K L E I N E
B I B L I O T H E K
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
NIELS
HEFTE
BLÄDEL
TIERE...
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K L E I N E
B I B L I O T H E K
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
NIELS
HEFTE
BLÄDEL
TIERE wie man sie nicht kennt AUS DER WERKSTATT
DER
NATUR
VERLAG SEBASTIAN LUX M U R N A U . MÜNCHEN . INNSBRUCK . BASEL
Der Frosch mit dem Rucksack Wie eine chinesische Porzellanfigur, die in einer Laune des Augenblicks erschaffen und dabei mit tiefer, östlicher Weisheit erfüllt worden ist, sitzt diese Froschfrau da, die wir auf der übernächsten Seite unsern Lesern im Bilde vorstellen. Das nachdenkliche Froschkind hockt auf ihrer Stirn zwischen den Augen, die tiefe Verachtung zeigen für alles, was die Ruhe der anscheinend so Behäbigen stören könnte. Doch das Graufroschweibchen ist ausgerechnet in diesem Augenblick voller Leben, wie wir noch sehen werden. Und es stammt übrigens auch gar nicht aus dem Osten, sondern lebt weit draußen im Westen, und zwar im südwestlichen Dschungel Venezuelas. Dort hat der Graufrosch es verstanden, sich sein Leben ganz nach eigenem Rezept einzurichten, völlig anders als seine Froschgenossen sonst überall in der Welt. Diese anderen, gewöhnlicheren Frösche legen ihre Eier zumeist in Moore, Seen und Teiche. Aus den Eiern werden Kaulquappen, die mit ihren Flossen und Kiemen an die Abstammung der Frösche von den Fischen erinnern. Aus den wasserbewohnenden Kaulquappen werden in einer der merkwürdigsten Verwandlungen des Tierreiches jene fleischfressenden, vierbeinigen Landtiere, die wir meist als Quakfrösche kennen. Dem großen grauen Frosch aus Venezuela geht es indes nicht so gut wie den Fröschen unserer Heimat, da er seine Eier nicht in Moore, Seen und Teiche legen kann; denn dort, wo er lebt, gibt es nicht das kleinste Wasserloch, in dem die dem Ei entschlüpfende Kaulquappe sich auf das Leben an Land vorbereiten könnte. Und doch braucht sie Wasser, das ist seit Urzeiten so. Wie der graue Frosch das Kunststückchen fertigbringt und seinem Nachwuchs trotzdem eine Wasserwiege schafft, diesen Trick hat in allen Einzelheiten Dr. William Beebe entschleiert, Direktor der Abteilung für tropische Forschung der New Yorker Zoologischen Gesellschaft. Vor wenigen Jahren hatte Dr. William Beebe ein neues Labo2
Das Graufröschchen hat den „Rucksack" der Froschmutter verlassen und blickt von Ihrer Stirn in die Welt
ratorium in Bancho Grande eingerichtet, und schon gleich in der ersten Zeit war ihm ein schwerverletzter grauer Frosch eingeliefert worden, der nicht mehr zu retten war. Unten auf dem Kücken des toten Tieres fand er einen Beutel, der offenbar als Wiege diente. In dieser merkwürdigen Wiege entdeckte Beebe ein Gewimmel von angehenden Fröschen, die sich noch lange nach dem Tode des Frosches durch eifrige kleine Bewegungen bemerkbar machten. Zwar hatten die kleinen Kaulquappen als Lebenselement keinen Waldsee zur Verfügung wie andere Kaulquappen, statt dessen besaß jede von ihnen im Bucksack der Mutter ihr eigenes, winziges, kreisrundes Schwimmbassin, in dem sie sich behaglich vom Kiemen- und Flossenstadium zum Fröschchen verwandeln konnten. Das Bassin reichte indes nur zum L e ben, nicht zum Schwimmen aus, dafür war es viel zu klein. J e denfalls aber hatte der Froschnachwuchs Wasser um sich, wie die Natur es vorschreibt.
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Zu der Zeit, als William Beebe dieses Erlebnis hatte, hielt er mehrere große weibliche Graufrösche in einem Aquarium. Nun beobachtete er sie Tag und Nacht genauer, um zu sehen, wie das Hinausschlüpfen der flügge gewordenen Froschkinder aus dem Rucksack vor sich ging. Endlich, eines Morgens früh, wurde es unter der Rückenhaut eines der Frösche außerordentlich lebendig. Für Beebe war das alles so aufregend und überraschend, daß er sofort niederschrieb, was er beobachtete. Um drei Uhr nachmittags öffnete sich der Beutel ein wenig, und ein winziges Gesicht erschien: das erste kleine Froschkind. Irgend etwas rührte sich hinter dem Fröschchen, schob es noch ein Stück voran, und zwei winzige Arme kamen zum Vorschein. „ W i r waren", schreibt Beebe, „Zeugen des merkwürdigsten Vorgangs. Die Rückenöffnung wurde ständig größer, das Froschjunge machte sich frei, taumelte über seine Mutter hinweg und fiel auf die Erde. Dort richtete es sich auf, sah ein wenig umher und rieb sich ein paarmal sein rechtes Auge. Doch kaum hatte es sich zurechtgesetzt und gezeigt, daß es das vollständige Ebenbild seiner Mutter war, da plumpste ihm von oben sein kleiner Bruder auf den Kopf. Sie machten beide ein paar Purzelbäume, richteten sich dann wieder auf, die kleinen Mäuler gegeneinander, mit Augen, die zu sagen schienen: Paß auf, laß uns nicht nach oben blicken, denn es passiert bestimmt noch einiges! Und es geschah eine ganze Menge. Manchmal guckten vier Paar Augen und vier Mäuler gleichzeitig aus dem Rucksack hervor. Ein Strom von Froschkindern stolperte hinaus in die Welt, um das Abenteuer des Lebens zu beginnen. Jedes von ihnen schien eine Persönlichkeit zu sein. Einer, ein wenig dunkler als die anderen, erwies sich als glänzender Akrobat. Mit einem Satz hopste er von Mutter Rücken herunter, landete vollendet auf allen Vieren, machte eine halbe Wendung, und mit einem zweiten Satz sprang er hoch über seine Mutter und alle Geschwister hinweg. Zweimal geschah es, daß ein paar Kinder, gleich nachdem sie einen Blick hniaus in die Welt getan hatten, kehrt machten und zurückschlüpften in das Dunkel, in dem sie sich eben erst aus Kaulquappen zu vollkommenen Fröschen verwandelt hatten. Bei allem, was da auf dem Rücken und um sie herum passierte, verzog die Mutter keine Miene. Als eines der Kleinen mit dem ersten 4
kleinen Sprung auf einem ihrer Augen landete, zog sie lediglich das Auge ein, so daß es in den Kopf sank, während das andere unbewegt und ausdruckslos auf dem vorgeschobenen Platz an der Stirn verblieb. Einundzwanzig Froschkinder kamen zur Welt, und im Lauf von acht Stunden waren sie imstande, kurzen Prozeß mit kleinen Nachtschmetterlingen zu machen, um ihren Hunger zu stillen. Die Mutter hatte einige müde Tage, aber nach kräftiger Fütterung bekam sie schnell ihr normales Aussehen wieder." So hat also der große Graufrosch sich einem Leben angepaßt, in dem keine Wasserlöcher das Kaulquappendasein erleichtern. Aber das Wasserloch ist für den gewöhnlichen Frosch mehr als nur Brutplatz, es ist auch die schützende Welt, in der er mit einem Satz seinen Feinden entfliehen kann. Dem grauen Frosch ist statt dessen ein anderer Schutz mitgegeben. Sein Kopf besteht nicht, wie bei anderen Fröschen, aus weichem Gewebe, sondern er besitzt unter der Haut einen kantigen Knochenpanzer, und das ist seine Waffe; denn ein solcher Kopf ist eine unbequeme Mahlzeit sowohl für Vögel als auch für Schlangen. Und da die Gegner davon irgendwie Kenntnis zu besitzen scheinen, lassen sie das graue Froschvolk im allgemeinen in Ruhe, so daß es sich mächtig vermehren kann.
