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w
ie ein Prinz zum Nachtwäch
ter . . .
. . . u n d ein Nachtwächter z u m
P r i n z e n wurde — wie ein Ge
spenst beinahe verzweifelt,
weil sich n i e m a n d vor i h m
fürchtet — wie die Besatzung
eines Schmuggelbootes dem
Zollkutter ein Schnippchen
schlägt...
das u n d vieles andere m e h r
wird erzählt in
ABENTEUER
AUS ALLERWELT (4)
Herausgegeben von Edwin Orthmann Illustriert 500 Seiten • Ganzleinen 7,50 DM
Unter den in diesem Band zusam mengestellten Abenteuergeschich ten finden wir u. a.: Kleist, Das Erdbeben in Chili; Wilde, Das Ge spenst von Canterville; Tolstoi, Der Gefangene im Kaukasus; Poe, Wassergrube und Pendel; London, Die Jagd nach dem Mammut. Euch diesen Band anzuschaffen rät
Welches ist der längste F l u ß , der größte Binnen see, der höchste Berg, die kleinste Menschen rasse? Die Lösung ist in der folgenden Aufzählung versteckt. Eskimo, Sambesi, Nanga-Parbat, Tschomolungma, Erie-See, Wolga, P y g m ä e n , Bodensee, Amazonas, Mount Everest, Kaspisches Meer.
Die beiden Radfahrer b e n u t z e n ein Tandem.
KURT HERWARTH BALL LOTHAR WEISE
TEIL II
VERLAG N E U E S L E B E N B E R L I N - 1957
Oberst Bradson schritt ruhelos in sei nem Zimmer auf und ab. Er riß die Vorhänge zu — diese verdammte Olona reklame müßte man verbieten — ver bieten! Er lachte auf, bösartig. Jendowka war an der Olonagesellschaft beteiligt, Jendowka war der Schwager von Dawson, und dieser saß im Kuratorium der Ge sellschaft. Dagegen kam niemand auf, und außerdem war Olona tatsächlich das einzige Mittel, diese furchtbare Wartezeit zu überstehen. Liebrich war tot, ein Glück, daß dieser Kerl den Mut oder die Angst besessen hatte, Gift zu nehmen. Und Quistil? Hatte er die letzte Meldung noch erhalten? Hatte er noch die Möglichkeit gehabt, seine Bom ben zu legen? Die Nachrichten von den geheimnisvollen Erkrankungen in der Station hatten Bradson über verschiedene Kanäle erreicht. Sie ließen Zweifel daran aufkommen, daß Quistil noch unbeobach tet arbeiten konnte. Schließlich waren die „drüben" auch wachsam. Und es war alle» so genau geplant gewesen. Verdammt — solche Dinge konnten nicht einwandfrei durch Elektronengehirne berechnet wer den . . . Er rauchte schon wieder Olona — was sonst? Das Flackern der Reklame huschte rattenhaft, gespenstisch auf dem Teppich
hin und her. Gut, daß Bodden tot war; er hätte nur gerade bei Liebrich zu sein brauchen, als der ausgehoben wurde. Nun war er tot, irgendwo im brasiliani schen Busch verunglückt. Eine Expedi tion war schon unterwegs, wie die Presse mitgeteilt hatte, um die Unglücksstelle aufzusuchen. Wenn jetzt jemand in Dresden auftauchen sollte, der vorgab, Rob Bodden zu sein, so konnte es sich nur um einen Schwindler handeln, um einen Abenteurer. Der Rotlichtsummer! Im Telefonbild schirm erschien das vertrocknete Gesicht des Präsidenten Hersfeld — es erinnerte ihn immer an den Pergamentkopf des alten Rockefeller. Bradson erstattete Be richt: „Jawohl, Herr Präsident, es beste hen keinerlei Schwierigkeiten." — Ich werde mich hüten, dem alten Ratten gesicht zu sagen, daß ich kaum noch weiterweiß! — „In spätestens zehn Tagen muß Quistil hier sein. Dann wird sofort die Aktion ,Eiskristall' gestartet." „Wir verlassen uns auf Sie, Bradson." Das Gesicht verschwand. Bradsons Züge wurden hart, die Entscheidung lag in seiner Hand, in einem Vierteljahr saß er in Berlin, als Resident der Gesellschaft. Zufrieden griff er nach seiner Zigarette, inhalierte hastig den grünblauen Rauch, 3
sackte in seinen Sessel zurück. Das far bige Geflacker vor seinem Fenster ver dichtete sich zu grünbuntem Gewirr — Urwald, überall Orchideen, phantastische Blüten, seltsame Düfte, die gelben Fun kelaugen eines Jaguars, Ameisen, ein Heer von großen schwarzen Ameisen; sie zerfraßen alles — wie das brannte! Mit einem Schrei fuhr Bradson hoch, der Rest der Zigarette verglühte zwischen seinen Fingern... Der Sommerwind sang leise in den Wipfeln; das blanke Wasser des Baches sprang über die Steine und rann eilfertig den kiesigen Grund hinab. Inge Schaller, in langen Gummistiefeln mitten im Was ser stehend, schüttelte den Kopf. Sie nahm die Angel hoch. „Lassen wir die Forellen leben, Günther. — Was ist mit Ihnen?" Der Angesprochene tapste in den schweren Stiefeln zum Bachrand und warf die Angel in das Gras. „Ich werde den Gedanken an die Station nicht mehr los, Inge. Überarbeitet —" Sollte der Teufel das geruhsame Angeln holen — und die Frauen, die Liebe! Er zwang sich, auf Inge Schallers Fragen vernünftige Ant worten zu geben. Sie gingen durch den Hochwald. Zwischen den Felsen des Elb sandsteingebirges lag das kleine Wochen endhaus des Professors. Wenn ich vor drei Tagen abgereist wäre! Sinnend stand Herbrecht am Fen ster des kleinen Zimmers und starrte in den Wald hinaus. Unter sich, in der win zigen Küche, hörte er Inge am Herd mit der Pfanne klappern. Sie sang, irgend einen kleinen dummen Schlager — daß sie solche Lieder kannte... Vor drei Tagen wäre es noch möglich gewesen zu fliehen, jetzt nicht mehr. Warum jetzt nicht mehr? In diesen 4
drei Tagen hatte er versucht, sich Rechenschaft zu geben, zuerst dar über, warum er nicht weggefahren war, dann, wie einen rücklaufenden Film alles betrachtend, was er hier gewollt hatte. Vor allem suchte er nach den Gründen für dieses ganze Tun. Er, der anerkannte, führende Wissenschaftler, hatte sich zu einer gemeinen Werkspionage hergege ben, er, der nicht weiterkam, der an der Beschränkung der Mittel und der Mit arbeiter zu scheitern drohte mit seinem großartigen Plan, einen mächtigeren Satelliten zu schaffen. Er, Rob Bodden, hatte sich bereit gefunden, den Macht träumen Hersfelds und Bradsons zu fol gen. Er hatte nach der ersten Besprechung Bradsons Vorschlag abgelehnt, aber dann hatte ihm zwei Tage später Bradson die Nachricht entgegengehalten, daß sich Rob Bodden in den Urwald begeben habe. Mit kalt-zynischem Gesicht war er von Bradson gefragt worden, ob er, Bodden, im Urwald bleiben oder den Satelliten bauen wolle. Schließlich würde der Prä sident der Freien Astronautischen Ge sellschaft wohl einen Nachfolger finden für einen gewissen Rob Bodden. Zuletzt hätte man ihn darauf hingewiesen, daß wiederholt betont worden sei, daß er mit seinen dreiunddreißig Jahren augen scheinlich zu jung wäre für ein so gewal tiges Projekt. Er, Bodden, solle diesen Leuten beweisen, daß Jugend großartige Vorteile biete — bedenkenlos zu sein zum Beispiel, und was an ihm, Bradson, liege, würde geschehen. Es sei übrigens schon eingeleitet, Bodden würde in drei Tagen in Paris erwartet... Und nun war, wie Funk und Presse in aller Welt mitgeteilt hatten, Rob Bodden im brasilianischen Urwald tödlich verun glückt; nun hatte Ldebrich Selbstmord
begangen, und bei dem Toten hatte man das gleiche Gift gefunden wie bei dem Oberwachtmeister und oben auf der Sta tion Einstein; nun war an jenen Men schen, der dort oben arbeitete, der un heilvolle Befehl ergangen — der letzte —, die Station unschädlich zu machen, das hieß: zu vernichten! Seit drei Tagen wußte er das, er, Günther Herbrecht... Und wo war der wirkliche Günther Herbrecht? Wo be fand sich dieser unglückliche Mensch, dessen Namen er trug? In diesem Labyrinth von Vermutun gen, Ängsten, Bedenken, Erkenntnissen und Befürchtungen befand sich Herbrecht auch zu dieser Stunde wieder — wie sollte er da Lust und Liebe zum Angeln haben? Liebe? Er konnte nicht leugnen, daß Inge Schaller ihm mehr bedeutete als jemals eine Frau zuvor. Das war die eine Erkennt nis, die ihn hätte froh machen können, zu anderen Zeiten, unter anderen Um ständen. Die andere Erkenntnis war ge waltiger: Die drohende Vernichtung der Station mußte den Tod von zweihundert Menschen zur Folge haben. Und darüber hinaus wurde das Vertrauen vernichtet, das Hunderte von Millionen Menschen, alle Menschen der an diesem Projekt be teiligten Staaten, mit ihrer Arbeit bewie sen hatten. Diese Millionen würden for dern, unerbittlich fordern, daß die Schul digen, ganz gleich, wo sie sich aufhielten, zur Rechenschaft gezogen würden. Er hatte keinen Wissenschaftler, keinen Po litiker und keinen Volkswirtschaftler ken nengelernt in diesen Wochen, der auch nur im entferntesten daran gedacht hätte, die außerordentlichen Forschungs ergebnisse in den Laboratorien der Sta tion als Gewaltmittel gegenüber ande ren Völkern und Staaten zu benutzen.
