DAVID FORREST
Und meinem Neffen Albert
vermache ich die Insel, die ich Fatty Hagan beim Pokern abnahm Heiterer Roman
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DAVID FORREST
Und meinem Neffen Albert
vermache ich die Insel, die ich Fatty Hagan beim Pokern abnahm Heiterer Roman
WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN HEYNE ALLGEMEINE REIHE Nr. 01/6882 Titel der amerikanischen Originalausgabe AND TO MY NEPHEW ALBERT I LEAVE THE ISLAND WHAT I WON OF FATTY HAG AN IN A POKER GAME... Deutsche Übersetzung von Werner Gebühr Neuausgabe des Taschenbuches 995 der Allgemeinen Reihe
Copyright © 1969 by David Eliades and Robert Forrest Webb Printed in Germany 1987 Mit freundlicher Genehmigung des C. Berteismann Verlages wurde der Umschlag der deutschen Originalausgabe verwendet Umschlaggestaltung: Atelier Ingrid Schütz, München Satz: werksatz gmbh, Wolfersdorf Druck und Bindung: Eisnerdruck, Berlin ISBN 3-453-00303-9
»Habt ihr hier in der Gegend Wale?« »Nicht oft«, antwortete der Bootsführer. »Ich glaub, gerade voraus sehe ich einen«, sagte Albert, Er blickte durch sein Fernglas auf den schwarzen Schatten, der sich am Horizont nur wenig über die Wellen erhob. »Hier, sehen Sie sich das an.« Der Bootsführer stellte sich breitbeinig hin, so daß er das Ruder mit dem Gewicht seines Brustkastens festhielt. Er stellte Alberts Fernglas scharf ein. »Wal, mein Lieber? Das ist Ihr verdammter Felsen.« Albert riß ihm das Fernglas fast wieder aus den Händen. »Wo sind dann die Bäume?« »Bäume, mein Lieber? Abgesehen von Gras und solchem Zeug können Sie alt und grau werden, wenn Sie darauf warten.« Der Felsen wurde größer, kahler, häßlicher. »Ich dachte, daß alle Scilly-Inseln Bäume und Blumen hätten«, versteifte sich Albert. Er weigerte sich, zu glauben, daß seine rechtmäßige Insel öde wäre. »Ich nehme an, da waren einmal welche«, sagte der Bootsführer. »Sie fielen wahrscheinlich herunter, als zum erstenmal der Wind wehte.« »Sind Sie sicher, daß dies Foul Rock ist? Sie können sich nicht geirrt haben?« Der Bootsführer lächelte. »Ich komme seit langer Zeit hier heraus, mein Sohn. Weit und breit gibt es nur einen Foul Rock. — und das ist er.«Er manövrierte die Barkasse in eine kleine Bucht am westlichen Ende der Insel. Aus der Nähe sah sie sogar noch trostloser aus. Nur am Rand des Wassers gab es ein wenig Abwechslung, wo Seetang auf den Felsen hing, die vom Salz weiß waren. »Ich komm nicht ganz ans Ufer. Sie müssen springen. Aber suchen Sie einen sauberen Felsen, sonst machen Sie 'ne Rutschpartie auf dem Seetang. Ich komm heute Nachmittag um vier wieder, um Sie abzuholen... Übrigens«, der Bootsführer machte plötzlich ein besorgtes Gesicht, »gehen Sie nicht allein schwimmen oder so etwas. Zahlende Fahrgäste verlier ich nicht gern.« »Auf bald«, rief Albert, als er an Land sprang. »Und Sie sollten mich hier lieber nicht vergessen!« Es war ein heißer Junitag. Das Wasser plätscherte leise gegen die Kiesel, als das Boot rückwärts wieder herausfuhr. »Diese verlogenen Reiseprospekte«, dachte Albert laut, als er sein Königreich zu durchwandern begann. »Kommen Sie zu den Scilly-Inseln. Palmen, lange sandige Strande, Blumen. Schlösser und Sommerhäuser. Botanische Gärten. Swimming-pools und Lagunen. Und was hab' ich hier? Einen blödsinnigen Felsen. Nicht einmal Löwenzahn.« Er war plötzlich überrascht festzustellen, daß er die Insel schon halb überquert hatte. Und das
nach gerade fünfundsiebzig Schritten. Er sah sich um. Er stand auf dem höchsten Punkt, einem glatten Plateau, sechs Meter über der Flutmarke. In jeder Richtung hätte er einen Stein in die See werfen können. Nach links und nach rechts waren es etwa nur fünfunddreißig Meter. Und weitere fünfundsiebzig voraus. »Verdammte Hölle«, sagte er ruhig. »Kein kriechender Bauer in Sicht.« Da entdeckte er das Motorboot, einen blauen Flitzer, der in dem ruhigen Wasser einer Bucht an seiner Verankerung ruckte. Er machte sich dahin auf. »Hallo«, sagte Albert. »Irgend jemand nimmt mir meine Insel weg. Eine verdammte kleine Frechheit. Piraten. Da bin ich gerade rechtzeitig gekommen. Ruft die Wachen heraus. A-larm!« Zwanzig Meter entfernt lag schräg gegen einen von den Wellen ausgewaschenen Felsen ein langes braunes Mädchen, so braun, daß sie sich fast überhaupt nicht von dem Seetang abhob, der in breiten Streifen nahe der Wasserlinie hing. Sie glänzte, wo das Sonnenlicht, das von der See widergespiegelt wurde, auf ihren öligen Körper traf. Sie war geschmeidig. Schmale Hüften und schlanke Schenkel. Ihr blondes Haar war zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Sie war nackt - sehr nackt. Sie lag auf dem Rücken, den Kopf in die Hände gebettet. Wie alles andere an ihr waren ihre runden und mädchenhaften Brüste prächtig gebräunt. Albert schaute. Sie war allein. Als Schürzenjäger war er sich darüber im klaren, daß dies ein begehrenswertes Exemplar war. Er durchblätterte den Katalog seiner Erfahrungen. »Reifegrad: etwa siebzehn. Oktober wahrscheinlich. Mit Geld, wegen des Bootes. Mädchen vom Land oder unbeschäftigt, nach dem Grad der Bräune zu urteilen. Größe: ungefähr einsfünfundsechzig. Gewicht: hundertfünf Pfund. Ich würde sagen: 85-55-85. Naturblond - also Augen blau oder grau. Anfängerin im Rauchen. Blaustrümpfig, trinkt kleine Biere. Freunde? Unwahrscheinlich — so braun, wie sie überall ist, verbringt sie offensichtlich viel Zeit allein. Schätze, daß sie für die Gegend zu gut ist. Und da die Saison noch kaum begonnen hat, war bei den Urlaubern in diesem Jahr noch nicht viel drin. Wahrscheinlich ist sie erst im letzten September aus der Schule gekommen, also Chancen, daß sie noch nichts erreicht hat. Sexuelle Erfahrungen begrenzt.« Er bedachte diese interessante Statistik. »Ich bin hier der König. Ich könnte sie haben. Sie hat sich eingeschlichen. Ich könnte sie zu meiner Kriegsgefangenen machen.« Er gab sich einen Ruck und ging zu dem Mädchen hinüber. Als er sich ihr näherte, griff sie zur Seite und bedeckte sich in aller Ruhe mit einem großen Badetuch.
Das war die einzige Regung, mit der sie verriet, zu wissen, daß er da war. Ihre Augen schienen geschlossen zu sein. Albert griff nach dem Fernglas, das um seinen Hals hing. Für einen Augenblick reizte es ihn, sie mit dessen Hilfe genauer zu betrachten, aber ihre Augen könnten sich öffnen und ihn in Verlegenheit bringen. Schließlich war er nur noch ein paar Schritte von ihr entfernt. Sein Schatten schob sich über sie. Sie öffnete ein Auge. Es war aufregend blau. Das zweite Auge öffnete sich. Albert stellte erleichtert fest, daß die Farbe die gleiche war. »Sie stehen mir in der Sonne.« Albert kam näher und setzte sich neben sie. »Und sie liegen auf meiner Insel«, sagte er. Das Mädchen starrte ihn an. »Stecken Sie Ihren Kopf unter Wasser, damit ich mich anziehen kann. Ich brauche nur zehn Minuten.« Albert gab ihr drei, blickte zur Seite und beobachtete das Funkeln der kleinen Wellen dort, wo sie auf die Felsen trafen. Hinter sich hörte er, wie das Mädchen mit seinen Kleidern raschelte. »Sie können sich jetzt wieder umdrehen.« Albert tat es. Er fragte sich, warum das Mädchen sich die Mühe gemacht hatte, einen Bikini anzuziehen — so klein war er. Man konnte gerade erkennen, daß er gelb war. Ihr blondes Haar war dort, wo die Sonne es ausgebleicht hatte, streifig. Ihre Augenbrauen waren fast weiß, die Gesichtszüge auffallend nordisch. Sie erinnerte ihn an die puppenhafte Prinzessin auf den Anschlagtafeln seiner heimatlichen U-Bahn-Station, die für formvollendete Büstenhalter warb. Er entschied sich, sie nicht zu fragen, ob sie den ihren sechsundneunzigmal durch die Waschmaschine gejagt hätte. Es überraschte ihn, daß er den Werbetext überhaupt gelesen hatte. Er war erfreut zu sehen, daß ihre Augenfarbe auch jetzt noch die gleiche war und er sie offensichtlich richtig eingeschätzt hatte. Jetzt stellte er mit Genugtuung fest, daß sie keinen Ring trug. Innerlich verführte er sie schon. Ihre sanfte Stimme holte ihn in die Wirklichkeit zurück. »Ich habe Sie noch nie gesehen, dabei sonne ich mich hier schon seit Ewigkeiten.« Albert zog ein zerknittertes Päckchen Zigaretten heraus und bot dem Mädchen eine an. »Mein erster Besuch«, sagte er. »Ich habe sie gerade geerbt, also nehme ich an, daß ich dadurch König geworden bin.« »Ich unterwerfe mich Eurer Majestät. Seien Sie in diesem Land willkommen. Außer zum Sonnen taugt es zu nichts.«
»Typisch kolonialistisch. Erst ein Land bis zum letzten ausbeuten und dann, wenn man hinausgeworfen wird, behaupten, es sei nichts wert.« »Ich wette, daß Sie reich sind«, sagte sie. »Ein Sozialist mit konservativen Bankauszügen.« »Falsch. Außer dieser Insel besitze ich nichts. Ich arbeite in einem Kino. Was machen Sie?« »Gar nichts«, antwortete sie. »Papa ist in St. Mary's Anwalt. Ich leiste ihm Gesellschaft. Und an heißen Tagen komme ich hierher. Wo haben Sie Ihr Boot gelassen? Es ist nicht sehr sicher, wenn Sie es am westlichen Ende der Insel verankert haben.« »Ich bin geschwommen«, sagte Albert. »Ich bin ein berühmter Langstreckenschwimmer. Hin und her sind es nur fünfunddreißig Meilen.« »Sie sind ein Spinner.« Albert gab ihr Feuer und gestand, daß er für die nächsten Stunden auf der Insel festsaß. »Ich hab' ein paar Brote, und ich bin hungrig«, sagte das Mädchen. »Wenn Sie sie aus meinem Boot holen, bin ich bereit, mit Ihnen zu teilen. Sie sind in einer Plastikschachtel. Übrigens, wie heißen Sie?« »Albert«, sagte er. »Albert Quinlan.« Das Mädchen kicherte. »Was ist daran so witzig?« »Eigentlich nichts«, sagte sie. »Außer daß ich Viktoria heiße.« Er stand auf und ging zum Motorboot hinunter. Victoria sah der hochgewachsenen Figur nach. Er beugte sich in das Boot und suchte unter den Sitzbänken aus Mahagoni nach der Schachtel. Dann richtete er sich auf und warf sein braunes Haar mit einer ruckartigen Kopfbewegung wieder nach hinten. »Nicht übel«, dachte sie. »Ungefähr vierundzwanzig. Kann sich bewegen. Sexy Hüften. Londoner Akzent. Der ist scharf. Große Hundeaugen. Klasse!« Albert kam zurück. »Das Boot ist 'ne Schau«, sagte er. »Ihres?« »Papas.« Schweigend aßen sie ihre Brote. Albert beschloß, froh zu sein, daß er den Bootsführer nicht mehr erwischt hatte. Er zog sein Hemd aus und legte sich neben dem Mädchen zurück. Die Hitze der Sonne lag drückend auf ihnen, bis dort, wo die Wellen plätscherten, sogar die Felsen zu dampfen begannen. »Von wem haben Sie die Insel?« »Von meinem Onkel Alf, der mich aufgezogen hat. Er hat sie beim Pokern gewonnen. Als ich ein Junge war, erzählte er mir immer, er hätte mich beim Pokern gewonnen. Meine Mutter starb an einer Lungenentzündung. Onkel Alf wollte sich eigentlich nur um mich kümmern,
bis Papa aus dem Krieg zurückkäme. Aber er kam nicht wieder.« Onkel Alf, erklärte Albert, war ein ziemlich versoffener Vorarbeiter bei der Eisenbahn, der nach England herübergekommen war, um für die Irische Republikanische Armee zu kämpfen. Aber er hatte eine so große Vorliebe für das englische Bier entwickelt, daß er den Grund, der ihn dorthin gebracht hatte, fast restlos vergaß. Er war immer ein wilder Bursche. Oft betrunken. Aber er war ein Mann mit einem großen Herzen. Das meiste von seinem Geld warf er hinaus, als ob es jeden Augenblick entwertet werden könnte. Aber er hielt immer genügend zurück, um sicherzustellen, daß Albert gut ernährt wurde und sich zu Hause wohl fühlte. Er wurde für den Jungen Vater und Mutter — und ein schlechtes Vorbild. Und Albert liebte ihn. Seit Onkel Alf in O'Flahartys Bar im Londoner East End beim Kartenspiel die Insel gewonnen hatte, träumte er in den letzten Monaten seines Lebens davon, sich dorthin zurückzuziehen und vom Strandgut zu leben. Als er starb, hinterließ er Albert als Alleinerben die Insel und ein paar hundert leere Bierflaschen, die in jedem verfügbaren Regal und Verschlag sorgfältig gestapelt waren. »Schließlich und endlich«, sagte Onkel Alf immer zu Albert, »kann eine Brieftasche mit Bargeld gestohlen werden, aber wer stibitzt schon Bierflaschen, von denen jede nur zwei Penny wert ist?« Albert räumte das kleine Haus aus und verkaufte die Flaschenkollektion für 9 Pfund, 14 Shilling und 2 Pence wieder an die Kneipe. Er sorgte dafür, daß sein Onkel anständig begraben wurde. Hinterher, beim Leichenschmaus, meinte Fatty Hagan, es sei nur gut, daß Alf römisch-katholisch gewesen wäre, denn bei dem Alkoholgehalt wäre die Leiche sicher explodiert, wenn man sie verbrannt hätte. Für den Sommerurlaub auf seiner Insel hatte Albert hart gespart. Und jetzt war er da... »Ich glaube nicht, daß Sie viel damit anfangen können«, bemerkte Victoria. »Sie ist ein bißchen eintönig. Im Winter möchte ich hier nicht leben.« »Ich könnte eine Vogelschutzinsel daraus machen«, sagte Albert und versuchte herauszubekommen, welche Wirkung das auf Victoria machte. »Sie mögen Vögel?« »Ich beobachte sie gern«, sagte Albert wahrheitsgemäß. Er griff nach seinem jetzt überflüssigen ArmeefeldStecher. »Mit diesem hier komme ich ihnen wirklich nahe. Ich sehe jede Einzelheit.« »Kennen Sie ihre Namen?« »Die Namen derer, die ich mag, finde ich immer heraus.«
»Was sind dann diese hier?« Sie zeigte auf die Kormorane. »Der Fette, das ist Sokrates, die Hagere Xanthippe.« Sie lachte, »Das sind Kormorane. Und das da?« Die lahme Silbermöwe balancierte einbeinig auf ihrem felsigen Thron. »Das ist ein Storch«, sagte Albert. »Er heißt Wilhelm.« Victoria kicherte. »Sie sind ein Schwindler. Sie haben von Vögeln keine Ahnung.« »Ich lerne dazu.« Die Felsen boten wenig Schutz vor dem heißen Sonnenschein. Albert fand den Widerschein vom Wasser unerträglich. Er kletterte in eine enge Spalte genau oberhalb von Victoria, wo er ein wenig Schatten fand. Von hier aus konnte er sie beobachten, ohne daß sie ihn sah, und er stellte fest, daß sie ihn um so mehr interessierte, je länger er sie anschaute. »Geh'n wir schwimmen?« fragte Victoria. »Worin denn? Ich hab' keine Badehose dabei.« »Und Ihre Unterhose?« »Werden Sie nicht persönlich.« »Meinetwegen können Sie ruhig darin schwimmen gehen, Mir macht es nichts aus.« Er zerrte seine Jeans mit dem Cowboyemblem herunter. Albert und Victoria schwammen ein Weilchen in dem klaren Wasser; dann kamen sie zurück und setzten sich auf ihren Felsen und trockneten in der Sonne. »Es wird Zeit aufzubrechen«, sagte Victoria. Albert machte ein trauriges Gesicht. Sie fuhren mit dem Boot nach St. Mary's zurück und trafen Alberts Fischer ein paar hundert Meter vor dem Hafen. In der kleinen Pension von Buzza Mill saß Albert auf seinem Bett und dachte an den Ausflug dieses Tages. Die Insel war immer noch enttäuschend. Victoria andererseits war sehr vielversprechend. Letzten Endes könnte sein Urlaub doch noch erfolgreich werden. Warum sollte nicht auch einmal an den Riffen rund um Foul Rock ein Schiff mit einem Schatz gescheitert sein... In Mrs. Pengellys edwardianischer Villa zog Albert sich jetzt aus und versuchte zu duschen. Das war nicht ganz einfach. Mrs. Pengellys Dusche bestand lediglich aus Krug und Wasserschüssel. Albert breitete ein Handtuch auf dem Boden aus, stellte die Schüssel darauf und trat dann vorsichtig hinein. Die Hälfte des kalten Wassers aus dem Krug goß er sich über den Kopf und seifte sich dann ein. Der zweite Guß spülte den Großteil der Seife herunter, und mit dem Handtuch befreite er sich von dem Rest. Er zog sich an und ging in die Stadt hinunter, um sich im Hinterzimmer des Gasthauses »Zum fröhlichen Fischzug« mit Victoria zu treffen. Sie war
schon da. Albert erteilte sich nochmals eine gute Note. Victoria hielt ein halbes Glas Bier in ihrer kleinen Hand. Er mochte biertrinkende Mädchen. Sie hatten ein gewisses Etwas, auch wenn das nur Sparsamkeit war. Neben ihr saß eine komische, dickliche Figur. Sie sah wie eine der Karikaturen von Dickens aus. Victoria stellte sie als ihren Vater vor. Albert war verlegen. Er blickte sich in dem Lokal um, weil er sehen wollte, ob andere Leute sich über sie amüsierten. Das war aber nicht der Fall. Ihr Vater war offensichtlich ein gewohnter Anblick. James Rhodes war um die Fünfzig und maß um den Bauch das Zweieinhalbfache seines Alters. Nach seiner eigenen Aussage waren es siebeneinhalb Ginflaschen - »Gordon's Dry natürlich«. Rhodes trug seinen Kampfanzug für Saufabende. Die zottige Mohairjacke hätte man beinahe genauso dringend rasieren müssen wie ihn selbst. Ihr helles Karomuster biß sich mit einem blumenbedruckten, grellfarbigen Hemd, das er über einer schlottrigen, gestreiften Hose trug. Seine nackten Füße steckten in selbstverfertigten Sandalen. Aber nicht dieses untere, sondern das obere Ende von Victorias Vater brachte Albert aus der Fassung. Wo er Haare hatte - und das war nur ein Halbkreis rund um seinen Kopf -, war er grau. Wo ihm die eigenen Haare fehlten, trug er eine Perücke. Diese hätte sicher nicht gar so exzentrisch ausgesehen, wenn das Toupet nicht schon vor zwanzig Jahren angefertigt worden wäre, um seine restlichen Haare zu ergänzen - denn damals war sein Haar rot. Jetzt saß es auf seinem Schädel wie eine aufgeplusterte Henne auf einem grauen Nest. Rhodes zog eine Handvoll Kleingeld aus der Hosentasche und suchte darin herum. »Hat jemand Sixpences?« fragte er. Albert gab ihm ein paar. Rhodes zog damit ab zum Spielautomaten. »Papa schockiert jeden«, sagte Victoria. »Er ist nie wirklich erwachsen geworden. Er ist aus der Rechtsabteilung des Marineministeriums herausgeflogen, weil sie meinten, er trinke mehr Rum als alle Werftarbeiter zusammengenommen. Er hat den Flottenlieferanten reich gemacht. Und dann brannte meine Mutter mit dem Lieferanten durch. Seitdem hat Papa keinen Rum mehr angerührt.« Rhodes hatte sich dann als Rechtsanwalt in London niedergelassen. Um übermäßige Einkommensteuern zu vermeiden, hatte er darauf bestanden, daß ihm seine Klienten einen Teil ihrer Rechnungen in Gin bezahlten. Unglücklicherweise waren die Geschäftsleute nicht bereit, die Bezahlung seiner Schulden in demselben guten Geist zu regeln. Allmählich beschäftigten ihn seine rechtlichen Auseinandersetzungen in eigener Sache so sehr, daß er nicht
