Alexander Calhoun
Treffpunkt roter Wölfe Apache Cochise Band Nr. 10
Prolog Als die weißen Amerikaner Mitte des 19. J...
11 downloads
524 Views
713KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Alexander Calhoun
Treffpunkt roter Wölfe Apache Cochise Band Nr. 10
Prolog Als die weißen Amerikaner Mitte des 19. Jahrhunderts den Südwesten der USA zu besiedeln begannen, stießen sie auf ein indianisches Volk, das bereits die Spanier und Mexikaner hatte teuer dafür bezahlen lassen, daß sie unbefugt in ihre Jagdgründe eingedrungen waren. Die etwa ein Dutzend umfassenden Apachen-Gruppen und Großsippen, am gefürchtetsten die Chiricahua-Apachen, widersetzten sich der Niederwerfung durch die Weißen mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln. Sie überfielen zunächst Postkutschen, Frachtwagenzüge, Armeepatrouillen, Farmen, abseits gelegene Ranches und kehrten anschließend wieder zu ihren Stützpunkten in den Bergen zurück, den sogenannten »Apacherias«, die bei den Weißen der damaligen Zeit als uneinnehmbar galten. Der Widerstand flammte zum blutigsten und grausamsten Grenzkrieg der Indianergeschichte auf, als Cochise von Mangas Colorados die Führung der Stämme übernahm. Cochises Weitblick ließ ihn letztlich erkennen, daß der Untergang der roten Rasse eine von den Weißen beschlossene Sache war, die Anspruch erhoben auf alles Land zwischen den Dragoon Mountains im Südosten, dem Mogollon-Rim im Westen und der Gran Desierto im Süden. Cochises Chiricahuas, die Kerntruppe seiner Streitmacht, blieb im Angesicht der unaufhaltsamen Flut weißer Siedler, Goldgräber und Desperados nur noch eine Devise: Raube, ohne erwischt zu werden, töte, ohne getötet zu werden. Ein Kampf ohne Erbarmen entflammte in den Canyons, Tälern und Wüsten. Ein Kampf, dessen Schilderung in dieser Serie nicht die ganze Brutalität wiedergeben kann, wie sie uns die Geschichte überliefert hat.
1871 gelang es Cochise, die meisten Stämme der Apachen zu einer einzigen Widerstandsfront gegen die Eindringlinge aus Nord und Süd, Weiße und Mexikaner, zu vereinen. Die blutigsten Massaker auf beiden Seiten waren die Folge. Auf ihren flinken Ponys überfielen die Krieger in kleinen Gruppen Wagenzüge und Posthaltereien im Norden, um am nächsten Tag schon Farmer und Goldgräber im Süden oder eine Patrouille der Army im Westen anzugreifen. Militär und Siedler waren macht- und hilflos und ohne eine Möglichkeit gezielten Widerstandes den ständigen Apachenangriffen ausgesetzt. Wenn 1870 General Sherman nach Washington schrieb: »Wir führten einen Krieg gegen Mexiko, um Arizona zu bekommen, wir sollten jetzt einen Krieg führen, um dieses Land wieder loszuwerden«, so kennzeichnen diese Worte die verzweifelte Hilflosigkeit des Militärs. Diese nach authentischen Überlieferungen verfaßte Serie soll dem größten aller indianischen Führer ein Denkmal setzen: Cochise. Dem Wirken dieses Mannes und seinem Weitblick für politische Veränderungen ist es zu verdanken, daß diese Story mit ihrer ganzen Dramatik wahrheitsnah niedergeschrieben werden kann. Unsere Autoren fühlen sich verpflichtet, neben der Herausstellung der abenteuerlichen Charaktere, die in jener Zeit Geschichte machten, auch der historischen Wahrheit die Ehre zu geben. Nichts soll verschwiegen, nichts hinzugefügt oder entstellt werden. Ihr Martin Kelter Verlag
*** Das gewaltige Gebirge im Hintergrund ließ den Reiter und sein Pferd winzig klein erscheinen. Wie gigantische Stufen führten natürliche Terrassen nach oben, immer höher hinauf, wo die tief eingeschnittenen Canyons in eine zerklüftete Landschaft übergingen, in der sich nur die Apachen zurechtfanden. Wenn der einsame Reiter auf seiner Flucht nach Tombstone einen Blick über die Schulter warf, erfaßte er die gesamten Chiricahua Mountains mit einem einzigen Blick. Die unerforschte und vermutlich unpassierbare Bergwildnis löste ein kaltes Grausen in ihm aus. Vor ihr aber befand er sich nicht auf der Flucht, sondern vor den Tontos, die ihn und seine Outlaws in dem »Gold-Canyon« angegriffen und seine Männer vernichtet hatten. Claude Atkins drehte sich eine Zigarette, brannte sie sich an und machte einen tiefen Zug, wobei ihm der Tabakrauch aus dem Mund und Nase quoll. Das Land ringsum bedrückte ihn, wirkte unheimlich. Atkins schob die Zigarette von einem Mundwinkel in den anderen, während er in die Runde spähte. In Tombstone, südlich der Dragoon Mountains gelegen, hoffte er Gefährten zu finden, die sich auf der Suche nach der vermeintlichen Goldmine beteiligten. Er glaubte fest an das Gold, ohne es bisher gesehen zu haben. Müde klapperte sein Pferd über den steinigen Boden. Der Revolvermann richtete den Blick auf eine Gruppe von Föhren, etwa 300 Yards seitlich von ihm. Die Bäume schwankten im Wind. Die helle Nachmittagssonne zeichnete glitzernde Lichtungen zwischen das dunkle Grün und Braun der Bäume. Dazwischen blitzte es so kurz auf, daß der Reiter nicht sicher war, überhaupt
etwas gesehen zu haben. Ein Bussard strich von der Baumgruppe ab, wollte zurückkehren, wich jedoch dem Gehölz aus und flog davon. Atkins parierte sein Pferd, bedeckte die Augen mit der Hand und betrachtete jeden Baum, jeden Schatten dazwischen. Irgend jemand war dort drüben. Apachen? Atkins hatte keine Ahnung. Ein Weißer hätte sich einem anderen Weißen gegenüber bemerkbar gemacht, ihm zugerufen und gewinkt. Aber dort drüben rührte sich nichts. Der Outlaw lockerte den Revolver im Halfter, stieg aus dem Sattel und beschwerte die Zügel mit einem Felsbrocken. Mit gezogener Waffe schlich er geduckt auf die Baumgruppe zu. Etwa zehn Yards davor blieb der Bandit gebückt stehen und spannte den Hahn. Es war still bei den Bäumen, zu still. Atkins wurde mißtrauisch. Sein Gehirn arbeitete fieberhaft. Ein paar Zweige des Unterholzes bewegten sich. Atkins wich nicht von der Stelle, nahm nur den gespannten Revolver hoch. Den Bruchteil einer Sekunde lang glaubte er eine Gestalt vor sich zu erkennen. Als sie aber verschwand und unsichtbar blieb, hielt er es für eine Sinnestäuschung. Er mußte Wasser haben, und das dringend. Ohne Wasser waren er und sein Pferd in der Wüste zwischen den Chiricahua Mountains und den südlichen Dragoons verloren. Noch rund 40 Meilen bis Tombstone, aber ohne Wasser und ausreichenden Proviant nicht auszudenken. Atkins zuckte zusammen. Die Bewegung im Unterholz zwischen den Bäumen war unverkennbar und wurde zweifellos von einem Menschen ausgelöst. Indianer oder Weißer, der Outlaw verlor die Geduld. Mit lauter Stimme rief er: »Wer ist dort drüben? Kommen Sie raus und zeigen sich!« Keine Antwort. »Wenn Sie nicht sofort rauskommen, feuere ich meine Trommel leer!« »Schade ums Blei, Hombre!«
Eine Gestalt trat hervor, und zwar so spontan, daß Claude Atkins unwillkürlich einen Schritt zurückwich. Der Mann kam näher. Auf den ersten Blick wirkte er abgerissen wie ein Tramp, auf den zweiten verwahrlost. Ein wochenalter rötlicher Bart bedeckte sein Gesicht. Aus diesem Bart ragte eine Nase wie ein Zacken hervor. Dazu schmale Lippen, die sich ständig bewegten. »Wer bist du, Freundchen?« »Gus Kilkenny. Und du?« »Claude Atkins.« »Der Gunslinger, Spieler und…« »Und?« Kilkenny zuckte mit den Achseln. »Nicht so wichtig. Ich bin auf der Flucht vor den Sternschleppern.« »Ich bin ebenfalls auf der Flucht, aber nicht vor dem Gesetz. Hinter mir sind ein paar Tontos her.« »Alle Wetter! Wirklich Tontos?« »Ja. Hast du Wasser, Hombre?« »Hast du Essen? Mein Magen grollt wie der eines hungrigen Wolfes.« »Okay, lassen wir uns bei Wasser und einem mageren Essen die Sache besprechen«, sagte Atkins und ließ den Revolver ins Halfter gleiten. Er ging zu seinem Pferd, rollte den Felsbrocken von den Zügeln und führte das Tier zwischen die Föhren. Es war kühl unter den Bäumen. Kilkenny ging tiefer in das Unterholz hinein und kam mit einem abgetriebenen Falben zurück. Atkins musterte den Mann, sein Äußeres, das Pferd und die Ausrüstung. Alles wirkte armselig. »Könnte besseres Futter vertragen«, sagte er leichthin. »Ich will nach Tombstone«, sagte der Fremde krächzend. »Und du?« Atkins nickte. »Essen wir und trinken ein paar Schlucke,
dabei werden wir reden.« »Feuer?« Claude Atkins schüttelte den Kopf. »Zu gefährlich. Sie riechen es auf Meilen. In Tombstone kannst du dich mit Kaffee vollaufen lassen. Kriegen die Pferde auch was?« »Ja, es wird reichen. Aber morgen müssen wir auf Wasser stoßen. Weißt du in dieser Gegend Bescheid?« »Bis hinunter zum Camino del Diablo. Wasser ist rar.« Die beiden Männer packten ihre Vorräte aus und legten die Satteltaschen auf eine ausgebreitete Decke. Atkins brach Brot und schnitt Speck in Streifen. »Kalt schmeckt es auch.« Kilkenny ging mit einem Schlauch zu den Pferden. Er nahm seinen verschwitzten Stetson ab und schüttete Wasser hinein. Jedes Tier bekam eine volle Hutkrone. Als er sich setzte, warf er einen prüfenden Blick auf Atkins. Er hatte im Osten von diesem Revolvermann und Spieler gehört, nichts Gutes, aber das wäre ihm in seiner jetzigen Situation auch nicht willkommen gewesen. Strauchritter unter sich hielten immer zusammen. »Das Gesetz verfolgt dich, hast du gesagt. Wer?« »Ein US-Marshal. Er nennt sich Drew Marley. Ein rauher Halunke, dem keine Spur entgeht.« »Was hast du ausgefressen? Bankraub?« »Ja. Leider ist der Clerk dabei gestorben.« »An Bleivergiftung, wie?« Atkins grinste anzüglich. »Nun ja, wir sind aus dem gleichen Holz, schätze ich. Suchst du Anschluß?« »Ich bin völlig abgebrannt, da bleibt mir nichts anderes übrig.« »Wo blieb die Beute vom letzten Bankraub?« »Hat mir Marley abgejagt. Der Bastard überraschte mich während der Nacht. Ich mußte türmen. Hast du Tabak?«
Atkins reichte ihm den Beutel und braunes Zigarettenpapier. »Macht nichts«, sagte er. »Ich habe noch ein paar Dollar. In Tombstone können wir uns völlig neu ausrüsten.« »Mag sein«, sagte Kilkenny. »Erzähle mir erst ein bißchen von dem, was du vorhast. Es könnte sein, daß ich damit nicht einverstanden bin.« Claude Atkins hatte sich im Sitzen zurückgelehnt, aber seine grauen Augen starrten Kilkenny durchdringend an. »Wetten, daß du mit meinem Vorschlag einverstanden bist? Um die Sache auszuführen, brauchen wir noch ein paar gute Leute, die mit 'ner Kanone umgehen können.« »In Tombstone kein Mangel«, bemerkte Kilkenny trocken. »Um was geht's?« »Gold.« Gus Kilkenny zuckte zusammen. »Viel Gold?« fragte er lauernd. »Wahrscheinlich sehr viel«, erwiderte Atkins. »Eine Mine, deren Lage nur ich kenne.« Gus Kilkenny beugte sich etwas vor. »Darüber wirst du mir schon etwas mehr erzählen müssen, Compadre. Gold ist nicht immer gleichzusetzen mit Gold. Es gibt da ein paar Idioten, die jagen ihr ganzes Leben lang dem gelben Metall nach, ohne es je zu Gesicht zu bekommen.« »In diesem Fall ist das anders. Es wurde bei einem Erdrutsch verdeckt. Mir macht nur eins Sorge: Es liegt mitten im Apachengebiet.« »Mist!« Kilkenny spuckte zur Seite. »Womöglich in Cochises Machtbereich, wie?« »So ungefähr. Deswegen brauchen wir noch ein paar tüchtige Leute.« Kilkenny massierte sein Kinn und blickte zum Himmel. »Bleiben wir heute nacht hier? Es wird bald dunkel werden.« Atkins drehte sich eine weitere Zigarette und zündete sie an. »Es gibt keinen besseren Ort, an dem wir uns verbergen können.
Ja, wir bleiben. Morgen abend sind wir in Tombstone und können nachholen, was wir versäumt haben.« * Die Sonne über der Gran Desierto schien den ausgeglühten Sand schmelzen zu wollen. Durch diese Trockenwüste, in der nicht ein einziger Tropfen Wasser zu finden war, zog ein langer Zug von Soldaten, begleitet von zahlreichen Wagen, hochbeladen mit Ausrüstung, Waffen und Munition. Angeführt wurde die kleine Armee von Captain Thomas Roberts, California Volunteers. Ihr Ziel war das Grenzgebiet zwischen Arizona und Neu Mexiko. Unermüdlich ritt Roberts die weit auseinandergezogene Front der Truppe ab. Müde schleppten sich Soldaten, Mulis und Pferde durch den knöchelhohen Sand, stets darauf bedacht, den Anschluß nicht zu verlieren. Lieutenant Hegemann, verschwitzt, staubig, hungrig und durstig, grüßte Roberts, der heranritt und sein Pferd neben dem des Lieutenants traben ließ. »Ein verdammt heißer Tag, Sir. Ich frage mich, wie lange das unsere Tiere noch durchhalten.« »In drei Stunden bricht die Abenddämmerung herein, dann wird es kühler.« »Wie lange ist's noch bis zum Paß, Sir?« »Wenn die Karten stimmen, noch etwas mehr als eine Woche. Sobald wir in das Gebirge eindringen, wird's für uns gefährlich.« Der blonde Hegemann nickte. Über dieses Land, dem sie zustrebten, hatte er viel gehört. Es war wild und grausam, für Weiße absolut tödlich. Von hinten näherte sich Lieutenant Bulwer, ein junger Mann von 20 Jahren, der den Troß anführte. Er gesellte sich zu den beiden Offizieren. Bulwer war schweigsam und mürrisch. Die
Hitze behagte ihm nicht, die flache, von der Sonne ausgeglühte Gegend noch weniger. »Den hat wohl eine Laus gebissen«, bemerkte Hegemann sarkastisch und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Die beiden Offiziere folgten mit ihren Blicken dem ausgestreckten Arm Hegemanns. Ein Flankenposten kam im Galopp herangeritten, zügelte sein Pferd vor den Offizieren und grüßte militärisch. »Sir«, wandte er sich an Captain Roberts, »wir werden von Indianern beobachtet. Sie folgen uns schon den ganzen Tag.« Roberts tippte an seine Feldmütze. »Wie viele sind es? Konnten Sie sie zählen, Jamison?« »Fünf oder sechs, Sir.« »Wir betraten Apachenland, meine Herren«, wandte sich Roberts an die Offiziere. »Von nun an heißt es, noch besser aufpassen. Patrouillen in alle Richtungen, jede Stunde Meldung über die Bewegungen der Indianer.« »Sehr wohl, Sir«, sagte Hegemann und ließ seinen Blick an der auseinandergezogenen Schlange von Blauhemden entlanggleiten. Die Spitze drang gerade in ein Hügelgewirr ein, dann in einen gewundenen Canyon. »Es wird gut sein, die Truppe aufschließen zu lassen. Wenn die Spitze angegriffen wird, kommen wir zu spät.« Captain Roberts nickte. »Jamison, reiten Sie nach vorn und melden Sie Sergeant Bass, er möge Lager beziehen. Kein Feuer. Verstanden?« Jamison grüßte und galoppierte auf seinem Pferd davon. »Ein höllischer Trail«, murrte Lieutenant Bulwer, während er die Felsformationen betrachtete. »Und jetzt noch Indianer. Als wenn wir nicht genug mit der Hitze und dem Staub zu tun hätten.« Sie näherten sich einer flachen Bergkette. An den Hängen wuchsen verkrüppelte Kiefern und Korkeichen. Alles wirkte trostlos, braun und öde. Ab und zu wurde die Stille vom
Schnauben eines Pferdes oder dem Quietschen einer ungeschmierten Achse unterbrochen. Captain Roberts wandte den Kopf, sah die grauen Gestalten auf einer Hügelkuppe, bedeckte die Augen mit der Hand und musterte die Indianer. Nach einer Weile zog er sein Glas aus dem Futteral und stellte es ein. Deutlich sah er die finsteren, grimmigen Gesichter mit den weißen und roten Stirnbändern und der Kriegsbemalung. Roberts hatte keine Erfahrung mit Apachen. Sein Auftrag sah auch nicht vor, mit den Apachen Krieg zu führen. General James Carleton wollte etwas ganz anderes erreichen und hatte Roberts klare Befehle erteilt. Über Fort Buchanan, dem Apache-Paß, Fort Bowie im Nordosten sollte die Truppe auf dem schnellsten Weg Neu Mexiko erreichen, um den Vorstoß der Konföderierten nach Südwesten zu stoppen. Noch einmal musterte Captain Roberts die Apachen auf dem Hügel. Das scharfe deutsche Fernglas erfaßte jede Einzelheit, als stünden die Indianer unmittelbar vor Roberts. Langsam setzte er das Glas ab. »Gentlemen, das gilt uns. Apachen. Mich soll der Teufel holen, wenn das keine Chiricahuas sind!« Im gleichen Augenblick erschien auf einem ausgedehnten Nachbarhügel ein zweiter Trupp Apachen. »Sie beobachten uns«, sagte Hegemann zu Lieutenant Bulwer. »Das hat nichts Gutes zu bedeuten.« »Es ist noch lange nicht erwiesen, daß es sich um Cochises Krieger handelt«, entgegnete Bulwer. In den nächsten Sekunden strafte ihn ein grandioses Naturschauspiel in Verbindung mit dem Erscheinen eines einzelnen Indianers Lügen. Die gewaltige Kupferscheibe der Sonne versank hinter einem Hügeltal und tauchte die Landschaft in ein blutrotes Meer apokalyptischen Feuers. In diesem Feuer stand wie hingezaubert eine Gestalt. Captain
Roberts hatte Mühe, in dieser wogenden Glut etwas zu sehen und stellte die Justierschraube seines Glases nach. Der Mann hoch oben auf dem Hügel breitete die Arme aus, ballte die Rechte zur Faust, streckte sie den Soldaten entgegen und ließ die flache Hand in Richtung Westen schnellen. »Allmächtiger, er meint uns!« »Was sehen Sie, Sir? Meinen Sie den Indianer dort oben?« Roberts setzte das Glas ab und wandte sich an Lieutenant Bulwer: »Er hat uns gemeint. Er befahl uns mit einer Geste, umzukehren. Dieser Indianer will nicht, daß wir weiter in sein Land vordringen. Wer ist er, daß er es wagt, der Armee Befehle zu erteilen?« »Cochise, Sir«, gab Hegemann zur Antwort. Ihm war es mulmig zumute. Captain Roberts zuckte zusammen. »Woher wissen Sie das? Kennen Sie ihn, Hegemann?« »Nein, Sir. Leihen Sie mir bitte Ihr Glas?« Roberts gab es ihm. Hegemann stellte es auf die Hügelformation ein und ++ sah nichts mehr. Die Rothaut war verschwunden. Im selben Moment brannte das glühende Inferno des Sonnenuntergangs aus. Es wurde grau und dunkel. Schatten krochen wie Schlangen von den Hügeln herab in die versteinerten Täler. Alle hatten sie den Indianer auf dem Hügel gesehen. Der lange Zug der Soldaten war ins Stocken geraten. Die auseinandergezogene Front weißer Gesichter starrte zu den Hügeln hinüber und ließ keinen Blick von der felsigen Kuppe. Roberts schaute wieder durch das Glas, konnte aber nichts mehr sehen. Die Dunkelheit kam schnell und erinnerte den Offizier an seine Pflichten. »Bulwer, Hegemann, bringen Sie die Kolonne wieder auf den Marsch! Los, Beeilung, wir haben keine Sekunde zu verlieren!« War es Panik, was in der dunklen Stimme des Offiziers
mitschwang? War Captain Roberts von der imponierenden Gestalt des Indianers so beeindruckt worden, daß er die militärisch anerzogene Fassung verlor? Während er sein abgetriebenes Pferd mit den Absätzen antrieb, behielt er ständig die Hügelkette im Auge. Ein Tal tat sich vor den Blauröcken auf. Die Spitze war bereits abgesessen und hatte Biwak bezogen. Der Troß rückte nach und fuhr zu einer Wagenburg auf. Lieutenant Bulwer kam Roberts entgegen. »Sir, den Männern würde ein warmes Essen und Kaffee sicher guttun. Ist es erlaubt?« Roberts widerrief seinen früheren Befehl. Er nickte und sagte: »Kleine Kochfeuer, rauchlos und verdeckt. Während der Nacht unterhalten wir ein Wachfeuer. Sonst noch etwas, Lieutenant?« Der schüttelte den Kopf, bedankte sich und verschwand. * Der Indianer schlich lautlos durch die Dunkelheit. Ab und zu drehte er sich um und blickte zu den Hügeltälern zurück. Vorsichtig und nahezu geräuschlos arbeitete er sich durch das dichte Gestrüpp bis hinter den Doppelposten. Der Duft von frisch aufgebrühtem Kaffee schlug ihm entgegen. Das erinnerte den Indianer daran, daß er den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte. Fest an den Boden gepreßt, blieb der Apache unter den verfilzten Stachelzweigen des Dickichts liegen. Er beobachtete. Die beiden Posten in seiner Nachbarschaft unterhielten sich leise. Der Apache schien die englische Sprache zu verstehen. Angestrengt lauschte er. »Glaubst du, die Rothäute folgen uns?« »Klar, Will. Du hättest das Gesicht des Alten sehen sollen, als
der einzelne Indianer dort oben auftauchte, umgeben von Flammen…« »Na, na, Richard, nicht übertreiben.« »Es sah aber so aus. Oder willst du das bestreiten?« »Nein, aber es sah nur so… Still, jemand kommt!« Die beiden Soldaten schulterten ihre Gewehre und bewegten sich in die Richtung der Geräusche. Ein Feldwebel erschien. Will machte Meldung. »Auf Wache keine besonderen Vorkommnisse, Sergeant.« »Nichts gesehen?« »Nein, Sergeant, nichts.« »Okay, in einer Stunde werdet ihr abgelöst.« Die Störung benutzte der Indianer, sich wieder zurückzuziehen. Er hatte genug gesehen und gehört. Wie eine schleichende Großkatze glitt er in ein Hügeltal und verlor sich dort in den Schatten. In seinem gleitenden Gang durcheilte er mehrere Täler und stieß schließlich auf eine wartende Indianergruppe. Dunkle Augen sahen ihm erwartungsvoll entgegen. Ein jüngerer Indianer, die Santillodecke lose über die Schulter geworfen, trat auf ihn zu. Die Ähnlichkeit zwischen den beiden war unverkennbar. Beide, groß und breitschultrig, trugen die leichte Wüstenkleidung der Apachen und hochschäftige Mokassins. »Greifen wir sie an, Vater?« fragte der kaum zwanzigjährige junge Indianer. »Nein, sie sind zu viele. Ich muß erst wissen, wohin sie ziehen und was sie in unserem Land wollen.« Eine andere Rothaut, etwa von gleicher Statur wie die beiden trat mit verächtlicher Miene einen Schritt vor. Seine Linke hielt die Zügel seines Pferdes, die rechte Hand legte sich um den Messergriff im Gürtel. »Ist Cochise plötzlich ängstlich geworden? Noch vor Monden zählte er die Feinde nicht, die er vernichtete. Es spielt keine