Was dort oben und im Institut zu Dtes den geschaffen wurde, diente nur der Wohlfahrt der Menschheit Zum dritten oder vierten Male durch dachte er dies alles, ohne die letzte Kon sequenz zu ziehen: sich selbst innerlich zu bestätigen, daß Rob Bodden wahr haftig tot war, jener Rob Bodden, der ein Schüler und Zögling und damit das Werkzeug für Hersfeld gewesen war. In zitternder Angst wartete er von Stunde zu Stunde auf die Nachricht, daß die Sta tion explodiert sei. Nachts schrak er hoch, schweißnaß; manchmal lauerte er minu tenlang in die Dunkelheit. Duft von gebratenen Eiern zog aus dem Küchenfenster zu ihm herauf. Inge Schaller trat aus dem Haus in den Gar ten-und rief nach ihm. Er nickte, nickte — und er spürte ein Würgen in der Kehle. Im Hinuntergehen kam er zu einem Ent schluß, blieb in der Tür stehen, sah Inge Schaller und sah sie nicht. „Ich muß schnellstens auf die Station." Inge Schaller nahm die leicht erhobe nen Hände herab. Sie wandte den Kopf und blickte zwischen den Wipfeln hoch. Es geschah ganz unwillkürlich, und es sah aus, als suche sie die Station am blanken blauen Himmel. „Entschuldigen Sie, Inge — ich kann Ihnen den Grund nicht sagen — ich weiß ihn selbst nicht genau — ich glaube, ich komme nicht weiter, ehe ich nicht selbst oben gewesen bin." Er ging die beiden Stufen hinunter, blieb neben Inge stehen. Sie blickte ihn an. „Ich dachte —", sie hob die Schultern, „vielleicht ein Irrtum von mir." „Was?" „Ich dachte, Sie könnten mir alles sagen, Günther." Sie standen hilflos voreinander. 5
Im Klubraum hing ein in kleine Fächer aufgeteilter Postkasten. Foumess stand davor und sog den zarten, doch sehr in tensiven Duft eines Parfüms ein. „Hallo, Skerowa — Sie haben Post bekommen!" rief er dem Eintretenden entgegen. Skerowa nahm das hellrosa Brieflein aus dem Fach und wedelte damit Four ness vor der Nase umher. „Vorsichtig!" Der kleine dicke Franzose bog den Kopf zurück. „Gehen Sie weg mit dem Ding, sonst bekomme ich noch Herzkrämpfe." Skerowa ließ die Hand mit dem Brief sinken. „Wie meinen Sie das, Foumess?" Er wurde blaß, sein fröhliches Gesicht bekam einen harten Zug. Die andere Hand stellte die Gitarre nieder, die Sai ten klirrten leise. „Na, wenn man solche zartduftenden Briefe bekommt — wenn das keine Herz krämpfe g i b t . . . Die Absenderin wird sich freuen, Sie in fünf Tagen in die Arme nehmen zu können." Skerowa wandte sich ab. „Natürlich — nur keinen Neid, Foumess." Er ging hin aus. Pjotr Schirmos trat zu Foumess. „Wie meinten Sie das mit den Herzkrämpfen? Warum fiagten Sie gerade Skerowa?" „Es gibt Menschen, die man aicht rie chen kann, Schirmos, trotz Juchten, Flie der, Veilchen und sonst was." „Sie wissen genau, die ärztlichen Unter suchungen sind ebenso ergebnislos ver laufen wie alle anderen Kontrollen", er innerte ihn Schirmos. „Allerdings." „Ich bitte das zu beachten, Foumess. Wir können es uns nicht leisten, unter einander Feindschaften zu haben. Abso lute vertrauensvolle Kameradschaft ist die erste Bedingung für das Leben auf der 6
Station. Hier ist einer auf den anderen angewiesen." Foumess, im Weggehen schon, blieb noch einmal stehen. „Nehmen Sie es, wie Sie es wollen, Schirmos — ich möchte nicht auf jemand angewiesen sein, der so nach Juchten duftet." Pjotr Schirmos sah Foumess nach. Ske rowa? Es gab keine Anhaltspunkte, Ske rowa zu verdächtigen — und auf Gefühle verließ er sich schon gar nicht. Nur: Ske rowa war der einzige vom wissenschaft lichen Personal, der zu allen Räumen Zu tritt hatte. Er war von Schaller empfohlen worden. Natürlich konnte Schaller nicht in jedes Menschen Herz und Seele schauen, selbstverständlich, Schaller war auch nur ein Mensch... Skerowa las den so intensiv-zärtlich duftenden Brief, der nur wenige Zeilen enthielt: das schöne Bekenntnis einer lie benden Frau. Er begann an den Lippen zu nagen — das konnte doch nicht möglich sein, hatte Bradson denn seinen Bericht nicht bekommen? Er sollte die Station sprengen? Sie in den luftleeren Raum jagen? Das war doch Wahnsinn! Das war ein — Befehl — und er hatte zu gehor chen . . . Es gibt keinen Widerspruch ge gen Bradson, Widerspruch nicht — aber zu Schirmos kann ich gehen und sagen: So und so ist es, ich lege jetzt Bomben, winzig kleine hochwirksame Bömbchen; in vier Tagen oder in fünf segelt ihr alle davon, zum Mond, zur Venus, zum Si rius oder sonstwohin. Leider ist mit die sen Menschen nicht von einem Geschäft zu sprechen, und es könnte ein gutes Ge schäft sein: Bomben gegen Scheck und freies Geleit. Mit keinem kann man so reden, sie halten Erfindungen und For schungsergebnisse in den Händen, die Millionen wert sind, und sie tun so, als
arbeiteten sie zu ihrem Privatvergnü gen... Also: Befehl, Feuerwerk auf Station Einstein! Mit Schirmes kann man nicht sprechen. Für zwei Millionen würde ich Bradson und der ganzen Gesellschaft das Feuerwerk verderben, aber Schirmos macht es nicht einmal für einsfünfzig, so aus der Westentasche... Und wo? Transistorennetz — Radar — Steuerkopf — Akkumulatorenraum. Wenn die fünfzig Kugeln, von denen jede durch die Wasserelektrolyse und die Wasser synthese eine Energie von 40 000 Kilo wattstunden speichert, wenn diese Akku mulatoren auseinanderfliegen — das
kommt der Entladung von zwei Atom bomben gleich. Dann ist die Station Ein stein einmal gewesen! Trotzdem, ich muß mit allem rechnen. Vielleicht entdecken sie etwas; dauernd sind sie mit den Strah lungsgeräten unterwegs . . . Also die Transistoren draußen auch und die Ra darabwehrwaffen; dann kann, wenn das eine nicht klappt, Bradson seine „Eis kristalle" abschicken. Fourness klopfte bei Schirmos an. „Um klarzustellen, Herr Schirmos: Der Duft von gewissen Briefen kann mir gleich sein, das ist das wenigste. Doch es hat weder auf der Station noch vorher im
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Institut jemals eine Diskussion darüber gegeben, welchen Wert die von uns durchgeführten Versuche und die Ergeb nisse unserer Forschungen haben, welchen finanziell in Mark, Rübe], Dollar und Pfund Sterling auszudrückenden Wert. Und das ist Skerowas Lieblingsthema. Nummer eins aber ist sein Gitarren spielen, und das variiert er vorzüglich mit Thema zwei — ein Liedlein, eine Frage, ein Liedlein, eine Frage." Pjotr Schirmos sagte: „Danke." Er starrte gegen die Wand; aber ohne Fern sehgerät war es ihm doch nicht möglich, Skerowas Gesicht herbeizuzaubern. Kommissar Glossen berichtete seinem Vorgesetzten von den bisherigen Unter suchungsergebnissen im Falle Liebrich. „Die mehrmalige genaue Durchsicht der Liebrichschen Wohnung hat lediglich den nach seinem Tod eingegangenen Brief er bracht. Er kommt aus Odessa und ist englisch abgefaßt. Der Versuch einer De chiffrierung durch das Gerät ergab ledig lich, daß er sich für einen bestimmten Tag frei halten sollte. Anzunehmen, daß an diesem Tage jemand mit einer be stimmten Nachricht zu erwarten war." „Das Haus ist nach wie vor besetzt?" fragte der Kriminalrat. „Besetzt und unter Kontrolle. Der im Bügeleisen untergebrachte Sender war eine ausgezeichnete Idee. Aber leider ist bisher noch kein Ton durchgekommen." „Nun, es war zu erwarten, daß diese Wellenlänge jetzt schweigen würde", sagte der Kriminalrat. „Zum Erfolg scheinen allerdings die Fußspuren zu führen, die wir damals ge funden haben. Ein Glück, daß es geregnet hatte; aber etwas Glück muß ein Krimi nalist auch haben. Die Schuhe scheinen 8
noch ziemlich neu gewesen zu sein, die eingeprägten Firmenzeichen waren gut erhalten, und wir konnten ermitteln, daß es sich um das Produkt einer Schuhfirma aus Lyon handelte. Nachfragen haben ergeben, daß dieser Schuh nicht expor tiert wurde; der größte Teil dieses Mo dells ging nach Paris, vor etwa sechs, sieben Wochen." „Und?" Der Kriminalrat beugte sich vor. „Ich habe mir erlaubt, den Kreis der in Frage kommenden Personen ganz eng zu ziehen, Herr Kriminalrat. Da das von Liebrich bei unserem Oberwachtmeister angewendete Gift das gleiche ist wie das, welches die Krankheitsfälle auf der Sta tion hervorgerufen hat, da schließlich auch Liebrich selbst, wie die Obduktion seiner Leiche ergab, mit diesem Gift Selbstmord verübte —" „Daraus folgern Sie, daß der oder die Täter zu den Mitarbeitern des Astronau tischen Instituts der Technischen Hoch schule Dresden gehören? Vorsicht, Glos sen. Die Möglichkeit ist gegeben, selbst verständlich. Trotzdem, Sie wissen..." „Daß die Mitarbeiter des Instituts einer außerordentlichen Prüfung unterzogen werden, ist mir bekannt — sie sollen einer solchen Prüfung unterzogen worden sein." Sie sahen sich an. „Wir müssen mit dem Menschlichen rechnen." „Mit der nötigen Delikatesse, Glossen. Sie wissen, was davon abhängt." Als Pjotr Schirmos nach Rücksprache mit Dr. Christiansen sich um Skerowa kümmern wollte, befand sich dieser am Transistorennetz. Schirmos sah Bleicher fragend an. „Wir hatten vor' einigen Tagen eine Reparatur an den Kabeln durchgeführt.
Ich hielt eine Kontrolle für notwendig. Audi die Funkanlage war zu über prüfen." Schirmos ließ sich mit der Funkstelle verbinden. „Ja — Skerowa befindet sich am Netz. Leider arbeitet unser Fernseh telefon nicht, eine kleine Störung, aber wir haben Funksprechverbindung mit ihm." „Wieso arbeitet denn nun wieder der Fernseher nicht? Wenn ein Mensch drau ßen ist, können Sie ihn doch nicht un beobachtet lassen!" Schirmos wurde un willig. „Das ist ja wie zur Steinzeit! So haben wir beim Bau der Station ge arbeitet, arbeiten müssen! Aber heute? Wenn der Apparat Störungen hat, darf eben niemand hinaus." Er wandte sich an Bleicher. „Skerowa löst Sie am Radar gerät ab?" „Umgekehrt, ich löse ihn nachher ab." Schirmos strich über sein glattrasiertes Kinn. „Vielleicht besser, wenn wir Ske rowa aus der Radarwache nehmen?" Dann hob er die Schultern. „Gewiß, die Ausfälle durch die Herzerkrankungen haben den gesamten Arbeitsplan durch einandergebracht. Dr. Dryer von der Atomphysik hat ja die Versuche beinah einstellen müssen. Die Ablösung mußte vorgezogen werden; sie kommt in drei Tagen. Solange müssen wir uns noch be helfen. Und außerdem: Skerowa ist ge schickt, hat das nötige Fingerspitzen gefühl, fragt und ist dann sofort im Bilde. Ich weiß, er ist eine Art Teufels kerl — bei entsprechendem Studium der richtige Wissenschaftler für eine Welt raumstation." Andere sind zwar anderer Meinung, dachte er weiter, völlig anderer Meinung... Als Skerowa eine halbe Stunde später in die Station zurückkam, war es Zeit, die
Radarwache zu übernehmen. Zwei Stun den darauf wurde er von Bleicher ab gelöst. Mit wenigen schnellen Blicken hatte der erfahrene Radarfachmann die Anlage überprüft — alles in Ordnung. In die Geräte schaute er nicht hinein, er hätte die ganze Anlage außer Betrieb setzen müssen, bei den hochgespannten elektrischen Stößen wäre sonst jede Arbeit am Gerät Selbstmord gewesen. Bleicher ließ Versuchsraketen die Station „angreifen" — die Radargeräte arbeiteten. Skerowa hatte nach vierstündigem Dienst auf zwei Stationen — und der Flug zum Transistorennetz galt als sehr an strengend — Anspruch auf mindestens zwei Ruhestunden. Er fuhr jedoch mit dem Kugelfahrstuhl zum Akkumulatoren raum. Der war verschlossen, die mäch tigen Kugeln im letzten Ring vor der Raketenschleuse arbeiteten ohne mensch liche Wartung. Jede dieser Kugeln hinter den starken Türen besaß einen Raum inhalt von zehn Kubikmetern und war in vier Zellen eingeteilt; in drei Zellen be fand sich Wasser, das von Spezialgeräten aus der vierten Zelle unentwegt in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt wurde. Ständig speicherte sich elektrische Energie an, jede Kugel konnte, völlig aufgeladen, 40 000 Kilowattstun den aufnehmen, das bedeutete bei einer vollen Ladung aller fünfzig Kugeln eine Leistung von zwei Millionen Kilowatt. Skerowa beschloß, bei der nächsten Kon trolle mit in den Akkumulatorenraum zu gehen, irgendwie würde es schon mög lich sein. Er fuhr zurück. Die Luftaufbereitung, das Atomphysikalische Laboratorium von Dr. Dryer, hatte seit der Erkrankung von drei Assistenten Mangel an Mitarbeitern. 9
