Nr. 439
Treffpunkt Atlantis Der König kehrt zurück von Detlev G. Winter
Nachdem Atlantis-Pthor, der Dimensionsfahrstu...
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Nr. 439
Treffpunkt Atlantis Der König kehrt zurück von Detlev G. Winter
Nachdem Atlantis-Pthor, der Dimensionsfahrstuhl, in der Peripherie der Schwarzen Galaxis zum Stillstand gekommen ist, hat Atlan die Flucht nach vorn ergriffen. Nicht gewillt, untätig auf die Dinge zu warten, die nun zwangsläufig auf Pthor zu kommen werden, fliegt er zusammen mit Thalia, der Odinstochter, die Randbezirke der Schwarzen Galaxis an und erreicht das sogenannte Marantroner-Revier, das von Chirmor Flog, einem Neffen des Dunklen Oheims, beherrscht wird. Dort, von Planet zu Planet eilend und die Geheimnisse der Schwarzen Galaxis ausspähend, haben Atlan und seine Gefährtin schon so manche tödliche Gefahr ge meinsam bestanden – bis der Planet Dykoor zu Thalias Grab wurde. Doch auch nach Thalias Tod geht für den Arkoniden die kosmische Odyssee wei ter. Jetzt, zusammen mit seinen Freunden Razamon und Axton/Kennon, will er sich auf die Suche nach Pthor machen, das seine Position verlassen hat und zum RghulRevier unterwegs ist. Obwohl der Todesbote die Pläne des Arkoniden wirksam durchkreuzt, erreicht At lan – wenn auch als Gefangener – doch noch sein Ziel, den TREFFPUNKT ATLAN TIS …
Treffpunkt Atlantis
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Die Hautpersonen des Romans:
Atlan, Razamon und Axton/Kennon - Der König und seine Freunde kehren zurück.
Atzbäll - Kommandant der Scuddamoren auf Pthor.
Cultran - Ein hilfsbereiter Truge.
Abram Lexis - Ein Verzweifelter.
Zwalltorg - Ein Gersa-Predogg greift ein.
1. Selbst wenn er sich mit Zwalltorg beriet, verbarg sich Duuhl Larx in der Aura aus leuchtender Energie. Darüber, ob diese Er scheinungsweise dem partiellen Wahnsinn entsprang oder einfach ein übersteigertes Si cherheitsbedürfnis befriedigte, waren die Meinungen geteilt. Spekulationen über sein wahres Aussehen blieben müßig. Niemand auf Cagendar hätte berichten können, ihn je mals in seiner natürlichen Gestalt erblickt zu haben. Ihm selbst war es gleich, was die Leute darüber dachten, wenn sie nur seine Macht anerkannten und seine Befehle aus führten. »Ich habe Neuigkeiten für dich«, eröffne te ihm Zwalltorg. Duuhl Larx spürte die dunkle Kraft, die der kastenförmige Roboter verströmte, jenes negative, bösartige Fluidum, das direkt aus dem Zentrum der Schwarzen Galaxis zu stammen schien. Nur er, der Herr über das Rghul-Revier, konnte es ertragen; mehr noch, es half ihm bei der Überwindung eige ner Schwächen und baute seine innere Macht immer neu auf. »Welche Neuigkei ten?« fragte er. Der Gersa-Predogg diente dem Neffen als Kommunikationselement und Berater. Seine Informationen bezog der Roboter direkt aus dem Machtzentrum der Galaxis. »Pthor hat seinen Standort im Marantro ner-Revier verlassen.« Pthor! Das Wort elektrisierte Duuhl Larx förm lich. Auf der Welteninsel, die im Randgebiet der Galaxis gestoppt worden war, herrschten Zustände, die sich mit den Erwartungen des Dunklen Oheims nicht vereinbaren ließen.
Dem Neffen Chirmor Flog, der das Maran troner-Revier beherrschte, war es übertragen worden, die Ordnung wiederherzustellen. Von Anfang an hatte Duuhl Larx ihm den Auftrag geneidet. Sein Haß gegen den Kon kurrenten war so groß, daß er nicht davor zurückgeschreckt hatte, seinen Vertrauten Razamon in das Marantroner-Revier einzu schleusen, damit dieser die Arbeit Chirmor Flogs zusätzlich erschweren konnte. Die Nachricht des Gersa-Predogg deutete darauf hin, daß Razamon erfolgreich gewesen war. »Chirmor Flog hat versagt«, stellte der Neffe fest. »So ist es«, bestätigte Zwalltorg. Duuhl Larx' Erregung stieg. »Und?« drängte der Neffe. »Was ge schieht weiter?« »Pthor wird im Rghul-Revier materialisie ren.« »Ah!« triumphierte Duuhl Larx. »Darauf habe ich gewartet!« »Du solltest nicht glauben, daß dich eine leichte Aufgabe erwartet«, dämpfte der Ro boter den Optimismus des Neffen. »Auf Pthor steht eine Streitmacht von zehntau send Scuddamoren, die sich gegen die Über nahme durch deine Truppen erbittert zur Wehr setzen wird. Außerdem wird gemun kelt, daß Chirmor Flog selbst sich auf der Welteninsel befindet.« Es dauerte eine Weile, bis Duuhl Larx die Tragweite dieser Information voll erfaßt hat te. Sein ärgster Konkurrent hielt sich auf Pthor auf! Es bot sich die einmalige Gele genheit, dem Dunklen Oheim im direkten Schlagabtausch zu beweisen, wer der fähige re Neffe war. Er würde sich die Chance nicht entgehen lassen! »Kennst du die Koordinaten, an denen Pthor materialisieren wird?« wollte er wis
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sen. »Natürlich.« »Gut. Dann können wir uns vorbereiten. Eine Flotte von zweihundert Organschiffen dürfte ausreichen, die Unfähigen in ihre Schranken zu verweisen.« »Die Scuddamoren sind tapfere und ent schlossene Kämpfer«, warnte Zwalltorg. »Sie werden das Land nicht freiwillig räu men, sondern ihre Position erbittert verteidi gen.« »Sie sollen es tun«, höhnte Duuhl Larx. Bereits jetzt wähnte er sich im Besitz des si cheren Sieges und in der eindeutigen Gunst des Dunklen Oheims. »Wir werden ihnen beibringen, wer der neue Herr auf Pthor ist. Wir werden sie verjagen und wieder geord nete Zustände herstellen.«
* »He, Wirt! Bring mir noch einen Becher von diesem köstlichen Stoff!« Gemeint war Kromyat, ein aus Beeren ge gorener Wein, der in Orxeya auf der Rangli ste der trinkbaren Flüssigkeiten noch immer an erster Stelle rangierte. Kein Orxeyaner, der im Keller seiner Behausung nicht einen gehörigen Vorrat davon lagerte. In Grenzen genossen, war er völlig unschädlich. Abram Lexis allerdings hatte das Maß des Vertret baren bereits überschritten. Einer seiner Tischnachbarn legte ihm mahnend eine Hand auf den Arm. »Du solltest vorsichtig sein, Freund«, raunte er. »Du wirst einen schweren Kopf bekommen.« Unwirsch stieß Abram Lexis die Hand des anderen von sich. »Du nennst mich Freund und willst mir Vorschriften machen? Noch bestimme ich, was und wieviel ich trinke!« »Du suchst die Trunkenheit, um deinen Schmerz zu vergessen«, hielt der andere ihm vor. »Werde dir klar darüber, daß du dir da mit nicht hilfst.« »Kümmere dich um deinen eigenen Dreck«, fuhr Abram ihn an. Hart hieb er mit
der Faust auf den Tisch. »Wirt! Wo bleibt mein Kromyat?« Der Wirt warf ihm einen bösen Blick zu. »Wart's ab«, rief er. »Du wirst dich einen Moment gedulden können.« Etwas Unverständliches vor sich hin brummend, lehnte Abram Lexis sich zurück und sah sich mit grimmigem Blick um. Wie immer um diese Zeit, war die Kneipe bis auf den letzten Platz gefüllt. Händler, Soldaten und Angehörige der Wachmannschaften ver brachten hier ihre freie Zeit, unterhielten sich, diskutierten, tranken und aßen. Vielfäl tiges Stimmengewirr erfüllte den Raum, der von Fackeln in unruhiges, flackerndes Licht getaucht war. »Teile ihn ein«, sagte der Wirt, als er einen gefüllten Becher vor Abram auf den Tisch stellte. »Mehr bekommst du heute nicht.« »Das nenne ich Gastfreundschaft«, knurr te der bartlose Orxeyaner, während er sich vorbeugte und den Becher mit beiden Hän den umfaßte. Langsam führte er ihn zum Mund und trank zwei kräftige Schlucke. Genüßlich schloß er die Augen, doch so fort breitete sich ein Gefühl des Schwindels in ihm aus. Seine Lider waren schwer, als er sie wieder öffnete. Er suchte einen Punkt, auf den er sich konzentrieren konnte, um die einsetzende Konfusion niederzukämpfen. Sein Blick fiel auf eine Tür, die mit starken Bohlen versperrt war. Sooft er sich hier auf hielt, hatte er noch niemals erlebt, daß je mand den Raum dahinter betreten oder ver lassen hätte. In einem Zug trank er den Be cher leer und stellte ihn knallend auf die Tischplatte zurück. Abram Lexis war einer der wenigen Orxeyaner, die sich, entgegen dem allgemeinen Modetrend, keinen Bart stehen ließen. Allerdings verzichtete er nicht freiwillig darauf. Während Pthors Aufent halt im Korsallophur-Stau war die Weltenin sel von den Krolocs überfallen worden, und auch die Stadt der Händler war von der In vasion nicht verschont geblieben. Damals war Abram in eine Strahlgarbe hineingelau fen, die ihm die untere Gesichtshälfte ver
Treffpunkt Atlantis sengt und mit häßlichen Narben entstellt hat te. Der Verlust seines Bartwuchses war noch das kleinere Übel gewesen. Seine Lebensge fährtin und sein Sohn hatten bei den Kämp fen das Leben verloren. Bis heute war er nicht darüber hinweggekommen. »Du solltest wirklich aufhören«, ermahnte ihn sein Nachbar erneut. Abram schenkte ihm keinerlei Beachtung. Seine Aufmerksamkeit war auf die Tür ge richtet. Was verbarg der Wirt dahinter, daß er sie mit quer davorgeschobenen Brettern sichern mußte? »Was hast du dort versteckt?« rief er und streckte einen Arm aus. »Welche Geheim nisse hast du vor uns?« Kaum jemand kümmerte sich um sein Ge schrei. Bei der weithin bekannten Trinkfe stigkeit der Orxeyaner kam es zwar selten vor, daß jemand so viel Wein konsumierte, daß sein Geist sich trübte und er den Sinn für das gebotene Maß an Anstand verlor, aber es war auch kein Ereignis, das übertrie bene Beachtung hervorrief. Abram indes fühlte sich durch das Desin teresse der anderen gereizt. Er sprang so spontan auf, daß sein Stuhl polternd zu Bo den fiel. »Hört mir zu, Leute! Irgend etwas ver steckt der Wichtigtuer hinter dieser Tür.« Sein glasiger Blick wanderte über die An wesenden. Schwerfällig bahnte sich der Bartlose einen Weg zum Tresen und starrte den Wirt an. »Was ist es? Willst du es uns nicht sagen? Sind es Weiber?« »Beherrsche dich!« knurrte ihn der Wirt an. »Du bist betrunken.« Abram verzog das Gesicht zu einer Gri masse und nickte. »Betrunken, ja …« Jemand berührte ihn von hinten an der Schulter. »Laß es gut sein! Es ist besser, wenn du nach Hause gehst.« »Nach Hause?« Abram torkelte, als er sich abrupt umdrehte. Am Rand des Tresens hielt er sich fest. »Wo ist mein Zuhause?
5 Kannst du mir das sagen? Ich …« Er verstummte, als die Eingangstür aufge rissen wurde. Drei Scuddamoren drangen in den Schankraum ein. Ihre schattenhaften Umrisse wirkten unheimlich fließend in der rauchgeschwängerten Luft. Jene düstere Au ra breitete sich von ihnen aus und bannte die Anwesenden auf ihre Plätze. »Wir haben Besuch«, lallte Abram mit schwerer Zunge. »Eine Runde Kromyat für die hohen Gäste!« Die Scuddamoren reagierten nicht darauf. Sie standen nur da, schweigend und reglos. Unvermittelt begann Abram Lexis zu la chen. Die warnenden Blicke der anderen ignorierte er. »Seht sie euch an! Sie stehen herum und wissen nicht, was sie tun sollen. Sie haben die Sprache verloren.« Einer der Schatten floß auf ihn zu. »Wer bist du, daß du so zu reden wagst?« Abram war zu wenig Herr seiner Sinne, um sich beeindrucken zu lassen. Er griff nach einem Becher, der auf dem Tresen stand, und leerte ihn mit wenigen Schlucken. »Ich bin Abram Lexis«, verkündete er dröhnend. Wieder lachte er auf. »Und du bist ein Scuddamore, wie?« »Sei still, Mann!« flüsterte ihm der Wirt zu. »Du redest dich in den Tod.« Der Bartlose ließ sich davon nicht zurück halten. Er grinste breit und machte eine lin kische Geste. »Könnt ihr euch erinnern, Freunde, wie sie Sator Synk und den dämlichen Robotbür ger durch die ganze Stadt gejagt haben? War das nicht ein irrsinniger Spaß? Und als sie ihn endlich gefaßt hatten, ist er ihnen doch wieder entwischt!« Die Drohung, die von den Scuddamoren ausging, schien sich noch zu verstärken. Wie eine lähmende Glocke legte sie sich über die Männer. Dennoch fanden einige von ihnen den Mut, Abram Lexis zurückzuhalten, be vor er sich weiteren Unmut zuzog. Sie schleiften ihn zu seinem Platz zurück. Der Bartlose ließ es geschehen. Er lachte noch immer.
6 »Wir wollen jeden Raum in diesem Haus inspizieren«, wandte sich ein Scuddamore an den Wirt. »Führe uns!« »Welchen Verdacht habt ihr gegen mich?« Der Angesprochene trat unsicher einen Schritt zurück. »Ich habe nichts zu verbergen.« Plötzlich herrschte eisige, drückende Stil le. Abram Lexis hörte auf zu lachen und er hob sich ungeschickt. »Natürlich versteckt er etwas«, murmelte er undeutlich und deutete auf die Tür, die vorhin bereits sein Interesse geweckt hatte. »Dort!« »Halte endlich den Mund!« fuhr ihn sein Tischnachbar an und drückte ihn unsanft auf den Stuhl zurück. »Es ist der Weinkeller«, verteidigte sich der Wirt und trat auf die Tür zu. »Ich werde ihn öffnen.« »Bleib zurück!« fuhr der Scuddamore ihn an. Ein gleißender Energiestrahl schoß aus dem Schatten hervor und schlug krachend in das Ziel ein. Das trockene Holz begann so fort Feuer zu fangen. »Was soll das?« schrie der Wirt auf. »Ihr könnt meine Einrichtung nicht zerstören!« »Noch ein Wort, und wir legen das ganze Gebäude in Trümmer«, warnte der Scudda more. »Niemand rührt sich vom Fleck!« Die brennende Tür löste sich aus den Scharnieren und brach funkenstiebend zu Boden. Voller Panik sprangen die am näch sten sitzenden Orxeyaner auf. Keiner wagte es jedoch, zu den Waffen zu greifen oder den Raum zu verlassen. Wie drohende Mo numente versperrten die beiden anderen Scuddamoren den Ausgang. Unbeeindruckt von den brennenden Re sten und dem schnell um sich greifenden Feuer schob sich der Wortführer der Frem den durch die entstandene Öffnung. Im Schankraum hörten die entsetzten Orxeyaner das Poltern umgestoßener Regale und das Klirren zerspringender Weinflaschen. Sie wußten alle, was die Scuddamoren suchten. Es hatte sich schnell herumgespro chen, daß Chirmor Flog, der Neffe des
Detlev G. Winter Dunklen Oheims und Herr über das Maran troner-Revier, nach seiner Landung auf Pthor spurlos verschwunden war. Obwohl es mittlerweile als sicher galt, daß keine der auf dem Eiland etablierten Bevölkerungsgrup pen, die von Atzbälls Leuten vollkommen kontrolliert wurden, für die Entführung ver antwortlich sein konnte, brachen die ständi gen Schikanen der Fremden nicht ab. Seit Pthor sich überraschend mit unbekanntem Ziel in Bewegung gesetzt hatte, wurden sie zunehmend nervöser und gereizt. Endlich hielt der Scuddamore in seinem Zerstörungswerk ein. Aus der Dunkelheit, die die Öffnung zum Weinkeller bildete, lös te sich der schattenhafte Umriß und glitt über die nach allen Richtungen züngelnden Flammen. Mittlerweile stand der halbe Schankraum in hellem, verzehrenden Licht. Die Männer hatten sich alle von ihren Sitzen erhoben und beobachteten von einem noch sicheren Platz aus das grausame Schauspiel. Jemand war so umsichtig gewesen, den be trunkenen Abram Lexis von seinem Stuhl zu zerren und mitzuschleifen. Dem Wirt stan den Tränen des ohnmächtigen Hasses in den Augen. Die Hitze und der beißende Qualm wur den unerträglich. Immer weiter griff die Glut um sich, setzte Tische, Stühle, Wände und die Decke in Brand. »Ihr könnt gehen«, drang die Stimme ei nes der Fremden durch das Rauschen und Knistern des Feuers. Jemand öffnete die Tür, und die Orxeya ner taumelten ins Freie. Frische Nachtluft umfing sie. Einige ergriffen sofort die Flucht und verschwanden in der Dunkelheit enger Gassen. Der Wirt blieb bebend stehen und umfaßte mit der Hand das armlange Messer, das er am Gürtel trug. Aber er tat nichts, weil er wußte, daß jeder Widerstand sein si cherer Tod gewesen wäre. Abram Lexis tor kelte auf die Scuddamoren zu, die die Knei pe als letzte verließen. »Was habt ihr gefunden?« lallte er. »Was hatte er versteckt?« »Nichts, du Narr«, lautete die Antwort.
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Die Stimme, die aus dem Schatten drang, wirkte dumpf und noch drohender als zuvor. »Nichts?« Der Bartlose stieß ein dröhnendes Lachen aus. »Ich wußte, daß ihr unfähig seid. Ihr seid hirnlose, bösartige Monstren. Ich glaube, ich werde mich bei Atzbäll über euch beschweren.« Der Wirt trat zu ihm und zog ihn einen Schritt zurück. »Es ist schon schlimm genug, was sie an gerichtet haben. Reize sie nicht noch mehr.« Abram stand schwankend da und beob achtete mit trübem Blick das niederbrennen de Haus. Er sah die Schatten der Scuddamo ren, die sich langsam entfernten. Und in sei ner Trunkenheit spürte er unbändige Kraft in sich aufsteigen. »Bleibt hier!« schrie er. »Werdet ihr zu Feiglingen, wenn ihr den Namen Atzbäll hört? Habt ihr nicht den Mut, zu euren ab scheulichen Verbrechen zustehen?« Außer dem Wirt hatten sich alle in der Schankwirtschaft versammelten Orxeyaner zurückgezogen. Niemand war mehr hier, der den Betrunkenen zurückhalten konnte. Ab ram fühlte sich stark und überlegen. Er spur tete los und setzte den Scuddamoren nach. Der Wirt wußte später zu berichten, daß sich der Bartlose mit wildem Geschrei den Fremden entgegenwarf, ein Messer zum Stoß erhoben. Aber er erreichte sie nicht. Als wäre er gegen eine Mauer geprallt, fuhr Abram plötzlich zurück. Er knickte in den Knien ein, das Messer entfiel seinen kraftlo sen Händen, und mit weit ausgebreiteten Ar men sank er zu Boden. Starre erfaßte ihn und bannte ihn auf den Fleck. Mit einem Lähmstrahler hatten die Scud damoren ihn außer Gefecht gesetzt. Wäh rend das Schankhaus bis auf die Grundmau ern niederbrannte, nahmen die Fremden ihn in die Mitte und transportierten ihn ab.
* Überall auf Pthor sprach man in diesen Tagen der Ungewißheit von den Übergriffen der Scuddamoren. Sie gingen hart und erbar
mungslos gegen jene vor, die ihren Anwei sungen nicht sofort Folge leisteten oder auch nur die Andeutung eines Widerspruchs er kennen ließen. Blanker Terror herrschte auf Atlantis – geboren aus Unsicherheit und Unverständ nis, aus blindem Fanatismus und dem über legenen Gefühl der Macht. Der unerwartete Aufbruch der Welteninsel hatte auch die hartgesottenen Scuddamoren viel Nerven kraft gekostet. In dem Maß, in dem sie be griffen, daß die Dinge ihrer Kontrolle ent glitten, verstärkten sie den Druck und die Repressalien gegen die Pthorer. Auch Atzbäll blieb von der allgemeinen Hysterie nicht verschont. Aus allen Teilen der Insel nahm er die entmutigenden Mel dungen seiner Kommandanten entgegen. Keine Spur von Chirmor Flog! Keine kon kreten Hinweise, wer den Neffen entführt haben könnte! »Ich frage mich, ob sie wirklich nichts wissen, oder ob sie uns geschickt hinters Licht führen wollen«, drang Tährns Stimme aus der Düsternis des Schattenschilds. Tährn war einer der stellvertretenden Befehlshaber auf Pthor und hatte nicht gezögert, der Auf forderung des Ranghöheren, sich zu einer vertraulichen Beratung einzufinden, zu fol gen. Atzbäll schaltete einen Bildschirm aus und bewegte sich unruhig durch den Bespre chungsraum. »Ich bin mittlerweile überzeugt, daß es nur eine Gruppe gibt, die die Unverfroren heit und die Mittel besitzt, einen Neffen des Dunklen Oheims zu verschleppen. Die Ma gier!« »Die Magier von Oth …«, wiederholte Tährn nachdenklich. Er schien keinen Mo ment daran zu zweifeln, daß der Verdacht berechtigt war. »Wie kommen wir an sie heran?« »Überhaupt nicht!« fuhr Atzbäll ihn an. Das Wissen, zur Untätigkeit verdammt zu sein, setzte ihm stark zu. »Ihre Gebirgskette wird weiterhin von der Energieglocke ge schützt, die jedem Beschuß trotzt.«
8 »Das heißt, daß die Magier ein sicheres Mittel in der Hand haben, uns zu erpressen. Ich frage mich, warum sie es noch nicht ver sucht haben.« Atzbäll produzierte einen dunklen, kehli gen Ton, der sein Mißfallen über Tährns Äu ßerung ausdrücken sollte. »Als Chirmor Flog hier landete, war er schon halb tot. Das einzige, was ihn noch aufrecht hielt, war die Hoffnung, auf Pthor Hilfe zu finden. Ohne sein Gestell ist er völ lig machtlos. Ich fürchte, daß er längst nicht mehr lebt, und damit ist er als Geisel wert los.« Tährn war anderer Ansicht, aber er wagte es in dieser Situation nicht, dem Oberbe fehlshaber zu widersprechen. »Ist mittlerweile wenigstens bekannt, wo hin unsere unfreiwillige Reise führt?« fragte er. Atzbäll fühlte sich in die Enge getrieben. Das war das zweite Problem, das ihm über den Kopf zu wachsen begann. Überra schend, ohne vorherige Ankündigung, war Pthor vor einigen Tagen aufgebrochen und entfernte sich seitdem mit zunehmender Ge schwindigkeit von seinem bisherigen Stand ort. Entsprechende Anweisungen, Verhal tensmaßregeln oder erklärende Hinweise waren ausgeblieben. »Der Zugang zum Antrieb und zum Steu ermann ist uns durch Energieschirme ver wehrt«, sagte Atzbäll düster. »Beantwortet das deine Frage?« Tährn erkannte an der Stimmlage seines Gegenübers, wie sich dessen Gemütszustand weiter verschlechterte. »Wir sollten ein Organschiff losschicken, um festzustellen, wo wir uns befinden«, schlug er vor. »Vielleicht hilft es uns wei ter.« »Daran habe ich auch schon gedacht«, gab Atzbäll zu. »Ich halte es jedoch für zu riskant, während des Fluges den Wölbman tel zu durchstoßen. Wir stehen mit achtzig Schiffen auf Pthor. Ich möchte keines davon verlieren.« »Dann bleibt uns nur, zu warten.«
Detlev G. Winter »Ja«, knurrte Atzbäll. »Und es macht mich wahnsinnig.« Überdeutlich spürte er, daß ihm die Räumlichkeiten der FESTUNG immer mehr wie die Kammern eines Gefängnisses er schienen. Manchmal beneidete er seine zehntausend Untergebenen, die überall auf Pthor verteilt waren und wenigstens agieren konnten. Natürlich war auch ihnen die Un gewißheit der gegenwärtigen Lage bewußt, aber sie vermochten durch die verschieden sten Aktionen ihre innere Unruhe immerhin zu dämpfen. Er dagegen blieb zur Untätig keit verurteilt. Die Ankunft der drei Söhne Odins lenkte ihn etwas ab, ohne ihm wirkliche Hilfe zu sein. Sie betraten den Raum in stolzer Ma nier und offensichtlich in dem Wissen, einen wunden Punkt des Scuddamoren-Kom mandanten berühren zu können. Ihr Besuch war Atzbäll angekündigt worden, aber er hatte nicht damit gerechnet, daß sie wirklich den Mut aufbringen würden, herzukommen. Sie wurden weiterhin als Gefangene behan delt, wenn ihnen auch zugestanden worden war, sich in einem abgegrenzten Bereich der FESTUNG relativ frei bewegen zu können. Zwei Scuddamoren begleiteten sie. Atzbäll schickte Tährn und die Wächter hinaus. »Was wollt ihr?« fragte er. »Wir möchten dir einen Vorschlag unter breiten«, verkündete Heimdall gelassen. »Sprich!« forderte er Heimdall auf. Der Hüne ließ sich gemächlich auf einer Sitzgelegenheit nieder, während Sigurd und Balduur schräg hinter ihm stehend Position bezogen. Ihr Verhalten sprach ihrem Gefan genenstatus blanken Hohn. Sie wirkten über aus sicher. »Es ist uns aufgefallen, daß niemand über die Bewegung Pthors informiert ist«, sagte Heimdall. »Wir wollen dir dabei behilflich sein herauszufinden, was der Grund für un sere Reise ist und wohin sie uns führt.« Atzbäll fühlte sich, als habe er einen elek trischen Schlag erhalten. Das war es! Die Söhne Odins wußten genau, welche Sorgen ihn bewegten, und vermutlich wußten sie
Treffpunkt Atlantis auch, daß er damit nicht fertig wurde. Sie trieben ein raffiniertes psychologisches Spiel, das ein anderer vielleicht nicht sofort durchschaut hätte. Aber sie sollten sich täu schen! Er würde nicht darauf hereinfallen! »Wie wollt ihr das anstellen?« fragte er lauernd. »Du könntest uns mit Raumanzügen aus rüsten und uns einen Zugor zur Verfügung stellen«, schlug Heimdall vor. »So könnten wir außerhalb des Wölbmantels operieren, ohne ein Organschiff riskieren zu müssen.« »Es ist gefährlich«, sagte Atzbäll. »Darüber sind wir uns im klaren. Uns geht es jedoch darum, die Sicherheit der Be wohner Pthors und deiner Scuddamoren zu gewährleisten. Das ist auf lange Sicht nur möglich, wenn wir wissen, was uns erwartet. Darüber hinaus böte uns die Mission endlich Gelegenheit, uns vor deinen Augen zu reha bilitieren.« Wäre Atzbäll ein Mensch gewesen, er hätte im Bewußtsein scheinbarer Überlegen heit hämisch gelächelt. Von Anfang an hat ten die Söhne Odins behauptet, die alten Zu stände auf Pthor wiederherstellen zu wollen, sie hatten sogar für sich in Anspruch genom men, den neuen König, der angeblich allein für die herrschenden Mißstände verantwort lich war, vertrieben zu haben. Nie hatte der Anführer der Scuddamoren dieser Darstel lung vollen Glauben geschenkt, was nicht zuletzt ein Grund gewesen war, die drei Männer gefangenzusetzen. Der jetzige, neu erliche Versuch, ihn zu hintergehen, hätte ihn amüsiert, wäre die Lage nicht so ernst gewesen. »Ihr versucht mich zu täuschen«, hielt er den Besuchern vor, und aus seiner Stimme sprach unverhüllte Drohung, »aber das wird euch nicht gelingen.« Empört sprang Heimdall auf und trat einen Schritt vor. Sigurd zischte ihm etwas zu, das Atzbäll nicht verstand. »Du verkennst uns noch immer«, rief der Hüne. »Sage uns, wie wir unsere Loyalität beweisen können, und wir werden es tun.« Atzbäll betätigte eine Schaltung. Die bei
9 den Wächter, die draußen gewartet hatten, betraten den Raum und glitten auf die Odinssöhne zu. »Ihr könnt gehen«, fuhr die schneidende Stimme aus dem Schattenschild des Kom mandanten. »Die Unterredung ist beendet.« »Hoffentlich bereust du es nicht«, mur melte Heimdall aufgebracht, aber es gelang ihm, sein Temperament zu zügeln. In Be gleitung der beiden Scuddamoren verließen er und seine Brüder den Raum. Lange starrte Atzbäll auf die geschlossene Tür. Immer wieder hatten die Söhne Odins versucht, ihn von ihrer Bereitschaft zur Mit arbeit zu überzeugen, ihm deutlich zu ma chen, daß sie für die Sache des Dunklen Oheims und Chirmor Flogs waren. Dennoch traute er ihnen nicht, heute weniger denn je. Niemandem traute er mehr.
