T. R. P. Mielke J. A. Garrett Triumph über den Titanen Rex Corda Band Nr. 37 Version 1.0 Triumph über den Titanen Im Jah...
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T. R. P. Mielke J. A. Garrett Triumph über den Titanen Rex Corda Band Nr. 37 Version 1.0 Triumph über den Titanen Im Jahre 1992 gerät die Erde in die jahrtausendealte Auseinandersetzung zwischen Orathonen und Laktonen. Unser Planet wäre vernichtet worden, wenn nicht der damalige Präsident der Vereinigten Staaten, Rex Corda, eingegriffen hätte. Corda verbündet sich mit den Laktonen und vertreibt mit ihrer Hilfe die Orathonen. Eigentlich ist Terra innerhalb dieser galaktischen Auseinandersetzung nur ein unwichtiger Planet am Rande der Milchstraße. Aber Rex Corda, zum Präsidenten von Terra gewählt, ahnt bereits, daß die Erde gegen einen dieser galaktischen Riesen die endgültige Entscheidung herbeiführen muß oder untergehen wird. Da erhält Rex Corda die entscheidende Hilfe: Der geniale terranische Wissenschaftler Walter Beckett erfindet einen Kunststoff mit überragenden Eigenschaften. Rex Corda nennt diesen Stoff Becon. Der unzerstörbare Stoff saugt alle Energien wie ein Schwamm in sich auf. Beängstigend ist, daß sich mit Becon das Hirn eines Menschen ebenfalls beeinflussen läßt. Ein Mensch, in den dieser Kunststoff hineinoperiert wird, ist unverwundbar. Sehr schnell haben die Orathonen und Laktonen die Bedeutung dieses Stoffes erkannt. Die Jagd auf Becon beginnt. Dem Flottenkommandeur der Orathonen, Sigam Agelon, gelingt es sogar, sich ein Stück Becon ins Hirn einsetzen zu lassen. Sigam Agelon will mit Hilfe seiner neuen Fähigkeiten die Herrschaft über die ganze Galaxis an sich reißen. Er versucht, das Reich der »Zeitlosen«, der Wächter über die gesamte galaktische Ordnung, zu zerstören. Rex Corda eilt den »Zeitlosen« mit dem Raumschiff »Walter Beckett« zu Hilfe. In der Raumvakuole der »Zeitlosen«, die wie eine riesige Blase an unserer Galaxis hängt, entbrennen die unerbittlichen Kämpfe. Schließlich setzt Sigam Agelon alles auf eine Karte. Er versucht, die Raumvakuole zu zerstören, um so die »Zeitlosen« zu vernichten. Der Zusammenbruch der Vakuole aber muß verheerende Auswirkungen auf die gesamte Galaxis haben. Ein unvorstellbares Chaos bahnt sich an, als Rex Corda sich zu seinem letzten Kampf gegen Sigam Agelon rüstet… Die wichtigsten Personen Rex Corda : hat einen tollkühnen Plan Sigam Agelon : zerstört das Universum der »Zeitlosen« Dragamur : der Vogelmensch entkommt der »Endlosen Strafe« Kona Mokon : hintergeht Sigam Agelon Fan Kar Kont : schützt die Maschine JohnHaick, Ralf Griffith : die Freunde Rex Cordas gehen mit auf die Reise ins Mikroreich *** Die farbigen Muster auf den Augenlidern des Orathonen flimmerten. Ein Zucken lief über sein
olivgrünes Gesicht.
Sigam Agelon beugte sich vor und starrte auf die großen Holografen in der Zentrale seines
Hantelraumers.
Mit ungeduldig wirkender Stimme fragte Sigam Agelon nach den Berichten der Ortungsstation.
Der Blick des durch Becon veränderten Orathonenführers glitt über die großen Holografen und die
langen Kontrollwände mit Meßgeräten und blinkenden Armaturen.
Zusammen mit den übrigen sieben Hantelraumern stieß Sigam Agelon zum Zentrum der Raumvakuole
vor. Dort befand sich der Heimatplanet der »Zeitlosen«. In seinem Größenwahn glaubte Sigam Agelon,
daß Angriff die beste Verteidigung war. Er wollte den Heimatplaneten der »Zeitlosen« vernichten.
Da tauchte auf den Geräten das Ortungsecho eines weiteren Hantelraumers auf. Sigam Agelon wußte
sofort, daß es sich bei diesem Hantelraumer nur um die mit Becon verstärkte »Walter Beckett«
handeln konnte. Das terranische Flaggschiff war allein… Ein wahnsinniges Glühen entstand in den Augen des Orathonen. Die farbigen Muster und Streifen auf seinen Augenlidern nahmen eine giftgrüne Farbe an. Blaßrote Flecken pulsierten auf seinen Tränensäcken. »Corda!« stieß er gehässig hervor und ballte die Fäuste. »Diesmal entwischt er mir nicht!« Der Konvoi der stumpfen, grünlich flimmernden Pyramiden tauchte völlig unerwartet auf. Niemand konnte erkennen, wo die Raumschiffe der »Zeitlosen« gestartet waren. Sigam Agelon reagierte ungewöhnlich schnell. Der Orathone erkannte, daß die »Walter Beckett« Verstärkung erhielt. Obwohl die schweren Waffen an Bord der »Lynthos II« stark genug waren, um die grünlich flimmernden Schutzschirme um den Raumschiffen der »Zeitlosen« zu durchschlagen, erkannte der Agelon, daß er den gut sechzig Raumschiffen unweigerlich unterliegen mußte, wenn sie ihn zusammen mit der mit Becon gepanzerten »Walter Beckett« angriffen. Sigam Agelon reagierte sofort. Er hatte nichts zu verlieren – aber er wollte alles gewinnen. Nur deshalb gab er den Befehl zum Rückzug. Schlagartig verwandelte sich die Flugordnung der acht Hantelraumer in einen dicht aufgeschlossenen Pulk. Antriebsaggregate heulten auf. Antigravitationsautomaten im Innern der Hantelraumer winselten an der äußersten Belastungsgrenze. Mit einer unvorstellbar engen Fluchtkurve drehten die Raumschiffe Sigam Agelons ab. Zusammen mit den übrigen sieben Hantelraumern ergriff der Orathone an Bord der »Lynthos II« die Flucht. Er jagte in die Dunkelheit zurück, aus der er gekommen war. Der Konvoi der Pyramidenraumschiffe teilte sich. Ein Teil der »Zeitlosen« jagte hinter Sigam Agelon her. Die andere Hälfte bildete eine Kugelformation, deren Mittelpunkt die »Walter Beckett« war. Aber die Männer im terranischen Flaggschiff dachten nicht daran, Sigam Agelon fliehen zu lassen. Rex Corda befahl, sofort die Verfolgung des Orathonen aufzunehmen. Wertvolle Sekunden waren bereits verloren. Die Gefahr lag nicht darin, daß Sigam Agelon floh. Viel schlimmer war es, wenn der Orathone jetzt versuchte, sich mit Hilfe von Hypersprüngen quer durch die Raumvakuole der »Zeitlosen« in Sicherheit zu bringen! Nur ein winziger Anstoß genügte, um die Raumvakuole in einer gigantischen Implosion zusammenstürzen zu lassen. Das »Riesenhirn« der »Zeitlosen« war noch zu angeschlagen, um die Stabilität der Vakuole zu garantieren. Niemals während des jahrtausendelangen galaktischen Krieges zwischen Orathonen und Laktonen hatte ein einziger Mann so viel Macht besessen wie Sigam Agelon in diesem Augenblick. Das Teuflische daran war, daß Sigam Agelon genau wußte, daß er den höchsten Trumpf in seinen Händen hielt. Das Schicksal von 20.000 Welten innerhalb und außerhalb der Raumvakuole hing nur noch an einem seidenen Faden! * Die kleine, rötlichgelbe Sonne vom KLTyp zog die acht Hantelraumer Sigam Agelons magisch an. Die Sonne war so unscheinbar und harmlos, daß Sigam Agelon einen schnellen Entschluß faßte. »Feststellen, ob Planeten vorhanden sind, die sich zur Landung eignen!« Das Ergebnis lag innerhalb von fünfzehn Sekunden vor. »Wir landen!« sagte der Orathone nach einem kurzen Blick auf die ausgewerteten Meßergebnisse. Der kleine Planet direkt vor ihnen schwebte hellblau schillernd in der Dunkelheit des Alls. Er stand ziemlich dicht an der rötlichgelben Sonne. Der kleine Planet gefiel Sigam Agelon. Er kannte Tausende von Welten, die er während der Raumschlachten gegen die Laktonen vorübergehend besetzt hatte. Es gab verschiedene orathonische Generalstabspläne für die Okkupation von bewohnten Welten. Die Art der Invasion richtete sich stets nach dem Energiepotential der betreffenden Sonne und dem Stand der technischen Entwicklung der
Planetenbewohner.
Sigam Agelon vergaß niemals, daß seine Hantelraumer nur dann operieren konnten, wenn es im
Einsatzraum Sonnen gab, deren Energie von den Umwandlern an Bord der Hantelraumer abgezapft
werden konnte.
Mit röhrenden Bremsdüsen senkten sich die acht Hantelraumer Sigam Agelons dem Planeten entgegen.
Zweihundertfünfzig Kilometer über der Oberfläche gingen sie in eine Kreisbahn über.
Beobachtungsgeräte und Ortungsstationen werteten die einlaufenden Meßergebnisse aus.
Der Planet war bewohnt!
Aber das konnte für keinen orathonischen Flottenkommandeur ein Hindernis sein. Einziges Ziel des
Erkundungsfluges war es, festzustellen, ob sich Spuren der »Zeitlosen« auf dem Planeten befanden.
Das Ergebnis war negativ.
Bei der zweiten Umkreisung des Planeten entdeckte Sigam Agelon ein ungewöhnlich großes Bauwerk
zwischen zwei schneebedeckten Bergketten.
»Das sehen wir uns an!« sagte der Agelon. Interessiert blickte er in die Holografen.
Dreidimensional und plastisch flimmerte das vergrößerte Holografenbild einer ausgedehnten
Tempelanlage in die Zentrale der »Lynthos II«.
Auch in den Kommandoständen der übrigen Hantelraumer beobachteten die Führungsoffiziere Sigam
Agelons das Bauwerk.
Wenige Minuten später setzte die »Lynthos II« auf der Oberfläche des Planeten auf.
Breite Landeteller gruben sich in den lockeren, staubigen Boden.
Die Landebeine schützten die Hantelraumer vor den mit Titanenkraft zur Seite gewirbelten
Steinbrocken. Glühende Felsstücke flogen Hunderte von Metern nach allen Seiten auseinander.
Die »Lynthos II« schwankte kaum merklich, ehe die Bremsdüsen verstummten. Mit lauten
Knallgeräuschen kühlten sich die überhitzten Düsenöffnungen ab. Das Material zog sich wieder
zusammen.
Nacheinander landeten die übrigen Raumschiffe des Agelon in der Ebene.
Die wuchtigen Mauern der Tempelanlage waren nur etwa einen Kilometer von der »Lynthos II«
entfernt.
»Kampfroboter zu den Diskusraumern!« ordnete Sigam Agelon an. »Alarmbereitschaft für Ätzer und
Whims!«
In diesem Augenblick meldete sich Kona Mokon, der Kommandant des Hantelraumers »Agon«.
»Wäre es nicht besser, die rebellischen Völker der Vakuole für uns zu gewinnen?«
»Warum?« fragte Sigam Agelon unwillig. Er starrte auf den Holografen, in dem das plastische Bild von
Kona Mokon aufgetaucht war.
Mit einem Meter einundsiebzig war Kona Mokon für orathonische Verhältnisse ungewöhnlich groß. Drei
gezackte Narben auf seiner Stirn verliehen ihm ein gefährliches Aussehen. Die Narben waren mit
Chemikalien zum Aufquellen gebracht worden. Sie bildeten das sichtbare Zeichen seiner Herkunft.
Sigam Agelon wußte, daß Kona Mokon einer Familie entstammte, die zu den reichsten des orathonischen
Imperiums gehörte.
»Wir haben nur acht Hantelraumer zur Verfügung«, gab Mokon zu bedenken. »Wenn wir Erfolg haben
wollen, brauchen wir Kanonenfutter. Und wir wissen, daß die ›Zeitlosen‹ den übrigen Völkern der
Vakuole ziemlich unsympathisch sind. Wenn wir geschickt vorgehen, sparen wir eigene Kräfte, indem
wir die vorhandenen Primitiven einsetzen.«
»Eine ausgezeichnete Idee!« sagte Sigam Agelon mit einem diabolischen Grinsen. »Leider taugt sie
nichts, weil ein Volk, das derartige Tempel baut, kaum Raumschiffe besitzen wird.«
»Davon bin ich noch nicht überzeugt«, widersprach Kona Mokon.
Sigam Agelon hob die Brauen und schürzte die Lippen. Die farbigen Muster auf seinen Augenlidern
tanzten.
»Stellen Sie fest, ob Raumschiffe vorhanden sind. Wenn Sie Erfolg haben, komme ich auf Ihren Plan
zurück. Ihr Vorschlag kann sich tatsächlich als brauchbare Idee erweisen…«
Kona Mokon verneigte sich kaum merklich. Sigam Agelon stand als Mitglied der FAMILIE über Kona
Mokon. Aber das war nicht der Grund, warum sich Kona Mokon dem »Veränderten« mit der Beconplatte
unter der Hirnschale unterworfen hatte: Er wollte dabei sein, wenn Sigam Agelon Herr über weite
Teile der Milchstraße wurde. Er wußte, daß der Agelon unbesiegbar war. Nichts und niemand konnte
einen »Veränderten« verletzen. Von dieser Tatsache wollten letzten Endes alle Orathonen im Gefolge
des Agelon profitieren – auch Kona Mokon.
»Ich werde mein Bestes tun!« versprach er. Sigam Agelon nickte nur. Haß glomm in seinen Augen auf,
als er an Rex Corda dachte. Er war entschlossen, ihn zu vernichten. Und dafür war ihm jedes Mittel
recht!
*
Die schwarzhaarige Mathematikerin trug die dunkelgrüne Kombination der laktonischen
Wissenschaftler an Bord der »Walter Beckett«.
Sie hatte einen hellen Gürtel viel zu eng um ihre schmale Taille geschnallt. Sie wußte, wie sie ihre
schlanke Figur betonen konnte.
Ierra Kretan war nach terranischen Maßstäben etwa fünfundzwanzig Jahre alt. Sie hatte einen
goldbraunen Teint, interessante Mandelaugen und einen kleinen vollen Mund. Ihre schmale Nase war
etwas zu streng geraten.
Lange Zeit hindurch hatte sie unter dem Verdacht gestanden, eine laktonische Doppelagentin zu sein.
Diese Behauptung war von Ierra Kretan niemals dementiert worden…
Es gab nur einen einzigen Grund, der sie schließlich veranlaßt hatte, ihre ursprünglichen Befehle zu
vergessen: Rex Corda.
Als der junge Präsident in der Zentrale der »Walter Beckett« erschien, spürte Ierra Kretan ein
merkwürdiges Kribbeln zwischen ihren Schulterblättern. Sie schloß die Augen und holte tief Luft.
Jedesmal, wenn dieser Terraner in ihrer Nähe war, brachen bewußt unterdrückte Gefühle in ihr auf.
Und jedesmal ärgerte sie sich darüber.
Ierra Kretan brauchte keine Mathematikerin zu sein, um zu wissen, daß diese Gleichung nur in ihren
Träumen eine Lösung finden konnte.
Rex Corda respektierte und achtete sie als Wissenschaftlerin. Und es war etwas mehr als Sympathie,
was er für sie empfand.
Trotzdem gab es Augenblicke, in denen die junge Laktonin den Präsidenten Terras wegen seiner kühlen
und überlegenen Zurückhaltung haßte. Nur deshalb benahm sie sich manchmal wie eine ausgezeichnete
Sekretärin, die ihren Chef liebte, ohne daß er es merken durfte.
Sie stand etwas abseits vor einer Kontrollwand der Computermauer, die ringförmig um die große
Zentrale lief. Ohne zu wissen, was sie tat, wechselte sie Einschübe aus und verglich Triggerimpulse auf
den Oszillographen mit tabellarischen Synopsen. Es war eine Routinearbeit, bei der Ierra Kretan auf
das achten konnte, was hinter ihrem Rücken vorging.
Rex Corda, Fan Kar Kont und John Haick waren mit einem »Zeitlosen« zusammengetroffen, der in der
Mitte zwischen Fatlo Bekoval und dem Lithalonier Percip stand.
Wütend blickten sie auf den »Zeitlosen«, der Rex Corda von oben bis unten musterte. Die arrogante
Haltung des Fremden war eindeutig provozierend.
Rex Corda tat so, als merke er das nicht. Er war ein Empath. Er konnte die Gefühle anderer Lebewesen
wahrnehmen. Er spürte die grenzenlose Arroganz, die aus den Blicken des »Zeitlosen« sprach.
»Was kann ich für Sie tun?« fragte Rex Corda ruhig.
»Bieten Sie mir einen Platz an.«
»Bitte«, sagte Rex Corda mit einem reservierten Lächeln und deutete auf eine Sesselgruppe in der
Mitte der Zentrale. Sie war um einen grünbespannten Konferenztisch angeordnet.
Der »Zeitlose« stolzierte wie ein Pfau zu den Sesseln. Ohne lange zu fragen, ließ er sich am Kopfende
des Konferenztisches nieder.
Rex Corda blieb stehen.
»Sind Sie auf die übliche Art hierhergekommen?« fragte Rex Corda.
Der »Zeitlose« antwortete nicht. Es war auch nicht nötig, da Rex Corda ebensogut wie die übrige
Besatzung der »Walter Beckett« wußte, daß die »Zeitlosen« sich ohne mechanische Hilfsmittel von
einem Ort zum anderen bewegen konnten. Sie waren Teleporter.
Sie tauchten einfach auf und waren da. Niemals erklärten sie, wie sie es machten.
Rex Corda steckte sich eine Zigarette an. Er blies den Rauch schräg nach unten. Der »Zeitlose« wich
etwas zurück.
Rex Corda blieb ernst.
»Jetzt steht es eins zu eins!« flüsterte John Haick belustigt.
»Ich finde Ihr Verhalten respektlos!« beschwerte sich der »Zeitlose«.
»Ich bin bereit, mir Ihre Bitte anzuhören«, konterte Rex Corda. »Sie dürfen mich etwas fragen.«
Der »Zeitlose« sprang auf. Mit geballten Fäusten stützte er sich auf den Konferenztisch.
»Unverschämtheit!« zischte er. »Ein ›Zeitloser‹ bittet nicht!«
»Okay!« meinte Rex Corda lakonisch. »Dann darf ich Sie bitten, mein Schiff umgehend zu verlassen.
Ich kann mich nicht daran erinnern, daß ich einen überheblichen Flegel eingeladen habe. Benehmen Sie
sich anständig, und ich bin gern bereit, mit Ihnen zu verhandeln. Ich hoffe, daß das klar genug war!«
Rex Corda konnte hart sein – hart und unbeugsam, wenn es um die Sache selbst ging. Er hatte es nicht
nötig, sich von dem »Zeitlosen« als Primitiver behandeln zu lassen. Aber er wußte, daß die »Zeitlosen«
niemals zugeben konnten, Hilfe von einem Außenstehenden erhalten zu haben.
Rex Corda und seine Männer hatten das große »Gehirn« der »Zeitlosen« von Parasiten befreit.
Anscheinend war das schon wieder in Vergessenheit geraten.
»Nun?« fragte Rex Corda. Der »Zeitlose« kämpfte mit sich. Niemand wußte besser als Rex Corda, wie
schwer es für den schlanken, sehnigen Mann war, seine Überheblichkeit abzulegen. Seit Tausenden von
Generationen hatten sich die »Zeitlosen« als überlegene Hüter der Großen Gesetze gefühlt. Sigam
Agelons Einbruch in die Raumvakuole der »Zeitlosen« hatte die Situation schlagartig geändert. Sie
waren nicht mehr die uneingeschränkten Herrscher innerhalb der Vakuole. Sie mußten sich damit
abfinden, daß es Kräfte gab, die sie nicht mit einer Handbewegung abtun konnten.
Der »Zeitlose« gab nach.
Langsam ließ er sich in den Sessel zurückfallen.
»Ich bin beauftragt worden, mit Ihnen über die Verteidigungsmöglichkeiten unserer Heimatwelt zu
sprechen«, sagte er abgehackt.
Rex Corda spürte deutlich, wie schwer dem »Zeitlosen« dieser Auftrag fiel. Er hatte kein Interesse
daran, die Verhandlung zu erschweren. Längst war ihm klargeworden, daß die »Zeitlosen« auf seine
Hilfe einfach nicht verzichten konnten.
»Sie sagen, daß Sie neue Informationen über den Orathonen haben?«
Der »Zeitlose« nickte. »Sie wissen wahrscheinlich, daß wir überall Schutz und Warnanlagen errichtet
haben.
Auch außerhalb dieser Raumvakuole gab es Rassen und Völker, deren einzige Aufgabe es war, die
Vakuole zu schützen.«
»Ich weiß«, sagte Rex Corda kurz. Damit überging er einen für den »Zeitlosen« äußerst unangenehmen
Punkt. Jeder der in der Zentrale Anwesenden wußte, daß die Sicherungssysteme der »Zeitlosen«
versagt hatten. Sowohl Sigam Agelon mit seiner Flotte als auch Rex Corda mit der »Walter Beckett«
hatten schließlich in die Raumvakuole eindringen können.
»Sie meinen also, daß Sigam Agelon sich für den Endkampf vorbereitet?«
Wieder nickte der »Zeitlose«.
»Hat das ›Gehirn‹ besondere Pläne?«
»Ja.«
»Und welche?«
»Unsere Waffen sind stärker als die des Orathonen. Aber wir haben das Kämpfen verlernt. Der
Orathone weiß als ausgebildeter Kommandant einer Kampfflotte mehr über taktische Manöver als wir.
Wir befürchten, daß er die Überlegenheit unserer Waffen durch einen todesmutigen Angriff
überspielen kann.«
Rex Corda wußte genau, mit welchem Anliegen der »Zeitlose« zur »Walter Beckett« gekommen war.
Trotzdem fragte er: »Welche Vorschläge bringen Sie mit?«
»Wir wünschen, daß Sie sofort zu unserer Heimatwelt zurückkehren, um dort das militärische
Oberkommando über unsere Raumschiffe zu übernehmen.«
»Befehl oder Bitte?« fragte Rex Corda.
Der »Zeitlose« preßte die Lippen zusammen. Dann sagte er zerknirscht:
»Das große ›Gehirn‹ bittet Sie…«
Rex Corda lächelte.
»Richten Sie dem ›Hirn‹ aus, daß wir kommen. Es ist uns eine Ehre, daß wir der überlegenen Rasse der ›
Zeitlosen‹ unsere bescheidenen Kräfte zur Verfügung stellen dürfen.«
John Haick, der hinter Rex Corda stand, biß auf seinen Handballen, während sein Gesicht rot anlief. Ein
Glucksen kam aus seiner Brust.
Der »Zeitlose« verschwand im Nichts. Er löste sich einfach auf.
Im gleichen Augenblick platzte es aus John Haick heraus. Ein wieherndes Gelächter erfüllte die
Zentrale der »Walter Beckett«.
»Mann! War das schön!« lachte John Haick. »Den hast du aber in die Knie gezwungen!«
»Wer so arrogant ist, hat keine bessere Behandlung verdient«, schmunzelte Rex Corda. »Ich fürchte
nur, daß der Bursche meine spitzen Antworten überhaupt nicht begriffen hat.«
»Terraner haben nun mal einen merkwürdigen Humor«, warf Fan Kar Kont ein.
»Daran werden sich die ›Zeitlosen‹ gewöhnen müssen!« grinste John Haick.
»Wir fliegen zu ihnen!« ordnete Rex Corda an.
Bekoval, der Kommandant der »Walter Beckett«, gab den Befehl sofort weiter.
*
Die Hilfsvölker der Orathonen griffen an. Ätzer, pelzüberzogene »fliegende Teppiche« mit geringer
Intelligenz, flatterten durch die heiße Luft und stülpten sich über die Köpfe schreiender Tyraner.
Die Körpersäure der Ätzer tötete schnell!
Byts, kleine geflügelte Schlangen, zischten hinter den Flüchtenden her, um sie zu betäuben. Die Byts
präparierten gleichzeitig ihre Opfer für elektronische Sonderverhöre. Sie machten sie willenlos.
Hundertsiebzig Zentimeter große, nicht flugfähige Whims verständigten sich über Ultraschall mit den
Orathonen.
Die Whims waren die Spezialkampftruppe für unzugängliches Gelände, in dem ein Bodenkampf
stattfand. Das grillenähnliche Hilfsvolk der Orathonen war launisch und unberechenbar.
Innerhalb weniger Minuten verwandelte sich das große Heiligtum von Tyr in einen brodelnden und
wogenden Hexenkessel.
Primitive Waffen wurden gegen die Angreifer eingesetzt. Überall regte sich Widerstand. Die
Bewohner von Tyr kämpften verzweifelt um ihr Leben.
Einfache Handfeuerwaffen wurden aus den Arsenalen des äußersten Tempels geholt. Binnen kurzer
Frist verwandelte sich der sechseckige Säulenhof in ein eng begrenztes Schlachtfeld mit
Straßenkampfcharakter.
Schwärme von Byts stießen auf die Tyraner nieder.
Gegen eine derartige Kampftechnik waren die Bewohner von Tyr machtlos. Sie wurden von allen Seiten
angegriffen. Dagegen hatten selbst die Tapfersten keine Chance.
Die Orathonen Sigam Agelons setzten Paralysatoren ein. Die elektromagnetischen Felder beeinflußten
den Willen der Tyraner.