Drei Türen trennten das Labor vom Korridor. Als Skerowa die dritte öffnete, schlug ihm grell eine blendendweiße Flamme entgegen. Er riß die Hand vor die schon geschlossenen Augen — mein Gott, ich bin geblendet, verflucht, das sticht die Augen aus! Das ist das gleiche gewaltige Leuchten wie vor Tagen, als ich mit Bleicher draußen war. Dann, durch die Finger blinzelnd, sah er nur noch das helle Strahlen der Taglicht röhren. Er konnte wieder sehen, doch die Augen schmerzten immer noch. Die Wissenschaltier in ihren einfarbi gen Schutzanzügen standen an den Meß geräten und Schaltanlagen; sie nahmen die Schutzbrillen ab, außerordentlich starke blauschwarze Gläser. Skerowa trat näher, ohne von Dr. Dryer und seinen Mitarbeitern sofort bemerkt zu werden. Er sah den Amperemeterzeiger in der Mitte einer großen Skala schwanken, dar unter gab ein anderes Instrument zwei hundert Millionen Volt an. Da waren noch Blitz-Oszillographen, die Elektro nen-Federhalter des modernen Wissen schaftlers, die mit Geschwindigkeiten bis zu hunderttausend Kilometern arbeiteten. Spezialkameras waren eingebaut, die in jeder Minute Hunderte Meter Film schluckten. Skerowa, dessen Augen all mählich den stechenden Schmerz ver loren, wußte noch nicht, welches Experi ment hier durchgeführt wurde, aber er war sicher, daß solche Energien noch nirgendwo auf der Erde entfesselt wor den waren. Dr. Dryers ruhige Stimme erläuterte: „Das Plasma erhält sich durch konstante Zuführung von Deuterium-Tritium-Ge misch von selbst." Dann, sich umwen dend, bemerkte er den Eindringling. „Was wollen Sie? Wie kommen Sie hier 10
herein?" Hart, ganz anders klang auf ein mal die Stimme. „Skerowa. Ich bin zu Ihnen gewiesen worden, Herr Professor. Die Türen öff neten sich, ich wollte mich melden, doch die Schockwükung des Lichtes — es war herrlich, großartig! Aber ich dachte, ich erblinde." „Herrlich — das kann man wohl sagen. Und wenn Sie wieder hereinkommen, bitte nicht ohne Schutzbrille. Meine Her ren, gehen wir an die Niederschrift un serer Versuchsergebnisse." Er wandte sich wieder Skerowa zu, kühl, sachlich, wie bei einem Examen; in seinem Labor konnte er nur Mitarbeiter gebrauchen, die gewisse Grundkenntnisse besaßen. „Und was — denken Sie — ist hier vor sich gegangen?" „Eine Kernreaktion..." Skerowa suchte seine atomphysikalischen Kenntnisse zu sammen — hoffentlich blamiere ich mich nicht zu sehr, dann kann ich mir das Labor weiterhin von draußen ansehen. „Eine Kernreaktion, die leichte Elemente zu schweren umwandelt." „Nicht ganz, mein Lieber — aber immer hin —" Er wandte sich an einen Assisten ten: „Lukas, weihen Sie den jungen Mann in das Notwendigste ein, wir spre chen dann darüber, welche Arbeit Herr Skerowa übernimmt — aber ohne Gi tarre." Er lächelte. „Im übrigen — ich bitte um Prüfung, warum die Türen nicht verschlossen waren. In zwei Stunden er warte ich Sie in meinem Arbeitszimmer mit den Ergebnissen der heutigen Ver suche." Dryer verließ das Labor; die anderen Herren gingen an ihre Arbeit. Skerowa blieb mit Lukas allein. Dieser umschrieb mit einer Gebärde und einem Wort alles, was hier geschah: „Energie." Dann: „Die
unentwegte Steigerung des Energiebe darfs wird die Uran- und Thoriumlager in wenigen Jahren erschöpft haben, die Erzeugung von Wärme bei der Kernum wandlung des Urans in niedrigere Ele mente und die dadurch geschaffene Ener gie wird nicht mehr lange dem Bedarf auf der Erde entsprechen. Wir benötigen neue Energiequellen, vor allem Energie reservoirs. Das ist Ihnen ja bekannt, sicher. Nun aber setzen alle Fixsterne, also auch unsere Sonne, ununterbrochen ungeheure Energiemengen in Freiheit, wobei es sich um thermonukleare Syn thesereaktionen handelt; Wasserstoff wird in Helium, Lithium und andere höhere Elemente umgewandelt — dazu sind Temperaturen von über einer Million Grad nötig. Ich erinnere an die Wasser stoffbombe, die auf dieser Synthese be ruhte. Heute sind die Menschen von die ser Plage befreit." Der junge Wissenschaftler trat vor Ske rowa zu einer schweren Metalltür, die sich unter einem Fingerdruck selbsttätig öffnete. „Unsere Versuchskammer", sagte er. Vor ihnen ragte ein gläserner Würfel von etwa einem Kubikmeter Inhalt aus dem Boden; mächtige Kabel und mehrere große Röhren endeten in ihm. „Der freie Raum wird von einer Wandung gebildet, die aus einer zweischichtigen organischen Siliziumverbindung besteht und e,twa achtzig Zentimeter dick ist", erläuterte Lukas wieder. „Wir haben zu Beginn des Versuches ein verdünntes Gasgemisch von Tritium und Deuterium eingefüllt und dieses durch gewaltige elektrische Ent ladung in einen Plasmazustand versetzt. Die nunmehr elektronenfreie Materie wird von dem sich bildenden Magnetfeld zu einem hellen Faden zusammenge
preßt, der sich auf mehrere Millionen Grad erhitzt." „Die künstliche Sonne", stellte Skerowa sachlich fest. „Stimmt. Die gewaltige Temperatur kann aber nur durch eine ebenfalls un geheure Pressung gebändigt werden, da durch wird eine Wärmeabgabe an die Glaswände weitgehend vermieden — an dernfalls würde das Glas wie Butter schmelzen, genauer: verdampfen, und die Station Einstein hätte die längste Zeit bestanden. — Übrigens", Lukas betrach tete Skerowa mit leichtem Lächeln von oben bis unten, „Sie sollten sich gelegent lich einen anderen Anzug anziehen, sonst stehen Sie bald nackt da." Skerowa sah an sich nieder, grauer Staub lag auf seinem Jackett, und als er ihn abstreifen wollte, löste sich der Stoff unter seinen Fingerspitzen auf und zerfiel zu Pulver. „Ich hole Ihnen einen Schutzanzug", meinte Lukas und verschwand. Skerowa befühlte sich, immer mehr Stoffreste staubten von ihm ab, wo er auch hin griff, nur die Brieftasche war heilgeblie ben. Lukas kam mit einem Schutzanzug. „Uns ist das bei den ersten Versuchen genauso ergangen. Für den Körper ist jedoch keine Schädigung zu befürchten. Sie werden sich nicht in Staub auflösen. Es handelt sich um Strahlen, die das Schutzglas durchdringen und eigenarti gerweise den Zerfall einer bestimmten synthetischen Fasergruppe herbeiführen." Lukas deutete wieder auf den Glaswürfel. „Plasma ist, wie wir wissen, der Ur sprungszustand der Materie, und an dem auf mehrere Millionen Grad erhitzten Plasmafaden beginnt die thermonukleare Synthesereaktion. Deuterium und Tritium werden zu Helium und anderen höheren 11
Elementen verwandelt, wobei Energie mengen frei werden, die zwanzigmal größer sind als beim Uranzerfall. Durch eine gleichmäßige Zufuhr des Gasge mischs kann die Reaktion ständig er halten werden, eine Zufuhr von elektri scher Energie ist nicht mehr nötig. Uns werden unvorstellbare Energiemengen geliefert." „Und welche Stromstärke ist erforder lich, um die Materie zuerst in den Plasma zustand zu versetzen?" erkundigte sich Skerowa, der sich- in dem inzwischen übergestreiften Schutzanzug wieder eini germaßen wohl fühlte. Lukas lachte. „Gegen diesen ,Zünd blitz' im Glaskäfig nimmt sich ein ge wöhnlicher irdischer Blitz wie ein Streich holz gegen einen Scheinwerfer aus. Die höchste Augenblicksleistung im Plasma während der Zündung beträgt fünf Mil liarden Kilowatt. Ohne unser Transisto rennetz mit seiner enormen Kapazität wären diese Versuche überhaupt nicht möglich." Rob Bodden, dachte Skerowa, du stehst ganz am Anfang. Und dann blähte sich in ihm wieder Haß auf, Zorn und Wut auf diese Menschen, die sich unentwegt zu Herren der Materie machten. Schirmos überlegte: Was konnte Ske rowa tun, wenn er ein feindlicher Agent war? In den letzten Tagen hatten sich keine Erkrankungen mehr gezeigt. Eine Durchsuchung von Skerowas Zimmer war ergebnislos geblieben. Schirmos erfuhr, daß Skerowas Anzug im atomphysika lischen Institut zerfallen war, er konnte also kein ihn irgendwie belastendes Ma terial bei sich getragen haben. Nur die lederne Brieftasche war heil geblieben, und in einer Brieftasche hatte noch nie 12
mand Bomben oder ähnliches bei sich ge tragen. Wie die Dinge lagen, konnte Skerowa für die nächsten Tage nicht ent behrt werden. Er ließ sich die Personalbogen bringen und suchte den Skerowas heraus — es war doch unmöglich, daß ein Mensch mit die ser Herkunft, dieser Vorbildung, diesen Empfehlungen ein Agent war! Dem stand der gefühlsmäßige Verdacht von Four ness gegenüber — aber zum Teufel, war um sollte denn nicht jemand auf den Gedanken kommen, die Forschungsergeb nisse nach ihrem materiellen Wert zu schätzen, das tat man im Institut schließ lich auch! Pjotr Schirmos kam nicht weiter. Professor Schaller war mit dem Vor schlag einverstanden, daß Günther Herb recht mit der nächsten Rakete zur Station flog, um seine Kenntnisse zu erweitern. Der junge Wissenschaftler saß vor dem Plan der Station. Wenn sich dort jemand aufhielt, der eine Gefahr für den Satel liten bedeutete, für alles, was dort oben geschah, für die Menschen, d a n n . . . Was konnte er tun? Worin bestand die Gefahr? Immer wieder betrachtete er den Plan; er dachte gar nicht mehr daran, ihn mit den Entwürfen zu vergleichen, die Rob Bodden entwickelt hatte, dachte nicht mehr an die Berechnungen und Konstruktionen, die er hier hatte suchen wollen. Er sah nur noch die Gefahr, die dem großartigen Werk drohte. In zwei Tagen flog die nächste Rakete hinauf; sie nahm die Ablösung mit, fünfzig Mann. Bis dahin mußte er wissen — was mußte er wissen? Er mußte die Stellen der Sta tion kennen, an denen sie verwundbar war. Wenn jener Unbekannte den Befehl ausführte, die Station zu vernichten,
konnte er das nur mit hochexplosiven Stoffen tun, mit Bomben; und diese mußte er dort zur Explosion bringen, wo sicher war, daß sie die Station so zerreißen würden, daß keine Möglichkeit mehr be stünde, die im luftleeren Raum schwe benden Einzelteile wieder zusammenzu fügen. Schaller trat aus seinem Zimmer. „Nun? Kennen Sie die Station schon?" Er lächelte. „Theoretisch — aber prak tisch, praktisch ist das ganz etwas an deres. — Kommen Sie mit, Doktor. Wir haben Besuch, junge Studenten, ich habe zugesagt, unsere Raketen zu erläutern." Herbrecht schloß den Plan weg. Es war nachgerade eine Qual, diesen Mann zu hintergehen, und Inge Schaller. Wenn er nach der Liebrich-Affäre nur weggefahren w ä r e . . . Er hatte die gewaltige Arbeit erkannt, die hier im Astronautischen Institut von den Menschen vieler Staaten geleistet wurde in dem Bestreben, eine neue Welt zu schaffen oder doch die alte immer vollkommener zu machen. Er konnte nicht mehr dagegen sein, er konnte dieses Werk nicht mehr sabotie ren, konnte nicht stehlen. Er mußte mit arbeiten, hatte seine Unvollkommenheit eingesehen. Wie Sturzwellen waren die Erkenntnisse über ihn gekommen. Jetzt gab es für ihn nur eines: Er mußte die Station retten. Sie gingen in den Hörsaal. Schaller sagte: „Sie werden sich da oben erst ein paar Tage einleben müssen, Dr. Herb recht, obwohl auf unserer Insel fast die gleichen klimatischen Bedingungen wie hier auf der Erde herrschen. Zwei Ra ketentriebwerke erzeugen eine Drehung um die eigene Achse, die etwa die gleiche Schwerkraft herstellt wie bei uns hier unten. Die Nahrung ist die gleiche. Und