mehr in der Lage war, Aufträge von Klienten anzunehmen. Und als Victoria ihre Schule hinter sich hatte, beschloß er, sich zu den Scilly-Inseln zurückzuziehen. Von seiner Marinepension und gelegentlichen Rechtsvertretungen für die Gärtner auf der Insel lebten sie jetzt ganz gut. In Rhodes Händen kam das Ginglas nie zur Ruhe. Entweder war es auf dem Weg nach oben oder nach unten. In diesem Augenblick kam es wieder herunter leer. Albert stellte fest, daß der Nachschub auf der Bar schon bereitstand. »Nehmen Sie einen Gin«, sagte Rhodes. »Zwei doppelte«, rief er dem Mann an der Bar zu. »Du möchtest doch sicher noch ein Bier — oder?« fragte er Victoria. Albert fand keine Möglichkeit mitzuteilen, daß auch er lieber ein Bier getrunken hätte. »Sie lassen sich den Stoff doch wohl auch nicht verwässern?« fragte Rhodes, als er Albert das Glas herüberschob. Albert entschied sich, nichts zu sagen, und da er Gin überhaupt nicht mochte, kippte er das Glas auf Rhodes` »Prost« in einem Zug hinunter. »Meine Runde«, sagte Albert schnell, bevor Rhodes Zeit fand, von neuem zu bestellen. Durch den Boden seines Glases musterte der Anwalt Albert mit aller Schläue. Victorias seltene Männerbekanntschaften waren dünn, blaß und schuljungenhaft gewesen. Dieser hier war von anderem Schlag. Er hatte eine Selbstsicherheit, die Rhodes zu schaffen machte. Und den Charme eines Cockneys, Victoria war ein attraktives Mädchen, und es gab darüber hinaus nur wenig Dinge, die sie in Anspruch nahmen. Schon als sie ein Kind war, hatten ihre Ferien auf den Inseln ihm genügend Sorgen bereitet —. wenn sie tauchte, von gefährlichen Felsen schwimmen ging oder mit kleinen Booten in der bewegten See segelte. Jetzt würden die Sorgen eher größer als kleiner werden, und er würde sich gegen die jährlichen Romanzen mit jungen Männern zu behaupten haben. Er konnte nur hoffen, daß die Schule sie auf diese Art Kämpfe vorbereitet hatte. Weder Albert noch seine Insel interessierten Rhodes sonderlich. Die Insel war zu nichts gut wie wahrscheinlich dieser junge Mann auch. Foul Rock war nichts weiter als ein Hindernis für die Schiffahrt und Albert aller Voraussicht nach eine noch größere Bedrohung für seine Tochter. Rhodes bildete sich jedoch ein, er könne, wenn er ihm gegenübertrete und Persönlichkeit durchblicken lasse, Albert genügend Achtung einflößen, um Victoria zu schützen. Die Tatsache, daß Victorias Lieblingsinsel
Albert gehörte, versetzte ihm einen Stich, der in ihm bohrte. Dennoch war er freundlich zu ihm, und mit Rücksicht auf seine Absichten bei Victoria ließ Albert es zu, daß Rhodes ihn bei dem Spiel mit Wurfpfeilen zweimal schlug. Am nächsten Morgen trafen sich Albert und Victoria schon früh, um wieder zur Insel zu fahren. Diesmal spielte das Mädchen den Führer. Sie zeigte ihm die Wasserlöcher, wo Fische gefangen waren, wo man unter den Felsen kleine Krebse finden konnte und wo die Sonne das Wasser besonders wärmte. In der Handhabung der Harpune war Victoria sehr geschickt. Sie schwammen durch das Labyrinth der Felsspalten und jagten Seebarsche, die in der Brandung spielten. In der Hoffnung, Hummer zu finden, tauchten sie tief hinunter, und sie lagen stundenlang in der Sonne und sprachen über Gott und die Welt. Die nächsten Tage verbrachten sie gemeinsam auf der Insel. Jeden Abend hockten sie in der Kneipe. Rhodes, der begriff, daß er das Spiel verlieren würde, zog sich gnädig in die Behaglichkeit der Bar zurück. Kapitän Worolokow schob eine behaarte Hand unter seinen dicken Pullover und kratzte mit plumpen Fingern einen noch haarigeren Bauch. Er döste vor sich hin. Lange Jahre hindurch war er Fischer gewesen. Ein richtiger Fischer. Er erinnerte sich an Zeiten, als russische Trawler nur zum Fischen ausliefen. Das waren herrliche Zeiten gewesen. Als man mit den Händen zupacken mußte, um das Netz einzuholen, dann die zappelnden Dorsche fangen und sie in Kisten im Laderaum verstauen und sie in den russischen Seehäfen auf den Markt bringen. Und jetzt war er endlich wieder einmal auf dem Weg durch die Nordsee und den Kanal, Gewässer, an die er sich von Geleitzügen während des Krieges erinnerte. Nun war er wieder genauso militärischer Seemann wie damals, als er ein Kriegsschiff kommandierte. Worolokow war in der Tat ein äußerst erfolgreicher Seeoffizier. Er hatte sich von der Back zum Kapitän des neuesten Trawlers in der sowjetischen Marine hochgedient. Die DMITRI KIROW war nur dem Aussehen nach ein Trawler. Ihre Schandeckel verbargen aufmontierte Maschinengewehre, in der Heckkabine befand sich eine Abwurfvorrichtung für Wasserbomben. Ihr vorderer Laderaum enthielt eine Batterie von Raketen, die unter Wasser abgefeuert werden konnten. Den gesamten Mittelteil des Schiffes nahm eine versteckte Abschußbasis für zehn Meter lange Mittelstreckenraketen ein. Aber die eindrucksvollste Ausrüstung war nicht mehr als ein Verschlag tief unten im Schiff, eine der ausgeklügeltsten Abhör- und Ortungsanlagen, die sowjetische Wissenschaftler je entwickelt hatten. Sie war so empfind-
lich, daß sie Schiffe weit hinter dem Horizont unter Kontrolle behalten konnte, und technisch so raffiniert, daß die Wissenschaftler fürchteten, ihr volles Potential könnte durch menschliche Unzulänglichkeit beeinträchtigt werden. Der Trawler war alles in allem so kostbar, daß er es mit einem der großen sowjetischen Linienschiffe aufnehmen konnte. Die DMITRI KIROW war zu den Flottenmanövern der NATO im Atlantik unterwegs. Natürlich ohne eingeladen zu sein. Es war ihr Auftrag, die Manöver zu beschatten, Schiffe zu identifizieren, Bewaffnungen festzustellen, die Kampfkraft der Flugzeugträger abzuschätzen, Funksprüche abzufangen und zu notieren, Radar- und Funkstationen zu orten und mit ihren Horchgeräten Bewegungen unter Wasser auszumachen. Alle diese Informationen mußten nach Moskau gemeldet werden. Die Flotte der NATO wußte schon, daß sie im Anmarsch war. Vor einer Woche hatte Worolokow in Leningrad seine Schwester zum Abschied geküßt, seinem Schwager die Hand geschüttelt und sich an Bord begeben. Als er die üblichen Befehle öffnete, hatte es ihn überrascht, unter ihnen einen Brief des Flottenkommandeurs zu finden. Der letzte Absatz ließ ihn den Brief zusammenknüllen und wütend in eine Ecke seiner Kabine werfen: »Ich brauche sie wohl nicht darauf hinzuweisen, daß Sie den Anordnungen von Professor Uschakow und seinen drei Kollegen ohne Frage zu gehorchen haben. « Im Morgengrauen lief die DMITRI KIROW aus. Samstag, der 15. Juni: Ein kleiner, stoppelbärtiger Mann versetzte Worolokow einen ziemlich harten Schlag in die Rippen und schob ihm einen fleckigen Becher Kaffee in die Hand. Das war Boris, der Koch. Boris war häßlich. Seine Freunde hatten das Gefühl, ihm Gutes zu tun, wenn sie ihn so beschrieben. Durch den Stiefel, der ihm die Nase zertreten hatte, war sein Gesicht eigentlich schöner geworden, und zusammengeflickte Narben oben auf der Backe hatten seiner linken Gesichtshälfte zu einem ständigen Grinsen verholfen. Worolokow und er lagen in einem ständigen, gutgelaunten Krieg. Sie fuhren seit vielen Jahren zusammen. Die Zusammenstellung der Besatzung zeichnete eine recht erstaunliche Eigenschaft aus. Die meisten waren verwandt. Mischa, der Bootsmann des Trawlers, war auch das Familienoberhaupt. Er war der Onkel von Wasili und durch Heirat auch der Onkel von Sascha, dem Ersten Maat. Sascha war mit Mischas Nichte verheiratet. Mischa war auch der Vetter des Bootsmannsmaats Lew. Josef, einer der erfahrensten Matrosen, behauptete, mit ihnen allen verwandt zu sein, weil eine seiner Tanten Mischas Bruder geheiratet hatte. Boris war Josefs Onkel.
Die übrigen Mitglieder der Besatzung waren entfernter verwandt. Worolokow war ein Fremder, der aus einer anderen Stadt stammte, und das andere Kuckucksei war der junge Igor, aus eigener Wahl, wenn nicht durch Geburt ein Kosak. Er war Waise. Unter ihnen gab es eine Reihe meist nutzloser Talente. Rasputin, Lews stummer Schäferhund, begleitete ihn auf allen Reisen. Lew bellte und knurrte für ihn. Mischa behauptete, ein mongolisches Geheimnis zu kennen, wie man einem Mann mit einem leichten Ruck das Genick brechen könnte. Allerdings hatte er es noch nie in der Praxis bewiesen. Boris, der das Geheimnis nicht kannte, war in Polen aus einem Konzentrationslager geflohen, und von ihm wußte man, daß er mehreren Wachmännern das Genick gebrochen hatte. Wasili konnte nach Belieben seine Schulter auskugeln - und tat es, wenn er Freizeit brauchte. Igor war ein begabter Tänzer. Sie alle behaupteten, Fischschwärme, Eisberge und Untiefen riechen zu können und ebenso die Länder, an denen sie vorüberfuhren, an den Gerüchen zu erkennen, die über das Wasser zu ihnen getrieben wurden. Sie alle arbeiteten gut. Worolokow hatte mit ihnen wenig oder gar keine Mühe. An Land tranken sie zusammen. Auf See kannten und verstanden sie einander. Jedoch befanden sich einige an Bord der DMITRI KIROW, welche die Besatzung nicht verstand. Das waren die vier Wissenschaftler, denen die gesamten Instrumente des Schiffes unterstanden und ebenso die noch komplizierteren Abhörapparate. Worolokow sah sie nur hin und wieder. Die Wissenschaftler aßen gemeinsam in ihrer eigenen Messe, während er seine Mahlzeiten zusammen mit der Besatzung einnahm oder während er auf der Brücke auf seinem Posten stand. Die Wissenschaftler waren seltsame Leute. Sie redeten in einer Sprache miteinander, die nur sie verstehen konnten. Und sie ließen Worolokow sich in ihrer Gesellschaft als Dummkopf empfinden. Vor allem aber mißtraute er ihrer Navigation unter Deck. Er arbeitete instinktiv nach dem Stand der Sonne und den Sternen, nach den Jahreszeiten und den Strömungen; gelegentlich zog er seinen Kompaß zu Rate und noch seltener seine Karten. Jetzt, bei diesem, seinem wichtigsten Kommando war ihm nicht erlaubt, seinen Kurs selbst festzulegen. Die Sprechanlage summte, und eine fremde Stimme befahl ihm, die Richtung um soundso viel Grad zu ändern. Knurrend gehorchte er oder gab die Befehle an den Rudergänger weiter. Während der letzten Woche, seit sie Leningrad verlassen hatten, hatte er nur gewußt, wo sie schon gewesen
waren. Sein Kurs war auf den Karten der Wissenschaftler eine Reihe von Zickzacklinien. Worolokow war ärgerlich und enttäuscht, wenn sie über seine Fischgründe hinweg- und weiterfuhren. Von den Waffen an Bord seines Schiffes wußte er nichts. Er wußte, daß sie da waren und daß sie wirkungsvoll und wichtig sein mußten. Aber sie unterstanden ihm nicht. Ohne Erlaubnis durfte er nicht einmal eine Luke öffnen. Die Weißkittel, wie sie an Bord genannt wurden, beherrschten sämtliche Instrumente und Waffen. Worolokow wußte, daß er eine Marionette war. Er spuckte einen Mundvoll Kaffeesatz über die Reling und beschloß, daß vor der nächsten Reise in Sachen des Kochs irgend etwas unternommen werden müsse. Unter Deck, in der kleinen quadratischen Funkkabine, untersuchte Tanya Suworowa mit mißbilligendem Gesicht ihren linken Daumennagel, dann lehnte sie sich zurück und nahm den Kopfhörer ab. Es schien der Zweiundzwanzigjährigen, daß sie ihr ganzes Leben in einer Funkerbude von drei Metern im Quadrat verbringen müsse. Eine Leuchtröhre in der Decke war die einzige Lichtquelle. Das Tageslicht sah sie nur dann, wenn sie am Ende ihrer Wache nach oben ging, um frische Luft zu schnappen. Sonst saß sie immer nur vor ihren Apparaten und trug den Kopfhörer. Im Augenblick hatte sie ein klein wenig schlechtes Gewissen. Während der letzten Viertelstunde hatte sie mit Vergnügen westliche Musik auf einer der üblichen Wellenlängen des Rundfunks gehört. Tanya war Worolokows Liebling, die Tochter, die er niemals hatte. Ihr Haar war schwarz wie Ebenholz, und ihre grauen Augen erinnerten ihn an die nebelverhangenen Seen seiner Kindheit an der Küste des Nordmeers. Ihre Stimme war leise, so leise, daß er seinen Kopf immer nahe an das Sprachrohr halten mußte, wenn sie sich meldete. Auf der Schalttafel vor ihr erschien ein Signal, und sie hörte einen scharfen, aufdringlichen Summton. Tanya drückte ihre Zigarette aus und nahm den Kopfhörer. Neben Störgeräuschen erkannte sie die verschlüsselten Grüße vom Mutterschiff AYAT. Später am Tage sollten sie sich treffen. Sie bestätigte den Empfang der Nachricht und entschlüsselte sie rasch. Dann drückte sie die Taste der Bordsprechanlage und gab Uschakow die Position der AYAT durch. Uschakow trat an den Radarschirm und entdeckte das Mutterschiff etwa einundzwanzig Meilen backbord voraus. Er legte den neuen Kurs fest und erteilte dann Worolokow auf der Brücke seine Anweisungen. »In eineinhalb Stunden werden wir längsseits gehen.«
Worolokow warf die Arme hoch und murmelte einen Fluch vor sich hin. Der Rudergänger korrigierte den Kurs um einige Grad, und Worolokow prüfte auf dem Kompaß die neue Richtung. Den englischen Kanal hatten sie jetzt hinter sich. Wie üblich fragte er sich, ob die Weißkittel da unten wußten, was sie taten. Siebenundsechzig Minuten später lief die DMITRI KiROW in eine Nebelbank. Worolokow rief den Radarraum an und erstattete Uschakow Meldung. Fast unmittelbar darauf erhielt er die Antwort, daß das Mutterschiff AYAT sich direkt vor ihnen befände und im übrigen die Sicht dort klar wäre... Es war weniger ein Krach als ein Vulkanausbruch. Ein mißtönendes Dröhnen von zerreißendem, verbiegendem Metall und knirschendem Felsen. Ein Schott des Schiffes sprang Boris entgegen. Ein Feuerlöscher riß sich aus seiner Halterung und platzte, sofort war alles voller Schaum. Halb bewegungslos sah der Koch, wie Worolokow hochgehoben wurde und über den Kartentisch und durch das Brückenfenster fiel. Der Rudergänger knallte gegen das Rad. Sein Pullover verfing sich an einer zerbrochenen Speiche, und er hing bewußtlos darüber. Von unten kamen Rufe der Männer, als sie durch den Aufprall durcheinandergeworfen wurden. Schwere Geräte rissen sich aus ihren Befestigungen. Einrichtungsgegenstände und Geschirr zerschlugen sich zu Trümmerhaufen. Die Schäkel des Ankers zerbrachen. Er fiel. Die Kette ratterte aus der Klüse. Dann war es still. Worolokow öffnete die Augen. Er hing halb durch die vordere Glasverkleidung des Ruderhauses. Sein Kopf steckte fest zwischen einer Strebe und dem riesigen Bügel des Scheibenwischers. Mit großer Mühe erhob er sich langsam und blickte über das jetzt zusammengedrückte Vorderdeck. Wie aus einem Springbrunnen schoß aus einem geplatzten Rohr gerade unter ihm das Öl. Es war ein Chaos. Er blickte weiter voraus. Da war kein Wasser mehr Nur ein felsiges Plateau. Zwei kleine, verdutzte und nackte Gestalten standen Hand in Hand und sahen über den zertrümmerten Bug des Schiffes zu ihm hinauf. Die DMITRI KIROW, der Stolz der sowjetischen Spionageflotte, hatte jetzt von einem großen Stück der Insel Besitz ergriffen, die Alberts Onkel Fatty Hagan beim Pokern abgenommen hatte. Nackt, wie sie waren, starrten Albert und Victoria den mißhandelten Bug des Trawlers hinauf, der sie überragte. Es herrschte völlige Stille, und nur von dem zerrissenen Rumpf des Schiffes tropfte Wasser. Sie hatten auf dem Plateau gelegen und beide an das gleiche Ziel gedacht. Sie hatten einander auf diesen Augenblick hin gesteigert. Victoria hatte Albert hart arbei-
ten lassen. Sie hatte es nicht eilig. Sie kannte ihren Kamasutra. Sie wollte alle Präliminarien voll auskosten und es in die Länge ziehen. Schließlich hatte Albert sich behutsam in Stellung gebracht und innerlich den Countdown begonnen. Fünf, vier, drei... Ein dumpfes Geräusch im Nebel hatte ihn aufblicken lassen. Durch den Dunst glitt ein Schiff auf sie zu. Instinktiv war Albert von der verblüfften Victoria heruntergesprungen. Der herankommende Bug, der auf sie zielte, schnitt in die Insel. Er riß das schwer atmende Mädchen auf die Füße. Gischt von dem stählernen Rumpf überschäumte sie, als dieser nur ein paar Meter vor ihnen zitternd zum Halten kam. Als der Anker aus der Küste katapultiert wurde, zertrümmerte er vor Alberts Füßen das Gestein. Dann wurde er von der Kette, die herunterrasselte, begraben. Ein bärtiges Gesicht erschien und starrte auf sie herunter! Sie sahen Blutstriemen, und eine dicke braune Flüssigkeit tropfte daraus. »He, Seemann!« rief Albert wütend hinauf. »Betreten verboten.« Der Kopf sah sie erstaunt an. Dann hoben sich zwei riesige geballte Fäuste und knallten auf die Reling des Schiffes, und er verschwand plötzlich. Gleich darauf erschien er wieder, diesmal in Begleitung eines zerrupften weiblichen Kopfes, der Kopfhörer trug, von denen noch ein kurzes Ende Draht herunterbaumelte. Die Nase blutete, und dünne Rinnsale Blut zogen sich an beiden Mundwinkeln vorbei nach unten und sahen wie ein finsterer roter Schnurrbart a` la DschingisKhan aus. Neben ihnen kamen immer mehr Köpfe zum Vorschein, bis der ganze Bug des Schiffes wie die Galerie | eines Theaters aussah. Plötzlich erinnerte sich Albert, daß er nackt war, und hielt notdürftig die Hände davor. Victoria stand da und schaute erstaunt auf das dunkle graue Schiff. »Was tun Sie da vor unserem Schiff?« fragte eine Stimme mit antiquiertem Akzent. »Sie haben auf unseren Kleidern geparkt. Wenn Sie ein bißchen zurückstoßen, können wir uns anziehen. Und ich glaube, Sie haben unsere Brote zerquetscht. Sie waren in unserem Boot.« Die Köpfe verschwanden. Albert konnte unmöglich sehen, was hoch über ihnen auf Deck vor sich ging. Er nahm die Hände wieder weg. In hypnotisierter Ungläubigkeit starrte Victoria immer noch hinauf. Er packte sie an den Schultern und schüttelte sie aus ihrer Erstarrung. »Ich glaub, meine Sonnenbrille ist da drunter«, war alles, was sie von sich geben konnte, und sie blickte zu der kleinen Bucht, die der Trawler jetzt restlos ausfüllte.
»In Zeiten wie diesen«, murmelte Albert. Er nahm ihren Arm und führte sie hinunter zu den zertrümmerten Resten ihres Bootes. Unter dem Kiel des Schiffes schaute ein verbogenes Lenkrad hervor. Die ganze Felsspalte, hinunter waren Splitter von Glasfiber verstreut. Der Außenbordmotor war zu einem Hufeisen zusammengerollt worden. Der einzige Hinweis auf ihre Kleidung war ein blauweißer Ärmel von Alberts Hemd. Victorias Sonnenbrille lag unbeschädigt unter den Wrackteilen. Sie untersuchte sie sorgfältig und lächelte Albert abwesend an, als sie sie aufsetzte. Er zog die Startschnur aus dem Außenbordmotor und band sie um seine Hüfte. Dann stopfte er vorn und hinten den blau-weißen Ärmel wie einen Lendenschurz darunter. Mehr war aus dem Schiffbruch nicht zu bergen. Er ging zum Heck des Trawlers. Das Schiff war völlig aus dem Wasser heraus. Nur die Spitze eines verbogenen Schraubenblattes berührte die Oberfläche. Eine Seite des Rumpfes war gut sechs Meter lang aufgerissen, wo eine Felsspitze die Stahlplatten wie ein Laserstrahl durchschnitten hatte. Er ging wieder auf das Plateau und blickte zum erstenmal zum Namen des Schiffes den Bug hinauf. »Ich werd' verrückt. Auch noch ein verdammter Russe!« Über die Bordwand des Schiffes wurde eine Strickleiter heruntergelassen und schlug gegen die Felsen. Ein Seestiefel wurde sichtbar, ihm folgten der schwere Körper und das bärtige Gesicht von Worolokow. Eine kleine Prozession kam hinter ihm her. Mit allerlei Knurren wurde der Schaden am Schiffsrumpf des Trawlers untersucht. Albert brauchte kein Russisch zu verstehen, um zu begreifen, daß die saftigen Flüche und Vorwürfe sich größtenteils gegen einen jungen Mann in einem weißen Kittel richteten. Eine Weile lang sah es so aus, als ob der junge Mann und der gewaltige Seemann ihren Streit in eine Schlägerei ausarten lassen würden. Die Frau, die immer noch ihren Kopfhörer und den blutigen mongolischen Schnurr bart trug, trat zwischen sie, deutete auf Albert und sagte etwas zu den beiden. Albert wünschte plötzlich, daß er wie üblich in Clacton Ferien gemacht hätte. »Guten Tag«, sagte sie. »Wie ist es Ihnen gelungen, uns so schnell diese Insel in den Weg zu stellen?« Diese weibliche Logik brachte Albert aus der Fassung. Der durchdringende Ton einer Schiffssirene hinter ihnen ließ die ganze Gesellschaft aufschrecken. Albert fuhr herum. Sein Magen krampfte sich in Panik zusammen. Er erwartete schon, aus der anderen Richtung ein weiteres Schiff auf die Insel zukommen zu sehen. Nach seiner Meinung war Foul Rock bereits jetzt ein wenig überbevölkert.
