Sturz in die Unendlichkeit Von Alf Tjörnsen Das Mond-Transportschiff L 45 D befand sich auf dem Rückweg zur Außenstatio...
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Sturz in die Unendlichkeit Von Alf Tjörnsen Das Mond-Transportschiff L 45 D befand sich auf dem Rückweg zur Außenstation. Wie alle Raketenschiffe des S.A.T. * , die auf den kürzeren kosmischen Fahrtstrecken zwischen Erde und Außenstation oder Außenstation und Mond verkehrten, bot auch die L 45 D in ihren Räumen keinerlei Komfort. Meist dienten diese Schüfe nur dem Transport von Frachten aller Art, und die wenigen Passagiere – Ablösungsmannschaften und Techniker für die Uranschächte auf der Rückseite des Mondes – stellten für die wenigen Stunden der Überfahrt keine besonderen Ansprüche. Sie pflegten nicht einmal die Weltraumkombinationen abzulegen, obwohl die in den Schiffen mitgeführte Atemluft es gestattet hätte. L 45 D hatte auf dieser Fahrt nur wenige, dafür aber um so prominentere Passagiere an Bord. In dem kleinen Aufenthaltsraum im Mittelteil lag Jim Parker, der Kommodore des Weltraumes, bequem in einem gutgepolsterten Liegestuhl und blätterte gedankenverloren in den Magazinen, die auf einem niedrigen Tischchen neben ihm lagen. Ein mehrfarbiges, ganzseitiges Bild nahm seine Aufmerksamkeit gefangen. Ein großer Raketenprüfstand war darauf zu sehen. Nicht so gewaltig in seinen Abmessungen wie die gigantischen Prüfstände in den Außenwerken des S.A.T., aber doch immerhin ganz beachtlich. Eine granatenförmige Raumrakete war darin aufgehängt. Die Unterschrift besagte: *
S.A.T. = Staatliches Atom-Territorium der USA
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„Klar zum Brennversuch. – Ein neuer Raumschifftyp der E.F.U. in der Erprobung.“ E.F.U. – die Europäische Forschungs-Union! Jim Parker lehnte sich zurück und schloß die Augen. Seine Gedanken wanderten zu einem fernen Himmelskörper, zum Japetus, jenem Mond des Ringplaneten Saturn, auf dem er zuerst mit Angehörigen der jungen europäischen Raumfahrtorganisation zusammengetroffen war. Gewiß – das amerikanische S.A.T. hatte in der Weltraumfahrt einen Vorsprung von Jahrzehnten – es verfügte über geradezu unbegrenzte Mittel und eine Armee hochqualifizierter Mitarbeiter. Sein Banner wehte auf dem Mond, auf Venus und Mars. Aber das, was sich neuerdings in Europa zu regen begann, hatte ebenfalls Hand und Fuß. Und vielleicht würde der Tag nicht mehr fern sein, an dem die Europäer den Vorsprung aufholten, den heute noch das S.A.T. hielt, Das leise Geräusch der Schiebetür riß ihn aus seinen Gedanken. Fritz Wernicke trat ein – ein Bild bittersten Vorwurfs. „Hallo, Whiskytöter – was für eine Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?“ „Spotte nicht, Jim“, sagte der Kleine mit Grabesstimme. „Sage mir lieber, wo es in diesem traurigen Ausschank was Anständiges zu trinken gibt.“ „Sieh doch mal in der Kombüse nach.“ „In der Kombüse? Pah! Solch eine nützliche Einrichtung haben diese Schiffe der D-Klasse überhaupt nicht. Schimpf und Schande über ihren unfähigen Erbauer!“ Der Kommodore klappte das Magazin zu und warf es auf das Tischchen zurück. „Du bist ungerecht, Fritz. Jedes dieser Schiffe ist ein kleines technisches Wunderwerk.“ „Der Teufel soll die ganze Technik holen, mitsamt ihren Wunderwerken – wenn ich dabei elendiglich verdursten muß. Doch halt, warte mal …“ Der kleine Weltraumpilot musterte die nüchternen Metall4
wände der Kabine eingehend. Plötzlich lief ein pfiffiges Grinsen über seine Züge. Seine Hände glitten über das kalte Metall, ertasteten einen verborgenen Kontakt. Mit leisem Summen wich ein Wandstück zu Seite und gab das Innere eines Faches frei, in dem zwei Reihen von Flaschen sichtbar wurden. „Hurra, Mensch, Jim, wir sind gerettet!“ Mit sicherem Griff fischte der ewig durstige Steuermann eine mächtige Ginflasche heraus und entkorkte sie mit geübten Griffen. Jim Parker sah ihm lächelnd zu, wie er da mit dem Rücken zum großen Rundfenster stand und die Flasche feierlich zu den Lippen hob. „Prost, alte Mondrakete! Auf das Wohl aller braven Raumfahrer! Möge ihnen das edle Feuerwasser niemals … He, Jim, was ist denn los? Warum glotzt du denn plötzlich so komisch? Ist dir nicht gut?“ Mit einem Satz war der Kommodore hoch und am Fenster. „Sieh dir das an, Fritz!“ „Ja, was denn nur, zum Donnerwetter?“ Der kleine Steuermann sah angestrengt in die samtene Schwärze des Raums hinaus – nicht ohne die kostbare Flasche vorher sorgfältig verkorkt zu haben. „Du siehst wohl Gespenster, Jim?“ „Fast könnte man es meinen.“ Jim war vom Fenster zurückgetreten und rieb sich die Augen. „Ich möchte schwören, daß da draußen ein Raumschiff vorüberzog – eins von den ganz großen Planetenschiffen – ein Varras-Raumer.“ „Unsinn, Jim. Du mußt dich getäuscht haben. Ein Planetenschiff – hier, zwischen Erde und Mond? Ausgeschlossen!“ „Ja – es klingt sehr unwahrscheinlich. Ich weiß es. Aber ich neige nicht zu optischen Täuschungen.“ „Und wohin soll der Kahn so plötzlich verschwunden sein?“ Jim Parker antwortete nicht. Er riß die Tür auf und eilte in den Führerraum. Wernicke folgte ihm auf dem Fuße. 5
„Käpten, haben Sie nicht das Schiff bemerkt, das vor zwei, drei Minuten backbord vorüberkam?“ Der Schiffsführer, der an der Steuerung saß, blickte erstaunt auf. „Welches Schiff, Kommodore? Ich habe nichts gesehen.“ „Und das Radargerät?“ „Hat nichts angezeigt. Auf mein Wort, Kommodore.“ Ein kurzes Klopfen an der Tür. Der Bordfunker trat ein, reichte dem Kapitän eine Meldung. „Soeben aufgenommen, Sir.“ Der Kapitän drehte das Blatt hin und her. „Sind Sie betrunken, Rowson?“ „Ich nicht, Käpten. Vielleicht der andere.“ Jim Parker beugte sich über die Meldung. Neugierig sah ihm Wernicke über die Schulter. „Was mag das für eine Sprache sein, Jim? Wahrscheinlich Pidgin-Englisch oder solch ein Kauderwelsch.“ Der Schiffsführer war sehr ernst geworden. „Hören Sie, Kommodore, da fällt mir gerade etwas ein. Mein Kamerad Shelby von der L 30 D erzählte neulich, sein Funker hätte ganz ähnliche Zeichen aufgenommen. Und die Kameraden Fleming und Wirtz wollen auf der Mondroute einem Varras-Raumer begegnet sein, riesengroß und schattenhaft. Fleming, der ein bißchen abergläubisch ist, behauptete, es wäre der Flying Dutchman …“ „Hähähä!“ lachte Fritz Wernicke. „Seit wann ist der Fliegende Holländer unter die Raumfahrer gegangen?“ Der Kommodore wandte sich an den Funker. „Stellen Sie Verbindung mit Orion-City her.“ Schweigend durchmaß Jim Parker den kleinen Führerraum – vier Schritte hin – vier Schritte zurück. Die Minuten verrannen. Draußen dehnte sich die Schwärze des Alls. Neben ihm tauschten Wernicke und der Kapitän ihre Vermutungen aus. Der Fliegende Holländer? Jim kannte die alte Sage von dem Gespenst der Meere. Aber was sollte das hier – im Weltraum – im Zeitalter der modernen Technik? Er schüttelte den Kopf. 6
„Verbindung mit Orion-City ist nicht möglich, Kommodore.“ Blechern klang die Stimme des Bordfunkers aus dem Lautsprecher. „Die Funkanlage ist plötzlich gestört.“ „Macht nichts“, entschied Jim. „In einer Stunde landen wir an der Außenstation. Ich rufe die City von dort aus an.“ * Doch dazu sollte es nicht kommen. Vielleicht hätte sich manches kommende Unheil verhüten lassen, wenn Jim Parker der rätselhaften Begegnung gleich auf den Grund gegangen wäre. Als er jedoch in der Schleusenkammer A der Raumstation „Luna nova“ dem Raumtaxi entstieg, das ihn mit Wernicke von Bord der L 45 D abgeholt hatte, stürzte ihm schon Henri Lasalle, der temperamentvolle Stationskommandant, aufgeregt entgegen. „Haben Sie’s schon gehört, Kommodore – die Sache mit Venus?“ „Keine Ahnung, Lasalle. Was ist denn passiert?“ „Ja – vor zwanzig Minuten etwa kam doch eine Sondermeldung durch …“ „Sorry, unsere Funkanlage war unklar. Also, was ist los?“ „Der Planet Venus soll in Kürze seine politische Selbständigkeit erhalten, Kommodore.“ „Wie meinen …“ grinste Fritz Wernicke verständnislos. „Lachen Sie nicht, Monsieur Wernicke. Es ist tatsächlich so. Zum ersten Mal in der Geschichte soll ein von Menschen besiedelter Himmelskörper selbständig werden und gleichberechtigt neben unsere alte Erde treten.“ „Interessant“, meinte der Kommodore. „Mir scheint, das interplanetarische Weltreich des großmächtigen S.A.T. beginnt, genauso zu zerbröckeln, wie weiland das britische Imperium. Möchte nur wissen, wer der erste Präsident auf Venus werden soll.“ „Man munkelt, daß Monsieur Fletcher …“ 7
„Bei allen Planeten! Conan Fletcher, mein ehemaliger Zahlmeister von der ‚Trans Universum’?“ „Das ist der richtige Mann für diesen Planeten“, sagte Fritz Wernicke im Brustton der Überzeugung. „Das nötige Schwergewicht hat er jedenfalls.“ * „So – Sie sind also der Neue.“ Mit strengem Blick schaute Fritz Wernicke zu dem jungen Mann empor, der ihm im Arbeitszimmer des Kommodores zu Orion-City gegenüberstand und sich jetzt höflich verbeugte. „Jawohl, Herr Wernicke. Peter Hagen ist mein Name.“ „Freut mich“, knurrte der kleine Steuermann, aber sein Gesicht drückte alles andere als Freude aus. Er drehte das Beglaubigungsschreiben, das ihm Hagen überreicht hatte, unschlüssig zwischen den Fingern hin und her. Der hochaufgeschossene, blonde Knabe, der da vor ihm stand und ihn mit seinen grauen Augen ganz unbefangen anschaute, war ihm durch Jim Parker längst angekündigt worden. Er stand seit einigen Jahren im Dienst der E.F.U., wo er als Projektingenieur tätig war, und war auf Grund eines besonderen Abkommens für ein Jahr zum S.A.T. abkommandiert worden, um hier die praktische Seite der Raumfahrt zu studieren. Generaldirektor Ted S. Cunningham hatte ihn kurzerhand Jim Parker als Volontärassistent zugeteilt. Er wußte, daß der Junge im gesamten S.A.T. keinen besseren Lehrer finden konnte, als den berühmten Kommodore des Weltraums. Fritz Wernicke räusperte sich. „Ahem – also aus Hamburg stammen Sie – 25 Jahre alt – sagen Sie mal, junger Mann: Wissen Sie denn überhaupt schon, wie eine Rakete funktioniert?“ „Ich denke doch, Herr Wernicke. So was lernt man bei uns daheim schon in der Volksschule.“ 8
„So – ahem.“ Wernicke sah den anderen mißtrauisch an, um dessen Mundwinkel es verräterisch zuckte. Plötzlich trat er an das runde Tischchen neben dem Fenster, nahm eine Flasche siebzigprozentigen Gins in die Hand und goß zwei Wassergläser bis zum Rande voll. „Dürfen Sie schon Alkohol trinken, junger Mann?“ „Wenn er einem so liebenswürdig angeboten wird – warum nicht? Ihr Wohl, Herr Wernicke!“ Peter Hagen trank das scharfe Zeug mit Todesverachtung. Er leerte das Glas bis auf den Grund und stellte es lächelnd auf das Tischchen zurück. Fritz Wernicke vergaß vor Überraschung zu trinken. „Donnerwetter – Sie haben ja gute Anlagen. Haben Sie das etwa auch schon in der Volksschule gelernt?“ Der andere konnte sich das Lachen nicht mehr verbeißen. „Habe ich meine Aufnahmeprüfung bestanden?“ „Mit Auszeichnung“, schmunzelte Wernicke wohlwollend und langte an dem jungen Hamburger hinauf – im vergeblichen Bemühen, ihm auf die Schulter zu klopfen. „Aber glauben Sie nur nicht, mein Lieber, daß es damit getan sei. Das Saufen macht einen noch nicht zum Weltraumpiloten. ‚Dienst ist Dienst, und Schnaps ist Schnaps’, wie es so schön heißt. Jetzt beginnt auch für Sie der Ernst des Lebens.“ „Dafür bin ich ja hier, Herr Wernicke. Was gibt es für mich zu tun?“ „Zunächst will ich mal mit Ihnen ins Raumfahrtmedizinische Institut gehen und Sie in die Zentrifuge stecken. Mal sehen, ob Sie überhaupt raumtauglich sind.“ * „Verzeihung, Sir, die Funkstation nimmt seit zehn Minuten wieder diese komischen Zeichen auf.“ Henri Lasalle, der Kommandant der Weltraumstation „Luna 9
nova“, fuhr aus wirren Träumen hoch, in denen er mit den abenteuerlichsten Unwesen von fremden Planeten gerungen hatte. Auch der „Fliegende Holländer des Weltraums“ war ihm im Traum begegnet. Am Bug seines schwarzen Raumers glänzte bleich ein riesiger Totenkopf … „Ja, Hardy, was gibt es denn?“ „Diese ulkigen Funksignale …“ „Mort de ma vie! Ja, ich komme.“ In der Funkstation reichte der Wachhabende dem Kommandanten ein engbeschriebenes Formular. „Es ist immer derselbe Quatsch, Sir. Irgendwer im Weltraum unterhält sich mit einer Stelle auf der Erde auf botokudisch.“ „Wenn es nur wenigstens Botokudisch wäre“, murmelte Lasalle ratlos. „Aber dieses hier scheint eine Sprache zu sein, die in keinem irdischen Lexikon zu finden ist.“ „Vielleicht sind es Verrückte, Sir?“ „Kann sein. Es kann jedoch auch mehr dahinterstecken. Hat die Radarpeilung irgendein unbekanntes Fahrzeug ausgemacht, das nicht gemeldet war?“ „No, Sir. Es ist alles vollkommen ruhig gewesen.“ „Hm – dann rufen Sie mal Orion-City an. Ich habe so das Gefühl, daß es an der Zeit wäre, sich dieser komischen Funkerei mal näher anzunehmen.“ * Silverfield of Venus! Die große Siedlung am Silbernen Strom – auf dem fernen, glänzenden Abendstern – lag im trüben Schein einer rötlichen Morgensonne, die nur mühsam den dichten Dunst des Venushimmels durchdrang. Auf einem Hügel im Osten der Niederlassung stand eine Gruppe von Männern in hellen Tropenanzügen, die sich um einen besonders umfangreichen, schwitzenden Koloß 10
scharte. Der Dicke hob den rechten Arm und fuchtelte weitausholend in der Luft herum. „Und hierhin, Gentlemen, kommt die Tribüne für die Ehrengäste. Ich rechne mit mindestens fünfhundert Teilnehmern von der Erde. In der Arena vor der Tribüne nimmt die Ehrenkompanie des Sicherheitsdienstes Aufstellung.“ „Aber wir haben doch nur insgesamt fünfzig Mann in Silverfield stationiert. Mister Fletcher“, warf einer der Herren ein, der eine Uniform mit den Rangabzeichen eines Oberstleutnants vom S.A.T.-Sicherheitsdienst trug. „Dann holen Sie alles heran, was auf den Forts und Außenstellen sitzt, Lyon. Schließlich müssen wir unseren Gästen am Tage der Unabhängigkeitserklärung ein glanzvolles Schauspiel bieten.“ „Vorausgesetzt, daß es nicht regnet“, ließ sich ein anderer vernehmen. Conan Fletcher zuckte zusammen. Der Gedanke an einen jener furchtbaren Gewitterregen, die hier auf Venus an der Tagesordnung waren, bereitete ihm Mißvergnügen. Ärgerlich wandte er sich dem Sprecher zu: „Wir werden den Festakt eben so legen, daß wir – auf Grund der Voraussage unserer Meteorologen …“ „Halten Sie wirklich so viel von den Prognosen unserer Venus-Wetterfrösche?“ „No, Sir – natürlich nicht. Habe aber daran gedacht und erstklassige Experten von der Erde angefordert. Habe überhaupt an alles gedacht und gleich eine ganze Schiffsladung von Facharbeitern aus Orion-City kommen lassen, damit unsere Vorbereitungen hier den nötigen Schliff bekommen, und bei dem großen Staatsakt nachher alles bis ins kleinste klappt.“ „Bravo, Boß! Und wann kommen die Männer?“ „In sechs Wochen, mit dem Transportschiff ‚Vulcan’.“
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* Zur gleichen Zeit, als auf Venus die letzten Planungen für den großen Unabhängigkeitstag besprochen wurden, der dem Planeten seine politische Selbständigkeit im Sonnenreich geben sollte, eilte ein riesiges Passagierschiff der Europäischen ForschungsUnion mit Höchstgeschwindigkeit dem Abendstern zu. Bis auf den letzten Platz war es mit Auswanderern aus zwölf verschiedenen europäischen Nationen belegt, mit jungen Menschen, die sich auf dem Nachbarplaneten der Erde ansiedeln wollten. Seit dem Tage, an dem erstmalig von den Unabhängigkeitsbestrebungen auf Venus die Rede gewesen war, hatte sich der Zustrom der Einwanderer schlagartig vervielfacht. Es ging das Gerücht, die künftige Regierung des Planeten würde das jetzt noch kostenfreie Siedlungsland nur noch gegen einen entsprechend hohen Kaufpreis abgeben, sobald Venus erst einmal autonom sein würde. Die planetarischen Flotten der alteingesessenen Raumfahrtorganisationen, des Staatlichen Atom-Territoriums der USA und der Australien Industrial Company, waren dem Ansturm nicht mehr gewachsen, obwohl in aller Eile ein paar ältere, ausrangierte Transporter wieder in Dienst gestellt wurden. So kam es, daß auch die noch junge Europäische Forschungs-Union alle verfügbaren Raumfahrzeuge für den Passagierdienst auf der Venus-Route bereitstellen mußte. Die „Stella“ war ursprünglich als Expeditionsschiff gedacht. Ihre gewaltigen Triebwerke befähigten sie, bis zu den Grenzen des Sonnensystems vorzustoßen. Doch als der große Venus-Run einsetzte, hatte Generaldirektor Bergemann von der E.F.U. sich wehen Herzens entschlossen, diese hochfliegenden Pläne zurückzustellen und sein bestes Schiff auf der Venus-Route einzusetzen. Denn die E.F.U. war noch nicht finanzkräftig genug, um es sich leisten zu können, auf ein so glänzendes Geschäft zu verzichten. 12
