4 , 326,
177
Saysches Gesetz Schulbildung
337
158
157, 229
Selbstbestimmung
170
1 5 5 , 1 5 9 , 160, 176, 201 f., 204, 217,
Selbstentfremdung
170
33°>33 >343
Seibstverständnis, politisches
Rechtsstaat, bürgerlicher
142,150,
I
Rechtsstaat, demokratischer
322, 3 3 1
Rechtsstaat, liberaler 291, 308, 337,
Sklavenwirtschaft Souverän
8 4 , 1 7 3 , 179
Souveränität Rechtsstaat, parlamentarischer
173
Rechtsstaat, sozialer 322, 328, 3 3 1 f.,
117,132,152,167
Sozialismus
222
Sozialordnung
331
Sozialphilosophie
337 Rechtsstaatlichkeit Rechtsstaatsgedanke Redefreiheit
Sozialstaat
3 31
331
Refeudalisierung Reformation Reformbill
Sozialsphäre
149f., 334
Sozialstaatgebot
329,334
Sozialstaatsgedanke Sozialversicherung
129,136h, 142,151,181,
331 230
Staat 66f., 80, 88, 89h, 9 4 , 9 6 h , 1 5 0 , 1 6 3 , 1 6 5 , 1 6 8 , 1 8 0 , 1 9 4 , 198 ff., 204,
321,324,346,353
208, 225, 238, 2 7 0 , 2 7 2 , 3 1 1 , 3 2 6 h ,
1 3 0 , 324, 353
3 2 9 h , 3 3 2 , 3 3 7 h , 344
Reklame
285,324
Religion
67,135,163,349
Renaissance
233,293,309,326,328, I
292,337
77
Regierungspartei
118
120
336,344>3)' >353
128
Regierung
Staat,liberaler
328,336,339
Staat, politischer
5 7,61,70
206
Repräsentanz 304, 346
Staat, sozialer
Repräsentation 60, 62 ff., 68f., 7 9 , 9 2 ,
Staatsapparat 66, 8 9 , 1 6 3
Reproduktion, gesellschaftliche
88,
1 5 0 , 1 5 3 , 1 7 3 , 1 8 8 f . , 308,
325 f., 328, 329, 336 Staatsbürgerpublikum
98,336 Reproduktionsprozeß res publica
333
Staatsbürger
9 9 , 1 0 0 f . , 299, 304, 346
Revolution
88
56
76,141
Staatsformen
57 91,92,128,131,132,
Revolution, Französische Revolution, glorreiche
Revolutionsordnung Revolutionsverfassung
52, 84
122
Revolution, industrielle Revolution, politische
191
Staatsfunktion
149
Staatsgesellschaft
13 5 ff., 1 4 6 , 1 7 3 , 2 0 2
147 207
129 137
326, 344
Staatsdiener 66, 68
Staatsgewalt Staatsgut
335
1 2 2 h , 1 4 2 , 1 9 8 , 323, 331
74
Staatsorgan
124,151,154
Staatsrecht, bürgerliches
328
Staatstätigkeit 74, 1 5 0 , 1 5 2 Staatstheorie
1 1 8 , 348 389
Staatszeitung
Verbrauchererhaltung
79
Staatszielbestimmungen
Verbrauchssteuern
329
318
321
Stadt 70, 8 1 , 82, 89 ff., 95
Vereinigungsfreiheit
Stadtaristokratie 90
Vereinsfreiheit
Stadtwirtschaft
Vereinsrecht, bürgerliches
Stände
74
Verfassung
67,108
Stände, gebildete Ständestaat
Verfassung des liberalen Rechtsstaates
201
134,153
357
Ständeversammlung
117,121,128,
Verfassung, französische
132,136,198
Verfassung, Weimarer Verfassungsnormen
Status, sozialer
121
Verfassungs Wirklichkeit
Statusgruppen
287
Statusmerkmal
60
154, 343, 344 138,331,337,
338,353
74,335
Subjektivität
330
330
Status 60,97, 143, 157!"., 203
Steuerstaat
297
60,128,137,153,155,171,
173,179,188,192,201h,331,353
5 2, 8 0 , 1 3 9 , 1 5 7
Stände, politische
153
3 31 f.