Durch den aufsteigenden Nebel sahen sie kaum vierhundert Meter entfernt einen riesigen Tanker, der, an Bug und Heck verankert, in einer Linie mit dem Trawler lag. Vom Topp wehte die rote Flagge der UdSSR. Sie beobachteten, wie ein Motorboot heruntergelassen wurde und in Richtung auf die Insel fuhr. Die gestrandete russische Besatzung ging ihm entgegen. Das Gespräch mit den Männern des Bootes begann, als jene noch fünfzig Meter entfernt waren. Die Besucher verschafften sich rasch einen Eindruck von den Schäden des Trawlers. Es war offensichtlich, daß zumindest Victorias Anwesenheit von den Neuankömmlingen bemerkt worden war. Immer wieder schweiften manche eindeutig verlangende Blicke in ihre Richtung. Aber hinter ihrer Sonnenbrille fühlte sie sich anonym. Albert hatte das unbehagliche Gefühl, daß die Russen sehr viel glücklicher gewesen wären, wenn sie ihn und Victoria zusammen mit ihrem kleinen Motorboot zerquetscht hätten. Nach einer Zeit kam die Gruppe zu ihm herüber. »Was machen Sie hier?« fragte ein uniformierter Offizier in fast akzentfreiem Englisch. »Sie befinden sich auf meiner Insel. Sie haben unser Boot und alle unsere Sachen zerstört. Mein Mädchen hat nicht einmal mehr eine Hose.« Der Offizier gab einem riesigen Russen an seiner Seite einen kurzen Befehl. Der Matrose zog seinen gewaltigen öligen Pullover aus und reichte ihn Victoria. Sie drehte sich um und streifte ihn über. Er paßte ihr wie ein gewaltiger, öliger Seemannspulover, aber die Wirkung war erotisch — niemand konnte vergessen, daß sie immer noch keine Hose anhatte. Der Trupp begab sich zur Bordwand des Trawlers und begann hinaufzuklettern. Albert und Victoria, die nicht wußten, was sie tun sollten, warteten am Fuß der Strickleiter. Einen Augenblick später erschien der weibliche Kopf über dem Schanzkleid und bat sie hinauf. Albert ging voran. »Bitte, kommen Sie.« Das weibliche Wesen und ein untersetzter Mann mit verbogener Nase und einem einseitigen Grinsen auf dem Gesicht führten sie in eine Kabine. »Sie müssen damit vorliebnehmen.« Sie zeigte auf eine doppelstöckige Koje. »Ich hoffe, daß Ihnen das nichts ausmacht.« »Was für Bedenken«, sagte Albert und sah Victoria an. »Bitte setzen Sie sich. Wie war's mit Wodka?« Albert nickte ihr zu. »On the rocks.« »Wo, bitte?«
Albert lächelte, setzte sich und stellte plötzlich fest, daß er einen unangenehmen Sonnenbrand auf einem daran nicht gewöhnten Körperteil erwischt hatte. Die verbogene Nase drückte ihnen schmierige Gläser in die Hand, und eine Flasche wurde auf den Tisch gestellt. Albert nippte an der klaren Flüssigkeit, die das Mädchen ihm eingeschenkt hatte. »Njet. So.« Sie kippte ihr Glas in einem Zug hinunter. Albert und Victoria machten es ihr nach. Zwanzig Minuten später war die Flasche halb leer. Albert drängte sich ein schwarzer Verdacht auf, als das weibliche Wesen ihnen immer wieder nachschenkte. Aber es war ihm gleichgültig. Er fühlte sich entschieden wohler, obwohl sein Gehirn ihm meldete, daß man zum Tode Verurteilte vor der Exekution betrunken machte. Er fragte sich nur, ob der Wodka seinen schmerzenden Hintern betäuben würde. Die Kabinentür wurde aufgestoßen. Der Bärtige und der uniformierte Offizier von dem Tanker traten auf sie zu. »Dies«, sagte das weibliche Wesen und zeigte auf den Bärtigen, »ist der Kapitän des Trawlers, Worolokow. Und das ist der Flottenkommandant Newskij. Ich heiße Tanya Suworowa, Funkerin.« Albert stellte sich und Victoria vor. Worolokow erklärte, daß sie trotz der anscheinend schweren Schäden hofften, den Trawler am nächsten Tag wieder flottzumachen. Sie wollten die Nacht hindurch arbeiten und neue Platten auf den Schlitz im Schiffsrumpf aufschweißen. Dann würde man die DMITRI KIROW zur Reparatur nach Leningrad schleppen. Victoria empfand den russischen Kapitän als warmherzig und freundlich. Er sprach ein gutes Englisch. »Unser Unfall war ein Irrtum in der Radarsteuerung«, sagte er, »und ist uns allen sehr unangenehm. Wir bedauern die Zerstörung Ihres Bootes. Unsere Botschaft in London wird den Schaden wiedergutmachen. Morgen bringen wir Sie an Land zurück. Seien Sie bitte bis dahin unsere Gäste.« Albert dankte ihnen für ihre Freundlichkeit, und die drei Russen verließen die Kabine. Wenig später kam Tanya mit einem Armvoll Kleidern. »Für Sie«, sagte sie und ging wieder hinaus. Sie zogen sich an. Albert stellte fest, daß das rauhe Tuch der Arbeitsanzüge fürchterlich scheuerte. Arbeitsgeräusche ließen ihn aus einem der Bullaugen blicken. Er sah, daß eine Reihe von Seeleuten Schweißgeräte zum Schiff schleppten. Auch über sich hörte er arbeitende Männer. Der Lärm wurde lauter, als die zerrissenen und be schädigten Teile des Schiffsrumpfes mit Schneidbren-
nern herausgeschnitten wurden. Metall schlug dröhnend aufeinander, als die Ingenieure neue Platten hochzogen. Der Krach, der durch die Kabine hallte, trieb Albert und Victoria an Deck. Die Sonne ging allmählich unter. Aber die Scheinwerfer auf den Felsen und an Deck erhellten alles. Wenn der Lärm nicht wäre, dachte Albert, hätte es romantisch sein können. Tanya erschien neben ihnen und bat sie in die Messe hinunter. Worolokow war schon dort. Er bat Victoria, zu seiner Linken Platz zu nehmen. Tanya saß an ihrem gewohnten Platz rechts von ihm. Albert suchte sich unauffällig einen Platz neben ihr. In der geborgten Seemannskleidung fühlte er sich hief durchaus zu Hause. Man brachte georgischen Wein, russische Eierkuchen und gesalzene Heringe. Worolokow beherrschte das Gespräch. Er erzählte mit großer Wärme von seinen Besuchen in Großbritannien während des Krieges. Dabei hätte er Englisch gelernt, erklärte er. »Damals wurde in russischen Schulen Englisch noch nicht unterrichtet«, sagte er. »Heute ist alles anders.« Zum erstenmal, seit das Auflaufen des Trawlers ihr einen Schock versetzt hatte, begann Victoria sich zu entspannen. Sie mochte Worolokow. Er war der erste Russe, den sie je kennengelernt hatte. Jetzt genoß sie das Abenteuer, aber sie wußte, daß ihr Vater sich Sorgen machen würde, weil sie nicht zurückgekehrt war. Nach dem Kaffee und weiterem Wodka entschuldigte sich Worolokow, er müsse die Reparaturarbeiten überwachen. Tanya, so schien es, würde noch für längere Zeit im Funkraum zu tun haben. Victoria und Albert zogen sich in ihre Kabine zurück. Der Lärm glich jetzt dem in einer Eisengießerei. »Es ist zum Schlafen zu laut. Meinst du, daß die ein Monopoly-Spiel für uns haben?« Albert sah zu Victoria herunter, die unter ihm auf der niedrigen Koje hockte. Sie lächelte, griff nach oben und zog ihn an seinem Gürtel herunter. Albert küßte sie. »Auf Monopoly bin ich nicht scharf«, sagte er und war drauf und dran, eine bessere Methode vorzuschlagen, um die Nacht zu verbringen, als die Tür geöffnet wurde. Es war wieder Tanya. »Lassen Sie sich nicht stören. Meine Wache ist vorüber. Ich schlafe.« Angezogen, wie sie war, ließ sie sich in die Einzelkoje an der gegenüberliegenden Seite der Kabine fallen. Albert kletterte vor sich hin knurrend wieder in die obere Koje. Er lag auf dem Bauch, denn sein verbranntes Hinterteil schmerzte zu sehr. Victoria wachte auf, als irgend jemand sie behutsam schüttelte. Tanya stand da. Sie hatte Kaffee gebracht. »Bitte machen Sie sich fertig. Wir wollen das Schiff bald abschleppen.«
Es war kurz nach fünf Uhr. Der Tag war noch blaß und mager. Die Geschäftigkeit draußen hielt an. Albert und Victoria gingen an Deck. Überall rund um die Insel lagen Schiffe - russische Schiffe. Mindestens ein Dutzend ankerte vor der Ostküste. Ein müder Worolokow winkte sie von unten zu sich. Sie kletterten zu ihm herunter. Er stand da und blickte auf die neuen Metallplatten am Schiffsrumpf. »Eine notdürftige Arbeit«, entschuldigte er. »Aber bis nach Hause werden wir es schaffen. In wenigen Minuten ziehen sie uns herunter. Bitte gehen Sie zur anderen Seite der Insel, damit Ihnen nichts passiert.« Dicke Taue und Drahtseile führten von der DMITRI KIROW ins Wasser und in Richtung auf die vor Anker liegenden Schiffe. Der Trawler schien Teil eines gigantischen Spinnengewebes zu sein. Eine Sirene heulte auf. Ankerketten rasselten. Die Schiffe drehten dem festsitzenden Trawler das Heck zu und manövrierten, bis sie in einem kleinen Kreisbogen nebeneinanderlagen. Zwei kurze Signale gaben ein weiteres Zeichen, und das Schleppen begann. Albert und Victoria zogen sich weiter zurück. Hinter den Schiffen auf See schäumte weißes Wasser auf. Die Trossen versteiften sich zu einem Gitterwerk aus braunem Stahl. Albert sah, wie Worolokow auf Deck gestikulierte und Befehle schrie. Ein paar Sekunden lang geschah gar nichts. Dann hörte man eine Reihe scharfer Knalle, als einige der Schleppleinen rissen. Der Bug des gestrandeten Trawlers zitterte und neigte sich. Weitere Explosionen folgten. Große Teile der Trossen schlugen peitschend auf das Deck der DMITRI KIROW zurück und fegten herunter, was sich dort befand. Ein letzter Kanonenschuß, und alle waren zerrissen. Rund um den immer noch festsitzenden Trawler wirbelte weißer Gesteinsstaub auf. Zwei Stunden später lagen die schleppenden Schiffe wieder in Position, um es noch einmal zu versuchen. Diesmal war auch ihr Mutterschiff, der Tanker dabei. Wie das erste Mal gab eine Sirene die Befehle. Die Schiffe arbeiteten. Wieder entstand ein Zittern, und dann gab es einen Krach, als ob ein Böller abgefeuert würde. Eine Schlepptrosse peitschte zurück über das Deck, riß einen Poller mit und schmetterte ihn seitlich durch die Brücke. Gleich darauf folgte die nächste Explosion. Dieses Mal wurde achtern das ganze Deckhaus heruntergefegt und so die bedrohliche Abwurfvorrichtung für Wasserbomben ans Tageslicht gebracht. Dann hörte Albert den Trawler aufschreien. Schauerlich und erschreckend hallte es über die Insel. Der Bug hob sich zwei, drei Meter über den Boden, blieb einen
Augenblick so hängen und krachte dann mit einem donnerartigen Splittern von Fels und Metall zurück. Ein Signalhorn auf der Brücke des Trawlers steigerte noch den Lärm. Die schleppenden Schiffe stoppten ihre Maschinen. Der Trawler lag starr und fest immer noch auf der Insel. Das Heck war gebrochen. Der letzte Schleppversuch hatte ihn buchstäblich auseinandergerissen. Wieder auf dem Schiff, wurde Albert gesagt: »Da ist nichts zu machen. Wir haben uns entschlossen, die Geräte auszuladen.« »Sie können aber nicht diesen großen Haufen Alteisen auf meiner Insel liegenlassen«, sagte Albert. »In diesem Land ist es verboten, seinen Schutt abzuladen, wo man will.« »Wir haben keine Wahl«, sagte Worolokow traurig. »Aber wenn wir erst ausgeladen haben, können wir den Rumpf vielleicht sprengen, bevor wir abfahren.« Ein Ruf von den Felsen herüber unterbrach das Gespräch. »Das ist Papa«, sagte Victoria. Sie lief zur Reling. Rhodes stand unten an der Strickleiter, neben ihm der in Ölzeug gekleidete Steuermann des örtlichen Rettungsbootes. Rhodes' Gesicht spiegelte zugleich Zorn und Erleichterung wider. Als die beiden nicht zurückgekommen waren, hatte er die Küstenwache alarmiert. Noch vor Morgengrauen war er mit der Besatzung des Rettungsbootes hinausgefahren. »Ich werde dem jungen Hund eins überziehen«, hatte er zu dem Steuermann gesagt. Sie landeten in der Nähe des gestrandeten Trawlers, und als Rhodes in der kleinen Bucht die Überbleibsel seines Motorbootes, ein paar Kleiderfetzen und Alberts zerquetschtes Fernglas entdeckte, war er sehr erschrokken. Victoria kletterte die Leiter hinunter und fiel ihm um den Hals. Albert folgte. Er erklärte, was geschehen war. Rhodes setzte sich auf einen Felsen und hörte zu. Seine schlauen Augen musterten die seltsamen Antennen, Geräte und anderen komplizierten Einrichtungen hoch oben auf den Aufbauten des Trawlers. Schließlich stand er auf. Er angelte in seiner Hosentasche und fischte eine Taschenflasche Gin heraus - die größte, die Albert je gesehen hatte. Sie sah aus wie die Wasserflasche eines Fremdenlegionärs. Er schraubte den Trinkbecher ab und drückte ihn Albert leer in die Hand. Dann nahm er einen tiefen Zug aus der Flasche, bevor er sie weiterreichte. »Ich glaube, ich kann Sie reich machen, mein Junge.« Um jedem seiner Worte Nachdruck zu verleihen, stupste er Albert immer wieder auf die Brust. »Sie brauchen meine erfahrene Hilfe. Ohne besondere Genehmigung dessen, der über das Wrack verfügen kann, dürfen sie keine
einzige Schraube von dem Kahn entfernen — und der Besitzer sind Sie, da Ihnen dieses Stückchen Felsen gehört.« Er griff sich mit beiden Händen an den Kopf und schob seine Perücke in bester Gerichtssaalmanier nach vorn. »Nach meiner Auffassung unterliegt diese Insel allein Ihren Gesetzen. Überlassen Sie das nur mir.« Er wandte sich ab und blickte dann zu Albert zurück. »Als Generalstaatsanwalt Ihres Landes natürlich...« Rhodes ging zu Worolokow und Uschakow hinüber, die der Besatzung Befehle erteilten, den Trawler zu entladen. »Ich möchte den leitenden Offizier sprechen«, sagte er in bestimmtem Ton. »Ich bin der Kapitän.« Rhodes nahm die amtliche Haltung seines Berufsstandes ein. »Gut. Ich habe Ihnen mitzuteilen, daß Sie kein einziges Gerät entladen dürfen, bevor nicht von einem internationalen Gericht eine Abfindung festgesetzt worden ist. Ich bin der Rechtsvertreter des Eigentümers dieser Insel, und ich brauche nicht auf die Folgen hinzuweisen, wenn Sie dieser Warnung nicht nachkommen.« In Worolokows Augen entstand ein verschmitzter Ausdruck. »Bergegeld?« fragte er. »Bergegeld und Abfindung«, korrigierte Rhodes. »Kann er das mit uns machen?« fragte der Wissenschaftler auf russisch. »Ja, aber ich hoffte, daß wir so davonkämen.« Uschakow zuckte mit den Schultern. Die beiden Männer kletterten müde an Bord des unglücklichen Trawlers. Tanya steckte ihren Kopf aus der Tür ihrer Funkkabine und sah den niedergeschlagenen Worolokow herankommen. »Flottenkommandant Newskij möchte wissen, wann die erste Bootsladung mit Geräten zu erwarten ist.« »Sag ihm, daß wir nichts ausladen dürfen. Wir haben hier einen verrückten Anwalt, der droht, uns einen Kukkuck auf das Schiff zu kleben. Ich hatte schon Angst, daß das eintreten würde, als das Rettungsboot ankam. Newskij wird das aushandeln müssen.« Tanya übermittelte die Nachricht. »Er möchte mit Ihnen sprechen«, sagte sie. Worolokow zuckte zusammen und nahm das Mikrophon des Sprechfunkgeräts in die Hand. Rhodes, Albert und Victoria saßen in der Nähe des leuchtenden Rettungsbootes auf den Felsen. Von Deck des Trawlers rief Tanya zu ihnen herunter. »Flottenkommandant Newskij bittet Sie, zu einem Gespräch auf sein Schiff zu kommen.«
»Tut mir leid«, rief Rhodes zurück. »Wir sind nicht bereit, unser Hoheitsgebiet zu verlassen, um das zu besprechen. Er muß schon hierherkommen.« Als Newskij schließlich erschien, wand sich die Diskussion durch die Irrwege der rechtlichen Lage. Der Russe bestand darauf, daß er jedes Recht habe, das Eigentum seines Landes von der Insel zu entfernen. Rhodes verlangte ebenso unerschütterlich, daß es zu bleiben habe. Victoria fand es aufregend, zu sehen, wie ihr Vater sich in keiner Weise durch die bewaffneten Wachen einschüchtern ließ, die den Offizier begleiteten. Nach langem Hin und Her kam der Anwalt zu Albert herüber. »Sind Sie bereit, einen Teil der Insel zu verkaufen oder zu verpachten?« »Was schaut dabei heraus?« »Keine Sorge. Das können Sie mir überlassen. Ich treibe sie so hoch wie möglich.« Er kehrte zu dem Russen zurück. »Für sechs Millionen Rubel ist der Eigentümer dieses Landes bereit, Ihnen die beschädigte Hälfte der Insel einschließlich Ihres Trawlers zu verpachten.« Der Russe sah ihn sprachlos an — ebenso sprachlos wie Albert, der zwar nicht wußte, wieviel das war, aber meinte, daß das nach einem ganzen Haufen Geld klang. »Das sind über eine Million Pfund«, flüsterte Victoria, die sich an ihr kürzlich bestandenes Examen erinnerte. Der Russe starrte Rhodes hart an. »Ich werde mich sofort mit meiner Regierung in Verbindung setzen.« Rhodes beobachtete Newskijs steifen Rücken, als der Russe zu seinem Boot zurückging und sich bemühte, auf dem unebenen Gelände eine möglichst arrogante Haltung zu bewahren. Seine Wache folgte ihm. Offensichtlich war er sehr ärgerlich. Er sprang spritzend in das flache Wasser und mit einem Satz an Bord des Kutters. Einer der Männer schob das Boot mit dem Riemen ab, und sie steuerten auf die AYAT zu. Newskij starrte voraus und blickte kein einziges Mal zur Insel zurück. Rhodes ließ seine Amtsmiene fallen. »Wir gewinnen! Wir gewinnen!« Er hüpfte von einem Bein auf das andere. Albert sah, wie sich unter der roten Perücke das Tageslicht auf der Glatze spiegelte. »Wir brauchen nur noch zu handeln. Die Russen wissen, daß sie letzten Endes zahlen müssen. Und sie werden es erledigt haben wollen, bevor die Westmächte ihre Nase hineinstecken.« Aus seiner Taschenflasche goß er einen Siegesschluck in sich hinein und fuhr fort: »Das ist kein Fischdampfer. Das ist ein Spionageschiff. Wahrscheinlich haben sie Geräte an Bord, die ein paar Millionen Pfund wert sind. Die Russen wissen, daß die Yan
kees liebend gern ihre Finger in das Spiel stecken würden. Daher werden sie den Kahn so schnell wie möglich abwracken.« Er sah auf seine Uhr. »Ich fahre mit dem Rettungsboot nach St. Mary's zurück«, sagte er. »Ihr beide bleibt am Ball. Und geht nicht wieder auf den Trawler. Tut mir leid, daß ihr hungern müßt, bis ich wieder da bin. Ich hole etwas zu essen und ein Zelt. Bis alles geregelt ist, werden wir hier draußen bleiben. Ich komme heute abend wieder. Oh! Wir brauchen Ihre Urkunde. Wo ist sie?« Albert beschrieb ihm, wo sie in einem Koffer auf seiner Bude zu finden sei. »Packen Sie auch ein paar Sachen zum Anziehen ein. Ich könnte sie gut gebrauchen«, sagte er. Rhodes stieg in das Rettungsboot. Albert lief hinter ihm her. »Sagen Sie lieber Mrs. Pengelly, daß ich auch heute abend nicht zum Essen komme.« Flottenkommandant Newskij war in der Regel fehlerlos gekleidet. Groß, mit grauen kurzgeschnittenen Haaren, war er ein Musterexemplar der sowjetischen Marineakademie. Bisher hatte er eine glänzende Laufbahn hinter sich. Und er hoffte, daß seine Sprachkenntnisse ihm den Posten eines Militärattaches in einem der westlichen Länder verschaffen würden - am liebsten in Kanada, denn er war ein Eishockeyfan. Er hatte seine Kabinentür abgeschlossen und saß mit offenem Kragen und heruntergezogenem Schlips am Tisch. Seine Jacke hing auf den gebeugten Schultern. Er stützte die Stirn auf den Daumen der linken Hand, in der er eine Zigarette hielt, deren Asche sich schon schräg nach unten bog. Er starrte auf eine Karte. Der kleine, dick umrandete Punkt war Foul Rock und starrte auf ihn zurück. Seine Karriere stand auf dem Spiel. Jetzt wartete er nur noch auf den Funkspruch, der ihn in das Marineamt irgend eines finsteren kleinen Hafens abschob. Er wußte, daß das schon dann die Strafe war, wenn man auch nur ein unbedeutendes Schiff seiner Flotte verlor. Womit er den Verlust der DMITRI KIROW zu büßen haben würde, konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen. Ein scharfes Klopfen an der Kabinentür riß ihn aus seinen trüben Gedanken. »Der Funkoffizier, Sir.« Flottenkommandant Newskij ließ die Karte hinter dem Tisch verschwinden. Als er die Tür öffnete, saß die Krawatte wieder korrekt in der Mitte des Kragens/und er war der elegante Flottenkommandant wie eh und je. Er sah das lächelnde Gesicht des Funkoffiziers, und seine Augen wurden hart. Er riß die Nachricht an sich und befahl dem anderen, draußen zu warten. »Schon stürzten sich die Schakale auf den Kadaver«, dachte er. Er entfaltete den Funkspruch und las ihn.