Das Raumschiff stand noch knapp zwanzig Millionen Kilometer von Venus entfernt, als die Passagiere ein seltsames Erlebnis hatten. Im Aufenthaltsraum war an diesem Abend eine Tanzveranstaltung improvisiert worden. Eine Jazzkapelle, aus instrumentenkundigen Fahrgästen zusammengestellt, schmetterte ihre Weisen mehr laut als melodisch über die durcheinanderwirbelnden Paare hin. Doch plötzlich, als die Stimmung ihrem Höhepunkt entgegenging, brach die Musik mit schrillem Mißton ab. Ein Stoß ging durch das Schiff. Alles taumelte, fiel, rutschte an den gewölbten Wänden entlang. Das elektrische Licht flackerte und erlosch. In das lähmende Entsetzen hinein klangen angstvolle Rufe. Allerlei Vermutungen wurden laut. In der Finsternis, die alles einhüllte, lauerte die beginnende Panik. „Ein Zusammenstoß – wir sind bestimmt gerammt worden.“ „Ach, Quatsch! Wer soll uns hier im leeren Weltraum anfahren?“ „Vielleicht ein Meteorstein?“ „Oder die Maschine ist kaputt.“ „Wahrscheinlich ist ein Tank explodiert.“ „Dann säßen wir hier nicht mehr so friedlich beisammen.“ Das Stimmengewirr schwoll an, verstummte aber sofort, als aus dem Lautsprecher die vertraute Stimme des Kapitäns klang: „Ein kleiner Defekt in der Lichtleitung. Es ist nichts weiter passiert. Bitte, die Ruhe bewahren! Der Schaden ist sofort behoben.“ Es schien tatsächlich nichts passiert zu sein. Kopfschüttelnd ließ der Kapitän den Blick über die Instrumente wandern. Der Ruck, der das Schiff erschüttert hatte, rührte von einem Richtungsschuß her, den der Steuermann ausgelöst hatte, um einem schattenhaften Gebilde auszuweichen, das – nach seinen Angaben – weit voraus die Bahn der „Stella“ kreuzte. Doch so sehr sich die Ausguckposten auch abmühten, sie konnten dieses Objekt nirgends mehr erblicken. 13
Das Aufflammen der Notbeleuchtung löste den unheimlichen Bann von den Passagieren. Ein erleichtertes Aufatmen ging durch die Räume. Doch in diesem Augenblick gellte ein markerschütternder Schrei durch das Schiff. Der Kapitän spürte, wie sich ihm die Haare sträubten. Sekunden später stand er in der Tür zum Aufenthaltsraum. Die Passagiere waren verstummt. Sie starrten zu einem der großen Rundfenster, an dessen Einfassung sich eine junge Frau festkrallte. Ihre Rechte löste sich jetzt und zeigte zitternd in die Schwärze des Raumes hinaus. Irgend etwas huschte gestaltlos, geisterhaft draußen vorüber. Und eine angstvolle Stimme stammelte: „Der – Fliegende – Holländer …“ * Fritz Wernicke konnte beruhigt sein: Der junge Peter Hagen war raumtauglich. Und es war überhaupt ein Vergnügen, den intelligenten und frischen jungen Mann in die vielfältigen Geheimnisse der Raumfahrerei einzuweihen. Ob sie sich in den Labors oder auf dem Prüffeld, im Konstruktionsbüro oder in den Montagehallen befanden, überall zeigte sich Peter als ein gelehrsamer, allezeit gut aufgelegter Schüler. Der Kommodore wußte, daß Peter sich bei Wernicke in den denkbar besten Händen befand. Das hinderte ihn freilich nicht daran, sich auch persönlich um die Ausbildung seines neuen Volontärs zu kümmern. Oftmals – wenn es die vielfältigen Pflichten des Kommodores nur eben zuließen – saßen die beiden in ernstem und angeregtem Gespräch beisammen. An einem sonnigen Frühlingsmorgen hockte Peter Hagen im Vorzimmer des Kommodores in der Hauptverwaltung des S.A.T. über ein Aktenbündel gebeugt am Schreibtisch, als das Haustelefon ihm den Besuch einer Reporterin ankündigte. Mit 14
gemischten Gefühlen sah er der Ankunft der Besucherin entgegen. Sicher würde sie dem Chef nur die Zeit stehlen und ihn mit tausend albernen Fragen zur Verzweiflung bringen. Doch die junge Dame, die gleich darauf in der Tür erschien, faszinierte den guten Peter derart, daß er fast vergessen hätte, sich von seinem Stuhl zu erheben. Mit offenem Munde stand er da und wußte absolut nichts zu sagen. Erst die wohlklingende, dunkle Stimme der Besucherin holte ihn aus seiner Versunkenheit zurück. „Ich heiße Doris La Paz und komme vom ‚Southern Expreß’. Kommodore Parker war so liebenswürdig, mir ein Interview zu gewähren.“ Peter verbeugte sich linkisch. „Der Kommodore ist im Augenblick besetzt – eine wichtige Besprechung …“ „Oh, das macht nichts. Dann warte ich hier solange. Das heißt, wenn Sie es mir gestatten, Mister …“ „Hagen – Peter Hagen“, stotterte der Junge und wurde rot. Und einer plötzlichen Eingebung folgend, bot er der Reporterin Zigaretten an und ließ sein Feuerzeug aufspringen. Die Besucherin dankte und lehnte sich in ihrem Sessel zurück. Gedankenvoll blickte sie dem Rauch ihrer Zigarette nach. Peter hätte sich gern mit ihr unterhalten, aber von allen Worten der Welt wollte ihm kein einziges passendes in diesem Augenblick einfallen. Verstohlen schaute er zu ihr hinüber, während er sich den Anschein gab, zu arbeiten. Peter Hagen hatte sich bisher eine Journalistin ganz anders vorgestellt: aufgeregt und unablässig fragend, mit einer riesigen Hornbrille auf der Nase und dem unvermeidlichen Stenoblock in der tintenbefleckten Hand, ziemlich hysterisch in ihrem ganzen Gehaben. Und stattdessen … Stattdessen sah sich Peter dem scharmantesten jungen Mädchen gegenüber, das ihm je begegnet war. Sie war mittelgroß und schlank und wirkte in ihren Bewegungen ungemein geschmeidig. Das gebräunte, etwas herbe Gesicht wurde von einer 15
Fülle seidigen, braunroten Haars umrahmt, das in dunklem Feuer aufglühte, wenn das Sonnenlicht darauf fiel. Das Interessanteste in diesem Antlitz aber waren die mandelförmigen Augen, die unter schön geschwungenen Brauen leuchteten, und deren Farbe, je nach der Beleuchtung, zwischen Braun und Grün zu spielen schien. Doris La Paz hatte sie sich genannt. Vermutlich also eine Südstaatlerin. Ihr akzentfreies Englisch ließ allerdings keine Schlüsse auf ihre engere Heimat zu. Peter Hagen seufzte verhalten. Er fühlte, daß er sich rettungslos in dieses zauberhafte Geschöpf verlieben würde, wenn nicht irgendeine höhere Macht sie ihm entführte. Diese Macht ließ nicht lange auf sich warten. Im Arbeitszimmer des Kommodores wurden Stühle gerückt. Schritte näherten sich der Tür, die weit aufsprang und Fritz Wernicke, den temperamentvollen Weltraumpiloten, ausspie. Wie angewurzelt blieb der Kleine auf der Schwelle stehen, als er die junge Reporterin erblickte. „He, Peter – was für einen Feuervogel haben Sie sich denn da angelacht?“ Hinter dem verblüfften Steuermann tauchte das lächelnde Gesicht Jim Parkers auf. „Miß La Paz, wenn ich richtig vermute. Bitte, treten Sie ein. Ich stehe ganz zur Ihrer Verfügung.“ * „In sechs Wochen“, hatte Conan Fletcher gesagt, als er seinen Mitarbeitern in Silverfield of Venus die bevorstehende Ankunft des Raumschiffes „Vulcan“ ankündigte. Doch die Zeit verging, und das einzige, was der dicke „Venus-Boß“ vom „Vulcan“ erfuhr, war die Tatsache, daß er plangemäß, mit über hundert Ingenieuren, Facharbeitern und Regierungsvertretern an Bord, von der Außenstation mit Kurs Venus gestartet war. 16
Seitdem hatte man nur noch eine knappe Positionsmeldung des Schiffes aufgenommen, und wenige Stunden später glaubte der Funker eines Überwachungsschiffes der Internationalen Weltraum-Kontrolle, das sich in zwei Tagereisen Abstand von „Luna nova“ auf Patrouillenfahrt befand, einen verzerrten SOS-Ruf wahrzunehmen. Doch es gelang ihm nicht, den Ursprung des Notrufs ausfindig zu machen, und schließlich glaubte der Funker selbst, einer Täuschung zum Opfer gefallen zu sein … Doch als das Planetenschiff „Vulcan“ auch in den nächsten Tagen keine neuen Positionsmeldungen durchgab, als alle Anrufe unbeantwortet blieben, begann man, sich um das Schicksal des Raumers zu sorgen. Die Funkstation des S.A.T. gab das genaue Signalement des „Vulcan“ an alle Schiffe zwischen Erde und Venus durch. Die I.W.K. * ließ drei schnelle Patrouillenschiffe von „Luna nova“ starten, die den Auftrag hatten, der vermutlichen Bahn des „Vulcan“ drei Millionen Meilen weit zu folgen. Doch das Ergebnis war gleich Null. Der „Vulcan“ traf nie an seinem Bestimmungsort ein, und die Nachforschungen nach seinem Verbleib verliefen erfolglos. Nur Gerüchte schwirrten allerorts durch die Luft. Und in den Mannschafts- und Passagierräumen der Weltraumschiffe, in den Werkstätten von „Luna nova“ und in den Büros und Montagehallen zu Orion-City flüsterte es einer dem anderen zu: Es war der Fliegende Holländer des Weltraums, dem das stolze Raumschiff zum Opfer gefallen war. * Orion-City, die große Atomforschungsstadt im Südwesten der USA, der Mittelpunkt des Staatlichen Atom-Territoriums, *
I.W.K. = Internationale Weltraum-Kontrolle
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wimmelte in diesen Wochen von Pressevertretern aus allen Ländern der Welt. Die bevorstehenden Unabhängigkeitsfeierlichkeiten auf Venus erregten das Interesse der gesamten Menschheit, und jeder der unzähligen Reporter von Presse, Film, Rundfunk und Television wollte Genaueres erfahren, versuchte mit allen Mitteln, die führenden Männer des S.A.T. für Interviews zu gewinnen oder gar – als höchstes aller Gefühle – die Erlaubnis zu erhalten, zur Venus mitzufahren und persönlich an dem interplanetarischen Staatsakt teilzunehmen. Die Direktion des S.A.T. hatte den Sicherheitsdienst alarmiert, und der grimmige Oberst Mortimer hatte sich nicht lange nötigen lassen. Er sperrte das Hauptverwaltungsgebäude im Central Park von Orion-City durch eine doppelte Postenkette hermetisch gegen die Außenwelt ab und führte strenge Ausweiskontrollen ein. Zwei Unentwegte, denen es trotzdem gelungen war, bis zu Generaldirektor Cunningham vorzudringen, packte er höchst eigenhändig am Kragen und warf sie die Treppe hinunter. Zu den wenigen Glücklichen, die über einen Sonderausweis verfügten, gehörte Doris La Paz, die Vertreterin des ‚Southern Expreß’. Ungehindert durfte sie im Allerheiligsten des Kommodores aus und ein gehen – von Fritz Wernicke mit schlecht verhohlenem Mißtrauen begrüßt und von Peter Hagen stets aufs neue bewundert Der arme Junge war bis über beide Ohren verliebt, und er hätte es ihr gar zu gerne gezeigt. Aber dazu fehlte ihm ganz einfach der Mut. Als er schließlich doch einen schüchternen Vorstoß wagte und Doris zu einem Ausflug am Samstagnachmittag einlud, glaubte er schier zu träumen, als das junge Mädchen ohne viele Umstände einwilligte. In seinem Zweisitzer, den sich Peter für die Dauer seines Aufenthalts in Orion-City gemietet hatte, fuhren sie nach Serene Village hinaus, jenem zauberhaft in Hügeln eingebetteten 18
Ausflugsort in der Nähe der großen Atomstadt. Peter fühlte sich überglücklich, und seine beschwingte Phantasie schwelgte in den seligsten Zukunftsträumen. Doris schien mächtig aufgekratzt und plauderte munter drauflos. Doch je länger Peter ihr zuhörte, desto einsilbiger wurde er selbst. Denn Doris’ ganzes Denken und Erleben schien nur um einen einzigen Mann zu kreisen. Und dieser Mann war nicht etwa er – Peter Hagen –, sondern es war – Jim Parker! Oh – er konnte Doris nur zu gut verstehen. Jim Parker, der erklärte Liebling aller Frauenherzen auf der ganzen Welt, der schon beinahe sagenhafte Held unzähliger Abenteuer im Weltraum und auf Erden, mußte er nicht auch eine Frau wie Doris La Paz in Begeisterung versetzen können? Was war dagegen ein Peter Hagen? Eine Null, ein kleiner, unwichtiger Volontär, ein Anfänger auf dem langen und steilen Wege zum Ruhm, falls es überhaupt dazu kommen sollte. Nein, er hatte auch nicht die allerkleinste Chance. Unwillkürlich entfuhr ihm ein resignierter Seufzer. Doris schaute ihn prüfend von der Seite an. „Was fehlt Ihnen, Peter? Sie sind so schweigsam?“ „Peter“ hatte sie zu ihm gesagt. Das hörte sich so lieb und vertraut an. Aber es war wohl nur rein kameradschaftlich gemeint. Er gab sich gar keinen Illusionen hin. Mühsam zwang er sich zu einem Lächeln. „Serene Village. Wir sind am Ziel.“ Doris fand es bezaubernd. Doch dem armen Peter war die Freude vergällt, und er wurde von Stunde zu Stunde stiller. Als der Abend herabsank, fuhren sie zur City zurück. Auch Doris hüllte sich jetzt in Schweigen. Der Zauber der Stunde verleitete zum Träumen. Plötzlich fuhr Doris auf, packte Peters Arm. „Eine Sternschnuppe, Peter! Sie kommt direkt auf uns zu.“ Instinktiv trat der junge Mann die Bremse. Er blickte zum 19
Himmel auf, von dem eine leuchtende Erscheinung steil herabfiel. Ein Rauschen und Poltern war in den Lüften. Jetzt prallte die glühende Masse auf den Boden, nur wenige Hundert Meter von der Straße entfernt hinter einer Gruppe von Buschwerk. Ein leichtes Zittern lief durch den Boden. Dumpf verebbte der Knall des Aufschlags. Im Nu waren Peter und Doris aus dem Wagen und rannten dem Gebüsch zu. Peters Taschenlampe beleuchtete die Absturzstelle. Da klaffte ein kleiner Krater im Boden, und ringsumher lagen ein paar seltsam geformte Trümmerteile. Peter wendete ein verbogenes Blechstück mit der Fußspitze um. „Das war keine Sternschnuppe, Doris.“ „Um Himmels willen – doch nicht etwa ein Flugzeugunglück?“ „Vielleicht etwas Ähnliches. Kommen Sie, Doris, wir müssen versuchen, ein Telefon aufzutreiben. Ich bin überzeugt, man wird sich beim S.A.T. für den Fall sehr interessieren.“ * Mit dieser Vermutung sollte Peter Hagen recht behalten. Das S.A.T. interessierte sich tatsächlich so stark für den Fall, daß man bereits nach der ersten, flüchtigen Bestandsaufnahme den Sicherheitsdienst einschaltete. Und bereits zwölf Stunden später wurde Oberst Mortimer, der Chef des Sicherheitsdienstes, persönlich bei Generaldirektor Cunningham vorstellig. Der Konferenz, die hinter verschlossenen Türen stattfand, wohnte auch Kommodore Parker bei. „Nun schießen Sie schon los, Mortimer“, grunzte der dicke Atomboß und kaute verdrießlich auf der ausgegangenen Havanna. „Man sieht Ihnen doch auf zehn Meilen Entfernung an, daß Sie nichts Gutes bringen.“ Oberst Mortimer ließ sich in einen Klubsessel fallen und holte 20
eine dünne, rotgebundene Mappe aus der riesigen Aktentasche. „Es handelt sich um die rätselhaften Wrackteile, die gestern abend bei Serene Village abgestürzt sind.“ „Haben Sie sie identifizieren können?“ „Schätze so, Boß. Unsere Materialprüfung hat rasche Arbeit geleistet. Die aufgefundenen Teile – es handelt sich um zwei Wandbleche und um ein größeres Bruchstück aus einer Düse – stammen von einem Planetenschiff der V-Klasse.“ „Thunderstorm! Die V-Klasse findet doch gegenwärtig nur auf der Venus-Route Verwendung. He, Parker, hat es da kürzlich irgendeine Karambolage gegeben?“ „No, Sir – das müßte ich schließlich wissen. Es sei denn, daß …“ Der Kommodore zögerte und blickte dem Rauch seiner Zigarette nach. „Ja, was denn, zum Donnerwetter?!“ „… daß der verschwundene ‚Vulcan’ das Opfer eines Unfalls geworden wäre.“ „Machen Sie keine Witze, Parker!“ Dem dicken Boß wurde plötzlich der Kragen zu eng. Gewiß, das Verschwinden des „Vulcan“ war mehr als beunruhigend. Aber mußte man gleich das Schlimmste annehmen? Cunningham dachte mit Schrecken an die kostbare Fracht aus prominenten Passagieren, die das Schiff an Bord hatte: Regierungsvertreter und namhafte Experten aus aller Herren Ländern … „Die Trümmer stammen tatsächlich vom ‚Vulcan’.“ Mortimers Grabesstimme riß den Dicken unsanft aus seinen unerfreulichen Gedanken. Er wurde blaß und griff sich an die Kehle. „Woher – wissen Sie das?“ „Doktor Bender hat das Düsenstück analysiert. Es besteht aus einer Legierung, die – wie wir ermitteln konnten – bisher nur im Triebwerk des ‚Vulcan’ verwendet wurde. Das Schiff ist hinüber, Boß. Wir können die Fahndungsaktion einstellen. Möchte in diesem Augenblick nicht in Ihrer Haut stecken.“ Ein 21
Ton von Mitgefühl schwang in der knarrenden Stimme des Obersten mit. „Verdammt peinliche Geschichte.“ „Es ist mir völlig unerklärlich, wie es zu diesem Unfall kommen konnte“, mischte sich Jim Parker in das Gespräch. „Die Schiffe der V-Klasse galten bisher als unbedingt sicher. Sie haben die härtesten Proben glänzend bestanden.“ „Wer spricht hier von Unfall?“ knurrte Oberst Mortimer. Er warf die rotgebundene Mappe auf den Tisch und entnahm ihr ein paar fotografische Vergrößerungen. „Hier, Gentlemen, sehen Sie selbst: Da hat jemand nachgeholfen. Jeder Zweifel ist ausgeschlossen.“ * „Hölle und Teufel! Das wäre um ein Haar ins Auge gegangen. Hatte ich gewußt, wie wenig man sich auf dich verlassen kann, Corry …“ Der Mann, der diese unfreundlichen Worte hervorstieß, ging mit langen Schritten in dem ovalen Raum mit den großen Bullaugen in den gewölbten Wänden auf und ab. Er mochte etwa fünfzig Jahre zählen, hatte hagere, markante Gesichtszüge und strenge Augen unter buschigen Brauen. Sein sehniger, sportgestählter Körper steckte in einer leichten Raumfahrerkombination, die in schlichtem Grau gehalten war und keinerlei Rangabzeichen aufwies. Sein Gegenüber erhob sich mit bösartigem Grunzen von dem gepolsterten Lager. „Hüte deine Zunge, Benno! Wenn du auch hier der Chef bist, so bin ich doch Kapitän, wie du, und lasse nicht so mit mir reden. Merke dir ein für allemal: Der alte Corry ist zuverlässig und treu wie Gold, und kennt den Raum zwischen Erde und Venus wie seine Westentasche. Hick …“ Der Sprecher rülpste und wischte sich mit dem Handrücken über den verwilderten Bart. 22