Anabas — der Kletterfisch W ä h r e n d der Graufrosch wegen des Mangels an Wasserplätzen seinem Nachwuchs eine eigene Wasserumgebung geschaffen hat, hat der Anabas, der eigentlich ins Wasser gehört, die Neigung, seinem nassen Element über Land zu entfliehen. Das ist immerhin ungewöhnlich für einen Schuppenträger — denn Anabas ist ein Fisch, einer aus der Sippe der Barsche. Als König Alexander der Große von Griechenland nach Indien zog, brachte ein Gelehrter, der ihn begleitet hatte, die erste Nachricht von dem über Land wandernden Anabas-Fisch nach Europa. Obwohl dieser Bericht in der „Geschichte der Tiere", des Aristoteles nachzulesen war, hatte doch niemand daran gedacht oder dazu aufgefordert, die Sache mit dem Anabas nachzu5
prüfen. Erst mehr als 1000 J a h r e später, im 9. Jahrhundert n. Chr., kam wieder die Sprache auf das merkwürdige Fischwesen. Diesmal war es ein Araber, Soliman mit Namen, der sogar erzählte, daß der Anabas imstande sei, Kokospalmen hinaufzuklettern und die Milch aus den Nüssen zu holen. Die Geschichte wanderte weit herum von Mund zu Mund, aber man hielt Soliman für einen Lügner. Wieder 1000 Jahre später, im Jahre 1791, begegnete dann der dänische Leutnant Daldorf von der Ostindischen Kompagnie bei Tranquebar dem kletternden Barsch Anabas sozusagen persönlich. Jetzt endlich wurden der Bericht des Aristoteles und die Erzählung Solimans akzeptiert, nicht als Dichtung, sondern als Wahrheit, und die Wissenschaft wurde aufmerksam. Der Fisch, der sein nasses Element zu verlassen und wie ein Landtier zu leben vermochte, konnte beschrieben und in die zoologischen Handbücher aufgenommen werden. i Leutnant Daldorf hatte den Fisch bei einem feuchten Loch im Stamme einer Palmyra-Palme angetroffen. Er war schon einundeinhalb Meter hoch geklettert und wollte noch höher. Während er sich mit den Brustflossen festhielt, bog er den Schwanz nach links und setzte die Schwanzstacheln in die Baumrinde, dann löste er die Bruststacheln und schob den Körper aufwärts. Von da an gab es mehr Berichte, und niemand zweifelte länger: Nur eines verneinte die Wissenschaft: daß der Anabas beim Klettern und Gehen auch die Brustflossen gebrauche. Doch auch das war nicht erfunden. Der unumstößliche Beweis wurde endlich erbracht, als ein anderer Däne auszog, um in der exotischen Natur Ausschau zu halten. Es war der Dichter Hans Hartvig P e dersen, dem sich bei seiner Ceylon-Expedition 1949 der ceylonesische Photograph Somanader anschloß. Somanadcr glückte es, den kletternden Barsch beim Heraussteigen aus seinem Wasserloch zu photographieren. Einwandfrei benutzte er seine Brustflossen, während er sich an einer ins Wasser hängenden Baumwurzel hocharbeitete. Das unschätzbare und einzigartige Bild erschien in Seedorffs Heisebuch „Ceylon, unser verlorenes P a r a - , dies". Auch Seedorff sah den Anabas bei seinem Gang auf der Erde die Flossen gebrauchen. Seine Schilderung ist nicht nur die hübscheste Beschreibung, die man von dem Kletterfisch hat,
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Der Fisch Anabas braucht wieder einmal Landfutter, steigt am Ufer hocli und beginnt seine Überland Wanderung (Foto: Somanader).
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sondern gibt auch ein vollendetes Bild von seinem Benehmen. Ein gewaltiger Regenguß war gerade überstanden und hatte dort, wo vorher ein metertiefer, in der Sonne ausgetrockneter Graben war, einen brausenden Strom hervorgebracht. Seedorff schreibt: „Dort, auf dem gegenüberliegenden Ufer des Stromes, entdeckten wir das Unglaubliche, aus dem Dschungel kam ein Fisch spaziert. Natürlich nicht auf Beinen. Er benutzte alles, was ihm Halt geben konnte: Schwanz, Kiemen und die gespreizten Brustflossen. Schnell ging es nicht, aber sicher. Er arbeitete sich über ein schön gezeichnetes Blatt hinweg, das der Prachtausgabe eines wilden Ingwerblattes glich. Auf diesem flammendgelben Blatt blieb er stehen und warf den ersten Bundblick über die rieselnde, nasse Welt. Er war nicht groß, höchstens 20 Zentimeter, doch er war hübsch. Er trug ein olivgrünes Kleid, das mit der Pflanzenwelt des Waldbodens harmonierte, ja, fast mit ihr gleich war. Daß wir ihn entdeckten, war fast ein kleines Wunder. Er ging wieder ein Stück vorwärts, auf einen abgefallenen Zweig zu, der schräg nach oben aus dem Graben ragte. Und nun sahen wir ihn klettern. Die aufgerichtete Vorderpartie gab dem Fisch einen leichten Anstrich von Invalidität. Die Flossen glitten an den Seiten des Zweiges entlang und dienten augenscheinlich nur dem einen Zweck, den Gang auszubalancieren, während die Kiemen mit kleinen Rucken arbeiteten, und es schien, als ob auch der Schwanz bei der Vorwärtsbewegung half. Es erinnerte ein wenig an einen Gang auf Krücken. . . Ganz oben an der Spitze des Zweiges hielt er an, beherrscht von einem Eitelkeitsdrang, den er nicht zu verbergen vermochte. Lange spiegelte er sich in dem klaren Strom, bis er plötzlich den Stützapparat zusammenklappte und hinuntersprang, in sein eigenes Spiegelbild hinein." Vom Anabas erzählen die Eingeborenen im tropischen Asien, daß er vom Himmel regne. Dr. Buist, der es unternahm, das Leben des Kletterfisches näher zu erforschen, sammelte alle indischen Geschichten, die sich mit seinem „Vom-Himmel-Fallen". befassen. Eine der komischsten lautet in aller Kürze: ,,1824 fielen bei Meerut auf die Soldaten des 14. Regiments Ihrer Majestät Fische herunter. Die Soldaten waren beim Exerzieren, doch 8 4"
unterbrachen sie die Übung sofort und machten einen glücklichen Fang." Dr. Buist gab sich viel Mühe, dem Geheimnis dieses Fischregens auf den Grund zu kommen. Da die Fische immer plötzlich in großer Zahl nach starken Regenfällen auftauchen, bei denen heftige Windstöße über die Landschaft fegen, war er geneigt, den Stürmen die Schuld für das Vom-Himmel-Fallen zuzuschreiben. Wie eine Art Wolkenpumpe, so dachte Buist, reiße der heftige Wind die Fische aus den Wasserlöchern heraus und lasse sie dann wieder los, so daß sie weit und breit herunterfielen. Inzwischen ist die Geschichte besser untersucht worden. Man weiß, daß der Anabas während der Trockenheit im trockenen Schlamm leben kann. Er kommt plötzlich aus dem Schlamm hervor, wenn die tropischen Regenfälle den trockenen Boden aufweichen. Da die Eingeborenen das nicht wissen, müssen sie annehmen, die Fische seien heruntergeregnet. Der Glaube, die Fische regneten vom Himmel, wurde vielleicht auch durch die Tatsache hervorgerufen, daß man Reste von ihnen oft auf Bäumen findet. Es ist sicher selten, daß sie aus eigenem Antrieb dort hinaufkommen, wenn es auch stimmt, daß sie einen nicht allzu senkrechten Palmstamm ein Stück hinaufklettern können. Ein indischer Forscher erklärt ihr Vorkommen auf Bäumen ganz einfach: W e n n der Anabas nachts oder in den frühen Morgenstunden auf der Erde herumkriecht, passiert es häufig, daß Krähen oder Weihen ihn packen und mit ihm in die hohen Bäume fliegen, um ihn zu fressen. So findet man oben die Reste der Mahlzeit. Damit er als Kiementier imstande ist, an Land zu leben, h a t der Anabas hinter den Kiemen noch ein anderes Atmungsorgan entwickelt. Hinter dem Kiemendeckel sitzt ein labyrinthförmiger Sack, der von schützenden Knochen umgeben ist. Der Sack hat Verbindung zum Rachen, so daß er mit Luft aus dem Maul versorgt werden kann. Im Gewebe des Sackes sitzen zahlreiche Blutgefäße, und der Blutstrom bringt die Luft in den Körper. So atmet er. Der Anabas muß also immer durch das Maul atmen. Hielte man ihn in einem Aquarium und legte direkt übers Wasser ein Netz, so daß er den Kopf nicht herausstrecken könnte, würde er 9
ertrinken. Er ist darauf angewiesen, in frischer Luft zu atmen,' anders kann er nicht leben. Diese zwingende Notwendigkeit entstand, weil es den tropischen Wasserlöchern oft vollständig an Sauerstoff mangelt. Der Fisch ist deshalb gezwungen, in Abständen den Kopf herauszustecken, um ein Maulvoll atmosphärischer Luft zu bekommen. Der Anabas geht nicht nur an Land, wenn das Wasserloch, in dem er lebt, am Austrocknen ist. Er hat sich im Lauf der Zeit an Landausflüge gewöhnt, und dabei hat sich auch sein Futterbedarf so erweitert, daß er von diesen Ausflügen abhängig geworden ist. Er kommt regelmäßig heraus, um Landfutter zu fressen. Nachts und in den frühen Morgenstunden geht er auf Nahrungssuche in die Gärten der Eingeborenen. W e r einmal die kleinen Amphibien wie auf Krücken herumwandern und Regenwürmer suchen sah, wird das nie wieder vergessen. Was man am Anabas erlebt, ist wie eine Erinnerung an jenen Zustand, der es in längst vergangenen Zeiten den Fischen ermöglichte, die Erde in Besitz zu nehmen. Die ersten vierbeinigen Fische hatten, wie der Anabas, doppelte Atmungsorgane, und sie hatten wie er Augen, die so gebaut waren, daß sie sowohl unter Wasser als auch an der Luft sehen konnten.