2. Dem Menschen mußte das äußere Er scheinungsbild eines Trugen ausgesprochen exotisch erscheinen. Es waren durchgehend über zwei Meter große, fast als kastenförmig zu definierende Wesen mit brauner, lederar tiger Haut, zwei kurzen, aber stämmigen Beinen und sehr elastischen Armen, die vorn in halber Höhe aus dem Körper wuchsen und in jeweils drei langen, gelenklosen Greifklauen endeten. Anstelle eines Kopfes verfügten sie über einen organischen Kö cher, der die bei Bedarf ausfahrbaren, stiel artigen Sinnesorgane beherbergte und schützte. Noch fremdartiger mutete womög lich die Lebensart der Trugen an. Alle sechs Stunden fielen sie in eine schlafähnliche Starre, die zwanzig Minuten anhielt. In die sem Zustand verschwand der Köcher voll ständig im Körper und wurde von bewegli chen Hautlappen verschlossen. Von Natur aus äußerst empfindlich gegen Kälte, verehr ten sie alles, was Helligkeit und Wärme er zeugte; ein Umstand, den Duuhl Larx mit seiner heißen Leuchtaura hervorragend zu nutzen verstand. Die Zivilisation der Trugen war erstarrt und wäre vermutlich längst ver
10 gangen, wenn sich der Neffe des Dunklen Oheims ihrer nicht angenommen und sie als Hauptstreitmacht in seinen Dienst gestellt hätte. Die HARSCHIER war ausschließlich mit diesen körperlich sehr kräftigen Wesen be mannt, wenn man von Schwebte, der krab benähnlichen Galionsfigur, absah. Der Kom mandant, ein Truge namens Kenzon, hatte seine Stielaugen weit über den Köcherrand ausgefahren. Mit den knollenartigen Ver dickungen an ihren Enden starrte er mich unverwandt an. »Was willst du schon wieder? Kannst du dich nicht damit abfinden, daß du ein Gefan gener bist?« Seine Stimme klang quakend; die Laute wurden von komplizierten Sprachfühlern im unteren Teil des Köchers erzeugt. »Ich bin Razamon. Als Kommandant ei nes Organschiffs, das der Flotte von Duuhl Larx angehört, müßtest du mit meinem Na men eigentlich etwas anfangen können.« Aufgrund seiner anatomischen Eigenhei ten war es mir unmöglich, Kenzons Gefühls regungen auch nur annähernd zu enträtseln. Die Fähigkeit zur Mimik im menschlichen Sinn war ihm nicht gegeben. Starr und aus druckslos, die Greifklauen der linken Hand am Griff der Schockschleuder, stand er vor mir, lediglich die Stiele mit den Augen pen delten träge umher. »Dein Name sagt mir nichts«, erklärte er. »Du wirst an anderer Stelle ausreichend Ge legenheit erhalten, dich zu verteidigen oder zu rechtfertigen.« Dumpfe Verzweiflung stieg in mir auf. Kenzon hielt meine Freunde und mich noch immer für Leute, die sich einen schlechten Scherz mit ihm erlaubt hatten, als sie ihn mittels fingierter Hilferufe nach Garritz lockten. Daß wir selbst Opfer der üblen Ma chenschaften seiner eigenen Artgenossen waren, hatten wir ihm bisher nicht plausibel auseinandersetzen können. Nur deshalb hat te ich mich entschlossen, ihn mit meiner ex ponierten Stellung in Duuhl Larx' Gefolge zu konfrontieren. Mittlerweile war ich frei-
Detlev G. Winter lich überzeugt, daß auch das nicht viel hel fen würde. Ich versuchte es trotzdem. »Du kennst meinen Namen nicht?« fuhr ich ihn an und hoffte inbrünstig, ihn durch die Lautstärke, die ich meiner Stimme ver lieh, beeindrucken zu können. »Ich bin der engste Vertraute des Neffen und habe in sei nem Auftrag gegen Chirmor Flog gekämpft, und du willst mir einreden, noch nichts von mir gehört zu haben? Nimm dich in acht, Kenzon, wenn du Duuhl Larx das nächste Mal gegenübertrittst. Seine Strafe wird fürchterlich sein.« Er reagierte genau, wie ich es befürchtet hatte. Bis aufs Blut war er gereizt. Mit ei nem Ruck löste er die Schockwaffe von der Haftplatte und richtete sie auf mich. »Du gehst zu weit, Razamon«, knurrte er und gab zweien seiner Leute einen Wink. »Ich lasse mir nicht drohen, schon gar nicht von einem Lügner wie dir. Mit den lächerli chen Erklärungen, die du und deine Freunde vorbringt, entlarvt ihr euch selbst als geistes gestörte Märchenerzähler. Aber meine Ge duld ist jetzt erschöpft. Ich will von euch nichts mehr hören! Wagt nicht, mich noch einmal zu belästigen.« Die beiden Trugen, die mich auch herge führt hatten, traten an meine Seite und pack ten mich schmerzhaft an den Armen. Mit den freien Händen hielten sie ihre Waffen auf mich gerichtet, während sie mich durch die Korridore der HARSCHIER zerrten. Ge gen ihre Körperkraft war ich machtlos, au ßerdem hätte ein Fluchtversuch in diesem Moment wenig Aussicht auf Erfolg gehabt. Als sie mich in die Kabine stießen, in der wir gefangengehalten wurden, und sich das Schott schmatzend hinter mir schloß, hatte ich endgültig die Einsicht verdaut, daß wir aus eigener Kraft nichts tun konnten, um un sere Lage zu verbessern. Wir würden auf neue Entwicklungen von außen warten müs sen oder darauf, daß das Schiff sein unbe kanntes Ziel erreichte. Innerlich grollend und mit dem Schicksal hadernd, stemmte ich die Fäuste in die Hüften und sah mich miß mutig um.
Treffpunkt Atlantis Kennon saß mit angewinkelten Beinen in einer Ecke und brütete vor sich hin. Auf Terra und im Einflußbereich des Solaren Im periums hatte er sich seinerzeit als fähiger Kosmo-Kriminalist einen Namen gemacht. Vermutlich versuchte er einen Plan zu ent wickeln, wie wir aus unserem Gefängnis entkommen konnten. Atlan dagegen ruhte bequem auf einer Liege, die Hände hinter dem Kopf verschränkt und die Beine lässig gekreuzt. Mit süffisantem Grinsen sah er mich an. Ich wußte, daß es Maske war. »Hallo, Berserker«, begrüßte er mich. »Du scheinst nicht viel erreicht zu haben in deiner Rolle als Vertrauter des Neffen.« »Ich habe es ihm gleich prophezeit«, mur melte Kennon, ohne aufzusehen. »Die Idee war keinen Quork wert.« »Es mußte zumindest versucht werden«, verteidigte ich mich. »Unser Pech besteht darin, daß mein Ruf offensichtlich nicht weit über Cagendar hinausreicht.« Atlan lachte rauh auf, schwang die Beine über den Rand der Liege und stützte sich mit den Händen ab. »Was jetzt?« fragte er mutlos. »Was kön nen wir noch tun?« Ich hob die Schultern. Der Raum, in dem wir gezwungen waren, uns aufzuhalten, hat te sich als absolut ausbruchsicher erwiesen, und mit Tricks war den auf dem Korridor patrouillierenden Trugen nicht beizukom men. Darüber hinaus wußten wir nicht, was das Ziel der HARSCHIER war, erst recht nicht, was uns dort erwartete. Wir mußten in Untätigkeit verharren und schwebten dabei in der Ungewißheit. Das traf uns um so mehr, als wir vor kurzer Zeit noch damit hatten rechnen können, nach langer Odyssee nach Pthor-Atlantis, das im weitesten Sinn zu unser aller Heimat geworden war, zu ge langen. Seit der Gefangennahme durch Kenzons Leute brauchten wir keinen Gedanken mehr daran zu verschwenden. Der Kommandant hatte uns unmißverständlich klargemacht, daß nicht wir die Flugroute seines Schiffes zu bestimmen hätten. Daß Atlan unter der
11 Entwicklung am meisten litt, wunderte mich nicht. Er hatte, um den Freunden auf Pthor zu helfen, unzählige Gefahren auf sich ge nommen, hatte erbittert um sein Leben kämpfen müssen und dabei den Tod Thalias, die er liebte, nicht verhindern können. An ders Sinclair M. Kennon alias Lebo Axton. Er, dessen Geist in Grizzards athletischem Körper wiedererwacht war, ertrug mit stoi scher Gelassenheit nahezu alles, was ihn nicht in die Nähe Pthors führte. Dort, das wußte er, erwartete ihn Grizzard in seinem eigenen, verkrüppelten Körper und sann nach Rache für den Seelentausch. Dabei mußte sich Kennon darüber im klaren sein, daß er auf die Dauer keine Chance besaß, der Auseinandersetzung aus dem Weg zu gehen. Und ich, Razamon …? Durch einen dunklen, unbekannten Raum war ich auf rätselhafte Weise in das RghulRevier gelangt, hatte dort nach großen Schwierigkeiten zu meiner Identität zurück gefunden und war zum Vertrauten des Nef fen Duuhl Larx aufgestiegen. In dieser Ei genschaft war es mir gelungen, Säggallo zu erreichen, wo ich in Atlan und Kennon zwei alte Freunde wieder traf. Im Vergleich zu dem, was ich erwarten konnte, als ich auf Ximmerrähne ohne Gedächtnis erwachte, war das unermeßlich viel. So unterschiedlich jeder von uns die Si tuation auch bewerten mochte, so fest wür den wir zusammenhalten, wenn es galt, einen brauchbaren Ausweg zu finden und zu beschreiten. Momentan bot sich keine Lö sung an. Wir mußten abwarten, was gesch ah, und konnten nur versuchen, die schlechte Stimmung durch Gespräche etwas aufzu lockern. Leicht war das nicht, und mit der Zeit ver fielen wir fast in Lethargie, in einen lähmen den Zustand der Gleichgültigkeit, in dem uns nur noch wichtig war, daß wir lebten und uns so schnell niemand an den Kragen wollte. Diese Einschätzung änderte sich erst, als nach langen Stunden des Wartens das Schott
12 zu unserem Gefängnis zur Seite glitt und ein Truge von zwei Besatzungsmitgliedern un sanft in den Raum gestoßen wurde. Augenblicklich erwachten unsere Lebens geister. Ich richtete mich bolzengerade auf. Die Behandlung, die die Wächter ihrem Art genossen angedeihen ließen, wies darauf hin, daß es sich ebenfalls um einen Gefange nen handelte. Mitten im Raum blieb der Tru ge stehen und sah sich mit wippenden Stielaugen aufmerksam um. »Darauf haben wir gewartet«, brummte Kennon so leise, daß nur ich es hören konn te, und überließ mir die Beurteilung, wie er es meinte. Womöglich sah er in dem An kömmling einen Faktor, der auf noch zu klä rende Weise zu unserer Flucht beitragen konnte, vielleicht bedrückte ihn auch nur die Vorstellung, mit einem Fremden in den doch recht engen Räumlichkeiten auskommen zu müssen. Der erste, der sich auf die neue Situation einstellte und sie zu analysieren versuchte, war, wie üblich, mein arkonidischer Freund. Während ich noch grübelte, was das alles zu bedeuten habe und wie ich mich zweckmä ßigerweise zu verhalten hätte, schoß er be reits die erste Frage ab. »Wer bist du?« Der Truge richtete seine Augen auf ihn. Quakend drang seine Stimme aus dem kö cherförmigen Körperaufsatz. »Man nennt mich Cultran«, antwortete er bereitwillig. Gleich darauf bewies er, daß ihm unsere Anwesenheit auf der HAR SCHIER nicht unbekannt geblieben war: »Ihr seid Atlan, Kennon und Razamon?« Automatisch nickte Atlan, obwohl dies ei ne überflüssige Geste war, die der terrani schen Körpersprache entstammte und mit der ein Truge absolut nichts anfangen konn te. »Richtig. Wir sind, wie du, Kenzons Ge fangene. Willst du uns sagen, was du ange stellt hast, daß man dich herbrachte?« Atlan führte das Gespräch, wie ich neid los zugeben mußte, nicht undiplomatisch. Er war direkt genug, um die Informationen zu
Detlev G. Winter erhalten, die ihn interessierten, und anderer seits nicht zu direkt, um den Trugen zu ver schüchtern oder gegen uns einzunehmen. Vermutlich gab ihm der Extrasinn einige wertvolle Hinweise. »Ich weiß es selbst nicht genau«, antwor tete Cultran. »Wahrscheinlich hat eine Äu ßerung von mir den anderen nicht gefallen. Warum hält man euch fest?« Atlan setzte das diabolischste Lächeln auf, das ich an ihm kannte. Natürlich ver mochte der Truge auch diese Bewegung der Gesichtsmuskeln nicht zu deuten. »Um es präzise zu formulieren: Wir sind hier, weil wir der Hilfsbereitschaft und der Ehrlichkeit deiner Artgenossen vertraut ha ben. Allerdings scheint es damit nicht weit her zu sein.« Ich sah, daß Kennon ruckartig den Kopf hob. Auch ich fühlte mich plötzlich unbe haglich. Für meine Begriffe war Atlan mit der letzten Bemerkung zu weit gegangen, sie mußte unweigerlich und direkt zur Konfron tation führen. Es erwies sich jedoch, daß der Arkonide ein wesentlich besserer, zumindest mit größerer Intuition ausgestatteter Frem drassenpsychologe war als ich – auch das vermutlich nicht ohne die tatkräftige Unter stützung des Extrahirns. Cultran reagierte gänzlich anders, als ich es erwartete. »Ich bedaure das«, quakte er und voll führte mit den Armen kreisende Bewegun gen, die ich als Beschwichtigungsversuche auslegte. »Ich hoffe, ihr übertragt euren ver ständlichen Groll nicht auf mich.« Langsam wurde mir sein Verhalten un heimlich. Diese fast unterwürfige Aus drucksweise paßte nicht in das Bild, das ich von der Mentalität der Trugen gewonnen hatte. Sie waren – zumindest in der Masse – wilde und entschlossene Kämpfer, Befehls empfänger, die sich willenlos dem Diktat Duuhl Larx' beugten, auf den Neffen kondi tioniert und fast ohne die Kraft, eigene Ent scheidungen zu treffen. Cultran war entwe der ein extremer Außenseiter, oder er trieb ein falsches Spiel mit uns. Ich war geneigt, letzteres anzunehmen, aber Atlan, der ähnli
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che Überlegungen angestellt haben mußte, setzte die Befragung geschickt fort. »Wie kommt es, daß du uns nicht, wie al le anderen deiner Freunde, ablehnend gegen überstehst? Daß du uns achtest und ver suchst, unser Wohlwollen zu erlangen?« Cultrans Antwort zerstreute auch in mir jeden Zweifel. Für ein Wesen wie ihn war die Begründung von durchschlagender Lo gik, und mir zeigte sie, daß er keineswegs ein Außenseiter, sondern ein Truge wie je der andere war, der lediglich der Rache sei nes Herrn ausweichen wollte. Im Gegensatz zu Kenzon hatte er schon von mir gehört. »Dieser Mann«, sagte er, während er mit einer Klauenhand auf mich deutete, »ist Razamon, der Vertraute des Neffen. Wer dürfte sich gegen ihn und seine Freunde stel len! Duuhl Larx' Strafe wäre grausam.«
* Es stellte sich heraus, daß Cultran, bevor er auf die HARSCHIER versetzt wurde, auf Cagendar seinen Dienst versehen hatte. Dort hatte er mich in meiner Rolle als Jäger von Verrätern und Untreuen erlebt, und seither besaß er mir gegenüber eine gehörige Porti on Respekt, die er nun auch auf meine Freunde übertrug. Daß diese Einstellung nicht aus persönlicher Achtung, sondern aus der begreiflichen Angst vor Verfolgung und Strafe herrührte, bedrückte mich, denn das waren nicht die Gründe, die ich mir zur Er langung eines Verbündeten wünschte. Au ßerdem bedeutete es, daß seine Wertschät zung nur so lange andauern würde, bis er be griffen hatte, wie es mit unseren Ansichten über Duuhl Larx und die Verhältnisse in der Schwarzen Galaxis in Wahrheit bestellt war. Spätestens dann galt es, im Umgang mit ihm höchste Vorsicht walten zu lassen. Zunächst erwies sich der Truge jedoch als sehr mitteilsam und zur fruchtbaren Zusam menarbeit mit uns bereit. Dem Kommandan ten gegenüber hatte er geäußert, daß er mei nen Angaben Glauben schenke, und die Tat sache, daß Kenzon ihn daraufhin kurzerhand
inhaftieren ließ, hatte großen Zorn in ihm geweckt. Schon um seinem Vorgesetzten ei ne Lektion zu erteilen, war er entschlossen, uns zu helfen. In mir allerdings erwachte un versehens neues Mißtrauen. »Warum hat man dich ausgerechnet mit uns in einen Raum gesperrt?« fragte ich. Längst hatte ich, der ich in Cultrans Augen der Ranghöchste war, die Führung des Ge sprächs übernommen. »Gibt es nicht genü gend andere abgesicherte Bereiche in die sem Schiff?« »Es gibt sie«, antwortete der Truge bereit willig, »aber Kenzon war der Ansicht, daß ich mich gefälligst in der Nähe derer aufhal ten sollte, die ich für ehrlicher und vertrau enerweckender halte als ihn.« »Das hat er gesagt?« mischte sich Kennon ein. »In diesem Wortlaut?« »Sinngemäß«, berichtigte Cultran. »Zumindest hat er es so gemeint.« »Bemerkenswert«, murmelte Kennon und grinste mich an. Innerlich mußte auch ich lächeln. Dem Terraner kam es, nachdem er die Mentalität der Trugen einigermaßen gut kannte, merk würdig vor, daß der Kommandant von Ehr lichkeit und Vertrauen gesprochen haben sollte. Es paßte nicht ganz ins Bild und wäre eine Diskussion wert gewesen, aber ich war momentan nicht bereit, mich von meinem Gedankengang abbringen zu lassen. »Ich finde es dennoch seltsam«, nahm ich den Faden wieder auf, »daß dich Kenzon mit uns zusammengebracht hat.« »Mehr kann ich nicht dazu äußern.« »Ich denke, daß wir ihm vertrauen kön nen«, wandte Atlan ein, und ich war sicher, daß er diese Überzeugung wiederum den Fingerzeigen des Extrasinns zu verdanken hatte. »Warum sollte uns Kenzon einen Spi on schicken oder uns eine Falle stellen wol len. Das, was er damit vielleicht bezwecken könnte, läßt sich auch mit einfacheren Mit teln erreichen.« »Das ist richtig«, stimmte Kennon zu. Beide sprachen Pthora, damit der Truge sie nicht verstehen konnte. Ansonsten beflei
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ßigten wir uns alle des Gonex, der Einheits sprache des Rghul-Reviers, die auch Atlan und Kennon während unseres Aufenthalts auf Garritz relativ leicht erlernt hatten. Die Fürbitte der beiden überzeugte mich zwar nicht, aber sie rief mir ins Bewußtsein zu rück, daß wir im Grunde keine andere Wahl hatten, als dem Fremden zu glauben. »Erkläre uns, wie du uns helfen willst, dieses Gefängnis zu verlassen«, forderte ich ihn auf. »Bisher hast du nur davon gespro chen, ohne konkrete Vorschläge zu ma chen.« Um ehrlich zu sein, glaubte ich nicht ernsthaft daran, daß Cultran eine erwähnens werte Unterstützung für uns sein konnte. Er war selbst ein Gefangener und als solcher gewiß nicht mit den Mitteln ausgerüstet, die erforderlich gewesen wären, aus diesem Raum auszubrechen. Aber er überraschte uns ein weiteres Mal. »Ihr müßt wissen«, holte er aus, »daß ich normalerweise an der Anlage arbeite, die verschiedene spezifische Impulse an die Ga lionsfigur weiterleitet. In dieser Eigenschaft stehen mir etliche elektronische Geräte zur Verfügung. Eines davon habe ich verbergen und mitbringen können.« Er griff in eine Falte seiner dick gepol sterten Kleidung und förderte ein kleines, stabförmiges Instrument zutage. Wahr scheinlich fühlte er inneren Triumph, als er es mir entgegenstreckte. »Was ist das?« fragte ich. »Ein Impulsgeber«, erklärte Cultran. »Damit lassen sich elektronische Schwin gungen erzeugen, auf die das Sicherheits schloß unseres Gefängnisses anspricht. Wir können es damit öffnen.«
* Das war selbst für mich zuviel. Eine Wei le brachte ich kein Wort hervor, und mein Gesichtsausdruck muß reichlich dümmlich gewirkt haben, wie ich voller Ungläubigkeit den glänzenden Stab betrachtete, der uns den Weg nach draußen ebnen sollte. Ich
wollte es noch nicht glauben. Ein Aufsässiger gegen die Ansichten des Kommandanten wurde zu uns in die Kabine gesperrt und hatte nichts Eiligeres zu tun, als seinen staunenden Zuhörern ein Gerät unter die Nase zu halten, mit dem sich angeblich die Verriegelung des Eingangsschotts lösen ließ. Wieder drängte sich mir der Eindruck der Manipulation auf. Eine solche Anhäufung von glücklichen Umständen war mir nicht nur unheimlich, sie schien schlicht unmög lich, und die Fragen, die sie aufwarf, wurden zum drängenden Problem. Konnten wir Cul tran wirklich vorbehaltlos trauen? Wenn ja, war es nicht denkbar, daß er vom Komman danten als Lockvogel benutzt wurde, ohne es selbst zu wissen? Daß er und wir, sobald wir einen Ausbruchsversuch wagten, in eine geschickt vorbereitete Falle liefen? In der Theorie war das nicht zu beantworten. Wenn wir nicht untätig warten wollten, bis die HARSCHIER ihr Ziel erreichte, mußten wir den Versuch riskieren. Daß wir dabei unser Leben aufs Spiel setzten, war uns allen klar. »Traust du dir zu, mit den beiden Wäch tern fertig zu werden, bevor sie Alarm schla gen können?« fragte ich den Trugen. »Sicher ist das nicht«, antwortete Cultran. »Aber wenn wir das Überraschungsmoment berücksichtigen und ihr mir helft, könnte es gelingen.« Einen Schlachtplan zu entwerfen, war sinnlos. Es würde uns nichts übrig bleiben, als uns von Fall zu Fall auf die jeweilige Si tuation einzustellen. Zunächst einigten wir uns darauf, daß Cultran einen der Wächter allein angreifen sollte, während wir anderen uns zu dritt um den zweiten kümmern wür den. Aufgrund der großen Körperkräfte der Trugen, die selbst meinen weit überlegen waren, versprach dieses Vorgehen die größte Aussicht auf Erfolg. Wir postierten uns an der Wand seitlich des Schottes. Auf mein Zeichen hin betätigte Cultran den Impulsgeber. Zischend glitt die Stahlplatte zur Seite, während unser Helfer das elektronische Gerät in seinem Gewand
Treffpunkt Atlantis verschwinden ließ. In mir wuchs die Span nung ins Unerträgliche. Innerhalb weniger Augenblicke würde sich unser Schicksal entscheiden. »Was ist da los?« drang die Stimme eines Wächters in den Raum. Das Stampfen stäm miger, stiefelbewehrter Beine auf metalle nem Untergrund erklang, dann erschien der massige Körper eines Trugen in der Öff nung. Cultran zögerte nicht lange. Er schnellte sich vor und hieb dem Wächter die geballten Klauen gegen den Organköcher. Grell heulte der Truge auf, seine Augenstiele rollten sich schmerzerfüllt zusammen, nahezu blind tau melte er vorwärts, von Cultran verfolgt und unerbittlich attackiert. Er kam nicht einmal dazu, eine seiner Waffen zu lösen und sich damit zur Wehr zu setzen. Der zweite Bewacher beging seinen ent scheidenden Fehler, indem er, eine Hand mit der schußbereiten Schockschleuder nach vorn gestreckt, den Raum betreten wollte. Bevor er uns überhaupt in sein Blickfeld be kam, schnellte mein Bein nach oben. Mit der Stiefelspitze traf ich seinen Arm. Er gurgelte gequält, die Waffe entfiel der vor Schmerz geöffneten Klaue. Sofort löste ich mich aus der Deckung, fuhr herum und drängte ihn auf den Korridor hinaus. Hart prallte er ge gen die Wand, die Augenstiele vor Überra schung in kreisender Bewegung. Hinter mir hörte ich die polternden Ge räusche des Kampfes zwischen Cultran und dem ersten Wächter. Er schien Hilfe zu brauchen, aber im Moment konnte ich mich nicht darum kümmern, auch nicht um die Aktionen von Atlan und Kennon. Ich kon zentrierte mich auf meinen Gegner und hob die Arme, um ihm, dem Beispiel unseres neuen Gefährten folgend, die Fäuste gegen den ungeschützten Teil des organischen Kö chers zu rammen. Mittlerweile hatte sich der Truge jedoch von seinem Schock erholt. Ich fühlte mich brutal gepackt und in die Höhe gerissen, dann spürte ich den Schlag, als ich zu Boden ging und haltlos ein Stück den Korridor entlangschlitterte.
