Perry Rhodan Planeten Roman 218
Tödliche Fracht für Terra Horst Hoffmann
„Balk St Peters griff sich an den Hals, als ...
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Perry Rhodan Planeten Roman 218
Tödliche Fracht für Terra Horst Hoffmann
„Balk St Peters griff sich an den Hals, als er auf dem Boden zusammensank, hilflos inmitten explodierender Geräte und schmorender Kabel, über die winzige blaue Flämmchen huschten. Er war ein toter Mann, wenn es ihm nicht gelang, hier herauszukommen..." Als Gucky, für unbestimmte Zeit auf ein Kadettenschiff strafversetzt, den Befehl erhält, einem verstümmelten Notruf nachzugehen, ahnt er nicht, daß von seinem Einsatz weit mehr abhängt als nur das Leben von zwölf an einer unbekannten Seuche erkrankten Raumfahrern. Er deckt eine teuflische Verschwörung gegen die Erde und das Vereinte Imperium auf und weiß, daß ihm bestenfalls Stunden bleiben, um die Menschheit vor einem grausamen Schicksal zu bewahren. Ein Roman aus dem 22. Jahrhundert
Für die solare Menschheit bedeutete das 22. Jahrhundert n. Chr. ein Jahrhundert neuer Bewährungsproben, neuer Weichenstellungen und neuer Begegnungen. Die Druuf-Gefahr war endgültig gebannt. Das Solare Imperium hatte seine vollständige Autarkie gewonnen. Die terranische und solare Einheit war Wirklichkeit geworden. Terra hatte sich zur bedeutendsten Handelswelt in den äußeren Grenzbezirken der Milchstraße entwickelt. Die Beziehungen zu den Kolonialwelten Arkons und von terranischen Siedlern bevölkerten Planeten waren ausgebaut und gefestigt worden. Die Expansion der Terraner schritt unaufhaltsam fort. Das Lineartriebwerk war zur Verwendungsreife entwickelt und trug die Menschen immer tiefer in die Weiten der Galaxis hinein. Man entdeckte die Akonen. Neue Schwierigkeiten mit den Springern, Antis und Aras zeichneten sich ab. Zahlreiche Gefahrenherde auf der Erde und den Kolonialwelten mußten in aufopferungsvollem Einsatz ausgeschaltet werden. Es kam zu einem vom akonischen Geheimdienst provozierten Umsturzversuch auf Arkon. Terraner unterstützten Atlan bei der Zurückgewinnung seiner Stellung als arkonidischer Imperator. Jahre der relativen Ruhe folgten. Am 10.9.2113 wurde durch Vertragsabschluß die „Galaktische Allianz" gegründet, deren Mitglieder die Terraner, Arkoniden und Akonen waren. Die Posbis tauchten aus den Tiefen des intergalaktischen Raumes auf. Nach ersten folgenschweren Mißverständnissen gelang es Perry Rhodan im Jahre 2114, ein Bündnis mit dem Zentralplasma auf der Hundertsonnenwelt abzuschließen. Das „Große Imperium" der Arkoniden fusionierte mit dem „Solaren Imperium" zum „Vereinten Imperium". Perry Rhodan erlangte den Titel eines Großadministrators. Kurz darauf gewährte er allen Arkonkolonialplaneten das Selbstbestimmungsrecht, so daß es sich nun um unabhängige Welten verbündeter Völker handelte, der sich vertraglich dazu verpflichteten, der Galaktischen Allianz beizutreten, die im Februar 2115 ihre Tätigkeit aufnahm. Springer, Aras und das Zentralplasma mit seinen Posbis erklärten als eigenständige Völker ihren Beitritt. Wieder folgte eine lange Zeit des Friedens. Namen wie Nike Quinta, Thomas Cardif und viele andere prägten das Bild dieser Jahrzehnte. Namen von Menschen, die im verborgenen wirkten, von Männern und Frauen, die über dieses Jahrhundert hinaus die Geschicke der Menschheit bestimmten, aber auch solcher, die eine andere Art von Unsterblichkeit erlangten. Neben ihnen aber gab es all jene, durch deren Opfer der galaktische Friede erst gefestigt und gewahrt werden konnte. Ihre Namen sind Legion und doch in den seltensten Fällen in den Geschichtsbüchern der Menschheit zu finden. Zu jenen, die nicht völlig in Vergessenheit gerieten, zählen die Männer und Frauen der QUEEN JANE, die ihr Leben gaben, um millionenfachen Tod von den Menschen der Erde und unzähliger anderer Welten abzuwenden. Dies ist ihre Geschichte... 1. „Irgendwann", sagte Balk St. Peters zu David Lancer, mit dem er seine viel zu kleine Kabine teilte, „irgendwann werden wir genug Kies zusammenhaben, um uns ein Schiff zu kaufen, in dem man nicht bei jedem Bocksprung Angst davor haben muß, daß es einem um die Ohren fliegt." Lancer blickte ihn mit gerunzelter Stirn an und ließ sich in die Koje fallen.
„Irgendwann", murmelte er, „werde ich genug Geld haben, um diesen Job aufgeben und mir eine Farm auf einem dieser neu zur Besiedlung freigegebenen Planeten kaufen zu können." St. Peters lachte und winkte ab, während er in eine neue Bordkombination stieg und die alte, die völlig verschmutzt war, in eine Ecke warf. „Immer noch diese Jugendträume, David? Warte. Noch ein paar Jahre auf der QUEEN JANE, und du denkst nicht mehr daran." Lancer schob sich die Arme unter den Kopf und blickte den anderen abschätzend an. Balk St. Peters mochte an die Vierzig sein. Das genaue Alter wußte hier kaum einer vom anderen. St. Peters war der Lademeister der QUEEN JANE, und so sah er auch aus. Fettige schwarze Haare hingen strähnig in ein lange nicht mehr gewaschenes, hartes Gesicht. Grobe Hände schlössen die Kombination und hinterließen ihre Spuren darauf. Manchmal glaubte Lancer, daß St. Peters sich erst richtig wohl fühlte, wenn er Staub atmen und unten im Frachtraum im Dreck wühlen konnte. Er war groß und kräftig, in seinen Umgangsformen nicht zimperlich - eben ein Raumfahrer auf eigene Faust. Und das würde er bis an sein Lebensende wohl bleiben. Lancer verglich ihn im stillen oft mit Swalff. „Noch ein paar Jahre auf diesem Kahn, und ich wäre wie du." Er schüttelte den Kopf. „Noch ein, zwei gute Geschäfte, und ich bin weg von hier." „Abwarten. Das haben andere auch gesagt." „Du?" St. Peters zuckte nur die Schultern, ging zur Waschnische und begann mit jener Prozedur, die er „Körperreinigung" nannte, und die Lancer immer wieder mit Belustigung und stiller Verzweiflung verfolgte. Das Wasser spritzte meterweit in die Kabine. Seifenlösung benutzte der Lademeister nur in äußersten Notfällen, dann dafür aber gründlich. Sein Gesicht, die Ärmel und das Oberteil der neuen Kombination waren dick mit weißem Schaum bedeckt, als St. Peters sich umdrehte. „Wilma und Swallow sind unten?" fragte er mit zusammengekniffenen Augen. „Denke schon", sagte Lancer. Er drehte sich so auf die Seite und stützte den Kopf mit einer Hand, daß er das seltene Schauspiel in allen Einzelheiten mitverfolgen konnte. „Ich hab sie jedenfalls runtergeschickt. Allerdings verstehe ich nicht, wieso..." „Hat schon seine Richtigkeit", schnitt ihm St. Peters das Wort ab. „Was wir diesmal geladen haben, bringt uns vielleicht schon den Batzen ein, auf den du wartest." „Aber warum die Geheimniskrämerei?" Lancer zog eine Braue in die Höhe. „Wieder diese Privatgeschäfte, Balk?" „Privatgeschäfte?" St. Peters drehte sich grinsend um und bückte sich. Er brachte den Kopf unter den warmen Wasserstrahl. Er wäscht sich die Haare! Lancer machte große Augen. Was haben wir heute? fragte er sich. Seinen Geburtstag? Namenstag? Etwas anderes? „Privatgeschäfte gibt's bei uns nicht. Das müßtest du wissen, mein Junge. Oder hast du kein Vertrauen zum Alten und mir mehr?" „Naja...", begann Lancer. „Manchmal..." „Manchmal denkt ihr euch, die beiden Schlitzohren hauen euch gewaltig übers Ohr. Das weiß ich, und das weiß Swalff." St. Peters prustete. „Ist aber nicht so, David. Wilma, Swallow und du werdet ja doch so lange schnüffeln, bis ihr's rausgekriegt habt. Also paß auf. Äh... gib mir mal was zum Abtrocknen." Lancer sprang von der Koje und holte ein Tuch aus dem Spind.
„Danke. Also die Kisten. Du hast natürlich gemerkt, daß wir mehr an Bord genommen haben, als auf der Ladeliste steht. Zwanzig Kisten mit Henna-Extrakt. Wir..." „Henna-Extrakt?" St. Peters trocknete sich Gesicht und Hände ab und rubbelte sich mit dem Tuch die Haare. Er fluchte, als er sich wieder zu Lancer umdrehte. „Verdammte Seife! Da erfinden sie alles mögliche, nur nichts, das dieses Zeug überflüssig macht! Herrje, brennen mir die Augen!" „Mit Wasser ausspülen", riet Lancer. „Wasser! Wasser! Pfui Spinne! Für heute reicht's!" Er warf das Handtuch achtlos der alten Kombination hinterher. „Henna-Extrakt ist... naja, der Extrakt einer Pflanze, die nur auf Meeting-Point wächst. Es gibt da einige Burschen, die sich nebenbei etwas dazuverdienen, indem sie's aus den Henna-Bäumen herausziehen und sammeln. Per Zufall erfuhr Swalff davon. Das war vor Jahren." „Und dieser Extrakt hat einen Wert?" „Wert?" St. Peters lachte trocken. „Zufällig kennt der Alte auch einen Planeten, dessen Bewohner ganz verrückt danach sind und mit dem besten dafür bezahlen, was ihre Welt zu bieten hat." „Und rein zufällig liegt dieser Planet auf unserem Kurs", vermutete Lancer. „Richtig. Wir fliegen eine Position in der Nähe ihres unbedeutenden kleinen Sterns an und warten dort auf das Schiff der Greenies. So hat Swalff sie genannt, weil sie von oben bis unten grün sind. Sie kriegen den Extrakt, und wir dafür Edelsteine, die mehr wert sind als unsere ganze Ladung an Pischa-Mehl. Der Extrakt ist für die Greenies so etwas wie... wie Schnaps." Lancer pfiff durch die Zähne. „Rauschgift, eh?" „Unsinn! Ich dachte mir, daß du's nicht verstehen würdest. Vielleicht hast du recht und solltest dich wirklich nach einer Farm auf einem der neuen Kolonialplaneten umsehen, David. Der Extrakt ist ganz harmlos. Die Greenies verwenden ihn für irgendwelche Rituale. Er macht sie weder krank noch süchtig." „Aber legal ist dieses... Geschäft auch nicht?" fragte Lancer vorsichtig. „David, was heißt legal? Natürlich dürfen wir uns nicht erwischen lassen. Aber wenn wir die Finger davon lassen, treten die Springer an unsere Stelle. Darauf warten sie ja nur. Zum Glück hat der Alte einen Vertrag mit unseren Lieferanten auf Meeting-Point gemacht. Das war noch vor deiner Zeit. Und zum Glück halten sich unsere Partner daran. Du mußt das so sehen: Die Greenies haben ihr Vergnügen mit dem Henna-Extrakt, und die sogenannten Feinschmecker auf der Erde haben's mit dem Pischa-Mehl - vielmehr mit dem Zeug, was aus ihm gemacht wird. Wo ist da der Unterschied? Ich sag's dir: Die Greenies bezahlen besser. Das ist alles." Lancer blickte den Lademeister der QUEEN JANE skeptisch an und setzte sich auf den Rand seiner Koje. Er sah ihm zu, wie er sich die Haare fönte und anschließend Fleckentferner auf die beschmutzten Stellen der neuen Kombination gab. Balk St. Peters kämmte sich! „Geh meinetwegen zu Wilma und Swallow und erzähl ihnen alles", sagte er, als er damit fertig war und strahlte, als hätte er gerade seine doppelte Heuer erhalten. „Aber kein Wort zu den anderen. Der Extrakt wirkt nicht nur auf Greenies. Du verstehst?" Lancer nickte. St. Peters' Grinsen erstarb. „Und wenn dir das nicht paßt, dann geh und beschwere dich beim Alten!" Er blickte auf die Armbanduhr. „Ich fürchte, gehen mußt du jetzt sowieso." Deshalb also! Lancer hätte es gleich wissen müssen.
„Pamela?" fragte er. „Alva? Oder... Christine?" „Eine Dame", antwortete St. Peters schroff. „Du mußt nicht alles wissen." „Verstehe schon." Lancer stand auf und überlegte kurz, ob er sich selbst umziehen sollte. Dann zuckte er die Schultern. Wahrscheinlich würde er wieder in den Frachtraum gehen und den beiden anderen Gesellschaft leisten, die diesem groben Klotz unterstellt waren, der sich jetzt auch noch einparfümierte. Weiß der Himmel, woher er das Zeug hat! dachte Lancer. Auf jeden Fall stinkt es erbärmlich. „Ist noch was?" fragte St. Peters. Lancer blieb im Eingang der Kabine stehen. „Wirklich kein Rauschgift, Balk?" „Nichts, was dein zartes Gewissen zu belasten braucht. Ich hätte besser den Mund gehalten. Sollte es wegen unserer kleinen Abstecher eines Tages Schwierigkeiten geben, halten der Alte und ich den Kopf hin. Beruhigt?" „Viel Spaß!" wünschte Lancer und schloß die Kabinentür von außen. David Allan Lancer, 33 Jahre alt, Raumfahrer auf Zeit- in den Händen skrupelloser Geschäftemacher! Einen Augenblick überlegte er, ob er nicht wirklich zu Swalff gehen sollte. Aber was würde ihm das außer einer Abfuhr bringen? Er hatte damals nicht lange gezögert, als ihm Swalff den Job an Bord der QUEEN JANE angeboten hatte. Selbst der Anblick dieses in allen Fugen ächzenden, umgebauten Transitionsschiffs hatte ihn nicht davor zurückschrecken lassen, auf ihm ein paar Jahre im Raum zu verbringen, wo sich für Leute, die gewieft genug waren, gutes Geld verdienen ließ. Und gewieft war Menning Swalff, Kommandant und Chef der zwölfköpfigen Swalff & Co. Handelsgesellschaft. Er hatte die berühmte goldene Nase für gute Geschäfte, wenn diese sich auch oft genug am Rand der Legalität bewegten. Der Gewinn wurde unter den zwölf Besatzungsmitgliedern aufgeteilt, das heißt: eigentlich unter dreizehn. Partner Nummer Dreizehn war die QUEEN JANE selbst, benannt nach Walffs früh verstorbener Frau Jane Amaly. Das Schiff verschlang Unsummen an Reparatur- und Wartungskosten - ganz abgesehen von den Bestechungsgeldern für die verschiedenen Raumhafeninspektoren, die immer wieder alle beiden Augen zudrückten, wenn es um die üblichen Überprüfungen ging. Menning Swalff mochte ein Gauner sein - aber kein Mörder. Er war ein Mann, der ganz genau wußte, wie weit er gehen durfte. Wenn er das Geschäft mit dem HennaExtrakt machte, so war das in Ordnung, sagte sich Lancer. Aber ein Rest Unsicherheit blieb. Lancer konnte ein Gefühl nicht unterdrücken, das ihm sagte: Etwas kommt auf uns zu! Eine Verwünschung murmelnd, machte er sich auf den Weg zum Antigrav, in der Hoffnung, daß dieser noch funktionierte. Sollte Swalff das Geschäft mit diesen Greenies machen. Ihm konnte es nur recht sein. Wenn genug dabei für jeden heraussprang, war dies sein letzter Flug mit der QUEEN JANE. Vielleicht konnte er Christine doch noch dazu überreden, mit ihm zu gehen. Sie war zwar Swalffs Tochter, aber das schien ihm auch das einzige zu sein, das sie noch auf dem Schiff hielt. Wartete St. Peters jetzt auf sie? Lancer schwang sich in den Antigravschacht und ließ sich nach unten tragen. Er wollte es gar nicht wissen.
Die QUEEN JANE trieb mit Unterlicht durch den Weltraum. Der nächste Sprung würde sie mit Sicherheit zum System der Greenies bringen. Dann nahm sie Kurs aufs Solsystem. Nach Hause! dachte der junge Raumfahrer. Und dann nichts wie raus aus diesem Kahn! Etwas kommt auf uns zu... Er redete sich ein, daß seine Phantasie ihm Streiche spielte, daß er jetzt, kurz vor dem Ziel, alles auf sich zukommen sah, wovon die QUEEN JANE wie durch Wunder immer wieder verschont geblieben war. Nervosität, nichts weiter. Wilma Nehrig und Swallow Lefthand saßen auf zwei leeren Kisten im Laderaum und vertrieben sich die Zeit mit Kartenspielen. Beiden war anzusehen, was sie von ihrer momentanen Aufgabe hielten. Swallow, nicht viel älter als David selbst und indianischer Abstammung, blickte auf, als er ihn kommen hörte. „Die Ablösung", rief er. „Oder?" „Hat sich was mit Ablösung", sagte Lancer. „Wir müssen König Salomons Goldschätze bewachen." „Die Kisten?" Wilma deutete auf die zwanzig gleich neben der Ladeluke aufgetürmten Behälter. „Was ist drin? Weißt du's wenigstens?" Lancer setzte sich zu ihr und zuckte die Schultern. „Schnaps", sagte er. „Schnaps für die grünen Leute. Wir sollen verhindern, daß unsere Leute blau davon werden." Wilma und Lefthand sahen sich an. Swallow tippte sich bezeichnend mit dem Zeigefinger gegen die Stirn. „Beschwert euch nicht bei mir", murmelte Lancer. „Sagt's dem Alten. Was spielt ihr eigentlich?" Balk St. Peters schwebte in seiner Duftwolke, die zu ihm paßte wie ein Clownskostüm zu einem Kampfroboter. Als Lancer gegangen war, begab er sich noch einmal zur Waschnische und stellte sich vor den Spiegel. Die leichte Rötung seiner Gesichtshaut war noch nicht wieder abgeklungen. „Seife", knurrte er. „Verdammte Seife! Macht die Haut kaputt, und wahrscheinlich braucht man Puder, um die wieder hinzukriegen - und dann wieder Seife, um den Puder abzuwaschen. Alva, du weißt nicht, welche Opfer ich für dich bringe." Er warf einen Blick auf die Koje und grinste. „Aber zu würdigen weißt du's hoffentlich." Von allen acht männlichen Besatzungsangehörigen war St. Peters derjenige, der die meiste Energie darauf verwandte, sich seinen „Anteil" an den übrigen vieren zu holen. Nur um Swalffs Tochter machte er diesbezüglich einen Bogen. Menning Swalff ließ zwar allen an Bord soviel Freiheit wie möglich und störte sich nicht an ihren Privatvergnügen, wenn sie nur ihre Arbeit taten. Lediglich was Christine anbetraf, verstand er keinen Spaß. David brauchte sich also keine Sorgen zu machen. Die Unterhaltung von eben war schon wieder vergessen. St. Peters kannte den Jungen. Lancer war zart besaitet, zu zart für einen Geschäftsmann. Aber er hätte gebohrt und gebohrt, bis er herausbekommen hätte, was sich in den Kisten befand. Und da war es schon besser, ihm gleich reinen Wein einzuschenken. St. Peters mußte eine Viertelstunde auf Alva Mortalez warten. Auf ihr Klopfen öffnete er die Tür. Sie sah ihn an und schüttelte den Kopf.
„Ich muß mich in der Kabine geirrt haben. Oder aufs falsche Schiff gegangen sein. Du bist doch nicht... Balk?" Schnell zog er sie in die Kabine und schloß die Tür. „Da bist du überrascht, was, Mädel? Nun sieh mich nicht so von oben bis unten an. Ist es so ungewöhnlich, wenn ein Mann sich für eine Frau schön macht?" „Bei dir schon." Zögernd trat sie an ihm vorbei, blieb vor ihm stehen, musterte ihn, schnupperte und begann zu lachen. St. Peters verzog das Geweht. „Das ist sehr komisch, ja?" „Zu komisch, Balk! Du müßtest dich jetzt sehen. Du müßtest..." Ihr Lachen erstarb. „Was hast du denn mit deinem Gesicht gemacht? Und mit deinen Händen?" Überrascht hob er die Arme. Auch die Handrücken waren jetzt gerötet. „Die verdammte Seife!" fluchte er. „Hautreizung. Das geht vorbei." „Balk, niemand wird puterrot nur von Seifenlösung." „Dann bin ich eben die Ausnahme. Ich bin allergisch dagegen." Er breitete seufzend die Arme aus und machte einen Schritt auf die Technikerin zu. „Komm, vergessen wir das jetzt. Ich habe eine Flasche für uns kaltgestellt und..." Sie wehrte ihn sacht, aber entschieden ab. „Balk, mir ist etwas dazwischengekommen. Tut mir leid, aber du mußt die Flasche allein trinken oder sie verwahren. Wir holen alles nach, Ehrenwort. Aber Menning braucht mich unten. Der Antrieb... ich schätze, er macht's nicht mehr lange." „So! Der Antrieb!" St. Peters kniff die Augen zusammen. „Was versuchst du mir vorzumachen, Alva? Wen willst du zum Narren halten?" Sie starrte ihn überrascht an. „Balk, ich wollte dich nicht... ich meine, ich dachte nicht, daß du's so verdammt ernst nimmst. Am Antrieb müssen einige Teile ausgewechselt werden, bevor wir die nächste Transition durchführen. Das ist keine Überraschung für uns, das wußten wir schon auf Meeting Point. Deshalb kaufte Menning die sündhaft teuren Ersatzteile ja. Komm, Balk, benimm dich nicht wie ein Kind. Das steht dir nicht." „Und dafür habe ich mich... fast umgebracht!" knurrte er und warf der Waschnische einen vernichtenden Blick zu. Sie legte ihm die Hände um den Hals und küßte ihn lange. „Getröstet?" fragte sie dann. „Und beim nächstenmal verzichtest du auf solche Selbstmordversuche. Lebend bist du mir lieber. Wir holen's nach, abgemacht?" „Jaja", brummte St. Peters. Er lachte gezwungen. „Schon gut, Alva." Sie lachten beide. St. Peters kam sich ziemlich komisch vor, blitzsauber und gekämmt. Bevor er sich wieder unter Leute wagte, mußte sich das ändern. „Und tu was für dein Gesicht und die Hände", rief Alva, schon an der Tür. „Wirklich, Balk. Das sieht nicht gut aus. Vielleicht hast du tatsächlich eine Allergie." „Sag ich doch." Sie antwortete nichts darauf, warf ihm noch einen Kuß zu und verließ die Kabine. Balk St. Peters sah ihr nach. Dann trat er wieder vor den Spiegel. Er erschrak heftig. Alva hatte noch untertrieben. Das sah nicht nur nicht gut aus. Das sah schon zum Fürchten aus. St. Peters legte sich eine Hand auf die Stirn. Sie war heiß. Nicht nur die gesamte Gesichtsfläche war gerötet. Es war, als hätten sich rote, daumengroße Stellen gebildet, zwischen denen die Haut unnatürlich hell, fast weiß war. Und das Gesicht war aufgequollen - nicht stark, aber schon deutlich erkennbar. Eigentlich müßte ich Juckreiz verspüren, dachte der Raumfahrer.
Plötzlich verschwamm die Umgebung vor seinen Augen. Ihm wurde schwindlig und übel. St. Peters biß die Zähne aufeinander, holte tief Luft und schüttelte den Kopf, um den Spuk zu vertreiben. Er konnte erst wieder klar sehen, als er lang ausgestreckt in seiner Koje lag. Sein Herzschlag hatte sich beschleunigt. Schweiß brach ihm aus den Poren. St. Peters fluchte und streifte sich die Ärmel der Kombination hoch. Auch die Arme waren mit den roten Flecken übersät. Aber dorthin war die Seifenlösung gar nicht gekommen. Für Augenblick geriet er in Panik. Was war mit ihm los? Sollte er Swalff unterrichten oder Luciano Fama zu sich rufen? Der verstand ein wenig von Medizin. „Nein!" preßte St. Peters hervor. Er stand vorsichtig auf, machte ein paar Schritte und nickte grimmig, als der Schwindel ausblieb. Es war nur ein vorübergehender Schwächeanfall gewesen. Ganz gut, daß Alva im Maschinenraum zu tun hatte und ihn nicht sah. Plötzlich begann er zu lachen, trat erneut vor den Spiegel und grinste sich darin an. „Masern!" rief er aus. „Ich habe die Masern!" Nur so konnte es sein. Kurz überlegte er und schüttelte den Kopf. Als Kind hatte er diese Krankheit nicht gehabt. Und ausgerechnet jetzt... Sie sind ansteckend! durchfuhr es ihn. Und wenn die anderen mich so sehen, biegen sie sich vor Lachen. Das waren zwei Gründe, warum er seine Kabine vorerst nicht verlassen durfte. Drei! dachte er. Swalff machte Geschäfte mit dem Teufel, wenn das sein mußte. Aber in diesen Dingen verstand er keinen Spaß. Er würde glatt das Rendezvous mit den Greenies abblasen, wenn er davon erfuhr, daß einer seiner Leute eine ansteckende Krankheit hatte. Und damit ginge ihnen allen das Geschäft mit dem Henna-Extrakt durch die Lappen. „O nein", brummte Balk. „Wir holen uns die Steine. Danach rufe ich Luciano und lasse mich verarzten." St. Peters ging zum Interkomanschluß und rief die Zentrale, nachdem er die Optik des Bildsprechgeräts mit dem Handtuch verhängt hatte. Patrice Potazzi meldete sich. Swalff war also tatsächlich unten beim Antrieb. „Hör zu, Pat", sagte St. Peters. „Ich fürchte, ich habe einen über den Durst getrunken. Jedenfalls fühle ich mich hundeelend. Wann springen wir?" „In etwa zwei Stunden", antwortete Potazzi zögernd. „Balk, soll ich dir Luciano schicken?" „Nicht nötig. Danke, Pat. Das wird schon wieder. Ich muß mich nur für ein paar Stunden aufs Ohr legen. David weiß über die Ladung Bescheid, die die Greenies übernehmen sollen. Der Alte soll mich in Ruhe lassen. Wenn er tobt, dann sag ihm, daß ich mir seine Standpauke in ein paar Stunden persönlich anhören werde. So lange soll Lancer mich vertreten." „Wenn du meinst, Balk. Es ist deine Sache. Wieso bekomme ich kein Bild von dir?" Da war der Schwindel wieder. St. Peters schloß die Augen und wartete, bis es vorüber war. „Balk?" „Mein Anschluß ist defekt. Ich repariere das." Der Lademeister der QUEEN JANE schaltete sich aus, ehe Potazzi die üblichen Fragen nach der geheimnisvollen Fracht für die Greenies stellen konnte. Wenn es nach ihm ginge, hätte St. Peters es der ganzen Besatzung längst gesagt. Swalff
bestand darauf, daß es ein Geheimnis blieb. Er würde toben, wenn er hörte, daß nun auch Lancer Bescheid wußte - und vermutlich auch Wilma und Swallow. Wenn wir einmal erwischt werden, sollen die anderen nicht mit hineingeritten werden können, war Swalffs Argument. St. Peters legte sich hin. In einem hatte er nicht gelogen. Er fühlte sich tatsächlich hundeelend. Am 21. August des Jahres 2144 verließ die QUEEN JANE den Planeten Meeting Point, eine erst vor kurzem erschlossene Welt nahe dem Kugelsternhaufen M13. Die Frachträume des alten Transitionsschiffs waren überfüllt mit Pischa-Mehl - und eben den zwanzig Kisten, über deren Inhalt die uneingeweihten Besatzungsmitglieder so sehr rätselten. Meeting Point war ein erdähnlicher Planet, dessen besondere Bedeutung darin lag, daß dort terranische Kolonisten mit Arkoniden, Springern, Aras und Akonen auf engstem Raum zusammenlebten. Er sollte eine Begegnungsstätte zwischen den Völkern der Galaktischen Allianz sein — eine unter vielen, die den Willen zur Zusammenarbeit der Mitgliedsvölker demonstrieren sollten. Zwischen Meeting Point und Terra herrschte reger Güteraustausch. Für die mit dem neuen Linearantrieb ausgerüsteten Schiffe der großen Handelsgesellschaften bedeuteten die 33087 Lichtjahre zwischen den beiden Planeten keine Entfernung. Aber auch uralte Transitionsschiffe wie die QUEEN JANE beteiligten sich rege am gewinnbringenden Handel mit allem, was der „neue" Planet zu bieten hatte - ob dies nun hochwertige Agrarprodukte waren oder Medikamente und Drogen der Aras, technische Neuerungen oder die begehrten Häute der Diamantschlangen, die ihr Kleid mehrmals im Jahr wechselten. Von den zwölf Besatzungsmitgliedern der QUEEN JANE waren neun gleichzeitig Eigner des Schiffes. Sie hatten sich vor genau zehn Jahren zusammengetan und ihr Geld zusammengelegt, um das schrottreife Schiff zu erstehen und wieder raumflugtüchtig zu machen: Menning Swalff, ehemals Erster Offizier auf einem Kreuzer der Solaren Flotte, nun Kommandant der QUEEN JANE; Balk St. Peters, Lademeister; Barney Barnabas, Funker; Harry Melchior, Kybernetiker; Swallow Lefthand und Wilma Nehrig, mit David Lancer zusammen St. Peters' Mannschaft im Frachtraum; Luciano Fama und Patrice Potazzi, ohne fest umrissene Aufgabengebiete; schließlich Pamela Tarn, Ein- und Verkäuferin. Zu diesen neun hatten sich im Lauf der Jahre Christine Swalff, David Lancer und Alva Mortalez gesellt. Lancer und Alva Mortalez waren wie Swalffs Tochter am Gewinn beteiligt und würden auch ihren Anteil am Schiff erhalten, sollten sie zehn Jahre lang an Bord bleiben. Zumindest Lancer bekundete wenig Interesse daran. Dennoch bildeten die zwölf Raumfahrer eine verschworene Gemeinschaft. Gerade die Konkurrenz durch die großen Gesellschaften und Swalffs risikofreudige „Geschäftspolitik" schweißten sie zusammen. Spannungen traten in der Regel nur dann auf, wenn es um die Frauen oder die Verteilung des Gewinns ging, der „nebenbei" erwirtschaftet wurde. Im allgemeinen aber vertrauten die Raumfahrer ihrem Chef, auch was die gelegentlichen Abstecher zu den Greenies anging. Natürlich herrschte Unmut über die Geheimniskrämerei Swalffa und St. Peters', der sich jedoch schnell legte, wenn die Gewinnanteile auf die Konten der Besatzungsmitglieder wanderten.
Am 23. August 2144 erreichte die QUEEN JANE nach geglückter Transition das System jener kleinen gelben Sonne, deren zweiter Planet die Heimat der Greenies war. Die Entfernung zur Erde betrug noch 18124 Lichtjahre. Das Schiff wartete außerhalb des Systems. Menning Swalff ließ den üblichen Hyperfunkspruch absetzen, der von dem Empfänger aufgefangen wurde, den er den erst am Anfang der interstellaren Raumfahrt stehenden Greenies beim ersten Kontakt überlassen hatte. Die QUEEN JANE wartete... 2. Menning Swalff saß finster vor dem Hauptbildschirm der Zentrale, die ebenso merkwürdig-eigenwillig eingerichtet war wie fast das ganze Schiff. „Eigene Note" nannte der Kommandant das. Barnabas und Melchior blickten sich hinter Swalffs Rücken bezeichnend an, und Potazzi machte Christine ein Zeichen, daß sie jetzt besser den Mund halten sollte, als sie die Zentrale betrat. Swalff schwenkte seinen Sessel herum und blickte in die Runde. Seine dichten braunen Augenbrauen waren zusammengezogen. Das spärliche Haar stand ihm kraus vom Kopf ab. „Pat und Christine", sagte er, mühsam beherrscht. „Ihr beide geht jetzt und holt ihn!" „Wen?" wollte seine Tochter wissen. „Einen, der sein blaues Wunder erleben wird! Einen, der glaubt, unser Schiff sei eine Kneipe! Balk natürlich!" „Er ist angeblich betrunken", kam es von Pamela Tarn, der Seniorin der Mannschaft. Harry Melchior hatte einmal behauptet, wenn sie zum Zahnarzt ginge, müßte der ihr die Haare von den Zähnen pflücken, bevor er sich an die Arbeit machen konnte. Tatsache war, daß selbst Swalff klein beigab, bevor er sich auf einen Streit mit der Achtzigjährigen einließ. „Angeblich", knurrte Swalff. „Alva hatte nicht den Eindruck, als sie bei ihm war. Sie sagt, er wäre rot im Gesicht." Patrice Potazzi zuckte leicht zusammen. „Geht schon", sagte Pamela. „Wenn Balk blau ist, fresse ich einen Besen. Er hat's sich noch nie nehmen lassen, das Geschäft mit den Greenies höchstpersönlich abzuwickeln. Und wenn er jetzt plötzlich darauf verzichtet, wenn er sogar David in das große Geheimnis einweiht, ist etwas faul!" „Er hat... David gesagt, was ihr...?" Swalff brachte Christine mit einer Geste zum Schweigen. „Ihr wittert Morgenluft, oder? Vielleicht erfahrt ihr also bald, was wir euch ersparen wollten. Aber holt mir jetzt den Kerl! Ich will wissen, was mit ihm los ist!" Potazzi nickte dem Mädchen schweigend zu und nahm sie beim Arm. Sie machten sich auf den Weg. „Und ihr anderen, starrt mich nicht so an!" knurrte Swalff. „Bilde dir nur nichts ein", fuhr Pamela ihn an. „Was mich betrifft, so habe ich mich schon lange damit abgefunden, als Ein- und Verkäuferin der QUEEN JANE nicht zu wissen, was ihr beide..." Sie winkte ab und lehnte sich in ihrem Sessel zurück. „Er ist krank", sagte Alva Mortalez. „Allergie!"
Swalff schwieg. Mit finsterer Miene starrte er vor sich hin. Dabei entging ihm nicht, wie Pamela ihn von der Seite her musterte. Sie wußte es am besten. Sie wußte so gut wie er, daß der Erlös für ihre Ladung sie endlich in die Lage versetzen würde, ein neues Schiff zu kaufen, eine neue QUEEN JANE mit besserem Antrieb. Lange hatte Swalff davon geträumt - und nicht nur er. Er würde dem alten Kahn nachtrauern, aber das würde sich mit der Zeit geben. Und ein neues Schiff bedeutete bessere Konkurrenzfähigkeit und höhere Gewinne. Fragte sie sich schon, wann er den Befehl gab, den Flug fortzusetzen? Er sah Gespenster. Vielleicht war Balk tatsächlich krank. Dann aber konnte es sich nur um eine Lappalie handeln. Sie alle hatten vor dem Start von Meeting Point die üblichen Kontrollen passiert. Außerdem war auf dem Planeten jede bekannte Seuche undenkbar. Die Aras würden sie im Keim ersticken. Die Kontrollen der landenden und startenden Raumer waren schon selbst krankhaft zu nennen. Nein, sagte sich Swalff. Wo sollte Balk sich angesteckt haben? Wenn ihm etwas fehlte, dann war es nichts, das der Begegnung mit den Greenies im Weg stehen konnte. Und doch hatte er dieses verdammte Gefühl drohenden Unheils, das sich nicht abschütteln ließ! „Barney", sagte er mürrisch. „Frag nach, ob im Frachtraum alles in Ordnung ist. David soll sich bereithalten." Christine ging schweigend hinter Potazzi her. Irgend etwas stimmte mit ihm nicht. Es war mehr ein Gefühl als Gewißheit. Er benahm sich seltsam, sprach kaum ein Wort und wich ihren Blicken aus. „Hast du etwas, Pat?" fragte sie, als sie den Korridor erreichten, auf dem die Kabinen der Mannschaft lagen. „Wie kommst du darauf?" fragte er. „Nur so." Sie beobachtete ihn weiter, während ihre Gedanken zu David Lancer abschweiften. Sie wußte, welche Frage er ihr auf Terra stellen würde - und welche Antwort sie ihm geben mußte. Dabei war er der einzige an Bord, der ihr etwas bedeutete, mehr als sie ihm zeigte. Der einzige außer ihrem Vater. Nur sie glaubte die Einsamkeit ihres Vaters zu kennen, der den Tod ihrer Mutter nie überwunden hatte. Darum hatte sie die Universität verlassen - um bei ihm zu sein. Er hatte doch nur noch sie und das Schiff. Die QUEEN JANE würde bald endgültig auf dem Schrotthaufen landen. Christine wünschte sich, sie könnte ihren Vater dazu überreden, die Raumfahrt aufzugeben und sich mit ihrem Geld eine neue Existenz auf der Erde oder einer Kolonialwelt aufzubauen, vielleicht mit David zusammen. Aber er würde nie sein Ruhe finden. Es trieb ihn in den Raum hinaus. Er war von einer Unrast erfüllt, die sie früher nie an ihm gekannt hatte. Er hatte nie von ihr verlangt, bei ihm zu bleiben. Aber er brauchte sie. Christine Swalff, 29 Jahre alt, groß, schlank und blondhaarig; ein Mädchen, nach dem sich die Studenten in Terrania pfeifend umgedreht hatten - und auf dem besten Weg, eine alte Jungfer zu werden. Sie riß sich zusammen. Patrice hatte Balks Kabine erreicht. Die Tür stand weit offen. „Balk?" fragte Potazzi leise. Er blieb im Eingang stehen und klopfte zaghaft an die Tür. „Balk, bist du... in Ordnung?"