Überall in den gigantischen Säulenhöfen des Tempels ließen die Kämpfenden plötzlich die Arme sinken
und starrten ins Nichts.
Apathisch bewegten sie sich zu den großen Reinigungsbecken und ließen sich hineinfallen.
Es wurden immer mehr. Die Becken waren zu klein. Die Körper stapelten sich übereinander. Es war ein
groteskes und gleichzeitig grauenhaftes Bild.
Für die Orathonen war das alles nicht mehr als eine Routineaktion. Sie kannten die Methoden, mit
denen eine weniger entwickelte Rasse ohne große Schwierigkeiten versklavt werden konnte.
Diskusraumer tauchten über dem großen Heiligtum Tyrs auf. Die wenigen scheibenförmigen
Verbindungsboote der Orathonen wurden jetzt zur Unterstützung des Bodenkampfes eingesetzt.
Aus verborgenen Arsenalen hatten die Missa, drei Frauen, die den Planeten Tyr regierten, lang
gehütete Waffen freigegeben.
Die orathonischen Diskusraumer stießen auf eine Flakstellung hinab. Zwei Verbindungsboote vom Typ
Kapp berührten sich an den Kanten und jagten haarscharf über die äußeren Begrenzungsmauern hinweg.
Normalerweise war ein derartiger Zwischenfall während des Kampfes vollkommen ausgeschlossen…
Zwei dreiundfünfzig Meter große Diskusraumer vom Typ AVautT jaulten mit hoher Geschwindigkeit
über das Kampfgebiet hinweg. Sie vereinigten sich mit zwei kleineren Booten vom Typ Rasta und
stießen dann in geschlossener Formation auf die beiden Zentralaltäre des Riesentempels zu.
In diesem Augenblick wurden sie von einem Traktorstrahl erfaßt und zur Seite geschleudert. Der
Angriff der Orathonen kam ins Stocken. Niemand wußte, was geschehen war. Kein Orathone hatte mit
ernsthaftem Widerstand gerechnet – nicht bei einer derartigen Miniaturinvasion…
Der Tempel von Tyr hüllte sich plötzlich in ein blaßgrün blakendes Flammenmeer. Hellrote Feuerlanzen
schossen aus schlitzförmigen Öffnungen in den Steinen.
Das Heiligtum setzte sich zur Wehr. Der Tempel wurde entschlossen verteidigt.
Maßlos erstaunt jagten die angreifenden Orathonen Lageberichte zu den wartenden Hantelraumern
zurück. Für einige Sekunden trat eine Kampfpause ein.
Erst als zwei Diskusraumer mit scharfen Explosionen in eine Gruppe von Whims krachten und wabernde
Glutwolken den Boden erbeben ließen, kam eine Antwort von der »Lynthos II«.
Sigam Agelon befahl die totale Vernichtung des größten Bauwerkes von Tyr!
Diesmal nahmen die Orathonen und ihre Hilfsrassen den Angriff auf die Primitiven ernster als vorher.
Wie blutrünstige Wölfe fielen sie über den Tempel her. Jetzt gab es keine Gnade mehr!
Kona Mokon verstand überhaupt nichts mehr. Er ließ sich mit der »Lynthos II« verbinden. Es dauerte
einige Zeit, bis der Kommandant der »Agon« den im Augenblick ziemlich beschäftigten Sigam Agelon
sprechen konnte.
»Was gibt es?« fragte der Agelon unwillig.
»Dieser Angriff – ich verstehe nicht ganz…«
»Das ist auch nicht nötig, Mokon. Hier ordne ich an, was zu geschehen hat! Sie haben sich einmal für
mich entschieden und werden jetzt wohl oder übel meine Befehle und Anordnungen ausführen! Sie
können nicht mehr zurück! Sie sind ebenso ein Ausgestoßener wie ich.«
»Aber unser Gespräch – Sie waren doch einverstanden, daß wir diesmal zusammen mit diesen Völkern
gegen die ›Zeitlosen‹ vorgehen.«
Der stämmige orathonische Oberbefehlshaber hob verächtlich die Schultern. Er blickte auf die großen
Holografen, die ein plastisches Bild von den Kämpfen rund um den Tempel übermittelten.
Es ging nicht ganz so glatt, wie Sigam Agelon es erwartet hatte. Diese Tatsache erfüllte ihn mit Zorn
und Unwillen.
Sekundenlang wirkte der Agelon vollkommen abwesend. Er starrte auf die Bildschirme.
Plötzlich wies er auf den Holografenschirm, der die Verbindung zwischen der »Lynthos II« und der »
Agon« herstellte.
»Warum eigentlich nicht?« meinte Sigam Agelon mit einem verächtlichen Lachen. Er warf seinen
Umhang zurück. Zwei seiner Offiziere traten sofort neben ihn.
»Kampfhandlungen einstellen!« befahl Sigam Agelon. »Kona Mokon soll seine Chance haben.« Er wandte
sich wieder an den Kommandanten der »Agon«.
»Ich gebe Ihnen dreißig Minuten. Ihre Argumente klangen recht vernünftig. Außerdem können wir im
Augenblick tatsächlich Verbündete gebrauchen. Es wäre anders gewesen, wenn wir es hier mit völlig
primitiven Lebewesen zu tun hätten. Aber nach dem, was sich draußen abspielt, könnten sie recht
brauchbar für uns sein.«
»Kanonenfutter!« sagte Kona Mokon eifrig. Sigam Agelon lachte kalt.
»Gut, Mokon! Versprechen Sie den Leuten, was sie haben wollen, aber sorgen Sie dafür, daß ich
genügend Kanonenfutter erhalte, um den ›Zeitlosen‹ endgültig ihren großen Mund zu stopfen…«
Stolz richtete Kona Mokon sich auf. Er war sich der Ehre bewußt, die mit diesem Auftrag verbunden
war. Jetzt kam alles auf sein Verhandlungsgeschick an. Er, Kona Mokon, konnte beweisen, daß er sich
neben dem Einsatz eines Hantelraumers auch noch auf die Führung von Verhandlungen verstand.
Während die Verbindung zwischen den beiden Hantelraumern unterbrochen wurde, suchte sich Kona
Mokon eine kleine schlagkräftige Truppe aus. Sie bestand aus drei Offizieren und zwölf orathonischen
Soldaten, die sich bis an die Zähne bewaffneten.
Kona Mokon ordnete an, einen Paralysator auf das Feld zwischen den Hantelraumern und den ersten
Säulenreihen des großen Tempels zu richten. Gemeinsam mit den ausgewählten Grünhäutigen verließ er
die Zentrale der »Agon«.
Über Antigravschächte und lange Korridore gelangten sie zu den Schleusen.
Kona Mokon verzichtete darauf, einen Diskus zu benutzen. Die Entfernung war nicht allzu groß. Er
wollte sie zu Fuß überwinden.
Das hatte bisher bei allen unterworfenen Völkern als Zeichen für Verhandlungswünsche gegolten.
Kona Mokon war von seinem Plan überzeugt. Warum sollte es diesmal anders sein als sonst?
Wenn er sich aber geirrt haben sollte, war er bereit, hart und unerbittlich zuzuschlagen.
Die drei Hohepriesterinnen, die die Regierung von Tyr bildeten, besaßen mehr Wissen als alle anderen
Bewohner von Tyr zusammengenommen. Sie waren alle drei hochbegabte Technikerinnen. Sie hatten die
Fähigkeit, Zusammenhänge zu erkennen und auszuwerten, vervollkommnet.
Die Missa, wie die drei Frauen genannt wurden, machten sich keinerlei Illusionen über das, was an der
Oberfläche ihrer Heimatwelt geschah. Längst wußten sie, daß sie sich nicht gegen die Flotte dieser
grünhäutigen Angreifer verteidigen konnten, wenigstens nicht lange.
Tief unter dem Tempel erwarteten die Missa die Ankunft der Delegation.
Auf farbigen Bildschirmen beobachtete ZappoMissaDeh den vorangehenden Gefiederten.
Er hatte eine olivgrüne Hautfarbe und war größer als seine Begleiter.
Die Hohepriesterin betrachtete auf dem Bildschirm die ungewöhnlich breiten Schultern und den
muskulösen Nacken des Mannes. Sie lächelte, als sie die drei aufgeschwollenen Narben an der Stirn
des Mannes erkannte: Auch die Fremden hatten offenbar kultische Bräuche.
»Wir müssen dafür sorgen, daß sie unangefochten in den Tempel kommen«, sagte ZappoMissaDeh zu
den beiden anderen Hohepriesterinnen.
Außer ein paar Unterpriestern befand sich niemand mehr im inneren Raum der großen Geheimnisse. Er
war fast achtzig Meter tief in den Fels gegraben worden. Hier war die geheime und streng gesicherte
Kommandozentrale der drei Frauen, die das Erbe der ersten Siedler von Tyr bewahrten.
DullaMissaNuwa betätigte einige Schaltungen an einer großen Kontrollwand. Im Innern der Anlage
verschoben sich automatisch Abdeckplatten und Panzertüren.
Über leuchtende Richtungslinien wurde den näher kommenden Orathonen der Weg gewiesen.
Mehr konnten die drei Missa im Augenblick nicht tun.
Wenn es den Fremden tatsächlich um Verhandlungen ging, würden sie die Hinweise verstehen. Die
Missa waren nicht daran interessiert, einen Kampf mit den technisch überlegenen Grünhäutigen zu
führen. Sie wußten, daß dadurch ein Großteil der Anlagen an der Oberfläche zerstört werden konnte.
Die Fremden besaßen Waffen, die den Missa völlig unbekannt waren.
»Sie kommen!« flüsterte DullaMissaNuwa. Gebannt starrte sie auf die Bildschirme.
Zögernd, aber dann immer schneller bewegte sich die kleine Gruppe der Gefiederten den farbigen
Leitweg entlang. Vorsichtig nach allen Seiten blickend, stiegen sie die breite Freitreppe hinauf. Dann
tauchten sie sekundenlang im Aufnahmeschatten eines Säulenganges unter.
»Ich glaube, es gelingt«, meinte ZappoMissaDeh zufrieden. »Wir müssen unter allen Umständen
versuchen, sie auf unsere Seite zu ziehen. Wir wissen nicht, welche Vereinbarungen sie mit den ›
Zeitlosen‹ getroffen haben. Was immer es auch sei – wir brauchen Verbündete im Kampf gegen die ›
Zeitlosen‹!«
»Die kleine Sonne gebe dir Kraft, diese Verhandlungen durchzustehen«, sagte DullaMissaNuwa leise.
ZappoMissaDeh lächelte kaum spürbar.
Sie war bereit!
Ihr fast fanatischer Glaube an den Sieg der Revolution gegen die »Zeitlosen« wirkte ansteckend.
Allmählich glaubten auch die Unterpriester, daß sie unerwartete Hilfe aus der Dunkelheit des Raumes
erhielten. Das große Ziel war wieder ein Stück näher gerückt.
Für ZappoMissaDeh bestand kein Zweifel daran, daß sie sich von der Geißel der »Zeitlosen« befreien
würden.
Sie war stolz, daß dieses Ereignis in ihre Amtszeit fiel.
Kona Mokon triumphierte. Damit hatte selbst er nicht gerechnet. Die Bewohner des Planeten waren
nicht nur bereit, ihm zu helfen – sie baten die Orathonen Sigam Agelons um Hilfe!
Schneller und einfacher hätte es nicht gehen können. Kona Mokon hütete sich, Sigam Agelon vom
wahren Sachverhalt Bericht zu erstatten.
Als er mit dem Unbesiegbaren Kontakt aufnahm, gab er eine nicht ganz zutreffende Schilderung der
ersten Begegnung.
Kona Mokon befand sich wieder in der »Agon«. Er hatte alle Teilnehmer der kleinen
Verhandlungsexpedition aus der Zentrale geschickt. Er wollte nicht, daß sie dabei waren, wenn er
Sigam Agelon Bericht erstattete. Dafür gab es ganz bestimmte Gründe…
»Hatten Sie Erfolg?« fragte Sigam Agelon mit einem sarkastischen Lächeln.
»Jawohl! Die Fremden haben vor unserer Stärke kapituliert – vor der Stärke unserer Argumente,
meine ich.«
»Na, schön!« meinte Sigam Agelon. »Dann ist das Vertrauen, das ich in Sie gesetzt habe, ja
gerechtfertigt. Ich hätte Ihnen auch nicht geraten, ohne greifbare Erfolge zurückzukommen. Was
haben Sie vereinbart?«
»Die Fremden besitzen Raumschiffe.«
Das Gesicht von Sigam Agelon veränderte sich.
»Raumschiffe?« stieß er gierig hervor. Die bunten Muster auf seinen Augenlidern tanzten. »Wo sind
sie?«
»In unterirdischen Hangars.«
»Wie viele?«
»Sie können uns achtzig Raumschiffe sofort und zwei Dutzend etwas später zur Verfügung stellen.«
»Achtzig Raumschiffe!« wiederholte Sigam Agelon und richtete sich auf.
Kona Mokon wußte genau, woran der »Veränderte« jetzt dachte. Es war ein Geschenk des Zufalls.
Niemand hatte damit gerechnet.
Achtzig Raumschiffe für Sigam Agelon – das mußte den Sieg über die »Zeitlosen« bedeuten! Und über
die »Walter Beckett«.
»Haben Sie die Schiffe gesehen?«
Kona Mokon nickte. Er war stolz auf seinen Erfolg, auch wenn er kaum etwas dazu beigetragen hatte.
Er hütete sich aber, Sigam Agelon davon zu berichten, daß die Hohepriesterinnen der Tyraner den
Spieß umgedreht und selbst um Hilfe gebeten hatten!
»Sie haben eine Art religiöser Überlieferung«, erklärte Kona Mokon seinem Oberbefehlshaber. »Das
gesamte wirtschaftliche Potential dient dem einzigen Zweck, Reserven für eine Revolte gegen die ›
Zeitlosen‹ zu schaffen.«
»Ausgezeichnet!« sagte Sigam Agelon hart. »Besser hätten wir es nicht treffen können! Ich ernenne
Sie, Kona Mokon, ab sofort zu meinem Stellvertreter!«
»Danke, Sir«, sagte Kona Mokon ergriffen.
»Wann können Sie starten?« fragte Sigam Agelon ungeduldig.
»Innerhalb einer Stunde. Sie…«
Fast hätte Kona Mokon sich verraten.
Er hatte berichten wollen, daß die Tyraner die erste Phase des Aufstands gegen die Macht der »
Zeitlosen« bereits eingeleitet hatten.
Er biß sich auf die Unterlippe. Einen derartigen Fehler durfte er niemals machen.
Wenn Sigam Agelon erfuhr, wie die Verhandlungen tatsächlich ausgesehen hatten, war er die längste
Zeit der Stellvertreter des »Veränderten« gewesen.
Ein heimtückisches Glitzern tauchte in den Augen Kona Mokons auf.
Er mußte die Zeugen beseitigen!
Sie konnten ihm nur gefährlich sein. Kaltblütig beschloß er, sie umzubringen. Vielleicht konnte er damit gleichzeitig seine Treue und seine Loyalität Sigam Agelon gegenüber demonstrieren. Wenn er diesen Plan geschickt ausführte, gelang es ihm dadurch auch, sich noch tiefer in das Vertrauen des Unbesiegbaren einzuschleichen. Und das konnte nur zu seinem eigenen Vorteil sein… Sigam Agelon unterbrach die Verbindung zur »Agon«. Er sah sein Ziel jetzt greifbar nah vor sich. Diesmal mußte er Erfolg haben! Sekundenlang dachte er daran, daß die »Zeitlosen« in der Lage waren, den Antrieb eines Hantelraumers zu blockieren. Er war fest entschlossen, auch diese Möglichkeit zu berücksichtigen. Sollten die »Zeitlosen« nur versuchen, ihn mit diesem Trick auszuschalten – er hatte bereits eine Idee, wie er eine derartige Aktion zu seinen Gunsten ausnutzen konnte: Er mußte von seinen neuen Verbündeten die Koordinaten des Planeten der »Zeitlosen« erfahren. Nach diesen Angaben wollte Sigam Agelon einen »Todeskurs« von den Computern errechnen lassen. Er lachte kalt, als er daran dachte, daß ein Hantelraumer auch mit blockiertem Antrieb einen einmal programmierten Kurs automatisch weiterverfolgte. Sigam Agelon war bereit, die Besatzung von Hantelraumern, deren Antrieb blockiert war, zu opfern. Sobald die »Zeitlosen« mit dem Mittel der Antriebsblockierung arbeiteten, würden sie den betreffenden Hantelraumer automatisch in eine nicht mehr aufzuhaltende Bombe verwandeln – in eine Bombe von gigantischen Ausmaßen, gegen die es keine Abwehr gab. Sigam Agelon wünschte jetzt fast, daß die »Zeitlosen« den Antrieb eines Hantelraumers zu blockieren versuchten. Er genoß die Vorstellung von dem, was dann passieren mußte. * Die Verhandlungen mit den »Zeitlosen« waren schwer und langwierig. Immer wieder mußte Rex Corda versuchen, die in ihrem Stolz gekränkten Herrscher der Vakuole zu beruhigen. Er mußte den »Zeitlosen« ihre bedrohte Existenz klarmachen, ohne sie dabei vor den Kopf zu stoßen. Es war eine Aufgabe, die mehr als diplomatisches Geschick erforderte. Während Rex Corda immer wieder versuchte, die »Zeitlosen« durch logische Argumente zu überzeugen, saß John Haick neben ihm und glaubte bereits, daß die Verhandlungen gescheitert waren. »So kommen wir nicht weiter!« flüsterte er dem Präsidenten zu. »Noch fünf Minuten!« sagte Corda leise und blickte auf die Gruppe der »Zeitlosen«, die sich in einer Ecke des Raumes wild gestikulierend unterhielten. Sie befanden sich wieder auf dem Planeten der » Zeitlosen« unterhalb der schützenden Ozeane. Alle Anlagen waren unter dem Flüssigkeitsmantel errichtet worden. In Kavernen und gut ausgebauten Hallen von gigantischen Ausmaßen spielte sich das Leben der »Zeitlosen« innerhalb der Raumvakuole ab. Die »Zeitlosen« wurden von ihrem »Superhirn« beherrscht. Dieses »Gehirn« fällte alle wesentlichen Entscheidungen. Es hatte beschlossen, mit Rex Corda zusammenzuarbeiten. Und doch gab es Schwierigkeiten. »Es hat keinen Zweck, Rex!« meinte John Haick. »Du kannst ihnen nicht gleichzeitig erklären, daß sie machtlos sind, und trotzdem den Eindruck hervorrufen, daß du ihre Stärke bewunderst!« »Abwarten!« lächelte Rex Corda. »Wir kommen schon noch zum Ziel. Unsere beste Diskussionswaffe ist die Geduld. Wir kennen die Situation der ›Zeitlosen‹ genau. Im Grunde genommen wissen sie auch, daß sie ihre Macht bisher überschätzt haben. Sie können sich nur noch nicht damit abfinden.« »Werden sie das jemals können?« warf Fan Kar Kont ein. »Seit Hunderttausenden von Jahren glauben die ›Zeitlosen‹, daß sie die Krone der Schöpfung sind. Sie fühlen sich als Herrenwesen. Innerhalb der Vakuole waren sie es vielleicht. Denken Sie an sich selbst, Mr. President. Wie lange dauerte es nach der Invasion durch Orathonen und Laktonen, bis die Menschen der Erde begriffen hatten, daß es andere Rassen gab, die ihnen technisch und kulturell überlegen waren.« »Ich weiß«, lächelte Rex Corda, »und deshalb bin ich zuversichtlich. Sehen Sie mich an. Ich habe die Existenz der Orathonen und der Laktonen akzeptiert. Trotzdem bin ich nach wie vor stolz auf die Menschen der Erde. Das muß kein Widerspruch sein, Fan Kar Kont. Jedes Lebewesen hat einen
gewissen Wert. Ganz gleich, ob es sich um Menschen der Erde, Orathonen oder ›Zeitlose‹ handelt. Es
gehört zu einem normalen Reifungsprozeß, daß das einzelne Individuum plötzlich erkennt, daß es andere
Lebewesen gibt, die intelligenter, stärker oder schöner sind.«
»Unser Präsident entwickelt sich zu einem Philosophen!« spottete John Haick.
»Bist du anderer Meinung?« gab Rex Corda lächelnd zurück. »Nein, Rex. Aber die Burschen dort
drüben könnten endlich mal zu einem Ergebnis kommen!«
Das Lager der »Zeitlosen« hatte sich in zwei Gruppen mit unterschiedlichen Meinungen gespalten.
Heftig gestikulierend sprachen sie aufeinander ein. Die radikale Gruppe lehnte es ab, die Hilfe Rex
Cordas anzunehmen.
Die anderen, vernünftigeren »Zeitlosen« wußten, daß sie untergehen würden, wenn sie nicht von ihrem
hohen Roß herabstiegen.
Es war die uralte Frage, ob es besser war, stolz und unnachgiebig zu sterben oder mit einem
Kompromiß und etwas Selbstüberwindung weiterzuleben…
Rex Corda steckte sich eine Zigarette an. Er stieß den Rauch durch die Nase aus und beobachtete die
»Zeitlosen«. Er hatte alles getan, um ihnen die Entscheidung zu erleichtern. Er verstand die Haltung
der »Zeitlosen«, konnte aber nicht sagen, daß er ihr Verhalten besonders schätzte.
Sie waren nun einmal bornierte, eingebildete Lebewesen, denen es unsagbar schwerfiel, mit anderen
auch nur zu sprechen.
Da trat plötzlich etwas ein, womit auch Rex Corda jetzt noch nicht gerechnet hatte.
Einer der »Zeitlosen« stürzte nervös zum Verhandlungstisch zurück. Farbige Lichtblitze huschten
über Kontrollscheiben.
»Angriff – Angriff – Angriff!«
Rex Corda fuhr von seinem Stuhl hoch. Er starrte den »Zeitlosen« an. Er konnte den Text der
automatischen Warnung nicht verstehen.
»Was ist los?« fragte er hastig.
Der »Zeitlose« blickte auf die Kontrollscheiben und Bildschirme des Verhandlungstisches. Dann sah er
verständnislos auf.
»Das gibt es nicht!« keuchte er heiser. »Das darf es nicht geben!«
»Was ist denn überhaupt los?« polterte John Haick.
»Raumschiffe! Fast hundert Raumschiffe mit Kurs auf diesen Planeten!«
Eine steile Falte grub sich in die Stirn Rex Cordas.
»Hantelraumer?« fragte er schnell.
»Das wissen wir noch nicht. Sie sind noch zu weit entfernt. Automatische Warnstationen haben
übermittelt, daß sich der Raumschiffschwarm auf uns zubewegt.«
Rex Corda kniff die Augen zusammen. Bisher hatten sie innerhalb und außerhalb der Vakuole nur
Rassen und Völker getroffen, die über die ersten Schritte in den Raum nicht hinausgekommen waren.
Daß es sich um eine neue Aktion des Orathonen handelte, stand für Rex Corda fest.
Sigam Agelon wollte die »Zeitlosen« vernichten und die Macht in der Vakuole an sich reißen. Er dachte
nicht daran, daß auch die unterdrückten Völker in der Vakuole zu einem Aufstand in der Lage sein
konnten.
Das unerwartete Ereignis brachte die Verhandlungen einen gewaltigen Schritt weiter. Jetzt ging alles
sehr schnell. Theoretische Erwägungen waren vergessen. Innerlich lächelnd betrachtete Rex Corda die
aufgeregt durcheinanderredenden »Zeitlosen«.
»Es ist soweit!« flüsterte John Haick. »Jetzt fangen sie langsam an, ihren Verstand zu gebrauchen.«
»Und den ihres ›Superhirns‹«, ergänzte Rex Corda. John Haick hob die Brauen. Das hatte er ganz
vergessen.
»Los!« sagte Rex Corda und nickte seinen Männern zu. »Wir müssen zur ›Walter Beckett‹ zurück. Wenn
die Herren sich unten geeinigt haben, werden sie uns sicherlich informieren. Hier unter dem Grund des
Ozeans fühle ich mich nicht wohl.«
»Wie ein Fisch auf dem Trockenen«, grinste John Haick.
»Im Gegenteil, John. Ganz im Gegenteil!« Die beiden Männer lachten kurz, aber sofort wurden ihre
Gesichter wieder ernst.
Sigam Agelon griff wieder an! Diesmal mit Verstärkung!
*
Die beiden feindlichen Flotten rasten aufeinander zu.
Rex Corda, John Haick, Ralf Griffith und ein halbes Dutzend laktonischer Wissenschaftler hielten eine
Sonderkonferenz ab, während der Hantelraumer von Terra sich immer mehr vom Heimatplaneten der »
Zeitlosen« entfernte.
Die letzte Phase des langen Ringens mit dem Orathonen fand in den Tiefen des fremden Raumes statt.
Die Vakuole war nicht sonderlich groß. Dennoch hätte ein Raumschiff ohne Hyperantrieb Jahre
gebraucht, um sie zu durchfliegen.
Es gab keinen Zweifel daran, daß der Agelon mit Hypersprüngen versuchen würde, das künstlich
geschaffene Universum zu erschüttern. Auch die »Zeitlosen« wußten das…
Sie fügten sich nicht hundertprozentig den Befehlen Rex Cordas. Sie glaubten, besonders klug handeln
zu müssen. Sie machten genau den Fehler, den Rex Corda verhindern wollte: Sie griffen zu früh an!
Vier »Zeitlose« teleportierten in das Flaggschiff der Orathonen. GaVenga merkte es zuerst. Er hatte
die Sprache der »Zeitlosen« erlernt. Er verstand die sorglosen Botschaften der arroganten Rasse. Sie
informierten sich gegenseitig darüber, daß Partisanengruppen in der »Lynthos II« Fuß gefaßt hatten…
»Schnell!« keuchte GaVenga. Er wandte sich an Percip. »Wir müssen verhindern, daß die ›Zeitlosen‹
unverschlüsselte Funknachrichten austauschen. Sie verraten sonst Cordas Einsatzplan!«
Percip ballte die Fäuste.
