Seewölfe 161 1
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Seewölfe 161 1
Kelly Kevin 1.
Waffen klirrten. Laut hallten die schweren Stiefeltritte der Soldaten zwischen den weißen Hauswänden. Im Außenhafen von Bilbao waren die engen Gassen wie ausgestorben. Ab und zu zeigte sich eine verstohlene Bewegung an einem der Fenster, und in den ärmlichen Hütten hielten die Menschen den Atem an. Am, Ende der Gasse verstummten die Schritte der Soldaten. Flackerndes Kerzenlicht erfüllte die einzige Stube im Haus des Fischers Diego Durango. Mamma Durango ließ die Maisfladen sinken, die sie zu Tortillas formte. Am Tisch hob ihre Schwiegertochter Maria den Kopf und lauschte. Ein halbes Dutzend Kinder lugte aus dem Alkoven, der mit einer bunten, gewebten Decke verhängt war. Kein Zweifel: die Soldaten verharrten vor diesem Haus. Jetzt hämmerte eine harte Faust gegen die Tür. Mamma Durango wischte ihre Hände an der Schürze ab und straffte die hageren Schultern. „Rasch, Maria!“ flüsterte sie. „Nimm die Hintertür! Du weißt, wo du dich verstecken kannst.“ „Aber die Kinder ...“ „Sie werden den Kindern nichts tun. Schnell jetzt!“ Die junge Frau sprang auf. Angst verzerrte ihr hübsches Gesicht. Sie dachte an Diego, ihren Mann, den die spanischen Soldaten verhaftet hatten. Jetzt saß er im Kerker der Festung und wurde vielleicht gefoltert. Aber warum wollte man auch sie holen? Weil sie Diegos Frau war? Weil sie Baskin war? Als ob sie sich je um die Freiheit des Baskenlandes gekümmert hätte! Freiheit - das hieß für sie, genug zu essen zu haben. Das hieß Schuhe und warme Kleider für die Kinder, Geld für den Medico, wenn eins von ihnen krank wurde. Ihre Gedanken stockten.
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Sie hatte die Hintertür erreicht. Ihr Herz hämmerte schmerzhaft, als sie die schweren Stiefeltritte im Torweg hörte. Die Soldaten ahnten, wohin sie floh und wollten ihr den Weg abschneiden. Mit zitternden Fingern stieß Maria Durango die Tür auf, aber da war es bereits zu spät. Pechfackeln erfüllten den Hof mit ihrem flackernden Licht. Zwei, drei von den Soldaten in ihren Kürbishosen, Brustpanzern und glänzenden Helmen sprangen hinzu und packten Marias Arme. Die junge Frau schrie auf. Verzweifelt versuchte sie, sich zu wehren, doch gegen die kräftigen Männer hatte sie keine Chance. „Was wollt ihr?“ rief sie. „Ich habe nichts getan! Ich schwöre es!“ „Nichts getan?“ Der Anführer der Soldaten lachte roh. „Du bist mit dem baskischen Rebellenpack im Bunde, du Hexe. Der Comandante will dich sehen.“ „Uvalde?“ Maria hauchte den Namen nur. Sie erwartete keine Antwort. Benito Uvalde das war der Hafenkommandant von Bilbao. Sein Name verbreitete Furcht und Schrecken. Er haßte die Basken, und die Basken haßten ihn. Ein Haß den er kannte, der ihn dazu brachte, sich so selten wie möglich in Bilbao oder Portugalete sehen zu lassen, sich fast ständig in seinem Haus im Innern der Feste zu verkriechen, die sich grau und wehrhaft an der Flußmündung erhob und die Häuser des Außenhafens überragte. Und Uvalde wollte sie, Maria Durango, sehen? Sie zitterte, als sie zwischen den Soldaten die steile Gasse hinunterging. Deutlich spürte sie die Blicke, die ihr folgten, Blicke voll ohnmächtigen Zorns, voll Erbitterung und Verzweiflung. Hier draußen in Portugalete standen die meisten Basken auf der Seite der Rebellen. Aber was nutzte das? Sie waren einfache Fischer und Bauern, haben kaum Waffen und mußten an ihre vielköpfigen Familien denken. Nur wenige wagten es, sich offen zu El Vasco zu bekennen, dem legendären Rebellenführer, der irgendwo in den
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kantabrischen Bergen seinen Schlupfwinkel hatte. Einer dieser wenigen war Diego Durango, Marias Mann. Er war verhaftet worden, als er am helllichten Tag versuchte, Gewehre in das Rebellennest zu transportieren - zusammen mit Gian Malandres, El Vascos Bruder. Jeder wußte, daß Benito Uvalde die Gefangenen foltern ließ, um das Wissen über El Vascos Versteck aus ihnen herauszupressen. Aber bei den Basken gab es keinen Verrat. Niemand zweifelte daran, daß die Männer der Tortur widerstanden hatten. Und jetzt? Holte sich Uvalde jetzt ihre Frauen, um zu erzwingen, was er anders nicht erreichen konnte? Er war niederträchtig, skrupellos und zu jeder Gemeinheit fähig. Deutlich glaubte Maria, das feiste Gesicht vor sich zu sehen, und die Furcht jagte ihr eisige Schauer über den Rücken. Quer durch Portugalete wurde sie zu der Landzunge geführt, auf der sich die Festung erhob. Blindlings sperrte sie sich gegen die Griffe der Männer, als das schwere Tor vor ihr aufschwang. Sie wußte, daß es sinnlos war, aber sie kam nicht an gegen die Reaktion der Panik. Mit einem dumpfen, endgültigen Laut fiel das Tor wieder ins Schloß, und Maria Durango wurde weiter gestoßen. Die äußere Befestigungsanlage. Das Haus des Hafenkommandanten, die Unterkünfte der Soldaten, ein paar holprige Gassen und die innere, die eigentliche Festung. Die meisten Soldaten blieben zurück. Nur der Anführer der Horde und zwei seiner Männer zerrten Maria Durango weiter, einen kahlen, feuchten Gang entlang, eine Wendeltreppe hinunter, die tief in die Gewölbe der Festung führte. Ein kaltes, schmutziges Verlies war das Ziel. Pechfackeln warfen ihr unruhiges Licht über die feucht schimmernden Steinquader. Maria zuckte zurück, als sie das breite, rote Gesicht des Hafenkommandanten sah. Benito Uvalde stand mit verschränkten
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Armen an der Wand und sah ungerührt zu, wie die zitternde Frau in Ketten gelegt wurde. „Gut“, sagte er schließlich zufrieden. „Und jetzt holt ihn her!“ Maria schloß die Augen. Sie wußte, was folgen würde. Die Schritte der Soldaten entfernten sich. Nach ein paar Minuten kehrten sie zurück - und jetzt mischte sich in das harte Klappern der Stiefel das Geräusch schleppender, mühsamer Schritte. „Maria!“ Der Schrei brach sich zwischen den Wänden. Die junge Frau hob den Kopf und sah in das bärtige, verzerrte Gesicht mit den verzweifelten Augen. Schmerz schnürte ihr die Kehle zu. O Diego, Diego! Er würde nicht ertragen, daß ihr etwas geschah. Er würde reden, alles verraten, und er würde es sich nie verzeihen. „Sag es nicht“, flüsterte sie. „Sag ihnen nichts, Diego, nichts ...“ Ein Schlag traf ihr Gesicht. Diego stieß einen wilden Schrei aus, und durch den Schleier der Benommenheit sah sie, wie er sich aufbäumte und sich die Soldaten von allen Seiten auf ihn stürzten, um ihn niederzuringen. * Der Kerker der Festung bestand aus einem großen Gewölbe, in dem fauliges Stroh die einzige Bequemlichkeit für die unglücklichen Gefangenen bildete. Ein stabiles Gitter mit armdicken Eisenstäben trennte den Raum für die Wachen ab. Im Schein einer blakenden Öllampe hockte sie an ihrem roh gezimmerten Holztisch, würfelten oder spielten mit schmierigen Karten - tagaus, tagein. Sie kümmerte es nicht, was mit den Gefangenen geschah Ob die ausgemergelten, bärtigen Gestalten stundenlang stumpf vor sich hinstarrten, ob sie zu toben begannen oder flüsternd beieinander saßen — den Wächtern konnte es gleich sein. Sie nahmen nur ihre schweren Musketen zur Hand, wenn jemand geholt oder wieder zurückgebracht
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wurde, und sorgten dafür, daß dann niemand dem Gitter zu nahe geriet. Gian Malandres, der baskische Rebell, kauerte in einer der gewölbten Nischen und drückte die Schultern gegen die Wand. Drei, vier dunkle, drahtige Basken waren um ihn - und ein halbes Dutzend hochgewachsener, blondhaariger Männer mit hellen Augen. Marius van Helder, der Geusenkapitän, lehnte ebenfalls an der Wand. Seine rechte Hand war mit einem Holzbrett und ein paar Stoffstreifen provisorisch geschient: er hatte sie sich im Kampf um sein Schiff gebrochen, die „Oranje“, die im Golf von Biscaya von einem Verband spanischer Kriegsgaleonen versenkt worden war. Aber die gebrochene Hand war nicht Van Helders einzige Verletzung. Die Spanier hielten ihn für einen wertvollen Gefangenen, von dem sie sich eine Menge Informationen versprachen. Denn Marius van Helders gehörte zu den führenden Köpfen der Wassergeusen, die den Spaniern in den Niederlanden immer noch erbitterten Widerstand leisteten. Der Kapitän lächelte leicht, als er an die Geschichte dachte, die er - genau wie seine Männer - unter der Folter erzählt hatte. Benito Uvalde war jetzt überzeugt davon, daß sich die Schiffe der Wassergeusen hei den. Azoren sammelten, um durch die Straße von Gibraltar ins Mittelmeer einzubrechen und Spaniens Kräfte aufzusplittern. Ein Märchen, aber ein Märchen, das vor allem nach dem Überfall Sir Francis Drakes auf Cadiz nur zu leicht Glauben finden würde. In Wahrheit gab es nur noch ein einziges Geusenschiff vor Spaniens Küsten: die „Hoek van Holland“ unter ihrem Kapitän Jan Joerdans. Mit ihm und der „Anneke Bouts“ hatte sich Van Helder auf einer Insel im Golf von Biscaya treffen wollen. Aber die „Anneke Bouts“ war im Sturm zerschellt, und die „Oranje“ war versenkt worden, noch ehe sie ihr Ziel erreichte. Marius van Helder wußte nicht, daß seine Freunde inzwischen Verbündete gewonnen hatten.
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Er wußte auch nicht, daß die „Hoek van Holland und die „Isabella VIII.“ in einer versteckten Bucht in der Nähe von Bilbao lagen und der Seewolf Philip Hasard Killigrew, den die Spanier El Lobo del Mar nannten, zusammen mit Jan Joerdans und den Geusen längst einen Plan geschmiedet hatte, um die Gefangenen aus der Festung zu befreien. Die „Hoek van Holland“ hatte der „Isabella“ geholfen, als sie schwer angeschlagen vom Sturm ins Gefecht gegen eine spanische Übermacht gehen mußte. Und die Seewölfe hatten sich revanchiert. Sie wußten, daß die Geusen ihre Verbündeten waren. Männer, die seit langen Jahren gegen die spanische Terrorherrschaft kämpften, denen alle englischen Häfen offen standen und die auch nicht tatenlos zusehen würden, wenn Philipp II. eines Tages doch noch seine Armada aussandte, um ein spanisches Heer aus den Niederlanden nach England überzusetzen. Marius van Helder ahnte nicht, daß die Seewölfe in der Nähe waren. Für ihn stand fest, daß er diesen Kerker mit seinen Folterkammern nicht mehr lebend verlassen würde. Oder nur noch einmal: um auf den öffentlichen Richtplatz geführt zu werden, wo ihn wie einen gemeinen Verbrecher die Garotte erwartete. Die Hoffnung, daß die baskischen Rebellen sie befreien könnten, teilte er nicht. Sie hatten es noch nie geschafft, einen Gefangenen aus dem Kerker zu holen, und sie würden es wohl auch diesmal nicht schaffen. Auch nicht, wenn der Gefangene Gian Malandres hieß und der Bruder El Vascos war. Van Helder hob den Kopf, als er das Gitter klirren hörte. Ein Gefangener wurde herein gestoßen. Einer der Basken: bärtig, hager, von der Folter gezeichnet, der er genau wie seine Kameraden widerstanden hatte. Aber jetzt hatte sich sein Gesicht verzerrt, und die tiefliegenden Augen wirkten stumpf und wie erloschen. „Diego!“ Leise und scharf stieß Gian Malandres den Namen durch die Zähne. Diego Durango
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taumelte, als er sich gegen die Wand der Nische stürzte. Stumm blieb er dort stehen, ein gebrochener Mann — und Malandres schien sofort zu wissen, was geschehen war. „Verräter!“ zischte er. „Sie hatten Maria.“ Diegos Stimme zitterte. „Sie drohten, Maria zu foltern. Ich konnte es nicht ertragen ...“ „Verräter! Wegen einer Frau! Was hast du ihnen gesagt?“ „Alles“, murmelte Diego dumpf. „Alles, was sie wissen wollten ...“ „Das Versteck in den Bergen?“ „Ja.“ „Namen?“ „Nein. Sie wollten keine Namen. Nur das Lager ...“ Malandres Nasenflügel vibrierten, als er ausatmete. Langsam stand er auf, beugte sich vor und tastete nach dem Messer in seinem Stiefel. Jenem Messer, mit dem er eines Tages Benito Uvalde umbringen wollte, wenn er nur nahe genug an ihn herankam. Geschmeidig sprang Marius van Helder auf und legte dem Basken die Linke auf den Arm. „Nicht, Gian“, sagte er ruhig. „Er hat uns verraten! Dieser Hund hat... „Hast du eine Frau, Gian?“ „Nein, zum Teufel, ich ...“ „Aber du hast einen Bruder. Weißt du, was du tun würdest, wenn die Spanier drohten, deinen Bruder vor deinen Augen bestialisch umzubringen? Bist du dir deiner selbst so sicher?“ Melandres biß die Zähne zusammen. Sein Blick wanderte zu dem hageren blonden Mann hinüber, der an der Wand lehnte - zu dem anderen Verräter. Er hieß Barend von Gemert, und er war als Kurier nach Spanien geschickt und erwischt worden. Wochenlang hatten Uvalde und seine Henker ihm zugesetzt - bis er verriet, wo die „Oranje“ zu finden war und die Spanier ihre Treibjagd beginnen konnten. Aber die Geusen hatten ihn trotzdem nicht ausgestoßen. Nicht einer von ihnen könne von sich selbst wissen, ob er nicht das
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gleiche getan hätte - das waren Marius van Helders Worte gewesen. Nach einem Augenblick des Schweigens ließ Gian Malandres die Hand mit dem Messer sinken. „Gut“, sagte er leise. „Vielleicht hast du recht, Holländer. Vielleicht sollte sich wirklich niemand als Richter aufspielen, bevor er nicht seinen eigenen Weg zu Ende gegangen ist.“ Er setzte sich wieder und schob das Messer zurück in den Stiefel. Nachdenklich starrte er in das faulige Stroh vor seinen Füßen. Er wäre noch nachdenklicher geworden, wenn er gewußt hätte, wie nahe sein eigener Bruder, der legendäre El Vasco, noch vor wenigen Stunden dem niederträchtigsten Verrat gewesen war. 2. Feuer flackerten auf dem Plateau in den kantabrischen Bergen. Im Lager der baskischen Rebellen hatten sich mehr als fünfzig Männer versammelt. Ein Hammel wurde am Spieß gedreht, Fett tropfte zischend in die Glut der Kohlengrube. Weinschläuche kreisten, und die leisen Stimmen erfüllten die Senke zwischen den Felsen wie das stete, unruhige Murmeln von Meereswogen. Philip Hasard Killigrew lehnte an einem Steinblock und betrachtete seine beiden Söhne, die sich wie kleine Katzen im Gras zusammengerollt hatten und den Schlaf der Erschöpfung schliefen. Sie hatten ihn verdient, diesen Schlaf. Schließlich waren sie die Helden des Tages gewesen und entsprechend gefeiert worden - obwohl Hasard immer noch nicht sicher war, ob ihnen nicht eigentlich der Hintern versohlt gehörte. Verholten sich diese Bengel doch heimlich von der „Isabella“, um ihren Vater, Al Conroy, Sam Roskill und die beiden Geusen Jan Joerdans und Friso Eyck aus der Gefangenschaft bei den baskischen Rebellen zu retten. Die Zwillinge hatten nämlich mitgekriegt, daß das Plateau hier oben uneinnehmbar war. Auf drei Seiten fielen schroffe Felswände
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ab, die bewacht wurden. Die vierte Seite brauchte nicht bewacht zu werden: ein wilder Gebirgsstrom in einer tiefen, völlig unbesteigbaren Schlucht bildete eine natürliche Barriere. Nicht einmal mit Enterhaken „und Seilen ließ sich diese Schlucht überwinden - die Felsen waren nämlich so morsch, daß die Haken ausbrachen, sobald sie das Gewicht eines Mannes tragen mußten. Arwenack, der Schimpanse, könne es vielleicht so gerade eben schaffen, hatten die Männer auf der „Isabella“ überlegt, nachdem sie von ihrem Erkundungsmarsch zurückgekehrt waren. Und die Zwillinge hatten sich auch etwas überlegt: daß sie nämlich nicht viel schwerer waren als Arwenack. Außerdem konnten sie seiltanzen, das hatten sie von den Gauklern gelernt, bei denen die Seewölfe sie in Tanger entdeckt hatten. Aber sie wußten natürlich, daß ihnen die Männer der Crew niemals ein so gefährliches Unternehmen gestatten würden. Also waren sie heimlich verschwunden und tatsächlich auf das angeblich uneinnehmbare Plateau gelangt. Dort hatten sie denn auch prompt die Hölle losgelassen. El Vasco hatte die Seewölfe und die beiden Geusen gefangen genommen, um sie den Spaniern ans Messer zu liefern. Im Austausch gegen baskische Gefangene, unter denen sich El Vascos Bruder Gian Malandres befand. Gefangene zu befreien, das war im übrigen auch der Plan der Seewölfe gewesen. Zusammen mit den Geusen wollten sie Marius van Helder aus der Festung holen. Da die Wassergeusen und die Basken verbündet waren, hatte kein Grund bestanden, an der Loyalität der Rebellen zu zweifeln. Ein fataler Irrtum, wie sich dann später herausstellte. El Vasco war entschlossen gewesen, seinen Bruder um jeden Preis zu retten, auch um den Preis, die Männer, die er eigentlich als seine Freunde betrachten mußte, wie eine Ware zu verschachern. Inzwischen war er zur Besinnung gelangt. Er hatte Hasards Messer an der Kehle gefühlt, als es dem Seewolf gelungen war,
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sich von den Fesseln zu befreien, und er hatte erlebt, daß der Seewolf keinen Wehrlosen tötete, nicht einmal in einer aussichtslosen Situation, nicht einmal einen Mann, den zu hassen er allen Grund hatte. Diese Haltung vor allem war es gewesen, die El Vasco die Niedertracht seines eigenen Verrats hatte begreifen lassen. Die beiden Männer waren sich einig geworden und hatten sich die Hand gereicht - genau in dem Augenblick, in dem die Zwillinge damit begannen, die baskischen Wächter mit Steinen zu bombardieren und im Handstreich die übrigen Gefangenen zu befreien. Als die Männer von der „Isabella“ und der „Hoek van Holland“ anrückten, außer sich wegen des Verschwindens der beiden Kinder und finster entschlossen, notfalls das ganze Plateau abzutragen, gab es schon keinen Grund mehr zum Kämpfen. Klar, daß die Seewölfe und die Geusen über diese Entwicklung erleichtert waren, auch wenn es ein paar von ihnen mächtig in den Fäusten juckte und sie El Vasco immer noch scheele Blicke zuwarfen. Doch die meisten baskischen Rebellen schienen kaum weniger erleichtert, daß nun alles anders kam. Es gab viele unter ihnen, die von Anfang an offen gegen den Plan gestimmt hatten, und manche, die sich nur unter heftigen Gewissensbissen mit dem Verrat abfinden konnten. Jetzt würden sie den geraden Weg gehen und offen und ehrlich kämpfen wie aufrechte Männer. Und sie hatten eine Chance! Der Plan, den der schwarzhaarige Riese mit den eisblauen Augen da entwickelte, war verblüffend einfach und versprach alle Aussichten auf Erfolg. Jedenfalls wenn er von Männern ausgeführt wurde, die weder Tod noch Teufel fürchteten und nichts weiter dabei fanden, die Hölle mit einem Eimer Wasser anzugreifen. Männer wie die Seewölfe und die Wassergeusen! Und wie die baskischen Rebellen, die mit ihrem unterirdischen Gang in die äußeren Festungsanlagen von Portugalete ja auch schon bewiesen hatten, daß sie notfalls
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bereit waren, den Teufel am Schwanz zu ziehen. Hasard hielt einen schmalen spanischen Parierdolch in der Hand und zeichnete mit der nadelscharfen Spitze Linien in den Staub zu seinen Füßen. Die Küste, die Bucht von Bilbao, den Außenhafen, einen groben Grundriß der Festung. Sie hatten sich das mächtige Bauwerk angesehen, die Männer des Spähtrupps, die dann später von den Basken überfallen worden waren. Sie wußten, wo der Kerker und die Folterkammern lagen, sie wußten, wo die mächtigen siebzehnpfündigen Eisenkugeln aus den Culverinen der „Isabella“ und der „Hoek van Holland“ in die Mauern schlagen mußten, um ihnen einen Weg freizuhämmern. Und vor allem kannten sie das Haus innerhalb der weitläufigen Festungsanlage, in dem sich Benito Uvalde zu verkriechen pflegte. Weil er unter der baskischen Bevölkerung nämlich so ungeheuer beliebt war, daß er sich aus Furcht vor Anschlägen auf sein Leben nur selten in der Hafenkommandantur oder seinem Palacio in Bilbao aufhielt. „Uvalde hat den Schlüssel für die Folterkammer bei sich“, sagte der Seewolf ruhig. „Als wir dort waren, hat er Van Helder über Nacht an die Wand ketten lassen.“ Er blickte El Vasco an. „Ist das das übliche Verfahren? Der kleine, breitschultrige Baske kniff die Augen zusammen. Sein zerknittertes Gesicht war maskenhaft starr. Daß der Seewolf ihn trotz allem als Parnter akzeptierte, wirklich akzeptierte — diese Tatsache mußte er erst noch verdauen. „Kommt darauf an“, sagte er langsam. „Es ist eine besonders gemeine Methode. die Uvalde anwendet, wenn er nicht riskieren will, daß seine Opfer dem Henker unter den Händen sterben. Bei den Geusen will er das bestimmt nicht riskieren und bei meinem Bruder vermutlich auch nicht.“ „Also müssen wir damit rechnen, daß es notwendig wird, in die Folterkammer einzudringen?“ „Ja. Und dazu brauchen wir entweder den Schlüssel oder so viel Schwarzpulver, daß
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es vermutlich auch den Gefangenen das Leben kosten würde.“ „Den Schlüssel kriegen wir schon.“ Hasard lächelte und zeigte seine blitzenden Zähne. „Den Kerker werden uns die Wächter öffnen. Und die entscheidende Rolle spielt dann euer unterirdischer Gang. Die Spanier werden jedes Loch in der Mauer bewachen, während wir längst weg sind.“ „Klingt gut“, sagte El Vasco langsam. „Und es ist die einzige Möglichkeit. Es geht nicht ohne Kanonade.“ Hasard nickte. Neben ihm kauerte Al Conroy, der Stückmeister, und betrachtete aus schmalen Augen die Skizze im Staub. Er wollte etwas sagen, aber er kam nicht mehr dazu, weil im selben Moment von Norden her aufgeregte Schreie herübergellten. Die baskischen Wächter. Hasard verstand die Worte nicht, da sie ihr heimisches Eskuara benutzten. Aber er sah, wie El Vasco mit einem Ruck den Kopf hochriß, wie sich seine Haltung spannte und die Gesichter seiner Kameraden blaß wurden. „Spanier!“ zischte der Rebellenführer. „Die Spanier rücken an!“ Hastig sprang er auf. Die meisten anderen Männer folgten seinem Beispiel. Die Zwillinge, von der allgemeinen Erregung aufgeweckt, schnellten hoch wie Kastenteufelchen und warfen wilde Blicke um sich. „Shane, Dan - ihr bleibt mit den beiden hier!“ befahl Hasard knapp. Der junge O'Flynn fluchte, aber er tat es nur in unverständlichem Flüsterton - bei einem gewissen Tonfall in der Stimme des Seewolfs war es besser, keine Diskussionen anzufangen. Big Old Shane packte die beiden Jungen am Kragen und drückte sie energisch wieder auf ihren Platz zurück. Und sie mucksten sich nicht. So vorwitzig sie waren, diesen gewissen Tonfall in der Stimme ihres Vaters kannten sie bereits. Minuten später huschten Hasard, Ed Carberry, Jan Joerdans und El Vasco zwischen den Felsen zu der steil abfallenden Wand hinüber, die das Plateau im Norden begrenzte.