trotzdem! Man arbeitet bei Höhensonne, denn die alte Dame Sonne ist da oben etwas gefährlich nah und zärtlich. Wir hatten ursprünglich, als ich noch oben weilte, den verglasten Teil der Station freigegeben, um den Mitarbeitern einen Ausgleich für das künstliche Licht zu schaffen. Das ist etlichen schlecht bekom men, der menschliche Körper verträgt gewisse Strahlensubstanzen nicht; es hat Verbrennungen gegeben. Wir muß ten unseren Sonnenpark für den Dauer aufenthalt wieder sperren." An der Stirnwand des Hörsaales war eine riesige Zeichnung der Station ange bracht Während Schallers Erläuterungen leuchteten Lämpchen auf und be zeichneten die Räume, über die er so eben sprach. Seine Ausführungen wurden durch eine Übersetzungsmaschine sofort ins Englische, Russische, Französische und Spanische übertragen, so daß die ausländischen Studenten seinen Worten am Bild der Weltraumstation folgen konnten. „Die Konstruktion, vor allem die spä tere Inneneinrichtung der Station im Weltenraum, wurde von einer großen Zahl Wissenschaftler in jahrelanger Ar beit durchgeführt. Verschiedene Vari ationen wurden zusammengefügt, bis das Bild entstand, das wir heute vor uns sehen. Vor allem bildete die Frage des Transports lange ein Hindernis . . . " Und er erläuterte ausführlich, wie dieses groß artige Gemeinschaftswerk von dreißig kommunistischen und sozialistischen Staaten entstanden war. Dann verschwand das Bild der Station von der Wand des Saales, der sein gleich mäßiges schattenloses Licht von der mit Leuchtstoffplatten belegten Decke erhielt; die Rakete erschien. 13
„Und nun zur Treibstofffrage. Mit den verschiedenen chemischen Treibstoffen sind Sie sicher vertraut. Theoretisch er zeugen alle Treibstoffe auch die außer ordentlichen Geschwindigkeiten, die zur Überwindung der Erdanziehungskraft erforderlich sind. Allerdings ließ sich die Reaktion nicht immer vollkommen be herrschen, das erwies sich als bedeutender Nachteil. Dazu kam das Gewicht — ob flüssig oder fest oder gasförmig —, das Gewicht der Oxydationsmittel beeinflußte das Verhältnis der gesamten Raketen masse negativ. Die Rakete muß ihren Brennstoff mit sich führen, außerdem den zum Verbrennen notwendigen Sauerstoff oder ein anderes reaktionsfähiges Gas. Dieses Mehrgewicht erforderte ein starkes Triebwerk; das wiederum verbrauchte mehr Brennstoff, und so entwickelte sich eine Kette ohne Ende. Man schuf also die mehrstufige Rakete. Sie kennen sie. Aber auch diese hielt den Forderungen nicht stand; das Tanken unterwegs löste die Frage ebenfalls nicht. Hinzu kam, daß die wieder auf der Erde landende Rakete schließlich, um die Erdanziehung abzu bremsen, nahezu die gleiche Menge Treibstoff benötigte, wie sie für den Start erforderlich war. Alle diese Fragen konn ten erst mit der Atomrakete gelöst wer den; ihr Schema sehen Sie hier." Schaller wandte sich kurz nach dem Bild um, schaltete die Signallampen ein. „Die elektrische Anlage. Ein Turbogene rator liefert beträchtliche Energien, mit denen ein starkes Magnetfeld erzeugt wird, das wiederum im Innern des Atom reaktors eine unsichtbare Brennkammer schafft. Mit anderen Worten: Der in Reaktion tretende Atombrennstoff wird durch die starken elektromagnetischen Kräfte daran gehindert, seine Wärme an 14
die Reaktorenwände abzugeben. Da im Zentrum der Brennstelle etwa hundert fünfzigtausend Grad Wärme erreicht werden, läßt sich trotz des Magnetfeldes eine enorme Wärmeabstrahlung nicht verhindern; sie wäre immer noch ge waltig genug, um den ganzen Reaktor zum Schmelzen zu bringen. Nun schleu dern aber Pumpen unablässig Wasser in die Brennkammer, das sich durch die Er hitzung sofort in Wasserstoff und Sauer stoff spaltet und durch gekühlte Düsen der Brennkammer entströmt. Die im Uranbrenner frei werdende Wärme wird im Triebwerk der Rakete in zweierlei Form zum Antrieb verwendet, einmal als normale Expansionskraft des hocherhitz ten Gasgemisches, zum anderen als che mische Energie, indem das hochexplosive Gasgemisch bei entsprechender Abküh lung auf tausend Grad verbrennt. Alle diese Vorgänge spielen sich gleichzeitig ab und erteilen der Rakete eine außer ordentliche Beschleunigung. Zwanzig solcher Raketen haben etwa je tausend Flüge ausgeführt, um die Weltraum insel zu dem zu machen, was sie ist: ein höchst modernes Forschungsinstitut, eine wichtige Zwischenstation für die weiteren Versuche, zu anderen Planeten vorzu stoßen." Während die Studenten dem Professor den üblichen Beifall zollten, erhielt Herb recht einen Zettel. „Bitte kommen." Es war Inge Schallers Handschrift. Er fand sie in ihrem Arbeitsraum, im Gespräch am Fernsehtelefon mit der Sta tion. Es war das erstemal, daß der junge Wissenschaftler daran teilnahm. Als er sich zu ihr niederbeugte sah Skerowa Rob Boddens Ge sicht neben dem Inge Schallers auftau chen
Sie starrten sich an. Herbrecht gelang es, sein Mienenspiel zu beherrschen. Skerowa, der eben über die dienstliche Meldung hinaus Inge Schaller einige Komplimente machen wollte, verlor den Faden, stotterte, riß sich zusammen... Bodden dort unten, in Dresden, auf der anderen Seite, Bodden beim Gegner, bei den Kommunisten! Bodden ein Verräter! Er vermochte die rasende Flut seiner Ge danken kaum zu bändigen. Jetzt wußte er, warum Bradson ihm den Auftrag ge geben hatte, die Station zu vernichten: weil Rob Bodden nicht im Urwald töd lich verunglückt war, wie der Nachrich tendienst vor Tagen berichtet hatte, weil Rob Bodden auf die andere Seite gegan gen war! Hatte er, Joe Quistil, jetzt alle Möglichkeiten? Wenn er die Station in die Luft jagte, wenn er übermorgen nacht nach der Landung in Kara-Kum — wenn er da noch wegkam, wenn Bodden jetzt nidit dafür sorgte, daß er verhaftet würde; wenn, wenn, w e n n . . . Urana Skerowa schloß sich in sein Zim mer ein; er brauchte eine Stunde, um seine Gedanken zu ordnen. Günther Herbrecht aber staunte selbst über seine Fähigkeit, sich zu beherrschen. Nachdem Inge Schaller das Gerät ab geschaltet hatte, meinte sie leichthin, Ske rowa scheine einen Anfall von Höhen krankheit bekommen zu haben. „Sonst bemüht er sich immer um reichlich lie benswürdige Worte. Dabei kann ich ihn nicht leiden, und ich kenne ihn nur vom Bildschirm her." „Verständlich." Herbrecht wunderte sidi, dieses Wort sprechen zu können. Quistil also, Quistil! Das hieß, Bradson hatte den rücksichtslosesten, den gewissenlosesten Mann auf die Station geschleust — ein kleines wissensdiaftliches Genie, ohne
Zweifel. Aber wie war das nur möglich gewesen? Wie war er denn hierherge kommen? Quistil galt also der letzte Be fehl Bradsons. Quistil mußte im Besitz hochexplosiven Materials sein. Quistil war es, der die Menschen dort oben vergif tete . . . Inge Schaller sagte: „Wir werden ihn übermorgen kennenlernen, er kommt mit der Ablösung herunter." Herbrecht hörte nicht genau hin, dann begriff er. „Ihr Vater erwartet mich, Inge - bitte, entschuldigen Sie." Ich muß allein sein, ich muß allein sein — so lange Quistil auf der Station ist, passiert nichts, aber spätestens übermorgen... Er stand schon an der Tür, überlegte: Allein, allein schaffe ich es doch nicht, allein nicht! Er ging hinaus, in sein Zim mer — übermorgen ist es zu s p ä t . . . Wie ein gefangenes Tier lief er in dem Raum hin und her. Gab es keine Mög lichkeit, keine? Er stand hinter seinem Schreibtisch, die Hände geballt, griff nach dem Fernsprecher, legte den Hörer wie der auf. Beim drittenmal wählte er Inges Nummer, zögernd immer noch. Er er schrak vor ihrer Stimme. „Ich wollte — wollte Sie nur hören, Inge." „Wie lange soll ich sprechen, Günther?" Sie lächelte, er glaubte es durch das Tele fon zu spüren. „Kann ich zu Ihnen kommen?" „Ich fahre jetzt nach Hause, Günther, begleiten Sie mich." Zwei Minuten später stand sie vor ihm, er verharrte immer noch an seinem Schreibtisch, saß, den Kopf in die Hände gestützt. „Günther." Er sah auf; sein Gesicht war blaß, ein gefallen. Ein Fremder schien dort zu sit zen, und dieser Fremde sagte mit ton loser Stimme: 15
„Ich bin Rob Bodden." Inge Schaller ließ die Hände sinken, mit zwei Schritten stand sie neben ihm. „Günther, was ist mit dir?" Sie hatten noch nie du zueinander gesagt. „Verzeih —" Er biß die Zähne zusam men, die Wangenmuskeln zuckten. „Ich bin nicht wahnsinnig, Inge, ich bin völ lig normal. Der, mit dem du vorhin am Bildschirm gesprochen hast, ist Oberst Bradsons gefährlichstes Instrument, ein Genie — er war mein Assistent, er kennt alles, und er schreckt vor nichts zurück. Es ist Joe Quistil — und ich bin Rob Bod den - ich bin nicht tot, nicht im Urwald verunglückt —" Sie saßen sich gegenüber. Einmal stand Inge Schaller auf und schloß die Tür ab. Ihr Gehirn arbeitete, stenografierte; sie vergaß keine Silbe dessen, was Günther Herbrecht, nein, Rob Bodden sagte. Ihr Herz wollte zur Brust hinaus, sie legte die Hand dagegen. Rob Bodden wurde nach der ersten Hast seines Geständnisses ruhiger, sach licher; ganz klar gab er seinen Bericht, lückenlos. Er schonte niemanden, sich selbst am wenigsten, und sein Bekennt nis war echt. „Seitdem ich hier b i n . . . Du hast auf der Fahrt von Paris nach hier den Keim gelegt mit deiner Bemerkung, du würdest Bodden aufsuchen, wenn du wüßtest, wo er sich aufhielte — und seit dem ich dich kennengelernt habe, deinen Vater, alle diese Menschen hier, seitdem ich gesehen habe, wie sie arbeiten, und ich verstanden habe, warum sie so arbeir ten, wofür sie arbeiten — und als ich dann den Zettel bei Liebrieh gefunden h a b e . . . Seitdem weiß ich, wie falsch ich gehan delt habe. Aber da war noch etwas ande res in mir, Ehrgeiz, vielleicht eine Art Wut auf euch, daß ihr immer weiterge 16
kommen seid. Doch ich vermochte nicht zu begreifen, warum ihr so weit voran wart. Und statt meinen Auftrag zu erfül len, bin ich immer dankbarer geworden, dafür, daß ich hier mitarbeiten konnte, mitarbeiten durfte. Seitdem ich aber weiß, daß jemand oben ist, dort die Krankheiten verursacht, daß dort ein Attentat auf die Station geplant ist... Ich muß sofort hinauf, Inge. Wenn wir Quistil verhaften lassen, leugnet er oder schweigt, nimmt Gift wie Liebrich. Auf keinen Fall verrät er uns, wo er die Bomben gelegt hat, und er hat sie jetzt schon gelegt." „Und wenn er es nicht sagt, wenn er sieht, daß alles verloren ist, wenn er die Bomben hochgehen läßt? Ihm kann es gleich sein, ob er hier unten verurteilt wird oder mit der Station ins Leere fliegt — dann — du stirbst m i t . . . " Bodden hob den Blick in Inge Schallers braune Augen. „Du glaubst mir — ich danke dir, Inge. Aber es gibt keinen an deren Weg, keine andere Möglichkeit; solange Quistil oben ist, passiert nichts, erst wenn er die Station verlassen hat." „Die Rakete fliegt erst ab, wenn die von der Station gelandet ist." „Dann ist es zu spät", wiederholte Bod den eindringlich. „Ich muß vorher flie gen." „Wir müssen mit meinem Vater spre chen." „Unmöglich, Inge — ich - ich kann ihm nicht mehr unter die Augen treten." „Und außerdem _ er würde dann mit fliegen wollen, nichts und niemand würde ihn zurückhalten können. Wenn die Sta tion untergeht, will er mit untergehen — und — er hat Quistil, den er für den Nef fen von Skerowa halten mußte, empfoh len; er würde sich mitschuldig fühlen. Du kennst ihn nicht."