15 Mühsam unterdrückte ich den Schmerz, der durch meinen Körper peitschte, und richtete mich wieder auf. Aber es war bereits abzusehen daß ich zu spät kommen würde. Soeben griff der Wächter nach der zweiten Waffe, einem absolut tödlichen Energie strahler, und löste sie von der Haftplatte. Da erscholl der dumpfe Knall der Schock schleuder. Der Truge, der eben noch auf mich hatte zielen wollen, erstarrte in der Bewegung, er taumelte, drehte sich einmal um die eigene Achse und ging wie ein gefällter Baum zu Boden. Reglos blieb er liegen. Ich stand nur da und starrte auf den uner wartet besiegten Gegner, bevor ich erkannte, daß Atlan oder Kennon die Waffe des Wächters, die diesem aus der Hand gefallen war, aufgenommen und benutzt hatte. Wahr scheinlich war das unser aller Rettung. Ich sprang vor und blickte in die Gefäng niskabine. Die beiden Trugen waren noch immer in verbissenem Zweikampf miteinan der verschlungen. Kennon hielt sich etwas abseits und beobachtete, als wisse er nicht recht, wie er hätte eingreifen sollen. Der Ar konide stand breitbeinig im Eingang und zielte auf die Kämpfenden. »Cultran!« rief er. »Zurück!« Unser Helfer reagierte sofort. Geschickt löste er sich aus der Umklammerung und rollte seinen massigen Körper zur Seite. Der andere, plötzlich ohne direkt attackierenden Gegner, stützte sich mit den Greifklauen ab und wollte sich aufrichten. Atlan schoß. »Das war's«, sagte er, als der Wächter vornüberkippte und unter dem Einfluß der Paralyse jede Bewegung einstellte. »Wir können gehen.« Manchmal hatte er eine reichlich seltsame Art, seine Erleichterung kundzutun. Kaum war die unmittelbare Gefahr beseitigt, redete er, als sei alles nur ein Kinderspiel gewesen. »Wir müssen damit rechnen, daß hier bald eine schwer bewaffnete Truppe auftaucht«, gab Kennon zu bedenken. »Wir sollten uns beeilen.«
16 Atlan nickte und sammelte die Waffen der beiden Wächter ein. Kennon und mir über reichte er je eine Schockschleuder, während er selbst die Energiestrahler an sich nahm. »Wie kommen wir am schnellsten zu ei nem Beiboot?« wandte er sich an Cultran. Der Truge ging zunächst nicht darauf ein. Er schien es nicht zu verwinden, daß der Ar konide ihm offensichtlich doch nicht hun dertprozentig vertraute. »Warum gibst du mir keine Waffe? Wie soll ich mich wehren?« »Wir werden dafür sorgen, daß dir nichts passiert«, wich Atlan aus. Von der Diploma tie, die er anfänglich praktiziert hatte, war nicht mehr viel übrig. »Du kannst dich auf uns verlassen.« Cultran wurde etwas mutiger. »Das ist mir zu unsicher«, versuchte er Entschlossenheit zu demonstrieren. »Ohne Waffe tue ich keinen Schritt mehr auf die sem Schiff.« Seine Haltung war durchaus verständlich, denn er mußte damit rechnen, daß man einen Trugen, der sich dem Befehl des Komman danten widersetzte und zudem aus seinem Gefängnis ausbrach, bei der nächsten Gele genheit ohne viel Federlesens niederschoß. Andererseits hatte Atlan natürlich keine Lust, die Ehrlichkeit unseres Gefährten auf die Probe zu stellen, indem er ihm eine Waf fe aushändigte. Sollte sich herausstellen, daß wir doch getäuscht worden waren, konnte sich das als verhängnisvoll erweisen. »Nun gut«, sagte ich, »dann werden wir ohne dich gehen.« In Cultrans Augen besaß ich als vermeint licher Vertrauter des Neffen noch immer die größte Autorität. Er verzichtete auf das Ar gument, daß wir ohne seine Hilfe ziellos im Schiff umherirren würden. Seine Achtung vor mir mußte groß sein – oder seine Angst vor den eigenen Artgenossen. »Ich werde euch den Weg zeigen«, ver kündete er kleinlaut und setzte sich in Bewe gung. Über die baulichen Verhältnisse an Bord der HARSCHIER war mir so gut wie nichts
Detlev G. Winter bekannt. Ich wußte, daß es sich um ein zwei hundert Meter durchmessendes Gebilde von annähernder Kugelform handelte und daß die Galionsfigur am Ende eines rechteckigen Aufsatzes untergebracht war. Das war aber auch alles. Wir mußten uns völlig auf Cul trans Ortskenntnisse verlassen, wenn wir die Chance wahren wollten, mit einem Beiboot zu fliehen. Ich hielt mich, die Schockschleuder in der Hand, dicht neben dem Trugen, um ihn bei einem Angriff beistehen zu können. Atlan folgte einige Schritte nach uns, während Kennon nach hinten sicherte. Die Reihenfol ge entsprach unserem Bestreben, intelligen tes Leben nach Möglichkeit zu schonen. Wenn wir aufgehalten wurden, würden zu nächst Kennon oder ich – je nach der Rich tung, aus der ein Angriff erfolgte – mit unse ren relativ harmlosen Waffen versuchen, die Situation zu bereinigen. Der Arkonide, der sich deshalb in der Mitte hielt, würde die Energiestrahler erst benutzen, wenn es absolut keinen anderen Ausweg mehr gab. Auch die schrecklichen Verhältnisse, die wir in der Schwarzen Gala xis angetroffen hatten, und die entsetzlichen Greueltaten, die wir erleben mußten, hatten uns in dieser Beziehung glücklicherweise nicht abgestumpft oder gefühllos werden lassen. Noch immer achteten wir das Leben in jeder Form. Es war das einzig Positive, was uns bis jetzt widerfahren war: Wir wa ren Menschen geblieben! Natürlich waren wir froh darüber, daß sich vorläufig keine Gelegenheit ergab, dies unter Beweis zu stellen. Niemand hielt uns auf oder stellte sich uns entgegen. Die Korridore und Räumlichkeiten, durch die Cultran uns führte, wirkten ausgestor ben. Eine entsprechende Frage beantwortete der Truge mit dem Hinweis, daß er sich be mühe, jeder Konfrontation aus dem Weg zu gehen und deshalb abgelegene oder wenig benutzte Regionen des Schiffes suche, selbst wenn wir damit einen größeren Umweg in Kauf nehmen müßten. Es war eine einleuchtende Erklärung,
Treffpunkt Atlantis trotzdem wurde mir von Schritt zu Schritt unbehaglicher. Wir bewegten uns an Labors vorbei, durch Maschinenhallen und Versor gungslager, über leere Gänge und Rampen – und nirgends begegnete uns ein Mitglied der trugischen Besatzung. Zwar besaß die HAR SCHIER ein so enormes Volumen, daß man tagelang in ihr umherirren konnte, ohne ein lebendes Wesen zu treffen, aber in Anbe tracht dessen, daß unsere Flucht mittlerweile längst entdeckt worden sein mußte, erschien es mir zumindest ungewöhnlich. Für meine Begriffe gestaltete sich unser Vormarsch zu problemlos. »Wie lange werden wir noch unterwegs sein?« wollte ich von Cultran wissen. »Nicht mehr lange«, versicherte er einsil big. Ich unterdrückte meine quälenden Gedan ken und schwieg. Wahrscheinlich war ich durch viele Kämpfe und etliche mit mehr Glück als Geschick überstandene Gefahren zu mißtrauisch und übervorsichtig gewor den. Ich drehte mich zu Atlan um und sah ihn beruhigend nicken. Wenn es einen kon kreten Anhaltspunkt geben sollte, daß wir uns in eine Falle locken ließen, mußte sein Extrasinn dies zuerst erkennen. Er würde uns nicht verschweigen und uns rechtzeitig warnen. Wir erreichten einen weiteren Maschinen saal. Riesige Aggregate türmten sich vor uns auf. Das verhaltene Summen technischer und energetischer Arbeitsprozesse schlug uns entgegen. Hier und da blitzten kleine Entladungen. Vorsichtig tasteten wir uns an der Wand entlang, um nicht unversehens in den Einflußbereich eines Kraftfelds zu gera ten. Dieser Raum war für den längeren Auf enthalt von Lebewesen nicht vorgesehen. Die Maschinen besaßen daher keinerlei Schutzvorrichtungen. Den gegenüberliegenden Ausgang hatten wir fast erreicht, als die Stimme des Kom mandanten durch den Saal gellte. Ich er kannte sie sofort, und ich begriff auch, daß sie durch eine Rundumschaltung im ganzen Schiff zu hören sein mußte.
17 »Achtung! Kommandant an alle! Soeben ist von Cagendar ein neuer Einsatzbefehl er gangen. Wir ändern unseren Kurs. Höchste Alarmbereitschaft! Feuerleitstände besetzen, Waffen klar zum Gefecht! Sicherheitssektio nen abriegeln! Ich wiederhole: höchste Alarmbereitschaft!« Als wäre er gegen eine unsichtbare Wand gelaufen, blieb Cultran stehen. Fast schien es, als wollte er in sich zusammensinken, als er den organischen Köcher zwei, drei Zenti meter einfuhr und die Augenstiele so weit verbarg, daß nur noch die verdickten Enden über den Rand lugten. Schon hatte ich die Befürchtung, daß ausgerechnet jetzt seine Ruhephase begänne, da drehte er sich schwerfällig um und streckte die Arme zur Seite. »Dieser Raum«, sagte er leise, »gehört zu einer der Sicherheitssektionen.« Ehe ich noch begriffen hatte, was er damit ausdrücken wollte, sprang Atlan vor und er reichte als erster das Schott, das den Aus gang versperrte. »Wie läßt es sich öffnen?« rief er. »Hilf uns, Cultran!« Die Arbeitsgeräusche der Maschinen wur den lauter und intensiver. Erst jetzt, im Alarmzustand, wurden sie auf volle Leistung hochgefahren. Kennon packte den Trugen und wollte ihn mitziehen, aber er stand wie ein Fels. »Los doch!« schrie der Terraner ihn an. »Wir müssen hier raus!« Er rührte sich nicht. Ich trat hinzu und un terstützte Kennon bei seinen Bemühungen. Da ich wesentlich größere Körperkräfte be saß als er, gelang es uns gemeinsam, Cultran gegen seinen Willen zum Ausgang zu zer ren. Noch immer machte er keine Anstalten, das Schott zu öffnen. Die Angst schien ihn zu lähmen. »Hörst du mich, Cultran?« schrie der Ar konide in heller Verzweiflung. »Im Namen des Neffen, du mußt dieses Schott öffnen!« Die Erwähnung seines obersten Herrn wirkte. Die Augenstiele schoben sich lang sam und zögernd aus dem Köcher hervor.
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Mit einer Klaue ergriff er den Impulsgeber und richtete ihn auf die Stahlplatte. Es er folgte keine Reaktion. »Dieser Bereich wurde aus Sicherheits gründen abgeriegelt«, erklärte er. »Das Schott läßt sich nicht mehr öffnen.« Kennon warf mir einen betroffenen Blick zu. Irgendwo hinter uns zuckte der grelle, krachende Blitz einer energetischen Entla dung auf. Die Aggregate begannen unter der zunehmenden Belastung sprunghaft steigender Leistung zu dröhnen. Ich sah, daß Atlans Augen vor Erregung feucht wurden. »Wir sind eingeschlossen«, stellte der Ar konide fest.
3. Der Schattenschild eines Scuddamoren bewahrte seinen Träger nicht vor gravitatio nellen Einflüssen oder den Wirkungen kine tischer Kräfte. Als der Schlag durch den Raum fuhr, riß es Atzbäll deshalb fast aus dem Stand. Er taumelte und konnte nur mit Mühe sein Gleichgewicht bewahren. Er spürte das Rucken unter sich, sah Wände und Einrichtung zittern und vor seinen Au gen verschwimmen, hörte den tiefen, brum menden Ton, der die Erscheinungen beglei tete. Sofort nahm die tiefsitzende Angst vor Verrat und Sabotage in ihm überhand und verdrängte jede logische und sachliche Überlegung. Er hastete zum Kommunikati onspult und stellte eine Verbindung mit dem Sicherheitsposten her. »Was ist da los?« hörte er sich mit ver zerrter, fremd erscheinender Stimme fragen. »Was geht in der FESTUNG vor sich?« »Wir sind ratlos«, war die nüchterne Ant wort. »Es gibt noch keine Erklärung für die Phänomene.« Wütend schaltete Atzbäll ab. Seit Chirmor Flog auf Pthor gelandet war, schien sich al les gegen ihn verschworen zu haben. Nichts lief mehr seinen gewohnten Gang. Die Kon trolle über das Eiland war ihm entglitten, und nun begann er auch die Beherrschung über sich selbst zu verlieren. Es gab kaum
noch einen Zweifel für ihn, daß er einen An schlag gegen sich und seine Getreuen miter lebte. Ein weiterer Stoß erschütterte die FE STUNG, Atzbäll mußte sich an einer Kon sole abstützen, um nicht zu fallen. Die Vi brationen verstärkten sich, die Wände schie nen zusammenrücken und ihn erdrücken zu wollen. Eine Serie harter Schläge fuhr durch den Raum. Noch nie hatte man Atzbäll angsterfüllt oder in die Enge getrieben erlebt. Jetzt war er es. Er wußte, daß er hilflos war, daß er nichts tun konnte, um die sich abzeichnende Katastrophe zu verhindern. Er begann zu schreien. Seine Wut über vermeintliche Ver räter, die Unfähigkeit, die Ursachen des Ge schehens zu begreifen, den nagenden Haß gegen jedes lebende Wesen – alles schrie er laut hinaus. Niemand vernahm es. Das Cha os verschluckte die akustische Äußerung des für einen Scuddamoren unerhörten psychi schen Zustandes. Dann, plötzlich, war alles vorbei. Die Erschütterungen hörten auf, und das Zittern der Umgebung versiegte. Eine grabe sähnliche Ruhe senkte sich über den aufge wühlten Geist Atzbälls. Er stand da und war tete. Noch vermochte er sich nicht vorzustel len, daß die Saboteure kurz vor dem Ziel aufgaben. Es mußte noch etwas geschehen. Ein Ereignis, das das Ende einleiten würde … Die Wirklichkeit drang nur zögernd in seine Gedanken. Ganz allmählich begann er einzusehen, daß er sich getäuscht hatte, daß er in seinem Mißtrauen, in seinem Wahn, unerbittlicher Verfolgung ausgesetzt zu sein, zu weit gegangen war. Die Erkenntnis ver wirrte ihn mehr, als daß sie ihn beruhigte. Ir gend etwas stimmte nicht mit ihm. Er wußte es, aber er konnte es nicht packen und be kämpfen. Wie in einem Impuls verdrängte er alles, wunderte sich dabei, daß es ihm über haupt gelang. Noch etwas Zeit, sagte er sich, und er würde wieder der Alte sein. Er, Atz bäll, Verwalter von Pthor und Befehlshaber über zehntausend Scuddamoren. Er konnte
Treffpunkt Atlantis zu sich zurückfinden, wenn er nur wollte. Den ersten Schritt hatte er eben getan. Aber mals stellte er eine Verbindung zum Sicher heitsposten her. »Wenn ich nicht augenblicklich eine Mel dung bekomme, was vorgefallen ist«, rief er in gewohnter Härte, »wird keiner von euch jemals mehr eine Meldung abgeben kön nen.« »Es kam zu überraschend«, verteidigte sich der Sprecher der Wachmannschaft. »Pthor ist materialisiert und zum Stillstand gekommen.« So sehr von seinem Eindruck überzeugt, Opfer eines heimtückischen Anschlages ge worden zu sein, brauchte Atzbäll eine Weile, bis er die Bedeutung der Auskunft voll er faßte. Pthor war zum Stillstand gekommen! Mit allem hatte er gerechnet, nur damit nicht. Die Zeit der Ungewißheit und des Wartens war vorbei, und das erfüllte ihn mit neuer Zuversicht. Auf geheimnisvolle Weise kehrten verloren geglaubte Kräfte zurück, plötzlich fühlte er sich wieder von Überle genheit und Entschlossenheit erfüllt. »Wo befinden wir uns?« »Das läßt sich nicht eindeutig feststellen. Der Wölbmantel erschwert die Beobachtun gen ungemein. Jedenfalls ist es weder das Zentrum der Galaxis noch das Marantroner-Re vier. Wahrscheinlich halten wir uns in einem anderen Randbezirk auf.« Atzbäll hielt es nicht mehr in seinem Be fehlszentrum. Vergessen waren die Proble me und Nöte, die er eben noch hatte ausste hen müssen. Er eilte aus dem Raum, beach tete keinen der Scuddamoren, die unschlüs sig herumstanden und auf Befehle warteten, verscheuchte einige Dellos, die ebenso ver wirrt die Korridore durchstreifen, und ge langte binnen weniger Minuten ins Freie. Der Park um die FESTUNG lag im mil den Licht, das der Wölbmantel anstelle einer Sonne spendete. Die Erschütterungen des Dimensionsfahrstuhls beim Wiedereintritt in den Normalraum hatten einige Verwüstun gen angerichtet. Mehrere Bäume waren um
19 geknickt, einer von ihnen hatte einen Dello erschlagen und unter sich begraben. Ein Zugor war abgestürzt und hatte sich mit der Kante tief in einen mit Leuchtkristallen be deckten Weg gebohrt. Viele Organschiff kommandanten standen in Gruppen beisam men und diskutierten die neuen Ereignisse. Als sie Atzbäll erkannten, verstummten die Gespräche. Tährn trat vor und wandte sich an den Oberbefehlshaber. »Wir müssen uns orientieren«, verlangte er, »bevor wir von neuen Entwicklungen überrascht werden.« Atzbäll blickte nach oben. Durch den Wölbmantel war nicht zu erkennen, welche Gegebenheiten außerhalb der Welteninsel herrschten, wo genau sie sich befanden und ob vielleicht schon ein Angriff auf sie vor bereitet wurde. Wieder fühlte sich der Scud damore wie eine Marionette, die machtlos mitansehen mußte, wie das kosmische Dra ma, dessen Mittelpunkt Pthor war, von Un bekannten gelenkt und gestaltet wurde. Er konnte nichts tun, die Entwicklung zu beein flussen, er konnte nur versuchen, sich auf das, was ihn erwartete, einzustellen und vor zubereiten. »Du startest sofort«, befahl er Tährn. »Über jede Beobachtung verlange ich sofor tige und ausführliche Berichte.« Tährn wandte sich ab und begab sich in einen Zugor, der ihn zu seinem Schiff brin gen würde. Minuten später blitzte der grelle Schein gezündeter Triebwerke zur FE STUNG herüber. Der Raumer hob von sei nem Landeplatz ab, überwand die künstliche Schwerkraft Pthors und stieß durch den Wölbmantel in den freien Kosmos. Atzbäll beachtete seine Untergebenen nicht, die jetzt begannen, ihn mit Fragen zu bestürmen. Er konnte weder mit Informatio nen noch mit Ratschlägen helfen, sich selbst am wenigsten. Nur um etwas zu tun, rief er zwei Dellos zu sich und befahl ihnen, den Park von allen Anzeichen des Rücksturzes zu säubern und den alten Zustand wieder herzustellen. Dann machte er sich auf den
20 Weg zu seinem Befehlszentrum. Als ihm Heimdall begegnete, stieg sofort das Mißtrauen wieder in ihm auf. Er hatte geglaubt, daß er dieses Gefühl überwunden hatte. Jetzt wurde klar, daß es tief in seinem Innern weiterhin schwelte und nur darauf wartete, mit neuer Nahrung versorgt zu wer den. »Was treibst du hier?« fuhr er den Sohn Odins an. »Was willst du?« »Ich wollte mit dir reden«, antwortete Heimdall wahrheitsgemäß. »Meine Brüder und ich hegen den Verdacht, daß Atlan für die ungewollte Versetzung Pthors verant wortlich ist.« »Das ist lächerlich«, wies Atzbäll ihn zu recht. »Willst du mir einreden, euer verräte rischer König sei in die Steuerzentrale im Zentrum der Galaxis eingedrungen und ver suche von dort aus, unsere Geschicke zu be einflussen? Dann muß dein Geist verwirrt sein.« »Atlan ist ein kluger Mann und ein erbit terter Kämpfer, dem schon manches gelun gen ist, was andere für unmöglich hielten«, argumentierte Heimdall. »Ich traue ihm zu, daß er uns alle in eine Falle geführt hat.« Am liebsten hätte Atzbäll den anderen auf der Stelle niedergeschossen. Nur die Überle gung, daß er ihn und seine Brüder vielleicht irgendwann für seine Zwecke gebrauchen könnte, hielt ihn in diesem Augenblick da von ab. Sie waren Heuchler, nichts weiter, elende Intriganten, die systematisch ver suchten, ihn aus der Fassung zu bringen, ihn zu unbesonnenen Handlungen oder zu au ßergewöhnlichen Zugeständnissen zu verlei ten. »Was schlägst du vor?« fragte er lauernd, obwohl er es bereits wußte, bevor Heimdall sein Ansinnen formuliert hatte. »Wir gehen davon aus, daß Atlan draußen im Raum wartet und bald ein Ultimatum stellen wird. Wir kennen ihn und seine Re aktionen. Wenn wir ihm zuvorkommen und mit ihm verhandeln, wird er mit einem An griff zögern. Das gibt mir Gelegenheit, ihn vernichtend zu schlagen und die Kontrolle wieder zu übernehmen.«
Detlev G. Winter Atzbäll hatte keine andere Argumentation erwartet. Sie zielte allein darauf ab, ihn wei ter zu verunsichern, und an der Wut, die in ihm aufstieg, erkannte er, daß nicht mehr viel fehlte, bis die Odinssöhne ihr Ziel er reicht hatten. Nur noch mühsam beherrschte er sich. »Mäßige deine gespaltene Zunge, Heim dall«, drohte er. »Es könnte sonst gesche hen, daß du für immer zum Schweigen ge bracht wirst.« Ohne den Hünen weiter zu beachten, setz te Atzbäll seinen Weg fort. Heimdalls Idee, der ehemalige König von Pthor könnte für die mißliche Situation verantwortlich sein, war mehr als absurd. Aber machte es einen Unterschied, wer den Dimensionsfahrstuhl entführt hatte? Wer es auch sein mochte, er war sicher nicht davon ausgegangen, den auf dem Eiland etablierten Scuddamoren einen Gefallen zu tun. Eine gewaltsame Auseinan dersetzung würde sich nicht vermeiden las sen, und Atzbäll hegte mehr und mehr die Befürchtung, daß er dabei den kürzeren zie hen würde. Wut und Haß und Mißtrauen bauten sich abermals in ihm auf, und er spürte erneut, daß er an irgendeinem Punkt jede Beherr schung verlieren würde. Welches dann seine Reaktionen waren, konnte er selbst nicht voraussehen. Er wußte nur, daß etwas Ent scheidendes geschehen würde – geschehen mußte, um die unbekannten Faktoren durch realistische Einschätzungen zu ersetzen, um gezielt und logisch handeln zu können. Er hoffte auf Tährns Informationen, und er hoffte, daß sie, allen Erwartungen zum Trotz, positiven Inhalts waren. Daß sich al les als ein gedanklicher Irrtum entpuppte, daß in Wahrheit niemand die Absicht hatte, gegen ihn zu intrigieren und ihn aus seiner Position zu drängen. Doch als er die Befehlszentrale betrat und die Verbindung zu Tährns Schiff herstellte, erwartete ihn bereits die nächste böse Über raschung. Mit seiner Meldung zerstörte Tährn Atzbälls letzten Hoffnungsschimmer und bestätigte zugleich seine schlimmsten
Treffpunkt Atlantis
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Befürchtungen.
