Todesfalle unter Wasser
2. Teil Der eisenharte Wasserstrahl hatte mich mit immenser Kraft getroffen und zu Boden gesc...
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Todesfalle unter Wasser
2. Teil Der eisenharte Wasserstrahl hatte mich mit immenser Kraft getroffen und zu Boden geschleudert. Es war mir nicht mehr gelungen, ihm durch eine schnelle Drehung zu entgehen, so lag ich auf dem Rücken und hatte das Gefühl, meine Brust wäre von diesem wuchtigen Treffer eingedrückt worden. Zudem hatte ich noch in einer Reflexbewegung den Mund aufgerissen, auch ein Fehler, denn das Wasser ergoß sich auch über mein Gesicht. Ich kam gar nicht dazu, die nach Salz und Rost schmeckende Brühe wieder auszuspeien, statt dessen schluckte ich sie herunter. Dieser gesamte Vorgang hatte sicherlich nicht länger als drei, vier Sekunden gedauert, sie aber schafften mich, denn die Wassermassen nagelten mich förmlich mit dem Rücken an der Schachtwand fest.
Ich sackte zusammen, als das Wasser abfloß und wurde von einem neuen Schwall herumgewirbelt. Ich wurde zu einem Spielball der schäumenden Wassermassen. In einer zweiten Reflexhandlung hatte ich die Hände vor das Gesicht gehalten, um unter anderem den Mund zu schützen. Ich wollte einfach weg aus der unmittelbaren Gefahrenzone, stützte mich mit flachen Händen am Boden ab und versuchte, dem aus der viereckigen Öffnung schießenden Strahl zu entkommen. Das schaffte ich unter großen Mühen, rutschte wenige „Schritte“ weiter ab und stellte fest, daß ich ins Wasser gefallen war. Es hatte sich bereits auf dem Boden des viereckigen Schachtes angesammelt und stieg von Sekunde zu Sekunde. Erst jetzt riß ich den Mund wieder auf. Ich brauchte Luft! Mein Magen protestierte gegen das Salzwasser. Ich hustete entsetzlich, aber ich war gerettet! Jedenfalls für die nächsten Minuten, denn die hereinrauschenden Wassermassen hätten mich auch erschlagen können! Die ganze Zeit über war ich beobachtet worden. Sechs vor der Schachtöffnung an Spiralfedern hängende Masken schauten mich aus gelbrot und gefährlich glühenden Augen an, Es waren fürchterliche Gebilde, keine lebenden, aber trotzdem in der Lage zu reden, weil sie durch die Macht des Spuks geleitet wurden, der ihnen seinen unseligen Dämonatem eingehaucht hatte. An der Schachtwand schwangen sie auf und ab, das Bild erinnerte mich an einen Film. Während ihres Tanzes verschmolzen die Masken optisch miteinander. Ich sah nur noch eine Fratze, aus mehreren Teilstücken zusammengesetzt. Ein buntes Kaleidoskop des Schreckens! Erst als ich mir das verdammte Wasser aus den Augen gewischt hatte, sah ich wieder klarer und konnte meine Lage überdenken. Sie war mehr als bescheiden. Von einem alten Luxus-Hotel nahe der englischen Küste, durch einen Bunker in einen Schacht hinein, so konnte man meinen Weg beschreiben, auf den mich Myxin, der kleine Magier, durch seine Warnung geführt hatte.* Bill Conolly und ich waren in dieses alte Strandhotel bei Brighton gefahren, um dort einen Ober namens Eddy zu beobachten. Dieser Mann sollte, laut Myxin, ein Dämonendiener sein, dabei auf der Seite des Spuks stehen und mehr über ihn und seine Pläne wissen. Wir nahmen Kontakt mit Eddy auf, der sich sehr verschlossen und *
Siehe John Sinclair, Band 378: „Masken-Terror“
feindselig gab. Als wir ihn zu einem endgültigen Gespräch stellen wollten, erlebten wir ihn als Verwandelten. Da hatte sich die Haut auf seinem Gesicht praktisch ab- und aufgelöst, rann wie Teig an seinem Kopf herab und war statt dessen durch eine grüne dreieckige Maske ersetzt worden. Eddy entkam uns. Durch eine Bedienstete erfuhren wir von einem alten Bunker, er lag unweit des Hotels, in den Stranddünen. Den suchte ich auf, traf auf den Spuk, der mir hohnlachend das gleiche erklärte wie Kara. Es gab angeblich einen zweiten Würfel, den er nur noch zu finden brauchte. Er zeigte mir den Würfel sogar, denn dieses Bild spiegelte sich im Originalwürfel, der in der pechschwarzen Wolke schwebte. Nur so zeigte sich der Spuk. Er hatte vorgehabt, mich zu vernichten. Mein Kreuz hielt dagegen. Es hatte den Spuk und auch seine im Hintergrund lauernden sechs Maskenhelfer vertrieben. Dadurch hatte ich wieder freie Bahn bekommen und war prompt in die zweite Falle gelaufen! Als sich der Boden blitzschnell unter meinen Füßen öffnete und mich in die Tiefe des Schachts riß, landete ich hart auf dessen Boden. Dann erwischte der Wasserstrahl mich und ein grausames Spiel auf Leben und Tod begann. An einer Schachtwand hatten sich sechs andere, aber identische Masken gezeigt, die von oben nach unten durchhingen und, wegen ihrer Spiralen auf- und nieder pendelten. Das Wasser strömte aus einer Öffnung in der mir schräg gegenüberlie genden Schachtwand. Das Loch besaß etwa die Größe eines Schreibtisches, der Wasserdruck war enorm. Die Erbauer des Bunkers hatten auch an die Errichtung des senkrecht in die Tiefe führenden Schachts gedacht. Welche Gründe dabei eine Rolle spielten, wußten wohl nur sie allein. Vielleicht war er als eine Falle gedacht worden, und die hielt mich nun gefangen. Wie sollte ich hier wieder herauskommen? Das Wasser stieg immer schneller. Mit ihm stieg auch meine Angst, und schon erste Anzeichen von Verzweiflung verunsicherten mich. Durch das geheimnisvolle Leuchten der zuschauenden Masken war Licht vorhanden. Der bunte Wirrwarr spiegelte sich auf der schäumenden kreisenden Oberfläche des Wassers wider, so daß ein farbiges Muster vor meinen Augen ablief, das ständig wechselte, je nachdem, welche Kreise die sprudelnde und immer mehr Nachschub bekommende Flüssigkeit drehte. Ich saß noch auf dem Boden. Das konnte ich mir bald nicht mehr erlauben, denn schon jetzt erreichte das Wasser meine Brust, Zudem packte es mich manchmal und wollte mich von meinem Platz
schwemmen. Ich stand auf. Die Kleidung klebte an meinem Körper. Allmählich begann ich auch zu frieren. Das Wasser war mittlerweile so hoch gestiegen, daß es bereits die viereckige Öffnung in der Schachtwand verdeckte. Mein Blick fiel auf die Masken. Zuerst waren sie mir grauenhaft und schrecklich vorgekommen. Jetzt eher hohnlachend, als wollten sie über mich triumphieren und auf irgendeine Art und Weise verdeutlichen, daß sie die eigentlichen Herren in diesem verdammten Schacht waren. Das stimmte auch. Zudem standen sie unter der Kontrolle des Spuks, und dieser Dämon würde auch weiterhin dafür Sorge tragen, daß ich ihm nicht gefährlich werden konnte. Das Wasser stieg weiter. Es hatte bereits meinen Hosengürtel erreicht. Ich konnte mir ausrechnen, wann die Fluten mein Kinn streiften, den Mund überfluteten und anschließend meinen gesamten Kopf. Mir mußte etwas einfallen. Wieder schielte ich zu den Masken hin. Ihr Tanz wurde durch nichts unterbrochen. Auf und nieder - hoch und tief... Dabei verströmten sie das rotgelbe Licht. Durch die Bewegungen wirkten sie noch verzerrter, als sie es tatsächlich schon waren. Auch die Spiralen, an denen sie hingen, glühten auf, und ich fragte mich, ob sie nicht irgendwann einmal reißen würden. Dann zog ich meine Waffe. Gegen den Spuk kam ich mit einer geweihten Silberkugel nicht an. Vielleicht schaffte ich es bei den Masken. Aber was war damit erreicht, wenn ich eine oder zwei von ihnen tatsächlich zerstörte? Gar nichts. Ich hätte nur wertvolle Munition verschwendet, die ich später unter Umständen brauchte. Falls ich aus dieser verdammten Falle herauskam. Da mußte mir noch etwas einfallen. Der Wasserspiegel hatte mittlerweile meine Brust erreicht. Durch das für mich nicht sichtbare Kreisen, Drehen und Rotieren der unter der Fläche wirbelnden Strudel gelang es mir kaum noch, auf den Beinen zu bleiben, denn das Wasser wollte mich wegschwemmen. Automatisch machte ich Schwimmbewegungen. Sehr langsam, abwar tend und mit einem großen Hindernis am Körper, meiner nassen Kleidung, die mich in die Tiefe zu zerren drohte. Durch eine geschickte Rolle nach vorn tauchte ich unter und bewegte mich jetzt auf die Öffnung zu, durch die noch immer ein dicker Wasser strahl hereinschoß. Kaum geriet ich näher an sie heran, spürte ich bereits die immense
Kraft des Wassers, gegen die ich auch mit heftigen Schwimm bewegungen nicht ankam. Ich mußte auftauchen. Den Plan, durch den Gang ins Freie zu gelangen, damit meinte ich das Meer, konnte ich mir abschminken. Also versuchte ich es anders. Erst einmal durch Schwimmen. Ich drehte ein paar Kreise, beobachtete dabei die Masken und stellte fest, daß sich ihre Springhöhe verändert hatte. Zwar schwangen sie noch von oben nach unten, aber sie paßten sich jedem neuen Wasserspiegel an, ohne das kalte Naß zu berühren. Je höher das Wasser stieg, um so mehr zogen sich auch die Masken zurück. Das brachte mich auf eine Idee. Ich wollte mir den Wasserspiegel zunutze machen. Wenn er weiterhin so stieg, konnte ich mir ausrechnen, wann er den Schachtrand erreichte und ich aufs Trockene, das heißt, in den Bunkergang klettern konnte. Ein Lächeln zuckte über meine Lippen. Verrechnet, Spuk, fügte ich in Gedanken hinzu. Der Dämon hatte nicht mit der Schläue eines Menschen gerechnet. Nur war der Spuk raffinierter, als ich gedacht hatte. Ich ahnte, daß die Masken nicht von ungefähr an der Schachtwand hingen. Ihnen fiel eine ganz bestimmte Aufgabe zu. Mir fiel es wie Schuppen von den Augen, ja, die Masken strömten Gas aus. Erste Schwaden trieben in meine Richtung. Atmen mußte ich ja, bekam das Zeug in den Hals und befürchtete, ersticken zu müssen! Teuflischer Spuk! Sechs farbige Masken leuchteten in der Dunkelheit der Nacht, und es war kein Halloween oder ein anderer Spaß, sondern verdammter Ernst. Das wußten auch Suko und Bill Conolly, die am Rande des Hotelparkplatzes in der Dunkelheit standen und den Masken entgegenschauten. „Das also haben die beiden gesucht“, sagte Bill leise. „Bestimmt.“ Der Reporter und Suko waren gewissermaßen am Rande in den Fall mit hineingezogen worden. Bill hatte seinen Freund John zum Hotel begleitet und konnte sich nun als Eingeweihter bezeichnen. Er hatte auf Johns Geheiß hin Suko angerufen, und der wiederum war von einem deutschen Kommissar namens Will Mallmann über die Verwandlung eines Menschen in eine Maske informiert worden und weiterhin auch über das Auftreten des Spuks in der Nähe des Kommissars. Es liefen aus verschiedenen Richtungen die Fäden zusammen, um sich an einem bestimmten Punkt zu treffen. Das war dieses Hotel oder dessen unmittelbare Umgebung. Es war still innerhalb der Finsternis. Nur vom Strand her hörten die
beiden das ewige Rauschen des Meers. Über ihnen spannte sich der weite, dunkle Himmel. Wenige Sterne nur waren zu sehen. Sie sahen aus wie kalte Diamantsplitter. Die Masken waren sehr genau zu erkennen, obwohl sie ziemlich weit von den beiden Beobachtern entfernt standen. Verschiedene Farben wiesen sie auf. Gelb, violett, rot, grau, grün und eine silberne. Dabei von innen her leuchtend. „Ich habe sechs Masken gezählt!“ flüsterte der Reporter scharf und rieb sich die Hände. „Fragt sich nur, ob an der anderen Seite noch mehr sind.“ „Glaube ich nicht.“ „Und wieso nicht?“ „Was will Samaran mit zwanzig oder noch mehr Helfern. Die stehen sich nur gegenseitig im Weg.“ Bill lachte leise. „Da kannst du durchaus recht haben.“ Der Inspektor bewegte sich einen Schritt zur Seite und nahm hinter Suko Aufstellung. „Ja, du meinst die silberne.“ „Richtig. Als mich Will Mallmann anrief, hat er von einer Silbermaske gesprochen.“ „Dann muß dieser Typ aber sehr schnell auf unsere Insel gekommen sein“, erklärte Bill. „Vergiß den Spuk und dessen Magie nicht.“ „Stimmt auch wieder.“ „Mich wundert es nur, daß sie sich nicht bewegen“, murmelte Suko. „Ich habe das Gefühl, die warten auf etwas. „Vielleicht auf ein bestimmtes Ereignis.“ „Das wir forcieren könnten“, schlug Bill vor. Suko hatte verstanden. „Willst du ihnen entgegengehen?“ „Im Prinzip ja. Je näher wir sie an das Hotel heranlassen, um so größer wird die Gefahr für die Hotelgäste.“ Da stimmte ihm Suko zu. Er stellte gleich eine prägnante Frage. „Wie bist du bewaffnet?“ „Leider nicht mit der goldenen Pistole. Die hat noch Myxin.“ „Aber du hast Silberkugeln?“ „Das schon.“ „Dann können wir es...“ Der Chinese stoppte mitten im Satz. Dafür huschte er zur Seite und kreiselte plötzlich herum. Er war wie ein Schat ten. Bill bekam die Bewegung erst richtig mit, als Suko schon in die entgegengesetzte Richtung schaute. „Was war denn?“ fragte der Reporter. Der Chinese winkte ab. Selbst in der Finsternis erkannte Bill das ange spannte Gesicht seines Freundes. Er mußte raten, aber er glaubte daran,
daß der Inspektor irgend etwas gehört hatte. Einen Laut, der nicht in die Umgebung hineinpaßte. Auch Bill hatte sich umgewandt. Wie sein Freund Suko schaute er über den Parkplatz, der eingebettet, in der Dunkelheit lag. Nur am Eingang brannte eine Bogenleuchte. Ihr Licht schuf eine schwammige helle Insel, erreichte kaum den Boden und fiel wie eine hauchdünne helle Decke über einige Autodächer. Die Wagen rührten sich nicht. Sie standen da wie stumme Ungeheuer aus Metall, deren Augen - die Scheinwerfer - aus Glas bestanden und die beiden Freunde starr anzuglotzen schienen. Obwohl alles so normal wie zuvor aussah, wurde Bill Conolly das Gefühl nicht los, daß sich etwas verändert hatte. Es mußte einfach an der Atmosphäre liegen. Sie war schlecht zu beschreiben, man konnte sie nicht fühlen, aber der Reporter spürte sie wie ein Kribbeln auf der Haut. Auch Suko gefiel sich nicht. Er selbst schien sich zu einer Wachsfigur verändert zu haben. Manchmal bewegte er den Kopf und auch die Augen, wenn er wie ein Luchs nach der Beute suchte. So vertickten die Sekunden. „Das war wohl nichts“, flüsterte Bill. „Oder hast du etwas gesehen?“ „Nein.“ „Eine Täuschung.“ Suko hob die Schultern und entspannte sich. „Ich weiß nicht.“ Er blieb skeptisch. „Ich hatte plötzlich das Gefühl, Schritte zu hören. Das wäre schließlich nicht ungewöhnlich gewesen.“ „Wenn du Samaran und diesen Killer meinst, den er bei sich hat...“ „Ja, die beiden.“ Akim Samaran, das wußten die Freunde, hatte zusammen mit einem Leibwächter namens Kamikaze das Hotel betreten. Sie waren sogar angemeldet gewesen, und normalerweise hätten sich die Freunde auch darum nicht gekümmert, wäre dieser Samaran nicht einer der Helfer des Spuks gewesen. Dieser mächtige Dämon hatte sich dabei den richtigen ausgesucht. Einen vom Satan enttäuschten Menschen, der nach Abwechslung gierte und so an den Spuk geraten war. Samaran tat alles, was man ihm befahl. Für ihn gab es keine Hinder nisse. Er killte, Menschenleben waren nicht interessant, und sein Leibwächter schien ihm in nichts nachzustehen. Falls er nicht noch schlimmer war als der Chef selbst. „Sollen wir bleiben oder im Hotel nachschauen?“ erkundigte sich Bill Conolly. „Nein, wir müssen uns um die Masken kümmern.“ „Und Samaran?“ Suko drehte sich wieder um. „Wird uns schon über den Weg laufen. Da bin ich mir sicher.“ Er deutete nach vorn. „Okay, Alter, machen wir
uns auf die Maskensuche, die wird schwer genug.“ Damit war auch der Reporter einverstanden. Obwohl sie etwas vorhat ten, blieben sie zunächst einmal sehr gelassen. Übergroße Nervosität konnte schaden. Bill suchte nach dem besten Weg, um die Masken direkt zu erreichen, als er ein leises Lachen hörte. Sie standen mittlerweile wieder am Rande des Parkplatzes, und keiner von ihnen hatte das Lachen ausgestoßen. Ein dritter war da. Das bedeutete Gefahr! Suko kreiselte schneller herum als Bill, und beide entdeckten sie die Gestalt auf dem Platz. Es war ein dunkel gekleideter Mann, der gemächlich auf sie zuschlenderte, Furcht schien er nicht zu haben. Er wirkte wie jemand, der von seiner Sache hundertprozentig überzeugt war. Und das konnte Akim Samaran auch sein, denn hinter ihm stand der Spuk. Er würde ihm stets die nötige Deckung geben. Suko flüsterte Bill etwas zu. „Denk immer an diesen Kamikaze. Er muß sich irgendwo verborgen halten...“ „Okay...“ Samaran kannte den Reporter nicht, dafür Suko, und ihn blickte er kalt an. „Hallo, Schlitzauge“, sagte er zur Begrüßung. „Ich freue mich, daß wir uns wiedertreffen. In Schottland war es nicht so richtig der Fall. Aber hier...“ „Was wollen Sie?“ „Euch!“ „Auch mich?“ fragte Bill Conolly. „Dich nehme ich gewissermaßen als Beigabe.“ Der Reporter regte sich innerlich auf. Er wollte auf Samaran losgehen, doch Suko hielt ihn am Arm fest. „Laß es lieber bleiben“, warnte er. „Diesen Wicht sollte man unangespitzt in den Boden treiben“, sagte der Reporter. „Du kannst es versuchen“, erklärte Samaran kalt. „Aber dann ist deine Uhr schon jetzt abgelaufen...“ „Und sonst?“ Er lächelte und führte mit seinem Arm eine halbkreisförmige Bewegung durch. „Ich weiß nicht, was ihr habt. Diese Masken sind nicht umsonst erschienen. Sie werden mir helfen, dieses Gebiet umzugestalten, so wie es der Spuk will. Ich verfolge einen Plan, und ich werde mich von niemandem aufhalten lassen, das zu tun, was ich für richtig halte. Haben wir uns verstanden?“ „Wie sieht dein Plan aus?“ wollte Suko wissen. „Du weißt doch über den zweiten Würfel Bescheid, oder nicht?“ „Sicher.“
„Und den werde ich holen, damit er zerstört wird. Das ist alles. Ich wollte es euch nur gesagt haben, falls ihr euch später darüber wundert, was hier ablauft.“ „Und was?“ fragte Bill. „Magie, Schnüffler. Reine Magie. Sie wird euch in ihrem Bann halten und die Zeiten vertauschen. Wenn ihr wollt, könnt ihr etwas Großes erleben, oder soll ich euch vorher umbringen lassen?“ Samaran lachte. Er bog den Oberkörper nach hinten, und die beiden Männer wußten nicht, was sie von ihm halten sollten. Daß die Reaktionen des Mannes nur einer Schauspielerei glichen, wurde ihnen klar, als Samaran noch immer lachte. Er übertönte damit ein anderes Geräusch: Schritte. Den Schatten konnte er nicht wegwischen. Der wurde von Bill gesehen, und er wollte seinem Freund Suko noch eine Warnung zurufen, als es ihn erwischte. Kamikaze war wie ein Geist aufgetaucht und handelte! Bill Conolly sah den Schlag kommen. Es war eine huschende Bewe gung, auf den Kopf des Reporters gezielt. Das schlechte Licht vergrößerte die Gestalt des Killers noch mehr, so daß sie zu einem regelrechten Monstrum wurde, das kein Erbarmen kannte und über Bill herfiel. Zum Glück hatte der Reporter noch die Arme hochreißen können, sonst hätte ihm der Hieb den Kopf vom Hals geschleudert. So krachte die Handkante gegen seine Deckung und schleuderte ihn gleichzeitig zurück. Genau auf Suko zu, der dem Reporter ebenfalls nicht ausweichen konnte, von ihm behindert wurde und Kamikaze somit Zeit bekam, sich auf eine neue Attacke vorzubereiten. Diesmal trat er zu. Suko hatte den Reporter zur Seite geschleudert. Er sah Bill fallen und gleichzeitig auch den Fuß. Zwar konnte er dem Tritt durch ein rasches Zurückweichen die größte Wucht nehmen, trotzdem hämmerte der Fuß gegen seine Brust und drückte Suko zurück. Er fiel auf die Kühlerschnauze eines abgestellten Rolls, stöhnte vor Schmerzen und sah vor sich den Schatten des Leibwächters dieses Mannes. Ein blonder, knochiger Killer mit einem wüsten Narbengesicht und schiefer Nase. Das lange Haar hatte er im Nacken zu einem kleinen Pferdeschwanz zusammengebunden. Seine dunklen Augen blickten teilnahmslos, und dies empfand Suko als schlimm. Wer so schaute, dem war wohl alles egal. Ein Killer ohne Gefühl und ohne Gewissen. Einer, der jeden Befehl annahm und auch ausführte. „Mach ihn nieder!“
Samarans Stimme klang eiskalt. Er stand da und schaute zu, während Bill Conolly am Boden kniete und noch unter dem ersten Treffer zu leiden hatte. Suko wußte, was die Aufforderung bedeutete. Der andere würde ihn töten. Er war sich seiner Sache verdammt sicher, deshalb kam er nicht allzu schnell, und er kannte Suko noch nicht. Obwohl der Chinese nur schwer Luft bekam, rammte er sein rechtes Bein vor und traf eine verdammt empfindliche Stelle. Kamikaze knickte zusammen. Sein Gesicht wurde regelrecht gelb. Er heulte dabei auf, preßte die Hände gegen die Stelle, schüttelte den Kopf, und bekam mit, daß sich Suko abstützte. Er hob die Hand zum Schlag. Da hörte er das Röcheln. Es war ein Laut des Schmerzes, dem ein harter Befehl folgte. „Laß es lieber!“ Samaran hatte gesprochen, und er konnte sich auf Sukos Passivität verlassen, denn Bill war mit einer Revolvermündung an der Wange wehrlos. „Ich töte ihn, wenn du dich bewegst!“ sagte Samaran. Suko nickte. Er spreizte die Arme vom Körper ab. „Okay, okay, ich werde deine ‚Killermaschine’ nicht anrühren.“ Samaran grinste kalt. „Davor möchte ich dir auch abraten. Aber alle Achtung, so ist noch nie jemand mit Kamikaze umgesprungen! Die meisten machen sich vor Angst in die Hose, wenn sie ihn sehen. Nun ja, noch hat er seinen Meister nicht gefunden. Vielleicht trefft ihr noch einmal unter anderen Bedingungen zusammen. Dann wirst du es nicht einfach haben, das kann ich dir versprechen.“ Kamikaze stand noch immer gekrümmt, erholte sich aber langsam. Und dann richtete er sich sogar auf. Das bewies Suko, wieviel dieser Mensch einstecken konnte. Er fragte sich, ob er tatsächlich aus einem normalen Körper bestand oder nicht schon längst irgend etwas Künstliches in sich hatte, denn dieser Treffer war hart gewesen. Eigentlich zu hart. Samaran hielt den Reporter noch immer in Schach. Der Druck der Mündung hatte um keinen Deut nachgelassen. Bill biß die Zähne zusammen. Nur durch die Nase atmete er und sehr flach. „Okay, Suko!“ preßte er hervor. „Nimm auf mich keine Rücksicht...“ Samaran lachte bei diesen Worten. „Wie edel du doch sein kannst. So sind anscheinend alle aus dem Sinclair-Team, wie?“ „Ja, das können Typen wie Sie nicht verstehen.“ „Warte es ab.“ Samaran verließ sich auf Kamikaze, und daran tat er recht, denn der
Killer hatte sich wieder einigermaßen gefangen. In seinem knochigen Gesicht hatte sich nichts verändert. Es zeigte abermals kein Gefühl, nicht einmal Schmerz oder Wut. Nur in den Augen glitzerte es, als würden tief aus seinen Pupillenschächten kleine Eiskristalle hochsteigen. Suko wußte, daß etwas auf ihn zukam, und daß er sich nicht wehren konnte, wollte er das Leben seines Freundes nicht gefährden. Vielleicht wollte ihn der Killer dort treffen, wo er ihn erwischt hatte. Das wäre natürlich fatal gewesen. Der Chinese beobachtete den anderen genau, der nervös das rechte Bein bewegte und dann plötzlich zuschlug. Zum Glück traf er nicht, aber die Handkante war ebenfalls gefährlich genug, Es war Suko einfach nicht möglich, still stehenzubleiben. Da reagierte sein Reflex! Er wich zur Seite, wurde deshalb nur gestreift, und die Handkante dröhnte auf das Blech des Rolls, das im Gegensatz zu dem anderer Fahrzeuge verdammt dick war, trotzdem jedoch eine gewaltige Delle bekam. Und Suko kassierte den nächsten Treffer. Ein Faustschlag, der ihn diesmal voll erwischte! Die Explosion an seinem Kopf war zwar nicht so schlimm, aber Suko gab ihr trotzdem nach. Er kämpfte nicht gegen eine Ohnmacht an. Mit dem Rücken zuerst fiel er auf die lange Kühlerschnauze des Rolls. Er spürte auch den Druck der Kühlerfigur im Rücken, dieser kleinen Frau, die als Wahrzeichen der Marke unzählige Kilometer nackt im Wind verbrachte. Dann rollte Suko zu Boden. Arme und Beine ausgestreckt, blieb er lie gen, spürte die Wellen der Bewußtlosigkeit heranrollen, die über ihn schwappten, ihn aber nicht in den dunklen Schacht hineinrissen und Su ko in einem Dämmerzustand ließen. Kamikaze blieb neben ihm stehen. Er hatte einen Arm erhoben, war schlagbereit, schaute noch einmal zu Samaran hin und fragte: „Soll ich ihn in der Mitte durchbrechen?“ „Nein, das brauchst du nicht. Es reicht wohl.“ „Kann sein.“ „Sicher. Nimm ihm die Waffen ab!“ So etwas ließ sich Kamikaze nicht zweimal sagen. Er drehte den Chinesen auf den Rücken, tastete ihn ab, fand die Beretta, auch die Dämonenpeitsche und entdeckte sogar den von Buddha stammenden Stab, mit dem Suko, wenn er das Wort Topar rief, die Zeit anhalten konnte. Der Stab schaute aus Kamikazes Riesenfaust, und der Killer betrachtete ihn mit einem skeptischen Blick, denn er konnte damit nichts anfangen. „Was ist das?“ fragte Samaran.