Rolle, was sie vorhaben, sie sind auf unserem Land. Zastee, töte!« »Zastee!« murmelte die Gruppe von ungefähr zehn Apachen. Cochise reagierte nicht auf die Worte des Kriegers. Er wandte sich an Naiche. »Die Langmesser werden beobachtet, bis wir wissen, wohin sie ziehen. Ich will alles über sie erfahren, auch die Dinge, die einem roten Krieger unwesentlich erscheinen. Ist Naiche mit der Anordnung einverstanden?« Der junge Indianer richtete sein scharfgeschnittenes Gesicht mit der kühnen Adlernase auf den Jefe und nickte verhalten. »Wie immer, Koh Cheez.« Ein Pferd wieherte leise im Hintergrund. Ein fremdes Pferd. Die Rotte der Apachen verschwand wie ein Spuk. Von einer Sekunde zur anderen war der Platz leer. Selbst die Ponys waren verschwunden. Still lag das Tal unter den ersten aufglimmenden Sternen. Um eine Formation aufeinandergetürmter Felsen glitt eine nur schemenhaft wirkende Gestalt in das weite Hügelgelände. Das blanke Messer in der Faust Cochises glitzerte. Hinter ihm folgte Naiche. Ein zweites Wiehern wies ihnen den Weg. Plötzlich rochen sie Rauch. Eine Senke lag vor ihnen. An einer windgeschützten Stelle, hinter verfilztem Gestrüpp, brannte ein winziges Feuer. Ein Weißer briet Fleisch über den Flammen. Ein Stück weiter stand das Pferd des Fremden und äugte zum Feuer. »Du hast dein Abendessen bekommen, Hurricane, gönne mir meins. Sei ruhig!« Als der Mann sich etwas drehte, um Feuerholz nachzuschieben, sahen die beiden Apachen den Stern auf seiner Brust. Sie wußten, was dieses glänzende gezackte Metall zu bedeuten hatte. Naiche warf Cochise einen fragenden Blick zu, aber der
Häuptling schüttelte den Kopf Um so überraschter war er, als der Weiße das Wort an ihn, den unsichtbaren Lauscher, richtete: »Wenn ihr Hunger habt, kommt her. Es ist genug da.« Über Cochises strenges Gesicht flog der Ansatz eines verwirrten Lächelns. Er nickte, und Naiche folgte ihm. Der Fremde am Feuer sah kaum auf, als plötzlich zwei Indianer vor ihm erschienen, wie aus dem Boden gewachsen. »Wer bist du, Bleichgesicht?« »US-Marshal Drew Marley. Ich verfolge einen Verbrecher. Und du?« Naiche ergriff das Wort. »Dies ist Cochise, der Chief aller Apachen. Ich bin Naiche, sein Sohn.« Jetzt war es doch um die Fassung des Marshals geschehen. Er zuckte zusammen und blickte hoch. Was er sah, lähmte ihn vorübergehend. Die majestätische Gestalt des Häuptlings verlor durch die armselige Calikokleidung nicht an faszinierender Wirkung. Hochaufgerichtet stand er vor dem Feuer, jeder Zoll ein König, ein Führer seines Volkes, das zu den grausamsten dieses Territoriums zählte. Cochises Augen blitzten. Als er die Hand hob, um das aufgewühlte Gemüt des Weißen zu beschwichtigen, schien selbst der leise raunende Wind vor Ehrfurcht einzuschlafen. »Cochise?« murmelte der Marshal und sprang auf die Beine. Und noch einmal: »Cochise.« Der Häuptling wußte, daß seine Krieger inzwischen das kleine Camp umstellt hatten und auf ein Zeichen von ihm warteten. »Bin ich an deinem Feuer willkommen, Helläugiger?« »Jederzeit. Nimm Platz und iß mit mir.« Cochise setzte sich mit untergeschlagenen Beinen vor die leckenden, züngelnden Flammen und musterte den Gesetzesmann. Marley hatte graue Augen, unter der scharfgeschnittenen Nase einen Texasschnurrbart, schmale Lippen und ein vorspringendes Kinn. Tagealte Stoppeln
bedeckten sein von der Sonne gebräuntes Gesicht. Der Jefe erkannte, daß er einen guten Menschen vor sich hatte, einen, der für Recht und Gesetz eintrat und keine Ausnahme zwischen einer weißen und einer roten Hautfarbe machte. Marley legte die gebratene Antilopenkeule auf einen Holzteller und schnitt sie in Scheiben. Mit dem zugespitzten Stock, den er zum Braten benutzt hatte, spießte er ein großes Stück auf und hielt es dem Häuptling entgegen. Auf einem zweiten Teller bot er geröstete Maisfladen an. Cochise griff schweigend zu. Auch Naiche erhielt seinen Teil. Sie aßen, tranken Wasser aus einer Flasche, erhielten Nachschub und stillten ihren Hunger. Im Anschluß an das Essen bot der Marshal Tabak und Papier an. Cochise lehnte mit einer freundlichen Handbewegung ab. Sein Sohn schüttelte den Kopf und verhielt sich abwartend. »Du bist in meine Jagdgründe eingedrungen, um einen weißen Mann zu töten?« Drew Marley hatte inzwischen seine Überraschung überwunden. Er nickte und wischte sich die fettigen Finger an seiner Hose ab. »Ich suche Gus Kilkenny, einen mehrfachen Mörder, Bankräuber und Frauenschänder. Und ich werde ihn erwischen.« Cochise gefiel die Art, wie der Marshal Rede und Antwort stand. »Zwei Meilen von hier reitet ein großer Trupp Langmesser durch die Canyons. Sie wollen in diese Richtung.« Cochises Hand schwenkte nach Nordosten. »Willst du zu ihnen?« Marley erwiderte: »Nein, Jefe. Ich habe keine Ahnung, daß es hier Soldaten gibt. Ich werde nach Tombstone reiten und dort die Spur nach Kilkenny aufnehmen. Ein Tagesritt, nicht wahr?« Der Häuptling stand auf, hielt die Hände über das Feuer. »Sei vorsichtig, Sternträger, Gesetzesmann. Nicht alle Apachen kennen die Bedeutung des Sterns auf deiner Brust. Du
könntest leicht getötet werden.« Kaum hatte er ausgesprochen, verschwanden die Indianer. Marley starrte lange in die Dunkelheit, die den Jefe und seinen Sohn aufgenommen hatte. * Im Bird Cage Theatre war Hochstimmung. Männer aus den nahegelegenen Minen, Cowboys und Tramps gaben sich hier ein anonymes Stelldichein. Schnaps und Bier flossen in Strömen. Wer sich mit jemandem unterhalten wollte, mußte das Lokal verlassen und das Gespräch auf der Straße fortsetzen. In Tombstone hatte es der »Vogelkäfig-Saloon« zu einer traurigen Berühmtheit gebracht, die viele Jahre später unter Wyatt Earp noch einmal zur Hochblüte werden sollte. An diesem frühen Abend ritten zwei abgerissene Gestalten in die Town und trieben ihre Klepper die Fremont Street hinunter, um beim Papago Cash Store in die Fourth Street einzubiegen. Ihr Ziel war die Allen Street. In diesem Teil der Stadt hatte sich bereits vor Jahren der »Vogelkäfig-Saloon« etabliert, das Sammelbecken aller Outlaws in Südarizona und der Ausgangspunkt aller Verbrechen in diesem Land. »Du hast mir auf dem Ritt hierher allerlei über die sagenhafte Mine erzählt, Claude. Bin schon richtig gespannt. Wer aber garantiert, daß wirklich Gold vorhanden ist?« »Der Bericht des alten Diggers. Wie oft soll ich dir deine dummen Fragen noch beantworten? Wenn du Zweifel hast, kannst du jederzeit aussteigen. In Tombstone finde ich Leute genug, die bereit sind, sich für Gold mit den Apachen herumzuschlagen.« »He, Mann, so war's nicht gemeint. Ich will nur sichergehen und nicht umsonst meinen Kopf riskieren. Im übrigen handelt es sich nicht einfach um Apachen. Wir haben es mit Cochises Chiricahuas zu tun, und diese Tatsache hat ein besonderes
Gewicht in diesem Land.« Atkins warf einen gereizten Blick auf den Mann an seiner Seite. Seine schlechte Laune besserte sich auch nicht, als das Bird Cage Theatre in Sicht kam. Claude Atkins steuerte den Mietstall an, den ein cleverer Geschäftsmann in der Nähe des größten Saloons von Tombstone aus Brettern und Balken gebaut hatte. Das Tor stand weit offen. Der Bandit zügelte sein Pferd, das den Stall witterte und vorwärts drängte. Eine Gruppe Männer versperrte den Eingang. Ein Streit zwischen zwei rauhbeinigen Gesellen schien sich anzubahnen. Zuerst flog eine Faust, fand ihr Ziel und warf einen der Kerle in den von beschlagenen Hufen aufgewühlten Boden. Der Geschlagene griff im Liegen zum Revolver, war aber durch seine verkrümmte Haltung im Nachteil. Er konnte die Waffe nicht mehr rechtzeitig ziehen und starrte voller Entsetzen auf die Mündung des anderen Revolvers, der Feuer und Blei spie. »Mist, verdammter!« knurrte der Mörder in spanischer Sprache. Er bückte sich, hielt die Brieftasche des Getöteten in der Hand, nahm die Banknoten heraus und ließ die Tasche fallen. Gelassen drehte er sich um und ging mit seinen Kumpanen davon. Atkins warf den Kerlen einen langen Blick nach und trieb sein scheuendes Pferd an dem Toten vorbei in den dämmrigen Mietstall. Dort schwang er sich aus dem Sattel. Kilkenny stieg ebenfalls ab, blieb aber hinter seinem Pferd stehen. Er sah sich lange und interessiert um. »Du hast die drei Burschen solange angeglotzt, Claude. Wären die vielleicht vom richtigen Kaliber?« »Nein. Sie würden uns wegen einer Handvoll Geld ebenso umlegen wie den armen Teufel dort draußen.« Er blickte zum Tor, sah, wie man den Toten auf einer Zeltbahn wegschleppte. Plötzlich zuckte er zurück.
Ein Reiter trabte draußen vorbei. Daran wäre in diesem Land nichts Bemerkenswertes gewesen, denn alle bewegten sich auf einem Pferd oder mit einem Wagen vorwärts. Der Unterschied war, dieser Mann trug einen Stern auf der Brust. »Was ist los?« fragte Gus Kilkenny, der bemerkt hatte, daß Atkins ziemlich bleich geworden war. »Ein Marshal«, erwiderte der Bandit. »Das gilt vermutlich dir.« »Warum nicht dir?« »Weil mir keiner was anhaben kann.« »Den lege ich um, wenn er mir vor die Füße läuft.« »Das laß lieber bleiben. ›Hanging Judge‹ Isaac Charles Parker hat mehr US-Deputies in Fort Smith, als es hier in Tombstone Outlaws gibt.« »Parker kann mich mal…« »Es würde mich interessieren, ob du noch genauso quatscht, wenn dir Parkers Henker George Maledon die Schlinge aus handgedrehtem, gut geöltem Kentucky-Hanfseil um den Hals legt.« »Ach, halt's Maul!« Atkins stellte sein Pferd in eine freie Box, rieb es ab und versorgte es mit Futter und Wasser. Den Sattel hing er über den Pfosten an der Box. Die Sonne ging unter, als die beiden rauhbeinigen Männer die Straße betraten. Durch den aufgewühlten Boden gingen sie zur Fremont Street zurück, am Büro der Butterfield Line vorbei und bogen schließlich in die Third-Street ein. Über die Straße tönte ein wüstes Geschrei. Das Hämmern eines Orchestrions und die Klänge von Gitarre und Geige mischten sich dazwischen, die hellen Trompetenstöße, die aufreizend laut durch die dünnen Wände des »Vogelkäfig-Saloons« drangen und Durstige wie
Vergnügungssüchtige anlockten. Atkins und Kilkenny traten ein. Ein Perlenvorhang verdeckte den Durchgang zum Schankraum. Atkins streifte ihn achtlos zur Seite. Eine leichte Hand zupfte an seinem Hemd. »Gibst du einen Drink aus, Darling?« Der Outlaw blieb stehen, wandte den Kopf. Das geschminkte Gesicht mißfiel ihm. Er runzelte die Stirn. »Hau ab, Süße!« Er schüttelte die ringgeschmückte Hand von seinem Arm und ging weiter. Gus Kilkenny folgte ihm wie ein täppischer Bär. Der Saloon war bereits überfüllt. Am Tresen standen die Gäste in Dreierreihe. In der hintersten Ecke, in der Nähe des Podiums, hämmerte das Orchestrion seine aufreizende Melodien in den Schwarm schwatzender, lachender Männer. In diesem Augenblick wurde ein Tisch frei. Atkins steuerte darauf zu und zog sich einen hochlehnigen Stuhl mit dem Fuß heran. Ein Waiter erschien. Seine weiße Jacke wirkte unsauber, als wäre sie seit vielen Jahren nicht mehr gewaschen worden. Mit öligem Lächeln erkundigte er sich nach den Wünschen der beiden abgerissenen Männer. »Whisky«, sagte Atkins, »und Bier, eiskalt und frisch wie ein Quell in den Rockys. Und wenn's dazu etwas zu essen gibt, würden wir auch nicht nein sagen.« »Möchten die Gentlemen Damengesellschaft?« »Bleib mir weg mit diesen geschminkten alten Schachteln«, brummte Atkins. »Bier und Whisky zuerst. Dalli!« Der Waiter flitzte los. Mehr und mehr Männer betraten das bekannte Lokal. Beim Podium wurde getanzt. In einem benachbarten Raum, in dem gespielt wurde, bekamen zwei Männer Streit miteinander. Kurz darauf krachte ein Schuß. Heisere Stimmen wirbelten durcheinander, überschrien sich und wurden wiederum von anderen überbrüllt. Der Hexensabbat wollte kein Ende nehmen.
»Wenn wir unseren Durst gelöscht und gegessen haben, verduften wir auf dem schnellsten Weg«, sagte Atkins hinter vorgehaltener Hand. »Warum so eilig? Ich finde es ganz gemütlich hier.« »Narr! Du hast den Marshal draußen gesehen. Wenn er dich hier sucht, haben wir wenig Übersicht. Außerdem sollten wir uns schnellstens nach ein paar cleveren Jungs umsehen und wieder verschwinden. Nester, besonders solche wie Tombstone, taugen nicht für uns.« »Unsinn!« »Du bist anderer Meinung?« »Klar. Wenn man wochenlang in der Wildnis umherstreift, braucht man unbedingt etwas Unterhaltung und Zerstreuung!« »Nicht in deiner Situation. Wenn der Sternträger auf dich stößt, gehst du so schnell hops, wie ich mit den Fingern schnalzen kann. Man soll die Gefahr nicht herausfordern, wenn man ein wichtiges Ziel vor Augen hat.« »Die Mine?« Atkins nickte, schwieg, weil der Kellner ein Tablett auf den Tisch stellte, Teller verteilte und Gläser vor den beiden Männern hinstellte. Bier schäumte. Neben dem Bier standen Wassergläser, halbvoll mit goldbraunem Whisky. Das Essen war gut und reichlich. Steaks, Bratkartoffeln, geröstete Tomaten und am Schluß ein Stück Apfeltorte für jeden ließen sie vorerst alles andere vergessen. Draußen mußte es inzwischen dunkel geworden sein. Ein Clerk lief von Raum zu Raum und zündete die Kerosinlampen unter der vertäfelten Decke an. Atkins und Kilkenny aßen, tranken und bestellten Bier und Whisky nach. Bei den Spielern drüben entstand schon wieder Unruhe. Einige schrien sich an, dann kam es zur Schlägerei. Etwas Schweres krachte auf einen anderen Gegenstand. Schreie und wüste Flüche hallten durch die Räume. Zwei Deputy-Sheriffs kamen durch den Eingang, kurzläufige
Schrotgewehre im Hüftanschlag. Dann fielen zwei Schüsse. Aber die Gesetzeshüter hatten nicht gefeuert. Kurz darauf sah Atkins, wie man zwei leblose Gestalten durch die Hintertür hinauszerrte. Gesättigt schob Atkins den Teller zurück. Er fühlte sich in der Enge der Räume und unter den vielen Menschen nicht wohl. Er trank sein Bier aus, winkte dem Waiter und legte einen Geldschein auf den Tisch. »Aufrunden«, sagte er zu dem Pomadisierten in der verschmuddelten Jacke. Das Wechselgeld strich er ein und stand auf. Kilkenny wollte protestieren, aber eine kurze Handbewegung schnitt ihm das Wort ab, bevor er es ausgesprochen hatte. Die beiden Outlaws gingen durch den mittleren Raum dem Ausgang zu. Atkins blieb etwas zurück, weil sich Hereinkommende zwischen ihn und Gus drängten. Und dann wurden seine Augen starr. Sie richteten sich auf einen gezackten Stern und einen Texasschnurrbart, und als er seinen Blick hob und die grimmige Miene des Sternträgers sah, der seine Waffe auf Gus Kilkenny richtete, ahnte er, daß nur noch Schnelligkeit und entschlossenes Handeln die Lage retten konnten. Claude Atkins schlich sich zur Seite und schlängelte sich durch die Menge. »Gus Kilkenny, ich verhafte Sie wegen Mordes und Bankraubes! Schnallen Sie ab!« Der Marshal hatte seine Verhaftungsformel noch nicht richtig ausgesprochen, da stand Atkins bereits hinter ihm, zog seinen Revolver und hieb dem Beamten den langen Lauf über den Hinterkopf. Mit einem kurzen Seufzer ging Marley zu Boden, riß ein paar Umstehende mit, die mit Händen und Füßen strampelten. In dem allgemeinen Aufruhr gelang es Atkins, Kilkenny aus dem Knäuel zuckender und wirbelnder Glieder zu befreien und
durch die offene Tür nach draußen in die Dunkelheit zu zerren. * Der Apache bewegte sich nicht. Der Bussard über ihm erkannte wohl, daß das Wesen unter ihm lebte und strich ab. Der Apache verschwendete keinen Blick an den Raubvogel. Seine dunklen, ausdruckslosen Augen richteten sich auf die Staubwolke in der Tiefe des Canyons und ließen nicht die geringste Bewegung aus. Das Klirren der beschlagenen Hufe und der Säbel tönte bis zu ihm herauf. Nach einer Weile blickte der Apache weit hinüber zur anderen Seite des Canyons. Den Bruchteil einer Sekunde lang erschien dort hinter einigen brüchigen Felsen ein zweiter Späher, wedelte kurz mit der Hand und verschwand. Der Apache wußte, daß sein »Bruder« Cochise verständigen und ihm über die Marschroute der Langmesser Bericht erstatten würde. Noch war unklar, in welche Richtung der Trupp ziehen würde. Von hier aus gab es viele Wege durch das Land der Chiricahuas. Tief unter ihm geriet der lange Zug von Reitern ins Stocken. Melder preschten an der Seite des Trains entlang zur Spitze. Der Rote registrierte jede Bewegung mit seinen scharfen Augen, denn er wußte, daß er der Nächste war, der dem Jefe hoch oben in seiner Apacheria Bericht erstatten mußte. Der Krieger weiter im Süden würde seinen Platz einnehmen und noch vor Sonnenuntergang seinen Bericht in das Hochgebirge bringen. Die Kolonne blauer Reiter hatte sich unter ihm wieder in Marsch gesetzt und war in einen gewundenen Canyon eingebogen. Der Apache kannte die gut versteckte Quelle in der Mitte des schmalen Tals, und er fragte sich, woher die Weißen von der Wasserader wußten. Seine nervige braune Faust schloß sich unwillkürlich um den
hornigen Messergriff, aber sie zog das Messer nicht. Erstaunt war der Apache plötzlich, als er zufällig einen Blick über die Höhenrücken im Norden warf und dort eine braune Staubwolke sah, die im Wind zerflatterte. Seine Aufgabe war es, die Soldaten und deren Zug nach Nordosten zu verfolgen und Cochise Bericht zu erstatten. In diesem Moment vermochte er nicht zu entscheiden, was wichtiger war, die Soldaten oder die Verursacher der Staubwolke im Norden. Er warf einen Blick nach Süden, sah den anderen Krieger und gab ihm Handzeichen. Die wurden erwidert. Auch dieser Apache hatte die Staubwolke mit Sorge beobachtet. »Schneller Fuß« machte seinem Namen alle Ehre. Wie eine Gazelle lief er über das Plateau und nutzte jede Deckung. Die Staubwolke wurde dichter. Es mußten mehrere Reiter sein, die sich vor dem Späher bewegten. Als er um einen freistehenden Felsen huschte, sah er den Reitertrupp. Fünf Weiße. Sie hatten drei Packpferde im Schlepp und ritten in gemäßigtem Trab. »Schneller Fuß« duckte sich hinter einer Ansammlung von Bruchsteinen und paßte sich mit seiner grauen Calico-Kleidung völlig der Umgebung an. Die verhaßten Bleichgesichter kamen näher, bogen in einen Hohlweg und behielten die südliche Richtung bei. Wie ein Schatten folgte der Apache, stets darauf bedacht, sich nicht durch ein Geräusch zu verraten. Aufmerksam musterte er die Ausrüstung der weißen Männer. Als er genug gesehen hatte, lief er zu seinem Pferd zurück und schwang sich auf dessen Rücken. Als er den tief eingeschnittenen Canyon erkennen konnte, der Cochises Sippe Schutz und Lebensraum gewährte, ging bereits die Sonne unter. Langsam trieb er sein Pony auf die abschüssige Rampe zu.
* Durch die unbeleuchteten Straßen von Tombstone hetzten zwei Männer. Sie schlugen Haken, bogen in gewinkelte Gassen ein, rannten über freie Flächen und gelangten nach wenigen Minuten in das Mexikanerviertel. Adobehäuser und Bruchbuden wechselten miteinander ab. Dazwischen standen Bauwerke aus Wellblech oder vernagelten Kistenbrettern. Auf den Straßen häufte sich Unrat. Claude Atkins blieb vor einem winzigen flachen Haus aus Adobe stehen und wartete auf Kilkenny. »Danke«, sagte Gus. »Für was?« »Der Kerl stand plötzlich vor mir und drückte mir seine Kanone gegen den Bauch. Daß du mich da herausgepaukt hast, dafür danke ich.« »Keine Ursache, Mann. Selbstverständlich erwarte ich ähnliche Gegenleistungen auch von dir. Komm mit ins Haus!« Kilkenny sah die rote Sturmlaterne über dem windschiefen Eingang und holte tief Luft. »Da hinein?« »Ja. Ein Bordell. Dort sind wir sicher. Komm!« Atkins stieß die Tür auf. Es knirschte wie Sand in einer Radbuchse. Im Korridor war es finster. Irgendwo klimperte eine Gitarre. Eine schwarzhaarige junge Frau erschien. Sie trug einen Revozo auf dem Haar, das von einem Schildpattkamm zusammengehalten wurde. »Claude! Wie schön, dich…« »Nicht so laut! Und keine Namen, wenn's geht. Das ist mein Sattelgefährte Gus Kilkenny ++ Diana Barnes. Wie geht's, altes Mädchen?« »Wie soll's einem in einem solchen verdammten Drecknest schon gehen? Auf der Flucht, Claude?« Atkins deutete mit dem Daumen auf Kilkenny. »Der da!
US-Marshal. Nun hat der Sternträger auch mich beim Wickel. Das kommt davon, wenn man einem anderen hilft. Hast du 'nen Drink, Diana?« Die schlanke Frau deutete auf die Tür, aus der Licht fiel. »Geht hinein, Jungs. Heute abend habe ich keinen Besuch. Sehr schlechte Zeiten.« Die drei betraten ein Zimmer, halbwegs gut eingerichtet. Hinter einem Vorhang stand ein emailliertes Bett mit einer Waschkommode und einem Kleiderständer. Der vordere Raum wurde von einem Plüschsofa, einem alten Schrank und einem Tisch mit vier Stühlen ausgefüllt. Atkins hielt Diana am Arm fest und zog sie mit sich herum. »Wo sind die anderen Mädchen, im Haus?« »Nein, weg. Die Freier kommen nicht mehr zu uns, wir müssen sie schon aus den Saloons hierherschleppen. Und das, wenn sie total besoffen sind. Ich sagte, schlechte Zeiten, und ich meine es auch so. Setzt euch.« Aus dem Schrank nahm sie eine Flasche und drei Gläser. »Baconora, bester Stoff. Du magst ihn lieber als Whisky, Claude.« »Ja, gieß ein.« Sie füllte die Gläser mit dem goldbraunen mexikanischen Brandy und setzte sich. Auffordernd betrachtete sie die beiden Männer. Wie Saloonhelden sahen sie nicht gerade aus, eher wie Hombres, die sich lange draußen im Gebirge herumgetrieben hatten. »Worum geht's?« fragte sie und füllte ihr Glas nach. »Um ein paar gute Jungs, die mit Schießeisen und Hacke gut umgehen können und nicht gleich abhauen, wenn eine Rothaut auftaucht. Könntest du uns da helfen, Schwester?« Diana schürzte die Lippen. Atkins und die Frau kannten sich seit vielen Jahren, aber der Outlaw hatte nie ihren Beruf für sich in Anspruch genommen. In einem Spielsaloon in Kansas City hatten sie sich kennengelernt.