Benno Hunter betrachtete ihn verächtlich. „Du solltest nicht so viel saufen, Corry. Das ruiniert dich noch vollends. Und was deine vielgepriesene Ortskenntnis anbetrifft, so scheint es nicht weit damit her zu sein. Nicht einmal den Fahrplan der VenusTransportschiffe hast du im Kopf.“ „Na, erlaube mal, Benno. Haben wir die ‚Stella’ etwa nicht an dem Ort erwischt, den ich angegeben hatte?“ „Gewiß – aber im entscheidenden Augenblick tauchte der ‚Vulcan’ auf. Und von dem hattest du nichts gewußt.“ „Stimmt, Benno. Das war eben ’ne Sonderfahrt.“ Benno Hunter nickte nachdenklich. Vielleicht hatte Corry recht. Auf jeden Fall konnte ihm der „Vulcan“ nicht mehr ins Gehege kommen. Mitten hinein in die Strahlengarbe der schweren Atomwerfer war das Schiff gerannt und Sekunden später in Atome zerborsten. An Bord der „Stella“ hatte man überhaupt nichts von der Tragödie bemerkt, die sich in nächster Nähe abspielte. Das Schiff hatte seine Fahrt mit Kurs Venus fortgesetzt, als wäre nichts geschehen. Nun galt es, ihm auf den Fersen zu bleiben. „Verhilf mir wieder zu einem eigenen Schiff, Benno“ – die Stimme Corrys klang flehend – „und du wirst sehen, wie schnell ich wieder der Alte bin. Einen besseren Bundesgenossen als mich könntest du gar nicht finden. Denke doch an die gute, alte Zeit, als wir noch für die Uraniden fochten.“ Ja, Benno Hunter dachte noch gern zurück an jene glorreichen Zeiten, da sie im Dienst der „Weltenmacht Urania“ standen und mit ihren mächtigen Flugkreiseln den Weitraum terrorisierten. Bis eines Tages Jim Parker mit seinen Freiwilligen erschien und die Macht Uranias in Stücke schlug. * Der Kapitän sah sich um. Angewidert verzog er den Mund. Das sollte der Befehlsstand eines Raumschiffes sein? Eher wirkte es wie eine verkommene Räuberhöhle. Zwischen Schalt*
Siehe UTOPIA, 43. Band: „Verbrechen auf Japetus?“
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tafeln, Instrumenten und Steuergeräten türmten sich unordentlich Kisten und Gepäckstücke aller Art, von ungeschickten Händen irgendwo festgezurrt. Der ganze Raum sah schmutzig und verwahrlost aus. Ähnlich war es in allen anderen Teilen des überfüllten Schiffes. Damals war es allerdings anders gewesen, als der Planet Mars noch als Basis für kosmische Kaperfahrten zur Verfügung stand. Doch das war vorbei. Heimatlos und vogelfrei trieb man jetzt durch die Leere des Alls – zu ewiger Irrfahrt verdammt – wahrhaftig ein Fliegender Holländer des Atomzeitalters … Hunter lächelte grimmig. Holle und Teufel! So ging das nicht weiter! Man mußte wieder seßhaft werden. Er trat an das Rundfenster im Bug und blickte lange hinaus. In Fahrtrichtung glänzte weiß ein heller Planet. Die Blicke des Kapitäns saugten sich daran fest. Seine Gedanken woben einen kühnen, verwegenen Plan … „Raumschiff voraus!“ klang die Stimme des Postens am Radargerät. Benno Hunter wandte sich wieder seinem Kameraden zu. „Es ist ‚Stella’. Wir haben sie eingeholt. Dein Wunsch soll in Erfüllung gehen, Corry. Ich kapere das Schiff – für dich.“ * „Hier Zentrale der I.W.K., Raumflugüberwachung! ‚Stella’, meldet euch! Ich wiederhole: Raumschiff ‚Stella’ – Raumschiff ‚Stella’ …“ Unablässig strahlte der Sender der Internationalen WeltraumKontrolle in Nordamerika den Ruf an die „Stella“ in den Äther. In Abständen von fünfzehn Minuten schalteten sich auch die Sendestation des S.A.T. in Orion-City und der Weltraumsender auf der Außenstation „Luna nova“ ein. Sie riefen vergebens. Raumschiff „Stella“ antwortete nicht. – 24
„Raumschiff ‚Stella’ überfällig. Das Schiff ist zwischen Erde und Venus verschollen.“ „Aber das ist doch gar nicht möglich!“ Generaldirektor Bergemann, der Chef der Europäischen Forschungs-Union, rannte wie ein gefangenes Tier in seinem Berliner Büro hin und her. Was war das nur für ein Verhängnis, das über die E.F.U. hereingebrochen war? Mit dem Untergang des „Saturn“ hatte es angefangen, und nun war auch die „Stella“, das modernste und leistungsfähigste Schiff des jungen Unternehmens, verlorengegangen. Wäre das Unglück in den fernen Bereichen des Uranus oder Neptun passiert, in die noch nie ein irdisches Raumschiff vorgestoßen war, so hätte man es vielleicht noch verstehen können. Aber auf der vielbefahrenen Venus-Route, die als absolut sicher galt … Es war einfach unbegreiflich. Aufseufzend hob der Generaldirektor den Hörer ab und meldete ein Blitzgespräch mit der I.W.K.-Leitstelle an. Was er zu hören bekam, war entmutigend. „Noch immer keine Spur von der ‚Stella’?“ „No, Sir, nicht die geringste.“ „Haben Sie alles Erforderliche veranlaßt?“ „Selbstverständlich, Sir. Unsere Fahndungen laufen auf Hochtouren. Zwei Staffeln Patrouillenfahrzeuge sind ständig unterwegs. Auch von ‚Luna nova’ ist eine Gruppe S.A.T.Kurierschiffe zu einer Suchaktion aufgebrochen.“ „Und – haben Sie irgendwelche Vermutungen?“ „Dafür wäre es wohl noch zu früh, Herr Generaldirektor. Allerdings …“ „Was wollten Sie sagen?“ „Es soll eigentlich nicht darüber gesprochen werden, Sir – aber Lord Clifford von der Weltpolizei hat sich bereits eingeschaltet.“ „Also doch.“ Generaldirektor Bergemann fühlte, wie ihn ein 25
Zittern überlief. „Ich danke Ihnen. Halten Sie mich bitte weiter auf dem laufenden.“ Mit unbewegtem Gesicht legte Bergemann auf. Doch gleich danach hob er den Hörer wieder ab. „Die Zentrale, bitte. Verbinden Sie mich mit Orion-City.“ * Nach des Tages Last und Hitze pflegte Jim Parker die Abendstunden mit seinem getreuen Kameraden Fritz Wernicke in seinem Bungalow zu verbringen, der in einem jener geschmackvoll angelegten Villenvororte von Orion-City lag, in die Lärm und Betrieb der unablässig pulsierenden Atomforschungsstadt nicht gelangen. Hier fanden die Freunde, wenn das abenteuerliche Leben ihnen ein paar Tage auf der alten Erde vergönnte. Ruhe und Erholung. Und hier – in der Stille weltentrückter Abendstunden, auf der von Kletterpflanzen überrankten Veranda oder am munter prasselnden Kaminfeuer in der Bibliothek – entstanden auch meist die Pläne zu neuen Forschungsfahrten in die Tiefe des Alls. Es war ein milder Frühlingsabend. Von den Wahsatch Mountains kam ein lauer, würzig duftender Wind. Um den bunten Schirm der Tischlampe flatterten dunkle Falter. Fritz Wernicke füllte die Gläser neu, lehnte sich dann behaglich zurück und betrachtete das nachdenkliche Antlitz seines Freundes. „In welch fernen Jagdgründen weilen deine Gedanken, edler Häuptling? Deinem abwesenden Gesichtsausdruck nach zu urteilen, mußt du im Geist weit, weit fort sein. Ich tippe mindestens auf Uranus.“ „Falsch getippt, Whiskytöter! Diesmal will ich höher hinaus – bis an die Grenzen des Sonnensystems.“ „Großartig, Jim! Und wann fahren wir? Sag mal, ganz im Vertrauen, wie lange dauert so eine Reise eigentlich? Ich fra26
ge nur wegen der Menge Whisky, die ich vorher bestellen muß.“ Jim Parker lachte. „Das hat noch Zeit, mein Alter. Sehr viel Zeit sogar, fürchte ich. Vorläufig besteht noch wenig Aussicht, über Saturn hinauszukommen. Von allen verfügbaren Schiffen wäre kein einziges dazu in der Lage …“ „Na, erlaube mal, Jim. Schließlich sind unsere VarrasRaumer und die neuen elektrischen Raumschiffe auch nicht gerade von Pappe.“ „Stimmt. Hinkommen würden wir ohne große Schwierigkeit – zum Neptun und sogar bis zum Pluto. Aber wir müssen doch auch an die Rückkehr denken. Vor allem brauchen wir noch schnellere Schiffe, sonst würde die Fahrzeit so lang, daß wir erst nach zwanzig Jahren wieder hier sind. Und nun stell dir mal vor, Fritz: Zwanzig Jahre lang unterwegs, Tag für Tag dasselbe – der gleiche Dienst, die ewig gleichen Gesichter …“ „Hör auf, Jim. das ist ja nicht auszudenken. Komm, laß uns auf das Wohl des alten Varras trinken. Möge es ihm gelingen, ein zwanzigfach schnelleres Raumschiff zu erfinden! Hallo, hat es nicht geklingelt?“ Jim Parker trat an die Brüstung und spähte in den Garten hinaus, in den»schon fast völlige Dunkelheit herrschte. „Wir bekommen Besuch, Fritz.“ Auch Wernicke war aufgestanden. „Zu dieser Stunde noch? Ach je – der ‚Feuervogel’! Je später der Abend, desto schöner die Gäste. Na, mich braucht ihr wohl nicht dabei. Evening, Señorita!“ Doris La Paz, die – geleitet von Jim Parkers alter Haushälterin – von der Gartenseite her die Veranda betrat, bemerkte noch den vorwurfsvollen Blick, mit dem der kleine Steuermann im Haus verschwand. „Ich wollte ihn wirklich nicht vertreiben, Jim.“ „Machen Sie sich nichts daraus. Es ist schön, daß Sie gekommen sind, Doris.“ 27
Der Kommodore schüttelte seiner späten Besucherin die Hand und schob ihr einen Sessel zurecht. „Er mag mich nicht“, lächelte sie – mit dem Blick auf die Tür, durch die Fritz Wernicke sich gekränkt zurückgezogen hatte. „Oh – das glaube ich nicht“, stotterte Jim. „Nein, so was könnte ich mir einfach gar nicht vorstellen. Ich jedenfalls – ahem – ja, was ich sagen wollte: Sie wollen uns also wirklich als Vertreterin des ‚Southern Expreß’ nach Venus begleiten?“ „Aber natürlich! Das war doch langst klar und abgemacht.“ „Gewiß, aber ich hätte es verstehen können, wenn Sie es sich doch noch anders überlegt hätten. Die Venus-Route ist, wie Sie wissen, in den letzten Wochen etwas unsicher geworden. Verschiedene Fahrzeuge sind völlig unerklärlichen Katastrophen zum Opfer gefallen.“ „Hat man noch keine Spur gefunden?“ „Wir stehen alle vor einem Rätsel.“ „Was halten Sie vom Fliegenden Holländer, Jim?“ Der Kommodore zuckte die Schultern. „Vielleicht steckt mehr dahinter, als ein abergläubisches Geschwätz. Und wenn es wirklich so sein sollte, dann gnade Gott dem Schurken, wenn ich ihn zu fassen kriege.“ Eine Weile herrschte Schweigen zwischen den beiden. Nur ein einsamer Nachtvogel zwitscherte in den Sträuchern. Unentwegt tanzten die Falter um das Licht. Mit einem Lächeln, das dem Kommodore seltsam verkrampft vorkam, nahm Doris das Gespräch wieder auf. „Nehmen wir einmal an. Jim, es gäbe wirklich so etwas wie einen Fliegenden Holländer des Weltalls, einen Außenseiter, der mit seinem ‚Schiff ohne Hafen’ ewig durch die Sternenräume geistern müßte …“ „Niemand würde ihn dazu zwingen. Wenn er nicht irgend 28
was auf dem Kerbholz hätte, dürfte er landen, wo es ihm beliebt: auf ‚Luna nova’, auf Venus, Mars oder auf dem Mond.“ „Vielleicht gibt es aber etwas in der Vergangenheit dieses Mannes, das ihn zu einem Ausgestoßenen macht. Wäre es da nicht möglich, eine Amnestie zu erlassen, die ihm die Rückkehr erlaubt?“ Doris La Paz hatte sich geradezu in Feuer geredet. Ihre Augen glänzten. Verwundert schaute der Kommodore sie an. „Gesetzt den Fall, Doris, es gäbe diesen Mann und sein Geisterschiff wirklich – so würde er solch ein Entgegenkommen nur verlachen und auch künftig dabei bleiben, den Weltraum unsicher zu machen. Nein, gegen solches Gelichter gibt es nur ein einziges Mittel …“ „Sie meinen – Kampf?“ „Kampf bis zur Vernichtung – jawohl, Doris. Und wenn wir diesen Rummel auf Venus erst hinter uns haben, will ich mich der Sache mal annehmen und im Raum zwischen Erde und Abendstern ein wenig Umschau halten.“ * Der dicke Conan Fletcher wäre wahrscheinlich tödlich beleidigt gewesen, wenn er erfahren hätte, daß Kommodore Parker, sein Freund und einstiger Chef, die bevorstehenden Feierlichkeiten auf Venus als „Rummel“ bezeichnet hätte. Im gleichen Augenblick nämlich, als Jim auf der Veranda seines Bungalows im fernen Orion-City dieses verächtliche Wort aussprach, stand Fletcher – im Vollbewußtsein seiner Würde – auf der Plattform eines hölzernen Turms am Ufer des Silbernen Stroms, unweit der Siedlung Silverfield of Venus, und ließ seine Blicke wohlgefällig über das weite Oval des Festplatzes, über Tribünen, Hallen und Unterkünfte gleiten. 29
„Gute Arbeit habt ihr geleistet, Gentlemen“, nickte er zufrieden. „Hat aber auch verdammt viel Schweiß gekostet“, erwiderte Mister Palmer, der Bauleiter. „Ohne Fleiß kein Preis“, sagte Fletcher salbungsvoll. „Dafür dürfen Sie alle, Gentlemen, das erhebende Bewußtsein empfinden, an einem nationalen Ereignis von unabsehbarer Tragweite mitgearbeitet zu haben.“ Die Gruppe der Begleiter wechselte fragende Blicke. In der sengenden Glut des Venustages wollte offenbar ein „erhebendes Bewußtsein“ nicht so recht zustande kommen. Conan Fletcher machte sich nichts daraus. Er streckte den Arm aus und hob die Stimme: „Was für ein gewaltiger Augenblick wird es sein, wenn die Delegationen aller Völker der Welt mit ihren Fahnen … Damned – es gibt ein Gewitter, Gentlemen.“ Mit der Plötzlichkeit, wie man es nur auf diesem feuchtheißen Planeten kannte, verfinsterte sich der Himmel. Ein gleißender Blitz blendete die Augen der Männer, die sich Hals über Kopf von der Plattform drängten. Der schmetternde Donner ging im Brausen der entfesselten Wassermassen unter, die mit elementarer Gewalt vom Himmel stürzten. In einem Raum des ersten Stockwerks fanden Fletcher und seine Männer Schutz vor dem Toben der Elemente. Der dicke Venus-Boß trat mit Mister Palmer ans Fenster. „Mensch, Palmer, wenn uns das während des Staatsaktes passiert …“ „Ich empfehle, die Teilnehmer schon vorher mit Regenschirmen auszustatten. Wie wäre es, wenn Sie ein Kurierschiff mit zehntausend Stück anforderten? Nanu – was war denn das?“ Im Flackerlicht eines Büschels neuer Blitze hatte es auch Fletcher erkannt: In einer Wolkenlücke war für einen Augen30
blick die unverkennbare Gestalt eines granatenförmigen Raumschiffes zu sehen. Krachende Donnerschläge machten minutenlang jede Verständigung unmöglich. Plötzlich wich das Toben einer wahren Grabesstille. Und in diese Stille hinein jaulten von Silverfield her die Sirenen. „Alarm! Was hat das zu bedeuten?“ Mit einer Geschwindigkeit, die man dem Dicken gar nicht zugetraut hätte, stürzte Fletcher ans Wandtelefon. Er rief die Raumüberwachung an. „Unbekanntes Raumschiff in Areal S 14 f, Sir. Antwortet nicht auf Anruf.“ „Rufen Sie weiter. Verstehe eigentlich nicht, was das Schiff so tief in der Atmosphäre zu suchen hat. Warum haben Sie Alarm gegeben?“ „Weil mit Absturz zu rechnen war, Sir. Hatte übrigens den Eindruck, daß es sich um die – ‚Stella’ handelte …“ „Um die ‚Stella’? Ausgeschlossen – die ist längst hinüber.“ * Raumschiff „Stella“ war verloren. Daran sollte bald keinerlei Zweifel mehr herrschen. Die wenigen Überlebenden des Schiffes selbst waren es, welche die Schreckensnachricht nach „Luna nova“ brachten, und der Raumsender der Station gab sie sofort in allen Einzelheiten zur Erde weiter. Am Morgen dieses schwarzen Tages hatte das Observatorium der Außenstation in der Nähe des Weltraum-Außenhafens eine Anzahl merkwürdiger Lichtpunkte gesichtet, die rasch auf das Riesenrad von „Luna nova“ zugetrieben kamen. Der Wachhabende hatte sich zunächst keinen Rat gewußt. Waren es Raumfahrzeuge – vielleicht Patrouillenschiffe der WeltraumKontrolle? Oder große Meteoriten, die der Station bei einem Zusammenstoß gefährlich werden konnten? Es ließ sich nicht 31
ohne weiteres entscheiden, und vorsichtshalber gab der Posten Alarm. Knapp fünf Minuten später verließ eine Staffel Raumtaxi die Schleusenkammern in der Achse der Station und raste den verdächtigen Objekten entgegen. Nach weiteren fünf Minuten lief ein Funkspruch des Staffelkapitäns ein: „Habe sechs Schiffbrüchige aufgelesen. Schicke sie umgehend zur Station zurück. Setze Suche fort.“ Schiffbrüchige im Weltraum! Meist waren jene Unglücklichen, die das Pech hatten, ihr Raumschiff in den Tiefen des Alls aufgeben zu müssen, zum sicheren Tode verdammt. Zwar konnten sie sich noch eine Zeitlang in ihren luftdichten Raumtaucheranzügen am Leben halten, aber es kam der Augenblick, da die Atemluftreserven verbraucht waren. Und weit und breit gab es kein rettendes Gestade im unendlichen Nichts. Wie sollte ein Hilfsschiff, sofern ein solches überhaupt in der Nähe war, die winzigen Menschlein finden, die mit unbekanntem Kurs durch die endlose Leere trieben? „Diese sechs Kerle haben wirklich mehr Glück als Verstand“, sagte Henri Lasalle kopfschüttelnd, als die Geretteten auf „Luna nova“ ausgebootet wurden. „Daß sie ausgerechnet in der Nähe der Station vorbeitreiben mußten. Es ist kaum zu glauben.“ Woher mochten die Schiffbrüchigen nur kommen? Es war doch in den letzten Tagen in Erdnähe kein Raumschiff verlorengegangen. Fragen über Fragen … Mit Ungeduld sah Lasalle zu, wie die Ohnmächtigen aus ihren Weltraumkombinationen herausgeschält und behutsam in die Krankenstation getragen wurden. Doktor Lorentz, der Stationsarzt, nahm sich ihrer mit Erfolg an. Schon eine Viertelstunde nach ihrer Einlieferung begannen die Geretteten sich zu regen und die Augen aufzuschlagen. Ein baumlanger, grobschlächtiger Hüne mit schwarzem Vollbart öffnete als erster die Lippen: 32
„Whisky.“ Schnell war das Gewünschte zur Stelle. Der Arzt versuchte, dem Patienten das scharfe Getränk teelöffelweise einzuflößen. Doch der Bärtige riß ihm die Flasche aus der Hand, setzte sie mit gewohntem Schwung an die Lippen und gurgelte den Schnaps hinunter. „Hallo, Mann, seien Sie vorsichtig! Sie werden sich verschlucken.“ „Unsinn, Doc! Bin doch kein Säugling“, kam die Antwort in gebrochenem Englisch. „Was für ein Landsmann sind Sie eigentlich?“ „Holländer.“ „Doch nicht etwa der ‚Fliegende Holländer’?“ versuchte Lasalle zu scherzen. Ein mißtrauischer Blick aus den stechenden Augen des Bärtigen traf ihn. „Malen Sie den Teufel nicht an die Wand, Sir. Es könnte sich bitter rächen.“ „Abergläubisches Zeug“, ärgerte sich Lasalle. „Sagen Sie mir lieber mal, wer und was Sie überhaupt sind, und wie Sie in diese fatale Lage geraten konnten.“ „Venussiedler“, klang es einsilbig zurück. „Wollten auswandern. Heiße van der Lucht, aus Delfzyl. Das da sind Mclntosh aus Glasgow, More aus Hull, Günther aus …“ „Ja, zum Donnerwetter, wie hieß denn Ihr Schiff, und wo ist es geblieben?“ „,Stella’ hieß der Kasten. Hatten 'nen schweren Unfall. Das ganze Triebwerk muß explodiert sein. Konnten gerade noch in die Schutzanzüge klettern.“ „Und dann?“ „Was dann geschah, weiß ich nicht. Als ich aufwachte, schwebte ich irgendwo im Nichts, zusammen mit den Kameraden da drüben. – Ach, verdammt noch mal – fühle mich so elend schlapp …“ 33