Wovor hatte er eigentlich solche Angst? Christine schüttelte den Kopf und schob ihn in die Kabine. St. Peters Koje war feucht. Balk befand sich nicht in seinem Quartier. „Schweiß", murmelte das Mädchen. Sie fuhr mit der Hand über die Bespannung und Laken, mit denen St. Peters sich zugedeckt hatte, und die nun zerwühlt neben der Koje lagen. „Er hat geschwitzt wie einer, der hohes Fieber hat. Er hat Fieber, Pat." „Aber... wer sagt dir das?" Potazzi blickte sich scheu um. „Alva sagte doch, daß er sich wusch. Vielleicht... vielleicht legte er sich naß in..." „Pat, das glaubst du doch selbst nicht!" Christine packte ihn an den Schultern und schüttelte ihn. „Irgend etwas ist doch los mit dir! Du redest einen solchen Unsinn...!" „Nichts!" Er streifte ihre Hände ab und machte einen Schritt zurück. „Nichts, Christine! Gar nichts!" Jetzt sah sie es. „Du bist rot im Gesicht, Pat." „Nein!" „Geh zum Spiegel und sieh dich an. Herrje, wovor hast du solche Angst? Das alles kann ganz harmlos sein. Bleib hier, wenn du willst. Ich suche ihn." Sie drehte sich auf dem Absatz um und lief auf den Korridor hinaus. Potazzi folgte ihr schnell. Sie fanden den Lademeister auf dem Korridor liegen, schwer atmend und die rechte Hand auf die Brust gepreßt. Seine Augen waren geschlossen. Die Wangen glänzten vor Schweiß. Die Kombination klebte ihm am Körper. „Balk!" schrie Christine. „Mein Gott, Balk! Hörst du mich?" Sie kniete sich und hob vorsichtig seinen Kopf an. St. Peters öffnete die Augen. Seine Lippen bewegten sich. Christine brachte ihr Ohr ganz nahe an seinen Mund. „Geht... weg", hörte sie ihn röcheln. „Geht... um Himmels willen, laßt mich allein..." „Unsinn. Balk, was...?" Sein Körper bäumte sich auf. Entsetzt wich Potazzi zurück. Balk schnappte nach Luft und griff sich wieder an die Brust. Ohne zu zögern, begann Christine mit einer Herzmassage. Es dauerte drei, vier Minuten, bis der Körper des Lademeisters erschlaffte. St. Peters atmete ruhig. Sein Herzschlag stabilisierte sich. „Wir tragen ihn in seine Kabine", rief Christine Potazzi zu. Er streckte abwehrend die Hände von sich. „Verdammt, muß ich es allein tun? Wenn du angesteckt bist, ist's sowieso zu spät! Begreifst du nicht, daß wir alle es sind?" Nur zögernd kam Potazzi näher und faßte St. Peters an den Schultern. Christine packte den Bewußtlosen an den Beinen und hob ihn an. Gemeinsam brachten sie ihn in seine Kabine zurück und legten ihn auf die Koje. „Hier!" Christine warf Potazzi ein feuchtes Tuch zu und begab sich zum Interkom. „Zieh ihn aus. Ich rufe Luciano!" Sie nahm das Handtuch von der Optik und drückte die Ruftaste. Swalffs Gesicht erschien auf dem Bildschirm. „Dad? Wir haben Balk gefunden. Er war nicht in seiner Kabine. Er war..." Unsicher blickte sie zu ihm und Potazzi hinüber. „Es ist besser, wenn Luciano sofort herkommt. Noch besser, du kommst gleich mit." „Was hat er, Chris?" „Keine Ahnung, aber es sieht schlimm aus. Deshalb soll Luciano ja kommen." Christine überlegte, ob sie Einzelheiten schildern sollte. Aber in der Zentrale hörten zu viele mit. Wie schnell Menschen, eingesperrt in einem metallenen Kasten, der
sehr schnell zum Sarg werden konnte, hysterisch wurden, hatte sie ja gerade gesehen. „Er muß es sich selbst ansehen." Swalffs Gesicht verschwand für Sekunden vom Schirm. Christine hörte ihn etwas zu jemandem sagen, das sie nicht verstand. Als Swalff wieder zu sehen war, nickte er finster. „Wir kommen, Chris." Sie hörte ein Röcheln hinter sich. Instinktiv unterbrach sie die Verbindung. Patrice Potazzi taumelte ihr entgegen, das Tuch noch in der rechten Hand. Er schwitzte, zitterte und bewegte lautlos die Lippen. Sie fing ihn auf, bevor er endgültig das Gleichgewicht verlor. Schwer lag er in ihren Armen, bis er sich wieder unter Kontrolle hatte. „Ist... schon gut, Chris", flüsterte er. „Mir war plötzlich schwindlig." Sie sagte nichts darauf, führte ihn zu einem Sessel, nahm das Tuch und trat an St. Peters' Koje. Unwillkürlich betrachtete sie ihre Hände. Menning Swalffs Gesicht war maskenhaft starr. Kein Muskel zuckte darin, als er sich erhob und Luciano Fama zu sich heranwinkte. Der kleine Mann hatte die Stirn in Falten gelegt. Swalff legte ihm eine Hand auf den Arm und blickte in die betretenen Mienen der in der Zentrale Versammelten. „Macht hier weiter", sagte er. „Harry, du vertrittst mich, bis wir zurück sind. Lancer wird jetzt doch wohl ranmüssen. Starrt mich nicht so an. Am Ende hat Balk tatsächlich nur eine... eine Seifenallergie." „Ha!" machte Pamela Tarn und zeigte dem Kommandanten einen Vogel. „Jedenfalls kann es nichts Ansteckendes sein!" Swalff war froh, als er mit Luciano aus der Zentrale heraus war. Ihm war Christines Gesichtsausdruck nicht entgangen, und er glaubte, ihn einigermaßen gut deuten zu können. Sein Gefühl, sein verdammtes, irrationales Gefühl hatte ihn nicht getrogen. „Deine Meinung, Luciano", fragte er den Schiffsdoktor auf dem Weg zum Antigravschacht. „Was ist es? Und wo könnte er sich's geholt haben?" „Ich muß ihn erst sehen", wich Fama aus. Nicht unbedingt auf Meeting Point, dachte Swalff. Wie lange lag die Landung auf Marvel III zurück? Swalff rechnete nach. Vierzehn, fünfzehn Tage. Wenn Balk sich dort etwas eingefangen hatte, eine Krankheit mit einer entsprechend langen Inkubationszeit... Aber hätten dann bei den Kontrollen auf Meeting Point nicht erste, einem Menschen noch verborgene Symptome festgestellt werden müssen? Swalff versuchte, ruhig zu bleiben, was ihm nur schlecht gelang. „Ich glaube, der erste, dem ich eine Injektion verpassen muß, bist du", sagte Luciano. „Eine Beruhigungsspritze." Swalff wußte, daß er das tun würde. Fama hatte in seinem Medizinschrank tatsächlich noch einige prähistorisch anmutende Instrumente. Für den normalen „Bedarf" reichten sein Handwerkszeug und der Inhalt der Bordapotheke aus. Aber das galt für Verwundungen, Erkältungen und ähnliche Kleinigkeiten. Die beiden Männer erreichten den Schacht, ließen sich zum Kabinendeck hinuntertragen und liefen, bis sie die offene Tür vor sich sahen. Christine sprang von Balks Koje auf und schloß die Kabine hinter Luciano und ihrem Vater. Swalff bemerkte es kaum. Mit einem Blick erfaßte er die Situation. Potazzi saß vornübergebeugt in einem Sessel und preßte sich die Hände gegen den Schädel. St. Peters lag schwitzend und bewußtlos in seiner Koje.
„Ich wollte dir's nicht über den Interkom sagen", erklärte Christine schnell. „Wir fanden Balk auf dem Korridor. Er hatte eine Herzattacke. Ich mußte ihm eine Massage geben, aber er..." Sie nahm St. Peters das Tuch von der Stirn. „Seht ihn euch selbst an. Pat hat sich schon angesteckt, und wahrscheinlich nicht nur er." Swalff schluckte, während Luciano sich über den Bewußtlosen beugte und dessen Augenlider nach oben zog, den Puls fühlte und Balks Kombination weiter öffnete. „Was ist es?" fragte Swalff leise. „Nun warte doch ab!" Christine war zu ihrem Vater getreten und hatte dessen Hand genommen. Sie blickten sich an. Christine hielt ihn zurück, als er zu Potazzi hinübergehen wollte. „Dad, was tun wir jetzt? Wirst du es den anderen sagen? Du hättest Pat erleben müssen. Er wußte, daß er angesteckt war." Swalff nickte geistesabwesend, während seine Blicke an Lucianos Händen zu kleben schienen. Für eine Handvoll Raumfahrer auf einem Schiff wie diesem gab es nur zwei große Ängste - die, daß ihnen das Schiff um die Ohren flog, und die vor dem Ausbruch einer Seuche an Bord. Die Nachricht von einer eingeschleppten ansteckenden Krankheit würde verheerende Folgen für die Moral der Besatzung haben. „Warte ab, Chris", preßte Swalff hervor. Fama richtete sich auf und kam zu ihnen. Ratlos breitete er die Arme aus. „Ich kann nichts sagen, Menning. So etwas habe ich in meinem Leben noch nicht gesehen. Balks Pulsschlag ist normal, seine Temperatur auch. Aber er schwitzt wie in einer Sauna." „Und Pat?" „Es ist wohl das beste, wir legen ihn in Lancers Koje und lassen niemand zu ihnen herein. Ich bleibe hier und sehe zu, was ich tun kann. Chris, wenn du mir meine Arzneitasche holen könntest...?" Sie blickte ihren Vater an und zögerte. Erst als Swalff ihr zunickte, verließ sie die Kabine. „Luciano?" Swalff schloß die Tür. Fama blickte ihn unsicher an, zog sich den zweiten Sessel heran und setzte sich neben Potazzi. Erst als er auch ihn kurz untersucht hatte, antwortete er: „Fest steht, daß Balk sich etwas geholt hat, und daß es ansteckend ist. Wo und wie, das weiß der Himmel. Zuerst die Hautrötung, dann Schwindelanfälle, schließlich Herzkrämpfe und Bewußtlosigkeit. Menning, wir sollten uns keine falschen Hoffnungen machen, daß dies schon alles war." Er nahm Potazzi bei den Armen. „Komm und hilf mir." Swalff packte mit an. Gemeinsam hoben sie ihn auf Lancers Koje über der von St. Peters. „Glaubst du, daß du ihnen helfen kannst?" wollte der Kommandant wissen. „Mit Antibiotika und dem anderen, was ich an Bord habe? Menning, solange ich nicht weiß, was die beiden haben, kann alles, was ich ihnen verabreiche, sie ebensogut umbringen wie heilen. Dir ist nicht bekannt, ob's auf Marvel III Kranke gab?" Swalff schüttelte den Kopf. Fama glaubte also ebensowenig wie er daran, daß St. Peters sich auf Meeting Point infiziert haben könnte. Auf Marvel III, wo die QUEEN JANE Saatgut für Meeting Point geladen hatte, lebten terranische Kolonisten. Der Planet war erst seit knapp zwanzig Jahren kolonisiert. Natürlich bestand die Möglichkeit, daß es dort noch unbekannte Viren und Bakterien gab.
„Es ist deine Entscheidung, Menning", sagte Fama. „Du allein mußt wissen, ob du die anderen jetzt schon einweihst. Früher oder später werden sie merken, was geschieht - spätestens dann, wenn wir den nächsten Kranken haben." „Gut, daß du mich daran erinnerst", knurrte Swalff. „Dein Vorschlag?" „Was immer du in den Kisten für die Greenies hast, vergiß das Geschäft und laß uns von hier verschwinden. Je eher wir im Solsystem sind, desto besser für uns alle. Ich kann wahrscheinlich gar nichts tun. Auf der Erde gibt's Ärzte, die mehr von ihrem Handwerk verstehen. Balk und Pat gehören in eine moderne Klinik." Luciano zuckte die Schultern. „Vielleicht sollten wir nach Meeting Point zurückfliegen und uns den Aras anvertrauen. Oder wir funken die Erde an und lassen uns von dort sagen, was wir tun können." Swalff schüttelte den Kopf. „Abgesehen davon, daß ich den Aras noch nie getraut habe, würden sie uns gar nicht erst landen lassen. Und bis sie uns ein Schiff geschickt hätten..." Christine kam mit einem Koffer zurück und reichte ihn Fama. „Ich muß es mir überlegen", sagte Swalff. „Du bleibst also hier?" Fama nickte. „Lancer muß auf jeden Fall im Frachtraum bleiben. Ich mache vielleicht einen Fehler, aber ich sage den anderen noch nichts. Ich..." Er winkte ab und legte Christine die Hand auf die Schulter. „Laß mich wissen, was du tust, Luciano. Ich gehe in die Zentrale und bin dann in meiner Kabine. Ruf mich nur dort." Fama nickte und blickte den beiden Swalffs hinterher, bis die Kabinentür von außen geschlossen wurde. „In deiner Haut möchte ich jetzt nicht stecken", murmelte er. „Ach was, nicht in meiner,.." Er ging zum Spiegel. Menning Swalff bat Christine, in seiner Kabine auf ihn zu warten. Dann machte er sich auf den Weg zurück in die Zentrale. Niemand sagte etwas, doch die Blicke der Raumfahrer sprachen Bände. Pamela Tarn sah ihn an wie eine gestrenge Mutter, die darauf wartete, daß ihr mißratener Sprößling seine Sünden bekannte. „Krank", erklärte Swalff. „Balk ist tatsächlich krank. Luciano ist bei ihm, Pat auch. Wahrscheinlich hat er wirklich eine Allergie. Keine Seifen-Allergie, Pamela." „Ich habe ja gar nichts gesagt", murmelte sie. „Aber gedacht. Ihr denkt alle viel zuviel. Harry, du vertrittst mich weiter. Ich bin in meiner Kabine, falls die Greenies diesmal früher als sonst kommen sollten." Sahen sie ihm etwas an? Spürten sie seine Unsicherheit? Wieso blieb Pamela so ruhig, die sonst bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf die Pauke haute? Ausgerechnet sie nickte ihm zu. „Dann geh schon. Wir kommen auch allein zurecht. Ich weiß ja, was du ausbrütest." Er kniff die Augen zusammen. „So? Was denn?" „Wann wir Kurs aufs Solsystem nehmen." Swalff murmelte eine Verwünschung, winkte barsch ab und verließ die Zentrale, nachdem er einen langen Blick auf den Hauptbildschirm geworfen hatte, auf dem die gelbe Sonne der Greenies sich deutlich unter den anderen Sternen hervorhob. Christine erwartete ihn. Sie sprang auf, als er die Kabinentür hinter sich schloß. „Setz dich wieder", sagte er, trat an den Interkomanschluß und rief den Frachtraum. David Lancers Gesicht erschien auf dem Bildschirm.
„Ich weiß Bescheid, Chef", sagte der junge Raumfahrer, bevor Swalff den Mund aufmachen konnte. „Harry hat mir alles gesagt. Wann werden die Greenies da sein?" „Ich sag's dir früh genug. Ist bei euch sonst alles in Ordnung?" Lancer zögerte mit der Antwort. Dann nickte er nur. „Ich melde mich wieder", sagte Swalff und schaltete ab. Christine sah ihn besorgt an. Swalff fluchte, ging zum Wandschrank und holte eine Flasche und zwei Becher daraus hervor. Er setzte sich zu seiner Tochter und goß sich ein. Sie legte eine Hand auf ihren Becher. „Nichts für mich, Dad", wehrte sie ab. „Glaubst du wirklich, daß das jetzt das Richtige ist?" „Für mich ist's verdammt das Richtige!" Swalff trank das Gefäß in einem Zug aus, blickte es finster an und schleuderte es fort. Er setzte die Flasche an den Mund, tat noch einige kräftige Züge und fuhr sich mit dem Handrücken über die nassen Lippen. „Jetzt hör mir zu, Chris", sagte er. Er blickte ihr in die Augen, schüttelte den Kopf und fluchte erneut. Es hielt ihn nicht im Sessel. Er stand auf und ging in der Kabine auf und ab, bis er mit einem Ruck herumfuhr und sich mit beiden Händen auf den Sesselrücken stützte. „Du weißt, was die QUEEN JANE mir bedeutet", begann er. „Chris, diesmal haben wir genug Ware für die Greenies. Ich habe all die Jahre Kopf und Kragen riskiert, um uns einmal ein richtiges, modernes Schiff kaufen zu können!" „Hör auf, Dad!" „Nein, Chris. Ich weiß doch, warum du an Bord gekommen bist. Ich wußte es doch die ganze Zeit über. Ich habe kein Recht, dir die besten Jahre deines Lebens zu rauben. Ich wollte dir etwas mit auf den Weg geben, wenn du... wenn du einmal weißt, was du selbst willst. Für den Erlös unserer Fracht hätte ich ein neues Schiff kaufen und dir genug Geld für einen Anfang auf der Erde oder einer der Kolonialwelten geben können. Du liebst diesen Strolch Lancer, und er mag dich. Chris, ich will nicht, daß du wegen einem alten Narren..." „Hör doch auf, Dad!" „Ich höre nicht auf! Es reicht, wenn einer von uns zum Griesgram geworden ist! Chris, ich muß mich jetzt entscheiden, ob ich hier auf die Greenies warte oder nicht." „Die Greenies! Ich brauche kein Geld von dir, Dad! Ich bin gern auf der QUEEN JANE, gern auf diesem alten Kahn, und..." „Der alte Kahn fliegt nicht mehr lange! Nur Alva und ich wissen, wie es wirklich um die Maschinen steht. Mit jedem neuen Flug bringe ich alle in Gefahr." „Dann mach endlich ein Ende damit!" Sie stand auf und nahm Swalff s Hände. „Wir haben soviel Zeit, über unsere Zukunft zu reden, wenn wir dies hier überstanden haben. Du darfst die Greenies nicht an Bord lassen, und das weißt du. Selbst in ihren Raumanzügen wären sie nicht sicher. Wenn wir wirklich eine Seuche an Bord haben, können die Erreger auf alle möglichen Arten transportiert werden. Ein ganzes Volk könnte an der Krankheit sterben. Du brauchst mir nichts zu bieten, Dad. Sieh zu, daß unsere Leute zur Erde kommen, bevor es zu spät ist. Mit dem, was du fürs Verschrotten des Schiffes bekommst, können wir uns zusammen irgendwo niederlassen, und für die anderen wird's auch noch reichen. Vergiß die Greenies. Mach dich nicht unglücklich, Dad!" Flehend sah sie ihn an. Swalff kämpfte um seine Beherrschung. Christine konnte ihre Tränen nicht länger zurückhalten. Schluchzend warf sie sich an seine Brust. In Swalffs Gesicht arbeitete es, als er sie an sich drückte. „Ich habe Angst", brachte Christine stockend hervor.
Längst vergessene Bilder tauchten vor seinem geistigen Auge wieder auf, während er beruhigend auf sie einredete. Er war noch im Flottendienst gewesen, als sein Kreuzer ein fahrtlos im All treibendes Schiff ortete und aufbrachte. Die gesamte Besatzung war tot gewesen, gestorben an einer unbekannten Krankheit. Sollte dies nun auch das Schicksal der Männer und Frauen von der QUEEN JANE sein? Niemals! dachte Swalff grimmig. Vielleicht ist alles ganz harmlos. Auf jeden Fall hatte Christine ihm die Entscheidung leichter gemacht. „Ist schon gut, Spatz", hörte er sich sagen. „Vielleicht mußte es einmal so kommen, um deinen Starrkopf von Vater zur Besinnung zu bringen. Wir werden nicht auf die Greenies warten. Du gehst in den Frachtraum und hältst unten die Augen offen. Alle außer David, Swallow, Wilma und natürlich Balk, Pat und Luciano werden in der Zentrale bleiben. Auf diese Weise haben wir beide sie immer im Auge. Du... du merkst doch noch nichts?" Sie löste sich von ihm und schüttelte den Kopf. Mit einer Hand wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht. „Nein, Dad. Wirklich nicht." „Wir müssen beide tapfer sein, Chris. Versuche, dir nichts anmerken zu lassen. Wenn du willst, sag David Bescheid. Vielleicht werden wir bald noch jemanden brauchen, der einen klaren Kopf bewahren kann. Der Junge ist in Ordnung." „Danke, Dad", flüsterte sie und küßte ihn. „Dann geh jetzt. Und sag mir sofort Bescheid, falls..." Sie nickte, brachte ihr Haar in Ordnung und machte sich auf den Weg. Swalff blickte ihr nach. Dann nahm er die Flasche, trank und schleuderte sie dem Becher hinterher. „Jane", murmelte er. „Du hast ein Prachtstück von einer Tochter und einen Hornochsen von einem Mann. Vielleicht kannst du mich hören, dort, wo du jetzt bist. Vielleicht siehst du deinen Alten auch eher wieder, als du..." Er trat zur Tür, als der Interkom summte. Ärgerlich ging Swalff zum Anschluß und sah gleich darauf Luciano Famas Gesicht auf dem kleinen Bildschirm. „Das verstehe, wer will", sagte Fama. „Ich jedenfalls nicht." „Wenn du die Freundlichkeit hättest und dich klarer ausdrücken würdest, könnte ich dir vielleicht dabei helfen, Doc!" Luciano atmete tief durch. „Balk ist auf den Beinen, Menning. Der Kerl hüpft herum, als hätte er nie etwas gehabt. Dafür hatte Pat inzwischen diesen Herzanfall. Chris hätte Balk gar nicht zu massieren brauchen. Bevor ich es bei Pat tun konnte, war der Anfall schon wieder vorbei." „Und er ist jetzt bewußtlos", erriet Swalff. „Ist er, Menning." Swalff stöhnte und verzog das Gesicht. „Bleib da und laß Balk nicht aus der Kabine. Notfalls injizierst du ihm etwas, nach dem er für Stunden schläft. Inzwischen kann ich den anderen klarmachen, daß wir den Umweg umsonst gemacht haben. Es gibt kein Geschäft mit den Greenies." „Das hoffte ich, Menning", sagte Luciano erleichtert. Swalff nickte und schaltete ab. Als er die Zentrale betrat, erhielt seine Hoffnung, mit St. Peters' offensichtlicher Besserung wäre der Alptraum vorbei, einen Dämpfer. Alva Mortalez stand abseits von den anderen Raumfahrern in einer Ecke. Ihr Gesicht war gerötet. Der Alptraum begann erst.
Drei Stunden nach Erreichen der Warteposition außerhalb des Greenie-Systems führte eine weitere Transition die QUEEN JANE um 6350 Lichtjahre näher an die Erde heran. 11.774 Lichtjahre lagen noch zwischen ihr und dem Solsystem. Menning Swalff begab sich unverzüglich mit Harry Melchior in der. Maschinenraum, um den Antrieb zu kontrollieren, während die dafür zuständige Alva Mortalez in ihre Kabine gebracht wurde. Was Luciano Fama befürchtet hatte, war eingetroffen. Fama selbst übernahm es, die Besatzung der QUEEN JANE nun restlos über die Situation an Bord aufzuklären und zur Besonnenheit zu mahnen, wobei wiederum Pamela Tarn es war, die besser als er die richtigen Worte fand. Dennoch schlich sich die Angst in die Herzen der Männer und Frauen. Menning Swalff wußte zu diesem Zeitpunkt noch nicht, daß die QUEEN JANE nie wieder eine Transition durchführen würde, denn Balk St. Peters' Erkrankung trat in ihr nächstes Stadium ein. 3. Luciano Fama fühlte sich hoffnungslos überfordert. Er sollte St. Peters im Auge behalten, mußte sich um den bewußtlosen Potazzi kümmern und darüber hinaus alle Augenblicke zum Interkom, wenn verängstigte Besatzungsmitglieder immer wieder Fragen stellten und wissen wollten, wie sie sich am besten vor einer Ansteckung schützen konnten, was mit den Kranken geschah oder ganz einfach, wie lange sie noch zu leben hatten. Fama schüttelte den Kopf über soviel Naivität und konnte ihnen immer nur das gleiche sagen - daß sie die Ruhe bewahren sollten und die QUEEN JANE auf dem Weg zur Erde sei, wo man ihnen hochqualifizierte Ärzte an Bord schicken würde. An eine Landung war natürlich unter den gegebenen Voraussetzungen nicht zu denken. Das war auch der Grund, weshalb Menning Swalff noch keinen Hyperfunkkontakt aufgenommen hatte. Er befürchtete, daß man die QUEEN JANE gar nicht erst ins Solsystem einfliegen ließ. Eine solche Antwort von der Erde, so berechtigt sie auch sein mochte, würde unweigerlich das völlige Zusammenbrechen der Moral an Bord zur Folge haben. Fama schwitzte und tat, was er konnte. Dabei griff die Angst auch nach ihm. St. Peters hockte auf dem Rand seiner Koje und beobachtete jede Bewegung des kleinen Mannes. Er bot ihm sogar an, sich für ihn um Patrice zu kümmern. Er wirkte tatsächlich nun vollkommen gesund. Fama blieb skeptisch. Dennoch war er nicht vorsichtig genug. Als er wieder zum Interkom gerufen wurde, stand Balk St. Peters hinter seinem Rücken auf und schlich sich auf leisen Sohlen an ihn heran. Der Faustschlag traf Fama völlig unerwartet. Lautlos brach er vor dem Interkomanschluß zusammen. St. Peters sah die in Entsetzen aufgerissenen Augen Barneys auf dem Schirm und schlug die Scheibe mit dem nächsten greifbaren harten Gegenstand ein - es war Famas kleines Mikroskop, mit dem Luciano nach Erregern im Blut seiner „Patienten“ gesucht hatte. „Das tut mir leid, Luciano", murmelte St. Peters mit ausdruckslosem Gesicht. „Aber du würdest mich verstehen, wenn du..." Er durfte keine Zeit verlieren. Daß er von Fama ein wenig zuviel verlangte, kam ihm überhaupt nicht in den Sinn. So gesund er auch nach außen hin wirkte, so wirr waren nun seine Gedanken. St. Peters konnte nicht mehr zwischen Realität und dem unterscheiden, was in seiner Einbildung existierte.
Und in seiner Einbildung war Alva nun auf dem Weg zum Maschinenraum, um sich mit Swalff zu treffen. St. Peters' Bewegungen hatten etwas Roboterhaftes, als er die Kabine verließ und die Tür hinter sich zuwarf. Er sah sich um. Niemand war in der Nähe. Aber Barney hatte gesehen, wie er Fama niederschlug. Er erschrak nicht vor dem, das ihn so vehement drängte, denn da war nichts, das von seinem Denken Besitz ergriffen hätte - nichts Fremdes. Was ihn lenkte und die Fäuste ballen ließ, kam aus ihm selbst heraus, aus den verschütteten Tiefen seines Unterbewußtseins. Was sich langsam, aber sicher in ihn hineinfraß, spülte die Barrieren hinweg, die den natürlichen Zerstörungsdrang, die Aggressionen in Grenzen hielt. Damit einher ging eine gesteigerte Adrenalinproduktion in seinem Organismus, die ihm Kräfte vorgaukelte, die er nicht besaß. St. Peters schwang sich in den Antigravlift und verließ ihn mehrere Decks tiefer. Aus Lautsprechern drang Swalffs Stimme. Der Kommandant beschwor ihn, in die Kabine zurückzukehren. Für einen wie großen Trottel hielt er ihn? Wollte er ihm vorgaukeln, er sei in der Zentrale und nicht mit Alva zusammen? St. Peters stieß ein heiseres Lachen aus. Das für ihn außer Frage stehende, plumpe Täuschungsmanöver machte ihn nur noch entschlossener und ließ ihn schneller gehen. Swalff sollte seine Finger von der Frau lassen. Er schien sich einzubilden, daß ihm nicht nur das Schiff gehörte, sondern auch das menschliche Inventar. „Dabei gehört's dir gar nicht", knurrte St. Peters. „Du hast uns lange genug Vorschriften gemacht, Menning Swalff. Du nimmst mir nicht mein Mädchen weg." „Balk!" Die Stimme mußte aus allen Lautsprechern im Schiff gleichzeitig kommen. St. Peters blieb stehen und lauschte. „Balk! Wo immer du bist, melde dich!" Der Lademeister erreichte die Tür zu dem kleinen Aufenthaltsraum für die Techniker, die früher einmal den Antrieb gewartet hatten. Nun diente er nur noch Alva und Patrice als Ruheraum, wenn sie an den Generatoren arbeiteten. Aber Pat war krank. Er lag in Lancers Koje. St. Peters fiel nicht ein, daß auch er krank sein könnte - oder es je gewesen war. Er strotzte vor Kraft. Wenn Pat also nicht hinter der verschlossenen Tür war, und wenn Swalffs Stimme von dort kam... St. Peters stieß einen Schrei aus und warf sich mit der Schulter dagegen. Die Tür war nicht verriegelt gewesen. St. Peters fiel in den Aufenthaltsraum und landete hart vor einem der beiden kleinen Tische. Fluchend sprang er auf, fuhr herum und mußte sehen, daß er allein war. „Sie haben sich verkrochen", murmelte er. „Balk!" Der Interkomanschluß! St. Peters sah Swalffs Gesicht auf dem Bildschirm. Und der andere sah ihn. „Balk, verdammt, was tust du da unten? Du bist krank! Mach, daß du zurück in deine Kabine kommst!" Swalff schwitzte! Ein böses Grinsen trat auf St. Peters Gesicht. Er blickte hinüber zur Wand, wo die beiden Strahler aufgehängt waren. Swalff selbst hatte das vor langer Zeit veranlaßt, für den Fall, daß die QUEEN JANE im Raum von Piraten oder Angehörigen anderer Rassen überfallen würde. Alle anderen Energiewaffen befanden sich in der Zentrale und wurden nur von Swalff persönlich ausgegeben, wenn es nötig sein sollte. Diese
beiden hier waren für den Fall gedacht, daß jemand hier unten von einem Überfall überrascht wurde. Auch im Frachtraum befanden sich zwei. St. Peters war mit zwei Sätzen bei der Wand und riß einen der leichten Thermostrahler herunter. Er sah das Entsetzen in Swalffs Gesicht, als er mit der Waffe wieder in den Aufnahmebereich der Optik trat. „Balk, du bist... wahnsinnig!" „Warte, bis ich bei dir bin, Menning!" schrie der Lademeister und schoß. Der Schirm explodierte. Funken stoben durch den Raum und verbrannten St. Peters' Haut. Er spürte es kaum. Wild entschlossen stürmte er auf den Gang hinaus, immer noch im festen Glauben, er würde Swalff mit Alva im Kontrollstand des Maschinenraums finden. Die anderen wußten jetzt, wo er war und wohin er wollte. Er rannte noch schneller, stieg Treppensprossen hinab, riß Schotte auf und rutschte fast die letzten Leitern hinab. Der Kontrollstand befand sich auf einer Galerie, die an der Hülle des Schiffes entlanglief, und von der aus ein Teil des Transitions-Triebwerks zu übersehen war. Der Kontrollstand selbst war ebenso wie alles andere an Bord nach den Vorstellungen der Mannschaft umgebaut worden. Hinter dicken Spezialglasscheiben befanden sich die Pulte mit den blinkenden Lämpchen und einer Unzahl von Reglern, mit denen der Lademeister nicht das geringste anfangen konnte. Von Swalff und Alva war nichts zu sehen. St. Peters preßte das Gesicht gegen die Scheiben und spähte auf die Generatoren hinab. Auch dort bewegte sich nichts. Endlich begriff er. Sie hatten ihn alle zum Narren gehalten! Swalff war mit Alva sonstwo, nur nicht hier! Sie hatten sich aus dem Staub gemacht! St. Peters verlor endgültig die Kontrolle über sich. Etwas entlud sich in ihm mit der Wucht eines Vulkanausbruchs. Er schrie wie besessen, richtete den Strahler auf die Kontrollpulte und schoß blind in die Reihen der Lichter. Wenn er schon Swalff nicht vor die Fäuste bekam, sollten die Maschinen dafür büßen. Sie waren an allem schuld. In einer Kettenreaktion ex- und implodierten mehrere Monitoren und Pulte. St. Peters wich schreiend zurück und riß sich die Arme vor das Gesicht. Der Strahler fiel polternd zu Boden. Irgend etwas sagte dem Tobenden, daß er fliehen mußte. Aber das andere in ihm war ungleich stärker. St. Peters fand eine Eisenstange, hob sie auf, packte sie mit beiden Händen und schlug auf die Pulte ein. Stichflammen fuhren in die Luft. Funken stoben aus zerstörten Instrumenten. Doch der Lademeister dachte nicht daran, sein Werk zu beenden. Immer mehr steigerte er sich in seinen Zerstörungsrausch hinein, holte aus und schlug, holte aus und schlug... Die Stange hoch über dem Kopf, blieb er wie vom Blitz getroffen stehen. Seine Beine gaben urplötzlich nach. Die Stange fiel ihm aus den Händen. Alle Kraft wich aus seinem Körper. Balk St. Peters griff sich an den Hals, als er auf dem Boden zusammensank, hilflos inmitten explodierender Geräte und schmorender Kabel, über die winzige blaue Flämmchen huschten. Er bekam keine Luft mehr. Er war völlig verausgabt. Er war ein toter Mann, wenn es ihm nicht gelang, hier herauszukommen. Er wollte schreien, aber nur ein Röcheln entrang sich seiner wie zugeschnürten Kehle. Er wollte aufspringen und rennen, aber da war kein Muskel mehr, der ihm gehorchte.
Balk St. Peters lag flach auf dem sich schnell erhitzenden Boden und weinte wie ein Kind. Mein Gott! durchfuhr es ihn. Was habe ich getan! Aus den Augenwinkeln heraus sah er, wie die Flämmchen weiterzüngelten. Zwei Konsolen brannten. Überall knisterte und zischte es. St. Peters verstand nichts von der Technik um ihn herum. Er wußte nur, daß er Kräfte entfesselt hatte, die ihn in seine atomaren Bestandteile zerfetzen würden, geschah nicht noch ein Wunder. Er versuchte, aus dem Kontrollstand hinauszukriechen, auf die Galerie. Tatsächlich schaffte er es bis zum Eingang. Dann drehte sich alles um ihn. Das Knistern, Zischen, Platzen und Singen drang immer mächtiger auf ihn ein. Er hatte das Gefühl, zu fallen, immer tiefer, völlig haltlos, in den Schlund der Hölle selbst. Was hatte er angerichtet! Niemand konnte das überleben ! Andere Geräusche mischten sich in das Chaos, dumpfe Laute, merkwürdig regelmäßig, wie das Stampfen von schweren Pumpen. Dann... Menschliche Stimmen! Verzweiflung und wilde Hoffnung gaben dem Raumfahrer die Kraft, noch einmal den Kopf soweit zu heben, daß er sie kommen sah. Sie rannten über die Galerie auf ihn zu, drei, vier, fünf Menschen in Schutzanzügen. Drei sprangen über ihn hinweg. In ihren Händen hielten sie kompakte Löschgeräte. Die beiden anderen packten ihn und zerrten ihn aus dem Kontrollstand. Das war das letzte, was Balk St. Peters bewußt wahrnahm. Als Menning Swalff drei Stunden später mit Harry Melchior in der Zentrale erschien, war Barney Barnabas' Platz verlassen. Pamela Tarn, Christine und die aus dem Frachtraum zurückgerufenen David Lancer und Wilma Nehrig blickten ihn fragend an. Swalff erkannte an ihren Mienen, daß er eigentlich gar nichts mehr zu sagen brauchte. Sie wußten es. Swalff hatte sich nicht die Zeit genommen, sich umzuziehen und zu waschen. Seine Kombination war verschmiert. Die Haare klebten im schmutzigen und schweißnassen Gesicht. Swalff ließ sich schwer in seinen Sessel fallen. Für Augenblicke sprach niemand ein Wort. Der Kommandant vermied es, seine Mannschaft und Partner anzusehen. Finster starrte er auf seine ausgestreckten Füße. „Barney hat's erwischt", sagte Pamela mit ihrer dunklen Stimme in die Stille hinein. Die völlige Ruhe war beängstigend. Die Maschinengeräusche, die die Raumfahrer schon gar nicht mehr wahrgenommen hatten, waren erstorben. Fahrtlos trieb die QUEEN JANE durch den interstellaren Raum, weit entfernt vom nächsten Sonnensystem. Mit dem dumpfen Rumpeln und Mahlen schien auch das Leben aus dem Schiff gewichen zu sein. Noch sprach niemand laut aus, was alle dachten, die noch klar denken konnten. Doch ein Funke genügte, um die Männer und Frauen in Panik ausbrechen zu lassen -ein einziges unbedachtes Wort, ein einziger hysterischer Ausbruch. „Barney und Swallow", sagte Pamela. „Sie haben die Herzkrämpfe hinter sich und liegen bewußtlos in ihren Kabinen. Luciano kümmert sich um sie. Er ist wieder auf den Beinen." Sie redete gerade so, als ginge es um völlig selbstverständliche Dinge. Swalff hob den Kopf und nickte ihr dankbar zu, was sie mit einem Stirnrunzeln quittierte. „Also fünf", brummte Swalff. „Luciano sollte..."