Der Waschbär, der nicht wäscht Laßt uns jetzt in Gedanken einen großen Sprung über den Erdball machen, von Indien hinüber in die wasserreichen Wälder Nordamerikas. Hier wollen wir uns den Sonderling Waschbär anschauen, weil auch er die merkwürdigsten Manieren hat und weil man erst jüngst dahintergekommen ist, daß auch bei ihm vieles so ganz anders ist, als man früher geglaubt hat. Das Kerlchen ist hübsch anzusehen, und trotz seines Fuchskopfes sagt man ihm nach, daß er viel klüger ist als »in Fuchs. Sein Pelz gleicht dem des Dachses, aber er trägt einen Schwanz, der emporragt wie ein gestreiftes Schornsteinrohr. Nimmt man den kleinen Halbbären auf den Arm und läßt die Hände von seinen Pfoten berühren, so bleibt einem ein Eindruck, den man nie wieder vergißt: der Eindruck von etwas F r e m d ' 10
artigem, Wildem, ganz verschieden von dem Gefühl der warmen, runden Hunde- oder Katzenpfoten. Man spürt kalte, tastende, lebendige Finger. Es überrascht nicht, daß diese Fingerpfoten der Schlüssel zum Geheimnis des Waschbären sind, ein Geheimnis, das erst vor ganz kurzer Zeit gelüftet werden konnte. . Der Waschbär bekam seinen Namen, weil man glaubte, er wüsche sein Fressen vor den Mahlzeiten. Es stimmt schon: In Gefangenschaft sieht man, wie er sein Futter unter Wasser hält und es gleichsam abreibt. Doch wie wir noch hören werden, tut er das nicht, um es zu waschen. Wenn man sich bisher darin irrte und im großen und ganzen so wenig über die wahre Natur des Waschbären wußte, liegt es daran, daß alles Wissen über ihn hauptsächlich von Tieren in der Gefangenschaft stammte. Der Waschbär ist ein Nachttier; daher war es auch so schwierig, ihn in freier Natur zu beobachten. Er lebt in den großen Wäldern im Norden und Osten Nordamerikas und am Fuß der steilen Canons in Westamerika. Doch endlich, in den letzten J a h ren, glückte es zwei amerikanischen Zoologen, Leon Whitney und Lloyd Tevis, ihm auf die Spur zu kommen. Tevis entdeckte die Jagdgründe der Waschbären tagsüber dadurch, daß er die Reste ihrer Mahlzeiten aufstöberte. Reste gibt es genügend, denn die Waschbären sind wählerische Tiere. Wohl fressen sie fast alles, so daß sie von dem leben können, was ihnen die Jahreszeiten bieten. Ist die Nahrung aber reichlich, dann fressen sie nur das Beste vom Besten. Ihr besonderer Leckerbissen sind Krebse, am liebsten fressen sie nur die Schwänze und zwei Drittel der Brust, das übrige lassen sie am Ufer der Flüsse auf Steinen liegen. Wo man die Reste tagsüber findet, hält sich der Waschbär nächtlicherweile auf. Diese Stellen im schwarzen Dunkel am Grunde der tiefen Canons besuchte Dr. Tevis während der Nacht. Langsam paddelte er sich mit seinem Boot vorwärts, die Tiere zeigten aber keinerlei Furcht vor dem leichten Geräuscli des Ruders. Um sie, richtig beobachten zu können, hatte Tevis eine Blendlaterne mitgebracht, mit der er die Ufer und kleinen Wasserlöcher ableuchtete. Das erste, was er vom Waschbären erblickte, wenn er ihn in den Scheinwerferkegel bekam, waren zwei orangefarbene Lichter. Das waren seine Augen, die das Licht 11
widerspiegelten. Drehte das Tier den Kopf in einem bestimmten Winkel, so verwandelten sich die zwei goldfarbenen Punkte phosphorgrün. Wir nehmen Platz in Dr. Tevis' Boot. Wir wollen während der Fahrt nicht auf die Umgebung achten, nicht auf die fast «enkrecht himmelanragenden Felsen, nicht auf die Geräusche der Nacht, auch nicht auf das Knurren der Waschbären, das in den verschiedensten Tonlagen zu hören ist, je nachdem, was die Tiere gerade unternehmen. Ohne sich vom Schein der Laterne verscheuchen zu lassen,' geht plötzlich ein großes Männchen durch den Bach. Wie im Traum scheint es dahinzuwandern und wie versonnen nach den Sternen zu blicken. Die Schnauze ist gen Himmel gerichtet. Ein wenig weiter hinten ragt der buschige Schwanz mit den sechs schwarzen Querstreifen hoch, wie ein Ast, der langsam in der Strömung treibt. Hebt sich der Grund ein wenig, dann sieht man die Schulter des Tieres und eine ständig sich wiederholende Bewegung der Schulterblätter, so, als rolle der Waschbär mit jeder Vorderpfote einen Stein über den Grund. Doch er tut etwas ganz anderes. Der Waschbär blickt weder in die Sterne, noch spielt er mit Steinen. Er ist auf der Jagd nach Krebsen u n d tastet sich dabei Stück um Stück vorwärts. Seine Finger verraten ihm, wo die Beute liegt. Die geringste Bewegung auf dem Grund des Baches, und sofort faßt die Pfote zu. Blitzschnell ist die Beute ergriffen. Der Bär klettert mit ihr auf einen Stein, der aus dem Wasser ragt. Mit einer der Pfoten drückt er die Scheren gegen die harte Unterlage, während er sich mit der anderen über den Happen hermacht. Im Dunkeln leuchten die Zähne zwischen den zurückgezogenen Lippen. Als erstes wird der Schwanz genossen. Sorgfältig wird gekaut. W e n n dann langsam auch die Krebsbrust verspeist ist mit Geräuschen, die in weitem Umkreis zu vernehmen sind, läßt er den Rest liegen und springt wieder ins Wasser. In einer erfolgreichen Nacht hüpft er alle drei bis vier Minuten auf einen anderen Stein mit einem neuen Opfer. Der Waschbär ertastet sich also seine Beute. Aber wir haben nicht beobachten können, daß er sein Fressen gewaschen hätte. Dr. Whitney, der als erster behauptete, daß er das gar nicht 12
Waschbär, im Dunkel der Nacht angeleuchtet
tut, hat mit Tieren in der Gefangenschaft eine Reihe von Experimenten unternommen, um seine Behauptung zu beweisen. Er sah, daß die Waschbären wohl ihr Futter ins Wasserbecken hielten und es bewegten, als ob sie es wüschen. Doch als er das Wasserbecken leerte und ihnen Trockenfutter gab, machten sie mit den Pfoten die gleiche Bewegung über dem Futter. Mit anderen Worten: Sie betasten das Futter so, wie sie draußen in der Natur gewohnt sind, alles das abzutasten, was sie unter Wasser berühren. Ihre überempfindlichen Finger verraten ihnen, ob das, was sie finden, eßbar ist. Wollten sie das Futter waschen, so würden sie das natürlich nicht tun, wenn kein Wasser da ist. Bei dem Versuch Whitneys fuhren sie mit den Pfoten über das trok13
kene Futter hin und her, um herauszufinden, was Whitney ihnen vorgelegt hatte. Whitney hat seine Waschbären auch Dinge betasten lassen, die sie gar nicht sehen konnten. Ihren Blicken verborgen, doch in Reichweite ihrer Pfoten, legte er verschiedenes Futter bereit: Körner, Nüsse, Krebsreste und dazwischen Steine in verschiedenen Größen. Sie steckten die Pfoten in das Versteck, befühlten alles und nahmen zuerst die Stücke in den Käfig, an denen ihnen am meisten lag. Die Steine ließen sie liegen. Wenn sie sehr hungrig waren, fraßen sie sofort, was sie erhascht hatten. W a r der Appetit weniger groß, tauchten sie die „Beute" in das nebenstehende Wasserbecken und befühlten sie unter Wasser. Im W a s ser können sie offenbar am besten fühlen, und sie lieben das Wasser. Whitney hat sie auf Steinen am rinnenden Wasser sitzen sehen, und beobachtet, wie sie die eine Pfote darin hin und her bewegten, weil es ihnen behagte, das Wasser zwischen den Fingern hindurchlaufen zu fühlen. Aus alledem ergibt sich, daß der Waschbär keineswegs ein „ W ä s c h e r " ist, wie man noch in den Lehrbüchern liest, sondern ein „ F ü h l e r " ! Daß die Waschbären sich nicht vom Platschen der Ruder erschrecken ließen, zeugt von einem nicht besonders gut entwickelten Gehörsinn. Wenn Dr. Whitney vor ihren Käfigen Steine fallen ließ, reagierten sie nicht darauf. Rief er aber eine leichte Erschütterung am Drahtnetz des Käfigs hervor, blickten sie neugierig umher. Nun konnten sie fühlen, daß etwas geschah. Ihr Tastsinn sagt ihnen nicht nur, was für Futter sie vor sich haben, sondern er warnt sie auch. Darum benötigen sie keinen hochentwickelten Gehörsinn. Sie lassen sich auch nicht sehr durch Gesichtseindrücke beeinflussen. Sie setzten ihre Jagd ruhig fort, als Dr. Tevis während der Bootsfahrt durch die Wasserläufe seine Scheinwerfer auf sie richtete. Tevis und Whitney sind sich einig darüber, daß der Tastsinn der Waschbären nicht nur in viel höherem Grad ausgebildet ist als ihre anderen Sinne, sondern daß sie sich dadurch auch yor sämtlichen anderen Säugetieren auszeichnen. Sicher hängt das auch mit ihrem Leben auf Bäumen zusammen. Der Waschbär bringt seine Jungen in hohlen Bäumen zur Welt und verbirgt sich tagsüber in den Zweigen. Und hoch oben in 14
