Nr. 1244
Traumwelt Terra Die Erde im Bann der Unwirklichkeit - eine Prophezeiung wird wahr von Kurt Mahr
Während im S...
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Nr. 1244
Traumwelt Terra Die Erde im Bann der Unwirklichkeit - eine Prophezeiung wird wahr von Kurt Mahr
Während im Sommer 428 NGZ in der Galaxis der Kampf zwischen den Kräften der Ordnung und den Mächten des Chaos mit Härte und Erbitterung ausgetragen wird, entwickelt sich zur gleichen Zeit die Situation für die drei Ritter der Tiefe zunehmend kritischer. Schauplatz des Wirkens von Atlan, Jen Salik und Lethos-Terakdschan ist das Tiefenland. Und sie verfolgen das Ziel, den Auftrag der Kosmokraten zu erfüllen und mit den Raum-Zeit-Ingenieuren Kontakt aufzunehmen. Doch der Weg der Ritter endet vorerst im Reich der Jaschemen, der Techniker der Tiefe. Dort tragen Graueinfluß und Vitalenergie eine kataklysmische Auseinandersetzung miteinander aus, und nur ein Sieg über den Grauen Lord kann die Ritter der Tiefe ihrem Ziel näher bringen. In der Milchstraße, zu der wir nun umblenden und einen Zeitsprung zum Jahresende machen, gibt es ebenfalls schwerwiegende Probleme. Denn neben der Endlosen Armada, die sich dem Solsystem nähert, um die Aktivierung Terras als Chronofossil einzuleiten, nähern sich auch die Maschinen des Dekalogs. Und als sie im Abwehrfeuer vergehen, entstehen die »Augen des Bösen«. Sie wiederum erzeugen den Bann der Unwirklichkeit- und der Menschheitsplanet wird zur TRAUMWELT TERRA …
Traumwelt Terra
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Die Hautpersonen des Romans: Galbraith Deighton - Sicherheitschef der Kosmischen Hanse. Kazzenkatt - Das Element der Lenkung über Terra. Krohn Meysenhart - Der Rasende Reporter blamiert sich. Fredo Gopher - Ein Kommunikationsanalytiker. 1-1-Nannor - Kazzenkatts Einsatzleiter.
1. Fasziniert beobachtete Fredo Gopher das eigenartige Gebilde, das sich in trägem Flug über die große Videofläche bewegte. Die Sonde, die er hinter dem Fremden hergeschickt hatte, produzierte das Bild aus einer Entfernung von nicht mehr als dreißig Metern. Zusätzliche Vergrößerung gab Fredo die Möglichkeit, das Objekt seines Interesses in soviel Details zu beobachten, als läge es vor ihm auf dem Tisch. Während er seiner Faszination nachgab, lief die Aufzeichnung der Meßdaten. Keinen einzigen energetischen Mucks gab der Fremde von sich, den Fredos Geräte nicht gewissenhaft registriert hätten. Das Gebilde hatte die Form eines plumpen Eis von 50cm Länge und 40cm Durchmesser. Aus den beiden Polen ragten insgesamt sechs antennenähnliche Stäbe, die sich wie Rippen eines Fächers spreizten. Am beeindruckendsten aber fand Fredo das, was er die Augenöffnung nannte: ein transparentes Oval, das die ansonsten metallisch wirkende Oberfläche des Fremdkörpers durchbrach. Wenn Fredo die Vergrößerung einschaltete, sah er jenseits des Ovals eine in allen Farben des Spektrums schillernde, perlende Flüssigkeit, in der ein Objekt schwamm, das die Form und Gestalt eines organischen Gehirns hatte. Aus der Augenöffnung wuchs eine siebte Antenne. Es war nicht das erstemal, daß Fredo Gopher dieses Bild sah. Es lief ihm kalt über den Rücken, wenn er bedachte, daß Gebilde dieser Art die Erde in den vergangenen Stunden zu vielen Milliarden überschwemmt hatten. Sat-Technos nannte man sie, weil sie in ihrer äußeren Erscheinung den primitiven
Satelliten aus den Anfangstagen der terranischen Raumfahrt glichen – und weil sie die Gehirnmasse der Anin An, des Elements der Technik, in sich bargen. Die Peripherie des Bildes zeigte Kiefernwald, der von dichtem Unterholz durchsetzt war. Fredo kannte die Gegend: Raggedy Gap, ein flaches Tal, das in sanfter Steigung zu den Hängen des Rag Mountain emporführte. Die Faszination des Beobachters machte dem Interesse des Wissenschaftlers Platz, als der Sat-Techno plötzlich ein scharfes Manöver vollführte. Er wandte sich hart nach links und kam dabei der Sonde so nahe, daß er sie um ein Haar gerammt hätte. Für den Bruchteil einer Sekunde wuchs er so riesig ins Bild, daß er fast die gesamte Videofläche ausfüllte. Die Sonde reagierte im letzten Augenblick und wich zurück. »Goober, hast du das gesehen?« rief Fredo erregt. »Das Fremdobjekt hat den Kurs geändert«, antwortete die Stimme des Computers namens Goober. »Richtig. Mich interessiert der Ort der Kursänderung. Gibt es dort irgend etwas Besonderes?« Goober antwortete nicht sofort. Das Datenmaterial, das er zu sichten hatte, war von bedeutendem Umfang. »Ein Intersekt zweiter Klasse«, erklärte er nach fünf Sekunden. »Asheville drei-Charlie und Gatlinburg fünf-Tango.« Fredo Gopher nickte befriedigt, und ein seltsamer Glanz trat in seine Augen. »Welchen Kurs fliegt das Ding jetzt?« wollte er wissen. »Gatlinburg. Es hält sich an fünf-Tango.« »Danke, Goober«, sagte Fredo. Er lehnte sich tief in seinen Sessel zurück. Dem Bild des Sat-Technos, dem die Sonde
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noch immer getreulich folgte, schenkte er keine Beachtung mehr. Er hatte es geahnt! Die Technos orientierten sich an den Ausstrahlungen terranischer Kommunikationszentren. Asheville war eine Relaisstation ersten Ranges. Der Richtstrahl mit der Bezeichnung 3C war, soweit er sich erinnerte, auf einen Synchronsatelliten gezielt. Gatlinburg war ein Regionalsender geringerer Bedeutung. Fredo wußte nicht, in welche Richtungen Gatlinburg strahlte; er hätte es ohne Mühe von Goober erfahren können. Aber das war nicht von Bedeutung. Der Strahl 5T von Gatlinburg und der Strahl 3C von Asheville schnitten einander in Raggedy Gap, und der Sat-Techno hatte den Schnittpunkt, den man in der Fachsprache einen Intersekt nannte, benützt, um einen neuen Kurs einzuschlagen. Fredo war nicht sicher, wie wichtig die Entdeckung war, die er gemacht hatte. Daß die Sat-Technos eine besondere Affinität zu den Ausstrahlungen terranischer Kommunikationszentren hatten, wußte er, seitdem er sie zu studieren begonnen hatte. Aber die Vorgänge, die sich in ihrem Innern abspielten und deren Streuimpulse von Fredos Geräten aufgezeichnet wurden, waren so kompliziert, daß es ihm schwerfiel zu glauben, die Technos seien tatsächlich auf derart primitive Orientierungsmittel wie die Kreuzungspunkte zweier Strahlenbündel angewiesen. Vielleicht bedienten sie sich dieser Methode nur, weil sie besonders einfach war, und … »Wie ist das mit der Sonde?« unterbrach Goobers Stimme seinen Gedankengang. »Soll ich sie zurückrufen?« »Ja, tu das«, sagte Fredo Gopher. »Und dann leg mir eine Auswertung der Daten vor, die während der vergangenen Stunde eingegangen sind.« Das Bild erlosch. Die Sonde hatte die Verfolgung des Technos aufgegeben und befand sich auf dem Heimweg.
*
Wer Fredo Gopher so sah, dem wäre kaum der Verdacht gekommen, daß er einen überaus erfolgreichen Kommunikationsanalytiker vor sich hatte. Fredo legte auf äußere Erscheinung keinen besonderen Wert. Das mochte damit zu tun haben, daß die Natur ihm eine Gestalt verliehen hatte, deren linkischer Unbeholfenheit selbst die auserlesensten Produkte der Modeindustrie und die fortgeschrittensten Mittel der Kosmotologie nicht hätten abhelfen können. Fredo hatte dies längst mit dem ihm angeborenen Gleichmut zur Kenntnis genommen. Seine Kleidung war von jener schludrigen, abgetragenen Art, die den Eindruck vermittelte, es hätten vor Fredo Gopher schon etliche andere in diesen Erzeugnissen einer längst vergangenen haute couture gesteckt. Fredo stand 1,92m groß, dabei war sein Körper von einer Hagerkeit, die die Befürchtung aufkommen ließ, er könne bei einer allzu hastigen Bewegung entzweibrechen. Lange Arme mit schaufelgroßen Händen baumelten scheinbar haltlos zu beiden Seiten der dürren Gestalt. Beim Gehen bewegte Fredo die Beine in einer unnachahmlichen, schlenkernden Weise, die die Heiterkeit seiner Mitmenschen erregte. Er hatte einen seltsam geformten, kantigen Schädel mit deutlicher dolichozephaler Überlänge, Über der hohen, knochigen Stirn türmte sich ein ungepflegter Haarschopf, dessen Farbe ein unwahrscheinliches Safrangelb war. Aus Gründen, auf die später noch eingegangen werden muß, hatte Fredo sich jüngst mitten in den Schöpf eine Tonsur geschnitten. Kurzum: Fredo Gopher vermittelte den Eindruck einer Vogelscheuche. Erst wer ihm in die wachen, intelligenten, grellblauen Augen blickte, begann zu ahnen, daß sich hinter dem Mann wesentlich mehr verbarg, als die äußere Erscheinung verraten wollte. Früher war Fredo Mitglied des PSITRUSTS gewesen. Es besaß eine überaus stark entwickelte mentale Projektionsfähigkeit; fast hätte man schon von einer suggestiven Kraft sprechen können. Von Beruf war er Kommunikationsphysiker, ausgebil-
Traumwelt Terra det in den besten Lehrzentren der Liga Freier Terraner und den Stand seines Wissens durch regelmäßige Zusatzkurse stets auf dem laufenden haltend. In Fachkreisen genoß er einen ausgezeichneten Ruf, wenn man ihn hinter vorgehaltener Hand auch mitunter den Spinner nannte. Seine Einstellung der Wissenschaft gegenüber war ebenso unorthodox wie seine Meinung über das Leben schlechthin. Daher nahm es niemand wunder, daß er dem Kult der Swinger angehörte. Damit stand die oben erwähnte Tonsur in innigstem Zusammenhang. Aufgrund der Anerkennung, die man ihm zollte, mangelte es Fredo Gopher gewöhnlich nicht an Aufträgen. Sein Einmannunternehmen stand auf solider finanzieller Grundlage. Er hatte sich in seinem weitläufigen Haus am Fuß der Appalachian Mountains ein erstklassiges Privatlabor eingerichtet, in dem er seinen Forschungen nachgehen und die Wünsche seiner Auftraggeber befriedigen konnte. An diesem Weihnachtstag des Jahres 428 NGZ hatte er es indes vorgezogen, das Polilabor in Worley aufzusuchen. Erstens war es noch besser ausgestattet als seine private Arbeitsstätte und zweitens hatte er damit rechnen dürfen, an diesem noch immer mit größter Inbrunst begangenen Feiertag den gesamten Labortrakt für sich allein zu haben. In den wenigen Stunden seiner Beschäftigung mit den Sat-Technos war Fredo Gopher zum Techno-Spezialisten geworden. Außer ihm selbst wußte das allerdings niemand. Fredo prahlte nicht. Niemand hatte ihm den Auftrag gegeben, die eigenartigen Fremdgebilde zu studieren. Er tat dies auf eigene Faust, ohne einen Gewinn außer intellektueller Befriedigung zu erzielen. Als Goober, der Laborcomputer, ihm die erwünschte Analyse vorlegte, sah Fredo seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Die Komplexität der energetischen Prozesse, die sich im Innern eines Sat-Technos abspielten, war atemberaubend. Die Signalspuren, die die Sonde aufgezeichnet und an Goober weitervermittelt hatte, bedeckten
5 nicht nur einen Großteil des elektromagnetischen, sondern auch zahlreiche Frequenzbereiche des hyperenergetischen Spektrums. Wer aus den Streuimpulsen der Technos auf ihre Funktion, ihren Zweck schließen wollte, dem stand eine herkulische Aufgabe bevor. Fredo Gopher war willens, sie in Angriff zu nehmen. Er trug Goober auf, die gesammelten Daten mitsamt der Analyse auf einen passenden Datenträger zu überspielen, den er zu Hause weiter auswerten konnte. Bevor er sich auf den Heimweg machte, blätterte er, wie es seine Gewohnheit war, im bulletin board der Fachgemeinde, einer Art computerisierter Anschlagtafel. Er tat es ohne sonderliches Interesse, ziemlich gewiß, daß er an diesem heiligen Tag nichts besonders Aufregendes finden werde. Plötzlich aber stutzte er. »Jagd auf Sat-Techno«, stand da. »Interessenten 344 CQ 7112. Dringend.«
* Drei kleine Bildschirme formten sich. Eine Frau und zwei Männer waren zu sehen. Sie waren in erregter Unterhaltung begriffen. Die Frau war von beeindruckend gutem Aussehen, wenigstens für Fredos Geschmack: dunkelhaarig, grünäugig, mit einer Andeutung orientalischen Gesichtsschnitts. Sie sprach, als Fredo sich einschaltete. »… hoch genug treiben bis in den Xiaofeng-Talkessel, vielleicht können wir ihn dann abriegeln. Ich …« Sie stutzte. »Moment mal«, sagte sie, »da ist wer in der Leitung.« »Ihr habt mich eingeladen«, sagte Fredo. »Ich möchte mich an der Jagd beteiligen.« In diesem Augenblick, das wußte er, erschien sein Bild auf den Videoflächen der drei Gesprächsteilnehmer. »Huch«, sagte die Frau mit den grünen Augen. Fredo war an solche Reaktionen gewöhnt. »Wer bist du?« fragte einer der beiden Männer, ein Grauhaariger. Fredo nannte seinen Namen. Er kannte
6 keinen der drei; aber wenn sie irgend etwas mit Kommunikation zu tun hatten, mußten sie von Fredo Gopher schon gehört haben. Trotz seines Mangels an Eitelkeit war er enttäuscht über das Ausbleiben jeglicher Reaktion. Die drei stellten sich vor: Egin (die Grünäugige), Talbot (der Grauhaarige) und Petruk (ein jüngerer Mann von unauffälligem Aussehen). Fredo registrierte, daß nur Vornamen genannt wurden; aber er machte sich keine besonderen Gedanken darüber. So etwas kam heutzutage schon mal vor, selbst unter Wissenschaftlern. »Kannst du uns helfen?« erkundigte sich Talbot. »Wenn nicht, laß uns in Ruhe«, fügte Petruk unfreundlich hinzu. »Langsam, langsam«, mahnte Fredo mit hoher, schriller Stimme, die ebenso wenig wie seine äußere Erscheinung dazu angetan war, Respekt einzuflößen. »Erst muß ich wissen, worum es geht.« Egin, die noch am meisten Sympathie für ihn zu empfinden schien, antwortete: »Wir haben Sonden auf einen Sat-Techno angesetzt, der zwischen den Bergen des Qionglai Shan umherirrt.« Fredo bezweifelte, daß umherirren der richtige Ausdruck war. »Drei Delta November«, sagte Talbot. Das war das Planquadrat. Mit einem Wink gab Fredo dem Computer zu verstehen, daß er den Qionglai Shan für ihn finden solle. »Das Gelände eignet sich zum Anlegen einer Falle«, fuhr Egin fort. »Wir wissen nur nicht, wie wir ihn hineinlocken sollen.« »Hast du eine Idee?« erkundigte sich der ungeduldige Petruk. »Sind Relais in der Nähe?« wollte Fredo wissen. »Sender? Satelliten-Bodenstationen?« »Großrelais Chengdu, Lokalsender Xuecheng«, antwortete Goober anstelle der Gefragten. »Intersekte?« »Einer.« Goober nannte die Koordinaten.
Kurt Mahr »Wie paßt das zum Standort eures SatTechnos?« wandte Fredo sich von neuem an seine drei Gesprächspartner. Egin hatte sich inzwischen offenbar mit ihrem eigenen Computer beraten. Ihre Miene drückte Überraschung aus. »Der Techno fliegt entlang fünf-Victor von Chengdu«, sagte sie. »Das hätte uns auffallen sollen.« »Wie weit bis zum Intersekt?« wollte Fredo wissen. »Bei seiner jetzigen Geschwindigkeit – noch vierzig Minuten.« »Wie rasch könnt ihr einen mobilen Sender in Position bringen und dafür sorgen, daß Xuecheng vorübergehend abschaltet?« Petruk wollte wissen, was für einen Plan er habe. »Wenn ich dir das lange erklären muß, geht uns die Gelegenheit durch die Lappen«, antwortete Fredo ärgerlich. »Also?« Im Verlauf der knappen Diskussion, die sich daraufhin entsponn, erfuhr er, daß Talbot sich in Terrania befand, Petruk hielt sich in Bombay auf, und Egin saß in Brisbane. Es war tatsächlich ein planetenumspannendes Unternehmen, das sie hier gemeinsam betrieben. Fredo nahm zur Kenntnis, daß Egin ihn mit plötzlich erwachendem Respekt musterte. Auch die beiden Männer schienen beeindruckt. Petruk gab seine Widerborstigkeit allmählich auf. Es stellte sich heraus, daß es den dreien ein leichtes sein würde, Xuecheng vorübergehend zum Stillschweigen zu bringen und einen mobilen Sender an einen als Falle geeigneten Ort schaffen zu lassen. Fredo war überrascht; aber er machte sich auch darüber keine Gedanken. »Unsere Hoffnung liegt darin«, erklärte er, »daß der Techno den Intersekt zu einer Kursänderung benützen wird. Das ist eine ihrer Orientierungsmethoden. Wenn er uns den Gefallen tut, auf den Strahl des mobilen Senders einzuschwenken, dann können wir nur hoffen, daß er sich auf den Sender zu und nicht strahlabwärts bewegt. Und hoffentlich habt ihr inzwischen ein paar Robotprojektoren in Stellung gebracht, die ein ge-
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nügend starkes Fesselfeld erzeugen können.« »Das ist ein bißchen viel, auf das wir uns da verlassen«, sagte Egin. Sie meinte es nicht sarkastisch. Sie lächelte, während sie sprach. Fredo zuckte mit den Schultern. »Es ist alles noch ein bißchen neu«, sagte er. »Wir müssen mit dem arbeiten, was wir wissen.« Er bemerkte, daß Talbot inzwischen aktiv geworden war. Er rief Anweisungen, die Fredo nicht verstehen konnte. Kurze Zeit später wandte sich der Grauhaarige wieder dem Aufnahmegerät zu. »Alles eingeleitet«, erklärte er mit sichtlicher Befriedigung. »Xuecheng geht in zwanzig Minuten offline. Bis dahin ist der mobile Sender am geeigneten Ort installiert. Fesselfeld-Projektoren sind auf dem Weg. Wir können notfalls den ganzen Xiaofeng-Kessel absperren.« Fredo nickte. »Ihr leistet ganze Arbeit, wenn euch jemand mal in Gang bringt«, sagte er spöttisch und anerkennend zugleich.
* Das Bild kam aus dem fernen Qionglai Shan. Die Morgensonne des 26. Dezember war aufgestiegen. Ihr Glanz vergoldete die Felshänge des zentralen Sichuan. Der Zoom der Beobachtersonden trat in Tätigkeit. Die Felslandschaft flog zur Seite. Die Aufnahmegeräte erfaßten ein metallisch schimmerndes, eiförmiges Objekt mit sieben antennenförmigen Auswüchsen, das sich in geringer Höhe mit mäßiger Geschwindigkeit über den vielfach zerrissenen Boden eines Hochtals bewegte. »Noch vier Minuten bis Intersekt«, sagte Talbot. »Wo wohnst du eigentlich?« fragte Egin. »Sandymush«, antwortete Fredo Gopher. Sie sah ihn eine Sekunde lang verblüfft an, dann brach sie in ein helles Lachen aus. »Mein Gott, das paßt zu dir«, rief sie. »Wo ist das, Sandymush?«
»North Carolina, Plan fünfzehn Foxtrot Yankee«, sagte Fredo, der nicht genau wußte, wie er ihre Äußerung aufnehmen sollte. »Projektoren in Stellung«, meldete Petruk. Fredo sah ihn sich die Hände reiben. »Er kann uns jetzt nicht mehr entkommen!« Die Sekunden tickten unerträglich langsam dahin. Jedermanns Blick war auf die Videofläche gerichtet, die den Sat-Techno zeigte. Würde er sich durch den Intersekt zu einer Kursänderung bewegen lassen? Würde er die gewünschte Richtung einschlagen oder sich strahlabwärts aus dem Staub machen? Und wenn er einschwenkte – würde er merken, daß er sich nicht auf dem Signal von Xuecheng befand, sondern auf einem anderen, daß es in dieser Gegend bisher nicht gegeben hatte? Wie viel wußten die Sat-Technos schon über das Kommunikationssystem der Erde und der benachbarten Planeten? Plötzlich fiel Fredo etwas ein. »Was für ein Programm strahlt der mobile Sender aus?« fragte er. Talbot hob die Schultern. »Irgendeine Lehrsendung«, antwortete er. »Wir haben uns nichts Besonderes ausgesucht. Warum fragst du?« »Nur so …«, begann Fredo und wurde sofort von Egin unterbrochen. »Zehn Sekunden bis Intersekt!« Mit solcher Spannung sah Fredo auf die große Videofläche, daß ihm die Augen zu brennen begannen. Der Computer markierte die Stelle, an der die beiden Strahlenbündel einander kreuzten, mit einem roten Punkt. Der Sat-Techno bewegte sich in trägem Flug darauf zu. Die sieben Antennen zitterten ein wenig unter dem Einfluß des frischen Windes, der die Hänge des Qionglai Shan hinaufzog. Die augenähnliche Öffnung, durch die man das in bunter Nährlösung schwimmende Gehirn sah, war nach vorn gerichtet. Fredo ertappte sich dabei, wie er Mittel- und Zeigefinger beider Hände über Kreuz hielt – die alte Geste des Aberglaubens, die der Erfüllung eines dringenden Wunsches dienen sollte. Nur wenige Meter noch …
8 Der rote Punkt war deckungsgleich mit dem Zentrum des Technos. Das metallene Gebilde hielt inne. Es sah aus, als müsse es sich überlegen, wohin es sich nun wenden solle. Eine endlos lange Sekunde verstrich. Fredos gekreuzte Finger schmerzten, so fest drückte er zu. Dann endlich … Mit einem Rück setzte sich der Techno wieder in Bewegung. Auf einmal hatte er es offenbar eilig. Er schoß förmlich den Pfad entlang, den ihm der Richtstrahl des mobilen Senders wies. Und er bewegte sich in der gewünschten Richtung. Er ging in die Falle! »Das bricht dir das Genick, mein Junge!« Petruk knirschte es zwischen den Zähnen hindurch, und doch hörte man den Triumph, der ihn beseelte. Je öfter Fredo den jungen Mann sprechen hörte, desto unsympathischer wurde er ihm. Der eiförmige Behälter des Sat-Technos enthielt organisches Leben. Wie feindselig es den Bewohnern der Erde auch gesinnt sein mochte – die Mordlust, die aus Petruks Stimme sprach, war widerlich. Der Techno schoß eine enge, felsige Schlucht entlang, die sich in zirka 4000m Höhe in den Xiaofeng-Kessel öffnete. Im Hintergrund des Kessels stand der mobile Sender. Der Techno näherte sich ihm bis auf zwanzig Meter, dann hielt er plötzlich an. Er wittert die Falle, ging es Fredo Gopher durch den Sinn. »Fesselfeld bereit zur Aktivierung«, kam Egins sachliche Durchsage. »Feuer!« schrie Petruk. »Gib's ihm«, sagte Talbot. Um den Techno herum begann die Luft zu flimmern. Die Fesselfeldprojektoren waren in den Felswänden des Talkessels versteckt. Das Fremdgebilde hatte nicht die geringste Chance. Fredo sah, wie es in der Enge des Fesselfeld-Gefängnisses hin und her zuckte. Fast wollte ihn so etwas wie Mitleid ankommen. Zu sehr erinnerten ihn die panischen Bewegungen des Fremden an die eines Fuchses, der sich in einer Schlinge gefangen hatte. Er stand auf.