»Wieviel brauchst du, Claude?« »Vier oder fünf tüchtige Kerle reichen mir.« »Was springt für mich dabei raus?« Sie rieb Daumen und Zeigefinger aneinander und sah Claude erwartungsvoll an. »Wieviel willst du?« »Hundert.« »Pesos?« »Verrückt geworden? Dollar.« »Was macht dich so sicher, daß du sie bekommst?« Diana lachte. »Der US-Marshal. Ihr könnt euch draußen nicht blicken lassen. Und wenn ich's für euch mache, treibt das natürlich den Preis in die Höhe.« »Biest.« »Bastard! Ja oder nein?« »Fünfzig«, sagte Atkins. Ein bißchen zu hastig fügte er hinzu: »Mein letztes Wort.« »Okay, dann such dir deine Handlanger selbst.« Diana nahm die Flasche und wollte sie in den Schrank stellen. Aber Atkins war schneller. Mitsamt der Flasche zog er die Frau am Handgelenk auf den Stuhl zurück. »Verdammter Blutsauger. Na ja, okay.« »Wußte ich's doch. Wie soll die Sache vor sich gehen?« »Ich will die Leute erst sehen, bevor ich mich mit ihnen einlasse«, antwortete Atkins. »Heute nacht noch.« Diana nickte, während sich Kilkenny ruhig verhielt. Sie stand auf, zog den Revozo fester um die nackten Schultern und verließ das Zimmer. Die beiden Männer hörten den Sand unter Dianas Füßen knirschen, als sie sich vom Haus entfernte. »Traust du ihr, Claude?« Atkins starrte Kilkenny an. »Mehr als jedem anderen. Ich kenne sie seit vielen Jahren.« Sie füllten sich die Gläser. Nach einer geraumen Weile hörten
sie draußen wieder den leichten Schritt. Diana kam herein und setzte sich. Mit der Hand strich sie eine Haarsträhne aus dem Gesicht, während sie Atkins ansah und nickte. »In einer halben Stunde, Claude.« »Warum so lange?« »Der Marshal hat sie vorsichtig gemacht. Bryan Kelso will erst wissen, was der Sternträger unternimmt.« »Hm, Bryan also?« »Kennst du ihn?« »Nicht persönlich, aber viel von ihm gehört. Schon lange in Tombstone?« Diana zuckte mit den Achseln. »Möglich. Was weiß ich. Er kommt manchmal hierher, bleibt aber nie länger als eine Nacht.« »Wer sind die anderen?« »Rich Kennedy und Gene Bard. Gene kommt aus Tennessee.« »Sagt mir nichts. Verträglicher Burschen oder Trinker?« »Es geht. Was heißt Trinker? Hier trinken sie alle. Ohne Schnaps ist das Leben in Tombstone nicht auszuhalten.« Draußen knirschte Sand. Jemand strich um das Haus. Atkins zog den Revolver und spannte den Hahn. Das einrastende Geräusch schreckte Kilkenny auf. Er sprang auf die Füße und riß den Sechsschüsser hervor. »Setz dich!« herrschte Atkins ihn an. »Sei kein Narr, Gus. Der Marshal kann nicht wissen, wohin wir flüchteten. Das sind die Jungs.« Jemand kratzte an der Tür. Diana ging hinaus und öffnete. Kurzes Gemurmel. Jemand betrat den Korridor und erschien schließlich in der Türöffnung. Als der Bärtige den Revolver in Claudes Hand sah, grinste er schmal. »Ist schon gut«, sagte er. »Der Marshal ist in Kellers Boarding-House. Ich bin Gene Bard. Die anderen kommen in Abständen von fünf Minuten. Worum geht's, Mister?« »Das werde ich dir sagen, wenn alle hier sind«, antwortete
Atkins. »Habe keine Zeit, alles doppelt und dreifach zu erzählen. Jedenfalls geht's um viel Geld.« »Das klingelt direkt in meinen Ohren«, murmelte Bard und zog sich einen freien Stuhl heran. Nach zehn Minuten waren alle versammelt. Atkins musterte sie und war zufrieden. Eine rauhe Corrida, aber die brauchte er auch, wenn er sein Ziel erreichen wollte. »Kommt mal mit den Köpfen ein bißchen näher«, sagte er und winkte den drei Typen. »Ist nicht unbedingt notwendig, daß draußen am Fenster einer mithört. Ich werde euch erzählen, was ich vorhabe.« * Unermüdlich drang der blaue Heerwurm weiter nach Nordosten vor. Täglich empfing Häuptling Cochise in seiner Apacheria zahlreiche Späher, die der Truppe auf Schritt und Tritt folgten. Am vierten Tag nach Erscheinen der Soldaten in seinen Jagdgründen war ihm klargeworden, daß die Pferdesoldaten über den Apache-Paß in die nördlichen Bereiche des Apachenlandes zogen. Einsam und grübelnd saß er in seinem Wickiup an einem rauchlosen Feuer. Neben ihm hockte Nahlekadeya, die an den Sorgen des Jefe teilnahm. Einmal betrat Naiche den Jacale. Als er den erhobenen Zeigefinger seiner Mutter und Cochises sorgenschweres Gesicht sah, verließ er die Behausung wieder und begab sich in seinen Wickiup der ledigen Krieger. Nur Nachise, Cochises jüngster Sohn, störte sich nicht an den mahnenden Gesten Nahlekadeyas. Über der Bergfeste breitete sich die Nacht aus. Erste Feuer erhellten die Umgebung. Schatten und Licht wechselten miteinander ab und huschten wie Geisterfinger über die steilen Canyonwände. Die nachmittägliche Stille wurde von dem geschäftigen
Treiben der Squaws abgelöst. Hirten trieben Schafe und Ziegen in das hintere Tal, wo sich die Quellen befanden. Wächter ritten über die Felsrampe und drängten zu den Feuern, wo das Abendessen auf sie wartete. Späher kamen von weither und aus der nahen Umgebung, stiegen ab und betraten Cochises Jacale. Niemand erfuhr, was sie dort unten in der steinigen und von Schluchten zerrissenen Ebene zwischen den Chiricahua und den Dragoon Mountains ausgekundschaftet hatten. Der Häuptling wußte längst von den uniformierten Weißen, die mit hochbeladenen Packtieren und ächzenden Fahrzeugen in den südlichen Teil der Swishelm Mountains zwischen den beiden großen Gebirgsstöcken eindrangen. Er wußte auch von einer anderen Gruppe, die von Norden kam. Nichts entging seinen Spähern. »Schneller Fuß« war einer seiner besten Kundschafter und mit den Augen eines Falken. Nahlekadeya reichte ihm das Abendessen. Cochise lehnte ab. Er stand auf, ging mit gesenktem Kopf von einer Wand zur anderen. Er machte den Eindruck eines Adlers, dem man die Flügel gestutzt und in einen Käfig gesperrt hatte. »Auch ein Häuptling muß essen.« Cochise warf einen Blick auf die beim Feuer kauernde Squaw, lächelte und schüttelte den Kopf. »Ein Führer ißt, wenn er dazu Zeit hat. Ich habe keine Zeit.« Er richtete seinen Blick nach Süden und fuhr mit ruhiger Stimme fort: »Ich reite, um festzustellen, wohin sie sich wenden. Ich will auch wissen, was sie tun und was sie vorhaben.« Nahlekadeya ahnte, was in dem Jefe vorging. Der Türvorhang schlug auf. Tla+ina, Cochises Schwester, trat ein. Das schöne Mädchen machte ein ernstes Gesicht. »Du reitest allein, Bruder?« Cochise hüllte sich in Schweigen. »Gefahren warten auf dich, viele und schreckliche Gefahren.«
»Ein Chiricahua ist jeder Gefahr gewachsen.« Mehr sagte der Häuptling nicht. Cochise ging zu seinem Lager, schlang den ledernen Gurt mit dem Messer um die Hüften und trat in den Eingang. Er hob die Decke an und stieß einen lauten Pfiff aus. Vom Feuer eilte ein junger Krieger herbei. Er blieb vor Cochise stehen und wartete geduldig, bis der Jefe ihn ansprach. »Bring mein Pferd, Sirun. Rüste es für drei Tage aus und hänge das schnelle Gewehr der Weißen an die Satteldecke.« Der Krieger nickte und verschwand. Minuten später war er schon wieder zurück, einen Pinto am Zügel. Der Häuptling bedankte sich mit einem gemessenen Nicken, schwang sich in den Sattel und ritt aus dem Hochgebirgscanyon. Als er sich um Mitternacht dem Gebirgsrand näherte und weit im Westen den tiefen Einschnitt des San Pedro erkennen konnte, entdeckte er auch in einer Schlucht zu seinen Füßen die zahlreichen Feuer. Sein Mund verzog sich höhnisch. Indianer ritten im Dunkeln und kampierten im Dunkeln. Weiße aber verrieten sich schon von weitem durch ihre vielen Feuer. Es war, als hätten sie Angst, mit sich und der Nacht allein zu sein. Cochise lenkte seinen Mustang in eine Schlucht, deren Boden abwärts führte. Geschickt wich er den vielen verwitterten Steinen und Felsbrocken aus, die von den Canyonrändern herabgestürzt waren. Nach einer Stunde Ritt roch er die Feuer. Cochise wußte jedoch, daß er noch lange nicht am Ziel war und gab sich unbekümmert. So weit weg von den lagernden Soldaten drohte ihm noch keine Gefahr. Im tiefen Schlagschatten der Canyonwand ritt er weiter und hielt an, als der Holzrauch intensiv wurde. Er schwang sich aus dem Sattel und band sein Pferd an einer Korkeiche fest, die in einer Seitenschlucht ein einsames Dasein führte. Nur mit seinem Messer bewaffnet schlich er weiter. Von nun an ließ er keine Vorsicht außer acht. Nach einer Weile vernahm
er Stimmen. Posten unterhielten sich. Ein dritter Mann kam hinzu, fluchte still in sich hinein. »He, Bill, ist dir was auf den Magen geschlagen?« Der mit Bill Angesprochene warf einen Blick über die Schulter und schüttelte den Kopf. Das Feuer, auf das sein suchender Blick gefallen war, war heruntergebrannt. Niemand legte Holz nach, um den Mann nicht zu wecken, der in der Nähe des Feuers schlief. Auf der gegenüber liegenden Seite der Schlucht mündete ein schmaler Canyon in das breite Gebirgstal. Pferde standen dort. »Wir sind's… He, Posten! Buck Bravet und Corporal Wacher von Patrouille zurück!« »Brüll nicht so laut durch die Nacht!« rief jemand. »Ich habe euch längst gehört. Kommt her!« »Du brüllst doch selbst, du Armleuchter«, sagte der zweite Wächter und kicherte amüsiert. »Halt's Maul! Was versteht so ein Rindvieh schon…« »Also, zum Donnerwetter! Ich lasse mir das nicht…« »Nicht streiten«, sagte der dritte Soldat und grinste diabolisch. »Wenn sich Ochsen unterhalten, geht's nicht ohne Gebrüll.« »Witzbold.« Die beiden Reiter waren inzwischen nähergekommen und stiegen von den Pferden. »Wo finde ich den Captain? Ich möchte meine Meldung loswerden und mich aufs Ohr legen.« »Kommen Sie her, Corporal!« rief jemand am Feuer. Einer der Posten sagte zu dem anderen: »Verdammt, der Alte ist ja noch wach. Braucht der keinen Schlaf?« Captain Thomas Roberts saß plötzlich aufrecht und winkte dem Unteroffizier. Corporal Wacher trat ans Feuer und grüßte. Roberts legte Holz nach und sah den Staub und die Müdigkeit auf dem Gesicht des Patrouillenführers. »Setzen Sie sich«, sagte er. Wacher nahm Platz und erstattete kurze Meldung. Als er
geendet hatte und wieder aufstehen wollte, hielt ihn der Captain zurück. »Fünf Weiße, sagen Sie? Hm, die passen mir gar nicht ins Konzept. Wenn die Dummheiten anstellen, haben wir die Rothäute schneller auf dem Hals, als uns lieb sein kann. Na schön, Corporal, ich danke Ihnen. Schicken Sie die Lieutenants zu mir und legen Sie sich dann aufs Ohr. Gute Nacht.« »Gute Nacht, Sir.« Wacher erhob sich, grüßte und ging. In seinem Versteck verstand Cochise jedes Wort. Der Kommandeur der Truppe schien sich mit seinen Offizieren besprechen zu wollen. * Langsam und vorsichtig kroch der Häuptling durch den Irrgarten von Felsbrocken und Dickicht. Das Feuer, noch gut 20 Yards entfernt, flackerte hell und verbreitete einen großen Lichtkreis, in den Cochise eindringen mußte, wenn er die Weißen belauschen wollte. Die Posten begannen wieder ihre Runde zu gehen und streiften oft den Feuerkreis. Sie waren für den kriechenden Chiricahua die größte Gefahr. Pferde, die ihn hätten wittern können, waren nicht dort. Leicht aber konnte es geschehen, daß einer der Soldaten die Richtung änderte und über den am Boden kauernden Indianer stolperte. Aus dem Canyon kamen mit großen Schritten zwei Männer. Hegemann und Bulwer wirkten verschlafen und hatten sich in der Eile nur notdürftig ankleiden können. Sie salutierten und setzten sich auf einen Wink von Roberts. »Tut mir leid, Gentlemen, daß ich Sie um ihren Nachtschlaf bringen muß. Gewisse Umstände zwingen mich jedoch zu dieser Maßnahme. Bitte, machen Sie es sich bequem.« Cochise hatte den Lichtschein erreicht. Bis zum Feuer waren es noch ungefähr acht Yards. So sehr er auch sein Gehör
anstrengte, er verstand nicht, worüber sich die Weißen unterhielten. Zwischen ihm und dem Feuer wuchs Salbei. Felsbrocken warfen langgezogene Schatten. Wenn er sich ihnen geschickt anzupassen versuchte, konnte er noch etwas näher anschleichen. Sorgen bereitete ihm der Mond, der sich anschickte, im Westen hinter dem Gebirge zu verschwinden. Sein schwaches Licht schuf einen seltsamen Kontrast im ewigen Wechselspiel zwischen hell und dunkel. Der Apachenhäuptling wog alle Chancen ab und kalkulierte ein plötzliches Entdecktwerden mit ein. Sein Fluchtweg stand fest. Mit ein paar Sprüngen konnte er die Felswand erreichen und in ihren Schatten eintauchen. Mit einem langen Blick in die Tiefe des Canyons nahm er mögliche Gefahrenquellen in sich auf. 50 Yards weiter sah er Gewehrpyramiden. Soldaten schliefen dort an einem erloschenen Feuer. Von ihnen drohte keine Gefahr. Die Fahrzeuge und die Pferde, die ihn durch ihre Witterung verraten konnten, waren noch weiter entfernt. Nur die Wachposten gingen mit knirschenden Schritten ihre Runde und wechselten, wenn sie sich trafen, hier und da ein Wort miteinander. Er riskierte es. Die Offiziere unterhielten sich so gedämpft, daß er nichts verstehen konnte. Auf allen vieren kroch Cochise heran und vernahm die ersten Worte. Nur noch ein kleines Stück, und er würde jedes Wort verstehen. Cochise war bis auf eine kurze Distanz herangekommen und sah keine Möglichkeit, noch weiter vorzudringen. Es gab keine Deckung mehr vor ihm. Bis dorthin zu gelangen, war eine große Leistung, die nur ein Apache vollbringen konnte. Kein Weißer hätte diese Tollkühnheit jemals besessen. Die Stimmen vor ihm klangen mürrisch oder gelangweilt. Nur der Captain sprach mit einem drängenden Unterton. »Es können Goldgräber sein, ihre Ausrüstung läßt das
vermuten. Mir ist nur unklar, wo es in dieser Wüstenei Gold geben soll. Wenn sie sich mit den Indianern anlegen, haben wir die auf dem Hals. Und das gefällt mir nicht.« Lieutenant Bulwer sagte: »Ich begreife nicht, Sir, weshalb Sie sich wegen einiger Strauchritter Sorgen machen. Uns werden sie kaum gefährlich, und was die Chiricahuas oder andere Apachen mit ihnen machen oder umgekehrt, kann uns gleichgültig sein, weil wir nicht in diesem Land bleiben.« Cochise sah deutlich, wie der Kopf von Captain Roberts herumruckte. »Sind Sie des Teufels? Haben Sie die Instruktionen von General Carleton schon vergessen? Wir haben ungesehen Neu Mexiko zu erreichen, und eine ganze Menge Rücksichten auf die Administration von Arizona zu nehmen.« Roberts holte tief Luft und fuhr fort: »Was glauben Sie, was wir von General Sherman zu hören bekommen, wenn wir zwischen Oliver O. Howards' Füße geraten? Seine Friedensbemühungen an der Grenze haben wir sprichwörtlich zu nehmen.« »Ich meinte das nicht so wörtlich, Sir«, verteidigte sich der junge Offizier. »Mir sind seine Bestrebungen um den Frieden an der Grenze selbstverständlich bekannt. Cochise und er schlossen einen Pakt, das weiß mittlerweile ganz Amerika. Aber nicht alle Stämme der Apachen halten sich an die Abmachung, auch das weiß jeder. Kleinere Stämme werden uns wegen unserer Stärke nicht angreifen.« »Da irren Sie in jedem Punkt«, unterbrach der Kommandeur ihn. »Wenn es Victorio oder einem anderen Häuptling in den Sinn kommt, unsere Truppe zu überfallen, so wird ihm schon die günstige Struktur dieser Landschaft Erfolg garantieren. Wenigstens einen Teilerfolg. Sie sind hier zu Hause, Lieutenant, während wir uns mühsam orientieren müssen. Hinter jedem Stein, jedem Busch kann ein roter Krieger versteckt sein.«
»Ich glaube nicht an ihre vielgerühmte Kampfkraft«, sagte der blonde Hegemann. »Haben Sie erlebt, wie Apachen kämpfen?« »Nein, Sir.« »Dann wünschen Sie sich kein Scharmützel mit ihnen. Sie sehen sie nicht, Sie kämpfen gegen Schemen. Was Sie allerdings sehen, sind die Pulverwolken ihrer Gewehre und die Toten und Verwundeten um Sie herum.« »Warum wenden wir nicht die gleiche Taktik an, Sir.« »Weil wir das nicht gelernt haben und für eine solche Kampfesweise völlig ungeeignet sind. Im Nahkampf sind wir ihnen auf alle Fälle unterlegen.« Lud Hegemann warf einen vorsichtigen Blick in die Runde. Er wagte einen Einwand, der sich auf zwei geheimnisvolle mitgeführte Planwagen bezog, die von je sechs stämmigen Pferden gezogen wurden. »Sie vergessen die Berg-Haubitzen, Sir. Mit ihnen können wir Kartätschen abfeuern und uns jeden Angreifer vom Hals halten, und sei er noch so stark.« Thomas Roberts winkte ab. »Vergesse ich nicht. In diesem schluchtenreichen Gebirge nützen sie uns nicht viel, weil wir sie nicht rechtzeitig in Stellung bringen können.« »Man kann sie vielleicht auch so von Fahrzeugen aus abfeuern. Es käme auf einen Versuch an, wie die Kanoniere mit dem Problem fertig werden.« Roberts grübelte vor sich hin. Cochise ließ sich kein Wort entgehen. Nach einem langen Zögern nickte der Captain. »Wenn die Wagenräder blockiert werden, kann es gelingen. Sie sollten mal mit den Kanonieren sprechen, Hegemann.« »Werde ich tun, Sir.« Cochise befürchtete gesehen zu werden, wenn sich einer der Weißen erhob. Trotz der drohenden Gefahr blieb er liegen, eng
gegen den Boden gepreßt. Die Posten bereiteten ihm mehr Kopfzerbrechen. Sie änderten manchmal ihre Richtung und kamen ihm verdammt nahe. Die sonore Stimme des Captain lenkte ihn wieder ab. »Es gibt noch etwas zu bedenken, Gentlemen. Die Apachen könnten sich im Paß an den Hängen hinter Brustwehren verschanzen und wären so praktisch unangreifbar. Wir müßten herausfinden, wo die günstigste Stelle für einen Überraschungsangriff ist.« »Sir, Sie glauben, daß sie uns angreifen?« »Kann doch sein, oder!« Roberts zuckte mit den Achseln. »Aber das wäre nicht das größte Problem für uns. Wir können den Paß auskundschaften lassen, bevor wir ihn betreten.« »Halten Sie es für richtig, die Indianer kopfscheu zu machen?« fragte Hegemann und bewies damit, daß er auch die möglichen Konsequenzen über Anordnungen von Vorgesetzten berücksichtigte. »Wieso kopfscheu?« wollte Lieutenant Bulwer wissen. Thomas Roberts winkte ab und wandte sich direkt an Hegemann: »Ich glaube, das wird nicht der Fall sein. Sie werden bestimmt täglich mit Patrouillen von Fort Buchanan konfrontiert. Hier im Süden. Im Norden besorgt das Fort Bowie, unser nächstes Ziel.« Im mittleren Canyonteil entstand Unruhe. Hufe klapperten. Der dem Feuer zugewandte Posten blieb stehen und starrte in die Dunkelheit. Wenn er sich ein wenig nach Süden drehte, mußte er Cochise sehen. Drei Reiter passierten die Stelle in einiger Entfernung. Sie ritten nordwärts und verschwanden hinter der nächsten Krümmung. Eine Patrouille, die bis nach Sonnenaufgang unterwegs war. Der Häuptling spähte seitwärts und nach hinten. Ein Kribbeln lief über seine Haut. Der Wachposten hatte sich wieder in Bewegung gesetzt und entfernte sich von ihm.
