Björn Krey Textuale Praktiken und Artefakte
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Björn Krey
Textuale Praktiken und Artefakte Soziologie schr...
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Björn Krey Textuale Praktiken und Artefakte
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Björn Krey
Textuale Praktiken und Artefakte Soziologie schreiben bei Garfinkel, Bourdieu und Luhmann
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Dorothee Koch VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-18188-2
„Danksagungen“ ...
... sind eine adäquate Methode, all jene Mitglieder der „production cohort“ eines textualen Artefakts sichtbar zu machen, die anderweitig hinter dem Namen desjenigen maßgebenden Subjekts, dem die Autorschaft bezogen auf die Inhalte eben jenes Artefakts zugeschrieben wird, verschwinden. Ich möchte daher die Gelegenheit nutzen und mich bei allen jenen bedanken, die geholfen haben, den hier lesbaren Text zu produzieren und fertigzustellen, bei dem es sich um die etwas gekürzte Version einer Arbeit handelt, die im November 2008 als „Hausarbeit zur Erlangung des akademischen Grades einer Diplom-Soziologin/eines Diplom-Soziologen“ am Institut für Soziologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz eingereicht und im Oktober 2010 von der Deutschen Gesellschaft für Soziologie mit dem „Preis für eine herausragende Abschlussarbeit“ ausgezeichnet wurde. „Danke“ sage ich insbesondere den Mitgliedern des „Colloquiums Praxisforschung“ und des Arbeitsbereichs „Soziologische Theorie und Gender Studies“ am Institut für Soziologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz ebenso wie allen anderen, die inspirierend und korrigierend, kritisch und gutachtend an der kollaborativen Produktion dieses textualen Artefakts partizipiert haben.
Björn Krey
Inhalt
Postskriptum ................................................................................................... 9 1 (Wie geht) Vorwort (?)............................................................................... 13 1.1 Etwas-in-Existenz-Bringen.................................................................... 13 1.2 Relevant-Machen .................................................................................. 15 1.3 Kriterien formulieren … ....................................................................... 17 1.4 … im Gegensatz zu … ......................................................................... 18 1.5 Externalisieren ...................................................................................... 22 1.6 Textuale Praktiken und Artefakte .......................................................... 24 1.7 Sich-Einreihen ...................................................................................... 27 1.8 Ich ........................................................................................................ 31 2 Texte machen ............................................................................................. 37 2.1 Claim-making: Existenz in Arbeit ......................................................... 38 2.2 Auf-dem-Artikulationskanal-Senden: Texte in und als Arbeit ................ 47 2.3 Dort-Draußen........................................................................................ 53 a) Empirisierendes Repertoire.................................................................. 54 b) I-witness-Repertoire ............................................................................ 58 c) Theoretisierendes Repertoire ............................................................... 64 2.4 Intertextuale Dinge ............................................................................... 69 a) In-Anführungszeichen-Setzen .............................................................. 70 b) Theoretisieren: Sich-Einreihen in einen Korpus von Texten ................. 72 c) Kontrastieren ...................................................................................... 81 3 Texte machen etwas ................................................................................... 89 3.1 (Wie geht) Diskurs? .............................................................................. 91 a) Wie geht Diskurs, Teil 1: Herstellen von Genealogien ......................... 92 b) Wie geht Diskurs, Teil 2: Verwenden indexikaler Begriffe................. 100 3.2 Über-Sätzen ........................................................................................ 106 a) Ein-Schreiben und/als Zum-Sprechen-Bringen................................... 107 b) Ontologisches Über-Sätzen ............................................................... 110 Schluss......................................................................................................... 117 Literaturverzeichnis ................................................................................... 119
Postskriptum Den Bericht und sein maßgebendes Subjekt im Nachhinein gestalten
Bleibt noch, zum Abschluss dieses textualen Berichts einige einführende Bemerkungen zu formulieren, die Sie, liebe/r Leser/in, auf das Geschriebene vorbereiten. Dies ist und wird als Praxis dadurch ermöglicht, da mir als „Autor“ nun, da der Text verfasst ist, ein Kenntnisvorsprung bezogen auf den „Inhalt“ eben jenes Textes zukommt, d.h. ich bereits all das geschrieben habe, was Sie noch lesen müssen bzw. können. „Einführende Bemerkungen“ in und mit „Vorworten“ oder „Einleitungen“ zu fabrizieren, hilft, im Nachhinein – die situierte Praxis des Schreibens betreffend – einen textualen Bericht zu re-formulieren und zu praktischen Zwecken lesbar und verstehbar als einen „Text über“ zu rahmen, d.h. eine spezifische Lesart vor- und dem „eigentlichen“ Text einzuschreiben. Interessant an dieser Praxis ist, dass der „Autor“ eben jenes Textes als Gestalter seiner selbst als maßgebende Instanz spricht bzw. schreibt. D.h. er externalisiert sich als maßgebendes Subjekt des geschriebenen Textes und tritt sich selbst gestaltend gegenüber, indem er den eigenen Wortgebrauch einführend re-formuliert.1 Das vorweggenommene Artikulieren spezifischer Aspekte eines textualen Berichts gibt Leser/innen eine Art Landkarte an die Hand, die es ihnen ermöglicht, sich über noch unbekanntes Terrain zu informieren und zu orientieren. Darüber hinaus „interessieren“ solche textualen Praktiken intendierte und potentielle Adressaten, indem der jeweilige Text als relevant und adäquat dargestellt wird, als ein obligatorischer Passagepunkt des Wissenserwerbs bezogen auf die Objekte-der-Analyse, z.B. auf „textuale Praktiken und Artefakte“ soziologischen Schreibens. Sie „übersetzen“ die Nutzer der Artefakte in eine spezifische Welt, indem Lesarten vor-geschrieben werden, die das „Gemeinte“ des Geschriebenen artikulieren und den textualen Bericht und die darin und damit beschriebenen Phänomene auf eine spezifische Weise lesbar und verstehbar machen. „Autoren“ schneiden Existenz zu praktischen Zwecken ihrer textualen Berichte zu. Insoweit das hier Geschriebene adäquat verfertigt wurde, lesen Sie in und mit diesem Postskriptum-als-einführende-Bemerkungen soeben eine textuale 1
Interessant ist dabei ebenso, dass die textualen Sequenzen, in und mit denen Wortgebrauch einführend re-reformuliert wird, oft als nicht-dem-eigentlichen-Bericht-zugehörig markiert werden, z.B. indem sie überschrieben werden/sind mit Titeln, die den Text als Text thematisieren (z.B. „Vorwort“, „Einleitung“, „Schluss“ oder „Postskriptum“), oder indem die Seitenza hlen in einer Weise formatiert sind, die den Abschnitt von folgenden absetzen. Vgl. S. 13 und insgesamt Kapitel 1.
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Postskriptum
Sequenz, die Sie als Adressat/in zu interessieren sucht, indem sie performativ lesbar und verstehbar macht, „worum es im Text geht“; d.h. in und mit dieser Sequenz werden „Thema“ und „Vorhaben“ der verfertigten Version artikuliert und gestaltet:2 In den folgenden Analysen werden Texte als Artefakte des Formulierens/Schreibens schriftlicher Berichte thematisiert. Es handelt sich hierbei also um praxeologische und artefaktsoziologische Analysen von Texten – dies anhand der Fallbeispiele soziologischer Schreibpraktiken bei Harold Garfinkel, Pierre Bourdieu und Niklas Luhmann. Die in diese Arbeit eingeschriebene Szenerie wird bevölkert von „Praktiken“ und „Artefakten“ im Gegensatz zu „Ideen“, „Ideenevolution“ oder „Diskursen“. Interessiert werden (sollen) in und mit meinem vorangestellten Postskriptum-als-einführende-Bemerkungen daher zunächst diejenigen, die sich für auf konkreten Sprachgebrauch orientierte Ansätze der „discourse analysis“ und eine Position, die man zu praktischen Zwecken als „ethnomethodologische Diskursforschung“ nennen könnte, interessieren (lassen). Enttäuscht (oder desinteressiert) werden insofern womöglich jene, die sich Sozialtheorie bzw. sozialtheoretische Begriffsarbeit erwarten. Dies, da diese Analyse soziologischen Schreibens weniger die jeweilige Soziologie als vielmehr das jeweilige Schreiben betrifft, d.h. die Analyse der jeweiligen Berichte als praktische Hervorbringungen und praktische Leistungen des Formulierens/Schreibens soziologischer Texte. Interessiert werden (sollen) hier daher ebenso all diejenigen, die sich für Wissenschaftsforschung interessieren (lassen) insofern als hier wissenschaftliche Texte analysiert werden. Einschränkend sei formuliert, dass diese Arbeit zunächst konkrete Fallbeispiele „unique adequate“ erforscht und es nur nachgeordnet darum gehen wird, generalisierende Claims aus dem Datenmaterial zu extrahieren und zu abstrahieren. Wie aber geht das maßgebende Subjekt „Björn Krey“ im Formulieren/Schreiben seines textualen Berichts über soziologisches Schreiben vor? Nun, nachdem es zunächst ein „Postskriptum“ verfertigt hat, in dem es „einige einführende Bemerkungen“ (S. 9) zu formulieren und zugleich zu performieren sucht, fabriziert es einen Abschnitt, der, etwas ungelenk, „1 (Wie geht) Vorwort (?)“ betitelt ist (S. 13). Wir bekommen es hier mit einer „Vorwort“-Modulation zu tun, die Vorworte als spezifische textuale Momente bzw. Sequenzen soziologischen Schreibens zu Objekten-der-Analyse macht, zugleich jedoch darum bemüht ist, aus dieser Analyse zu lernen und ein adäquates Vorwort zu formulie2
Ich hatte in den „Danksagungen“ darauf hingewiesen, dass das textuale Artefakt, das Sie hier lesen können, auf einer Qualifikationsschrift beruht, die das maßgebende Subjekt „Björn Krey“ im November 2008 an der Johannes Gutenberg-Universität eingereicht hat. Wir haben es hier also mit einem interessanten rahmenanalytischen Phänomen zu tun insofern als es sich beim aktualen textualen Artefakt um die Modulation eines textualen Originals handelt (vgl. Goffman 1977: 55-57). Siehe auch Fußnote 24 auf Seite 39.
Den Bericht und sein maßgebendes Subjekt im Nachhinein gestalten
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ren. Dies muss scheitern, da das Inskribieren von Analysemomenten und -techniken wesentlichen Merkmalen von Vorworten als Artefakten des Schreibens von Texten zuwiderläuft. Der „Autor“ versucht, dem sukzessiven Herstellen der Objekte-der-Analyse zu folgen, d.h. dem chronologisch-materiellen Nacheinander spezifischer Momente des Formulierens von Vorworten; dies zu praktischen Zwecken des Sichtbar-Machens der Situiertheit textualer Praktiken und Artefakte. Es folgen zwei Kapitel, die diesen Fokus insofern etwas verschieben, als das maßgebende Subjekt sein textanalytisches Vorgehen hier nicht mehr an der eingeschriebenen Unterscheidung spezifischer Kapitel eines textualen Berichts orientiert, sondern vielmehr Aspekte des Formulierens analysierbar zu machen sucht, die die praktischen Grenzziehungen der Objekte-der-Analyse transzendieren (also etwa Kapitelüberschriften) und über diese Grenzziehungen hinweg beobachtbar sind. Hierzu gehört es auch, die in und mit Kapitel 1 angefertigten Analysen mithilfe spezifischer Begriffe zu reformulieren. Bleibt nun noch, darauf hinzuweisen, dass sich das maßgebende Subjekt, dass sich „Björn Krey“ in diesem Postskriptum-als-einführende-Bemerkungen und darin: u.a. just in diesem Satz ebenso wie in anderen Sequenzen dieses Textes eines analytisch-deskriptiven Repertoires bedient (hat), das reflektiert und thematisiert, dass eben jene Studien über soziologisches Schreiben ihrerseits intim an autochthone textuale Praktiken soziologischen Schreibens gebunden sind. Dieses Repertoire soll für alle analytischen Zwecke reflexive Methoden und ein „overacting“ soziologischer textualer Praktiken in die Analysen einschreiben und den aktualen Text als ein textuales Artefakt lesbar und verstehbar machen, das sich situiert und indexikal spezifischer Techniken des Formulierens schriftlicher Berichte zu praktischen Zwecken bedient.
1 (Wie geht) Vorwort (?)
Wenn Soziologen über das Soziale schreiben, dann wenden sie kompetent eine Vielzahl von Praktiken an, die ihre Texte zu Texten über das Soziale machen, die ihre Beschreibungen mit Tatsächlichkeit ausstatten und die sie selbst als berechtigte Sprecher markieren. Eine solche textuale Praxis ist das Formulieren eines „Vorwortes“. Eine Sequenz eines Textes als „Vorwort“ zu betiteln, weist dieser eine bestimmte Stellung im und zum Text zu und unterscheidet sie von Textabschnitten, die mit Titeln wie „System und Funktion“, „Die Logik der Praxis“ oder „Passing and the managed achievement of sex status in an intersexed person, part 1“ überschrieben sind.3 Der Titel „Vorwort“ ist auf den Text als Text, als Produkt oder Hervorbringung orientiert, d.h. er zeichnet sich durch eine gewisse, wie man mit Erving Goffman schreiben könnte, „Rückbezüglichkeit“ aus (Goffman 1977: 20 f.).4 Er rahmt unter ihm Versammelte, das, was folgt, auf eine bestimmte Weise und spricht zum Thema: „dieser Text“ oder „dieses Buch“. 1.1 Etwas-in-Existenz-Bringen Der Vorwortrahmen ist eine Hervorbringung, die mithilfe verschiedener textualer Praktiken geleistet werden kann. Zu diesen Praktiken gehört es, die Objekte, von denen ein Text handelt, in Existenz zu bringen und beides, Text und Objekt, miteinander in Beziehung zu setzen. Um das Geschriebene mit Tatsächlichkeit auszustatten, möchte ich es mit einigen externen Referenzen verknüpfen. Die erste ist dem „Preface“ zu „Studies in Ethnomethodology“ von Harold Garfinkel entnommen.
3
4
„Vorworte“ werden jedoch nicht nur durch ihren Titel von anderen textualen Sequenzen unterschieden. So findet man häufig, dass Vorworte in Inhaltsverzeichnissen nicht mitnummeriert werden, sondern die Nummerierung erst nach dem Vorwort mit „1“ beginnt. In Harold Garfinkels Buch „Studies in Ethnomethodology“ ist das Vorwort in gewissem Sinne räumlich vom Rest des Textes dadurch separiert, dass das „Preface“ und die „Acknowledgements“ vor den „Contents“ angeordnet sind, das Inhaltsverzeichnis also den Moment im Buch markiert, mit dem es „inhaltlich“ beginnt. Dass mein Vorwort in die Nummerierung hineingenommen und in sich in einzelne Unterabschnitte aufgegliedert ist, ist ein Aspekt des Scheiterns, auf den bereits auf Seite 11 hingewiesen wurde. Vgl. insgesamt zu diesem Thema Goffman 1977: 25-30.
B. Krey, Textuale Praktiken und Artefakte, DOI 10.1007/978-3-531-92849-4_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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(Wie geht) Vorwort (?) (1) Garfinkel 1967: vii 1 2 3
In doing sociology, lay and professional, every reference to the “real world”, even where the reference is to physical or biological events, is a reference to the organized activities of everyday life.
In Textbeispiel (1) wird Sosein hervorgebracht in und mit einer Formulierung hervorgebracht, die eben dieses Sosein nicht etwa zu einer Möglichkeit, einem Vorschlag oder zum Objekt einer Kontroverse macht, sondern die dieses Sosein setzt und als gegeben nimmt. Es wird also nicht formuliert, „es ist möglich, dass“ oder „ich schlage vor, dass“ oder „ich behaupte, dass“, sondern „es ist“: „every reference (...) is“; das Wort „is“ modalisiert die Äußerung als eine Äußerung über tatsächliches Sosein. Dieses In-Existenz-Bringen zeigt sich auch im zweiten Textbeispiel, das dem Vorwort zu Niklas Luhmanns Buch „Soziale Systeme“ entnommen ist. (2) Luhmann 1984: 7 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
Die Soziologie steckt in einer Theoriekrise. Eine im ganzen recht erfolgreiche empirische Forschung hat unser Wissen vermehrt, hat aber nicht zur Bildung einer facheinheitlichen Theorie geführt. Als empirische Wissenschaft kann die Soziologie den Anspruch nicht aufgeben, ihre Aussagen an Hand von Daten zu überprüfen, die der Realität abgewonnen sind, wie immer alt oder neu die Schläuche sein mögen, in die man das Gewonnene abfüllt. Sie kann gerade mit diesem Prinzip jedoch die Besonderheit ihres Gegenstandsbereiches und ihre eigene Einheit als wissenschaftliche Disziplin nicht begründen. Die Resignation geht so weit, daß man dies gar nicht mehr versucht.
Wie schon in Textbeispiel (1) wird in Zeile 1 in und mit dem ersten Satz in (2) ein bestimmtes Sosein, hier: das In-der-Theoriekrise-Stecken der Soziologie, in Existenz gebracht. Dies zunächst, indem die Äußerung nicht als eine bloße Vermutung neben anderen, sondern als eine Äußerung über Tatsächliches hervorgebracht ist. Sie als eine Version neben anderen zu markieren, würde sie relativieren und implizieren, dass keine dieser Versionen für sich Wahrheit-imGegensatz-zu-anderen-Versionen reklamieren kann (vgl. Ashmore 1989: 1). In den ersten beiden Textbeispielen haben wir es zu tun mit Sätzen, die Setzen, d.h. die Existenz hervorbringen und als genau-so, genau-dies formulieren. Diese textualen Formulierungen von Sosein werden nicht mit externen Referenten verknüpft, die das Gesagte in dessen Faktizität stärken oder stützen, sondern diese Sätze versorgen sich selbst mit Faktizität.5 Beginnt (m)eine Vorwort5
Vgl. Kap. 2.1.
Relevant-Machen
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Sequenz also mit den Worten: „Wenn Soziologen über das Soziale schreiben, dann wenden sie kompetent eine Vielzahl von Praktiken an, die ihre Texte zu Texten über das Soziale machen, die ihre Beschreibungen mit Tatsächlichkeit ausstatten und die sie selbst als berechtigte Sprecher markieren“, so wird in und mit dieser Äußerung ein spezifisches Sosein und werden darin verschiedene Entitäten, wie z.B. „Soziologen“ und „Praktiken“, als praktische Leistung eben dieser Äußerung hervorgebracht. 1.2 Relevant-Machen In Textstück (2) bleibt es jedoch nicht bei diesem In-Existenz-Bringen, vielmehr zeigt sich hier als ein weiterer Aspekt das Relevant-Machen des beschriebenen Soseins. Der Claim über die Theoriekrise der Soziologie wird zunächst gegen eine mögliche Erwiderung „Aber wir haben doch die Empirie!“ in Position gebracht und verstärkt, indem in den Zeilen 1 und 2 zwar mit der Äußerung „Eine im ganzen recht erfolgreiche empirische Forschung hat unser Wissen vermehrt“ Lob verteilt, eine mögliche alternative Lesart dieses Soseins aber ausgeschaltet wird. Luhmann formuliert in den Zeilen 2 und 3, dass die „im ganzen recht erfolgreiche empirische Forschung“ „aber nicht zur Bildung einer facheinheitlichen Theorie geführt“ hat, und in den Zeilen 7 bis 10, dass die Soziologie „mit diesem Prinzip jedoch die Besonderheit ihres Gegenstandsbereichs und ihre eigene Einheit als wissenschaftliche Disziplin nicht begründen“ kann. Empirische Forschung, gefüllt in alte oder neue Schläuche, ist keine Antwort auf die „Theoriekrise“ der Soziologie und auf die Unfähigkeit, ihre Einheit als Disziplin und die Besonderheit ihres Gegenstandsbereichs zu begründen. Im dritten Textausschnitt, den ich anführen möchte, wird dieses RelevantMachen von Sosein mit dem Formulieren eben dieses Soseins, mit einem faktischen Bericht verknüpft. Dieser Ausschnitt ist der Vorwort-Sequenz in dem mit „Sozialer Sinn“ betitelten Buch von Pierre Bourdieu6 entnommen. (3) Bourdieu 1987: 7 f. 1 2 3 4 6
Der Fortschritt der Erkenntnis setzt bei den Sozialwissenschaften einen Fortschritt im Erkennen der Bedingungen der Erkenntnis voraus. Deshalb erfordert er, hartnäckig und mehrfach zu denselben Objekten zurückzukehren (hier: zu den in EntDieses textuale Artefakt ist innerhalb meines Datenkorpus insofern ein interessanter rahmenanalytischer Fall, als es sich hierbei um die „Übersetzung“ eines „Originals“ in die deutsche Sprache handelt. D.h. es stellt sich hier die Frage nach den Sprechern bzw. den textualen Subjekten dieses Artefakts. Vgl. S. 50-53.
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(Wie geht) Vorwort (?)
5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
wurf einer Theorie der Praxis und in zweiter Linie zu den in Die feinen Unterschiede behandelten), alles Gelegenheiten, das objektive und subjektive Verhältnis zum Objekt weiter zu objektivieren. Notwendig ist die rückblickende Rekonstruktion der einzelnen Etappen deswegen, weil diese Arbeit, die zunächst auf den Ausführenden einwirkt und die manche Schriftsteller in das entstehende Werk (work in progress, schrieb Joyce) einzuarbeiten suchten, ihre eigenen Spuren zu löschen trachtet. Das Wesentliche meiner keineswegs persönlichen Mitteilungen hier könnte an Sinn und Wirkung verlieren, wenn man es unter Gestattung eines Sichablösens von der Praxis, von der es ausgeht und in die es wieder eingehen sollte, in der wirklichkeitsfernen und neutralisierten Existenzform „theoretischer“ Thesen oder epistemologischer Diskurse stehenließe.
Wie schon in den ersten beiden Ausschnitten, so wird auch hier in und mit dem ersten Satz ein Sosein formuliert, wird das Gesagte nicht „vorgeschlagen“, „angenommen“ oder „behauptet“, sondern als tatsächlich reifiziert. Dieses spezifische in den Zeilen 1 bis 3 hergestellte Sosein „erfordert“ (Zeile 3) ein entsprechendes Handlungsprogramm, „erfordert“, „hartnäckig und mehrfach zu denselben Objekten zurückzukehren“, um so „das objektive und subjektive Verhältnis zum Objekt weiter zu objektivieren“ (Zeile 3 bis 8). Die Relevanz dieses Handlungsprogramms ist und wird in Zeile 8 bis 11 in der Äußerung „Notwendig ist die rückblickende Rekonstruktion der einzelnen Etappen deswegen, weil diese Arbeit (...) ihre eigenen Spuren zu löschen trachtet“ mit einer Beschreibung von Faktischem verbunden. Meine Äußerung zu Beginn meiner Vorwort-Sequenz muss also mit Relevanz ausgestattet werden. Ich tue dies, indem ich auf Garfinkel, Livingston und Lynch referiere und damit autorisierte und autoritäre Sprecher als Verbündete meines Vorhabens anführe. (4) Garfinkel u.a. 1981: 133 1 2 3 4 5
The social sciences are talking sciences, and achieve in texts, not elsewhere, the observability and practical objectivity of their phenomena. This is done in literary enterprises through the arts of reading and writing texts, by administering compliance documents, and by ‘shoving words around’.
Die Soziologie bringt als „talking science“ ihre Phänomene in und mit ihren Texten, im Lesen und Schreiben textualer Artefakte hervor. Ich möchte weiter unten auf einige Aspekte dieser kollaborativen Äußerung von Garfinkel, Livingston und Lynch zurückkommen und hier zunächst Texte als Objektesoziologischer-Analyse relevant machen. Soziologen stellen „in texts, not
Kriterien formulieren …
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elsewhere, the observability and practical objectivity of their phenomena“ her, machen in und mit ihren Texten soziologische Phänomene und Vorgänge beschreibbar und lesbar. Die Analyse soziologischer Texte kann im Sinne einer Empirie eben solcher Texte dazu beitragen, zu lernen, genau wie Soziologen ihre Phänomene hervorbringen, thematisieren und kommunizieren. 1.3 Kriterien formulieren … Das Relevant-Machen von Sosein ist in Textbeispiel (3) mit einem Formulieren von Kriterien verbunden, es gilt „hartnäckig und mehrfach zu denselben Objekten zurückzukehren“, um so „das objektive und subjektive Verhältnis zum Objekt weiter zu objektivieren“. Kehren wir zu Garfinkel zurück – nun wieder in der Existenzform empirischen Materials – und betrachten wir das Textstück, das in dessen Vorwort-Sequenz auf Beispiel (1) folgt. (5) Garfinkel 1967: vii 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
Thereby, in contrast to certain versions of Durkheim that teach that the objective reality of social facts is sociology’s fundamental principle, the lesson is taken instead, and used as a study policy, that the objective reality of social facts as an ongoing accomplishment of the concerted activities of daily life, with the ordinary, artful ways of that accomplishment being by members known, used, and taken for granted, is, for members doing sociology, a fundamental phenomenon. Because, and in the ways it is practical sociology’s fundamental phenomenon, it is the prevailing topic for ethnomethodological study. Ethnomethodological studies analyze everyday activities as members’ methods for making those same activities visibly-rational-and-reportable-for-all-practical-purposes, i.e., “accountable”, as organizations of commonplace activities.
Das Wort „thereby“ verknüpft die Äußerung mit dem in Ausschnitt (1) hervorgebrachten Sosein und etabliert, darauf aufbauend, Kriterien für ein adäquates Forschungsprogramm, in das der Text dann eingereiht wird. Es zeigt sich hier eine Praxis des Formulierens (sozial-)wissenschaftlicher Texte, auf die ich später intensiver eingehen möchte. Mit Worten wie „thereby“ und textualen Äußerungen wie „the lesson is taken“ wird „agency“, die man eigentlich dem „Autor“ eines Textes zuschreiben würde, externalisiert.7 Diese Rhetorik legt nahe, dass das, was nun folgt, nicht der willkürlichen Setzung eines „Autors“ zuzurechnen ist, sondern sich aus dem in und mit Ausschnitt (1) beschriebenen Sosein ergibt. 7
Vgl. S. 50-53, Kapitel 2.3.
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(Wie geht) Vorwort (?)
Garfinkel gibt in den Zeilen 3 bis 9 passiv wieder, was sich aus eben diesem Sosein ergibt, nämlich „that the objective reality of social facts as an ongoing accomplishment of the concerted activities of daily life, with the ordinary, artful ways of that accomplishment being by members known, used, and taken for granted, is, for members doing sociology, a fundamental phenomenon“. Die „objective reality of social facts“ wird mit dem Wort „as“ mit einer spezifischen Existenzweise ausgestattet und als grundlegendes, elementares Phänomen-„formembers-doing-sociology“ markiert. In ihrem spezifischen Sosein fungiert diese textuale Sequenz als „study policy“ und als Referenz des Formulierens von Kriterien, eines adäquaten Forschungsprogramms in den Zeilen 10 bis 13. Wie zuvor, so etabliert auch hier das Wort „as“ in der Äußerung „everyday activities as members’ methods“ in Zeile 10 und 11 Entitäten in einer spezifischen Existenzweise und übersetzt sie in einen und mit einem spezifischen Sprachgebrauch. 1.4 ... im Gegensatz zu ... Das Formulieren von Sosein und, darauf aufbauend, von Kriterien wird in Textbeispiel (5) in einer Im-Gegensatz-zu-Rhetorik formuliert. Der Claim „in contrast to certain versions of Durkheim (...) the lesson is taken instead“ in den Zeilen 1 bis 3 kontrastiert das eigene Programm mit anderen, konkurrierenden Versionen. Er etabliert die eigene Version und schaltet alternative Versionen aus. Eine ähnliche textuale Methode des claim-making lässt sich in einer VorwortSequenz bei Niklas Luhmann beobachten, die ich in und mit den folgenden Textstücken ein wenig ausführlicher referieren möchte. (6) Luhmann 1984: 7 f. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16
Vorherrschend kehren diejenigen, die sich für allgemeine Theorie interessieren, zu den Klassikern zurück. Die Einschränkung, durch die man sich das Recht verdient, den Titel Theorie zu führen, wird durch Rückgriff auf Texte legitimiert, die diesen Titel schon führen oder unter ihm gehandelt werden. Die Aufgabe ist dann, schon vorhandene Texte zu sezieren, zu exegieren, zu rekombinieren. Was man sich selbst zu schaffen nicht zutraut, wird als schon vorhanden vorausgesetzt. Die Klassiker sind Klassiker, weil sie Klassiker sind; sie weisen sich im heutigen Gebrauch durch Selbstreferenz aus. Die Orientierung an großen Namen und die Spezialisierung auf solche Namen kann sich dann als theoretische Forschung ausgeben. Auf abstrakterer Ebene entstehen auf diese Weise Theoriesyndrome wie Handlungstheorie, Systemtheorie, Interaktionismus, Kommunikationstheorie, Strukturalismus, dialektischer Materialismus – Kurzformeln für Komplexe von Namen und Gedanken. Neuheitsgewinne kann man dann von Kombinationen erwarten.
... im Gegensatz zu ... 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29
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Dem Marxismus wird etwas Systemtheorie injiziert. Interaktionismus und Strukturalismus sind, so stellt sich heraus, gar nicht so verschieden, wie man angenommen hatte. Webers „Gesellschaftsgeschichte“, ein auch für Marxisten möglicher Begriff, wird mit Hilfe der Parsons’schen Kreuztabelliertechnik systematisiert. Handlungstheorie wird als Strukturtheorie, Strukturtheorie als Sprachtheorie, Sprachtheorie als Texttheorie, Texttheorie als Handlungstheorie rekonstruiert. Angesichts solcher Amalgamierungen wird es dann wieder möglich und nötig, sich um ein Wiedergewinnen der eigentlichen Gestalt der Klassiker zu bemühen. Jedes biographische Detail bringt auf die Spur und ermöglicht die Sicherstellung des Klassikers quer zu dem, was als Theorie aus ihm abgeleitet wird.
In und mit Textstück (6) wird Luhmanns Vorhaben, die Arbeit an einer „fachuniversalen Theorie“,8 kontrastiert mit der konkurrierenden Version, der vorherrschenden epistemischen Praxis derjenigen, „die sich sich für allgemeine Theorie interessieren“ (in den Zeilen 1 und 2). Es ist hier vor allem das deskriptive Repertoire, das den Leser mit der richtigen Lesart des Gesagten versorgt.9 Worte und Formulierungen wie „sezieren“, „exegieren“ und „injizieren“ (in den Zeilen 6 und 17), „Was man sich selbst zu schaffen nicht zutraut“ (Zeile 7), „Interaktionismus und Strukturalismus sind, so stellt sich heraus, gar nicht so verschieden, wie man angenommen hatte“ (Zeilen 17 bis 19) und „Webers ‚Gesellschaftsgeschichte’, ein auch für Marxisten möglicher Begriff“ (Zeilen 19 und 20) übersetzen und ironisieren die vorherrschende Praxis derjenigen, „die sich für allgemeine Theorie interessieren“, in einer Weise, die sie als abnormal und falsch, als „version claimed (...), and perhaps believed (...) but nevertheless implausible“ erscheinen lassen (vgl. Potter 1997: 107 f.). D.h. in und mit dieser Beschreibung wird die konkurrierende epistemische Praxis nicht einfach als falsch oder defizitär bezeichnet, sie wird vielmehr rhetorisch und deskriptiv als falsch und defizitär hergestellt, als Version, die sich eigentlich nicht „das Recht verdient, den Titel Theorie zu führen“ (Zeile 3). In und mit Luhmanns Vorwort wird eine Be-
8 9
Siehe unten Textstück (8), S. 20 f. Sollten Sie die bisherigen Fußnoten gelesen haben, so sind Sie inzwischen vertraut mit der Praxis des Auf-dem-Artikulationskanal-Sendens, von der der „Autor“ dieses Textes bislang reichlich, und nun auch hier, Gebrauch macht. Auf diesem Artikulationskanal spricht der Autor-des-Textes direkt zum Leser und informiert ihn über den Text als Text, versorgt ihn z.B. mit einer Gebrauchsanweisung und richtigen Lesart zum Text, verweist auf bestimmte Eigenschaften und Eigenheiten des Textes, macht „editorische“ Anmerkungen und nimmt so die Rolle des Gestalters des textualen „Inhalts“ ein. Ich komme „später“, insbesondere in Kapitel 2.2, auf diesen Aspekt textualer Artefakte zurück. Zum textualen Übersetzen von Lesern mithilfe deskriptiver Repertoires und Rhetoriken siehe u.a. 2.3 und S. 89-91.
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(Wie geht) Vorwort (?)
schreibung einer konkurrierenden Version angefertigt, die dann als Kontrastfolie genutzt wird für das Formulieren des eigenen Programms.10 (7) Luhmann 1984: 8 f. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23
Als Resultat verwirrt den Beobachter vor allem die rasch zunehmende Komplexität dieser Theoriediskussion. Je besser man die Leitautoren kennt und je höher man die Ansprüche an die Analyse ihrer Texte im Kontext ihrer Sekundärliteratur schraubt, je mehr man sich mit Kombinationsspielen befaßt und je mehr man Emphasenwechsel (zum Beispiel De-Subjektivierung oder Re-Subjektivierung) aus einem Theorierahmen in einen anderen transportiert, desto komplexer wird das Fachwissen, das die weitere Forschung tragen muß. Die Einheit der Soziologie erscheint dann nicht als Theorie und erst recht nicht als Begriff ihres Gegenstandes, sondern als pure Komplexität. Das Fach wird nicht nur intransparent, es hat seine Einheit in seiner Intransparenz. Die Komplexität wird nur perspektivisch angeschnitten, und jeder Vorstoß variiert mehr, als er kontrollieren kann. Selbst wenn man also mit einer Ausschöpfung des Gedankenguts der Klassiker früher oder später rechnen müßte, hätte man mit der selbsterzeugten Dunkelheit immer noch genug zu tun. Es geht also um ein Verhältnis von Komplexität und Transparenz. Man könnte auch sagen: um ein Verhältnis von intransparenter und transparenter Komplexität. Der Verzicht auf Erstellung einer facheinheitlichen Theorie entrinnt diesem Problem nicht. Er vermeidet nur, es zu stellen. Genau damit beginnt aber die Arbeit an einer solchen Theorie.
In und mit den textualen Äußerungen in Beispiel (7) wird das konkurrierende Programm, wird das „vorherrschende“ Tun derjenigen, „die sich für allgemeine Theorie interessieren“ (siehe Textstück 6, Zeilen 1 und 2), als defizitäre Version markiert, die zu „purer Komplexität“ (Zeile 11), „Intransparenz“ (Zeile 12) und „selbsterzeugter Dunkelheit“ (Zeile 16) führt. Dieses Übersetzen in ein spezifisches Sosein bringt als Kontrastfolie die Relevanz und das Richtig-Sein des zu erarbeitenden Programms und der formulierten Kriterien hervor. Darauf aufbauend wird das „Theorieprogramm dieses Buches“ als ein Mit-DifferenzangabenMarkieren formuliert. (8) Luhmann 1984: 10 f. 1 2 3
10
Damit ist bereits Grundsätzliches zum Theorieprogramm dieses Buches gesagt. Die Absicht ist, eine Art Schwelle zu nehmen, vor der die heute üblichen Theoriediskussionen in der Soziologie sta-
Vgl. Kapitel 2.4c).
... im Gegensatz zu ... 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41
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gnieren. Diese Schwelle läßt sich mit drei Differenzangaben markieren: (1) Es geht um die seit Parsons nicht mehr gewagte Formulierung einer fachuniversalen Theorie. Das dazu gehörige Gegenstandsreich ist aber nicht mehr substantialisierend als ein Weltausschnitt (faits sociaux) vorausgesetzt, den die Soziologie von außen betrachtet. Es ist auch nicht nur als ein Korrelat ihrer analytischen Begriffsbildung angenommen im Sinne des „analytischen Realismus“ von Parsons. Es ist vielmehr gedacht als die Gesamtwelt, bezogen auf die Systemreferenz sozialer Systeme, das heißt bezogen auf die für soziale Systeme charakteristische Differenz von System und Umwelt. (2) Ein weiterer, darin implizierter Aspekt besteht in der Differenz von asymmetrisch und zirkulär angelegten Theorien. Universale Theorie betrachtet ihre Gegenstände und sich selbst als einen ihrer Gegenstände als selbstreferentielle Verhältnisse. Sie setzt keine unhinterfragbaren erkenntnistheoretischen Kriterien voraus, sondern setzt, wie neuerdings auch viele Philosophen und Naturwissenschaftler, auf eine naturalistische Epistemologie. Das heißt wiederum: ihr eigenes Erkenntnisverfahren und ihr Annehmen oder Verwerfen von dafür geltenden Kriterien ist für sie etwas, was in ihrem eigenen Forschungsbereich, in einer Disziplin des Teilsystems Wissenschaft der modernen Gesellschaft geschieht. (3) Spätestens hier ist mit dem üblichen „Dezisionismus“-Vorwurf zu rechnen. Er ist nicht ganz unberechtigt. Systeme haben eine Fähigkeit zur Evolution nur, wenn sie Unentscheidbares entscheiden können. Das gilt auch für systematische Theorieentwürfe, ja selbst für Logiken, wie man seit Gödel nachweisen kann. Aber das läuft keineswegs auf Willkür einiger (oder gar aller) Einzelentscheidungen hinaus. Dies wird durch Negentropie oder Komplexität verhindert. Es gibt nämlich noch eine dritte Schwellenmarkierung. Eine soziologische Theorie, die die Fachverhältnisse konsolidieren will, muß nicht nur komplexer, sie muß sehr viel komplexer werden im Vergleich zu dem, was die Klassiker des Fachs und ihre Exegeten und selbst Parsons sich zugemutet hatten. Das erfordert andere theorietechnische Vorkehrungen, was Haltbarkeit und Anschlußfähigkeit nach innen und nach außen betrifft, und erfordert nicht zuletzt den Einbau einer Reflexion auf Komplexität (also auch eines Begriffs der Komplexität) in die Theorie selbst.
In und mit diesem Textstück wird vor allem kontrastierende Arbeit geleistet. Das eigene Programm wird in einer Rhetorik des Im-Gegensatz-Zu verfertigt – dies z.B. durch das Kontrastieren in Zeile 3 zur „heute üblichen Theoriediskussion in der Soziologie“, in Zeile 6 und 7 zu dem, was „seit Parsons nicht mehr gewagt“ wurde, oder in den Zeilen 8 bis 11 zu alternativen Versionen wie dem substantialisierenden Voraussetzen des Gegenstandsreiches „als ein Weltausschnitt (faits sociaux)“ oder dem „‚analytischen Realismus’ von Parsons“. Indem Luhmann in den Zeilen 34 bis 37 äußert „Eine soziologische Theorie, die die Fachverhältnisse konsolidieren will, muß nicht nur komplexer, sie muß sehr viel
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komplexer werden im Vergleich zu dem, was die Klassiker des Fachs und ihre Exegeten und selbst Parsons sich zugemutet hatten“, formuliert er auf diesem Differenzangaben-Markieren aufbauend Kriterien eines adäquaten Programms einer „fachuniversalen Theorie“.11 1.5 Externalisieren Wie schon in Textbeispiel (5), so ist das claim-making in (8) mit einem Externalisieren von „agency“ verbunden, wie sich an Formulierungen wie „Theorieprogramm dieses Buches“ in den Zeilen 1 und 2, „Universale Theorie betrachtet sich selbst und ihre Gegenstände“ in den Zeilen 16 und 17 und „Eine soziologische Theorie, die die Fachverhältnisse konsolidieren will“ in den Zeilen 34 und 35 zeigen lässt. Die aufgestellten Kriterien für „fachuniversale Theorie“ werden als nicht-in-der-Willkür-des-Autors-liegend formuliert, sondern sie sind in der Sache, im Sosein des Gegenstands (bzw. des „Gegenstandsreiches“) und in Zeile 38 in „theorietechnischen Vorkehrungen“ lokalisiert. Eine solche textuale Methode des Externalisierens lässt sich auf an folgendem Textbeispiel beobachten. (9) Bourdieu 1987: 32 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21
11
Wie ich bereits ständig durch Häufung bewußt ethnozentrischer Näherungen angedeutet habe, hätte ich mich sicher weniger veranlaßt gefühlt, kritisch auf die elementaren Akte der Ethnologie einzugehen, wenn ich nicht bei der vom Strukturalismus unter Berufung auf ein für mich unverständlich kühn behauptetes epistemologisches Privileg des Beobachters vertretenen Definition des Verhältnisses zum Objekt Unbehagen verspürt hätte. Zwar hielt ich mich angesichts des fiktiv jede Distanz zwischen Beobachter und Beobachtetem leugnenden Intuitionismus eher an den auf Kosten eines methodologischen Bruchs mit der Primärerfahrung um ein Verstehen der Logik der Praktiken bemühten Objektivismus, doch ließ mich der Gedanke nicht los, daß man auch die spezifische Logik dieses erfahrungslosen „Verstehens“ verstehen können müsse, welches durch die Beherrschung der Grundlagen der Erfahrung ermöglicht wird: der Gedanke, daß es nicht darum gehe, die Distanz mittels einer falschen primitivistischen Teilhabe per Zaubertrick aufzuheben, sondern darum, diese objektivierende Distanz und ihre sozialen Voraussetzungen, wie z.B. Außenstandpunkt des Beobachters, diesem zur Verfügung stehende Objektivierungstechniken usw., zu objektivieren. Ich komme auf weitere Aspekte dieses etwas längeren Textstückes weiter unten zurück. Siehe S. 64-67.