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Die anderen waren in einiger Entfernung zurückgeblieben. Noch war die Lage völlig unklar. Und falls sich nur ein spanischer Spähtrupp näherte, brauchte man ihn ja nicht gerade durch eine aufgeregte Menschenansammlung zu alarmieren. Von wegen Spähtrupp, dachte Hasard eine Minute später erbittert. Was da heranzog, war schon eher eine Armee. Soldaten in weit auseinander gefächerter Scharfschützen-Formation. Drei mächtige Kanonen auf rumpelnden Wagen, von Maultiergespannen gezogen. Ein halbes Dutzend Offiziere, das eben noch an der Spitze geritten war, übte sich jetzt in vornehmer Zurückhaltung. Und das bewies deutlicher als alles andere, daß die Spanier sehr genau wußten, was sie dort oben auf der Mesa erwartete. „Halleluja“, sagte Ed Carberry ergriffen. El Vasco sagte etwas auf Eskuara. Der Seewolf verstand es nicht. Aber er hätte geschworen, daß es ein ganz besonders lästerlicher Fluch war. * Der spanische Offizier, der das Unternehmen leitete, trug den schönen Namen Jose Maria Antonio Felipe y Gomez de Madre-Castillo. Er war klein und dürr und häßlich. Niemand, der ihn sah, hätte einen hervorragenden Offizier Seiner Allerkatholischsten Majestät in ihm vermutet. Und eben deshalb mußte er immer etwas besser sein als alle anderen. Vor allem, wenn es galt, seine Leute anzutreiben und tollkühne Pläne zu entwerfen. Tollkühne Pläne, bei denen dann meist andere den Kopf hinhalten mußten, die vielleicht selbst der Ansicht waren, daß bisweilen Vorsicht der bessere Teil der Tapferkeit sei. Selbst den Kopf hinhalten, das konnte Jose Maria Antonio Felipe nicht. Er hätte riskiert, daß seine kunstvolle Lockenperücke verrutschte. Und die üppigen weißen Rüschen an seinen Ärmeln waren im Kampf auch eher hinderlich. Aber dafür wirkten sie sehr eindrucksvoll,
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wenn er — so wie jetzt — mit großer Geste die Arme schwenkte. „Eine Kanone dort auf die Felsen! Eine dort — und eine da drüben! Adelante, adelante!“ Sein Teniente verbarg seine wahren Gedanken hinter einer gußeisernen Miene und trieb die Männer an, die wiederum die Maultiere antrieben. Jose Maria und so weiter spähte zu dem Plateau hinüber. Sein endloser Name gelangte nur zu Ehren, wenn er bei einer Festlichkeit vom Zeremonienmeister angekündigt wurde. Seine Offiziere und Soldaten nannten ihn „Comandante“, jedenfalls wenn er in der Nähe war. Sonst hatten sie einen anderen Namen für ihn. „Pigmeo ferreo“, nannten sie ihn dann, den „eisernen Zwerg“. Aber nur, wenn sie ganz sicher waren, daß er es nicht hören konnte. Jetzt zog der „eiserne Zwerg“ ungeduldig die Brauen zusammen, weil ihm seine Leute die Kanonen nicht schnell genug in Stellung brachten. Dabei schufteten die Männer wie die Wilden, schleppten Kugeln und Kartuschen, brüllten auf die störrischen Maultiere ein und stemmten sich selbst in die Speichen der Karrenräder. Genau genommen war es ein Unding, die schweren Geschütze dort oben zwischen die Felsen schaffen zu wollen. Aber wie gesagt: der „eiserne Zwerg“ war sehr begabt darin, seine Leute zu Höchstleistungen anzuspornen. Ein siegessicheres Lächeln spielte um seine dünnen Lippen. Er kannte diese Mesa. Er wußte, daß die Rebellen nicht entwischen konnten. Im ungünstigsten Fall konnte man sie schlicht und einfach aushungern, aber der „eiserne Zwerg“ war überzeugt davon, daß es ihm schon vorher gelingen würde, sie aus ihren Schlupfwinkeln zu treiben. Das war dann das Ende des baskischen Widerstandes. Und ihm, Jose Maria Antonio Felipe y Gomez de Madre-Castillo, würde ein Vertreter Seiner Allerkatholischsten Majestät einen neuen Orden an die Brust heften.
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Der zwergenhafte Comandante lächelte, straffte die schmalen Schultern und drehte sich im Sattel, um seinen Leuten den Strick, die Garotte oder das ErschießungsKommando anzudrohen, wenn sie sich nicht endlich beeilten. * „Comandante Pigmeo! Der eiserne Zwerg! Ich kenne ihn, diesen spanischen Leuteschinder!“ El Vascos Augen glühten, seine Nasenflügel vibrierten. Genau wie die anderen beobachtete er die Soldaten, die mühselig die drei Kanonen in Stellung zu bringen suchten. Wenn sie es geschafft hatten, konnten sie den größten Teil des Plateaus beschießen. Aber es gab Deckungen genug, die für die schweren Eisenkugeln unerreichbar waren, und irgendein Ziel sahen die Spanier von ihren Plätzen aus auch nicht. „Die Munition wird ihnen ausgehen“, prophezeite einer der Basken. „Und uns werden die Vorräte ausgehen“, sagte Hasard trocken. „Sie können uns aushungern.“ „Aber auf jeden Fall können sie nicht herauf.“ „Genauso wenig, wie wir hinunter können, Mann!“ Es war El Vasco, der das hervorstieß. Ohnmächtige Wut ließ seine Zähne aufeinander knirschen. Hasard blickte ihn an und grinste matt. „Doch“, sagte er. „Wir können hinunter.“ „Und wie sollen wir ...“ El Vasco stockte. In seinen dunklen, tiefliegenden Augen erschien ein wildes Funkeln. Al Conroy, der bis zum Rand der Felswand geschlichen war, um einen fachmännischen Blick auf die spanischen Kanonen zu werfen, boxte Carberry in die Rippen, und dessen Narbengesicht verzog sich triumphierend. „Die Zwillinge“, sagte er. „Sie haben die verdammte Schlucht einmal geschafft, sie werden sie auch ein zweites Mal schaffen. Und dann brauchen sie nur noch eine von
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den Strickleitern mitzunehmen, die wir an beiden Enden ordentlich belegen.“ „Stimmt“, sagte Hasard. „Die Spanier kümmern sich offensichtlich nicht um die Schlucht, weil sie ihre Tücken kennen. Wir können also ohne große Schwierigkeiten von hier verschwinden. Aber ich fürchte, daß es damit nicht getan ist.“ Die Männer sahen sich an. Al Conroy wiegte den Kopf. El Vasco fuhr mit allen fünf Fingern durch sein krauses, schon angegrautes Haar. „Die Spanier werden ziemlich schnell merken, daß sie ein leeres Plateau beschießen“, sagte er langsam. „Der ,eiserne Zwerg' wird vor Wut schäumen und alles daransetzen, uns aufzustöbern.“ „Und es wird ihm gelingen, zumindest unsere Spuren zu finden“, stellte Jan Joerdans fest. Der Geusenkapitän mit dem welligen hellbraunen Haar ließ den Blick schweifen. „Wir sind mehr als fünfzig Männer. Wir können nicht einfach nach Portugalete marschieren, ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen.“ „Was wahrscheinlich bedeutet, daß die Spanier jedes Haus, jeden Schuppen und jeden Stall durchsuchen werden“, sagte El Vasco. „Und daß sich entschieden mehr Soldaten in Alarmbereitschaft befinden, als wir gerechnet haben“, setzte Friso Eyck hinzu. „Unser ganzer Plan steht und fällt mit der Möglichkeit, daß sich ein Stoßtrupp unbemerkt bis zur ,Linterna Roja` durchschlagen kann. Und das geht nicht, wenn die ganze verdammte Stadt von spanischen Soldaten wimmelt.“ Schweigen. Hasard hatte sich abgewandt und spähte aus schmalen Augen zu den Kanonen hinüber; von denen jetzt die erste zwischen den Felsen in Stellung gebracht wurde. Mit den beiden anderen mühten sich die Männer noch ab. Das Gros der Spanier hatte sich in drei Scharfschützen-Reihen auf der Ebene versammelt. Wahrscheinlich würde der kleine Comandante, den man hier den „eisernen Zwerg“ nannte, später einen Versuch unternehmen, die Felswand erklettern zu lassen. Unter dem Schutz von
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massivem Musketenfeuer auf den Rand des Plateaus und einer ebenso massiven Kanonade mochte das sogar gelingen. Wenn auch die armen Kerle, die von ihrem Vorgesetzten in dieses Abenteuer gehetzt wurden, bestimmt nicht zu beneiden waren. „Hast du vielleicht 'ne Idee, Sir?“ fragte Ed Carberry grollend. Hasard wandte sich um und grinste ihn an. „Sicher“, sagte er gelassen. „Wir müssen die Spanier schlagen, was sonst? Und zwar so vernichtend schlagen, daß keiner mehr nach Portugalete zurückfindet, um den Hafenkommandanten zu warnen. Das heißt, wir müssen sie absolut wasserdicht einkesseln und alles gefangen nehmen, was sich ergibt.“ Eine kurze Stille folgte seinen Worten. El Vasco und die baskischen Wächter glaubten, einen Scherz gehört zu haben. Nur daß Ed Carberry, Al Conroy und der Bootsmann Ben Brighton gar nicht so aussahen, als würden sie das als Scherz auffassen. Der Profos reckte mit einem zufriedenen Schnaufen die rahsegelbreiten Schultern. Ben Brightons ruhige graue Augen schienen die Stärke der Spanier abzuschätzen. Und selbst in den braunen Augen Jan Joerdans' und den blauen Friso Eycks erschien nach einem Moment der Überraschung ein spekulatives Glitzern. „Den Geschützmannschaften können wir in den Rücken fallen“, sagte Kapitän Joerdans gedehnt. „Dafür genügen je drei, vier Mann, das geht wie der Blitz. Wenn wir den Rest der Bande dann mit je zwanzig Mann von den Flanken aus angreifen ...“ „Tun wir aber nicht“, sagte Hasard ruhig. „Wir bauen eine schöne saubere Falle auf. Sobald die Geschützmannschaften außer Gefecht sind, schmeißt die Gruppe, die hier oben zurückbleibt, den Gentlemen eine Flaschenbombe vor die Füße. Dann fordern wir sie auf, sich zu ergeben. Und wenn sie es nicht tun, haben sie sich die Folgen selbst zuzuschreiben.“ „Die werden laufen wie die Hasen!“ freute sich Al Conroy.
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„Ja. Und zwar genau in die Arme der beiden Gruppen, die sie in die Zange nehmen. Auf diese Weise müßte es zu schaffen sein. Einverstanden, El Vasco?“ Der Baske hatte mit offenem Mund zugehört. Jetzt schluckte er heftig und versuchte, seine Fassung zurückzugewinnen. „Dürfte ich vielleicht mal erfahren, was Flaschenbomben sind?“ fragte er erschüttert. Hasard erklärte es ihm. Er setzte auch gleich hinzu, daß die Seewölfe, die ja ursprünglich ebenfalls das Plateau hatten stürmen wollen, genug von den „Flaschenbomben“ bei sich hätten. El Vasco schluckte abermals. Er versuchte sich vorzustellen, was diese mit Zündschnüren versehenen, mit Schwarzpulver, Nägeln und Metallzeug gefüllten Flaschen anrichten konnten — und jetzt erschien auch in seinen Augen das spekulative Glitzern. Im selben Moment ertönte ein dumpfes Krachen, Rauch wölkte auf, und die erste Kanonenkugel zog ihre gewölbte Bahn über die Ebene und schlug dröhnend zwischen den Felsen des Plateaus ein. 3. In den Gewölben der Festung von Portugalete herrschte düsteres Halbdunkel. Die blakende Ölfunzel, die den Wachraum erhellte, warf wenig trübes Licht und malte die Schattenbilder der armdicken Eisenstäbe auf den feuchten Boden. Auch durch die beiden bogenförmigen, vergitterten Kellerfenster fiel schwacher Widerschein, der von den Sturmlampen stammte. Nur selten gingen Soldaten über die gepflasterte Gasse im Innern der Befestigungsanlage, und selbst von denen konnten die Gefangenen nur die groben Stiefel sehen. Marius van Helder lehnte an der Wand und ließ den kühlen Luftzug über sein brennendes Gesicht streichen. Er hatte Fieber. Irgendwo in der Dunkelheit einer Nische wälzte sich der junge Jan Martiens unruhig auf dem
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verfaulten Stroh. Die meisten Basken schliefen. Sie hatten ein beneidenswertes Talent, fast in jeder Situation Schlaf zu finden. Vielleicht lag es daran, daß sie Fischer und Bauern waren, an die Enge ihrer armseligen Hütten gewöhnt und nicht an die Weite des Meeres. Van Helder konnte die Brandung hören, die gegen die Klippen rauschte. Irgendwo dort draußen segelte die „Hoek van Holland“; Was würde Jan Joerdans jetzt tun? Was konnte er noch tun, da ihr Plan, mit einem starken Verband gegen die Häfen der spanischen Niederlande zu segeln, endgültig gescheitert war? Sich dem Kampf der Basken anschließen? Die Rebellen von See her unterstützen? Das war das einzige, was ihm noch übrigblieb, und es war genau wie alles andere ein verzweifeltes Unternehmen. Ein Schatten tauchte neben Van Helder auf. Er wandte den Kopf und blickte in das zerknitterte Gesicht von Gian Malandrs. „Siehst du die Geusenschiffe segeln?“ fragte der Baske mit einem leisen Anflug von Spott. Van Helder lächelte. „Es ist nur noch eins übrig, die ,Hoek van Holland'.“ „Und es schwimmen genug spanische Galeonen herum, die darauf warten, gekapert zu werden, oder?“ „Du glaubst immer noch, daß deine Freunde uns befreien werden, Gian?“ „Wer weiß? Vielleicht deine und meine Freunde gemeinsam. Ich kenne Jan Joerdans fast ebenso gut, wie ich meinen Bruder kenne. Glaubst du nicht, daß sie kommen werden?“ Marius van Helder fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen. Das Fieber verschleierte seinen Blick. Er fragte sich, was er wirklich glaubte. „Ich hoffe, daß sie nicht kommen“, sagte er schließlich leise. „Weil ich weiß, daß es aussichtslos ist. Aber ich glaube, sie werden es trotz allem versuchen.“ * Der Seewolf atmete auf, als sie die Schlucht erreichten.
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Bis dahin hatte er keine genaue Vorstellung von der Seilkonstruktion gehabt, die die Zwillinge zurechtgebastelt hatten, jetzt sah er, daß die Schlucht von dieser Seite aus wesentlich einfacher zu überqueren war, als er befürchtet hatte. Auf jeden Fall brauchten die beiden Jungen keine neue halsbrecherische Probe von ihrem artistischen Können zu geben. Denn hier auf dem Plateau ließ sich der Enterhaken ohne weiteres erreichen und war mit Leichtigkeit zu sichern. Allerdings: auf der anderen Seite hatten sich die Zwillinge beim Belegen des Seils nur nach ihrem eigenen Leichtgewicht gerichtet. Einer von ihnen mußte als erster hinüber. Aber nicht als Seiltänzer. Hasard senior winkte Hasard junior. Und fast im selben Moment erzitterten die Felsen, weil mal wieder eine der schweren Eisenkugeln in der Nähe einschlug. Hasard junior spuckte nur gelassen in die Richtung, in der die Spanier seit zehn Minuten ununterbrochen ihre Kanonen abfeuerten. Hasard senior grinste. Er wußte, daß die Geschütze nicht bis hierher reichten. Den Zwillingen hatte es Big Old Shane erklärt. Aber trotzdem war es erstaunlich, welche Ruhe die beiden Knirpse in diesem dröhnenden, krachenden Hexenkessel bewahrten. Der kleine Hasard fauchte wie eine gereizte Wildkatze, als sein Vater Anstalten machte, ihn mit dem Tarnten zu sichern. Er sprudelte etwas von „verflixt und zugenagelt“, „Zeitvergeudung“ und „Hurtig-hurtig“, aber bevor er damit fertig war, hatte ihn der Seewolf schon sozusagen an der Angel. „Die Jacobsleiter!“ rief er. „Himmelarsch, wo ...“ „Schon da, Sir!“ meldete Batuti. „Schönes langes Jacobsleiter von Winde. Gerade noch rechtzeitig, bevor Winde kaputt von Kugel.“ „Scheißspanier“, knurrte Carberry. „Himmelarsch!“ fluchte der kleine Philip fröhlich.