Schweigen. An ihre Liebe dachten sie nicht. In Inge Schaller war nicht einmal ein Gran Mißtrauen gewesen. Rob, dachte sie, Rob — nicht mehr Günther, und Rob paßte auch besser zu i h m . . . „Es gibt nur eine Möglichkeit, ich kann als Assistent des Institutsdirektors den Auftrag geben, sofort zu starten. Ich fahre sofort nach der Kara-Kum, dann er reiche ich die Station, ehe Quistil sie ver läßt. Das ist die einzige Möglichkeit, ich nehme das Düsenflugzeug nach Moskau." „Es fliegt in einer halben Stunde." Sie standen auf. Es war beschlossen. „Morgen früh, wenn ich gestartet bin, kannst du deinen Vater unterrichten." „Und Quistil — lassen wir ihn von der Station fort?"
„Es hat keinen Zweck, ihn verhaften zu lassen, Inge; wir alarmieren die Station, und wahrscheinlich zwecklos. Es genügt, wenn ich dort bin, Dr. Christiansen zu unterrichten." Von Inge Schallers Zimmer aus gaben Fernschreiber und Fernruf die entspre chenden Aufträge des ersten Assistenten Schallers weiter. Auf dem Startplatz in der Kara-Kum begann die große Elektronen-Rechen maschine die Bahn der Rakete festzu legen. Rob Bodden erreichte die startbe reite Düsenmaschine nach Moskau. Über Moskau aber stand ein Gewitter, der Start der Düsenmaschine nach der KaraKum verzögerte sich, die Rechenmaschine auf der Raketenstation mußte neue 17
Kurven festlegen. Bodden erhielt in der Maschine eine Anfrage von Inge Schaller, ob sie den Start der "Rakete auf der Sta tion verzögern solle. „Ich schaffe es!" ließ Bodden zurückrufen. Kommissar Glossen stand in der Ave nue Barthou vor dem Haus, in dem Günther Herbrecht kurz vor seiner Ab reise nach Dresden gewohnt hatte. Eine Dame hatte den jungen Wissenschaftler abgeholt — das war dem Kommissar be kannt: Inge Schaller. Und Herbrecht war der einzige, der in letzter Zeit aus Frank reich, aus Paris, nach Dresden gekom men war — Herbrecht, der neue Assistent des Institutsleiters, des Erbauers der Weltraumstation! Es war unmöglich, den Mann zu verhaften, ohne einen lücken losen Beweis in Händen zu haben. Daß seine Schuhe aus Paris stammten und mit der Spur an Liebrichs Haus überein stimmten, das genügte nicht. Es war ver teufelt schwer gewesen, den Abdruck zu machen, ohne daß es auffiel. Der Kommissar wies sich in der Ge heimabteilung des Sicherheitsdienstes aus. Minuten später begann ein Apparat zu spielen, der ihn in Erstaunen setzte — damit kamen sie in Dresden noch nicht mit! Der Franzose lächelte ein wenig bit ter. „Sie besitzen auch nicht die Erfah rungen, die zu sammeln in den letzten hundert Jahren wir das zweifelhafte Ver gnügen hatten, mit Gästen aus aller Welt, Herr Kollege. Sie haben das Glück ge habt, von diesen Höchstleistungen der Freien Welt nicht allzusehr belästigt wor den zu sein." Eine halbe Stunde später stand Glos sen bei einem Hausmeister in der Rue Godot de Mauroy, in der Nähe der Metro statioa Madelame. Der Schnauzbärtige 18
kannte den Herrn auf dem Bild nicht — Herr Dr. Günther Herbrecht, der beschei dene, nette, freundliche Dr. Herbrecht, sei es nicht Den kenne er nun doch; vier Jahre habe der bei ihm gewohnt, un unterbrochen, bis vor vier Wochen, da sei er ausgezogen — das heißt, Dr. Herbrecht sei nicht selbst gekommen, wo er doch sonst alles selbst erledigt habe; er wolle kein verdrehter Wissenschaftler werden, habe er immer gesagt. Wer denn den Umzug besorgt habe? — Nun, ein paar Männer. Einer davon — das sei ja etwas seltsam gewesen — sei mit einem Wagen gekommen, einem alten Renault, der am hinteren Kotflügel eine Schadenstelle gehabt habe, links, wie ein Kreuz. Der Kommissar lobte den Haus meister: Er sei der beste Detektiv. Ihm sei die Sache so komisch vorgekom men. Der Mann kramte in seinen Taschen und zog außer Bindfäden, Nägeln, Draht enden und Bananensteckern mehrere ver schmutzte Zettel hervor. „Hier, das ist die Nummer von dem Wagen — nein diese — oder war es doch die? Da war nämlich noch eine junge Dame, die hier wohnte..." „Hatte sie mit Dr. Herbrecht zu tun?" „Nein, gar nichts, sie wohnte auch nur zehn Tage hier, am Tage nach des Dok tors Abreise zog sie ebenfalls aus." Glossen nahm die beiden Zettel an sich. Von dem ihm von der Sicherheits behörde zur Verfügung gestellten Funk wagen aus gab er die beiden Nummern durch, auch den Namen der jungen Dame . . . Herbrecht war nicht Herbrecht! Wer aber war der jetzige erste Assistent im Zentralen Institut? Glossen fieberte und war ganz eiskalt; das war der Fall seines Lebens. Die französische Sicherheitsbehörde ar
beitete mit bewunderungswürdiger Prä zision. Madame Fourage wurde noch in den ersten Stunden des nächsten Tages in einer Nachtbar verhaftet. Ihr Kavalier, der die modernsten Tänze vollendet be herrschte, erwies sich nach der zweiten Flasche Sekt als Angehöriger der Sicher heitsbehörde. Dem Vertreter von Oberst Bradson war ein unverzeihlicher Fehler unterlaufen: Er hatte Madame Fourage vergessen, sie war ohne Geld und sagte daher bereitwillig aus. So gelang es, Monsieur Castille am frühen Morgen des folgenden Tages festzunehmen. Gewisse Bemerkungen in seinem Notizbuch deu teten auf eine Fahrt zur bretonischen Küste hin. Am Abend konnte Günther Herbrecht aus seiner Gefangenschaft be freit werden. Er mußte in ein Kranken haus überführt werden. Glossen, der sich sofort der Gedächtnisstörungen erinnerte, die bei dem Oberwachtmeister und bei den auf der Station Erkrankten aufgetre ten waren, sorgte dafür, daß Herbrecht mit einem Krankenwagen nach Dresden in die Klinik des Instituts gebracht wurde. Drei Stunden vor dem Start der Ra kete zur Erde fand man im Sonnengar ten der Station einen Physiker ohne Be sinnung. Er hatte den Akkumulatoren raum zu kontrollieren. Jetzt lag er mit einem schweren Herzanfall in der Stati onsklinik; möglicherweise hatte er auch Verbrennungen von den direkten Son nenstrahlen davongetragen. Pjotr Schirmos, äußerlich ruhig, betete alle Flüche her, die er vor vierzig Jahren von seinem Großvater gelernt hatte. Der Physiker war genau am anderen Ende der Station gefunden worden, den Schlüs sel zur Akkumulatorenstation in der
Tasche. Die Apparate arbeiteten unge stört; Schirmos ließ sie unter ständige Kontrolle nehmen. Skerowa befand sich zur vermutlichen Zeit der Tat im Radar raum. Es war unmöglich anzunehmen, er hätte diesen wichtigen Posten verlassen, wenngleich die Geräte ja vollautomatisch arbeiteten. Doch es wäre eine Beleidi gung Skerowas gewesen, ihm Unzuver lässigkeit vorzuwerfen, ohne den Beweis dafür führen zu können. Schirmos ver stand aber auch nicht, wie der Physiker vom Akkumulatorenraum in den Sonnen garten gebracht worden war, ohne daß es jemand gesehen hatte. Befanden sich mehrere Agenten auf der Station? Das Unmöglichste mußte angenommen wer den! Über Schirmos' Rücken lief eine Gänsehaut. Was war auf der Station los? Er sah Dr. Christiansen an, zuckte mit den Schultern. „Ich möchte beinah um meine Ablösung bitten, Doktor." Christiansen winkte ab. „Soeben kommt noch die Nachricht, daß die Ra kete von Kara-Kum vor der Zeit star tet. Wir müssen ebenfalls um eine Stunde früher starten, sonst ist die Schleuse nicht frei." „Wir haben Lagerraum Nummer zwo frei, da kann —" „Ich habe schon Auftrag gegeben, zu starten." Inge Schaller saß an der Schreib maschine. Sie zwang sich, ruhig zu sein. Das Protokoll darüber, was Rob Bodden ihr gebeichtet hatte, war fertig. Es fehlte kaum ein Wort ihres Gesprächs; ihr Ge dächtnis war ausgezeichnet. Sie bereitete die Meldungen für Presse und Funk vor. Wenn Rob Bodden von der Station den Bescheid gab, daß alles in Ordnung sei, würden diese Nachrichten in alle Welt 19
hinausgehen. Und wenn er die Bomben, die dieser Quistil mit höchster Wahr scheinlichkeit gelegt hatte, nicht fand? Rob — du mußt sie finden, d» m u ß t . . . Kommissar Glossen wurde ihr gemel det. „Mein Vater ist heute morgen zu einer Besprechung ins Ministerium nach Ber lin gerufen worden, ganz plötzlich." Das Fernschreiben aus dem Ministerium hatte Inge Schaller bisher die Beichte erspart. Der Kommissar nickte. „Ich weiß, ich komme von dort, Professor Schaller wird leider eine ihn sehr schmerzende Nach richt entgegennehmen müssen. Herr Dr. Herbrecht, Fräulein Schaller..." Inge Schaller unterbrach ihn, den Blick zur Wanduhr hochnehmend: befin det sich seit zehn Minuten in der Rakete zur Station." „Irrtum, Fräulein Schaller. Herbrecht liegt im Krankenwagen und befindet sich auf der Fahrt von Paris nach hier. Der Günther Herbrecht, den Sie kennen..." Er hielt an vor ihrem Blick, es war ein Lächeln darin und ein großer Ernst „Ich weiß — es ist Rob Bodden", sagte sie. Das verschlug dem Kommissar die Stimme, er mußte schlucken — Rob Bod den! „Und er fliegt zur Station?" Inge Schaller nickte. Sie schaltete das Leuchtbild ein; an der Wand erschien das Schema der Erde, ein glühender Punkt bewegte sich darüber hin, sehr schnell. Inge hob die Hand, wollte eben etwas sagen, als auf dem Leuchtschirm die auf der Station gestartete Rakete auf leuchtete . . . „Sie werden zusammenstoßen", sagte Glossen erschrocken. „Das nicht", erwiderte Inge Schaller, „aber Quistil entkommt uns. Skerowa — 20
da, lesen Sie." Sie reichte ihm das Proto koll. Während der Kommissar noch las, be trat der Professor das Zimmer, in Hut und Mantel, eben aus dem Wagen ge stiegen, vom Flugplatz des Instituts kommend. „Wo ist — wo ist Herbrecht?" Inge Schaller erschrak. Die Stimme ver hieß nichts Gutes. Statt ihrer sprach der Kommissar, deutete mit dem Blatt Papier nach dem Leuchtbild. „Rob Bodden fliegt zur Station, Herr Professor. Ich habe den Haftbefehl in der Tasche." „Unmöglich, Sie können Rob Bodden nicht verhaften." Schaller winkte ab, wir belte mit den Händen vor seinem Gesicht umher. „Das ist — das ist — warum sagst du nichts?" „Ich weiß alles seit gestern abend; wür den Sie meinem Vater das Protokoll ge ben, Herr Kommissar?" Professor Schal ler las. „Und — was ist der Unterschied zwischen Skerowa oder Quistil und die sem Herrn Bodden, der sich Herbrecht nennt? Weißt du, was mir in Berlin ge sagt worden ist? Wie ich dagestanden habe?" „Du sagst selbst, der Kommissar könne Bodden nicht verhaften - du erkennst den Wissenschaftler an. Als ich SkerowaQuistil das erstemal auf dem Bildschirm sah, war er mir außerordentlich unsym pathisch." Schaller winkte unwillig ab. „Man kann doch nicht mit Sympathien und Anti pathien . . . Hier geht es . . . Du hättest gestern mit mir sprechen müssen — ich wäre auf die Station geflogen. So wird mir im Ministerium entgegengehalten, daß Herbrecht dieser Bodden ist! Dort weiß man es; hier weiß man nicht, daß sich im Institut —"