Hinter ihm war es still. Die Hufschläge waren verstummt. Aber eine neue Gefahr drohte. Die beiden jungen Offiziere standen auf und salutierten. Roberts erhob sich ebenfalls und reichte den beiden die Hand. Die Chance, ungesehen zu verschwinden, war in diesem Moment günstig. Cochise glitt rückwärts. Der Rand der Dunkelzone war fast erreicht. Cochise atmete auf. Wie ein Reptil zu kriechen, erforderte viel Geschick und Kraft. Noch eine kurze Strecke, nur wenige Yards, und der Schutz der alles deckenden Nacht war erreicht. Aber dann erschrak der Jefe. Einer der Doppelposten kehrte zurück. Er war vor Müdigkeit so leise aufgetreten, daß Cochise ihn überhört hatte. Stumpfsinnig schlenderte er heran. Cochise beobachtete ihn und bereitete sich auf einen Zusammenstoß vor. Etwas weiter entfernten sich die beiden Offiziere. Der Captain saß wieder beim Feuer und blickte nachdenklich in die Flammen. Der Posten kam. Noch konnte er den liegenden und sich zwischen Steinen und Salbei verbergenden Häuptling nicht sehen. Aber er mußte über ihn fallen, wenn er die Richtung beibehielt. Der Häuptling überlegte fieberhaft. Es blieb ihm kein anderer Ausweg, als den Soldaten niederzureißen und zu töten. Ein schneller Messerstoß konnte verhindern, daß er Alarm schlug. Zehn Schritte noch… Cochises Handflächen wurden feucht vor Erregung. Furcht kannte er nicht. Es war auch nicht die Angst entdeckt zu werden oder vor dem Tod, die ihn schwitzen ließ, sondern vielmehr die Erkenntnis, daß sein Plan mißlang, wenn ihn die Soldaten aufstöberten. Nur noch fünf Schritte… Fünf kleine Schritte, zwischen Leben und Tod. Er ahnte das Unheil nicht, das vor ihm lauerte. Er konnte nicht wissen, daß ein Chiricahua gerade sein Messer aus der Scheide
zog, um damit zuzustoßen. Drei Schritte… Gibt es Vorahnungen, die einen Menschen veranlassen, im Falle einer tödlichen Gefahr das richtige zu tun, ihr zu entgehen? Der Soldat blieb stehen, starrte zu den Sternen hinauf. Cochise roch seine Ausdünstung, er hörte die leisen Atemzüge und sah die Finger mit dem Gewehrschloß spielen. Wie gebannt starrte der Jefe auf den Weißen, von dessen nächster Bewegung sein Schicksal abhing. Irgendwo auf der anderen Canyonseite löste sich hoch oben ein Stein und kollerte polternd in die Schlucht. Der Soldat wirbelte blitzschnell herum und brauchte eine Weile, bis er die Richtung festgestellt hatte, aus der das Geräusch gekommen war. Dann nahm er das Gewehr in die Armbeuge und entfernte sich. Cochise schloß die Augen und beruhigte sich allmählich. Die Dunkelheit umhüllte ihn, während er rückwärts kroch. Das Glück schien sich ihm wieder zuzuneigen. Der Posten entfernte sich in die entgegengesetzte Richtung. Dort stieß er auf den anderen Wächter. Sie unterhielten sich eine Weile. Cochise huschte schnell zur Felswand, glitt an ihr entlang, verschmolz förmlich mit ihr und gelangte endgültig aus dem Feuerkreis. Unbewußt murmelte er vor sich hin: »Zastee! Töte!« Doch war er froh, daß er nicht dazu gezwungen worden war. Noch während der Nacht hätten sie den Posten vermißt und nach ihm gesucht. Der Tote hätte ihnen sofort verraten, daß sie belauscht worden waren. Wie ein nächtlich jagendes Raubtier glitt der Chiricahua weiter. Noch war er nicht ganz aus der Gefahrenzone. Ein gutes Stück weiter standen die beiden anderen Doppelposten. Hinter einem Busch verharrte der Häuptling und beobachtete die Männer. Während der eine von links durch die gesamte Canyonbreite kam, ging der andere nach rechts. Ziemlich in der Mitte trafen
sie sich. Mit einem verächtlichen Lächeln stahl sich Cochise davon. Die Weißen waren nachts blind und taub. Sie sahen, hörten und rochen nichts. Apachennasen waren empfindlicher. Sie witterten auf weite Strecken die Anwesenheit eines Menschen. Als die Gefahr endgültig hinter ihm lag, glitt Cochise mit langen Sätzen den Canyon entlang. * US-Marshal Drew Marley lagerte in einer engen Schlucht. Der Zufall hatte ihn zu der Quelle geführt. Sie sickerte aus einem Spalt und füllte ein kleines Becken. Die Nacht war sternenklar und windstill. Das kleine Feuer flackerte und verbreitete einen harzigen Geruch. Marley war spät in der Nacht in den Canyon geritten und auf die Quelle gestoßen. Er hatte Lager aufgeschlagen und sich ein Essen zubereitet. Die Kanne mit Kaffee stand noch auf einem flachen Stein, der zur Hälfte in der Glut lag. Daneben die Blechtasse. Nach dem Essen hatte er zu schlafen versucht. Es war ihm nicht gelungen. Mit seinen Gedanken war er bei dem »Wild«, das er verfolgte. Sie ließen ihn nicht zur Ruhe kommen. Alles drehte sich nur noch um Gus Kilkenny und die Männer, denen er sich angeschlossen hatte. Ein Stück hinter ihm stand sein Pferd und rupfte Laub von einem Strauch. Plötzlich warf es den Kopf hoch und schnaubte. Marley hörte es nicht. Das Pferd schnaubte wieder und spielte mit den Ohren. Der Marshal drehte sich eine dritte Zigarette nach dem Abendessen und zündete sie mit einem brennenden Zweig an. Dabei merkte er nicht, wie sich eine schemenhafte Gestalt hinter ihm aufrichtete. »War die Jagd nach dem Bleichgesicht erfolgreich?« Marley fuhr hoch. Seine Rechte zuckte zur Hüfte. Dann
erkannte er den Häuptling. Groß, breitschultrig und von dem unklaren Licht verwischt, stand Cochise an der Grenze zur Finsternis. Marley war zunächst sprachlos und starrte den Häuptling an. Cochise war schon zu seinen Lebzeiten Legende. Von seinen Taten wurde an den Lagerfeuern erzählt, und in den Saloons des Südwestens sprach man von nichts anderem als von Cochise. Vieles, was man über diesen legendären Häuptling erzählte, war wahr. Manches aber auch übertrieben oder hinzufabuliert. »Willkommen an meinem Feuer, Chief. Bist du allein?« »Allein wie der streifende Wolf und frei wie der Adler in den Lüften.« »Nimm Platz!« Ein gemessenes Kopfnicken und eine kurze Handbewegung waren Zustimmung und Antwort. Ohne Umschweife setzte sich der Chiricahua-Häuptling mit untergeschlagenen Beinen ans Feuer. »Deine Jagd, Mann des Gesetzes, war nicht erfolgreich?« Marley schüttelte verbissen den Kopf. »Nein, leider. Der Kerl überlistete mich, und ein zweiter schlug mich nieder. Der Verfolgte schloß sich einer Bande Desperados an und entkam mir. Jetzt sind sie zu fünft. Harte Burschen, denen die Waffen locker sitzen.« »Berichte!« »Es gibt nicht viel zu berichten, Chief. In einer Saloontür stießen wir aufeinander. Das Überraschungsmoment lag auf meiner Seite, und ich drückte ihm meinen Revolver gegen den Bauch, als mich ein Hieb von hinten traf.« »Wer half ihm?« »Kumpane, die er in der Kneipe aufgriff oder sie ihn. Während ich Kilkenny in Schach hielt, schlug mir ein zweiter von hinten den Revolverlauf über den Kopf. Als ich wieder bei Bewußtsein war, hatten die Lumpen sich aus dem Staub gemacht.«
»Fünf, sagtest du?« »Ja.« »Woher kennst du die genaue Zahl?« Cochise schien am Schicksal des sympathischen Marshals Anteil zu nehmen. »Tombstone ist ein Sammelbecken für den Abschaum des Südwestens. Alle Männer, die nichts taugen und auf Kosten anderer leben, treffen sich dort. Es ist für Kilkenny leicht gewesen, die entsprechende Gesellschaft zu finden. Okay, am Morgen nahm ich die Spur auf. In Spangenbergs Store erfuhr ich von einem Tingeltangelmädchen, daß er noch während der Nacht Proviant, Pulver und Blei für drei Monate eingekauft hatte. Ich forschte weiter. Es half nichts, ich mußte wissen, wer sich zu dem Outlaw gesellt hatte. Mein Leben hing unter Umständen von dieser Information ab. Von dem Mietstallbesitzer erfuhr ich, daß man während der Nacht drei Pferde von seiner Koppel gestohlen hatte. Nun war für mich alles klar, Chief. Schließlich kann ich eins und eins zusammenzählen.« »Du verfolgst ihre Fährte?« Marley schüttelte zornig den Kopf. »Nein, ich verlor sie ein Stück weiter im Nordwesten. Sie müssen einen Weg geritten sein, den ich nicht kenne, oder sie bogen einfach irgendwo ab, was mir entging. Ich will bis zum ›Canyon der Seufzer‹. Dort irgendwo werde ich die Spur wiederfinden.« Cochise hatte nicht ohne Grund gefragt. Er erinnerte sich der Worte seines Spähers. Fünf Weiße drangen von Norden in die Jagdgründe der Chiricahuas ein. Aber das war in einem anderen Teil des Gebirges gewesen. Er sagte es dem Marshal. »Wo genau, Cochise?« Der Häuptling zog sein Messer und ritzte eine Skizze in den Boden. »Hier war es. In diesem Canyon ritten sie nach Süden. Du bist
auf dem falschen Weg, Bleichgesicht.« »Hm, ja. Wie weit sind die beiden Schluchten voneinander entfernt?« »Fünf oder sechs Meilen.« »Verdammt, wie konnte es passieren, daß mir ihre Spur entging?« Der Apache deutete mit der Messerspitze auf eine bestimmte Stelle. »Hier bogen sie ab. Sie brauchten nur ihre Fährte zu verwischen, Bleichgesicht, und du rittest vorbei. Ich denke, sie haben einen Mann bei sich, der das Land genau kennt.« Marley begriff die Taktik, die sie angewendet hatten, um ihre Spur zu tilgen. Folglich wußten sie, daß sie verfolgt wurden. »Hast du keine Angst vor dem Tod, Helläugiger?« Marley sah auf. »Natürlich habe ich Angst. Warum willst du das wissen?« »Es sind fünf böse Bleichgesichter. Vier für dich zuviel. Sind alle Männer deiner Art so mutig?« »Meinst du Weiße, die in dieser Wüstenei das Gesetz vertreten?« »Ich rede von jenen, die wie du den Stern tragen.« »Sie sind mutig und todesverachtend, denn sie bekämpfen das Verbrechen, das sonst überhand nehmen würde. In diesem menschenarmen Land wäre niemand mehr seines Lebens sicher.« Marley wollte hinzufügen, daß Apachen eine größere Bedrohung für die Weißen waren, unterließ es aber. Statt des Vorwurfs, der bei dem Chiricahua sowieso nicht gefruchtet hätte, sagte er: »Banditen reiten nicht aus purer Nächstenliebe mit einem Mann, von dem sie wissen, daß er vom Gesetz verfolgt wird. Ihr Selbsterhaltungstrieb ist größer, als es ihre Nächstenliebe jemals sein kann. Sie tun das nur, wenn sie gemeinsam etwas Ungesetzliches planen.«
»Was kann das sein? Ihre Packtiere tragen Werkzeuge, wie sie von Goldsuchern benutzt werden.« »Vielleicht schürfen sie nach Gold. Egal, was sie vorhaben, ich verfolge sie. Und dann können die was erleben.« Er kramte in seiner Satteltasche und schloß die Schnalle. Als er sich wieder umwandte, war der Häuptling verschwunden. Dunkelheit und eine unheimliche Stille umgaben den Marshal. Einen Augenblick lang glaubte er, alles wäre nur ein Spuk gewesen, eine Illusion, ausgelöst von Einsamkeit und Finsternis, die Urinstinkte im Menschen wecken. * Die Nacht war noch lange nicht vorbei. Cochise lenkte seinen Pinto über die Hochebene zwischen den großen Gebirgszügen und steuerte die Apacheria an. Ein grauer Faden zog sich im Osten über den Horizont. Er wurde breiter und heller, kletterte am Himmelsgewölbe empor und füllte den östlichen Bereich mit neuem Licht aus, dem schließlich die rötlich funkelnde Scheibe der Sonne folgte. Cochise zügelte den Mustang, streckte seine Hände der Sonne entgegen, als wollte er die Lichtbündel, die ihn umschmeichelten, liebkosen. Betete der Jefe? In dieser Haltung verharrte er eine volle Minute. Als er sich wieder in Bewegung setzte und sein Pferd dem Hochteil zulenkte, ritt er mit gesenktem Kopf. Die Späher, die ständig hier oben patrouillierten, hatten ihn längst gesehen und erkannt. Der Mokassintelegraf meldete seine Ankunft im Canyon. Ein Kriegertrupp, meist junge Männer, kam ihm entgegen. Bevor der Häuptling die Felsrampe erreichte, waren sie schon bei ihm. Ein jauchzender Schrei hallte über die Bergeinsamkeit hinweg und brach sich zwischen den Klippen. Arme streckten sich Cochise entgegen, und wenn es einem
Indianer gelang, einen Händedruck zu erhaschen, fühlte er sich von dem Jefe ausgezeichnet. Fremden gegenüber wirkten Apachen verschlossen und zurückhaltend. Insbesondere Weißen. Wenn sie aber unter sich waren, zeigten sie die gleichen Gefühle und kleinen menschlichen Schwächen wie die Bleichgesichter. Sie ritten gemeinsam in die Tiefe. Vor seinem Wickiup stand Nahlekadeya, seine junge Frau. Neben ihr hob Naiche die Hand zum Gruß. Squaws bewegten sich an den Feuern und waren mit der Zubereitung von Mahlzeiten beschäftigt. Cochise hielt den Pinto an und sprang aus dem Sattel. Bevor sich der Häuptling seiner Sguaw zuwandte, begrüßte er seinen Sohn Naiche, der freudig lächelte. »Ich grüße dich, Koh Cheez.« »Mein Gruß gilt dir, Sohn.« »Hatte mein Vater einen guten Ritt?« »Gut und interessant, Naiche. Das Ratsfeuer der Ältesten wird meinen Bericht hören. Ist inzwischen etwas geschehen?« Vater und Sohn standen sich gegenüber, von Kriegeraugen beobachtet, von vielen bewundert. Beide waren groß, breit in den Schultern. Die mächtigen Oberkörper machten ihre Ähnlichkeit noch deutlicher. Naiche nickte und verzog die Mundwinkel. Cochise erkannte Naiches Unwillen. »Ein Mimbrenjo erhebt Anspruch auf die Häuptlingswürde.« »Kenne ich ihn?« »Gokhlayeh. Die Gelbhäutigen sagen Geronimo zu ihm.« »Ein guter Krieger, mein Sohn. Er tat sich im Süden hervor.« »Er drängt an die Spitze, Koh Cheez. Gokhlayeh ist ehrgeizig.« »Das ist das Recht eines jeden guten Kriegers, der für Sippe und Volk kämpft.« Cochise nickte. »Das ist Apachenart. Wenn wir unsere Feinde nicht völlig vernichten, werden sie uns ausrotten. Nur die Angst
vor uns hält sie zurück.« Sie hatten sich mit wenigen Schritten dem Jacale genähert. Nahlekadeya hatte sich zurückgezogen. Als der Häuptling eintrat, reichte sie ihm eine Holzschale. Cochise nahm sie entgegen, setzte sie an die Lippen und trank. Der gegorene Agavensaft, den die Mexikaner Meskal nannten, schmeckte bitter. Der Jefe gab die leere Schale zurück und wandte sich wieder an seinen Sohn. »In unserem Volk ist jeder Krieger ein Führer. Er kann tun und lassen, was er will. Recht und gut ist, was er für seine Sippe tut.« Naiche wagte einen weiteren Einwand: »Er ist zu jung, Koh Cheez.« Der setzte sich an das Feuer, das in jedem Jacale brannte und nie ausging. Naiche nahm neben ihm Platz. »Es ist ein Vorrecht der Jugend, eines Tages die Stelle der Alten einzunehmen. Nur die unverbrauchte Kraft kann unser Volk überleben lassen. Ich will ihn sehen.« »Du willst vor dem Rat der Alten sprechen, Koh Cheez?« »Das will ich ++ und vor Gokhlayeh.« »Er hat keine Stimme im Rat.« »Sagtest du nicht, er sei ein tapferer Krieger?« »Listig und verschlagen, ja, aber…« »Dann gibt es kein Ärger«, unterbrach Cochise ihn. »Wir müssen die ungeschriebenen Gesetze unseres Volkes achten.« Der Türvorhang schlug zurück. Tla-ina, Cochises Schwester, kam in das Wickiup. Sie ging zu Nahlekadeya und hakte sie nach Frauenart unter. Beide nahmen auf einem fellgedeckten Lager Platz und unterhielten sich gedämpft. »Ich sah Langmesser, mein Sohn, die von Süden in unser Land eindringen. Ich beschlich und belauschte sie. Das Volk der Chiricahuas hat in Zukunft nichts Gutes zu erwarten. Eingeengt von den festen Häusern, die die Bleichgesichter Forts nennen,
bewacht von den großen Lagern im Norden, werden wir unbeweglich und von den anderen Sippen abgeschnitten. Immer mehr Siedler und Männer, die nach dem gelben Metall suchen, kommen in unser Stammesgebiet. Unser Lebensraum ist klein geworden.« »Zastee!« zischelte der Häuptlingssohn. »Töten können wir viele, aber nicht alle. Sie sind wie Sand in der Wüste.« Cochises Stimme erstarb in einem dunklen, orakelhaften Murmeln. Naiche hob den Kopf. »Sollen wir uns ohne Gegenwehr von ihnen umbringen lassen? Sollen wir warten, bis sie den letzten unserer Krieger getötet und Frauen und Kinder in die Lager verschleppt haben, die sie Reservate nennen?« Cochise gab keine Antwort. Er nahm einen Zweig, ritzte Linien in die gestampfte Erde. Plastisch erschien das Bild des ganzen Landes im Südwesten vor den erstaunten Augen des jungen Kriegers. »Hier ist die Straße mit der Enge, die die Weißen den Apachen-Paß nennen. Sie verbindet das Land der Chiricahuas mit dem der Mimbrenjos und Aravaipas. Überqueren wir diese Berge, kommen wir nach ein paar Tagesritten zu den Flüssen im Norden. Wir alle sind ein Volk, wir sind Brüder, und das, was du hier siehst, sind unsere Jagdgründe. An dieser Stelle sprudeln die unversiegbaren Quellen. Ein Steinwurf weiter stehen die Häuser der Bleichgesichter, die unser Land mit rollenden Wickiups durcheilen.« Aus dem Gedächtnis ritzte Cochise ein Kartenwerk ins Erdreich, das den Aufzeichnungen eines Armee-Kartographen Ehre gemacht hätte. Der Stab glitt nach Süden, folgte einem Canyon, der, wie das ganze Labyrinth von Bergen, Schluchten und Mesas, zu den offenen Toren nach Sonora hinzuführen schien, die von den Mexikanern »Camino del Diablo« und »Canyon der Seufzer« genannt wurden.
»In diese Schlucht«, fuhr Cochise fort, »dringen zwanzigmal so viel Langmesser, wie ich Finger an den Händen habe. Ich belauschte sie und erfuhr, daß sie eine für Indianer schlimme Waffe mit sich führen, die den Untergang unseres Volkes bedeuten kann.« »Wir greifen an und vernichten sie, Jefe?« »Seit dem Massaker an den Mitgliedern unserer Sippe ist der Krieg unvermeidbar.« »Du hast dem einarmigen weißen Häuptling versprochen, Frieden zu bewahren.« »Gegen Howard kämpfe ich nicht.« »Du nennst Thomas Jeffords deinen Freund, Cochise. Du gabst ihm Land, die Nutzung der Quellen, Holz für den Bau seiner Häuser…« »Ich führe keinen Krieg gegen Jeffords. Mein Wort ist mir heilig, Naiche. Ich führe Krieg gegen die Eindringlinge und ihre neuen Waffen.« »Nur die Chiricahuas werden die Langmesser angreifen?« »Sohn, dazu sind wir zu schwach. Alle Stämme der Apachen müssen gemeinsam kämpfen.« Naiche warf einen langen Blick auf das angespannte Gesicht mit der markanten Adlernase. Die Lippen bildeten einen dünnen Strich. »Die Navahos, Yaquis und Mescaleros werden an unserer Seite kämpfen, dazu die Nednis und die anderen Stämme?« Cochise warf den Stock, der ihm als Werkzeug gedient hatte, ins aufstiebende Feuer: »Ich will nur die Mimbrenjos, White-Mountain-Apachen und die Aravaipas hinter mir wissen. Die Häuptlinge sollen alle ihre Sippen zusammenrufen und zum Kampf rüsten.« Naiche stand auf. »Ich schicke Boten zu den Führern, Jefe. In zwei Tagen können sie mit den Ältesten hier sein.« Cochise starrte in die Glut des Kochfeuers und schüttelte den
Kopf. Wie im Selbstgespräch murmelte er leise: »Ich werde ohne die anderen Stämme auskommen. Die Zeit für einen gemeinsamen Aufstand gegen die Bleichgesichter ist noch nicht reif. Ja, ich komme ohne sie aus.« Naiche verließ das Wickiup. Tla+ina erhob sich, stand eine Weile unschlüssig und starrte auf Cochises Rücken. Sie setzte sich wieder und legte in stiller Ergebenheit ihre Hände in den Schoß. Seit Wochen war sie bemüht, mit ihrem Bruder ins Gespräch zu kommen. Aber immer, wenn sie eine Möglichkeit dazu hatte, verließ sie der Mut. Hatte Cochise sein ihr gegebenes Wort vergessen? Sie glaubte es nicht und hoffte weiter, ohne die Tradition der Apachenfrauen zu brechen: die Ergebenheit. Immerzu mußte sie an den »Falken« denken, an den weißen Scout und die wenigen glücklichen Stunden, die sie in seiner Nähe hatte verbringen dürfen. Diesmal war sie entschlossen, Cochise an sein Versprechen zu erinnern. Gerade in dem Moment, als sie sich erheben und zu Cochise treten wollte, kam Naiche herein und setzte sich an seine Seite. Die Chance war für Tla+ina vertan. Resigniert blieb sie sitzen und sah Nahlekadeya zu. »Die Boten sind unterwegs«, sagte Naiche. Cochise nickte. »Wir werden die Häuptlinge mit dem Respekt empfangen, der ihnen zusteht. Es soll ihnen an nichts fehlen. Stehen die Jacales für die Gäste bereit?« »Ich werde mich darum kümmern, Jefe.« Cochise beugte sich leicht vor und schloß die Augen. War er müde? Bedrückte ihn irgend etwas? * Sie wurden verfolgt, und sie wußten es seit geraumer Zeit.
Claude Atkins ritt an der Spitze. Neben ihm, Bügel an Bügel, trabte Gus Kilkenny. Bryan Kelso, Rick Kennedy und Gene Bard folgten mit den hochbeladenen Packtieren. Atkins war eine Menge Geld losgeworden, als er seine kleine Truppe ausrüstete. Er hatte es aber nicht bedauert, glaubte er doch an den Erfolg der Goldsuche. Innerhalb der Gemeinschaft bestand keine Einigkeit. Kelso hatte von Atkins eine Aufzeichnung über die Lage des Goldtales verlangt, aber Claude hatte abgelehnt. Nach dem zweiten Tag hatte sich auch Kilkenny ruppig benommen. Zuerst geriet er mit Atkins in Streit, später legte er sich mit Kelso an. Die ständige Gefahr, von Apachen entdeckt zu werden, zerrte an den Nerven der Männer und machte sie gereizt. Am dritten Tag schließlich hatte Atkins den oder die Verfolger bemerkt. Er behielt sein Wissen für sich, um nicht noch mehr Unruhe zu stiften. Noch wußte er nicht, ob es sich um Apachen handelte, die ihnen in einem Abstand von einer Viertelmeile ständig folgten. »Noch immer kein Lager?« rief Kelso von hinten. »Wir brauchen Wasser«, sagte Atkins. »Und das finden wir erst in ungefähr einer Stunde. So lange müssen wir und die Pferde durchhalten.« »Kennst du überhaupt Wasserstellen, oder führst du uns nur so zum Schein durch die verdammte Bergwildnis?« »Blödmann! Hör zu, Kelso, wenn du dich an mir reiben willst, dann versuch mal 'ne andere Tour. Selbstverständlich kenne ich Wasserstellen, sonst wäre ich nicht in diese mörderische Gegend aufgebrochen. Halte jetzt Ruhe!« »War nicht so gemeint.« Eines der Pferde warf den Kopf hoch und schnaubte. Sofort danach zerrte Atkins an den Zügeln und brachte sein Pferd zum Stehen. Kelso und Kennedy ritten auf. »Verflucht, kannst du nicht…« »Still!«
Atkins zischte die Warnung nach hinten. Er hielt den Kopf geneigt und lauschte. Die Stille irritierte ihn. Die Pferde hatten etwas gewittert, und meistens waren es Fremde, wenn sie die Köpfe in dieser Art hochwarfen und die Ohren spielen ließen. Um Indianer konnte es sich nicht handeln. Wären Apachen in ihrer Nähe gewesen, hätten die Tiere anders reagiert. Es waren also Weiße. Aber welche? Ihre Verfolger? Männer aus Tombstone, die irgendwie Wind von der Sache bekommen hatten. Atkins musterte den schmalen Schlauch des Canyons, blickte an den Wänden hoch und entdeckte weiter hinten einen eigenartigen Spalt, der als Riß in die fast senkrecht abfallende Felswand schnitt und mit mancherlei verdorrtem Zeug bewachsen war. Er stieg ab, gab die Zügel Kilkenny, der ihn verwundert anstarrte. »Ist was, Claude?« »Kann sein. Wartet hier, macht keinen Lärm und laßt euch auf nichts ein, bevor ich nicht zurück bin.« »Und wenn wir angegriffen werden?« wollte Gene Bard, der Mann aus Tennessee, wissen. »Blöde Frage.« Atkins huschte zu dem Spalt und drang in ihn ein. Eine seltsame Dämmerung umgab ihn, als er aufwärts und tiefer in die Felsen kletterte. Plötzlich wurde es wieder hell, und er war oben. Der Outlaw verließ den Spalt noch nicht. Lauernd blickte er in alle Richtungen, sah aber nichts, was auf Gefahr hingewiesen hätte. In der Nähe der Spaltöffnung lagen Felsbrocken herum, die wiederum von stachel- und dornenbestückten Dickichten ausgefüllt wurden. Atkins kletterte ins Freie, um die Umgebung abzusuchen. Kaum war er ein paar Schritte von der Öffnung entfernt, hörte er das Knacken eines Gewehrschlosses.
»Die Hände auf den Hut, Freund! Dalli!« Er zuckte zusammen und blieb wie angewurzelt stehen. Vier Gestalten drängten sich durch das Gestrüpp und grinsten ihn mit vorgehaltenen Waffen spöttisch an. Einer von ihnen, ein bärtiger Typ mit einem Schielauge und einer breitgeschlagenen Nase, knurrte: »Abschnallen, Mister.« Sein Ton klang nörgelnd, als wäre er von Natur aus unzufrieden und vom Glück vernachlässigt worden. »Wer seid ihr?« Atkins sah die ausdruckslosen Gesichter der vier Kerle und verwünschte sein Pech, nicht besser aufgepaßt zu haben. Ohne hierfür Beweise zu haben, brachte er sie mit der dünnen Staubwolke in Zusammenhang, die er seit zwei Tagen beobachtete. Er löste die Gürtelschnalle und ließ den Waffengurt zu Boden fallen. Seine Frage wiederholte er nicht mehr. Der Bärtige kam ihm mit einem langen Schritt entgegen und stieß die Faust vor. Atkins wurde zurückgeschleudert und wäre fast in den Spalt gestürzt. Bevor er sich wieder fassen konnte, erhielt er einen zweiten Schlag genau aufs Kinn. »Was ist… Beim Henker, was soll das?« »Wo ist die Mine? Her mit dem Lageplan!« Wieder ein Schlag, der nicht von schlechten Eltern war. »Welche Mine? Welcher Plan?« Der nächste Schwinger warf ihn glatt um. Röchelnd rang er nach Luft. Sein lädiertes Auge suchte den Revolver. Einer aus der Bande hatte ihn an sich genommen. Atkins mußte etwas riskieren, bevor sie ihn ganz kampfunfähig schlugen. Wer waren sie überhaupt? Sie wußten von der Mine und wollten sich rücksichtslos in die Sache einkaufen. Aber er war nicht bereit, auch nur einen Bruchteil von dem zu verraten, was er wußte.
Allmählich bekam er wieder Luft. Der Bärtige stand zähnebleckend vor ihm und hob das stiefelbewehrte Bein, um ihn zu treten. Ein solcher Tritt gegen den Kopf konnte böse Folgen haben. Atkins wußte das und stellte sich darauf ein, gegen die Kerle vorzugehen. Sie hatten zwar Gewehre und Revolver in den Händen, wirkten aber sehr nachlässig und selbstsicher dabei. Anscheinend hielten sie ihn noch für groggy. Der Stiefel mit dem Sporn kam auf ihn zugeschossen. Der Bandit schnappte mit beiden Händen nach dem Bein, riß den Mann zu Boden und gab ihm eins mit der Handkante. Dann sprang er auf, wirbelte herum und setzte dem Dürren die Linke in den Magen. Der Mann klappte zusammen und keuchte. Mit einem rechten Schwinger traf er den Kerl, der seinen Patronengurt über dem Arm hängen hatte. Der vierte Gegner richtete seinen Colt auf Atkins, aber da gab ihm der Bandit einen heftigen Fußtritt. Der Mann krümmte sich im Schmerz nach vorn. Blitzschnell ließ Atkins eine Doublette folgen, die den Mann aufs Gesicht warf. Der Bärtige erhob sich wieder und ergriff eine Winchester am Boden. Atkins packte den Lauf, drückte ihn nach links und stieß sein Knie hart gegen die Brust des anderen, und schlug ihm den Gurt an den Hals. Atkins rannte auf den Spalt zu, erreichte ihn jedoch nicht. Hinter einem Dornbusch trat jemand hervor, den er am wenigsten erwartet hätte: US-Marshal Drew Marley. Er hielt einen Revolver in der Hand und spannte mit dem Daumen den Hahn. »Bleiben Sie stehen!« rief der Marshal. »Sind Sie verrückt geworden, Blechstern. Die Kerle legen uns beide um, wenn wir nicht verduften.« Atkins drehte sich um und setzte seine Beine in Bewegung. Hinter ihm krachte ein Schuß, aber die Kugel traf ihn nicht.
Kurz darauf war der Outlaw zwischen dem Geröll verschwunden. Er arbeitete sich hinauf, wandte sich im Laufen einige Male um, rannte weiter und bekam plötzlich Angst vor seinem eigenen Schatten. Nach einer halben Stunde hatte Atkins eine Stelle gefunden, die sich zum Abstieg in den Canyon eignete. Er kletterte hinunter und lief dann wie ein jagender Wolf durch das schmale Tal und die andere Seite hoch. Sein Atem kam in kurzen, rasselnden Zügen aus seiner trockenen Kehle. Irgendwo weit hinter ihm peitschten Gewehrund Revolverschüsse. Atkins hoffte, daß der Marshal sich mit den vier Typen angelegt hatte und von ihm abließ. Er rannte und rannte. Erst als er seine Horde in der Tiefe der Schlucht sah, warf er sich flach auf den Boden und blieb japsend liegen. * »Wer waren die Leute?« Bryan Kelsos Stimme klang mißtrauisch. »Woher soll ich das wissen? Sie bedrohten mich, nannten aber keinen Namen.« »Diana Barnes«, brummte Kennedy. »Nur die verdammte Hure kann es gewesen sein.« Kelso sah ihn an. »Glaube ich nicht, Rich. Du, Gene?« Bard schüttelte den Kopf. Kelso wandte sich dem angeschlagenen Atkins zu. »Was meinst du?« »Keine Ahnung. Zu allem Übel fehlen uns jetzt noch die Apachen. Laßt uns von hier verschwinden, Jungs, und das schnell.« »Moment!« sagte Kelso. »Nicht so eilig, Claude. Wir können es uns nicht leisten, einen Feind hinter uns zu haben. Wir gehen da rauf und legen die Kerle um.«
»Vergißt du Marley?« »Den kaufen wir uns auch.« »Um sämtliche US-Deputies der Staaten auf unseren Fersen zu haben? Ausgeschlossen.« »Narr!« sagte Kelso verächtlich. »Willst du deinen Verfolger schonen?« »Davon kann keine Rede sein, aber Mord bleibt Mord, Bryan. Wenn er mir mit der Waffe in der Hand entgegentritt, ist das für mich was anderes. Jedenfalls nicht Mord, obwohl es das Gesetz am Ende doch so dreht. Wir reiten weiter zur Quelle. Wenn wir nicht bald Wasser bekommen, brechen die Tiere unter uns zusammen. Los, verdammt, verschwinden wir!« Während die Gruppe um Atkins anritt, riß 90 Fuß über ihr ein Mann seinen verschwitzten Hut vom Kopf und stampfte wütend darauf herum. Drew Marley fluchte, verwünschte sich und seine Dummheit. Er hatte sie alle vor seiner Kanone gehabt und wieder entwischen lassen. Seine Unentschlossenheit und sein Zögern warf ihn um viele Stunden zurück. Zwei Tage lang war er über den glutheißen Höhenzug geritten, um den Outlaws den Weg abzuschneiden. Der nun von Cochise gegebene Rat hatte sich schließlich bezahlt gemacht. Wie überrascht war er gewesen, als er den Mann vor sich gesehen hatte, der ihn in Tombstone niedergeschlagen und Kilkenny am Ende zur Flucht verholfen hatte. Dieser Stranger prügelte sich mit seinen Kumpanen, und das nicht zu knapp. Dieser Trugschluß, dazu das Zögern, weil er die Zusammenhänge nicht verstand, warf alle seine Pläne über den Haufen. Statt die Banditen zu verhaften, machten sie sich nach einem kurzen Schußwechsel aus dem Staub. Und das kam so: Der Mann, dem er Kilkennys Flucht in Tombstone zu verdanken hatte, erkannte ihn und rannte davon. Zwar feuerte er einen Schuß auf ihn ab, aber es war nur als Warnung gedacht. Gegen den Fremden lag nichts vor, er konnte ihn nicht einfach niederschießen.