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Und der Seewolf sagte sich im stillen, daß er sich als Vater in Zukunft wohl, verdammt, noch mal, ein bißchen mit dem Fluchen in acht nehmen müsse. Big Old Shane und Batuti sicherten den Enterhaken mit ihrem Körpergewicht. Der kleine Hasard band sich das Ende der Jacobsleiter mit einem Bändsel um den Leib, dann warf er einen ausgesprochen vergnügten Blick in die Runde, breitete die Arme aus und unternahm den ersten Schritt auf das Seil. Fasziniert beobachteten die Männer, wie die schlanke, drahtige Gestalt über den tosenden, gischtenden Abgrund turnte. Es sah spielerisch aus, leicht, elegant - ein Triumph der Geschicklichkeit und des Mutes über die tobenden Elemente. Hasard dachte daran, daß die beiden Jungen das gleiche Kunststück in umgekehrter Richtung ganz allein fertig gebracht hatten, ohne jede Sicherung, und er spürte noch nachträglich, wie ihm ein gelinder Schauer über den Rücken rieselte. „Teufelskerle sind das“, murmelte Dan O'Flynn wie zu sich selbst. „Ganz ausgekochte Bürschchen.“ „Soll er erst mal beweisen, daß er gelernt hat, wie man eine Jacobsleiter ordentlich belegt“, brummte der Seewolf. Hasard junior hatte es gelernt. Die Männer brauchten gar nicht erst groß herumzuprobieren, sondern nur noch ihr Ende der schwankenden Brücke zu belegen. Danach wurde das Tau mit dem Enterhaken in Brusthöhe neu gespannt, so daß es eine Art Geländer bildete. Hasard junior tat das an seiner Seite sehr gekonnt, indem er das freie Ende um einen zerklüfteten Felsblock führte, und dann stand er auf eben diesem Felsblock wie ein Triumphator und beobachtete die weitere Entwicklung der Dinge. Arwenack, der Schimpanse, war natürlich als erster drüben. Der kleine Philip folgte ihm. Die Strickleiter war sicher genug, auf der „Isabella“ turnte er schließlich auch in den höchsten Wanten herum. Einer nach dem anderen überquerten die Männer die Schlucht. Hasard lauschte auf das Donnern
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der Kanonen und das Krachen der Einschläge. Er dachte an Ferris Tucker und die sechs Männer, die mit dem rothaarigen Schiffszimmermann auf dem Plateau zurückgeblieben, waren. Sie würden auf ihre Köpfe aufpassen müssen. Aber daß sie das sehr gut konnten, hatten sie ja alle schon mehr als einmal bei wilden Seegefechten im Hagel der Breitseiten bewiesen. Der Seewolf enterte als letzter auf die andere Seite. Auf dem Plateau schlugen immer noch krachend die schweren Eisenkugeln ein. Dreckfontänen spritzten, ab und zu flogen Felsentrümmer, immer wieder gingen Splitterregen nieder. Jetzt krachten auch die ersten Musketen. Die Spanier beschossen den Nordrand des Plateaus, und ein paar von Ferris Tuckers Leuten erwiderten das Feuer, damit ihre Gegner nicht zu früh dachten, daß die Basken ihr Versteck geräumt hatten. Fest stand, daß die Spanier nur mit El Vascos Leuten rechneten. Miranda Lleones, die junge Baskin, die dem Hafenkommandanten einen Brief mit dem Vorschlag des GefangenenAustausches hatte zustellen sollen, war von den Seewölfen abgefangen worden. Benito Uvalde ahnte nicht einmal, daß Philip Hasard Killigrew in der Nähe war. Und der „eiserne Zwerg“, der die spanischen Soldaten führte, konnte deshalb auch nicht wissen, daß mehr als zwanzig Männer von der „Isabella“ und der „Hoek van Holland“ die baskischen Rebellen verstärkten. Jose Maria Antonio Felipe y Gomez de Madre-Castillo würde eine böse Überraschung erleben. Hasard grinste matt, während er die schwerbewaffneten Männer musterte: Was ihnen bevorstand, war schon eher eine Feldschlacht als ein Kampf, wie sie ihn kannten. Aber wenn es ihnen erst einmal gelungen war, die spanischen Geschütze zum Schweigen zu bringen, hatten sie alle Chancen. Sie bildeten drei Gruppen zu je drei Mann. Jan Joerdans mit zwei Geusen. Ben Brighton, der den langen Stenmark und
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den flachshaarigen Friso Eyck mitnahm. Und schließlich Hasard zusammen mit Ed Carberry und Dan O'Flynn. Die anderen teilten sich. Die Basken, die jeden Fußbreit Boden in dieser Gegend kannten, würden je eine Gruppe in die Flanken der Spanier führen. Und aus dieser Umklammerung konnte es für die Soldaten theoretisch kein Entkommen mehr geben. Nur Big Old Shane blieb zurück, um auf die Zwillinge aufzupassen. Aber niemand zweifelte daran, daß ihm damit alles andere als die leichteste Aufgabe zuteil geworden war. * Stiefelabsätze klapperten über den gepflasterten Platz innerhalb der mächtigen Ringmauer der Feste. Benito Uvalde benagte gerade die letzten Knochen des gebratenen Fasans, nahm einen Schluck von dem funkelnden Rotwein und überlegte, ob er noch einen halben Fasan oder lieber einen Berg kandierter Kastanien nehmen solle. Geziert tupfte er sich mit einem Spitzentuch den Mund ab und runzelte ärgerlich die Stirn, als er das Pochen an der Haustür hörte. Wer, zum Teufel, wagte es, ihn um diese Zeit zu stören? Uvalde erwartete eine rundliche, glutäugige Schöne, aber die erschien nicht mit einer Soldaten-Eskorte. Und Jose Maria Antonio Felipe y Gomez de MadreCastillo konnte noch nicht zurück sein, so schnell ließen sich die baskischen Rebellen auch von dem „eisernen Zwerg“ nicht besiegen. Mit einem Anflug von Erbitterung dachte der Hafenkommandant an den kleinen Mann mit seinem endlosen Namen und seiner endlosen Reihe vornehmer Ahnen. Er, Benito Uvalde, hatte keine adlige Familie aufzuweisen. Er mußte sich abstrampeln, um das zu erreichen, was, anderen in den Schoß fiel. Dabei vergaß er allerdings, daß es zwanzig Jahre her war, seit er sich das letztemal tatsächlich abgestrampelt hatte, und daß der „eiserne Zwerg“ immer noch mehr
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Anstrengungen und Mühen auf sich nahm als der fette Uvalde. Sein Diener klopfte an die Tür und meldete den Besuch eines gewissen Hernandez. Uvalde hob die Brauen, jetzt eher interessiert, denn ärgerlich wegen der Störung. Pedro Hernandez war einer seiner vielen Spitzel. Ein höchst erfolgreicher Spitzel sogar, da er bis zu einem gewissen Grade das Vertrauen der Basken genoß, was man von den meisten anderen nicht behaupten konnte. Dienernd trat er ein. Uvalde wies auf einen freien Stuhl und lächelte jovial. „Nun, mein Freund? Gibt es Neuigkeiten?“ „Ja, Comandante. Die ,Hoek van Holland' ist gesehen worden.“ „Auf dem Weg zu den Azoren, ich weiß.“ Uvalde winkte ab. Noch glaubte er die Geschichte, die ihm Marius van Helder und die anderen Geusen in der Folterkammer erzählt hatten. „Nein, Comandante. Die ,Hoek van Holland' ist in der Nähe einer Insel im Golf von Biscaya gesehen worden. Dort wollte sie sich offenbar mit der ,Oranje' und der ,Anneke Bouts' treffen.“ „Die beide auf dem Meeresgrund liegen.“ „Ja, Comandante“, sagte der Spitzel. Uvalde kniff die Augen zusammen, bis sie fast zwischen Fettwülsten verschwanden. Erst jetzt wurde ihm bewußt, daß das, was er soeben hörte, nicht mit Marius van Helders Geschichte übereinstimmte. Eine steile Falte erschien auf der Stirn des Hafenkommandanten. „Und du bist sicher, daß sich die drei holländischen Schiffe bei dieser Insel treffen wollten?“ fragte er alarmiert. „Man erzählt es sich so.“ Der Spitzel lächelte und versuchte, die Stimmung seines Gegenübers einzuschätzen. Gewitterstimmung, wie er besorgt feststellte. „Außerdem erzählt man sich noch von einem Schiff mit Namen ,Isabella–, fuhr er fort. „Ich weiß.“ Uvalde knirschte mit den Zähnen. „Fünf Kriegsgaleonen wollten diese verdammte ,Isabella' kapern, um sich anzusehen, wer es wagte, so dicht an der spanischen Küste vorbeizusegeln. Aber die
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,Hoek van Holland' eilte dem Schiff zur Hilfe, und sie schafften es, zu entwischen.“ Hernandez nickte. Er verzichtete darauf, zu erwähnen, daß die „Isabella“ und die „Hoek van Holland“ in Wahrheit durchaus nicht „entwischt“ waren, sondern drei Galeonen auf Tiefe geschickt und die beiden anderen in die Flucht gejagt hatten. Der Hafenkommandant war davon ausgegangen, daß sich die „Isabella“ schleunigst nach Norden ab- gesetzt hatte, um so schnell wie möglich dem Golf von Biscaya den Rücken zu kehren. Und was den Verbleib der „Hoek van Holland“ betraf, so hatten ihm die gefangenen Geusen eine zufrieden stellende Erklärung geliefert. Zufrieden stellend, aber so falsch wie Katzengold. „Es heißt, daß sich beide Schiffe eine Weile in der Nähe der Insel herumgetrieben haben“, sagte der Spitzel vorsichtig. „Und unter den baskischen Fischern gibt es Gerüchte. Nur Gerüchte, Comandante, ich glaube ja selbst nicht recht, daß irgendetwas daran ist, aber ...“ „Was für Gerüchte, zum Teufel?“ fauchte Uvalde. „Daß der Seewolf in der Nähe ist, Comandante. El Lobo del Mar mit seinem Schiff, das bekanntlich ,Isabella` heißt und eins der ersten war, das die neue englische Bauweise aufwies.“ „Diablo!“ flüsterte Benito Uvalde mit vorquellenden Augen. Das Herz schlug ihm plötzlich wie eine große Trommel in der Brust. El Lobo del Mar! Natürlich, dessen Schiff hieß „Isabella“. Warum, zum Henker, war ihm das nicht gleich eingefallen? El Lobo del Mar war schließlich auch dabei gewesen, als Drake, den die Spanier El Draque nannten, über Cadiz hergefallen war wie ein leibhaftiger feuerspeiender Drache. Uvalde rechnete fieberhaft. Wie lange lag dieses verdammte Cadiz-Unternehmen zurück, das Spanien einen so empfindlichen Schlag versetzt hatte? Doch, es konnte stimmen. Aber warum war El Lobo del Mar nicht nach England
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gesegelt? Was tat er vor der baskischen Küste? Der Sturm! Der verdammte Sturm mußte sein Schiff tief in den Golf gedrückt haben. Wirklich nur der Sturm? Oder steckte irgendeine finstere Absicht dahinter? War die Begegnung zwischen der „Isabella“ und der „Hoek van Holland“ vielleicht überhaupt kein Zufall gewesen? Hatte sich der englische Freibeuter mit den holländischen Wassergeusen getroffen, um hier im Norden etwas Ähnliches anzuzetteln wie unten in Cadiz? Bilbao war ein Zentrum des spanischen Schiffbaus. Einerseits war es natürlich unvorstellbar, daß ein paar Geusen und Engländer auf den Gedanken verfallen könnten, Bilbao anzugreifen. Aber andererseits: war es nicht vor wenigen Wochen noch genauso unvorstellbar gewesen, daß Sir Francis Drake mit seinem Verband einfach vor Cadiz auftauchte und mehr als tausend Tonnen Schiffsraum in Brand schoß oder versenkte? Benito Uvalde begann zu schwitzen. Unmöglich, versuchte er sich einzureden. Schließlich bestand ein gewaltiger Unterschied zwischen Drakes Verband und zwei lumpigen Galeonen. Aber was war mit den anderen Geusenschiffen? Hatte Van Helder nicht von der „Wappen von Oranien“ gesprochen, von der „Gelderland“, der „Zeeland“ und „Utrecht“, und wie sie alle hießen? Bei den Azoren wollten sie sich sammeln, hatte der Geusenkapitän behauptet. Um ins Mittelmeer zu segeln und dort die spanischen Häfen anzugreifen. Die Mittelmeerhäfen, ha! In Wirklichkeit hatten sie es auf Bilbao abgesehen. Uvalde schnaufte, seine kleinen Augen funkelten triumphierend, bis ihm bewußt wurde, daß zu einem solchen Triumph überhaupt kein Anlaß bestand. War es möglich, daß den spanischen Galeonen ein ganzer Verband von Geusenschiffen entgangen war? Natürlich war es möglich. Sie konnten überall sein. Vielleicht sogar an der französischen Küste, wo es auch Basken
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gab, die Spanien haßten, wo so viele Häfen von hugenottischen Hafenleuten beherrscht wurden. Benito Uvalde wischte sich mit dem Handrücken die dicken Schweißperlen von der Stirn, dann griff er zu dem silbernen Glöckchen, das neben seinem Teller stand, und rief den Diener herbei. Uvaldes feistes Gesicht sah fahl aus. Er wies auf den Spitzel. „Drei Goldstücke für Hernandez! Und dann sag dem Kerkermeister Bescheid. Ich will diesen verdammten - lügnerischen Geusenkapitän noch einmal befragen.“ 4. Der Seewolf richtete sich vorsichtig zwischen den dürren Sträuchern auf. Er blickte zu den schwarzen Felsblöcken hoch, die eine wild zerklüftete, bizarre Formation bildeten. Von seinem Platz aus konnte er weder Jan Joerdans' Geusen noch Ben Brighton mit seiner Gruppe sehen, doch er wußte, daß sie da waren. Sie hatten einen weiten Bogen geschlagen, fast eine halbe Stunde gebraucht und befanden sich jetzt im Rücken der Spanier. Vor ihnen ragten die Felsen ziemlich steil auf. An der anderen Seite fielen sie flacher ab. Dort hatten die Spanier ihre Kanonen in Stellung gebracht, mit denen sie immer noch das Plateau beschossen. Manchmal, wenn das mörderische Krachen verstummte, waren Stimmengewirr und die Befehle zu hören, die der „eiserne Zwerg“ schrie. Zweimal hatte er die Rebellen, die er auf der Mesa vermutete, zur Übergabe aufgefordert. Die Antwort war heftiges Musketenfeuer vom Rand des Plateaus gewesen. Ferris Tucker hielt die Spanier hin, und wenn seine Leute nicht gerade feuerten und Krach schlugen, um eine wesentlich größere Anzahl von Männern vorzutäuschen, bastelten sie unter der Anleitung des rothaarigen Schiffszimmermanns weitere Flaschenbomben.
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Inzwischen bereiteten die Spanier vermutlich alles vor, um einen Versuch zur Erstürmung des Plateaus zu unternehmen. Ferris hatte auf eigene Faust die verbliebene Jacobsleiter ausrauschen lassen. Jetzt beschossen die Spanier die Winde, und ihre Gegner taten so, als könnten sie sie nicht mehr erreichen. Ein guter Gedanke, wie Hasard zugab. Eigentlich hätte er selbst darauf kommen müssen. Die Spanier durften nicht auf die Idee verfallen, das Plateau zu umgehen, jedenfalls jetzt noch nicht, und daran wurden sie nur dann mit Sicherheit gehindert, wenn sie hier an der Nordseite noch eine gewisse Chance sahen. Hasard grinste und nickte Dan und Carberry zu. Es konnte nicht so schwer sein, die Felsen zu erklettern. .Jedenfalls nicht, wenn die Spanier keine Posten aufgestellt hatten – und dazu bestand für sie nach Lage der Dinge kein Anlaß. Zwei Minuten später wußte der Seewolf, daß die Kletterpartie schwieriger war, als sie aussah. Da nämlich brach eine der morschen, von der Erosion zerfressenen Felszacken unter seinen Fingern, und er konnte sie gerade noch festhalten, bevor sie Ed Carberry auf den Kopf krachte. „Elendes Mistzeug!“ schimpfte der Profos. „Bleibt unten, Ed! Wir können nur einer nach dem anderen hochklettern.“ „Und wenn sie dich da oben erwischen, Sir?“ „Wenn, wenn! Hör auf zu quatschen, Mister Carberry.“ Der Profos fügte sich. Hasard kletterte weiter, äußerst vorsichtig, denn wenn er eine Steinlawine auslöste, würden die spanischen Geschützmannschaften garantiert aufmerksam werden. Im oberen Drittel der Wand ging es besser. Eine schräge Rampe führte aufwärts. Nach wenigen Minuten hatte der Seewolf die zerklüftete Spitze der Felsformation erreicht. Dan O'Flynn folgte als nächster. Ed Carberry bildete den Schluß. Auch er schaffte es, ohne den Berg in Bewegung zu bringen. Das Geschützfeuer war für eine
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Weile verstummt. Wahrscheinlich wollte der „eiserne Zwerg“ zur Sache kommen, bevor ihm die Munition ausging. Vielleicht glaubte er auch, die Festung bereits sturmreif geschossen zu haben. Er kannte das Plateau nicht, hielt es wahrscheinlich für wesentlich flacher, als es war, und wußte nicht, daß genug Deckungen vorhanden waren, in denen auch El Vascos komplette Rebellentruppe die Kanonade unbeschadet hätte überstehen können. Aber El Vascos Truppe bereitete sich inzwischen längst darauf vor, die Falle zu schließen, zusammen mit den restlichen Seewölfen und Geusen. Hasard hoffte, daß sich die Spanier später ergeben würden. Aber er glaubte nicht recht daran. Er kannte Typen wie diesen „eisernen Zwerg“ mit seinem ellenlangen Namen. Jose Maria Soundso würde die Wahrheit einfach nicht in den Kopf gehen — diese Wahrheit, an der es nichts zu deuteln gab: daß der zusammengewürfelte Haufen aus baskischen Rebellen, englischen Freibeutern und holländischen Wassergeusen tatsächlich die Chance hatte, eine Hundertschaft Soldaten zu schlagen. Hasard lauschte. Nach dem ständigen Donnern der Geschütze hatte die Stille etwas Betäubendes. Nur noch einzelne Musketenschüsse und die peitschenden Befehle des „eisernen Zwergs“ waren zu hören. Kein dumpfes Poltern, kein Steinschlag. Aber der Seewolf hatte es auch nicht anders erwartet. Er wußte, daß man sich auf Männer wie Ben Brighton und Jan Joerdans blindlings verlassen konnte. Vorsichtig bewegte er sich durch das Gewirr von verstreuten Felsbrocken, Geröll und hochragenden Zacken. Das Gelände fiel fast treppenförmig ab. Unter sich konnte er die schwere Kanone auf ihrer fahrbaren Lafette sehen sowie die spanischen Soldaten, die die Feuerpause zum Verschnaufen nutzten und sich den Schweiß aus den vom Pulverdampf geschwärzten Gesichtern wischten. Fünf Mann bedienten das Geschütz. Lederkartuschen und schwere Eisenkugeln
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stapelten sich, die Lunte glomm neben der Zündpfanne. Von seinem Platz aus konnte Hasard zumindest einen Teil des Plateaus überblicken, und er fragte sich, warum die Spanier nicht daran gedacht hatten, hier einen Ausguck zu postieren, der ihnen sagen konnte, wohin ungefähr sie ihre Kugeln setzen sollten. Egal! Sie hatten es nicht getan, das war die Hauptsache. Vielleicht überließen es die Soldaten grundsätzlich ihrem „eisernen Zwerg“, nachzudenken. Aber der fuchtelte dort unten auf der Ebene mit den Armen, hatte keine Ahnung, wie es hier oben aussah, und konnte infolgedessen auch keine schlauen Entscheidungen treffen. „Der Geschützführer muß ein hirnamputierter Hammel sein“, flüsterte Dan O'Flynn. Hasard nickte nur und hoffte dabei, daß die beiden anderen Geschützführer ebenfalls hirnamputierte Hammel wären. Bis jetzt sprach nichts dafür, daß sie einen Ausguck aufgestellt hatten. Inzwischen mußten auch Ben Brighton und Jan Joerdans mit ihren Gruppen den Felsengrat überquert haben. Hasard blickte in die mondhelle Ebene hinunter. Dort rückte inzwischen ein Dutzend Spanier auf die Nordwand der, Mesa vor. Sie waren mit Seilen und Haken bewaffnet und arbeiteten sich an die Stelle heran, wo die Jacobsleiter bis auf die halbe Höhe der Wand baumelte. Wahrscheinlich wollte Jose Maria Soundso eine Art Netz spannen lassen. Im Prinzip nicht einmal eine schlechte Idee. Nur mußte der „eiserne Zwerg“ natürlich damit rechnen, daß einer der Verteidiger oben auf dem Plateau trotz des konzentrierten Musketenfeuers die Winde erreichte und die Jacobsleiter kappte. Aber das schien dem Offizier ziemlich gleichgültig zu sein. Es waren ja auch nicht seine Knochen, die dann vermutlich den unvermeidlichen Sturz nicht heil überstehen würden. Hasard nahm den Radschloß-Drehling aus dem Gürtel und warf ihn Dan O'Flynn zu. Geschickt und lautlos ließ sich der Seewolf zwischen den Felsen abwärtsgleiten. Eine Mulde nahm ihn auf. Er wartete, bis auch
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Ed Carberry unten war, fing die Waffe wieder auf und hielt sie schußbereit in der Rechten, um Dan während der Kletterpartie notfalls Feuerschutz geben zu können. Von irgendwoher klang der Schrei eines Nachtvogels. Aus der entgegengesetzten Richtung antwortete ein ebensolcher Laut. Gleichzeitig ertönte von unten ein spanischer Befehl, und die Kanonen begannen wieder zu krachen. Dan O'Flynn wartete eine Feuerpause ab und ahmte ebenfalls den Ruf des Käuzchens nach. Die drei Gruppen waren bereit. Jetzt brauchte der Käuzchen-Schrei nur noch zweimal zu ertönen, als Zeichen dafür, daß die Falle geschlossen war. Und von dem Plateau her würde dann kein Vogelruf antworten, sondern ein feuriger Gruß, der den Spaniern eigentlich klarmachen mußte, daß sie in diesem Spiel die schlechteren Karten hatten. Hasard kauerte geduckt hinter den Felsen, beobachtete die schwitzende Geschützmannschaft und wartete. * Oben auf dem Plateau schnitten Ferris Tucker und seine sechs Männer grimmige Gesichter. Sie fühlten sich ungefähr so, als müßten sie einen schweren Sturm abreiten, von dem sie nicht genau wußten, ob sie ihn überstehen würden. Seit fast einer Stunde lagen sie unter Beschuß – mit kurzen Unterbrechungen, in denen sie heftiges Störfeuer auf die Spanier schossen, um dem Comandante zu beweisen, daß die vermeintlichen baskischen Rebellen noch alle da waren. Zwei waren wirklich noch hier. Sie hockten im Schutz einer Felswand und füllten Steinsplitter und Schwarzpulver in Kalebassen, was auch eine Art von Flaschenbombe ergab. Das Problem würde im entscheidenden Moment der Transport sein. Dort, wo die Dinger jetzt lagen, waren sie sicher. Aber Ferris Tucker hatte
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energisch dagegen protestiert, sie schon mal an den Rand des Plateaus zu schaffen, wo sie Gefahr liefen, von einer spanischen Kugel nicht nur zertrümmert, sondern durch die Reibungsfunken garantiert auch zur Explosion gebracht zu werden. „Bilden wir eben 'ne Kette wie beim Putzen“, sagte Blacky. „Wir müssen ...“ Erneuter Kanonendonner riß ihm das Wort vom Mund. Schwarz und drohend jaulte eine Kugel über sie weg und krachte ein paar Klafter neben ihnen in die Felsen. Blacky, Bob Grey und der rothaarige Schiffszimmermann ließen sich wie auf Kommando fallen, und irgendwo hinter ihnen schimpfte Jeff Bowie wie ein Rohrspatz, „Geht das schon wieder los!“ fluchte Ferris Tucker erbittert. „Gleich stürmen sie“, prophezeite Blacky. „Sollen sie.“ Bob Grey grinste und tastete nach den Spezial-Wurfmessern mit den leichten Kork-Griffen, die er griffbereit neben sich liegen hatte. Im entscheidenden Augenblick brauchte er mit den schweren, glänzenden Klingen nur die beiden straff gespannten Taue zu treffen, die die Winde festhielten. Dann würde sich die ganze Konstruktion in Bewegung setzen und über die Kante gehen, sobald sie die Spanier mit ihrem Gewicht belasteten. „Wahrschau!“ schrie Blacky, der über den Felsen gespäht hatte. Ihre Blicke zuckten herum, erfaßten die heranrasende Kugel, und blitzartig warfen sie sich nach rechts aus der Flugbahn des tödlichen Geschosses. Das hatten sie nun schon ein dutzend Male getan, und es regte sie nicht mehr weiter auf. Ferris Tucker lauschte auf das Krachen des Einschlags, wartete das Ende des Splitterregens ab und schoß Bob Grey einen wütenden Blick zu. „Willst du deine verdammten Messer da 'rumliegen lassen, bis sie in den Boden gerammt werden?“ fauchte er. „Mann! So'n Zufall gibt es doch gar nicht!“ „Es gibt nichts, was es nicht gibt“, erklärte Ferris weise. „Außer Wassermännern. Also sammel' deine Piekser auf, klar? Und dann
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sieh mal nach, wieweit unsere Baskenfreunde mit ihren komischen Kürbisflaschen sind.“ Bob Grey knurrte etwas Unverständliches, warf einen prüfenden Blick zu den spanischen Geschützen und huschte geduckt über die freie Fläche zur nächsten Deckung - nicht ohne vorher seine Wurfmesser an sich zu nehmen. Ferris Tucker sah ihm grinsend nach, dann konzentrierte er sich wieder auf die Geschütze und griff nach einer geladenen Muskete, um sie bei der nächsten Feuerpause abzuschießen. Über der mondhellen Ebene lag der Pulverrauch inzwischen wie dünner Nebel. Allmählich, dachte Ferris Tucker, wird es Zeit. Denn schließlich hatten sie in dieser Nacht noch mehr vor, als eine Hundertschaft spanischer Soldaten zu besiegen. * El Vascos schwarze, tiefliegende Augen funkelten. Er konnte den scharfen Geruch des verbrannten Pulvers spüren. Deutlich trugen die Stimmen der Spanier herüber. Der „eiserne Zwerg“ gab seine Befehle aus einer sicheren Deckung heraus, doch auch diese Deckung würde nicht mehr sicher sein, wenn die Soldaten erst einmal mit ihren eigenen Kanonen beschossen wurden. Der Rebellenführer zog die Lippen von den Zähnen und fragte sich, ob sich die Spanier ergeben würden. Ihm wäre es gleichgültig gewesen, er hatte zu viel Haß angesammelt, um sich um das Schicksal der Soldaten zu scheren.. Aber dieser Engländer mit dem schwarzen Haar und den eisblauen Augen dachte anders. Warum? Weil auch die Spanier ihre Gefangenen meist am Leben ließen? Sie taten das nicht aus Menschlichkeit, sondern weil ihr riesiges Reich Arbeitssklaven brauchte. Und warum sonst? Weil er gar kein richtiger Engländer war, wie die Gerüchte wissen wollten, sondern hur als Findelkind
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unter irgendeine Seeräubersippe in Cornwall aufgewachsen war? Diesen Gerüchten nach hatte El Lobo del Mar eine spanische Mutter und einen deutschen Malteserritter als Vater gehabt. Aber wer konnte schon Gerüchten trauen! Es gab auch Gerüchte, die den Seewolf als blutrünstigen Teufel schilderten, und El Vasco wußte inzwischen aus eigener Erfahrung, daß das ganz und gar nicht zutraf. Er hörte auf, darüber nachzudenken. Aus schmalen Augen spähte er durch den Pulverdampf. Dann hob er die Hand, vollführte eine rasche, befehlsgewohnte Geste, und vier, fünf Gestalten lösten sich aus der Dunkelheit, huschten ein paar Schritte weiter und schienen wieder mit den Felsen zu verschmelzen. El Vasco glitt wie eine Schlange weiter, bis er der Hauptstreitmacht wieder ein Stück voraus war. Auf der anderen Seite der Ebene bewegte sich eine zweite Gruppe auf gleiche Weise, ebenfalls von einem Basken geführt, der hier jeden Stein, jeden Grashalm und jede Bodenwelle kannte. Ein Teil der Seewölfe und die meisten Geusen hatten sich auf die beiden Gruppen verteilt. Jede war etwa fünfzehn Mann stark. Nicht viel gegen eine Hundertschaft Soldaten, aber sie waren ja auch nur die Reserve, die einen Ausbruch verhindern sollte, während der eigentliche Segen von oben erfolgte. El Vasco war sich bewußt, daß er das mit seinen Basken allein nicht geschafft hätte. Sie wären zu wenige gewesen, und sie hatten keine Waffen, die sich auch nur annähernd mit den Flaschenbomben vergleichen ließen, die offenbar dieser rothaarige Riese erfunden hatte. Außerdem, erkannte El Vasco, war es ein Fehler gewesen, sich nie um einen Fluchtweg zu kümmern, um eine Möglichkeit, im Notfall die Schlucht zu überqueren und das Plateau zu verlassen. Mit Sicherheit hätten sie keinen anderen Ausweg gefunden als den Ausbruch über die verbliebene Strickleiter, die Wand hinunter. Aber damit hätten sie praktisch Selbstmord verübt und nur noch die
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Chance gehabt, mit fliegenden Fahnen unterzugehen. Dieser Seewolf war nicht nur ein Draufgänger, er hatte auch ein untrügliches Gespür für die jeweils richtige Strategie. Kein Wunder, daß es den Spaniern noch nicht gelungen war, ihn zu fangen, obwohl sie es wieder und wieder versucht hatten. El Vasco begriff jetzt auch einiges, was ihm an den wilden Geschichten um El Lobo del Mar und seine Crew früher immer unwahrscheinlich und übertrieben erschienen war. Zum Beispiel, daß er mit seiner „Isabella“ schon wer weiß wie oft gegen eine Übermacht siegreich geblieben war. Irgendwie schaffte er es immer, die Taktik seiner Gegner vorauszuahnen, sie völlig durcheinander zu bringen und selbst überraschend zuzustoßen. Wenn England noch mehr solcher Kapitäne hatte, dann konnte sich die unbesiegbare Armada, falls es eines Tages wirklich Krieg gab, auf einiges gefaßt machen. Und England hatte solche Kapitäne. Drake! Raleigh! Hawkins! Frobisher! Die Piraten aller Meere, erfahren im Kaperkrieg, geübt darin, sich gegen überlegene Gegner durchzusetzen. Auch im Baskenland kannte man ihre Namen. Genauso wie man die Namen der Geusenführer kannte. Denn alle diese Namen standen als Symbole dafür, daß das mächtige Spanien nicht unbesiegbar war. El Vasco schüttelte die Gedanken ab und gab den unsichtbaren Männern zwischen den Felsen ein neues Zeichen. Diesmal zogen sie sich ein wenig auseinander, während sie wieder ein paar Schritte weiter huschten. Sie waren nah genug. Schon vor Minuten hatten sie Käuzchenrufe aus den schroffen Felsformationen gehört, die die Ebene überragten. Oben am Rand der Mesa fielen wieder ein paar Musketenschüsse. El Vasco winkte dem Mann, der ihm am nächsten war, einem drahtigen jungen Burschen, dessen Gesicht die Narben vergangener Kämpfe trug. Der Junge nickte, wartete eine Feuerpause ab, und dann ertönte auch hier unten der Ruf des Käuzchens.