Kurt Mahr »Na also, ihr habt ihn«, sagte er. »Ich nehme an, ihr werdet ihn abschleppen und untersuchen?« »Das geht dich nichts an!« bellte Petruk. »Oho …« »Hör nicht auf ihn«, besänftigte Egin. »Genau das haben wir vor.« »Ich interessiere mich für Sat-Technos«, sagte Fredo. »Deswegen hatte ich auch eine Idee, wie dieser sich fangen lassen könnte. Ich glaube, ihr seid es mir schuldig, daß ihr mich über die Ergebnisse eurer Untersuchungen informiert. Zu welchem Verein gehört ihr überhaupt?« »Wir werden sehen, was sich machen läßt«, antwortete Talbot unverbindlich. Auf Fredos Frage ging er nicht ein.
* »Hört her, ihr Video-Narren und Nachrichten-Freaks. Der Rasende Reporter, letzter seiner Art, hat sich wieder mitten ins Gewühl gestürzt, um eure morbide Neugierde zu befriedigen. Ihr hört, seht, fühlt und riecht die Medien-Show des Tenders Kisch, live aus dem Vono-Sektor, wo in Kürze das Eintreffen eines größeren Verbandes der Endlosen Armada erwartet wird …« Fredo Gopher spürte, wie er die Wirklichkeit verließ. An jener kreisrunden Stelle der Schädeldecke, von der der Haarwuchs entfernt worden war, hatte er sich die Swing – Krone gegen die Haut gepreßt. Die Krone hatte ein Sekret abgesondert, das eine organische Verbindung mit der Kopfhaut bewirkte. In einer Falte seines kraftähnlichen Gewandes hatte Fredo den kleinen Kasten des Telecommanders verborgen, der die Aktivität der Krone steuerte. Commander und Krone dienten dem Zweck, die Signale des beliebigen Medienkanals so zu verstärken und mit psiaktiven Oszillationen zu durchsetzen, daß die empfangene Sendung nicht, wie der Sprecher förmlich angedroht hatte, auf vier der fünf äußeren Sinne einwirkte, sondern unmittelbar das Bewußtsein des Medienkonsumenten ansprach.
Traumwelt Terra Das war das Geheimnis der Swinger: Mit Hilfe der Swing-Krone und des Telecommanders waren sie nicht mehr darauf angewiesen, die Sendungen der Medien-Organe »zu hören, zu sehen, zu riechen und zu fühlen« – sie erlebten sie. Die gewohnte Umgebung des verdunkelten Raumes, in den Fredo Gopher sich zurückzog, wenn er sich dem Genuß des Swingens hingeben wollte, verschwamm vor seinen Augen. Grelles Licht blendete ihn, durchsetzt von den Lichteffekten einer raffiniert programmierten optischen Orgel. Er befand sich in der Schaltzentrale des Medien-Tenders KISCH, und unmittelbar vor ihm hüpfte und tanzte Krohn Meysenhart in seiner exotischen Montur, in deren Falten Dutzende von mikrominiaturisierten Geräten für die Erzeugung besonderer Effekte verborgen waren. Als Fredo Gopher zum Swinger wurde – das lag etliche Wochen zurück, als der Medien-Rummel um die bevorstehende Ankunft der Endlosen Armada begann – da hatte er sich zunächst vorurteilslos die Sendungen aller möglichen Nachrichtendienste zu Gemüte geführt. Dann aber war ihm Krohn Meysenhart aufgefallen, unbestreitbar der Chef-Buffo unter all den Nachrichtenbeschaffern, die draußen in der Weite der Milchstraße herumkreuzten, um ihren Konsumenten stets das Neueste zu bringen. Meysenhart war in der Tat weiter nichts als ein egozentrischer Clown. Aber er brachte es fertig, stets um eine kurze Zeitspanne früher als die Konkurrenz am Ort eines sensationellen Geschehens zu sein, und die Art seiner Berichterstattung schlug die Zuhörer in Bann. Wenn er über die Satt- und Trägheit der Konsumenten randalierte, dann lief es zumindest seinen terranischen Zuhörern so richtig schön gruselig kalt über den Rücken, und sie fühlten sich in den zu ewiger Verdammnis verurteilten Haufen der unheilbar Dekadenten eingereiht. Mit dem Menschen Krohn Meysenhart wäre Fredo wahrscheinlich nicht zurechtgekommen. Der kleine Dicke mit dem langen, silberweißen Haar, der lächerlich aufdringli-
9 chen Kleidung, die er mehrmals während einer 24-Stunden-Periode wechselte, und dem psychotischen Gehabe stand in krassem Gegensatz zu allem, was Fredo Gopher unter Anstand und Würde verstand. Der Reporter Krohn Meysenhart dagegen war unübertrefflich. Dem Zauber des Medien-Zirkus, den Meysenhart aufführte, konnte sich Fredos im Grunde genommen kindliches Gemüt nicht entziehen. Der Rasende Reporter stand jetzt unmittelbar vor ihm, ohne ihn jedoch zu sehen. Denn Fredo war nicht wirklich, wo er zu sein glaubte. Es war die Swing-Krone, die ihm diese Illusion vermittelte. Der penetrante Duft eines der vielen Parfüms, deren Meysenhart sich bediente, drang ihm in die Nase. Ein wallender Umhang, der in verschiedenen Farben des Spektrums schillerte, je nachdem, wie das Licht ihn traf, zitterte und schlingerte, während der Reporter von einem Bein auf das andere hüpfte. »Und ich sage euch«, rief er mit schriller Stimme, »keines vernünftigen Menschen Verstand kann begreifen, warum die Endlose Armada ein derartiges Theater vollführt. Wenn sie schon im Sektor Sol-Alpha CeSirius aufzutauchen hat, warum nimmt sie dann nicht direkten Kurs? Was soll dieser Zirkus, die Armada in zahllose Verbände aufzusplittern und jeden Verband auf seinem eigenen Kurs das Ziel ansteuern zu lassen? Wer kann das verstehen? Ich sage euch, was ich mir denke …« Er unterbrach sich mitten im Satz. Seine hellen, durchdringenden Augen richteten sich auf Fredo Gopher. »Nimm das blöde Ding vom Kopf«, hörte Fredo ihn sagen, und obwohl er voll unter dem Einfluß der Swing-Krone stand und im Schaltzentrum der KISCH zu sein glaubte, erschien es ihm doch merkwürdig, daß Meysenhart die Krone überhaupt zu erkennen vermochte. »Ich will nicht«, antwortete er starrsinnig. »Dann reiße ich's dir ab!« bellte Reporter ihn an. Der Telecommander bemerkte, daß der
10 Empfang der Nachrichtensendung durch Fremdeinfluß gestört wurde, und deaktivierte die Swing-Krone. Es war gefährlich für den Konsumenten, wenn fremde Einflüsse sich mit dem Signal des Medien-Kanals vermengten. Er konnte dadurch geistigen Schaden erleiden. Für Fredo Gopher resultierte die Aufmerksamkeit des Telecommanders darin, daß die Szene an Bord der KISCH plötzlich vor seinen Augen verschwand und er sich in der gewohnten Umgebung des verdunkelten Zimmers wiederfand. So realistisch war der Effekt, den die Swing-Krone erzeugte, daß seine Augen sich erst an das Halbdunkel gewöhnen mußten. Undeutlich sah er sich vor drei Gestalten. Die Krone löste sich von der Tonsur, glitt ihm am Nacken hinab und fiel in die Polsterung des Sessels. »War auch Zeit«, sagte eine knarrende Stimme. Fredo horchte auf. Wer sprach so? Wo hatte er diese Stimme vor kurzem gehört? Im Polilabor! Als er half, den Sat-Techno zu fangen. Petruk … »Macht Licht«, sagte er ärgerlich. Die Leuchtplatten unter der Decke flammten auf. Geblendet hielt Fredo eine Hand vor die Augen. Zwischen den gespreizten Fingern hindurch sah er Petruk, Egin und Potter McPherson, den Constable von Sandymush. Potter war ein typischer Hillbilly, untersetzt gebaut, das Gesicht von Wind und Wetter gegerbt. Er zuckte verlegen mit den Schultern und sagte: »Tut mir leid, Fredo. Ich mußte sie einlassen. Du antwortetest auf keinen Anruf, und sie hatten die nötigen Vollmachten.« Fredo winkte ab. »Ich mache dir keinen Vorwurf, Potter«, sagte er. Er war noch halbwegs benommen von der Swing-Show, in deren Bann er noch vor wenigen Sekunden gestanden hatte. »Einen von beiden hättest du draußen lassen können. Ich hätte an Egin genug gehabt.« »Du kennst sie?« fragte Potter verblüfft. »Klar. Und langsam geht mir ein Licht auf …«
Kurt Mahr »Kein langes Gerede«, sagte Petruk barsch. »Steh auf und komm mit uns.« »Oh, halt den Mund«, fiel ihm Egin in die Parade. »Stell dich nicht an wie ein verdammter Geheimpolizist.« »Ihr seid Regierungstypen, nicht wahr?« fragte Fredo. »Ja, das sind sie«, bestätigte Potter. »Und draußen wartet noch einer. Er war nicht sicher, ob du ihm erlauben würdest, dein Haus zu betreten.« »Was? Aber die beiden anderen sind schon hier drin?« staunte Fredo. »Laß den Mann rein, um Gottes willen.« Er richtete sich auf. Irgendwie hatte er das Gefühl, daß ihm etwas Wichtiges bevorstand. Potter McPherson entfernte sich mit polternden Schritten. Wenige Augenblicke später kehrte er zurück. In seiner Begleitung befand sich ein hochgewachsener, schlanker Mann. Seine Miene strahlte Ruhe und Selbstbewußtsein aus. Das dunkle Haar war kurz geschnitten. Fredb Gopher fuhr aus dem Sessel in die Höhe. »Galbraith Deighton«, stieß er hervor. Der hochgewachsene Schlanke K nickte gemächlich. »Richtig«, sagte er. »Wir möchten dir reden, wenn du nichts dagegen hast.«
* »Ich hätte es mir denken können«, sagte Fredo Gopher bitter. »Drei sogenannte Experten, die ich nicht kenne und die noch nie von mir gehört haben. Das kann ja nur die Regierung sein!« »Wir kommen auch ohne deinen Zynismus aus«, sagte Egin, aber sie lächelte dabei. Petruk war nicht anwesend. Galbraith Deightons Blick war aufmerksam und nicht ohne Sympathie auf Fredo gerichtet. »Es ist in der Tat so«, sagte er mit überraschend sanfter Stimme, »daß der Staatsdienst sich oft als Selbstzweck sieht und die Kontakte mit der Welt der Bürger vernach-
Traumwelt Terra lässigt. Wir wissen das und versuchen, dieser Tendenz zu steuern. In deinem Fall haben wir Gluck gehabt.« Fredo sah sich um. Kaum zu glauben, daß er vor fünfzehn Minuten noch einen halben Erdball von hier entfernt gewesen war. Einem Mann wie Galbraith Deighton standen die Verkehrswege des staatlichen Transmitternetzes uneingeschränkt zur Verfügung. Für Fredo Gopher dagegen war es erst das zweitemal im Leben gewesen, daß er einen Transmitter benutzt hatte. Es war Nacht in Terrania. Matter, gelber Lampenschein füllte den spärlich und zweckdienlich und dabei dennoch geschmackvoll eingerichteten Raum, den der Sicherheitschef der Kosmischen Hanse sein Arbeitszimmer nannte. »Glück, inwiefern?« erkündigte sich Fredo. »Wir haben Kontakt mit dir bekommen durch deine Initiative, zugegebenermaßen. Du weißt offenbar mehr über die SatTechnos als unsere Experten. Wir bitten um deine Hilfe.« »Jederzeit«, antwortete Fredo lässig. »Es ist sowieso schon lange genug, daß ich mich honorarlos mit den Technos befasse.« Ein amüsiertes Lächeln huschte über Galbraith Deightons Gesicht. »Ich bin sicher, daß wir uns über eine angemessene Honorierung ohne Mühe werden einigen können«, sagte er. »Welche Art Hilfe braucht ihr?« fragte Fredo. »Du hast eine Methode entwickelt, mit der die Technos irre- und in Fallen geleitet werden können. Wir brauchen weitere Exemplare, die wir untersuchen können.« »Warum? Was ist mit dem, den ihr gestern gefangen habt? Hat er keine Aufschlüsse geliefert?« Eine Sekunde lang sah Deighton ausgesprochen betreten drein. Dann wandte er sich an Egin. »Willst du es ihm erzählen?« »Die Dreckarbeit muß immer eine Frau machen«, spottete Egin. »Also, Fredo: Das Spezimen, das wir gestern fingen, ist uns
11 krepiert. Wir untersuchten es nach allen Regeln der Kunst. Umsonst und ohne jedes Ergebnis. Der Techno beeinflußte unsere Meßgeräte, so daß sie entweder überhaupt nicht funktionierten oder nur Unsinn aufzeichneten. Die Art der Beeinflussung ist uns nicht klar. Auf jeden Fall aber müssen große Energiemengen im Spiel gewesen sein. Der Techno wurde sich schließlich selbst zum Verhängnis. Wir hatten ihn in eine Vakuumkammer gebracht, um eine Gamma-Analyse zu fahren. Er pumpte die Gamma-Maschine so voller Energie, daß sie in die Luft ging. Dabei implodierte die Vakuumkammer, und der Techno wurde zerquetscht. Exitus. Das bißchen, was übrigblieb, mag ein paar Chemiker und Metallurgen interessieren; aber wir kommen damit nicht weiter.« Fredo Gopher schüttelte mißmutig den Kopf. »Ich helfe, wo ich helfen kann«, sagte er. »Aber ich fürchte, es wird euch nichts nützen.« Er erläuterte seine Theorie. Die SatTechnos waren so komplex, daß ihnen Tausende, wenn nicht gar Millionen verschiedener Orientierungsmöglichkeiten zur Verfügung standen. »Ein zweites Mal werden sie sich nicht auf dieselbe Weise hereinlegen lassen«, beendete er seine Ausführungen. »Bedenkt bitte, daß sie vermutlich untereinander in Verbindung stehen und Erfahrungen austauschen. Was eurem Versuchsexemplar widerfahren ist, hat sich mittlerweile wahrscheinlich unter allen Technos herumgesprochen.« »Ich teile deine Bedenken«, sagte Galbraith Deighton. »Aber wir dürfen selbst die kleinste Chance nicht außer acht lassen. Wir müssen zumindest den Versuch unternehmen, und sei es auch nur, um unser Gewissen zu beruhigen.« Er sah Fredo bittend an. »Einverstanden«, sagte der Mann mit dem safrangelben Haar.
*
12 So kam es, daß Fredo Gopher eine halbe Woche in Terrania verbrachte. Wohl fühlte er sich dabei nicht. Erstens glaubte er zu wissen, daß alle seine Bemühungen fruchtlos bleiben würden, und zweitens widerstrebte ihm das strenge, bürokratische Reglement des staatlichen Wissenschaftsapparats. Er war der Typ des freien, ungebundenen Forschers. Er richtete sich seine Arbeitsstunden selbst ein. An jedem Tag um acht Uhr mit der Arbeit zu beginnen, schien ihm eine Marotte, die der Phantasie eines fachfremden Beamten entsprungen war. Aber er mußte sich nach den Gewohnheiten derer richten, die von ihm lernen sollten, wie man Sat-Technos fing. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als sich der Bürokratie anzupassen. Der einzige Lichtblick im Dunkel der drei Tage war, daß er oft mit Egin zu tun hatte. Am 31. Dezember 428 kehrte Fredo Gopher in die ungezwungene Abgeschiedenheit des winzigen Städtchens Sandymush zurück. Der Wettermacher NATHAN hatte den Touristen beschert, was sie sich wünschten: Anderthalb Fuß Neuschnee bedeckte die Hänge der Appalachian Mountains. Während er im Kamin ein altmodisches Holzfeuer entfachte, dachte Fredo an die wissenschaftlichen Staatsdiener in Terrania, die sich fieberhaft bemühten, ein Netzwerk mobiler Sender einzurichten, mit dessen Hilfe so viele SatTechnos wie möglich in Fallen gelockt werden sollten. Fast empfand er so etwas wie Bedauern. Für ihn stand fest, daß die Mühe umsonst sein würde. Er empfand das Bedürfnis nach einer Swing-Session. Schließlich war er mitten im Swingen gewesen, als man vor mittlerweile mehr als vier Tagen so unerwartet in seine Privatsphäre eingebrochen war. Er wollte wissen, welche Narreteien Krohn Meysenhart in der Zwischenzeit ausgeheckt hatte. Es interessierte ihn nicht einmal so sehr, ob der Verband der Endlosen Armada in der Lage sein würde, ihren Fahrplan ohne nennenswerte Störungen einzuhalten. Nein, es waren vielmehr Krohn Meysenharts Clow-
Kurt Mahr nerien, die er während seines Aufenthalts in Terrania vermißt hatte und die er sich jetzt wieder zu Gemüte zu führen gedachte. Er wußte wohl von den Gefahren des Swingens. Manch einem Swinger, der seinen Telecommander auf zu hohe Leistung geschaltet hatte, hatte es den Verstand verwirrt. Die Schäden waren bleibend und konnten nur durch die Implantation eines Donor- oder Substitutgehirns beseitigt werden. Die Tätigkeit des Swingens machte süchtig, wenn sie nicht in Maßen ausgeübt wurde. Fredo Gopher war kein typischer Swinger. Er genoß das Vergnügen in kleinen Dosen und war sicher, daß er seinem Verstand damit nichts Unerträgliches zumutete. Er trug seine Swing-Krone nicht ständig, wie es andere Mitglieder des Kults zu tun pflegten, sondern nur dann, wenn er Laune nach einer Swing-Session empfand. Ebenso verzichtete er darauf, seine Krone mit Federn, Goldlame und ähnlichem Krimskrams zu schmücken – eine Gewohnheit der Swinger, die dem von Natur aus unscheinbaren Psi-Verstärker den Namen Swing-Krone eingetragen hatte. Er war sich wohl bewußt, daß die Tätigkeit des Swingens ungesetzlich war. Daß die Ordnungsbehörden Verstöße gegen dieses Gesetz wohlwollend übersahen und der typische Swinger sich mit federbesetzter, goldüberzogener Krone unangefochten in der Öffentlichkeit bewegen konnte, spielte für Fredo Gopher keine Rolle. Wenn er eine Swing-Session einlegte, dann tat er es in der Privatsphäre seines Hauses – in dem verdunkelbaren Raum, den er eigens für diesen Zweck hergerichtet hatte. Krohn Meysenhart war wie üblich zur Stelle. Die Klänge seiner Stimme, deren Ausdruck er von stahlhart bis butterweich zu variieren vermochte, wie es die Lage erforderte, rollten durch den Hyperäther, wurden vom Telecommander eingefangen und an die Swing-Krone weitergeleitet. Bilder entstanden in Fredo Gophers Bewußtsein. Er erwartete, sich wieder in der Schaltzentrale des Medientenders KISCH zu finden. Aber statt dessen glitt er mit Meysenhart zusam-
Traumwelt Terra men durch die Schwärze des Weltalls. Fremde Sterne glitzerten in der Ferne. Die Sichel eines Planeten leuchtete durch das Dunkel: Epsal, Heimatwelt der Umweltangepaßten. Krohn Meysenhart war mit einem SERUN bekleidet, den man für seine Zwecke mit allen möglichen Kommunikationsgeräten und Trickinstrumenten des Mediengewerbes ausgestattet hatte. Der Rasende Reporter benutzte als Transportmittel eine offene, durch Antigrav angetriebene Lastplattform. Es gab keinen Zweifel, daß er, wäre er nicht an das Mediennetz angeschlossen gewesen, eine bequemere Art der Fortbewegung gewählt hätte. So aber konnte er den Konsumenten davon überzeugen, daß das Dasein eines Reporters ein hartes und entbehrungsreiches war. »Über und unter mir, rechts und links, hinten und vorne der endlose Abgrund des Weltalls«, dröhnte seine Stimme. »Es ist mir nicht wohl in meiner Haut. Ein einziger Treffer von einem Mikrometeoriten, und Krohn Meysenhart ist gewesen.« Ein raues, kehliges Lachen drang an Fredo Gophers Ohr. »Aber daraus würdet ihr euch nichts machen, nicht wahr? Medien-Freaks, die ihr seid, wartet ihr nur darauf, bis dem Rasenden Reporter das Blut aus der Kehle spritzt …« Fredo schüttelte sich. Wer diesen Unsinn glaubte, der verdiente es, von Meysenhart auf den Arm genommen zu werden. Es gab keinen SERUN, dessen Schutzschirm mit Mikro- und größeren Meteoriten nicht spielend fertig geworden wäre. Aber die Berichterstattung des Rasenden Reporters legte, wenn es um die Beschreibung des Hintergrunds ging, auf Wirklichkeitstreue nicht immer Wert. »Man …« er betonte dieses Wort auf sarkastische Weise, »… hat seine Ankunft angekündigt. Zweitausend Einheiten der Endlosen Armada, unter Führung der Einheit drei-sieben-vier-null, die dem Volk der Caymas gehört, werden in Kürze im Raumsektor Vono erscheinen. Wie in solchen Fällen üblich, haben die Bewohner des Planeten Ep-
13 sal, der die Sonne Vono umkreist, ein Empfangskomitee zusammengestellt, das die Armadisten begrüßen und ihnen bis in den Abschnitt Sol-Alpha Ce-Sirius das Geleit geben soll. Der ganze Zirkus ist mir nach wie vor unverständlich. Ich bin mit meinem lächerlichen Untersatz auf dem Weg zum Flaggschiff der Empfangsflotte, um weitere Informationen …« Der Schwenk erfolgte so plötzlich und unmotiviert, daß er Fredo Gopher aus dem Gleichgewicht brachte. Es vergingen etliche Sekunden, bis er begriff, daß ein Störeffekt ihn auf einen anderen Kanal geschaltet hatte. Er befand sich in einem dunklen Raum. Vor ihm, über einem in düsterem Rotlicht gebadeten Podium, schwebte eine silbrig schimmernde Gestalt, die annähernd humanoide Umrisse hatte. Eine dumpfe Stimme sprach zu ihm: »Wehe euch, die ihr den Willen eures Loa mißachtet. Glaubt nicht, daß ihr ungestraft freveln könnt! Euer Hungan, eure Mambo stehen mit den Mächten des Kosmos in Verbindung und wissen, was in euren Seelen vorgeht. Sie werden euch strafen …« »… ist der Kommandant des Flaggschiffs. Ich werde mit Rimser Kapp reden und von ihm erfahren, was es mit diesem Unsinn auf sich hat«, sagte Krohn Meysenhart, und Fredo Gopher fühlte sich plötzlich in den Raum um den Planeten Epsal zurückversetzt. »Er muß schließlich wissen, warum er mit mehr als zehntausend Epsalern in Richtung Terra aufbrechen will, sobald …« »… Rache der Santeria ist fürchterlich. Wehe dem, der sich gegen den Willen der schwarzen Dämonen stellt. Fluch über den, der sich gegen das Obeah versündigt …« »Auf hören!« schrie Fredo. Der Telecommander vernahm den Befehl und deaktivierte die Swing-Krone. Die kleine Scheibe löste sich von der Kopfhaut und rutschte herab. Fredo stemmte sich in die Höhe. Schweiß stand ihm auf der Stirn. Das häßliche Spiel hätte nicht mehr als eine Minute weiter andauern dürfen. Das rasche Hin- und Herwechseln zwischen zwei men-
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Kurt Mahr
talprojizierten Szenen belastete den Verstand und führte zu Bewußtseinsstörungen. Eine Zeitlang saß Fredo still und ließ den wirbelnden Gedanken Zeit, sich zu beruhigen. Allmählich wurde ihm klar, daß sich etwas ereignet hatte, was nach allen Regeln der Kommunikationstheorie nicht hätte geschehen dürfen. Es war undenkbar, daß ein Telecommander – oder, was das anging, irgendein beliebiger Multikom-Empfänger – willkürlich Kanäle wechselte. Jeder Kanal war durch seine eigene, charakteristische Bitsequenz gekennzeichnet, die im Datenstrom der Sendung ständig wiederholt wurde. Blieb die Sequenz aus oder wurde sie durch eine andere ersetzt, schaltete der Empfänger selbsttätig aus. Das war nicht geschehen. Fredos Telecommander hatte abwechselnd und in rascher Folge zwei verschiedene Kanäle empfangen und verarbeitet: den Kanal, auf dem Krohn Meysenhart seine Nachrichten verbreitete, und einen anderen, auf dem ein obskurer Kultpriester seinen Gläubigen Furcht einzujagen versuchte. Fredo wußte später nicht mehr zu sagen, wie er zu dem Verdacht gekommen war, der auf den ersten Blick aberwitzig erschien. Irgendwie war der Gedanke in seinem Bewußtsein materialisiert. Intuition hätte man ihn nennen können, eine alogische Eingebung. Immerhin, alogisch oder nicht: Fredo ging der Sache sofort nach. Und dann bekam er es mit der Angst zu tun.