„Lassen Sie es für heute genug sein mit der Fragerei, Sir“, wandte sich der Arzt an Lasalle „Die Patienten brauchen jetzt vor allem Ruhe.“ * Es war Nacht über Silverfield – eine jener schwülen Nächte, die dem Neuling auf Venus wie ein quälender Alpdruck ohne Ende vorkamen, in denen er zu ersticken glaubt in der feuchtheißen Atmosphäre und sich vergeblich nach Erquickung sehnt. Die alten Venussiedler hatten sich allerdings weitgehend an das Klima des Planeten gewöhnt. Selbst die tobenden Gewitter, die oft mitten in der Nacht losbrachen und blendende Blitze, krachenden Donner und unvorstellbare Regenfluten entfesselten, konnten sie kaum noch stören. Die Gewitterwolken, die sich in dieser Nacht entluden, hatten schon in den Abendstunden drohend über dem Westhorizont gestanden. Die Einwohner von Silverfield hatten vorsichtshalber alle Läden dichtgemacht und sich dann beruhigt niedergelegt. Auch der dicke Fletcher lag längst in tiefem Schlummer, als das erwartete himmlische Feuerwerk begann. Doch das Krachen des Donners drang bis in seine Träume und gaukelte ihm schauerliche Angstträume vor. Da war wieder die große Arena, geschmückt mit den bunten Fahnen aller irdischen Nationen. Die Tribüne war schwarz von Menschen. Auf dem Rednerpodium stand er selbst, Conan Fletcher, und sollte seine Ansprache halten. Er hatte sie Wort für Wort auswendig gelernt, die große Festrede, rund hundertmal hatte er sie in stillen Stunden aufgesagt. Aber nun wollte ihm kein einziges Wort mehr einfallen. Seine zitternden Hände griffen zum Manuskript – doch die Buchstaben führten vor seinen Augen einen höhnischen Reigen auf. Und tausend Kameras blickten ihn mit erbarmungslosen, 34
gläsernen Augen an. Er hörte das Surren der Aufnahmeapparate, sah das Flackern der Blitzlichter. Hilflos wanderte sein Blick zum Himmel empor, und was er dort sah, raubte ihm den letzten Rest von Fassung … Am Himmel, direkt über der Arena, ballten sich mit rasender Geschwindigkeit schwarze Gewitterwolken zusammen. Sekunden noch, und sie würden alles in einem Wolkenbruch ohnegleichen ersaufen lassen … Ein greller Blitz – die ganze Tribüne flammte auf. brach mit den Tausenden von Ehrengästen mit schrecklichem Krachen zusammen … Mit einem würgenden Angstschrei fuhr Fletcher hoch, in Schweiß gebadet, und schleuderte die dünne Schlafdecke von sich. Verständnislos glotzte er in das aufgeregte Gesicht Oberstleutnant Lyons, der mit einem Ordonnanzoffizier des Sicherheitsdienstes vor seinem Bett stand und ihn an der Schulter rüttelte. Nur langsam begann er, die Worte zu verstehen, die Lyon ihm zuschrie: „Ja, haben Sie denn gar nichts gehört, Sir? Draußen ist der Teufel los. Höchste Alarmstufe!“ „Ich weiß, ich weiß: die Tribüne – entsetzlich!“ Fletcher bedeckte die Augen mit der Rechten. „Sind die Verluste – sehr hoch?“ Die beiden Offiziere wechselten verständnislose Blicke. Schließlich dämmerte es dem Sicherheitschef. „Sie haben geträumt, Sir. Hören Sie doch: In Urania …“ Es war, als hätte dieser Name den „Venusboß“ brutal in die Wirklichkeit zurückgerufen. Urania – dort befanden sich die riesigen Atomwerke des Venusstaates, die alle Niederlassungen auf dem Planeten mit Energie versorgten. Hier – weit nördlich von Silverfield – lag das eigentliche Herz des Planeten, seine lebenswichtigste und zugleich verwundbarste Stelle. 35
„Urania? Was ist los? So reden Sie doch schon, um Himmels willen!“ In seinem plötzlich überwachen Zustand nahm Conan Fletcher jede Einzelheit mit besonderer Schärfe wahr. Er sah, wie das Regenwasser, das von den Mänteln der Offiziere troff, auf dem Fußboden zwei kleine Seen bildete. Er hörte das Rauschen der Regenmassen vor den verschlossenen Fenstern, das gedämpfte Pollern des abziehenden Gewitters. Und dazwischen – klagend und nervenaufreibend – das Stöhnen und Heulen der Alarmsirenen. Der Oberstleutnant räusperte sich: „Ahem – vor knapp zehn Minuten gab die Zentrale von Urania Alarm, Sir. Was eigentlich los ist, war noch nicht herauszukriegen. Nur soviel steht fest, daß von unbekannter Seite ein Überfall auf die Werkanlagen mit Hilfe von Landungsraketen unternommen wurde. Die Kämpfe dauern zur Zeit noch an.“ „Los, Lyon!“ Mit einem mächtigen Plumps war der Fettkoloß von seinem Lager hoch. „Lassen Sie alle verfügbaren Düsenjäger starten! Rufen Sie die Miliz zu den Waffen, und stopfen Sie in die Transportmaschinen, was nur hineingeht. Moment – ich fliege selbst mit. Wenn Urania zum Teufel geht, ist alles verloren.“ * Im Hauptverwaltungsgebäude des Staatlichen AtomTerritoriums zu Orion-City tagten hinter verschlossenen Türen die Generaldirektoren der großen Raumfahrtorganisationen. Außer Cunningham vom S.A.T. und Delmonte von der A.I.C. nahm auch erstmalig Bergemann von der E.F.U. an einer solchen Besprechung teil. Auch die Chefs der Sicherheitsdienste waren hinzugezogen worden. Durch den Qualm schwerer Zigarren war Ted S. Cunning36
hams massige Gestalt nur verschwommen zu erkennen, als er zum Schlußwort ansetzte: „Fassen wir noch einmal kurz zusammen, Gentlemen: Unsere drei Organisationen stellen also insgesamt neun Sonderschiffe zusammen, um die Ehrengäste zum Staatsakt auf Venus zu befördern. Die Kosten übernimmt der Weltbund der freien Nationen. Das Unternehmen steht unter dem Kommando von Kommodore Parker. Starttermin ist der 3. Juni, 6.00 Uhr Raumzeit. Start ab ‚Luna nova’, Weltraum-Außenhafen. So, das wäre wohl das Wichtigste.“ „Die Sicherheitsvorkehrungen, Sir“, erinnerte Delmonte. „Darüber wird uns Oberst Mortimer das Nötige sagen.“ Der Oberst erhob sich, stieß eine Wolke stinkenden Zigarettenrauchs durch die Nasenlöcher und hub mit knarrender Stimme an: „Den Schutz für die Zubringeraktion zur Außenstation übernehmen wir vom S.A.T.. Die Schiffe der Internationalen Weltraum-Kontrolle führen den Geleitschutz bis zur Hälfte der Entfernung zur Venus durch, wo drei Kurierschiffe vom VenusSicherheitsdienst sie ablösen werden.“ „Nur drei Schiffe?“ fragte Bergemann besorgt. „Wir haben nicht im Ernst mit einem Angriff auf den Geleitzug zu rechnen“, winkte der Oberst ab. „Und schlimmstenfalls wären Kommodore Parkers neun Schiffe auch allein in der Lage, sich ihrer Haut zu wehren.“ „Unsinn!“ rief Cunningham verdrießlich. „Wer spricht hier überhaupt von Überfall? Schätze, Gentlemen, Sie sind ein bißchen zu nervös.“ „Was nach den Erfahrungen der letzten Zeit wohl auch begreiflich ist“, meinte Bergemann sarkastisch. „Man sollte diese Vorfälle nicht unnötig aufbauschen, Sir. Gewiß, die Sache mit dem ‚Vulcan’ konnte nicht einwandfrei aufgeklärt werden. Aber was will das schon heißen?“ „Und die ‚Stella’?“ 37
„Ging an technischen Mängeln zu Grunde, wie jetzt bekannt geworden ist. Das Triebwerk flog auseinander.“ Es klang fast ein wenig schadenfroh. „Was die Möglichkeit eines Eingriffs von außen her allerdings nicht ausschließt“, beeilte sich Generaldirektor Bergemann richtigzustellen. „Was machen eigentlich die Überlebenden der ‚Stella’?“ wollte Mortimer wissen. Der dicke Cunningham lauschte dem sonderbaren Unterton nach. „Sie waren bisher noch nicht vernehmungsfähig, wie Lasalle mir meldete.“ „Dann wird es aber allmählich Zeit.“ Der lange Oberst stand auf und warf einen Blick auf die Armbanduhr. „Werde mir die Burschen mal ein bißchen vorknöpfen. Wenn ich mich beeile, erwische ich im Zentralflughafen gerade noch Jim Parker. Er startet um 12.30 Uhr zur Außenstation.“ * Als die Zubringerrakete D 19 – mit Jim Parker, Fritz Wernicke und Oberst Mortimer – in die Kreisbahn der Außenstation einlenkte und sich schnell dem Riesenrad von „Luna nova“ näherte, entfuhr dem Kommodore ein Ruf der Bestürzung: „Thunderstorm! Da kommen wir anscheinend gerade im richtigen Moment.“ Die beiden anderen drängten ans Fenster. Im ersten Augenblick sahen sie nichts Außergewöhnliches. Doch plötzlich schrie Wernicke auf: „Bei allen Planeten! Die ganze Bude steht in Flammen.“ Es schien tatsächlich so zu sein. Hinter den Bullaugen in der Peripherie der radförmigen Station glühte es hier und da rot und bösartig. An einer Stelle schossen Rauchmassen in den Raum hinaus. Hier hatte man wohl die Außenventile geöffnet, um den Flammen die Luft zu entziehen. Vom Turm der Station blinkten 38
Alarmsignale. Arbeiter strömten von den Außenstellen herbei, strebten in überfüllten Raumtaxi den Schleusenkammern zu. „Die Station ist verloren“, stammelte Oberst Mortimer schreckensbleich. „Kaum anzunehmen“, erklärte der Kommodore, „es sei denn, die Jungen drüben stellten sich besonders dämlich an. Aber das traue ich Lasalle und seinen Leuten eigentlich nicht zu. Da – seht: Sie wissen sich schon zu helfen.“ Wie ein überheizter Kessel aus dem Notventil Dampf abblasen läßt, so entledigte sich das Riesenrad an zahlreichen Stellen der Atemluft, die seine Räume und Gänge erfüllte. Gemischt mit Rauch entströmte sie ins All. Die Feuersbrunst sank in sich zusammen. „Wo soll ich anlegen?“ fragte der Schiffsführer. Jim Parker schraubte den Taucherhelm fest und prüfte die Rückstoßpistole. „Wir steigen gleich hier aus. Kommen Sie, Mortimer.“ Kurz danach verließen die drei Männer die Luftschleuse und schwebten zur Achse der Station hinüber. Sie fanden die Schleusentore weit geöffnet, da die Atemluft ja ohnehin ausgeströmt war. In den Gängen herrschte ein tolles Durcheinander. Die gewölbten Wände waren rauchgeschwärzt. Vermummte Gestalten in unförmigen Schutzanzügen stolperten überall umher. Eine von ihnen packte den Kommodore am Arm und schob ihn in eine Kammer. Wernicke und Mortimer folgten. Der Vermummte schloß die Gangtür, regulierte die Luftversorgung und öffnete dann aufatmend den Helm. Die anderen folgten seinem Beispiel. „Willkommen, Messieurs“, rief Lasalle. „Nun, was sagen Sie zu dieser tollen Schweinerei?“ Jim Parker zauberte eine Packung „Maza Blend“ aus den unergründlichen Tiefen seiner Kombination hervor. „Wie ist das passiert, Lasalle?“ 39
Der Franzose nahm eine Zigarette und bot Feuer an. „Ja, wenn ich das nur wüßte. Als die automatischen Feuermelder Alarm gaben, brannte es schon an drei Stellen zu gleicher Zeit.“ „Haben Sie irgendwelche Vermutungen?“ Lasalle hob vielsagend die Schultern. „Mit rechten Dingen dürfte es kaum zugegangen sein.“ „Also Sabotage“, konstatierte Oberst Mortimer grimmig. „Schätze. Gentlemen, wir sollten gleich an die Arbeit gehen.“ Dem Kommodore kam eine Idee. „Wenn es Ihnen nichts ausmacht, Mortimer, schlage ich vor, uns zunächst mal die Überlebenden der ‚Stella’ vorzuknöpfen.“ Mortimer nickte. Sie schlossen die Taucherhelme wieder und folgten dem Stationskommandanten durch den Hauptgang. Vor der Krankenabteilung machten sie halt und vergewisserten sich, daß der Innenraum noch den nötigen Luftdruck aufwies. Dann schleusten sie sich geschickt durch die Doppeltüren ein und öffneten die Sichtscheiben der Helme. „Das hatte ich mir gedacht“, lachte der Kommodore grimmig. Auf zwei Stühlen hockten – gefesselt und geknebelt – die hilflosen Gestalten des Stationsarztes und eines Krankenwärters. Die sechs Patienten aber waren spurlos verschwunden. „Mir scheint die ‚Stella’ hatte eine Ladung Gangster an Bord“, knurrte Mortimer und machte sich an eine genauere Untersuchung des Raumes. Lasalle und Wernicke bemühten sich um die Überfallenen. Jim Parker schüttelte den Kopf. „Auf jeden Fall bleibt das Rätsel um die verschollene ‚Stella’ nach wie vor ungelöst.“ Das Schrillen der Alarmglocke ließ alle zusammenfahren. Lasalle riß den Telefonhörer von der Gabel. „Sacre nom d’un chien! Was ist denn nun schon wieder los? Wie bitte? Was sagen Sie da?“ Er ließ den Hörer einfach fallen und stürzte ans Fenster. „Was ist passiert, Lasalle?“ 40
„Die Raumtaxi, Kommodore! Da fahren sie hin – und wir …“ Jim Parker war sofort im Bilde. Die merkwürdigen „Patienten“, auf deren Konto wohl auch der Brand der Station kam, hatten sich in den Schleusenkammern der Raumtaxi bemächtigt und suchten darin das Weite. Und die Besatzung von „Luna nova“ hatte keine Möglichkeit, die Verfolgung aufzunehmen. „Donnerwetter, Jim! Die haben uns schön ’reingelegt.“ Es klang fast etwas wie Anerkennung in Wernickes Stimme mit. „Es muß doch irgend was geschehen, Kommodore“, drängte Oberst Mortimer. „Schau mal aus dem Fenster, wenn du keinen Kopf hast“, grinste Fritz Wernicke. „Die kommen nicht weit“, meinte Lasalle. „Diese Raumtaxi haben nicht viel Brennstoff. Sie sind ja nur für den Verkehr in nächster Nähe der Station bestimmt.“ Jim Parker straffte sich. „Immerhin kommen sie weit genug, um sich von irgendeinem Schiff auflesen zu lassen, das hier in der Nachbarschaft auf der Lauer liegen dürfte. Wahrscheinlich das gleiche, das vor ein paar Tagen die ‚Schiffbrüchigen’ ausgesetzt hat. Sie sind einem netten Schwindel auf den Leim gegangen, Lasalle.“ Der Stationskommandant senkte verlegen den Blick. „Und – was soll nun geschehen, Kommodore?“ „Setzen Sie rasch einen Bericht auf und lassen Sie ihn zur Erde funken – ans S.A.T., an die I.W.K. und die Weltpolizei. Sie sollen alle Kurier- und Patrouillenfahrzeuge zusammentrommeln und den Raum hier herum durchsieben. Würde mich allerdings nicht wundern, wenn die Halunken bis dahin längst über alle Berge wären.“ *
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„Unter diesen Bedingungen, Boß, halte ich es allerdings für unverantwortlich, den Geleitzug zur Venus starten zu lassen.“ Ein langes, bedrücktes Schweigen folgte den Worten des Kommodores, der mit seltsam starrem Ausdruck gegen das Fenster gelehnt stand. Ted S. Cunningham und Oberst Mortimer verharrten schweigend. Vom Central Park herauf drang das Summen des Straßenverkehrs durch die geschlossenen Scheiben. „Das kommt gar nicht in Frage, Parker“, knurrte der Atomboß gereizt. Er schleuderte die zerkaute Havanna in den Ascher, wuchtete seine Massen hinter dem Schreibtisch hervor und begann, mit gewichtigen Schritten auf und ab zu gehen. „Was halten Sie davon, Mortimer?“ Der Oberst zuckte die Schultern. „Wenn Sie meine Meinung hören wollen, Boß: Ich würde am liebsten jeglichen Raumverkehr zwischen Mais und Venus sperren, bis die Sicherheit in diesen kosmischen Gefilden wiederhergestellt ist.“ „Was für Ergebnis hatten die Fahndungen der letzten Tage?“ „Praktisch gar keine, Boß. Die I.W.K.-Fahrzeuge konnten die entführten Raumtaxi in der Nähe von ‚Luna nova’ wieder auffischen. Natürlich waren sie leer. Von den sechs angeblichen ‚Stella’-Passagieren wurde nichts mehr gesehen.“ „Und das Großfeuer auf ‚Luna nova’?“ „Wurde zweifellos von diesen Halunken angelegt.“ „Welchen Zweck mögen sie damit verfolgt haben?“ Oberst Mortimer schwieg nachdenklich. Mechanisch drehten seine Finger eins seiner gefürchteten Eigenbau-Zigaretten. Schließlich sagte er: „Es dürfte nur eine einzige plausible Erklärung geben: Die Station sollte vernichtet werden.“ Die Vorstellung, daß seine kostbare Weltraumstation um ein Haar der Zerstörung anheimgefallen wäre, ließ den dicken Cunningham weich in den Knien werden. Er ließ sich in den nächsten Sessel fallen und rang nach Luft. 42
„Ja, zum Teufel – aber warum denn nur? Wer oder was steckt denn bloß dahinter?“ „Das zu ergründen, bemüht sich Lord Clifford mit dem gesamten Apparat der Weltpolizei auch noch – bisher vergeblich“, lächelte Oberst Mortimer dünn. „Die ganze Fahndungsaktion scheint falsch aufgebaut zu sein“, meinte Jim Parker. „Die verschiedensten Stellen arbeiten mit einem Riesenapparat, und jeder pfuscht dem anderen ins Handwerk: Geben Sie mir ein schnelles Raumschiff, Boß, eine tüchtige Besatzung und ein Vierteljahr Zeit – und es müßte nicht mit rechten Dingen zugehen, wenn ich das Rätsel nicht lösen könnte.“ Der Atomboß wand sich vor Verlegenheit. „Sie haben natürlich recht, Parker. Aber es geht wirklich nicht. Denken Sie doch an den bevorstehenden Staatsakt auf Venus.“ „Dann lassen Sie doch den Rummel verschieben.“ „Unmöglich!“ Der Dicke hob entsetzt die Hände „Alles ist bis ins Kleinste vorbereitet. Der Termin ist endgültig. Schon treffen stündlich Zubringerschiffe auf der Außenstation ein mit Festteilnehmern aus allen Ecken und Winkeln der Erde. Die Prominenz der Menschheit gibt sich ein Stelldichein. Man kann sie nicht einfach nach Hause schicken – nur, weil es uns nicht gelingen will, im Weltraum Ordnung zu schaffen.“ Ein giftiger Blick schoß zu Mortimer hinüber, der ihn mit einer Wolke stinkenden Tabakqualms quittierte. Und wieder herrschte das bedrückte Schweigen. „Wie sie wollen“, sagte Parker und richtete sich auf. „Sie kennen meine Bedenken, Boß. Wenn Sie trotzdem darauf bestehen, daß diese – hm – Gesellschaftsfahrt zur Venus stattfindet …“ „Es muß sein, Parker.“ „… dann werde ich eben Ihren Befehl ausführen und den Transport übernehmen. Es bleibt also dabei: Morgen, am 3. Juni, um 6.00 Uhr Raumzeit, starten wir.“ 43