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Zwei Kanonen krachten. Dann wieder wütendes Musketenfeuer und neuer Kanonendonner. Danach trat eine weitere Feuerpause ein, und jetzt erklang der Käuzchenruf auf der anderen Seite der Ebene. Vom Plateau her brauchte kein Signal gegeben zu werden. Die Männer dort oben würden gleich mit einem Knall in das Gefecht eingreifen. Aber erst wenn das Zeichen zur Eröffnung fiel, und das würde mit einer spanischen Kanone gegeben werden. El Vasco betrachtete die Übermacht auf der mondhellen Ebene und stellte fast erstaunt fest, daß das Unternehmen trotz allem nichts von einer Verzweiflungstat an sich hatte. Und zum erstenmal glaubte er ernsthaft daran, daß es mit einem Mann wie dem Seewolf auch möglich war, die Festung von Portugalete zu knacken und die Gefangenen herauszuholen. 5. Rumms ... Der Donner war ohrenbetäubend. Die Kanone ruckte auf ihrer Lafette zurück, die schweren Holzkeile knirschten. Die fünf Soldaten schufteten wie die Wilden, der Geschützführer fluchte auf Spanisch, daß es eine Pracht war. Der Seewolf kniff die Augen zusammen und sah sich nach Dan O'Flynn und Ed Carberry um. Sie lagen jetzt unmittelbar hinter der spanischen Stellung in Deckung. Mit ein paar Schritten konnten sie die Männer dort erreichen und überraschen. Aber die Burschen waren immerhin zu fünft, und wegen des späteren Überraschungseffekts mußten sie möglichst lautlos überwältigt werden, ohne daß ein Schuß fiel. Klar, das würde sich leichter hinkriegen lassen, wenn sie ebenfalls fünf gewesen wären. Aber das hätte insgesamt sechs Mann weniger für die Gruppen bedeutet, die die Spanier auf der Ebene in die Zange nahmen. Und diese Gruppen waren
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ohnehin nicht überwältigend groß. Zweimal fünfzehn Mann gegen eine Hundertschaft. Allerdings würden die Spanier ja auch mächtig Zunder kriegen, bevor sie versuchten, nach den Seiten auszubrechen. Hasard zog die Brauen zusammen bei diesem Gedanken, aber er wußte, daß ihnen keine Wahl blieb. Es sei denn, der Offizier mit dem endlosen Namen ergab sich - und das würde er nicht tun, ehe ihm nicht augenfällig bewiesen worden war, daß er auch mit seiner verdammten Hundertschaft keine Chance hatte. Der nächste Schuß fiel. Hasard hob die Hand, wartete, bis die Geschützmannschaft wieder voll in Aktion war - und ließ den Arm fallen. Gleichzeitig mit Ed und Dan schnellte er aus seiner Deckung hoch - und was dann folgte, ging so schnell, daß es keiner der Spanier mehr schaffte, einen Alarmschrei auszustoßen. Es schaffte auch niemand, zu entwischen und die Seewölfe dadurch zu zwingen, einen Schuß abzugeben. Die Spanier steckten ohnehin ihre Köpfe zusammen, deshalb fiel es Hasard und Ed Carberry leicht, sich je zwei gleichzeitig zu schnappen und ihnen zu einem längeren Schlaf zu verhelfen. Den letzten Mann schlug Dan O'Flynn bewußtlos. Es gab keinen Zweifel daran, daß diese fünf im Vergleich zu ihren Kameraden auf der Ebene zunächst mal das bessere Los gezogen hatten. „Geladen haben sie das Kanönchen schon“, sagte Dan O'Flynn zufrieden und hob vorsichtig die glimmende Lunte auf. Hasard nickte grimmig. „Fesselt die Spanier, Ed“, knurrte er, während er über das Geschützrohr peilte. „Ich möchte nicht, daß sie uns gleich zwischen den Beinen herumlaufen.“ „Aye, aye, Sir.“ Der Profos ging daran, die Bewußtlosen ein Stück zwischen die Felsen zu schleppen. Weiter rechts krachte die zweite spanische Kanone und spie eine Kugel aus, die ziemlich weit in der Mitte des Plateaus landete, wo sie keinen Schaden anrichtete und der leise Käuzchenschrei bewies, daß
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der Schuß nur noch ein Ablenkungsmanöver gewesen war, damit sich die Spanier nicht wunderten, wenn ihre Geschütze plötzlich alle gleichzeitig schwiegen. Ben hatte es also auch geschafft. Und Jan Joerdans? Der nächste Käuzchenschrei! Hasard lächelte zufrieden. Das hatte ja erstklassig geklappt - fast völlig geräuschlos. Die Spanier mit ihrem „eisernen Zwerg“ dort unten ahnten nicht, daß die drei Kanonen nicht mehr von ihren Landsleuten, sondern von Engländern und Holländern bedient wurden. Aber sie würden die bittere Wahrheit sehr schnell erfahren. Hasard stemmte die Schulter unter das Geschützrohr, bis er nicht mehr das Plateau, sondern die Ebene vor der Mündung hatte. Holz und Eisen knirschten, Dan O'Flynn und Ed Carberry wuchteten an den schweren Holzkisten herum. Der Blick des Seewolfs suchte den spanischen Comandante. Der „eiserne Zwerg“ stand neben einem hochragenden Felszacken, hinter dem er bei Bedarf vor den Musketenkugeln Deckung nehmen konnte. Schweres Geschütz, das in der Lage gewesen wäre, den Stein zu zertrümmern, hatten die Basken nicht. Aber die Geusen und Engländer hatten es, jetzt jedenfalls, und Hasard richtete die Kanone aus. Der spanische Kommandant würde höchstens ein paar Schrammen davontragen, aber einen gewaltigen Schrecken kriegen. Und dann würde er wahrscheinlich glauben, daß seine Geschützmannschaften bezecht seien oder sonst etwas. Hasard grinste matt. „Ed?“ sagte' er. „Sir?“ „Sobald der erste Schuß gefallen ist, dürft ihr alle lauthals brüllen. Ein donnerndes ,Arwenack', wenn ich bitten darf. Die Dons sollen wissen, woran sie sind.“ „Aye, aye, Sir.“ Edwin Carberry grinste über sein ganzes wüstes Narbengesicht. „Lunte!“ befahl Hasard. Dan O'Flynn reichte sie ihm.
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Der Seewolf spähte noch einmal prüfend über das lange Geschützrohr, warf einen Blick auf die stabilen Holzkeile, die die Kanone in ihrer Stellung hielten, dann senkte er die brennende Lunte auf die Pulverpfanne. * „Musketenfeuer auf den Rand des Plateaus!“ befahl der spanische Kommandant schneidend. „Niemand darf an die Winde heran. Vorwärts Männer! Alle drei Kanonen - Feuer!“ Die Spanier starteten ihren Sturmangriff. Im Schutz der Kanonade hatte sich eine Gruppe bis unmittelbar an die Felswand herangearbeitet, Haken zu der herunterhängenden Jacobsleiter geworfen, Seile ausgespannt und belegt und tatsächlich die Voraussetzung dafür geschaffen, daß mehr als immer nur ein Mann hinter dem anderen aufentern konnte. Allerdings hing die Sicherheit der ganzen Konstruktion von der Jacobsleiter ab. Die Winde am Rand des Plateaus lag unter ständigem Sperrfeuer - und die Spanier ahnten nicht, daß es dort oben einen Messerwerfer von der Qualität eines Bob Grey gab, der nur auf den richtigen Augenblick wartete, um die Winde über die Kante gehen zu lassen. Die spanischen Soldaten wußten auch so, daß es ein ziemlich aussichtsloses Unterfangen war. Die Basken, die sie auf der Mesa vermuteten, kämpften mit dem Mut der Verzweiflung und würden sich von dem Sperrfeuer nicht lange beeindrucken lassen, wenn sie erst einmal merkten, was die Stunde geschlagen hatte. Aber der Mut der Verzweiflung trieb auch die Soldaten vorwärts. Bei dem wahnwitzigen Kletterunternehmen würden sie sich wahrscheinlich die Knochen brechen. Befehlsverweigerung dagegen kostete sie mit Sicherheit den Kopf. Deshalb stürzten sie sich gehorsam auf die Seile, und der kleine Kommandant beobachtete sie mit funkelnden Augen.
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„Feuer!“ schrie er ungeduldig. Dabei wirbelte er herum, um nach den Geschützen zu sehen - und gleichzeitig zuckte zwischen den Felsen der erste grelle Blitz auf. Jose Maria Antonio Felipe y Gomez de Madre-Castillo hatte das Gefühl, als fliege die schwere Eisenkugel genau auf seinen Kopf zu. Er war starr vor Entsetzen. Mit weit aufgerissenen Augen stand er da, unfähig, sich zu rühren. Erst als die Kugel über ihm in den Felsblock krachte, stieß er einen schrillen, sich überschlagenden Schrei aus. Splitter flogen. Der Steinblock barst auseinander, die Trümmer polterten. Der Kommandant spürte einen harten Schlag an der Schulter, stolperte nach vorn und brach mit einem neuerlichen Schrei in die Knie. Seine Augen quollen vor. Immer noch stierte er zu dem Geschütz hinauf. Er holte tief Luft, wollte zu diesen Narren hinaufkreischen, daß sie alle standrechtlich erschossen würden - und in derselben Sekunde ertönte dort oben ein donnernder Ruf, der ihm einen eisigen Schauer über den Rücken jagte. „Arwenack!“ klang es dreistimmig. Und noch einmal - wieder und wieder: „Arwenack! Arwenack! Arwenack!“ Der Comandante bekreuzigte sich, ohne es zu merken. Irgendwo brüllte sein Teniente etwas mit sich überschlagender Stimme. Am Rand des Plateaus wurde der unheimliche Schlachtruf aufgenommen. .,Arwenack!“ klang es wie ein dröhnendes Echo - und der „eiserne Zwerg“ warf sich erschrocken herum. Er konnte den blonden, drahtigen Mann nicht sehen, der dort oben am Boden kauerte, ein schweres Spezialmesser in der Hand wog und Maß nahm. Aber der Comandante sah den Ruck, der plötzlich durch die Jacobsleiter ging. Die anderen Spanier sahen es ebenfalls - und die Männer, die bereits in den Seilen hingen, konnten es spüren. Erschrocken schrien sie durcheinander. Ein paar versuchten, eilig wieder abwärts zu
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rutschen - und zwei Sekunden später rutschten oder fielen sie alle. Ihr Glück, daß sie instinktiv Schutz an der Felswand suchten, denn jetzt raste knirschend und polternd die hölzerne Winde nach unten. Unter ohrenbetäubendem Krach schlug sie auf die Felsen, das Spill flog im Bogen durch die Luft, gleichzeitig begannen wieder die Kanonen zu donnern. Drei schwere Eisenkugeln. Sie schlugen nicht auf dem Plateau ein, sondern auf der Ebene. Zwar zerschmetterten sie nur Felsen und verletzten niemanden, noch nicht, doch die demoralisierende Wirkung war verheerend. Der Comandante mit dem langen Namen glaubte, einen entsetzlichen Alptraum zu erleben. Die Soldaten, die plötzlich von ihren eigenen Kanonen beschossen wurden, begriffen überhaupt nichts mehr. Aber das, was als nächstes geschah, war in seiner Wirkung noch schlimmer, obwohl auch diesmal niemand verletzt wurde. Ferris Tucker setzte seine erste Flaschenbombe genau in die Mitte zwischen die Hauptstreitmacht der Spanier und die kleine Gruppe im toten Winkel der Felswand. Das Ding sah nicht einmal besonders gefährlich aus, als es im Bogen über den Rand des Plateaus kreiselte, eine feurige Spur hinter sich herziehend. Klirrend schlug es auf und zersplitterte, im selben Augenblick brachte die brennende Lunte das Schwarzpulver zur Explosion, und die Spanier erlebten das Grauen. Sie begriffen überhaupt nicht, daß sie nur eine Demonstration sahen, daß niemand etwas abkriegte, daß es Schreckens- und keine Schmerzensschreie waren, die über die Ebene gellten. Blindlings wich die vorderste Linie der Musketenschützen zurück. Ebenso blindlings brüllte der Comandante „Vorwärts! Vorwärts!“ Im nächsten Moment schnitten Stimmen durch den Lärm, die schon so manchen tobenden Sturm übertönt hatten.
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„Die nächste Bombe kriegt der Zwerg auf den Kopf!“ dröhnte Ferris Tuckers rauher Baß vorn Rand des Plateaus her. „Ergebt euch!“ ertönte die scharfe Stimme des Seewolfs aus der Gegenrichtung. „Eure Geschützmannschaften schlafen, und wir haben euch in der Zange. Basken, Geusen und Engländer, eine vereinigte Streitmacht, falls ihr es noch nicht bemerkt haben solltet!“ Für ein paar Sekunden herrschte auf der Ebene jene gespenstische Stille, wie man sie im Zentrum, im „Auge“ eines tropischen Wirbelsturms findet. Der Comandante torkelte wieder auf die Beine, drehte sich um die eigene Achse und versuchte vergeblich zu begreifen, was passiert war: Und vor allem, wie es passiert war! Geusen? Engländer? Wollte ihn diese verdammte Baskenbrut zum Narren halten oder... Rollender Kanonendonner unterbrach seine wirren Gedanken. Krachend schlug die Kugel ein, die Schreie von Verletzten gellten. Dies war die letzte, die deutlichste Warnung gewesen, und sie ließ den zwergenhaften Kommandanten zumindest eins begreifen: daß sich seine Kanonen tatsächlich nicht mehr in der Hand der spanischen Geschützmannschaften befanden. Schrecken schüttelten den „eisernen Zwerg“. Seine Vernunft reichte noch, um ihm zu sagen, daß der Beschuß aus ihren eigenen Kanonen verheerende Folgen haben mußte. Die schlimmere Gefahr, die von der Mesa her drohte, vergaß er für den Moment. Daß er mit seiner ganzen Hundertschaft aussichtslos in der Falle saß, erkannte er erst recht nicht, so schnell konnte er einfach nicht umdenken, nachdem er eben noch eines glänzenden Sieges sicher gewesen war. Seine Stimme überschlug sich. „Vorwärts Männer!“ kreischte er. „Ausschwärmen! Zu den Geschützen! Vorwärts! Vorwärts...“ Für seine Soldaten war „vorwärts“ die Richtung des Plateaus.
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Logischerweise mußte der Befehl „Zurück“ heißen, aber das hätte jetzt auch nicht mehr viel genutzt. „Verdammter Narr!“ knirschte der Seewolf, während er von neuem die glimmende Lunte in die Zündpfanne drückte. Sie durften die Spanier nicht ausschwärmen lassen. Nicht, solange sie mit ihrer erdrückenden Übermacht noch in der Lage waren, die Reihen der Musketenschützen trotz des Überraschungseffektes zu überrennen. Es gab nur noch eine einzige Möglichkeit, diesen Kampf zu gewinnen, und da ihrer aller Leben und das Schicksal der wehrlosen Gefangenen in der Festung davon abhingen, konnten sie keine Rücksicht mehr nehmen. In den nächsten Minuten schien die Luft zu zittern von dumpfem Kanonendonner, peitschenden Schüssen und krachenden Explosionen. Der spanische Kommandant sah sich im Zentrum eines unbeschreiblichen Chaos'. Er schrie Befehle, auf die niemand hörte, kauerte in seiner unzureichenden Deckung und kreischte immer wieder sein sinnloses: „Vorwärts, Männer!“ Der Teniente war der einzige, der noch etwas Übersicht behielt. Er wußte sofort, was sein Vorgesetzter augenscheinlich nicht begriff: daß sie sich keine Minute länger auf der Ebene halten konnten. Ein Kommandant, den die unerwartete Gefahr für die eigene Haut nicht so völlig entnervte, hätte die Scharfschützenreihen sofort in zwei Keile geteilt, um aus dem Schußfeld der Kanonen und der Reichweite der Flaschenbomben zu gelangen und die Geschützstellungen zu umgehen. Der zwergenhafte Offizier war zwar auf diesen Gedanken gekommen, aber er unternahm nichts, um die Befolgung des Befehls durchzusetzen. Als sich schließlich der Teniente ermannte und das Heft an sich riß, hatte er nur noch einen ungeordneten, dezimierten Haufen zur Verfügung. Immerhin: er tat das einzig Richtige.
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„Mir nach!“ schrie er, riß auffordernd seinen Degen hoch und stürzte nach Westen. Die Soldaten folgten ihm. Mit einem Führer, der wirklich führte, hätten sie vielleicht sogar wieder eine kampfkräftige Truppe gebildet, statt einer blindlings fliehenden Horde. Aber das neuerliche Verhängnis brach schneller über sie herein, als sie ihre Fassung wiedergewinnen konnten. Wie Schatten schnellten vor ihnen Gestalten zwischen den Felsen hoch. Musketen krachten. Die Männer prallten zurück und wandten sich in die entgegengesetzte Richtung, doch auch dort wurden sie von einer Kette mit Musketen bewaffneter Basken empfangen. Basken, die sie auf dem Plateau vermutet hatten. Und Fremde: Engländer und Geusen! Jählings begriffen die Spanier, daß sie eingekreist waren. Noch hatten sie die Überzahl, doch das konnten sie nicht wissen und auch nicht feststellen angesichts des heillosen Durcheinanders. Irgendwo kauerte der zwergenhafte Kommandant am Boden und schützte seinen Kopf mit den Armen. Der Teniente schrie sich die Kehle heiser. Er stand wie ein Baum im Gewühl, er wuchs über sich selbst hinaus in dem verzweifelten Bemühen, etwas wie eine geordnete Formation zustande zu bringen, doch er konnte nicht mehr verhindern,' daß seine Soldaten blindlings nach allen Seiten auseinander liefen. Das war der Moment, in dem sich Ferris Tucker und seine sechs Mann vom Rand des Plateaus zurückzogen. Fast gleichzeitig trat Hasard hinter dem schweren Geschütz die Lunte aus. Wenn sie jetzt noch feuerten, riskierten sie, die eigenen Leute zu treffen. Unter ihnen in der Ebene war der Kampf .Mann gegen Mann entbrannt — und es war immer noch ein Kampf gegen eine Übermacht, bei dem jede Hand zählte. „Ben!“ schrie der Seewolf. „Joerdans! Wir entern ab!“ „Aye, aye!“ tönte es zurück.