„Ist schon veranlaßt", fuhr ihm Pamela ins Wort. „Balk hat eine Injektion bekommen, die ihn fürs erste tief schlafen läßt. Pat bekam die Spritze sofort, als er aus seiner Bewußtlosigkeit erwachte, und die anderen drei erwartet das gleiche." Swalff fluchte. „Pam, ich wüßte nicht, was ich ohne dich täte", versetzte er sarkastisch. „Oh, das ist gern geschehen." Sie kniff die Augen zusammen. „Und jetzt sag's schon. Der Antrieb ist hin." „Balk hat ganze Arbeit geleistet. Dieser verdammte Idiot hat tatsächlich ganze Arbeit geleistet! Die QUEEN JANE rührt sich nicht mehr aus eigener Kraft von der Stelle. Keine Transition mehr, nichts!" Swalff musterte die Anwesenden einen nach dem anderen. Sie beherrschten sich noch. Und doch sah er die Todesangst in ihren Augen. Er hörte förmlich, wie es hinter ihren Stirnen flüsterte: „Totenschiff!" Und genau das war die QUEEN JANE. Antriebslos und mit einem Virus verseucht, gegen den es kein Mittel gab. Es hatte längst keinen Sinn mehr, sich falschen Hoffnungen hinzugeben. Einer nach dem anderen würde erkranken, bis zum letzten Mann oder zur letzten Frau. „Er tat es nicht mit Absicht", versuchte Christine St. Peters zu verteidigen. „Rötung, Herzattacke, Bewußtlosigkeit. Dann eine Phase scheinbarer Besserung mit anschließendem Amoklauf. Dad, was kommt danach?" „Woher soll ich das wissen?" brauste Swalff auf. „Ich weiß nur eines: daß ich nun doch einen Notruf zur Erde senden muß, bevor wir alle nicht mehr wissen, was wir tun! Es wird einen nach dem anderen erwischen, und wenn Luciano an der Reihe ist, müssen wir uns die Injektionen gegenseitig geben, bis der letzte allein dasteht. Was danach kommt...?" „Immerhin", warf David Lancer ein, der Christine einen Arm um die Schulter gelegt hatte, „scheint die Inkubationszeit bei jedem von uns verschieden lang zu sein. Sonst müßte ich gleich nach Balk erkrankt sein. Ich war ja am längsten mit ihm zusammen." „Und vielleicht", rief Wilma Nehrig, „ist ja der eine oder andere von uns auch immun!" „Verlaß dich nicht darauf, Mädchen", murmelte Swalff. „Wunder geschehen nicht im Dutzend. Und unser Wunder haben wir gehabt: daß uns nach Balks Amoklauf nicht das ganze Schiff um die Ohren flog." „Wir sollten doch die Aras um Hilfe bitten", sagte Christine. „Das werden wir nicht tun!" Swalff stand auf, ging zu einem Wandschrank, schloß ihn auf und nahm zwei Paralysatoren heraus. „Chris und David, ihr beide seid ja ohnehin unzertrennlich. Hier, nehmt die Waffen und seht zu, wie ihr Luciano helfen könnt. Sobald ihr merkt, daß einer der Kranken aufwacht und Balk nacheifern will, lahmt ihr ihn. Luciano schafft's nicht allein. Die Kranken sind doch in nebeneinanderliegenden Kabinen untergebracht, Pam?" „Sollte man meinen", versetzte sie bissig. Swalff drückte Christine und Lancer die Waffen in die Hände und gab beiden einen Klaps auf den Rücken. „Beobachtet euch gegenseitig, Kinder. Und... paßt auf euch auf." „Dad!" Christine nahm seine Hand. „Ich möchte bei dir bleiben." „Tu, was ich dir sage. Verdammt, David, steh nicht so herum. Wenn du mein Schwiegersohn werden willst, dann fang früh genug an, dir Respekt zu verschaffen. Glaube mir, mein Junge, ich spreche aus Erfahrung."
David sah Christine unsicher an. Sie schüttelte nur den Kopf und zog ihn mit sich. Swalff ließ sich in den Sessel vor den Funkgeräten fallen. Pamela Tarn musterte ihn argwöhnisch. „Glaubst du, mit deiner Art von Galgenhumor heiterst du uns auf, Menning? Was soll das Gerede von deinem ,Schwiegersohn'? Du weißt ganz genau, daß ihre Chancen, die nächsten Tage zu überleben..." „Ich weiß, daß deine Klappe uns alle überleben wird!" fuhr er sie unbeherrscht an. „Darum halte sie jetzt und spar dir deine Kommentare für später auf!" Sie schwieg tatsächlich! Menning Swalff ließ seine Finger über die Kontrollen huschen. Ein Bildschirm wurde hell. Pamela Tarn und Harry Melchior hielten den Atem an, als ein Symbol darauf erschien und Swalff wieder lauthals zu fluchen begann, weil er viel zu lange auf eine Verbindung warten mußte. Balk St. Peters schlief friedlich wie ein Kind. Wenigstens wirkte dies auf den ersten Blick so. In der Koje über ihm lag Patrice Potazzi, ebenfalls von Luciano vorsorglich außer Gefecht gesetzt. Die beiden sich anschließenden Kabinen standen offen. Christine und David warfen einen kurzen Blick zu Barney Barnabas und Swallow Lefthand hinein, die ebenso wie Alva Mortalez noch bewußtlos waren. Fama hielt bei der Technikerin Wache. „Es war vielleicht ein Fehler, Balk gleich für Stunden schlafen zu legen", sagte David. Fama und Christine blickten ihn fragend an. Lancer zuckte die Schultern. „Natürlich besteht die Möglichkeit, die ich Menning gegenüber schon andeutete", sagte er. „Daß die Inkubationszeit bei jedem von uns verschieden lang ist. Aber das ist nur eine Annahme. Fest steht dagegen, daß Balk als erster erkrankte. Vielleicht haben wir uns alle infiziert, vielleicht aber auch wirklich nur er. Dann müßten wir wissen, wo das geschehen sein könnte.'' Christine schüttelte verständnislos den Kopf. „Auf Marvel III waren alle zusammen, die das Schiff verließen - und das waren nur Balk. Dad, Pamela und du." Lancer nickte zögernd. „Das stimmt schon. Chris. Das gilt für Marvel III. aber nicht für Meeting Point." „Was?" entfuhr es ihr, „was meinst du damit?" „Daß Balk auf Meeting Point einen Ausflug auf eigene Faust unternahm, kurz bevor wir an Bord gingen. Nur ich wußte davon und tat ihm den Gefallen, nichts davon zu erwähnen. Wahrscheinlich sah er sich in den Lagerhallen um. Offiziell machte er mit mir zusammen die Frachtbriefe fertig - im Büro des Hafenkommandanten." „David, du glaubst doch nicht, daß er sich auf Meeting Point infiziert haben könnte? Das ist völlig unmöglich, und das weißt du." „Wissen wir das wirklich? Chris, es mag dort keine Krankheiten geben, jedenfalls keine, die ausgebrochen sind." Fama hörte ihm aufmerksam zu. Nur hin und wieder warf er einen Blick auf Alva. Jetzt nickte er langsam. „Keine, die ausgebrochen sind...", wiederholte der Davids Worte. Lancer nickte. „Es ist noch nicht so lange her, daß die Aras halbe Planetenbevölkerungen auslöschten, sie mit von ihnen gezüchteten Erregern verseuchten, um ihnen dann für viel Geld das entsprechende Serum zur Verfügung zu stellen."
„Aber das ist absurd!" rief Christine aus. „Laß ihn weiterreden", sagte Fama. „Außerdem haben die Aras uns Terranern noch nichts vergessen. Sicher, zur Zeit herrscht Friede, und sie sind Mitglieder der Galaktischen Allianz - wie wir. Aber wer sagt euch, daß sie nicht schon wieder etwas aushecken? Es muß nicht gegen die Erde gezielt sein, es gibt Millionen von Planeten, die wir noch nicht kennen, und auf denen die Aras ihre schmutzigen Geschäfte machen können, ohne daß wir davon Wind bekämen. Nehmen wir an, Balk hätte etwas Entsprechendes gefunden, Erreger, die für..." Christine lachte gequält. „Daran glaubst du doch selbst nicht! David, bist du sicher, daß du... daß du noch nichts merkst?" Er sah die Besorgnis, den Schrecken in ihren Augen. Fama aber legte ihr eine Hand auf den Arm. „Was er sagt, kann etwas für sich haben. Es würde sogar gut zu dem passen, was ich beobachtete." Er überzeugte sich davon, daß Alva noch bewußtlos war, und deutete auf den Korridor hinaus. „Leider benutzte Balk ausgerechnet mein Mikroskop, um den Bildschirm seines Interkomanschlusses zu zerschlagen. Allerdings bezweifle ich, daß ich mehr hätte feststellen können als beim erstenmal. Ich weiß, daß ihr meine wenigen Instrumente für hoffnungslos veraltet haltet. Immerhin reichte das Mikroskop aus, um im Blut, das ich Balk entnahm, winzige Bakterienstämme zu entdecken, die zu keiner mir bekannten Art gehörten. Zugegeben, mein medizinisches Wissen ist das eines Amateurs. Dennoch dürfte es keine Bakterien geben, die sich so schnell veränderten und schließlich ganz verschwanden wie die in Balks Blut." „Ganz verschwanden?" fragte Christine. „Ja", bestätigte Fama. „Und niemand wird sie feststellen können, wenn die Krankheit bereits in einem fortgeschrittenen Stadium ist", murmelte David. „Das ist die eine Möglichkeit, daß die Bakterien sich unsichtbar machen, sobald ein Lebewesen erst einmal richtig erkrankt ist. Die andere wäre, daß sie's tun, wenn sie merken, daß sie beobachtet werden." „David, du spinnst", warf ihm Christine vor. Er setzte sich und krempelte den linken Ärmel der Kombination hoch. „Es gibt eine einfache Methode, dies festzustellen. Du untersuchst mein Blut, Doc." „Das würde ich zu gerne tun", gab Fama traurig zur Antwort. „Wenn ich es könnte, Dave. Aber ich hatte nur das eine Mikroskop." Lancer seufzte. Bei dem Gedanken an das, was sich in seinem Körper entwickeln mochte, schauderte er. „Ich wußte, daß Balks Starrsinn uns alle eines Tages teuer zu stehen kommen würde. Immer mußte er eine Extrawurst haben. Auf die Dauer konnte das nicht gutgehen. Luciano, bring ihn zu sich." „Das kann ich nicht", wehrte Fama ab. „Du meinst, du darfst es nicht tun, ohne den Befehl des Alten? Die Möglichkeit dazu hättest du?" Er nickte zögernd. „Ich werde mit Dad darüber reden", bekam David unerwartet Hilfestellung von Christine. „Er wird es gutheißen. Aber wenn David und du recht habt, dürfen wir keine Minute verlieren. Injiziere ihm etwas, Luciano. Sieh zu, daß er aufwacht. Ich nehme es so lange auf meine Kappe." Immer noch zögerte Fama. Lancer legte ihm eine Hand auf die Schulter und nickte ihm aufmunternd zu.
„Unser aller Leben kann davon abhängen, woran er sich vielleicht erinnert, Luciano. Du sagtest selbst, wir können die Erreger nicht mehr feststellen, also auch kein Gegenmittel entwickeln lassen. Ohne Informationen kann uns auch von Terra aus nicht geholfen werden, selbst falls man dort sofort ein Schiff mit Ärzten auf den Weg schickte." Fama sah ihm in die Augen. Es war ihm anzusehen, welchen inneren Kampf er austrug. Endlich nickte er. „Christine, wenn du bei Alva bleiben würdest, bis wir..." „Ich... kann nicht allein bleiben", flüsterte sie. „Ich glaube, wir können es ruhig riskieren, Alva für einige Minuten allein zu lassen", meinte Lancer. „Balk drehte doch auch erst durch, nachdem er schon einige Zeit aus der Bewußtlosigkeit erwacht war." „Danke, David", sagte Christine, bevor Fama etwas entgegnen konnte. Fama sagte nichts mehr. Er verließ die Kabine. Lancer und Christine folgten ihm. Alva Mortalez wartete, bis ihre Schritte verklungen waren und sie ihre Stimmen schwach aus St. Peters' Kabine hörte. Dann erst schlug sie die Augen auf und schwang sich aus der Koje. Menning Swalffs Gesicht war rot - allerdings vor Zorn. „Hören Sie zu!" brüllte er den Mann an, dessen Gesicht ihm vom Bildschirm entgegenblickte. „Ich bin nicht daran interessiert, wer Sie sind und was Sie dürfen oder nicht! Wir haben eine Seuche an Bord, und ich will einen Arzt sprechen, keinen Ihrer Vorgesetzten oder einen anderen Bürohengst wie Sie! Wir sind krank und sitzen in einem Wrack! Wir brauchen Hilfe, Mann! Geht das endlich in Ihr Schrumpfhirn? Ich will mit jemandem reden, der mir sagen kann, was wir tun sollen!" Der Offizier blickte ihn wieder forschend an. „Bleiben Sie am Funkgerät", sagte er, um im nächsten Augenblick vom Schirm zu verschwinden. Wieder war ein Symbol zu sehen. „Hat man dafür Worte!" brauste Swalff auf. Er sah Pamela Tarn an. „Existieren wir eigentlich noch für die?" „Du hättest ihm sagen sollen, daß wir von einer feindlichen Flotte angegriffen werden", sagte die Alte. „Sie... sie werden schon wissen, was sie tun", kam es leise von Harry Melchior. Der Kybernetiker schluckte. „Was sie tun, ist, uns jetzt bereits zehn Minuten warten zu lassen, Harry!" Swalff zog ein Tuch aus einer Tasche und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er starrte den Schirm an wie ein Raubvogel, der sich jeden Augenblick auf seine Beute stürzen würde. „Menning... Chef", Melchior stand auf und kam näher. Ein unheilvoller Glanz war in seinen Augen. „Müssen wir sterben?" Erst jetzt merkte Swalff, wie es um den Kybernetiker stand. Er biß die Zähne zusammen und sah Pamela hilfesuchend an. „Sei ganz ruhig, Junge", sagte diese ungewohnt sanft. „Noch ist's nicht soweit. Noch lange nicht." „Aber warum tun die nichts? Warum...?" Melchior lief auf Swalff zu und rüttelte ihn an den Schultern. „Sie lassen uns sterben, Chef! Sie schicken keine Hilfe. Wir sind ihnen egal!" „Harry!" Pamela hatte plötzlich eine flache Flasche in der Hand und kam damit auf Melchior zu. „Glaubst du, wir hätten keine Angst? Komm und trink einen Schluck. Dir wird's danach bessergehen. Ich kenne die Bürokratie. Auf der Erde ist es nicht
besser als auf Meeting Point und überall anderswo - noch schlimmer. Aber sie werden uns helfen. Bestimmt." „Geh weg damit!" schrie Melchior. „Ich will das Teufelszeug nicht!" „Ruhig!" rief Swalff. Melchior verstummte. Das Gesicht einer jungen Frau hatte das Symbol verdrängt. „Ich bin Ärztin", sagte sie. „Kommandant Menning Swalff? Bitte, wenn Sie mir jetzt die Situation an Bord schildern könnten und uns die genauen Symptome der Erkrankung beschreiben würden?" Swalff stieß hörbar die Luft aus. „Die Situation habe ich jetzt schon zweimal geschildert. Fragen Sie den Schafskopf von Adjutanten, oder was immer er ist, danach. Ich rufe unseren Doc. Der kann Ihnen alles sagen, was wir selber wissen." Swalff drehte sich zu Pamela um. „Luciano soll herkommen." Sie ging zum Interkom und hatte ihn noch nicht erreicht, als Alva Mortalez in die Zentrale stürmte. Pamela stieß einen Schrei aus. Swalff drehte sich um. Er wollte aufspringen und sich der Rasenden in den Arm werfen, als er ihre Absicht erkannte. Doch dazu war es schon zu spät. Alva schwang einen schweren Schraubenschlüssel über ihren Kopf, zögerte keine Sekunde und schmetterte das Werkzeug auf die Kontrollen der Funkanlage. Swalff ließ sich seitlich aus dem Sessel fallen, um nicht selbst getroffen zu werden. Für Augenblick war noch das entsetzte Gesicht der Ärztin auf dem Bildschirm zu sehen, schon verzerrt und undeutlich. Alva zertrümmerte den Schirm mit einem einzigen Hieb. Swalff, Pamela und Melchior waren außerstande, auch nur ein Wort hervorzubringen. Sie begriffen nicht, was sie sahen. Alva ließ den Schraubenschlüssel fallen, als wüßte sie genau, daß er seine Schuldigkeit getan hatte. Dann sank sie neben ihm zu Boden -ein wimmerndes Bündel Mensch. Harry Melchior bewegte die Lippen. Seine Hände zitterten bei den verzweifelten Gesten, die sein ganzes Entsetzen ausdrückten. „Nein", brachte er endlich hervor. „Nein, ich... will nicht sterben..." Er sah die Hilflosigkeit der anderen und schrie es heraus: „Ich will nicht sterben!" Er rannte aus der Zentrale. Swalff erwachte aus seiner Starre und wollte ihm nachsetzen. Pamela hielt ihn zurück. „Laß ihn, Menning", sagte sie. „Es hat keinen Sinn mehr. Ich glaube, jetzt können wir nur noch beten. Ich weiß nicht, ob ich's noch kann, aber..." Fassungslos sah Swalff, wie sie sich in ihren Sessel fallen ließ und die Augen schloß. Er blickte auf das, was vom Funkgerät der QUEEN JANE übriggeblieben war, dann auf die hilflos am Boden liegende Technikerin. Er bückte sich und hob sie auf. Wie ein Schlafwandler brachte er sie zu einem Sessel und begab sich selbst zum Interkom. „Luciano", sagte er mit schwacher Stimme in Mikro. Er blickte nicht auf den Schirm, wollte nicht das Entsetzen in Famas Gesicht sehen. „Luciano, mein Gott, warum hast du nicht auf sie aufgepaßt?" Er konnte nicht einmal mehr brüllen. Alles war aus. Antriebslos und stumm für immer trieb die QUEEN JANE durch den Weltraum, weit weg von jeder bewohnten Welt, von jedem Schiff, das ohnehin keine Hilfe hätte bringen können. Niemand durfte je wieder die QUEEN JANE betreten. Das war das letzte, was Swalff tun konnte - nicht für sich und seine Mannschaft, aber für jene, die den Keim
der Seuche niemals zu einem Planeten tragen durften, die niemals das gleiche Schicksal wie die zwölf Todgeweihten erleiden durften. Daß sie Todgeweihte waren, wurde ihm endgültig klar, als Luciano Fama, nachdem er den Schock überwunden hatte, ihn bat, zu ihm in St. Peters' Kabine zu kommen. „Ich habe ihn auf geweckt, Menning", sagte er. „Und er erinnert sich. Wir haben uns nicht auf Marvel III infiziert. Es war auf Meeting Point. Und... es ist alles noch viel schlimmer, als wir glaubten, Menning. Komm und höre es dir selbst an." „Schlimmer?" fragte er mutlos. „Was kann noch schlimmer sein als zwölf zum Tode Verurteilte." „Ein ganzer Planet", hörte Fama sagen. „Die Erde, Menning." 4. Das Weltall war kein Schiffahrtskanal, auf dem sich die stromauf- und abwärts fahrenden Schiffe alle zwei, drei Stunden begegneten, wo die Mannschaften sich zuwinkten oder Funksprüche austauschten. Es war unendlich weit - und einsam. Menning Swalff wußte das. Er wußte, daß nach dem Ausfall der Funkgeräte die letzte Hoffnung dahingeschwunden war, doch noch Hilfe von der Erde oder vielleicht anderen Planeten zu erhalten. Niemand hörte die verzweifelten Schreie der Menschen, denen die Angst vor einem qualvollen Ende wie ein Krebsgeschwür im Gehirn saß. Was sollte man auf Terra mit dem wenigen anfangen, das er hatte übermitteln können? Er war ohne Hoffnung, als er Luciano Famas Aufforderung folgte. Und doch erfuhr er erst, was Verzweiflung war, als er hörte, was Balk St. Peters zu sagen hatte. Die Chance, daß ein Schiff auf tauchte und so nahe an die QUEEN JANE herankam, daß man sich von dort aus auf anderem Weg als über Funk verständlich machen konnte, solange noch ein Mann oder eine Frau lebte, war eins zu unendlich. Menning Swalff begann wie Pamela Tarn zu beten, als er seine geröteten und aufgedunsenen Hände sah. Doch brachten Gebete ein Schiff herbei, das sich vielleicht Hunderte von Lichtjahren entfernt gerade im Normalraum bewegte? Swalff konnte nicht ahnen, wie nahe ein solches Schiff der QUEEN JANE war, wenn man die kosmischen Entfernungen relativierte. Es war besser für ihn, es nicht zu wissen. Nichts war schlimmer als enttäuschte Hoffnungen in einer Situation, in der es galt, solange wie möglich einen klaren Kopf zu bewahren, um wenigstens die größten Qualen der Erkrankten zu lindern, bis ein gnädiger Tod sie erlösen mochte. Daran hätte sich auch nichts geändert, hätte Menning Swalff gewußt, wer sich an Bord des nur 24 Lichtjahre entfernt operierenden Raumfahrzeugs befand. Lautlos zog die QUEEN JANE ihre Bahn. Nur ihre Lichter vermittelten noch den Eindruck von Leben an Bord. Der Kommandant der Kaulquappe hatte nicht die Sorgen, die Menning Swalff wünschen ließen, er wäre niemals geboren worden. Ihn plagten andere Nöte. Er saß grübelnd in der Hauptzentrale des Sechzig-Meter-Beiboots und dachte an den Mann, dem er es zu verdanken hatte, daß er nun hier mit fünfzig blutjungen Kadetten „praktische Übungen" veranstalten durfte. „Praktische Übungen, pah!"
Die fünf Kadetten, die mehr oder weniger in der Zentrale herumlungerten, sahen sich kurz um. Dann wandten sie sich wieder ihrem Kartenspiel zu und zeigten sich gegenseitig, was sie von ihrem Vorgesetzten hielten. Er ignorierte es, ganz gegen seine sonstige Gewohnheit. Was hatte er Bully denn schon getan? Ihn aus einer angeblich wichtigen Sitzung herausteleportiert und aus zehn Meter Höhe in den Goshun-See fallen lassen -in Uniform. Aber das hatte er schließlich verdient gehabt. Warum mußte er auch immer gegen ihn sticheln? Aber Bully verstand keinen Spaß mehr. Perry verstand keinen Spaß mehr. Niemand verstand mehr Spaß. Anscheinend bekam ihnen das Herumsitzen auf der Erde nicht. Oder sie hatten sich gegen ihn verschworen. Besinnen sollte er sich, eine Denkpause erhalten - als Kadettenausbilder! Perry Rhodan hatte es vornehmer formuliert: „Wir brauchen Männer und Frauen, die im Krisenfall darauf trainiert sind, mit Mutanten zusammenzuarbeiten", hatte er gesagt. „Deshalb wirst du dich mit fünfzig ausgewählten Kadetten an Bord eines Kreuzers begeben, der euch in einer Kaulquappe weit genug von der Erde ausschleusen und nach einer gewissen Zeit wieder abholen wird. Gib ihnen eine Vorstellung von Zusammenarbeit mit Mutanten. Vom Erfolg deiner Aufgabe wird es abhängen, wie bald wir dich zurückholen." Bully hatte natürlich nicht auf seinen Kommentar verzichten können. Was für eine verantwortungsvolle Aufgabe das wäre! Und daß er sich dabei endlich einmal so richtig austoben könnte, ohne allzu viel Schaden anzurichten! Schaden anrichten! Wer hatte denn immer wieder den Schaden von der Erde abgewendet, wenn die anderen mit ihrem Latein am Ende waren? Gucky blickte den fünf Kadetten, drei jungen Burschen und zwei Mädchen, beim Kartenspiel zu. Wie ein nasser Sack hing er in seinem Kontursessel. Er dachte doch nicht daran, sich zum Trottel zu machen, zum Gespött! Die Zeiten, in denen junge Terraner (und mancher alte Haudegen) bei seinem Anblick in Entzücken und Bewunderung ausbrachen, waren ganz offensichtlich vorbei. Vor nichts hatten diese jungen Schnösel und ihre Miezen mehr Respekt nicht einmal vor ihm. Sollten sie sich die Zeit vertreiben, wie sie wollten. Irgendwann mußte Perry sie ja zurückholen. Er hatte schon daran gedacht, die Nahrungsvorräte für die Kadetten und die lächerliche Kiste mit Mohrrüben aus dem Schiff zu teleportieren und anschließend einen Notruf zu senden. Aber was würde die Folge sein? Lachen würden sie über ihn, alle! Perry und Bully am lautesten. Nein, den Gefallen würde er ihnen nicht tun. Die jungen Schnösel würden ihn schon genug zum Gespött machen, falls er keinen Weg fand, ihnen den Mund zu stopfen. Anfangs könne man ja ganz vernünftig mit ihnen reden. Sie standen sogar stramm vor ihm. Sie taten alles, was er von ihnen verlangte. Sie hatten Respekt. Aber dann mußte er irgend etwas falsch gemacht haben. Sicher war er zu sanft mit ihnen umgegangen. „Ach, Gucky, bist du ein süßes Kerlchen!" hatte die gesagt, die jetzt einen Trumpf ausspielte. Ein süßes Kerlchen! Er! Und einer von den Kerlen, die jetzt in ihren Kabinen faulenzten, meinte gar, er hätte ein viel zu weiches Herz, um seine Drohungen wahrzumachen. Sie wollten mit ihm spielen!
Hätte er sich nicht von Anne kraulen lassen dürfen? War es falsch gewesen, mit den Kadetten in den Hangars Verstecken zu spielen? Gucky räusperte sich und schob sich in die Höhe. Sie blickten sich schon gar nicht mehr nach ihm um. Wie sie gegrinst hatten, als er die Kaulquappe kurzerhand in TRAMP'S BEAUTY umtaufte. Warte, Bully! dachte der Ilt. Warte nur, bis ich zurück bin! Der Gedanke an seine Rache war so ziemlich das einzige, an dem er sich noch aufrichten konnte. Aber brachte ihm das die Anerkennung durch die Kadetten zurück? Etwas müßte geschehen, überlegte er. Irgend etwas, bei dem sie sehen würden, was sie an ihm hatten. Wenn er eine Heldentat vollbrachte, würden sie nicht mehr grinsend hinter seinem Rücken tuscheln. Ließ sich da nicht nachhelfen? Gucky war zu faul dazu. Noch einmal schickte er Bully und Perry in Gedanken eine Verwünschung entgegen. Sein „verantwortungsvoller Auftrag" war und blieb nichts anderes als eine Strafversetzung auf unbestimmte Zeit. Bessern sollte er sich. Als ob nicht jeder wüßte, daß die größten Halsabschneider gerade aus den sogenannten Besserungsanstalten kamen! Gucky stand auf und watschelte langsam auf die ringförmig um den Antigravschacht in der Mitte der Zentrale verlaufenden Konsolen zu, auf denen die fünf Kadetten Karten spielten. Von seinem berühmten Nagezahn war nichts zu sehen, seit Tagen schon nicht mehr. Anne Sebastian drehte sich zu ihm um. „Willst du mitspielen, mein Wuschelbärchen?" fragte sie honiglächelnd. „Du, Gucky, wann bekommen wir wieder was zu tun?" fragte einer der Burschen. „Allmählich wird's doch langweilig." Dem Ilt sträubte sich das Nackenfell. „Leutnant Guck für dich, du Esel!" fuhr er auf. „Für dich immer noch Leutnant Guck!" „Wann spielen wir wieder ,Raumsoldaten und Mutant', Sir?" Gucky schluckte eine Entgegnung herunter. Sie hätten ja nur zu gerne gesehen, wenn er einen von ihnen durch die Zentrale hätte fliegen lassen. Ihre kindischen Sprüche waren nichts als Provokation. Sicher, die Kerle wollten bei den Mädchen Eindruck schinden. Aber das war es nicht allein. Sie hatten gut genug begriffen, daß er zwar bellte, aber nicht biß. Später würden sie ihren Freunden, noch später ihren Kindern über ihre Tage mit dem weltberühmten Mausbiber erzählen. Für sie war dies eine herrliche Zeit. „Ihr könnt mich alle mal gern haben", murmelte Gucky und watschelte davon. Leider traf er den Nagel auf den Kopf. Das war es ja. Sie hatten ihn gern. Was noch schlimmer war: er sie auch. Und was noch viel schlimmer war: Sie wußten es zu gut. Gucky, der Kindergärtner! Vor dem Panoramabildschirm blieb er stehen und betrachtete die Sterne. Eine Bruchlandung auf einem der vielen unberührten Planeten dort draußen? Vielleicht sollte er das riskieren. Der Gedanke nahm Formen an. Er sagte ihm immer mehr zu. Zwar war das mit Arbeit verbunden, doch Bullys dummes Gesicht, wenn er von seinem „Tod" erfuhr, war das allemal wert. Zwei, drei Wochen konnte er ihn schmoren und die Kadetten zittern lassen. Natürlich durfte es keine richtige Notlandung sein, aber einige kleine
telekinetische Eingriffe, ein bißchen „Sabotage" an den Funkgeräten und dem Antrieb... Gucky setzte sich und stemmte die Füße gegen das Kontrollpult vor ihm. „Heerlens!" rief er, ohne sich umzudrehen. Einer der Kadetten am Tisch sah zuerst seine Kumpane, dann ihn an. „Gucky... äh, Sir?" „Besorgen Sie mir eine Mohrrübe, Heerlens." „Aber... kannst du nicht schnell teleportieren? Ich... mein Blatt ist gerade so gut, und ich..." „Heerlens, keine Widerrede! Ich passe schon auf, daß die anderen Sie nicht beschummeln. Ich kann bekanntlich Gedanken lesen." „Tu ihm den Gefallen, Jan", flüsterte Anne, die so wunderbar kraulen konnte. „Wenn er uns mit ,Sie' anredet, ist etwas mit ihm los." „Auch eure Gedanken!" kreischte der Ilt. Heerlens zuckte die Schultern, legte sein Blatt hin und verschwand im Antigravlift. Gucky dachte nicht daran, jetzt zu espern. Er wußte auch so gut, was er zu „hören" bekommen würde. Einer der Planeten dort draußen. Ein Manöver, dann der „Absturz". Keine Funkverbindung zur Erde und zum Kreuzer, der sicher irgendwo wartete. Natürlich war das gefährlich, und er mußte höllisch aufpassen, daß den Kadetten nichts Ernstliches geschah, es konnte wilde Tiere geben, Mörderpflanzen... Gucky malte sich eine richtig schöne Höllenwelt aus – natürlich in Grenzen. Zur Not ließ sich der Antriebsschaden ja sehr schnell wieder beheben. „Dei... Ihre Mohrrübe, Sir!" Heerlens war zurück und hielt dem Mausbiber die mickrigste Karotte vor die Nase, die er wohl in der Kiste finden konnte. „Danke, mein Junge. Und jetzt möchte ich, daß alle fünfzig von euch sich hier einfinden. Ich habe etwas anzukündigen." Herrlens schluckte. Anne kam zu ihnen. „Hier?" fragte sie ungläubig. „In dieser kleinen Zentrale? Gucky, es geht dir doch gut? Ich meine, wir wollten dich nicht ärgern. Das war nicht ernst gemeint." Er las in ihren Gedanken. Wenigstens sie sprach die Wahrheit. Dieser Heerlens, einer der Rädelsführer der Bande, dachte immer noch nur an noch möglichst viele „lustige" Tage mit dem berühmten Mausbiber. „Dann wird es jetzt ernst!" kreischte Gucky schrill. „Ihr habt euren Spaß gehabt. Aber denkt auch nur einer von euch daran, daß eure Vorgesetzten auf der Erde euch später einmal fragen werden, was ihr von mir gelernt habt?" Das beeindruckte sie herzlich wenig. Uns fällt schon eine Ausrede ein, dachten sie - und rechneten fest damit, daß Gucky „das schon machen würde". So war das. Er sollte für sie lügen. Hielten sie ihn für einen Aufschneider, der mit Dingen prahlte, die er nie getan hatte? „Einmal muß ich es euch sagen", schwindelte er deshalb. „Perry Rhodan persönlich wird euch nach unserer Rückkehr befragen. Rhodans Menschenkenntnis ist berühmt. Ihm kann so leicht keiner etwas vormachen." Das wirkte schon eher. Kurz darauf platzte die Zentrale der Kaulquappe fast vor Kadetten. Sie unterhielten sich laut, bis Gucky auf einen Sessel stieg und sich Gehör verschaffte. „Meine lieben jungen Freunde", begann er. Das Grinsen auf einigen Gesichtern erstarb, als er seinen Nagezahn zeigte. Selbst Gucky fiel es schwer, aus dem Gedankengewirr einzelne „Stimmen" herauszufiltern: Achtung, er hat was vor! Der Zahn... ich glaube, er grinst! Besser, wir warten erst mal ab!
Was sieht der mich so an? Das gefiel ihm schon besser. „Meine lieben jungen Freunde! Wir hatten Zeit, uns kennenzulernen. Damit ist ein Teil unserer Aufgabe erfüllt. Während der ersten Tage mußte ich euch etwas umherscheuchen, um zu sehen, wie es mit eurer Disziplin steht und was in euch steckt. Dann machten wir uns ein paar schönere Tage, um das Verständnis füreinander zu vertiefen." Er esperte. Nahmen sie ihm den haarsträubenden Unsinn ab? Soso! Ich wußte es: Er spielte mit uns! Die hatten schon recht, die uns vor ihm warnten! Ob er noch weiß, daß ich ihm die faule Mohrrübe gestern brachte? Schöne Tage? Und was kommt nun? Das dicke Ende? Guckys Laune besserte sich von Minute zu Minute. Jetzt mußte er sich zwingen, eine möglichst ernste Miene aufzusetzen. „Heute beginnt, wie es so schön heißt, der Ernst des Lebens. Ich habe euch während der letzten Tage Gelegenheit gegeben, euch von euren guten und schlechten Seiten zu zeigen, und ihr habt einige Kostproben meiner Fähigkeiten erlebt. Natürlich nehme ich's euch nicht übel, daß ihr die Freiheiten ausnutztet, die ich euch ließ. Ich animierte euch ja quasi dazu." Ein raffiniertes kleines Biest, dieser Guck! Ich traue ihm nicht über den Weg! Der redet doch bloß, um sich reden zu hören! Gucky merkte sich den, der dies dachte. Etwas betroffen machte ihn, daß Anne ihn wirklich sehr mochte und nun glaubte, seine Zuneigung zu ihr wäre auch nur gespielt gewesen. „Es geht um folgendes", sagte er. „Zusammenarbeit von Raumsoldaten und Offizieren mit Mutanten. Ich bin der Mutant. Diese Zusammenarbeit wird in drei praktischen Übungen geprobt werden. Als erstes geht es nun darum, vor einer plötzlich aufgetauchten Feindflotte zu fliehen und uns an einem sicheren Ort solange zu verstecken, bis Hilfe eintrifft. Das heißt: Suche nach einem geeigneten Planeten, unter erschwerten Bedingungen." Er machte eine Pause und sah sich unter den Kadetten um. Gut, sie hörten ihm zu. „Das heißt im Klartext: Suche nach einem Planeten bei gleichzeitigen Versuchen, die Feindflotte abzuschütteln. Haben wir eine Welt gefunden, gilt es, möglichst unbemerkt zu landen und ein zweiwöchiges Überlebenstraining zu absolvieren. Das wird vornehmlich eure Aufgabe sein, während der Mutant, also ich, versuchen muß, etwas über die Identität der unbekannten Gegner und ihre Ziele herauszufinden. Die anderen begeben sich an ihre Arbeit oder halten sich abrufbereit. Feuerleitzentrale besetzen! Shifts und DreiMann-Zerstörer überprüfen! Heerlens, Sie teilen die Leute ein! Noch Fragen?" Es gab keine. Zufrieden nickte der Ilt. „Dann geht an eure Plätze. Nur die Zentralebesatzung ist in einer Minute noch hier. Die Feindflotte bricht in fünf Minuten aus dem Hyperraum." „In fünf Minuten schon?" rief jemand. „Normalerweise geschieht das ohne Vorwarnung", belehrte Gucky ihn. „Die Uhr läuft!" Und die jungen Schnösel, die noch vor Minuten glaubten, sich auf Sonderurlaub mit Gucky zu befinden, gehorchten! Guckys Brust schwoll an. Er hopste vom Sessel und kicherte still in sich hinein. So schnell ändert sich das! dachte er zufrieden. Schon drohte ihn der Übermut wieder zu übermannen, doch besann er sich rechtzeitig, daß damit schon einmal der Autoritätsverlust begonnen hatte.