Der knochige Killer hob die Schultern. Er wurde aus diesem Gegenstand nicht schlau. „Zeig her.“ Kamikaze legte die Beute flach auf seinen Handteller. Sein Chef schaute sich den Stab sehr genau an und schüttelte den Kopf. „Ich weiß es auch nicht. Du vielleicht?“ „Nein!“ ächzte Bill. Für den Moment war Samaran unschlüssig. „Ein Messer ist es nicht“, murmelte er. „Ist egal, steckt das Ding wieder in seine Tasche. Wer weiß, wozu die Chinesen so ein Zeug gebrauchen. Vielleicht zünden sie es sogar noch an...“ Dem Reporter fiel ein Stein vom Herzen, als er die Worte hörte. Nicht auszudenken, was passiert wäre, hätte der Killer den so wertvollen Stab einfach zerbrochen. Suko bekam ihn wieder, und der Mündungsdruck verschwand von Bill Conollys Wange. Akim Samaran fühlte sich sehr sicher. Er ging zwei Schritte zurück. Dabei ließ er es zu, daß Bill seine Wange rieb und so die schmerzende Stelle massierte. „Ja“, sagte Samaran, wobei er nickte. „Das hätten wir. Wer uns Schwierigkeiten macht, wird erledigt.“ Er wandte sich weiter an seinen Helfer. „Hast du noch den Draht bei dir?“ „Sicher.“ Samaran grinste kalt. „Dann bind ihn um ihre Gelenke.“ Das tat der Killer mit Vergnügen. Zuerst kam Suko an die Reihe, und schon jetzt zuckte Bill zusammen, als er sah, wie hart und fest der dünne Draht um die Handgelenke seines Freundes gewickelt wurde, Danach kam Kamikaze zu ihm. Wie ein Berg aus Fleisch und Knochen tauchte er dicht vor dem Reporter auf und trat blitzschnell zu. Der Treffer erwischte Bill zwischen Hals und Schulter. Er wurde zu Boden geschleudert, blieb auf dem Rücken liegen und sah, wie Kamikaze sich bückte und den Draht um seine Gelenke wickelte. Im nächsten Augenblick stöhnte Conolly auf. Kamikaze ging ebenso rauh mit ihm um wie mit Suko. Bill hatte das Gefühl, als wäre der Draht eine Säge, die durch sein Fleisch schnitt, so eng zog der Knochige die Schlingen, Schließlich hatte er den Reporter soweit, daß dieser die Arme nicht mehr bewegen konnte, zudem waren sie auf dem Rücken gefesselt worden, und Bill lag auf der Seite. Samaran stellte ein zufriedenes Nicken zur Schau. „Ich glaube“, fügte er hinzu, daß der Spuk auch mit unserer Leistung zufrieden sein wird. Er holt sich Sinclair, wir haben die anderen beiden bekommen. Besser kann es nicht laufen.“ „Noch habt ihr nicht gewonnen“, ächzte Bill. Samaran winkte nur ab. Er ging von seinem Gefangenen weg und
schaute dorthin, wo auch Bill und Suko die Masken gesehen hatten. Sie standen nicht mehr an der gleichen Stelle, hatten sich vorgebeugt und schon fast den Parkplatz erreicht. Von vier verschiedenen Seiten erreichten sie das eigentliche Ziel. Sie brachen durch die Büsche. Bill hörte das Rascheln und manchmal auch das Knacken der Zweige. Auf dem Parkplatz schwebten plötzlich dreieckige, bunte Figuren, und er sah auch, daß zu den Masken Körper gehörten und sie nicht nur einfach so in der Luft schwebten. Bill sah auch die grüne Maske. Eine böse, von innen leuchtende Fratze war es. Der Reporter erinnerte sich daran, daß er die Verwandlung zusammen mit John Sinclair erlebt hatte. Hinter dieser dämonisch wirkenden Larve steckte ein Mann, der auf den Namen Eddy hörte und als Ober in dem nahen Hotel gearbeitet hatte. Sie standen nebeneinander in einer Reihe, vor ihnen Akim Samaran! Der sagte zwar nichts, schritt aber wie ein Captain bei den Soldaten die Front seiner Diener ab. Jede Maske schaute er sich so genau an, als wollte er auch hinter sie blicken und prüfen, ob alle zu ihm standen. Die Menschen hatten sich verwandelt. Hauptsächlich ihre Köpfe. Bill lag so, daß er ihn auch beobachten konnte. Er versuchte, die Schmerzen an den Gelenken zu ignorieren, was ihm allerdings schwerfiel, da er noch immer das Gefühl hatte, seine Hände wären in Säure getaucht worden. Das Gesicht hatte er verzogen, die Lippen waren zusammengepreßt, und er dachte daran, daß einmal jemand gesagt hatte, man könnte sich an Schmerzen gewöhnen. Das mußte ein Fatalist* gewesen sein. Bill war dies jedenfalls nicht möglich. Samaran war die Reihe abgegangen. Er drehte sich wieder um. Sein Blick streifte auch Kamikaze, der seinen Platz neben dem bewußtlosen Suko eingenommen hatte und dort wie ein Denkmal stand. Doch Suko war nicht ausgeschaltet worden. Bei ihm hatte der Schmerz der Fesseln dafür gesorgt, daß er alles mitbekam, was um ihn herum vorging, und so hörte er auch die Erklärung Akim Samarans. „Sechs Männer habe ich bekommen, denn sechs mußten es genau sein, um das durchführen zu können, was ich vorhatte. Etwas Großes wird geschehen, etwas Einmaliges. Ich werde eine Beschwörung vornehmen und durch die Magie in die Vergangenheit hineintauchen. Wir wollen den zweiten Würfel. Da wir nicht ganz genau wissen, wo er liegt, werden wir in die Vergangenheit hineintauchen und ihn dort zerstören. Was damals schon nicht war, wird auch in der Zukunft nicht sein.“ Bei seiner Rede schritt Samaran auf und ab. Die Hände hatte er auf dem *
...ein Fatalist glaubt an die Macht des Schicksals, an die Vorherbestimmung.
Rücken verschränkt. Wie ein kleiner Feldherr wirkte er in dieser Pose. „Weshalb sechs?“ fragte Bill ächzend. „Und wer sind diese verdamm ten Leute?“ „Sie gehören einem Söldnertrupp an. Es sind Männer verschiedener Nationalitäten. Deutschland ist ebenso vertreten wie England oder Frankreich. Sie alle haben auf der englischen Seite gestanden, als der Falkland-Krieg begann, und sie sind zusammen in eine schier ausweglose Lage geraten, aus der sie der Spuk durch seine Magie gerettet hat. Zuvor nahm er ihnen das Versprechen ab, daß sie später einmal ihren Dank ableisten würden. Die Männer stimmten natürlich zu, sie hätten sich in ihrer Lage auch mit dem Teufel verbündet, nur wußten sie nicht, daß der Spuk möglicherweise noch schlimmer ist als der Höllenherrscher. Er rettete ihnen das Leben. Wenig später wurde ihre Stellung völlig zerfetzt, sie aber kehrten zurück in ihre normale Welt und in ihre normalen Berufe. Und so warteten sie auf die Nachricht des Spuks, die sie irgendwann einmal traf. Der Deutsche hatte allerdings einen Fehler gemacht. Er trieb sich zu sehr in der gefährlichen Szene herum und fiel somit den Behörden auf. Nun, er konnte entkommen, auch ich half ihm weiter, und jetzt habe ich sie zusammen. Sie alle sind verwandelt, denn der Spuk hatte ihnen ein Pulver mitgegeben, das sie zu einer bestimmten Zeit an einem Ort, an dem sie allein waren, anzünden sollten. Dieses Pulver war eine konzentrierte Magie. Die Menschen veränderten sich, ihre Schädel wurden zu Masken, und so waren sie bereit für eine der größten Aufgaben, die je im Reich der Magie übernommen worden waren...“ „Dann willst du sie beschwören?“ fragte Bill, „So ist es. Aber nicht sie direkt. Diese Masken sind nur die Helfer, sie halten die Verbindung aufrecht, doch ich werde euch beweisen und zeigen, wie es vor sich geht. Noch eins möchte ich sagen. Für uns liegt ein modernes Schiff bereit, mit dem wir die Vergangenheit bereisen. Kannst du dir das vorstellen?“ „Sicher.“ Mit dieser Antwort überraschte der Reporter seinen Feind, denn Samaran schüttelte irritiert den Kopf. „Wieso?“ „Lassen wir das.“ Bill hatte an seine Erlebnisse gedacht, als er und Sheila in der Hölle verschollen gewesen waren. Da hatte er ebenfalls Dinge erlebt, die zuvor für ihn als unmöglich galten. Akim Samaran hatte kein Interesse mehr daran, noch weitere Erklärungen hinzuzufügen, aber Bill Conolly wollte noch etwas wissen. „Was ist mit John Sinclair geschehen?“ Samaran stutzte für einen Moment. Dann lachte er leise und kalt. „Dieser Mensch wird nicht mehr leben.
Er hat den Bunker betreten, konnte den Spuk zwar stoppen, aber die Falle war für ihn doppelt. Er ist in die zweite hineingetappt und wahrscheinlich längst ertrunken wie eine Ratte, die nicht schwimmen kann.“ Bill war geschockt. Er hatte keinen Grund, den Aussagen des Mannes nicht zu glauben. Aber war John Sinclair tatsächlich erledigt? Bill kannte seinen Freund. Der hatte schon das Unmögliche möglich gemacht, aber Samaran war sich seiner Sache so sicher gewesen, daß Bill allmählich anfing zu zweifeln. Samaran kam sich vor wie ein Dirigent, der über ein Orchester herrscht. Seine Handbewegungen waren klar, und er unterstützte sie noch durch entsprechende Worte. „Stellt euch auf!“ Das taten die Maskenträger. Sie gingen zu verschiedenen Stellen und hielten dort an. Sechs waren es, und diese sechs bildeten auch ein Sechseck, in dessen Mitte sich Bill, Samaran, der Killer und auch Suko befanden. Es paßte dem Reporter nicht, im Zentrum zu liegen, aber was sollte er tun? Er war gefesselt worden, und die so dünnen Drähte hatten es auch geschafft, die Haut aufzureißen, so daß warmes Blut aus den Wunden sickerte und an den Gelenken herablief. „Warum sechs?“ fragte Bill. Samaran hatte die Frage verstanden und unterbrach seine Vorbereitungen. „Sechs ist auch in der Magie eine günstige Zahl, in meinem Fall aber eine besondere. Es gibt viel, was mit der Zahl sechs zusammenhängt. Ich könnte dir einiges aufzählen, aber ich will die wichtigsten herausnehmen. Es gibt sechs Wandelsterne und analog dazu sechs böse Geister. Aber am wichtigsten sind die sechs Flächen.“ „Das verstehe ich nicht.“ Samaran amüsierte sich. „Denke nach, denn sechs Flächen hat der Würfel. Und der Würfel spielt in unserem Fall eine große Rolle, die wichtigste überhaupt. Sechs Diener, sechs Flächen des Würfels. Ein jeder Maskenträger wird mit einer Fläche des Würfels in Verbindung gebracht, so daß sie eine magische Zone bilden können.“ „Hast du den Würfel denn?“ fragte Bill. Akim Samaran schüttelte den Kopf. „Ich nicht, ein anderer besitzt ihn. Du weißt wer?“ „Der Spuk.“ „Richtig. Der Spuk wird erscheinen, den Würfel bringen und all das an sich reißen, was sich in der Nähe befindet und magisch aufgeladen ist.“ „Auch den Bunker?“ „Ja, denn dort hat er ebenfalls seine Magie hinterlassen. Sinclair wird sie gesehen haben.“ Samaran begann zu lachen. „Es wird für euch
vielleicht interessant sein, wenn ihr euren Freund John Sinclair als Toten in einer tiefen Vergangenheit findet. Das ist ein Spaß, auf den ich mich schon freue.“ Samaran rieb sich die Hände. Das dabei entstehende trockene Geräusch hinterließ auf Bills Rücken eine Gänsehaut. Er ließ sich die Erklärungen des Mannes noch einmal durch den Kopf gehen. Trotz seiner Schmerzen gelang es ihm, klar und logisch zu denken. Dieses Gebiet, in dem auch das Hotel stand, mußte in der grauen Vorzeit von großer magischer Bedeutung gewesen sein. Im Laufe der langen Jahre war die Magie zugedeckt worden, hatte sich unter Umständen auch abgeschwächt, aber sie war noch vorhanden. Bill beobachtete, was Samaran tat. Er blieb nicht stehen, setzte sich in Bewegung und ging auf den ersten Maskenträger zu, der in seiner Nähe stand. Vor seine Füße ließ er das Pulver fallen, von dem er schon ge sprochen hatte. Bei den anderen fünf geschah das gleiche. Schließlich trat er in die Mitte der geometrischen Figur, nickte zufrieden und fiel auf die Knie. Seinen Kopf legte er in den Nacken, er schaute in den nachtdunklen Himmel, hob auch die Arme und begann mit seiner Beschwörung. Bill hörte ihn sprechen. Es waren Worte, die er nicht verstand. Sie klangen kehlig, manchmal abgehackt, dann wieder singend, als wollte ein Lied über die Lippen des Mannes dringen, aber er suchte jemand. Er rief ihn an, und plötzlich geschah es. Die Worte hatten ihre Wirkung nicht verfehlt, das sah Bill an den plötzlichen Reaktionen des von Samaran ausgestreuten Pulvers. Zur gleichen Zeit begann es an den sechs verschiedenen Stellen aufzu flammen. Ein leises Puffen ertönte. Bill mußte geblendet die Augen schließen, und plötzlich sah er das Feuer, das vor den Dienern in die Höhe zuckte. Magisches Licht flackerte durch das Rechteck, warf auch Schatten, die sich dämonisch verzogen und auch die beiden Freunde Bill und Suko erfaßte. Unheimlich sah es aus. Die gesamte Gegend war in ein geisterhaftes Licht getaucht, und Sa maran, im Zentrum stehend, hob beide Arme. Er schrie seine Worte, flehte, und sein Bitten wurde erhört. Der große Mentor und Dämon kam. Es war der Spuk! Bill Conolly sah ihn nicht, er spürte nur den Hauch des Grauens, der sich allmählich näherte und aus dem Unsichtbaren zu ihm vorstoßen wollte. Erschreckend war es. Kalt, dämonisch, dennoch hitzeerfüllt, so daß
Bill sich über das Wechselbad der Gefühle nicht klarwerden konnte. Die Flammen tanzten weiter, aber ihre Spitzen reichten nicht mehr so hoch wie zu Beginn. Eine Wand schien sie aufhalten zu wollen. Und die gab es tatsächlich. Es war die Wolke, die sich aus dem dunklen Himmel geschoben hatte und als absolute Schwärze immer tiefer drang, denn sie mußte das Rechteck einnehmen. Aber nicht allein die Schwärze konnte der Reporter erkennen. Auch etwas anderes, das sich in ihrem Mittelpunkt befand. Der Würfel des Unheils! Er wirkte so, als hätte man ihn aus der Schwärze herausgeschnitten oder hineingedrückt. Jedenfalls war er keine Täuschung, ihn mußte man haben, als eine Art von Beschleuniger, um die Zeiten wechseln zu können, wie Samaran es vorhatte. Bill Conolly bekam Ehrfurcht. Vielleicht war es auch die Stille, die daran die Schuld trug, denn niemand der anwesenden Personen bewegte sich. Die sechs Maskenträger standen wie Säulen und bildeten die Grenzen des magischen Rechtecks. Flammenumspielt waren sie, Diener eines mächtigen Dämons, trotzdem nicht menschlich, sondern ebenfalls dämonisch aussehend. In ihnen steckte bereits der Keim des Unheimlichen. Sie hatten ihr Gesicht, im wahrsten Sinne des Wortes verloren und waren nun diejenigen, die ihre Schuld abzutragen hatten. Auch Kamikaze wartete. Lauernd hielt er sich im Hintergrund auf. Sein Gesicht wurde vom Widerschein der Feuerzungen umschmeichelt und wirkte wie ein Stück Holz, das vor dem Kamin lag und darauf wartete, in das Feuer geworfen zu werden. Er hatte nicht bemerkt, daß Suko seine Haltung verändert hatte. Das aber fiel Bill Conolly auf, denn sein Freund lag nun auf der Seite, und zwar so, daß er den Reporter anschauen konnte. Bill glaubte auch, das Zucken seiner Lippen zu sehen, er konnte sich allerdings ebenfalls bei diesem unnatürlichen Licht getäuscht haben. Die Sekunden verrannen. Und mit jeder, die verging, stieg auch die Spannung in Bill Conolly. Was er hier erleben sollte, konnte man als einmalig oder phänomenal bezeichnen. Hier sollten Zeiten gemischt oder ausgetauscht werden. Aber war das so einfach? Klappte dies mit den normalen Beschwörungsformeln, die aus Samarans Mund gedrungen waren? Daran wollte Bill nicht so recht glauben. Er hatte das Gefühl, daß noch etwas anderes passieren mußte. Und dieses Gefühl bewahrheitete sich, denn Akim Samaran setzte sich
in Bewegung. Gemessenen Schrittes ging er. In diesen Momenten kam er dem Reporter wie ein Hohepriester aus einer bekannten Verdi-Oper vor. Für nichts hatte er einen Blick. Seine Augen waren starr geradeaus gerichtet, und dort befand sich nicht nur die schwarze Wolke mit ihrer absoluten Finsternis, sondern auch der Würfel. Er genau war das Ziel des Mannes! Als Samaran dicht an ihm vorbeischritt, erkannte Bill das wie eingefroren wirkende Lächeln auf den Lippen des anderen, der sich dicht vor seinem Ziel sah und den Würfel anfassen durfte. Jetzt stand er dicht an der Wolke. Nur die Arme brauchte er auszustrecken. Jede Bewegung wurde genau kontrolliert, einen Fehler durfte sich Samaran nicht erlauben. Über dem Schauplatz dieses geheimnisvollen Vorgangs lag das abso lute Schweigen. Die normale Umwelt schien überhaupt nicht mehr zu existieren. Es zählte einzig und allein die Magie. Zuerst erreichten die Hände des Mannes die Wolke. Sie befanden sich noch an ihrem Rand, doch Samaran führte sie in die Schwärze hinein, und plötzlich waren seine Hände verschwunden. Es sah für einen Zuschauer so aus, als wären sie abgehackt worden, dabei hatte sie nur die absolute Schwärze der Wolke verschluckt. Der Mann konnte den Würfel nicht greifen, noch näher und tiefer mußte er an die Wolke heran und hinein. Er vereinigte sich dadurch praktisch mit dem Spuk, seinem mächtigen Meister und Führer. Bill sah nur noch einen Teil seines Körpers. Die Beine und die hintere Seite seines Rückens schauten aus der Wolke hervor, und weiter brauchte Samaran auch nicht in die Wolke hinein, denn nun gelang es ihm, den Würfel zu umfassen. Bill sah zwar nicht, wie die Hände seine Seiten umfaßten, aber er erkannte deutlich das Zittern des Quaders und wie dieser anschließend nach vorn gezogen wurde. Akim Samaran holte ihn aus der Wolke. Er erschien ebenfalls wieder, hielt den Würfel des Unheils mit beiden Händen so fest, wie eine Mutter ihr kleines Kind. Mit dieser Waffe in den Händen drehte er sich um. und ein Lächeln zuckte dabei über seine Lippen. Er bewegte sie auch, Worte stieß er nicht hervor. Bill Conolly wurde immer aufgeregter. Die Entscheidung stand dicht bevor, was Samaran nicht durch Worte, sondern durch eine furchtbare Tat bestätigte. Es war dem Reporter bekannt, daß der Würfel demjenigen gehorchte, der ihn in den Händen hielt. Der Quader konnte töten, er konnte auch
das Gegenteil davon, und Samaran setzte ihn so ein, wie Bill es von einem Dämon oder dessen Diener gewohnt war. Er tötete! Bill kannte genau den Blick eines Menschen, der so etwas vorhatte. Da glänzten seine Augen stets matt oder in wilder Vorfreude. Bei Samaran vereinigte sich beides. Sollten sie jetzt vernichtet werden? Die unsichtbare Zange war auf einmal da, und sie umklammerte Bill Conollys Leib, so dick saß plötzlich die Angst in seinem Innern. Was würde es Samaran schon ausmachen, ihn zu töten? Er wollte nicht. Das gab er dem Reporter durch ein kaum erkennbares Kopfschütteln zu verstehen. Ihn interessierten andere Dinge, die vielleicht gar nichts mit dem eigentlichen Vorgang zu tun hatten und nur in seiner Phantasie geboren wurden. Er wurde Herr über die Flammen! Sie gehorchten plötzlich seinem Willen und begannen sich zu bewegen. Gleichzeitig erinnerte Samaran in seiner Haltung an eine Statue, und er hatte sich voll auf den Würfel konzentriert. Von oben herab schaute er auf seine Fläche, sah Bewegung in die Schlieren kommen. Als wollten sie fliehen und sich andere Plätze aussuchen. Das Feuer stand voll unter seiner Kontrolle - und schlug zu! Bill glaubte, seinen Augen nicht zu trauen, denn die Flammen bewegten sich nach außen und erfaßten die sechs Maskenträger... Furchtbares spielte sich ab. Bill vernahm die Schreie, die lauten Rufe der Angst und des Schmerzes. Keiner wurde mehr verändert, wie er es bei Eddy erlebt hatte, als dieser einen ersten Kontakt mit den Flammen bekam. Jetzt sorgten sie für die Vernichtung. Und die sechs Diener hatten dem Feuer nichts mehr entgegenzusetzen. Auch der Spuk half ihnen nicht. Sie hatten ihre Pflicht getan, waren als magische Helfer benutzt worden und mußten nun einen grausamen Tribut zahlen. Die Hölle rechnet immer ab. Jeder Mensch, der einen Pakt mit einem Dämon schließt, zieht letztendlich den kürzeren. So auch die Sechs. Einigen gelang es, durch die Flammen zu taumeln, aber da waren sie schon so erwischt worden, daß ein Weiterleben oder Existieren nicht mehr im Bereich des Möglichen lag. Sie brachen zusammen. Das Feuer höhlte sie aus, es zuckte auch über ihre Gestalten und ver brannte das, was noch übriggeblieben war. Zurück blieb - Asche...