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Zwei weitere Lunten wurden gelöscht, und neun Männer turnten wie Katzen durch die Felsen, um so schnell wie möglich die Ebene zu erreichen. * Ein paar Minuten vorher hatte der spanische Kommandant endgültig de n Kopf verloren. Nicht im buchstäblichen Sinne: schließlich hatte er sich ja fast in der Erde verkrochen, um seinen kostbaren Kopf zu schützen. Untergebene in einen wilden Kampf zu hetzen, war die eine Sache — selbst mitten drinzustecken, eine andere. Jetzt, da es um seine eigene Haut ging, erinnerte der „eiserne Zwerg“ in nichts mehr an seinen Spitznamen, der ja immerhin noch einen gewissen Respekt verriet. Vorsichtig hatte er über die Felskante gepeilt in der Hoffnung, seinen Teniente auf der Siegerstraße zu sehen. Stattdessen erblickte er ihn mit dem Mut der Verzweiflung kämpfend auf eindeutig verlorenem Posten — und statt wenigstens einen Versuch zu unternehmen, den sinnlosen Kampf zu beenden, suchte der Comandante sein Heil in der Flucht. Wie ein Kastenteufel raste er in die Richtung, in der der Kampf noch nicht tobte. Der Seewolf sah ihn auf sich zuflüchten: einen kleinen Mann mit verzerrtem Gesicht und flackernden Augen. Die prächtige Lockenperücke war im Kampfgetümmel geblieben, dünnes graues Haar zottelte um den schmalen Kopf. Der Zwerg mit dem langen Namen raste wie ein entfesselter Derwisch über die Ebene — und prallte aufkreischend zurück, als plötzlich eine große, breitschultrige Gestalt wie aus dem Boden gewachsen vor ihm hochschnellte. Philip Hasard Killigrew packte zu und hatte den Kleinen auch schon an der üppigen blütenweißen Halskrause. Der Zwerg versteinerte. Er sah die blitzende Degenklinge, die funkelnden eisblauen Augen dicht vor sich und erwartete mit angehaltenem Atem das
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Unabwendbare — oder das, was er für unabwendbar hielt. „Mach ein Ende!“ fauchte ihn Hasard auf Spanisch an. „Ergebt euch, oder es geht dir schlecht! Wir wollen hier kein Massaker, verstanden?“ Der Comandante atmete langsam aus. Sein Blick hing an dem harten braungebrannten Gesicht unter dem schwarzen Haar. Die Augen in diesem Gesicht erschienen ihm wie blaues Eis, unter dem ein Feuer brennt, und die Narbe ließ es noch wilder aussehen. Der Spanier schluckte krampfhaft. „Si, si“, stammelte er. Dann holte er tief Luft, um mit gellender Stimme die entsprechenden Befehle zu geben. 6. Marius van Helder spürte die Steinquader in seinem nackten Rücken und die Ketten an den Armen. Er starrte in das breite, feiste Gesicht des Hafenkommandanten. Der Geusenkapitän wußte, daß irgendetwas schief gegangen war. Etwas oder jemand hatte Benito Uvalde zu der Überzeugung gebracht, bei dem letzten Verhör ein Märchen gehört zu haben. Van Helder biß sich auf die Lippen, weil er wußte, was das für ihn bedeutete. Uvalde blieb vor ihm stehen, mit verschränkten Armen und zusammengekniffenen Augen. Er atmete schnell und heftig, und auf seiner Stirn standen Schweißtröpfchen, obwohl es in dem Gewölbe kalt war. „Mittelmeerhäfen!“ zischte er wütend. „Azoren! Das sagtest du doch, du Hund, oder? Daß sich die Geusenschiffe bei den Azoren sammeln, um durch die Straße von Gibraltar ins Mittelmeer zu segeln, ja?“ Van Helder antwortete nicht. Es hatte keinen Sinn. Wahrscheinlich war die „Hoek van Holland“ irgendwo vor der baskischen Küste gesehen worden, weil Jan Joerdans immer noch nicht seinen Plan aufgegeben hatte, die Gefangenen aus der Festung zu befreien. Joerdans hatte es sogar geschafft, einen Weg in die äußeren
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Befestigungsanlagen zu finden — einen Weg, den die baskischen Rebellen angelegt hatten, wie Van Helder inzwischen wußte. Aber er wußte auch, daß es trotzdem keine wirkliche Chance gab. Er hatte versucht, den Freund von seinem Plan abzubringen damals, als Joerdans dort draußen vor dem vergitterten Fenster kauerte und seinen Namen rief. Und noch jemand war dort gewesen, jemand, den Van Helder nicht kannte. Deutlich glaubte er wieder, Joerdans' leise, vor Zorn vibrierende Stimme zu hören: „Wir haben .Verbündete! Wir finden einen Weg, Marius ...“ „Willst du nicht antworten?“ fauchte Benito Uvalde, keuchend vor Wut. Van Helder ließ den Kopf gegen die Wand sinken. Er sprach leise und ruhig, obwohl er wußte, daß er den Hafenkommandanten diesmal nicht überzeugen konnte. Bis jetzt hatte er den Methoden seiner Gegner Trotz geboten. Aber er war auch nur ein Mensch und versuchte, die unvermeidliche Tortur so lange wie möglich hinauszuschieben. „Ich habe die Wahrheit erzählt“, sagte er. „Wir waren unterwegs zu den Azoren. Die Schiffe der Wassergeusen. sammeln sich dort, um ins Mittelmeer zu segeln.“ „So! Sie sammeln sich dort.“ Uvaldes Knopfaugen verschwanden fast zwischen Fettwülsten. „Die ,Wappen von Oranien`, hast du gesagt?“ „Ja.“ „Und die ,Zeeland`? Die ‚Utrecht'? Die ,Gelderland`?“ „Ja... „Und die ,Hoek van Holland' auch?“ Van Helder spürte, daß dies die entscheidende Frage war. Aber sie hatten das Märchen schließlich erfunden, um die Spanier von Jan Joerdans und seinen . Männern abzulenken. „Ja“, sagte der Geusenkapitän. „Die ,Hoek van Holland' auch.“ „Ah! Und hast du nicht etwas vergessen, du lügnerischer Bastard? Hast du nicht die ,Isabella` vergessen? Und diesen dreckigen englischen Piraten Killigrew?“ „Killigrew?“ fragte van Helder überrascht.
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„El Lobo del Mar!“ Uvaldes Stimme überschlug sich. „Das weißt du doch genau, du Hund! Deine Geusenfreunde haben sich mit den verdammten Engländern verbündet. Die ,Hoek van Holland! und die ,Isabella` sind gesehen worden, zusammen gesehen!“ Van Helder starrte den fetten, wutbebenden Hafenkommandanten an. Zwei Sekunden lang dehnte sich die Stille, dann erschien in den grauen Augen des Geusenkapitäns plötzlich ein verhaltenes Leuchten. Seine Gedanken wirbelten. Die „Hoek van Holland“ und die „Isabella“. Jan Joerdans und jener Mann, der Seewolf genannt wurde! Es mußte wahr sein, das war in Uvaldes feistem Gesicht zu lesen. Und wenn es stimmte, dann war alles möglich, dann gab es vielleicht doch noch eine Chance für sie alle. Van Helder lächelte. Er konnte nicht anders, obwohl er wußte, daß er seinen Gegner damit bis aufs Blut reizte. „Ich weiß nichts von einer ,Isabella` und einem Lobo del Mar“, sagte er ruhig. „Ich weiß nur, daß die ,Hoek van Holland' genau wie die ‚Oranje' und die ,Anneke Bouts` zu den Azoren segeln wollte und ...“ „Lüge!“ schrie Uvalde unbeherrscht. „Sie wollen Bilbao angreifen! Zusammen mit dem verdammten Seewolf! Zusammen mit der ‚Wappen von Oranien` und den anderen Schiffen! Gib es zu, du Hund! Gib es zu oder ...“ „Und wenn ich es zugebe?“ fragte van Helder kalt. „Wer sagt dir dann, daß es die Wahrheit ist? Daß sie nicht vielleicht in Wirklichkeit Santander angreifen wollen? Oder Gijon? Oder La Coruna? Oder vielleicht doch Gibraltar?“ Uvalde knirschte mit den Zähnen. „Die Toten werden es mir sagen!“ stieß er hervor. „Und das Treibholz, das von euren Schiffen übrig bleibt, wenn wir mit ihnen fertig sind. Du wirst mir nämlich verraten, wo sie stecken. Ein Verband von sechs Galeonen braucht einen Stützpunkt. Wo sind sie? In Frankreich, wo es diese verdammten Hugenotten wagen dürfen,
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öffentlich ihr Ketzertum zu bekennen? In Bayonne? In La Rochelle?“ Van Helders Blick schien durch alles hindurchzugehen. Seine Gedanken schweiften. Er glaubte, die „Wappen von Oranien“ zu sehen, die in einem Gefecht im Kanal gesunken war. Die „Zeeland“ lag vor Blankenberghe auf dem Meeresgrund. Und die „Utrecht“ und die „Gelderland“ - wer wußte, ob sie immer noch vor den Küsten der spanischen Niederlande räuberten oder längst in die Tiefe gefahren waren wie die „Oranje“? „Sie sammeln sich bei den Azoren“, sagte Marius van Helder ruhig. „Sie werden durch die Straße von Gibraltar segeln und die spanischen Mittelmeerhäfen angreifen, Uvalde. Das ist alles, was ich dir zu sagen habe. Etwas anderes wirst du von mir nicht hören.“ Benito Uvaldes Gesicht war rot angelaufen. Seine Hände ballten sich, er kochte vor Wut. Flackernd bohrte sich sein Blick in die grauen Augen des Geusenkapitäns und tastete über das harte, hagere Gesicht unter dem fast weißen Haar, aber er ahnte bereits, daß er den Willen dieses Mannes nicht brechen konnte. * „Taue!“ dröhnte Edwin Carberrys Donnerstimme über die Ebene. „Verdammt und zugenäht, habt ihr denn alle Seetang auf den Klüsen? Wir brauchen noch ein paar solide Tampen, um den Herrschaften die Quanten lahm zu legen, kapiert ihr das, ihr Säcke?“ Ferris Tucker grinste, während er eine der Jacobsleitern auseinanderpulte. Der Profos war so richtig in Fahrt. Er hatte die Verantwortung dafür, daß die Spanier, die sich ergeben hatten, an Felsblöcke gefesselt wurden. Und zwar so, daß sie mehrere Stunden brauchen würden, bis es den ersten von ihnen gelang, sich selbst zu befreien. Sie hatten eine vernichtende Niederlage erlitten. Daß die Zahl der Überlebenden ziemlich groß war, verdankten sie nicht
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ihrem Comandante, der feige die Flucht ergriffen hatte. Und auch nicht dem Teniente, der zwar alles andere als feige gewesen war, aber in seiner Entschlossenheit, bis zum bitteren Ende zu kämpfen, auch den Rest seiner Leute mit n den Untergang gerissen hätte. Vielleicht hatte er auch gute Gründe gehabt, lieber kämpfend sterben zu wollen, statt sich zu ergeben. Die baskischen Rebellen erwecken nicht den Eindruck, als hätten sie viel Federlesens mit ihren Gefangenen gemacht. Auch von den Geusen schienen die Spanier keine Schonung zu erwarten. Die Erinnerung an die blutige Herrschaft des Herzogs von Alba in den Niederlanden war auf beiden Seiten noch frisch. Aber Jan Joerdans war kein Mann, der sinnlos rötete. Und selbst El Vasco, der zitternd vor Zorn vor dem gefesselten Comandante stand, hatte auf Hasards Einspruch wortlos die Klinge gesenkt. Nein, es würde keine Rache an den Besiegten geben. Auch die Spanier hatten nur ihre ?flicht als Soldaten getan und für ihr Land gekämpft. Den Basken fiel es am schwersten, das zu akzeptieren: sie hatten am meisten unter dem Terror gelitten, und sie konnten nicht davonsegeln und vom freien Meer aus weiterkämpfen wie die anderen. Aber El Vasco wußte, daß das eben erst geschlossene Bündnis zerbrechen würde, wenn er jetzt irgendwelche Übergriffe duldete. Er wandte sich ab, gab in schneller Folge ein halbes Dutzend Befehle, ließ seine Leute die Waffen der spanischen Soldaten einsammeln und in Sicherheit bringen und schaffte es auf diese Art, die Situation in den Griff zu kriegen. Jan Joerdans trat auf den spanischen Teniente zu. Der Geuse wollte wissen, ob seine Kameraden die Gefangenschaft überlebt hätten. Er rechnete nicht wirklich mit einer Antwort, doch der Spanier gab sie ihm dennoch - vielleicht aus Achtung vor einem Gegner, der eine erdrückende Übermacht besiegt und sich den
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Unterlegenen gegenüber fair verhalten hatte. Marius van Helder und die sechs anderen Holländer lebten. Genau wie Gian Malandres und die baskischen Gefangenen. Einer von ihnen hatte die Lage des Rebellennestes verraten - weil Uvaldes Folterknechte seine junge Frau bedroht hatten. Aber das verschwieg der Spanier, weil er ahnte, daß sonst nicht einmal El Vasco selbst mehr imstande gewesen wäre, die Wut der Basken zu zügeln. Ed Carberry fesselte den letzten Spanier mit einem Stück Seil, das die scharfen Augen von Dan O'Flynn entdeckt hatten. Der flachshaarige Friso Eyck hockte neben einem Verwundeten, bedachte ihn mit ziemlich finsteren Blicken und band ihm dabei vorsichtig den Arm ab. Einige der Spanier waren so schwer verletzt, daß es unmenschlich gewesen wäre, sie ebenfalls zu fesseln. Da sie auch nicht in der Verfassung für einen längeren Fußmarsch waren, brachte man sie auf einen offenen Bauernkarren, den die baskischen Rebellen samt Zugpferden am Rand der Ebene versteckt hatten. Der Wagen sollte irgendwo' unterwegs zurückgelassen werden. Die Verwundeten würden eine Weile ausharren müssen, aber dann von ihren Kameraden mitgenommen werden, wenn die sich von den Fesseln befreit hatten. Sie wußten selbst, daß das mehr Rücksichtnahme war, als sie bei manchem anderen Gegner gefunden hätten. Noch einmal wurden die Fesseln der Gefangenen überprüft, dann brachen die Männer auf. Joerdans' Steuermann Pieter Ameland, der eine tiefe Fleischwunde am Bein davongetragen hatte, übernahm den Kutschenblock. Sam Roskill, dem ein Degen über die Rippen gefahren war, saß neben ihm. Smoky, der mal wieder sein Talent unter Beweis gestellt hatte, etwas auf den Kopf zu kriegen, wirkte leicht benommen, aber auf den Vorschlag, ebenfalls zu fahren, hatte er nur vielsagend an die Stirn getippt. Daß Kerle wie der schwarze Herkules Batuti und der Riese Ed
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Carberry ein paar Kratzer nicht als Verletzungen betrachteten, verstand sich von selbst. Auch wenn diese „Kratzer“ so geartet waren, daß sie manchen anderen Mann mindestens für eine Weile kampfunfähig gemacht hätten. Die Zwillinge hatten immer noch die beiden prächtigen grauen Beutepferde. Sie teilten sich eins der Tiere. Das zweite ritt ein dürrer, zäher Baske, der sich den Fuß verstaucht hatte und die ganze Zeit über Sätze auf Eskuara in seinen struppigen Bart murmelte, die sehr nach Flüchen klangen. Der Rest der Gruppe marschierte, und El Vasco übernahm die Führung, weil er die Gegend wie seine Westentasche kannte. Nach einer Stunde Marsch ließen sie den Wagen mit den verletzten Spaniern zurück. Die Zugpferde wurden an einen Baum gebunden. Edwin Carberry, der mit seinem wüsten Narbengesicht und dem ewigen Fluchen auf Fremde immer so besonders brutal wirkte, zauberte eine Rumflasche aus der unergründlichen Tasche, in der er sonst manchmal sogar den Papagei Sir John unterbrachte. Er schien mit sich zu kämpfen, dann drückte er die Flasche einem der Verwundeten in die Hand, die mit schmerzverzerrten Gesichtern auf dem Wagen hockten. Der Mann sah reichlich verdattert aus. Er wollte etwas sagen, aber da brummte der Profos schon etwas von „Affenarsch“ und „Schnauze halten“ vor sich hin und ging daran, eins der Zugpferde auszuspannen, damit Pieter Ameland mit seinem verletzten Bein reiten konnte. Der Seewolf marschierte neben Jan Joerdans und El Vasco dem Zug voran und spähte aus schmalen Augen nach Osten. Noch war der Himmel dunkel. Wenn alles klappte, würden sie im Morgengrauen angreifen können. Hasard fand, daß das ohnehin die beste Zeit war. * Old O'Flynn hinkte auf der Kuhl hin und her und stampfte bei jedem Schritt mit seinem Holzbein auf.