Seine Schultern richteten sich auf. Sein Mund zog sich in die Breite. Und dann folgte etwas, das in dem dürftigen Leben an Bord sonst nie geschah. Das Gelächter brach aus ihm hervor und hallte durch die Kabine. Er klammerte sich an seine Koje und bohrte den Kopf in die Matratze. Tränen liefen über seine Backen. Er rollte auf den Rücken, zog die Knie an und versuchte mit feucht verschwommenen Augen die Nachricht zu lesen. Immer wieder blickte er auf die Glückwünsche vom Präsidium des Obersten Sowjets. Sie waren überschwenglich, fast poetisch. Sie waren einmalig. Ein solches Lob hatte Kapitän Newskij noch nie gehört. Newskij stand auf, ein Held und Konteradmiral. Er hatte das Unmögliche geschafft und war befördert worden. Er hatte vor den Toren Großbritanniens und in der Zufahrt zum Atlantik eine wichtige strategische Basis errungen. Der Englische Kanal, die Irische See und der Golf von Biskaya waren von hier aus unter Kontrolle zu halten. Foul Rock war das Ei des Kolumbus* Albert und Victoria standen an der Nordseite der Insel und halfen Rhodes, seine Siebensachen zu entladen. Seine Rückkehr war eine Art Karnevalszug, und die russischen Fischer auf dem Trawler sahen zu. Er kam in einem Ruderboot, das beinahe gefährlich überladen war. Collins, sein Kanzleivorsteher, begleitete ihn. In schwarzem Jackett, gestreifter Hose und silbergrauer Krawatte, die im Sonnenschein leuchtete, war dieser untadelig gekleidet. Der Anwalt selbst sah aus, als ob es auf die Haifischjagd ginge. Er trug weiße Seestiefel, einen grellgelben Ölmantel und eine blau-rote Radfahrermütze, auf der vorn das Wort »Cinzano« stand. Er und Collins ignorierten die russischen Zuschauer und suchten in aller Würde nach einem passenden Lagerplatz. Als das Problem zu ihrer Zufriedenheit gelöst war, begannen sie das große orangefarbene Zelt aufzustellen. Die Arbeit ging ihnen wie alten Routiniers von der Hand, und sie unterteilten es in vier »Schlafzimmer«, zwei auf jeder Seite des Hauptraumes. Dann traten sie zurück und betrachteten kritisch ihr neues Büro und Hotel. Die Vorräte und das Mobiliar für das Zelt wurden vom Strand herauf geschleppt. Albert half ihnen, Stück um Stück die Gesetzbücher und Kisten zu tragen; dann die zusammenklappbaren Tische, Stühle, den Kochherd, die Wasserkanister und Laternen. Er überlegte, ob sie auch Eßbares mitgebracht hätten. »Was gibt's?« fragte Rhodes, als ihm das plötzlich auffiel. »Ich möchte wissen, wo die Fressalien sind. Wir haben den ganzen Tag noch nichts gegessen.« Der Anwalt zeigte auf einen kleinen Karton, der zwischen zwei großen, bauchigen Ginflaschen stand. Dann
beschäftigte er sich wieder damit, die Tische, die Schreibmaschine, die Lampen und die Bücher an ihren Platz zu stellen. Collins trat mit einer derartigen Selbstverständlichkeit auf, als ob er sein ganzes Leben lang nichts anderes getan habe, als in hellen, orangefarbenen Zelten auf kleinen Felsinseln zu arbeiten. Sein gebräunter, kahler Schädel schimmerte in der warmen Abendsonne, als er das Namensschild auf ein Stück Treibholz nagelte und dieses vor dem Zelteingang in einer Felsspalte aufstellte. »Jas. Rhodes. Bachelor of Laws. London. Vereidigter Anwalt.« Schließlich ging er wieder zu dem Ruderboot hinunter und kam kurz darauf mit einem großen Schild wieder, das er sorgfältig vor dem Zelt aufstellte. Darauf stand: »Willkommen.« Victoria übernahm den Küchendienst und erwies sich darin als erstaunlich sicher. In wenigen Minuten hatte sie hinter dem Zelt einen zweiflammigen Gaskocher aufgestellt. Das Brutzeln der Steaks und Zwiebeln wurde von krachendem Lärm übertönt. Tief über der Wasseroberfläche kam ein Hubschrauber daher, fegte über die Insel hinweg und stieg vor der AYAT hoch. Dort blieb er hängen, und sie beobachteten, wie eine kleine Gestalt sich auf das Deck des russischen Schiffes herunterließ. Ein paar Sekunden lang verharrte der Hubschrauber noch am selben Fleck, dann schwirrte er davon, zurück in Richtung auf die französische Küste. »Meinen Sie, daß sie einen ihrer Häuptlinge haben kommen lassen, Sir?« fragte Collins. Rhodes zuckte mit den Schultern, lüftete seine rote Perücke und kratzte sich den Kopf. Der Himmel war jetzt fast purpurrot. Rhodes zündete eine Gaslaterne an und hockte sich zusammen mit Collins in das Büro. Dort wühlten sie in ihren Papieren, wälzten die Bücher und tranken Gin. Albert holte die Sitzkissen aus dem Boot. Victoria und er setzten sich vor das Zelt und schauten zu den blinkenden Lichtern der russischen Flotte hinüber. Von dem gestrandeten Trawler, fünfzig Meter entfernt, hörten sie eine Balalaika. Sie klang traurig und melancholisch. Kein Lufthauch rührte sich. Die See war glatt. Hin und wieder dröhnte vom Schiff herüber das Geräusch von Stiefeln auf stählernen Treppen, aber es war nichts zu entdecken. Als sie schließlich müde wurden, gingen Albert und Victoria in das Zelt. Sie verabschiedete sich von ihm mit einem Händedruck, gab ihrem Vater einen Kuß und verschwand in einer der Schlafkabinen. Albert zögerte einen Augenblick und nahm dann die neben ihr. Rhodes und Collins arbeiteten weiter.
Am nächsten Morgen weckte ihn Victoria mit Hilfe kühlen Wassers. »Entschuldige«, sagte sie. »Du warst nicht wachzukriegen. Und das Frühstück ist fertig. Ich bin schon länger als eine Stunde auf den Beinen.« Einen Großteil der Zeit hatte sie für ihre Kriegsbemalung verwandt. Ihr Vater hatte ihren Schminkkoffer aus St. Mary's mitgebracht, und sie hatte keine seiner Möglichkeiten ausgelassen. Sie trug ein ärmelloses Kleid, das Albert eher für eine Cocktailparty geeignet schien als für ein paar Tage Lagerleben. »Papa glaubt, daß die Russen in wenigen Minuten herüberkommen werden. Zieh dich lieber an.« Albert durchwühlte seinen Koffer und fand Unterhosen und Shorts. Diese waren für seinen immer noch verbrannten Hintern weit angenehmer als der russische Arbeitsanzug der letzten anderthalb Tage. Er kam durch den Ausgang in die Küche des Zelts und sah, daß Victoria ihm schon eine Wasserschüssel eingefüllt hatte. Er wusch und rasierte sich. Dann ging er zurück, um seinen Schlafraum aufzuräumen und ein Hemd zu suchen. Es tat gut, wieder einmal frisch und sauber zu sein. Albert konnte Schmutz nicht ausstehen. Rhodes und Collins saßen vor dem Zelt unter einem Sonnensegel beim Frühstück. Albert hockte sich neben sie. »Gin oder Cornflakes?« fragte Rhodes. »Wir haben beide die ganze Nacht lang durchgearbeitet.« Er sah müde aus. Seine Perücke war wieder verrutscht, und der Scheitel erstreckte sich jetzt von Ohr zu Ohr. »Es gibt nichts Besseres als im Sommer ein Frühstück im Freien, auch dann, wenn man sein Bett nicht gesehen hat.« Albert entschied sich für Cornflakes. Die Sonne stand schon hoch über der Insel. Nach Norden war der Ausblick vom Zelt fast wie am Mittelmeer, der Süden erinnerte an ein Hafendock und der Südwesten, wo die russiche Flotte vor Anker lag, an das Aufmarschgebiet zu einer Flottenparade. Albert hockte unten am Wasser und versuchte, die Bratpfanne mit einer Handvoll Kies und Seetang zu reinigen. Hinter sich hörte er Schritte, drehte sich um und sah Tanya herankommen. Er blickte ihr entgegen. Ihre Uniform war frisch gebügelt und ihr Haar streng hinter die Ohren zurückgekämmt. Schwarze Strümpfe und Schuhe mit flachen Absätzen. Albert hatte den Eindruck, daß sie auf einer Insel genauso fehl am Platz war wie Victoria. Aber auch so war sie attraktiv. Albert überlegte, wie die beiden Mädchen aussehen würden, wenn sie die Kleider tauschten. »Hallo«, sagte sie, weil sie nicht genau wußte, wie man sich früh am Morgen begrüßt.
»Morgen«, antwortete Albert und steigerte damit ihre Verwirrung. »Ich sehe, Sie haben da ein großes Stoffhaus«, sagte sie und zeigte auf das Zelt. Albert lächelte sie an. Sie sprach sehr leise. »Kapitän Worolokow sagt, er will bald mit Ihnen sprechen. In einer Stunde kommen er und die anderen Offiziere in das Stoffhaus.« Albert lud sie zu einer Tasse Kaffee ein. »Ich danke Ihnen, nein. Kapitän Worolokow sagte, ich muß es Ihnen schnell ausrichten und wieder verschwinden.« Albert biß sich auf die Lippen. Sie drehte sich um und ging, auf dem Kies rutschend, wieder zum Trawlerzurück. »Bildest du dir Schwachheiten ein?« fragte eine Stimme. Victoria stand im Küchenausgang des Zelts. »Erstens ist sie nicht blond genug, und zweitens hält sie mich für einen bissigen Hund«, sagte er. Victoria grinste. »Das habe ich gehört. Wenn sie dich anfaßt, bekommt sie von mir' ne Abreibung — mit einem Felsen.« Albert kam zum Zelt herauf und steckte seinen Kopf in das Büro. »In einer Stunde kommen die Russen«, sagte er. »Wir sind auf sie vorbereitet«, war die Antwort. »Kommen Sie herein, und wir werden Ihnen sagen, welche Marschrichtung wir für die beste halten.« Man hörte ein Glas klingen, als Rhodes sich sein zweites Frühstück einschenkte. Er schob eine Zigarettenkiste herüber und dann das Tischfeuerzeug. »Wir müssen die Sache geschäftsmäßig abwickeln. Möchte jemand etwas zu trinken?« Er sah Albert an, der den Kopf schüttelte. »Da es um so viel Geld geht, möchte ich, daß Sie diese Vereinbarung unterschreiben. Lesen Sie sie sorgfältig durch. Sie ermächtigt mich, für Sie in dieser Angelegenheit zu verhandeln. Außerdem garantiert sie mir fünf Prozent. Das ist weniger, als ich sonst nehme. Aber Collins und ich sind der Meinung, daß unser Arbeitsaufwand dem entspricht.« Rhodes kippte den dritten Gin dieses Vormittags in sich hinein und richtete automatisch seine Perücke. Albert überflog den Schriftsatz. Er schien in Ordnung, und er unterzeichnete. »Ich schlage jetzt vor«, sagte Rhodes, »daß wir einen Teil der Insel den Russen verpachten, nicht verkaufen. Sie sind nur daran interessiert, jeden von ihrem Trawler fernzuhalten. Wir werden ihnen sagen, daß es unter neunundneunzig Jahren nicht zu machen ist.«
Auf seinem Gesicht erschien ein selbstzufriedenes Grinsen, und er goß sich noch einen Gin ein. »Sie werden das Schiff so schnell wie möglich verschwinden lassen wollen.« »Das alles überlasse ich Ihnen, Mr. Rhodes.« »Danke.« Victoria brachte Albert eine Tasse Kaffee, und die drei Männer gingen hinaus, um auf ihre sowjetischen Besucher zu warten. Sie sahen zu, wie Worolokow sich über die Strickleiter des Trawlers schwang und auf eine kleine felsige Landzunge hinausging. Das Motorgeräusch vom Kutter der AYAT wurde lauter, als er um die Insel herumkam und sich Worolokow näherte. Dieser fing die Leine auf und zog das Boot nahe an das felsige Ufer. Newskij und ein junger Mann mit einem rosigglatten Gesicht, der einen eleganten braunen Anzug anhatte und unter dem Arm eine Aktentasche trug, kletterten an Land. Dort blieben die drei Russen stehen und sprachen miteinander. Dann kamen sie auf das Zelt zu. »Muß ich dabeisein?« fragte Albert. »Nein, nur nachher bei der Unterschrift. Aber bleiben Sie in der Nähe. Ich rufe Sie, wenn ich Sie brauche. Victoria, bitte, mach uns jede Menge Kaffee.« Die Russen lächelten Albert und Victoria an, als das Paar aus dem Zelt kam. »Bitte gehen Sie hinein«, sagte Albert. Collins empfing die Besucher und führte sie formvollendet zu Rhodes, der hinter seinem Tisch saß. Er stand auf und reichte den drei Männern die Hand. Newskij stellte den Fremden vor. »Das ist Genösse Gregori Lazarew von unserer Pariser Botschaft.« Albert saß hinter dem Zelt im Schatten und hatte sich vor der Hitze des Gaskochers zurückgezogen. Victoria lief im Pendelverkehr der Kaffeetassen zwischen Küche und Konferenz hin und her. »Jetzt trinken sie da drinnen Gin«, sagte sie zwei Stunden später. Dort, wo Albert saß, konnte er von den Verhandlungen nichts hören. Aber unter dem Zeltrand krochen Fetzen von Zigarrenrauch hervor. Schließlich wurde der Vorhang des Küchenausgangs schwungvoll zurückgezogen, und Collins steckte seinen Kopf heraus. »Sie sind dran«, sagte er. Im Zelt war die Luft so voller Rauch, daß Albert Schwierigkeiten hatte, die Augen offenzuhalten. Rhodes legte seine Hand auf Alberts Schulter und bat ihn, den Vertrag zu unterzeichnen, der auf dem Tisch lag. Albert sah ein fast unmerkliches Zwinkern. Er stellte fest, daß Rhodes seine Perticke zum erstenmal nicht auf
dem Kopf trug. Er benutzte sie, um die Zigarrenasche vom Tisch zu stauben. »Ausgezeichnet, meine Herren«, sagte Rhodes. Er schob das Dokument Lazarew hinüber. Der Russe öffnete seine Aktentasche und zog einen Stoß Durchschläge heraus. Er blätterte darin und reichte einen davon Collins. »Wollen Sie den Namen dieses Herrn bitte hier hineintippen?« Er erhielt ihn zurück, prüfte ihn sorgfältig und übergab ihn Albert. »Das ist Ihr Exemplar«, sagte er mit einem Lächeln. »Wir werden unsere Schweizer Bank sofort benachrichtigen. Das Geld wird morgen auf Ihr Konto Überwiesenwerden.« Lazarew verbeugte sich vor Victoria, gab den drei Männern die Hand und ging aus dem Zelt. Auch die beiden anderen verabschiedeten sich und folgten ihm. Dreißig Meter weiter gingen die Russen langsam davon, ohne ein Wort zu wechseln. Dann versetzte Newskij Worolokow einen Rippenstoß und klopfte Lazarew vergnügt auf die Schulter. »Unsere neue Kolonie«, sagte der frisch gebackene Admiral. »Genauso einfach, wie über Bord zu fallen.« Die drei Männer kicherten unterdrückt. Sie hakten ihre Arme unter und summten fröhlich die Internationale, als sie rasch zum Kutter zurückliefen, und sie planten schon die Siegesfeier an Bord der AYAT. Albert blickte noch auf den Durchschlag in seiner Hand. Der Text war französisch. »Was bedeutet das?« fragte er. »Es bedeutet, mein Junge, daß Sie Millionär sind. Eineinhalbmal. Lassen Sie mich als erster Ihnen gratulieren. Nehmen Sie einen Gin.« Victoria hängte sich Albert um den Hals. Sie hatte beschlossen, daß sie Millionäre liebte. Collins war verschwunden. Sekunden später erschien er wieder und hatte in der einen Hand eine Flasche Bordeaux, in der anderen balancierte er ein Tablett mit vier Gläsern. »Tür mir leid, daß es kein Champagner ist. Feiern wir.« Albert war ganz benommen. Sie aßen zu Mittag, und dann gingen Rhodes und Collins zu den russischen Landvermessern hinaus, welche die Trennungslinie quer über die Insel festlegten. Albert und Victoria sahen zu, wie mitten über Foul Rock von Wasserkante zu Wasserkante ein dicker weißer Strich gemalt wurde. »Irgendwie macht mich das traurig«, sagte Albert. »Das war der Teil der Insel, den ich am liebsten hatte. Dort hab' ich dich kennengelernt.« Albert lag verschwitzt in seinem Schlafsack. Schweißtropfen kullerten ihm über den Bauch. Er rieb ihn. In
dem Zelt konnte man kaum atmen. Irgend jemand hatte alles dicht verschlossen, und eine Ventilation gab es nicht. Collins schnarchte. Victoria beulte die Zeltwand zwischen ihnen aus. Albert strich mit der Hand über die Rundung ihres Hinterns. Bei seiner Berührung bewegte sie sich. Er griff auf den Zeltboden hinunter und suchte nach seinen Zigaretten. Einer der Füße des Bettes stand auf dem Päckchen. Er zerrte es hervor und riß es auf. Die meisten Zigaretten waren beschädigt. Er fand eine brauchbare und zündete sie an. Im Flackern des brennenden Zündholzes sah er auf seine Uhr. Es war beinahe vier und noch dunkel. Das Geräusch eines fernen Hubschraubers hatte ihn aufgeweckt. Es wurde lauter. »Wer zum Teufel kommt denn jetzt schon wieder?« fragte er sich. »Auf einem Rummelplatz kann man schließlich nicht schlafen.« Der Lärm schwoll an. Ein Licht blitzte über das Zeltdach. Voller Panik dachte Albert, daß die Maschine direkt auf sie abstürzen würde. Das Zelt flatterte und flog hin und her. Das Tuch klatschte ihm scharf in den Rükken. Von neuem schimmerte Licht herein. Er kroch aus dem Schlafsack, sprang vom Feldbett und stürzte hinaus. . , Nur dreißig Meter entfernt landete der Hubschrauber mit einem Quietschen seiner Gummikufen auf dem Plateau. Ein Suchscheinwerfer schnitt durch die Dunkelheit, blendete ihn und nagelte ihn auf den Fleck, wo er gerade stand. Mit den Händen bedeckte er seine Augen. Das Licht war so grell, daß er immer noch einen rötlichen Schimmer sah. Der Motor wurde abgestellt. Der Scheinwerfer schwenkte von ihm fort. Er nahm die Hände herunter, konnte aber nur geisterhafte Schatten erkennen. Seine Ohren dröhnten. Irgend jemand ergriff seinen Arm. Er fuhr erschrocken herum. »Wer ist das?« fragte Victoria. »Ich«, sagte er. »Ich meine die da, du Idiot.« In ihren Pyjamas standen Rhodes und Collins neben ihnen. Rhodes Perücke hing auf seiner linken Augenbraue. Der Suchscheinwerfer wurde an ihnen vorbei auf die Seitenwand des Zeltes gerichtet. Ein riesiger Kampfanzug in Tarnfarben sprang in den Lichtstrahl. Unter dem einen Arm trug er einen Koffer. Ein Pistolengürtel hing in Cowboymanier tief auf den einen Schenkel herunter. Auf der linken Brusttasche seiner Jacke befand sich ein großes Schild: »Polyanski.« »Wer ist Quinlan?« fragte die Gestalt und spie die Wörter vorbei an einem zerkauten Stumpenrest aus.