Die komplizierte Maschinerie des terranischen Flaggschiffs stürzte durch die Dunkelheit des Alls.
Millionen von Schaltkreisen, Transistoren, Mikromodulen und Relais ermöglichten es dem
Hantelraumer, einen kybernetischen Wahrscheinlichkeitskurs zu fliegen. Selbst mögliche
Bahnabweichungen der angreifenden Orathonen wurden berücksichtigt und ausgewertet.
In jeder Sekunde liefen in der zentralen Kursüberwachung neue Wahrscheinlichkeitsberechnungen ein.
Mit jedem zurückgelegten Kilometer schieden einige Hundert vorher mögliche Kursvariationen aus. Die
Ergebnisse wurden genauer – die Toleranzen geringer.
»Jetzt muß er springen lassen!«
Niemand wußte, wer diesen Satz aussprach. Er hing plötzlich im Raum. Das Rauschen und Klicken
innerhalb der Zentrale wirkte plötzlich unangenehm und schmerzhaft. Die Sinne der Männer in der »
Walter Beckett« waren bis zum Äußersten gespannt.
Rex Corda brach seine Konferenz ab. Die wichtigsten Besatzungsmitglieder versammelten sich in der
Zentrale.
Fast dreißig Männer befanden sich jetzt in der kreisrunden Zentrale. Und alle warteten. Auch der
Kommandant Fatlo Bekoval und der Oberbefehlshaber Rex Corda.
Bekoval verglich die Ortungsergebnisse mit den Berechnungen der Synopsiscomputer. Er ließ seine
Unruhe nicht erkennen. Nur Rex Corda merkte, daß Bekoval ein ungutes Gefühl hatte.
Sigam Agelon raste in direktem Kurs auf den Heimatplaneten der »Zeitlosen« zu. Er benutzte keine
Umwege, keine Tricks und keine Finten. Gerade das war es, was die Männer beunruhigte…
Der Agelon mußte springen!
Der Hyperraum war seine einzige Chance.
Das Schicksal der Vakuole interessierte Sigam Agelon nicht. Er wollte Vergeltung, Rache und Triumph.
Die »Walter Beckett« raste mit zweihundertneunzigtausend Kilometern pro Sekunde durch die
Vakuole. Erste Zeitverzerrungserscheinungen traten auf. Doch niemand kümmerte sich darum.
»Wenn wir doch bloß etwas tun könnten!« stöhnte John Haick verzweifelt. In diesem Augenblick hatte
Rex Corda eine Idee.
»Sofort auf Gegenkurs! Alle Synopsiscomputer einsetzen, um die Auftauchzone im voraus zu
berechnen. Wir werden auf Sigam Agelon warten!«
»Wo?« schnaubte Bekoval.
»Vor dem Planeten der ›Zeitlosen‹!«
Kreischend schleuderten die Antriebsaggregate die »Walter Beckett« herum. Die gigantische
Belastung der Kursänderung schien das riesige Raumschiff zerreißen zu wollen.
Sekunden höchster Anspannung ließen die Männer in der Zentrale hastiger atmen.
Unvorstellbare Kräfte beanspruchten das aufstöhnende Raumschiff.
Andruckneutralisatoren winselten und zwitscherten in einem infernalischen Glissando. Überall in der »
Walter Beckett« preßten die Männer ihre Hände gegen die Ohren.
Die Technik war stärker als die Menschen!
*
Die Hohepriesterinnen hatten ursprünglich nicht an der Vergeltungsaktion teilnehmen wollen.
Aber Sigam Agelon war zu lange in seinem herzlosen, grausamen Geschäft. Er hatte viele Hilfsvölker
für den großen Krieg gebraucht. Daher wußte er, daß primitive Rassen gefügiger waren, wenn es gelang,
ihre Führer zu gewinnen. Das war auch der Grund, weshalb Sigam Agelon befohlen hatte, die drei
Hohepriesterinnen zur »Lynthos II« zu bringen.
Die Missa waren seine Gefangenen!
Sie standen unter dem ständigen Einfluß eines Paralysators. Sie hatten keinen eigenen Willen mehr…
Noch während die schlagkräftige Armada aus Hantelraumern und raketenförmigen TyrSchiffen zum
Planeten der »Zeitlosen« vorstieß, begannen die Ärzte Sigam Agelons mit einer Spezialbehandlung der
Gefangenen.
Sie pflanzten den Hohepriesterinnen Semibioten ein.
Damit war ZappoMissaDeh, die höchste Führerin der Tyraner, ein willenloses Werkzeug geworden.
SaId wußte nichts von diesen Vorgängen.
Qualvolle Stunden verbrachte der gefangene Tyraner allein in einer Kabine an Bord der »Agon«.
Zweimal versuchte Kona Mokon, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Er brauchte den Einwohner des
merkwürdigen Planeten für seinen Plan.
Kona Mokon hatte sich verkalkuliert. Er hatte nicht damit gerechnet, daß Sigam Agelon seine
Gesprächspartnerinnen an Bord der »Lynthos II« holte. Damit befand er, Kona Mokon, sich in höchster
Gefahr. Nicht auszudenken, was passierte, wenn die Priesterinnen Sigam Agelon von dem wahren
Verlauf der Verhandlungen erzählten!
Kona Mokon fühlte sich ausgesprochen unbehaglich.
Verbissen suchte er nach einem Ausweg. Immer deutlicher wurde ihm, daß er seine Mitwisser so
schnell wie möglich beseitigen mußte.
Er hoffte, anschließend einen Weg zu finden, auch noch die gefangenen Hohepriesterinnen
auszuschalten.
Die acht Hantelraumer Sigam Agelons stürzten zum Zentrum der Vakuole, begleitet von rund achtzig
Raumschiffen, die auf Tyr gestartet waren.
Die Tyraner hatten keine Möglichkeit, mit Hilfe des Hyperraums den Weg zu verkürzen. Sie besaßen
eine völlig andere Technik, größere Strecken zu überwinden. Diese Technik war auch für die Orathonen
neu.
Obwohl die Raumschiffe der Tyraner wesentlich kleiner waren als die Hantelraumer des Agelon,
verfügten sie über Energiespeicher, die sogar die orathonische Technik in den Schatten stellten.
Und das bei einer scheinbar primitiven Rasse!
Sigam Agelon fieberte dem Endkampf entgegen. Er lief ungeduldig in der Zentrale der »Lynthos II«
auf und ab. Seine Augen glühten. Er wußte, daß es ein schwerer Kampf werden würde. Er freute sich
darauf!
Er wollte sie alle vernichten: die »Zeitlosen«, deren Hilfsrassen und die Terraner um Rex Corda.
»Verbindung mit der ›Agon‹ herstellen!« befahl der Orathone. Techniker schalteten die Holografen
der beiden Hantelraumer auf eine doppelte Gefechtsverbindung.
»Sir?«
Die Narben auf Kona Mokons Stirn leuchteten.
»Sie haben doch Gefangene gemacht«, meinte Sigam Agelon nachdenklich.
»Nur einen, der für uns interessant ist.«
»Einen Priester?«
»Nein. Der Mann war ausersehen, eines der Raumschiffe zu steuern.«
»Also ein Techniker!«
»Nicht ganz«, lächelte Kona Mokon. »Der Mann ist eine Ausnahme. Wir haben herausgefunden, daß er
kurz vor unserer Landung auf Tyr noch ein einfacher Nahrungsmittelphysiker war. Er wurde psychisch
umgeschult und sollte militärischer Führer der Revolutionsflotte werden…«
»Interessant!« lachte der Agelon. »Ein guter Fang, Mokon! Hat er bereits einen Semibioten im Hirn?«
»Noch nicht.«
»Ausgezeichnet! Lassen Sie ihn mit einem Diskusraumer zur ›Lynthos II‹ bringen. Ich möchte mir den
Mann einmal ansehen. Vielleicht kann er uns ein paar nützliche Einzelheiten über die ›Zeitlosen‹
verraten!«
»Sir, ich glaube, er weiß nichts von seiner Bestimmung. Außerdem haben wir bereits in seiner
Erinnerung nach wertvollen Angaben geforscht.«
Sigam Agelon betrachtete den Mann, den er zu seinem engsten Vertrauten ernannt hatte. Irgend
etwas an Kona Mokon mißfiel ihm.
Sigam Agelon hatte ein besonders feines Gespür für Ungereimtheiten. Es gab in Mokons Berichten ein
paar dunkle Punkte, die ihn stutzig machten.
»Ich möchte ihn trotzdem sehen. Wie heißt er eigentlich?«
»SaId.«
»Gut! Wir werden in den nächsten Minuten in den Hyperraum eintauchen. Bringen Sie mir diesen SaId,
sobald wir uns wieder im Normaluniversum befinden.«
»Jawohl, Sir!« sagte Kona Mokon.
Er mußte SaId rechtzeitig verschwinden lassen. Er konnte es sich einfach nicht leisten, den Tyraner
ohne Semibioten zu Sigam Agelon zu schicken. Das Risiko war zu groß.
Die Verbindung zur »Lynthos II« brach ab. Kona Mokon wußte, was er tun mußte. Er dachte an die
Männer, die ihn bei seiner Expedition zum Heiligtum der Tyraner begleitet hatten. Sie gaben eine gute
Besatzung für einen Diskusraumer ab, der mit fehlerhaftem Antrieb noch im Hyperraum von der »Agon
« starten würde. Mokon wußte sehr genau, daß es fast unmöglich war, einen vermißten Diskus im
Hyperraum wiederzufinden!
Selbst Sigam Agelon würde nicht lange suchen lassen. Es gab wichtigere Dinge!
Ein diabolisches Grinsen spielte um die Mundwinkel des Kommandanten der »Agon«. Natürlich würde es
Ärger mit dem Agelon geben. Aber da konnte er sich sicher herausreden!
Blaßgelbe Farbmuster zuckten über die Augenlider von Mokon. Die »Agon« raste im Verband der
übrigen Hantelraumer zum Zentrum der Raumvakuole. Sigam Agelon würde in wenigen Augenblicken das
Eintauchen in den Hyperraum befehlen.
Mokon wußte, daß sein Plan teuflisch war. Er war bereit, seine besten Männer zu opfern. Nur seine
eigene Haut war ihm wichtig.
»Lassen Sie einen Diskus startklar machen!« ordnete er an. Die Würfel waren gefallen. Jetzt gab es
für Kona Mokon kein Zurück mehr.
Mit einem einzigen Satz hatte er fast zwanzig Männer zum Tode verurteilt!
*
Unsichtbare Schockwellen erschütterten das künstliche Gebilde der Raumvakuole im Kugelsternhaufen
M 22. Sonnen schleuderten gewaltige Protuberanzen ins All. Wirbelstürme und Springfluten
verwüsteten ganze Planeten. Magnetfelder sprangen innerhalb der Vakuole hin und her. Sie legten mit
Lichtgeschwindigkeit gewaltige Entfernungen zurück, erreichten die Begrenzung der Vakuole und
brachen in gigantischen Wirbeln zusammen.
Das künstliche Gebilde im Raum erzitterte.
Sigam Agelon war mit vier Hantelraumern gleichzeitig in den Hyperraum eingedrungen. Die
unvorstellbar harten Erschütterungen rissen die Vakuole aus ihrer Stabilität.
Nur ein winziger Umstand verhinderte, daß die Vakuole endgültig zusammenbrach: Das Gehirn der »
Zeitlosen« hatte sich etwas erholt.
Aber es war nicht mehr in der Lage, die Stabilität so aufrechtzuerhalten, wie es von den »Zeitlosen«
geplant war.
Die »Zeitlosen« erkannten die Gefahr sofort. Sie kümmerten sich nicht mehr um die Anordnungen Rex
Cordas. Verzweifelt versuchten sie, ihr Leben zu retten. Sie sprangen in die Hantelraumer der
Angreifer…
Als die vier Raumschiffe Sigam Agelons aus dem Nichts auftauchten, waren bereits zwei Dutzend »
Zeitlose« innerhalb der Schiffe. Noch hielten sie sich zurück.
Da tauchten kurz hinter den Hantelraumern achtzig rosa leuchtende Raumschiffe auf: die Flotte der
Aufständischen. Die Rebellen von Tyr waren eine ausgezeichnete Unterstützung für Sigam Agelon. Der
Haß auf die »Zeitlosen« bildete ihre Stärke. Die Tyraner waren bereit, sich zu opfern.
1,2 Milliarden Kilometer vom Zentrum der Vakuole entfernt stießen die feindlichen Flotten
aufeinander. Als sie noch 300 Millionen Kilometer leeren Raum zwischen sich hatten, begannen die
Bordgeschütze zu wüten.
Sigam Agelon setzte sofort alle weitreichenden Waffen seiner Hantelraumer ein.
Gezackte Feuerlanzen stießen in die Dunkelheit. Farbige Prallfelder neutralisierten die Energie.
Sekunden später entdeckten Offiziere der »Lynthos II« das terranische Flaggschiff. Die »Walter
Beckett« stand nur 150 Millionen Kilometer oder achteinhalb Lichtminuten von den Hantelraumern
entfernt vor dem Heimatplaneten der »Zeitlosen«.
Sigam Agelon stand hochaufgerichtet in der Zentrale der »Lynthos II«. Sein bulliger Körper wirkte
wie ein unzerstörbarer Felsblock zwischen den eingeschalteten Holografen.
Von allen Seiten liefen die Außeninformationen in der Zentrale der »Lynthos II« zusammen. Drei
Schwerpunkte hatten sich gebildet: die Hantelraumer des Agelon – die Unterstützungsflotte der
Rebellen und der Pulk grünschimmernder Pyramidenschiffe der »Zeitlosen«.
Die Flotten stürzten aufeinander zu.
Der Kampf auf Leben und Tod hatte begonnen, und Sigam Agelon war am Zuge. Er wollte unter allen
Umständen, die Verwirrung ausnutzen, die sein Eintauchen in den Hyperraum unter den »Zeitlosen«
verursacht hatte.
Mit aufheulenden Antriebsaggregaten schossen die Angreifer auf die Pyramidenraumer der »Zeitlosen
« zu. Ihre Strahlwaffen schleuderten ungeheuere Energiemassen gegen die Pyramidenschiffe.
Die »Zeitlosen« waren erbärmliche Kämpfer. Reihenweise explodierten die stumpfen Pyramiden in
tiefroten Feuerbällen. Sekundenlang glühten die flammenden Energiewolken auf. Lautlos brachen sie
dann in sich zusammen.
Die Hantelraumer Sigam Agelons und die Rebellen von Tyr waren nicht mehr aufzuhalten. Ihr Erfolg
machte sie mutiger. Aus allen Waffen feuernd, trieben sie die »Zeitlosen« zurück. Die Kampfzone
näherte sich immer mehr dem Heimatplaneten der »Zeitlosen«.
Sigam Agelon, der Unbesiegbare, war auf dem besten Wege, den entscheidenden Kampf zu gewinnen!
Da tauchten die vier übrigen Hantelraumer des Orathonen aus dem Hyperraum auf. Sie wurden
angeführt von der »Agon« unter Kona Mokon.
Mit dieser Verstärkung war das Schicksal der »Zeitlosen« besiegelt. Der neue Herr über die
Raumvakuole hieß Sigam Agelon!
*
»Zentrale an Chief – Projektoren vorheizen!«
»Jetzt?«
»War das ein eindeutiger Befehl oder nicht?« Rex Corda hob die Brauen. Er verstand nicht, wie der
Chefingenieur der »Walter Beckett« in einer derartigen Situation überflüssige Fragen stellen konnte.
Chefingenieur Tom Sluck hatte sein Reich im Verbindungsarm zwischen den beiden großen Hantelkugeln
des terranischen Flaggschiffs.
»Also los – bekommen wir jetzt die Befehlsbestätigung?« murrte Bekoval. Er liebte es nicht, wenn sich
Rex Corda in die Schiffsführung einmischte. Trotzdem akzeptierte er die Anordnungen des
Oberbefehlshabers. Er wußte, daß Rex Corda gute Gründe für seinen Befehl haben mußte.
»Wir haben keine Energie frei!« sagte der Chief lakonisch. »Ich kann Ihnen höchstens 30 Megawatt
freistellen.«
»Sind Sie wahnsinnig?« fragte Bekoval unwirsch. »Mit 30 Mega kann ich kaum einen Meteoriten als
Projektion in den Raum werfen!«
»Ich muß mit der Fahrt heruntergehen, wenn Sie mehr brauchen«, erklärte der Chief. »Zwei
Aggregate sind vor dreißig Sekunden draufgegangen…«
»… draufgegangen? Sagen Sie das noch einmal!«
»Was ist los. Sluck?« schaltete sich Corda ein.
»Sir, ich weiß nicht, wie es geschehen konnte. Wir haben verstärkte Wachen im Verbindungstrakt.
Trotzdem ging bei zwei Aggregaten ohne Grund der Saft aus. Die verdammten Dinger haben einfach
gestreikt.«
Rex Corda preßte die Lippen zusammen. Er war kein Techniker. Aber er wußte, daß der Chief der beste
Techniker war, den er für die »Walter Beckett« hatte bekommen können. Wenn Tom Sluck behauptete,
daß zwei Aggregate ohne Grund versagt hatten, dann war es so und nicht anders.
Corda warf einen Blick zur Seite. Auf den Holografen spielte sich etwas ab, was ihm früher das Blut in
seinen Adern hätte gerinnen lassen: grandiose Farbsymphonien tobten sich außerhalb der »Walter
Beckett« aus. Flammende Lichteinbrüche drängten die Schutzschirme zurück. Grellrote
Strahlenbarrieren schützten das terranische Flaggschiff vor den Energiewaffen der Angreifer.
Unvorstellbare Energiemengen verpufften im Nichts. Die »Walter Beckett« tauchte in ein gleißendes
Flammenmeer ein, während überall in dem Hantelraumer Schutzkontakte ihre Sicherungsstifte durch
die Kabinen und Korridore schleuderten.
Die benötigte Abschirmenergie war so groß, daß der Chief tatsächlich Schwierigkeiten haben konnte.
Da entdeckte Corda den »Zeitlosen«.
Er starrte verblüfft auf den flackernden Holografen. Hinter einer meterdicken Kühlschlange schob
sich der »Zeitlose« durch die Maschinenanlagen der »Walter Beckett«.
»Diese verflixten Heuchler!« brummte Corda wütend. Jetzt war ihm alles klar. Er verfolgte den
weißhaarigen Zweimetermann mit seinen Blicken.
Der »Zeitlose« verschwand sekundenlang und tauchte dreißig Meter entfernt wieder auf. Der Bursche
sprang von einem Versteck zum anderen. Er war wie alle anderen »Zeitlosen« ein echter Teleporter.
Corda beugte sich vor und schaltete den Holografen auf eine lange Brennweite. Das Gesicht des »
Zeitlosen« war jetzt deutlich zu erkennen. In diesem Augenblick sahen auch die anderen Männer in der
Zentrale, wen Rex Corda entdeckt hatte.
»Pst!« machte Corda schnell. John Haick und Fan Kar Kont beugten sich neben ihm nach vorn.
»Ein ›Zeitloser‹!« stieß John Haick überrascht hervor.
»Einer von denen, die unsere Hilfe ablehnen!«
Schwarze Augen schienen die Männer anzustarren. Das war ein Irrtum. Der »Zeitlose« konnte sie nicht
sehen. Dieser Holograf war nur für Einwegübermittlungen eingerichtet.
Das energische, willensstarke Gesicht des Mannes veränderte sich. Ein zynischer Zug um die
Mundwinkel warnte Corda.
»Komm, John! Den greifen wir uns!«
Rex Corda wirbelte herum. Bekoval sah ihn verwundert an.
»Gehen Sie auf Kollisionskurs!«
»Allein gegen die Hantelraumer des Agelon?«
»Genau das, Bekoval!«
Der Kommandant der »Walter Beckett« räusperte sich ziemlich eindeutig, widersprach aber nicht. Es
hätte auch nichts genützt, da Corda und Haick bereits verschwunden waren.
Über die Holografen beobachtete Fan Kar Kont den Verbindungsarm. Der Chief stand noch immer in
Warteposition.
»Kümmern Sie sich um nichts, was auch immer Sie in den nächsten Minuten sehen werden«, sagte Fan
Kar Kont zum Chief. Die beiden Männer mochten sich gern. Jeder war Spezialist in seinem Fach.
»Was liegt denn an?«
Fan Kar Kont grinste. Er hatte sich an den saloppen Ton des Chefingenieurs gewöhnt. Belustigt
betrachtete er den großen Adamsapfel von Sluck, der wie ein nervöser Golfball auf und ab hüpfte.
»Sie bekommen hohen Besuch, Sluck. Lassen Sie die Ehrenjungfern zum Empfang des Präsidenten
antreten.«
»Hier gibt’s nur vollbusige Neutronen, heiße Brüter und hübsch gekurvte Wellen mit hoher
Fortpflanzungsgeschwindigkeit…«
Das Gesicht des Chefingenieurs wurde plötzlich blaß. Seine Lippen bebten. Der gesamte
Verbindungsarm zwischen den beiden Hantelkugeln wurde schlagartig in ein giftig grünes Licht
getaucht!
*
Wie grüne Schatten bewegten sich Corda und Haick über den zentralen Laufsteg. Ihre Bewegungen
wirkten so, als seien sie durch einen Zeitlupeneffekt verzerrt worden.
Unendlich langsam näherten sie sich dem Chief. Die Männer in der Zentrale hielten den Atem an. Die »
Walter Beckett« wurde plötzlich von unerklärlichen Stößen erschüttert.
Überall flackerten die Beleuchtungseinheiten. Fan Kar Kont und Bekoval klammerten sich an einem
Pneumosessel fest. Sie starrten abwechselnd in den Verbindungsarm und auf die Außenholografen.
»Da – die ›Lynthos II‹!« stieß Percip plötzlich hervor. Wie ein feuriger Blitz schoß das Flaggschiff des
Orathonen auf die »Walter Beckett« zu.
Bekoval stöhnte auf.
Er stürzte zu den Kontrollen. Seine fleischigen Fäuste hämmerten die Schalter zurück.
Nichts!
Schmerzwellen rasten durch die Körper der Männer in der Zentrale. Sie taumelten zur Seite. Ein
gewaltiger Schlag schmetterte Bekoval gegen Percip. Die beiden wichtigsten Männer in der Zentrale
brachen zusammen. Sie rissen einen Terraoffizier mit sich zu Boden.
Die »Walter Beckett« bockte wie ein störrischer Maulesel. Zuckende Funkenbahnen sprühten aus den
Computern. Abdeckplatten schoben sich knisternd ineinander. Metallwände falteten sich mühelos
zusammen.
Das Chaos war nicht mehr aufzuhalten. Von einer Sekunde auf die andere erloschen sämtliche
Holografenverbindungen. Notlampen flammten auf. Von allen Seiten kamen Lageberichte in die
Zentrale. Niemand war da, um sie in Empfang zu nehmen – bis auf Ierra Kretan!
Die schöne Laktonin behielt die Nerven. Sie rannte zu Fan Kar Kont, schüttelte ihn und riß ihn wieder
auf die Beine.
»Sie müssen etwas tun!« brüllte sie durch den infernalischen Lärm.
»Corda ist unten – was sollen wir machen?«
»Abdrehen! Sofort abdrehen!«
»Wie?«
Das Gesicht des Wissenschaftlers war verzerrt. Dicke Schweißperlen standen auf seiner Stirn.
»Hilferuf an die ›Zeitlosen‹!«
»Niemals!«
»Corda hätte es auch getan! Ich kenne ihn besser als Sie! Nun tun Sie doch etwas!«
Fan Kar Kont ließ die Arme hängen. Er war Wissenschaftler und kein Militär. Er fühlte sich in dieser
Situation hilflos…
Rex Corda blutete aus einer Stirnwunde. In Zickzacksprüngen raste er durch die Zentrale. Er
stolperte über einen ohnmächtigen Offizier und knallte direkt gegen Ierra Kretan. Die Laktonin fing
ihn auf.
Corda grinste verzerrt und machte sich sanft aus der unfreiwilligen Umarmung frei. Er stürzte zu den
Kontrollen. In seinen Fäusten hielt er eine ReelingGun. Er riß den Abzug durch. Taumelgeschosse
jagten aus dem Lauf.
Metergroße Löcher entstanden im Panzerplast. Glühendes Metall tropfte auf den Boden der Zentrale.
Corda vernichtete das Nervenzentrum der »Walter Beckett«. Er zerfetzte vollkommen bewußt einen
der Synopsiscomputer.
Hilflos taumelte das angeschlagene TerraFlaggschiff durchs All.
Rex Corda selbst hatte die Schlacht gegen sich entschieden…
Fassungslos starrte ihn Fan Kar Kont an. Er konnte es einfach nicht begreifen.
*
Der Hyperraum war wie ein Meer aus unbekannten Eindrücken und fremden Empfindungen.
Der Diskusraumer vom AVautTTyp taumelte durch den fremden Raum. Siebzehn Orathonen und ein
Tyraner befanden sich in ihm. Der Hyperraum hatte alle Unterschiede zwischen ihnen verwischt. Sie
zogen alle am gleichen Strang.
SaId weinte nicht mehr. Der Tyraner benahm sich wieder wie ein Mann. Zu viele neue Eindrücke in den
letzten Stunden hatten ihn überfallen und seine Nerven beansprucht. Selten war ein humanoides
Lebewesen in so kurzer Zeit aus seiner gewohnten Umgebung gerissen und in eine fremdartige Zukunft
geschleudert worden.
Ranghöchster Offizier im Diskus war Lef Mazur. Er wußte sofort, was gespielt wurde. Schon lange
ahnte er, daß Kona Mokon ein Doppelspiel trieb. Er mochte seinen Kommandanten nicht sonderlich.