Bevor er dann kapierte, was sich überhaupt abspielte, schoß der Bärtige vom Boden aus mit einem Gewehr auf ihn. Er traf nicht, sprang hoch und ergriff die Flucht. Marley schoß auf die anderen, ohne Erfolg, weil sie sich zu schnell bewegten. Dann feuerte der Dürre seinen Revolver ab. Er hatte mehr Glück. Marleys Colt wurde ihm aus der Hand geprellt. Er war waffenlos. Diese kurze Zeitspanne benutzten die Kerle dazu, sich in die Büsche zu schlagen und zu türmen… Marley hörte auf der Canyonsohle Hufgeklapper. Er rannte verwirrt zum Abgrund und sah, wie fünf Reiter um die nächste Kurve verschwanden. Eine Sekunde lang war er wie versteinert. Bis er endlich begriff, daß er es mit zwei Gruppen zu tun gehabt hatte, war alles vorbei. Wie schon gesagt, der Marshal fluchte wie ein irischer Kutscher. Kochend vor Zorn suchte er seine Waffe. Er fand sie, blies den Staub aus dem Lauf und ließ die Trommel routieren. Dann schob er den langläufigen Revolver ins Halfter und ging zu seinem Pferd. * Sie kamen einzeln oder in Gruppen, näherten sich dem Hochgebirgstal und gelangten über die Felsrampe in das eigentliche Lager. Zuerst kam Victorio, der grimmige Mimbrenjo. Im Gefolge hatte er seine vornehmsten Krieger. Ihm folgte der alternde Nana. Auch er hatte zwei Krieger mitgebracht, die im Rat der Häuptlinge eine gewichtige Stimme hatten. Eine Stunde später erschienen Chato, Loco und Inmut+tooba, ein nachrückender junger Führer, der sich im Kampf gegen die Weißen mehrfach ausgezeichnet hatte. Ihnen folgte ein
Schwarm älterer, würdevoller Krieger, mit braunen Runzelgesichtern. Cochise empfing sie mit Handschlag und Namen. Nie verwechselte er einen Krieger oder nannte einen falschen Namen. Sein Gedächtnis war ausgezeichnet. Junge Chiricahuas legten grasgestopfte Sitzkissen um das große Feuer. Weil sie nicht langten, brachte man Felle und Decken. Junge Männer trugen Bastmatten und Bretter. Auf ihnen lagen gebratenes Fleisch, geröstete Mesquitebohnen und Mais in Holznäpfen. Tortillas und Krüge mit Tizwin wurden herumgereicht. Cochises Sippe hatte alles aufgeboten, um die Gäste willkommen zu heißen. Sogar ein Muli war geschlachtet worden. Maultierfleisch war für Apachen ein Leckerbissen. Die fremden Krieger wußten das zu schätzen und griffen kräftig zu. Während man Unmengen von Braten verschlang, sprach man nicht viel. Nach dem Essen wurden Tonschüsseln mit Wasser verteilt und dünne Bastmatten, an denen sich die Indianer die Hände abtrockneten. Cochise, der Diplomat, hatte an alles gedacht. Inzwischen war die Dunkelheit hereingebrochen. Von der Höhe ertönte der gellende Schrei des jagenden Nachtfalken. Alle starrten sie hinauf. Ein Späher stand bei der Rampe und gab ein Handzeichen. Der Posten verschwand und wurde kurz danach wieder an einer anderen Stelle gesehen. Naiche trat zu Cochise. »Es ist Besuch angemeldet, freundlicher Besuch. Wer kann das zu dieser späten Stunde sein?« »Sieh dich um«, antwortete der Häuptling. Naiche tat es, ohne zu ahnen, warum der Jefe das wollte. »Ich weiß nicht, was du meinst, Koh Cheez.« »Du willst wissen, wer fehlt. Nun, weißt du es.« »Nein. Sage es mir.« »Gokhlayeh.«
»Wie kommst du darauf?« »Siehst du ihn in unserem Kreis? Er ist der Krieger, der sich in Pose setzen will. ›Seht her, hier bin ich‹. Das ist Gokhlayeh. Deswegen kommt er erst, wenn die anderen Häuptlinge und Krieger Gelegenheit haben, ihn zu bewundern.« Ein Reiter tauchte oben am Canyonrand auf, deutete nach unten und machte unverständliche Gesten. Dann verschwand er. Wenige Minuten später tauchte er hoch oben bei der Felsrampe auf. Er ritt einen Schimmel, kam herunter und hielt beim Feuer an. Niemand beachtete ihn. Cochise erhob sich, ging auf den Ankömmling zu und bot ihm die Hand. »Du bist Geronimo? Willkommen in meinem Stützpunkt.« Die beiden musterten sich. Geronimo blieb auf seinem Pferd sitzen und beugte sich nur vor, um Cochise die Hand zu reichen. Ein paar Krieger murrten. Die Mißachtung für den großen Führer der Apachen, die Geronimo an den Tag legte, mißfiel ihnen. Cochise wandte sich ab und setzte sich wieder. Geronimo sprang vom Rücken seines Pferdes und ließ es von einem Jungen wegbringen. Geronimo hatte ein wildes, fast brutales Gesicht, das von den nach innen stehenden Augen nicht gemildert wurde. Von den schmalen Lippen, die sich über die ganze Breite der unteren Gesichtshälfte zogen, verliefen zwei tiefe Falten zum Kinn. Gokhlayeh trug das Haar in der Mitte gescheitelt und lang bis auf die Schulter. Ein Stirnband schien er abzulehnen. Der Mann wirkte breitschultrig, stämmig und trug Wüstenkleidung und hochschäftige Mokassins. Er schien die Abneigung zu spüren, die ihn umgab, aber sie störte ihn wohl nicht. Geronimo ging auf einen freien Sitz zu und ließ sich nieder. »Du hast nach mir gerufen, Koh Cheez. Hier bin ich.« Seine Stimme klang lispelnd und grollend, und wenn er sich
bewegte, geschah dies mit der Geschmeidigkeit einer Schlange. Cochise wußte nun, wen er vor sich hatte. Geronimo lehnte Speise und Trank ab. Seine Blicke glitten in die Runde, als suchte er nach einem Zeichen des Willkommens. Es blieb jedoch aus. »Gefällt er dir, Koh Cheez?« Naiches Stimme klang leise, als wäre er vom Treffen der roten Wölfe tief beeindruckt. Nur Cochise wußte, daß es nicht so war. »Er ist ein Krieger, Na-Cheez, und nur das zählt.« Die harten braunen Augen des Mimbrenjos musterten Cochise. Die beiden Indianer starrten sich wie zwei Wolfsrüden an, die beide die Führung des Rudels beanspruchen. Viele sahen zu ihnen herüber. Eine seltsame Stille trat ein. Cochise hörte nur den Nachtwind, der im hohen Gras raschelte. Er wußte, daß Schweigen zum Verhängnis werden konnte. Langsam stand er auf. Es wurde, wenn möglich, noch stiller. Selbst der Wind schien seinen Atem anzuhalten. Der Häuptling hob die Hände. Das lederne Jagdhemd spannte sich über dem mächtigen Brustkorb, und sein scharfgeschnittenes Gesicht, das dem eines römischen Feldherrn glich, drehte sich im Kreis. »Wir sind vollzählig«, sagte er. Seine Stimme schallte über das Lager. »Ich, Koh Cheez, eröffne die Beratung der Häuptlinge. Hat einer der Führer der Apachen etwas vorweg zu sagen?« Niemand meldete sich. Das Feuer knisterte, als hätte es eine beratende Stimme in diesem Kreis steingefrorener Wasserspeiergesichter. Kein Muskel zuckte in ihnen. Die dunklen Augen richteten sich auf die majestätische Gestalt vor ihnen. Von Flammen umstrahlt, wirkte sie faszinierend. Weit hinten im Canyon schrie eine Eule. Ihr Ruf drang spitz und klagend durch die Bergwelt. Bu, der Bote aus dem Totenreich, zog mit klatschendem Flügelschlag durch den
Canyon. Cochise sah das Zucken auf den abergläubigen Gesichtern, das kurze Erschrecken. War das Erscheinen der Eule schicksalhaft für die Bedeutung dieser Stunde? Er senkte die Arme, hob sie wieder und streckte sie aus. Cochises Stimme schallte weit durch das Hochgebirgstal und ließ das Seufzen des Windes verstummen. »Krieger der Mimbrenjos!« Der berühmte Häuptling machte eine Pause, um die Wirkung auf Victorio zu beobachten. Mit lauter Stimme fuhr er fort: »Tontos! Chiricahuas!« Es war verständlich, daß er seinen eigenen Stamm zuletzt nannte. Deswegen reckten einige Krieger die Köpfe. Hatte Cochise die Aravaipas vergessen? Er hatte nicht. Bewußt nannte er sie zuletzt, um sie zu ehren und um Eskaminzin, ihren Häuptling, zu schmeicheln. Klar und deutlich hallte es durch das Lager: »Aravaipas!« Cochise warf einen langen Blick auf Eskaminzin, der geschmeichelt nickte. Nachdem die Form gewahrt war, fragte der Jefe: »Seht ihr diese zehn Finger an meinen Händen?« Er streckte sie gespreizt empor. »Zwanzig Hände machen zweihundert Finger. So viele Langmesser ziehen durch einen Canyon der Chiricahuas.« Ein Grollen wurde laut, als hätten sich irgendwo Gesteinsmassen losgelöst und polterten in die Tiefe. Cochise fuhr schnell fort: »Sie ziehen durch unser Land, um ein Gebiet zu erreichen, in dem unsere Brüder, die Mescaleros, ihre Jagdgründe haben.« Wieder grollte es wie bei einem Erdbeben. Noch wußte niemand, was Cochise wollte, und es wurde schnell wieder still. Spannung lag über den wilden Gesichtern. Mit Donnerstimme verkündete Cochise:
»Die Soldaten führen eine furchtbare Waffe in ihren Wagen mit, mit der sie die Krieger der Apachen, die sich ihnen in den Weg stellen, vernichten wollen. Diese Waffe ist so entsetzlich, daß niemand sie besiegen kann, und darauf vertrauen die Bleichgesichter!« Er erklärte die Anwesenheit der Truppe mit einem Angriff auf die Apachen. Ein schlauer Schachzug, der seine Wirkung nicht verfehlte. Ein Wutschrei brauste durch das Tal und verebbte nur langsam. Victorio sprang auf und streckte seine Hand gegen Cochise aus. Er und Geronimo waren die einzigen, die kein Stirnband trugen. Wild flatterten seine langen Haare. »Woher weiß Koh Cheez das? Steht er mit den Geistern im Bunde?« Ein anderer rief: »Ist Cochise ein Medizinmann?« Der Häuptling antwortete: »Ich belauschte sie in ihrem Lager. Ihre Chiefs sprachen über diese Waffe.« Ein kurzes Raunen der Bewunderung ging durch die Reihen der unbeweglich sitzenden Gestalten. Victorio war überzeugt und setzte sich wieder. Dafür stand Alchesay auf. Seine Stimme hatte einen fremden Klang. »Koh Cheez ist der Anführer aller Stämme. Will er den Durchzug der Pferdesoldaten dulden?« Sehr genau hatte Cochise den feinen Unterschied in Alchesays Worten vernommen. »Koh Cheez ist der Anführer aller Stämme«, hatte er gesagt. Er war zufrieden und antwortete: »Ich dulde sie nicht. Ich kann sie nicht dulden, denn die neuen Waffen sind tödlich für die Krieger unseres Volkes.« Wieder dröhnte das Grollen auf, das wie eine näherkommende Stampede klang. Cochise wirkte wie eine Statue, wartete auf das Zeichen, auf den Augenblick, daß einer von ihnen bekundete, was er sich insgeheim wünschte. Das Zeichen kam. »Zastee!« schrie jemand. »Zastee! Zastee! Tötet!« fielen alle mit ein.
Krieger sprangen auf, Fäuste, Messer und Kriegsbeile wurden geschwungen. Schließlich brüllte die ganze Versammlung: »Zastee!« Das war es, worauf der schlaue Jefe gewartet hatte. Aber noch war der Sieg nicht sein. Geronimo baute sich vor ihm auf. Wütend trommelten seine Fäuste gegen die Brust. »Gib mir hundert Krieger, Koh Cheez, und ich werde sie aus dem Land verjagen und vernichten.« Die Runde wurde stumm. Ein junger, fast noch unbekannter Krieger wagte es, sich vorzudrängen und in die Beratung der Häuptlinge einzugreifen, um Vorschläge zu machen. Man konnte den Atem der erregten Krieger hören. Cochise wandte sich Geronimo zu. Seine Antwort war zweideutig, wurde aber von allen verstanden. »Junge Krieger bewegen sich gern zwischen Borke und Stamm, denn sie wissen nicht, daß beide eins sind und den Baum bilden. Ich werde Geronimo sagen, wie wir die Bleichgesichter vernichten.« Geronimo verstand die Rüge und setzte sich. Cochises Blick ging im Kreis. Er sah die Gesichter, ihre Mimik, ihre glänzenden Augen. Er wußte, daß die Häuptlinge ausnahmslos hinter ihm standen. Mit weithin hallender Stimme fuhr er fort: »Wir erwarten sie mit dreifacher Übermacht am Paß. Aber wir greifen sie nicht so an, wie wir es gewohnt sind. Apachen müssen von nun an ihre Kampfesweise ändern.« »Wie denn?« fragte einer der Umstehenden. »Wir bauen Brustwehren, hinter denen wir vor ihren Kugeln sicher sind.« Victorio sprang urplötzlich auf. Sein Gesicht war verzerrt in maßloser Wut. »Koh Cheez spricht törichte Worte. Sollen sich meine Krieger feige hinter Wänden aus Steinen verbergen? Kein Mimbrenjo tut das. Wir kämpfen, wie wir es gewohnt sind, und wir wollen Skalps. Kein Mimbrenjo fürchtet sich vor den Kugeln der
Bleichgesichter!« »How! How! How!« Victorios Unterführer schrien ihren Beifall lauthals in die Nacht. Die anderen Gruppen verhielten sich ruhig. Alchesay und Eskaminzin waren schlau und ahnten, daß sich hier etwas Neues, etwas Umwälzendes in der Kampfesführung anbahnte. Hing es mit der neuen Waffe zusammen? Wußte Cochise mehr, als er gesagt hatte? Der spontane Einwand des Mimbrenjo verlor seine Wirkung bei der Gelassenheit des Jefe. Der Häuptling ging auf ihn ein und brachte die Waffe, die keiner kannte, wieder ins Spiel. »Die Mimbrenjos werden kämpfen wie bisher und ++ sterben. Sie werden von den Kugeln der Weißen hingemäht werden, und ihre Weiber und Kinder werden in den Jacales den Klagegesang anstimmen und ihr Haar mit Asche bestreuen.« Cochise hob seine Stimme noch mehr und wirkte mit den ausgebreiteten Armen wie ein Prophet. Weithin war er zu hören, bis in den letzten Winkel der Bergfestung. Der alternde Nana sagte mit seiner brüchigen Stimme, die keinen Klang mehr hatte und keine Überzeugungskraft: »Wir sind viele, Koh Cheez, viel mehr als sie.« Chato fügte hinzu: »Wir überraschen sie und kämpfen sie nieder.« Cochise ließ sie reden und das Stimmengemurmel ausklingen. »Es ist klüger, sie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen, als an ihren Kugeln zu verbluten. Die Weißen sind so zahlreich wie Sandkörner in der Wüste, und wir nur Inseln in einem Meer. Hinter Brustwehren sind wir geschützt und können sie mit ihrer Methode bekämpfen. Wir bauen sie.« »Wir bauen Brustwehren!« riefen einige Krieger. Doch der Häuptling hörte Zögern und Zweifel heraus. Noch einmal erhob er seine Stimme und legte noch mehr Pathos hinein. »Die Krieger der Apachen sind nur noch wenige. Sie werden von den modernen Waffen der Bleichgesichter mehr und mehr
ausgeschaltet. Was hilft unsere Tapferkeit unseren Frauen und Kindern, wenn wir tot sind? Werden die Alten satt von den Taten ihrer Söhne, die nicht mehr leben? Krieger der Apachen, hört mich an! Macht es wie ich, kämpft hinter Barrikaden und erschießt die Weißen aus dem Hinterhalt. Dann wird der Sieg unser sein. ++ How!« Cochises zündende Worte riß sie von den Sitzen. Ihre Erstarrung löste sich spontan. Sie schrien und brüllten, warfen die Hände nach oben und wandten sich Victorio zu, der aufstand und mit Gesten um Ruhe bat. »Koh Cheez sprach klug und mit gewandter Zunge. Aber war es auch weise, was er sagte? Können Krieger an den steilen Felswänden Brustwehren bauen?« Der Häuptling erwiderte: »Sie können es, ich habe mir den Paß angesehen.« Victorio beugte sich zu Geronimo. »Wie denkt Gokhlayeh über Cochises Vorschlag?« Gespannte Stille in der Runde. Geronimo hatte seinen anfänglichen Fehler eingesehen und versuchte mit wenigen, gleichmütig hingeworfenen Worten die Stimmung wieder für sich zurückzugewinnen. Aber er konnte es nicht lassen, sich wieder in Pose zu setzen. Er stand auf, gestikulierte mit den Händen und rief: »Ich bin für Cochises Vorschlag. Zastee!« »Zastee!« brüllte der Chor. Damit waren die Würfel für den großen Häuptling gefallen. * Captain Thomas Roberts hörte die schweren Tritte auf dem Fels. Er schlug die Decke zurück, drehte den Kopf zur Seite und blickte nach oben ++ direkt in das dunkle Gesicht eines Yuma Scouts. Der Indianer streckte seine Hand aus und berührte den Offizier an der Schulter.
»Was gibt's?« »Apachen, weißer Mann.« Roberts sprang wie eine Feder in die Höhe und streifte die Decken vollends ab. Wachsam warf er spähende Blicke den Canyon hinauf und hinunter. Die Feuer waren zum Teil niedergebrannt oder glühten wie Dämonenaugen. Er umfaßte den Oberarm des Scouts und schüttelte ihn. »Wo, Rothaut? Schnell! Wo sind Apachen?« »Dort!« Die braune Hand deutete nach Norden. Roberts wirbelte um seine Achse. »Wo sind die Posten?« rief er. »Hier!« schnarrte eine Stimme aus der Dunkelheit. Sergeant Phil Bass, den sie in der Truppe nur »Big Bass« nannten, kam heran und salutierte. »Der Yuma will Apachen gesehen haben«, sagte Roberts. »Was ist an der Meldung, Sergeant?« »Keine Ahnung, Sir. Wahrscheinlich nichts. Der Kerl spinnt und macht aus Angst vor eingebildeten Apachen gleich in die Hose«, antwortete der Sergeant respektlos. Ein Schuß im Norden strafte ihn Lügen. Ein zweiter Schuß folgte, ziemlich weit weg. Der nördliche Canyonteil geriet plötzlich in Aufruhr. Schritte waren zu hören. Ein zweiter Scout. Ohne ihre Mokassins wirkten sie unbeholfen und tölpelhaft wie junge Braunbären. Hinter der Rothaut rannte ein zweiter Mann. Corporal Wittlich, der die letzte Wache hatte, schnaufte. »Sir«, stieß er hervor, »die Patrouille wurde angegriffen!« »Welche Patrouille? Machen Sie Ihre Meldung zusammenhängend, Wittlich.« Der Corporal gab sich einen Ruck und knallte die Absätze zusammen. »Sir, ich meine die Patrouille unter Lieutenant Hegemann. Sie ritt vor Mitternacht nach Norden.« »Richtig.« Roberts wandte sich zu Bass um. »Nehmen Sie
sich zwanzig Mann, Sergeant, reiten Sie los und pauken Sie den Lieutenant heraus! Wer sah die Apachen? Du, Yuma?« Der Indianer schüttelte den Kopf. »Nicht gesehen, gerochen.« »Mensch, mußt du 'ne Nase haben.« Roberts schüttelte verwundert den Kopf. Er warf einen prüfenden Blick nach Osten und sah den ersten schwachen Schimmer des frühen Tages. Auf der anderen Canyonseite verschwand Sergeant Bass mit seinem Trupp. Hufe klapperten, Säbel rasselten, Flüche hingen in der Luft. Dann wurde es still. Roberts wußte, daß er sich täglich mehr dem Einflußbereich der Apachen näherte. Die Truppe hatte Spuren zurückgelassen. Ein halbwüchsiger Apachenbengel hätte ihr mit verbundenen Augen folgen können, geschweige denn die vielen Späher, die dem Zug der kalifornischen Freiwilligen folgten und sich gegenseitig ablösten. Der Paß war noch gut und gern zwei Tagesmärsche entfernt. Ein Reiter konnte die Strecke wahrscheinlich in einem Tag zurücklegen, aber Roberts mußte Rücksicht nehmen auf die vielen Fahrzeuge, die sie mitschleppten. »Corporal Wittlich, Sie wissen nicht, was sich weiter im Norden abgespielt hat?« »Nein, Sir. Da war nur Bewegung in der Finsternis. Dann stieß ein anderer Posten einen Schrei aus und feuerte sein Gewehr ab. Jemand rief ›Indianer‹! Dann wurde es wieder ruhig.« »Ich hörte mehrere Schüsse.« »Ich auch, Sir, kann sie aber nicht erklären.« Roberts entließ den Posten und setzte sich wieder ans Feuer. Im Augenblick gab es nichts mehr zu tun. Im aufgrauenden Frühlicht sah er die Scouts vorbeigehen. Er bemerkte die verhaltene Angst auf ihren Gesichtern. Angst vor was oder wem?
General Carleton hatte ihm einmal anläßlich einer Besprechung gesagt, daß Apachen erbitterte Feinde aller anderen Stämme im Südwesten waren. Unter ihren ständigen Angriffen litten Papagos und Yumas genauso wie die kleinen Nomadenstämme, die Pimas und Mohaves. Lieutenant Ken Bulwer näherte sich dem Feuer. Roberts erklärte ihm die Hektik an der Spitze des weit auseinandergezogenen Truppenverbandes. Bulwer warf den beiden Yumas einen verächtlichen Blick nach und sagte geringschätzig: »Wir hätten sie ebensogut in ihrer Reservation in den Palo Verde Mountains lassen können, Sir. Nutzen brachten sie uns nicht. Wenn sie nur das Wort Apachen hören, machen sie sich vor Angst in die Hosen. Ich halte jede Wette, Sir, daß sie bis zum Abend verschwunden sind. Diablo! Wie soll man mit solchen Memmen Krieg führen?« Roberts' Kopf zuckte zu Bulwer herum. »Wir führen keinen Krieg gegen Indianer, Mr. Bulwer. Ich muß Sie bitten, Ihre Worte mehr abzuwägen.« Bulwer bekam einen roten Kopf und entschuldigte sich. Er wollte sich schnell entfernen, wurde aber von Roberts zurückgehalten. Schnell und ohne Übergang wurde es Tag. Licht drang in die Täler und Canyons, und in diesem Licht hoch oben am Canyonrand bewegte sich etwas. Zahlreiche Soldaten hatten es gesehen. Und starrten hinauf. Mit den gleißenden Sonnenstrahlen im Hintergrund hob sich auf einer Klippe eine ganz in weißes Leder gekleidete Gestalt ab. Langes schwarzes Haar hing dem Indianer bis auf die Schulter. Jemand ganz in der Nähe sagte: »Allmächtiger! Seht nur!« Sie sahen es. Umflossen von einer Fülle zuckender Strahlenbündel, stand der Indianer unbeweglich in einer Aureole gewobenen Silbers. »Haben Sie eine Erklärung für diese Erscheinung,
Lieutenant?« »Nein, Captain. Ein Indianer wie viele andere in dieser Gegend. Es ist nichts Besonderes, Sir.« »Er muß etwas Besonderes sein, ein Häuptling oder Medizinmann. Sehen Sie nur die königliche Haltung, das selbstbewußte Drehen des Kopfes, die Handbewegung…« Die schnelle Wendung Bulwers ließ den Captain abbrechen. »He, Leute! Schießt den lausigen Indianer von seinem Postament! Los, feuert!« Thomas Roberts rief mit durchdringender Stimme: »Stop! Es wird nicht geschossen, Leute! Wer sein Gewehr auf den Indianer richtet, kommt vor ein Feldgericht. Ich verbiete Ihnen, Bulwer, hier Befehle zu geben, die uns allen Kopf und Kragen kosten können.« »Dieser Kerl dort oben bringt die Disziplin der Truppe ins Wanken, Sir. Wir müssen etwas tun.« »Es wird nichts getan. Schweigen Sie, Sie Narr! Ich sage Ihnen, dieser Mann ist ein Häuptling oder in einer anderen führenden Stellung bei den Indianern. Er wird nicht angetastet.« Bulwer zuckte mit den Achseln. »Es wird Cochise sein«, sagte er mürrisch. Drei Zurechtweisungen seines Vorgesetzten am frühren Morgen reichten ihm. »Das ist sogar möglich«, räumte Roberts ein und hob den Blick. »Es sieht ihm ähnlich, aus dem Nichts aufzutauchen und genauso schnell wieder zu verschwinden.« Die Klippe war noch besetzt. Der Morgenwind spielte mit den Haaren und den Enden des Stirnbandes des Indianers. Der bewegte sich nicht, starrte nur in die Schlucht und schien die Soldaten zu zählen. Es ging ein seltsamer Zwang von diesem Mann aus. Captain Roberts blickte zur Klippe hoch. Plötzlich war der Indianer verschwunden. »Der hat sich wohl in Luft aufgelöst?« murmelte ein Corporal in der Nähe und rieb sich die Augen.