* Der Äther einer jeden Welt, die von einer technifizierten Zivilisation bewohnt wird, ist erfüllt mit den Signalen der Kommunikationstechnik – elektromagnetischen Impulsen zu Beginn der Technifizierung, einem Gemisch von elektromagnetischen und hyperenergetischen Signalströmen während späterer Phasen der Entwicklung. Auf einer vergleichsweise dichtbesiedelten Welt mit einer hochentwickelten technischen Zivilisation
wie Terra erreichte der allein auf die Kommunikationsbedürfnisse zurückzuführende Leistungsdurchsatz pro Volumeneinheit gigantische Ausmaße. Gelänge es, einen Empfänger zu entwickeln, der alle einfallende Kommunikationsleistung absorbierte und in Arbeitsstrom verwandelte, so bedürfte jeder Haushalt nur eines einzigen solchen Geräts, um seinen Elektrizitätsbedarf zu decken. So typisch war der Zusammenhang zwischen Technifizierung und hohem Durchsatz an Kommunikationsleistung, daß man schon in der Frühzeit der terranischen Raumfahrt eine Methode daraus entwickelt hatte, Welten mit einer technischen Zivilisation aus großer Entfernung anhand der nichtthermischen Beule am langweiligen Ende ihres Spektrums zu identifizieren. Als Fredo Gopher sich vor etlichen Tagen mit dem Phänomen der Sat-Technos zu beschäftigen begann, da war es sein erstes Anliegen gewesen, die Emissionen der Technos von dem »Hintergrundrauschen« der terranischen Kommunikationstechnik zu trennen. Er hatte bisher keinen vollen Erfolg erzielt. Es war ihm gelungen, etliche Charakteristiken zu identifizieren, die die Ausstrahlung der Technos von dem Impulsstrom eines konventionellen Senders unterschied. Aber nicht alle Technos wiesen dieselben Charakteristiken auf. Immerhin war er in der Lage, mit seinen Nachweisgeräten ein integriertes Spektrum solcher Datenströme zu erfassen, die garantiert nur von Technos stammten. Diese Nachweismethode nahm er jetzt in Betrieb. Gleichzeitig setzte er sich die Swing-Krone wieder auf den Kopf und trug dem Telecommander auf: »Geringste Leistung, bitte. Ich will nicht wieder zwischen dem Voodoo-Priestar und Krohn Meysenhart hin- und hergerissen werden.« Der Telecommander schaltete wie befohlen. Fredo hörte den Rasenden Reporter, der sich noch immer über die mangelnden Geistesqualitäten der Epsaler ausließ, und zwischendrin den Kultpriester, der seinen Gläubigen die Qualen der Hölle in den glühend-
Traumwelt Terra sten Farben ausmalte. Aber er wurde nicht mitgerissen. Seine Umgebung blieb wirklich. Er war in diesen Minuten kein Swinger, sondern ein normaler Erdenbürger, der die Wunder der Kommunikationstechnik benützte, um Nachrichten aus den Tiefen des Universums zu empfangen. Das integrierte Spektrum der TechnoStrahlung wurde in einem Holobild dargestellt, das vor Fredos Augen im Raum schwebte. Fast hatte er sich schon dazu überredet, daß sein Verdacht reiner Unsinn sei. So rasch konnte es den Fremdgebilden nicht gelungen sein, die Regeln und Vorschriften der terranischen Kommunikation zu entschlüsseln und sich aktiv in das Kommunikationsnetz einzuschalten. Dann aber sah er, wie sich an dem integrierten Spektrum in unregelmäßigen Abständen scharfe Zacken bildeten, in die Höhe schossen und wenige Hundertstelsekunden später wieder verschwanden. Er achtete sorgfältig auf die Sendung, die ihm die Swing-Krone übermittelte. Nach wenigen Minuten war er sicher, daß die Zacken im Spektrum jedes Mal dann auftauchten, wenn der Empfang von Krohn Meysenhart auf den Voodoo-Priester – oder umgekehrt – umschaltete. Das war es, was ihm Angst machte: Die Sat-Technos hatten gelernt, die Signale der terranischen Kommunikation zu manipulieren. Daß sein Telecommander die Sendung des Priesters ebenso verarbeitete wie Meysenharts Nachrichtenprogramm, konnte nur bedeuten, daß die identifizierenden Bitsequenzen ausgetauscht oder ersetzt worden waren. Jedes Mal wenn ein solcher Austausch stattfand, bildete das integrierte Techno-Spektrum Spitzen und Zacken aus. Verwirrt und niedergeschlagen schaltete Fredo die Nachweisapparatur aus. Er setzte dem Telecommander auseinander, daß er keinen Empfang mehr wünsche. Die flache Scheibe der Swing-Krone glitt ihm vom Kopf, und Fredo fing sie mit der Hand auf. Das war der Augenblick, in dem der Radakom sich meldete.
15 »Ja, was?« rief Fredo mürrisch. Eine Videofläche entstand vor ihm. Er blickte in Galbraith Deightons ernstes Gesicht. »Du hast recht gehabt mit deinem Pessimismus«, sagte der Sicherheitschef. »Die Methode läßt sich nicht mehr anwenden. Die Sat-Technos orientieren sich nicht mehr an den Intersekten der Kommunikationsstrahlen.« Fredo Gopher nickte langsam. »Wenn du meinst, das wäre eine Neuigkeit«, sagte er schleppend, »dann hör dir erst einmal an, was ich dir zu sagen habe …«
2. »Das«, sprach der Zeroträumer in einem ungewohnten Anflug feierlicher Sentimentalität, »wäre um ein Haar schiefgegangen.« Die PRIMAT DER VERNUNFT, Kazzenkatts Flaggschiff, schwebte irgendwo in der Tiefe des Alls. Das Element der Lenkung, tief eingetaucht in die bewußte Phase des Zerotraums, sprach über Psikom mit seinem Bordcomputer. »Das Opfer der MASCHINEN war notwendig«, antwortete der Computer. »Nur mit Hilfe der Energie, die bei ihrer Vernichtung freigesetzt wurde, war es möglich, den Fiktivtransmitter-Effekt zu erzeugen, der die Anin An ins Solsystem beförderte.« »Davon spreche ich nicht«, erklärte Kazzenkatt ärgerlich. »Irgend jemand im Einflußbereich der Terraner hat sich angemaßt, die Menschheit auf die drohende Gefahr aufmerksam zu machen. Er nannte sich DER WARNER. Du weißt davon. Wir haben seine Sendungen empfangen, die Nachrichten des Piratensenders Acheron. Sie hätten die Terraner kopfscheu machen können. Was wäre dann aus den Anin An geworden?« »Es ist nicht geschehen«, antwortete der Bordcomputer würdevoll. »Die Terraner ahnen nicht, welche Gefahr auf sie zukommt. Acheron hat umsonst gesprochen.« »So hoffen wir es«, sagte Kazzenkatt. Seine Gedanken reichten weit hinaus
16 durch die Kälte des Alls und berührten die Anin An, deren Gehirne in eiförmigen, von bunter Nährflüssigkeit erfüllten Behältern über die Oberfläche des Planeten Erde schwebten. Er gab ihnen Aufträge. Er machte ihnen klar, was als nächstes zu tun war. Er war das Element der Lenkung. In seinem Bewußtsein lag das Geschick des Dekalogs begründet. Es bereitete ihm eine zynische Art von Genugtuung, daß die hochmütigen Anin An nun auf seine Anweisungen angewiesen waren. Zuvor, als sie noch halborganische Roboter gewesen waren, machtvolle Maschinenwesen mit eingelagertem Organgehirn, als sie noch an Bord ihrer riesigen Raumschiffe gehaust hatten, die sie MASCHINEN nannten – früher, da hatten die Anin An sich mitunter so angestellt, als seien eigentlich sie es, denen die Aufgabe der Lenkung des Dekalogs zustehe. Manchmal hatten sie sich in Streitfragen sogar über seinen Kopf hinweg an den Herrn der Elemente gewandt; und den Umstand, daß dessen Entscheidungen grundsätzlich zugunsten des Zeroträumers ausgefallen waren, wertete Kazzenkatt nicht etwa als ein Zeichen der Zuneigung seines Herrn und Meisters; so naiv war er nicht. Der Herr der Elemente hatte eine Kommandostruktur geschaffen und legte Wert darauf, diese intakt zu halten. Ein anderes Motiv kannte er nicht. Die Klagen der Anin An wären in jenem Augenblick positiv beschieden worden, in dem der Herr auf LAGER den Schluß gezogen hätte, daß das Element der Lenkung seiner Aufgabe nicht mehr in der gewünschten Weise gerecht wurde. Es schauderte Kazzenkatt, wenn er sich daran erinnerte, wie oft er – besonders in jüngster Zeit – um Haaresbreite diesem Schicksal entkommen war. Ungeachtet der zynischen Freude, die er empfand, wenn er an das Schicksal der Anin An dachte, bewegte ihn ein Gefühl, das ein Mensch als leise Wehmut bezeichnet hätte. Mit welcher Streitmacht war er in diesen Kampf gezogen! Keine Machtstruktur des Universums, davon war er damals überzeugt
Kurt Mahr gewesen, konnte dem Potential des Dekalogs widerstehen. Oh, wie bitter war er enttäuscht worden. Wie oft hatte er den Gang zum Herrn der Elemente antreten und diesem zerknirscht beichten müssen, daß er wiederum eine Niederlage erlitten, wiederum ein Element verloren hatte. Der Teufel mußte diesen Wesen beistehen: den Völkern der GAVÖK, den Terranern und der Endlosen Armada. Anders ließen sich Kazzenkatts Mißerfolge nicht erklären. Den Dekalog gab es nicht mehr. Zumindest hatte er das Recht verloren, diesen Namen zu tragen. Übrig waren noch ein paar Elemente des Raumes, die ziellos durch das All streiften und Späherdienste verrichteten – dann die Anin An, die sich über die Planeten des Solsystems ausgebreitet, jedoch ihre ursprüngliche Form verloren hatten – und zuletzt das Element der Finsternis, vor dem Kazzenkatt sich fürchtete, weil ihm in der unterbewußten Phase des Zerotraums mehrmals eine Vision erschienen war, die plastisch beschrieb, wie er von den Finsteren verschlungen wurde. Er spürte, wie die Niedergeschlagenheit ihn zu übermannen drohte, und riß sich mit einiger Anstrengung in die Höhe. Der Dekalog mochte ein Ding der Vergangenheit sein, aber noch war die Sache an sich nicht verloren. Die MASCHINEN hatten geopfert werden müssen, damit die Anin An das Solsystem und besonders die Erde überschwemmen konnten. Bisher hatten die Terraner trotz der Hiobsbotschaften, die der WARNER über sie ausgegossen hatte, keine Ahnung, welche Gefahr ihnen drohte. Kazzenkatt kannte die Identität des WARNERS nicht. Aus Funksendungen hatte er entnommen, daß man auf Terra eine Zeitlang ausgerechnet ihn im Verdacht hatte, der WARNER zu sein. Das war ihm amüsant erschienen. Manchmal schien es mit der Intelligenz der Terraner nicht allzu weit her zu sein. Die Botschaften des WARNERS hatten ihn erschreckt. In dunklen, orakelhaften Worten, jedoch für den Eingeweihten durchaus verständlich, umschrieb er in Umrissen
Traumwelt Terra das Schicksal, dem das Solsystem und seine Bewohner entgegenstrebten. Kazzenkatt war ganz und gar unverständlich, woher der WARNER seine Absichten kannte. Eine Zeitlang hatte er befürchtet, er werde eine von Grund auf neue Strategie entwickeln müssen. Denn der WARNER erklärte ohne viel Umschweife, zu Beginn der Offensive des Dekalogs sei ein großangelegtes Täuschungsmanöver des Elements der Technik zu erwarten. Der große Geist der Negasphäre mußte die Hand im Spiel gehabt haben; denn die Terraner hatten die Warnung des Piratensenders Acheron mißachtet. Sie hatten die MASCHINEN planmäßig angegriffen und vernichtet. Zwanzig Milliarden Anin An waren mit Hilfe des dabei entstehenden Fiktivtransmitter-Effekts ins Solsystem gelangt. Damit war die primäre Gefahr überstanden. Es gab jetzt nicht mehr viel, was die Terraner tun konnten, um dem ihnen zugedachten Schicksal zu entgehen. Sie begriffen nicht, was die Anin An im Sinn hatten – das entnahm Kazzenkatt den Kommunikationen, die seine Sonden auffingen. Ein Umstand, der in seiner ursprünglichen Planung überhaupt keine Rolle gespielt hatte, kam seiner Strategie auf unerwartete Weise zustatten. Er hätte erwartet, daß jedes Volk, dessen Planet eine derartige Invasion erlebte, sich mit aller Kraft gegen die Invasoren zur Wehr setzte. Aber die Terraner besaßen eine eigenartige Mentalität. Organisches Leben war ihnen heilig. Die Anin An waren organisches Leben. Außerdem verhielten sie sich, wenigstens im Augenblick noch, überaus friedlich. Den Terranern waren durch ihre eigene Moral die Hände gebunden. Organisches Leben, von dem keine unmittelbare Gefahr ausging, durfte nicht angetastet werden. Viel günstiger hätte er es nicht treffen können. Die Kräfte des Chaos waren auf seiner Seite. Und dennoch konnte er sich einer gewissen Beklommenheit nicht erwehren. Wie oft hatte er sich schon in einer Lage befunden, in der es für den Gegner keinerlei Aussichten auf Rettung mehr zu geben schi-
17 en. Und wie oft hatte er mitansehen müssen, wie sich die verfluchten Terraner und Armadisten im letzten Augenblick aus der Schlinge zogen und dem Dekalog eine empfindliche Niederlage beifügten. Ein ums andere Mal hatte er den bitteren Gang zum Herrn der Elemente antreten müssen, um diesem von einem weiteren Mißerfolg zu berichten. Er wußte, es würde nicht mehr lange dauern, bis ihm der Herr seine Gunst entzog. Das wäre dann, dachte er schweren Sinnes, das Ende der lebenserhaltenden Therapien, das Ende der Unsterblichkeit für Kazzenkatt, den Zeroträumer. Deswegen beschäftigte er sich in der unterbewußten Phase des Traums mit der Konstruktion eines Paradiesplaneten, auf den er sich zurückzuziehen gedachte, nachdem der Herr der Elemente ihn verstoßen hatte. »Bist du ansprechbar?« erkundigte sich die sanfte Mentalstimme des Bordcomputers. »Ich höre dich«, sagte Kazzenkatt. »Das ist gut. Ich habe erfreuliche Nachrichten für dich. Eine Meldung von Einseins-Nannor.« Kazzenkatt horchte auf. 1-1-Nannor war das Technikelement, das den Einsatz auf Terra leitete – wobei der Zeroträumer natürlich dafür gesorgt hatte, daß der Anin An keine allzu weitreichenden Vollmachten erhielt. Denn die eigentliche Lenkung des Unternehmens behielt er sich selbst vor. »Was hat Eins-eins-Nannor zu sagen?« fragte er. »Fortschritt rascher als geplant. Infolge eines glücklichen Zufalls ist die Methodik der terranischen Kommunikation bereits entschlüsselt. Mit Phase zwei kann sofort begonnen werden.« Es prickelte wie ein elektrischer Schauer durch Kazzenkatts Bewußtsein. Der letzte Rest Besorgtheit fiel von ihm ab. Jetzt waren die Terraner endgültig verloren. Sie hatten die Absicht der Anin An nicht erkannt. Sobald Phase zwei begann, würde ihnen keine Erkenntnis mehr etwas nützen. Ein paar Tage noch, und die Bewohner des Solsystems
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waren in der Trance versunken. »Darum muß ich mich selbst kümmern«, sagte er voller Erregung.
* Ping, machte es in Krohn Meysenharts Audiosystem, und noch einmal in rascher Folge: Ping … ping … ping … Bunte Lichtpunkte erschienen aus dem Nichts auf der Sichtfläche seines Helms. Ein paar Sekunden lang vergaß er den kaltschnäuzigen Zynismus des mit allen Wassern gewaschenen Reporters und erlag der Faszination des Augenblicks. Gleich darauf aber war er wieder der von Berufs wegen Unerschütterliche, Unbeeindruckbare. Er vergewisserte sich, daß er mit seiner Übertragung nach wie vor live war. Mit sorgfältig abgemessenem Ernst begann er zu sprechen und erweckte bei dem Durchschnittskonsumenten den Eindruck, daß auch der Super-Buffo Krohn, Meysenhart seine seriösen Augenblicke haben konnte. »Ein Hohlkopf ist, wer sich dem Eindruck dieses Augenblicks entziehen kann. Sie brechen aus dem Linearraum hervor – ein Schiff nach dem anderen, Tausende, Hunderttausende, Millionen. Zweitausend Einheiten der Endlosen Armada materialisieren in diesen Sekunden und Minuten im VonoSektor, mehr als fünfundzwanzig Millionen Fahrzeuge! Könnt ihr euch vorstellen, was das bedeutet? Der Hauch des Kosmischen weht uns an. Noch nie hat das Auge des Menschen – von einigen Auserwählten abgesehen – eine derartige Massierung von Raumfahrzeugen erblickt. Die Raum-Zeit zittert. Ein neues Zeitalter ist angebrochen. Unsere Milchstraße wird nie mehr dieselbe sein …« »Nun übertreib's aber nicht«, meldete sich Ravael Dongs warnende Stimme auf dem Monitor-Kanal. »Mir schießen schon die Tränen in die Augen.« »Halt's Maul«, knurrte Krohn Meysenhart offline, während die Minikameras seiner Montur schwenkten und die Orterimpulse
aufnahmen, die der Computer in grelle, bunte Lichtpunkte verwandelte. »… nie mehr dieselbe wie zuvor«, setzte er seinen Vortrag fort. »Wir stehen am Beginn einer neuen Ära, und ihr erlebt ihn live dank des unermüdlichen Einsatzes eures Rasenden Reporters und der KISCH-Medien-Crew.« Es machte sich immer gut, wenn er den Kredit nicht allein für sich beanspruchte. Ravael Dongs Warnung war indes nicht wirkungslos an ihm vorbeigegangen. »Finden wir jetzt zur Wirklichkeit zurück«, sagte er. »So überwältigend der Anblick dieser unübersehbaren Menge fremder Raumschiffe auch sein mag, uns interessiert nach wie vor die Frage, was dieser Zirkus bedeuten soll. Wir wollen wissen …« Er wurde rüde unterbrochen. Eine grollende, dröhnende Stimme, ganz eindeutig die eines Epsalers, donnerte aus dem Audiokom: »Welcher Idiot spricht da auf dem Kommandokanal des Flaggschiffs? Halt dich da 'raus, Mann, oder ich zieh' dir die Haut ab!« Eine Sekunde lang bekam Krohn Meysenhart keine Luft. So hatte man ihn im Lauf der vergangenen zwanzig Jahre niemals anzusprechen gewagt. Für die Dauer eines Augenblicks war er verwirrt, fühlte sich erniedrigt. Dann vergewisserte er sich, daß seine Sendung auf dem üblichen, für seine Zwecke reservierten Band lief. Er gewann seine Würde zurück und sprach mit Stentorstimme: »Welcher Kretin hat sich auf die Privatleitung der KISCH-Medien-Crew geschaltet?« Er war offline gegangen. Die galaktische Öffentlichkeit brauchte dieses Zankgespräch nicht mitzuhören. In der Zwischenzeit würde seine Mannschaft die Konsumenten mit Nachrichtenfüllern und weiteren Bildern der Endlosen Armada versorgen. Die Mitglieder der KISCH-Besatzung waren aufeinander eingespielt. Es ging nichts schief. »Hier spricht Krohn Meysenhart«, dröhnte er weiter, »einer der bekannten Spezialisten des Medien-Geschäfts. Ich erwarte, daß du dich
Traumwelt Terra an die Regeln und Vorschriften der interstellaren Kommunikation hältst.« »Ach, sieh da – Krohn Meysenhart«, erwiderte die andere Stimme höhnisch. »Der Mann, der sich seit einer halben Stunde über den mangelnden Intellekt der Epsaler ausläßt. Na, du kommst mir gerade recht, Bürschchen.«. »Wer … wer spricht da?« erkundigte sich der Rasende Reporter verdattert. »Rimser Kapp. Kommandant der RIMDAN, des Flaggschiffs der epsalischen Empfangsflotte. Du kennst mich. Habe ich nicht vor kurzem gehört, du seist auf dem Weg zu mir?« Krohn Meysenhart wurde es abwechselnd heiß und kalt. Da hatte er sich mit dem Falschen angelegt. Wenn er die Reportage haben wollte, die er seinen Konsumenten versprochen hatte, dann mußte er einlenken. »Ein Mißverständnis wahrscheinlich«, sagte er hastig. »Ich meine, die Sache mit dem doppelt belegten Kanal. Ich kann dir zwar meine Lizenz für den Exklusivanspruch auf diese Frequenz vorweisen …« »Pah, Lizenz!« donnerte Rimser Kapp. »Was kümmern wir Epsaler uns um Lizenzen?« »Ich dachte es mir«, sagte Krohn Meysenhart. »Nicht überall in der Milchstraße richtet man sich nach denselben Gepflogenheiten. Hör zu, Kapp: Hier bist du zu Hause, und ich bin ein Fremder. Ich überlasse dir deinen Kommandokanal und schalte mich auf ein anderes Band. Einverstanden?« »Die ersten vernünftigen Worte, die ich je aus dem Mund eines Reporters gehört habe«, grollte der Epsaler. »Bin ich an Bord deines Schiffes noch willkommen?« erkundigte sich Krohn Meysenhart. »Selbstverständlich«, antwortete Rimser Kapp in versöhnlichem Tonfall. »Wir haben dich im Visier. Halt dich fest – wir holen dich herein.« Ein leiser Ruck fuhr durch Meysenharts eigenartiges Gefährt, als die Kraftfeldlinien des Traktorfelds nach ihm faßten und es be-
19 schleunigten.
* Im Halbdunkel seines Swing-Gemachs richtete Fredo Gopher sich grinsend auf und ließ die Swing-Krone von der Schädeldecke gleiten. Was da vorging, war ihm nicht ganz klar. Ohne Zweifel hatte Krohn Meysenhart auf Monitor oder offline geschaltet, als die Diskussion mit dem epsalischen Kommandanten begann. Kein Reporter, der etwas auf sich hielt, ließ die Öffentlichkeit hören, wie er beschimpft wurde – und Meysenhart hielt sehr viel auf sich. Irgend etwas muß schiefgegangen sein. Die ganze Milchstraße hatte mitgehört, wie der Rasende Reporter von Rimser Kapp zusammengestaucht worden war. Vielleicht war Ravael Dong daran schuld, der Komödiant der KISCH-Crew und Krohn Meysenharts engster Mitarbeiter. Er saß an den Kontrollen des Medien-Tenders. Man hatte Gerüchte gehört, wonach es zwischen Dong und Meysenhart in jüngster Zeit zu Spannungen gekommen war. Ravael Dong, selbst ein geschickter Kommunikator, hatte es angeblich satt, für Krohn Meysenhart den Handlanger zu spielen. Er wollte selbst die Rolle des Starreporters übernehmen. So wollte es wenigstens die Gerüchtemühle wissen. Hatte Dong seinem Herrn und Meister diesen Streich gespielt? Dann hatte er jetzt alle Hände voll damit zu tun, seihe Spuren zu verwischen. Denn wenn Krohn Meysenhart erfuhr, wie ihm mitgespielt worden war, dann würde er den Kopf dessen fordern, der für die Panne verantwortlich war. Auf jeden Fall war die Schau noch nicht vorüber. Genüßlich begab sich Fredo Gopher, nachdem er einen kurzen Imbiß zu sich genommen hatte, auf das bequeme Lager zurück, auf dem er sich während seiner SwingSessions zu räkeln pflegte. Die Swing-Krone wurde zurück auf die Tonsur gesetzt. Der Telecommander suchte den gewünschten Kanal und blendete auf. Im Nu befand sich
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Fredo an Bord der RIMDAN, mitten in der Kommandozentrale.