* „Wie steht’s, Lasalle, sind wir komplett?“ „Die beiden letzten Zubringerraketen der E.F.U. sind vor zwanzig Minuten von Nordisland aus eingetroffen, Kommodore. Sie sind gerade dabei, ihre Passagiere in die ‚Britannia’ umzuladen …“ „Ausgezeichnet. Das heißt also, daß wir die Startzeit pünktlich einhalten können. Komm, Fritz, mach dich fertig. Wir müssen an Bord gehen.“ „Sie haben noch ein paar Minuten Zeit, Messieurs“ – die Stimme Lasalles klang bittend –, „gerade noch ausreichend für einen Abschiedstrunk. Wer weiß, wann wir das nächste Mal zusammenkommen.“ „Glänzender Einfall“, freute sich Fritz Wernicke. Er kannte Lasalles vorzüglichen französischen Kognak und wußte ihn zu schätzen. Jim Parker fühlte eine seltsam schwermütige Regung in seinem Herzen aufsteigen, wie er sie nie zuvor empfunden hatte. Ihm war, als müßte er seinem Gedächtnis jede Einzelheit dieses kleinen Raumes auf „Luna nova“ einprägen, der dem Stationskommandanten als Wohnung diente. Jeden Gegenstand, und nicht zuletzt jeden Zug im Antlitz Henri Lasalles selbst, jenes sympathischen, kleinen Franzosen, der dem Kommodore in all den Jahren stets ein wackerer Kamerad gewesen war. Die Männer hoben ihre Gläser. Lasalle bemühte sich, seine Bewegung niederzukämpfen. „Auf euer Wohl, meine Freunde! Gute Fahrt und glückliche Heimkehr!“ Die Gläser klangen aneinander. In diesem Augenblick heulten die Sirenen dreimal kurz auf. Jim Parker setzte das Glas ab. „Es ist so weit. Leben Sie wohl. Lasalle.“ 44
„Au revoir, mes amis.“ Vom Observatorium aus blickte Lasalle dem Raumtaxi nach, das die beiden Freunde zum Flaggschiff hinübertrug. Die ‚Solar System’ galt als das schnellste und modernste Schiff des S.A.T.. Sie gehörte zu den neuen „elektrischen“ Raumschiffen – einem Typ, der noch in der Erprobung stand und erst in wenigen Exemplaren gebaut worden war. Jetzt standen die beiden im Eingang der Luftschleuse, plump anzusehen in ihren Schutzanzügen. Sie winkten noch einmal zurück. Dann schloß sich die glatte Schiebetür. Von der Plattform der Raumstation stiegen drei grüne Leuchtraketen auf. Das Startsignal! Jetzt begann die große Heckdüse der „Solar System“ zu arbeiten. Das Schiff nahm Fahrt auf und setzte sich an die Spitze der Formation. Langsam kam Bewegung in die Kolonne. In Kiellinie folgten die mächtigen Raumer dem Flaggschiff, wurden schneller und schneller und waren schließlich nur noch als eine Kette glühender Punkte zu erkennen, die schwächer wurden und schließlich in der Schwärze des Firmaments verglommen. Lange noch schaute Henri Lasalle ihnen nach. * Vierundzwanzig Tage sollte die Überfahrt zur Venus dauern. Gemessen an irdischen Fahrtzeiten erschien das unerträglich lang. Für den Raumfahrer war es beinahe gar nichts. Jim Parker hätte es mit der „Solar System“ allein auch in noch kürzerer Frist geschafft. Doch in seinem Konvoi fuhren ein paar Schiffe mit, die angesichts ihrer veralteten Bauart mit den neueren Typen nicht Schritt halten konnten. Und schließlich durfte er seinen Schutzbefohlenen ja nicht einfach davonlaufen. Vierundzwanzig Tage! Die Passagiere dachten anfangs mit gemischten Gefühlen daran, wie sie diese lange Zeit völliger 45
Abgeschlossenheit im Raumschiff wohl überstehen könnten. Aber bald hatten sie dieses lähmende Gefühl überwunden. Die Schilfe boten jeden erdenklichen Komfort und vielfältige Abwechslung, und die Kommandanten taten alles, was in ihren Kräften stand, um ihren Fahrgästen das Leben so angenehm wie möglich zu gestalten. Zuletzt betrachteten auch die Griesgrämigsten die ganze Venusfahrt nur noch als eine willkommene Erholung nach den Anstrengungen des täglichen Lebens. Für Peter Hagen war es die erste, große Fernfahrt in seinem Raumfahrerdasein. Er genoß das große Erlebnis in vollen Zügen. Der Kommodore hatte den jungen Volontär für den Wachdienst in der „Solar System“ eingeteilt, und Peter löste Fritz Wernicke in regelmäßigen Abständen im Führerraum des Flaggschiffes ab. In seiner Freizeit widmete Peter sich den Passagieren, und er tat es in einer so scharmanten Art, daß alle den jungen Schiffsoffizier sehr bald in ihr Herz schlossen. Nur, wenn es der Zufall wollte, daß er mit Doris La Paz allein war, wurde er merkwürdig einsilbig und fühlte sich irgendwie befangen. Meist gingen diese peinlichen Augenblicke schnell vorüber: denn Doris fand immer wieder neue Gründe, um in Jim Parkers Nähe zu sein, und auch der Kommodore suchte offensichtlich ihre Gesellschaft, soweit der Dienst es ihm erlaubte. Peter Hagen betrachtete es mit gemischten Gefühlen … Noch einen anderen gab es an Bord, der die beiden mißtrauisch beobachtete, und Fritz Wernicke machte aus seinem Herzen keine Mördergrube, wenn das Gespräch auf Doris kam. „Eine wahre Schnapsidee, diesen ‚Feuervogel’ mit an Bord zu nehmen“, brummte er eines Abends verdrießlich, als Peter gerade seinen Dienst im Führerraum angetreten hatte. „Ich fresse ’nen Besen, wenn das nicht irgendwie schiefgeht.“ „Was sollte denn da schiefgehen?“ fragte Peter, und er ver46
suchte, seiner Stimme einen möglichst unbeteiligten Klang zu geben. „Na, ist das vielleicht ’ne Art, daß dieses Weibsbild hier überall umherschwirren darf – selbst in den Räumen, in denen Passagiere nichts zu suchen haben? Und außerdem …“ „Was noch, Herr Wernicke?“ „Außerdem hat das Weib grüne Augen, und so was nimmt man lieber nicht an Bord. Jeder ehrliche, olle Seemann weiß, daß es dem Schiff Unglück bringt.“ Peter fand diesen Grund nicht allzu überzeugend. Aber er schwieg, um den verärgerten Steuermann nicht noch mehr aufzubringen. Seine Blicke wanderten über die Skalen der zahllosen Instrumente zu dem großen Beobachtungsfenster hinüber, durch das die Lichterfülle des gestirnten Himmels hereinglitzerte. Doch plötzlich riß er Wernicke so heftig am Arm. daß der überrascht das Whiskyglas fallen ließ. „Herr Wernicke – dort, dort!“ „Heda, junger Mann! Sie sehen wohl weiße Mäuse? Was ist denn …? Oh – bei allen Planeten!“ Backbord voraus stand ein riesiges Weltraumschiff – der Bauart nach mußte es ein Varras-Raumer sein. Man konnte allerdings nur mit Mühe seine Gestalt erkennen: den eiförmigen Rumpf, umgeben vom breiten Antennengürtel. Alles war undeutlich und hob sich nur unscharf vom Himmelshintergrund ab. „Geben Sie acht auf den Kurs!“ brüllte Wernicke und griff zum Mikrophon. „He – Ausguck! Haben Sie den Kerl da vorn nicht erkannt? Ihr Radargerät funktioniert wohl nicht, was?“ „Das Gerät ist in Ordnung, Sir“, kam die Antwort. „Aber es spricht nicht an.“ Riesengroß wuchs das schattenhafte Fahrzeug vor den Fenstern auf, kam näher und näher und trieb vorüber. Plötzlich schrie Peter Hagen auf. „Herr Wernicke, haben Sie es gesehen? Dort, am Bug …“ 47
Auch Fritz Wernicke hatte es erkannt: Fahl leuchtete am Bug des fremden Schiffes ein riesiger Totenkopf. Sekundenlang herrschte erstarrtes Schweigen im Führerraum der „Solar System“. Fritz Wernicke fing sich zuerst wieder. Seinen Lippen entrang sich ein ellenlanger Fluch. „Das Gespensterschiff! Der Fliegende Holländer! Also doch! Der Teufel hole diese verdammte Venusfahrt. Könnten wir jetzt tun, was wir wollten – ich würde das Steuer herumreißen und hinter dem Kerl herjagen, und wenn es bis ans Ende der Welt wäre.“ „Ich würde mitmachen, Herr Wernicke! Aber sollten wir nicht dem Kommodore Meldung machen?“ „Ja, gewiß doch. Jim wird sich freuen. Na, Teddy, was gibt es denn?“ Teddy, wie sie den kleinen, schmächtigen Funker der „Solar System“ nannten, stand aufgeregt in der Tür und schwenkte einen Meldezettel. „Ist der Kommodore hier?“ „Geben Sie mal hier, junger Freund. Ich bringe ihm den Wisch. Donnerwetter– was steht da?“ „Die Meldung lief soeben von der I.W.K.-Zentrale ein.“ „Sie träumen wohl, he? Die Meldung ist mindestens vierzehn Tage alt.“ „Aber nein, Mister Wernicke. Der Funkspruch ging vor zwei Minuten ein. Datum und laufende Nummer – alles ist in Ordnung.“ Wortlos gab Wernicke das Blatt an Peter Hagen weiter, der halblaut las: „Meldung vom I.W.K.-Patrouillenschiff ‚Montana’: Haben Fliegenden Holländer in 20 000 Meilen Abstand vom Erdmond zum Kampf gestellt. Erbitten dringend Unterstützung …“ Peter Hagen ließ das Blatt sinken. Er schaute nicht gerade geistreich drein. „Der Fliegende Holländer – am Erdmond? Und was war das, was uns hier gerade eben begegnet ist?“ 48
Der kleine Steuermann blickte sich hilflos um. „Ich glaube, wir sehen tatsächlich schon Gespenster. Dagegen hilft nur eins …“ Mit sicherem Griff zauberte er eine Whiskyflasche unter dem Pilotensitz hervor. „Prost, Gentlemen!“ * „Raumschiff ahoi!“ Schauerlich klang der Ruf des Ausgucks durch die verwahrlosten Räume des „Hyperion“. Kapitän Hunter drückte auf den Knopf der Alarmanlage. „Klarschiff zum Gefecht!“ In das Schrillen der Alarmglocken mischte sich das Rufen und Trampeln der Besatzung, die auf ihre Gefechtsstationen eilte. Der Kapitän rief dem Mann am Steuer einen Befehl zu, stieg in den Beobachtungsraum und stellte die Elektronenoptik ein. Mit einem Seufzer der Erleichterung richtete er sich auf. „Befehl zurück! Es ist die ‚Stella’.“ Ein vielstimmiges Freudengeheul antwortete ihm. Die Männer drängten sich an die Bullaugen. Bald darauf ging die ‚Stella’ längsseits. Drei, vier Gestalten in Schutzanzügen schwebten herüber und wurden in der Luftschleuse aufgenommen. Im Führerraum trat Kapitän Corry dem Kommandanten des „Hyperion“ entgegen und hob die Hand zum Gruß. Sein wildwuchernder, ungepflegter Vollbart ließ ihn abstoßender denn je erscheinen. „Raumschiff ‚Stella’ von Feindfahrt zurück. Befehl ausgeführt.“ „So – sind Sie wirklich davon überzeugt?“ war die frostige Entgegnung. „Hatten wir nicht ausdrücklich vereinbart, daß ‚Luna nova’ vernichtet werden sollte?“ 49
Corry wich dem kalten Blick seines Gegenübers aus. „Wir haben getan, was wir konnten, Chef. Das dürfen Sie mir glauben. Schließlich konnten wir nicht ahnen, daß sie dort auf der Station solch eine raffinierte Feuerwehr haben.“ „Hm – jedenfalls hat die Geschichte nicht geklappt. Inzwischen ist Jim Parker mit neun Raumschiffen zur Venus unterwegs – gerade das, was durch den Anschlag auf ‚Luna nova’ unmöglich gemacht werden sollte.“ „Damn my soul!“ Der Bärtige kratzte sich den Kopf. „Und was soll nun geschehen?“ „Ist Ihr Kahn wenigstens voll einsatzfähig, Corry?“ „Alles okay, Hunter. Hatten da zwar in Mondnähe ein Gefecht mit so einem verdammten Kontrollschiff, konnten es aber abschütteln. Die paar kleinen Kratzer sind längst ausgebessert.“ „Um so besser, Corry. Dann hören Sie sich mal an, was ich mir für unser ‚Unternehmen Venus’ ausgedacht habe. Hölle und Teufel! Die guten Leute sollen ihr blaues Wunder erleben …“ * Der große Festplatz am Ortsrand von Silverfield of Venus lag im hellen Glanz eines so herrlichen Sonnentages, wie man ihn auf diesem Planeten nur alle Jubeljahre erlebte. Dieser Glanz spiegelte sich auch in den strahlenden Zügen Conan Fletchers wider, der seine kühnsten Hoffnungen übertroffen sah. Wie oft hatte er in den vergangenen Monaten von diesem Augenblick geträumt, der nun endlich Wirklichkeit geworden war. Und keine drohenden Gewitterwolken türmten sich am Venushimmel. Freundlich und glückverheißend schien die Sonne vom blaßblauen Firmament hernieder. Nun stand er in seinem funkelnagelneuen, blütenweißen Tropenfrack auf dem Rednerpodium am Rande der großen Arena und hielt seine schwungvolle Rede, die in den Worten aus50
klang: „So laßt uns denn, in diesem historischen Augenblick, die Gründung des ersten autonomen Staates der Menschheit auf dem Boden eines fremden Planeten vollziehen. Die VenusRepublik, sie lebe hoch – hoch – hoch!“ Jubelnd erhoben sich die Tausende der Festteilnehmer von ihren Plätzen. Stehend erlebten sie den feierlichen Augenblick, als am hohen Fahnenmast die Flagge des S.A.T. niedergeholt wurde, und gleich darauf das Banner des neuen Staates – mit dem astronomischen Zeichen der Venus in Silber auf blauem Grund – emporstieg. Eine Blaskapelle intonierte die neue Nationalhymne, die Conan Fletcher höchst persönlich komponiert hatte. Die Melodie war offenbar aus einem Marsch von Sousa und Richard Wagners „Rienzi“ zusammengesetzt. Dem armen Peter Hagen, der das Pech hatte, dicht neben der großen Trommel zu stehen, sträubten sich die Haare. Unwillkürlich mußte er an die Worte seines Landsmannes Wilhelm Busch denken: „Musik wird oft nicht schön empfunden, weil sie stets mit Geräusch verbunden.“ Doch auch diese Prüfung ging vorüber. Das Publikum nahm wieder Platz, und eine Abordnung biederer Venus-Siedler marschierte auf, um ihrem verehrten Mitbürger Conan Fletcher die Präsidentenwürde anzutragen. Der dicke Fletcher dankte gerührt. Erneuter Beifall. Sodann erklomm Staatssekretär Owen das Podium, um die Glückwünsche des „Weltbundes der freien Nationen“ zu überbringen und die „Interplanetarische Union“ zwischen Erde und Venus auszurufen. Peter Hagen begann schläfrig zu werden. Seine Augen suchten Fritz Wernicke, der in seiner Nähe saß und eine todunglückliche Grimasse schnitt. Plötzlich riß schmetternde Marschmusik ihn in die Gegenwart zurück. Conan Fletcher nahm den Vor51
beimarsch der planetarischen Miliz ab. Stämmige Siedlersöhne stampften in Dreierreihen im Gleichschritt am Podium vorbei, das Gewehr geschultert. Den fehlenden Schliff ersetzten sie durch Begeisterung. Den Abschluß bildete die Artillerie. Sie bestand aus ein paar alten, ausrangierten Atomwerfern von Anno Tobak, die von Ackerschleppern durch den Staub der Arena gezerrt wurden. Noch einmal meldete sich Präsident Fletcher zum Wort. Er kündigte die Ernennung des ersten Ehrenbürgers der VenusRepublik an: „Jim Parker, der Kommodore des Weltraums, der verdienstvolle Erschließer unseres Planeten!“ Die Musik spielte den Jim-Parker-Raketenmarsch, und die Gäste sangen begeistert mit. Doch so sehr man ihn auch suchte und rief – Jim Parker war nirgends zu entdecken. * Unweit der Siedlung und des Festplatzes, auf einem schmalen Felsvorsprung am Ufer des Silbernen Stroms, saß der Gesuchte, in tiefen Gedanken versunken. Jim Parker hörte nicht das Lärmen der begeisterten Menge, er vernahm auch nicht das Rauschen des Flusses, der zu seinen Füßen quirlend dahinschoß. Vor seinem geistigen Auge stiegen bunte Bilder auf, Erinnerungen an längst vergangene Abenteuer, die er dereinst auf dem wilden, feindseligen Boden des Abendsterns erlebt hatte. * „Kommodore, wo stecken Sie denn nur? Wir suchen Sie überall …“ Conan Fletchers vorwurfsvolle Stimme riß ihn aus seinen *
Siehe UTOPIA, 12. Band: „In den Dschungeln der Venus", und 14. Band: „Siedler auf fremdem Stern"
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Träumen. Lächelnd wandte er sich dem Dicken zu, dessen einstmals schneeweißer Festanzug jetzt völlig durchgeschwitzt an seiner Leibesfülle klebte. „Nicht böse sein, Fletcher. Ich brauchte ein bißchen Ruhe und frische Luft. Zunächst also meinen herzlichsten Glückwunsch! Als alter Kamerad wissen Sie am besten, daß er aus aufrichtigem Herzen kommt.“ Fletcher dankte mit Tränen in den Augen. „Und nun, Kommodore, habe ich die große Freude. Sie als ersten Ehrenbürger unseres jungen Staates zu begrüßen.“ Nun war es Jim Parker, der vor Verlegenheit bis über beide Ohren rot wurde. Er konnte dem anderen nur bewegt die Hand schütteln. „Danke, Fletcher.“ Langsam schritten die beiden am Ufer des Stromes entlang, der Siedlung zu, die sich mehr und mehr mit dem fröhlichen Getümmel der Besucher füllte. Conan Fletcher war merkwürdig schweigsam. Jim fühlte, daß irgendeine Sorge sein Herz bedrückte. „Was ist los, Fletcher? Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“ Der dicke Venus-Präsident blieb stehen und wandte sich seinem Begleiter voll zu. Sein Gesicht war ungewöhnlich ernst. „Es handelt sich um Urania, Kommodore. Sie werden gehört haben, daß man vor einigen Wochen versuchte, das Atomwerk zu überfallen.“ „Mortimer erzählte mir davon. Eine mysteriöse Geschichte. Wie ich hörte, haben Sie den Angriff abwehren können?“ „Wir haben die Schufte vertrieben. Sie entkamen mit ihren Landungsraketen …“ „… und werden sich bestimmt hüten, wiederzukommen. Meinen Sie nicht auch, Fletcher?“ „Wahrscheinlich haben Sie recht, Kommodore.“ „Na also. Und was bedrückt Sie noch?“ „Nur eine Kleinigkeit, Kommodore.“ Conan Fletcher seufzte 53
schwer. „Wir fanden in Urania alles so ziemlich unversehrt vor. Nicht einmal die geheimen Forschungsunterlagen waren angerührt worden. Nur eine Kleinigkeit fehlte, wie gesagt: Die hochbrisante HY-Atom-Munition, die – aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen – noch von früher her in einem besonders gesicherten Bunker lagerte. Weiß der Teufel, in wessen Hände sie geraten ist.“ * Es war schon spät in der Nacht, als Doris mit Peter Hagen die große, aus dem Holz gewaltiger Urwaldriesen errichtete Stadthalle von Silverfield verließ, in der sich die Festteilnehmer bei Musik und Tanz zusammengefunden hatten. Die Nacht war drückend und schwül. Kein Lufthauch regte sich. Am westlichen Horizont ballten sich Gewitterwolken zusammen. In der Ferne, über dem Bergland, wetterleuchtete es. Doris, von einer leisen, unerklärlichen Angst befallen, klammerte sich fester an Peters Arm. Schweigend gingen sie durch den kleinen Park der Siedlung, der bei Tage durch die tropische Pracht seiner Blüten das Auge jedes Besuchers entzückte. Jetzt lag er tot und reglos da. Peter dachte an den vergangenen Tag zurück. Es waren schöne Stunden gewesen, die er mit Doris verbracht hatte – hier, in der fremden, bunten Welt eines anderem Planeten. Keinen Mißklang hatte es zwischen ihnen gegeben. Vielleicht lag es daran, daß Jim Parker sie völlig ungestört gelassen hatte. Der Kommodore war während des ganzen Tages auf unerklärliche Weise unsichtbar geblieben. „Woran denken Sie, Peter?“ Peter Hagen seufzte. „Ach, Doris, wenn ich Ihnen doch alle meine Gedanken verraten könnte. Wenn ich doch zu Ihnen sprechen dürfte, wie es mir ums Herz ist.“ 54