Ein anderer: »Die Erscheinung hat bestimmt was zu bedeuten.« »Ach, Quatsch!« mischte sich ein dritter Soldat ein. »Eine Rothaut, dazu eine verdammt schnelle, das ist alles. Wir alle wissen, wie wieselflink sie sich bewegen können.« »Möchte wissen, wer dieser Kerl wirklich war«, sagte Bulwer und spuckte auf die noch warme Asche der Feuerstelle. Roberts drehte sich zu ihm um. »Es gibt keinen Zweifel, Mr. Bulwer, das war Cochise.« »Den habe ich mir ganz anders vorgestellt.« »Wie denn? Haben Sie überhaupt eine Vorstellung, wie der Häuptling der Chiricahuas aussehen kann?« Bulwer lachte gehässig. »Natürlich, Sir. Wie ein lausiger Indianer, schmutzig und verkommen, wie sie alle sind.« Der Captain fühlte sich von dem verächtlichen Ton seines Untergebenen abgestoßen. Verärgert grollte er. »Danken Sie Ihrem Gott, Lieutenant, wenn der schmutzige und verkommene Chiricahua uns in Ruhe läßt. Falls er uns angreift, werden Sie kaum genügend Zeit haben, ein Vaterunser zu beten.« Bulwer machte eine wegwerfende Handbewegung, und nahm die vierte Maßregelung dieses Morgens mit einem Grinsen hin. »Soll er, Captain. Dann wird sich endlich erweisen, wer in diesem Land das Sagen hat.« Roberts ließ es dabei bewenden. Lauschend hob er den Kopf. Hufschlag drang durch den Canyon. Ein großer Reitertrupp bog im Norden in die Kehre ein und schwenkte nach Süden. Sergeant Bass kam mit seinen Leuten zurück. An seiner Seite ritt Lieutenant Hegemann. Kein Soldat fehlte. Roberts blickte dem blonden Offizier entgegen, der sich vom Pferd schwang und salutierte. »Auf Patrouille keine besonderen Begebenheiten, Sir«, meldete Hegemann.
»Danke, Lieutenant. Am frühen Morgen wurde geschossen?« Sergeant Bass grinste und legte die Rechte an sein Käppi. »Zwei Posten sahen Geister, Sir, und schossen Löcher in die Luft.« Roberts wandte sich an Bulwer: »Lassen Sie zum Wecken blasen, Lieutenant. Die Leute sind zwar alle wach, trotzdem wollen wir die Vorschrift nicht umgehen. Anschließend fertigmachen zum Aufbruch. Wir müssen uns weiter nördlich eine Stellung suchen, die wir verteidigen können.« »Dann erwarten Sie also einen Angriff der Apachen?« »Ja.« Bulwer schluckte, und plötzlich wurde es ihm ganz mulmig zumute. * Marshal Drew Marley nahm den zerstampften Hut vom Boden auf und schlug den Staub aus. Wütend stampfte er anschließend zu seinem Pferd, das in einem Versteck auf ihn wartete. Er tränkte und fütterte das Tier. Als es die letzten Körner aus dem Futtersack geleckt hatte, nahm er ihn ab, zog den Sattelgurt fest und stieg auf. Während er am Canyonrand einen Pfad nach unten suchte, legte er das rechte Bein um das Sattelhorn und drehte sich eine Zigarette. Immer noch wütend über sein Versagen, brannte er den Glimmstengel an und machte ein paar Züge. Die Zigarette schmeckte ihm an diesem Morgen nicht. Angewidert warf er sie in einen Spalt. Wenn er an die beiden Banden dachte, die so überraschend aufgetaucht waren, und deren Anwesenheit er sich nicht erklären konnte, wurde ihm übel. Mit Kilkennys Horde hatte er gerechnet. Hinter denen war er her. Aber die anderen, die so plötzlich vor ihm gestanden hatten, bereiteten ihm Kopfzerbrechen.
Schlecht war nur, daß sie nun alle wußten, daß er hinter ihnen her war. Die fremden Typen kannte er zwar nicht, aber sie hatten den Stern auf seiner Brust gesehen, sofort auf ihn gefeuert und waren dann geflüchtet. Sie nahmen bestimmt an, daß er sie verfolgte. Mit einem Kopfschütteln verscheuchte er alle Fragen, auf die es sowieso keine Antwort gab. Wichtiger war es ihm, in die Schlucht zu gelangen und die Verfolgung von Kilkennys-Gruppe aufzunehmen. Nach einem langsamen Ritt von mehr als einer Stunde stieß er auf einen Hohlweg, der sich in langen Windungen nach unten schraubte. Der Marshal lenkte sein Pferd hinein und empfand die plötzliche Kühle als äußerst wohltuend. Unten angekommen, trieb Drew Marley sein Pferd zu schnellerer Gangart an. Hinter der zweiten Biegung stieß er auf eine breite Spur. Er stieg aus dem Sattel und betrachtete sie genau. Zufrieden richtete er sich wieder auf und ritt weiter. Am Spätnachmittag stellte er staunend fest, daß die Männer vor ihm in einen schmalen Seitencanyon eingedrungen waren, der anstieg und nach zahlreichen Kehren auf einem felsigen Plateau endete. Staunend blickte Marley über das zerklüftete Land im Süden. Schlucht an Schlucht, getrennt durch Bergkämme und langgezogene Grate, Plateaus und dazwischen querverlaufende enge Canyons bildeten ein wüstes Labyrinth. Es war eine Landschaft, die bei der Erschaffung der Welt zu kurz gekommen war. Wasser- und Vegetationslos wie der Mond lag sie vor dem Marshal. Weit im Süden erkannte er einen Grüngürtel. Dort gab es Wald, vielleicht auch Wasser. Er erinnerte sich an den »Canyon der Seufzer«, an die anderen großen Canyons, die sich nach Süden hin öffneten. Ureigenstes Apachengebiet, das die
Chiricahuas mit Zähnen und Klauen verteidigten. Die Spur führte dorthin. Am Abend standen Marley und sein Pferd vor einem Abgrund. Den Canyon konnte er wegen der Dunkelheit nur erahnen. War dies der Canyon der Seufzer, wie ihn die Mexikaner nannten? War diese breite Talschlucht das Ziel der Outlaws? Marley wäre in diesem Augenblick dankbar gewesen, wenn ihm jemand eine Antwort auf seine Frage gegeben hätte. Er sah sich nach einem Lagerplatz um. Sein Pferd brauchte Ruhe und er selbst Essen und ein Lager. Unweit der Schlucht sah er ein von Disteln und Kakteen umgebenes Geröllfeld. Er stieg ab, nahm sein Pferd beim Zügel und ging hin. Es gab schmale Pfade in das Dickicht. Wildtiere hatten sie gebahnt auf der Suche nach Nahrung oder Unterschlupf. Marley suchte sich einen Zugang und drang ein. Er stieß auf eine Lichtung, blieb lauschend stehen und sattelte schließlich ab, als er keine Gefahr erkennen konnte. Zuerst versorgte er sein Pferd. Dann trug er trockenes Holz zusammen und entzündete ein Feuer. Als die Sterne hervortraten, war sein Essen fertig. Er aß, trank Wasser aus der Feldflasche, rieb anschließend sein Geschirr mit Sand aus und packte es mit dem Restproviant in die Satteltaschen. Danach breitete er seine Decken aus und legte sich wieder schlafen. Beim ersten Morgenlicht war er wieder auf den Beinen. Es war ein sonderbar glasiges Licht, das über dem Plateau wogte. Indianerlicht! Er brachte das Feuer wieder in Gang und bereitete sein Frühstück. Im Anschluß versorgte er sein Pferd und legte ihm lose den Sattel auf. Bevor der Marshal losritt, wollte er sich in der Gegend umsehen. Es war ein breiter Canyon, vor dessem abfallenden Rand er stand. Ziegenpfade führten nach unten, aber für ein Pferd waren sie unbegehbar.
Zufällig warf er einen Blick nach Nordwesten ++ und zuckte zusammen. Staub wallte dort oben. Und zwar in solchen Mengen, wie sie nur von einem sehr großen Reitertrupp aufgewirbelt werden konnten. Wie eine kupferne Wolke hing dieser braune Staub über dem Gebirge. Marley ging zu seinem Pferd zurück und zog das Fernglas aus dem Futteral. Von hier aus konnte er wegen des Dickichts nichts sehen. Er mußte wieder raus. Was er sah, erschreckte ihn. Unter der Staubwolke bewegten sich viele indianische Reiter. Sie zogen nach Norden. Plötzlich hatte es Marley eilig. Mit langen Schritten ging er zu seinem Pferd, zog den Sattelgurt stramm an und führte es ins Freie. Als er noch einmal durch das Fernglas spähte, bevor er aufstieg, fielen ihm Cochises Worte ein. Hatte der Jefe ihn warnen wollen? Der Marshal wußte nicht, was Cochise dazu bewogen hatte, über die durch sein Land ziehenden Soldaten zu sprechen. Marley stellte sein Glas noch schärfer ein und blickte lange hindurch. Unzählige berittene Apachen zogen über die Kämme und Bergkuppen. Alle trugen Kriegsbemalung, und sie ritten nach Indianerart hintereinander. Der einsame Mann mit dem gezackten Stern auf der Brust schob sein Glas zusammen und verstaute es wieder im Futteral, das er mit einem dünnen Riemen an das Sattelhorn hängte. Kurz darauf zuckte er wie unter einem Peitschenschlag zusammen. Ein fernes Grollen rollte wie Donner durch die einsame Bergwelt. Das Grollen ging in ein langgezogenes Rollen und Knattern über, das schließlich wie ein Paukenschlag in einem gewaltigen Dröhnen verklang. Noch einmal dieses Dröhnen, noch einmal, ein drittes Mal. Wie angewurzelt blieb der Marshal bei seinem Pferd stehen. Er lauschte. Das Rumpeln und Grollen dort oben im Nordwesten ging in sporadisches Einzelfeuer über. Marley wußte, was das
zu bedeuten hatte. Apachen griffen in großer Überzahl die Truppe an. Besorgt warf er einen Blick nach Süden. Dort stieg Staub grau und dünn wie Bodennebel in die Höhe. Hier unten im Süden war sein Ziel, nicht im Nordwesten. Er stieg auf, ritt in westlicher Richtung weiter, auf der Suche nach einem gangbaren Abstieg in das Tal. * Captain Thomas Roberts, Kommandeur der California Volunteers, hatte die ganze Nacht über kein Auge zugetan. Das komische Gefühl in seiner Magengegend wollte nicht weichen und hielt ihn in einem Zustand der Spannung. Seit er die drohende Gestalt des Häuptlings auf dem Felsen hoch über dem Canyon gesehen hatte, rechnete er mit einem Überfall der Indianer. Sie näherten sich dem Apachen-Paß. Die Truppenspitze war bereits in den engen Schlauch zwischen den steil aufragenden Schluchtwänden eingedrungen und quälte sich mühsam hinauf. Um die Mittagszeit mußte das Zentrum der Freiwilligen schon bei den Quellen sein. Bei der Butterfield-Station war ein Tag Ruhe für die Truppe vorgesehen. Roberts wollte sie dazu benutzen, sich mit den Leuten der Station über den weiteren Verlauf der Wegstrecke zu unterhalten und sich von ihnen beraten zu lassen. Als die Sonne über die Berge stieg, verstärkte sich das ungute Gefühl bei Roberts. Dunkel, drohend lag der Einschnitt des Sattels vor seinen spähenden Augen und schien ihm höhnisch zuzugrinsen. Der Captain bat über einen Melder die Lieutenants und die Sergeants zu sich. Er erläuterte kurz die Sachlage und beschrieb den Weg, so gut er das nach seinen ungenauen Karten vermochte. Er verschwieg den Männern auch nicht, daß er mit einem Angriff der Apachen rechnete.
Im Anschluß an die Besprechung zur Lage ließ der Captain die Truppe umformieren. Die Versorgungsfahrzeuge wurden an den Schluß des Zuges gesetzt, auch die beiden Wagen mit den Haubitzen. Diese Maßnahme, so stellte sich später heraus, sollte die Freiwilligen aus Kalifornien vor dem Untergang bewahren. Die Sonne stieg höher, es wurde heiß und drückend. Lieutenant Bulwer übernahm die Führung und zog mit einer Gruppe von 30 Soldaten die Paßstraße hinauf. Von Stunde zu Stunde wurde der Weg beschwerlicher. Zahlreiche schmale Täler und Spalten zweigten von der Paßstraße ab und bildeten ein Labyrinth von Schluchten und Steilwänden, in denen sich nur die Apachen zurechtfanden. Ken Bulwer war guten Mutes. Er glaubte nicht an einen Angriff und tat diesbezügliche Bemerkungen mit einer Handbewegung ab. Die Stelle kam in Sicht, an der Victorios Mimbrenjos die Kutsche der Butterfield-Line in die Tiefe gestürzt und Fahrgäste und das Begleitpersonal getötet hatten. Im Vorbeireiten warfen die Soldaten scheue Blicke auf die Trümmer. Die Felsnase, die gradförmig die Paßstraße einengte, kam dem jungen Lieutenant zwar nicht geheuer vor, aber er dachte sich keine besonderen Maßnahmen aus, um seine Soldaten zu schützen. Hart klirrten die beschlagenen Hufe der Pferde, und die rotbraunen Wände ließen die Geräusche hundertfältig widerhallen. Wie gesagt, Bulwer war jung und stolz auf sein Offizierspatent. Aufrecht saß er im Sattel und ließ seine Blicke schweifen. Er achtete auf alles in seiner Umgebung, nur nicht auf die Hänge ganz oben. Vielleicht wären ihm die Veränderungen gar nicht aufgefallen, denn im Südwesten war er ein ausgesprochenes Greenhorn mit der Apachenerfahrung eines neugeborenen Kindes. Ihm folgten im vorgeschriebenen Abstand die Unteroffiziere Wyatt Silver und Hank Botton, zwei gewitzte Großstadtjungs
aus New York, deren Mundwerk an diesem Morgen besonders gut geschmiert war. Botton beschaute sich angelegentlich die braunen Wände mit ihren Spalten, Klippen und Graten, und als sich seine hellen Augen auf ein weißes Etwas dort oben fixierten, das sich aufrichtete und bewegte, wurden sie groß und rund wie zwei Untertassen. »Mensch, Wyatt, Mann!« entfuhr es ihm. »Ist das nicht der rote Gentleman, der uns vor zwei Tagen beehrte?« Silver folgte mit den Blicken seinem ausgestreckten Arm. Auf einem winzigen Felsplateau, das man über einen kaum sichtbaren Ziegenpfad erreichen konnte, stand Cochise. »Klar, das ist er. Hank, ich glaube, mein Muli priemt.« Silver ging auf den leichten Ton ein und deutete mit dem Finger auf Bulwers Rücken. »Geh zum Teufel mit deinem gottverdammten Muli! Der Gag ist doch schon hundert Jahre alt. Sieh nur, selbst unser Lieutenant hält sich die Ohren zu.« Als sich Ken Bulwer weder umdrehte noch zu erkennen gab, daß er den Witz überhaupt gehört hatte, fuhr Corporal Botton sein zweites schweres Geschütz auf. Mit jungenhaftem Kichern sagte er: »Der verdammte Gaul, der mir täglich den Arsch wundscheuert, hob doch gestern das Bein und pinkelte Duff Barnes an. Wie ein Hund hat er's gemacht, Wyatt, wie ein räudiger Köter.« Ein paar Soldaten hinter ihm lachten. Ken Bulwer aber lachte nicht. Er warf einen wütenden Blick auf die beiden Spaßvögel und ++ schenkte seine ganze Aufmerksamkeit schließlich wieder Cochise dort oben auf dem Felsen. Ja, das tat Lieutenant Bulwer. Aber keinen Fingerzeig mehr. Das Auftauchen Cochises hätte jeden erfahrenen Westmann gewarnt. Doch Bulwer ritt unbekümmert in den jungfräulichen Tag hinein, als gäbe es weit und breit keine Bedrohung durch Apachen.
Wenn ihm später das Massaker beim Apachen-Paß in die Schuhe geschoben wurde, so taten ihm Militärs und Zeitungsschreiber Unrecht. Wie schon gesagt, Bulwer hatte weder Fronterfahrung noch solche mit Apachen. Hinter ihm kicherten die Corporals. Niemand sollte mehr erfahren, ob sie sich über den Lieutenant lustig machten oder über einen neuen Witz. Eine halbe Minute später lachte keiner der jungen Soldaten mehr. Die Straße machte eine leichte Krümmung. An dieser Stelle mündeten zwei Canyons in den Paß. Aus der gegenüberliegenden Wand wurde eine Gewehrsalve auf die dichtgeschlossene Gruppe der Volunteers abgefeuert. Wyatt Silver und Hank Botton wurden tödlich getroffen. Sie stürzten aus den Sätteln. Lieutenant Bulwer wollte eine Warnung ausstoßen, aber es blieb bei dem Versuch. Er griff sich an den Hals und wurde dann schlaff. Die halbe Gruppe, die als Spitze vorangeritten war, hatte es erwischt, bevor sie begriffen hatten, was geschah. Überall an den Steilwänden und Hängen blitzte es hinter sorgfältig errichteten Brustwehren. Pulverrauch legte sich beißend über den Paß. Kugeln brachten Tod und Verderben oder prallten an den Felsen ab und sirrten als Querschläger davon. Mehr als 700 Apachen schossen mit Gewehren und Pfeilen aus allen nur möglichen Verstecken und Deckungen heraus auf die völlig überraschten und wehrlosen Kalifornier. Ein wahres Inferno brach über die Soldaten herein und verschlang sie Mann für Mann. Es war die größte Kampfeinheit der vereinigten Stämme, über die Cochise je befehligt hatte. Selbst Mangas Coloradas war es zu keiner Zeit gelungen, Truppenverbände mit einer solchen Übermacht anzugreifen Nach der ersten Überraschung faßten sich die Überlebenden und Leichtverwundeten und erwiderten das Feuer. Die in längeren Abständen nachfolgenden Einheiten von Infanteristen und
Kavalleristen rückten auf und schossen auf alles, was sich an den Hängen bewegte. Lieutenant Lud Hegemann, der von Bulwers Tod nichts wußte, schickte die beiden Fahrzeuge mit den Haubitzen nach vorn. Jedes Geschütz wurde von vier Kanonieren bedient. Ein Regen von Blei und Pfeilen ging über dem Paß nieder. Soldaten verließen die Marschordnung und suchten Deckung hinter Felsen und in Spalten. Sie feuerten, was die Rohre hergaben, aber ohne großen Erfolg. Mit dem Weitblick des wahren Führers hatte Häuptling Cochise den erlauschten Hinweis auf die Brustwehren in die Tat umgesetzt. Seine Krieger gaben sich hinter diesen Stein- und Holzschanzen nicht die geringste Blöße. Roberts war auf seinem Falben nach vorn gekommen, um die militärische Ordnung wieder in den Griff zu kriegen. Das Pferd unter ihm wurde erschossen. Er stürzte aus dem Sattel, verletzte sich jedoch nicht. Eine Sekunde lang stand er erschüttert vor der Leiche des jungen Offiziers. Neben ihm lagen die jungen Soldaten kreuz und quer, als hätten sie sich im Tod vereint. Hinter Captain Roberts hetzte Lieutenant Hegemann die beiden Militär-Frachter mit den Haubitzen über den ansteigenden holprigen Weg. In diesem Irrsinnsinferno von heulenden Kugeln, zischenden Pfeilen, schreienden Menschen und dem Röcheln der zu Tode getroffenen Soldaten blieb Roberts stehen und starrte zu den Klippen hinauf. An diesem denkwürdigen Tag ++ man schrieb den 14. Juli ++ sah Captain Roberts die legendäre Gestalt des großen Apachen-Häuptlings zum zweitenmal. Eine finstere Entschlossenheit ging von dieser weißgekleideten Gestalt aus. Eine Entschlossenheit, die den Tod aller Weißen verhieß. »Cochise!« rief Roberts erregt. »Diesem Höllenbraten werde ich eine Kugel vor den Latz feuern, daß ihm Hören und Sehen vergeht!« brüllte Hegemann
und drückte das Gewehr eines Gefallenen an die Schulter. Thomas Roberts riß sich jäh aus seiner Überraschungserstarrung. Er machte einen Riesensprung zu Hegemann und schlug den Gewehrlauf in die Höhe. »Warum tun Sie das, Captain? Ich hatte ihn genau im Visier.« Roberts stammelte: »Nicht auf ihn schießen, Hegemann. Ich will nicht, daß ihm etwas zustößt.« »Allmächtiger! Warum?« »Das kann ich nicht genau sagen. Mann, vielleicht ist es deswegen, weil dieser rote General dort oben um den Bestand seines Volkes kämpft. Ich sage Ihnen, Lieutenant, Cochise ist uns allen weit überlegen.« Kopfschüttelnd gab Hegemann dem Gewehr einen Tritt und blickte auf den Schluchtrand. Alles überragend, eine lebende Legende, dirigierte Cochise von der erhöhten Stelle aus das Feuer seiner Krieger. Die beiden Offiziere starrten sekundenlang fasziniert auf den Häuptling, der sich als hervorragender Heerführer seiner indianischen Truppen erwies. In ihrem Rücken stampfen die vier stämmigen Pferde des ersten Haubitzenwagens prustend die Steigung hoch. Eine verirrte Kugel traf den Fahrer und riß ihn vom Bock. Der Wagen schwenkte ein, stellte sich quer und kippte um. Die wild auskeilenden Pferde wieherten schrill vor Angst. Ein gellendes Triumphgebrüll aus 700 und mehr rauhen Kehlen toste durch den Paß. Das nervenzerreißende Kriegsgeschrei wollte kein Ende nehmen. Thomas Roberts fegte herum und sprang mitten in das Gespann hinein. Er hakte die Zugseile aus. Mit ein paar Schlägen auf die Kruppen trieb er die Pferde vom Transporter weg die Straße hinauf. Anschließend griff er sich einige Soldaten, deren Gewehrläufe heiß wie frisch gebackene Tortillas waren. Gemeinsam schafften sie es, das Fahrzeug wieder aufzustellen.
