MANNHEIMER BEITRAGE ZUR SPRACH- UND LITERATURWISSENSCHAFT herausgegeben von PETER BROCKMEIER· ULRICH HALFMANN . HANS-Jü...
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MANNHEIMER BEITRAGE ZUR SPRACH- UND LITERATURWISSENSCHAFT herausgegeben von PETER BROCKMEIER· ULRICH HALFMANN . HANS-JüRGEN HORN lind HARTMUT LAUFHüTTE
Band 9
Sigrid Scllweinfurtll-W alla
Studien zu den rhetoriscliel1. überzeugurlgstuitteln bei Cicero und Aristoteles
~
Gunter Narr Verlag Tübingen
CI P-Kurztitelaufrzahme der Deutschen Bibliothek Schweinfurth-Walla, Sigrid: Studien zu den rhetorischen überzeugungsmitteln bei Cicero und Aristoteles I Sigrid Schweinfurth-Walla. - Tübin~en : Narr, 1986. (Mannheimer Beiträge zur Sprach- und Literaturwissenschaft: Bd. 9) ISBN 3 -87808-486-2 NE:GT
© 1986· Gunter Narr Verlag Tübingen Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder Vervielfältigung, auch auszugsweise, in allen Formen wie Mikrofilm, Xerographie, Mikrofiche, Mikrocard, Offset verboten. Druck: Gulde, Tiibingen Printed in Germany ISBN 3-87808-486-2
VOR W 0 R T
Während der Entstehung dieser Untersuchung wurde mir in vielfacher Weise Hilfe zuteil, flir die ich mich an dieser Stelle bedanken möchte. Flir die Betreuung der Arbeit, flir sachliche Kritik und Geduld gilt besonderer Dank meinem Lehrer und
"Doktorvater" Herrn
Prof. Horn ebenso wie dem Korreferenten Herrn Prof. Cardauns. Auch den Herausgebern der "Mannheimer Beiträge" Prof. Brockmeier, Prof.Halfmann, Prof. Horn und Prof. Laufhlitte
bin ich
für die Aufnahme des Buches in diese Reihe dankbar. Der kritische Rat von Dr. Schröder, der mir vor allem bei der Auseinandersetzung mit der aristotelischen Rhetorik viele Hinweise gab und mich auf einzelne Fehler aufmerksam machte, war mir ferner eine wertvolle Hilfe. Nicht zuletzt möchte ich mich aber auch bei den Sekretärinnen und den wissenschaftlichen Hilfskräften bedanken, die teils durch die Ubernahme von Korrekturarbeiten, teils auch durch ein aufmunterndes Wort zum Gelingen der Arbeit beitrugen.
Mannheim, im Juli 1985
S.Schweinfurth-Walla
InhaJ_tsverzeichnis
Einleitung
'f-
2
Die aristotelische Rhetorik in der Forschung
15
2.1
Die Beziehun<::r von Rhetorik und Dialektik
'19
2.2
Definition und Themenbereich der Rhetorik
24
2.3
Die Überzeugungsmittel
30
2.3.1
Die logische Argumentation: Enthymem und Paradeigma
38
2.3.1.1
Die Prämissen des Enthymems und ihr syllogistischer Wert
39
2.3.1.1.1
Die
43
2.3.1.1.2
Das notwendige Zeichen
2.3.1.1.3
Die nicht notwendigen Zeichen
49
2.3.1.1.4
Das Beispiel
53
2.3.1.1.5
Die yvw~n Enthymems
2.3.2
Das ethische Überzeugungsmittel
65
2.3.3
Die Affekterregung
72
2.4
Der Wahrheitsbezug der Rhetorik
80
3
Ciceros Schwerpunktverlagerung: r6mische occupatio und griechisches otium
84
3.1
Rhetorik -
86
3.2
Die Definition des Redners
100
3.3
Die rhetorischen Überzeugungsmittel
118
wahrsche~nl~chen
(Sentenz)
Prämissen (Indiz)
als Teil des
eine ars?
45
63
VIII
3.3.1
Die logische überzeugung: probare
130
3.3.'1.1
'Necessaria' und 'Probabilia'
1 31
3.3.1.2
Die induktive Argumentation
147
3.3.1.3
Die deduktive Argumen-tation
155
3.3.2
Das ethische überzeugungsmittel
169
3.3.2.1
Die Captatio benevolentiae
175
3.3.3
Das pathetische Uberzeugungsmittel
181
3.3.3.1
Enumeratio, indignatio, conquestio
184
3.3.3.2
Antonius' Behandlung der Affektenlehre
190
3.4
Die Sicherung der Rhetorik vor Mißbrauch
203
3.5
Ciceros Eklektizismus
207
4
Schlußbemerkung
214
Literaturverzeichnis
219
Index
228
Einleitung Je mehr sich heute eine Skepsis gegenüber verbindlichen Normen ausbreitet,
je mehr diese also als Orientierungshilfe für Ent-
scheidungen, die im Bereich menschlichen Lebens zu fällen sind, entfallen, desto stärker wird das Bedürfnis, Mittel und Wege zu finden, um diejenigen Gründe zu erhellen, die für oder gegen eine Wahl sprechen. Will man sich nicht mehr blindem Zufall oder dumpfer Gewohnhej_ t überlassen 1 ), so bedarf es einer Methode, die den Zugang zu zweifelhaften, weil nicht wissenschaftlich erfaßbaren, Sachverhalten ermöglicht. Der wichtigste Weg zur Lösung eines Problems besteht in dessen rationaler Analyse, genauer gesagt in der argumentativen Überprüfung von Für und Wider einer Entscheidung. Die Rhetorik als
l:"~XVn
vermittelt das nötige Instrumentarium für
den logischen Zugang zu einem problematischen Sachverhalt. Sie lehrt, das Überzeugende einer jeden Angelegenheit in den Blick 2 zu nehmen ), und sie entwickelt Strategien, andere Menschen von der Richtigkeit des vertretenen Standpunktes zu überzeugen. Aus diesem Grund bietet die Beredsamkeit gerade bei Dingen im Bereich des menschlichen Lebens und des praktischen Alltags, die ja meist nicht wissenschaftlich beweisbar sind, eine wertvolle Entscheidungshilfe; Rhetorik verleiht also, wie es J.Kopperschmidt treffend ausdrückte,
"praktischem Handeln situative
I)
Rhet.1354a8-11 behandelt Aristoteles die Möglichkeit, eine Theorie der Beredsamkeit auf empirischer Basis, d.h. aufgrund der Beobachtung von ungeplanter oder gewohnheitsmäßiger Rede, zu erschließen. Vgl. zu dieser Stelle pp.2-3; 73-74; 192-93.
2)
Vgl. dazu auch die aristotelische Definition der Rhetorik IJ55b26-27. Siehe pp.6ff.
2
Orientierung und Aufklärung".
Zu Recht weist Kopperschmidt auf
die Verbindung zwischen freier öffentlicher Rede und einer sie ermöglichenden freien Gesellschaftsform hin 1 ), d.h. einer Gesellschaftsform, in der nicht Zwang und Unterdrückung, sondern die Möglichkeit gumentation
freier Meinungsbildung und die Macht der besseren ArZll
Entscheidungen führen.
Diese Gesellschaft setzt
freilich die Fähigkeit voraus, sich der "zwanglosen Gewalt des besseren Arguments zu unterwerfen".2)
Den politischen Aspekt der
Rhetorik betont Kopperschmidt auch, indern er es sich zum Ziel setzt,"die Räson zum Reden zu bringen, d.h. die Vernunft zur Sprache kommen zu lassen und damit öffentlich werden zu lassen".3) Zentrale Bedeutung gesteht Kopperschmidt ferner der
sprachlic~.~en
Problematisierung handlungs leitender Normen zu, die meist durch Fragen signalisiert wird 4 ), und er verweist in diesem Zusammenhang auf H.G.Gadamer; dieser mißt im Zuge seiner Explikation geisteswissenschaftlicher Erkenntnisweise der Frage den hermeneutischen Vorrang
ein, "weil sie aufgrund der Prohlematisierung
und der damit verbundenen Thematisierung handlungs leitender Normen deren Aufklärung ermöglicht. ,,5)
1)
J.
Kopperschmidt,
Rhetorik,
Stuttgart
1973,
pp.II-IZ.
2)
J.
3)
Kopperschr.lidt,
4)
Op.cit.,
5)
H.G.Gadamer, Wahrheit und Methode, Tlibingen, 3.Auflage 1973, p.364. Zum hermeneutischen Aspekt der Rhetorik, der von der durch die Sprache geleisteten Auslegung der Wirklichkeit ausgeht, vgl. auch. K.O.Apel, Wittgenstein und das Problem des hermeneutischen Verstehens, in: ders., Transformation der Philosophie I, Frankfurt 1973, pp.335-377.
Habermas, Vorbereitende Bemerkungen zu einer Theorie der kommunikativen Kompetenz, in: Habermas/Luhman, Theorie der Gesellsc.haft oder Sozialtechnologie, Frankfurt 1971. pp.lol141. p.190.
pp.39-40.
3
Neben der politisch und der hermeneutisch verstandenen Rhetorik hat sich ferner nach dem Muster kommunikationswissenschaftlicher Denkansätze aus verschiedenen Richtungen eine neue Rhetorik entwickelt: Ch. Perelman und L.Olbrechts-Tyteca begründeten eine "Theorie der Argumentation", die an die Antike anknüpft. Nach Ansicht der Autoren gibt es in den politischen, sozialen und moralischen Bereichen des Lebens keine "evidence", so daß es hier einer Argumentationstheorie bedarf, die in einer "etude des techniques discursives permettant de provoquer ou d'accroitre l'adhesion des esprits aux theses qu'on presente ment" bestehen müßte. 1)
a
leur assenti-
Auf die Notwendigkeit einer philosophisch begründeten Rhetorik wies zuvor schon I.A.Richards hin, der sich vor allem um die Vermeidung von Mißverständnissen innerhalb der Kommunikation bemüht und dies für wichtiger hält, als erfolgreiche Persuasionstaktiken zu erarbeiten. 2 ) Neben dieser philosophischen NeubegrUndung wurde besonders im französischen Sprachraum in den sechziger Jahren eine Neuinterpretation der Rhetorik nach modernen linguistischen Begriffen ein-geleitet. Hinzuweisen ist hier vor allem auf eine Gruppe von Wissensehaftlern in Liege, die sich in Anlehnung
an die Initiale des
griechischen Wortes lJ.ETac.por::'6. "graupe lJ." nenntisie versteht Rhetorik als Abweichung von der normalen Sprache und versucht, die Dif-
I)
eh. Perelman und L.Olbrechts-Tyteca, Trait~ de l'Argumentation La nouvelle Rhetorique. 2.Auflage, Brüssel 1970.
2)
I.A.Richards, The Philosophy of Rhetoric. Oxford 1936, nachgedr. 1971. Der Sinn einer Aussage ergibt 3ich nach Richards nicht aus dem einzelnen Wort, sondern aus dem gesamten Kontext: " . . . we are things peculiarly responsive to other things" (p.29). Durch den Verzicht auf eine Klassifizierung rhetorischer Figuren distanziert sich Richards von einer "rhetorique restrainte", d.h. von einer allein auf die Figurenlehre beschränkten Rhetorik. Zu diesem Reduktionsprozeß vgl. p.VII.
4
ferenz vom'degr~ z~ro'
zu systematisieren') ,indem sie die rheto-
rischen Figuren mit den kritischen Methoden der strukturalistischen Sprachwissenschaft untersucht. Ferner bemühen sich die Autoren um einen Vorstoß in den Bereich einer "allgemeinen Rhetorik"
, analysieren die Figurenproduktion
zwischen Konununika-
tionspartnern und unternehmen erste Schritte Semiologie. 2 )
in das Gebiet der
Während G.Genette in einer Konzentration der Rhetorik auf die elocutio die Gründe für den Niedergang der Beredsamkeit sieht 3 ) , macht P.Ricoeur dafür nicht allein die Reduktion auf die Figu:renlehre, sondern auch die falsche Auffassung jener Figuren verantwortlich; seiner Ansicht nach dürfen diese nicht isoliert, sondern müssen inuner im Zusanunenhang mit dem ganzen Satz, ja dem ganzen Text gesehen werden. 4 ) Der "nouvelle rh~torique" lastet Ricoeur an, sie erschöpfe sich in der Theorie, mißverstehe die besondere Aufgabe der Metapher und beschränke sich darauf, den Primat des Wortes zu bestätigen. 5 ) Stattdessen muß sich die Rhetorik nach Ansicht Ricoeurs von der Diktatur des Wortes lösen und sich auf die semantische und schließlich auf die hermeneutische Ebene begeben.
I)
J. Dubois, Rhetorique generale Paris 1970. Dabei wird ein Grundmuster fUr die Erklärung jener Abweichungen erstellt, die nach Ansicht der groupe ~ aus vier Operationen bestehen, nämlich Hinzufügung, Auslassung, Umstellung und Substitution sprachlicher Einheiten.
2)
Op.
3)
G. Genette, La Rhetorique Restrainte, in: Communications 16, 1970, pp. 158-171. Vgl. zu diesem Reduktionsprozeß auch R. Barthes, L.Ancienne Rhetorique, in: Communications 16, 1970, pp.179-229, der p.193 die elocutio als den "paradigmatischen" Pol der dispositio als dem "syntagmatischen" Pol gegenüberstellt.
4)
P.
5)
Op.
cit.,
p.260.
Ricoeur, cit.,
La Metaphore Vive,
pp.9;
173ff.
Paris
1975.
5
Wie aus dieser kurzen, skizzenhaften Darstellung hervorgeht, die Diskussion
ist
um die Beredsamkeit nach langen Zeiten des Schwei-
gens in unserem Jahrhundert neu entflammt. Die Rhetorik erfreut sich eines lebhaften Interesses und gewinnt zunehmend an Bedeutung. In der Vergangenheit
waren die Zugänge zur Beredsamkeit jedoch
oft verstellt. Die Tatsache, daß sie sich meist im Bereich menschlichen Seins und Handeins bewegt, das nicht mit wissenschaftlicher Exaktheit bestimmt werden kann, wurde der Rhetorik oft zum Vorwurf gemacht, besonders in Zeiten, die sich an den Gesetzen mathematisch-naturwissenschaftlichen Denkens orientierten. Da die Geschichte der Beredsamkeit hier nicht in allen Einzelheiten aufgezeigt werden kann, sei exemplarisch
auf zwei Texte der begin-
nenden Neuzeit verwiesen. John Lackes Essay Concerning Human Understanding kann als die erste große Systematik des englischen Empirismus und damit als einer der philosophischen Grundtexte der Neuzeit gelten. Durch seine Erkenntnis des Gesetzes:
"Nihil est in intellectu, guod
non ante fuerit in sensu",Uberwindet Locke die Scholastik mit ihrem Glauben an ideae innatae, d.h. dem Denken von Natur her innewohnende Vorstellungen und öffnet damit das Tor zu neuzeitlicher empirischer Wissenschaftsmethode.
Im zehnten Kapitel des dritten
Buches wirft Locke nun der Rhetorik vor, sie sei in allen Texten, in denen "information and improvement" gesucht werden, nicht nur nutzlos, sondern gewähre sogar falschen Vorstellungen
Einlaß.
Sie verstelle durch Mehrdeutigkeit den Zugang zur ursprlinglichen Einfachheit der Strukturen. Sie täusche. Der strengen Suche nach Wahrheit arbeite die Rhetorik also entgegen. So müsse sie zu den Mißbräuchen der Sprache gerechnet werden.')
I)
J.Locke, An Essay Conc2rning (p.508 Nidditsch).
Human
Understanding,
111.10.3 l l ,
6
Um deutlicher zu machen , worin die aufklärerische Kritik an der Rhetorik VJurzelt, sei auf einen Passus der zweiten cartesianisehen "Regula ad directionem ingenii" hingewiesen. Diese zweite Regula besagt, daß sich der menschliche Geist allein mit solchen Gegenständen befassen soll, zu deren zuverlässiger Erkenntnis er in der Lage ist. Der Schlußabsatz lautet: " FUrwahr aus alledem folgt, nicht zwar, daß man allein Arithmetik und Geometrie betreiben soll, aber doch, daß diejenigen, die den rechten Weg zur Wahrheit suchen, sich mit keinem Gegenstand beschäftigen dUrfen, von dem sie nicht eine den arithmetischen und geometrischen Beweisen gleichwertige Gewißheit zu erlangen
imstande sind.,,1)
Hier scheint die aufklärerische Kritik eine ihrer Wurzeln zu offenbaren.
Die Rhetorik bewegt sich im Bereich des Wahrscheinli-
chen,Descartes aber fordert, bei der Suche nach der Wahrheit nur mit solchen Gegenständen umzugehen, die eine den mathematischen oder geometrischen Beweisen gleiche Gewissheit ermöglichen. Dazu ist die Beredsamkeit jedoch nicht in der Lage, da sich die meisten Dinge,im Bereich menschlichen Seins und Handelns nicht mit Notwendigkeit, sondern nur nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit ereignen. Denker wie Gian Battista Vico konnten dieser aufklärerischen Kritik, die in einer Ablehnung all dessen wurzelt, was nicht wissenschaftlich nachweisbar ist,
auch nur in begrenztem Maß
entgegenwirken. Vico bestreitet zwar nicht die VorzUge der kritischen Wissenschaft, verweist diese aber in ihre Grenzen. Er wendet sich gegen jeden Rigorismus und fordert eine Ausbildung des 'sensus
I)
Zitiert nach der Übersetzung von Kopperschmidt, p.II:;. Zu der cartesianischen Kritik an der Rhetorik vgl. auch op.cit. ,pp. 115-17; 125ff; Gadamer, p.17; sowie H.Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit, Frankfurt 1956, pp.17; 48-49; 99ff.
7
cOInmunis' und das humanist:ische Ideal der Eloquenz 1). Zu Be-ginn des siebten Kapitels seiner lateinischen Methodenschrift " De nostri temporis studiorum ratione" stellt Vico fest: " Sed illum inconunodum nostrae studiorum rationis maximum est, quod cum naturalibus doctrinis impensissime studeamus, moralern non tanti facimus, et eam potissimum partern, quae de humani animi ingenio eiusgue passionibus ad vitam civilern et ad eloguentiam accommodate, de propriis virtutum ac viciorum notis, de bonis rnalisque artibus, de morum chracteribus pro cuiusque aetate, sexu,condicione, fortuna, gente, re publica, et de illa decori arte omnium difficillima disserit ... ,,2). Bereits der Anfang des Textes ist deutlich gegen den Gewi3heitsanspruch der "Regula ad directionem ingenii" des Descartes gerichtet: Vico kritisiert die Konzentration auf die Naturwissenschaft, wo sich dieser Anspruch verwirklichen läßt und beklagt die Vernachlässigung der Sittenlehre und
i~lrer
gesellschaftli-
chen und politischen Auswirkungen. Dieser Bereich wird im zitierten Text vertreten durch 'ingenium', artes'
'passiones' ,
'bonae et malae
und 'mores'; diese mores werden 'l'Iiederurn zu Funktionen
von Alter, Geschlecht, Lebensbedingungen, Verm6gen, Herkunft und Staatswesen in Beziehung gesetzt. Gemeinsam ist all diesen Begriffen das Veränderliche, dem nicht mit einem mathematischen Gewißheitsanspruch beizukommen ist. Aus diesem Grund, so fMhrt Vico fort, Menschen nic!"lt,
erforschen wir die rlatur des
" quia est ab arbitrio incertissima,,3) .
I)
Gian Battista Vico, De nostri temporis studiorum ratione,lat.dt. von H.Otto, Godesherg 19l~7, nachgedr. n.armstadt 1947.
2)
üp.
3)
cit.,
p.58.
Ibid. Problematisch ist der Begriff "arbit:ciu;n"; ich halte tos Übe r set z u n g dur c. h " Will kür" für v ijJ 1 i gun ver ein bar mit dem Zusammenhang und schlage stattdessen eine Ubertragung durch"Ni.11ensfreiheit' oder'freies menschliches Ermessen'vor.
ot
8
Die Willensfreiheit ist es also, die für das Inkonstante innerhalb menschlichen Lebens verantwortlich ist. Im weiteren Textverlauf stellt vico immer deutlicher dem mathematischen Gewißheitsanspruch eine Praxis gegenüber, die sich nicht an einer starren, verbindlichen Norm orientiert, sondern die jede Handlung nach flexiblen, ihr angemessenen Maßstäben beurteilt. 1 ) Vico mißt also dem Begriff der "Billigkeit" zentrale Bedeutung zu und widerspricht so dem cartesianischen Gewißheitsanspruch. Allerdings konnte sich Vicos Besinnung auf den Humanismus und dessen Quellen, besonders auf Aristoteles, sowie seine Auffassung der Beredsamkeit nicht dursetzen. Zu Recht hebt Gadamer die Bedeutung Vicos hervor, der die Verbindung von Rhetorik und praktisch-politischem Handeln betont und auf die M5glichkeiten verweist, die die Beredsamkeit zur argumentativen Prüfung und Klärung von Sachverhalten 2 bietet ); Gadamer betont aber auch, daß Vicos Einfluß aaf das 18. Jahrhundert kaum merklich ist. Stattdessen geriet die Rhetorik immer stärker in Mißkredit und wird schließlich gar als "Reservoir stilistisch-dekorativer und 3 persuasiv-manipulatorischer Redekniffe" bezeichnet ). Gerade auf dem Hintergrund dieser Diffamierung stellt sich die Frage nach dem Wahrheitsbezug der Beredsamkeit mit um so gr5ßerer Dringlichkeit. Darf der Redner manipulatorisch auf sein publikum einwirken oder gibt es bestimmte Richtlinien, an die er sich halten
und die er bei seinem Versuch,das Publikum zu überzeugen,
beachten muß?
I)
2)
3)
Vico,pp.58-59. Mit dem Bild der Meßschnur von Lesbos, die dann angewandt wird, wenn" das Lineal des Gesetzes zu gradlinig und zu starr ist",und die sich stattdessen an den jeweiligen Einzelfall anpaßt, greift Vico, p. 60, auf EN 1137 b30 zurück. Gadamer, pp.16-19. Zu Vico vgl. auch K.O.Apel, Die Idee der Sprache in der Tradition des Humanismus von Dante bis Vico, Bonn,1973,p.102f; 157f; 318f; ferner Kopperschmidt, p.116~17. J.
Nieraad,
Bildgesegnet und
Bildverflucht,
Darmstadt
1977,p.l0
9
Die vorliegende Arbeit versucht, diese Frage vor dem Hintergrund der aristotelischen Rhetorik für die rhetorischen Schriften Ciceros zu beantworten. Aristoteles, der als erster systematisch Wesen und Charakter der BeredsarnJ<.ei tuntersucht, beantwortet die Frage nach der moralischen Verpflichtung von Redner und Rhetorik klar und eindeutig: Kernstück des gesamten überzeugungsprozesses ist nach 1 aristotelischer Auffassung der logisch-argumentative Beweis ) i andere überzeugungsmittel, wie etwa die Erregung qewisser,
für
den Verlauf der Rede günstiger Affekte im Hörer, sind nur unter bestimmten Bedingungen zulässig und werden der rationalen Argumentation untergeordnet. Vor diesem Hintergrund stellt sich das Problem, wie Cicero, der 2 bereits in der Antike als einer der bedeutendsten Redner galt ) , die Frage nach der moralischen Verpflichtung, unter deren Anspruch Redner und Rhetorik im allgemeinen stehen, beantwortet. Dieses Problem erhebt sich auch und gerade wegen der unterschiedlichen Wertung, die Ciceros Werk und Person in den letzten beiden Jahrhunderten erfuhren. 3 ) Einerseits galt Cicero als eine "Journalistennatur im schlechtesten Sinn des wortes"4), andererseits wurde er -
und dies wohl zu Recht - als Begründer
I)
Rhet.1354aI3.
2)
Ve 11. Pa t . 1 . 1 7 .3;
3)
Vgl. dazu bes. derte, 4.Aufl.
4)
Th.Mornrnsen, RHm. Geschichte, Bd.3, 9.Aufl. Berlin 1904, pp.619-24, (= Ciceros rhetorische Leistung, ed. B.Kytzler, Darmstadt 1973, pp.I-5). Dagegen bereits F.G:undolf, Caesar im 19. Jahrhundert, Berlin 1926, pp.57-62. nachgedr. in: Ciceros literarische Leistung, pp.6-10. P.Boyanc~, Le probl~me de Ciciron, Etudes sur l'humanisrne cic~ronien, Collection 121, Brüssel 1970, pp.19-36, nachgedr. in: Ciceros literarische Leistung, pp.11-32.
Qu in t .,
Ins t
Th.Zielinski, Leipzig 1929.
.0
r . X. 1 .
Cicero
im Wandel der Jahrhun-
10
humanistischen Denkens und als der Repräsentan-t römischer 'humanitas' betrachtet.') Da Cicero in wesentlichen Punkten auf die Rhetorik des Aristoteies zurückgreift, ist zu untersuchen, ob er die Frage nach dem Verhältnis von Rhetorik und Wahrheit ebenso eindeutig wie Aristoteles beantwortet. Im Zusammenhang damit stellt sich auch das Problem des gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnisses. Steht für den ciceronischen 'orator perfectus' ebenfalls die sachliche Argumentation im Vordergrund oder werden andere Uberzeugungsmittel für wichtiger gehalten? Wodurch unterscheidet sich Ciceros Auffassung der Beredsamkeit von Schmeichelei, Verführung oder gar Bedrohung, d.h. von den subtilsten Formen der Gewalt? Diese Fragen verlangen eine Antwort, die bisher von der Sekundärliteratur nicht gegeben wurde. Auch dem Verhältnis von Ciceras rhetorischen Schy-iften zur aristotelischen Rhetorik sind nur wenige Arbeiten älteren Datums gewidmet. H.Jentsch beschränkt sich darauf, äUßerlich ähnliche Passagen nebeneinanderzustellen und gelangt zu der nicht ausreichend begründeten Annahme, Cicero habe die Rhetorik des Aristoteles zwar gekannt,
jedoch nur die ersten drei Kapitel des ersten Rhetorik-
buches und das achte Kapitel des dritten Rhetorikbuches genauer durchgearbeitet. 2)
I)
Zum rBmischen humanitas-Begriff vgl. bes. B.Snell, Die Entdeckung des Geistes, 4.Aufl. Göttingen 1975; F.Klingner, Römische Geisteswelt, München 1956; ferner P.A.Meador, Rhetoric and Humanism in Cicero, in: Philosophy and Rhetoric 3, 1970,
2)
pp.I-12.
H.Jentsch, Aristotelis ex arte rhetorica quaeritur, quid habeat Cicero, Berlin 1866; ders., De Aristotele in Ciceronis rhetorica auctore pars I, Progr.v.Guben 1874; Progr.II, 1875.
11
M.Baumhauser dagegen untersucht die aristotelischen Einflüsse im Gesamtwerk Ciceros, kann aber wegen der allzu umfangreichen TI"!-emenstellung zu keinem detaillierten Ergebnis kommen. 1) M.Bontoux paraphrasiert zunächst die wesentlichsten Teile der aristotelischen und der ciceronischen Rhetorikkonzeption, geht aber nicht auf das gegenseitige Abhängigkeitsverhältnis ein, sondern beschränkt sich auf die allgemeine Feststellung, dieser habe die "fundamenta", jener die "ornamenta rhetorica" behanc]elt.
7
)
DaS Verhältnis zwischen den rhetorischen Schriften beider Autoren bedarf also einer näheren Überprüfung. tn der neUeren Sekundärliteratur wird meist die Ansicht vertreten, Cicero habe die aristotelische Rhetorik nicht direkt be-nutzt~ dieser Auffassung sind vor allem W.KroI1 3 ), K.Barwick 4 ), G.Kennedy5) und p.Moraux 6 ), während A.D.Leeman und H.Pinlcster i11 ihrem kürzlich erschienenen Kommentar zu Oe oratore eine Be-
M.Baumhauser, Disquisitio critica de Aristotelia vi ceronis scriptis, Traiecti ad Rhenum 1841.
in ci-
M.Bontoux, Aristotelis et Ciceronis principia rhetorica sese invicem comparata, Paris 1940. Diese Arbeit war mir erst in letzter Minute zugänglich und konnte deshalb nur in Form eines Nachtrages in das Literaturverzeichnis aufgenommen werden.
{nt~r
3)
W.Kroll, Studien zu Ciceros Schrift De oratore, in: RhMus 58, 1903, pp.552-97; ders., Cicero und die Rhetorik, in: Neue Jahrbücher 11, 1903. pp. 681-89; ders., RE-Art. Rhetorik, Supp1.VII, 1940, Sp.1037-1139.
4)
K.Barwick, Das rednerische Bildungsideal Ciceros, Abhdlg. d.Bayer.Akad.d.Wiss .• phil.-hist.Klasse, Bd.54, Heft J, Berlirt 1963. G.Kennedy. The Art of Rhetoric in the Roman World A.D. 300, Princeton 1972.
300 B.C.-
P.Moraux, Ciciron et les ouvrages scolaires d'Aristote, Ciceroniana 2, 1975, pp.81-86.
in:
12
nutzung der aristotelischen Rhetorik immerhin für möglich halten. 1 ) Andere Autoren sind dagegen der Auffassung, daß Cicero die aristotelische Rhetorik selbst in Händen hatte. Außer dem Kommentar von G.Sorof 2 ) verdient hier vor allem der grundlegende Artikel von F.Solmsen Beachtung, der nachweist, daß sich Cicero in De oratore von den verbreiteten Regeln der Schultradition distanziert und zur aristotelischen Lehre zurückkehrt. 3) Da bei der Beantwortung der Wahrheits frage in den rhetorischen Schriften von Aristoteles und Cicero natürlich das direkte Abhängigkeitsverhältnis zwischen beiden Autoren im Vordergrund steht, soll die Rolle späterer Vermittler nicht näher untersucht werden, obwohl darüber auch heute noch keineswegs Einigkeit in der Forschung besteht. H.v.Arnim nimmt als Hauptquelle 4 von De oratore Philon von Larissa an. ) Dagegen wendet sich Kroll, der Einflüsse des Antiochus von Askalon nachzuweisen ver5 sucht. ) H.K.Schulte jedoch leitet Ciceros Bildungsideal von Poseidonios her 6 ) .
I)
A.D.Leeman, De oratore libri tres, p.84.
Bd.1, Heidelberg 1981,
2)
G.Sorof,
3)
F.Solmsen, Cicero and Aristotle on the Orator's Playing upon the Feelings, in: ClPh 3, 1938, pp.390-404 (= Kleine Schriften 2, Hildesheim 1968, pp.216-30).
4)
H.v.Arnim, Leben und Werke des Dion von Prusa, Berlin 1898, bes. pp. 1-1 14: Sophistik, Rhetorik und Philosophie in ihrem Kampf um die Jugendbildung.
5)
Kroll, RhMus 58, pp.554-57; die Eigenständigkeit Ciceros schätzt Kroll später (~gl. dazu p.XIV, Anm,3) jedoch haher ein.
6)
H.K.Schulte, Orator. Untersuchungen zum ciceronischen Bildungsideal, Frankfurt 1935.
De oratore libri tres, Bd. I,
Berlin 1892, p.41.
13
Ciceros Verhältnis zu diesen oft schwierig rekonstruierbaren Quellen wird heute mit größerer Skepsis beurteilt. 1 ) Es gilt als sicher, daß Ciceros eigener Anteil, den Barwiek vor allem in der Verbindung von griechischer Philosophie und Rhetorik mit 2 römischer Tradition und Erfahrung sieht ), bislang als zu ge3 ring eingeschätzt wurde ) . Um die oben aufgeworfene Frage nach der moralischen Verpflichtung, unter deren Anspruch Redner und Rhetorik stehen, zu beantworten, sollen in der folgenden Arbeit diejenigen Mittel und Methoden, die Cicero und Aristoteles dem Rhetor zur Uberzeugung des Publikums in die Hand geben, genauer untersucht werden. Im einzelnen will ich dabei folgendermaßen vorgehen: zunächst soll die aristotelische Auffassung der €VTEXVOL nCaTELs dargestellt werden; dabei sind der
T~xvn-Charakter
der Beredsamkeit,
deren Beziehung zur Dialektik, sowie Definition und Themenbereich der Rhetorik zu besprechen. Danach werden die einzelnen Uberzeugungsmittel unter besonderer Berücksichtigung der logischen Argumentation behandelt. Abschließend ist dann die Wahrheitsfrage zu beantworten. Der zweite Teil der Arbeit, der sich mit den rhetorischen Schriften Ciceros beschäftigt, ist ähnlich aufgebaut: nach der Untersuchung von Wesen und Charakter der Beredsamkeit soll das Bild des 'orator perfectus' behandelt werden, das Cicero vor allem in De oratore, aber auch in anderen Schriften zeichnet und dem gegenüber terminologische und theoretische Fragen in
I)
Vgl. dazu auch A.E.Douglas, The Intellectual Background of Cicero's Rhetorica, A Study in Method. in: ANRW 1 3 , 1973, pp.95-138.
2)
Barwick,
3)
S0
au eh
Das
Bildungsideal,
Kr 011,
RE,
p.IO.
S u P pI. V I I ,
I 087 •
14
den Hintergrund treten. Dann werden die verschiedenen Gliederungsprinzipien, die Cicero bei der Einteilung der Uberzeugungsmittel anwendet, dargestellt und die
nLaTEL~
im einzelnen unter-
sucht. Besonders bei der Behandlung der emotionalen Uberzeugungsmittel fallen Parallelen zwischen Oe oratore und der aristotelischen Rhetorik auf, so daß hier das Problem des Abhängigkeitsverhältnisses beider Schriften zu erörtern ist. Abschließend soll auch für die rhetorischen Schriften Ciceros die Frage beantwortet werden, ob, und wenn ja, inwiefern der 'orator perfectus' der Wahrheit verpflichtet ist. Geht man wie H.Rahn davon aus, daß die Rhetorik als Ausdruck eines bestimmten Verhältnisses zur Welt in Cicero ihre höchste Verkörperung 1 erfährt ), so stellt sich diese Frage mit umso größerer Dring2 lichkeit ). Ihre Beantwortung ist auch für die Redekunst der Gegenwart noch immer von Bedeutung, da sie dem Redner heutiger Zeit die Entscheidung darüber erleichtert, wie weit die rhetorische Einflußnahme auf das Publikum gehen darf.
I)
H.Rahn, Cicero und die Rhetorik, in: Ciceroniana I, 1959, pp.158-79, nachgedr. in: Ciceros literarische Leistung, pp.86-110.
2)
In seiner kritischen Analyse "nie Legitimität der Neuzeit", überarb. Ausgabe, Frankfurt 1973-76, weist H. Blumenberg. Bd.II, pp.66ff darauf hin, daß sich Cicero (de fin.IV.5. 11-12; V.18.48-50; tusc.disp.I.44 und de div.I.35) der Gefährlichkeit des natürlichen Erkenntnistriebes durchaus bewußt ist. Man darf also darauf gespannt sein, wie Cicero das Verhältnis von Rhetorik und Wahrheit beurteilt.
15
2
Die aristotelische Rhetorik in der Forschung
Die Rhetorik des Aristoteles wurde lange Zeit von der Sekundärliteratur wenig beachtet. Nicht zuletzt muß dies wohl mit der kritischen, ja abwertenden Haltung gegenüber der Beredsamkeit erklärt werden, die sich erst in neuerer Zeit änderte. Im 19. und am Anfang des 20. Jahrhunderts standen vor allem die Fragen nach Echtheit, Disposition, Interpolationen und Entstehungszeit im Vordergrund. sb will L.Spengel durch eine Umstellung der Kapitel B 12-17 die seiner Ansicht nach ursprüngliche Anordnung wiederherstellen. 1) Während A.Roemer den überlieferten Text für die Kombination eines vollständigen und eines bereits in der Antike gekürzten Exemplars hält, die seiner Meinung nach von einem Librarius vereinigt wurden 2 ), ist F.Marx der Ansicht, daß die uns überlieferte Fassung der Rhetorik eine Schülernachschrift dreier aristote3 lischer Vorlesungen sei ). Dagegen wendet sich H.Diels; er ist ferner der Auffassung, daß das dritte Buch der aristotelischen Rhetorik in zwei Teile zerfalle, die weder mit den beiden ersten, noch untereinander in Verbindung stehen. 4 )
I)
L.Spengel, Über die Rhetorik des Aristoteles (= Abhdlg.d. bayer.Akad.d.Wiss., phil.-hist. Klasse fi). Mlinchcn 1851, pp.455-513.
2)
A.Roemer, Praefatio zu seiner Ausgabe Aristotelis ars torica, 2.Aufl. Leipzig 1898.
3)
F.Marx, Aristoteles' Rhetorik (= Ber.lib.Verhdlg.d.kgl.sächs. Gesellsch.d.Wiss. Leipzig, phil.-hist. Klas~e, Bd.52, pp.241-328), Leipzig 1900 (= Rhetorica, pp.36-123).
4)
H.Diels, Über das dritte Buch der aristotelischen Rhetorik (= phil.-hist.Abhdlg.d.kgl.Akad.d.Wiss. Nr. 4), Berlin 1886 (= Rhetorica, Schriften zur aristotelischen und hellenistischen Rhetorik, ed. R.Stark, Hildesheim 1968), pp.I-32.
rhe-
16
Später versuchte man, die Schwierigkeiten des Textes durch die unterschiedliche Entstehungszeit einzelner Passagen zu erklären. So vertritt A.Kantelhardt die Ansicht, daß ein Redaktor verschiedene rhetorische Entwürfe des Aristoteles zusammen mit eigenen Gedanken zu der uns überlieferten ars rhetorica verarbeitet habe. 1 ) F.Solmsen wendet die ~ntstehungsgeschichtliche Methode seines Lehrers w.Jaeger 2 ) auf die aristotelische Rhetorik an: Er meint zwei unterschiedliche Enthymemtheorien feststellen zu können und unterscheidet 1354a1-1355b24 und B 23-24 eine topischdialektische und 1358a2-35 eine an der Analytik orientierte Schicht. Zuletzt habe sich Aristoteles in den Passagen 1354a22b36 und B 25 sowie 14ü3ff ganz an der ersten Analytik orientiert, habe jedoch "die unter anderen Gesichtspunkten organisierten Lehrrnassen abschließend nicht mehr ganz umgeformt. ,,3) Einwände gegen diese Theorie erhebt H.Throm, der die Priorität der Analytiken widerlegt. 4 ) Die entwicklungsgeschichtliche Theorie wurde in neuer Zeit von R.Teßmer wiederaufgenommen, die in den beiden ersten Rhetorikbüchern zwei Schichten nachzuweisen sucht, die inhaltlich nicht zu vereinbaren und von einem Redaktor verbunden worden seien. Daneben stellt Teßmer noch zwei weitere Schichten fest. 5 ) Schließ-: lich äußert Barwick erneut die von ihm schon früher vertretene
I)
A.Kantelhardt,
Oe Arsitotelis Rhetoricis, Leipzig
1914.
2)
W.Jaeger, Aristoteles, Grundlegung einer Geschichte seiner Entwicklung, I.Aufl. Berlin 1923; 2.Aufl. Berlin 1955.
3)
F.Solmsen, Die Entwicklung der aristotelischen Logik und Rhetorik, Berlin 1929 (= Neue phil.Untersuch., Heft 4).
4)
H.Throm, Die Thesis, Ein Beitrag zu ihrer Geschichte und Entstehung, Paderborn 1932, bes. pp.46ff.
5)
R.Teßmer, Untersuchungen zur aristotelischen Rhetorik, Berlin 1957.
17
Auffassung, Aristoteles habe sein Manuskript durch eine Reihe von Nachträgen ergänzt. 1 ) Diese entwicklungsgeschichtlichen Thesen, die sich in der Forschung bislang nicht durchsetzen konnten, bergen jedoch die Gefahr, daß Schwierigkeiten des Textes allzu leicht mit entstehungsgeschichtlichen Problemen erklärt werden und so das Verständnis der Zusammenhänge sehr erschwert wird. Zwar können entwicklungsgeschichtliche Probleme bei der Interpretation der
aristotelis~hen
Rhetorik wohl nicht gänzlich aus-
geklammert werden, doch würden solche Erklärungsversuche die Beantwortung der Frage voraussetzen, ob der Text in der überlie2 ferten Form interpretiert werden kann oder nicht ). Der Auffassung, daß die Textinterpretation im Vordergrund stehen sollte, tragen Co pe in seinem immer noch grundlegenden Kommentar 3 ) und Autoren wie A.Russo, G.M.A.Grimaldi, A.Hellwig und J.Sprute Rechnung. So postuliert A.Russo die Einheit der aristotelischen Rhetorik 4 unter logischem und gar unter metaphysischem Aspekt. ) Auch G.M.A.Grimaldi tritt zu Recht für die gedankliche Einheit der Rhetorik ein, doch konnte sich seine Auffassung des Enthymems als "rhetorical mode of persuasion", das auf das "source-material
I)
K.Barwick, Die Gliederung der rhetorischen Ltxvn und die horazische Epis tula ad Pisones, Herrnes 57, 1922, pp. 1-62; ders .• Die Rhetorik ad Alexandrurn und Anaxirnenes, Alkidarnas, Isokrates, Aristoteles und die Theodekteia, in: Philologus 110, 1966, pp.121-245.
2)
Vgl. dazu auch J.Sprute, pp.24-26.
3)
The Rhetoric of Aristotle, ed. with a Comrnentary by E.M. Cope, revised by J.E.Sandys, Bd.I-3, Cambridge 1877, Nachdr. Hildesheirn 1970. Ferner E.M.Cope, An Introduction to Aristotlets Rhetoric, London 1867, Nachdr. Hildesheirn 1970.
4)
A.Russo, La Filosofia di Aristotele, Neapel
Die Enthymemtheorie,
Göttingen
1962.
1982,
18
ethos, pathos and pragma" angewendet werden 1 ), in der Forschung nicht überzeugen . A.Hellwig vergleicht die platonische und die aristotelische Rhetoriktheorie ausführlich, wobei allerdings der 2 logisch-argumentative Aspekt wenig Aufmerksamkeit erfährt. ) Beachtung verdient vor allem die Arbeit Sprutes, der sich in einer sehr klaren Darstellung um die Interpretation der aristo3 telischen Enthymemtheorie und der rhetorischen Topoi bemüht. )
I)
G.M.A.Grirnaldi, Studies in the Philosophy of Aristotle's Rhetoric, (= Herrnes Einzelschriften. Heft 25), Wiesbaden 1972.
2)
A.Hellwig, Untersuchungen zur Rhetorik bei Platon und Aristoteles, Göttingen 1973 (= Hypornnernata, Heft 38).
3)
Sprute, Die Enthymemtheorie.
19
2.1
Die Beziehung zwischen Rhetorik und Dialektik.
ZU Beginn seiner Abhandlung stellt Aristoteles eine Beziehung zwischen Rhetorik und Dialektik her: Die Beredsamkeit ist aVeL-
aepo~o~ e~ 6~aAEHe~H~ (1354a1). 1) E~ erhebt sich somit die Frage, ob und in welcher Hinsicht Rhetorik und Dialektik einander entsprechen und wie sie sich zueinander verhalten. Eine der Gemeinsamkeiten von Rhetorik und Dialektik besteht im Fehlen eines festumrissenen Sachgebietes, wie es notwendig jeder Wissenschaft eigen ist. 2 ) Beide behandeln Gegenstände, die keiner besonderen Disziplin angehören (1354a1-3), sondern sind allgemein zur Prüfung eines Argumentes oder zur Verteidigung eines Standpunktes anwendbar (1355a31-33). Während sich die Wissenschaft mit einem inhaltlich fest umgrenzten Gebiet beschäftigt, wie etwa die Medizin mit Gesundheit und Krankheit, die Geometrie mit Größenverhältnissen und die Arithmetik mit der Zahl (1355b28-30), kann die Rhetorik das Sachgebiet
I)
Der Begriff aVeLaepo~o~ wurde aus der griechischen Chorlyrik in die aristotelische Logik übertragen. Das Verb aVe~aep~ ~E~V bezeichnet das Verhältnis zweier Termini gleichen Bedeutungsumfangs, die einander so entsprechen, daß ein Begriff die Stelle des anderen einnehmen kann. Vgl. dazu H. Bonitz, Index Aristotelicus, in: Aristotelis opera, ed. I.Bekker, Bd.5, Berlin 1870, Ndr. Darmstadt 1955, p.66 und Cope-Sandys, Komm. z.St., sowie W.D.Ross, Aristotle's Prior and Posterior Analytics, A Revised Text with Introduction and Commentary, Qxford 1949, p.293, der die Bedeutungsmöglichkeiten des Wortes differenziert. Hellwig, p.46, sieht 1354al die formale Entsprechung von Rhetorik und Dialektik bezeichnet. Kroll, RE, Suppl.VII, 1058 weist darauf hin, daß sich Aristoteles hier an die platonische Bezeichnung der Beredsamkeit als Gegenstück der Kochkunst anlehnt (Gorg. 465D7). Ebenso bereits L.Spengel, Aristotplis Ars Rhetorica cum adnotatione. Accedit vetusta translatio latina, Bd.I-2, Leipzig 1867, p.458.
2)
75a38ff begründet Aristoteles, warum die Wissenschaft über ein festumgrenztes Sachgebiet verfügt.
20
jeder dieser Wissenschaften als Thema der Argumentation verwenden. Rhetorik wird also zunächst yon der Wissenschaft abgegrenzt. Sie ist eine
T~XV~,
die auf empirischer Basis aus der Beobachtung
praktischer Tätigkeit entsteht (1354a6-11). Diese Tätigkeit kann entweder in 'blindlings' heitsmäßigem Gebrauch der aU.o~ToU
(1354a6,
(Etx~)
angewandter Rede oder gewohn-
Beredsa~ceit
bestehen.
Etx~,
an~
TaU
1354a9-10) bezeichnen ein Vorgehen, das
nicht systematisch einen bestimmten Zweck anstrebt, das aber dennoch erfolgreich sein kann, auch wenn dieser Erfolg nicht beabsichtigt war. 6Lä auVn~ELav
ano
~EEW~
(1354a7)
dagegen meint
eine gewohnheitsmäßige Anwendung der Beredsamkeit aufgrund erworbener Fähigkeiten. Diese beiden Verhaltensweisen scheinen zunächst unvereinbar zu sein; doch nennt der Text ausdrücklich beide Anwendungsmöglichkeiten als empirische Basis für die Systematisierung der Beredsamkeit. Es wird jedoch nicht erklärt, wie man aus einer 'blindlings' angewandten Disziplin deren Methode erschließen kann, obwohl dies doch eher erfordern würde, daß man systematisch vorgeht. Die Problematik dieser Stelle wird im allgemeinen in der Sekundärliteratur wenig beachtet. Eine Lösungsmöglichkeit besteht darin, ungeplante und gewohnheitsmäßige Rede, wie Aristoteles sie charakterisiert, als unterschiedliche, zeitlich aufeinanderfolgende Entwicklungsstufen zu betrachten. Eine Rede, die blindlings und ohne System gehalten wird, kann dennoch Erfolg haben und wiederholt werden. Diese Wiederholung stellt eine Vorstufe zu gewohnheitsmäßiger Anwendpng der Beredsamkeit dar. 1 ) Sofern ein theoretisches System
1)
Solmsen, Die Entwicklung, pp.214-15, kommt dieser Lösung nahe, wenn er von einem Hinzutreten der gewohnheitsmäßig betriebenen Tätigkeit zu einer blindlings gehaltenen Rede spricht. Hellwig, pp.44-45, dagegen sieht hier zwei disparate Gruppen unterschiedlich vorgehender Redner beschrieben.
21
noch nicht vorhanden ist, setzt gewohnheitsmäßiger Gebrauch einer Disziplin immer voraus, daß sie zuvor ein- oder mehrmals blindlings und unreflektiert angewendet worden ist. Deshalb geht rhetorische
L~XVn
sowohl auf ungeplante als auch auf gewohnheits-
mäßige Rede zurück. A~~oL~pw~(1354a7-8)
ist also nicht disjunktiv, sondern verbin-
dend aufzufassen. Gewohnheitsmäßige Anwendung der Rede, welche die Stufe ungeplanter, aufs Geratewohl gehaltener Rede hinter sich gelassen hat, läßt sich methodisch erfassen und ermöglicht die Abstraktion allgemeihgliltiger Regeln. Aufgabe eines theoretischen Systems ist die Analyse rhetorischer Praxis und die Untersuchung der Ursachen erfolgreicher Rede (1354a9-11). Rhetorische TExVn ha"t mi t der Wissenschaft die Allgemeingültigkeit
der durch sie vermit-
telten Regeln und die Kenntnis der ihnen zugrundeliegenden Ursachen gemeinsam und erhebt sich dadurch über die Ebene bloßen ErfahrungSWissens, das nur die Tatsache, nicht aber deren Grund kennt und das sich nur mit dem Einzelfall, nicht aber mit dem Allgemeinen beschäftigt. 1 ) Sie unterscheidet sich von der Wissenschaft durch die Modalität der Aussagen: Diese behandelt notwendige Sätze 2 ), jene bewegt sich im Bereich des Veränderlichen und Möglichen 3 ) und ist zu praktischer Anwendung bestimmt 4 ) . Nachdem Rhetorik und Dialektik von der Wissenschaft abgegrenzt wurden, nennt Aristoteles eine weitere
Gemeinsa~ceit
beider Dis-
ziplinen: Sie können sowohl für als auch gegen einen Sachverhalt
I)
Met.981a24-981b6.
2)
EN 1139b18ff; An.post.IOOa9.
3)
E~
4)
Vgl. dazu auch K.Bartels, Der Begriff Techne bei Aristoteles, in: Synusia, Festgabe für W.Schadewaldt, ed. H.Flashar und K.Gaiser, Pfullingen 1963, pp.275-76.
1140a14-15; a22-23; An.post.IOOa9.
22
argumentieren. Diese Fähigkeit, die allein der Rhetorik und der Dialektik zukommt
(1355a33-35), darf jedoch nur zur Ermittlung
des Sachverhaltes und zur Aufdeckung von Argumentationsfehlern verwendet werden (1355a29-33). Die Berechtigung zu wissenschaftlich unredlichem Gebrauch im Sinne einer Überredung zum Schlechten darf daraus nicht abgeleitet werden (1355a31). Eine weitere Gemeinsamkeit von Rhetorik und Dialektik besteht in der Beschäftigung mit scheinhafter Argumentation (1355b15-17). Ebenso wie die Rhetorik das Überzeugende und das nur scheinbar Überzeugende betrachtet, so unterscheidet die Dialektik auch zwischen echtem und scheinbarem Syllogismus. Der Unterschied zwischen dem Dialektiker und dem Sophisten besteht nicht in ihren Fähigkeiten - beide nämlich können Scheinargumente entwickeln -, sondern in
~er
Absicht ihrer Rede: Der Dialektiker argumentiert
korrek·t, der Sophist dagegen benutzt Trugschlüsse, um den Argumentationsgegner zu täuschen. Beide verwenden dieselbe Methode mit unterschiedlichem Vorsatz
(1355b17-18).
Derselbe Unterschied besteht auch zwischen wahrem Redner und demjenigen, der die Macht der Rede mißbraucht. Auch sie unterscheiden sich nicht durch ihr Wissen voneinander, sondern durch die Absich·t, mit der sie ihre Fähigkeiten praktisch anwenden (1355 b18-21) .1) Der Ring der Darstellung schließt sich am Ende des ersten Rheto'rikkapitels; dort kehrt Aristoteles zum Beginn seiner Abhandlung und der dort aufgestellten These der gegenseitigen Entsprechung von Rhetorik und Dialektik zurück. Im nächsten Kapitel wird die Beziehung beider Disziplinen präzisiert. Rhetorische LEXVn mitteln (1354a13;
I)
beschäftigt sich mit den Überzeugungs-
1355a3-4). Als solche werden die Darstellung
Vgl. dazu auch L.S.SeIf, Rhetoric and Phronesis, An Aristotelian Ideal, in: Philosophy and Rhetoric 12, 1979, pp.130-45
23
des rednerischen Charakters, der Appell an die Gefühle der Hörer und die eigentliche Argumentation genannt (1356a1-4). Die Anwendung dieser überzeugungsmittel kann allerdings nicht aufs Geratewohl erfolgen, sondern setzt ein theoretisches Wissen voraus
(1356a20-27).
Benötigt werden nicht nur Kenntnisse der Dialektik, sondern auch der Ethik, die sich mit menschlichen Handlungen, Charakteren und Verhaltensweisen beschäftigt. Da die Ethik in die Politik, die das Verhältnis des Menschen in der Gesellschaft
unt~rsucht,
ein-
geschlossen ist, muß sich der Redner auch mit der Staatslehre beschäftigen. Die Bezeichnung der Rhetorik als Gegenstück der Dialektik (1354a1) wird 1356a25-27 erweitert: Die Rhetorik ist auch ein Teil und Seitentrieb von Dialektik, Ethik und Politik. Der Begriff napa~uts1) impliziert sowohl die eigenständige Entwicklung der Rhetorik als auch ihr Verwurzeltsein in denselben Ursprüngen wie die Dialektik, stellt aber keinen Widerspruch zum Eihgangssatz der Abhandlung dar. Rhetorik und Dialektik unterscheiden sich jedoch dadurch, daß diese bei allen anfallenden problemen 2 ), jene dagegen vor allem im politischen Bereich angewendet wird 3 ); ferner behandelt die Dialektik allgemeine probleme4~ die Rhetorik bestimmte EinzelfälieS) ; während in der Dialektik Frage und Antwort aufeinander-
I)
Vgl. zu diesem Begriff auch Cope z.St. Hellwig, p.46 sieht hier die Subordination der Rhetorik ausgedrückt, ebenso M. Lossau, ITp6 s KpCOLV ~Lvd noAL~LK~V, Wiesbaden 1981, pp.1213, der jedoch mit Sprute, Die Enthymemtheorie, pp.48-49 darauf hinweist, daß dadurch das Verhältnis zum Eingangssatz nicht gestört wird.
2)
Top.I05bI9ff.
3)
Rhet.1356a25-27;
4)
Top.I04bl-17.
5)
Rhet.1355b26-27.
1357a25-26.
24
1 folgen, bedient sich die Rhetorik der zusammenhängenden Rede ).
2.2
Definition und Themenbereich der Rhetorik
Nicht die Überredung, sondern die Auffindung des überzeugenden ist Aufgabe der Rhetorik
(1355b10-11). Die Beredsamkeit wird de-
finiert als Fähigkeit, die möglichen Überzeugungsgründe jeder Angelegenheit ins Auge zu fassen
(1355b26-27).
Da es dem Redner nicht immer gelingt, sein Publikum zu überzeugen, ebenso wie ein Arzt nicht in jedem Fall die Gesundheit seines Patienten wiederherstellen kann 2 ), ist das Ergebnis einer Rede. nicht Bestandteil der Definition. Für Aristoteles beschäftigt sich eine Ttxvn nicht mit dem
Tt~OG
selbst, sondern nur mit 3 ) Deshalb
der überlegung, wie dieses Ziel erreicht werden kann.
wird die Rhetorik aus dem Blickwinkel des Redners definiert: Sie ist eine Fähigkeit, fÜF deren Anwendung die Beherrschung der T~XVn entscheidend ist. 4 ) Aristoteles versteht die Beredsamkeit also nicht als Überredungstechnik, sondern als eine bestimmte Art und Weise des Erkennens
I)
Auch Alexander von Aphrodisias, In Aristotelis Topicorum libros octo commentaria (= Commentaria in Aristotelem Graeca, 11 2, Berlin 1891), p.5,4-16 behandelt die Gemeinsamkeiten und Unterschiede beider Disziplinen.
2)
Top.IOlb5-IO.
3)
EN
4)
~uVa~LG und Ttxvn werden in der aristotelischen Rhetorik oft als Synonyme gebraucht (zur genaueren Unterscheidung beider Begriffe vgl. Met.I046b2-3). Die Tatsache, daß der Redner in der Definition der Beredsamkeit nicht ausdrücklich erwähnt wird, läßt nicht auf sein Zurücktreten in der rhetorischen Theorie schließen (so Hellwig, p.61). Die Theorie nämlich ist zu praktischer Anwendung bestimmt und somit ohne einen handelnden Menschen nicht denkbar.
1112bIO-II.
25
(1355b10; 1355b26; 1355b33) .1) Gegenstand dieser Erkenntnis sind diejenigen Elemente, die möglicherweise eine Uberzeugung des Publikums bewirken. Rhetorik wendet sich immer an ein Publikum, das von der Richtigkeit des vertretenen Standpunktes überzeugt werden soll. Auf den Hörer (1358b1) und auf das von ihm zu fällende Urteil (1377b217.2) zielt die Absicht des Redenden. Ebenso ist das in einer Rede zu Sagende keine eine relative Größe und impliziert immer eine die durch die Rede angesprochen und überzeugt b28) .2) Da aber der Einzelfall als unbegrenzt
absolute, sondern Persortengruppe, werden soll (1356 und somit als un-
erforschbar gilt (1356b31-32), kann Rhetorik nur untersuchen, was auf jene Menschen überzeugend wirkt, die aufgrund einer gemeinsamen Eigenschaft einer bestimmten Gruppe angehören. Wenn diese Eigenschaft gefunden ist, kann festgestellt werden, was 3 gerade auf diese Menschen überzeugend wirkt. ) Nur tlberzeugungsgründe, die sich an einen bestimmten Menschentypus wenden, können Bestandteil rhetorischer L~XV~ sein (1356 b31). Uberzeugend aber ist eine Sache entweder kraft ihrer selbst - dann bedarf sie keiner weiteren Argumentation -, oder sie muß durch glaubhafte Argumentationen bewiesen werden (1356b 27-28) • Da Aristoteles 1356b31-34 erklärt, daß sich eine Rede nicht an ein Individuum, sondern an bestimmte Personengruppen richtet.,
I)
Ebenso Top.149b26-27.
2)
Vgl.
3)
Als verdeutlichendes Beispiel nennt Aristoteles (1356b30-32)
dazu auch Hellwig,
p.47.
di Medizin, die sich ebenfalls nicht mit einem Individuum, So dern mit der einer Gruppe von Menschen gemeinsamen Krankhe t beschäftigt.
26
nimmt Kassel an, daß diese auch im weiteren Textverlauf (1356b 35-1357a1) näher bestimmt werden. Er schließt sich daher der von Maier vorgeschlagenen Konjektur 1 ) an und liest statt ~x 6EO~tvoov (1356b36) und ebenso statt bl. Etü)36l:wV EtwD-6ol. (1357a1) Der konjizierte Text besagt also, daß die Dialektik aus solchen
6EOl-LtVOq;
Prämissen schließt, die Leuten, die der Rede bedürfen, einleuchtend sind, während die Rhetorik Voraussetzungen verwendet, die von beratungsgewohnten Menschen akzeptiert werden. Wenn Bekker, Spengel, Cope, Roemer und Ross dagegen 1356b36 tx 6EOl-LtVWV und 1357a1 ~)(. Etwa6l:wV lesen, so ist der Text nicht rechl verständlich; er besagt, daß die Dialektik aus solchen Prämissen schließe, die der Erörterung bedürften, die Rhetorik dagegen aus dem, was schon beraten zu werden pflegte. Dagegen ist einzuwenden, daß nicht die Prämissen, sondern die zu Beginn der dialektischen Auseinandersetzung aufgeworfenen Fragen erörterungsbedürftig sind. Die Voraussetzungen müssen vielmehr vom Gegner anerkannt sein, da sich eine Auseinandersetzung sonst erübrigt. Auch der zweite Teil des Satzes ist unklar, wenn man bei der überlieferten Lesart bleibt; dem vorliegenden Text zufolge wäre ßOUAEUEOÖal. 1357a1 passivisch, im folgenden Satz dagegen medial aufzufassen. Ferner geht aus der Stelle nicht hervor, was mit 'Prämissen, eie schon beraten zu werden pflegten', gemeint ist. Die von Kassel und Maier vorgenommene Konjektur scheint also berechtigt zu sein. Im weiteren Textverlauf geht Aristoteles näher auf die von der Rede angesprochenen Personengruppe ein: Er erklärt, daß die Zuhörer meist nicht in der Lage sind, komplizierte Schlußfolgerungen nachzuvollziehen (1357a3-4). Benutzt der Redner frühere Syllogismen als Basis seiner Argumentation, so wird die Rede
1)
F.Maier, Die Syllogistik des Aristoteles, p.477.
2)
R.Kassel,
Aristotelis ars rhetorica,
TUbingen 1896,
Berlin 1976, p.13.
27
wegen ihrer Länge möglicherweise unübersichtlich (1357a10-11). Verwendet er jedoch unbewiesenes, aber beweisbedürftiges Material, so wird dieses den Hörer nicht überzeugen, da es nicht allgemein anerkannt ist (1357a12-13). Die rhetorische Argumentation muß deshalb von gemeinhin gebilligten Prämissen ausgehen. 1 ) Um aus Rücksicht auf den einfachen Hörer unübersichtlich lange Beweisketten zu meiden, soll das dem Syllogismus entsprechende rhetorische Schlußverfahren möglichst kurz sein (1357a16-17). Der Redner soll im Interesse der Verständlichkeit seiner Rede allgemein bekannte Prämissen, die vom Hörer leicht ergänzt werden können, auslassen (1357a17-18). Deshalb wird das Enthymem oftmals aus weniger Prämissen bestehen als der normale Syllogismus (1357a16-17) .2) Auch an anderer Stelle (1395b24-26) fordert Aristoteles, auf allzu weitläufige Argumentation zu verzichten und bereits bekannte Tatsachen auszulassen. Dieses Postulat meint allerdings nur den Verzicht auf überflüssige Bestandteile und liefert keine Berechtigung, das Enthymem als verkürzten Syllogismus zu bezeichnen. Das Enthymem kann, muß aber nicht syllogistisch vollständig sein. 3 )
I)
Zur Textstruktur läßt sich sagen, daß 1357al-13 folgendermaßen gegliedert ist: al-2: Themenbereich der Rhetorik a3-4: Aussagen über den Hörer. Diese beiden Teile werden im folgenden wieder aufgenommen: a4-7 führt die Aussagen von al-2 fort, al-13 erweitert a3-4.