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Will Thorne, der weißhaarige Segelmacher, ging Wache auf dem Achterkastell. In der Kombüse hielt der Kutscher seit Stunden Suppe und Tee heiß. Einen Tee, der zu einem nicht geringen Teil aus Rum bestand und köstlich duftete. Bill hatte schon zweimal probiert. Jetzt scheuchte ihn der Kutscher mit einem giftigen Blick und der Drohung, ihm einen gewissen Körperteil zu tätowieren, aus der Kombüse. Der Schiffsjunge gesellte sich zu Old O'Flynn, obwohl der mit seinen Unkereien auch keine aufmunternde Gesellschaft abgab. Drüben auf der „Hoek van Holland“ bewegten sich die Schatten der Ankerwache. Die beiden Galeonen lagen in einer versteckten Bucht in der Nähe von Bilbao. Sie lagen dort seit Tagen, und mit jeder Stunde vergrößerte sich die Gefahr der Entdeckung. Eigentlich hatten sie hier nur den Ausgang des SpähtruppUnternehmens abwarten wollen, um dann die Festung von Portugalete anzugreifen. Aber dann war der Spähtrupp von den baskischen Rebellen überfallen worden, Hasard und die anderen in Gefangenschaft geraten und die Zwillinge ausgerissen, um sie zu befreien. Der Rest der Crew war ihnen im Eilmarsch gefolgt, und jetzt warteten die Zurückgebliebenen auf den Ausgang des riskanten Unternehmens. Noch jemand befand sich an Bord der „Isabella“: Miranda Lleones, die Tochter des verhafteten Wirts aus der „Linterna Roja“. Sie hatte den Spähtrupp an El Vasco verraten. In der Schenke waren die Männer überwältigt worden, doch das Mädchen wußte, daß El Vascos Plan Verrat war. Später beschrieb sie den, Weg zum Versteck der Basken, doch diesen Weg hatten die Seewölfe schon selbst gefunden, als sie ein paar von den Rebellen in die Berge verfolgten. Jetzt schlief Miranda in einer Kammer des Achterkastells. Falls sie schlafen konnte, falls sie nicht genauso ungeduldig wie die anderen wartete. Denn es . war ja auch das Schicksal ihres Vaters
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und ihrer baskischen Freunde, das auf dem Spiel stand. „Wie lange soll das denn noch dauern, in drei Teufels Namen!“ fluchte der alte O'Flynn. „Daß diese verdammten jungen Hüpfer sich nicht beeilen können! Zu meiner Zeit ...“ „Soll ich mal zu Gary hoch entern?“ erbot sich Bill. „Den Teufel tust du! Was ist, wenn wir hier angegriffen werden, he? Willst du dann die Dons von oben mit Steinen beschmeißen?“ „Phh“, machte Bill. „Wenn jemand in die Bucht laufen will, kann er uns nur mit den Buggeschützen angreifen. Und bevor er das schafft, kriegt er einen Brandsatz verplättet, daß er...“ „Deck !“ unterbrach ihn die Stimme des dürren Gary Andrews von oben. Nicht aus dem Ausguck, wohlgemerkt, sondern aus den Klippen am Rand der Bucht. „Sie kommen!“ „Alle?“ schrie Old O'Flynn hinauf. „Nein! Das heißt ...“ Gary Andrews verstummte, weil er vollauf damit beschäftigt war, die Ankommenden zu beobachten. Bill war blaß geworden. Old O'Flynn stampfte mit seinen Krücken auf. „Wenn sich dieser Hammel nicht sofort klar ausdrückt ...“ begann er. Aber da schwang sich der Schiffsjunge schon über das Schanzkleid, und Sekunden später trieb er mit raschen Riemenschlägen das Boot zu dem schmalen Strandstreifen hinüber. Wie ein geölter Blitz enterte er in die Klippen. Gary Andrews hockte zwischen zwei Steinblöcken und peilte durch das Spektiv. Bill starrte in dieselbe Richtung. Sein Blick erfaßte die flirrende Staubwolke, die beiden Pferde, die Männer, die sich vorsichtig durch das unübersichtliche Gelände bewegten, und im nächsten Augenblick atmete er tief auf. „Du Idiot!“ knirschte er. Gary fuhr herum. „Wie bitte?“ „Mann, du hast gesagt, daß sie nicht alle zurückkehren! Dabei bringen sie noch
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jemanden mit! Mußt du einen so erschrecken?“ „Kann ich ahnen, daß du'n ängstliches Gemüt hast, Kleiner?“ „Der Teufel ist dein Kleiner! Kannst du erkennen, wer die anderen sind?“ „Nee“, sagte Gary Andrews ungerührt. Aber zehn Minuten später wußten sie es. Die Basken, gegen die fast die kompletten Crews von „Isabella“ und „Hoek van Holland“ ausgezogen waren, hatten sich mit ihnen verbündet - und jetzt würde es eine kleine Armee sein, die die Festung von Portugalete angriff, um die Gefangenen herauszuholen. 7. Die letzte Besprechung fand auf dem Achterkastell der „Isabella“ statt. Die Hauptstreitmacht der Basken war an Land geblieben und zog zu einem Versteck weiter, das sie schon öfter als Operationsbasis benutzt hatten. Miranda Lleones war bei ihnen, die ihre Erleichterung über die unerwartete Wendung der Dinge nicht verhehlte. Sie war sich klar darüber, daß sie nicht mehr in die „Linterna Roja“ zurückkehren konnte nicht, wenn die Aktion gelang, bei der auch ihr Vater befreit werden sollte. Aber sie hatten Freunde, die Rebellen würden einen neuen Stützpunkt finden, um ihren Kampf weiterzuführen. Miranda sah optimistischer in die Zukunft, als sie es noch vor Tagen getan hatte. El Vascos dunkle, tiefliegende Augen funkelten bewundernd, als sein Blick über die starke Armierung der „Isabella“ glitt. Von den Brandsätzen, jener wirksamsten Waffe, die nur im äußersten Notfall eingesetzt wurde, hatten ihm die Geusen erzählt. Diesmal, das stand fest, würde sich ein solcher Notfall ergeben. Im Außenhafen von Bilbao lagen genug spanische Kriegsgaleonen, um die „Isabella“ und die „Hoek von Holland“ zu Treibholz zu zerschießen.. Sie durften nicht auslaufen. Davon hing, der Erfolg des Unternehmens ab. Hasard dachte außerdem an die Zukunft. Jedes Schiff, das
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Spanien verlor, würde ein wenig dessen Entschlossenheit dämpfen, mit der „unbesiegbaren Armada“ nach England zu segeln und die Heimat der Seewölfe mit Krieg zu überziehen. Der Hafenkommandant von Portugalete würde sein blaues Wunder erleben. Hasard betrachtete die Karte, auf der unter anderem die Bucht eingezeichnet war, in der sie lagen. Er tippte auf die Umrisse der Festung und des Außenhafens. „Wir werden ein ziemliches Chaos hinterlassen“, stellte er fest. „Auf den Schiffen gehen nur Ankerwachen, die sich vermutlich schleunigst in Sicherheit bringen werden, also brauchen wir auch nicht mit Widerstand zu rechnen. Die versenkten Schiffe werden die Mündung des Nervion blockieren, so daß die Galeonen, die in Bilbao selbst liegen, erst mal eine Weile brauchen, bis sie die Verfolgung aufnehmen - wenn überhaupt.“ El Vasco nickte nachdenklich. Der Vorteil des Plans für seine Rebellentruppen lag auf der Hand: die Spanier würden sich vorwiegend um die Besatzungen der beiden Schiffe kümmern und vielleicht nicht einmal auf die Idee verfallen, daß der Angriff von See Unterstützung an Land hatte. Den Basken blieben Zeit und Gelegenheit, sich zurückzuziehen. Bis die Spanier die Lage überblickten und die unvermeidliche Jagd begannen, konnten sich die Rebellen in Sicherheit bringen, würden wieder über ihre alte Stärke verfügen - und zudem über eine ganze Menge Waffen, die sie den Soldaten des „eisernen Zwergs“ abgenommen hatten. „Wir werden stärker sein als vorher“, sagte El Vasco leise. „Und das verdanken wir euch.“ Er hob den Blick von der Karte und sah den Seewolf an. „Die entscheidende Rolle wird der Stoßtrupp spielen. Ich wäre gern dabei, Senor Killigrew. Aber ich akzeptiere auch; wenn Sie mir nach allem, was passiert ist, nicht voll vertrauen.“ „Hier ist niemand, der Ihnen nicht vertraut“, sagte Hasard knapp. Er wußte, daß der Baskenführer innerlich noch nicht mit seinem Beinahe-Verrat fertig
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geworden war und wohl auch noch eine Weile dazu brauchen würde. „Es sollte ohnehin jemand dabei sein, den die Baskischen Gefangenen kennen und dem sie folgen. Wir nehmen die Pinasse und segeln im Bogen auf die andere Seite der Bucht. Das Zeichen zum Angriff kommt von der ,Isabella'. Aber wir brauchen Zeit, um den verdammten Schlüssel an uns zu bringen. Das heißt, daß wir jetzt ziemlich schnell aufbrechen müssen, damit wir im Morgengrauen angreifen können.“ „Könnte man nicht diesen fetten Hafenkommandanten überhaupt als Geisel nehmen, statt ihm nur den Schlüssel zu klauen?“ meldete sich Ferris Tucker. Hasard zog die Brauen zusammen. Daran hätte er auch schon gedacht, aber er hatte Bedenken. Die gleichen Bedenken, die Jan Joerdans aussprach. „Ich rate davon ab“, sagte der Geuse ruhig. „Benito Uvalde ist verhaßt, teilweise auch bei seinen eigenen Leuten. Es könnte leicht sein, daß sich jemand den Teufel um seine Sicherheit schert. Oder sogar die günstige Gelegenheit nutzt, um sich des Kerls endlich zu entledigen.“ „Damit wäre dieser Punkt erledigt.“ Hasard warf einen Blick zum Himmel, wo die Sterne immer noch wie Diamanten auf tiefschwarzem Grund funkelten. Aber in spätestens einer Stunde würde sich der erste graue Streifen im Osten zeigen, dann blieb ihnen nicht mehr viel Zeit. Der Seewolf stellte den Stoßtrupp zusammen, der in die Festung von Portugalete eindringen sollte. Zwölf Mann, das mußte reichen, um die Kampfkraft der beiden Galeonen nicht zu sehr zu schwächen. Jan Joerdans dachte genauso wenig wie Hasard daran, zurückzubleiben: sie hatten beide Männer, denen sie die Führung ihrer Schiffe ohne weiteres anvertrauen konnten. Der Geusenkapitän wählte unter seinen Leuten Friso Eyck, Henk Bakker von der „Oranje“, Marten Routs und Rogier Kerkhove aus. Von den Seewölfen würden Ed Carberry und Ferris Tucker, Dan O'Flynn, Batuti und Matt Davies dabei sein. Hasard hatte bewußt darauf
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verzichtet, einen Trupp vermeintlicher „Spanier“ zusammenzustellen. Auf dem Weg über die Landzunge bis zur „Linterna Roja“, wo der unterirdische Gang begann, würde ihnen ohnehin kaum jemand begegnen. Bei dem ersten und schwierigsten Teil des Unternehmens, bei dem die Unterstützung durch die Basken noch nicht zählte, kam alles auf den Überraschungseffekt an. Und um ahnungslose Spanier in Angst und Schrecken zu versetzen, waren Männer wie der schwarze Herkules aus Gambia, der rothaarige Riese Ferris Tucker oder Matt mit seinem furchterregenden Haken bestens geeignet. Big Old Shane hatte inzwischen bereits das Beiboot klarmachen lassen. Pieter Ameland, der die Führung der „Hoek van Holland“ übernehmen würde, schlug seinen Kameraden auf die Schulter, schüttelte den Seewölfen die Hände und ließ sich hinüberpullen. Und Minuten später enterten Henk Bakker, Rogier Kerkhove und Marten Routs an Deck - mit funkelnden Augen und sichtlich stolz darauf, daß ihr Kapitän sie für dieses Unternehmen ausgewählt hatte. Die Pinasse wurde abgefiert, die Männer gingen an Bord. Hasard sprang als letzter auf die Planken, nachdem er noch einmal mit Big Old Shane und Ben Brighton gesprochen hatte. Bei dem Bootsmann befand sich die „Isabella“ in besten Händen. Ben war ein perfekter Seemann, ruhig, beherrscht und besonnen. Falls etwas schiefging, würde er die richtigen Entscheidungen zu treffen wissen. Aber es durfte nichts schief gehen. Hasard brauchte nur in die Gesichter der Männer zu sehen, um zu wissen, daß sie es auch diesmal 41 schaffen würden, dem Teufel die Krallen zu kürzen. Matt und Batuti stießen das Boot von der Bordwand frei. Der Mast wurde aufgerichtet, und die Männer pullten aus der Bucht. Kaum hatten sie die Ausfahrt passiert, blähte sich das schwarz eingefärbte Segel.
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„Riemen hoch und ein“, befahl Hasard knapp. „Anluven! Wir müssen kreuzen.“ Sie gingen hoch an den Wind, der aus Nordwesten wehte. Die felsige Küste blieb hinter ihnen. Nach einer Weile konnten sie Backbord querab die Lichter von Portugalete schwach durch die Dunkelheit glimmen sehen. Noch war alles ruhig. Nichts wies darauf hin, daß die Spanier Unrat witterten. Vermutlich warteten sie immer noch auf die Erfolgsmeldung des „eisernen Zwergs“, den sie gegen das Rebellennest in den Bergen geschickt hatten, und ahnten nicht, daß der kleine Comandante mit dem langen Namen nur noch eine vernichtende Niederlage melden konnte. Aber bis er mit dieser Nachricht in Bilbao eintraf, würde hier draußen schon alles vorbei sein. * Mit einem dumpfen Krach schloß sich die Tür der Folterkammer. Durch die vergitterte Luke warf der Hafenkommandant noch einen Blick auf den gefesselten Mann. Benito Uvalde schwitzte. Er war müde, und er hatte keine Lust mehr, sich mit diesem verstockten Geusen zu befassen, der ihm doch immer nur neue Märchen erzählte. Aber gerade deshalb war Uvalde mehr denn je davon überzeugt, daß der Gefangene am Leben gehalten werden mußte, bis er endlich die Wahrheit gesagt hatte. Ob es wirklich die Wahrheit war, mußte sich dann aus dem Vergleich mit den Aussagen der anderen ergeben. Van Helder durfte keine Gelegenheit mehr erhalten, mit ihnen zu sprechen. Keine! Auch nicht auf dem Weg über irgendwelche Wächter, die sich vielleicht mit großartigen Versprechungen bestechen ließen oder gar Bewunderung für diesen zähen, unbeugsamen Mann empfanden. Eigenhändig drehte Benito Uvalde den Schlüssel um und nahm ihn an sich. Er verschloß auch den kahlen Vorraum, in dem sonst ein Wächter saß, um völlig
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sicherzustellen, daß niemand mit dem Gefangenen Kontakt aufnahm. Mit einem Ausdruck unterdrückter Wut preßte der Hafenkommandant die Lippen zusammen. Die Vorstellung von einem Angriff auf Bilbao ähnlich dem auf Cadiz lag ihm schwer im Magen – und doch fiel ihm nicht ein, schnell und konsequent geeignete Gegenmaßnahmen zu treffen. Einmal klang die Sache einfach zu ungeheuerlich und schloß die Möglichkeit nicht aus, daß er sich in den Augen seiner Landsleute, unter denen es zahlreiche Konkurrenten und Neider gab, total blamierte. Zum anderen dachte er nicht im Traum daran, daß die Gefahr schon vor der Tür stehen könnte. Womit er rechnete, war ein größerer Schiffsverband, der zunächst einmal irgendwo Schutz gesucht hatte und den man aufspüren mußte. Vorsichtshalber hatte er zwei Galeonen zu jener Insel im Golf geschickt, aber er glaubte selbst nicht, daß sie etwas entdecken würden. Wenn sich die Geusenschiffe wirklich gesammelt und mit einem englischen Freibeuter verbündet hatten, würden sie ihren Schlag irgendwo in Ruhe vorbereiten müssen. Uvalde glaubte - oder wollte glauben -, daß ihm auf jeden Fall noch reichlich genug Zeit blieb. Als sich das schwere Tor der inneren Festungsanlage hinter ihm schloß, begannen bereits die Sterne zu verblassen. Eine Eskorte geleitete den Kommandanten zu seinem Haus im äußeren Festungsbereich. Zwei Sturmlampen brannten, der Diener war wachgeblieben eine Selbstverständlichkeit. Uvalde wies den armen Mann an, Brot, Käse und kalten Fasan in sein Schlafgemach zu bringen. Und natürlich Wein. Wenn die Pflicht ihn schon gezwungen hatte, die glutäugige Schöne aus dem Hafen wieder nach Hause zu schicken, statt sich die Nacht von ihr versüßen zu lassen, wollte er wenigstens noch ein paar andere Vergnügen genießen. Er atmete auf, als der erste Schluck durch seine Kehle rann. Im Licht der Öllampe funkelte der Wein tiefrot wie Rubin. Uvalde lockerte seinen
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Kragen, lehnte sich behaglich zurück und versuchte, sich ganz auf die Entspannung vor dem langen und - seiner Meinung nach - wohlverdienten Schlaf zu konzentrieren. Noch ahnte er nicht, daß es ein kurzer Schlaf und ein ziemlich unsanftes Erwachen werden würden. * Etwa um dieselbe Zeit glitt die Pinasse mit den schwarzen Segeln im Schutz der Nacht an der äußersten Spitze der Landzunge vorbei, auf der sich wie schwarze, wuchtige Klötze die Gebäude der Festung erhoben. Nur noch wenige Häuser lagen näher am Meer: eins davon war die „Linterna Roja“, jene Schenke, die die baskischen Rebellen praktisch unter den Augen der Spanier, vor Benito Uvaldes Haustür, als Treffpunkt benutzt hatten. Jedenfalls bis zur Verhaftung des Wirts Und auch später noch gelegentlich. Seither war die „Linterna Roja“ natürlich ein gefährlicher Platz. Aber noch hatten die Spanier keinen entscheidenden Schlag gegen die Schenke unternommen, und noch wußten sie offenbar auch nichts von dem Geheimgang, der einen der Kellerräume mit einem ausgetrockneten Brunnen im Innern der Festung verband. Im Innern der äußeren Befestigungsanlagen, wie sich Hasard in Gedanken verbesserte. Eine riesige Ringmauer umgab das Gelände mit den gepflasterten Gassen und Plätzen, den Unterkünften der Soldaten, den Vorratsräumen und Depots und dem Haus des Hafenkommandanten. Bis dorthin konnten die Basken jederzeit vordringen. Doch die innere, die eigentliche Festungsanlage hatte sie bisher vor unlösbare Probleme gestellt. Mit dem letzten Kreuzschlag glitt die Pinasse auf eine winzige Bucht zu, deren Einfahrt im Gewirr der Klippen und Felsen kaum zu erkennen war. Zwei Fischerboote lagen an einem morschen Steg.
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Baskische Fischer, wie El Vasco versicherte. Männer, die sich um ein fremdes Boot nicht kümmerten, es sei denn, daß es sich um ein spanisches Boot handelte. Das Segel killte im Windschatten einer vorspringenden Klippe und wurde aufgegeit. Dan O'Flynn und Henk Bakker sprangen geschmeidig auf den Steg, um die Leinen wahrzunehmen. Sorgfältig vertäuten die Männer die Pinasse, dann blieben sie einen Augenblick stehen und lauschten in die nächtliche Stille. Irgendwo schrie ein Maultier. Wellen plätscherten, Wind raschelte im Gestrüpp, sonst rührte sich nichts. Hasard überlegte, ob er eine Wache bei der Pinasse lassen sollte, doch er entschied sich dagegen. Es war sinnlos. Falls die Spanier das Boot zu früh entdeckten, ließ es sich auch von zwei oder drei Mann nicht halten, dann blieb ihnen so oder so nichts übrig, als sich den Weg freizukämpfen. Diesmal benutzte der kleine Trupp nicht den Weg, der auf der anderen Seite der Landzunge die wenigen Häuser mit dem eigentlichen Portugalete verband, sondern kletterte quer durch das Gewirr von Felsen und Buschwerk aufwärts. Das Kiefernwäldchen, das die „Linterna Roja“ abschirmte, kannten die meisten von ihnen bereits. Hasard erinnerte sich an die wilden, leidenschaftlichen Klänge von Alboka und Soinua, die er beim letztenmal hier gehört hatte, an den aufpeitschenden Rhythmus der Espadadantza, der alten baskischen Kriegstänze. Jetzt lag die Schenke still und ausgestorben in der Dunkelheit, die verriegelten Fensterläden verrieten, daß hier kein Ort für Tanz, Musik und Vergnügen mehr war. Die Fischer und Bauern, die die Schenke sonst besuchten, wußten ohnehin, was geschehen war. Die Spanier hatten von den verschlossenen Fenstern und Türen ganz sicher keine Notiz genommen. „Wartet!“ flüsterte El Vasco. „Ich gehe voran.“ Er huschte bereits hinüber, ehe jemand etwas sagen konnte. Hasard kniff die Augen zusammen. Jemand hatte das Versteck der Rebellen auf dem Plateau
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verraten. Es konnte durchaus sein, daß er auch den heimlichen Treffpunkt, dieses wichtige Bindeglied zwischen den Rebellen und den einheimischen Fischern und. Bauern verraten hatte. Der Frieden mochte trügen. Für ein paar Minuten verharrten die Männer reglos und warteten gespannt, dann erschien El Vasco wieder in der offenen Tür und winkte. Der große, jetzt leere Schankraum sah noch genauso aus, wie Hasard ihn in Erinnerung hatte. Auch Jan Joerdans und Friso Eyck waren bei jenem ersten Spähtrupp unternehmen dabei gewesen. Und später hatten sie hier an derselben Stelle zu fünft gegen die Übermacht der Basken gekämpft. Natürlich hatten sie keine Chance gehabt: auf jeden von ihnen kamen vier oder fünf Mann, die dazu noch den totalen Überraschungseffekt auf ihrer Seite hatten. Aber auf jeden Fall waren sie alle mit fliegenden Fahnen untergegangen, und die Basken wußten seitdem, was die Seewölfe und die Geusen für Kerle waren. El Vasco grinste verzerrt: ihn schienen die gleichen Erinnerungen zu bewegen. Rasch trat er an den Perlenvorhang, der den Zugang zum Nebenraum verdeckte. Dünne Streifen Mondlicht fielen durch die verrammelten Fenster. Das Feuer auf dem Herdstein war erloschen, aber die schwache Beleuchtung reichte aus, um die Bastmatte über der Bodenluke beiseite zu ziehen und die schwere Falltür zu öffnen. Hasard ließ ein paar Pechfackeln entzünden. Unruhig huschte der Widerschein der Flammen über die harten, angespannten Gesichter der Männer, während sie über die steile Leiter nach unten kletterten. Der Seewolf enterte als letzter abwärts und schloß sorgfältig die Falltür über seinem Kopf, bevor er endgültig auf den Boden sprang. Beim erstenmal war es Miranda Lleones gewesen, die ihnen den Geheimgang geöffnet hatte. Aber El Vasco kannte den Weg natürlich auch. Seine Hände tasteten über das Mauerwerk, drückten auf eine bestimmte Stelle, und zum zweiten Mal beobachtete
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Hasard, wie ein Teil der Wand zurückschwang, als hätten Geisterhände ihn bewegt. Auch diesmal war der Mechanismus nicht zu durchschauen, und sie hatten keine Zeit, ihn sich erklären zu lassen. Der Seewolf mußte an das Versteck der geheimnisvollen Mumie auf dem Schwarzen Segler Siri-Tongs denken. Er ging voran. Der Schein seiner Fackel geisterte über die Wände, und als hinter dem letzten Mann knarrend die Tür zuschwang, hatte Hasard bereits die Stelle erreicht, wo der gemauerte Gang in eine natürliche Höhle überging. Die Wände schimmerten feucht. Wieder hörten die Männer das ferne Brausen der Brandung, wieder gingen sie an dem eingestürzten Quergang vorbei, der früher einmal einen Ausgang zum Meer gebildet hatte. Hasard, Jan Joerdans und Friso Eyck kannten die Stelle bereits, an der der Stollen abzweigte, den die Basken angelegt hatten. In mühsamer Kleinarbeit war ein Loch durch die Felsen gebrochen worden. Dahinter führte ein niedriger, mit Holzbrettern und Pfählen sorgfältig abgestützter Gang durch den Erdwall, auf dem ein Teil der Festungsmauer errichtet worden war, um die Unebenheiten der Klippen auszugleichen. Der Stollen endete im Schacht eines ausgetrockneten Brunnens. Rostige Steigeisen waren in die Mauer eingelassen. Auf dem Boden schwappte noch etwas Wasser. Dort löschten sie die Fackeln, um sich nicht durch den Lichtschein zu verraten. Hasard lauschte, aber über ihm rührte sich nichts. „Batuti klettern hoch“, flüsterte es dicht an seinem Ohr. „Nacht schwarz, Batutis Kopf schwarz, klar? Batuti sieht alles, Spanier sehen nichts.“ Hasard mußte lächeln. So schauerlich war das Englisch des schwarzen Herkules sonst nur selten — eigentlich nur noch in Momenten großer Anspannung. Der Seewolf nickte.
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„Aber Batuti wird seinen schwarzen Kopf nicht zu weit aus dem Brunnen stecken und sofort wieder abentern, klar?“ „Aye, Sir. Und nachher? Ist verdammt gefährlich im Haus von fettes Hafenkommandanten. Besser, Batutis schwarzes Kopf guckt wieder aus Brunnen.“ „Einverstanden“, sagte der Seewolf nach kurzem Überlegen. „Und fetz: hoch mit dir, schnell!“ Batuti brauchte nur wenige Minuten. Er bewegte sich erstaunlich geschmeidig und lautlos für einen Mann seiner Größe. Als er sich — vorsichtig wegen des Wassers — wieder auf den Boden gleiten ließ, blitzten die prächtigen weißen Zähne in dem schwarzen Gesicht. „Nix Spanier, nix Licht in Haus von fettes Uvalde“, verkündete er „Bloß dämliches Wachtposten, was glotzt auf Meer. Vielleicht hofft. schönes Nixe zu sehen, das aus dem Wasser steigt.“ „O Heimathafen“, stöhnte Hasard. Und dann grinste er den anderer zu, überprüfte noch einmal den Sitz seiner Waffen und begann, über die rostigen Steigeisen aufwärts entern. 8. „Anker auf!“ klang Ben Brightons ruhige Stimme über die Decks. „An die Brassen und Fallen! Wir gehen unter Fock und Besan raus! Pete, sieh zu, daß du sofort anluvst, sobald wir die Nase draußen haben, sonst rasieren uns die verdammten Klippen das Heck!“ „Aye, aye!“ rief der Rudergänger. „Aye, aye“, folgte die Bestätigung der Männer, die bereits an ihren Plätzen standen und Brassen und Fallen zum Laufen klarlegten. Drüben auf der „Hoek van Holland“ liefen die Manöver fast ebenso schnell und exakt ab. über den Klippen im Westen zeigte der Himmel bereits einen schwachen grauen Schimmer. Es wurde Zeit, wenn sie die Bucht von Bilbao im Morgengrauen erreichen wollten.
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„Aus dem Grund“, meldete Smoky, der weit über das Schanzkleid gebeugt den Stand der Trosse beobachtet hatte. Der Anker wurde hochgehievt. Es war nicht viel Wind, der durch die Bucht strich, nur ein schwaches Säuseln, aber er genügte, um der „Isabella“ eine sanfte Fahrt zu geben. Ben Brighton mißhandelte seine Unterlippe mit den Zähnen, verfolgte die abfallende Linie der Klippen mit den Augen und versuchte, die Zunahme dieses verdammten Säuselns abzuschätzen. Die Ausfahrt war schmal und das Säuseln nur der letzte Ausläufer der Brise, die von Nordwesten über den Golf strich. Hereinzukommen war einfacher gewesen. Das wußten die anderen auch, und Old O'Flynn fluchte, als habe er den Ehrgeiz, den abwesenden Profos zu ersetzen. „'ne Idee anluven, Pete!“ befahl Ben Brighton. „Hoffentlich weiß der Hammel, was 'ne Idee ist“, unkte jemand. Aber Pete Ballie war als Rudergänger von ganz besonderem Kaliber. Seine ankerklüsengroßen Fäuste bewegten das Rad, als habe er rohe Eier zu balancieren, und im auffrischenden Wind glitt die „Isabella“ elegant auf die Ausfahrt zu. „Etwas abfallen!“ Bens Augen klebten an den schwarzen Schatten der Klippen. „Recht so. Anluven jetzt! An den Wind mit dem Kahn, jaaa ...“ Das letzte war ein erleichterter Seufzer. Hoch am Wind löste sich die „Isabella“ aus der gefährlichen Küstennähe. Ben Brighton ließ Großsegel und Marssegel setzen und scheuchte Bill in den Ausguck. Gespannt sah sich der Bootsmann nach der „Hoek van Holland“ um, die im selben Augenblick ihren schmalen Bug durch die Einfahrt schob. Pieter Amelands Stimme klang herüber, die holländischen Kommandos schallten. Geschickt segelten sich die Geusen frei, luvten an und drehten, ebenfalls hoch am Wind, ins Kielwasser der „Isabella“. „Bill?“ rief der Bootsmann mit zurück geneigtem Kopf zum Großmars hinauf.