Dieses letzte Mosaiksteinchen war für Lef Mazur der Beweis für die Hinterhältigkeit Mokons.
Mazur wußte, daß sie keine Chance hatten, aber er durfte nicht aufgeben, solange sie noch lebten.
Er versuchte, den Diskus aus dem Hyperraum zu bringen. Irgend etwas funktionierte nicht richtig:
Sobald der AVautTDiskus in das normale Universum eintauchen wollte, versagten plötzlich alle
Kontrollrelais…
»Wir müssen es schaffen!«
»Werden Sie dann mit den ›Zeitlosen‹ zusammengehen?« fragte SaId.
Lef Mazur blickte den Tyraner verächtlich an.
»Ich bin Orathone – vergessen Sie das nicht!«
»Ihr Kommandant hat sich verdammt schlecht benommen. Er wollte Sie und mich ausschalten. Er hat
uns verraten!«
»Stimmt, mein Junge!«
»Und Sie wollen keine Konsequenzen ziehen?«
»Aber warum denn? Kona Mokon ist ein Speichellecker! Ich kämpfe für Sigam Agelon, den
Unbesiegbaren. Er wird die ›Zeitlosen‹ vernichten – und den Terraner, der es gewagt hat, sich gegen
Sigam Agelon zu stellen…«
»Ich werde die verwickelten Zusammenhänge nie begreifen!« seufzte SaId. Er zog den Reißverschluß
seiner silbrigglänzenden Kombination auf. Es war warm im Diskus. SaId blickte auf die Holografen.
Unbekannte Erscheinungen machten es unmöglich, die Sterne zu erkennen.
Niemand wußte, wann sie aus dem Hyperraum auftauchen mußten. Sie wußten nicht, daß innerhalb der
Raumvakuole der »Zeitlosen« eigene Gesetze galten.
Theoretisch hätten sie in der verflossenen Zeit mehrere Lichtjahre zurücklegen müssen! Sie ahnten
nicht, daß die Vakuole ein in sich komplexes Gebilde war.
Sie bewegten sich im Hyperraum wie an der Innenseite eines riesigen Luftballons. Sie konnten die
Vakuole auch im Hyperraum nicht verlassen…
Die kleine Gruppe der Ausgestoßenen kämpfte weiter.
SaId lernte schnell. Der Tyraner besaß einen unverbrauchten Geist und gute Auffassungsgabe.
Medikamente hatten SaIds Körper gestärkt.
Obwohl der Befehl zum Ausschleusen von Kona Mokon gekommen war, fühlte sich Lef Mazur
verpflichtet, ihn auszuführen. Sein Auftrag befahl ihm, den Tyraner zu Sigam Agelon zu bringen. Erst
wenn er das getan hatte, konnte er an Vergeltung denken.
Die Energieversorgung brach so plötzlich zusammen, daß selbst Lef Mazur überrascht war.
Der Diskusraumer glitt in das Normaluniversum zurück. Mit annähernder Lichtgeschwindigkeit tauchte
die linsenförmige Raumscheibe in der Vakuole auf.
Knapp fünfzigtausend Kilometer vor ihnen taumelte ein Hantelraumer! Es war keine Täuschung: Der
Raumschiffriese schien angeschlagen zu sein…
»Das ist kein Raumer von uns!« keuchte Lef Mazur überrascht. Er stemmte sich aus seinem
Pneumosessel. Die kurze Übelkeit beim Auftauchen aus dem Hyperraum war vergessen.
Lef Mazur besann sich auf seine Mission.
Über optische Ortungsgeräte versuchte der orathonische Offizier, sich ein Bild zu machen. Er sah
dichte Schwärme von raketenförmigen Raumschiffen.
Das mußten die Tyraner sein!
Aber er sah auch die grünlich flimmernden Schutzschirme um die pyramidenförmigen Raumschiffe der
»Zeitlosen«.
Der alte Kampfgeist erwachte in Lef Mazur.
Nicht weit entfernt kreiste der Heimatplanet der »Zeitlosen« im All. Die Wasseroberfläche warf die
bunten Lichtblitze pausenloser Explosionen wie ein Spiegel zurück.
Lef Mazur frohlockte.
Der Diskus raste auf den Hantelraumer zu.
»An die Geschütze!«
Der Befehl wirkte wie eine Vitaminspritze auf die Orathonen. Polternd liefen sie durch die überfüllte
Kabine.
»Wer ist das?« fragte SaId. Mazur lachte leise.
»Unser Freund Rex Corda, der Terraner«, meinte er grimmig. »Ich werde ihm den Fangschuß geben!«
*
Die mit Becon verstärkte Außenhülle der »Walter Beckett« rettete 260 Terranern und den
laktonischen Wissenschaftlern an Bord des terranischen Flaggschiffes das Leben.
Rex Corda hatte alles auf eine Karte gesetzt.
Er hatte zum allerletzten Mittel gegriffen. Nur dadurch, daß er die Verbindungen zu den »Zeitlosen«
unterbrach, konnte er den Angriff Sigam Agelons abwehren.
»Verdammt noch mal, Rex – war das wirklich nötig?« John Haick kam schnaufend in die Zentrale. Er
starrte den Oberbefehlshaber der »Walter Beckett« ärgerlich an. Diesmal fiel es ihm wirklich schwer,
die Handlungsweise Rex Cordas zu verstehen.
»Warum hast du den Synopsiscomputer zerstört?«
»Ein Experiment, John. Ich wußte auch nicht, ob es gelingt. Da wir noch leben, dürften aber meine
Überlegungen richtig gewesen sein!«
»Jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr!«
»Ganz einfach, John! Sigam Agelon ist intelligenter, als wir dachten. Wir haben einen weitverbreiteten
Fehler gemacht, indem wir unseren Gegner unterschätzten. Fehler dieser Art sind meistens tödlich!«
Fan Kar Kont, Percip und Bekoval kamen näher.
»Was ist geschehen?« fragte der Kommandant der »Walter Beckett« erregt. Er warf Rex Corda einen
merkwürdigen Blick zu.
»Okay. Wenn Sie nicht selbst die Lösung finden, muß ich Ihnen erklären, warum wir noch leben.«
Rex Corda lachte. Er wirkte plötzlich vergnügt. »Gehen wir davon aus, daß ein Teil der ›Zeitlosen‹ sich
nicht an die Abmachungen hielt. Sie versuchten, durch Teleportation zu den Hantelraumern des Agelon
zu kommen. Nehmen wir weiter an, daß ihnen das gelungen ist. Ein Teil dieser Gruppe dürfte noch
immer unentdeckt unter den Orathonen sein…«
»… aber das ist doch herrlich!« strahlte John Haick.
»Herrlich naiv, John! Genau das ist der Fehler, von dem ich sprach. Sigam Agelon mag unbesiegbar,
arrogant und größenwahnsinnig sein – dumm ist er nicht!«
»Ich verstehe nicht«, sagte Fan Kar Kont. Rex Corda steckte sich eine Zigarette an.
Die »Walter Beckett« wurde noch immer von Energiestrahlen erschüttert. Rex Corda konnte jetzt mit
einem Schulterzucken über diese Angriffe hinweggehen. Er wußte, daß die Beconpanzerung stärker war
als die Versuche der Orathonen, das TerraFlaggschiff zu vernichten.
»Als wir in den Verbindungstrakt kamen, fiel mir auf, daß unser ›Zeitloser‹ sich ziemlich seltsam
bewegte«, berichtete Corda weiter. »Etwas an seiner Haltung war mir bekannt.«
Rex Corda schmunzelte. Er wartete darauf, daß einer seiner Leute von sich aus die Lösung fand. Immer
mehr Besatzungsmitglieder hatten sich um Corda versammelt. Aber niemand sagte etwas.
»Der ›Zeitlose‹ arbeitete im Auftrag von Sigam Agelon!« sagte Rex Corda.
»Unmöglich!« sagte Fan Kar Kont. »Wie sollte das zu erklären sein?«
»Ganz einfach«, grinste Corda. »Er hatte einen semibiotischen Conduktor im Hirn – eingepflanzt auf
der ›Lynthos II‹…«
»Und damit wurde er zu uns geschickt. ›Zeitlose‹ sind Teleporter«, nickte Fan Kar Kont.
»Aber der Computer?« fragte John Haick kopfschüttelnd. »Warum mußte er zerstört werden?«
»Weil der ›Zeitlose‹ seine Befehle über unsere Funkanlagen erhielt! Sigam Agelon ist es gelungen, den
Code der ›Zeitlosen‹ zu entschlüsseln. Und wir stehen in dauerndem Kontakt mit ihnen. Er wollte uns
mit unserer eigenen Technik schlagen!«
»Dieser Teufel!« knurrte John Haick.
»Und wie halten wir jetzt Verbindung zu den ›Zeitlosen‹?«
»Wir müssen zu ihrer Heimatwelt zurück. Das ›Superhirn‹ braucht dringend die neuen Informationen.
Noch gibt es eine Möglichkeit, den Angriff Sigam Agelons abzuwehren!«
»Welche?«
»Das ›Superhirn‹ muß sich auf die Rebellen und ihre Raumschiffe konzentrieren, damit wir uns den
Agelon vornehmen können!«
Plötzlich stieß Bekoval einen Pfiff aus.
»Er schickt Unterhändler!«
Niemand wußte, wo der Ursprung für das jetzt folgende Mißverständnis lag. Jedenfalls hatte Bekoval
den Begriff »Unterhändler« zuerst benutzt. Damit waren die schnell näher kommenden Orathonen von
Anfang an viel zu positiv klassifiziert…
»Wer schickt Unterhändler?« fragte John Haick verdutzt.
»Sigam Agelon! Dort – ein Diskusraumer!«
»Das darf doch nicht wahr sein!«
»Ein Raumer vom Typ AVautT!« brummte Corda nachdenklich. »Das gefällt mir nicht. Der Agelon
plant einen neuen Schachzug!«
»Wir sollten sie anhören, wenn es tatsächlich Unterhändler sind«, warf Fan Kar Kont ein.
»Wer garantiert mir das?« fragte Rex Corda.
Fan Kar Kont blickte Corda ernst an.
»Ich verstehe«, sagte er langsam. »Sie vermuten einen Trick!«
»Genau das!«
»Und wenn es tatsächlich Unterhändler oder Überläufer sind, die sich von Sigam Agelon absetzen
wollen? Wir sind verpflichtet, sie anzuhören!«
»Sie sollen Ihren Willen haben, Bekoval! Geben Sie den Befehl weiter, die Schutzschirme an einer
Stelle zu öffnen. Wo ist Griffith?«
John Haick blickte sich um. Der Waffenleitoffizier der »Walter Beckett« war nicht zu sehen.
»Informiere die Offiziere in den Hangars, daß wir Besuch bekommen«, sagte Corda zu John Haick. »
Ich will verhindern, daß wir überrumpelt werden!«
»Ist denn soviel Vorsicht nötig?« fragte Fan Kar Kont. Rex Corda lachte ironisch.
»Bei den Orathonen kann man nicht vorsichtig genug sein. Vergessen Sie nicht, daß Sigam Agelon alles
auf eine Karte setzt. Ich habe keine Lust, meine Leute unnötig in Gefahr zu bringen. Schließlich bin ich
für sie verantwortlich!«
Sie blickten auf die Holografen. Es stand schlecht um die kämpfenden »Zeitlosen«. Corda konnte ihnen
im Augenblick nicht helfen. Die »Walter Beckett« war nicht voll einsatzfähig. Fieberhaft wurden
Reparaturen ausgeführt.
Der fremde Diskus näherte sich. Er passierte die Schutzschirme. Sekunden später glitt er durch
weitgeöffnete Schleusen in einen Hangar.
Gleichzeitig gaben die Wachoffiziere Alarm.
»Beschleunigen!« befahl Corda sofort. Er mußte den Diskus isolieren. Das war jetzt wichtiger als alles
andere.
»Hoffentlich haben wir uns keine Zeitbombe eingefangen!« knurrte John Haick.
*
Die »Zeitlosen« hatten keine Chance. Verbissen kämpften sie um den Sieg in der Vakuole. Sie lernten,
wie sie den vernichtenden Strahlen der Orathonen ausweichen mußten.
An zwei Stellen gleichzeitig versuchten sie einen Durchbruch. Doch die Aktion scheiterte, noch ehe sie
richtig begonnen hatte.
Eingekesselt schlugen die »Zeitlosen« sich mit den Raumschiffen der Rebellen herum. Immer größere
Lücken entstanden in der vorher dichtgefügten Phalanx.
Die Verbindung zum Hantelraumer der Terraner war abgebrochen. Da erteilte das »Superhirn« den »
Zeitlosen« den Rückzugsbefehl. In panischer Flucht setzten sie sich ab. Die Rebellen folgten ihnen.
Sigam Agelon stieß weiter zum Zentrum der Vakuole vor. Sein Ziel war der Heimatplanet der »
Zeitlosen«, den er vernichten wollte.
Die Situation spitzte sich zu. Niemand konnte Sigam Agelon jetzt noch aufhalten. Er und die Rebellen
räumten grausam auf. Jahrtausendealter Haß entlud sich mit ungeheurer Wucht. Die Rebellen wollten
Vergeltung. Sie kannten keinen Pardon mehr.
Vielleicht hätte in dieser Situation eine einheitliche Führung den »Zeitlosen« noch eine Chance
gegeben.
Der Ruf nach Corda wurde immer lauter, doch der Terraner befand sich in einem angeschlagenen
Raumschiff abseits des gigantischen Schlachtfeldes. Er konnte nicht eingreifen.
Pausenlos verglühten die Pyramidenraumer der »Zeitlosen« in tiefroten Energieblitzen. Schockwellen
erschütterten die näher liegenden Sonnensysteme.
Die Herrschaft der »Zeitlosen« war gebrochen. Sie hatten ihr Imperium verloren. Jetzt sollten sie
ganz ausgerottet werden!
*
Der Hangar war in rotglühendes Licht getaucht. Terranische Offiziere schlugen den Angriff der
Fremden zurück.
Obwohl sie von Corda gewarnt worden waren, standen sie auf verlorenem Posten.
Flammende Energiebündel atomisierten die ungeschützten Wartungsaggregate in der großen Halle.
Stützpfeiler aus molekularverdichtetem Panzerplast verwandelten sich in heißen Staub.
Glänzende Sandwichplatten mit Wabenzellen aus Titan brachen knisternd auseinander. Durch Stringer
verstärkte Integralhäute an den Wänden lösten sich wie Papierfetzen ab.
Der fremde Diskus sah aus wie ein plattgedrücktes Teufelsei. Er hatte sich in eine Feuerwand gehüllt.
Grelle Kreischlaute jaulten durch den Hangar.
Terraner und Kampfroboter der AA2Klasse verteidigten die »Walter Beckett«. Die
Holografenverbindungen waren bereits in den ersten Sekunden des Kampfes ausgefallen.
Taumelgeschosse klatschten mit explosionsartigen Geräuschen gegen den Schutzschirm des
Diskusraumers. Er schwebte knapp zwei Meter über dem Hangarboden.
Die Besatzungsmitglieder der »Walter Beckett« wollten unter allen Umständen verhindern, daß die
Orathonen Fuß faßten. Sie verteidigten nicht nur die Hallen, Korridore und Kabinen des Hantelraumers,
sie verteidigten ein Stück Erde.
Völlig unerwartet tauchte der Präsident in der Kampfzone auf.
In seiner Armbeuge hielt Corda ein kurzläufiges Taumelgewehr. Er riß die ReelingGun nach oben, als
der Schutzschirm der Orathonen für Bruchteile von Sekunden schwächer wurde. Eine Serie von
Taumelgeschossen heulte aus dem Lauf der Waffe.
Rex Corda wußte, daß es sinnlos sein mußte, den Diskus mit Handfeuerwaffen anzugreifen. Er blickte
sich kurz um.
»Zurück!« brüllte er durch den Lärm. »Alles zurück!«
Die Offiziere verstanden seine Worte nicht. Sie sahen nur, wie er mit den Armen gestikulierte.
Corda sprang zur Seite. Ein Kampfroboter vor ihm verwandelte sich in eine Feuersäule.
Corda raste durch einen Korridor. Er erreichte eine Sektionszentrale. Seine Faust knallte gegen einen
Alarmhebel.
Vollautomatisch senkten sich Feuerschotts nach unten. Sirenen heulten auf.
Farbige Lichtmuster riefen in allen Abteilungen der »Walter Beckett« nach Ralf Griffith und John
Haick.
Corda zögerte eine Sekunde, dann entschloß er sich zu einem Alleingang. Er durfte und konnte nicht
auf seine beiden Mitarbeiter warten.
Die Existenz der »Walter Beckett« und der gesamten Besatzung stand auf dem Spiel!
Mit weiten Sätzen jagte Corda durch einen Korridor. Er erreichte die Hangarzone. Elektronische
Sicherungen gaben ihm den Weg frei.
Nur das Auf und Ab der Sirenen war jetzt noch zu hören. Die Andruckneutralisatoren dämpften die
Erschütterungen des Kampfes in den nächsten Hangars.
Corda rannte zu einem Landungsboot. Er schwang sich über den äußeren Rand. Jetzt ging ihm alles viel
zu langsam. Er ließ sich in den Pilotensitz fallen. Mit geschickten Handgriffen warf er die
Antriebsaggregate an.
Elektronische Impulse öffneten die Außenwand der »Walter Beckett«. Corda stieß den
Beschleunigungshebel bis zum Anschlag nach vorn. Das Landungsboot riß sich mit einem harten Ruck aus
den Halterungen. Es schlidderte über den Hangarboden, taumelte, gewann an Höhe.
Dicht unter der Oberkante der Schleuse flog Corda in die Dunkelheit des Alls. Er brauchte nur zwei
Sekunden, um sich zu orientieren.
Corda hatte Glück. Das Landungsboot war ein Versuchsmodell für Sondereinsätze. Ein Teil der
Abdeckplatten fehlte. Er legte keinen Wert darauf. Wichtiger war die waffentechnische Ausrüstung
des Viermannflugkörpers.
Irgendwo zischte die Atemluft durch schlecht abgedichtete Ritzen. Sie entwich in den Raum.
Corda schaltete den Stabilisator des Landungsbootes aus.
Dann schloß er seinen Raumanzug.
Er schoß mit einer scharfen Kurve zur »Walter Beckett« zurück. Direkt vor ihm schimmerte
rotglühend der geöffnete Hangar. Die »Walter Beckett« flog mit 73 Prozent Beschleunigung zum
Zentrum der Vakuole. Corda hatte Mühe, den kleinen Gleiter in der Nähe des Hantelraumers zu halten.
Er ging auf hundert Prozent Beschleunigung. Das Landungsboot erzitterte. Rasselnd und scheppernd
lösten sich weitere Abdeckplatten der äußeren Hülle. Jetzt war nur noch eine dünne Metallschicht
zwischen Corda und der Leere des Raums.
Der Präsident stürzte sich in den feurigen Schlund.
Er zündete den Auslöser eines übergroßen Taumelgeschosses.
So schnell wie irgend möglich bremste er ab. Der Feuerschein im Inneren der »Walter Beckett«
verfärbte sich.
Kein Laut war zu hören, und doch wußte Corda, daß er es geschafft hatte.
Er sackte in sich zusammen. Seine Hände zitterten kaum merklich. Er holte tief Luft. Sein Einsatz war
noch nicht beendet.
Er mußte das »Superhirn« warnen, neue Order erteilen und versuchen, den Rest der »Zeitlosen«
Schiffe zu retten.
Er wärmte die Funkanlagen an. Unruhig beobachtete er die funkelnden Kontrollampen. Die Funkanlage
war nicht mit dem vereinbarten Code vorprogrammiert. Corda mußte die entsprechenden Frequenzen
selbst einkurbeln.
Endlich bekam er Kontakt mit dem »Superhirn«. Corda beugte sich unwillkürlich nach vorn. Mit
brennenden Augen starrte er in den Raum hinaus. Wie harmlose Spielzeuge kämpften Millionen von
Kilometern entfernt die feindlichen Flotten gegeneinander.
Das »Superhirn« war nicht auf den Gedanken gekommen, vom Heimatplaneten der »Zeitlosen« aus in
den Kampf einzugreifen.
»Unfaßbar!« murmelte Corda kopfschüttelnd. Für so naiv hatte er das riesige Gehirn nicht gehalten. Er
gab sofort die entsprechenden Anweisungen.
Das »Superhirn« der »Zeitlosen« gehorchte.
Es ließ Cordas Anordnungen sofort ausführen. Der Erfolg zeigte sich innerhalb weniger Sekunden. Eine
neue flammende Sonne tauchte in der Dunkelheit auf. Der Heimatplanet der »Zeitlosen« verteidigte
sich! In allerletzter Minute!
Von seiner einsamen Beobachtungsstation aus konnte Corda erkennen, wie der Siegeszug des Agelon
gestoppt wurde.
Corda lächelte.
Er stieß zur »Waller Beckett« vor. Sein Landungsboot glitt in den Hangar zurück. Er öffnete die Luke,
nachdem sich die Schleuse geschlossen hatte und neue Atemluft in den Hangar gepumpt worden war.
Die drückende Stille war ungewohnt. Corda sprang aus dem Landungsboot. Er eilte zum
Verbindungskorridor. Lautlos glitten die Schotten zur Seite.
Er hörte Stimmen. Kurze Kommandorufe zeigten ihm, daß sein Einsatz Erfolg gehabt hatte. Er zog
seine Handschuhe aus. Seine Hände waren feucht. Er wischte sie an seiner Kombination ab.
Fan Kar Kont stand mit dem Rücken zu ihm und strich einem stöhnenden Terraner die
schweißverklebten Haare aus der Stirn.
»Also keine Abordnung, die Verhandlungen aufnehmen sollte«, sagte Rex Corda.
Fan Kar Kont fuhr herum.
»Sie?«
»Wen hatten Sie erwartet?«
»Waren Sie etwa draußen, um…«
Rex Corda nickte. »Einer mußte es tun. Aber lassen wir das! Gab es Verluste?«
»Leider ja. Drei Männer verbrannten. Acht weitere Offiziere schweben in Lebensgefahr.«
»Das hätte nicht sein müssen«, sagte Rex Corda leise. Er schwieg einen Augenblick, während sich zwei
senkrechte Falten in seine Stirn gruben.
»Wie steht es mit den Orathonen?«
»Tot bis auf zwei!«
»Sind sie schwer verletzt?«
»Sie werden durchkommen. Einer von ihnen ist ein hoher Offizier. Der andere gehört wahrscheinlich zu
einer Hilfsrasse der Grünhäutigen.«
»Gut!« nickte Rex Corda. »Wir fliegen zum Planeten der ›Zeitlosen‹. Sobald wir dort ankommen,
müssen wir mit dem ›Gehirn‹ Kontakt aufnehmen. Ich habe festgestellt, daß es noch nicht voll
arbeitsfähig ist. Es neigt dazu, Fehler zu machen…«
»Sie haben mit dem ›Hirn‹ Verbindung gehabt?« staunte Fan Kar Kont.
Rex Corda wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. Er kletterte über die Trümmer am Boden
des zerstörten Hangars. Überall schwelte es, obwohl automatische Löschanlagen pausenlos Schaum
versprühten. Die Hitze war selbst durch die Bordstiefel zu spüren.
Ein nahezu durchsichtiges Plastikgebilde beulte sich wie eine Blase in den Raum hinaus. Es bedeckte
das Leck an der Stelle, an der vorher eine Schleuse gewesen war. Der gesamte Hangar war nur noch ein
Trümmerhaufen. Er wirkte wie eine qualmende Brandwunde.
»Was ist mit Sigam Agelon?« fragte Fan Kar Kont, nachdem MedoRobots den verletzten Terraner
mitgenommen hatten.
»Unentschieden!« erwiderte Corda. »Sigam Agelon hat geglaubt, den Sieg in der Tasche zu haben. Er
ahnte nicht, daß sein Zielplanet verdammt hart zurückschlagen konnte, wenn jemand dafür den Befehl
gab!«
»Dann hat die Raumvakuole also noch eine Gnadenfrist?«
»Sigam Agelon wird dieses Unentschieden als Niederlage hinnehmen. Aber er wird wiederkommen.
Sehr bald sogar!«
»Dann müssen wir die ›Walter Beckett‹ so schnell wie möglich reparieren und gefechtsklar machen!«
Rex Corda nickte.
»Hoffentlich läßt er uns soviel Zeit!«
*
Sigam Agelon kam viel schneller als erwartet. Die »Walter Beckett« war in den wesentlichen Teilen
repariert worden. Ein Teil der Besatzung befand sich auf dem Planeten der »Zeitlosen«. Rex Corda
hatte sie abkommandiert, um die Versorgungsanlagen des ›Superhirns‹ zu überholen.
Die »Zeitlosen« feierten ihren vermeintlichen Sieg. Tief unter den Ozeanen ihres Heimatplaneten
bedankten sie sich bei den Terranern und behinderten sie bei ihrer Arbeit.
Fan Kar Kont war von Corda zum Leiter des Expeditionskorps ernannt worden. Er überwachte die
Reparaturarbeiten an den Versorgungsanlagen des »Superhirns«.
Die Hypersprünge Sigam Agelons hatten neue Verletzungen innerhalb des »Hirns« hervorgerufen. Der
ohnehin stark geschwächte Organismus war nicht mehr in der Lage, sich selbst zu regenerieren.
Die schwierigste Aufgabe des »Hirns« war die Stabilerhaltung der Raumvakuole. Auch das wurde mehr
und mehr eine Frage des Zufalls. Ein einziger Hypersprung durch die Hantelraumer Sigam Agelons
mußte die endgültige Vernichtung der Vakuole und den Untergang der »Zeitlosen« bringen. Das Maß
war voll!