Die Frage klang so militärisch, daß Albert beinahe Haltung angenommen hätte. »Ich.« Collins hatte innen im Zelt die Gaslampe angezündet, und Rhodes bat hinein. Der gewaltige Mann mußte sich bücken, um durch den Eingang zu kommen. Er war gut und gern zwei Meter groß und blickte auf sie alle hinab; seine langen Arme baumelten locker. Er löste den Riemen seines Helms und warf ihn in eine Ecke. »Schätze, Sie wissen, warum ich gekommen bin?« »Wollen Sie von dem Geschäft zurücktreten?« fragte Albert und starrte nervös das Schild auf der Brusttasche an. Im Geiste sah er schon, wie eine Million Pfundnoten Flügel bekommen hatten und davonflatterten. »Geschäft?« »Wer sind Sie?« fragte Rhodes. »Entschuldigung, Herrschaften. Nathan Polyanski, General des US-Marinekorps bei der Sechsten Flotte.« »Ich hielt Sie für einen Russen«, sagte Albert. »Der Name, wissen Sie.« Und er zeigte reichlich täppisch auf das Schild. »Ein Glas Gin, Sir, oder Kaffee?« Collins sah den Besucher müde an. Er dachte an Mrs. Collins, die jetzt zu Hause noch im warmen Bett steckte. Er hatte nichts dafür übrig, so früh aufstehen zu müssen. Rhodes machte den Mund auf. »Wenn Sie wegen der Russen gekommen sind, muß ich Ihnen leider sagen, daß es zu spät ist. Wir haben mit ihnen schon einen Vertrag abgeschlossen. Sie haben die Hälfte der Insel bekommen, und es...« Der General unterbrach ihn. »Das wissen wir. Wir wollen diesen Teil hier. Der Handel kann hier und jetzt abgeschlossen werden. Was verlangen Sie?« Rhodes sah Albert an und dann wieder den General. »Warum wollen Sie ihn?« General Polyanski ließ sich auf einem der Klappstühle nieder, der so niedrig war, daß sich seine langen Beine wie die einer Heuschrecke aufstellten. Er schob sie quer durch das Zelt. Dann zog er einen neuen Stumpen aus der Tasche und zündete ihn an, bevor er antwortete. »Wir haben alle russischen Funksprüche aufgefangen. Sie sind hereingelegt worden. Sie mögen glauben, die Russen wollen ihr Schiff so schnell wie möglich von der Insel verschwinden lassen. Aber das ist nicht der Fall. Sie wollen diese Insel als Horchposten. Ich nehme an, Sie konnten nicht wissen, wie wichtig Foul Rock für sie ist. Sie haben uns unter Kontrolle.« Er spuckte einen Tabakkrümel aus. »Wir sitzen in der Klemme. Deswegen brauchen wir die andere Hälfte der Insel. Irgendwie müssen wir ihnen die Ohren mit Störsendern stopfen.«
Rhodes war verlegen. »Wir dachten, sie wollten nur einen Trawler bergen. Ich habe nicht damit gerechnet, daß sie länger als ein paar Wochen hierbleiben würden.« »Genau«, sagte der General. »Wir zahlen Ihnen dieselbe Summe wie die Russen. In Dollar natürlich. Wir möchten den Besitz sofort übernehmen.« »Was heißt sofort?« fragte Rhodes. »Jetzt zum Beispiel.« Collins gab ein Hüsteln von sich. »Ich glaube, wir können den Pachtvertrag benutzen, den ich für Ihr Landhaus auf dem Festland vorbereitet habe, Mr. Rhodes. Er weist zwar ein paar Abweichungen auf, aber wir können ihn ändern, und das geht schneller, als wenn wir neue Verträge aufsetzen.« Collins fand den Pachtvertrag in einem der Aktenordner. »Es sind darin eine Reihe von Klauseln, denen Sie sicher zustimmen werden.« »Lassen Sie hören«, sagte der General. »Wir erwarten natürlich, daß Sie nicht untervermieten.« Der General lächelte. »Wir rechnen nicht damit, daß Sie die Insel für unmoralische Zwecke benutzen, daß zu Geschäftszwecken Haustiere gehalten werden oder daß man Maden zum Fischfang züchtet.« Das Lächeln des Generals wurde zum Grinsen. Collins fuhr in seiner eintönigen Amtsstimme fort. »Normalerweise müßten wir darauf bestehen, daß nach elf Uhr abends kein Radio mehr gespielt wird und daß die Pächter gottesfürchtig sind und regelmäßig zur Kirche gehen. Die Radioklausel können wir jedoch streichen und ebenfalls diejenigen, die sich auf die Instandhaltung des Strohdaches, die Verunreinigung des Brunnens und die regelmäßige Leerung der Senkgrube beziehen.« Der General lachte. Collins überhörte die Störung. »Klausel sieben muß aber bestehen bleiben. Der Verpächter oder sein Vertreter hat jederzeit freien Zutritt. Und Klausel acht, die besagt, daß bei Erlöschen des Pachtvertrages das Eigentum im ursprünglichen Zustand wiederhergestellt werden muß, wobei es zu streichen und dreifach mit bestem Firnis zu lackieren ist, werden wir korrigieren.« »Junge, Junge«, sagte der General. »Der Kongreß macht sich in die Hosen, wenn er die Bedingungen hört. Lassen Sie die Geschichte mit dem Dach drin. Es wird mir Spaß machen, ihnen zu erzählen, daß der 51ste Staat der USA ein neues Strohdach braucht.« Albert unterschrieb und hatte sein Vermögen verdoppelt. Der General blickte auf seine Uhr und stand auf. »'s wird Zeit, daß ich zur Flotte zurückkomme. Unsere Män-
ner werden bald hier sein«, sagte er lebhaft. »Es hat Spaß Die amerikanischen Landetruppen sprangen auf den Strand, und Kiesel knirschten unter ihren Füßen, als sie rannten. Die vordersten von ihnen gingen hinter der ersten Reihe von Felsen in Deckung, genau zu Füßen der erschrockenen Briten. Während sie ihre Waffen drohend nach vorn richteten, kam eine zweite Welle von Männern heran, »Sturm!« Die Amerikaner liefen von Deckung zu Deckung, bis sie sich auf der Höhe des orangefarbenen Zeltes befanden. »Guten Morgen, Madam«, rief der junge Leutnant zu Victoria herüber, als er in Richtung auf die Russen vorüberrannte. Er hielt immer noch seine Handgranate hoch. »Ausschwärmen und in Stellung gehen!« brüllte er. Der Landetrupp zog sich über die Insel auseinander und versteckte sich hinter jeder nur irgend möglichen Dekkung. Die Gewehrläufe zeigten nach vorn auf die beiden russischen Seeleute, die ihnen ungläubig entgegenstarrten. »Eingraben!« Der Hubschrauber war davongeflogen. Es herrschte wieder Ruhe. »Funker!« rief ein rotgesichtiger Major, der nahe bei dem Zelt kniete. Eine schwerbeladene Gestalt mit einem Kasten auf dem Rücken, von dem eine lange Antenne ausging, robbte auf dem Bauch über das Plateau, bis sie den Offizier erreichte. »Verbindung herstellen«, befahl der Major. »Rotes Glied an Geile Mary. Rotes Glied an Geile Mary. Rotes Glied an Geile Mary. Hören Sie mich? Bitte kommen. Ende.« Victoria zog die Augenbrauen hoch. Der Major sah zu ihr herüber. »Den Kerl, der sich diese Codenamen ausgedacht hat, bringe ich um«, sagte er. »Rotes Glied in Stellung, Rotes Glied in Stellung. Auftrag durchgeführt. Ende.« Die Hilfsflotte, die ein paar hundert Meter vor der Insel liegengeblieben war, nahm jetzt wieder den Kurs auf, kam heran, und die Schiffe reihten sich Bord an Bord mit dem Bug zum Felsen auf. Weitere Gestalten in Tarnanzügen sprangen an Land. Sie bildeten eine Kette, über die Dutzende von Kisten kamen, die überall entlang den Felsen gestapelt wurden und bis auf das Plateau hinaufreichten, Keiner beachtete das orangefarbene Zelt oder seine Bewohner. Eine Gruppe brachte von einem der Schiffe große Teile herüber, die wie eine Kanone aussahen, und sie began-
nen sie auf einem flachen Felsen unmittelbar vor dem Tor zum russischen Sektor aufzubauen. Die russischen Fischer standen verblüfft davor. Der Rest der Trawlerbesatzung und die Wissenschaftler waren zu den beiden Wachen herübergekommen. Sie standen in einer Reihe am Drahtzaun und sahen der Landung voller Staunen zu. Die geheimnisvolle »Kanone« nahm langsam Gestalt an. Sie schien aus einer Reihe von dicken Rohren zu bestehen, die in einem Viereck aneinander befestigt wurden. Schließlich öffnete man einige lange Kisten und schob Projektile mit Flossen in die Rohre. »Guter Gott«, sagte Rhodes. »Eine Raketenbasis.« Voller Befriedigung riefen die Ingenieure, die die Batterie aufgebaut hatten, schließlich den rotgesichtigen Offizier zu sich. Mit äußerster Umständlichkeit wurde die Waffe auf ihr kaum vierzig Meter entferntes Ziel gerichtet - auf die DMITRI KIROW. Während dieser Montage glich die Szene im amerikanischen Sektor der Insel einem aufgestörten Ameisenhaufen. Nach einem undurchsichtigen Arbeitsplan liefen Gestalten in allen Richtungen durcheinander. Teile aus Plastik, Persenning, Zeltwand, Rollen von Stricken und lange Holzbalken wurden herumgeschleppt. Gelegentlich erkannten die vier Briten vertrau te Umrisse... Türen, Fensterrahmen, Toiletten, Stühle, ein Klavier und sogar einen Coca-Cola-Automaten. Vor ihren Augen entstand auf dem felsigen Boden eine Garnison. Das orangefarbene Zelt wurde zum Eckstein von Reihen kleinerer Zelte, die auf dem Plateau die beiden Seiten eines Kasernenhofs bildeten. Hinter dem größeren von zwei vorgefertigten Gebäuden wurden am südlichen Ende der Insel kleine Schilderhäuser aufgestellt. Victoria betrachtete sie nachdenklich. Sie wollte schon eine Frage stellen, als ein Marinesoldat einen Pfosten mit einem Schild in eine Felsspalte schlug. Darauf stand: »Latrinen.« Weitere Hinweise wurden angebracht. Das größere der beiden Gebäude erhielt den Namen »The Silver Dollar.« Auf einer Tafel über dem Eingang war zu lesen: »Messe — Wir machen kurzen Prozeß.« Das andere Gebäude erhielt das Schild: »PX-Lager. Nur für Angehörige der US-Streitkräfte.« Nur ein Zelt, das wie ein Wigwam aussah, erhielt keinen Namen. Aber durch die schmierigen Seitenwände und den Rauch, der sehr bald aus seinem Eingang drang, erwies es sich schnell als die Küche. Als das Landungsboot abgelegt hatte, war auf der Insel plötzlich wieder Ruhe eingekehrt.
Der rotgesichtige amerikanische Major stand unter dem Flaggenmast, den man mitten auf dem Plateau errichtet hatte. Der Sturmtrupp lag immer noch regungslos nahe am russischen Zaun. »Achtung!« rief der Major. Die Marinesoldaten sprangen auf die Füße und drängelten sich in Doppelreihe viereckig rund um den Flaggenmast. Der junge Leutnant, der den »Sturmangriff« so tapfer angeführt hatte, trat vor und salutierte vor dem Major. »Die Fahne«, wurde ihm befohlen. Er öffnete seinen Kampfanzug und zog die >Stars and Stripes< hervor, die er um seinen mageren Körper geschlungen hatte. Er befestigte sie an den Ösen der Leine und wartete auf den Befehl des Majors. »Flaggengruß!« Ein Marinesoldat trat zwei Schritte vor und zog eine Trompete hervor. Mit einem Schwenker führte er sie an die Lippen. Weit über die Insel hinaus durchbrachen die strengen militärischen Töne die windstille Luft. Der Leutnant hißte die Fahne. Die Amerikaner waren da. Die Foul Rock-Krise rüttelte die Welt mit dem Geratter der Fernschreiber auf. Ein Pressekrieg brach aus. Um ein Uhr morgens waren die Spürhunde der Fleet Street, die Auslandskorrespondenten, die Fernseh- und Rundfunkteams unterwegs. Die Korrespondenten Westenglands waren schon von ihren Redaktionen auf Trab gebracht worden, sich »eiligst nach Foul Rock zu begeben.« Aber das reichte ihnen noch nicht, um die Geschichte ganz groß herauszubringen. In Nachtbars, Wohnungen und dem Presseklub klingelten die Telefone. Halbgenossene Biere, Gins und Tonic, Frauen und Freundinnen wurden im Stich gelassen. Ob im Dienst oder nicht, die Reporter wurden in ihre Büros zurückzitiert; einige waren glücklich darüber, andere protestierten. Man informierte sie und schickte sie los. Das Ziel für alle war jetzt: als erste da und mit Neuigkeiten zurück sein. Eine halbe Stunde nach dem Alarm waren südlich von Manchester keine Chartermaschinen mehr aufzutreiben. Geld wechselte in großem Stil den Besitzer. Fotografen, die mit ihren Kameraausrüstungen schwanger gingen, schleppten sich in Flugzeuge. Reporter, die noch vor kaum einer Stunde den Austausch ihrer Geschichten im Presseklub abgebrochen hatten, nahmen dieses Geschäft an den Büfetts des Flughafens und der Bahnhöfe
wieder auf. Auf der A 30 hatten die Streifenwagen der Polizei viel zu tun, eine Kolonne von zu schnell nach Westen fahrenden Wagen zu verfolgen. Nicht alle, die aufgebrochen waren, kamen ans Ziel. Es gab Unfälle und Katastrophen. Auch unter den Flugreisenden ergaben sich dramatische Ereignisse. Ein schottischer Reporter hatte im Presseklub gerade eine halbe Flasche Rotwein entkorkt, als er in sein Büro zurückgerufen wurde. Als er aufbrach, steckte er sie in die Brusttasche seines Anzugs, und seither hatte er sie dort vergessen. Die abendliche Trinkerei und der bockige Flug zwangen ihn, seine Kollegen abrupt zu verlassen. Er beugte sich über die niedrige Schüssel, um den Überdruck loszuwerden. Der vergessene Wein durchtränkte Hemd und Kragen. Er verließ die Toilette und stakste zurück. »Heilige Mutter Gottes«, erklang die inbrünstige Stimme eines irischen Fernsehmannes. »Simon hat seine verdammte Kehle durchgeschnitten.« Die Stewardeß, die gerade mit einem jungen Journalisten die Telefonnummern austauschte, blickte auf und fiel in Ohnmacht. Der Journalist verbrachte den Rest des Fluges damit, ihr den Kuß seines Lebens zu verpassen. In einer anderen Maschine setzte eine lärmende Pokerrunde die Zeitungsspesen aufs Spiel. Einer der Spieler, der immer wieder auf die Uhr gesehen hatte, stand auf, nachdem er ein großartiges Blatt gehabt hatte. »Geben Sie uns noch eine Chance.« »Tut mir leid«, sagte er. »Aber ich habe zu arbeiten.« »Das ist keine Entschuldigung. Es gibt nichts zu schreiben. Von hier können Sie nichts zurückschicken.« »Ich will auch gar nichts zurückbringen. Ich versuche, dort hinzukommen. Ich bin der Pilot.« Sieben erhitzte Gesichter wurden blaß. Gegen Morgengrauen waren die meisten Journalisten in Cornwall. Einige waren aus Frankreich, Belgien, Holland und Deutschland eingetroffen. Eine Londoner Gruppe hatte sich in einen schnellen Güterzug eingeschlichen, der Gold transportierte, und landete eingeschlossen auf einem Abstellgleis. Drei Stunden später wurde sie von einem Aufgebot der Bahnpolizei gerettet, das nach dem irregeleiteten Goldtransport suchte. Es war ein einziger gewaltiger Jahrmarktstrubel. Zeitungsleute, die keine Maschine mehr hatten chartern können, die sie direkt zu den Scilly-Inseln gebracht hätte, jagten hinter Fahrgelegenheiten her. Der Hubschrauberdienst nach St. Mary's war bereits verdoppelt, und die erste Maschine startete, kaum daß es dämmerte. Fischerboote mit Reportern und Kameraleuten an Bord waren schon auf See. Sie nahmen Kurs auf Foul Rock,
und ihre verkaterten, übermüdeten und hungrigen Passagiere wurden jetzt auch noch seekrank. Es regnete, war scheußlich ungemütlich und windig. Als die Boote den Schutz der Küste Cornwalls verließen, gerieten sie in schwere See. Im scharfen Südwestwind tanzten sie wie Korken auf und ab. Die Passagiere überboten sich gegenseitig, um Ölzeug zu bekommen oder vorne unter Deck einen übelriechenden Schutz zu erkämpfen. Viele, deren Mägen dem starken Wellengang getrotzt hatten, hielten den Geruch von Fisch, Schweiß und Diesel nicht aus. Eine erbärmliche Gestalt im Anorak gab über der Reling ihr Inneres von sich. »Steh mir bei«, stöhnte sie mit kraftloser Stimme. »Aber das singen sie nur bei Schiffbrüchen oder im Cupfinale. Und Fußballer kann ich hier nicht entdecken«, sagte sein Kollege mitfühlend und hielt ihn am Gürtel fest. »Seien Sie barmherzig. Werfen Sie mich hinein.« Die Fischer im Ruderhaus lachten. Sie kauten auf ihren Pfeifen und tranken aus Flaschen braunes Bier. Nach ihrer Meinung war das Wetter milde. Der Wind ließ nach, und der Regen wurde stärker. Die Sichtweite betrug weniger als eine Meile. Und die Reise schien kein Ende zu nehmen. Die See war jetzt glatt wie ein Ententeich. Die ersten Journalisten erreichten um neun Uhr vormittags Foul Rock. Es waren Franzosen, ein Team des Paris Match, das mit einem großen Hochseerennboot direkt von Cherbourg herübergekommen war. Das französische Motorboot traf unbemerkt ein und ließ den Anker fallen. Ein Schlauchboot wurde über die Reling ausgesetzt und zu den Felsen gerudert. Der erste der Journalisten betrat die Insel. »Halt! Stehenbleiben!« Der Marinesoldat wirbelte mit dem Karabiner in der Hüfte zur Kampfstellung herum. Er spuckte seinen Kaugummi aus. »Was wollen Sie?« »Wir möchten gerne mit dem Kommandanten sprechen. Wir sind vom Paris Match.« Der Marinesoldat zerrte an einer Schnur und brachte eine Signalpfeife hervor. Er blies drei kurze Pfiffe. Die Messe leerte sich, als die Männer auf ihre Posten rannten. Die Besucher wurden nicht willkommen geheißen. Rotgesichtig knurrte Major Corrigan sie widerwillig an. »Kein Kommentar.« Den Fotografen widersetzte er sich nicht. Aber nein, mit dem russischen Wachtposten wollte er nicht posieren/jedenfalls nicht freiwillig. Die Marinesoldaten kehrten in ihre Messe zurück und ließen die fünf Franzosen im Regen am Ufer stehen. Am Tor versuchten diese eine ähnliche Annäherung bei den Russen, wurden aber ignoriert. Alles, was es auf der Insel zu sehen gab, wurde fotografiert.
Sie wollten schon wieder ins Boot steigen, als sie die halb angezogene Victoria im Eingang des orangefarbenen Zelts stehen sahen. »Merde, alors. Sex!« Innerhalb von Sekunden war das Zelt voll von übersprudelnden Franzosen. Dann erreichte die Presseflotte Foul Rock. Die Signalpfeife des Wachtposten schrillte, als die Boote im Regenschleier sichtbar wurden. Die Russen reagierten entschlossen. Wetterfest gekleidete Wachen glitten die Strickleiter des Trawlers herunter und stellten sich bewaffnet auf die Felsen. Es gab einen lauten Knall, und über dem Trawler stieg eine rote Leuchtkugel auf. Die Roboterstimme eines Lautsprechers drang trotz des Geräusches der Bootsmotoren bis zu den Journalisten herüber. »Achtung. Entfernen Sie sich. Entfernen Sie sich. Sie befinden sich in sowjetischen Hoheitsgewässern. Hier dürfen Sie nicht landen. Ziehen Sie sich zurück.« »Mach dir nur nicht in die Hose, Iwan«, schrie die Cockneystimme eines Kameramannes. Und dann wurde laut und derb gelacht. Jedoch wandten sich die Boote gehorsam zur amerikanischen Seite der Insel. Sie drängelten sich um Anlegeplätze. Vorsichtige Fischer wurden bestochen, ihre Boote näher heranzubringen. Dann gab es eine allgemeine Kletterei, um an Land zu gelangen. Die nächsten Minuten bedeuteten einen Konjunkturaufschwung für die deutsche und japanische Kameraindustrie. In dem Gewühl glitt ein Kameramann in einem der Boote auf glitschigen Fischresten aus und landete mit dem Kopf voran in einer Ladeluke. Dabei wurde die Linse in das Gehäuse seiner Kamera geschoben. Ein Journalist sprang von Boot zu Boot, um das Ufer zu erreichen, und klammerte sich dabei an einen kamerabehängten Fotografen. Beide Männer verschwanden in der See. Die darin erfahrene Besatzung eines Haifischfängers hievte sie mit Bootshaken wieder an Bord. Ein Kameramann vom Fernsehen mit einer ArriflexHandkamera im Wert von 1700 Pfund sprang an Land, stolperte dabei über ein Anlegetau und machte drei hilflose Hopser die Felsen hinauf. Dabei löste sich die Kamera vom Stativ und flog meterhoch durch die Luft. Sie segelte durch das offene Dach einer der Latrinen und landete mit lautem Klatschen. Ständig kamen weitere Boote. Es regnete immer noch. »Um Himmels willen, Collins. Verstecken Sie den Gin.« Rhodes saß innen im Zelteingang und beobachtete die anrückenden Zeitungsleute.
Das Team von Paris Match fotografierte Albert und Victoria vor dem Hintergrund des Trawlers. Plötzlich wurde es von schiebenden, Ellbogen stoßenden, Auslöser klikkenden Rivalen überrollt. Albert wurde von der Masse fortgeschwemmt. »Ein bißchen mehr Bein, Schätzchen.« Sie trug ein weißes Hemd, das über dem Nabel geknotet war, und einen ausgebleichten blauen Supermini. Ihr nasses gelbes Haar klebte im Genick. Vom Regen war ihr Hemd fast durchsichtig geworden. Kein Büstenhalter. »Tief Luft holen.« »Können wir diesen Knopf noch aufmachen?« Eine Hand wurde zurückgeschlagen. »Nach oben sehen.« »Strecken.« »Beugen Sie sich vor.« »Sagen Sie >Mond<.« Die amerikanischen Marinesoldaten, die herausgekommen waren, um zuzusehen, wie Viktoria Modell stand, wurden von neugierigen Zeitungsleuten umringt. Für die Journalisten gab es keinerlei Schutz vor dem Regen. Die Amerikaner blieben unerbittlich. Nichtmilitärische Personen durften weder in ihre Zelte noch in die Messe. »Tut mir leid, Freunde. Wir könnten nicht einmal die Hälfte von Ihnen unter Dach bringen«, sagte der Major. Die Menschen wurden fast schon über den Rand der Insel gedrängt, und jede Minute trafen weitere ein. Zeitungsleute zwängten sich gegen den Drahtverhau, als sie versuchten, die Russen zu interviewen. Die sowjetischen Seeleute wurden unsicher und nervös. Major Corrigan versuchte in der Menge seinen Leutnant zu finden. Es war unmöglich. Er konnte nicht einmal einen Soldaten auftreiben, um ihn auf die Suche nach dem Leutnant zu schicken. Er erkämpfte sich den Weg zurück zu seinem Funkzelt und rief den Flottenkommandanten an. »Rauswerfen und nicht wieder reinlassen«, wurde ihm gesagt. Er versuchte zu brüllen. Man ignorierte ihn. Er versuchte zu schieben, aber es waren zu viele — und sie schoben zurück. Seit Stunden hatten die Journalisten weder etwas gegessen noch getrunken. Dann entdeckte irgend jemand den Coca-Cola-Automaten. Rasch entwickelte sich ein Schwarzmarkt in amerikanischen Münzen. Schließlich lösten die Russen das amerikanische Übervölkerungsproblem, das heißt, es war eine Zusammenarbeit der sowjetischen Seeleute und des Cockneys von Kameramann.