„_ dein zukünftiger Schwiegersohn be findet." Professor Schaller rückte an seiner Brille, er sah sich um, fand den Kommis sar, das Leuchtbild, sah die beiden roten Glühpunkte aufeinander zueilen. Dann richtete er sich auf: „Kommen Sie — wir haben einiges miteinander zu besprechen. Rob Bodden... Daß uns das passieren konnte . . . Und dieser Quistil, wie konnte er sich für Skerowa ausgeben?" Inge Schaller sah ihnen nach; sie war eine vernünftige Frau. Es hatte alles seine Ordnung bei ihr; der Nachrichtendienst des Institutes arbeitete vorzüglich — aber derzeit war sie ein verliebtes Mädchen, und sie glaubte an R o b . . . Mitten durch die Wüste Kara-Kum war ein silbergraues Band geworfen, die Autobahn mit der Elektromagnetspur. Irgendwo in der Weite der Wüste arbei teten immer noch Menschen, schufen Be wässerungsanlagen, pflanzten Baumgür tel. Der Kampf mit der Wüste dauerte schon Jahrzehnte, sie ließ sich nicht wider standslos bezwingen, aber sie würde be zwungen werden, sie war schon um mäch tige Gebiete kleiner geworden. Der Flugplatz in der Kara-Kum — die Maschine schwebte hinunter, setzte auf, rollte aus. Ein Wagen kam, jemand rief nach Günther Herbrecht; er winkte, lief zu dem Wagen hinüber. „Die Rakete ist startbereit." Nach zehn Minuten Fahrt glitt der Wa gen in einen Tunnel. Eine unterirdische Stadt mit hellerleuchteten Schaufenstern nahm ihn auf — ein Hotel, eine Gast stätte, Geschäfte, in denen man alles kau fen konnte, von Kokosflocken bis zum eleganten Herrenanzug, bis zur feinsten Damenwäsche. Es gab eine Buchhand
lung, Bäder und natürlich auch ein An denkengeschäft — sie schienen unausrott bar zu sein!... Der Wagen fuhr lang samer, bog um eine Ecke und hielt vor dem Eingang zum Raketenstartplatz. Die Landung der All-Rakete erfolgte auf einem außerhalb der unterirdischen Startbahn gelegenen Gelände; von dort wurde die Rakete in diese Halle gebracht. Die modernen Flugzeuge ließen ihre feuerspeienden Schubmotoren erst nach Erreichen einer bestimmten Höhe und Geschwindigkeit aufflammen, dann wa ren sie schon viele Kilometer von be wohnten und bebauten Gegenden ent fernt. Die All-Rakete dagegen mußte so fort mit hoher Beschleunigung starten, die ausströmenden glühenden Gase ge fährdeten die Bauten und Menschen in weitem Umkreis. Deshalb war die Start anlage unterirdisch angelegt worden, wo alle technischen Möglichkeiten gegeben waren, jede Gefahr für die Menschen zu vermeiden. Während Herbrecht-Bodden eilig zur Rakete strebte, nicht anders wie zu einem gewöhnlichen Flugzeug oder als trete er an einen Schnelltriebwagen der Eisen bahn, bewunderte er die Eleganz des Raketenkörpers, die nadelfeine Spitze, die für den etwa 70 Meter langen Rake tenleib sozusagen das Loch in den Wel tenraum bohren mußte. Im hinteren Teil befand sich der Atomreaktor, der bei der landenden Rakete mitsamt dem Triebwerk automatisch in einen unter irdisch gelagerten Stahlblock versenkt und von dort zu der auf die Startbahn geleg ten Rakete transportiert wurde. Zwischen diesem, bis zu einem gewissen Grade ge fährlichen Teil der Rakete und dem Pas sagierraum befand sich als Abschirmung der Treibstoff der Rakete: das Wasser. 21
Herbredit-Bodden nahm Platz. Er kannte Raketenfahrten, nur noch nicht vom Passagierraum her; er hatte immer in der Führerkabine gesessen, wenn seine Rakete» in das All gerast waren... Auch die anderen Fahrgäste taten, als sei eine Raketenfahrt zur Station Einstein wenig anders als eine Bahnfahrt von Moskau nach Paris oder von Stockholm nach Kon stantinopel: Man stieg ein und fuhr hin. Und es war noch nicht zweihundert Jahre her, daß man die Eisenbahn beinahe ver boten hätte; ihre äußerst hohen Ge schwindigkeiten von dreißig Kilometern in der Stunde seien vermutlich lebensge fährlich, hatte man behauptet. Als sich die Kabinentüren geschlossen hatten, wurden die letzten Ergebnisse der Elektronen-Rechenmaschine auf die auto matischen Steueranlagen der Rakete über tragen. An der Stirnwand leuchtete ein grünes Schild auf: „Achtung!", dann grell rot: „Start!", und zugleich preßte ein ge waltiger Druck jeden in seinen Sessel — ein ungeheuerliches Gefühl, als würde man zerquetscht, breitgedrückt von einer mächtigen Fingerkuppe. Dabei nahmen die besonders konstruierten Sesselpolste rungen schon einen großen Teil des Druckes weg. Sekunden folgten — atem los, schmerzend . . . Dann milderte sich die Pressung, man konnte wieder durch atmen, wenn auch noch schnell und hastig, allmählich verlor sich der letzte Schmerz. Herbrecht-Bodden schaute zum Fenster hinaus. Links hinter ihnen verdeckte das Gewölbe einer unvorstellbar großen Ku gel den Blick in den Weltenraum: die Erde — und Wolken, dann Wassermas sen; grünlich schimmernde Kontinente; die Sonnenstrahlen ließen immer wieder neue und andere Reflexe aufblinken — ein wunderbares Bild, das allein schon die 22
Weltraumfahrt lohnte. Schatten strichen mit gewaltiger Hand die großartigen Bil der aus, schnell, heftig. Die Rakete über traf mit ihrer Geschwindigkeit die Dreh bewegung der Erde. Sie jagten empor, nun fast völlig frei von lastendem Druck. Herbrecht-Bodden nahm minutenlang das unendliche Welt all wahr, aus unergründlichen Tiefen... Sie sind noch unergründlich, dachte er, für diese kurze Spanne Zeit die jagende Angst um die Station vergessend. Audi an Inge Schaller vermochte er nur kurz zu denken. Seit er Dresden verlassen hatte, stand fast ununterbrochen Quistils Gesicht vor seinen Augen, des Mannes, der von Bradson den Befehl erhalten hatte, die Station, dieses großartige Werk der Menschheit, zu zerstören! Er dachte nicht mehr daran, daß er, als er sich Brad son gefügt, nichts anderes getan hatte als Quistil. Jetzt war nur Bangen in ihm, zu spät zu kommen, Zorn, daß solche Taten geschehen konnten. Er dachte nicht an ders, als Professor Schaller oder jeder an dere in Dresden denken würde. Die starken Metalljalousien wurden vor die Fenster gelegt; das hieß, sie be fanden sich vor der Station. Minuten ver gingen; sie wurden eingeschleust, mußten jedoch noch warten, bis der Atomreaktor und das Triebwerk abgekuppelt und in die Stahl-„Garage" gesdiafft worden wa ren — Minuten, die Herbrecht-Bodden voll zitternder Unruhe abzählte. Dann öffneten sich die Türen. Rob Bodden betrat die große Halle, die das mäditige Raketensdiiff wie eine Bahnhofshalle aufgenommen hatte. Hier in der zylindrisdien Adise der Station wirkte sich die künstlidi erzeugte Schwer kraft am eigenartigsten aus: Bodden, der umhertappte, als lerne er gehen — alle
Neuankömmlinge bewegten sich so -4 nahm in der blendenden Helle des gro ßen Raumes wahr, daß sich über ihm Menschen bewegten, an der Decke hän gend, mit dem Kopf nach unten. Und sie bewegten sich mit Sicherheit und Selbst verständlichkeit; dieser Zustand schien ihnen normal. Bodden begriff, daß er für diese Menschen ebenfalls kopfstand, mit den Füßen an der Decke klebte, und tatsächlich bewegte sich jeder auf einem immerhin doch festen Grund. Ein Mann kam auf ihn zu: „Herr Her brecht — oder Herr Bodden?" „Rob Bodden." „Mein Name ist Schirmos, Pjotr Schir mos. Darf ich Sie bitten, mit mir zu kom men?" „Gern — und wollen Sie bitte Herrn Skerowa ebenfalls zu sich bitten, Herr Schirmos." Pjotr Schirmos riß es herum. „Skerowa ist vor einer Stunde mit der Rakete nach der Kara-Kum abgeflogen. Sie begegne ten sich unterwegs." Bodden blieb stehen, er suchte einen Halt. „Wir müssen sofort..." Urana Skerowa saß in einem der Elek troomnibusse, welcher die in der Raketen station Kara-Kum landenden Passagiere nach Aschchabad brachte. Es waren nur wenige; die meisten flogen mit der Dü senmaschine nach Moskau und von dort aus weiter. Skerowa vermied jedes Ge spräch mit den anderen Fahrgästen; er zeigte sich außerordentlich müde. Er hatte erwartet, beim Verlassen der Rakete verhaftet zu werden. Das war nicht ge schehen, und jetzt gab es nur zwei Mög lichkeiten: Entweder verfolgte man ihn — aber außer dem Fahrer des Wagens be fanden sich nur Angehörige der Station
im Omnibus, also war diese Möglichkeit fast auszuschließen —, oder Bodden hatte sich so in das Zentrale Astronautische In stitut geschleust, wie er selbst auf die Sta tion gekommen war. Das würde bedeu ten, daß der Urwaldtot Boddens eine großartige Finte von Bradson war und Bodden tollkühn alles auf eine Karte setzte, um in Dresden den Kommunisten ihre Geheimnisse abzuluchsen. Das hatte er ihm nicht zugetraut. In Aschchabad nahm Skerowa in sei nem Hotel ein Bad. Dann ging er in die Stadt, kaufte Wäsche und einen Anzug, fuhr zurück, telefonierte, bestellte sich Theaterkarten, bummelte durch die Stadt, kehrte mit einem Taxi wieder ins Hotel zurück und verließ es nach wenigen Mi nuten erneut... Seiner gespannten Auf merksamkeit entging, daß er beobachtet wurde. Schirmos und Bodden standen einan der in des ersteren Arbeitszimmer gegen über. „Ich muß annehmen, daß es sich nur noch um die kürzeste Zeit handeln kann, Herr Schirmos. Ob Sie am besten Herrn Dr. Christiansen benachrichtigen..." Die Ruhe verließ ihn. „Lassen Sie mich zur Radarstation! Wenn die Abwehrwaffen unbrauchbar gemacht worden sind..." Schirmos hatte Minuten vor dem Ein treffen Boddens mit Schaller gesprochen und bis jetzt noch niemand in der Station von den alarmierenden Nachrichten in Kenntnis gesetzt. „Wir befinden uns in äußerster Gefahr, Herr Schirmos — wo Quistil arbeitet, lie gen Bomben —" Schirmos und Bodden sahen sich an, sie verstanden einander. Bodden konnte nicht auf die Station gekommen sein, um 23