Sie schwamm inmitten einer dicken, ölig wirkenden Flüssigkeit. Der Rest dieser schrecklichen Gesichter, die nichts Menschliches mehr an sich hatten. Samaran hielt noch immer den Würfel fest. Er drehte sich dabei um die eigene Achse, so daß Bill wieder in sein Gesicht schauen konnte, auf dem ein verklärt wirkendes Lächeln lag, das so gar nicht zu dieser brutalen Person passen wollte. „Er gehorcht mir“, flüsterte Samaran. „Ja, er gehorcht mir. Mir allein! Nur mir!“ Die letzten Worte hatte er laut gerufen, sein Triumph war unüberhörbar, und er fuhr blitzschnell herum, so daß er in die Wolke schauen konnte. „Jetzt bist du an der Reihe, Meister. Die Helfer haben ihre Pflicht getan und das magische Sechseck geschaffen. Wir brauchten sie nicht mehr, der Würfel hat sie vernichtet. Kann er auch die Zeiten wechseln?“ Samaran bekam eine Antwort. Die Wolke senkte sich tiefer, und aus ihr drang eine kratzige, flüsternde Stimme, die einen Befehl an Samaran gab. „Wünsche es dir. Denke daran. Ich baue dir eine Brücke, ich werde dir zur Seite...“ Mehr konnten Bill und die anderen nicht verstehen, denn der Spuk kam über sie. Er war plötzlich da, fiel von oben herab. Bill sah überhaupt nichts mehr, bis auf den Würfel, der sich wie ein Meilenstein auf der magischen Reise in der Dunkelheit abzeichnete. Der Reporter ergab sich in sein Schicksal und hoffte, den Austausch der Zeiten zu überstehen... Im nächsten Augenblick tat ich überhaupt nichts. Es war einfach der Schock, der mich so sprach- und reaktionslos machte. Das rächte sich, denn ich sank plötzlich unter Wasser, da ich ebenfalls vergessen hatte, Schwimmbewegungen durchzuführen. Sehr schnell bewegte ich wieder meine Beine, strampelte mich hoch, drehte den Kopf zur Seite und holte Luft. Ich konnte atmen! Wenigstens hier, denn das Gas hatte sich noch nicht so sehr ausgebreitet. Ich drehte mich und schaute zu den Masken. Die sechs waren kaum mehr zu erkennen. Wenigstens nicht klar, sie verschwammen innerhalb der Nebelwolken, die aus ihren Öffnungen drangen und eine Farbe besaßen, die zwischen grau, gelb und grün lag. In jeder Sekunde wurde ein weiterer Rauchpilz aus den Öffnungen gestoßen. Er breitete sich aus, schob auch die anderen Gaswolken vor, so daß sie immer mehr in meine Nähe gerieten.
Lange durfte ich nicht mehr warten. Durch die Nase atmete ich vorsichtig ein und zuckte zusammen, als ich das Stechen spürte, das wie ein tiefer Riß in meine beiden Lungenflügel drang. Noch vorsichtiger mußte ich sein und auch etwas tun. An den Masken kam ich nicht vorbei. Das Wasser stieg weiter. Jetzt kam es mir nicht mehr so schnell vor, obwohl ich mir die alte Geschwindigkeit zurückgewünscht hätte, weil sich dann um so rascher der Schacht bis zu seinem Ende gefüllt hätte. Das war nicht möglich. Und das giftige Gas, das einen Erstickungstod vorprogrammierte, brei tete sich noch weiter aus. Es hatte bereits die Oberfläche des Wassers erreicht und lag auf ihr wie ein dünner Teppich. Die Schwaden zuckten, rollten und tanzten lautlos und gespensterhaft auf mich zu. Vorhin war mir eingefallen, auf die Masken zu schießen. Diesen Vorsatz hatte ich fallenlassen, jetzt blieb mir wohl nichts anderes mehr übrig, als mit geweihten Silberkugeln zu versuchen, die sechs magisch aufgeladenen Gegenstände zu vernichten, bevor mich ihr Gas tötete. Gas breitet sich lautlos aus. Ich hasse es, denn es ist tückisch. Man sieht und hört es nicht. Das war zum Glück hier anders. Ich sah die graugelben Wolken, wie sie allmählich herankrochen und dabei dicht über der Oberfläche des Wasserspiegels blieben. Mit leichten Paddelbewegungen schwamm ich so weit zurück, bis ich die Schachtwand hinter mir spürte. Und so wollte ich bleiben, deshalb trat ich auch Wasser. Mit der rechten Hand holte ich die Beretta hervor, während ich die linke kreisförmig bewegte. Noch bekam ich hier Luft, aber die Schwaden rollten zitternd näher. Es war nur eine Frage der Zeit, bis ich nicht mehr konnte und sie mir die Luft geraubt hatten. Die erste Maske nahm ich aufs Korn. Zwar pendelte sie noch auf und nieder, aber nicht mehr so tief und hoch. Dennoch war es nicht einfach, sie zu treffen. Vor allen Dingen in meiner Haltung. Sechs Kugeln steckten im Magazin. Jeder Schuß mußte ein Treffer sein. Hinzu kam der Zeitdruck, eine fast unlösbare Aufgabe. Ich glaubte in einer Klemme zu sein, und das im wahrsten Sinne des Wortes. Auch der heftig trommelnde Herzschlag konnte diesen harten Reif um meinen Brustkorb nicht sprengen. Meine Beine arbeiteten ununterbrochen. Ich brachte den rechten Arm in eine andere Richtung, so daß die Mündung der Beretta jetzt auf die Maske wies, die einen Augenblick später schon wieder nach oben gezogen wurde. Sofort zuckte sie wieder zurück. Ich schoß.
Und traf! Mir fiel der erste Stein vom Herzen. Wo ich sie erwischt hatte, konnte ich nicht erkennen. Ob an der Seite oder im Zentrum, es war egal. Für mich zählte nur, daß sie in mehrere Fetzen auseinanderflog und auch nicht mehr den beißenden Giftqualm aussandte. Von der Hoffnung des ersten Erfolgs beflügelt, nahm ich mir die zweite Maske vor und zielte abermals. Wieder ein Treffer. Diesmal war die graue Maske zerstört worden. Beim erstenmal war es die rote gewesen. Mein Blick blieb konzentriert, als ich mir die dritte vornahm und sie ebenfalls erwischte. Das lief besser als ich dachte, und so wurde meine Hoffnung größer. Die vierte verfehlte ich. Es war die silberne gewesen. Vielleicht hatte ich zu sehr gezittert, je denfalls jagte sie genau in dem Augenblick wieder in die Höhe, als die geweihte Silberkugel sie hätte treffen sollen. Statt dessen jagte das Geschoß gegen die Schachtwand und wurde zu einem Klumpen deformiert. Die Verwünschung fuhr automatisch über meine Lippen. Bei einem erneuten Versuch erwischte ich die Maske, aber ich würde nachladen müssen, um auch die letzte zu vernichten. Es waren noch zwei Masken übrig, und sie sandten auch weiterhin den verdammten Giftqualm aus. Die Giftwolke war größer und dichter geworden, und sie bewegte sich immer weiter auf mich zu. Es wurde gefährlich. Die ersten zitternden Qualmwolken befanden sich nur noch eine Armlänge von mir entfernt. Ich hätte sie greifen können, statt dessen unternahm ich einen weiteren Versuch. Auch die fünfte Maske wurde zerstört. Es war die mit der violetten Farbe gewesen, jetzt existierte nur noch eine, und zwar die gelbe, die mich als letzte höhnisch und triumphierend anzustarren schien. Das Magazin war leer. Ich mußte nachladen. Es bereitete mir plötzlich große Mühe, diesen einfachen Vorgang in Griff zu bekommen. Dabei trat ich weiterhin Wasser und bekam plötzlich Atembeschwerden. Das kam urplötzlich über mich. Ich hatte das Magazin noch nicht gewechselt und warf in einem wilden Reflex den Kopf nach hinten, ohne allerdings weiterhin den Mund aufzureißen. Für mich stand fest, daß es mich trotzdem erwischt hatte. Der eine Fehlschuß könnte sich als tödlicher Irrtum erweisen. Dennoch wollte ich das Magazin wechseln und ließ mich in die Tiefe sinken, denn diesen Vorgang wollte ich unter Wasser beenden. Es war eine Quälerei, zudem machte sich bei mir der Mangel an Luft
immer stärker bemerkbar. Ich arbeitete verbissen, auch routiniert, da ich mich auskannte. Schließlich kam ich zu einem Ergebnis. Das Magazin steckte. Wieder tauchte ich auf. Es wurde auch Zeit! Durch die Nase holte ich vorsichtig Luft, spürte wieder das Stechen und hatte auch die Augen weit geöffnet. Der Qualm war da. Er berührte mich fast, es war furchtbar. Er lag auf und über der Wasserfläche, bekam nur noch sehr wenig Nachschub, doch er reichte aus, um das gesamte Viereck auszufüllen. Noch immer war die Maske nur ein auf- und niederzuckender gelber Schattenflecken. Wie ein tanzender Ballon kam er mir vor, und der Druck in meinem Innern wurde stärker und stärker. Ich mußte sie erwischen! Es war egal, wo ich mich aufhielt, da dieses dämonische Giftgas sich überall befand. Also konnte ich auch näher an die verdammte Maske heranschwimmen. Ich wühlte mich förmlich durch das Wasser und auch durch das Gas, das in meinen Augen brannte, sie reizte und entzündete. Dann stieß ich gegen die Wand. Mit dem Kopf zuerst, denn ich hatte nicht aufgepaßt. Der Schmerz wühlte sich weiter, ich wurde förmlich zurückgeworfen, fiel rücklings wieder in die Wasserfluten und riß den Mund auf, da ich meine Reaktionen einfach nicht mehr unter Kontrolle halten konnte. Das Stechen in meinen Lungen war mörderisch. Kein Quentchen Atemluft bekam ich mehr mit, statt dessen würgte und keuchte ich. Ich wollte nicht ersticken und stand doch bereits auf der Schwelle. Was mich dazu trieb, den Oberkörper noch einmal aus dem Wasser schnellen zu lassen. Woher ich die Kraft für diese Aktion nahm, wußte ich nicht. Jedenfalls durchstieß ich die Gasdecke und atmete heftig. Gleichzeitig sah ich dicht vor meinen Augen die tanzende Maske als zuckenden gelben Fleck, ich hielt darauf und drückte ab. Ob ich die Maske nun getroffen hatte oder nicht, konnte ich nicht mehr sehen, denn ich fiel wieder zurück. Außerdem war es mir nicht gelungen, die Lukenkante zu umklammern, meine Hand rutschte ab, ich riß mir noch die Haut auf und verschwand wieder in der Tiefe. Das Wasser schlug über mir zusammen. Wie ein Balken aus Metall wurde ich in die Tiefe gestoßen. Den Mund hielt ich fest verschlossen, die Arme nach oben gestreckt wie ein Turner, der versucht, die rettende Reckstange zu erreichen. Ich griff nur ins Wasser, und das hat bekanntlich keine Balken. Plötzlich erfaßte mich wieder der harte Sog, denn noch immer strömte Wasser nach und schleuderte mich herum.
Jetzt hätte ich eigentlich auftauchen müssen, um wieder nach Luft zu schnappen. Kaum bekam ich mit, daß ich meine Waffe wegsteckte. Die Schwimmbewegungen der Arme waren ebenfalls viel langsamer geworden. Ich kam mir vor wie jemand, der immer wieder ins Leere faßte und trotzdem die Oberfläche erreichte. Keine Maske war mehr da. Aber das Gas. Mein Gesicht verzerrte sich. Jeder Muskel darin schien einzufrieren. Urplötzlich übermannte mich die Verzweiflung, eingehüllt in eine wahnsinnige Angst vor dem Tod. Nein, aus dieser Lage kam ich nicht heraus. Diesmal hatte mich der Spuk überlistet. Aus meinen entzündeten Augen schaute ich nach vorn, sah nur diesen grauen Nebel, der sich vor mir bewegte, und alles in mir schrie nach dem erlösenden Sauerstoff. Den bekam ich nicht. Statt dessen wurde es noch schlimmer. Ich hatte das Gefühl, zu zerplatzen, das Herz und die Lunge schienen die doppelte Größe angenommen zu haben und gegen alles andere zu drücken, ohne jedoch etwas aufnehmen zu können. Die Herzschläge erinnerten mich an Paukenstöße. Der Schwindel war nicht mehr aufzuhalten und vereinigte sich mit den lautlos heranwehenden Wellen der beginnenden Ohnmacht. Ich verlor völlig den Überblick, meine Bewegungen wurden nicht nur matter, sie erstarben ganz. Wieder fiel ich in das Wasser zurück, das mich nicht aufhielt, so daß ich in die Tiefe sank. Noch einen letzten Eindruck nahm ich mit. Ein gewaltiges Brausen, ähnlich einem Sturmwind, in den hinein eine grelle Sonne schoß, explodierte und sich zu einem neuen Gegenstand veränderte, der ein würfelförmiges Aussehen und eine rotviolette Farbe besaß. Dann wußte ich nichts mehr... „Also im Himmel bin ich nicht“, sagte Bill Conolly. „Wieso?“ „Dann hätte ich dein Grunzen nicht gehört.“ Suko brummte wieder. „Dir scheint es ja nicht schlecht zu gehen, wenn du an solche Dinge denken kannst.“ „Es hält sich in Grenzen.“ Der Chinese lachte leise. „Das kannst du wohl sagen. Nur sind die Grenzen wohl verschoben.“ „Hast du alles mitbekommen?“ „So in etwa, denn ich glaubte, gehört zu haben, daß jemand von einem
Zeitenwechsel gesprochen hat.“ „Das stimmt.“ „Demnach sind wir noch auf der Erde!“ stellte Suko fest. „Und zwar in der Vergangenheit dieses hübschen Kontinents“, präzi sierte Suko. „Wie toll.“ „Willst du nicht aufstehen?“ fragte der Inspektor. Bill begann zu lachen. „Scherzbold. Hat man dir etwa die Fesseln abgenommen?“ „Nein.“ „Mir auch nicht.“ „Bei dir kann ich es mir vorstellen. Wenn hübsche Mädchen in der Nähe sind, kann es schon für dich gefährlich werden, und natürlich auch für die anderen.“ „Möglich. Wenn sie uns auf eine Fraueninsel bringen. So etwas soll es ja in grauer Vorzeit gegeben haben.“ „Aber auch Männerklöster.“ Suko nahm dem Freund den Wind aus den Segeln und wurde sehr schnell ernst. „Sag mal, wo könnten wir uns befinden? Ich für meinen Teil glaube, an Bord eines Schiffes.“ „Mag sein.“ Bill wollte noch nicht so ganz zustimmen, da er sich zunächst mit den Gegebenheiten vertraut machen mußte. In der Tat lagen sie nicht ruhig. Sie hatten allerdings auch keine Fahrt aufgenommen, dennoch hörten sie die typischen Geräusche, die man an Bord eines Schiffes vernimmt. Das Klatschen der Wellen gegen die Au ßenbordwand, das sanfte Wiegen des Kahns, der Geruch von Wasser, Farbe und Öl. All dies deutete darauf hin, daß sie mit ihrer Spekulation recht behielten. „Allein werden wir auch nicht sein“, meinte der Reporter nach einer Weile. „Wenn Samaran sein Versprechen eingehalten hat, bestimmt nicht.“ „Dann müßte er auch bei uns erscheinen.“ „Das ganz sicher.“ Bill schwieg nach dieser kurzen Unterhaltung. Er schaute sich in der Kajüte um. Sein Blick glitt gegen die Decke, wo er die Holztäfelung sah. Sie bestand aus einem hellen Material, war lackiert worden und wirkte an manchen Stellen so glatt wie ein Spiegel. Die beiden Kojen waren an den Seitenwänden angebracht worden und lagen sich praktisch gegenüber. Wenn Bill nach links schaute, konnte er Suko erkennen. Beide lagen sie auf dem Rücken, und sie drückten mit ihrem Körpergewicht auf die noch immer gefesselten Hände. Erst jetzt, wo die Spannung allmählich nachließ, spürte auch der Reporter wieder die Schmerzen. Die Gelenke waren längst in Mitleidenschaft gezogen worden. Und dort, wo der Draht in das dünne
Fleisch hineingeschnitten hatte, zeugten dicke Krusten von ein getrocknetem Blut. Suko verstand den Gesichtsausdruck des Freundes. „Denk nicht dar an“, sagte er. „Du hast gut reden...“ „Mir geht es nicht besser.“ „Ja, ich bewundere dich in diesen Dingen. Ihr Chinesen schafft es eben, Schmerzen besser zu ertragen als wir Europäer.“ „Denk doch mal an unsere Lage.“ „Das tue ich die ganze Zeit über.“ „So meine ich das nicht“, sagte der Inspektor. „Sieh mal, du bist Reporter und hast als Schreiberling die große Chance bekommen, in einer anderen Zeit zu leben und darüber zu berichten. Andere können nur spekulieren, du hast es erlebt. Ist das nicht irre?“ „Klar. Nur sprechen zwei Dinge dagegen. Erstens wissen wir nicht, ob wir hier jemals wieder verschwinden können, und zweitens würde mir niemand glauben.“ „Das darfst du nicht so eng sehen.“ „Ich kann aber nicht anders.“ Suko sah ein, daß es keinen Sinn hatte, den Reporter aufzumuntern. Bill mußte so etwas wie eine Depression bekommen haben. Wenn er ehrlich gegen sich selbst war, so sah auch der Inspektor die Zukunftsaussichten nicht eben rosig, obwohl sie sich bisher nicht beklagen konnten, was den Aufenthalt an Bord des Schiffes anging. Wenn nur die verfluchten Fesseln nicht gewesen wären. Es war tatsächlich eine verwegene Vorstellung. Sie befanden sich mit einem modernen Boot weit in der Vergangenheit und würden, wenn sie an Deck kamen, vielleicht sogar erleben, wie dieses Land damals ausgesehen hatte. So etwas Ähnliches war dem Reporter schon einmal widerfahren. Als es um Lupina und ihren Wolfsclan ging, war er in der Urzeit gelandet und hatte miterleben können, wie das Gebiet, auf dem jetzt London lag, in der Urzeit ausgesehen hatte. Aber so viele Millionen Jahre zurück würden sie wohl jetzt kaum zurückgeschleudert sein. Vielleicht in der Zeit, als es noch um Atlantis gegangen war. Das konnten sich die beiden Freunde eher vorstellen. Wahrscheinlich beschäftigten sie sich mit den gleichen Gedanken und wurden unterbrochen, als sie ein bekanntes Geräusch hörten. Das Anlassen der Maschine. Der Bootsmotor orgelte einige Male, bis er rundlief und man zufrieden sein konnte. Dann nahm das Schiff allmählich eine leichte Fahrt auf. „Es geht also los“, sagte Bill.
„Hast du etwas anderes erwartet?“ „Eigentlich nicht. Und nicht einmal gehofft. Ich bin froh, daß etwas passiert.“ Und es passierte noch mehr, denn beide vernahmen die Schritte, die über einen Niedergang polterten. „John wird das wohl nicht sein“, flüsterte Bill. Er gab damit kund, wie sehr ihm auch das Schicksal des Freundes am Herzen lag. Suko enthielt sich eines Kommentars. Auch er hatte in den letzten Minuten an den Freund und Gefährten gedacht. Ob der noch lebte, war fraglich, wahrscheinlich nicht mehr. Die Tür zur Kajüte stand offen. Durch die runden kleinen Bullaugen fiel Tageslicht in hellen Streifen. Draußen schien also die Sonne. Die Lichtfinger wichen einem Schatten, der sich konturenscharf abzeichnete. Aus dem Schatten wurde ein Mensch, der sich nicht einmal zu bücken brauchte, um die Kajüte zu betreten. Es war Akim Samaran! Der Mann, der das Spiel zu gewinnen schien, und er zeigte ein breites Grinsen auf seinem fleckig wirkenden Gesicht mit den dunklen Augen. Sein Haar hatte er frisch gekämmt. Es glänzte noch vor Nässe, und in den Händen hielt er den Gegenstand, der ihm eine so große Macht verlieh. Es war der Würfel des Unheils. Samaran trat näher. Er gab sich sehr gelassen, fast überheblich, und seine Blicke wanderten von einem Gefangenen zum anderen, bis er schließlich nickte. „So weit, so gut“, erklärte er. „Wie gefällt es euch in dieser Welt oder Zeit?“ „Ich konnte noch keinen Unterschied feststellen“, sagte Suko. „Nein?“ Samaran ließ ein spöttisches Lachen hören. „Das ist auch nicht einfach, ich gebe es zu. Aber ihr werdet es sehen, wenn ihr an Deck gelangt. Außerdem muß ich noch einer großen Aufgabe nachkommen. Ich werde den zweiten Würfel zerstören.“ „Sie wissen, wo er sich befindet?“ „Ja.“ „Dann zeigen Sie ihn uns doch!“ verlangte Bill. Akim Samaran schüttelte den Kopf. „Später werdet ihr ihn zu sehen bekommen. Jetzt noch nicht.“ „Hat das einen Grund?“ „Natürlich.“ „Und welchen?“ Samaran schaute die Freunde wieder an und dachte darüber nach, ob er eine Antwort geben sollte. „Die Legende berichtet davon, daß er bewacht wird. Das möchte ich herausfinden.“ „Da brauchen Sie nur zu tauchen!“ sagte Bill.
Samaran lächelte flach. Er ließ sich Zeit mit seiner Antwort. „Ich und tauchen?“ fragte er und schüttelte gleichzeitig den Kopf. „Nein, ich wer de nicht tauchen. Das überlasse ich anderen. Wie wäre es, zum Beispiel, mit euch?“ Bill Conolly hatte bereits mit einer ähnlichen Antwort gerechnet und zog die Stirn kraus. Er tat so, als müßte er lange überlegen. „Wir sollen ins Wasser?“ „Weshalb nicht?“ „Meist ist es mir zu kalt.“ Samaran fühlte sich auf den Arm genommen. „Euch wird der Spott noch vergehen, aber nichts desto trotz. Ihr könnt euch erheben und an Deck kommen.“ „Wo geht die Fahrt eigentlich hin?“ wollte Suko wissen. „Zu einem Ankerplatz. Wir werden dort liegenbleiben und tauchen. Das ist alles. Sonst noch Fragen?“ „Ja“, meinte Suko. „In welch einer Zeit sind wir nun tatsächlich gelandet? Vor Atlantis, nach Atlantis...?“ „Während Atlantis’ Blütezeit“, erklärte Samaran. „Beide Würfel sind bereits erschaffen worden.“ „Auch der, den Sie tragen?“ „Sicher.“ Bill meldete sich wieder. „Es ist verdammt schwer, das zu begreifen. Eigentlich müßte der erste Würfel doch an einem anderen Platz liegen, oder finden Sie nicht?“ Samaran hob die Schultern. „Bei einer Zeitverschiebung ist vieles möglich. Wir sind aus der Gegenwart gekommen. Für die Zeit hier ist es die Zukunft. Würdet ihr jetzt dort nachschauen, wo der Würfel eigentlich gelegen hat, würdet ihr ihn nicht finden. Sollten wir wieder zurückreisen, würde er dort liegen!“ „Aha...“ Samaran lächelte überheblich, bevor er den beiden Männern ein Zeichen gab, sich zu erheben. „Los, steht auf! Noch habt ihr etwas Zeit. Ihr könnt euch umschauen, aber die Fesseln bleiben, das ist klar. Zudem möchte ich euch noch warnen. Kamikaze ist ebenfalls an Bord. Er steuert das Schiff. Dieser Mann ist mir treu ergeben. Ich habe ihn in den Slums von Paris aufgegabelt, in einem alten Söldnerheim gewissermaßen, und er hat noch nichts verlernt. Während der Kriege hat man ihm einen Spitznamen gegeben. Man nannte ihn den Genickbre cher. Er war Spezialist und ist es auch noch jetzt, wenn ihr versteht, was ich meine.“ „Das müssen wir wohl, nicht?“ „Sehr richtig.“ Samaran wandte sich mit einem letzten Blick auf die beiden Männer ab und verließ die Kajüte. Suko und Bill blieben noch
liegen. „Schöne Scheiße!“ schimpfte der Reporter. „Kannst du laut sagen.“ „Und wie kommen wir zurück?“ „Frag mich nicht, Bill. Aber wir hätten uns nach John erkundigen kön nen.“ „Das holen wir nach, wenn wir an Deck sind“, erklärte der Reporter. „Ich will erst einmal hier raus.“ Bill drehte sich auf die linke Seite, zog die Beine an, streckte sie aus und schwang seinen Oberkörper in eine sitzende Stellung. Dabei verzog er das Gesicht. „Ich spüre meine Hände überhaupt nicht mehr.“ Suko lachte. „Mir geht es auch nicht besser. Aber sie haben uns ja noch die Beine gelassen.“ „Toll ausgedrückt.“ Auch der Inspektor rollte sich herum und sorgte dafür, Kontakt mit dem Boden zu bekommen. Ein paarmal atmete er tief durch, schaute Bill an und sah dessen Kopfschütteln. „Was hast du?“ „Nur mit den Beinen kommen wir hier nicht durch. Damit kriegst du Kamikaze nie.“ „Den will ich auch nicht.“ „Samaran?“ Suko nickte. „Genau. Vielleicht können wir ihn mit einem schnellen Tritt über Bord befördern. Wäre doch etwas - oder?“ „Und dann?“ „Müßte er schwimmen und...“ Davon wollte Bill nichts wissen. „Nein, laß das lieber. Wenn Kamikaze das mitbekommt, würde er uns töten.“ Suko überlegte. So unrecht hatte Bill nicht. Bevor sie sich jedoch fertigmachen ließen, wollten sie zu diesen Mitteln greifen, das stand fest. „Ich gehe vor.“ Bill wartete, bis sein Freund den Niedergang erreicht hatte. Suko hielt sich noch gut. Obwohl auch sein Kreislauf durch die Fesseln beeinträchtigt gewesen sein mußte, war von einem Schwindel bei ihm kaum etwas zu bemerken. Anders bei Bill. Er fühlte sich hundeelend. Manchmal schwankte die Kabine vor seinen Augen, und das lag nicht allein am Seegang, auch an seiner eigenen Erschöpfung, die sich immer stärker ausbreitete. Er glaubte sogar, sein Blut in den Ohren rauschen zu hören, so sehr stand der Kreislauf unter Druck. Bill wankte wie ein Betrunkener durch den Gang zwischen den Kojen. Das Gesicht hatte er verzerrt, sein Mund war weit aufgerissen, und seine Gesichtsfarbe konnte man als superbleich bezeichnen. Es war dem Reporter anzusehen, wie er sich fühlte. Er glaubte zudem, sich jeden
Augenblick übergeben zu müssen. Auf dem Niedergang wäre er fast gestolpert, weil das Schiff in den Wellen schlingerte. Suko hatte bereits das Deck erreicht. Der Reporter hörte ihn sprechen, und er vernahm auch Samarans Stimme. Was der Mann sagte, blieb ihm vorerst ein Rätsel. Es ist nicht leicht, mit gefesselten Händen die Stufen einer Treppe hochzusteigen. Besonders dann nicht, wenn sich die Stufen in ihrer Gesamtheit noch bewegten, und so hatte auch Bill seine Mühe, den Weg zurückzulegen, aber er schaffte es, wenn auch mit bleichgrünem Gesicht, und an Deck konnte er einfach nicht mehr. Er mußte sich übergeben. Dabei fiel er auf die Knie, hörte das Fluchen des Schiffseigners und sah einen Schatten über sich fallen. Suko war zu ihm gekommen. „Geht es wieder, Bill?“ Der Reporter nickte. Er holte ein paarmal Luft, um sprechen zu können. „Sorry“, sagte er, „aber ich reagiere eben menschlich. Bei einem Filmheld wäre das anders.“ „Komm wieder hoch.“ Der Reporter erhielt keine Unterstützung. Nach dem zweiten Versuch stand er und konnte sich an Deck umschauen. Es war keine großartige Yacht, sondern ein Motorboot der gehobenen Klasse, Steuerhaus, Niedergang, Kabine mit zwei Schlafkojen. Die Reling war grün gestrichen, auf den Planken lag der Schmutz, überhaupt machte der Kahn einen ungepflegten Eindruck. „Und wo befinden wir uns?“ fragte der Reporter. „Schauen Sie zum Land, Meister.“ Samaran stand schräg neben dem Reporter und amüsierte sich. „Wir sind noch immer an der englischen Küste, nur eben in der Vergangenheit.“ Da hatte er wohl nicht gelogen, obwohl sie sich auch hätten woanders befinden können, denn die Küste sah nicht so aus, wie Bill sie in Erinnerung hatte. Da war nichts mehr zu sehen von einer Stadt wie Brighton. Er entdeckte statt dessen sogar weite Sandbänke, die aus dem Wasser schauten. Eine am Himmel stehende Sonne sandte warme Strahlen auf das Wasser, das noch den gleichen Farbton besaß wie Tausende von Jahren später. Graugrün dünte das Meer und schien am Horizont mit dem Himmel zu zerschmelzen. Bill blickte wieder dem Land entgegen. Das Schiff nahm Kurs auf das offene Meer. Der gewellte Streifen wurde immer schwächer, auch der Wald oder das hohe Strandgras dahinter war nur noch als dunkler Fleck zu erkennen. Menschen sah er nicht. Vielleicht war England um diese Zeit noch nicht bewohnt gewesen.