Zwei von vier Kanonieren kletterten auf die Pritsche und machten sich an dem Geschütz zu schaffen. Die beiden anderen blockierten die Räder und rannten zum Munitionswagen. Apachengeschosse sirrten wie Hornissenschwärme um den Wagen. Weder Roberts noch die Geschützbedienung achteten darauf. Sie bewegten sich so frei, als gäbe es keine Indianer und keine Kugeln, die sie niedermähten. Noch weit entfernt kam der Transporter heran. Roberts sah aus den Augenwinkeln, wie die Bedienung schon die Plane zurückzog und der Kutscher mit der Peitsche auf die Pferde einhieb. Beim vorderen Fahrzeug hatten die Kanoniere die Zwölf-Pfünder-Berghaubitze inzwischen in die richtige Position gebracht und geladen. Hegemann kam herbeigerannt. Wild flatterten seine blonden Haare. »Sir!« rief er. »Sir… Captain! Über die Hälfte unserer Leute ist gefallen. Wenn wir uns nicht zurückziehen, werden wir alle vernichtet.« »Zurück?« fauchte Roberts. »Verrückt geworden, Lieutenant? Vorwärts, sage ich! Vorwärts, Leute!« Auf den Absätzen wirbelte er herum, hob die rechte Hand und schrie: »Batterie ++ Feuer!« Es war zwar keine Batterie, die er befehligte, nur ein einziges Geschütz. Das andere war noch 100 Yards entfernt. Aber dieses eine Geschütz entlud seinen Rohrinhalt in einem brüllenden Orkan aus Stahl und Feuer. Pulverqualm verdeckte das Licht des Tages. »Laden!« schrie Roberts wie von Sinnen. »Los, Leute, laden! Beteiligung, bevor ich euch den Hintern bis zum Haaransatz aufreiße!« Die Männer hinter der Kanone schwitzten und fluchten, aber sie luden das Geschütz in weniger als zwei Minuten. Der zweite Wagen war inzwischen auch heran. Zwei junge Soldaten
brachten die ausgeschirrten Pferde nach hinten. Der Captain warf einen Blick auf die beiden Richtkanoniere. Sie nickten. »Batterie ++ Feuer!« Die Welt schien unterzugehen. Zwei brüllende Schlünde schleuderten Tod und Verderben gegen die jenseitige Felswand. Über den Apachenköpfen krachte es wie bei einem schweren Gewitter. Indianische Scharfschützen nahmen die Geschützbedienungen aufs Korn. Zwei Kanoniere fielen, ein dritter erhielt einen Kopfstreifschuß und fiel von der Wagenpritsche. Panik befiel die Soldaten. Eine Gruppe von sechs jungen Kaliforniern wollte fliehen. Lieutenant Hegemann hielt sie mit gezogenem Revolver auf und zwang sie, ihre Waffen wieder aufzunehmen und zu kämpfen. Roberts sprang auf den von Kanonieren entblößten Transporter, schob mit fliegenden Händen eine Kartusche ins Geschützrohr, drückte die Kartätsche nach, richtete das Rohr mit der Zieleinrichtung aus und zog ab. Zu spät fiel ihm ein, daß er das Geschütz nicht ausgewischt hatte. Donnernd entlud sich der Schuß. Der schmetternde Krach und das wütende Geheul in der gegenüberliegenden Canyonwand bewies einen Volltreffer. Zwei Soldaten sprangen ihrem Kommandeur zu Hilfe. Einer, ein rothaariger Feuerkopf, war verwundet. Blut lief ihm über das schmale Gesicht. Zwei andere schleppten Kartuschen und die schweren Kartätschen vom Munitionswagen herbei. Laden und feuern. Laden und feuern. Von drüben kamen nur noch vereinzelte Schüsse. Einige Krieger flohen, kletterten an der zerklüfteten Wand hoch. »Feuer einstellen!« befahl Captain Roberts. Er wischte sich Schweiß und Pulverschleim aus dem Gesicht, das so schwarz wie seine Hände war. Der bittere Geschmack verbrannten Pulvers lag ihm gallig auf der Zunge. Seine Kehle
brannte, und seine Augen tränten. Hegemann kam heran und salutierte. »Gratuliere, Captain, das war eine großartige Leistung. Cochise ist geschlagen. Sehen Sie nur, wie sie fliehen.« Roberts verzog das Gesicht, als hätte er auf pures Salz gebissen. »Glauben Sie das wirklich, Lieutenant Hegemann? Dieser Häuptling wird sich nie geschlagen geben, dessen bin ich sicher. Cochise ist ein Genie und ein großer Heerführer. Schade, daß er ein Indianer ist.« »Das ist gut so und sicher schicksalsbedingt, Sir«, bemerkte Hegemann. Roberts begriff nicht gleich, was Hegemann sagen wollte. Er fragte auch nicht danach. »Wie hoch sind unsere Verluste?« »Einhundertelf Mann, Sir ++ nach der letzten Zählung. Inzwischen sind bestimmt noch ein paar hinzugekommen. Arme Kerle.« »Großer Gott, einhundertelf. Waren diese Opfer nötig?« Hegemann schüttelte den Kopf. »Sir, was befehlen Sie?« »Rauf auf die Paßhöhe. Bevor sie wieder angreifen, müssen wir im Schutz der Station sein. Wir haben keine andere Wahl, Hegemann.« »Sie glauben…« Der Offizier verstummte, salutierte und ging, um den Rest der Truppe neu zu formieren. * Zwei Reiter trabten durch die Canyons. Die zahlreichen Schluchten waren für sie ein erdrückendes Labyrinth von unsichtbaren Gefahren und der Ahnung eines schnellen Todes, wenn sie unvorsichtig wurden. Der eine, der meistens an der Spitze ritt, war schwarzhaarig und dunkeläugig, der andere blond. Er hatte graue Augen, die
manchmal blau wie Gletscherseen wirkten, wenn er sich erregte. Beide hatten sie etwas Gemeinsames: ihre Haltung und ihr Wesen. Sie waren Reiterfiguren, hochgewachsen, breitschultrig und langbeinig, und sie trugen ihre Revolverhalfter tiefgeschnallt. »Hölle und Teufel, immer noch zwei Stunden«, brummte der Blonde. »Wenn du willst, kürzen wir den Weg ab, Larry.« Buck Tinatra, der Schwarzhaarige, grinste. »Geht nicht. Thomas liest uns ganz schön die Leviten, wenn wir die Streckenritte vernachlässigen. Bascoms Schweinerei und die Ermordung der Indianer liegt ihm noch schwer wie ein Klumpen Blei im Magen.« Als Buck nichts sagte, fuhr er fort: »Die ständigen Ritte immer durch die selben Canyons sind entnervend, ich weiß das, aber sie dienen der Sicherheit der Station und dem Schutz der Postkutschen. Wir müssen uns an die vorgeschriebenen Wege halten, Schlaukopf. Jeffords trägt die volle Verantwortung für die Station und den gesamten Kutschenbetrieb.« »Für den Mord an Cochises Sippe kann er keine Verantwortung tragen«, entgegnete Larry Osborne. »Cochise ließ sich bis heute nicht mehr blicken, und das ist kein gutes Zeichen.« Die Schlucht, durch die sie gerade ritten, war heiß wie ein Backofen. Schweiß drang aus ihren Poren. »Du glaubst doch hoffentlich nicht, daß der Häuptling diesen Mord vergißt?« »Nein«, antwortete Larry und rieb sich das Gesicht trocken. »Thomas Jeffords denkt nicht anders. Wenn ich ihn sehe, wie er ruhelos in der Station umherrennt, gibt das genug zu denken.« Buck nickte. »Die größte Sauerei war der Versuch, Cochises kleinen Sohn zu rauben. Dafür mußte dieser Scout mit dem Tod büßen. Erstaunlich, wofür sich Weiße hergeben.« Das jäh einsetzende Knattern unzählig vieler Gewehrschüsse
klang wie eine einzige Explosion. Über dem nahen Paß stieg eine graue Pulverwolke gen Himmel. »Allmächtiger Moses! Was war das, Buck?« Buck Tinatra antwortete ein wenig zynisch: »Man schießt, denke ich, Larry.« »Holzkopf. Wer schießt auf wen?« »Ist doch klar, Mann, Indianer auf Weiße oder umgekehrt. Wovon wir gerade sprachen, ist eingetroffen. Cochise greift an.« »Wen? Die Station?« »Glaube ich nicht. Die ballern weiter südlich. Es muß bei der Kurve sein, wo damals die Stagecoach in die Schlucht stürzte.« »Reiten wir hin?« »Bist du noch zu retten? Ich will mit dieser Hicketackerei nichts zu tun haben. Die Armee soll sich ihre heißen Kastanien selbst aus dem Feuer holen oder die dämlichen Offiziere auf den Mond schießen.« »Möchte wissen, was Thomas unternimmt. Hilft er den Weißen oder den Rothäuten? Mit Cochise darf er sich's nicht verderben, mit der Army auch nicht. Also, was tut er?« »Gar nichts. Ganz gleich, wie die Situation dort oben aussieht, gegen die vielen Indianer hat niemand eine Chance.« »Woher weißt du, daß es viele sind?« »Mann, hast du keine Ohren? Das sind Sharps-Büffelflinten und moderne Winchester, die abgefeuert werden. Beides hat die Armee nicht. Cochise ist im Augenblick am Drücker und rächt die Gehenkten.« Im nächsten Augenblick schien die Erde zu beben. Steine brachen aus ihrem Verband und kollerten von großen Höhen in die Täler. »Jesus Christus, das sind Geschütze!« »Mir scheint, die Schlacht ist noch nicht geschlagen«, sagte Buck und schob sich mit dem Daumen den Stetson aus der Stirn. »Muß ein größerer Truppenverband sein, sonst hätten sie keine Kanonen dabei.«
»Sieh mal auf den Hang dort drüben… Nein, weiter rechts. Den Steilhang meine ich«, schrie Buck Tinatra. Larry sah, was Buck meinte. Gestalten kollerten über den Rand und stürzten in die Tiefe. Graue Gestalten mit langen Haaren und kniehohen Mokassins. »Mensch, Larry«, sagte Buck Tinatra angewidert, »das dort oben wird ein einziges großes Indianerschlachten.« »Scheint mir auch so. Andererseits ist Cochise kein Dummkopf und läßt seine Krieger bestimmt nicht im Kartätschenhagel verbluten. Komm, verschwinden wir, ehe wir es mit den ersten flüchtenden Gruppen zu tun kriegen.« * Claude Atkins erreichte am Abend die Stelle, an der der Goldcanyon, wie er ihn nannte, vom »Canyon der Seufzer« abzweigte. Die Geröllbarriere, so hoch wie ein eingeschossiges Haus, verdeckte den Zugang völlig. Aber es gab einen versteckten Durchgang, ein schmales Tor, und Atkins kannte es. Nahe der steil aufragenden Felswand hatten die Jahrhunderte für eine Abtragung der losen Gesteinsmassen gesorgt. In dem Geröll konnte Unkraut Wurzeln fassen. »He, Claude, hast du nicht behauptet, daß wir bald an unserem Ziel sind?« fragte Kilkenny mißmutig. Er war wundgeritten, verspürte Hunger und Durst. Atkins deutete auf das Dickicht. »Du stehst vor dem Eingang, Gus.« Noch nie waren Bryan Kelso, Kennedy und Gene Bard so schnell von ihren Pferden. Sie gingen nicht, sie rannten. Gier in den Augen, rissen sie mit bloßen Händen die Vegetation aus dem lockeren Boden und stachen sich dabei die Hände blutig. Atkins stieg ebenfalls vom Pferd und hielt es beim Zügel. Kilkenny stand mißtrauisch vor dem verdeckten Durchlaß, beteiligte sich aber nicht an den Arbeiten.
»Mensch, Claude, ich sehe nichts.« »Reiß nicht alles raus«, sagte Atkins und ging hinüber, das Pferd am Zügel. »Zufällig vorbeikommende Apachen müssen nicht auf den ersten Blick sehen, daß sich jemand im Canyon befindet.« Kilkenny drehte sich um. Er fletschte die Zähne wie ein Wolf, der sich in die Enge getrieben sah. »Meinst du, ein Indianer oder ein Marshal läßt sich täuschen?« »Ein Apache wohl nicht, aber der Sternschlepper ist schließlich kein Indianer.« »Ich wünsche mir sogar, daß er den Durchlaß findet und reinkommt«, sagte Kilkenny gemein. »Was glaubst du, was ich mit ihm mache, wenn ich ihn vor meiner Kanone habe?« »Du meinst von hinten, einfach so… Peng aus!« »Einfach so«, echote der Bandit zynisch. »Oder hast du gedacht, ich ginge ein Risiko ein?« Er wandte den Kopf. »He, ihr Idioten, nicht alles rausreißen! Ihr habt doch gehört, was Claude sagte. Einen Teil des Stachelzeugs bauen wir wieder kunstgerecht ein.« »Was soll der Quatsch?« maulte Gene. »Es ist in wenigen Stunden vertrocknet.« »Schnauze!« bellte der bärtige Revolvermann. »Stell das Gestrüpp dort drüben an die Felswand. Dalli, Mann!« »So nicht. Du hast uns nichts zu befehlen.« Atkins zog den Karabiner aus dem Sattelschuh und legte ihn in die Armbeuge. Er schob den Kautabak in die andere Wange und spuckte aus. »Macht keinen Unfug, Jungs. Streit in den eigenen Reihen dulde ich nicht. Kapiert? Wem meine Anordnungen nicht passen, der kann verduften.« Die Bresche war inzwischen von den anderen geöffnet worden. Düster lag das schmale, vegetationslose Tal vor ihren Augen. Die ersten drängten durch die Enge und zerrten ihre
Pferde hinter sich her. Danach kamen die Packpferde. Kilkenny und Atkins machten den Schluß. Sie waren kaum in dem dämmrigen Schlund, als sie das peitschende Gewehrfeuer im Norden vernahmen. Atkins blieb stehen und lauschte. Er gab Kilkenny einen Wink, stellte das Gewehr gegen einen Felsen und begann, die Öffnung mit den herausgerissenen Gewächsen wieder notdürftig zu verschließen. Mit den Füßen schoben sie am Schluß Sand und Geröll über die Wurzeln. Das Tal konnte sie aufnehmen. Erwartungsvoll bestiegen sie ihre Pferde und ritten hinter den anderen her. Die Furcht war von nun an ihr ständiger Begleiter. * Marshal Drew Marley hatte längst begriffen, was sich im Nordwesten abzuspielen begann. Eine Tragödie, die mit einer Vernichtung der Apachen endete. Auf der Flucht vor den Kartätschen der Truppen würden sie über das Land schwärmen und alles töten, was ihnen unter die Hände kam. Marley trieb sein Pferd zu einer schnelleren Gangart an und versuchte, aus dem unmittelbaren Gefahrenbereich zu kommen. Der Canyon wurde breiter, die Hänge führten terrassenförmig zu schwindelnden Höhen hinauf. Viele Schluchten und Seitencanyons zweigten vom Stammcanyon nach allen Richtungen hin ab. Steine, Felsen und niedere Formen der Vegetation gab es überall. Nur Wasser nicht. Am Abend war er weit in den südlichen Teil des großen Canyons vorgestoßen. Die Spur, der er folgte, war immer noch gut zu erkennen. Aufmerksam behielt er sie im Auge. Die Banditen bogen sicher irgendwo in einen anderen Canyon ab, um ihn zu täuschen. Und diese Stelle durfte er nicht übersehen. Er wollte schon anhalten und sich nach einem Lagerplatz
umsehen, als er Schüsse vernahm. Aus zwei Revolvern wurde unablässig gefeuert. Marley parierte sein Pferd, drehte sich im Sattel um und betrachtete alle Schluchtmündungen, entdeckte aber nicht die kleinste Bewegung. Das Geräusch von tackenden Hufen war deutlich zu hören und kam rasch näher. Und dann sah er die Männer. Sie waren zu zweit und ritten um ihr nacktes Leben. Bügel an Bügel schossen sie aus einem Seitencanyon. Im Reiten feuerten sie mit ihren Revolvern über die Schultern. Als sie den Weißen auf seinem Pferd bemerkten, rissen sie ihre Pferde herum und starrten ihn an. »Howdy, Gentlemen! Ich glaube, Sie haben's ganz schön eilig. Kommen Sie an meine Seite, ein Revolver mehr macht schon was aus. Aber lassen Sie die Faxen sein.« »Was meinen Sie damit, Sie komischer Heiliger von einem Blechstern?« Sie ritten gemeinsam an und hielten ihre Pferde dicht beieinander. Marley grinste wie ein Faun. »Während des Galopps über die Schulter nach hinten zu schießen, ist mehr als dämlich und nur Bleiverschwendung. So treffen Sie nichts.« Der Blonde warf ihm einen galligen Blick zu. »Werden Sie nur nicht frech, Freund, sonst hole ich Sie vor meine Fäuste!« »Laß es sein, Larry«, sagte der Dunkelhaarige lachend. »Er hat ja recht. Aufgepaßt, sie kommen!« Aus dem Canyon schoß ein Pulk grölender, waffenschwingender Apachen, die ein Triumphgeheul ausstießen, als sie die Weißen sahen. »Schießen«, sagte Marley trocken. »Los, Boys, knallt ein bißchen, damit sie nicht zu nahe herankommen.« Dreimal krachte es, drei Apachen stürzten von ihren Pferden und blieben reglos liegen.
»Dasselbe noch einmal, dann sind wir sie los.« Wieder drei Schüsse in kurzen Abständen. Aber nur zwei Indianer fielen. Der dritte schwankte zwar im Sattel und hielt sein Pony an, war aber nur verwundet. Der Rest der Indianer, insgesamt vier, sprang ab und lud die Toten auf die Pferde. Osborne wollte wieder Ziel nehmen, aber Marley drückte den Gewehrlauf nach unten und herrschte ihn an: »Lassen Sie das, Mann! Sehen Sie nicht, daß sie uns ihre Rücken zuwenden?« Osborne starrte Marley an, als hätte er nicht richtig gehört. »He, Blechstern, haben Sie mir auch was zu befehlen?« knurrte er. Buck lachte und bot dem Marshal die Hand vom Sattel aus. »Ich bin Buck Tinatra, dieser wilde Kampfhahn ist Larry Osborne. Machen Sie nichts draus, Marshal. Den Anblick der Chiricahuas konnte er schlecht verkraften.« »US-Marshal Drew Marlay. Okay, okay, ich kann schon einen Spaß vertragen.« »Vielen Dank für Ihre Hilfe, die wir sehr zu schätzen wissen«, fügte Buck hinzu. »Ich weiß nicht, ob wir es ohne Sie geschafft hätten.« »Wie kommen Sie in diese Gegend, Mr. Tinatra? Ich frage nicht aus Neugier…« »Lassen Sie nur«, wehrte Buck belustigt ab. »Es ist immer gut, wenn man weiß, woran man mit Fremden ist. Wir sind Streckenreiter der Butterfield-Linie, oben am Paß. Wir hörten die Knallerei und versuchten auf Umwegen zur Station zu reiten. Hörten Sie es auch?« »Ja. Die sind ganz schön hart aneinandergeraten.« Marley nahm Papier und Tabak aus der Hemdtasche und drehte sich eine Zigarette. Als er sie anzündete, warf er einen Blick zurück. Von den Apachen war nichts mehr zu sehen. »Wissen Sie, mit wem?« »Army«, erklärte Marley. »Wo sie hinwollen, weiß ich nicht,
woher sie kommen, auch nicht. Cochise hat sie vermutlich überfallen.« »He, woher wissen Sie das? Waren Sie bei ihnen?« »Bei den Apachen? Quatsch! Cochise sagte es mir.« »Was? Cochise? Sind Sie des Teufels, Mann?« »Durchaus nicht. Vor ein paar Nächten erhielt ich Besuch an meinem Lagerfeuer. Cochise. Der Häuptling unterhielt sich freundschaftlich mit mir. Daß er die Truppe angreifen wollte, erzählte er mir natürlich nicht. Aber er meinte beiläufig, daß sie durch den Paß wollten.« »Mann, Mann, und da haben Sie Ihren Skalp noch auf dem Schädel? Oder war es gar nicht Cochise? Vielleicht nur Einbildung, Halluzination?« Der Marshal nahm den speckigen Hut ab. »Wie Sie sehen, habe ich ihn noch. Und von einer Einbildung kann keine Rede sein. Wahrscheinlich respektierte er mich als Gesetzesmann. Er fragte nach der Bedeutung meines Abzeichens und war freundlich. Andernfalls wäre es mir bestimmt dreckig ergangen. ++ Was haben Sie vor? Zum Paß können Sie nicht, ehe der Schlamassel nicht vorbei ist.« Osborne kratzte sich unter dem Hut. »Keine Ahnung, Blechstern. Wenn man wüßte, wer Sieger geblieben ist…« »Nicht die Apachen«, unterbrach Marley ihn. »Und warum nicht? Woher wollen Sie das wissen, Sie Schlaukopf?« »Ganz einfach. Wenn sie gesiegt hätten, würden Sie hier unten keine so große Gruppe sehen. Späher, ja. Aber keinen Trupp. Die wären oben beim Canyon geblieben und hätten sich an dem Massaker beteiligt. Daß der Kampf schon vorbei ist, bedeutet das jedoch nicht. Ich kann mich irren.« »Hat was für sich, was er sagt«, warf Tinatra nachdenklich ein. »Wohin reiten Sie, Marshal?« »Ich bin hinter einigen Ganoven her ++ Mörder, Gesindel.
Genau gesagt, hinter einem. Die anderen kenne ich nicht, auch liegt gegen sie nichts vor. Aber Gesindel bleibt Gesindel, daran ändert kein Priester etwas. Kommen Sie einfach ein Stück mit.« »Mitkommen? Wohin denn? Sie sind wohl von allen guten Geistern verlassen?« »Warum nicht? Cochise gibt sich nicht so schnell geschlagen. Wer ihn kennt, kann das an seinen zehn Fingern ablesen. Dieser Mann weiß, was er will. Er weiß es sogar sehr genau. Kommen Sie mit mir und helfen Sie bei der Verhaftung eines Mörders und Bankräubers.« »Gar nicht so schlecht, was, Larry?« sagte der Schwarzhaarige. Die Entscheidung wurde den Männern abgenommen. Eine Gruppe von mehr als 20 Apachen preschte auf ihren Mustangs heulend aus einem Seitencanyon und versuchte, den Weißen den Weg in beide Richtungen abzuschneiden. Drew Marley, der die Gefahr mit dem Instinkt des Jägers erkannte, zerrte sein Pferd herum und jagte in Richtung Süden. »Haut ab, Jungs!« Sein Pferd streckte sich im Galopp, fegte durch den Canyon. Marley blickte kurz nach hinten. Osborne und Tinatra folgten, und die Apachen, die auf ihren ermüdeten Pferden dieses Tempo nicht zu halten vermochten, blieben zurück. Buck Tinatra holte auf und kam an Marleys Seite. Osborne hielt das wahnwitzige Tempo. Er überholte den US-Marshal, brüllte unverständliche Worte, und gestikulierte mit der freien Hand. Marley verstand kein Wort. Ein Stück weiter machte der Canyon eine Krümmung und wurde enger. Keiner der drei Männer hatte eine Ahnung, was er hinter der Kurve antreffen würde. Der Boden wurde felsig, und die Fährte, der Marley seit Sonnenaufgang folgte, war nicht mehr zu sehen. Er mäßigte den Galopp seines Pferdes. Von den Chiricahuas war nichts mehr zu entdecken. Dafür sah er einen einzelnen
Indianer hoch oben am Canyonrand. Aber der war ungefährlich. »Was wollten Sie mir sagen, Mr. Tinatra? Ich verstand kein Wort und…« »Mann Gottes, Sie scheinen eine Menge Indianerverstand zu besitzen, Blechstern. Ich wollte wissen, weshalb so viele Apachen in den Schluchten herumstreifen. Ist die Schlacht am Paß geschlagen?« »Nein, das heißt, ich weiß es nicht. Wenn ich mir aber diese kriegerischen Pulks ansehe, auf die wir stießen, kann's schon sein, daß Cochise eines auf die Birne gekriegt hat. Den einzelnen Chiricahua dort oben dürfen Sie nicht dazurechnen. Der ist ein Späher. Für uns im Augenblick jedoch harmlos.« »Was, Sie haben ihn auch schon gesehen?« »Wenn ich blind wäre, würde ich längst nicht mehr leben, Mr. Tinatra.« »Ich heiße Buck, Marshal. Der blonde Hundesohn dort drüben ist Larry. Was dagegen, wenn wir uns beim Vornamen nennen?« »Ich heiße Drew, die gebräuchliche Abkürzung von Andrew.« Die Männer reichten sich während des Trabs die Hände und grinsten sich an. »Andrew gefällt mir besser, Blechstern. Drew wirkt auf mich wie ein Hund, dem man den Schwanz kupierte.« »Okay, wie's dir gefällt. An Drew gewöhnte ich mich inzwischen und…« »Vorsicht!« unterbrach Osborne ihn und deutete auf einen abzweigenden Canyon, dessen Eingang fast ganz verschüttet war. Marley parierte sein Pferd und suchte nach Spuren. Er fand sie und folgte ihnen bis zu jener Stelle, wo das Unkraut herausgerissen worden war. Es sah aus, als wäre es nachträglich eingesetzt worden. Sofort sprang der Marshal aus dem Sattel. Er ging ein Stück im großen Canyon entlang, musterte den felsigen Boden. Spuren waren nicht zu sehen. Ein Stück weiter wurde der nackte Fels von angewehtem Sand bedeckt. Keine
Spur, kein Hufabdruck, nichts. Marley kehrte um und musterte die enge Stelle zwischen Abhang und Felswand. Kurz darauf fand er den Pfad. Er zeichnete sich deutlich auf der Geröllunterlage ab und führte in den Canyon hinein. In einen mit steilen Wänden. »Sie sind in diesen Canyon abgebogen«, sagte er. »Ziemlich raffiniert von den Kerlen. Die Büsche wurden rausgerissen und wieder eingesetzt, nachdem sie die Stelle passiert hatten.« »Machen wir es genauso und dringen wir ein«, sagte Oshorne. »Vorsicht, Larry. Wir haben keine Ahnung, was wir in dieser verteufelten Schlucht antreffen. Vielleicht warten sie nur auf uns.« Buck machte eine wegwerfende Handbewegung. »Fünf gegen drei. Ich denke, das Verhältnis stimmt.« Osborne warf einen bewundernden Blick auf den Marshal. »Du hast scharfe Augen, Blechstern, und ein kluges Köpfchen. Wie du das alles in wenigen Minuten herausgefunden hast, dafür sollte man dich heilig sprechen.« »Bin ich doch.« »Was bist du?« »Heilig.« »Armleuchter.« »Klar doch, scheinheilig.« Buck Tinatra wollte sich vor Lachen ausschütten. »Gehirn gut, Mundwerk ausgezeichnet«, knurrte Larry. »Aber wie sieht's hiermit aus?« Er krümmte den Zeigefinger und kniff ein Auge zu. »Noch besser. Willst du's mal versuchen?« »Okay. Buck, gib ein Zeichen.« Tinatra wartete eine kurze Zeitspanne, dann rief er: »Jetzt!« Beide Hände zuckten nach unten. Marley hatte sich immer eine ganze Menge auf seine Schießkunst eingebildet. Hier aber mußte er erkennen, daß es Männer gab, die noch schneller waren als er. Er starrte in Larrys Revolvermündung, ehe er seinen Colt
im Hüftanschlag hatte. »Na, ist das was?« fragte Osborne grinsend. »Klasse!« erwiderte Andrew. »Wirklich klasse! Wo hast du das gelernt?« »Auf Kansas-Weiden.« »Klingt gut«, sagte Marley und schob die Waffe ins Halfter. Sein auf die Höhen gerichteter Blick wurde starr. »Seht mal, Jungs, wer uns da besucht!« Zwei Köpfe ruckten herum. Osborne wich unwillkürlich einen Schritt zurück. Sein Gesicht war totenbleich. »Der hat uns gerade noch gefehlt«, seufzte er. »Was nun, Andrew?« * Atkins schob den Hut aus der Stirn und wischte den Schweiß ab. Er folgte dem Pfad mit den Blicken, bis er zwischen dem Unterholz verschwand. In der Ferne sah er den Canyonknick, dahinter das Hochplateau, auf dem Pinien und windgedrückte Bäume wuchsen. Er gab den anderen einen Wink und ritt weiter. Der Grüngürtel tauchte auf. Die Felswände des Canyons schoben sich enger zusammen. Der Outlaw lenkte sein Pferd vorsichtig und blickte an den steilen Wänden hoch. Schatten fielen bereits in die Schlucht, als die fünf Banditen die Anhöhe eines felsigen, mit Dornenbüschen bewachsenen Walles erreichten. Besorgt betrachtete er links einen Geröllhang. Es schien, daß ein einziger Schuß genügte, um eine Steinlawine auszulösen. Und schließlich sah er die Zerstörung, die das Dynamit angerichtet hatte. Der Hang war unter der Wucht der Detonation geborsten. Die herabstürzenden Felsmassen hatten unten alles verschüttet und die Hütte unter lockeren Gesteinsmassen begraben.