Noch während die Terraner in der Nähe des »Superhirns« arbeiteten, beging das »Hirn« einen neuen
Fehler: Es rief die im Raum versprengten »Zeitlosen« zurück.
Da Sigam Agelon und seine Hilfsrassen nicht mehr zu sehen waren, gingen die Funksprüche im Klartext
ab.
Obwohl Fan Kar Kont augenblicklich dazwischenfuhr, konnte er das Verhängnis nicht mehr aufhalten.
*
Der Orathone lag mit ausgestreckten Beinen in einem Pneumosessel und lachte.
Gedämpft lachten seine Offiziere mit. Sie wagten nicht, lauter zu lachen als der Unbesiegbare.
Sigam Agelon hatte sich zurückgezogen. Er wußte, daß er eine Niederlage erlitten hatte. Es störte ihn
nicht, er war nach wie vor von seinem Sieg überzeugt. Für ihn bedeutete das Eingreifen des »
Superhirns« nur eine lästige Verzögerung…
Er ließ den Speicherblock durch seine fleischigen Finger gleiten.
Diese Information war Gold wert!
Er wunderte sich über die Dummheit der »Zeitlosen«. Glaubten diese arroganten Burschen tatsächlich,
daß er sich endgültig zurückgezogen hatte?
»Wie dumm sie doch sind!« stieß der Agelon hervor. Er kam sich plötzlich noch viel überlegener vor als
sonst. Er hatte einen Trumpf in der Hand, eine unbezahlbare Information von seiner stets wachsamen
Funk und Ortungsstation.
Die »Zeitlosen« hatten genug. Sie konnten nicht mehr. Die Hypersprünge hatten die Vakuole ins
Schwanken gebracht und das »Superhirn« angegriffen.
Was wollte er mehr? Sigam Agelon triumphierte.
Beim Kampf mit den »Zeitlosen« hatte er einen Hantelraumer verloren. Das ärgerte ihn. Er war nicht
bereit, weitere Verluste hinzunehmen. Er wollte die Vakuole endlich in seinen Besitz bringen – ohne
Kampf und ohne eigene Verluste!
Dafür hatte er jetzt ein Mittel in der Hand, das ihm weiterhalf. Er besaß den Schlüssel für einen
kampflosen Sieg!
»Verbindung mit den ›Zeitlosen‹ herstellen!«
Seine Offiziere sahen ihn verblüfft an.
»Mit den ›Zeitlosen‹?«
»Natürlich! Oder habe ich mich nicht klar genug ausgedrückt? Ich will den ›Zeitlosen‹ ein Ultimatum
übermitteln. Sie sollen mich von meiner humanen Seite kennenlernen…«
Er lachte laut und dröhnend.
Sekunden später war die Verbindung da.
Sigam Agelon sprang auf. Er stellte sich vor die Aufnahmekameras seiner Holografen. Er wollte nicht
wissen, welche technischen Vorgänge nötig waren, um die beiden verschiedenen Rassen in Kontakt
treten lassen zu können.
Um derartige Probleme kümmerte er sich nicht.
»Hier spricht Sigam Agelon«, sagte der Orathone stolz. »Ich brauche mich nicht mehr vorzustellen.
Meine Raumschiffe sind meine Visitenkarte. Ich verlange, daß die Vakuole sofort geräumt wird. Ich
beabsichtige, den Zentralplaneten in Besitz zu nehmen. Das ist ein Ultimatum!«
Er machte eine kleine genießerische Pause.
»Falls meinen Wünschen nicht augenblicklich entsprochen wird, sehe ich mich gezwungen, die Vakuole
durch Hypersprünge zu vernichten. Ich weiß, wie das wirkt. Also bitte! Sie haben sechs Stunden Zeit –
nein! Nicht bis zum Beginn – bis zum Abschluß der Evakuierung…«
Wieder lachte der Agelon. Es war das Lachen eines Teufels. Der Agelon meinte, was er sagte!
*
Sie hatten lange nicht mehr so geschwitzt. Kein Besatzungsmitglied der »Walter Beckett« fand in
diesen Stunden eine Ruhepause. Nur den Verletzten und Kranken wurde ein Ausnahmestatus
zugebilligt.
Rex Corda verlangte das Letzte von seinen Männern. Sie alle wußten, worauf es ankam. Pausenlos liefen
neue Situationsberichte in der Zentrale ein. Corda hatte sich vor Stunden einen Kaffee bestellt. Er
kam nicht dazu, ihn zu trinken.
Die Aschenbecher auf dem Konferenztisch quollen über. Immer wieder trat die Organisationsgruppe
zusammen.
Der Präsident selbst gönnte sich keine Ruhepause. In seinen Händen lag die Organisation des
Gegenschlages. Längst wußte er, was Sigam Agelon sich geleistet hatte. Er kannte den Text des
Ultimatums.
Bekoval und Percip waren damit beschäftigt, die »Walter Beckett« in einer Kreisbahn um den
Heimatplaneten der »Zeitlosen« zu halten. Das war im Augenblick eine sehr harte Arbeit, da die
Navigationscomputer ausgeschaltet worden waren. Zum Einbau eines neuen Synopsiscomputers war es
erforderlich, einige Hauptstromkreise auszuschalten.
Corda hatte mit seiner entschlossenen Aktion einen großen Teil wertvoller Informationen vernichtet.
Er hatte es getan, um den »Zeitlosen« mit dem semibiotischen Conduktor im Hirn außer Gefecht zu
setzen. Dieser Sieg hatte große Opfer gekostet!
Jedenfalls dachten die Laktonen an Bord der »Walter Beckett« so. Für Corda gab es andere Maßstäbe.
Er fühlte sich schuldig am Tod von drei terranischen Offizieren. Nur John Haick merkte ihm an, wie
sehr er sich innerlich Vorwürfe machte.
»Komm, Rex! Die Lebenden sind wichtiger. Du kannst sie nicht wieder ins Leben zurückrufen. Sie
starben für Terra!«
»Wir müssen mit den ›Zeitlosen‹ sprechen!« sagte Corda nachdenklich. »Der Agelon kommt wieder. Ich
weiß, daß er das Ultimatum ernst meint. Wir dürfen einfach nicht riskieren, daß er nochmals einen
Hypersprung versucht!«
»Wir sollten mit dem »Superhirn« zu einer Einigung kommen«, schlug John Haick vor. Corda nickte.
»Wir werden dem ›Hirn‹ und Fan Kar Kont einen Besuch abstatten. Du hältst mit mir Kontakt. Bekoval!«
Der Kommandant der »Walter Beckett« kam näher.
»Sir?«
»Sie übernehmen das Kommando während meiner Abwesenheit. Lassen Sie unsere Gefangenen nicht aus
den Augen. Ich fliege zum ›Superhirn‹!«
»Wollen Sie die Gefangenen nicht mitnehmen? Vielleicht kann das ›Hirn‹ sie ausfragen.«
»Gute Idee! Geben Sie mir zwei Mann als Wachgruppe mit!«
»Ich werde alle nötigen Schritte veranlassen.«
Rex Corda stand auf. Er ging zu den Holografen. Sie arbeiteten wieder zufriedenstellend. Sorgfältig
beobachtete der Präsident die in der Nähe befindlichen Sonnensysteme. Irgendwo hielt sich der
Agelon versteckt, um sofort zuzuschlagen, wenn er es für richtig hielt.
Die Verteidiger der Vakuole mußten sich wie auf einem Präsentierteller fühlen. Ein scheußliches Gefühl!
Corda wandte sich ab.
»Hangar XII B«, sagte Bekoval. »Ein Landungsboot ist startklar.«
»Und die Gefangenen?«
»Alles in Ordnung. Der Orathone, der ›Zeitlose‹ und der Fremde liegen gut verpackt im Boot. Sie
können losfliegen!«
*
»Können Sie nicht schneller arbeiten?« fragte Corda unruhig. Fan Kar Kont schüttelte den Kopf.
»Es dauert mindestens drei Tage, bis wir die Versorgungsanlagen des ›Superhirns‹ repariert haben.«
»Sie haben doch gehört: Sigam Agelon greift an! Wenn er nur einen Hantelraumer in den Hyperraum
eintauchen läßt, ist die Vakuole verloren…«
Eine gigantische Erschütterung ließ Rex Corda stocken. Er taumelte. Der Boden unter seinen Füßen
erbebte. John Haick stolperte und klammerte sich an Corda fest.
Ein urweltlicher Aufschrei kam aus Hunderten von Lautsprechern und hallte durch die große
unterirdische Halle.
Techniker und Ingenieure ließen ihre Werkzeuge fallen. Sie flüchteten, suchten Schutz vor der
drohenden Katastrophe. Die Halle lag zweihundert Meter unter dem Meeresboden. Hier befand sich
das Organisationszentrum der »Zeitlosen«.
Von allen Seiten kamen »Zeitlose« und ihre Roboter in die Arbeitshalle. Sie rannten auf die riesige
Maschine zu, an der Laktonen und Terraner arbeiteten.
Ein großer roter Kreis befand sich in der Mitte der Halle.
Von dort aus hatten Corda und seine Gefährten den Weg ins Innere des »Superhirns« angetreten, um
es von Parasiten zu befreien. Sie selbst hatten die Maschine gebaut, mit der Menschen und Material
verkleinert werden konnten.
Das »Superhirn« hatte ihnen gesagt, wie sie es machen mußten…
Corda schluckte. Ein breiter Riß zersprengte die Decke. Steinbrocken krachten auf den Hallenboden.
An zwei Stellen tropfte gelbe Flüssigkeit aus dem Fels.
»Wir müssen den Orathonen aufhalten!« preßte Corda zwischen den Zähnen hervor.
»Aber wie?« stöhnte John Haick. Er wußte keinen Ausweg. Die Orathonen und die Rebellen griffen den
Heimatplaneten der »Zeitlosen« an. Auf großen Bildschirmen war deutlich zu erkennen, wie die
feindliche Flotte näher kam. Die ersten Superbomben hatten die Schutzschirme um den Planeten
bereits durchschlagen.
Die »Zeitlosen« hatten keine Chance mehr!
Kopflos rannten die Angehörigen der sonst so arroganten Rasse durch die unterirdischen Anlagen.
»Nur fünf Hantelraumer!« meldete Griffith heiser. »Die ›Lynthos II‹ ist nicht zu sehen!«
»Dieser Feigling!« schimpfte John Haick. »Er läßt seine Männer angreifen und hält sich selbst zurück.«
»Typisch«, sagte Corda. »Er weiß, daß es Verluste gibt.«
»Aber er ist unbesiegbar!« warf John Haick ein.
»Er selbst schon, aber nicht sein Hantelraumer«, sagte Corda. Er wandte sich um und erteilte den
Verbindungsmännern der »Zeitlosen« die nötigen Anweisungen. Die »Zeitlosen« mußten zurückschlagen.
Diesmal befand sich das Kampfgebiet in unmittelbarer Nähe des Wasserplaneten.
Die Entscheidung fiel im Zentrum der Raumvakuole.
Corda erinnerte sich an seine Gefangenen. Die Befragung durch das »Superhirn« mußte inzwischen
beendet sein. Wo blieb der Bericht?
»Hast du den gefangenen Orathonen gesehen?« fragte Corda einen Bedienungsroboter der »Zeitlosen
«. Der Roboter bejahte.
Er drehte sich langsam um.
Corda folgte ihm.
Er bewegte sich zu einem kreisrunden Schott in der Hallenwand. Das Schott öffnete sich. Heraus
taumelte mit hängenden Schultern ein Orathone. Es war der Gefangene. Er war nackt…
Direkt hinter ihm stolperte der Tyraner in die Halle. Auch er hatte nichts an.
»Was ist denn mit denen los?« wunderte sich John Haick. Er lief an Arbeitsgeräten und schimmernden
Verstrebungen entlang. Zehn Meter vor den beiden Männern blieb er stehen.
Der Orathone blickte ihn mit maskenhaft starren Gesichtszügen an. Wie in Hypnose setzte er einen
Fuß vor den anderen.
In diesem Augenblick stieß der Tyraner einen schrillen Schrei aus. Rex Corda hob die Brauen. Eine
Gruppe von »Zeitlosen« nahm die beiden Gefangenen in die Mitte. Sie brachten sie zu Corda.
»Was ist mit ihnen geschehen?« fragte Corda scharf. Ein junger »Zeitloser« schob sich nach vorn.
»Das ›Hirn‹ hat sie getestet und befragt.«
»Nackt?«
»Das ist üblich, wenn Primitive auf unseren Planeten kommen«, erklärte der »Zeitlose« abfällig.
Corda preßte die Lippen zusammen. Plötzlich haßte er die »Zeitlosen«, denen er Hilfe versprochen
hatte. Sie waren noch eingebildeter als die grünhäutigen Orathonen!
Und er setzte die »Walter Beckett« ein, um diesem Volk beizustehen…
Der Tyraner stürzte nach vorn. Er lief Amok. Er warf sich schreiend auf den jungen »Zeitlosen«,
packte ihn und wirbelte ihn zur Seite. Corda war zu weit entfernt, um eingreifen zu können.
Gleichzeitig überschlugen sich die eintreffenden Meldungen. Die Vakuole war in höchster Gefahr.
Von der »Walter Beckett« kam ein Hilferuf Bekovals. Die Hantelraumer der Orathonen beschleunigten
weiter. Sie hatten fast die Lichtgeschwindigkeit erreicht. Innerhalb weniger Minuten mußten sie in den
Hyperraum eintauchen!
Corda suchte verzweifelt nach einem Ausweg. Es mußte einen Weg geben! Aber welchen?
Der Tyraner rang mit dem »Zeitlosen«. Die beiden Todfeinde näherten sich dem roten Kreis auf dem
Hallenboden. Im Hintergrund jaulte die Maschine auf.
Corda stürzte nach vorn. Jetzt ging alles durcheinander. Roboter hockten an den Schaltelementen der
Maschine. Sie hatten keine eindeutigen Befehle. Die Pannen häuften sich. Die Panik unter den »
Zeitlosen« war nicht mehr zu bremsen.
Da stürzte der Tyraner mit dem »Zeitlosen« über die rote Linie auf dem Hallenboden. Verbissen
kämpften die beiden Männer miteinander. Corda rannte mit weiten Sprüngen auf sie zu.
Plötzlich stockte er. Er starrte auf die beiden Kämpfenden. Sie wurden kleiner. Von Sekunde zu
Sekunde verringerte sich ihre Größe.
Jetzt waren sie nur noch sechzig Zentimeter groß: zwei kämpfende Zwerge.
Ein »Zeitloser« schoß, bevor Corda es verhindern konnte. Der Flammenstrahl aus der Waffe passierte
den roten Kreis und veränderte die Farbe. Bruchteile von Sekunden geschah nichts. Dann blitzten die
Körper der beiden verkleinerten Kämpfer auf. Sie verkohlten so schnell, daß Corda nicht mehr
eingreifen konnte.
Neue Erschütterungen ließen Corda zusammenzucken.
Er mußte etwas unternehmen!
Er preßte den Handballen gegen die Stirn und schloß sekundenlang die Augen. Farbige Kreise tanzten
vor seinen Augen. Bohrende Kopfschmerzen machten ihn fast wahnsinnig. Und dazu der irrsinnige Lärm
in der Halle…
Die Idee war so phantastisch, daß Rex Corda unwillkürlich zusammenzuckte. Er wußte nicht, wie er
darauf gekommen war. Ein Schauder lief über seinen Rücken.
Er hatte eine Möglichkeit gefunden, den Unbesiegbaren auszuschalten! Er wußte noch nicht, ob seine
Idee brauchbar war. Der Versuch mußte auf jeden Fall gemacht werden…
Der Plan war so tollkühn, daß Corda erst einmal tief Luft holen mußte. Er war ungewöhnlich blaß. Seine
Finger zitterten kaum merklich. Er riß sich zusammen.
Auch er war nur ein Mensch. Er hatte keine Angst. Er war nur erschrocken über seine eigene Idee.
»John!« rief er durch den tosenden Lärm in der Halle. Haick drehte sich um. Auch Griffith hatte etwas
gehört. Die beiden Männer kamen näher.
»Ich weiß, wie wir den Agelon besiegen können! Seid ihr dabei?« fragte Corda erregt. Die beiden
Männer nickten.
Ein Donnern ließ sie zur Decke der Halle blicken. Wieder krachten Felsbrocken in Staubschwaden auf
den Boden. Es ging dem Ende zu…
»Kommt mit!«
Rex Corda rannte so schnell wie möglich zur Informationskabine, um mit dem »Superhirn« Kontakt
aufzunehmen. Er sprach bereits, als Haick und Griffith ihn erreichten.
»… letzte Chance, den Agelon auszuschalten!«
»Der Orathone ist unbesiegbar. Er kann nicht verletzt werden«, antwortete das »Superhirn« der »
Zeitlosen«. Corda machte eine abwehrende Handbewegung.
»Das weiß ich! Ich will nichts zerstören. Das wäre unmöglich. Ich will die Nervenstränge im Hirn von
Sigam Agelon kurzschließen, und deshalb müssen wir durch die Maschine verkleinert werden! Mit einem
Diskus oder einem Landungsboot!«
»Rex – das ist Wahnsinn!« schrie John Haick. Corda drehte sich um.
»Es ist die einzige Chance, die wir haben, John!«
Sekunden vergingen, bis John Haick langsam nickte. Dann huschte ein verzerrtes Lächeln über sein
schmales Gesicht.
»Du hast recht, Rex. Wie bist du nur auf diese tollkühne Idee gekommen?«
»Wir stimmen zu!« meldete das »Superhirn«.
»Los!« rief Corda schnell. »Wir haben keine Zeit zu verlieren!« Er drehte sich um. »Wo befindet sich
der Agelon?«
»Auf einer Eiswelt im System Garratomox Valis P’Rewolle!«
»Jetzt müßte man wissen, wo das ist«, seufzte John Haick.
Ralf Griffith betrachtete Rex Corda mit unverhohlener Hochachtung. Der Waffenleitoffizier der »
Walter Beckett« war Feuer und Flamme für die Idee des Oberbefehlshabers.
»Nehmen Sie einen der drei erbeuteten Diskusraumer«, empfahl das »Superhirn«. »Wir werden die
Programmierungskoordinaten über Funk an die Bordcomputer weiterleiten.«
Rex Corda stürzte aus dem engen Informationsraum, der sie mit dem »Superhirn« verbunden hatte. Er
rannte ohne Umschweife über die rote Linie. Roboter transportierten einen Diskus in den roten Kreis.
Corda blickte zurück. Die Zurückbleibenden nahmen riesenhafte Ausmaße an. Er spürte das
schmerzhafte Prickeln in seinen Muskeln unter der Haut und in den Augen.
Er wartete auf John Haick und Ralf Griffith. Sie waren größer als er selbst, weil sie später in den
Verkleinerungskreis gekommen waren.
Corda beeilte sich, den Diskus zu erreichen. Er wußte, wie groß die Entfernungen wurden, wenn er noch
kleiner geworden war. Schon jetzt maß er kaum noch zehn Zentimeter…
Als die drei Männer den Diskus erreicht hatten, betrug ihre Körpergröße nur noch 0,5 Millimeter. Und
sie wurden ständig kleiner…
*
Die »Walter Beckett« sah aus wie ein titanenhafter Doppelplanet mit einem vieltausend Kilometer
starken Verbindungsarm.
»Phantastisch!« sagte John Haick. Das TerraFlaggschiff schwebte Milliarden von Kilometern von ihnen
entfernt im Raum. Jedenfalls sah es so aus…
Die beiden Hantelkugeln des Raumschiffs wirkten unter normalen Bedingungen bereits gigantisch.
Jetzt sah es so aus, als hätte sich die »Walter Beckett« auf das Hunderttausendfache ihrer
ursprünglichen Größe aufgeblasen. Ein Raumschiff wie ein Alptraum!
Größenordnungen, die so neu und grauenhaft waren, daß die drei Männer alle Verstandeskraft
brauchten, um nicht wahnsinnig zu werden.
Nicht ihre Umwelt hatte sich vergrößert – sie selbst waren auf Staubkorngröße
zusammengeschrumpft!
Neue, ungeahnte Gefahren kamen auf sie zu.
Der verkleinerte Diskus raste mit annähernder Lichtgeschwindigkeit auf ein Sonnensystem zu, das
einige tausend Parsek entfernt zu sein schien. Auch das stimmte nicht.
Es gab nur eine einzige Konstante, an die sie sich halten konnten: die Lichtgeschwindigkeit!
»Es ist unwichtig, wie groß wir wirklich sind«, meinte Corda und lehnte sich in seinem Pneumosessel
zurück. »Die Entfernungen werden nur scheinbar größer. Zu Fuß würden wir Jahre brauchen, um nur
einen Kilometer zurückzulegen. Da wir eine Geschwindigkeit haben, die knapp unter der des Lichts
liegt, bewegen wir uns ebenso schnell wie unter normalen Umständen.«
»Trotzdem sieht es aus, als würden wir durch ein Gebiet mit Supersonnen und gigantischen
Riesenplaneten fliegen.«
»Festhalten!« brüllte Ralf Griffith, der den Diskus steuerte. Sie rasten direkt auf ein Trümmerfeld
aus gezackten Meteoriten und riesigen Gesteinsbrocken zu.
»Schirme auf volle Leistung!«
»Schon passiert!« grinste Griffith.
Kreischend tauchte der Diskus in das Trümmerfeld ein. Der Zwischenfall dauerte keine vier Sekunden.
Als sie wieder ihre Umgebung beobachten konnten, entdeckten sie die kämpfenden Flotten. Der
kleinste Lichtblitz wirkte aus ihrer Sicht wie die Entstehung einer Supernova.
Plötzlich mußte Corda lachen.
»Was hast du denn?« fragte John Haick.
»Nichts!« grinste der Präsident der Erde. »Ich fürchte nur, daß uns noch einiges bevorsteht.«
»Wieso?«
»Dieses Trümmerfeld aus Meteoriten – das war nichts weiter als kosmischer Staub…«
»Donnerwetter! Du hast recht! Wir haben uns alle bluffen lassen und vergessen, daß wir die Größe von
winzigen Staubteilchen haben!«
»Ziemlich schwer, sich daran zu gewöhnen«, meinte Ralf Griffith.
»Schade, daß uns die Maschine des ›Superhirns‹ nicht zu Riesen machen kann«, überlegte Rex Corda. »
Dann könnten wir die Raumschiffe des Agelon mit einer Handbewegung zermalmen.«
»Meinst du das ernst?« fragte Haick verwundert. Corda schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht. Dort
vorn muß übrigens das Versteck des Agelon sein. Die Koordinaten stimmen.«
»Umgerechnet auf normale Entfernungen ist er kaum neunzig Lichtminuten vom Heimatplaneten der ›
Zeitlosen‹ entfernt«, sagte Ralf Griffith.
Der winzige Diskusraumer konnte von den Ortungsanlagen des Orathonen nicht erfaßt werden. Wie ein
harmloses Staubteilchen stießen Corda, Haick und Griffith zur Oberfläche des Eisplaneten hinab.
Sigam Agelon ahnte nicht, daß seine Feinde bereits so nah waren…
In ihren Augen wirkte der kleine Planet so groß wie ein halbes Sonnensystem. Der Hantelraumer des
Agelon schien mit ihm verwachsen zu sein.
»Unheimlich!« murmelte John Haick. Auch Corda konnte sich der Faszination des ungewohnten Anblicks
nicht entziehen.
Es war fast unmöglich, den Hantelraumer aus der Nähe ganz zu überblicken!
Das Eindringmanöver verlief nach Plan. Sie hatten sich geeinigt, über die meteorologische Sektion der
»Lynthos II« in den Hantelraumer einzudringen. Wie bei allen orathonischen Raumschiffen dieser
Größe gab es automatisch arbeitende Analysatoren, die ständig Meßergebnisse von außen zu den
Computern weiterleiteten. Das war die Chance der Terraner.
Trotzdem konnten die Begleiter Cordas eine gewisse Unruhe nicht verbergen.
Der kleine Bordcomputer hatte pausenlos zu tun, um alle möglichen Gefahren abzuwägen. Es gab viel
mehr Gefahren für die Verkleinerten als im Zustand normaler Größe.
Der Diskus jagte auf die rohrartigen Mikrosonden an der Außenhülle der »Lynthos II« zu. Auch sie
wirkten unnatürlich groß und gewaltig. Die Terraner konnten sogar die zerklüftete Metallstruktur der
Außenhülle erkennen.
»Hochwertiges Metall und dann so eine Mondlandschaft!« staunte Ralf Griffith kopfschüttelnd.
Schweißnähte sahen aus wie Gebirgszüge, Nieten hatten die Ausmaße von Wolkenkratzern, Eiskristalle
auf der Hülle der »Lynthos II« wirkten wie hochmoderne Glasträgerarchitekturen.
Merkwürdige Ungeheuer erschreckten die drei Terraner. Bakterien und Bazillen, Kleinstlebewesen von
unermeßlicher Vielfalt!
Sie drangen in die Meßkanüle ein. Bizarre Formen wiesen ihnen den Weg. Der Diskus schoß durch
geknickte Windungen bis zu den automatischen Analysatoren.
»Hoffentlich kommen wir durch!« meinte Haick. Corda preßte die Lippen zusammen. Ein Sturzbach
giftig aussehender Chemikalien rauschte ihnen entgegen.
»Achtung!«
Griffith reagierte kaltblütig und ruhig.
Der Diskus stieß auf direktem Weg durch die Säure. Ein scharfes kreischendes Geräusch ließ das Blut
in den Adern der Männer gerinnen.
Taumelnd kamen sie aus der Flutwelle frei.
»Wir sind durch!« sagte Griffith erleichtert.