2)
Es besteht kein Grund, mit Grimaldi z.St.und M.Dufour. Rhetorique, Text etabli et traduit, Paris 1932, z.St. hier den Syllogismus der ersten Figur bezeichnet zu sehen. Gemeint ist lediglich ein Syllogismus normaler, unveränderter Struktur. Ebenso Cope z.St.
3)
Vgl.
dazu pp.23-24.
·28
In der Rhetorikdefinition war kein Thema als Redegegenstand ausgeschlossen worden; Rhetorik kann theoretisch jedes Thema (1355 b25-27), also auch das Sachgebiet einer Wissenschaft argumentativ behandeln. Da die Wissenschaft notwendige Aussagen behandelt, bewegt sich eine darauf angewandte Rhetorik ebenfalls im Bereich des Notwendigen. Ein wissenschaftlicher Diskurs aber überfordert den Zuhörer (1355a25~28), der gemeinhin von schlichter Gemütsart ist (1357a11-12). Die Anwendung der Rhetorik auf wissenschaftliche Sätze ist zwar theoretisch denkbar, in der Praxis jedoch selten, da die Rede und die Uberzeugungsmittel aus allgemein verständlichen Sätzen bestehen müssen (1355a25-28). 1) Ferner muß sich der Redner davor hüten, zu sehr auf fremde Sachgebiete einzugehen, dadurch den Ltxvn-Charakter der Rhetorik zu verletzen und sie in das Gewand einer Wissenschaft zu zwängen. Dieses Vorgehen wird 1359b12-16 negativ bewertet. 2 ) Entscheidend ist an dieser Stelle, daß Aristoteles eine allzu starke Berücksichtigung fremder Gebiete als einen Ubergang von
der Rhetorik . i n d e n Bereich anderer Disziplinen be-
trachtet. Dies wird wichtig werden bei der Behandlung der Frage, wie Cicero das Verhältnis der Rhetorik zu einzelnen Fachwissenschaften beurteilt. 3) Als Thema rhetorischer Beratung werden zunächst diejenigen Angelegenheiten genannt, die noch nicht durch eine Ltxvn erfaßt sind (1357a1-2).
I)
Aristoteles' Formulierung, Rhetorik behandle nicht allein notwendige, sondern auch wahrscheinliche Aussagen (1396a2-3), darf man nicht so deuten, als seien in der Rhetorik notwendige Aussagen die Regel, wahrscheinliche Aussagen dagegen die Ausnahme. Daß gerade das Gegenteil der Fall ist, geht aus 1357a22-27 hervor.
2)
1358a7-9 läßt keine Information darüber zu, wie dieses Verlassen der rhetorischen Ebene beurteilt wird, da die schlechte Überlieferung der Stelle mehrere Deutungen zuläßt.
3)
Vgl.
dazu auch pp.90-91.
29
Gegenstand der Beratung und des Urteils, um dessentwillen die Rede gehalten wird (1377b21-22), ist menschliches Handeln, dessen Vielfalt und Veränderlichkeit im allgemeinen 1 ) keine notwendigen Aussagen von dauernder Gültigkeit erlaubt. Innerhalb des menschlichen Daseins gibt es keine eigentliche Stabilität, die ein gesichertes Wissen ermöglicht. Rhetorik bewegt sich deshalb meist im Bereich des Veränderlichen und Wahrscheinlichen (1357 a25-27), das die Möglichkeit des Andersseins in sich birgt und sich exakter wissenschaftlicher Meßbarkeit entzieht. So ist vor allem solches, das sich auch anders verhalten kann, als es ist (1357a4-7), Gegenstand rhetorischer Beratung, wobei Rhetorik und Dialektik jeden der möglichen Standpunkte argumentativ vertreten können (1355a29-30). Diese grundsätzlichen Uberlegungen werden bei der Besprechung der syrnbuleutischen Rede ergänzt. Notwendige und unmögliche Dinge scheiden als Thema der Rede aus
(1359a31-34); und auch im Be-
reich des Möglichen werden naturgemäß und zufällig ablaufende Dinge nicht beraten. Angelegenheiten dieser Art entziehen sich dem menschlichen Einflußbereich, so daß eine Beratung darüber 2 sinnlos erscheint. ) Ein Rat kann nur für solche Angelegenheiten gegeben werden, deren Lösung in der Macht des Menschen liegt oder die zumindest von ihm beeinflußt werden können.
I)
1357a26-27 wird die Allgemeingültigkeit des Satzes eingeschränkt, da auch im Bereich menschlichen HandeIns vereinzelt notwendige Aussagen denkbar sind.
2)
Vgl.
dazu auch EN
1112a30-34;
1112b2-4.
30
2.3
Die Uberzeugungsmittel
Aufgabe rhetorischer
T~Xvn
ist die Beschäftigung mit den nCOT€Lb
(1354a13; 1355a4). Da Aristoteles den nLoTLb-Begriff in unterschiedlichen Bedeutungen gebraucht, sollen diese zunächst dargelegt und differenziert werden. In der aristotelischen Rhetorik wird der nCoTLb-Begriff im wesentlichen in drei Bedeutungen gebraucht 1 ): Er bezeichnet 1. den gesamten rhetorischen Prozeß (1367b29), durch den der Hörer in einen Zustand des Glaubens und der tiberzeugung versetzt werden soll, 2. die Uberzeugung des Hörers als eine geistige Haltung (1394a10), die meist jedoch durch das Verb nLOT€U€LV wiedergegeben wird (1356a6; 1366a11), 3. die Mittel, mit denen diese Uberzeugung bewirkt werden kann (1 35 4 a 1 3; 1 3 5 4 b 2 1; 1 35 5 a 4 - 5; 1 3 5 5 a 7 - 8 ; 1 355 b 3 5 i 1356a2; 1356a21; 1356b5-7; 1358a1; 1366a9-10;1366a27; 1377b19; 1388b 2 9; 1393a23; 1414b9 1 1414b11i 1417b21; 1 41 8b 5; 1 41 8b 8 i 1 41 8b 23 - 24) . 2 ) Der 1354a13 allgemein eingeführte nLoTLb-Begriff wird 1355a3-8 in einer langen Satzkette differenziert: Als Gegenstand rhetorischer
T~XVn
werden die Uberzeugungsmittel genannt, die als eine
Art Beweis näher bestimmt werden. Das rhetorische Beweisverfah-
I)
Außerdem wird nCoTLb 1375alO im Sinne von 'Gelöbnis' und 1414a 3 5.; 1414b8; 1414b9; 1418al8 zur Bezeichnung desjenigen Redeteils verwendet, in dem der Redner von der Richtigkeit des vertretenen Standpunktes zu Uberzeugen sucht.
2)
Daß dabei die Grenzen zwischen den Bedeutungen fließend sind, zeigen Stellen wie 1377b25 und 1354a15; dort kann nGd~tb sowohl in der ersten als auch in der zweiten, hier sowohl in der ersten als Buch in der dritten Bedeutung verstanden werden.
31
ren aber ist das Enthymem. An dieser Stelle wird die Satzkette, die jeweils das Prädikatsnomen des vorherigen Satzes zum Subjekt eines neuen Satzes macht, mit dem Hinweis auf die Wichtigkeit des Enthymems unterbrochen. Mit der Wiederaufnahme des Wortes wird an den Beginn des Satzes angeknüpft; dort bezeichnete der Begriff ohne nähere Differenzierung die rhetorischen Uberzeugungsmittel, deren bedeutendstes das Enthymem ist. Dieses
wie~
derum ist eine Art von Syllogismus, dessen Untersuchung Aufgabe der Dialektik ist. Bevor Aristoteles die drei in den Bereich rhetorischer
LExvn
fallenden Uberzeugungsmittel aufzählt, unter-
scheidet er zwischen
~VLEXVO L nCoLE
q;; ,wie etwa Zeugen, Fol te run-
gen, Urkunden und dergleichen, die schon anwendungsbereit vorgefunden werden und Cl.LEXVOL nCOLEL!;; , die der Redner methodisch ausfindig machen muß. Jene müssen nur angewendet, diese dagegen gefunden werden (1355b35-39). Die Cl.LEXVOL nCo.ELs behandelt Aristoteles gesondert im 15. Kapitel des ersten Rhetorikbuches. Sie sollen hier nicht näher erörtert werden. Entscheidend ist nur, daß Aristoteles die innerhalb und die außerhalb rhetorischer
.ExVn
liegenden Uberzeugungsmittel in ihrer Gesamtheit ge-
genüberstellt 1 ). Diese Tatsache wird in der Sekundärliteratur wenig beachtet 2 ), und - soweit ich sehe - allein von Kennedy
I)
Zwar werden die &'.EXVOL nCo.ELs vor allem im Hinblick auf die enthymematische Argumentation untersucht; doch erwähnt Aristoteles ausdrücklich, daß Zeugenaussagen auch über den Charakter des Redners gemacht werden können (1376a 2 5-26) und somit auch im Bereich des ethischen Uberzeugungsmittels angewendet werden können. Zu den drei Uberzeugungsmitteln vgl. p.Il•.
2)
So z.B. bei R.Volkmann, Die Rhetorik der Griechen und Römer, Leipzig 1885, Ndr. Hildesheim 1963, pp.176-78; H.Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik, Münrhen 1960, Bd.I, pp.190-95; J.Martin, Antike Rhetorik, Technik und Methode (= Handbuch der Altertumswissenschaften, 11 3), München 1974, p.96; Grimaldi, Komm.I, pp.196-98; Cape, Introduction, pp.37-38.
32
ausdrücklich festgestellt. 1 ) Sie ist jedoch wichtig für die Ubernahme dieser Unterscheid~ng bei späteren Autoren, die die 'artificialia' und die 'inartificialia argurnenta' als gleichberechtigte Teile der argumentativen Beweisführung auffassen und somit von der aristotelischen Vorlage abweichen 2 ) . Erst 1356a1-4 erfolgt die vollständige Aufzählung der Uberzeugungsmittel: Die Charakterdarstellung des Redners, die Affekterregung und die eigentliche Argumentation werden als
nCa.EL~
ge-
nannt und 1356a4-20 näher erläutert: Da die Zuhörer einem Mann, der als ehrenhaft gilt, eher zu glauben geneigt sind, muß der Charakter des Sprechenden in einem möglichst positiven Licht dargestellt werden, um seine Glaubwürdigkeit zu erhöhen (1356a5-8) und so den Erfolg der Rede zu begünstigen. Das Urteil des Publikums über den Charakter des Redners darf jedoch nur durch die Rede selbst zustandekommen und nicht auf einer vorgefaßten Meinung beruhen (1356a8-10). Bei richtiger Anwendung ist das ethische Uberzeugungsmittel von sehr großer Wichtigkeit; der Elativ KupLw.a.nV nCa.Lv (1356a13) stellt keinen Widerspruch zu 1355 a7-8 dar; denn Aristoteles betont hier nicht die Priorität des ethischen vor den anderen Uberzeugungsmitteln, sondern betont lediglich dessen nicht zu unterschätzende Uberzeugungskraft. Da
Gefühle und Stimmungen des Hörers großen Einfluß auf seine
Entscheidung ausüben (1377b25-29), sollen bestimmte Affekte in ihm geweckt werden, die sein Urteil in der vom Redner intendierten Weise beeinflussen. Auch die Affekte dürfen nur durch die Rede selbst zustandekommen (1356a14). Dieses Postulat wird bei der Untersuchung der entsprechenden Textpassagen in den rheto-
I)
G.Kennedy. The Art of Persuasion in Greeee, Prineeton 1963. p.88.
2)
So z.B. Cie. de or. 2.115: " .•• ad probandum autem duplex est materies". Vgl. dazu au eh pp. I04f. Ebenso Fortunat.2.23; Mart. Cap. 48.
33
rischen Schriften Ciceros wichtig werden. 1) Als letztes Uberzeugungsmittel nennt Aristoteles die a~e~ e~ A6y~
nCaeL~
t~
(1356a3-4), in der das Wahre oder das scheinbar
Wahre 2 ) aufgezeigt wird
(1356a19-20). Alle Handschriften außer
A überliefern hier OLU eWV A6ywVidiese Lesart wird von Cope und Kassel übernommen und auch von Sprute akzeptiert. 3 ) Allerdings versteht Sprute unter
A6yo~
auch 1356a3-4 und 1356a19-20 die Re-
de als artikuliertes Sprachgefügeund vermutet, daß "das dritte überzeugungsmittel der Rede eigentümlicher und wesentlicher sei".4)
Durch diese Interpretation wird aber der Unterschied
zwischen der rhetorischen Argumentation und den beiden anderen Überzeugungsmitteln verwischt, die ja ebenfalls aus der Rede selbst hervorgehen müssen (1356a9i a14). Da Aristoteles 1418 a12-16 die strenge Trennung emotionaler und rationaler überzeugungsmittel fordert, erscheint es einleuchtender, den Begriff A6yo~ 1356a3-4 und a19-20 auf die rhetorische Argumentation zu beziehen. 5 )
I)
Vgl.
pp.IOI;
184-85.
2)
Mit dem 'scheinbar Wahren' meint Aristoteles, wie aus den Aussagen über die wahre und trügerische Argumentation hervorgeht (1355a29-33), dasjenige, was dem Redner nach bestem Wissen als wahr erscheint. Dagegen sehen Cop~ z.St. und A.Kantelhardt, De Aristotelicis rhetoricis, Göttingen 1912, p.47 (= Rhetorica, pp.124-83) hier die trügerische Scheinargumentation bezeichnet.
3)
Dagegen plädieren L.Spengel, über die Rhetorik des Aristoteles, Abhdlg.d.Bayer;Akad.d.Wiss., philos.-phil. Klasse 6, München 1852 und Römer für OL~ eOO A6you , während M.Dufour, Aristote, Rhetorique, Text etabli et traduit, Tome I, Paris 1932, und W.D.Ross, Aristotelis ars rhetorica, Oxford 1959, die Lesart der Hs A OLU e6v A6yov übernehmen.
4)
Sprute, Die Enthymemtheorie, p.64; ebenso Teßmer p. 17, Dufour p.76.
5)
So auch M.Lossau pp.48-49; 102, Anm.108; Ross, Aristotle, 6.Aufl. London, 1957. Cope legt sich, Komm. zu 13S6a19, nicht auf eine der Möglichkeiten fest. In der angenommenen Bedeutung wird A6yo~ auch 1415bS verwendet.
34
Eine andere Auffassung vertritt dagegen Grimaldi. Das Enthymem ist für ihn zwar einerseits das argumentative Schlußverfahren der Rhetorik, wird aber andererseits auch auf die drei
nLoLEL~
"ethos and pathos as weIl as reason" angewendet, wobei unter "reason" der zugrunde liegende Sachverhalt zu verstehen ist. 1 ) Diese Einteilung ist jedoch künstlich geschaffen und durch den Text nicht zu belegen. Die Kenntnis des Sachverhaltes ist für den Redner unverzichtbare Voraussetzung der Argumentation (1396 a3-7), ohne jedoch von Aristoteles als eigenständiges Uberzeugungsmittel verstanden zu werden. Das dritte Uberzeugungsmittel, das Grimaldi mit dem Begriff npay~u bezeichnet, wird durch die Verben OELXVUVUL (1356a3-4) und OUAAOYL6EO&UL (1356a22) eindeutig als die enthymematische Argumentation gekennzeichnet. Gegen Grimaldis Auffassung, daß die drei Uberzeugungsmittel "ethos, pathos and reason" in einer entweder deduktiven oder aber induktiven Argumentation behandelt würden, spricht Aristoteles' Forderung nach einer strikten Trennung der einzelnen Uberzeugungsmittel, die mit der gegenseitigen Aufhebung ihrer Wirkung begründet wird (1418a12-16) .2) Da das rhetorische Beweisverfahren das Enthymem ist, kann Grimaldis "Erklärung des zugrundeliegenden Sachverhaltes" nur auf enthymematischem oder paradigmatischem Weg erfolgen, woraus sich die Identität des dritten Uberzeugungsmittels mit der logischen Argumentation ergibt.
1)
Grimaldi,
Studies, pp. 60-62;
148. Ebenso ders. A Note on the in: AJPH 78, 1957, pp.188-89. Vgl. zu Grimaldis Arbeit auch die Rezensionen von M.Lossau, Gnomon 48, 1976, pp.13-18; D.M.Schenkeveld, Mnemosyne 29, 1976, pp.425-27; F.Solmsen, CIPh 71, 1976, pp.174-78.
ITIETEIE in Aristotle's Rhetoric 1354-56,
2)
Denselben Einwand bringt auch Sprute, Die Enthymemtheorie, pp.29; 60, gegen Grimaldi vor.
35
Neben Sprute 1)
. 2)E'lnwan " d e gegen Gri erhebt auch G.H.Wlkramanayake
maldis These. Er verweist auf 1354b21-22 und 1403b11-13; dort wird das Enthymem implizi-t zu den drei Uberzeugungsmitteln gezählt.
Unterstützt wird Grimaldi dagegen von J.T.Lienhardt,
der jedoch nur die erste Hälfte der Stelle, nämlich 1356a20-22, interpretiert, an der Aristoteles die Voraussetzungen für den Gebrauch der Uberzeugungsmittel aufzählt
(1356a20-25) .3)Nur auf
Grund der unvollständigen Textinterpretation kann Lienhardt zu demselben Ergebnis gelangen wie Grimaldi, der seine These ferner dadurch gestützt sieht, daß Aristoteles nicht von drei, sondern von vier Uberzeugungsmitteln hätte sprechen müssen, wenn die dritte
n(oLL~
das Enthymem bezeichne, da das Beispiel ja diesem
gleichberechtigt sei. Die Tatsache, daß Aristoteles das Beispiel zunächst zu vernachlässigen scheint, kann aber meines Erachtens dadurch erklärt werden, daß das Paradeigma als Prämisse in die rhetorische Argumentation eingehen kann. Während Sprute und Grimaldi zu Recht für eine gedankliche und 4 logische Einheit der aristotelischen Rhetorik eintreten ), sah die Sekundärliteratur lange Zeit in der Tatsache, daß Aristoteles 1356a1-19 die emotionsgerichteten Uberzeugungsmittel selbst einführt, einen Widerspruch zu der früheren Kritik am Einsatz
I)
Vgl. dazu p. 16, Anm.2. Wie Grimaldi ignoriert auch J.H. McBurney, The Place of Enthymeme in Rhetorical Theory, in: Speech Monographs 3, 1936, pp.63-67, Aristoteles' Forderung nach Trennung der drei Uberzeugungsmittel. Vgl. zu diesem Gesichtspunkt auch p.61.
2)
G.H.Wikramanayake, A Note on the toric, in: AJPh 82,1961, p.165.
3)
J.T.Lienhardt, A Note on the Meaning of ITIETIE in Aristotle's Rhetoric, in: AJPh 87, 1966, p.451. Dagegen auch S.L. Radt, Zu Aristoteles' Rhetorik, in: Mnemosyne 32, 1979, pp.287-88.
4)
Sprute, Die Enthymemtheorie, pp.36-40; Grimaldi,
ITI~TEI~
in Aristotle's Rhe-
pp.18-52.
36
der affekterregenden Mittel (1354a11-16). 1) An dieser Stelle distanziert sich Aristoteles nur von der a l l e i n i g e n Anwendung der Affekterregung, die zu einer Vernachlässigung der rhetorischen Argumentation führt. Er kritisiert jene Theoretiker der Beredsamkeit, die sich auf die Gefühlsverwirrung der Richter konzentrieren und dadurch eine Trübung der Urteilskraft bewirken, die zu einem Verlust an Objektivität führt. Darin sieht Aristoteies ein Abweichen vom rechten Weg und eine Verzerrung des Maßstabes, der doch gerade die Korrektheit des zu fällenden Urteils gewährleisten sollte. Die Richter zu verwirren, so illustriert Aristoteles anschaulich, sei gerade so, als verbiege man den Maßstab, den man gebrauchen wolle, vor der Anwendung (1354a25-26). Allein davon distanziert sich Aristoteles, da für ihn das Enthymem Kernstück des Uberzeugungsprozesses
(1354a15)
und wichtig-
stes Uberzeugungsmittel (1355a7-8) ist. Gerechtfertigt ist der Gebrauch der emotionsgerichteten Uberzeugungsmittel jedoch dann, wenn sie aus der Rede selbst hervorgehen und wenn die logische Argumentation nicht vernachlässigt wird. Unter diesen Voraussetzungen, und nur dann, ist die Anwendung gefühlsgerichteter Uberzeugungsmittel zulässig. Aristoteles geht noch einen Schritt weiter: Die Anwendung emotionaler Uberzeugungsmittel ist, unter den genannten Bedingungen, nicht nur erlaubt, sondern geradezu notwendig (1377b22-24).
1)
So vertritt Solmsen, Die Entwicklung, pp.208-09, die Ansicht, es handle sich 1356alff um eine Weiterentwicklung der rhetorischen Theorie, die nicht mit der früharistotelischen Auffassung des Enthymems als des einzigen Uberzeugungsmittels in Einklang gebracht worden sei. Seiner Ansicht ist auch Barwiek, Die Gliederung der rhetorischen Techne und die horazische Epistula ad Pisones, in: Hermes 57, 1922, pp.14-18. Anders hält Marx, pp.278-80; 289-90 die Disposition der Uberzeugungsmittel zwar für einheitlich, erklärt die Schwierigkeit der Stelle jedoch damit, daß der uns erhaltene Text eine Zusammenfassung von Schülernachschriften dreier aristotelischer Vorlesungen sei. Dagegen bereits Kantelhardt, pp.37-40.
37
Aristoteles begründet seine Ansicht damit, daß der Redner selten vor einem idealen Publikum spricht. Meist hat der Hörer ein schlichtes Gemüt (1357all-12)
und ist deshalb nicht in der Lage,
komplizierte Schlußfolgerungen nachzuvollziehen (1357a10-11); ferner haben seine jeweiligen Stimmungen entscheidenden Einfluß auf sein Urteil (1377b 2 S- 2 9), um dessentwillen die Rede gehalten wird (1377b21-22). Wegen dieser Unvollkommenheit des Publikums darf der Redner nicht allein dessen Ratio ansprechen, sondern muß sich auch an die Gefühle des Hörers wenden. 1) Abschließend kann festgestellt werden, daß
l~ein
Grund besteht,
die Einheit und Geschlossenheit der ersten beiden Rhetorikkapitel zu bezweifeln oder das Eingreifen eines Redaktors anzunehmen, sofern die Tatsache berücksichtigt wird, daß Aristoteles den
nCcrLL~-Begriff
zunächst allgemein einführt (1354a13)
und
erst im weiteren Textverlauf näher qualifiziert (1355a3-8)
und
differenziert (1356a1f). Den Gebrauch gefühlserregender Uberzeugungsmittel hält Aristoteles dann für gerechtfertigt, wenn sie sich aus der Rede selbst ergeben und wenn ihre Anwendung nicht zur Vernachlässigung der logischen Argumentation führt, die als das wichtigste Uberzeugungsmittel betrachtet wird.
I)
Ähnlich Sprute, Die ~nthymemtheorie, pp.39-40; er weist ferner darauf hin, daß Aristoteles die Affekterregung nur in einem optimalen Rechtssystem für verzichtbar hält, in dem der Gesetzgeber alle nicht notwendigen Entscheidungen bereits getroffen hat (1354a31-1354b3), so daß sich der Redner nur noch mit der Frage nach dem Bestehen eines Sachverhaltes beschäftigen muß. Ebenso Hellwig, p.49, die außerdem vermutet, daß Aristoteles auch deshalb die logische Komponente der Beredsamkeit hervorhebt, weil er sich dadur~h von seinen Vorgängern wesentlich unterscheidet.
38
2.3.1
Die logische Argumentation: Enthymem und Paradeigma
Nach der Aufzählung (1356a1-4) a4-20)
und genaueren Beschreibung (1356
der Uberzeugungsmittel, deren wichtigstes das Enthymem
ist (1354a15; 1355a7-8), erläutert Aristoteles das Verhältnis von Rhetorik zu Dialektik und Politik (1356a20-33). Für die rhetorische Argumentation benötigt der Redner dialektische Erkenntnisse (1355a10-14; 1356a20-22), da das Enthymem eine Art von Syllogismus ist. Auf dem Hintergrund der Beziehung zwischen Rhetorik und Dialektik wird dem Enthymem das Beispiel als weiteres Argumentationsverfahren zur Seite gestellt (1356a36-1356b2): Beide Disziplinen können einen Beweis sowohl induktiv als auch deduktiv führen, wobei das Enthymem dem Syllogismus und das Beispiel der dialektischen Induktion entspricht. Genauer bezeichnet Aristoteles das Beispiel als die rhetorische Induktion und das Enthymem als den rhetorischen Syllogismus (1356b4-S). Daneben gibt es in der Rhetorik keine weiteren Argumentationsverfahren (1356b5-7). Nach der Definition von Beispiel und Enthymem (1356b13-17)
un-
terscheidet Aristoteles sowohl die Rede als auch die Redner nach dem Kriterium induktiven oder deduktiven Vorgehens
(1356b20-25).
Obwohl die paradeigmatische und die enthymematische Argumentation gleichermaßen überzeugend sind, unterscheiden sich beide hinsichtlich ihrer Wirkung auf die Hörer: Enthymeme finden eher Beifall (1356b23-24), da das deduktive Argulnentationsverfahren zwingender und für die Argumentationswiderlegung wirksamer ist 1 ). Dagegen ist das induktive Vorgehen sinnlich faßbarer, den Hörern vertrauter und einleuchtender.
I)
Top.IOSaI7-18.
39
Abgesehen von der Wirkung auf die Menge unterscheiden sich Enthymem und Paradeigma auch durch ihre Eignunq für einzelne Redegattungen. Das Beispiel ist für die beratende Rede geeigneter, da man von bereits geschehenen Einzelfällen auf ähnliche Ereignisse in der Zukunft schließen kann; das Enthymem eignet sich mehr für die Gerichtsrede, da ungeklärte Fakten einer Begründung bedürfen (136 8a29-3 3) . Die Tatsache, daß das Beispiel als ein dem Beisuiel gleichberechtis tes Argumentationsverfahren eingeführt, 1402b16-18 aber als eine der Prämissen aufgezählt wird, erklärt sich dadurch, daß eine induktiv gewonnene, allgemeine Aussage selbst wiederum
Basis
eines enthymematischen, also deduktiven Beweises sein kann. 1)
Die Prämissen des Enthymems und ihr syllogistischer
2.3.1.1
Wert Das Enthymem wird als Kernstück und wichtigstes Uberzeugungsmittel eingeführt (1354a14; 1355a6-8). Als das rhetorische Beweisverfahren (1355a6-7)2) wird es zu dem dialektischen Syllogismus in Beziehung gesetzt; es ist eine Art Von Syllogismus gismus
I) 2)
(1355a8), genauer gesagt der rhetorische Syllo-
(1356b4).
Vgl.
dazu auch pp.38-40.
'An6öELG~~
im strengen Sinn bezeichnet das wissenschaftliche Beweisverfahren, das von notwendigen Voraussetzungen ausgehend zu notwendigen Conclusionen gelangt, sofern es formal korrekt durchgeführt wird (so z.B. An.post.73a24; 7IbI7-18). Da sich die Beredsamkeit jedoch selten mit notwendigen, meist dagegen mit wahrscheinlichen Aussagen beschäftigt (1357a22-24), hat an6öELELb im rhetorischen Bereich die allgemeinere Bedeutung 'Argumentation. Argumentationsverfahren' . Vgl. dazu auch Lossau, p.103.
40
1356b15-17 wird das Enthymem definiert als " ••. TO OE (SC.OEI..HVUVUI..) TI..VWV 8'VTwV ~TEPOV Tl.. OI..U TUOTU au~ßuLVEI..V nupu TUOTU TQ TUOTU E[VUI.. n' Hu3oi\.ou Ti 0!; ~nt TO Ttoi\.U ... " Unter bestimmten Voraussetzungen allgeme~n
e!:"gibt sich also I
entweder
oder meistenteils, etwas von den Prämissen Verschie-
denes dadurch, daß die Voraussetzungen existieren. Da das Enthymem für Aristoteles den rhetorischen Syllogismus darstellt, ist die große Ähnlichkeit dieser Definition mit den bekannten Syllogismusdefinitionen An.pr.24b18-22; Top.100a25-27; Soph.El.164b27-165a2 nicht verwunderlich. 1) Die genannte AnalytiksteIle definiert den Syllogismus als Schlußfolgerung, bei der aus gegebenen Voraussetzungen etwas von ihnen Verschiedenes notwendig durch ihre Existenz folgt. TQ TUO.U E[val.. bedeutet, daß sich die Conclusio wegen
(OI..U TaO TU) der Prä-
missen ergibt (24b21). Die gegebenen Voraussetzungen müssen also für das Zustandekommen der Schlußfolgerung ausreichen. Nimmt man diese Erklärung von
T~
TaOTu E[val.. an, dann liegt die Vermutung
nahe, daß in der Enthymemdefinition OI..U TaOTu für das in den logischen Definitionen an dieser Stelle stehende treten ist. 2 )
tE
avaYHns einge-
Die Enthymemdefinition wird 1356b16 mit den Worten Ti Hu3oi\.ou Ti
1)
Zum aristotelischen Syllogismus vgl. auch J.Barnes, Aristotle' s Theory of Demons tration, in: Phronesis 14, 1969, pp.123-52; ders. Proof Destroyed, in: Doubt and Dogmatism, Oxford 1980, pp.161-81; M.Frede, Stoic versus Aristotelian Syllogistic, in: AGPh 56, 1974, pp.I-32.
2)
Top.l00a25-27 ist identisch mit An.pr.24b18-22. Statt .TQ TaOTa ErVal.. wird lediglich der Ausdruck OI..U TWV HEL~EVWV verwendet; die Bedeutung der Aussage ändert sich jedoch dadurch nicht.
41
w~ tnt ca nOAu erweitert. Aus dem Text geht jedoch nicht hervor, ob sich dies auf die Modalität von Prämissen und Conclusionen,
auf die formale Korrektheit des Schlusses oder auf die allgemeine, bzw. partikuläre Gültigkeit der Schlußfolgerungen bezieht.
--
Grimaldi bezieht die Aussage auf die Modalität der Prämissen.
Den ersten Begriff verweist er in den Bereich des streng wissenschaftlichen Beweises, den zweiten dagegen ordnet er dem Gebiet von Rhetorik und Dialektik zu. 1 ) Damit wäre der Notwendigkeits-
begriff der Wissenschaft, den Grimaldi ausdrücklich vom Gegenstandsbereich der ill1etorik scheidet, integrierter Bestandteil der Enthymemdefinition. Grimaldis strenge Trennung in die Gegensatzpaare Wissenschaft- notwendige Aussagen, Rhetorik und Dialektik - wahrscheinliche Aussagen läßt sich nicht aufrechterhalten, da sich Rhetorik ebenfalls mit notwendigen Sätzen beschäftigen kann, auch wenn dies in der Praxis selten der Fall ist. Vahlen identifiziert uu06AOU mit dem
tE
avayx~~
logismusdefinitionen, findet aber auch für Erklärung. 2)
~~
der übrigen Syl-
tnt ca nOAu keine
Der Vergleich der Definitionen zeigt, daß sich Enthymem und Syl-
!,
logismus nicht notwendigerweise formal unterscheiden. Beide
schließen von gegebenen Prämissen auf eine von diesen verschiedene Conclusio; allerdings wird in den Syllogismusdefinitionen
\
aUsdrücklich darauf hingewiesen, daß sich diese mit Notwendig-
keit ergibt. Im Gegensatz zum - Syllogismus kann das Enthymem aus Gründen der - --.-- ! -. - - --- . . -. -----~~
-~--
besseren
~ ~~ ~ ~
-~
Verständ~ichkeit
~
~
-~
~-
allgemein bekannte Prämissen, die der
Hörer leicht selbst ergänzen kann, auslassen. Es kann aus weniger Gliedern bestehen als der Syllogismus, kann jedoch ebenso-
I)
G r i rn a 1 cl i
2)
J.Vahlen,
K 0 rnrn •
z. S t .;
Rhetorik und
e ben S
0
Topik.
Cop e,
In t r
in:
RhMus
0
cl u c t ion, 22,
1867,
p. I 5 4 . p.I08.
42
gut auch syllogistisch vollständig sein. 1 ) Es besteht also keine Berechtigung, das Enthymem als verkürzten Syllogismus zu definieren. 2 ) Inhaltlich kann das Enthymem sowohl notwendige als auch v.rahrscheinliehe Aussagen behandeln; da sich die BeredsamJ<.eit jedoch meist mit menschlichem Sein und Handeln beschäftigt, in dem oft keine notwendigen, wissenschaftlich exakten Aussagen möglich sind, operiert sie vor allem im Bereich des Wahrscheinlichen. Da notwendige Conclusionen aus notwendigen Prämissen und wahrscheinliche Conclusionen aus wahrscheinlichen Prämissen hervorgehen (1357a27-29), treffen auch die Voraussetzungen der Enthymeme in der Mehrzahl der Fälle nur meistenteils zu. Aristoteles setzt hier voraus, daß die Modalität von Prämissen und Conclusio die gleiche ist. Der Fall, daß aus notwendigen Prämissen wahrscheinliche Conclusionen hervorgehen können oder daß eine der Prämissen wahrscheinlich, die andere dagegen notwendig ist, wird von Aristoteles nicht berücksichtigt. 3 ) Als Enthymemprämissen werden ELxo.a und
an~ELa genannt (1357a32f)4)
1)
Vgl. dazu auch p.9. Ebenso Ross, Aristotle's Prior and Posterior Analytics, a revised Text with Introduction and Commentary, Oxf~rd 1949, p.500; R.C.Seaton, The Aristotelian Enthymeme, in: Class.Review 28, 1914, p.116; E.H.Madden, The Enthymeme, Crossroads of Logic, Rhetoric and Metaphysics, in: Philos.Review 61, 196L, pp.374-75; Grimaldi, Komm.I, p.48; N.Harper, An Analytical Description of Aristotle's Enthymeme, in: Central States Speech Journal 2, 1973, pp.304-09.
2)
So R.L.Logian, The Enthymeme, The Rhetorical Species of Aristotle's Syllogism, in: Southern Speech Communication Journal 39, 1974, pp.207-22; Th.Crem, The Definition of Rhetoric according to Aristotle, in: Laval Theologique et Philosophie 12, 1956 (1958), p.24I.
3)
Vgl.
4)
Ebenso An.pr.70a2.
dazu auch Solmsen, Die Entwicklung,
p.13, Anm.l.
43
die mit den Begriffen ävuYKulov und
w~
tnt
La
nOAu korrespondie-
ren (1357a31-32). Wie Aristoteles diese Zuordnung versteht, wird im Anschluß an die Diskussion der Zeichen zu erörtern sein.
2.3.1 . 'I .1
Die wahrscheinlichen Prämissen , ~---------
Das Wahrscheinliche wird definiert als das meistenteils Geschehende, das sich bei den Dingen, die auch anders sein können und die nicht notwendig sind'), in Relation zu dem Gegenstand, bezüglich dessen es wahrscheinlich ist, wie das Besondere zum Allgemeinen verhält (1357a34-1357bl)2). An.pr.70a3-4 wird das Wahrscheinliche als eine bezeichnet. Ein
np6TuaL~
~v6oEo~
~v6oEov
ist eine von den meisten oder von weisen 3 Menschen gebilligte Ansicht. ) Als eine solche Ansicht kann das
Wahrscheinliche deshalb aufgefaßt werden, weil bekannt ist, daß die in der partikulären Aussage behauptete Tatsache in der Mehrzahl aller vergleichbaren Fälle zutrifft. 4 ) Nachdem der Wahrscheinlichkeits- und der Zeichenbegriff aus~,
~.
drücklieh differenziert wurden, führt Aristoteles An.pr.70a5-6 ein Beispiel an: Es sei eine wahrscheinliche Tatsache, daß Neider hassen; wenn nun eine Person A neidisch ist, so folgt dar-
I)
OUX &nAw~ schließt den Bereich des Notwendigen aus. Vgl. dazu auch W.B.Brentlinger, The Aristotelian Conception of Truth in Rhetorical Discourse, 1llinois 1959, pp.79-80.
2)
Grimaldi leugnet die Relationalität des Wahrscheinlichkeitsbegriffes (Studies, p.lI3, Komm.I, p.64). Vgl. dazu p.26.
3)
Top.IOOb21-23.
4)
Vgl. dazu auch S.Raphael, Rhetoric, Dialectic and Syllogistic Argument in Rhetoric 1-11, in: Phronesis 19, 197!~, p. 155.
44
aus, daß sie wahrscheinlich auch haßt. Die wahrscheinliche Aussage, daß alle Neider hassen,verhält sich zu dem Einzelfall, auf den geschlossen wird, wie das Allgemeine zum Besonderen. Dieser Schluß is.t syllogistisch korrekt und kann formal nicht widerlegt werden. Der Argumentationsgegner kann nur gegen die Gültigkeit der Propositio maior Einwände erheben. Zur Widerlegung eines Wahrscheinlichkeitsschlusses genügt e;-~lerdings-nicht, die ------_..---------- ------_. ----------_.-- Nichtnotwendigkeit zu zeigen, sondern die Nichtwahrscheinlichk~i t-'~u~--~~~i~s~~'-'~~rden (1·402b3-4-~3-5-j--:-·-wi-~d-d''~;~;e-~ die wahr-"
~-_.------------
--
----
scheinliche Propositio maior allgemein akzeptiert, so wird auch die darauf folgende Conclusio vorn Hörer anerkannt werden. In der Sekundärliteratur wird das
EtK6~
oft als ratio essendi
aufgefaßt und vorn Zeichen als der ratio cognoscendi unterschieden. 1)
Ein
E
tJ.1.6~-Enthy~-m gibt jedo~~icht-- in jedem Fall den
Grund für die in der Conclusio behauptete Tatsache an, wie aus Aristoteles' Beispiel hervorgeht; ein
EtK6~
Grimaldi unterscheidet
kann also auch ratio
~---------
cognoscendi sein. 2) E(K6~
und Zeichen dadurch, daß dieses "a 3
stronger demonstrative force" besitze als jenes ), vernachlässigt jedoch damit den entscheidenden Gesichtspunkt syllogistischer Korrektheit. Auch Grimaldis Ansicht, "but the eikos exists in and by itself without any formal relation to an other"4), ist abzulehnen, da Aristoteles die Relationalität des Wahrscheinlichkeitsbegriffes ausdrücklich hervorhebt.
I)
So S.Simonson, A definite Note on the Enthymeme, in: 66, 1945, p.103; Madden, p.372; McBurney, pp.56-58.
2)
Vgl. dazu auch Sprute, Anm.136.
3)
Vgl.
4)
Loc.cit.;
dazu Grimaldi,
Die Enthymemtheorie,
AJPh
pp.93-94,
Studies, p . l l l .
ferner ders.,
AJPh
101, pp.396-97,
Komm.I,
p.64.
45
2.3.1.1.2
Das notwendige Zeichen (Indiz)
Aristoteles beginnt seine Abhandlung der
On~ELU
mit der Fest-
Unterschei~dung zwischen dem notwendigen Zeichen, dem TEK~npLOV,
und dem nicht notwendigen Zeichen, das zunächst keinen besonderen Namen erhält (1357b3-5), dann aber ebenso wie der gemeinsame Oberbegriff mit der Bezeichnung
On~E[ov
belegt wird.
Rhet.1357a22-33 erklärt Aristoteles, daß sich Rhetorik in der Mehrzahl der Fälle mit wahrscheinlichen Aussagen beschäftigt und daß wahrscheinliche Conclusionen aus wahrscheinlichen Prämissen und notwendige Conclusionen aus notwendigen Prämissen hervorgehen.
"AvUYKULOV bezieht sich also in dieser Passage auf die Mo-
dalität der Prämissen, ebenso wie An.pr.70a7; dort wird das Zeichen als eine
np6TuoLs anooELKTLKn
n
avuYKutu
n
~vooEoJ)
beschrieben. Als ein Zeichen für die Existenz oder das Geschehensein einer Sache wird An.pr.70b7-9 dasjenige bezeichnet, bei dessen Vorhandensein die Sache auch vorhanden ist oder aber hinsichtlich dessen Seschehenseins die Sache früher oder später auch geschehen ist. Ein Zeichen existiert also nicht losgelöst als solches, sondern wird immer in Bezug zu dem Bezeichneten gesehen. Tm Gegensatz zu 1357a22-33 bezeichnet aVUYKa.toV 1357b5-6 ~icht
mehr die
Modalit~t
woh~l
der Prämissen, sondern die logische Not-
wendigkeit, mit der sich die Schlußfolgerung des Syllogismus aus den Voraussetzungen ergibt, da 1357b1 f
die Unwiderlegbarkeit
des Schlusses mit der Notwendigkeit des' TEKW1PLov
I)
begrün,det
Zu Bedeutung und Bezug dieser drei Adjektive vgl. Maier, p.4 R 2, Anm.2; R.OSS, Komm. zur St.; Grimaldi, Studies, p. 111. Komm. I, p.65; Sprute, Die Enthymemtheorie, p.90,Anm.1 14.
46
wird 1 ). Es ist also anzunehmen, daß der Notwendigkeitsbegriff bereits 1357b4 in formaler Hinsicht aufzufassen ist. 2) Von den Zeichen ](ann allein das
LEK~~PLOV
einen Syllogismus der
ersten Figur tragen (1357b5-6). Als Beispiel nennt Aristoteles zwei Enthymeme, deren Propositio maior lautet: alle, die Fieber
f'~
haben, sind krank; a~~'-:l_e:,l~.!__ ~~~_~~_l_~I:. __ ha~_e.!l'_ haben ge~_~J::"_~n. Dieser Obersatz gilt in beiden Fällen als allgemein be~annt und wird deshalb ausgelassen, da ihn der Hörer selbst ergänzen wird. Nimmt man zu dieser allgemeinen Aussage die singuläre Feststellung hinzu, daß dieser Mann Fieber hat, bzw. daß diese Frau Milch hat, so ergibt sich daraus die Folgerung: Dieser Mann ist krank, oder diese Frau hat geboren, wobei das Zeichen Subjekt der Propositio maior und Prädikat der Propositio minor ist. Der Zeichenbegriff verhält sich hier wie das Besondere zum Allgemeinen, da Fieber haberi.-~(i;zw. Milch }lä.b~n) ein besonderes Zeichen des umfangmäßig größeren Begriffs Krankheit (bzw. Geburt) ist. 3 ) -~------
-,-
-<'=-"-~,~---=--=---
I)
Ebenso Cope, Introduction, p.!64 und Grimaldi, Komm.z.St.: anders aber Dufour, p.8!. Zu Sprutes Interpretation vgl.p.30.
2)
Auch Solmsen, Die Entwicklung, p.14 Anm.!, Maier und Teßmer, pp.36-40, weisen auf den Bedeutungswechsel des Notwendigkeitsbegriffes hin, den Solmsen und Teßmer mit entwicklungsgeschichtlichen Hypothesen zu lösen versuchen. Vgl. dazu pp.29-30.
3)
Ebenso McBurney, p.S7: Maier,p.483,Anm.2 und Grimaldi,Komm.I, p.67, der allerdings keinen Unterschied zu dem Zeichen sieht, das sich wie das All3emeine zum Besonderen verhält. Anders dagegen Spengel,Aristotelis ars rhetorica, cum adnotatione 11, p.66,der auf An. pr.70a30 verweist; dort wird der Syllogismus der ersten Figur als Ha30Aou bezeichnet; Ha30Aou meint dort jedoch die AllgemeingUltigkeit des Mittelbegriffes. Spengel wird unterstützt von Sprute, der mit den Begriffen XU80AOU und xaL' EXUOLOV das Verhältnis zwischen dem Indiz, "das als allgemeine Aussage in den Obersatz eingeht", und der Conclusio bezeichnet sieht. Dagegen ist zunächst einzuwenden, daß das Indiz nicht nur als Subjekt in den Obersatz, sondern auch als Prädikat in den Untersatz eingeht. Zudem ist festzustellen, daß die von Sprute angenommene Beziehung zwischen dem Subjekt der Propositio maior und der Conclusio von geringerer Bedeutung ist, da in Aristoteles' Beispiel der allgemein bekannte Obersatz nicht ausformuliert wird.
47
In dem von Aristoteles verwendeten Beispiel kommt dem Zusammenhang zwischen Indiz und Indiziertem unm~~t~!--'?h_,
Notw~nd~_2!~_it
zu. Es ist also
(laße.i~._~_~"e~e_r::!1~~E__ Mensch nic~~~~c~,:,:~l_~__ ist.
Da aber Aristoteles die Notwendigkeit des
~EK~~P~OV
mit der Un-
widerlegbarkeit des darauf basierenden Schlusses begründet (1357 b17)
und da sich avuYKutov bereits 1357b5-6 auf die syllogisti-
sche Notwendigkeit eines auf einem
.EK~~pLOV
beruhenden Schlus-
ses bezieht, ist für das Verständnis des aVuYKutov
(1357b4-21)
wohl die logisch-formale Notwendigkeit der entscheidende Gesichtspunkt. Daß der Aspekt der Beziehung zwischen Indiz und Indiziertem bei der Behandlung des notwendigen Zeichens in der Rhetorik zwar in den Hintergrund getreten ist, aber immer noch mitschwingt, geht aus 1402b18-20 hervor; dort beschreibt Aristoteles die Tekmerienenthymeme als Schlüsse oLa avuYKuLOU KUt ~Et
das
öv~o~.
Obwohl Aristoteles An.pr.70b1-6 noch schwankt, ob
.EK~~pLOV
und damit auch der Notwendigkeitsbegriff das Zei-
chen selbst oder den darauf basierenden Schluß bezeichnet, ist Rhetorik 1357 a34-135 7b21 wohl die f.ormale Notwendigkei t des auf einem ~EY.~~PLOV basierenden Schlusses entscheidend. 1 ) Teßmer versucht, den Bedeutungswechsel des Notwendigkeitsbegriffes gegenüber der vorangegangenen Textpassage durch entwicklungsgeschichtliche Hypothesen zu erklären; 2) Maier nimmt Fehler bei Aristoteles an und vermutet, daß sich ~EK~~PLOV auch auf den gesamten Schluß beziehen könne. 3 ) Diese Möglichkeit wird zwar von Aristoteles An.pr.70bl-6 selbst erwähnt und liegt auch nahe, da
I)
Ebenso Maier,
p.488; Teßmer,
2)
Teßmer, pp.36-40. Auf Teßmers komplizierte These. die von der heutigen Forschung im allgemeinen abgelehnt wird (vgl. dazu Sprute, p.9S; He11wig, p.21), soll hier nicht näher eingegangen werden; vgl. dazu aber p. XV.
3)
Maier,
pp.488-91.
p.38;
Brentlinger p.170.
48
sich der Notwendigkeitsbegriff Rhet.1357a34-1357b21 auf die logisch-formale Notwendigkeit bezieht. Die These läßt sich jedoch durch den Text nicht beweisen, da 1357b10-17 die Begriffe 'Sokrates',
'Fieber',
'Milchhaben',
'Schweratmen' als Zeichen aufge-
faßt werden, die auf einen bestimmten Sachverhalt hinweisen. Aus diesen Zeichen wird ein Enthymem gebildet (1357a32-33; 1402b 13-21), das entsprechend der Stellung des Zeichenbegriffs innerhalb des Schlusses entweder notwendig und damit formal unwiderlegbar oder aber nicht notwendig und damit formal widerlegbar ist (1357b5-7i
1357b13-14; 1357b19-21; 1401b9-10i 1403a2-5) .1)
Sprute bezieht den Notwendigkeitsbegriff 1357a22-1357b21 durchgängig auf den Zusammenhang zwischen Indiz und Indiziertem und versteht die logische Beziehung zwischen beiden Gliedern als materiale Implikatio.~. 2) Aufgrund der von Aristoteles verwendeten Beispiele erscheint es durchaus plausibel, avayxa[ov
(1357
a34-1357b21) auch auf das Verhältnis des Zeichens zu dem Bezeichneten zu beziehen. 3 ) Für die vorangegangene Textpassage (1357a22-33)
ist Sprutes In-
terpretation aber abzulehnen, da dort die Zeichen noch nicht behandelt wurden und infolgedessen die Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem auch noch nicht vorausgesetzt werden kann. Ferner läßt Sprutes Ansicht die Frage offen, warum Aristoteles die Notwendigkeit des
LEX~~PLOV
ausdrücklich mit der Unwiderlegbar-
keit des darauf basierenden Schlusses begründet (1357b17).
I)
Dagegen siedelt Lossau, p.88 die LEK~~PLa allzu vage als nicht notwendige Zeichen, die "freilich Tendenz zur Notwen-~ digkeit haben", zwischen dem Wahrscheinlichkeits- und dem Notwendigkeitsbegriff an.
2)
Sprute, Die Enthymemtheorie, pp.93-94.
3)
So bereits Cope, Introduction, pp.164-65; Grimaldi, Studies, Komm.I, pp.64-65 spricht etwas vage von "an element of necessity in relation to the signate".
p.1 I I;
49
Es liegt nahe ,unter den Prämissen eines. Tekmerienenthymems apo-
-dj.kt.t_~~h'::'_n-ot-i~~~~~g_~-_s_ä t-Zt3_~-~~_~erstehe? 1 ) Daß dieser Modalfaktor keineswegs immer vorausgesetzt werden kann, zeigt An.pr.70a26-27. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß das LEHJ-l~PLOV mit Sicherheit auf das Bezeichnete hinweist, daß aber in der Rhetorik die formale Notwendigkeit des darauf beruhenden Schlusses wohl im Vordergrund steht. Sprutes Einwand gegen diese These, daß auch logisch einwandfreie Indizienenthymeme widerlegt werden können, sofern dem Zusammenhang zwischen Indiz und Indiziertem lediglich eine gewisse, aber keine ausreichende Wahrscheinlichkeit zUkomme 2 ), läßt sich durch den Text nicht belegen, da Aristoteles die Unwiderlegbarkeit des
2.3.1.1.3
TEHJ-l~PLOV
voraussetzt.
Die nicht notwendigen Zeichen
Neben dem TEHJ-lnpLOV kennt Aristoteles auch das nicht notwendige anJ-lELov. Es hat denselben Namen wie der allen Zeichen gemeinsame Oberbegriff (1357b4-5;
1402b20).
Von den nicht notwendigen Zeichen behandelt Aristoteles zunächst jenes, das vom Besonderen auf das Allgemeine verweist. Wenn von der Gerechtigkeit des Sokrates auf die Gerechtigkeit aller Weisen geschlossen wird
(1357b11-13), so verhält sich das Zeichen
- die Gerechtigkeit des Sokrates -
zu dem Bezeichneten - die
Gerechtigkeit aller Weisen - wie das Besondere zum Allgemeinen. Die Weisheit des Sokrates gilt als allgemein bekannt und kann deshalb als Prämisse ausgelassen werden.
I)
Solmsen, Die Entwicklung, p.13; Martin, p.I06; dagegen Sprute, Die Enthymemtheorie, p.91. Auch Grimaldis Ansicht, das notwendige Zeichen impliziere "unchanging entities in the sense of Met.I026b27-30" (Studies, p.113); ähnlich Komm.I, pp.59; 65, kann durch" den Text nicht bewiesen werden.
2)
Sprute,
op.cit.,
p.97.
50
Ein Enthymem der Form:
'Sokrates ist gerecht, also sind alle
Weisen gerecht', in dem das Zeichen das Subjekt beider Prämissen bildet, ist syllogistisch aber nicht korrekt und deshalb immer widerlegbar, selbst wenn die Conclusio wahr sein sollte (1357 b13-14)1), da die Argumentation von der Kombination zweier Prädikate in einem Subjekt eine allgemeine Regel ableitet, nach der alles, was eine der' beiden Eigenschaften besitzt, auch die andere aufweisen soll. Aus zwei singulären Aussagen kann keine allgemeingültige, sondern allenfalls eine partikuläre Conclusio folgen. 2 ) Dieser Fall wird von Aristoteles aber nicht berücksichtigt, da nur solche Zeichen behandelt werden, die sich wie das Allgemeine zum Besonderen verhalten. Als weiteres nicht notwendiges Zeichen wird das
a~~Erov
genannt,
das sich zu dem Bezeichneten wie das Allgemeine zum Besonderen verhält. Wird heftiges Atmen als ein Zeichen von Fieber betrachtet, so verweist dieses Zeichen vom Allgemeinen zum Besonderen (1357b17-21), da 'heftiges Atmen' den umfangmäßig weiteren Begriff darstellt, dessen besondere Ursache Fieber sein kann. Aber auch ein Enthymem, das von heftigem Atmen einer Person darauf schließt, daß diese Fieber habe - wobei die Propositio maior 'wer Fieber hat, atmet heftig' ausgelassen wird -,kann widerlegt werden; auch ohne Fieber zu haben, kann jemand rasch atmen. Der Zeichenbegriff ist in diesem Fall jeweils Prädikat beider Prämissen. Rhet.1401b9-14 wird ein Zeichen derselben logischen Struktur als Grundlage eines Trugschlusses genannt: Wenn man von
I)
Ebenso
140Ib9-11;
1403a2-5.
2)
Seaton, p.117, ist der Ansicht, daß das Sokratesbeispiel vom Allgemeinen zum Besonderen argumentiere, da die Folgerung allenfalls eine partikuläre Conclusio ermöglicht. Dagegen ist einzuwenden, daß Aristoteles hier das Verhältnis von Zeichen zu Bezeichnetem und nicht das Verhältnis von Prämisse zu Conclusio beschreibt.
51
d==---~chlechtig~~~.:t:_ d~.EL pionysios dar~~_~ schl~E!J~_t, daß _er auch ein Dieb§ßi,~so
verhält sich auch dieses a~~Etov wie das Allgemeine Die Proposi tio maior 'jeder Dieb ist_ schlecht' 1 )
z:~-~esonderen.
wird dabei ausgelassen. Eine Schlußfolgerung dieser Art, in der
f~~4 j \ ::_:e:;~;~e~:~~:~::~~-;:~-~~~i~~~;:-;i~~::~~~t~-~-~'~:~~':o~::~
Die
'Widerlegbarkeit wird mit der syllogistischen Ungültigkeit eines darauf aufbauenden Enthymems begründet (1357b14;
1401b9-11). Wie
bei den notwendigen Zeichen, so scheint auch bei den nicht notwendigen
a~~Eta
nicht die Modalität der Prämissen, sondern vor
allem die syllogistische Korrektheit einer darauf aufbauenden Argumentation im Vordergrund zu stehen. An.pr.70a30-37 begründet Aristoteles die Widerlegbarkeit der a~~Eta
mit der Stellung des Zeichenbegriffs innerhalb der Schluß-
folgerung. Im Falle des
a~~E[ov,
das vom Allgemeinen zum Besonde-
ren argumentiert, ist das Zeichen jeweils Prädikat der Prämissen; im Fall des
a~~E[ov,
das sich wie das Besondere zum Allgemeinen
verhält, ist es deren Subjekt. Unwiderlegbar ist allein ein Syllogismus der ersten Figur, in dem der Zeichenbegriff Subjekt
d~r
ersten Prämisse und Prädikat
der zweiten Prämisse ist. Von den Zeichen ermöglicht allein das .EK~~pLOV eine Schlußfolgerung dieser Art. Aristoteles läßt also 1357a34-1357b21 auch syllogistisch nicht korrekte Enthymeme zu, obwohl das Enthymem doch an vielen Stel2 len als der rhetorische Syllogismus bezeichnet worden war. )
I)
Grimaldi, Studies, p.98, versucht durch Umkehrung der Prlmisse, einen gültigen Syllogismus des Modus Barbara zu konstruieren, der lediglich von einer falschen Voraussetzung ausgeht, formal jedoch korrekt ist. Da die Widerlegbarkeit der a~~Eta jedoch mit ihrer syllogistischen Ungültigkeit begrilndet wird, kann man kaum umhin, diese als Bestandteil des nicht notwendigen Zeichens anzuerkennen.
2)
So 1355a8; 1356b3-4; 1356b4_; 1356b17; 1394a26; 1395b22. Die Feststellung von eh. Mudd, The Enthymeme and Logicai Validity,
52
Die bisher zurückgestellte Zuordnung des Wahrscheinlichkeitsund des Zeichenbegriffes zu den Ausdrücken ävayuatov und w~ ~nt T~ no~6
(1357a32-33)
ist problematisch.
~ristotel~s
stellt 1357
a30-32 fest, daß die Prämissen der Enthymeme entweder notwendig oder wahrscheinlich sind; er fügt dann als weitere voraussetzung hinzu, daß die Enthymeme entweder aus ECuoTa oder On~Eta bestehen (1357a32-33) und zieht daraus den Schluß: (00TE a.vayun To6TWV Aus den beiden gegebenen Prämissen ergibt sich aber noch nicht die gegenseitige Entspre~ chung von ECuoTa und w~ ~nt TC nOAU YLyvo~Eva einerseits und avayuara und On~Eta andererseits. Erst der folgende, mit yap eingeleitete Satz, der von Ross irrtümlich durch Absatz vom Vorangegangenen abgetrennt wurde, liefert mit der Identifikation von ECUO~
und
w~
~nt
T~
nOAu
YLYVO~EVOV
(1357a34-bl) die dritte Prägezogenen Schlus-
misse, die die Korrektheit des von Aristoteles ses gewährleistet. 1)
An der problematischen Stelle (1357a30-34) wird also der Begriff Etuo~
dem w~ ~nt T~noAu YLyv6~EVOV und das On~Etov dem a.vayuatov zugeordnet. 2) Es ist aber darauf hinzuweisen, daß der Zeichenbe-
griff hier im engeren Sinn verwendet wird und nur die notwendigen Zeichen umfaßt. Die nicht notwendigen On~Eta, die ja auch keinen formal korrekten Syllogismus ermöglichen, werden dagegen 1354a3034 nicht berücksichtigt.
1)
J. Schröder,u QoTE ~uaTEpov aUTwv ~uaT8p~ To6TWV Ta a6T~ (Ar. Rhet. A2, 1356a35-bIO,1357a22-bl), in: Hermes 113, 1985, pp.172-83.
Vgl.
E[vaL 2)
So bereits Dufour, Grimaldi, Komm. z. St.; Sprute, Die Enthymemtheorie,p.99,Anm.3, Teßmer,p.38, die diese Entsprechung allerdings voraussetzen, ohne die 1354a34-bl genannte Prämisse, die für die Korrektheit des Schlusses unverzichtbar ist, zu erwähnen. Cope, Introduction,p.159,Anm.1 bemerkt die Schwäche dieser Argumentation, löst das Problem allerdings durch eine aufgesplitterte Zuordnung, indem er das TE~~npLOV ~em Notwendigen,das nicht notwendige Zeichen und das Etuo~ dagegen dem meistenteils Geschehenden zuordnet.
53
Solmsen weist darauf hin, daß Aristoteles 1401b9ff anders als 1357b3ff aus dem unsyllogistischen Charakter des
an~ErOV
den
Schluß zieht, daß es nicht als Enthymem gelten dürfe; nach Solmsens Ansicht läßt sich Aristoteles dort von der logischen Theorie, hier aber von den praktischen Bedürfnissen der Rhetorik leiten. 1 ) Auch Sprute vertritt die Ansicht, daß Aristoteles diesem an~ErOV praktische Bedeutung beimißt. 2 ) Tatsächlich scheint die Anerkennung syllogistisch nicht korrekter Enthymeme ein Zugeständnis an die Erfordernisse rhetorischer Praxis zu sein. Der Zuhörer, der im allgemeinen ein schlichtes Gemüt besitzt (1357a11-12), kann allzu komplizierte Schlußfolgerungen nicht nachvollziehen, so daß der Redner wohl bisweilen auch Zuflucht zu einleuchtenderen, wenn auch syllogistisch nicht ganz korrekten Argumentationen nehmen muß. Ob und zu welchem Zweck er diese verwendet, ist in sein eigenes Ermessen gestellt; der wahre Redner wird jedoch solche Enthymeme nicht mißbrauchen. 3 )
2.3.1.1.4
Das Beispiel
Das Beispiel wird Rhetorik 1356b13-15 definiert als der Nachweis eines Sachverhaltes durch die Anführung vieler oder ähDlicher Einzelfälle. Dieses Verfahren wird in der Dialektik der Rhetorik
nap&6Ely~a
~naywy~,
in
genannt. Die hier nicht näher qualifi-
zierte Beziehung zwischen dialektischem und rhetorischem Induk4 tionsverfahren wurde 1356b1-10 näher bestirnmt ) und wird deshalb
I)
Solmsen,
Die Entwicklung,
p.23.
2)
Sprute, Die Enthymemtheorie.
3)
Vgl.
dazu auch pp.4;
4)
Vgl.
dazu p.20.
64-65.
p.108.