sich von Quistil, von Skerowas Bomben ins All werfen zu lassen. „Sofort einige Leute an das Transisto rennetz! Wir gehen in den Radarsteuer raum." Bodden stand an der Tür, Schir mos telefonierte. Es dauerte Ewigkeiten. Bodden glaubte schon das Krachen der Explosionen zu hören. Endlich war Sdjir mos fertig; sie verließen sein Zimmer. Oberst Bradson wollte soeben weg gehen, als der Rotlichtsummer ihn an den Ultrakurzwellen-Empfänger rief. Er schaltete ein, ganz leise kam es: „XX sie ben zwei neun drei — XX sieben zwei neun drei " Er warf die Olona weg, schaltete den Verstärker ein. Das ist Quistil, Quistil! Er preßte die Muscheln an seine Ohren — Quistil sprach: „So eben gelandet — Auftrag erfüllt — Tennin sechs sieben acht — Bodden in Dres —", dann ein Stöhnen _ doch da sprach Qui stil schon wieder: „Auf Empfang bleiben, auf Empfang bleiben, kommen wie der . . . " Die Stimme schien eine andere Färbung zu h a b e n . . . Stille, ein dunkle, gefährliche Stille... Bradson griff nach der schwelenden Olona, sog daran, warf sie wieder weg, lauschte. Er hörte seine Zähne knirschen, spürte irgendwo im Gehirn einen stechen den Schmerz, es war schon wieder vorbei, und immer noch die Stille. Seine Nerven rissen bald — was war da los? Da, jetzt, ein Rauschen, es knackte so laut, daß er wie gestochen zusammenzuckte. Eine Frauenstimme — ein Frau sprach: „Hier Dresden, hier Dresden — hören Sie, Oberst Bradson? Hier spricht Dresden, hören Sie, Skerowa-Quistil soeben fest genommen — Rob Bodden auf der Sta tion, Rob Bodden ist auf unserer Seite, macht Quistils Anschlag —" Störung, 24
Rauschen, Knarren, Knacken, die Frauen stimme kam nicht wieder. Oberst Bradson erstarrte, seine Augen versuchten dem bunten Olonageflacker vor seinem Fenster zu folgen... Dresden, Bodden, Quistil — Quistil verhaftet, Bod den auf der Station! Bodden hat uns ver raten! Dresden kennt Quistils Namen, Bodden hat ihn verraten... Bradsons Blick vereiste. Dann streckte er langsam den Finger aus, ganz langsam, wählte die Nummer der Raketenstation. Seit Tagen warteten „Aldebaran", „Rigel" und „Be teigeuze" auf den Startbefehl für die Ak tion „Eiskristall". Er gab den Startbefehl, fragte nicht erst bei Hersfeld zurück, wo zu? Es ging um das Letzte, und wenn Bodden mit verschwand — nein, Bodden mußte verschwinden!... „Start Aktion ,Eiskristair — sofort — wann?" „In einer Stunde." In einer Stunde, in einer Stunde, in sechzig Minuten, in dreitausendsechshun dert Sekunden... Bleicher beobachtete den Bildschirm der Radarstation. „Wenn wir die Anlage ausschalten —" „Wir müssen." Bodden, so nervös er war, behielt äußerlich seine Ruhe. Blei cher sah zu Schirmos — die Gefahr, daß in diesen Minuten sich Meteore der Sta tion näherten, war unberechenbar groß, und Bodden verriet nicht, daß er ahnte, Bradson würde unbarmherzig sein... Schirmos nickte, die Gefahr, daß die Ra darabwehrwaffen völlig außer Betrieb gesetzt wurden, war größer. Bleicher schaltete ab. In diesem Augen blick — die von Schirmos zu dem Tran sistorennetz beorderten Techniker wollten gerade die Schleusen verlassen — flammte in dem Netz ein Blitz auf — drei, vier
Blitze! Lautlos zerrissen Kabel und Tros sen — die glühende Masse fraß sich durch mehrere Abteilungen des Netzes, zer schmolz dieses mit ungeheurer Gewalt, und in der Station schalteten sich auto matisch sämtliche Motoren, Aggregate, Geräte, alle diese außerordentlich feinen, überaus empfindlichen Überwachungs-, Registrier- und Nachrichteninstrumente aus, das Licht verlosch — die Hilfsan lagen schalteten sich automatisch ein, die in den fünfzig Kesseln des Akkumulato renraumes erzeugte Energie floß in die Leitungen. Da war das Licht wieder. Schirmos, Bleicher und Bodden sahen sich an. „Es geht los — das ist Quistil —" Mehr sagte Bodden nicht, aber eine unsägliche Wut kroch in ihm hoch, und in einer Ecke seines Hirnes biß sich die furchtbare An klage fest: Du bist mitschuldig! Schirmos verließ den Raum; er mußte seinen Platz in der Alarmstation einneh men. Bleicher zitterten die Hände, als er die Verkleidung des Steuerkopfes abdeckte. Dann wurde er ruhig. „Scheinwerfer!" Grelle Strahlen leuchteten in das Gewirr von Drähten, Kontakten und Transisto ren, ein auf den ersten Blick unüberseh bares Gewirr. Bleicher griff hinein, tastete, suchte, fühlte — seine Finger spitzen kannten jeden Draht, jeden Kon takt . . . Sie lauschten. Schirmos war längst weg, was geschah in den einzelnen Labors? Der Akkumulatorenstrom war nicht stark genug, alle Geräte zu speisen. „Hier —" Bleichers Finger lösten etwas von der Wand des Steuerkopfes, tasteten weiter. Pjotr Schirmos hatte einen seiner Mit arbeiter geschickt; er nahm Bleicher die winzige Bombe ab, eine zweite, dritte —
mehr fanden sich nicht. Drei, sie hätten völlig genügt, die Radarsteueranlage zu zerreißen. Das Netz draußen war schon zerfetzt, doch nicht völlig. Die mächtigen Scheinwerfer der Station, die den Haupt teil des Akkumulatorenstromes zu fressen begannen, beleuchteten das Transistoren netz — die ersten Techniker schwebten schon im Dunkel des Weltenraumes. Die Nacht, die augenblicklich herrschte, würde noch zwei Stunden dauern, genau ein hundertfünfunddreißig Minuten; dann brachen drei Stunden hindurch die unge heuren Kräfte der Sonne in das Transi storennetz, und wenn bis dahin der be schädigte, ausgeschmolzene Teil nicht von den noch intakten Teilen abgeschirmt war, die zerrissenen Kabel nicht wieder repariert waren und Strom leiten konn ten — wenn das nicht in diesen einhun dertfünfunddreißig Minuten gelang, dann würden die so empfindlichen Halbleiter kristalle die Sonnenenergien aufnehmen, in Elektrizität umwandeln, und da diese nicht abgeleitet werden konnte, würde der mächtige, mehrere Quadratkilometer große Transistorenschirm in Sekunden aus sich selbst aufglühen, eine riesige feuerrote Masse sein, ins Nichts des Alls schmelzen. „Wiedereine— "Bleicher holte noch eine dieser kleinen gefährlichen Kugeln aus dem Gewirr des Steuerkopfes hervor. Alarm — Alarm — Alarm — Terplin und Fourness arbeiteten an einer neuen Versuchsreihe, Nachdem sie mit Hilfe der höchstbeschleunigten Mate rieteilchen des Alls thermonukleare Reak tionen ausgelöst hatten, wollten sie bis her nichtbekannte Energien des Alls entfesseln und damit Atomkerne stabile rer Elemente umformen. In der Theorie hatten die beiden Wissenschaftler diese 25
Frage gelöst - ein Auto, das mit vierzig Stundenkilometern gegen eine Mauer rast, verursacht beim Aufprall nicht soviel Energien, als wenn es gegen ein mit glei cher Geschwindigkeit herankommendes Gefährt prallt. Die komplizierten Berech nungen dieses Vorganges zeigten jedoch, daß nicht nur eine Verdoppelung, son dern eine Vervielfachung des Effektes eintreten mußte, wenn entgegengesetzt beschleunigte Materieteilchen aufein anderstießen. Nun also erfüllten die mächtigen Elektromagnete im Endbe schleuniger die Luft mit einem dumpfen Brausen — Materieteilchen mit Energien von Billiarden Elektronenvolt und ge waltiger Dichte tobten sich in einem Me tallblock aus. Hinter einem strahlungshemmenden Glasblock beobachteten beide den Ver such. Das Magnetfeld bannte die gefähr liche Höhenstrahlung. „Das Metall] Es verfärbt sich —" Mit weitaufgerissenen Augen starrten die beiden Forscher auf die Kupferwürfel, die allmählich grün wurden, dann ins Blaue glitten und lang sam eine schwarzblaue Färbung annah men . . . Da setzten die mächtigen Elek tromagnete aus, das Licht erlosch, flammte wieder auf. Sofort stürzte Four ness auf die großen Schalttafeln, riß die Hebel herunter, drehte die Räder zurück. „Das Transistorennetz hat ausge —" Der Sicherheitsbeauftragte von Schir mos entschärfte die winzigen Bomben. Er war blaß, biß die Zähne zusammen; er hatte mit dem Leben abgeschlossen, diese doppelt und dreifach gesicherte Stahlkammer verließ er nicht lebend. Er fand eine winzige Isotopenbatterie, die einen noch winzigeren elektrischen Spe zialzünder antrieb, kaum fingerhutgroß das Ganze, ein Meisterwerk, alle Achtung. 26
Wenn man vor einem grauenvoll fein ausgeklügelten Mordwerkzeug Achtung haben kann. Er ließ Bodden eintreten, Bleicher kam — und sie sahen, wie der Sicherheitsbeauftragte die restlichen drei Bomben durch eine Fallkammer der Sta tion ins All gleiten ließ — sollten sie drau ßen explodieren. Er erläuterte die Zusam mensetzung der Bomben. „Also ist radioaktive Strahlung durch das Metallgehäuse hindurch möglich", stellte Bodden sachlich fest. „Können wir", wandte er sich an den in diesem Augen blick eintretenden Schirmos, „in allen Räumen Strahlsucher einsetzen?" „Selbstverständlich." Schirmos ver schwand sofort wieder, nachdem er sich mit Bodden verständigt hatte, daß dieser und der Sicherheitsbeauftragte den Ak kumulatorenraum aufsuchten. Schirmos hatte stichwortartig Dr. Chri stiansen unterrichtet, der am Ultrakurz wellen-Bildschirm mit Professor Schaller sprach. Fourness und Terplin waren durch die Alarmrufe nicht aus ihrer Ruhe getrieben worden. „Dann wollen wir mal unseren Kupferwürfel näher betrachten", sagte der kleine Dicke gelassen. „Wenn das Netz futsch ist, sind wir für Wochen ar beitslos." Terplin, der am Fernsprecher die Alarmmeldungen entgegengenommen hatte, wandte sich den Sicherheitsventilen des Versuchsraumes zu. Brummend öff neten sich die Türen, und schon blitzten an seinem Arbeitsanzug kleine Glasröhr chen auf. „Vorsicht!" schrie Fourness, da krachte die Tür auch schon wieder zu. „Da haben wir es — ein radioaktives Element. Hof fentlich ein neues." Terplin schüttelte den Kopf. „Die Meß
Instrumente zeigen zwar um den Reak tionsherd starke radioaktive Strahlung, im eigentlichen Block jedoch nicht. Man müßte —" Er wandte sich um und schritt durch den Raum zum elektrischen Tem peraturmeßgerät. „Zwölf Grad noch — schätze, wir werden bald in Gefrierfleisch verwandelt werden..." „Sind die Hilfsaggregate auch ausgefal len?" fragte Fourness. Er rief die zustän dige Inspektion an. „Was denn", bekam er zur Antwort, „macht mich nicht
schwach — neun Grad — unmöglich! Die Klimaanlage jagt doch fast glühende Luft in euren Arbeitsraum. Fabriziert ihr Eis schränke?" Fourness wurde von Terplin vom Tele fon zum Schauglas gerissen — weiße Ne belmassen um den schwarzblauen Kup ferwürfel setzten sich ab und flössen nach unten weg. „Wasserdampf?" „Kaum — nach der Kälteabstrahlung dürfte es Raumluft sein, die sich um die ses neue sonderbare Element verflüssigt." 27