* Wenn tausend Insekten im menschlichen Schädel ein brummendes Getöse veranstal ten und höllische Kopfschmerzen erzeugen, wenn das Gefühl einsetzt, als wolle das Ge hirn den Schädel sprengen, wenn zudem die Erinnerung an die letzten Ereignisse des ver gangenen Tages teilweise oder völlig unauf findbar ist – dann kann man getrost davon ausgehen, daß die betreffende Person den Genuß von Alkohol auf maßlose Weise übertrieben hat. Verschwommene Eindrücke von fließenden Schatten und flackernden Feuern waren alles, woran sich Abram Lexis entsinnen konnte. Sofern er sich sehr an strengte – was er bald wieder unterließ, weil es das marternde Pochen in seinem Kopf ins Unerträgliche steigerte –, gesellte sich die Erinnerung an einen Peitschenhieb hinzu, der den gesamten Körper lähmte. Zu mehr reichte es beim besten Willen nicht. Er wuß te nicht, was im einzelnen vorgefallen war, und schon gar nicht, warum man ihn hier ausgesetzt hatte. Er mußte sich, wenn er mit seinem vom Restalkohol noch benebelten und zum Schwindel neigenden Geist richtig kombinierte, irgendwo in den äußeren Re gionen der Ebene von Kalmlech befinden, weitab von Orxeya, aber in sichtbarer Nähe des Blutdschungels, dessen Lebensge räusche und Gerüche zeitweise bis hierher drangen. Das einzige, was er in seiner Situa tion als vorteilhaft wertete, war die Tatsa che, daß er allein war und niemand Gelegen heit hatte, ihn in seinem bedauernswerten Zustand zu beobachten. Behutsam richtete sich Abram Lexis zu voller Größe auf. Obwohl das kurze Beben, das Pthor erschüttert und ihn letztlich ge weckt hatte, längst abgeklungen war, hatte er beträchtliche Schwierigkeiten, gerade und aufrecht zu stehen. Die Welt wollte einen ra senden Kreistanz aufführen, den der Orxeya ner unter Aufbietung aller Kräfte gerade noch verhindern konnte. Er stöhnte leise auf,
als das Rumoren in seinem Schädel aber mals zunahm und in schmerzhaft pochendes Hämmern überglitt. Mit verschwommenem Blick hielt er nach den Ausläufern des Blutdschungels Ausschau, die er in großer Entfernung entdeckte. In der näheren Umge bung war die Landschaft kahl und nur von einigen trockenen und verkrüppelten Ge wächsen aufgelockert. Hier oder zumindest in einem Bereich, der ebenfalls der Ebene von Kalmlech zuge hörte, waren vor einiger Zeit alle aufrühreri schen und der Macht der Scuddamoren un einsichtig gegenüberstehenden Pthorer ver sammelt und mit der WAPSIET abtranspor tiert worden. Ihnen stand ein entsetzliches Schicksal bevor, und Abram Lexis argwöhn te, daß der Zweck seines Hierseins ähnlich begründet sein könnte. Angst machte ihm das nicht, denn seit sich Pthor in Bewegung gesetzt hatte, war mit der Ankunft von wei teren Transportern in näherer Zukunft nicht zu rechnen. Außerdem sah er kein lebendes Wesen in der Umgebung, und so konnte der beruhigende Gedanke in ihm Fuß fassen, daß seine Überlegung vielleicht völlig falsch war. Womöglich wollten sich die Scudda moren nur einen ihrer diabolischen Scherze erlauben, indem sie ihn hier aussetzten. Obwohl seine Überlegungen allmählich wieder klarer wurden, beschloß er, nunmehr zur sinnvollen Tat zu schreiten. Anfangs mit steifen, ungelenken Schritten, später weiter und sicherer ausholend, begann er seinen Marsch zum Blutdschungel, dessen Ausläu fer durch eine dunkle Linie am Horizont markiert waren. Dort, in einem Gebiet voller taubedeckter Gewächse, vieler Seen und Tümpel und hoher Feuchtigkeit, hoffte er, Wasser zu finden, das er brauchte, um sei nen elenden Zustand zumindest etwas zu verbessern. Die Gefahren, in die er sich da bei begab, beschäftigten ihn momentan erst in zweiter Linie. Irgendwann auf seinem Weg über schwemmten ihn die Erinnerungen an seine Angehörigen, die von den Krolocs ermordet worden waren. So weit die Geschehnisse
22 nun auch schon zurückliegen mochten, er zeugten sie auch jetzt die tiefe Trauer und den Schmerz, die Abram Lexis zum Trinker hatten werden lassen. Er begann sich zu fra gen, warum er all die Umstände und Schwierigkeiten auf sich nahm, um sein er bärmliches Leben zu retten, warum er sich nicht einfach niedersetzte und in Ruhe auf den Tod wartete, der ihn endgültig von sei nen Problemen erlösen konnte. Ein Bekannter hatte ihm während eines philosophischen Gesprächs einmal erklärt, daß Menschen, die der Wirklichkeit durch Trunksucht entflohen, weder die Kraft hat ten, das Leben zu akzeptieren, noch es zu beenden, daß sie bedauernswerte Kreaturen waren, die die Alternative zwischen zwei Daseinsebenen durch den übermäßigen Kon sum von Alkohol verleugneten oder ver drängten. Obwohl man über die Möglichkeit des Lebens nach dem Tod grundsätzlich un terschiedlicher Meinung sein konnte, mußte sich der Orxeyaner eingestehen, daß die Theorie seines damaligen Freundes eines Sinngehalts nicht entbehrte. Viel weiter hat te er nie darüber nachgedacht. Noch war ihm das Leben zu wertvoll, um es einfach hinzu werfen, und der Wein machte in manchen Stunden vieles erträglicher. Irgendwann, hoffte er, würde sich seine Psyche soweit fe stigen, daß er davon loskam. Momentan war freilich nicht damit zu rechnen. Zielstrebig, aber im Grunde mutlos, wan derte er auf den Blutdschungel zu – einer va gen Chance des Überlebens willen. Unbe wußt erfaßte er, daß seine seelische Verlo renheit, die er seit dem Tod seiner Angehöri gen empfand, durch die körperliche Isolation grausam vervollkommnet worden war. Be wußt suchte er nach Erholung von den Nachwirkungen des Rausches, vielleicht auch nach Kontakt mit anderen Pthorern. Das kurze Aufblitzen, das er weit vor sich wahrnahm, ließ ihn innehalten. Er strengte sich an, um mehr zu erkennen, aber sein Blick war noch nicht scharf genug. Erst nach einiger Zeit entdeckte er den glänzenden Punkt wieder, der sich mit beträchtlicher
Detlev G. Winter Geschwindigkeit über die Ebene bewegte. Die wildesten Gedanken schossen ihm durch den Kopf, welches Objekt er wohl beobach ten möge, und als es endlich so nahe war, daß er Einzelheiten ausmachen konnte, lach te er vor Überraschung laut auf. Die blauschimmernde Stahlrüstung Por quetors! Abram wußte, daß sie von Grizzard ge steuert wurde, der überall auf Pthor nach Kennon/Axton suchte, um seinen ursprüng lichen Körper wiederzufinden und irgendwie in ihn zurückzukehren. Nie hätte er damit gerechnet, dem Verzweifelten ausgerechnet hier zu begegnen, zumal er angeblich mit ei ner Gruppe Scuddamoren durch die Lande zog, um seine Nachforschungen effektiver zu gestalten. Der Fremde schien ihn ebenfalls entdeckt zu haben, denn er änderte geringfügig seine Richtung und hielt genau auf den Orxeyaner zu. Unbehagen stieg in Abram auf. Er kann te Grizzard nur von den Geschichten, die man sich in den Kneipen von ihm erzählte, wußte, daß er ein gnadenloser Kämpfer war, der die Rückgewinnung seines Körpers mit allen Mitteln betrieb. Es war nicht vorherzu sehen, wie er auf den Anblick eines einsa men Mannes reagieren würde. Seine Sorgen sollten sich jedoch als unbegründet erwei sen. Wenige Schritte vor ihm wurde die Rü stung gestoppt. »Du siehst aus, als könntest du Hilfe ge brauchen.« Die spöttische Ironie, die in den Worten lag, verblüffte den Orxeyaner. Sie trug dazu bei, das Bild, das er sich über Grizzard auf grund von Berichten gemacht hatte, zu des sen Gunsten zu korrigieren. »Ich wurde von Scuddamoren hier ausge setzt«, berichtete er, nachdem er seinen Na men genannt hatte. »Sie sind ein nachtragendes und widerliches Volk.« »Das kann ich bestätigen«, lachte Griz zard. »Eine Weile habe ich mich ihrer Un terstützung bedient, doch als sie plötzlich verrückt zu spielen begannen, mußte ich mich von ihnen trennen. Allein komme ich
Treffpunkt Atlantis besser zurecht, als mit ein paar wildgewor denen Schatten an meiner Seite.« Der Fremde wurde Abram Lexis immer sympathischer. Er überlegte, ob er ihm seine Hilfe anbieten sollte. Es wäre eine willkom mene Gelegenheit für ihn, der Einsamkeit seiner Gedanken endlich zu entfliehen, ein neues Lebensziel zu finden. »Du suchst immer noch nach deinem Kör per?« fragte er vorsichtig. An der Rüstung rührte sich nichts. Unbe weglich wie ein Mahnmal stand sie in ihrer glänzenden Macht vor ihm. Aber an der Stimme erkannte der Orxeyaner, daß er Grizzard an seinem wundesten Punkt getrof fen hatte. Jeder Humor war verschwunden, der Tonfall wirkte hart und unnachgiebig. »Allerdings. Und es erinnert mich daran, daß ich weiter muß.« Abram stellte sich vor, wie der Fremde zitternd hinter den Steuerkontrollen des stählernen Gebildes saß und sich zu gewalt samer Beherrschung zwang, um nicht auf ihn loszugehen. Er fürchtete, daß er einen großen Fehler begangen hatte, als er ihn an sein bedauernswertes Schicksal erinnerte. Aber noch wollte er nicht aufgeben. »Ich könnte dir bei deiner Suche behilf lich sein«, bot er sich an. »Vier Augen sehen mehr als zwei. Und die Launen eines Scud damoren wirst du bei mir nicht finden.« »Ich komme sehr gut alleine zurecht«, wies Grizzard ihn ab. »In der FESTUNG werde ich Unterstützung finden.« Die Porquetor-Rüstung verharrte weiter hin reglos. Abram Lexis witterte seine Chance. Der nachklingende Rauschzustand schwand mit beeindruckender Plötzlichkeit. Mit einemmal waren seine Gedanken klar und zielstrebig. Er glaubte zu wissen, wie er den Fremden packen konnte. »Hör mich an«, sagte er ruhig. In groben Zügen schilderte er den Schick salsschlag, mit dem er bis heute nicht fertig geworden war und der ihn zu einem am Rand der Gesellschaft stehenden Individuum hatte werden lassen. Dann fuhr er fort: »Wenn du darüber nachdenkst, wirst du
23 feststellen, daß du im Prinzip dasselbe Pro blem hast. Auch du gehst einen eigenen Weg und hast dich von allen Wesen, die auf Pthor leben, abgesondert. Wir beide sind einsam geworden. Jeder von uns sucht auf eigene Weise nach neuen Lebensinhalten, nach einem Sinn in dem, was uns widerfah ren ist. Du findest diesen Sinn in der Jagd auf den Körperdieb, ich könnte ihn finden, indem ich mich dir anschließe und dich un terstütze. Was spricht dagegen, daß du mein Angebot annimmst?« Grizzard schien sehr nachdenklich gewor den zu sein, denn er schwieg eine Weile. Schließlich traf er seine Entscheidung. »Du kannst mitkommen«, sagte er. »Damit wir nicht zu viel Zeit verlieren, wer de ich dich tragen. Und vergiß nicht, daß es in erster Linie um mein Problem geht. Ich entscheide, wohin wir uns wenden.« Abram Lexis widersprach nicht. Er war froh, jemanden gefunden zu haben, der ihm die Initiative abnahm und nach dem er sich richten konnte. Er hoffte, durch die Aktio nen, die sie unternehmen würden, die Ablen kung zu finden, die er brauchte, um sein an gegriffenes Selbstbewußtsein und seine ge störte Psyche zu stabilisieren. Den auf einem angewinkelten Arm sitzen den Orxeyaner mit sich tragend, bewegte sich die Rüstung des Porquetor, von Griz zard gesteuert, durch die Ebene von Kalm lech. Parallel zur Straße der Mächtigen und zum Regenfluß, vorbei an Donkmoon, hielt sie auf die FESTUNG zu – dorthin, wo sich Abram Lexis' Schicksal erfüllen würde.
* »Wie viele sind es?« Verbittert blickte Atzbäll auf die Bilder, die von dem im Raum operierenden Organ schiff in die Befehlszentrale überspielt wur den. Seine schlimmsten Befürchtungen schienen noch übertroffen zu werden. »Schätzungsweise zweihundert«, lautete Tährns sachliche Antwort. Atzbäll begann innerlich zu beben. Zwei
24 hundert Schiffe hatte der Neffe des Reviers, in dem Pthor zum Stillstand gekommen war, aufgeboten, um die Scuddamoren auf dem Eiland zu vertreiben und selbst die Macht zu übernehmen. Zweihundert gegen achtzig! Das Verhältnis war eindeutig und ließ kaum einen Zweifel, wer aus der bevorstehenden Auseinandersetzung als Sieger hervorgehen würde. »Wir werden es ihnen nicht leicht ma chen«, knurrte der Kommandeur der Scud damoren. »Sie sollen ihr Wunder erleben. Hast du herausfinden können, in welchem Revier wir stehen?« »Ich habe einige Funksprüche abhören lassen«, berichtete Tährn. »Die Sprache ist mir unbekannt, aber sie scheint dem GarvaGuva sehr verwandt zu sein.« Atzbäll ließ sich die Aufzeichnungen überspielen und hörte sich die Gespräche der Fremden eine Weile an. Schon nach weni gen Minuten gab es für ihn keinen Zweifel mehr, und je sicherer er wurde, welche Spra che den anrückenden Raumfahrern als Kom munikationsbasis diente, desto stärker wur den seine Wut und seine Entschlossenheit, Pthor gegen die Übernahme durch die Inva soren mit allen Mitteln zu verteidigen. »Das ist Gonex!« stieß er hervor. Auch Tährn erfaßte sofort, was es bedeu tete. »Dann sind wir im Rghul-Revier«, stellte er fest. Der Belehrung hätte Atzbäll nicht bedurft. Hinter seinem Schattenschild zitterte er vor unterdrücktem Zorn. Er hatte geahnt, daß er und seine Leute Opfer eines großangelegten Verrats waren. Alle möglichen Individuen hatte er verdächtigt, dabei war die Erklärung ebenso einfach wie logisch. »Duuhl Larx steckt hinter allem«, rief er voller Haß. »Wie konnte ich die Magier ver dächtigen oder gar eine unbekannte Macht!« »Du glaubst, daß er für die Versetzung Pthors verantwortlich ist?« »Natürlich! Es ist weithin bekannt, daß er in Chirmor Flog einen Konkurrenten sah und ihn um seine Aufgabe beneidete. Er hat
Detlev G. Winter Pthor entführt, damit er sich in den Augen des Dunklen Oheims profilieren kann. Und ich bin jetzt sicher, daß er auch hinter dem Verschwinden Flogs steckt!« In seinem Wahn merkte Atzbäll nicht, wie er sich immer tiefer in Widersprüche ver strickte, wie er die technischen Möglichkei ten Duuhl Larx' maßlos überschätzte und dessen handlungsorientierte Abhängigkeit vom Dunklen Oheim verleugnete. Späte stens jetzt war der Scuddamoren-Komman dant an jenem Punkt angelangt, an dem die aufgestauten Unsicherheiten und Ängste ein Ventil brauchten, um seine ohnehin nicht sehr eigenständige Persönlichkeit nicht zu zerstören. Er hatte es in der Flotte des Nef fen gefunden. Alle Aktionen würden sich darauf konzentrieren. Einwände wischte er mit dem Hinweis auf seine scheinbar logi sche Argumentation beiseite. Plötzlich wuß te er, was er zu tun hatte, und nichts würde ihn von seinem Entschluß mehr abbringen können. »Wir werden den Verrätern einen heißen Empfang bereiten«, verkündete er. »Mit allen verfügbaren Einheiten werden wir uns ihnen entgegenwerfen und sie in ih re Schranken zurückweisen. Sie sollen Pthor nicht bekommen!« »Es sind zweihundert«, erinnerte Tährn. »Wir sind ihnen hoffnungslos unterlegen.« »Zahlenmäßig sind sie stärker«, stimmte Atzbäll zu. Das ergab sich schon aus der Anzahl von 304 bewohnten Welten, die das Rghul-Re vier umfaßte; im Marantroner-Revier dage gen waren nur knapp 100 Planeten besiedelt. »Sie dürften jedoch hauptsächlich mit Tru gen besetzt sein. Diese Wesen sind einem höchst seltsamen Lebensrhythmus unterwor fen, der ihre Kampfkraft entscheidend schwächt. Ich will kein Scuddamore mehr sein, wenn wir mit ihnen nicht fertig wer den.« Bevor Tährn einen weiteren Einwand vor bringen konnte, trennte Atzbäll die Verbin dung.
*
Treffpunkt Atlantis Grizzard stoppte die Porquetor-Rüstung so abrupt, daß Abram Lexis um ein Haar den Halt verloren hätte und kopfüber von dem Arm gestürzt wäre, der ihm als Sitzge legenheit diente. In letzter Sekunde konnte er sich festklammern. »Was soll das?« zeterte er aufgebracht. »Kannst du mich nicht warnen, bevor du ei ne Gewaltbremsung vollführst?« In den letzten Stunden hatte er sich weit gehend von den Nachwirkungen des vergan genen Abends erholt. Frische Luft war ihm um die Ohren geweht und hatte seine Kopf schmerzen und die bleierne Schwere seiner Glieder vertrieben. Möglicherweise hatte er während des Marsches sogar hin und wieder etwas geschlafen. Er fühlte sich ausgeruht und, was das Bemerkenswerteste daran war, verspürte nicht die geringste Sehnsucht nach Wein oder anderen Alkoholika. »Wann und wie ich bremse, bestimme al leine ich«, wies Grizzard ihn zurecht. Mit dem freien Arm deutete er nach vorn, wo sich die Silhouetten der FESTUNG und mehrerer in ihrer Nähe gelandeter Organ schiffe abzeichneten. »Ich bin mir nicht ganz klar, was das zu bedeuten hat.« Abram beschloß, nicht weiter auf die schroffe Art, die Grizzard Zusammenarbeit nannte, einzugehen. Angestrengt blickte er in die angezeigte Richtung, bis er endlich er faßte, was der Lenker des Stählernen meinte. Trotz der Entfernung waren die Schatten zahlloser Scuddamoren zu erkennen, die sich in hektischer Bewegung befanden und eilig ihren Schiffen zustrebten. »Etwas muß sie aufgescheucht haben«, vermutete er. »Es sieht aus, als bereiteten sie einen Massenstart vor.« »Was könnten sie damit bezwecken?« Bevor Abram darüber nachdenken konn te, starteten die ersten Schiffe. Der blenden de Schein entfesselter Energien blitzte zu ih nen herüber, gefolgt von dem mit kurzer Zeitverzögerung einsetzenden Donner. Trä ge und behäbig wirkend, hoben fünf Organ raumer von ihrem Standplatz ab. Jeder von ihnen besaß seine eigenen Charakteristika,
25 was Form und Größe betraf. Sie wühlten to send die Atmosphäre auf, schossen mit zu nehmender Geschwindigkeit nach oben und stießen unbeschadet, wie jedes Objekt oder Lebewesen aus der Schwarzen Galaxis, durch den Wölbmantel. Langsam ebbte der Geräuschorkan ab. »Vielleicht hat es etwas mit der Verset zung Pthors zu tun«, sagte der Orxeyaner. Ihm war das Verhalten der Scuddamoren un heimlich. Nachdem sie zuvor alles getan hatten um sich unbeliebt zu machen und ihre grenzenlose Machtfülle zu demonstrieren, hatte es jetzt den Anschein, als ergriffen sie in heilloser Verwirrung die Flucht. »Ich nehme an, daß sie einer Gefahr ent gehen wollen, die auf uns zukommt.« »Das ist unlogisch«, widersprach Griz zard. »Pthor und die Scuddamoren sind Instru mente der Machthaber der Schwarzen Gala xis. Warum sollten sie das ihnen anvertraute Objekt im Stich lassen, wenn eine Notlage droht? Außerdem kann ich mir nicht vorstel len, wie eine Bedrohung für uns aussehen könnte. Vergiß nicht, daß fast jeder Winkel dieser Sterneninsel vom Dunklen Oheim kontrolliert wird.« Von überall her drang das Getöse starten der Organschiffe über das Land. Nach dem Aufbruch der Vorhut schickten sich nun auch die übrigen Einheiten an, Pthor zu ver lassen. An allen wichtigen Orten und strate gischen Punkten waren sie verteilt – jetzt zo gen sie ab und gaben die Kontrolle über den Dimensionsfahrstuhl auf. »Wir müssen zur FESTUNG«, sagte Ab ram. »Nur dort werden wir erfahren, was ge schehen ist.« Während Grizzard sich zustimmend äu ßerte und die Rüstung wieder in Bewegung setzte, verließen die letzten Raumer der Scuddamoren das Eiland. Der Lichtschein ihrer Triebwerke verblaßte, und das dumpfe Röhren des Startvorgangs wich trügerisch wirkender Stille. Abram hatte das be drückende Gefühl, daß die eben erlebten Vorgänge nur der Auftakt zu etwas waren,
26 das in Kürze mit elementarer Gewalt über Pthor hereinbrechen würde. Ihn beruhigte nur die Überlegung, daß es nach der Invasi on der Krolocs und der Schreckensherr schaft der Scuddamoren kaum noch schlim mer kommen konnte. Sie erreichten die FESTUNG noch vor Einbruch der Dunkelheit. Auch hier herrsch te Verwirrung. Entgegen jeglicher Erwartun gen hatten die Besatzer sich zurückgezogen; Pthor war, in den Grenzen, die der Standort inmitten der Schwarzen Galaxis steckte, wieder frei. Nach langer Zeit war der Park um die pyramidenförmige Anlage und ihre Beiboote wieder von den verschiedensten Wesen aus allen Teilen des Dimensionsfahr stuhls bevölkert. Sie genossen das lange ent behrte Eigenleben, die Möglichkeit, selbst zu bestimmen, wie lange sie sich an wel chem Ort aufhalten wollten. Dabei mußten sie sich darüber im klaren sein, daß dieser Zustand nicht von Dauer sein konnte. Abram bat seinen Träger, ihn herabzulas sen. Als er festen Boden unter seinen Füßen spürte, merkte er erst, wie sehr ihn der lange Marsch durch die Ebene von Kalmlech mit genommen hatte. Fast jeder Knochen tat ihm weh, und er ging einige Schritte, um sich die schmerzenden Beine zu vertreten. Unterdes sen wandte sich Grizzard an einen Dalazaa ren, der, ohne ihn zu beachten, an ihm vor beilaufen wollte. »Ich bin auf der Suche nach Sinclair Ken non, den sie auch Lebo Axton oder den Stummen nannten«, sagte er. »Weißt du, ob er wieder aufgetaucht ist?« Der Dunkelhäutige sah ihn verständnislos an. In seiner Stimmung gedämpfter Eupho rie schien er nicht bereit, sich um die Proble me anderer zu kümmern. »Wende dich an die Söhne Odins«, wies er ihn ab. »Vielleicht können sie dir helfen.« »Führe mich zu ihnen«, bat Grizzard, aber der Dalazaare warf ihm nur einen mitleidi gen Blick zu und ging weiter. Der Orxeyaner hatte den kurzen Wort wechsel mitangehört und wandte sich an sei nen Gefährten.