* Rimser Kapp war etwas über 1,60m groß und in den Schultern ebenso breit. Er trug eine aus schreiend bunten Einzelteilen komponierte Phantasieuniform. Sein gebräuntes Gesicht war wettergegerbt. Als prominentestes Detail der Physiognomie fungierte eine rötlich-violett verfärbte Knollennase. Wer den Epsaler so sah, der fühlte sich an die frühen Jahrhunderte der terranischen Raumfahrt erinnert, an die Ära der skrupellosen Springer-Sippen, an die Epoche der Freihändler. Rimser Kapp wirkte wie ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten. Und er wußte, was er seiner äußeren Erscheinung schuldig war. Er polterte, tobte und brüllte; aber wenn man ihm vernünftig kam, wurde er sanft wie ein Lamm. Er repräsentierte den einst allseits beliebten Typ des Mannes mit dem weichen Kern unter der harten Schale. Krohn Meysenhart war kaum größer als der Epsaler, aber wesentlich schmaler in den Schultern. Man hätte sich keinen schrofferen Gegensatz vorstellen können, als er zwischen diesen beiden Männern bestand: Meysenhart, der Sensible, modisch Aufgetakelte – und Rimser Kapp, der ungehobelte Flibustier. Dabei war alles nur Schein, bei Meysenhart ebenso wie bei dem Epsaler. Jeder spielte eine Rolle, und aus der Rolle, nicht aus ihrem wahren Charakter, ergab sich die Konfrontation, die soeben in ihre entscheidende Phase trat. »Hier also«, verkündete Krohn Meysenhart mit jener aufgeregten, schrillen Stimme, die aller Welt klarmachen sollte, daß eine sensationelle Enthüllung unmittelbar bevorstand, »befinden wir uns in der Zentrale des Raumschiffs, das den Exodus von mehr als zehntausend Epsalern in Richtung Erde anführen wird, sobald die Einheiten der Endlosen Armada wieder die Laune verspüren, sich in Marsch zu setzen. Und vor mir habe ich Rimser Kapp, den Kommandanten des
Flaggschiffs, der mir und euch Neuigkeiten-Freaks in wenigen Augenblicken erklären wird, was es mit diesem Unternehmen auf sich hat. Schließlich werden dabei Milliarden an Steuergeldern verplempert, und der Normalbürger hat noch nicht einmal den Anflug einer Ahnung, wozu das Ganze überhaupt gut sein soll.« Er machte einen theatralischen Schwenk in Richtung des Kommandanten und ließ aus dem breiten Gürtel seiner Montur ein winziges Mikrophon an einem selbsttragenden, tentakelähnlichen Kabel hervorfahren. Das Kabel mit dem Mikrophon am Ende wand sich schlangengleich auf Rimser Kapp zu. Der Epsaler wischte das kleine Gerät mit einer lässigen Handbewegung beiseite. Aus finsteren Augen musterte er den Rasenden Reporter. »Du bist Krohn Meysenthal, nehme ich an«, grollte er. »Meysenhart«, verbesserte ihn Krohn. »Jedermann kennt meinen Namen.« Ein hämisches Grinsen erschien auf Rimser Kapps Gesicht. »Verzeih mir«, bat er scheinheilig. »Aber schließlich weiß ja alle Welt, daß es mit dem Intellekt der Epsaler nicht allzu weit her ist, nicht wahr?« Meysenhart wurde es ein wenig heiß unter dem Kragen seines modischen Gewands. Hatte man an Bord der RIMDAN wirklich alles mitgehört, was er während des Anflugs über die intellektuellen Fähigkeiten der Epsaler von sich gegeben hatte? »Ich halte das für ein übles Gerücht«, sagte er widerwillig. »Und du als Reporter, willst du damit sagen, verbreitest Wahrheiten, aber keine Gerüchte«, grinste Rimser Kapp. »So ist es.« Allmählich wurde Krohn Meysenhart ärgerlich. Was fiel dem Hackklotz von einem Epsaler ein, ihm hier die Schau zu stehlen? »Wenn du nichts dagegen hast, möchte ich dir ein paar Fragen stellen. Medien-Konsumenten überall in der Milchstraße warten voller Spannung auf deine Antwort.«
Traumwelt Terra Der Rasende Reporter überprüfte mit kurzem Blick seine Monitoren. Es war alles in Ordnung. »Selbstverständlich«, antwortete Rimser Kapp bereitwillig. »Schieß los.« Krohn Meysenhart wies auf den großen Panoramabildschirm, der die Einheiten der epsalischen Begrüßungsflotte und die ungeheure Menge der Armadaschiffe in computergestützter Darstellung zeigte. Ein Teil des Bildes wurde anhand der Daten erzeugt, die der hyperenergetische Orter lieferte. Die Nachhut des Armadaverbands war im Abstand von mehr als einem Lichttag rematerialisiert. Auf normaloptischem Wege hätte sie erst in vierundzwanzig Stunden erfaßt werden können. »Das alles«, sagte Krohn Meysenhart feierlich, »stellt einen ungeheuren Aufwand dar. Hinzu kommt eine Flotte von fast einhundert epsalischen Schiffen, die dem Verband der Armada das Geleit nach Terra geben will. Was den Mann auf der Straße interessiert oder die Frau im Büro: Wozu das alles?« Rimser Kapp erwiderte seinen fragenden Blick mit großem Ernst. »Es geht um Sauerkraut«, sagte er. »Ha?« machte Krohn Meysenhart gänzlich unprofessionell. »Sauerkraut«, wiederholte der Epsaler. »Eine Wette, die ich mit Reginald Bull abgeschlossen habe.« Der Rasende Reporter hatte das ungute Gefühl, er werde auf den Arm genommen. Aber jetzt steckte er schon zu tief in der Sache drin, als daß er sich auf ein anderes Thema hätte herausreden können. »Eine Wette, wie?« fragte er lächelnd. »Ja. Ich bin nämlich auf Epsal eine nicht besonders angesehene Person. Zur Zeit frei auf Bewährung. Raub, Diebstahl, Einbruch … solche Dinge. Ein schwarzes Schaf, wenn du so willst. Aber ein hochqualifizierter Astronaut. Reginald Bull kenne ich seit vielen Jahren. Wir sind gute Freunde. Beim letzten Zusammentreffen kam die Rede darauf, daß ich gerne die Begrüßungsflotte füh-
21 ren würde, die mit dem Armada-Verband nach Terra fliegt. Bull lachte mich aus und meinte, auf Epsal wäre keiner dumm genug, mir ein solches Kommando anzubieten. So kam die Wette zustande.« »Hehehe«, meckerte Krohn Meysenhart. »Jeder liebt einen guten Scherz, aber …« »Willst du Einzelheiten sehen?« unterbrach ihn Rimser Kapp. »Wir haben eine Simulation gefahren, wie die Wette nach meiner Ansicht ausgeht. Der Verlierer verpflichtet sich, fünf Pfund rohes Sauerkraut binnen zehn Minuten zu vertilgen. Kannst du dir vorstellen, was das seinem Magen antut?« Er wies in eine Nische zwischen zwei Aggregatblöcken. »Holobild, sieh dir's an.« Krohn Meysenharts Instinkt versagte. Normalerweise hätte er sich nicht so einfach an der Nase herumführen lassen. Aber erstens war er von der absoluten Unantastbarkeit seiner Person überzeugt, und zweitens hatte es Rimser Kapp mit seinen grotesken Behauptungen verstanden, seine Neugierde zu wecken. Kurz und gut: Der Rasende Reporter trat gehorsam in die geräumige Nische und hörte den Epsaler sagen: »Projektion – jetzt!« Ein dreidimensionales Bild entstand rings um Krohn Meysenhart Er sah Sterne, die Schwärze des Alls und die bunten, computererzeugten Lichtpunkte materialisierender Raumschiffe. Die Szene kam ihm bekannt vor. Es war dieselbe, die er vor einer halben Stunde erlebt hatte. Aus dem Nichts glitt ein kantiges Gebilde auf ihn zu, eine Lastplattform … seine Lastplattform. Er sah sich selbst, wie er auf der Plattform stand, den Kopf halb in den Nacken gelegt, den Blick entlang der schimmernden Lichtwolke der Armadaschiffe schwenkend. Er hörte sich sagen: »Man sagt uns, daß dieser Zirkus eine tiefe Bedeutung hat. Aber welcher Art die Bedeutung ist, darüber schweigt man sich aus. Ich werde unseren Freund Rimser Kapp darüber befragen, welchen Sinn er darin sieht, mit annähernd einhundert epsalischen Schif-
22 fen der Begleiter der Armadisten auf dem Weg nach Terra zu machen. Er wird vermutlich ausweichend antworten – entweder weil man ihm Schweigen geboten hat oder weil er den Sinn selbst nicht versteht. Schließlich weiß man ja, daß es die Epsaler mit dem Intellekt nicht so haben wie andere Bewohner der Milchstraße.« »Oh«, mischte sich die dröhnende Stimme eines Unsichtbaren in den Empfang, »jetzt habe ich Dummkopf die falsche Projektion erwischt. Verzeih mir, Krohn Meysenthal; ich will den Fehler so rasch wie möglich wiedergutmachen. Nur eine Sekunde, bitte …« Dem Rasenden Reporter trat der Schweiß auf die Stirn. Er hatte sich hereinlegen lassen. Die Epsaler hatten seine abfälligen Bemerkungen getreulich aufgezeichnet. Er mußte sich aus diesem Hologramm befreien. Er mußte raus aus dem Bild, bevor sein guter Ruf als Reporter vollends zum Teufel war und Rimser Kapp ihm noch einen weiteren Streich spielen konnte. Er drehte sich um die eigene Achse, aber überall, wo er hinsah und hingriff, war weiter nichts als die Schwärze des Weltalls, durchsetzt mit den Lichtpunkten der Raumschiffe und Sterne. »Verrat! Schweinerei!« fluchte er. »Laßt mich hier raus!« »Ich glaube, jetzt habe ich den richtigen Datenträger erwischt«, antwortete Rimser Kapp unbeeindruckt. »Halt dich fest, Meysenthal: Jetzt geht's los.« Mitten in der Finsternis entstand ein leuchtender Torbogen. Krohn Meysenhart fühlte sich unaufhaltsam darauf zutreiben. Die Projektion seiner Lastplattform war längst im Hintergrund verschwunden. Er schrie entsetzt auf, als das Transportfeld des Transmitters ihn erfaßte und ihm für den Bruchteil einer Sekunde das häßliche Gefühl schwerelosen Fallens vermittelte. Seine Umgebung schien sich nicht geändert zu haben, als der Transmittereffekt wich. Er befand sich noch immer inmitten der Schwärze des Alls. Millionen von Lichtpunkten umgaben ihn. Der Helm des SE-
Kurt Mahr RUNS hatte sich geschlossen; das gab ihm zu denken. Die Lichter, die er sah, wurden von dem Konglomerat der Mikroprozessoren seiner Montur erzeugt. Er befand sich nicht mehr inmitten einer Holoprojektion. Man hatte ihn hinaus ins All befördert! Aus den Augenwinkeln bemerkte er einen matt schimmernden, würfelförmigen Gegenstand, der sich rasch entfernte. Binnen zweier Sekunden hatte ihn die Dunkelheit verschluckt, bevor er noch eindeutig erkennen konnte, was für eine Art von Objekt es war. Aber er hatte eine ziemlich plausible Idee. Es mußte sich um das Transmitteraggregat gehandelt haben, das das Gegenfeld erzeugte. Rimser Kapp hatte seinen üblen Scherz von langer Hand vorbereitet. Entsetzt stellte er fest, daß er immer noch live war. Auf dem Monitorkanal donnerte er in unbeherrschter Wut: »Füller! Füller! Schaltet mich aus!« Aber von der KISCH kam keine Antwort. Der Teufel mochte wissen, wo ihn dieser verdammte Epsaler hinbefördert hatte! Da kam es aus dem Dunkel auf ihn zu: ein rechteckiges Gebilde, das sich träge taumelnd um sämtliche drei Achsen drehte – seine Lastplattform! Der Instinkt hieß ihn, den Gravo-Antrieb des SERUNS zu aktivieren und sich auf das torkelnde Fahrzeug zuzubewegen. Ein Reporter war verpflichtet, auf sein Gerät zu achten, es zu schonen und nach Möglichkeit nichts davon zu verlieren. Es war nicht leicht, Kontakt mit der Plattform zu bekommen. Schließlich aber faßte er festen Fuß auf einer der glatten Oberflächen und stellte eine magnetische Verankerung her. Es wurde ihm übel, als er die Sterne und die bunten Lichtpunkte der Raumschiffe in taumelndem Durcheinander um sich rotieren sah. Er würde eine Zeitlang brauchen, bis er die Plattform unter Kontrolle hatte – und die ganze Zeit über sahen Milliarden von Medien-Konsumenten überall in der Milchstraße ihm zu. Oh, Rimser Kapp – fürchterlich wird meine Rache sein! Der Epsaler mußte die Plattform aus dem Hangar hinauskatapultiert ha-
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ben, in dem Krohn Meysenhart gelandet war. Daß er ihr dabei noch zusätzlich einen Effekt verliehen hatte, rechnete ihm der Reporter als besondere Boshaftigkeit an. »Ich erwische dich, Rimser Kapp«, keuchte er. Er hätte es besser wissen sollen. Seine Sendung wurde überall im Umkreis von 50.000 Lichtjahren empfangen, also auch an Bord der RIMDAN, wie ihm inzwischen klargeworden war. »Das mag sein«, antwortete die tiefe, ruhige Stimme des epsalischen Kommandanten, »aber ich glaube es nicht. Magst du eine Wette eingehen? Fünf Pfund rohes Sauerkraut in zehn Minuten? Während du über mein Angebot nachdenkst, überlege bitte auch, ob es sich lohnt, deinen Zuhörern ein ganzes Volk pauschal als Dummköpfe zu verkaufen …«
* Fredo Gopher erstickte fast an seinem Lachanfall. Krohn Meysenhart vor der gesamten Milchstraße blamiert! Das sollte ihn lehren, auf Clownerie und lässig dahingeworfene, verletzende Kommentare in Zukunft zu verzichten. Herrlich, wie Rimser Kapp den Rasenden Reporter hereingelegt hatte – ausgerechnet einer aus dem Volk der Epsaler, dem Meysenhart Minuten zuvor noch einen verminderten Intellekt zugeschrieben hatte. Sauerkraut! Fredo wollte sich ausschütten vor Lachen. Was Reginald Bull davon halten mochte, wenn er die Sendung mitverfolgt hatte? Fredo kam nicht dazu, seinen heiteren Gedanken weiter nachzuhängen. Der Radakom meldete sich. »Ich bin hier«, rief Fredo laut, und eine große Videofläche materialisierte wenige Meter von ihm entfernt. Es ging ihm wie ein elektrischer Schock durch den Körper, als er Egins ebenmäßiges, anziehendes Gesicht erblickte. Ihre Augen musterten ihn nachdenklich, als sei sie am
Überlegen, ob sie den Mann mit dem safrangelben, zerstrobelten Haarschopf und dem zerschlissenen Kaftan wirklich hatte anrufen wollen. Sein Blick dagegen saugte sich an ihren vollen Lippen fest, die für seine Begriffe etwas unglaublich Erotisches an sich hatten. »Es gibt Probleme, Fredo«, sagte sie schließlich. »Ich frage mich, ob du uns helfen willst.« Trotz seiner augenblicklichen Verlegenheit brachte er ein jungenhaftes Grinsen zuwege. »Uns? Du meinst, du bist auch mit dabei?« »Ja.« Sie blieb ernst. »Ich helfe«, versicherte er treuherzig.
* Homer G. Adams fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. Er betrachtete sich als im Hausarrest befindlich, obwohl eine entsprechende Anweisung von Seiten der Ordnungsbehörde nicht ergangen war. Er wollte den Terranern zeigen, daß er sich zur Verfügung hielt – für alles, was sie mit ihm noch vorhaben mochten, um ihn für sein verräterisches Verhalten im Zusammenhang mit der WARNER-Äffäre zu bestrafen. Nicht etwa, daß ihn sein Gewissen geplagt hätte. Die Methoden, deren er sich bedient hatte, waren unorthodox, sicherlich auch vorschriftswidrig, zum Teil sogar ungesetzlich. Er hatte bekannt, selbst der WARNER gewesen zu sein. Er hatte zugestimmt, daß Ronald Tekener die Erinnerung an seine Begegnung mit dem wirklichen WARNER auf der Stelle verlieren solle. Er hatte sich in vieler Hinsicht schuldig gemacht, und dennoch empfand er nicht eine einzige Regung des Bedauerns. Was er getan hatte, hatte getan werden müssen. Der Zufall hatte bestimmt, daß ausgerechnet er es war, auf den die Verantwortung fiel. Es war eine Laune des Schicksals gewesen, daß der Fremde sich unter den nahezu unendlich vielen Personen, an die er sich hätte wenden
24 können, gerade an Homer G. Adams gewandt hatte. Der Fremde bedurfte des Schutzes. Sein Wissen war ungeheuerlich. Er durfte dem Dekalog der Elemente nicht in die Hände fallen. Erst wenn die Gefahr, die von Kazzenkatt und seinen Horden ausging, gebannt war, konnte das Geheimnis gelüftet werden. Bis dahin blieb Homer G. Adams in den Augen derer, die um die Vorfälle wußten, der Geächtete. Gedankenverloren blickte Adams auf die Digitalanzeige des Kalanders. Das neue Jahr hatte begonnen: 429 Neuer Galaktischer Zeitrechnung. Das Jahr 4016 nach der alten Zählung wäre es gewesen. In gut neun Monaten würde er 2098 Jahre alt werden. Wie absurd wäre es ihm vor zweitausend Jahren erschienen, wenn ihm damals jemand geweissagt hätte, er werde ein derart hohes Alter erreichen. Damals hatte es noch Zellduschen gegeben, die alle 62 Jahre wiederholt werden mußten, und es war von Mal zu Mal schwieriger geworden, den geheimnisvollen Planeten Wanderer zu finden, in dessen Physiotron die lebensverlängernde Therapie verabreicht wurde. Erst Jahrhunderte später hatte er den Zellaktivator erhalten, der die weitere Behandlung mit Zellduschen überflüssig machte und ihm quasi garantierte, daß der Tod aus natürlichen Ursachen für immer die Hände von ihm lassen würde. Er gehörte zu dem winzigen Kreis der Auserlesenen, die den Status der virtuellen Unsterblichkeit erlangt hatten. Das Schicksal war gütig zu ihm gewesen. Er aber zahlte die Güte zurück, indem er seine Freunde belog und hinter ihrem Rücken Geheimpolitik betrieb, die gegen alle Regeln und Vorschriften der Liga Freier Terraner sowie der Kosmischen Hanse verstieß. Er schrak zusammen, als der Melder des Kom-Anschlusses summte. Seit Tagen hatte niemand mehr mit ihm sprechen wollen. Wer mochte es sein, der ihn um diese Zeit anrief? Er aktivierte den Anschluß durch akustischen Befehl. Eine Bildfläche begann vor ihm zu flimmern. Die Umrisse eines Ge-
Kurt Mahr sichts formten sich, das im Lauf der Jahrhunderte nichts von seiner ursprünglichen, jugendlichen Frische verloren hatte. »Michael Rhodan!« staunte Adams. »Was bringt dich dazu …« »Man hat mir über alles berichtet, was mein Freund Homer G. Adams sich angeblich hat zuschulden kommen lassen.« Die Stimme des jungen Mannes, der einst unter dem Namen Roi Danton milchstraßenweit bekannt geworden war, hatte einen ernsten, bedrückten Klang. »Ich konnte es nicht glauben. Es muß alles ein gewaltiger Irrtum sein …« Er unterbrach sich, als Adams langsam und mit einem müden Lächeln den Kopf schüttelte. »Es ist wahr?« fragte er nach einigen Sekunden. »Wahr ist, was sie über meine Handlungen gesagt haben, mein Junge«, antwortete Adams traurig. »Aber meine Motive kennen sie nicht. Auch dir kann ich sie nicht nennen. Aber wer mich der Macht- oder Geldgier, der Umstürzlerei oder ideologischer Experimente beschuldigt, der weiß nicht, wovon er redet.« Lange Zeit saß Michael Rhodan schweigend. Dann nickte er. »Wenigstens ein Trost«, sagte er. »Eines Tages wirst du uns dein Geheimnis enthüllen?« »Eines Tages«, versprach Homer Adams. »In nicht allzu ferner Zukunft, wie ich hoffe.« »Ich hoffe mit dir«, sagte der junge Rhodan. »Es ist …« Plötzlich zerfloß sein Gesicht zu hundert bunten Fetzen, die haltlos über die Bildfläche trieben. Seine Stimme wurde zu einem schrillen, unverständlichen Gequäke. Eine Sekunde lang setzte die Übertragung völlig aus; dann entstand ein neues Bild. Verwirrt und verständnislos starrte Homer Adams das Profil einer älteren Frau an, die offenbar in ein erregtes Gespräch mit einem dritten Komnetz-Teilnehmer verwickelt war. Adams hörte sie sagen:
Traumwelt Terra »… Gütertrennung ist der einzig gangbare Weg. Ich will wissen, was mir gehört, damit ich darüber disponieren kann. Sonst kommt er mir mit seinen Marotten immer wieder in die Quere. Habe ich recht, Mildred? Mildred, bist du noch da?« Sie wandte ihr Gesicht dem Aufnahmegerät zu. Ihre Augen wurden unnatürlich groß, als sie Homer Adams erblickte. Sie erkannte ihn nicht. Adams war ein Mann, dessen Bild man in Nachrichtensendungen und sonstigen Veröffentlichungen nur selten zu sehen bekam. Dafür erwachte ihr Zorn. »Wie kommst du in meine Leitung?« schnaubte sie. »Was fällt dir ein, ein privates Gespräch zu belauschen? Ich werde dich anzeigen …« »Beruhige dich, Schwester«, fiel Adams ihr mit sanfter Stimme ins Wort. »Ich kann nichts dazu. Das System muß eine Fehlfunktion entwickelt haben.« »Ha, Fehlfunktion!« keifte die Alte. »In Wirklichkeit hat …« Es erging ihr ebenso wie wenige Augenblicke zuvor Michael Rhodan: Ihr Gesicht wurde zu einem bunten Mosaik, dessen Bestandteile eilends auseinander strebten. Ihre Stimme verwandelte sich in heiseres Gezwitscher. Dann war eine Sekunde Stille, und schließlich setzte die Übertragung wieder ein. Diesmal bekam Homer Adams kein Bild zu sehen, sondern lange Ketten verschiedenfarbiger Symbole, die mit großer Geschwindigkeit quer über die Videofläche huschten. Eine private Datenübertragung ohne Zweifel. Adams deaktivierte den Kom-Anschluß durch Zuruf. Lange Zeit grübelte er darüber nach, was es mit der Verwirrung im Komnetz auf sich haben könne. Er hatte sich mit Michael Rhodan über einen Rada-Kanal unterhalten. Rada (ein Akronym, das aus den Anfangsbuchstaben der Worte random access direct address gebildet wird) war der Ersatz für das in früheren Zeiten gebräuchlichen Telephon. Rada-Kanäle boten absoluten Schutz gegen Abhören und Störung. Was sich soeben ereignet hatte, hätte nach
25 den Gesetzen der Kommunikationstheorie nicht geschehen dürfen. Eine Zeitlang spielte er mit dem Gedanken, den jungen Rhodan zurückzurufen und die Sache mit ihm zu diskutieren. Schließlich jedoch entschied er dagegen. Es war Zeit, daß er ein paar Stunden Ruhe einlegte. Die Uhr zeigte weit nach Mitternacht. Der zweite Tag des neuen Jahres war längst angebrochen. Wenn irgendwo ein ernsthafter Fehler im System des Komnetzes vorlag, dann würden ihn andere auch bemerken, so daß sich eine Meldung von seiner Seite erübrigte. Während er einzuschlafen versuchte, ging ihm durch den Sinn, daß irgendeiner der vielen Intelligenzbeschaffungsdienste, die zumeist im Dienst der Regierung oder der Kosmischen Hanse arbeiteten, seinen KomAnschluß angezapft und dabei eine Fehlschaltung vorgenommen haben mochte. Aber der Verdacht hielt näherer Inspektion nicht stand. Liga wie Hanse genossen den Ruf, daß sie sich bis zur Grenze der Naivität an den Buchstaben und den Geist der Verfassung hielten. Beide, der Buchstabe und der Geist, verboten das Eindringen in die Privatsphäre des Bürgers. Die Müdigkeit übermannte ihn schließlich. Aber wenige Stunden später war er schon wieder wach. Er fror am ganzen Leib. Er rief den Hauscomputer, der sich sofort meldete. »Was kann ich für dich tun?« erkundigte sich eine wohltönende Stimme. »Warum ist es hier so verdammt kalt?« wollte Adams wissen. »Die Temperatur liegt bei zwölf Grad«, antwortete der Computer. »Die Heizung läuft.« »Zwölf Grad!« rief Adams. Er streckte einen Arm unter der leichten Decke hervor und spürte einen eiskalten Luftzug. »Das ist nicht die Heizung, die läuft, sondern die Klimakühlung.« »Es tut mir leid«, sagte der Hauscomputer, »meine Daten weisen darauf hin, daß die Heizung aktiv ist.«
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Da begann Homer G. Adams zu begreifen, daß die Welt der computerisierten Kommunikation noch weitaus schlimmer in Unordnung geraten war, als es vor ein paar Stunden noch den Anschein gehabt hatte.