Dieser wollte gern ein exklusives Fraternisierungsfoto schießen, und so warf er dem Russen auf dem Wachtturm eine Coca-Cola-Flasche hinauf. Der Wächter fuhr voller Schrecken zurück und trat die Flasche mit dem Fuß in Richtung See. Er schrie eine Warnung. Sein Kamerad unten hielt die Flasche für eine Granate und warf sich flach auf den Boden. Er schleuderte eine Tränengasbombe zurück. Aus Versehen zog der Wächter auf dem Turm den Abzug durch und jagte einen Feuerstoß in die Luft. Die Tränengasbombe rollte unter das Küchenzelt und zischte. Allgemeine Stille. Dann kam aus dem Zelt ein wütender Aufschrei von Zeke, dem barfüßigen Koch aus Kentucky, der seine Stiefel gerade auf dem Herd trocknete. Er hüpfte mit brennenden Augen einbeinig aus dem Zelteingang und umklammerte mit den Händen seine angeschlagenen Zehen. Elliot M. Hennessey, der farbige Hauptfeldwebel, warf ihm einen Karabiner zu. Doch da er wegen seiner Tränen alles doppelt sah, griff Zeke nach dem imaginären Bild. Der Karabiner knallte ihm auf die Brust und fiel dann auf seinen noch heilen Fuß. Er brach zusammen, in jeder Faust einen Satz anschwellender Zehen. »Du gottverdammter irischer Bastard. Deine faulen Tricks machen mich krank, ich bin's leid.« »Möchtest du ein Verwundetenabzeichen?« fragte der Sergeant. Die amerikanischen Vaterlandsverteidiger hatten ihre Waffen ergriffen. Die Journalisten sahen, wie die freundlichen Gesichter der Marinesoldaten hart und kriegerisch wurden. Major Corrigan rief seinen Männern zu: »Schmeißt diese Knilche sofort von der Insel. Wir haben Schießbefehl.« Der Abzug der Journalisten vollzog sich sogar noch schneller als ihre Ankunft. Es ging Hals über Kopf. Zwei Minuten nachdem der Exodus begonnen hatte, waren nur noch die Lahmen und Kranken zurückgeblieben und krochen in Richtung auf ihre Boote. Das Ganze war wie der Start zu einem Grand Prix. Schaumiges Wasser quirlte rund um die Insel, als die Journalisten losrasten, um ihre Stories loszuwerden. Durch den Schmutz, den die Zeitungsleute zurückgelassen hatten, ging Albert zum Zaun, Der Russe, der die Tränengasbombe geworfen hatte, stand da und gab Worolokow und Uschakow eine Erklärung ab. Der russische Kapitän warf die Coca-Cola-Flasche von einer Hand in die andere.
»Das war hart an der Grenze, was?« sagte Albert. »Ja«, grinste Worolokow. »Und wir haben es nicht einmal gewollt.« Mischa klimperte liebevoll auf seiner Balalaika, als im amerikanischen Sektor wieder einmal das Klagen begann. Es war jeden Abend das gleiche, seit die russichen und amerikanischen Kriegsflotten abgezogen worden waren. Zuerst kam ein leises Schluchzen, das sich dann zu rauhen, gequälten Schreien steigerte. Alle Tonlagen des Elends und des Schmerzes schwangen darin mit. Die russischen Seeleute saßen, mit dem Rücken an das Brückenhaus gelehnt, auf dem Deck. Bislang hatten sie die milde abendliche Wärme genossen. Jetzt kratzten wieder diese Töne auf ihren Nerven, und sie konnten es nicht mehr aushalten. »Diese Amerikaner sind unmenschlich«, begann Igor wieder das Gespräch. Er, der einundzwanzigjährige wilde Kosak, war der jüngste Fischer. »Ein Kosak würde nicht einmal einen Russen so behandeln.« Boris, der Koch, überhörte die zweite Hälfte der Bemerkung. »Nicht alle Völker sind so menschlich wie wir. Und die Amerikaner sind noch kaum zivilisiert. Ihnen fehlt der kulturelle Hintergrund.« »Sauhunde sind sie.« Wasili klopfte seine Pfeife am Stiefelabsatz aus. »Sie beuten nicht nur die Welt aus, sondern auch einander.« »Wir können nicht zulassen, daß sie einen Mitmenschen so quälen«, sagte Sascha. »Was sollen wir denn tun, einen neuen Krieg verursachen?« fragte Boris. Das verzweifelte Schluchzen verstummte allmählich. »Vielleicht haben sie ihn umgebracht«, sagte Igor. »Das wäre auf jeden Fall besser für ihn.« Wasili knallte seine Faust aufs Deck. »Wenn wir Männer sind, dann müssen wir etwas tun.« »Bloß nicht den Kapitän um Hilfe fragen.« Boris deutete mit dem Kopf in die Richtung von dessen Kabine. »Der vermasselt uns alles.« »Ich werde ihn retten«, warf sich Igor in die Brust. »Kosaken haben weniger Verstand als ihre Pferde. Wir brauchen einen guten Plan«, sagte Boris. »Alle gewöhnlichen Seeleute müssen mitmachen, und jeder muß schwören, den Mund zu halten.« In jener Nacht versammelte sich die Rettungsgesellschaft im Kettenkasten. Ihre Runde erinnerte an die revolutionären Tage vor 1917. Vor einer Kerze hockte Boris auf einem Kettenhaufen. Um ihn herum in dem Halbdunkel flackerten Licht und Schatten auf den bärbeißigen Gesichtern der Besatzung. Sie sprachen flüsternd. »Sind wir uns also einig? Der Mann muß gerettet werden?« fragte Boris als Führer, zu dem er sich selbst ernannt hatte.
Die anderen murmelten ihre allgemeine Zustimmung. Dann müssen wir es so bald wie möglich tun. Morgen nacht, bevor der Mond aufgeht.« Der Plan war einfach. Sascha und Lew würden an der amerikanischen Grenze Wache stehen. Sascha sollte den US-Posten ablenken und Lew dem Rettungstrupp das Zeichen geben, daß die Luft rein wäre. Dann würden sie am Ende des Drahtzauns durch das Wasser waten und bis zu dem Felsvorsprung hinter der kleineren der beiden viereckigen Hütten vordringen. Dort brauchten sie nur noch zu warten, bis man den gemarterten Mann wieder freiließ. Es würde ganz einfach sein. Die Folterprozedur war immer die gleiche. Der unglückliche, geknechtete farbige Amerikaner, der in USDienste gepreßt worden war, verschwand in einem kleinen Zelt. Dort wurde er gefoltert. Eine halbe Stunde später taumelte er dann immer noch klagend und schluchzend zurück. »Jetzt müssen wir unseren Eid schwören«, befahl Boris. »Und ich fresse jeden mit Haut und Haar, der ihn bricht. Nicht oft haben Fischer wie wir die Gelegenheit, unterdrückten Rassen zu neuem Leben zu verhelfen.« Das Wagnis der Aufgabe, die sie sich gestellt hatten, entfachte innere Glut in ihm. Am nächsten Tag wurde es Worolokow klar, daß irgend etwas Ungewöhnliches vorging. Er stellte ein paar vorsichtige Fragen, die ihm jedoch keinerlei Hinweis brachten. Er fragte geradeheraus, aber auch da erfuhr er nichts. Es war keine Meuterei: Er konnte keinen verstärkten Unwillen gegen sich feststellen. Es war keine Desertion: Wertvolles Eigentum lag immer noch an den üblichen Plätzen über den Kojen der Besatzung. Für die Männer war es ein langer Tag. Sie beobachteten die amerikanischen Wachen, die sich alle zwei Stunden ablösten, und versuchten herauszubekommen, ob sie sich nach irgendeinem Schema bewegten — das war nicht der Fall. Wann immer ihnen danach war, gingen sie am Drahtzaun entlang. Der junge Engländer und das hübsche blonde Mädchen schwammen und lagen wie üblich in der Sonne, und wachfreie Marinesoldaten gesellten sich zu ihnen. Hin und wieder entdeckte einer der Seeleute den farbigen Mann. Die unbeschäftigten Russen verbrachten die meiste Zeit beim Angeln, Boris auf seinem Lieblingsfelsen, die anderen in einem Dingi. Die Seeleute wußten, daß sie noch lange hierbleiben würden. Sascha knüpfte mit großer Sorgfalt ein Netz, das schnell größer wurde und das er behutsam zusammenrollte, wenn er auf Wache gehen mußte. Die Wissenschaftler, die auf der Insel nicht mehr gebraucht wurden, waren mit der sowjetischen Flotte abge-
reist. Nur Uschakow war noch da, und er steckte die meiste Zeit unter Deck, um seine Apparate zu reparieren und einzurichten, damit sie für den wichtigen Abhördienst, der vor ihnen lag, bereit waren. Worolokow bemerkte seltsame Blicke zwischen den Männern, wenn er vorüberging. Irgend etwas trieb sei nem Höhepunkt entgegen. Die Frage war nur, was. An jenem Abend wurde das Essen sehr früh aufgetragen. Worolokow konnte sich nicht erinnern, je ähnliches erlebt zu haben. Er sah seine Besatzung prüfend an, als er sich hinsetzte. Boris strahlte eine Autorität aus, die er an ihm noch nie bemerkt hatte. Sogar die Männer schienen das zu spüren. Zum erstenmal wurde über das Essen nicht geflucht. Das war alles sehr geheimnisvoll. Igor verschwand und kam mit einer Flasche Wodka wieder. »Hat irgend jemand Geburtstag?« Worolokow beobachtete eindringlich die Gesichter, als er diese Frage stellte. Alle schwiegen. »Warum fragen Sie?« »Irgend etwas geht hier doch vor.« Wieder schwiegen alle. »Ich habe Geburtstag«, sagten drei Seeleute gleichzeitig. »Welches Datum haben wir heute?« fragte Worolokow. Keine Antwort. »Nun, ich habe bald Geburtstag. Trinken wir darauf und auf alle ehrlichen Fischer.« Worolokow kippte einen halben Becher Wodka herunter. Verlegen aßen die Männer und redeten nicht. Worolokow fragte sich, ob die Verschwörung irgend etwas mit dem Fischen zu tun haben könnte. Es war viel über die Netze gesprochen worden, die sie an Bord der Boote gesehen hatten, mit denen die Journalisten gekommen waren. Er hoffte, daß seine Männer keinen Überfall auf die Hummerbänke planten, die den Fischern der Scilly-Inseln gehörten. Er wünschte keinen Fischdiebstahl und nichts, was die Zukunft belasten könnte. Sie waren jetzt in der einzigartigen Lage, das Leben zu führen, das sie sich immer gewünscht hatten — sie wurden als aktive Marinesoldaten bezahlt, und es gab nur wenige offizielle Pflichten, die sie beim Fischen störten. Er stellte fest, daß er allein war. Während seiner Grübeleien hatte die Besatzung den Tisch verlassen. Tanya kam herein.
»Setz dich auf ein Glas zu mir. Igor, Wassili und Mischa haben Geburtstag. Wir sind eine große Familie, in der alles unter einer Decke steckt.« »Aber Igor ist Waise und weiß nicht, wann er geboren wurde.« »Genau!« sagte Worolokow. Sie tranken. Die Verschwörer trafen sich von neuem im Kettenkasten. Sie trugen blaue Overalls und Schuhe mit Gummisohlen. »Alle da? Seid ihr bereit?« Boris zog eine Tabakdose aus der Tasche und öffnete sie. Mit zwei Fingern nahm er schmierigen Ruß heraus, den er im Schornstein abgekratzt hatte, und reichte die Dose im Dunkeln weiter. »Nehmt das«, sagte er. Er rieb sich den Tarnanstrich ins Gesicht und über die Handrücken. Die anderen machten es ihm nach. »Ich erledige die Wachen.« Hinter einem Kettenhaufen zog Igor ein gut vierzig Zentimeter langes Kosakenmesser mit silbernem Griff hervor und wedelte wild damit herum. Seine Freunde fielen über ihn her, und irgend jemand gab einen unterdrückten Schrei von sich. »Seid still da drin!« Josef, der draußen Wache stand, steckte seinen Kopf durch den Türspalt. »Was ist hier los?« »Natürlich Igor. Er meint, es ginge zum Schlachtfest.« Man hörte Flüche und dumpfe Schläge und Stöhnen. Ketten rasselten. Mit lautem Klirren fiel irgend etwas auf den stählernen Boden. »Seid leise«, sagte Josef wieder. Weitere dumpfe Schläge, und schließlich wurde der unbewaffnete Igor an Deck geschoben. Seine Oberlippe war schon geschwollen, und er spuckte einen Mundvoll Blut über die Reling. Ihm folgte Boris, der einen schmutzigen Lumpen unter seine Nase hielt. Josef sah sie staunend an, als die übrigen Verschwörer aus dem Kettenkasten gekrochen kamen. Keiner von ihnen war unverletzt. Es war zwar nur ein kurzer Kampf gewesen, aber Igor hatte sich seinem Anspruch, von Kosaken abzustammen, als würdig erwiesen. Sie krochen zur Reling des Schiffes und ließen sich in der Dunkelheit am Schiffsrumpf herunter. Irgend jemand stöhnte auf. »Was ist los?« fragte Boris. Seine Stimme klang gedämpft, aber scharf. »Wer von uns wiegt 152 Pfund?« fragte Wassili. »Igor«, sagte Igor. »Du stehst auf meiner Hand. Hau ab.« Igor sprang die letzten sechs Sprossen herunter.
Es entstand ein Geräusch, als ob aus einer Luftmatratze die Stöpsel herausflogen. »Was ist denn nun schon wieder?« fragte Boris. Ein Keuchen antwortete ihm. »Dein verdammtes Haustier von Kosak benutzt mich als Trampolin, und er hat meine Taschenuhr zertreten.« »Still. Ich geh und sag Sascha, daß wir bereit sind.« Boris kroch auf dem Bauch davon. Er sah Sascha, dessen Schatten sich vor dem Stacheldrahtzaun gegen den Nachthimmel abhob. Boris prickelte die Kopfhaut. Es war wieder wie vor fünfundzwanzig Jahren. Der Wächter vor ihm war einer der Männer, die er bei seiner Fluchtaus Treblinka getötet hatte. Seine Lippen entblößten die Zähne. Er kroch weiter. Sascha beobachtete die amerikanischen Zelte und wartete auf Boris. Als es losging, traf es ihn völlig unvorbereitet — und schmerzhaft. Er hatte nichts gehört oder gesehen, bis sich ein muskulöser Arm um seine Gurgel klammerte und seinen Kopf so weit zurückdrehte, daß er sein Genick krachen hören konnte. Er schaffte es gerade noch, »Boris« zu krächzen, bevor ihn seine sieben Sinne verließen. Wenige Sekunden kam er wieder zu sich, und sein Gesicht war naß. Der Koch kniete neben ihm. Warme, rußverschmierte Tränen tropfen aus Boris' erbarmenswertem Gesicht herunter. Er drückte ihn wie eine Bärenmutter an sich. »Sascha, vergib mir. Ich hätte dich beinahe umgebracht.« »Du brauchst mir nichts zu sagen, mein Freund. Wenn ich hier am Stacheldraht stehe, kann ich auch nichts anderes denken. Das sind die ekelhaften Erinnerungen.« Sascha setzte sich auf. »Sind die anderen bereit?« Boris wischte mit dem Ärmel über seine Augen und hinterließ einen weißlichen Streifen quer über das Gesicht. »Bereit«, schniefte er. »Wo sind Lew und der Hund?« »Er wartet unten am Wasser auf euch. Ich gebe euch zehn Minuten. Dann fange ich an.« Boris kroch zur DMITRI KIROW zurück, wo die anderen warteten. »Kommt«, rief er leise. »Es ist soweit/Macht keinen Lärm.« Die schwarze Riesenschlange von Gestalten wand sich zum Wasser und dem Ende des Drahtzauns hinunter. Es war schwierig, geräuschlos an den Tümpeln zwischen den Felsen vorbeizukommen; Jetzt, zur Ebbezeit, hing Seetang auf den Felsen, und sie hatten Mühe, sie zu überqueren. Plötzlich hörten sie ein schmatzendes Geräusch und ein leises Klatschen.
»Wer ist das?« zischte Boris. »Igor«, sagte Igor. »Er schwimmt«, berichtete eine verachtungsvolle Stimme. »Der Idiot.« »Sei nicht so hart mit ihm. Er ist ein Dummkopf.« Dann gab es im Wasser ein Hin und Her und ein lauteres Klatschen. »Tauch ihn unter«, flüsterte Boris. »Er verdirbt uns alles.« »Still. Stehenbleiben. Da ist jemand auf dem Schiff.« Sie sahen zum Bug des Trawlers hinauf. Ein Zündholz flammte auf, um eine Zigarette anzuzünden. »Der Kapitän. Rührt euch nicht von der Stelle.« Das war die längste Zigarette, die Worolokow je geraucht hatte. Sogar aus mehr als zwanzig Metern Entfernung konnten sie jedesmal sein Gesicht sehen, wenn er einen Zug nahm. Er schien direkt auf sie hinabzustarren, die auf der nassen Matratze aus Seetang lagen. Endlich flog die Zigarette in einem Bogen vom Bug herunter, und sie hörten, wie eine Kabinentür geschlossen wurde. ' Hinter sich vernahm Boris das Geräusch eines strikkenden Damenkränzchens. »Was ist denn nun schon wieder?« fragte er gereizt. »Rat mal, wessen Zähne da klappern«, sagte eine Stimme. »Sag Igor, er soll heraufkommen, damit ich seinen Schädel auf dem Felsen zerschlage.« Vor ihnen schnaufte ein Hund. »Wir sind's, Lew.« Sie erhoben sich auf alle viere und näherten sich. Als der Hund den Koch witterte, trommelte sein Schwanz gegen Lews Stiefelschaft. »Der Posten steht oben am Tor. Sascha spricht mit ihm.« »Ausgezeichnet.« Sie krochen am Draht entlang, bis sie ans Wasser kamen. Leise glitten sie hinein und schwammen parallel zum Ufer auf die Latrinen zu. Hauptfeldwebel Elliot Hennessey rühmte sich, der einzige farbige Ire in der amerikanischen Marine zu sein. Er war in Alabama geboren worden und behauptete, sein Urgroßvater wäre ein irischer Pflanzer gewesen, der sich dort vor 125 Jahren niedergelassen hätte. Er war stolz auf seinen Namen, stolz auf seine Vorfahren und noch stolzer darauf, ein Marinesoldat zu sein. Er war ein Veteran des Vietnamkriegs, zweimal im Feld verwundet worden und hatte bereits neun Dienstjahre hinter sich. Er hatte keinen anderen Wunsch, als weiterhin dem Marinekorps anzugehören.