Er mußte jetzt ernst bleiben, ihnen ein Spektakel bieten, das sie ihr Leben lang nicht vergessen würden -auch wenn ihm nun manches ein bißchen hart für die Kadetten vorkam. Mittlerweile war die Zentrale geräumt. Anne saß mit zwei Kadetten an den Kontrollen beim Antigravlift und stellte Berechnungen an. Nur einmal blickte sie etwas traurig über die Schulter. Heerlens meldete sich über Interkom und teilte mit, daß die Feuerleitzentrale und Hangarkontrollen besetzt waren. Und wie die spuren können! dachte Gucky belustigt. Er dankte Heerlens und setzte sich vor den Panoramabildschirm. Ein Blick auf die Armbanduhr: noch dreieinhalb Minuten bis zum Eintreffen der Feindflotte. Welche dieser Sonnen dort draußen würden sich Anne und ihre Helfer aussuchen? Vor der mächtigen Feindflotte traf jedoch etwas anderes ein. „Guck... Sir!" Der Anruf kam aus dem Funkraum. Gucky verzichtete darauf, zu espern, und blickte das Mädchen auf dem Monitor ernst an. „Ja, Eileen, was gibt's?" „Ellen, Sir. Mein Name ist Ellen. Wir werden angerufen. Hyperfunk!" Gucky richtete sich im Sessel auf, Wer sollte die TRAMP'S BEAUTY ausgerechnet jetzt anrufen? Das mit der Feindflotte war doch nur seine Erfindung. Gucky schluckte. „Es ist die Erde, Sir", sagte Ellen. Guckys erster Gedanke, nachdem sich seine Verwunderung gelegt hatte, war: Aha, sie holen uns zurück! Schnell sah er sich um. Die Kadetten starrten ihn an. „Macht weiter!" rief er. „Sie sollen ruhig sehen, daß wir arbeiten!" An Ellen gewandt, sagte er: „Fein, Eileen, dann schalte das Gespräch auf den Panoramabildschirm." Er rückte sich in Positur und räusperte sich. „Ich bin bereit." Im nächsten Augenblick sah er übergroß das bekannte Symbol vor sich, dann ein ebenso bekanntes Gesicht. Bully selbst! Er wollte es sich also nicht nehmen lassen, seinem Busenfreund persönlich die frohe Nachricht zu überbringen. „Bully!" tat der Ilt überrascht. „Wenn das kein schöner Anblick ist." „Ja", hörte er Bulls Stimme aus den Lautsprechern. „Das kann man sagen." „Oh, du meinst die Kadetten? Ehrlich gesagt, Bully, daß ihr uns gerade jetzt zurückholen wollt, paßt uns gar nicht. Wir stecken gerade in Manövervorbereitungen." Der Staatsmarschall runzelte die Stirn. Sein Blick ging für Sekunden am Mausbiber vorbei. „Zurückholen? Wie kommst du darauf?" Gucky schluckte. Der halb zum Vorschein gekommene Nagezahn verschwand. Hatte Bully etwa die Frechheit, ihn zum Narren zu halten? Wollte er nur schnüffeln und sich davon überzeugen, daß an Bord der Kaulquappe nicht gefaulenzt wurde? „Na, warum würdest du deine kostbare Zeit sonst opfern, nur um...?" „Sehnsucht, Gucky", brummte Bull. „Reine Sehnsucht. Euch geht's also gut?" Gucky kniff die Augen zusammen. Das Dumme an diesen Hyperfunkgesprächen war, daß man die Gedanken seines Gegenübers nicht lesen konnte. „Sehr gut", versetzte der Ilt. „Könnte gar nicht besser gehen!" Bully nickte zufrieden. Aber er blieb ernst - zu ernst für Guckys Geschmack. Irgend etwas lag da in der Luft...
„Freut mich zu hören", sagte der Terraner. „Dann könnt ihr also einen Auftrag übernehmen." „Unser Manöver...", begann der Mausbiber. Dann wurde er hellhörig. Auftrag? „Das könnt ihr vorerst vergessen. Gucky, ich möchte, daß du mir jetzt gut zuhörst. Dies ist kein Spaß." „Ich merke es." „Eure momentane genaue Position?" wollte Bull wissen. „Anne?" rief Gucky. „Die Koordinaten, bitte." Sie sagte sie auf. Bull nickte zufrieden. „Dann befindet ihr euch zirka 24 Lichtjahre von diesem Schiff entfernt. Nein, Gucky, laß mich diesmal ausreden. Vielleicht ist es wirklich ernst, und wir haben schon zuviel Zeit verloren. Vor knapp vier Stunden erreichte die Erde ein Hyperfunkspruch von einem alten Frachter, der QUEEN JANE heißt. Es gehört zwölf Männern und Frauen, die sich mit Handelsflügen ihr Geld verdienen. In dem nur schlecht zu empfangenden und schließlich abgebrochenen Funkspruch hieß es, daß an Bord eine unbekannte Krankheit ausgebrochen sei. Vom Kommandanten, einem gewissen Menning Swalff, war nicht viel mehr zu erfahren, als daß sein Schiff ohne Antrieb sei und eben... verseucht. Wir haben Grund zur Annahme, daß mittlerweile auch ihre Funkanlage hinüber ist. Swalff konnte uns also nicht mehr die Symptome der angeblich ausgebrochenen Krankheit schildern." „Angeblich?" fragte Gucky, nun ernst. „Es gibt Beispiele dafür, daß Raumfahrer wie dieser Swalff keine Tricks auslassen, um ihren alten, manövrierunfähig gewordenen Kahn so schnell wie möglich abgeschleppt zu bekommen. Wir haben eine Akte über Swalff. Er diente einige Jahre als Erster Offizier an Bord eines Flottenkreuzers und tat sich damals durch eine Reihe von ziemlich unkonventionellen Aktionen hervor. Aber wir müssen den Notruf ernst nehmen. Ein Schiff mit Medizinern steht abflugbereit auf dem Raumhafen von Terrania, Gucky. Die Ärzte können aber erst etwas ausrichten, wenn sie über diese Krankheit - falls es sie gibt - genau Bescheid wissen." „Ich verstehe", sagte der Ilt. „Wir sollen diese QUEEN JANE anfliegen und uns an Bord umsehen." „Ihr werdet euch hüten! Nur einer geht an Bord, und das unter strengsten Vorsichtsmaßnahmen. Ich gebe euch jetzt die Koordinaten durch. Wenigstens die funkte uns Swalff." „Speichern!" rief Gucky den Kadetten zu. Anne nickte. Als Bull die Position der QUEEN JANE angegeben hatte, nickte Gucky. „Bully, ist das auch wirklich alles? Du würdest dich nicht selbst in die Sache einschalten, wenn da nicht etwas dahintersteckte." „Eure Kaulquappe ist das einzige Schiff in der Nähe des Transitionsraumers. Ihr seid am schnellsten da und habt für alle Fälle einen Mutanten an Bord." Sollte das ein Scherz sein? Gucky sah sich um. „Einen Mutanten? Wen?" Bulls Miene verfinsterte sich. Er überging die Bemerkung. „Irgendwer glaubte ganz richtig, zuerst mich fragen zu müssen, bevor ihr zu Swalff geschickt würdet. Das ist alles. Fliegt die angegebene Position an und findet die QUEEN JANE. Findet heraus, was an Bord geschehen ist oder geschieht, und benachrichtigt mich dann unverzüglich. Verstanden?" „Verstanden. Bully - wenn wir das tun, werden wir dann begnadigt?" Das Gesicht des Terraners wurde auf dem Panoramaschirm noch größer. Unwillkürlich drückte Gucky sich tiefer in den Kontursessel.
„Wenn ihr nicht sofort macht, daß ihr losfliegt, kannst du dort draußen aufs nächste Jahrhundert warten, Gucky! Ich will wissen, ob die Leute krank sind, und, falls ja, was ihnen fehlt! Alle Einzelheiten, Gucky!" „J... ja", stammelte der Ilt. Er sprach ins Leere. Bully hatte die Verbindung unterbrochen. Der Bildschirm zeigte wieder die Sterne. Langsam schwenkte der Mausbiber den Sessel herum. Die Kadetten waren aufgestanden und blickten ihn erwartungsvoll an. Jetzt hatte er die Autorität. Doch besonders glücklich war er nicht dabei. „Ihr habt es gehört!" rief er schrill. „An eure Plätze!" Er unterrichtete die Kadetten per Interkom über die neue Situation und gab Befehle. Minuten später nahm die TRAMP'S BEAUTY Fahrt auf und ging in den Linearraum. 5. Menning Swalff saß in dem Sessel, den er sich vor St. Peters Koje geschoben hatte, und schloß die Augen. Christine stand bei ihm und hatte die Hände auf seine Schultern gelegt. Tränen liefen ihre Wangen herab. Ihr Lippen bewegten sich zuckend. Dann und wann warf sie David Lancer hilfesuchende Blicke zu. Doch auch Lancer hatte nichts mehr zu sagen. Nur er und Christine zeigten noch keine Anzeichen der Erkrankung. Pamela Tarn und Harry Melchior lagen in einer der Nachbarkabinen und warteten auf die Herzkrämpfe. Fama konnte nichts für sie tun. Auch sein Gesicht war rot und aufgequollen. Doch er hielt sich standhaft auf den Beinen. Alva Mortalez, Swallow Lefthand, Barney Barnabas und Wilma Nehrig schliefen fest. Patrice Potazzi war wach und bot inzwischen das gleiche Bild wie Balk St. Peters. Der Bewußtlosigkeit, der scheinbaren Besserung und dem Amoklauf, der nach Alvas Zerstörungswerk bei allen anderen durch Schlafdrogen unterbunden werden konnte, folgte ein Stadium, das durch erneute scheinbare Besserung und Fieber mit Schüttelkrämpfen und Wahnvorstellungen gekennzeichnet war. Beruhigung und Anfälle wechselten schnell einander ab. St. Peters und Potazzi waren an ihre Kojen gefesselt. Das gleiche hatte Swalff vorsorglich schon für die Schlafenden veranlaßt. Das Fieber ließ sich durch entsprechende Medikamente vorübergehend senken. Gegen die Wahnvorstellungen aber besaß Luciano Fama kein Mittel. Immer wieder hatten sie St. Peters Redefluß jäh unterbrochen. Doch Swalff wußte nun genug. Er fühlte sich leer und ausgebrannt. Er sah die Menschen um sich, wie sie sich quälten und bemühten, ihre schreckliche Angst nicht zu zeigen. Hofften sie noch auf das Wunder? Menschen, die Swalff auf seine Art liebte. Christine und David - zu kurz war ihr Traum von einer gemeinsamen Zukunft gewesen. Es gab keine Zukunft mehr. Für keinen. Für Menning Swalff stand außer Zweifel, daß Balk das Endstadium der Krankheit fast erreicht hatte. Er würde dahinsiechen, langsam und qualvoll. Alle anderen würden ihm folgen. Christine und David waren nicht immun. Niemand war das gegen eine Seuche, die perfekt war. Was die Aras begannen, wurde bis zur Perfektion vollendet. Wo sie Tod und Verderben säten, gab es keine Rettung - es sei denn, durch sie selbst. Ein Serum gegen teuflische Erreger, in den geheimen Labors der Galaktischen Mediziner gezüchtet.
War es da nicht besser, die Strahler zu nehmen und die Qualen schnell zu beenden? „Ich hätte es euch sagen sollen", erging sich Lancer in Selbstvorwürfen. „Ich hätte nicht zulassen dürfen, daß er allein ging." Swalff wischte sich über die Augen, hob den Kopf und sah ihn lange an. „Hör auf, Dave", murmelte er. „Du konntest es nicht wissen. Außerdem hättest du ihn gar nicht zurückhalten können. Ihn nicht." St. Peters hatte zu spät geredet, nur Minuten zu spät. Sonst hätte wenigstens für die Erde noch Hoffnung bestanden. Für all die Milliarden unschuldiger, nichtsahnender Todgeweihter! Swalff sah, wie St. Peters den Mund aufriß und hörte seinen heiseren Schrei. Christine nahm ein feuchtes Tuch und kühlte ihm wieder die Stirn. Swalff konnte ihm nicht einmal mehr einen Vorwurf machen. Er hatte nicht gewußt, was er finden würde. Er war auf der Suche nach einer lohnenden Fracht für die QUEEN JANE gewesen. Das war nichts Neues. Swalff hatte es ihm schon oft gestattet oder wenigstens beide Augen zugedrückt, wenn er auf den verschiedenen Planeten für Stunden verschwand. Es war ihm zur Manie geworden. Er konnte gar nicht mehr anders, als sich bei jeder Landung heimlich in den Lagerhallen der Raumhäfen umzusehen. Dabei hatte er eine Raffinesse entwickelt, die ihn selbst die strengsten Kontrollen überwinden ließ. Und die verhängnisvollen Behälter in einer der Hallen auf Meeting Point mußten verdammt gut bewacht gewesen sein. Swalff hörte ihn wieder stammeln... Während Lancer im Büro des Hafenkommandanten auf die Frachtpapiere wartete, nutzte St. Peters die bis zum Start verbleibende Zeit auf seine Weise - wie immer. Er schlich sich in die Lagerhallen des riesigen Komplexes, um nach einer gewinn versprechenden Ladung für die nächste Landung auf Meeting Point zu suchen. Dabei zog es ihn immer tiefer in die Hallen. Darüber, wie es ihm diesmal gelungen war, die Wachtposten und Sperren, ja selbst die elektronischen Kontrollen zu überlisten, hatte er nicht gesprochen. Es war auch nebensächlich geworden. Seine Neugier trieb ihn immer tiefer in die Hallen hinein, bis er sich in den für die Öffentlichkeit strengstens gesperrten Trakten wiederfand, wo jene Behälter versteckt waren, die nur eine Aufschrift trugen: TERRA! St. Peters mußte wahrhaftig die Nase eines Spürhunds besitzen, um sie aufzustöbern. Nicht, weil sie zu gut versteckt gewesen wären, sondern weil er sich ausgerechnet sie aussuchte unter den Tausenden von Kisten, Klein-Containern und Säcken in den Hallen. Daß sie quasi verladebereit gestapelt waren, ließ Swalff das Allerschlimmste ahnen. Balk hatte einen der Behälter geöffnet und versiegelte Plastikbeutel in ihm gefunden, mit einer gelblichen Flüssigkeit darin, wie er sagte. Da er beim besten Willen nichts damit anfangen konnte und zudem die Zeit drängte, hatte er sie wieder in den Behälter gelegt und diesen sorgfältig verschlossen. Und dabei mußte er sich infiziert haben. Swalff hatte sich den Kopf zermartert, andere Möglichkeiten in Betracht gezogen, aber es ließ sich keine andere Erklärung finden. Swalff redete sich immer noch ein, daß er nicht wirklich sicher sein konnte. Die Aras - und nur sie konnten doch hinter der Teufelei stecken - mußten ihre Erreger absolut sicher versiegeln, wollten sie nicht den Ausbruch der Seuche schon auf Meeting Point riskieren.
Oder wollten sie das? Ging es ihnen nicht nur um die Erde? Wollten sie die Galaktische Allianz so zerschlagen? Einen neuen Krieg beginnen? Balk hätte den Behälter nicht öffnen dürfen, dachte Swalff. Das war sein Fehler. Luciano Fama schien keine Zweifel zu kennen. Die Bakterienstämme, die sich in Nichts auflösten oder sich so mit den Mikroorganismen im menschlichen Körper verbanden, daß sie nicht mehr feststellbar waren, waren ihm Beweis genug. Bestimmungsort: Terra! Durch reinen Zufall entdeckte Balk St. Peters auf Meeting Point für die Erde bestimmte Seuchenerreger. So war es, und daran ließ sich nicht deuteln. Es gab nur ein Gruppe auf Meeting Point, die für diesen heimtückischen und verbrecherischen Anschlag in Frage kam - auch das stand fest. Und diese Verbrecher heuchelten Freundschaft. Swalff selbst hatte noch kurz vor dem Start mit einem Ara gesprochen und dabei fast seine Vorurteile ihnen gegenüber revidieren müssen. Der Ara hatte ihm und seinen Partnern einen guten Flug gewünscht. Jetzt erst wurde den Kommandanten der QUEEN JANE der Hohn bewußt. Swalff stand auf und fiel der Länge nach hin. Christine schrie und war sofort bei ihm. Lancer und Fama packten mit an, bis er wieder sicher auf den Beinen stand und der Schwindelanfall vorüber war. „Dad!" flüsterte Christine. „Um Himmels willen, Dad!" „Laßt mich los", preßte der Raumfahrer hervor. „Kümmert euch um die anderen." St. Peters stöhnte und zerrte an den Fesseln. Seine Augen glänzten fiebrig. „Welchen Sinn hat das alles noch?" fragte Swalff, ohne jemanden anzusehen. „Dad, wir dürfen uns nicht aufgeben!" appellierte Christine an ihn. „Es muß einen Weg geben!" Er lachte humorlos. Sein Blick war in die Ferne gerichtet. Wann kamen die Krämpfe? „Einen Weg, Chris? Für uns? Für die Erde? Welchen?" „Wenn Balk die Wahrheit sagte", überlegte Lancer laut, „können die Erreger jetzt schon auf dem Weg sein. An Bord eines der Schiffe, die auf ihre Beladung warteten, als wir starteten. Der Himmel weiß, als was sie verschifft wurden. Ein nichtsahnender Kommandant, ein schnelles Schiff..." „David, hör auf!" flehte Christine. Swalff sah den jungen Raumfahrer an. Lancer war noch am gefaßtesten von ihnen allen - außer Luciano vielleicht. Er mußte diese beiden bewundern, die anscheinend mehr innere Kraft besaßen als er. Aber das rettete sie nicht. Swalff war nie ein großer Patriot gewesen. Die Erde, das Solare Imperium, das waren für ihn Gegebenheiten gewesen - etwas, das ganz selbstverständlich existierte. Er hatte es immer verstanden, die Dinge zu seinem eigenen Vorteil zu wenden, was ihm schließlich den Abschied aus der Flotte bescherte. Sein eigenes Hemd war ihm immer näher gewesen als die Interessen Terras. Als er die Männer und Frauen fand, mit denen er zusammen das alte Transitionsschiff kaufen und umbauen konnte, war die Erde zum Handelspartner für ihn geworden, und als solcher ein Planet wie viele in der bekannten Galaxis. Jetzt wurde ihm klar, was ihm diese Welt seiner Ahnen wirklich bedeutete. Und es war zu spät. Er konnte die quälenden Gedanken und Visionen nicht mehr ertragen. E wollte zur Zentrale, dorthin, wo für so viele Jahre sein Platz gewesen war. Lancer hielt ihn fest und fing ihn auf, als er zusammenbrach.
„Laß ihn!" rief er Christine zu, die sich schluchzend über ihren von Herzkrämpfen gerüttelten Vater beugen wollte. „Wie kann ich ihn damit allein lassen?" rief sie unter Tränen aus. „Wie kannst du das sagen, David?" Schweigend zog er sie an sich und hielt sie fest. „Es geht vorbei. Chris", murmelte er nach einer Weile. „Wir müssen ihn festbinden wie die anderen. Mit Luciano, Pamela und Harry wird's auch gleich soweit sein." „Das ist so grausam, David! Er ist mein Vater!" „Chris, glaubst du, daß er dich hysterisch sehen will?" „Aber uns wird's auch erwischen. Wir..." „Wir sind die letzten. Und deshalb müssen wir ruhig bleiben." Sie starrte ihn an. Swalff lag jetzt ruhig auf dem Boden, bewußtlos. „Ruhig! Dave, ich verstehe dich nicht mehr." „Was immer uns länger verschont bleiben läßt, Chris, es gibt uns die Verantwortung." Er strich ihr durch das lange Haar und sah sie blicklos an. „Und es wird vielleicht schwerer für uns werden als für alle anderen." Wir werden die ersten von ihnen sterben sehen und wissen, was uns bevorsteht, dachte er. Wir werden ihre Schreie hören und ihnen nicht helfen können. Wir werden sie im Weltraum bestatten, solange wir uns auf den Beinen halten können. Und wir werden bis zuletzt wissen, daß das Verderben auf dem Weg zur Erde ist! Wir allein! Plötzlich spürte er unbändigen Zorn in sich aufsteigen. Für Augenblicke glaubte David Lancer, etwas zertrümmern zu müssen. „Vielleicht finden die Ärzte auf Terra ein Gegenmittel", hörte er sich leise sagen, als er sich wieder unter Kontrolle hatte. „Sie werden bald herausgefunden haben, wer ihnen die Seuche geschickt hat, und die Aras zwingen, ihnen das Gegenmittel..." „David, bis dahin sind Hunderttausende gestorben!" Um seine Mundwinkel zuckte es. „Komm, wir tragen ihn zu seiner Koje und geben ihm die Droge. Das ist alles, was wir tun können." Luciano Fama sank röchelnd zu Boden und griff sich an die Brust. Fünf Stunden später lagen zehn der zwölf Besatzungsmitglieder festgebunden in ihren Kojen - jeweils zwei übereinander in einer Kabine. Die beiden Kojen in der sechsten Kabine waren noch frei. Christine Swalff und David Lancer pflegten die Kranken, so gut sie es konnten. Doch auch ihre Kräfte ließen nach. Vor einer Viertelstunde hatten sich die ersten Rötungen auf Christines Gesicht gezeigt. Nun begann es auch bei Lancer. Sie konnten nicht überall zugleich sein. Die Schreie der Kranken hallten durch den Korridor. St. Peters war die Hälfte der Zeit über bewußtlos. Dann wieder wurde er von Wahnvorstellungen gerüttelt und riß an den Stricken wie ein Besessener. Vergeblich hatte David versucht, ihm etwas einzuflößen. Er spuckte alles wieder aus und erbrach sich. Kaum einer derjenigen, die als erste erkrankt waren, hatte noch einen wachen Augenblick. Ihr Geist war umnebelt. Sie redeten unzusammenhängend. Christine wachte die meiste Zeit bei ihrem Vater. Swalff war wach und kämpfte gegen das an, was ihn von innen heraus zerfraß. Auch sein Gesicht war schon eingefallen. In seinen Augen stand der Glanz beginnenden Wahnsinns. Christine blieb vor seiner Koje sitzen und hielt seine festgebundene Hand, während David Famas Arzneitasche plünderte und den Kranken Injektionen gab, die wenigstens den
körperlichen Schmerz betäubten. Gegen das Fieber und die Halluzinationen wirkte nichts mehr. „Dad", flüsterte Christine immer wieder. „Dad, ich bin bei dir." Er drehte ihr das Gesicht zu. Die Rötung war längst abgeklungen. Seine Augen lagen tief in den Höhlen. „Chris..." Er atmete tief ein. Für kurze Zeit klärte sich sein Blick. Er umfaßte ihre Hand und drückte sie schwach. Seine Finger zitterten. „Chris, du bist auch..." „Nicht reden, Dad. Bitte sei still." Aber er wollte nicht schweigen. „Chris, meine kleine Tochter. Wir... wir schaukeln das Kind schon. Wir... sind stärker..." „Ja, Dad", brachte sie stockend hervor. „Wir sind stark." „Wo ist... deine Mutter?" Sie erschrak heftig. Zwar hatten sie und David festgestellt, daß der Krankheitsverlauf bei fast allen Opfern verschieden lange dauerte, doch sollte ihr Vater so schnell den Bezug zur Realität verlieren? Wußte er noch, was er sagte? „Wo... ist Jane?" fragte er wieder. Sie konnte nicht anders. Sie zwang sich zu lächeln, rieb ihm mit dem feuchten, kühlenden Tuch über die Stirn und sagte: „Es geht ihr gut, Dad." „Sie wartet... wartet auf mich..." „Ja, Dad. Das tut sie." Sie wollte fortlaufen, nicht mehr länger hören müssen, was ihr Vater sagte. Er hielt ihre Hand fest. „Wir fliegen zu den Greenies, Chris. Und dann... dann sind wir reich. Wir tun, was du wolltest. Wir werden uns einen schönen Planeten suchen - du, Jane, David und ich." „Ja", schluchzte sie. „Ja!" Er drehte sich auf den Rücken und starrte die Decke an. Christine spürte, wie seine Finger sich um ihre Hand lockerten, und zog sie zurück. Swalff schloß die Augen. Sein Mund verzog sich zu einem schwachen Lächeln. Vorsichtig, jedes Geräusch vermeidend, zog Christine sich vom Krankenlager zurück. Als sie die Kabinentür erreichte, begann sie zu rennen — geradewegs David Lancer in die Arme. „Oh, David, David! Ich halte es nicht mehr aus!" „Ruhig." Er strich ihr durchs Haar, küßte ihre Stirn und führte sie zur leeren Kabine, wo er sie sanft in einen der beiden Sessel gleiten ließ. Auf dem Tisch stand eine Flasche. Er nahm sie und reichte sie ihr. „Trink davon, Chris." Entsetzt starrte sie ihn an. „Schnaps? Bist du auch schon verrückt?" „Es tut gut. Nicht, wie du meinst. Zugegeben, ich hatte das Gefühl, ich brauchte einen Schluck. Darum trank ich. Du weißt genau, daß ich mir sonst nichts daraus mache. Aber - du verstehst schon..." Sie nickte schwach, machte aber keine Anstalten, nach der Flasche zu greifen. „Es hilft wirklich", sagte er. „Wenigstens für den Augenblick. Vielleicht besser als alle Medikamente, die wir haben. Chris, das ist kein Scherz." „Es soll helfen? Zu... vergessen!" Dann dachte sie an ihren Vater. Alle anderen, die dieses Stadium der Krankheit erreicht hatten, wanden sich in qualvollen Wahnvorstellungen. Er aber schien eine seltsame Art Frieden gefunden zu haben.
„Dad trank fast eine ganze Flasche aus, als er mich zu sich holte", murmelte sie. Sie griff zu und trank. Angewidert stellte sie die Flasche auf den Tisch zurück. Sie fühlte sich besser - leichter. Aber das war keine Euphorie, kein Rausch. Sie sah die Dinge, wie sie waren, und doch... „Chris", sagte Lancer. Er stand auf und hockte sich neben sie. „Ich gebe die Hoffnung nicht ganz auf. Und sollte das Wunder geschehen, sollte unser Funkspruch eine Suche nach uns ausgelöst haben, sollte uns in den nächsten Stunden jemand finden, so müssen wenigstens wir beide ihnen sagen können, was der Erde droht. Vielleicht nicht nur der Erde. Es kann um viel mehr gehen. Es gibt nicht nur uns und die Aras. Angenommen, diese Dreckskerle handeln hinter dem Rücken der Akonen, Springer und Arkoniden - dann können sie doch nur ein Ziel im Auge haben. Sie brauchten nur den Verdacht auf die anderen Rassen zu lenken oder eine Mitwisserschaft zu konstruieren, um einen kosmischen Brand zu schüren, ein Feuer, das alle Arbeit der zurückliegenden Jahrzehnte zunichte macht." Sie versuchte, ihm zu folgen. So wie jetzt, hatte sie ihn noch nie reden gehört. Sie erschrak leicht, als sie das Feuer in seinen Augen sah. „David, so... kenne ich dich nicht", stammelte sie. Er, der vom Tode Gezeichnete, lächelte. „Es ist seltsam, was man plötzlich alles sieht und für wichtig erachtet, wenn man weiß, daß..." Er nahm ihr Gesicht in beide Hände. „Wenn man weiß, daß man viel zuwenig Zeit hatte, Chris. Zuwenig Zeit für sich, für das Leben und für all das, was das Leben ausmacht." Er lächelte nicht mehr. Seine Miene war sanft und von grimmiger Entschlossenheit zugleich. „Darum dürfen wir uns nicht aufgeben, Chris. Versprich mir das. Wir müssen leben, bis es einem anderen gefällt, dem hier ein Ende zu machen. Für deinen Vater. Für Pamela, Luciano und all die anderen. Versprich's mir, Chris." Sie sahen sich lange an. Christine zitterte leicht. Endlich nickte sie und schlug die Augen nieder. „Versprochen, David. Aber es gibt keine Hoffnung. Das ist wieder nur ein Traum." „Das ganze Leben ist ein Traum. Und sollten wir dies überleben, dann... dann..." Er versprach ihr die Welt mit einem langen Kuß. Ein furchtbarer Schrei hallte durch den Korridor. „Luciano", murmelte Lancer. „Beim ihm ist's auch soweit. Komm, Chris." Er stand auf und reichte ihr die Hand. Gemeinsam gingen sie in die Kabine, in der der kleine Italiener lag und an den Stricken zerrte. Seine Augen rollten wild in den Höhlen. „Mein Gott", flüsterte Christine. „Können wir denn... nur zusehen?" „Du sagst, dein Vater hatte getrunken? Vielleicht können wir Luciano noch etwas einflößen. Es ist verrückt. Warte hier. Ich hole die Flasche. Und..." Christine sah die beiden Paralysatoren erst, als Lancer sie vom Tisch nahm. Einen reichte er ihr. „Steck ihn ein. Derjenige von uns, der am längsten auf den Beinen bleibt, muß den anderen lahmen, sobald dieser aus der Bewußtlosigkeit erwacht. Sollte es mich zuerst erwischen, dann darfst du nicht zögern, bevor ich zu toben beginne und nicht mehr weiß, was ich tue. Versprich's mir." Sie starrte ihn an, dann die Waffe in ihrer Hand. „Das... kann ich nicht." „Du mußt es, wenn du... wenn du dir wenigstens die Erinnerung an mich bewahren willst!" „Geh jetzt, Dave." Sie blickte zu Fama hinüber. Über ihm lag Pamela Tarn und starrte die Decke an. Balk St. Peters schrie im Fieberwahn. „Geh."
Er ließ sie los, ging langsam bis zur Tür und drehte sich noch einmal um. Sie stand bei Fama und redete leise auf ihn ein. Luciano war jetzt ruhig. Doch das war vorübergehend. Stärkeres Fieber, noch schlimmere Halluzinationen, schließlich der langsame, grausame Tod... Lancer gab sich einen Ruck. Auf dem Korridor spürte er, wie seine Beine schwach wurden. Der Boden schien unter ihm zu schwanken. Er warf sich gegen die Wand und wartete, bis der Schwindel nachließ. Er preßte die Zähne aufeinander, daß die Kiefer schmerzten. Weitermachen bis zum Ende! dachte er. Etwas trinken. Einer von uns wird der letzte sein - Chris oder ich. Wer betäubt den letzten? Seine Gedanken wirbelten durcheinander, als er sich dahinschleppte, bis seine Füße ihn wieder sicher trugen. Der letzte muß alle Schleusen verriegeln. Warum haben wir keine Selbstvernichtungsschaltung im Schiff? In eine Sonne steuern? Womit? Kein Antrieb. Nichts ist uns geblieben. Er holte die Flasche und nahm einen Schluck. Selbst der Alkohol wirkte kaum noch. Lancer betrat St. Peters' und seine Kabine und fand den Lademeister bewußtlos. St. Peters' Puls war schwach. Die Tücher, mit denen er zugedeckt war, klebten an ihm. Balks Stirn war heiß, sein Gesicht ein verzerrtes Spiegelbild der Qualen, die er erlitt. Warum? fragte sich David. Warum mußte es ausgerechnet uns als erste treffen? Zurück zu Chris. Sie nicht allein lassen. Warten. Oh, verdammt! Warum mache ich dem nicht ein Ende? In den frühen Morgenstunden des 25. August 2144 erschien die QUEEN JANE auf den Orterschirmen der TRAMP'S BEAUTY. Kurze Zeit später war die Kaulquappe auf Sichtweite heran. Alle Versuche, die QUEEN JANE anzufunken, schlugen fehl. Niemand meldete sich. 6. Gucky saß an der Steueranlage der Kaulquappe und betrachtete gedankenversunken den Panoramabildschirm. Anne saß neben ihm und versuchte, ihn durch Kraulen aufzuheitern. Nicht etwa, daß ihr oder irgendeinem der anderen 49 Raumkadetten noch nach Spaßen zumute gewesen wäre - sie waren nur erschreckt darüber, wie der Mausbiber sich in kurzer Zeit verändert hatte. „Wie ein Totenschiff", sagte er leise. „Und nach Bullys Meinung kann das ein Trick eines gerissenen Kapitäns sein." Er lachte trocken. „Bully ist ein Hornochse." Anne sah wieder auf den riesigen Bildschirm. Gucky hatte genau das ausgesprochen, was fast alle an Bord der Kaulquappe dachten. Geisterhaft trieb der alte Transitionsraumer durch das All. Die Konturen des torpedoförmigen Schiffes waren kaum auszumachen. Wo es sich vor die fernen Sterne schob, erlosch deren Glanz. Nur wenige Lichter zeugten davon, daß es sich nicht um einen toten Gegenstand handelte. Auf der Raumakademie hatte Anne von solchen geheimnisumwitterten Schiffen gehört. Was dabei Wahrheit und was Raumfahrerlatein war, ließ sich schwer sagen. Die „alten Hasen" unter den Ausbildern machten sich ihren Spaß daraus, die Kadetten ins Bockshorn zu jagen und ihnen regelrechte Schauermärchen zu erzählen. Die Kadetten waren verunsichert und warteten darauf, daß Gucky etwas tat - irgend etwas. Der Anblick eines fliegenden Sarges zehrte an den Nerven der jungen,
ehrgeizigen Offiziersanwärter. Sie alle wollten einmal ihr eigenes Schiff kommandieren. Jeder träumte davon. Manchmal waren es Alpträume. Der Anblick der schweigenden QUEEN JANE machte ihnen nachhaltig deutlich, daß man im Weltraum allein war - angewiesen auf ein funktionierendes Schiff, auf ein ebenso perfektes wie verletzliches stählernes Gebilde, eine Lebensblase im unendlichen Ozean der Sterne. Gucky las die Unsicherheit in ihren Gedanken. Das machte es ihm nicht gerade leichter, seine Schutzbefohlenen allein zu lassen. „Ein Hornochse!" wiederholte der Ilt. „Dort drüben lebt jemand." „Dann kannst du ihre Gedanken lesen?" fragte Anne schnell. Die Hoffnung, daß Gucky womöglich gar nicht zu teleportieren brauchte, schwang unüberhörbar darin mit. Er schüttelte den Kopf. „Dazu sind sie zu weit weg, und was ich auffange, ist viel zu konfus. Aber sie sind krank, und sie brauchen Hilfe. Ich muß hinüber, Anne." Sie sagte nichts darauf. Gucky schob sich aus dem Sessel und ließ Jan Heerlens zu sich kommen. „Du vertrittst mich, solange ich fort bin", erklärte er dem Kadetten. „Sollten Anrufe von Terra kommen, dann sagt, was ihr seht, und daß ich bald zurück bin und selbst berichte. Die Ärzte sollen sich bereithalten und besser auf das schnellste Schiff umsteigen, das sie kriegen können." Guckys Raumanzug lag schon für ihn bereit. Er stieg hinein und überprüfte ihn kurz „Also, ich verlasse mich jetzt auf euch. Macht mir keine Schande. Ihr wolltet etwas erleben. Jetzt habt ihr es. Heerlens, Kurs beibehalten. Wir verständigen uns über Funk, wenn's nötig ist." Ihm fiel noch etwas ein. „Sollte Bully sich wieder melden un euch andere Befehle geben wollen, dann laßt ihn abblitzen. Ich verantworte das. Und schickt schon mal einen von den Desinfizierrobotern zur Hauptschleuse." Gucky schloß den Raumhelm. An seiner linken Hüfte saß ein Paralysator, an der rechten ein leichter Thermostrahler. Ein letztes Mal nickte er den Kadetten zu. Dann machte es „Plopp!", und die Stelle, an der er gestanden hatte, war leer. Jan Heerlens stand da und schüttelte ungläubig den Kopf. „Er ist weg", sagte er. „Einfach weg." „Unfaßbar", bemerkte Anne sarkastisch. Er sah sie ärgerlich an. „Du weißt genau, was ich meine. Wir haben ihn oft teleportieren gesehen. Aber das war... Spiel." „Jetzt ist es eben ernst, Jan. Ich möchte nicht in seiner Haut stecken. Hoffentlich kann er den armen Teufeln dort drüben helfen." „Und er hat mit keiner Wimper gezuckt, als ob es das Selbstverständlichste von der Welt wäre, einfach..." Heerlens schüttelte sich. „So muß es auch gewesen sein, als er den Springern und Topsidern einheizte." Anne seufzte. Das waren die Geschichten, die über den Mausbiber kursierten. Jan war nicht tatsächlich so beeindruckt davon, daß Gucky nun zur QUEEN JANE hinübersprang - er war vielmehr Zeuge eines wirklichen Einsatzes des berühmten Mutanten geworden. Und das, nachdem er und seine Kumpane ihn tagelang geneckt und belächelt hatten. „Praktische Übungen", sagte Anne. „Zusammenarbeit von Mutanten mit Raumsoldaten und Offizieren. Der Mutant arbeitet, Jan. Jetzt sind wir an der Reihe." „Und wenn er nicht zurückkommt?" fragte Heerlens.