Externalisieren
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Ich führe dieses Beispiel an, um mein Argument über die textuale Praxis des Kontrastierens weiter mit Faktizität auszustatten. Als alternative Versionen werden in diesem Textstück in den Zeilen 4 bis 7 die „vom Strukturalismus unter Berufung auf ein für mich unverständlich kühn behauptetes Privileg des Beobachters“ vertretene „Definition des Verhältnisses zum Objekt“ und in den Zeilen 8 und 9 der „fiktiv jede Distanz zwischen Beobachter und Beobachtetem“ leugnende „Intuitionismus“ angeführt und ausgeschaltet zugunsten des von Bourdieu in dieser Sequenz in den Zeilen 18 bis 21 formulierten Programm „diese objektivierende Distanz (...) zu objektivieren“ und in den Zeilen 6 bis 8 in Beispiel (3) „das subjektive und objektive Verhältnis zum Objekt weiter (...) objektivieren“. Interessant an Bourdieus Vorwort-Sequenz ist das Auftauchen eines „Ich“. Ich, also Björn Krey, werde an verschiedenen Stellen im Text, u.a. in dieser Vorwortmodulation-als-Analyse, auf mögliche Funktionen dieser Praxis zurückkommen. Für den Augenblick ist zentral, dass das „Ich“ in Textbeispiel (9), eine Art historischer Bourdieu, im Moment des Setzens eines Claims in den Zeilen 12 bis 14 in und mit der Äußerung „doch ließ mich der Gedanke nicht los, daß man auch die spezifische Logik dieses erfahrungslosen ‚Verstehens“ verstehen können müsse“ durch ein eher unbestimmtes „man“ ersetzt wird. Dieses Verschieben vom „Ich“ zum „man“ tritt deutlicher zutage, wenn wir verfolgen, was auf das Textstück (9) in Bourdieus Vorwort folgt. (10) Bourdieu 1987: 32 f. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19
(...) Weil ich vielleicht eine weniger abstrakte Vorstellung als andere vom Leben eines Bergbauern hatte, war mir entsprechend stärker bewußt, wie unüberwindlich, unaufhebbar die Distanz bei Strafe des Doppelspiels oder, wenn das Wortspiel erlaubt ist, des Doppel-Ichs ist. Da die Theorie, wie schon ihr Name sagt, ein Schauspiel ist, das nur von einem Standpunkt außerhalb der Handlungsbühne betrachtet werden kann, liegt die Distanz sicher nicht dort, wo sie gewöhnlich vermutet wird, d.h. in der Kluft zwischen kulturellen Überlieferungen, sondern eher in der Kluft zwischen beiden Verhältnissen zur Welt, dem theoretischen und dem praktischen. Sie hängt deswegen faktisch mit einer sozialen Distanz zusammen, die man als solche anerkennen und deren wahre Grundlage, d.h. die unterschiedliche Distanz zur Notwendigkeit, man erkennen muß, wenn man nicht Gefahr laufen will, einer Kluft zwischen „Kulturen“ oder „Mentalitäten“ zuzuschreiben, was in Wirklichkeit die Auswirkung der Kluft zwischen sozialen Lagen ist (und dem Ethnologen im eigenen Land in Form von Klassenunterschieden entgegentritt).
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Während der Verwendung des Wortes „Ich“ mit Blick auf verschiedene Aspekte eine zentrale Funktion zukommt – das Wort „Ich“ macht den Text zum Text eines „Autors“, der das Gesagte durch sein Dort-gewesen-Sein, durch seine Empfindungen, Erfahrungen und durch seine eigene Biografie bezeugt, und versorgt das Gesagte mit Authentizität und Autorität12 –, wird das Formulieren von Aussagen über Sosein oder von Kriterien jedoch nicht mit dem Nennen eines „Ich“ verknüpft. Dies zeigt sich, wenn man den ersten Satz dieses Textstückes vergleicht mit den folgenden. In Satz 1 wird der Text in den Zeilen 1 und 2 mit Bourdieus „Ich“ verknüpft. Im zweiten Satz wird in den Zeilen 5 bis 11 dann Sosein hervorgebracht und werden daran anschließend in und mit Satz 3 in den Zeilen 11 bis 19 Kriterien formuliert. In den Sätzen 2 und 3 kommt das „Ich“ des Autors nicht vor. Die Rhetorik des textualen Berichts hat sich von einer IchErzählung hin zu einer Tatsachenbeschreibung verschoben. 1.6 Textuale Praktiken und Artefakte Ich hatte geschrieben, Textstück (9) sei vor allem als Referenz für die Behauptung angeführt worden, zur Praxis des Formulierens eines Vorwortes gehöre es, Kriterien adäquaten soziologischen Tuns festzuschreiben und mit anderen, konkurrierenden Programmen zu kontrastieren. Es scheint nun also an der Zeit, das Vorhaben „dieses Textes“ in meinem Vorwort-als-Analyse-Abschnitt als ImGegensatz-Zu alternativen Versionen zu formulieren: Der Titel dieses textualen Artefaktes lautet „Textuale Praktiken und Artefakte. Soziologie schreiben bei Garfinkel, Bourdieu und Luhmann“. Es geht hierbei um eine Analyse textualer Praktiken, d.h. um eine Analyse, die Texte und auf Texte bezogene Praktiken zu Objekten soziologischer Forschung macht. Die Annahme, die dieser Analyse zugrunde liegt, wurde zu Beginn dieser VorwortSequenz formuliert. (11) Krey 2011: 13 1 2 3 4
Wenn Soziologen über das Soziale Schreiben, dann wenden sie kompetent eine Vielzahl von Praktiken an, die ihre Texte zu Texten über das Soziale machen, die ihre Beschreibungen mit Tatsächlichkeit ausstatten und die sie selbst als berechtigte Sprecher markieren.
Dass es sich bei diesen Texten um wissenschaftliche, genauer: um soziologische Texte handelt, heißt nicht, diesen Texten einen Vorrang gegenüber anderen Tex12
Vgl. S. 58-64.
Textuale Praktiken und Artefakte
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ten und Textformen einzuräumen. Es heißt zunächst, dass soziologische Texte adäquate Objekte-soziologischer-Forschung unter anderen sein können und sind. Eine Analyse textualer Praktiken und Artefakten soziologischen Schreibens ist eine Empirie soziologischer Texte, die diese Texte als Phänomene eigener Qualität analysiert (vgl. Zimmerman u. Pollner 1970; Pollner 1987). Im-Gegensatz-Zu anderen denkbaren Versionen des Erforschens wissenschaftlicher Texte setzt dieser Ansatz nicht Begriffe wie „Diskurs“, „Ideologie“ oder „Ideenevolution“ an den Beginn der Arbeit, um so, wie etwa die Foucaultsche Diskursanalyse bzw. -theorie, Datenmaterial zu generieren, das als in-und-mit-diesem-Diskurshervorgebracht gedacht und auf „diskursive Formationen“, „Aussagen“ und „Aussagefunktionen“ hin untersucht werden kann (vg. Foucault 1973, Keller 2007, Mills 2007). Vielmehr werden Texte und ihre „Aussagen“ verstanden als mithilfe spezifischer Praktiken hervorgebracht, die diese Texte und Aussagen zu genau diesen Texten, zu genau diesen Aussagen machen. D.h. es geht um eine praxeologische Analyse soziologischen Schreibens, darum, zu untersuchen, wie Texte zu Texten, hier: zu soziologischen Texten gemacht werden. Ich möchte daher ein zweites Im-Gegensatz-Zu formulieren. Die Praktiken, die diese Analyse in den Blick nimmt, sind nicht solche des Hervorbringens wissenschaftlicher Fakten im Sinne der „work place studies“ oder der Laborstudien u.a. bei Karin Knorr Cetina oder Bruno Latour (vgl. u.a. Knorr Cetina 2002; Latour 1987, 2000). Wenngleich ich immer wieder insbesondere auf die Arbeiten von Latour referieren werde, sind die Objekte-meiner-Analyse nicht jene des Hervorbringens von Fakten in und mit materiellen Settings oder des Schreibens als körperliche Aktivität. Die Objekte-meiner-Analyse sind die in und mit materiellen Settings und körperlichen Praktiken hervorgebrachten Texte, d.h. es geht um eine Analyse der Praktiken des Formulierens und Hervorbringens soziologischer Texte in und mit eben solchen Texten. Diese Arbeit reiht sich ein in den Korpus ethnomethodologischer „science studies“ und insbesondere von Analysen der „practical operations and textual devices through which theorists represent ‘the larger order’“ (Lynch 1991: 4), wie sie u.a. bei Michael Lynch (1991, 1993, 1997, 1998, 2000) und auch bei Harold Garfinkel (1967, 1981) zu finden sind. „In their own small way“, so Lynch, „ethnomethodologists are able to critically examine the grand gestures and bibliographic strategies through which particular theorists authorize their privileged and panoramic visions of the larger territory.“ (Lynch 1991: 4) Diese Arbeit orientiert sich darüber hinaus an Ansätzen und Analysen der „social studies of science“, der „sociology of scientific knowledge“ oder der„science and technology studies“ u.a. bei Malcolm Ashmore (1989), Nigel Gilbert und Michael Mulkay (1984) oder Bruno Latour (1987, 2000). Insbesondere Gilbert und Mulkay und auch Ashmore orientieren sich an der linguistisch und sozialpsycho-
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logisch orientierten „discourse analysis“, die, so Jonathan Potter, ihrerseits „Diskurse“ als „talk and texts as parts of social practices“ fokussiert (Potter 1996: 105; vgl. Potter 2003).13 Bei den Objekten-meiner-Analyse handelt es sich um Texte der in der und für die Soziologie prominent stehenden Autoren Harold Garfinkel, Pierre Bourdieu und Niklas Luhmann.14 In und mit der Behauptung des In-und-für-dieSoziologie-prominent-Stehens dieser drei Autoren ist jedoch nicht „gemeint“, Garfinkel, Bourdieu und Luhmann stünden exemplarisch für das soziologische Schreiben. Bei den Objekten-meiner-Analyse handelt es sich vielmehr um je einzigartige empirische Fälle, die als Objekte-der-Analyse (zugeschriebenes) Sosein zu eben jener Analyse beitragen und die mitentscheiden, wie weit diese Analyse trägt. Die Praxis des Auflistens mehrerer, z.B. drei, empirischer Fälle stärkt jedoch die Claims meines Vorhabens und legt Geltung über einzelne Fälle hinweg nahe.15 Es soll gerade über das Kontrastieren der einzelnen Fälle versucht werden, die Objekte-der-Analyse als Produkte textualer Praktiken zu verstehen und zu analysieren. Näheres zum Datenmaterial erfahren Sie, liebe/r Leser/in, wenn Sie Fußnote 16 lesen.16 Hatten Sie die Gelegenheit, Fußnote 16 zu lesen? Dann: Willkommen zurück „im Text“. In eben jener Fußnote 16 war lesbar, dass einzelne Kapitel aus 13
14
15 16
Potters Anliegen ist es, „to give an account of some of the basic procedures through which the factuality of descriptions is built up, and how those descriptions are involved in actions.“ (Potter 1996: 1) Dieses Anliegen qualifiziert Potters Arbeiten dazu, meine eigene Arbeit als Referenz zu qualifizieren. Die Prominenz dieser Autoren zeigt ein Blick in verschiedene Einführungsbücher oder Überblickswerke zur Soziologie und zu einzelnen Ansätzen in der Sozialtheorie, z.B. Abels 2001a, 2001b; Joas und Knöbl 2004; Kaesler 1999; Nassehi 2006; Schneider 2002. Vgl. weiter unten S. 105 f. und u.a. Fußnote 82 auf Seite 106. Dass auch Einzelfallanalysen ihre eigene Qualität und Relevanz haben, sei hiermit nicht bestritten. Zur praktischen Funktionen von „three-part lists“ vgl. Potter 1996: 195-197. Hallo. Für die Analyse als Datenmaterial herangezogen wurden zunächst Bücher der drei Autoren, wie Sie sie im Literaturverzeichnis unter den Namen „Bourdieu“, „Garfinkel“ und „Luhmann“ aufgelistet finden. Aus diesen Büchern wurden einzelne Kapitel zur genaueren Analyse ausgewählt. Es handelt sich hierbei im Falle von „Garfinkel“ um die Kapitel „Preface“ und „What is Ethnomethodology“ aus „Studies in Ethnomethodology“ (1967: vii-xi, S. 1-34); für den Fall „Bourdieu“ um „Struktur, Praxis, Habitus“ aus „Entwurf einer Theorie der Praxis“ (1976: 139-202) und „Vorwort“ aus „Sozialer Sinn“ (1987: 7-45) und für den Fall „Luhmann“ um „Vorwort“ und „System und Funktion“ aus „Soziale Systeme“ (1984: 7-14, S. 30-91). Die analysierten Textstücke wurden in der hier modulierten Form in ihrer Spaltenbreite in etwas verkleinertem Maßstab weitgehend an das jeweilige „Original“ angepasst. Beginnt eine analysierte Sequenz „im Original“ nicht zu Anfang einer Textzeile, so habe ich dies durch Auslassungszeichen sichtbar gemacht. Gleiches gilt, wenn ich Passagen innerhalb einer Textsequenz von der Analyse ausgenommen habe. Wurden ganze Absätze einer Textsequenz aus der Analyse ausgenommen, so habe ich dies, vgl. Textstück (16) auf Seite 31 f., durch Auslassungszeichen in einer ansonsten leeren Textzeile kenntlich zu machen versucht.
Sich-Einreihen
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den Büchern der genannten Autoren zur genaueren Analyse herangezogen wurden. Auch hier gilt, dass diese Auswahl nicht als repräsentativ für die „Werke“ der „Autoren“ gelesen und analysiert wird. Das Vorhaben dieser Analyse richtet sich auf textuale Praktiken, nicht auf Exegese oder Werkschau. Wie bereits erwähnt, und aktual verwirklicht, gehört zu diesen Praktiken das Formulieren von Textabschnitten, die sich von anderen Textabschnitten dadurch unterscheiden, dass sie den Text als Text zum Objekt machen. Es ist mein Anliegen, solche Textstücke in die Datenauswahl hineinzunehmen und mit anderen Textabschnitten zu kontrastieren, deren Objekte „außerhalb“ des Textes verortet sind und werden und die etwas zum „Gegenstandsreich“ (Textstück 8, Zeile 7) „aussagen“. Auch hier orientiert sich die Analyse an der Phänomenstruktur des Datenmaterials, d.h. es werden sich immer Texte und Textabschnitte und darin und damit textuale Praktiken und Artefakte finden lassen, die in den vorliegenden Studien unthematisiert bleiben. Ich möchte vereinzelt über das engere Datenmaterial hinaus auch andere Textstücke sichtbar und berichtbar machen, soweit es der Rahmen dieses Vorhabens zulässt. Alles weitere bleibt folgenden (oder bereits verwirklichten, aber von mir entweder unterschlagenen, ignorierten oder aber mir unbekannten) Analysen überlassen. 1.7 Sich-Einreihen Auf den Seiten 25 f. dieses Textes lässt sich ein interessanter Aspekt der Praxis des Formulierens von Vorworten beobachten: das Einreihen eines aktualen Textes in einen Korpus anderer Texte. Es empfiehlt sich, nun die starke „Rückbezüglichkeit“ (vgl. S. 13) der letzten Absätze zurückzunehmen und externe Referenzen zur Markierung dieser Praktiken anzuführen. (12) Luhmann 1984: 11 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Diese Differenzen zum Fachüblichen machen vollauf verständlich, weshalb die Soziologie vor einer solchen Schwelle zurückstaut, schäumt und ohne klaren Duktus Komplexität ansammelt. Ein Weiterkommen ist jedoch nur möglich, wenn man in diesen Hinsichten – und zwar in allen, denn sie hängen zusammen – ein andersartiges Theoriedesign anstrebt. Dafür gibt es in der Soziologie selbst kaum Vorbilder. Wir werden daher an fachfremde, interdisziplinär erfolgreiche Theorieentwicklungen anknüpfen müssen und wählen hierfür Ansätze zu einer Theorie selbstreferentieller, „autopoietischer“ Systeme.
Weiter oben wurde der aus Luhmanns Vorwort zu „Soziale Systeme“ entnommene Textausschnitt (8) als Beispiel für eine Rhetorik des Im-Gegensatz-Zu
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angeführt, die das eigene Programm mit anderen, letztlich defizitären und/oder falschen Versionen kontrastiert und es so von diesen unterscheidet und trennt. In Textbeispiel (12), das in Luhmanns Vorwort auf Ausschnitt (8) folgt, wird das eigene Vorhaben nun in einen Korpus wissenschaftlicher Texte und Ansätze eingereiht und mit diesem verknüpft. Es wird in den Zeilen 1 bis 3 „eine Differenz zum Fachüblichen“ aufgebaut, zu einer Soziologie, die „vor einer solchen Schwelle zurückstaut, schäumt und ohne klaren Duktus Komplexität ansammelt“, bevor dann in den Zeilen 7 bis 10 eine Verbindung zu „fachfremden, interdisziplinär erfolgreichen Theorieentwicklungen“, zu „Ansätzen zu einer Theorie selbstreferentieller, ‚autopoietischer’ Systeme“ hergestellt wird. Diese textuale Methode und das entsprechende beschreibende Repertoire („interdisziplinär erfolgreiche Theorieentwicklungen“) versorgen den Bericht mit einer Art institutionalen Stimme, die das eigene Vorhaben „autorisiert“ (vgl. Lynch 1999: 212; Van Maanen 1988: 46). Während das Sich-Einreihen in Luhmanns Vorwort (auf) einen Korpus referiert, der als „fachfremd“ markiert wird und an den angeknüpft werden muss, stellt das folgende Textbeispiel die Verbindung des Textes zum Kontext als eine Differenz von Teil/Ganzes her und reiht das eigene Vorhaben in einen „early corpus“ (Zeile 12) ethnomethodologischer Studien ein. (13) Garfinkel 1967: viii f. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17
Over the past ten years a group of increasing size has been doing ethnomethodological studies as day to day concerns: Egon Bittner, Aaron V. Cicourel, Lindsey Churchill, Craig MacAndrew, Michael Moerman, Edward Rose, Harvey Sacks, Emmanuel Schegloff, David Sudnow, D. Lawrence Wieder, and Don Zimmerman. Harvey Sacks must be mentioned particularly because his extraordinary writings and lectures have served as critical resources. Through their studies methods have been made available whose use has established a domain of sociological phenomena: the formal properties of common sense activities as a practical organizational accomplishment. An early body of work of considerable size is now either in print or in press. This volume is a part of that early corpus. A later, very large set of materials is currently circulating prior to publication. Findings and methods are becoming available at an increasing rate, and it is pointless any longer to doubt that an immense, hitherto unknown domain of social phenomena has been uncovered.
In den Zeilen 1 und 2 findet sich zunächst eine Art Institutionalisierung des eigenen Vorhabens in und mit der Äußerung „Over the past ten years a group of increasing size has been doing ethnomethodological studies as day to day concerns“. Das Vorhaben wird in ein Kollektiv bzw. ein Kollegium von Forschern und Autoren eingereiht, das ein gemeinsames Forschungsinteresse eint (in den
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Zeilen 9 bis 11 „the formal properties of common sense activities as practical organizational accomplishment“) und das ein gemeinsames Set an Methoden und Ansätzen formuliert und etabliert. Auch hier zertifiziert das Sich-Einreihen das eigene Vorhaben, indem es Konsens und Übereinstimmung mit einem umfassenderen Korpus wissenschaftlicher Texte und wissenschaftlichen Wissens fabriziert. Weiter oben wurde Textstück (5) als Referenz dafür angeführt, wie in und mit Garfinkels Vorwort Kriterien für ein adäquates Forschungsprogramm formuliert werden: „analyze everyday activities as members’ methods for making those same activities visibly-rational-and-reportable-for-all-practicalpurposes, i.e. ‘accountable’, as organizations of commonplace activities“ (Textstück 5, Zeilen 10 bis 13). In Textbeispiel (13) werden diese „study policies“ (Textstück 5, Zeile 3) der individuellen und idiosynkratischen Entscheidung des „Autors“ entzogen und sozusagen externalisiert. Rezipienten und Konkurrenten Garfinkels, die seine Version als defizitär oder falsch kritisieren möchen, sehen sich nun nicht mehr nur einem einzelnen, sondern einem ganzen Kollektiv an Forschern und Autoren, einem ganzen Korpus wissenschaftlichen Wissens gegenüber, d.h. der Autor spricht mit einer vervielfältigten Stimme (vgl. Latour 1987: 31, 44). Interessant ist, dass dieser Korpus wissenschaftlichen Wissens teils als „prior to publication“ (in den Zeilen 13 und 14) und somit als außerhalb der Reichweite potentieller, „lediglich“ am öffentlichen wissenschaftlichen Austausch partizipierender Kritiker verfertigt und stabilisiert wird. Diese Rhetorik stellt eine Nähe zwischen den Mitgliedern des Kollektivs her, die sich in Textbeispiel (12) nicht finden lässt, in und mit dem Luhmann in den Zeilen 7 und 8 sein Vorhaben an „fachfremde, interdisziplinär erfolgreiche Theorieentwicklungen“ und in Zeile 9 und 10 an die „Theorie selbstreferentieller, ‚autopoietischer‘ Systeme“ knüpft. Ein ähnliches Herstellen von Nähe lässt sich in Textstück (14) beobachten. (14) Bourdieu 1987: 9 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
(...) Die ehrfurchtsvolle Akribie und Geduld, mit der Claude Lévi-Strauss in seinem Seminar am Collège de France diese auf den ersten Blick sinnleeren Sequenzen solcher Erzählungen zerlegte und wieder zusammenfügte, mußte letztendlich als exemplarische Einlösung einer Art wissenschaftlichen Humanismus erscheinen. Ich riskiere diese Formulierungen trotz der darin vielleicht enthaltenen Abschätzigkeit, weil sie mir ziemlich genau die metawissenschaftliche Begeisterung für die Wissenschaft zu umschreiben scheint, mit der ich mich auf die Untersuchung des kabylischen Rituals stürzte.
Hier wird das Sich-Einreihen zunächst verfertigt in und mit dem Nennen der Namen „Claude Lévi-Strauss“ und „Collège de France“. Der Autor reiht das
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maßgebende Subjekt Bourdieu und dessen Text in ein intellektuelles Feld und in die Genealogie und Tradition eben dieses Feldes ein.17 Es zeigt sich, dass hier, wie auch in Textbeispiel (13), das Sich-Einreihen anders moduliert ist, als dies in Luhmanns Vorwort der Fall ist. In und mit dem Bericht in den Zeilen 1 bis 4 über die „ehrfurchtsvolle Akribie und Geduld, mit der Claude Lévi-Strauss in seinem Seminar am Collège de France diese auf den ersten Blick sinnleeren Sequenzen solcher Erzählungen zerlegte und wieder zusammenfügte“, wird Nähe hergestellt und wird die Person des „Autors“ in einer Art biografischen Erzählung eng mit einer historischen Situation der Genealogie eines intellektuellen Feldes verknüpft. Bourdieu kennt Lévi-Strauss! Bourdieu war dabei! In Textstück (9) hatte Bourdieu sein eigenes Tun einerseits in den Zeilen 2 bis 7 und 7 bis 12 mit dem „Strukturalismus“ verbunden, jedoch sein Vorhaben ImGegensatz-Zu basalen epistemologischen Prämissen dieses Ansatzes positioniert, indem er in den Zeilen 4 bis 7 äußert, dass er „Unbehagen“ verspürt hatte über die „vom Strukturalismus unter Berufung auf ein für mich unverständlich kühn behauptetes epistemologisches Privileg des Beobachters vertretene[.] Definition des Verhältnisses zum Objekt“ und in den Zeilen 12 bis 14 und 18 bis 21, dass „man auch die spezifische Logik dieses erfahrungslosen ‚Verstehens‘ verstehen können müsse“ und dass es darum gehe „diese objektivierende Distanz und ihre sozialen Voraussetzungen (…) zu objektivieren.“ Es zeigt sich, dass das SichEinreihen in einen Korpus wissenschaftlichen Wissens ein Reformulieren und Fortentwickeln dieses Wissens beinhaltet. Ich möchte weiter unten auf diesen Aspekt zurückkommen. Für den Moment ist zentral, dass das Nennen des Wortes „Strukturalismus“ den Text erkennbar als Text-in-diesem-spezifischem-Kontext markiert (vgl. Lynch 1998: 23 f.). Dies geschieht auch in folgendem Textstück, in und mit dem Bourdieu für eine Lesart der „entscheidenden Neuheit“ des „Strukturalismus“ sorgt. (15) Bourdieu 1987: 11 f. 1 2 3 4 5 6 7 8 9
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Die philosophischen Auslegungen, die sich eine Zeitlang um den Strukturalismus rankten, vergaßen und machten vergessen, was gewiß die entscheidende Neuheit war: daß mit ihm die strukturelle Methode oder einfacher das relationale Denken in die Sozialwissenschaften eingeführt wurde, das mit dem substantialistischen Denken bricht und dazu führt, jedes Element durch die Beziehungen zu charakterisieren, die es zu anderen Elementen innerhalb eines Systems unterhält und aus denen sich sein Sinn und seine Funktionen ergeben.
Vgl. Kapitel 2.4b), 3.1a).
Ich
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1.8 Ich In den Zeilen 6 bis 10 des Textstückes (14) tritt, wie schon in (3), (9) und (10), ein zentraler Aspekt des Formulierens von Vorworten hervor, der unerlässlich erscheint, soll mein Versuch einer Vorwortmodulation als Vorwortanalyse gelingen, und auf den ich daher nun zu „sprechen“ kommen möchte. In all diesen Textstücken wird das Vorhaben, wird das jeweilige Programm und werden die jeweiligen Texte als Artefakte soziologischen Schreibens eng mit einem Bericht über das (historische) Ich des „Autors“ verknüpft. In Beispiel (9) verortet Bourdieu die Genealogie des eigenen Vorhabens in den Empfindungen, Erfahrungen und Erlebnissen seines historischen Ich. In Beispiel (10) wird seine (bäuerliche?) Herkunft in den Zeilen 1 und 2 in und mit der Äußerung „Weil ich vielleicht eine weniger abstrakte Vorstellung als andere vom Leben eines Bergbauern hatte“ in den Text hineingeholt. Wie ich „später“ noch anhand anderer Textbeispiele zeigen möchte, fungiert das Ich des „Autors“ hier als eine Instanz, die das Gesagte bezeugt, beglaubigt und so mit Authentizität und Autorität ausstattet. Eine ähnliche textuale Methode lässt sich anhand der VorwortSequenz zu Luhmanns Buch „Die Gesellschaft der Gesellschaft“ beobachten. (16) Luhmann 1997: 11-13 1 2 3 4 5 (…) 21 22 (…) 27 28 29 30 (…) 40 41 42 (…) 67 68 69 (…)
Bei meiner Aufnahme in die 1969 gegründete Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld fand ich mich konfrontiert mit der Aufforderung, Forschungsprojekte zu benennen, an denen ich arbeite. Mein Projekt lautete damals und seitdem: Theorie der Gesellschaft; Laufzeit 30 Jahre, Kosten: keine. (...) (...) Für die Theorie der Gesellschaft war von Anfang an an eine Publikation gedacht gewesen, die aus drei Teilen bestehen sollte: (...) (…) Im Jahre 1984 konnte ich das „Einleitungskapitel“ in der Form eines Buches unter dem Titel „Soziale Systeme: Grundriß einer allgemeinen Theorie“ publizieren. (…) (…) Seit den frühen 80er Jahren wurde zunehmend klar, welche Bedeutung die Vergleichbarkeit der Funktionssysteme für die Gesellschaftstheorie hat. (…) (...) Diese Überlegung hat dazu geführt, daß die Ausarbeitung von Theorien für die einzelnen Funktionssysteme vorgezogen wurde (…) (…)
32 76 77 78 79 80 (…) 85 86 87 88 89
(Wie geht) Vorwort (?) (…) Dann wurde meine damalige Sekretärin pensioniert und die Wiederbesetzung ihrer Stelle für viele Monate gesperrt. In dieser Situation bot mir die Universität in Lecce eine Arbeitsmöglichkeit. Ich floh also mit dem Projekt und mit den Manuskripten nach Italien. (...) (...) (...) Das damals entstandene Manuskript hat dann die Grundlage gebildet für die Vorbereitung einer umfangreicheren deutschen Ausgabe, die ich, wiederum mit einem Sekretariat versorgt, in Bielefeld vorantreiben konnte. Der hier publizierte Text ist das Resultat dieser wechselvollen Geschichte.
Luhmanns Vorwort produziert Anekdoten darüber, wie der „hier publizierte Text“ als Resultat einer „wechselvollen Geschichte“ (Zeilen 88 und 89) entstanden ist: Luhmann fand sich bei seiner „Aufnahme in die 1969 gegründete Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld“ „konfrontiert mit der Aufforderung, Forschungsprojekte zu benennen, an denen ich arbeite“ (Zeile 1 bis 4), er formuliert und justiert sein „Projekt“ (Zeile 4 und 5, 27 bis 30, 40 bis 42, 67 bis 69), seine Sekretärin wird pensioniert (Zeile 76 und 77), er flieht „mit dem Projekt und mit den Manuskripten nach Italien“ (Zeile 79 und 80). Dieser Bericht öffnet den Text als „black box“ und stellt ihn als Produkt soziologischen Arbeitens (und als beeinflusst durch allerlei Alltagsprobleme) dar; er macht ihn als Produkt dieser Arbeit erkennbar und verstehbar. In Textbeispiel (17), das nun wieder dem „Vorwort“ zu „Soziale Systeme“ entnommen ist, zeigt sich diese textuale Methode ebenfalls. (17) Luhmann 1984: 14 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19
(...) Die für dieses Buch gewählte Kapitelfolge ist sicher nicht die einzig mögliche, und das gilt auch für die Auswahl der Begriffe, die als Themen für Kapitel hervorgehoben werden. Auch in den Fragen, welche Begriffe überdisziplinär und systemvergleichend eingeführt werden und welche nicht und in welchen Fällen Bezugnahmen auf theoriegeschichtliches Material wichtig sind und in welchen nicht, hätte ich andere Entscheidungen treffen können. Das gleiche gilt für das Ausmaß, in dem Vorgriffe und Querverweisungen den nichtlinearen Charakter der Theorie in Erinnerung halten, und für die Auswahl des notwendigen Minimum. Während die Theorie, was die Begriffsfassungen und die Aussagen inhaltlich angeht, sich wie von selbst geschrieben hat, haben Arrangierprobleme mich viel Zeit und Überlegung gekostet. Dank einer Unterstützung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft habe ich mich ein Jahr auf diese Aufgabe konzentrieren können. Ich hoffe, daß die Lösung befriedigt. Bielefeld, im Dezember 1983
Niklas Luhmann
Ich
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In und mit dem ersten Absatz dieses Textstückes geht Luhmann rhetorisch in die Defensive und artikuliert die Kontingenz der eigenen Hervorbringung. Dies ist insofern interessant, als die einführende Formulierung des Vorhabens mögliche Versuche, eben dieses Vorhaben als defizitär und falsch auszuschalten, antizipiert.18 Vor allem aber erscheint das Ich des Autors hier im Kontext einer Art „editorischen Notiz“. Einige Zeilen zuvor wird das eigene Vorhaben als „der im folgenden präsentierte Versuch“ dargestellt, d.h. wie schon in den Textstücken (5) und (8) wird hier „agency“, was die zentralen Claims betrifft, externalisiert. Das Verknüpfen des Vorhabens mit dem Ich des Autors betrifft hier nun eher Fragen, die den Text als Text, als Produkt oder Artefakt soziologischen Arbeitens angehen, und weniger den Text als bzw. in seiner Aussage. In den Zeilen 12 bis 14 äußert Luhmann, dass „Arrangierprobleme mich viel Zeit und Überlegungen gekostet“ haben, d.h. Schreibprobleme vor allem editorische Fragen betrafen. Der Soziologe Luhmann bleibt von diesem Eingeständnis unberührt, im Gegenteil hat „die Theorie, was Begriffsfassungen und die Aussagen inhaltlich angeht, sich wie von selbst geschrieben“, was den „Autor“ des Textes als Soziologen eher noch mit Autorität und Könnerschaft ausstattet.19 Eine weitere Autorisierung erfährt der Autor durch das Nennen der „Deutschen Forschungsgemeinschaft“ (Zeile 15), das den Text mit einem institutionellen Zertifikat versieht. Ich möchte abschließend zwei Ausschnitte aus Garfinkels „Preface“ zu „Studies in Ethnomethodology“ anführen, mit denen sich diese Praktiken des Öffnens einer textualen „back box“ und des Zertifizierens des Gesagten ebenfalls sichtbar und berichtbar machen. (18) Garfinkel 1967: ix 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
The studies in this volume were written over the last twelve years. I regret a certain unity in the collection that was obtained by pondering and rearranging texts. I am saddened by that practice for in the way it assures to the collected articles an overall “good sense” it will certainly have sacrificed news. The articles originated from my studies of the writings of Talcott Parsons, Alfred Schutz, Aron Gurwitsch, and Edmund Husserl. For twenty years their writings have provided me with inexhaustible directives into the world of everyday activities. Parsons’ work, particularly, remains awesome for the penetrating depth and unfailing precision of its practical
18 19
Vgl. zu dieser textualen Methode S. 80-82. Von einem Soziologen wird man sicher nicht erwarten, dass er sich mit Arrangierproblemen ebenso kunstfertig befasst, wie mit Fragen, die „Begriffsfassungen und die Aussagen inhaltlich“ angehen.
34 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22
(Wie geht) Vorwort (?) sociological reasoning on the constituent tasks of the problem of social order and its solutions. The completion of these studies was made materially possible by the following grants and fellowships. Studies reported in the papers on routine grounds, the documentary method, and passing were supported by a Senior Research Fellowship, SF-81, from the U.S. Public Health Service. Investigations of common understandings and coding practices were supported by Senior Research Fellowship SF-81 from the U.S. Public Health Service, Grant Q-2 from the Research Section of the California State Department of Mental Hygiene, and Project Af-AFOSR-757-65 of the Behavioral Sciences Division of the Air Force Office of Scientific Research.
Wie schon in Ausschnitt (13) beobachtet, so erhält auch hier die Stimme des Autors zusätzliches Gewicht durch eine ganze Reihe an Verknüpfungen. Das Vorhaben wird eingereiht in eine Liste honoriger Namen und in den Zeilen 13 und 14 institutionalisiert als „made materially possible by the following grants and fellowships“, die es zertifizieren und mit offizieller und öffentlicher Relevanz versehen. Was ich mit Textbeispiel (18) aber vor allem zeigen möchte, ist zunächst das Verfertigen einer Art „editorischer Notiz“, wie sie bereits in Ausschnitt (17) zu beobachten war. In den Zeilen 1 bis 5 und auch mit dem Nennen von „grants and fellowships“ in Zeile 14 wird die textuale „black box“ geöffnet, wird der Text-als-Produkt zur Sprache gebracht und mit dem Ich des Autors verbunden, der als Verfasser und Gestalter der „studies in this volume“ (Zeile 1) erscheint. In den Zeilen 2 bis 5 wird das „pondering and rearranging texts“, das mit der Arbeit am soziologischen Text verbunden ist, problematisiert. Dies erscheint hier jedoch anders als bei Luhmann in Textstück (17) nicht einfach als eine zusätzliche Bürde, die den Autor als Soziologen und den textualen Inhalt aber bis zu einem gewissen Punkt unberührt lassen; vielmehr stellt sich das „pondering and rearranging texts“ dem eigentlichen soziologischen Arbeiten entgegen: „I am saddened by that practice for in the way it assures to the collected articles an overall ‘good sense’ it will certainly have sacrificed news“ (Zeile 3 bis 5). In Textbeispiel (17) lässt sich eine weitere textuale Methode des Verknüpfens des Gesagten mit dem Ich des Autors beobachten: der Text wird mit einem Urheber verbunden bzw. als Produkt eines spezifischen Urhebers markiert. In Zeile 19 werden Ort, Datum und Name genannt, die den Ursprung des Textes situieren als geschrieben genau hier, genau jetzt und genau von der oder dem. Ähnlich wie in und mit anderen textualen Rahmen und Artefakten wie etwa Vertragsabschlüssen, Kunstwerken etc. steht hier eine maßgebende Instanz mit dem eigenen Namen für Richtigkeit, Echtheit oder Verantwortlichkeit ein. In Textbeispiel (19) wird diese textuale Praxis in und mit einer Methode des Dank-
Ich
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Sagens, wie sie sich schon u.a. in (18) in den Zeilen 9 bis 12 und auf Seite 5 „dieses Textes“ beobachten lässt, moduliert. (19) Garfinkel 1967: xi 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
I am grateful to my students Michael R. Mend and Patricia Allen for their assistance with the clinic and reliability studies. Peter McHugh, when he was a graduate student at U.C.L.A., assisted me with the “counseling” experiment. David Sudnow worked to the limits of his patience to improve the writing. Robert J. Stoller, Egon Bittner, and Saul Mendlovitz collaborated in the studies that cite them as co-authors. The study of jurors is based on interviews with jurors done by Mendlovitz and me when we were affiliated with the Jury Project of the Law School of the University of Chicago. Debts are owed to very particular persons: to James H. Clark, friend and editor; and to old friends: William C. Beckwith, Joseph Bensman, Heinz and Ruth Ellersieck, Erving Goffman, Evelyn Hooker, Duncan MacRae, Jr., Saul Mendlovitz, Elliot G. Mishler, Henry W. Riecken, Jr., William S. Robinson, Edward Rose, Edwin S. Shneidman, Melvin Seeman, and Eleanor B. Sheldon. My lovely wife knows this book with me. Harold Garfinkel
Ich möchte hier zunächst das Öffnen der „black box“ betonen, das die Arbeit und das Kollektiv zum Vorschein bringt, die/das „the studies in this volume“ (Textbeispiel 18, Zeile 1) verfertigt hat. D.h. auch wenn Garfinkel hier mit seinem Namen als Urheber für den Text steht und bürgt, so wird er doch als ein Sprecher hervorgebracht, dessen Arbeit durch das gemeinsame Wirken Vieler geschultert wurde und der diese Mithilfe nun „grateful“ (Zeile 1) durch das Nennen von Namen erwähnt: „debts are owed to very particular persons“ (Zeile 10). Interessant ist, dass hier einige Personen genannt werden, die nicht als Mitglieder akademischer Kontexte kategorisiert werden: „old friends“ (Zeile 11) und „my lovely wife“ (in Zeile 16).20 Der Sprecher selbst ist mit dem Nennen dieser Namen seinerseits als Element dieser kategorialen Paare nicht nur Soziologe, sondern auch „alter Freund“ und „Ehemann“. Bliebe also, meinen Text mit dem Ich des „Autors“ zu verknüpfen, indem ich z.B. eine Erzählung formuliere zu Ursprung und Entstehungsgeschichte dieses Vorhabens oder zur Arbeit, die notwendig war und ist, diesen Text als Text über soziologisches Schreiben zu verfertigen. Also: Alles begann damit, dass …
20
Dies ist, wie eine kleine unrepräsentative Stichprobe ergeben hat, eine durchaus gängige textuale Methode des Formulierens von „Vorworten“ und/oder „Vorbemerkungen“.