54
bei der genaueren Beschreibung des Beispiels
(1357b25ff)
als be-
reits bekannt vorausgesetzt. Im Gegensatz zu Enthymem und Syllogismus operiert das Beispiel induktiv. Auch die Relation des
TIapaoELy~a
zu dem zu erhellenden
Fall wird beschrieben: Es argumentiert von einem Einzelfall zu einern anderen Einzelfall, von einern Ähnlichen zu einem anderen Ähnlichen
(1357b27-2-9).1 Dabei müssen beide ÖllOLU
demselben
y{;vo(:; angehören, wobei das herangezogene Ät'l.nliche bekannter sein muß als der dadurch zu illustrierende Fall: ~ yvwPLllWTEPOV
OE
(1357b29-30) . Hier erhebt sich die Frage nach Bezug und Bedeutung des Wortes
~a-
\v'rJ< //
'y8VOG'. Das Problelu läßt sich mittels des Beispiels verdeutlichen, das Aristoteles in der Rhetorik gibt. Die durch das Beispiel zu stützende Behauptung fordert,
ist:
"Da Dionysios eine Leibwache
strebt er nach der Tyrannis." Zur Verdeutlichung dieser
These werden die Einzelbeispiele des Peisistratos und des Theagenes von Megara herangezogen; beide forderten eine Leibwache und bemächtigten sich danach der Alleinherrschaft. Ist nun mit dem YEVOG, dem sowohl die Beispiele des Peisistratos und des Theagenes als auch der dadurch zu erhellende Fall des Dionysios angehören, die Forderung nach einer Leibwache oder das Streben nach der Tyrannis gemeint? Da nach der Forderung der An.pr.69a7-g 2 ) bekannt sein soll, daß ~er
Mittelbegriff, nämlich die Forderung nach einer Leibwache,
sowohl dem
~lnlichen,
also Peisistratos und Theagenes, als auch
dem Unterbegriff, nämlich Dionysios, zukommt, bleibt nur die zweite Möglichkeit übrig. Wenn Aristoteles also fordert, daß die
I)
Zuvor wurden die anderen RelationsmHglichkeiten, nämlich das Verhältnis eines Teils zum Ganzen oder umgekehrt und das Verhältnis eines Ganzen zu einem anderen Ganzen ausgeschlossen.
2)
Vgl.
dazu p.38.
y
55
Beispiele des Peisistratos und des Theagenes ebenso wie der Fall des Dionysios unter dasselbe
y~voC
fallen, so kann sich
y~voC
nur auf das 'Streben nach Tyrannis' beziehen. Dieser Begriff erfüllt auch Aristoteles' Forderung nach unterschiedlichem Bekanntheitsgrad beider ö~oLa~ die Zuhörer wissen, daß Peisistratos und Theagenes von Megara sich der Alleinherrschaft bemächtigten, bei Dionysios ist der Ausgang des Falles noch nicht bekannt. Hier verfügt der Redner über einen Wissensvorsprung: Er weiß bereits um die Zugehörigkeit zu derselben Klasse und ist sich sicher, daß sowohl Peisistratos und Theagenes als auch Dionysios der Begriff 'Streben nach Tyrannis'
zukommt. Das Publikum dagegen besitzt
dieses Wissen nicht oder nur in geringerem Maß
(1357b29-30).
Wäre dieser Wissensvorsprung des Redners nicht vorhanden, erübrigte sich die gesamte paradeigmatische Argumentation, da dann die durch das Beispiel zu stützende These bereits für alle offenkundig wäre. Der Redner kann also seine Behauptung, daß Dionysios nach der Tyrannis strebe, durch den Hinweis auf Peisistratos und Theagenes plausibel machen, die sich beide nach Erhalt der Leibwache zum Alleinherrscher machten. Die Beispiele lassen die allgemeine Schlußfolgerung zu,
'wer eine Leibwache fordert, strebt nach
der Alleinherrschaft'. Dieser allgemeine Satz kann selbst wiederum Prämisse eines Enthymems sein, das auf den Einzelfall des Dionysios schließt: Alle, die eine Leibwache fordern, streben nach der Tyrannis; Dionysios fordert eine Leibwache; also strebt er die Alleinherrschaft an. Sowohl die Aussagen über Peisistratos und Theagenes als auch die dadurch zu stützende These über Dionysios fallen unter den allgemeinen Satz • wer ej_ne Leibwache fordert, will sich zum Alleinherrscher machen'
(1357b35-36), der
durch die Einzelbeisniele induktiv gewonnen wird und die Basis eines Syllogislnus darstellt, der wiederum
auf einen neuen Ein-
zelfall schließt (1402b17-18). \
• Yno -ro aÖLo u.aaoi\.ou
t
1357b35f) meint einen Satz, uno La aULa
\ y~voC dagegen den Prädikatsbegriff 'Streben nach Tyrannis' der Aussagen über Peisistratos, Theagenes und Dionysios. In der Se-
56
kundärliteratur wird zwischen beiden Ausdrücken nicht immer streng geschieden. 1 Cope identifiziert sie stillschweigend ), Grimaldi ausdrücklich 2 miteinander ). Auch Sprute äußert sich nur vage zu dem Problem. 3) An.pr.68b38-69a19 erläutert Aristoteles die einzelnen Argumentationsschritte des Beispiels näher: Es zeigt durch einen dem Unterbegriff
(=r)
Mittelbegriff
ähnlichen Term, daß der Oberbegriff
(=B)
(=A)
dem
zukommt; dabei muß klar sein, daß der Mittel-
begriff dem Unterbegriff und der Oberbegriff dem herangezogenen ähnlichen Begriff
(=ö)
zukommt
(68b38-40). Aristoteles illustriert
dies durch ein Beispiel. Es soll gezeigt werden, daß der Krieg der-Athener gegen die Thebaner ein Ubel ist.
Zur Veranschaulichung zieht der Redner einen
ähnlichen Fall, etwa den Krieg der Thebaner gegen die Phoker heran, dessen schlechter Ausgang allgemein bekannt ist. Aristoteles setzt nun für den Buchstaben Ö den Begriff 'der Krieg der Thebaner gegen die Phoker', für r
den Unterbegriff 'der Krieg der
Athener gegen die Thebaner', für A den Unterbegriff
'Ubel'
und
für B den Mittelbegriff 'Kriege gegen Grenznachbarn~ (68b41-69a2). Es muß erstens bekannt sein
(68b40; 69a8), daß der Krieg der
Thebaner gegen die Phoker in der Tat schlecht ausging, also ein Ubel
(A)
war, und daß zweitens der Krieg der Athener gegen die
Thebaner ein Krieg gegen Grenznachbarn
Introduction,
(B)
ist.
I)
Cape,
2)
Grimaldi,
3)
Sprute, Die Enthymemtheorie, p.81. Er spricht bei der Behandlung des Beispiels der Analytiken nur unbestimmt von der Klasse der Kriege gegen Grenznachbarn, obwohl mit dem Wort y~voG der Prädikatsbegriff 'ein tibel sein' gemeint ist. Ebenso W.Schrnidt, Die prinzipielle Bedeutung der Induktion bei Aristoteles, München 1974, pp.202; 204.
Komm.
p.l06.
zur St.
57
Aus
1)
t;"
ist
A
und
2)
t;"
ist
B
wird induktiv gewonnen
A.
Da ferner gilt
B,
so folgt daraus
3) Alle B sind 4) r ist
r
5)
ist
A.
In dieser Argumentation kommt sowohl dem Subjekt
t;"
(der Krieg
der Thebaner gegen die Phoker) als auch dem Subjekt r (der Krieg der Athener gegen die Thebaner) das Prädikat B (ein Krieg gegen Grenznachbarn sein) pEtaöaL
zu:
ä~~w yap ~a~L
npob .0Ub
O~6pOUb
avaL-
n6AE~ov(An.pr.69a7-11).
Hier werden also unter 2) und 4)
d~~w
die Subjektsbegriffe der Aussagen
subsumiert.
An.pr.69a15 aber muß sich d~~w auf den Prädikatsbegriff A (ein übel sein) beziehen, weil nur von einern der Fälle bekannt ist, daß ihm der Prädikatsbegriff A zukommt. An der anderen Textsteile
(69a7-11) dagegen soll offensichtlich
sein, daß sowohl r als auch
t;"
der Begriff B zukommt.
Die Relation zwischen Beispiel und dem dadurch zu illustrierenden Fall wird 1357b26-28 erklärt; das Beispiel verhält sich wie ein Teil zu einern anderen Teil, wobei beide Begriffe derselben Klasse angehören sOllen. 1 ) Über den Krieg der Thebaner gegen die Phoker ist allgemein bekannt, daß er ein Übel war, von dem Krieg der Athener gegen die Thebaner dagegen kann es nur vermutet werden. In beiden Aussagen 2 ) fällt das Prädikat nach Ansicht dessen,
I)
Ebenso An.pr.69aIS-16.
2)
nämlich
I)
Der Krieg der Thebaner gegen die Phoker war ein Ubel. S) Der Krieg der Athener gegen die Thebaner wird ein Übel sein.
58
der das Beispiel anführt, unter dieselbe Klasse, nämlich 'ein Ubel sein'. Rhetorik 1357b30-36 erklärt Aristoteles die paradeigmatische Argumentation weniger ausführlich; auch hier werden seine Aussagen durch ein Beispiel veranschaulicht. Wenn der Redner zeigen will., daß Dionysios nach der Tyrannis strebt, weil er eine Leibwache fordert, so müssen analoge Fälle zur Veranschaulichung herangezogen werden.
'Analog' bedeutet
hier, daß den Aussagen, die zur Unterstützung der Argumentation herangezogen werden, derselbe
P r ä d i k a t sbegriff zukommt
wie dem noch zu erhellenden Fall. Der Redner kann also auf Peisistratos und Theagenes von Megara hinweisen, die sich nach Erhalt der Leibwache der Alleinherrschaft bemächtigen. 1) Erst die Analyse von An.pr.68b38-69a19 ermöglicht das Verständnis von Rhet.1357b25-36) .2)Aristoteles faßt das Beispiel als zweiteilige Argumentation auf, die aus einem deduktiven und einem induktiven Teil besteht; der zweite Teil der Argumentation stellt einen gültigen Syllogismus des Modus Barbara dar, dessen Propositio maior 3 durch eine unvollständige Induktion gewonnen ) und deshalb nicht als wahr im wissenschaftlichen Sinne bewiesen wurde. Somit ist auch die Schlußfolgerung der gesamten paradeigmatischen Argumentation nicht in jedem Fall eine notwendige Aussage.
I)
Vgl.
dazu auch pp.38-39.
2)
Darauf weist bereits Sprute, Die Enthymemtheorie, pp.80ff hin. Zum Begriff der trraywy~ vgl. auch K.von Fritz, Die trraywy~ bei Aristoteles (Sitz.-Ber.der Bayer.Akad.d.Wiss., phil.-hist.Klasse 1964,3), München 1964.
3)
Die Tatsache, daß Aristoteles 1398a33 die trraywy~ als T6rro~ des Enthymems einführt, kann ebenfalls damit erklärt werden, daß der Obers atz eines Enthymems induktiv veranschaulicht wird. Dagegen sieht Solmsen an dieser Stelle einen widerspruch zur Einführung des Beispiels als eines dem Enthymem gleichberechtigten Argumentationsverfahrens. Auch Kantelhardt, pp.37-41 und Teßmer, p. 1 10 versuchen den scheinbaren Widerspruch durch die Zugehörigkeit zu verschiedenen Schichten zu erklären.
59
Rhet.1357b25-36 meint Aristoteles mit dem Begriff napa6ELy~a die gesamte Argumentation, also sowohl den induktiven als auch
~~n
deduktiven Teil. Wie aus 1402b16-18 hervorgeht, ist sich Aristoteles der ZweiteiliSkeit des rhetorischen Beispiels durchaus be2 1 wußt: b17 ) wird der deduktive Argumentationsteil, b17-18 ) die induktiv gewonnene allgemeine Aussage bezeichnet.
Im Gegensatz
zu 1357b25-36 und An.pr.68b38-69a19 meint der Ausdruck Paradeigma hier jedoch nicht die gesamte Argumentation, sondern den zur Ver3 deutlichung herangezogenen Einzelfall. ) Auch 1357b33-35 werden die Einzelfälle des Peisistratos und des Theagenes als
napa6ELy~aTa
bezeichnet. Für das Verständnis der
paradeigmatischen Argumentation spielt es jedoch keine Rolle, ob der Begriff in engerem oder in weiterem Sinn verstanden wird. Dennoch verursachte auch diese Tatsache Unklarheit. Während Gri4 maldi das rhetorische Beispiel vage als "induction" beschreibt ) , unterscheidet G.Hauser das Paradeigma des ersten Rhetorikbuches -,--
- --
---"_ --_v_
als ein-aem-EntfiYlll~iU-g~eichberechtigtes Argumentationsverfahren, das direkt von Teil zu Teil schließe, von dem ten Buches, das
.alsdie~h~~orische
Induk~ion
B~~~I~'~:~~~-!3J:_tl;t?:e5) ~ -G~gen dieseTh~se- sprich~
~eispiel
des zwei--
die Prämisse eines die Tatsache, daß
die Beispie1.e des ersten und des zweiten Buches formal identisch sind und daß Aristoteles den nach Hauser unwichtigen allgemelnen Satz 1357b35-36 selbst angibt. Wenn das rhetorische Beispiel aber sowohl einen induktiven als auch einen deduktiven Teil enthält, so erhebt sich die Frage,
3)
Vgl. dazu auch Sprute, Die Enthymemtheorie,pp.86-87. Aristoteies spricht hier von einem Enthymem m~ttels Paradeigma.
4)
Grimaldi,
5)
G. Hauser, The Example in Aristotle's Rhetoric: Bifurcation or Contradiction.in: Philosophy and Rhetoric 1,1968,pp.85-88.
Studies,pp.59; 68.
60
warum es von Aristoteles als die rhetorische Induktion bezeichnet wird (1356b1-5), obwohl es sich nach An.pr.69a16-19 doch gerade durch den der allgemeinen These folgenden Syllogismus von der Induktion unterscheidet. Sprute ist der Ansicht, daß bei der Gegenüberstellung von Enthymem und Paradeigma der epagogische Teil der einzig bemerkenswerte sei und daß der syllogistische zweite Teil demgegenüber in den Hintergrund trete. Er erklärt dies damit, daß in der Gewinnung einer allgemeinen Regel mit Hilfe von analogen Fällen der entscheidende Schritt einer Argumentation bestehe. 1)
Es ist möglich, daß Aristoteles vor allem aus diesem Grund den induktiven Teil des Beispiels hervorhebt. Doch muß auch berücksichtigt werden, daß Aristoteles 1356a35-1356b11 das Beispiel als ein dem Enthymem gleichberechtigtes Argurnentationsverfahren einführt. Da das Enthymem und seine Prämissen ausführlich behandelt werden, wäre es schlechthin überflüssig, diese Aussagen über die deduktive Argumentation auch für das Beispiel zu wiederholen. Aristoteles betont bei der Nebeneinanderstellung der beiden logischen Überzeugungsmittel weniger ihre Gemeinsamkeit als vielmehr ihre Unterschiede. Somit erscheint es verständlich, daß vor allem der induktive Teil der paradeigmatischen Argumentation hervorgehoben wird und daß das Beispiel als die rhetorische Induktion bezeichnet werden kann. Im zwanzigsten Kapitel des zweiten Rhetorikbuches unterscheidet Aristoteles zwischen fiktivem und realem Beispiel; das reale Beispiel beruht ~fEatsiichÜ.:-chen~·G~·g~b~-~h~i~~~:~d~-·~istorischen Fakten, die aufgrund ihrer Ähnlichkeit zu einem noch zu beweisenden Fall vom Redner zur Unterstützung seiner Argumentation herangezogen werden (1393a28ff). Wenn gezeigt werden soll, daß man gegen den Perserkönig rüsten und ihn an der Unterwerfung
I)
Sprute, Die Enthymemtheorie,
p.85.
L,h
61
Ägyptens hindern muß, so kann der Redner auf Dareios und Xerxes hinweisen, die nach der Eroberung Ägyptens nach Griechenland übersetzten. Durch diese Einzelfälle, deren Ausgang jedoch be1 kannt sein mUß ), kann die allgemeine These 'wer Ägypten erobert hat, der wird auch nach Griechenland übersetzen' plausibel gemacht und dann auf den strittigen Einzelfall angewandt werden {1393a30-93b2) Dieses Beispiel weist dieselbe Argumentationsstruktur auf, die bereits 1357b26-36 beschrieben wurde. 2 ) Deutlicher als dort kommt jedoch hier zum Ausdruck, daß sich die herangezogenen Einzelfälle und die dadurch zu stützende Aussage auf verschiedenen Zeitebenen, nämlich Vergangenheit und Zukunft, abspielen. Im Gegensatz zum historischen kann das fiktive Bei-
~)
spiel frei erfunden werden, sofern es nur Ähnlichkeit mit dem "=-t----
-~---------
zu erhellenden Fall aufweist (1393a27-28; 1394a3-4). Hier unterscheidet Aristoteles zwischen Parabel und Fabel (1393 a29-30) .
~I
Eine Parabel schließt analog von einer Tatsache aus dem alltäg-
~ich~~Yrfa~ru~_
~)AIS eine weitere Art des Paradeigma nennt Aristoteles die Fabel, in der menschliche Verhaltensweisen auf die Tierwelt übertragen werden. Kantelhardt J ) sieht in der Anführung verschiedener Arten
I)
Vgl.
dazu p.37.
2)
Loc.cit. Dagegen vertritt Teßmer, p.I07, zu Unrecht die Ansicht, daß sich die Beispiele in A2 und ß20 nur äußerlich ähnelten. Ähnlich Kantelhardt, p.41.
3)
Kantelhardt, pp.40-44, ist mit Teßmer, pp.I07-09, der Meinung, B20 gehöre einer anderen Schicht der aristotelischen Rhetorik an als A2.
62
des Beispiels einen Widerspruch zu dessen theoretischer Behandlung im zweiten Kapitel des ersten Rhetorikbuches. Dagegen läßt sich einwenden, daß Aristoteles bereits dort seine Ausführungen durch ein historisches Paradeigma veranschaulicht. Ferner entspricht es durchaus der Vorgehensweise des Aristoteles, einen Begriff zunächst zu definieren und erst später durch konkrete Beispiele zu veranschaulichen. Fiktive Beispiele sind leichter anzuwenden als historische, da der Redner sie frei erfinden kann und an keinerlei tatsächliche Ereignisse gebunden ist. Er muß lediglich darauf achten, daß die Einzelbeispiele auch tatsächlich Ähnlichkeit mit dem zu erhellenden Fall besitzen
(1394a2-5).
Vermutlich ist dieser Gesichtspunkt bei der Anwendung von Fabeln noch wichtiger als beim Gebrauch von Parabeln; während diese immerhin noch im alltäglichen Erfahrungsbereich des Hörers argumentieren, verläßt die Fabel auch dieses Gebiet und stellt somit höhere Anforderungen an Phantasie und Vorstellungskraft des Hörers. Gerade aus diesem Grund ist es nötig, daß der Redner die Ähnlichkeit zwischen den herangezogenen Einzelbeispielen und dem strittigen Fall deutlich zum Ausdruck bringt, um dem Publikum die Identifikation der einander entsprechenden Begriffe zu erleichtern. Je abstrakter das angeführte Beispiel ist, umso schwerer dürfte dieser Prozeß dem Publikum fallen. Aristoteles deutet dies selbst an, wenn er einräumt, daß _~~.:!:_~~o rische Beispiele zwar ~E~;: __~U finde_~,__ cd_~fü~_a~_~~~~t:~~icher seien (1394a4--!r).-YÜ--der Rede aber entspricht der Nutzen einer Argumentation ihrer Uberzeugungskraft. Obwohl das Beispiel nicht denselben Grad an Wahrheit oder Wahrscheinlichkeit erreichen kann wie das Enthymem, ist es für die rhetorische Argumentation dennoch nützlich. Da es ferner für das Publikum leichter verständlich ist, kann es auch als Ersatz für fehlende Enthymeme verwendet werden. Die Analyse der logischen Struktur des aristotelischen Paradeigma wird für die Untersuchung der ciceronischen 'inductio' wichtig
63
werden. 1 ) Ciceros Beispiele entsprechen formal mit einer Ausnahme dem Paradeigma des Aristoteles. Auch Cicero unterscheidet verschiedene Arten der induktiven Argumentationsform, deren unterschiedliche Uberzeugungskraft betont wird.
2.3.1.1.5
Die
yvw~n
(Sentenz)
als Teil des Enthymems
Enthymeme behandeln selten notwendige Aussagen, sondern beziehen sich meist auf menschliche Verhaltensweisen und argumentieren somit innerhalb des Wahrscheinlichen (1357a22-27). Da die yvw]J.~efiniert wird als a,~19_~~~2:-E~ Aus~,~'2~: ___~~er den Bereich, auf den sich men§chlichesH_a))Q.EÜ.Lt,bezieht (1394a21-26), kann sie unter Verzicht auf die vollständige syllogistische Form als Prämisse oder Conclusio in die enthymematische Argumentation eingehen (1394a26-28) .2)
v
Nach inhaltlichen Kriterien unterscheidet Aristoteles Sentenzen, die ke:in§!r }3~grQ.!ldl!ng bedürfen, weil sie entweder allgemein -anerkannt oder unmittelbar verständlich sind (1394b10-16), von solchen, die entweder nicht geb_i1:1igt werden oder aber umstritten sind
(1394b8-10).
Daneben findet sich eine Einteilung nach formalen Gesichtspunkten: Manche der begründungsbedürftigen Sentenzen haben keinen Zusatz, da in der Aussage selbst die Begründung bereits enthalten ist. Sie bestehen nur aus einem Satz und werden als enthy-
I)
Vgl.
dazu pp.129-37.
2)
Dagegen betrachtet I.Düring, Aristoteles, Heidelberg 1966, p. 142 , die Sentenz 1 ed i gl i ch . al sP r ämi ss_~_eines_,ßIl tJ"lYmgms , während Lo gian--;-pp'.2T3 - 'fLi,-aus-'T3 94a'26 - 2 8s'';' h 1 i eßt, daß das Enthymem notwendigerweise ein verkürzter Syllogismus sei.
64
memartig bezeichnet (1394b18-20),
Anderen dagegen wird die Be-
gründung als zweite Aussage hinzugefügt, so daß formal gesehen ein Enthymem entsteht, dessen Bestandteil die Sentenz ist (1394 b17-18). Sie faßt in einem allgemeinen Satz Einzelfälle aus einem dem Hörer zugängigen Bereich zusammen und besitzt eine hohe Überzeugungskraft, da ihr Argumentationsgebiet dem Publikum vertraut ist. Als wahrscheinliche Aussage kann sie Bestandteil eines syllogistisch korrekten Enthymems sein, da gültige Schlüsse nicht nur auf notwendigen, sondern auch auf wahrscheinlichen Prämissen aufgebaut sein können. Zur Widerlegung eines solchen Enthymems genügt allerdings nicht der Beweis der Nichtnotwendigkeit, sondern die Nichtwahrscheinlichkeit muß erwiesen werden (1402b 34-35) . Außerhalb des argumentativen Beweises kann die Sentenz auch bei der Charakterdarstellung und bei der Affekterregung verwendet werden. Zwar fordert Aristoteles 1418a12-16 die strikte Trennung emotionaler und logischer Überzeugungsmittel, doch stellt die yvw~n, da in ihr formale und inhaltliche Gesichtspunkte nicht zu trennen sind, eine Ausnahme dar, die in der Sekundärliteratur meist nicht beachtet wird: Als allgemeine ethische Aussage drückt sie einer~eits _Ab_~ic~t und Gesinnun'J _d~s -R-edn-~rs- aus und kann des1:\C'i.l.J;LZ-'Q:r _,Cha}:;akterdars tell_ung (1 39 5b 1 2 -16 i 1 41 8a 1 7 -18) verwen det werden. 1 ) - --~~-~------
Sie kann jedoch auch - formal gesehen - als Prämisse oder Conclusio Bestandteil eines Enthymems sein. Der Gebrauch der Sentenz verschafft dem Redner einen psychologischen Vorteil. Durch die allgemeine ethische Aussage fühlt
I)
Auch Affekte können durch den Gebrauch der Sentenz hervorgerufen werden (1394aI9-20).
65
sich der Hörer bestätigt, wenn er in einem Einzelfall dieselbe Erfahrung machte
(1395b5-7). Um sich dies zunutze zu machen,
sollte der Redner die Ansichten des Publikums vor der Rede erforschen, um festzustellen, welche Sentenz die Hörer am ehesten anspricht (1395b10-11). Ebenso wie die Einführung der drei Uberzeugungsmittel, gab auch die Behandlung der Sentenz im zweiten Buch der aristotelischen Rhetorik zu Bedenken Anlaß. So vermutet Kanteihardt hier das Einqreifen eines Redaktors. 1 ) Auch Marx nimmt daran Anstoß, daß die Sentenz nicht früher erwähnt 2 wurde. ) Dem kann entgegengehalten werden, daß auch das Beispiel nicht gleichzeitig mit dem Enthymem eingeführt wurde und dennoch zu den argumentativen Uberzeugungsmitteln zählt.
2.3.2
Das ethische Uberzeugungsmittel
Zu Beginn des ersten Rhetorikkapitels kritisiert Aristoteles die Praktiken derjenigen Redner, die sich allein auf die Anwendung affekterregender Uberzeugungsmittel konzentrieren und die enthymematische Argumentation vernachlässigen (1356a10-15). Neben der Uberbetonung pathetischer und der Vernachlässigung logischer Uberzeugungsmittel wirft Aristoteles seinen Vorgängern jedoch auch vor, die Wirksamkeit des ethischen Uberzeugungsmittels nicht genügend beachtet zu haben (1356a13). Eine Rede setzt aber immer eine Personenguppe voraus, die angesprochen und überzeugt werden soll. Da Gefühle und Leidenschaften ebenso Bestandteil menschlicher Natur sind wie ein mehr oder weniger gut entwickeltes Denkvermögen und da die rhetori-
I)
Kantelhard t,
pp. 44-45.
2)
Marx,
Dagegen bereits
p.285.
Teßmer,
p.I05.
66
1 sehe Theorie immer zu praktischer Anwendung bestimmt ist ), muß sie den Zuhörer als Ganzes, d.h. Gefühle und Ratio ansprechen. Die Rede kann aber nur dann Erfolg haben, wenn der Hörer überhaupt bereit ist, sich überzeugen zu lassen. Diese Bereitschaft soll durch eine positive Darstellung des rednerischen Charakters gefördert oder überhaupt erst hergestellt werden. Die Wirksamkeit der logischen Argumentation wird von der Ethopöie als OEU.€pU nCa.Ls (1366a27) unterstützt, die die Überzeugungsbereitschaft des Hörers beeinflußt und damit für die qesamte Rede von nicht zu unterschätzender Uberzeugungskraft ist (1456a13). Das Wissen um lobens- und tadelnswerte Eigenschaften, um Tugenden und Laster benötigt der Redner nicht allein für die positive Darstellung des eigenen Charakters, sondern auch für die argumentative Behandlung des Gegenstandes der epideiktischen Rede, die Lob und Tadel eines Menschen zur Aufgabe hat (1366a23-28) .2) Zwischen beiden Anwendungsbereichen dieses Materials muß jedoch unterschieden werden, da Aristoteles 1414a12-16 die strenge Trennung zwischen ethischen und logischen Uberzeugungsmitteln verlangt. Die Ethopöie ist Aufgabe des ethischen Uberzeugungsmittels, die argumentative Behandlung der guten und schlechten Seiten eines Menschen dagegen fällt in den Bereich des logischen Überzeugungsmittels. Da man einem ehrenhaften Menschen eher zu glauben geneigt ist (1356a5-7) ,muß sich der Redner im Verlauf der Rede als vertrauenswürdig erweisen, indem er sich im Besitz von ~p6v~aLs, ~pE.n und EÜVOLU zeigt (1378a8-9). Für den Erwerb der dafür nötigen Kenntnisse verweist Aristo-
I)
EN 1140a6ff;
a20f.
2)
Vgl. dazu Süß, p.135; V. Buchheit, Untersuchungen zur Theorie des Genos Epideiktikon von Platon bos Aristoteles, München 1960, pp.128-31, sowie Hellwig,pp.259-60.
67
teles 1378a16-18 auf die Behandlung der Tugenden (A9) und auf die Erörterunq von Wohlwollen und Freundschaft(B4) . Die Wichtigkeit der apEL~ als Voraussetzung des Redners wurde bereits 1355b19 angedeutet: Der wahre Redner unterscheidet sich durch Absicht und Vorsatz von demjenigen, der Rhetorik mißbräuchlich anwendet. Die npoaCpEoLb' die einen Zentralbegriff aristotelischer Ethik darstellt, wird EN 1113a10-11 definiert als ßOUAEULLHn öpEEL~ LWV ~~' n~LV. Sie steht in engem Verhältnis zur apELn, die Aristoteles als
~ELb
npoaLpELLH~
versteht (EN 1106b36) und
die ohne npoaCpEoLb nicht möglich (EN 1106a3-4) ist. Wird der Hörer über Absicht und Vorsatz des Redners informiert, so kann er daraus Rückschlüsse auf dessen Charakter ziehen (1417a16-19)1). Das Wesen eines Menschen kann aufgrund seines Vorsatzes besser bestimmt werden als aufgrund seiner Taten (EN 1111b5-6). Aristoteles behandelt im vierzehnten bis neunzehnten Kapitel des dritten Rhetorikbuches die vier Teile der Rede und berücksichtigt dabei auch Mittel und Methoden der Charakterdarstellung. 2 ) Während die rhetorische Tradition 3 ) die Charakterdarstellung im allgemeinen für das Vorwort empfiehlt, beschränkt Aristoteles den Gebrauch des ethischen Uberzeugungsmittels nicht auf einen bestimmten Redeteil. Diese Loslösung von den traditionellen Vorschriften stellt eine bemerkenswerte Übereinstimmung mit Ciceros De oratore, Orator und Brutus dar und ist für die Beurteilung
I)
Hellwig. p.252, bezieht die drei als Voraussetzung des Redners genannten Begriffe auf die Dreiheit Hörer, Sache, Redner. Diese These mutet künstlich an und llßt sich durch den Text nicht belegen; sie scheitert ferner an der Definition der ~pOVnOLb EN 1140b4-6.
2)
Vgl.
3)
Vgl. dazu Volkmann, pp.127-48; Lausberg, pp.150-63; Martin, pp.60-75.
dazu 1417a3-8;
1418a33-1418bl;
1419bIO-12.
68
von Ciceros Verhältnis zur aristotelischen Rhetorik von Bedeutung. 1 ) Obwohl Aristoteles die Charakterdarstellung nicht auf die Einleitung beschränkt, ist sie dort am sinnvollsten, da das Vorwort als Wegbereitung (o50TIo~na~G1414b21) oder als Schmuck (14 1 5b 38-39)2) der Rede dient. Als weitere Aufgabe der Einleitung nennt Aristoteles die Information der Hörer über Ziel und Zweck der Rede (1415a21-23) .3) Ist der Sachverhalt bereits offenkundig oder von geringem Umfang, so kann auf ein Vorwort verzichtet werden (1415a23-24). Bei der Behandlung der Exordialtopik nennt Aristoteles die traditionellen Gesichtspunkte, die sich auf die Person des Redners, des Gegners, des Hörers oder auf den Sachverhalt beziehen (1415 a25-26 , und die im folgenden nur soweit behandelt werden sollen, als sie für das Thema der Arbeit von Interesse sind. Die Gesichtspunkte, ßie den Redner und seinen Kontrahenten betreffen (141Sa27-34), fallen in den Bereich des ethischen Überzeugungsmittels, da sie eine positive, bzw. negative Darstellung des eigenen oder gegnerischen Charakters verlangen. Durch die Gesichtspunkte, die sich auf den Hörer beziehen, soll das Publikum aufmerksam und wohlwollend gestimmt werden (1415 a34-36) .4) Die Aufmerksamkeit des Auditoriums gewinnt der Redner
I)
Vgl. dazu pp. 189ff sowie Solmsen, the Orator's Playing, pp.393ff.
2)
KOalJ.o~
Vgl.
Cicero and Aristotle on
bedeutet hier, wie auch 1408al4 "Schmuck, Verzierung". dazu Dufour, Komm. zu 1415b39 sowie Martin, p.62.
3)
Wird der Hörer darüber unterrichtet, so kann er daraus Rückschlüsse auf den Charakter des Redners ziehen. Vgl. dazu p. 49.
4)
Während Aristoteles die Bemühung um Aufmerksamkeit und Wohlwollen demjenigen Gesichtspunkt zuordnet, der den Hörer betrifft, subsumiert die nacharistotelische Rhetorik und damit auch Oicero alle vier Aspekte unter die Captatio benevolentiae. Vgl. dazu pp. 158-60.
69
durch die Ankündigung großer, bewundernswerter und auch solcher Dinge, die die Hörer selbst betreffen (141Sb1-2). Aristoteles weist darauf hin, daß diese Bemühungen, durch die das Publikum günstig gestimmt werden sOl11), außerhalb des enthymematischen Beweises
(141SbS)2) erfolgen und nicht zum eigent-
lichen Sachverhalt gehören (141SbS-6). Die Notwendigkeit, Uberzeugungsmittel auch außerhalb der argumentativen Beweisführung einzusetzen, begründet Aristoteles 141SbS-6 mit den mangelnden geistigen Fähigkeiten der Zuhörer, die wegen ihrer schlichten Gemütsart (13S7a10-11) komplizierte logische Schlußfolgerungen nicht nachvollziehen können: Aus diesem Grund ist die Anwendung emotionaler Überzeugungsmittel nicht nur gerechtfertigt, sondern geradezu notwendig (1377b22-24). Hätte es der Redner dagegen mit einem idealen Publikum zu tun, so könnte er sich auf die Argumentation beschränken und alles andere als überflüssig, weil aUßerhalb des Beweises liegend, betrachten (1404aS-8). Vor einem idealen Publikum kÖnnte auch die E~nleitung
auf eine kurze summarische Darstellung des Sachver-
haltes reduziert werden (1414b6-9) .3) Diese Darstellung des Sachverhaltes wird von Aristoteles nicht ausdrücklich mit den Gesichtspunkten, die den Sachverhalt betreffen, identifiziert; da diese Aspekte aber an keiner anderen Stelle erwähnt werden, kann man wohl davon ausgehen, daß beide implizit gleichgesetzt werden. 4 )
I)
Zur Beziehung zwisc~en dem ethischen, bzw. dem pathetischen Uberzeugungsmittel und der exordialen Bemühung um die Zuschauergunst vgl. auch pp.50; 60.
2)
Vgl.
3)
Das Verhältnis eines solch knappen Vorwortes zum Rest der Rede vergleicht Aristoteles mit dem eines Kopfes zum übrigen Körper (1415b7-9).
4)
Kroll, RE 1064, ist dagegen der Ansicht, daß Aristoteles die den Sachverhalt betreffenden Aspekte überhaupt nicht behandle; ebenso Marx, p.318 und Süß, p.194, die außerdem
dazu p.
15.
70
Da es der Redner jedoch selten mit einem idealen Publikum zu tun hat, das allein an den Fakten interessiert ist, soll er zu Beginn der Rede auch das Wohlwollen und die Aufmerksamkeit des Auditoriums erwerben (1415a34-36). Diese Anstrengungen sind jedoch nicht nur zu Beginn, sondern auch und
ge~ade
in der übrigen
Rede sinnvoll, da die Aufmerksamkeit der Hörer naturgemäß am Anfang größer ist, dann aber nachläßt (1415a38-39) .1) Wie in der Einleitung will der Redner auch durch die Darstellung seines Charakters Wohlwollen und Vertrauen der Hörer erwerben. Da diese eine dem eigenen Wesen entsprechende oder ähnliche Rede am ehesten aufnehmen (1390a25-28), muß er Kenntnisse über ihre Gefühle, Meinungen und Ansichten besitzen, um im Hinblick darauf die Rede dann zu entwerfen und sich selbst entsprechend darzustellen. So wird er etwa vor einer Gruppe jüngerer Leute andere Wesenszüge hervorheben als vor einern älteren Auditorium. Der Erwerb von Kenntnissen über das Publikum ist möglich, da sich Rhetorik ntcht an ein Individuum, sondern an eine Personengruppe wendet, die aufgrund bestimmbarer Gemeinsamkeiten einen Menschentypus repräsentiert (1356b28-34), dessen Wesenszüge erfaßt werden können. In B12-17 behandelt Aristoteles dte Charakteristika bestimmter Lebensalter- und umstände, die für den Redner deshalb von Interesse sind, da sie ihm eine Einschätzung des Publikums ermöglichen. 2) Nach dem Wesen der Hörer aber richtet sich die
die Erörterung derjenigen Gesichtspunkte leugnen, auf den Hörer bp.ziehen.
die sich
1) Einen ähnlichen Gedanken läßt Cicero durch den Mund des Antonius (de or.2.323) festelien. Vgl. dazu p. 161. 2)
Kroll, RE 1059 und Spengel, Uber die Rhetorik, pp.30-32, sehen allerdings B12-17 das Ethos des Redners behandelt. Dagegen gegen bereits Cope, Introduction, p. 112; Teßmer, pp. 150-51 ; Hellwig, p.260 und Süß, pp.149-51; 153; der jedoch mit seiner Ansicht, daß die Kapitel B12-17 mit der Charakterdarstellung des Redners" auch nicht das Allergeringste zu tun
71
Darstellung des eigenen Charakters. Die Wirkung des ethischen überzeugungsmittels erfolgt also in verschiedenen Stufen: 1. Zunächst informiert sich der Redner über das Wesen der Hörer. Das dazu nötige Wissen legt Aristoteles B12-17 dar. 2. Im Besitz dieses Wissens wird dann die Rede entworfen; der Redner streicht dabei vor allem jene Charakterzüge heraus, die dem Wesen des Publikums entsprechen oder ihm ähnlich sind (1390a25-27). 3. Diese Ethopöie bewirkt, daß sich die Hörer eine bestimmte Vorstellung von dem
Redner und seine Einstellung zum Pu-
blikum machen (1377b26-28)
und ihm wohlwollend gegenüber-
stehen. Die im Hörer durch die Charakterdarstellung hervorgerufene Haltung und Stimmung, also etwa Aufmerksamkeit für die Rede und Wohlwollen gegenüber dem Redner fallen nach 1356al-4 und 1377a 19-22 bereits in den Bereich der Affekterregung. Zwar unterscheidet Aristoteles an diesen TextsteIlen das ethische und das pathetische Uberzeugungsmittel auch nach der Person des Redners oder Hörers, doch sind beide Uberzeugungsmittel voneinander abhängig, da die Charakterdarstellung auch Kenntnis des Publikums und da die Affekterregung auch die Charakterdarstellung des Redners vor1 aussetzt. ) Die Beziehung zwischen beiden Uberzeugungsmitteln
haben" zu weit geht. Dagegen bereits Lossau, p.143. Süß stellt zwar mit Cope, Teßmer, Hellwig richtig fest, daß die Behandlung des rednerischen Charakters auf 1378a6-19 konzentriert ist. Doch muß hinzugefügt werden, daß das ethische tiberzeugungsmittel auch Kenntnis von Wesen und Charakter des Hörers voraussetzt. Das dazu nötige Wissen legt Aristoteles B12-17 dar. I)
So wird verständlich, daß Kantelhardt, p.24; Cape, Komm.I!, p.273 und Süß, pp.153-55 die Kapitel BI2-17, in denen die Charakteristika potentieller Zuhörer behandelt werden, als Anhang von B2-1 1 behandeln, in denen die Affekte besprochen werden.
72
wird bei der Behandlung der Affekterregung genauer darzulegen sein.
2.3.3
Die Affekterregung
Da die jeweilige Stimmung eines Menschen sein Urteil, um dessentwillen die Rede gehalten wird (1377b21-22), entscheidend beeinflußt
(1377b24-28; 1377b31-1378a5), hat die innere Einstellung
des Hörers wesentlichen Anteil am Überzeugungsprozeß. So betrachtet Aristoteles auch die Affekterregung neben der logischen Argumentation und der Charakterdarstellung des Redners als eigenständiges Uberzeugungsmittel (1356a1-4). Aristoteles hält den Gebrauch emotionsgerichteter Uberzeugungsmittel jedoch nur dann für gerechtfertigt, wenn sie aus der Rede 1 ) se~bst hervorgehen. (1356a9; a14) und distanziert sich von den Praktiken jener Techniten, die unter Vernachlässigung der enthymematischen Argumentation nur die Gefühlsverwirrung der Richter beabsichtigen (1354 a11-16); die alleinige Anwendung emotions gerichteter Überzeugungsmittel lehnt Aristoteles ab, da er die enthymematische Argumentation für das Kernstück des Uberzeugungsprozesses (1354a15) und für das wichtigste der überzeugungsmittel hält (1355a7-8). Auch bei der Behandlung der rhetorischen Schriften Ciceros wird sich die Frage nach der Gewichtung der einzelnen Überzeugungsmittel stellen. Obwohl Aristoteles 1356a1-20 das ethische und das pathetische Überzeugungsmittel auch nach der Person des Redners und des Hörers unterscheidet, ergibt sich bei genauerer Textbetrachtung, daß zwischen beiden enge Zusammenhänge bestehen, die Aristote-
I)
Da Aristo~eles 1418a12-16 die strenge Trennung von emotionalen und rationalen Uberzeugungsmitteln fordert, ist A6yo~ 1356a9 und al4 im Gegensatz zu 1356a3-4 und a19-20 nicht auf die enthymematische Argumentation, sondern auf die Rede als artikuliertes Sprachgeflige zu beziehen. Vgl. dazu auch p. 15.
73
les jedoch nicht ausdrücklich feststellt. 1 ) Diese sollen im folgenden kurz dargelegt werden. Danach wird die Frage zu untersuchen sein, welche Rolle der Hörer und welche Rolle der Redner
bei der Affekterregung spielt.
Bei der Behandlung des ethischen Überzeugungsmittels wurde bereits festgestellt, daß sich die Charakterdarstellung des Redners nach dem ~aOb der Hörer richtet, das vor der Rede erforscht 2 und in diese miteinbezogen werden mUß. ) Aristoteles begründet dies damit, daß die Hörer eine dem eigenen Charakter entsprechende oder ähnliche Rede am ehesten aufnehmen
(13~Oa25-28).
Auch im Bereich des pathetischen Uberzeugungsmittels bestehen enge Beziehungen zwischen Hörer und Redner. In der Regel ist jener das Subjekt, das in einen bestimmten Affekt versetzt werden soll, dieser dagegen das Objekt, auf das sich die Emotionen richten. Besitzt der Redner ausreichende Kenntnisse über einzelne Affekte und über die Personen, gegen die man gewöhnlich diese Emotionen empfindet, so kann er sich dieses Wissen zunutze machen, um im Hörer eine für ihn günstige Stimmung, wie Freundschaft, Mitleid oder Sanftmut wecken und eine für den Kontrahenten ungünstige Stimmung, wie Haß, Neid, Zorn oder Verachtung hervorzurufen. Dies geschieht, indem der Redner sich und seinen Kontrahenten als einen solchen Menschen darstellt, gegen den die Hörer gewöhnlich Liebe oder Haß, Zorn oder Mitleid, Freundschaft oder Verachtung empfinden. Charakterdarstellung und Affekterregung hängen also insofern zusammen, als der Redner sich und seinen
1)
Dies ergibt sich bereits aus den theoretischen Betrachtungen in der Nikomachischen Ethik: das ~aOb ist ein Komplex von ~~ELb (vgl. dazu 1139a29) und ~~ELb sind relativ gleichbleibende Einstellungen, aufgrund derer wir uns gegenüber den Affekten richtig oder falsch verhalten (1I05b25-28).
2)
Vgl.
dazu pp. 53-54.
74
Gegner in einem bestinunten Licht darstellen muß, um im Hörer bestinunte Affekte zu wecken. Aristoteles beschreibt 1378a20-23 von den das Urteil modifizierenden Veränderungen diejenigen als Affekte, denen Freude oder Schmerz folgen 1 ) und kündigt an, sie nach drei Gesichtspunkten behandeln zu wollen: In welcher Verfassung befindet sich das empfindende Subjekt, also jemand, der beispielsweise zornig ist, gegen wen, d.h. auf welches Objekt, richtet sich der Zorn und durch welchen Anlaß wird der Zorn ausgelöst (1378a23-25). Im Anschluß daran werden die einzelnen Affekte nach den Kriterien von Subjekt (=Hörer), Objekt (=Redner)
und auslösendem Anlaß untersucht
(B2-11) . Der Person des Hörers gelten die folgenden Uberlegungen. Im Anschluß an die Erörterung der einzelnen. Affekte behandelt Aristoteles in den Kapiteln B12-17 die Charakteristika bestinunter Lebensalter und -umstände, die das cherweise
beeinflussen~
~GOb
des Publikums mögli-
er leitet seine Erörterung mit der Ankün-
digung ein, nun die fjGn KaLO. La na.Gn Kat Lab
~!;ELb
Kat Lab llAL-
KLab Kat Lab LuXab behandeln zu wollen. Das ~GOb bezieht sich hier auf den Hörer, wodurch der Zusanunenhang zwischen ~GOb und
TtC~.GOb erneut verdeutlicht wird. 2)
I)
Ebenso EN II05b23; ähnlich Met. I022bI8-19. Der Begriff naGo b im allgemeinen Sinn beschreibt nach Met. I022b20-22 eine Eigenschaft, die einer Person oder Sache zwar zukommt, aber nicht notwendigerweise, und die Schmerz oder Schaden mit sich bringt. Als Beispiel werden die Eigenschaften schwarz und weiß, sliß und bitter, schwer und leicht genannt. Der naGob-Begriff kann aber auch den Vorgang der Veränderung bezeichnen. Nach dieser Beschreibung könnte sowohl der Zustand der Bräune als Folge von Sonneneinwirkung als auch der Bräunungsvorgang selbst als Affekt im aristotelischen Sinn bezeichnet werden.
2)
Die Kombination von ~Gn KaLO. La.b ~!;ELb erklärt sich daraus, daß Aristoteles das ~GOb als eine Kombination von E!;ELb auffaßt (vgl. dazu p.55, Anm. I).
75
Die Affekte wurden in den vorangegangenen Kapiteln B2-1'1 behandelt. Als
~EE~s
werden Tugenden und Laster, als
nA~KCaL
werden
Jugend und Greisenalter genannt. GIUckliche oder unglUckliche Lebensumstände, wie etwa edle Herkunft, Reichtum, Macht oder ihr Gegenteil erwähnt Aristoteles als
Luxa~
(1388b34-1389a2).
Durch einige Beispiele wird deutlich werden, daß die Affekterregung Kenntnis vom ~60G der Hörer voraussetzt, das durch nA~KCa und LUXn
geprägt wird.
Den Vertretern einzelner Lebensalter werden bestimmte Affekte zugeschrieben: So neigen etwa junge Menschen zur Begierde (1389a 2-4
, während ältere Menschen zwar einerseits argwöhnisch, Ubel-
wollend und mißtrauisch sind (1398a19-20)
I
andererseits aber auch
leicht Mitleid empfinden (1385b25-26) .1) Nicht nur das Alter, sondern auch die Besitzverhältnisse beeinflussen nach aristotelischer Auffassung den Charakter eines Menschen wesentlich. Ein reicher Mann neigt etwa zu übermut und Arroganz
(1390b33-34)
und kann infolgedessen leicht dazu gebracht werden, einen anderen zu verachten. Auch sind diejenigen, die sich im Besitz aller GUter wähnen, eher mitleidlos (1385b21-22) gegenUber dem UnglUck anderer Menschen. FUr die rhetorische Praxis ist neben der Frage nach dem Träger und dem auslösenden Anlaß vor allem wichtig, gegen wen sich das GefUhl jeweils richtet. Da der Redner und sein Gegner Objekte des zu erregenden Affektes sind, muß ihr Charakter so dargestellt werden, daß der Hörer die
I)
Die Tatsache, daß sich ein Affekt zweifelsohne dann leichter erregen läßt, wenn die Person, die dieses Gefühl empfinden soll, schon aufgrund ihres Charakters eine bestimmte Neigung dazu besitzt, läßt Cicero durch den Mund des Antonius ausdrücklich feststellen ede or.2.186).
76
erwünschten positiven oder negativen Gefühle gegen sie hegt (1380a2-4;
1380b29-33;
1382a16-19; 1385a30-34; 1385a34-1385b1;
1387b16-20) . Freundschaft erweckt der Redner beispielsweise,indem er darauf hinweist, daß er den Hörern bereits mehrere Wohltaten erwies oder daß er dieselben Vorlieben oder Abneigungen hat; solchen Menschen bringt man nämlich Freundschaft entgegen (1381a29-31) .1) Mitleid erweckt der Redner, wenn er das ihm zu Unrecht
widerfah-
rene Unheil aufzeigt und darüber hinaus darauf hinweist, daß solches auch den Hörer treffen kann. Der Affekt Mitleid wird bestimmt als ein schmerzliches Gefühl über ein offensichtliches, v8rnichtendes und schmerzbringendes Ubel , das jemanden trifft, der es nicht verdient, das man auch für sich selbst oder einen der Angehörigen erwarten muß und das ferner nahe zu sein scheint (1385b13-16). Um Mitleid zu erregen, ist es also besonders wichtig, die Verbindung zwischen dem vertretenen Fall und dem Hörer herzustellen, damit sich dieser mit dem vorgetragenen Schicksal identifizieren kann. Ferner muß der Redner beachten, daß man vor allem solchen Menschen Mitleid entgegenbringt, die uns hinsichtlich des Alters, des Charakters, der Gewohnheit, des Ansehens und der Herkunft ähneln (1386a25-26). Diese Gedanken werden bei der Behandlung der Affekterregung in den rhetorischen Schriften 2 Ciceros wichtig werden. )
1)
Einen ähnlichen Gedanken greift Antonius in seiner Behandlung der Affektenlehre (de or.2.206-ll) auf. Aristoteles behandelt die verschiedenen M6glichkeiten,der Einflußnahme auf die Hörer ausführlich. Um das Publikum etwa sanftmütig zu stimmen, kann hervorgehoben werden, daß eine eventuelle Kränkung des Zuhörers keine Absicht war(1380a9-12)~ oder daß begangene Fehltritte zugegeben oder bereut werden (1380aI4-16). Macht der Redner dagegen glaubhaft, daß er oder sein Klient sich in einem Zustand von Schmerz oder Bedürftig~ keit sin, so kann er damit rechnen, daß ihm xapLG entgegengebracht wird (1385a29-33).
2)
Vgl.
dazu pp.172-174.
77
Entgegengesetzte Uberlegungen können dazu verwendet werden, dem Gegner die Gunst der Hörer vorzuenthalten oder zu entziehen. So werden diese kein Mitleid empfinden, wenn der Redner glaubhaft macht, daß entweder sein Gegner selbst oder die von ihm als bemitleidenswert dargestellten Dinge dieses Gefühl nicht wert sind (1387b16-20) . Ebenso kann der Redner Haß oder Neid gegen seinen Kontrahenten schüren, wenn er ihm Eigenschaften zuschreibt, die gemeinhin solche Gefühle nach sich ziehen (1380a2-4; 1382a16-19). Diese Aussagen über die Rolle des Hörers und des Redners, bzw. seines Gegners zeigen, daß die beiden emotionsgerichteten Uberzeugungsmittel in der aristotelischen Rhetorik zusammenhängen, obwohl dies von Aristoteles nicht ausdrücklich festgestellt wird. Zusammenfassend läßt sich also sagen, daß Charakterdarstellung und Affekterregung insofern voneinander abhängen, als diese beim Publikum eine Vorstellung von der Person des Redners voraussetzt. Aristoteles sieht im Hörer das Subjekt, im Redner das Ob-jekt des auszulösenden Affektes. Genaue Kenntnis vom Charakter der Hörer ist für die Anwendung beider Uberzeugungsmittel nötig: So richtet sich die Ethopöie des Redners nach dem
~ßo~
des Hö-
rers, das durch Faktoren wie Lebensalter, Herkunft und Besitzverhältnisse entscheidend geprägt wird. Das
~ßo~
der Hörer ist
aber auch für die Affekterregung wichtig, da die Menschen aufgrund ihres Charakters für bestimmte Emotionen besonders empfänglich sind. Ein möglicher Einwand gegen die These der engen Zusammengehörigkeit dieser beiden Uberzeugungsmittel könnte darin bestehen, daß der Zustand der Aufmerksamkeit und des Wohlwollens, in den der Hörer durch die Ethopöie aber auch durch das Versprechen, große, bewunderswerte, angenehme und auch ihn selbst betreffende Dinge zu behandeln (1415b1-2), von Aristoteles nicht ausdrücklich als naßo~
bezeichnet wird.
78
Dieser Einwand läßt sich aber dadurch entkräften, daß Aristoteles 1415bl-2 wohl die Vorschriften der traditionellen Schulrhetorik wiedergibt, die dem Redner empfiehlt, sich im Vorwort um Aufmerksamkeit und Wohlwollen des Hörers zu bemühen. 1) Schließlich soll noch auf die Beziehung zwischen beiden emotionalen Uberzeugungsmitteln hingewiesen werden. Während die traditionelle Schulrhetorik Charakterdarstellung 2 und Affekterregung für die Einleitung und den Epilog empfiehlt ) , behandelt Aristoteles die beiden Uberzeugungsmittel nicht im Zusammenhang mit bestimmten Redeteilen. Beide werden zwar bei der Erörterung des Vorwortes und des Epilogs neben anderen Aspekten erwähnt (1415a25-28; 1419bl0-12), doch macht Aristoteles besonders für die Charakterdarstellung deutlich, daß diese in jedem Redeteil verwendet werden kann (1417a3;
1418a17-18) .3)
Abschließend soll noch ein Gesichtspunkt hervorgehoben werden, den der Redner bei der Anwendung emotionsgerichteter Uberzeugungsmittel beachten muß. Zwar verlangt Aristoteles 1356a9 und 1356a14, daß Charakterdarstellung und Affekterregung aus der Rede selbst hervorgehen müssen, doch wird 1418a12-17 gefordert, die gefühlsgerichteten Uberzeugungsmittel von der logischen Argumentation streng zu trennen. Aristoteles begründet diese Forderung mit der gegenseitigen Aufhebung ihrer Wirkung. Das B2-17 dargelegte psychlogische Wissen kann nur dann in die enthyme-
I)
Diese Ansicht vertreten auch Kroll, RE, Suppl.VII 1064 und Peters, pp.23-24. Vgl. dazu auch Anax. ars rhet. 29.6 (p.6, ed. Fuhrmann); Anon. Seg. 9 (p.3, ed. Graeven); Dion. Hal. de Lys. (p.35, ed. Fuhrmann).
2)
Vgl. dazu auch Martin, pp. 60-75; 147-64; Volkmann, 64; 262-84; Lausberg, pp.150-63; 236-40.
3)
Diese Loslösung von den Vorschriften rhetorischer Tradition ist für die Beurteilung von Ciceros Verhältnis zur aristotelischen Rhetorik von großer Bedeutung. Vgl. dazu besonders p. 161.
pp.127-
79
matische Argumentation eingehen, wenn der Redner
übe r
fühle spricht, also etwa ein im Affekt
Verbrechen be-
handelt. Diese Emotionen spielten aber
be~angenes
vor
Ge-
der Rede eine
Rolle und werden von Aristoteles nirgends als Uberzeugungsmittel erwähnt. Streng davon zu trennen sind die im Hörer
dur c h
die Rede
hervorzurufenden Affekte, die Aristoteles neben der Charakterdarstellung und der logischen Argumentation als eigenständiges Uberzeugungsmittel behandelt, deren Integration in die Rede als artikuliertes Sprachgefüge er jedoch fordert
(1356a9;
1356a14),
um Mißbracuh zu verhindern. Diese doppelte Verwendungsmöglichkeit wird in der Sekundärliteratur nicht immer beachtet. So bezeichnet Hellwig 1 ) das B2-17 dargeleg-te Material als "Prämissensammlung für rhetorische Beweisgänge".2)
I)
Hellwig pp.234; 240; dagegen bereits Lossau, p.103. Die doppelte Verwendungsmöglichkeit des B2-17 dargelegten Materials wurde bereits bei der Erörterung des ethischen Uberzeugungsmittels festgestellt.
2) Auch Cicero fordert Brut. 185 und de opt. gen. or.3, die gefühlsgerichteten Überzeugungsmittel in der Rede selbst zu verankern. Zur Interpretation dieses Postulats vgl.pp. 185ff.
80
2.4
Der vvahrheitsbezuq der Rhetorik
Aristoteles ist sich der Gefahr des Mißbrauchs rhetorischer Macht durchaus bewußt. Er kritisiert jene Techniten heftig, die durch bloße Affekterregung die Urteilskraft der Richter zu trüben suchen (1 354 a 11-1 6) . Bei der Diskussion der Beziehung zwischen Rhetorik und Dialektik stellt Aristoteles fest, daß beide eine Gemeinsamkeit haben, die keiner anderen Disziplin zukommt (1355a29-32): Sie können sowohl für als auch gegen einen Sachverhalt argumentieren. Diese Fähigkeit darf jedoch nicht mißbraucht, sondern allein zur Ermittlung des Sachverhaltes verwendet werden oder Zur Aufdeckung von Argumentationsfehlern (1355a29-35). Eine absichtliche Überredung zum Schlechten darf daraus nicht abgeleitet werden (1355a31) .1) Kernstück des Argumentationsprozesses ist für Aristoteles das Enthymem (1354a15), für dessen Anwendung der Redner dialektische Kenntnisse benötigt, da es eine Art von Syllogismus, genauer gesagt der rhetorische Syllogismus ist (1355a8; 1356b3-4; 1356b4; 1356b17; 1395b22-23). Über die Voraussetzungen des Enthymematikers äußert sich Aristoteies 1355a10ff. Da die Stelle nicht unproblematisch, für die Wahrheitsfrage aber höchst bedeutsam ist, muß sie hier genauer behandelt werden. Dabei soll zunächst der griechische Text paraphrasiert, dann die
herkö~~liche
Interpretation dargestellt wer-
den, die sich mit dem Zusammenhang jedoch schwer vereinbaren läßt. Im Anschluß daran wird eine andere Auffassung der Stelle vorgetragen werden.
I)
Gemeinsam haben Rhetorik und Dialektik ferner die Beschäftigung mit scheinbarer Argumentation (1355bI5-17). Entscheidend über rechten oder falschen Einsatz ist nicht die Fähigkeit des Redners, sondern die Absicht, mit der er sie einsetzt (1355bI8-21).
81
Aristoteles stellt 1354al0-14 fest, daß derjenige, der in der Lage ist, Syllogismen zu finden, auch Enthymeme bilden kann, sofern er den Themenbereich der Enthymeme und den Unterschied zu den AOYLKOL OUAAOYLO~OL kenne:
... npooAaßwv nEpL not& TE ~OTt
Ta ~v0u~n~a Kat TLvas ~XEL OLa~opas npos TOUs AOYLKOU s OUAAOYLO]lOUs (1355a12-14). Diese Auffassung begründet Aristoteles damit, daß die Auffindung der Wahrheit selbst und des der Wahrheit nur Ähnlichen Aufgabe derselben Fähigkeit sei Ö~OLOV
(1355a14-15): T6 TE yap
aAn0~s
Kat Ta
TC4l a)~n0E"C Tfi~ aUTfis tOTL OUvQ.]lEWs tOEtV . . . . Weiter stellt
Aristoteles dann fest, daß die Menschen ja auch eine natürliche Begabung haben, die Wahrheit zu erreichen (1355a15-17): O~
Kat oL ö.V0pwnOL npos Ta
aAn0~s nE~UKaOLV
LKavws Kat
.. . a~a
Ta.
nAELW
TuyxavouoLv Tfis uAn0ECas.1) AOYLK6 s
(1355a13) wird nun oft mit avaÄuTLK6 s gleichgesetzt. 2 )
Unter dieser Voraussetzung würde dem Enthymem der streng wissenschaftliche Syllogismus gegenübergestellt. Dem widerspricht zum einen der aristotelische Sprachgebrauch, nach dem AOYLK6 s meist abwertend verwendet wird. 3 ) Zum anderen zwingt diese Identifikation dazu, Ta UAn0Es als Objekt des apodiktischen Schlusses und TO
Ö~OLOV
TC4l &An0EL als Objekt der Rhetorik aufzufassen. Wird
diese Interpretation angenommen, so bleibt unklar, welche Funktion die Feststellung, daß die Menschen von Natur aus meist die Wahrheit erreichen (1355a15-17), in einem Zusammenhang hat, in dem apodiktische und enthymematische Argumentation einander ge-
I)
Ähnlich erklärt Aristoteles die Nützlichkeit der Beredsamkeit später damit, daß das Wahre und das Gerechte von Natur aus stärker (1355a21-23) und glaubwürdiger sind (1355a37-38) als ihr Gegenteil.
2)
So etwa Cape,
3)
Vgl.
A6yos
Grimaldi z.
St.
dazu An.post.93aI5; Met.I005b22; Ö EK l~EU6wv Ev66f;;wv.