* Als am 2. Januar 429 über einer Zeitzone Terras nach der anderen der Morgen zu dämmern begann, da wurde offenbar, daß das Chaos im Begriff war, sich auf die im Bann der positronischen Technologie stehende terranische Zivilisation zu senken. Dinge, die der Mensch als selbstverständliche Bestandteile des Alltags zu betrachten gewohnt war, funktionierten nicht mehr. Der allgegenwärtige Hauscomputer hatte offenbar einen akuten Fall von Schizophrenie entwickelt. Er betrieb die Automatenküche nicht mehr, behauptete jedoch, sie sei voll betriebsfähig. Was sich während der Nacht in Homer Adams' Domizil ereignet hatte, widerfuhr im Lauf des Morgens zahllosen Millionen terranischer Haushalte: Der Hauscomputer behauptete, er sei am Heizen, während er in Wirklichkeit kühlte – oder umgekehrt, je nach Klimazone und örtlichen Jahreszeitbedingungen. Ein anderes Problem war die Kommunikation. Radar, Radio und Telekom funktionierten nicht mehr ungestört. Selbst der in älteren Gebäuden noch drahtgebundene Interkom entwickelte Kapriolen, die niemand sich erklären konnte. Das waren die harmlosen Vorfälle. Wesentlich übler wirkte es sich aus, wenn auf den großen Funkleitstraßen das Leitsystem ausfiel. Nicht, daß es dabei zu Unfällen gekommen wäre. Fahrzeugeigene Sicherheitssysteme verhinderten das. Aber der Verkehr geriet ins Stocken und kam auf einigen Strecken schließlich zum Erliegen. Die öffentlichen Verkehrsmittel in der Stadt und auf dem Land entwickelten Fehlfunktionen, blieben stehen oder durchfuhren planmäßige Haltepunkte, ohne auch nur zu bremsen. Türen öffneten oder schlossen sich nicht. In
den Städten sprang tagsüber die Straßenbeleuchtung an. Die Automatenküchen der Haushalte und Restaurants lieferten ungenießbare Mahlzeiten. Das waren die Dinge, die sich unmittelbar auf das Alltagsleben des Bürgers auswirkten. Andere, schwererwiegende ereigneten sich im Bereich der Technik, in den nur Fachleute Einblick hatten. Der Datenaustausch zwischen den terranischen Großcomputerzentren brach zusammen. Lokale und Bezirksadministrationen, die vom einwandfreien Funktionieren des Datenflusses abhängig waren, gerieten in Schwierigkeiten. Bereichsverwaltungen, deren Planung längerfristig war, spürten die ersten Schwierigkeiten, und schließlich klopfte das Chaos auch an die Tür des obersten Administrationsniveaus: der Liga Freier Terraner. Freilich legten die Verantwortlichen nicht die Hände in den Schoß und ließen das Unglaubliche tatenlos über sich ergehen. Trupps Von Spezialisten waren überall unterwegs, um nach der Ursache der Fehlfunktionen zu suchen und sie zu beseitigen. Behindert wurde ihre Arbeit dadurch, daß die allermeisten Probleme kurzfristiger Natur waren und sich von selbst beseitigten, bevor die Spezialisten an Ort und Stelle waren. Der Verkehr auf den großen Funkleitadern Terranias begann wieder zu fließen, dafür brach er in den Straßen Sidneys zusammen. Als die Experten in Sidney eintrafen, hatte das Leitsystem dort bereits wieder zu arbeiten begonnen. Dafür meldete Berlin die ersten Ausfälle. Es war ein zur Verzweiflung treibendes Katz-und-Maus-Spiel, das von einem Unbekannten inszeniert wurde. Unbekannt? Das zeitliche Zusammentreffen des Kommunikationschaos mit dem Auftauchen der Sat-Technos war schwer zu übersehen. Wenn aber zwei völlig unerwartete – und in diesem Fall besorgniserregende – Ereignisse nahezu gleichzeitig stattfinden, dann erscheint zumindest der oberflächlichen Logik der Schluß unvermeidbar, es müsse das eine kausal mit dem anderen zusammenhängen.
Traumwelt Terra Krisenstäbe tagten überall. Ihre Arbeit wurde behindert durch die Unzuverlässigkeit der Verständigung. In und über Terrania tummelten sich mehrere Millionen SatTechnos, die stärkste örtliche Konzentration der Fremdgebilde, die bisher beobachtet worden war. Es gab nur einen einzigen Lichtblick. Nachdem Galbraith Deighton dafür gesorgt hatte, daß die Virensäule auf dem großen Platz vor dem Hauptquartier der Kosmischen Hanse von starken Robot-Detachements bewacht wurde, war er selbst in die Kommunikationsnische der Säule getreten und hatte Verbindung mit dem Virenimperium aufgenommen. Der Kontakt erfolgte diesmal über einen der noch verbleibenden 20.000 Virochips. Der kontrollierende Sturmreiter war Stronker Keen, der ehemalige Leiter des PSI-TRUSTS. Infolgedessen gestaltete sich für Galbraith Deighton die Befragung des Virenimperiums wie eine Konversation mit Stronker Keen. »Die zunehmende Verwirrung der terranischen Kommunikationssysteme wird von unserer Seite aus beobachtet«, erklärte Keen auf Deightons Frage. »Und – was ist dabei herausgekommen?« erkundigte sich der Sicherheitschef, ein wenig erstaunt über die Knappheit der Antwort. »Die Sat-Technos haben die Hand im Spiel.« Deighton sah Keen, wie er ihn aus den Tagen des PSI-TRUSTS in Erinnerung hatte: hochgewachsen, breitschultrig, sportlich, mit kantigem Gesicht, hellblondem Haarschopf und hellwachen, intelligenten blauen Augen. Nichts an der psi-optischen Darstellung wies darauf hin, daß Stronker Keen in Wirklichkeit nur noch die Größe eines Virus besaß. Er trug eine Montur, die einem herkömmlichen Raumanzug glich, mit geöffnetem Helm, und saß auf einem surfbrettähnlichen Gebilde. Es schien ruhig auf seinem Virochip zu sein. Es gab keine Informationsfluten zu bändigen, keine fliehenden Datenpakete zu verfolgen. Der Sturmreiter konnte sich dem Gespräch ohne Ablenkung wid-
27 men. »Stronker, das können wir uns selber denken«, sagte Galbraith Deighton vorwurfsvoll. »Wir hatten erwartet, daß das Virenimperium uns etwas Handfesteres mitteilen könnte.« Keens Miene war sorgenvoll. »Du weißt, wie es mit dem Virenimperium dieser Tage steht, Galbraith«, antwortete er. »Es läßt sich nicht mehr so ohne weiteres ansprechen. Es scheint – anders kann ich es nicht ausdrücken – seine eigenen Probleme zu haben. Es kümmert sich nicht mehr viel um die Außenwelt. Manchmal dauert es Stunden, bis ich Kontakt bekomme.« »Also gut«, seufzte Deighton. »Sag mir wenigstens, ob die Virochips in irgendeiner Weise von dem beginnenden Chaos betroffen sind.« »Das sind sie nicht«, erklärte Stronker Keen – froh darüber, endlich eine eindeutige Auskunft geben zu können. »Virochips und Virenimperium sind unbeeinflußt. Letzteres, soweit ich die Lage beurteilen kann.« Als Galbraith Deighton die Virensäule verließ, war er nicht sicher, ob das Gespräch mit dem ehemaligen Chef des PSI-TRUSTS Anlaß zu Befriedigung oder Verzweiflung hätte sein sollen. Er empfand keines von beiden. Er fühlte sich so leer und hilflos wie zuvor. Aber als er die Sache seinem Krisenstab vortrug, reagierte man dort mit Begeisterung. »Solange das Virenimperium nicht beeinflußt ist, können uns die Sat-Technos nichts anhaben«, erklärte einer der Stabsspezialisten. Galbraith Deighton war nicht sicher, ob er sich dieser Ansicht ohne Vorbehalte anschließen könne.
* »Das Problem ist«, sagte Egin, »daß die Zacken im Integralspektrum der SatTechno-Emissionen, die du beobachtet hast, nicht mehr auftreten. Es gibt keine Möglich-
28 keit mehr, eine Fehlleistung des Kommunikationssystems mit besonderer energetischer Aktivität der Technos zu korrelieren.« Fredo Gopher befand sich in bedauernswerter Lage. Es war fünf Tage her, seit er Egin das letzte Mal gegenübergestanden hatte, und in diesen 120 Stunden war seine Sehnsucht von Minute zu Minute gewachsen. Er hätte sich in dem kleinen wenn auch profund ausgestatteten Labor durchaus wohl gefühlt, wenn es ihm erlaubt gewesen wäre, einfach dazusitzen und Egin anzusehen. Statt dessen wurden ihm Probleme aufgetischt, mit denen sich der logische Teil seines Bewußtseins beschäftigen und für die er Lösungen liefern sollte. All das verwirrte Fredo im höchsten Maße. »Wahrscheinlich haben sie in der Zwischenzeit ein bißchen dazugelernt«, erklärte er lahm. »Als sie die Sendungen Krohn Meysenharts und des Voodoo-Priesters hin und her schalteten, da wußten sie noch nicht genau, wie unser System funktioniert, und mußten dementsprechend große Leistung aufwenden, um einen switch zu bewirken. Inzwischen wissen sie, wie es geht. Sie wenden weniger Leistung auf, und unsere Geräte können ihre Störtätigkeit nicht mehr ohne weiteres nachweisen.« »Mit anderen Worten«, sagte Egin: »Du bist fest davon überzeugt, daß es die SatTechnos sind, die unsere Probleme verursachen.« »Ja«, antwortete Fredo. »Eine andere Erklärung gibt es nach meiner Ansicht nicht. Nur eines macht mir zu schaffen.« »Was ist das?« Mit einem halblauten Seufzer nahm Fredo Gopher zur Kenntnis, daß Egin in diesen Minuten offenbar nur an wissenschaftlichen Dingen interessiert war. Der Verwirklichung seines Traumes würde er in diesem Labor wohl kaum näher kommen. »Wenn du dir die Komplexität eines Kommunikationsnetzes vorstellst, wie wir es hier auf der Erde haben«, begann er, sich widerwillig in sein Schicksal ergebend, »dann erscheint es dir unglaublich, daß ein Frem-
Kurt Mahr der, und sei er auch mit den Mitteln einer um Jahrtausende weiter entwickelten Technik ausgestattet, innerhalb weniger Tage sämtliche Tricks des Systems lernen könnte – angefangen vom Informationskode, über das Protokoll, bis hin zu den verschiedenen Arten der Modulation, dem packet switching und was es der Dinge noch mehr gibt. Ich kann nicht verstehen, wie es den SatTechnos so schnell gelungen ist, unsere Methoden zu entschlüsseln, zu verstehen und sie für ihre eigenen Zwecke zu benützen. Ganz abgesehen davon, daß wir noch nicht einmal eine Ahnung haben, welches ihre Zwecke eigentlich sind.« Egin nickte ernst. Mit Bedauern stellte Fredo fest, daß ihr Interesse noch immer rein fachlicher Natur war. »So etwas Ähnliches ist mir auch schon durch den Kopf gegangen«, sagte sie. »Talbot hat in den vergangenen Stunden eine Serie Techno-Emissionen aufgezeichnet, die du dir vielleicht ansehen möchtest. Es kommen darin ein paar Eigenheiten vor, die wir uns nicht erklären können.« Sie stand auf und ging in Richtung der Tür. Fredo Gopher blieb sitzen, noch immer mit den Gedanken an seinen unverwirklichten Traum beschäftigt. »Kommst du mit?« fragte Egin von der Tür her. Er stand auf, verwirrt und unsicher. Sie lächelte ihn an, während er auf den Ausgang zuschritt, machte jedoch keine Anstalten, den Öffnungsmechanismus der Tür zu betätigen. Zwei Meter vor ihr blieb er stehen. »Gehen wir?« fragte er verunsichert. Ihr Lächeln gewann an Intensität. Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Es wurde ausgesprochen unverschämt. »Komm her und küß mich, du unbeholfenster aller Männer«, sagte sie mit sanfter Stimme. Fredo, plötzlich von allen Hemmungen befreit, ließ sich das nicht zweimal sagen. Aber schon wenige Sekunden später löste er sich aus der Umarmung, schob Egin von
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sich und stieß voller Erregung hervor: »Das Programm des mobilen Senders! Was war der Inhalt?« Egin strich sich über die Wangen, als müsse sie ihr Gesicht wieder in Ordnung bringen, nachdem Fredo so ungestüm darüber hergefallen war. »Ein feiner Liebhaber bist du«, murmelte sie. Eine Sekunde später jedoch war sie wieder die professionelle Wissenschaftlerin. »Du meinst den Sender im Xiaofeng-Kessel?« »Ja.« Sie hob die Schultern. »Ich weiß es nicht. Aber es läßt sich ermitteln. Ist es wichtig?« »Wichtig nicht mehr«, antwortete Fredo. »Wenn meine Vermutung richtig ist, dann ist der Schaden schon angerichtet und läßt sich nicht mehr rückgängig machen. Aber es trüge zu meinem Seelenfrieden bei.« »Dann komm«, sagte sie mit freundlichem Spott und kehrte ins Labor zurück. »Ich will nicht für den Unfrieden deiner Seele verantwortlich sein.« Von einem Computer-Terminal aus rief sie die gewünschten Daten ab. Es war eine ziemlich umständliche Sucherei, weil unter Hunderttausenden von mobilen Sendern eines bestimmten Typs zuerst derjenige identifiziert werden mußte, der vor ein paar Tagen im Xiaofeng-Talkessel eingesetzt worden war. Was danach kam, war ein Kinderspiel. Egin sog entsetzt die Luft ein, als der Titel des Sendeprogramms vor ihr auf der Bildfläche erschien. »Prinzipien der Datenübertragung im terranischen Multikomnetz«, las sie mit flacher, halblauter Stimme. »Das erklärt einiges, meinst du nicht auch?« sagte Fredo Gopher sarkastisch.
* Die Art der Notlage bestimmte die Zusammensetzung des Krisenstabs, mit dem Galbraith Deighton zusammenarbeitete. Er brauchte Kommunikationsspezialisten und Kybernetiker, weil die beginnende Katastro-
phe sich hauptsächlich im Bereich der Robotik und der Kommunikation abspielte. Andererseits legte er auf Nexialisten wert, weil diese aufgrund ihrer Ausbildung in der Lage waren, interdisziplinäre Brücken zu schlagen und Berührungspunkte zwischen unterschiedlichen Fachgebieten zu erkennen, die den Spezialisten womöglich entgangen wären. Vier Mitglieder seines aus insgesamt neun Männern und Frauen bestehenden Stabes waren Hanse-Sprecher, die übrigen Fachleute, die ihre angestammten Arbeitsplätze auf unbestimmte Zeit verlassen hatten, um in Deightons Krisenstab tätig sein zu können. Einer davon war Bontan Burian, ein Kommunikationstheoretiker, der auf den ersten Blick dick, friedlich und behäbig wirkte, so daß der Uneingeweihte, der ihn bei einem seiner cholerischen Zornesausbrüche erlebte, in basses Erstaunen verfiel. Galbraith Deighton hatte soeben die einzelnen Punkte der kurzfristigen Taktik noch einmal zusammengefaßt, als sich sein Minikom meldete. Er sprach einen knappen Befehl, woraufhin unmittelbar vor ihm eine Videofläche materialisierte. Er las den Text, der ihm vorgespielt wurde, und schaltete daraufhin das Gerät ab. »Es ist offenbar eine neue Entwicklung eingetreten«, erklärte er den Mitgliedern des Stabes. »Meine Mitarbeiterin Egin Langford hat sich der Hilfe eines jungen, angesehenen Spezialisten versichert, der sich seit etlichen Tagen intensiv mit dem Phänomen der SatTechnos beschäftigt. Ich bin dafür, daß wir uns den Bericht der beiden anhören.« Die Runde nickte zustimmend. Deighton sagte zu niemand im besonderen: »Man soll sie hereinbitten.« Die Tür öffnete sich. Egin und Fredo Gopher traten ein. »Ach du lieber Gott«, jammerte Tuomb'wa Exor, eine mollige Afrikanerin, Nexialistin und Hansesprecherin. »Was ist das für eine Gestalt?« Tuomb'wa Exor genoß den Ruf einer Intelligenzbestie. Gleichzeitig aber besaß sie
30 ein übersprudelndes Temperament und reagierte manchmal so spontan, daß sie die Regeln des Anstands verletzte. Fredo Gopher hatte ihren Ausruf gehört. Er wandte sich ihr zu. Sein hageres, kantiges Gesicht verzog sich zu einem spöttischen Grinsen. »Du meinst, nur dick sei schön, wie?« sagte er und spielte damit unzweideutig auf Tuomb'was füllige Gestalt an. »Gut gekontert, Vogelscheuche«, lachte die Afrikanerin. »Es ist nicht die äußere Erscheinung, die den Menschen macht.« »Altes kongolesisches Sprichwort?« spottete Fredo. »Es macht mich glücklich zu hören«, meldete sich Galbraith Deighton mit kräftiger Stimme zu Wort, »daß ihr trotz der bedrohlichen Situation den Sinn für Humor noch nicht verloren habt. Aber ich meine, wir sollten uns jetzt Egin und Fredo anhören …« »Mit Vorbehalten«, knurrte Bontan Burian. »Wo Fredo die Hand im Spiel hat, geht es wissenschaftlich zumeist nicht ganz einwandfrei zu.« Fredo wandte sich ihm zu. Das Grinsen schien auf seinem Gesicht eingefroren. »Bontan, sieh da! Wer hat dich hierher eingeladen?« rief er, scheinbar überrascht. »Sie müssen dich zwischen dem letzten Monumentalkater und dem nächsten Besäufnis erwischt haben, daß du ihnen vertrauenswürdig erschienst.« In Wirklichkeit waren Fredo und Bontan Freunde. Nur über wissenschaftliche Prinzipien waren sie sich manchmal nicht einig. Aus zahlreichen Debatten über Theorie und Praxis der Kommunikation hatte sich die Angewohnheit des Frotzelns entwickelt, und es geschah selten, daß Bontan und Fredo zusammentrafen, ohne einander auf zuziehen. »Bitte …«, rief Galbraith Deighton ungeduldig. Fredo sah sich um. Talbot war nicht Mitglied der Runde. Das machte ihm die Sache ein wenig leichter. Talbot würde sein Gesicht eine Zeitlang nirgendwo mehr sehen lassen können, sobald bekannt war, was er sich geleistet hatte.
Kurt Mahr Egin nickte ihm aufmunternd zu. Er begann. »In den letzten Tagen des alten Jahres gelang es einer Gruppe von Spezialisten, einen Sat-Techno im Hochgebirge des zentralen Sichuan zu stellen und zu fangen. Die Einzelheiten des Vorgangs sind bekannt; ich brauche mich damit nicht aufzuhalten. Wichtig ist, daß zur Täuschung des Technos ein auf schnellstem Weg herbeigeschaffter mobiler Sender verwendet wurde, der das Programm ausstrahlte, das seinem Prozessor im Augenblick vorlag. Niemand hatte Zeit, das Programm zu untersuchen. Wir brauchten einfach einen ständigen Fluß elektromagnetischer Impulse, der den Techno von seinem ursprünglichen Pfad ablenkte und in die Falle lockte.« Er sah sich um. Sie hörten ihm aufmerksam zu. Galbraith Deighton verstand es, seine Mitarbeiter auszusuchen. Es war eine Menge Intelligenz in diesem Raum versammelt. »Es gibt mittlerweile keinen Zweifel mehr, daß es die Sat-Technos sind, die Chaos in unserem Kommunikationsnetz verbreiten«, fuhr er fort. »Die ganze Zeit über habe ich mich gefragt, wie es den Technos so rasch gelingen konnte, den Schlüssel zu unseren Kommunikationsmethoden zu finden. Das ist, weiß Gott, keine einfache Sache, wie Bontan Burian euch sicherlich gern bestätigen wird.« Burian nickte mürrisch. »Nun, ich glaube, das Rätsel ist gelöst«, sagte Fredo. »Das Programm, das der mobile Sender ausstrahlte, trägt den Titel Prinzipien der Datenübertragung im terranischen Multikomnetz. Wir haben also die Informationen, die der Gegner benötigte, ihm freiwillig zur Verfügung gestellt.« Ein paar Augenblicke lang herrschte die Stille des Entsetzens in der kleinen Runde. Dann bellte Bontan Burian: »Wer ist dafür verantwortlich?« Fredo winkte ab. »Das wird sich ermitteln lassen. Für eure Überlegungen in diesem Kreis spielt es keine Rolle. Der Schaden ist
Traumwelt Terra angerichtet, und niemand macht ihn ungeschehen. Die Sat-Technos wissen, wie unser Kommunikationssystem funktioniert. Der Techno, den wir fingen, vernichtete sich kurze Zeit später selbst. Aber zuvor fand er sicherlich Gelegenheit, sein Wissen anderen Artgenossen mitzuteilen.« Abermals trat eine Pause ein. Dann sagte Galbraith Deighton: »Fredo, wir danken dir für deine Aufmerksamkeit und deine Hilfe. Wir wissen jetzt, wie es den Technos gelungen ist, so schnell Zugang zu unserem Kommunikationssystem zu finden. Unsere Spezialistentrupps sind unterwegs, die entstandenen Schäden so rasch wie möglich zu beheben. Wir machen, glaube ich, Fortschritte. Wenn es uns obendrein noch gelingt, das Virenimperium zu aktivieren und zur Hilfeleistung zu verpflichten, haben wir eine gute Chance, die Bedrohung abzuwehren. Es sieht so aus, als hätten wir noch ein bißchen zeitlichen Spielraum. Die Aktionen der Sat-Technos sind chaotisch, aber sie stellen keine unmittelbare Bedrohung menschlichen Lebens dar. Ich meine … Fredo, du schüttelst den Kopf. Hast du Einwände?« »Keine logisch begründbaren«, antwortete Fredo. »Aber ich stelle mir die zukünftige Entwicklung ein wenig anders vor als du, und ich bin wesentlich weniger optimistisch.« »Magst du zu uns darüber sprechen?« »Auf jeden Fall – hört ihn euch an!« rief Bontan Burian erregt. »Wann immer der Junge sagt, er hätte keine logische Begründung für seine Annahme, dann kommt etwas dabei heraus, was euch die Socken von den Füßen zieht.« Er starrte Fredo aus weit hervorquellenden Augen an, und niemand in der Runde war sicher, ob er seine Bemerkung abfällig oder aufmunternd gemeint hatte. »Fredo?« sagte Galbraith Deighton. »Ich erkenne im Verhalten der SatTechnos ein gewisses Muster«, begann der Mann aus Sandymush, »und ich bitte die Nexialisten in diesem Kreis, meine Hypo-
31 these auf Plausibilität zu untersuchen. Die Technos scheinen am Spielen zu sein. Sie bringen unser Kommunikationssystem durcheinander, fügen uns jedoch keinen ernsthaften, das heißt körperlichen Schaden zu. Ihre Vorgehensweise läßt kein bestimmtes Ziel erkennen. Niemand weiß, worauf sie aus sind. Ich sage euch: Sie sind am Lernen. Sie kennen die Theorie der terranischen Kommunikation dank des unglückseligen Lapsus, der uns in den Bergen des Qionglai Shan widerfahren ist. Ihre theoretischen Kenntnisse probieren sie jetzt aus, um die Praxis zu erlernen. Mit Hilfe der Intelligenz, die ihnen ohne Zweifel innewohnt, werden sie es binnen weniger Tage so weit bringen, daß sie auf unserem Multikomnetz spielen können wie Mozart auf seinem Klavier. Ich glaube nicht, daß uns viel zeitlicher Spielraum bleibt. Die Technos vervollkommnen ihre Fähigkeiten. Ich bin von Natur aus kein Pessimist, meine Freunde. Die Sat-Technos sind gegenwärtig mit einem Test beschäftigt. Wenn der Test beendet ist und sie die Methoden der terranischen Kommunikation beherrschen – dann beginnt die Katastrophe.«
4. Bontan Burian hatte die Sitzung des Krisenstabs im Zustand tiefer Niedergeschlagenheit verlassen. So friedlich und gemütlich er nach außen hin wirkte, so cholerisch er sich im Kollegenkreis mitunter gab – er war alles andere als ein Durchschnittsbürger. Er war erstens ein Wissenschaftler erster Güte und zweitens ein Terraner, dem das Wohl seiner Heimatwelt überaus am Herzen lag. Er sah Terra bedroht; das machte ihm zu schaffen. Er wohnte in einem nordöstlichen Vorort der Hauptstadt, in einem Bezirk, dessen architektonisches Konzept auf dem Prinzip der guten, altmodischen Nachbarschaft beruhte: Kurze, bequeme Straßen, an deren Rändern sich ein mittelgroßes Einfamilienhaus ans
32 andere reihte. Bontan Burian war, wie man so sagte, ein Familienmann. Er hatte eine Frau, mit der er durch Ehevertrag auf Lebenszeit verbunden war und drei Kinder, von denen eines binnen kurze, bequeme Straßen, an deren reichen würde. Burian hätte sich mit seinem Verdienst ein feudaleres Domizil leisten können. Aber er liebte diese Gegend mit ihren nicht allzu großen Grundstücken, mit den Schwätzchen, die er Zaunüber-Zaun mit seinen Nachbarn führte, mit den kleinen, altmodischen Einkaufsläden hier und da an einer Straßenecke und den gemütlichen Bars und Restaurants, wo man noch von Menschen bedient wurde, anstatt sich seine Bestellung aus einer Servierautomatik zu leiern. In einer der Bars kehrte Bontan Burian an diesem Abend ein. Er hatte das Bedürfnis, die Verkrampfung seines Innern mit Hilfe eines steifen Getränks zu lockern. Wie es der Zufall wollte, fand er Gesellschaft an der großen, breiten Theke. Nachbarn waren eingekehrt. Gespräche entspannen sich, wurden lebhaft – und alle drehten sich um das neueste Phänomen an Terras Himmel: die SatTechnos. »Wird ihnen endlich mal was anderes einfallen, als andauernd über Terra herzuziehen?« beklagte sich einer der Gesprächsteilnehmer, nicht mehr ganz nüchtern. »Da waren erst die Loower, dann die Orbiter, dann die Porleyter, dann Seth-Apophis, dann Vishna mit ihren Sieben Plagen – und jetzt dieser Schmäh. Wird es nicht endlich Zeit, daß sie uns mal eine Weile in Ruhe lassen?« Aus Bontan Burians geplanten Drink wurden vier, und als er sich endgültig auf den Heimweg machte, fühlte er sich einigermaßen beschwingt. Die Wirkung des Alkohols hätte sich durch ein Mittel, das jede Bar und jedes Restaurant stets zur Verfügung hielt, ohne Mühe kontern lassen. Aber Burian fühlte sich wohl in seinem Zustand. Er begrüßte Frau und Kinder mit durchaus unüblicher Zuneigung und gab sich überaus interessiert, als ihm verkündet wurde, Krohn Meysenhart sei heute nacht wieder auf sei-
Kurt Mahr nem üblichen Kanal zu empfangen. »Was?« staunte er. »Und ich dachte, den Firlefanz-Mann hätten sie abgesägt, seitdem er sich neulich von den Epsalern hat einmachen lassen.« »Nein, er kommt live von Kreit«, antwortete Irya Burian voller Eifer. »Man erwartet dort die Ankunft eines Armadaverbands unter der Führung des Volkes der Mnaskiten. Die Mnaskiten sind als kriegerisch und ungeduldig bekannt. Von den Ertrusern sagt man dasselbe. Die Ertruser haben eine Flotte zusammengestellt, den Verband zu empfangen und nach Terra zu begleiten. Von der Begegnung zwischen Ertrusern und Mnaskiten verspricht man sich einiges.« Ihre Augen leuchteten. Sie hatte sich offensichtlich den ganzen Nachmittag über auf die abendliche Sendung vorbereitet. »Das sollten wir uns ansehen«, entschied Bontan Burian, dem in Wirklichkeit viel mehr nach Zubettgehen zumute war. »Aber vorher müßte ich etwas essen.« »Ja, ich kann's riechen«, erklärte Irya gutgelaunt. »Du hättest besser vorher etwas gegessen, dann fiele es dir nicht so schwer, senkrecht auf zwei Beinen zu stehen.« Sie bereitete eine nicht allzu anspruchsvolle Mahlzeit, die Bontan ohne sonderliche Begeisterung zu sich nahm. Immerhin war sie nicht weniger eßbar als andere Speisen, die Irya in der Vergangenheit zubereitet hatte. Die Burianische Küchenautomatik war offenbar von den Sat-Technos bisher verschont geblieben. Kurz vor 22 Uhr versammelte sich die Familie im Videoraum, und Vater Bontan befahl dem Hauscomputer, den Meysenhart-Kanal einzuschalten. Die Bildfläche leuchtete auf. Krohn Meysenharts bombastisches Symbol erschien, und ein martialisches Fanfarensignal gab zu verstehen, daß man in Kürze den Rasenden Reporter zu sehen und zu hören bekommen werde.