»Gut! Sofort in die Klimaanlage!«
John Haick grinste. »Nur gut, daß sich die ›Lynthos II‹ und die ›Walter Beckett‹ im Grundaufbau
gleichen. Sonst würden wir uns in diesem endlosen Labyrinth bestimmt verfliegen!«
»Kunststück!« meinte Corda sarkastisch. »Ein Hantelraumer ist schon für Menschen normaler Größe so
etwas wie ein riesiger Irrgarten.«
»Ein Ameisenhaufen – und wir suchen die Königin«, sagte Ralf Griffith mit einem kalten spröden
Auflachen.
Der Diskus erreichte die endlosen Kanäle der Klimaanlage. Griffith steuerte die Raumscheibe nach
oben.
Sie schossen zwischen breiten Lamellen hindurch. Sekundenlang verharrte der Diskusraumer am Rand
der Zentrale.
»Dort steht er!«
Sigam Agelon wirkte wie ein rohbehauenes grünes Felsmassiv. Irgendwie erinnerte er an ein auf die
Spitze gestelltes Matterhorn. Das Größenverhältnis stimmte jedenfalls…
»Dreimal David gegen einen wahnsinnigen Goliath«, lächelte Rex Corda. »Ein Staubkorn greift einen
Riesen an!«
Er strich sich über die Stirn.
»Los, Ralf! Die Würfel sind gefallen. Wir dringen durch den Tränenkanal in ein Auge des Agelon ein!«
Sie rasten auf das bunt gemusterte Augenlid des Orathonen zu.
Sigam Agelon ahnte nicht, was ihm bevorstand.
*
Mit aufbrüllenden Triebwerken stürzten sich die Rebellen auf die »Zeitlosen«. Die Raumschiffpulks
vermischten sich.
Ein grauenhaftes Feuerwerk farbiger Explosionen verwandelte den Raum in ein brennendes
Flammenmeer. Das Fürchterliche daran war die absolute Stille im Raum. Außerhalb der Raumschiffe
war nicht ein einziger Ton zu hören. Der Schall konnte sich nicht fortpflanzen. Aber das Licht
brauchte kein Medium. Es setzte Signale.
Technik wurde durch Technik besiegt. Die »Zeitlosen« verloren diese Kraftprobe. Aber sie räumten
vorher noch auf.
Reihenweise zerbarsten die Raumschiffe der Rebellen.
Auch die »Zeitlosen« hatten schwere Verluste.
Das Chaos nahm seinen Fortgang.
Wie Habichte stürzten sich die fünf Hantelraumer des Orathonen in das Kampfgetümmel. Sie
schafften mit ihren Waffen freien Raum.
Da zerbrach unter dem gleißenden Strahl eines Energiegeschützes ein orathonischer Hantelraumer.
Die beiden Kugeln trieben ab. Fünfzehntausend Kilometer über der Oberfläche des Planeten der »
Zeitlosen« löste sich das halbe Raumschiff in wabernde Flammen auf.
Die andere Hälfte verschwand in der Dunkelheit des Raums.
Trotzdem gelang es den Rebellen und Orathonen, die »Zeitlosen« zurückzutreiben.
Von seinem Versteck aus lenkte Sigam Agelon die Schlacht. Er allein hatte den nötigen Abstand.
Überall in den Zentralen der Hantelraumer und der Rebellenschiffe war das lebensechte Bild des
Agelon zu sehen.
Über eine Konferenzschaltung hielt er Verbindung mit allen Einheiten, die ihm zur Verfügung standen.
Sigam Agelon wußte nicht, daß diese Tatsache sein Verhängnis werden sollte.
*
Rex Corda keuchte. Er hockte in einem Pneumosessel.
»So ein Pech!« sagte Corda mit schmerzverzerrtem Gesicht.
»Wir sind doch prima durchgekommen«, meinte John Haick. Er konnte sich ein leichtes Grinsen nicht
verkneifen. Weder er noch Griffith hatten etwas abbekommen. Dafür war der Präsident frontal gegen
die Bedienungshebel des Diskusraumers geknallt, als es passierte.
»Mußte dieser Bursche auch gerade dann mit den Augen zwinkern, als wir durchwollten?«
Corda preßte seine Hand gegen die unteren Rippen. Der Schlag war so hart gewesen, daß der Diskus wie
von einer Titanenfaust zur Seite geschleudert worden war.
»Augen sind ziemlich empfindlich«, dozierte John Haick. »Auch bei einem unverletzbaren Orathonen!
Wir werden ihn gereizt haben…«
»Wir werden ihn weiterreizen!« preßte Corda grimmig hervor.
Nie würden sie das unheimliche Bild vergessen, als der Diskus direkt vor der Pupille des Orathonen
entlanggeflogen war. Diese Farbmuster – die ellenlangen Härchen – die schlierige Augenflüssigkeit…
Corda schüttelte sich. Seit der Invasion der Orathonen auf der Erde hatte er viel Neues gesehen. Nie
war er auf die Idee gekommen, daß ein humanoides Lebewesen aus der Nähe betrachtet viel
grauenhafter wirken konnte als alle Monster der Galaxis!
Der Diskus drang immer weiter in das Hirn des Agelon ein.
Sie hatten das Auge des Agelon als Einflugstelle gewählt, weil sie so am leichtesten in die Nähe des
Hirns kommen konnten.
Jetzt bewegte sich der Diskus durch eine durchsichtige Flüssigkeit. Scheinwerfer drangen weit nach
vorn. Dabei waren es höchstens Zehntelmillimeter, die durch die Scheinwerfer erhellt wurden…
Griffith riß den Diskus zur Seite. Ein riesiges weißes Blutkörperchen stürzte sich ihnen entgegen. Es
sah aus wie ein großer aufgeblasener Pfannkuchen mit einer welligen Marmeladengarnierung in der
Mitte. Das war der Kern des grüngekörnten und sonst weißen Blutkörperchens.
»Ein Leukozyt!« sagte John Haick.
»Du kannst dir deine klugen Bemerkungen sparen!«
»Das dachte ich mir schon. Sieh mal da – ein Kurier von der Milz Sigam Agelons!«
Corda blickte auf die Holografen. Sie zeigten ziemlich undeutlich ein weißes Blutkörperchen, das etwas
größer war als die anderen.
Griffith flog daran vorbei.
»Woher willst du wissen, daß das ein Blutkörperchen aus der Milz war?« fragte Corda. John Haick hob
die Schultern. Er lehnte sich in seinem Pneumosessel zurück.
»Das war ein Lymphozyt.«
»Na gut – du scheinst dich ja etwas damit beschäftigt zu haben. Wie geht’s jetzt weiter?«
Rechts und links vom Diskus zogen die geriffelten Wände der Hirnkammern vorbei. Sie bestanden aus
weicher Hirnhaut. Große grüne Blutgefäßknäuel stülpten sich aus den Wänden.
Sie stießen durch die liquorgefüllten Ventrikel immer tiefer in das Gehirn des Agelon vor. Häufig
mußten sie die Flugrichtung ändern. Die graue Hirnmasse wurde immer wieder von austretenden
Nervensträngen unterbrochen.
Pausenlos gab John Haick seine Erklärungen ab.
Weder Griffith noch Rex Corda verstanden sonderlich viel davon. Dafür gab es Männer wie John Haick!
Die Hirnwindungen hatten für die drei Männer Ausmaße von gerundeten Hügeln und tiefen Schluchten.
Sie spürten, daß sie sich ihrem Ziel näherten.
Der gesamte Energiebedarf des AgelonHirns entsprach dem einer Glühbirne von 25 Watt. Und doch
gab es hier 15 Milliarden Nervenzellen und 100 Milliarden Gliazellen, die für den Stoffwechsel sorgten.
Ein Schauder lief über Cordas Rücken. Bei aller Supertechnik, die er bisher schon gesehen hatte – das
hier war viel, viel komplizierter!
Sie näherten sich der großen vorderen Zentralwindung. Fassungslos vor Staunen blickten sie auf die
Holografen.
Sie hatten ein Gebiet erreicht, wo sich die Zentren der willkürlichen Bewegungssteuerung mit denen
der sensiblen Funktionen trafen.
Sie passierten Stützzellen und befanden sich plötzlich in einem surrealistisch wirkenden Gitterfeld.
»Stop!«
Corda beugte sich nach vorn.
»Riesenpyramidenzellen!«
Corda nickte unwillkürlich. Sein eigenes Hirn mußte jetzt die Architektur des Orathonenhirns
begreifen lernen. Es mußte immer Stückwerk bleiben.
Über dichten Lagen von Nervenfasern erhoben sich große Nervenzellen, die wie an Marionettenfäden
aufgehängt waren. Sie sahen tatsächlich aus wie Pyramiden in einem spinnwebenartigen Flechtwerk. Sie
verloren sich im tiefen Violett des großen Raumes. Die Scheinwerfer waren nicht in der Lage, ihn
ausreichend zu erhellen.
Skurrile Schattenbildungen verschlugen den drei Terranern den Atem. Und überall war Leben zwischen
dem dichtgefügten Netz um die Riesenpyramidenzellen.
»Dagegen sind wir wirklich ganz klein«, meinte John Haick voller Bewunderung.
»Wenn wir uns hier lange aufhalten, werden wir immer so klein bleiben!« erinnerte Rex Corda.
»Grausige Aussichten«, grinste John Haick. »Du hast recht. Wir müssen weiter!«
»Welche Richtung?« fragte Griffith.
»Zum Zentrum! Zwischen Kleinhirn und Großhirn liegt der Thalamus. Er wird vom limbischen System
umgeben. Er ist verdammt schwer zu finden, da er nicht als anatomische Einheit klar erkennbar sein
wird.«
Griffith steuerte den Diskus nach den Angaben von John Haick tief ins Innere des AgelonGehirns.
Sie mußten sich beeilen, wenn sie Erfolg haben wollten. Sehr beeilen sogar.
*
Fan Kar Kont schreckte zusammen. In dichten Reihen kamen die Roboter der »Zeitlosen« aus den
Gängen. Sie näherten sich mit stampfenden Schritten der kleinen Arbeitsgruppe von der »Walter
Beckett«.
»Zurück!« zischte der FarGeborene. Der ehemalige Koloniallaktone begriff sofort, was geschehen
war. Die Roboter hatten widersprüchliche Befehle erhalten!
»Zu den Booten!« kommandierte Fan Kar Kont.
Da fiel ihm siedend heiß ein, daß sie den Planeten der »Zeitlosen« nicht verlassen konnten.
Wenn sie jetzt die Verkleinerungsmaschine aufgaben, waren Corda, Haick und Griffith verloren!
Fan Kar Kont fühlte sich verpflichtet, die Maschine zu bewachen. Er mußte sie verteidigen – koste es,
was es wolle!
»Alles hierbleiben! Wir wehren uns!« Murrende Stimmen wurden laut. TerraOffiziere und laktonische
Spezialisten verstanden Fan Kar Kont nicht mehr.
»Es geht um die Männer, die sich verkleinern ließen!« rief Fan Kar Kont. Eine dumpfe Explosion in den
Tiefen des Berges ließ den Boden erzittern. Fan Kar Kont ballte die Fäuste.
»Wir dürfen Corda nicht aufgeben!« Niemand wollte das. Sie wußten, daß Corda zu einem
Sondereinsatz gestartet war. Die genauen Hintergründe kannte nur Fan Kar Kont. Er erklärte seinen
Männern mit schnellen Worten, warum sie die Maschine verteidigen mußten.
Jetzt gab es keinen Murrenden mehr. Die Männer stellten sich hinter Fan Kar Kont. Die Idee des
Präsidenten wirkte wie eine Vitaminspritze auf sie. Sie glaubten an Rex Corda.
Sie schlugen zurück, hart und unerbittlich. Sie versuchten, dem Chaos Einhalt zu gebieten. Sie wollten
sich nicht auf einem fremden Planeten vernichten lassen.
Ein paar »Zeitlose« hatten endgültig die Nerven verloren. Sie reihten sich in die Linien der Roboter
ein. Sie kämpften gegen die Männer, denen sie ihr Leben zu verdanken hatten!
Ohne den Einsatz der Männer von der »Walter Beckett« wäre die Vakuole längst zusammengebrochen.
Fan Kar Kont schützte die Kontrollen der Maschine mit seinem eigenen Körper.
Die kleine Gruppe aus Terranern und Laktonen stand auf verlorenem Posten. Kampfgeist, den die »
Zeitlosen« im Raum erst viel zu spät gezeigt hatten, bedrängte jetzt die Verteidiger.
Die »Zeitlosen« waren mutig geworden – aus Angst um ihr Leben!
Was erhofften sie denn noch?
Fan Kar Kont begann, die »Zeitlosen« zu verachten. Die »Zeitlosen« verdienten es nicht, über andere
Rassen zu herrschen.
Er wehrte einen angreifenden Roboter ab. Sein Taumelgewehr war eine ausgezeichnete Waffe. Gegen
die »Zeitlosen« konnte er nicht so direkt vorgehen. Sie setzten ihre Fähigkeiten als Teleporter ein und
sprangen von einer Stelle zur anderen.
Nach dem Kampf im Raum führten die »Zeitlosen« jetzt auch noch auf ihrem eigenen Planeten einen
sinnlosen Schlag gegen die, die ihnen halfen und weiterhin helfen wollten!
Das Imperium brach zusammen – äußerlich und innerlich. Der Niederlage im Raum folgte der moralische
Verfall.
Fan Kar Kont wußte, daß sie keine Chance hatten, wenn noch mehr Roboter in den Kampf eingriffen.
Direkt neben ihm riß ein »Zeitloser« die Arme hoch und schleuderte eine Haftmine gegen den
Koloniallaktonen. Fan Kar Kont duckte sich.
Die Mine fegte über ihn hinweg. Sie landete im roten Kreis. Augenblicklich wurde sie kleiner.
Als sie explodierte, wirkte sie nur noch wie ein harmloser Knallfrosch. Sie war zu klein, um Schaden
anzurichten. Eine winzige blaue Rauchwolke schwebte über und neben dem Rand des Kreises.
Fan Kar Kont beobachtete sie, bis ein Roboter sie mit seinem massigen Körper zerstörte. Jetzt kamen
sie von allen Seiten…
*
Corda schnallte den Antigravitationsgürtel um seine Taille. Er schaltete ihn ein. Sofort verlor der
Gürtel sein Gewicht.
»Seid ihr fertig?«
»Alles klar. Verständigung gut!«
John Haick schlug mit der Faust gegen die durchsichtige Spezialplastik seines Raumhelmes.
»Ralf?«
»Wir können anfangen, Sir!«
Rex Corda holte tief Luft. Er war jetzt vollkommen ruhig. Fast ein Jahr lang hatte er gegen Sigam
Agelon und seine Orathonen gekämpft. Völker und Rassen waren vernichtet worden, weil der Agelon zu
aggressiv war und keine Kompromisse schloß. Er kannte nur die Vernichtung. Nichts und niemand konnte
ihn jetzt noch ändern. Verhandlungen hatten sich als nutzlos erwiesen.
Ein Agelon gab niemals auf. Sigam Agelon war eingebildet, arrogant, eitel, kaltherzig und brutal. Er
tötete skrupellos. Er war ein professioneller Söldner mit dem Ehrgeiz, Herr über die Milchstraße zu
werden.
Für den Präsidenten der Erde war Sigam Agelon die Verkörperung des Bösen – ein grünhäutiger Teufel,
der einfach nicht aufhören konnte, Tränen, Leid und Haß zu verbreiten.
Verbrannte Siedlungen, ausgerottete Völker, überschwemmte Planeten und die Verfluchungen der
wenigen Überlebenden markierten den Weg Sigam Agelons. Er war ein Geschwür, eine gefährliche
Pestbeule, die das friedliche Zusammenleben unterschiedlicher Rassen und Völker vergiftete. Sein
Auftauchen bedeutete Krieg, sein Verschwinden Tod.
Er war ein Angehöriger einer technisch hochstehenden Rasse – und doch mordete er, ohne
nachzudenken.
Corda war fest entschlossen, Sigam Agelon unschädlich zu machen. Es war seine Pflicht, da er jetzt die
Möglichkeit hatte.
Doch Rex Corda wußte noch nicht, welch grausige Strafe auf Sigam Agelon wartete. Vielleicht hätte er
sich sogar anders verhalten, wenn er die Pläne der »Zeitlosen« gekannt hätte.
Corda wußte, daß er jetzt eine Schlüsselperson im gigantischen Kriegsdrama des galaktischen
Geschehens war. Bei ihm lag es, die Weichen anders zu stellen. Und er mußte es tun. Sigam Agelon
unschädlich zu machen, das bedeutete Millionen Menschen und unzählige Millionen außerirdischer
Wesen vor diesem grünen Teufel zu retten.
»Rex!« schrie John Haick.
Corda schreckte aus seinen Gedanken auf. Seine Blicke folgten dem hinweisenden Arm John Haicks.
Die Holografen gaben eine Szenerie von grausiger Schönheit wieder.
»Da ist es!« rief Ralf.
Rote glänzende Stränge zogen sich durch die Hirnbahn, verschlangen sich eng mit den Nervensträngen
des lebenden Gehirns.
»Das Becon hat sich verfärbt!« sagte John Haick verwundert.
Sie hatten die Nahtstelle zwischen der Beconhalbschale und dem orathonischen Hirn gefunden. Hier
waren die Beconstränge mit den Nerven Sigam Agelons verbunden. Hier war das Schaltwerk, das Sigam
Agelon zu einem unbezwingbaren Riesen machte!
John Haick hastete zu einem Wandschrank im Diskus. Er zerrte graue Beconstreifen heraus, die sie
von Bord der »Walter Beckett« mitgebracht hatten.
»Mit ihrer Hilfe werden wir jetzt die einzelnen Nerven und Beconstränge quer verbinden«, erklärte
Corda nochmals den Plan. »Ich vermute, daß dann die Nervenimpulse fehlgeleitet werden. Wenn Sigam
Agelon nicht mehr Herr über seinen Körper ist, weil die Nervenimpulse das Hirn nicht verlassen
können, dann wird er vermutlich zusammenbrechen. Das Hirn wird unter dem zu erwartenden Schock
seinen Dienst verweigern.«
»Also wird Sigam Agelon – sterben?« fragte Ralf Griffith zögernd.
Corda schüttelte den Kopf.
»Nein, er wird nur bewußtlos werden. Wir können ihn überhaupt nicht töten!«
»Warum trennen wir nicht einfach die Stränge ab?« fragte John Haick verwirrt.
Corda lächelte.
»Hast du noch immer nicht begriffen? Sigam Agelon kann nicht verletzt werden. Es gibt kein Material,
das diese Nervenstränge durchtrennen könnte!« antwortete er. »Sigam Agelon ist nicht nur äußerlich
unbesiegbar. Es ist ebenso unmöglich, diese Nervenstränge zu zerschneiden, wie es unmöglich ist,
Sigam Agelon mit einer Kugel zu erschießen! Wenn es möglich wäre, ihn innerlich zu verletzen, so
brauchten wir nur eine Bombe explodieren zu lassen, um ihn zu besiegen.«
»Natürlich«, murmelte John. »Ist ja klar. Wenn er als Ganzes unverletzlich ist, dann ist er es auch im
Mikrobereich!«
Corda nickte.
»Los jetzt!« sagte er entschlossen. »Ralf. Sie legen die Verbindungen! Wir wissen nicht, wie das Becon
reagiert, wenn wir die Verbindungen herstellen. Für Sie ist das Risiko am geringsten. John und ich
legen Querverbindungen zwischen den organischen Nervenbahnen! Wir müssen schnell arbeiten, weil
wir mit einer Reaktion der Blutkörperchen rechnen müssen! Los jetzt!«
John Haick glitt in die Schleuse.
»Sie kehren als erster wieder zurück, Ralf«, befahl Corda. »Sie schalten den Traktorstrahl ein, um die
Nervenverbindungen zu festigen.«
»Geht in Ordnung!«
Die beiden Männer verließen den Diskus ebenfalls. Sie tauchten in die wäßrige Flüssigkeit ein. Sie
befanden sich am neuralgischen Punkt des Gehirns. Mit Ausnahme des Riechsystems mündeten alle
Sinnessysteme in den Thalamus ein. Hier wurden Erregungen umgeschaltet und der Hirnrinde zur
Verarbeitung zugeleitet. Sie befanden sich in gewisser Hinsicht in der Koordinationszentrale des
Gehirns, welches durch seine grüne Farbe ein zusätzliches Merkmal der Fremdheit erhielt.
Corda und Haick trugen Scheinwerfer. Nur so war es ihnen möglich, sich im Gewirr einzelner
Nervensektoren zurechtzufinden. Trotzdem kam es ausschließlich auf eigene Schätzungen an.
Es gab keine Schilder und Nummern an den Nervenfäden. Was jetzt getan werden mußte, war nach wie
vor ein Glücksspiel. Es konnte gelingen, aber es mußte nicht…
Sie schleuderten die dünnen Beconfäden quer über die Nervenstränge, die sich sofort zuckend
wehrten. Sie konnten die Beconfäden nicht anschweißen, denn weder das Becon noch das Gehirn des
Agelon konnten dadurch beeinflußt werden. Sie konnten die Stränge nur ineinander verschlingen.
»Es passiert nichts!« rief Ralf. Seine Stimme klang dumpf in den Helmlautsprechern der beiden
anderen Männer auf. »Die Nerven zucken, aber es gibt keine Abwehrreaktion!«
Sie arbeiteten in fieberhafter Eile. Immer wieder sahen sie sich nach den weißen Blutkörperchen um,
die jeden Augenblick eingreifen konnten, die sich sofort gegen Fremdkörper in der grünen Blutbahn
des Orathonen wehren mußten.
Eine zähe glasklare Flüssigkeit bewegte sich über die Beconmasse hin, ein eigenartiges Leuchten wie
von elektrischem Strom zuckte immer wieder über die Stränge.
»Ich bin soweit! Sämtliche Stränge sind verbraucht!« rief Ralf Griffith.
»Kehren Sie in den Diskus zurück, Ralf! Schalten Sie den Traktorstrahl ein und spannen Sie die
Verbindungen! Das wird unsere Beconverbindungen härten.«
Er sah, daß Ralf zum Diskus zurückkehrte.
Corda wandte sich wieder der Arbeit zu. Blitzschnell schlang er die Beconstreifen um die zuckenden
Nerven.
Aus dem Dunkel tauchten die ersten weißen Blutkörperchen auf.
John Haick kehrte gerade in diesem Augenblick zum Diskus zurück. Corda zog seinen Strahler. Er stieß
sich von dem Nervenstrang, an dem er gearbeitet hatte, ab und glitt durch die Flüssigkeit zum Diskus
hinüber, als die Blutkörperchen gierig über ihn herfielen.
Das Gehirn wehrte sich!
Der Diskus ruckte an. Griffith glaubte, daß Corda bereits an Bord war. Er wußte nicht, daß er sich
irrte.
Das mußte das Ende sein.
Von allen Seiten hüllten quallige Blutkörperchen den verkleinerten Menschen ein. Corda wehrte sich
gegen die Abwehrreaktion des Hirns.
Ein schweigender Kampf begann. Es sah so harmlos aus und war doch ein Kampf auf Leben und Tod.
*
Sigam Agelon triumphierte.
Er hatte die »Zeitlosen« besiegt. Die Vakuole gehörte ihm. Stolz richtete er sich auf. Er warf seinen
roten Umhang zurück. Seine Rangabzeichen glitzerten im Licht von vielen hundert Leuchtleisten.
»An alle!« sagte der Orathone mit kaum verborgener Genugtuung. »Wir haben auch diese Schlacht
gewonnen!«
Die Blicke der Offiziere in den übrigen Hantelraumern hingen gebannt an den Holografenschirmen.
Sie saugten die Worte des Unbesiegbaren in sich auf.
»Wir werden…«
Der Kopf Sigam Agelons ruckte zur Seite. Sein linker Arm fuhr nach vorn. Er lallte.
»Wir werden…«
Er kam nicht weiter. Sein Körper schüttelte sich. Unkontrollierte Bewegungen ließen ihn taumeln. Er
zog plötzlich Grimassen.
»Siegen!« brüllte Sigam Agelon, während sein Körper erbebte. Er zitterte.
»Siegen – wir – siegen, siegen…«
Ein Gurgeln kam aus seiner Kehle. Er warf die Arme in die Luft. Fassungslos sahen die orathonischen
Offiziere, wie der Unbesiegbare zusammenbrach.
Als hätten die »Zeitlosen« auf diesen Augenblick gewartet, schlugen sie noch einmal mit aller Macht
zu.
Verwirrung machte sich unter den Orathonen breit. Sie wußten nicht mehr, was sie denken sollten.
Sigam Agelon – der Unbesiegbare – war zusammengebrochen, die »Zeitlosen« in einem neuen Angriff –
das Kriegsglück hatte die Orathonen verlassen!
»Er ist nicht unbesiegbar!« brüllte der Kommandant der »Agon«. Es war ein Aufschrei der
Verzweiflung. Sie hatten an Sigam Agelon geglaubt, an seine Stärke und seine unbesiegbare Macht!
Die nur scheinbar feste Loyalität brach zusammen. Ohne Anführer waren die Orathonen ebenso hilflos
wie die »Zeitlosen« zuvor.
Die Kampfmoral der Grünhäutigen brach schlagartig zusammen.
»Weg hier!« zeterte Kona Mokon. Als einziger behielt er noch einen gewissen Überblick. Die Orathonen
ergriffen die Flucht. Sie beschleunigten mit Höchstwerten. Kona Mokon war entschlossen, in den
Hyperraum einzutauchen…
*
Die »Zeitlosen« holten Sigam Agelon aus der »Lynthos II«. Sie schleppten den Bewußtlosen in eines
der grünen Pyramidenraumschiffe und starteten damit vom Eisplaneten.
Sie brachten Sigam Agelon zu ihrer Heimatwelt. Sie sahen in ihm eine Art wertvoller Beute.