Gucky materialisierte direkt in der Zentrale der QUEEN JANE. Stille umfing ihn. Nur die Umwälzanlagen arbeiteten leise. Alle anderen für ein Schiff dieser Art typischen Geräusche waren erstorben. Kein Mensch war hier. Gucky war darauf vorbereitet gewesen, Kranke, Hilflose, ja vielleicht Tote am Boden liegen zu sehen. Ihn fröstelte. Wo war die Besatzung? Er esperte und konnte die Quelle der Impulse lokalisieren. Bevor er zum zweitenmal sprang, konnte er sich davon überzeugen, daß die QUEEN JANE tatsächlich nie mehr einen Funkspruch würde senden oder empfangen können. Hier hatte jemand getobt, jemand, der anscheinend genau wußte, was er wollte. Denn außer der Funkanlage war nichts demoliert. Der Gedankenwirrwarr, den er empfing, ließ ihn noch Schlimmeres befürchten als er ohnehin schon wußte. Das waren keine Gedankenmuster von Menschen, die „nur" krank waren. Sie ließen sich nur mit denen von Schizophrenen vergleichen. Allerdings war der Grad der Verfremdung unterschiedlich stark. Gucky konnte die Gedanken von zwei noch halbwegs normalen Menschen herausfiltern. Er konzentrierte sich und sprang. Im nächsten Augenblick hörte er das Stöhnen von Männern und Frauen. Jemand schrie und wollte losgebunden werden. Gucky zog den Paralysator. Langsam bewegte er sich über den Korridor auf die offenstehenden Kabinen zu. Er erreichte die erste, warf einen Blick hinein und mußte schlucken. Vorsichtig trat er an die Doppelkoje heran. Unten lag eine Frau, offensichtlich in tiefer Bewußtlosigkeit. Über ihr wand sich ein Mann auf seinem Lager. Hände und Füße waren an den Rahmen gebunden. Der Raumfahrer zerrte an den Fesseln und schrie wieder. Dann sah er den Mausbiber. Kraftlos fiel er auf den Rücken zurück und starrte ihn aus weit aufgerissenen, fieberglänzenden Augen an. „Geh weg, du... Dämon!" kreischte er heiser. „Verschwinde! Geh doch, geh!" Gucky wollte etwas sagen, irgend etwas tun, um den Mann zu beruhigen. Doch der sah ihn schon nicht mehr. Er schloß die Augen und lallte Unverständliches. Seine Gedanken waren ein einziges Labyrinth aus Todesängsten, Wahnvorstellungen und Undeutbarem. Zutiefst betroffen verließ der Ilt die Kabine. In der nächsten erwartete ihn kein anderes Bild. Zwei Männer lagen im Fieberwahn und bewegten lautlos die Lippen. Sie bemerkten ihn nicht. Gucky hatte viele Kranke gesehen, Menschen am Rande des Todes. Doch dies hier... Sie konnten nicht mehr lange auf Hilfe warten. Wenn sie gerettet werden sollten, mußte es schnell geschehen. Aber dazu mußte er wissen, was geschehen war. Wo fand er die beiden, deren Gedanken er halbwegs klar empfangen hatte? Die Ausstrahlungen der Kranken behinderten seine Esperversuche. Ihm blieb nichts anderes übrig, als alle Kabinen zu durchsuchen. Er betrat die dritte und fragte sich dabei, ob ihn sein Raumanzug denn wirklich vor einer Ansteckung schützen konnte. Diese Händler waren abgebrühte Burschen und keine Amateure. Sie flogen viele Planeten an, die erst seit kurzem erschlossen waren und mußten immer damit rechnen, sich noch unbekannte Krankheiten einzufangen. Entsprechend mußten ihre Sicherheitsvorkehrungen sein. Die Frau in der oberen Koje schlief. Der Mann unter ihr... Gucky fühlte nach seinem Puls und zog ihm vorsichtig die Augenlider nach oben. Der Mann war tot.
Das Gefühl, daß an Bord dieses Schiffes etwas Ungeheuerliches geschehen war, wurde übermächtig. Gucky fühlte Zorn in sich aufsteigen. Warum hatte Terra nicht sofort nach Erhalt des verstümmelten Hyperfunkspruchs ein Ärzteschiff geschickt? Dieser Mann hätte vielleicht nicht zu sterben brauchen. Wie viele Tote gab es noch? Gucky trat von der Koje zurück, erschüttert und ängstlich vor dem, was er noch zu sehen bekommen würde. Er brauchte jemanden, der ihm noch sagen konnte, wie alles angefangen hatte. Auf dem Tisch lag eine leere Injektionskapsel. Also hatten sie versucht, sich gegenseitig zu helfen. Plötzlich empfing er wieder die Gedanken der beiden „Normalen". Auch sie waren wirr, aber Gucky konnte einige Bruchstücke auffangen. Er drehte sich um, als er die Schritte hörte. Er blickte in die Mündung eines Paralysators. David Lancer glaubte, ein Geräusch zu hören, draußen auf dem Korridor. Es waren Laute, die nicht zu dem passen wollten, das unaufhörlich auf ihn und Christine eindrang. Wenn er nicht genau gewußt hätte, daß alle außer Chris und ihm angebunden waren, hätte er sie für Schritte gehalten. Aber es konnte niemand an Bord gekommen sein. Christine und er hatten sich in der Kabine auf den Boden gelegt, in der Menning Swalff nun unruhig schlief. Sie waren beide zu schwach, um sich weiterhin um die anderen zu kümmern. Sie wollten nichts mehr sehen, nachdem sie Patrice Potazzi tot vorgefunden hatten. Sie warteten auf die Herzkrämpfe. Eigentlich hätten sie längst einsetzen müssen. Immer wieder fragte sich Lancer, ob er und Christine wirklich aus unbekannten Gründen widerstandsfähiger als alle anderen waren. Er mußte die damit verbundene Hoffnung gewaltsam dämpfen. Ein längeres Leben bedeutete längere Qualen. Und diese deuteten sich schon an. Lancer konnte kaum noch einen klaren Gedanken fassen. Aber er hörte etwas. Da war es wieder. Schritte auf dem Korridor! Er stand auf und umklammerte den Griff des Paralysators. Christine sah ihn bange an. „Da ist jemand", flüsterte David...Vielleicht hat sich einer losgerissen. „Wir müssen nachsehen." „Dann geh allein, Dave. Ich... kann nicht..." „Chris, wir müssen zusammenbleiben." Er nahm ihre Hand und half ihr auf. Sekundenlang standen sie aneinandergelehnt und warteten darauf, daß der Schwindel aufhörte. Vor ihren Augen wurde es schwarz. Sie sahen leuchtende Punkte, die sie wie Glühkäfer umschwirrten. Endlich riß der Vorhang auf, und das Gefühl kehrte in ihre Beine zurück. David taumelte auf den Ausgang zu. Er zog Christine mit sich, wartete, wenn ihre Beine einknickten, und stützte sie immer wieder. Mit dem linken Arm unterfaßte er ihre Schulter. In der Rechten war die Lähmwaffe. Sie schleppten sich auf den Korridor, taumelten gegen Wände und gingen mit zusammengebissenen Zähnen weiter. Sie fielen halb in die Kabine, in der der tote Potazzi lag. Lancer sah den Fremden im Raumanzug, ließ sich mit der Schulter gegen den Türrahmen fallen und hob den Paralysator. Das ist kein Mensch! durchfuhr es ihn. Der Schreck saß so tief, daß er ihm für Augenblick neue Kraft gab. Die Benommenheit verflog. David wußte, daß er keinem Trugbild aufsaß. Vor ihm stand ein Außerirdischer mit einer Waffe in der Hand.
Er drehte sich um, als David schießen wollte. Was dann geschah, erlebte der junge Raumfahrer wie in einem Traum, in dem er Akteur und zugleich Zuschauer war. Es war unwirklich. Etwas riß ihm die Waffe aus der Hand, bevor er sie auslösen konnte. Der kleine Fremde bewegte sich nicht. Aber etwas riß David den Paralysator weg. Er sprang ihm förmlich aus der Hand und schwebte langsam auf den Fremden zu. Er fiel nicht zu Boden! Das Wesen im Raumanzug streckte die freie Hand aus und nahm ihn in Empfang. Das war gerade so, als hätte es ihn an einem unsichtbaren Faden zu sich herübergezogen. Christine stieß einen schrillen Schrei aus. Fassungslos starrte sie auf Davids Hand, dann auf den Fremden. Und es wurde alles noch verrückter. Das Wesen begann zu reden. Es kannte ihre Namen! „Christine Swalff", hörte David eine helle Stimme sagen. „Und... David Lancer. Habt keine Angst vor mir. Ich bin nur hier, weil ich euch helfen will. Ich bin Gucky." Gucky... Lancer kannte den Namen. Jeder Mensch kannte ihn wohl. Perry Rhodans berühmter Mausbiber. Aber... David brauchte einige Zeit, um zu begreifen. Gucky hier! Der kleine Kerl dort vor ihm war wirklich und wahrhaftig der Mausbiber! Nur ein Teleporter konnte durch die geschlossenen Schleusen an Bord kommen. Und nur ein Telepath konnte seinen und Christines Namen kennen. Das war zuviel für Lancer. Seine Beine gaben nach. Er knickte in den Knien ein und sank langsam zu Boden. Etwas stützte ihn dabei. Christine stand noch mit offenem Mund da und starrte das Wunder an. Sie schien noch nicht zu wissen, was sie von dem Ganzen halten sollte. David Lancer begann zu lachen, laut und schallend. Er ließ sich auf den Rücken fallen und lachte, bis seine Lungen schmerzten. Er fühlte sich in die Höhe gehoben und schwebte auf einen Sessel zu. Entsetzt streckte er alle viere von sich, um irgendwo Halt zu finden. Gucky setzte ihn sanft ab und schob Christine den zweiten Sessel hin. Er selbst sprang einfach auf den Tisch. „Es ist gut", sagte er. „Ihr träumt nicht, und ihr seid nicht verrückt geworden. Und je schneller ihr mir sagt, was hier geschehen ist, desto eher kann euch geholfen werden." „Helfen", brachte David hervor. Wieder mußte er um seine Konzentration kämpfen. Bleierne Müdigkeit drohte ihn zu überwältigen. „Du bist Gucky. Ja, du bist es. Ihr habt unseren Notruf also empfangen. Aber uns kann niemand mehr helfen." Die Hoffnung nicht aufgeben! Das waren seine eigenen Worte gewesen. Doch jetzt, nach den Stunden tiefster Verzweiflung, hatten sie für ihn alle Bedeutung verloren. „Bestimmt nicht, wenn ihr euch selbst aufgebt. David, du brauchst mir nur die Symptome zu beschreiben. Ein Schiff mit Ärzten steht startbereit auf der Erde. Aber ich muß wissen, wie..." Die Antwort kam von unerwarteter Seite. Davids Kopf fuhr herum, als er Christine plötzlich reden hörte. Lancer hörte ihre Worte wie aus weiter Ferne. Alles schien plötzlich von ihm abzurücken. Er bekam keine Luft mehr. Sein ganzer Körper versteifte sich. Sein Herz... Ich sterbe! schrie es in ihm.
Gucky hatte von Christine Swalff schon genug gehört, um zu wissen, was mit dem jungen Raumfahrer geschah. Er hielt das Mädchen telekinetisch zurück, bis der Anfall vorüber war und Lancer bewußtlos im Sessel lag. „Christine!" appellierte er an sie. „Wir legen ihn gleich in eine der freien Kojen. Aber du mußt mir den Rest erzählen. Auch wenn es dich quält! Ich muß alles wissen!" Er hätte es ihr gerne erspart. Doch aus ihren Gedanken war nicht genug herauszulesen. Sie wurden erst dann klar, wenn sie sich konzentrierte und sprach. Er konnte sie nicht trösten. Für sie war der Zusammenbruch Lancers mehr als ein Krankheitsstadium. Eben noch voller verzweifelter Hoffnung, brach sie nun innerlich zusammen. Gucky hüpfte vom Tisch und stellte sich vor sie. Er nahm ihre Hände. „Du hast mir den Krankheitsverlauf beschrieben, soweit ihr ihn kennt", sagte er eindringlich. „Begreif doch, daß wir euch helfen können, wenn wir nur genug wissen. Auch David! Auch deinem Vater! Was tat dieser Mann auf Meeting Point?" „Balk", flüsterte sie, den Blick auf den am Boden Liegenden gerichtet. Sie zitterte und wollte sich aus der telekinetischen Umklammerung lösen. Sie hatte nur noch Augen und Gedanken für David. Gucky sah ein, daß er von ihr nichts mehr erfahren würde. Er empfing zwar vage Eindrücke von dem, was Balk St. Peters ausgesagt hatte, aber das war zuwenig viel zuwenig, wenn das, was sie dachte, zutraf. Bisher ging es nur um zwölf Menschen. Jetzt aber kam die Erde ins Spiel. Christines letzte klare Gedanken waren eine verzweifelte, aber unartikulierte Warnung gewesen. Er ließ sie los und hob Lancer telekinetisch an, ließ ihn durch den Korridor schweben, bis er die Kabine fand, in denen die beiden unbelegten Kojen standen. Sanft bettete er den Bewußtlosen auf das Lager. Die Zeit drängte. Gucky stützte das Mädchen, das ihm gefolgt war und dabei immer wieder hinfiel. Er half ihr in einen Sessel. „Wo liegt euer Lademeister?" fragte er. „Sag mir nur noch das." „Gleich nebenan", murmelte sie geistesabwesend. „Die untere Koje." Sie warf sich über David. Gucky verwünschte seine Ohnmacht. Wenn er nur helfen könnte. Er mußte sich gewaltsam von seiner Beklemmung freimachen, suchte St. Peters und fand ihn in kalten Schweiß gebadet. Er hatte den Mann nicht gesehen, als er noch gesund war. Doch sein Gesicht war eingefallen wie das eines bereits Toten. „Du darfst noch nicht sterben", murmelte Gucky. Er sah, daß es wenig Sinn hatte, den Lademeister wachzurütteln. Er würde nichts zu hören bekommen. Der Mann konnte nicht einmal mehr lallen. Gucky schloß die Augen. Seine Sinne stießen in eine alptraumhafte Gedankenwelt vor. Es kostete ihn alle Überwindung, zu der er fähig war, sich nicht gleich wieder zurückzuziehen. Er mußte durch dieses Labyrinth. Es gab keine Rückkehr zur Kaulquappe, bevor er nicht auch das letzte aus St. Peters verschütteten Erinnerungen herausgeholt hatte. Die Welt um ihn herum löste sich auf. Er versank in eine andere, klammerte sich an den schwachen Funken Leben inmitten der endlosen Schwärze des Todes, die mit gierigen Klauen nach ihm griff. Jan Heerlens ging unruhig in der Zentrale auf und ab. Dann und wann blieb er stehen und warf einen Blick auf den Panoramaschirm. Das Bild hatte sich nicht verändert, seitdem Gucky teleportiert war.
Wie ein schwarzer, lichtergesprenkelter Schatten zog das alte Transitionsschiff seine Bahn. „Setz dich endlich hin!" rief ein Kadett. „Du machst uns noch alle verrückt." „Aber er müßte längst zurück sein, Heinz." „Macht euch keine Sorgen um Gucky", riet Anne ihnen. „Er kommt wieder. Wenn er länger bleibt, hat er seine Gründe." Heerlens blickte sie mißmutig an. „Aber er könnte uns wenigstens ein Zeichen geben. Er wollte doch funken." „Wenn er's nicht tut, hat er seine Gründe." „Seine Gründe!" Der Offiziersanwärter ließ sich in den Sessel fallen, in dem normalerweise Gucky saß. Er schwenkte ihn herum und streckte provozierend die Beine aus. „Die können darin bestehen, daß er nicht mehr lebt." „Hör endlich mit dem Unken auf!" kam eine weibliche Stimme aus dem Interkomlautsprecher. „Wer ist das?" rief Heerlens. „Funkraum, Sir!" Heerlens rümpfte die Nase. „Ellen? Das kommt mir gerade recht. Wenn Gucky sich nicht meldet, müssen wir das tun. Funke ihn an und frag ihn, ob..." „Ob wir ihm zu Hilfe kommen sollen?" schnitt Anne ihm das Wort ab. „Oh, Jan, du bist ein... ein Kind!" „Wer sagt das?" „Der Weihnachtsmann, wer sonst?" Anne stand auf und breitete die Arme aus. „Jan, er hat gesagt, wir sollen auf dem Posten bleiben. Mehr nicht. Ich weiß nicht, in was er dort drüben hineingeraten ist. Aber ich denke nicht daran, ihn jetzt zu stören. Wenn er unsere Hilfe brauchte, hätte er sich gemeldet." Sie hob den Zeigefinger. „Und sag jetzt bloß nicht, daß er's nicht tut, weil er es nicht kann!" „Ich ziehe es vor, es mir zu denken und zu schweigen", knurrte der Kadett beleidigt. Sie verdrehte die Augen und seufzte. Inzwischen hatte sich etwa die Hälfte aller Kadetten in der Zentrale eingefunden. Die anderen bombardierten sie mit Fragen, auf die es keine Antwort gab. Anne hatte selbst schon mit dem Gedanken gespielt, Gucky anzufunken, ihn dann aber wieder verworfen. Sie sagte sich, daß der Mausbiber lange und oft genug in die brenzligsten Situationen geraten war und sich zu helfen wußte, sollte er tatsächlich in Gefahr geraten. Sie wollte sich nicht zugeben, daß sie davon längst nicht so überzeugt war, wie sie sich nach außen hin gab. Daß dort draußen, an Bord des geisterhaft dahintreibenden Schiffes Menschen Qualen erlitten oder starben, war schon schlimm genug. Was aber, wenn auch Gucky etwas Unbekanntem zum Opfer fiel? Nicht nur, daß sie ihn ins Herz geschlossen hatte - was sollte aus ihnen allen werden? Die Erde anfunken? Sie blickte auf die Uhr. Fast zwei Stunden war Gucky nun fort. Sie setzte sich wieder und spielte nervös mit einem Schreibstift. Komm zurück, Gucky! Komm doch endlich! Ein beklemmender Gedanke beschlich sie. Gucky hatte gesagt, daß sie „Desinfizierroboter" zur Hauptschleuse schicken sollten. Also wollte er dort materialisieren. Natürlich mußte sein Raumanzug vernichtet und er selbst keimfrei gemacht werden. Wenn er aber nun schon in der Schleuse war - und vielleicht hilflos? Wieso sollte er das sein? versuchte sie, die Vision zu vertreiben. Wenn er dort wäre, müßte er dorthin tele-portiert sein - und das konnte kein Hilfloser.
Doch der Gedanke ließ sie nicht mehr los. Was hatte sie zu verlieren, wenn sie sich überzeugen ging? Sicher irrte sie sich. Aber sie wollte es genau wissen. Hier in der Zentrale kam sie sich ohnehin ziemlich überflüssig vor. Sie legte den Stift auf ein Pult, strich sich das Haar aus der Stirn und stand auf. Kaum, daß sie sich auf den Weg zum Antigravlift gemacht hatte, hörte sie Heerlens rufen: „He, Anne! wohin gehst du?" „Frische Luft schnappen." „Dann warte. Ich komme mit!" Sie fuhr herum und starrte ihn an. Was wollte er? Sie wieder betatschen? Ausgerechnet jetzt? Hatte er wirklich den Nerv...? Er hatte Angst. Sein verlegenes Grinsen konnte nicht darüber hinwegtäuschen. Das Großmaul fühlte sich auf einmal in eine Rolle gedrängt, die eine Nummer zu groß für ihn war. „Nein", sagte sie nur. Sie ließ sich ein Deck höher tragen, verließ den Lift und ging an den Mannschaftsunterkünften vorbei. Niemand begegnete ihr, bis sie die Hauptschleuse vor sich sah. Zwei Allzweck-Roboter und zwei Kadetten warteten dort. „Das sind die ‚Desinfizierrobots'?" fragte sie. Es interessierte sie nicht wirklich. Natürlich wußte sie, daß die Maschinen entsprechend programmiert waren. „Sieht so aus", antwortete einer der Kadetten. Sie nickte und holte Luft. „Ich löse euch ab. Geht in die Zentrale. Ich glaube, Jan will etwas von euch." Es hätte der kleinen Schwindelei kaum bedurft. Die beiden waren froh, ihren einsamen Posten verlassen zu dürfen. Und Anne wollte keine Zeugen, die später überall im Schiff von ihrer Blamage erzählten. Sie wartete, bis sie ihre Schritte nicht mehr hörte, zählte in Gedanken bis zwanzig und trat vor die Schleusenkontrollen. Es war ein Doppelschleuse. Diese Kaulquappe unterschied sich in mancher Hinsicht von denen, auf denen sie bisher geflogen war. Unter anderem hatte sie eine weit größere Reichweite als der Normaltyp. Warum das so war, wußte sie nicht. Es spielte jetzt auch keine Rolle. Anne ließ das Innenschott auffahren. Gerade noch rechtzeitig besann sie sich darauf, einen Schutzanzug anzuziehen, die zu ihrer Rechten in allen Größen in einer Nische hingen. Eigentlich kam ihr das überflüssig vor. Ein Teleporter würde nicht wie ein normaler „Mensch" durch das Außenschott kommen. Aber in diesem Fall aus einem Seuchenschiff. Sie spürte ihren Herzschlag, als sie die innere Schleusenkammer betrat und an die Trennwand heranging. Durch eines der Sichtlöcher sah sie... „Gucky!" Sie erschrak vor dem Klang ihrer eigenen Stimme. „Mein Gott!" Ihre Finger waren schon auf den Kontrollen, um die Trennwand in die Höhe fahren zu lassen. Es ging nicht. Sie probierte es noch zwei-, dreimal, bis ihr bewußt wurde, daß das Innenschott noch offenstand. Eilig schloß sie es. Sie kam sich wie eine Dilettantin vor. Die einfachsten und wichtigsten Dinge ließ sie außer acht. Hastig überprüfte sie die Anzeigen in der Kammer. Hinter der Trennwand herrschte, normaler Luftdruck. „Warte, Gucky! Gleich..." Die Wand fuhr in die Höhe. Anne bückte sich und war mit wenigen Schritten beim Mausbiber, der unnatürlich verkrümmt auf dem Boden lag. Sie warf sich auf die Knie und streckte die Hände nach dem Ilt aus. Im letzten Moment zog sie sie zurück.
Sie mußte jetzt ruhig bleiben. Keinen Fehler machen. Ihr Herz klopfte wild. Das Blut schoß hämmernd durch ihre Schläfen. Herrje, was konnte sie tun? „Jan!" rief sie ins Mikro des Helmfunks. „Komm her und bring Pierre mit! Ich bin in der Hauptschleuse!" Pierre Lutbarski hatte Medizin studiert. Vielleicht war es gut, wenn er mitkam. Sicher sogar. Anne konnte sich Guckys Zustand nur dadurch erklären, daß er sich an Bord der QUEEN JANE infiziert hatte. Heerlens fragte etwas. Sie hörte es kaum und gab keine Antwort. Sie brachte ihr Gesicht ganz nahe an das des Mausbibers - so nahe, wie ihre Raumhelme es zuließen. „Gucky!" rief sie beschwörend. „Gucky, hörst du mich?" Er schlug die Augen auf. Anne schluckte zweimal, als sie sah, daß sein Blick regelrecht durch sie hindurchging. Erst allmählich klärte er sich. „Gucky! Gucky, erkennst du mich?" „Anne...", hörte sie seine Stimme aus dem Helmlautsprecher. Sie war schwach, viel zu schwach. Doch dann ging ein Ruck durch den Körper des Mutanten. Guckys Gestalt straffte sich. „Anne!" hörte sie Jans Stimme im Helmfunk. „Können wir kommen?" „Nein!" rief sie. „Bleibt draußen! Wartet noch!" Gucky hatte sich inzwischen halb aufgerichtet. Sie nahm seinen Kopf und legte ihn in ihren Schoß. „Gucky, was ist...?" Er nahm ihre Hand und drückte sie, als wäre sie ein Anker, an dem er sich festhalten mußte. „Später... ich... ich werde schon wieder, Mädel. Jetzt hilf mir aus dem Raumanzug. Du mußt ihn... vernichten. Aus der Schleuse. Deinen auch." Sie hatte tausend Fragen, erkannte aber, daß sie zu warten hatten. Vorsichtig half sie ihm, zuerst den Raumhelm zu lösen, dann die anderen Verschlüsse. Als er abwinkte und auf sie deutete, stieg sie selbst aus dem Schutzanzug. Sie warf ihn auf den des Mausbibers. Gucky war auf den Beinen. Er schwankte noch ein wenig, doch mit jeder Sekunde wurden seine Bewegungen sicherer. Nur seine Blicke verrieten etwas von dem, das er durchgestanden haben mußte. Er zog den Thermostrahler, richtete ihn auf die Anzüge und steckte ihn wieder weg. „Komm", sagte er und war schon in der inneren Schleusenkammer. Ohne zu begreifen, was er eigentlich wollte, folgte sie ihm. Gucky ließ die Trennwand herunterfahren, wartete auf die „Dicht"-Anzeige und öffnete das Außenschott. Die Raumanzüge wurden mit der Luft in den Weltraum gerissen. Er tippte eine Taste in der Kontrolltafel an. Im nächsten Moment sprühte eine übelriechende Flüssigkeit auf ihn und Anne herab. Erst als beide vollkommen durchnäßt waren, schaltete Gucky ab. Das Innenschott fuhr in die Höhe. Anne, noch völlig konfus, sah, wie Jan Heerlens und Lutbarski zurückwichen. Triefend marschierte der Mausbiber aus der Schleuse, schüttelte sich und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand. „Heerlens", sagte er halblaut. „Eine Verbindung zur Erde, aber schnellstens. Mach, daß du in den Funkraum kommst. Laß dich nicht von irgendwelchen Bürohengsten abwimmeln. Wenn ich unten bin, will ich Bully oder Perry Rhodan auf dem Schirm haben. Lutbarski, du holst neue Kombinationen für mich und Anne. Und du, Anne..." Er schloß die Augen und holte tief Luft. „Du trägst mich." „Aber die Roboter", wagte Heerlens einzuwerfen. „Die Desinfizierroboter..."
Guckys Lider zuckten in die Höhe. Für einen Moment glaubte Anne, er wollte dem Kadetten ins Gesicht springen. „Das war doch ein Scherz, Mann! Wir sind desinfiziert! Bist du noch nicht im Funkraum?" Heerlens rannte los, Lutbarski hinter ihm her. Anne sah, daß der Mausbiber jeden Augenblick wieder zusammenbrechen würde. Sie nahm ihn auf die Arme. Sie wartete nicht auf neue Kombinationen. Eine Tropfspur hinter sich lassend, lief sie mit Gucky zum Antigrav, sah, daß er schon umgepolt war und ließ sich zur Zentrale tragen. Sie betrat die Zentrale und achtete nicht auf die Blicke der anderen Kadetten. Im Bewußtsein, daß Gucky etwas entdeckt hatte, das weit größere Bedeutung hatte als die Seuche an Bord der QUEEN JANE, kletterte sie die Leiter hoch, die zur Linken des Panoramaschirms aus der Zentrale führte, durch das Schott und über ein Stück Korridor zur Funkkabine. Jan Heerlens und Ellen Snider machten schnell vor den Bildschirmen Platz. Heerlens hatte offenbar auf Anhieb Erfolg gehabt. Reginald Bulls Gesicht blickte Anne und dem Mausbiber entgegen. Anne half dem Ilt in den Sessel. Dankbar drückte er ihre Hand, schloß für einen Moment die Augen, atmete tief durch und sagte: „Hör mir jetzt nur zu, Bully. Hör gut zu. Ich war an Bord der QUEEN JANE, und ich..." Nicht nur Bull wurde bleich, als der Mausbiber stockend berichtete. Bald ging es Gucky besser. Er erholte sich relativ schnell von dem Schock, den er erlitten hatte, als er Balk St. Peter's Tod miterleben mußte. Es war die Hölle gewesen und würde ihn noch lange beschäftigen. Jetzt aber war keine Zeit dafür. Gucky mußte es mit Gewalt verdrängen. Bevor der Raumfahrer starb, war es ihm gelungen, in einem kräfteraubenden telepathischen Kraftakt alle Informationen aus St. Peters herauszuholen, die er brauchte. Geschwächt und unter der Schockeinwirkung hatte er noch Christine Swalffs hysterisch vorgebrachte Bitte erfüllt, sie selbst und David Lancer zu paralysieren. Mehr noch: Er schaffte die beiden Toten in eine Schleuse und übergab sie dem Weltraum. Dann erst teleportierte er zurück. Es war ein Sprung ins Ungewisse. Gucky wußte nicht, ob er überhaupt noch in der Lage war, in der Hauptschleuse der TRAMP'S BEAUTY zu materialisieren. Aber der Gedanke an das, was sich zwischen Meeting Point und der Erde zusammenbraute, trieb ihn voran. Er schaffte es, wenngleich er dabei seine allerletzten Kräfte verbrauchte und die Materialisation nur noch vage erlebte. Dankbar sah er Anne an, die genau den richtigen Riecher gehabt hatte. Wie er, trug sie eine neue Kombination. Die von ihm eingesetzte Zentralebesatzung hatte ihre Plätze eingenommen. Gucky saß vor dem Panoramabildschirm. Die Kadetten blickten ihn erwartungsvoll an. Einigen war anzusehen, daß sie geradezu danach fieberten, endlich Kurs auf Meeting Point zu nehmen. Andere saßen eher betreten vor den Kontrollen. Sie alle wußten, daß aus den „praktischen Übungen" blutiger Ernst geworden war. Gucky verzichtete darauf, in ihren Gedanken zu lesen. Er wußte nicht, ob er sich bis zur Landung auf Meeting Point soweit erholt hatte, daß er wieder uneingeschränkt von seinen Fähigkeiten Gebrauch machen konnte. Vorerst galt es, die Kaulquappe dorthin zu bringen. Er mußte sich darauf verlassen, daß die Kadetten die Nerven behielten.
Bully wußte alles, was er zu wissen hatte. Guckys und Annes Raumanzüge waren wie die beiden im Raum treibenden Leichen zerstrahlt worden. Meeting Point wurde direkt von der Erde aus über das bevorstehende Eintreffen der Kaulquappe unterrichtet. Perry Rhodan selbst übernahm das. Jeder auf dem Planeten sollte wissen, daß der geplante Anschlag auf die Heimatwelt der Menschheit entdeckt worden war - auch diejenigen, die dahintersteckten. Obwohl Meeting Point die Angehörigen aller wichtigen Rassen der bekannten Galaxis beherbergte, war diese Welt eine terranische Kolonie. Somit unterstand er auch der Verwaltung der terranischen Kolonisten, die einen Zwölf errat gebildet hatten, um die Geschicke des Planeten zu lenken. Diesem Rat gehörten jeweils zwei Vertreter der Akonen, Springer, Arkoniden und Aras an. Gucky gab Befehle, überzeugte sich ein letztes Mal davon, daß die Kadetten in der Zentrale sich genügend beruhigt hatten, um ihre Arbeit verrichten zu können, und aktivierte die Impulstriebwerke. Die QUEEN JANE blieb hinter der Kaulquappe zurück. Das Ärzteschiff war auf dem Weg, obwohl es mehr als zweifelhaft war, daß die Mediziner den noch Lebenden wirklich helfen konnten, solange der Erreger noch unbekannt war. Er mußte gefunden werden -und jene, die ihn entwickelten. Noch nie hatten die Aras Krankheiten gesät, gegen die es ein Gegenmittel gab. Nur sie hatten es. Darum mußte Gucky selbst nach Meeting Point. Des damit verbundenen Risikos war er sich bewußt. Er mußte immerhin damit rechnen, selbst angesteckt zu sein. Diese Befürchtung war das einzige, was er den Kadetten verschwiegen hatte. Eine Panik war das letzte, was er nun gebrauchen konnte. Die QUEEN JANE verschwand vom Bildschirm. Gucky dachte an die zehn Menschen an Bord. Wie viele von ihnen lebten noch? Alles, was er noch für sie hatte tun können, war, Christine Mut zuzusprechen, bevor er sie paralysierte und in die Koje legte. Er konzentrierte sich auf das, was vor ihm lag. Aber was, wenn es schon zu spät war? Wenn die Erreger wirklich längst auf dem Weg zur Erde waren - als harmlose Fracht getarnt und an Bord eines Schiffes, dessen Besatzung völlig ahnungslos war? Gucky hing diesen finsteren Gedanken nach, als die TRAMP'S BEAUTY in den Linearraum ging. Während die Kaulquappe auf Meeting Point zujagte, entwickelte sich auf der Erde, im gesamten Solsystem und auf Meeting Point hektische Aktivität. Das Solsystem wurde „dichtgemacht". Flottenverbände starteten oder wurden aus Weltraumtiefen zurückgerufen. Einheiten bildeten weit jenseits der Plutobahn einen Sperrgürtel für alle ankommenden Raumer. Ein generelles, unbefristetes Start- und Landeverbot wurde für alle solaren Planeten ausgerufen. Perry Rhodan selbst hatte die Koordination übernommen. Krisenstäbe tagten ununterbrochen. Rhodan hatte eine ständige Verbindung nach Meeting Point, wo die alarmierende Nachricht mit Bestürzung und Unglauben aufgenommen worden war. Die Bevölkerung Terras wurde über die Bedrohung aus dem Weltraum noch nicht informiert, um eine Panik zu vermeiden. Die Aktivitäten im Solsystem wurden als Flottenmanöver erklärt. Und selbst die Piloten der Abfangjäger wußten nicht, worauf sie eigentlich warteten. Strengstes Start- und Landeverbot war auch über den Kontaktplaneten verhängt worden. Reginald Bull war mit einem Flottenverband dorthin unterwegs. Die Eingeweihten hielten den Atem an. Auf der Erde wartete man voller Ungeduld auf eine Nachricht des Mausbibers.
Am Morgen des 26. August 2144 traf die Meldung von der Landung der TRAMP'S BEAUTY ein. 7. Dutzende von Schiffen befanden sich im Orbit um den Planeten, als die Kaulquappe sich auf das ihr angewiesene Landefeld herabsenkte. In den Funkempfängern waren die wütenden Proteste von Kommandanten zu hören, die entweder mit prall gefüllten Frachträumen gekommen waren und vergeblich auf die Landeerlaubnis warteten oder neue Ladungen an Bord nehmen wollten. Gucky verließ die TRAMP'S BEAUTY, kaum daß sie aufgesetzt hatte, und begab sich unverzüglich zur Hafenkommandantur. Anne Sebastian und Jan Heerlens begleiteten ihn. Er verzichtete auf eine Teleportation und widerstand sogar der Versuchung, zu espern. Noch brauchte er Schonung. Neben dem Raumhafenkommandanten, einem untersetzten, weißhaarigen Mann namens Burt Laveaux, erwarteten ihn drei Mitglieder des Regierenden Rates. Gucky begrüßte sie knapp und begann ohne Umschweife: „Sie sind ja inzwischen alle unterrichtet, so daß ich mir dies ersparen kann. Kommandant, ich weiß, wo die Behälter, die St. Peters entdeckte, sich befinden oder befanden." Laveaux setzte sich hinter einen riesigen, unaufgeräumten Arbeitstisch und bildete aus Daumen und Zeigefingern ein Dreieck, auf das er das massive Kinn stützte. Er wirkte ungewöhnlich ruhig - im Gegensatz zu den Ratsmitgliedern. Laveaux nickte bedächtig. „Wir haben alles unternommen, was in unserer Macht stand, Gucky. Die Lagerhallen wurden abgeriegelt, gleich nachdem wir die Nachricht erhielten. Ich kann es immer noch nicht glauben." „Aber es ist so. Die Ara-Kolonie?" „Wird überwacht. Jeder Terraner, Akone, Springer, Arkonide und Ara ist über die Situation informiert. Ihre Vertreter boten uns auf Anhieb ihre Unterstützung an - auch die Aras." Gucky sah den Mann prüfend an. „Du glaubst wirklich nicht daran, daß die Galaktischen Mediziner Erreger entwickelt und als getarntes Handelsgut für die Erde bereitgestellt haben?" „Wenn ich ganz ehrlich sein soll, nein. Ich kann es mir nicht vorstellen." „Proteste von irgendeiner Seite?" „Wie gesagt, alle hier vertretenen Rassen boten uns sofort ihre Unterstützung an. Daß die Aras nicht gerade glücklich über den gegen sie geäußerten Verdacht sind, liegt auf der Hand. Sie sind die eifrigsten von allen. Ihre Rechnung werden sie uns präsentieren, wenn sich später ihre Unschuld herausstellen sollte." „Das mag sein", entgegnete der Ilt kühl. „Vorerst sind sie alle zu beobachten. Das gleiche muß für die Akonen, Springer und Arkoniden gelten. Sieh zu, daß es möglichst unauffällig geschieht und keinen Anlaß zu diplomatischen Verwicklungen gibt. Die Schuldigen wissen, daß ihr Spiel durchschaut ist. Sie werden sich früher oder später bemerkbar machen." Er beließ es bei der Andeutung. Solange er noch nichts Handfesteres hatte, sollten die Attentäter glauben, er wisse mehr, als er preiszugeben bereit sei. „Terraner sind von allen Verdächtigungen ausgeschlossen?" fragte Laveaux sarkastisch. Gucky hatte gute Lust, ihm eine Lektion zu erteilen. Wenn dieser Kerl die Männer und Frauen an Bord der QUEEN JANE gesehen hätte!