8 7 , 1 1 3 ff., 1 1 9 , 1 2 1 , 2 6 1
Subjektivität, publikumsbezogene
88,
114
Verfügung, private
59
Verfügungsgewalt
58,87
Verhaltenserwartung Verhaltensmuster Verkehr
313,314
314
143,150,151,153,203
Verkehr, gesellschaftlicher Tagespresse
137,308
Tageszeitung
116,308
Tauschbeziehung Tauschprozeß Tauschverkehr
Versammlung
73
64,69,88,90,95
332
Versammlungsbildung
333
Versammlungsfreiheit
331
Vertrag
89,95,96h, 1 1 6
129f., 328
Transformation
66,116
87,96,120,151,160,165,
179ff., 188,194ff., 204,. 2 1 5 143
71,110,148
Tischgesellschaften Tories
Vernunft
149
Territorialwirtschaft Theater
Verkehrswirtschaft
143
Tauschverhältnisse
143 ff.
Vertragsfreiheit
145,203
Verwaltung 7 4 h , 79, 80, 83, 15 5, 293, 326,336
329.339.353 Verwaltung, öffentliche
Umfrageforschung
355
Verwaltungsakt
Verwaltungsfunktionen
Unabhängigkeit, private
Verwaltungsmaßnahmen
179
Unterkonsumtion Unternehmer
325
Verwaltungslehre 197
82
77 111,
204 Volk
52,65,80,100,108,117,184,
306,320,351
Verbände 293 f., 297 3 1 0 , 329, 3 3 3 ,
177,200 1 2 5 , 1 3 1 , 1 7 1 f., 3 4 7 h
Volkssouveränität
Verbraucher 288 Verbrauchergenossenschaft
Volksgeist
Volksmeinung
357
390
352
Verwertungsprozeß des Kapitals
146
Verbände, öffentliche
336
82
Untertanen 66, 75, 8of., 163 Unmüdigkeit
97
Verkehrsgesellschaft 295, 327
320
Volksvertretung
1 5 2 , 1 7 3 , 1 8 4 , 344 133,151
volonte generale 346
Werbefernsehen 287
Vorurteil
Werbefunk 287
165,178,344,349
Vorzensur
Werbetechniken 324
123,124
Werbeveranstaltung 320 Wähler
Wettbewerb
154,313,316
Wähler, fluktuierender
316
111,117,158,285
Wettbewerbsordnung 2 1 3
Wählergruppen 3 1 7 , 3 1 8
Whigs
Wählerschaft, Desintegration 320
Willensbildung 309f., 322
Wählerstamm 3 1 6
Willensbildung, massendemokratische
Wählerpublikum Wahl
3 1 4 , 3 16
316,324
129 h, 133
347 Willensbildung,öffentliche
336
Wahlberechtigte 3 1 7
Willensbildung, politische 303
Wahlbeteiligung 3 1 8
Wirtschaft 75
Wahlentscheidung 3 1 7 , 3 1 9
Wirtschaftsgesinnung
Wahlkampf
Wirtschaftsordnung
3 2 1 , 3 2 2 , 325
66 331
Wahlmanager 3 1 7
Wirtschafts verbände 3 3 6
Wahlprogramm
Wissenschaft
Wahlrecht
132
132,153,157,205,213
Wahlrechtsreform
139, 204, 2 1 3
Wahlregie 322
88, 166
Wochenblätter
127
Wochenschriften, moralische
105,
106
Wahlveranstalter 3 1 6
Wohl, gemeines
Wahlverhalten
Wohlfahrt
312,315
Warenbesitzer 88, 1 1 0 , 1 4 4 , 1 4 9 , 1 5 3 ,
59, 190
145, 190, 1 9 1 , 193
Wohlfahrtsstaat 334
i86ff.,203 Warenform
Zeitschriften
88,102
Warenverkehr 70, 8 6,90 f., 1 1 7 , 1 4 2 , 144,146,194,203,334,346 Warenprod uktion
157
83, 104, 1 2 4 , 1 4 0 , 287
Zeitung 70, 77, 7 8 , 8 3 , 1 0 5 , 138ff., 287,289 Zeitungen,politische 77ff., 125
Weekend-Presse 257
Zensur
Wehrpflicht 229
Zi vilrecht, modernes 59
Weltbürgertum
18 2
124,133,138,164,172
Zivilsocietät
117
Weltwirtschaftskrise 286
Zünfte 70
Werbung
Zuschauerpublikum
267,284,285
Werbeaufwand 286
Zwang
101
110,287,318
391