Noch ehe die »Lynthos II« unter dem Kommando eines orathonischen Offiziers starten konnte, ließen
die »Zeitlosen« die Antriebsaggregate des Hantelraumers explodieren.
Feurige Protuberanzen schossen gleichzeitig aus der kleinen Sonne, zu der der Eisplanet gehörte. Ein
gigantischer Stoß erschütterte die Raumvakuole der »Zeitlosen«. Die äußeren Sonnen verwandelten
sich in aufglühende Novae.
Die »Zeitlosen« kümmerten sich nicht darum. Sie glaubten, die Schlacht gewonnen zu haben, und
dachten nicht an die geflohenen Hantelraumer.
Bekoval versuchte von der »Walter Beckett« aus die »Zeitlosen« zu warnen. Es war sinnlos. Die
Vakuole brach zusammen, und die Erbauer merkten es nicht, wollten es einfach nicht glauben.
*
Ralf schoß mit dem Bordstrahler auf die Nervenstränge!
Bei jedem Impuls zuckte das dichte Nervenbündel auf. Griffith feuerte mit konzentrierter Energie.
Er konnte sie nicht zerstören – nur mit fremden Impulsen überfüttern.
»Fertig!« sagte er befriedigt. »Wo – wo ist…«
John Haick wurde blaß.
»Rex!«
Keine Antwort!
»Zurück, Ralf! Er ist noch draußen!«
Der Diskus schoß herum. Er jagte zurück. Dann sahen sie den großen Ballen aus weißen Blutkörperchen.
Fast gleichzeitig konnte sich Corda befreien. Er arbeitete wild mit Armen und Beinen.
Mit kräftigen Bewegungen kam er dem Diskus entgegen. Er erreichte die Luke und zog sich hoch. Zwei
Sekunden später hatte er es geschafft.
»Jetzt aber ‘raus hier!« keuchte er. »In diesem Gehirn dürfte in der nächsten Zeit allerhand
durcheinandergehen!«
Der Diskus kippte ab. Er schoß an plötzlich überall aufgetauchten weißen Blutkörperchen vorbei.
Sie brauchten nicht lange zu suchen. Der Rückweg war schneller zu finden. Mit hoher Geschwindigkeit
verließen die drei Männer im Diskus den Körper des Agelon.
Griffith mußte hart reagieren und den Diskus hochziehen. Fast wäre er am Boden zerschellt…
»Die ›Zeitlosen‹ haben ausnahmsweise einmal schnell geschaltet«, lächelte Corda. »Das ›Hirn‹ wird sie
informiert haben.«
»Welches ›Hirn‹?« fragte John Haick.
»Das ›Superhirn‹ natürlich. Es weiß doch, wo wir sind.«
Sie blickten auf die Holografen und erkannten, daß sie sich in den unterirdischen Hallen in der Nähe
des »Superhirns« befanden. Im Gehirn von Sigam Agelon, der von den »Zeitlosen«
hierhertransportiert worden war, waren sie dorthingelangt.
Sie fanden den roten Kreis.
Ein Impuls informierte das »Superhirn«. Schlagartig begannen sie zu wachsen. Die Umgebung schien
sich zu verkleinern.
Erst als sie ihre normale Größe zurückgewonnen hatten, wußten sie, daß ihr tollkühnes Unternehmen
beendet war.
»Was ist das denn?« fragte Corda und deutete auf einen Holografen. Kämpfende Roboter bedrängten
Fan Kar Kont und seine Männer.
»Schnell – die brauchen uns!«
Sie kamen im allerletzten Augenblick.
Fan Kar Kont hätte die Maschine keine fünf Minuten mehr verteidigen können.
Der Diskus räumte auf. Gründlich und ohne Rücksicht. Ein Roboter nach dem anderen fiel. Corda nahm
seine Leute auf. Sie mußten sich in der engen Kabine zusammendrängen.
»Wir haben fast nicht mehr an Ihre Rückkehr geglaubt«, sagte Fan Kar Kont erschöpft. »Die Vakuole
bricht zusammen. Die Orathonen haben die Flucht ergriffen – durch den Hyperraum…«
»Diese Verbrecher!« knurrte John Haick.
»John, Bekoval soll eine Warnung an alle Völker der Vakuole abgeben! Höchste Alarmstufe.«
»Was wird mit dem ›Superhirn‹?«
»Das nehmen wir mit. Die ›Walter Beckett‹ soll landen, um uns und das ›Hirn‹ aufzunehmen!«
»Und den Agelon!« ergänzte Fan Kar Kont.
*
Es gab keine Möglichkeit, allen Völkern der Vakuole zu helfen. Die »Walter Beckett« raste mit den
übriggebliebenen Raumschiffen der »Zeitlosen« zum Ausgang der Vakuole. Von allen Seiten schlossen
sich Raumschiffe an. Auch Tyraner waren dabei. Der Aufstand war vergessen. Jetzt ging es um das
nackte Leben.
»Er hat es also doch noch geschafft, die Vakuole zu zerstören«, sagte Rex Corda zornig. Er stand mit
John Haick und Fan Kar Kont in der Zentrale des TerraFlaggschiffes.
Magnetische Kraftlinien erschütterten die »Walter Beckett«. Es war ein grausames Schauspiel. Ganze
Völker verloren ihre Heimat.
Ständig flammten Sonnen mit gleißenden Lichtblitzen auf. Planeten stürzten ineinander und
explodierten. Das komplizierte Gebilde im Raum verlor seinen Halt. Der Zusammenbruch war endgültig.
*
Das Weltall um die »Walter Beckett« und um die Schiffe der »Zeitlosen« schien zu wallen und zu
brodeln. Sonnen wurden zu Novae und Supernovae, Planeten glühten wie unter einem inneren
Atomfeuer, zerplatzten wie Seifenblasen.
Die »Walter Beckett« wurde herumgeschleudert.
Die Antigravitationsautomaten glichen mit einem donnernden Aufbrüllen die Mehrbelastungen aus.
Rex Corda warf einen Blick zur Seite.
Er sah, wie über das Gesicht Percips der Schweiß in Strömen lief.
»Wir schaffen es nicht, Sir«, preßte Percip hervor.
»Verbindung zu den ›Zeitlosen‹«, verlangte Corda.
Die Funk und Orterabteilung meldete sich.
John Haick stellte die Verbindung zu den »Zeitlosen« her.
Der Nebenholograf flammte auf.
Die Gestalt eines »Zeitlosen« erschien. In dem willensstarken, energischen Gesicht des »Zeitlosen«
bewegte sich kein Muskel.
Corda verlangte mit fester Stimme, ebenfalls in den Hyperraum gehen zu dürfen.
Der »Zeitlose« schüttelte den Kopf.
»Wir können Ihnen dazu nicht die Erlaubnis geben, Sir.«
Corda biß sich auf die Lippen.
Er hatte es bisher niemals gewagt, innerhalb der Raumvakuole in den Hypersprung zu gehen.
Doch nun war es sinnlos, weiter Rücksicht auf dieses Kleinstuniversum zu nehmen. Die Heimat der »
Zeitlosen« war dem Untergang geweiht, daran war nichts mehr zu ändern.
Man durfte keine Zeit mehr verlieren.
»Es ist sinnlos«, preßte Corda zwischen den Zähnen hervor. »Ihr könnt die Vakuole nicht mehr retten!
Unser aller Leben setzt ihr auf das Spiel, wenn…«
Und dann geschah es.
Das All um die »Walter Beckett« loderte plötzlich in einem wilden, alles verzehrenden Licht. Mit
Entsetzen in den Augen erkannte Corda, daß eine ganze Reihe der »Zeitlosen«Schiffe wie
Streichhölzer knickten. Die stumpfen Pyramidenschiffe zerbröckelten unter den ungeheueren
Spannungen.
Das Bildnis des »Zeitlosen« verschwand von dem Nebenschirm.
Die »Walter Beckett« wurde wie von der Faust eines Titanen herumgewirbelt.
Die Holografenschirme glühten.
Die kleine Orathonenflotte, die der »Walter Beckett« weit vorausstürmte, stieß abermals in den
Hyperraum vor. Der Plan Kona Mokons war ganz offensichtlich. Er hatte die größte Chance, durch das »
Loch« in das EinsteinUniversum zurückzukehren. Alle Nachfolgenden waren in der
zusammenbrechenden Raumvakuole verloren…
Die »Walter Beckett« kippte zur Seite.
Bekovals Finger hasteten über die Kontrollen auf dem Instrumententisch.
Rex Corda brüllte Befehle.
Auf dem Hauptholografen über dem ausladenden Steuerpult bot sich ein erschreckendes Bild.
Die Sonnen in der Tiefe der wabernden, sich langsam auflösenden Raumvakuole wurden zu einem
orkangepeitschten Feuermeer.
Die Schiffe der Flüchtlinge, die sich jetzt noch in der Tiefe der Vakuole befanden, waren verloren. Da
erschien die Gestalt auf der Kommandobrücke der »Walter Beckett«. Rex Corda stand einem »
Zeitlosen« gegenüber. Über das Gesicht der hochgewachsenen Gestalt lief der Schweiß.
»Gehen Sie in den Hyperraum, Sir, wir…«
Corda hörte nicht weiter zu.
Seine Befehle kamen klar und scharf.
Er erkannte noch, daß die Flotte der »Zeitlosen« beschleunigte. Die Pyramidenschiffe wurden zu
langgezogenen, verwaschenen Schemen.
Die »Zeitlosen« beschleunigten über die Lichtgeschwindigkeit hinaus, sie waren auf die Hyperraum
SprungTechnik nicht angewiesen.
Da tauchte die »Walter Beckett« in den Hyperraum.
Corda fühlte das leichte Schwindelgefühl und das Prickeln, das über seine Haut lief.
Mit ungeheurer Beschleunigung schoß das Schiff nach vorn.
Die Kraftstationen dröhnten. Ein Zittern lief durch die mit Becon gepanzerten Wände.
Rex Corda hielt den Atem an.
Würden sie es schaffen?
*
Die »Walter Beckett« geriet in den Mahlstrom des »Loches« und wurde von gewaltigen Kräften aus
der Raumvakuole herausgepeitscht.
Dann tauchten auch schon die ersten Schiffe der »Zeitlosen« auf. Die grünlichen Schutzschirme um
die stumpfen Pyramiden glühten in einem intensiven Licht.
Die Flotte erschien fast vollzählig.
Drei, vier Diskusraumer vom Typ AVautT erschienen im Pentagramm, stürmten in das Einstein
Universum, die tobende, chaotische Raumvakuole hinter sich lassend.
Holografenverbindungen zeigten an, daß sich in den Diskusraumern, denen die Flucht geglückt war,
Warrows befanden.
Rex Corda schloß für einen Augenblick die Augen.
Es erfüllte ihn mit Genugtuung, daß einer Anzahl dieser sympathischen Kugelwesen die Flucht aus der
Vakuole geglückt war.
Die Diskusraumer kreisten einmal über dem Riesenleib der »Walter Beckett«, die ständig weiter
verzögerte, um auf die sich neu formierende Flotte der »Zeitlosen« zu warten. Es schien, als wollten
sich die Warrows mit dieser stummen Geste bei dem Mann bedanken, der ihnen die Diskusraumer zur
Verfügung gestellt hatte: Rex Corda.
Die AVautTDiskusraumer glitten in die Tiefe des Universums. Die Warrows hatten eine Chance, ihre
Art zu erhalten.
Corda wartete noch auf etwas ganz Bestimmtes.
Es trat nicht ein.
Keines der Orathonenschiffe wurde von dem wirbelnden »Loch« des Pentagramms ausgestoßen. Doch –
jetzt tauchte ein Wrack auf, das sich schlingernd und torkelnd von dem »Loch« zwischen den fünf
erloschenen Sonnen fortbewegte.
Nichts mehr kam nach.
Niemandem sonst war die Flucht geglückt. Die Völker innerhalb der Vakuole hatten jetzt keine Chance
mehr. Ihr Lebensraum starb. Sie gingen mit zugrunde.
Rex Corda schluckte.
Da fühlte er plötzlich den Orkan in seinem Bewußtsein…
Rex Corda empfing die Gedanken von Fred Matson.
Fred Matson kreiste als ein fünfzig Zentimeter langer grauweißer »Stein« um die Öffnung des
Pentagramms. Er war dort mit der »Nadel«, dem Gebilde, das von der Parallelmutantin Virginia Matson
übriggeblieben war, zurückgeblieben, weil sein besonderer, energieumwandelnder Körper den
Bedingungen des Pentagramms nicht entsprach. Matson hatte die Öffnung zwischen den fünf
erloschenen Sonnen nicht durchstoßen können.
Sein Körper und die besonderen Bedingungen des Pentagramms standen in scharfem Widerspruch
zueinander.
»Die Vakuole bricht zusammen, Sir.«
Nie zuvor hatte Corda eine so intensive telepathische Verbindung zu Matson gehabt.
Er fühlte die Gedanken, die sein Bewußtsein zu sprengen drohten, und er wurde Zeuge der
verzweifelten Überlegungen, die der »Stein« und die »Nadel« anstellten.
»Die ungeheuren Energiebeben erreichen in wenigen Augenblicken den Rand der Vakuole. Der gesamte
Kugelsternhaufen M 22 wird zusammenbrechen, Sir!«
Es war ein Aufschrei in Rex Corda, der ihm den Schweiß aus allen Poren trieb.
Rex Cordas Hände bebten, als er sich jetzt auf das Steuerpult stützte und auf den Hauptholografen
starrte.
Er blickte in das wirbelnde, wild lodernde »Loch«, das während der letzten Minuten zu einem riesigen
glühenden Auge geworden war.
Um dieses Loch kreisten die beiden veränderten Körper, die einst Terraner gewesen waren.
Rex Corda begriff, was Fred Matsons Gedanken bedeuteten. Eine Katastrophe zeichnete sich für die
gesamte Galaxis ab. Die Folgen waren nicht abzusehen.
War das Ende des Universums gekommen?
Das »Loch« zwischen den fünf Dunkelsternen schien sich plötzlich aufzublähen. Der Raum um die »
Walter Beckett« schimmerte in einem bedrohlichen intensiven Grün. Der Kosmos schien zu einem
leuchtenden Smaragd zu werden.
Schiffe der »Zeitlosen« verließen in größter Eile die Nähe des brodelnden Pentagramms. Eine
Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes bahnte sich an.
Rex Cordas Gesicht war bleich und wächsern. Alles Leben schien aus seinem Körper zu weichen.
»Ich werde alles versuchen, Sir«, war da plötzlich die Stimme Fred Matsons in ihm, und für eine
Sekunde hatte Corda das Gefühl, mit den umgeformten Sinnen Fred Matsons in die wabernde,
brüllende Raumvakuole zu sehen, die zur Hölle wurde.
»Ich weiß nicht, was mich erwarten wird, Sir«, erklang abermals die Stimme des Mutanten in Cordas
Bewußtsein auf, sie war so klar, so fest, daß er das Gefühl hatte, Matson müsse neben ihm stehen.
Corda erkannte, daß diese merkwürdige telepathische Verbindung zwischen ihm und Matson nur möglich
war, weil die »Nadel« die Impulse verstärkte.
Cordas Lippen wurden zu einem Strich.
Er begriff, was Matson vorhatte. Der Mutant wollte sich opfern. Er wollte seinen umgeformten Körper
in das Energiechaos stürzen.
»Ich will versuchen, einen Energieausgleich herzustellen. Es ist eine Möglichkeit – es ist die einzige
Möglichkeit…«
Die Einflüsse in Cordas Bewußtsein ließen plötzlich nach. Er schluckte. Es dröhnte in seinem Kopf, als
würde ein überdimensionaler Gong darin nachhallen.
Ein letztes Mal traf ihn ein klarer, verständlicher Gedankenimpuls.
»Verlassen Sie die Nähe des Pentagramms, Sir! Verlassen Sie diesen Sektor, bevor es… zu spät ist!«
Die Stimme erstarb. Wie im Traum gab Corda die entsprechenden Befehle.
Eine tiefe Müdigkeit breitete sich plötzlich in Cordas Körper aus. Es wurde ihm nicht bewußt, daß die
Flotte der »Zeitlosen« in panikartiger Hast die Nähe des »Fatty«Systems aufsuchten.
Und dann brach das Chaos vor der »Walter Beckett« aus!
*
Ein Titanenblitz schien das All vor ihnen zu spalten.
Ein Energieorkan packte die »Walter Beckett«. Doch Bekoval, der Kommandant des terranischen
Flaggschiffs, reagierte blitzschnell.
Die »Walter Beckett« hatte die notwendige Beschleunigung, um in den Hyperraum zu gleiten. Mit einem
Hypersprung setzte Bekoval das terranische Flaggschiff bis unmittelbar vor das »Fatty«System.
Die Männer in der Kommandozentrale hielten den Atem an.
Eine bedrückende Ruhe breitete sich plötzlich aus, und es schien, als würden selbst die mächtigen
Antriebsaggregate verhaltener summen.
Das kreisrunde, wirbelnde »Loch« zwischen den fünf Dunkelriesen zeigte sich jetzt als leuchtende
Öffnung im All. Es wurde zu einem langgestreckten Licht, und Millionen haarfeiner Risse liefen wie
Geisterfinger über den glühenden smaragdfarbenen Hintergrund des Alls.
Cordas Sinne fieberten.
Ein faszinierendes, schrecklichschönes Schauspiel rollte vor seinen Augen ab.
Das Ende des Pentagramms war gekommen.
Zwei der Dunkelsterne lösten sich plötzlich aus ihrer künstlichen Energieverankerung und wurden von
Titanenkräften in den »Raumriß« hineingezogen, zwei weitere schienen von einem Gegenpol erfaßt zu
werden. Sie wurden mit urwelthafter Gewalt gepackt und weit über das System hinausgeschleudert.
Sie trieben auf den Rand der Galaxis zu.
Erschütterungswellen liefen über den terranischen Hantelraumer hinweg. Doch sie waren
verhältnismäßig harmlos.
War es die Ruhe vor dem Sturm?
Oder hatten Fred Matson, der Energieumwandler, und Virginia Matson, die »Nadel«, schon
eingegriffen?
Der fünfte Dunkelstern näherte sich wie von unsichtbaren Fäden gezogen langsam der sich
schließenden Raumöffnung. Er verharrte vor dem »Riß«. Die dunkle, schon vor Jahrmillionen erloschene
Fixsternwelt begann plötzlich aufzuglühen. Sie loderte in einem wilden Feuer und wurde allmählich zu
einer Sonne.
Die Orterstation der »Walter Beckett« erfaßte die beiden Mutanten, die sich jetzt dem sich
schließenden Riß näherten, an der aufglühenden Sonne vorbeirasten und in dem »Raumriß«
verschwanden.
Fred Matson und die »Nadel« stießen in die chaotische Raumvakuole hinein.
Sie gingen den Weg zurück, den Rex Corda gekommen war.
Im gleichen Augenblick nahm der Umfang der neu entstandenen Sonne rapide ab. Wohin flossen die
großen Energiemengen, die dem Fixstern entzogen wurden?
Corda hatte eine Vermutung, er ahnte, was sich in diesen entscheidenden Sekunden abspielte.
Da waren auch die Impulse wieder in ihm.
Schwach und fern tönte eine leise Stimme in ihm auf.
»Leben Sie wohl, Sir. Ich schaffe es, der Energieausgleich ist vorhanden. Die Galaxis wird nicht
zusammenbrechen!«
Und dann ein letzter Impuls. Es war der Abschied des »Steines« und der »Nadel«.
Weder Furcht noch Verzweiflung noch Unruhe stiegen in Corda auf.
Ein ungeheures Glücksgefühl strömte aus der Tiefe der Galaxis in Cordas empathisches Bewußtsein.
»Das Leben, Sir – das ist das Leben…«
Die neuerstandene Sonne wurde zu einem winzigen Punkt. Ihre Energiemengen verloren sich rapide in
einer unbekannten Ferne.
Da schloß sich der »Raumriß«.
Der »Stein« und die »Nadel« hatten – ihre Welt gefunden.
*
Er hatte die Hoffnung schon immer gehabt. Doch als es dann soweit war, konnte er das Geschehen
nicht erfassen.
Durch die Plattform, die seit 10 Jahrtausenden seine Welt war, lief ein Beben. Die zahlreichen
Bildschirme flackerten, wurden stumpf. Der klobige Stuhl, auf dem er seit zehntausend Jahren saß,
rutschte plötzlich nach vorn.
Unter den weinroten Federn seiner Flügel zuckten die zierlichen Hände, die seit 10 Jahrtausenden
bewegungslos gewesen waren.
Der Energieschirm über ihm brach zusammen.
Er fühlte die Freiheit, und er konnte in den ersten Sekunden danach nichts mit ihr anfangen.
Zu sehr hatte sich sein Körper an die Bewegungslosigkeit gewöhnt. Er konnte erst nicht begreifen, was
es bedeutete, sich wieder regen zu können.
Ein Donnern und Brechen erfüllte seine kleine künstliche Welt, sein Gefängnis, in dem er zur »Endlosen
Strafe« verdammt worden war.
Blitze zuckten lautlos über die stumpfen Holografen, auf denen er jahrtausendelang das galaktische
Geschehen hatte verfolgen können. Sein Name war Dracko. Das Genie der Galaxis hatte auf den
Holografenschirmen einen anderen Mann namens Dracko gesehen. Jenen Dracko, der Gegenspieler des
»Hirns« der »Zeitlosen« gewesen war. Von da an nannte sich Dracko selbst in Gedanken nur noch mit
seinem zweiten Namen: Dragamur.
Die Station legte sich plötzlich zur Seite.
Dragamur sprang auf. Seine kräftigen Flügel spannten sich, und in seine grasgrünen Augen trat ein
unwirkliches Licht.
Er konnte wieder stehen!
Seine kleinen Hände schossen unter den Flügeln hervor und griffen zitternd nach einer
Metallplaststrebe.
Er drohte zu Boden zu stürzen, als die Station mit ungeheuren Werten beschleunigte.
Die Plattform wurde aus ihrer Umlaufbahn gerissen!
Donnernd sprangen die automatischen Aggregate an, die den elektronischen Befehl erfüllten, in einer
Notsituation die Station wieder abzufangen.
Doch hier versagten die elektronischen Programme.
Ein ungeheures Chaos mußte außerhalb der Station herrschen, daß die Supertechnik nicht einwandfrei
funktionierte.
Da flammten die Bildschirme wieder auf. Die Holografen schienen das Universum in die kleine Station
hineinzuziehen.
Dragamur erkannte seine Lage mit einem Blick.
Seine Gefängnisstation wurde aus der Kreisbahn der Sonne herausgedrückt und näherte sich mit
wahnwitziger Geschwindigkeit einem Riesenplaneten, um den 26 Monde kreisten…
*
Seinen Geist hatte Dragamur zehntausend Jahre lang in höchster Aufmerksamkeit halten können,
während sein starrer Körper auf dem klobigen Stuhl unter dem Energiefeld gefangen war.
Dragamur hatte nicht nur eines der größten Rätsel des Daseins überhaupt gelöst, er hatte auch
begriffen, auf welche Weise die kleine Welt funktionierte, die ihn am Leben erhielt.
Über das Atmungssystem war der regungslose Körper mit allem, was er benötigte, versorgt worden.
Der wache Geist hatte während dieser Zeit den Körper überflügelt.
Jetzt zeigte sich, daß er die Anlage, die zehntausend Jahre lang sein Gefängnis gewesen war, nach dem
Umpolen der automatischen Steuerelemente selbsttätig steuern, beschleunigen und bremsen konnte.
Dragamur hatte immer voller Verzweiflung gehofft, einmal eine Chance zu erhalten, die ewigen Fesseln
zu sprengen. Ein Zufall hatte ihm dazu verholfen. Und er nutzte die Gelegenheit, die sich ihm bot. Was
in seinem Geist reifte, kam nun zur Ausführung. Jeder Handgriff saß. Er hatte alles tausendmal vor
seinem inneren Auge abrollen lassen.
Der Riesenplanet unter ihm interessierte Dragamur nicht.
Die zehn Meter große Plattform bewegte sich unter den geschickten Händen Dragamurs auf einen der
sechsundzwanzig Monde zu, die um den Planetenriesen »Fatty« kreisten.
Einer dieser Monde war Simlar, eine Sauerstoffwelt, auf der die Rasse der Simlars wohnte, die mit
den Riesenspinnen in einer seltsamen Symbiose lebten.
Diese Spinnen brauchte Dragamur für seinen Plan.
Zehntausend Jahre lang hatte er Zeit gehabt, um sich über alles klarzuwerden. Zehntausend Jahre
lang waren ihm über die zahlreichen ihn umgebenden Holografen die wichtigsten Botschaften aus den
Tiefen der Galaxis zugetragen worden. Er war Zeuge aller Dinge geworden, ohne selbst an diesem
Leben teilzuhaben.
Die »Endlose Strafe« war grausam, schlimmer als der Tod, leben zu dürfen und doch nicht leben zu
können, nur als beobachtendes, denkendes, hilfloses Bewußtsein zu existieren.
Dankbarkeit stieg im Herzen Dragamurs auf, Dankbarkeit dem Mann gegenüber, der einer kleinen,
unbedeutenden galaktischen Rasse angehörte und der es gewagt hatte, seinen Platz unter den großen
Völkern der Galaxis zu behaupten: Rex Corda.
Die Terraner imponierten ihm, ihr Selbstbewußtsein und Vorwärtsdrängen konnte zum Beispiel für
manche Rasse werden, die jetzt noch unterdrückt und versklavt war. Die Respektlosigkeit der
Terraner war bewunderungswürdig. Sie hatten keine Furcht vor den Großen der Galaxis.
Ein kaum merkliches Lächeln lag auf dem Gesicht Dragamurs, und sein scharf gekrümmter grauer
Schnabel öffnete sich mehrmals lautlos.
Er wußte, daß er einem dieser Terraner seine Freiheit zu verdanken hatte.