„Die Eiszeit ist jedenfalls vorbei“, erklärte Samaran und lachte wieder leise. Bill drehte sich um, damit er Samaran ansehen konnte. Der Dämonendiener stand beinahe lässig vor ihm. Den Würfel des Unheils hielt er mit beiden Händen umklammert, und er deutete Bills Blick richtig. „Wenn du es wagen solltest, mich anzugreifen, wird dich der Würfel vernichten. Er ist mein Helfer, an ihn kommt ihr nicht heran und auch nicht vorbei. Ist das klar?“ „Sie haben deutlich genug gesprochen.“ „Und wo befindet sich John Sinclair?“ Bill lag diese Frage auch auf dem Herzen, gefragt aber hatte Suko, der auch eine Antwort bekam. „Wahrscheinlich ist er tot, und seine Leiche treibt in dieser Zeit umher.“ „Wieso?“ „Das Gebiet, das unter meiner magischen Kontrolle stand, beschränkte sich nicht allein auf das Hotel. Auch den Bunker habe ich mit eingeplant. Er war zwar nicht das Zentrum, aber ich führte dort meine Helfer zusammen, um den Angriff vorzubereiten. Dieser Bunker eignet sich vorzüglich als Falle. Sinclair ist hineingelaufen. Es hat ihn erwischt, wahrscheinlich treibt seine Leiche irgendwie in der Vergangenheit durch die Fluten. So hat sich auch sein Schicksal erfüllt.“ „Und wenn er nicht tot ist?“ fragte Bill. „Das gibt es nicht.“ „Er könnte überlebt haben.“ „Dann werden wir ihn sicherlich finden, denn wir gehen in die Gegend, in der später der Bunker gebaut wird. Die Küste hat sich verändert. Vielleicht treffen wir auf eine treibende Leiche.“ „Boß!“ Eine laute Stimme hallte über das Deck. Kamikaze hatte geru fen, das Ruder festgestellt und sich gedreht. Er streckte den Kopf aus dem Steuerhaus. „Was ist denn?“ Samarans Stimme klang unwillig. „Ich habe etwas gesehen.“ „Und?“ „Einen Mann.“ Kamikaze war kein Typ großer Worte. Vielleicht besaß er auch nur einen geringen Wortschatz, aber was er erzählt hatte, reichte aus, um seinen Chef wütend zu machen. Bill und Suko sahen es an dessen Gesichtsausdruck. „Das ist doch nicht möglich!“ fuhr er Kamikaze an. Dessen Knochengesicht zeigte keine Regung. „Doch, er sitzt auf einer Insel oder Sandbank.“ „Und wie sieht er aus?“ Samaran ging schon auf das Ruderhaus zu. „Normal. Wie wir oder... ja, ich weiß nicht.“
Suko und Bill tauschten einen etwas längeren Blick. Um beider Mundwinkel zuckte es. „Ich werde das Gefühl nicht los“, meinte der Reporter, „daß wir den dritten im Bunde gefunden haben.“ „John?“ „Möglich.“ Suko lachte. „Das wäre in der Tat ein Hammer, und mich würde interessieren, wie Samaran das verdaut.“ Dessen Stimme hallte zu ihnen rüber. „Kommen Sie her, aber keine Dummheiten.“ „Der hat Nerven“, murmelte Bill. Die beiden bewegten sich auf das Ruderhaus zu. Sie hatten vorhin breitbeinig gestanden und gingen auch jetzt so. Bills Gesicht war noch immer leicht grün. Den Freunden gelang es nur mühsam, sich auf den Beinen zu halten. Zum Glück war die See ruhig. Und an die lange Dünung konnte man sich gewöhnen. Samaran stand am Bug. Mit beiden Händen umklammerte er die waagerecht verlaufene Stange der Reling. In seinem Gesicht bewegte sich kein Muskel, der Blick war starr nach vorn auf das Ziel gerichtet. Bill und Suko blieben neben ihm stehen. In ihrem Rücken fühlten sie die gnadenlosen Blicke des Killers Kamikaze wie körperliche Berührungen. Ein Frösteln lief über ihre Haut. Kamikaze hatte sich nicht getäuscht. In der Tat sahen sie die seltsame Insel. Wirklich nicht mehr als eine Sandbank, und das Boot steuerte direkt auf dieses Ziel zu. Auf der Insel stand ein Mann. Er sah ziemlich erschöpft aus, war wohl noch naß und hatte dunkelblondes Haar. Das war er. „Mensch, John!“ flüsterte Bill Conolly... Mir ging es saudreckig. Aber immer noch besser, als tot zu sein. Normalerweise hatte ich ja mit meinem Leben abgeschlossen und eine fürchterliche Todesangst ausgestanden. Ich konnte in der Erinnerung jetzt jedem Menschen nachfühlen, was in ihm vorging, wenn er sich dicht am Rande des Todes bewegte. Auch mir war es furchtbar ergangen, aber das lag hinter mir. Ein Wunder hatte mich gerettet. Im ersten Moment sah es so aus, nur wenn ich näher darüber nachdachte, wollte ich das nicht so recht glauben. Ich war kein Mensch, der auf Wunder hoffte. Entweder nahm ich die Sache selbst in die Hand oder aber suchte nach einer Erklärung. Das tat ich hier.
Das Wunder hakte ich ab, die Erklärung aber gab ich mir selbst. Und die hieß: Schwarze Magie. Eine andere Lösung konnte ich mir nicht vorstellen. Kurz bevor ich mein Leben hatte aushauchen können, mußte es zu diesem „Wunder“ gekommen sein. Der Kreislauf einer Schwarzen Magie hatte mich erwischt und mit in seinen Strudel gezogen. Jetzt war ich wieder ausgespien worden, nur fragte ich mich, wo man mich hingeschafft hatte. Auf eine Insel, das stand fest. Nun gibt es auch bei Inseln Unterschiede. Nicht allein von der Größe her, auch von der Beschaffenheit. Ich war da mehr auf einer Sandbank gelandet, denn unter mir fühlte ich einen weichen nachgiebigen Boden, der zudem noch feucht war. Ich hörte das Rauschen des Meeres, sah Wellen heranrollen, aber die Sandbank nicht überschwemmen, so weit schaute sie immerhin aus den Fluten. Ziemlich sicher kam ich mir vor, aber was nutzte es mir, wenn der Strand und damit der feste Boden meilenweit entfernt lag und ich die Küste nur als einen langen, gräulich schimmernden Streifen erkennen konnte? Warm war es ebenfalls. Viel wärmer als dort, wo ich hergekommen war. Zudem hatten wir nicht Nacht, sondern hohen Tag, und die Strahlen der Sonne taten mir gut. Ich fühlte mich noch immer wie gerädert, legte mich zunächst auf den Rücken und ließ mich trocknen. Dabei tat es gut, den Körper den Sonnenstrahlen entgegenzurecken, und ich schloß sogar die Augen. Das Klatschen der Wellen, der sanfte Wind, das ewig monotone Rauschen des Meeres, diese Geräusche hüllten mich ein und sorgten auch dafür, daß ich schläfrig wurde. Meine Gedanken blieben nicht konzentriert, sie schweiften ab, sie gerieten in andere Sphären, ich wollte nicht einschlafen oder träumen, sondern nachdenken. Wo befand ich mich? Okay, ich lag auf einer Sandbank, aber ich hatte eine Reise hinter mir, die man mit dem Begriff Dimensionsreise umschreiben konnte. Die Zeiten hatte ich dabei gewechselt. Und ich konnte mir vorstellen, daß es auch Jahrhunderte oder Jahrtau sende gewesen waren, denn die Magie des Spuks ermöglichte vieles. Der Gedanke daran, daß es tatsächlich so sein könnte, trieb mir eine Gänsehaut über den Rücken. Jahrtausende zurück? Das war eigentlich unmöglich, wenn nicht ein Unding. Ein lebender und denkender Mensch hätte bestimmt einen Lachanfall bekommen, ich dachte da anders. Durch meine Erfahrungen und Fälle hatte ich bereits die tollsten Dinge
erlebt, auch Zeitsprünge lagen im Bereich des Möglichen, und ich ging davon aus, daß es auch bei mir so gewesen war. Mit dieser Gewißheit öffnete ich wieder die Augen, wurde geblendet und drehte den Kopf zur Seite, so daß ich mit dem Ohr im feuchten Sand der kleinen Insel lag. Ich dachte auch an die Gezeiten und nahm an, daß wir Ebbe hatten. Bei Flut war die Sandbank sicherlich nicht zu sehen. Das erinnerte mich an das nächste Problem. Wenn die Flut kam, wurde die Sandbank überspült, und ich war verloren. Der Spuk hatte mich durch seine Magie ertränken wollen und es nicht geschafft. Vielleicht sorgte die Natur dafür, daß sein Plan dennoch in Erfüllung gehen würde. Ich setzte mich hin. Der Sand klebte an meinem Rücken. Erst jetzt dachte ich an meine Waffen. Die Beretta hatte ich eingesteckt, daran konnte ich mich noch erinnern, und als ich nachfühlte, ertastete ich auch mein Kreuz. Es war also noch vorhanden. Wehren konnte ich mich. Die Pistole schaute ich mir näher an. Sie war bereits getrocknet. Anschließend glitt mein Blick über das Meer. Zuerst wollte ich es nicht glauben, als ich den Punkt auf den Wellen tanzen sah. Als ich mich hinstellte und die Augen mit der Hand vor den Sonnenstrahlen schützte, wurde meine Vermutung zur Gewißheit. Da näherte sich tatsächlich ein Schiff. Wenn ich den Kurs richtig verfolgte, kam es direkt auf meine kleine Insel zu. Wer war das? Ich überlegte, fand zwar keine Lösung, stellte mich jedoch darauf ein, daß es sich nicht gerade um Freunde handelte und schüttelte verwundert den Kopf. Wenn ich tatsächlich in der fernen Vergangenheit gelandet war, müßte es sich bei diesem Schiff um ein Ruder- oder Segelboot handeln, was es aber nicht war, denn der Kahn besaß eine schnittige yachtähnliche Form und wurde durch Motorkraft angetrieben. Demnach mußte es auch ihn mitsamt der Besatzung in die Vergangenheit getrieben haben. Das war ein Hammer! Aber ich blieb vorsichtig. Mir fiel auf, daß ich noch immer die Beretta in der Hand hielt. Ich steckte sie weg. Nicht in die Halfter, sondern am Rücken hinter den Gürtel, so war sie weniger leicht zu entdecken. Dann wartete ich. Das Boot näherte sich nur langsam. Die Motoren schienen gedrosselt worden zu sein. Der weiße Schaumbart, den das Schiff vor sich herschob, kam mir vor wie ein helles Dreieck ohne Grundseite. Es erinnerte mich wieder an die gefährlichen Masken, denen ich begegnet
war. Ich hatte sie zerstören können, aber was war mit den anderen sechs Männern geworden, die sich zu dämonischen Dienern verändert hatten. Lebten sie noch? Wenn ja, befanden sie sich etwa auf dem Schiff? Das gefiel mir gar nicht, aber ich hatte leider keine andere Wahl, als hier zunächst einmal abzuwarten. Die Wellen rollten gegen die Inseln an. Das Meer war längst nicht so verschmutzt. Seine Farbe schwankte zwischen grün und grau, und auf der weiten Oberfläche spiegelte sich das Sonnenlicht, wobei es manchmal blitzende Reflexe warf und kleinere Wellen wie eingestrahlte Glaskuppeln aussehen ließ. Etwas paßte nicht hinein. Es war weiß, ziemlich lang und befand sich schon in Sandbanknähe. Ich hätte es auch nicht gesehen, wenn mein Blick nicht zufällig nach unten gefallen wäre. So sah ich mir den Gegenstand genauer an. Meine Augen wurden groß. Was da angeschwemmt wurde und wieder zurücktrieb, war ein Arm. Ein skelettierter sogar! Meine Augen wurden groß. Damit hatte ich nicht im Traum gerechnet, und nicht allein der Arm wurde gegen die Insel geschwemmt, auch ein skelettierter Körper folgte. Der war sogar bewaffnet! Mit einer Art Lanze! Ich war so geschockt oder überrascht, daß ich zunächst einmal nichts tat und dem Skelett die Initiative überließ. Der Knöcherne war von den Wellen erfaßt worden und wurde auch angeschwemmt. Die Gestalt hüpfte förmlich auf die Sandbank zu, schaute mit seinem Schädel aus dem Wasser, wurde wieder zurückgedrückt und richtete sich plötzlich auf. Obwohl die Sonne schien und wir hellen Tag hatten, sah dieses lebende Gerippe schaurig aus. Es bewegte sogar seine Kieferhälften, holte aus und schleuderte die Lanze. Gezielt worden war sie auf mich. Mit einem blitzschnellen Sprung rettete ich mich, so daß die Waffe an mir vorbeihuschte, im Bogen über die Insel hinwegflog, und an der anderen Seite im Wasser landete. Das Skelett selbst stieg auch nicht aus den Fluten, es hatte sich zurückgezogen, denn ich sah seine Umrisse unter den gläsernen Wellen sehr schnell verschwinden, so daß ich es mir sparen konnte, die Waffe zu ziehen und zu feuern. Mir war ein wenig heiß geworden. Für mich war dies ein Beweis. Ich befand mich nicht mehr in der normalen Zeit, sondern in einer anderen, der Vergangenheit. Und auf Überraschungen mußte ich mich ebenfalls gefaßt machen, das
stand fest. Wo ein Skelett sich aufhielt, konnte ein zweites auch nicht weit sein. Vielleicht sogar ein drittes. Ich umrundete die Insel, schaute dabei in die anlaufenden Wellen, ohne etwas von einem zweiten oder dritten Knochenmann zu sehen. Auch die Lanze entdeckte ich nicht. Sie war in den Fluten verschwunden. Dafür sah ich das Boot, das sich immer mehr der Insel näherte, und ich erkannte auch die Leute an Deck. Einer zumindest stach mir besonders ins Auge. Er hielt sich am Bug des Schiffes auf, starrte der Insel entgegen und besaß einen Gegenstand, der rotviolett schimmerte. Das war der Würfel des Unheils. Und ich hatte auch den Mann erkannt. Sein Anblick versetzte mir ei nen Stich, denn kein geringerer als Akim Samaran, einer meiner wilde sten Todfeinde, hielt sich an Bord des Schiffes auf. Ich war vom Regen in die Traufe gekommen. Wer das Boot steuerte, sah ich nicht. Der Mann stand im Ruderhaus, in dessen Scheiben sich das Sonnenlicht spiegelte und mich auch noch blendete. Seinen Kurs behielt das Boot bei. Wahrscheinlich wollte mich Samaran von der Insel abholen. Normalerweise eine nette Geste, wenn es nicht gerade diese Type gewesen wäre, die zudem noch Besuch bekam, denn rechts des Steuerhauses erschien die erste männliche Gestalt und hinter ihr die zweite. Beide gingen schwankend und hielten die Arme auf dem Rücken ver schränkt, was ich wiederum nicht verstand, denn bei diesem Seegang war es gar nicht einfach, über Bord zu gehen. Ich bekam große Augen, ein Lächeln zuckte über meine Mundwinkel, denn ich hatte die Männer erkannt. Suko und Bill! Die beiden Teufelskerle hatte es also auch erwischt. Kaum zu fassen, aber wahr. Mein Lächeln gefror in den nächsten Sekunden, als ich daran dachte, daß sich die beiden sicherlich nicht freiwillig auf dem Kahn aufhielten. Samaran mußte sie in eine Falle gelockt haben, und die sollte auch bei mir zuschnappen. Zu dritt schauten sie mir entgegen. Ihre Gesichter konnte ich nicht genau erkennen, da das Boot zu weit entfernt war. Ich wartete weitere Minuten ab, bis das Schiff in ein schon flacheres Gewässer geriet und wahrscheinlich beidrehen mußte, Das geschah auch. Die Wellen trafen es an der Steuerbordseite, schaukelten es durch, und ich hörte Samarans Stimme, während ich gleichzeitig die Leiter an der Backbordseite entdeckte, und zwar in der Nähe des Hecks, wo auch das kleine Rettungsboot befestigt war und es einen Platz zum Sonnen gab.
„Komm an Deck, Sinclair!“ „Wenn du nicht freiwillig kommst, schießen wir dich von der Insel. Mein Leibwächter ist bewaffnet.“ Das brauchte mir der Typ erst nicht zu beweisen, ich glaubte es auch so. „Okay, Samaran!“ rief ich zurück. „Du hast mich überzeugt. Ich werde kommen.“ Er lachte laut. „Etwas anderes habe ich von dir auch nicht erwartet, Sinclair. Los, mach schon!“ Mir blieb nichts anderes übrig, und so stieg ich in das Wasser. Ich war gespannt, wie es weitergehen würde und dachte auch an das Skelett, das ich entdeckt hatte... Einige Schritte konnte ich gehen, hatte aber Mühe, meine Füße aus dem weichen Untergrund zu ziehen, der mich schon an Treibsand erinnerte. Um zu dem Schiff zu gelangen, dessen Motor im Leerlauf tuckerte, mußte ich schwimmen. Wieder wurde ich naß, aber daran hatte ich mich ja schon gewöhnen können. Die Leiter erschien vor meinen Augen. Da sich das Schiff bewegte, tanzte auch sie im Rhythmus der anrollenden Wellen mit. Ich streckte meine Arme vor und bekam eine der unteren Sprossen zu fassen. Der Rest war ein Kinderspiel. Ich stieg an Deck und sah es schon den Gesichtern meiner Freunde an, daß etwas nicht stimmte. Sie schauten ziemlich ernst, wenn nicht gar belämmert aus der Wäsche. Nur Bill zwinkerte mir zu, während ich in Sukos Zügen überhaupt keine Regung entdeckte. Beide mühten sich ab, auf dem schwankenden Deck breitbeinig das Gleichgewicht zu halten. Das hatte auch seinen Grund, denn die Hände meiner Freunde waren auf dem Rücken zusammengebunden. Samaran hielt alle Trümpfe bei sich. Und einen davon sah ich im Ruderhaus. Der Kerl stand in der Tür und hielt eine kurzläufige Maschinenpistole in seinen Pranken. Gesehen hatte ich ihn noch nie, er gehörte aber zu der Sorte, die kleinen Kindern Angst einjagen. Akim Samaran hatte meinen Blick bemerkt. Er kicherte und erklärte: „Das ist Kamikaze, ein Freund und Leibwächter. Man nennt ihn auch den Genickbrecher. Denk daran, Sinclair, bevor du irgendwelche Dummheiten versuchen willst.“ Ich grinste schief und schaute zu, wie das Wasser aus meiner Kleidung tropfte. „Ich habe die Nase voll. Der Typ kann seinen Engelmacher ruhig weglegen...“
„Nicht doch. Lieber gehe ich auf Nummer Sicher.“ Er schaute mich scharf an. „Du hast es also geschafft.“ „Ja, dabei muß mir jemand geholfen haben.“ Samaran bekam einen roten Kopf. Ich lächelte schief. „Danke“, sagte ich zu ihm. Er wurde wütend. „Ich glaube nicht, daß dieser Dank gerechtfertigt ist. Schließlich habe ich dich wieder.“ „Sicher.“ „Und ich könnte dich sofort vernichten. Kamikaze brauchte nur den Finger zu krümmen.“ „Auch das stimmt.“ Meine Sicherheit machte ihn unruhig. „Worauf bildest du dir etwas ein, Sinclair?“ „Auf nichts, ich sehe den Tatsachen nur gelassen entgegen.“ „Und die sind?“ „Wenn ich mir so meine Freunde anschaue, muß ich leider feststellen, daß sie sich in einer miesen Lage befinden. Meine ist nicht besser, ob wohl ich nicht gefesselt bin. Aber ich lebe und glaube zu wissen, daß du mit uns oder mir bestimmte Pläne verfolgst.“ „In der Tat.“ Ich schaute ihn so auffordernd an, daß er sich genötigt sah, seine Pläne zu erklären, was er auch tat. „Du weißt von der Existenz des zweiten Würfels?“ „Das ist mir bekannt.“ „Aber du kennst seine Lage nicht“, erklärte er mir triumphierend, wobei die Augen zusätzlich leuchteten. „Stimmt auch wieder.“ Samaran lachte. „Wie war das noch, als du im Bunker in den Würfel hast schauen können? Der zweite liegt auf dem Grund des Meeres. Aber das Meer ist groß, es ist gewaltig, doch der Spuk ist fast allmächtig. Er hat herausgefunden, an welchem Ort sich der Würfel befindet. Wir schweben praktisch über ihm. Nicht weit von der Insel, auf der wir dich entdeckt haben, ist er entfernt. Eingepackt und verborgen in einer Truhe, sogar bewacht und magisch versiegelt. Der zweite Würfel hat ebenfalls die Zeiten überdauert, es gibt ihn also noch in unserer Gegenwart. Ich aber wollte in die Vergangenheit reisen, um ihn dort zu zerstören, so hat es ihn praktisch nie gegeben, verstehst du?“ „Auch klar.“ „Und du wirst ihn zerstören!“ Den letzten Satz hatte er mir entgegengezischt. Ich war nicht einmal davon überrascht worden, aber ich wunderte mich, welch ein Vertrauen dieser Mensch in mich setzte. Wenn ich an den Würfel herankam, ihn holte, gab er mir praktisch eine Waffe in die Hand, die ebenso stark war
wie der erste Würfel. Akim Samaran, der aus Persien stammte, war ebenfalls nicht auf den Kopf gefallen. Er ahnte meine Folgerungen und machte mir sofort einen Strich durch die Rechnung. „Glaube nur nicht, daß du mit dem Würfel etwas anfangen kannst. Solange ich den ersten besitze, wird es dir nicht gelingen, den zweiten einzusetzen. Außerdem besitze ich deine Freunde als Geisel. Weiterhin ist es fraglich, ob du an den Würfel herankommst. Deine Chancen stehen also nicht so günstig.“ „Das habe ich mir inzwischen auch ausrechnen können“, erklärte ich ihm. „Was geschieht, wenn ich mit dem Würfel zurückkehre und ihn vor deinen Augen zerstört habe?“ „Werden wir weitersehen.“ Diese Antwort hätte ich mir auch selbst geben können. Aber so war Samaran. Wahrscheinlich würde er diesem Kamikaze den Befehl geben, das Problem mit der MPi aus der Welt zu schaffen. So etwas war ihm immer zuzutrauen. „Alles klar?“ fragte er mich. „Ja, ich habe begriffen.“ „Dann können wir.“ Kamikaze bekam ein Zeichen. Er ließ den Motor wieder hochtouriger laufen. Ein Ruck ging durch den Kahn. Bill und Suko verloren das Gleichgewicht, konnten sich an der Reling fangen und blieben dort stehen. Ich hatte mich festgehalten und wartete darauf, bis wir den entscheidenden Punkt angelaufen hatten... Wir hatten die Chance bekommen, uns zu unterhalten. Flüsternd nur und stets unter Kontrolle, aber immerhin konnten wir einige Worte wechseln. Ich erfuhr, wie es Samaran und seinem Killer gelungen war, meine Freunde in die Gewalt zu bekommen. Und ich hatte auch das eingetrocknete Blut an ihren Gelenken gesehen, das die ins Fleisch schneidenden Drahtfesseln verursacht hatten. Chancen sahen wir alle drei nicht, unsere Gegner hielten das Heft fest in den Händen. Zudem hatten sie sich abgelöst. Akim Samaran war im Ruderhaus verschwunden und steuerte das Schiff, während sich Kamikaze vor uns aufgebaut hatte und uns mit seiner MPi bedrohte. Das war schon ein Bursche. Ein knochenharter, eiskalter Mensch, der ohne Rücksicht schießen würde, wenn wir uns falsch bewegten. Wind fuhr über das Deck. Er spielte mit unseren Haaren ebenso wie mit dem kleinen Pferdeschwanz des Killers. Kamikaze hatte sich eine Zigarette angezündet. Im Mundwinkel ließ er sie zumeist qualmen. Nur ab und zu nahm er einen Zug, um den Rauch anschließend durch die breiten Nasenlöcher wieder ausströmen zu lassen.