Doris antwortete nicht sogleich. Und mit jedem Augenblick, der verstrich, sank auch Peters Hoffnung. Schließlich sagte sie: „Daran kann Sie doch niemand hindern, Peter. Nur weiß ich nicht, ob Sie es nicht eines Tages bereuen müßten, wenn Sie sich mir so eng anschlössen. Was wissen Sie denn im Grunde von mir?“ Ihre Stimme hatte bitter geklungen, als sie diese Worte aussprach, und Peter schwieg eine Weile betroffen. Doch dann zwang er sich zu einem Lächeln. „Das ist es ja gerade, was ich in tiefster Seele bedauere, Doris. Ich weiß tatsächlich nicht viel von Ihnen. Da wird es doch wirklich allerhöchste Zeit, das Versäumte nachzuholen.“ Sie blieb mit einer Plötzlichkeit stehen, die ihn verblüffte. „Wünschen Sie es sich lieber nicht, Peter.“ In diesem Augenblick flackerten die ersten Flächenblitze des drohenden Gewitters über den Himmel. In ihrem ungewissen Schein sah Peter Doris’ bleiches Gesicht, sah ihre Augen groß und rätselhaft auf sich gerichtet. Er wollte etwas sagen, doch plötzlich wurden hinter ihnen eilige Schritte laut, und eine wohlbekannte Stimme rief spottend: „Bei allen Planeten – der Feuervogel! Scheint sich in einen Nachtvogel verwandelt zu haben. Na, nichts für ungut, schöne Señorita. Kommt. Kinder, kommt! Müssen uns verdammt beeilen, wenn wir noch trocken heimkommen wollen. Diese Venusgewitter haben es in sich. Ihr ersauft wie die Katzen, wenn ihr im Freien vom Regen überrascht werdet. Los – Tempo –, Tempo!“ Kaum hatten sie die gedeckte Veranda des Gästehauses erreicht, das ihnen als Unterkunft diente, als – nach einem schmetternden Blitz- und Donnerschlag – der Regen wie eine geschlossene Wand vom Himmel stürzte. Fritz Wernicke verschwand für einen Augenblick im Innern der Halle und kam mit einer Flasche und Gläsern zurück. 55
„Setzt euch noch ein bißchen, Kinderchen. Jetzt sollt ihr eine besondere Spezialität kennenlernen: ‚Atomfeuer’ heißt das Zeug – das schärfste Feuerwasser, das es auf diesem Planeten gibt.“ Sie nahmen an einem Tischchen nahe der Hauswand Platz und hoben die Gläser. Peter hatte ein Gefühl, als ränne ihm flüssiges Blei durch die Gurgel. Die Augen wollten ihm schier aus dem Kopf quellen. Doris, die nur einen winzigen Schluck genommen hatte, verschluckte sich fürchterlich. Nur Fritz Wernicke tat, als hätte er kühles, erquickendes Quellwasser getrunken. „Eine tolle Nacht“, konstatierte er und fülle sein Glas von neuem. „Ja, wer das hier nicht miterlebt hat, weiß überhaupt noch nicht, was ein Gewitter ist. Seht es euch nur an, dieses himmlische Feuerwerk! Eintritt frei, Ladies and Gentlemen. Prost!“ Doch mitten in der Bewegung hielt er inne und starrte verblüfft auf einen Punkt am Himmel. Rotglühend tauchte da etwas aus dem Gewölk hervor. Das war kein Blitz, das war … „Ein Raumschiff!“ schrie Peter Hagen und stürzte an die Brüstung der Veranda. „Sehen Sie doch, Herr Wernicke! Es glüht ja über und über.“ „Ein Raumschiff – bei allen Planeten! Ein Schiff mit Kugelbehältern. Wie kommt denn das hierher, in die Venusatmosphäre? Der Käpten muß verrückt geworden sein. Das Schiff ist verloren!“ „Da – noch ein Schiff – ein drittes! Was hat das zu bedeuten, Wernicke?“ Ein greller Doppelblitz zuckte plötzlich über den Himmel. Zwei der glühenden Schiffsrümpfe waren explodiert. Dumpf polterte das Geräusch der Detonationen und mischte sich mit dem Toben des Gewitters. Das dritte Raumschiff brach jetzt auseinander und taumelte – in einzelne Teile zerlegt – in die Sümpfe am Südufer des Silbernen Stroms hinab. 56
„Das können nur Schiffe aus unserem Geleitzug gewesen sein, die wir in einer Kreisbahn um Venus zurücklassen mußten, weil sie in der Venusatmosphäre nicht landen konnten. Aber es ist mir unbegreiflich, wie es zu dieser Katastrophe kommen konnte.“ Durch das Rollen des Donners klang jetzt nah und fern das Klagen der Alarmsirenen. Fritz Wernicke wandte sich um. Sein Gesicht war ungewöhnlich ernst. Aufmerksam betrachtete er Doris La Paz, die auf ihrem Stuhl zusammengesunken war und das Gesicht mit den Händen bedeckt hielt. „Unser Feuervogel hat schlappgemacht. Na, ist wohl auch kein Wunder. Bringen Sie die junge Dame auf ihr Zimmer, Peter, und kommen Sie dann schleunigst wieder herunter. Wir müssen den Kommodore suchen.“ * Im Hauptquartier des Venus-Sicherheitsdienstes herrschte bereits Hochbetrieb, als Jim Parker und Conan Fletcher den Dienstraum Oberstleutnant Lyons betraten. „Schon nähere Einzelheiten bekannt, Lyon?“ „Die Meldungen sind noch sehr spärlich, Kommodore. Von verschiedenen Beobachtern wurde der Absturz von drei Raumschiffen in der weiteren Umgebung von Silverfield gemeldet. Außerdem kam ein Anruf aus dem Norden. In Station Olympia will man eine Himmelserscheinung gesehen haben, die möglicherweise ebenfalls als abstürzendes Raumfahrzeug gedeutet werden könnte.“ „Haben Sie irgendwelche Schritte eingeleitet, Oberstleutnant?“ „Ich habe einen Suchtrupp über den Strom nach Süden geschickt.“ 57
„Wird bei diesem Wetter nicht viel Erfolg haben“, brummte Fletcher und starrte in die regendurchtoste Nacht hinaus. „Funksprüche, SOS-Rufe oder etwas Ähnliches wurden wohl nicht aufgenommen?“ „Nein, Kommodore. Unsere Station hat wegen des Gewitters abgeschaltet. – Einen Moment, bitte.“ Der Offizier nahm den Hörer vom Tischtelefon und lauschte angespannt auf die Worte, die durch das Krachen des Donners nur schwer zu verstehen waren. Dann wandte er sich lebhaft den beiden anderen zu. „Wir werden gleich mehr wissen, Gentlemen. Die Flugleitung teilt soeben mit, daß eine Landungsrakete vom ‚Mercury’ niedergegangen sei.“ „,Mercury’? Das ist doch eins von unseren S.A.T.-Schiffen.“ „Steuermann Langdon befand sich mit zwei Begleitern an Bord. Ich habe veranlaßt, daß er uns auf dem schnellsten Wege hergebracht wird.“ „Gut, Lyon. Und was gedenken Sie inzwischen zu tun?“ Der Sicherheitschef zuckte die Schultern. „Im Augenblick kann ich kaum etwas unternehmen, Kommodore. Wie Sie wissen, beschränkt sich meine Zuständigkeit auf den Boden des Planeten Venus.“ Jim Parker mußte daran denken, was Fletcher ihm vom Überfall auf Urania erzählt hatte. „Ja, eben“, nickte er ahnungsvoll, „eben deshalb rate ich Ihnen, den Planeten schnellstens in Verteidigungszustand zu setzen.“ * Charles Langdon war noch völlig verstört, als er im Dienstraum des Venus-Sicherheitschefs Jim Parker, Conan Fletcher und dem Oberstleutnant Lyon gegenübersaß. Seine Hände öffneten und schlossen sich unaufhörlich, aber er merkte es nicht. Fritz Wernicke, der in diesem Augenblick mit Peter Hagen 58
eintrat, zwinkerte verständnisvoll. Er langte eine Flasche „Atomfeuer“ aus der Tasche und hielt sie dem Kameraden unter die Nase. „So, nun trinken Sie erst mal, old chap. Und dann schießen Sie los!“ Der scharfe Schnaps bewirkte einen Hustenanfall, aber Langdon faßte sich schnell und begann seinen Bericht. „Es ging alles so schnell. Wir saßen eben noch ganz gemütlich im Führerraum des ‚Mercury’ beim Skat, als die Kerle plötzlich über uns her waren.“ „Welche Kerle denn?“ fragte der Oberstleutnant unfreundlich. „Wollen Sie sich nicht etwas deutlicher ausdrücken?“ Der Kommodore gebot ihm durch einen Wink, zu schweigen. Steuermann Langdon dachte nach. „Na, die – vom Fliegenden Holländer natürlich.“ In das betretene Schweigen hinein klang Jim Parkers ruhige Frage: „Haben Sie Widerstand geleistet?“ „Dazu war es zu spät. Sie bedrohten uns mit Atomwaffen und zwangen uns, die Schutzanzüge anzulegen. Dann wurden wir aus dem Schiff gestoßen und zum ‚Holländer’ hinübergebracht.“ „Haben Sie den Käpten gesehen?“ fragte Jim gespannt. „Allerdings, aber ich kannte ihn nicht. Ein hagerer Bursche, etwa Mitte der Fünfzig, mit glattrasiertem Gesicht, grauem Haar und eiskalten Augen, der fortgesetzt ‚Hölle und Teufel!’ schrie.“ „Wurden noch weitere Gefangene eingebracht?“ „Ein paar Mann von den A.I.C.-Schiffen noch, Kommodore. Alle anderen Besatzungen hatten sich zur Wehr gesetzt, und ihre Schiffe waren vernichtet worden.“ „Wie war das möglich? Sämtliche Wachmannschaften verfügten doch über Atomwaffen.“ „Der ‚Holländer’ war uns allen überlegen. Seine Waffen hat59
ten eine größere Reichweite. Bevor unsere Schiffe ihn in Schußweite ihrer Werfer hatten, brannten sie schon über und über. Es war entsetzlich.“ „Hatte der Kapitän außer seiner Flucherei auch noch irgend etwas anderes zu sagen?“ Charles Langdon blickte sich scheu um, ehe er weitersprach. „Er trug mir eine Botschaft an Mister Fletcher auf. Dann mußten wir in eine Landungsrakete steigen und Silverfield ansteuern.“ „Wie lautet die Botschaft?“ fragte Conan Fletcher mit belegter Stimme. „Der ‚Holländer’ verlangt die bedingungslose Übergabe des Planeten. Er erwartet Ihr Kapitulationsangebot morgen mittag, 12 Uhr Mittlerer Venus-Zeit, auf dem Funkwege.“ „Und wenn wir nicht kapitulieren?“ „Dann wird er ab 12.15 Uhr alle größeren Siedlungen auf Venus mit jenen Atomgeschossen bombardieren, die vor ein paar Wochen aus einem Bunker in Urania verschwunden sind.“ * Jäh war die Festesfreude auf Venus verklungen. Das fröhliche Getümmel war vom Heulen der Alarmsirenen verscheucht worden. Ratlos drängten sich die Gäste von der Erde in den Straßen Silverfields, in denen noch die Nässe des niedergegangenen Regens dampfte. Gerüchte schwirrten hin und her. Niemand wußte etwas Genaues, aber jeder fühlte die verborgene Drohung, die irgendwo in der Dunkelheit lauerte. Über die Hauptstraßen rasselten Kettenfahrzeuge des Sicherheitsdienstes. Milizsoldaten eilten nach den Sammelplätzen. Scheinwerfer tasteten mit ihren Geisterfingern den verhängten Himmel ab. Und so, wie in Silverfield, ging es auch in den zahlreichen kleineren Siedlungen zu, die sich im Laufe der Jahre – als Vor60
posten der Zivilisation – immer tiefer in Dschungel und Urwald vorgeschoben hatten. Der ganze Planet Venus wurde in Verteidigungszustand versetzt. Jim Parker hatte das Hauptquartier verlassen. Er versprach sich von den Abwehrmaßnahmen der wackeren Venusbevölkerung nicht viel Erfolg. Wenn man den Angriff aus dem Weltraum abwartete, war sowieso alles verloren. Es gab nur eine Chance: Man mußte den Angreifer draußen im Raum stellen, mußte ihn mit solcher Plötzlichkeit überraschen, daß er nicht mehr dazu käme, seine überlegenen Waffen einzusetzen. Jim Parker war entschlossen, das Wagnis auszuführen. Draußen, auf dem großen Flugfeld am Silbernen Strom, lag die „Solar System“. Ihre aerodynamische Form gestattete es, Start und Landung direkt auf dem Boden eines jeden Planeten vorzunehmen, der von einer Lufthülle umgeben war. Der Kommodore hatte Wernicke und Hagen vorausgeschickt, damit sie das Schiff startklar machen sollten. Er selbst wollte bald folgen. Doch zuerst galt es noch, von Doris Abschied zu nehmen. Als er das Gästehaus in der Main Street betrat, dämmerte bereits der Morgen. Über dem Osthorizont leuchtete eine Wolkenbank im roten Schein des nahenden Sonnenaufgangs. Jim stieg die Treppe in den ersten Stock empor und klopfte leise an Doris’ Tür. Doch auch auf sein zweites, energischeres Klopfen hin kam keine Antwort. Jim drückte die Klinke nieder. Die Tür war nicht verschlossen. Der Raum war vom Licht der abgeblendeten Nachttischlampe nur schwach erhellt. Mit dem Rücken halb zur Tür, saß Doris am Tisch, nahe dem Fenster. Sie hatte einen winzigen Apparat vor sich stehen und flüsterte in einer seltsamen Sprache vor sich hin. Von Zeit zu Zeit antwortete eine blechern klingende Stimme aus dem Apparat in derselben Sprache. Es war Jim Parker, als griffe eine eisige Hand nach seinem 61
Herzen. Eine innere Stimme wollte ihn zurückhalten, doch er beachtete sie nicht. Mit zwei, drei raschen Schritten war er hinter Doris La Paz. Das junge Mädchen sprang auf. Klirrend zerbrach der Apparat auf dem Fußboden … … und der Kommodore starrte verblüfft in das böse, kreisrunde Auge der kleinen Waffe, die Doris ihm entgegenhielt. „Ein seltsamer Empfang“, bemerkte er spöttisch. „Darf ich wohl fragen, welchem Zweck der nette, kleine Geheimsender diente, der nun leider den Weg alles Irdischen gegangen ist?“ „Fragen dürfen Sie – aber eine Antwort können Sie nicht von mir erzwingen.“ „Stimmt – das würde meine Befugnisse überschreiten. Aber Oberstleutnant Lyon wird Sie dazu zwingen. Inzwischen wurde nämlich der Ausnahmezustand über Venus verhängt.“ Doris’ Lippen zitterten. Ihre Augen, deren Farbe in dem ungewissen Licht unablässig zu wechseln schien, füllten sich mit Tränen. Die Pistole entsank ihrer Hand. „O Jim, wie furchtbar ist das alles! Glauben Sie mir doch: Ich habe nichts Schlimmes getan. Ich habe nur versucht, ihm zu helfen, weil er doch – mein Vater ist.“ „Ihr Vater? Von wem reden Sie denn eigentlich?“ „Von Kapitän Benno Hunter, den Sie den ‚Fliegenden Holländer’ nennen.“ Jim Parker stand da, wie vom Donner gerührt. Doris La Paz, die Frau, der er – wie keiner anderen zuvor – sein Herz und sein Vertrauen geschenkt hatte, die Tochter jenes Gesetzlosen, des vogelfreien Abenteurers des Weltalls? Halb betäubt, ließ er sich auf den Stuhl sinken, auf dem kurz zuvor noch Doris mit dem Piraten über den geheimnisvollen Taschenapparat Zwiesprache gehalten hatte. Doris faßte sich nach und nach. Sie stand vor Jim, an den Tisch gelehnt, und begann hastig und abgerissen zu erzählen: 62
„Er heißt in Wirklichkeit nicht Hunter. La Paz ist unser richtiger Name. Wir stammen aus Roswell, New Mexico. Schon in jungen Jahren trat Vater beim S.A.T. ein. Er hatte große Zukunftspläne und fühlte sich in seiner Stellung enttäuscht. Später ging er zur A.I.C. nach Sydney, doch fand er auch dort nicht, was er suchte. Da geriet er den Agenten der ‚Weltenmacht Urania’ in die Hände …“ „Aha – und wahrscheinlich versprach man ihm goldene Berge, falls er in den Dienst dieser weltweiten Gangsterorganisationen einträte.“ „Man bot ihm ein eigenes Kommando an, und er konnte der Versuchung nicht widerstehen. Damit nahm das Unheil seinen Lauf. Als die Uraniden in den Kämpfen um Mars vernichtet wurden, gelang es Vater, der seinen Namen mit ‚Hunter’ vertauscht hatte, mit seinem Flugkreisel zu entkommen. Er wurde zwar von einem Patrouillenschiff des S.A.T. gestellt und geriet in Gefangenschaft, konnte sich aber befreien und das Schiff in seinen Besitz bringen.“ „Stimmt. Es war der ‚Hyperion’. Um ein Haar hätte ich Ihren Herrn Vater dann doch noch erwischt – damals, als wir den Planetoiden Ganymed ausräucherten. Wir mußten ihn leider entkommen lassen, weil wir hinter einem edleren Wild her waren …“ * „Durch die Zerstörung des Ganymed verlor Vater seinen letzten Stützpunkt“, fuhr Doris fort. „Seitdem irrt er durch den Raum, ohne Ruhe und Rast …“ „Und häuft Verbrechen auf Verbrechen“, rief Jim Parker bitter. „In dieser Nacht sind die Transportschiffe, die mit uns zur Venus gefahren sind, seinem Anschlag zum Opfer gefallen. Sehen Sie hier“ – Jim Parker sprang auf, riß den Vorhang zur Seite und deutete auf einen Trupp Milizsoldaten, der im Gleichschritt vorbeimarschierte –, „die Siedler der Venus mußten zu den *
Siehe UTOPIA. 42. Band: „Alarm in Luna IV"
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Waffen greifen, um ihre Heimat gegen neue Schandtaten dieses Ungeheuers zu verteidigen.“ Doris zuckte zusammen. Ein Schluchzen erschütterte ihren Körper. „Er hofft, auf Venus eine neue Heimat zu finden. Können Sie Ihn denn gar nicht verstehen, Jim? Kann es überhaupt ein grausameres Schicksal geben, als das seine? Wie furchtbar muß es doch sein, ewig gehetzt zu werden, nirgends einen Platz zu haben, an dem man Ruhe findet …“ „Dann soll er doch den Schneid aufbringen, sich der Weltpolizei zu stellen“, sagte Jim Parker kalt. Er blickte auf das schluchzende Mädchen hinab, und in seinem Herzen kämpften Mitgefühl und Liebe gegen einen übermächtigen Zorn. Vom Turm der kleinen Kirche von Silverfield klangen acht Glockenschläge durch die frische Luft des strahlenden Morgens. Acht Uhr – noch vier Stunden und fünfzehn Minuten, dann sollte das Unheil über Venus hereinbrechen. Um diese Zeit mußte Benno Hunter mit seinen Komplicen vernichtet und ausgerottet sein. Es gab keine andere Wahl. Leise ging Jim zur Tür. Aber Doris hatte es doch gehört. Sie wirbelte herum und versperrte ihm den Weg. „Wohin, Jim?“ „Zum Flugplatz. Ich starte mit der ‚Solar System’.“ „Sie wollen ihn vernichten, Jim. Oh, ich weiß es: Sie wollen ihn töten.“ Sie krallte die Hände verzweifelt in seine Schultern. Jim Parker machte sich los und schob sie behutsam zur Seite. „Ich kann nicht anders. Wenn ich dem Kampf mit ihm ausweiche, wird hier auf Venus in wenigen Stunden die Hölle los sein.“ „Und wenn Sie nun selbst untergehen in diesem Kampf, Jim?“ „Jeder Kampf kann der letzte sein. Wir müssen stets bereit sein. Und sollte dies für mich das letzte Abenteuer sein – nun, dann habe ich wenigstens meine Pflicht erfüllt. Leben Sie wohl, Doris.“ 64