Er war auf Rex Corda aufmerksam geworden, als die »Walter Beckett« in das »Fatty«System
eingedrungen war, um Eingang durch das »Loch« im Pentagramm zu finden.
Zehntausend Jahre lang waren ihm, dem unschuldig Verurteilten, alle Ereignisse in das kleine Gefängnis
getragen worden, nur wenige dieser weit zurückliegenden Ereignisse hatten die Entwicklung in der
Galaxis so entscheidend beeinflußt wie die Dinge, die in den letzten Monaten geschehen waren.
Dragamur wußte, daß Rex Corda von der Erde aufgebrochen war, um den Kampf gegen Sigam Agelon
fortzusetzen.
Dragamur wußte auch, was er von den »Zeitlosen« zu halten hatte. Er kannte den galaxisweiten Irrtum.
Er wußte, daß die »Zeitlosen« gar nicht mehr die Macht besaßen, die man ihnen zuschrieb.
In Dragamurs Augen leuchtete es seltsam auf, als er an die »Zeitlosen« dachte.
Sie hatten die Aufgabe, die Großen Gesetze zu bewachen und darauf zu achten, daß sie von den
galaktischen Völkern nicht übertreten wurden. Doch die »Zeitlosen« waren ihrer Rolle als die Wächter
niemals ganz gerecht geworden. Sie hatten sich nicht nur auf die Gesetzesübertreter konzentriert,
sondern sie hatten ihren Vorteil gesucht, um ihre eigene Macht auszudehnen. Auch unschuldige Opfer
waren zur »Endlosen Strafe« verurteilt worden, weil es den »Zeitlosen« so in das Konzept paßte.
Auch er, Dragamur, war eines dieser unschuldigen Opfer!
Er hatte sich mit dem Problem der Unsterblichkeit befaßt – und die »Zeitlosen« hatten es erfahren.
Sie wollten Unsterblichkeit besitzen. Doch er hatte sie ihnen nicht geben können, weil seine
Forschungen noch nicht weit genug vorangetrieben waren. Die »Zeitlosen« hatten ihm nicht geglaubt.
Sie hatten ihn verurteilt. Die Stunde der Rache war nahe!
*
Die Sauerstoffwelt Simlar, die eigentlich ein Mond des Riesen »Fatty« war, hatte die Größe eines
Planeten.
Simlar wuchs unter der kleinen, einwandfrei arbeitenden Gefängnisstation an. Der kleine, nur zehn
Meter durchmessende Körper drang in die Lufthülle ein.
Dragamur wandte seine Aufmerksamkeit der Landung zu.
Die Plattform setzte unter seiner sicheren Führung ruckfrei auf.
Die Talsenke, in der er gelandet war, bot ihm durch dichte Waldgebiete ausreichend Schutz.
Er zuckte plötzlich zusammen, als er aus einer unwirklichen Tiefe der Galaxis die Bilder auf dem
Holografen empfing.
Er erkannte die »Walter Beckett« und die Schiffe der »Zeitlosen«, die sich von dem wirbelnden
glühenden »Loch« im Mittelpunkt des »Pentagramms der Dunkelsterne« langsam entfernten.
*
Nach dem Chaos breitete sich Ruhe um die »Walter Beckett« und um die Schiffe der »Zeitlosen« aus.
Der Raum hatte sich beruhigt.
Der smaragdfarbene Lichtschein war erloschen, dunkel und samten war der Hintergrund des Einstein
Universums.
Kaum merkliche Erschütterungswellen liefen noch durch den Kosmos. Sie hatten keine Bedeutung, sie
waren schwach und kraftlos.
Corda schluckte. Ein Gefühl unendlichen Dankes stieg in seinem Herzen auf.
Er wußte, wem die Existenz der Galaxis zu verdanken war. Fred Matson, der »Stein«, und die »Nadel«
hatten das Unfaßbare vollbracht.
Ein langer, tiefer Seufzer erklang neben Corda. Er wandte den Blick und sah GaVenga, den
zwergenhaften Dolmetscher, der unbemerkt näher gekommen war und sich in einen der Andrucksessel
kauerte.
Der flammend rote Brustkeil auf GaVengas schwarzer Kombination war ein lebhafter Farbtupfen in
der nüchternen Kommandozentrale.
Die Spannung schien wie eine zweite Haut von dem kleinen Burschen mit den blauen Haaren abzufallen.
»Es ist vorbei«, sagte er munter, und seine Augen strahlten. »Wir sollten ihm ein Lied singen, Sir«,
fügte er fröhlich hinzu.
Rex Corda lächelte.
»Das mag vielleicht auf der Welt der Kynother so üblich sein, GaVenga«, entgegnete er leise, und ein
beinahe liebevoller Blick traf den Kleinen, der seit den ersten Tagen der Invasion auf Terra zu seinem
treuen Begleiter geworden war. »Aber vielleicht ist auch noch gar kein Grund vorhanden, sich zu früh
zu freuen.«
GaVenga zuckte die Achseln.
Rex Corda wußte, daß der Kleine immer dann seinen melancholischen Gesang anstimmte, wenn es
kritisch wurde. Daß GaVenga auch im Zustand der Freude zu singen vermochte, das war Corda neu.
*
Die kleinen zierlichen Hände stießen unter den weinroten Flügeln hervor.
Dragamur arbeitete in verzweifelter Hast am Umbau seiner Gefängnisstation.
Ständig warf er dabei einen Blick auf die Holografen, mit denen er die Umgebung kontrollierte. Er
fürchtete die Nähe der Simlars. Er wußte, daß die Bewohner dieses Sauerstoffmondes im Dienste der
»Zeitlosen« standen.
Die Simlars hatten zudem noch eine besondere Aufgabe: Sie sollten nicht nur melden, wenn sich
innerhalb des »Fatty«Systems etwas Ungewöhnliches ereignete, sie hatten auch die Gefangenen zu
überwachen.
Dragamur hoffte und wünschte, daß das Fehlen seiner Gefängnisstation noch nicht bemerkt worden
war. Ein frühzeitiges Auftauchen der Simlars oder der »Zeitlosen« konnte sein ganzes Vorhaben in
Frage stellen.
Seine schimmernden Federn waren leicht aufgebläht, als schwitze er unter der körperlichen Arbeit. Er
polte in aller Eile mehrere positive Energiefelder um. Die Supertechnik, die er im Laufe von
zehntausend Jahren erlernt hatte, würde ihm hervorragende Dienste bei der Ausübung seines Planes
leisten.
Dragamur bewegte sich jetzt außerhalb der Station.
Seine menschenähnlichen Füße mit den überlangen Zehen berührten den warmen moosigen Boden.
Dragamur ging auf einen Teil seiner Plattform zu, die er niemals in seinem Leben zuvor betreten hatte.
Er öffnete die Abdeckplatten des elektronischen Gehirns. Er schaffte neue Kabelanschlüsse,
kombinierte sie mit den Zentren der überschüssigen Negativenenergie.
Seine Arbeit nahm ihn voll in Anspruch. Er brauchte keinen Handgriff zweimal zu machen. Sein Gehirn
arbeitete in diesen entscheidenden Minuten mit der Präzision eines Computers.
Würde es gelingen?
Seine großen grasgrünen Augen über dem scharf gekrümmten Schnabel schlossen sich für zwei
Sekunden.
Er hatte die Vorarbeit abgeschlossen.
Nun würde sich zeigen, ob die Verstärker in der Lage waren, die suggestiven Anlagen seines Gehirns zu
der Waffe zu machen, die er benötigte.
Bevor er in die Station zurückging, warf er einen aufmerksamen Blick hinüber zu der rauschenden,
raschelnden Wildnis. Riesige blattreiche Pflanzen von blaugrüner Färbung bildeten eine dichte
urwaldähnliche Zone.
Die Riesenspinnen liebten die Nähe solcher Gebiete.
Er, Dragamur, hatte während der Zeit seiner Gefangenschaft genügend Gelegenheit gehabt, sich über
die Eigenarten, über die Mentalität und die Kulturen unzähliger Welten zu orientieren.
Er wußte von der Symbiose der Simlars mit den roten Riesenspinnen. Die Simlars konnten sich und
Gegenstände ohne Zeitverlust an jeden beliebigen Ort versetzen, wenn sie die parapsychische Kraft
der Riesenspinnen nutzten.
Auch Dragamur wollte sich diese Kraft zunutze machen.
Er hoffte, daß mit dem Steuergerät, das er aus den Teilen seiner Gefängnisstation zusammengebaut
hatte, dieser Effekt möglich war.
Er nahm Platz auf dem klobigen Stuhl, auf dem er zehntausend Jahre lang unbeweglich gesessen hatte.
Die Elektronensteuerung hatte er mit einfachsten Mitteln für seine Zwecke justiert.
Es gab keine Schaltungen, keine Knöpfe und Tasten in seiner Station.
Er hatte sie sich mühsam aus dem Isolationsmaterial überflüssiger Kabel schaffen müssen.
Mit Hilfe der zusammengepreßten Isolationsmasse hatte er primitivste Schaltknöpfe und Regler
entwickelt, die nun ihre Feuerprobe bestanden.
Dragamur aktivierte das Steuergerät, und ein kaum hörbares Summen erfüllte den nüchternen Raum,
den Holografen und eine sinnverwirrende Technik umgaben.
Über einen Holografen starrte Dragamur zum Dschungel.
Das dichte Blätterwerk schien plötzlich wie unter einem heftigen Windstoß in Bewegung zu geraten.
Dragamur hielt den Atem an. Die Federn auf seinen spitzen Ohren stellten sich, und sein scharf
gekrümmter Schnabel öffnete und schloß sich klappernd in heftiger Erregung.
Er ließ in seiner Aufmerksamkeit nicht nach. Sein schwacher suggestiver Druck wurde von dem
geheimnisvollen Gerät, das er sich erbaut hatte, zu einem machtvollen Orkan im Bewußtsein der Spinne,
die der Aufforderung folgte, sich der Station zu nähern.
Das rote Monster schob sich auf seinen riesenhaften Beinen auf die Gefängnisstation zu, die gut
getarnt hinter einem Erdhügel in der wildnishaft bewachsenen Talsenke lag.
Dragamur wagte nicht, sich zu rühren. Er hatte keine Kontrolle über die Stärke des Steuergerätes. Es
gab keine Möglichkeit, die suggestive Kraft auf irgendeinem der glühenden Zifferblätter abzulesen.
Da bäumte die Spinne sich empor. Ihr riesenhafter Körper streckte sich, und die acht langen Beine
zuckten wie unter einem Krampf. Fauchend stieß das Monster die Luft durch die Atemlöcher an der
Seite des Kopfes.
Die GigaSpinne füllte den Holografen bis in den letzten Winkel aus. Das riesige Tier war keine zwei
Meter mehr von der Plattform entfernt.
Dragamur sprang von seinem Sitz auf.
Seine Finger huschten über die primitiven Schaltungen des Gerätes, das er sich zusammengebaut
hatte.
Er verstärkte die Hypnostrahlen. Der Riesenkörper der roten Spinne wurde sofort ruhiger. Sie zog
sich langsam von der Gefängnisstation zurück.
Der Vogelmensch machte jetzt die Probe aufs Exempel. Würde es ihm gelingen, die unter Hypnose
stehende Spinne für seine Zwecke zu benutzen?
Er betätigte die Schaltungen des Steuergerätes. Gleichzeitig verstärkte er den Einfluß auf das Gehirn
der Spinne.
Er wußte, daß die Simlars die Spinnen mit Unmengen sauerstoffreicher Pflanzen versorgten, weil die
Spinnen infolge ihrer Größe nicht in der Lage waren, sich aus eigener Kraft mit ausreichend Sauerstoff
zu versorgen. Für ihre Leistung erhielten die Simlars die Möglichkeit zu »similarisieren«. Das war eine
Technik, die in etwa der Teleportation glich. Durch die parapsychische Stütze der GigaSpinnen
konnten die Simlars nicht nur sich selbst, sondern jeden beliebigen Gegenstand in ihrer atomaren
Struktur verändern und an einen anderen Ort versetzen.
Dragamur gab der Spinne durch Impulse das Bewußtsein, ausreichend mit Sauerstoff versorgt zu sein.
Der Atem des gewaltigen Tieres beruhigte sich unter dem hypnotischen Einfluß. Wie ein pulsierender
roter Berg lag die GigaSpinne vor der Station Dragamurs.
In seinem Bewußtsein fühlte er die Kraft, die den parapsychischen Wunsch verstärkt in die
entsprechenden Gehirnzentren der Spinne schleuderte.
Keine dreihundert Meter von der Station entfernt lag ein moosbewachsener dunkler Felsblock in der
Talsenke. Er hatte eine Größe von etwa zwanzig Metern in der Breite und war etwa doppelt so hoch.
Wind und Wetter hatten bizarre Kanten, Löcher und Einbuchtungen hinterlassen.
Dragamurs Wunsch grellte wie ein Lichtblitz in seinem Bewußtsein auf.
Dieser Wunsch war nur für den Bruchteil einer Sekunde vorhanden.
Doch die umgepolten Energiefelder warfen die hypnotischen Gedanken wie einen Orkan in das
parapsychische Gehirn der Spinne.
Der Felsblock in der Talsenke schien plötzlich zu schrumpfen, wurde durchscheinend wie eine Glaswand
und verschwand. Die Luft schlug über der Stelle zusammen, an der noch eben der Felsblock gestanden
hatte.
Keine zwei Meter von der Gefängnisstation entfernt erstand der Felsblock, als würde ihn eine
unsichtbare Titanenhand dorthinstellen.
Der Schnabel Dragamurs öffnete sich. Eine unendliche Zufriedenheit war in seinen großen runden
Augen zu lesen.
Er hatte es geschafft!
Das Steuergerät war dazu in der Lage, einen Similarisationseffekt zu erzielen. Durch die
Hypnostrahlung hatte er eine der Spinnen für sich gewonnen.
Er reizte noch einmal das parapsychische Bewußtsein der Spinne und ließ den Felsblock wieder an die
ursprüngliche Stelle zurückversetzen.
Dragamur entließ die Spinne, nachdem er ihr den hypnotischen Auftrag gegeben hatte, wieder die
Wildnis aufzusuchen.
Ruhig kroch das riesige Monster davon. Es brach durch die Wildnis und hielt sich auf Grund des
Hypnobefehls am Rande der Wildnis auf.
Dragamur wollte sich der Hilfe der Spinne jederzeit versichern.
Dragamur justierte den Hypnostrahler neu und richtete ihn auf die nahe Flotte aus. Er beeilte sich,
aber er übereilte nichts. Er hatte Zeit. Er wartete auf einen günstigen Moment, um seinen Plan zu
verwirklichen…
*
Weit schwangen die Schotts nach außen, nachdem der Schutzschirm abgebaut worden war.
Rex Corda und John Haick standen auf der Plattform und blickten über das weite Land. In der Tiefe
der Ebene zog sich ein riesiges Urwaldgebiet hin. Eine hohe stumpfe Bergkette säumte die Ebene von
der linken Seite.
Rechts waren die vier Pyramidenschiffe der »Zeitlosen« zu erkennen.
In den grünlichen Schutzschirmen der Pyramidenschiffe entstanden jetzt Löcher. Die »Zeitlosen«
öffneten an bestimmten Stellen die Schutzschirme, um nach draußen zu gelangen.
Aus allen Schiffen der »Zeitlosen« kamen jetzt die Besatzungsmitglieder. Auf unzähligen Rollen
bewegten sich eigenartig geformte Roboter in die Ebene, um die vorgefertigten Bauteile
zusammenzufügen, die für Sigam Agelons Gefängnisstation notwendig waren.
Kommandos hallten durch die Ebene.
Corda und Haick sahen sich an.
»Was haben sie bloß vor?« fragte John Haick langsam, während er sich eine Zigarette anzündete.
Rex Corda zuckte die Achseln.
»Wenn ich das wüßte«, sagte er. »Die ›Zeitlosen‹ wollen hier auf Simlar den Agelon verurteilen. Es ist
aber eine recht seltsame Methode, die Strafe Agelons vorzubereiten.«
Sie beobachteten die Vorbereitungen eine ganze Weile, während terranische Techniker aus anderen
Hangars kamen und wie winzige Fliegen an dem Riesenleib der »Walter Beckett« herumkletterten, um
geknickte Antennen und durch den Energiesturm unbrauchbar gewordene elektronische Tasteranlagen
in Ordnung zu bringen.
Die Techniker wurden von den unsichtbaren Traktorstrahlen bei ihrer gefährlichen Arbeit gehalten.
Die Strahlen basierten auf einer Wirkung zwischen Magnetismus und Gravitation, und jedes Seil, jede
andere Verankerung erübrigten sich.
»Wir sehen uns die Sache einmal aus der Nähe an«, bestimmte Rex Corda. »Ich möchte etwas mehr
über Sigam Agelons Strafe erfahren. Komm mit, John.«
Die beiden Freunde stiegen die Plattform hinunter. Mit großen Schritten näherten sie sich dem Ort,
wo Roboter und »Zeitlose« in intensiver Arbeit ein seltsames Gerät zusammenbauten.
Ständig wurden aus den Laderäumen eines Pyramidenschiffes weiteres Baumaterial und vorgefertigte
elektronische Teile geschafft. Die Roboter huschten auf ihren Rollen lautlos über den
grasbewachsenen Boden Simlars.
Deutlich war bereits eine entstehende Plattform zu erkennen, die einen Umfang von fast zehn Metern
hatte. Die Plattform wurde auf einem Gestell errichtet. Unter dem Gestell zischten Schweißgeräte,
sprühten blau glühende Funken. Roboter, deren Körper einer massiven Spirale glichen, bewegten sich
unter der Plattform und waren damit beschäftigt, schwache Treibsätze anzubringen.
Holografenschirme wurden angeschleppt, Schaltkästen wurden verankert, Abdeckplatten abgepaßt und
verschweißt. Ein gewaltiger technischer Aufwand wurde getrieben, den weder John Haick, der
Physiker, noch Rex Corda überblicken konnten.
Die äußeren Bezirke der Plattform wurden mit Holografenschirmen versehen, an denen jeglicher
Einstellmechanismus fehlte. Ein elektronisches Gehirn wurde an die Schirme gekoppelt.
Tausend Hände arbeiteten gleichzeitig. Es gab keinen Leerlauf.
Hundertmal – tausendmal schien diese Arbeit schon verrichtet worden zu sein. Alles lief wie am
Schnürchen.
In der Mitte der Plattform waren zwei Roboter unter der Aufsicht eines »Zeitlosen« damit
beschäftigt, einen klobigen Metallsessel zu verankern. Roboter mit Prüf und Meßgeräten überprüften
die Spannungswerte der Energieabsorber. Armdicke Kabelstränge wurden verlegt und mit einer
farblosen Plastikmasse übersprüht.
Als die beiden Terraner sich näherten, kam einer der »Zeitlosen« auf sie zu.
Es war Taima, er hatte den Auftrag, die Arbeiten zu überwachen.
Unwillig musterte er den terranischen Präsidenten und dessen Begleiter.
»Sigam Agelons Gefängnis?« fragte Rex Corda interessiert, noch ehe der »Zeitlose« irgend etwas
sagen konnte. Der Gedanke war Corda ganz plötzlich gekommen.
Aufmerksam ließ er seine Blicke über das ständig anwachsende Gebilde schweifen, dessen Sinn und
Zweck ihm noch verborgen war.
Taima nickte. Er hatte nicht ganz so weiße Haare, wie das normalerweise bei den »Zeitlosen« üblich
war. Ein auffälliger Gelbton leuchtete auf seinem Haupt. Als er sein Gesicht jetzt Corda zuwandte,
schillerten die muschelartigen Gebilde, die er an Stelle der Ohren hatte, in einem intensiven Blau.
»Sigam Agelons Gefängnis.« Taima sprach ein akzentfreies Englisch. »Es wird in wenigen Minuten
vollendet sein. Dann wird der Orathone, der die Großen Gesetze so oft übertrat, sein gerechtes Urteil
erhalten. Er wird die ›Endlose Strafe‹ erhalten.«
»Die ›Endlose Strafe‹?« fragten Rex Corda und John Haick wie aus einem Munde.
Taimas zynischer Mund verzog sich.
»Diese Station ist so errichtet, daß Sigam Agelons Körper mit Hilfe unserer Supertechnik am Leben
gehalten wird. Über das Atmungssystem wird er mit allem versorgt werden. Bewegungslos sitzt der
Agelon auf diesem Stuhl…«, Taima zeigte mit der ausgestreckten Hand auf den klobigen Metallsessel,
den die Roboter verankert hatten. »Der Orathone wird völlig bewegungslos sein. Sein Körper ist tot –
doch sein Geist bleibt wach. Auf den unzähligen Holografen, die ihn umgeben, wird er ständig über das
galaktische Geschehen unterrichtet sein. Eine komplizierte Elektronik bestimmt die Bildfolge, sie läßt
sich nicht verändern, die Elektronik selbst entscheidet die Wichtigkeit der Holografenszenen.«
Taima unterbrach seine Ausführungen.
Der Blick Cordas ruhte auf ihm, und Taima las Erstaunen, Unwillen und Verständnislosigkeit darin.
In dem Gesicht des »Zeitlosen« regte sich nichts, als er ungerührt fortfuhr:
»Es wird eine grausame Strafe für ihn sein, zu leben und doch tot zu sein. Er soll leiden, und es wird
furchtbar werden für ihn. Er kann nirgends eingreifen. Er kann nur denken, sehen und hören. Die ›
Endlose Strafe‹…« Taimas Stimme wurde immer leiser. Er schien den Triumph und das Schauspiel
bereits zu genießen.
John Haick kniff die Augen zusammen.
»Aber wieso ist sie ›endlos‹, ich denke…!«
Taima ließ ihn nicht zu Ende sprechen. Er hatte sich in Rage geredet. Seine Augen waren auf die
wachsende Gefängnisstation gerichtet.
»Sie ist deshalb endlos, weil er nicht sterben wird. Die besondere Technik, die besonderen
Bedingungen, die unter der ihn fesselnden Energiekuppel für ihn herrschen, lassen die Zellen langsamer
altern. Er wird mehr als zehntausend Jahre alt werden. Er wird zehntausend Jahre lang mit einem
wachen Geist ein gefesselter Beobachter sein.«
»Das ist grausam«, stieß Corda hervor. »Das könnt ihr nicht tun!«
Ein kalter Blick traf ihn.
Taima lachte höhnisch.
»Wir sind die Richter – nicht du, Terraner! Die Strafe ist noch nicht grausam genug. Die ›Zeitlosen‹
werden etwas tun, was sie niemals zuvor bei der Bestrafung der kosmischen Verbrecher taten: Sie
werden den Sträfling miniaturisieren. Sigam Agelon soll als ein winziges, unscheinbares Stäubchen um
die Sonne ›Fattys‹ kreisen. Er darf nie mehr eine Chance haben!«
Rex Corda glaubte nicht recht gehört zu haben.
Die Grausamkeit der »Zeitlosen« war ungeheuerlich. Sigam Agelon war ein Verbrecher, er hatte eine
Strafe verdient, aber das war zu grausam.
Er protestierte heftig. Seine Stimme wurde so laut, daß sie über den Platz hallte, an dem die
Gefängnisstation vollendet wurde. Viele »Zeitlose« blickten herüber. Sie lauschten. Sie hörten Cordas
Protest, doch keiner rührte sich.
»Seid gnädig. ›Endlos‹ zu leiden – ist furchtbar. Verurteilt ihn – aber nicht in dieser unmenschlichen
Form!«
»Die Strafe soll grausam sein, und daran wird auch Ihr Protest nichts ändern. Im Gegenteil: Ihre Hilfe
werden wir noch anfordern, um die Gefängnisstation auf die erforderliche Umlaufbahn zu bringen.«
»Ich weigere mich«, Cordas Stimme war scharf.
Taima lächelte zynisch.
»Sie werden es tun, davon bin ich überzeugt. Und wenn Sie es nicht tun, dann werden wir Mittel und
Wege finden, die Station dorthinzubringen, wo sie hingehört. Dann allerdings dürfte Sigam Agelons
Qual noch schlimmer werden.«
Blitzschnell überlegte Corda.
Die »Zeitlosen« waren die Wächter der Großen Gesetze. Sie hatten hier zu richten – nicht er. Doch er
hatte erkannt, daß sie mit zweierlei Maß maßen. Sie wurden nicht mehr jener Rolle gerecht, die ihnen
einst von einer großen unbekannten Rasse übertragen worden war.
Sigam Agelons Strafe war gerechtfertigt, jeder Verbrecher verdiente seine Strafe. Doch es war eine
Frage der Moral, wie die Strafe ausgeführt wurde.
Rex Corda dachte als Terraner anders als die »Zeitlosen«, aber er erkannte, daß ihm seine Weigerung
und sein Protest nichts nützen würden.
Er hatte plötzlich einen Plan!
Sigam Agelon würde nicht »endlos« zu leiden haben…
Die Blicke des »Zeitlosen« und Rex Cordas trafen sich.
Rex Corda las in den unergründlichen Augen die Kälte und die Herrschsucht einer Rasse, er las aber
auch die Furcht und die Verlorenheit, die im Bewußtsein dieses »Zeitlosen« einen breiten Raum
einnahmen.
Die »Zeitlosen« hatten alles verloren. Sie litten unter einem psychischen Schock. Vielleicht wollten sie
gerade jetzt, nach dem Verlust ihrer Welt, sich selbst beweisen, wie mächtig sie noch waren. Sie
hatten es noch in der Hand, die »Endlose Strafe« vorzubereiten, für die ein ungeheurer technischer
Apparat erstellt werden mußte.
Corda nickte kaum merklich.
»Sie hatten recht«, sagte er dann leise. »Ich werde meine Mitarbeit nicht versagen. Wir werden alles
schnell zu einem Ende bringen, denn – wir wollen zurück zur Erde.« ENDE