Top.162h27;
AOYLKOs
82
genübergestellt, und die Wahrheitsfindung allein in den Bereich der Wissenschaft verwiesen wird. Gegen diese Interpretation spricht außerdem der weitere Textverlauf, in dem die Nützlichkeit der Beredsamkeit mit der natürlichen überlegenheit der Wahrheit begründet wird 1355a21-23; 1355a37-38). Die Gleichsetzung von Aoy~~6~ und avaAu"~~6~ läßt sich also mit dem Zusammenhang schlecht vereinbaren. Wird dagegen der Begriff
Aoy~~6~
im Sinne von
6LaAE~"~x6~
ver-
standen, wie es dem aristotelischen Sprachgebrauch entspricht 1 ), so ist der Text verständlich: Er besagt dann nämlich, daß "der beste Kenner des syllogistischen Schlusses auch der beste Enthymematiker ist, wenn er neben der formalen Kenntnis des Schlußverfahrens (d.h. dialektischem Wissen) noch zusätzlich die Beschaffenheit der Materie berücksichtigt, mit der sich Enthymeme beschäftigen, wenn er also die Unterschiede zu den 'dialektischen' Schlüssen beachtet" (1355a10-14). Die Forderung, diesen Unterschied zu beachten, begründet Aristoteles damit (yap 1355a14), daß die Möglichkeit, die Wahrheit selbst oder nur ihr Abbild zu erreichen, auf derselben Fähigkeit beruht. Gerade aus diesem Grund ist es für den Redner, der die Wahrheit sucht, von großer Wichtigkeit, die Unterschiede zum dialektischen SchlUßverfahren, das sich mit dem ö~o~ov "~ äAn8EL begnügt (135Sa14), zu beachten. Wird AOYLXÖ~ mit 6LaAE~"~~6~ gleichgesetzt, so wird auch der Inhalt des nächsten Satzes verständlich: Da die Menschen naturgemäß in der Lage sind, die Wahrheit zu finden (1355a15-17), genügt es für den Enthymematiker, der die äAn8ELa sucht, wenn er formale Kenntnisse der Dialektik besitzt. Die Fähigkeit zur Auffindung der Wahrheit dage-
I)
In seinem Kommentar zu Top.162b27 (vgl.p.63,Anm.3) ersetzt Alexander den Begriff Aoy~~6~ durch 6~aAE~"~~6~; in diesem Sinn wird AOYL~6~ auch Top.I05b21; 129al7 verwendet. Zu dieser Bedeutung vgl. auch Waitz, Komm. zu An.post.82b35.
83
gen braucht nicht ausdrücklich geübt zu werden. In diese Interpretation, die La UAnaEC als Objekt der Rhetorik, La 5UOLOV
L~
uAn8Etdagegen als Objekt der Dialektik auffaßt, fügt
sich auch der weitere Textverlauf, in dem
Aristoteles
di~
Nütz-
lichkeit der Rhetorik damit begründet , daß das Wahre und das Gerechte von Natur aus stärker und überzeugender seien als ihr Gegenteil (1355a20-23;
1355a37-38).
An der gleichen Stelle ist AOYLX6C also offensichtlich mit OLaAEXLLX6c gleichzusetzen 1 ). Aristoteles macht hier eine wesentliche Aussage über den Wahrheitsbezug der Beredsamkeit: Ihr Ziel und Zweck ist die Auffindung des uAn8ec. Rhetorische LExVn_ liefert das dafür nötiqe Instrumentarium, das die Auffindung der Wahrheit ermöglicht, nicht aber notwendigerweise garantiert. Erst bei praktischer Anwendung der technischen Regeln unterscheiden
sich der wahre und der falsche Redner: Beide
besitzen dieselben Fähigkeiten in Beherrschung und Gebrauch
rhet~
rischer Theorie. Der wahre Redner unterscheidet sich jedoch von demjenigen, der die Rede mißbraucht, durch Absicht und Vorsatz (1355b17-21)
und wird seine Befähigung nicht zu schlechten
Zwek-
ken verwenden (1355a31). Der unrechte Gebrauch der Rhetorik, die - wie andere Güter auch großen Schaden anrichten kann (1355b2-4), kann nur dem sie anwendenden Menschen, nicht aber der Beredsamkeit
selbst zur Last
gelegt werden.
I)
Ebenso Maier, 11,1, p . l l ; Teßmer, p.IO-II, die die Stelle allerdings nicht im Zusammenhang untersuchen und folglich auch keine Aussage über den Wahrheitsbezug der Beredsamkeit machen.
84
3
Ciceros Schwerpunktverlagerung: römische occupatio und griechisches otium
Aufgabe rhetorischer Ttxvn ist nach aristotelischem Verständnis allein die Beschäftigung mit den drei €VTEXVOL nLaTEL~, die im ersten Teil der Arbeit behandelt wurden. Auch in Ciceros rhetorischen Schriften findet sich die aristotelische Konzeption dreier selbständiger Uberzeugungsmittel. In welcher Weise Cicero sie sich zu eigen macht, soll im zweiten Teil der Arbeit untersucht werden. Wie dabei deutlich werden wird, greift Cicero besonders im Dialog De oratore, aber auch in anderen Schriften, auf Gedankengut des Aristoteles zurück. Im Gegensatz zu diesem orientiert sich Cicero jedoch dabei vor allem an den Erfordernissen rhetorischer Praxis, während terminologische Fragen in den Hintergrund treten. In De oratore fehlt
~s
nicht an abwertenden Bemerkungen über grie-
chische Redner: Ihre pervolgata praecepta und libelli werden kritisiert (1.85; 105; 2.75; 3.121), generell wird ihnen Geschwätzigkeit und Müßiggang angelastet (1.22; 105) .1) Cicero kritisiert vor allem die Überbetonung rhetorischer Theorie, die zu einer Vernachlässigung der praktischen Tätigkeit führt, und er betracht~t
ein Ubermaß an Zeit und einen Mangel an praktischen Aufgaben als Ursache für diese Schwerpunktverlagerung (de or.1.22).
Trotz dieser teils heftigen Polemik gegen griechische Redner und Rhetorik ist Ciceros Haltung ambivalent. Er verachtet rhetorische Theorie nicht völlig (1.23)2), schätzt aber die praktische
I)
Ähnlich abwertend äußert sich Cicero de or.2. 139; 3.70; 75; 92; 121; 125. Zu Ciceros Kritik an griechischen Rednern vgl. auch Leeman-Pinkster, pp.38-39; L.Laurand, De M.T.Ciceronis Studiis Rhetoricis, Paris 1907, pp.5-7; R.Weidner, Ciceros Verhältnis zur griechisch-römischen Schulrhetorik seiner Zeit, Erlangen 1925, pp.49-60.
2)
Vgl. dazu Kroll, ster, p.58.
Neue Jahrbücher
11,
p.682; Leeman-Pink-
85
Tätigkeit weitaus höher ein. Der ideale Redner ist auf dem Forum in der Öffentlichkeit tätig, seine Schule ist das Forum (2.89; 3.74) . Ciceros Kritik an griechischer Rhetorik muß erklärt werden mit der Furcht, für einen geschwätzigen Müßiggänger gehalten zu werden (2.103)1), die für einen Redner seiner Zeit typisch ist. So läßt er auch die Gesprächsteilnehmer Antonius und Crassus betonen (1.80-81; 78-79), daß ihnen die Beanspruchung durch öffentliche Aufgaben keine Zeit für ein theoretisches Studium lasse, obwohl beide in Wirklichkeit über beträchtliche Kenntnisse der größtenteils griechischen Lehrsysteme verfügen (2.3-4). Mit dem Mangel an Freizeit und Muße begründen Antonius und Crassus auch die Tatsache, daß sie selbst den Anforderungen, die an einen vollkommenen Redner gestellt werden, nicht genügen
(1.78-79; 80-81;
94-95). Die Griechen dagegen verfügten über allzuviel otium, so daß es ihnen auch ein Leichtes war, große Redner hervorzubringen. Die Vermutung, daß Cicero zu diesen in eine gewisse Konkurrenzh~ltung
tritt und deren Leistung nicht neidlos anerkennen kann,
ist hier allerdings nicht von der Hand zu weisen. Obwohl Cicero eine Beschränkung der Rhetorik auf ihre theoretische Komponente ablehnt, kommt ein praktisch tätiger Redner seiner Ansicht nach nicht ganz ohne sie aus. In De oratore dient rhetorische Theorie jedoch allenfalls als eine Art Orientierungshilfe 2), deren Behandlung aber gegenüber
1)
Wissenschaftliche Beschäftigung ist nur für die Mußestunden, nicht aber als hauptamtliches Tun anerkannt. R.Mliller, Die Bildungsdisziplinen bei Cicero, in: Klio 43-45, 1965, p.165, weist darauf hin, daß Cicero deshalb in der Hinwendung zur vita contemplativa den Beginn einer un~~sunden Entwicklung sieht und die vita activa als die liberlegene Lebensform betrachtet. Vgl. dazu ferner A.D.Leeman, Orationis ratio, Amsterdam 1966, pp.114ff; M.Kretschmar, Otium, studia l i t terarum, Philosophie und ßCo~ 8EWpnLLX6~ im Leben und Denken Ciceros, Leipzig 1938.
2)
Vgl.
dazu bes.
pp.80-82.
86
praktischen Gesichtspunkten zurücktritt 1 ). Diese Schwerpunktverlagerung von Theorie zu Praxis kennzeichnet den fundamentalen Unterschied zwischen De oratore, Orator und Brutus einerseits und der aristotelischen Rhetorik andererseits. Während Aristoteles das Wesen der Beredsamkeit und die einzelnen Uberzeugungsmittel genau analysiert, geht Cicero davon aus, daß der Redner vor allem forensisch tätig ist. Bei der Behandlung der Uberzeugungsmittel ist in diesen Schriften also die Frage nach der praktischen Umsetzbarkeit theoretischer Erkenntnisse besonders wichtig.
3.1
Rhetorik - eine ars?
Um Ciceros Rhetorikkonzeption zu verstehen, ist zunächst die Frage zu beantworten, ob und, wenn ja, in welcher Hinsicht Rhetorik für ihn eine ars ist. Zur Beantwortung dieser Frage sollen im folgenden Kapitel zuerst die Aussagen von Antonius und Crassus, den beiden Hauptkontrahenten des Dialogs Oe oratore, dargelegt und verglichen werden; dabei sind aristotelische Einflüsse deutlich zu spüren. Danach ist zu untersuchen, wie die Theorie der Beredsamkeit in den übrigen rhetorischen Schriften beurteilt wird und welchen Veränderungen Ciceros Rhetorikkonzeption unterliegt. Oe or.1 .80ff äußert Antonius seine Meinung zu der Frage, ob Rhetorik eine ars sei. Er berichtet von einem Gespräch zwischen dem Stoiker Menedemos und dem Akademiker Charmadas, das er während
1)
In De inventione, der Topik und den Partitiones oratoriae werden vor allem die theoretischen Grundlagen der Beredsamkeit erörtert, wobei Cicero den traditionellen Rhetorikhandbüchern folgt.
dageg~n
87
eines Griechenlandaufenthaltes hörte. Charmadas postuliert die Abhängigkeit der Rhetorik von der Philosophie, leugnet aber andererseits den ars-Charakter der Beredsamkeit und behauptet, Naturbegabung und Ubung genügten für einen Redner. Leeman-Pinkster weist in seinem Kommentar zur Stelle darauf hin, daß beide Standpunkte einander ausschließen und nur als Äußerung der Skepsis gegen feste Uberzeugungen überhaupt verständlich sind. Charmadas begründet seine Ansicht damit, daß sich eine ars auf durch und durch bekannte, auf zielgerichtete und untrügliche Gegebenheiten gründe
(1.92), während sich Rhetorik mit dem Zweifelhaften und
Ungewissen beschäftige und dem Hörer eine falsche oder doch verschwommene Meinung des Augenblicks vermittle. Deshalb könne der Rhetorik die Bezeichnung ars nicht zuerkannt werden
(1.93).
Perret, Kennedy und Leeman-Pinkster 1 ) weisen auf die erstaunliche Tatsache hin, daß Antonius, der im allgemeinen hinsichtlich der an den Redner zu stellenden Forderungen skeptischer ist als Crassus~willig
die Ansicht des Charmadas übernimmt, der dem Redner
doch universale, vor allem aber philosophische Kenntnisse abverlangt und der die Vorherrschaft der Philosophie über die Beredsamkeit postuliert. 2 ) In einem Zwischengespräch gibt Sulpicius die Frage nach dem arsCharakter der Rhetorik an Crassus weiter
(1.102). Dieser wehrt
sich zunächst dagegen, wie ein müßiger und geschwätziger Graeculus eine quaestiuncula zu behandeln, läßt sich aber dennoch zu einer Antwort herab, obwohl er das Problem letztlich für eine Wortklauberei hält
(1.107). Es entsteht allerdings der Eindruck,
1)
J.Perret, APropos du second discours de Crassus, REL 1946, p.l81; Kennedy, The Art of Rhetoric, p.219; Leeman-Pinkster, Komm. z.St. Dagegen Kroll, RhMus 58, p.579 und v.Arnim, p.104, die nicht die Aussagen des Antonius sondern des Crassus als Echo der neueren Akademie darstellen.
2)
Vgl.
zu de or. I .87-88 Phaidr.270bff. zu de or.I.92 Phaidr.260eff; Gorg.455a. zu de or.1.86 Phaidr.25geff. Zitiert nach Leeman-Pinkster,p.173.
88
als sei sein Widerspruch nicht allzu ernst gemeint und diene lediglich dazu, das Bild eines vielbeschäftigten Mannes zu unterstreichen, der keine Zeit für theoretische Erörterungen hat. 1 ) In seiner Antwort unterscheidet Crassus zwischen einer strengeren und einer freieren Definition der ars
(1.108-09). Eine ars
in strengem Sinn basiert seiner Ansicht nach auf vollständiger Erkenntnis der Materie, distanziert sich vom Urteil bloßer Meinung und begreift Dinge wissenschaftlich. Mit 'ex rebus penitus perspectis planeque cognitis'
(1.108) nimmt Crassus einerseits 2 die von Antonius zitierte Definition ) der ars wieder auf; die Gegenüberstellung von opinio als der bloßen Meinung und scientia als der wissenschaftlichen Erkenntnis greift andererseits jedoch auch den weiteren Ausführungen des Antonius vor, der den Begriff scientia der Wissenschaft, den Begriff opinio aber der Rhetorik zuordnet: "Ars enim earum re rum est, quae sciunturi oratoris autem omnis actio opinionibus non scientia continetur"
(2.30).
Wie Antonius versteht Crassus die ars in strengem Sinn als Wissenschaft, die sich mit notwendigen, unveränderlichen Gegebenheiten befaßt. Allerdings ist Crassus' Begründung weniger stichhaltig als die des Charmadas; dieser hatte die Modalität der Aussagen als Grund dafür genannt, daß der Rhetorik der ars-Charakter abgesprochen werden muß. Crassus dagegen begründet das Fehlen einer ars mit der Vielzahl und Verschiedenheit der rhetorischen Vorträge
(1.108). Die Vielfalt der anfallenden Probleme
hat jedoch nichts damit zu tun, ob diese wissenschaftlich erfaßbar sind. Entscheidend ist die Modalität der Aussagen. Ist Rhetorik für Crassus auch keine ars in strengem Sinn, so erkennt er dennoch empirisch gewonnene Regeln an, die nach land-
1)
Vgl.
2)
De or.l.92:
nisi,
dazu pp. 66-67. "Artem vero negabat (sc. Charmadas) esse ullam, quae cognitis penitusque perspectis ... rebus conti-
neret~r."
89
läufiger Meinung als ars in weiterem Sinn betrachtet werden können. Die Abstraktion .eines solchen Regelsystems erfolgt in verschiedenen Stufen: "Sin autem ea, quae observata sunt in usu ac tractatlone dicendi, haec ab hominibus callidis ac peritis animadversa ac notata, verbis definita, generibus inlustrata, partibus distributa sunt ... non intellego, quam ob rem non, si minus illa subtili definitione, at hac vulgari opinione ars esse videatur" (de or.1 .109) . Zunächst wird also der Verlauf einer Rede faktisch beobachtet; dann erfolgt eine Systematisierung durch begriffliche Definitionen sowie durch die Einteilung in Gattungen und Teilbereiche. 'Observare' meint die bloße Beobachtung der bei einer Rede ablaufenden Vorgänge. 1)
'Animadvertere' und 'notare' bezeichnen
ein darüber hinausgehendes Erkennen, das die Wahrnehmungen mit 2 Bewußtsein ins Auge faßt und untersucht ), wobei 'notare' durch die Konnotation 'festhalten, notieren' noch den Aspekt schriftlicher Fixierung hinzubringt 3 ). Die parallele Satzkonstruktion zweier mit ac verbundener Prädikatsnomina legt die Vermutung 4 )
nahe, daß beide Verben denselben Vorgang bezeichnen.
Die de or.1 .109 genannte Einteilung in Gattungen und Teilbereiche setzt die Abstraktion der allgemeinen Gesetzmäßigkeiten vor-
I)
Vgl. dazu OLD, ad fam.6.10.5;
p.1222 s.v. Ver.46.
2)
Vgl. dazu OLD, p.133, s.v. animadvertere; ebenso p.Clu.159; de fin.4.18; ad Her.3.24.29-30.
3)
Vgl. dazu OLD, div.1.126.
4)
Brut.319 und Or.183 (" ••• notatio naturae et animadversio peperit artem") werden animadvertere und notare als Synonyme gebraucht.
p.1193,
s.v.
observare;
notare;
ebenso de
ebenso
de
or.1.146;
de
or.2.32;
or.3.195;
de
90
aus, die den jeweiligen Einzelfällen zugrundeliegen. Zu diesem Zweck muß das Einzelphänomen bereits mehrmals beobachtet worden sein, da eine einmalige Wahrnehmung noch nicht den Ubergang vom Einzelnen zur allgemeinen Regel erlaubt. Cicero stellt dies an anderer Stelle selbst fest. 1 ) Ein solches auf empirischem Wissen beruhendes Regelsy'stem wird von Crassus als ars im weiteren Sinn anerkannt: " ... si minus illa subtili definitione 2 ), sed hac vulgari opinione ars esse videatur"
(de or.1.109). Die Frage, ob Rhetorik nun eine ars ist, be-
trachtet Crassus letzten Endes als sekundär, als bloße Wortklauberei (de or.1.107), deren Diskussion vor der Erörterung rhetorischer Praxis zurücktreten muß. Antonius stimmt de.r freieren ars-Definition des Crassus zu (de or.1.110). Obwohl er ursprünglich die Meinung des Charmadas teilte, der der Rhetorik den Charakter einer ars völlig abgesprochen hatte
(1.92), distanziert sich Antonius jetzt sowohl von
denjenigen Philosophen, die die Existenz einer rhetorischen ars ganz ablehnen, als auch von denjenigen, die die Beredsamkeit auf ein theoretisches System beschränken wollen. Diese Ablehnung ist nicht die erwartungsgemäße Fortführung von Antonius' früheren Aussagen, sondern stellt vielmehr eine Meinungsänderung gegenüber 1.92-93 dar; dort war Antonius davon überzeugt, daß es keinerlei System der Rhetorik gebe. Wohl unter dem Einfluß von Crassus' Darlegungen (1.107-09) mildert Antonius sein radikales Urteil; in Ubereinstimmung mit Crassus erkennt auch er ein empirisch gewonnenes Regelsystem immerhin als quasi ars quaedam an (2.32), obwohl er der Rhetorik den Charakter einer ars im strengen Sinne abspricht.
I )
De div.l .2: "Ars est effecta eadem do ac notando."
2)
Dies bezieht sich auf die von Antonius Definition des Charmadas.
s
a e p e
animadverten-
1.92 zitierte ars-
91
Wie Crassus
(1.107-09) äußert auch Antonius bestimmte Vorstel-
lungen darüber, wie dieses theoretische System erstellt werden kann. Seine Äußerungen schließen sich eng an die aristotelische Rhetorik (1354a6-11) an 1 ), so daß eine genaue Textanalyse erforderlich ist: " ... cum plerique temere ac nulla ratione causas in foro dicant, nonnulli autem propter exercitationem aut propter consuetudinem aliquam callidius id faciant, non est dubium quin, si quis animadverterit quid sit qua re alii melius quam alii dicant, id possit notare. Ergo id qui toto in genere fecerit, is si non plane artem at quasi artem quandam invenerit."
(de or.2.32.).
Antonius stellt die planlos und ohne Absicht vorgehenden Redner denjenigen gegenüber, die über praktische Ubung und Erfahrung verfügen und demzufolge geschickter vorgehen. Die Worte 'temere ac nulla ratione' bezeichnen das Fehlen eines theoretischen Systems, an dem sich der Redner orientieren könnte, um ein bestimmtes Redeziel zu erreichen. Hat die Rede dennoch Erfolg, so ist dies ohne bewußten Einsatz einer Methode erreicht worden. Einer solchen Rede wird der gewohnheitsmäßige Gebrauch der Rhetorik gegenübergestellt. 'Exercitatio,2) bezeichnet die Ubung, die man durch die praktische Ausführung einer Tätigkeit erhält und die in der Trias der rednerischen Voraussetzungen natura, ars, exercitatio eine wichtige Rolle spielt. 'Consuetudo' 3) meint die Gewohnheit, die sich nach wiederholter praktischer Anwendung einstellt und die ein bestimmtes Maß an Ubung Beide Anwendungsmöglichkeiten der Rhetorik schei-
vorauss~tzt.
nen zunächst wegen der Formulierung 'nonnulli autem' als Gegensätze betrachtet zu werden.
I)
Vgl.
dazu pp.2-3.
2)
Vgl. dazu ad Her. 1.3.19-20.
3)
Ebenso de or.3.150;
ad Her.4.24.26-28.
92
folgende Text nennt jedoch die verqleichende Analyse der Gründe für die unterschiedliche Qualität geplanter und ungeplanDe~
ter Rede als weitere Voraussetzung für die Abstraktion eines theoretischen Systems:
" ... si guis animadverterit quid sit qua
re alii melius quam alii dicant, id possit notare." Aus dem Text geht nicht hervor, ob sich lid' allein auf die Untersuchung der Ursachen - quid sit, qua re - bezieht oder auf den geschilderten Gesamtvorgang, der auch observatio und animadversio miteinschließt. Die zweite Möglichkeit erscheint naheliegender, da im folgenden Satz das Untersuchungsergebnis, das als letzte Voraussetzung für die Abstraktion einer ars genannt wird, ebenfalls mit lid' bezeichnet wird. Das Personalpronomen bezieht sich also auf die
Ge~
samtheit der vorangegangenen Schritte. Mit der Formulierung 'quid sit, qua re' macht Antonius eine wesentliche Aussage über sein Verständnis von 'ars': eine ars vermittelt nicht nur empirisch gewonnene, allgemeingültige Regeln, sondern sie kennt quch die diesen Regeln zugrundeliegende Ursache. Die Rede erfahrener und geübter Redner wird also nicht absolut betrachtet, sondern im Vergleich mit der schlechteren Rede von planlos vorgehenden Rednern untersucht - quid sit, qua re alii m e I i u s dicant -, die damit zwangsläufig auf eine niedrigere Qualitätsstufe gestellt wird. Durch praktische Ubung und Erfahrung wird überdies eine Geschicklichkeit erworben, die dem unerfahrenen Redner fehlt. Daraus ergibt sich, daß Antonius beide Anwendungsmöglichkeiten der Rhetorik nicht als einander ausschließende Gegensätze betrachtet, sondern als untersch~edliche Qualitäts- und Entwicklungsstufen, die zeitlich aufeinanderfolgen. Cicero selbst stellt dies de opt. gen. or. 4 ausdrücklich fest: "Haec, ut alius melius quam alius (sc. dicat> , concedendum esti verum id fit non genere, sed gradu." Je häufiger ein Redner spricht,
je größer seine Ubung und Erfah-
rung werden, desto mehr wird er sich vorn Stadium blindlings angewandter und zwangsläufig schlechterer Rede entfernen, die ein
93
Vorstadium gewohnheitsmäßig angewandter Beredsamkeit darstellt. Antonius beschreibt in seinen Ausführungen über die Abstraktion einer ars denselben Weg, der bereits von Crassus 1. '107-09 beschritten und 1.146 vage angedeutet worden ist. 1 ) ruLetorische Praxis wird faktisch beobachtet, untersucht, und die Ergebnisse der Betrachtung werden festgehalten. Untersuchung und Analyse werden sowohl 1.107-09 als auch 2.32 mit den Verben animadvertere und notare bezeichnet. Das Verb observare, mit dem Crassus die Betrachtung rhetorischer Praxis benennt 2 ) , wird von Antonius nicht verwendet, seinen Ausführungen jedoch in substantivierter Form von Sulpicius hinzugefügt, der 2.232 auf 2.32 zurückgreift: " ••. o bservatio quaedam est, ut ille (sc. Antonius) dixit, earum rerum, quae in dicendo valent;". Die in Crassus' Forderung nach Begriffsdefinitionen und systematischer Einteilung 3 ) - verbis definita, generibus illustrata,partibus
distributa (1.109)
- vorausgesetzte Allgemeinheit der Aus-
sagen, die eine wiederholte Beobachtung der Einzelphänomene vorap.ssetzt, nennt Antonius ausdrücklich:
"Qui id toto in genere fe-
cerit, is si non plane artem, at quasi artem quandam invenerit" (2.32). Diese Formulierung macht deutlich, daß auch Antonius terminologische Probleme letziich für sekundär hält. Obwohl er de or.2.32 die Abstraktion eines Regelsystems beschreibt, dem, wenn auch mit Einschränkungen, die Bezeichnung 'ars' zugebilligt werden kann, ist es für ihn von untergeordneter Bedeutung, ob die Beredsamkeit nun als ars, als animadversio oder als observatio bezeichnet wird (2.147).
1)
" ... homines eloquentes ... observasse ...
2)
Ebenso
3)
Zu Einteilung der Gattungen und Definition der Begriffe in De inventione und der Schrift des Auctor ad Herennium vgl.M. Fuhrmann, Das systematische Lehrbuch, Göttingen 1960, pp.6164; 47-51.
11
1.146.
94
In ihrer Auffassung der rhetorischen ars stimmen Antonius und Crassus überein: ~er Charakter einer ars in strengem Sinn, die der Wissenschaft gleichzusetzen ist, wird der Beredsamkeit abgesprochen und stattdessen ein empirisch gewonnenes Regelsystem als ars in weiterem Sinn anerkannt. Dieses System wird in verschiedenen Phasen abstrahiert: Rhetorische Praxis wird beobachtet - observatio -, untersucht - animadversio - und festgehalten - notatio -. Nach Wiederholung dieser Vorgänge ist die Abstraktion der allgemeinen Gesetzmöglichkeiten möglich: die Kenntnis der allgemeinen Regel schließt das Wissen um die zugrundeliegende Ursache ein. Da sich beide Kontrahenten in diesem Punkt einig sind, ist anzunehmen, daß sie Ciceros eigene Meinung wiedergeben. Dieser fügt im Prolog des
zwe~ten
Buches eine weitere Aussage über das Wesen
der Beredsamkeit hinzu: Rhetorik besitzt kein eigenes Sachgebiet, durch dessen Grenzen sie genau festgelegt ist, sondern sie kann all das behandeln, was Gegenstand menschlicher Erörterung ist (2.5) .1) Handlungen und Verhalten der Menschen aber entziehen sich wissenschaftlicher Erfaßbarkeit und ermöglichen meist keine Aussagen, die mit Sicherheit nur so und nicht anders sein können. Durch den Mund des Crassus läßt Cicero dies ausdrücklich feststellen: "Nulla enim fe re potest res in dicendi disceptationem aut controversiam vocari, quae non habeat utrumque: sed_quantum habeat, id refert" (2.291). Auch Aristoteles, der auf den fehlenden Gattungsbezug der Rhetorik ebenfalls hinweist (1354a1-3: 1355b27-34), nennt als Objekt der Beredsamkeit diejenigen Angelegenheiten, die in den Bereich menschlichen HandeIns fallen
(1357a22-27), innerhalb dessen nur
wahrscheinliche Aussagen möglich sind. Gegenstand der Beratung ist nach ,aristotelischer Auffassung nur das, was sich allem
I)
Dies wird bereits 1.10 angedeutet; dort weist Cicero darauf hin, daß mathematici, geometrici und musici genau abgegrenzte Gebiete haben.
95
Anschein nach auch anders verhalten kann (1357a4-5). Zu Beginn seiner Behandlung der symbuleutischen Rede schließt Aristoteles neben notwendigen auch unmögliche Dinge als Thema der Rede aus. Im Bereich des Möglichen werden nur solche Angelegenheiten beraten, die durch menschliche Einflußnahme zu verändern sind (1359a32-34) .1) Auch Cicero läßt Antonius fordern, zu Beginn der Rede zunächst Möglichkeit oder Unmöglichkeit, Notwendigkeit oder Nichtnotwendigkeit des Beratungsgegenstandes zu prüfen (2.336). Antonius begründet seine Ansicht damit, daß sich eine Beratung über einen Fall erübrige, der sich entweder mit zwingender Not-wendigkeit ereignet habe oder aber unmöglich habe stattfinden können
(2.336; ähnlich part.or.83). Diese Ubereinstimmungen bei
der Beschränkung des rhetorischen Themenbereiches zwischen De oratore und der aristotelischen Rhetorik sind auffallend. Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß die in De oratore beschriebene ars alle Forderungen erfüllt, die Aristoteles an eine .txvn stellt 2 ): - sie ist von Einzelbeispielen abstrahiert, also auf empirischer Basis gewonnen; - sie weiß die zugrundeliegende Ursache; - sie hat mit der Wissenschaft die Allgemeingültigkeit der durch sie vermittelten Aussagen gemeinsam, - unterscheidet sich von ihr jedoch durch die Modalität der Aussagen - und durcb den fehlenden Gattungsbezug; - sie kann z0ar theoretisch jeden Gegenstand behandeln, - beschäftigt sich in der Praxis jedoch meist mit menschlichem Handeln; - notwendige und unmögliche Dinge werden als Gegenstand der Beratung ausgeschlossen.
I)
Vgl.
dazu p. I I.
2)
Vgl.
dazu pp.3-4.
96
Neben diesen inhaltlichen Gemeinsamkeiten zwischen der aristotelischen Rhetorik und dem Dialog De oratore fällt besonders die wörtliche übereinstimmung von de or.2.32 und Rhet.1354a5-11 auf, die nicht mit der Zugehörigkeit zu den weitverbreiteten Regeln rhetorischer Tradition erklärt werden kann und die deshalb für die Beurteilung von Ciceros Verhältnis zur aristotelischen Rhetorik wichtig ist. 1 ) Es stellt sich nun die Frage, wie rhetorische ars in den übrigen rhetorischen Schriften verstanden wird, und welche Rolle ihr in Ciceros Rhetorikkonzeption zukommt. Obwohl Antonius
(2.30)
und Crassus
(1.107-109)
'ars' und
'doctrina' nach der Modalität der Aussa~en unterscheiden, gebraucht Cicero im Anschluß an die lange und heftige Diskussion über den Charakter der Beredsamkeit beide Begriffe dennoch als Synonyme (1.115). Auch in den übrigen rhetorischen Schriften scheidet er nicht streng zwischen beiden Termini. So werden Or. 161 ars und doctrina als Synonyme gebraucht, und bei der Aufzählung der Voraussetzungen, über die der Redner verfügen muß, wird die rhetorische Theorie Brut.22 als doctrina, Brut.25 dagegen als ars bezeichnet. Ebenso ist part.or.3 von einer doctrina dicendi, 2 part.or.139 dagegen von einer ars die Rede. ) Der Auctor ad Herenniurn gesteht der Beredsamkeit ebenfalls den Charakter einer ar s zu (1. 3 . 1 5 -1 6; 1. 1 . 2 2) . Diese Stellen scheinen die Auffassung zu rechtfertigen, daß Cicero einer exakten Terminologie keine Bedeutung beimißt. So läßt er auch durch den Mund des Crassus ausdrücklich betonen, daß die Begabung und die praktische übung des Redners höher bewertet werden als die Beherrschung rhetorischer Theorie (1.107-09). In Ciceros Jugendschrift dagegen wurden die theoretischen Regeln der Schulrhetorik noch ausführlich dargelegt. Von dieser Abhand-
1)
Vgl.
dazu p. 193.
2)
So auch Top.24;
73-74;
part.or.6;
48.
97
lung distanziert sich Cicero de or.l.5 jedoch ausdrücklich und bezeichnet sie als rohen und unvollkommenen Kindheitsentwurf, der seinem Alter und seiner Erfahrung nun nicht mehr en"tspreche. Ausgehend von der Sprache als dem wesentlichsten Unterscheidungsmerkmal zwischen Mensch und Tier (de inv.l .5.23-26) rechtfertigt Cicero dort die Behandlung überlieferter rhetorischer Vorschriften mit der Tatsache, daß neben Begabung und Ubung auch die theoretische Unterweisung für die Sprachbeherrschung entscheidend sei (1.5.28-32). In seiner Jugendschrift läßt Cicero zunächst die Frage offen, ob Rhetorik als ars, studium, exercitatio oder facultas zu bezeichnen sei
(1 .2.2-3)
~
dann werden die Begriffe mit
den Worten " ... ea facultas, quae conficitur ex arte ... " (1.7.1-2) zueinander in Beziehung gesetzt. 1 ) Aus der Kenntnis der ars erwächst also die facultas des Redners. Zwar stellt Cicero hier theoretisches Wissen nicht als Garant für hervorragende rhetorische Fähigkeiten dar, doch sieht er in der Beherrschung der rhetorischen Theorie immerhin eine der Ursachen rednerischen Könnens. In De oratore dagegen treten die Begabung und die praktische Erfahrung des Redners stärker in den Vordergrund. Doch auch hier spricht Cicero - trotz seiner teilweise heftigen Kritik an griechischen Technologen _2)
einem theoretischen Regelsystem i~ner
hin einen gewissen Nutzen zu. So können für einen unerfahrenen Anfänger, der noch nicht über praktische Erfahrung verfügt, theoretische Unterweisungen eine gewisse Hilfe darstellen (1.117;2.16~). Die natürliche Begabung und das Talent können zwar nicht durch rhetorische Theorie ersetzt, wohl aber entsprechend gefördert werden
1)
De or.3.84 werden die beiden Begriffe als Vgl. dazu auch de or.2.29; 2.147.
2)
Vgl.
dazu pp.66-67.
(1.114-15). Ein
Synonyme gebraucht.
98
kleiner Seitenhieb trifft auch hier die griechischen scriptores artis, denen unterstellt wird, mangelnde Begabung durch die Kenntnis rhetorischer Theorie ausgleichen zu wollen. Der Wert eines theoretischen Regelsystems besteht für Cicero in der Orientierungshilfe, die sie dem Redner bietet: Ihre Anwendung soll Irrtümer vermeiden helfen: " .•. habet enim (sc. ars) quaedam quasi ad commonendum oratorem, quod quidque referat et quo intuens ab eo, quodcumque sibi proposuerit minus aberret" (1.145) .1) Leeman sieht in der Formulierung 'quo intuens' das Bild eines Seemannes, der bei der Fahrt gewisse feste Punkte im Auge behält, um den richtigen Kurs zu wahren. 2 ) Leemans Interpretation wird durch die Aussage des Auctor ad Herennium gestützt: "Ars est praeceptio, quae dat certarn viam rationemque dicendi" (1.3.15-17). Dieses Bild beschreibt deutlich die Rolle der ars in Ciceros Oe oratore: Sie ist als Unterstützung wichtig, hat aber keineswegs essentielle Funktionen, die ihr unter den Voraussetzungen ars, natura und exercitatio die wichtigste Stelle sichern. Natura ist dem Redner angeboren, exercitatio muß mit Fleiß erworben werden. In jedem Fall aber sind sowohl die natürliche Begabung als auch die praktische Erfahrung Eigenschaften, die vom Redner ausgehen. So liegt die Annahme nahe, daß der Titel der Schriften De oratore, Orator und Brutus für das Zurücktreten rhetorischer Theorie hinter die Person des Redners bezeichnend ist. Die Frage nach dem Verhältnis von ars und artifex in der griechisch-römischen Tradition wird auch von H.Dahlmann aufgeworfen. Er stellt fest, daß in den technographischen Schriften die Person des Dichters ebenfalls behandelt und in ihrem Verhältnis zur
1)
Ähnlich Brut.263. Vgl. dazu auch M.L.Clarke, Rome, London 1953, pp.73-74.
2)
Leeman-Pinkster,
Komm.
z.St.
Rhetoric at
99
ars bestimmt wird.
1
) Dieser ars-artifex-Komplex hat jedoch, so
betont Dahlmann, meist am Anfang des gesamten Lehrgebäudes seinen platz. 2 ) Er weist ferner nach, daß auch der Dialog De oratore, der nicht zu den technologischen, sondern zu den technitologischen Schriften gehört, "typische Eigentümlichkeiten aufweist, wie sie durch die Tradition festgelegt waren: In ihnen wird das Wesen von ars und artifex behandelt und mit einer Reihe hierhergehöriger quaestiones verbunden".3) Die Ausführungen Dahlmanns beschreiben die Einleitung von De oratore treffend, doch muß hinzugefügt werden, daß in der übrigen Schrift theoretische Fragen zurücktreten; nicht die traditionellen Schulregeln, sondern deren praktische Anwendung will Cicero behandeln (de or.1 .23; ähnlich Or.43; 112). Die Schwerpunktverlagerung von rhetorischer Theorie zu den praktischen Erfordernissen der Beredsamkeit kennzeichnet Ciceros veränderte Rhetorikkonzeption in De oratore, Orator und Brutus im Vergleich zu Oe inventione und erklärt seine kritisch-distanzierte Haltung gegenüber dieser Schrift (de or.2.5) .4) Wichtig ist in Oe oratore nicht die Frage, ob der Redner das herkömmliche
I)
H.Dahlmann, Studien zu Varros "De poernatis", Abhdlg. der geistes- und soz.-wiss. Klasse, Mainz 1963, Nr.3. pp.13-14.
2)
Op.cit., p.38. Dahlmann untermauert p.21 seine Aussage durch den Hinweis auf die Schriften des Neoptolemos, des Andromenides, auf die Scholien zu Dionysios Thrax sowie auf die Metrik des Aphtonius.
3)
Ders., Studien zu Varros "De poetis", Abhdlg. der geistesund soz.-wiss. Klasse, Mainz 1962, Nr.IO, pp.14-20. Zur Praalocutiotechnik in den Partitiones Oratoriae, vgl. P.Sternkopf, De M.T.Ciceronis Partitionibus oratoriis, Trier 1914, pp. 12-13.
4)
Auf die Kontinuität der Entwicklung von De inventione zu De oratore weisen ferner A.Michel, Rhetorique et philosophie chez Cic~ron, Paris 1960, p.72 und K.Bilchner, Cicero, Bestand und Wandel seiner geistigen Welt, Heidelberg 1964, pp.47-62 hin.
100
Regelsystem beherrscht, sondern ob er über die Voraussetzungen 1 natura und exercitatio verfügt. ) Rhetorische ars dient dabei 2 allenfalls als unterstützende orientierungshilfe. )
3.2
Die Definition des Redners
Nachdem die Beredsamkeit als ars bestimmt wurde, erhebt sich die Frage nach dem Rednerbild Ciceros. Was verlangt Cicero von einem Redner, welchen Anforderungen muß dieser genügen, welche Kenntnisse besitzen? Die meisten Aussagen, die eine Beantwortung dieser Fragen ermöglichen, finden sich in den Schriften De oratore und Orator. Wie deren Titel bereits vermuten läßt, beschreibt Cicero sein Rednerbild hier am genauesten. 3 ) Im folgenden Kapitel sollen zunächst Ciceros eigene Aussagen in den Prologen zu De oratore I und
11
untersucht werden. Dann ist
zu prüfen, welche Ansichten die Gesprächsteilnehmer vertreten und ob sie die Meinung des Autors wiedergeben. Die Überlegungen sollen durch Parallelstellen anderer Werke, besonders des Orator, ergänzt werden.
I)
Zur genaueren Information über die Rolle der ars in der Trias der Voraussetzungen des Redners sei verwiesen auf Weidner, pp.28-30; Müller, p.87; Leeman-Pinkster, pp.209-ll; 231-33, sowie W.Steidle, Einflüsse römischen Lebens und Denkens auf Ciceros Schrift De oratore, in: MH 9, 1952, pp.30-3J.
2)
Auch Leeman-Pinkster, pp.25-26 hebt hervor, daß in de or. der Redner a l s " menschliche, geistige und soziale Erscheinung" im Vordergrund steht.
3)
Vgl. dazu de or.I.118: " ..• Sed quia de oratore quaerimus, fingendus est nobis oratione nostra detractis omnibus vitiis orator atque omni laude cumulatus"; ebenso 3.84-85, sowie Or.47; 61; 69.
101
Im Vorwort zu de or. I verlangt Cicero vom idealen Redner un.iver-sale Kenntnisse:
" ... nemo poterit esse omni laude cumulatus ora-
tor, nisi erit omnium rerum magnarum atque artium scientiam consecutus ... "
(1.20) .1) Diese res magnae atque artes werden 1.17-,
20 in lockerer Reihenfolge scheinbar ohne bestimmte Ordnung aufgezählt. Ihre Unverzichtbarkeit für den Redner wird mit dem Zusammenhang von res und verba begründet: Wenn das entsprechende Sachwissen fehlt, so argumentiert Cicero 1.17, dann wirkt die Rede nur leer und nichtig (1.17; ähnlich 3.125). Gefordert werden ethische Kenntnisse, ferner"
lepos quidam facetiaeque et eruditio
libero digna celeritasque et brevitas et respondendi et lacessendi subtili venustate atque urbanitate coniuncta"
(1.17). Außerdem
verlangt Cicero Sachkenntnisse aus Ethik, Recht und Politik
(1.18)
Mit der Formulierung 'eruditio libero digna' ist wohl der Jugendunterricht in den allgemeinbildenen Fächern gemeint 2 ), der jeglichem Erwerb von Sachkenntnissen ohnehin vorausgehen muß, somit beinahe selbstverständlich ist und nicht besonders erwähnt zu werden braucht. 3)
I)
An 'omni laude cumulatus' 82,Anm.3) an.
2)
Vgl.
knüpft Cicero
1.118
(vgl.
dazu p.
dazu H.Fuchs,
Reallexikon für Antike und Christentum nULocLu. Zur allgemeinen Information über den Unterricht in der Antike sei verwiesen auf H.I. Marrou, Histoire de l'~ducation dans l'Antiquit~, Paris 1948, A.Stückelberger, Senecas 88.Brief, Uber Wert und Unwert der freien Künste, Heidelberg 1965 sowie I.Hadot, Arts Liberaux et Philosophie dans la Pens~e Antique, Paris 1984. Ciceros Jugendunterricht wird behandelt von Barwick, Das rednerische Bildungsideal, pp.IO-13, ferner von F.Wehrli, Studien zu Ciceros De oratore, in: MH 35, 1978, pp.74-79. 1960,pp.365-98;~YKUKALOG
3)
Leeman-pinkster sehen in ihrem Kommentar zur Stelle nur einen Hinweis auf die elocutio als eines der fünf'officia oratoris'; zwar lassen die Satzelemente lepos, facetiae, venustas, urbanitas tatsächlich den stilistischen Aspekt in den Vordergrund treten, doch ist die Stelle wohl auch darüber hinaus von Bedeutung, da Cicero hier den Zusammenhang von res und verba hervorhebt und auf die Bedeutung der Affektenlehre hinweist.
102
Im weiteren Textverlauf betont Cicero, daß ein Universalwissen des Redners wünschenswert ist:
" ... quamquam vis oratoris profes-
sioque ipsa bene dicendi hoc suscipere ac polliceri videtur, ut omni de re quaecumque sit proposita, ornate ab eo copioseque dicatur"
(1.21). Daß diese Forderung jedoch schwer realisierbar
ist, wird bereits durch die Verwendung des konzessiven 'quamquam' sowie des Verbs 'videtur' angedeutet. Unter Hinweis auf die star-ke Beanspruchung römischer Redner räumt Cicero dann im weiteren Textverlauf die Grenzenlosigkeit seiner Forderungen ein: "hoc plerisque immensum infinitumque videatur"
(1.22) _ Aber auch diese
se Aussage wird in abgeschwächter Form als Meinung der Mehrheit (plerisque videatur ) und nicht als Tatsache formuliert. Cicero will sich hier offenbar noch nicht für die maximalistischen oder die eingeschränkten Forderungen entscheiden, neigt aber wohl eher zu der eingeschränkten Rhetorikkonzeption. Mit der Grenzenlosigkeit eines universalen Rednerbildes begründet er unter Berufung auf griechische Autorität seinen Entschluß, in De oratore nur die forensischen genera zu behandeln: " ... sed quia non dubito, quin hoc plerisque immensum infinitumque videatur, et quod Graecos homines ... partitionem iam quandam artium fecisse video, ..• non complectar in his libris amplius, quam quod huic generi re quaesita et multum disputata summorum hominum prope consensu est tributum ... " (1.22) .1) 'Forensis disceptatio' bezeichnet hier nicht 2 ) die gerichtliche Rede, sondern umfaßt, 3 gleichsam als Oberbegriff, jede auf dem Forum gehaltene Rede. )
I)
Diese Beschränkung wird jedoch 3.182 als ein gewaltsamer Eingriff gerügt. Leeman-Pinkster, p.59 betrachtet deshalb 1.22 als ein vorläufiges Zugeständnis an das Lesepublikum.
2)
Wie Or.I70;
3)
Ebenso de or.I.59: in usu forensi - bei den praktischen Erfordernissen des rednerischen Alltags.
Brut.287.
103
Obwohl Cicero griechische Autorität zur Unterstützung seiner Argumentation heranzieht, nutzt er die Gelegenheit zu einem Seitenhieb gegen griechische Redner und Rhetorik:
" ... Graecos homines
non solum ingenio et doctrina sed etiam otio studioque abundantis" (1.22).1) So postuliert Cicero im Prolog zu de or. I ein universales Rednerbild, doch sieht er sich gleichzeitig
zu einer neduktion sei-
ner Anforderungen als zugeständnis an die rhetorische Praxis gezwungen. Diese Spannung zwischen theoretischer Vorstellung und praktischer Durchführbarkeit durchzieht den ganzen Dialog und wird sowohl zwischen den beiden Hauptkontrahenten Crassus und ~ntonius
deutlich, als auch zwischen Cicero und seinem Bruder
Quintus, der die Ansicht vertritt, eS reiche aus, wenn der Redner Begabung und praktische Ubung besitze (1.5). Bereits im Prolog zu de or. 11 scheint Cicero jedoch seine Einschränkungen (1.22) vergessen zu haben und postuliert erneut jenen 'orator perfectus', der im Besitz universaler Kenntnisse jedes Thema behandeln kann:
"Etenim ceterae fere artes se ipsae per
se tuentur singulae; bene dicere autem, quod est scienter et perite et ornate dicere, non habet definitam aliquam regionern, cuius terminis saepta teneatur. Omnia quaecumque in hominum disceptationem cadere possunt, bene sunt ei dicenda, qui hoc se posse profitetur, aut eloquentiae nomen relinquendum est"
(2.5) .2)
I)
Ebenso 3.57; 3.131. Zu dem Begriff 'otium' vgl. auch J.M. Andre, L'otium dans la vie morale et intellectuelle romaine des origines a l'epoque augusteenne (Paris 1966) sowie pp.66f. In seiner Ankündigung, das Gespräch führender römischer Politiker wiederzugeben (1.23), stellt Cicero durch die Worte nostri homines, eloquentissimi, omni dignitate principes in dreifacher Weise den Gegen~atz zwischen dem po·litisch-aktiven Leben des römischen Redners und dem Müßiggang griechischer Theoretiker her, den er 1.22 unterstellt hat.
2)
Diese Stelle wurde bereits bei der Analyse rhetorischer ars behandelt. Vgl. dazu p.76.
104
Der Redner muß also alles, was Gegenstand menschlicher Erörterung ist, behandeln können. Mit 'disceptatio hominum' greift Cicero auf 1.22 zurück; dort wurde die Beredsamkeit auf die 'forenses disceptationes' der beratenden und gerichtlichen Rede beschränkt, während ~icero hier den Universalanspruch der Rhetorik 1 4ier erneut postuliert. ) Zu der Spannung zwischen theoretischer Idealvorstellung und ihrer praktischen Verwirklichung nimmt Cicero Or.7-10 Stellung. Er bekennt sich hier zwar erneut zu 3einer Darstellung eines idealen Redners, räumt aber gleichzeitig ein, daß ein solcher Redner vielleicht nie
e~istiert
hat (Or.7). Diesen scheinbaren Wider-
spruch erklärt Cicero (Or.8-9) mit dem Hinweis auf den Bildhauer Phidias, dessen Werke als vollkommen gelten und dennoch von einer gedanklichen Idealvorstellung übertroffen werden können, an der sich der Künstler bei der Herstellung seiner Werke orientierte. Die philosophische Herkunft seiner Gedanken erklärt Cicero mit der platonischen Ideenlehre (ähnlich Or.100-02). Diese Stelle ist für das Verständnis des ciceronischen 'orator perfectus' von großer Bedeutung, da sie die Kluft zwischen dem 2 theoretischen Idealbild ) und seiner praktischen Durchführbarkeit erklärt, der sich Cicero durchaus bewußt war. Er ist sich darüber im klaren, daß ein Ideal, auch wenn es nicht von jedem
1)
Davon ausgenommen sind allein notwendige oder unmögliche Dinge. Vgl. dazu p.77.
2)
Dieses Ideal, das auch von den beiden Gesprlchspa( ~nern Antonius und Crassus im Lauf des Dialogs entwickelt wird, soll die beiden jugendlichen Zuhörer, Sulpicius und Cotta, zu großen Leistungen anspornen. Beide tragen inhaltlich wenig zum Gespräch bei, halten es jedoch durch gelegentliche Zwischenfragen in Gang (z.B. 1.96-102; 1.148; 1.160-65; 2.231). Indem Cicero sie als wißbegierige Schüler darstellt, (z.B. 1.34; 2.118; 2.196; 3.230), die dem Dialog eine praktische Rechtfertigung liefern, tritt er eventuellen Vorwürfen entgegen, er selbst versteige sich zu ebensolchen theoretischen Diskussionen wie die von ihm kritisierten 'Graeculi'.
105
erreicht werden kann, immer eine anspornende und ermunternde Wirkung hat und achtet auch die Leistung desjenigen, der bei großen Aufgaben zwar nicht. das Beste, aber dennoch Bedeutendes leistet:
n •••
nam neque illud ipsum quod est optimum desperandum est
et in praestantibus rebus magna xima n (Or.6). 1)
sunt ea quae sunt optimis pro-
Auf die praktischen Gegebenheiten des Alltags übertragen, bedeutet dies, daß der Redner möglichst umfangreiche Kenntnisse erwerben soll, die ihm die Behandlung all der Themen ermöglichen, die Diskussionsgegenstand menschlicher Erörterungen sein können. Darau·s resultiert die Konzentration des praktisch, d. h. forensisch tätigen Redners, auf das genus iudiciale und das genus deliberativum. Es bleibt somit zu untersuchen, wie die Hauptkontrahenten über dieses Ideal denken und welche eigene Rednerkonzeption sie entwerfen. Neben der Frage nach den vom Redner zu verlangenden Kenntnissen soll auch das Verhältnis der Rhetorik zu anderen artes erörtert werden. Zunächst legt Crassus seine sten großen Rede
(1 .30-79)
Meinung dar, der sich in seiner erzu dieser Fraqe äußert,durch Scaevo-
las Widerspruch unterbrochen wird (1.35-44)
und zu einer Vertei-
digung seines Standpunktes aufgerufen ist (1 .45-79) In seiner laus eloquentiae (1.30ff)
stellt Crassus zuerst den
grundsätzlichen Nutzen der Rhetorik fest.
Zur Begründung seiner
These zählt er drei Funktionen der Beredsamkeit auf:
Zunächst
weist er auf den ästhetischen Wert einer schön gestalteten Rede hin (1.31-32), betont dann den ethisch-moralischen Wert der Rhetorik, die dem Redner das Instrumentarium sowohl zur Selbsthilfe als auch zur Unterstützung fremder Menschen liefert (1.31)
1)
und
Ebenso de opt.gen.or.3-4: " . . . perfectum (sc. oratorem) enim quaero •.• Optimum quidem unum est et proximum quod ei simillimum."
106
hebt mit dem Hinweis auf von Rednern vorgenommene Staats gründungen abschließend den politischen Wert der Beredsamkeit hervor (1. 33) . 1 ) Auch Crassus bezieht sich 1.34 ausdrücklich auf den 'orator perfectus'
und fordert dadurch den Widerstand des Scaevola heraus,
der den Tätigkeitsbereich des Redners auf das genus deliberativum und das genus iudiciale
beschrä~cen
will
(1.44) und der Cras-
sus' Rhetorikkonzeption, die dem Redner die Beherrschung jedes Themas abverlangt, als einen rigorosen Einbruch in den Bereich anderer Disziplinen darstellt
(1.41). Die Dreistigkeit eines
solchen Vorgehens wird durch die Verwendung des Verbs 'inruere' und des Adverbs
'temere' lebhaft vor Augen gestellt.
Mit dieser Kritik an Crassus' Forderungen vertritt Scaevola die Ansprüche der Vertreter anderer Disziplinen, vor allem der Philosophie, die sich gegen das Eindringen des Redners in das eigene Sachgebiet wehren (1.41) .2) Aus seinen Einwänden zieht Scaevola die Folgerung, daß der Aufgabenbereich des Redners auf die Überzeugung des Publikums in den forensischen genera zu beschränken sei:
" .. . ut in contionibus et in sententiis dicendis
I)
In Formulierungen wie sapientibus sentent11s (1.31), nulla in re rudis (1.32), sapientia (1.34) sehen Leeman-Pinkster, Komm. z.St., die Forderung nach umfangreichen Sachkenntnissen "diskret, doch unzweideutig gegenwärtig". Ähnlich auch Müller, pp.84-85. Dieses Postulat ist meines Erachtens nur durch 'nulla in re rudis' angedeutet, während sich 'sapientia' auf persönliche Eigenschaften des Redners bezieht, der Klugheit und Fähigkeit zu rationaler Einsicht besitzen soll. Vgl. dazu Borof, Piderit-Harnecker, Komm. z.St. Die Annahme wird durch die Verbindung von moderatio und sapientia (1.32) gestützt.
2)
Der Standpunkt der Philosophen wird auch part.or.78 wiedergegeben: "Sunt autem aliae quasi ministrae comitesque (sc. dialectica et rhetorica) sapientiae". Die Aussage erklärt sich damit, daß Cicero in dieser theoretischen Schrift vor allem den üblichen Handbüchern folgt.
107
ad persuadendum tua plurimum valeat oratio"
(1.44). Das persua-
sive Element der Rhetorik, das Crassus 1.30-45 nicht erwähnt hatte, wird hier zum ersten Mal genannt. Durch Scaevolas Widerspruch ist Crassus zu einer Verteidigung seines Standpunktes aufgerufen. Zuerst äußert er sich zu dem Streit zwischen Rednern und Philosophen 1 ), als dessen Urheber er Platon betrachtet; ihn macht er für den Ausschluß des Redners von politischer Tätigkeit verantwortlich (1.46-47) .2)
In der eigentlichen Streitfrage um die
Kompetenz des Redners zeigt sich Crassus zunächst kompromißbereit. Selbst eine Beschränkung der Rhetorik auf die forensischen genera, wie sie Scaevola postuliert hatte, setzt seiner Ansicht nach immer noch umfangreiche Kenntnisse der Ethik und der Politik voraus
(1.48). Dies ergibt sich aus der bereits 1.20 gefor-
derten Einheit von res und verba, die Crassus mit den Worten " ... composite ornate copiose loqui ... " (1.50; ähnlich 1.48) 3 noch einmal hervorhebt. Mit der Verwendung dieser Adverbien ) ersetzt Crassus das persuasive Element von Scaevolas Rede durch die stilistische Komponente der Beredsamkeit. Wenig später hebt er diesen hier mit ornate bezeichneten Aspekt durch die Worte "compositam orationem et ornatam et artificio quodam et expolitione distinctam" (1 .50)
noch stärker hervor. Beherrscht der Redner
der beratenden und gerichtlichen Rede das geforderte Sachwissen, so argumentiert Crassus weiter, dann kann er auch jeden anderen Bereich der Rhetorik behandeln (1.48).
I)
Die historischen und politischen Hintergründe der Auseinandersetzung können in dieser Arbeit nicht erörtert werden. Es sei verwiesen auf Leeman-Pinkster, pp.113-16; Kroll, RE, Suppl.VII, I083ff sowie R.Thomsen, Das Jahr 91 und seine Voraussetzungen, in: Clmed 5, 1942, pp.13-17.
2)
Immerhin äußert sich Crassus anerkennend über Platons stische Fähigkeiten. Vgl. dazu Leeman-Pinkster, p.18.
3)
Diese werden von Piderit-Harnecker, Wilkins und Leeman-Pinkster zu Recht auf dispositio, elocutio und inventio bezogen.
stili-
108
Damit verringert Crassus die Distanz zwischen seinem Postulat einer uneingeschränkten Beredsamkeit und der Auffassung des Scaevola, da er bereits vom 'nur' forensisch tätigen Redner umfangreiche Kenntnisse verlangt. Als weiteren Gesichtspunkt behandelt Crassus in seiner Rede das Verhältnis der Beredsamkeit zu anderen Disziplinen. Er stellt fest, daß die geschmackvolle und ansprechende Darstellung auch dann eine eigentlich rhetorische Leistung ist, wenn der behandelte Stoff einem anderen Sachgebiet angehört (1.49). Den Einwand Scaevolas, es könne von philosophischer Seite vorgebracht werden, Aristoteles und Theophrast hätten mehr und Besseres über die Beredsamkeit geschrieben als sämtliche Lehrer der Rhetorik (1.43), greift Crassus 1.55 auf und verwendet ihn zur Unterstützung seiner eigenen Argumentation: Gerade die philosophischen Abhandlungen über die Beredsamkeit fielen ja in das Gebiet der Rhetorik, wie schon der Titel des aristotelischen und theophrastischen Werkes zeige. 1 ) Wie im besonderen Fall der Philosophie, so verhält es sich nach Crassus' Ansicht auch bei allen anderen Disziplinen: Die schöne und angenehme Darstellung jedes Sachverhaltes ist Aufgabe der Rhetorik, gleichgültig, ob der behandelte Stoff der Naturwissenschaft (1.49), der Rechtswissenschaft (1.58), der Physik oder Architektur (1.62)
(1.61)
angehört. Den Vertretern dieser Diszi-
plinen gesteht Crassus zwar die theoretische Erkenntnis und Behandlung ihres Gebietes zu, verweist aber die fachliche Diskussion wegen mangelnder sprachlicher Fähigkeiten der jeweiligen Spezialisten (1 .59)
in
den privaten Bereich. Die sprachlich
schöne Darstellung eines Stoffes versteht Crassus also als einen
I)
Aristoteles und Theophrast werden in De oratore des öfteren gemeinsam genannt (so auch 1.49; 1.55; ferner Dr.2IS; 228), ohne daß man aus den jeweiligen Textsteilen schließen kann, wie weit sich ciceros Kenntnis dieser Autoren auf eigene Lektüre gründet.
109
Übergang
v o n dem behandelten Sachgebiet i n d e n Bereich 1 ) Seiner Ansicht nach kann der Redner über jedes
der Rhetorik.
Thema besser sprechen als der Erfinder und Urheber einer Sache selbst (1.51), sofern er sich bei dem zuständigen Fachmann zuvor informiert hat. Daß diese Information dem Redner nicht dieselben fundierten Kenntnisse vermitteln kann, die der Spezialist besitzt, nimmt Crassus in Kauf. So beziehen sich die Worte 'melius atque ornatius' allein auf die stilistische, nicht aber auf die inhaltliche Qualität der Rede. De or.1 .54 erweitert Crassus seine Aussagen über die Aufgaben des Redners um das psychologische
Momen~:
" ... hoc enim est pro-
prium oratoris, quod iam saepe dixi: oratio gravis et ornata et hominum sensibus accommodata." Eine Rede soll also nicht nur inhaltlich fundiert und sprachlich schön gestaltet sein, sondern sie muß auch im Hinblick auf die jeweiligen Zuhörer konzipiert sein, die sie ansprechen und überzeugen will. Der Hörer wird hier zum ersten Mal als integrierter Bestandteil der rhetorischen Situation genannt. Mit den Worten " ... oratorem plenum atque perfectum esse eum, qui de omnibus rebus possit copiose varieque dicere" (1.59) greift Crassus sein universales Rednerbild erneut 2 ) auf und fordert neben stilistischen Fähigkeiten auch ihre uneingeschränkte Anwendung.
I)
Auch Aristoteles stellt Rhet.1354a3-6 fest, daß die Beredsamkeit - obwohl selbst keine Wissenschaft - methodisch auf andere Wissenschaften angewendet werden kann, sei es zur Prüfung eines Argumentes oder zur Verteidigung eines Standpunktes. Aristoteles betrachtet ein allzu tiefes Eingehen auf fremde Sachgebiete jedoch als Hinüberschreiten von der Rhetorik z u den Einzelwissenschaften. Vgl. dazu p. 10.
2)
Den 'orator perfectus' 1.51 und 1.54.
postulierte Crassus bereits
1.30-34;
110
Nach den vorbereitenden und definitionsähnlichen Aussagen von
1.31-32; 1.44; 1.48; 1.54 und 1.59 erfolgt schließlich 1.64 die umfassende Definition des idealen Redners: " ... si
quis universam et propriam oratoris
vim definire complective volt, i8 orator erit mea sententia hoc tarn gravi dignus nomine, qui, quaecumque res inciderit, quae sit dictione explicanda, prudenter et composite et ornate et memoriter dicet cum quadam actionis etiam dignitate." So besteht nach Crassus' Auffassung das grundsätzliche und eigentümliche Wesen des Redners darin,
jedes verbal er faßbare Thema
auf eine bestimmte Art und Weise behandeln zu können; die Adverbien prudenter, composite, ornate, memoriter, beziehen sich auf die rednerischen Aufgaben inventio, dispositio, elocutio und memoria; als fünftes officium oratoris kommt ferner der angemessene Vortrag hinzu. 1 ) In dieser Definition bezeichnet das Substantiv 'vis' diejenigen Eigenschaften, die den Redner charakteri~ieren und die sein Wesen ausmachen. 2 ) Auffallend ist, daß neben dem uneingeschränkten Themenbereich der Rhetorik auch die traditionellen fünf officia oratoris Bestandteil der Definition sind, während das persuasive Element der Rhetorik, das von Scaevola am Ende seiner Rede genannt wur-
I)
Vgl. Sorof, Piderit-Harnecker, Wilkins. Leeman-Pinkster, Komm. z.St.; Kroll. RhMus 518, p.582. Auch de or.1.48 sind die Adverbien composite. ornate. copiose auf dispositio, elocutio und inventio zu beziehen. Zu den traditionellen officia oratoris vgl. auch de inv. I .9.2-1 I .