Sein Gesichtsausdruck schien immer irgendwie traurig zu sein, aber dafür gab es keinen Grund. Er führte ein wohlgeordnetes Leben, wusch sich jeden Tag zur gleichen Zeit und putzte jeden Tag zur gleichen Zeit seine Stiefel. Sein Dasein verlief nach einem Stundenplan, den er selbst aufgestellt hatte. Nach seiner Uhr war es neun Uhr abends und Zeit, die Latrine aufzusuchen. Hennessey liebte Musik, und seine besondere Neigung galt dem, was er für irische Spirituals hielt. Aber im Gegensatz zu anderen Menschen seiner Rasse — seien es nun Neger oder Iren - war er nicht in der Lage, seine Stimmbänder zu beherrschen. Er war tatsächlich völlig unmusikalisch. Er schob den Persenningvorhang des Latrinenzelts zur Seite, zog seine Hose herunter und setzte sich. Dieser stille Tagesabschnitt war ihm besonders lieb. Nur in dieser Zeit konnte er allein vor sich hinsingen. »If you ever go across the sea to Ireland. It may be at the closing of your days...« Er hielt einen Augenblick inne und strengte sich geräuschvoll an. Boris zog sich aus dem Wasser. »Jetzt haben sie ihn wieder.« Er winkte befehlend, ihm zu folgen. Leise schoben sie sich in die Schatten zwisehen den beiden amerikanischen Gebäuden vor. Der Mond ging auf. Der Himmel war wolkenlos. Die Geräusche aus der Folterkammer steigerten sich, bis sie für die Russen fast unerträglich wurden. »Müssen wir denn warten? Können wir nicht hinein und ihn retten?« »Nein, Igor. Halt dich an den Plan.« Das Heulen hörte auf. Das kleine Zelt flatterte. Dann trat Hennessey in das Mondlicht hinaus und knöpfte seine Hose zu. Der Mond beleuchtete seine weiße Unterwäsche. Er hatte erst zwei Schritte zurückgelegt, als Boris seine Befehle ausstieß. Hennessey wurde ein Bettuch über den Kopf geworfen, und er war zu erschrocken, um auch nur einen Ton von sich zu geben. Seine noch nicht halb zugeknöpfte Hose rutschte auf die Knöchel und ließ ihn stolpern. Nahe an seinem Ohr hörte er eine Stimme: »Du ganz schweigen. Wir Freunde.« Er wurde in das große Bettuch verpackt, so daß er sich nicht mehr rühren konnte. Dann spürte er, wie er den Boden unter den Füßen verlor und kräftige Arme ihn wie einen aufgerollten Teppich davontrugen. »Boris, schau, Igor!« Der dringende Ton ließ Boris sofort stehenbleiben. Er begriff, daß irgendeine Katastrophe bevorstand. Er fuhr herum. Der amerikanische Posten sprach noch immer mit Sascha und zündete diesem
gerade eine Zigarette an. Nur ein paar Meter hinter ihm stand Igor und hatte beide Arme hoch erhoben. Das Mondlicht glänzte auf dem massiven Schraubenschlüssel, mit dem die Bordventile des Trawlers geöffnet wurden. Boris war eigentlich ein schwerfälliger Mensch, aber die Entfernung zwischen sich und Igor schaffte er in fast einem einzigen lautlosen Sprung. Mit der einen Hand packte er den gut einen halben Meter langen Schraubenschlüssel, mit der anderen riß er Igor von den Füßen und schleppte ihn in den Schatten. Er preßte ihn gegen eine Zeltwand. Igors Füße strampelten in der Luft. »Du hirnloser Kosak«, zischte er. »Warum willst du alle Leute umbringen?« Boris zog ihn zum Wasser hinunter und schob ihn in Richtung auf den Trawler vor sich her. Der Trupp, der den geretteten Neger trug, hielt sich am Rand des Wassers, bis er das Heck des Trawlers und die schwarzen Schatten des Schiffsrumpf erreichte. Von den Davits des Rettungsbootes wurde ein Strick heruntergelassen und um Hennesseys Brust verknotet. Geschwärzte Hände zogen an. Die Gestalt schwebte in die Luft hinauf und wurde an Deck gezogen. »Alles klar.« Der Rettungstrupp kletterte an Bord. Im Mannschaftsquartier setzten sie Hennessey auf eine Bank und wickelten ihn aus. Er war nicht eigentlich weiß, aber ganz sicher grau. Er machte sein Kreuz steif. »Von mir werdet ihr nichts herausbekommen. 14715094 Hauptfeldwebel Elliot M. Hennessey. US-Marinekorps. Das ist alles.« »Wir Freunde. Wir dich retten.« »Auf eure psychologischen Tricks fall ich nicht rein. Ich bin 14715094 Hauptfeldwebel Elliot M. Hennessey, US-Marinekorps. Und mehr ist für euch nicht zu holen.« Boris reichte ihm einen Becher Wodka. »Und unter Drogen setzen lasse ich mich auch nicht.« »Ist guter Wodka«, sagte Boris und nahm einen Schluck aus dem Becher. Einige Tropfen liefen über sein geschwärztes Kinn herunter. »Wenn ihr meint, ihr könntet mir mit diesem Minstrel Hokuspokus vormachen, daß ihr zu meinen Leuten gehört, dann irrt ihr euch.« »Wir Kameraden«, beteuerte ihm Boris. »Wir dich retten vor weißer Folter, die dich unterdrücken.« »Kein Mensch unterdrückt mich, Kerl. Ich bin Amerikaner. Und ich will gar nicht gerettet werden.« Auch wenn die Russen perfekt Englisch gesprochen hätten, würden sie sicher lange gebraucht haben, um die Situation zu begreifen. Aber mit ihren mangelhaften
Kenntnissen und Wassilis Wörterbuch war es fast nicht zu schaffen. Allmählich aber dämmerte es ihnen. »Wir fehlgreifen...« Boris blätterte in dem kleinen Buch. »Retter... trupp!« Er suchte wieder. »Konstruktion verkehrt... lächerlich.« Vor lauter Verlegenheit brachte Boris nicht einmal mehr seine dürftigen Englischbrocken zusammen. »Bitte... entschuldigen... wir trostlos... Wir hören... schreien... viel Heulen. Denken... Folter... Qual.« »Heulen? Qual?« Hennessey dachte angestrengt nach. »Mensch, ich habe gesungen.« Er war wütend. Wie ein Wilder blätterte Boris nach den Übersetzungen der russischen Entschuldigungen. »Leute, da stecken wir in einem schönen Schlamassel«, sagte Hennessy schließlich, als er das Gespräch allmählich zu begreifen begann. »Wenn ich nicht zurückkomme, sind meine Jungs demnächst hier und holen mich. Und wenn sie mich in aller Freundschaft hier bei euch sitzen sehen, glauben sie, daß ich übergelaufen bin. Und wenn sie euch erwischen, schmeißen sie euch aus der Roten Marine.« »Was wir tun?« »Ich sag's euch. Erst einmal schmuggelt ihr mich hier heraus, und zwar so leise, daß eure Offiziere es nicht merken. Und dann schaffen wir mich wieder in unseren Sektor zurück, ohne daß unsere Leute es herausbekommen. Und während wir das tun, müßt ihr beten, wie ihr noch nie gebetet habt - zu wem auch immer ihr betet. Ich bin überzeugt, daß ihr keine Lust habt, den dritten Weltkrieg auszulösen.« Worolokow arbeitete noch spät über seinen Schiffspapieren. Er saß schon einige Stunden da, als ihm Igor berichtete, daß das Licht leider ausgefallen sei. Die Russen unternahmen die Rettungsoperation in umgekehrter Richtung. Diesmal jedoch ging Hennessey selbst. Der Mond steckte hinter den Wolken. Er watete draußen um den Drahtzaun herum und kam dann wieder herauf, bis er mit den Russen auf gleicher Höhe war. In der Dunkelheit grinsten seine entblößten Zähne. »Immerhin, Jungs, dank euch für den guten Willen.« Die Zähne verschwanden. Sie hörten, wie er sich umdrehte und sich vorsichtig zu den Zelten davontastete. Luigi Morelli war der einzige Marinesoldat, der ständig seinen Stahlhelm trug. Er war weder nervös noch ängstlich. Nur war der Helm dazu geeignet, den Stöpsel seines Transistorradios im Ohr zu verbergen. Die Schnur des winzigen Kopfhörers führte zu seinem Ohr, und er steckte sie immer sorgfältig zwischen den Helmriemen und sein bläuliches Kinn. Das Radio trug er unter seiner Jacke in einem Schulterhalfter aus Stoff. Ein großes Pfla-
ster bedeckte das kurze Stück Schnur zwischen dem Kinnriemen und dem hochgeschlossenen Kragen. Morelli war baseballsüchtig. Engstirnig und unheilbar. Er mußte jede Übertragung eines Baseballspieles hören. Und da er sich nichts von seinem geliebten Sport entgehen lassen konnte, mußte er sein Radio oft genug auch während der Dienststunden einschalten. Wenn dann ein Offizier »Morelli!« brüllte, erfolgte keinerlei Reaktion. Morellis Augen starrten in irgendeine unbestimmte Ferne. Und seine ganze Konzentrationsfähigkeit richtete sich auf die noch ferneren San Francisco Giants. Während der übrigen Stunden des Tages bemühte er sich, seine Geistesabwesenheit unter Beweis zu stellen. Ganz bewußt ließ er die Hosenklappe und die Schnürsenkel offen. Manchmal trug er verschiedene Socken und manchmal überhaupt keine. Wenn nichts zu befürchten war, zog er Teile seiner Uniform verkehrt herum an. Er war Berufssoldat und wußte, wie weit er seine Verschrobenheit treiben durfte. »Mo-rel-li! Aufwachen!« Wie von einem Boxhieb gegetroffen, kehrte er dann in die Gegenwart zurück. Der unL schuldige Blick seiner braunen Augen, den er stundenlang vor dem Rasierspiegel geübt hatte, bewahrte ihn in der Regel vor unangenehmen Folgen. Denn in Wirklichkeit konnte er natürlich niemanden an der Nase herumführen. Jeder wußte, was mit ihm los war. Es war früh am Abend, während der langweiligen Stunden nach dem Essen, als die Soldaten herumsaßen und sich mit ihrer Ausrüstung beschäftigten. Das abendliche Pokerturnier in der Messe hatte noch nicht begonnen. Es war warm, und die Männer saßen im Freien. Die Uhr zeigte Viertel nach sieben, und Hennessey reinigte seine M 16. Bis zu seiner nächsten rituellen Handlung — den Posten zu inspizieren — blieben ihm noch fünfundzwanzig Minuten. An diesem Abend hatte Morelli Wache. Victoria lehnte am Eingangspfosten des PX-Lagers, um sie herum das übliche Gefolge. Die Marinesoldaten waren ihre Sklaven. Es wurde ihr nicht erlaubt, für sich oder andere irgend etwas selbst zu tun. Zeke, der Küchenchef aus Kentucky, überwachte sie mit der Anteilnahme eines größeren Bruders. Er hatte ihr verboten zu kochen. »Ist doch nicht nötig. Bei mir kommt es auf vier Extraportionen nicht an.« Er war der große Beschützer. Die jungen Soldaten fanden schon nach wenigen Tagen heraus, daß die Größe ihrer Essensrationen vom Grad ihrer Freundschaft zu Victoria bestimmt wurde. Überschritten sie Zekes presbyterianische Grenzen, schrumpfte das Essen auf ihren Tellern zusammen. Seine Methode hatte immer Erfolg. Auf die Dauer schafft der Hunger alles.
Manchmal bettelten die Männer und drohten. Aber Zeke erteilte ihnen in verschiedener Weise seine Abfuhr. Er war Korporal. Er war der größte der Abteilung. Und er hatte das hitzigste Temperament. Albert fühlte sich ständig im Würgegriff. Er wußte, daß Victoria mit ihm allein sein wollte. Aber tagsüber folgten ihnen Blicke, wo immer sie sich befanden. Und sie gaben ihnen ständig das Geleit, bis sie am Abend verschwanden. Im Zelt aber befanden sich Rhodes, Collins - und die Zwischenwand. Alpträume geisterten durch Alberts nächtlichen Schlaf. Er sah sich allein mit Victoria auf dem Plateau. Sie waren nackt. Leidenschaftlich. Ihre Körper drängten sich aneinander. Behutsam schob er sich ihr entgegen... Dann der Krach. Der anstürmende stählerne Bug eines Schiffes kam über die Felsen kratzend auf sie zu, die Reling voller applaudierender Zuschauer. Und er wachte zitternd und wütend auf. Morelli hatte seinen Karabiner über die Schulter gehängt und bummelte am weißen Strich der Sektorengrenze entlang. Er erreichte die feuchten, kantigen Felsen an der Südseite des Plateaus und drehte wieder um. Da er erst seit einer Stunde auf Posten stand, hatte er noch eine vor sich, bis er abgelöst werden würde. Doch war der Wachdienst für ihn weniger langweilig als für die anderen. Er war nur körperlich anwesend. Es war ein gutes Spiel. Die St. Louis Cardinais waren jetzt zwei Läufe im Vorsprung. Lou Brock hatte gerade wieder einen geschafft. Das Zuhören erforderte volle Konzentration. In seinem Kopfhörer knackten Störungen. Zum achtundzwanzigstenmal kam er an dem russischen Posten und dessen Hund vorbei. Die beiden beobachteten ihn aus nächster Nähe. Dieser außergewöhnliche Marinesoldat, dessen Gesicht ein stets wechselndes Kaleidoskop von Empfindungen war, faszinierte sie. Manchmal grinste er und starrte dann wieder finster vor sich hin. Hin und wieder stieß er die Luft pfeifend zwischen den Zähnen aus. Oft hob er die Faust in den Himmel und murmelte etwas. Sein Schritt wechselte wie sein Gesichtsausdruck. Beim Grinsen wurde er federnd. Blickte er finster drein, schleppten sich seine Füße dahin. Gelegentlich hüpfte er ein oder zwei Meter. Und dann blieb er wieder steif stehen, und sein Gesicht verkrampfte sich zu gerunzelter Konzentration. »He, Morelli, Futter.« Zeke stellte sich Morelli in den Weg, aber die Füße des Postens reagierten automatisch auf derartige Hindernisse; sie traten einen Schritt zur Seite und setzten ihren schlafwandlerischen Gang fort.
»Luigi, du blöder Ithaker. Hier ist dein Ketchup-Sandwich. Laß es verschwinden, bevor Hennessey seine Runde macht.« Er schob Morelli ein reich belegtes Sandwich in die schlaffe Hand. »Oh, danke.« Und er stapfte an der Grenze entlang weiter. Rote Flecken Ketchup, die vom Sandwich heruntertropften, zeichneten seinen Weg. Das Spiel befand sich auf dem entscheidenden Höhepunkt. Der russische Posten und der Hund sahen ihn näher kommen. Die Nase des Hundes verzog sich. Morelli erreichte den Punkt seines Patrouillenganges, an dem er ihnen am nächsten kam. Jetzt trennte sie nur noch der Drahtzaun. Plötzlich stürzte sich der Hund in die Rollen und zog die Hand, die ihn hielt, gegen die scharfen Stacheln. Der Russe mußte ihn loslassen. Ungehindert stürzte sich der Hund durch die restlichen Drahtrollen und sprang Morelli von hinten an. Der Hund war schwer. Durch den Aufprall flog Morellis Kopfhörerstöpsel heraus, und er fiel mit dem Gesicht nach unten auf den Felsen. An seiner Hand spürte er eine feuchte Schnauze. Er riß seinen Arm zurück. Dann erinnerte er sich daran, was er gelernt hatte, und lag still. Auf seinem Rücken fühlte er das Gewicht des Hundes. Von überallher hörte er Rufe. Der Russe versuchte, seinen Hund zurückzupfeifen, und Morellis Freunde kamen herbeigerannt, um ihm zu helfen. Er hörte, wie das Schloß eines Karabiners einschnappte. Plötzlich war das Gewicht wieder verschwunden. Man half ihm auf die Füße. Der Hund sprang in langen Sätzen zum Heck des Trawlers davon. Der sowjetische Posten schien sich entschuldigen zu wollen und gab einen Schwall russischer Sätze von sich. Aber seine Stimme ging in den wütenden Rufen der amerikanischen Marinesoldaten unter. Morelli untersuchte sich. Er war unverletzt, aber außer Atem und durchgeschüttelt. Leutnant Alton C. Ellsmore drängte sich durch die Gruppe Soldaten und befragte ihn. »Haben Sie den Hund gereizt, Morelli?« »Ihn nicht einmal gesehen, Sir.« »Machen Sie eine Pause«, sagte Ellsmore. »Und lassen Sie sich einen Kaffee geben. Übrigens, ist Ihr Hörapparat in Ordnung?« »Hörapparat, Sir?« »Dann muß dieser hier dem Hund gehören.« Der junge Offizier grinste affektiert und zog den Hörstöpsel mit seiner kurzen Schnur aus Morellis Kragen. Dann warf er ihn über den Draht in den russischen Sektor.
»Und knöpfen Sie Ihre Hose zu.« Der frisch gebackene Leutnant war unbeliebt, denn er genoß seine neue Autorität. Diese Insel war seine erste militärische Aktion. Er stand am Zaun, und wie er es auf der Akademie gelernt hatte, verlangte er den rangältesten sowjetischen Offizier zu sprechen. Man holte Worolokow aus der Messe. Er entschuldigte sich und versicherte Ellsmore, es würde nicht wieder vorkommen, Man würde den Hund in Zukunft nicht wieder so nah an den Zaun heranlassen. Mit einem Gesicht voller Selbstgefälligkeit verließ der Leutnant die Grenze und marschierte staksig zum Zelt des Majors hinüber, um seinen Erfolg zu berichten. Die Soldaten sahen ihm nach. »Das dauert nicht mehr lange, und dann geht er auf dem Wasser«, sagte Morelli. Der Vorfall trug nicht dazu bei, die Lage zwischen den beiden Sektoren zu entspannen. Am nächsten Abend mußte Morelli wieder Wache stehen. Dieses Mal langweilte er sich. Das Transistorradio war zu groß und paßte nicht in seinen Helm hinein, und er wußte, daß er es unter seiner Jacke nicht in voller Lautstärke spielen lassen durfte; das hätte man ihm nicht durchgehen lassen. Statt dessen verbrachte er die Zeit damit, zu überlegen, wie er sich auf wirkungsvolle Weise an Ellsmore rächen könnte, der ihn ja schließlich in diese mißliche Lage gebracht hatte. Er hatte sogar schon daran gedacht, in den sowjetischen Sektor hinüberzuschleichen, um seinen Ohrstöpsel wiederzusuchen, aber von dieser Seite der Grenze aus konnte er ihn nicht entdecken. Er mußte wohl in einen Felsspalt gefallen sein. Zeke brachte ihm das übliche Sandwich mit Tomatenketchup. Und von neuem marschierte Morelli am Drahtzaun entlang. Er stand jetzt zwanzig Meter von dem Hund entfernt und hörte diesen schnauben. Wieder zerrte Rasputin zum Drahtzaun. Diesmal war Morelli darauf vorbereitet, ließ das Sandwich fallen und nahm den Karabiner von der Schulter. Dann blickte er hinüber. Der Hund beachtete ihn gar nicht mehr. Seine Augen starrten auf das Sandwich, und er riß an seiner Leine. Der russische Posten, der sich mit seinem ganzen Gewicht dagegenstemmte, wagte ein halbes Lächeln und deutete mit dem Kopf auf das Sandwich. Morelli blickte den schnaubenden Hund an und dann sein Brot. Er erinnerte sich an die feuchte Schnauze, die gestern abend über seine Hand hergefallen war, als er es noch festhielt. »Das also ist es«, dachte er. »Sie geben ihm nicht genug zu fressen.« Er grinste zu dem Russen hinüber und trat das Sandwich mit dem Fuß in den Drahtverhau. Der Posten lockerte die Kette und ließ sich von dem Hund zum Draht ziehen. Rasputin schob sich zwischen
die stacheligen Rollen, nahm das rote Brot in die Schnauze und wühlte sich rückwärts wieder heraus. Mit zwei Bissen war das Sandwich verschwunden. Der Hund setzte sich auf seine Hinterpfoten und blickte Morelli an. Dann bettelte er. Der Posten zog den Hund auf seine Füße, sah den Marinesoldaten lächelnd an und legte dann seinen Finger auf die Lippen. Morelli hängte sich den Karabiner wieder über die Schulter und setzte seinen Patröuillengang fort. Nach und nach entstand in seinem Kopf ein Plan. Bei seiner zweiten Wache, die um Mitternacht begann, führte er ihn aus. Das Lager lag im tiefen Schlaf. Morelli schlich sich von seinem Posten am Drahtverhau davon und verschwand in der Messe, in der sich niemand mehr befand. Als er wieder auftauchte, war seine Jacke vorn weit ausgebuchtet. Vorsichtig ging er durch die Felsen zum Zelt des Leutnants, horchte und kroch dann geräuschlos hinein. Unmittelbar darauf erschien er wieder und zog sich gebückt zum Drahtverhau zurück, wobei er den Inhalt einer Plastikflasche auf dem Boden ausdrückte. Er erreichte den Stacheldraht und quetschte den Rest der Flasche auf den Felsen zwischen den Drähten. Der Brei schimmerte im Mondschein. Morelli verließ eilig die Grenze und nahm auf einem felsigen Sitz neben den amerikanischen Bogenlampen am Rand des Plateaus seinen Wachdienst wieder auf. Drüben auf der russischen Seite gelangte der Posten mit dem Hund auf seinem Wachgang in die Nähe des Drahts. Morelli hörte Rasputin schnaufen. Als der Hund an der Grenze Morellis Brei beinahe erreicht hatte, setzte er sich hin. Der Posten versuchte, ihn mit einem Ruck der Leine wieder auf die Beine zu bringen. Der Hund stemmte die Vorderpfoten steif gegen den Boden, und in einer plötzlichen Anspannung aller seiner Muskeln riß er dem Russen die Kette aus der Hand. Er stürmte in den Drahtverhau, hielt sich bei dem Breihaufen nur kurz auf und leckte sich dann an der saftigen Spur entlang, die Morelli gerade vorher ausgelegt hatte. Er trottete, schnaufte, leckte und schlabberte über das Plateau. Er kam um Rhodes' orangefarbenes Büro herum und stürzte sich dann in den Eingang eines Einmannzelts. Von innen kamen begeisterte Laute, dann ein leises Schlürfen, das nach feuchten Küssen klang. Als nächstes folgte ein unterdrücktes Stöhnen und darauf ein erschrockener Schrei. Das kaum eine Meter hohe Zelt hob sich vom Boden, als der einsachtzig große Leutnant innen auf die Füße sprang. Das Zelt schwankte hin und her und kippte dann auf ein Nachbarzelt hinüber. Man hörte einen weiteren und lauteren Schrei. Aus den kämpfen-
den Leinwandhaufen drangen gedämpftes Keuchen und Rufe. »Zur Hilfe. Ich werde gebissen.« Lampen flammten auf, als die Marinesoldaten aus den Zelten krochen. Das Lager war erwacht. Corrigans Stimme erhob sich über den Aufruhr. »Bogenlampen einschalten!« Morelli legte den Hebel herum. Die eine Hälfte der Zeltlinie sah aus wie nach einem Hurrikan. Drei der Unterkünfte an der westlichen Seite des Kasernenhofes waren zusammengebrochen. Den Bewohnern von zweien war es gelungen, sich zu befreien, das dritte Zelt schrie, schüttelte sich und schwankte. Corrigan ging hinüber, packte die Enden und zog es herunter. Ace Ellsmore lag gekrümmt auf seinem Schlafsack. Er schien über und über mit Blut bedeckt. Den Wachhund, der an ihn heranzukommen versuchte, hielt er am Halsband fest. Corrigan entriß dem Soldaten, der ihm am nächsten stand, den Karabiner und hob den Kolben, um ihn dem Hund über den Schädel zu schmettern. Im letzten Augenblick aber stellte er fest, daß dieser nicht die Zähne fletschte, sondern zu lecken versuchte. Der Major hob riechend die Nase, runzelte die Stirn und roch von neuem. Das Tier sah ihn an, entzog sich rückwärts den Griffen des Leutnants, rollte sich auf den Rücken und paddelte mit seinen vier Pfoten in der Luft. Langsam ließ Corrigan das Gewehr sinken. Sergeant Hennessey beugte sich über den Hund und kraulte ihm den Bauch. Dessen Augen verdrehten sich. Er stellte den Hund wieder auf die Füße, und der vollführte mit wedelndem Schwanz Freudensprünge. »Rasputin! Rasputin!« Von der anderen Seite der Grenze klang Lews verzweifelte Stimme herüber. Die Ohren des Hundes zuckten, aber er ignorierte den Befehl. Er setzte sich nur auf seine Hinterpfoten und sah Corrigan treuherzig an. »Ich sterbe«, stöhnte der Leutnant. Er setzte sich auf. Sein Gesicht, seine Hände, sein Pyjama, sein Schlafsack, alles war befleckt. »Mein Gott, der hat mich gebissen. Seht das Blut. Holt das Plasma.« Corrigan kniete sich neben ihn. »Sie riechen wie ein Sandwich«, sagte er. Er fuhr mit der Fingerspitze über die roten Flecken auf dem braunen Seidenpyjama und leckte daran. »Seit wann bluten Sie Ketchup, mein Sohn?« Die Soldaten brachen darauf in brüllendes Gelächter aus und genossen das Unbehagen des klebrigen Leutnants.