einem Baum, wo der Sturm brüllt und der Donner lauter hallt, meint Dr. Whitney, hätte der Waschbär nicht viel Freude, wenn er lärmempfindlich wäre. Er hat dagegen allen Grund, im höchsten Grade empfänglich für Warnungen zu sein, die er durch seinen Tastsinn erhält. Versucht ein Feind seinen Baum zu erklettern, so spürt er sofort die drohende Gefahr. Deshalb ist der Tastsinn für ihn nicht nur von Bedeutung bei der Futterjagd, sondern auch bei der Absicherung gegen äußere Feinde. Die Schutzinstinkte sind überhaupt gut ausgebildet beim Waschbären. Wenn Hunde einen Waschbären bis zu einem Baum verfolgt hatten, auf den der Gejagte dann entwischt war, ließ sich das Tier nicht verlocken, nach unten zu gucken, damit das Auge seine Anwesenheit nicht verraten konnte. Mochten die Hunde auch noch so sehr bellen und Spektakel machen, der Bär gab sich nicht zu erkennen. Erst wenn man mit einem Stein gegen den Baumstamm schlug, wurde seine Neugierde aufs äußerste erregt. Er spürte etwas durch die Pfoten und sah nach unten, um herauszufinden, was da vor sich ging. Bei dem Leben in den Bäumen nutzt der Waschbär auch die hervorragende Fähigkeit aus, mit der Umgebung ineins zu verschmelzen. Eines Tages, beim Morgengrauen, stöberten W h i t neys vier Jagdhunde einen Waschbären auf. Er verschwand in einem freistehenden Baum. Als die Hunde und auch Whitney herangekommen waren, war das Tier nicht mehr zu sehen. Jeder Zweig des Baumes war deutlich sichtbar, und es wäre auch dem kleinsten Tier schwer gefallen, den Augen der vier Hunde zu entgehen. Whitney blickte eine Viertelstunde lang ununterbrochen nach oben, dann sah er einen Moment fort, um seine Augen zu erfrischen. Als er dann den Baum wieder absuchte, entdeckte er endlich den Flüchtigen. Er saß nur 5 Meter hoch über der Erde und hatte alle vier Beine weit von sich gestreckt, so daß sein Körper ganz dünn geworden war. Der Waschbär hätte leicht höher hinaufklettern können, hatte es jedoch vorgezogen, an der Stelle zu bleiben, wo man ihn am ehesten für einen Teil des Baumes halten konnte. Die ausgestreckten Glieder und der dünne Körper glichen den Zweigen, während das graue Fell, die hellen Flecken im Gesicht und die schwarzen Streifen des Schwanzes ganz mit der Farbtönung der Rinde zusammenfielen. 15
All diese Fähigkeiten des Waschbären muß man den Instinkten zurechnen. Aber seine Überlegenheit im Daseinskampf beruht auch auf seiner Intelligenz. Einmal legte Dr. Whitney einen Krebs soweit vom Käfig eines Waschbären entfernt nieder, daß er ihn nicht erreichen konnte. Als er das Ende einer Schnur am Krebs befestigte und das andere Ende in den Käfig legte, zog der Waschbär augenblicklich die Beute an sich. In der Natur kommt dem Waschbären seine Intelligenz und Lernfähigkeit immer dann zugute, wenn er versucht, einem Feind zu entschlüpfen. Hatte ein Waschbär, den Whitneys Hunde aufspürten, einmal eine bestimmte Route gewählt, auf der es ihm geglückt war zu entkommen, folgte er dem gleichen Weg von da an öfter. Er war jedoch klug genug, ihn nicht jedesmal zu benutzen. Tagelang versuchte Whitney einen Waschbären zu fangen, der sich bei zwei Klippen aufhielt, zwischen denen eine hohe Tanne stand. Abwechselnd kam er einmal von der einen Klippe zur anderen über den Baum, das andere Mal sprang er direkt vom Baum in eine Kluft, in der er verschwand. Und selbst als die Hunde an beiden Stellen plaziert wurden, gelang es ihm, zu entkommen. Doch begleiten wir Dr. Tevis' Boot noch ein Stück flußauf, um einen Einblick in das soziale Leben der Waschbären zu gewinnen. Dort am Oberlauf haben sich zwei Waschbärenmännchen getroffen. Vorsichtig und mißtrauisch nähern sie sich bis auf eineinhalb Meter. Offenbar erkennt einer der Bären, daß der andere ihm überlegen ist. So nimmt er Verteidigungsstellung ein und preßt seinen Körper gegen einen Stein. Der andere geht in Angriffsstellung, macht einen Buckel, um größer und imponierender zu wirken, und spreizt die Füße, um besser auf dem glatten Grund zu stehen. Dann entblößt er die Zähne. So stehen sie acht Sekunden. Dann schleichen sie aneinander vorbei, der eine immer noch beklommen, der andere weiterhin in drohender Haltung. Hätte der erste nicht in demütiger Verteidigungsstellung seine Unterwerfung zu erkennen gegeben, wäre ein offener Kampf entbrannt. Selten kommt es so weit. Die Angriffs- wie die Verteidigungsstellung, die genau beachtet werden, dienen zur Vermeidung des Kampfes. Der Angriffsdrang des Überlegenen läßt 16
instinktiv nach, wenn 'der andere seine Unterlegenheit zu erkennen gibt. So spart die Natur viel unnützes Blutvergießen. Es hat den Anschein, als ob Männchen vor allem dann die Zähne zeigen, wenn ihre Gefährtin in der Nähe zu verteidigen ist. Es geschieht aber auch, daß er und sie, die zusammen fischen, scheinbar drohend zu knurren beginnen. Doch augenscheinlich ist das nur eine Form der Verständigung zwischen Partnern, wenn sie einander nahe sind. Hat eines von beiden Tieren die Fischjagd beendet und verläßt es das Flußufer, so folgt das andere in der Regel nach. Vor allem das Weibchen will seinen Gefährten immer um sich haben. Als ein Weibchen in der Gefangenschaft Junge bekam und der Bärenvater entfernt wurde, war die Mutter untröstlich, bis das Männchen wieder in den Käfig gebracht wurde. Sie hielt es zwar in Abstand von den Jungen, war aber zufrieden, nur weil es wieder in ihrer Nähe weilte. Doch ein Zugehörigkeitsgefühl zur gemeinsamen Nachkommenschaft fühlt das Männchen anscheinend nicht. Die Muter allein nimmt sich der Jungen an. Man kann sie die Kleinen in der Kunst des Krebsfangens unterweisen sehen, bis sie ein ganzes J a h r alt sind. Man hört von ihr in dieser Zeit eiii ständiges, tiefbrummendes Schnurren. Es ist noch viel zu erforschen im Verhalten des Waschbären. Tevis und Whitney haben jedoch in wenigen Jahren mehr herausgefunden als andere in vielen Jahrzehnten. Voller Begeisterung über die Intelligenz der Tiere, über ihre körperliche Beschaffenheit und besonders über ihren hervorragenden Tastsinn erkor Whitney den Waschbären zum nationalen Säugetier Amerikas, eo wie der Adler der Nationalvogel der Vereinigten Staaten ist. Er weist darauf hin, daß der Waschbär in sämtlichen Staaten der USA vorkommt und daß er sich, wie aus versteinerten Resten in vorgeschichtlichen Erdschichten hervorgeht, länger auf dem amerikanischen Kontinent gehalten hat als viele andere Tiere. Doch seinen Namen, sowohl den deutschen Namen Waschbär wie den lateinischen Procyon lotor (der Wäscher), wie auch den amerikanischen und englischen Namen Praccoon (Reiniger) — trägt er zu Unrecht.