„Nein", versetzte er. „Niemand. Ich werde mich jetzt nach den Behältern umsehen. Inzwischen fertigst du mir eine Liste aller Schiffe an, die Meeting Point nach der QUEEN JANE verließen. Die Namen, ihr Ziel und ihre Ladung." Laveaux nickte und rief zwei Frauen in sein Büro. Gucky drehte sich zu den beiden Kadetten um. „Jan, du kommst mit mir. Anne, bleib hier und sieh zu, ob du dich nützlich machen kannst, bis wir zurück sind." Sie verstand. Gucky nickte den Ratsmitgliedern zu und mußte eine Reihe von Fragen abwehren, bevor er mit Heerlens allein war. Auf dem Weg zum Lift wagte er einen Esper-Versuch. Es gelang ihm leichter als befürchtet, einige Gedanken des Hafenkommandanten aufzufangen. „Du glaubst, daß dieser Laveaux etwas mit der Sache zu tun haben könnte?" fragte Jan Heerlens. „Jetzt nicht mehr. Er ist sauber." Am Ausgang des Verwaltungsgebäudes wurden sie von sechs bewaffneten Wachen empfangen, die sie zu den Hallen führten. Gucky erkannte eines der riesigen rechteckigen Gebäude wieder. Kurz orientierte er sich. Dann nahm er den Weg, den vor fünf Tagen Balk St. Peters gegangen war. Bewaffnete machten ihn ihm und seinen Begleitern frei. Gucky sah Angst in ihren Blicken - Angst und Verunsicherung. Manche der Uniformierten blickten ihm mit einer Mischung aus Respekt und Mißmut nach. Gucky erreichte den Trakt, in dem die Behälter gestanden hatten. Zielstrebig ging er auf die betreffende Stelle zu. Dort war nichts mehr. Gucky rief sich noch einmal in Erinnerung, was er in St. Peters erlöschendem Bewußtsein gefunden hatte. Es konnte keine Zweifel bestehen: Hier, wo nun bloßer Betonboden vor ihm lag, hatten die Behälter mit dem tödlichen Inhalt sich befunden. „Ich wußte es", murmelte der Mausbiber. Er winkte einen der Uniformierten heran. „Wer ist für die Verladung aus dieser Halle zuständig?" Der Mann zuckte die Schultern und sah sich unter seinen Kameraden um. Sie alle schüttelten die Köpfe. „Wir haben normalerweise nichts mit diesen Dingen zu tun", gab der Bewaffnete zur Auskunft. „Das ist Sache der Kommandantur. Wir..." Gucky winkte ab. „Ich verstehe. Also wieder Laveaux." Noch einmal sah er sich den nackten Boden an. „Und niemand konnte hier herein, nachdem ihr zur Bewachung hierhergeschickt wurdet? Niemand hatte eine Möglichkeit, nach der Beladung des letzten Schiffes hier noch etwas zu entwenden?" „Ganz bestimmt nicht", sagte der Posten. „Keine Maus kam ungesehen hier herein oder heraus." „Höchstens ein Mausbiber", versuchte einer der anderen zu scherzen. Gucky bedachte ihn mit einem undefinierbaren Blick. Er winkte Heerlens zu. Wortlos verließen sie die Halle. In Laveaux' Büro erwartete sie eine weitere Ernüchterung. Guckys Laune hatte sich noch weiter verschlechtert. Er hatte nur einen Gedanken: Die Seuche ist unterwegs zur Erde! Laveaux' Miene hatte sich gründlich verändert, als Gucky und Heerlens ihm wieder gegenüberstanden. Die Ratsvertreter waren inzwischen gegangen. Eine seiner beiden Assistentinnen stand neben dem Raumhafenkommandanten. Gucky wußte schon, daß ihm eine schlechte Nachricht bevorstand, als er in Annes Augen blickte.
„Ich denke, ich muß mich bei dir entschuldigen, Gucky", sagte Laveaux. Seine Stimme hatte jeden Klang verloren. „Es ist etwas geschehen, das mich die Angelegenheit in einem anderen Licht sehen läßt. Besser gesagt: zwei Dinge sind geschehen." Gucky las es in seinen Gedanken, ehe er es aussprechen konnte. Dennoch ließ er den Mann reden. Er mußte sich setzen. „Die Frachtpapiere für alle sechs Schiffe, die Meeting Point nach der QUEEN JANE und vor der Verhängung des Startverbots verließen, sind verschwunden", berichtete Laveaux mit unbewegter Miene. „Ich will auf der Stelle tot umfallen, wenn wir nicht alles nach ihnen abgesucht hätten - und wenn ich eine Erklärung dafür fände, wie sie aus unseren gesicherten Schränken entwendet werden konnten. Das ist das eine." Laveaux stand auf und stützte sich schwer auf die Tischplatte. „Das zweite wiegt noch viel schwerer. Als wir die Schränke wieder und wieder durchsucht und in allen möglichen Ablagen nachgesehen hatten, wollte ich Jud Hermanns zu mir kommen lassen. Das ist der Mann, der für die Verladung aus dem Komplex zuständig ist, aus dem alle sechs Schiffe Fracht an Bord nahmen. Nach mehreren erfolglosen Versuchen, ihn zu erreichen, schickte ich eine Handvoll Männer, um ihn zu holen." Laveaux machte eine Pause und ballte die Fäuste. „Sie fanden ihn tot in seinem Quartier. Vergiftet." Gucky blieb schweigend sitzen. Er mußte das erst verarbeiten. Die tödliche Fracht war unterwegs nach Terra. Der Mann, der die letzten startenden Schiffe abfertigte, war vergiftet worden. Warum ausgerechnet vergiftet? Dies war eine Spur, die ebenfalls zu den Aras führte. Zum erstenmal kam Gucky der Gedanke, daß jemand daran interessiert sein könnte, den Verdacht gegen die Galaktischen Mediziner auf diesem Planeten des Friedens noch zu verstärken. Sechs Schiffe hatten Meeting Point verlassen. Sie alle hatten ihre Fracht aus der gleichen Halle an Bord genommen. Und was Laveaux noch nicht ausgesprochen hatte: Alle sechs waren kurz hintereinander gestartet, fast gleichzeitig. Weder die Frachtpapiere noch der einzige Mann, der die Beladung überwacht und geleitet hatte, konnten Auskunft darüber geben, welches der Schiffe die Erreger an Bord hatte. „Dieser Mann mußte sterben, weil er zuviel wußte", sagte Gucky endlich. „Wir können davon ausgehen, daß er ein Komplize der Attentäter war. Er hatte dafür zu sorgen, daß die sechs zu beladenden Frachter ihr Handelsgut alle aus der gleichen Halle an Bord nahmen. Vielleicht war er es auch, der die Papiere verschwinden ließ. Er hatte doch Zugang zu ihnen?" „Natürlich", sagte Laveaux. Er schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Ich Trottel!" „Das hilft uns jetzt auch nicht weiter. Unsere Unbekannten haben anscheinend nichts dem Zufall überlassen. Sie wollten ganz sichergehen. Sechs Schiffe sind schwerer aufzubringen als nur eines. Ich bin fast sicher, daß sich auf jenem, das die Erreger zur Erde bringen soll, ein weiterer Komplize befindet." Er stand auf. „Die Namen der Schiffe." Laveaux reichte ihm eine Liste und schüttelte immer wieder den Kopf. „Ausgerechnet Hermanns! Und ich hatte volles Vertrauen zu ihm." „Du scheinst zu vielen Leuten zuviel Vertrauen zu haben, Kommandant", sagte Gucky, während er die Liste überflog. „Besorge mir jetzt ein Quartier hier in der Nähe. Wo ist eure Hyperfunkanlage?" „Ich lasse dich hinbringen, Gucky", sagte Laveaux.
„Dazu haben wir keine Zeit mehr." Der Mausbiber nahm die Hand der Assistentin. „Nun denke nur an den Funkraum, Mädchen. Intensiv." Sie tat es. Zwei Sekunden später war die Stelle, an der sie und der Ilt gestanden hatten, leer. Laveaux erschrak. „So ist das also, wenn einer teleportiert", murmelte er. „So ist das", sagte Anne. Heerlens ließ sich in einen Sessel fallen. „Warum will er ein Quartier haben?" wunderte er sich. „Warum bleibt er nicht bei uns in der Kaulquappe?" „Ich glaube, ich weiß es", flüsterte Anne. „Gott stehe ihm bei." Kein Muskel zuckte im Gesicht des Mannes, der Gucky vom Bildschirm der Hyperfunkanlage entgegenblickte. „Sechs Schiffe, Perry, irgendwo zwischen Meeting Point und der Erde. Wir können nicht davon ausgehen, daß sie den geraden Weg nehmen. Sollte sich aber tatsächlich ein Komplize der Verbrecher an Bord desjenigen befinden, das die Erreger geladen hat, kann er wenigstens nicht mehr von hier aus gewarnt werden." Rhodan nickte. „Danke, Gucky. Wir haben die Namen der Frachter. Wir werden sie finden." „Hoffentlich rechtzeitig. Wann trifft Bully ein?" „In wenigen Stunden. Ich melde mich sofort, wenn wir etwas gefunden haben, Gucky. Bis dahin - sei vorsichtig." „Ich will's versuchen", murmelte der Ilt. Das sonst übliche Grinsen blieb aus. Er starrte noch auf den Schirm, als Rhodan sich längst verabschiedet hatte. Erst jetzt wurde ihm das ganze Ausmaß der Bedrohung klar. Und wer auch immer dahintersteckte - es ging ihm um mehr als nur um die Erde. Das ganze Vorgehen der Unbekannten deutete darauf hin. Die Rassen der Milchstraße sollten gegeneinander aufgebracht werden. Der gegen die Aras bestehende Verdacht wurde durch den Giftmord noch untermauert. Konnten dann aber die Aras als geschlossene Gruppe für die geplante Ausrottung der Erdenbevölkerung in Frage kommen? Wann kamen die anderen Rassen ins Spiel? Mindestens ein Terraner hatte mit den Attentätern kooperiert. Gab es weitere? Gucky stand auf und watschelte aus dem Funkraum, nachdem er Laveaux gebeten hatte, die beiden Ara-Vertreter im Regierenden Rat zu ihm zu schicken. Der Raumhafenkommandant sagte seiner Assistentin, die die unerwartete Teleportation mit Sicherheit ihre erste - noch nicht ganz verdaut hatte, wo sich die für Gucky bereitgestellten Quartiere befanden. Sie führte ihn. Allein um ihr Gesicht zu wahren, mußten die Aras ihm helfen. Gucky neigte immer mehr zur Ansicht, daß nur einige von ihnen für das Attentat in Frage kamen. Möglicherweise hatten sie nicht nur terranische Helfer, sondern Komplizen auch unter den Akonen, Springern und Arkoniden. Mit Schaudern dachte der Ilt an die CONDOS VASAC, die Verbrecherorganisation, auf deren Konto schon soviel Blutvergießen in der Galaxis ging. Gab es CONDOS-VASAC-Agenten auf Meeting Point? Gucky nickte der jungen Kolonistin dankbar zu, als sie ihm die Impulsschlüssel für sein Quartier überreichte. Am Eingang des prächtigen Besuchergebäudes nahe der Hafenkommandantur hatte sie ihr ein Posten in die Hand gedrückt. „Warte, Mädel", sagte er leise, als sie sich zurückziehen wollte. Er blickte sich um. Kein Mensch befand sich auf dem mit teuren Teppichen ausgelegten Korridor des Luxushotels.
„Laveaux soll Posten vor alle Eingänge stellen. Schwerbewaffnete Männer. Wenn Bully mit seinem Verband erscheint, sollen sie durch Raumsoldaten abgelöst werden." Sie nickte, grüßte knapp und verschwand. Gucky schloß die Tür auf, deren Nummer er auf dem Impulsschlüssel sah, und nur für einen ganz kurzen Augenblick kam sein Nagezahn zum Vorschein. Der Hafenkommandant mußte ein sehr schlechtes Gewissen haben, wenn er ihm diese Suite gab. Dies war ein Quartier für ein Staatsoberhaupt. Gucky sah sich die Räume an und war zufrieden. Mehrere Interkom- und TelekomAnschlüsse standen ihm zur Verfügung. Von hier aus konnte er mit Laveaux, der Kaulquappe und allen wichtigen Stellen der Umgebung Kontakt halten. Er ließ sich in einen weichen Polstersessel fallen und tippte einen Getränkewunsch in die Tastatur auf dem Tisch vor ihm: Fruchtsaft. Er brauchte eine Erfrischung. Er fühlte sich müde und zerschlagen. Sein einziger Trost war der, daß er wieder im Vollbesitz seiner psionischen Fähigkeiten war. Wieder und wieder überdachte er die Situation, während er auf die beiden Aras wartete. Hatte er zuviel Zeit verloren? Sicher, er hätte nicht darauf zu bestehen brauchen, sich zuerst selbst auf Meeting Point umzusehen. Laveaux hätte der Erde die Liste der gestarteten Frachter viel eher durchgeben können. Doch im nachhinein erhielt sein Vorgehen seine Rechtfertigung. Man wußte nun, daß sich mit großer Wahrscheinlichkeit ein Komplize der Attentäter auf dem Schiff mit der tödlichen Fracht befand, und konnte sich darauf einstellen, wenn es geortet und aufgebracht wurde. Die Unbekannten saßen auf Meeting Point fest. Das wußten sie. Und sie waren früher oder später zum Handeln gezwungen. Gucky glaubte nicht mehr daran, daß sie ihm seine Geheimnistuerei abnahmen, auch wenn sie mit Sicherheit von seinen Andeutungen Laveaux gegenüber erfuhren. Er brauchte den Köder - den Namen des Komplizen. Und das so bald wie möglich. Das Leben der Männer und Frauen in der QUEEN JANE hingen davon ab - falls dort noch jemand lebte. Sollte seine Theorie richtig sein und eine kleine Gruppe von Verschwörern hinter dem Rücken ihrer Rassegenossen für den Anschlag verantwortlich sein, so würden ihm die beiden, die er erwartete, kaum das Gegenmittel gegen die Seuche liefern können. Dennoch mußte er alles menschenmögliche versuchen. Er hörte den Türsummer, stand auf und öffnete. Die beiden Aras beteuerten, nichts mit dem Attentat zu tun zu haben. Bereitwillig ließen sie Gucky in ihren Gedanken lesen. Sie wußten tatsächlich nichts. Sie hörten aufmerksam zu, als Gucky ihnen die Symptome der Krankheit beschrieb. Nein, eine solche Krankheit war ihnen unbekannt, versicherten sie. Sie brauchten die Erreger in ihrer ursprünglichen Form, um ein Serum zu entwickeln oder diejenigen, die sie herangezüchtet hatten. Sie gaben dem Mausbiber ihr Versprechen, all ihre Kräfte zur Entwicklung des Gegenmittels zur Verfügung zu stellen, sobald sie die dazu nötigen Informationen bekamen. Gucky verabschiedete sie dankbar. Er veranlaßte, daß er nur dann gestört werden durfte, wenn es wichtige neue Nachrichten gab. Die Ratsmitglieder, die ihn endlich sprechen wollten, verwies er an Bully. Dann begann das Warten - das grausame, endlose Warten. 8.
Drei der sechs fast gleichzeitig von Meeting Point aus aufgebrochenen Frachtschiffe konnten schon knapp zwei Stunden, nachdem Gucky die Namensliste an die Erde gefunkt hatte, aufgebracht werden. Es waren dies die ILLINOIS, die SPHYRAX und die SIGMA DRACONIS. Wie auch die übrigen drei Raumer, verfügten sie über moderne Lineartriebwerke, was ein Aufspüren während der Linearetappen so gut wie unmöglich machte. Doch ihre Ziele waren bekannt. Als sie über den Planeten erschienen, mit deren Bevölkerungen sie Handel trieben, wurden sie von terranischen Einheiten erwartet. Die Kommandanten der SPHYRAX und der SIGMA DRACONIS zeigten sich auf Anhieb zusammenarbeitsbereit und verließen mit ihren Besatzungen ihre Schiffe. Spezialkommandos gingen an Bord und brachten die beiden Raumer aus der Nähe der bewohnten Planeten. Die Raumfahrer wurden vorsorglich unter Quarantäne gestellt. Dabei blieb es vorerst, auch nachdem ihre Ladungen gründlichst durchsucht worden waren und man nichts gefunden hatte, auf das die Beschreibung der gesuchten Behälter paßte. Da man mit einem Komplizen der Attentäter rechnete, bestand die Möglichkeit, daß dieser die Erreger im letzten Augenblick an anderer Stelle im Schiff versteckt hatte. Die Proteste der Kommandanten verstummten, als man ihnen für den Fall einer notwendig werdenden Vernichtung ihrer Schiffe großzügige Entschädigungen zusagte. Nur auf der ILLINOIS weigerte man sich standhaft, das Schiff zu verlassen und die Schleusen für die Raumsoldaten zu öffnen. So blieb den Spezialkommandos nichts anderes übrig, als sich gewaltsam Zutritt zu verschaffen. Es kam zu Handgemengen. Doch schließlich konnte auch die Besatzung der ILLINOIS an Bord eines Flottenschiffs gebracht und in Quarantäne gesteckt werden. Der Frachter wurde in den interstellaren Raum manövriert. Die Suche nach den Erregern verlief ebenso ergebnislos wie im Falle der beiden anderen Schiffe. Es blieben die JAVELIN, die BRICHT STAR und die ORION. Während die JAVELIN und die BRICHT STAR von Meeting Point aus direkten Kurs aufs Solsystem genommen hatten und dort von kleinen Verbänden erwartet wurden, sollte die ORION zunächst das Wegasystem anfliegen, auf dem achten Planeten zwischenlanden und Handelsgüter mit den Ferronen austauschen. Ein aus acht Leichten Kreuzern bestehender Verband, der in knapp fünf Lichtjahren Entfernung im Raum stand, wurde umgehend in Marsch gesetzt. Oberst Hamach Druthe, um die fünfzig Jahre alt, schwarzhaarig, hager und launisch, stand mit über der Brust verschränkten Armen und finsterer Miene hinter seinem Funker und brummte etwas Unverständliches in seinen ebenfalls pechschwarzen Bart. Llewellyn Sparks drehte sich nicht um. Druthes Stimmung hatte sich inzwischen auf die gesamte Mannschaft übertragen. Die Raumfahrer waren seit zwei Monaten im All und wollten nach Hause. Das Manöver war abgeschlossen. Zwei andere Verbände waren schon längst zur Erde zurückgekehrt. Und nun erhielten die Männer und Frauen an Bord der acht Schiffe den Befehl, einen Frachter aufzubringen, der irgendwann in den nächsten Stunden im Wegasystem auftauchen sollte. Der Verband stand zwischen den Bahnen des achten und neunten Planeten im Raum. „Seuchenerreger!" rief Druthe aus. „Warum schickt Mercant keine Spezialisten? Die Wega ist nur 27 Lichtjahre von Terra entfernt. Sie wären in ein paar Stunden hier. Aber nein, wir müssen 'ran!"
Allan D. Mercant war es gewesen, der ihm persönlich den Befehl gegeben hatte. „Was sind wir? SolAb-Agenten?" „Sagen Sie ihm das, Sir", murmelte Sparks. „Nicht uns." „Ach...!" Druthe winkte ab und ließ sich in seinen Sessel fallen. Finster starrte er auf die Bildschirme. Zu seinem Unmut über die verzögerte Heimkehr kam die dumpfe Furcht vor dem, was die ORION an Bord haben mochte, obwohl nach Mercants Worten noch lange nicht feststand, daß ausgerechnet sie die Seuchenerreger zur Erde bringen sollte. Die ARLINGTON war in aller Eile darauf vorbereitet worden, die Besatzung der ORION aufzunehmen. Raumsoldaten hatten schon ihre Schutzanzüge bereit, um auf den Frachter überzuwechseln. Ein ganzes Deck war geräumt worden, um die möglicherweise mit den Erregern in Berührung Gekommenen darin unterzubringen. Zumindest für die ARLINGTON bedeutete das Quarantäne Daß dies nicht für die MANHATTAN, Druthes eigenes Schiff, zutreffen mußte, war nur ein schwacher Trost. Druthe wollte seine Situation in finsteren Farben sehen. „Masochist" war nur eines der Schimpfwörter, mit denen er von seiner Besatzung belegt wurde. Wie auch immer - er wollte die Angelegenheit so schnell wie möglich hinter sich bringen. Das Warten verschlechterte seine Laune nur noch mehr. Auf Anfragen der Ferronen, was die Anwesenheit seines Verbandes in ihrem System zu bedeuten habe, gab er entweder gar keine oder barsche Antworten. Um eine Panik zu vermeiden, sollten sie vorerst nicht über den Grund informiert werden. Mercant hatte angedeutet, man hätte ihnen von Terra aus eine „beruhigende" Erklärung gegeben. Doch so beruhigend, daß sie die MANHATTAN nicht weiterhin ständig mit Anrufen bombardierten, konnte sie nicht sein. Druthe wartete nur darauf, daß sie ihre Schiffe zur Beobachtung schickten. „Ich hätte Lust mit euch zu wetten, daß diese ORION gar nicht erst hier auftaucht", brummte der Oberst. „Liebel, wie war's?" Der junge Leutnant an den Ortern zuckte nur die Schultern. Besser, man ließ den Alten reden und ging gar nicht auf ihn ein, wenn er so wie jetzt geladen war. Zehn Minuten später bereute Liebel aber doch, nicht auf die Wette eingegangen zu sein. „Ortung!" rief er. Druthe kam vom Kartentisch zurück, sah über Liebels Schulter und murmelte eine Verwünschung. „Das ist sie." Er las die Entfernungswerte ab. „Sparks, anfunken! Wenn sie ihren jetzigen Kurs beibehält, zieht sie eine Million Kilometer an uns vorbei! Sie soll beidrehen!" Llewellyn Sparks war schon dabei. Druthe wartete, bis er eine Verbindung zum Frachter hergestellt hatte, zog ihn dann aus seinem Sessel und setzte sich selbst vor die Funkanlage. Ein hageres Gesicht erschien auf dem Bildschirm des Hyperfunks. Druthe wartete nicht, bis der Mann etwas sagen konnte. „ORION?" fragte er überflüssigerweise. Er zog die Folie aus seiner Tasche, die die von Terra übermittelten Daten über den Frachter enthielt, faltete sie auseinander und las ab: „Kommandant Neiffl?" „Allerdings", kam es aus dem Lautsprecher. „Was ist das? Ein Empfangskomitee? Hat das Imperium hier jetzt das Sagen? Terra steht erst nach unserer Landung auf Ferrol auf dem Programm." „Sie sind ein Witzbold, wie?" knurrte Druthe. „Schlagen Sie sich die Landung vorerst aus dem Kopf. Ihr Schiff steht unter Quarantäne und..."
„Quarantäne?" Neiffl machte ein Gesicht, als ob er nicht wüßte, ob er nun lachen oder weinen sollte. Er drehte sich zu jemand um, den Druthe nicht sehen konnte, und fragte: „Weißt du etwas davon, Marion?" „Das erste, was ich höre", antwortete eine weibliche Stimme. Druthe lief rot an. „Dann wissen Sie's jetzt, Sie Freibeuter! Wir haben Grund zur Annahme, daß sich unter Ihrer Fracht Seuchenerreger befinden. Bleiben Sie mit Ihrem Kahn dort, wo Sie jetzt sind. Wir kommen zu Ihnen." „Oberst, erstens dürften Sie einem Irrtum unterliegen, und zweitens bin ich keiner von denen, die Sie herumkommandieren können. Wenn sich Ihre Laune gebessert hat, melden Sie sich wieder." Neiffl unterbrach die Verbindung. Für zwei, drei Sekunden starrte Druthe auf den verblaßten Schirm. Dann platzte es aus ihm heraus: „Das sind diese verdammten Halunken, die glauben, der ganze Weltraum gehörte ihnen allein! Sie..." „Sie fliegen weiter auf Ferrol zu, Sir!" kam es von Liebel. Der Oberst nickte grimmig. „Dann lassen sie uns keine Wahl." Er beugte sich über den Interkom. „Feuerleitzentrale! Adams, setzen Sie der ORION ein paar Strahlschüsse vor den Bug! Wenn sie dann noch weiterfliegt, manövrierunfähig schießen!" „Sir", sagte Llewellyn. „Ist das nicht etwas zu...?" „Überlassen Sie das mir und benachrichtigen Sie die anderen Kommandanten. Wir fliegen hin und knacken die Nuß!" Grelle Lichtfinger schössen durch die Schwärze des Alls in die Bahn des Frachters. Der Verband nahm Fahrt auf. Der Kommandant der ORION war nur Sekunden später wieder auf dem Bildschirm. „Sie machen Ernst, was?" fragte er. „Verdammt ernst. Ernster, als Sie glauben, Mann! Ich sagte Ihnen, es besteht Grund zur Annahme, daß sich unter Ihrer Ladung Seuchenerreger befinden. Wir..." „Oberst, ich tue Ihnen ja schon den Gefallen. Der Klügere gibt nach. Kommen Sie also rüber und durchsuchen Sie mein Schiff. Ich darf darauf aufmerksam machen, daß wir Ihnen eine saftige Rechnung aufstellen werden für alles, was Sie an Bord zerdeppern. Glauben Sie im Ernst, wir würden Seuchenerreger laden?" Druthe zwang sich zur Ruhe. Dieser Kerl sollte ihn nicht aus der Haut fahren sehen. „Kommandant Neiffl! Falls Sie die Erreger an Bord haben, wissen Sie nichts davon. Tun Sie, was Ihnen gesagt wird, und über eine Entschädigung brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Ihre Leute sollen sich sofort zur Evakuierung in Ihrer Hauptschleuse einfinden. Ein Kommando wird an Bord gehen. Alles andere überlassen Sie uns. Und wenn ich sage: Ihre Leute, Neiffl, dann meine ich alle." „Alles, was Sie wünschen, Oberst. Jeder blamiert sich, so gut er kann." Druthe schob sein Gesicht so nahe an den Bildschirm, daß er fast mit der Nase daranstieß. „Sie haben wohl ein ganz besonders herzliches Verhältnis zu den Behörden, Neiffl, oder? Passen Sie auf, daß wir bei Ihnen nichts finden, das nicht an Bord sein sollte." „Und passen Sie auf, daß Sie Ihre Nase nicht in den Bildschirm stecken, bevor Sie damit bei uns herumschnüffeln können. Wir erwarten Sie in der Schleuse, Oberst. Voller Sehnsucht." Der Schirm verblaßte wieder. Fluchend schwang sich Druthe aus dem Sessel. „Für solche Kerle sind wir alle nur Deppen", brummte er. „Ich möchte ihr Geschrei hören, wenn es keine Flotte mehr gäbe, die sie beschützt. Dann vergeht ihnen ihr Sarkasmus schon!"
Wenig später hatten sich die Kreuzer um die ORION gruppiert. Ein Beiboot verließ die ARLINGTON, um die Raumfahrer abzuholen. Druthe beobachtete das Manöver. Nach dem Wortgefecht mit Neiffl war ihm nun alles etwas zu ruhig. Ein ungutes Gefühl beschlich ihn - und täuschte ihn nicht. Das Beiboot hatte den Frachter noch nicht erreicht, als sich dort drüben urplötzlich eine Hangarschleuse öffnete. Noch bevor Druthe darauf reagieren konnte, schoß ein Raumjäger daraus hervor und beschleunigte mit wahnwitzigen Werten. „Adams!" Mit einem Satz war Druthe beim Interkom. „Adams! Feuer auf den Jäger! Dort drin sitzt unser Mann! Manövrierunfähig schießen!" Es war zu spät. Mit angehaltenem Atem sah der Oberst, wie der Raumjäger außer Reichweite der Geschütze geriet. Für Sekunden glaubte er, das Fahrzeug müßte in einem Feuerball vergehen. Eine solche Belastung stand kein Antrieb durch. Er tat es. Als zwei Kreuzer sich in Bewegung setzten, um die Verfolgung aufzunehmen, war der Raumjäger im Linearraum. Druthe stand kreidebleich vor dem Panoramabildschirm. Es brauchte nicht viel Phantasie, um sich auszumalen, welches Ziel der Pilot ansteuerte. Für Augenblicke war Druthe wie gelähmt. Versagt! dachte er bitter. Jämmerlich versagt! Die ORION war das gesuchte Schiff! Und seine tödliche Fracht befand sich jetzt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf direktem Weg zur Erde. So wie der Pilot den Jäger geflogen hatte, war ihm alles zuzutrauen. Der Mann mußte seinen Tod einkalkulieren. Er brachte es fertig, direkt über der Erde aus dem Linearraum zu brechen. „Llewellyn", sagte er endlich. „Rufen Sie Mercant!" Er selbst setzte sich vor den Normalfunk und stellte eine Verbindung zu dem Beiboot her, das ungeachtet des ungeheuerlichen Vorgangs die in der Hauptschleuse der ORION Wartenden an Bord genommen hatte und schon wieder unterwegs zur ARLINGTON war. „Holen Sie mir einen von diesen Kerlen!" brüllte er den Offizier an, der den Anruf entgegennahm. „Den Kommandanten, falls er dabei ist." Er schloß nicht aus, daß Neiffl selbst geflohen war - mit den Erregern. Entsprechend überrascht war er, als er diesen gleich darauf auf dem Schirm erscheinen sah. Neiffls Gesicht zeigte nichts mehr von Arroganz und Spott. „Oberst, das ist..." „Sparen Sie sich jetzt Ihre Beteuerungen. Sie können sich später rechtfertigen. Ich will wissen, wer der Mann ist!" Neiffl schüttelte den Kopf. Der Schock saß ihm in den Gliedern. „Wir suchten ihn überall im Schiff. Unser Navigator... Ich kenne ihn fast zehn Jahre. Aber... er muß andere Gründe gehabt haben. Ich kann nicht glauben, daß er..." „Den Namen, Mann!" „Arne Peer Lundahl, geboren am 12.12.2089 in der Nähe Stockholms." Perry Rhodan überflog die nächsten Angaben auf der von Mercant erhaltenen Akte. „Vor zwölf Jahren am gescheiterten Umsturzversuch auf Gorgo beteiligt, Begnadigt. Dann ein Jahr als freiwilliger Helfer bei Rodungsarbeiten auf drei verschiedenen zur Kolonisierung freigegebenen Planeten. Schließlich bei Johann Neiffl angeheuert und seitdem Navigator an Bord des Frachtraumers ORION." Rhodan legte die Folien vor sich auf den Arbeitstisch, blickte mit versteinerter Miene auf seine Fingerspitzen, dann wieder auf die Folien. „Damit wäre genau das eingetreten, was wir auf alle Fälle verhindern wollten, Allan." Mercant stand auf und stützte sich mit den Fäusten auf die Tischplatte. Außer dem schmächtigen Chef der Solaren Abwehr und Rhodan selbst befanden sich nur
Fellmer Lloyd und eine Ordonnanz im Büro des Großadministrators. Dann und wann erschienen SolAb-Agenten und reichten Mercant neue Informationen. „Ich werde keinen Kommentar zur Begnadigungspraxis abgeben", sagte der Solarmarschall mit dem spärlichen dünnen Haarkranz, der ihm noch verblieben war. „Tatsache ist, daß Lundahl nicht mehr auffiel. Nach dem, was wir nun wissen, dürfte allerdings klar sein, daß er seit langem mit den Attentätern unter einer Decke steckt. Die ORION flog Meeting Point regelmäßig an.". „Geschenkt." Rhodan versuchte, in den Augen Mercants zu lesen. Der SolAb-Chef war Halbmutant. Neben einer schwachen telepathischen Begabung verfügte er über das, was man gemeinhin als Gabe des „Vorausschauenden Ahnens" bezeichnete. Mercant schüttelte den Kopf. „Nichts, Perry. Halten wir uns an die Fakten. Druthe berichtete, daß er den Typ des Raumjägers nicht bestimmen konnte, mit dem Lundahl floh. Wir können den Zeitpunkt seines Auftauchens im Solsystem also nur schätzen. Bestenfalls bleiben uns Stunden. Unsere Stratojäger bilden eine Kugelschale um die Erde. Im erdnahen Raum dürfte ebenfalls kein Durchkommen für Lundahl möglich sein. Unsere Schiffe stehen so, daß jeder Punkt, an dem Lundahl aus dem Linearraum stoßen könnte, unverzüglich unter Feuer genommen werden kann." Mercant nahm die Fäuste vom Tisch und legte die Finger- und Daumenspitzen aneinander. „Sie haben den Befehl, ohne Warnung zu schießen, Perry. Wir können uns kein Risiko mehr leisten." Rhodan hob eine Braue. Eine steile Falte erschien auf seiner Stirn. Er wußte, daß Mercant recht hatte, so schwer es ihm auch fiel, das zu akzeptieren. Jemand, der sein Leben aufs Spiel setzte, um sein teuflisches Vorhaben unter allen Umständen auszuführen, ließ nicht mehr mit sich reden. Lundahls Haß auf Terra und das Solare Imperium mußte nach seiner Begnadigung ins Unermeßliche gestiegen sein. Und Rhodan wußte zu gut, wozu Menschen fähig waren, die haßten. Aber die gesamte Erdbevölkerung ausrotten! „Gucky ist informiert?" fragte er tonlos. „Er hat, was er noch brauchte. Bully wurde unverzüglich benachrichtigt." Rhodan stand auf, kam um den Arbeitstisch herum und legte Mercant schwer eine Hand auf die Schulter. „Hoffen wir, daß die Falle rechtzeitig zuschnappt, Allan. Manchmal frage ich mich, wie wir in einer solchen Situation noch so ruhig sein können." „Bist du ruhig, Perry?" Rhodan lächelte schwach. „Frag mich besser nicht. Du weißt, was ich meine. Herumsitzen und warten." „Es wird alles getan, Perry." „Wirklich?" War es richtig gewesen, der Erdbevölkerung die Bedrohung zu verschweigen? Hätte er eine Panik in Kauf nehmen sollen? „Selbst falls dieser Lundahl durchkäme", sagte Fellmer Lloyd, „hätten die Aras dadurch nichts gewonnen. Sie sitzen auf Meeting Point fest, und Gucky wird sie finden. Wenn es sich um eine kleine Verschwörergruppe handelt, werden uns die anderen Aras genügend Serum zur Verfügung stellen, um zehn Planeten wie die Erde damit zu versorgen. Und das schneller, als wir denken." Perry Rhodan runzelte die Stirn. Auch in den Krisenstäben auf der Erde hatte sich die Ansicht durchgesetzt, daß einige wenige Aras hinter dem Rücken ihrer Artgenossen für den Anschlag verantwortlich waren - zumal Aralon bereits Mediziner auf den Weg zur Erde gebracht hatte. „Wenn, Fellmer. Ich darf nicht daran denken, daß es völlig anders kommen könnte. Daß die Drahtzieher sich umbringen, bevor man sie zum Reden bringen kann. Daß
Gucky etwas geschieht. Und auch falls das Serum rechtzeitig entwickelt werden kann - für uns mag es im Notfall rechtzeitig kommen, aber für die Männer und Frauen an Bord der QUEEN JANE?" „Gucky darf nichts geschehen", murmelte Mercant. „Wir brauchen die Schuldigen, um sie der Galaxis zu präsentieren." Der Friede... Es gab zu viele Unbekannte in diesem teuflischen Spiel. Akon, Arkon und Aralon waren vorsorglich unterrichtet worden. Doch reichte das wirklich? Schwelte nicht schon wieder das alte Mißtrauen? Perry Rhodan wurde schmerzhaft bewußt, auf welch schwachen Füßen der teuer erkaufte Friede in der Galaxis doch nach wie vor stand. 9. Christine Swalff durchlebte einen ihrer immer seltener werdenden lichten Momente. Oft lag sie auf dem Rücken, die Augen offen und auf die Decke gerichtet. Sie fand sich so, und dann war es wie beim Erwachen aus tiefen, schweren Träumen. Sie wußte nicht, was in den Phasen mit ihr geschah, an die sie keine Erinnerung hatte. Sie spürte nur die zunehmende Schwäche und Konzentrationsunfähigkeit. Sie empfand Übelkeit und hatte hohes Fieber, doch seltsamerweise keine Schmerzen. Keine körperlichen Schmerzen. Sie irrte durch das Schiff. Manchmal kam David zur gleichen Zeit wie sie zu sich. Dann schleppten sie sich gemeinsam durch die Korridore, sahen nach den Kranken und bedeckten die Toten mit schweren Tüchern. David bei sich zu wissen, gab ihr trotz allem noch ein gewisses Maß an Kraft. Allein zu sein, war die Hölle. Wie lange war es her, daß Gucky bei ihnen aufgetaucht war? Stunden oder Tage? Christine hatte jedes Gefühl für die Zeit verloren. Sie zählte sie mit den Toten. Zuerst Patrice, dann Balk, schließlich Alva, Swallow und Luciano. Die Raumfahrer starben nicht in der Reihenfolge ihrer Erkrankung. Vielleicht lag das an ihrer unterschiedlichen körperlichen und geistigen Kondition, vielleicht an Faktoren, die sich ihrem Vorstellungsvermögen entzogen. Jeder konnte der nächste sein - David, ihr Vater... Das Schlimmste war die Nähe der Kranken. Christine betrat die Kabinen nur noch, wenn David bei ihr war. Selbst dann kostete es sie Überwindung. Und sie ließ David allein in die Kabine gehen, in der ihr Vater lag. Sie wollte ihn nicht tot sehen. Sie konnte jetzt, als sie sich in den Antigravlift warf, völlig klar denken. Das dauerte zehn, fünfzehn Minuten. In dieser Zeit war auch die Angst und die Verzweiflung am größten. Sie kam sich vor wie ein Geist unter Geistern, wie jemand, der kein Recht mehr hatte, zu leben. Sie verpaßte den Ausstieg und verließ den Antigrav ein Deck über der Zentrale. Kurz blieb sie stehen, rang nach Luft und hielt sich an einem Geländer fest. Die Schwindelanfälle waren nicht mehr so schlimm wie im ersten Krankheitsstadium. Das war unnatürlich. Diese Minuten, in denen sie ihre Situation klar erkannte und von einem ihr selbst unheimlichen Tatendrang erfüllt war, täuschten. Die Besserung war nur scheinbar, vielleicht ein letztes Aufbäumen vor dem unvermeidlichen Ende. Sie hatte es bei Alva und Luciano gesehen. Es trieb sie in die Zentrale. Was sie dort wollte, wußte sie nicht. Sentimentalität im Angesicht des Todes? Christine setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Sie schwankte leicht, taumelte von einer Wand zur anderen, bis ihre Schritte wieder sicherer wurden.