2)
Leeman-Pinkster übersetzt, Komm. z.St., das Substantiv 'vis' mit 'Vermögen'. Obwohl diese Bedeutung natürlich mitschwingt, ist vis hier sicherlich in weiterem Sinn aufzufassen, wie aus 2.164 hervorgeht: "si tota res quaeritur definitione universa vis explicanda est ..• ".
11 1
de (1.44), in Crassus' Erwiderung (1.45-79) wähnt wird. 1 )
in keiner Weise er-
Im Gegensatz zu De oratore unterscheidet Cicero in seiner Jugendschrift De inventione noch zwischen Aufgabe und Zweck der Beredsa~ceit (1.6.9ff). Als rhetorische Aufgabe wird dort die überzeugende Rede, als Zweck dagegen die bewirkte Überzeugung genannt: "Officium autem eius facultatis videtur esse .dicere adposite ad persuasionem; finis persuadere dictione. Inter officium et finem hoc interest, quod in officio, quid fieri, conveniat, consideratur" den Redevorgang,
(1.6.9-13).
in fine, quid effici
'Officium' bezeichnet hier
'finis' dagegen das Ziel, wo dessentwillen die
Rede überhaupt gehalten wird, das sie aber möglicherweise nicht erreicht. In De oratore kennt Cicero diesen Unterschied zwischen 'offi-' cium' und 'finis orationis' nicht mehr. E~ine.
mögliche Erklärung dafür könnte die Tatsache sein, daß
selbst hervorragende Fähigkeiten des Redners und eine korrekte Anwendung rhetorischer Vorschriften nicht in jedem Fall die Überzeugung des Publikums garantieren. Rhetorik bietet dem Redner nur das Instrumentarium, mit dessen Hilfe dieses Ziel erreicht werden kann. Ebensowenig wie jeder Redner ein orator perfectus im ciceronischen Sinn ist, sondern dieses Ideal soweit als möglich zu erreichen sucht, wird er durch seine Rede die überzeugung des Publikums immer und in jedem Fall bewirken können. 2) Ferner muß festgestellt werden, daß nicht nur der Unterschied zwischen überzeugender Rede und bewirkter Überzeugung in Crassus' Rede unerwähnt bleibt, sondern daß auch das persuasive
I)
Vgl.
dazu Leeman-Pinkster,
2)
Vgl.
dazu Arist.
Komm.
Top.IOObS-IO.
z.St.
112
Element der Rhetorik 1 ) nicht genannt wird. Dies ist umso erstaunlicher, als es nach Ciceros eigener Aussage zum Wesen der Rhetorik gehört, die Stimmungen des Hörers zu beeinflussen (1.17). Stattdessen treten die stilistischen Fähigkeiten des Redners und die universale Anwendbarkeit der Beredsamkeit in den Vordergrund. Trotz fehlender Beschränkung des rhetorischen Themenbereichs setzt Crassus nicht voraus, daß der Redner in jedem Sachgebiet, das möglicherweise Argumentationsgegenstand ist, wissenschaftliche Kenntnisse besitzt. Im Bedarfsfall kann sich der Redner vom zuständigen Fachmann informieren lassen (1.65; 69). Eine Ausnahme stellt allerdings das Wissen über Natur und Wesen des Menschen dar. Da die Rede den Gefühlen und
Sti~nungen
des Hörers,
an den sie sich richtet, angepaßt sein muß (1.53) und da im Publikum ferner gewisse Affekte erregt werden sollen, fordert Crassus, ausgehend von der Dreiteilung der Philosophie in Ethik, Physik und Dialektik, vom Redner auch ethische Kenntnisse: " ... hic locus de vita et moribus totus est oratori perdiscendus" (1.69). Ein oberflächliches Wissen, das gegebenenfalls durch die Befragung eines Spezialisten ergänzt werden kann, reicht 2 hier also nicht aus. ) Dies läßt sich mit der ernomen Bedeutung
I)
Das Verb persuadere und das Substantiv persuasio werden in de or. bemerkenswert selten gebraucht. So 1.44; 138; 223; 260; 2.115; 311; 326; 333.
2)
Ebenso 2.68; 3.143; Brut.161; 322; Or.14;' 113. Vgl. dazu auch Barwick, Das Bildungsideal, p.ll, der darauf hinweist, daß 2.5; 3.81; 143; Or.14; Or.l13ff nicht nur ethisches Wissen, sondern Kenntnis der gesamten Philosophie gefordert werde. Zu Unrecht meint Clarke, p.79, daß die Forderungen nach philosophischen Kenntnissen in De oratore generell auf das Gebiet der Ethik beschränkt seien. Auffallend ist, daß Crassus 1.54 die Ethik durchaus als philosophisches proprium anerkennt, sie dagegen 1.68 in die Zuständigkeit des Redners verweist. Dieser scheinbare Widerspruch läßt sich nur damit erklären, daß ethische Kenntnisse zwar theoretisch als philosophisches Gebiet, praktisch aber als unverzichtbarer Bestandteil der Rhetorik betrachtet werden.
113
erklären, die die gefühlsmäßige Beeinflussung der Hörer für die Rede hat. Abschließend verteidigt Crassus seine Auffassung über den idealen Redner, die er an anderer Stelle erneut zum Ausdruck bringt (3.76). Er gibt immerhin zu, auch selbst kein vollkommener Redner zu sein (1.71; 78) und nennt als Entschuldigung die allzu frühe Beanspruchung durch öffentliche AUfgaben (1.78). Eine gute Ausbildung muß seiner Ansicht nach jedoch vorn Redner auch dann verlanqt werden, wenn sie in der Rede selbst nicht zum Ausdruck kommt::: " ... 0 m n i bus iis artibus quae sunt libero dignae perpolitus
(sc. orator);
quibus ipsis in
dicendo non utimur ta-
men apparet, ... , utrum simus earum rudes an didicerünus"
(1.72)
Damit knüpft Crassus an die Gegebenheiten rhetorischer Praxis an; mit den 'artes libero dignae' ist nicht das Universalwissen des orator perfectus, sondern eine umfassende Allgemeinbildung gemeint, die im Bedarfsfall durch die Befragung eines Fachmannes erweitert werden kann (1.65; 69). Crassus' Konzessionen an die rhetorische Praxis dürfen jedoch nicht als eine Reduktion seines universalen Rednerbildes verstanden werden. Auch er postuliert das Bild jenes orator per fectus, muß jedoch, wie Cicero selbst, Zugeständnisse an die praktischen Gegebenheiten machen. So behandelt Crassus am Ende seiner Rede nicht den orator perfectus, der über ein universales Wissen verfügt, sondern den orator bonus, der in den artes liberales hinreichend gebildet ist. In der Sekundärliteratur wird zwischen beiden nicht immer klar geschieden. So gewinnt Perret in seiner Analyse der Crassus-Rede den Eindruck der Stagnation und Unsicherheit und meint, ein dauerndes Hin- und Herschwanken zwischen zwei Auffassungen der Beredsamkeit und letzlieh eine Einschränkung des universalen Rednerbildes festzustellen. 1 )
1)
Perret, pp.170-77. Auch Wehrli, p.97, unterstellt Crassus eine Reduktion seines zuvor postulierten, umfassenden Lehr-
114
Weiter geht PrÜ1nm: Er unterstellt Crassus " eine nicht nur schlaue, sondern sogar soph:Lstische Argumentation". 1) Abschließend kann festgestellt werden, daß der Epilog der Crassus-Rede in seiner Spannung zwischen theoretischem Ideal und praktischer Durchführbarkeit an Ciceros Prologe zu de or. I und 11 erinnert.
Auch dort erscheint die gleiche Kluft zwischen Theorie und Praxis, die Cicero selbst Or.7-10 mit der platonischen 2 Ideenlehre erklärt. )
Es bleibt nun zu untersuchen, wie Antonius über dieses Rednerideal und seine Umsetzbarkeit denkt. Antonius zeigt sich in seiner Gegenrede (1.80-95) im wesentlichen mit Crassus' Darlegungen einverstanden. Er greift dessen universales Rednerbild auf und nennt zwei Gründe, di.e einer Verwirklichung dieses Ideals
im Wege stehen: die starke Inanspruch-
nahme römischer Redner und das Mißtrauen, das die Hörer einer allzu schönen Rede entgegenbringen(1.81). Im weiteren Textverlauf berichtet Antonius
(1.82f ) von einer
zwischen dem Platoniker Charmadas und dem Stoiker Menedemos, deren Zeuge er bei einem Studienaufenthalt in Athen wurde. Charmadas bestritt nach Antonius' Aussage den
~useinandersetzung
ars-Charakter der Beredsamkeit mit der Begründung, die Rhetorik beschäftige sich nicht mit notwendigen, sondern mit wahrscheinlichen Dingen (1.90ff). Ferner lastet Charmadas den zeitgenössischen Rednern mangelnde philosophische Kenntnisse an, die doch für die Affekterregung unverzichtbar seien (1.84;
87ff).
Diese Argumentation zeigt Charmadas' Vertrautheit mit platonischer Argumentation in den Dialogen Gorgias und Phaidros. Platon bezeichnet Gorgias "453A2 und 454E9-455A2 die Beredsamkeit
programms. Dagegen sieht Steidle, p.36, in den beiden Hauptpersonen zwei verschiedene Stufen römischer Eloquenz dargestellt. 1)
C. Prümm, Quaestiones Tullianarum ad dialogi de oratore partes philosophicas, quae dicuntur spectantium specimen, Saarbrücken 1927, p.S3.
2)
Vgl.
dazu pp.
86-87
sowie Leeman-Pinkster,
p.129.
115
als n8L30ü~ OTHlLOUPYO~ und Phaidros 261A8; 27-1C10 als ljJUXa.YWyLa. .L~ oLa AOywv. 1 )weil die Rede auf die Seele wirkt, fordert Platon vom Redner genaue Kenntnisse der ljJuxn
(273D8ff), die der Redner
nur mit Hilfe der Philosophie erwerben kann (277B5ff). Da Charmadas die Rhetorik ähnlich beurteilt, nimmt Kroll an, daß er in einem Dialog die platonische Kritik an der Beredsa~ceit in 2 zeitgenössischer Form wiederholt hatte. ) Leeman-Pinkster halten es für denkbar, daß er sich dort Menedemos als Dialogpartner wähl·te und daß Cicero das Werk für das von Antonius de or. wiedergegebene Gespräch benutzte. 3)
1.84-92
Ähnlich wie Crassus als potientiellen orator perfectus denjenigen Redner bezeichnet hatte, der nicht nur genügend Talent hat, sondern dieses durch doctrina, otium und studium dicendi ergänzen kann (1.79), so meint auch Antonius, erst eine Ergänzung römischen ingeniums durch studium, facultas dicendi, labor und industria schaffe den vollkommenen Redner (1.95).
'Facultas dicendi' meint
die Gelegenheit zum Lernen, die Zeit und Muße voraussetzt und entspricht dem von Crassus verwendeten 'atium' . 'Labor' und 'industria' bezeichnen sowohl die praktisch-forensische Tätigkeit des Redners als auch die Bemühung um die Beherrschung rhetorischer Theorie, die Crassus 1.78 mit'doctrina' bezeichnete. Wie Crassus zwischen dem guten und dem vollkollunenen Redner, so unterscheidet auch Antonius zwischen dem disertus und dem eloquens orator (1.95). Beide Gesprächspartner sind sich in dieser Phase des Dialogs in ihrer Ansicht über den Redner also einig: Der vollkommene Redner soll im Besitz universaler Kenntnisse jedes Thema angemessen behandeln können. Wegen der starken Inanspruchnahme durch andere Aufgaben ist die Verwirklichung dieses Ideals jedoch schwierig.
I)
Hellwig,p.24 beurteilt die platonische Kritik an der Beredsamkeit eingehend, ebenso Kroll, RE-Artikel Rhetorik,1055ff.
2)
Kroll,
3)
Leeman-Pinkster,
op.
cit.
1086. Komm. zu de or.
I,
p.173.
116
In seiner späteren Rede
(1.209-62)
distanziert sich Antonius
allerdings wieder von dieser universalen Rednerkonzeption. Er verlangt 1.260 kein allumfassendes Wissen mehr, sondern beschreibt den Redner als einen forensisch tätigen Mann, der angenehm und überzeugend 1 ) zu sprechen weiß. Der Forderung des Crassus, ein vollkommener Redner müsse alle Gebiete beherrschen (so z.B. 1.72; 3.54), setzt Antonius die Aussage entgegen:
" ... sit boni oratoris multa auribus accepisse,
multa vidisse, multa animo et cogitatione, multa etiam legendo percucurrisse ... "
(1.218). So überrascht es nicht, daß Crassus
die Ansicht seines Kontrahenten nicht akzeptiert, sondern ihm vielmehr vorwirft, er mache den Redner zu einem bloßen 'operarius', der in allzu enge Grenzen eingeschlossen sei
(1.263-64)
Dennoch bleibt Antonius auch im zweiten Buch im wesentlichen seiner Auffassung treu. Zunächst stellt er zwar in einer laus eloquentiae 2.33-38 fest, es gebe nichts Herrlicheres als die Beredsamkeit und kehrt damit scheinbar zu Crassus' Ansicht zurück, doch behandelt er in seiner weiteren Rede vor allem den praktisch tätigen Redner, der kein Universalwissen, sondern lediglich eine fundierte Allgemeinbildung und Kenntnisse rhetorischer Theorie besitzt: " ... sit enim mihi tinctus litteris, audierit aliquid, legerit, ista ipsa praecepta acceperit ... "
(2.85)
Diese Aussagen des Antonius sind allerdings meines Erachtens nicht als eine Reduktion des Rednerideals zu verstehen, das er 2 1.80ff noch verfochten hatte ); ebensowenig bedeutet die Tatsache, daß Crassus am Ende seiner ersten großen Rede
(1.71-73;
78-79) nicht mehr den 'orator perfectus', sondern den 'orator
1)
Mit den Worten " . . . accommodate ad persuadendum" greift Antonius auf Crassus' Beschreibung des officium oratoris (1.138) zurück. In der Definition des Redners dagegen (1.64) wurde das persuasive Element der Rede nicht erwähnt.
2)
Vgl.
dazu pp. 96-97.
11 7
bonus' behandelt, eine Zurlicknahme seiner weitreichenden Forderungen. 1) Beide Kontrahenten postulieren vielmehr ein allumfassendes Rednerbild, erkennen aber auch die Schwierigkeit seiner Umsetzung. Dabei vertritt Antonius mehr den Standpunkt des praktisch tätigen orator bonus, wohl weil er davon ausgeht, daß das Ideal des vollkommenen Redners bisher noch nicht verwirklicht wurde (1.94), während Crassus eher den Standpunkt des
'orator perfec-
tus'
vertritt. Obwohl ihre Meinungen ständig divergieren und 2 konvergieren ), sind sich beide prinzipiell darin einig, daß das Ideal des orator perfectus anzustreben, aber schwer zu erreichen ist. In der Literatur herrscht heute die Ansicht vor, daß die Aussagen von Antonius und Crassus über einen potentiellen, zukUnftigen orator perfectus als Hinweis auf Ciceros eigene Person und 3 auf seine stilistischen Fähigkeiten zu verstehen sind. ) Zusammenfassend läßt sich über den in De oratore, aber auch im Orator beschriebenen vollkommenen Redner sagen, daß er universales Wissen und stilistische Fähigkeiten besitzen muß, die er auf jeden beliebigen Gegenstand anwenden kann. Die Spannung zwischen diesem theoretischen Ideal, das nach Ansicht von Antonius und Crassus noch nicht verwirklicht wurde, und seiner praktischen DurchfUhrbarkeit wird in den beiden Prologen zu de or. I und 11, aber auch in und zwischen den Hauptkontrahenten besonders deutlich.
I)
Vgl.
dazu Leernan-Pinkster,
pp.171-73;
Michel,
pp.134-37.
2)
Zur Technik das Zoll, pp.93-96;
3)
Vgl. dazu auch H.Throrn, Die Theseis, Ein Beitrag zu ihrer Entstehung und ihrer Geschichte, rhet. Studien 17, Paderborn 1932, p.154; Schulte, p.104; Clarke, p.99; Zoll, pp.B7-BB; Barwick, Das Bildungsideal, p.83; Leernan-Pinkster, p.137.
"in utrarnque partern dispotare" vgl. ferner Michel, pp.13/j-37.
auch
118
3.3
Die rhetorischen Uberzeugungsmittel
Das in De oratore und Orator gezeichnete Bild eines orator perfectus, dem der forensisch tätige Redner nacheifern und das er, soweit es geht, zu erreichen suchen soll, ergänzt Cicero de opt. gen.or.3 durch die Aussage:
"Optimus est enim orator, qui dicen-
do animos audientium et docet et delectat et permovet. Docere debitum ese, delectare honorarium, permovere necessarium."1) Damit wird dem Leser eine wichtige Tatsache vor Augen geführt: Zur rhetorischen Situation gehört neben der Rede und dem Vortragenden immer der Zuhörer, der durch die Rede angesprochen und überzeugt werden soll. Obwohl das persuasive Element der Rhetorik in De oratore, Orator und Brutus, sowie in den Topica bemerkenswert selten erwähnt wird, schwingt die dreiteilige Rhetorikkonzeption vor allem dann mit, wenn von der Gefühlserregung im Hörer gesprochen wird, deren Wichtigkeit Cicero oft betont.
2
)
Den drei Komponenten der rhetorischen Situation, nämlich Redner, Redegegenstand und Hörer, müssen die Überzeugungsmittel Rechnung tragen. So werden an der genannten Stelle drei Tätigkeiten des Redners erwähnt, die in ihrer Gesamtheit die Zuhörer überzeugen sOllen 3 ): die sachliche Information über den Fall (docere), die der Redner dem Publikum schuldig ist, die Unterhaltung des Auditoriums (delectare), die dem Redner Gunst und Ansehen verschafft
I)
Zur Frage von Echtheit und Abfassungszeit dieser Schrift sei verwiesen auf A.Dihle, Ein Spurium unter den rhetorischen Werken Ciceros, Hermes 1955, pp.303-14; S.Häfner, Die literarischen Pläne Ciceros, München 1927; G.L.Hendrickson, Cicero, De optimo genere oratorum, in: AJPh 47, pp.I09-23; E. Bickel, Die Echtheit von Ciceros De optimo genere oratorum in: RhMus 98, 1955, pp.288ff.
2)
So z.B.
3)
Aristoteles nennt diese
de or.I.I7;
53;
60 u.v.a. 1358a37-bl
vgl.
dazu p. 163.
ausdrücklich.
1 19
und die Geftihlserregung der Harer (movere), die notwendig und unverzichtbar ist. 1 ) Eine ähnliche Aussage wie de opt.gen.or.3 findet sich Brut.18S: "Tria sunt enim, ut quidem ego sentio, quae sint efficienda dicendo, ut doceatur is apud quem dicitur, ut delectetur, ut moveatur
vehementius."~)
An beiden Stellen werden dieselben Verben,
nämlich docere, delectare und movere verwendet. Die Wichtigkeit der Affekterregung wird besonders betont, dort durch das Prädikat 'necessarium' est, hier durch das Adverb 'vehementius'. Bevor die Überzeugungsmittel im einzelnen betrachtet werden sollen, ist zunächst ihre Stellung innerhalb der gesamten
~iceroni
sehen Rhetorikkonzeption zu untersuchen. Dabei wird deutlich werden, daß die Überzeugungsmittel nach drei verschiedenen Prinzipien eingeteilt werden, wobei eines der aristotelischen Unterscheidung zwischen äLEXVOl und EVLEXVOl nCoLELG entspricht. Anschluß daran soll Antonius' Aussage
Im
(2.160) über sein Verhält-
nis zur aristotelischen Rhetorik untersucht werden. Bemerkenswert ist zunächst die Forderung, die de opt.gen.or.3, Brut.185 aber auch de or.2.128 zum Ausdruck kommt, daß die drei Faktoren, die die Überzeugung des Publikums bewirken sollen, aus der Rede selbst hervorgehen müssen. Wie Cicero dieses Postulat verstanden wissen will, wird im Anschluß an die Behandlung der einzelnen Uberzeugungsmittel zu untersuchen sein. 1 ) De or.2.115 erläutert Cicero die drei Überzeugungsmittel näher:
I)
Spengel, Uber die Rhetorik, p.481ff betont, daß sich die Lehre von den drei nloLELG in nacharistotelischer Zeit selten findet (vgl. aber dazu Dion. HaI. de Lys.19, p.30,20ff,ed. Us.Rad.) und erst von Cicero und nachciceronischen Rednern häufig verwendet wird. Ebenso Kroll, RE 1101 und Martin, pp.96-99.
2)
E ben s 0 B r u t • 2 7 6: "... tri a v i d er i e s se. qua e 0 ra tor e f f i c e re deberet, ut doceret, ut delectaret. ut moveret."
3)
Vgl.
dazu pp. 184-85.
120
"Ita omnis ratio dicendi tribus ad persuadendum rebus est nixa: ut probemus vera esse quae defendimus, ut conciliemus eos nobis qui audiunt, ut animos eorum ad quemcumque causa postulabit motum vocemus". Statt der Verben docere, delectare, movere werden hier die Worte probare, conciliare, ad motum vocare verwendet. Diese terminologische Schwankung führte Michel zu der Auffassung, delectare beziehe sich auf die stilistische Qualität einer Rede, während conciliare die Bemühungen des Redners um die Zuschauergunst meine. Nach Michels Ansicht sind beide Begriffe streng zu trennen. 1 ) Dagegen ist einzuwenden, daß delectare und conciliare zwar keine Synonyme sind, daß Cicero die ästhetische Komponente der Beredsamkeit jedoch nirgends als eigenständiges Uberzeugungsmittel auffaßt; vielmehr soll die gesamte Rede stilistisch ansprechend 2 sein, weil das bene dicere die erste Rednerpflicht ist. ) Da die Wirkung
der drei Uberzeugungsmittel durch die entsprechende sti-
listische Darbietung unterstützt werden sOl13), und da Cicero Or.128 das ethische Uberzeugungsmittel mit den Worten 'corne, iucundum et ad benevolentiam conciliandam' beschrieben wird, ist
1)
Mi ehe 1, pp. I 5 5 - 5 6; ä h n 1 ich Kr 0 1 1, K0 mrn . z u B r u t . 1 8 5; an der s dagegen bereits F.I.Merchant, De Partitionibus Oratoriis Cornrnentatio, Berlin 1890, p.18; ferner G.M.Grube, Educational, Rhetorical and Literary Theory in Cicero, in: Phoenix 16, 1962, p.236. Durch den Text nicht zu belegen ist die Ansicht Adams, der p.109 annimmt, daß das conciliare im Laufe der Zeit durch das delectare verdrängt wurde.
2)
Vgl.
3)
Ibid. Die Verbindung der Überzeugungsmittel mit den drei Ebenen des einfachen, mittleren und erhabenen Stils (so z.B. de or.2.12; Or.20; 69) soll hier nicht behandelt werden. Es sei verwiesen auf A.b.Leernan, Orationis ratio, pp.146ff; C.O. Brink, Cicero's Orator and Horace's Ars Poetica, in: Ciceroniana 2, 1975, pp.97-106; A.E.Douglas, A Ciceronian Contribution to Rhetorical Theory, in: Eranos 55, 1957, pp.18-26; B.B.Gilleland, The Development of Cicero's Ideal Orator, Studies Ullman, Rom 1964, I, pp.91-98.
dazu pp.91-92.
121
anzunehmen, daß die mit conciliare und delectare bezeichneten Vorgänge unmittelbar zusammenhängen. Durch die Charakterdarstellung des Redners soll der Hörer sowohl erfreut (Or.128 come, iucundum) als auch sein Wohlwollen gegenüber der vertretenen causa gewonnen werden. 1) Da Cicero ferner, wie bereits festgestellt wurde 2 ), terminologische Probleme für relativ unwichtig hält, ist dem Wechsel der Verben wohl auch wenig Bedeutung beizumessen. De or.2.115 ist eine der wenigen Stellen, an denen das persuasive Element der Rede ausdrücklich erwähnt wird:
" ... omnis ratio
dicendi tribus ad persuadendum rebus est nixa." Diese Aussage wird 2.121 erweitert: " .. . ad eas tris res, quae ad fidem faciendam
sol a e
valent". Es gibt also neben den drei genannten
Aufgaben keine weiteren Mittel, die die Überzeugung des Publikums bewirken können.
'Fides' bezeichnet hier nicht den Überzeu-
gungsprozess selbst, sondern den Zustand des Glaubens, in den der Hörer versetzt werden sOll.3) Diese Aussagen über die rhetorischen überzeugungsmittel schließen sich eng an die aristotelische Rhetorik an; durch den Mund des Catulus wird dies auch ausdrücklich festgestellt
(2.152) .4)
Aristoteles nennt 1356a1-4 die Charakterdarstellung des Redners, die Erregung gewisser Affekte im Hörer und die rhetorische Argumentation als die drei überzeugungsmittel, mit denen sich rhe-
I)
Vgl.
dazu pp. 154ff.
2)
Vgl. dazu pp.78-l9. Barwiek, Das Bildungsideal, p.l? weist ferner darauf hin, daß auch zur Bezeichnung der Affekterregung verschiedene Verben verwendet werden.
3)
Ebenso part.or.9: "Fides est firma opinio." Auch Aristoteles verwendet 137?b25 das Substantiv TILOLL~ in der Bedeutung 'Glauben, Uberzeugung'.
4)
Zu Antonius' Aussagen über sein Verhältnis zur aristotelischen Rhetorik vgl. pp.110-12.
122
torische Ltxvn ausschließlich beschäftigt
(1354a13).
Zwar verweisen Wilkins, Piderit-Harnecker und Sorof in ihrem Kommentar zu de or.2.115 auf die gGnannte Aristotelesstelle; sie erwähnen jedoch nicht, daß beide Autoren rhetorische 'ars' allein auf die Beschäftigung mit den Uberzeugungsmitteln Nach deren Einführung (2.116-17) unterscheidet Cicero zwei Arten argumentativer Überzeugungsmittel: " ... ad p r o b a n d u m autem duplex est oratori subiecta materies: una rerum earum quae non excogitantur ab oratore, sed in re positae ratione tractantur, ut tabulae, testimonia, pacta, conventa, quaestiones, leges, senatus consulta, res iudicatae, decreta, responsa, reliqua, si quae sunt, quae non reperiuntur ab oratore, sed ad oratorem a causa atque a reis deferuntur; altera est, quae tota in disputatione et in argumentatione oratoris conlocata est;ita in superiore genere de tractandis
a r g urne n t
i
s
, in hoc autem
etiam de inveniendis cogitandum est". Jene Argumente, die durch den Sachverhalt bereits vorgegeben sind, müssen zwar nicht vom Redner erdacht, aber dennoch methodisch angewendet werden. Die Substantive rres' (2.116) und 'causa' (2.116), beziehen sich auf die in der Rede behandelte Sache, 'ratio' (2.116) bezeichnet die theoretische Methode, nach der auch die bereits vorgefundenen Überzeugungsmittel anzuwenden sind, die hier mit den Worten 'in re posita' genauer beschrieben werden. Ihnen werden diejenigen Überzeugungsmittel gegenübergestellt, die der Redner selbst suchen muß und die ganz von seiner Darstellung abhängen. Jene sind nur anzuwenden, diese dagegen zu finden
I)
(2.117) .1) Das Kriterium der Unterscheidung zwischen
Dieselbe Wendung findet sich in der aristotelischen Rhetorik (1355b39), jedoch auch bei Minukian (RG, p.417.4-9). ed. Spengel) sowie in den Ausführungen des Anonymus Seguerianus (RG, p.446.1, ed. Spengel; pp.27.29-28.1, ed. Graeven). Dessen
123
sachlichen und außersachlichen Uberzeugungsmitteln ist also die Beziehung zum behandelten Sachverhalt. Graphisch läßt sich dieses Einteilungsprinzip folgendermaßen darstellen: Rhetorische Uberzeugungsmittel ~
I
probare
conciliare
I
IArgumenta
in re
movere
1
Argumenta, quae
posita (tabulae,
ab oratore in-
leges, etc.), quae
veniuntur.
ab oratore tractantur. Mit dieser Gliederung vermischt Cicero ein anderes Einteilungsprinzip, das die Uberzeugungsmittel nicht mehr nach ihrer Beziehung zum Sachverhalt, sondern nach ihrem Verhältnis zu rhetorischer ars beurteilt. So werden de
or.2.163~
Or.122, in der Topik
und in den Partitiones oratoriae die bereits vorgefundenen überzeugungsmittel als 'argumenta assumpta' bezeichnet und den Argumenten 'in re ipsa' gegenübergestellt. 1 ) Jene werden Top.24 ausdrücklich mit den griechischen Ü.EXVOL
nla.EL~
identifiziert. Ob-
wohl sie nicht mit Hilfe rhetorischer ars hervorgebracht werden, bedürfen sie dennoch einer methodischen Behandlung:
" ... dicuntur
Schrift stellt die Epitome eines um 200 v.Chr. verfaßten Handbuches dar und ist fUr unsere Kenntnis des antiken Schulbetriebes wichtig. Vgl. dazu auch Art.Cornutus von J.Brzoska, RE I, 2328 - 330. I )
So Top.8: " .•. alii adsumuntur extrinsecus •.• "; Top.24: " . .• Graeci tales argumentationes &.EXVOU~ vocant ••• "; part. or.6: " . . . ea remota appello, ut testimonia . . . "; part.or.48: " . . . foris ad se (s c. oratorem) delata . . . "; de or. 2.163: " •.. adsumi foris . . . "; Or.122: " . . . alteri adsumpti . . . "; de inv.2.46.6: " .. . accedunt autem .. . testimonia . . . ".
124
sine arte ... quod ea non parit oratoris ars, sed foris ad se delata tarnen arte tractat ... "
(part.or.48).
Im Gegensatz zu diesen argumenta assumpta werden die argumenta in ipsa re mit Hilfe der ars ausfindig gemacht. 1 ) Das Verhältnis zur rhetorischen Theorie ist also das entscheidende Kriterium dieses Einteilungsprinzips, das sich graphisch folgendermaßen darstellen läßt: Rhetorische ars
I Argumenta
t
I
Argumenta assurnpta
in re ipsa
(testimonia, leges etc. ) Die bereits vorgefundenen Überzeugungsmittel, die der Redner nur anzuwenden braucht, werden hier als assumpta bezeichnet, während sie nach der ersten Einteilung in re posita waren. In re posita sind dagegen nach der zweiten Gliederung jene Argumente, die der Redner selbst vorfinden muß. Wie Cicero in dieser zweiten Gliederung unterscheidet auch Aristoteles die überzeugungsmittel nach dem Kriterium ihrer theoretischen Erfaßbarkeit: Die bereits vorliegenden Ü"EXVOL TICO"ELC werden den ~V"EXVOL TICaTEL~ gegenübergestellt, die der Redner erst noch ausfindig machen muß
(1355b35-39) .2)
So verweisen auch Sorof, Piderit-Harnecker und Wilkins in ihrem Kommentar zu de or.2.115 auf die genannte Aristotelesstelle.
I)
So Top.S: " . . . alii in eo ipso de quo agitur .•• "; part.or.5: "Argumentis ••. in re insitis . . . "; part.or.6: " •.• insita, quae inhaerent in re ipsa .•. "; de or.2.163: " ••. ex sua sumi vi atque natura ••• "; Or.122: " ••• e rebus ipsis •.• ".
2)
Vgl.
dazu p.13.
12S
Gerade dort folgt Cicero aber nicht der aristotelischen Einteilung, die die überzeugungsmittel nach ihrer theoretischen Erfaßbarkeit beurteilt, sondern unterscheidet sie nach ihrer Beziehung zum Sachverhalt. Außerdem muß festgestellt werden, daß Aristoteles beide Gruppen der n[oTELb in ihrer Gesamtheit gegenüberstellt,
w~hrend
Cicero die Unterscheidung nur im Bereich
der rhetorischen Argumentation vornimmt. 1) Als weitere Vorlage nennen Piderit 2 ), Kroll und sandys3)
die Rhe-
torik des Anaximenes. Dieser unterscheidet n[oLEL b , die unmittelbar aus den Reden, Handlungen und Personen entstehen und nCoLELb
tn~aELOL, die noch von außen hinzukommen. 4) Es ist also anzunehmen,
d~ß
Anaximenes, wie auch Cicero in der ersten Einteilung
die Überzeugungsmittel nach ihrer Beziehung zum Sachverhalt beurteilt. Dann aber folgt Cicero dem Prinzip des Anaximenes nicht in den Partitiones oratoriae und im Orator, wie von den Kommentatoren angenommen, sondern in de or.2.11S. Mit diesen beiden Einteilungsprinzipien ist noch ein weiteres vermischt, das allerdings nur in den Partitiones oratoriae zu finden ist. Dort werden bei der Behandlung der inventio logische und emotionale überzeugungsmittel einander gegenübergestellt: "Ut inveniat (sc. orator) quemadmodum fidem faciat eis, quibus persuadere volet et quemadmodum motum eorum animis adferat" (part.or.S) . Da beide Arten der Überzeugungsmittel Anteil am rhetorischen Prozeß haben und in ihrer Gesamtheit bewirken, daß der Hörer an die Richtigkeit des vorn Redner vertretenen Standpunktes glaubt, können logische und emotionale überzeugungsmittel als verschie-
I)
Vgl.
dazu
2)
Piderit,
3)
Kroll,
4)
Anax.ars
auch Moraux, Komm.
Sandys,
p.87,
sowie
p. 104.
zu part.or.5. Komm.
rhet.7.2
zu Or.122.
(p.30,
ed.
Fuhrmann,
Leipzig
1966).
126
dene Arten des Argumentationsprozesses betrachtet werden, wobei mit dem Terminus Argumentationsprozeß nicht allein der logische Beweis, sondern die sprachlich artikulierten Äußerungen im Verlauf der Rede gemeint sind:" Argumentandi autem duo sunt genera, quorum alterum ad fidem directo spectat, alterum se inflectit ad motum"
(part. or.46).
Sternkopf 1 ) vertritt gegen Piderit 2 ) die Ansicht,
'motus' bezie-
he sich hier nicht auf die ethische und die pathetische
Komponen~
te der Rhetorik, sondern bezeichne allein die Affekterregung. Wenngleich die beiden emotionsgerichteten überzeugungsmittel eng zusammenhängen 3 ), sprechen die Aussagen anderer Textsteilen, an 4 denen Cicero entweder von drei überzeugungsmitteln spricht ) oder aber die beiden emotionsgerichteten überzeugungsmittel in 5 einem Wort zusammenfaßt ) I gegen Sternkopfs These. Diese läßt sich ferner nicht mit den part. or.
28 dargestellten Vorschriften
über das exordium vereinbaren, da dort das ethische Moment der Rede ausführlich behandelt wird. Es ist also anzunehmen, daß Cicero part. or. 46 mit dem Begriff 'motus' sowohl die ethische als auch die pathetische Komponente zusammenfaßt. Diese Einteilung in gefühlsgerichte-te und argumentative Uberzeugungsmi ttel findet sich auch in den Ausführungen des Anonymus Seguerianus, der ebenfalls rationale und logische rrLa~8~s unterscheidet. 6)
I)
Sternkopf, pp.18-19. Dagegen meint Merchant, p.39 zu Unrecht, es handle sich hier um zwei Arten der deduktiven Argumentation. Vgl. dazu p.147, Anm. 2.
2)
Piderit,
3)
Vgl.
4)
De or.2.115;
5)
Brut.276.
6)
An.
Komm.
dazu pp.
zu part.
or.
45.
181-83. 128;
Or.69;
Brut.185.
Seg.RG,pp.446.5ff· (ed.
Spengel) ;pp.28.4ff
(ed.
Graeven).
127
Zusammenfassend läßt sich über die Einteilung der Uberzeugungsmittel in den rhetorischen Schriften Ciceros also feststellen, daß drei verschiedene Gliederungsprinzipien verwendet werden, die zusammengenommen folgendes Bild ergeben: Rhetorische Uberzeugungsmittel Konzept III
prob are
conciliare/movere
Unterscheidungskriterium: Rationalität/Emotionalität.
I
Argumenta in re posita (leges etc.).
Argumenta, quae ab oratore inveniuntur.
Unterscheidungskriterium: Beziehung zum Sachverhalt.
II
Argumenta assumpta.
Argumenta, quae inhaerent in re ipsa.
Unterscheidungskriterium: Verhältnis zu rhetorischer ars.
Das letzte Einteilungsprinzip, das die Uberzeugungsmittel nach dem Gesichtspunkt ihrer theoretischen Erfaßbarkeit beurteilt, entspricht dabei der aristotelischen Unterscheidung zwischen a~EXVOL
und
~VLEXVOL
nLoLELC.
Als weitere Gemeinsamkeit zwischen
der ciceronischen und der aristotelischen Schilderung der Uberzeugungsmittel sind festzustellen die Beschränkung rhetorischer Theorie auf die nLoLELC als alleinige Konstituenten des Uberzeugungsprozesses 1)
1)
Vgl.
dazu p. 103-04.
128
die Forderung nach der Verankerung der gefühlsgerichteten Überzeugungsmittel 'in dicendo' .1) Eine weitere wesentliche Übereinstimmung wird bei der Behandlung der emotionalen Überzeugungsmittel festzustellen sein 2 ): Deren Anwendung ist sowohl in De oratore als auch in der aristotelischen Rhetorik nicht auf einen bestimmten Redeteil beschränkt. Damit lösen sich Cicero und Aristoteles von den traditionellen rhetorischen Vorschriften, die die Charakterdarstellung und die Affekterregung für das Vorwort und den Epilog empfehlen und die Cicero in De inventione, der Topik und den Paritiones Oratoriae noch weitgehend wiedergibt. Da die Stellung der drei Überzeugungsmittel in De oratore, Orator und Brutus dem aristotelischen Konzept dreier selbständiger nCa'EL~ entspricht,
erhebt sich hier die Frage nach Ciceros Ver-
hältnis zur aristotelischen Rhetorik. De or.2.152 weist Catulus darauf hin, daß sich Antonius.' Aussagen über die überzeugungsmittel eng an die Rhetorik des Aristoteles anschließen, so daß sich Antonius zu einer Stellungnahme genötigt sieht: " •.. et illum (sc. Aristotelis) librum legi, in quo exposuit dicendi artis omnium superiorum, et illos, in quibus ipse sua quaedam de e a d e m arte (sc. dicendi) dixit" (de or.2.160). Der erste Teil des Satzes bezieht sich auf die uns verlorene auvaywyn 'EXVWV, die Cicero auch de inv.2.6. 1-7.1 erwähnt. Der Bezug der zweiten Satzhälfte ist umstritten. Wilkins will mit jenen 'libri de eadem arte' die Topik bezeichnet wissen, Piderit-Harnecker dagegen denkt sowohl an die Rhetorik als auch an die Topik, während Sorof diesen Teil des Satzes allein auf die Rhetorik bezieht. 3 )
I)
Vgl.
dazu
p.IOI.
2)
Vgl.
dazu
pp.155;
3)
So auch Martin, p.113; Kennedy, The Art of Rhetoric, p.221; Solmsen, The Orator's Playing upon the Feelings, p.401; Grube, p.235; Laurand, p.23; Moraux, p.84.
172.
129
Der umstrittene Teil des Satzes kann jedoch nur mit gr6ßten Bedenken auf die aristotelische Topik bezogen werden. Diese hat nämlich nicht die Beredsamkeit zum Gegenstand, sondern sie will ein Verfahren entwickeln, das den Frager in einer Diskussion befähigen soll, in Bezug auf beliebige Prämissen Schlüsse zu ziehen, und das den Antwortenden davor bewahren soll, sich in Widersprüche zu verwickeln. 1) Zwar kann trotz Ciceros Behauptung, er kenne die aristotelische Topik (Top.1), nicht genau festgestellt werden, wie fundiert die2 se Kenntnis tatsächlich ist. ) Doch läßt er Antonius de or.2. 157-58 die Dialektik als ars vera ac falsa diiudicandi beschreiben, deren Aufgabe in der überprüfung logischer Verbindungen besteht. In diesem Punkt stimmt Antonius mit Aristoteles überein. Da Antonius also zwischen dem Aufgabenbereich der Dialektik und dem der Rhetorik unterscheidet, ist es unwahrscheinlich, daß er die Behandlung rhetorischer ars fälschlicherweise als Thema der aristotelischen Topik bezeichnet. Antonius' Aussage ist folglich mit einiger Wahrscheinlichkeit auf die aristotelische Rhetorik zu beziehen. 3 ) Ob allerdings Ciceros Meinung mit der des fiktiven Dialogpartners Antonius identisch ist, geht aus der zitierten Textsteile nicht eindeutig hervor. 4 ) Die Frage nach Ciceros Verhältnis zur
I)
Topik 100al-21.
2)
Zur Frage der in der ciceronischen Topik verarbeiteten Quellen vgl. M.Wallies, De Fontibus Topicorum Ciceronis, Halle 1878, der an Antiochus v.Askalon denkt. Ebenso Kroll, RhMus 58, pp.590-91. C.Harnmer, Commentatio de Ciceronis Topicis, Landau 1879, nimmt als Vorbild Ciceros Diodotus an, während J.Klein, Dissertatio de Fontibus Topicorum Ciceronis, Bonn 1914, vermutet, daß Ciceros Topik auf die aristotelische Rhetorik zurückgeht.
3)
Dagegen Kroll, NJ 1 I, 1903, pp.683-84; er leugnet Ciceros Kenntnis der aristotelischen Topik völlig.
4)
Kennedy, p.221 betrachtet Antonius' Aussage nicht als Ciceras eigene Meinung, während Leeman, Orationis ratio, p.120
130
aristotelischen Rhetorik wird deshalb später genauer zu untersuchen sein. 1 )
3.3.1. Die logische Uberzeugung:probere Im Brutus stellt Cicero die Geschichte der Beredsamkeit dar; in De oratore und Orator wird neben stilistischen
Fr~gen
vor allem
das Ideal des vollkommenen Redners behandelt. In diesen Schriften 2 tritt die ~hetorische Theorie ~eitgeherid zurlick ), die Cicero in der Topik, in den Partitiones Oratoriae und in De inventione noch ausflihrlich behandelt. Da CicerO den argumentativen Uberzeugungsprozeß in De inventione am genauesten untersucht, werden bei der Analyse der logischen Argumentation die Aussagen dieser Schrift, ergänzt durch Parallelstellen
ande~er
Werke, im Vordergrund stehen.
Um eine möglichst klare Darstellung des ohnedies komplizierten Stoffes zu ermöglichen, wird dabei die Reihenfolge des Textes beibehalten werden, soweit es die Materie zuläßt. Zunächst sollen 'necessaria' und 'probabilia' als Argumentations"material", dann die darauf angewendeten induktiven, bzw. deduktiven Argumantationsformen untersucht werden.
die Reden des Antonius in Buch 11 und des Crassus in Buch I mit Ciceros Ansichten bedenkenlos identifiziert. Zur Gleichsetzung der verschiedenen Personen mit Cicero vgl. auch Zoll, p.86. 1)
Vgl.
dazu pp.189-95.
2)
Vgl.
dazu auch pp.
80-82.
1 31
3.3.1.1.
'Necessaria' und 'probabilia'
De inv.1 .34-77 behandelt Cicero jenen Redeteil, in dem der Redner den vertretenen Standpunkt überzeUgend darstellt:
"Confirma-
tio est, per quam argumentando nostrae causae fidem et auctoritatem et firmamentum adiungit oratio" (1.34.1-3). Im Anschluß an diese Aussage, die allerdings mehr eine Aufgabenbeschreibung als eine Definition der confirmatio darstellt, werden allgemeine 'loci' aufgezählt, die entweder auf Perscnen oder auf Sachverhalte zurückgehen und die hier nicht nähe~ erläutert werden sollen. Dann fährt Cicero fort mit den Worten:"" Omnis autem argumentatio ... aut probabilis aut necessaria debebit esse" erhebt sich die Frage, ob mit den
(1.44.1-3). Hier
Prädikatsnomina 'probabilis'
und 'necessaria' die Modalität der Aussage oder die logische Gültigkeit des Schlusses gemeint ist. Aufgrund der Definition "argumentatio videtur esse inventum aut probabiliter ostendens aut necessarie demonstrans" (1.44.4-6) kann diese Frage nicht beantwortet werden. Dagegen setzt Cicero bei der Beschreibung des Notwendigkeitsbeweises offenbar beide Möglichkeiten voraus:
"Nece-
ssarie demonstrans autem ea, quae aliter ac dicuntur nec fieri nec probari possunt"
(1.44.7-8). Hier bezieht sich 'nec aliter
fieri possunt' auf die Notwendigkeit der Aussage,
'nec aliter
probari possunt' dagegen auf die Notwendigkeit des Schlusses. ~us
einer späteren Stelle scheint dagegen hervorzugehen, daß der
Terminus 'argumentatio' sowohl die einzelne Prämisse als auch die darauf aufbauende Gesamtargumentation bezeichnen kann: " Nam argumentatio nomine uno res duas significat, ideo et inventum aliquam in rem probabile aut necessarium argumentatio vocatur et eius inventi artificiosa expolitio" (de inv.l.74.10-75.1). Als Beispiel für ein necessariuQ nennt Cicero 1.44.7-9 den Satz " si peperit, cum viro concubuit" und bezieht den Notwendigkeitsbegriff damit auf eine Aussage, die als Propositio maior in einen stoischen Schluß der Form 'wenn p, dann qi nun aber Pi folglich
132
also q,1) eingehen kann (modus ponendo ponens). Im weiteren Textverlauf werden die necessaria nach dem Kriterium der Widerlegbarkeit beurteilt. Es geht aus dem Text aber nicht hervor, ob damit die Widerlegbarkeit der Prämisse oder des gesamten Schlusses gemeint ist. In De inventione trennt Cicero also wohl nicht zwischen beiden 2 Möglichkeiten ) , während er in den Partitiones oratoriae klar zwischen Prämisse und Schlußfolgerung unterscheidet; das argumentum wird als "probabile inventum" (part. or.S), die argumentatio
dagegen als "explicatio argumenti"
(part. or.45-46) be-
zeichnet. Wahrscheinliche und notwendige Aussagen werden in dieser Schrift nach ihrer Modalität unterschieden:
"Veri simile
(sc. est) quod plerumque ita fiat, ... , proprie autem notatum argumentum, quod numquam aliter fiat certumque declarat, ut fumus ignem (part. or.34). Ein veri simile entspricht somit dem Etx6~ der aristotelischen Rhetorik, das 1357a34 als das sich meistenteils Ereignende definiert wird. Ein proprie notatum argumentum entspricht dagegen hinsichtlich der Modalität der Aussage dem der Mensch
"EX~np~Ov
• Ebenso wie ein fiebern-
notwendigerweise krank ist, so ist Rauch notwendiger-
1)
Die fünf stoischen Argumentationsmodi (vgl. Sext. Emp.Pyrrh. hypo 157f und adv. math.224f) werden zitiert nach W. und M. ~neale, The Developrnent of Logic,· Oxford 1962, 6.Aufl.1968, pp.162-63.
2)
Ebenso G. Thiele, Hermagoras, Straßburg 1893, p.130, der den Passus über die necessaria argumentatio allerdings als unecht streichen will. Auch der Auctor ad Herenniurn unterscheidet nicht konsequent zwischen der einzelnen Prämisse und der darauf aufhauenden Gesarntargumentation. So wird nach der Erwähnung von fabula und historia das 'argumentum' beschrieben als "ficta res, quae tarnen fieri potuit, velut argurnenta comoediarum" (1.13.9-10). Der Terminus 'argumentum' bezeichnet also hier eine vollständige Argumentation, (die allerdings 2.27-30 'argumentatio' genannt wird,) während er 2.8.1-2 eine Prämisse meint: "Argumentum est, per quod res coarguit.ur certioribus argumentis et magis firma suspicio".
133
weise ein Zeichen von Feuer. Für Aristoteles steht aber bei der Behandlung des Notwendigkeitsbegriffes wohl nicht die Modalität der Aussage, sondern die Notwendigkeit eines darauf aufbauenden Schlusses im vordergrund. 1 ) Wie im
fol~enden
gezeigt wird, scheint dies auch für die neces-
saria argumentatio zu gelten, die Cicero de inv.1 .44.7ff behandelt. Als die drei Arten der Notwendigkeitsargumentation nennt er complexio, enumeratio und simplex conclusio (1.44.11-45.1). Durch die complexio wird der Argumentationsgegner in jedem Fall widerlegt, gleichgültig, für welche von zwei alternativ vorgelegten Aussagen er sich entscheidet (1.45.1-3). Der Redner stellt beispielsweise die Fragen "si improbus est, cur uteris? Si probus est, cur accusas?" Er geht dabei von der Voraussetzung aus, daß sich freundschaftlicher Umgang und Schlechtigkeit einerseits und Anklage und Anständigkeit andererseits jeweils gegenseitig ausschließen und daß es außer diesen beiden Möglichkeiten keine dritte gibt. Als zweite Art des Notwendigkeitsbeweises wird die enumeratio genannt, die Cicero ebenfalls durch ein Beispiel veranschaulicht. Der Redner geht von der überlegung aus tiv
vorau~setzt.
t
daß jede übeltat ein Mo-
Sind aber alle denkbaren Motive eines Menschen
ausgeschlossen worden, so folgt daraus, daß dieser die Tat, deren er beschuldigt wird, nicht begangen hat. Als Beispiel führt Cicero folgende Argumentation an:
"Necesse est aut inimicitiarum
causa ab hoc esse occisum aut metus aut spei aut alicuius animi gratia aut, si horum nihil est, ab hoc non esse occisum"
(1.45.
6-8). Die Propositio maior dieser Argumentation "sine causa maleficium susceptum non potest esse" fügt Cicero erst im Anschluß an die Conclusio "ab hoc non est occicus" hinzu (1.45.9)
I)
Vgl.
dazu pp.29-30.
und
134
erweitert seine Ausführungen um den eigentlich überflüssigen Zusatz "si neque
inimicitia~
fuerunt nec metus ullus nec spes ex
morte illius alicuius commodi neque ad amicum huius aliquem mors illius pertinebat: relinquitur igitur, ut ab hoc non sit occisus" (1.45.10-13), der die vorangegangene Aussage "si horum nihil est" ausführlicher und die Conclusio "ab hoc non est occisus"
(1.45.8) wörtlich wiederholt.
Dieser Schluß folgt dem zweiten stoischen Argumentationsmodus: I wenn p, dann qi nun aber nicht q; also auch nicht pi (modus tollens), wobei p für den Begriff 'Mord ' und q für 'Motiv ' steht. Als die dritte Form des Notwendigkeitsbeweises nennt Cicero 1.45. 13-14 die simplex conclusio, die sich ·von der enumeratio dadurch unterscheidet, daß sie nicht nur nachweist, daß etwas nicht getan wurde, sondern nicht einmal getan werden konnte. Sie berücksichtigt also zusätzlich den Aspekt der Möglichkeit oder Unmöglichkeit eines Geschehens. Die enumeratio beweist die Unschuld eines Angeklagten durch Ausschluß aller Motive, die simplex conclusio zeigt durch Anführung eines Alibis, daß der Angeklagte die Tat unmöglich begehen konnte. Auch sie folgt dem logischen Schema I wenn p, dann q; nun aber nicht qi also auch nicht pi. Hier steht p für den Begriff 'Tat ' und q für 'Anwesenheit zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort l .1) Nach Anführung der drei necessaria hebt Cicero abschließend die Unwiderlegbarkeit des Notwendigkeitsbeweises hervor:
"Oportebit
videre, ne quo pacto genus hoc refelli possit, ... verum ipsa argumentatio ex necessaria ratione consistat" (1.45.18-22). Hier tritt die Frage nach der Modalität der Prämissen völlig in den Hintergrund; entscheidend ist stattdessen allein die Gültigkeit des Schlusses.
1)
Eine ähnliche Argumentation, die ebenfalls den Aspekt der Möglichkeit einer Tat berücksichtigt, die allerdings dem ersten stoischen Argumentationsmodus folgt, erwähnt Cicero 1.63.1-5 bei der Behandlung der ratiocinatio.
1 35
An die Behandlung der necessaria schließt sich eine doppelte Fassung der probabilia an. Die erste Version nennt drei Arten von probabilia: " ... id, quod fe re solet fieri aut quod in opinione positum est aut quod habet ad haec quandam similitudinem, sive id falsum est sive id verum" (1.46.1-3).1) Diese werden jeweils kurz beschrieben und dann durch Beispiele veranschaulicht. Ein probabile, das sich meistens so ereignet, sei etwa der Satz "si mater est, diligit filium" oder "si avarus est., neglegit ius iurandum"
(1.45.5-6). Beide Aussagen können jeweils als Proposi-
tio maior in eine Wahrscheinlichkeitsargumentation eingehen. Wenn feststeht, daß eine bestimmte Frau Mutter ist, so kann gefolgert werden, daß sie wahrscheinlich auch ihren Sohn liebt, da der Satz "alle Mütter lieben ihre Söhne" in der Mehrzahl aller vergleich2 baren Fälle zutrifft und deshalb allgemein anerkannt ist. ) Argumentationen dieser Form sind logisch korrekt. Sie unterscheiden sich von den 1.44.10-45.18 beschriebenen Notwendigkeitsbeweisen nur dadurch, daß der Schluß zwar formal korrekt ist, daß die Wahrheit der Folgerung wegen der Modalität der Prämissen aber nicht notwendigerweise garantiert ist. Aristoteles fordert ausdrücklich, daß eine Wahrscheinlichkeitsargumentation nicht durch den Beweis der Nichtnotwendigkeit, sondern durch den Nachweis der Nichtwahrscheinlichkeit widerlegt wird
(1402b34-35). Da Cicero bei der Behandlung der reprehensio
I)
Vgl.
dazu PP.122-23.
2)
Part.or.34 bezeichnet Cicero das, was sich in den meisten F.ällen so ereignet, als ein veri simile, das folglich mit dem probabile, quod fere solet fieri identisch ist. Ebenso Merchant, p.33. Auch die zur Verdeutlichung eines veri simile angeführte Aussage "adulescentia proclivior est ad libidinem" stellt die erste Prämisse einer Wahrscheinlichkeitsargumentation dar.
1 36
(de inv.1.79-86) nur die necessaria und die zweite Version der probabilia erwähnt, kann über die Widerlegung des probabile, quod fere solet fieri keine Aussage gemacht werden. Auch in den Paritiones oratoriae finden sich diesbezüglich keine Angaben. Als weitere Art des probabile nennt Cicero das 'in opinione positum ' , also eine Aussage, die nach allgemeiner Auffassung Gültigkeit hat, wie etwa der Satz "impiis apud inferos poenas esse paratas" oder "eos, qui philosophiae dant operam, non arbitrari deos esse"
(de inv.1.46.7-9).
Auch hier formuliert Cicero die Propositio maior; in einer entsprechenden Argumentation· können dann die zweite Prämisse und die Conclusio - "dieser Mensch ist ein Philosoph und glaubt folglich nicht an die Existenz von Göttern" - hinzugefügt werden. Formal unterscheidet sich eine solche Argumentation nicht von derjenigen, die auf ein probabile, quod fere solet fieri aufgebaut ist. Es kann aufgrund der Beispiele Ciceros nur vermutet werden, daß der Unterschied zwischen beiden probabilia in der Modalität der Prämissen begründet ist, daß also etwa die Gottlosigkeit der Philosophen - obwohl allgemein als Tatsache anerkannt - weniger wahrscheinlich ist als die Sohnes liebe der Mütter. Diese ~nnahme wird durch die Tatsache gestützt, daß Cicero die drei probabilia nach unterschiedlichem Wahrscheinlichkeits1 grad in vera und veri similia voneinander unterscheidet ). Während sich der Begriff necessarium de inv.1.44.7-9 zuerst auf die Prämisse, dann auf den gesamten Schluß bezieht (1.45.1-18), bezeichnet das Adjektiv probabile in den bisher behandelten Beispielen die Propositio maior der Argumentation. Zuletzt nennt Cicero das probabile, quod habet ad haec quandam similitudinem (1.46.2-3). Diese Formulierung erweckt den Anschein, als handle es sich um eine wahrscheinliche Aussage, die
1)
Vgl.
dazu p. 123.
137
mit den zuvorgenannten probabilia zwar nicht identisch, ihnen aber doch sehr ähnlich ist. In dem folgenden Textabschnitt, in dem offenbar aber die dritte Gruppe der probabilia
dargestellt
werden soll, wird nur noch der Begriff similitudo erwähnt. Unter 'similitudo' aber werden induktive Argumentationen von vergleichsund beispielähnlichem Charakter vorgestellt, die mit den vorangegangenen probabilia, die Prämissen von rein deduktiven Schlüssen sind, nicht viel gemeinsam haben. Cicero führt also auch hier die Differenzierung zwischen der einzelnen Prämisse und der 1 darauf aufbauenden Gesamtargumentation nicht stre~g durch. ) Es ist anzunehmen, daß Cicero die Ähnlichkeit zwischen der similitudo als Argumentation und den probabilia als Prämisse darin sieht, daß diese Bestandteil jener similitudo sein können. Eben2 so erklärt auch Marius Victorinus den Text. ) Die similitudo ihrerseits kann als Methode zur Auffindung einer Prämisse dienen, die offenbar in einen deduktiven Schluß eingeht. Cicero kennt drei Arten der similitudo:
"similitudo autem est in
contrariis, ex paribus et in eis rebus, quae sub eandem rationem cadunt"
(de inv.1.46.9-11).
Die similitudo in contrariis veranschaulicht Cicero durch die Argumentation: "Nam si eis, qui imprudentes laeserunt ignosci convenit, iis, qui necessarie profuerunt, gratiam haberi non oportet"
(1.46.12-15). Die wahrscheinliche Aussage "eis, qui impru-
dentes laeserunt, ignosci convenit" geht hier als Voraussetzung in die Argumentation ein.
In diesem Beispiel entsprechen einan-
der die Wortpaare
I)
Vgl.
dazu p.22.
2)
RL, p.235 ed. Halm, Leipzig 1863, nachgedr. Frankfurt 1964 (im weiteren Text nur noch zitiert mit RL). Marius Victorinus führt zur Verdeutlichung eine similitudo an, deren erster Teil ein probabile in opinione positum ist: "Si impiis apud inferos tormenta praeparata sunt. innocentibus quies parata est."
138
necessarie
imprudentes
gratiam haberi non oportet
ignosci convenit
prodesse
laedere.
Entgegengesetzt sind allein die Wortpaare prodesse und laedere. Das Prädikativum imprudentes dagegen entspricht inhaltlich dem Adverb necessarie; beide drücken den Zwang zu einer unfreiwilli-· gen Handlung aus, die durch die beiden Verben bezeichnet wird. Diese similitudo enthält neben dem contrarium (laedere-prodesse) auch ein simile (necessarie-imprudentes). Cicero führt hier ein Tragikerzitat 1 ) aus der aristotelischen Rhetorik
(1397a13-16)
an.
Da Oe inventione entstand/bevor die aristotelischen Schriften von Sulla nach Rom gebracht wurden, vermutet Thiele wohl zu Recht., daß das Zitat aus einer Bearbeitung der hermagoreischen Rhetorik stammt, die ihrerseits auf die Rhetorik des Aristoteles zurückgreift. 2 ) Der Topos t~ .wv tvavTLwv, den Aristoteles durch das genannte Beispiel veranschaulicht, operiert damit, daß das Gegenteil einer Sache auch vom Gegenteil 3 ) einer anderen Sache ausgesagt werden kann. So finden sich etwa in dem Satz "sich mäßigen ist gut, zügellos leben dagegen schlecht"
(1376a3-4) die Gegen-
satzpaare 'Mäßigung' und 'Zügellosigkeit' einerseits, sowie 'gut' und 'schlecht' andererseits. Die Begriffe 'Zügellosigkeit' und 'schlecht' stehen dabei in demselben Verhältnis zueinander wie die Begriffe 'Mäßigung' und 'gut', denen sie entsprechen. Ebenso korrespondieren in Ciceros Beispiel die Gegensatzpaare 'gratiam non haberi' und 'ignosci' einerseits und 'prodesse' und
1)
Fr.trag.adesp.
80, Nauck
2)
Thiele.
3)
Auf die Problematik des Begriffes .0 tvav.Lov kann hier nicht eingegangen werden.
p. 129.
139
'laedere' andererseits, wobei zwischen 'gratiam non haberi' und 'prodesse' sowie zwischen 'ignosci' und 'laedere' andererseits jeweils dieselbe Beziehung besteht. 1 ) Der similitudo in contrariis stellt Cicero de inv.1 .47.1-3 die similitudo ex paribus zur Seite, die durch ein Beispiel aus dem Bereich der Schiffahrt veranschaulicht wird:
"Nam ut locus sine
portu navibus non potest esse tutus, sie animus sine fide amicis stabilis non potest esse". Hier korrespondiert jeweils ein Bestandteil des Bildes mit einem übertragenen Begriff: So entsprechen einander die Substantive 'locus' und 'animus', die adverbiellen Bestimmungen 'sine portu' und 'sine fide', die Dativobjekte 'navibus' und 'amicis' sowie die Prädikate 'esse non potest tutus' und 'stabilis non potest esse'. Abgesehen von der Umstellung des Prädikatsnomens sind beide Sätze syntaktisch völlig parallel gebaut. In diesem Beispiel wird eine Tatsache aus dem Erfahrungsbereich der HBrer auf einen anderen Bereich übertragen, wobei den Subjekten beider Aussagen dasselbe Prädikat zukommt. Des weiteren nennt Cicero die similitudo in eis
~'ebus,
quae sub
eandem rationem cadunt (1.47.3-4), die ebenfalls durch ein Beispiel erläutert wird: "Nam si Rhodiis turpe non est portorium locare, ne Hermacreanti quidem turpe est, conducere"
(1.47.4-6).