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Das Faultier In den Baumwipfeln verbirgt sich so manches interessante Tier, von dem oft nur wenig bekannt ist. Das sonderbarste unter den sonderbaren Tieren der Waldwipfel wird wohl das Faultier sein. „Das Merkwürdigste an diesem Tier ist die Langsamkeit seiner Bewegungen", so berichtet ein Zeuge aus alten Tagen, Dr. Schreber, im Jahre 1775: „Es braucht allein 8 bis 9 Minuten, nur um den einen Fuß vor den anderen zu setzen, und es braucht ebensolange, um sich danach wieder auszuruhen. Nie verläßt es einen Baum, bevor nicht alles Freßbare verzehrt ist. Dann erst rollt es sich zusammmen und läßt sich zur Erde fallen, um sich auf die lange Beise zum nächsten Baum zu begeben. Gewöhnlich ist es sehr wohlgenährt, wenn es einen Baum verläßt, aber es ist bereits wieder abgemagert, noch ehe es den nächsten erreicht." Schreber hatte sein Wissen aus zweiter Hand, es stammte aus den Beobachtungen einiger reisender Naturforscher jener Tage. Erst später und nach und nach erhalten wir ein zutreffenderes und abwechslungsreicheres Bild. Hören wir doch gleich, was der uns schon bekannte William Beebe schreibt: „So gleichgültig die Faultiere allem gegenüber, was ihnen das Schicksal bringt, auch sind, so intolerant sind sie gegeneinander. Zwei Tiere miteinander in einen kleinen Käfig zu sperren, das ist fast gleichbedeutend mit Mord. Zwei Männchen oder ein Männchen und ein Weibchen mögen vielleicht gerade noch einigermaßen friedlich miteinander leben, bringt man aber zwei Weibchen zusammen, so gibt es höchst aufregende Szenen. Bei dem Kampf, der entsteht, pflegt das eine der beiden schon nach kurzer Zeit aufzugeben und zu fliehen oder besser davonzukriechen, ohne einen weiteren Versuch zu seiner Verteidigung zu machen. Das siegreiche andere mag zunächst noch einige Zeit mit Fressen und Schlafen verbringen, hat aber seinen Gegner nicht vergessen. Früher oder später klettert es zu der armen, zerzausten Feindin hinauf U n d beginnt sie langsam aufs schlimmste zu mißhandeln. Hieb um Hieb teilt es aus, und es ist dabei höchst merkwürdig, daß sich das verfolgte Tier, ohne sich zu wehren, schlagen und zerren läßt, selbst wenn ihm ein solcher Hieb einen Fetzen Haut aus der so überaus empfindlichen Nase reißt.". 18
Beebe erzählt dann weiter, daß das verwundete Tier nichts anderes tue, als auf dem Rücken liegen zu bleiben und alles über sich ergehen zu lassen, wobei es offensichtlich darauf wartet, die Gegnerin werde es umbringen. „ I c h habe einen solchen Angriff nie weitergehen lassen, ohne einzuschreiten", bemerkt Beebe und fährt fort: „Dabei ist bei beiden Tieren das Aussehen gleich ausdruckslos, sowohl bei dem, das weder die Angriffe zu parieren noch zu erwidern versucht, als auch bei dem andern, das langsam, aber systematisch sein W e r k der Vernichtung vollendet." Damals, als das geschrieben wurde, war noch kaum bekannt, daß es im Tierreich eine ganz allgemeine Erscheinung ist, daß das Tier, das erst einmal aufgegeben hat, nachher alles widerstandslos über sich ergehen läßt. Und in jenen Tagen hatte man wohl auch kaum Kenntnis davon, wie unerbittlich alle Tiere ihren Bereich zu behaupten suchen. Man muß, wenn man das Betragen der beiden Tiere richtig beurteilen will, daran denken, daß sie zusammen in einen kleinen Käfig gesperrt waren, in dem das schwache Tier keine Möglichkeit zur Flucht hatte und das stärkere also bis zum äußersten gehen mußte, wenn es sein Territorium für sich allein haben wollte. Die eigentliche Grausamkeit lag darin, daß die beiden so nahe zusammengebracht worden waren. Draußen wäre alles harmloser verlaufen. Beebe hat das Faultier auch im Freien beobachtet: „Jede Muskelbewegung, jede Sinnesreaktion und jeder seelische Prozeß ist träge. Und doch muß einen, wenn man so ein Faultier sich von Ast zu Ast schwingen und ohne jede Anstrengung sein ganzes Gewicht mit drei Fingern heben sieht, oder wenn man beobachtet, wie es geschmeidig auf dem Boden kriecht und ohne heftige Bewegungen den Körper nachzieht, die gleiche Bewunderung erfüllen, mit der man den graziösen, spielerisch leichten Bewegungen erstklassiger Akrobaten zusieht." In jüngster Zeit hat Dr. Hans Krieg die Charakterisierung Beebes bekräftigen können. Er hat in Sao Paolo in Brasilien das Leben und Treiben dieser Tiere untersucht und sie vor allem in einer großen Anlage der Stadt Santos studiert, wo sieben Faultiere ganz so lebten wie in unseren Parks die Eichhörnchen. Normalerweise betraten die sieben Tiere nie die Erde und kamen doch mit einer verblüffenden Geschicklichkeit von einen» 19
Baum auf den anderen. Ihre akrobatische Leichtigkeit war mit einem vorzüglichen Orientierungsvermögen verbunden. Da sie sich auf die dünnen Zweige nicht hinauswagen konnten, mußten sie oft, um ihr Ziel zu erreichen, große Umwege machen, hielten dabei aber immer an einer bestimmten Richtung fest. Außerdem schienen sie sehr stark ortsgebunden zu sein; denn wenn Krieg ein Tier erwischte und es auf die Erde setzte, dann ging es jedesmal sofort wieder zu dem Baum zurück, von dem er es geholt hatte, und nie zu einem andern (vgl. auch das Titelbild). Ihre unglaublich langsamen Bewegungen erklärt Krieg ganz einfach: Ihre Nahrung haben sie so nahe vor sich, daß sie nie danach auf Jagd zu gehen brauchen. Um die frischen Blattsprößlinge verspeisen zu können, brauchen sie nur das Maul aufzumachen; und wollen sie dabei auch noch die Zehen und Finger schonen, dann steht ihnen ja ihre lange Zunge zur Verfügung. Das Faultier hat also überhaupt keine Veranlassung, sich schnell zu bewegen. Mit der Trägheit ist noch eine allgemeine Stumpfheit verbunden. Alles deutet