Detlev G. Winter »Du kennst dich in der FESTUNG aus«, sagte er. »Laß uns selbst nach den Odinssöh nen suchen.« Grizzard stimmte zu und ließ den Bartlo sen wieder auf den Arm der Rüstung klet tern. Wie schon auf dem Weg durch Kalmlech, legte er eine beträchtliche Geschwindigkeit vor. Innerhalb kurzer Zeit durchquerten sie die Parkanlagen und marschierten an einem der rund um die FESTUNG gruppierten Bei bootsockel vorbei. Dann sahen sie die bei den Männer, die eben einen Zugor starten wollten. Sofort änderte Grizzard die Rich tung und hielt auf die Flugscheibe zu. »Das sind Sigurd und Balduur«, erklärte er, als er die Rüstung zum Stehen brachte. Abram Lexis verließ seinen Sitzplatz und beobachtete die beiden Männer, die er bis lang nur vom Hörensagen kannte. Sie hatten Raumanzüge angelegt, und hinter den trans parenten Falthelmen waren ihre Gesichter nur verschwommen zu erkennen. Einer von ihnen verließ den Zugor und ging auf den Stählernen zu. Im Laufen öffnete er den Helm und Abram sah ein sympathisch wir kendes Antlitz mit blauen Augen und halb langen, rotblonden Haaren. »Sieh an«, begrüßte Sigurd die Ankömm linge, »der Körperjäger ist zurückgekehrt und hat sogar einen Freund mitgebracht.« »Unterlasse deinen Spott«, bat Grizzard ungehalten. »Du weißt, warum ich hier bin?« »Sicher. Wahrscheinlich waren die Scud damoren, die du um dich geschart hattest, nicht allzu zuverlässig.« Abram hörte dem Dialog schweigend zu. Er wußte aus Grizzards Erzählungen, daß das Verhältnis zwischen ihm und den Odins söhnen nicht das beste war, seit er sich der Hilfe der Schattenwesen versichert hatte. Sein unerwartetes Auftauchen unmittelbar nach Abzug der Scuddamoren mußte Sigurd wie blanker Hohn erscheinen, und er machte keinen Hehl daraus, daß er momentan ande re Sorgen hatte, als sich um Grizzards Be lange zu kümmern.
Treffpunkt Atlantis »Du kannst dich überall auf Pthor frei be wegen«, sagte er, »und nach Kennon su chen. Erwarte aber nicht, daß wir dir dabei helfen. Uns geht es darum herauszufinden, warum die Scuddamoren so plötzlich gestar tet sind.« »Ihr wißt also nicht, wo sich Kennon zur Zeit aufhält?« »Nein.« Mehr hatte Grizzard nicht in Erfahrung bringen wollen. Er wandte sich ab und stürmte auf die FESTUNG zu, den Orxeya ner und die Odinssöhne keines weiteren Blickes würdigend. Abram kam sich im Stich gelassen vor. Und für ihn erhob sich die Frage, ob es auf Pthor überhaupt noch ein Individuum gab, das er als Freund be zeichnen durfte. »Besonders viel scheint dein Begleiter von deiner Mitarbeit nicht zu halten«, wand te sich Sigurd an ihn. »Ich durfte nichts anderes erwarten«, ge stand der Orxeyaner resignierend ein. Uner trägliche Leere wollte in ihm aufsteigen und die geringe Zuversicht, die er während des Marsches mit Grizzard erworben hatte, ver drängen. »Wenn du möchtest, kannst du mit uns fliegen«, schlug Sigurd vor, dem die psychi sche Klemme des Bartlosen offenbar nicht verborgen blieb. Er schien zu erkennen, daß Abram es nicht verkraften würde, wenn er hier, weitab von seiner Heimat, auf sich al lein gestellt blieb. »Wir wollen beobachten, was außerhalb des Wölbmantels vor sich geht.« Abram stimmte zu, ohne lange zu überle gen. Neuerlich bot sich ihm die Gelegenheit, sich jemandem anzuschließen und so der lähmenden Untätigkeit zu entgehen. Balduur veranlaßte einen Dello, einen der wenigen Raumanzüge aus der FESTUNG zu organi sieren. Wenige Minuten später kehrte der Androide zurück, und der Orxeyaner legte sich die schützende Montur an. Mit den drei Männern besetzt, hob der Flugapparat vom Boden ab und durchstieß die RaumZeit-Barriere.
27 Das erste Mal bekam Abram Lexis die Schwarze Galaxis direkt zu Gesicht. Es traf ihn fast wie ein körperlicher Schlag. Alle Sonnen, die zu sehen waren, schienen einen dunklen Kern zu besitzen, ein düsteres Zen trum, dessen abgründige und dämonische Ausstrahlung mit Macht in seinen Geist drängte. Unwillkürlich duckte er sich wie unter einem mächtigen Schatten, der alles ausfüllte und in sich einverleibte. Infolge seines angegriffenen psychischen Zustands war er für die umfassende Aura besonders empfänglich. »Das … das ist entsetzlich …«, stammelte er angsterfüllt. »Wehre dich!« forderte Sigurd ihn auf. »Du kannst es verdrängen, wenn du dich an strengst!« Abram mußte sich zusammenreißen, um nicht aufzuschreien. Das bösartige Fluidum, das dieser Galaxis ihren Namen verliehen hatte, umwob ihn mit unsichtbaren Krallen und ließ ihn erzittern. Die grellen Blitze, die durch die Schwärze des Raumes zuckten und von einer erbitterten Schlacht kündeten, nahm er kaum wahr. »Da scheinen sich zwei Flotten wegen Pthor in die Haare bekommen zu haben.« Balduurs Kommentar rauschte an dem Orxeyaner vorbei wie das entfernte Brum men eines dahinziehenden Zugors. Die Söh ne Odins kannten die Aura, die diese Ster neninsel durchflutete, und wußten sich ge gen sie abzuschirmen. Abram dagegen war ihr hilflos ausgeliefert. Er bemühte sich, sei ne Gedanken zu sammeln und zu ordnen, aber es gelang ihm nicht. Die lautlosen Blit ze der Raumschlacht waren nebelhafte Er scheinungen inmitten einer umfassenden Düsternis, die den Orxeyaner voll in ihren Bann schlug. Sigurd: »Die Angreifer bekommen von allen Seiten Unterstützung.« Balduur: »Die Scuddamoren wehren sich verbissen. Es wird lange dauern, bis ein Sie ger in diesem Duell feststeht.« Sigurd: »Ich möchte wissen, warum sie sich überhaupt bekämpfen. Sie alle stehen
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unter dem Oberbefehl des Dunklen Oheims.« Balduur: »Anscheinend kontrolliert er sei ne Untertanen nicht so perfekt, wie er es gerne möchte.« Sigurd: »Möglicherweise reiben sie sich gegenseitig auf.« Balduur: »Eine übertriebene Hoffnung. Ich glaube nicht, daß Pthor lange frei sein wird.« »Pthor …!« Abram schrie seine ganze seelische Qual mit diesem Wort hinaus. Von dem Ge spräch, das die Söhne Odins miteinander führten, verstand er nichts. Nur dieser eine Begriff hatte für ihn einen Bezug zur Wirk lichkeit, wie er sie kannte. Die diabolische Woge schwarzer Sonnenzentren zwang ihn in die Knie und führte ihn an den Rand des geistigen Zusammenbruchs. Nach vielen persönlichen Schicksalsschlägen, die er bis heute nicht verarbeitet hatte, besaß er nicht die Kraft, sich dagegen zu wehren. »Wir müssen zurück. Er erträgt es nicht länger.« Hatte jemand gesprochen? Abram wußte es nicht. Die mentale Kraft mystischer Fin sternis hielt ihn umschlossen und zerstörte die letzten Hoffnungen auf ein sorgenfreies, glückliches Leben. Sein Sterben, das damals begonnen hatte, als er seine Angehörigen in den Schüssen der Krolocs vergehen sah, setzte sich hier fort und strebte dem Ende zu. Entsetzliche Kälte breitete sich in ihm aus und vermischte sich mit der trüben ga laktischen Aura zu einer privaten Apokalyp se. Er merkte nicht, daß Sigurd und Balduur den Zugor zurück nach Pthor steuerten. Er spürte nicht, wie das Unheimliche von ihm abfloß, als die Flugscheibe den Wölbmantel durchbrach. Und als er im klaren Blick wie dergewonnener Freiheit die FESTUNG un ter sich erblickte, glaubte er es nicht.
4. »Achtung! Wir haben das Zielgebiet er-
reicht und reihen uns in die Kampfverbände ein. Der Gegner ist mit allen Mitteln zurück zuschlagen!« Kaum hatte Kenzon seine Durchsage be endet, da röhrte Atlans Waffe auf. Ein glei ßender Energiestrahl schoß auf das Schott zu und brannte sich krachend in den wider standsfähigen Stahl. Sofort breitete sich un erträgliche Hitze aus, ätzende Dämpfe stie gen auf und trieben träge zu uns herüber. Kennon hustete und zog sich hinter einen Maschinenblock zurück. Cultran und ich folgten ihm in die Deckung. Nur der Arkoni de hielt seinen Standort. Das Gesicht zur Seite gewandt, um die Augen vor der grellen Lichtflut zu schützen, stand er da und bear beitete das Schott mit Dauerfeuer. Unsere Situation wurde immer kritischer. Die Aggregate und Meiler in dieser Halle ar beiteten mit dröhnenden Geräuschen. Über schlagsblitze, die jeden auf der Stelle töten würden, der in ihre Nähe kam, zuckten zwi schen den Maschinen umher, und dabei lie fen die turmhohen Blöcke, wie Cultran uns versichert hatte, längst noch nicht mit voller Leistung. Wenn wir nicht ein unrühmliches Ende finden wollten, mußten wir mit Gewalt versuchen, das Schott zu öffnen. Es dauerte nicht lange, bis das Energiere servoir des Strahlers erschöpft war. Flu chend warf Atlan die Waffe von sich und hastete zu uns herüber. Seine Hand wies Brandspuren auf. Mit schmerzhaft verzerr tem Gesicht reichte er mir den zweiten Strahler. »Mach weiter!« forderte er mich auf. Ohne lange zu zögern, sprang ich aus der Deckung, zielte kurz auf den glühenden Fleck in der Stahlplatte und schoß. Es war eine widerliche Arbeit. Ich spürte den hei ßen Atem entfesselter Energien in meinem Gesicht, und der Griff der Waffe in meiner Hand entwickelte bereits nach kurzer Zeit höllische Temperaturen. Die Zähne mußte ich aufeinanderbeißen, um durchzuhalten. Langsam vergrößerte sich der rötliche Kreis auf dem Schott, wechselte seine Farbe und wurde weißglühend. Geschmolzener Stahl
Treffpunkt Atlantis strebte in dick flüssigen Tropfen auseinan der. »Das reicht!« hörte ich Cultran von hinten rufen. »Das Schloß müßte zerstört sein.« Viel länger hätte ich es nicht mehr ausge halten. Ich stellte das Feuer ein und legte die Waffe beiseite. Millionen spitzer Nadeln schienen sich in das Fleisch meiner Hand gebohrt zu haben. Tief sog ich die Luft ein, aber sie war zu heiß und stickig, um mir Er leichterung zu verschaffen. Ich sah meine Freunde hinter dem Maschinenblock hervor treten und auf das Schott zugehen. »Danke«, sagte Atlan schlicht, als er an mir vorbeikam. Zu dritt stemmten sie sich gegen die Stahlplatte und versuchten sie zur Seite zu schieben. Der glühende Kreis kühlte kni sternd ab, dennoch mußte auch das nicht di rekt bearbeitete Material noch beträchtliche Hitze ausstrahlen. Eine Weile beobachtete ich unschlüssig, dann gab ich mir einen Ruck und trat hinzu. Eine weitere Entladung blitzte knallend durch den Raum. Ich unter drückte den Schmerz in meiner Hand und setzte alle noch verbliebene Kraft ein, um den Freunden zu helfen. Sie war, obwohl ich mich stark geschwächt fühlte, noch recht groß, und langsam begann sich das Schott zu bewegen. Der sich abzeichnende Erfolg half uns, unsere Anstrengungen zu verdoppeln. Zwei Minuten später hatten wir die Platte in die Wand geschoben. Der Ausgang war frei. Wir hasteten aus der Halle und stürmten durch den angrenzenden Korridor. Keine Se kunde zu früh. Als ich mich kurz umwandte, sah ich den Maschinensaal vom grellen Glü hen zahlloser Überschlagsblitze erhellt. Der unmittelbaren Gefährdung waren wir vorerst entkommen. »Feindberührung!« gellte es durch das Schiff. »Feuer frei!« Die Erschütterung riß mich fast von den Beinen. Ich stützte mich an der Wand ab und blickte in die entsetzten Gesichter von Atlan und Kennon. Was Cultran dachte und fühlte, war nicht zu deuten, aber ich nahm an, daß sich seine Empfindungen von den
29 unseren nicht wesentlich unterschieden. »Es sieht so aus, als seien wir mitten in ei ne Raumschlacht geraten«, schrie Kennon durch den Lärm überbeanspruchten Materi als und aufheulender Alarmsirenen. »Wir müssen uns beeilen, wenn wir lebend dieses Schiff verlassen wollen.« Selbst hier, überlegte ich erschüttert, in ei ner Galaxis, die von unbekannten Mächten vollkommen kontrolliert wurde, schien es nicht zu gelingen, leben und materialverzeh rende Kämpfe zwischen rivalisierenden In teressengruppen zu unterbinden. »Den Plan, mit einem Beiboot zu entkom men, müssen wir vorerst aufgeben«, machte sich Atlan lautstark verständlich. »Wenn wir wirklich in eine Raumschlacht verstrickt sind, hätten wir ohne Ausrüstung keine Chance!« Er hatte völlig recht. »Raumanzüge!« ergänzte ich, während ich das bedrohliche Zittern der Wand auf den Handflächen spürte. »In erster Linie brauchen wir Raumanzüge. Andernfalls sind wir beim ersten Treffer rettungslos verlo ren.« Cultran stand scheinbar teilnahmslos da. Seine Augenstiele pendelten hin und her, ohne einen bestimmten Punkt wirklich zu fi xieren. Er hatte Angst, natürlich! Atlan stieß ihn an. »Hast du verstanden, Truge? Wir brau chen Schutzanzüge. Schnell! Es sieht nicht so aus, als hätten wir viel Zeit.« Auch Cultran konnte nicht wissen, was außerhalb des Schiffes vor sich ging. In sei ner grenzenlosen Verwirrung hätte er ver mutlich jede Anweisung befolgt, die ihm die eigene Entscheidung abnahm. Schwerfällig setzte er sich in Bewegung. Wir folgten ihm. Die nächste Salve abgefeuerter Geschütze versetzte das Material des Organschiffs er neut in wilde Schwingungen. Ich taumelte, konnte das Gleichgewicht jedoch halten. Vor uns, an einer Gangkreuzung, tauchten zwei Trugen auf. Sie stießen gurgelnde Lau te aus, als sie uns sahen. Kennon wartete nicht, ob sie uns unbehelligt lassen würden.
30 Mit zwei kurzen Schüssen aus der Schock schleuder setzte er sie außer Gefecht. Weiter ging unsere Flucht durch ein nervenbela stendes Inferno aus kreischenden und kra chenden Geräuschen, aus bebenden Korrido ren und unter mörderischer Belastung zit ternden Wänden Kenzon schien sich völlig siegessicher zu fühlen. Die HARSCHIER feuerte aus allen Rohren; wir spürten es an den Schlägen, die uns wieder und wieder von den Beinen zu werfen drohten. »Was seid ihr für Kämpfer?« donnerte die Stimme des Kommandanten durch das Schiff. »Ihr zögert mir zu lange! Habt ihr et wa Angst vor den Scuddamoren? Wozu? Ih re Flotte ist nicht einmal halb so stark wie unsere!« Während ich weiterlief, versuchte ich die Information zu verdauen, daß die Feinde, denen sich die Trugen mit solchem Elan ent gegenwarfen, offensichtlich zu der Streit macht Chirmor Flogs gehörten. Das machte die Sache nur noch undurchsichtiger. Im Rghul-Revier hatten Scuddamoren, wie ich wußte, nichts zu suchen. Warum griff der Dunkle Oheim nicht ein? Ahnte er nicht, was hier geschah? »Dort!« rief Cultran, und das erste Mal glaubte ich, eine Gefühlsregung in seiner Stimme zu erkennen. Es war Erleichterung. Wir erreichten ein Depot, in dem Waffen und Raumanzüge lagerten. Donnerndes Kra chen drang in unsere Ohren, während wir nach Material Ausschau hielten, das uns nut zen konnte. Was den Trugen zum Schutz diente, konnte uns aufgrund unserer anato mischen Unterschiede höchstens hinderlich sein. Unsere Hoffnung, daß wir Monturen finden könnten, die für andere, vielleicht hu manoide Völker gedacht und daher für uns brauchbar waren, erfüllte sich nicht. »Ich hätte daran denken müssen«, sagte Cultran kleinlaut. »Die HARSCHIER ist nur für Belange von Trugen ausgerüstet.« Seine Stimme ging in dem Getöse einer Strahlsalve fast unter. Atlan trat zu den Re galen im hinteren Teil des Depots und griff sich einige Waffen. Jeder von uns erhielt
Detlev G. Winter einen Strahler und eine Schockschleuder. So gut es ging, befestigte ich sie am Gürtel. Cultran, offenbar überrascht, daß auch er be dacht wurde, stand unschlüssig herum. Dem Tempo, das wir vorlegten, schien er nicht gewachsen. »Los doch!« herrschte ich ihn an. »Wir müssen weiter. Nimm dir einen Raumanzug, damit wenigstens einer von uns geschützt ist.« Er reagierte nicht. Mit steigendem Entset zen beobachtete ich, wie seine Sinnesorgane im Köcher verschwanden und der organi sche Aufsatz langsam in den kastenförmigen Körper hineinglitt. Dicke Hautfalten schlos sen sich über ihm. »Das darf nicht wahr sein!« schrie Ken non. »Ausgerechnet jetzt hat er seine Ruhe phase.« »Früher oder später mußten wir damit rechnen«, entgegnete ich und bemühte mich verzweifelt, Ruhe zu bewahren. »Es dauert zwanzig Minuten.« Zwanzig Minuten – sicherlich keine be deutende Zeit im Verhältnis zur Länge eines menschlichen Lebens. Für uns bedeutete sie eine Ewigkeit. »Wir müssen ihn zurücklassen«, meldete sich Kennon erneut. »Er wird sich alleine zurechtfinden, sobald er aufwacht.« »Unsinn.« Steile Falten des Unmuts bilde ten sich auf Atlans Stirn. »Abgesehen da von, daß wir uns im Schiff nicht auskennen und auf ihn angewiesen sind, ist es nicht meine Art, Freunde im Stich zu lassen.« Das war auch meine Ansicht, und ich wußte, daß Kennon grundsätzlich ebenso dachte. Seine Äußerung schrieb ich dem Streß zu, unter dem wir alle standen. Als der nächste Schlag durch das Schiff dröhnte, mußte ich Cultran stützen, damit er in seiner Reglosigkeit nicht umkippte und sich wo möglich verletzte. »Der Kampf müßte längst entschieden sein«, rief der Terraner durch den Lärm, »wenn die Flotte der Trugen wirklich mehr als doppelt so stark ist wie der Gegner.« Atlan lachte rauh auf.
Treffpunkt Atlantis »Die Scuddamoren sind wesentlich besse re und entschlossenere Krieger als die Tru gen«, war sein Urteil, und nach der langen Odyssee durch das Marantroner-Revier wußte er, wovon er sprach. »Es kann lange dauern, bis ein endgültiger Sieger feststeht.« Der Boden unter uns bebte und wurde fortwährend aufs neue erschüttert. Die Ge räuschkulisse einer erbarmungslos geführten Schlacht wollte kein Ende nehmen. Quälend langsam verging die Zeit. »Die Scuddamoren erleiden erhebliche Verluste!« Wieder Kenzon, dessen Stimme das Infer no gellend übertönte. Ich hätte schwören können, daß seine Information übertrieben war und in erster Linie der Seelenmassage diente. »Weiter so! Bald wird Pthor uns gehö ren!« Die Worte wollten vorbeirauschen und verhallen, doch irgend etwas hielt sie auf und holte sie zurück. Wild brannten sie sich in meine Gedanken, und als ich den Sinn endlich erfaßte, hätte ich Cultran vor Über raschung beinahe losgelassen. Gerade noch rechtzeitig entsann ich mich seines Zustands und packte wieder fester zu. »Atlantis!« schrie der Arkonide. Ich sah, wie seine Augen zu leuchten begannen. »Die Schlacht geht um Atlantis. Habt ihr das gehört!« Er wurde unruhig. Das Eiland, dessen Kö nig er war, befand sich offenbar in unmittel barer Nähe und war zum Gegenstand der Auseinandersetzung zweier Machtgruppen geworden. Praktisch hatten wir unser Ziel erreicht und waren im Moment doch unend lich weit davon entfernt. Noch gab es keine Möglichkeit, Pthor anzusteuern. Nervös ging Atlan auf und ab. Vielleicht spürte er die beißende Ironie des Schicksals. »Wir müssen hier heraus«, sagte er. »Unsere Freunde warten auf uns. Sie brau chen unsere Hilfe.« »Beruhige dich«, ermahnte ich ihn. »Zunächst brauchen wir selbst Hilfe. Wir dürfen jetzt nichts überstürzen.«
31 Ein berstendes Kreischen, als würde das Schiff in zwei Teile gespalten, schlug zu uns durch. Der Ruck war so heftig, daß ich nach hinten taumelte. Cultrans schwerer Körper kippte, jeder Stütze beraubt, zur Seite, schlitterte über den Boden und prallte hart gegen eine Wandverstrebung. Kennon klam merte sich irgendwo fest und schrie. Atlan, ebenfalls in die Knie gegangen, stützte sich auf allen vieren ab und versuchte mühsam, sich wieder aufzurichten. Da erfolgte der zweite Treffer. Bevor ich die Orientierung verlor, hörte ich den kla genden Schrei der Galionsfigur. Plötzlich befand sich das Lager in kreisender Bewe gung. Ich wußte nicht mehr, wo ich war, und mein Kopf schlug schmerzhaft auf einen Ge genstand. Von weit her hörte ich die hekti sche Stimme des Kommandanten. »Sicherheitsalarm! Die Galionsfigur ist ausgefallen. Druckverlust in fast allen Sek tionen. Die HARSCHIER ist verloren! Wir verlassen das Schiff!« Ich bekam etwas zu fassen, woran ich mich festhalten konnte, und packte zu. Um mich tobte die Hölle. Verbittert schloß ich die Augen und wartete auf das Ende. Druck verlust – das bedeutete ein Leck in der halb organischen Außenwand des Raumers, aus dem die Atemluft entwich. Es bedeutete ex plosive Dekompression und einen schnellen Tod. Es dauerte seine Zeit, bis ich begriff, daß ich mich getäuscht hatte. Das Ende kam nicht. Eine geisterhafte Stille legte sich über uns, als die Geschütze ihre Tätigkeit ein stellten. Als ich die Augen öffnete, sah ich das Bild der Zerstörung, das der Lagerraum bot. Schutzanzüge waren von den Gestängen ge rutscht und lagen verstreut auf dem Boden, etliche Waffen hatten sich selbständig ge macht und waren umhergeschleudert wor den. Eine von ihnen mußte Kennon am Kopf getroffen haben, denn er blutete aus einer kleinen Stirnwunde. Atlan richtete sich so eben schnaufend auf, und als ich nach dem Trugen Ausschau hielt, mußte ich trotz der
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erbärmlichen Lage, in der wir uns befanden, auflachen. Cultrans quadratischer Körper wirkte wie ein an die Wand gestellter Schaltkasten, über den jemand wallende Tücher geworfen hatte. Die kurzen Beine, die seitlich aus dem Gebilde ragten und von einem über sie ge fallenen Raumanzug halb bedeckt waren, er weckten den Eindruck, als habe der Truge erfolglos versucht, in seiner Seitenlage die Sitzhaltung eines Buddhas nachzuahmen. Am gegenüberliegenden Ende, auf den Schultern also, hatte sich der Köcher wieder hervorgeschoben, und über dessen Rand lug ten die knollenartigen Sehorgane. Im glei chen Moment, in dem mein Heiterkeitsaus bruch der Sorge wich, ob unser Freund ernsthafte Verletzungen davongetragen ha ben könnte, begriff ich, daß seine Regenera tionsphase und die Tatsache, daß wir deren Ende abwarten wollten, uns wahrscheinlich das Leben gerettet hatte.