Diese bildlose similitudo kann auf die poetische Übertragung der similitudo ex paribus verzichten, da die beiden Subjektsinfinitive 'portorium locare' und 'conducere', denen wiederum derselbe Prädikatsbegriff zukommt, einem einzigen Sachbereich entnownen
1)
Der Auctor ad Herennium nennt 4.59.10-24 eine similitudo per contrarium, die jedoch mit der ciceronischen similitudo in contrariis nicht identisch ist, sondern die einen Sachverhalt gerade dadurch veranschaulicht, daß sie zeigt, daß er einem anderen Fall nicht ähnlich ist. So ist im Gegensatz zu einem frischen, unverbrauchten Läufer, der im Wettkampf von seinem erschöpften Vorgänger die Fackel übernimmt, ein altgedienter Feldherr besser als ein unerfahrener Neuling (4.59. 10-15) .
140
sind. Cicero verwendet hier ein auf rhodische Verhältnisse übertragenes Beispiel des Aristoteles, das dieser - unter Verwendung des Namens Diomedon zur Verdeutlichung eines Tonos EX TWV npos aAA~Aa (1397a25-27) anführt. Dieser Topos beruht auf der Relation von solchen Begriffen, die zueinander Konverse bilden. Nach der Behandlung der drei probabilia, die Cicero teils als Prämisse auffaßt, teils als Argumente, die auf probabilia beruhen, bemerkt er abschließend: similia"
"Haec turn vera sunt, ... tum veri
(1.47.6-9) und greift damit auf die Aussage von 1.46.3
" .•• sive id verurn, sive id falsum" zurück. Dort ist der Bezug des Satzes nicht eindeutig; er kann sich sowohl auf die drei probabilia 1 ), als auch auf deren letztgenanntes, die similitudo, beziehen 2 ). Hier jedoch gibt der Text durch die angeführten Beispiele Klarheit. Es handelt sich hier nicht mehr urn Prämissen, sondern um verkürzte Argumentationen, in die diese Voraussetzungen eingehen. Als Beispiel für ein verum wird der Satz "quoniam cicatrix est, fuit vulnus"
(1.47.7) genannt, der die zweite Prämisse und die
Conclusio der Argumentation "si cicatrix est, fuit vulnus; cicatrix est; ergo fuit vulnus" darstellt. Als Propositio maior eines solchen Schlusses führt Cicero 1.44.8-9 den notwendigen Satz "si peperit, cum viro concubuit" an. Die beiden Schlußfolgerungen "quoniam cicatrix est, fuit vulnus" und "quoniam peperit, cum viro concubuit", die auf notwendigen, unbestreitbaren Voraussetzungen beruhen, sind formal identisch und erreichen denselben Grad an argumentativer Sicherheit. Als Beispiel für ein veri simile wird der Satz "si multus erat in calceis pulvis, ex itinere eum venire oportet"
(1.47.8-9) an-
geführt, der als Propositio maior in eine Wahrscheinlichkeits-
I)
So J.Adamietz, ciceros De inventione und die Rhetorik des Auctor ad Herennium, Marburg 1960, p.39.
2)
So Hubbel, The Rhetorical Treatises, p.37.
1 41
argumentation eingehen kann. Der Staub auf den Schuhen eines Mannes weist zwar mit einiger Sicherheit, nicht aber mit Notwendigkeit auf eine vorangegangene Reise hin. Formal entspricht die auf dieser Aussage beruhende Argumentation derjenigen, die auf einern probabile, quod fere fieri solet (1.46.4-6) aufbaut. Sie ist logisch ebenso korrekt, wegen der Modalität der Prämissen aber ebenfalls angreifbar. Cicero kennt also bei den drei Arten der probabilia einen unterschiedlichen Wahrscheinlichkeitsgrad, deren höchster die Sicherheit einer Notwendigkeitsargumentation erreicht. Wie aus den Beispielen hervorgeht, ist die Tatsache, daß Cicero 1.44 necessaria und probabilia einander gegenüberstellt, damit sehr wohl vereinbar, da Ciceros Wahrscheinlichkeitsbegriff in der ersten probabilia-Version auch den Notwendigkeitsbegriff umfaßt. Im Gegensatz dazu schließt Aristoteles den Bereich des Notwendi1 )
gen bei der Behandlung des ELKOb ausdrücklich aus.
Die Erörterung der probabilia scheint de inv.1.47.9 abgeschlossen zu sein, doch setzt gleich darauf eine erneute Behandlung desselben Themas ein. Diese zweite Fassung überschneidet sich inhaltlich teilweise mit der ersten. De inv.l.47.10-13 werden vier probabilia genannt: signum, credibile, iudicatum und comparabile. Das Zeichen beschreibt Cicero als sinnlich wahrnehmbare Folge von nicht unmittelbar sinnlich wahrnehmbaren Ursachen:
"Signum est,
quod sub sensum aliquem cadit et quiddam significat quod ex ipso profectum videtur, quod aut an te fuerit aut in ipso negotio aut post sit consecutum ... ut cruor, fuga, pallor, pulvis . .. " (1.48. 1-6). Wie aus den Beispielen hervorgeht, beziehen sich die Rela-
I)
Vgl.
dazu p.25.
142
tivpronomina auf das Zeichen, während der Ausdruck 'ex ipso' das Bezeichnete meint. 1 ) Da nach 1.46.5-6 die angeführten signa noch einer argumentativen Bestätigung bedürfen, kann die Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem nicht notwendig sein; sie muß aber mit einer gewissen Sicherheit angenommen werden können, da das Zeichen sonst keinerlei Uberzeugungskraft und somit auch keinen Wert für die rhetorische Argumentation besitzt. Die Beschreibung des Zeichenbegriffs
(de inv.1.48.1-6) schließt
das notwendige Zeichen aus und berücksichtigt allein das signum non necessarium. In der ersten Fassung der probabilia dagegen wurde der Notwendigkeitsbegriff miteingeschlossen. 2 ) Durch die Beschränkung auf den Bereich der sinnlichen Wahrnehmung und durch den Ausschluß des notwendigen Zeichens unterschei·det sich das in Oe inventione beschriebene signum vom aristotelischen Zeichenbegriff. Zwar führt Cicero kein Beispiel einer Wahrscheinlichkeitsargumentation an, die auf einem signum basiert, doch lassen sich aus den 1.81.3-4 genannten Begriffen 'cruor' und 'caedes' zwei formal unterschiedliche Argumentationen bilden, deren erste allein formal korrekt ist.
1)
Ähnlich behandelt der Auctor ad Herennium 2.8.1-25 sinnlich wahrnehmbare nicht notwendige Zeichen unter dem Begriff 'argumenta in praeterito. in instanti et in consequenti tempore' . Nach dieser Textstelle kann das Zeichen zu dem Bezeichneten vor-. gleich- oder nachzeitig sein. Meines Erachtens zu Unrecht bezieht Rubbel. The Rhetorical Treatises. p.87 in seiner Ubersetzung von de inv. 1 .48.1ff das zweite quod auf quiddam.
2)
Auch part.or.40 werden notwendige und wahrscheinliche Aussagen unter den Begriff 'veri simile' subsumiert: "Atque in his veri similibus nonnumquam etiam certae rerum et proporiae notae". Diese wurden zuvor als notwendige Zeichen beschrieben: " ... quae numquam aliter fit, certumque declarat" (part.or.34) •
143
Geht der Redner davon aus, daß alle blutbefleckten Menschen einen Mord begangen haben und stellt er fest, daß ein bestimmter Mann Blut an den Händen hat, so kann er aus diesen beiden Prämissen schließen, daß dieser Mann auch einen Mord begangen hat. Dieser Schluß ist formal korrekt, da der Zeichenbegriff Subjekt der Propositio maior und Prädikat der Propositio minor ist. Er kann nur dann widerlegt werden, wenn die Nichtwahrscheinlichkeit der ersten Prämisse erwiesen wird. So könnte etwa der Hinweis auf Personen, die sich in den Finger schnitten oder von einem Hund gebissen wurden, zur Entkräftung der ersten Prämisse verwendet werden. Formal entspricht dieser Schluß einer Argumentation, die auf ei?e~probabile, quod fere solet fieri, basiert. 1 )Dieses ist jedoch inhaltlich bereits anerkannt, während das signum erst noch argumentativ bekräftigt werden muß. Der Redner könnte, wiederum ausgehend von den Begriffen 'cruor' und 'caedes', jedoch ebenso behaupten, daß alle Mörder blutige Hände hätten und daß folglich dieser Mann einen Mord begangen habe, da seine Hände ebenfalls blutig seien. Diese Folgerung ist jedoch formal nicht korrekt, da ein Syllogismus der zweiten Figur keine positive Conclusio erlaubt. Die Argumentation kann also formal widerlegt werden; ferner ist die Propositio maior inhaltlich angreifbar, da ein Mord durchaus ohne Blutvergießen verübt werden kann. Wie in De inventione beschränkt Cicero den Zeichenbegriff auch in den Partitiones oratoriae auf den Bereich der sinnlichen Wahrnehmung (part.or.39). Allerdings kennt er hier neben den nicht notwendigen auch solche signa, die von sich aus evident sind und 2 mit Notwendigkeit auf das Bezeichnete hinweisen. )
1)
Vgl.
dazu pp.117-18.
2)
Vgl. dazu p. 124, Anm.2. Es ist also anzunehmen, daß Cicero 1n den Partitiones oratoriae einer anderen Vorlage folgt als in der zweiten probabilia-Version von De inventione, in der er das notwendige Zeichen nicht berücksichtigt. In der ersten Fassung dagegen wurde der Bereich des Notwendigen eingeschlossen.
144
Im Gegensatz zu einern signum bedarf ein credibile keiner weiteren Bestätigung, da es von den H6rern bereits anerkannt wird:
"Credi-
bile est, quod sine ullo teste auditoris opinione firmatur"
(De
inv.1.48.7), wie etwa der Satz "Nemo est, qui non libros suos incolumes et beatos esse cupiat"
(1.48.8-9). Das credibile ent-
spricht dem probabile in opinione positum, das ebenfalls eine bereits gebilligte Ansicht enthält. 1) Beide probabilia k6nnen als Prämisse in eine formal korrekte Wahrscheinlichkeitsargumentation eingehen. Auch ein iudicatum ist allgemein anerkannt, allerdings nicht allein nach Ansicht der H6rer, sondern auch nach Auffassung fremder Personen, die an der rhetorischen Situation nicht unmittelbar Anteil haben:
"Iudicatio est res assensione aut auctoritate aut
iudicio alicuius aut aliquorum comprobata"
(1.48.9-10). Entspre-
chend dem jeweiligen Personenkreis unterscheidet Cicero zwischen religiosum, commune und adprobatum (1.48.10-49.1). Credibile und iudicatum geben jeweils eine anerkannte Meinung wieder; sie unterscheiden sich nur durch die Personengruppe, die diese Ansicht vertritt. Beide entsprechen dem probabile in opi~ nione positum und k6nnen als Prämisse in eine formal korrekte Wahrscheinlichkeitsargumentation eingehen. Nach signum, credibile und iudicatum behandelt Cicero das comparabile, das eine Gemeinsamkeit zweier ansonsten verschiedener Dinge feststellt: "Comparabile autem est, quod in rebus diversis similem rationem continet" (1.49.1-2) .2) Er unterscheidet dabei zwischen imago, collatio und exemplum (1.49.3). Ob Cicero hier von der Behandlung einzelner Prämissen zur Er6rterung vollständiger Argumentationen übergeht, kann aufgrund des
I)
Vgl. dazu p.118.
2)
Ähnlich definiert der Auctor ad Herennium (4.59.1-2) die similitudo: "Similitudo est oratio traducens ad rem quampiam aliquid ex re dispari simile".
145
vorliegenden Textes nicht beurteilt werden, da sich Cicero auf eine kurze definitionsähnliche Beschreibung von imago, collatio und exemplum beschränkt. Mit dem Begriff imago bezeichnet Cicero den Vergleich äußerlicher oder wesensmäßiger Ähnlichkeiten (1.49.3-5), ohne diese Aussage jedoch durch Beispiele zu verdeutlichen. 1 ) Der imago stellt Cicero die collatio zur Seite, die verschiedene Dinge hinsichtlich ihrer Gemeinsamkeiten betrachtet (1.49.5-6) .2) Aufgrund dieser Definition ist anzunehmen, daß
de~
Argumentations-
bereich der collatio im Gegensatz zu dem der imago keinerlei Einschränkungen unterliegt. Als dritte Art des comparabile führt Cicero das exemplum an, das die Argumentation durch die Anführung einer Autorität oder eines bereits geschehenen Ereignisses stützen oder schwächen kann (1. 49.6-9). Die Vermutung, daß Cicero das Argumentationsfeld des exemplum auf den geschichtlichen Bereich beschränkt wissen will, wird Top.44 durch die Erwähnung eines historischen Beispiels bestätigt. Auch der Auctor ad Herennium legt den Bereich des exemplum auf geschichtliche oder literarische Quellen fest
(4.62.1-2).
Problematisch ist das Verhältnis der beiden probabilia-Versionen (de inv.1.46.1-47.9 und 1.47.10-49.9) .3) Entgegen den Aussagen des Marius Victorinus kann die Beziehung zwischen beiden Fassungen nicht als Ursache und Wirkung aufge-
I)
Der Auctor ad Herennium beschränkt die imago auf den Vergleich von Äußerlichkeiten (4.62.15-17). Abzulehnen ist die Ansicht Kennedys, The Art of Rhetoric, p.136, der meint, der Auctor behandle allein die deduktive Argumentation.
2)
Top.43-44 beschreibt der Terminus collaLio das zur Verdeutlichung einer strittigen These herangezogene Einzelbeispiel. Vgl. dazu p.135.
3)
Vgl.
dazu pp. 117ff.
146
faßt werden, obwohl inhaltliche Uberschneidungen festgestellt wurden. 1 } Da Cicero bei der Behandlung der Argumentationswiderlegung allein die necessaria und die probabilia der zweiten Version behandelt (1.79-86), könnte die erste Fassung eine bei späterer Uberarbeitung nicht beseitigte Dublette darstellen. Da das Problem aufgrund des vorliegenden Textes nicht geklärt werden kann, muß diese These eine - wenn auch nicht unwahrscheinliche Vermutung bleiben. Nach der Behandlung von 'necessaria' und 'probabilia' stellt Cicero abschließend fest:
"In praesentia tantummodo numeros et mo-
dos et partes argumentandi confuse et permixtim dispersimus" (1.49.17-19). Diese Aussage macht deutlich, daß Cicero nicht die Absicht hatte, das behandelte Argumentationsmaterial gen au zu analysieren und dessen logische Grundlagen zu erörtern, sondern daß ihm eine lockere und zwanglose Beschreibung von rhetorischen Argumenten genügte. 2 } Die deduktiven bzw. induktiven Argumentationen, in die diese eingehen, sollen im folgenden untersucht werden.
I)
RL, p.238. Victorinus ordnet signum und credibile dem probabile, quod fere solet fieri, das iudicatum dem probabile in opinione positum und die drei Arten des comparabile der similitudo zu, ohne deren Unterteilung näher zu berücksichtigen. Dagegen kann eingewendet werden, daß das signum, im Gegensatz zu dem probabile, quod fere fieri solet, auf den Bereich der sinnlichen Wahrnehmung beschränkt ist und noch einer argumentativen Bestätigung bedarf. Ferner ist das credibile nicht dem probabile, quod fere solet fieri, sondern wie auch das iudicatum dem probabile in opinione positum zuzuordnen.
2)
So stellt G.R.Evans, Argumentum and Argumentatio: The deveIopment of a technical terminology up to 1150. in: Classical Folia 3D, 1976, p.84 - allerdings ohne formale Analyse von Ciceros Beispielen - treffend fest: "But to look for technically precise usage of terms ... is perhaps to ask of cicero something which he is not ... likely to give".
147
3.3.1.2
Die induktive Argumentation
Wie bereits Aristoteles, so stellt auch Cicero fest, daß eine Argumentation entweder deduktiv oder induktiv erfolgen kann: "Omnis autem argumentatio aut per inductionem aut per ratiocinal_ionem tractanda est"
(de inv. 1 .51 .1-2). Das Substantiv • argu-
mentatio' meint hier die einzelne Prämisse einer mehrgliedrigen Argumentation. Schon Marius Victorinus weist darauf hin, daß Aristoteles dieselbe Unterscheidung vornimmt, indem er den Syllogismus und die Induktion der Dialektik dem Enthymem und dem Paradeigma der Rhetorik gegenüberstellt. 1 ) Dabei entsprechen einander Syllogismus und Enthymem einerseits und Induktion und Paradeigma andererseits. Victorinus allerdings deutet diese gegenseitige Entsprechung fälschlicherweise als Äquivalenz, obwohl das Enthymem strenggenommen eine Sonder form des Syllogismus darstellt. Bereits in Ciceros knappen Äußerungen über similitudo und comparabile (1.46.9-1.47.6 und 1.49)2) wird der Gang der induktiven Argumentation angedeutet: Der Redner zieht zur Veranschaulichung einer strittigen These ein außerhalb des Sachverhaltes stehendes Beispiel heran. Die Induktion definiert Cicero de inv.1.51 .3-6 als "oratio, quae rebus non dubiis captat assensionem eius, quicum instituta est; quibus assensionibus facit, ut illi dubia res quaedam propter similitudinem earum rerum, quibus assensit, probetur." Zur Veranschaulichung dieser Definition führt Cicero zwei Beispiele an, deren erstes allerdings nicht der rhetorischen Situation angepaßt ist, in der der Redner in zusammenhängender Rede seinen Standpunkt begründen und beweisen muß, sondern das Ver-
I)
RL,
2)
Vgl.
p. 240.
dazu pp.20-21
148
fahren der Topik nachahmt, in dem der Argumentationsgegner im Laufe des Dialogs zur Anerkennung einer ursprünglich nicht von ihm gebilligten These gezwungen wird. Aus einem Dialog des Sokratikers Aeschines gibt Cicero de inv. 1.51.9-53.6 ein Gespräch wieder, das Aspasia mit Xenophon und seiner Frau führte. 1 ) Dabei bejaht Xenophons Frau zunächst die Frage, ob sie den Goldschmuck der Nachbarin dem eigenen vorzöge, falls dieser schöner sei. Ebenso gibt sie zu, lieber deren Kleider und Geschmeide besitzen zu wollen, falls diese teurer seien als die eigenen. Auf die Frage jedoch, ob sie auch lieber den Mann der Nachbarin zum Gatten habe, falls dieser besser sei als der eigene, schweigt sie errötend. An Xenophon stellt Aspasia ähnliche Fragen; dieser gesteht ein, Pferd und Land des Nachbarn, sofern sie besser seien als der eigene Besitz, vorzuziehen. Xenophon verstummt ebenfalls auf die Frage, ob er dann auch lieber die Frau des Nachbarn zur Gattin habe. Von den beiden Zugeständnissen der Antwortenden, die jeweils Einzelfälle betreffen, abstrahiert der Fragende eine allgemeine Aussage, nämlich den Satz~ Dieser Mann (diese Frau) zieht in jedem Fall den Besitz des Nachbarn (der Nachbarin) vor, sofern dieser schöner, teurer oder in irgendeiner Hinsicht besser ist als der eigene. Diese allgemeine Aussage wird wiederum auf einen neuen Einzelfall angewendet. Zieht also Xenophons Frau in jedem Fall den schöneren Besitz der Nachbarin dem eigenen vor, so hätte sie auch lieber deren Mann zum Gatten, wenn er einen besseren Charakter oder bessere Fähigkeiten hat. Diesem Beispiel liegt dieselbe Argumentationsstruktur wie dem aristotelischen Paradeigma zugrunde.
I)
Zum Inhalt dieses Stückes vgl. auch H.Natorp, Aischines' Aspasia, Philologus 51, 1892, pp.483-500.
149
Es sei der Begriff 'das Kleid der Nachbarin' bezeichnet durch den Buchstaben 0, das Prädikat 'schaner' durch B, das Prädikat 'begehrenswert' durch A und der Begriff 'Ehemann der Nachbarin' durch C. Aus den Aussagen
1)
D
ist
B
und
2)
D
ist
A
wird induktiv ge3 ) Alle
B
4)
C
sind j.st
A
Da ferner gilt folgt daraus
5)
C
ist
A
wonnen
B
Dabei stellt A den Oberbegriff, B den Mittelbegriff, C den Unter-begriff und D den herangezogenen ähnlichen Begriff einer zweiteiligen Argumentation dar, die aus einem induktiven und aus einem deduktiven Schritt besteht und auf die die aristotelische Beschreibung des Paradeigma zutrifft: sie zeigt, daß dem Mittelbegriff B der Oberbegriff A zukommt durch einen dem dritten (C) ähnlichen Begriff (D). 1) Voraussetzung dieser Argumentation ist die Ähnlichkeit zwischen dem herangezogenen und dem zu veranschaulichenden Fall. Es muß also sowohl über Kleid und Schmuck der Nachbarin als auch über deren Ehemann die Aussage 'ist besser' gemacht werden kannen. Dem Einzelfall D und dem Einzelfall C kommt der Mittelbegriff B zu. Dabei kannen die Einzelaussagen 1), 2) und 5) unter den allgemeinen Satz 3)
"Alles Bessere ist
begehrenswert" zusammengefaßt werden. Die in diesem Beispiel demonstrierten Argumentationsschritte entsprechen in allen Einzelheiten denen des aristotelischen Paradeigma. Allerdings fügt Cicero der "inductio" noch eine ab-schließende Schlußbemerkung hinzu, so daß eine dreiteilige Argumentation entsteht. Als ersten Teil versteht Cicero die zur Veranschaulichung herangezogenen Einzelbeispiele:
I)
An.pr.68b38-40;
vgl.
dazu pp.38-40.
"prima pars
150
ex similitudine constat una pluribusve"
(1.54.15-16). Die davon
abstrahierte allgemeine Aussage erwähnt Cicero nicht ausdrücklich. Sie ist jedoch Voraussetzung für die zu beweisende These, um derentwillen die Beispiele angeführt werden:
"altera ex eo
quod concedi volumus cuius causa similitudines adhibitae sunt" (1.54.16-17) .1) Als den dritten Teil der 'inductio' bezeichnet Cicero schließlich die Schlußbemerkung, die diese concessio bekräftigt:
"con-
clusio, quae aut confirmat concessionem aut quid ex ea conficiatur ostendit"
(1.54.17-19). Die Conclusio des angeführten
Beispiels ist ein allgemeiner Rat: Aspasia empfiehlt Xenophon und seiner Frau, davon auszugehen, daß der eigene Ehepartner der beste sei. Anderenfalls seien sie auch weiterhin auf der Suche nach einem Idealpartner, der den eigenen weit überträfe. Dieser Schlußsatz schließt sich inhaltlich an die Gesamtargumentation an, ohne formal damit zusammenzuhängen. Für die induktive Argumentation nennt Cicero drei Bedingungen: Die angeführten Einzelfälle müssen vom Argumentationsgegner als nicht zweifelhaft akzeptiert werden (1.53.7-11); diese Bedingung kam bereits durch die Definition zum Ausdruck (1.51.3-6). Als weitere Voraussetzung führt Cicero die Ähnlichkeit zwischen dem illustrierenden und dem noch zu beweisenden Fall (1.53.11-16) an. Diese Ähnlichkeit besteht darin, daß sowohl dem Kleid als auch dem Ehemann der Nachbarin das Prädikat 'ist besser' zukommt. 2)
Die letzte Bedingung ergibt sich aus der dialogischen
Argumentationssituation des Beispiels: Wie in der Topik soll der
I)
Auch Antonius' knappe Äußerung " ... sicui quid simile dicas, prius ut simile confirmes, deinde, quod agitur, adiungas" (de or.2.177) ist wohl so zu verstehen, daß durch ein oder mehrere Einzelbeispiele (quid simile dicas) ein allgemeiner Satz induktiv veranschaulicht wird (ut simile confirmes), der dann in einer deduktiven Argumentation auf eine noch strittige These (quod agitur) angewendet wird.
2)
Vgl.
dazu pp.36-38.
151
Gegner in Widersprüche verwickelt und zur Anerkennung einer ursprünglich nicht von ihm gebilligten These gezwungen werden. Aus diesem Grund fordert Cicero auch, den Dialogpartner das Argumentationsziel nicht erkennen zu lassen (1.53.16-54.5). Da das erste Beispiel einer inductio auf dem wechselseitigen Dialog zwischen einer fragenden und einer antwortenden Person beruht und deshalb in einer öffentlichen Rede nicht praktikabel ist, führt Cicero ein weiteres Beispiel aus dem Bereich der Gerichtsrede an (1.55.8-56.15), betont allerdings zuvor, daß zwischen beiden Argumentationen kein Unterschied bestehe
(1.55.1-7)
In diesem Beispiel wird der thebanische Heerführer Epaminondas, der sich weigerte, das Heer seinem rechtmäßigen Nachfolger zu übergeben und der in der Zeit seiner gesetzwidrigen Heeresleitung einen entscheidenden Sieg errang, angeklagt, gegen den Wortlaut des Gesetzes verstoßen zu haben. Zu seiner Verteidigung beruft sich Epaminondas auf den Nutzen, den er dem Staat erwiesen habe und fordert, in seinem Fall dem Gesetz eine Ausnahmeklausel hinzuzufUgen
(1.55.9-14).
Dieser Forderung tritt der Ankläger in seiner Argumentation entgegen. Er stellt zunächst fest, daß die eigenwillige Gesetzesinterpretation von den Richtern nicht gebilligt werde
(1.56.9-
12). Selbst wenn dies der Fall sei, werde das thebanische Volk seine Zustimmung nicht geben (1.56.12-16). Von diesen partikulären Feststellungen, die der Ankläger in die Form einer rheto-' rischen Frage kleidet und deren scheinbare Antwort er selbst gibt, wird der allgemeine Satz abstrahiert:
'die Auslegung des
Gesetzes im Sinne des Epaminondas wird allgemein mißbilligt' . In einer a fortiori-Argumentation leitet der Ankläger dann daraus, daß bereits die schriftliche Fixierung der Ausnahmeklausel nicht anerkannt wird, die Feststellung ab, daß dann die sinngemäße Auslegung des Gesetzes, wie sie von Epaminondas beantragt wird, erst recht nicht gebilligt werden darf man zu dieser Aussage den Satz
(1.56.16-20). FUgt
'die Tat des Epaminondas geht von
einer sinngemäßen Interpretation des Gesetzes aus' hinzu, so
152
folgt aus diesen beiden Prämissen in einem gültigen Syllogismus des Modus Barbara die Folgerung 'also wird auch die Tat des Epaminondas abgelehnt'. Der Ankläger beschließt seine Argumentation mit dem Rat, ein dem Wortlaut des Gesetzes entsprechendes Urteil zu fällen, und er empfiehlt den Richtern, Epaminondas wegen seines gesetzwidrigen Verhaltens zu verurteilen. Diese Argumentation besteht zwar wie das zuvorgenannte Beispiel aus einem induktiven und einem deduktiven Argumentationsteil, unterscheidet sich jedoch trotz Ciceros gegenteiliger Versicherung (1.55.1-7) grundlegend von der ersten Schlußfolgerung und entspricht nicht dem aristotelischen Paradeigma. Bereits Marius Victorinus weist darauf hin, daß im zweiten Beispiel kein außerhalb der causa stehender Fall zur Verdeutlichung herangezogen wird. 1 ) 'Ferner setzt der Ankläger in seiner Argumentation voraus, daß die Richter und das thebanische Volk die von Epaminondas beantragte Ausnahmeklausel mißbilligen, obwohl er doch davon in einer Verhandlung, die gerade diesen Antrag zum Gegenstand hat, noch gar nicht ausgehen kann. Zwar beeinflußt dies nicht die formale Struktur des Schlusses, doch geht der Ankläger in diesem Beispiel von zweifelhaften, noch nicht erwiesenen Prämissen aus, obwohl diese per definitionem und nach 1.53.7-11 als 'non dubia' anerkannt sein müssen. Die Definition der inductio trifft also pur auf die erste der.beiden genannten Argumentationen zu, die auch die de inv. 1.53.1-17 qenannten Bedingungen erfüllt und formal mit dem aristotelischen Paradeigma identisch ist 2 ) , während
I)
"Similitudinem non extra causam (sc., argumentatio), ca usa fee i t 11 (RL, p. 242) .
sed in
2)
Ob Cicero bereits unter dem Begriff 'comparabilia' (vgl. dazu pp. 126-27) induktive Argumentationen versteht oder ob damit Prämissen gemeint sind, die in eine induktive oder deduktive Argumentation eingehen, kann nicht beurteilt werden, da die definitions ähnlichen Beschreibungen nicht durch Argumentationsbeispiele erläutert werden.
153
der induktive Teil des zweiten Beispiels undurchsichtig bleibt. Die induktive Argumentation beschreibt Cicero in De inventione am ausführlichsten; sie wird aber auch in der Topik erwähnt. Hier trägt sie die Bezeichnung- 'similitudo ex pluribus collationibus' und wird mit der griechischen tnaywyn identifiziert (Top.42). Mit collatio bezeichnet Cicero hier die herangezogenen Einzelfälle, mit 'similitudo' die darauf angewandte Argumentation. In dem illustrierenden Beispiel wird von der Tatsache, daß von einem Beschützer, einem Gefährten, einem Sachverwalter wie auch von einem Treuhänder Verläßlichkeit erwartet wird, darauf geschlossen, daß dies auch von einem Verwalter erwartet werden kann. Diese Argumentation abstrahiert von mehreren Einzelfällen die allgemeine Aussage 'alle Menschen in verantwortungsvoller Position müssen treu und verläßlich sein', die dann in einem Schluß des Modus Barbara auf den noch zu beweisenden Fall des Verwalters angewendet wird: Ein Verwalter hat eine verantwortungsvolle Position; also muß er auch treu sein. Dieses Beispiel ist formal mit der ersten inductio in Ciceros Jugendschrift identisch (de inv.1.51.9-53.6) dem aristotelischen Paradeigma.
und entspricht ebenfalls
Neben der similitudo ex pluribus collationibus, die zur Verdeutlichung mehrere Einzelfälle heranzieht, erwähnt Cicero Top.43 auch je~e similitudo,
die nur auf einem Beispiel basiert:
"alterum
genus similitudinis collatione sumitur, cum una res uni, par pari comparatur". Auch das Beispiel, das diese Aussage verdeutlicht, weist die Struktur des aristotelischen Paradeigma auf
0 •
So wird der allgemeine Satz, daß in der Stadt kein Urteil über solche Fragen erwartet werden kann, die in die Zuständigkeit der Landbevölkerung fallen, sowohl auf den Bereich der Grenzpolitik als auch auf wasserrechtliche Fragen angewendet. Weil der allgemeine Satz für beide Problemkreise gilt, kGnnen diese, obwohl sonst verschieden, unter diesem einen Aspekt der Ge:neinsamkei t nebeneinqndergestellt werden. In den Partitiones
oratoriae äußert
sich Cicero zur Uber-
zeugungskraft der einzelnen induktiven Argumentationeniin dieo
154
sem Punkt schätzt er das historische Beispiel höher ein als die Fabel, die bisweilen sogar unwahrscheinlich ist (part.or.40). 1) Im Gegensatz zu dem auf tatsächlichen Ereignissen beruhenden historischen Beispiel ist die Fabel, deren ArgumentationsbereiCh keinerlei Einschränkungen unterliegt (Top.45), fiktional. Zwar begründet Cicero part.or.40 die geringere Uberzeugungskraft der Fabel nicht ausdrücklich, doch geht er wohl von ähnlichen Uberlegungen aus wie Aristoteles, der historisches Beispiel, Fabel und Parabel ebenfalls hinsichtlich ihrer Publikumswirksamkeit unterscheidet; seiner Ansicht nach sind fiktive Beispiele leichter zu finden als historische Paradeigmata, da der Redner jene frei erfinden kann, sofern er nur.darauf achtet, daß der zur Veranschaulichung herangezogene Einzelfall Ähnlichkeit mit dem zu illustrierenden Sachverhalt besitzt (1394a5-7).2 Ciceros fabula kann also in die Nähe der aristotelischen Fabel gerückt werden, ebenso wie das exemplum dem historischen Beispiel des Aristoteles verwandt ist. Die similitudo ex paribus und die similitudo in eis rebus, quae sub eandem rationem cadunt (de inv.1.47.1-6)
ähneln der aristotelischen Parabel insofern,
ais sie Beispiele aus dem alltäglichen Erfahrungsbereich der Hörer zur Verdeutlichung heranzieht. 3 ) Nachdem Ciceros induktive Argumentationsbeispiele untersucht wurden, kann zusammenfassend festgestellt werden, daß die inductio als ein Schluß aufgefaßt wird, der von einem oder mehreren Einzelbeispielen induktiv eine allgemeine Aussage abstrahiert, die dann in einer deduktiven Folgerung auf einen neuen Einzelfall angewendet wird. Ciceros Argumentationen entsprechen dabei, mit Ausnahme des Epaminondasbeispiels
I)
Ähnlich Auct.ad Her.I.13.5-6.
2)
Vgl.
dazu pp.36;
3)
Vgl.
dazu pp.43-44.
44.
(de inv.1 .55.1-56.15), formal
155
dem aristotelischen Paradeigma. Allein in De inventione wird dem induktiven und dem deduktiven Argumentationsteil noch eine abschließende Schlußfolgerung hinzugefügt, die zwar inhaltlich, nicht aber formal damit zusammenhängt.
3.3.1.3
Die deduktive Argumentation
In De inventione führt Cicero als weitere Argumentationsform die ratiocinatio 1 ) an: Sie wird beschrieben als "oratio ex ipsa re probabile aliquid eliciens, quod expositum et per se cognitum sua se vi ac ratione confirmet" fe 'probabile aliquid',
(de inv.1.57.3-5) .2) Die Begrif-
'expositum' und 'per se cognitum' bezie-
hen sich auf die Conclusio, das Hendiadyoin 'sua vis ac ratio' bezeichnet wohl die argumentative Uberzeugungskraft dieser Folgerung. 3 ) Im Gegensatz zur induktiven Argumentation zieht die ratiocinatio keinen außerhalb der causa stehenden Fall zur Verdeutlichung heran, sondern sie argumentiert innerhalb des Sachverhaltes ex ipsa re. Zwar wird in de inv.1 .57.3-5 das Wahrscheinliche als Argumentationsbereich genannt, doch ist anzunehmen, daß Ciceros Wahrscheinlichkeitsbegriff auch notwendige Aussagen umfaßt, da die neces-
I)
Der Terminus ratiocinatio bezeichnet nicht eine Prämisse, sondern eine Argumentation, ist also im Sinne der zweiten Bedeutung von argumentatio (de inv. I .74.10-75.1; vgl. dazu p.113) zu verstehen.
2)
Michel, p.176 identifiziert diese Aussage mit der aristotelischen Syllogismusdefinition (Top. 100a25-27). Derjenige Bestandteil der Definition, daß sich nämli~h aus den gegebenen Prämissen etwas von diesen Verschiedenes ergibt. kommt in Ciceros Beschreibung jedoch nicht zum Ausdruck; stattdessen wird der Gegensatz zwischen der deduktiven und der induktiven Argumentation hervorgehoben.
3)
So auch Hubbel,
The Rhetorical Treatises.
pp.99-100.
156
saria 1.44-45 ausführlich behandelt wurden und da der Wahrscheinlichkeitsbegriff der ersten probabilia-Version im Gegensatz zu dem der zweiten Fassung auch notwendige Aussagen umfaßt. Diese werden vermutlich nur deshalb nicht erwähnt, weil sich der Redner in der Mehrzahl der Fälle mit wahrscheinlichen, selten dagegen mit notwendigen Aussagen beschäftigt. Wie für die inductio führt Cicero auch für die ratiocinatio mehrere Beispiele an, nachdem er zuvor erklärt hat, in seinen Erörterungen sowohl deren fünfteilige als auch deren dreiteilige Form behandeln zu wollen (1.57.8-14). Eine fünfteilige wie auch eine dreiteilige Argumentation bestehen jeweils aus zwei Prämissen und einem Obersatz. Terminologisch trägt dieser die Bezeichnung 'propositio', der Untersatz heißt 'assumptio', und die Folgerung wird 'complexio' genannt (1.67. 6-8 ~ 9-11). Die Grundform kann nun um zwei die Prämissen stützende Teile erweitert werden. Diese sogenannten adprobationes erhöhen die überzeugungskraft der propositio und der assumptio, deren Inhalt kurz und prägnant formuliert ist und die deshalb bisweilen einer weiteren Erläuterung bedürfen (1.67.4-6). Cicero selbst zieht die fünfteilige der dreiteiligen ratiocinatio vor, da er die adprobationes als selbständige Argumentationsteile betrachtet (1.61.1-13; 1.62.1-8; 1.64.1-7), die manchmal hinzugefügt werden, manchmal jedoch, wenn propositio und assumptio ohne weitere Erklärung verständlich sind, auch ausgelassen werden können. Die von ihm bevorzugte fünfteilige ratiocinatio führt Cicero auf Aristoteles, Theophrast und deren Schüler zurück. Auch Aristoteles zieht in dem bereits besprochenen Aggressionsparadigma 1 ) die Möglichkeit in Betracht, eine umstrittene These durch die Anführung eines oder mehrerer Beispiele zu stützen. Bedarf in einem anderen Schluß auch die zweite Prämisse
1)
Vgl.
dazu pp.38-40.
157
einer Absicherung, so entsteht jenes fünfteilige Argumentationsgefüge, das Cicero und der Auctor ad Herennium beschreiben. Die Tatsache, daß Cicero den Namen des Aristoteles mit der deduktiven Argumentation in Verbindung bringt, ist allerdings kein ausreichendes Indiz für eine direkte Benutzung der aristotelischen Rhetorik. Da Oe inventione entstand, bevor die Rhetorik des Aristoteles nach Rom gebracht wurde, scheint es ausgeschlossen, daß Cicero bei der Abfassung seiner Jugendschrift die aristotelische Abhandlung vor Augen hatte. Jedoch konnte bisher festgestellt werden, daß Ciceros Beispiele einer induktiven Argumenta-tion mit einer Ausnahme dem aristotelischen Paradeigma formal entsprechen. Im folgenden Text soll nun die Struktur der ratiocinatio untersucht werden. Als propositio maior einer fünfteiligen Argumentation nennt Cicero den Satz "melius accurantur, quae consilio geruntur quam quae sine consilio geruntur"
(1.58.3-5). Diese Aussage wird dann
in der adprobatio durch die Einzelbeispiele eines Hauses, eines Heeres und eines Schiffes induktiv begründet (1.58.5-59.2). Als assumptio fügt der Redner den Satz "nihil autem omnium rerum melius quam omnis mundus administratur"
(1.59.4-5) hinzu und er-
klärt diese Behauptung mit dem Hinweis auf den regelmäßigen Aufund Untergang der Gestirne und den Wechsel der Jahreszeiten (1.59.7-14). Aus den beiden durch die adprobationes verdeutlichten Prämissen schließt der Redner dann, daß auch das Walten der Natur nach einem Plan vor sich gehe
(1.59.17;23).
In diesem Beispiel werden sowohl die propositio als auch die assumptio induktiv durch von außen herangezogene Einzelbeispiele gestützt, obwohl in der Definition der ratiocinatio doch gerade der Verzicht auf Argumentationen außerhalb des Sachverhaltes hervorgehoben wird. Um die formale Analyse dieser Argumentation zu erleichtern, deren Prämissen und Schlußfolgerung Cicero auch de nat.deor.2.8.21 erwähnt, sollen die adprobationes nicht berücksichtigt werden.
158
Es sei das Prädikat 'consilio geruntur ' durch den Buchstaben C dargestellt. Nach Einführung der Variablen x und y erhält die propositio die Form: (a)
Für alle x und y gilt: Wenn der Verwaltung von x C zukommt
und der Verwaltung von y C nicht zukommt, dann ist die Verwaltung von x besser als die der Welt. Wird für y dann 'mundus ' eingesetzt, so ergibt sich für alle x: Wenn der Verwaltung von x C zukommt und der Verwaltung der Welt C nicht zukommt, so ist die Verwaltung von x besser als die Verwaltung der Welt. Nimmt man ferner an, daß es überhaupt ein x gibt, dem C zukommt und setzt man voraus, daß der Satz (b)
I
der res publica kommt C zu I , wahr sei, so ergibt sich,
wenn man für x 'res publica' einsetzt, der Satz: Wenn der Verwaltung des Staates C zukommt und der Verwaltung der Welt C nicht zukommt, dann ist die Verwaltung des Staates besser als die der Welt. Daraus wiederum (c)
~
folgt nach dem modus ponens der Satz
Wenn der Verwaltung der Welt C nicht zukommt, dann ist die
Verwaltung des Staates besser als die der Welt. Da aber nach der Behauptung der assumptio nichts besser verwaltet wird als die Welt, so ergibt sich nach dem zweiten stoischen Argumentationsmodus, daß der Verwaltung der Welt C zukommt. Der Redner kann also in einem formal korrekten Schluß folgern: "consilia mundus igitur administratur" (1.59.17; 23). Den letzten beiden Schritten dieser Folgerung liegen die Gesetze stoischer Logik zugrunde,
währ~nd
nach den
antiker, sondern nur nach Gesetzen monerner Lo--
Rege~n
die vorangegangene Argumentation nicht
gik formal, nicht aber inhaltlich, erfaßt werden kann. Man darf deshalb wohl annehmen, daß sich Cicero über die formalen Grundlagen dieses Schlusses keine Gedanken machte. Ciceros zweites Beispiel einer fünfteiligen ratiocinatio geht aus von der propositio "omnes leges ad commodum rei publicae referri oportet et eas ex utilitate communi non ex' scriptione, quae in litteris est, interpretari"
(de inv.1.68.5-7). Diese Aussage
159
wird in einern längeren Passus unter Berufung auf die Ahnen
(1.
68.7-12) mit einern Beispiel aus der Medizin begründet (1.68.1869.1). Die assumptio, daß Epameinondas dem Staat nütze, wird in der ausführlichen Argumentation nicht genannt, sondern erst in einer abschließenden Rekapitulation von Prämissen und Conclusio ausdrücklich angeführt:
"hic autem rei publicae profuit"
(1.69.
15); diesen Satz kann der Redner durch das Beispiel des Epameinondas veranschaulichen (1.69.3-13). Aus den gegebenen Voraussetzungen ergibt sich dann die Folgerung "non potest eodem facto et cornrnunibus fortunis consuluisse et legibus obtemperasse"
(1.
69.16-17) . Aus der Formulierung "omnes leges ad cornrnodum rei publicae referri oportet"
(1.68.5-6)
geht nicht eindeutig hervor, wie die Aus-
sage der propositio lautet; der weitere Textverlauf "(sc. leges) ex utili tate cornrnuni non ex scriptione interpretari tet) "
(1.68.6-8)
(sc. opor--
legt jedoch die Vermutung nahe, daß man als
Prämisse den Satz "alle, die dem Staat nutzten, erfüllten auch das Gesetz" anzunehmen hat; fügt der Redner zu dieser Aussage die Feststellung , daß sich Epameinondas um den Staat verdient machte, hinzu, so ergibt sich ein gültiger, formal nicht widerlegbarer Syllogismus der ersten Figur. So interpretiert auch W.Kroll die Stelle;l)
allerdings hält er
die Aufforderung "ergo in hac causa desinite litteras perscrutari et legern, ut aequum est, ex utilitate rei publicae considerate" (1.69.1-2) für die assumptio, die durch das Beispiel des Epameinondas verdeutlicht werde und deren imperativische Form bereits auf einen Argumentationsfehler hinweise, der nach Krolls Auffassung darin besteht, daß die vermeintliche assumptio Ci ceros bereits die complexio darstellt.
1)
W.Kroll, Das Epicheirema, Sitzungsber. der Akad.d.Wiss., Wien, philo-hist. Klo 216,2, Wien 1937, pp.4-5.
160
Aus Ciceros abschließender Rekapitulation geht jedoch eindeutig hervor, daß die assumptio lautet: fuit"
"hic autem rei publicae pro-
(1.69.15). In seiner deutschen Paraphrase stellt Kroll die-
sen Sachverhalt entgegen seiner vorangegangenen Betrachtung des lateinischen Textes richtig dar. Aus der fünfteiligen wird eine vierteilige Argumentation, wenn entweder propositio oder assumptio evident sind, also keines weiteren Beweises bedürfen. Cicero nennt zunächst ein Beispiel für eine ratiocinatio, in der auf die adprobatio verzichtet werden kann, da der Satz "iudices ... legibus obtemperare debetis" (1.70.7-8) von den Hörern gebilligt wird und keiner weiteren Bekräftigung bedarf. Dagegen muß die assumptio "obtemperare autem legibus non potestis, nisi id, quod scripturn est in lege sequimini" (1.70.9-14) in einer adprobatio über die Ansicht der Gesetzgeber begründet werden (1.70.9-14). Die Folgerung, die sich in einem formal korrekten Syllogismus der ersten Figur aus den beiden Prämissen ergibt, nämlich der Satz "also müßt ihr den Wortlaut des Gesetzes befolgen", führt Cicero nicht ausdrücklich an; stattdessen wird eine sich daraus ergebende Konsequenz formuliert "wer gegen den Wortlaut des Gesetzes verstößt, muß also bestraft werden"
(1.70.22). Die Möglichkeit, den Schlußsatz aus
Gründen der Abwechslung den zu erwartenden Begriffen entgegengesetzt zu formulieren, empfiehlt Cicero ausdrücklich. 1 ) In der zweiten vierteiligen ratiocinatio (1.71.1-10) ist die assumptio über die Treulosigkeit der Karthager
(1.71.7-8) bereits
allgemein bekannt, während die propositio noch argumentativ gestützt werden muß. Der Redner geht davon aus, daß der Rede derjenigen, die sich schon oft als treulos erwiesen, kein Vertrauen geschenkt werden könne (1.71.2-4). Diese propositio wird durch einen Exkurs über die mit einem Vertragsbruch verbundenen Nachteile veranschaulicht (1.71.4-7). Aus den gegebenen Vorausset-
I)
Vgl.
dazu pp.I43-44.
161
zungen "qui saepenumero nos per fidem fefellerunt, eorum orationi fidem habere non debemus" saepe fefellerunt"
(1.71.2-4)
und "Carthaginienses nos
(1.71.7) wird in einem korrekten Syollogis-
mus der ersten Figur gefolgert,
"die Karthager sind nicht ver-
trauenswürdig". Stattdessen kann der Redner auch aus Gründen der Abwechslung sagen "es ist also Wahnwitz, auf ihre Vertragstreue zu bauen"
(1.71.8-10). Dieser Schluß ist wie die zuvorgenannte
vierteilige ratiocinatio syllogistisch korrekt und kann formal nicht widerlegt werden. Wenn nicht nur eine, sondern beide Prämissen leicht verständlich sind und vom Publikum bereits anerkannt werden, wenn also auf beide adprobationes verzichtet werden kann, entsteht eine teilige Argumentation. In Ciceros Beispiel
(1.72.1-5)
drei~
geht der
Redner davon aus, daß man die Karthager entweder fürchten oder aber ihre Stadt zerstören müsse (1.72.2-4). Wird ferner vorausgesetzt, daß man nicht in ständiger Furcht leben wolle (1.72.4) so ergibt sich daraus, daß Karthago zerstört werden muß
(1.72.
4-5). Dieser Schluß folgt dem fünften stoischen Argumentationsmodus 'entweder p oder qi nun aber nicht Pi also q' und ist formal ebenfalls korrekt. Schließlich erwähnt Cicero, daß es auch Verfechter einer zweiteiligen Argumentation gebe, die den Verzicht auf die complexio fordern, wenn diese offenkundig ist und vom Hörer leicht selbst ergänzt werden kann
(1.72.6-12). Zwar empfiehlt auch Cicero,
selbstverständliche Aussagen auszulassen, doch soll eine Argumentation seiner Ansicht nach nicht ohne Schlußsatz bleiben. War die Schlußfolgerung lang und für den Hörer möglicherweise unübersichtlich, so können abschließend die Hauptargumente wiederholt werden (1.73.2-7; 74.1-2). Aus Gründen der Abwechslung kann der Schlußsatz auch den zu erwartenden Begriffen entgegengesetzt formuliert werden. Der Redner kann also beispielsweise statt "die Rede der Karthager ist nicht vertrauenswürdig" ex contrario sagen "es ist Wahnwitz, auf ihre Vertragstreue zu bauen"
(1.73.
7-10; 74.2). In kurzen Argumentationen, wenn der Gedankengang dem Publikum vertraut ist, mag es bisweilen auch genügen, nur
162
die complexio auszudrücken (1.73.10-12: 74.3) oder aber diese auszulassen und eine sich aus ihr ergebende Konsequenz hinzuzufügen (1.73.16-74.1: 74.3-4) .1) Den Ve~fechtern eines einteiligen Schlusses, etwa des Satzes "quoniam peperit, cum viro concubuit" tritt Cicero mit dem Vorwurf entgegen, sie hätten die Bedeutungsdifferenzierung des Wortes argumentatio nicht genügend berücksichtigt; 2) es handle sich hier nicht um eine vollständige Argumentation, sondern um ein Argument (1.74.5-75.3), d.h. also um eine Prämisse. In dem vorlie~enden Satz sind unter Verzicht auf die propositio "si peperit, cum viro concubuit" die'assumptio "peperit" und die
complexio "ergo cum viro concubuit" for-
muliert. Die allseits bekannte proposltio wird dabei ausgelassen. Allerdings handelt es sich hie~ nicht, wie Cicero meint, um eine Prämisse, sondern um einen zweiteiligen Schluß, dessen Propositio maior nicht ausformuliert ist und dessen assumptio und complexio in einem Satz zusammengezogen werden. Den von Cicero in De inventione angeführten ratiocinationes liegen teils die Regeln aristotelischer, teils die Regeln stoischer Logik zugrunde. Michel erklärt diese Tatsache mit dem Einfluß 3 des Philon von Larissa und des Antiochos von Askalon. ) Besonders Antiochos bemühte sich um eine Rückkehr zur alten Akademie und um den Nachweis der inneren Konvergenz von Peripatos, Akademie und Stoa. Da Cicero dessen Schriften kannte, ist das Nebeneinander von aristotelischer und stoischer Logik nicht verwunderlich. Zusammenfassend ist festzustellen, daß alle in De inventione angeführten deduktiven Argumentationen
korrekt sind.
I)
Auch part. or. 47 erwähnt Cicero die Möglichkeit, Argumentationen auf die Conclusio zu verzichten.
in kurzen
2)
Dei n v • I. 7 L• • I 0 - 7 5 • 1 be ton t ci cer 0 , daß der Beg r i f f arg u me n tatio sowohl die ganze Argumentation als auch eine einzelne Prämisse bezeichnen kann.
3)
Michel, p.185; Kroll, Das Epicheirema, p.6. Vgl. W. Theiler, Die Vorbereitung des Neuplatonismus,
dazu ferner Berlin 1930.
163
Auch in der Topik
~ußert
sich Cicero über die deduktive Argumen-
ta"tion. Er stellt Top. 53-55 die einzelnen Argumentationsmodi stoischer Logik vor, die sich auch bei Sextus Empiricus, Adv. math.224 und Pyrrh.Hyp.157f finden. Dabei identifiziert Cicero den affirmativen, disjunktiven Schluß nach dem Modus ponendo tollens mit dem Enthymem:
"cum autem aliqua coniuncta negaris
et ex eis unum aut plura sumpseris, ut quod relinquitur tollendum sit, id appellatur tertius conclusionis modus. Ex hoc illa rhetorum ex contrariis conclusa, quaeipsi
tv3u~n~a
appellant."
Als eines von drei Beispielen wird die Argumentation "eam quam nihil accusas, damnas, bene quam meritam esse autumas, dicis male merere?" (Top.55). Der Redner geht davon aus, daß sich das Fehlen einer Anklage und eine Verurteilung gegenseitig ausschliessen; liegt nun gegen eine bestimmte Frau keine Anklage vor, so kann sie auch nicht verurteilt werden. Formal ist diese Argumentation mit der de inv.l .44 angeführten complexio identisch. 1 ) Nach Ciceros Ansicht (Top.56) werden solche Schlüsse zwar auch in der Rhetorik verwendet, doch gehören sie vor allem in den Bereich der Dialektik, deren Aufgabe die
Besch~ftigung
mit den
einzelnen Argumentationsmodi ist. Dennoch behandelte Cicero in seiner Jugendschrift Oe inventione solche Argumentationen aus-führlieh. Wie Cicero in Oe inventione befürwortet auch der Auctor ad Herennium eine fünfteilige
'argumentatio'
(2.27-30), die zu einer
vier- oder dreiteiligen Argumentation verkürzt werden kann, wenn eine oder mehrere Aussagen bereits hinreichend bekannt sind (2. 30.15-19). Eine solche Argumentation wird mit dem griechischen tn~XECpn~a
identifiziert (2.2.21-22). Vor der Behandlung der 'argumentatio' hebt der Auctor ad Herennium allerdings hervor,
I)
Vgl.
dazu p. 115.
164
daß es ihm weniger auf formale, als vielmehr auf stilistische Gesichtspunkte ankommt (2.27.5-7). Seine Argumentationstheorie unterscheidet sich durch das Zurücktreten syllogistischer Strukturen von derjenigen Ciceros. Als Teile der 'argumentatio' werden propositio, ratio, rationis confirmatio, exornatio und complexio genannt (2.28.3-4). Die propositio enthält die zu beweisende These (2.28.5-6), während die complexio die Hauptargumentationspunkte zusammenfassend wiederholt (2.28.13-14). Die ratio begründet die in der propositio behauptete These, übernimmt also die Funktion der Prämisse; sie wird durch die rationis confirmatio bekräftigt und erläutert (2.28.5-8). Die exornatio hingegen dient allein der stilistischen Ausgestaltung und Bereicherung (2.28.11-12). Auch der Auctor ad Herennium erläutert seine theoretischen Ausführungen durch ein Beispiel: Der Redner stellt in der propositio die zu beweisende These auf, daß Odysseus mit gutem Grund verdächtigt werde, Aiax getötet zu haben (2.28.17-18). Diese Behauptung wird in der ratio damit begründet, daß jener sich von diesem nicht zu Unrecht bedroht fühlte (2.28.19-20). Betrachtet man die in der ratio enthaltene Aussage "Odysseus fürchtete die von Aiax ausgehende Gefahr" als die erste Prämisse und fügt den Satz "die Furcht vor Gefahr ist ein Tötungsgrund" hinzu, so ergibt sich in einem korrekten Syllogismus der ersten Figur die in der propositio behauptete Folgerung "also hatte Odysseus Grund, Aiax zu töten". Propositio und ratio bilden in diesem Fall ein dreiteiliges Enthymem, dessen zweite Prämisse ausgelassen wird. Es muß allerdings bezweifelt werden, ob sich der Auctor ad Herennium den formalen Aufbau der 'argumentatio' genau vor Augen führte, da für ihn nicht logische Gesichtspunkte, sondern vielmehr die stilistische und rhetorische Ausschmückung der Argumentation im Vordergrund steht. Jedoch ist Krolls Feststellung, die syllogistische Struktur dieser Schlußfolgerung sei
165
völlig aufgehoben 1 ), dahingehend zu mildern, daß sie, obwohl vorhanden, gegenüber den ausschmückenden Teilen in den Hintergrund trit.t. Die These der ratio wird durch die rationis confirmatio gestützt (2.28.21-28), deren Funktion der Aufgabe der ciceronischen adprobationes vergleichbar ist. Durch einen Exkurs Uber mögliche sowie durch Gründe und Auslöser eines Verbrechens (2.29.1-12) ein Beispiel aus dem Tierbereich wird die Argumentati.on in der exornatio ausgeschmückt (2.29.13-29); diese hänqt mit der bereits vollzogenen Schlußfolgerung zwar nicht formal, wohl aber inhaltlich zusammen. Abschließend werden in der complexio die in propositio und ratio enthaltenen Hauptargumente, unter Verzicht auf rationis confirmatio und exornatio, wiederholt (2.30. 1-5) . In den Partitiones oratoriae scheint Cicero an eine ähnliche Argumentation zu denken wie der Auctor ad Herennium. Die 'argumentatio' wird zunächst als 'explicatio argumenti' beschrieben (part.or.45-46), in der aus entweder unzweifelhaft feststehenden oder aber zumindest wahrscheinlichen Sätzen etwas weni.ger Wahrscheinliches geschlossen wird. Piderit sieht in seinem Kommentar zur Stelle das De inventione beschriebene Induktionsverfahren bezeichnet, doch treffen Ciceros Aussagen auch für die ratiocinatio zu. 2 ) Im weiteren Textverlauf werden emotionale und rationale Uberzeugungsmittel unterschieden. Das rationale Beweisverfahren ist direkt auf die beim Hörer zu bewirkende Uberzeugung gerichtet: tI • • •
ad fidem directo spectat ... cum proposuit aliquid, quod pro-
I)
Kroll, Das Epicheirema, p.4; ähnlich Thiele, pp.131-33. Dagegen steht nach Ansicht McBurneys, p.71, Anm.S2. das Epicheirema des Auctor ad Herennium der aristotelischen Enthymemkonzeption näher als das Epicheirema Ciceros.
2)
Vgl. dazu Merchant, p.39, der die Stelle allerdings nur auf die ratiocinatio bezieht. Dagegen bereits Sternkopf. p.S3.
166
positum se rettulit et conclusit". Mit den Worten 'proposuit' und 'propositum' wird hier wohl, wie ad Her.2.28-30, als erster Teil der Argumentation die zu beweisende These genannt 1 ), der dann die Begründungen hinzugefügt werden, aus denen diese Folgerung hervorgeht:
" ... sumpsitque ea, quibus niteretur". Obwohl
damit die eigentliche Schlußfolgerung bereits abgeschlossen ist, kehrt der Redner in einer Art Ringschluß zur anfangs aufgestellten These zurück, bekräftigt diese und beendet damit seine Argumentation: " ... ad propositum se rettulit atque conclusit". Da Cicero in den Partitiones oratoriae die rationale Argumentation nur in diesen wenigen Sätzen beschreibt, lassen sich über die formale Korrektheit eines solchen Schlusses keine Angaben machen. Immerhin kann festgestellt werden, daß die part.or.45-46 beschriebene Verfahrensweise der 'argumentatio' des Auctor ad Herennium dadurch ähnelt, daß die behauptete These als propositio jeweils zu Beginn genannt, dann durch die Anführung der Gründe bewiesen und schließlich am Ende der Argumentation erneut aufgegriffen wird . .Auch Antonius behandelt de or.2.162-77 die logische Argumentation: nach einer kurzen Aufzählung der rhetorischen Topoi skizziert er die tractatio argumentorum in wenigen Strichen: "Proponi oportet, quid adferas et quare ita sit ostendere; ex eisdem illis locis interdum concludere, relinquere alias alioque transire; saepe non proponere ac ratione ipsa adferenda quid proponendum fuerit declarare" (2.177) .2)
I)
Ebenso Piderit, Komm. z.St., der auf ad Her.2.28.5-6 hin"Proposit~o est, p~r quam ostendimus summatim, quid s1t, quod probar1 volumus .
w~ist:
2)
Sternkopf, p.53, bezieht diese Äußerung auf die inductio, die unter dem Begriff 'simile' jedoch erst im folgenden Satz erwähnt wird und die deshalb hier noch nicht gemeint sein kann.
167
Das Verb proponere bezieht sich hier wohl ebenso wie ad Her.2. 28.5-6 1 ) und part.or.46 auf die zu beweisende These, die der Redner vorbringt (quid adferas)2) und die bisweilen zu Beginn der Argumentation ausdrücklich genannt, die oft aber auch nicht expressis verbis angeführt wird (saepe non proponere); in diesem Fall wird stattdessen (ac)3) durch die Anführung der Gründe deutlich gemacht (declarare)4) , was voranzustellen gewesen wäre. Da Antonius an dieser Stelle also die tractatio argumentorum unter dem Gesichtspunkt der variatio behandelt und aus Gründen der Abwechslung empfiehlt, die Conclusio bisweilen auszudrücken, bisweilen aber auah auszulassen (proponi- non proponere), ist die Bedeutung des eingeschobenen Satzes "ex eisdem illis locis interdum concludere, relinquere alias alioque transire" problematisch. Es geht aus dem Text nicht hervor, ob damit der Ubergang von einem Topos zu einem anderen gemeint ist, oder ob vielmehr die Anwendung der zuvor behandelten (2.162-76) Topoi und der Verzicht auf diese gegenübergestellt werden. Es kann aber festgehalten werden, daß für Cicero der Abwechslungsreichtum der Argumentation eine große Rolle spielt; der Hörer soll sich nicht langweilen oder einer allzu gleichförmigen Rede überdrüssig werden (de inv.1.76). So ist es bisweilen angebracht, einzelne Argumentationsteile auszulassen (de inv.1.76. 6-8; de or.2.177; Or.47) oder aber 'inductio' und 'ratiocinatio' abwechselnd zu gebrauchen.
I)
Ebenso Pideri t-Harnecker,
2)
In dieser Bedeutung wird afferre verwendet.