* Um 12.00 Uhr Mittlerer Venus-Zeit sollte Conan Fletcher über den Sender Silverfield die Kapitulation des Planeten anbieten. Fünfzehn Minuten später würde die Frist ablaufen, die der Fliegende Holländer gesetzt halte. Und dann würde das Verderben vom Himmel stürzen … Der Sender Silverfield schwieg. Drei Minuten nach zwölf Uhr fuhr ein brüllendes, feuriges Phantom in den milchigen Mittagshimmel. Die „Solar System“ startete, von starken Schubraketen getrieben, zur Verfolgungsjagd in den Raum. Jim Parker hatte das Schiff mit Freiwilligen bemannt. Auch Charles Langdon, der Steuermann des „Mercury“, hatte sich gemeldet. Er brannte vor Begier, mit den Piraten abzurechnen, die ihn so schmählich übertölpelt hatten. Das Schiff war klar zum Gefecht. Die Mannschaft, mit Weltraumschutzanzügen bekleidet, hatte die Gefechtsstationen besetzt und lag an den schußbereiten Atomwaffen in Bereitschaft. Fritz Wernicke saß am Steuer. Er sprühte vor Unternehmungslust. Langdon saß im zweiten Pilotensitz, um sofort einspringen zu können, falls der Steuermann ausfiel. Ganz vorn, im Beobachtungsturm, bediente der Kommodore die Elektronenoptik. Peter Hagen kauerte neben ihm. Er fühlte sein Herz klopfen in der Erwartung der kommenden Dinge. „Wir haben ihn!“ frohlockte der Kommodore und deutete auf den Bildschirm. Im Fadenkreuz stand ein winziges, seltsam geformtes Gebilde. „Stärkere Vergrößerung, Peter!“ Peter führte den Befehl aus. Ein erstaunter Ausruf kam über seine Lippen. „Das soll ein Raumschiff sein, Kommodore?“ Jim Parker lachte grimmig. „Ein Raumschiff? Nein, das ist eine Weltraumstation.“ 65
„Aber Venus hat doch gar keine Außenstation.“ „Bisher nicht. Aber dieser Hunter, der ‚Fliegende Holländer’, hat in aller Eile eine zusammengebastelt. Von hier aus will er offenbar seine Operation gegen Venus leiten. Kein schlechter Gedanke übrigens.“ Peter erkannte jetzt deutlich, woraus die „Außenstation“ bestand: Hunter hatte einfach ein paar erbeutete Raumschiffe zusammenfahren lassen und auf diese Art einen primitiven, künstlichen Mond geschaffen. „Funkspruch von Kapitän Hunter“, meldete sich Funker Teddy aus dem Lautsprecher. „Er fordert Fletcher letztmalig zur Übergabe auf. In drei Minuten sei die Frist abgelaufen.“ Drei Minuten – dreimal sechzig Sekunden … Würde die Zeit reichen? Entschlossen richtete sich der Kommodore auf. Seine Befehle kamen knapp und scharf. „Maschine stop! Bremsraketen klar! Backbordwache klar zum Entern. Atomwerfer III und IV – Feuer!“ Von drüben, aus dem Gewirr der ineinander verkeilten Schiffsrümpfe, blitzte es ein paarmal auf. Pfeifend entwich die Luft durch die Lecks, die von den feindlichen Geschossen in die Wände der „Solar System“ geschlagen wurden. Doch schon waren die Männer des Dichtungstrupps zur Stelle und preßten Kautschukplatten auf die Löcher. Und dann spien die eingebauten Atomwerfer der „Solar System“ ihre grellgrünen Strahlen. Peter Hagen sah, wie drüben ganze Wandteile gleichzeitig aufglühten, wie die strahlende Glut weiter und weiter fraß. Plötzlich brüllte Fritz Wernicke mit überschnappender Stimme: „Jim, Menschenskind, wenn da drüben die HY-Munition losgeht …“ „Ruder hart Steuerbord! Maschine äußerste Kraft voraus!“ Mit gellender Stimme schrie der Kommodore die Befehle. 66
Ein furchtbarer Stoß ging durch das Schiff. Peter stürzte nieder, eine ungeheure Last schien auf ihm zu liegen und alle Luft aus seinen Lungen zu pressen. Er fühlte noch, wie die „Solar System“ wild zu stampfen und zu schlingern begann, hörte noch das Scheppern berstenden Metalls … Dann wurde es schwarz vor seinen Augen. * „Diesmal warst du das Karnickel, Benno.“ Kapitän Corrys Stimme klang schadenfroh im Kopfhörer, als Benno Hunter in der Funkstation des „Hyperion“ saß, um mit der „Stella“ die neue Lage zu besprechen, die durch die Vernichtung der „Venus-Außenstation“ entstanden war. „Das war nicht vorauszusehen, Corry.“ „Jedes Kind konnte es sich an den Fingern abzählen“, widersprach Corry. „Es war doch wohl die selbstverständlichste Sache der Welt, daß Jim Parker nicht tatenlos zuschauen würde, wenn wir uns anschickten, ihm und seinen Freunden auf Venus Bömbchen aufs Haupt zu schmeißen.“ „Wenn es jedes Kind wußte, warum hast du es dann nicht gewußt, Corry?“ Hunters Stimme klang gehässig. „Werde mich schwer hüten, dir gegenüber noch einmal eine eigene Meinung zu äußern. Was ich tue, ist ja bekanntlich doch immer falsch.“ „Hölle und Teufel! Jetzt langt mir’s aber.“ Krachend fiel Hunters Faust auf die Tischplatte. „Hast wohl wirklich nichts Besseres zu tun, als törichte Redensarten anzubieten, he?“ „Na schön, Hunter. Kommen wir zur Sache. Was soll nun weiter geschehen? Die Herrschaft über Venus werden wir wohl nun abschreiben müssen.“ „Ich bewundere deinen Scharfsinn, Corry. Hast du auch schon bemerkt, daß wir verfolgt werden?“ 67
„Gewiß, die ‚Solar System’ ist hinter uns her. Liegt aber weit zurück. Diesem Parker muß der Schreck gehörig in die Glieder gefahren sein, als ihm unsere Station um die Ohren flog.“ „Unterschätze ihn nicht, Corry. Der Bursche ist zäh und anhänglich.“ „Laß ihn nur kommen, Hunter. Er ist schließlich nur allein, und wir sind zu zweit und nehmen ihn einfach in die Mitte.“ „Bilde dir nur nicht ein, daß er lange allein bleiben wird, du Greenhorn! Hölle und Teufel! Ich möchte wetten, er hat uns schon die Weltraum-Kontrolle entgegengehetzt. Schätze, in Erdnähe wird man uns einen warmen Empfang bereiten.“ „Damned. Das sind ja Aussichten. Und was hast du nun weiter vor?“ „Wir müssen durch –, koste es, was es wolle. Und dann mit Höchstgeschwindigkeit weiter. Wenn wir die Zone der Planetoiden erreichen, sind wir gerettet. Dieses Fahrwasser kenne ich wie meine Tasche. Da spürt uns so leicht niemand auf.“ „Und wenn uns dieser Parker doch aufstöbert?“ „Der Teufel hole ihn! Dann fliegen wir eben weiter. Meinetwegen bis ans Ende der Welt. Lebendig soll er mich nicht kriegen.“ „Bravo, Hunter! Mich kriegt er auch nicht. Weiter also – bis ans Ende der Welt!“ * Um ein Haar wäre es um die „Solar System“ geschehen gewesen. Es hatte der ganzen Kunst und Erfahrung Fritz Wernickes bedurft, um das Schiff aus dem Trümmerhagel der explodierenden „Raumstation“ sicher herauszumanövrieren. Und als ihm das schließlich gelungen war, war das Schiff so gründlich aus seiner Bahn geschleudert worden, daß es erst in weiter Kurve zur Venus zurückgesteuert werden mußte. 68
„Landen wir?“ fragte Wernicke. Der Kommodore hantierte am Elektronenteleskop. Lange schwieg er. Dann befahl er mit tonloser Stimme, auf Erdkurs zu gehen. „Auf Erdkurs? Was soll das heißen, Jim?“ „Das heißt, daß uns der ‚Hyperion’ abermals durch die Lappen gegangen ist. Die Station ist hinüber, und Venus ist außer Gefahr. Aber irgendwie ist es dem Kerl gelungen, uns zu entwischen. Ich erkenne ihn deutlich im Teleskop.“ „Es scheint wirklich der Fliegende Holländer zu sein“, meinte Fritz Wernicke trocken. „Ein Geisterschiff, das niemand fassen kann.“ „Wir müssen ihn aber fassen, Fritz. Es wird nicht eher wieder Ruhe und Sicherheit im Weltraum geben, bis dieser Schurke ausgelöscht ist.“ „Richtig, Jim. Auf ihn mit Gebrüll!“ Dia „Solar System“ nahm die Verfolgung auf. Zunächst ereignete sich nichts. Die Tage vergingen im gewohnten Einerlei des Borddienstes. Es kam nur darauf an, den Verfolgten nicht aus dem Gesichtsfeld zu verlieren und den Abstand allmählich zu verringern. Am fünften Tage machte Peter Hagen, der die Wache im Beobachtungsraum hatte, eine seltsame Entdeckung. Aufgeregt holte er den Kommodore herbei. Der blickte lange und angestrengt ins Okular. „Sie haben recht, Peter. Wir haben es tatsächlich mit zwei Gegnern zu tun. Das vorausfahrende Schiff ist zweifellos der ‚Hyperion’, und das andere – Thunderstorm! – das kann, der Bauart nach, nur die ‚Stella’ sein.“ Nachdenklich schritt Jim Parker durch den Hauptgang der „Solar System“. Nun wurde ihm manches klar. Wenn der Fliegende Holländer gleichzeitig am Erdmond und in Venusnähe gesichtet worden war, so lag es eben daran, daß es sich in Wirk69
lichkeit um zwei verschiedene Schiffe handelte, die gemeinsam operierten. Das erschwerte die Verfolgung natürlich. Höchste Zeit, die Weltraum-Kontrolle mobilzumachen, um eine Sperre zu legen und ein Ausbrechen eines der beiden Schiffe zu verhindern. Im Begriff, die Funkstation zu betreten, prallte Jim mit einer Gestalt zusammen, die flink an ihm vorüberhuschen wollte. Sie trug die übliche, hellblaue Kombination der Raumfahrer des S.A.T. Unter der Dienstmütze quoll eine Fülle braunroten Haars hervor. „Doris! Ja, wie kommen Sie denn an Bord?“ „Ich hielt es nicht mehr aus, Jim. Ich konnte nicht allein zurückbleiben, ich war so furchtbar verzweifelt.“ „Wir sind auf Feindfahrt, Doris …“ „Ich weiß es, Jim. Was hat es schon zu sagen?“ „Eine ganze Menge sogar. Blinde Passagiere sind im Raumschiff ohnehin höchst unerwünscht. Erwischt man sie jedoch in einer Situation wie der unsrigen, dann pflegt man sie als Spione zu behandeln und bei nächster Gelegenheit dem Sicherheitsdienst zu übergeben. Es steht nicht in meiner Macht, mit Ihnen eine Ausnahme zu machen.“ „Ich weiß, Jim. Ich will Sie auch nicht daran hindern, Ihre Pflicht zu tun.“ Mutlos ließ sie den Kopf sinken. „Beim leibhaftigen Mondkalb! Ist denn das die Möglichkeit? Der Feuervogel!“ Gänzlich verdattert kam Fritz Wernicke den Gang entlanggestolpert. „Ein verdammt anhängliches Tierchen, das muß ich schon sagen.“ „Es ist wohl das berufliche Interesse“, log Jim Parker. „Als tüchtige Reporterin glaubt sie, überall dabeisein zu müssen, wo was los ist.“ „Mein lieber Jim“ – der Kleine zwinkerte mißtrauisch –, „ich muß schon sagen, daß mir das ‚berufliche Interesse’ der jungen Dame allmählich auf die Nerven geht. Was soll nun mit ihr ge70
schehen? Wir sind doch schließlich so etwas wie ein Kriegsschiff. Willst du sie etwa am Atomgeschütz ausbilden lassen?“ „Miß La Paz kann sich nach Belieben an Bord bewegen“, entschied der Kommodore. „Nur Führerstand, Maschinenraum und Funkstation darf sie nicht betreten. Und du, mein lieber Fritz, sorgst dafür – daß sie ausgebootet wird, sobald wir ‚Luna nova’ erreichen.“ * In der Leitstelle der Internationalen Weltraum-Kontrolle in Nordafrika ging alles drunter und drüber. Vor zehn Tagen war urplötzlich ein Funkspruch von Bord der „Solar System“ eingetroffen, der einiges Aufsehen erregt hatte. In knappen Worten hatte Kommodore Parker erklärt, er befände sich auf der Verfolgung des „Flying Dutchman“, und dieses Gespenst des Weltraums steuere mit zwei Schiffen – dem „Hyperion“ und vermutlich der „Stella“ – von Venus kommend der Erde zu. Er bäte darum, mit allen verfügbaren Patrouillenschiffen eine Sperre in fünf Millionen Meilen Distanz von der Erde zu legen, um die flüchtigen Piratenschiffe abzufangen. Der tüchtige Einsatzchef der I.W.K., ein ehemaliger amerikanischer General namens Hopkins, war begeistert. Und da er sich für einen großartigen Strategen hielt, ging er sofort nach eigenen Plänen ans Werk. So kam es. daß – an Stelle der einen Sperre in fünf Millionen Meilen Abstand – zwei Sperren in sechs und drei Millionen Meilen Erddistanz gelegt wurden. Und es kam weiter, wie es kommen mußte: Beide Sperren waren jetzt so weitmaschig, daß Hunters Schiffe hindurchschlüpfen konnten, ohne auch nur in Reichweite der Patrouillenfahrzeuge zu kommen. General Hopkins fluchte wie ein Droschkenkutscher, als er vom Mißlingen seines genialen Feldzugsplans erfuhr. Er 71
scheuchte seine Mitarbeiter durcheinander, gab hundert Befehle und widerrief sie in der nächsten Minute. Bald wußte im I.W.K.-Hauptquartier kein Mensch mehr, was gespielt wurde. Es trat erst wieder Ordnung ein, nachdem die Funker Sprechverbindung mit der „Solar System“ hatten, und Jim Parker sich persönlich aus dem Weltall meldete: „Ein schönes Tohuwabohu, Mister Hopkins. Welches Hornvieh hat denn diesen verrückten Schlachtenplan ausgedacht?“ „Aber erlauben Sie mal, Mister Parker …“ „Gar nichts erlaube ich. Hatte ich mich in meinen Anordnungen nicht klar genug ausgedrückt?“ „Gewiß, aber ich dachte …“ „Denken ist bekanntlich Glückssache. Und nun hören Sie mal schön zu und führen Sie genau das aus, was ich Ihnen sage: Rufen Sie sofort Ihre Patrouillenschiffe zurück. Sie kurven mir nämlich so kopflos vor der Nase herum, daß ich jeden Augenblick eine Karambolage befürchten muß. Klar?“ „Jawohl, Mister Parker, aber …“ „Kein Aber, wenn ich bitten darf. Und nun zu Punkt zwei: Sorgen Sie dafür, daß ich den ‚Pluto’ vorfinde, wenn ich an der Außenstation eintreffe. Das Schiff muß volle Besatzung haben und vollbetankt sein und unverzüglich abfahren können, sowie ich das Startzeichen gebe.“ * Der „Pluto“ war das modernste unter den Versuchsraumschiffen des S.A.T., eigens für Fernfahrten konstruiert und mit dem neuen, elektrischen Triebwerk ausgerüstet. Man hätte ihn als ein Schwesterschiff der „Solar System“ bezeichnen können, wenn er diese nicht anderthalbfach an Größe übertroffen hätte. Jetzt lag der „Pluto“ startbereit auf der „Außenreede“ von „Luna nova“. Sämtliche Reservetanks waren mit Treibstoffen 72
gefüllt. Die Besatzung war vollzählig an Bord und fieberte ihrem Einsatz entgegen. Nur einer fehlte: der Kommandant, der das Schiff auf seiner gefahrvollen Reise führen sollte; denn unter allen Raumschiffskapitänen, die seit Jahr und Tag im Dienst des S.A.T. fuhren, befand sich kein einziger, der mit dem neuartigen Triebwerk umzugehen verstand. Als Jim Parker die Nachricht erhielt, stand sein Entschluß fest. Fritz Wernicke mußte das Kommando des „Pluto“ übernehmen, und der junge Peter Hagen sollte ihm dabei zur Seite stehen. Henri Lasalle, der sich auf ein Wiedersehen mit dem Kommodore gefreut hatte, sah sich bitter enttäuscht. Als die „Solar System“ in Sichtweite der Station kam, lief lediglich ein Funkspruch ein: „Senden Sie sofort zwei Raumtaxi. Höchste Eile geboten! Parker.“ Die Raumtaxi rasten mit feurigen Schweifen der „Solar System“ entgegen und legten an der Schiebetür der Backbordschleuse an. Ein paar Gestalten wurden übernommen. Dann schloß sich die Luftschleuse, und die „Solar System“ setzte ihre Fahrt fort. „Glück auf den Weg, Kommodore!“ ließ Lalasse durch die Blinkanlage morsen. Aber von dem Raumschiff kam keine Antwort. Der Kommodore hatte nur einen Gedanken: die Zeit wieder aufzuholen, die er beim Ausbooten verloren hatte, und wenn es auch nur Minuten gewesen waren. Kaum hatte das eine der Raumtaxi Wernicke und Hagen zum „Pluto“ gebracht, als auch dieses Schiff sich in Bewegung setzte und der „Solar System“ folgte. Indessen steuerte das zweite Taxi direkt auf die Station zu. Nur eine einzige, vermummte Gestalt saß außer dem Piloten darin. ‚Ein blinder Passagier’, hatte es in dem knappen Funkspruch des Kommodores geheißen, der am Vortage eingegangen war … 73
Jim Parker ruhte nicht eher, als bis er die Raumschiffe der Verfolgten wieder im Fadenkreuz seiner Optik hatte. Dann richtete er sich aufatmend auf und ging in den Führerraum, um Charles Langdon die nötigen Anweisungen zu geben. Gewissenhaft überprüfte er alle Instrumente. Plötzlich kam ihm ein Gedanke: „Ich sollte mich eigentlich bei Lasalle für seine guten Wünsche bedanken“, sagte er und begab sich zur Funkstation. „Hören Sie, Teddy, rufen Sie doch mal ‚Luna nova’ an: Parker an Lasalle … Ja, zum Teufel, sehe ich den Gespenster?“ „Dank für das Kompliment, Kommodore. Als Gespenst hat mich bisher noch kein Mann bezeichnet, nicht einmal der galante Mister Wernicke …“ Jim Parker starrte fassungslos auf das junge Mädchen, das auf dem Platz des Bordfunkers saß und ihn mit einem leicht spöttischen Ausdruck anlächelte. „Doris – ich dachte, Sie wären in ‚Luna nova’ geblieben?“ „Sie haben sich eben getäuscht, Jim. Die Gestalt, die mit dem Raumtaxi das Schiff verließ, war nicht ich. Es war der Funker Teddy. Seien Sie ihm nicht böse. Er hatte großes Heimweh, und wäre es nicht jammerschade um das junge Kerlchen gewesen, wenn er ‚von Feindfahrt nicht zurückgekehrt’ wäre?“ „Wie meinen Sie das?“ „Nun, Jim, es sollte mich wahrhaftig nicht wundern, wenn diese wahnsinnige Fahrt geradenwegs in die Hölle führen würde.“ Der Kommodore starrte sie wortlos an. Doris war sehr ernst geworden. Doch schon stahl sich wieder ein kleines Lächeln in ihre Augen. „Nehmen Sie statt seiner mit mir fürlieb, Jim. Ich verstehe auch etwas von der Funkerei.“ „Ja, das habe ich bereits auf Venus feststellen können“, sagte Jim Parker grimmig. 74