* »Wir haben großes Glück gehabt«, sagte Cultran. »Es gibt nur wenige Sektionen auf der HARSCHIER, die bei einem Druckver lust automatisch hermetisch abgeriegelt wer den. Jeder andere Standort wäre unser siche rer Tod gewesen.« »Gibt es innerhalb dieses Bereichs einen Hangar mit Rettungsbooten?« wollte Atlan wissen. Mittlerweile war uns klargeworden, daß Cultran uns in einen Bezirk geführt hat te, der in Notfällen wie diesem der Besat zung als letzte Rettungsmöglichkeit diente. Daß keiner der Trugen davon Gebrauch machte, schrieb ich dem blinden Fanatismus zu, mit dem der Kommandant seine Leute fortwährend angestachelt hatte. In der bedin gungslosen Konzentration auf die Schlacht hatten sie ihre eigene Sicherheit sträflich vernachlässigt. »Nein«, beantwortete Cultran die Frage des Arkoniden. »Aber dieser Teil des Schif fes ist mit einer autarken Steuerungseinheit ausgerüstet und läßt sich absprengen.«
Atlan nickte zufrieden. »Also los!« sagte er. »Wir sehen uns die Sache an!« Vor einem geschlossenen Schott blieb Cultran stehen und betätigte seinen Impuls geber. Langsam schoben sich die beiden Hälften zur Seite und gaben den Blick in die Steuerzentrale der Sicherheitseinheit frei. Ich erstarrte mitten in der Bewegung. So problemlos, wie ich es mir vorgestellt hatte, lief unsere Flucht nicht ab. Vor einer Konso le standen fünf Trugen und hantierten an ei nigen Schaltungen. Ihnen war es trotz der Blitzartigkeit, mit der das Schiff zum Wrack geschossen worden war, gelungen, sich hier her zu retten. Atlan reagierte sofort. Er hob den Strahler und schoß. Eine qualmende Spur rußge schwärzten Metalls grub sich in den Boden. Die Trugen fuhren entsetzt zurück. Ihre Au genstiele richteten sich auf uns. »Niemand rührt die Schaltungen an!« be fahl er, während ich die Schockschleuder aus dem Gürtel löste. »Wollt ihr euch frei willig ins Verderben stürzen?« Er deutete auf einen aktivierten Bild schirm, der einen Eindruck vom umgebenden Weltraum vermittelte. Aufzuckende Lichtblitze bewiesen, daß die Schlacht mit unverminderter Heftigkeit tobte. Es wäre Selbstmord gewesen, in dieser Situation die Kapsel abzusprengen. Die Trugen schienen grundsätzlich ande rer Meinung zu sein. Bevor wir reagieren konnten, hatte einer von ihnen seine Schock schleuder ergriffen und abgedrückt. Cultran gab ein röchelndes Geräusch von sich und fiel betäubt zu Boden. Kennon, der direkt neben ihm stand, bekam die Wirkung des Lähmstrahls ebenfalls noch zu spüren. Sein rechtes Bein wurde kraft und gefühllos, er stürzte schwer zur Seite. Geistesgegenwärtig fing er sich mit den Armen ab und brachte sich robbend hinter einem blockförmigen Aggregat in Sicherheit. Atlan und ich schossen hastig, aber ge zielt. Zwei Trugen brachen zusammen, und ehe die anderen recht begriffen, was hier ei
Treffpunkt Atlantis gentlich vor sich ging, folgten wir dem Ter raner mit mächtigen Sätzen in die Deckung. Ein weiterer Warnschuß aus Atlans Strah ler brachte die gegenüberliegende Wand zum Glühen. »Wir meinen es ernst«, rief er. »Laßt euch nicht davon täuschen, daß wir bis jetzt nur die Lähmstrahler benutzt haben. Notfalls werden wir euch töten.« Unschlüssig standen die Trugen auf den Fleck gebannt. Sie mußten glauben, daß wir sie im Visier unserer Strahler hatten. »Was wollt ihr? Warum hindert ihr uns daran, zu fliehen und uns in Sicherheit zu bringen?« »Unsere Interessen sind die gleichen«, antwortete Atlan. »Wenn ihr euch einsichtig zeigt, können wir zusammenarbeiten. Es wird euch nichts geschehen.« »Das ist die Lüge eines geflohenen Ge fangenen. Du würdest uns töten!« »Wenn ich es wollte, hätte ich es längst getan.« Das Argument gab den Trugen zum Nachdenken Anlaß. Ihre Augenstiele pen delten unruhig umher. Offensichtlich waren sie sich nicht im klaren, was sie von uns hal ten und wie sie uns einstufen sollten. »Wir glauben dir nicht.« »Denkt darüber nach«, rief mein arkonidi scher Freund. »Mein Angebot zur Zusam menarbeit gilt weiter. Aber unsere Geduld ist nicht unerschöpflich.« »Deine Verhandlungsbereitschaft in Eh ren«, raunte ich ihm zu, als ich einsah, daß seine Taktik keinen Erfolg haben würde, »hielte ich es für vernünftiger, die Burschen für einige Stunden außer Gefecht zu setzen.« Noch zögerte Atlan. Doch die Trugen selbst waren es, die ihm die Entscheidung abnahmen. Als hätten sie sich schweigend untereinander verständigt, lösten sie in blitz artigen Bewegungen ihre Waffen von den Haftplatten. Grell sahen wir es aufblitzen, als sengende Energiestrahlen in das Aggre gat einschlugen, hinter dem wir Deckung gesucht hatten. Beißender Qualm stieg auf und verdeckte uns die Sicht. Ziellos betätig
33 te ich die Schockschleuder, schoß blind in den Dunst hinein. Eine krachende Detonati on machte mich sekundenlang taub, weiß glühende Trümmerstücke wirbelten haar scharf an mir vorbei. Ich preßte mich bäuch lings gegen den Boden und suchte verzwei felt nach einer Lücke im Nebel. »Hört auf damit!« schrie Atlan mit sich überschlagender Stimme. »Ihr zerstört die Anlagen und damit eure einzige Rettungs möglichkeit!« Ein weiterer Strahlschuß war die Antwort. Ich verfolgte die grelle Bahn im Dunst und zielte auf ihren Ausgangspunkt. Ein quakender Schrei und das Geräusch eines zu Boden gehenden Körpers bewiesen mir, daß die Zahl unserer Gegner auf zwei gesunken war. Erst jetzt schienen sich die Trugen darauf zu besinnen, daß sie, wenn sie wichtige Ag gregate beschädigten, sich tatsächlich der einzigen Möglichkeit beraubten, ihr Leben zu retten. Sie stellten das Feuer ein, und die zeitweilige Stille schmerzte meinen gepei nigten Trommelfellen. Langsam verzog sich der Qualm. Ich sah einen Schatten hastig durch die Schwaden huschen und drückte ab. Fast gleichzeitig ertönte der trockene Knall von Atlans Schockschleuder. Der Schatten sank in sich zusammen. Immer klarer wurde die Sicht, und meine Wachsamkeit schlug in stille Befriedigung um, als ich erkannte, daß auch der Arkonide mit seinem letzten Schuß erfolgreich gewe sen war. Als ich mich erhob, sah ich Kennon aus einem Winkel hervorkriechen. Atlan wischte sich über die schweißnasse Stirn und grinste mich schief an. »Du hattest recht, Berserker«, murmelte er müde. »Meine Verständigungsbereitschaft war wieder einmal zu groß.« In gemeinsamer Anstrengung schafften wir die gelähmten Trugen zur Seite und be mühten uns, sie so gegen die Wand zu leh nen, daß Atmung und andere Lebensfunktio nen nicht beeinträchtigt wurden. Ihre Waf fen deponierten wir unter einer Schaltkonso le, zudem erklärte sich Kennon bereit, die Wache zu übernehmen und sofort Alarm zu
34 schlagen, falls sich einer von ihnen rühren sollte. Atlan und ich kümmerten uns um die Steueranlagen. Über die Monitore der Fernortung konn ten wir beobachten, daß die Schlacht immer noch im Gange war. Nichts hatte sich an der Situation im Weltraum geändert. Der zah lenmäßig weit überlegenen Flotte Duuhl Larx' standen weniger, dafür aber um so er bitterter kämpfende Scuddamoren gegen über. Wir standen mit der HARSCHIER mitten im Chaos, und nur der Umstand, daß das Schiff zum größten Teil ein Wrack war und sich nicht mehr aktiv am Geschehen be teiligte, bewahrte uns davor, weitere Treffer einzufangen. »Es ist noch zu früh«, beurteilte Atlan un sere Aussichten. »Wenn wir die Rettungs kapsel jetzt absprengen, werden wir inner halb weniger Augenblicke zu Staub zerbla sen.« »Irgendwann müssen wir es riskieren«, entgegnete ich. »Es hat nicht den Anschein, daß der Kampf in absehbarer Zeit entschie den sein wird.« »Außerdem werden unsere Freunde hier nicht ewig schlafen«, setzte Kennon mür risch hinzu. »Ich habe keine Lust, mich nochmals mit ihnen herumzuschlagen.« Mittlerweile schien er sich, wenn auch widerstrebend, damit abgefunden zu haben, daß unser Weg, sofern wir ihn unbehelligt beschreiten konnten, unweigerlich nach At lantis führte. Auf einem Tasterschirm war der Weltenbrocken als dunkler Fleck im Hintergrund zu erkennen. Atlan deutete dar auf, und ein träumerischer Ausdruck trat in seine Augen. »Weißt du, Razamon«, murmelte er kaum hörbar, »bei all meinen Unternehmungen ha be ich immer gehofft, Pthor eines Tages wiederzusehen, und doch im Grunde nicht wirklich daran geglaubt. Jetzt ist es bald so weit, und mich bedrückt der Gedanke, daß ich meinen Freunden dort unten in keiner Phase meines Wirkens habe helfen können.« »Der Versuch allein war es wert.« »Aber was ist der Preis! Die Söhne Odins
Detlev G. Winter halten mich für einen Verräter, der sein Land schmählich im Stich gelassen hat, als es meine Anwesenheit am dringendsten brauchte. Überall wird sich diese Version in zwischen herumgesprochen haben. Ich kehre als Verlierer zurück, mit leeren Händen.« Was sollte ich dazu sagen? Ich stand ne ben ihm und registrierte ratlos die Traurig keit und Melancholie, die ihn plötzlich be fallen hatte. Kennon dagegen hielt momentan nichts von Sentimentalitäten. Er sah uns mißbilli gend an. »Noch ist es schließlich nicht soweit«, ta delte er. »Vielleicht könnt ihr eure Gedan ken aufbewahren, bis sich absehen läßt, daß wir Atlantis auch wirklich erreichen.« Die gedrückte Stimmung blieb. Das untä tige Warten und die Ungewißheit, wie lange es noch dauerte, bis wir etwas unternehmen konnten, schafften ein beinahe unerträgli ches Reizklima. Deutlich spürte ich, wie sich der Druck verstärkte, wie sich eine be täubende Glocke dumpfer Gefühle über uns legte. Atlan streckte einen Arm aus und deutete auf den Monitor. »Ein Schiff.« Ich erfaßte, was er ausdrücken wollte. Ein einzelner Raumer näherte sich, auf dem Schirm als heller Punkt dargestellt, dem Kampfschauplatz, gab sich den Eindruck ei nes neutralen Beobachters und würde den noch, ohne einen einzigen Schuß abzufeu ern, die Auseinandersetzung entscheiden. Bevor es geschah, wußte ich es. Ich sah und begriff. Von diesem Schiff wurde unse re seltsame seelische Verfassung ausgelöst und genährt. Drängende Impulse über schwemmten diesen Raumsektor, Impulse von befehlender Kraft, von mentaler Energie aus dem Zentrum der Schwarzen Galaxis. Ich kannte sie und ordnete sie ein. Ich erkannte Zwalltorg.
5. Atzbäll tobte. Seine Rechnung war nicht
Treffpunkt Atlantis aufgegangen. Er hatte gehofft, die anrücken de Flotte durch seinen Überraschungsangriff innerhalb kurzer Zeit vernichtend zu schla gen. Jetzt, nachdem bereits mehrere Stunden vergangen waren, stellte sich heraus, daß sich die Kräfte beider Parteien annähernd die Waage hielten. »Was ist los mit euch?« schrie er in die Rundrufanlage, die es ihm gestattete, sich auf allen Schiffen verständlich zu machen. »Die wir bekämpfen, sind hauptsächlich Trugen, verweichlichte Memmen im Dienst eines unfähigen Neffen! Seid ihr feige ge worden, daß es euch nicht gelingt, die Schwächlinge in die Flucht zu treiben?« »Deine Worte klingen höhnisch«, ließ sich Tährn vernehmen, der die Organschiffe in vorderster Front anführte. »Deine Leute geben alles! Sie opfern sich in Scharen und werfen sich dem Gegner mit ganzer Kraft entgegen. Würdest du dich nicht vornehm zurückhalten, sondern in unseren Reihen mitkämpfen, könntest du es besser beurtei len. Ich weise deinen Protest mit Schärfe zu rück!« Das war zuviel für Atzbäll. Noch nie hatte ein Untergebener gewagt, so mit ihm zu re den. Wäre es nicht so gefährlich gewesen, er hätte nicht gezögert, seinen Standort zu wechseln und Tährns Schiff in eine Staub wolke zu verwandeln. Jetzt endlich bestätig te sich, was er die ganze Zeit schon vermutet hatte. Die Truppe seiner Leute war durch setzt von Verrätern, die keine Gelegenheit ungenutzt ließen, ihn zu hintergehen und zu schädigen. Sie wollten den Kampf nicht ge winnen – das war es! Wie unsinnig diese Überlegung war, er kannte Atzbäll nicht. Seine psychische Ver wirrung schritt unaufhaltsam weiter fort, oh ne daß er in der Lage gewesen wäre, dies zu erfassen und zu bekämpfen. Seine Perspekti ve verzerrte sich mehr und mehr. Daß es in Wahrheit nur dem erbitterten Siegeswillen seiner Leute zuzuschreiben war, daß sich die Scuddamoren-Flotte überhaupt noch halten konnte, verdrängte er aus seinem Bewußt sein. Auch die dumpfen Impulse, die, zu
35 nächst kaum merklich, dann immer drängender durch das Schiff wogten, hielt er zu nächst für ein Ereignis, das von Saboteuren inszeniert wurde, um ihn weiter zu schwä chen. Zornig sah er sich in der Zentrale um, beobachtete in aufsteigendem Haß die flie ßenden Schatten seiner Mitarbeiter, bis er endlich begriff, daß sie unter der düsteren Schwingung ebenso litten. »Was ist das?« fragte einer von ihnen un sicher. Im gleichen Augenblick kam die Meldung von dem Scuddamoren, der die Ta steranlagen bediente. »Ein Organschiff unbekannter Herkunft nähert sich.« Atzbäll überlegte fieberhaft, was das alles zu bedeuten hatte. Die fremdartigen und ir gendwie doch vertrauten Impulse wurden immer mächtiger, drangen mit einer Gewalt, von der er geglaubt hatte, daß sie nur dem Dunklen Oheim selbst innewohnen könnte, auf ihn ein, versuchten seine eigenen An sichten zu untergraben und zu ändern. Verbissen wehrte er sich dagegen, aber er wußte, daß er nicht lange würde standhalten können. Hier hatte jemand die Bühne des Geschehens betreten, der mehr Macht besaß als er, jemand, der keinen Widerspruch dul dete und über die zwingende Kraft des Zen trums verfügte. Alle – Scuddamoren und Trugen – unter warfen sich. »Das ist unsere Niederlage«, sagte Atzbäll verbittert. Ein letztes Mal versuchte er sich aufzulehnen. Er scheiterte. Allmählich ließen die Kampfhandlungen nach. Niemand von denen, die die Organ schiffe befehligten, hatte mehr Einfluß dar auf. Nur noch vereinzelt zuckte der Licht blitz eines Strahlschusses auf, ohne beach tenswerten Schaden anzurichten. Und schließlich standen sich die beiden Flotten abwartend gegenüber. Sie beugten sich dem Diktat eines Mächtigen. Atzbäll spürte die ungeheure Spannung, die sich in der Zentrale seines Schiffes aus breitete. Er wußte, daß er die Schlacht um Pthor verloren hatte und daß es keine Mög
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lichkeit gab, das Blatt noch einmal zu wen den. Das Eingeständnis fiel ihm schwer und schmerzte. Aber es bedeutete auch, daß ihm die Verantwortung genommen worden war, daß er für nichts zur Rechenschaft gezogen werden konnte, was von nun an geschah. Er fühlte sich unterlegen, und gerade das be gann ihn paradoxerweise wiederaufzurich ten. Die düsteren Impulse drangen weiter auf ihn ein, und die Stimme, die aus den Emp fängern erscholl, war hart und befehlend. »Hier spricht der Gersa-Predogg Zwall torg. Ich wende mich an alle Scuddamoren. Der Kampf ist beendet. Verlaßt diesen Raumsektor und zieht euch zurück ins Ma rantroner-Revier!« Das war alles, aber es war eindringlich und deutlich. Atzbäll zögerte, horchte in sich hinein. Irgendwo in seinem Bewußtsein schwelte die Sorge um das Schicksal Chirm or Flogs. Wo hielt sich der Neffe auf? Be fand er sich tatsächlich auf Pthor, oder war er von den Schergen Duuhl Larx' entführt worden? Lebte er noch? Alle Fragen zu dem Komplex verringer ten sich plötzlich zu einem Problem unterge ordneter Bedeutung. Es kümmerte Atzbäll nicht mehr, daß er den Neffen – tot oder le bendig – zurücklassen mußte. Mit Zwalltorg hatte jemand entschieden, der seine Befehle offensichtlich aus dem Zentrum der Schwar zen Galaxis empfing. Niemand durfte es wa gen, sich dagegen aufzulehnen. Die innere Ruhe, die Atzbäll durchström te, war ihm in den letzten Tagen fremd ge worden. Er kostete sie aus und genoß sie, ließ sich von Zwalltorgs Impulsen umspie len und sog sie in sich auf. Sie stärkten und kräftigten ihn. Langsam schaltete er die Rundrufanlage ein. »Atzbäll an alle. Ihr habt die Anweisun gen gehört. Wir verlassen das Rghul-Re vier!«
* Bitter und verzehrend war die Erkenntnis,
nie wieder der sein zu können, der er einmal gewesen war. Er hatte Frau und Sohn verlo ren, hatte monatelang versucht, den Schmerz zu verdrängen und ein neues Leben aufzu bauen, hatte Freunde gesucht und nie welche gefunden – und dann hatte ihn der Anblick der Schwarzen Galaxis völlig zerstört. Schon immer war seine Psyche schwach und angreifbar gewesen. Jetzt zerbrach sie. Auch das Schicksal Grizzards, das schlimmer war als seines, vermochte ihn nicht wieder aufzurichten. Der Lenker der Porquetor-Rüstung hatte sein Fortbewe gungsmittel verlassen, um, wie er sagte, den Eindruck des Eingeschlossenseins zu ver drängen. Abram Lexis war vor Scham inner lich erstarrt, als er den verkrüppelten, gno menhaften Körper zu sehen bekam. Er hatte erkannt, wie souverän andere ihre verzwei felte Situation zu meistern verstanden, und er war fast sicher, daß Grizzard die Rüstung in Wahrheit nur deshalb geöffnet hatte, um ihm das vor Augen zu führen. »Sieh mich an. Auch ich habe ein widerli ches Schicksal zu erdulden. Hast du mich je mals jammern hören? Du mußt lernen, dich selbst und deine Lebensumstände zu akzep tieren. Nur dann kannst du dich dagegen auflehnen und versuchen, sie zu ändern.« »Das sind leere Worte«, entgegnete Ab ram gedrückt, »und du hilfst mir nicht da mit. Du erträgst deinen erbärmlichen Zu stand nur deshalb, weil du hassen kannst. An dem Haß gegen den Mann, der dir deinen Körper geraubt hat, richtest du dich auf und wächst mit ihm. Der Haß allein treibt dich, sonst nichts!« »Selbst wenn es so ist«, räumte Grizzard ein, »habe ich immerhin eine Triebfeder, die mich daran hindert, mein Leben wegzuwer fen. Ich habe ein Ziel und eine selbstgestell te Aufgabe.« »Für mich ist Haß gegen einen anderen kein Mittel, um meine eigenen Probleme zu bewältigen.« Grizzard überhörte die verletzende Kritik, die in Abrams Worten lag. »Es gibt andere Methoden. Jeder hat un
Treffpunkt Atlantis terschiedliche Neigungen und Interessen. Suche dir eine Aufgabe, die dich erfüllt, su che dir ein Ziel, dem du nachgehen kannst, und du wirst sehen, daß du dich bald schon besser fühlst.« »Ich habe es oft genug versucht und bin immer wieder gescheitert. Und ich habe die Schwarze Galaxis gesehen.« Grizzard verzog das Gesicht zu einer häß lichen Grimasse und kletterte in die Rüstung zurück. Nachdem sie sich geschlossen hatte, sagte er: »Du willst dir nicht helfen lassen! Du läßt jeden sehen, wie schlecht es dir geht, und hoffst auf das Mitgefühl der anderen. Dabei brauchst du kein Mitgefühl. Du brauchst nur den Willen, dein Leben zu ändern. Nur so kannst du es schaffen. Jeder andere Weg führt in den Abgrund!« Lange sah Abram Lexis der schimmernden Rüstung nach, bis sie hinter einer hohen Hecke aus seinem Blickfeld verschwand. Er wußte, daß Grizzard recht hatte, dennoch wühlte es in ihm weiter. Wozu sollte er sich noch bemühen! Er hatte die Schwarze Gala xis erblickt, dieses monströse und schreckli che Gebilde, das er bis dahin nur aus Erzäh lungen kannte. Niemand, der sich in ihrem Einflußbereich befand, vermochte sein Le ben selbst zu gestalten. Alles wurde gelenkt und manipuliert, von dunklen Mächten ge steuert und zu den schändlichsten Taten mißbraucht. Es war sinnlos, dagegen aufbe gehren zu wollen. Müde setzte sich Abram ins Gras und lehnte sich gegen den Stamm eines Baumes. Eine Weile beobachtete er das Treiben der Pthorer, die hier, im Park der FESTUNG und unter dem Eindruck unverhoffter Frei heit, das Leben genossen. Niedergeschlagen schloß er die Augen. Er fühlte sich ausgesto ßen, mißachtet, übergangen, und in diesem Moment bereute er, daß er nicht nach Orxe ya zurückgekehrt war. Auch dort hatte er zwar keine echten Freunde, aber es lebten immerhin Menschen in der Stadt, die er kannte und mit denen er reden konnte. Von weither vernahm er das Brummen ei
37 nes Fluggeräts. Zunächst hielt er es für das Arbeitsgeräusch eines Zugors und ließ sich in seiner selbstverzehrenden Gedankenkette nicht dadurch stören. Dann wurde ihm die Aufregung bewußt, die rings um ihn ent stand. Er öffnete die Augen, sah Pthorer un ruhig umherlaufen und ängstlich zum Him mel blicken. Ein dunkler Punkt war dort auf getaucht, der sich rasch vergrößerte und her niedersank. »Ein Organschiff! Die Scuddamoren kommen zurück!« Panik und Bestürzung sprachen aus den Worten. Die kurze Phase der trügerischen Freiheit war beendet. Die Schreckensherr schaft würde von neuem beginnen. Hastig sprang Abram auf und mischte sich unter die Menge, die das niedergehende Schiff beob achtete. Noch bevor es den Boden erreichte, stießen die nächsten Einheiten durch den Wölbmantel. Wie ein Schwarm aufge scheuchter Insekten bewegten sie sich durch die Luft, verteilten sich über das Land, ver harrten eine Weile und sanken dann langsam herab. Das Geräusch eines tosenden Orkans brandete über Pthor hinweg, bevor allmäh lich wieder Ruhe einkehrte. Eines der Or ganschiffe, ein vergleichsweise kleines Ex emplar, war in unmittelbarer Nähe der FE STUNG gelandet. Abram spürte die düstere Aura, die von ihm verströmte, ein Abglanz jener Empfindungen, die er draußen, im frei en Weltraum, erlebt hatte. Etwas mußte sich an Bord befinden, das die Kräfte der Nacht, die die Galaxis beherrschten, zu speichern verstand und in gleichförmigem Fluß wieder abgab. Als die Schattenwesen noch über At lantis herrschten, war derartiges nie beob achtet worden. »Nein«, murmelte er vor sich hin, »das sind keine Scuddamoren.« Niemand achtete auf seine Aussage. In der zernarbten Oberfläche des Raumers bil dete sich eine Öffnung, und als das erste Mitglied der Besatzung erschien, ging ein leises Raunen durch die Menge. Abram Le xis fühlte einen bitteren Triumph. Er hatte als einziger noch bevor die Fremden sich
38 zeigten, erkannt, daß es nicht dieselben wa ren, die nun die Geschicke auf der Weltenin sel bestimmen würden. Die Wesen, die das Schiff verließen, wa ren groß und stämmig. Dicke Gewänder ver hüllten ihre fast quadratischen Körper und ließen nur einen zylinderförmigen Aufsatz frei, aus dem stielartige Sehorgane pendelnd hervorwuchsen. Diese Art bildete die Haupt macht, denn die Angehörigen anderer Völ ker, die ebenfalls zu sehen waren, blieben ihnen gegenüber weit in der Minderzahl. Schwere Waffen in den Händen der Frem den bewiesen mit beeindruckender Deutlich keit, daß sie das Werk, das die Scuddamoren begonnen hatten, zielstrebig fortzusetzen ge dachten. Und sie besaßen das Mittel, ihren Anwei sungen den nötigen Nachdruck zu verleihen. Abram duckte sich gequält, als das kasten förmige Gerät, auf einer Antigravscheibe thronend, aus der geöffneten Schleuse schwebte. Schlagartig verstummten alle Ge spräche. Die Impulse, die von dem Roboter ausgingen, erstickten jede Initiative im Keim. Sie hatten befehlende Kraft, ließen keinen Widerspruch zu und drangen mit un nachgiebiger Härte auf die Pthorer ein. Abram Lexis hätte schreien mögen, aber er besaß nicht mehr die Kraft, seiner Bestür zung und seiner Niedergeschlagenheit Aus druck zu verleihen. Obwohl der Roboter in gehöriger Entfernung von ihm auf die große Pyramide der FESTUNG zuhielt, stach die dräuende Schwingung schmerzhaft in sein Gehirn. »Das muß der Anführer der Fremden sein.« Wie aus unermeßlich weiter Ferne drang die Vermutung in das Bewußtsein des Or xeyaners. Die ganze Problematik seines ver pfuschten Lebens brach wieder auf, ver mischte sich mit der Entwicklung, die sich auf Pthor vollzog, zu einer Symphonie ab grundtiefer Ausweglosigkeit. »Dieser Roboter ist die Macht«, sagte je mand voller Ehrfurcht. Abram Lexis hörte es, ohne den Sinn zu
Detlev G. Winter erfassen. Eine Mauer tat sich vor ihm auf, eine Barriere, die auch den letzten schmalen Pfad auf dem er sein Leben balancierte, end gültig versperrte.