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„Nicht mal 'n Fischschwanz zu sehen, Sir!“ erklang die helle Stimme des Jungen. Das war zwar nicht gerade eine vorschriftsmäßige Meldung, aber Ben Brighton fand, daß es darauf im Augenblick wirklich nicht ankam. * Vorsichtig schob Hasard den Kopf über den Brunnenrand und ließ den Blick wandern. Gegenüber seinem ersten Besuch hatte sich das Bild innerhalb der mächtigen Ringmauer der Feste kaum verändert. Nur der Posten, dessen Schatten sich auf dem Wehrgang bewegte, war vermutlich ein anderer. Aber der dachte ohnehin nicht im Traum daran, daß eine Gefahr hinter ihm drohte, sondern spähte angestrengt aufs Meer hinaus - vielleicht in der Hoffnung, ein paar schöne knackige Nixen zu sichten, wie Batuti vermutet hatte. Stattdessen würde er die „Isabella“ und die „Hoek van Holland“ sichten. Aber erst im letzten Augenblick. Denn die beiden Galeonen segelten nicht von Norden heran, wo die Spanier allenfalls noch auf ungebetenen Besuch gefaßt waren, sondern hielten sich dicht unter Land ostwärts. Geschmeidig schwang sich Hasard über den Brunnenrand und landete auf dem Katzenkopf-Pflaster des freien Platzes. Groß und wuchtig ragte die eigentliche Festung vor ihm auf, ein düsteres Gebäude mit mächtigen Mauern und Ecktürmen, das wie für die Ewigkeit gebaut wirkte. Glatt und abweisend schimmerten die Wehrgänge im Mondlicht, die das Zentrum der Anlage mit der Außenmauer verbanden. Es gab keine Pforten und auch keine Fensterluken, die für einen Enterhaken erreichbar gewesen wären. Nur das breite, wuchtige Haupttor mit den dicken Bohlen und den schweren Eisenbeschlägen und um das aufzusprengen, hätte nicht einmal ein Fäßchen Schwarzpulver genügt. Mit ein paar Schritten erreichte der Seewolf den Schatten eines Speichers, glitt weiter und überquerte die Gasse, die sich
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im Halbrund um die innere Festung zog. Bevor er dem Hafenkommandanten auf den Pelz rückte, wollte er sich überzeugen, oh es nötig war - und ein paar Minuten später wußte er es. Schon einmal hatte er neben dem bogenförmigen, vergitterten Fenster gekauert und in das düstere, von schwachem Fackelschein erfüllte Gewölbe der Folterkammern hinuntergespäht. Diesmal war Marius van Helder bewußtlos. Daß er noch lebte, bewiesen die schnellen, flachen Atemzüge. Auf den ersten Blick sah es nicht so aus, als habe er irgendwelche Verletzungen davongetragen, die nicht wieder heilen würden, aber Hasard mußte sich trotzdem hart auf die Lippen beißen, um den jäh auflodernden Zorn zu bezwingen. Nach ein paar weiteren Minuten tauchte er in den Schatten des großen, etwas erhöht liegenden Gebäudes, das der Hafenkommandant als Wohnung benutzte. Hier gab es keine Gitter an den Fenstern, genauso wenig wie bei den Unterkünften der Soldaten. Im oberen Stock standen ein paar Fenster offen. Hasards Augen funkelten auf, als er die gedämpften, gleichmäßigen Schnarchtöne hörte. Das Haus war aus schweren, roh behauenen Bruchsteinen gefügt, genau wie die anderen Bauwerke. Wind, Regen und Salzluft hätten die Fugen zerfressen, so daß es leicht war, Finger und Zehenspitzen zwischen die Quader zu schieben. Hasards Körper schien an der Wand zu kleben, als er aufwärts kletterte. Als er wenig später den Kopf über die Fensterbrüstung schob, hatte er nicht mehr Geräusche verursachte als ein gelegentliches, kaum wahrnehmbares Schaben. Benito Uvalde dagegen schnarchte, als säge er im Traum auch noch die letzten kantabrischen Wälder ab, die die Schiffsbauer von Bilbao übrig gelassen hatten. Hasard grinste hart, als er sich über die Brüstung schwang und vorsichtig das Fenster schloß. Mit zwei Schritten stand er vor dem prächtigen, vor Kissen, Decken
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und weichen Pfühlen überquellenden Lager. Der Hafenkommandant schnarchte unbeeindruckt weiter. Ein Blick auf die leere Weinflasche und mehr noch der Geruch zeigten Hasard deutlich den Grund. Der Seewolf zog den Degen aus der Scheide. Noch hielt er die Klinge gesenkt, damit sich Uvalde nicht selbst aufspießte, wenn er plötzlich hochfuhr - falls der Dicke zu solchen Turnübungen überhaupt in der Lage war. Um den Hals gehängt hatte er sich den Schlüssel jedenfalls nicht. Hasard beugte sich vor und rüttelte den Schnarchenden an der Schulter. Das Sägen verstummte. „Nicht doch, Süße“, murmelte Benito Uvalde auf Spanisch. „Na, na“, sagte Hasard kopfschüttelnd, und irgendetwas am pulvertrockenen Tonfall dieser Worte mußte bis in die Tiefen von Uvaldes Schlaf gedrungen sein. Vielleicht wunderte er sich auch nur, daß die „Süße“ aus seinen Träumen plötzlich mit einer so tiefen, energischen Stimme sprach. Auf jeden Fall grunzte er unwillig, schlug die verquollenen Augen auf, und dann verkrampften sich seine Muskeln, was dazu führte, daß seine Fettmassen in heftige, zitternde Bewegungen gerieten. Er brauchte mehrere Minuten, bis er tief Luft holte. Klar, daß er Alarm schreien wollte. Aber da preßte sich bereits Hasards Hand auf seinen Mund, und der Anblick der funkelnden eisblauen Augen und der ebenfalls funkelnden Degenklinge ließ den Dicken erschlaffen. „Kein lautes Wort!“ zischte Hasard. „Ich will nichts weiter als die Schlüssel zur Folterkammer. Wenn du keinen Mucks tust, geschieht dir nichts. Also?“ Er fügte noch ein paar Drohungen an, bei denen selbst der eiserne Carberry ins Staunen geraten wäre. Benito Uvalde war einem Herzschlag nahe. Er rührte sich nicht, als sich die harte Hand von seinem Mund löste. „D-d-d-der Seewolf“, stotterte er so leise, daß es kaum der Floh hören konnte, der im
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selben Moment von seiner Lagerstatt auf den Teppich hüpfte. „Wo ist der Schlüssel, Uvalde? Ich kann ihn auch suchen.“ „N-n-nagel“, wisperte der Kommandant. Er hatte aus den Worten herausgelesen, daß er garantiert tot sein würde, wenn der Seewolf zu suchen anfing. Tatsächlich hing ein Schlüsselbund neben der Tür an einem Nagel. Hasard wußte, daß sein Gegner gar nicht den Nerv hatte, einen Bluff zu versuchen. Der Seewolf zog einen Leinwandfetzen aus der Tasche - und Benito Uvalde hatte den Stoff zwischen den Zähnen, als er gerade den Mund auftat, um etwas zu sagen. Ein abgerissener Streifen seines eigenen Rüschenhemds sorgte dafür, daß er den Knebel. nicht ausspucken konnte. Hasard verschnürte dem Burschen Hände und Füße und band ihn zusätzlich so auf dem Bett fest, daß er sich weder aus eigener Kraft befreien noch durch irgendwelche Geräusche bemerkbar machen konnte. Das einzige, was er fertig brachte, war ein heftiges Keuchen, aber ein Mann, der im Traum die kantabrischen Wälder abholzte, keuchte sicher auch manchmal im Schlaf. Sekunden später hatte der Seewolf das Zimmer wieder verlassen. Vorsichtshalber zog er das Fenster hinter sich zu, während er mit der Rechten an der Kante der Brüstung hing. Geschmeidig kletterte er wieder abwärts. Die Schlüssel in seiner Tasche klickten, aber das Geräusch war so leise, daß es die Posten auf den Außenmauern bestimmt nicht hören konnten. Ein prüfender Blick: im Osten färbte sich der Himmel bereits heller. Das klare Schwarz der Nacht verwandelte sich in ein dunkles, gestaltloses Grau, das die Konturen zunächst eher verwischte als klarer hervortreten ließ. Dies war die Stunde, zu der sich feuchter Dunst auf dem Meer bildete, über die Klippen und Strände kroch und die Sicht erschwerte. Und es war die Stunde von Kälte und Müdigkeit, die Stunde, in der die Glieder steif werden und Blei auf den Lidern lastet — die
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Stunde, die von Wachgängern jeder Art am meisten gefürchtet wird. Den Posten auf der Mauer würde es nicht anders ergehen. Hasard warf einen Blick zu der schattenhaften Gestalt hinauf, bevor er wieder über den gepflasterten Platz huschte. Nichts rührte sich. Der Seewolf erreichte den Brunnen und mußte lächeln, weil selbst er „schwarzes Kopf von Batuti“ erst in letzter Sekunde bemerkte. Der Herkules aus Gambia enterte gerade so weit ab, daß sein Kapitän in Deckung gehen konnte. Hasard hakte einen Arm um das oberste Steigeisen. Unterhalb von Batuti konnte er den roten Schopf Ferris Tuckers erkennen und noch weiter unten das helle Flachshaar von Friso Eyck. Die Männer standen bereit, waren so weit aufgerückt wie eben möglich und drängten sich auf dem Grund des Brunnenschachtes zusammen. Jetzt konnten sie nur noch warten. Das Zeichen zum Sturm mußte im entscheidenden Moment von der „Isabella“ und der „Hoek van Holland“ erfolgen. * Nur die Ankerwachen waren an Bord der sechs spanischen Kriegsgaleonen, die im Außenhafen von Bilbao lagen. Nebel kroch über das Wasser und schob sich an den Kaianlagen hoch wie die tastenden Fangarme eines Kraken. Aus einer der Hafenschenken dröhnten immer noch Stimmen und grölender Gesang. Felipe Chiavas, der spanische Fockgast, schwankte zwischen Neidgefühlen gegen die Glücklichen, die da den Hund von der Kette ließen, und der bleiernen Müdigkeit, die den lebhaften Wunsch weckte, sich endlich in die Hängematte zu hauen und die Freiwache zu verschlafen. Sein langer, dürrer Kumpan beobachtete ein paar Gestalten, die über den Kai schlenderten. Schwankende Gestalten, eine davon eindeutig weiblich gerundet. Der Dürre seufzte, wandte sich wieder um und hing ziemlich sündigen Gedanken nach.
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Felipe Chiavas störte ihn dabei. „He!“ zischte er. „Schau mal!“ Der Dürre verzog das Gesicht, weil er sich lieber mit den Bildern seiner Phantasie beschäftigt hätte. Ihre Galeone lag im nördlichen Teil des Hafens, ziemlich nah am offenen Meer. Gischtkämme zeichneten den Verlauf des Wellenbrechers nach. Der Dürre folgte der Blickrichtung seines Kameraden, doch im ungewissen grauen Dunst der Morgendämmerung konnte er nichts erkennen. „Was denn, Zum Teufel?“ knurrte er unwillig. „Auf dem Wasser, Mann! Genau NordNordost! Verdammt, das ist doch ...“ Er verstummte. Jetzt sah auch der Dürre den fahl-weißen Schatten, der sich aus dem grauen Dunst schälte. Segel? Ein Schiff? Oder zwei? Der Spanier schluckte, kniff die Augen zusammen und spähte angestrengt hinüber. „Galeonen“, murmelte er. Und mit einem plötzlichen Grinsen: „Hola, das sind sicher die beiden Schiffe, die der Hafenkommandant zu der Insel geschickt hat.“ „Meinst du, die könnten jetzt schon zurück sein?“ knurrte Chiavas. Der Dürre schwieg ernüchtert. Beide Männer starrten hinaus in den Golf, wo sich die Umrisse der Galeonen jetzt deutlicher abzeichneten. Chiavas runzelte die Stirn. Dieses Schiff an der Spitze — es sah nicht aus wie eine spanische Kriegsgaleone. Die Aufbauten waren flacher, die Masten ungewöhnlich lang. Aber was war es dann? Etwa die holländische Galeone, nach der so fieberhaft gesucht wurde? Unsinn, dachte Chiavas. Die Geusen würden doch nicht so wahnsinnig sein, derart dicht unter Land am Hafen von Bilbao vorbeizusegeln. Vorbeizusegeln? „Die fallen ab“, flüsterte der Dürre. „Na also“, sagte Chiavas zufrieden. „Es sind die ...“ Und dann verstummte er. Denn im selben Augenblick wurde ihm klar, daß er sich irrte, daß durchaus nicht alles in Ordnung war, daß es sich ganz sicher nicht um die
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Galeonen handelte, die Benito Uvalde abkommandiert hatte, um nach Wassergeusen und englischen Freibeutern Ausschau zu halten. Die beiden Schiffe, die ein Stück in die Bucht gelaufen waren, luvten wieder an, drehten parallel zur Küste und nahmen Segel weg. In Kiellinie glitten sie an der Hafeneinfahrt vorbei. Der graue Dunst verwischte ihre Konturen, doch die beiden Spanier konnten deutlich sehen, daß an ihren Backbordseiten die Stückpforten geöffnet und die Kanonen ausgerannt waren. „Heilige Madonna!“ flüsterte Chiavas. Der Dürre schluckte erschrocken. Sie brauchten Sekunden, um zu begreifen, daß da offenbar jemand wirklich und wahrhaftig so wahnsinnig war, mit zwei Schiffen den Außenhafen von Bilbao anzugreifen. Noch ehe sie irgendwelche Konsequenzen aus dieser Erkenntnis ziehen konnten, blühte am Bug der führenden Galeone plötzlich eine gespenstische Feuerblume. Ein einzelner Schuß krachte. Ein Schuß aus der Backbord-Drehbasse der „Isabella“. Die beiden Spanier holten Luft, um lauthals Alarm zu schreien, aber das war jetzt nicht mehr nötig. 9. „Klar bei Brandsätze!“ Ben Brightons Stimme klang ruhig und hart. Er beobachtete die Männer an den Bronzegestellen, von denen aus die chinesischen Raketen abgeschossen wurden. Vier von diesen Teufelsdingern würden genügen, um die Kriegsgaleonen im Hafen aus dem Kampf auszuschalten, die ganze Stadt aufzuwecken und die Aufmerksamkeit der Spanier nachhaltig von der Festung abzulenken. Der Schuß aus der Bugdrehbasse war das Signal für Hasard und seine Gruppe gewesen. Jetzt folgte der Feuerregen. Er würde panisches Entsetzen verbreiten, aber er würde über fast unbemannte Schiffe hereinbrechen und keine Menschenleben kosten.
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„Feuer!“ rief Ben Brighton. Zischend lösten sich zwei der Raketen von der „Isabella“ und zogen ihre funkensprühende Bahn zum Hafen hinüber. Noch in der Luft zerplatzten sie und verstreuten gleich explodierenden Sonnen ihre Flammen. Erschrockene Schreie gellten. Auf den getroffenen Schiffen brachen an zahllosen verschiedenen Stellen Brände aus. Auf der „Isabella“ hatten die Männer schön die Bronzegestelle nachgeladen. Wieder flogen zwei von den Raketen hinüber. Ben Brighton beobachtete, wie sich auf den spanischen Galeonen die ersten Ankerwachen durch Sprünge ins Wasser in Sicherheit brachten. Sie hatten keine Wahl. Natürlich konnten sie nicht wissen, daß das chinesische Feuer unlöschbar war, aber allein hätten sie so oder so keine Chance gehabt, die Brände zu löschen, die sich mit rasender Geschwindigkeit ausbreiteten. Bis sie Verstärkung erhielten, würde es längst zu spät sein. Die Spanier, die jetzt am Kai zusammenliefen, konnten nur noch zuschauen. Selbst durch das Prasseln der Flammen waren ihre wilden Flüche zu hören. „Anluven!“ befahl Ben Brighton. „Durch den Wind mit dem Kahn! Und dann konzentriertes Feuer auf die Mitte des Wehrgangs!“ Die „Isabella“ ging über Stag. Hart am Wind über Backbordbug lief sie an der Landzunge vorbei, auf der sich die Festung erhob. Ben Brighton starrte aus schmalen Augen hinüber. Der Seewolf hatte recht gehabt und die Situation völlig richtig eingeschätzt. Der Wehrgang war die einzige schwache Stelle. Er befand sich in ihrem Schußfeld, weil die äußere Ringmauer an dieser Stelle niedriger lag. Wenn es ihnen gelang, mit den schweren Siebzehnpfündern eine Bresche in das Bauwerk zu schlagen, konnte der Stoßtrupp in die innere Festungsanlage eindringen. „Backbordkanonen Feuer!“ schrie der Bootsmann.
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Donnernd entluden sich die Geschütze. Eisenkugeln jaulten und strichen dicht über die Ringmauer weg. Zwei trafen die Zinnen der Bastei, die restlichen schlugen in die Wand des Wehrgangs. Ohrenbetäubender Krach tönte herüber, das Bauwerk schien zu erzittern, aber aus der Entfernung war noch nicht zu erkennen, wie viel Schaden die Breitseite angerichtet hatte. Von der „Hoek van Holland“ klangen Pieter Amelands Segelkommandos herüber. Die Galeone blieb im Kielwasser der „Isabella“. Ben Brighton ließ außerhalb der Bucht wenden und Segel wegnehmen, um die Fahrt zu vermindern. Jetzt befand sich die „Hoek van Holland“ auf der Höhe der Landzunge. Ihre Backbord-Breitseite krachte, und mit den achteren Drehbassen bestrich sie die Kaianlagen, um die Spanier daran zu hindern, irgendetwas gegen die feindlichen Schiffe zu unternehmen. Feuerschein erhellte den Hafen. Während die „Hoek van Holland“ ebenfalls wendete, glitt die „Isabella“ raumschots in die Bucht zurück und setzte ihre Steuerbordbreitseite ein. Wieder krachten die schweren Eisenkugeln in den Wehrgang, der die innere Festungsanlage mit der Außenmauer verband. Auch die Bugdrehbassen der „Isabella“ spuckten Feuer. Und dann krachten Musketen, als die Galeone dicht an der Hafeneinfahrt vorbeilief und langsam und schwerfällig halste — absichtlich langsam, um der „Hoek van Holland“ Gelegenheit zu geben, nach der Wende mit den Steuerbordkanonen zum Schuß zu kommen. Noch eine Breitseite hieb in die Mauer des Wehrgangs. Die „Isabella“ lief zurück. Längst waren die Backbordkanonen wieder geladen. Der Kai lag leergefegt im Feuerschein, und damit das auch so blieb, ließ Ben Brighton die achteren Drehbassen einsetzen. „Etwas abfallen!“ rief er. „Näher an die verdammte Landzunge! Jetzt wieder anluven! Recht so!“
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Auch auf der „Hoek van Holland“ peitschten Musketenschüsse. Im nächsten Moment wurden sie übertönt von der krachenden Breitseite der „Isabella“. Über dem Wehrgang, den sie mit ihrem konzentrierten Feuer belegten, wölkte Staub auf. Ben Brighton glaubte, ein dumpfes Poltern zu hören. Lange konnte die Mauer jedenfalls nicht mehr standhalten. Der Bootsmann lächelte zufrieden, als er Klar zum Wenden befahl. Die „Hoek van Holland“ hatte ebenfalls gehalst und lief schon wieder an der Landzunge vorbei. Ihre Backbordbreitseite krachte. Jetzt hörte Ben Brighton das dumpfe Poltern ganz deutlich — und als der dröhnende Widerhall verklungen war, schallte Pieter Amelands Stimme herüber. „Ho, ,Isabella`! Wir haben ein prächtiges Loch in den Wehrgang gepustet. Das reicht bestimmt.“ „Verstanden!“ schrie Brighton zurück. „Jetzt noch eine Bresche in die Ringmauer! Raus aus der Bucht!“ Hart am Wind liefen die beiden Galeonen nach Norden, in Kiellinie gestaffelt, um ihr Manöver auf der anderen Seite der Landzunge zu wiederholen. Sie würden eine Bresche in die Mauer schießen, damit ihre Kameraden für den Rückweg nicht wieder den unterirdischen Gang zu benutzen brauchten. Daß die Spanier von Portugalete aus keinen Entlastungsangriff auf die Feste starten konnten, dafür würden El Vascos Basken an Land sorgen. „Na also“, murmelte Ben Brighton vor sich hin. „Das klappt ja mal wieder alles wie am Schnürchen.“ * Auch der Seewolf fand, daß die Sache wie am Schnürchen klappte. Geduckt hatte er in dem Brunnenschacht das Ende der Kanonade abgewartet. Geschrei mischte sich in das Krachen der Einschläge, Soldaten hasteten herum, Offiziere gaben Befehle, aber da sich der Hafenkommandant nicht sehen ließ, entstand zunächst einmal ein ziemliches
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Durcheinander. Klar, die Spanier würden versuchen, die Kanonen an der Nordseite der Festung zu besetzen. Sollten sie! Die Dinger waren von schwerem Kaliber, ihre Kugeln hatten enorme Durchschlagskraft. Aber sie hatten nicht die Reichweite wie die Geschütze der „Hoek van Holland“ und vor allem der „Isabella“, und Ben Brighton und Pieter Ameland würden sich hüten, ins Schußfeld der Spanier zu geraten. Die letzte Breitseite ließ einen Teil des Wehrgangs zusammenstürzen. Den Spaniern mußte eine Kanonade, die sich nicht auf die Ringmauer richtete, ziemlich sinnlos erscheinen. Aber die Ringmauer kam auch noch dran. Hasard lauschte auf das Geschrei und die hetzenden Schritte und wartete ein paar Sekunden, bis er sicher war, daß keine weitere Breitseite auf den Wehrgang erfolgen würde. „Jetzt!“ zischte er. „Auf sie mit Gebrüll!“ tönte es dumpf aus der Tiefe des Brunnenschachtes. Der Seewolf grinste und schwang sich als erster ins Freie. Hinter ihm folgte die schwarze Hünengestalt von Batuti. Die Spanier stürzten blindlings in die Richtung, wo ihre Kanonen standen. Bevor sie überhaupt aufmerksam wurden, hatten neun Mann den Brunnenschacht verlassen. Erschrockene Schreie gellten auf. Ein donnerndes „Arwenack“ antwortete ihnen und dann gab es kein Halten mehr. Elf Seewölfe und Wassergeusen und ein wutschnaubender baskischer Rebellenführer stürmten quer durch den Hof auf die Trümmer des Wehrgangs zu. Die Kanonade hatte sich auf die Mitte der Mauer konzentriert, die Pforte, die in die Festung führte, war nicht von den Steinmassen verschüttet worden. Mit ein paar Hieben seiner mächtigen Axt sprengte Ferris Tucker sie auf, und die Angreifer erreichten den Eckturm, wo eine steinerne Wendeltreppe hach unten in die Kellergewölbe führte. Matt Davies und Dan O'Flynn blieben zurück, um dem Rest des Stoßtrupps den Rücken zu decken.