* Doris La Paz war in der kleinen Funkstation der „Solar System“ eingeschlafen. Der Dienst, den sie an Bord zu versehen hatte, war zwar nicht sonderlich anstrengend – er beschränkte sich auf den geringfügigen, routinemäßigen Funkverkehr mit dem „Pluto“ – aber je länger die Reise dauerte, je mehr die heimatliche Erde im Gewimmel der Sterne zusammenschrumpfte, desto mehr fühlte Doris eine bleierne, nie gekannte Mattigkeit von ihrem Körper Besitz ergreifen. Ein leiser Summton riß Doris in die Wirklichkeit zurück. Mechanisch stülpte sie sich die Hörer über die Ohren und meldete sich. Wie aus weiter Ferne flüsterte eine wohlbekannte Stimme Worte in einer seltsamen Sprache. Das junge Mädchen war sofort hellwach. „Vater, bist du es?“ „Ja, mein Kind. Was gibt es Neues bei euch?“ „Vater, ich bitte dich: Gib es doch auf! Diese wahnsinnige Jagd führt uns alle ins Verderben – dich, mich und alle, die bei uns sind.“ Ein höhnisches Lachen war die Antwort. „Gern, mein Kind, wenn mir dein neuer Chef sein Ehrenwort gibt, daß mir und meinen Leuten nichts geschieht.“ „Du verlangst Unmögliches, Vater. Denke doch daran, was alles geschehen ist.“ „Nun, dann lassen wir’s eben. Wir fühlen uns jedenfalls noch sehr wohl auf diesem netten, kleinen Ausflug ins All. Und dein tüchtiger Parker sollte das Rennen getrost aufgeben. Mich holt er doch nicht ein. Ich fahre weiter – Hölle und Teufel – wenn’s sein muß, bis ans Ende der Welt. Hahahaha!“ Doris fühlte all ihren Mut schwinden. Noch lange klang in 75
ihren Ohren dieses wahnsinnige Lachen. Tagelang folgten ihr noch die furchtbaren Worte: „… bis ans Ende der Welt!“ * Und weiter ging die rasende Verfolgungsjagd im All. Aus Tagen wurden Wochen. Unmerklich fast wuchsen die Entfernungen zu Millionen und Abermillionen von Meilen. Losgelöst aus dem Bann der Erde rasten die Schiffe den Grenzen des Sonnenreichs entgegen. Längst war die Erde zu einem Stern unter unzähligen anderen geworden. Sie passierten die Marsbahn, ohne allerdings dem roten Planeten zu begegnen, der zu diesem Zeitpunkt hinter der Sonne stand. Das Reich der Planetoiden tat sich vor ihnen auf. Benno Hunter hatte gehofft, im Gewirr der zahllosen Kleinplaneten untertauchen und die lästigen Verfolger abschütteln zu können. Aber er sah seine Erwartungen enttäuscht. Die Fahrtgeschwindigkeit war bereits so phantastisch angewachsen, daß jedes Manövrieren auf engem Raum unmöglich geworden war. So blieb ihm nichts anderes übrig, als auf der einmal gewählten, parabolischen Bahn weiterzufliegen – schneller und immer schneller – in der schwachen Hoffnung, daß den Verfolgern der Mut sinken oder der Treibstoff ausgehen würde. Aber die Verfolger waren zäh. Und sie holten von Tag zu Tag sichtbar auf. Wie es den Schiffen gelang, das Gebiet der Kleinplaneten mit dieser märchenhaften Geschwindigkeit zu passieren, ohne einem Zusammenstoß mit kosmischen Trümmerstücken zum Opfer zu fallen, blieb ewig ein Rätsel. Es kam der Tag, an dem Jim Parker Doris vom Fenster des Beobachtungsraumes aus den Riesenplaneten Jupiter zeigen konnte, der – umgeben vom Reigen seiner zwölf Monde – majestätisch seine Bahn zog. 76
Weiter ging die endlose Jagd. Wieder verstrich Woche um Woche. Als die Schiffe die Bahn des Ringplaneten Saturn passierten, ließ der Kommodore einen letzten Funkspruch an den „Hyperion“ durchgeben: „Geben Sie auf, Hunter. Sie rennen todsicher in Ihr Verderben.“ Die Antwort bestand nur aus zwei kurzen Worten: „Sie auch!“ Da ging der Kommodore zum Angriff über. An Bord des „Hyperion“ merkte man zunächst nicht viel von Jim Parkers Absichten. Doch plötzlich stieß Benno Hunter, der sich an der Feineinstellung der Elektronenoptik zu schaffen machte, einen Fluch aus. „Hölle und Teufel! Sie fahren die Strahlengeschütze aus.“ „Der Abstand verringert sich von Minute zu Minute, Käpten“, meldete der Posten am Distanzmesser. „Tatsächlich! Parker dreht unheimlich auf. Damned! Was ist denn das? Was macht denn der ‚Pluto’ für Kapriolen?“ „Der will wohl türmen, Käpten? Hahaha, die Schulte kriegen Angst vor Ihrem eigenen Mut.“ Einer der Verfolger – es war tatsächlich der „Pluto“ – hatte unvermittelt die bisherige Bahn verlassen und war seitwärts mit Höchstgeschwindigkeit davongestürmt. Ein Hohngelächter durchbrauste die Räume des „Hyperion“. Die Männer drängten sich johlend an den Fenstern und riefen dem „Pluto“ Spott- und Schimpfworte nach. Eine Weile konnte man noch mit bloßem Auge das Heckfeuer des Schiffes erkennen. Dann verglomm es in der Sternenfülle des Alls. Die Besatzung des „Hyperion“ kehrte auf ihre Gefechtsstationen zurück. Die Zeit tropfte eintönig dahin. Unmerklich schrumpfte die Sonnenscheibe am Firmament mehr und mehr zusammen. Die „Solar System“ holte weiter auf. Aber sonst geschah nichts Besonderes … 77
… bis zu jenem Augenblick, als der Ausguck mit aufgeregtem Gebrüll Kapitän Hunter in den Beobachtungsraum rief und zitternd auf den Bildschirm wies: „Käpten – ein fremdes Raumschiff steuerbord voraus!“ Benno Hunter war sofort im Bilde. „Hölle und Teufel! Wenn das nicht dieser verdummte ‚Pluto’ ist. Klar, ist er’s! Die Schufte haben uns überholt. Jetzt werden wir von achtern und von vorn zugleich angegriffen. Alarm!“ „Käpten, die ‚Stella’ ruft um Hilfe.“ Das bleiche Gesicht des Funkers Valente tauchte in der Türöffnung auf. „Ja – verdammt noch mal – wir kommen ja schon. Bis dahin muß Corry sich allein helfen. Hölle und Teufel! Soll er doch gefälligst zeigen, was er kann.“ Kapitän Corry wehrte sich, so gut er konnte. Deutlich sah man das Mündungsfeuer der Atomgeschütze am Bug der „Stella“ aufblitzen. Aber der Gegner, der so überraschend aus dem Nichts aufgetaucht war, manövrierte so geschickt, daß Corry keinen tödlichen Treffer landen konnte. Und dann leuchteten die Strahlenwaffen des „Pluto“ auf … „Käpten – die ‚Stella’!“ Die Stimme des Ausgucks überschlug sich. Hunter zerbiß einen Fluch. Wortlos starrte er auf das grausige Bild. Die „Stella“ war verloren. Über und über glühte die Schiffswand in grünlichem Feuer. Jetzt erschütterten Explosionen den Rumpf. Die Glut mußte die Treibstoffe erreicht haben. „Käpten, die ‚Solar System’ greift an!“ Nun war es also soweit. Noch das scheußliche Bild vom Untergang der „Stella“ vor den Augen, wandte Benno Hunter seine Aufmerksamkeit wieder dem Verfolger zu, der – mit allen Waffen feuernd – von achtern herangeschossen kam. „Heckbatterie – Schnellfeuer!“ Weiter holte der Verfolger auf. Das Abwehrfeuer schien ihm nicht viel anzuhaben. Dafür wurden jetzt aus verschiedenen Abteilungen des „Hyperion“ Treffer und Brände gemeldet. Das 78
heftige Pendeln der Barometerzeiger deutete auf immer neue Lecks in der Schiffswand hin, durch welche die kostbare Atemluft in den leeren Weltraum entströmte. Jeden Augenblick konnte das Schicksal des „Hyperion“ besiegelt sein. Sekunden noch, dann würde auch der „Pluto“ nahe genug heran sein und das Feuer von vorn eröffnen. Das also war das Ende … Doch plötzlich flackerten Hunters Augen in höhnischem Triumph. Eine unglaublich abenteuerliche Idee war ihm gekommen. Noch verfügte er über eine Geheimwaffe, von der sich die da drüben nichts träumen ließen … Mit raschen Bewegungen öffnete er einen verborgenen Wandschrank. Er nahm eine flache, runde Blechschachtel heraus, wie man sie zur Aufbewahrung von Filmen benützt. Dann stürzte er in die Funkstation. „Schnell, Valente, setzen Sie den Fernsehsender in Gang.“ „Nanu, Käpten – wollen Sie denen etwa Filme vorführen?“ „Erraten, Valente. Sie sollen einen Streifen zu sehen bekommen, bei dem ihnen vor Rührung die Augen übergehen. Los, Mann, beeilen Sie sich!“ Während Valente das Gerät einschaltete, ließ Hunter sich vor der Funkapparatur nieder. Er stellte die Sprechverbindung zur „Solar System“ her. * „Vater, bist du es?“ Bleich und völlig aufgelöst vor Angst und Verzweiflung saß Doris La Paz in der Funkstation der „Solar System“ vor ihren Geräten. Durch das Schiff dröhnte der Gefechtslärm. Sie wußte: Die Stunde der letzten Entscheidung war gekommen. Jim Parker – oder Benno Hunter, der ihr Vater war: einer von beiden würde diese Schlacht nicht überleben. 79
„Doris, Doris, hör zu und führe genau das aus, was ich dir jetzt sage!“ „Ich – kann nicht, Vater! So laß mich doch in Ruhe. Es ist ja doch alles aus.“ „Noch ist nichts verloren, mein Kind. Du brauchst nur eine Kleinigkeit zu tun. Schalte den Fernsehempfänger im Führerraum ein.“ „Ich will nicht, Vater, ich mache nicht mehr mit. Was soll das Ganze überhaupt?“ „Es geht um mein Leben. Willst du am Tode deines Vaters schuld sein?“ Doris brach in Schluchzen aus. Und wieder war da die Stimme – drängend und beschwörend: „Dir und dem Schiff passiert nicht das geringste, wenn du es tust. Und mich, deinen Vater, rettest du vor dem sicheren Tod.“ Die Stimme war verstummt. Doris fuhr auf, starrte entsetzt auf den schweigenden Lautsprecher … „Vater!“ War er vielleicht schon tot? Einem mörderischen Atomgeschoß zum Opfer gefallen? Und sie hatte durch ihr Zögern vielleicht seinen Tod verschuldet. Was hatte er ihr doch befohlen? Ach ja, der Fernsehempfänger im Führerraum … Mit fliegenden Fingern legte sie ein paar Schalter um. * Der Kommodore beobachtete verbissen die Ausweichmanöver des „Hyperion“. Dieser Hunter wehrte sich mit dem Mut der Verzweiflung. Schon war sein Schiff schwer angeschlagen, und wenn Fritz Wernicke erst mit dem „Pluto“ heran war – es konnte sich nur noch um Minuten handeln – war es um den „Hyperion“ geschehen. Jim Parker ließ den Blick über die Skalen der Instrumente 80
wandern. Es war auch höchste Zeit, daß diese Jagd ein Ende fand. Die Treibstoffe würden sonst nicht für die Heimkehr zur Erde reichen. Wahrscheinlich würde es ohnehin notwendig sein, eine Anleihe beim „Pluto“ zu machen. Plötzlich erschütterte ein fürchterlicher Stoß die „Solar System“. Jim stürzte schwer zu Boden und rutschte gegen die Rückwand des Beobachtungsraumes. Halb betäubt versuchte er, sich aufzurichten. Wir haben einen Volltreffer erhalten, war sein erster Gedanke. Doch nein – das war wenig wahrscheinlich. Der furchtbare Andruck ließ nicht nach, er wuchs von Sekunde zu Sekunde. Irgend etwas mußte mit dem Triebwerk passiert sein. Mühsam stemmte er sich hoch, rutschte und taumelte in den Führerraum und arbeitete sich zum Pilotensitz hin. „Langdon – um Himmels willen! Sind Sie verrückt geworden?“ Langdon antwortete nicht. In seltsam starrer Haltung saß er vor der Steuerung. Seine Hände glitten mechanisch über die Tastatur. Der Kommodore folgte der Richtung der seelenlosen Augen. Sein Blick fiel auf den Fernsehapparat. Und in diesem Augenblick fühlte er, wie es ihm eiskalt nach dem Herzen griff … Auf dem Bildschirm leuchtete geisterhaft ein fahles Gesicht. Unheimliche Augen waren auf den Mann am Steuer gerichtet, hielten ihn in ihrem Bann. Jetzt öffneten sich die schmalen Lippen zu einem Befehl. Jim Parker glaubte zu träumen. Er kannte dieses Gesicht. Keinem anderen gehörte es, als jenem Doktor Knowland, der zu Lebzeiten übernatürliche hypnotische Kräfte besessen hatte, und der ein gewaltsames Ende fand, als er versuchte, sich in den Besitz des Erdmondes zu bringen. * Doch wie kam der jetzt hierher? Er war doch längst tot? Plötzlich fiel es Jim wie Schuppen von den Augen. Was er *
Siehe UTOPIA, 42. Band: „Alarm in Luna IV"
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dort sah, war nichts anderes als ein Film. Irgend jemand hatte eine Art Fernsehsendung inszeniert, und der arme Langdon war der Hypnose eines Mannes erlegen, der gar nicht mehr lebte. Mit einem gewaltsamen Satz erreichte der Kommodore den zweiten Pilotensitz. Seine Hände tasteten nach Hebeln und Schaltern. Das Bild auf der Fernsehröhre erlosch. Vom Achterschiff peitschte ein dumpfer Knall herein. Im gleichen Augenblick wich der furchtbare Andruck einer völligen Schwerelosigkeit. Die Tür flog auf. Der leitende Ingenieur taumelte herein, in zerrissener Kombination und mit Brandwunden bedeckt. „Kommodore, wir sind verloren! Das elektrische Triebwerk ist durchgeschmort.“ * „Halten Sie die Richtung, Herr Wernicke! Ich habe den ‚Hyperion’ wunderschön im Visier.“ Der junge Peter Hagen glühte vor Kampfeslust. Fritz Wernicke, der am Steuer des „Pluto“ saß, versuchte, durch die Beobachtungsfenster des Führerraums die „Solar System“ zu erspähen. „Wir sollten uns mit einem Erfolg zufrieden geben, Peter. Wollen wir den anderen nicht dem Kommodore überlassen?“ „Wenn jetzt nichts geschieht, entkommt er uns.“ „Na, dann geben Sie Feuer.“ Peter hatte gut gezielt. Der grellgrüne Strahl des Buggeschützes traf den „Hyperion“ genau in der Mitte. Der breite Antennengürtel schmolz dahin. Die Schiffswand glühte auf im Atomfeuer. Eine vernichtende Detonation blies den Schiffsrumpf auseinander. Ein donnerndes Hurra brauste durch die Räume des „Pluto“. „Auftrag ausgeführt“, stellte Fritz Wernicke sachlich fest. 82
„Endlich ist der Weltraum von dieser Pest befreit. Möchte nur wissen, warum Jim Parker sich nicht mehr ’rangehalten hat.“ „Die ‚Solar System’ ist nirgends zu sehen“, meldete der Ausguck voller Bestürzung. „Machen Sie keine Witze, Mann!“ Fritz Wernicke winkte Peter ans Steuer und stürzte in den Beobachtungsraum. Hastig suchte er den Himmel mit einem lichtstarken Instrument ab, doch auch er konnte das Schiff des Kommodores nicht entdecken. „Versuchen Sie’s mal mit Radar!“ Sekunden bangen Schweigens vergingen. Endlich sagte der andere:
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„Ich glaube, ich habe das Schiff. Richten Sie das Elektronenteleskop bitte auf 2 Grad nordwestlich Alpha Centauri.“ „Bei allen Planeten! Es ist die ‚Solar System’. Aber was ist denn – um alles in der Welt – in Jim Parker gefahren? Er stürzt ja mit dem Schiff – geradenwegs in die Unendlichkeit …“ Peter Hagen war aufmerksam geworden. „Haben Sie ihn, Herr Wernicke?“ „Ich wollte, ich hätte ihn. Die ‚Solar System’ rast mit äußerster Geschwindigkeit in die interstellaren Räume hinaus. Das Schiff ist verloren, wenn nicht ein Wunder geschieht. Funker, rufen Sie die ‚Solar System’!“ „Das Schiff antwortet nicht, Sir. Seine Sendeanlage muß ausgefallen sein.“ „Dann …“ Fritz Wernicke bot den Anblick eines Ertrinkenden. Mit einem gurgelnden Aufschrei stürzte er in den Führer83
raum zurück, fiel mit beiden Händen zugleich über das Schaltbrett her. „Was machen Sie denn da, Herr Wernicke?“ „Kurs ändern – Höchstgeschwindigkeit – müssen ihm nach – ihn retten!“ „Unmöglich, Herr Wernicke. Unsere Maschinen schaffen es nicht. Außerdem haben wir schon mehr als die Hälfte des Treibstoffs verbraucht. Wir müssen umkehren. Alles andere wäre glatter Selbstmord.“ In den verkrampften Zügen des kleinen Steuermanns zuckte es. Er schlug die Hände vor das Gesicht. Natürlich hatte der junge Hagen recht. Es wäre Selbstmord – und sogar noch Schlimmeres –, denn schließlich trug er, Fritz Wernicke, ja auch die Verantwortung für das Leben seiner Besatzungsmitglieder. „Die ‚Solar System’ gibt Lichtsignale“, rief der Posten im Ausguck. Fritz Wernicke stolperte zur Elektronenoptik. Das Schiff des Kommodores war selbst mit stärkster Vergrößerung kaum noch zu erkennen. Ein schwaches Lichtpünktchen blinkte auf und erlosch – immer wieder: kurz – lang – lang – kurz … „Versuchen Sie, die Zeichen zu notieren“, befahl Wernicke und starrte auf das Blinken, bis es vor seinen Augen erlosch. Der Beobachter reichte ihm die Meldung. „Befehl vom Kommodore, Sir.“ Und Fritz Wernicke las: „Triebwerk zerstört. Geschwindigkeits- und Richtungsänderungen nicht mehr möglich. Raumschiff ‚Pluto’ hat unverzüglich nach ‚Luna nova’ zurückzukehren. Kümmere dich um weitere Ausbildung des jungen Hagen. Grüße alle Kameraden. Leb wohl! Jim …“ Lange stand Fritz Wernicke unbeweglich. Seine Augen starrten auf das weiße Blatt, ohne es zu sehen. Und seine Gedanken waren weit, weit fort. Doch dann riß er sich gewaltsam zusammen. „Kurs Erde!“ kommandierte er. 84
Raumschiff „Pluto“ schoß mit Höchstgeschwindigkeit dem fernen Heimatplaneten zu. Im einsamen Führerraum der „Solar System“ stand im gleichen Augenblick Jim Parker, der große Sternenfahrer. Vor seinen Augen öffnete sich weit die Unendlichkeit des Weltalls. – Ende –
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Sie lesen im nächsten (49.) UTOPIA-Kleinband:
Piraten im All von James Norton Mit Riesenschritten ist die menschliche Technik zu Immer größerer Vollendung geeilt. Raumschiffe verkehren nach festem Fahrplan ferngelenkt zwischen den Planeten. Roboter nehmen den Menschen jegliche Arbeit ab. Ein künstliches Gehirn von gigantischen Ausmaßen regelt alles, was im Weltraum und auf der Erde geschieht. In dieser Welt der Roboter und Elektronengehirne hat die Menschheit das eigene Denken und Handeln verlernt. Sie ahnt nicht, welche Gefahren ihr drohen, als eine Folge gewaltsamer Ereignisse das wohlabgestimmte Uhrwerk der künstlichen Maschinenwelt zerstört.
UTOPIA-Kleinbände erscheinen vierzehntäglich SCIENCE-FICTION-Zukunftsromane, 48 Seiten, Preis 50 Pf
UTOPIA-Großbände erscheinen monatlich SCIENCE-FICTION in deutscher Sprache, 96 Seiten, 1.– DM Wissenschaftliche Zukunftsromane des XX. Jahrhunderts Sämtliche bisher erschienenen UTOPIA-Kleinbände (Jim Parkers Abenteuer im Weltraum) von Nr. 1–47 und UTOPIA-Großbände SCIENCE FICTION in deutscher Sprache Nr. 1–24 sind beim Verlag noch vorrätig. Sollten Sie die gewünschten Nummern durch Ihren Zeitschriftenhändler nicht beziehen können, dann wenden Sie sich bitte direkt (verwenden Sie hierfür bitte den umseitigen Bestellzettel) an den Verlag Erich Pabel. Rastatt (Baden). 86
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