* Die Sphäre aus Dunkelheit und Drohung schlug Sigurd entgegen wie eine Wolke ät zenden Gases. Da stand er, der Statthalter Pthors, ein kastenförmiger Roboter, der sich Zwalltorg nannte und die Macht des Dunklen Oheims repräsentierte. Unwillkür lich duckte sich der Sohn Odins unter dem Eindruck der Bösartigkeit, die von dem Ge rät ausging und den gesamten Raum erfüllte. »Was … was willst du?« stammelte er. Noch vermochte er der niederschmetternden Kraft zu widerstehen, aber er spürte be reits, daß er es nicht lange aushalten würde. »Ich habe dir eine Mission zu übertra gen«, verkündete Zwalltorg. Die Aufgabe, die der Roboter zu erfüllen hatte, war klar umrissen. Er sollte die Ord nung auf Pthor wiederherstellen, den Di mensionsfahrstuhl von umstürzlerischen und widerstrebenden Elementen reinigen und ihn für die Übernahme durch den Dunklen Oheim vorbereiten. Er würde das fortsetzen, was Atzbäll begonnen hatte. Tausende Hel fer standen ihm zur Seite, hauptsächlich Trugen, aber auch Kunen, Domer und ande re Wesen aus dem Rghul-Revier. Sigurd brauchte keine große Phantasie, um sich auszumalen, wie die Entwicklung fortschrei ten würde. Es konnte nicht lange dauern, bis wieder Transporter auf Atlantis landeten, die Rebellen und Uneinsichtige verschleppten und die bedauernswerten Kreaturen in der Senke der Verlorenen Seelen abholten, um sie ihrer vorgesehenen Bestimmung als Ga lionsfiguren zuzuführen. Der Schrecken würde weitergehen und Kreise ziehen. Zwar verhielten sich die neuen Besatzer nicht an nähernd so grausam und selbstherrlich wie die Scuddamoren, dafür war jedoch Zwall torg um so unnachgiebiger. Kaum jemand wagte es, in seine Nähe zu geraten, und auch
Treffpunkt Atlantis Sigurd wußte, daß er in der Gegenwart des Roboters nicht mehr lange würde bestehen können. »Welche Mission?« stieß er hervor. Im ersten Moment argwöhnte er, daß der Auftrag etwas mit den Magiern von Oth zu tun haben könnte. Bevor die trugischen Truppen Pthor besetzt hatten, waren Berich te in die FESTUNG gelangt, daß der Ener gieschirm um das Gebirgsmassiv zu flackern begonnen habe. Sigurd wußte nicht, was die Ursache dafür war, aber mittlerweile hatten die Magier die Schutzglocke wieder stabili siert, und Zwalltorgs Leute rannten vergeb lich dagegen an. Sie hatten nicht mehr Er folg als noch vor wenigen Tagen die Scud damoren. Es stellte sich jedoch heraus, daß das Anliegen des Roboters ein ganz anderes war. »Du wirst einen Ausflug zu einem unserer Schiffe unternehmen das im Orbit um Pthor kreist«, erklärte der Gersa-Predogg. »Dort erfolgt eine Gegenüberstellung.« Sigurds Gedanken begannen sich zu dre hen. Wem sollte er gegenübergestellt wer den? Er wollte aufbegehren, Fragen stellen und seinen Protest formulieren. Zwalltorgs Aura lähmte seine Zunge. Er stand nur da, gebeugt unter der seelischen Last, und hörte weiter zu. »Du startest mit einem Beiboot und wirst den Befehlen, die dir der Kommandant gibt, Gehorsam leisten. Auf der MARSAPIEN wird man dich bereits erwarten. Du wirst dort dein Urteil abgeben, ohne dich lange aufzuhalten. Danach kehrst du in die FE STUNG zurück.« Die Angelegenheit wurde immer mysteri öser. Zwalltorg sprach in Rätseln. Sigurd be griff nichts. Die Impulse des Gersa-Predogg stürmten auf ihn ein und umklammerten sei nen Geist. Immer stärker wurde die unheil volle Ausstrahlung. »Warum …?« brachte er mühsam hervor. Als Antwort erhielt er einen mentalen Schock, der ihn zu Boden warf. Grenzenlose Wut brandete in ihm auf, aber er vermochte nichts zu unternehmen. Zwalltorg hielt ihn
39 fest in seinem unheilvollen Bann. Mühsam stützte Sigurd sich mit den Händen ab und richtete sich auf, tappte schwerfällig zum Ausgang, wortlos und haßerfüllt. Erst draußen, im Korridor, wo ihn zwei Trugen erwarteten, gelang es ihm, die Dü sterkeit, die ihn umfing, abzuschütteln. Je weiter er sich vom Befehlszentrum entfern te, desto wohler fühlte er sich. Allerdings ließ er sich nicht darüber hinwegtäuschen, daß er und seine Brüder, wie schon unter Atzbäll, auf Pthor nichts mehr zu sagen hat ten. Sie mußten Zwalltorgs Befehlen bedin gungslos gehorchen und ihm Ergebenheit zollen, wenn sie überleben wollten. Sigurd wußte, daß ihn das in große seelische Kon flikte verstricken konnte, aber er war ent schlossen, es durchzuhalten, bis sich neue, günstigere Aspekte ergaben. »Was erwartet mich auf der MARSAPI EN?« wandte er sich an seine Begleiter, während sie sich dem Beiboot näherten, das ihn in den Raum transportieren sollte. »Warum bringt man mich dorthin?« »Wir sind nicht befugt, dir Auskünfte zu geben.« Von der drückenden Last befreit, die ihn in der Umgebung des Gersa-Predoggs be drängt hatte, wurde Sigurd forscher. Die Mentalität der Trugen kannte er mittlerweile gut genug, um zu wissen, wieviel er sich er lauben durfte. »Wenn ich meinen Auftrag nicht kenne«, begehrte er auf, »werde ich ihn nicht zu Zwalltorgs Zufriedenheit ausführen kön nen.« »Es hat mit Zwalltorg nichts zu tun«, ließ sich einer seiner Bewacher den Bruchteil ei ner Information entlocken. »Ein anderer er wartet dich im Orbit.« »Wer?« Er erhielt keine Antwort mehr und ver zichtete auf weitere Fragen. Ein ungutes Ge fühl beschlich ihn, als er das Beiboot betrat. Er ahnte, daß ihn auf der MARSAPIEN eine Überraschung erwartete, von deren Größe er sich jetzt noch keine Vorstellung machte – und daß seine Reaktion darauf die Entwick
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lung auf Pthor entscheidend beeinflussen konnte. Anders war Zwalltorgs Geheimnis krämerei kaum zu erklären. Was erwartete ihn dort oben? Was erwartete man von ihm? Sigurds Nervosität wuchs.
6. Nur noch ein Ziel kannten wir: Pthor zu erreichen und unseren Freunden bei ihrem Kampf gegen die Mächte der Schwarzen Galaxis beizustehen. Die Ausgangsposition war nicht die schlechteste. Wir hatten sechs Trugen bei uns, die uns als Faustpfand die nen konnten, um den Riegel der über dem Eiland operierenden Einheiten unbehelligt zu passieren. Notfalls würden wir damit dro hen, sie zu töten, wenn man uns die Lan dung nicht gestattete. Erst einmal auf Atlan tis, würden wir schnell untertauchen können. Noch waren solche Überlegungen reine Spekulation, unausgegoren und längst nicht zu Ende gedacht. Letztlich kam es auf die jeweilige Situation an, wie wir uns verhalten würden. Aber immerhin hatten wir einen Plan entwickelt, der berechtigte Aussichten auf Erfolg versprach. Wenn ich bedachte, wie oft wir in den letzten Monaten vor völlig unüberschaubaren Begebenheiten gestanden hatten, wie oft wir ohne nachzudenken abso lut spontan handeln mußten um das blanke Leben zu retten, erschien mir unsere Lage geradezu ideal. Schwierigkeiten gab es dennoch. Durch die Schießerei waren einige hochwertige Aggregate beschädigt worden und jeder un serer Versuche, die Rettungskapsel von der HARSCHIER abzusprengen, war bislang gescheitert. Cultran, der als erster aus der Narkose erwacht war, hatte sich angeboten, den Fehler zu suchen und zu beheben. Er lag rücklings unter einem Maschinenblock und bewies mit arttypischen Geräuschen der An strengung, daß er sich wirklich Mühe gab. Die fünf anderen Trugen saßen, im Bewußt sein ihrer Unterlegenheit, auf ihren Plätzen und wurden von Kennon weiterhin in
Schach gehalten. Mittlerweile war auch die Lähmung in seinem Bein gewichen. Mein arkonidischer Freund hatte, nach dem die Impulse Zwalltorgs versiegt waren, seine Ausgeglichenheit wiedergefunden. Dennoch konnte auch er seine Spannung nicht verbergen. Pthor stand in der Nähe, und er fieberte danach, den Dimensionsfahr stuhl zu betreten. Mir ging es ähnlich, aber seit geraumer Zeit schoß mir eine Frage durch den Kopf, die mich immer wieder ab lenkte. »Ich möchte wissen, warum Duuhl Larx seinen Gersa-Predogg hergeschickt hat. Es ist mir unerklärlich.« »Wahrscheinlich sah er keine andere Möglichkeit, die Kämpfe zu seinen Gunsten zu entscheiden«, vermutete Atlan. »Das mag richtig sein«, gab ich zu, »aber es erklärt nicht, warum der Roboter nicht nach Cagendar zurückgekehrt ist.« »Warum sollte er?« warf Kennon ein. »Für die trugischen Truppen dürfte er der ideale Kommandant sein.« »In erster Linie ist er der Berater des Nef fen, der ihn mit Informationen und Befehlen aus dem Zentrum versorgt, der ihn mit der Bösartigkeit auflädt, die sich der Dunkle Oheim von ihm wünscht. Ohne ihn ist Duuhl Larx ein Nichts.« »Du übertreibst«, hielt mir Atlan vor. »Ich sehe keinen Grund, warum der Neffe nicht auch ohne Zwalltorg auskommen sollte.« »In vielen Situationen ist er auf seine Hin weise angewiesen. Daß er sich von ihm ge trennt hat, kann dazu führen, daß er Fehlent scheidungen trifft und die Lage in seinem Revier nicht mehr vollständig überblickt. Er weiß das – und das ist es, was mich stutzig macht.« Kennon warf mir einen ausgesprochen spöttischen Blick zu. »Sorgst du dich um Duuhl Larx?« Atlan stieß ein heiseres Lachen aus, und ich beschloß, von nun an den Mund zu hal ten. Zudem lenkte Cultran uns wirkungsvoll ab, indem er schwerfällig unter dem Maschi nensockel hervorkroch und sich zu voller
Treffpunkt Atlantis Größe aufrichtete. »Fertig!« verkündete er. »Bist du sicher, daß es jetzt funktioniert?« fragte Kennon zweifelnd. Drei vergebliche Versuche hatten ihn mißtrauisch werden las sen. »Wir müssen es ausprobieren«, antworte te der Truge lakonisch. Atlan nickte entschlossen. Ohne lange zu überlegen, betätigte er die Schaltungen, die die Zelle vom übrigen Schiffsverband tren nen sollten. Diesmal hatten wir Glück. Unter uns erwachten Notaggregate zu to sendem Leben, Kontrolleuchten blitzten auf, irgendwo klinkten Halterungen aus, lösten sich mit metallenem Geräusch Verstrebun gen. Das Behelfstriebwerk zündete und riß die Rettungskapsel davon. Für einen Mo ment waren die Andruckabsorber überlastet. Eine unmenschliche Kraft zwang mich zu Boden. Ich legte mich flach auf den Rücken, um die Belastung leichter ertragen zu kön nen. Bunte Ringe tanzten vor meinen Au gen, in den Ohren rauschte es, und einige lange Sekunden glaubte ich, ersticken zu müssen. Aber es ging vorüber. Während ich mich aufrichtete, blickte ich mich sichernd um. Die Trugen waren von den durchschlagen den Beharrungskräften ebenso überrascht worden wie wir. Sie hatten keine Gelegen heit gehabt, unsere Verwirrung und Hilflo sigkeit für sich auszunutzen. Kennon, der eben die Waffe aufhob, die ihm aus der Hand geglitten war, hielt sie weiter unter Kontrolle. Auf einem der Bildschirme konnten wir die HARSCHIER sehen, von der wir uns langsam entfernten. Das Schiff war total zer stört, ein Wrack, das von mehreren Treffern regelrecht zerfetzt worden war. Das Schick sal mußte uns über die Maßen wohlgesinnt sein, daß die Überlebenskapsel keinen Scha den davongetragen hatte. Reglos trieben un zählige Tote an uns vorbei. Es war kein schöner Anblick. Wir sprachen nicht, während Atlan die
41 Kapsel geschickt zwischen Leichen und den Überresten zerstörter Organschiffe hin durchsteuerte. Wahrscheinlich beschäftigte uns in diesen Minuten alle der gleiche Ge danke. Wann würde das sinnlose Morden in diesem Kosmos endlich ein Ende haben? War überhaupt eine galaktische Gemein schaft denkbar, in der Konflikte durch Di plomatie anstatt durch den Griff zu den Waffen bereinigt wurden? Hier und heute würden wir keine Antwort finden. Wir näherten uns Pthor und mußten unsere ganze Aufmerksamkeit darauf kon zentrieren, unbeschadet durch die Reihen der trugischen Einheiten zu gelangen. Von der Seite musterte ich Atlan. Sein Gesichts ausdruck wirkte gespannt, ja verbissen, und in seinen Augen stand die Feuchtigkeit der sichtbaren Erregung. Er wartete darauf, daß etwas geschah, das ihm bedeutete, wie er zu handeln hatte – wir alle warteten darauf. »Sie müssen uns längst geortet haben«, sagte er leise. »Warum reagieren sie nicht?« »Wart's ab«, knurrte Kennon. »Wir wer den sie noch früh genug auf dem Hals ha ben.« Ich hatte das Bedürfnis, etwas zu sagen, was die Spannung abbaute. Aber ich brachte kein Wort hervor. Wie ein Kloß schien es in meiner Kehle zu stecken. Ich spürte, wie meine Handflächen feucht wurden. »Sie lassen uns nicht durch«, unkte Cul tran bedrückt. »Kein Wort werden sie mir glauben.« Atlan lächelte verhalten. »Eine innere Stimme sagt mir, daß wir gute Erfolgsaussichten haben.« Es war nackte Ironie. Allein an seiner Körperhaltung konnte ich ablesen, daß ihm die Hinweise des Extrasinns nicht viel Zu versicht einzuflößen vermochten. Als das Rufzeichen der Funkanlage aufleuchtete, zuckte er zusammen. Ich winkte Cultran herbei. »Behalte die Nerven, mein Freund«, sagte ich. Kennon hob seine Waffe demonstrativ ei nige Zentimeter höher.
42 »Kein Wort jetzt!« zischte er den Trugen zu. »Und keine falsche Bewegung!« Cultran legte die Greifklaue auf eine Kon taktplatte. Auf dem Monitor erschien das Abbild des Anrufers. »Identifiziert euch!« forderte er. »Dies ist gesperrtes Gebiet.« Ich biß die Zähne aufeinander. Die Luft schien so dick, daß man sie mit einem Mes ser hätte schneiden können. Stumm schüttel te ich den Kopf. Es konnte nicht gutgehen! »Rettungskapsel der HARSCHIER. Cul tran spricht. Ich befinde mich mit fünf Über lebenden an Bord. Das Antriebssystem ist defekt. Ich bitte um Landeerlaubnis auf dem Materiebrocken.« »Erlaubnis verweigert. Ihr könnt in einen unserer Hangars einfliegen. Wir senden Peil zeichen.« Der Bildschirm erlosch, und ich schloß ergeben die Augen. Ich hatte es geahnt. »Wir sollten meinen ursprünglichen Vor schlag nochmals überdenken«, sagte ich. Meine Idee war gewesen, meine Stellung als ehemaliger Vertrauter Duuhl Larx' herauszu kehren und damit das Wohlwollen der trugi schen Kommandanten zu gewinnen. Auf viel Gegenliebe bei meinen Freunden war ich damit nicht gestoßen. »Das Risiko ist zu groß«, lehnte Atlan ab. »Wir wissen aus schmerzlicher Erfahrung, daß du mit ziemlicher Sicherheit für einen Lügner gehalten wirst. Sie würden uns mit einem einzigen Schuß in eine Gaswolke ver wandeln, ohne daß wir Zeit hätten, uns dar auf vorzubereiten.« »Was schlägst du vor?« fragte Kennon. »Weißt du eine bessere Alternative?« »Wir haben zwei Möglichkeiten. Eine da von ist, wie ebenfalls bereits besprochen, die Trugen unter Druck zu setzen und mit der Erschießung ihrer Freunde zu drohen.« Auch darüber hatte ich mir unterdessen viele sorgenvolle Gedanken gemacht. »Wir wissen nicht, ob sie sich überhaupt unter Druck setzen lassen«, wandte ich ein. »Ich persönlich glaube nicht daran. Das Er gebnis wäre das gleiche wie bei meinem
Detlev G. Winter Vorschlag.« Atlan nickte zustimmend. »Dann bleibt uns nur eines«, sagte er und ging zu den Fahrtkontrollen. »Wir brechen durch.«
* Laut und dröhnend heulten die Triebwer ke auf. Auf dem Schirm der direkten Sicht beobachtung konnten wir erkennen, wie sich die umstehenden Einheiten scheinbar auf uns zubewegten, wie sich die Perspektive verschob. Die Rettungskapsel beschleunigte. Meine Hände verkrampften sich zu Fäusten. Das Risiko, kurzerhand abgeschossen zu werden, war auch bei dem Weg, für den wir uns entschieden hatten, unermeßlich groß. Wir hofften auf den Überraschungseffekt. An den ersten Organschiffen rasten wir vorbei. Nichts geschah. Das Echo des Di mensionsfahrstuhls, Pthors, wurde deutli cher. Wir näherten uns ihm. »Sie reagieren nicht«, murmelte Cultran verblüfft. Atlan lächelte zufrieden. Langsam fiel die Spannung von ihm ab. »Damit haben sie nicht gerechnet. Wir schaffen es!« Die bevorstehende Landung nahm ihm viel von seiner Kritikfähigkeit. Auch der Ex trasinn konnte seine Euphorie anscheinend nicht bremsen. Für mich war es zu früh zu triumphieren. Meine innere Verkrampfung löste sich nicht. Noch war nichts gewonnen. Selbst wenn uns der Durchbruch gelang, blieb die Frage, wo wir auf Atlantis landen sollten, ohne erneut in tödliche Gefahr zu geraten. Immer deutlicher wurde mir, daß wir im Grunde nicht den Bruchteil einer Chance hatten, den Schergen Duuhl Larx' zu entkommen. »Wir werden langsamer …!« heulte Cul tran auf. Mit einer Greifklaue deutete er auf die Anzeigen eines Instruments. »Seht doch!« »Das war zu erwarten«, sagte einer seiner Artgenossen. »Ihr entkommt ihnen nicht.«
Treffpunkt Atlantis »Ruhe!« Kennon wirkte unnatürlich höl zern. »Du warst nicht gefragt.« Ich sah Atlans Wangenknochen hervortre ten, als er die Schaltungen manipulierte und den Triebwerksaggregaten mehr Energie zu führte. Es half nicht. Unsere Geschwindig keit sank rapide. »Traktorstrahlen«, stellte der Arkonide fest. Jede Zuversicht war von ihm gewichen. »Damit kriegen sie uns.« Es war uns klar, daß wir jede Hoffnung aufgeben mußten. Selbst ich, der ich nie überzeugt war, daß unsere Aktion gelingen könnte, spürte, wie der letzte Rest eines in stabilen Traumgebäudes in sich zusammen stürzte. Für einen Moment überschwemmte mich lähmende Lethargie, wollte sich das Bewußtsein breitmachen, daß weder ich noch meine Freunde Pthor jemals wieder be treten würden, daß alle Entbehrungen, die wir auf uns genommen hatten, vergebens waren. Kurz vor dem Ziel scheiterten wir. Atlantis war fast zum Greifen nah. Be drückende Gedanken, die ich gewaltsam verdrängte. Niemals würden wir aufgeben, solange noch ein Funken Leben in uns war! Atlan schaltete die Triebwerke ab und über ließ die Rettungskapsel dem Sog des Trak torstrahlers. Es war sinnlos, dagegen an kämpfen zu wollen. »Es wundert mich, daß sie uns so human behandeln«, meinte ich. »Sie könnten uns leicht vernichten.« »Sie wissen nicht, daß ihr an Bord seid«, erinnerte Cultran. »Noch glauben sie, es mit den eigenen Leuten zu tun zu haben. Außer dem sind wir nicht so grausam wie Scudda moren.« Die Außenwand eines Organschiffs wuchs vor uns auf. Sie füllte die Bildflächen der Monitore völlig aus. Unerbittlich wurden wir auf die gähnende Öffnung eines Hangars zugezogen. Es gab eine kleine Erschütte rung, als die Rettungskapsel aufsetzte. Das Außenschott hatte sich kaum ge schlossen, als eine Anzahl schwerbewaffne ter Trugen in die Schleuse stürmte. Sie wa ren mit grellgelben Raumanzügen ausgerü
43 stet und bildeten einen Kreis um unser Transportgerät. »Kein freundlicher Empfang«, stellte At lan sarkastisch fest. Er zog den Energie strahler und trat neben Kennon. Mit herri scher Geste winkte er unseren Gefangenen. »Ihr geht vor!« Sie protestierten nicht. Wahrscheinlich waren sie der Überzeugung, daß ihre Aus sichten, aus unserer Gewalt zu entkommen, draußen erheblich größer waren als hier. Dort konnten sie mit der Unterstützung ihrer Artgenossen rechnen. Wortlos setzten sie sich in Bewegung, von Kennon und Atlan vorangetrieben. Cultran und ich folgten in einigem Abstand. Ich wußte nicht, was der Arkonide vorhat te, und überdies bezweifelte ich, daß er mit Drohungen noch viel erreichen konnte. Den noch überließ ich ihm weiterhin die Initiati ve. Er besaß die größere Erfahrung und konnte auf die Hinweise des Extrasinns zu rückgreifen. Wir verließen die Rettungskapsel. Die glühenden Mündungen entsicherter Strahl waffen starrten uns entgegen. Keiner der Trugen ließ sich anmerken, ob er von unse rem Anblick überrascht war, und Atlan gönnte ihnen nicht die Zeit, darüber nachzu denken, mit wem sie es bei uns zu tun hat ten. »Wir verlangen den Kommandanten eurer Flotte zu sprechen!« sagte er laut. »Das Le ben eurer Freunde hängt davon ab.« Er mußte sich darüber im klaren sein, daß er ein gefährliches Spiel inszenierte. Nie mand von uns konnte sicher sein, daß die Trugen auf die Gesundheit ihrer Artgenos sen Rücksicht nehmen würden. Mit wenig Aufwand konnten sie uns erledigen. Erst als einer von ihnen, offenbar der Anführer der Truppe, einen Schritt vortrat, atmete ich auf. Sie schienen zu Verhandlungen bereit. »Das ist unmöglich«, sagte er in seiner quakenden Ausdrucksweise. »Kein Fremder darf Pthor betreten.« Plötzlich setzte sich eine Idee in meinen Gedanken fest. Ich witterte Morgenluft. Be
44 vor Atlan etwas erwidern konnte, schaltete ich mich ein. »Du solltest dir das noch einmal überle gen. Wir haben eine wichtige Nachricht für Zwalltorg.« An der Art, wie er seine Waffe um Bruch teile eines Zentimeters senkte, erkannte ich, wie sehr es ihn überraschte, den Namen des Gersa-Predogg aus meinem Mund zu hören. Genau das war meine Absicht gewesen. Er sollte uns für Eingeweihte halten, für wichti ge Personen im Dienst des Neffen. Anders war ihm nicht beizukommen. »Wenn ihr Verbündete seid, warum droht ihr dann mit der Erschießung unserer Freun de?« wollte er wissen. »Wenn wir es nicht getan hätten«, ant wortete ich ruhig, »wären wir vermutlich so fort festgenommen worden, ohne über unse re Mission berichten zu können.« Das gab ihm wiederum zu denken. Im Grunde blieb ihm gar nichts anderes übrig, als uns zu vertrauen. Tat er es nicht, mußte er damit rechnen, daß sich später heraus stellte, daß wir die Wahrheit gesprochen hat ten. Seine Bestrafung durch Zwalltorg wäre die Folge gewesen. Ich hoffte nur, daß unse re fünf Gefangenen, die weiterhin unsere Strahler auf sich gerichtet wußten, soviel Selbsterhaltungstrieb besaßen, daß sie uns nicht verrieten. »Es wundert mich, daß man Boten schickt, anstatt einen Funkspruch zu sen den.« Auch dafür hielt ich eine plausible Er klärung bereit. »Funksprüche können abge hört werden. Die Botschaft ist nur für Zwall torg bestimmt, für sonst niemanden.« »Wer ist der Absender?« »Duuhl Larx.« Nachdem ich ihn schon fast überzeugt hatte, war das mein entscheidender Fehler. Ich wußte nicht, warum, aber ich sollte es noch früh genug erfahren. »Du lügst!« stieß der Anführer der Trugen hervor. Plötzlich war die Hölle los. So sehr hatten wir uns in scheinbarer Sicherheit gewiegt, daß wir total überrascht wurden. Ich sah,
Detlev G. Winter wie in unsere Gefangenen Leben kam, wie sie sich herumwarfen und um sich schlugen. Atlan und Kennon reagierten zu spät. Sie wurden von den Beinen gerissen und schlit terten meterweit über den glatten Belag des Hangars. Cultran stieß einen entsetzten Schrei aus. Ich spürte einen mörderischen Schmerz im Gesicht und ging in die Knie. Die Waffe fiel mir aus der Hand. Über mir erschien der massige Körper eines Trugen, der mich hart packte und wieder auf die Beine zerrte. Meinen Freunden erging es eben so. Wehrlos, jeder von uns von zwei Trugen an den Armen festgehalten und von den an deren mit vorgehaltenen Waffen bedroht, wurden wir aus der Schleuse geführt. Ich sah mich nach Cultran um, aber ich konnte ihn nirgends entdecken. Hoffentlich war er klug genug, eine Geschichte zu erfinden, die ihn rehabilitierte. »Ihr werdet es bereuen, uns so zu behan deln«, begehrte Atlan auf. Dem festen Griff seiner Bewacher konnte er sich nicht entzie hen. »Der Neffe wird euch bestrafen.« Niemand reagierte darauf. Fieberhaft überlegte ich, warum sie nach der Erwäh nung des Herrschers über das Rghul-Revier mit einemmal wußten, daß wir die Unwahr heit sprachen. Als sie uns in einen anderen Hangar schleppten und die Rampe zu einem Beiboot hinauftrieben, begann ich zu begrei fen. »Wohin wollt ihr uns bringen?« fragte ich. »Ihr sollt euren Willen bekommen und mit dem Kommandanten unserer Flotte ver handeln«, erklärte der Anführer. »Ihr werdet zur MARSAPIEN übersetzen.« Da wußte ich alles. Die MARSAPIEN mußte jenes riesige Organschiff sein, mit dem Zwalltorg gekommen war. Ich erinnerte mich meiner ihn betreffenden Überlegun gen, die ich vorhin angestellt hatte – und ich war sicher, daß sich noch jemand an Bord befand, den ich kannte.