Die Leiter... War David wach? Suchte er sie? Die ersten Sprossen. Sie klammerte sich am Geländer fest, suchte mit den Füßen nach Halt... Wann kam Gucky zurück? Wann brachte er die versprochene Hilfe? Weiter. Eine Sprosse nach der anderen. Nicht nach unten blicken. Lebte ihr Vater noch? Sie schrie auf und rutschte ab. Christine landete hart auf der Seite und hielt sich das aufgeschlagene Knie. Warum empfand sie keinen Schmerz? Sie war in der Zentrale. Kontrollämpchen glommen an den Instrumenten, blinkten auf und erloschen. Das Schiff war immer noch von gespenstischem Leben erfüllt. Es überlebte sie alle! Auf allen vieren kroch sie weiter, bis zu dem Stuhl, auf dem ihr Vater immer gesessen hatte. Sie streckte eine Hand danach aus, als ob sie im Begriff wäre, ein Heiligtum zu berühren. David, Dad und sie. Eine Farm irgendwo auf einer gerade erschlossenen Welt. Es gab so viele Welten im unendlichen Kosmos. Es gab so viel für sie zu tun. Einige Morgen Land mit Unkraut und Dornenbüschen, phantastischen Baumgewächsen und Käfern, die in den Sternennächten summten und über ihre Beine krochen. David war kräftig, Dad noch rüstig genug, um das Land urbar zu machen. Sie hatten Geld, um sich die modernsten Maschinen zu kaufen. Dad und David arbeiteten von früh bis spät. Sie war mit einem Schuppen zufrieden, bereitete ihnen ihr Essen und trug es auf die Felder. Andere Siedler kamen und halfen ihnen, tauschten Erfahrungen aus und gaben Ratschläge. Dad würde ihnen von der QUEEN JANE erzählen, von den langen Jahren im Weltraum. Er würde ihnen vom Selbstgebrannten Schnaps einschenken und augenzwinkernd sein Weltraumgarn spinnen, davon reden, wie er die Zollbehörden übers Ohr gehauen hatte... „Dad, o Dad, stirb bitte nicht!" Christine stand auf, schwankte und fiel in den Sessel. Sie war eine dumme, sentimentale Göre. Warum mußte sie sich jetzt noch solchen Träumen hingeben? Warum mußte sie andauernd heulen wie ein Kind? Sie wischte sich über die Augen. Allein die Arme zu heben, bereitete ihr Mühe. Es dauerte nicht mehr lange, und sie würde wieder zusammenbrechen, irgendwo liegenbleiben, bis David sie fand oder sie von selbst erwachte, um erneut vorangetrieben zu werden, irgend etwas Sinnloses zu tun. Sie sah ein Raumschiff auf dem Hauptbildschirm. Christine lachte hysterisch. Sie beugte sich vor und erblickte sich selbst. Sie erschrak nicht einmal mehr. Ein eingefallenes, häßliches Gesicht. Ein Totenschädel von einem Gesicht. „Daddy", flüsterte sie. „Nimm dieses Bild weg." Sie schrie: „Sag ihm, er soll es wegnehmen, Pam!" „Hör schon auf damit, Menning!" hörte sie Pamela Tams dunkle Stimme. „Quäle sie nicht noch mehr." Christine schluchzte und verbarg das Gesicht in den Händen. Sie brauchte alle Kraft dazu. „Er... quält mich nicht, Pam. Er würde mich nie quälen!" „Er tut es doch!" Das war nicht mehr nur die Stimme der Alten. Das war ein schrecklicher Chor. Harry und Wilma und Balk...
„Er quält dich, Kind. Er fing damit an, als er dich nicht vom Schiff schickte! Er quält dich! Du quälst dich! Du quälst dich!" Balk war tot! „Haltet alle euren Mund!" schrie Christine. Sie riß den Kopf in den Nacken. Ihre Hände zitterten vor ihren Augen. Sie sah sich im Bildschirm, und dahinter... Das Raumschiff. Es war noch da. Christine geriet in Panik. Sie wollte nicht, daß es noch da war. Das war alles Spuk. „Verschwinde!" Sie warf ihre Hände danach, als wollte sie den Spuk dadurch vertreiben. Das Schiff blieb auf dem Schirm. Was war so grausam, ihr dies vorzugaukeln? Und jetzt blinkten Lichter auf, bei diesem Raumschiff, das nicht da war. Christine starrte auf das Bild. Schon griff das Dunkel wieder nach ihrem Bewußtsein. Sie sehnte es herbei, die Erlösung, das Vergessen. An-aus. An-aus. An... Sie hörte schleppende Schritte hinter sich. Und die plötzliche Erkenntnis riß sie noch einmal aus dem Dunkel der nach ihrem Bewußtsein greifenden Schatten. Das waren Morsezeichen! Sie bäumte sich auf, kämpfte um die letzten Sekunden klaren Denkens. Sie sah David, wie er neben ihr auftauchte und die Hände nach ihr ausstreckte. Sie wollte ihm etwas zurufen. Sie versuchte es. Ihre Zunge klebte am Gaumen fest. David Lancer ließ sich neben ihr auf die Knie fallen und legte ihr seinen Zeigefinger über die Lippen. Christines Augen wurden weit. Sie brachte noch einmal den Arm in die Höhe und deutete auf den Schirm. An-aus. An-aus. An-an-aus. Lancer hatte sofort nach Betreten der Zentrale erkannt, daß dieses Schiff existierte. Wie Christine, durchlebte auch er diese kurzen Phasen geistiger Klarheit, die sich in immer schnellerer Folge abwechselten mit Ohnmächten und Halluzinationen. Am Ende, das war abzusehen und zeigte das Beispiel der anderen, standen Wahnsinn und Tod. Nur in einem unterschieden sich der alte Swalff, seine Tochter und Lancer von den anderen: Während die anderen Raumfahrer von Schreckensvisionen und Wahnvorstellungen geplagt wurden, waren ihre Halluzinationen erträglich. Sie waren erfüllt von Wehmut und Trauer, aber sie quälten nicht so sehr. David erklärte es sich nach wie vor damit, daß der Alkoholgenuß dies bewirkte. Er hatte eine weitere Flasche gefunden und wieder getrunken, bevor er sich auf den Weg hierher machte. Vermutlich war es das gewesen, das ihn noch einmal in die Kabinen blicken ließ. Die alte Pamela war tot. Und als ob er auch im Jenseits nicht auf ihre Sticheleien verzichten wollte, war ein anderer mit ihr gegangen. David war fast erleichtert darüber, daß Christine nun bewußtlos und fiebernd im Sessel lag. Das gab ihm einen Aufschub. Vielleicht erwachte auch sie nicht mehr. Vielleicht wäre es besser so. Was er ihr zu sagen hatte, würde sie endgültig zerbrechen lassen. Aber darum war er nicht hierher gekommen. David hatte erwartet, das Schiff zu sehen. Drei-, viermal war er in der Zentrale gewesen, nachdem er aus der Bewußtlosigkeit erwacht war. Immer wurde er enttäuscht. Doch nie gab er die Hoffnung auf, an die er sich klammerte wie ein Ertrinkender an einen Strohhalm. Guckys Erscheinen konnte nicht umsonst gewesen sein.
Es war es nicht. Lancer beobachtete die Blinkzeichen dort drüben beim Schiff. Sie wiederholten sich in regelmäßigen Abständen. David brauchte einige Zeit, bis er ihren Sinn verstand: Lebt noch jemand? Seine Hände waren feucht. Seine Gedanken überschlugen sich. Das Wissen darum, daß ihm nur Minuten blieben, um sich den Ärzten - ihm kam gar nicht der Gedanke, daß es sich nicht um Hilfe handeln konnte -verständlich zu machen, brachte ihn an den Rand der Panik. Fieberhaft überlegte er. Seine Hände zitterten. Seine Zunge war trocken, und die Augen brannten. Warum hatte Gucky denn kein Funkgerät mitgebracht? Er mußte morsen. Funktionierten die Scheinwerfer noch? David taumelte auf die Kontrollen zu. Wie war das noch mit dem Morsealphabet? Schon fiel es wieder schwerer, klare Gedanken zu fassen. Lancer stützte sich aufs Kontrollpult und schlug mit der Faust auf eine Taste. Die Bugscheinwerfer der QUEEN JANE flammten auf und erloschen wieder. Das mußte den Ärzten fürs erste genügen. Ihm wurde schwindlig. Er ließ sich in einen Sessel fallen. Für Sekunden schloß er die Augen. Aber er durfte jetzt nicht einschlafen. Wieder blinkte es beim Ärzteschiff. Jetzt sah Lancer zwei weitere Raumer, helle Punkte, die sich wie wandernde Sterne über den Bildschirm schoben. Wie viele? Lancer beugte sich vor, fiel fast aus dem Sessel und schlug fünfmal auf die Taste. Er hatte nicht mehr die Kraft, sich zurückzulehnen, hielt sich an zwei Reglern fest und starrte gebannt auf den Bildschirm. Er bekam keine Luft mehr. Schleier legten sich vor seine Augen. Ganz schwach sah er die neuen Blinkzeichen. Haltet aus! Nein! schrie es in ihm. Nicht noch länger! Kommt herüber! Kommt doch endlich! Er verlor den Halt und fiel. Den Aufschlag nahm er schon nicht mehr war. Zwei Decks tiefer starb Wilma Nehrig einen qualvollen Tod. Sie erlebte bei vollem Bewußtsein, in einem letzten, schrecklichen Erwachen, wie ihr Körper abstarb. Zuerst wich das Gefühl aus den Beinen. Dann wurde der ganze Körper taub. Sie wußte, daß dies das Ende war. Wahnvorstellungen schüttelten sie. Ein letztesmal bäumte sich ihr Geist gegen das grausame Schicksal auf. Sie konnte nicht einmal mehr schreien. Vier! hätte David Lancer signalisieren sollen. Noch vier! 10. Als Gucky diesmal das Büro des Raumhafenkommandanten betrat, wartete neben Laveaux, einigen Bediensteten und Anne Sebastian ein Mann auf ihn, mit dem er sich das Wiedersehen reichlich anders vorgestellt hatte. Reginald Bull konnte sich ein kurzes Grinsen nicht verkneifen, als er den Mausbiber zur Tür hereinwatscheln sah. „Soso", sagte der nur. „Der Herr Staatsmarschall gibt sich höchstpersönlich die Ehre." „Gucky, jetzt ist nicht der richtige Augenblick, um alte Geschichten..." „Jetzt ist nicht der Augenblick für blödes Grinsen!" fuhr der Ilt ihm ins Wort. Er verzog die Nase und trat an Bull vorbei. Vor Laveaux' Arbeitstisch blieb er stehen. Laveaux seufzte gequält und blickte Bull entschuldigend an.
„Arne Peer Lundahl", sagte Gucky. „Kommandant, ich will, daß du nun folgendes tust. Erstens läßt du verbreiten, daß dieser Kerl aufgebracht und gefangengenommen werden konnte. Jeder soll es hören, vor allem die, auf die es uns ankommt. Weiter schwindeln wir ihnen vor, daß Lundahl bereits auf dem Weg hierher sei, damit ich ihm alle Informationen über seine Hintermänner aus den Gedanken herausfischen kann." Er machte eine Pause und blickte sich um, als erwartete er einen Einwand von Bully. Doch der tat ihm nicht den Gefallen. Er hörte zu und nickte. Gucky drehte sich wieder zu Laveaux um. „Da auch der Dicke damit einverstanden zu sein scheint, ist dieser Punkt also klar. Was ist?" Laveaux zog ein Taschentuch hervor und wischte sich über die Stirn. „Nichts, Gucky. Gar nichts." „Dich stört, wie ich mit dem da rede?" Er zeigte über die Schulter auf Bull. „Das geht nur ihn und mich an. Also, Kommandant. Du tust umgehend, was ich dir gesagt habe, aber so, daß die Verschwörer die Nachrichten schlucken. Sie sind nicht dumm. Es muß überzeugend klingen." Der Mausbiber kam nicht umhin, seine selbstverordnete Zurückhaltung Bully gegenüber zu lockern. Er setzte sich auf die Tischkante und sagte: „Ich nehme nicht an, daß du hier herunter teleportiert bist, Dicker. Womit bist du gekommen? Boot oder Schiff?" „Raumanzug", knurrte der Terraner. Bull zog eine Braue in die Höhe und stemmte die Fäuste in die Seiten. „Mein lieber Gucky, falls du meinst, daß hier nur einer denken kann, nämlich du, darf ich dir mitteilen, daß mein Schiff den gleich nach Bekanntwerden des Komplizen mit Mercant abgesprochenen Hyperfunkspruch in wenigen Minuten auffangen wird. Allan wird uns damit ‚offiziell' mitteilen, wie der Kerl heißt und daß er hierher auf dem Weg ist. Besser für dich, du bist dann in deinem Quartier." Der Ilt kniff die Augen zusammen. „Weiter." „Mein Schiff steht gleich neben eurer Kaulquappe. Der Hyperfunkspruch wird von denen, die ihn hören sollen, aufgefangen werden können. Er wird kodiert sein, aber so, daß die Dreckskerle ihn entschlüsseln können und doch denken müssen, sie hätten ihn ohne unser Wissen aufgeschnappt. Ist das überzeugend genug, Herr General?" „Sir", kam es von Anne. „Sie sind grob." Bully fuhr herum, starrte das Mädchen an und schluckte. „Hören Sie", seufzte er. „Ich kann mir ja vorstellen, daß der Kleine Ihnen mächtig imponiert. Das kann er, o ja. Aber ich kenne ihn länger und besser. Er ist..." „Er hat Manieren, Sir!" Gucky machte ihr Zeichen, daß sie aufhören sollte. Sie winkte ab. „Ist doch wahr. Gucky wäre fast gestorben, als er..." „So, hat er das erzählt?" „Ich hab's gesehen! Ich..." Sie schüttelte den Kopf. „Ach, wozu rege ich mich auf? Sie mögen ihn doch selbst, das sieht ein Blinder." Laveaux räusperte sich. Er steckte das Taschentuch schon gar nicht mehr weg. „Meine Herrschaften, ich darf vielleicht daran erinnern, daß..." „Daß unsere Freunde warten", vollendete Gucky für ihn. „Ich springe ja schon. Aber noch etwas, Kommandant. Die Aras, die uns ihre Hilfe anboten, sollen sich bereithalten. Wenn wir über die Erreger Bescheid wissen oder sie sogar finden können, müssen sie sofort an Bord eines Schiffes gebracht werden. Sprich das mit
den Medizinern ab. Sie müssen dann unverzüglich starten. An Bord ihres Schiffes muß alles sein, was sie zur Bestimmung des Erregers und zur Produktion des Gegenmittels brauchen. Sie können das unterwegs tun, wenn sie zur QUEEN JANE fliegen." Wieder sah er Bully an. „Das heißt, falls man höheren Ortes damit einverstanden ist." „Frag nicht so dumm", knurrte Bull. „Spring jetzt endlich." „Wir reden noch miteinander", drohte der Mausbiber an und entmaterialisierte. Laveaux starrte auf die Stelle der Tischkante, wo Gucky gesessen hatte, und schüttelte den Kopf. „Ich verstehe Sie nicht, Sir", sagte er zu Bull. „Da geht es um Milliarden von Menschenleben, und Sie... Sie streiten sich, als wäre überhaupt nichts geschehen." Reginald Bull setzte sich, sprach etwas in sein Armbandfunkgerät und seufzte. „Laveaux, es gibt Leute, die betrinken sich, wenn sie sich Mut machen müssen. Andere fressen ihre Ängste in sich hinein, bis sie davon Magengeschwüre kriegen. Ich kann nicht erwarten, daß Sie das verstehen. Aber wieder andere..." „Wieder andere helfen sich damit, daß sie den Teufel an den Haaren ziehen", half Anne ihm aus. „Daß sie auch dann noch ihre Spielchen treiben, wenn ihnen das Wasser bis zum Hals steht. Man kann das auch Verdrängung nennen." Sie schloß die Augen. „Ich jedenfalls habe Angst um Gucky." „Verdammt und zugenäht!" rief Bull. „Ich habe auch Angst! Angst um die Erde, um uns alle - um diesen schlitzohrigen Tolpatsch! Glauben Sie, ich hätte ihn allein gehen lassen, wenn ich nicht ganz genau wüßte, daß er sich nichts sagen läßt?" Sie blickten sich an. Der Staatsmarschall war puterrot angelaufen. Anne nickte. „Entschuldigen Sie, Sir. Ich meinte es nicht so. Aber... er ist allein." „Ja." Er stand auf, nickte Laveaux zu und machte sich auf den Weg zum Ausgang. In der Tür blieb er stehen und drehte sich noch einmal um. „Wenigstens glaubt er das. Und sollte ihm dennoch nur ein Haar gekrümmt werden, sage ich den Leuten in der Feuerleitzentrale meines Schiffes nur ein Wort. Ein einziges." Laveaux und Anne Sebastian blickten dem Terraner noch nach, als eine der Assistentinnen hereinkam und dem Hafenkommandanten einen Stapel Folien auf den Tisch legte. „Burt", sagte sie eindringlich. „Die Kommandanten der Frachter im Orbit lassen sich nicht länger hinhalten. Sie drohen damit, uns auf Schadenersatz in astronomischer Höhe zu verklagen. Und die, die auf die Startfreigabe warten, haben ihre Mannschaften nicht mehr unter Kontrolle. Alle Kneipen um den Raumhafen herum und in der Stadt wimmeln von ihnen. Sie betrinken und prügeln sich." „Dann sollen sie sich prügeln!" rief Laveaux. „Haltet sie hin, verdammt! Ich will jetzt nichts davon hören! Auch nichts vom Rat. Ilyo, haltet mir alle vom Leib! Die Kommandanten sollen sich beim Regierenden Rat beschweren, und der Rat sich bei Bull. Ich kann keine Wachen abziehen. Alle anderen Ordnungskräfte werden gebraucht, um die Siedlungen der Akonen, Aras, Arkoniden und Springer vor Übergriffen der Verrückten zu schützen. Herrje, die sollen doch froh sein, daß sie sich überhaupt noch prügeln können! Wenn wir Pech haben, wird der ganze Planet unter Quarantäne gesteckt!" Gucky wußte natürlich ganz genau, daß Bully seine Leute unter die Bediensteten der Luxuswohnblocks geschmuggelt hatte. Einerseits empfand er dies als gewisse Beruhigung. Zum anderen aber war er wütend auf Bull, weil er befürchten mußte, daß jene, auf die er wartete, im letzten Augenblick dadurch gewarnt werden würden. Er saß in seiner Suite und wartete.
Inzwischen mußte der Hyperfunkspruch von Terra längst eingetroffen und von den unbekannten Attentätern entschlüsselt worden sein. Alles hing nun davon ab, ob sie auf den Trick hereinfielen. Immer wieder kamen Gucky Zweifel. War das alles nicht doch durchschaubar? Und falls die Mörder kamen - wie würden sie sich nähern? In welcher Gestalt? Die Aras kannten Drogen, die ihre Gedanken „unhörbar" machten. Er mußte damit rechnen, daß er sie nicht espern konnte, bis sie schon vor der Tür standen. Gucky legte sich auf eine Couch und zog sich ein Kissen unter den Kopf. Unauffällig schob er seinen kleinen Paralysator darunter. Der Thermostrahler lag auf dem Tisch. Gucky konnte trotz Laveaux' gegenteiliger Versicherungen nicht ausschließen, daß es in seinem Quartier Mikrospione gab. Er hatte bisher den Erschöpften gemimt, der sich nun hinlegte, um seine Kräfte für das angeblich bevorstehende Verhör Lundahls aufzusparen. Seine Furcht versuchte er dadurch zu mildern, daß er sich vorstellte, was er mit den Aras anstellen würde, wenn sein Plan aufging. Er konnte nicht verhindern, daß seine Gedanken ständig abschweiften. Die Minuten zogen sich endlos lang hin. Lebte noch jemand an Bord der QUEEN JANE? Hatte man Lundahl inzwischen aufgebracht? Wie sah es auf der Erde aus? Rhodan hatte die Bevölkerung, die durch die hektische Aktivität der Flotte und der Abfangjäger im Weltraum und der Stratosphäre verunsichert war, damit zu beruhigen versucht, daß Manöver abgehalten würden. Die Menschen waren ahnungslos, wie vermutlich auch die Piloten der Jäger. Jedenfalls ließ sich das aus Mercants kurzem Bericht schließen. Mußten sich die Attentäter nicht darüber wundern, daß verschiedene Codes benutzt worden waren? Daß sie die letzte Nachricht von Terra entschlüsseln konnten, nicht aber die ersten? Wenn sie nicht kamen... Rhodan war kein Narr. Für den Fall der Fälle standen mit Sicherheit Quarantänestationen für die Erdbevölkerung zur Verfügung, in die sie blitzschnell gebracht werden konnte. Aber doch nicht für alle! Und immer wieder öffnete der Ilt die Augen und schielte nach seinen Händen. Noch zeigte sich keine Rötung - kein Anzeichen dafür, daß er sich in der QUEEN JANE angesteckt hatte. Je länger er grübelte, desto mehr drehten sich seine Gedanken im Kreis, und desto größer wurde seine Wut auf die Mörder. Fast war er versucht, die Waffen zu tauschen und sich statt des Paralysators den Thermostrahler unters Kissen zu schieben. Kommt endlich! dachte er. Kommt aus euren Löchern ! Er esperte. Bullys Männer hielten sich überall auf den Korridoren und in den Nachbarsuiten versteckt. Noch sahen oder hörten sie nichts Verdächtiges. Hatten vielleicht die „sauberen" Aras ihre fanatischen Artgenossen schon gestellt? Oder warteten die Schuldigen darauf, daß andere für sie die Schmutzarbeit taten weitere Komplizen wie Lundahl und Hermanns? Männer oder Frauen, in deren Blut schon das tödliche Gift war, das sie wie Hermanns nach getaner Arbeit für immer zum Schweigen bringen sollte? Nach einer halben Stunde stand der Mausbiber auf und ließ sich von Laveaux über die neueste Entwicklung informieren. Wer ihn möglicherweise beobachtete, erwartete das von ihm. Natürlich gab es nichts Neues. Die beiden Aras, die dem Regierenden Rat lose angehörten, waren beim Kommandanten und versicherten, daß sie jedes einzelne Mitglied ihrer kleinen Kolonie auf Meeting Point gründlich überprüft hatten. Gucky konnte sich die Proteste der stolzen Galaktischen Mediziner gut vorstellen. Aber was
sollte bei dieser „Überprüfung" schon herauskommen? Waren die Aras so naiv, oder... oder trieben sie ein abgekartetes Spiel? Gucky schaltete ab und legte sich wieder hin. Nicht selbst verrückt machen! schalt er sich, als er wieder an die Möglichkeit einer Beteiligung der CONDOS VASAC dachte. Das ist Bullys Bier! Er mußte noch eine Stunde warten, und in jeder Minute, die verging, konnte der Amokläufer Lundahl über der Erde auftauchen. Ein Mann wie er, der absolut nichts mehr zu verlieren hatte, war nicht berechenbar. Was nützten alle Abwehrmaßnahmen, wenn es ihm einfiel, sein Fahrzeug nur wenige Kilometer über der Erdoberfläche aus dem Linearraum stürzen zu lassen? Selbst das hielt Gucky für möglich. Von den damit verbundenen Phänomenen verstand er wenig. Er hatte noch nie davon gehört, daß jemand ein Schiff oder Raumboot direkt über einem Planeten aus dem Linearraum brechen ließ, und welche Katastrophen damit verbunden waren. Aber hieß das, daß es unmöglich war? Der Raumjäger würde zerfetzt, vielleicht atomisiert werden. Aber die Erreger konnten dennoch in die Erdatmosphäre gelangen. Gucky malte sich diese Schreckensbilder in immer düstereren Farben aus. Mit jeder verstreichenden Minute konnte der Tod der letzten Überlebenden auf der QUEEN JANE besiegelt werden. Dann aber straffte sich die Gestalt des Mausbibers. Unmerklich fast drehte er sich so, daß er die rechte Hand unter das Kissen schieben konnte. Jetzt ruhig zu bleiben, kostete ihn Überwindung. Es waren vier. Gucky konnte ihre Bewußtseinsausstrahlungen schwach empfangen. Jetzt ruhig bleiben! Ganz ruhig! Bullys Soldaten! Gucky empfing ihre Gedanken. Sie sahen die vier. Drei Aras, und zwei davon sahen aus wie die beiden, die eben noch bei Laveaux gewesen waren. Eine von Laveaux' Assistentinnen begleitete sie. Sie zeigte den Soldaten einen Ausweis und sagte, daß sie die Aras zu Gucky bringen sollte, der den Kommandanten darum gebeten habe! Ihr dreimal verdammten Knochenteufel! durchfuhr es den Ilt. Die als Bedienstete getarnten Soldaten durften jetzt keinen Fehler machen! Einige von ihnen schöpften Verdacht. Einer funkte Bully an. Die drei Aras und das Mädchen waren auf dem Korridor vor der Tür. Gucky konnte auch die Gedanken der Assistentin nicht lesen. Er stellte sich schlafend. Die Soldaten zogen sich von dieser Etage zurück, soweit sie nicht in den Nachbarsuiten warteten. Der Korridor war nun verlassen. Die Meuchelmörder hatten freie Hand. Das Türschloß sprang auf. Die Tür wurde langsam aufgedrückt. Gucky hielt die Augen geschlossen. Die Finger der rechten Hand umklammerten unter dem Kissen den Knauf des Paralysators. Gucky spürte, wie die Aras und ihre Begleiterin näher kamen. Er hielt den Atem an. Seine Muskeln waren gespannt. Noch nicht aufspringen. Er mußte sie alle haben. Aber wenn sie vorher schössen? Die Tür schlug zu. Gucky hörte ihre Schritte. Es war, als ob Roboter sich langsam auf ihn zuschöben. Sie verteilten sich, kreisten ihn ein. Alle Sinne des Ilts waren hellwach. Er durfte nicht mehr warten. Er nahm den Impuls nur ganz vage wahr. Doch was er auffing, war klar genug, um ihn wissen zu lassen, wer von den vieren zuerst schießen würde.
Gucky fuhr in die Höhe, kreischte schrill und sah die Aras nur wenige Meter vor sich. Für den Bruchteil einer Sekunde waren sie vor Schreck gelähmt. Diesen Augenblick nutzte der Ilt und feuerte den Paralysator zweimal schnell hintereinander ab. Im nächsten Moment war er von der Couch verschwunden. Nur derjenige stand noch, der die Hand nach dem Thermostrahler auf dem Tisch ausgestreckt hatte. Gucky war hinter ihm. Die Frau erblaßte und rannte zur Tür. Gucky wollte sie nicht lahmen. Der Ara wirbelte herum. Ein ungezielter Energiestrahl fuhr zwei Meter neben dem Mausbiber in die kostbaren Wandbehänge. Gucky ließ dem dürren Arkonidenabkömmling keine zweite Chance. Der Ara brach paralysiert zusammen und blieb neben seinen beiden Artgenossen liegen. Die Tür wurde ins Schloß geworfen. Von der Assistentin war nichts mehr zu sehen. Aber auch sie hatte eine kleine Waffe in der Hand gehabt. Gehörte sie zu dem Mordkommando, oder war sie nur von den Aras gezwungen worden, sie in dieses Gebäude zu schleusen? Gucky ging auf Nummer Sicher. Er teleportierte auf den Gang hinaus und sah sie auf den Lift zulaufen. „Warte!" rief er. „Warte doch!" Sie hörte nicht und rannte nur noch schneller. Ihre Hand schlug auf die Schalttafel. Die beiden Flügel des Aufzugs fuhren vor ihr in die Wand. Sie wollte sich in den Schacht werfen - und schien plötzlich am Boden festzukleben. Im gleichen Moment wurden Türen aufgerissen, und Bullys Männer stürmten mit angeschlagenen Waffen aus den Nachbarsuiten. „Nicht schießen!" schrie der Ilt. „Kommt her und kümmert euch um die drei in meinem Quartier. Informiert Bully und vor allem Laveaux!" Nur zögernd gehorchten die Soldaten. Gucky behielt das Mädchen in seinem telekinetischen Griff. Langsam ging er auf sie zu. Sie starrte ihn aus weit aufgerissenen Augen an, aus denen grenzenlose Angst sprach. Guckys Zorn verflog. Ein Blick sagte ihm, was er wissen wollte. Noch immer rannten Soldaten über den Gang. Andere kamen aus dem Lift, vor dem die Assistentin wie festgenagelt stand. Jetzt nur nichts falsch machen, dachte der Mausbiber. Er hatte mehr Glück als Verstand. Von vorneherein war klar gewesen, daß die Aras nicht zum Sprechen zu bringen waren. Lieber hätten sie sich selbst umgebracht. Dieses Mädchen konnte alles entscheiden - wenn sie lange genug lebte. „Herhören!" rief er den Soldaten nach. „Laveaux soll in seinem Büro bleiben! Ich springe zu ihm!" Er hatte die Assistentin erreicht. Ihre Augen drohten aus den Höhlen zu quellen. Sie wand sich, kam aber keinen Schritt von der Stelle. Gucky streckte die Hand nach ihrer Waffe aus. „Gib sie mir", sagte er. „Es ist vorbei." „Nichts ist vorbei!" schrie sie gequält. „Mein Gott, verstehst du denn nicht?" „Ich verstehe, daß du dich dafür hergabst, diesen Bohnenstangen hier Zutritt zu verschaffen. Aber du bist keine Mörderin. Sonst schieß doch auf mich! Tu, was sie nicht tun konnten!" Sie ließ den Strahler fallen wie eine heiße Kartoffel. Noch einmal versuchte sie, sich dem zu entwinden, was sie unbarmherzig festhielt. Ein einziger Gedanke durchdrang die Sperre in ihrem Bewußtsein, so stark und bestimmend, daß der Mausbiber unwillkürlich einen Schritt zurückwich. „Du willst dich in den Schacht stürzen? Umbringen?" Sie brach innerlich zusammen. Schluchzend sank sie zu Boden, als Gucky seinen Griff lockerte.
Er trat auf sie zu und nahm ihren Arm. „Gift?" fragte er nur. „Wenn es nur das wäre", heulte sie. „Wenn es nur um mich ginge!" Guckys Zorn auf die Aras wurde übermächtig. Er mußte an sich halten, um nicht zurückzuspringen und sich an den Gelähmten zu vergreifen. Von ihnen erfuhr er vorerst nichts. Aber sie würde reden. „Nicht erschrecken", sagte er leise. Sie hob den Kopf und starrte ihn fragend und verzweifelt an. Im nächsten Augenblick befanden sie sich beide in Laveaux’ Büro. Gucky sah die beiden Aras, wie sie aus ihren Sitzen aufsprangen und ihn entgeistert anblickten. Er hatte nicht daran gezweifelt, daß er sie hier vorfinden würde. „Gucky!" Laveaux blickte vom Bildschirm auf, über den er gerade erfuhr, was im Quartier des Mausbibers geschehen war. Dieser winkte ab, bugsierte die Assistentin telekinetisch in den nächsten freien Sessel und nickte den Aras zu. Laveaux murmelte fassungslos: „Louise...!" Gucky deutete auf das Bündel Elend im Sessel. „Ich kann ihre Gedanken nicht lesen", sagte er zu den Aras. „Sie bekam die gleiche Droge verabreicht, die auch die Mörder vor Telepathen schützen sollte. Zwei von ihnen hatten sich euer Aussehen gegeben, um die Wachen zu täuschen. Es geht jetzt allein um das Mädchen und das, was sie uns erzählen kann. Wahrscheinlich ist etwas in ihrem Blut, das sie in kurzer Zeit umbringt, falls ihr kein Mittel habt, um es zu neutralisieren." Er drehte sich zu ihr um, aber sie reagierte überhaupt nicht mehr. „Hat sie Familie?" Die Frage war an den Hafenkommandanten gerichtet. Der nickte. „Ihren Mann und zwei Kinder. Aber...?" „Dann laß auch sie auf schnellstem Wege holen. Vermutlich wurde sie erpreßt. Ich habe jetzt keine Zeit für lange Erklärungen. Was ich will, ist", er wandte sich wieder an die Aras, „daß ihr ihr helft und sie beruhigt. Versucht, auch das zu neutralisieren, was verhindert, daß ich ihre Gedanken lese. Könnt ihr euren Leuten trauen?" Die Aras erwachten aus ihrer Starre. Einer von ihnen ballte die Fäuste. „Wie es nun aussieht, sollten wir nur uns selbst trauen. Wir nehmen das selbst in die Hand. Wenn du..." „Ich kann mit ihr und einem von euch teleportieren", beantwortete der Ilt die noch unausgesprochene Frage. „Den anderen hole ich." Er streckte dem Ara, der ihm am nächsten stand, eine Hand entgegen. Der unglaublich hagere Mann ergriff sie zögernd. „Einen Moment noch", sagte er, als Gucky die Assistentin zu sich herüberschweben ließ. „Ich ersuche Staatsmarschall Reginald Bull offiziell um Hilfe. Wir..." „Das kann dein Freund ihm sagen", unterbrach der Mausbiber ihn schnell. „Laveaux, schalte ihm eine Verbindung zu Bully." Ganz kurz überzeugte er sich davon, daß die beiden Aras ehrlich und tief bestürzt waren. In ihren Gedanken fand er, was er zum Teleportieren brauchte. Eine Sekunde darauf war er mit dem, dessen Hand er hielt, und dem Mädchen verschwunden. Sie materialisierten in einem riesigen Labor. Gucky sah, wie der Ara sich sofort zu einem Kommunikationsgerät begab, und machte sich schon wieder für die nächste Teleportation bereit. „Du solltest hierbleiben", hörte er den Mediziner rufen. „Solange wir nicht wissen, wer von uns noch zu den Verschwörern gehört..." „Bin gleich wieder da!" rief der Ilt und entmaterialisierte. Nur fünf Sekunden später war er mit dem zweiten Ara zurück. Die Strapazen machten sich nun doch
bemerkbar. Er setzte sich auf eine Tischkante und wartete. Mehrere dürre, hochgewachsene Gestalten erschienen und bestürmten die beiden anderen mit Fragen. Gucky konnte in ihren Gedanken lesen. Sie waren „sauber". „Beeilt euch!" rief er. „Sie sind in Ordnung." „Du weißt sehr gut, daß wir tun, was wir können", erhielt er von dem zur Antwort, den er als letzten geholt hatte. „Hast du mit Bull gesprochen, Langer?" fragte Gucky frech. „Gerade lange genug, bevor du mich wegholtest." Gucky sagte nichts mehr darauf. Die drei Attentäter war sicher jetzt schon in Gewahrsam. Aber es kam einzig und allein darauf an, ob aus dem schluchzenden Etwas dort drüben rechtzeitig verwertbare Informationen herausgeholt werden konnten. Sie stand unter einem schweren Schock. Mit klopfendem Herzen wartete der Ilt darauf, daß er endlich ihre Gedanken lesen konnte. Aras entnahmen ihr Blutproben. Aras arbeiteten an Laborgeräten, wie Gucky sie noch nie gesehen hatte. Aras huschten umher und machten Injektionen bereit. Und Aras hatten das Solare Imperium um Hilfe gebeten - in aller Form. Gucky versuchte, sich zu erinnern, wann es das schon einmal gegeben hatte. Es war jetzt gleichgültig. Die Zeit verrann ihnen zwischen den Fingern. Die Verschwörer wußten nun natürlich, daß sie sich nicht mehr lange verstecken konnten. Vernichteten sie schon die Erreger? War dann doch alles umsonst gewesen? Doch Gucky schien die Galaktischen Mediziner auf Meeting Point unterschätzt zu haben. Eine Lautsprecherstimme nannte drei Namen. Gucky sprang vom Tisch. „Sind das die drei?" „Ja, aber das nützt uns wenig. Alles, was sich in ihren Quartieren befand und uns hätte Hinweise geben können, ist vernichtet worden. Kannst du noch einmal springen und uns einen von ihnen holen? Wir haben jetzt das Mittel, das ihre Gedanken wieder lesbar machen dürfte." Gucky stöhnte. „Wahrscheinlich haben sie Giftkapseln im Gaumen", drängte der Ara. „Sie können sie nicht zerdrücken, solange sie paralysiert sind." Gucky entmaterialisierte schon. Bevor Staatsmarschall Reginald Bull der Bitte der Aras entsprach und seine Raumsoldaten in Bewegung setzte, um die kleine Ara-Kolonie nach außen hin abzuriegeln und jeden Winkel zu durchsuchen, informierte er die auf Meeting Point lebenden Akonen, Arkoniden und Springer von dem Hilfeersuchen. Er gab bekannt, was sich ereignet hatte und appellierte an den Geist der Galaktischen Allianz. Alle drei Gruppen sagten daraufhin spontan ihre Unterstützung zu. Natürlich mochte hinter dem Angebot, sich ebenfalls an der Suche nach den Verschwörern zu beteiligen, das alte Mißtrauen den terranischen „Emporkömmlingen" stecken. Bull konnte darauf jetzt keine Rücksicht nehmen. Er nahm dankend an. Als fünf terranische Kampfschiffe aus seinem Verband auf dem Raumhafen von Meeting Point landeten und die Soldaten ausschwärmten, waren auch Akonen und Arkoniden zur Stelle. Nur die Springer hielten sich zurück. Bully war eigenartig berührt. Was sich jetzt auf dem Kontaktplaneten abspielte, zeugte trotz allem von dem ungebrochenen Willen der hier lebenden Vertreter der galaktischen Völker, den Frieden zu bewahren und fruchtbar zusammenzuarbeiten. Aras empfingen die in Shifts landenden Raumsoldaten und führten sie in ihre Kolonie!