Die Küste war hinter uns verschwunden. Nicht einmal einen Streifen sahen wir noch. Um uns herum befand sich das wogende Wasser, des sen Wellenhügel oft sehr lang und hoch waren, so daß sie auch unser Boot erfaßten und manchmal auf dem Kamm tanzen ließen. „Siehst du eine Chance?“ fragte Bill wispernd. Ich nickte. „Und welche?“ „Warte es ab. Noch sind wir nicht erledigt.“ „Ja, wenn es uns gelänge, Kamikaze auszuschalten, während du unten bist, könnten wir... ahhhggrrr...“ Bill hatte nicht mehr weiterflüstern können. Der Stoß mit dem MPiLauf raubte ihm Stimme und Luft. Er sackte zusammen, wurde grün im Gesicht, und Kamikaze, diese Killermaschine, war schon zurückgetreten. Gesprochen hatte er nicht. Er handelte nur. Ich schaute ihn kalt an. Auch Suko richtete seinen Blick auf seinen Körper, als suchte er nach einer Stelle, die er irgendwann einmal treffen wollte. Bill stöhnte und saß in der Hocke. Ich bückte mich, umfaßte seine Schultern und wollte ihm auf die Beine helfen. „John!“ Sukos Ruf warnte mich, auch der leichte Tritt des hinter mir auftau chenden Kamikaze. Ich warf mich zur Seite, war versucht, meine Beretta zu ziehen und sah plötzlich den Lauf der MPi auf mich gerichtet, als ich auf dem Rücken lag. Kamikaze hatte ungemein schnell reagiert und die Waffe sofort wieder gedreht. Würde er schießen? „Okay, Junge“, sagte ich, „okay.“ Wohl war mir nicht. Mein Herzschlag hämmerte, ich bekam Angst, aber Kamikaze hielt sich an die Regeln. Er schoß nicht. „Was ist da los?“ Aus dem Ruderhaus schrie es Akim Samaran quer über das Deck. „Sie wollten Widerstand leisten.“ Er kam selbst nach der Antwort seines Leibwächters. Das Ruder mußte er festgestellt haben. Hochrot war er im Gesicht, die Augen sichelschmal. „Wirklich, Sinclair? Bist du so dumm...?“ „Nein, wir unterhielten uns nur.“ „Davon habe ich nichts gesagt.“ „Bitte.“ Bill hockte noch immer auf den Planken und schnappte nach Luft. Verdammt, er tat mir leid, aber ich konnte in diesem Moment nichts für ihn tun und mußte abwarten.
Samaran ging wieder, und an Deck übernahm Kamikaze das Kommando. Wir hielten uns jetzt an die entsprechenden Anweisungen, schwiegen, und nur Bill fluchte hin und wieder. Die Sonne wanderte tiefer. Seltsam, sie hatte auch schon damals so ausgesehen wie in der Gegenwart. Nur wirkte das Meer wie leergefegt. Kein anderes Schiff kreuzte unseren Kurs, demnach konnten wir auch nicht entdeckt werden. Und so warteten wir weiter, bis wir plötzlich aufhorchten, denn das Tuckern des Schiffsmotors hörte schlagartig auf. Wir wurden zwar noch weiter getrieben, doch das Ziel hatten wir erreicht, und Samaran verließ geduckt das Ruderhaus. Er schleppte etwas hinter sich her. Es war eine Taucherausrüstung. Sogar an Preßluftflaschen hatte er gedacht. Ich wurde blaß. Wenn ich das Zeug anziehen sollte, mußte ich mich zuvor ausziehen, dann würde man meine im hinteren Hosengürtel steckende Beretta entdecken. Samaran warf mir das Zeug vor die Füße. „Ich hoffe, du kannst schwimmen und tauchen.“ „Mal sehen.“ „Sonst ist es dein Pech. Los, zieh die Sachen aus und das andere über!“ Auch jetzt hielt er den Würfel fest wie einen Anker. Er verlieh ihm die Macht, und durch den Besitz des Würfels fühlte er sich so gut wie unbesiegbar. Mir blieb keine Wahl. Ich zog meine feuchte Jacke aus und stellte mich so hin, daß ich den beiden Männern die Frontseite zudrehte. Sie registrierten die leere Halfter. Um Samarans Mundwinkel zuckte es. „Hast du keine Kanone mehr, Sinclair?“ „Nein, die habe ich verloren.“ „Pech für dich.“ Ich löste die Halfter, schleuderte sie zu Boden und fuhr mit dem unfreiwilligen Striptease fort, indem ich mein Hemd langsam aufknöpfte, es zuerst an der Rückseite aus dem Hosenbund zog und den Stoff wieder bis über den Gürtel fallen ließ, so daß er die aus dem Hosenbund schauende Waffe verdeckte. Jetzt mußte ich schnell sein. Als ich das Hemd ganz aus der Hose zog, drehte ich mich zur Seite, rutschte auch mit der Schulter hervor, knüllte den Stoff zusammen und auch meine Waffe, die ich blitzschnell hervorgeholt hatte, verschwand darunter. Suko und Bill hatten mich beobachtet. Sie standen günstiger als meine Gegner, und ich hoffte stark, daß sie die Beretta auch gesehen hatten. Die anderen nicht. Eingepackt in den Hemdenstoff landete die Waffe am Boden. Langsam stieg ich aus der Hose. Mit Unterhemd und Unterhose bekleidet, stand ich schließlich auf dem Deck. Auch die
Schuhe hatte ich ausgezogen, um die Schwimmflossen anlegen zu können. Akim Samaran war zufrieden. Davon zeugte sein Gesichtsausdruck, zudem nickte er. „Alles klar“, sagte er. „Du kannst in den Neoprenanzug steigen. Er wird dir bestimmt passen.“ Das war nicht gerade der Fall. Ich hatte Mühe, auch den vorn liegenden Reißverschluß zu schließen und streckte mich ein paarmal. Das Kreuz hatte er seltsamerweise nicht haben wollen. Es hing wieder vor meiner Brust, und seine Umrisse malten sich unter der dünnen Haut des Taucheranzugs deutlich ab. In die Schwimmflossen stieg ich zuletzt. Zwei Preßluftflaschen schul terte ich, klemmte mir das Mundstück zwischen die Zähne und atmete einige Male zur Probe. Das klappte recht gut. Eigentlich hätte ich zufrieden sein können, aber vor mir standen die verdammten Killer und bewachten meine Freunde. Auch Samaran war für mich nicht mehr als ein widerlicher Mörder. „Klar?“ fragte er. „Ja.“ Er deutete mit einer Hand über die Reling. „Dann spring, Sinclair! Tauch unter! Der Würfel liegt auf dem Meeresgrund, und zwar dicht bei einigen Felsen. Such sie, öffne die Truhe und hole den Würfel hervor! Dann kommst du wieder hoch. Es hat keinen Sinn für dich, auf die Küste zuzuschwimmen. Du hast für zwei Stunden Luft. Vielleicht könntest du sie erreichen, bestimmt sogar, aber deine Freunde müßten es büßen. Kamikaze schießt sofort.“ „Das weiß ich.“ „Dann spring.“ Ich trat zur Seite. Von Bill und Suko bekam ich letzte, aufmunternde Blicke zugeworfen, auch wenn sich der Reporter, dem es noch immer schlecht ging, ihn sich abquälen mußte. Ich kletterte auf das Gestänge. Für einen Moment stand ich bewe gungslos. Dann sprang ich und verschwand... Diejenigen, die den Würfel vor langer, langer Zeit erschaffen hatten, wußten, daß es einmal einen Kampf um ihn geben würde. Deshalb hatten sie Sicherheiten eingebaut und aus einer tiefen Gruft diejenigen hervorgeholt, deren Fleisch längst von den Körpern gefallen war. Aber sie lebten noch, nachdem die stummen Götter ihre magischen Kräfte eingesetzt hatten und ihre ehemaligen Diener zu Wächtern des zweiten Würfels machten. Im Wasser lebten sie weiter. Sie hausten in der Felsenhöhle und wollten demjenigen, der sich dem Würfel näherte, eine Todesfalle stellen.
So war es abgesprochen, daran würden sie sich auch halten. Hin und wieder verließen sie ihr Versteck, gaben sich der Unterwasserströmung hin und ließen sich durch die Tiefe treiben. Manchmal aber stiegen sie bis an die Oberfläche. Dann tauchten die kahlen Schädel dort auf, und aus den leeren Augenhöhlen glotzen sie über eine einsame, weite und wogende Fläche. Sie spürten die Unruhe, die sie auch in der Tiefe erfaßt hatte, denn sie wußten, daß jemand unterwegs war, um den zweiten Würfel zu stehlen. Er kam immer näher, und sie erinnerten sich daran, daß es galt, demjenigen, der den Würfel stehlen wollte, eine Todesfalle zu bereiten. Sie hatten ihn sogar gesehen, eine Waffe auf ihn geschleudert, doch der Mensch war schneller gewesen. Im Wasser aber würden sie schneller sein. Und so lauerten sie auf ihn... Die Tiefe schluckte mich und damit auch eine andere, fremde, schweigende Welt. Sie war nicht dunkel, aber auch nicht hell. Ich kam mir vor wie in einem Aquarium eingeschlossen und sah über mir den Kiel des Bootes allmählich zu einem Schatten zusammenschmelzen, bis er vollständig verschwunden war. Die auf die Wasserfläche fallenden Sonnenstrahlen verloren immer mehr an Helligkeit. Und nach wenigen Yards bereits konnte ich auch diese Streifen nicht mehr sehen. Ich war allein in einem gläsern wirkenden, unendlich weiten Gefäng nis. Atmen konnte ich nur mehr durch das Mundstück. Wenn ich die Luft, die anders schmeckte, ausstieß, sah ich den Blasen und Perlen nach, die in die Höhe stiegen und längst zerplatzt waren, bevor sie die Oberfläche erreichten. Herrlich klar war das Wasser. Konturenscharf konnte ich sehen, entdeckte zahlreiche Fische, die meinen Weg kreuzten, keine Angst zeigten und mich aus ihren Glotzaugen anstarrten. Ich schwamm der Tiefe entgegen. In einem schrägen Winkel und nicht zu schnell. Hoffentlich war der Atlantik an dieser Stelle nicht zu tief, denn der Wasserdruck auf meinem Körper verstärkte sich mit jedem Meter, den ich tiefer glitt. Vor mehr als 10 000 Jahren hatte der Meeresboden sicherlich noch nicht so ausgesehen als zu meiner Zeit. Die Sandbänke unter mir hatte es zu meiner Zeit noch nicht gegeben. Das Wasser wurde dunkler. Schatten erschienen in meiner Nähe. Es waren bereits die ersten Felsen, die meinen Weg wie stumme Zeugen begleiteten. Ich schwamm hin und wieder näher an sie heran und
erkannte, daß sie nicht so glatt waren, wie sie aus der Ferne aussahen. Sie waren von zahlreichen Spalten, Rissen und Klüften durchsetzt. Auch Vorsprünge sah ich. Sie wirkten wie breite Nasen oder kleine Plattformen. Über eine Plattform schwamm ich hinweg. Das Gestein war fest und gleichzeitig porös. Ich schwebte weiter, erkannte ein Loch in der Fels wand, hütete mich aber, hindurchzuschwimmen und glitt weiter durch die herrliche Stille unter Wasser. Jetzt konnte ich auch die Menschen verstehen, die für ihr Leben gern tauchten. Sie genossen es, in der Stille dahinzugleiten und eins zu sein mit der Weite des Meeres. Auch mich überkam eine stille Freude, die allerdings von dem Wissen um eine eventuelle Gefahr überschattet wurde. Man hatte mir nicht umsonst diese verdammte Aufgabe übertragen. Wenn ich den zweiten Würfel tatsächlich fand, war es noch immer nicht sicher, daß ich ihn auch in die Hand bekam. Der Felsen blieb zurück. Den Meeresgrund sah ich noch immer nicht und ließ mich nach vorn kippen, bewegte die Beine und stieß noch steiler in die Tiefe. Es wurde auch dunkler. Leider hatte man mir keine Unterwasserlampe mitgegeben, ich sah die Umgebung nur durch die Scheibe meiner Taucherbrille. Wieder vergingen Minuten. Von der Truhe, in der der Würfel stecken mußte, hatte ich bisher noch immer nichts gesehen. Körperlich fühlte ich mich wohl. Mein Kreislauf war stabil, und er hatte sich auch an die anderen Verhältnisse gewöhnt. Nur im Kopf spürte ich den leichten Druck, der sich allerdings ertragen ließ. Unter mir befand sich jetzt ein großer Schatten. So weit mein Blick reichte, lag er dort wie ein Teppich. Es gab nur eine Erklärung dafür. Ich sah den Meeresgrund. Noch schneller tauchte ich, von einer Hoffnung beflügelt. Für einen Moment dachte ich an das Skelett, das mich hatte mit der Lanze töten wollen. Es war wieder im Meer verschwunden, und ich fragte mich, ob es mich ein zweites Mal angreifen würde. Nur hatten wir auf dem Boot eine gehörige Strecke zurückgelegt. Ob das Skelett sie schwimmend so rasch schaffte, daran wollte ich nicht glauben. Ich erreichte den Grund. Da ich mich hingestellt hatte, verschwanden meine Schwimmflossen in dem weichen Sand und wirbelten ihn auch in die Höhe. Die Wolken reichten mir bis an die Knie, bevor sie sich weiter verteilten. Ich schwamm wieder. Dicht über dem Meeresboden glitt ich dahin. Er war nicht leer. Ich wurde wieder an das Bild im Würfel erinnert, als ich
die zahlreichen Felsbrocken und Steine sah, die mir wie übergroße Köpfe vorkamen. Auf einem dieser Steine hatte auch die Truhe gestanden, in der der Würfel liegen sollte. Noch sah ich ihn nicht, auch wenn ich meinen Kopf von einer Seite auf die andere drehte. Dafür sah ich einige Seepflanzen, deren lange Arme sich in der Unterwasserströmung wie schläfrig wirkende Tentakel eines Riesenkraken bewegten. Viel weiter wollte ich nicht schwimmen und nahm mir vor, einen großen Kreis zu drehen. Wenn ich die Truhe nicht in dieser Gegend fand, wollte ich die Suche aufgeben. Lautlos glitt ich dahin. Einmal passierte ich einen regelrechten Wald aus Tang. Auch hier wiegten sich die langen Blätter in der Strömung. Ich hütete mich, zu sehr in die Nähe des Tangwaldes zu gelangen, auch wenn sich die hohen Pflanzen lockend in meine Richtung neigten. Aber das war genau die Gefahr. Den Wald passierte ich. Mein Blick wurde freier. Die Felsen waren hier nicht mehr so hoch, sondern lagen auf dem Grund verteilt. Keiner sah so aus wie der andere. Irgendwie unterschieden sie sich alle. Manche waren vom Wasser so geformt worden, daß sie schon an kleine Kunstwerke erinnerten. Bis auf einen Felsen, der leuchtete. Er befand sich vor mir, und ich glaubte schon an eine Täuschung, schwamm näher heran, das Leuchten nahm zu, und plötzlich sah ich genau das Bild, das mir schon einmal der Würfel des Unheils gezeigt hatte. Auf einem Stein stand die Truhe! In ihrer Farbe stimmte sie fast mit der des Würfels überein, auch wenn ihr Rot mehr einen Stich ins Blutige zeigte. Wichtig für mich war, daß sie überhaupt existierte und damit wahrscheinlich auch der zweite Würfel in ihrem Innern lag. Plötzlich klopfte mein Herz schneller. Es lag nicht an der Tiefe, sondern an der Aufregung, die mich gepackt hielt. Wäre ich nicht unter Wasser gewesen, hätte sicherlich Schweiß auf meiner Stirn gestanden, so aber zeichneten nur die Luftblasen meinen Weg, als ich waagerecht auf das Ziel zuschwamm. Trotz meiner Freude über den Fund ließ ich die Vorsicht nicht außer acht. Ich schaute mich um, konnte aber nichts erkennen, das auf eine Gefahr hingedeutet hätte. Mich umgab weiterhin eine schweigende, mir manchmal leer vorkommende Welt, die trotzdem einen gewissen Reiz besaß und auch, wenn ich genauer hinschaute, sehr interessant war. Aber die Truhe überschattete alles. Sie barg dieses uralte Geheimnis, das ich lüften sollte.
Keiner konnte es mir verübeln, daß ich mich in diesen Augenblicken wie ein großer Entdecker fühlte, der dicht vor seinem Ziel stand, für das er jahrelang gearbeitet und geforscht hatte. Ich hätte jubeln können, so aber hielt sich meine Freude in Grenzen, und mein Verstand begann logisch zu arbeiten. Wenn es mir gelang, den Würfel tatsächlich in den Besitz zu bekommen, sollte ich tatsächlich hochsteigen und ihn selbst zerstören, wie es von mir gefordert worden war? Nein, auf keinen Fall. Ich überlegte mir schon jetzt einen Ausweg aus dieser Lage. Akim Samaran hatte bisher gewonnen, er verließ sich zu sehr auf seinen Leibwächter Kamikaze, aber ich war schließlich noch da. Der zweite Würfel wäre durch den ersten neutralisiert worden, der erste durch den zweiten. Auf den Schiffsplanken lagen meine Sachen und unter ihnen die Beretta. Ich hoffte, daß dies noch da sein würde, wenn ich auftauchte. Ein paar letzte Bewegungen mit den Beinen, dann hatte ich den Rest der Strecke überwunden. Meine ausgestreckten Hände berührten bereits den Stein, auf dem die Truhe lag. Nun sah ich aus nächster Nähe, daß von ihr ein gewisses Leuchten ausging. Es hielt auch den Stein erfaßt, schimmerte dort allerdings nicht rot, sondern war durch die Farbe des Wassers verändert worden, so daß es auch einen grünlichgelben Farbton angenommen hatte, der seinen Schein auf den Stein legte. Über mir stiegen gluckernd die Blasen hoch. Das alles interessierte mich nicht. Meine Hände wanderten höher, umfaßten die Truhe, und mit den kalten Fingerspitzen suchte ich nach dem Schloß, das, als ich es vom Moos befreit hatte, messingfarben leuchtete. Vielleicht war es verschlossen, aber ich sah keinen Schlitz, in den ein Schlüssel hineingepaßt hätte. Wahrscheinlich brauchte ich nur die obere Seite des Schlosses in die Höhe zu drücken, um den Deckel abheben zu können. Kein Problem... Bis zu dem Augenblick, als ich rechts von mir und gewissermaßen aus dem Augenwinkel den sich bewegenden Schatten wahrnahm. Ich drehte ein wenig den Kopf, sah den häßlichen Totenschädel und auch den Speer, der sich bereits auf dem Weg zu mir befand... Unter Wasser kann man nicht so schnell reagieren wie normal. Das ist ein Nachteil, der allerdings dadurch ausgeglichen wurde, daß es auch ei nem Gegner so ergeht. Deshalb hatte ich das Gefühl, als würde der geworfene Speer in einem Zeitlupentempo auf mich zukommen, aber auch ich war kaum schneller. Zwar verdrehte ich meinen Körper, warf mich auch nach hinten, sah die
blubbernden Luftblasen vor dem Sichtfenster und drückte mir selbst die Daumen. Es half nichts. Der verdammte Speer erwischte mich. Wahrscheinlich hatte er mich in den Rücken treffen sollen. Durch meine Drehung war ich ihm entgangen und wurde dafür in Bauchhöhe erwischt. Die Lanzenspitze riß erst einen Streifen in den dünnen Neoprenanzug, bevor sie mit meiner Haut in Berührung kam, mich verletzte und eine blutige Schramme hinterließ. Links neben mir verschwand die Waffe bis zur Hälfte im Sand des Meeresbodens. Jetzt besaß das Skelett keine Waffe mehr. Ich achtete nicht auf meine Schmerzen und drehte mich so um, daß ich den Knöchernen anschauen konnte. Unter Wasser wirkte sein Schädel nicht mehr hell oder bleich, sondern grünlich, wie von einer Schimmelschicht überdeckt. Ich schwamm auf das Skelett zu, das sich komischerweise nicht von der Stelle rührte. Gerade diese Haltung warnte mich. Blitzschnell tauchte ich unter ihm weg, bevor mich ein Knochenfinger streifte. Daran hatte ich gut getan, denn nach der folgenden Drehung starrte ich in die entgegengesetzte Richtung und sah das Verhängnis. Zu beiden Seiten der Truhe kamen die nächsten Skelette aus der Tiefe mit ihren Waffen... Akim Samaran schaute nach, bis er von seinem Feind John Sinclair nichts mehr sah. Dann trat er von der Reling zurück, drehte sich um und starrte Bill und Suko an. Auf seinen dünnen Lippen lag dabei ein kalt wirkendes Lächeln. „Er macht es“, sagte der Mann. „Er muß es einfach machen und den Würfel hocholen. Es sei denn, ihm ist euer Leben nichts mehr wert. Und das ist es doch - oder?“ „Ich weiß nicht“, erwiderte Suko. Samaran schüttelte den Kopf. „Lüg mich nicht an, verdammt. Ich kenne Sinclair zwar noch nicht lange, aber dafür gut, das verspreche ich dir. Er tut alles für seine Freunde.“ Samaran begann zu lachen. „Vielleicht fühlte er sich als letzter Held.“ Auf einem Klappstuhl nahm er Platz. Den Würfel legte er auf seine Knie. Die Hände ließ er nicht von dem wertvollen Gegenstand. Sie umfaßten ihn von zwei Seiten. Bill war am Boden hockengeblieben. Neben ihm lag John Sinclairs Kleiderbündel. Der Reporter hatte gesehen, was sich darunter befand, nur war es ihm mit seinen gefesselten Händen nicht möglich, an die Waffe heranzukommen. Und das ärgerte ihn.