3)
Auch Piderit-Harnecker versteht 'ac' hier im Sinne von 'und vielmehr, und dagegen, und dafür'. Vgl. dazu auch 3.132.
4)
Vgl.
dazu OLD,
s.v.
Komm.
declarare,
zu de
or. 2.177.
auch de
p.391.
or.2.132;
2.215
168
Abschließend kann festgestellt werden, daß die besprochenen deduktiveh Argumentationen, die in Oe inventione, der Schrift des Auctor ad Herennium und in der Topik angeführt werden, formal korrekt sind. Im Gegensatz zu den genannten Schriften wird die deduktive Argumentation in den Partitiones oratoriae und in Oe oratore nur kurz erwähnt und nicht durch Beispiele veranschaulicht, so daß über die formale Korrektheit dieser Schlüsse auch keine Angaben gemacht werden können. Vie+mehr tritt in Oe oratore die Argumentationstheorie gegenüber den emotionalen überzeugungsmitteln, die im folgenden untersucht werden sollen, in den Hintergrund.
169
3.3.2
Das ethische Überzeugungsmittel
Bereits im Prolog zu De oratore hebt Cicero die Wichtigkeit der gefühlsmäßigen Einflußnahme auf den Hörer hervor:
" ... omnis vis
ratioque dicendi in eorum qui audiunt mentibus aut sedandis aut excitandis expromenda est"
(1.17). Antonius erörtert die logische
Argumentation nur oberflächlich und geht dann mit der Bemerkung " ... ad multa maiora veniamus"
(2.178)
zur Behandlung von Charak-
terdarsteIlung und Affekterregung über. Im folgenden Kapitel soll zunächst erklärt werden, was unter dem Begriff 'conciliare,1), mit dem Cicero das ethische Uberzeugungsmittel meist umschreibt, zu verstehen ist. Dabei werden Antonius' detaillierte Ausführungen im Vordergrund stehen (2.178-84). Danach wird der Zusammenhang zwischen der Charakterdarstellung und dem Vorwort einer Rede darzulegen sein, wobei auch die traditionelle Exordialtopik berücksichtigt werden muß. Hier ist die Frage, ob sich in den ciceronischen Schriften Ubereinstirmnungen mit der aristotelischen Rhetorik finden, die nicht mit der Zugehörigkeit zu den weitverbreiteten Regeln der rhetorischen Tradition erklärt werden können, von besonderer Bedeutung. Die Beziehung zwischen Charakterdarstellung und' Affekterregung kann erst nach der Behandlung des pathetischen Uberzeugungsmittels dargelegt werden. Dann wird auch die Stellung der emotionalen gegenüber den logischen Uberzeugungsmitteln zu untersuchen sein. Antonius betont zunächst die Bedeutung des ethischen Uberzeugungsmittels:
"Valet igitur multum ad vincendum probari mores
et instituta et facta et vitam et eorum, qui agent causas, et eorum, pro quibus, et item improbari adversariorum, animosque eorum apud quos agetur, ·conciliari quam maxime ad benevolentiam
I)
Zu dem Begriff
'conciliare' vgl.
auch pp. 102-03.
170
cum erga oratorem turn erga illum, pro quo dicet orator. Conciliantur autem animi dignitate hominis, rebus gestis existimatione vi tae" (2. 182) . Mi t
ähnlichen Worten hebt auch Arist_oteles die Wirksamkeit des
ethischen überzeugungsmittels hervor: nOAu yap
6La~Ep€L
np6~
nCa.Lv (1377b24-25). 1) Dieses zielt nach de or.2.182 darauf ab, das Wohlwollen des Publikums zu gewinnen und enthält eine Aussage über Taten und Charakter eines Menschen. Die Substantive 'mores', 'instituta et facta' und 'vita' werden im nächsten Satz durch 'dignitas',
'res gestae' und durch 'existimatio vitae'
wiederaufgenomrnen. 2 ) Es handelt sich hier um die im Redner und im Angeklagten darzustellenden Eigenschaften, die gemeinsam behandelt werden. Daß die Person des Angeklagten von gleicher oder größerer Bedeutung ist als die des Redners, geht aus der Formulierung "cum erga oratorem turn illum, pro quo dicet orator" hervor und läßt sich wohl mit der Tatsache erklären, daß Cicero vor 3 allem von den Gegebenheiten der gerichtlichen Rede ausgeht. ) In Antonius' späterer Behandlung der Exordialtopik tritt die Person des Redners völlig zurück
(2.321) .4)
Als positive Eigenschaften, die in der Rede dargestellt werden sollen, nennt Antonius zunächst facilitas,
liberalitas, mansue-
tudo, pietas, gratus animus und non appetentis, non avidi signa (2.182)5), später werden die Attribute vir bonus, liberalis,
1)
Vgl.
dazu p.48.
2)
Ähnlich wird das ethische Uberzeugungsmittel Or. 128 beschrieben: " . .. quod ad naturas et ad mores et ad omnem vitae consuetudinem accommodatum (sc.est)~. Der Charakterdarstellung werden dann die Attribute 'corne, iucundum, ad benevolentiam comparandam paratum' beigelegt.
3)
Vgl.
dazu Fantharn,
4)
Vgl.
dazu pp. 157-58.
5)
Auch part.or.28 empfiehlt Cicero die Darstellung von dignitas, liberalitas, ferner von officium, iustitia und fides.
p.272.
171
calamitosus, misericordia dignus hinzugefügt
(2.321). Die ange-
führten CharakterzUge wecken die Vermutung, daß vor allem der Eindruck der Milde und Gelassenheit hervorzurufen und all das zu meiden sei, was etwa auf einen unbeherrschten Menschen hinweisen könnte. Diese Annahme wird durch 2.182 bestätigt:
" ... e t
omnia,
quaecumque proborum, demissorum, non acrium, non pertinacium, non litigiosorum, non acerborum sunt, valde benevolentiam conciliant." Wie zu Beginn der Passage 2.182 wird auch hier das Ziel der Charakterdarstellung mit den Worten 'benevolentiam conciliare' angegeben. Abschließend verlangt Antonius, vor allem die Tugend- und Ehrenhaftigkeit des Angeklagten darzustellen:
"Horum ... exprimere mores
oratione iustos, integros, religiosos, timidos, perferentes iniuriarum . .. " (2.184). Das Substantiv 'mores' erinnert an 2.182; die Worte 'perferentes iniuriarum' greifen dem Attribut 'misericordia dignus'
(2.321) vor.
Während Antonius sowohl die Darstellung von Eigenschaften als auch von Handlungen des Redners empfiehlt, stellt Aristoteles allein dessen WesenszUge und moralische Tugenden in den Vordergrund: Seiner Ansicht nach soll sich der Redner im Besitz von p-raktischer Klugheit, Tugend und Wohlwollen zeigen und damit seine Glaubwürdigkeit erhöhen (1378a8-9) .1) Ebenso wie Aristoteles die Integration des ethischen Uberzeugungsmittels in die Rede selbst fordert
(1356a9), so verlangt auch Antonius, das Wesen
des Angeklagten unmittelbar durch die Rede auszudrücken. Dasselbe gilt auch für den Charakter des Redners: oratoris effingat oratio"
" ... ut quasi mores
(2.184). Der positive Eindruck, den
Redner und Angeklagter machen sollen, darf nur durch die Rede 2 )
direkt hervorgerufen werden.
1)
Vgl.
dazu pp.48-49.
2)
Auch Cicero selbst fordert de opt.gen.or.3 und Brut. 185 die Verankerung der drei Überzeugungsmittel in die Rede. Antonius gibt also 2.184 die Meinung des Autors wieder. Vgl. dazu pp.IOI; 18 l l-85.
172
Die Vorschriften über die Charakterdarstellung des Redners in De inventione und in der Abhandlung des Auctor ad Herennium sind weniger differenziert und sollen bei der Behandlung der Exordialtopik kurz dargestellt werden. 1 ) Vorläufig genügt es, das ethische Uberzeugungsmittel als die Darstellung positiver Eigenschaften des Redners oder seines Klienten zu beschreiben, durch die das Wohlwollen der Hörer erworben werden soll. Ebenso kann durch die Erwähnung negativer Wesenszüge des Kontrahenten (de or.2.182) versucht werden, diesem die benevolentia auditorum zu entziehen oder vorzuenthalten. Eine ähnliche Aufgabe wie die Ethopöie hat auch das Vorwort, das die Uberzeugungsbereitschaft der Hörer fördern und sie aufmerksam, empfänglich und wohlwollend für die folgende Rede stimmen soll. Zur Bezeichnung dieser Haltung verwendet Cicero die in der rhetorischen Tradition üblichen Begriffe 'benevolus', 'attentus' und 'docilis' (Top.97; de inv.1 .20.2-3; Auct.ad Her.1.7.1-3; de or.2.321). Part.or.28 werden die Termini 'amice' ,
'intellegens'
und 'attentus' gebraucht. Auch Aristoteles benutzt die entsprechenden griechischen Begriffe, die allerdings Allgemeingut waren 2 ) und bereits von Anaxime3 nes verwendet werden ) . Da sowohl die Charakterdarstellung als auch die Einleitung der Rede eine positive Einstellung der Hörer bewirken wollen, ist es verständlich, daß in der traditionellen Schulrhetorik die Charakterdarstellung vor allem für die Einleitung, aber auch für den Epilog empfohlen wird. 4 ) In der übrigen Rede finden sich nur vereinzelt exordiale Gedanken.
I)
Vgl.
dazu pp.158-59.
2)
Vgl. dazu Volkmann, pp.63-64.
3)
Anax.ars
4)
Vgl.
rhet.29.1
dazu Volkmann,
pp.128-37;
(p.59,
ed.
pp.146-47;
Lausberg,
pp.151-60;
Fuhrmann). Lausberg,
pp.162-63.
Martin,
173
Auch Cicero verbindet die Diskussion derjenigen Mittel und Methoden, mit denen der Hörer günstig gestimmt werden soll, in den Partitiones oratoriae, in der Topik und in De inventione mit der Behandlung des exordium. 1 ) Allein in De oratore, Brutus und Orator wird die Anwendung emotionsgerichteter Uberzeugungsmittel nicht auf einen bestimmten Redeteil beschränkt. Mit dieser Loslösung des ethischen und des pathetischen Uberzeugungsmittels kehrt Cicero zur aristotelischen Lehre zurück. Auf diese bedeutsame Tatsache weist bereits Solmsen in einem grundlegenden Artikel hin. 2 ) Die Funktionen des Vorwortes werden in De oratore und in der aristotelischen Rhetorik ähnlich beurteilt. So bezeichnet Antonius das exordium als Vorbereitung der Hörer auf das, was gesagt werden soll: " ... aut aditum ad causam et munitionem aut quoddam ornamentum aut dignitatem (sc.exordium habe re debebit)"
(2.320). Mit der Verwendung des Substantives 'mu-
nitio' greift Cicero einen Gedanken des Aristoteles auf, der die Aufgabe des Vorwortes und sein Verhältnis zur übrigen Rede mit dem Begriff 'o50TIo~na~s' (1414b21) beschreibt. Auch Aristoteles weist darauf hin, daß das Proömium bisweilen allein ausschmükkende Funktion hat (1415b38-39) .3) Antonius' Postulat, in kleinen und unbedeutenden 4 ) Fällen ganz auf ein Vorwort zu verzich-
I)
Part.or.28ff; Top.97; de inv.1.20.lff; Orator 122 wird die Exordialtopik mit den Worten " .•• ordiri orationem in qua aut concilietur auditor aut erigatur aut paret se ad discendum" nur vage angedeutet.
2)
Solmsen, The Orator's Playing upon the Feelings, 1938, pp.396-404; ebenso Sattler, p.61; Fantham, Anm.4, konstatiert diese Tatsache nur am Rande.
3)
Vgl.
4)
Kumaniecki, der Herausgeber des heute maßgeblichen Textes, (Teubner 1969), liest mit wilkins "in parvis atque infrequentibus rebus", während Piderit-Harnecker für "in frequentibus rebus" plädiert.
ClPh 33, pp.264-65,
dazu p.SO.
174
ten (de or.2.320), findet sich ebenfalls bei Aristoteles (1415 a23). Zwar empfiehlt auch die traditionelle Rhetorik, die Einleitung in bestimmten Fällen auszulassen 1 ), doch ist die übereinstimmung zwischen der ciceronischen und der aristotelischen Stelle insofern wichtig, als beide Autoren die Bedeutungslosigkeit eines Falles als Bedingung für den Verzicht auf ein Vorwort nennen. Des weiteren vergleicht Antonius das Verhältnis des exordium zur gesamten Rede mit dem eines Gliedes zum übrigen Körper (2.325). Auch dieses Bild erinnert an die Rhetorik des Aristoteles, der das Proömium mit dem Kopf eines Körpers vergleicht (1415b8-9). Da sich dieselbe Metapher auch in den Ausführungen des Anonymus Seguerianus findet 2 ), läßt diese übereinstimmung keine Rückschlüsse auf Ciceros Verhältnis zu der aristotelischen Schrift zu. Dennoch sind die Gemeinsamkeiten· zwischen De oratore und der aristotelischen Rhetorik, die nicht mit der Zugehörigkeit zu den Regeln rhetorischer Schultradition erklärt werden können, auffallend. Bei der weiteren Behandlung des ethischen überzeugungsmittels soll auch die traditionelle Exordialtopik berücksichtigt werden, sofern sie für das Thema der Arbeit von Interesse ist. Auf eine systematische Darlegung der rhetorischen Schulregeln kann jedoch verzichtet werden, da diese hinreichend bekannt sind und in den einschlägigen Handbüchern nachgelesen werden können. 3 )
I)
Vgl.
dazu Volkmann,
2)
An.Seg.
3)
Vgl. dazu Lausberg, pp.60-75.
RG,
pp.145-47; Lausberg,
p.431.6-8
(ed.
pp.162-63.
Spengel); p.6.18
pp.150-63; Volkmann,
(ed.
Graeven).
pp.127-48; Martin,
175
3.3.2.1
Die Captatio benevolentiae
Die rhetorische Tradition empfiehlt dem Redner, sich in der Einleitung um Aufmerksamkeit, Empfänglichkeit und Wohlwollen der Hörer zu bemühen, und nennt als Suchformeln der Captatio
benevo~
lentiae die Gesichtspunkte ex nostra, ex adversariorum, ex aUditorum persona und ex rebus ipsis. 1 ) Diesen Vorschriften folgen der Auctor ad Herennium und Cicero in Oe inventione (Auct. ad Her.1.8.1-3; de inv.1.22.1-3; 1.22 18-21; ebenso de or.2.18284) .2) Auch Aristoteles erwähnt diese Aspekte bei der Behandlung des Proömiums
(1415a34-36), ordnet die Bemühungen um Aufmerksamkeit
und Wohlwollen jedoch dem Gesichtspunkt tx TOÜ UXPOUTOÜ zu (1 415a34-36) . Die vier Gesichtspunkte sind in den rhetorischen Schriften aber nicht streng festgelegt, kungen.
sondern unterliegen leichten Schwan-
Statt des zugrunde liegenden Sachverhaltes nennt Antonius de or. 2.182 den Klienten, für den der Redner spricht, wobei der Begriff
'reus' nicht allein im Bereich des genus iudiciale Gültig-
keit hat, sondern all diejenigen Menschen bezeichnet, deren Angelegenheit in irgendeiner Weise zur Debatte steht (2.182). Im Gegensatz dazu werden de or.2.321 sowohl der zugrunde liegende Sachverhalt als auch die Person des Angeklagten genannt, dafür
I )
Ib id .
2)
In den Partitiones oratoriae verwendet Cicero eine etwas andere Einteilung; er differenziert hier zunächst zwischen sachbezogenen und personenbezogenen Gesichtspunkten. Diese werden hinsichtlich der Person des Redners, des Gegners und des HHrers unterschieden und richten sich darauf, das Wohlwollen der Hörer zu erwerben; jene dagegen werden nur dann angewandt, wenn es gilt, die Aufmerksamkeit der Hörer zu gewinnen (part.or.28-29).
176
wird der Redner nicht mehr erwähnt. Die terminologischen Schwankungen sind wohl damit zu erklären, daß der Redner im Rahmen der Argumente ex reo die Darstellung seines eigenen Charakters, seiner bisherigen Handlungen und jener Gründe einfließen läßt, die ihn zu Anklage oder Verteidigung bewegten. 1 ) Diese Vermutung wird dadurch gestützt, daß Antonius bereits de or.2.183-84 die Charakterzüge des Redners und des Klienten gemeinsam behandelt hatte und daß durch die Formulierung ·cum erga oratorem ... tum illum, pro quo dicet (sc. orator)·
(2.1R2)
ein Zurücktreten
des
Redners angedeutet wurde. 2 ) Die traditionellen loci a nostra, ab adversariorum, ab auditorum persona und a re werden auch in Oe inventione und der Schrift des Auctor ad Herennium wiedergegeben. 3 ) Nach de inv.1 .22.3-7 und ad Her.1 .8.4-12 soll der Redner im Vorwort seine eigenen Handlungen und Verdienste bescheiden darstellen und die entgegengesetzten Charakterzüge dem Gegner zuschreiben, damit die Hörer gegen diesen Haß, Neid oder Verachtung empfinden
(de inv.1.22.7-9; ad Her.1.8.12-14; ähnlich de or.2.182;
321; part.or.28)
und ihm ihr Wohlwollen versagen.
Die positive oder negative Darstellung des Charakters bewirkt also im Hörer bestimmte Affekte. Die Beziehung zwischen beiden emotionsgerichteten überzeugungsmitteln soll später genauer un4 tersucht werden. ) Hier genügt es festzustellen, daß der Redner
I)
Auch Cope, Komm. zu Arist.rhet. 111, pp.169-70 nimmt an, daß der Begriff 'reus' in de or.2.321 sowohl den Angeklagten als auch den Redner meint.
2)
Vgl.
3)
Ein wirkungsvolles Vorwort setzt eine sorgfältige Beschäftigung mit der Sachlage voraus (de inv.I.20.3-5). Um dem Redner den Erwerb der erforderlichen Kenntnisse zu erleichtern, werden verschiedene genera causarUm unterschieden, die zwar in de inv. und ad Her. behandelt, hier jedoch nicht näher erörtert werden sollen.
4)
Vgl.
dazu pp.151-52.
dazu pp.181-83.
177
durch die Erwähnung negativer Wesensmerkmale des Gegners die Affekte Haß, Neid oder Verachtung hervorrufen kann. Neben den loci a nostra und den loci ab adversariorum persona werden in De inventione und der Schrift des Auctor ad Herennium das Lob des eigenen und die Abwertung des gegnerischen Falls als loci a re aufgefaßt
(de inv.1.22.23-24; ad Her.1.8.29-32). Streng-
genommen sind diese Gesichtspunkte allerdings keine disparate Klasse für sich, sondern eine besondere Form der loci ab oratore und der loci ab adversariis, da die Sachlage und die sie vertretenden Personen, ob es sich nun um den Redner selbst oder seinen Kontrahenten handelt, untrennbar zusammenhängen. In beiden Schriften werden keine Anweisungen gegeben, die über die Empfehlung von Lob des eigenen und Tadel des gegnerischen Falles hinausgehen. Antonius dagegen behandelt die loei a re ausführlicher: sunt)
(sc.
loci ex re, si crudelis, si nefanda, si praeter opinionem,
si inmerito, si misera, si ingrata, si indigna, si nova, si quae restitui sanarique non possit"
(2.321-22). Das Adjektiv 'novus'
nimmt hier 'praeter opinionem' wieder auf; beide bezeichnen eine neue und unerwartete Situation. Die Worte 'inmerito' und 'indignus' umklammern 'misera ' und 'ingrata'; alle Adjektive betonen die Ungerechtigkeit der Sachlage und erinnern an de inv.1 .22.4-5; dort wurde unter den loci a nostra persona die Anweisung gegeben, die Nachteile und Schwierigkeiten der eigenen Situation herauszustreichen. Neben der Person des Redners, seines Klienten und seines Gegners spielt auch der Hörer als Adressat des Vorwortes eine wichtige Rolle. Um dessen Wohlwollen zu erwerben, soll der Redner eine positive Einstellung zu seinem Publikum
sowie die Erwartung
eines positiven Urteils ausdrücken (de in.1 .22.18-21; ähnlich ad Her.1 .8.28-29) und ferner lobenswerte Handlungen des Hörers aufzählen (de inv.1 .22.17-19; ähnlich ad Her.1.8.26-29) .1)
~)
Ähnlich empfiehlt Anaximenes, die Gerechtigkeit und Tapferkeit der Richter zu lohen (rhet.29.9; p.61, ed. Fuhrmann).
178
Diese kurze Darstellung der vier auf die Captatio benevolentiae gerichteten Gesichtspunkte soll hier genügen. Die Bemühung um Aufmerksamkeit und Empfänglichkeit der Hörer betrachtet die Schulrhetorik als eine andere Aufgabe, obwohl sie
wie auch die Capta-
tio benevolentiae ebenfalls im Vorwort erfolgt. Auffallend ist deshalb die Tatsache, daß Antonius bei der Behandlung des exordiums die Aspekte ex nostra, ex adversariarum, ex auditorum persona et a re zwar erwähnt, sie jedoch nicht unter die Captatio benevolentiae subsumiert, sondern sie als das übergeordnete Prinzip betrachtet, wobei dann die Bemühung um Wohlwollen, Aufmerksamkeit und Empfänglichkeit der Hörer dem 'locus ab auditorum persona' zugeordnet wird (de or.2.32"1-23). 1) Diese Auf2 fassung stimmt mit den aristotelischen Vorschriften überein ) i sowohl Antonius als auch Aristoteles distanzieren sich damit von den herkömmlichen Regeln der Schultradition. Diese Übereinstimmung ist umso bedeutsamer für Ciceros Verhältnis zur aristotelischen Rhetorik, als sich in Antonius' Behandlung des exordiums weitere Gemeinsamkeiten finden, die nicht mit der Zugehörigkeit zu dem überlieferten Schulsystem erklärt werden können, sondern von diesem abweichen. 3 ) Die Uberzeugungsbereitschaft des Hörers setzt voraus, daß er dem Redner und der von ihm vertretenen Sache positiv gegenübersteht. Er soll" nicht nur wohlwollend, sondern auch aufmerksam und für das, was gesagt werden soll, empfänglich sein. Diese Haltung bezeichnet Cicero de or.2.322-23; Top.97; de inv.l .20.2-3 mit den
pp.129-34;
Lausberg~
I)
Vgl. dazu Volkmann, pp.54-61.
pp.151-60; Martin,
2)
Vgl.
3)
Die Funktion des Vorwortes (vgl. dazu p. 155) , die Voraussetzungen für den Verzicht auf ein Vorwort (vgl. dazupp.155-56) , die fehlende Beschränkung der Charakterdarstellung auf einen bestimmten Redeteil (vgl. dazu p. 156).
dazu pp. 50-51.
179
Adjektiven attentu6 und docilis
(ähnlich ad Her.1.7.3-11) ;.ledig ....
lich part.or.29 werden beide Begriffe durch 'intellegens' zusaJn:mengefaßt. Die Vorschriften, wie die Aufmerksamkeit des Publikums
am
ehest.eh
zu wecken sei, sind in de inv. und der Schrift des Auctoi ad Heren-nium am ausführlichsten dargelegt. Beide Autoren forderh, die Darstellung großer, neuer, unglaublicher und auch das Publikum selbst betreffender Dinge zu versprechen (de inv.1.23.1-6~ Auct. ad Her. 1 .7.7-11; part. or. 29), und geben damit die traditionellen Vorschriften wieder, die sich bei Aristoteles fast ebenso (1415 b1-2), bei Anaximenes ähnlich finden. 1 ) Kroll und Peters weisen darauf hin, daß bereits Aristoteles die 2 Regeln der Schulrhetorik referiert. ) Die wörtlichen Ubereinstimmungen sind also kein Indiz für Ciceros Benutzung der aristotelischen Rhetorik, sondern sind mit der Zugehörigkeit zu den üblichen Regeln der
Exord~altopik
zu erklären.
Im Gegensatz zu diesen traditionellen Vorschriften hebt Antonius unter Berufung auf eine nicht näher qualifiZierte griechische Quelle hervor, daß sich der Redner nicht allein im Vorwort, sondern auch und gerade in den übrigen Redeteilen um die Aufmerksamkeit der Hörer bemühen müsse
(de or.2.323i ebenso 2.81ff). Auch
Aristoteles fordert, sich darum außerhalb des Vorwortes ver-· stärkt zu bemühen, da die Aufnahmebereitschaft zu Beginn der Rede am größten sei, dann aber nachlasse
(1415b9-11).
Diese Übereinstimmung ist auffällig, da sich beide Autoren hier von den Regeln der Schultradition entfernen, die die Anwendung exordialer Gedanken außerhalb des Vorwortes als Ausnahme betrachtet. 3 ) Auch die Forderung des Auctor ad Herrenium: " ... haec tres
I)
Anax.ars
rhet.29.4
2)
Kr 0 1 1, RE, S u p pI. VII, 1 06 4; C. Pet e r s, Der he tor i cis IV et I saeculum intercedentibus, Kiel 1907, p.35.
3)
Vgl.
dazu Lausberg,
(p.60,
ed.
pp.162-63;
Fuhrmann);
Martin,
35.2
p.61.
(p.75). in te r
180
utilitates tametsi in tota oratione sunt comparandae ... tamen id per exordium causae maxime conparandum est"
(1 .J1 .7-11) entspricht 1 den traditionellen Vorschriften und ist nicht ) mit den Empfehlungen des Antonius und des Aristoteles identisch, nach deren Auffassung der Redner sich zwar auch im Vorwort, 1 e m
vor
a 1 -
aber in den übrigen Redeteilen um die Aufnahmebereit-
schaft des Hörers bemühen soll, da diese zu Beginn am größten ist, dann aber naturgemäß nachläßt. Antonius empfiehlt dem Redner weiter, nicht nur die Aufmerksamkeit, sondern auch die Empfänglichkeit des Publikums zu wecken " ... ut et attentum faciant et docilem"
(de or.2.323). Die Vor-
schriften des 'docilem facere ' sind den praecepta attentum faciendi sehr ähnlich und werden de inv.1 .23.8-13 und ad Her.1.7. 4-6 behandelt. Nach de inv.1 .23.11-13 und ad Her.1 .7.4-6 scheinen sich beide dadurch zu unterscheiden, daß 'docilem facere' der umfassendere Begriff ist, dem 'attentum facere ' als Unterbegriff zugeordnet wird. Den bereits bei der Behandlung der Captatio benevolentiae festgestellten Gemeinsamkeiten zwischen De oratore und der aristotelischen Rhetorik 2 ) ist also eine weitere Übereinstimmung hinzuzufügen: Sowohl Cicero als auch Aristoteles empfehlen dem Redner, sich nicht nur im Vorwort, sondern auch und gerade in den übrigen Redeteilen um die Aufmerksamkeit der Hörer zu bemühen. Antonius beruft sich dabei ausdrücklich auf eine griechische Quelle. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die Anwendung des ethischen Uberzeugungsmittels in De inventione, der Topik, den Partitiones oratoriae und der Schrift des Auctor ad Herennium im Zusammenhang mit der Captatio benevolentiae des Vorwortes behandelt wird.
1)
Wie Barwick, Das
2)
Vgl.
dazu p. 160.
Bildungsideal, p.72-73 anzunehmen scheint.
181
Allein in De oratore, im Orator und im Brutus wird die Anwendung dieses Uberzeugungsmittels nicht auf einen bestimmten Redeteil beschränkt. Besonders de or.2.320-21
finden sich Ubereinstimmungen
mit der aristotelischen Rhetorik, die nicht mit der Zugehörigkeit zur rhetorischen Tradition erklärt werden können, sondern vielmehr von dieser abweichen. 1 ) Weitere Gemeinsamkeiten zwischen beiden Schriften sind in Antonius' Behandlung der Affektenlehre festzustellen.
3.3.3
Das pathetische Uberzeugunqsmittel
In Ciceros rhetorischen Schriften wird die Wichtigkeit des pathetischen Überzeugungsmittels oft hervorgehoben. Formulierungen wie " ... in qua uno regnat oratio ... ; (Or.128-29);
... quo causae eripiuntur ...
... quod unum in ara-tore dominatur ...
(de or.1.60)"
machen deutlich, welch großer Wert der Affekterregung beigemesseh wird, in deren Anwendung sich nach Ciceros Ansicht erst die eigentliche vis oratoris zeigt
(de or.1 .17; 53; 219; Or.69).
Auch Antonius bemerkt nach einer kurzen Behandlung des argumentativen Beweises: " . .. ad multa maiara veniamus" (de or.2.178). Die Frage, ob diese Aussage tatsächlich im Sinne absoluter Priorität der emotionalen Überzeugungsmittel zu verstehen ist, wird 2 im Anschluß an deren genauere Betrachtung zu beantworten sein. ) Antonius' Kritik an der bisherigen Vernachlässigung der gefühlsgerichteten Uberzeugungsmittel
(2.201)
ist wohl auf den Einfluß
des Charmadas zurückzuführen, den er auf einer Griechenlandreise härte und dessen Ansichten er sich zu eigen macht. 3 ) Charmadas
I)
Vgl.
dazu
pp. 152;
160.
2)
Vgl.
dazu
pp. 186-89.
3)
Vgl.
dazu
pp.68-69.
182
hatte, wie Antonius de or.1 .87 berichtet, den Theoretikern der Beredsamkeit vorgeworfen, die ethischen und pathetischen Überzeugungsmittel nicht genügend berücksichtigt zu haben, ja nicht einmal über das dazu nötige Wissen zu verfügen. Von dieser Vernachlässigung der gefühlsgerichteten Überzeugungsmittel distanziert sich auch Antonius; zwar tragen diese seiner Ansicht nichts zum argumentativen Beweis bei, doch steigert ihre Anwendung die Wirkung der Rede wesentlich (2.310). Dabei setzt Antonius die Integration in die Rede voraus:
" .. . sicut sanguis in corporibus,
sie illae in perpetuis orationibus fusae esse debebunt". Dieser Vergleich unterstreicht erneut die Bedeutung dieser Überzeugungsmittel: Ein Körper ohne Blut ist lebensuntauglich, ebenso wie eine Rede unwirksam ist, die nicht auch an die Gefühle der Menschen appelliert. Antonius begründet seine Ansicht damit, daß die Menschen viel Inehr aus Haß oder Liebe, aus Schmerz oder Freude, Hoffnung oder Furcht,
au~
einem Irrtum oder einer Gemütsregung heraus als
nach einer Vorschrift oder Rechtsnorm entscheiden (2.178). Auch Aristoteles betont die Abhängigkeit des zu fällenden Urteils von der
Sti~nung
der Hörer
(1377b31-1378a1). Allerdings lassen sich
zwischen der ciceronischen und der aristotelischen Textsteile keine wörtlichen Übereinstimmungen feststellen. Wegen ihrer Publikumswirksamkeit sind die emotionalen Überzeugungsmittel für Antonius unverzichtbare Bestandteile der gesamten Rede. Auch er empfiehlt, diese den Meinungen und Erwartungen des Publikums anzupassen, die der Redner zuvor erforschen muß
(2.186-87)1~ und veranschaulicht diesen Rat durch das Beispiel eines Arztes, der den Patienten untersucht, bevor er ein Medikament verabreicht
(2.186) .2)
I)
Ebenso Or.123;
part.ar.90.
2)
Dieses Gleichnis geht auf Phaidr.270 B zurück.
183
Aristoteles rät ebenfalls, die Rede dem Wesen der Hörer anzupassen, das vor der Rede zu erforschen ist (1390a29-33), doch ist diese Übereinstimmung mit der Lehre des np~n.ov zu erklären, nach der sich eine Rede immer nach den jeweiligen Umständen und dem~Wesen der Hörer richten mUß. 1 ) Während die Anwendung des pathetischen Uberzeugungsmittels in De oratore, im Orator und im Brutus nicht auf einen bestimmten Redeteil beschränkt wird, behandelt Cicero die Affekterregung in De inventione, in der Topik und in den Partitiones oratoriae im Zusammenhang mit dem letzten Redeteil, wie es den traditionellen Schulregeln entspricht. 2 ) Diese können also bei einer Untersuchung des pathetischen Uberzeugungsmittels nicht gänzlich unbeachtet bleiben, sie sollen jedoch - wie bei der Behandlung des ethischen Uberzeugungsmittels - nur soweit berücksichtigt werden, als sie fUr das Thema der Arbeit von unmittelbarem Interesse sind. Zur genaueren und ausführlicheren Information sei auf die Handbücher von Lausberg, Volkmann und Martin verwiesen. Im folgenden Kapitel sollen zunächst Ciceros Aussagen zur Affekterregung untersucht werden, soweit sie sich an den rhetorischen Schulregeln orientieren. Danach ist auf Antonius' detaillierte Behandlung der einzelnen Emotionen einzugehen, die sich deutlich an die aristotelische Rhetorik anlehnt. Besondere Beachtung wird dabei die Frage finden, wie das aristotelische Gedankengut rezipiert wird und welche Veränderungen vorgenommen werden.
1)
Vgl. dazu M.Pohlenz, TC np~n.ov, ein Beitrag zur Geschichte des griechischen Geistes, NGG, 1944, pp.53-92; Süß, pp.185ff; Lausberg, pp.507ff; Kennedy, The Art of Persuasion, pp.67; 107; 276; G.C.Fiske-M.A.Grant, Cicero's De oratore and Horace's Ars Poetica, Madison 1929, pp.43-70.
2)
Vgl. dazu Lausberg, pp.147-66.
pp.236-47; Volkmann,
pp.262-84;
Martin,
184
Abschließend wird dann die Beziehung zwischen den beiden emotionalen Uberzeugungsmitteln
sowie ihre Stellung zur rhetorischen
Argumentation untersucht werden.
3.3.3.1
Enumeratio, indignatio und conquestio
Als die drei Faktoren des letzten Redeteils 1 ) zählt Cicero in De inventione enumeratio, indignatio und conquestio (1.98.1-3) auf, während part.or.52 neben der enumeratio nur die amplificatio erwähnt wird, wobei dieser Begriff außer der Rekapitulation und der Steigerung des bisher Gesagten auch die Gefühlserregung umfaßt (ebenso Top.99) .2) In der enumeratio werden die beweisenden Argumente wiederholt, um die Erinnerung der Hörer aufzufrischen (de inv.1 .98.4-6; ad Her.2.47.7-9). Die indignatio soll Haß oder Abneigung gegen eine Person oder Sache hervorrufen (de inv.1 .100.13-15) .3) Die conquestio will das Mitleid der Hörer für die eigene Partei wecken (de inv.1.106.1-2). Aristoteles nennt vier Gesichtspunkte des Epilogs: Der Redner soll den Hörer für die eigene Partei positiv, für den Gegner dagegen negativ stimmen, er soll die vorgetragenen Argumente steigern oder abschwächen, ferner die Zuhörer in bestimmte
I)
Dieser wird de inv. 1.98.1 und ad Her.2.47.1 conclusio, part. or.53, Top.98, de or.80 und Or.122 aber peroratio genannt.
2)
Antonius nennt in seiner kurzen Behandlung der einzelnen Redeteile 'augere' und 'inflammare' als Aufgaben der conclusio; ähnlich äußert sich Crassus 1.143; er verwendet die Verben 'augere' und 'amplificare'.
3)
Der Auctor ad Herennium verwendet statt des Terminus 'indignatio' den Begriff 'amplificatio' und nennt die instigatio auditorum als deren Ziel (ad Her.2.47.21).
185
Affekte versetzen und ihre Erinnerung an die Beweisführung auffrischen
(1419b10-14).
In der nacharistotelischen IDletorik hat sich dagegen meist die Dreiteilung des letzten Redeteils durchgesetzt, sofern nicht, wie in den Partitiones oratoriae, der Topik, aber auch bei Quintilian (Inst.or.VI,i.), indignatio und conquestio zu einer Einheit zusammengezogen werden. 1 ) In diesen beiden Teilen des Epilogs versucht der Redner, die Hörer in bestimmte Affekte zu versetzen. Objekt der indignatio, die per definitionem Haß oder Abneigung gegen eine Person oder Sache hervorrufen soll, wird in der Regel der Argumentationsgegner oder der von ihm vertretene Fall sein. Die ersten zehn der in De inventione genannten loci indignationis - insgesamt fünfzehn an der Zahl - entsprechen den zehn Gesichtspunkten des Auctor ad Herennium. Einige sollen im folgenden dargelegt,
jedoch nicht in allen Einzelheiten mitein-
ander verglichen werden. Dies bleibt Aufgabe einer Arbeit, die sich mit dem immer noch problematischen Verhältnis beider Schrif2 ten beschäftigt ) und dabei den Wortlaut einander entsprechender Stellen verqleicht.
I)
Vgl. dazu Volkmann, pp.262ff. Auch Anaximenes fordert, in der Anklagerede die Hauptpunkte der Beschuldigung zu wiederholen und im Richter bestimmte Affekte hervorzurufen (rhet. 36.29; p.86, ed. Fuhrmann). Ähnlich 34.1; p.71. Vgl. dazu ferner Dion.Hal.de Lys.19, p.32, ed. Us.-Rad. und An.Seg. p.40.14, ed. Graeven.
2)
Vgl. dazu vor allem J.Brzoska, RE IV, 1605-23, Art.Cornificius. Hier werden im wesentlichen drei Thesen vorgestellt: a) Der Auctor hat Cicero benutzt. Diese Auffassung vertreten P.Burman, Praef.XXVIf. F.Osann, Jahrb.f.Phil.1857, 7798l; A.Weidner, Proleg.XIVff. b) Cicero hat die Schrift des Auctor vor Augen gehabt. Diese Ansicht war bis zum Ende des 19.Jahrh. am weitesten verbreitet und wurde u.a. von Spengel, Laurand und Barwiek verteidigt. c) Beide Schriften sind voneinander unabhängig; Übereinstimmungen sind durch den Unterricht bei demselben römischen Rhe-
186
Der RE='.ctner kann beispielsweise die Abscheulichkeit und Außergewöhnlichkeit der Tat hervorheben (de inv.,1.102.12-15; ad Her. 2.49.5-9), das vorliegende Verbrechen mit anderen Vergehen vergleichen (de inv.1 .104.1-5; ad Her.2.49.13-17) oder die Konsequenzen der Tat lebhaft vor Augen führen (de inv.1.104.5-11; ad Her.2.49.18-22). Da der Zuhörer das geschehene Unrecht mit der eigenen Person in Verbindung bringen soll, kann der Redner etwa an die Nachkommen der Hörer erinnern, wenn etwa in dem vorliegenden Fall Kinder eine Rolle spielen sollten (de inv.1.10S. 3-7). Ein ähnlicher Rat wird auch bei der Behandlung der conquestio gegeben. 1) Dasselbe Ziel wie die indignatio, die im Epilog odium oder offensio bewirken soll, verfolgen die loci ab adversariorum persona in der Einleitung; auch sie wollen im Hörer negative Gefühle gegen den Kontrahenten, nämlich Haß, Neid oder Verachtung, hervorrufen (de inv.1.22.7-17; ad Her.1.8.13-25) .2) Hier wird deutlich, daß Charakterdarstellung und Affekterregung eng zusammenhängen: Der Redner muß sich selbst in positivem, den Gegner aber in negativem Licht darstellen, damit das Publikum ihm 3 )
bzw. seinem Gegner bestimmte Gefühle entgegenbringt.
Zunächst genügt es festzustellen, daß de inv.1.100.14-16 odium und offensio als eine Emotion genannt werden, die durch die indignatio erweckt werden sollen. Während diese also eine feindliche Haltung hervorrufen will, richtet sich die conquestio darauf, Mitleid für den eigenen Fall zu erwerben (de inv.1 .106. 1-2). Nach der Definition fährt Cicero fort:
"in hac primum ani-
toriklehrer bedingt. Diese These vertritt vor allem G.Thiele, Quaestiones de Cornifici et Ciceronis artibus rhetoricis, Greifswald 1889. I)
Vgl.
dazu p.170.
2)
Vgl.
dazu p.158.
3)
Zu der Beziehung zwischen Charakterdarstellung und Affekterregung vgl. auch pp. 182-83.
'187
mum auditoris mitem et
misericorde~
confidere oportet,
cilius conquestione commoveri possit"
quofa~
(1.106.2-4). Durch diese
Aussage entsteht der Eindruck, als stelle die Bemühung
um
eihe
sanfte, mitleidvolle Haltung der Hörer lediglich den ersten Schritt der conquestio dar, an den sich die Erregung noch nicht näher qualifizierter Gefühle anzuschließen habe. Die sechz~hn loci conquestionis, die Cicero im weiteren Textverlauf anführt, sind jedoch allein auf das Mitleid des Publikums gerichtet, so daß festgestellt werden muß, daß die auf die Definition folgende Erläuterung (1.106.2-4) irreführend ist. Die ersten sechs der von Cicero genannten loci conquestionis stellen die schlechte Lage des Redners oder der von ihm vertretenen Partei dar
(1.106.9-108.4). Der Redner kann etwa behaup-
ten, daß sich eine frühere, günstige Situation zum Schlechten gewandelt habe, und er kann dabei nicht nur auf gegenwärtiges und vergangenes, sondern auch auf zukünftiges Unheil hinweisen (de inv.1.107.1-5; ähnlich ad Her.2.50.1-6 und part.or.57). In der conquestio sollen sowohl eigene incommoua, wie inopia, infirmitas und solitudo (de inv.1 .109.5-6), als auch positive Wesenszüge, wie etwa Mitleid mit anderen Menschen oder Duldsamkeit im Unglück1dargestellt werden (de inv.1 .109.21-22; ähnlich ad Her.2.50.10-16). Auch diese Empfehlungen erinnern an die Vorschriften der Exordialtopik: Bei der Charakterdarstellung soll der Redner ebenfalls im Rahmen der 10ci a nostra persona die ihm aus dem Sachverhalt erwachsenen Nachteile
(de inv.l.22.4-6),
wie inopia, solitudo, calamitas
(Auct.ad Her.1 .8.9-10) erwähnen, um das Wohlwollen der Hörer zu erwerben. 1 )
Die wörtlichen Ubereinstimmungen zwischen den praecepta conquestionis und den Vorschriften benevolentiae captandae zeigen, daß der Redner sich und seinen Gegner in einem bestimmten Licht darstellen muß, damit die Hörer mit bestimmten positiven oder
I)
Vgl.
dazu
p. 158.
188
negativen Gefühlen reagieren. Dieser Zusammenhang zwischen Ethopöie und Affekterregung wurde bereits bei der Behandlung ?er indignatio deutlich und wird später ausführlicher zu erklären sein. 1 ) Wie in der indignatio (1.105.3-7) kann sich der Redner auch in der conquestio direkt an die Hörer wenden und sie an ihr eigenes Schicksal erinnern (de inv.1 .108.4-7). In der ausführlichen Behandlung der einzelnen Affekte (de or.2.206-211) wird begründet, warum die Herstellung einer Beziehung zwischen dem behandelten Fall und dem Hörer so wichtig ist: Mitleid empfindet dieser nach den Ausführungen des Antonius, wenn er an das eigene Schicksal erinnert wird (2.209). Auch die Forderung, der Redner müsse die im Publikum hervorzurufende mitleidsvolle Haltung selbst verkörpern (de inv.1.109.21-22; ad Her.2.50.10-16), erinnert an Antonius' Meinung, daß man nur solche Emotionen erwekken könne, die man auch selbst fühle
(de or.2.189).
Da die loci indignationis und die loci conquestionis eng zusam2 menhängen und sich teilweise sogar inhaltlich überschneiden ) , ist anzunehmen, daß Cicero nicht streng zwischen indignatio und conquestio unterscheidet. Mit dieser Vermutung könnte auch die Tatsache erklärt werden, daß beide bisweilen unter dem Terminus 'amplificatio' gemeinsam behandelt werden (Top.99; part. or.52-58) .
I)
Vgl.
dazu pp.181-83.
2)
So entspricht der vierte locus conquestionis (1.107-10-12) dem siebten und achten lOCllS indignationis (1.102.12-1.104.1), der achte locus conquestionis (1.108.7-109. I) ähnelt dem elften locus indignationis (1.104.11-14) und der dreizehnte locus conquestionis (1.109.11-16) erläutert den achten locus indignationis (1.104. I 1-14). Die von Cicero und dem Auctor ad Herennium genannten loci indignationis werden von Martin, pp. 155.56 detailliert beschrieben; vgl. dazu auch Peters, pp. 100-0 I.
189
Auch in der Topik erwähnt Cicero die durch die Rede hervorzurufenden Affekte bei der Behandlung der peroratio. Neben den bereits de inv. 1.100.13-15 und 1.106.1-2 genannten Emotionen odium, offensio und misericordia werden Top.99 iracundia,
invi~
dia und ceterae animi affectiones aufgezählt, die allerdings nicht näher erläutert werden. In den Partitiones oratoriae empfiehlt Cicero ebenfalls, während des letzten Redeteils Haß und Mitleid der Hörer zu erregen (part. or.56), nachdem er zuvor festgestellt hatte:"Namaut caritate moventur homines ... aut amore ... aut honestate." Aus dieser Stelle geht zunächst nicht hervor, ob damit caritas, amor und honestas des
Red n e r
s
gemeint sind, deren Darstellung das Pu-
blikum beeinflussen soll, oder ob es sich um Emotionen der Hörer handelt, die durch die Rede hervorgerufen werden sollen. Für die zweite Möglichkeit scheint die Tatsache zu sprechen, daß Antonius de or.2.206 amor und caritas als Affekte des Publikums behandelt. Da Cicero im Anschluß an die strittige Stelle jedoch betont, daß eine Verletzung der Gebote von caritas, amor und honestas Haß, ihre Befolgung dagegen Mitleid hervorrufe, ist anzunehmen, daß sich die drei part.or.56 genannten Begriffe auf positive Wesenszüge- des Redners beziehen, durch deren Darstellung im Hörer bestimmte Affekte sollen.
wie etwa Haß oder Mitleid hervorgerufen werden
Zwar wird die Affekterregung wie in der Topik, in Oe inventione und in der Schrift des Auctor ad Herennium auch in den Partitiones oratoriae im Zusammenhang mit dem letzten Redeteil behandelt, doch rät Cicero, in der übrigen Rede ebenfalls an die Gefühle der Hörer zu appellieren: "Augendi autem et hic proprius locus in perorando, et in cursu ipso orationis declinationes ad amplificandum dantur,
confirmata re aliqua aut reprehensa"
(part.
or.52). Der Ablativus absolutus macht deutlIch, daß Cicero nicht an eine Vermischung rationaler und emotionaler Uberzeugungsmittel denkt, sondern dem Redner vielmehr empfiehlt, nach Abschluß der beweisenden oder widerlegenden Argumentation die Emotionen des Publikums anzusprechen. Trotz dieser Möglichkeiten
ist der
190
eigentliche Platz
(proprius locus) der Gefühlserregung in der
peroratio. Auch Antonius vertritt in Oe oratore die Ansicht, der Redner müsse bisweilen movendorum animorum causa vom eigentlichen Thema der Rede abweichen:
" ... itaque vel re narrata et exposita
saepe datur ad commovendos animos digrediendi locus, vel argumentis nostris confirmatis vel contrariis refutatis ... "
(de or.2.
312). Oie Ablativi absoluti 're narrata et exposita' und 'argumentis nostris vel confirmatis vel refutatis'
zeigen, daß Anto-
nius ebenfalls eine Trennung logischer und emotionaler
Uberz~u
gungsmittel fordert, die jedoch nicht, wie in der aristotelischen Rhetorik ("1418a12-16), ausdrücklich postuliert wird. Antonius erwähnt zwar in seiner kurzen Behandlung der einzelnen Redeteile (2.320-32) die Besänftigung oder Erregung der Richter als die Aufgabe der conclusio (2.332), doch werden die de or. 2.206-11 besprochenen Affekte, die im Hörer hervorgerufen werden sollen, im Gegensatz zu Oe inventione, der Schrift des Auctor ad Herennium, der Topik und den Partitiones oratoriae nicht mit einem bestimmten Redeteil in Verbindung gebracht.
3.3.3.2
Antonius' Behandlung der Affekte
Im folgenden sollen Antonius' Aussagen über die einzelnen Affekte interpretiert und mit den entsprechenden Äußerungen des Aristoteles verglichen werden. Ein grundsätzlicher Unterschied zwischen beiden Behandlungsweisen wird dabei deutlich: Während Aristoteles die Emotionen entsprechend seiner Ankündigung (1378a 23-25) nach den Kriterien von Subjekt, Objekt und auslösendem Anlaß genau analysiert 1 ), ist für Antonius vor allem der zweite
I)
Vgl.
dazu p.56.
19 1
Aspekt wichtig.
Diese Tatsache kann damit erklärt werden, daß
sich Antonius an den Gegebenheiten rhetorischer Praxis orientiert: Da sich die im Hörer zu erweckenden positiven oder negativen Gefühle gewöhnlich auf den Redner und seinen Kontrahenten richten, ist die Frage nach dem Objekt dieser Affekte auch besonders wichtig. De or.2.206 zählt Antonius zunächst die Begriffe amor, odium, iracundia, invidia, misericordia, spes, laetitia, timor, molestia auf, die mit Ausnahme des isoliert stehenden Substantivs iracundia paarweise zusammengehören, im weiteren 'l'extver lauf allerdings in anderer Reihenfolge behandelt werden. Zunächst erwähnt Antonius amor und caritas
(2.206-07)
Zuneigung
erwirbt der Redner durch die Verteidigung solcher Dinge, die für das Publikum selbst von Nutzen sind. Diese Aussage wird durch das folgende
'aut ... aut'
zweifach untergliedert: Der Redner
kann sich entweder für verdiente Männer einsetzen oder für solche Menschen, die dem Publikum wertvoll und nützlich sind. Dieses verschafft dem Redner die Zuneigung (amor), tung (caritas) der Hörer
jenes die Ach-
(2.206). Die bei den hier nebeneinander-
gestellten Affekte amor und caritas subsumiert Cicero part.or. 88 unter den Begriff amicitia. Nach dieser Stelle unterscheiden sich amor und caritas hinsichtlich des Objektes, auf das sie sich jeweils richten. Den Göttern, den Eltern, dem vaterland und auch außergewöhnlich klugen und reichen Menschen bringt man Achtung entgegen, während man gegenüber näherstehenden Personen und Familienangehörigen Zuneigung empfindet. 1 ) Für den Redner ist es nützlicher, so fährt Antonius de or.2.207 fort, dem Publikum auf
1)
e~nen
zukünftigen Vorteil Hoffnung zu
Bereits part.or.56 nannte Cicero neben honestas auch amor und caritas als diejenigen GefUhle, durch die sich die Menschen am meisten bewegen lassen. Dort bezeichnen die Begriffe amor und caritas allerdings zwei Eigenschaften, die der Redner besitzen soll (vgl. dazu p. 171), während sie hier die im Hörer hervorzurufenden Affekte meinen.
192
machen a1s an vergangene Woh1taten zu erinnern. Auch ist es ratsam, dignitas und uti1itas der causa hervorzuheben und zu betonen, daß die vertretene Partei ohne jeg1ichen Eigennutz gehande1t habe. Diese Ratsch1äge gehören strenggenommen in den Bereich der Charakterdarste11ung, doch hängt diese, wie bereits festgeste11t wurde 1 ), mit der Affekterregung insofern zusammen, a1s der Hörer eine Vorste11ung von der Person des Redners oder seines Kontrahenten haben muß, um bestimmte positive oder negative Gefüh1e zu empfinden. In Antonius' Behand1ung von amor und caritas fä11t die häufige Verwendung des Adjektivs uti1e und des Substantivs uti1itas auf; um Zuneigung und Achtung der Hörer zu erwerben, muß der Redner nach Ansicht des Antonius vor a11em auf den Nutzen hinweisen, den sie durch ihn haben oder haben werden und die Uneigennützigkeit des K1ienten darste11en. Aristote1es dagegen beschreibt den Begriff ~LA~a mit den Worten "Lieben sei a1so, einem anderen das zu wünschen, was man se1bst für Güter hä1t1 und zwar um dessent- und nicht um seinetwi11en und nach Kräften dafür tätig sein" (1380b35-1381a1) und hebt damit das Feh1en jeg1ichen Eigennutzes und die Bereitschaft, das Gefüh1 durch tatkräftigen Einsatz zu unterstützen, hervor. Im Ansch1uß an die Definition der Liebe wird erk1ärt, we1che Menschen dieses Gefüh1 empfinden und auf wen es sich richtet: Man 1iebt vor a11em diejenigen Personen, so erk1ärt Aristote1es 1381a9-11 , die uns se1bst oder denen, um die wir uns kümmern, Gutes erwiesen haben, ferner diejenigen, von denen man annimmt, daß sie uns Gutes tun w011en. Auch Anaximenes erwähnt, daß Liebe und Zuneigung von den Wohltaten abhängen, die der Träger der Emotionen bisher erfahren hat, erfährt oder noch erfahren wird. 2 )
I)
Vgl.
dazu pp.169-70.
2)
Anax.rhet.34.1-2
(p.71,
ed.
Fuhrmann).
193
Die Gedanken des Aristoteles und des Anaximenes greift Antonius auf, wenn er rät, den H6rer an vergangene beneficia zu erinnern und ihm zukünftige Wohltaten vor Augen zu stellen (2.207). Aus den genannten Gründen 1 ) ist der Blick des Antonius vor allem auf das Objekt von amor und caritas, den Redner, gerichtet. Hierin stimmt er mit Anaximenes überein; beide behandeln die Affekte Liebe und Zuneigung gemeinsam und verzichten auf eine Definition der Emotionen. 2 ) Weitergehende übereinstimmungen zwischen den Aussagen des Antonius und denen des Anaximenes lassen sich allerdings nicht feststellen. Nach amor und caritas behandelt Antonius invidia, odium und offensio
(2.207-09), die seiner Ansicht nach eng zusammengeh6ren.
Der Redner soll nach de or.2.206 zwar die Nützlichkeit der vertretenen causa hervorheben, um die Zuneigung der H6rer zu gewinnen, doch soll andererseits auch alles vermieden werden, was den Eindruck erweckt, die eigene Partei habe allein ihren Vorteil im Auge gehabt (de or.2.207). Diese Forderung begründet Antonius damit, daß die Menschen anderen Personen deren Vorteil neiden, mit altruistisch Handelnden dagegen sympathisieren: "Invidetur enim commodis hominum ipsorum; studiis autem eorum ceteris commodandi favetur"
(2.207). Die einander entgegengesetzten Begrif-
fe 'invidetur' und 'favetur' sowie 'commodis' und 'studiis' werden hier chiastisch gegenübergestellt. Antonius hebt hervor, daß allzu großes Lob eines Menschen leicht den gegenteiligen Affekt hat und beim R6rer nicht Zuneigung, sondern eher invidia, iracundia, odium und offensio hervorruft (2.207). Mit der Erwähnung der invidia leitet Antonius geschickt von den positiven Gefühlen, die der Redner in Bezug auf sich selbst beim
I)
Vgl.
dazu pp.172-73.
2)
Allerdings unterscheidet Anaximenes Liebe und Zuneigung, nicht wie Antonius hinsichtlich der Personen, auf die sich die Gefühle richten, sondern hinsichtlich der Arten von Wohltaten, die Liebe und Zuneigung als Reaktion hervorrufen (34.3, p.71).
194
Hörer hervorrufen will, zu den Affekten invidia, iracundia, odium und offensio über, die dem Kontrahenten entgegengebracht werden sollen. Liebe und Haß werden nicht, wie bei Aristoteles, einander antithetisch gegenübergestellt, sondern durch den Begriff invidia verbunden (2.208), der später wiederaufgegriffen wird (2.209-10). Die Affekte odium und iracundia werden nur flüchtig behandelt; Antonius vertritt dabei die Ansicht, daß die Erwähnung einer für die Hörer schädlichen oder nutzlosen Tat Haß erzeuge, während ein Vergehen gegen andere, sei es "in viros bonos aut in eos quos minime debuerit, aut in rem publicam" nicht gerade odium, wohl aber offensio hervorrufe, die dem Neid und dem Haß sehr ähnlich sei (2.208). Wie bei amor und caritas spielt auch bei der Behandlung von odium und offensio der Begriff utilitas eine wichtige Rolle; war der Redner oder der Klient dem Hörer nützlich, so reagiert dieser mit positiven Gefühlen, im anderen Fall aber mit negativen Emotionen (2.208). Amor und caritas einerseits werden ebenso wie odium und offensio andererseits hinsichtlich des Objekts unterschieden, auf das sie sich richten. Betrifft der Nutzen oder die Schädlichkeit einer Sache die Zuhörer selbst, so reagieren diese mit Liebe oder Haß; bezieht sich dagegen die Angelegenheit auf Personen oder Dinge, zu denen das Publikum eine größere Distanz hat, so werden die schwächeren Gefühle caritas und offensio hervorgerufen. Der Begriff offensio wird mit den Worten "invidiae aut odii non dissimilis" vage beschrieben (2. 208) und so zu den zuvor behandelten Emotionen in Beziehung gesetzt. Bemerkenswert ist an dieser Stelle, daß Antonius auch die schwächeren Gefühle caritas und offensio als Affekte behandelt, während in der rhetorischen Tradition das Ethos oft als eine mildere Form des Pathos beschrieben wird 1 ) und dementsprechend
I)
Vgl. dazu auch Martin, pp.158ff. Die Beziehung zwischen Ethos und Pathos wird im Anschluß an den Monolog des Antonius zu untersuchen sein.
195
die schwächeren Emotionen unter den Ethosbegriff zu subsumieren wären. Nach dieser kurzen Behandlung von invidia, odium, iracundia und offensio wird der Begriff timor beschrieben als ein durch die Vorstellung allgemeiner oder persönlicher Gefahr hervorgerufener Affekt (de or.2.209). Beides fUhrt nach Antonius' Ansicht zu einem ähnlichen Ergebnis. Die Formulierung "ad eandem similitudinem perducendus ... " verwischt den Unterschied zwischen der Stimmungslage, die durch die Darstellung einer persönlichen Gefahr hervorgerufen wird und derjenigen, die auf die Erwähnung einer allgemeinen Bedrohung zurückgeht. Aristoteles beschreibt die Furcht als eine Empfindung von Unlust oder ein beunruhigendes Gefühl, das hervorgegangen ist aus der Vorstellung eines bevorstehenden Ubels, das entweder verderblich oder doch schmerzbringend ist (1 382a21-22), und betont weiter, daß vor allem die Nähe eines solchen Unheils furchterregend ist (1382a23-25). Aristoteles greift damit auf platonisches Gedankengut zurück. 1 ) Doch findet sich die Auffassung der Furcht als einer opinio mali futur i lehre. 2)
auch in der stoischen Affekten-
Daß sich die Furcht auf Zukünftiges richtet, deutet Antonius mit der Verwendung des Wortes 'periculum' nur vage an. Stattdessen differenziert er den Affekt hinsichtlich der betroffenen Personen näher (de or.2.209), ohne allerdings die Unterscheidung zwischen allgemeiner und persönlicher Gefahr genauer zu erläutern. Beiläufig erwähnt Antonius dann die Emotionen Hoffnung, Freude und Verdruß: (2.209).3)
"Par atque una ratio est spei, laetitiae, molestiae"
1)
Vgl.
dazu Phileb.47e
2)
Vgl.
dazu SVF,
3)
Michel, p.289 versucht, die gemeinsame Erwähnung von spes, laetitia, molestia und timor hier und in de or.2.206 mit
386
1ft.
(p.94,
ed. v.Arnim).
196
Ausführlicher wird der Begriff invidia erörtert. Antonius rechtfertigt dies zu Beginn und am Ende seiner Ausführungen
(2.209-
10) damit, daß der Neid eines der heftigsten (2.209) und weitestverbreiteten (2.210) Gefühle sei. Diese Ansicht ist nicht überraschend, da der Neid in der Antike als einer der schmerzbringendsten Affekte betrachtet wird. 1 ) Antonius weist 2.209 zunächst darauf hin, daß der Neid nicht leicht beschwichtigt oder hervorgerufen werden kann und bereitet mit dieser Aussage die folgende Analyse der invidia vor, wonach vor allem zwei Personengruppen Neid erregen: "Invident autem homines maxime paribus aut inferioribus, curn se relictos sentiunt, illos autem dolent evolasse; sed etiam superioribus invidetur et eo
magi~,
si intole-
rantius se iactant et aequabilitatem cornrnunis iuris praestantia dignitatis aut fortunae suae transeunt" (2.209). Nach dieser Aussage entspringt der Neid also vor allem dem Bewußtsein der eigenen Unterlegenheit, sei es, daß man von gleichoder tieferstehenden Menschen überflügelt wurde, sei es, daß sich überlegene Personen ihrer Verdienste brüsten. Während Anaximenes den Neid als Reaktion auf das unverdiente Glück eines anderen, sei es gegenwärtig, vergangen oder zukünftig, versteht 2 ), beschreibt Aristoteles diesen Affekt als eine Empfindung von Unlust über ein offensichtliches Glück hinsichtlich bestimmter Güter (1378b23-25) und betont im Anschluß an diese Aussage, daß Neider und Beneideter einander gleich sein
den Einflüssen stoischer Affektenlehre zu erklären, indem er 'spes' durch 'desiderium' ersetzt. Wenngleich diese Vermutung nicht völlig von der Hand zu weisen ist, so sind doch Antonius' Äußerungen allzu knapp, um diese These hinreichend zu untermauern. J)
Vgl.
dazu Hor.Epist.1 .2.57.
2)
Rhet.34.15
(p.71,
ed.
Fuhrmann).