darauf hin, daß das Faultier ein sehr primitives Wesen ist. Das sieht man auch — und nicht zum wenigsten — an seiner Unempfindlichkeit gegenüber dem Schmerz. Selbst unmittelbar nach schweren Quetschungen frißt es ruhig weiter. So etwas kommt bei höherstehenden Tieren nicht vor. Schon Beebe konnte von einem Faultier berichten, das sich nicht einmal umsah, als es eine Ladung Schrotkörner in den Körper bekommen hatte. Diese primitive Gefühllosigkeit dem Schmerz gegenüber muß übrigens auch für den Verlauf des Kampfes der beiden Weibchen, wie ihn Beebe beschrieben hat, mit in Betracht gezogen werden. Ihre Gefühllosigkeit ist für die Lebensweise, die sie nun einmal haben, nicht ohne Bedeutung. Der Pelz der Faultiere ist mit der Fülle von Ungeziefer und Insekten aller Art, die er beherbergt und die in ihm ihre Eier ablegen, geradezu ein zoologischer Garten. Und es wimmelt in ihm von Ameisen, die so heftig beißen können, daß schlimme Wunden entstehen. Die Tatsache dieser Ansiedlung selbst ist leicht begreiflich, ist doch das langsame, warmblütige Tier für Parasiten ein guter und sicherer Wohnplatz. Für das Faultier jedoch ist es unter diesen Umständen ein großer Vorzug, daß ihm Schmerzen nichts ausmachen, 20
Enorm faul ist auch der Teddybär, der Koala, der überhaupt kein Bär ist, sondern ein Beuteltier. Wenn das Junge für den Beutel der Mutter zu groß geworden ist, klettert es auf ihren Kücken
nicht einmal die der normalerweise unerträglich brennenden Bißwunden der Ameisen. Als das einzige Tier seiner Art trägt das Faultier in seinem Pelz außerdem auch angesiedelte Algen mit sich herum. Sie dürfen ungehindert und friedlich wuchern, und sie tun das auch so üppig, daß die meisten Faultiere, die man draußen in der Natur zu Gesicht bekommt, ein völlig grünes Aussehen haben. Wie dieses bewegungsarme Tier den Algen einen vorzüglichen W u cherplatz gewährt, so gereichen die grünen Pflanzen ihm selbst wiederum ebenso zum Vorteil. Auf Grund seiner ganzen Veranlagung und Natur ist ihm eine rasche Flucht, wenn ein Feind auftaucht, unmöglich; so muß das Faultier sich auf andere Weise 21
sichern und muß vor allem ein gutes Versteck haben. Mit einem Pelz voller grüner Algen ist das Tier zwischen den Blättern der Bäume tatsächlich kaum zu entdecken. Das Geheimnis des Faultiers ist also das, daß es gerade mit all seiner Abgestumpftheit und Langsamkeit das Leben meistert. Einen Grund zur Eile hat es ja auch nicht, da ihm sein Futter geradezu ins Maul hängt, und da dieses Futter aus saftigen Blättern besteht, braucht es sich auch nicht die Mühe zu machen, Wasser zu sich zu nehmen. Und das tut auch das Faultier unter gar keinen Umständen. Einfältig und dumm aussehend, unappetitlich mit Ungeziefer behaftet, doch sorglos und frei von Schmerz, in seinem Mooskleid gut geschützt, so faulenzt es durchs Leben mit einer Grazie, die sich neben der irgendeines Klettertieres sehen lassen kann. Kommt es zur Regenzeit mitunter vor, daß die Bäume bis hoch hinauf in die Wipfel unter Wasser stehen, dann zeigt das Tier, daß es auch schwimmen kann. Und der Regen selbst kann ihm schon deshalb nichts anhaben, weil ihm im Gegensatz zu anderen Säugetieren sein Haar so wächst, daß es in der Richtung nach der Mittellinie des Rückens zu liegt; infolgedessen läuft das Wasser ab, wenn das Tier in den Ästen hängt. Das alles macht es also verständlich, daß es sich im Kampf ums Dasein bewährt hat; daß dies nicht eine leichtfertige Behauptung ist, geht allein schon aus der Tatsache hervor, daß das Faultier zusammen mit dem Gürteltier und dem Ameisenlöwen die einzigen noch lebenden Formen einer ehedem zahlreichen und ungeheuer mannigfaltigen Säugetiergruppe bildet. In der Kunst, sich Zeit zu lassen, gebührt dem Faultier der erste Preis. Aber es gibt noch andere Tiere, die auf Bäumen w o h nen und sehr träge sind, da sie von Blättern leben, nach denen sie nur zu greifen brauchen. Ungewöhnlich faul ist selbst das anmutigste von allen Beuteltieren, der Teddybär. Man hat von ihm scherzhaft gesagt, seine Trägheit rühre daher, daß er vom Fressen der Eukalyptusblätter dauernd beschwipst sei. Das ist natürlich nicht richtig, denn im Laufe der langen Zeit hätte er sich ja an die berauschenden Säfte gewöhnen müssen. Er hat es vielmehr einfach nicht nötig, sich rasch zu bewegen. Genau so verhält es sich mit dem Brüllaffen. Auch er lebt von Blättern und Früchten und sitzt dauernd in einer Speisekammer. Futter 22
gibt es für ihn, wohin er nur blickt. Wozu also die Hast? Es gibt noch einen Halbaffen, der wegen seiner Bedächtigkeit und Gemächlichkeit so berühmt ist, daß er — wie das Faultier — davon seinen Namen bekommen hat. Es ist der „Faule L o r i " Ostindiens und der Sundainseln. Wegen seines vertrauenerweckenden Äußeren ist er im Tiergarten beliebt. Aber er zeigt auch listige und grausame Züge. Der Lori lebt nicht nur von Blättern, sondern auch von Insekten und kleinen Vögeln, so daß er doppelt Grund hat, sich langsam zu bewegen. Seine großen Augen verraten, daß er ein Nachttier ist. Und in der Nacht schleicht er sich so langsam und vorsichtig in den Bäumen umher, daß sich dabei kein Zweig bewegt. Er überrumpelt die schlafenden Vögel. Wie so etwas mit berechnender Langsamkeit und einer äußersten Beherrschung der Bewegungen gemacht wird, das hat man bei diesen Tieren in der Gefangenschaft sehen können. Hält man einem Faulen Lori einen Vogel hin, dann erhebt er sich ganz langsam, streckt ganz sachte den Arm aus, und erst wenn er ganz nahe an der Beute ist, packt er sie mit einer blitzschnellen Bewegung. Und dann überläßt sich dieses merkwürdige Geschöpfchen seiner Baubtiernatur und beginnt sein Abendessen.