Reginald Bull ließ die Lautsprecher in der Zentrale seines Schiffes abschalten und nur einige Kanäle offen. Mit versteinert wirkendem Gesicht stand er vor dem Panoramabildschirm, der einen Teil der hinter dem Hafengelände sich ausbreitenden Stadt zeigte, und wartete ungeduldig auf Nachricht von Gucky. Alles wartete auf ihn - und auf die einzige wirklich wichtige Nachricht. Bevor Gucky mit einem der Paralysierten zurückteleportierte, hatte er die zehn Aras „durchleuchtet", die auf einem entsprechend eingerichteten Schiff aus Bullys Verband auf den Blitzstart warteten. Die Verbindung zur Erde stand ununterbrochen. Sobald ein Serum entwickelt und auch auf Terra produziert werden konnte, sollten die Ärzte auf der Erde die Arbeit aufnehmen. Noch tat das bitter not. Noch wartete Bull vergeblich auf die Meldung, daß Lundahl unschädlich gemacht werden konnte. Der Fanatiker war wie vom Weltraum verschluckt. Acht Minuten, nachdem Gucky mit dem paralysierten Ara entmaterialisiert war, erhielt Reginald Bull die Nachricht, daß es in der Ara-Siedlung sechs Selbstmorde gegeben hatte. Bewaffnete Aras und terranische Raumsoldaten gingen gemeinsam gegen ein Gebäude vor, aus dem heraus geschossen wurde. Die Schlinge zog sich zusammen. Mach schnell, Kleiner! dachte der Staatsmarschall. Um Himmels willen, beeile dich, Gucky! 11. Christine kam zu sich. Sie war schweißgebadet. Die Kombination klebte an ihrem Körper. Über der Brust war sie geöffnet. Christine hatte nicht die Kraft, sich aufzurichten. Sie lag auf etwas Hartem, die Augen auf die Decke gerichtet. Es dauerte eine Weile, bis sie wußte, daß sie sich nach wie vor in der Zentrale befand. Irgend jemand sprach. Sie kannte die Stimme. Aber sie war so leise, so fern. Eine Hand berührte ihre Schulter. Schleier legten sich vor ihre Augen, als sie den Kopf zur Seite drehte. Schwindel ergriff sie. Das Gesicht vor ihr wurde in die Länge gezogen, dann breit wie in einem Zerrspiegel. Es schwankte auf und ab. Der Mann bewegte die Lippen. Also war er es, der zu ihr sprach. Aber wer...? Das konnte nicht David sein! Christine schloß die Augen. Eiseskälte breitete sich in ihr aus. Sie zitterte und bekam Krämpfe. Wieder spürte sie die Hand auf der Schulter, dann über ihrem Herzen. Sie war heiß. Spürte man seinen Körper noch, wenn man tot war? War dies schon das Jenseits? Oder befand sie sich irgendwo zwischen hier und dort? Zwischen Leben und Tod? Sie sah bunte Farben durcheinanderwirbeln, dann wieder Schwärze, aus der Lichtpfeile auf sie zuschössen und in ihrem Bewußtsein explodierten wie Feuerwerksraketen. Seltsamerweise hatte sie keine Angst. Sie sollte sie haben, oder? Warum war ihr plötzlich alles so gleichgültig? „... jetzt nicht aufgeben", hörte sie die Stimme wieder. „Verstehst du mich, Chris? Es ist... Hoffnung. Wir... dürfen nicht aufgeben. Nicht uns... selbst..." Sie hörte die Worte, aber sie sagten ihr nichts mehr. Alles, wonach sie sich noch sehnte, war Ruhe. Einschlafen, nichts mehr spüren... Einfach Schluß...
Die Hand war nicht mehr auf ihrer Brust. Dafür berührte jetzt etwas ihren Arm. Etwas schmerzte ganz kurz. Wärme breitete sich von der betreffenden Stelle her aus. Tausend kleine Tiere krochen durch ihren Arm, liefen über ihre Brust, den Hals, das Gesicht... „... in Lucianos Kabine gefunden", hörte sie die Stimme wieder. Sie wurde klarer, kam näher. „Gleich geht es dir besser, Chris." Besser! Wenn das David war, warum quälte er sie dann noch? Warum ließ er sie nicht schlafen? Wieder schlug sie die Augen auf, und erneut sah sie sein Gesicht verzerrt. Dann aber nahm es normale Formen an. Sie wünschte sich, es wäre undeutlich geblieben. Sah auch sie so aus? Davids Kopf war ein Totenschädel. Schaudernd wandte sie sich ab. Ihr Kopf schlug auf die andere Seite. Der Schwindel blieb diesmal aus. Sie konnte einen Teil des Hauptbildschirms sehen und das Raumschiff. Die Müdigkeit verschwand. Wie in den kurzen Phasen, in denen sie wach und voller Tatendrang gewesen war, erwachte in ihr noch einmal das Interesse an dem, was um sie herum war. Die Kabinen mit den Kranken und Toten, der Weg zur Zentrale, das Schiff auf dem Bildschirm - wie lange war das her? David zog sie zu einem Pult. Er hob ihren Oberkörper an und legte sie gegen eine Verkleidung. Warum tat er das? Woher nahm er noch die Kraft dazu? Sie sah ihn an. Er hatte die Ärmel der Kombination hochgestreift. An einer Stelle seines rechten Unterarms war die Haut gerötet und das Fleisch angeschwollen. Unwillkürlich fuhr sie sich über den eigenen Arm. Sie konnte es wieder. Sie spürte ihre Finger -und die Anschwellung. Sie versuchte, zu sprechen. Erst nach einer Weile gelang es ihr. Ihre Zunge war schwer und trocken. Die aufgesprungenen Lippen brannten. „Du... David, du hast...?" „Dir etwas gespritzt, Chris. Ein Aufputschmittel, das ich in... Lucianos Kabine noch fand. Vielleicht sterben wir daran, aber das wäre ein... vorweggenommener Tod." Er atmete schwer. Das Sprechen erschöpfte ihn doch mehr, als er zeigen wollte. Sie sah ihn jetzt völlig klar. Die Backen- und Kieferknochen standen weit hervor. Seine Haut hatte alle Farbe verloren und spannte sich wie Pergament. Haarsträhnen hingen klebrig in seiner Stirn. Auch Davids Lippen waren aufgesprungen, seine Pupillen unnatürlich geweitet. Sie spürte, wie ihre Lebensgeister zunehmend zurückkehrten, und erschrak. Was mit ihr geschah, war ihr unheimlich. „Ein... ein Rauschmittel?" „Etwas, das uns wachhält. Wir müssen wach bleiben, Chris!" Meinte er das Raumschiff? Die Blinkzeichen fielen ihr wieder ein. Aber es waren noch keine Ärzte an Bord der QUEEN JANE gekommen. Warum nicht? David las die Frage von ihren Augen ab. „Sie werden kommen, Chris! Rede es dir ein. Sie kommen. Sie... warten auf ein Serum." Sie spürte keine Kälte mehr. Ihre Glieder zitterten leicht, aber mit jedem Atemzug wurde ihre Brust etwas leichter.
Sie konnte wieder klar denken. Wahrscheinlich verzehrte die Droge sie mit der Zeit. David mußte von Sinnen sein. Er brachte sie um. Und sie wollte nicht sterben, jetzt nicht mehr. „Die anderen, Dave. Wie viele leben noch?" Er zögerte mit der Antwort. Er wich ihrem Blick aus. „Also keiner", murmelte sie. „Wir beide sind die letzten. Das ist... wie in einem kitschigen Roman." Sie hörte es kaum. „Dad ist tot. Und er wollte... er wollte noch so vieles tun." „Dann müssen wir für ihn leben! Er hätte es so gewollt." Sie hatte schrecklichen Durst. „Etwas zu trinken, Dave. Haben wir noch etwas?" „Schon, aber den Weg zu den Getränkespendern schaffen weder du noch ich. Bleib ruhig liegen, Chris. Du fühlst dich stärker, als du in Wirklichkeit bist." Er machte einige tiefe Atemzüge. „Ich konnte dem Schiff dort draußen zeigen, daß wir noch leben. Als ich das nächstemal zu mir kam, schleppte ich mich zu den Kabinen und wieder zurück. Ich holte die Spritzen und die Droge. Das letzte Stück mußte ich auf allen vieren kriechen." „Und wie lange hält das Zeug uns wach?" Er zuckte nur die Schultern. Hier saßen sie also, warteten verzweifelt auf das Wunder und versuchten, dem Tod noch einmal ein Schnippchen zu schlagen. „Geborgtes Leben", murmelte Christine. „David, laß uns reden, bis es zu Ende geht. Sag mir, was wir getan hätten, wenn das alles... nicht geschehen wäre." Er legte sich flach auf den Rücken. Dann begann er stockend von seinen Träumen zu erzählen. Sie hörte zu und unterbrach ihn nicht. Erst jetzt sah sie den kleinen Strahler in seiner Tasche. Und sie hoffte, daß er noch die Kraft finden würde, ihn zu benützen, wenn die Wirkung der Droge nachließ. 12. Gucky schlug die Augen auf. Er fühlte sich wie gerädert, sah, daß die Aras schon bei der Arbeit waren, und wußte, daß der Alptraum zumindest für ihn vorbei war. Alles andere war ihre Sache. Er konnte nicht mehr daran glauben, daß die Hilfe für die QUEEN JANE noch rechtzeitig kommen konnte. Aber für die Erde war es nicht zu spät. Der Mausbiber hatte leichteres Spiel als erwartet mit dem paralysierten Ara gehabt. Nachdem die von ihm eingenommene Droge von seinen Artgenossen neutralisiert werden konnte, lagen seine Gedanken frei vor ihm wie ein aufgeschlagenes Buch. Daß der Verschwörer sich mit aller Gewalt dagegen sträubte, seine Geheimnisse preiszugeben, machte es ihm nur noch leichter. Indem er verzweifelt versuchte, nicht an die Erreger zu denken, tat er genau das Gegenteil. Gucky hatte laut ausgesprochen, was er in den Gedanken des Mörders fand. Die Aras schrieben eifrig mit und waren jetzt dabei, das Serum herzustellen. Die Bakterienstämme, aus denen die Seuchenerreger gezüchtet worden waren, waren ihnen ebenso bekannt wie nun die Modifikationen, die man an ihnen vorgenommen hatte. Das reichte ihnen.
Soldaten schafften den Paralysierten fort. Einer der beiden Galaktischen Mediziner, die dem Regierenden Rat angehörten, legte Gucky dankbar die Hand auf die Schulter. „Du weißt nicht, was du für uns getan hast", sagte er. „Und nicht nur für uns. Kein Mensch wird an dieser Seuche sterben, das können wir jetzt schon versprechen." Er wollte noch etwas sagen. Gucky zeigte ihm den Nagezahn und nahm seine Hand. „Zwölf Menschen sind wahrscheinlich daran gestorben, Freund. Wir werden uns bei euch bedanken müssen. Aber jetzt..." Er stand auf und reckte sich. „Jetzt brauche ich Ruhe." „Du hast sie verdient. Unsere Leute sind gestartet und unterwegs zur QUEEN JANE. Die Namen der Verschwörer haben wir Reginald Bull schon übermittelt. Diejenigen, die sich nicht umbrachten, werden wohl in diesen Minuten festgenommen." „Bully wird alles Nötige veranlassen." Gucky streifte die Hand des Aras ab. „Ich schätze, ich werde hier jetzt nicht mehr gebraucht?" „Du hast mehr getan, als..." „Jaja", wehrte der Ilt ab, bevor sich der Ara in neue Dankesreden ergehen konnte. Er wollte für ein paar Stunden nichts mehr hören und sehen. Vor den Augen des Mediziners entmaterialisierte er. Er sprang nicht auf Bullys Schiff, sondern direkt an Bord der TRAMP'S BEAUTY. Jan Heerlens stand nur zwei Meter von ihm entfernt und schrie heiser auf. Mit einem Satz brachte er sich in Sicherheit. Anne blickte von einem Pult auf, sah den Ilt und stürzte freudestrahlend auf ihn zu. Tränen standen in ihren Augen, als sie die Arme ausbreitete und ihn gerade noch auffangen konnte, als er in den Knien einknickte. „Gucky!" rief sie aus, als sie ihn auf den Armen hatte. Die anderen Kadetten in der Zentrale kamen näher und musterten den Mausbiber aus großen Augen - voller Bewunderung, aber auch mit einer gewissen Scheu. „Gucky, was hast du mitmachen müssen!" Er protestierte nicht, als sie ihn aus der Zentrale in seine Kabine brachte, ihn auf sein Lager legte und sich zu ihm setzte, um ihm das Fell zu kraulen. Das brauchte er jetzt. Eine bessere Medizin gab es nicht. Aber die ersehnte Ruhe fand er dennoch nicht. Wieder sah er die beiden jungen Raumfahrer an Bord des alten Frachters vor sich, und er hörte seine eigenen Worte, wie er ihnen Mut zu machen versuchte. „Nichts ist in Ordnung", brummte er in sein Fell. „Gar nichts ist in Ordnung. Wenn diesen Hunden der Prozeß gemacht wird, trete ich als Kronzeuge auf! Und wenn auch nur einer der Richter an mildernde Umstände denkt, kann er mich kennenlernen!" „Gucky, Gucky!" Ein milder Vorwurf klang in Annes Worten mit. „Vergiß das jetzt." „Kann ich nicht. Ich platze vor Wut!" Sie tat so, als wollte sie aufstehen. „Einen so wilden Burschen kraule ich nicht mehr. Das ist mir zu gefährlich." Schnell zog er ihre Hand zu sich und legte sie auf sein Fell. „Ich hebe mir meine Wut für später auf. Und Kraulen beruhigt." Reginald Bull hatte andere Sorgen. Auch er dachte an die QUEEN JANE, wenngleich es ihm mehr Kopfzerbrechen bereitete, daß von Arne Lundahl im Sonnensystem immer noch keine Spur gefunden worden war. Dabei hätte er die Strecke von der Wega bis nach Sol inzwischen mehrere Male zurücklegen können.
Bully gab sich nicht der Hoffnung hin, der Attentäter könnte im letzten Augenblick zur Vernunft gekommen ein. Aber die Aras hatten das langerwartete Serum entwickelt und produzierten es in Massen. Einer von ihnen war an Bord von Bulls Schiff gekommen und hatte die Formeln an seine Artgenossen auf Terra durchgefunkt. Kurz darauf kam von dort die Bestätigung, daß das Serum auf der Erde hergestellt werden konnte. Perry Rhodan selbst übermittelte ihm die Nachricht. Bully zeigte zum erstenmal seit vielen Stunden ein Lächeln. „Dann sind wir wieder einmal davongekommen, Perry", sagte der Staatsmarschall. „Das heißt, falls dieser Lundahl jemals vorhatte, Seuchenerreger nach Terra zu bringen." Rhodan runzelte die Stirn. „Naja", fuhr Bull fort. „Ich habe mir so meine Gedanken gemacht. Er müßte längst über die Erde erschienen sein. Daß das nicht der Fall ist, könnte bedeuten, daß wir etwas Falsches glauben sollten. Oder er hat seine Pläne spontan geändert. Wir haben unsere Verbände von vielen Stützpunkten abgezogen. Ein Dutzend Kolonialplaneten, die sonst von unseren Schiffen geschützt werden, sind wehrlos jedem plötzlichen Angriff gegenüber. Etwa dies könnte von vorneherein bezweckt worden sein." Rhodan schüttelte den Kopf. „Könnte, Bully. Ist aber nicht so. Erstens hätte Gucky von diesen Plänen erfahren, und zweitens gäbe es niemanden mehr, der sie ausführen könnte. Du denkst doch, Lundahl hätte es sich im letzten Moment anders überlegt und Kurs auf eine dieser Welten genommen." „Schon", gab Bull zu. „Aber soll das heißen... ihr habt ihn?" „Entwarnung, Bully", antwortete der Großadministrator. „Ja, wir haben ihn." „Aber das... das sagst du erst jetzt? Du läßt mich schwitzen und reden, läßt uns alle hier auf heißen Kohlen sitzen und..." Rhodan hob beschwichtigend eine Hand. „Tut mir leid, Bully, aber andere Dinge gingen vor. Außerdem erhielt ich selbst erst eben die Nachricht. Arne Peer Lundahl wurde in seinem Raumjäger treibend von einem unserer Kurierschiffe entdeckt, knapp zwei Lichtjahre vom Solsystem entfernt. Das war ein Zufall, wie er im Buche steht, Bully. Inzwischen steht soviel fest: Lundahl hatte tatsächlich die Absicht, hinter unseren Linien aus dem Linearraum zu stoßen und seine tödliche Fracht aus dem Jäger zu schießen, bevor er selbst vernichtet werden konnte. Daß es nicht dazu kam, haben wir letztlich den Aras zu verdanken, die die Erreger züchteten und auf den Weg brachten." Bull schluckte. Sekundenlang starrte er Rhodans Gesicht auf dem Bildschirm der Hyperfunkanlage an. „Laß mich raten", sagte er schließlich. „Er hat sich... infiziert? Genau wie dieser St. Peters von der QUEEN JANE?" „So ist es, Bully. Als er die ersten Anzeichen der Erkrankung an sich feststellte, muß er den Verstand verloren haben. Klarheit darüber, weshalb er dann von seinem Wahnsinnsplan abließ, werden wir erst erhalten, wenn er verhört werden kann. Momentan liegt er in tiefer Bewußtlosigkeit. Er wurde an Bord eines Quarantäneschiffs gebracht und wird auf schnellstem Weg das Serum erhalten." „Du solltest ihn so sterben lassen, wie er es uns allen zugedacht hatte", knurrte Bull. „Das ist nicht dein Ernst, Bully." Der Staatsmarschall winkte ab und holte tief Luft. Er sah sich in seiner Zentrale um. Männer und Frauen standen hinter ihm und starrten auf den Bildschirm. Manche
hatten feuchte Augen. Aber niemand jubelte. Bull drehte den Kopf wieder und beugte sich im Sessel ein Stück vor. „In Ordnung, Perry. Du willst ihn mit den Aras zusammen vor ein Gericht stellen lassen?" „Vor ein Gericht, das aus Aras, Akonen, Arkoniden und Springern besteht", bestätigte Rhodan. „Und natürlich Terranern. Deshalb sind Kurierschiffe unterwegs, mit unseren besten Diplomaten an Bord. Jedes Mißtrauen und jeder Argwohn müssen ausgeräumt werden, bevor sie anfangen können, ihre bitteren Früchte zu tragen. Wenn nicht alles täuscht, haben die Verschwörer genau das Gegenteil von dem erreicht, was sie erreichen wollten. Die Galaktische Allianz kann aus dieser Affäre gefestigter denn je hervorgehen. Vor allem Aralon drängte darauf, alles restlos aufzuklären." „Das brauchst du mir nicht zu sagen", seufzte Bull. „Hätte ich nicht selbst miterlebt, wie diese hochnäsigen Mediziner ohne ein Wort des Protests unsere Soldaten empfangen und mit ihnen zusammen die Verschwörer ausräucherten..." Bull zuckte die Schultern. „Ich kann's immer noch nicht glauben." Rhodan nickte ernst. „Was uns nicht dazu verleiten sollte, etwas überzubewerten, Bully. Auch wenn das Attentat hinter dem Rücken der meisten Aras auf Meeting Point geplant wurde, auch wenn Aralon nichts davon wußte, so dürfte der Hauptgrund für die momentane Terraner-Freundlichkeit der Galaktischen Mediziner darin liegen, einen Verdacht von sich abzuwehren, der sie auch bei den Akonen und Springern tief in Mißkredit gebracht hätte - von den kleineren Sternenvölkern ganz zu schweigen, mit denen sie auch künftig ihre Geschäfte machen wollen." „Ich verstehe", brummte Bull. „Einige von den Kerlen hätten es vielleicht ganz gerne gesehen, wenn Terra von der galaktischen Bildfläche verschwunden wäre." „Dennoch sind wir ihnen zu großem Dank verpflichtet. Motive haben jetzt hinter Ergebnissen zurückzutreten. Die Galaxis wird erfahren, wie sich die Allianz bewährte. Was Meeting Point anbetrifft, Bully, so wird das deine Aufgabe sein." Der Staatsmarschall schluckte. Er beugte sich noch ein Stück vor und kniff die Augen zusammen. „Ich nehme an, das kannst du genauer erklären", sagte er lauernd. „Du bleibst mit deinem Verband auf dem Kontaktplaneten und wirst in Zusammenarbeit mit dem Regierenden Rat und den Vertretern der anderen Rassen sämtliche Untersuchungen leiten. Du vertrittst für diese Zeit die Interessen der Erde auf Meeting Point, wo auch die Gerichtsverhandlung stattfinden wird. Ich erwarte, daß schon in den nächsten Stunden Schiffe von Arkon und Aralon bei euch eintreffen werden. Du wirst ihren Kommandanten klarmachen müssen, daß sie mit der Landung noch zu warten haben. Vorerst steht der Planet unter Quarantäne. Auch wenn sich noch keine Anzeichen für eine Infektion zeigen, dürfen wir diese Möglichkeit für die Bevölkerung nicht ausschließen. Das gilt in besonderem Maß für Gucky und seine Kadetten." „Moment!" Bull streckte abwehrend die Arme aus. „Perry, du verlangst nicht im Ernst von mir, daß ich das dem Kleinen beibringe." „Wer soll es sonst tun als sein bester Freund?" Reginald Bull ließ sich in gespielter Verzweiflung in den Sessel zurückfallen. „Perry, dir geht's wieder ganz gut, oder?" Kein Muskel zuckte in Rhodans Gesicht, als er antwortete: „Erspare mir eine Schilderung meiner Gemütsverfassung, Bully. Guckys Zorn ist längst verraucht. Beruhige ihn damit, daß er in spätestens zwei Wochen nach Hause zurückkehren kann, und zwar mit seinen Kadetten. Ich nehme an, daß die Aras
schon jetzt jeden Bewohner Meeting Points mit dem Serum versorgen. Das gleiche geschieht hier bei uns. Die Besatzungsmitglieder der ORION befinden sich auf dem gleichen Quarantäneschiff wie Lundahl. Die ersten von ihnen waren schon erkrankt. Eben weil es uns so rätselhaft ist, wie St. Peters und Lundahl sich infizieren konnten, müssen wir auch auf Meeting Point völlig auf Nummer Sicher gehen." „Dann kannst du mir auch sagen, wie ich die Akonen, Aras und Arkoniden an der Landung hindern soll, ohne Argwohn zu erwecken? Perry, du machst dir keine Vorstellung davon, wie es hier um den Planeten aussieht. Die Kommandanten der Frachter, die nicht landen dürfen, spielen verrückt und wollen haarsträubende Entschädigungen für ihren Verdienstausfall. Wir..." Rhodan lächelte schwach. „Falls es dich beruhigt, Bully: Da gibt es diesen Kommandanten des Frachters ORION, einen Mann namens Johann Neiffl, der uns eine Rechnung präsentierte, über die Allan jetzt noch den Kopf schüttelt. Auf dem Krankenbett rechnete Neiffl aus, welche Verluste ihm durch uns entstanden sind - sein gesamtes Schiff mit eingerechnet. Und ich will dir etwas sagen: Ich kaufe diesem Neiffl ein brandneues Schiff. Unsere Staatskasse verträgt das. Er bekommt eine moderne ORION II, und das gleiche gilt für alle Rechnungen, die dir präsentiert werden. Beruhige die Kommandanten damit." Bully knurrte etwas Unverständliches. „Werden diese Händler von der ORION gerettet werden können?" „Nach Auskunft der Aras, ja", antwortete Rhodan. „Und falls auf der QUEEN JANE noch jemand lebt?" „Unsere Ärzte sind an Bord, Bully, zusammen mit den von Meeting Point gekommenen Aras. Das ist alles, was ich dazu sagen kann. Ich warte selbst auf Nachricht." „Man sollte ihnen ein Denkmai setzen. Ohne sie würden wir bis zuletzt ahnungslos gewesen sein. Ich hasse Phrasen, Perry. Aber auf dem Denkmal müßte stehen: ,Sie starben für die Erde'." „Das wird es", versicherte Rhodan. „Allerdings müßten wir dann folgerichtig Tausende von Denkmälern aufstellen." „Mindestens so viele ersparten sie uns", murmelte Bull, auf die Pläne der Verschwörer anspielend. Rhodan nickte und verabschiedete sich, nicht ohne einen letzten Zuspruch für den Freund. Er wurde auf der Erde gebraucht. Lange starrte Bully auf den leeren Schirm. Schließlich seufzte er und fragte in die Runde: „Ihr habt's alle gehört. Wer begleitet mich freiwillig zur TRAMP'S BEAUTY?" Auf Terra und den anderen Menschheitswelten schrieb man den 28. August 2144, als sich das Quarantäneschiff mit den beiden aus der QUEEN JANE geretteten jungen Menschen in Richtung Solsystem in Bewegung setzte. Christine Swalff und David Lancer erlebten ihre Rettung nicht bei vollem Bewußtsein mit. Aras injizierten ihnen das Serum und behandelten sie. Die QUEEN JANE wurde ebenso wie die ORION und Lundahls Raumjäger vernichtet. Im Solsystem selbst kehrte Ruhe ein. Perry Rhodan führte endlose Gespräche mit Abgesandten aus dem Blauen System und von Aralon, nachdem die Verhöre der Attentäter auf Meeting Point abgeschlossen waren und Reginald Bull per Hyperfunk einen ausführlichen Bericht erstattet hatte. Ziel der Verschwörergruppe, die aus insgesamt 22 Aras und deren beiden Komplizen bestanden hatte, war tatsächlich die Sprengung der Galaktischen Allianz gewesen. Nach der Verseuchung der Erde
wollten sie den Akonen, Arkoniden und Springern schon ausgearbeitete Vorschläge unterbreiten, das Solare Imperium zu zerschlagen und die von Terranern besiedelten Planeten unter sich aufzuteilen. Bei aller Entrüstung, die von den Vertretern dieser Rassen vorgetragen wurde, blieb die Frage, inwieweit die Hoffnung der Verschwörer, sie für ihre finsteren Pläne zu gewinnen, reine Spekulation gewesen war. Nach zwei Wochen konnte die Quarantäne über Meeting Point aufgehoben werden. Die gesamte Galaxis war Zeuge der Gerichtsverhandlung, an deren Ende das Schuldurteil einstimmig gefällt wurde. Reginald Bull führte seinen Verband zur Erde zurück, während Gucky, inzwischen „begnadigt", sich eine weitere Woche „Urlaub" erbat. Als er mit seinen Kadetten auf dem Raumhafen von Terrania landete - am 18. September 2144 -, war das genau der Tag, an dem Christine Swalff und David Lancer soweit genesen waren, daß sie die ersten Besucher empfangen durften. Gucky ignorierte die Blicke der Ärzte und Hospitalbediensteten, als er mit Anne über die langen Korridore der Klinik ging. Beide hatten einen prachtvollen Blumenstrauß in den Händen. „Zimmer 325", sagte der Mausbiber und deutete auf die übernächste Tür. „Das ist hier." Gucky blieb stehen und strich sich die Barthaare glatt, wischte imaginären Staub von der Prachtuniform, die er auch schon bei der Abschiedsfeier in der TRAMP'S BEAUTY getragen hatte, und räusperte sich. „Tadellos, Gucky", sagte Anne lächelnd. „Wie ein Kavalier alter Schule." Der Ilt seufzte. „Ach, Anne, du bekommst auch noch einen Strauß. Du siehst auch bezaubernd aus." Das Mädchen lächelte noch, während Guckys Nagezahn verschwand. „Bully ist da drin", verkündete er. „Und Ras Tschubai. Gewisse Leute haben es anscheinend nicht nötig, sich an die normalen Besuchszeiten zu halten." „Wie wir", erinnerte ihn Anne an ihr unkonventionelles Eindringen. „Na, komm schon." Gucky packte sie einfach am Arm und teleportierte mit ihr ins Krankenzimmer. Christine Swalff und David Lancer hatten sich zusammenlegen lassen, nachdem es ihnen besser ging. Christine erschrak leicht, als sie den Ilt und Anne materialisieren sah. Lancer grinste nur. Gucky ließ Annes Arm los und nickte Ras und Bully grimmig zu. Die beiden hatten es sich zwischen den beiden Betten bequem gemacht. „Da soll doch gleich...!" begann Bull. Tschubai legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter. „Besser für dich, du sagst jetzt gar nichts, Bully", giftete Gucky, ohne den Staatsmarschall anzusehen. „Sonst müßte ich auf gewisse Bemerkungen zurückkommen. Von wegen ‚Tricks', wenn du noch weißt, was ich meine..." Bull schluckte und errötete leicht. Christine Swalff hatte den Schreck überwunden und lächelte die neuen Besucher an. Guckys Wut verrauchte augenblicklich. Die beiden Raumfahrer waren gegenüber den Photos, die nach ihrer Bergung aus der QUEEN JANE gemacht worden waren, nicht mehr wiederzuerkennen. Die Ärzte hatten wahre Wunder vollbracht. „Die sind... für mich?" fragte Christine, als Gucky ihr wortlos den Blumenstrauß reichte. „Oh, Gucky, das war nicht nötig. Du hast soviel für uns getan..." David nahm von Anne die Blumen entgegen.
„Ich habe noch gar nichts getan", sagte der Mausbiber bescheiden. „Hättet ihr beide euch nicht selbst geholfen..." Er winkte verlegen ab. Alles, was er sich zurechtgelegt hatte, war vergessen. „Euch geht's also gut?" „Er fragt, ob es ihnen gutgeht", knurrte Bull. Tschubai stieß ihn mit dem Ellbogen an. Gucky überhörte es. Christine klopfte mit der flachen Hand auf die Bettkante. Er setzte sich. „Bestimmt, Gucky", versicherte Lancer. „Wir haben lange auf dich gewartet. Und jetzt, wo du da bist..." Er zuckte die Schultern und lächelte Christine zu. „Jetzt weiß ich nicht, was ich sagen soll." „Dann behält's am besten für dich. Ich kenne das auch." Gucky schielte zu Bull und Tschubai hinüber. „Was habt ihr beide jetzt vor? Ich meine, wenn ihr entlassen werdet. Wieder in den Weltraum?" Christine lachte. „Von der Entschädigung, die wir für unser Schiff erhielten, könnten wir uns ein prächtiges neues kaufen." Sie blickte Bull dankbar an. Der Staatsmarschall lächelte gönnerhaft. „Aber das ist vorbei. Wir werden uns wohl einen alten Traum erfüllen und irgendwo auf einem neuen Planeten ein Stück Land kaufen." Kurz huschte ein Schatten über ihr Gesicht. Gucky las in ihren Gedanken und wußte, was sie betrübte. Er verzichtete auf tröstende Worte. Die konnten ihren Vater und ihre Freunde nicht wieder lebendig machen. „So, großzügig entschädigt hat man euch. Das war das mindeste, das gewisse Herrschaften tun konnten. Wirf mal einen Blick in den Blumenstrauß. Du auch, David." Sie taten es. Christine holte ein Stück Brot heraus, Lancer einen Salzstreuer. „Das gab man früher jungen Eheleuten, die ihr eigenes Heim bezogen. Es sollte alles Unglück von ihnen abwenden und dafür sorgen, daß sie immer genug zu Essen hatten... und Gesundheit." So genau wußte er das nicht, aber in etwa verhielt es sich wohl so. Bully schüttelte nur den Kopf und wechselte einen vielsagenden Blick mit Tschubai. „Das ist lieb von dir, Gucky", sagte David. „Aber wir haben ja noch gar kein Haus." „Nein?" Jetzt hielt den Mausbiber nichts mehr. Er stand auf und zog ein Stück Papier aus seiner Uniformtasche. „Ihr habt es. Eine Farm auf Chronos, einem der paradiesischsten neuerschlossenen Planeten. Und dazu mehr Land, als ihr bebauen könnt. Schätze, ihr solltet euch beizeiten um Nachwuchs kümmern." Mit einem weiteren Seitenblick auf Bull ergänzte er: „Von der großzügigen Entschädigung' könnt ihr euch ja ein paar Maschinen kaufen." Christine sah ihn mit offenem Mund an. David schüttelte ungläubig den Kopf. Anne nickte ihm zu. „Oh, Gucky!" Christine legte ihre Arme um ihn und zog ihn ganz fest an sich. Gucky schluckte, und bevor die Rührung ihn vollends übermannte, machte er sich los und entmaterialisierte. Bull starrte auf das Papier. Er brauchte eine Weile, bis er die Sprache wiederfand: „Nun sagt bloß, das hat er aus eigener Tasche bezahlt!" Anne zuckte lächelnd die Schultern. Sie drückte David und Christine die Hand und stellte sich dann neben Ras Tschubai. „Er sagte mir auch nichts, außer, daß er auch seine Beziehungen hat. Und nun, meine Herren, lassen wir die beiden wohl besser mit sich allein." Der Teleporter schmunzelte und nahm Bullys Hand. Bevor der noch etwas sagen konnte, waren nur noch Christine und David im Zimmer.
Sie sahen sich nur an. Auf dem Korridor stand ein Mausbiber und las in ihren Gedanken. Was er darin fand, versöhnte ihn mit allem was er in den letzten drei Wochen hatte durchstehen müssen. Zufrieden watschelte er davon. ENDE