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(Wie geht) Vorwort (?)
„Liebe Leserin, lieber Leser: Wir blenden an dieser Stelle aus der aktualen Vorwort-Sequenz aus, da wir den Eindruck haben, dass der Bericht über das wissenschaftliche Werden und Arbeiten des Autors-dieses-Textes aufgrund einer mangelnden entsprechenden Vita nicht in der Lage gewesen wäre, das Gesagte zusätzlich und verkaufsfördernd mit Autorität und Authentizität auszustatten.21 Es sei eben diesem Autor jedoch eine letzte Bemerkung gestattet:“ Dankeschön. Der/die Leser/in sah sich auf den letzten 23 Seiten einer VorwortModulation ausgesetzt, die zunächst als Analyse „textualer Praktiken und Artefakte“ fungierte, deren Anliegen es jedoch zugleich war, die Reflexivität, die einem soziologischen Text über soziologische Texte unausweichlich beigegeben ist, methodisch und analytisch zu nutzen. Diese Reflexivität wird weniger als Problem und vielmehr als Ressource und adäquate Möglichkeit gesehen, einen textualen Bericht zu formulieren, der eine Analyse der Objekte-dieses-Textes ermöglicht und zugleich sein eigenes Sosein als Artefakt der untersuchten Praktiken soziologischen Schreibens beschreibbar und lesbar, d.h. kommunikativ zugänglich und thematisierbar macht (vgl. Ashmore 1989; Latour 2007: 150243).
21
Interessant ist, dass ausgerechnet an dieser Textstelle allem Anschein nach ein weiterer (oder mehrere weitere) Sprecher zu Wort kommen. Es handelt sich hierbei offensichtlich um eine Finte des Autors, mithilfe derer er versucht, seine Analyse über das textuale Herstellen von Autorschaft zu bestärken. Was aber, wenn ich nun einen „alten Freund“ oder einen Kollegen gebeten hätte, diese Zeilen aufzuschreiben? Oder nicht bloß aufzuschreiben, sondern auch eigenständig zu formulieren? Oder nicht bloß das: wenn ich ihm die Möglichkeit und den Platz an meinem Schreibtisch zur Verfügung gestellt hätte, einen eigenen kleinen Text im Text anzufertigen? Oder er mich von meinem Schreibtischplatz verdrängt hätte, um mein Schreiben zu unterbrechen? „Dieser Text“ wurde im Gegensatz zu seinem Original (siehe „Danksagungen“) um das Wort „verkaufsfördernd“ ergänzt. Denkbar also auch, dass hier nun ein „Verlag“ als institutioneller und editorischer Sprecher spricht und als Mitglied des Produktionskollegiums der kollaborativen Hervorbringung dieses Artefakts dazu beizutragen sucht, die diskursive Resonanz eben dieses Artefakts zu garantieren.
2 Texte machen
In Kapitel 1 wurden Praktiken des Soziologie-Schreibens bei Garfinkel, Bourdieu und Luhmann als Objekte-der-Analyse in Existenz gebracht und für das Vorhaben eben dieser Arbeit relevant gemacht. Es hatte sich gezeigt, dass das erste Kapitel für die praktischen Zwecke verfertigt wurde, eine Vorwortmodulation zu fabrizieren, die das Formulieren von Vorworten als „eine solche textuale Praxis“ (Krey 2011: 13) zugleich zu erforschen und zu performieren sucht. Ich möchte in den folgenden zwei Kapiteln meines Berichtes den Fokus etwas verschieben und weniger einzelne Textabschnitte, die als genau-dieser-Abschnittgenau-dieses-Textes, z.B. als „Vorworte“, lesbar gemacht sind, in ihrem spezifischen Sosein, wie es in und mit der Analyse erscheint, in den Blick zu nehmen; vielmehr soll es darum gehen, einzelne Praktiken des Verfertigens soziologischer Texte vertieft zu untersuchen, die einen Text zu einem Text-über-das-Soziale machen, ihn als einen Bericht über Faktisches darstellen und seinen Autor als berechtigten Sprecher markieren. In und mit Textstück (20) wird eine „study policy“ formuliert, an der ich die Analysen der folgenden zwei Kapitel orientieren möchte. (20) Potter 1996: 108 1 2 3 4 5 6 7 8
(…)The basic argument will be that factual accounts have a double orientation. They have an action orientation and an epistemological orientation. On the one hand, a description will be oriented to action. That is, it will be used to accomplish an action, and it can be analysed to see how it is constructed so as to accomplish that action. On the other, a description will build its own status as factual version. For the most part, the concern is to produce descriptions which will be treated as mere descriptions, reports which tell it how it is.
In Kapitel 2 wird es zunächst um die „epistemological orientation“ gehen, d.h. um die Frage, wie Texte als „factual accounts“ her- bzw. dargestellt werden; in Kapitel 3 möchte ich die „action orientation“ thematisieren, den Punkt also, dass Texte als „aktive Texte“ ihrerseits ein argumentatives Terrain epistemologisch und ontologisch zuschneiden, d.h. etwas mit ihnen gemacht wird. Dies ist eine „policy for all practical and analytical purposes“, d.h. die beiden Seiten der „action orientation“ und der „epistemological orientation“ sind eng miteinander verknüpft – ihre Unterscheidung hat zunächst „lediglich analytische Relevanz“ (vgl. Textstück 33, Zeile 3 und 4). B. Krey, Textuale Praktiken und Artefakte, DOI 10.1007/978-3-531-92849-4_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Texte machen
(21) Potter 1996: 108 1 2 3 4 5 6 7
It is important to emphasize that the perspective developed here treats the epistemological orientation of accounts as itself a form of action; it is something built by speakers or writers – although it does not assume that this building is necessarily, even often, conscious or strategic. This quality is a constructed element to descriptions rather than something they either possess or not. The study of the epistemological orientation of accounts is the study of this building process.
Nicht nur der Text als Artefakt, sondern auch „aktive Texte“ sind praktische Leistungen des Formulierens eben jener Texte – sowohl der Text als Text als auch die in und mit diesem verwirklichten und vollzogenen Akte werden in ihrem spezifischen Sosein in und mit eben jenem Text verfertigt (vgl. Potter 1996: 121). 2.1 Claim-making: Existenz in Arbeit Ich hatte in meiner Vorwort-Modulation die Textstücke (1), (2) und (3) als Referenzen angeführt, um daran die textuale Praxis des In-Existenz-Bringens als ein Element des Formulierens von Vorworten zu analysieren.22 In all diesen Ausschnitten, so der Claim auf Seite 14, „haben wir es zu tun mit Sätzen, die Setzen, d.h. die Existenz hervorbringen und als genau-so, genau-dies formulieren“ (Krey 2011: 14). Für praktische analytische Zwecke möchte ich dieses Setzen-in-undmit-Sätzen als „Sätzen“ (als Praxis) bzw. „Sätzung“ (als Resultat dieser Praxis bezeichnen.23 Das Sätzen von Sosein wird in Textbeispiel (1) mit dem Wort „is“ verfertigt: „In doing sociology, lay and professional, every reference to the ‘real word’ (…) is a reference to the organized activities of everyday life.“ (Zeilen 1 bis 3) Textuale Objekte werden markiert und reifiziert als genau-dies, als genauso. In den folgenden beiden Textbeispielen lässt sich diese Praxis ebenfalls beobachten. (22) Bourdieu 1976: 171 1 2 3 4 22 23
(…) Vermag der Habitus als Operator zu funktionieren, der den Bezug der beiden Relationssysteme in der und durch die Hervorbringung der Praxis praktisch herstellt, so weil er zu Natur gewordene Geschichte ist (...) Sie, liebe/r Leser/in, können hierzu „zurück“ auf die Seiten 13-17 dieses textualen Artefaktes „blättern“. Ein Begriffsvorschlag, den Stefan Hirschauer geprägt hat (mündl. Gespräch).
Claim-making: Existenz in Arbeit
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(23) Luhmann 1984: 64 1 2 3
(…) Auch Sinnsysteme sind vollständig geschlossen insofern, als nur Sinn auf Sinn bezogen werden und nur Sinn Sinn verändern kann.
Ich hatte auf Seite 14 f. meiner Vorwort-Modulation darauf hingewiesen, dass dieses Sätzen von Sosein Sätze mehr und weniger stark zu faktischen Sätzen macht. Sätze können verschieden stark formuliert, d.h. unterschiedlich stark bzw. hoch modalisiert sein. Potter spricht hier in Referenz auf Bruno Latour von einer „hierarchy of modalization“ (Potter 1996: 112 f.; vgl. Latour 1987: 22-29).24 Eine textuale Äußerung ist unterschiedlich stark bzw. solide formuliert, je nachdem ob sie, um in dieser Metapher zu bleiben, eher oben oder eher unten in dieser Hierarchie eingereiht wird.25 Lesen Sie hierzu folgendes Textstück, das in diesem Sinne als eine solide und unproblematisch formulierte textuale Äußerung erscheint. (24) Potter 1996: 112 1 2 3 4 5 6 7
(…) At one end of the hierarchy there are descriptions whose status is considered highly suspect or provisional and may be treated as the lies or confusions of the speaker; at the other end, there are descriptions which are treated as solid and unproblematic, and quite separate from the speaker. At this end, some statements may be treated as so unproblematic that they do not even need to be explicitly formulated; they can be presupposed.
Nimmt man dies als Anhaltspunkt der Analyse, so erscheinen die Textstücke (22) und (23) in einer Rhetorik formuliert, die das Gesagte oben in der Hierarchie anordnet. Ebenso wie (22) ist auch (23) „devoid of any trace of ownership, construction, time and place. It could have been known for centuries or handed down by God Himself together with the Ten Commandments. It is, as we say, a 24
25
Vgl. zur semiotischen „theory of modalization“ Robert Hodge und Gunther Kress 1988. Ich werde im folgenden, wenn ich Aspekte des claim-making thematisiere, „modalisieren“ schreiben; wenn die Analysen rahmenanalytische Fragen betreffen, werde ich das Wort „modulieren“ gebrauchen. Vgl. Fußnote 2 auf S. 10. Latour wählt in „Science in Action“ eine etwas andere Metapher, wenn er von „positive modalities“ und „negative modalities“ spricht: „We will call positive modalities those sentences that lead a statement away from its conditions of production, making it solid enough to render some other consequences necessary. We will call negative modalities those sentences that lead a statement in the other direction towards its conditions of production and that explain in detail why it is solid or weak instead of using it to render some other consequences more necessary.“ (Latour 1987: 23)
40
Texte machen
fact. Full stop.“ (Latour 1987: 23) Ähnliches lässt sich für die Textbeispiele beobachten, die ich nun anführen möchte. Es findet sich zwischen beiden Ausschnitten jedoch eine feine Abstufung, die das jeweils formulierte Sosein betrifft, das in (26) eher als eine Art Sosein-Können verfertigt zu sein scheint. (25) Garfinkel 1967: 34 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
In exactly the ways that a setting is organized, it consists of members’ methods for making evident that settings’ ways as clear, coherent, planful, consistent, chosen, knowable, uniform, reproducible connections,–i.e., rational connections. In exactly the way that persons are members to organized affairs, they are engaged in serious and practical work of detecting, demonstrating, persuading through displays in the ordinary occasions of their interactions the appearances of consistent, coherent, clear, chosen, planful arrangements. In exactly the ways in which a setting is organized, it consists of methods whereby its members are provided with accounts of the settings as countable, storyable, proverbial, comparable, picturable, representable–i.e., accountable events. (26) Bourdieu 1976: 164 f.
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16
(…) Die für einen spezifischen Typus von Umgebung konstitutiven Strukturen (etwa die eine Klasse charakterisierenden materiellen Existenzbedingungen), die empirisch unter der Form von mit einer sozial strukturierten Umgebung verbundenen Regelmäßigkeiten gefaßt werden können, erzeugen Habitusformen, d.h. Systeme dauerhafter Dispositionen, strukturierte Strukturen, die geeignet sind, als strukturierende Strukturen zu wirken, mit anderen Worten: als Erzeugungs- und Strukturierungsprinzip von Praxisformen und Repräsentationen, die objektiv „geregelt“ und „regelmäßig“ sein können, ohne im geringsten das Resultat einer gehorsamen Erfüllung von Regeln zu sein; die objektiv ihrem Zweck angepaßt sein können, ohne das bewußte Anvisieren der Ziele und Zwecke und die explizite Beherrschung der zu ihrem Erreichen notwendigen Operationen vorauszusetzen, und die, dies alles gesetzt, kollektiv abgestimmt sein können, ohne das Werk der planenden Tätigkeit eines „Dirigenten“ zu sein.
In und mit beiden textualen Sequenzen werden solide und unproblematische Berichte über ein je spezifisches Sosein formuliert. Beide bedienen sich einer Rhetorik, die das Gesagte als X-ist-genauso, X-ist-genau-dies verfertigt, „producing something as an object, be it an event, a thought or a set of circumstances.“ (Potter 1996: 107) Im Vergleich zu (25) ist das Geschriebene in (26) jedoch herabmodalisiert. Während die Formulierung „Die für einen spezifischen Typus von Umgebung konstitutiven Strukturen (…) erzeugen Habitusformen, d.h. Systeme dauerhafter Dispositionen, strukturierte Strukturen,
Claim-making: Existenz in Arbeit
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die geeignet sind als strukturierende Strukturen zu wirken“ in den Zeilen 1 bis 8 zunächst eine solide Version über Tatsächliches, über Sosein hervorbringt, wird das X-ist „mit anderen Worten“ ab Zeile 8 in ein Sosein-Können herabmodalisiert, wird X-ist zu einem X-kann. Der textuale Bericht scheint hierdurch jedoch nicht weniger solide als Textstück (25), da dieses X-kann nicht etwa vorgeschlagen, vermutet oder fantasiert, sondern als faktisch und genau-so verfertigt wird: dass es „Habitusformen, d.h. Systeme dauerhafter Dispositionen“ gibt, steht selbst nicht infrage. Im Gegensatz hierzu ist die Sequenz in (27) etwas weniger solide formuliert. Das spezifische Sosein ist und wird figuriert als ein Sosein-begriffen-Als, d.h. die Aussage wird negativ modalisiert und auf ihre „conditions of production“ hin orientiert (vgl. Fußnote 25). (27) Luhmann 1984: 33 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
In diesem Sinne orientieren wir die allgemeine Theorie sozialer Systeme an einer allgemeinen Systemtheorie und begründen damit die Verwendung des Begriffs „System“. Für die Theorie sozialer Systeme werden ihrerseits, und deshalb sprechen wir von „allgemein“, Universalitätsansprüche erhoben. Das heißt: jeder soziale Kontakt wird als System begriffen bis hin zur Gesellschaft als Gesamtheit der Berücksichtigung aller möglichen Kontakte. Die allgemeine Theorie sozialer Systeme erhebt, mit anderen Worten, den Anspruch, den gesamten Gegenstandsbereich der Soziologie zu erfassen und in diesem Sinne universelle soziologische Theorie zu sein.
In und mit dieser Rhetorik erscheint die verfertigte Existenz als Ergebnis von wissenschaftlicher Arbeit, als etwas, das in seinem Sosein auf konkretes Tun, z.B. auf Begriffsentscheidungen zurückführbar und eben nicht unabhängig von solchem Tun ist. In einer ähnlichen Weise, wenn auch als eine etwas schwächere Version, ist Textbeispiel (28) formuliert. (28) Garfinkel 1967: 29 1 2 3 4 5 6 7 8 9
I suggest that one not read the right hand column as corresponding contents of the left, and that the students’ task of explaining what the conversationalists talked about did not involve them in elaborating the contents of what the conversationalists said. I suggest, instead, that their written explanations consisted of their attempts to instruct me in how to use what the parties said as a method for seeing what the conversationalists said. I suggest that I had asked the students to furnish me with instructions for recognizing what the parties were actually and certainly saying.
Im Gegensatz zu (25) und (27) wird Sosein in Textstück (28) nicht reifiziert oder als Sosein-begriffen-Als formuliert (Textbeispiel 27, Zeile 6), sondern es wird
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Texte machen
eine Lesart eines Experiments über „practical sociological reasoning“ vorgeschlagen, über das Garfinkel in dieser Sequenz berichtet. Das Geschriebene wird als I-suggest des Autors, als eine von ihm vorgenommene und somit in seiner Reichweite liegende Interpretation verfertigt. Dies sortiert das Textstück (28) insofern eher unterhalb von (27) in eine Hierarchie des Modalisierens ein, als in und mit (27) der Autor vor allem eine Art Wissenskorpus zitiert und formuliert und seinen Bericht externalisiert als etwas, das Bestand hat (und als Teil eines Korpus: Bestand ist), unabhängig vom Einfluss des Autors. Die Textstücke (27) und (28) weisen auf ein beschreibendes Repertoire hin, das das Geschriebene über das eigentliche Formulieren hinaus mit Objektivität versorgt und so als solide Version verfertigt. Dies geschieht u.a. durch ein Sich-Einreihen in einen Korpus wissenschaftlichen Wissens26 und ein Hervorbringen des Autors als „modest witness (…) telling the truth, giving reliable testimony, guaranteeing important things, providing good enough grounding (…) to enable compelling belief and collective action.“ (Haraway 1997: 22; vgl. Haraway 1997: 23-39).27 Die Textbeispiele (29) und (30) erscheinen demgegenüber als eher instabile textuale Berichte. (29) Garfinkel 1967: 22 1 2 3 4 5 6
Ad hocing occurs (without, I believe, any possibility of remedy), whenever the coder assumes the position of a socially competent member of the arrangement that he seeks to assemble an account of and, when from this “position,” he treats actual folder contents as standing in a relationship of trusted signification to the “system” in the clinic activities. (30) Bourdieu 1987: 35
1 2 3 4 5 6 7
Ich glaube, daß ich nicht zufällig zwischen dem Abbruch der Untersuchung der Hochzeit in der Kabylei und ihrer Wiederaufnahme gegen Ende der sechziger Jahre die Befragung sozusagen revidierte, die ich 1960 in einem Dorf im französischen Béarn angestellt und bewußt als eine Art Gegenprobe zu meinem ethnologischen Experiment des Vertrautwerdens mit einer fremden Welt angelegt hatte.
Anhand von Textbeispiel (29) lässt sich, „glaube ich“, im Kontrast der verschiedenen Modalisierungen des Formulierens analysieren, wie, eben durch eine verschieden hoch bzw. tief modalisierte Rhetorik, Berichte zu unterschiedlich soliden und mehr oder weniger (un-)problematischen Versionen gemacht werden. 26 27
Vgl. Kapitel 1.7, 2.4b) und 3.1a). Vgl. Kapitel 2.3.
Claim-making: Existenz in Arbeit
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Während die Formulierung „Ad hocing occurs (…) whenever“ in Zeile 1 und 2 Sosein reifiziert und als X-ist solide verfertigt, wird mit dem Einschub in Klammern eine eher schwache Version hervorgebracht, die das Geschriebene sehr eng an den Autor bindet und als dessen „believe“ (Zeile 1) formuliert. Ähnliches gilt für Textbeispiel (30). Entscheidend ist, dass das Modalisieren von textualen Berichten nicht etwas ist, das ad hoc oder willkürlich, sondern in und mit dem soziologischen Schreiben für spezifische praktische Zwecke verfertigt ist und wird.28 In dem in meinem Quasi-Vorwort angeführten Textstück (5) findet sich ein Beispiel für eine Formulierung, die das Gesagte in den Zeilen 10 und 11 nicht sehr hoch modalisiert: „Ethnomethodological studies analyze everyday activities as members’ methods“. Ist das Sosein in Ausschnitt (1) mit der Äußerung „every reference to the ‘real world’ (…) is a reference to the organized activities of everyday life“ (Zeilen 1 bis 3) und in Textstück (25) mit Äußerungen wie „it consists of“ in den Zeilen 1 und 9 und 10 als X-ist modalisiert, so bringt Textbeispiel (5) in und mit der eben genannten Sequenz ein eher instabiles und variables X-als hervor. Den „everyday activities“ wird eine, wie Latour es nennt, „raumzeitliche Hülle“ – „members’ methods“ – gegeben, die die Existenz der betreffenden Entität als in-Arbeit begreift, als etwas, das noch nicht selbstverständlich gegeben ist, das noch keine textuale „black box“ geworden ist (vgl. Latour 2000: 185-199, 222 f., 375).29 Eine solche Praxis lässt sich auch an folgendem Textstück beobachten, bei dem es sich um die Eröffnungssequenz des Kapitels „What is ethnomethodology“ in Garfinkels Buch „Studies in Ethnomethodology“ handelt. (31) Garfinkel 1967: 1 1 2 3 4 5 6 7 8 9
28
29
The following studies seek to treat practical activities, practical circumstances, and practical sociological reasoning as topics of empirical study, and by paying to the most commonplace activities of daily life the attention usually accorded extraordinary events, seek to learn about them as phenomena in their own right. Their central recommendation is that the activities whereby members produce and manage settings of organized everyday affairs are identical with members’ procedures for making those settings “account-able.”
Interessant, dass der Autor-dieses-Textes seinen Claim hier zunächst recht hoch modalisiert. Allerdings bedarf es bei einer Hierarchie, um im Bild zu bleiben, neben einem Oben auch einem Darunter, so dass der „Autor“ diese zunächst hoch modalisierte Version noch untermauern muss. Zum Begriff der „black box“ siehe Latour 1987: 2 f.; zum „Blackboxen“ siehe Latour 2000: 373.
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Texte machen
Auch hier erscheint Sosein als in-Arbeit, als mit einer raumzeitlichen Hülle versehen; sowohl mit Formulierungen wie „The following studies seek to treat“ (Zeile 1) und „seek to learn“ (Zeile 5) als auch die Äußerung „Their central recommendation is“ (Zeile 6) sind eher schwach modalisiert. Sie sind in einer Rhetorik formuliert, in und mit der die eigene analytische Position zu „practical activities“ zu thematisieren versucht und etwas über die Objekte-dieser-Studien zu lernen versucht wird, und die in den Zeilen 6 bis 9 ein Sosein vorschlägt, nämlich dass „the activities whereby members produce and manage settings of organized everyday affairs are identical with members’ procedures for making those settings ‘account-able.’“ Nimmt man zu Textbeispiel (31) andere, ebenfalls jenem Kapitel entnommene Textstücke hinzu, so zeigt sich, dass Garfinkels Bericht sukzessive an Stabilität gewinnt. Aus dem anfangs formulierten „seek to treat“ und „seek to learn“ in (31) wird in Textstück (28) in den Zeilen 1, 4 und 5 und 7 „I suggest“ und schließlich „it consists of“ in den Zeilen 1 und 9 und 10 in Textstück (25). Stabilsiert Garfinkel in und mit dem Kapitel „What is ethnomethodology“ also sukzessive Sosein, so modalisiert er es in seinem „Preface“, der Sequenz also, die diesem „eigentlichen Text“ vorausgeht, herab. Das X-ist in Textstück (1) – „every reference (…) is“ – wird in (5) in ein X-als abgeschwächt: „Ethnomethodological studies analyze everyday activities as members’ methods“ (Zeilen 10 und 11). Sosein bzw. die ontologische Existenz textualer Objekte ist also permanent in-Arbeit, d.h. „factual accounts“ werden sukzessive herauf- und herabmodalisiert. In Garfinkels Vorwort wird Sosein zunächst gesätzt (vgl. S. 38) und relevant gemacht und wird auf diesem Sosein aufbauend eine „study policy“ formuliert. In „What is ethnomethodology“ hingegen wird ein X-als formuliert, wird eine Version vorgeschlagen und anschließend stabilisiert, d.h. zu einer Version verfertigt, jedoch nicht als eine-Version-unter-vielen, sondern als wahre-und-adäquate-Version-im-Gegensatz-zu-anderen. Ähnliches gilt auch für die Vorworte in den Texten von Luhmann und Bourdieu. Das jeweils in den Textstücken (2) und (3) verfertigte X-ist wird in und mit dem Bericht, den sie „einleiten“, ausformuliert, lesbar und verstehbar gemacht. Auf je spezifische Weise wird der zunächst relativ hoch modalisierte Bericht mit Details ausgestattet, deren Tatsächlich-Sein durch bestimmte beschreibende Worte, ein Verknüpfen mit einer Ich-Erzählung oder ein Sich-Einreihen in einen Korpus wissenschaftlichen Wissens und Arbeitens gestärkt ist und wird.30 Es scheint, als mache das zunächst hohe Modalisieren ein Unter-Stützen bzw. Unter-Schreiben, ein Reund Ausformulieren des Geschriebenen erforderlich.
30
Vgl. die Textstücke (7), (9) und (12).
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Ich möchte einige Textstücke hinzunehmen und mit zuvor angeführten Beispielen in Beziehung setzen. Die Textstücke (32) und (33) sind, wie (27) und (23), dem Kapitel „System und Funktion“ in Luhmanns Buch „Soziale Systeme“ entnommen; (34) ist im gleichen Buch im Kapitel „Zur Einführung: Paradigmawechsel in der Systemtheorie“ lokalisiert. (32) Luhmann 1984: 31 1 2 3 4 5
Unsere These, daß es Systeme gibt, kann jetzt enger gefaßt werden: Es gibt selbstreferentielle Systeme. Das heißt zunächst nur in einem ganz allgemeinen Sinne: Es gibt Systeme mit der Fähigkeit, Beziehungen zu sich selbst herzustellen und diese Beziehungen zu differenzieren gegen Beziehungen zu ihrer Umwelt. (33) Luhmann 1984: 30
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
Die folgenden Überlegungen gehen davon aus, daß es Systeme gibt. Sie beginnen also nicht mit einem erkenntnistheoretischen Zweifel. Sie beziehen auch nicht die Rückzugsposition einer „lediglich analytischen Relevanz“ der Systemtheorie. Erst recht soll die Engstinterpretation der Systemtheorie als eine bloße Methode der Wirklichkeitsanalyse vermieden werden. Selbstverständlich darf man Aussagen nicht mit ihren eigenen Gegenständen verwechseln; man muß sich bewußt sein, daß Aussagen nur Aussagen und wissenschaftliche Aussagen nur wissenschaftliche Aussagen sind. Aber sie beziehen sich, jedenfalls im Falle der Systemtheorie, auf die wirkliche Welt. Der Systembegriff bezeichnet also etwas, was wirklich ein System ist, und läßt sich damit auf eine Verantwortung für Bewährung seiner Aussagen an der Wirklichkeit ein. (34) Luhmann 1984: 16
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
(…) Wir wollen den Begriff (oder das Modell) eines Systems nicht wiederum System nennen, weil wir ja auch nicht bereit sind, den Begriff (oder das Modell) eines Organismus, einer Maschine, einer Gesellschaft wiederum Organismus, Maschine, Gesellschaft zu nennen. Wir lassen uns, anders gesagt, auch durch die höchsten Abstraktionslagen einer Theorie nicht dazu bringen, Erkenntnismittel (Begriffe, Modelle usw.) mit der Gegenstandsterminologie zu belegen – und zwar deshalb nicht, weil eine solche Entscheidung in konkreteren Forschungsbereichen dann doch nicht durchzuhalten ist. Die Aussage „es gibt Systeme“ besagt also nur, daß es Forschungsgegenstände gibt, die Merkmale aufweisen, die es rechtfertigen, den Systembegriff anzuwenden; so wie umgekehrt dieser Begriff dazu dient, Sachverhalte herauszuabstrahieren, die unter diesem Gesichtspunkt miteinander und mit andersartigen Sachverhalten auf gleich/ungleich hin vergleichbar sind.
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Texte machen
Interessant ist, dass sich zwischen den Textbeispielen (34) und (23) sukzessive eine „black box“ zu schließen scheint. Ist Textstück (34) zunächst relativ weit herab modalisiert und auf die Produktionsbedingungen von Existenz orientiert, indem hier das Benennen von Objekten mithilfe von Begriffen thematisiert und der Bericht in den Zeilen 10 bis 12 zugleich mit einer richtigen Lesart versorgt wird – „Die Aussage ‚es gibt Systeme‘ besagt also nur, daß es Forschungsgegenstände gibt, die Merkmale aufweisen, die es rechtfertigen, den Systembegriff anzuwenden“ –,31 so ist Textausschnitt (23) mit der Äußerung „Auch Sinnsysteme sind vollständig geschlossen“ in den Zeilen 1 und 2 solide und unproblematisch in einer X-ist-Rhetorik formuliert. Im Vergleich zu (34) modalisiert Luhmann in Textstück (33) sein Schreiben etwas höher in und mit einer Rhetorik, die von X „ausgeht“ (Zeile 1), wenngleich auch hier die epistemologischen Produktionsbedingungen des Berichts zur Sprache kommen – „Selbstverständlich darf man Aussagen nicht mit ihren eigenen Gegenständen verwechseln“ (Zeilen 6 und 7), „Der Systembegriff bezeichnet also etwas, was wirklich ein System ist“ (Zeile 11 und 12) – ein Aspekt, der in Textbeispiel (32) als „These“ (Zeile 1) formuliert wird. In (32) wird das Sosein von „Systemen“ mit zusätzlichen Eigenschaften ausgestattet: „Unsere These, daß es Systeme gibt, kann jetzt enger gefaßt werden: Es gibt selbstreferentielle Systeme“ (Zeilen 1 und 2). In und mit Textstück (27) werden die Objekte-der-„folgenden-Überlegungen“ (Textbeispiel 33, Zeile 1) markiert – „jeder soziale Kontakt“ (Zeile 5) – und in eine spezifische beschreibende Sprache – „wird als System begriffen“ (Zeile 6) – und so in eine spezifische Welt über-sätzt.32 In (23) schließlich ist die Existenz von Systemen als „black box“ stabil etabliert, d.h. Sosein selbst wird nicht mehr thematisiert; vielmehr ist es, nachdem es zuvor mit einer weiteren Eigenschaft ausgestattet wurde, nämlich „Sinn konstituierend“ zu sein (Luhmann 1984: 64), als „black box“ in einen Claim über „Selbstreferenz“ eingelassen: „Auch Sinnsysteme sind vollständig geschlossen insofern, als nur Sinn auf Sinn bezogen werden und nur Sinn Sinn verändern kann.“ Es zeigt sich, dass das Modalisieren von Claims je spezifisch situiert und zu praktischen Zwecken ein-geschrieben wird und analytisch „account-able“ gemacht werden kann, indem das Erforschen jener textualen Praktiken ihrem materiell situierten Eingeschrieben-Sein folgt.
31 32
D.h. es wird mit einer Art Das-Gesagte-Meint ausgestattet, das artikuliert, was eine Formulierung „also nur“ besagt. „D.h.“ ist ebenfalls eine Möglichkeit, Gemeintes zu artikulieren. Siehe Kapitel 2.2. Vgl. Kapitel 3.2b), insb. S. 116; vgl. S. 118.
Auf-dem-Artikulationskanal-Senden: Texte in und als Arbeit
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Insofern meine Analyse nun solide genug verfertigt ist,33 erscheinen die hier untersuchten textualen Berichte und das in und mit diesen formulierte Sosein als Produkte einer Arbeit, die in und mit dem soziologischen Schreiben vollbracht werden muss, als Arbeit, in und mit der Soziologen „achieve in texts, not elsewhere, the observability and practical objectivity of their phenomena“ (Textstück 4, Zeile 1 bis 3; vgl. Latour 2000: 175-210; Lynch 1993: 296-308; Potter 1996: 3, 6). Es zeigt sich jedoch, u.a. mit Blick auf die Textstücke (27) und (28), dass eine verschieden hoch bzw. niedrig modalisierte Rhetorik allein die Berichte noch nicht ausreichend solide und stark gegenüber möglichen alternativen Versionen macht. Bevor ich auf weitere textuale Praktiken zu „sprechen“ komme, Berichte mit Faktizität zu versorgen, möchte ich einen weiteren Aspekt des Erarbeitens von Texten bzw. von „factual accounts“ als Produkten soziologischen Schreibens thematisieren. 2.2 Auf-dem-Artikulationskanal-Senden: Texte in und als Arbeit (35) Krey 2011: 47 1 2 3 4
(…) Bevor ich auf weitere Praktiken zu „sprechen“ komme, Berichte mit Faktizität zu versorgen, möchte ich einen weiteren Aspekt des Erarbeitens von Texten bzw. von „factual accounts“ als Produkten soziologischen Schreibens thematisieren.
Eingangs „hatte“ ich geschrieben, dass spezifische Sequenzen eines Berichts insofern auf den Text als Text orientiert, also rückbezüglich formuliert sein können, als das Objekt-des-Geschriebenen dort „dieser Text“, „dieses Buch“ ist.34 So wird z.B. in und mit Textstück (35) das Vorhaben artikuliert, zunächst „einen weiteren Aspekt des Erarbeitens von Texten bzw. von ‚factual accounts‘ als Produkten soziologischen Schreibens [zu] thematisieren“ (Zeilen 2 bis 4), bevor „ich auf weitere Praktiken zu ‚sprechen‘ komme, Berichte mit Faktizität zu versorgen“ (Zeilen 1 und 2). Ich möchte diese textuale Praxis, mit Goffman als Referenz, als „Auf-dem-Artikulationskanal-Senden“ bezeichnen.35 (36) Goffman 1977, S. 234 1 33 34 35
Bei Vorgängen, an denen mehrere Menschen beteiligt sind, findet Vgl. Fußnote 28. Es zeigt sich, dass der auf Seite 43 von mir gemachte Claim, trotz seiner relativ hohen Modalisierung als X-ist, den Text noch nicht mit einem genügend soliden Sosein versorgen konnte und vielmehr zunächst noch textuale Arbeit vonnöten war, ihn zu stärken. Vgl. S. 13. „Vgl.“ Fußnote 9 auf S. 19.
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man einen Zeichenstrom, der selbst nicht zum Inhalt der Tätigkeit gehört, aber dazu dient, diesen zu regulieren, abzugrenzen, zu artikulieren und seine verschiedenen Bestandteile und Phasen anzugeben. Man könnte hier von Artikulationszeichen sprechen und, in bildhafter Erweiterung, von dem Kanal, auf dem sie laufen.
Ein Aspekt des Auf-dem-Artikulationskanal-Sendens betrifft das Formulieren editorischer Notizen, eine Methode, der sich der Autor-dieses-Textes an verschiedenen Stellen des Textes bedient hat36 und die auch anhand der folgenden Beispiele beobachtbar und beschreibbar gemacht wird. (37) Garfinkel 1967: 4 1 2
(…) I want to specify the topic by reviewing three of its constituent, problematic phenomena. (38) Luhmann 1984: 43, Fußnote 21a 37
1
Vgl. Näheres unten S. 60 ff. (39) Bourdieu 1976: 151
1 2 3
An dieser Stelle gilt es, einen Augenblick auf dem Terrain des Objektivismus schlechthin, dem der Saussureschen Linguistik und Semiologie, innezuhalten.
In (37), (38) und (39) betrifft das Artikulieren jeweils den Text als Artefakt im Sinne editorischer Notizen, in und mit denen, vgl. auch (17) und (18), textorganisatorische Anmerkungen gemacht werden und aktuales Tun, weiteres Vorhaben oder bislang Geleistetes artikuliert wird. Zu diesen praktischen Zwecken werden mitunter Worte wie „siehe“ (vgl. u.a. Fußnoten 31, 36 und 37) oder Abk. wie „vgl.“ (Textstück 38) verwendet, die darauf reagieren, dass es zu einer Sache oder zu einem Thema mehr zu sagen gibt bzw. geben kann, als genau hier, genau jetzt gesagt wird oder werden soll (vgl. Garfinkel 1967: 3). In und mit den angeführten Textstücken (37), (38) und (39) wird das Gesagte als organisiertund-rational, als wohl durchdacht, als in-den-einzelnen-Abschnitten-aufeinanderbezogen-und-aufbauend, d.h. als „a properly and visibly rational account of inquiry“ (Garfinkel 1967: 13) dargestellt.
36 37
Fußnoten z.B. scheinen für diese praktischen Zwecke handhabbare Zeichenströme zu sein. Siehe insbesondere Fußnote 9 und 35; siehe Textstück (38). Siehe Fußnote 36.
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Satz 1 des Textstückes (36) weist hierbei auf einen zentralen und kritischen Aspekt des Erarbeitens von Texten und auch einer dazu verfertigten Analyse hin: es geht um Vorgänge, „an denen mehrere Menschen beteiligt sind“, d.h. das Schicksal eines (textualen) Berichts liegt nicht nur in den Händen eines Autors oder einer Autorin, sondern ebenso sehr in denen eines Lesers oder einer Leserin. „By itself a given sentence is neither a fact nor a fiction; it is made so by others, later on. (…) As a consequence, listeners make sentences less of a fact if they take them back where they came from, to the mouths and hands of whoever made them, or more of a fact if they use it to reach another, more uncertain goal.“ (Latour 1987: 25) Ein Text muss stark genug formuliert sein, um in den Händen seiner späteren „Benutzer“ zu bestehen, d.h. eine Version muss entsprechend solide er- bzw. gearbeitet sein, damit ihm Leser/innen „Glauben schenken“.38 Textaneignungspraktiken anderer sind im Moment des Schreibens nicht präsent; sie werden jedoch re-präsentiert, antizipiert oder imaginiert – nicht zuletzt, da das Schreiben eines Textes immer auch das Lesen als Arbeit an und mit eben jenem Text, als Satz-Bauen, beinhaltet. Ein „richtiges“ Lesen, eine „richtige“ Lesart kann und muss in den Text inskribiert, die Zahl möglicher, mitunter kritischer Lesarten limitiert werden (vgl. Latour 1987: 52 f., 60 f.). In Ausschnitt (34) z.B. wird dieses Versorgen mit einer Lesart mithilfe der Äußerung „Die Aussage ‚es gibt Systeme‘ besagt also nur“ in Zeile 10 verfertigt. Die-Aussagebesagt-also-nur re-formuliert, kanalisiert das Gesagte in und als ein Gemeintes. In den Textstücken (32) und (25) wird eine Lesart mit Hilfe einer Art „formulation of what has just been said“ (Potter 1996: 48) hergestellt: in (32) mit der Formulierung „Es gibt selbstreferentielle Systeme. Das heißt zunächst nur in einem ganz allgemeinen Sinne“ in den Zeilen 2 und 3 und in (25) mit metatextualen Markern wie „i.e.“ in der Äußerung „it consists of members’ methods for making evident that settings’ ways as clear, coherent, planful, consistent, chosen, knowable, uniform, reproducible connections,–i.e., rational connections“ in den Zeilen 1 bis 4 und „In exactly the ways in which a setting is organized, it consists of methods whereby its members are provided with accounts of the settings as countable, storyable, proverbial, comparable, pic-turable, representable–i.e., accountable events“ in den Zeilen 9 bis 12. In beiden Textstücken, (25) und (32), wird das Gemeinte des Gesagten zunächst als ein Das-Heißt formuliert. Ein Das-Heißt bzw. „d.h.“ (entsprechend „that is“ oder „i.e.“ als Abkürzung des 38
Dies widerspricht m.E. nicht einem Ansatz der Analyse von Praktiken, Beschreibungen mit Tatsächlichkeit auszustatten, wie er hier vorgeschlagen wird. Es heißt vielmehr, dass Leser ebenso wenig wie Autoren als „cultural dopes“ (Garfinkel 1967: 67 f.) gedacht werden. „The arts of reading and writing texts“ (vgl. S. 16, Textstück 4, Zeile 3 und 4) werden verstanden als Praktiken des making „detectable, countable, recordable, reportable, tell-a-story-aboutable, analyzable – in short, accountable.“ (Garfinkel 1967: 33) Vgl. S. 52, S. 80, S. 89-91.