Den Schlag hatte er verdaut, auch wenn sein Bauch an der Stelle noch ein wenig nachschmerzte. Mit einer Frage wandte er sich an Akim Samaran. „Was geschieht, wenn John Sinclair zurückkehrt?“ „Wird er den Würfel vor meinen Augen vernichten.“ „Und dann?“ „Schießt ihn Kamikaze in Stücke!“ Bill verzog das Gesicht, als er die kalte Antwort gehört hatte. So konnte nur jemand reden, der zwar aussah wie ein Mensch, in seinem Innersten jedoch eine brutale Bestie war. „Angst?“ fragte Samaran lauernd. „Nicht unbedingt.“ „Solltest du aber haben. Ich bekomme nicht alle Tage die Chance, gleich drei Gegner auf einen Schlag auszulöschen.“ „Wenn es sieben gewesen wären, hätte ich dich das tapfere Schneider lein genannt“, konterte Bill in einem Anflug von Galgenhumor, aber Spaß verstand Samaran nicht. „Soll Kamikaze noch einmal zuschlagen? Dann ist dein Schädel an der Reihe, Hundesohn.“ „Danke, mir reicht’s.“ Suko hielt, sich heraus. Wenn er nicht gerade den Killer anschaute, glitt sein Blick über das Meer, dessen graugrüne Fläche etwas von einer gewissen Endlosigkeit an sich hatte. So weit sein Blick auch reichte, er sah nur Wasser und verglich es mit einer nassen lebensfeindlichen Wüste, aus der nicht einmal mehr die flachen Buckel einiger Sandbänke oder Inseln schauten. Der Himmel bezog sich allmählich. Im Westen aber noch sehr weit entfernt, zeigten sich erste dunkle Wolkenschatten, die das gesamte Sichtfeld des Inspektors in seiner Breite bedeckte. Von John Sinclair entdeckte er keine Haarspitze. Er hatte schon damit gerechnet, daß der Geisterjäger schneller und überraschender auftauchen würde, als angenommen, doch da tat sich nichts. Der Geisterjäger blieb verschwunden, er würde seiner gestellten Aufgabe nachkommen. Für zwei Stunden hatte er Luft. Wieviel Zeit war vergangen? Suko hatte nicht auf die Uhr schauen können, er mußte jetzt schätzen und glaubte daran, daß möglicherweise eine halbe Stunde vorbei war. Ein Viertel also... Das Schiff lag nie ruhig. Es wiegte sich in der langen Dünung und im Rhythmus der Wellen. Schlecht war es weder Suko noch Bill geworden, obgleich die Gesichtsfarbe des Reporters nach wie vor einen Stich ins Grünliche besaß. „Jetzt müßte er ihn wohl gefunden haben“, sagte Samaran mehr zu sich selbst.
Bill gab trotzdem eine Antwort. „Und es sind keine Sicherheiten eingebaut worden?“ „Wieso?“ „Der Würfel ist sehr wertvoll. Wer ihn besitzt, kann Macht ausüben. Ich könnte mir auch vorstellen, daß seine Erschaffer dafür gesorgt haben, daß niemand so leicht an ihn herankommt...“ „Wer weiß“, erwiderte Samaran orakelhaft. Der Reporter war neugierig geworden. Er wollte Genaueres erfahren. „Was ist passiert?“ fragte er. „Was wird John Sinclair alles unter Wasser erwarten?“ „Er muß den Würfel finden.“ „Das wissen wir, doch ich glaube, daß jemand Sicherheiten eingebaut hat.“ Samaran warf Bill Conolly einen langen Blick zu. „Sicherheiten?“ wiederholte er. „Das kann stimmen.“ „Es kann nicht nur stimmen, es ist eine Tatsache, nicht wahr?“ Samaran nickte. „Ja, Sinclair wird erwartet. Die Geschichte erzählt von drei Aufpassern, die den Würfel behüten und beschützen. Sie halten sich in der Nähe auf, und sie werden jeden, der ankommt, genau unter die Lupe nehmen. Wenn Sinclair es schafft, diese Personen zu überwältigen, ist er wirklich gut. Wenn nicht...“ Samaran stieß ein leises Lachen aus. „Wird seine Leiche wohl irgendwann einmal hochtreiben.“ Bill bekam einen roten Kopf. Er fühlte sich auf einmal noch hilfloser, und auch Suko hatte dieser Bericht wahrhaftig keinen Spaß gemacht. Er sagte: „Davon haben Sie John Sinclair nichts gesagt.“ „Mußte ich das?“ „Nein, sicherlich nicht. Aber wäre es nicht auch in Ihrem Interesse gewesen? Schließlich wollen auch Sie den zweiten Würfel besitzen.“ „Irrtum, ich will ihn zerstören.“ „Das ist im Prinzip das gleiche. Sie müssen ihn zunächst einmal besitzen, um ihn zerstören zu können. Das ist nicht unser Problem.“ „Stimmt genau, Chinese. Euer Problem ist ein anderes. Ihr könnt euch allmählich damit abfinden, daß der Tod in nächster Zeit zuschlagen wird.“ Samaran wirkte wie jemand, der nicht mehr weiterreden wollte. Auch die beiden Freunde stellten keine Fragen. Sie konzentrierten sich auf mögliche Fluchtchancen. Solange man sie gefesselt ließ, war es unmöglich, von Bord zu gelangen. Samaran beschäftigte sich mit seinem Würfel. Die Umwelt schien er vergessen zu haben. Er machte einen geistesabwesenden Eindruck, wobei er seinen Blick auf die Würfelfläche gerichtet hielt. Um die beiden Gefangenen brauchte er sich nicht zu kümmern. So etwas erledigte Kamikaze. Er ließ Bill und Suko nicht aus den Augen.
Auch die Mündung der MPi glotzte die Freunde an. Es war Akim Samaran anzusehen, daß er versuchte, die Kräfte des Würfels einzusetzen. Er konzentrierte sich hart und stellte eine Verbindung zwischen sich und der magischen Waffe her. Der Würfel ließ ihn nicht im Stich. Er zeigte ein Bild. Die beiden Gefesselten standen günstig. Auch Bill hatte sich mittlerweile wieder auf die Füße gequält, so daß er ebenfalls auf den Quader schauen konnte. Es war phänomenal. Wie auf einem kleinen Monitor wurde eine Szene an die Oberfläche geholt, die sich unter Wasser abspielte. Schwache Wellenbewegungen waren zu erkennen, dunkle Flecken in der Flüssigkeit, wahrscheinlich die Felsen, und lange Schatten, von denen sich einer, der kleinste, bewegte. Es war ein Schwimmer! Und da kam nur einer in Betracht. „Verdammt, das ist John!“ hauchte der Reporter. „Er ist unten. Kannst du den zweiten Würfel sehen?“ „Noch nicht“, gab Suko zurück. Auch er war von dem kaum erklärbaren Vorgang fasziniert worden. Die Umgebung hatten beide vergessen. Ihr Augenmerk galt einzig und allein dem Würfel - und John Sinclair, der inzwischen den Meeresgrund erreicht hatte. War er schon am Ziel? Die Spannung wurde auf eine nicht allzu harte Probe gestellt, da sich der Geisterjäger Sekunden später einem Punkt näherte, der innerhalb der normalen Unterwasser-Finsternis rötlich leuchtend hervortrat. Es war nicht der zweite Würfel, dies konnten die beiden ziemlich deutlich erkennen. Was dort etwas erhöht auf einem Felsen stand, konnte man als einen Kasten oder eine Truhe bezeichnen. Die Truhe war es. Das bestätigte auch Samaran. Ohne einen der Anwesenden anzublicken, flüsterte er: „Sinclair hat ihn gefunden. Ja, er hat ihn. Jetzt wird es sich entscheiden.“ Damit hatte der Mann nicht gelogen. Das Schicksal entschied sich auch. Nur anders, als die drei gedacht hatten, denn von verschiedenen Seiten wurde der einsame Mensch angegriffen. Drei Skelette schwammen auf ihn zu! Den ersten Angriff hatte ich abwehren können, wenn auch mit einer leichten Blessur als Erbe. Wenigstens war der eine Knochenmann waffenlos. Auch traf er keine Anstalten, um mich herumzuschwimmen und seine verlorene Waffe zu suchen.
Dafür waren die beiden anderen noch bewaffnet, und sie bewegten sich auf mich zu. Es wirkte grotesk, denn schwimmende Skelette konnten sich nicht so glatt und sicher bewegen wie Menschen. Hölzern kamen mir die Bewe gungen vor, aber sie erreichten dennoch Vorteile mir gegenüber, denn sie schafften es, mehr Raum zwischen sich zu bringen, so daß sie mich in die Zange nehmen konnten. Ich besaß keine Waffe, mit der ich mich hätte verteidigen können. Die Beretta konnte ich getrost vergessen, aber das Kreuz müßte es eigentlich packen. Nur befand sich dieser Talisman unter der dünnen Schicht des Neoprenanzugs. Bis ich daran gekommen war, verging Zeit, die die anderen nutzen konnten. Und so blieb mir nichts anderes übrig, als auf ihren ersten Angriff zu warten und möglichst zu versuchen, einer geschleuderten Lanze durch Körperdrehungen auszuweichen. Daß ich auf diesen Angriff zu lange wartete, merkte ich leider zu spät. Da hatte es das dritte Skelett geschafft, lautlos in meinen Rücken und damit auch in meine Nähe zu gelangen. Die Preßluftflaschen „warnten“ mich. Der Knöcherne mußte beim Schwimmen gegen sie gestoßen sein. Gnadenlose Klauen, hart wie Granit, von denen eine auch über mein Gesicht fuhr und wahrscheinlich versuchen würde, das Mundstück zwi schen meinen Lippen hervorzureißen, legte sich um meine Kehle. Wenn dem Skelett dies gelang, war ich verloren. Deshalb setzte ich alles ein, schaufelte meine Hände hoch, sah die Knochenfratze dicht vor mir, die im nächsten Moment hinter den blubbernden Luftperlen verschwand, so daß ich leider mit der rechten Hand ins Leere griff. Dafür hatte ich bei der anderen Glück. Ich erwischte den Schädel mit der linken Hand, die allerdings abrutschte, doch zwei meiner Finger verschwanden in den leeren Augenhöhlen. Während dieses Kampfes wälzten wir uns durch das Wasser. Einer versuchte dabei, den anderen wegzudrücken, ich hatte Angst um die Luftversorgung und wollte gleichzeitig den Knöchernen besiegen. Deshalb riß ich mit aller Kraft den Schädel, in dem meine Finger steckten, nach vorn. Ein Knacken vernahm ich nicht. Es kam mir aber so vor, als wäre es mir gelungen, den Kopf zu lockern und noch einmal machte ich den Versuch, auch wenn eine Klaue versuchte, den Schlauch zu packen und mir das Mundstück aus den Lippen zu reißen. So gut es möglich war, wuchtete ich bei dieser Attacke meinen Körper nach hinten, ließ die Finger weiterhin in den Augenhöhlen stecken, war von Blasen umgeben und spürte den Ruck, der sich auch durch meine Hand fortpflanzte. Mit dem Rücken berührte ich bereits den Grund, wo
der Sand aufgewühlt wurde und an dem Felsstein wolkenartig in die Höhe quoll. Hastig drückte ich mich zur Seite, weil ich den Blick freihaben wollte. Und dann sah ich den Schädel. Der abgerissene Totenkopf trudelte auf mich zu, während der übrige Knochenkörper von einer unterirdischen Strömung erfaßt worden war und von mir weggetrieben wurde. Ob der Knöcherne letztendlich erledigt war, wußte ich nicht. Der war mir auch egal, denn ich hatte die beiden anderen bewaffneten Skelette nicht vergessen. In Grundnähe blieb ich, rollte mich dort herum und hatte Glück, daß ich die verlorene Lanze des Knöchernen fand. Sie rutschte mir praktisch in die rechte Hand. Jetzt war auch ich bewaffnet, und das mußte sein, denn gar nicht mal weit entfernt lauerte schon der nächste. Sein Speer wies direkt auf mich. Vielleicht wollte er zustechen oder die Lanze schleudern. Ich jedenfalls tat etwas, das er wohl kaum erwartet hatte. Ich schwamm auf ihn zu! Meine Beine bewegten sich im Froschrhythmus. So schnell wie mög lich wuchtete ich mich voran durch die unheimlich wirkende Düsternis der geheimnisvollen Unterwasserwelt. Das andere Skelett entdeckte ich nicht. Aber das zweite wurde tatsäch lich von mir überrascht. Als es den rechten Knochenarm hob, um mit der Lanze zuzustechen, war ich bereits da. Mit dem Beutespeer wehrte ich seinen Stich ab. Ich drückte die Waffe noch nach links, machte die Bewegung zwangsläufig selbst mit, und auch das Skelett geriet aus der Kontrolle. Es rollte ebenfalls herum, ich sah meine Chance, faßte den Lanzenschaft mit beiden Händen und rammte die Waffe nach unten. Das Wort rammen stimmte nicht ganz. Das Wasser setzte mir schon Widerstand entgegen, aber auch mein knöcherner Feind kam nicht schnell genug weg. Die Spitze traf seinen Schädel. Die Schädelplatte wurde geteilt, weil ich den anderen auf der Stirn erwischt hatte. Knochenstücke fielen zur Seite. Sie waren so leicht, daß die Strömung sie erfaßte und auch wegschwemmte. Schnell schwamm ich woanders hin, denn noch lauerte der dritte Wächter. Ich sah ihn nicht. Obwohl ich in einem ziemlich großen Bogen hinein glitt, bekam ich ihn nicht mehr zu Gesicht. Vielleicht hätte ich mit einer starken Unterwasserlampe mehr Glück gehabt, in diesem Fall machten mir die herrschenden Lichtverhältnisse einen Strich durch die Rechnung. Während meiner Suche geriet ich auch an die höheren Unterwasserfel sen, die verschieden gewachsen waren und somit auch unterschiedliche
Formationen besaßen. In allen drei Dimensionen zeigten sich die Felsen jedesmal anders. Eines jedoch hatten sie gemeinsam. Es gab zahlreiche Risse und Spalten, manchmal auch schmale Durchgänge zwischen zwei nebeneinanderstehenden Blöcken, die sich ebenfalls hervorragend als Verstecke eigneten. Deshalb war ich sehr wachsam. Mein Schwimmen glich mehr einem abwartenden Schweben. Manchmal ließ ich mich auch nur tragen und nutzte dabei die Gunst der Strömung, die mich weiterdrückte. Ich erweckte Neugierde. Kleine Fische kamen in regelrechten Schwär men, die lautlos an mir vorbeiglitten. Größere Fische lugten aus den zahlreichen Spalten und Einkerbungen der Felsen und glotzten auch den Luftperlen nach, wenn sie über mir in die Höhe stiegen. Von dem dritten Gegner sah ich noch immer nichts. Rechts von mir befand sich der Felsen mit der Truhe. Sie schien mich locken zu wollen, ihre rote Farbe glich einem Signal, doch ich war auf der Hut. Noch einmal schwamm ich den Kreis, ohne auf den Knöchernen zu stoßen. An eine Flucht seinerseits wollte ich nicht glauben. Er war dazu eingesetzt worden, den Würfel zu behüten und zu bewachen. So etwas würde er durchhalten bis zu seinem bitteren Ende. Der Schwarm kleiner Fische kehrte zurück. Trotz der Düsternis glänzte und glitzerte die Menge an Fischen, als würde sie aus zahlreichen Silberplättchen bestehen. Sie kamen schnell näher. Ich will nicht gerade behaupten, daß ich Angst bekommen hätte. Normal war es für mich nicht, mich einem solchen Schwarm entgegenzustellen. Zum Ausweichen blieb mir einfach nicht die Zeit. Ich tauchte unter ihm weg. Über mir befand sich plötzlich die zitternde Wand. Ich hatte den Grund erreicht, schaute noch einmal hoch und sah den längeren Schatten. Es war das dritte Skelett. Geschickt hatte es sich innerhalb des Fischschwarms verborgen gehal ten und auf einen günstigen Augenblick gewartet. Der war jetzt gekom men, denn ich drehte dem Knöchernen die Seite zu. Für ihn eine günstige Angriffsposition. Auch die verdammte Lanze trug er noch, ich sah ihre Spitze praktisch zwischen seinen beiden leeren Augenhöhlen und wie sie auf mich zielte. Ich rollte mich zusammen, brachte vor allen Dingen den Kopf aus der Zielrichtung und schoß dann schräg hoch, hinein in den Fischschwarm, der sich irritiert zeigte, aus der Formation geriet, und ich nichts mehr erkennen konnte, weil die kleinen, glitzernden Leiber um mich
herumschwirrten. Durch den Schwarm schwamm ich. Heftig stieß ich mich dabei mit den Beinen ab, ließ den Schwärm auch hinter mir zurück, drehte mich und schaute schräg in die düstere Tiefe. Das Skelett war noch da. Leider hielt es sich an einem Platz auf, den eigentlich ich hatte einneh men wollen. Der Knöcherne befand sich direkt an dem Stein, auf dem auch die Truhe stand, und er war dabei, die kleine Kiste zu öffnen, wahrscheinlich, um den Würfel an sich zu nehmen. Wenn das passierte, hatte ich verloren... In der ganzen Zeit unter Wasser war ich noch nie so schnell geschwommen, wie in den nächsten Sekunden. Ich mußte den Knöchernen einfach erreichen, bevor es ihm gelang, die Truhe zu öffnen. In der linken Klaue hielt er den Lanzenschaft. Mit den rechten Kno chenfingern machte er sich am Verschluß zu schaffen, hatte ihn bereits losgehakt und schob ihn hoch. Dann klappte er den Deckel auf. Ich hatte inzwischen die Hälfte der Distanz zurückgelegt. Für einen sicheren Treffer mit der Lanze war die Entfernung noch zu groß. Das Wasser besaß einfach eine zu große Bremswirkung. So blieb mir nur noch eines übrig. Ich mußte schneller schwimmen. Schräg von oben kam ich und konnte deshalb auch in die offene Truhe schauen. Etwas schimmerte in ihrem Innern. Es war der zweite Würfel, man hatte mich also nicht angelogen, und die Knochenklaue des Skeletts tauchte in das Innere der Truhe. Ich schleuderte meine Lanze. Mir war es jetzt egal. Mein Arm wurde gestreckt, ich spürte die An spannung der Muskulatur bis in meine Schulter hinein, verfolgte den Weg der Lanze und sah, daß sie traf. Leider nur den Felsen. Doch mein Gegner war irritiert. Er hielt in seinen Bemühungen inne, drehte den Knochenkopf und schaute mir entgegen. Ich erreichte ihn. Zwar waffenlos, aber auch der Knöcherne war nicht so schnell, als daß er mir seine Lanze hätte in den Leib rammen können. Mit beiden Händen bekam ich seinen Schädel zu fassen, riß die Gestalt herum, drückte sie gegen den Grund, hielt ihn dort nur mit einer Hand mehr fest, nahm die linke, packte sein rechtes Gelenk, wuchtete den Knochen gegen mein angezogenes Knie und brach den Arm mittendurch. Das letzte Stück mit der Lanze fiel ab. Ich brauchte sie nur aus der Klaue zu ziehen.
Eine Sache von einer Sekunde. Danach gab es für mich kein Zögern mehr. Dieser Kampf hatte mich schon zuviel Zeit gekostet. Ich wollte ihn endlich beenden, holte aus und jagte die Speerspitze direkt in den bleichen Schädel meines Gegners. Er zersplitterte. Mit den breiten Schwimmflossen trat ich die Reste zur Seite, die im aufgewühlten Sand versanken. Das war erledigt. Jetzt konnte ich mich um meine eigentliche Aufgabe kümmern. Um den zweiten Würfel! Der Knöcherne hatte gute Arbeit geleistet, da ich die Truhe nicht erst zu öffnen brauchte. Wieder einmal wurde ich von einem kaum erklärbaren Gefühl gepackt. Man konnte es als einen erhebenden Augenblick bezeichnen, denn ich befand mich dicht neben einem Wunder der Magie. Schon den ersten Würfel hatte ich als Tatsache akzeptieren müssen, ohne seine Funktion je recht begreifen zu können. Und jetzt stand der zweite, der dem ersten aufs Haar glich, zum Greifen nahe vor mir. Ich brauchte nur noch zuzupacken. Noch einen letzten Blick warf ich auf die Reste des dritten Skeletts. Es waren tatsächlich Reste geblieben. Sie hatten sich nicht mehr auf magische Art und Weise zusammengefügt, so daß ich von dieser Seite her keine Gefahr mehr zu erwarten brauchte. Der Felsblock, auf dem die Truhe ihren Platz gefunden hatte, war nicht sehr hoch. Wenn ich Kontakt mit dem Grund behielt, die Arme ausstreckte, die Hände dabei beugte, gelang es mir, in den Kasten hineinzufassen. Ich umklammerte den Würfel. Wäre ich nicht unter Wasser gewesen, ich hätte aufgestöhnt, denn wie lange hatte ich darauf verzichten müssen. Welche Hetzjagd hatte es nach dem ersten Würfel gegeben, der mir mal gehört hatte, nachdem Jane Collins gerettet worden war. Das alles lag zurück. Der Spuk und sein Diener Akim Samaran hatten sich des Würfels bemächtigt und mir das Nachsehen gegeben. Nun besaß ich das Duplikat und fragte mich, ob es tatsächlich die gleichen Kräfte barg wie der Originalkörper. Behutsam hob ich den Würfel aus der Truhe. Ob er gewichtsmäßig mit dem Original übereinstimmte, konnte ich nicht feststellen. Unter Wasser wurden die Gesetze der Physik zwar nicht aufgehoben, von mir jedoch anders empfunden. Er kam mir leicht vor, beinahe schwerelos. Ich brachte ihn dicht an mein Sichtfenster, um ihn schon jetzt einer ersten, kurzen Prüfung zu
unterziehen. Einen direkten Unterschied stellte ich nicht fest. Zudem wurde das hier unten vorherrschende Restlicht noch so gebrochen, daß auch die Farbe nicht naturecht wirkte. Mich interessierten besonders die eingeschlossenen Schlieren. Selbst sie konnte ich kaum erkennen. Wichtig war, daß ich den Würfel zunächst einmal hatte und mit ihm irgendwohin schwimmen mußte. Ich klemmte ihn mir unter den linken Arm und tauchte vorsichtig auf. Ich mußte langsam schwimmen und Pausen einlegen, um meinen Körper an den sich verändernden Wasserdruck anpassen zu lassen. Fische umschwärmten mich. Eine bunte Vielfalt hatte sich versammelt. Keine großen, gefährlichen Meeresräuber, aber auch keine so interessanten Fische, wie man sie in den Korallenmeeren findet. Wenn ich mir vorstellte, daß ich mich in einer vergangenen Zeit befand, konnte ich schon ein mulmiges Gefühl bekommen. Ich dachte darüber nach, was ich unternehmen sollte. Okay, das große Ziel war erreicht. Ich hatte den zweiten Würfel gefunden. Gehorchte ich den Befehlen der anderen, mußte ich nach dem Auftauchen den Würfel abgeben oder ihn selbst zerstören. Zu keinem der beiden Dinge hatte ich Lust, deshalb suchte ich nach einer dritten Lösung, die auch für meine beiden Freunde und mich annehmbar war. Zur Küste zu schwimmen, das hätte ich möglicherweise geschafft, nur wäre damit nichts gewonnen gewesen. Deshalb blieb mir nichts anderes übrig, als es darauf ankommen zu lassen. Das hieß, zurück auf das Schiff und es auskämpfen. Gegen Samaran, Kamikaze und den echten Würfel des Unheils. Dabei war mir nicht einmal bekannt, ob sein Doppelgänger ebenso funktionierte wie der eigentliche Würfel. Während ich auftauchte, war es um mich herum heller geworden. Noch konnte ich den Schatten des Kiels nicht erkennen, und meine Gedanken beschäftigten sich weiterhin mit dem Würfel und seiner Funktion. Die Kräfte des ersten Würfels waren mir bekannt. Wenn ich mich auf ihn und seine Macht konzentrierte, konnte ich damit praktisch Berge versetzen. Würde mir der zweite Würfel auf eine ähnliche Art und Weise gehorchen? Noch hatte ich es nicht ausprobiert, doch das ließ sich nachholen. Ich legte beide Hände um den Quader und konzentrierte mich während meines langsamen Aufstiegs auf ihn. Es war gefährlich, was ich da vorhatte. Schließlich befanden sich meine beiden Freunde auf dem Boot, aber ich wollte es auch nicht zerstören, sondern nur eine Funktion prüfen.