Das Turnier der Kampfläufer Wie der Waschbär kein waschender Bär ist, so ist der Kampfläufer kein laufender Kämpfer. Im Gegenteil: Der Kampf, von dem dieses seltsame Vogelwesen seinen Namen erhalten hat, ist so sehr ortsgebunden, daß es immer wieder Staunen erregt und daß man bis heute das alles noch nicht völlig zu deuten weiß. Noch vor Tagesgrauen fliegen die buntfarbenen Kampfläufer zu ihren Turnierplätzen hinunter, auf die Wiesen am Fjord oder am Binnensee. Wenn die ersten Sonnenstrahlen den Nebel durchdringen, haben sie ihren Kampf schon begonnen. Nur einer hält sich abseits: der weißfarbene Kampfläufer. In reservierter, gnädiger Haltung steht er da, als wäre er von höherer Geburt und verachte das Getümmel des Pöbels. Abschätzend blickt er aus den Augen, schwarzen Schlitzen unter den erhobenen Ohren23
büscheln. Aus der gespreizten Halskrause sticht der Schnabel hervor wie die Klinge eines Degens. Der weiße Kampfläufer ist das Rätsel im Drama auf dem Kampfplatz. Aber er soll vorerst noch nicht in Erscheinung treten, ehe die anderen, gewöhnlicheren Mitwirkenden ihre Rolle im Schauspiel eingenommen haben. Zunächst einmal, was geht eigentlich auf dem Turnierplatz der Kampfläufer vor sich? Wie sind die Spielregeln, und welchen Gesetzen sind die Kampfszenen unterworfen? Was verbirgt sich hinter der Kraft, die sich hier mit brausenden Federn und wilder Kampfbegier austobt? Die Vögel trippeln und trampeln auf einigen wenigen Quadratmetern Erde, wo das Gras heruntergetreten ist und der Platz sich in der Wiese deutlich abhebt. Dort können bis zu zehn Hähne stehen. Der Platz gehört ihnen gemeinsam, aber sie haben ihn so eingeteilt, daß jeder seinen Standplatz hat. Und um diese einzelnen Standplätze geht der Kampf. Jedoch kämpfen nicht, wie man glauben könnte, die Platzinhaber gegeneinander. Im Gegenteil, sie machen gemeinsam Front gegen fremde Kampfläufer, die immer wieder versuchen, einen der Eigentümer von seinem Besitztum zu vertreiben. Die Angreifer, die von überall herkommen, sind so sehr darauf versessen, Teilhaber am Platz zu werden, daß der Kampf nahezu ohne Unterbrechung den ganzen Tag andauert, von dem Augenblick an, in dem es hell wird, bis zu der Stunde, da die kurze Nacht sich wieder über die Wiese legt und das hitzige Blut ein wenig dämpft. Der Kampf mit seinen erstaunlichen, aber streng eingehaltenen Turniersitten ist eine Erprobung der Ausdauer. Kampfläuferweibchen, die einen Partner suchen, werden sich ihn immer nur unter denjenigen auswählen, die mutig und kraftvoll genug sind, das Stückchen Boden zu verteidigen, auf dem sie sich festgesetzt haben. Immer nur die kräftigsten der Art sollen Nachkommen haben. Darum also kämpfen die Kampfläufer, darum suchen sie ihrer Umgebung zu imponieren. Derjenige Vogel gewinnt den Vorteil, der mit dem Brausen der gespreizten Federn am meisten Achtung einflößt. In dem Augenblick, in dem ein fremder Hahn geflogen kommt, brausen alle Platzeigentümer auf. Und es herrscht Zusammenhalt, man hilft sich gegenseitig. Kommen aber meh24
rere Fremde auf einmal, so werden die Rollen nach den Regeln des Zweikampfes verteilt. Zwei und zwei stehen sie an der Grenze des einzelnen Standplatzes einander gegenüber, und der Kampf kann so gewaltsam werden, daß zwei Widersacher wie auf Verabredung eine Pause einlegen müssen, um ermattet nach Luft zu schnappen, wie Vögel es sonst an heißen Sommertagen tun. Der Platzverteidiger und der Angreifer stehen sich dann einen Augenblick mit ausgebreiteten Krausen und Ohrenbüscheln verschnaufend gegenüber. Nach Ablauf der Pause fahren sie wie auf Kommando wieder senkrecht in die Höhe. Je mehr sie aufbrausen können, desto mehr Eindruck machen sie. Kurze Zeit hängen sie flügelschlagend einen halben Meter über der Erde so nahe beieinander, daß die langen Schnäbel fast zusammenstoßen. Wenn sie wieder unten landen, stürzen sie vor und zurück in kurzen, stoßweisen Ausfällen. Dabei kann es geschehen, daß sich die pfeilspitzen Schnäbel tief in die Krausen bohren, doch äußerst selten treffen sie so, daß Blut fließt — wenn es vorkommt, so ist es ein Mißgeschick. Ausdauer in der Kunst des Imponierens zu beweisen, das allein ist der Sinn des Kampfes, und die Dauer des Kampfes hängt nur von der Stärke des einzelnen ab. Lange können die beiden ebenbürtig sein. Wird dann aber in der nächsten Halbzeit der eine vielleicht nur eine halbe Minute vor dem anderen müde, so muß er sich gleich verziehen. Ist es der Platzinhaber, der zuerst müde geworden ist, so darf der Fremde seinen Platz besetzen, die übrigen Eigentümer nehmen ohne die Andeutung eines Protestes den neuen Vogel in ihrer Mitte auf und verteidigen ihn gemeinsam, wenn einer in sein Besitztum einzubrechen versucht. Die Ausdauer der Hähne ist fast unbegreiflich. Sie kämpfen und brausen bis zu zwanzig Stunden, um die Stellung zu halten. Man hat beobachtet, wie sie vor Tagesgrauen von ihren Schlafplätzen auf dem flachen Fjordwasser aufbrechen, daß sie also schon um halb zwei Uhr morgens ihre Standplätze einnehmen und dort bis neun oder zehn Uhr abends bleiben. Anschließend gehen sie noch auf stundenlange Futtersuche. Wenn sie dann gefressen haben, können sie gerade noch zwei Stunden schlafen. Und dieses brausende Turnier dauert nicht nur ein paar Tage. 25
Der Einsatz der Vögel kann nur mit den größten Kraftleistungen im Reiche der Natur verglichen werden; denn sie kämpfen von Ende April bis etwa zum 21. Juni. Erst dann ebbt der Kampftrieb ab, und jetzt kann es geschehen, d a ß die ursprünglichen Besitzer sich von jungen Vögeln verdrängen lassen, gegen die sie zwei Monate lang jeden Tag zwanzig Stunden standgehalten haben und die nun zu einem Zeitpunkt Grundbesitzer werden, an dem die Vogelweibchen vielleicht längst ihre Auswahl getroffen haben. Doch nun soll der weiße Kampfläufer die Szene betreten. W ä h rend die anderen Hähne Kleider tragen, die sich durch strahlende Farbenpracht auszeichnen — ihre Halskrausen sind manchmal schwarz mit leuchtendgrünen oder purpurnen Flecken, die in der Sonne glänzen, oder sie sind kastanienbraun mit Querstreifen in allen Farben —, ist der weiße Kampfläufer ganz weiß von Kopf bis Fuß. Er ist der Sonnenkönig im Reiche der Kampfläufer. Und so, wie er in seinem Äußeren von den anderen a b weicht, so hat er auch in der kleinen kämpfenden Gemeinschaft eine Vorzugsstellung, die er ganz deutlich schätzt und ausnutzt mit allen Zeichen des höheren Ranges und der Überlegenheit. Es fällt ihm nicht ein, zu kämpfen. Er denkt nicht im Traum daran, Zeit und Kraft mit zwanzigstündigem Kampf auf dem Turnierplatz zu vergeuden. Er wartet nicht die Ankunft der Weibchen ab. Manchmal findet er sich zeitig am Morgen ein, doch selten so früh wie die anderen. Sind die Weibchen noch nicht da, wenn er sich zeigt, dann fliegt er sofort wieder weg. Erst wenn die Hennen sich nähern, um ihre Partner zu wählen, fliegt der Sonnenkönig herbei, zeigt die Krausen und Ohrenbüschel wie fliegende weiße Fahnen und läßt sich gnädig unter den dunklen Vögeln nieder. Nun könnte man erwarten, daß die kämpfenden Eigentümer gemeinsam Front gegen den weißen Hahn machen würden, doch merkwürdigerweise lassen sie ihn tun, was ihm paßt. Während die anderen aufbrausen und rasen, steht er würdevoll still, ohne daß einer sich ihm zu nähern wagt. Als einziges Zeichen dafür, daß er doch ein Kampfläufer ist, hat er Krause und Ohrenbüschel gespreizt, so daß Schnabel und Augen nur noch als 26
schwarzes Dreieck im geisterhaften Schleier der weißen Daunen und Federn zu sehen sind. Wenn sich jetzt die Hennen einfinden, um die Wahl zwischen den rechtmäßigen Standplatzbesitzern zu treffen, kann es geschehen, daß sie sich für den weißen Hahn entscheiden, obwohl er keinen einzigen Kampf ausgefochten hat. Und auch jetzt p r o testieren die Dunklen nicht. Sie, die stundenlang aufreibend gekämpft und sich kaum Futter oder Schlaf gegönnt haben, w ä h rend der Weiße nach Behagen fressen und schlafen konnte, lassen ihn ohne Zeichen des Zorns mit der Erwählten davonziehen. Weshalb diese Vorzugsstellung der Weißfarbenen? Der Vogelforscher F. W. Braestrup hat eine ganz einfache Erklärung angedeutet. Er glaubt, die Sonderstellung der weißen Kampfhähne beruhe lediglich darauf, daß sie weiß und daher besonders sichtbar seien und daß sie dadurch die Aufmerksamkeit der Weibchen auf sich zögen. Es fänden sich, sobald ein Weißer anwesend sei, viel mehr Weibchen auf dem Turnierplatz ein als sonst, und deshalb hätten die bunten Hähne nichts dagegen, daß sich die weißen unter ihnen niederließen, ohne daß sie am Kampf teilnähmen. Eine solch einfache Erklärung kann die Neugierde befriedigen, und doch bleibt das Erstaunen über ein Zusammenspiel von Zufälligkeiten, das durch die Jahrhunderte hindurch all die Einzelzüge ausgebildet hat, die sich zusammen bei den Kampfläufern entfalten und bewirken, daß sie gerade s o leben, kämpfen und brüten, wie sie es tun. Durch eine plötzliche Änderung der Erbanlagen bei Vorzeitvögeln entstanden eines Tages die ersten Kampfläufer. Vielleicht waren die Krausen bei ihnen noch ganz klein, doch als sich unter den Nachkommen einige mit größeren Krausen zeigten, waren sie es, die am meisten Eindruck auf dem Turnierplatz machten. Deshalb wurden sie von den Weibchen vorgezogen. So wurde ihr Federschmuck vererbt, während geringer ausgerüstete Vögel keine Chance bekamen. Es ist möglich, daß lange Zeit verstrich, ehe eine Änderung der Erbanlage in der Färbung den ersten ganz weißen Hahn hervorbrachte. Zu welchem Zeitpunkt in der Geschichte der weiße 27
Kampfläufer seine Vorzugsstellung bekam, das wird indes niemals jemand erfahren.