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lateinischen „id est“ im englischen Schreiben) zu verfertigen, scheint eine weit verbreitete textuale Praxis des Versorgens mit einer Lesart zu sein und ist neben den hier angeführten Textbeispielen u.a. anhand von (5), (8), (10), (26) und (27) berichtbar. In (25) wird das Das-Gesagte-Meint geleistet, indem zusätzliche Marker gesetzt werden, die als Erkennungszeichen (Goffman 1977: 234) fungieren und erkennbar und verstehbar machen, worauf es bei eben jenem Gesagten ankommt: „it consists of“ in Zeile 1 und in den Zeilen 9 und 10, „i.e., rational connections“ in Zeile 4 und „i.e., accountable events“ in Zeile 12. Einzelne Worte werden kursiv gesetzt und so als wichtig markiert. Das Kursiv-Setzen fungiert hier wie z.B. auch in (26) – „Die für einen spezifischen Typus von Umgebung konstitutiven Strukturen (…) erzeugen Habitusformen, d.h. Systeme dauerhafter Dispositionen, strukturierte Strukturen, die geeignet sind als strukturierende Strukturen zu wirken“ in den Zeilen 1 bis 8 – als textuales Äquivalent zu einem Zeigefinger, einem Hochziehen der Augenbrauen oder einer Stimmmodulation in face-to-face-Situationen und punktiert das Gesagte durch das Anzeigen zentraler, relevanter Stellen und Sequenzen. Beide Praktiken, sowohl die des Das-Heißt als auch die des Kursiv-Setzens finden sich auch in folgendem Textstück. (40) Garfinkel 1967: 1 f. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14
(…) When I speak of accountable my interests are directed to such matters as the following. I mean observable-reportable, i.e. available to members as situated practices of looking-andtelling. I mean, too, that such practices consist of an endless, ongoing, contingent accomplishment; that they are carried on under the auspices of, and are made to happen as events in, the same ordinary affairs that in organizing they describe; that the practices are done by parties to those settings whose skill with, knowledge of, and entitlement to the detailed work of that accomplishment–whose competence–they obstinately depend upon, recognize, use, and take for granted; and that they take their competence for granted itself furnishes parties with a setting’s distinguishing and particular features, and of course it furnishes them as well as resources, troubles, projects, and the rest.
Es sind hier m.E. jedoch zwei weitere Aspekte des Artikulierens zentral, auf die ich nun zu sprechen kommen möchte: Zum einen wird deutlich, dass und wie das Gemeinte des Gesagten erarbeitet, d.h. eine Lesart des Berichts als praktische Leistung eben jenes Berichts hergestellt wird. Zum anderen gliedert diese textuale Methode den „Sprecher“ auf in ein maßgebendes Subjekt und einen Gestalter (vgl. Goffman 1977: 553-561). „When I speak of accountable my interests are“ in Zeile 1 formuliert eine Lesart des Gesagten. In und mit dieser Formulierung fabriziert sich der Sprecher zugleich als Gestalter der Äußerung
Auf-dem-Artikulationskanal-Senden: Texte in und als Arbeit
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eines maßgebenden Subjekts und übersetzt eben jenes Gesagte in ein Gemeintes: Garfinkel über Garfinkel. Der hier berichtete Vorgang wird mitunter klarer, vergleicht man ihn z.B. mit Textstück (25), in und mit dem Garfinkel eine Version über Sosein formuliert (vgl. S. 42-47), in der er als Autor oder Urheber nicht vorkommt: Garfinkel über X. Ein interessanter anderer Fall ist Textbeispiel (31), an dem sich das Verteilen von Sprecherpositionen auf ein maßgebendes Subjekt und einen Gestalter zeigen lässt. Der Autor des Berichts ist, so ist dem Buchdeckel zu entnehmen, „Harold Garfinkel“, als maßgebendes Subjekt aber fungieren „the following studies“ (Zeile 1): Garfinkel über „the following studies“.39 Ein ähnlicher Vorgang wie in (40), wenn auch weiter hinauf modalisiert, lässt sich anhand des Textstückes (41) beschreibbar machen. (41) Bourdieu 1976: 147 1 2 3 4 5 6 7 8 9
(…) Die Erkenntnisweise, die wir die phänomenologische nennen wollen (oder, wenn man in Begriffen gegenwärtig existierender Schulen sprechen möchte: die „interaktionistische“ oder „ethnomethodologische“), expliziert die Wahrheit der primären Erfahrung der sozialen Welt, d.h. das Vertrautheitsverhältnis zur vertrauten Umgebung. Sie begreift die soziale Welt als eine natürliche und selbstverständlich vorgegebene Welt, sie reflektiert ihrer Definition nach nicht auf sich selbst und schließt im weiteren die Frage nach den Bedingungen ihrer eigenen Möglichkeit aus.
Wenn ich sage „weiter hinauf modalisiert“, so meine ich, dass hier, wie in (31), (32) und (34), das maßgebende Subjekt als Kollektiv verfertigt und vervielfältigt wird: Der Autor spricht über den Claim einer maßgebenden Instanz, der als „Wir“ zusätzlich Gewicht verliehen wird, so dass das Gesagte in gewisser Weise vom Ich des Autors abstrahiert und wegmodalisiert wird. Etwas weiter hinauf in der Hierarchie geht es in und mit (33): die Personalpronomen „Ich“ und „Wir“ sind in den Zeilen 6 und 7 durch ein „man“ ersetzt, der Bericht wird entpersonalisiert und als maßgebende Instanz eine Art Allgemeinheit eingesetzt. Textstück (9) scheint hier insofern ein erhellender Fall zu sein, als man dort das Hinaufmodalisieren des maßgebendes Subjekts „in the making“ beobachten kann: „doch ließ mich der Gedanke nicht los, daß man auch die spezifische Logik dieses erfahrungslosen ‚Verstehens‘ verstehen können müsse“ (Zeile 12 bis 14). Ist der Bericht zunächst als Erzählung über das historische Ich des Autors verfertigt, so verschiebt sich die Rhetorik in der claim-making-Sequenz hin zum „man“. Beides erfüllt spezifische praktische Zwecke: Während das „Ich“ des Autors den Bericht authentisch macht, indem es als eine Art Augenzeuge als 39
Vgl. unten Punkt 2.3a).
52
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Referenz für das Gesagte fungiert, modalisiert das „man“ die Äußerung in einen Claim, der unabhängig von den subjektiven Interessen, Interpretationen oder Eigenschaften des Autors Geltung zu-geschrieben bekommt. Wie wir noch sehen werden, ist dieses Modalisieren des maßgebenden Subjekts als Kollektiv bzw. Allgemein-heit manchmal eingebettet in ein spezifisches deskriptives Repertoire, in und mit dem das Gesagte von Spuren personalisierter Urheberschaft befreit wird.40 Interessant ist, dass meine hier verfertigte Version des Verwendens des Wortes „Wir“ jedoch nicht alternativlos zu sein scheint: Dies betrifft das Inskribiert-Sein bzw. –Werden eines Lesers bzw. einer Lesart in den Text: „Wir“ mag mitunter als eine textuale Methode des Übergreifens über die Differenz Lesen/Schreiben gelesen werden, als ein In- und Exkludieren von Lesepraktiken und –positionen, von Textaneignungspraktiken bezogen auf ein jeweiliges textuales Artefakt. Als Teil eines Hybridakteurs Autor/Leser wird der Leser mit hineingenommen in und durch das Verfertigen einer richtigen Version. Er wird durch „stille Teilhabe“ zum Mitglied einer kollaborativen Arbeit des claimmaking. Interessant, bezogen auf die Vervielfältigung des Sprechers, ist der Vergleich zu Ausschnitt (30), wenngleich der Fall dort etwas anders liegt. Der Autor taucht dort gleich dreifach auf, indem Bourdieu als Gestalter (er formuliert das Gesagte) den Claim eines sprechenden/glaubenden bzw. zur Sprache gebrachten Ichs („Ich glaube, daß“ in Zeile 1) über sein Ich als Protagonist einer historischen Situation – „ich nicht zufällig (…) die Befragung sozusagen revidierte, die ich 1960 angestellt und bewußt als eine Art Gegenprobe zu meinem ethnologischen Experiment des Vertrautwerdens mit einer fremden Welt angelegt hatte“ – als maßgebendes Subjekt eines I-witness-Berichts, der in und mit diesem Textstück verfertigt wird, reformuliert (vgl. Goffman 1977: 557 f.).41 Es hat den Anschein, dass in Ausschnitt (41) neben Bourdieu jedoch noch weitere Sprecher als maßgebend für das Gesagte markiert werden. Dies betrifft zum einen den zum „man“ hochmodalisierten Sprecher in Zeile 2 und zum anderen das InAnführungszeichen-Setzen der Worte „interaktionistische“ und „ethnomethodologische“ in Zeile 3 und 4. Was den ersten Punkt betrifft, so ist die Formulierung „wenn man in Begriffen gegenwärtig existierender Schulen sprechen möchte“ in Zeile 2 und 3 insofern interessant, als sie über den man-Sprecher zunächst einmal höher modalisiert ist, als z.B. das Wir-Wollen in den Textbeispielen (41) in den Zeilen 1 und 2 und (34) in Zeile 1. Das Gesagte ist und wird also nicht mit einer einzelnen Stimme oder der Stimme eines spezifischen Kollektivs, sondern im Namen einer Allgemein-heit verfertigt.42 Etwas im Status herabgesenkt wird 40 41 42
Vgl. Kapitel 2.3. Siehe unten S. 58-64. Siehe Abschnitt 2.4 a).
Dort-Draußen
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die Äußerung jedoch dadurch, dass, „wenn man möchte“ (Textstück 41, Zeile 2 und 3), man das Gesagte in eben den gewählten Begriffen formulieren kann. In (41) wird, zweitens, im Gegensatz etwa zu (32), (34) und (40), eine Sprecherposition markiert, die nicht vom Autor selbst, sei es als gestaltendes Ich, als sprechendes bzw. zur Sprache gebrachtes Ich oder als maßgebende Instanz, eingenommen wird. Das In-Anführungszeichen-Setzen markiert das Geschriebene hier zwar als vom Autor formuliert, es handelt sich jedoch lesbar um die Wiedergabe eines So-Formulierten eines anderen Urhebers, d.h. Gestalter und maßgebendes Subjekt sind und werden auf verschiedene Instanzen verteilt. Im Schreiben fungieren Anführungszeichen als Marker, als Erkennungszeichen eines solchen Wechsels der Urheberschaft des Formulierten (vgl. Goffman 1977: 235, 553 f.). Ich habe Ihnen „weiter unten“ einige Argumente und Analysen über die praktischen Zwecke des In-Anführungszeichen-Setzens vorbereitet; für den Moment ist zentral, dass dieses Verteilen von Autor- und Urheberschaft als solches in und mit dem Text als praktische Leistung textualen Formulierens hergestellt wird. In diesem Abschnitt wurde das Auf-dem-Artikulationskanal-Senden als eine Praxis des Erarbeitens soziologischer Texte analysiert. Insofern als diese Analyse als Soziologie-Schreiben über Soziologie-Schreiben selbst eben jene Praktiken vollzieht, die sie zum Objekt hat (vgl. Ashmore 1989: 4 f.), kann auch sie auf ein solches Auf-dem-Artikulationskanal-Senden nicht verzichten. Also: „In den letzten beiden Abschnitten wurden Texte und das dort Gesagte in und als Arbeit thematisiert. Die Abschnitte 2.3 und 2.4 sollen an die in 2.1 begonnene Analyse des Verfertigens solider soziologischer Berichte anknüpfen.“ 2.3 Dort-Draußen Soll ein Bericht möglichst solide und stabil gegenüber Kritik sein, so empfiehlt es sich, das Geschriebene als möglichst unabhängig vom Autor-des-Textes, d.h. als jenseits seines subjektiven und interpretativen Zugriffs liegend und in den Dingen selbst begründet, zu formulieren. In diesem Abschnitt möchte ich textuale Praktiken untersuchen, mithilfe derer einem Bericht ein solches In-derSache-selbst-begründet-Sein als praktische Leistung eben jenes Berichts mitgegeben wird. (42) Potter 1996: 150 1 2 3 4 5
(…) These are procedures designed to provide a quality of what might be called out-there-ness. In other words, they construct the description as independent of the agent doing the production. More specifically, these procedures draw attention away from concerns with the producer’s stake in the description – what they might gain
54
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or lose – and their accountability, or responsibility, for it.
Wie ich anhand der Analyse in Abschnitt 2.1 zu zeigen versucht habe, lässt sich in und mit der Rhetorik eines Berichts das Gesagte als solide und unproblematisch, aber ebenso auch als fragil oder fragwürdig formulieren. Insofern ein Bericht hoch modalisiert ist, erscheint das Gesagte als genau-so, genau-dies. „In effect, the description is of a thing (or action or whatever), and that thing exists, as described, without the describer’s having any influence on it.“ (Potter 1996: 150)43 Es ist hier eine spezifische Rhetorik, die das Geschriebene mit einem soliden Sosein jenseits des Zugriffs des Autors versorgt. Eng mit einer solchen xist-Rhetorik verknüpft ist ein deskriptives Repertoire, das man mit Nigel Gilbert und Michael Mulkay als „empirisierendes Repertoire“ bezeichnen könnte (vgl. Gilbert u. Mulkay 1984: 44, 55 f.; Potter 1996: 115 f., 151-153). a) Empirisierendes Repertoire (43) Gilbert u. Mulkay 1984: 56 1 2 3 4 5 6 7 8 43
(…) Empiricist discourse is organised in a manner which denies its character as an interpretative product and which denies that its author’s actions are relevant to its content. When the author is allowed to appear in formal texts, he is presented either as being forced to undertake experiments, to reach theoretical conclusion, and so on, by the unequivocal demands of the natural phenomena which he is studying or as being rigidly constrained by invariant rules of experimental procedure which are, in turn, required by Vgl. hierzu Bourdieu, gleichsam zu diesem Thema Stellung beziehend und den ontologischen Status von in soziologischem Schreiben Verfertigtem problematisierend: In der Tat müßte allen Propositionen des soziologischen Diskurses ein Zeichen voranstehen, das folgendermaßen zu lesen wäre: „Alles geschieht so, als ob ...“ und das, nach dem Vorbild der Quantoren in der Logik funktionierend, fortgesetzt an den epistemologischen Status der von der objektiven Wissenschaft konstruierten Begriffe erinnerte. Tatsächlich trägt alles zur Verdinglichung der Begriffe bei, angefangen bei der Logik der normalen Sprache, die dazu neigt, vom Substantiv auf die Substanz zu schließen, oder den Begriffen das Vermögen zuzuerkennen, in der Geschichte so zu wirken wie in den Sätzen des historischen Diskurses die Worte, die sie bezeichnen, d.h. als historische Subjekte. Wie von Wittgenstein vermerkt, ist es ausreichend, vom Adverb „unbewußt“ („ich habe unbewußt Zahnschmerzen“ – in der deutschen Ausgabe: „wir (haben) Zahnschmerzen, (wissen) es aber nicht“, A.d.Ü.) zum Substantiv „Unbewußtes“ (oder zu einem bestimmten Gebrauch des Adjektivs „unbewußt“, wie in „Ich habe unbewußte Zahnschmerzen“) überzugehen, um Wunderwerke an metaphysischer Tiefe zu vollbringen. (Bourdieu 1976, S. 163) Vgl. auch Luhmann in den Textstücken (33) und (34). Und als alternative Version: Latour 2007: 150-210, 211-243; siehe S. 38-47 des textualen Artefakts, das Sie soeben lesen.
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the nature of the physical world. Each scientist’s actions and beliefs, no matter how inconsistent they appear to be with those of other researchers, are presented as those of any competent scientist. The guiding principle of this repertoire appears to be that speakers depict their actions and beliefs as a neutral medium through which empirical phenomena make themselves evident. The stylistic, grammatical and lexical resources of the empiricist repertoire can be seen as related to this guiding principle in the sense that they are necessary features of texts which are consistently depicting participants’ professional actions and scientific views as inevitable, given the realities of the natural world under study.
Gilbert und Mulkay formulieren ein analytisches Vokabular, das hilfreich sein kann, einige interessante Aspekte soziologischen Schreibens sichtbar und berichtbar zu machen.44 Nimmt man z.B. Textstück (31), so lässt sich dieser als in-einem empirisierenden-Repertoire-verfasst beschreiben. In Satz 1 in den Zeilen 1 bis 5 werden hier „the following studies“ als die maßgebende(n) Instanz(en) fabriziert. Der Autor selbst scheint lediglich der Gestalter des formulierten Programms und der erzielten empirischen Resultate zu sein. In und mit diesem empirisierenden Repertoire wird die epistemologische bzw. analytische Position eines „modest witness“ formuliert – „The following studies (…) seek to learn“ (Zeilen 1-5). Wie sich auch an folgendem Textbeispiel beschreiben lässt, tritt das maßgebende Subjekt in seinem aktiven Tun hinter die Phänomene zurück. (44) Garfinkel 1967: vii f. 1 2 3 4 5 6 7
Their study is directed to the tasks of learning how members’ actual, ordinary activities consist of methods to make practical actions, practical circumstances, common sense knowledge of social structures, and practical sociological reasoning analyzeable; and of discovering the formal properties of commonplace, practical common sense actions, “from within” actual settings, as ongoing accomplishments of those settings.
In Textstück (44) wird, wie auch z.B. in (31), eine Haltung des Lernens und Entdeckens formuliert; die Objekte-der-Analyse „are treated as primary, both in the logical sense of forming the foundations of any theoretical ideas, and in the chronological sense of being identified before theory was developed from them.“ (Potter 1996: 153; vgl. Gilbert u. Mulkay 1984: 56) Ähnliches lässt sich für Textstück (28) beobachten, das Garfinkels Bericht mit einer Lesart zuvor präsentierter Phänomene und Daten versorgt. „I suggest“ in den Zeilen 1, 4 und 5 und 7 44
Vgl. zu einer reflexiven Anwendung der „sociology of scientific knowledge“ auf die Soziologie und die SSK selbst: Ashmore 1989: 112-193.
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schlägt eine Lesart vor, die im Kontext des empiricist-repertoire als im empirischen Material selbst begründet formuliert wird.45 Das Geschriebene erhält als Bericht-über-etwas-dort-draußen einen Status des Faktischen und der Gestalter dieser Claims die Position eines „neutral medium through which empiricial phenomena make themselves evident“ (Textstück 43, Zeile 12 und 14). Wird das Tun, das aktive Involviert-Sein des Autors in (28) im Dort-Draußen des Objektsder-Analyse verankert, so wird es in und mit (45) als den „practical purposes“ des Vorhabens untergeordnet formuliert. (45) Garfinkel 1967: 18 f. 1 2 3 4 5 6 7
Several years ago my co-workers and I undertook to analyze the experience of the U.C.L.A. Outpatient Clinic in order to answer the question “By what criteria are its applicants selected for treatment?” To formulate and to answer this question we used a version of a method of cohort analysis that Kramer and his associates had used to describe load and flow characteristics of patients in mental hospitals.
Wie weiter oben unter dem Aspekt des Artikulierens analysiert, so wird auch hier der Sprecher in verschiedene Positionen aufgeteilt, formuliert der Autor einen Bericht über sein Ich als (ein) maßgebendes Subjekt eines Vorganges „severall years ago“ (Zeile 1).46 Insofern diesem maßgebenden Subjekt bzw. dem Forscherkollektiv, „my co-workers an I“ (Zeile 1), jedoch aktives Tun zugeschrieben wird, so wird dieses Tun als dem-Vorhaben-untergeordnet verfertigt. Nimmt man Textbeispiel (46) hinzu, so zeigt sich dort ein interessantes Moment des Modalisierens eines solchen Berichts. (46) Garfinkel 1967: 20 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
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To find out more about the procedure that our students used, the reliability procedure was treated as a problematic activity in its own right. The “reliability” of coded results was addressed by asking how the coders had actually brought folder contents under the jurisdiction of the Coding Sheet’s item. Via what practices had actual folder contents been assigned the status of answers to the researcher’s questions? What actual activities made up those coder’s practices called “following coding instruction”? A procedure was designed that yielded conventional reliability information so that the original interests of the study were preserved. At the same time the procedure permitted the study of how any amount of agreement or disagreement had been produced by
Siehe S. 41 f. Vgl. S. 50-53.
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the actual ways that the two coders had gone about treating folder contents as answers to the questions formulated by the Coding Sheet. But, instead of assuming that coders, proceeding in whatever ways they did, might have been in error, in greater or lesser amount, the assumption was made that whatever they did could be counted correct procedure in some coding “game”.
Interessant ist hier zunächst, dass die berichteten Aktivitäten eines maßgebenden Subjekts entledigt und in einer allgemeinen Rhetorik formuliert sind, d.h. das Involviert-Sein des Autors nicht thematisiert wird: „the reliability procedure was treated as a problematic activity“ (Zeile 2), „The ‘reliability’ of coded results was addressed by asking how“ (Zeile 3 und 4), „A procedure was designed“ (Zeile 9), „the assumption was made“ (Zeile 17). Diese Formulierungen bringen einen entpersonalisierten Bericht über empirisches Arbeiten hervor, „which make[s] no explicit mention of the author’s actions, interpretations and commitments.“ (Potter 1996: 153) Der Begriff der „Sprecherposition“ bekommt hier insofern eine neue Bedeutung, als der Autor des Textes hier lediglich Gestalter von Äußerungen ansonsten schweigsamer Dinge wird.47 (47) Garfinkel 1967: 20-22 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 (…) 48 49 50 51 52 53 54 55 56 47
We soon found the essential relevance to the coders, in their work of interrogating folder contents for answers to their questions, of such considerations as “et cetera,” “unless,” “let it pass,” and “factum valet” (i.e., an action that is otherwise prohibited by a rule is counted correct once it is done). For convenience let me call these “ad hoc” considerations, and call their practices “ad hocing.” Coders used the same ad hoc considerations in order to recognize the relevance of the coding instructions to the organized activities of the clinic. Only when this relevance was clear were the coders satisfied that the coding instructions analyzed actually encountered folder contents so as to permit the coders to treat folder contents as reports of “real events.” Finally, ad hoc considerations were invariant features of the practices of “following coding instructions.” (…) (…) Our studies showed that ad hoc considerations are essential features of coding procedures. Ad hocing is required if the researcher is to grasp the relevance of the instructions to the particular and actual situation they intended to analyze. For every particular and actual occasion of search, detection, and assignment of folder contents to a “proper” category – which is to say, over the course of actually coding – such ad hoc considerations have irremediable priority over the usually talked about “necessary and sufficient” criteria. Vgl. zum ethnografischen Schreiben und der „Schweigsamkeit des Sozialen“ Hirschauer 2001.
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In Textstück (47) wird Sosein als Ergebnis empirischer Arbeit hervorgebracht, in und mit der Objekte, „Ad hoc considerations“ (Zeile 6, 7, 12, 49 und 55) bzw. „ad hocing“ (Zeile 6 und 7, 50), beobachtbar und berichtbar gemacht werden. Es wird ein relativ hoch modalisierter Bericht über Sosein fabriziert, wobei das empirisierende Repertoire das Geschriebene in und mit Formulierungen wie „We soon found“ (Zeile 1) und „Our studies showed that“ (Zeile 48 und 49) mit einem Dort-Draußen verbindet. Ein zentraler Aspekt des empirisierenden Repertoires ist insofern eine „attribution of agency to experimental data.“ (Potter 1996: 157) Das Involviert-Sein der Forscher wird auf ein Tun unter Maßgabe der Notwendigkeiten empirischer Arbeit und auf das Berichten der Ergebnisse der Studien reduziert; der Bericht wird als ein Datenreport dargestellt, während das Sosein, von dem dieser handelt, in die Daten selbst gelegt wird. Der Autor ist als Sprecher zwar Gestalter des Berichts und maßgebendes Subjekt des Benennens des Erforschten, formuliert jedoch als ein Sprecher oder Delegierter anstelle bzw. im Namen der sichtbar und berichtbar gemachten Objekte und Daten, sie werden „zur Sprache gebracht“ (vgl. Latour 1987: 71 f.) Diese textuale Methode beinhaltet sowohl ein Etwas-Aussagen als auch ein Etwas-Bezeugen.48 Das beschreibende Repertoire in Textstück (47) ebenso wie in (45) und (46) abstrahiert hierbei die formulierten Beobachtungen von konkreten forschenden Subjekten im Sinne von „Wer immer an meiner bzw. unserer Stelle steht und mein bzw. unser Tun nachvollzieht, der bzw. die wird die Dinge genau so sehen wie ich bzw. wir.“ Ein anderes Repertoire lässt sich am Fallbeispiel Bourdieu beobachten und beschreiben, das das Etwas-Aussagen-und-Bezeugen eng an das Ich bzw. die Person des Autors bindet. b) I-witness-Repertoire Eine solche textuale Praxis lässt sich anhand der weiter oben angeführten Textstücke (9) und (10) sichtbar machen. Hier wird etwas-bezeugt, indem das Geschriebene mit dem Ich des Autors verknüpft ist bzw. wird, das dort-gewesen ist. Insbesondere in und mit (9) ist das Formulieren von Kriterien in einen Bericht über das Ich und das von ihm Erlebte und Erfahrene in einer spezifischen Situation dort-draußen eingelassen.49 Bourdieus Ich hätte sich „sicher weniger veranlaßt gefühlt, kritisch auf die elementaren Akte der Ethnologie einzugehen“, wenn es „nicht bei der vom Strukturalismus unter Berufung auf ein für mich unver48 49
Siehe S. 42. Siehe S. 22-24.
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ständlich kühn behauptetes epistemologisches Privileg des Beobachters vertretenen Definition des Verhältnisses zum Objekt Unbehagen verspürt hätte“ (Zeile 2 bis 7). Zwar hielt Bourdieu sich „angesichts des fiktiv jede Distanz zwischen Beobachter und Beobachtetem leugnenden Intuitionismus eher an den auf Kosten eines methodologischen Bruchs mit der Primärerfahrung um ein Verstehen der Logik der Praktiken bemühten Objektivismus“, doch ließ ihn „der Gedanke nicht los, daß man auch die spezifische Logik dieses erfahrungslosen ‚Verstehens‘ verstehen können müsse“ (Zeile 8 bis 14). Während hier die Genealogie des Vorhabens eng an einen Bericht über das historische Ich des Autors als maßgebendes Subjekt dort-draußen gebunden wird, ist es in (10) das auf spezifische Weise sozialisierte Ich des Autors, das „vielleicht eine weniger abstrakte Vorstellung als andere vom Leben eines Bergbauern hatte“ (Zeile 1 und 2) und das als verlässliche Instanz das Gesagte bezeugt und beglaubigt. John Van Maanen beschreibt dies als eine spezifische „representational form of ethnographic writing, the fieldwork confessional (…) The distinguishing characteristics of confessional tales are their highly personalized styles and their self-absorbed mandates.” (Van Maanen 1988: 73) Ein zentrales Moment solcher „confessional tales” ist das in und mit den Textbeispielen (9) und (10) sichtbar werdende Personalisieren von Autorschaft. (48) Van Maanen 1988: 74 f. 1 2 3 4 5 6 7 8 9
Author-fieldworkers are always close at hand in confessional tales. Their writings are intended to show how particular works came into being, and this demands personalized authority. No longer is the ubiquitous, disembodied voice of the culture to be heard (e.g., The police do X). In its place is a person (e.g., I saw the police do X). There is an intimacy to be established with readers, a personal character to develop, trials to portray, and (…) a world to be represented within which the intrepid fieldworker will roam.
Van Maanens Bericht nimmt zwar nicht (zumindest nicht explizit bzw. erkennbar) Notiz von Bourdieus Arbeiten, er trifft jedoch auf erstaunlich präzise Weise einige zentrale Aspekte der praktischen Leistungen von Bourdieus Schreiben. So wird dort zunächst eine Erzählung über das historische Ich des Autors angefertigt, das sich mit einer spezifischen historischen Situation konfrontiert sieht. (49) Bourdieu 1987: 11 1 2 3 4
(…) Wenn ein Problem oder eine Methode in der Wissenschaft soeben als höchst legitim konstituiert worden ist, kann das bewußt oder unbewußt befreiend oder anfeuernd wirken. Doch konnte mich
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Texte machen dies nicht vergessen machen, wie unpassend, ja sogar absurd eigentlich eine Untersuchung ritueller Praktiken unter den tragischen Umständen des Algerienkriegs war. Dies wurde mir erst neulich wieder bewußt, als mir alte Fotos von gemauerten, mit Schlangenreliefs verzierten Saatgetreidebehältern in die Hände gerieten, die ich Ende der fünfziger Jahre bei Studien in der Gegend von Collo aufgenommen hatte. Obwohl ich kein Blitzlicht hatte, ist die Bildqualität gut. Das verdanke ich nur der französischen Armee, die den Bewohnern des Hauses, in welchem die Behälter als ortsfestes (weil „gemauertes“) „Mobiliar“ standen, zwecks Vertreibung das Dach über dem Kopf angezündet hatte. Besondere epistemologische Klarsicht oder besonderer ethischer oder politischer Scharfblick war also nicht erforderlich, um sich die Frage nach den tieferen Bestimmungsfaktoren einer so offensichtlich „deplazierten“ libido sciendi zu stellen.
Bourdieus historisches Ich ist als maßgebendes Subjekt ganz der enthusiastische Wissenschaftler, der sich mit einem Mal mit der Absurdität seines Vorhabens unter den Auspizien der kolonialen Situation und seiner „so offensichtlich ‚deplazierten‘ libido sciendi“ (Zeile 19) auseinandersetzen muss. Wie schon in den Textstücken (9) fungiert der Ich-Bericht in (49) als eine Art Mandatierung, als Autor-isierung, die den Autor zu einem authentischen Sprecher macht; dies nicht zuletzt, indem das Geschriebene den Leser von den menschlichen Qualitäten des Autors zu überzeugen sucht (vgl. Van Maanen 1988: 75). (50) Bourdieu 1987: 10 f. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Zur Untersuchung der rituellen Überlieferungen wäre ich nie gelangt, wenn nicht dieselbe „Rehabilitierungsabsicht“, die mich zunächst veranlaßt hatte, das Ritual aus der Gesamtheit der legitimen Forschungsgegenstände zu streichen und allen Arbeiten zu mißtrauen, die es gelten ließen, mich von 1958 an bewogen hätte, das Ritual der primitivistischen, gönnerhaften Behandlung zu entreißen. Ich wollte damit bis in den letzten Winkel jenem Rassendünkel nachspüren, der seinen Opfern durch die Selbstbeschämung, die er in ihnen erzeugt, die Erkenntnis und Anerkennung ihrer eigenen Überlieferung versagt.
Hier wie auch in (9) sind es bestimmte beschreibende Worte, die den Bericht mit einer Lesart über die Haltung des Autors versorgen. Das historische Ich des Autors als maßgebendes Subjekt wird in (50) durch eine „Rehabilitierungsabsicht“ (Zeile 2) „veranlaßt“ (Zeile 3), „das Ritual der primitivistischen gönnerhaften Behandlung zu entreißen“ (Zeile 6 und 7); es „wollte damit bis in den letzen Winkel jenem Rassendünkel nachspüren, der seinen Opfern durch die Selbstbeschämung, die er in ihnen erzeugt, die Erkenntnis und Anerkennung ihrer eigenen Überlieferung versagt“ (Zeile 7 bis 10). Bourdieus Bericht erzählt die Ge-
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schichte eines In-eine-Situation-geworfen-Seins, in der das maßgebende Subjekt mit den Methoden des Strukturalismus im Gepäck sich nach und nach, Textstück (9) durch sein gespürtes Unbehagen veranlasst fühlt, „kritisch auf die elementaren Akte der Ethnologie einzugehen“ (Zeile 3 und 4). Ihn ließ „der Gedanke nicht los“, dass „es nicht darum gehe, die Distanz mittels einer falschen primitivistischen Teilhabe per Zaubertrick aufzuheben, sondern darum, diese objektivierende Distanz und ihre sozialen Voraussetzungen (…) zu objektivieren“ (Zeile 12 bis 21). Es wäre nun denkbar, Bourdieus Bericht als relativ schwach, auf die Bedingungen des Entstehens des Claims herab modalisiert zu verstehen.50 Im Gegensatz zum oben thematisierten empiricist repertoire könnte man hier mit Gilbert und Mulkay von einem „contingent repertoire“ sprechen, dessen „guiding principle is in direct opposition to that of the empiricist repertoire in that it enables speakers to depict professional actions and beliefs as being significantly influenced by variable factors outside the realm of empirical (…) phenomena.“ (Gilbert u. Mulkay 1984: 57) Entscheidend ist jedoch, dass der Sprecher in und mit seinem Bericht als dort-gewesen und als autorisierter und authentischer Sprecher markiert und mandatiert wird (vgl. Geertz 1988: 4 f., 78 f.). Das in den Textbeispielen (9) und (49) verfertigte Involviert-Sein des Autors versorgt das Geschriebene mit einer Beglaubigung seiner Sprecherposition als eine Art Augenzeuge, als jemand, der unmittelbar beteiligt war und Zugang hat bzw. hatte zur Szenerie (vgl. Potter 1996: 165). Dieses Moment knüpft das I-witness-Repertoire eng an das oben analysierte empirisierende Repertoire. (51) Bourdieu 1987: 22 f. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 (…) 52 50
Um über diese provisorische Konstruktion, diese erste Skizze eines Netzes von Komplettierungen und Komplizierungen erheischenden Gegensatzbeziehungen hinauszugelangen, begann ich 1962, auf (etwa 1500) Randlochkarten alle veröffentlichten Daten, die ich durch Befragung überprüft hatte, und die selbst gesammelten einzutragen. Letztere hatte ich beim Versuch einer systematischeren Weiterführung von Beobachtung und Befragung auf bereits intensiv erforschten Gebieten wie dem Bauernkalender, der Hochzeit, der Weberei zusammengetragen. Oder ich hatte sie gewonnen, indem ich im Rahmen einer anderen Problemstellung (d.h. eines anderen theoretischen Ansatzes) ganze Praxisbereiche ins Licht rückte, die von früheren Autoren fast systematisch vernachlässigt worden waren (obzwar man hie und da Anmerkungen darüber findet). (...) Die Erstellung einer Kartei aus Randlochkarten, deren Löcher Vgl. S. 39 f., u.a. Fußnote 25.
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Texte machen jeweils entsprechend einem einfachen Code zum Rand hin aufgeschnitten wurden, ermöglichte ein einfaches manuelles Ermitteln aller jeweils zugleich vorkommenden oder sich gegenseitig ausschließenden Angaben und damit für alle grundlegenden Handlungen und Symbole die Skizzierung des sie bestimmenden Netzes von Gegensatz- und Äquivalenzbeziehungen. Parallel dazu hatte ich eine Lösung für die praktischen Antinomien gefunden, die sich aus der Absicht ergaben, alle beobachteten Einzelheiten systematisch zueinander in Beziehung zu setzen. Ich beschränkte mich schlicht auf die Analyse des Innenraums des Hauses, der als Mikrokosmos ein zugleich vollständiger und genau umschriebener Gegenstand ist.
In (51) ist Bourdieus Ich-Bericht mit einem detailreichen Formulieren seines Tuns als Forscher im Feld verbunden, das den Eindruck akribischen Arbeitens und des Dort-gewesen-Seins vermittelt: Bourdieu begann „1962, auf (etwa 1500) Randlochkarten alle veröffentlichten Daten“, die er „durch Befragung überprüft hatte, und die selbst gesammelten einzutragen“ (Zeile 4 bis 6). Interessant ist, dass diese Details für den „eigentlichen“ Claim des Berichts nicht relevant sind, ihn aber gerade dadurch stärken, dass sie einen Kontext herstellen, der den Text als Produkt solider empirischer Arbeit darstellt (vgl. Potter 1996: 117 f.; Van Maanen 1988: 76). Zwar ist das Ich des Autors im Gegensatz zum empirisierenden Repertoire hier an zentraler Stelle in den Bericht eingebaut; jedoch ist das Tun des historischen Bourdieu eines im Namen und unter den Maßgaben von wissenschaftlichen Kriterien. Gerade der Ich-Bericht, das Erfahren und Erleben des historischen Ich, versorgt das Geschriebene mit Nachvollziehbarkeit. In (9) und (10) tritt Bourdieus historisches Ich als Forscher auf, der das eigene Tun reflektiert und kritisch hinterfragt und sich dann, siehe das folgende Textbeispiel, nach und nach von her- und mitgebrachtem Wissen lösen und mühsam neue, bessere Zugänge zu den Objekten und Kriterien adäquaten Forschens erarbeiten muss. (52) Bourdieu 1987: 23 f. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
(…) In der Tat ist dieser 1963 verfaßte und in der von Jean Pouillon und Pierre Maranda als Ehrengabe für Claude Lévi-Strauss herausgegebenen Sammlung erschienene Artikel gewiß meine letzte Arbeit als unbefangener Strukturalist. Allmählich nämlich gewann ich den Eindruck, daß es zur Erklärung der aus der Analyse sozusagen wie durch Zauberhand ohne jede Ordnungsabsicht hervorgetretenen und insofern ein wenig unglaubhaften Bedingtheiten erforderlich war, das Ordnungsprinzip (principium importans ordinem ad actum,, wie die Scholastiker sagten), das die Praktiken zugleich unbewußt und systematisch zu lenken imstande war, in den einver-
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leibten Dispositionen bzw. im Schema der Körperbewegungen zu suchen (…) (…) Doch waren es vor allem die Zwiespältigkeiten und Widersprüche, die sich ständig aus dem Versuch ergaben, die Anwendung der strukturellen Methode bis zur letzten Konsequenz zu treiben, welche mich veranlaßten, weniger die Methode selbst zu hinterfragen als vielmehr die anthropologischen Hypothesen, die stillschweigend allein schon in ihre konsequente Anwendung auf Praktiken Eingang gefunden hatten.
Bourdieu macht das eingangs seines Vorwortes formulierte Programm erkennbar und lesbar adäquat, richtig und notwendig.51 Er versorgt das Geschriebene mit einer Reflexion über Methode, über epistemologische und anthropologische Fragen und Themen und mit Schlussfolgerungen, die umso stabiler erscheinen, als dass Bourdieus historisches Ich eben jene programmatischen Schlüsse und Konsequenzen scheinbar wider Willen ziehen musste. (53) Bourdieu 1987: 33 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14
Ich mußte also, wie mir scheint, ohne überhaupt Gefallen daran zu finden, mich ständig über mein Verhältnis zum Gegenstand befragen, nach dem Allgemeinen und dem Besonderen daran. Und es mag sein, daß die Objektivierung der allgemeinen Beziehung des Beobachters zum Beobachtungsgegenstand, die ich durch eine Reihe von „Beweisen“ herstellen wollte, die tendenziell immer mehr zu Experimenten wurden, das Hauptprodukt meines ganzen Unterfangens ist. Nicht als Objektivierung im Sinne eines theoretischen Beitrags zu einer Theorie der Praxis, sondern als Grundlage einer strengeren, weniger dem Zufall der individuellen Disposition ausgelieferten Definition des richtigen Verhältnisses zum Objekt, die eine der entscheidendsten Bedingungen für eine wahrhaft wissenschaftliche Praxis in den Sozialwissenschaften ist.
Es sind für das I-witness-Repertoire ebenso wie für das empirisierende Repertoire zwei Aspekte zentral, die es möglich machen, beide als deskriptive Techniken mit einem dritten Repertoire zu vergleichen und womöglich gegen dieses abzugrenzen. In beiden Fällen liegt zum einen das formulierte Sosein in den empirischen Phänomenen selbst begründet, es ist dort-draußen; und zum anderen wird, auf je spezifische Weise, das aktive Tun der Autoren als den Erfordernissen der jeweiligen Studien oder empirischen Arbeiten untergeordnet und eben diesen verpflichtet verfertigt. Letzterer Aspekt ist insofern interessant, als in und 51
Vgl. Seite 15 f., Textstück (3).