Mit dem Todesnebel hatte es eigentlich begonnen. Der Nebel sorgte dafür, daß Menschen, die mit ihm in Berührung ka men, zu Skeletten wurden, wobei sich ihre Kleidung und das Fleisch vor den Augen des Zuschauers auflösten. Auch hier wollte ich es mit dem Nebel probieren. Wenn der zweite Würfel das Gegenstück zum ersten war und ebenfalls immense Kräfte besaß, mußte er auch in der Lage sein, den Nebel zu produzieren. Und dies ebenfalls unter Wasser. Also dachte ich an den Nebel. Es war ein Versuch, ich wollte auch nichts damit zerstören, dachte nicht mehr an meine unnatürliche Umgebung, bewegte die Beine automatisch und konzentrierte mich einzig und allein auf den Würfel. Bisher hatte ich diesem Gegenstand ziemlich neutral gegenübergestanden. Nun war ich dabei, mit ihm eine Verbindung einzugehen. An das unnatürliche Atmen hatte ich mich längst gewöhnt. Auch an die absolute Stille unter Wasser. Letzteres kam mir sogar für meine Pläne entgegen. Fast körperlich spürte ich den Strom, der sich zwischen uns beiden aufgebaut hatte. Es war ein Kribbeln, das durch meine Arme rann. Den Würfel trug ich weiterhin zwischen beiden Händen, und zwar dicht vor der Sichtscheibe meiner Taucherbrille. Ich wollte ihn sehen, wenn ich damit begann, seine Kraft auszuspielen. Es tat sich etwas. In seinen Flächen bewegten sich die feinen Schlieren. Ein kurzes Zucken nur, mehr geschah nicht, aber es zeigte mir an, daß seine Kräfte noch vorhanden waren. Diese Schlieren nahmen meine Informationen auf. Gedankliche Befehle, die sie in die Tat umsetzen sollten, und ich wartete gespannt auf das Erscheinen des Todesnebels. Noch war das Wasser klar. Keine Wolken quollen aus dem Würfel, um sich auszubreiten. Der Nebel hielt sich zurück, obwohl ich ihn herbeiwünschte. Mir kam es vor, als stünde eine gewaltige Kraft dagegen. Eine Kraft, die ebenso groß war wie die meines Würfels. Ich versuchte es mit mehreren Anläufen. Nichts gelang. Der Würfel wollte mir gehorchen, aber er schaffte es einfach nicht. Man hatte ihn neutralisiert. Ich konnte mir vorstellen, wem ich das verdankte. Über mir hockten Samaran und Kamikaze in dem Boot. Sie würden schon dafür sorgen, daß ich nicht eingreifen konnte. So ließ ich es bleiben. Meine Gedankenströme flachten ab. Sekundenlang spürte ich eine
Leere in meinem Kopf. Möglicherweise ein Zeichen der Depression. Ich hatte mir eben zuviel vorgenommen. Samaran war nicht zu unterschätzen, aber ich hatte feststellen können, daß dieser Würfel, den ich in der Truhe gefunden hatte, durchaus seine Macht und Kraft besaß. Ich ließ die Arme sinken. Für einen Moment war ich versucht, den Quader einfach fallen zu lassen, doch diese kurze Spanne der Depression ging vorbei. Mein Kampfeswille breitete sich wieder aus. Wenn nicht so, dann eben anders, sagte ich mir und näherte mich dem Schiff. Seinen Kiel entdeckte ich noch immer nicht über mir, obwohl das Wasser schon ziemlich hell geworden war. Ein Zeichen, daß ich mich nahe der Oberfläche befand und sie bald erreicht haben würde. Noch wenige Stöße mit den Beinen, dann war es geschafft. Ich hielt dicht vor dem Auftauchen noch einmal inne. Vorsichtig steckte ich den Kopf aus dem Wasser, hatte Glück, daß meine Gegner nicht in meine Richtung schauten und legte mich auf den Rücken. Dabei stellte ich fest, daß die Sonne wieder ein Stück weitergewandert war. Ihre Strahlen fielen in einem anderen Winkel auf das Wasser und blendeten mich. Wassertretend drehte ich mich. Über das Sichtfenster der Tauchermaske rannen Tropfen nach unten. Die Wärme der Sonnenstrahlen spürte ich auf meinem Gesicht, es hätte alles wunderbar sein können, wäre nicht das Schiff gewesen, das ich links von mir sah. Es lag dort wiegend auf der langen Wellenmündung und befand sich ziemlich weit von mir entfernt. Jedenfalls würde man von Bord des Kahns aus Mühe haben, mich überhaupt zu sehen. Ich wollte an Bord. Mein Plan stand fest. Wenn ich es schon in der Hand hatte, wollte ich nicht nur einen, sondern gleich zwei Würfel erobern. Damit waren alle Probleme aus der Welt geschafft. Ein gewagtes Unternehmen, dessen Chancen nicht gut standen, da auch die Gegenseite sehr aufmerksam sein würde. Aber immer noch besser, als an Bord zu klettern und mich gefangennehmen zu lassen. Also tauchte ich wieder. Die Richtung hatte ich mir gemerkt. Zum Glück war die Strömung in diesem Teil der See nicht so groß, als daß ich nicht hätte gegen sie anschwimmen können. Ich tauchte nicht sehr tief. Aber man würde mich auch von Bord des Schiffes schlecht erkennen können. Das Risiko waren die Luftblasen. Wenn sie an der Oberfläche zerplatzten, war das mit einem geübten Auge schon zu sehen. Darauf konnte ich keine Rücksicht nehmen. Mit einer leichten Beklemmung in der Brustgegend schwamm ich meinem Ziel entgegen...
An Bord war es in den letzten Minuten ruhig geworden. Selbst Kamikaze wurde es leid. Er wollte nicht mehr und nahm auf einem kleinen Hocker Platz. Die MPi hatte er schräg über seine Oberschenkel gelegt, den Finger am Abzug haltend. Dieser Mann besaß die Geduld eines Engels. Er hatte Suko und Bill bisher nicht aus den Augen gelassen und gab sich auch bei seiner bequemen Haltung nicht lässiger. Samaran konnte sich auf ihn verlassen. Und das mußte er, da er für die Gefangenen keinen Blick besaß. Ihm ging es um den Würfel. Auch er stand nicht mehr. Gebannt starrte er auf die Fläche. Seine Lippen zuckten, in den Augen lag ein Leuchten, das man nur mit dem Wort fanatisch umschreiben konnte. Die beiden Freunde hatten sich einige Male bestimmte Blicke zugeworfen. Sie sprachen zwar nicht miteinander, aber sie verständigten sich auch ohne Worte. Beide dachten das gleiche. Samaran mußte Kontakt zum ersten Würfel beziehungsweise auch zu John Sinclair haben, der ihn gefunden hatte. Leider verriet der Mann nichts von dem, was er innerhalb seines Würfels entdeckte. Zwar bewegten sich hin und wieder seine Lippen, Worte verstanden Suko und Bill nicht. Über das Gesicht des Reporters zuckte hin und wieder ein Ausdruck, der von dem Schmerz zeugte, den Bill empfand. Seine Gelenke waren durch den harten Draht zusammengebunden. Das Fleisch spürte er bereits nicht mehr. Es schien abgefallen zu sein. Auch das Blut war längst trocken und hatte eine Kruste gebildet. Doch die Schmerzen blieben. Und die konnte der Reporter nicht so gut kaschieren und unter Kontrolle halten wie Suko. Der Chinese merkte, was seinen Freund quälte. So leise, daß nur Bill etwas verstand, sagte er: „Halte durch, Tiger! Wir schaffen es. Zudem ist John auch noch da.“ „Hoffentlich.“ „Da brauchst du dir doch nur Samaran anzusehen. So wie er reagiert, muß er etwas entdeckt haben.“ „Meinst du?“ „Klar.“ Sie schwiegen, denn Kamikaze hatte etwas gehört. Er schaute sie noch schärfer an, wollte sich erheben, als Samaran ihm unbewußt einen Strich durch die Rechnung machte. „Ja, ja, er hat ihn! Er hat es geschafft. Glückwunsch, Sinclair. Ver dammter Glückwunsch...“ Bill konnte den Mund nicht halten. „Und die drei Skelette?“ fragte er.
„Sind nicht mehr da. Euer Freund hat sie vernichtet. Ich habe doch auf den richtigen Mann gesetzt.“ Samaran leckte über seine Lippen. Die Zungenspitze sah grau aus. „Nur stehen wir auf verschiedenen Seiten. Was würde wohl geschehen, wenn wir zusammenarbeiteten?“ Er lachte krächzend. „Wir würden die Welt aus den Angeln heben. Diese verdammte Welt würde uns gehören, und wir könnten all die vernichten, die uns im Wege stehen. Herrscher eines Planeten, das ist mein Ziel...“ Wer ihn so reden hörte, hätte ihn für übergeschnappt halten können. Das war Samaran nicht. Durch den Würfel war ihm ein Machtinstrument in die Hand gegeben worden, das es ihm tatsächlich ermöglichte, diese Dinge durchzuführen. Ihm konnte die Welt gehören, wenn man ihn ließ. Ihm und auch seinem Meister, dem Spuk. Ein hohes Kichern ließ die drei anderen Männer aufmerksam werden. Samaran sah mehr als sie, sosehr sich die Freunde auch den Hals verrenkten, erkennen konnten sie nichts. „Ob John Ärger hat?“ hauchte Bill. „Kann schon möglich sein“, bekam er zur Antwort. „Ja, er hat Ärger!“ Samaran hatte die Frage vernommen, sprang auf und starrte die beiden an. Suko, beileibe kein ängstlicher Mensch, bekam so etwas wie eine Gänsehaut, als er in das Gesicht Akim Samarans blickte. Es zeigte eine erschreckende Gnadenlosigkeit, und aus den Augen strömte ein unwahrscheinlicher Haß. „Was ist los?“ erkundigte sich der Inspektor, der unbedingt den Grund für diese Veränderung wissen wollte, denn in den Würfel konnte er nicht schauen. „Sinclair ist verrückt!“ stieß Samaran hervor. „Er ist verrückt. Er kennt keine Grenzen mehr.“ „Das ist wohl eher bei Ihnen der Fall“, bemerkte Bill spöttisch. „Halt die Schnauze, du Schmierer!“ Samaran lachte kalt, kratzend und mit offenem Mund. „Euer Leben ist ihm nichts wert. Nein, er nimmt keine Rücksicht auf euch...“ „Wieso?“ Bill hatte die Frage gestellt und bekam auch eine Antwort. „Weil Sin clair es tatsächlich versucht, den Würfel einzusetzen. Er will wissen, wie weit er gehen kann.“ „Und?“ „Ich spüre seine Kräfte, er will ihn testen, er will etwas herbeiholen, um zu sehen, ob es tatsächlich stimmt, daß der Würfel...“ Samaran konnte es nicht fassen. Er schwieg mitten im Satz, schaute in den Originalkörper, schüttelte den Kopf und lachte leise und kichernd. „Nein, Sinclair, ich halte dagegen. Das bringst du nicht. Auf keinen
Fall...“ Und er hielt dagegen. Fast schien es so, als würde er den Würfel zerbrechen, so hart hielt er ihn zwischen den Händen. Die Flächen lagen hart gegen die Seiten gedrückt, sogar seine Knöchel waren zu erkennen, weil sie scharf hervortraten. Akim Samaran war ein Mensch. Er reagierte auch menschlich. Schweiß trat auf seine Stirn, weil er zu sehr unter Druck stand. „Du wirst es nicht schaffen“, erklärte er. „Nein, Sinclair, niemals wirst du mich hintergehen können. Ich bin besser, ich bin schneller, ich werde dir einen Riegel vorschieben.“ Keiner wußte genau, was geschehen war. Das gefiel auch den beiden Gefangenen nicht, die sich fragende Blicke zuwarfen. Sie mußten warten. Und sie erlebten dabei Samaran in Aktion. Er flüsterte immer wieder das gleiche, fluchte über Sinclair und die Versuche, alles zu seinen Gunsten zu drehen. Er hielt dagegen. Bill und Suko konnten erkennen, daß sich innerhalb des Würfels etwas tat. Zwar blieb die Farbe, aber die Schlieren lagen nicht mehr so still wie sonst. Sie waren in peitschende Bewegungen geraten, und sie mußten den Kontakt zu Samaran und damit auch zu dem zweiten Würfel hergestellt haben. Der Helfer des Spuks strengte sich an. Sein Gesicht bekam eine hochrote Farbe. An der Stirn traten sogar Adern hervor, die Mundwinkel zuckten, der Schweiß nahm noch zu, als er gegen einen für alle noch unsichtbaren Gegner kämpfte. Bis er zurückfiel. Ein Stöhnlaut drang über seine Lippen. Er schüttelte den Kopf, lachte plötzlich und senkte sein Gesicht dem Würfel entgegen, als wollte er ihn küssen. In dieser Haltung blieb er. Die Gefangenen verstanden ihn nicht. Kamikaze erging es ebenso. Dieser Mann war unsicher geworden. Er schaute einmal auf seinen Boß, dann wieder auf die Gefangenen. In seinem knochigen Killergesicht stand die Verblüffung. Er wußte nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Nur allmählich erholte sich Samaran wieder. Intervallweise und dabei zuckend drückte er seinen Oberkörper in die Senkrechte. Aus schmalen Augen starrte er über das Deck. Der Blick schien sich in einer nur für ihn sichtbaren Ferne zu verlieren. Die Freunde warteten auf eine Erklärung. Sie mußte auch kommen, aber er ließ sich Zeit. War das Gesicht vorhin noch hochrot gewesen, so hatte es sich nun geändert. Eine graue Farbe zeichnete die Haut.
Samaran sah sehr alt aus, nur wirkte er nicht gebrochen, denn auf seinen Lippen lag das kalte Lächeln. „Nein“, sagte er plötzlich. „Er hat es nicht geschafft. Er konnte es nicht schaffen. Versteht ihr?“ Suko und Bill verstanden nicht. Dementsprechend fragend waren auch ihre Blicke. Samaran ließ sich zu einer weiteren Erklärung hinreißen. „Er versuchte, den Todesnebel zu produzieren. Er wollte sehen, ob sein Würfel ebenso reagiert wie meiner. Aber da hat er sich geschnitten. Ich merkte früh genug, was er wollte und setzte dagegen. Keine Chance für ihn. Keine einzige Chance für diesen Hundesohn. Habt ihr gehört? Keine Chance. Er packte es nicht, ich war besser.“ „Wie besser?“ fragte Bill. „Ich hielt einfach dagegen“, erklärte Akim Samaran flüsternd. „Ich wollte nicht, daß der Nebel entstand, und ich brachte es fertig, den zweiten Würfel zu neutralisieren. Aber ich kann nicht überall sein. Ich kenne die Stärke. Deshalb ist es besser, wenn der Würfel zerstört wird, da ich nicht überall sein kann, wenn Sinclair versuchen würde, ihn gegen meine Pläne einzusetzen.“ „Und wo befindet er sich jetzt?“ fragte Suko. Samaran hob die Augenbrauen und drehte sich auf der Stelle. Der Blick, flog über das Wasser. „Ich weiß, daß er sich mit bösen Gedanken trägt, die unseren Abmachungen widersprechen. Er befindet sich auf dem Weg nach oben, Sinclair will auftauchen, aber anders, als wir es uns vorgestellt haben. Er kann ruhig kommen, ich mache ihm schon einen Strich durch die Rechnung. Allein der Gedanke daran, daß er sich nicht an unsere Abmachungen halten wollte, empfinde ich als eine Provokation, die mich handeln läßt.“ Sein Gesicht nahm einen lauernden Ausdruck an. „Wer von euch meldet sich freiwillig?“ „Wozu?“ fragte Bill. „Bist du so dumm oder tust du nur so? Zum Sterben natürlich. Vernichtet werdet ihr so oder so. Dabei spielen Minuten keine Rolle mehr.“ Der Zynismus dieses Mannes war nicht zu übertreffen. „Da wirst du wohl keinen Freiwilligen finden“, meinte Suko. „O doch, ich habe ihn bereits.“ „Wen denn?“ „Kamikaze“, wandte sich Samaran an seinen Leibwächter. „Mach mit dem Schlitzauge den Anfang. Erschieße ihn!“ Suko war ein Mensch, der sich beherrschen konnte. Auch als das Todesurteil über ihn gesprochen wurde, zuckte in seinem Gesicht kein Muskel. Allein Bill Conolly sah sich genötigt, rettend einzugreifen. Er wollte es wenigstens versuchen. „Hör zu, Samaran“, sagte er. „Noch ist nicht bewiesen, daß sich
Sinclair nicht an die Abmachungen hält. Verstehst du?“ „Ja, ich verstehe. Ich kenne auch deine Rettungsaktion. Aber ich habe genau gespürt, daß er uns reinlegen wollte. Auf euch nahm er nicht einmal Rücksicht. Er wollte den Würfel gegen mich einsetzen. Begreifst du das? Gegen mich?“ „Es war ein Versuch, ein Test, den hättest du auch gemacht!“ „Was gewesen war oder nicht, spielt keine Rolle. Für mich steht fest, daß er mich hatte hintergehen wollen, und so etwas zahle ich ihm gnadenlos zurück. Ich weiß, wie ich ihn am härtesten treffen kann. Und zwar durch euch. Sollte er tatsächlich kommen und den Chinesen von Kugeln durchlöchert auf den Planken liegen sehen, wird er zur Vernunft kommen.“ Samaran sprach voller Haß. Bei jedem Wort, das über seine Lippen kam, sprühte Speichel aus dem Mund. In seinen Augen leuch teten die nackte Wut und der blanke Haß. Dagegen konnte Bill nicht an. Er wußte, daß Worte zwecklos waren, und Kamikaze hatte sich bereits erhoben. Er stand wieder breitbeinig, um das lange Schaukeln des Boots auf der Dünung auszugleichen. Die kurzläufige MPi wirkte in seinen Pranken wie ein Rieseninsekt, das schwarzblau schimmerte. Suko starrte ihn an. Auch sein Blick war kalt. Er sah mit harten Augen dem Tod ins Auge und rührte sich auch nicht, als Kamikaze die Waffe um eine Wenigkeit abhob, weil er genau maßnehmen wollte. Auch Bill wußte, daß es nichts gab, das den anderen von einem Mord abhalten konnte. Verzweifelt suchte der Reporter nach einem Ausweg. Seine Gedanken schlugen in den nächsten beiden Sekunden Purzelbäume, und plötzlich hatte er eine Wahnsinnsidee. Er hoffte nur, daß er sich auf Suko verlassen konnte, aber er kannte auch die Reaktionsschnelligkeit des Freundes. Wenn er jetzt noch zögerte, bedeutete das für Suko den Tod. Deshalb sagte er laut, auch mit etwas Überraschung und Panik in der Stimme: „Da kommt John!“ Es war die Sekunde, die alle überraschte. Und Bill Conolly hatte fanta stisch geschauspielert, denn es war ihm gelungen Samaran als auch Kamikaze abzulenken. Der Diener des Spuks fuhr herum. Er wollte Sinclair sehen, auch Kamikaze zögerte mit den Schüssen. Er war ebenfalls abgelenkt, wobei er sich nicht so in der Gewalt hatte, wie es bei ihm hätte eigentlich sein sollen. Eine halbe Drehung führte auch er durch, wobei er zusätzlich noch einen kleinen Schritt zurücktrat. Das hatten Bill und Suko gewollt. Der Reporter sah, wie gut ihn der
Freund verstanden hatte. Der Inspektor „explodierte“ aus dem Stand. Seine Arme konnte er nicht bewegen. Dafür die Beine, und die waren auch nicht steif geworden, denn Suko setzte zu einem mörderischen Karatetritt an, und sein Fuß wuchtete haargenau in den Leib des Killers, wobei die Spitze noch unter den Lauf der schußbereiten MPi schlug und die Mündung in die Höhe schleuderte. Kamikaze drückte noch ab. Die Garbe fuhr in den Himmel, ohne Schaden anzurichten. Dann rammte ihn der nächste Tritt, und dieser harte Treffer riß den Killer von den Füßen und schleuderte ihn schräg über das Deck des Schiffes. Kamikaze machte dabei eine etwas unglückliche Figur. Ohne es zu wollen, schlug er um sich und wurde erst von der Wand des Steuerhauses aufgehalten. Beide wußten genau, daß sie nur eine Galgenfrist erhalten hatten. Kamikaze würde sich wieder erholen. Der konnte mehr als andere Menschen einstecken. Auch wenn er jetzt ein wenig groggy und überrascht vor dem Niedergang des Ruderhauses lag. Alles war sehr schnell gegangen. Samaran, ebenfalls völlig perplex, wurde weiß im Gesicht, doch im nächsten Moment übermannte ihn der Haß. Das sahen auch die Gefangenen. „Weg!“ schrie Bill. Da gab es nur eine Möglichkeit. Auf dem Schiff konnten sie sich nicht verstecken. Sie mußten mit gefesselten Händen über Bord hechten und versuchen, sich über Wasser zu halten und vor den Garben wegzutauchen. Auch Kamikaze wollte sie haben. Sein Chef feuerte ihn an. Er brüllte etwas von Niederschießen und verschluckte sich mitten im Satz, denn etwas trat ein, mit dem er selbst wohl nicht gerechnet hatte. Jemand kletterte an Bord. Er hatte die Außenleiter benutzt und das Sichtfenster zurückgeschoben, so daß der Mann alles erkennen konnte. „John!“ schrie Suko. Auch Bill war von meinem Auftauchen so überrascht, daß er seinen Hechtsprung verzögerte, ausrutschte, gegen die Reling prallte, sich hart stieß und ein schmerzerfüllter Keuchlaut über seine Lippen drang, bevor er sich auf die Planken legte. „Nicht schießen!“ brüllte ich. Kamikaze kniete bereits. Er hatte die MPi wieder an sich gerissen.
Sein Gesicht wirkte nicht mehr so hölzern, es zeigte sich verzerrt. Wahrscheinlich verspürte er Schmerzen und mußte auch Schwierigkeiten mit der Atmung haben. Jedenfalls war er durch mein Auftauchen überrascht. Dennoch schwenkte er die Waffe, so daß die Mündung auf mich zeigte. Samaran stand in Sicherheit. Er hielt den Würfel mit nur einer Hand und hatte den linken Arm erhoben. Vielleicht ein Stoppsignal für seinen Killer, mir konnte es nur recht sein. So kletterte ich an Bord. In meinen Augen brannte noch das Wasser, es trübte meinen Blick, und ich war auch nicht in bester Form, das schnelle Schwimmen hatte Kraft gekostet, aber ich wollte den anderen beweisen, daß mit mir noch zu rechnen war. Unter den rechten angewinkelten Arm hatte ich den Würfel geklemmt. Mit der anderen Hand umklammerte ich die Leiter, um mich endgültig an Bord zu ziehen. Waffenlos war ich im Prinzip. Nur den zweiten Würfel hielt ich fest, und er war mein großer Trumpf. Ich sollte ihn vernichten, deshalb würde sich Samaran auch hüten, sei nem Gorilla den Befehl zu geben, auf mich zu schießen. Wir warteten... Auch Suko war noch nicht gesprungen. Er stand jedoch so, als wollte er jeden Augenblick über Bord hechten, falls sich eine Chance dazu ergab. „Ich habe mein Versprechen gehalten, Samaran!“ rief ich laut. „Hier ist der Würfel.“ Mein Feind nickte. „Das sehe ich.“ „Und du wolltest meine Freunde erschießen.“ „Ja, Sinclair, weil du dich nicht an die Abmachungen gehalten hast.“ „Ich bin doch hier!“ „Und was war auf dem Weg aus der Tiefe?“ „Wieso?“ „Tu nur nicht so unschuldig. Du hast versucht, den Würfel zu manipulieren. Du wolltest sehen, wie er reagiert und den Todesnebel einsetzen. Du allein trägst die Schuld, wenn...“ „Hättest du das an meiner Stelle nicht getan?“ „Nicht wenn ich gewußt hätte, welcher Feind mir gegenübersteht.“ Damit meinte er sich wohl selbst. So unrecht hatte er nicht. Die Lage war ziemlich bescheiden, wenn nicht noch schlimmer. Einen Vorteil hatten wir erreichen können. Suko und Bill befanden sich nach wie vor an Deck des Schiffes und schwammen nicht irgendwo verzweifelt in der See umher mit ihren gefesselten Händen. Ich stand unter einer hohen Spannung. Zu vergleichen mit einem inne
ren Fieber, das mich zu verzehren drohte. Viel Zeit blieb uns nicht, aber die wollte ich nutzen. Ich hatte nicht vergessen, daß unter meiner abgelegten Kleidung die Beretta lag. Um mich nicht zu verraten, hütete ich mich, meinen Blick in diese Richtung zu schicken. Hoffentlich behielten Bill und Suko ebenfalls die Nerven. Zeit verstrich. Von uns sprach niemand. Kamikaze hatte sich wieder auf die Beine gequält und seinen Rücken gegen die Kante des Ruderhauses gedrückt. Sein Gesicht war grau geworden. Suko mußte alles in seinen Tritt hingesetzt haben. Ein anderer als Kamikaze hätte längst flach gelegen, aber dieser Unmensch hielt sich noch. Das Lächeln auf Samarans Gesicht war falsch wie Katzengold. Zudem hatte er seine Augen zu Schlitzen verengt und schaute mich lauernd an. „Ja“, sprach er, „wenn ich es recht sehe, hast du meine Bedingungen er füllt. Das, was von den stummen Göttern als Sicherheit geschaffen worden war, ist nicht mehr so sicher. Du, ausgerechnet du, Sinclair, hast den Würfel besorgt, ihn vom Meeresgrund her an die Oberfläche geholt und zu mir gebracht. Ich müßte dir dafür sehr dankbar sein, aber du hast noch nicht all meine Wünsche erfüllt...“ „Und die wären?“ fragte ich. „Der Würfel muß zerstört werden, hast du gehört? Einfach zerstört. Vernichtet, zertrümmert...“ „Soll ich ihn auf den Boden werfen?“ fragte ich. „Hüte dich, Sinclair!“ warnte er mich. „Ich lasse mich nicht für dumm verkaufen.“ „Es war nur ein Vorschlag.“ „Nein, ein Trick. Ab jetzt tust du genau, was ich dir sage. Hast du verstanden?“ „Natürlich.“ Samaran hatte noch andere Pläne. Er wandte sich zunächst an meine beiden Freunde. „Ihr geht weg!“ befahl er ihnen „und stellt euch so auf, daß ich euch im Auge behalte!“ „Wie denn?“ „Nach backbord.“ Die beiden konnten nichts anderes tun, als den Befehlen zu gehorchen. Sie würdigten mich mit keinem Blick, denn sie ahnten, daß ich verzweifelt nach Möglichkeiten suchte, aus dieser verdammten Klemme wieder herauszukommen. Noch ergaben sich keine. Ich blieb zunächst gelassen und auch abwar tend, obwohl ich innerlich unter einer sehr großen Spannung stand, die ich nur mühsam verbergen konnte. So wartete ich.