Atkins stieg vom Pferd, setzte sich auf einen Felsbrocken und sah sich die Schlucht genau an. An der linken Felswand befand sich eine sonderbare, gleichmäßige Steinformation. Sie führte in mehreren Stufen in die Höhe, und ihre Farbe unterschied sich von dem anderen Gestein. In regelmäßigen Abständen erkannte der Outlaw dunkle Flecken, die sich deutlich abhoben. Waren diese Flecken die Goldader? Rosenquarz war es nicht, das erkannte er von unten aus. Er zuckte mit den Achseln und wandte sich an Kelso: »Wir machen hier Lager. Die Quelle ist leider verschüttet. Nichts zu machen.« »Wo war sie?« fragte Kilkenny und drehte sich suchend im Kreis. »Drüben.« Claude Atkins deutete auf die Stelle, an der einmal die Hütte des alten Trappers gestanden hatte. »Die Sprengung hat alles Gestein des Hanges abrutschen lassen und die Quelle darunter begraben. »Räumen wir sie frei«, sagte Rick Kennedy trocken. Zufällig warf er einen Blick zur Höhe hinauf und wurde steif. »Großer Gott! Seht nur!« Mehr als 30 Apachen hielten in einer geschlossenen Gruppe dort oben und starrten hinab. Die Männer schwangen sich von ihren Pferden und suchten hinter Büschen und Felsen Deckung. »He, Claude!« rief Kilkenny hinter einer mächtigen Klippe hervor. »Können sie herunterkommen?« »Keine Ahnung. Wenn sie wie Gemsen klettern, vielleicht. Mit Steinen jedenfalls können sie uns erschlagen, wenn sie den Hang ins Gleiten bringen. Seht nur, wie das dort oben aussieht. Das Dynamit hat ihn förmlich auseinandergerissen.« Atkins zog seinen Colt und spannte ihn, aber die Apachen machten keine Anstalten, in die Schlucht zu klettern. Gene Bard an seiner Seite spuckte aus. Sein Gesicht wirkte käsig. Schatten fielen in die Schlucht, krochen zur Felswand und ließen Dunkelheit nachrücken. »Greifen sie uns an?« rief Rick Kennedy und leckte sich
nervös die Lippen. »Woher soll ich das wissen?« brummte Atkins. »Du hast doch die meiste Erfahrung mit diesem Gesindel. Hast du nicht immer behauptet, der Goldcanyon sei absolut sicher?« »Ach, halt doch dein verdammtes Maul, du Hosenscheißer!« antwortete Atkins nervös. Der Wind raschelte hinter ihm im Gebüsch. »Heute abend greifen sie nicht mehr an. Wenn überhaupt, dann bei Sonnenaufgang.« »Was macht dich so sicher, daß sie es nicht mit Anbruch der Dunkelheit tun?« Kilkennys Stimme klang rauh und aufsässig. Kelso warf scheue Blicke umher. Als er sprach, hörte man deutlich das Zittern und die Angst heraus. »Wenn sie den Canyon abriegeln, sitzen wir in der Falle.« »Reißt euch bloß zusammen, verdammt noch mal!« fauchte Atkins. »In diesem mörderischen Land kann man leicht die Nerven verlieren. Damit ist uns aber nicht gedient. Hier unten sind wir sicher, Jungs.« »Wie sicher?« höhnte Kelso. »Wir sollten auch das fürchten, was wir nicht sehen: den Ausgang aus diesem Rattenloch.« »Was willst du damit sagen?« »Ich meine, wir sollten bei der Barrikade einen Posten aufstellen.« Atkins dachte eine Weile nach. Schließlich nickte er. »Gar nicht mal so dumm. Hm, wer übernimmt die erste Wache?« Schweigen. Atkins deutete zu den bemalten Kriegern hinauf, die sich noch nicht vom Fleck gerührt hatten. »Beim Eingang ist man vor ihnen verhältnismäßig sicher. Also gut, Jungs. Wer reitet zuerst? Während wir ein gutes Stück weiter zurück unser Lager aufschlagen, kann die erste Wache beim Zugang ein wenig in die Winde schnüffeln.« Kelso stampfte wütend mit dem Fuß auf. »Was soll das nun schon wieder heißen? Was heißt in den
Wind schnüffeln? Und weshalb willst du das Lager weiter zurück aufschlagen? Wir sollten in der Nähe der Quelle bleiben, Claude. Wäre das nicht vernünftig?« Atkins grinste. »Mann, was macht dir eigentlich Sorgen, die Rothäute dort oben auf dem Hang oder die verschüttete Quelle? Siehst du Wasser? Wir brauchen Stunden, die Quelle freizulegen. Vielleicht sogar einen ganzen Tag. Haben wir dazu Zeit?« Bryan Kelso schüttelte den Kopf. Er zögerte, sagte schließlich beharrlich: »Wir brauchen aber Wasser, wir und die Tiere. Spätestens morgen ist unser…« Atkins unterbrach ihn rauh. »Dann werden wir die Quelle freigraben. Gus, übernimmst du die erste Wache?« Kilkenny nickte widerwillig. Er bestieg sein Pferd und galoppierte wie von Furien gehetzt durch die Schlucht. Atkins und die anderen zogen sich aus der Pfeilschußweite zurück und entzündeten ein kleines Feuer. Kaum brannte es, da kam Kilkenny im halsbrecherischen Tempo schon wieder zurück. Er winkte, schrie und gestikulierte mit den Händen. Niemand verstand ihn. Kurz vor dem Feuer riß er sein Pferd so heftig zurück, daß es in der Hinterhand einknickte und auf die Seite fiel. »Wir sind eingeschlossen!« schrie der Outlaw hysterisch. »Der Marshal ist auf dem Weg hierher, und wenn ich mich in der Dunkelheit nicht versah, dann hat er noch zwei Männer bei sich!« »Blödsinn!« Atkins winkte zweifelnd ab. »Wo soll der Menschenfänger in dieser Bergwildnis auf andere Weiße stoßen? Um Weiße handelt es sich doch, oder?« Die Banditen zogen ihre Waffen und entsicherten sie. Als der Lärm nachließ, konnte sich Atkins endlich auf andere Geräusche konzentrieren. Der Wind, der stöhnend durch die Schlucht blies. Das Rascheln der Büsche. Der Schrei eines Nachtvogels. Aber
kein Hufschlag war zu vernehmen, der ihm angezeigt hätte, daß fremde Reiter im Anzug waren. »Gus, du hast wie ein Hase mit offenen Augen geträumt.« »Ich schwöre, daß ich drei Reiter sah. Mann, Claude, ich schwöre es auf einen ganzen Stapel von Bibeln.« »Das wäre ein glatter Meineid«, bemerkte Kelso grienend. Atkins fragte sich, welche Männer bei einer Schießerei die verläßlichsten sein mochten. Die verloren alle in dieser Umgebung die Nerven, außer Bryan Kelso vielleicht, dem ausgekochten Revolvermann. Der fürchtete sich nur vor Apachen. Trotzdem, wenn sie eingeschlossen waren, hielten die Chiricahuas alle Trumphkarten in der Hand. Wieder lauschte er. In diesem Augenblick hörte er die Hufschläge. Stahl klirrte auf Stein. Kilkenny hatte recht, das waren Weiße, die heranritten. Der Menschenfänger hatte ihre Spur gefunden. »Was tun wir?« kreischten Kennedy und Gus gleichzeitig. »Aufgeben oder schießen wir uns einen Weg frei und verschwinden?« »Dummkopf!« sagte Atkins. Seine Hand strich über den kalten Lauf des Karabiners. »Mit einem Dutzend Chiricahuas auf den Fersen?« Rich Kennedy trat Atkins einen Schritt entgegen. »Der Menschenfänger hat es doch nur auf Gus abgesehen, gegen uns liegt nichts vor. Warum hauen wir nicht einfach ab? Auch Apachen haben keine Katzenaugen.« Kilkenny wirbelte zu Rich herum. Bitterkeit lag in seiner Stimme, als er sich an Atkins wandte: »Claude, das wirst du doch nicht tun, oder?« Der Outlaw wurde einer Antwort enthoben. Aus der Dunkelheit schälten sich drei Reiter. Jemand sagte etwas scharf und abgehackt. Die Stimme drang bis zu den Banditen. US-Marshal Marleys Stimme. Plötzlich waren sie verschwunden. Selbst die Pferde waren nicht mehr zu sehen.
»Verteilt euch!« zischelte Atkins. »Der Rummel geht los.« Von irgendwoher rief jemand: »Männer, ergebt euch und werft die Waffen weg! Ich garantiere euch allen eine faire Gerichtsverhandlung. Mir ist nur an dem Mörder Kilkenny gelegen, mit den anderen habe ich nichts im Sinn.« »Geh zum Teufel, Blechstern!« Mündungsfeuer zuckten. Gestalten huschten von Deckung zu Deckung. Larry Osborne hatte den rechten Flügel übernommen, Buck Tinatra den linken. Marshal Marley kroch am Boden und strengte seine Augen an, um etwas zu erkennen. Vor ihm Revolver- und Gewehrschüsse. Jeder Instinkt in Marley, geschärft durch jahrelange Erfahrung, sträubte sich, in diesen engen Canyon vorzudringen. Vor ihnen eine Gruppe von fünf gut bewaffneten und verzweifelten Outlaws, über ihnen skalplüsterne Chiricahuas, die sich bei Sonnenaufgang in das Kampfgeschehen einschalten würden. Am schlimmsten war die absolute Finsternis. Ein Gegner, den man sehen und gegen den man sich verteidigen konnte, sei es mit der Waffe oder mit der Faust, schien dem Marshal weniger gefährlich, als die lautlose Gefahr, die über ihnen schwebte. Marley wurde von einem Huschen abgelenkt. Seine Gedanken gingen im Kreis. Eine Gestalt verschwand, tauchte kurz im Sternenlicht wieder auf und tauchte schließlich endgültig im Canyonhintergrund unter. Der Marshal folgte ihr. Links und rechts von ihm krachten Schüsse. Pulverrauch wehte ihm ins Gesicht. Er sah die Gestalt wieder. Und zwar an der Stelle, wo einst die Hütte gestanden hatte. Kilkenny! Marley erhob sich zur vollen Größe und schob das Halfter etwas zurück. Den Revolverkolben drückte er dagegen nach außen. Er legte den Kopf zur Seite und lauschte auf die Geräusche. Ein Zweig knackte. Weit über ihm glänzten die
Schluchtränder silbern im Licht der Sterne. Sie schienen sich zu bewegen, wenn der Wind die kümmerliche Vegetation erzittern ließ. Es war eine unheimliche Landschaft. Andrew machte noch ein paar Schritte, blieb dann stehen und stemmte die Rechte in die Hüfte. Er sah Kilkenny nicht mehr. Auf alles war er vorbereitet, und doch zuckte er zusammen, als der Verbrecher unerwartet vor ihm auftauchte. Marley sah den Revolver, zog und schoß gleichzeitig mit dem Outlaw. Drei Schüsse peitschten. Kilkenny fiel mit einem gemurmelten Fluch aufs Gesicht und war bereits tot, als er auf dem Boden aufschlug. Kilkennys zweite Kugel traf Marley. Der zog die Schulter ein und erwartete den Schock. Er schwankte. Die Felswände begannen zu tanzen. Als der Schmerz sein Gehirn erreichte, erbrach er sich. In einer verzweifelten Anwandlung und mit der letzten Kraft ließ er den Colt ins Halfter gleiten. Er hörte die Schüsse weiter vorn. Eine regelrechte Revolverschlacht war im Gange. Dann Osbornes uriges Brüllen: »Drew Marley! He, Andrew! Ist was mit dir?« Der Marshal wollte antworten und hätte dem Blonden gern gesagt, daß er angeschossen worden war. Aber er brachte keinen Ton heraus. Taumelnd ließ er sich auf einen Stein sinken und rang nach Luft. Kilkenny fiel ihm ein. Vielleicht lebte der Mörder noch? Mühsam richtete er sich auf und glitt taumelnd zu der am Boden liegenden Gestalt. Marley kniete nieder und drehte den Kopf des Toten ins Sternenlicht. Es war nicht Kilkenny, sondern jemand, der sich dem Mörder in Tombstone angeschlossen hatte. Kelso lag vor ihm. Er, Marley, war schneller als der Revolvermann gewesen. »Andrew! Zum Teufel, gib doch Antwort!« Marley hob den Kopf. Das Schießen hatte aufgehört. Stille war im Canyon eingekehrt, eine unheilvolle Stille. Ein seltsames
Glücksgefühl durchströmte den Gesetzesbeamten. Er war schneller als ein berufsmäßiger Schießer gewesen. Bucks und Larrys Stimme klangen seltsam klar und deutlich durch die Dunkelheit. Sie gingen hin und her, suchten etwas. »Zwei«, sagte Buck Tinatra. »Zwei, Larry. Einen hat der Marshal erschossen, das macht drei. Also sind zwei von den Kerlen entkommen.« »Buck, wir sollten nach Drew suchen. Ich glaube, ihn hat's erwischt.« Andrew Marley hob mit Gewalt den Kopf. Er war schwer wie Blei und zog nach unten. Er sah etwas Dunkles auf sich zukommen. Das Unförmige verschwamm vor seinen Augen, teilte sich. »Mensch, Larry, wenn das da vorn nicht Marley ist, fresse ich meine Wollsocken zum Frühstück.« »Guten Appetit«, frotzelte Osborne. »Fang schon an, du Sockenfresser, es ist Drew.« Der Schock wich langsam von Marley. Er fühlte Blut an seinem Körper herabrinnen. Warmes, klebriges Blut. Hände betasteten ihn, hoben ihn von dem Stein und legten ihn lang auf den Boden. Buck Tinatra öffnete ihm das Hemd über der Brust, fühlte das Blut und zuckte zurück. »Larry, er hat 'ne Kugel eingefangen. Komm, hilf mir, wir bringen ihn zu den Pferden.« Sie hoben ihn auf, trugen ihn von der gefährlichen Stelle weg. Sie kamen nur mühsam vorwärts, denn sie mußten dem Geröll und dem Gestrüpp ausweichen. »Kein Pfad, kein Licht«, brummte Osborne. »Und über uns die Apachen. Prost Mahlzeit. Was denn noch?« »Halt die Klappe«, sagte Buck Tinatra schnaufend. »Wir haben eine Aufgabe zu erfüllen, Larry. Wir müssen diesen Mann zur Butterfield-Station bringen.« »Und dann?« Larry blickte neugierig auf Bucks breiten Rücken. »Die Apachen?«
Eine Erklärung war gar nicht notwendig. Sie wurde deutlich in der Haltung des Streckenreiters. »Gott stehe uns allen bei«, sagte er leise. * Dumpf, monoton und doch irgendwie aufreizend drang das Wummern der Trommeln über den Paß. Todestrommeln. Sie hatten unmittelbar mit dem Tod zu tun, bedeuteten aber keine Bedrohung für die Soldaten, die sich bis zur Station durchgeschlagen hatten und dort Schanzen zwischen den Gebäuden bauten. Thomas Jeffords stand mit Captain Roberts und Lieutenant Hegemann im Dunkeln und lauschte den makabren Klängen. Die drei Männer redeten kein Wort miteinander, starrten nur auf die dunkle Paßstraße. Etwas bewegte sich weit unten. Jeffords griff zum Revolver, ließ ihn aber im Halfter. Langsam wurde er so nervös wie die beiden Offiziere. Er stieß Roberts mit dem Ellbogen an. »Hinter die Schanzen!« befahl er. »Was ist los?« fragte Roberts. »Was bewegt sich dort unten?« »Sie tragen ihre Toten und Verwundeten zusammen. Wir dürfen sie nicht stören, Captain. In diesem Zustand sind sie besonders empfindlich und aggressiv.« »Glauben Sie, die Apachen greifen uns während der Nacht an?« »Kann man nie sagen. Cochise führt sie. Er ist als einziger Häuptling in der Lage, ihren Aberglauben in Grenzen zu halten. Wie weit sind Sie mit den Schanzenarbeiten?« Lieutenant Hegemann meldete: »Abgeschlossen, Sir. Die Haubitzen wurden in Stellung gebracht und gerichtet. Wenn sich Cochise noch einmal blutige Köpfe holen will, soll er kommen.« »Malen Sie den Teufel nicht an die Wand, Mensch«, sagte Captain Roberts. »Wir verloren über hundert Männer, und das
bei ihrer ungewohnten und unzweckmäßigen Kampfesweise. Was wird, wenn sie stürmen, zu Fuß von Stein zu Busch und von Deckung zu Deckung huschen, wie Schlangen herankriechen und mit ihren Messern und Kriegsbeilen über uns herfallen?« »Dann sind wir trotz Ihrer Kanonen erledigt«, antwortete Jeffords in seiner trockenen Art. »Wurde mir Falsches erzählt, Mr. Jeffords, wenn ich Sie daran erinnere, daß Sie mit Cochise befreundet sein sollen? Kann uns das nicht helfen?« Thomas Jeffords löste seinen Blick von dem dunklen Paß und wandte sich zu Roberts um. »Ich war es«, erwiderte er verbittert. »Dieser verrückte Bascom machte alles mit einem Federstrich zunichte. Ja, zunichte. Nie geschehen, was ich mühselig und in zeitraubender Arbeit aufbaute.« »Wer ist Bascom?« »Ein Kamerad von Ihnen, Captain Lieutenant George N. Bascom. Ein junger Mann mit einem Kopf voller Ideen, aber ohne Gehirn. Er ließ Cochises gesamte männliche Sippe aufhängen.« »Großer Gott! Das kann doch nicht wahr sein?« »Drang die Kunde von diesem scheußlichen Massaker nicht bis nach Kalifornien? Oder verschwieg Ihnen General Carleton die Sache?« Die Offiziere schüttelten die Köpfe. Roberts sagte: »Wir hörten flüchtig davon, aber erst in Yuma. Wo geschah es?« Jeffords zögerte mit der Antwort. War da nicht ein unaufrichtiger Ton in Roberts Stimme gewesen? Schließlich antwortete er doch, weil er nicht unhöflich sein wollte. »Keine drei Meilen von hier in einem Seitencanyon. Cochise ließ meinen Postgehilfen James Wallace und zwei von ihm gefangene Weiße zu Tode martern. Bascom hatte die Sippe des Jefe gefangengenommen, weil er Druck auf die Apachen
ausüben wollte. Als Cochise sich weigerte, auf Bascoms Vorschläge einzugehen, ließ er seinen Bruder und dessen Söhne einfach aufhängen. Wer die Mentalität der Apachen kennt, weiß, daß sie von Natur aus wild und grausam sind. Martern ist für sie eine alltägliche Bestrafungsform, beinahe ein Ritual.« »Es ist hier in der Nähe passiert, sagen Sie? Konnten Sie die unselige Tat nicht verhindern?« »Ich habe es versucht, wurde aber von Bascom getäuscht.« Jeffords ging zum Haus zurück. »Bascom war nicht nur unwissend und arrogant, er hatte auch einen schlechten Berater. Ward ist ein Mann, der die Rothäute haßt wie die Pest.« »Darf ich Näheres über diesen Mann erfahren?« »Warum nicht, Captain. John Ward, ein Rancher, lebt südwestlich von hier. Er beliefert die Armee sowie die Forts Buchanan und Bowie im Norden mit Fleisch. Deshalb glaubte er, sich besondere Rechte herauszunehmen zu können. Ward ist ein hinterhältiger Bursche, ein Lügner und ein ausgemachter Schwachkopf, dem nicht bewußt wird, was er mit seinen Lügen anrichtet…« Jeffords zuckte zusammen und blieb stehen. Das Aufdröhnen großer Trommeln stand wie ein Schrei in der Nacht. Der Ton drang, die natürlichen Laute der Nacht verdrängend, in Täler, Schluchten und Canyons und pflanzte sich meilenweit im Erdreich fort. Dazu schepperten und klirrten die Kürbisrasseln der Apachen, drangen spitze Schreie zu den Sternen empor, die sich wie aus Angst hinter aufsteigendem Dunst verbargen. Der riesige Gebirgszug fing plötzlich an zu dröhnen und zu beben. »Allmächtiger, was ist das?« Hegemann drehte sich um seine Achse, aber das Inferno animalischer, entfesselter Wildheit kam aus keiner bestimmten Richtung, war überall und schien selbst aus der Erde zu dringen. Jeffords Antwort kam kurz und kühl: »Totenfeier auf Apachenart.«
Captain Roberts schüttelte das Grauen ab, das ihn wie ein wildes Tier anfiel. Er starrte in die Dunkelheit, sah die wie versteinerten Soldaten hinter den Schanzen, ihre schneeweißen Gesichter und ihre gelähmten Gliedmaßen. Und er betete still, daß Cochise es sich in diesem Moment nicht einfallen ließe, seine Krieger auf die Station zu hetzen. * Koh Cheez dachte nicht daran. Umgeben von den Häuptlingen und Sippenführern aller Apachenstämme saß er am Feuer und hielt die Hände wie im Gebet gekreuzt. Er sah die finsteren und anklagenden Blicke der roten Wölfe nicht: Niemand sagte ein Wort. Das Schweigen wurde nur durch das Stampfen der Pferde und das Singen des Windes, der durch die Felsen wehte, zerrissen. Das Heulen eines Kojoten drang von Süden durch den Paß. Fast 500 Krieger hoben die Köpfe und lauschten. Ihre wilden, von Schrapnells lädierten Wasserspeiergesichter, von blutigen Verbänden eingehüllt, wandten sich nach Süden. Gleich darauf erfolgte ein Heulen näher beim Lager. Victorio und Eskaminzin nickten. Apachenkrieger konnten Tierlaute ausgezeichnet nachahmen, aber ein geübtes Ohr kannte den Unterschied. Ein Krieger der Vorpostenkette kam, um dem Jefe Bericht zu erstatten. Wieder erklang das Kojotengeheul. Diesmal noch näher und lauter. Ein zweiter Kojote schrie die ganze Drangsal der in der Wildnis lebenden Kreatur in die finstere Nacht. Holz wurde auf die Glut kleiner Kochfeuer in dem großen Seitencanyon und oben auf dem Plateau nachgelegt. Flammen loderten, von neuer Nahrung gespeist, und beleuchteten eine gespenstische Szene rund um die Butterfield-Station und hoch über ihr. Das Heulen klang so nahe, daß man meinen konnte, das Tier
hätte in der Nähe des Feuers gestanden und die Flammen angekläfft. Der antwortende Artgenosse heulte viel weiter weg. Victorio hob seinen glühenden Blick zu Geronimo und richtete seine ausgestreckte Hand auf Gochise. Eine Geste, die seine Verachtung für den Jefe ausdrückte. Grollend sprach er. »Ein Späher aus den Canyons, Koh Cheez, will zu dir. Warte und höre dir an, was ich zu sagen habe. Deine neue Methode, hinter Wänden aus Stein zu kämpfen, hat vielen Kriegern der vereinten Stämme das Leben gekostet. Noch mehr sind verwundet. Es wird ein großes Wehklagen in den Dörfern der Apachen geben und nicht mehr verstummen.« Cochise warf ihm einen gleichmütigen Blick zu. Geronimo beachtete er nicht, ebensowenig die Unterführer. Die Methode hatte sich nicht bewährt, nicht bei der neuen Waffe, die die Weißen einsetzten. Sie konnte sich aber im Gebirge als gut erweisen und vielen Kriegern das Leben erhalten, wenn keine Kanonen eingesetzt werden konnten. »Laßt ihn zu mir, er will berichten, was in den Canyons geschah. Mit dir, Victorio, will ich später sprechen. Dir sei schon jetzt gesagt, daß du den nächsten Angriff auf die Station bei Sonnenaufgang leiten wirst.« Victorio stand auf, warf sich in die Brust und schüttelte die Fäuste. »Ich überrenne sie mit meinen Mimbrenjos. Nana, Loco, Chato! Ihr seid meine Zeugen. Beim ersten Ansturm überraschen wir sie und machen sie nieder.« »How!« hallte es im Chor. »How! How!« Die dunkle Front jenseits des Lichtkreises gab einen Krieger frei. Er blieb ehrfürchtig stehen, als Cochise sich erhob und auf einen Platz deutete. »Setz dich, ›Schneller Fuß‹, und berichte mir. Du bist vom langen Ritt in die Berge müde und hungrig. Setz dich und erzähle, danach kannst du essen, trinken und ruhen.« »Schneller Fuß« machte keinen Gebrauch von Cochises
Angebot. Er blieb stehen und starrte den Häuptling an. Cochise verstand den Krieger, der ihn bewunderte, und drängte ihn nicht. »Drei Bleichgesichter nähern sich dem Gebirge, Koh Cheez. Einer von ihnen ist verwundet. Er trägt einen glänzenden Stern auf der Brust und wird von den anderen im Sattel gestützt. Es hat einen Kampf mit anderen Weißen gegeben. Zwei von den anderen sind nach Süden geflohen, drei sind tot.« »Ich danke dir, ›Schneller Fuß‹, du hast mir einen großen Dienst erwiesen. Geh, iß und leg' dich zur Ruhe.« Cochise hatte verstanden. Der freundliche Mann mit dem Stern, der sich für das Gute bei den Weißen einsetzte, das sie Gesetz und Recht nannten, hatte sein »Wild« gestellt. Der Krieger zog sich in die Dunkelheit zurück. Victorio stand noch einmal auf und erhob seine grollende Stimme: »Sie werden eine leichte Beute für mich und meine Krieger sein, Koh Cheez. Niemals werden sie die Berge erreichen. Ich schwöre beim Andenken an meine Ahnen, daß ich sie töten werde wie die Langmesser dort unten in ihren festen Häusern. Kein Weißer soll aus diesem Land entkommen.« Cochise blieb stehen. Man sah, wie seine Wangenmuskeln arbeiteten. Sein kalter Blick musterte den Mimbrenjo. Ein seltsamer Zwang ging von diesen dunklen Augen aus, dem Victorio nicht lange standhalten konnte. Er senkte den Blick und setzte sich schweigend. »Den drei Weißen wird kein Haar gekrümmt. Sie haben freies Geleit bis zu den festen Häusern dort unten. Ich will, daß der verwundete Mann mit dem Stern am Leben bleibt. Ich will mehr, Häuptling der Apachen.« Cochise legte eine Pause ein, um seine eindringlichen Worte wirken zu lassen. Wie er so dastand, von den züngelnden Flammen beschienen, die Hand gegen die Unterführer ausgestreckt und den Kopf stolz erhoben, wurde allen bewußt, wer Cochise wirklich war: Ein Fürst unter den Häuptlingen. »Ja, ich will noch etwas, Victorio. Du hast freie Hand, und
kannst so viele Skalps erbeuten, wie du willst, aber du schonst die drei Bleichgesichter und den Häuptling der Langmesser, wie er auch mein Leben schonte. Tust du es nicht, wirst du mit mir um Tod und Leben kämpfen müssen. How!« Eisige Stille am Feuer. Koh Cheez hatte gesprochen und allen seinen Willen mit wenigen Worten aufgezwungen. Ahnten sie, was in diesem größten aller Führer der Apachen vorging?
ENDE