* Terrania, fand Fredo Gopher, war eine
Traumwelt Terra Stadt, in der der Mensch an Einsamkeit zugrunde gehen konnte. Er lächelte ein wenig wehmütig, als er an Sandymush dachte, und wie Menschen aus der Großstadt sich über die kleine Siedlung lustig machten, die für ihre Begriffe am Rand der Welt lag, wo nichts los war und wo Hund und Fuchs einander gute Nacht sagten. Wie viel wohler hätte er sich gefühlt, wenn er zu Hause gewesen wäre. Ein Gutteil seiner Wehmut ließ sich darauf zurückführen, daß Egin ihm einen Korb gegeben hatte, als er sie zu einem gemeinsamen Abendessen überreden wollte. Oh, sie hatte ihn sanft und zärtlich abfahren lassen; hatte gesagt, sie müsse noch ein paar dringende Arbeiten erledigen. Aber mit dem Mißtrauen und der Unsicherheit des jung Verliebten witterte Fredo hinter jedem noch so freundlichen Nein den Geruch mangelnden Interesses und der fehlenden Zuneigung. So trottete er, der einzige Fußgänger weit und breit, durch die Straßen des älteren Teils von Terrania, ebenso niedergeschlagen, wenn auch aus anderen Gründen, wie um dieselbe Zeit sein Kollege Bontan Burian. Er fand ein Schnellrestaurant, in dem kein allzu großer Betrieb herrschte. Das letzte, was er sich in diesen Minuten wünschte war, eine Menge Menschen um sich herum zu haben, von der er keinen einzigen kannte. Er wählte einen Einzeltisch in einer Ecke, die abseits allen Kundenverkehrs lag, und zuckte zusammen, als die Speiseautomatik vor ihm ihn auf plump vertrauliche Weise ansprach: »Nun, mein Freund – wonach wässert uns heute Abend der Mund?« »Bier«, brummte Fredo. »Ein Bier soll's sein«, verkündete die Automatik fröhlich. »Möchtest du mir nicht deine bevorzugte Marke nennen? Und vergiß nicht, wir sind hier nicht auf Umsonstverkäufe eingerichtet. Wenn du also …« Den Rest des Satzes ließ sie in der Luft hängen. Sie war darauf getrimmt, sich wie ein schüchterner Mensch auszudrücken, dem es schwerfiel, über Geld zu sprechen.
33 Fredo suchte in den Taschen seines Kaftans und brachte schließlich eine violett schimmernde ID-Marke hervor. Er drückte sie gegen die für diesen Zweck vorgesehene Stelle an der Vorderseite der Automatik und steckte sie wieder ein. »Ich danke dir, Freund«, bekam er zu hören. »Und nun, bitte, deine Wahl?« »Guinness.« »Porter oder Stout?« »Porter«, knurrte Fredo. Unter ihm, in der dicken Tischplatte, begann es zu rumpeln. Eine Öffnung bildete sich, aus der ein altmodisches, bauchiges Glas mit kräftigem Henkel hervorwuchs. Mit unverhohlenem Widerwillen starrte Fredo die grünlich-braune Flüssigkeit an, auf der eine dünne Schicht grauen Schaums schwamm. »Das soll Porter sein?« beschwerte er sich, ergriff das Glas und führte es zur Nase. »Yeccccchh … riecht wie Jauche.« »Wir bieten das beste Guinness Porter in ganz Terrania«, erklärte die Automatik und brachte es tatsächlich fertig, ihrer Stimme einen leicht beleidigten Unterton zu verleihen. »Wenn es dir jedoch nicht zusagt, dann stell bitte das Glas auf die Platte zurück. Selbstverständlich wird dir der Preis gutgeschrieben.« Fredo Gopher tat, wie er angewiesen war. Dann stand er auf und schritt in Richtung Ausgang. Hinter sich hörte er die Automatik sagen: »Es tut mir leid, daß du uns so rasch schon wieder verlassen willst …« Verdammte Roboter, dachte er. Draußen auf der Straße wehte ihm ein für die Jahreszeit ungewöhnlich warmer Wind entgegen. Er stutzte. So warm war es doch vor ein paar Minuten noch nicht gewesen? Er schenkte dem plötzlichen Klimaumschwung jedoch weiter keine Beachtung. Ihn beschäftigte das grünlichbraune Porter. Die Sat-Technos hatten zugeschlagen. Sie hatten die Servierautomatik verwirrt und sie dazu veranlaßt, anstelle eines anständigen malt liquor ein Gemisch aus abgestandener Salatsoße und fau-
34 len Eiern zu produzieren. Ein Gedanke schoß ihm durch den Kopf – eine Eingebung so wie damals, als er den Zusammenhang zwischen den Zacken im Gesamtspektrum der Technos und den von seinem Telecommander scheinbar willkürlich bewirkten Kanalwechseln erahnt hatte. Als er sein verdorbenes Porter vorgesetzt bekam, hatten sich etwa fünfzehn Gäste im Restaurant befunden. Sie hatten friedlich und zufrieden ihre Mahlzeiten verzehrt und ihre Getränke genossen. Er war also der einzige gewesen, dem man etwas Ungenießbares vorgesetzt hatte. Was bedeutete das? War es möglich, daß seine ID-Marke das Fehlverhalten der Servierautomatik ausgelöst hatte? Es kam ihm zu Bewußtsein, daß er keine Ahnung hatte, wie das Innere einer solchen Marke beschaffen war. Er wußte nicht einmal, welche Informationen sie enthielt Es war ihm nur bekannt, daß er sie als Mittel der Identifizierung und als Instrument des bargeldlosen Zahlungsverkehrs verwenden konnte. Banken, Makler und sonstige Institutionen, von denen der Durchschnittsbürger seine ID-Marke üblicherweise bezog, legten selbstverständlich Wert darauf, die innere Struktur der Marke geheimzuhalten. So sorgfältig wurde das Geheimnis gewahrt, daß es bisher nur ganz selten zu Fälschungen gekommen war, die dann obendrein noch auf Anhieb entdeckt wurden. Fredo nahm sich vor, bei nächster Gelegenheit mehr über die Funktionsweise der Marken zu lernen. Mit den Geräten, die ihm in seinem Privatlabor zur Verfügung standen, sollte es ihm ein leichtes sein, das Innenleben des kleinen, unscheinbaren Plastikblättchens zu enträtseln. Die Idee, die ihm durch den Kopf ging, war nachgerade abenteuerlich. Die SatTechnos verständigten sich untereinander, das stand fest. Sie besaßen außerdem die Möglichkeit, sich nach Belieben ins terranische Komnetz einzuschalten. Was sprach dagegen, daß sie inzwischen von dem Mann namens Fredo Gopher erfahren hatten, der sich intensiv mit ihnen beschäftigte, für die
Kurt Mahr Festnahme eines der Ihren verantwortlich war und auch sonst keine Mühe scheute, ihnen auf die Schliche zu kommen? Wenn das so war, würden sie dann nicht Wert darauf legen, diesen gefährlichen Gegner so rasch wie möglich unschädlich zu machen? Hatte das grünlich-braune Getränk ein Gift enthalten? Er bereute es jetzt, nicht wenigstens eine Probe davon entnommen zu haben. Hatten sie sich ungeschickt angestellt? Gewiß. Aber wer würde von außerirdischen Intelligenzen, die sich erst seit ein paar Tagen auf Terra aufhielten, erwarten, daß sie sich mit echt irischem Guiness Porter auskannten? Fredo beschloß, eine Probe aufs Exempel zu machen. Er rief einen Mietwagen und ließ sich zu dem Hotel bringen, in dem die Kosmische Hanse eine Suite für ihn reserviert hatte. Er bezahlte die Fahrt mit Hilfe seiner ID-Marke. Nichts geschah. Der Wagen fuhr, soweit Fredo das beurteilen konnte, den kürzesten Weg und unternahm keine Anstalten, seinem Passagier körperlichen Schaden zuzufügen. Ein unschlüssiges Resultat, folgerte Fredo. Die Sat-Technos hatten ihre Sensoren nicht überall – oder aber sie wußten, daß ein Attentat auf einen Mietwagen infolge der zahlreichen, redundanten Sicherheitssysteme, über die Fahrzeuge dieser Art verfügten, aussichtslos war. Fredo machte es sich in seinem Quartier bequem. Er leistete sich einen kleinen, aber köstlichen Imbiß. Er fühlte sich müde und zerschlagen. Er war in letzter Zeit zuviel gereist, und die Zeitunterschiede machten ihm zu schaffen. Aber bevor er zur Ruhe ging, zog er noch einmal die Swing-Krone hervor und preßte sie sich auf den Schädel. Er wollte wissen, was aus Krohn Meysenhart geworden war, der sich im Vono-System so unsterblich blamiert hatte. Als er Meysenharts flammendes Symbol sah, das aufpeitschende Schrillen der Fanfaren hörte und den Text las, wonach der Rasende Reporter binnen kurzem aus dem Kreit-System ein weiteres Mal über die Ankunft eines Verbands der Endlosen Armada berichten würde, da wußte Fredo Gopher,
Traumwelt Terra
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daß mit einem baldigen Beginn seiner Nachtruhe nicht mehr zu rechnen war.
* »Es ist eine prekäre, nicht uninteressante Situation, ihr Video-Narren und Nachrichten-Freaks daheim auf der Erde und sonst wo in den Weiten der Milchstraße.« Krohn Meysenharts näselnder, überheblicher Tonfall ließ alle Hoffnung schwinden, daß er aus dem Vorfall im Vono-System eine Lehre gezogen haben könne. »Achtzehnhundert Einheiten stark ist dieser Armadaverband. Knapp zwanzig Millionen Schiffe hat der Bordcomputer der KISCH in der letzten Stunde gezählt. Der Verband steht unter dem Kommando der Einheit achtnull-null-eins, die dem Armadavolk der Mnaskiten gehört. Von den Mnaskiten weiß man nicht viel, außer daß sie temperamentvoll, aufbrausend und kriegerisch sind. Erinnert das euch an etwas, ihr MedienVerschlinger?« Er machte eine Pause, um den Zuhörern Zeit zum Nachdenken zu geben. Bontan Burian fühlte eine seltsame, prickelnde Wirkung, die von der Videofläche auf ihn überzuspringen schien. Es war ihm, als würde er in das Geschehen hineingezogen, als käme er Krohn Meysenhart immer näher. Er bewegte sich mit vielmillionenfacher Lichtgeschwindigkeit auf das Kreit-System zu, ohne jedoch das Bild dabei aus den Augen zu verlieren. So ähnlich, dachte er, mußte es den Swingern ergehen, die behaupteten, mit Hilfe der Swing-Krone unmittelbar an dem Geschehen teilnehmen zu können, über das auf dem ausgewählten Kanal berichtet wurde. Bontan Burian riß sich zusammen. Die Wirklichkeit des Videoraums in seinem kleinen Haus rematerialisierte. Es störte ihn nicht, daß er sie wie durch einen nebligen Schleier wahrnahm. Es genügte ihm, Irya und die drei Kinder zu sehen, die wie gebannt auf die Bildfläche starrten. Nein, er war nicht verrückt. Es war lediglich Krohn Meysenharts suggestive Art der Berichter-
stattung, die ihn in ihren Bann gezogen hatte. Beruhigt und ungehemmter als zuvor wandte er sich der Übertragung wieder zu. »Richtig geraten!« hatte der Rasende Reporter inzwischen mit schriller Stimme geschrieen. »Ich wußte doch, daß noch ein Funken Intelligenz in euch steckt. Jawohl, dieselbe Mentalität wie die Mnaskiten besitzen auch die Ertruser, deren Heimat das Kreit-System darstellt. Die Ertruser haben sich nicht lumpen lassen. Ihr Empfangskomitee ist in insgesamt zweihundert Raumschiffen untergebracht, die dem Armadaverband entgegenfliegen. Man wird den Mnaskiten anbieten, den Armadaverband gut sechstausend Lichtjahre weit nach Terra zu geleiten. Stellt euch aber vor, ihr VideoSchlemmer, was geschehen wird, wenn es zwischen den beiden Arten, deren Gemüter nachweisbar an kurzen Lunten brennen, auch nur zum geringsten Mißverständnis kommt! Die Mnaskiten wissen nicht, daß sie hier von einer ertrusischen Flotte empfangen werden sollen. Was, wenn sie die Annäherung der Ertruser als einen Akt der Feindseligkeit empfinden? Wie werden sie reagieren – im Bewußtsein ihrer Übermacht? Und was werden die Ertruser tun, wenn ihnen der erste Schuß vor den Bug gesetzt wird?« Abermals überließ er die MedienKonsumenten ein paar Sekunden lang ihrer eigenen Phantasie. Bontan Burians Blick hatte sich an dem Bild festgesogen. Er sah die ungeheure, aus zahllosen, bunten Leuchtpunkten bestehende Lichtwolke des Armadaverbands, und darübergeblendet die einheitlich giftgrünen Reflexe der ErtruserSchiffe. »Sehen wir uns das Geschehen aus der Nähe an.« Das war wieder Krohn Meysenhart, mit einer eigenartigen, unheilverkündenden Ungeduld in der Stimme. »Der erste Funkkontakt zwischen den beiden Flaggschiffen hat stattgefunden. Wie wird es weitergehen?« Die Bildmitte blähte sich auf. Der allergrößte Teil der Lichtwolke verschwand. Nur
36 ein paar Lichtpunkte, jetzt weit auseinandergezogen, blieben zurück. Eines der Armadafahrzeuge leuchtete in grellem Rot; das mußte das Flaggschiff sein. Ein grüner Reflex näherte sich ihm. Bontan Burian hatte das Empfinden, er sei unmittelbar am Geschehen beteiligt. Er spürte mit sicherem Instinkt, daß in Kürze ein Unglück geschehen würde. Nur wenige Sekunden noch … Eine silbrig schimmernde Hülle aus Filigranfäden legte sich um den kugelförmigen Umriß des ertrusischen Schiffes. Bontan Burian sprang auf. Die Armadisten hatten das Feuer eröffnet! Die Filigranfäden waren die Energiespuren, die der Treffer im Schirmfeld des ertrusischen Schiffs hinterließ. Der Kampf hatte begonnen, die erste tätliche Auseinandersetzung zwischen Einheiten der Endlosen Armada und Raumschiffen der GAVÖK im Bereich der Milchstraße. Der Ertruser zögerte nicht lange. Bontan Burian sah es an der Hülle des mnaskitischen Flaggschiffs aufblitzen. Der ertrusische Treffer saß besser. Das mnaskitische Fahrzeug geriet ins Schlingern und trieb ab. Merkur und den anderen Göttern der Nachrichtenübermittlung sei Dank, daß ein gewöhnlicher Erdenbürger derart unglaubliches Geschehen unmittelbar und ohne Zeitverlust mitverfolgen konnte! Bontan warf die Arme in die Luft. Er jubelte, wenn die Ertruser einen Treffer anbrachten, und knurrte zornig, wenn eines der ertrusischen Schiffe getroffen wurde. Die Folge der Blitze wurde immer rascher. Leuchtende Spuren, vom Computer erzeugt, erschienen am Rand der Videofläche. Raumtorpedos von Ertrus, ereiferte sich Bontan. Blau-weiße Glutbälle entstanden vor dem finsteren Hintergrund des Alls. Jeder von ihnen kündete die Vernichtung eines Raumschiffs an. Bontan raste vor Begeisterung. Eine Raumschlacht, eine echte Raumschlacht war im Gang! Er hatte längst vergessen, darauf zu achten, ob die Wirklichkeit seines Videoraums noch um ihn sei.