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mit dieser Praxis der jeweilige Autor als berechtigter und beglaubigter Sprecher markiert wird, als Forscher, der über tieferes wissenschaftliches Wissen und entsprechende Kompetenzen verfügt. Sowohl Garfinkel als auch Bourdieu sind in und mit ihren Berichten kompetente Soziologen, deren Berichte mithilfe dieses „category entitlement“ (vgl. Potter 1996: 114) an Autorität und, jenseits des Modalisierens von Claims, an Stabilität gewinnen. Das erwähnte dritte deskriptive Repertoire lässt sich anhand des Fallbeispiels Luhmann beschreibbar machen, das ich mit der raumzeitlichen Hülle „theoretisierendes Repertoire“ versehen möchte. c) Theoretisierendes Repertoire Nimmt man das Textbeispiel (8) als Dokument eines theoretisierenden Repertoires, so fällt zunächst, äquivalent zum empirisierenden Repertoire, eine Art „transfer of agency“ auf. Zum einen betrifft dies das Formulieren von Claims, die als „Theorieprogramm dieses Buches“ (Zeile 1 und 2) dargestellt werden. D.h. wie im empirisierenden Repertoire ist auch hier der Autor zwar Gestalter des textualen Berichts, die Position des maßgebenden Subjekts wird jedoch einer anderen Instanz zugeschrieben – „dieses Buch“, „universale Theorie“ (Zeile 16 und 17). Zum anderen modalisiert die textuale Äußerung das Geschriebene im Vergleich zum empirisierenden Repertoire auf interessante Weise insofern als es hier im Gegensatz zur „attribution of agency to experimental data“52 „universale Theorie“ bzw. „soziologische Theorie“ ist, der „agency“ zugeschrieben wird: „Universale Theorie betrachtet ihre Gegenstände und sich selbst als einen ihrer Gegenstände als selbstreferentielle Verhältnisse“ (Zeile 16 bis 18), „Eine soziologische Theorie, die die Fachverhältnisse konsolidieren will, muß nicht nur komplexer, sie muß sehr viel komplexer werden“ (Zeile 34 und 35). Ab Zeile 26 dieser textualen Sequenz versorgt die Attribution von „agency“ den Bericht insofern mit Solidität, als die maßgebende Instanz jenseits subjektiver, interpretativer Zugriffsmöglichkeiten verortet wird. So wird der „übliche[.] ‚Dezisionismus‘-Vorwurf“, mit dem „zu rechnen“ und der „nicht ganz unberechtigt“ ist (Zeile 26 und 27), beantwortet und wird denkbare interpretative Willkür „durch Negentropie oder Komplexität verhindert“ (Zeile 32 und 33). Der textuale Bericht wird durch „theorietechnische Vorkehrungen, was Haltbarkeit und Anschlußfähigkeit nach innen und außen betrifft“ und „nicht zuletzt den Einbau einer Reflexion auf Komplexität (also auch eines Begriffs der Komplexität) in die Theorie selbst“ (Zeile 38 bis 41) solide gegenüber konkurrierenden 52
Siehe S. 58; Hervorhebungen durch die maßgebende Instanz des aktualen Textes.
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Versionen und kritischen Entgegnungen verfertigt. In Textstück (8) erscheint die Stärke und Solidität des soziologischen Berichts also als bedingt und organisiert nicht durch „empirische Daten“ oder „empirische Befunde“, sondern durch theoretische Kriterien, durch sprachlich-schriftliche Dinge, die auf eine eigene Weise dort-draußen, d.h. jenseits textualer gestaltender Äußerungen eines Soziologen als Autor eben jenes Berichts liegen. Ähnliches lässt sich an und mit Textbeispiel (54) sichtbar und beschreibbar machen. (54) Luhmann 1984: 11 f. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33
Im Unterschied zu gängigen Theoriedarstellungen, die, wenn überhaupt, einige wenige Begriffe der Literatur entnehmen, sie in kritischer Auseinandersetzung mit vorgefundenen Sinngebungen definieren, um dann damit im Kontext der Begriffstraditionen zu arbeiten, soll im folgenden versucht werden, die Zahl der benutzten Begriffe zu erhöhen und sie mit Bezug aufeinander zu bestimmen. Das geschieht mit Begriffen wie: Sinn, Zeit, Ereignis, Element, Relation, Komplexität, Kontingenz, Handlung, Kommunikation, System, Umwelt, Welt, Erwartung, Struktur, Prozeß, Selbstreferenz, Geschlossenheit, Selbstorganisation, Autopoiesis, Individualität, Beobachtung, Selbstbeobachtung, Beschreibung, Selbstbeschreibung, Einheit, Reflexion, Differenz, Information, Interpenetration, Interaktion, Gesellschaft, Widerspruch, Konflikt. Man wird rasch sehen, daß herkömmliche Theoriebezeichnungen wie Handlungstheorie, Strukturalismus in dieser Gemengelage untergehen. Wir behalten „Systemtheorie“ als Firmenbezeichnung bei, weil im Bereich der allgemeinen Systemtheorie die wichtigsten Vorarbeiten für den angestrebten Theorietypus zu finden sind. Die Arbeit mit diesen Begriffen erfolgt also nicht ohne Bezug (und nicht selten: mit kontrastierendem Bezug) auf vorgefundenes Theoriegut, aber die Begriffe sollen sich, soweit möglich, aneinander schärfen. Jede Begriffsbestimmung muß dann als Einschränkung der Möglichkeit weiterer Begriffsbestimmungen gelesen werden. Die Gesamttheorie wird so als ein sich selbst limitierender Kontext aufgefaßt. Bei einer großen Zahl solcher Begriffe wird es, zumindest für eine einzelne textliche Darstellung, unmöglich, jeden Begriff mit jedem anderen zu verknüpfen. Es gibt bevorzugte Zusammenhangslinien, die zugleich bestimmte Begriffspositionen zentralisieren – zum Beispiel Handlung/Ereignis, Ereignis/Element, Ereignis/Prozeß, Ereignis/Selbstreproduktion (Autopoiesis), Ereignis/Zeit. Die Theorie schreibt sich entlang solchen Vorzugslinien selbst, ohne damit andere kombinatorische Möglichkeiten definitiv auszuschließen.
Luhmann schreibt hier „agency“ sprachlich-schriftlichen Aktanten, „Begriffen“, zu. Diese Begriffe dienen dem Begreifen (vgl. Latour 2000: 131) des Vorhabens insofern als sie als maßgebende Instanzen des Formulierens und Zusammenhal-
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tens des textualen Berichts verfertigt werden: „die Begriffe sollen sich, soweit möglich, aneinander schärfen. Jede Begriffsbestimmung muß dann als Einschränkung der Möglichkeiten weiterer Begriffsbestimmungen gelesen werden. Die Gesamttheorie wird so als ein sich selbst limitierender Kontext aufgefaßt“ (Zeile 21 bis 25). In und mit dem theoretisierenden Repertoire nimmt der Autor eine spezifische Sprecherposition ein. Ähnlich wie im emipirisierenden Repertoire tritt er als Gestalter des Geschriebenen hinter andere, maßgebende Instanzen zurück. Der Bericht ist weitgehend frei von Spuren, die auf personalisierte Autorschaft im Sinne wesentlicher soziologisch-theoretischer Maßnahmen schließen lassen. Zwar ist er in Zeile 15 mit dem Personalpronomen „wir“ verknüpft, jedoch werden hier wie an anderen Stellen der Vorwort-Sequenz zu „Soziale Systeme“ eher editorische bzw. gestaltende Aspekte thematisiert53, hier: das Benennen des Vorhabens mit „‚Systemtheorie‘ als Firmenbezeichnung“ (Zeile 16). Das „wir“ autorisiert den textualen Bericht zudem im Plural, so dass das Geschriebene vom Autor weg modalisiert wird und zum einen ein Kollektiv an Autoren, zum anderen aber auch ein Autor/Leser-Kollektiv hervorbringt.54 Luhmann schreibt als Gestalter des Vorhabens in Zeile 1 über „Theoriedarstellungen“ und in Zeile 26 über „textliche Darstellung“; „Die Theorie“ jedoch „schreibt sich“ jenseits dieser eher editorischen Aspekte „entlang solchen Vorzugslinien selbst“ (Zeile 31 und 32). Interessant ist, dass der Bericht in der textualen Sequenz in (54) als Produkt wissenschaftlicher Arbeit verfertigt wird, die sich jedoch den Regeln und Kriterien des Vorhabens unterordnet: es soll „versucht werden, die Zahl der benutzten Begriffe zu erhöhen und sie mit Bezug aufeinander zu bestimmen“ (Zeile 5 und 6), „Die Arbeit mit diesen Begriffen erfolgt also nicht ohne Bezug (und nicht selten: mit kontrastierendem Bezug) auf vorgefundenes Theoriegut, aber die Begriffe sollen sich, soweit möglich, aneinander schärfen“ (Zeile 19 bis 22). In (54), aber auch in (16), (27) und (32) bis (34) ist Sosein als Produkt wissenschaftlicher „Arbeit mit diesen Begriffen“ formuliert, ist Luhmanns Beitrag also nicht einfach auf das Berichten eines Vorhabens reduziert, sondern ist er aktiv am Vorhaben beteiligt. Die Parallelen zum empirisierenden Repertoire liegen hier darin, dass diese Aktivitäten jedoch als epistemologischen-Kriterienuntergeordnet lesbar gemacht werden. Die in und mit dem theoretisierenden Repertoire hergestellte Sprecherposition ist dabei eine etwas andere als in empirisierenden oder I-witness-Berichten. In (54), aber auch in (6) bis (8), (12), (27) und (34) wird ein „category entitlement“ fabriziert, das Luhmann als kompetenten Theoretiker autorisiert. In (6) und (7) reformuliert Luhmann das Tun 53 54
Vgl. S. 31-36. Vgl. S. 28 f., 51 f.
Dort-Draußen
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derjenigen, „die sich für allgemeine Theorie interessieren“ (Textstück 6, Zeile 1 und 2), kann es als falsche Version markieren und schließlich benennen, „worum es eigentlich geht“ und Kriterien für seine eigene, adäquate und richtige Version formulieren. Textbeispiel (8) reiht das Vorhaben in eine Landschaft konkurrierender Versionen ein – „Das dazugehörige Gegenstandsreich ist aber nicht mehr substantialisierend als ein Weltausschnitt (faits sociaux) vorausgesetzt, den die Soziologie von außen betrachtet. Es ist auch nicht nur als ein Korrelat ihrer analytischen Begriffsbildung angenommen im Sinne des ‚analytischen Realismus‘ von Parsons“ (Zeile 7 bis 11) – sorgt für eine richtige Lesart – „Es ist vielmehr gedacht als die Gesamtwelt, bezogen auf die Systemreferenz sozialer Systeme, das heißt bezogen auf die für soziale Systeme charakteristische Differenz von System und Umwelt“ (Zeile 12 bis 14) – und antizipiert mögliche Kritik – „Spätestens hier ist mit dem üblichen ‚Dezisionismus‘-Vorwurf zu rechnen“ (Zeile 26 und 27). Die Ausschnitte (12) und (27) sind insofern zentral, als hier, wie auch in (8), das eigene Vorhaben in einen Korpus anderer Arbeiten eingereiht wird, von denen, und dies scheint für dieses spezifische „category entitlement“ besonders wichtig, der Autor Notiz genommen hat und die er für seine eigene Arbeit nutzbar zu machen in der Lage ist: „Wir werden daher an fachfremde, interdisziplinär erfolgreiche Theorieentwicklungen anknüpfen müssen und wählen hierfür Ansätze zu einer Theorie selbstreferentieller, ‚autopoietischer‘ Systeme“ (Textstück 12, Zeile 7 bis 10), „In diesem Sinne orientieren wir die allgemeine Theorie sozialer Systeme an einer allgemeinen Systemtheorie und begründen damit die Verwendung des Begriffs ‚System‘“ (Textstück 27, Zeile 1 bis 3). Eng mit diesem Theoretisieren und dem Autorisieren des Autors als Sprecher der Kategorie „Theoretiker“ verbunden ist eine weitere Parallele zum empirisierenden und zum I-witness-Repertoire bezogen auf das Verhältnis von textualen Beschreibungen und beschriebener sozialer Realität, das Luhmann in den Sequenzen (33) und (34) thematisiert: „Der Systembegriff bezeichnet also etwas, was wirklich ein System ist, und läßt sich damit auf eine Verantwortung für Bewährung seiner Aussagen an der Wirklichkeit ein“ (Textstück 33, Zeile 11 bis 13), „Die Aussage ‚es gibt soziale Systeme‘ besagt also nur, daß es Forschungsgegenstände gibt, die Merkmale aufweisen, die es rechtfertigen, den Systembegriff anzuwenden“ (Textstück 34, Zeile 10 bis 12). Ich habe Ihnen für diese Beobachtung darüber hinaus das folgende Textexemplar vorbereitet. (55) Luhmann 1984: 12 f. 1 2 (…) 11 12
Diese Theorieanlage erzwingt eine Darstellung in ungewöhnlicher Abstraktionslage (...) (…) Abstraktion darf jedoch weder als reine Artistik noch als Rückzug auf eine „nur analytisch“ relevante, formale Wissenschaft mißver-
68 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39
Texte machen standen werden. Niemand wird ja bestreiten wollen, daß es so etwas wie Sinn, Zeit, Ereignisse, Handlungen, Erwartungen usw. in der wirklichen Welt gibt. Das alles ist zugleich erfahrbare Realität und Bedingung der Möglichkeit der Ausdifferenzierung von Wissenschaft. Die entsprechenden Begriffe dienen der Wissenschaft als Sonden, mit denen das theoretisch kontrollierte System sich der Realität anpaßt; mit denen unbestimmte Komplexität in bestimmbare, in wissenschaftsintern verwertbare Komplexität überführt wird. Im Anschluß an Saussure, Kelly und andere könnte man auch formulieren: Begriffe formieren den Realitätskontakt der Wissenschaft (und das heißt wie immer so auch hier: eingeschlossen den Kontakt mit ihrer eigenen Realität) als Differenzerfahrung. Und Differenzerfahrung ist Bedingung der Möglichkeit von Informationsgewinn und Informationsverarbeitung. Punkt für Punkt kann es Entsprechungen von Begriff und Realität geben, etwa zwischen dem Sinnbegriff und dem Phänomen Sinn, ohne das keine Menschenwelt bestehen könnte. Entscheidend ist jedoch, daß die Wissenschaft, Systeme bildend, über solche Punkt-für-Punkt Entsprechungen hinausgeht, daß sie sich nicht darauf beschränkt, zu copieren, zu imitieren, widerzuspiegeln, zu repräsentieren, sondern daß sie Differenzerfahrungen und damit Informationsgewinnung organisiert und dafür adäquate Eigenkomplexität ausbildet. Dabei muß der Wirklichkeitsbezug gewahrt bleiben; aber andererseits darf die Wissenschaft, und besonders die Soziologie, sich von der Wirklichkeit auch nicht düpieren lassen. Abstraktion ist, so gesehen, eine erkenntnistheoretische Notwendigkeit.
In (55) finden sich wiederum Hinweise auf ein Umverteilen von „agency“, indem die „Darstellung in ungewöhnlicher Abstraktionslage“ (Zeile 1 und 2) als durch „diese Theorieanlage“ „erzwungen“ (Zeile 1) verfertigt ist und dann für ein richtiges Verstehen des Geschriebenen gesorgt wird: „Abstraktion darf jedoch weder als reine Artistik noch als Rückzug auf eine ‚nur analytisch‘ relevante, formale Wissenschaft mißverstanden werden“ (Zeile 11 bis 13). Entscheidend ist aber, dass Luhmanns Bericht „erkenntnistheoretische Notwendigkeiten“ (Zeile 38 und 39) thematisiert, das Verhältnis von wissenschaftlichem Tun und „der wirklichen Welt“ (Zeile 15): „Niemand wird ja bestreiten wollen, daß es so etwas wie Sinn, Zeit, Ereignisse, Handlungen, Erwartungen usw. in der wirklichen Welt gibt. Das alles ist zugleich erfahrbare Realität und Bedingung der Möglichkeit der Ausdifferenzierung von Wissenschaft“ (Zeile 13 bis 17). Zwar ist der Bericht hier in gewisser Weise auf seine Entstehungsbedingungen herab modalisiert,55 jedoch stellt das Theoretisieren eben dieser Entstehungsbedingungen den Bericht auf ein solides Fundament, unter-schreibt ihn, indem Luhmann-
55
Siehe S. 39 f., u.a. Fußnote 25; S. 61, u.a. Fußnote 50.
Intertextuale Dinge
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als-Theoretiker das eigene wissenschaftliche Tun bezogen auf dessen „Realitätskontakt“ (Zeile 22) zu reflektieren in der Lage ist. Entgegen meines auf Seite 65 f. angebrachten, an Latour angelehnten eher konstruktivistischen Verständnisses von Begriffen, die Sosein aktiv formulieren und somit Form-geben, wird in (55) eine Differenz von wissenschaftlichem Schreiben und wirklicher Welt gesetzt und werden Begriffe „als Sonden“ (Zeile 17 und 18) beschrieben, „mit denen das theoretisch kontrollierte System sich der Realität anpaßt; mit denen unbestimmte Komplexität in bestimmbare, in wissenschaftsintern verwertbare Komplexität überführt wird“ (Zeile 18 bis 21). Interessant ist, dass dieser theoretisierende Text im Gegensatz zu Bourdieus I-witnessBericht die Sorge um ein adäquates Verhältnis von wissenschaftlichem Tun und „wirklicher Welt“ umkehrt. Während Bourdieus Ich-Bericht Claims fabriziert über die Probleme, die „Logik der Praxis“ adäquat (be-)greifen zu können, und somit, ähnlich zum empirisierenden Repertoire, den Phänomenen bzw. den Daten Vorrang gegenüber wissenschaftlichen Aktivitäten zuschreibt, ist es in Luhmanns Bericht das wissenschaftliche Tun, das als wesentlich und primär dargestellt wird, „darf die Wissenschaft, und besonders die Soziologie, sich von der Wirklichkeit auch nicht düpieren lassen“ (Zeile 36 und 37). Es zeigt sich, dass gerade der Aspekt des „category entitlement“ im theoretisierenden Repertoire nicht ohne Verweise auf bzw. ein Sich-Einreihen in einen Korpus anderer Texte bzw. eine Genealogie anderer, namhafter Autoren und Denker, eine Genealogie solider wissenschaftlicher Ideen und bekannter und anerkannter Schulen gelingen kann. Dies betrifft textuale Methoden aktiven Herstellens von „intertextualen Dingen“, auf die ich nun zu „sprechen“ kommen möchte. 2.4 Intertextuale Dinge Bislang habe ich vor allem zwei Methoden des Formulierens solider und unproblematischer soziologischer textualer Berichte thematisiert: (1) das Modalisieren von Claims, das Berichte als mehr oder weniger faktische Versionen über Sosein verfertigt, und (2) das Fabrizieren eines Dort-Draußen, das das Sosein des Geschriebenen als jenseits der subjektiven und interpretativen Reichweite von Autoren-eines-Textes in empirischen Objekten oder theoretischen Instanzen verortet. Eine weitere textuale Praxis aktiv ein Dort-Draußen herzustellen ist es, aktuale Berichte mit anderen textualen Artefakten zu verknüpfen, d.h. sie einzureihen in eine Genealogie und Tradition von anderen Texten, Autorennamen und theoretischen und methodologischen Ansätzen. Diese textualen Praktiken bringen etwas hervor, was in einigen akademisch-disziplinären Feldern als
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Texte machen
„Intertextualität“ bezeichnet wird (vgl. Mills 2007: 166 f.). Ich möchte hier für alle analytischen Zwecke von „intertextualen Dingen“ sprechen und eine praxisbzw. artefaktsoziologische Perspektive einnehmen, von der aus „Intertextualität“ oder „Diskurse“ sichtbar gemacht werden können als in und mit situierten textualen Methoden verfertigte praktische Leistungen. D.h. intertextuale Dinge sind Produkte aktualer Praktiken des Schreibens und Lesens von textualen Berichten, sind ihrerseits textuale Artefakte. a) In-Anführungszeichen-Setzen In Textbeispiel (41) wird diese praktische Leistung durch die textuale Methode des „In-Anführungszeichen-Setzens“ der Worte „interaktionistische“ (Zeile 3) und „ethnomethodologische“ (Zeile 4) vollbracht. Das Geschriebene wird so als zwar-vom-Autor-formuliert,-diesem-aber-nicht-ursprünglich-zuschreibbar markiert. Es zeigt sich, dass hier die weiter oben angeführte Unterscheidung von Gestalter und maßgebendem Subjekt relevant wird. Das In-AnführungszeichenSetzen markiert eine textuale Sequenz als ursprünglich einem maßgebendem Subjekt zuzurechnen, das nicht-der-Autor-dieses-Texts ist. Anführungszeichen als textuale Marker und In-Anführungszeichen-Setzen als textuale Praxis teilen Gestalter und maßgebendes Subjekt auf je verschiedene Instanzen auf. InAnführungszeichen-Setzen stellt hierbei ein ähnliches Dort-Draußen her, wie dies etwa im empirisierenden Repertoire der Fall ist. Das Sosein eines Claims oder eines Objekts wird durch eine extratextuale Instanz autorisiert und bezeugt, deren Position bzw. Version in den Text eingeschrieben und darin und damit reformuliert wird (vgl. Latour 2000: 47, 83, 119, 179). Interessant ist, dass das In-Anführungszeichen-Setzen eine lokal situierte Praxis und insofern „indexikal“ organisiert und lesbar und verstehbar ist. Formulierungen wie „every reference to the ‘real world’“ in Textstück (1) in Zeile 1 und 2, „in der wirklichkeitsfernen und neutralisierten Existenzform ‚theoretischer‘ Thesen“ in Textstück (3) in Zeile 16 und 17, „die objektiv ‚geregelt‘ und ‚regelmäßig‘ sein können“ und „ohne das Werk der planenden Tätigkeit eines ‚Dirigenten‘ zu sein“ in (26) in Zeile 9 und 10 und 15 und 16 und „wenn man in Begriffen gegenwärtig existierender Schulen sprechen möchte: die ‚interaktionistische‘ oder ‚ethnomethodologische‘“ in Textbeispiel (41) in Zeile 2 bis 4 reformulieren Äußerungen andere maßgebender Instanzen und mitunter auch eine Art allgemeines Wie-man-Sagt unspezifischer Sprecher. Garfinkels InAnführungszeichen-Setzen von „real world“ in Textstück (1) formuliert etwas, das so genannt wird, er schreibt über das,-was-wirkliche-Welt-genannt-wirdoder-werden-könnte. In (6) holt Luhmann ebenfalls ein So-Formuliertes eines
Intertextuale Dinge
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anderen maßgebenden Subjekts in den eigenen Text hinein, jedoch ist und wird die Version „Gesellschaftsgeschichte“ einem konkreten maßgebenden Subjekt, „Weber“, zu-geschrieben. In Textbeispiel (8) wird „Parsons“ als maßgebende Instanz der Position „des ‚analytischen Realismus‘“ in den Text eingeschrieben. In (1), (6) und (8) werden Autoren-anderer-Texte zur Sprache und zum Sprechen gebracht – in (1) entpersonalisiert, in (6) und (8) verknüpft mit jeweiligen Autoren-Namen. Dieses Zur-Sprache-und-zum-Sprechen-Bringen ist eine aktive Leistung aktualer textualer Berichte. In den soeben referierten Textbeispielen fungiert diese Methode als eine Kontraststruktur (vgl. Smith 1993: 33 f.), die den eigenen Bericht stabilisiert, indem sie andere Versionen als fehlerhaft unterminiert.56 Das In-Anführungszeichen-Setzen markiert die Versionen „wirkliche Welt“ oder „analytischer Realismus“ lesbar als nicht-dem-Autor-desaktualen-Textes-zurechenbar und zugleich als zwar-formulierte,-jedochfehlerhafte-bzw.-nicht-adäquate-Version. In Textstück (56) ist der Fall etwas anders gelagert. (56) Luhmann 1984: 32 1
(…) Man spricht dann etwa von „black box“.
Das In-Anführungszeichen-Setzen von „black box“ formuliert, wie in Textstück (1), eine Art Wie-„man“-Sagt. „Man spricht dann etwa von ‚black box‘“ fungiert hier jedoch nicht als Kontraststruktur, sondern stützt den eigenen Claim. (56.1) Luhmann 1984: 32 1 2 3 4 5 6 7 8
(…) Das Wissenschaftssystem kann andere Systeme unter Gesichtspunkten analysieren, die für diese selbst nicht zugänglich sind. Es kann in diesem Sinne latente Strukturen und Funktionen aufdecken und thematisieren. Umgekehrt findet man häufig und gerade auch in der Soziologie die Situation, daß Systeme in ihrer Selbstbeobachtung Formen des Zugriffs auf Komplexität entwikkeln, die der wissenschaftlichen Analyse und Simulation nicht zugänglich sind. Man spricht dann etwa von „black box“.
Luhmanns Bericht wird in (56) und (56.1) durch das Anführen eines Manspricht-Von stabilisiert und als eine Version dargestellt, die vergleichbar ist mit von anderen maßgebenden Instanzen parallel, jedoch mit anderen Worten formulierten Versionen (vgl. Potter 1996: 161). In (27) – „wir (…) begründen damit die Verwendung des Begriffs ‚System‘“ in Zeile 2 und 3 –, in der Reihung von (31) und (40) und in (47) scheint das In-Anführungszeichen-Setzen auf andere 56
Vgl. Punkt c) dieses Kapitels; vgl. 3.2a).
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praktische Zwecke orientiert zu sein. Im Gegensatz zu den Kontraststrukturen in (1), (6) und (8) geht es hier zunächst um eine Art Arbeit wissenschaftlichanalytischen Benennens von Sosein. Es werden Worte und Formulierungen in die textualen Artefakte eingeschrieben und für alle epistemologischen Zwecke neubeschrieben. In Zeile 8 und 9 in Textbeispiel (31) schreibt Garfinkel über „members’ procedures for making those settings ‘account-able’.“ Das in Anführungszeichen gesetzte „account-able“ wird dann, in (40), mit der richtigen Lesart versehen: „When I speak of accountable my interests are directed to such matters as the following. I mean observable-reportable“ (Zeile 1 und 2). In (47) ist das Benennen der Objekte des Berichts mit einem In-Anführungszeichen-Setzen von kursiv formatierten Worten verbunden, in und mit dem eben jene Worte zu Begriffen gemacht werden: „For convenience let me call these ‘ad hoc’ considerations, and call their practices ‘ad hocing’“ (Zeile 5 bis 7).57 Ähnliches lässt sich anhand von Textstück (27) beobachten: „In diesem Sinne orientieren wir die allgemeine Theorie sozialer Systeme an einer allgemeinen Systemtheorie und begründen damit die Verwendung des Begriffs ‚System‘. Für die Theorie sozialer Systeme werden ihrerseits, und deshalb sprechen wir von ‚allgemein‘, Universalitätsansprüche erhoben“ (Zeile 1 bis 5). Das In-AnführungszeichenSetzen fungiert hier jedoch zusätzlich als Referenz auf einen Sprachgebrauch, der jenseits des textualen Berichts, d.h. intertextual verortet ist und wird. Es wird ein Kon-Text in und mit dem aktualen Text hergestellt, mit dem InAnführungszeichen-Setzen einer textualen Sequenz. Es wird so eine „allgemeine Systemtheorie“ als extra- bzw. intertextuale maßgebende Instanz in den aktualen Bericht eingeschrieben. Diese textuale Methode referiert auf einen und verortet den aktualen Text in einem Korpus anderer Texte. Letzteres verweist auf eine Praxis des Herstellens intertextualer Dinge, die ich nun gesondert thematisieren möchte. b) Theoretisieren: Sich-Einreihen in einen Korpus von Texten In Textstück (12) knüpft Luhmann sein Vorhaben an „fachfremde, interdisziplinär erfolgreiche Theorieentwicklungen“ und wählt „hierfür Ansätze zu einer Theorie selbstreferentieller, ‚autopoietischer‘ Systeme“ (Zeile7 bis 10). Luhmann stellt hier intertextuale Dinge her, indem er zum einen das Wort „autopoietisch“ in Anführungszeichen setzt und so anderen maßgeblichen Sprecherinstanzen originär zuschreibt und zum anderen auf einen Kontext „fachfremder, interdisziplinär erfolgreicher Theorieentwicklungen“ referiert, d.h. auf 57
Vgl. zum Artikulieren S. 47-53; vgl. S. 57 f., S. 74.
Intertextuale Dinge
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etablierte Instanzen jenseits nicht nur des eigenen Textes, sondern auch des Faches, die die eigene Version autorisieren. Ich hatte diese textuale Methode als „Sich-Einreihen“ bezeichnet,58 und möchte meinen Vorschlag mit der wenn auch nicht fachfremden, so jedoch innerdisziplinär erfolgreichen Instanz Michael Lynch und seiner Version zum „theorizing“ verbinden, den und die ich nun zum „Sprechen“ bringe. (57) Lynch 1999: 212 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
(…) By “theorizing” in this context I mean the work of constructing intellectual genealogies that commemorate notable authors and foundational writings. It is part of a broader effort to index empirical investigations to bodies of literature. The work of indexing is facilitated by scholarly efforts to identify abstract themes and topics, formulate propositions and postulates, articulate common problems, and ascribe assumptions and presuppositions to authors and schools. This work is more than a matter of encoding and decoding a literature. It also has to do with methodology: the use of criteria, decision rules, and models which tie research designs to scholarly traditions. The point of such endeavors is to isolate fundamental precepts and to construct intellectual histories for one or another literary tradition of social thought.
Interessant an diesem Versuch des Verknüpfens meines Vorhabens mit der Version einer anderen textualen Instanz ist ein zentrales Problem des Zum-SprechenBringens anderer Autoren, auf das ich weiter unten genauer eingehen möchte: Als Autor des aktualen Berichts bin ich lediglich Gestalter eines Textes, dessen Urheber ein anderer Autor, in diesem Falle „Michael Lynch“, ist. D.h. insofern die „ursprüngliche“ Version lesbar und „als Original“ in einen aktualen Text eingeschrieben wird, entzieht sie sich bis zu einem gewissen Punkt der Kontrolle desjenigen, der diese Instanz an- und aufruft. Leser können lesen, was „im Original“ geschrieben steht, sodass es mitunter einiger textualer Arbeit bedarf, die referierte Version in das eigene Vorhaben einzupassen.59 In (57) betrifft dies zunächst die Zeilen 3 und 4 in und mit denen Lynch „the work of indexing“ als Einreihen von „empirical investigations“ in „bodies of literature“ thematisiert. Ich denke, dass es lohnenswert ist, hier verschiedene textuale Methoden und Repertoires aufzulisten und miteinander zu vergleichen. Es scheint, dass es vor allem eine zentrale textuale Methode theoretisierender Berichte bzw. einzelner Sequenzen innerhalb eben solcher Berichte ist, aktuale Versionen in Korpora anderer, etablierter Texte einzureihen. Dies deshalb, weil das Einreihen ein wissenschaftlich-disziplinäres Dort-Draußen formuliert, das den eigenen Bericht als 58 59
Vgl. S. 27-30. Vgl. S. 80 f., S. 109.
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nicht-isoliert herstellt, als verbunden mit anderen Texten, Autoren, Forschungstraditionen etc. In anderen Textsequenzen oder eher empirisierend formulierten Berichten scheint die textuale Arbeit eher auf das Thematisieren real-weltlichen Soseins dort-draußen orientiert. In Textstück (12) ist Luhmanns Version an „fachfremde, interdisziplinär erfolgreiche Theorieentwicklungen“ gekoppelt (Zeile 7 und 8), in (27) an die „allgemeine[.] Systemtheorie“ (Zeile 2) und in Textstück (54) an die „‚Systemtheorie‘ als Firmenbezeichnung (…), weil im Bereich der allgemeinen Systemtheorie die wichtigsten Vorarbeiten für den angestrebten Theorietypus zu finden sind“ (Zeile 16 bis 18). Die „allgemeine Systemtheorie“ als Korpus wissenschaftlichen Arbeitens ist und wird als ein Ansatz lesbar gemacht, der das eigene Vorhaben stützt und mit dem adäquate Themen- und Problemstellungen formulierbar sind. Dies ist verbunden mit der textualen Methode, die Lynch „theorizing“ nennt, wobei ich auch hier die Formulierung „the work of constructing intellectual genealogies that commemorate notable authors and foundational writings“ (Zeile 2 und 3 in Textstück 57) etwas ausdehnen möchte. Neben dem zentralen Aspekt des Herstellens von Denktraditionen und -schulen betrifft das Theoretisieren auch ein Ein-Schreiben von Worten als und zu Begriffen, die Begriffs-Arbeit als Definieren und Abgrenzen der eigenen Version von konkurrierenden anderen Vorschlägen. In Luhmanns Bericht ist dieses SichEinreihen eng mit dem Ein-Schreiben systemtheoretischer Begriffe und entsprechender Begriffs-Arbeit verbunden. (58) Luhmann 1984: 34 f. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20
Die allgemeine Systemtheorie kann gegenwärtig nicht als eine konsolidierte Gesamtheit von Grundbegriffen, Axiomen und abgeleiteten Aussagen vorgestellt werden. Sie dient einerseits als Sammelbezeichnung für sehr verschiedenartige Forschungsunternehmen, die ihrerseits insofern allgemein sind, als sie ihren Anwendungsbereich und dessen Grenzen nicht spezifizieren. Andererseits haben solche Forschungen ebenso wie systemtypspezifische Forschungen (zum Beispiel auf dem Gebiet der datenverarbeitenden Maschinen) zu Problemerfahrungen geführt sowie zu Versuchen, diese Erfahrungen begrifflich zu konsolidieren. Es sind diese Problemerfahrungen und die ihnen entsprechenden Formulierversuche, die die Wissenschaftslandschaft zu verändern beginnen bis hin zu den Umgründungen, die wir in der Einleitung vorgestellt haben. An sie schließen wir im folgenden an. Der Forschungsstand erlaubt es nicht, mit einem Bericht über gesicherte Ergebnisse zu beginnen und diese Ergebnisse im Sinne von „applied systems research“ in die Soziologie zu übernehmen. Er ermöglicht es aber, die Grundkonzepte über das hinaus zu verdichten, was in der Literatur geläufig ist, und sie in einen Zusammenhang zu bringen, der zugleich Probleminteressen und Erfahrungen
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der soziologischen Forschung berücksichtigt. 1. Als Ausgangspunkt jeder systemtheoretischen Analyse hat, darüber besteht heute wohl fachlicher Konsens, die Differenz von System und Umwelt zu dienen.
Diese textuale Sequenz beginnt mit einer Art Stand-der-Dinge der „allgemeinen Systemtheorie“, die „gegenwärtig nicht als eine konsolidierte Gesamtheit von Grundbegriffen, Axiomen und abgeleiteten Aussagen vorgestellt werden“ kann (Zeile 1 bis 3). Auf den Seiten 15 bis 29 seines Berichts referiert Luhmann zuvor in einem textualen Abschnitt, der mit „Zur Einführung: Paradigmawechsel in der Systemtheorie“ betitelt ist, die Genealogie eben dieses gegenwärtigen akademisch-disziplinären Soseins und reiht sein eigenes Vorhaben in eben jene Genealogie ein.60 (59) Luhmann 1984: 28 1 2 3 4 5 6 7 8 9
Vor diesem aktuellen wissenschaftsgeschichtlichen Hintergrund verstehen sich die folgenden Überlegungen als ein Versuch, die Theorie sozialer Systeme auf der Grundlage des Entwicklungsstandes der allgemeinen Systemtheorie zu reformulieren. Die allgemeine Systemtheorie soll an der Begegnung mit soziologischen Materialien bewährt werden, und ineins damit sollen die Abstraktionsgewinne und Begriffsbildungserfahrungen, die interdisziplinär bereits vorliegen oder sich abzeichnen, für soziologische Forschung nutzbar gemacht werden.
In (58) und (59) reiht Luhmann seine Version in das gegenwärtige Sosein der allgemeinen Systemtheorie ein. Dies geht, wie bereits erwähnt, einher mit einem Ein-Schreiben von Begriffen der allgemeinen Systemtheorie in das eigene Vorhaben. In (58) wird diese Begriffs-Arbeit in den Zeilen 22 bis 24 eingeleitet: „1. Als Ausgangspunkt jeder systemtheoretischen Analyse hat, darüber besteht heute wohl facheinheitlicher Konsens, die Differenz von System und Umwelt zu dienen.“ In Luhmanns Bericht folgt eine 56 Seiten lange Sequenz in und mit der er In-der-Systemtheorie-Formuliertes in den eigenen Bericht einarbeitet. „Die folgenden Überlegungen“ werden lesbar gemacht „als ein Versuch, die Theorie sozialer Systeme auf der Grundlage des Entwicklungsstandes der allgemeinen Systemtheorie zu reformulieren“ – Textstück (59), Zeile 2 bis 4) –, d.h. der systemtheoretische Sprachgebrauch wird in den eigenen Text überführt und zu praktischen Zwecken der eigenen Version übersetzt. Dies lässt sich u.a. anhand der folgenden Textstücke beobachten. 60
In diesem Textabschnitt gedenkt Luhmann dann auch den „notable authors and foundational writings“ (Textstück 57, Zeile 2 und 3).
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Texte machen
(60) Luhmann 1984: 57 1 2 3
9. Das nächste Zentralthema heißt Selbstreferenz. Es gewinnt erst in der neuesten Systemforschung eine rasch zunehmende Beachtung, auch unter Titeln wie Selbstorganisation oder Autopoiesis [Fußnote 58]. (60.1) Luhmann 1984: 57 f., Fußnote 58
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16
Vgl. zu „Selbstorganisation“ Hinweise oben Einleitung Anm. 16; zu Autopoiesis vor allem Humberto R. Maturana, Erkennen: Die Organisation und Verkörperung von Wirklichkeit: Ausgewählte Arbeiten zur biologischen Epistemologie, Braunschweig 1982, und Milan Zeleny (Hrsg.), Autopoiesis: A Theory of Living Organization, New York 1981. Ferner etwa: Manfred Eigen, Selforganization of Matter and the Evolution of Biological Macromolecules, Die Naturwissenschaften 58 (1971), S. 465-523; Heinz von Foerster, Notes pour une épistemologie des objets vivants, in: Edgar Morin/Massimo Piatelli-Palmarini (Hrsg.), L’unité de l’homme: Invariants biologiques et universeaux culturels, Paris 1974, S. 401-417; Klaus Merten, Kommunikation: Eine Begriffs- und Prozeßanalyse, Opladen 1977; Peter M. Hejl et al. (Hrsg.), Wahrnehmung und Kommunikation, Frankfurt 1978; Niklas Luhmann, Identitätsgebrauch in selbstsubstitutiven Ordnungen, besonders Gesellschaften, in: Odo Marquard/Karlheinz Stierle (Hrsg.), Identität, Poetik und Hermeneutik Bd. VIII, München 1979, S. 315-345; Niklas Luhmann/Karl Eberhard Schorr, Reflexionsprobleme im Erziehungssystem, Stuttgart 1979; Francisco J. Varela, Principles of Biological Autonomy, New York 1979 a.a.O. (1979). (60.2) Luhmann 1984: 24, Fußnote 16
1 2 3 4
Vgl. Marshall C. Yovits/Scott Cameron (Hrsg.), Self-organizing Systems, Oxford 1960; Marshall C. Yovits/George T. Jacobi/Gordon D. Goldstein (Hrsg.), Selforganizing Systems, Washington 1962; Heinz von Foerster/Georg W. Zopf (Hrsg.), Principles of Self-organization, Oxford 1962.
In (60), (60.1) und (60.2) referiert Luhmann Versionen zum „Zentralthema“ „Selbstreferenz“, das als ein intertextual formuliertes Objekt darstellbar und lesbar wird und als Thema, das zugleich „erst in der neuesten Systemforschung eine rasch zunehmende Beachtung“ gewinnt (Textstück 60, Zeile 2 und 3). In und mit den Fußnoten bzw. „Anmerkungen“ verknüpft Luhmann das Gesagte mit einer Reihe anderer maßgebender Instanzen und mit Texten als Versionen,die-ebenfalls-das-Thema-behandeln,-wenn-auch-unter-anderen-Bezeichnungen. Auf den diesem Textstück folgenden Seiten des textualen Artefakts wird nun Begriffs-Arbeit geleistet, d.h. es werden verschiedene Theoretisierungen und Konzeptualisierungen von „Begriffen“ wie „Selbstreferenz“, „Selbstorganisation“ und „Autopoiesis“ referiert, kontrastiert und miteinander und zueinander geordnet. In Luhmanns Bericht wird sukzessive Sosein theoretisiert und in einen
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und mit einem spezifischen Sprachgebrauch epistemologisch ebenso wie ontologisch übersätzt. Worte werden als intertextuale Dinge, als „systemtheoretische“ Begriffe lesbar und verstehbar gemacht und zugleich reformuliert und, mit einer Lesart für die praktischen Zwecke des eigenen Vorhabens versehen, in die eigene Version eingeschrieben. (61) Luhmann 1984: 58 1 2 3
Der Begriff Selbstreferenz bezeichnet die Einheit, die ein Element, ein Prozeß, ein System für sich selbst ist. „Für sich selbst“ – das heißt: unabhängig vom Zuschnitt der Beobachtung durch andere. (62) Luhmann 1984: 59 f..