Erst als Suko und Bill ihr endgültiges Ziel erreicht hatten, war der andere zufrieden. „Jetzt zu dir, Sinclair“, sagte er. „Stell den Würfel weg!“ „Wohin?“ „Auf den kleinen Klappstuhl!“ Das war gut, denn diese Sitzgelegenheit befand sich nur eine Armlänge von meinem Kleiderbündel entfernt, unter dem die Beretta verborgen lag. Ich mußte nur die Chance bekommen, dort auch zugreifen zu können. Das würde schwer werden. Mit unsicher wirkenden Schritten ging ich zu meinem Ziel. Für einen Moment zögerte ich noch, bevor ich die Arme senkte und den Würfel abstellte. Ich betrachtete ihn mir noch einmal. Jetzt, bei Licht, erkannte ich es. Die beiden unterschieden sich tatsächlich in keinem Detail, und ich hatte nun die Chance, ein Gegengewicht zu dem Würfel des Unheils aufzubauen. Himmel, was wäre die Waffe für mich wichtig gewesen! Wie es aussah, würde ich auch an sie nicht herankommen, wie an den ersten Würfel. Ich dachte wieder an Myxin und Kara. Die Schöne aus dem Totenreich hatte mir den Tip gegeben. Weshalb, zum Henker, griff sie nicht ein? Durch die Flammenden Steine und deren Magie war es für sie ein Kinderspiel, Zeitreisen zu unternehmen. Den ersten Befehl hatte ich erfüllt, richtete mich wieder auf und schob mich dann noch weiter an mein Kleiderbündel heran. Samaran nahm dies zwar zur Kenntnis, kommentierte es nicht. Sein Sinnen und Trachten war allein auf mich und den Würfel fixiert. Er wollte sprechen und mir wahrscheinlich den nächsten Befehl geben, als ich ihm zuvorkam. „Darf ich meine Preßluftflaschen ablegen?“ „Weshalb?“ „Sie behindern mich.“ Samaran überlegte. Ich vibrierte innerlich vor Spannung. In den folgenden Sekunden würde sich alles entscheiden. Mit bereits halb angewinkelten Armen schielte ich zu Samaran hin und wartete auf dessen Reaktion. Wenn er so handelte, wie ich es wollte, mußte eigentlich alles glatt über die Bühne laufen. „Ja, leg sie ab.“ Ich hätte jubeln können, so aber nickte ich und löste die Preßluftfla schen von meinem Rücken. Den Taucheranzug behielt ich an, auch die hinderlichen Schwimmflossen, aber man konnte nicht alles verlangen. Obwohl ich weiterhin unter einer starken Nervenbelastung litt, ließ ich mir durch meine Bewegungen nichts anmerken. Ich drehte mich, während die Flaschen von meinem Rücken glitten.
Jetzt wandte ich Samaran den Rücken zu. Es ist ein psychologischer Trick, daß sich jemand sicherer fühlt, wenn der andere ihm den Rücken zudreht. Ich hoffte nur, daß auch Samaran so reagierte und tat zunächst einmal nichts, um dies zu ändern, denn gleichzeitig deckte ich durch meinen Körper auch seine Sicht auf das Kleiderbündel ab. Schräg rutschten mir die Preßluftflaschen über die Schulter. Ich legte sie nicht auf die Planken, sondern auf das Kleiderbündel, wobei ich eine Hand darunter schob und plötzlich die Beretta fühlte. „Komm wieder hoch, Sinclair!“ Samaran dauerte es zu lange, vielleicht war er auch mißtrauisch geworden, und ich kam seinem Befehl nach. Bedächtig schraubte ich mich hoch, um plötzlich schnell zu werden und herumzuwirbeln. Plötzlich wies die Mündung der Beretta genau auf Akim Samaran, und er hörte auch meine Stimme. „Ab jetzt spielt hier die Musik, Hundesohn!“ Es war wie der berühmte Treffer in den Magen. Akim Samaran konnte es nicht fassen, daß sich die Szenerie schlagartig verändert hatte. Die Chancen standen auf einmal gleich. Kamikaze besaß zwar die Ma schinenpistole und damit auch die gefährlichere Waffe, aber ich war ebenfalls mit einem Schießeisen ausgerüstet, und dessen Mündung wies unmißverständlich auf den Diener des Spuks. „Meine Kugel ist ebenso schnell wie die aus einer MPi!“ erklärte ich ihm. Er nickte, obwohl er es wohl kaum so meinte. Auf seinem Gesicht zeigten sich die Gefühle, die ihn durchtobten. Wut, Angst und auch Überraschung las ich darin, und aus dem Hintergrund vernahmen wir das zischende Atmen des Killers. Das Blatt hatte sich gewendet. Der Besitz zweier Würfel war plötzlich nicht mehr so utopisch geworden. Ich brauchte nur die Nerven zu behalten. Zum Glück war ich kein Mensch, der zum Übermut neigte. Mit fast locker klingender Stimme sprach ich Samaran an. „Los, jetzt spielt hier die Musik. Leg den verdammten Würfel aus der Hand! Oder noch besser, bring ihn her!“ „Wohin?“ „Zu dem zweiten.“ „Das schaffst du nicht, Sinclair. Nein, das schaffst du nicht. Darauf nehme ich jede Wette.“ „Ich halte dagegen.“ Er lachte nur hämisch, ansonsten tat er nichts. Dafür schoß ich. Alle erschraken, selbst Kamikaze, doch die Kugel klatschte nicht in Samarans Körper, sie fuhr dicht an seinem Kopf vorbei und verschwand in der Ferne.
„Reicht das?“ Er hatte den Kopf erhoben und nickte mir leicht zu. „Nicht schießen, Geisterjäger, ich komme.“ „Dann los!“ Er ging tatsächlich. Den Würfel hielt er zwischen seine Handflächen geklemmt, und eigentlich hätte alles normal sein können. Bis auf zwei Dinge, die mich gewaltig störten. Es war der konzentrierte Gesichtsausdruck des Mannes und die leichten Bewegungen der Schlieren im Innern des Würfels. Sie zitterten nicht wegen der Bewegungen, die sein Träger vollführte. Es war ein anderer Grund, der sie reagieren ließ. Sie wurden aktiviert und damit auch ihre Kräfte. Samaran hatte irgend etwas vor, er wollte den Würfel einsetzen. Sein verzogener Mund deutete mir an, unter welch einer Nervenbelastung er litt. „Ich werde es schaffen!“ flüsterte er. „Verdammt, ich werde es schaffen!“ „Laß es sein!“ Er ignorierte meinen Befehl, und ich konnte nicht gegen den Würfel halten, weil mir der Kontakt zum zweiten fehlte. Wenn ich ihn in die Hände nahm, mußte ich die Beretta loslassen, so hatte ich praktisch mit meiner Aktion ein Eigentor geschossen. „Brennen!“ flüsterte Samaran. „Brennen werdet ihr. Verbrennen im heißen Feuer der Magie!“ Er begann schauerlich zu lachen, während ich ihn noch einmal warnte. „Laß es, ich schieße!“ „Nein!“ Um der Sache und auch der Zukunft willen war ich in diesen Augenblicken fest entschlossen, auf Samaran zu feuern, denn es gab nur die Möglichkeit, ihn mit einer Kugel zu stoppen. Mein Fehler, daß ich einfach zu große Hemmungen besaß und deshalb zögerte. Der Würfel war schneller. Nicht aus ihm schoß das Feuer, sondern aus den Planken. Ich sprang zurück, als sie plötzlich in die Höhe geschleudert wurden und der lange fauchende Flammenstrahl mich so sehr behinderte, daß er mir die Sicht auf alles andere nahm. Schattenhaft sah ich, wie sich meine Freunde bewegten, und in das Lachen des Akim Samaran hinein peitschte die erste Salve aus der Maschinenpistole über das Deck... „Er ist kein Spiegel mehr, aber er ist brandgefährlich!“ sagte der kleine Magier in dem langen grünlicher; Mantel, als er inmitten des Quadrats der Flammenden Steine stand, sie durch seine Magie aktiviert hatte, so
daß er sich vorkam wie in einem goldenen Käfig. Myxin trug die Totenmaske aus Atlantis. Durch sie konnte er Dinge erkennen, die sich in der Vergangenheit ereigneten. Sie war gewissermaßen ein Fenster, und ihre fünf Augen leuchteten jeweils verschiedenfarbig auf. Kara stand ebenfalls bei ihm. Die Schöne aus dem Totenreich hatte das Schwert mit der goldenen Klinge gezogen und stützte sein spitzes Ende gegen den Boden, wobei sie beide Hände um den Griff geklammert hatte und ihr Gesicht von einem starren Ausdruck beherrscht wurde. Sie verstärkte die Magie. Myxin, der die Maske trug, stöhnte. Er stand auch nicht mehr still. Schwankend blieb er noch auf dem Fleck und kommentierte, was er durch die fünf „Augen“ seiner Maske erkannte. So erfuhr Kara vom Verschollensein der Freunde in der fernen Vergangenheit und auch von den Schwierigkeiten, die vor allen Dingen Suko und Bill durchmachen mußten. John Sinclair hatte man gezwungen, in die Tiefe zu tauchen, und den zweiten Würfel zu holen. Das alles konnte Myxin deshalb erkennen, weil er den magischen Kontakt aufrecht erhielt. Nur Eingreifen konnte er nicht, da ihn etwas störte. Es war einfach die anders gepolte Magie des ersten Würfels, die eine zweite nicht zuließ. So waren die beiden dazu verdammt, dem Kampf indirekt zuzu schauen, und so etwas ging auch an ihnen nicht spurlos vorbei. Besonders Kara fühlte sich auf irgendeine Art und Weise schuldig. Sie hatte dafür gesorgt, daß sich der Geisterjäger auf die Spur des Würfels setzen konnte. Es war ihm gelungen, den Quader zu finden und mit ihm an die Oberfläche zu tauchen. Das alles bekam Myxin mit. Er berichtete auch weiterhin davon, und Kara war gespannt, wie sich die Sache entwickelte. „Vielleicht wird er ihn behalten!“ flüsterte der Magier. „Vielleicht schafft er es.“ „Und wie kommt er zurück?“ „Das müßten wir versuchen. Baue eine Brücke in die Vergangenheit, Kara. Es ist die einzige Chance, falls der Würfel sie nicht wieder zurückschafft. Aber das Risiko ist zu groß.“ „Es wird schwer sein...“ „Ich weiß.“ Myxins Stimme hatte gepreßt geklungen, so daß Kara auf merksam geworden war. „Ist etwas passiert?“ „Ja, das wird es gleich. John versuchte, sich aus der Affäre zu ziehen. Es wird verdammt schwer werden, aber er setzt alles auf eine Karte. Er ist gut.“
„Kann er es schaffen?“ „Ich weiß nicht...“ Myxin schwieg, so daß Kara nichts anderes übrigblieb, als weiterhin zu warten und auch zu versuchen, mit der Magie des Schwertes den Kreis zu schließen. „Er hat seine Beretta!“ Myxins nüchtern klingende Stimme unterbrach Karas Gedankengang. „Setzt er sie ein?“ Myxin schwieg, bis er Sekunden später einen Kommentar gab. „Ja, er hat geschossen, aber nicht getroffen. Es war eine Warnung. Samaran geht jetzt auf ihn zu.“ „Trotz der Waffe?“ Karas Stimme vibrierte. Myxin gab keine direkte Antwort. Erst später flüsterte er: „Der hat etwas vor, verdammt! Samaran ist gefährlich, er wird keine Rücksicht kennen. Der Würfel, er setzt ihn ein!“ „Und John?“ „Verdammt, es geht los!“ Plötzlich drehte sich Myxin herum. In der Bewegung noch hatte er sich die Totenmaske vom Gesicht gerissen, dessen Haut nicht mehr grünlich schimmerte, sondern aschgrau wirkte. Sein Blick flackerte, sogar die dünnen Lippen zitterten. „Was ist denn?“ schrie Kara. „Er kann es einfach nicht schaffen. Nein!!!“ „Und wir?“ Für einen Moment zögerte der kleine Magier. Es schien, als wollte er sich auf die Zehenspitzen stellen. „Nimm dein Schwert, Kara, versuch es. Suche sie. Schlage die Brücke - oder...“ Die Stimme Myxins versagte, und er taumelte aus dem Quadrat... Der Killer Kamikaze sah seine Chance. Bisher hatte er sich praktisch nicht bewegen dürfen, jetzt wurde er zu einem schießwütigen Teufel, und seine Garbe peitschte schräg über das Deck, da er möglichst jeden erwischen wollte. Suko und Bill hatten richtig reagiert und sich fallen lassen. Sie lagen verkrümmt da, aber ohne Deckung. Vor mir fauchte das Feuer, und ich mußte mit meiner, im Vergleich zur MPi harmlosen Beretta gegen zwei Feinde angehen. Die Flammen, die sprühend und zischend aus dem Boden schlugen, bekamen immer neue Nahrung und fraßen sich blitzschnell weiter, und auch Samaran dachte nicht daran, sie zu stoppen. Er hatte sie erschaffen und brauchte, da er sich im Besitz des Würfels befand, auch keine Furcht vor ihnen zu haben. Deshalb trat er in die Feuersäule hinein. Ich wollte und konnte mich in den folgenden Augenblicken nicht um
ihn kümmern. Wichtiger war dieser schießwütige Killer, und der wußte genau, wie man eine Waffe handhabte und deren optimale Streuwirkung erzielte. Daß er noch keinen tödlich getroffen hatte, glich schon einem kleinen Wunder, doch in meine Richtung feuerte er nicht direkt, weil die Gefahr, seinen Boß zu treffen, einfach zu groß war. Was ich hier so lange berichte, geschah innerhalb von Sekunden, nur kann man sich überstürzende Ereignisse nicht so schnell nachvollziehen. Ich wechselte meinen Standort. Geduckt hastete ich quer über das Deck, hörte das harte Schlagen der Kugeln, kam für einen Moment aus dem unmittelbaren Blendbereich der Flammen und setzte meine Beretta ein. Drei Schüsse feuerte ich ab, während ich mich dabei auf die Knie fallen ließ. In die Mündungslichter hatte ich hineingezielt, mir sogar noch Ruhe gegeben, und was der Kerl mit seiner Ballerei bisher noch nicht geschafft hatte, brachte ich fertig. Ich erwischte ihn. Schreien hörte ich den Killer. Er sprang wie ein Hase zur Seite und war mindestens von einer Kugel erwischt worden, denn der Stoß hatte ihn bis vor die Reling getrieben. Die MPi hielt er zwar noch krampfhaft fest, doch ihre Mündung wies schräg zu Boden, und dann knickte er auch mit dem Bein ein, so daß er flach auf die Planken fiel. Tot war er nicht, nur angeschossen. Es gibt Tiere, die angeschossen gefährlicher sind als im Normalfall, und so ungefähr schätzte ich auch Kamikaze ein. Aus dem Spiel war er noch nicht, aber ich brachte es auch nicht fertig, auf den Verletzten zu feuern. Ich bin kein Killer, bei mir funktionierte die Hemmschwelle. Einen raschen Blick gönnte ich meinen Freunden. Sie hatten sich zum Glück aus dem Bereich der Flammen gewälzt und befanden sich in einer relativen Sicherheit. Jetzt war Samaran wichtig - und auch der zweite Würfel. Ich hatte mich in den letzten Sekunden leider nicht um ihn kümmern können. Samaran wollte dessen Vernichtung, wenn ich es nicht tat, würde er es übernehmen. Also zurück. Mit einem Tigersprung warf ich mich mitten in die Flammen hinein. Ich spürte ihre Hitze wie heiße Finger über meinen Körper gleiten und sah Samaran zum Greifen nahe vor mir, der ebenfalls von der Feuerwand umhüllt wurde und nicht verbrannte. Ich ebenfalls nicht. Und dann schrie ich die Formel.
„Terra pestem teneto - Salus hie maneto!“ Akim Samaran flog zurück. Die geballte Wucht einer Weißen Magie hatte ihn und den Würfel getroffen. Er war nicht getötet worden, denn der Würfel des Unheils besaß eine so immense Stärke, daß er ihn auch vor der Kraft des aktivierten Kreuzes schützte. Aber er flog, wie vom Katapult geschleudert, aus der Flammenwand quer über das Deck, schlug irgendwo auf, und ich stand wieder im Freien, denn die Magie meines Kreuzes hatte es geschafft, das Feuer zu stoppen. So wie es meinem Kreuz auch schon öfter gelungen war, sich dem Todesnebel entgegenzustemmen. Ich stand wieder normal auf dem Deck, allerdings zeigte es sich an einigen Stellen verändert. Die Planken waren verkohlt, nur mehr schwarze Fragmente, die zum Glück meinem Gewicht standhielten. Trotz seines gewaltigen Einsatzes hatte es Akim Samaran nicht ge schafft, an den Würfel heranzukommen. Der zweite, so wichtige wurde nun wieder meine Beute. Ich riß ihn an mich, hörte Bill Conolly erleichtert lachen und kümmerte mich nicht um die Freunde, so gern ich ihnen die Fesseln gelöst hätte. Ich wollte Akim Samaran. Die Wucht meiner Gegenattacke hatte ihn kampfunfähig gemacht. Lei der nicht für so lange, wie ich es gern gewollt hätte, denn er war dabei, sich an den Querstreben der Reling hochzustemmen, um wieder auf die Beine zu kommen. Das gelang ihm auch, wobei er sich festklammerte und schwankend stehenblieb. Er sah erschöpft aus, aber er besaß noch den Würfel. Fest an sich gedrückt hielt er ihn, während ich den zweiten Würfel genommen hatte und auf Samaran zuging. „Die Chancen stehen gleich!“ rief ich ihm zu. „Deinen Killer hat es erwischt, Samaran. Du bist mir einige Male entkommen. Jetzt hole ich dich!“ Meine Worte hatten zwar überzeugend geklungen, ich selbst war davon nicht so sehr angetan, denn Akim Samaran würde sich wehren. Das deutete er durch einen Ruck an. Der lief in seinen Körper hinein und schien ihm wieder Kraft gegeben zu haben, denn er spie mir seine Antwort entgegen. „Versuch es nur, Sinclair, versuch es!“ Diesmal kannte ich kein Erbarmen. Ich konzentrierte mich auf den Würfel und auch auf den Todesnebel. Er war eine sichere Waffe, das hatte ich erlebt. Man soll nie gleiches mit gleichem vergelten, ich hatte auch nicht gedacht, daß ich den Nebel selbst einmal einsetzen würde, da ich ihn haßte, doch in diesem Fall blieb mir nichts anderes übrig. Es gab einfach keine sichere Möglichkeit. Meine eigenen Schritte hörte ich überlaut. Alle übrigen Geräusche wa
ren nebensächlich geworden. Weder das Klatschen der Wellen noch das Schlagen des Wassers an die äußere Bordwand interessierten mich. Mein Blick galt einzig und allein diesem menschlichen Satan, der eine so gefährliche Waffe bei sich trug. Er schaute mich mit flackernden Augen an. Aus seinem Mund zuckte die Zungenspitze, und er starrte plötzlich auf die Oberfläche des Würfels, wobei er sich gleichzeitig auf das gleiche konzentrierte, daß auch ich vorhatte. Akim Samaran wollte mit dem Todesnebel alles auslöschen. Ich sah die ersten Schwaden bei ihm aus dem Würfel steigen bei meinem geschah das gleiche, und schon jetzt bekam ich das Gefühl, erfolglos zu sein. Wir schafften es beide nicht. Die Kräfte der Würfel neutralisierten sich gegenseitig, so daß keiner als Sieger aus diesem noch nicht richtig angefangenen Kampf hervorgehen würde. Als ich das wutverzerrte Gesicht Akim Samarans sah, mußte ich einfach lachen und sagte danach: „Jetzt hole ich mir auch deinen Würfel, Akim. Als Mensch ohne magische Waffen und Helfer bist du mir überlegen. Ja, ich weiß jetzt, weshalb du den zweiten Würfel unbedingt zerstört haben wolltest, aber das ist ein Irrtum deinerseits gewesen. Ich habe ihn und werde ihn...“ „John, paß auf!“ Ich drehte mich herum, als ich Bills Stimme hörte. Es war wie ein Schattenmuster, das aus der Tiefe zu uns in die Höhe stieg und einen wolkenartigen Ring um das Boot gelegt hatte. Die Sonne war schon verdunkelt worden, eine tödliche Dämmerung zog über diesen Teil der See. Dafür trug nur einer die Verantwortung. Der Spuk! Er war da, und er sollte zuschlagen. Da Samaran den Würfel des Unheils besaß, war er einfach zu wichtig für ihn geworden, als daß er ihn hätte im Stich lassen können, und so griff er ein, wie man es von ihm gewohnt war. Lautlos, tückisch und gefährlich. Auch Samaran hatte die Wolke bemerkt. Er begann plötzlich zu lachen, riß sein Maul weit auf, so daß in seinen Augen fast der Irrsinn flackerte. Und der Spuk machte es hart. Ich spürte zuerst das Vibrieren unter meinen Füßen. Gleichzeitig wurde Samaran vor meinen Augen in die Höhe geschleudert. Er trieb in die Wolke hinein, die sich veränderte, an einer Seite langzog und einen Dimensionstunnel bildete, der Akim Samaran vor meinen Augen
verschluckte. Das gleiche geschah auch mit Kamikaze. Er wurde ebenfalls in den Tunnel hineingewirbelt und regelrecht fortgezerrt, wobei er auf mich wirkte wie eine Puppe, der man eine Maschinenpistole in die Hand gedrückt hatte, denn von seiner Waffe wollte er sich auf keinen Fall trennen. Der große Rest der Wolke quoll über das Schiff. Er raubte uns mit einemmal die Luft, auch Bill und Suko erwischte es, die mit verzerrten Gesichtern und weit aufgerissenen Mündern über Deck rollten, um dem Gefahrenbereich zu entfliehen. Das war nicht mehr möglich, denn die Wolke schloß sich gleichzeitig über unseren Köpfen, drückte immer tiefer und sorgte dafür, daß die grausame Magie des Spuks das Boot umschloß. Dann sprach er mit dröhnender Stimme. „Du hast zwar den Würfel, Sinclair, aber ich hole dich zu mir. Freude sollst du nicht an deinem Besitz bekommen. Ich werde deine Freunde und dich quälen, martern und zu Tode foltern, bis du mich darum bittest, den zweiten Würfel zu zerstören. Das habt ihr euch selbst zuzuschreiben...“ Im gleichen Augenblick zerbrach das Schiff. Es geschah so schnell, als hätte ein Riese mit dem entsprechenden Schwert darauf geschlagen. Wir konnten uns nicht mehr halten, rutschten weg, Suko überrollte mich noch, und wir lagen plötzlich in den Wasserfluten. Hilflos, denn über uns ballte sich die Wolke noch konzentrierter zusammen, während um uns herum die gefährlichen Strudel entstanden, die ein Schiff zwangsläufig mit sich bringt, während es in der Tiefe versinkt. Auch Bills Gesicht sah ich dicht vor mir. Die beiden Freunde waren gefesselt, sie würden kaum schwimmen können, bis zu dem Augenblick, als die Wolke plötzlich aufriß und uns ein anderer Sog erfaßte. An Wunder wollten wir nicht glauben. Und es war auch kein Wunder, wenn man sich so mit der Magie auskennt wie wir. Kara und Myxin hatten die Brücke erschaffen. Der Weg zurück in die Gegenwart war frei. Die flaming stones, oft angegriffen, aber nie zerstört, hatten uns wieder einmal gerettet... Und in der Gegenwart bekamen Suko und Bill ihre Fesseln gelöst. Der Reporter stöhnte vor Schmerzen, als das Blut wieder in die schon fast völlig abgestorbenen Adern schoß. Beide bekamen Verbände, doch das war jetzt nicht so wichtig. Wir lebten, und wir besaßen etwas, das unsere Gegner auf keinen Fall unterschätzen durften. Den zweiten Würfel! Nur Bill Conolly moserte noch. Auch er wurde zufriedengestellt, denn
Myxin gab ihm später das zurück, was ihm gehörte. Die goldene Pistole. „Und jetzt“, sagte Bill, „können sie kommen. Denen werden wir schon zeigen, wer der Herr ist.“ Ich war da nicht so optimistisch, hoffte jedoch, daß ich mich irrte. Das allerdings mußte die Zukunft erweisen...
ENDE
Eigentlich hatten
Ich und der Poltergeist
die Sache unter uns ausmachen wollen, aber Sarah Goldwyn, von Dämonen als Horror-Oma gefürchtet, hatte mit meinem Gegner auch noch eine Rechnung zu begleichen. So nutzte meine Bitte, doch zu ihrer eigenen Sicherheit zu Hause zu bleiben, nichts. Eigenwillig wollte sie die Sache selbst in die Hand nehmen. Als sie endlich ihre Chance gekommen sah, trat sie mit der Dämonenpeitsche gegen den Poltergeist an...