Kurt Mahr
* Der Realität weit entrückt, lauschte Fredo Gopher Krohn Meysenharts bramarbasierendem Monolog. »Die Mnaskiten wissen nicht, daß sie hier von einer ertrusischen Flotte empfangen werden sollen. Was, wenn sie die Annäherung der Ertruser als einen Akt der Feindseligkeit empfinden? Wie werden sie reagieren – im Bewußtsein ihrer Übermacht? Und was werden die Ertruser tun, wenn ihnen der erste Schuß vor den Bug gesetzt wird?« Mein Gott, einen klareren Akt von Aufpeitscherei habe ich noch nie erlebt, dachte Fredo. Meysenhart dagegen fuhr nach kurzer Pause fort: »Sehen wir uns das Geschehen aus der Nähe an. Der erste Funkkontakt zwischen den beiden Flaggschiffen hat stattgefunden. Wie wird es weitergehen?« Seine Stimme klang belegt, zitternd vor Spannung. Er wünscht sich, daß es zur Auseinandersetzung kommt, fuhr es Fredo durch den Sinn. Er will den Kampf – nur um seiner Sendung willen. Fredo Gopher sah in diesem Augenblick dasselbe Bild, das auch Bontan Burian wahrnahm. Der grüne Fleck des ertrusischen Flaggschiffes bewegte sich auf das vorderste Fahrzeug der Mnaskiten zu. Ein paar Sekunden lang hielt Fredo den Atem an. Dann meldete sich Krohn Meysenhart wieder. Er hörte sich entspannt, wenn auch ein wenig enttäuscht an. »Gott sei Dank ist das Schlimmste vermieden worden. Ertruser und Mnaskiten tauschen die üblichen Formalitäten aus. Es gibt keinen Kampf. Die Vernunft hat gesiegt. Wir haben Sonden ausgefahren. Hört, ihr Medien-Freaks, was unser Translator aus dem Gespräch zwischen den beiden Kommandanten macht.« Es rauschte einen Augenblick lang, dann war die dröhnende Stimme eines Ertrusers zu hören. »… Lionel Pradam. Im Namen der Völker
Traumwelt Terra der Milchstraße, im Namen der GAVÖK und nicht zuletzt im Namen meiner Heimatwelt, des Planeten Ertrus, heiße ich den Verband der Endlosen Armada im Kreit-System willkommen. Es wird uns eine Ehre sein, den Armadaverband nach Terra zu geleiten. Ihr müßt uns nur sagen, wann ihr aufbrechen wollt.« Ein paar Sekunden vergingen, bevor eine Antwort empfangen wurde. Sie lautete, aus dem mechanischen Mund des Translators: »Das Volk der Mnaskiten und achtzehnhundert Einheiten der Endlosen Armada danken für den freundlichen Empfang. Wir sind stolz darauf, daß uns eine solche Ehre widerfährt. Unser Fahrplan sieht vor, daß wir binnen zwölf eurer Standardstunden die Fahrt fortsetzen und den Raumsektor SolAlpha Ce-Sirius anfliegen. Euer Geleit ist uns über alle Maßen willkommen …« Fredo Gopher atmete auf. Das Unglück, das Krohn Meysenhart mit seinen suggestiven Phrasen hatte heraufbeschwören wollen, war nicht materialisiert. Die Begegnung verlief friedlich. Einer der letzten Armadaverbände stand kaum mehr als 6000 Lichtjahre von Terras Toren entfernt Plötzlich kam Fredo Gopher die Bedeutung des Augenblicks zum Bewußtsein. Anderthalb bis zwei Tage noch, gewiß nicht mehr als drei – und der ganze gewaltige Heerhaufe der Endlosen Armada würde in diesem Raumsektor erscheinen. Annähernd eine Milliarde von Raumschiffen, die zwischen hier und Alpha Centauri, zwischen dort und dem Großen Hundsstern materialisieren würden. Er versuchte, sich vorzustellen, wie Millionen neuer Sterne plötzlich am Firmament erschienen – weitaus die meisten allerdings viel zu lichtschwach, als daß das menschliche Auge sie ohne Hilfe wahrnehmen könnte. Aber da waren ja noch die Medien, Reporter wie Krohn Meysenhart. Sie würden schon dafür sorgen, daß die Menschheit das unvorstellbare Schauspiel zu sehen bekam – in den falschen Farben ihrer computergestützten Darstellung. Die Begegnung zwischen Ertrusern und
37 Mnaskiten verlief weiterhin friedlich, wenn nicht gar freundschaftlich. Fredo Gopher war drauf und dran, dem Telecommander mitzuteilen, daß er zu Bett zu gehen wünsche, da geschah das Unerwartete. Er sah Blitze, die lautlos durch die Schwärze des Alls zuckten. Er sah feurige Bälle, die in weißblauer Glut leuchteten, sich aufblähten und wieder vergingen. Im ersten Augenblick glaubte er, Krohn Meysenharts makabre Prophezeiung hätte sich in letzter Sekunde doch noch erfüllt. Da bemerkte er seinen Irrtum. Was er sah, war keine Direktbeobachtung. Er erkannte es zuerst daran, daß das Bild nicht seinen gesamten Blickwinkel umfaßte. Jenseits der Bildränder waren andere, merkwürdig vertraute Dinge: eine Teppichwand, ein Büchergestell, ein Gemälde … Es dauerte eine Zeitlang, bis er begriff, was geschehen war. Er empfing die Sendung nicht mehr direkt, sondern durch die Vermittlung eines anderen Empfängers. Er verstand nicht, auf welche Weise ein solcher Effekt zustande kommen konnte. Er war andererseits an einer plausiblen Erklärung vorläufig gar nicht interessiert. Was sich da vor seinen Sinnen abspielte, war so unglaublich, so erschreckend, daß es sein Bewußtsein ganz und gar in Bann schlug. Krohn Meysenharts Stimme dröhnte aus der Weite des Universums. »Unsere schlimmsten Befürchtungen bewahrheiten sich. Die Schlacht ist entbrannt – eine Schlacht, die auf der einen Seite von achtzehn Millionen unterschiedlich bewaffneter Raumschiffe, auf der anderen Seite von einer winzig kleinen Ertruser-Flotte geschlagen wird, hinter der allerdings die technischen und militärischen Mittel einer ganzen hochzivilisierten Welt stehen. Die Ertruser schlagen mit voller Wucht zu. Sie sind ohne Zweifel die besseren Kämpfer. Aber wie lange können sie einer derart erdrückenden Übermacht standhalten? Wenn sie es fertig bringen, sich zu wehren, bis die Verstärkungen der GAVÖK eintreffen, dann – aber nur dann – gebe ich Ertrus noch eine
38 Chance. Ansonsten …« Plötzlich spürte Fredo Gopher das Unechte an dieser Sendung. Es war Krohn Meysenhart, den er sah und hörte; aber es war nicht mehr derselbe, dessen Reportage er zuvor empfangen hatte. Der Bericht war die logische Fortsetzung der makabren Unkerei, mit der Krohn Meysenhart durch den Hyperäther getönt hatte, als das mnaskitische und das ertrusische Flaggschiff einander näher kamen. Aber seine blutrünstigen Träume waren nicht in Erfüllung gegangen. Die Begegnung hatte sich friedlich abgespielt, Fredo Gopher war Augenzeuge gewesen, und er war weitaus eher geneigt, die ursprüngliche Version des Berichts für wahr zu halten als das bombastische Kriegsgeschrei, das er jetzt zu hören bekam. Irgend etwas war ganz und gar falsch im terranischen Multikomnetz. Fredo zweifelte keine Sekunde daran, daß die Sat-Technos die Hand dabei im Spiel hatten, wenn er auch immer noch nicht begriff, wie sie den Effekt erzeugten, den er soeben erlebte. Er fragte sich, was sie damit erreichen wollen. Aber gerade hatte er begonnen, sich mit diesem Gedanken zu beschäftigen, da wurde er abgelenkt. Sein Blickfeld weitete sich. Er sah jetzt, daß er die Sendung auf dem Umweg über eine kommerzielle Videofläche empfing. Sie war quadratisch und verriet ihre geringe Qualität durch ein zitterndes Bild, dessen Farben überzeichnet waren. Die Videofläche schwebte in einem Zimmer, und je mehr Fredo Gopher von dessen Einrichtungsgegenständen zu sehen bekam, desto eigenartiger wurde ihm zumute. Waren ihm zuvor schon die Teppichwand, das Büchergestell und das Gemälde auf eigenartige Weise bekannt vorgekommen, so hatte er jetzt vollends den Eindruck, daß er sich in diesem Raum schon mehrmals aufgehalten haben müsse. Sitzmöbel kamen in Sicht, und die Gestalten von Menschen, die in regloser Starre Krohn Meysenharts dröhnender, pathetischer Stimme lauschten, deren Augen sich
Kurt Mahr an dem von den Blitzen nuklearer Detonationen übersäten Bild festgesogen hatten. Fredo Gopher sah und hatte auf einmal das Gefühl, es sei eine Verschwörung gegen ihn im Gang. Kein Wunder, daß ihm das Zimmer vertraut vorkam. Der gemütliche Dicke im größten und bequemsten der fünf Sessel war Bontan Burian, sein guter Freund und widerspenstiger Kollege. Neben ihm saß Irya, seine Frau, und über den Rest des Raumes verteilt hatten seine Kinder sich eingerichtet: Rena, zwölf, Isach, fünfzehn und Vidosh, knapp achtzehn. Fredos Verwirrung erreichte ihren Höhepunkt. Er wußte nicht mehr, was mit ihm vorging. Der Verstand, ursprünglich damit zufrieden, Eindrücke zu verarbeiten, begann, nach einer Erklärung zu schreien. Wer Fredo Gopher zum erstenmal sah, dem wäre es schwergefallen, die Fähigkeit systematischen Denkens für eine seiner hervorragenden Begabungen zu halten. Der Eindruck täuschte. Intellektuelle Verwirrung war kein Zustand, den Fredo länger als ein paar Augenblicke ertrug. Dann fand er Mittel und Wege, sich Klarheit zu verschaffen. Ungeachtet seiner äußeren Erscheinung, die auf den konventionellen Beobachter disziplinlos wirkte, besaß Fredo Gopher eine straffe mentale Disziplin. Noch während er seinen Freund Bontan Burian mitsamt dem Rest der Familie starr wie Statuen vor der Bildfläche sitzen und Krohn Meysenharts simulierten Weltuntergangsbericht wie im Zustand der Trance verfolgen sah, entwickelte er seinen Plan. Er war simpel, und das ließ sich leicht verstehen. Niemand entwickelt komplizierte Pläne zur Klärung einer Situation, deren Zusammenhänge er nicht einmal andeutungsweise versteht. »Mach Schluß mit dem Quatsch«, sprach Fredo zu seinem Telecommander. Das Bild erlosch augenblicklich. Die Swing-Krone glitt Fredo vom Kopf. Er stand auf. Durch Zuruf aktivierte er den KomAnschluß. »Ich möchte Bontan Burian sprechen«, sagte er. »Seinen Rufkode kenne ich nicht.
Traumwelt Terra Er ist Kommunikationstheoretiker und wohnt in einem nordöstlichen Vorort der Hauptstadt.« »Ich suche«, antwortete das Kom-Gerät. Ein paar Sekunden vergingen, dann meldete sich der Anschluß von neuem: »Bontan Burian und seinen Rufkode habe ich gefunden. Aber es meldet sich dort niemand.« Fredo Gopher nickte grimmig. Er hatte nichts anderes erwartet. Wenn das Bild, das ihm auf unerklärliche Weise zu Augen gekommen war, die Wirklichkeit repräsentierte, dann würde sich kein Mitglied der Burian-Familie vom Summen des Kom-Melders stören lassen. »Schaff mir Egin Langford an die Leitung«, trug er dem Kom auf. Er gab ein paar zusätzliche Informationen, die jedoch nicht sonderlich detailliert waren. Er wußte nicht, in welchem Labor Egin ihren Abend zu verbringen gedachte – wenn es überhaupt ein Labor war. »Ich versuche es«, kam die Antwort des Kom-Geräts. »Aber mit Angestellten des Zivildienstes ist das so eine Sache. Wenn sie nicht erreicht werden wollen, kommt man nicht an sie heran.« »Versuch's«, drängte Fredo. Es verging über eine Minute. Dann flammte mitten im Raum eine Bildfläche auf. Egins Gesicht war zu sehen. Es wirkte angespannt. »Ich bin froh, daß ich dich erreiche«, sagte Fredo und meinte es ernst. »Ich bin einer neuen Schweinerei der Sat-Technos auf der Spur. Interessiert?« »Du meinst PM?« fragte sie. »Was ist PM?« »Psi-Manipulation. Wir erhalten laufend Berichte, die auf ein solches Phänomen hinweisen. Aber es gibt nichts Greifbares. Keinen einzigen Fall, in dem wir uns aus der Nähe ansehen können, wie PM funktioniert.« Ein ärgerliches Grinsen erschien auf seinem Gesicht. »Vielleicht kann ich dir helfen«, sagte er. »Ich bin einem solchen Fall auf der Spur,
39 ganz in der Nähe.« Er nannte ihr den Vorort, in dem Bontan Burian wohnte. »Triff mich an der R-Bahn-Haltestelle am Ortseingang.«
* Fredo Gopher war der einzige Fahrgast des Rohrbahnzugs, der eine Stunde nach Mitternacht unter den Kellern von Terrania dahinraste. Er sah sich um. Die Leere kam ihm auffällig vor. Die Hauptstadt lebte 24 Stunden am Tag. Nach Mitternacht wurde der Betrieb gewöhnlich ein wenig geringer, aber er erstarb nicht vollends. Leere Rohrbahnzüge gab es nicht. Es fiel ihm ein, daß er womöglich nicht die günstigste Wahl getroffen hatte, als er sich für diese Art des Transports entschied. Was, wenn die Sat-Technos wieder zuschlugen und das automatische Leitsystem störten? Dann konnte er sein Rendezvous mit Egin in den Schornstein schreiben. Er hatte Glück. Unangefochten erreichte der Zug sein Ziel. Fredo glitt den Antigravschacht hinauf, fand den kleinen PassagierTerminal öde und verlassen und sah draußen auf dem großen Parkplatz ein einziges Fahrzeug stehen. »Mann, du hast Nerven«, begrüßte ihn Egin. »Ist dir schon mal eingefallen, daß die Sat-Technos ihre Experimente von gestern Nachmittag wiederholen könnten?« »Das ging mir unterwegs auf; da war es schon zu spät.« Fredo grinste linkisch. »Glaub mir: Niemand wäre darüber verzweifelter gewesen als ich. Zum Glück ging alles gut.« Egin war kurz angebunden und sachlich. Die Anspannung stand ihr noch immer im Gesicht geschrieben. »Wohin?« fragte sie. Fredo nannte ihr die Adresse. Egin hatte den Autopiloten eingeschaltet. Er hörte die Anweisungen mit und ging selbsttätig auf den Kurs, der zu Bontan Burians Behausung führte. »Erzähl mir von deiner Beobachtung«, forderte Egin Fredo auf. Sie fuhr mit der
40 Hand sacht über eine Konsole, auf der bunte Kontaktflächen leuchteten. Musik klang auf und erfüllte das Innere des kleinen Gleitfahrzeugs. Fredo berichtete. Daß er ein Swinger war, wußte Egin seit jenem nächtlichen Überraschungsbesuch in Sandymush; er brauchte keinen Hehl mehr daraus zu machen. Er beschrieb, wie der Empfang plötzlich umgekippt war und er über Swing-Krone und Telecommander in ein Videozimmer geblickt hatte, in dem eine Familie sich Krohn Meysenharts jüngste Nachrichtensendung ansah. Die Musik wurde unterbrochen. Ein robotischer Ansager berichtete über die letzten Verwirrungen, die sich im terranischen Multikomnetz zugetragen hatten. Fredo erschien seine Zuhörerin ungewöhnlich schweigsam. Er musterte sie von der Seite. Im huschenden Schein der Straßenbeleuchtung und im sanften Glanz der bunten Kontaktflächen sah er ein starres, wie aus Marmor gemeißeltes Gesicht. »Egin!« sagte er scharf. Ihre Lider zuckten. »Stör mich jetzt nicht«, murmelte sie. »Ich bin auf dem Weg zu einer wichtigen Besprechung.« Er handelte instinktiv. Die Gefahr war unmittelbar. Er beugte sich nach vorne und strich mit der Hand über die leuchtende Konsole, bis alle Lichter erloschen waren. Die Stimme des Sprechers verstummte. Fredo packte Egin bei den Schultern und rüttelte sie. Er hatte ihren Zustand früh genug bemerkt. Inbrünstig hoffte er, daß die Trance noch nicht zu weit fortgeschritten war. Ihre starren Züge lockerten sich. Sie wandte den Kopf und sah ihn aus großen Augen erstaunt an. »Was … ist?« fragte sie verwirrt. »Pe-Em«, sagte er. »Was soll das heißen?« »Du hast mir noch nicht erklärt, was PeEm ist«, antwortete Fredo. »Aber selbst mit dem winzigen bißchen, das ich darüber weiß, diagnostiziere ich: Die Stimme des Nachrichtensprechers hat dich psi-
Kurt Mahr manipuliert. Du warst drauf und dran, in tiefe Trance zu versinken.« Bestürzt blickte Egin auf die dunklen Kontaktflächen der kleinen Konsole. Dann neigte sie sich zur Seite und umfaßte Fredo Gophers Arm mit beiden Händen. »Ich habe Angst, Fredo«, flüsterte sie. »Wir wollen uns beeilen. Ich glaube, es ist später, als wir denken.«
* In Bontan Burians Wohnviertel fand man nur selten verschlossene Haustüren. Es bereitete Fredo und Egin also keine Mühe, ins Haus einzudringen. Das rhythmische, entnervende Dröhnen der Stimme des Rasenden Reporters wies ihnen den Weg zum Videoraum. Der Anblick war niederschmetternd. Fünf Menschen in einem Raum, den Blick starr auf die Videofläche gerichtet. Das Licht war gedämpft. Das grelle Zucken der Blitze, in denen Raumschiffe der Endlosen Armada ebenso wie Einheiten der Ertruser vergingen, flackerte über die Teppichwände. Bontan Burian saß weit zurückgelehnt in seinem Sessel, hatte den Mund ein wenig geöffnet und die Wirklichkeit offensichtlich weit hinter sich zurückgelassen. Ein ähnliches Bild boten Irya und die drei Kinder. Keiner von ihnen hatte die Eintretenden bemerkt. Krohn Meysenharts Stimme hallte durch den Raum. »… die Ertruser sich durch geschicktes Manövrieren noch ein paar Stunden halten könnten, sagen wir vier oder fünf. Das müßte ausreichen, um den Streitkräften der GAVÖK ein rechtzeitiges Eintreffen in der Kampfzone zu ermöglichen. Noch ist Ertrus nicht verloren …« »Heh, Hauscomputer!« rief Fredo Gopher zornig. »Hier bin ich«, meldete sich eine dünne Stimme über den Lärm der Meysenhartschen Reportage hinweg. »Schalt den Video aus!« »Wird gemacht.«
Traumwelt Terra Aber Krohn Meysenhart fuhr fort zu dröhnen und die Zukunft der ertrusischen Flotte in den düstersten Farben zu malen. Die Blitze sprühten weiterhin von der Bildfläche. Die blau-grüne Scheibe des Planeten Ertrus wuchs in die Bildmitte. »Das ist die Welt, über deren Schicksal im Laufe der nächsten Stunden entschieden wird …« Fredos suchender Blick hatte den Holoprojektor gefunden. Besorgt musterte er Egin. Sie stand noch unter dem Eingang, hatte von der Übertragung bisher nur Meysenharts bombastischen Kommentar mitbekommen, nicht aber das Bild. Ihr Gesicht wirkte wächsern. Ihre Augen waren blicklos. Fredo betätigte die manuelle Schaltung. Die donnernde Stimme, die sich soviel Mühe gab, den Weltuntergang heraufzubeschwören, verstummte. Das Holobild erlosch. Die Lampen unter der Decke wurden ein wenig heller. Egin faßte die Ellbogen mit beiden Händen und zog die Arme an sich, als fröre sie. Ihre Augen wurden wach. Fragend sah sie Fredo an. »Das war es wieder, nicht wahr?« sagte sie. Fredo nickte nur. Dann trat er auf Bontan Burian zu. Der saß nach wie vor reglos in seinem Sessel und starrte dorthin, wo vor wenigen Sekunden noch die Videofläche gewesen war. Fredo legte ihm die Hand auf die Schulter und rüttelte ihn ein wenig. »Bontan, wach auf«, sagte er drängend. »Laß mich in Ruhe«, brummte Bontan. »Hörst du den Redner nicht? Es gibt dieses Seminar nur ein einziges Mal im Jahr, und ich habe selten so erleuchtete Ausführungen gehört. Wenn du jetzt also den Mund halten wolltest …« Fredo und Egin sahen einander an und schüttelten beide den Kopf. Bontan befand sich in einer fremden Welt. Durch die Unterbrechung des Holoprogramms hatte sich an seinem Zustand nichts geändert. Bei Irya begegnete Fredo derselben Reaktion. Irya behauptete, wobei sich der starre Ausdruck ihres Gesichts nicht um eine Nuance veränder-
41 te, sie sei mit der Auswahl eines Kleides beschäftigt und dürfe dabei nicht gestört werden. Fredo wollte sich dem Jungen Vidosh zuwenden, als er hinter sich Geräusche hörte. »Sieh doch«, sagte Egin halblaut. Bontan Burian hatte sich aus seinem Sessel erhoben. Mit steifen Schritten, wie ein Nachtwandler, ging er auf den Ausgang zu. Fredo hörte eine Tür surrend beiseite gleiten. Ein gedämpftes Plätschern ließ sich vernehmen, danach das Zischen der Hygienespülung. Bontan kehrte nicht auf dem geradesten Weg zurück. Er machte einen Umweg über die Küche, und als er in den Videoraum zurückkehrte, kaute er auf beiden Backen. Sein Blick hatte sich nicht verändert. Die Augen starrten glasig vor sich hin. Fredo trat ihm in den Weg. »Bontan …«, begann er. »Nicht jetzt«, reagierte der Kommunikationstheoretiker ärgerlich. »Hörst du nicht? Er ist mit seinem Vortrag noch nicht zu Ende!« Mit diesen Worten ließ er sich in den Sessel fallen und starrte wieder dorthin, wo vorher das Holobild gewesen war. Nichts regte sich in seinem Gesicht. Bontan Burian war austreten gegangen und hatte sich etwas zu essen geholt. Er hatte dabei nicht einmal für eine Sekunde die Illusion unterbrochen, er befinde sich in einem Seminarsaal und höre einem begnadeten Redner zu. Der Blick, den Fredo Gopher Egin zuwarf, war voller Hilflosigkeit. Die junge Frau zuckte mit den Schultern. Ohne jegliche Hoffnung auf Erfolg nahm Fredo sich auch die drei Kinder vor. Rena und Isach behaupteten, sie befänden sich in der Klausur ihrer Lernkammer und bereiteten sich auf eine Prüfung vor. Vidosh gab sich lässiger. Er saß hoch in der Zuschauertribüne und verfolgte mit großer Spannung ein FastballSpiel. Die Peking Midgets schickten sich an, die Goal-Linie zu überqueren. Nein, Vidosh hatte keine Zeit, sich jetzt mit jemand anderem zu unterhalten. All diese Antworten gaben sie mit starren Gesichtern und flacher, tonloser Stimme. Sie
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glaubten, was sie sagten. In Wirklichkeit aber saßen sie wie zu Statuen erstarrt inmitten des Videozimmers und sahen wie gebannt dorthin, wo in jeder Sekunde das Holobild wieder auftauchen mochte. Fredo wandte sich ab. »Wir haben hier nichts mehr verloren«, sagte er niedergeschlagen zu Egin. »Du kennst dich hier besser aus als ich. Ruf ein paar Medo-Roboter herbei. Sie sollen sich um Bontan und seine Familie kümmern.« Egin fand den Kom-Anschluß im Nebenraum. Fredo hörte sie mit dem Prozessor sprechen. Kurze Zeit später kehrte sie zurück. Sie wirkte verstört. Fredo drängte sie nicht; er war willens zu warten, bis sie von selbst zu sprechen begann. Schließlich fuhr es wie ein Schauder durch ihre schlanke Gestalt. Sie schüttelte sich. Dann sagte sie: »Es gibt eine fünf Stunden lange Warteliste für Medo-Roboter. Sie sind alle mit Beschlag belegt.« Sie sah zu Boden, zögerte eine Weile und fuhr schließlich mit dumpfer Stimme fort: »Ich weiß nicht, was hier vorgeht. Aber offensichtlich ist der Teufel los. Ich würde mich freuen, wenn du mir auch weiterhin helfen wolltest.«
5. Während New York im matten Mittagsglanz der spröden Wintersonne badete, während sich über Hawaii ein tropischer Morgen erhob, während in Terrania die Nachtstunden verstrichen, gewann die Katastrophe an Profil. Die Straßen der Städte leerten sich. Menschen, die nach getaner Arbeit, nach gehabtem Vergnügen oder sonst irgendwann in ihre Behausungen zurückkehrten, kamen nicht mehr zum Vorschein. Menschen, die an ihren Arbeitsstätten den Einflüssen terranischer Kommunikation ausgesetzt waren, versanken in einen Zustand intensiver Trance und rührten sich nicht mehr – außer um den Forderungen nachzukommen, die ihnen der Körper auferlegte. Die Städte verwandelten sich in Wüsten aus Stein und Plastik. Die Leuchtmarkierungen der Funkleitstra-
ßen brannten einsam und bekamen kaum mehr ein Fahrzeug zu sehen. Die großen Raumhäfen stellten allmählich den Betrieb ein. Ankommende Schiffe wurden nach Marsport umgeleitet. Unheimlich war die Geschwindigkeit, mit der die Katastrophe um sich griff. Die Menschheit erhielt die Strafe für die zügellose Begeisterung, mit der sie sich seit Tagen und Wochen dem Medienhimmel hingegeben hatte. Statistiken wiesen aus, daß der Medienkonsum der Erdbewohner sprunghaft um einen Faktor acht gestiegen war, als die ersten Nachrichten über die bevorstehende Ankunft der Endlosen Armada verbreitet wurden. Die vorübergehende Ungewißheit, ob denn wirklich die ganze Armada oder nur Teile davon im Sektor Sol/Alpha Centauri/Sirius erscheinen würden, hatte den Rummel zusätzlich angefacht. Es wurde geschätzt, daß der Durchschnittsbürger dieser Tage zehn von vierundzwanzig Stunden vor seinem Kom-Anschluß saß und die Meldungen in sich aufnahm, die von Reportern wie Krohn Meysenhart verbreitet wurden. Die Hypnotrance wurde auf dem Weg über die Kommunikationskanäle verbreitet. Die Sat-Technos hatten die Nachrichtenbänder angezapft und füllten sie mit simulierten Sendungen, die nur schwer von der Wirklichkeit zu unterscheiden und mit hypnosuggestiven Impulsen untermalt waren. So wenigstens stellte Fredo Gopher sich den Sachverhalt vor. Über die Einzelheiten würde er sich den Kopf zerbrechen, sobald er Bestandsaufnahme gemacht hatte. Die bittere Ironie der Lage war, daß die verantwortlichen Stellen sehr wohl der weiteren Verbreitung der Trance hätten Einhalt gebieten können – wenn es nur eine Möglichkeit gegeben hätte, die Bürger zu warnen und ihnen klarzumachen, daß sie ihren Kom-Anschluß ausgeschaltet lassen sollten. Um die Warnung zu verbreiten und solcherweise wenigstens diejenigen zu retten, die der Hypnotrance noch nicht anheimgefallen waren, hätten sich die administrativen Organe jedoch eben des Muitikomnetzes bedienen
Traumwelt Terra müssen, auf das die Warnung sich bezog. Eine andere Möglichkeit der Massenkommunikation gab es nicht mehr. Als das Ausmaß der Gefahr offenbar wurde, stellte man in einigen Städten hastig ganze Flotten von Lautsprecherfahrzeugen zusammen, die die Straßen patrouillierten und auf höchster Lautstärke plärrend die Bürger aufforderten, ihre Mediensucht unter allen Umständen zu unterdrücken und die Finger vom Einschalter ihres Kom-Anschlusses zu lassen. Das war ein Tropfen auf den heißen Stein. Zehn-, vielleicht Hunderttausende ließen sich auf diese Weise retten. Was war das im Vergleich mit der nach vielen Milliarden zählenden Gesamtbevölkerung? Fredo Gophers vordringliches Anliegen war, Egin vor der Hypnotrance zu bewahren. Um sich selbst machte er sich kaum Sorgen. Er hatte bei beiden Gelegenheiten, als Egin um ein Haar in Trance versunken wäre, keinerlei Wirkung gespürt. Er schien immun gegen den heimtückischen Einfluß zu sein. Warum das so war, wußte er nicht. Er war seiner Sache auch keineswegs sicher. Wahrscheinlich hatte es mit der Swing-Krone zu tun. Er trug sie nicht dauernd; aber er wußte, daß der häufige Gebrauch des Geräts winzige Strukturveränderungen der Neuralsubstanz hervorgerufen hatte. Daher, nahm er an, rührte seine Immunität. Es war noch dunkel in Terrania, der Morgen drei Stunden entfernt, als Egins Gleiter über die Hochstraßen Terranias in Richtung Hauptquartier Hanse schoß. Diesmal war es Fredo Gopher, der dem Autopiloten Anweisungen erteilte. Egin hatte nichts dagegen eingewendet. Die Kommunikationskonsole war deaktiviert. Das Fahrzeug war von der Umwelt abgeschnitten. Fredo hätte brennend gerne erfahren, wie die Lage im Hauptquartier sich entwickelte. War dort auch alles der Hypnotrance anheimgefallen, oder gab es Immune? Aber er wagte es nicht, den Radakom einzuschalten, vor Furcht, die SatTechnos könnten auch in die kodegesicherten Rada-Kanäle eingedrungen sein. Egin mußte vor jedem Kontakt mit drahtlos über-
43 mittelter Kommunikation bewahrt werden. Viel Hoffnung machte er sich nicht. Administratoren, wie sie die Büros des HanseHauptquartiers zu Tausenden bevölkerten, waren aufgrund ihres Berufs regelmäßige Benutzer des Multikomnetzes. Sie kommunizierten mit den Niederlassungen der Kosmischen Hanse, mit den Kontoren und den Kosmischen Basaren. Es verging keine Viertelstunde, ohne daß der typische HanseAngestellte nicht wenigstens einmal am Rada-, Radio- oder Hyperkom hing. Fredo bereitete sich geistig darauf vor, im Hauptquartier nur noch Menschen zu finden, die reglos in ihren Sesseln hockten und fiktive Nachrichtensendungen konsumierten. So war es. Der große Platz vor dem Haupteingang des HQ-Hanse lag öde und verlassen. Nur wenige Fahrzeuge standen in der Nähe des großen Portals geparkt. Glitzernd stand im Widerschein des Sternenlichts die Virensäule im Zentrum des Platzes. In den vergangenen Tagen und Wochen hatten sich hier rund um die Uhr Zehntausende von Menschen gedrängt, jeder danach bestrebt, so rasch wie möglich Zutritt zur Informationsnische zu finden, damit er dem Virenimperium seine Fragen vorlegen könne. Jetzt aber war kein einziges Lebewesen zu sehen. Niemand interessierte sich für die Weisheiten des Virenimperiums, dessen gewaltiger Kreis sich wie der Bogen einer riesigen, nebelhaften Brücke am Nachthimmel abzeichnete. Terra war eingeschlafen. Während der Autopilot das Fahrzeug sanft in der Nähe des Portals absetzte, gewahrte Fredo Gopher einen einsamen Techno, der mit mäßiger Geschwindigkeit über die leere Fläche des Platzes glitt. Die Platzbeleuchtung erwachte zum Leben, als der Bodenbelag das Gewicht des gelandeten Gleiters spürte. An zwei hohen Masten flammten Flutlichter auf. Der Sat-Techno schien im ersten Augenblick irritiert. Er geriet ins Torkeln. Eine halbe Sekunde später hatte er seine Fluglage stabilisiert und stieg zielsicher zu einer der Flutlichtlampen empor.