1 (…) 7 8 9 9 10 11 (…) 19 21 22 23
Dies Problem verweist auf Systembildung (…) (…) Ein System kann man als selbstreferentiell bezeichnen, wenn es die Elemente, aus denen es besteht, als Funktionseinheiten selbst konstruiert [Fußnote 62] und in allen Beziehungen zwischen diesen Elementen eine Verweisung auf diese Selbstkonstitution mitlaufen läßt, auf diese Weise die Selbstkonstitution also laufend reproduziert (...) (…) (…) Selbstrefentielle Systeme sind auf der Ebene dieser selbstreferentiellen Organisation geschlossene Systeme, denn sie lassen in ihrer Selbstbestimmung keine anderen Formen des Prozessierens zu. (62.1) Luhmann 1984: 59, Fußnote 62
1 2 3 4 5
Vgl. dazu auch C.P. Wormell, On the Paradoxes of Self-Reference, Mind 67 (1958), S. 267-271; Lars Löfgren, Unfoldment of Self-reference in Logic and Computer Science, in: Finn V. Jensen/Brian H. Mayoh/Karen K. Møller (Hrsg.) Proceedings from the 5th Scandinavian Logic Symposium, Aalborg 1979, S. 250-259. (63) Luhmann 1984: 63 f.
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Dies Konzept des selbstreferentiell-geschlossenen Systems steht nicht im Widerspruch zur Umweltoffenheit der Systeme; Geschlossenheit der selbstreferentiellen Operationsweise ist vielmehr eine Form der Erweiterung möglichen Umweltkontaktes; sie steigert dadurch, daß sie bestimmungsfähigere Elemente konstituiert, die Komplexität der für das System möglichen Umwelt. Diese These steht im Widerspruch sowohl zur klassischen Entgegensetzung von Theorien geschlossener und offener Systeme [Fußnote 70] als auch zum Begriff der Autopoiesis von Maturana, der zur Herstellung von Sy-
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stem/Umweltbeziehungen einen Beobachter als ein anderes System erfordert [Fußnote 71]. (63.1) Luhmann 1984: 64, Fußnote 70
1 2
Vgl. programmatisch: Ludwig von Bertalanffy, General Systems Theory, General Systems 1 (1956), S. 1-10. (63.2) Luhmann 1984: 64, Fußnote 71
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Siehe z.B. Humberto Maturana, Stratégies cognitives, in: Morin/Piattelli-Palmarini a.a.O. S. 418-432 (426 ff.) und dazu die kritischen Einwände von Henri Atlan ebenda. S. 443.
Das Ein-Schreiben intertextualer Dinge betrifft, so Lynch in Textstück (57) , u.a. „the use of criteria, decision rules, and models which tie research designs to scholarly traditions“ (Zeile 9 und 10). In Textbeispiel (15) z.B. thematisiert Bourdieu den Strukturalismus und formuliert eine entsprechende adäquate Lesart dieses Ansatzes als „strukturelle Methode oder einfacher das relationale Denken“ (Zeile 3 und 4). In (13) ist und wird Garfinkels Bericht an einen Korpus ethnomethodologischer Arbeiten gekoppelt, die lesbar einem gleichen Forschungsinteresse folgen und entsprechend methodologische Einheit aufweisen: „Through their studies methods have been made available whose use has established a domain of sociological phenomena“ (Zeile 8 und 9). Luhmann referiert in seinem Vorhaben (auf) die „Methode funktionaler Analyse“ (Luhmann 1098: 83). In und mit dem Theoretisieren und Sich-Einreihen wird so etwas wie Konsens und Zustimmung hergestellt (vgl. Textstück 58, Zeile 23; vgl. Potter 1996: 159). In (60.1), (60.2) und (62.1) listet Luhmann eine Reihe an Namen und Texten auf, die als externe Referenzen für das Geschriebene stehen. Der Claim „Ein System kann man als selbstreferentiell bezeichnen, wenn es die Elemente, aus denen es besteht, als Funktionseinheiten selbst konstruiert“ in Textstück (62) in den Zeilen 7 bis 9 ist in und mit der Fußnote 62 mit Versionen von „C.P. Wormell“ und „Lars Löfgren“ verknüpft. Das „Vgl.“ in Zeile 1 von (62.1) fabriziert deren Versionen als Referenzen, die Leser/innen vergleichend heranziehen könnten, die also „vergleichbar“ sind. In Textstück (13) ist es ein ganzes Kollektiv an Namen, das als In-Übereinstimmung mit der aktualen Version im textualen Artefakt angeführt wird: „Over the past ten years a group of increasing size has been doing ethnomethodological studies as day to day concerns: Egon Bittner, Aaron C. Cicourel, Lindsey Churchill, Craig MacAndrew, Michael Moerman, Edward Rose, Harvey Sacks, Emmanuel Schegloff, David Sudnow, D. Lawrence Wider, and Don Zimmerman“ (Zeile 1 bis 5). Garfinkel als Autor und sein Text als Beitrag sind und werden eingebunden in ein akademisches
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Kollektiv und einen entsprechenden Textkorpus an Ansätzen-zum-gleichenThema. John Van Maanen beschreibt diese textualen Methoden als „credentials“. Diese machen Autoren lesbar zu „scholars with graduate training, academic affiliations, and impersonal disciplinary interests“ (Van Maanen 1988: 46). Das Sich-Einreihen, das Produzieren und Referieren von intertextual etablierten Versionen stabilisiert den eigenen Bericht als adäquate Version-zu-einemThema. Das Zur-Sprache-und-zum-Sprechen-Bringen anderer maßgebender Instanzen und ihrer Versionen ist hier auf die praktischen Zwecke des Bezeugens bzw. des Fabrizierens von Zeugen für die eigene Version über Sosein orientiert, auf die sich der Gestalter oder die maßgebende Instanz eines Berichts berufen kann. „The presence or the absence of references, quotations and footnotes is so much a sign that a document is serious or not that you can transform a fact into fiction or a fiction into fact by adding or subtracting references.“ (Latour 1987: 33) Das Ein-Schreiben anderer, bereits existierender und möglichst gut etablierter Texte in die eigene Version versorgt eben jene Version mit Autorität (vgl. Latour 1987: 31 f.). (64) Bourdieu 1976: 171 1 2 3 4 5 6 7 8 9
(…) Vermag der Habitus als Operator zu funktionieren, der den Bezug der beiden Relationssysteme in der und durch die Hervorbringung der Praxis praktisch herstellt, so weil er zu Natur gewordene Geschichte ist, die als solche negiert weil als zweite Natur realisiert wird: In der Tat gibt das „Unbewußte“ niemals etwas anderes wieder als das Vergessen der Geschichte, das die Geschichte selbst vollzieht, indem sie die objektiven Strukturen, die sie erschafft, in jenen Quasi-Naturen, als welche die Habitusformen zu verstehen sind, verkörpert.
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„In jedem von uns steckt, entsprechend wechselnden Proportionen, der Mensch von gestern; er sogar ist es, der, durch die Macht der Dinge, in uns vorherrscht, ist das Gegenwärtige doch nur ein Geringes gegenüber jener langen Vergangenheit, in deren Verlauf wir Gestalt gewannen und aus der heraus wir kommen. Allein, wir spüren diesen Menschen der Vergangenheit nicht, da er tief in uns Wurzeln gefaßt hat; er bildet den unbewußten Teil unserer selbst. Dessentwegen wird man auch dazu verleitet, ebensowenig von ihm wie von seinen legitimen Ansprüchen Rechenschaft abzulegen. Demgegenüber besitzen wir ein lebhaftes Gespür für die re-zentesten Erwerbungen der Zivilisation, die, weil rezent, noch nicht die Zeit hatten, sich im Unbewußten zu organisieren.“ [Fußnote 43] (64.1) Bourdieu 1976: 447, Fußnote 43
1
43 E. Durkheim, L’évolution pédagogique en France, Paris 1938, S. 16.
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Wie in (60), (62) und (63) ist und wird auch diese textuale Sequenz über eine Fußnote mit der Version einer anderen Instanz verknüpft; das Gesagte wird unter-schrieben im Sinne von untermauert, d.h. auf ein solides soziologisches Fundament gestellt. Interessant ist, dass diese als Referenz in Anführungszeichen gesetzte Version zu etwas geworden ist, was Bourdieus Bericht scheinbar noch nicht für sich in Anspruch nehmen kann. Das Geschriebene wird verknüpft mit einer Referenz, die intertextual, jenseits des aktualen Berichts verortet und in eben jenen Bericht als „black box“ eines Korpus soziologischen Wissens eingelassen wird (vgl. Latour 1987: 35). D.h. während die Version der maßgebenden Instanz „E.Durkheim“ bereits „black box“ soziologischen Wissens ist, muss Bourdieu seinen eigenen Bericht in und mit textualer Arbeit als eine solche stabile und faktische Version erst noch lesbar machen. „All this work is not enough for one good reason: whatever a paper does to the former literature, the later literature will do to it (…) To survive or to be turned into a fact, a statement needs the next generation of papers.“ (Latour 1987: 38)61 Hier ist zunächst zentral, dass das eigene Vorhaben Unterstützung zu-geschrieben bekommt, das Nennen des Namens und der maßgebenden Instanz „E.Durkheim“, das Referieren seiner textualen Äußerungen vervielfältigt die Stimme(n), mit der/denen nun gesprochen wird; der/die Leser/in wird gegenüber einem Sprecherkollektiv vereinzelt. Ich führe zur Unterstützung meiner Argumentation „Latour 1987: 33, 36“ an. Nehmen wir das Fallbeispiel Luhmann hinzu, so lässt sich Ähnliches beobachten. (65) Luhmann 1984: 42 f. 1 2 3
(…) Auch Handlungen verdanken ihre Einheit dem Relationsgefüge des Systems, in dem sie als Handlungen konstituiert werden. [Fußnote 21] (65.1) Luhmann 1984: 43, Fußnote 21
1 2 3 4 61
So mit aller Deutlichkeit Talcott Parsons, The Structure of Social Action, New York 1937, S. 43: „Just as the units of a mechanical system in the classical sense, particles, can be defined only in terms of their properties, mass, velocity, location in space, direction of motion, etc., so the units of action systems also have certain Gestalter und maßgebende Instanz des aktualen textualen Artefakts möchten an dieser Stelle den Artikulationskanal eben jenes Artefakts nutzen und Sie, liebe Leserin, lieber Leser, darauf hinweisen, dass auch wir uns freuen würden, sollten Sie (…) Metatextuale Instanz: „Da es äußerst unüblich zu sein scheint, Leser als Schreiber textualer Artefakte direkt zu einem, positiven wie negativen, Ein-Schreiben einer aktualen Version in eine „next generation of papers“ zu ermutigen, sahen „wir“ uns gezwungen, diese Fußnote zu streichen.“ Vgl. S. 36.
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basic properties (hier hätte gesagt werden müssen: Relationen) without which it is not possible to conceive of the unit as “existing”.
Luhmanns Claim ist durch eine Fußnote unter-schrieben, in und mit der das Geschriebene mit der maßgebenden Instanz „Talcott Parsons“ verknüpft wird. Dessen Bericht fungiert als Version, die „mit aller Deutlichkeit“ das-gleiche sagt, d.h. als fertig-verfertigte und etablierte Version, die das Geschriebene autorisiert, es als nicht-allein, als in-einem-Kontext-anderer-Berichte-stehend fabriziert. Insofern ein(e) Leser(in) Zweifel an Luhmanns Version hegt, sieht er oder sie sich nun nicht nur dem Autor eben jenes Berichts, sondern zusätzlich dem Autor Talcott Parsons gegenüber, dessen Version ebenfalls destabilisiert werden müsste, wollte man eine Alternative etablieren (vgl. Latour 1987: 36). In und mit der Fußnote 21 zur Sequenz (65) arbeitet sich der Autor des Berichts jedoch an einem interessanten Problem des Referierens auf und von andere(n) Versionen ab, das ich auf Seite 73 angedeutet habe. Insofern Formulierungen „wörtlich“ in den aktualen Text eingeschrieben werden, sind sie vom Autor-eben-jenes-Textes nur bis zu einem gewissen Punkt gestaltbar. Luhmann baut in das Zitat in Zeile 5 eine eingeklammerte eigene Äußerung dazu ein, was „hätte gesagt werden müssen“, aber eben nicht wurde. Dies verweist auf einen Aspekt, auf den ich weiter unten ausführlicher eingehen möchte:62 Das Anführen von Textstücken als Referenzen des Geschriebenen ist ein aktives Einarbeiten und Übersetzen eben jener Textstücke in den eigenen Bericht, d.h. Referenzen müssen, sollen sie den eigenen Bericht stabilisieren, an- und eingepasst werden. „Intertextualität“ oder „Diskurse“ sind aktive Leistungen textualer Praktiken. Dem Sich-Einreihen und Theoretisieren einer Genealogie oder eines Korpus‘ an Begriffen, Postulaten, Annahmen und Texten ist ein konstruktives Moment des Herstellens eben jener Genealogien oder Korpora zueigen. Ich hatte in meiner Vorwort-Modulation angedeutet, dass das Referieren auf und von andere(n) Versionen nicht nur dazu verwendet werden kann, den eigenen Bericht zu stabilsieren, sondern vielmehr auch dazu, eben jene anderen Versionen als fehlerhaft oder falsch zu unterminieren.63 c) Kontrastieren Das Modalisieren von Claims, das Herstellen eines Dort-Draußen, das SichEinreihen in einen Korpus von Texten, die als vergleichbare Texte und als Textezum-gleichen-Thema lesbar sind und die eigene Version stabilisieren – all dies 62 63
Vgl. S. 107-109. Siehe u.a. S. 18-22.
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sind textuale Praktiken, die Berichte in einer, wie man mit Jonathan Potter schreiben könnte, „defensive rhetoric“ formulieren. Eine Beschreibung „may provide defensive rhetoric depending on its capacity to resist discounting or undermining“ (Potter 1996: 107). In diesem Bild wird die entgegengesetzte textuale Methode als „offensive rhetoric” beschreibbar, „in so far as it undermines alternative descriptions. It may be constructed precisely to rework, damage or reframe an alternative description.“ (Potter 1996: 107) In Textbeispiel (8) z.B. ist Luhmanns Bericht im Gegensatz zum „‚analytischen Realismus’ von Parsons” verfertigt (Zeile 11). In (63) schreibt er zwei andere Versionen in den eigenen Bericht ein, um sie als fehlerhaft darzustellen: „Diese These steht im Widerspruch sowohl zur klassischen Entgegensetzung von Theorien geschlossener und offener Systeme [Fußnote 70] als auch zum Begriff der Autopoiesis von Maturana, der zur Herstellung von System/Umweltbeziehungen einen Beobachter als ein anderes System erfordert [Fußnote 71]“ (Zeile 6 bis 11). In den Bericht sind mithilfe von Fußnoten Referenzen eingeschrieben, die nicht die eigene Version stärken, sondern die als Kontrast, als alternative,-jedoch-falsche-Version reformuliert werden: „Ludwig von Bertalanffy, General Systems Theory, General Systems 1 (1956), S. 1-10“ in Textstück (63.1) und „Humberto Maturana, Stratégies cognitives, in: Morin/Piattelli-Palmarini a.a.O. S. 418-432 (426 ff.) und dazu die kritischen Einwände von Henri Atlan ebenda S. 443“ in Textstück (63.2). In seinen Bestrebungen, „Humberto Maturana“ und seine Version als sich-irrend bzw. fehlerhaft darzustellen, wird Luhmann in Fußnote 71 von „Henri Atlan“ unterstützt. Dies verweist auf einen interessanten Aspekt intertextualer Dinge: In gewisser Weise werden Leser/innen anhand von Referenzen auf etwas verwiesen, das jenseits des aktualen textualen Artefakts verortet wird. Um die Güte dieser Referenz und insofern auch die Stabilität eben jenes Berichts zu prüfen, müssten Leser/innen sich auf die ausgelegte textuale Spur begeben und nach-lesen (vgl. Latour 1987: 33 f., 60 f.). Dies stattet den Gestalter einer Version mit einem gewissen Vorteil, einer momentanen Deutungshoheit aus und stabilisiert dessen „claim-making“. Das Kontrastieren mit anderen, konkurrierenden Versionen ist ebenfalls ein aktives Herstellen und Ein-Schreiben eben jener Versionen. „Instead of passively linking (…) [its] fate to other papers, the article actively modifies the status of these papers (…) [turning] them more into facts or more into fiction“ (Latour 1987: 35). Ich werde weiter unten auf diesen Aspekt der „action orientation of description” zurückkommen. Für den Moment zentral ist, dass auch die „offensive rhetoric“ dem Stabilisieren des eigenen Berichts insofern hilft, als sie andere, konkurrierende Versionen ausschaltet. In Textbeispiel (63) z.B. finden sich einerseits heraufmodalisierte Claims über Sosein („Geschlossenheit der selbstreferentiellen Operationsweise ist vielmehr eine Form der Erweiterung möglichen
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Umweltkontakts; sie steigert dadurch, daß sie bestimmungsfähigere Elemente konstituiert, die Komplexität der für das System möglichen Umwelt“ in Zeile 2 bis 6), und andererseits werden konkurrierende Versionen als fehlerhaft in den Text ein-geschrieben. In Textbeispiel (5) sind „certain versions of Durkheim that teach that the objective reality of social facts is sociology’s fundamental principle“ in den Zeilen 1 bis 3 als Gegensatz zu der Lesart hergestellt, die Garfinkel selbst anfertigt; dies u.a. mithilfe der Kontraststruktur in Zeile 3 „the lesson is taken instead, and used as a study policy“. In den Zeilen 10 bis 13 formuliert Garfinkel dann das Programm ethnomethodologischer Studien: „Ethnomethodological studies analyze everyday activities as members’ methods for making those same activities visibly-rational-and-reportable-for-all-practicalpurposes, i.e. ‘accountable’, as organizations of commonplace activities.“ Nimmt man die textuale Sequenz in den Blick, die auf dieses „claim-making“ folgt, so lässt sich diese als ein weiteres Dokument einer „offensive rhetoric“ lesen. In (44) wird zunächst, in und mit einem empirisierenden Repertoire, das ethnomethodologische Programm formuliert: „Their study is directed to the task of learning how members’ actual, ordinary activities consist of methods“ (Zeile 1 und 2). Im folgenden Textbeispiel wird dieses Vorgehen dann mit anderen Versionen kontrastiert. (66) Garfinkel 1967: viii 1 2 3 4 5 6
(…) The formal properties obtain their guarantees from no other source, and in no other way. Because this is so, our study tasks cannot be accomplished by free invention, constructive analytic theorizing, mock-ups, or book reviews, and so no special interest is paid to them aside from an interest in their varieties as organizationally situated methods of practical reasoning.
Interessant ist, dass das Umschalten von defensiver auf offensive Rhetorik, also von (44) zu (66), ein Positionieren der eigenen Version gegenüber konkurrierenden Programmen beinhaltet, das eben jene Programme selbst zu adäquaten Objekten-ethnomethodologischer-Analyse macht: „and so no special interest is paid to them aside from an interest in their varieties as organizationally situated methods of practical reasoning“ (Zeile 4 bis 6). Das defensive bzw. offensive Formulieren eines Berichts fabriziert also einen je spezifischen Status der verschiedenen Versionen, etwas, das sich mit Potter als „reifying“ bzw. „ironizing“ beschreiben lässt. „I will refer to discourse which is constructing versions of the world as solid and factual as reifying discourse. Reifying means to turn something abstract into a material thing (…) In contrast, we will refer to discourse which is undermining versions as ironizing (…) I will treat ironizing discourse as talk or writing which undermines the literal descriptiveness of versions. It is the
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opposite of reifying discourse: it turns the material thing back into talk which is motivated, distorted or erroneous in some way.“ (Potter 1996: 107) Die Reformulierung der alternativen Programme in Textstück (66) als „accomplished by free invention, constructive analytic theorizing, mock-ups, or book-reviews“ in Zeile 3 und 4 und als Objekte-ethnomethodologischer-Analyse „as organizationally situated methods of practical reasoning“ (Zeile 6) führt eben jene Programme zurück auf deren Entstehungsbedingungen, modalisiert sie offensiv herab, macht sie zu etwas, das zwar gesagt oder behauptet wird, jedoch falsch ist im-Gegensatz-zu Garfinkels eigener Version.64 In und mit der Produktion intertextualer Dinge lassen sich so also nicht nur eigene, sondern auch die Claims anderer maßgebender Instanzen herauf- oder herabmodalisieren. Das Herabmodalisieren anderer Berichte zu BloßBehauptetem lässt sich u.a. anhand von Textstück (9) beschreiben. In dieser Sequenz wird die Version, die der Strukturalismus über das-Verhältnis-zumObjekt fabriziert, herabmodalisiert, indem sie als „unter Berufung auf ein für mich unverständlich kühn behauptetes epistemologisches Privileg des Beobachters vertretene[.] Definition des Verhältnisses zum Objekt“ (Zeile 4 bis 7) umterminiert und unterminiert wird. Neben dem Strukturalismus ist in (9) die eigene Version in den Zeilen 7 bis 12 als im-Gegensatz-zu der Version des „Intuitionismus“ stabilisiert: „Zwar hielt ich mich angesichts des fiktiv jede Distanz zwischen Beobachter und Beobachtetem leugnenden Intuitionismus eher an den auf Kosten eines methodologischen Bruchs mit der Primärerfahrung um ein Verstehen der Logik der Praktiken bemühten Objektivismus“. Bourdieu listet in und mit seinem Bericht fehlerhafte Versionen auf; dieses Auflisten ermöglicht es ihm, einen Bericht zu formulieren, der im Kontrast zu eben jenen intertextual situierten nicht-adäquaten Versionen als stabil erscheint. Es ließe sich hier mit Dorothy Smith von „contrast structures“ sprechen, die Leser/innen darin instruieren, richtige, adäquate und vernünftige Versionen von falschen oder fehlerhaften zu unterscheiden (vgl. Smith 1993: 33-41). In (41) schreibt Bourdieu „die Erkenntnisweise, die wir phänomenologische nennen wollen (oder, wenn man in Begriffen gegenwärtig existierender Schulen sprechen möchte: die ‚interaktionistische‘ oder ‚ethnomethodologische‘)“ in den Zeilen 1 bis 4 in den eigenen Bericht ein und reformuliert und kontrastiert sie mit der eigenen Version. In der Sequenz, die diesem Textstück folgt, reflektiert diese „Erkenntnisweise“ „ihrer Definition nach nicht auf sich selbst und schließt im weiteren die Frage nach den Bedingungen ihrer eigenen Möglichkeit aus“. Das Sosein dieser „Erkenntnisweise ist „ihrer Definition nach“ fehlerhaft.
64
Zur textualen Technik des Im-Gegensatz-Zu siehe S. 18-22.
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(67) Bourdieu 1976: 147 1 2 3 4
(…) Sie begreift die soziale Welt als eine natürliche und selbstverständlich vorgegebene Welt, sie reflektiert ihrer Definition nach nicht auf sich selbst und schließt im weiteren die Frage nach den Bedingungen ihrer eigenen Möglichkeit aus.
Bourdieus Bericht formuliert ein Sosein – aufbauend auf eben jenem Sosein werden alternative Programme ironisiert bzw. herabmodalisiert und mögliche epistemologische Kontroversen für Leser/innen entscheidbar gemacht insofern als die eigene Version im-Gegensatz-zu diesen Alternativen als richtig und adäquat formuliert ist und wird. (68) Bourdieu 1976: 147 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17
(…) Die hier objektivistisch genannte Erkenntnisweise (wovon die strukturalistische Hermeneutik nur einen Sonderfall bildet) erstellt die – gewöhnlich ökonomischen oder linguistischen – objektiven Beziehungen, die die verschiedenen Praxisformen und deren Repräsentationen, d.h. im besonderen die praktische und stillschweigende primäre Erfahrung der vertrauten Welt, strukturieren – freilich um den Preis des Bruchs mit dieser primären Erfahrung, folglich mit den stillschweigend übernommenen Voraussetzungen, die der sozialen Welt ihren evidenten und natürlichen Charakter verleihen: In der Tat vermag die objektivistische Erkenntnis sowohl die objektiven Strukturen der gesellschaftlichen Welt wie die objektive Wahrheit der primären Erfahrung, der eine explizite Kenntnis dieser Strukturen mangelt, nur unter der Bedingung zu erstellen, daß sie jene Frage stellt, die die doxische Erfahrung der sozialen Welt per definitionem ausschließt: die nach den (besonderen) Bedingungen der Möglichkeit dieser Erfahrung selbst. (69) Bourdieu 1976: 147 f.
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
(…) Gegenstand der Erkenntnisweise schließlich, die wir praxeologische nennen wollen, ist nicht allein das von der objektivistischen Erkenntnisweise entworfene System der objektiven Relationen, sondern des weiteren die dialektischen Beziehungen zwischen diesen objektiven Strukturen und den strukturierten Dispositionen, die diese zu aktualisieren und zu reproduzieren trachten; ist mit anderen Worten der doppelte Prozeß der Interiorisierung der Exteriorität und der Exteriorisierung der Interiorität. Diese Erkenntnisweise setzt den Bruch mit der objektivistischen Erkenntnis, setzt die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit und darin nach den Grenzen des objektiven und objektivierten Standpunkts voraus, der, statt aus den verschiedenen Praxisformen das generative
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Texte machen Prinzip zu entwickeln, indem er sich auf deren Wirkungen selbst einläßt, sie nur von außen, als faits accomplis, erfaßt.
Wie zuvor in (67) formuliert die Sequenz in (68) die Beschreibung einer konkurrierenden Version als fehlerhaft; auch hier ist es das Sosein, das „per definitionem“ (Zeile 16) in diese Version eingebaute Falschsein, das in und mit dieser Sequenz hervorgebracht wird. Im-Gegensatz-zu der herabmodalisierten „objektivistischen Erkenntnisweise“, fabriziert Bourdieu in (69) ein adäquates Programm in einer defensiven Rhetorik, das sozusagen „best of both worlds“ zu bieten hat. In den Zeilen 1 bis 9 nimmt Bourdieu richtige und adäquate Aspekte der „objektivistischen Erkenntnisweise“ (Zeile 3 und 4) in die eigene Version auf, die aber „des weiteren die dialektischen Beziehungen zwischen diesen objektiven Strukturen und den strukturierten Dispositionen, die diese zu aktualisieren und zu reproduzieren trachten“ zum Objekt hat (Zeile 5 bis 7). In den Zeilen 9 bis 15 thematisiert Bourdieu, dass der „Bruch mit der objektivistischen Erkenntnis“ „die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit und darin nach den Grenzen des objektiven und objektivierten Standpunkts voraus“-setzt und „statt aus den verschiedenen Praxisformen das generative Prinzip zu entwickeln, indem er sich auf deren Wirkungen selbst einläßt, sie nur von außen, als faits accomplis, erfaßt.“ Die textuale Methode des Ein-Schreibens fehlerhafter Versionen ist, so zeigt sich, ein aktives Reformulieren und Herstellen von Lesarten eben jener Versionen. Sie werden aktiv übersetzt in andere Worte, in andere Sprach-Bilder und -Spiele. Luhmann z.B. formuliert in Textsequenz (6) zunächst einen Bericht über „diejenigen, die sich für allgemeine Theorie interessieren“ und daher in gewissem Sinne ähnliche Programme formulieren, wie der Gestalter der aktualen Version. Diese Programme werden jedoch auf zweierlei Weise ironisiert: zum einen werden sie auf ihre Entstehungsbedingungen herabmodalisiert und als bloße Version, als zwar-Formuliertes,-jedoch-Falsches dargestellt; und zum anderen werden sie in und mit dem Gebrauch eines spezifischen beschreibenden Vokabulars umterminiert und somit unterminiert: „Was man sich selbst zu schaffen nicht zutraut, wird als schon vorhanden vorausgesetzt“ (Zeile 7 und 8), „Die Klassiker sind Klassiker, weil sie Klassiker sind“ (Zeile 8 und 9), „Die Orientierung an großen Namen und die Spezialisierung auf solche Namen kann sich dann als theoretische Forschung ausgeben“ (Zeile 10 und 11), „Auf abstrakterer Ebene entstehen auf diese Weise Theoriesyndrome“ (Zeile 12 und 13), „Dem Marxismus wird etwas Systemtheorie injiziert. Interaktionismus und Strukturalismus sind, so stellt sich heraus, gar nicht so verschieden, wie man angenommen hatte“ (Zeile 17 bis 19).65 In und mit diesen Beschreibungen wird das Tun derjenigen,65
Vgl. S. 18 f.
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die-sich-für-allgemeine-Theorie-interessieren als komisch und womöglich an irgendwelchen, jedoch nicht vernünftigen theoretischen Kriterien orientiert dargestellt – in Textstück (7) etwa erscheinen konkurrierende maßgebende Instanzen als „mit Kombinationsspielen befaßt“ (Zeile 5). (70) Luhmann 1984: 8 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
All das ist nicht uninteressant und nicht unfruchtbar. Je weiter aber die Klassiker in die Geschichte des Faches zurücktreten, desto notwendiger wird es werden, theoretische und biographische, abstrakte und konkrete Dispositionen über sie zu unterscheiden. Wird man sie aber, wenn man sie schon so zerreißt, entbehren können? Eine Soziologie der Soziologie könnte dazu die Einsicht beisteuern, daß bei tribalen Verhältnissen die Orientierung an Genealogien unerläßlich ist. Man darf dann aber wohl fragen, ob es bei tribalen Verhältnissen, die sich selbst als Pluralismus beschreiben, bleiben muß und ob die genealogische Engführung von Einschränkungen die einzige Möglichkeit ist, die Inanspruchnahme des Titels Theorie zu rechtfertigen.
In (70) reformuliert Luhmann die konkurrierende Version mithilfe einer Metapher, die eben jene Version in Worten von „tribalen Verhältnissen“ (Zeile 7) ironisiert, d.h. in eine andere Wort-Welt übersetzt und als nicht adäquat beschreibt. In dieser textualen Sequenz bedient sich Luhmann einer Methode, die sich auch für Garfinkels Bericht in Textstück (66) beobachtbar und beschreibbar machen lässt. Ich hatte auf Seite 83 f. beschrieben, dass und wie Garfinkel seine Version gegenüber konkurrierenden Programmen stabilisiert, indem er eben jene konkurrierenden Programme selbst zu Objekten-ethnomethodologischer-Analyse macht, sie also in ihrem Status als konkurrierende und satisfaktionsfähige (sozial-)wissenschaftliche Versionen unterminiert und in eine Existenzweise als analytische Objekte übersetzt. „Mit euch diskutiere ich nicht – euch erforsche ich!“ Eine ähnliche Position nimmt Luhmann hier in Zeile 6 und 7 ein, wenn er schreibt, „Eine Soziologie der Soziologie könnte dazu die Einsicht beisteuern, daß bei tribalen Verhältnissen die Orientierung an Genealogien unerläßlich ist“. Unabhängig davon, dass das Herstellen von und Sich-Einreihen in Genealogien auch bei Luhmann eine wichtige textuale Methode zu sein scheint,66 scheint er für seine Version zu konstatieren, dass diese eben jene „tribalen Verhältnisse“ zu überwinden hilft. Interessant ist hier die Sprecherposition, von der aus konkurrierende Versionen als „nicht uninteressant und nicht unfruchtbar“ (Zeile 1) formuliert werden – eine Art vergiftetes Lob, das als offensive Rhetorik die ironisierte Version unterminiert. 66
Vgl. S. 27-30., S. 72-81; vgl. unten Kapitel 3.1a).
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Texte machen
Es zeigt sich, dass mit einer Analyse der Produktion intertextualer Dinge, also etwa des Ein-Schreibens von externen Referenzen, des Einreihens eines Berichts in eine intellektuelle Genealogie oder des Kontrastierens aktualer mit anderen, konkurrierenden Versionen, Aspekte einer „action orientation of description“ beobachtbar und beschreibbar werden. Textuale Praktiken und Artefakte erscheinen hier als darauf orientiert, andere Texte aktiv zu reformulieren oder zu unterminieren. Wichtig ist hierbei, dass beide Aspekte des Formulierens schriftlicher Berichte, „epistemological“ und „action orientiation“, zwar analytisch trennbar sind, jeweilige textuale Sequenzen in actu jedoch eng miteinander verbunden sein bzw. sich gegenseitig stützen können (vgl. Potter 1996: 108). Im Falle des Kontrastierens jeweiliger Versionen ist das Ausschalten und Ironisieren, das Herabmodalisieren alternativer Entwürfe als praktische Leistung einer offensiven Rhetorik eng verbunden mit dem Stabilisieren des eigenen Entwurfs, dem Formulieren einer defensiven Rhetorik, die den eigenen Bericht als solide, adäquat und unproblematisch darstellt. Ich möchte im folgenden Kapitel textuale Praktiken und Artefakte darauf hin untersuchen, wie sie als „aktive Texte“ (Smith 1993: 120-158) ihr argumentatives Terrain epistemologisch und ontologisch zuschneiden.
3 Texte machen etwas
Wie weiter oben lesbar, ist dem Soziologie-Schreiben bei Garfinkel, Bourdieu und Luhmann ein Moment des Formulierens von Kriterien adäquater epistemologischer Praktiken zueigen.67 Dieses Formulieren von Kriterien kann insofern als „action orientation“ von Berichten beschreibbar gemacht werden, als hier eine Art Ein-Schreiben in das eigene Vorhaben verfertigt wird – dies jedoch nicht im Sinne des oben diskutierten Referierens auf und von andere(n) Versionen, sondern als eine textuale Methode der In-Skription von Lesarten und somit des Instruierens der Textaneignungspraktiken von Lesern als Benutzer-Kategorie des Artefaktes. Ich hatte in meiner Analyse des Auf-dem-ArtikulationskanalSendens darauf hingewiesen, dass es hilfreich sein kann, zu praktischen Zwecken des Fabrizierens stabiler, faktischer Berichte eine Lesart des Geschriebenen als so-gemeint zu formulieren.68 Dies deshalb, weil jenseits des Modalisierens von Claims oder des Verknüpfens mit stabilen externen Referenzen das Schicksal eines Textes in den Händen anderer, d.h. von Lesern und Leserinnen als Adressaten-des-Textes liegt, die das Geschriebene entweder für wahr nehmen oder aber herabmodalisieren als falsche bzw. fehlerhafte Version.69 Lesarten zu formulieren instruiert Leser/innen darin, wie sie einen Text lesen, d.h. verstehen können und sollen, und stabilisiert diesen als adäquat und richtig. Es geht in diesem Sinne darum, die Hände derjenigen, die das Schicksal eines textualen Artefakts weitertragen, zu führen, darum, Leser als Adressaten-des-eigenenVorhabens zu interessieren und in dieses einzubinden. (71) Latour 1987: 132 1 2 3 4 5
(…) As a result, claims become well-established facts and prototypes are turned into routinely used pieces of equipment. Since the claim is believed by one more person, the product bought by one more customer, the argument incorporated in one more article or textbook, the black box encapsulated in one more engine, they spread in time and space.
In Kapitel 1 des von mir formulierten textualen Artefaktes sind Analysen über textuales In-Existenz-Bringen und Relevant-Machen von Objekten-der-Analyse als Praktiken des Schreibens soziologischer Berichte lesbar, die man mit Callon 67 68 69
Siehe S. 17-22; Kapitel 2.3. Siehe S. 49-52 f. Siehe S. 81 f.
B. Krey, Textuale Praktiken und Artefakte, DOI 10.1007/978-3-531-92849-4_3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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als Problematisieren bzw. Problematisierungen beschreiben kann (Callon 2006: 135, 146-150). Das Problematisieren umfasst in und mit den Textbeispielen (1), (2) und (3) zunächst eine Definition des „Problems“, d.h. ein Hervorbringen von Sosein und ein Formulieren eben jenes Soseins als adäquates-Objekt-einesVorhabens. In (1) ist und wird dies mit der Formulierung „In doing sociology, lay and professional, every reference to the ‘real world’, even where the reference is to physical or biological events, is a reference to the organized activities of everyday life“ geleistet, die am Beginn des Übersetzens von Adressaten in das eigene Vorhaben steht. Wie weiter oben diskutiert, verfertigt diese Formulierung den Bericht zunächst als eine solide Version und weist in diesem Sinne zunächst eine „epistemological orientation“ auf.70 Im Anschluss an dieses Sätzen von Sosein wird jedoch eine „study policy“ formuliert und erhält der Bericht eine „action orientation“, indem ein Set soziologischer bzw. ethnomethodologischer Kriterien erarbeitet wird. In (5) verfertigt die Formulierung „Ethnomethodological studies analyze everyday activities as members’ methods for making those same activities visibly-rational-and-reportable-for-all-practicalpurposes, i.e. ‘accountable’, as organizations of commonplace activities“ in den Zeilen 10 bis 13 ein epistemologie-politisches Programm, das, ausgehend von zuvor definiertem Sosein, als Handlungsanweisung für adäquates wissenschaftliches Tun in Garfinkels Sinne fungiert. Die „epistemological orientation“ des Berichts ist und wird in (5) an ein Formulieren und Verhandeln von Epistemologie-Politik angeschlossen.71 „Epistemologie-Politik“ meint für alle praktischen analytischen Zwecke meines Vorhabens das Formulieren von adäquaten und unumgänglichen Handlungsprogrammen, die aufbauen auf zuvor textual in Existenz gebrachtem Sosein. Das Formulieren epistemologie-politischer Handlungsprogramme, also von Kriterien adäquaten epistemologischen und anaytischen Arbeitens, ist, ebenso wie das Verknüpfen eines Vorhabens mit externen Referenzen, eine zentrale textuale Methode des Interessierens der Adressaten eben jenes Vorhabens (vgl. Callon 2006: 153-155), die darauf orientiert ist, „to enrol others so that they participate in the construction of the fact; to control their behavior in order to make their actions predictable.“ (Latour 1987: 108; vgl. Callon 2006: 156-159) „To enrol others“ heißt, interessierte Adressaten dazu zu bringen, das postulierte epistemologie-politische Programm zu übernehmen, und sie als Mitglieder des epistemischen Kollektivs zu gewinnen (vgl. Callon 2006: 156). Ist dieses Interessieren und In-Skribieren von Adressaten und Lesarten erfolgreich, so be70 71
Auch dies ist ein Übersetzen im Sinne eines Formulierens von Phänomenen oder Vorgängen in und mit spezifischen beschreibenden Worten. Vgl. dazu Abschnitt 3.2b). „Epistemologie-Politik“ schreibe ich in Anlehnung an Annemarie Mols Begriff der „ontological politics“ (Mol 1999).
(Wie geht) Diskurs?