Auf dem Balzplatz der Auerhähne Die Turnierarena der Kampfläufer wird oft Balzplatz genannt. Doch dieser Ausdruck stammt von den Auerhühnern. Während die Kampfläufer ein fast geräuschloses Schauspiel veranstalten, ergehen sich die Auerhähne in einer Fülle von Geräuschen. Sie balzen. Auf den offenen Heideflächen oder tief in den Heidehügeln haben sie ihre Plätze, die sich, wie man weiß, von Generation zu Generation vererben können, länger als ein Menschenalter währt. Sie sind anscheinend seßhafter als die Kampfläufer, von denen man bisher nur weiß, daß sie einen Platz bis zu sechs Jahre hintereinander benutzt haben. Früh im März beginnt das Balzspiel der Auerhähne. In der ersten Morgendämmerung hört man ein lebhaftes Kullern und blubberndes Gurgeln, das in Seufzer übergeht und dann mit heiserem Zischen abbricht. Ihre Kehllaute kann man mit dem Krächzen des Raben oder mit dem Meckern der Ziegen vergleichen. Man sagt, daß die Vögel den in Jütland gebräuchlichen Namen Orrhahn bekommen haben, weil ihr Balzruf wie orr orr klingt. Doch in Wirklichkeit besteht der Gesang des Auerhahnes nicht aus einem einzelnen Laut. Bald klingt er wie ein schwacher Eselsschrei, bald wie Fröschequaken, er ist nach allen Seiten zu h ö ren, noch bevor man die Vögel sehen kann. Aber jedesmal, wenn das Kullern mit dem Zischen abbricht, weiß man, daß an der Grenze ihrer Territorien zwei Vögel einander genau gegenüber hochfliegen. Jeder Hahn h a t seine eigene Domäne, die viel größer ist als der gemeinsame Platz der Kampfläufer. Sie unterscheiden sich von den Kampfläufern auch dadurch, daß sie nicht gemeinsam kämpfen. Der einzelne Vogel kämpft seinen eigenen Kampf an der Grenze seines Gebietes. / Wenn es hell wird, sieht man die Hähne mit zitterndem, leierförmigem Schwanz, in dem die Deckfedern aufgerichtet stehen wie weiße Spiegel. Die Hautfalten über dem Schnabel sind mit 28
nerikanischer Auerhahn in Imponierstellung, mächtig pustet er die Luitsäcke der Speiseröhre auf
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Blut gefüllt und recken sich aufrecht wie feuerrote Kämme. Die sausenden Schwingen schleifen über die Erde, und mit einwärts gerichteten Zehen trippeln die Hähne voreinander her, bis sie zornig in die Luft fliegen und mit offenen Schnäbeln zischen. Sie halten sich nicht so lange oben wie die Kampfläufer, sondern gleiten schwerfällig auf die Erde, dann fliegen sie wieder hoch. Manchmal geraten sie aus dem Takt, dann ist einer oben, der andere unten. An fünf oder sechs verschiedenen Stellen im Heidekraut kämpfen je zwei Vögel miteinander, und ihr Balzen dringt weit über die Heide. Das ruft die Hennen herbei, und wie bei den Kampfläufern sind sie es, die die Wahl treffen und sich ihre Gefährten unter den Hähnen wählen, die Besitzer eines Gebietes sind. Schon bald aber hört aller Zusammenhalt zwischen Henne und Hahn auf. Die Hennen verschwinden in der Heide, um Nester zu bauen, während die Hähne ihren Balztanz noch lange fortsetzen. Ober den Zweck dieses Nach-Tanzes sind sich die Zoologen nicht einig. Einige meinen, der Tanz sei das eigentliche Leben des Hahnes, er liebe ihn so sehr, daß er nicht aufhören könne, selbst wenn er ein Weihchen errungen habe. Andere behaupten, der Tanz gehe weiter, damit das Weibchen vielleicht noch einmal angelockt werde. Was davon stimmt, weiß bis heute wohl keiner. Das Verhalten und Leben der Auerhühner birgt noch viel Unerforschtes. Bei anderen Vögeln in anderen Weltteilen gibt es ein ähnliches Spiel, das auf eigene Art entstanden ist. Die Natur wiederholt ihre Einfälle, doch jedesmal erfindet sie neue Einzelheiten. Noch prächtiger als unser Auerhahn sind seine amerikanischen Verwandten, die auf den großen Salzsteppen inmitten der Rocky Mountains leben. Es gibt verschiedene Arten, doch am merkwürdigsten ist der Salbei-Auerhahn „Sage Grouse", der von den Blättern der Salbeibüsche in diesen Steppen lebt. Die Balzplätze dieses Vogels erstrecken sich über große Flächen. Jede Einzelheit im Federkleid des Salbei-Auerhahns ist zum Imponieren geschaffen. Wenn er balzt, steht der Schwanz aufrecht wie ein Fächer, die Flügel wölben sich um den Körper wie ein Panzer, und ein mächtiges Kissen heller Federn liegt über der Brust und gibt dem Vogel ein Aussehen voller Kraft und Mut. 30
Man kann mehrere Hundert solcher aufgeplusterten Gestalten, jede wie mit einem Panzer und gezogenen Lanzen ausgerüstet, jnit rhythmischen Tritten umhertanzen sehen. Sie begnügen sich dabei nicht nur mit Kehllauten. Alle paar Schritte hin und zurück werfen sie den Kopf nach hinten, während die steifen Nackenfedern gegen die ausgebreiteten Flügel streifen. Das hört sich jedesmal an wie brausender Wellenschlag, und unaufhörlich wird es wiederholt. Auf der Brust tritt die Speiseröhre wie zwei Luftsäcke hervor, die ständig gefüllt werden. Nach drei Atemzügen entleeren sie sich mit einem Geräusch, als wenn Steine ins Wasser fallen. Diese scharfen Blubbertöne hört man regelmäßig zwischen den „Wellenschlägen''. So imponieren sich die Hähne gegenseitig und halten sich im Abstand. Geschieht es trotzdem, daß ein Vogel von den Büschen aus, die den Balzplatz umgeben, eindringen will, um sich einen Platz zu erkämpfen, dann rücken die beiden Rivalen dicht zusammen und schlagen kräftig mit den Flügeln gegeneinander. Der Staub der trockenen Steppe wirbelt um sie, es können ein paar Federn fliegen — doch ehe größerer Schaden geschehen ist, zieht sich einer von beiden zurück. Bei Sonnenaufgang kommen dann die Hennen, um sich einen Partner zu suchen.
Umschlaggestaltung: KaTlheinz Dobsky Der Umschlag zeigt einen Waschbären und einen Strauß. Fotos: J. Cranc, Ch. W. Schwartz, Seedorf, R. G. Schmidt, Blädel
L u x - L e s e b o g e n 2 6 8 (Naturkunde) — H e f t p r e i s 2 5 P f g . Natur- und kalturkundliche Hefte - Bestellungen (vlerteljährl. 6 Hefte DM 1.50) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt — Alle früher erschienenen Lux-Lesebogen sind in jeder guten Buchhandlung vorrätig oder können dort nachbestellt werden — Druck: Buchdruckerei Auer, Donauwörth Verlag: Sebastian Lux, Murnau vor München
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