„Und weiter — was nun? Die Klima anlage schafft es nicht — wir können doch nicht alle Hilfsaggregate für uns arbeiten lassen." Fourness verlor seine Ruhe nicht; er trat an die Schalttafel. „Lassen wir die kalte Luft hinaus, Freundchen. Mußt nur achtgeben, daß der Strahlstoff im JRaum bleibt — paß auf — Ein Hebel druck, geräuschlos öffnete sich eine Tür in der Wand des Versuchsraumes, und die Nebelmassen flössen in das Weltall hin aus — das Thermometer sank immer noch, nun stand es, stieg... Die Tür schloß sich, im Versuchsraum glänzte der völlig verfärbte Kupferwürfel. Auf den Bildschirmen der ganzen Welt jagten sich seit Minuten, seit Viertelstun den die neuesten Nachrichten von der Station Einstein, gleich, ob es Tag war oder Nacht, überall saßen die Menschen vor den Empfängern. „Alarm auf Station Einstein — Attentat auf den Satelliten _ Auf der Spur des Attentäters - Gewaltige Explosion im Transistorennetz der Station, drei Abtei lungen ausgefallen — Grauenvoller Plan eines Geheimdienstes — Transistorennetz in der zweistündigen Nacht gerettet, Weltraumstation arbeitet wieder mit Son nenenergie — Attentäter benutzte hoch brisanten Sprengstoff. Wer lieferte die Bomben?" Inge Schaller saß, seit Rob Bodden ge startet war, an ihren Nachrichtenappara ten. Die Meldungen von der Station nahm sie selbst oder ihr Vater entgegen. Vom Ministerium waren Vertreter unter wegs, der Präsidentschaftsrat der Astro nautischen Gesellschaft war einberufen worden. Ferngespräche, Fernschreiben, Bildsendungen gingen ununterbrochen in 23
alle Welt. Die Pressezentralen der Welt hauptstädte nahmen die Sendungen des Zentralen Instituts Dresden auf und ver breiteten sie sofort in den Landesspra chen. Die Bildschirme wurden nicht leer, die Leuchtschriften auf den Dächern der Pressehäuser bannten die Blicke von Mil lionen, jedes neue Extrablatt wurde den Ausrufern aus den Händen gerissen. Die Station, die Station — unsere Station, unsere! hieß es mit einem Male. Der Erdsatellit und die tapferen Män ner dort oben, sechstausend Kilometer über der Erde, gehörten allen, der Menschheit! Es waren Minuten gewesen, die sie nicht noch einmal erleben mochten. In allen Räumen der Station arbeiteten die Strahlsuchgeräte. Nach dem Brand im Transistorennetz und dem Auffinden der Bomben im Radarsteuerkopf mußte damit gerechnet werden, daß in jeder Minute weitere Explosionen erfolgten. Es bestand die Gefahr, daß die Station auseinander gerissen wurde. Quistil, in Aschchabad vernommen, verriet die Stellen nicht, wo er die Bomben gelegt hatte. Es konnte nur noch der Akkumulatorenraum sein, der Physiker war mit einem Herzanfall ge funden worden... Explodierten die fünf zig Kessel, würden sie die Station in Fet zen zerreißen... Alarm — Alarm — Alarm — Wer nicht unbedingt eine wichtige Ar beit durchführen mußte, von der das Bestehen der Station abhing, erhielt den Auftrag, sich sofort im Schutzanzug in den Weltenraum zu begeben und an einem bestimmten Punkt im All, drei hundert Meter von der Station entfernt, zu warten. Einer nach dem anderen sprang hinaus, ins All, ins Leere, vertrau
end, daß die erforderlichen Rettungsmaß nahmen schon eingeleitet waren. Nur die Xachrichtenstation und die Radarabwehr waffen blieben besetzt. Bodden, Schirmos, Bleicher und Dr. Christiansen arbeiteten, sprachen mit der Dresdener Zentrale. Terplin und Foumess hatten die Station ebenfalls nicht verlassen. Oberst Bradson saß vor dem Bild schirm, die Hand an der Verbindung zu seiner Raketenstation. Das Zimmer war von dem Rauch der Olona gefüllt, ein grünblauer Schleier wallte zwisdien den Wänden hin und her, stand still, wurde von der Reklame draußen durchleuchtet, Bradson schwamm geradezu darin. Er hatte die Nacht in der Metropolitan-Bar zugebracht, hatte am Morgen heiß geba det, kalt geduscht, sieb hier an den Schreibtisch gesetzt, mit Hersfeld ver handelt und mit anderen. Er hatte nach Hause gehen wollen, da war die Flutwelle der Nachrichten über ihn hereingebrochen — der Anruf Quistils, die Frauenstimme aus Dresden, gleich darauf die ersten Meldungen von der Station und dann eine nach der an deren — ein Schlag nach dem anderen: Quistil verhaftet, Quistil gesteht, Hinter männer bekannt, Rob Bodden, der Insti tutsleiter der Freien Astronautischen Ge sellschaft, nicht tot, er arbeitet mit der Dresdener Astronautischen Gesellschaft, Rob Bodden auf der Station Einstein, Rob Bodden entdeckte im Bildschirm den Attentäter Skerowa-Quistil auf der Sta tion . . . „Start — Start frei!" schrie Bradson in das Mikrofon. Er wollte nichts mehr hören von dieser verdammten, zehnmal verfluchten Station, er löschte sie aus!
Start für Aktion „Eiskristall". Auslöschen, auslöschen, alles, alles In der gleichen Minute, in den Sekun den, in welchen in der Raketenstation in der Wüste Mohave die Raketen „Aldeba ran", „Rigel" und „Beteigeuze" im Ab stand von fünf Sekunden gegen den Him mel rasten, mit tosendem, heulendem, donnerndem Feuerschweif auf die Station Einstein zustürzten — in der gleichen Se kunde stand auf den Bildschirmen, zit terte von den Leuchtschriften, riefen die Extrablattverteiler: „Radarabwehrwaf fen auf Station Einstein wieder voll in Bereitschaft, keine Beschädigungen — Transistorennetz arbeitet wieder ein wandfrei. Wer ist Oberst Bradson?" Der Oberst starrte auf seinen Namen. „Wer ist Oberst Bradson?" fragten Tau sende von Zeitungen, Hunderttausende von Leuchtschriften, Millionen von Bild schirmen: „Wer ist Oberst Bradson?" Dann:„StrahlsuchgerätefindenBomben im Akkumulatorenraum — Rob Bodden setzt sein Leben ein, findet die Bomben Quistils. Der führende Wissenschaftler der Freien Astronautischen Gesellschaft rettet die Weltraumstation Einstein — Bomben zwei Minuten vor Explosion ge funden — Erstes Interview mit Rob Bod den: Ich werde nur für die Station Ein stein arbeiten." Oberst Bradson starrte in Hersfelds Gesicht. „Aktion ,EiskristaH' läuft seit drei Minuten." „Sind Sie wahnsinnig! Nehmen Sie den Befehl sofort zurück, Bradson!" „Nein!" Bradson brüllte den Präsiden ten der Freien Astronautischen Gesell schaft an, den Leiter des größten Trusts der Freien Welt. „Nein — Bodden hat uns verraten — sie müssen weg, alle -" 29
Hersfeld bewegte die linke Braue, un angenehm berührt, peinlich, daß er sich so geirrt hatte; dann verschwand er aus dem Bildschirm. Sekunden später meldete der Rotlicht summer wieder ein Gespräch. Bradson, mit seinen letzten Kräften, griff nach dem Schalter — der Bildschirm blieb leer. „Hier spricht Oberst Bradson!" Als sei ein Vorhang weggerissen, stand mit einemmal das pergamentene Papa geiengesicht Hersfelds da, bewegte sich kaum; die dünnen Lippen öffneten sich zu einem kleinen Spalt — „Bradson? Oberst Bradson? Kenne ich nicht. In mei nem Amt gibt es keinen Oberst Brad son —" Der nach Ansicht des Herrn Präsiden ten Hersfeld nicht existierende Oberst Bradson starrte in den leeren Bildschirm, er zwinkerte, das ganze Zimmer füllte sich mit der flirrenden Olonareklame. Ein Wirbel von Farben, von Schmerzen, von Gedanken nistete in Bradsons Hirn, fraß sich fest — seine unnatürlich weit aufge rissenen Augen lasen auf dem Nachrich ten-Bildschirm: „Strahlsuchgeräte finden im Akkumula torenraum der Station Einstein vier Qui stil-Bomben. Minuten vor der Explosion wurden sie unschädlich gemacht." Bradson taumelte hoch, stolperte über den Teppich in das Flackern der Olona farbwirbel — Olona, Olona, die Traum welt — er riß das Fenster auf... Es gab keinen Oberst Bradson mehr, der Herr Präsident hatte recht. Pjotr Schirmos rief die außerhalb der Station weilenden Mitarbeiter zurück, die Gefahr war beseitigt. Fourness und Terplin, deren Arbeits raum längst wieder die normale Tempe 30
ratur angenommen hatte, beantragten die Heranführung einer Thermos-Lastrakete, um den Strahlstoff und Kälteträger zu bergen. Im Zentralen Institut in Dresden sollte er weiter untersucht werden. „Viel leicht besitzt er Eigenschaften, die für die Verbesserung der Raketentriebwerke ver wendet werden können", erläuterte Terp lin am Telefon dem Stationschef Dr. Chri stiansen. Rob Bodden fuhr mit dem Kugelfahr stuhl zu Bleicher in den Radarsteuer raum. Der Bildschirm war leer. „Ich kann mir nicht denken, daß Bradson —" Da er schienen drei Punkte auf dem Bild schirm . . . „Aldebaran", „Rigel" und „Beteigeuze" hatten die ihnen vorgeschriebene Posi tion erreicht, die Automatik löste die Zünder aus, die hochexplosiven „Eiskri stalle", kleine Granaten mit furchtbarer Ladung, rasten mit Sekunden Abstand gegen die Station, dreihundert Grana ten — aber das Elektronengehirn der Sta tion arbeitete schon. Dunkles Summen er füllte den Raum; der Bildschirm war mit Hunderten von Pünktchen bedeckt, rasend flammten sie auf — und wichen weg, zur Seite, in die Höhe, nach unten. Und dann blendete für zwei, drei Sekunden ein grelles Feuerwerk über den Bildschirm — und alles war vorbei. Bleicher und Bodden sahen sich an; ihre Hände fanden sich. Zwei Tage später landete die Stations rakete in der Kara-Kum. Als Rob Bodden die unterirdische Halle betrat, stand Inge Schaller vor ihm. Ihre Augen leuchteten. Bodden beugte sich über Inges Hand. „Ich danke dir." Inge Schaller vermochte nicht zu spre chen; sie war sehr glücklich.
„Ich danke dir für dein^ Worte auf der Fahrt von Paris nach Dresden, Inge." Als sie am nächsten Morgen in Dresden landeten, wurden sie von einem großen Kreis Journalisten empfangen. Die Blitz lichte konnte Bodden nicht vermeiden; zu den Journalisten sagte er: „Meine Damen und Herren, ich erwarte Sie in zwei Stun den im Institut — jetzt habe ich erst eine große Pflicht zu erfüllen, mich bei Günther Herbrecht zu entschuldigen."
Ehe sie in den Wagen stiegen, zur Kli nik zu fahren, wurde Rob Bodden ein Telegramm überreicht: „Bevollmächtigen Sie als Vertreter unserer Gesellschaft, an wissenschaftlichem Austausch teilzuneh men. Hersfeld." Rob Bodden übergab Inge Schaller das Papier. „Zu spät - " , sagte er. „Hersfeld irrt, ich kann und werde nie mehr in seinem Auftrag handeln."
Copyright by Verlag Neues Leben Berlin 1957
Lizenz Nr. 303 (305/76-77/57)
Umsdilagzeidinung und Illustrationen: Günter Goeltzer, Magdeburg
Drudt: Karl-Marx-Werk, Pößnedt, V 15/30
- so lautet jedenfalls das Urteil des Gerichts über den Brand der Sonde 160.
Aber Ben Saftly weiß besser, wie es am 28. Mai 1929 zum Feuerausbruch kam,
bei dem 10 Menschen ihr Leben einbüßten.
Mit dem Auftrage seiner englischen Firma, den lästigen Konkurrenten auf den
rumänischen Erdölfeldern auszuschalten, war er in die „Romana-Americane"
eingeschmuggelt worden.
Unter der Aufsicht eines Agenten seiner Auftragsfirma war er gehindert, im
entscheidenden Moment das Unglück abzuwenden.
Wenn Saftlys Gewissen erwacht, was wird er tun, um die schreckliche Schuld
zu sühnen?
Davon berichtet Dieter Mendelsohn in der nächsten Nummer unter dem Titel