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kommt ein textualer Bericht den Status eines obligatorischen Passagepunkts zugeschrieben; er wird zur „black box“ und als etablierte faktische Version verwendet und weitergereicht. Inwiefern eine Version als „black box“ etabliert und ihrerseits als Element eines Korpus‘ soziologischen Wissens lesbar und verstehbar gemacht wird, obliegt konkreten Textaneignungspraktiken, in und mit denen wiederum textuale Artefakte als „materielle Partizipanden“ (Hirschauer 2004: 74 f.) dieser Textarbeit hergestellt werden – Annotationen, Exzerpte, neue textuale Berichte und faktische Versionen. Diese Methoden der Textaneignung können hier nicht weiter untersucht werden.72 Untersucht werden können hier jedoch textuale Artefakte als Produkte eben dieser Arbeit: Inwiefern eine Version als „black box“ etabliert wird, obliegt einer, mit Latour formuliert, „next generation of papers“ (Latour 1987: 38), als textualen Artefakten der Textaneignung. Indem ich analysiere, wie in und mit Texten Genealogien und Textkorpora wissenschaftlichen Wissens aktiv hergestellt, d.h. versammelt, referiert und reformuliert werden, lassen sich in und mit textualen Artefakten inkarnierte Textaneignungen, lassen sich textual inkorporierte Lesarten anderer Berichte und faktischer Versionen untersuchen.73 Ein-Schreiben und Übersetzen als Methoden und praktische Leistungen soziologischen Schreibens bringen Sosein in Existenz. Sie fabrizieren Genealogien wissenschaftlichen Denkens und Schreibens, bringen ähnliche oder konkurrierende Versionen zum „gleichen Thema“ zur Sprache und zum Sprechen und schneiden Phänomene und Vorgänge mithilfe beschreibender Worte und Formulierungen ontologisch und epistemologisch zu. Ich möchte im folgenden Kapitel das Ein-Schreiben anderer Texte in die eigene Version im Sinne eines Herstellens von „Diskursen“ als Artefakte situierter textbezogener Praktiken untersuchen, bevor ich in Kapitel 3.2 abschließend das Übersetzen als aktives Zuschneiden eines argumentativen Terrains beschreibe. 3.1 (Wie geht) Diskurs? Eine zentrale textuale Methode der Produktion solider Berichte ist es, die eigene Version mit Referenzen auszustatten, d.h. mit Verweisen z.B. auf andere Texte, die entweder zur Unterstützung oder aber als Kontrastfolien herangezogen wer72
73
Projekte, die u.a. die konkrete soziologische Arbeit an und mit Texten untersuchen, werden derzeit von Kornelia Engert und der maßgebenden Instanz des hier lesbaren Textes am Institut für Soziologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz verfolgt. Erste Ergebnisse wurden im Oktober 2010 in Frankfurt im Rahmen eines Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie vorgestellt; entsprechende Publikationen sind, in mal mehr und mal weniger fortgeschrittener, Planung. Vgl. „Schluss“-Kapitel. Und nun: zurück „zum Text“. Vgl. Kapitel 2.4b), 2.4c), 3.2a).
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den können. In Anlehnung an Michael Lynch habe ich diese Praxis weiter oben als „Theoretisieren“ analysiert.74 Mit dem Theoretisieren verbunden ist ein Arbeiten an und Erarbeiten von intellektuellen Genealogien, ein Herstellen intellektuell-wissenschaftlicher Kontexte. Intertextuale Dinge herzustellen und in einen Bericht einzuarbeiten ist daher kein passives Anschließen an einen Korpus an Texten bzw. wissenschaftlichen Wissens, kein passives Referieren anderer Versionen, sondern ein aktives Erarbeiten, Versammeln und Einschreiben von Versionen und ihren maßgebenden Instanzen für die praktischen Zwecke des eigenen Vorhabens. a) Wie geht Diskurs, Teil 1: Herstellen von Genealogien Wie ich anhand des Textbeispiels (58) und der diesem vorausgehenden textualen Sequenz gezeigt habe, geht es beim Theoretisieren in und mit textualen Berichten zunächst darum, eben jene Berichte mit Korpora anderer Texte zu verbinden, „to link the present to the past by tracing back a historic line of work through a canonical tradition.“ (Lynch 1998: 15)75 Es wird eine Erzählung der einzelnen Entwicklungsstufen der Theorietradition angefertigt und mit bestimmten Namen von Autoren (siehe Textstück 73, Zeile 3), Theorieschulen und Texten ebenso wie mit jeweiligen Schlagworten, Begriffen und Formulierungen in Verbindung gebracht. (72) Luhmann 1984: 20 1 2 3
Eine Tradition, die aus der Antike überliefert war und älter ist als die begriffliche Verwendung des Terminus „System“, hatte von Ganzheiten gesprochen, die aus Teilen bestehen.
Luhmanns Erzählung einer Genealogie der allgemeinen Systemtheorie beginnt in der Antike. Es folgt ein Erörtern jeweilig angefertigter (wegweisender) „Beiträge“ (siehe Textstück 74, Zeile 5), das die einzelnen Entwicklungsstufen, die diese Geschichte nimmt, nachvollzieht; die Erzählung wird hierbei immer wieder mithilfe von Fußnoten mit Texten-zum-gleichen-Thema, die Leser/innen zum „Vgl.“ heranziehen können, verbunden. (73) Luhmann 1984: 22 1 74 75
Im ersten Schub wird die traditionelle Differenz von Ganzem und Vgl. S. 72-81. Vgl. S. 74 f.
(Wie geht) Diskurs? 2 3 4 5 6
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Teil durch die Differenz von System und Umwelt ersetzt. Mit diesem Umbau, für den Ludwig von Bertalanffy als prominenter Autor steht, hat man die Theorie des Organismus, die Thermodynamik und die Evolutionstheorie zueinander in Beziehung setzen können.
Das Formulieren von Genealogien oder Chronologien „also can follow a series of stages reminiscent of folk tales and mythologies (…) a ritual progression through a series of stages, not unlike those identified for myth and ritual dramas“ (Lynch 1998: 16 f.). Das Fortschreiten und Fortschreiben wissenschaftlichen Wissens ist, wie andere Vorgänge sozialen Wandels auch, immer wieder von Krisen- und Schwellenphasen gekennzeichnet und von einem Überwinden dieser Krisen z.B. durch das Überschreiten einer Schwelle (vgl. Lynch 1998: 17 f.; Turner 1989: 94 f.; Van Gennep 1986: 21). In Textsequenz (2) befindet sich die Soziologie in einer „Theoriekrise“ (Zeile 1) und in gewissem Sinne in einer Phase der „Liminalität“, vor deren Hintergrund Luhmann in Textbeispiel (8) „die Absicht“ formuliert, „eine Art Schwelle zu nehmen, vor der die heute üblichen Theoriediskussionen in der Soziologie stagnieren“ (Zeile 2 bis 4). (74) Luhmann 1984: 24 1 2 3 4 5 6 7 8 9 (…) 13 14 15 16 17
Während dieses Paradigma offener Systeme innerhalb der Systemtheorie als durchgesetzt und anerkannt gelten kann, ist ein daran anschließender Schritt von überbietender Radikalität erst in den letzten beiden Dekaden zur Diskussion gestellt worden. Es handelt sich um Beiträge zu einer Theorie selbstreferentieller Systeme. Zur Zeit gibt es weder ausreichend durchgearbeitete, noch allgemein wahrgenommene, geschweige denn akzeptierte Theoriegrundlagen; aber es ist genug sichtbar, um Konsequenzen für eine Theorie sozialer Systeme abschätzen zu können. (…) (...) Ein erster Entwicklungsschub hatte den Begriff der Selbstorganisation benutzt und um 1960 mit drei größeren Symposien einen gewissen Höhepunkt erreicht. Der Begriff Selbstorganisation bezog sich jedoch – zurückblickend muß man sagen „nur“ – auf die Strukturen eines Systems.
Das Herstellen intellektueller Genealogien ist hier zunächst zu spezifischen praktischen Zwecken verfertigt. „Such chronologies and lists tend to be deployed around an argument or scholastic position, and they mobilize categorical distinctions and chronological references in a way that supports or accentuates the author’s position. Like ordinary storytellers, authors of published papers often place themselves in a central position in the narrative field.“ (Lynch 1998: 18) Das Herstellen von Genealogien kann hier also sowohl als Anführen von externen Referenzen – und so von stabilen Berichten – als auch als Moment des Inter-
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essierens von Adressaten gelesen werden – es werden Assoziationen hergestellt und Alliierte angeführt, die die eigene Version unterstüzen. Dieses Referieren auf und von Genealogien ist, so wurde in Textbeispiel (57) formuliert, „part of a broader effort to index empirical investigations to bodies of literature“ (vgl. S. 78). Garfinkels Bericht leistet dies in (13) und vor allem in (18) in und mit dem Nennen von Namen und reiht das Geschriebene in ein Kollektiv von Autoren und ihren Texten ein: „The articles originated from my studies of the writings of Talcott Parsons, Alfred Schutz, Aaron Gurwitsch, and Edmund Husserl. For twenty years their writings have provided me with inexhaustible directives into the world of everyday activities. Parsons’ work, particularly, remains awesome for the penetrating depth and unfailing precision of its practical sociological reasoning on the constitutent tasks of the problem of social order and its solutions“ (Textstück 18, Zeile 5 bis 12). Zum einen wird hier eine Linie von Texten,-die-Einfluss-ausgeübt-haben, hergestellt, werden „Talcott Parsons“, „Alfred Schutz“, „Aaron Gurwitsch“ und „Edmund Husserl“ als Ahnen der eigenen Version in den aktualen Bericht hineingeholt. Zum anderen geschieht dies in und mit einer textualen Methode der „minimal citation“ (Lynch 1998: 24), d.h. zitiert und inskribiert werden zunächst und vor allem lediglich (Autoren-)Namen. Ähnliches lässt sich anhand des Textstückes (73) sichtbar und berichtbar machen, in dem in Zeile 3 der Name „Ludwig von Bertalanffy“ „als prominenter Autor“ (Zeile 3 und 4) genannt wird. In Bourdieus Bericht ist dies u.a. in Textbeispiel (14) in Zeile 2 und in (52) in Zeile 3 der Name „Claude Lévi-Strauss“. In (62) ist die Version „Ein System kann man als selbstreferentiell bezeichnen, wenn es die Elemente, aus denen es besteht, als Funktionseinheiten selbst konstruiert“ in Zeile 7 bis 9 unter-schrieben mit der Fußnote 62 , in der das Geschriebene in und mit dem Nennen von Autorenname, Texttitel, Erscheinungsort, Erscheinungsjahr und Seitenzahl als praktische Leistung des Übersetzens anderer Versionen in den aktualen Text mit externen textualen Referenzen verknüpft wird. Eben jene „minimal citation“ kann auch als Kontraststruktur moduliert werden, die die angeführten Versionen, in (63) etwa von „von Bertalanffy“ in Fußnote 70 und von „Maturana“ in Zeile 9 und Fußnote 71, in den eigenen Bericht einschreibt und unterminiert. Ein solches textuales Vorgehen lässt sich auch anhand von Bourdieus Bericht zeigen. (75) Bourdieu 1976: 149 1 2 3 4 5
(…) Die praxeologische Erkenntnis unterscheidet sich von der phänomenologischen, deren erworbene Kenntnisse sie im übrigen in sich aufnimmt, in einem wesentlichen Punkt: Sie unterstellt zunächst, wie der Objektivismus, daß das Objekt der Wissenschaft gegen die Evidenz des Alltagswissens mittels eines Konstruktionsverfahrens erobert sein will,
(Wie geht) Diskurs? 6 7 8 9 10 11 12 12 13 14
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das, damit unauflöslich verbunden, einen Bruch mit allen „präkonstruierten“ Repräsentationen, wie vorgängig erstellten Klassifikationen und offiziellen Definitionen, darstellt. Dies läuft selbstredend darauf hinaus, die Theorie der Theorie zurückzuweisen, die die Konstruktionen der Sozialwissenschaft reduziert auf „Konstruktionen zweiten Grades, d.h. Konstruktionen von Konstruktionen jener Handelnden im Sozialfeld“, wie es Schütz tut [Fußnote 9], oder auf accounts von accounts, die die Individuen hervorbringen und mittels derer sie den Sinn ihrer Welt hervorbringen, wie es Garfinkel tut. [Fußnote 10] (75.1) Bourdieu 1976: 443, Fußnote 9
1 2 3 4 5
Vgl. Alfred Schütz, Gesammelte Aufsätze, Bd. 1, Den Haag 1971, S. 68. Schütz will zeigen, daß der von ihm selbst konstatierte Widerspruch zwischen dem von ihm so genannten „Postulat der subjektiven Interpretation“ und der Methode der „höchstentwickelten sozialwissenschaftlichen Disziplin“ wie der Volkswirtschaft nur ein scheinbarer ist (vgl. 39 ff.). (75.2) Bourdieu 1976: 443, Fußnote 10
1 2 3
H. Garfinkel, Studies in Ethnomethodology, Englewood Cliffs, N.Y. 1967; P. Attewell, „Ethnomethodology since Garfinkel“, Theory and Society, Bd. 1, Nr. 2, Sommer 1974, S. 179-210.
Die textualen Sequenzen (63) und (75) leisten „hostile genealogies“, die das Refererien auf und von Versionen negativ modulieren und mithilfe von Kontraststrukturen konkurrierende Programme als fehlerhaft und den eigenen Entwurf als solide und adäquat formulieren (vgl. Lynch 1998: 19). Interessant ist hierbei die Vagheit der Referenz auf „P. Attewell“ in (75.2) in Zeile 2, dessen Text sowohl als positive und unterstützende oder aber auch als ebenso fehlerhafte Version, wie die von „Garfinkel“, angeführt sein könnte, d.h. hier ist zunächst nicht lesbar im Sinne von erkennbar, ob die Referenz auf „P. Attewell“ den aktualen Bericht stabilisiert oder aber als Beispiel der fehlerhaften Version „accounts von accounts“ (Textstück 75, Zeile 12) angeführt wird. In den angeführten textualen Sequenzen wird das Sich-Einreihen in textuale Korpora wissenschaftlichen Wissens u.a. als „minimal citation“ in und mit der praktischen Leistung des Nennens von Autorennamen, Texttiteln, Erscheinungsorten und -jahren und Seitenzahlen ebenso wie von spezifischen Begriffen und Formulierungen verfertigt. Das Übersetzen textualer Artefakte in die eigene Version ist ein einfaches Übersetzen und aktives Versammeln eben solcher Fixpunkte, die den aktualen Bericht in einem intellektuellen Terrain situieren (vgl. Lynch 1998: 23). „Diskurse“ werden lesbar, indem sie lesbar gemacht werden; „Diskurse“ sind praktische Leistungen aktualer Texte in und mit dem Einschreiben eben solcher Fixpunkte in die aktuale Version. Wie Lynch für seine „Con-
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structivist Genealogy of Social Constructivism“ formuliert: „While it may be impossible to define what adherents to the various constructivist approaches hold in common, at least they have the word ‘constructivism’.“ (Lynch 1998: 23) Lesbar ist nicht eine „gemeinsame Idee“, ein „Bezugsproblem“ (Nassehi 2006: 17) oder eine „diskursive Formation“ (Foucault 1973: 156), sondern ein Benennen von „Bezugsproblemen“ und „gemeinsamen Ideen“, z.B. ein Herstellen der und Sich-Einreihen in die intellektuelle Genealogie der „Theorie selbstreferentieller, ‚autopoietischer‘ Systeme“ in Textstück (12) in Zeile 9 und 10, ein SichEinreihen in „the writings of Talcott Parsons, Alfred Schutz, Aaron Gurwitsch, and Edmund Husserl“ in Textbeispiel (18) in Zeile 6 und 7 oder ein Kontrastieren des eigenen Entwurfs mit der „Erkenntnisweise, die wir die phänomenologische nennen wollen“, in Textstück (41) in Zeile 1 und 2 oder der „hier objektivistisch genannte[n] Erkenntnisweise“ in Textstück (68) in Zeile 2. Interessant ist, welche Texte und Autoren jeweils versammelt, eingeschrieben und zu Ahnen oder Konkurrenten des je eigenen Programms gemacht, d.h. welche „Diskurse“ jeweils praktisch und situiert hergestellt werden. Luhmann versammelt u.a. in den Textsequenzen (12), (27), (54), (58) bis (63) und (72) bis (74) eine Assemblage von Autorennamen, Texten und Begriffen, die als „fachfremde, interdisziplinär erfolgreiche Theorieentwicklungen“ (Textstück 12, Zeile 7 und 8) im-Gegensatz-zur „heute üblichen Theoriediskussionen in der Soziologie“ (Textstück 8, Zeile 3) an- und eingeführt werden. (76) Luhmann 1984: 27 f. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17
(…) Damit sind Entwicklungen eingeleitet, die die Systemtheorie in neuer Weise für die Soziologie interessant machen könnten. Daß die Anstöße für diese beiden Schübe nicht von der Soziologie ausgegangen sind, liegt auf der Hand. Stimulierend haben zunächst die Thermodynamik und die Biologie als Theorie des Organismus, später auch Neurophysiologie, Zellentheorie und Computertheorie gewirkt; ferner natürlich interdisziplinäre Zusammenschlüsse wie Informationstheorie und Kybernetik. Die Soziologie blieb nicht nur als mitwirkende Forschung ausgeschlossen; sie hat sich in diesem interdisziplinären Kontext auch als lernunfähig erwiesen. Sie kann mangels eigener grundlagentheoretischer Vorarbeiten nicht einmal beobachten, was geschieht. Sie bleibt daher auf Beschäftigung mit selbstproduzierten Daten und, was Theorie angeht, auf Beschäftigung mit selbstproduzierten Klassikern angewiesen. Das Beispiel zeigt zugleich, daß nicht jede Art selbstreferentieller Schließung eine komplexere Umweltsicht ermöglicht.
In (76) wird also nicht auf einen bestehenden Korpus genuin soziologischen Schreibens und soziologischer Texte – „,mangels eigener grundlagentheoreti-
(Wie geht) Diskurs?
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scher Vorarbeiten“ kann diese „nicht einmal beobachten, was geschieht“ (Zeile 12 und 13) – zurückgegriffen; hier wie auch in und mit anderen textualen Sequenzen des aktiven Referierens auf und von Versionen werden über akademisch-disziplinäre Grenzen hinaus andere „fachfremde (…) Theorieentwicklungen“ reformuliert. Anhand von Garfinkels Bericht lässt sich eine ähnliche textuale Methode beschreibbar machen. (77) Garfinkel 1967: 36 1 2 3 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
(…) Although sociologists take socially structured scenes of everyday life as a point of departure they rarely see, [Fußnote 1] as a task of sociological inquiry in its own right, the general question of how any such common sense world is possible. Instead, the possibility of the everyday world is either settled by theoretical representation or merely assumed. As a topic and methodological ground for sociological inquiries, the definition of the common sense world of everyday life, though it is appropriately a project of sociological inquiry, has been neglected. My purposes in this paper are to demonstrate the essential relevance, to sociological inquiries, of a concern for common sense activities as a topic of inquiry in its own right and, by reporting a series of studies, to urge its “rediscovery.” (77.1) Garfinkel 1967: 36, Fußnote 1
1 2 3
The work of Alfred Schutz, cited in footnote 2, is a magnificent exception. Readers who are acquainted with his writings will recognize how heavily this paper is indebted to him.
Das in (77) in Zeile 9 bis 13 formulierte epistemologie-politische Programm ist, ähnlich wie Luhmanns Bericht in (76), im-Gegensatz-zu gängigem soziologischen Tun formuliert: „sociologists (…) rarely see, as a task of sociological inquiry in its own right, the general question of how any such common sense world is possible“ (Zeile 1 bis 4). Eben jenes epistemologie-politische Programm wird dann mithilfe einer Kontraststruktur relevant gemacht: „As a topic and methodological ground for sociological inquiries, the definition of the common sense world of everyday life, though it is appropriately a project of sociological inquiry, has been neglected“ (Zeile 6 bis 9). In und mit Fußnote 1 wird jedoch „The work of Alfred Schutz” von dieser Kategorie an Soziologen und Soziologien unterschieden als „a magnificent exception“ (Zeile 1 und 2). In Zeile 2 und 3 dieser Fußnote wird hierbei eine Lesart eben jener Arbeit eingeschrieben und den Adressaten des aktualen Berichts gewissermaßen unterstellt: „Readers who are acquainted with his writings will recognize how heavily this paper is
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indepted to him“. D.h. die eigene Version ist und wird als der-Arbeit-vonAlfred-Schütz-folgend hergestellt und genau-so-für-spezifische-Adressatenlesbar, für all jene, die vertraut sind mit „his writings“. Wie in Textstück (18), in und mit dem Garfinkel seine Version in den Zeilen 6 und 7 mit den „writings of Talcott Parsons, Alfred Schutz, Aaron Gurwitsch, and Edmund Husserl“ verknüpft, so ist es auch hier der Name „Alfred Schutz“ der als positive Referenz lesbar und verstehbar gemacht wird. Im Gegensatz dazu verfertigt Bourdieu in und mit seiner Referenz auf den Namen „Alfred Schütz“ in seinem Bericht in (75) eine „hostile genealogy“.76 „Positiv“, wenn auch zu je eigenen praktischen Zwecken“, referieren Bourdieu, in (64), und Garfinkel, in (5), auf „Durkheim“. Sowohl Garfinkel, in (18), als auch Luhmann, in (6), (8) und (65), schreiben den Namen „Parsons“ zu je spezifischen praktischen Zwecken in ihre textualen Berichte ein. In allen drei Fallbeispielen, Garfinkel, Bourdieu und Luhmann, werden intertextuale Dinge über akademisch-diziplinäre Grenzen hinweg hergestellt. In Bourdieus Bericht finden sich hierbei neben „Claude Lévi-Strauss“ weitere Namen von Autoren und intellektuellen Traditionen oder Schulen, auf die im Sinne einer „minimal citation“ referiert wird. (78) Bourdieu 1976: 151 1 2 3
An dieser Stelle gilt es, einen Augenblick auf dem Terrain des Objektivismus schlechthin, dem der Saussureschen Linguistik und Semiologie, innezuhalten.
In (78) betrifft dies das Nennen „des Objektivismus schlechthin“, „der Saussureschen Linguistik und Semiologie“, dessen Version als konkurrierendes Programm reformuliert und unterminiert wird. (79) Bourdieu 1976: 154 f. 1 2 3 4 5 6 7 8 (…) 30 31 76
Indessen genügt es, einmal mehr die theoretischen Verfahren zu prüfen, mittels derer Saussure die Linguistik als Wissenschaft derart konstituiert, daß er die Sprache als autonomes, von seinen Aktualisierungen im Sprechen unterschiedenes Objekt entwirft, um die Voraussetzungen offenzulegen, die in einen jeden Erkenntnismodus eingehen, bei dem die Praktiken und Werke als symbolische Tatsachen, die es zu entschlüsseln gilt, und allgemeiner, mehr als fertige Werke denn als Praxisformen behandelt werden (...) (…) (…) Damit ist gesagt, daß innerhalb der logischen Ordnung der Intelligibilität das Sprechen Produkt der Vgl. S. 94 f.
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Sprache ist.[Fußnote 16] (79.1) Bourdieu 1976: 444, Fußnote 16
1 2
F. de Saussure, Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, Berlin 1967, S. 21 f.
Die Fußnote 16 in Textbeispiel (79) legt insofern einen interessanten Referenzpfad an, als sie das Geschriebene dem Sprecher „Saussure“ zuschreibt, d.h. Bourdieu lediglich die Versionen einer anderen maßgebenden Instanz gestaltet.77 Neben dem „Objektivismus“ stellt Bourdieu noch ein weiteres konkurrierendes Programm als diskursives Gegenüber her, für das der Sprecher „Sartre“ benannt wird. (80) Bourdieu 1976: 173 1 2 3 4
Auf die rituelle Frage, die der endlosen Debatte zwischen Objektivismus und Subjektivismus zugrunde liegt – und die paradigmatisch so lautet: „Ist sie schön, weil ich sie liebe, oder liebe ich sie, weil sie so schön ist?“ – schlägt Sartre nun eine ultra-subjektivistische Antwort vor (…)
Hier wird der „Subjektivimus“ in das eigene Vorhaben eingeschrieben und als fehlerhaft reformuliert. Indem Bourdieus Bericht (auf) die „Saussuresche[.] Linguistik und Semiologie“ in Textbeispiel (78) in Zeile 2 und 3 und auf „Sartre“ und seine „ultra-subjektivistische Antwort“ in „der endlosen Debatte zwischen Objektivismus und Subjektivismus“ in Textstück (80) in Zeile 1, 2 und 4 referiert, stellt er diskursive Bezugnahmen her, die über engere akademischdisziplinäre Zusammenhänge hinausweisen. Ähnliche textuale Methoden und Sequenzen lassen sich an und mit den Fallbeispielen Garfinkel und Luhmann beobachtbar und beschreibbar machen. Es ist also weniger ein Reproduzieren und Aktualisieren eines Korpus an Texten und Autorennamen, als vielmehr ein aktives Produzieren und Assoziieren von Kon-Texten, von Text- und Autorenkorpora, von Versionen-zum-gleichen-Thema, die als unterstützende oder aber als konkurrierende Entwürfe in das eigene Vorhaben eingeschrieben werden. Bezogen auf die analysierten Fallbeispiele sind „Diskurse“ variable und indexikale praktische Leistungen aktualer textualer Berichte, eine indexikal hergestellte textuale Einheit, die nicht in Begriffen von akademisch-disziplinären Innen/Außen-Differenzen oder Systemschließungen beschrieben werden kann (vgl. Foucault 1973: 253-258; Lynch 1998: 23).
77
Vgl. Kapitel 2.2, 3.2a).
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Bleibt zu fragen, wie, bezogen auf das, was „die Daten zeigen“, soziologisches Schreiben zu soziologischem Schreiben wird, d.h. mithilfe welcher textualer Methoden textuale Berichte erkennbar und verstehbar zu soziologischen Texten gemacht werden. Eine mögliche Antwort wäre, frei nach Woyzeck: Soziologie schreibt, wer soziologisch schreibt. b) Wie geht Diskurs, Teil 2: Verwenden indexikaler Begriffe Nimmt man Textstück (80), so lässt sich daran eine weitere textuale Methode des Einschreibens und Sich-Einreihens in einen Korpus an Texten sichtbar und berichtbar machen. Dies betrifft hier das Nennen der Worte „Objektivismus“ und „Subjektivismus“ in Zeile 1 und 2, das den Bericht mit Fixpunkten-einesDiskurses versorgt. Dort wie in (41), (68) und (69) wird ein Spektrum epistemologie-politischer Programme hergestellt, innerhalb dessen (und mitunter gegen das) das eigene Vorhaben verortet und etabliert wird. Da ist auf der einen Seite dieses epistemologie-politischen Spektrums in Textbeispiel (41) in Zeile 1 bis 4 „Die Erkenntnisweise, die wir die phänomenologische nennen wollen (oder, wenn man in Begriffen gegenwärtig existierender Schulen sprechen möchte: die ‚interaktionistische‘ oder ‚ethnomethodologische‘)“; und auf der anderen Seite in Textstück (68) in Zeile 1 bis 3 „Die hier objektivistisch genannte Erkenntnisweise (wovon die strukturalistische Hermeneutik nur einen Sonderfall bildet)“. ImGegensatz-dazu wird in (69) in Zeile 2 und 3 die „Erkenntnisweise schließlich, die wir praxeologische nennen wollen“ positioniert. Diese textuale Methode bedient sich zunächst einer „minimal citation“ insofern hier vor allem Worte wie „phänomenologisch“, „interaktionistisch“, „ethnomethodologisch“ oder „objektivistisch“ in den Text eingeschrieben werden. Ein zentraler Aspekt solcher Sequenzen, auf den ich unter 3.2 zurückkommen möchte, ist das aktive ZumSprechen-Bringen und Reformulieren eben solcher epistemologie-politischen Versionen, die diese, im Falle der Textstücke (41), (68), (69) und (80), als fehlerhaft herabmodalisiert, d.h. umterminiert und unterminiert. Ich möchte jedoch zunächst argumentieren, dass es sich bei eben genannten Worten in zweifacher Hinsicht um „indexikale Ausdrücke“ handelt (vgl. Garfinkel 1967: 4-7, 10 f., 34). Zum einen sind und werden sie je kontextspezifisch, d.h. situiert mit Bedeutung aufgeladen (vgl. Lynch 1998: 23 f.) und zum anderen stellen sie als Produkte der „work of indexing“ (vgl. Textstück 57, Zeile 4) Kontexte her, indem ihr Gebrauch ein Spektrum an Versionen etabliert, in das der eigene Bericht eingereiht wird. Worte wie „phänomenologisch“, „interaktionistisch“, „ethnomethodologisch“ oder „objektivistisch“ sind zunächst insofern indexikal, als es sich hierbei
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um Ausdrücke handelt, die über verschiedene textuale Artefakte hinweg in Gebrauch sind und die jedoch zugleich situiert und zu je spezifischen Zwecken formuliert und mit Sinn aufgeladen werden. Michael Lynch spricht in seiner Analyse wissenschaftlichen Sprachgebrauchs von „epistopics“. (81) Lynch 1993: 280 f. 1 2 3 4 5 6 7 8 (…) 37 38 39 40 41 42 43 44
(…) They are the common terms of a lingua franca that seemingly “transcends” the various specialized disciplines; they provide headings, points of contact, and contentious topics in an interdisciplinary discourse among historians, philosophers, and sociologists of science, and they make up “metatheoretical” terms of trade for theory building in the social sciences. But when I speak of these themes as epistopics, I mean to divorce them from a “metatheoretical” aura and to attend to the manifest fact that they are words (…) (…) (…) I use the neologism epistopic to suggest that the topical headings provided by vernacular terms like observation and representation reveal little about the various epistemic activities that can be associated with those names. The epistopics are classical epistemological themes, in name only. Once named as – or locally identified as a competent case of – observing, measuring, or representing, an activity and its material traces can be shown to be governed by a set of rules, a body of knowledge, a method, or a set of normative standards associated with the particular theme.
Entscheidend ist, dass solche Episthemen analysiert werden können als „discursive themes that so often come up in a discussion of scientific and practical reasoning (…) The epistopics provide foci for classical epistemological and methodological discussions“ (Lynch 1993: 299).78 Wenn geschrieben wurde, Episthemen seien auf zweierlei Weise indexikal, so weisen die Referenzen auf Lynch in Textstück (81) und im soeben zitierten Satz auf den zweiten Aspekt indexikaler Ausdrücke hin: das Versorgen von Berichten mit Fixpunkten-einesDiskurses. In Luhmanns Schreiben finden sich solche Methoden z.B. in Textstück (6) in Zeile 12 bis 24, in und mit dem er das Vorgehen konkurrierender Soziologen ironisiert.79 Interessant ist, dass eine Analyse des Einschreibens von Autoren-, Theorie- und Textnamen so etwas wie „discourse in the making“ sichtbar macht, wie sich z.B. anhand des Einschreibens und des Gebrauchs des Wortes „Phänomenologie“ beschreibbar machen lässt. 78
79
Ich übersetze das Wort „epistopics“ und schreibe „Episthemen“ oder „Episthematisieren“. ImGegensatz-zu Foucaults „Epistem“-Begriff geht es hier um konkreten wissenschaftlichen Sprachgebrauch im Verhältnis zu alltagssprachlichem Wissen und Können (vgl. Lynch 1993: 280 f., 299; Pollner 1987). Episthemen, so Lynch in Anlehnung an Garfinkel, „are vernacular themes that ‘went to college and came back educated.’” (Lynch 193: 299) Vgl. S. 18 f.
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(82) Garfinkel 1967: 37 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Almost alone among sociological theorists, the late Alfred Schutz, in a series of classical studies of the constitutive phenomenology of the world of everyday life, described many of these seen but unnoticed background expectancies. He called them the “attitude of daily life.” He referred to their scenic attributions as the “world known in common and taken for granted.” Schutz’ fundamental work makes it possible to pursue further the task of clarifying their nature and operation, of relating them to the process of concerted actions, and assigning them their place in an empirically imaginable society. (83) Luhmann 1984: 93
1 2 3 4
(…) Was Sinn ist (die Frage, was Sinn leistet, stellen wir im Moment zurück), läßt sich am besten in der Form einer phänomenologischen Beschreibung vorführen. (84) Luhmann 1984: 122
1 2 3 4 5
Husserl hatte nur phänomenologisch beschrieben, daß die Welt, obwohl unendlicher Horizont, ihre eigene Bestimmbarkeit garantiere. Das führt direkt zur Vorstellung der Typik bzw. Typengebundenheit allen Erlebens und Handelns, mit der dann die phänomenologische Soziologie weitergearbeitet hat.
Das Einschreiben des Wortes „Phänomenologie“ inklusiver all seiner Ableitungen versorgt die Berichte bei Garfinkel in (82) und Luhmann in (83) und (84) auf ähnliche Weise mit Fixpunkten epistemologie-politischen Formulierens, wie dies im auf Seite 112 f. diskutierten Textstück (41) in Bourdieus Bericht der Fall ist. Indexikal ist der Gebrauch von Episthemen hier im Sinne eines Herstellens von und Sich-Einreihens in diskursive(n) Formationen. Indexikal ist dieser Wortgebrauch aber auch insofern als Episthemen vage Ausdrücke sind und genau dadurch praktischen Zwecken textualen Formulierens dienen (vgl. Lynch 1993: 284). Ob und wie Garfinkel, Bourdieu und Luhmann „das Gleiche“ „meinen“, wenn sie „Phänomenologie“ oder „phänomenologisch“ schreiben, ist mitunter nicht ganz klar und der Wortgebrauch womöglich genau aus diesem Grund funktional. Lesbar ist zunächst, dass alle drei Autoren eben jene Worte verwenden, d.h. genau in und mit dem Gebrauch von Worten und nirgendwo sonst eine Verknüpfung zwischen textualen Artefakten praktisch herstellen. Eben solche Episthemen sind, begrifflich naheliegend, „Erkenntnis“, „Erkenntnistheorie“, „Epistemologie“ oder „epistemologisch“. Bourdieu formuliert
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in seinem Bericht in Textstück (3) in Zeile 1 bis 3: „Der Fortschritt der Erkenntnis setzt bei den Sozialwissenschaften einen Fortschritt im Erkennen der Bedingungen der Erkenntnis voraus“. Seine Version wird in Zeile 16 bis 18 zugleich als nicht-lesbar als Version – und im-Gegensatz-zu Versionen in – einer „wirklichkeitsfernen und neutralisierten Existenzform ‚theoretischer‘ Thesen oder epistemologischer Diskurse“ hergestellt. In (9) schreibt er in Zeile 4 bis 7 über die „vom Strukturalismus unter Berufung auf ein für mich unverständlich kühn behauptetes epistemologisches Privileg des Beobachters vertretene[.] Definition des Verhältnisses zum Objekt“. In (41), (68) und (69) werden je verschiedene „Erkenntnisweisen“ in den Text eingeschrieben.80 Luhmann äußert in Textstück (8) in Zeile 16 bis 25: „Universale Theorie betrachtet ihre Gegenstände und sich selbst als einen ihrer Gegenstände als selbstreferentielle Verhältnisse. Sie setzt keine unhinterfragbaren erkenntnistheoretischen Kriterien voraus, sondern setzt, wie neuerdings auch viele Philosophen und Naturwissenschaftler, auf eine naturalistische Epistemologie. Das heißt wiederum: ihr eigenes Erkenntnisverfahren und ihr Annehmen oder Verwerfen von dafür geltenden Kriterien ist für sie etwas, was in ihrem eigenen Forschungsbereich, in einer Disziplin des Teilsystems Wissenschaft der modernen Gesellschaft geschieht“. In (33) produziert er eine Lesart des epistemologie-politischen Claims „daß es Systeme gibt“, indem er in Zeile 1 und 2 formuliert „Die folgenden Überlegungen (…) beginnen also nicht mit einem erkenntnistheoretischen Zweifel“. Sie thematisieren vielmehr Dinge dort-draußen und beziehen „nicht die Rückzugsposition einer ‚lediglich analytischen Relevanz‘ der Systemtheorie. Erst recht soll die Engstinterpretation der Systemtheorie als eine bloße Methode der Wirklichkeitsanalyse vermieden werden“ (Zeile 3 bis 6). Relevant-Machen geht in diesem Bericht also nicht durch formulieren der Version „als eine bloße Methode der Wirklichkeitsanalyse“, sondern über das In-Existenz-Bringen von Sosein-dort-draußen: „Selbstverständlich darf man Aussagen nicht mit ihren eigenen Gegenständen verwechseln; man muß sich bewußt sein, daß Aussagen nur Aussagen und wissenschaftliche Aussagen nur wissenschaftliche Aussagen sind. Aber sie beziehen sich, jedenfalls im Falle der Systemtheorie, auf die wirkliche Welt. Der Systembegriff bezeichnet also etwas, was wirklich ein System ist, und läßt sich damit auf eine Verantwortung für Bewährung seiner Aussagen an der Wirklichkeit ein“ (Zeile 6 bis 13). D.h. das Episthema „Erkenntnistheorie“ ist bei Luhmann mit einem Theoretisieren dessen, was Aussagen in ihrem Verhältnis zur wirklichen Welt sind, verknüpft. Episthematisiert wird das Vorhandensein einer Welt-dort-draußen und die Möglichkeit eines wissenschaftlichen Zugangs zu eben dieser Welt.
80
Vgl. S. 115 f.
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Das Episthema soziologischen Schreibens schlechthin ist das Wort „sozial“, das, inklusive all seiner Verwandten, in alle untersuchten Berichte eingeschrieben ist. In Textbeispiel (5) verfertigt Garfinkel seine „version of Durkheim“ als „study policy“ „objective reality of social fact as an ongoing accomplishment of the concerted activities of daily life“ im-Gegensatz zu „certain versions of Durkheim that teach that the objective reality of social facts is sociology’s fundamental principle“ (Zeile 1 bis 5). Der Bericht stellt eine Lesart der Version „social facts“ her und wird zugleich episthematisch eingereiht. Zugleich ist hier, wie auch bei Luhmann und Bourdieu, ein Thematisieren der „Soziologie“ als Wissenschaft, die sich mit dem „Sozialen“ befasst, eingelassen. In (13) referiert Garfinkels Bericht auf ein Kollektiv an Autoren und einen Korpus an Texten, mithilfe derer „an immense, hitherto unknown domain of social phenomena has been uncovered“ (Zeile 15 bis 17). In die textuale Sequenz (29) über „ad hocing“ ist ebenfalls das Wort „sozial“ eingelassen: „Ad hocing occurs (…) whenever the coder assumes the position of a socially competent member“ – Zeile 1 bis 3. In (44) ist das epistemologie-politische Programm „directed to the tasks of learning how members’ actual, ordinary activities consist of methods to make practical actions, practical circumstances, common sense knowledge of social structures, and practical sociological reasoning analyzeable“ (Zeile 1 bis 4). In Bourdieus Bericht ist und wird in Textstück (9) als epistemologie-politisches Programm formuliert, die „objektivierende Distanz und ihre sozialen Voraussetzungen (…) zu objektivieren“ (Zeile 18 bis 21). In (10) ist das Wort „sozial“ eingelassen in ein Formulieren des Soseins von Theorie und ein Thematisieren ihrer Distanz zum Objekt. Diese „hängt (…) faktisch mit einer sozialen Distanz zusammen, die man als solche anerkennen und deren wahre Grundlage (…) man erkennen muß, wenn man nicht Gefahr laufen will, einer Kluft zwischen ‚Kulturen‘ oder ‚Mentalitäten‘ zuzuschreiben, was in Wirklichkeit die Auswirkung der Kluft zwischen sozialen Lagen ist“ (Zeile 11 bis 17). In (26) ist der Gebrauch des Wortes „sozial“ in Zeile 4 ebenfalls in einen Bericht über Sosein eingelassen, der „Habitusformen“ und „Dispositionen“ thematisiert; dass und wie etwas „sozial“ ist, scheint hier ge-„black boxed“ zu sein: „Die für einen spezifischen Typus von Umgebung konstitutiven Strukturen (…), die empirisch unter der Form von mit einer sozial strukturierten Umgebung verbundenen Regelmäßigkeit gefaßt werden können, erzeugen Habitusformen, d.h. Systeme dauerhafter Dispositionen, strukturierte Strukturen, die geeignet sind, als strukturierende Strukturen zu wirken“ – Zeile 1 bis 8. In den Textstücken (41), (68) und (69) thematisiert Bourdieu, dass die „soziale Welt (…) zum Gegenstand dreier Modi theoretischer Erkenntnis werden“ kann (vgl. Bourdieu 1976: 146 f.). Luhmanns Bericht episthematisiert das „Soziale“ u.a. in (8), hier zunächst als „das dazu gehörige Gegenstandsreich“ (Zeile 7). Eng hiermit verbunden ist, wie bei Garfinkel, ein
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Einschreiben des Fixpunktes „soziale Tatbestände“ – hier jedoch als Kontrast zur eigenen Version, die ihre Objekte „nicht mehr substantialisierend als ein Weltausschnitt (faits sociaux)“ voraussetzt, „den die Soziologie von außen betrachtet. Es ist auch nicht nur als ein Korrelat ihrer analytischen Begriffsbildung angenommen im Sinne des ‚analytischen Realismus‘ von Parsons. Es ist vielmehr gedacht als die Gesamtwelt, bezogen auf die Systemreferenz sozialer Systeme, das heißt bezogen auf die für soziale Systeme charakteristische Differenz von System und Umwelt“ (Zeile 7 bis 14). In (27) „orientieren wir die allgemeine Theorie sozialer Systeme an einer allgemeinen Systemtheorie und begründen damit die Verwendung des Begriffs ‚System‘“ (Zeile 1 bis 3). In und mit dieser Version wird „jeder soziale Kontakt (…) als System begriffen bis hin zur Gesellschaft als Gesamtheit der Berücksichtigung aller möglichen Kontakte“ (Zeile 5 bis 7). In und mit dem Gebrauch des Wortes „sozial“ schreibt Luhmann „Systemen“ als den adäquaten Objekten seines Programms ein spezifisches Sosein zu und formuliert seine Theorie als eine spezifische Theorie: als „Theorie sozialer Systeme“ (Zeile 3 und 4). Dies ist nur eine kleine Sammlung des Gebrauchs des Wortes „sozial“ in den genannten Beispielen, in und mit denen Autoren als maßgebende Instanzen oder als bloße Gestalter von textualen Berichten sich zu Sozio-Logen und ihre Objekte zu „sozialen“ Objekten machen. So ist und wird u.a. in (5) und (27) Sosein je spezifisch formuliert und begreifbar, d.h. Begriff-bar gemacht. In (8) und (13) ebenso wie in (41), (68) und (69) werden mithilfe des Wortes „sozial“ Objekte-wissenschaftlichen-Arbeitens hergestellt. In (10), (26), (29) und (44) ist das Wort „sozial“ als „black box“ in die textuale Arbeit des Formulierens und Theoretisierens eingelassen. D.h. auch hier ist der Gebrauch von Episthemen in zweierlei Hinsicht indexikal: Zum einen im Sinne eines kontextspezifischen und für alle praktischen Zwecke vage verfertigten „making of meaning“ (Lynch 1993: 283 f.), eines „ad hocing“ (Textstück 29), in und mit dem textuale Berichte über eine jeweilige Situation situierten Schreibens hinaus lesbar und verstehbar gemacht werden (vgl. Garfinkel in den Textstücken 29 und 47; Garfinkel 1967: 9 f., 20-24; Lynch 1993: 284). Und zum anderen im Sinne einer „work of indexing“,81 eines Sich-Einreihens in einen Korpus an Texten, die „soziale“ Phänomene und Vorgänge thematisieren. Texte werden hier praktisch und situiert zu Korpora von Texten-zum-gleichen-Thema verknüpft; dies nicht durch Referenz auf „Bezugsprobleme“, „Inhalte“ oder „Ideen“, sondern durch den Gebrauch von Episthemen, d.h. von Worten. So unterschiedlich Garfinkel, Bourdieu und Luhmann auch schreiben, so unterschiedlich ihre Themen, Objekte, Formulierungen und Referenzen: Die mit ihren Namen verbundenen textualen 81
Vgl. S. 72 f., S. 100.