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Vor ihnen lag der enge, halbzerstörte Wehrgang, der nur zwei, drei Männern gleichzeitig Platz bot. Mit dem RadschloßDrehling, einer Muskete und ausreichend Munition konnten die beiden Seewölfe notfalls stundenlang die Stellung halten. Ihre Kameraden stürmten nach unten. Der Spanier, der ihnen am Fuß der Treppe entgegenlief, prallte entsetzt zurück und ließ sich freiwillig in den Schlaf schicken. Sie teilten sich. Sieben Mann wandten sich nach rechts: ihr Ziel war der Kerker, wo sie die Wachtposten zwingen würden, das Gitter aufzuschließen. Hasard, Ferris Tucker und Jan Joerdans eilten geradeaus weiter, dorthin, wo sie die Folterkammer wußten. Niemand begegnete ihnen. Die Spanier hatten genug damit zu tun, sich auf die Verteidigung der Festung gegen den Angriff von außen einzurichten. Benito Uvalde hätte wahrscheinlich sofort begriffen, daß die Aktion der Befreiung der Gefangenen galt, aber bis der fette Hafenkommandant in seinem Bett entdeckt wurde, konnte es noch eine ganze Weile dauern. Der Seewolf hielt bereits die Schlüssel in der Hand. Einer paßte zu einem kleinen Vorraum. Hasard schloß auf und gab der Tür einen Tritt. Fackellicht fiel durch die vergitterte Luke in der zweiten Tür. Ferris Tucker blieb zurück und übernahm die Rückendeckung, Jan Joerdans und der Seewolf liefen quer durch den Raum, um die Tür der Folterkammer aufzuschließen. Die Angeln knarrten. Keiner der beiden Männer nahm sich die Zeit, sich in dem unheimlichen Raum umzusehen. Marius van Helder stand aufrecht an der Wand und starrte ihnen entgegen. Wahrscheinlich hatte ihn der Kanonendonner aus der Bewußtlosigkeit geweckt. Hasard war auf den Anblick gefaßt gewesen, aber Jan Joerdans blieb stehen und stieß einen erstickten Laut der ohnmächtigen Wut aus. Der Seewolf tastete bereits nach den breiten Eisenbändern, die van Helders Arme mit den Ketten verbanden. Der
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Gefangene gelangte nicht an den Öffnungsmechanismus heran, für Hasard war es einfach. Die grauen Augen des Geusenkapitäns flackerten. Er stöhnte, als seine Arme herunter sanken, seine Knie drohten nachzugeben. Hasard stützte ihn, doch der hagere Mann mit dem ausgebleichten weißen Haar brauchte nur eine Sekunde, um die Schwäche zu überwinden. „Danke“, sagte er heiser. „Das werde ich nie vergessen. Ihr seid der Seewolf?“ Hasard nickte nur. „Schnell jetzt. Wir müssen zu den anderen.“ Van Helder hätte ein Dutzend Fragen gehabt, aber er wußte, daß dafür keine Zeit blieb. Nach ein paar taumelnden Schritten ließ er es zu, daß seine Befreier ihn stützten. Er war mehr tot als lebendig, in einem verzweifelten Zustand, aber Hasard hatte ein Blick in die grauen Augen dieses Mannes genügt, um zu wissen, daß die zurückliegenden Stunden Marius van Helder nicht zerbrochen hatten. Ferris Tucker lief voran, schwang seine Axt und schnitt ein Gesicht, das vermutlich allein schon genügen würde, um unvorsichtige Spanier in die Flucht zu jagen. Minuten später erreichten sie den Vorraum des Kerkers. Zwei spanische Wachtposten hockten gefesselt an der Wand. Das Gitter stand offen, und in einer der Nischen konnte Hasard gerade noch sehen, wie sich El Vasco und Gian Malandres mit funkelnden Augen umarmten. „Hurtig, hurtig!“ brüllte Ed Carberry — ganz, als habe er an Bord der „Isabella“ seine Decksmannen anzulüften. „Raus hier, aber ein bißchen plötzlich! Ich denke doch, ihr habt die Gastfreundschaft der Dons lange genug genossen, was, wie?“ „Marius! Jan!“ Ein halbes Dutzend blondhaariger, helläugiger Geusen schrie durcheinander und drängte heran, um den beiden Kapitänen auf die Schultern zu schlagen. Van Helder grinste, obwohl der Ausbruch der Begeisterung garantiert schmerzhaft für ihn war. Ed Carberry fluchte, drängte abwechselnd auf Englisch und Spanisch
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zur Eile und sah in den Nischen des Gewölbes nach. Schließlich zog er einen geschwächten, fiebernden Gefangenen kurzerhand hoch und nahm ihn wie ein Kind auf die Arme. Hasard hob die Hand, um sich für einen Moment Gehör zu verschaffen. „Wir müssen durchbrechen“, erklärte er. „An der Nordseite der Mauer dürfte es inzwischen eine Bresche geben. Da uns die Basken von der Landseite her unterstützen, haben die Spanier vermutlich alle Hände voll zu tun. Ein paar von euch können sich die Waffen der Wachtposten schnappen, die anderen halten sich dicht zusammen. Die Geusen werden die Flankensicherung übernehmen. Alles klar?“ Klar war es erst, nachdem Jan Joerdans die Worte ins Holländische übersetzt und Hasard sie auf Spanisch wiederholt hatte. Danach brach Jubel los. Ein Jubel, in den sich schnell die ersten wütenden Kampfrufe mischten. Aber ein bißchen Gebrüll konnte ohnehin nichts schaden, und Hasard grinste fast, als er sich an der erregten Gruppe vorbeischob und die Spitze übernahm. Dan O'Flynn und Matt Davis hatten keine Schwierigkeiten gehabt, den Weg durch den Wehrgang freizuhalten. Der Grund lag auf der Hand: ein Teil der baskischen Rebellentruppen hatte durch die Bresche in der Außenmauer die Festung gestürmt und war den Spaniern in den Rücken gefallen. Jetzt genügte ein knapper Befehl von El Vasco, um den Rückzug einzuleiten. Der ganze Trupp turnte über die Steinquader an der Stelle, wo die Mauer ein mächtiges--Loch hatte. Die restlichen Basken deckten den Ausbruch, indem sie die Bastei mit wütendem Musketenfeuer belegten. Verfolgen konnten die Spanier ihre Gegner nicht. Denn kaum hatte der zusammengewürfelte Haufen aus Seewölfen, Geusen, Basken und befreiten Gefangenen den Bereich der Mauer verlassen, da begannen draußen auf See schon wieder die Kanonen der „Isabella“ zu dröhnen. In der Festung waren die Verteidiger
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gezwungen, die Köpfe einzuziehen. Wenig später verriet der Geschützdonner etwas weiter östlich, daß die „Hoek, van Holland“ vor die Hafeneinfahrt gelaufen war und die Landzunge gegen jeden Angriff von Portugalete aus absperrte. Die Basken wollten sich nach Süden zurückziehen, in die Berge. Unter den gegebenen Umständen fiel der Abschied herzlich, aber kurz aus. El Vasco schüttelte Hasard und den beiden Geusenkapitänen die Hand. Gian Malandres umarmte Marius van Helder, der vor Erschöpfung schwankte. Jetzt hätten sie jeder eine Muck Rum gebraucht, um auf ihren Kampf, auf den Sieg, auf ihre Heimatländer und die Freiheit zu trinken, aber sie mußten sich damit begnügen, sich noch einmal zuzuwinken. Zehn Minuten später hatten Hasard und die anderen die Pinasse erreicht. Der Platz reichte gerade. Mit fliegenden Händen wurden der Mast aufgerichtet und die Segel geheißt, dann glitt das Beiboot fast unsichtbar im grauen Morgenlicht über das Wasser. Die Spanier in der Festung bemerkten es erst, als es zu spät war, um einen sicheren Schuß abzugeben. Ganz davon abgesehen, daß die Kanonade von der „Isabella“ verhinderte, die Geschütze der Festung zu bedienen. Das Krachen der Breitseiten hörte erst auf, als die Pinasse fast heran war. Wenig später ließ Hasard die Segel einholen und längsseits gehen. Sie hatten es geschafft. Sie hatten Marius van Helder, sechs andere Geusen und ein Dutzend Basken befreit, sie hatten sechs Schiffe im Außenhafen von Bilbao in Brand geschossen und die Festung lädiert — und sie wußten genau, daß die Spanier an diesen Tag noch lange denken würden. 10. „An die Brassen und Fallen! Heißt Fock, Groß- und Marssegel! Hoch mit dem Besan!“
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Philip Hasard Killigrew hatte wieder das Kommando über die „Isabella“ übernommen. Die Galeone hatte querab zur Küste gelegen, jetzt fuhr der Wind in die Segel, und die Stimme des Seewolfs hallte über die Decks. „Anluven! Herum mit dem Kahn! Merry Old England liegt im Norden, falls ihr's vergessen haben solltet!“ Auf der Kuhl quittierten die Männer die Bemerkung mit einem strahlenden Grinsen. Die „Isabella“ ging über Stag, blieb hoch am Wind und rauschte mit Steuerbordhalsen nordwärts. Querab vollführte die „Hock van Holland“ das gleiche Manöver. In Dwarslinie kehrten die beiden Schiffe der Küste das Heck zu. Noch befanden sich die befreiten Geusen an Bord der „Isabella`, und das würde auch so bleiben, bis sie sich außerhalb der spanischen Küstengewässer in Sicherheit befanden. Portugalete blieb achteraus. Immer noch erhellte Feuerschein den Hafen. Drei von den unbemannten Kriegsgaleonen waren gesunken, und mindestens eine davon würde die Mündung des Rio Nervion so blockieren, daß die Schiffe, die von Bilbao über den Fluß kamen, vorerst an keine Verfolgung denken konnten. Hasard atmete tief durch, wandte sich ab und schlug Ben Brighton auf die Schulter. „Verdammt gut hingekriegt, Ben!“ stellte der Seewolf fest. Sein Bootsmann kratzte sich am Kopf und kriegte es tatsächlich fertig, verlegen zu werden. „War doch 'n Kinderspiel“, brummte er. „Aber die Geschützmannschaften haben sich 'ne Buddel Rum verdient. Da hat jede Kugel gesessen!“ „Wir haben uns alle eine Buddel verdient. Nur werden wir sie später lenzen. Wir können uns nämlich nicht darauf verlassen, daß der Rest der spanischen Schiffe nicht aus der Bucht herauskommt.“ Ben nickte nur. Hasard sprang auf die Kuhl hinunter, wo sich — jedenfalls nach Meinung des
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knurrenden Ed Carberry — ein ziemlich ungeordneter Haufen drängte. Der Seewolf entdeckte seine Söhne, die aus ihrer Kammer im Achterkastell erschienen waren. Die Zwillinge wirkten unbeeindruckt, aber schließlich waren sie inzwischen an den Kanonendonner von Seegefechten gewöhnt. Sie standen neben Big Old Shane, beobachteten Jan Joerdans und die übrigen Geusen und spitzten die Ohren, um mitzukriegen, was die erregten Männer redeten. Jan Joerdans lächelte den Kindern zu. Er hatte selbst drei Söhne, wie Hasard wußte — Söhne, die mit ihrer Mutter in die Generalstaaten geflohen und dort in Sicherheit waren. „Es ist vorbei“, sagte der Geuse leise. „Und ihr könnt stolz auf euren Vater sein. Aber das wißt ihr wahrscheinlich.“ „Jawohl“, sagte Hasard junior. „Alle sind frei von dämliches Don?” fragte Philip junior in seinem holprigen Englisch. Und Jan Joerdans' Englisch klang fast ebenso holprig: „Jawohl, alle frei! Das haben wir eurem Vater zu danken.“ Der Seewolf grinste still vor sich hin, während er ins Vordeck hinunterstieg. Dort lag der junge Jan Martiens, den Ed Carberry den ganzen Weg getragen hatte, fiebernd in einer Hängematte. Marius van Helder kauerte auf einer umgedrehten Pütz und ließ die Behandlung des Kutschers über sich ergehen. Der verteilte reichlich Salbe auf die Wunden - Salbe, deren Rezepturen er eifrig in China und bei afrikanischen Eingeborenen gesammelt hatte und von deren heilender, schmerzstillender Wirkung sich Sir Freemont in Plymouth wahrscheinlich nichts hätte träumen lassen. Van Helder lächelte. „Ich habe inzwischen einiges erfahren“, sagte er leise. „Ich muß Ihnen nochmals danken, Mister Killigrew.“ Hasard schüttelte den Kopf. Und dann wiederholte er die Frage, die ihn Jan Joerdans gestellt hatte - damals, nachdem ihnen die „Hoek van Holland“ in dem Gefecht gegen eine Übermacht von fünf
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spanischen Kriegsgaleonen zu Hilfe geeilt war. „Ist man einander Dank schuldig, wenn man denselben Feind bekämpft?“ Van Helder fuhr sich mit der Linken durch das fast weiße Haar. Seine gebrochene Rechte lag in einer Schlinge, Verbände bedeckten seine Brust und seine Schultern. Der Kutscher betrachtete zufrieden sein Werk. „Aber er muß sich schonen“, erklärte er kategorisch. „Das war kein Spaß, was die Spanier mit ihm angestellt haben. Und der Junge da - na' ja, er wird sich wieder erholen. Aber es muß sich auch schonen. Die fünf anderen, die tun so, als sei ihnen überhaupt nichts passiert. Kannst du da nicht mal ein Machtwort sprechen, Sir?“ Hasard lächelte. „Ich nicht. Aber vielleicht kann es Mister van Helder.“ Der Geusenkapitän kam nicht mehr dazu, ein Machtwort zu sprechen, damit seine Kameraden ihre Blessuren verarzten ließen. Von Deck schallte Geschrei herunter. „Wahrschau!“ verstand Hasard. Sekunden später war er auf der Kuhl, zusammen mit Marius van Helder, der sich offensichtlich den Teufel darum scherte, daß ihm der Kutscher Schonung anempfohlen hatte. Hasard konnte es verstehen. Er hätte sich in dieser Situation auch nicht geschont. Und er konnte nicht umhin, die Art zu bewundern, wie der weißhaarige Geusenkapitän die Nachwirkungen der Folter abschüttelte. Van Helder dachte nicht daran, sich als Kranken behandeln zu lassen. Er hielt sich einfach irgendwo fest, wenn er schwankte, und ignorierte die Schmerzen. Genau wie die anderen starrte er aus schmalen Augen den beiden Galeonen entgegen, die sich von NordNordwest näherten. Es waren die beiden Schiffe, die der Hafenkommandant von Bilbao zu jener Insel geschickt hatte, bei der sich ursprünglich die „Hoek van Holland“ mit der „Oranje“ und der „Anneke Bouts“ hatte treffen wollen. Die Seewölfe konnten das nicht ahnen. Es war ihnen auch gleichgültig. Da segelten
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zwei von den verhaßten Spaniern mit Backstagsbrise heran, hatten die „Isabella“ und die „Hoek van Holland“ entdeckt und würden zweifellos versuchen, mit dem unerwarteten Gegner fertig zu werden. „Sollen wir ihnen ein paar Brandsätze verplätten?“ fragte Ferris Tucker. Hasard schüttelte den Kopf. „Nein“, sagte er knapp. „Wir werden mindestens einen der Spanier entern und so in die Hände kriegen, daß er kein Trümmerhaufen ist. Unsere Freunde brauchen eine ,Oranje Zwei', oder irre ich mich da?“ Sein Blick wanderte zu Marius van Helder. Der weißhaarige Geusenkapitän stand neben Jan Joerdans und lächelte. Eine „Oranje Zwei“ - genau das war es, was er brauchte. Und jetzt, da er Hasards entschlossenes Gesicht und die funkelnden Augen der Seewölfe sah, war er sicher, daß er diese zweite „Oranje“ kriegen würde. Die beiden Spanier, die in Kiellinie von Nord-Nordwest herangerauscht waren, fielen plötzlich ab, um in dem bevorstehenden Gefecht die Luvposition zu gewinnen. Die „Isabella“ und die „Hoek van Holland“ vereitelten das. Oder nein: es war nur die „Isabella“, die den Gegner anders nahm. Aus schmalen Augen beobachtete Hasard die „Hoek van Holland“, die stur auf Kurs blieb und sich darauf einrichtete, die spanische Führungsgaleone in die Zange zu nehmen. Verteidigungs-Taktik! Die Taktik des Schwächeren, der sich auf seine überlegene Reichweite verlassen mußte, doch das schien für die beiden schwer armierten Spanier im Augenblick noch ein Buch mit sieben Siegeln zu sein. Sie liefen genau in die Zange. Die „Isabella“ ging über Stag, die „Hoek van Holland“ hielt stur ihren Kurs. Beide Schiffe liefen wohlweislich nicht in den Feuerbereich der Spanier. Dafür geriet das spanische Führungsschiff in ihren eigenen Feuerbereich. Zwei Breitseiten krachten. An Backbord und Steuerbord hatte die spanische Führungsgaleone plötzlich Löcher in der Wasserlinie, und der Capitan
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bemerkte zu spät, daß er einen gravierenden 'Fehler begangen hatte. Die zweite spanische Galeone versuchte abzufallen. Ein vergeblicher Versuch, denn bevor sie die Luvseite der „Isabella“ erreichen konnte, traten bereits Batutis Brandpfeile in Aktion. Die Segel des Spaniers fingen Feuer. Er feuerte eine Breitseite ab, die wirkungslos ins Wasser klatschte. Bevor er die Steuerbord-Kanonen abfeuern konnte, war die „Isabella“ bereits längsseits gegangen. Mit Gebrüll stürzten sich die Seewölfe auf das feindliche Deck. Die Geusen enterten mit - nicht einmal Marius van Helder ließ sich zurückhalten. Hasard sprang hinter ihm auf die Kuhl des Spaniers. Während des folgenden Enterkampfes versuchte der Seewolf, den schwer angeschlagenen Geusenkapitän nach Möglichkeit zu decken. Aber Marius van Helder brauchte keinen Schutz. Einmal, weil er seine eigenen Kräfte sehr wohl einzuschätzen wußte. und zum anderen, - weil mindestens zwei von den Geusen ständig an seiner Seite waren. Hasard grinste während er ein paar Spanier mit dem Degen zurücktrieb. Friso Eyck und Henk Bakker schwangen rechts und links von ihm ihre Waffen. Marius van Helder grinste ebenfalls und hob die Schultern - wie um anzudeuten, er könne nichts dafür, daß man ihn hier und jetzt wie ein neugeborenes Baby behandelte. Der spanische Capitan gab auf, als er sah, daß sich außer ihm nur noch drei Mann auf dem Achterkastell wehrten. Sie gingen in die Boote, genau wie es ihre Landsleute von dem anderen Schiff getan hatten. Hasard gab ihnen Grüße an den Hafenkommandanten von Bilbao mit. Nachdem der Capitan erst einmal gemerkt hatte, wer sein Gegner war, konnte er nur noch heftig schlucken. Mit den Geusen gab es keine Diskussionen. Auch für sie war es selbstverständlich, daß der Gegner geschont wurde, wenn er sich ergeben hatte. Das spanische Schiff -
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„Serenada“ hieß es - schwamm zwischen der _Isabella“ und der „Hoek van Holland“, die herangedreht hatte. Sie sahen den spanischen Booten nach. Schließlich reckte Marius van Hel- der die Schultern und atmete tief durch. „Ich weiß, daß ihr keinen Dank wollt, Seewolf“, sagte er leise. „Aber ich schwöre euch: wenn immer die .Isabella` Hilfe braucht und in unserer Nähe ist, wird sie diese Hilfe erhalten. Und wann immer wir einem anderen englischen Schiff begegnen, wird es unser Freund sein. Für jetzt und für immer!“ „Für jetzt und für immer“, wiederholte Jan Joerdans ernst. „Das gilt auch für den Fall, daß sich die englische Flotte gegen die Armada verteidigen muß. Die Wassergeusen werden wissen, auf welcher Seite sie stehen.“ „Was habt ihr als nächstes vor?“ wollte Hasard wissen. Marius van Helder, Jan Joerdans und Friso Eyck wechselten einen Blick. Sie wußten alle drei, daß sie ihren ursprünglichen Plan nicht mehr verwirklichen konnten. Die Häfen der spanischen Niederlande waren zu stark, um mit zwei Schiffen angegriffen zu werden. Marius van Helder lächelte. Er stand auf dem Achterkastell der erbeuteten Galeone. Immer noch schwankte er vor Erschöpfung, immer noch sah er aus, als müsse er eigentlich jeden Augenblick zusammenbrechen, aber. inzwischen wußten die Seewölfe, daß noch einiges mehr passieren mußte, bevor dieser hagere, zähe Mann mit dem weißen Haar und den grauen Augen zusammenbrach.
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„Wir bleiben hier“, sagte van Helder. „Wir werden die Spanier weiter vor ihrer eigenen Küste das Fürchten lehren. Eines Tages sehen wir uns vielleicht wieder. Wenn die Armada ausläuft, werden auch wir in den Kanal segeln. Dann werden Wir an der Seite Englands sein. Dann werden wir vielleicht noch einmal Seite an Seite kämpfen, Seewolf.“ „Ich hoffe es“, sagte Hasard nur. Seine Leute dachten genauso, das sah er an ihren grimmig verzogenen Gesichtern. Sie setzten wieder auf die „Isabella“ über. Ein paar von den Geusen pullten zu der spanischen Galeone hinüber, um die Prisenmannschaft zu verstärken. Eine neue „Oranje“! Nicht mehr lange, dann würden die Spanier auch diese „Oranje II.“ kennen. Die Mannschaften winkten sich noch einmal zu. Die „Isabella“, die beigedreht neben der spanischen Galeone gelegen hatte, setzte Segel, nahm Fahrt auf und lief hart am Wind nach Norden. Hasard stand auf dem Achterkastell und beobachtete den Stand der Segel. Er fand immer noch, daß sie sich alle eine Muck Rum verdient hatten. Der Kutscher strahlte, als er den entsprechenden Befehl erhielt. Ben Brighton reckte die Schultern und holte tief Atem. „Fein“, sagte er. „Bald sind wir in England.“ Hasard hatte den Verdacht, daß sich selbst dieser ruhige, beherrschte Mann im Geist schon vorstellte, wie die Seewölfe die „Bloody Mary“ in Plymouth auseinander nehmen würden.
ENDE