197
oder doch zumindest erscheinen müssen. Der Begriff Gleichheit wird in diesem Zusammenhang bezogen auf Herkunft, Verwandtschaft, Lebensalter, Verhalten, Ruf, Besitz
(13ß7~25-27) .1)
Wie Aristoteles hebt auch Antonius hervor, daß vor allem solche Menschen beneidet werden, die dem Neider gleich oder ähnlich sind; dem Adjektiv 'pares' werden allerdings die Begriffe 'inferiores'
und 'superiores' hinzugefügt. Trotz dieser Uberein-
stimmung wird auch in Antonius' Behandlung der invidia der bereits erwähnte Unterschied zur aristotelischen Rhetorik deutlich: Wichtig ist vor allem die Frage, gegenüber welchen Menschen der Hörer Neid empfindet und wie dieser Affekt in der Rede hervorgerufen oder besänftigt werden kann. Infolgedessen behandelt Antonius auch die verschiedenen Möglichkeiten, den Neid zu schüren oder zu besänftigen, ausführlich (2.209-10). Zuletzt wird die misericordia erörtert. Mitleid, so fährt Antonius de or.2.211 fort, empfindet der Hörer dann, wenn ihn das beklagenswerte Schicksal eines anderen an eigenes Unglück erinnert, das er entweder selbst bereits ertragen hat oder zu ertragen fürchtet. Mit den Worten " ... ut intuens alium crebro ad suas res revertatur ... " wiederholt Antonius die vorangegangene Aussage " ... si ... adduci potest,ut illa quae de altero deplorentur, ad suas res revocet ... "
(2.211). Diese Wiederholung hebt
die Tatsache hervor, daß Mitleid mit dem Schicksal eines anderen nur dann empfunden wird, wenn man sich mit diesem identifizieren kann. Dies kommt auch de inv.1 .108.4-7 und 1.105.3-7 zum Ausdruck. An beiden Stellen empfiehlt Cicero, der Redner solle, um Haß und Mitleid im Hörer zu erwecken, diesen auffordern, das geschehene Unrecht auf sich selbst zu beziehen. Wie bereits festgestellt wurde, sind die beiden loci indignationis
I)
bzw.
Bereits 1386b15-20 wurden Neid und Mitleid dadurch unterschieden, daß sich jener Affekt gegen gleiche, dieser aber gegen unwürdige Menschen richtet, die ein bestimmtes Glück nicht verdienten.
198
conquestionis inhaltlich identisch. 1 ) Ciceros Rat, den Hörer an das eigene Schicksal zu erinnern, ist also nicht nur nützlich, wenn der Redner das Mitleid des Publikums erregen will, sondern auch dann, wenn es darum geht, den Haß gegen den Kontrahenten zu schüren. Den Affekt odium behan~ delt Antonius in De oratore nur flüchtig. Aristoteles beschreibt Mitleid als "ein Schmerzgefühl über ein offensichtliches, vernichtendes Ubel, das jemanden trifft, der nicht verdient, es zu erleiden, das man auch für sich selbst oder einen der unseren zu erleiden erwarten muß und das ferner nahe zu sein scheint" (1385b13-16). ~r legt im weiteren Textverlauf dar, daß Mitleid über das Schicksal eines anderen Menschen die eigene Erwartung desselben Schicksals einschließt (1386b 16-18). Da aber vor allem solche Menschen ein Unheil zu erleiden glauben, die dieses bereits früher erlebten und sich retten konnten (1385b23-25), ist Mitleid nicht allein zukunfts-, sondern auch vergangenheitsbezogen. Antonius greift den Gedanken, daß Mitleid mit der Erinnerung an vergangenes Unheil oder mit der Erwartung kommenden Unglücks zusammenhängt, in der Formulierung " ... quas aut tulerit acerbas aut timeat ... "
(de or.2.211) auf
und betont abschließend, daß Mitleid vor allem dann empfunden wird, wenn der Klient als Verkörperung der Tugend gilt. Wie bei der Behandlung von amor, caritas, invidia, odium und iracundia berücksichtigt Antonius auch bei der Behandlung der misericordia vor allem die Frage, gegen wen sich der Affekt richtet und wie er geschürt oder beschwichtigt werden kann. In dieser Orientierung an den praktischen Erfordernissen der Rhetorik kommt wohl Ciceros eigene Ansicht zum Ausdruck, der sich im Prolog zu De oratore von der Vernachlässigung rhetorischer PraÄis distanziert und teilweise heftig gegen griechische Redner polemisiert, denen er gerade dies unterstellt. 2 )
I)
Vgl.
dazu p.170,
2)
Vgl.
dazu
Anm.2.
pp.66-68.
199
Dennoch können in Antonius' Behandlung der einzelrien meinsamkei ten mit der aristotelischeh Rhetbrik
AfEekfeG~~
festg~st.ell t
. wer-
den, die nicht durch die Zugehörigkeit zut Sdhulfiaditibn zu erklären sind: Die Affekterregung wird in De oratore, wie auch im Orator und im Brutus nicht im Zusammenhang mit einem bestimmten Redeteil behandelt. Diese Loslösung voh den Vorschriften rhetorischer Tradition sl:.:.el.l.t e.ine Rü.c\<;.:'" kehr zur Lehre des Aristoteles dar. Beide Autoren nennen als Objekt des Neides vor allem gleiche Menschen (1387b23-25; de or.2.209; vgl. dazu pp .17 8-79) und betonen, daß Mitleid mit der Erinnerung an vergangenes und mit der Erwartung zukünftigen Unglücks verbunden ist (1385b13-18) i de or.2.211 ;vgl. dazu pp.179-80) Neben diesen Gemeinsamkeiten wurde aber auch der unterschiedliche Ausgangspunkt von Cicero und Aristoteles hier besonders deutlich: Cicero will die einzelnen Affekte nich·t systematisch und vollständig analysieren, sondern dem Redner praxisorientierte Ratschläge geben, die in der Rede angewandt werden können. Aus diesem Grund verzichtet Antonius meist auf eine Definition und behandelt stattdessen ausführlich die Frage, wie der jeweilige Affekt geschürt oder beschwichtigt werden kann. Nach der Behandlung der Affekterregung soll nun die Beziehung zwischen beiden emotionsgerichteten Uberzeugungsmitteln untersucht werden. De or.2.211 beschreibt Antonius die Charakterdarstellung mit den Worten 'lenis et surnrnissa', die Gefühlserregung dagegen durch die Attribute 'intenta et vehemens' und deutet damit bereits an, daß beide Uberzeugungsmittel nicht prinzipiell, sondern lediglich graduell verschieden sind. Er hebt hervor, daß sich beide wegen ihrer grundsätzlichen Ähn '.ichkei t, aber ihrer unterschiedlichen Intensität gegenseitig ausgleichen können: So kann nach Antonius' Ansicht etwas von der ruhigen Gelassenheit, die für die Ethopöie typisch ist, in die Affekterregung einfließen, die ihrerseits wiederum durch die sanftere Charakter-
200
darstellung gemildert werden kann (de or.2.212-13). Die Formulierung " ... est quaedam in his duobus generibus, quorum alterum lene, alterum vehemens esse volumus .•. "
(2.212) macht deutlich,
daß beide überzeugungsmittel als verschiedene genera desselben Prozesses, nämlich der emotionalen Einflußnahme auf den Hörer betrachtet werden. 1 ) Daß Antonius hier Ciceros eigene Meinung wiedergibt, zeigt ein Vergleich mit Or.128: Auch hier wird das ethische überzeugungsmittel durch die Attribute 'corne, iucundum et ad benevolentiam comparandam paratum' als sanfter, das pathetische überzeugungsmittel mit den Worten 'incensum, incitatum, quo causae eripiun2 tur' als heftiger beschrieben. ) Die Tatsache, daß Cicero zwischen beiden Überzeugungsmitteln nicht prinzipiell, sondern lediglich graduell unterscheidet, läßt sich leicht erklären: Durch die Charakterdarstellung des Red n e r s
soll das Wohlwollen des Publikums gewonnen, durch
die Affekterregung im
Hör e r
eine für die eigene Partei
günstige, für den Kontrahenten jedoch ungünstige Stimmung erzeugt werden. Beide überzeugungsmittel scheinen sich also zunächst dadurch zu unterscheiden, daß dort der Redner, hier aber der Hörer im Zentrum des Interesses steht. 3 )
I)
Dies geht auch aus Or. 128 hervor: alt e rum ... alt e ru m ... 11 •
" ... duo enim sunt ... quorum
2)
Wie Cicero vertritt auch Quintilian die Ansicht, Ethos und Pathos seien von gleicher Natur; nur sei dieses stärker, jenes schwächer (Inst.or.VI, 2.8f). Während Quintilian jedoch demzufolge amor als Pathos, caritas als Ethos versteht, behandelt Antonius beide Emotionen als Affekte. Zur unterschiedlichen Intensität von Ethos und Pathos vgl. auch Martin, pp.158ff; Solmsen, The Ancient Tradition, pp.187-88; Sattler, pp.62-63; 65; Fantham, pp.266-74; Volkmann, pp.273277.
3)
Auch Aristoteles unterscheidet beide Überzeugungsmittel zunächst nach der Person des Redners oder Zuhörers. Doch bestehen auch nach den Aussagen der aristotelischen Rhetorik zwischen beiden enge Zusammenhänge (vgl. dazu pp.5S-S6).
201
Wie jedoch in der Ethopöie die Person des Redners oder seines Kontrahenten positiv oder negativ dargestellt wird, damit die Zuhörer diesem das Wohlwollen versagen oder entziehen, das sie jenem entgegenbringen, so muß auch bei der Affekterregung zunächst der eigene oder gegnerische Charakter in einem bestimmten Licht dargestellt werden, damit das Publikum für beide Parteien bestimmte positive oder negative Gefühle empfindet. Beide Uberzeugungsmittel setzen also die Charakterdarstellung voraus, auf die das Auditorium entweder mit der milderen Stimmung der benevolentia oder aber mit heftigeren Emotionen wie Liebe, Haß, Neid, Mitleid oder Zorn reagiert. Diese Zusammenhänge erklären, warum Cicero nicht streng zwischen Charakterdarstellung und Affekterregung trennt, sondern beide Uberzeugungsmittel als verschiedene Arten der Gefühlsbeeinflussung versteht, die er bisweilen (part.or.S; Brut.276) durch einen einzigen Terminus bezeichnet und dem argumentativen Beweis gegenüberstellt. 1 ) Da Cicero die Wichtigkeit und Wirksamkeit der emotionalen Ein2 flußnahme auf den Hörer oft betont ), erhebt sich die Frage, ob diese denn wichtiger ist als der logische Beweis. Mit der Feststellung " ... ad multa maiora veniamus"
(2.178)
lei-
tete Antonius nach der Erörterung der rhetorischen Argumentation zur Behandlung der gefühlserregenden Uberzeugungsmittel über. Distanziert sich Antonius hier lediglich von seinen Zeitgenossen und Vorgängern, denen er eine Vernachlässigung der emotionalen Uberzeugungsmittel anlastete (2.201), oder postuliert er deren Priorität über die rhetorische Argumentation?
I)
Vgl. dazu p. 108. Die Frage nach der Beziehung zwischen Charakterdarstellung und Affekterregung erhob sich bereits bei der Behandlung der conquestio; vgl. dazu pp.169-70.
2)
So z.B. de or.l. 17; 30; 60; Or.69; 128; Brut.279; 310.
87;
219;
2.215;
337;
3.55;
31 I;
202
Zu dieser Frage nehmen sowohl Antonius und Crassus als auch Cicero selbst Stellung. Antonius berichtet de or.2.199ff von einer Verteidigungsrede, deren Erfolg vor allem auf den Einsatz emotionsgerichteter Überzeugungsmittel zurückzuführen war. Die sachlichen Grundlagen, so berichtet Antonius 2.201, habe er dabei nur flüchtig berührt und den Fall stattdessen durch den Gebrauch jener beiden partes orationis entschieden, "quorum altera corrunendationem habet, altera concitationem". Beispielsweise habe er während der Verhandlung die Tunica des Angeklagten zerrissen, um dessen Wunden den Richtern zu zeigen und so ihr Mitleid zu erregen (2.186). Dieses Vorgehen rühmt auch Crassus
(2.124). Daß die beiden Kontrahen-
ten des Dialogs Ciceros eigene Meinung repräsentieren, zeigt dessen Bekenntnis, er habe einmal während einer peroratio ein kleines Kind auf den Armen gehaltenp ein anderes Mal habe er einen vornehmen Mann in Erregung versetzt und mit ihm zusarrunen das Mitleid der Richter zu erregen versucht, indem er dessen kleinen Sohn emporhielt (Or.131). Obwohl Cicero wie Aristoteles die Integration der drei überzeugungsmittel in die Rede fordert 1 ), zeigen diese Beispiele, daß er die Worte 'in dicendo' in viel weiterem Sinn versteht als Aristoteles. Sie bezeichnen nicht wie in der aristotelischen Rhetorik
(1354a9; a14) die Rede als artikuliertes Sprachgefüge,
sondern meinen lediglich den Zeitraum, innerhalb dessen die Rede gehalten wird.
Zulässig sind deshalb auch außersprachliche
Mittel, wie etwa der Auftritt weinender Kinder. Die größere Freiheit, die Cicero dem Redner beim Einsatz gefühlserregender Mittel zugesteht, erklärt sich wohl vor allem dadurch, daß der von ihm postulierte orator perfectus nicht nur die rhetorische Theorie beherrscht, sondern auch durch seine praktische
I)
Vgl.
dazu
pp.14-15;
101.
203
Tätigkeit nach h6chstem Ansehen strebt. 1 ) Dieses Ansehen aber, so betont Cicero Brut.185ff, erlangt ein 6ffentlich sprechender Redner vor allem durch den Erfolg seiner Rede, indem er das Publikum in der von ihm intendierten Weise beeinflußt. Da das Urteil und die Meinung der Menschen aber stärker von ihrer momentanen Stimmung als von den sachlichen Gegebenheiten des Falles abhängen (2.178), ist die Gefühlsbeeinflussung der R6rer wichtiger als der argumentative Beweis. Nach Ciceros Ansicht läßt sich der Erfolg eines Redners an der Bewegung der Gemüter ablesen (Brut.199). Mit dieser Auffassung weicht Cicero von der aristotelischen Rhetorikkonzeption wesentlich ab, nach der die logische Argumentation das Kernstück des gesamten überzeugungsprozesses bildet. Diese Schwerpunktverlagerung läßt sich jedoch damit begründen, daß sich der ciceronische Redner vor allem an den Gegebenheiten der Praxis orientiert und infolgedessen auch die wirksamsten und
e~folgversprechendsten
Uberzeugungsmittel für die wichtig-
sten hält.
3.4
Die Sicherung der Rhetorik vor
Mißbrauc~
In den Schriften De oratore, Brutus und Orator, in denen Cicero sein Bild des vollkommenen Redners entwirft, wurde ein Zurücktreten theoretischer Systeme zugunsten rhetorischer Praxis festgestellt. Nicht fundierte Kenntnisse der Logik und Argumentationstheorie werden
vo~
'orator perfectus' verlangt, sondern
übung und Erfahrung.
1)
De or.l.118: " •.. orator (sc. 1 a tu s "; B r u t . I 8 6: " . . . summ i populo esse."
0
perfectus) ..• omne laude cumurat 0 r i s e s t summ um 0 rat 0 rem in
204
Zwar übernimmt Cicero die aristotelische Konzeption der drei Uberzeugungsmittel, doch hält er die Affekterregung für das wichtigste Uberzeugungsmittel, während für Aristoteles die logische Argumentation im Zentrum des Interesses steht. Cicero dagegen erlaubt auch den Einsatz außersprachlicher Mittel, sofern nur das Publikum dadurch in der vom Redner intendierten Weise
beeinflußt wird.
Es erhebt sich also die Frage, ob denn diese Auffassung nicht zu einer willkürlichen Manipulation der Masse verführt und, falls diese Frage zu verneinen ist, wie Cicero einen Mißbrauch der Rhetorik verhindern will. De or.2.201 läßt er Antonius über einen Fall berichten, der allein durch die Erregung bestimmter Affekte, nich't aber durch den argumentativen Beweis entschieden wurde. Da aber, wie Antonius 2.189 feststellt, die innere Anteilnahme des Redners Voraussetzung für den wirksamen Einsatz gefühlserregender Uberzeugungsmittel ist, können auch nur solche Stimmungen hervorgerufen werden, di~ der Redner bis zu einem gewissen Grad selbst empfindet; durch Verstellung und Heuchelei kann er das Publikum ebensowenig mitreißen wie ein Schauspieler, der seine Rolle nicht nachempfindet (2.189). Durch diesen Vergleich mit einem Schauspieler, der nur dann Erfolg hat, wenn er sich nicht verstellt, macht Antonius bereits eine erste wesentliche Aussage über das Verhältnis des Redners zur Wahrheit: Ein Redner kann nur dann von einer Meinung überzeugen, wenn er sie nach bestem Wissen und Gewissen für vertretbar hält. An dieser Stelle erhebt sich die Frage, wie der Redner selbst zu dieser Auffassung gelangt, von deren Richtigkeit er das Publikum überzeugen will. Von den Vorarbeiten einer Rede berichtet Antonius de or.2.102: Er lasse sich zunächst über den Hergang des Falles unterrichten, vertrete dann die Position des Gegners, um den Klienten zur Verteidigung des eigenen Standpunktes und zur Darlegung seiner bis-
20S
herigen Uberlegungen zu bringen. Dieses Vorgehen, so erklärt Antonius weiter, ermöglicht eine gen aue Kenntnis des Sachverhaltes und erleichtert die Entscheidung darüber, welche Gesichtspunkte in der Rede überhaupt zur Sprache kommen und welche nach Möglichkeit vermieden werden sollen, weil sie dem Klienten eventuell schaden könnten (2.102). Nach Antonius' Aussagen verlagert sich so die logisch-sachliche Auseinandersetzung mit dem Sachverhalt zumindest teilweise in den Bereich der vom Redner zu leistenden VorarbeitEm. Der Redner und sein Klient diskutieren also in utramque partem disserentes über die verschiedenen Gesichtspunkte des Falles; der Redner gibt jedoch nicht das gesamte Informationsmaterial, sondern lediglich einen Teil davon an die Hörer weiter. Die Auswahl, die er dabei trifft, wird von den Kriterien der Nützlichkeit und Publikumswirksamkeit bestimmt. Dem Redner kommt somit eine entscheidende Rolle innerhalb des Uberzeugungsprozesses zu. Der Gefahr des Mißbrauchs rhetorischer Macht ist sich Cicero durchaus bewußt, wenn er Crassus betonen läßt: vis, hoc est magis prudentia n
(sc. eloquentia)
n •••
quo maior est
probitate iungenda summaque
(de or.3.SS). Ist die moralische Integrität eines
Redners nicht gewährleistet, so fährt Crassus fort, dann ist die Beredsamkeit eine Waffe in der Hand eines Rasenden. Aus diesem Grunde fordert Crassus auch zuvor, daß ein Redner moderatio und sapientia besitzt und kraft dieser Eigenschaften nicht nur nach dem eigenen, sondern auch nach dem Wohl des Staates strebe
(1.34).
An anderer Stelle umreißt Antonius mit den Worten 'mente providere, auctoritate, oratione persuadere'
(2.333) die Aufgaben des
Redners. Die Verbindung des Substantives 'auctoritas' mit dem Verb 'probare' macht deutlich, daß Person und Ansehen des Redners eine ebenso wichtige Rolle spielen wie die rationale Argumentation,
ja diese zum Teil wohl auch ersetzen können. Es ist
durchaus wahrscheinlich, daß der Redner bei einem Mangel an Beweisen die Uberzeugungskraft der Rede durch die Darstellung seiner eigenen Autorität verstärkt.
206
Diesen Gedanken äußert auch
~ristoteles
(1418a39-40), fordert
jedoch die strenge Trennung zwischen dem ethischen und dem logischen Uberzeugungsmittel (1418a12-16). Ein Redner, der über die von Crassus und Antonius geforderte sapientia, moderatio und auctoritas verfügt, wird die rhetorische Macht nicht mißbrauchen. Nach Auffassung des Antonius wird er die Beredsalukeit stattdessen einsetzen, um ein zögerndes Volk mitzureißen oder ein zügelloses zu mäßigen,
UIn
Schurken das Ver-
derben oder Unschuldigen die Rettung zu bringen, um zu Bewährung und Abkehr von Verfehlungen aufzurufen, um die Schlechten zu tadeln und die Guten zu loben, um Begier~e anzuklagen und Betrübnis tröstend zu lindern (de or.2.35). Mit ähnlich euphorischen Worten betont Crassus die moralische Verpflichtung des Redners (1.202), schließt aber an seine Aussage unverzüglich die Forderung an, der Redner müsse die Hörer ferner in jede denkbare Stimmung versetzen können. Aus dieser beinahe gleichzeitigen Erwähnung von ethischen Zielen, die durch die Rede erreicht werden sollen, und Affekterregung kann geschlossen werden, daß sich beides nach Crassus' Auffassung keineswegs ausschließt. Der Redner kann also die Uberzeugung des Publikums durch den Einsatz emotionsgerichteter Mittel zu erreichen suchen, s 0 f ern er von der Richtigkeit des vertretenen Standpunktes überzeugt ist und dadurch die Wahl seiner Methoden gerechtfertigt sieht. Uber rechten und unrechten Gebrauch der rhetorischen Macht entscheidet also nicht das theoretische System der Beredsamkeit, sondern allein die Person des Redners, der es anwendet. Als ein zu praktischer Anwendung bestimmtes Instrumentarium ist die rhetorische ars wertneutral und bleibt es auch, selbst wenn sie mißbraucht wird. Auch Aristoteles stellt fest, daß ein möglicher Mißbrauch nicht der Rhetorik selbst angelastet werden kann: Die Beredsa~ceit kann, ebenso wie andere Güter, zu guten oder schlechten Zwecken eingesetzt werden (1355b4-5). Entscheidend sind allein Absicht und Vorsatz des Redners
(1355b17-21).
207
Obwohl Cicero dem Redner beim Einsatz emotionsgerichteter Uberzeugungsmittel wesentlich größere Freiheit zugesteht als Aristoteles, sucht er den Mißbrauch der Beredsamkeit dadurch zu ver1 hindern, daß er vom Redner moralische Integritat fordert. )
3.5
Ciceros Eklektizismus
In Antonius' Behandlung der Affektenlehre konnte festgestellt werden, daß die Vorschriften der aristotelischen Rhetorik nicht genau wiedergegeben, sondern nur soweit wiederaufgegriffen werden, als sie für den forensisch tatigen Redner von Interesse sind. Cicero selbst begründet seinen Eklektizismus de inv.2.4-10: Bei der Abfassung einer Schrift folge er nicht nur einer einzigen Vorlage, sondern exzerpiere aus verschiedenen Quellen die seiner Ansicht nach besten Gedanken. Diese Vorgehensweise rechtfertigt Cicero damit, daß auch ein hervorragender Autor Fehler machen kann, die aber noch lange nicht zu einer völligen Ablehnung des Werkes führen müssen, solange man sich an die bene inventa hält (de inv.2.4.11-5.5) und sich nicht auf eine einzige Vorlage beschrankt. Cicero behauptet, die rhetorischen Schriften seiner Vorganger von Grund auf studiert und das jeweils Beste daraus ausgewahlt zu haben (2.5.12-14). Als einen der benutzten Autoren nennt er Aristoteles, der die Vorschriften samtlicher scriptores artis
1)
Anders Radermacher, Studien zur Geschichte der antiken Rhetorik 111, Eine Schrift über den Redner als Quelle Ciceros und Quintilians, in: RhMus 54, 1899, der p.289 feststellt, daß von der "Grundforderung, der Redner müsse ein vir bonus sein, bei Cicero nichts zu lesen" sei. Dagegen bereits W.L. Grant, Cicero on the Moral Character of the Orator, C1J 38, 1943, pp.472-73, der auf de or.2.18 " ... ut probi. bene morrati, honi viri videamur" verweist.
208
bis hin zu Teisias gesammelt und so brillant behandelt habe, daß man viel eher sein Werk als das der benutzten Autoren verwende (2.6.1-7.1). Diese Aussagen beziehen sich wohl auf die uns verlorene auvaywyn .~xvwv, die aristotelische Rhetorik wird nicht erwähnt. Als weitere Quelle nennt Cicero Isokrates, den er nach eigener Aussage zwar nicht direkt benutzt hat, dessen Vorschriften ihm aber durch die Vermittlung isokrateischer Schüler bekannt sind (2.7.10-8.3). Beide Schulen, so beschreibt Cicero die Entwicklung der Beredsamkeit 2.8.3-9 weiter, sind dann zu einer einzigen verschmolzen worden. Auf deren und ihrer Nachfolger Werke greift Cicero nach eigener Aussage zurück (2.8.9-9.1). Obwohl diese Autoren kaum näher identifiziert werden können 1 ), ist es bemerkenswert, da.ß Aristoteles und Isokrates hier namentlich erwähnt werden. Zwar beziehen sich Ciceros Äußerungen über Aristoteles nicht direkt auf dessen Rhetorik, doch erwähnt Antonius an anderer Stelle (de or.2.160), er habe neben dieser Schrift auch "illos (sc. libros), in quibus ipse (sc. Aristoteles) sua quaedam de eadem arte dixit" gelesen. Wie bereits dargelegt wurde 2 ), ist diese Aussage wahrscheinlich auf die aristotelische Rhetorik zu beziehen. Wie weit die Aussage des Antonius mit Ciceros eigener Meinung identifiziert werden kann, muß allerdings dahingestellt bleiben. Genauer äußert sich Cicero in einem Brief an Lentulus: " ... scripsi igitur, Aristotelio more, quem admodum quidem volui, tres libros in disputatione ac dialogo de oratore, quos arbitror, Lentulo tuo fore non inutiles; abhorrent enim a communibus prae-
1)
R.M.Rubbel, The Influence of Isocrates on Cicero, Dion and Aristides, New Raven, 1013, p,I73 denkt an Rermagoras, Philo und Antiochus.
2)
Vgl.
dazu pp. 110-12.
209
ceptis atque omnem antiquorum, Aristoteliam et Isocrateam, rationem oratoriam complectuntur"
(ad fam.1 .9.23).
Hubbel bewertet die gesamte Textsteile als ein Bekenntnis Ciceros, die Theorien des Aristoteles und des Isokrates den eigenen Zwecken angepaßt zu haben 1 ), während O.Angermann nur den ersten Teil der Aussage betrachtet und folglich die Ähnlichkeit zwischen Oe oratore und der aristotelischen Rhetorik allein in der äußeren Form sieht 2 ) . Neben dieser Gemeinsamkeit bestehen jedoch auch inhaltliche und wörtliche Übereinstimmungen zwischen Oe oratore, Orator, Brutus und der aristotelischen Rhetorik, die nicht mit der Zugehörigkeit zu den Vorschriften rhetorischer Tradition erklärt werden können. 3) Vor allem in De oratore zeigt sich die von Cicero ad fam.1.9.23 behauptete Loslösung von den Regeln der üblichen Handbücher, die in Oe inventione, der Topik, den Partitiones oratoriae und der Schrift des Auctor ad Herennium wiedergegeben werden. Hervorzuheben ist hier vor allem die Tatsache, daß Cicero die Anwendung der emotionsgerichteten Überzeugungsmittel in De oratore, dem Orator und dem Brutus nicht auf einen bestimmten Redeteil beschränkt. Solmsen sieht darin eine Rückkehr zur aristotelischen Lehre und weist ferner darauf hin, daß die Stellung der drei überzeugungsmittel innerhalb des rhetorischen Prozesses
I)
R.M.Rubbel, The Influence, p.16-17; ähnlich Solmsen, The Ancient Tradition, p.190; Barwick, Das Bildungsideal, p.69, sieht die Ubereinstimmung mit der aristotelischen und der isokrateischen Lehre in Ciceros Verbindung von 'sapere' und 'dicere' .
2)
O.Angermann, De Aristotele rhetorum auctore, Leipzig p.5.
3)
Vgl. dazu pp. 76-78; 161-62; 172ft.
106-07;
109-10;
152;
155-56;
160;
1914,
210
dem aristotelischen Konzept entspricht. 1) Hier muß allerdings einschränkend festgestellt werden, daß Cicero bei der Einteilung der Überzeugungsmittel neben der aristotelischen Rhetorik auch 2 andere Quellen verarbeitet. ) Zu seiner eklektischen Arbeitsweise bekennt sich Cicero jedoch de inv.2.5ff und ad fam.1.9.23 offen. Daß dieses Verfahren auch zu Ungenauigkeiten, Fehlern oder zumindest zu einer Veränderung des ursprüngliches Textes führt, liegt auf der Hand, zumal Cicero noch eigenes Gedankengut beisteuert (de inv.2.8.11-12) und die Vorlage seinen Zwecken anpaßt. Dies konnte bei der Behandlung der Affektenlehre besonders deutlich beobachtet werden (de or.2.206-11) .3) Kroll hält diese Passage "für ganz aus der aristotelischen Rhetorik entlehnt", bestreitet allerdings Ciceros Benutzung dieser Schrift, da er die Abweichung von den Vorschriften üblicher Handbücher für unerheblich hält. Dagegen ist einzuwenden, daß Cicero in einem ganz wesentlichen Punkt mit der aristotelischen Lehre übereinstimmt, nämlich in der Loslösung der emotionsgerichteten Überzeugungsmittel von den einzelnen Redeteilen. 4 ) Des weiteren widerspricht die wörtliche Übereinstimmung von de or.2.32 mit rhet.1354a6-8 und von Or.114 mit rhet.1354a1 Krolls These, da die Gemeinsamkeiten nicht mit der Zugehörigkeit zu den Regeln der Schulrhetorik erklärt werden können. Die ersten beiden Textstellen wurden bereits behandelt; Cicero und Aristoteles beschreiben hier den Weg von der praktischen
I)
Solmsen. The Orator's Playing. pp.396-97; ders., The Aristotelian Tradition, pp.178-79; ähnlich Kennedy, The Art of Rhetoric, pp.208-09.
2)
Vgl. dazu pp.104ff.
3)
Vgl. dazu pp. 1 72ff.
4)
Kroll, RhMus 58, 1903, p.582, Anm.2; ähnlich ders., NJ 11, 1903, pp.683-84. Dagegen vertritt Leeman, Orationis ratio, p.121 die Ansicht, daß Cicero hier weniger die aristotelische, als vielmehr die hermagoreische Theorie wiedergebe.
211
pian~,
Beobachtung einer Rede zur Abstraktion rhi3torischer ars.
lose und gewohnheitsmäßige Anwendung der Beredsamkeit werden dabei gegenübergestellt und nicht als einandet ausschiießende des~
Gegensätze, sondern als unterschiedliche Entwicklungsstufen selben Prozesses betrachtet. 1) Zu de or.2.30-33 stellt Kroll
ohne weiteren Kommentar fest, daß hier "der Anfang der aristotelischen Rhetorik benutzt werde n • 2 ) Auch Or.114 greift Cicero auf den Beginn der aristotelischen Rhetorik zurück, nachdem er sich zuvor zu dem Verhältnis von Dialektik und Rhetorik äußerte und die wohlgeschmückte Rede in den Bereich der Beredsamkeit, die wissenschaftliche disputatio dagegen in das Gebiet der Dialektik verwies. Die Unterscheidung zwischen beiden Disziplinen wird durch ein Bild veranschaulicht, das sich auch bei Sextus Empiricus findet;3) so soll Zenon die Dialektik mit der geschlossenen Faust, die Rhetorik dagegen mit der geöffneten Hand verglichen haben. Nach diesem Zitat fährt Cicero fort mit den Worten:
n •••
atque
etiam ante hunc Aristoteles principio Artis rhetoricae dicit illam artem ex altera parte respondere dialectiae". Wegen der wörtlichen übersetzung durch das lateinische 'ex altera parte' und wegen der genauen Angabe der genuinen Fundsteile ist die Vermutung nicht von der Hand zu weisen, daß Cicero das Zitat der aristotelischen Rhetorik direkt entnommen hat. Auch die Tatsache, daß sich Rhetorik und Dialektik bei Aristoteles nicht dadurch unterscheiden, daß diese begrenzter und komprimierter,
jene da-
gegen weitreichender ist, wie Cicero im weiteren Textverlauf behauptet 4 ), spricht nicht dagegen, daß er die aristotelische Stel-
I)
Vgl.
dazu
pp. 73-74.
2)
Kroll,
3)
Adv,Math,2.7.
4)
" . . . quod haec ratio dicendi est latior, tractior sit". Die oratio obliqua weckt
RhMus
58,
pp.586-87.
illa loquendi den Verdacht,
cones
212
le selbst eingesehen hat 1 ), sondern ist vielmehr mit seiner eklektischen Arbeitsweise zu erklären. über Ciceros Verhältnis zur aristotelischen Rhetorik äußert sich auch Leeman-Pinkster in seinem kürzlich erschienenen Kommentar zu De oratore: Er weist darauf hin, daß Cicero kurz vor Beginn seiner Arbeit an dieser Schrift an Atticus schreibt: "pascor bibliotheca Fausti"
(ad fam.4.10), wobei es sich um jene Bücher 2 handelte, die Sulla seinem Sohn Faustus hinterließ. )
Da Sulla aber die Esoterica des Aristoteles 80 v.Chr. nach Rom brachte 3 ), ist es immerhin denkbar, daß Cicero die Rhetorik des Aristoteles direkt benutzte, obwohl dies von der neueren Forschung meist in Abrede gestellt wird. 4 ) Dagegen verweist Leeman-Pinkster auf die Möglichkeit, daß Cicero die aristotelische Rhetorik vielleicht nur zur Vermeidung eines Anachronismus von den Dialoqpartnern des Jahres 91 v.Chr. nicht erwähnen läßt. Die im Laufe dieser Arbeit festgestellten übereinstimmungen zwischen Ciceros rhetorischen Schriften, und hier vor allem zwischen den Aussagen des Antonius in De oratore und der aristotelischen Rhetorik, stützen die Vermutung, daß Cicero diese Schrift wohl selbst benutzte, obwohl dies nicht mit letzter Sicherheit be-
handle sich hier ebenfalls um eine Aussage des Aristoteles. Im weiteren Textverlauf verwendet Cicero noch eine dritte Quelle, ohne jedoch den Autor zu nennen oder darauf hinzuweisen, daß es sich hier nicht um eine Fortführung des Aristoteleszitates handelt. I)
Kroll,
Komm.
zu Or.114.
2)
Komm. zu de or.I, p.222.
3)
Plut.Sulla 26.
4)
So Barwick, Das Bildungsideal, p.78; P.Moraux, Cic~ron et les ouvrages scolaires d'Aristote, Ciceroniana 2, 1975, pp.87-89; Kroll, RE, Su pp i.1087 und NJ 11, 1903, pp.683-84.
p.63;
ebenso Kennedy,
The Art of Rhetoric,
213
wiesen werden kann. Auch Solmsen, auf dessen grundlegenden Artikel bereits hingewiesen wurde, ist der Ansicht, daß Cicero die aristotelische Rhetorik selbst gelesen hat 1 ), räumt aber ein: " ... but if anyone feels differently and thinks that Cicero, though conscious of a definite agreement with Aristotle on points of principle, carefully refrained from reading the Rhetoric, I am unable to refute hirn". Immerhin bleibt festzustellen, daß Ciceros Verhältnis zur aristotelischen Rhetorik wohl einer neuen überprüfung bedarf.
I)
Solmsen, The Orator's Playing, pp.401-02; ebenso Martin, p.113; Kennedy, The Art of Rhetoric, p.22I; Laurand, p.23; Grube, p.235.
214
4
Schlußbemerkung
Während Cicero in seiner Jugendschrift, in der Topik und in den Partitiones oratoriae noch weitgehend die Vorschriften der rhetorischen Schultradition wiedergibt, konnte in Oe oratore, im Orator und im Brutus die von Cicero selbst ad farn.
1.9.23 behaup-
tete Loslösung von den traditionellen Vorschriften festgestellt werden. Die Konzeption der drei überzeugungsmittel entspricht in diesen Schriften der Stellung der fV~EXVOl rrCa~El~ in der aristotelischen Rhetorik: conciliare und movere sind, ebenso wie der sachliche Beweis, selbständige Uberzeugungsmittel, deren Anwendung nicht auf einen bestimrnten Redeteil beschränkt ist. Verdient schon diese Tatsache Beachtung, so fallen vor allem die inhaltlichen, teilweise wörtlichen Ubereinstimmungen mit der Rhetorik des Aristoteles ins Auge, die nicht mit der Zugehörigkeit zu den Regeln einer weitverbreiteten Tradition erklärt werden könneli. Bemerkenswert sind hier vor allem die Aussagen des Antonius in Oe oratore. So sei an seine Beschreibung rhetorischer ars erinnert (de or.2.32), die alle Anforderungen erfüllt, die Aristoteles an eine
ttxvn stellt: Sie ist auf empirischer Basis gewon-
nen und weiß die zugrunde liegende Ursache. sie hat mit der Wissenschaft die Allgemeingültigkeit der Aussagen gemeinsam und unterscheidet sich
von ihr durch den fehlenden Gattungsbezug und
die Modalität der Aussagen; sie kann theoretisch jeden Gegenstand behandeln, beschäftigt sich jedoch in der Praxis meist mit menschlichem Sein und Handeln, wobei unmögliche und notwendige Angelegenheiten als Beratungsgegenstand ausgeschlossen werden. Als eine weitere Gemeinsamkeit konnte festgestellt werden, daß eines dpr drei Prinzipien, nach denen Cicero die Uberzeugungsmittel einteilt, der aristoteliachen Unterscheidung zwischen !v~EXVOl rrCa~ElG und d~EXVOL rrCa~EL~ entspricht, die nach dem Kriterium ihrer theoretischen Erfaßbarkeit beurteilt werden. 1 )
I)
Vgl.
dazu pp. 106-07.
215
Allerdings vermischt Cicero mit dieser Konzeption noch weitere Einteilungsprinzipien; so finden sich de or. 2.115 und 2.163 zwei verschiedene Auffassungen, deren Unterschiede nicht erklärt, ja nicht einmal festgestellt werden. 1 ) Es ist anzunehmen, daß Cicero sich solcher Unstimmigkeiten kaum bewußt ist oder zumindest auf
~hre
Klärung keinen großen Wert legt, da er eine exakte Ter-
minologie und die rhetorische Theorie gegenüber der Praxis für 2 relativ unwichtig hält. ) Ein weiterer Grund für diese Ungenauigkeiten liegt wohl auch in Ciceros eklektischer Arbeitsweise, zu der er sich de inv.2.4.10 offen bekennt und die gerade bei der Einteilung der Uberzeugungsmittel deutlich zutage tritt ; hier werden neben der aristotelischen Rhetorik auch andere Quellen verarbeitet. Gemeinsamkeiten mit der aristotelischen Rhetorik sind ferner in Antonius' Er6rterung der Charakterdarstellung sowie in seiner Be3 urteilung von Aufgaben und Funktion des Vorwortes festzustellen. ) Auch in der Darstellung der Affektenlehre, besonders in der Behandlung von Neid und Mitleid, lehnt sich Antonius deutlich an Aristoteles an. 4 ) Diese Übereinstimmungen "ecken die Vermutung, daß Cicero die aristotelische Rhetorik kannte. Diese These wird dadurch gestützt, daß Cicero Or.114 den Beginn der aristotelischen Rhetorik zitiert und dem Dialogpartner Antonius fern8r das Bekenntnis in den Mund legt, er habe nicht nur die " ... illos
auvaywy~
~EXV~V
(sc. libros), in quiLus ipse
quaedam de eadem arte dixit ... "
gelesen, sondern auch
(sc. Aristoteles)
sua
(de or.2.160)5). Obwohl die Se-
kundärliteratur im allgemeinen eine direkte Benutzung der aristotelischen Rhetorik für unwahrscheinlich hält, legen doch die im
I )
Vgl.
dazu pp.
105-10.
2)
Vgl.
dazu pp.
78 Ef.
3)
Vgl.
dazu pp.
152; 155-56; 160; 161-62.
4)
Vgl.
dazu pp. 172-81.
5)
Vgl.
dazu pp. I 10-12.
216
Verlauf der Arbeit festgestellten Übereinstimmungen, die nicht mit der Zugehörigkeit zu den verbreiteten Regeln der Schultradition erklärt werden können, die Vermutung nahe, daß Cicero bei der Abfassung von De oratore, Orator und Brutus neben anderen Quellen auch die aristotelische Rhetorik verwendete. Wenngleich diese Vermutung nicht mit letzter Sicherheit bewiesen werden kann, so bleibt doch festzustellen, daß Ciceros Verhältnis zur aristotelischen Rhetorik einer erneuten überprüfung bedarf. Die Tatsache, daß Cicero die aristotelische Vorlage nicht unverändert übernahm, konnte zum einen mit seiner eklektischen Arbeitsweise, zum anderen aber auch damit erklärt werden, daß er der rhetorischen Praxis mehr Gewicht beimißt als der Theorie. Aristoteles dagegen untersucht systematisch das Wesen der Rhetorik, bestimmt Aufgaben und Ziel der Beredsamkeit und analysiert die einzelnen Überzeugungsmittel. Im Zentrum seiner Rhetorikkonzeption steht der argumentative Beweis durch Enthymem und Paradeigma. Der oft betonten Priorität der rationalen Argumentation widerspricht auch nicht die Tatsache,
daß Aristoteles
tionalen Überzeugungsmittel für unverzichtbar hält;diese
die emoAuffas~
sung erklärt er selbst vielmehr mit den manqelnden geistigen Fähigkeiten der Hörer(1357a10-11) ,die allzu komplizierte Schlußfolgerungen nicht nachvollziehen können. Da ferner die Stimmungen des Menschen wesentlichen Einfluß auf sein Urteil haben, ist die Anwendung emotionsgerichteter überzeugungsmittel nicht nur gerechtfertigt, sondern geradezu notwendig (1377b22-24). Einem Mißbrauch der Rhetorik tritt Aristoteles dadurch entgegen, daß er die Verankerung der gefühlserregenden Uberzeugungsmittel in der Rede selbst fordert (1356a9;a14) und sich von jenen Techniten distanZiert, die unter Vernachlässigung der rationalen Argumentation nur die Gefühlsverwirrung der Richter beabsichtigen (1354 a11-16). 1356a5ff macht Aristoteles eine wesentliche Aussage über den Wahrheitsbezug der Rhetorik: Ziel und Zweck der Beredsamkeit ist die Auffindung der aA~8ELa. Rhetorische Ltxvn liefert das dazu erforderliche Instrumentarium, das die Wahrheitsfindung ermöglicht, nicht aber notwendigerweise garantiert. Entscheidend
217
über den rechten oder unrechten Gebrauch der rhetorischen Macht ist aber nicht die
~txvn
- denn sie ist wertneutral und bleibt
es auch, selbst wenn sie mißbraucht wird -,sondern allein der sie anwendende Mensch. Erreicht die Rhetorik ihr Ziel nicht, so kann dies allein dem Redner, nicht aber der Beredsamkeit selbst angelastet werden. Während Aristoteles die Frage nach dem Wahrheitsbezug also klar und eindeutig beantwortet, thematisiert Cicero das bedeutsame Verhältnis von Rede, Uberzeugung und Uberredung, und das heißt für einen forensisch tätigen Redner die Beziehung zwischen Politik und Moral,an keiner Stelle. Das Problem ist flir ihn wohl von untergeordneter Bedeutung. Da die Wahrheits frage sehr eng mit den Uberzeugungsmitteln zusammenhängt, konnte das Verhältnis von Rhetorik und Wahrhej_t in den rhetorischen Schriften Ciceros nur anhand einer Analyse der
~V~EXVOL
TICa~EL~
deutliche Schwerpunktverlagerung
untersucht werden. Eine
gegenüber der aristotelischen
Rhetorik war dabei festzustellen: nicht der rationale Beweis, sondern die emotionalen Uberzeugungsmittel stehen im Vordergrund, da sie den Hörer nachhaltig beeinflussen und dem Redner somit den größten Erfolg und das höchste Ansehen versprechen. 1) Bei der Anwendung geflihlserregender der Einsatz
TICa~E l. ~
ist nach Ansicht Ciceros auch
außersprachlicher Mittel, wie etwa der Auftritt wei-
nender Kinder, zulässig. Zwar weiß auch Cicero um die Gefahr des Mißbrauchs rhetorischer Macht und versucht ihr durch das Postulat moralischer Integrität des Redners entgegenzutreten, doch gehen seine Uberlegungen an keiner Stelle über diese
wenig deutliche
Forderung hinaus. Entscheidend ist für Cicero allein, daß der Redner
I)
sein Ziel, die Hörer von der Richtigkeit des vertretenen
V gl. cl a zu pp. I 84 - 88. Z war hat te C i cer 0 i n s ein er J u gen d s c h r i f t. De inventione die rhetorische Argumentationstheorie ausführlich behandelt, wobei sich aller~ings aristotelische und stoische Logik überlagern. Doch distanziert sich Cicero de or. 1.5. von dieser Abhandlung und gesteht in dieser Schrift,wie auch im Orator und im Bru~us, den emotionalen Uberzeugungsmitteln den Vorrang zu.
218
standpunktes zu überzeugen, erreicht, und dieses Ziel rechtfertigt auch die Wahl der Mittel. Ein ähnlicher Vorwurf, wie ihn bereits Aristoteles gegen zeitgenössische Redner erhob 1 ), trifft daher auch Cicero: Auch er vernachlässigt die rationale Argumentation zugunsten der Affekterregung. Und dies ist eine Kritik, die bis heute kaum entkräftet sein dürfte.
I)
Vgl.
dazu Rhet.
1354all-16.
219
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228
Stellenverzeichnis Anaxirnenes ars rhet. 7.2 29.1 .4
34.1 f .3
.15 35.2 36.29
107/1 154 60/1 174/2 175/2 178/3 161/1 167/1
Anon. Seguerianus 6.18 9
27.29-28.1: 28.4ff 40.14
156/1 60/1 104/1 108 167/1
Aristoteles APr(Analytica Priora) 24b18-22 68b38-40 b38-69a19: 69a7-9 a7-11 70a2 a.3-6 a7 a26-27 a30 a30-37
22;22/1 131/1 38-42 36;38 39 24/4 25 27 31 28/2 33
APo (Analytica Posteriora) 71b17-18 73a24 75a38ff 93a15 100a9
21/2 21/2 1/2 63/3 3/2 u.3
Top ('l'opica) 100a25-27 b5-10 b21-33 104b1-17 105a17-19 b19ff 149b26-27 162b27
22;22/2;137/2 6/2;93/2 25/3 5/4 20/1 5/2 7/1 63/3
Metaph. (Metaphysik) 981a24-b6 3/1 1005b22 63/3 1022b18-22 56/1 1026b27-30 31/1 1046b2-3 6/4 EN (Ethica Nicornachea) 56/1 1105b23 b25-28 55/1 1106a3-4 49 b36 49 1111b5-6 49 1112a30-34 11/2 b2-4 11/2 1113a10-11 49 1139a29 55/1 b18ff. 3/2 1140a6ff 48/1 a14-15 3/3 a20ff 48/1 a22-33 3/3 1140b4-6 49/1 Rh.
(Rhetorica)
1354al-3 a6-11 all-16 a13 a15 a25-26 b21 1355a3-4 a3-8 a7-8 a10-14 a10-17 a14 a21-33 a26-28 a29-33 a29-3"i a31 a31-33 a37-38 b2-4
1;5;76;192f IV/1;2-3;73; 78; 18;54;62;200 VIII/1;4;12; 19 20;62 18 12; 17 4;12 19 1 2 ; 1 8; 20; 21 ; 54;62 20;63;64 63-65 64 63/1;6-1;65 10 15/2;62 4;62 65 1
63/1;64;65 65
229
1355b4-5 blo-ll b15-21 b25-26 b27-34 b28-30 b35 b35-39 1356al-20 al-4 a2 a3-4 a5-8 a6 a9 a13 a14 a19-20 a20-25 a20-33 a21 a22 a23-24 a35ff bl-5 b1-10 b4ff b5-7 b13-15 b13-:-17 b15-17 b17 b20-25 b28-34 b35-57a1: 1357al-13 al-2 a3-4 a4ff al0-12 a16-18 a22-33 a22-27 a24-25 a25-27 a27-29 a30-34 a32-33
188 6;7 4;49;62/1 ; 65;188 IV/2;5/5;6; 7 i 10 76 1 7; 12 13;104/1;106 14fi17-19;20 5;14;20;54; 103 12 15;16;54/1 14;48;198 12 15;54;60;61; 184 14;47;48 14;15;54;60; 61;184 15;15/1;19; 54/1 5; 17 20 12 16 20 20;42 42 35 20;21;33/2;62 12;20 35 20 22 33/2;62 20 7;7/1;52 8 9/1 10 8 11 ; 77 9; 10; 19; 35; 5" 9 27;30 10/1 ;21/2;4:5;76 5/3 11;11/1 24 25;34 24;30
1357a34-bl a34-b21 1357bl-3 b3-5 b4-6 b4-21 bllff b14 b17 b17-21 b25-36 b29-30 1358a1 a7-9 a37-b2 b1 1359a31-34 b12-16 1366a9-10 all a23-28 a27 1367b29 1.368a29-33 1375a'lO 1376a3-4 a25-26 1377b19 b21-22 b22-24 b24ff b25 b31ff 1378a6'-19 a8-9 a16-18 a20'-25 a23-25 1380a2-4 a9-12 a14-16 b29-33 b35-81a1 1381a9-11 a29-31 1382a16-19 a21-~5
1385a29ff a34--85b1 b13-18 b21-22 b23-25 b25-26
25;34 29i30i 33
27 27;31;35 27-29 29 30-32 33 29;30 32 36-401 4 1 36--38 12 10/2 100/3 7 11 ; 77 10 12 12 48 48 12 21 12/1 120 13/1 12 7;11;19;54 18;51 ;198 14;19;53;54; 154 12/2 54;164 52/2 48;153 49 56 178 58;59 58/1 58/1 58 174 174 58 58/59 177 58;58/1 58 190-191 57 180 57
230
1386b15-20 b16-18 1387b16-20 b23-25 1388b29 b34-89a2: 1389a2-4 b19-20 b25-26 1390a25ff a29-33 a33-34 1393a23 a28ff 1394a2-5 a4-8 al0 a21-28 a26 b8-16 1395b5-7 bl0-11 b12-16 b24-26 1396a2-3 a3-7 1397a13-16 a25-27 1401b9-11 b9-14 1402b13-21 b16-18 b18-20 b34-35 1403a2-5 b11-13 1408a14 1414a35 b8 b9 bl1 b21 1415a23 a25-28 a25-b2 a34-36 a38-39 1415bl-2 b5-6 b7-9 1415b38-39 1417 a3 a3-8
179/1 180 58;59 181 12 57 57 57 57 52;53;55 165 57 12 42-43 43-44 44 12 45 33/2 45 47 47 46 9 10/1 16 120 122 30;32/1;33; 35 32 30 21;37;41 29 26;46;117 30;32/1 17 50/2 12/1 12/1 12;12/1 12
50;155 156 60 50;51 52;157 52;161 59-60;161 51 51;51/3;156 50;50/2;155 60 49/2
1417b21 1418a12-16 a17ff a18 a33-b1 a39-40 b5 b8 b23-24 1419b10-12 bl0-14 Cicero ad farn.
(Ad farniliares)
1.9.23 4.10
6.10.15 Brut.
12 16;46;48;54/1 ; 60;172;188 46;46/1;16 12/1 49/2 188 12 12 12 49/2;60 167
191-192;196 194;196 71/1
(Brutus) 22 25 161 185
78 78 94/2 6 1 /2 ; 1 00/4 ; 101; 102/1; 108/4;153/2 185/1 185 80/1 1 00/4 ; 1 01 / 1 ; 108/5 183/3 84/2 183/2 71/4 94/2
186 199 263 276 279 287 310 319 322 Cluent.
(Pro A. Cluentio)
159 De or.
71/2 (De oratore)
1 .5. 1 .10 1. 17-22 1 .17 1.20 1 .22 1 .23 1.30-79 1 .30
79;85;199/1 76/1 83-86 9 4 ; 1 00/2 ; 1 5 1 163;183/2 89 66;84/1 81 87ff 183/2
231
1.30-34 1 .34 1 .35-44 1 .38 1 .43 1 .44 1.46-48 1 .49 1.49-61 1 .50 1 .51 1 .53 1 .54 1 .55 1 .59 1 .60 1 .65 1 .68 1 .69 1.71-79 1 .72 1.78-79 1.80ff 1 .81 1.81-92 1 .86 1 .87 1 .92 1 .92-93 1 .94 1 .95 1.96-102 1 .102 1 .105 1 .107 1.107-109 1 .110 1. 115 1. 118 1 .138 1 .145 1.146 1 .148 1.160-65 1 .202 1.209-62 1 .21 cl 1 .219 1 .223 1.260 1.263-64'
87-88;88/1; 91/2 86/2;187 88-89 89 90 92;93;94/1 89 90/1 90 89 91;91/2 9 4 ; 1 6 3 ; 1 00/ 2 91 ;91/2;92; 94/1 90/1 91 183/2 95 94/2 94;95 95;98 95;98 67 68f;96ff 96 96 69/2 69/2;164;183/2 70/2 69;72 99 97 86/2 69 66 69 70-73;75;78 72 78 82/3; 83/1; 185/1 94/1 ; 98/1 ; 166/2 80 71 ;75;75/2 86/2 86/2 188 98 98 163;183/2 94/1 94/1;98 98
2.3-4 2.5 2.12 2.29 2.30 2.32 2.35 2.68 2.75 2.81ff 2.85 2.89 2.102 2.103 2.115 2.116-17, 2.117 2.118 2.124 2.128 2.139 2.147 2.152 2.157-58 2.160 2.162-77 2.163 2.164 2.177 2.178-84 2. 178 2.182-84 2.182 2.184 2.186 2.186-87 2.189 2.196 2.199-201 2.201 2.206-11 2.206 2.206-07 2.207-09
67 76;81 ;85;94/2 102/3 79/1 70;78 72;72/1 ; 73-75; 78; 192-93 196 188 94/2 66 161 98 67 186-187 67 9 4 / 1 ; 1 00/4 ; 101-04;106-07; 108/1;197 104 79 86/2 184 100/4; 101 ; 108/4 66/1 75;79/1 103;110-12 111 101;110-12; 190;197 148-49 105;105/1 ; 106/1;197 92/2 132/1 151-54 151;163-64; 183;185 157;158; 152-54;157; 158 -153;153/2 57/1;184 164 170; 186 86/2 184 163;183;186 58/1; 170-72; 173-82;192 171 173-75 175-77
232
2.209 2.209-10 2.211 2.212-13 2.215 2.230 2.232 2.310 2.311 2.312 2.320-32 2.320 2.321 2.323 2.325 2.326 2.333 2.336 2.337 3.54 3.55 3.57 3.70 3.74 3.75 3.76 3.81 3.84 3.92 3.121 3.125 3.131 3.143 3.150 3.182 3.230 3.311 div.
(De divinatione) 1 .2 1 .126
fine
72/1 75/3
(De finibus) 4.18
inv.
170;177 178;179;181 179-81 182 183/2 86/2 75 100/4;164 94/1 172 172 155-56 152-54;157-59 52/1 ;161 ;162; 156 94/1 94/1;187 77 183/2 98 183/2;187 85/1 66/1 67 66/1 95 94/2 79/1 66/1 66/1 66/1;83 85/1 94/2 73/3 84/1 86/2 183/2
71/2
(De inventione) 1.2.2-3 1.5.23-26 1 .5.28-32 1.6.9-13 1 .7.1 -2
79 79 79 93 79
1.9.2-11 1.20.1ff 1.20.2-3 1.22.1-9 1.22.4-6 1.22.7-17 1.22.17-19 1.22.23-24 1.23.1-6 1.23.8-13 1 .34-77 1.34.1-3 1.44.1-9 1.44.7-9 1 . 44 . 10- 45 • 1 8 : 1.45.1-18 1.45.18-22 : 1.46.1-47.9: 1.46.1-3 1.46.7-9 1.46.9-15 1.46.9-47.6: 1 .47.1-6 1.47.6-9 1.47.10-49.9: 1.48.1-6 1.48.7-49.3: 1 .49 1.49.3-9 1.49.17-19 1.51.1-6 1.51.3-6 1.51.9-53.6: 1.53.1-17
92/1 155/1; 158/3 154;160 157;158 169 168 159 159 161 162 113ff 113ff 11 3 118 115-16;117 118 116 127 117;122 118 119 129 121 ;136 122 127 123-24·; .124/1 126 129 127 128 129 132 130;135 130; 1 32; 1 33; 134;135 1.54.15-19 132 1.55.1-7 134 1.55.1-56.15: 133;136 1.56.9-16 133 1.57.3-5 137 1.57.8-14 138 1.58.3-59.2: 139 1.59.4-5 139 1.59.7-14 139 1.59.17 139;140 1.59.23 139;140 1.61.1-13 138 138 1.61.2-8 1.63.1-5 116/1 1.67.4-11 138 140-41 1.68.5-12 1.68.18-69.17: 141-42 1 .69.1 141 1.69.15 142
J
!
,I i
:j
1
233
142 142 142-43 143 143;144 144 143-44 113;137/1 144/2 1.76.6-8 149 118;128 1 .79-86 1.81.3-4 124 1.98.1-6 166;166/1 1 .100.1 3ff 166;168;171 1.102.12-15: 168 1 . 104. 1 -11 168 . part. 1.105.3-7 168;170;179 166;168;169; 1.106.1ff 1 71 1.106.9-108.4: 169 1.107.1-5 169 1."108.4-7 170-79 1.109.5-6 169 1.109.21-22: 169-70 2.4-10 189 2.4.11-5.5 189 2.5.12-14 189 2.6.1-7.1 110; 190 2.7.10- 9.1 190 2.8.11-12 192 2.46.6 105/1
1.70.7-14 1.70.22 1.71.1-10 1.72.1-5 1.73.2-12 1.73.16-74.1 : 1.74.1-75.3: 1 .74 . 10-75 . 1 :
113ff 114 122 128 128-29 1 31 161 170 183 218 228
(Partitiones oratoriae) 3 5 6 9 28 28-29 29 34 39 40 45 45-46 46 47 48
nato deor. (De natura deorum) 2.8.21
138
opt.gen.(De optimo genere oratorum) 3
orat.
52 52-58 53 56 57 78 83 90 139
6 1 /2 ; 1 00 ; 1 01 ; 253/2.
(Orator ad M.Brutum) 6 7-10 14 20 43 47 61 69 100-02 112
87 36;96 94/2 102/3 81 82/3;149 82/3 82/3;100/4; 102/3; 108/4 163;183/2 86 81
verr.
78 106/1;107; 107/2;114 78/2;105/1; 106/1 103/3 108;152/5; 154;158 155/1;157/2 161 114;1"17/2; 124/2 125 124/2;136 108/2 114;147;148 108;149 144/1 78/2;105/1 ; 106 171 170 166/1 171;173/1 169 88/2 77 164/1 78
(:;:n Verrem) 46
top.
94/2 192-93;197 105;105/1 ; 106/1;107/3; "155/1; 166/1 102;152/2; 182/1 ; 183/2 163 184 " 78 84/2 71/4 90/1 90/1
71/1
(Topica) 1
8 24
1 11 105/1;106/1 78;105;105/1
234
42 43 43-44 53-55 56 7,3-74 97 98 99
135 135 127/2 145 145 78/2 154;155/1160 166/1 166;170;171
Quintilian inst. (Insti tutio oratoria) VI.l VI.28f X .1
Rhet. Her. (Oe ratione dicendi ad C. Herennium)
Oionysios v. Halikarnaß de Lys. 19
24
60/1 167/1
Horaz ep. (Epistulae) 1.2.57 :
178/2
Marius Victorinus RL (=Rhetores Latinived.Halm) 235 119/2 238 128/1 240 129/1 242 134/1 Minukian RG (=Rhetores Graeci,ed.Spengel) 417.4-9: 104/1 Platon Grg. (Gorgias) 453A2 454E9-55A2 455Aff 46507 Phdr. (Phaidros) 259Eff 260Eff 261 A8 271Cl0 27308ff 277B5ff Phlb.
96 96 69/2 1/2
69/2 69/2 97 97 97 97
(Philebos)
47Elff Plutarch Sulla 26
167 182 VIII/2
1.1. 22 1.3.15-17 1.3.19-20 1.7.1-3 1.7.3-11 1.8.4-14 1.8.9-10 1.8.13-25 1.8.26-32 1.11.7-11 1.13.5-6 1.13.9-10 2.2.21-32 2.8.1-25 2.8.1-2 2.27.5-7 2.28-30 2.28.3-14 2.28.5-6 2.28.17-28: 2.29.1-29 : 2.30.1-5 2.30.15-19: 2.47. -I 2.47.7-9 2.47.21 2.49.5-9 2.49.13-22: 2.50.1-6 2.50.10.16 : 3.24.29-30: 4. 24.26-28: 4.59.1-2 4.59.10-24: 4.62.1-2 4.62.15-17:
78 78;80 73/2 154 161-62 158 169 168 159 162 136/1 114/2 145 124/1 114/1 146 148 146 148/1;149 146-47 147 147 145 166/1 166 166/3 168 Hi8
169 169-70 7'i
/2
73/3 126/2 121/1 127 127/1
Sextus Empiricus adv. math. (Adversus mathematicos) 224f : -114/1 ; 145
177/1 Pyrrh.hyp. 194
(rrUppWVE~OL
157f:
uno"unwaE~~)
114/1;145
235
SVF (Stoicorum Veterum Fragmenta, ed.v.Arnim) 386
177
Velleius Paterculus Historia Romana 1 . 17 •3 :
VI I I / 1