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Artefakte werden, so scheint es,82 als Beiträge zu einem soziologischen Theoretisieren und Analysieren „sozialer Dinge“ gelesen; dies durch aktive Lese- und Textaneignungspraktiken, wie sie u.a. in und mit dieser Analyse vollzogen werden, die ihrerseits „diskursive Positionen“ aktiv herstellt und die spezifische textuale Artefakte der maßgebenden Instanzen „Harold Garfinkel“, „Pierre Bourdieu“ und „Niklas Luhmann“ als Dokumente soziologischen Schreibens lesbar und verstehbar macht. Eine Analyse der Episthemen soziologischen Schreibens zielt also nicht auf „Bezugsprobleme“, „Ideen“, „Ideengeschichte“ o.ä. ab, sondern auf eine praxeologische und artefaktsoziologische Analyse textualer Methoden im Sinne eines „following the epistopics around“ (Lynch 1993: 301 f.). D.h. eine praxeologische Analyse von (soziologischen) Texten betrachtet „Diskurse“ nicht als meso- oder makroskopische Formationen, sondern als Artefakte aktualer Texte und textbezogener Praktiken, des situierten Herstellens von Korpora an Texten-zum-gleichen-Thema und des Einreihens jeweiliger Versionen in eben jene Korpora. Letzteres beinhaltet eine Methode des Über-Sätzens, auf die ich nun „zu sprechen kommen“ möchte: das Übersetzen von Versionen im Sinne eines In-bestimmten-Worten-Formulierens-und-Reformulierens, das, im Hinblick auf „Diskurse“, eher ein aktives und indexikales Zum-Sprechen-Bringen anderer Versionen und weniger ein Rekurs auf „Ideen“ zu sein scheint. 3.2 Über-Sätzen Diese textuale Methode des Übersetzens betrifft ein In-anderen,-spezifischenWorten-Sagen, d.h. den aktiven und produktiven Aspekt beschreibender Worte bzw. Formulierungen. Jonathan Potter thematisiert dies als „categorization“ und, in Referenz auf Steve Woolgar und Dorothy Pawluch, „ontological gerrymandering“ (vgl. Woolgar u. Pawluch 1985: 216): (85) Potter 1996: 176 1 2 3 4 5 6 7 8
82
This is concerned with the categorization and formulating of practices that are used to constitute an action, object, event, person, or group as having a specific and distinctive character suitable for some action. This in itself is a major theme, with concerns ranging from the selection of individual words through to the use of alternative discourses or interpretative repertoires. In addition to this selection of words or repertoires, there are questions concerning the way particular realms of entities, or terrains of argument, are made relevant and ignored. This is what is highlighted in the notion of onto-
Lesen Sie hierzu S. 26 und insbesondere Fußnote 14.
Über-Sätzen 9
107
logical gerrymandering.
Wie Potter schreibt, eröffnet sich hier eine Vielzahl an Analysemöglichkeiten. Ich möchte hier einige Aspekte des Übersetzen als textuale Methode u.a. soziologischen Schreibens aufgreifen und dabei zunächst das soeben thematisierte Herstellen von „Diskursen“ untersuchen. a) Ein-Schreiben und/als Zum-Sprechen-Bringen Das Ein-Schreiben anderer Versionen und ihrer maßgebenden Instanzen in einen aktualen Text ist zunächst ein aktives Versammeln und In-Reihe-Bringen von Versionen als Ahnen des eigenen Berichts.83 Darüber hinaus werden eben jene Ahnen-des-eigenen-Berichts aktiv zum Sprechen gebracht, d.h. sie werden aktiv reformuliert.84 Dies betrifft das weiter oben thematisierte Verhältnis von Gestalter und maßgebenden Subjekt einer Version insofern als hier die praktische Leistung des Gestaltens von Versionen, die einem anderen maßgebenden Subjekt zugeschrieben werden, als Objekt-der-Analyse in den Fokus gerät.85 In 2.4 hatte ich das In-Anführungszeichen-Setzen von textualen Sequenzen als eine Methode des Zum-Sprechen-Bringens thematisiert, d.h. das Verhältnis von Gestalter und maßgebendem Subjekt ist nicht einfach eines des Berichtens der Version des Letzteren durch Ersteren; das maßgebende Subjekt selbst ist eine praktische Leistung eben jenes aktualen Berichts, es wird in und mit diesem Bericht als maßgebendes Subjekt einer spezifischen Version fabriziert, ebenso wie jene Version als Version-des-maßgebenden-Subjekts verfertigt wird. Nimmt man z.B. Textstück (82), so lässt sich diese Praxis als ein Einschreiben von Sprechern und ihren Versionen sichtbar machen. Garfinkel referiert hier in Zeile 1 und 2 (auf) „the late Alfred Schutz“, der als maßgebendes Subjekt „in a series of classical studies of the constitutive phenomenology of the world of everyday life, described many of these seen but unnoticed background expectancies“ (Zeile 2 bis 4). In Zeile 4 bis 6 bringt Garfinkel als Gestalter das maßgebende Subjekt „the late Alfred Schutz“ zum Sprechen: „He called them the ‘attitude of daily life.’ He referred to their scenic attributions as the ‘world known in common and taken for granted’“. Einzelne textuale Elemente werden hier inAnführungszeichen gesetzt und als von-„the-late-Alfred-Schutz“-formuliert dargestellt. Dies ist ein „active voicing“, das die Version eines maßgebenden
83 84 85
Vgl. u.a. S. 92-99. Vgl. u.a. S. 75 f., S. 78 f., S. 86 f. Vgl. u.a. S. 50-53, S. 69-72.
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Subjekts zu praktischen Zwecken einer aktualen Version reformuliert (vgl. Potter 1996: 161). In (82) stellen diese textualen Techniken „positive“ Referenzen her, die den eigenen Bericht stützen, indem sie (auf) einen Original-Text referieren. In (60), (62) und (63) in Luhmanns Bericht fungieren jeweils Fußnoten als Methoden des Nennens und Versammelns von Autorennamen, Texttiteln, Erscheinungsorten und -jahren und Seitenzahlen, so z.B. „Vgl. programmatisch: Ludwig von Bertalanffy, General Systems Theory, General Systems 1 (1956), S. 1-10“ in Fußnote 70 in (63).86 In Bourdieus Bericht leisten dies u.a. die Sequenzen (79) und (80), z.B. „F. de Saussure, Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, Berlin 1967, S. 21 f.“ in Fußnote 16 zu Sequenz (79).87 Die Fußnoten u.a. in (63) und (79) leisten eine Art „plain translation“ im Sinne eines aktiven und schematischen Ein-Schreibens und Assoziierens „diskursiver Positionen“ (vgl. Lynch 1998: 26 f.). In Luhmanns Bericht sind dies z.B. „Theorien geschlossener und offener Systeme“ (Textstück 63, Zeile 8). In Bourdieus Bericht in (79) betrifft dies Saussures Version der Linguistik und deren Reformulierung: „Damit ist gesagt, daß innerhalb der logischen Ordnung der Intelligibilität das Sprechen Produkt der Sprache ist“ (Zeile 30 bis 32). „Plain translation“ meint hier, dass solche Versionen aktiv in Texte eingeschrieben und zu Kontexten assoziiert werden für die praktischen Zwecke des vom Gestalter eines Berichts hergestellten „Diskurses“ (vgl. Lynch 1998: 26). Bei Luhmann ist dies in Textstück (76) in Zeile 5 bis 9 z.B. „zunächst die Thermodynamik und die Biologie als Theorie des Organismus, (…) auch Neurophysiologie, Zellentheorie und Computertheorie (…); ferner natürlich interdisziplinäre Zusammenschlüsse wie Informationstheorie und Kybernetik“. Bei Bourdieu sind dies in (78) und (79) Linguistik und Semiologie, die in das Vorhaben eingeschrieben sind, in (80) die „Debatte zwischen Objektivismus und Subjektivismus“ (Zeile 1 und 2) und, stellvertretend, der Sprecher „Sartre“ (Zeile 4). Anhand von Bourdieus Bericht lässt sich das „active voicing“ zudem in und mit (41), (67) und (68) beobachtbar und beschreibbar machen. Bourdieu reformuliert in (41) zunächst „die Erkenntnisweise, die wir die phänomenologische nennen wollen“, die „die soziale Welt als eine natürliche und selbstverständlich vorgegebene Welt“ „begreift“ und die „ihrer Definition nach nicht auf sich selbst“ „reflektiert“ und „im weiteren die Frage nach den Bedingungen ihrer eigenen Möglichkeit aus[schließt]“. In (68) referiert er „die hier objektivistisch genannte Erkenntnisweise“. Diese „erstellt die – gewöhnlich ökonomischen oder linguistischen – objektiven Beziehungen, die die verschiedenen Praxisformen 86 87
Vgl. S. 76-78. Vgl. S. 98 f.
Über-Sätzen
109
und deren Repräsentationen (…) strukturieren“ (Zeile 1 bis 7). Sie vermag „sowohl die objektiven Strukturen der gesellschaftlichen Welt wie die objektive Wahrheit der primären Erfahrung (…) nur unter der Bedingung zu erstellen, daß sie jene Frage stellt, die die doxische Erfahrung der sozialen Welt per definitionem ausschließt: die nach den (besonderen) Bedingungen der Möglichkeit dieser Erfahrung selbst“ (Zeile 11 bis 17). Dieses „active voicing“ formuliert die „phänomenologische“ und die „objektivistische“ als zwei von drei möglichen diskursiven Positionen als „Modi theoretischer Erkenntnis“, deren Objekt die „soziale Welt“ ist.88 Interessant ist, dass hier die jeweiligen Sprecherpositionen kollektiviert, d.h. als allgemeine Sprecherpositionen fabriziert werden. Es werden Positionen für Sprecher hergestellt, die den jeweiligen Kategorien „phänomenologisch“ oder „objektivistisch“ zugeordnet werden können (vgl. Potter 1996: 161). Das Verhältnis von gestalteter und originaler Version ist hier insofern interessant, als in (41), (67) und (68) eben nur das gestaltete Original lesbar ist. In (64) hingegen zitiert Bourdieu „E. Durkheim“ wörtlich; in (65) führt Luhmann „Parsons“ im Original an.89 Jeweilige Zitate bieten mögliche Startpunkte für diskursive Praktiken kritischer (oder interessierter) Leser, von denen aus sie sich auf den Weg begeben können, um die positiv oder negativ modalisierten Referenzen auf ihre Stabilität zu testen und so die je aktualen Versionen und ihre Lesarten zu bestätigen oder zu widerlegen (vgl. Latour 1987: 33 f.). Bezogen auf textuale Praktiken jedoch ist interessant, dass in (64), (65) oder (82) jeweilige maßgebende Instanzen selbst „zu Wort kommen“. Das Verhältnis von gestalteter und originaler Version ist unmittelbar lesbar. In (41), (67) und (68) hingegen ist dies nicht der Fall. „Das Original“ ist immer schon in den Worten des aktualen Berichts reformuliert. In diesen Textsequenzen kommt hinzu, dass die gestalteten Versionen keinen maßgebenden Subjekten, sondern nurmehr allgemeinen Sprecherpositionen zugerechnet werden können. Dieses „active voicing“ versorgt den Text insofern mit Stabilität, als die jeweils eingeschriebene Lesart nicht (unmittelbar) getestet werden kann. Luhmann hingegen sieht sich in (65.1) dem Problem eines lesbaren Verhältnisses von gestalteter und originaler Version ausgesetzt. Er kann nicht schreiben: „Hier sagt Parsons“ („mit aller Deutlichkeit“ Zeile 1), sondern „hier hätte gesagt werden müssen“ (Zeile 5). Stabiler sind Referenzen daher mitunter, wenn sie nicht als Original-, sondern als reformulierte Version in einen aktualen Bericht eingeschrieben werden. Letzteres ermöglicht ein Formulieren und Umterminieren, das Phänomene für je praktische Zwecke begreift und Begriff-bar macht.
88 89
Vgl. S. 115 f., u.a. Textstück (90). Vgl. S. 79-81.
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b) Ontologisches Über-Sätzen Eng verknüpft mit dem Ein-Schreiben und Zum-Sprechen-Bringen von Versionen und maßgebenden Instanzen ist das aktive Modulieren, das Zuschneiden eines argumentativen Terrains. In Luhmanns Bericht betrifft dies z.B. die Textstücke (6), (7) und (70), die mithilfe einer offensiven Rhetorik die alternativen Versionen reformulieren, d.h. umterminieren und unterminieren. In Textbeispiel (6) etwa mithilfe von Formulierungen wie „Was man sich selbst zu schaffen nicht zutraut, wird als schon vorhanden vorausgesetzt“ (Zeile 7 und 8), „Die Klassiker sind Klassiker, weil sie Klassiker sind“ (Zeile 8 und 9), „Die Orientierung an großen Namen und die Spezialisierung auf solche Namen kann sich dann als theoretische Forschung ausgeben“ (Zeile 10 und 11), „Auf abstrakterer Ebene entstehen auf diese Weise Theoriesyndrome“ (Zeile 12 und 13), „Dem Marxismus wird etwas Systemtheorie injiziert. Interaktionismus und Strukturalismus sind, so stellt sich heraus, gar nicht so verschieden, wie man angenommen hatte“ (Zeile 17 bis 19). In (7) umterminiert Luhmann alternative Versionen als „mit Kombinationsspielen befaßt“ (Zeile 5); in (70) schreibt er der Soziologie „tribale Verhältnisse“ zu (Zeile 7 bis 9).90 Dieses beschreibende Vokabular rahmt bzw. moduliert alternative epistemologie-politische Versionen als nicht adäquat. Luhmann betrachtet die „tribalen Verhältnisse“ der Soziologie von einer Ebene zweiter Ordnung, in gewissem Sinne in einem Verhältnis objektiver Wissenschaftler / eingeborene Stammesmitglieder.91 Diese Methode fungiert als Kontraststruktur, die jeweils eine Seite der hergestellten Differenz verschiedener Versionen abnormalisiert (vgl. Potter 1996: 111; Smith 1993: 33-41). In Garfinkels Bericht ist und wird dies in (66) mit der Formulierung „our study tasks cannot be accomplished by free invention, constructive analytic theorizing, mock-ups, or book reviews, and so no special interest is paid to them aside from an interest in their varieties as organizationally situated methods of practical reasoning“ in den Zeilen 3 bis 6 geleistet. Wie bei Bourdieu in (41), (67) und (68) und Luhmann in (6), (7) und (70), so werden auch hier Argumentationsgegner als „diskursive Positionen“ im-Gegensatz-zur eigenen Version eingeschrieben und zugleich durch das beschreibende Vokabular unterminiert. Dabei zeigt sich, dass das Abnormalisieren bzw. die Frage, was als normal oder abnormal dar- und hergestellt wird, indexikal ist. Während Luhmanns Bericht das Theoretisieren und ausführliche Thematisieren anderer Versi-
90 91
Vgl. S. 86 f. Eine Soziologie dieser Soziologie könnte helfen, das Verhältnis von „wissenschaftlichem Subjekt“ und „analytischem Objekt“ neu zu rahmen.
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onen, und Bourdieu zumindest Letzteres, als adäquates soziologisches Vorgehen formuliert, so scheint eben dies bei Garfinkel anders gerahmt zu werden. Mit dem Kontrastieren als textuale Praxis hatte ich u.a. in Abschnitt 2.4c) eine Möglichkeit des aktiven Herstellens konkurrierender, jedoch fehlerhafter Versionen thematisiert. Diese Praxis versorgt aktuale Berichte mit einer Kontraststruktur, die eine Lesart darüber formuliert, was jeweils als normal und was als abnormal verstanden werden kann. In Luhmanns Bericht wird diese kontrastierende Arbeit mit beschreibenden Worten wie z.B. „tribal“ geleistet. Ähnliches lässt sich, so steht im vorherigen Absatz geschrieben, anhand von Garfinkels Bericht sichtbar machen. Zentral ist hier jedoch, dass die konkurrierende Version einer Beschreibung und einem Thematisieren adäquaten ethnomethodologischen Vorgehens in (5) – „Ethnomethodological studies analyze everyday activities as members’ methods for making those same activities visibly-rational-andreportable-for-all-practical-purposes“ (Zeile 10 bis 12) – und (44) – „learning how members’ actual ordinary activities consist of methods“ (Zeile 1 und 2) – nachgestellt ist. Es sind gute-Gründe und gute-Argumente in den Bericht eingelassen, die die konkurrierende Version „free invention“ oder „book reviews“ (Textstück 66, Zeile 3 und 4) als nicht-adäquat erscheinen lassen. Bei Bourdieu betrifft dies z.B. die Ausschnitte (9) und (52). In (9) wird die Version „Strukturalismus“ als „unter Berufung auf ein für mich unverständlich kühn behauptetes epistemologisches Privileg des Beobachters vertretene[.] Definition des Verhältnisses zum Objekt“ (Zeile 4 bis 7) ebenso abnormalisiert wie die Version des „Intuitionismus“ und dessen – umterminiertes – Programm „die Distanz mittels einer falschen primitivistischen Teilhabe per Zaubertrick aufheben“ (Zeile 16 und 17). „Zaubertricks“ sind keine adäquate soziologische Methode. In (52) wird das Programm von Lévi-Strauss in und mit der Formulierung „wie durch Zauberhand“ (Zeile 6 und 7) abnormalisiert und kontrastiert mit Bourdieus aufrichtigem I-witness-Bericht. In (80) werden die reformulierten Versionen mehrfach abnormalisiert. Zunächst einmal werden „Objektivismus“ und „Subjektivismus“ als Positionen einer „endlosen Debatte“ um, darüber hinaus, falsche-Fragen dargestellt: „Ist sie schön, weil ich sie liebe, oder liebe ich sie, weil sie so schön ist?“ (Zeile 1 bis 3). Zudem scheint das Wort „rituell“, wie schon bei Luhmanns ethnologischem Repertoire in (70), eine nicht-adäquate und vor allem nichtwissenschaftlich-reflektierte Position, sondern eine eben „rituell“ aufgeworfene Frage zu beschreiben. Dies betrifft auch die Worte „Zaubertrick“ und „Zauberhand“, die konkurrierende Instanzen wahlweise als wissentlich oder unbewusst zentrale Punkte unterschlagende Instanzen ausweisen. Interessant ist hierbei das Modulieren der verschiedenen Positionen als „Ismen“: „Objektivismus“, „Subjektivismus“, „Intuitionismus“, „ultrasubjektivistisch“. Ismen scheinen eher fehlerhafte, eher automatisch und reflex-
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haft, nicht jedoch wissenschaftlich-reflektierte Versionen zu sein, eher Ideologien und weniger adäquat formulierte Bestände wissenschaftlichen Wissens, so wie etwa der „Interaktionismus“ in (86). (86) Bourdieu 1976: 150 1 2 3 4 5 6 7 8 9
(…) Indem der Interaktionismus auf diese Weise stillschweigend all das ausschließt, was die Interaktionen und deren Repräsentationen in den Individuen diesen Strukturen schulden, übernimmt er implizit die Spontantheorie des Handelns, die das Handlungssubjekt und dessen Repräsentationen zum letzten Prinzip all der Strategien erhebt, die die soziale Welt hervorzubringen und zu verändern in der Lage sind (was letztlich darauf hinausläuft, die kleinbürgerliche Sicht gesellschaftlicher Beziehungen als etwas, was man macht und was man sich macht, auf das Niveau einer Theorie der sozialen Welt zu erheben).
In Textstück (6) in Luhmanns Bericht sind solche Ismen als „Theoriesyndrome“ formuliert, d.h. auch hier werden Ismen als negative Referenzen in eine Version eingeschrieben. Dieses Übersetzen versieht Versionen mit spezifischen Bezeichnungen, die als solche schon das so Markierte als bloße Version ironisieren und auf jeweilige, fehlerhafte und nicht-adäquate, Entstehungsbedingungen herabmodalisiert. In (86) umfasst diese textuale Methode den Gebrauch von Worten wie „stillschweigend“ in Zeile 1, „implizit“ in Zeile 3 oder „kleinbürgerliche Sicht“ in Zeile 7. Der Gebrauch beschreibender Worte und das Bezeichnen eines Ansatzes als Ismus umterminieren und unterminieren konkurrierende Versionen aktiv, indem sie eben jene Versionen, ihre Entstehungsbedingungen oder ihre Objekte mit einem spezifischen Sosein versehen (vgl. Potter 1996: 176). Die in (52) formulierte Äußerung „Allmählich nämlich gewann ich den Eindruck“ in Zeile 5 versorgt das Geschriebene jedoch mit der Lesart, dass Bourdieu die konkurrierende Version nicht ac hoc als fehlerhaft benennt, vielmehr wird er als maßgebendes Subjekt verfertigt, das das Falsch-Sein der alternativen Position wiederholt selbst erfahren und beobachtet hat. Er ist ein Konvertit, der weiß, wovon er spricht. Letzteres ist eng geknüpft an „extrem-case formulations“ (vgl. Potter 1996: 187), die den Bericht zusätzlich mit Relevanz versorgen. In (52) ist und wird Bourdieus Bericht über sein Abwenden vom Strukturalismus mit dem Einschreiben des Wortes „ständig“ zugespitzt: „Doch waren es vor allem die Zwiespältigkeiten und Widersprüche, die sich ständig aus dem Versuch ergaben, die Anwendung der strukturellen Methode bis zur letzten Konsequenz zu treiben, welche mich veranlaßten, weniger die Methode selbst zu hinterfragen als vielmehr die anthropologischen Hypothesen, die stillschweigend allein schon in ihre konsequente Anwendung auf Praktiken Eingang gefunden hatten“ (Zeile 22 bis 28). In (53) betrifft dies die Formulierung „Ich mußte also,
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wie mir scheint, ohne überhaupt Gefallen daran zu finden, mich ständig über mein Verhältnis zum Gegenstand befragen, nach dem Allgemeinen und dem Besonderen daran“ (Zeile 1 bis 3). In der folgenden Sequenz macht Bourdieu sein Tun und das Formulieren eines epistemologie-politischen Programms als Arbeit und als schwierigen Prozess lesbar und verstehbar, d.h. er versorgt das Geschriebene mit einem Bericht über „die vielen Stunden“ seiner Auseinandersetzung mit dem Strukturalismus und fabriziert seine Version als eine authentische und berechtigte Kritik an der konkurrierenden Position. (87) Bourdieu 1987: 25 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
(…) Die vielen Stunden, die ich mit Abdelmalek Sayad (mit dem zusammen ich mit gleichem Erfolg eine ähnliche Arbeit über verschiedene Varianten des Hochzeitsrituals in Angriff genommen hatte und der mir bei meiner Analyse des Rituals sehr behilflich war) bei dem Versuch zubrachte, diese Widersprüche zu lösen, anstatt sie von vornherein zu akzeptieren und darin die Auswirkungen der Grenzen zu sehen, die für die immer nur im Groben bis zu einem gewissen Punkt schlüssige praktische Logik wesenstypisch sind, erwähne ich vor allem, um zu zeigen, wie schwierig es war, sich dieser durch die strukturalistische Vulgata noch verstärkten sozialen Anforderung zu entziehen, die mich nach der perfekten logischen Geschlossenheit des Systems suchen ließ.
Die textuale Praxis der „extrem-case formulation“ ist, so zeigt sich, ihrerseits indexikal. Im Falle von Bourdieus Bericht stützt sie das aktuale Vorhaben und macht es stabil gegenüber Kritik. Im Falle der folgenden Sequenz aus Garfinkels „Studies in Ethnomethodology“ hingegen lässt sich diese Praxis als Fingieren anderer Versionen beschreiben. (88) Garfinkel 1967: 6 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
Features of indexical expressions motivate endless methodological studies directed to their remedy. Indeed, attempts to rid the practices of a science of these nuisances lends to each science its distinctive character of preoccupation and productivity with methodological issues. Research practitioners’ studies of practical activeities of a science, whatever their science, afford them endless occasions to deal rigorously with indexical expressions. Areas in the social sciences where the promised distinction and promised substitutability occurs are countless. The promised distinction and substitutability are supported by and themselves support immense resources directed to developing methods for the strong analysis of practical actions and practical reasoning. Promised applications and benefits are immense.
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Texte machen etwas Nevertheless, wherever practical actions are topics of study the promised distinction and substitutability of objective for indexical expressions remains programmatic in every particular case and in every actual occasion in which the distinction or substitutability must be demonstrated. In every actual case without exception, conditions will be cited that a competent investigator will be required to recognize, such that in that particular case the terms of the demonstration can be relaxed and nevertheless the demonstration be counted an adequate one.
In (88) modulieren die Worte „endless“ in den Zeilen 1 und 6, „countless“ in Zeile 9, „immense“ in den Zeilen 11 und 13 und die Formulierung „in every particular case“ und „every actual case“ in Zeile 16 und 18 die reformulierte Version als ohne-Ausnahme-genau-so. In Textbeispiel (89), das eine Sequenz unter dem Titel „What is ethnomethodology?“ einleitet, findet sich eine ebensolche textuale Methode. (89) Garfinkel 1967: 10 f. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 (…) 21 22 23 24
The earmark of practical sociological reasoning, wherever it occurs, is that it seeks to remedy the indexical properties of members’ talk and conduct. Endless methodological studies are directed to the tasks of providing members a remedy for indexical expressions in members’ abiding attempts, with rigorous uses of ideals to demonstrate the observability of organized activities in actual occasions with situated particulars of talk and conduct. The properties of indexical expressions and indexical actions are ordered properties (...) (…) I use the term ‘ethnomethodology’ to refer to the investigation of the rational properties of indexical expressions and other practical actions as contingent ongoing accomplishments of organized artful practices of everyday life.
Solche textualen Methoden umterminieren konkurrierende Versionen mithilfe von Kontraststrukturen, die helfen, eigene Programme und eigenen Wortgebrauch – siehe Textstück (89), Zeile 21 bis 24 – als richtig und adäquat herzustellen. Das argumentative Terrain wird u.a. mithilfe von „extrem-case formulations“ epistemologisch und ontologisch zugeschnitten. Diese Methode ist indexikal lesbar und verstehbar als geordnete Leistung zu praktischen Zwecken des Formulierens solider (soziologischer) Berichte und betrifft das Modulieren und Modalisieren textualer Objekte ebenso wie intertextualer Dinge mithilfe kategorialer Zuschreibungen – ein Zuschneiden von Welt und Versionen, das man mit Woolgar und Pawluch als „ontological gerrymandering“ und als „boundary work“ bezeichnen kann. „This ‘boundary work’ creates and sustains
Über-Sätzen
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the differential susceptibility of phenomena to ontological uncertainty. Some areas are portrayed as ripe for ontological doubt and others as (at least temporarily) immune to doubt.“ (Woolgar u. Pawluch 1985: 216) Das Relevant-Machen und Formulieren des eigenen Vorhabens ist in Textstück (2) an ein Problematisieren des Fehlens einer „facheinheitlichen Theorie“ (Zeile 3) als „Theoriekrise“ der Soziologie (Zeile 1) geknüpft, d.h. es wird unter-schrieben mit einem Bericht über den Zustand der Soziologie, der die Relevanz des Vorhabens sichtbar und einsehbar macht. Dieser Bericht sätzt Sosein und versucht, Adressaten zu interessieren, indem eben jenes Sosein auf die praktischen Zwecke des formulierten Vorhabens – „Es geht um die seit Parsons nicht mehr gewagte Formulierung einer fachuniversalen Theorie“ (Textstück 8, Zeile 6 und 7) – zugeschnitten wird.92 In (2), (7) und (8) ist und wird diese „Formulierung einer fachuniversalen Theorie“ als relevant und adäquat fabriziert, während z.B. in (2), (6) und (70) konkurrierende Versionen als fehlerhaft unterminiert werden.93 Bei Bourdieu wird das Über-Sätzen von Sosein u.a. in und mit einem Textstück geleistet, das mit „Die drei Modi theoretischer Erkenntnis“ betitelt ist. (90) Bourdieu 1976: 146 f. 1 2 3 4 5 6
Die soziale Welt kann zum Gegenstand dreier Modi theoretischer Erkenntnis werden, deren jeder eine Gesamtheit zumeist verschwiegener anthropologischer Thesen impliziert, die, wiewohl de jure sich nicht gegenseitig ausschließend, doch nur dies eine gemeinsam haben, zum praktischen Erkenntnismodus in Gegensatz zu stehen.
Wie bei Luhmann, so wird auch hier Sosein gesätzt und als Startpunkt einer Sequenz genommen, in und mit der das eigene Programm u.a. in Textstück (69) im-Gegensatz-zu konkurrierenden Versionen in (41) und (68) formuliert wird.94 Interessant ist in (90) die Formulierung „deren jeder eine Gesamtheit zumeist verschwiegener anthropologischer Thesen impliziert“ in Zeile 2 und 3, in der das Wort „verschwiegen“ ebenfalls ein argumentatives Terrain aktiv herstellt und konkurrierenden Versionen zuschreibt, etwas zu verschweigen bzw. zu verschweigen zu haben. Vor allem betreffen die textualen Methoden des „ontogological gerrymandering“ und der „boundary work“ hier ein Herstellen argumentativer Positionen und Arenen. In (41) und (68) ist dies das Formulieren zweier diskursiver Positionen, des „Objektivismus“ und des „Subjektivismus“,
92 93 94
Vgl. zum Sätzen von Sosein S. 38-47. Vgl. u.a. S. 86 f., S. 110. Vgl. S. 84-86, S. 108 f.
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die als fehlerhaft herabmodalisiert und mit der eigenen Version kontrasiert werden. Über-Sätzen heißt also, so ist auf S. 108 f. lesbar, mögliche diskursive Positionen herzustellen – Subjektivismus, Objektivismus und Praxeologie – und argumentative Grenzen einzuziehen, die bestimmte Positionen als nicht-existent bzw. nicht-relevant erscheinen lassen (vgl. Potter 1996: 184 f.). Über-Sätzen ist darüber hinaus das aktive Herstellen eines ontologischen Terrains. In Garfinkels Bericht ist und wird diese textuale Arbeit zunächst in (1) verfertigt, indem ein „factual account“ formuliert wird: „In doing sociology, lay and professional, every reference to the ‘real world’ (…) is a reference to the organized activites of everyday life“. „Organized activities of everyday life“ werden als Phänomene hergestellt und darauf aufbauend wird in (5) ein epistemologie-politisches Programm formuliert: „analyze everyday activities as members’ methods for making those same activites visibly-rational-and-reportable-for-all-practical-purposes, i.e. ‘accountable’, as organizations of commonplace activities“ (Zeile 10 bis 13).95 D.h. auch hier wird ein argumentatives Terrain abgegrenzt und die eigene Version darauf aufbauend formuliert. Die Äußerung „organized activities of everyday life“ stellt zudem Phänomene auf spezifische Weise her, d.h. figuriert sie und schreibt ihnen ein spezifisches Sosein zu. Epistemologie-politische Programme zu formulieren ist also eng daran geknüpft, jeweilige Ontologien herzustellen – in Luhmanns Bericht z.B. wird in (27) „jeder soziale Kontakt (…) als System begriffen“ (Zeile 5 und 6); in Sequenz (26) in Bourdieus Bericht „erzeugen“ die „für einen spezifischen Typus von Umgebung konstitutiven Strukturen“ (…) Habitusformen, d.h. Systeme dauerhafter Dispositionen“ (Zeile 1 bis 6) . In all diesen Textstücken wird Sosein hergestellt und figuriert, werden Phänomene und Vorgänge zu sozialen Phänomenen und Vorgängen als adäquate Objekte soziologischer Analyse und soziologischen Theoretisierens gemacht.96 In der vorliegenden Arbeit wurden lediglich textuale Methoden des Formulierens schriftlicher soziologischer Berichte untersucht. Das damit intim verknüpfte Herstellen und Figurieren von Realität zu erforschen, ist eine analytische Aufgabe, die zukünftigen Studien überlassen bleibt. Lassen Sie mich daher an dieser Stelle meines textualen Berichts „Schluss“ machen.
95 96
Vgl. S. 13 f., S. 17 f., S. 89 f. Vgl. S. 13 -15, S. 38-47, S. 53-69.
Schluss
Modulation der „originalen“ Schluss-Sequenz97
Indem ich nun diese textuale Sequenz meines Berichts als „Schluss“ betitele, mache ich lesbar, dass das hier Geschriebene „rückbezüglich“ auf meinen Text als Text orientiert ist:98 In und mit diesem Text habe ich versucht, „textuale Praktiken und Artefakte“ des soziologischen Schreibens bei Garfinkel, Bourdieu und Luhmann zu thematisieren. Die hier verfertigten Studien folgten primär textanalytischen ethnomethodologischen Ansätzen. Damit ausgeblendet blieben die situierten Methoden der Produktion eben solcher Texte, d.h. der körperlichen, sich zeitlich vollziehenden textbezogenen Praktiken des Schreibens und des Lesens sprachlich-schriftlicher Artefakte.99 Thematisiert wurde hier eine dritte Sorte textualer Praktiken: die textual „verkörperten“ Praktiken soziologischen Formulierens und soziologischer Argumentation, d.h. textuale Berichte als Artefakte soziologischer Arbeit. Erforscht wurden u.a. „Vorworte“ als spezifische Sequenzen eben solcher Berichte: das „In-Existenz-Bringen“ und „RelevantMachen“ soziologischer Themen und epistemologie-politischer Programme, das Formulieren von Kriterien „im-Gegensatz-zu“ konkurrierenden Entwürfen oder das Herstellen von Autorschaft. Es wurden deskriptive und argumentative Repertoires und die Produktion „intertextualer Dinge“ wie z.B. intellektuelle Geneaologien und diskursive Positionen thematisiert. Letzteres verweist darauf, dass von dieser analytischen Position aus „Diskurse“ nicht als meso- oder makroskopische Strukturen erscheinen, sondern als Artefakte konkreten Sprachund Textgebrauchs. Texte sind weder Produkte von Ideologien, Macht- oder diskursiven Strukturen und Formationen oder von Wissensordnungen; noch von basalen und generativen (kognitiv verankerten) Zeichen- oder Sprachsystemen. Sie sind als „intertextuale Dinge“ Artefakte konkreter situierter und vollständig öffentlicher Praktiken des Schreibens und Lesens. „Diskurse“ werden in und mit „textualen Praktiken und Artefakten“ als Korpora an Texten-zum-gleichenThema, als intellektuelle Geneaologien und Arenen diskursiver bzw. argumentativer Positionen hergestellt; sie sind Artefakte textualer Methoden des Schreibens und Lesens und textual verkörperter Formulierungen von Phänomenen und Vorgängen. 97 98 99
Siehe „Danksagungen“ Vgl. S. 9, S. 13. Vgl. S. 91, u.a. Fußnote 72.
B. Krey, Textuale Praktiken und Artefakte, DOI 10.1007/978-3-531-92849-4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Schluss
Eben jene textualen Methoden des Formulierens und Figurierens von Phänomenen und Vorgängen als und zu soziologischen Objekten, so hatte ich auf Seite 116 geschrieben, konnten hier nicht weiter analysiert werden. Dies scheint jedoch insofern eine wichtige analytische Aufgabe, als Soziologen in und mit textualen Artefakten ihre Phänomene herstellen und kommunikativ zugänglich machen (vgl. Garfinkel u.a. 1981: 133).100 In die hier untersuchten Berichte scheinen Vorstellungen eingelassen, es gäbe Objekte-dort-draußen, die sich mithilfe adäquater Methoden erforschen ließen (vgl. Pollner 1987: 12). Soziologisches sprachlich-schriftliches Argumentieren und Theoretisieren stellt, so scheint es, ein ontologisches Terrain her, das ein „‘knower’, ‘inquirer’, or ‘subject’“ erforschen kann „to ‘know’, ‘understand’, or ‘observe’ what is variously designated as ‘social facts’” (Pollner 1987: 7). Eben dieses ontologische Terrain, das in und mit den hier thematisierten textualen Praktiken und Artefakten hergestellt und zugeschnitten wird, ebenso wie die Relation und Differenz zwischen beiden zu untersuchen, bleibt zukünftigen Studien überlassen. Untersucht wurden hier textuale Methoden des Formulierens schriftlicher soziologischer Berichte. Die aktuale Analyse assoziierte dabei aktiv Texte und Autorennamen zu einem Korpus, der zu praktischen argumentativen Zwecken als „ethnomethodologische Diskursforschung“ bezeichnet wurde.101 Dieser eher lose Korpus an Studien steht formal-analytischen Konzeptualisierungen von Phänomenen ebenso wie Unterscheidungen von Struktur/Akteur, Makro/Mikro oder langue/parole kritisch bis ablehnend gegenüber; vielmehr werden (sozial-)wissenschaftliche Praktiken des „constructive analytic theorizing“ als „situated methods of practical reasoning“ (vgl. Garfinkel 1967: viii; vgl. Textstück 66; vgl. Pollner 1987) ihrerseits zu Objekten ethnomethodologischer Forschung gemacht. Darin und damit gerät zwangsläufig auch das eigene Schreiben, geraten die eigenen argumentativ-analytischen Praktiken und Artefakte in den Fokus: Diese Analyse figurierte ihre Objekte als „Praktiken“, „Texte“ und „Artefakte“ und bediente sich darüber hinaus in einzelnen Sequenzen eines „reflexiven“ argumentativanalytischen Repertoires, das nicht als besondere Qualität dieser Studien verstanden, jedoch als analytische Methode eingesetzt wurde, um beschreibbar und lesbar zu machen, was diese Analyse selbst ist: textuale Praxis und Artefakt soziologischen Schreibens.102 Bleibt noch, zum Abschluss dieses textualen Berichts einige … (siehe S. 9 bis 11).
100 Vgl. S. 16 f. 101 Vgl. S. 10, S. 25 f. 102 Vgl. S. 11, S. 36.
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