*
Treffpunkt Atlantis Als Vertrauten hatte er mich ins Maran troner-Revier geschickt, als Gefangener stand ich ihm nun in seinem eigenen Macht bereich gegenüber. Duuhl Larx. Es war mir unklar, warum er seinen Re gierungssitz auf Cagendar verlassen hatte, um sich persönlich um den Problemkomplex Pthor zu kümmern. Auch Atlan und Kennon empfanden seine Anwesenheit als unge wöhnlich, aber sie verbargen ihre Überra schung recht geschickt. Wie immer, war die wirkliche Gestalt des Neffen nicht einmal zu erahnen. Eine Hülle flammender Energie umgab ihn und entzog ihn unseren Blicken. Er erwartete uns in der geräumigen Kommandozentrale der MARS APIEN. Über eine Bildverbindung war er mit Zwalltorg verbunden. Als er erkannte, wen seine Leute als angebliche Verräter vor führten, reagierte er anders, als ich es unbe wußt erwartete. Er schickte die Wächter hin aus. »Razamon«, drang es aus der Energiehül le. »Wie kommst du hierher? Du mußt eine unglaubliche Odyssee hinter dir haben.« Atlan und ich warfen uns verstohlene Blicke zu. Sofort schöpfte ich wieder Hoff nung. Der Neffe schien keinerlei Verdacht zu hegen und mich immer noch für einen treu ergebenen Mitarbeiter zu halten. Es war unsere Chance, und ich zögerte nicht, sie auszunutzen. »Ich habe für deine Sache gekämpft und große Erfolge erzielt«, sagte ich, aber mir war alles andere als wohl in meiner Haut. »Ich hoffe, du honorierst meine Bemühun gen.« Ich erwartete peinliche Fragen über die genauen Umstände meines Wirkens und über die Identität meiner Begleiter, die ich mit schnell erdachten Ausflüchten hätte be antworten müssen und die mich letztlich wahrscheinlich doch als Verräter entlarvt hätten. Aber entweder war Duuhl Larx ein exzellenter Schauspieler – was ihm hinter der Leuchtaura nicht schwerfallen konnte – oder er war von meiner Rückkehr so ange
45 tan, daß er gar nicht auf die Idee kam, Miß trauen zu entwickeln. »So bist du dafür verantwortlich«, sagte er, »daß Pthor ins Rghul-Revier versetzt wurde.« Fast hatte ich den Eindruck, als würde er deshalb dankbare Gefühle entwickeln, und ich sah keinen Grund, ihm zu widerspre chen. Wenn ich ihn in seinem Glauben ließ, konnte es für uns alle nur vorteilhaft sein. »Das ist richtig«, bestätigte ich. Atlans Stirnrunzeln, das andeutete, wie wenig er von meiner verbalen Gratwanderung hielt, für wie gefährlich er sie erachtete, ignorierte ich. Eine Geschichte wollte ich erfinden, die dem Neffen meine vorgebliche Rolle in der Angelegenheit schildern und plausibel ma chen sollte, aber ich kam nicht mehr zu Wort. Zwalltorg mischte sich unvermittelt ein. »Es fällt mir auf«, sagte der Roboter ohne erkennbare Modulation in der Stimme, »daß viele der Wesen, die auf Pthor leben, große anatomische Ähnlichkeiten mit deinen Besu chern aufweisen.« Innerlich erstarrte ich. Wenn Duuhl Larx auf den Hinweis einging, vergrößerte sich abermals die Gefahr, daß wir entlarvt wür den. »Das ist ein interessanter Aspekt«, gab der Neffe zu. »Wie erklärt ihr euch das?« Ich zögerte mit einer Antwort, aber Atlan sprang geistesgegenwärtig für mich in die Bresche. »Im Universum gab es ungezählte Wel ten, auf denen sich intelligentes Leben ent wickelt hat«, sagte er. »Warum sollten sich auf verschiedenen Planeten nicht ähnliche Spezies entwickeln?« Das Argument war einleuchtend und lo gisch, aber dem Neffen schien es nicht aus zureichen. Von Natur aus war er mißtrau isch, und dieser Charakterzug setzte sich nun wieder voll durch. Er wandte sich an Zwalltorg. »Veranlasse bitte, daß ein Abgesandter von Pthor hergebracht wird. Er wird uns sa gen können, ob Razamon und seine Freunde
46 etwas mit dem Dimensionsfahrstuhl zu tun haben.« Ich hatte das Gefühl, als würde sich eine unsichtbare Schlinge um meinen Hals legen, die sich von Minute zu Minute fester zuzog. Wen der Gersa-Predogg auch für die Gegen überstellung auswählen würde, er würde zu mindest Atlan erkennen. Meine Hoffnung, daß es jemand sein könnte, der noch genug Vertrauen in den Arkoniden besaß, daß er ihn nicht entlarvte, stand auf so schwachen Füßen, daß es sich kaum lohnte, sie über haupt in Erwägung zu ziehen. Unsere Aus sichten, Pthor jemals lebend und als freie Menschen betreten zu können, wurden im mer geringer. Wir mußten im Gegenteil da mit rechnen, daß wir auf der Stelle exeku tiert würden, wenn sich unsere wahre Identi tät herausstellte. Atlan, Kennon und ich – wir alle wußten es. Sinnlos war es, darüber auch nur ein Wort zu verlieren oder eine Diskussion zu beginnen. Von trugischen Wächtern wurden wir in Räume geleitet, die trotz ihrer Wohn lichkeit und ihres Komforts nicht darüber hinwegtäuschen konnten, daß sie ein Ge fängnis waren. Duuhl Larx' Maßnahmen wa ren noch von vorsichtiger Zurückhaltung ge prägt. Es würde sich schlagartig ändern, so bald ein Pthorer den unausgesprochenen Verdacht Zwalltorgs bestätigte. Wir sprachen wenig miteinander in diesen Stunden des ängstlichen Wartens. Die Ent scheidung würde fallen – so oder so, und keiner von uns hatte die Möglichkeit, sie zu beeinflussen. Als die Tür aufgestoßen wurde und Sigurd in der Öffnung erschien, blitzte für einen Sekundenbruchteil neue Zuversicht in mir auf. Ich kannte den Sohn Odins als besonnenen und zuverlässigen Mann, der, im Gegensatz zu seinen Brüdern, dem neuen König von Atlantis stets mit einem gewissen Wohlwollen begegnet war. Aber die Über rumpelungstaktik des Neffen überforderte auch ihn. Es war Zufall, daß er mich zuerst erkannte. »Razamon …!« stieß er in echter Überra schung hervor, und ich sah an seinem Ge-
Detlev G. Winter sicht, daß er sich dafür am liebsten die Zun ge aus dem Mund gerissen hätte. Fassungs los stand er da und starrte uns an, wußte wohl nicht, wie er sich weiter verhalten soll te, um die Situation zu entschärfen. Hinter ihm kam Duuhl Larx in den Raum. »Du kennst diese Männer?« fragte er kalt. Ich wußte, daß wir verloren hatten. Es war zwecklos, jetzt, nachdem der Odinssohn mich bereits identifiziert hatte, ein neues Lü gengebäude aufrichten zu wollen. Niemals wäre es von Bestand gewesen. Das erkannte auch Sigurd, und er mußte sich darüber im klaren sein, daß sein Leben keinen Quork mehr wert war, wenn er versuchte, das Of fensichtliche zu verschleiern oder als Irrtum hinzustellen. Hinzu gesellte sich wahr scheinlich die Unsicherheit, welche Rolle mein arkonidischer Freund in dem Drama um Pthor nun wirklich spielte. Er selbst hat te seinerzeit empfohlen, alle Verantwortung auf ihn zu schieben. Nach kurzem Zögern griff Sigurd darauf zurück, und ich konnte es ihm nicht einmal übelnehmen, weil ich si cher war, daß er damit sein Leben und viel leicht auch das seiner Brüder rettete. »Das ist Atlan«, rief er und deutete ankla gend auf den Arkoniden. »Das ist der König von Pthor, der sein Land verraten hat und für alles verantwortlich ist, was sich auf dem Dimensionsfahrstuhl abspielt. Wenn es einen Schuldigen gibt, daß der Kontinent nicht mehr im Sinne des Dunklen Oheims funktioniert, ist er es.« Atlan war aufgesprungen. Sein Gesicht war vor Wut verzerrt. Nur mühsam konnte ich ihn davon zurückhalten, sich auf den Odinssohn zu stürzen. »Wer sind die anderen?« war die nächste Frage des Neffen. »Es sind seine Freunde und Vertrauten.« Atlan wand sich in meinem Griff, ohne damit etwas auszurichten. »Halte dich zurück!« herrschte ich ihn an, während Sigurd den Raum in Duuhl Larx' Begleitung wieder verließ. »Irgendwann wä re es ohnehin herausgekommen. Es war von Anfang an klar, daß wir mit dem Feuer
Treffpunkt Atlantis spielten und unsere Tarnung nicht ewig auf rechterhalten konnten.« »Warum tut er das?« keuchte der Arkoni de, der sich nur allmählich wieder beruhigte. »Du kannst es ihm nicht ankreiden«, ver suchte ich ihn weiter zu besänftigen. »Als er mich sah, hat er sich unbewußt verraten. Er konnte nicht mehr zurück.« Wieder öffnete sich die Tür. Vier Trugen traten ein und bedrohten uns mit vorgehalte nen Waffen. Ich spürte, daß sich Atlan ent spannte, und löste meinen Griff. Er hatte sich mit der neuen Lage abgefunden. Aber mals wurden wir in die Kommandozentrale gebracht, wo uns Duuhl Larx erwartete. Ich begann um unser Leben zu bangen. Es be stand für mich kein Zweifel, wie die weitere Behandlung durch den Neffen aussehen würde. Doch es kam anders. »Du bist also Atlan, der König von Pthor«, hörte ich, während ich im Gesicht die heiße Ausstrahlung der Leuchtaura seit langer Zeit erstmals bewußt wahrnahm. »Sicher hast du auf die Bevölkerungsgrup pen einen nicht geringen Einfluß.« Worauf wollte er hinaus? Noch verstand ich nicht, was er mit der Andeutung bezweckte. Atlans Extrasinn schien einen bedeutend größeren Überblick zu haben, denn er veranlaßte meinen Freund, die Frage zu bejahen. »Und du fühlst dich auch in der Lage, mit den Magiern von Oth zu verhandeln?« »Natürlich.« »Bisher haben meine Leute vergeblich versucht, sie zur Zusammenarbeit zu überre den«, erklärte Duuhl Larx. »Die Gebirgsket te, in der sie sich aufhalten, ist durch einen undurchdringlichen Energieschirm abgerie gelt. Vielleicht könnte es dir gelingen, an sie heranzukommen?« Das hatte ich nicht erwartet. Jede Reakti on hätte ich dem Neffen zugetraut, nicht aber, daß er uns mehr oder weniger offen um Hilfe bat. Das Ansinnen war zumindest ungewöhnlich, wenn er auch sicher sein konnte, daß wir darauf eingehen würden. Es gab keine Alternative.
47 »Wir müßten es schaffen«, sagte Atlan. »Bringt uns nach Pthor, und wir werden ver suchen, die Magier zu erreichen.« Seine Idee war sicher nicht die schlechte ste, aber ich hätte ihm gleich sagen können, daß Duuhl Larx mit solch durchsichtigen Schachzügen nicht beizukommen war. »Wir haben uns mißverstanden, König. Nicht ihr werdet gehen, sondern du allein. Razamon und Kennon bleiben als Rückver sicherung an Bord der MARSAPIEN. Und glaube nicht, daß ich noch länger Gnade üben werde, wenn du versuchst, mich zu hintergehen! Sollte in der Barriere von Oth das geringste geschehen, was nicht in mei nem Sinn ist oder in mir den Verdacht weckt, du könntest abermals falsches Spiel mit mir treiben, werde ich dir die Leichen deiner Freunde hinunterschicken.« Das waren klare Worte, die keinen Zwei fel daran aufkommen ließen, auf welche Weise sich der Neffe gegen mögliche Intri gen Atlans zu versichern gedachte. Für den Arkoniden mußte es ein kaum zu bewälti gendes Dilemma sein. Er durfte nicht im Ernst damit rechnen, daß die Magier seinet wegen ihren Schutzschirm abbauen würden. Und er stand vor der nahezu unlösbaren Aufgabe, zugleich Kennon und mir und sei nen Freunden auf Pthor zu helfen. Ich sah ihm den inneren Zwiespalt an, als er, von zwei Trugen begleitet, in einen Bei boothangar geführt wurde. Viel Zuversicht hatte er nicht mehr. Er konnte einfach nicht erfolgreich sein. Kennon bedrückte dies weniger als mich. Auch für ihn war die Vorstellung, daß der Arkonide machtlos vor der Energiebarriere der Magier stehen würde, nicht angenehm, aber sie schob sein persönliches Problem immerhin wieder um mehrere Tage auf. Er sah zwar dem Tod ins Auge, doch er konnte auch beruhigt sein, daß er in nächster Zeit nicht in die Verlegenheit kommen würde, Pthor betreten zu müssen und damit einen neuen Konflikt mit seinem Widersacher Grizzard heraufzubeschwören. Für mich stellte sich die Lage anders dar.
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Detlev G. Winter
Ich litt mit meinem Freund, der, um unser Leben zu retten, nach Atlantis aufbrach und das Unmögliche wahr zu machen versuchte. Ich ahnte, daß er scheitern würde – und das Warten wurde zur Qual.
7. »Warum machst du dir Vorwürfe?« pol terte Heimdall in seiner rauhen Art. »Er hat es nicht anders verdient.« Sigurd sah ihn an, als könnte er nicht be greifen, daß es sein ältester Bruder war, mit dem er sprach. Er hatte geglaubt, mit seiner Nachricht über die Rückkehr Atlans Freude oder zumindest zuversichtliche Gedanken auszulösen und zugleich Trost dafür zu fin den, daß er den König ungewollt verraten hatte. Das Gegenteil war der Fall. Insbeson dere Heimdall schien über Atlans mißliche Lage Genugtuung zu empfinden. »Du wärst sogar fähig gewesen, ihn vor sätzlich in Schwierigkeiten zu bringen«, warf Sigurd ihm vor. »Hast du vergessen, was er für unser Land getan hat?« »O nein, ich habe es nicht vergessen«, grollte Heimdall düster. »Als wir ihn am dringendsten brauchten, ist er geflohen und hat uns im Stich gelassen. Warum sollten wir ihn unterstützen, wenn er nun selbst in Schwierigkeiten steckt!« »Du bist unbelehrbar.« Von Beginn an war Sigurd nicht mit der Art einverstanden gewesen, wie seine Brü der den König von Atlantis als Verräter dif famiert hatten. Keine Gelegenheit hatten sie ausgelassen, ihn bei den verschiedenen Völ kergruppen unbeliebt zu machen. Nur um seiner und des Dimensionsfahrstuhls Sicher heit willen hatte Sigurd dabei schließlich mitgespielt – ohne Überzeugung und mit keineswegs reinem Gewissen. »Wann wirst du endlich einsehen, daß At lan es ehrlich meinte? Beweist das nicht schon die Tatsache, daß er jetzt wieder auf getaucht ist?« »Es beweist nichts! Er befindet sich an Bord des Flaggschiffs des Neffen, und der
Neffe bedroht unsere Sicherheit mit einhun dertsechsundzwanzig Einheiten! Das ist es, was ich sehe und wonach ich mir meine Meinung bilde.« »Wir sollten Atlans Auftauchen geheim halten«, warf Balduur ein. »Solange wir uns selbst nicht einig sind, was wir von ihm zu halten haben, dürfen wir nicht riskieren, daß andere von seiner Anwesenheit erfahren. Der Streit zwischen uns könnte in größerem Ausmaß unter den übrigen Pthorern ausbre chen.« »Wir streiten nicht«, behauptete Heimdall gelassen. »Wir führen eine Diskussion.« »Wortklauberei«, urteilte Sigurd. »Wir sollten auch nicht vergessen, daß es nicht al lein um den König geht. Razamon und der Stumme befinden sich ebenfalls auf der MARSAPIEN. Vielleicht ist sogar Thalia bei ihnen, und über deren Einstellung dürf ten wohl keine Zweifel bestehen.« »Thalia kannst du vergessen«, brummte Heimdall. »Sie hat uns ebenso verraten wie Atlan.« Hätte er gewußt, daß seine Schwester im Kampf um die Freiheit der Schwarzen Gala xis ihr Leben geopfert hatte, wäre sein Urteil wahrscheinlich anders ausgefallen. Er kam jedoch nicht mehr dazu, darüber nachzuden ken, warum Thalia nicht unter den Gefange nen gewesen war, die Sigurd gesehen hatte, denn während er sprach, öffnete sich die Tür. Abram Lexis, der Orxeyaner, betrat zö gernd den Raum. »Was willst du?« schrie Heimdall unge halten. »Wir sind in einer vertraulichen Be sprechung. Scher dich hinaus!« Der Bartlose verzichtete auf eine Entgeg nung. Brüsk wandte er sich um und ließ die Söhne Odins allein. Zitternd stand er im Korridor. Er war hergekommen, um mit je mandem zu reden, dem er vertraute und von dem er erwartete, daß er ihm bei der Bewäl tigung seiner Probleme half. Sigurd wäre ein solcher Mann gewesen. Die Abfuhr, die er erhielt, traf ihn in den Tiefen seiner Seele – aber er hatte etwas aufgeschnappt, was ihn sogleich wieder Hoffnung schöpfen ließ.
Treffpunkt Atlantis
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Lange streifte er durch die FESTUNG und durch den Park, nur von einem Gedanken getrieben, der ihn nicht mehr loslassen woll te. Er beachtete niemanden. Nach einer be stimmten Person hielt er Ausschau. In der Nähe eines startbereiten Zugors spürte er den Lenker der Porquetor-Rüstung endlich auf. »Was hast du vor?« fragte er. »Ich werde die Suche nach meinem ärg sten Feind wieder aufnehmen«, antwortete Grizzard. »Er kann sich nicht ewig vor mir verstecken.« Abram erkannte die Gelegenheit, auf die er gewartet und die er herbeigesehnt hatte, und er griff nach ihr wie ein Ertrinkender nach einem Strohhalm. »Ich habe zufällig erfahren, wo Kennon sich verbirgt«, sagte er. Die Rüstung wirbelte herum. Abram fühl te sich von den biegsamen Armen gepackt. »Wo? Wo ist er?« »Er befindet sich an Bord der MARSAPI EN, im Orbit um Pthor. Ich könnte dir hel fen, an ihn heranzukommen.« »Das ist mir zu unsicher«, lehnte Grizzard ab. »Du bist sehr ängstlich, und ich weiß, wie dir die Ausstrahlung der Schwarzen Ga laxis zusetzt, sobald du außerhalb des Wölb mantels bist. Ich werde es ohne dich in An griff nehmen.« Innerlich verzweifelte Abram. Was sich in den vergangenen Tagen angedeutet hatte, brach jetzt vollends durch. Niemand wollte etwas mit ihm zu tun haben, niemand ging auf ihn ein oder zollte ihm mehr als eine un verbindliche Geste des Grußes. Alle wand ten sich von ihm ab. Schweigend und mit zunehmender Verbit terung sah er Grizzard nach, der zu einer Gruppe Trugen eilte. Offensichtlich wollte er sie überreden, ihn zur MARSAPIEN zu
bringen. Daß er keinen Erfolg damit hatte, war für den Orxeyaner unerheblich. Dort ging seine letzte Chance, seinen seelischen Zustand und die Bedeutung seines Daseins aufzuwerten. Visionäre Bilder zogen an ihm vorbei, phantomhaft und diffus. Orxeya und der grausame Tod seiner Lieben. Die Schwarze Galaxis. Zwalltorg. Es gab keinen Ausweg. Die Kammer aus Düsternis und Einsamkeit schloß sich um ihn und stürzte ihn in die bo denlose Schwärze der psychischen Wirrnis. Sie glaubten, daß er keinen Mut hatte, daß er ein Feigling war, aber er würde ihnen bewei sen, daß sie sich täuschten! Er handelte unbewußt, als er in den Zugor kletterte und ihn heftig beschleunigte. Griz zard, der Park, die Beiboote, die FESTUNG – alles fiel unter ihm zurück und verdichtete sich zu unbedeutender Winzigkeit. Sorglos zu sein und alles über Bord zu werfen, was ihn quälte und innerlich frieren ließ – das war die Lösung! Er stoppte den Flug und beugte sich über den Rand des Zugors. Das Land, viele hundert Meter unter ihm, wirkte friedlich aus dieser Perspektive. Für einen Pulsschlag im Kreislauf der Zeit würde er den Frieden stören. Er würde Beachtung fin den und allen zeigen, daß er genug Kraft be saß, die eigene jämmerliche Existenz auszu löschen. Eine letzte Hemmung wollte ihn zurück halten, wollte aufbegehren und ihn zur Ver nunft bringen. Aber der zerstörerische Im puls in ihm war stärker, drängender. Eine unwiderstehliche Macht trieb ihn und zwang ihn, zu handeln. Es war die Macht, die allem Sein in dieser Galaxis innewohnte. Er sprang.
ENDE
Weiter geht es in Atlan Band 440 von König von Atlantis mit: Der Schwarzschock von Marianne Sydow