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Wie eine Motte, ging es Fredo Gopher durch den Sinn. In diesem Augenblick prägte er den Begriff, unter dem die Sat-Technos viele Jahre später in den Annalen der Geschichte des Planeten Erde erwähnt sein würden: TRAUMMOTTEN.
* Galbraith Deightons Krisenstab war geschrumpft. Es fehlten außer Bontan Burian noch zwei weitere Mitglieder, die aus dem Bereich der Privatindustrie stammten. Die Hanse-Sprecher dagegen hatten der Katastrophe bisher standhaft getrotzt. Freilich stand ihnen, da sie sich zumeist im Hauptquartier aufhielten, die Möglichkeit der unmittelbaren Kommunikation zur Verfügung. Sie hatten früher als alle anderen erfahren, daß der Konsum von Nachrichten- oder anderen Sendungen Gefahr bedeutete und sich seitdem ihrem Kom-Anschluß ferngehalten. Es war 16 Uhr an diesem 5. Januar 429, als Galbraith Deighton die Sitzung des Krisenstabs eröffnete, indem er dreimal hart mit den Knöcheln auf die Tischplatte klopfte und erklärte: »Meine Freunde, die Lage ist katastrophal. Wer es nicht glaubt, der mag sich die leeren, verödeten Städte ansehen. Vielleicht genügt ihm aber auch ein Blick rundum. Drei von insgesamt neun Mitgliedern des Stabes sind nicht zu dieser Besprechung erschienen. Sie sitzen entweder zu Hause oder an ihren Arbeitsplätzen und lauschen gebannt einer Sendung, die es überhaupt nicht gibt.« Er streckte den Arm aus und wies der Reihe nach auf Egin Langford und Fredo Gopher. »Diese beiden sind nicht Mitglieder des Stabes. Sie haben jedoch unermüdlich gearbeitet, um das Ausmaß des Chaos zu definieren und nach Methoden Ausschau zu halten, mit denen wir uns der Gefahr erwehren können. Ich habe sie zu unserer Sitzung eingeladen, damit sie uns Bericht erstatten.« Fredo Gopher übernahm die Aufgabe des Berichtens. Mitunter, wenn er sich an Ein-
zelheiten nicht mehr erinnerte, wandte er sich an Egin, damit sie die Lücken in seinem Gedächtnis fülle. Er beschrieb zunächst in kurzen Zügen das Meß- und Experimentiersystem, mit dem Egin und er während der vergangenen dreißig Stunden gearbeitet hatten. Dann kam er auf die Resultate zu sprechen. »Die Katastrophe ist ganz eindeutig ein Machwerk der Sat-Technos«, erklärte er. »Sie haben binnen weniger Tage das irdische Multikomnetz zu beherrschen gelernt. Sie können sich einfädeln, wo und wann auch immer sie wollen, und es ist ihnen ein leichtes, die Kommunikationskanäle mit ihren eigenen Sendungen zu füllen. Ihr Ziel ist es offenbar, die gesamte Menschheit in den Zustand der Hypnotrance zu versetzen. Welchem Zweck diese Strategie dienen soll, kann ich vorläufig nur ahnen. Ich fürchte, daß Terra als Chronofossil unwirksam wird, wenn ein Großteil der terranischen Bevölkerung in hypnotischer Starre versinkt. Die bevorzugte Methode der Traummotten ist die Simulierung einer Nachrichtensendung. Insbesondere haben sie es auf Krohn Meysenharts Reportagen abgesehen, da sie wohl wissen, daß Meysenhart unter den Medienkonsumenten die stärkste Anhängerschaft besitzt. Die Traummotten extrapolieren mit teuflischem Geschick irgendeine apokalyptische Bemerkung, deren Krohn Meysenhart bekanntlich pro Minute zumindest eine macht, und speisen dann ihre eigene, mit Psi-Impulsen untermalte Sendung in den Kanal ein. Der Konsument ist gefesselt von dem zumeist gewalttätigen Geschehen, das sich auf der Bildfläche vor ihm abspielt, und ist der psionischen Energie, die aus dem Empfänger auf ihn einfließt, wehrlos ausgesetzt. Es dauert im Durchschnitt acht Minuten, bis er dem Zustand der Hypnotrance anheimfällt. Innerhalb dieser acht Minuten kann er durch Abschalten des KomAnschlusses noch vor größerem Schaden bewahrt werden. Nach Ablauf der Frist ist er hoffnungslos in der Trance gefangen. Aber auch Medienfeinde fallen den
Traumwelt Terra Traummotten zum Opfer. Sie fädeln sich mit derselben Leichtigkeit in die herkömmlichen Kommunikationskanäle des Radio-, Radaund Hyperkoms ein. Es unterhält sich einer auf dem Rada-Band mit seinem Freund. Traummotten schalten sich in die Übertragung ein, simulieren Stimme und äußere Erscheinung des Freundes und schleusen psionische Energie in den Kanal. Auch hier wird beobachtet, daß im Durchschnitt acht Minuten vergehen, bis die Hypnotrance voll wirksam wird. Im Zustand der Trance verhält sich der Hypnotisierte absolut träge. Er verbleibt an dem Ort, an dem er der Trance erlag, und rührt sich nicht von der Stelle – höchstens daß er sich, wenn ihn die Trance im Stehen überfiel, einen bequemen Sitz- oder Liegeplatz sucht. Er ist fest überzeugt, wie das Beispiel der Familie Burian beweist, sein Leben verlaufe weiterhin in den gewohnten Bahnen. Er glaubt, an seinem Arbeitsplatz, beim Einkaufen, im Lernzentrum oder sonst wo zu sein. Primitive Körperfunktionen bleiben von der Hypnose unberührt. Der Befallene ißt und scheidet Abfallstoffe aus. Für seine körperliche Gesundheit ist vorerst somit nichts zu fürchten. Der vor kurzem in Kraft getretene Notstandsplan sorgt dafür, daß die Proviantspeicher der Haushalte, Restaurants und Arbeitsstätten automatisch versorgt werden. Ich befürchte aber, daß auf die Dauer der Verstand des Befallenen in Mitleidenschaft gezogen wird. Die posthypnotische Wirkung, die von der Manipulation durch die Traummotten ausgeht, ist von ungeheurer Intensität. Ich bin überzeugt, daß sich daraus nachhaltige Schäden für das Bewußtsein des Hypnotisierten ergeben, wenn es uns nicht bald gelingt, den posthypnotischen Bann unwirksam zu machen.« Er machte eine Pause und trank einen Schluck Wasser. Diese Gelegenheit benützte Galbraith Deighton, um sich zu erkundigen: »Wie viele Menschen sind bisher der Hypnotrance zum Opfer gefallen?« »Wir schätzen, daß der ersten Medienoffensive etwa zwei Drittel der Erdbevölke-
45 rung erlagen«, antwortete Fredo Gopher. »Die hypnosuggestive Berieselung auf anderen Kommunikationskanälen erreichte weitere zehn Prozent. Der Prozeß schreitet fort. Die Traummotten werden nicht eher Ruhe geben, als bis sie alle Bewohner der Erde ins Traumland versetzt haben. In diesem Zusammenhang nur von Menschen zu reden, ist übrigens irreführend. Auch Extraterrestrier fallen der Beeinflussung zum Opfer. Schlimmer noch: Die Offensive der SatTechnos findet auch auf anderen Planeten und Monden des Solsystems statt.« »Gibt es Immune?« wollte Tuombwa Exor wissen. Ein mattes Lächeln huschte über Fredos Gesicht. »Oh ja, die gibt es. Nicht daß sie, von der Zahl her gesehen, eine Rolle spielten. Immun sind alle diejenigen, die sich jeder Art der drahtlosen Kommunikation enthalten. Immun sind die Träger von Zellaktivatoren. Mutanten sind immun. Immun sind auch die, die ihr Swinger nennt. Der häufige Gebrauch der Swing-Krone hat offenbar in unseren Bewußtseinen geringfügige Veränderungen hervorgerufen, die bewirken, daß die hypnosuggestive Strahlung uns nichts anhaben kann.« »An Bord der BASIS ist man über die Anfänge der Katastrophe informiert«, sagte Galbraith Deighton. »Inzwischen jedoch haben wir alle Kommunikation unterbunden. Es ist wichtig, daß Perry Rhodan auf dem laufenden gehalten wird. Wie sollen wir das bewerkstelligen?« »Ich wünschte, es gäbe keine schwierigeren Probleme«, grinste Fredo Gopher. »Einer der nachweislich Immunen erhält die Aufgabe, mit der BASIS zu kommunizieren. Die Gespräche sollten über NATHAN abgewickelt werden. Das Virenimperium ist zwar ebenfalls immun, wie wir von Stronker Keen wissen, aber seine Zuverlässigkeit läßt in jüngster Zeit zu wünschen übrig.« Deighton nickte. »Das ist ein guter Vorschlag. Alles Notwendige wird sofort veranlaßt werden.«
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Nachdenklich ruhte sein Blick auf Fredo Gopher. »Inzwischen sind alle unsere Hoffnungen unauflöslich mit euch beiden verbunden. Du, Fredo, bist immun. Du, Egin, bleibst von der Hypnotrance verschont, solange du dich den Kom-Anschlüssen fernhältst. Ich weiß, daß ihr zwei euer Bestes gebt. Aber wie lange werdet ihr durchhalten können? Ihr seid seit mehr als vierzig Stunden ununterbrochen auf den Beinen. So dringend die Not auch sein mag, ich empfehle euch, eine Ruhepause einzulegen. Wir brauchen euch. Der Himmel mag wissen, woher wir zusätzliche Fachkräfte beschaffen sollen, die euch bei der Arbeit helfen können. Aber wir werden uns nach Kräften bemühen. Bis dahin hört auf meinen Rat: Schont euch. Terra braucht euch!« Da flog das jungenhafte Grinsen ein zweites Mal über Fredo Gophers Gesicht. »Mach dir um uns keine Sorgen«, sagte er. »Noch steht uns der Zusammenbruch nicht unmittelbar bevor. Es gibt Mittel, die Müdigkeit zu vertreiben und den Geist aktiv zu erhalten. Sucht inzwischen nach Immunen, die uns beistehen können. Wenn ihr welche gefunden habt, dann legen wir eine Ruhepause ein.«
* Weit draußen in der Tiefe des Alls zog die PRIMAT DER VERNUNFT träge ihre Bahn. Im Zerotraum überwachte Kazzenkatt, der Sarlengort, die Tätigkeit der Anin An auf den Planeten des Solsystems. Er war mit dem Erfolg zufrieden. Die letzte Phase der Offensive gegen das Chronofossil Terra hatte ihr Ziel erreicht. Die Terraner waren in hypnotischer Trance erstarrt. Mit jeder Minute, die von jetzt an verstrich, wurde das mentale Potential des Fossils um ein Quant abgebaut. Die Mentalsubstanz, die Perry Rhodan und seine Gefährten aus der Epoche des frühen Raumfahrtzeitalters auf der Erde zurückgelassen hatte, versickerte allmählich in den leeren Bewußtseinen der Hypnotisierten. Noch zwanzig Terra-Tage, schätzte der
Zeroträumer, und es gab kein Chronofossil Terra mehr. Er weidete sich an dem Anblick, der sich ihm durch die Augen der Anin An bot. Menschen, die träge und tatenlos in bequemen Sesseln saßen oder auf Liegen ruhten. Ihr Leben war nicht gefährdet. Die automatische Technologie ihrer Zivilisation versorgte sie mit allem, was sie für den Alltag brauchten. Sie würden weder verhungern noch sich mit aufgestauten Abfallprodukten vergiften. Die Basisfunktionen des Körpers waren nach wie vor wirksam. So reibungslos arbeitete die Versorgung der Hypnotisierten, daß Kazzenkatt der Vergleich mit den Maden im Speck in den Sinn kam. Die Terraner taten nichts mehr, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, und dennoch wurden sie von Tag zu Tag fetter und träger – dank der unerhörten Leistungsfähigkeit ihrer automatisierten Technologie. Er empfand ein Gefühl tiefer Verachtung für jene, die er bisher als seine härtesten Gegner betrachtet hatte. Jedes Mal, wenn eine seiner Aktionen zu einem katastrophalen Fehlschlag ausgeartet war, hatte da nicht ein Terraner seine Hand im Spiel gehabt? Es waren Zeiten gewesen, da hatte allein der Gedanke, was geschehen würde, wenn er sich mit den Terranern einließ, ihn mit Furcht erfüllt. Bei allen üblen Geistern der Negasphäre – wie hatte er die Menschen der Erde überschätzt! Er hatte erwartet, daß sie sich gegen die Psychomanipulation durch die Anin An wehren würden. Er hatte damit gerechnet, daß sie die Gefahr rechtzeitig erkannten und ihre hochentwickelte Technik einsetzten, um ihr zu begegnen. Statt dessen waren sie hilf- und wehrlos dem ersten Vorstoß des Elements der Technik erlegen. Die eigene Kommunikationssucht war ihnen zum Verhängnis geworden. Der Zeroträumer hatte mit einem derart raschen Erfolg nicht gerechnet. Er war bereit gewesen, das gesamte Nega-Instrumentarium der Anin An in den Kampf zu werfen. Fast bereitete es ihm ein wenig Enttäuschung, daß es dazu nun nicht mehr
Traumwelt Terra kommen würde. Er hätte die Terraner gerne leiden sehen. Er hätte zuschauen mögen, wie sie sich wanden und vor Schmerzen kreischten, wie ihre Widerstandsfähigkeit Psion um Psion abgebaut wurde. Er wäre in Euphorie geraten, wenn er sie hätte um Gnade winseln hören. Aber er war Pragmatiker genug, um zu erkennen, daß er um der Sache willen seines privaten Vergnügens entsagen mußte. Worüber wollte er sich beschweren? Der Erfolg war ihm leichter in den Schoß gefallen, als er es in seinen kühnsten Träumen erwartet hatte. Endlich einmal würde er vor den Herrn der Elemente hintreten und mit der Stimme des Siegers verkünden können: »Dein Auftrag ist wunschgemäß erledigt. Terra hat aufgehört, als Chronofossil zu existieren.« Der Sieg war ihm gewiß, aber zur Vervollständigung seines Triumphes bedurfte es noch einer Zugabe. Er hatte die Terraner gefürchtet. Jetzt wußte er, daß er seiner eigenen Naivität aufgesessen war. Er hatte sich durch äußeren Augenschein narren lassen. Die Bewohner der Erde waren nichts, wovor man sich zu fürchten brauchte. Lediglich einen Terraner gab es, den Kazzenkatt für einen ebenbürtigen Gegner hielt: Perry Rhodan. Rhodan war über die Vorgänge auf der Erde informiert. Der Zeroträumer wußte das, weil seine Sonden die Sendungen abfingen, die vom Erdmond ausgingen, formuliert und abgestrahlt von einem Supercomputer namens NATHAN. Rhodans Verbundenheit mit seiner Heimatwelt war seit Jahrhunderten galaktische Legende. Wie lange würde er es dort draußen aushalten, bevor ihn die Verzweiflung ergriff und er mit seinem Flaggschiff auf dem kürzesten Weg nach Terra eilte? Auf diesen Augenblick wartete Kazzenkatt. Perry Rhodan auf der Erde! Oh, wie wollte er die Elemente der Technik anstacheln, daß sie das Letzte hergaben, um den wichtigsten aller Terraner in ihrem psionischen Netz zu fangen. Rhodan war Aktiva-
47 torträger. Mit der herkömmlichen Methode der Psi-Manipulation, die mittlerweile vier Fünftel der Erdbevölkerung in den Zustand der Hypnotrance versetzt hatte, war gegen einen Menschen wie Rhodan wenig auszurichten. Aber der Zeroträumer hatte noch ein paar Tricks auf Lager. Wenn Perry Rhodan die Erde betrat, war er verloren. Diesem Augenblick fieberte Kazzenkatt mit dem fast hysterischen Eifer des in mehreren Auseinandersetzungen Unterlegenen entgegen. Diesmal, das wußte er, gab es keine Rettung für Perry Rhodan mehr. Die Falle war gestellt. Er konnte ihr nicht entgehen.
* Fredo Gopher lehnte sich seufzend in seinen Sessel zurück und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Ein wenig unsicher tasteten die Finger nach einem der AntidormDragees, die er vor Stunden am unteren Rand der Konsole aufgestapelt hatte. Er schob sich die eiförmige Kapsel in den Mund, entspannte sich und spürte nach wenigen Minuten, wie die belebende Wirkung einzusetzen begann. Er beugte sich nach vorne und sah sich nach Egin um. Sie war in ihrem Sitz eingeschlafen. Er nahm sich Zeit, den klassischen Schnitt ihres Gesichts zu bewundern: die hohen Wangenknochen, die vollen Lippen, die dichten Wimpern. Dann wandte er sich seiner Arbeit wieder zu. Es galt, Meßergebnisse zu sortieren. Von seiner Konsole aus stand er in Verbindung mit mehr als zweitausend Computern, Sonden und stationären Nachweiseinheiten, die über die Oberfläche des Planeten verteilt waren. Jetzt, da Egin schlief, fiel es ihm leichter, sämtliche Nachrichtenkanäle zu aktivieren und die Daten in den Zentralcomputer des Hauptquartiers Hanse strömen zu lassen, den er für seine eigenen Zwecke hatte reservieren können, da außer ihm sich niemand mehr der bisher üblichen Methoden der Kommunikation zu bedienen getraute.
48 Einen Teil der Daten ließ er sich, so rasch die Augen eines Menschen sie verarbeiten konnten, auf einer Videofläche vorspielen. Er nahm zur Kenntnis, daß mittlerweile 85 Prozent der Erdbevölkerung der Hypnotrance anheimgefallen waren. Die Zahl der Hypnotisierten wuchs stetig. Die Kurve, die die Zahl der Beeinflußten als Funktion der Zeit darstellte, näherte sich, wenn man sie extrapolierte, asymptotisch dem Wert 99,9 Prozent. Vielleicht eine Million Erdbewohner würden übrigbleiben, denen der Psi-Terror der Traummotten nichts anzuhaben vermochte – entweder weil sie von Natur aus immun waren oder weil sie keine drahtlose Kommunikation konsumierten. Fredo Gopher wehrte sich gegen das Gefühl der Mutlosigkeit, das ihn überkommen wollte. Er erinnerte sich an Episoden der Vergangenheit – ausnahmslos solche, von denen er während seiner Hypnokurse in terranischer Geschichte Kenntnis erlangt hatte. Wie oft schon hatte die terranische Menschheit sich in einer solchen Lage befunden: einem weit überlegenen Gegner scheinbar hilflos ausgeliefert? Und wie oft war es schon geschehen, daß sie sich im letzten Augenblick der tödlichen Schlinge entzogen und die Lage zu ihren Gunsten gewendet hatte? War es nicht, als seien die Terraner das Auserwählte Volk, dem auf Dauer selbst die übelste Laune des Schicksals nichts anzuhaben vermochte? Er stutzte, als die Ketten der Datensymbole auf der Bildfläche vor ihm zerflossen. Es zischte im Audio-Empfänger. Sekunden später stabilisierte sich das Bild von neuem. Nur zeigte es diesmal keine Ziffern und Buchstaben, sondern den metallisch schimmernden Umriß einer Traummotte. Die ovale Augenöffnung war geradewegs auf das Aufnahmegerät gerichtet. Durch die linsenartige Abdeckung der Öffnung hindurch sah Fredo Gopher wie in Vergrößerung die Gehirnmaterie des Anin An, die in bunter Nährlösung schwamm. »Du wunderst dich sicherlich nicht, wie es mir möglich ist, mit dir Kontakt aufzu-
Kurt Mahr nehmen«, sagte eine modulationsarme, monotone Stimme. »Du weißt inzwischen, daß wir das Spektrum eurer Kommunikation von einem Ende bis zum anderen beherrschen.« Der Anblick der Traummotte erregte Fredo Gophers Zorn. »Rede nicht so geschwollen daher«, knurrte er. »Was willst du?« »Wir wissen, daß du immun bist«, antwortete der Anin An. »Wir wissen außerdem, daß du unser gefährlichster Gegner bist – derjenige, der am meisten über uns weiß.« Fredo sah sich besorgt nach Egin um. Es erleichterte ihn zu sehen, daß sie noch immer friedlich schlief. »Zuviel der Ehre«, antwortete er spöttisch, das Gesicht wieder dem Aufnahmegerät zugewandt. »Was hast du mir sonst noch zu sagen?« »Wegen deiner Immunität ist es schwierig, an dich heranzukommen«, sagte die Traummotte. »Aber wir werden es schaffen und dich unschädlich machen. Sobald du ausgeschaltet bist, ist das Schicksal der Erde besiegelt.« »Über meine Leiche!« sagte Fredo zornig. »Eben«, reagierte der Anin An. Fredo Gopher atmete scharf ein. »Du hast nicht etwa einen Namen, mit dem du dich ausweisen könntest?« fragte er. »Oh doch«, antwortete die Traummotte. Die schlecht modulierte, mechanische Stimme schien einen Anflug von Spott zu enthalten. »Ich bin Eins-eins-Nannor, der Leiter des Unternehmens Terra.« Fredo grinste. »Ich werde dich zu finden wissen, Einseins-Nannor«, sagte er. »Und dann gnade dir Gott. Du wirst für alles Unheil büßen müssen, das du und deine Artgenossen über die Erde gebracht haben.« »Ein Zweikampf also?« meinte 1-1-Nannor. »Ich bin damit einverstanden; denn ich weiß, daß du den kürzeren ziehen wirst.« »Das werden wir sehen«, knurrte Fredo Gopher. Im nächsten Augenblick war die Verbin-
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dung getrennt. Die Videofläche entmaterialisierte. Fredo saß noch eine Zeitlang still und dachte über das nach, was er soeben gehört hatte. Dann stand er auf, hob Egin behutsam aus ihrem Sessel und trug sie in den angren-
zenden Raum, wo er ihr ein bequemes Lager bereitete.
ENDE