Morelli kaute auf seinem Kinnriemen und versuchte, noch unschuldiger auszusehen als sonst. Aber auch diesmal täuschte er niemanden. Der Koch aus Kentucky wankte zu ihm herüber, hing seinen Arm schwer um Morellis Schulter und ging in die Knie, als ob er unter Lachanfällen zu sprechen versuchte. »Mann, o Mann. Den hast du uns doch sauberlecken lassen... Morgen brat' ich dir das größte Steak der Welt... Stil Kentucky... mit Ketchup.« Corrigan hatte schon die ganze Zeit größte Mühe, ein ernstes Gesicht zu bewahren/Jetzt drehte er sich um, damit er im Schatten nicht so deutlich zu sehen war. »Gehen Sie zum Teich hinunter und waschen Sie sich, mein Sohn«, brummte er. »Und morgen früh unterhalten wir uns dann. Ich glaube, es gibt einiges über den Ernst des Lebens zu sagen.« Er wandte sich an Hennessey. »Bringen Sie das Lager wieder in Ordnung, Sergeant. Und stellen Sie fest, wer das inszeniert hat.« Er ging zu seinem Zelt davon. Als er an Morelli vorüberkam, sprach er aus dem Mundwinkel. »Treiben Sie es nicht zu weit, Schlitzohr.« »Wer — ich, Sir?« »Ja, Sie mit dem Ketchup auf den Stiefeln.« Morelli ging seine einsame Nachtwache. Es machte ihm nichts aus. Durch den neuen Ohrstöpsel hörte er die Übertragung eines Spiels zwischen den Detroit Tigers und den Cleveland Indians. Der Stöpsel saß sogar noch bequemer in seinem Ohr als der alte. Er hatte ihn in einem zusammengefalteten Papier gefunden, der an seinem Helm klebte. Darauf stand in Ellsmores Handschrift: »Das Kriegsbeil ist begraben — okay?« Rasputin hatte jetzt eine zweifache Staatsangehörigkeit. Im Laufe der Tage wurde er schnell fetter. Er beherrschte den Zeitplan auf beiden Seiten des Drahtzauns. Da jetzt seine wahre Harmlosigkeit bekannt war, hatte er seine Rolle als Wachhund ausgespielt. Er konnte sich als einziger auf der Insel frei bewegen. Sein Tag begann mit einer weichen Semmel bei Worolokow, dann frühstückte er mit der russischen Besatzung. Darauf folgten Cornflakes mit Ketchup bei Morelli im amerikanischen Sektor. Wenig später fand er sich wieder auf dem Trawler ein, da er wußte, daß Boris die Reste aus der Kombüse wegwarf. Nach einer Stunde ging er wieder hinüber und half Zeke im amerikanischen Zelt, die Abfälle auszusortieren. Damit war er gewöhnlich beschäftigt, bis auf der DIMITRIKIROW das Mittagessen begann. Anschließend legte er sich unterhalb des Trawlers eine Stunde lang auf den Felsen in die Sonne, um zu schlafen, und wachte dann mit frischen Kräften und hungrig wieder auf, um sich über
die Leckerbissen herzumachen, die jetzt in der amerikanischen Messe zu haben waren. Seinen Nachmittag teilte er zwischen den beiden Köchen Zeke und Boris. Er war ein unwiderstehlicher Bettler. Gegen sechs Uhr abends war er so vollgestopft, daß für das russische Abendessen kaum noch Platz war. Und bei den Amerikanern wurde dieses für ihn zur harten Arbeit. Bewegen tat er sich nur noch, wenn er von einer Mahlzeit zur nächsten ging. Die Amerikaner genossen jetzt das Inselleben. Es war ihnen klar, daß sie mit den russischen Seeleuten keinerlei Ärger bekommen würden. Sie wußten, daß die russischen Apparate, die bei dem Aufprall beschädigt worden waren, noch nicht wieder arbeiteten und wohl auch erst im Herbst wieder in Betrieb genommen werden konnten. Die amerikanischen Störgeräte würden ihnen auf Wochen hinaus zu schaffen machen. Corrigan hatte den Befehl, den Stützpunkt zu halten und auszubauen. Mittlerweile ließ man die Zügel der Disziplin ein wenig schleifen. Musterungen und Waffenübungen kamen selten auf die Tagesordnung. Es wurde zwar immer noch Wache geschoben, aber die Männer trugen jetzt Stöcke statt Gewehre. Leutnant Ace Ellsmore lernte allmählich, menschlich zu werden. Er brauchte seine Zeit dazu, aber die Vorteile waren nicht zu leugnen. Er hatte jetzt das Gefühl, seine Männer würden ihn tatsächlich herausholen, wenn er im Kampf verwundet werden sollte. Vorher hätten sie es wahrscheinlich damit nicht so eilig gehabt. »Sie müssen sie kennenlernen«, sagte Major Corrigan zu ihm. »Das sind Dickschädel mit einer Tradition seit 1775. Wenn man sie richtig behandelt, tun sie alles für einen. Und Sie müssen sie respektieren. Die meisten von ihnen schlugen sich schon herum, als Sie noch die Universität besuchten.« Nur der Lautsprecher, den Major Corrigan nahe am Drahtzaun hatte aufstellen lassen, rief jetzt noch ein gespanntes Verhältnis hervor. Das war nicht sein Einfall gewesen, und ihn ärgerte er genauso, wie er den Russen in den Ohren dröhnte. Jeden Morgen und Nachmittag plärrte er ein Propagandatonband auf »russisch« herunter. Keiner der Marinesoldaten konnte ein Wort verstehen. Es würde zu schnell gesprochen, behauptete Ellsmore, sogar für ihn. Für die Russen bedeutete der Lautsprecher nichts als Lärm. Irgend jemand im Flottenkommando der US-Navy hatte Mist gemacht. Das Tonband dröhnte auf albanisch. Die Russen konterten und montierten auf den Bug des Trawlers ebenfalls einen Lautsprecher. Er wurde zur gleichen Zeit eingeschaltet wie der amerikanische. Für die Amerikaner waren die russischen Sendungen noch
unverständlicher. Denn die Russen übernahmen kurzerhand die Cricket-Reportagen der BBC. Morgens und nachmittags hatte jeder eine Stunde lang Kopfschmerzen. Corrigans Männer hatten so viel überflüssige Zeit, daß jedes Teil ihrer Ausrüstung wie im Bilderbuch aussah. Marschübungen kamen nicht in Frage; auf zerklüfteten Felsen kann man nicht marschieren. Corrigan zerbrach sich den Kopf, wie er seine Männer beschäftigen konnte. Gern wäre er der Tradition der britischen Armee gefolgt und hätte alles, was sich nicht bewegte, weiß anmalen lassen. Aber die Kormorane und Möwen hatten das schon für ihn erledigt. Er schrieb Wettkämpfe aus, um seine Männer in Form zu halten. Als erstes wurde ein Schießwettbewerb veranstaltet. Ohne jede Begeisterung nahmen die Männer daran teil. Sie wußten, daß Zeke gewinnen würde. Dann versuchte Corrigan es mit unbewaffneten Kämpfen. Die Männer waren genauso lustlos. Es machte nicht viel Spaß von Joe Suki, dem Judomeister der Marine, über die Schulter auf die Felsen geworfen zu werden. Der populärste Wettstreit war das Schwimmen. Corrigan hatte gestattet, daß Victoria und Albert daran teilnahmen. Die Soldaten ließen Victoria in der Regel gewinnen, aber es gab jedesmal ein Gedrängel um den zweiten Platz, denn der Mann erhielt einen Kuß zum Trost. Albert, der ein guter Schwimmer war, wurde immer wieder von dreien oder vieren herausgefordert, die Wasserpolo spielten. Über den vierten Platz kam er nie hinaus. Im russischen Sektor ergab sich für Worokolow keinerlei Problem, seine Seeleute zu beschäftigen. Ihnen ging es nur darum, Fische zu fangen. Die russische Marine hatte sie zum Fischen nicht ausgerüstet, weil man nie daran gedacht hatte, daß die DMITRI KIROW zu diesem Zweck mißbraucht werden könnte. Also bedienten die Männer sich selbst. Sie schmiedeten Haken und klauten Nylonfäden aus Versuchs- und Wetterballons. Bronzeleitungen wurden zu Hummerkäfigen, die sie draußen an den Felsen auslegten. Saschas Netz war jetzt fertig. Igor beobachtete die Haie, die in der Nähe der Insel dicht unter der Wasseroberfläche durch die Makrelengründe strichen. Aus einem Brecheisen hämmerte er eine scharfe Harpunenspitze und setzte sie in den Schaft eines abgebrochenen Riemens. Die Waffe war zweieinhalb Meter lang. Die ablösbare Spitze war an eine Signalleine von über dreißig Meter Länge gebunden. Stundenlang übte er und warf damit nach einer schwimmenden Tonne. Aber sie gegen einen Hai zu erproben, bekam er nie die Gelegenheit - die Haie ahnten es wohl und blieben weg.
Zunächst beteiligte sich Uschakow, der Wissenschaftler, nicht an der Angelei. Er schwamm und lag in der Sonne. Und er spielte endlose Schachpartien gegen Kollegen der sowjetischen Flotte weit draußen auf See. Die Funksprüche von der Insel zu diesen Schiffen gaben den amerikanischen Geheimdienstlern stundenlang bedrohliche Rätselauf. Zunächst wußten sie nicht, ob diese Schachzüge echt oder verschlüsselte Nachrichten waren. Dann aber lösten sie das Problem, stellten auch ihr Schachbrett auf und zogen die Züge nach. Der amerikanische Geheimdienst geriet in den Bann der Schachduelle. »Guter Gott, nein!« stöhnte einer von ihnen auf. »Er begeht Harakiri. Er hätte die Königin stehenlassen sollen und mit dem Springer angreifen müssen.« Er hatte auf den verlierenden Spieler Geld gesetzt. Die sowjetischen Spiele hatten ein Wettfieber entfacht, und bei den Amerikanern wurde auf Sieg und Niederlage weit höher gespielt als bei den Russen. Der Admiral der Sechsten Flotte erließ über Sprechfunk einen Tagesbefehl: »Rotes Glied. Funkverkehr einstellen. Außer im Notfall völlige Funkstille. Benutzt in Zukunft eure deutschen Brieftauben. Meldet euch nicht bei uns. Wir rufen zurück.« Corrigan drückte eilig auf die Sprechtaste. »Rotes Glied erwartet Unabhän...« Er wurde unterbrochen. »Meinen Sie, Mama vergißt ihr Lieblingsbaby? Ihr kriegt eure Sonderrationen zum Unabhängigkeitstag wie alle anderen. Ende.« Der 4. Juli war ebenfalls Worolokows Geburtstag. Er wurde neunundvierzig Jahre alt. Seine Besatzung plante ein Fest, ein Fischgrillen. Seit Tagen hatten sie in einem Drahtkorb, der nahe am Heck des Trawlers unter der Wasseroberfläche hing, Hummer gehortet. Tanya nähte einen weißen Pullover zusammen, den sie ihm gestrickt hatte. Es war der erste Juli. Albert und Victoria befanden sich seit drei Wochen auf der Insel. Allmählich hatte Albert das Gefühl, in Festungshaft zu sitzen. Es wurde ihnen nicht erlaubt, die Insel zu verlassen. Sie durften nicht einmal die benachbarten Inseln besuchen. Daß man als Millionär solchen Beschränkungen unterliegen könnte, war für ihn undenkbar gewesen. »Machen Sie sich keine Sorgen«, sagte Collins. »Denken Sie an die Zinsen, die Ihnen Ihr Geld auf der Bank bringt.« »Nicht nur dort«, sagte Albert und dachte an Victoria, »auch hier habe ich etwas, an das ich nicht herankomme.« Victoria war ziemlich aufgekratzt. Sie verfügte über einen männlichen Harem, fünfzehn hartnäckige, braungebrannte Marinesoldaten, die sie ununterbrochen anbeteten. Sie war eine Göttin, mit einem Millionär im Schlepptau.
»Laß nur, Liebling, bald sind wir allein«, sagte sie zu Albert, wenn er sich beschwerte. »Ich bin wild nach dir.« Aber das machte die Sache nur noch schlimmer. Und sie gewöhnte sich immer mehr einen amerikanischen Tonfall an, was seine Proteste noch lauter werden ließ, sie gäbe sich zuviel mit den Amerikanern ab. Ein Flugzeug kam dröhnend näher. Tief über der Insel glitzerte es im Sonnenschein. Es kam in einem Kreisbogen zurück. Ein orangefarbener Fallschirm, hinter dem ein Rauchsignal herzog, löste sich und schwang ihnen entgegen. »Nachschub!« brüllte der amerikanische Posten. »Dingi zu Wasser lassen!« rief Corrigan seinen Männern zu. »Beeilt euch! Sonst schluckt es die See!« Quer über die Insel zog die Maschine im Gegenwind wieder hoch. Haarscharf vermied es der Pilot, den sowjetischen Luftraum zu verletzen. Die Russen standen alle auf dem Deck des Trawlers und blickten nach oben. Sie sahen, wie drei Bündel abgeworfen wurden. Die weißen Fallschirme öffneten sich und trieben auf die Insel zu. Der Abwurf war eine gute Leistung, denn die Insel bot nur ein kleines Zielgebiet und der amerikanische Sektor ein noch kleineres. Kaum zehn Meter vor dem Ufer klatschten die Bündel in das Wasser und wurden unmittelbar von den wartenden Soldaten aufgefischt. Das Flugzeug kam noch einmal zurück. Die Tür in der Mitte des Rumpfes wurde geöffnet. Und dann kam: »Heiliger Bimbam«, sagte Ace Ellsmore, »den haben wir wirklich gebraucht - einen Jeep.« Zwei letzte Bündel wurden aus dem Flugzeug abgeworfen. »Die landen nie auf der Insel«, sagte jemand. Der Jeep schien offensichtlich ins Wasser zu fallen. Aber da packte ein Windstoß den Jeep. Er pendelte auf die Männer zu. »Achtung!« schrie Corrigan. Der schwere Wagen trieb jetzt auf den Fahnenmast zu. Und dann traf er ihn in einem Winkel von fünfundvierzig Grad. Holz splitterte, und die Spitze des Fahnenmastes knickte herunter. Die Fahne wurde von dem Jeep abgerissen und davongetragen. Das sich drehende Fahrzeug wurde gerade noch über den Drahtzaun und den sich duckenden Kopf des russischen Postens hinweggeschoben und schleifte über den ebenen Fels, bevor es kurz vor dem Trawler zum Stehen kam. Die Fallschirme fielen in sich zusammen und sanken auf den Boden. In ihrer neuen Heimat im sowjetischen Sektor sahen die Amerikaner die Stars and Stripes. »Nichts für ungut«, rief Morelli der davonfliegenden Maschine nach. »Und wo ist das übrige Zeug?« fragte jemand. Sie schwiegen und starrten auf das Wasser und die
umliegenden Felsen hinaus. »Die Maschine muß ein Russe geflogen haben - seht!« Sie sahen. An einem Fallschirm hing ein Plastiksack am hinteren Funkmast der DMITRI KIROW. Die Russen, die gebannt auf den Jeep starrten, hatten ihn gar nicht bemerkt. Sie alle umringten ihn. Der Bordfunker der Maschine rief Corrigan, der die Kopfhörer aufsetzte. »Haben Sie den Nachschub erhalten?« fragte eine Stimme. »Die ersten drei Bündel. Der Jeep ist bei den Russen gelandet. Und auch der schwarze Behälter. Was war darin?« »Eure Truthähne. Und in dem Käfig waren die Tauben.« »Nichts davon zu sehen«, sagte Corrigan. »Mist«, antwortete die Stimme. »Ende.« Zeke erschien im Eingang des Funzelts. »Sie haben uns keine Truthähne mitgebracht, Sir«, sagte er. »Doch«, erwiderte der Major. »Die hängen da oben auf dem Trawler.« Draußen rief eine Stimme. »Herr Major, ein Russe möchte Sie sprechen.« Corrigan ging hinaus und marschierte zum Drahtzaun, wo Uschakow, der Wissenschaftler, ihn erwartete. »Gehört die Ihnen?« grinste der und übergab Corrigan die sorgfältig zusammengelegten Stars and Stripes. Corrigan nahm ihm die Fahne ab. »Und was ist mit dem Jeep?« fragte er. »Wieso?« meinte Uschakow. »Welcher Jeep?« »Der da.« Der Major zeigte auf ihn. Der Wissenschaftler grinste von neuem. »Wenn einer Ihrer Männer den Jeep in unser Hoheitsgebiet gefahren hätte, müßten wir ihm einen Passierschein ausgestellt haben. Aber wir stellen hier überhaupt keinen Passierscheine aus.« »Er ist doch mit dem Fallschirm gekommen, Sie Hinterwäldler.« »Dann hat er die sowjetische Lufthoheit verletzt und ist beschlagnahmt«, sagte Uschakow entschieden. Er verbeugte sich vor dem Major, drehte sich um und ging zurück. Sollte der Jeep zum Teufel gehen, und die Russen mochten damit glücklich werden. Fahren konnte man damit sowieso nirgendwo. Aber ohne Truthähne war der Unabhängigkeitstag für Corrigans Männer einfach undenkbar. »Und dabei hab' ich die Preiselbeeren- und die Apfelsauce schon fertig«, knurrte Zeke. »Es ist eine Schande, sie verderben zu lassen. Hat jemand 'ne Ahnung, was
das für Viecher sind, die da auf dem Felsen sitzen?« Er zeigte auf die beiden zerfledderten Kormorane, die wie gewöhnlich auf ihrem Vogeldreck hockten. Niemand wollte sie haben. Die Vögel rochen schon lebendig schlecht genug, der Himmel mochte wissen, was für einen Gestank sie tot verbreiten würden. »Was krieg ich, wenn ich die Truthähne hole?« fragte Joe Suki. »Keine Chance«, meinte Zeke. »Ich schaff es«, sagte Joe. »Dann zahl ich fünf Dollar«, erklärte Morelli. »Ich auch.« Die anderen Marinesoldaten waren ebenfalls einverstanden. »Ich will nichts davon wissen«, sagte der Major. »Aber auch ich zahle fünf Dollar, wenn ich am 4. Juli Truthahn bekomme.« »Überlaßt das nur mir, Jungs.« Sukis leicht orientalische Gesichtszüge strahlten. Er pumpte seinen gewaltigen Brustkasten auf, und die Muskeln traten hervor. »Heute nacht werden wir diese Truthähne auftauen. Helft mir beim Anziehen.« Suki stammte von den Philippinen und gehörte zu den Nahaufklärern der Marine — ein Froschmann. Er wurde in die Messe geschoben, und die anderen Männer brachten seine Ausrüstung. Suki legte seine Kleider ab, rieb sich mit Talkum ein und schob sich in die Beinkleider. Dann zwängte er sich in die Jacke und zerrte die Socken über die Füße. Er schloß die Reißverschlüsse und zog von hinten die schwarze Kappe über den Kopf. An seiner Wade befestigte er ein langes Messer. Andere Hände hoben ihm die Sauerstoffflaschen auf den Rücken, und einer der Soldaten legte ihm die Gewichte an. Suki schnallte den Gürtel um seine Hüfte. Mit einer altgewohnten Schulterbewegung zog er die Luftschläuche über den Kopf. »Schließt mich an«, sagte er. Irgend jemand öffnete das Ventil. Er griff unter seine Achselhöhe und zog den Luftdruckanzeiger hervor, der an einem kurzen Schlauch hing. Er prüfte den Druck der Sauerstofflaschen und atmete dann am Mundstück einmal kräftig durch. Wie ein Arzt im Operationssaal gab Suki darauf die Anweisung: »Handschuh, Maske, Flossen.« »Draußen ist alles in Ordnung. Die Russen beschäftigen sich noch immer mit dem Jeep«, sagte Clancy Paradise. Sie versteckten Suki in ihrer Mitte, als sie ihn aus der Messe und zum Ufer hinunterführten. Corrigan sah sie kommen, wandte sich aber sofort ab und tat so, als hätte er dringend etwas zu erledigen.
»Ich wünsche Ihnen alles Glück«, sagte Ace Ellsmore, der noch schwer damit zu tun hatte, den neuen kameradschaftlichen Ton zu finden. »Vielen Dank, Sir«, antwortete der überraschte Philippine. Er stieg ins Wasser, spuckte in seine Maske und schob sie sich über das Gesicht. Dann zog er die Handschuhe und Flossen an. Er ließ sich rückwärts ins Wasser gleiten und nahm das Mundstück zwischen die Zähne. Auch über die Entfernung von zehn Metern, die sie 1 trennte, hörten sie das Zischen seines Atems. Er drehte sich herum und verschwand unter der Wasseroberfläche. Sie sahen der Blasenspur nach, als er in das tiefere Wasser schwamm und in Richtung des russischen Sektors ... »Ein mutiger Junge«, sagte der Leutnant, der acht Jahre jünger war als Suki. Boris, der russische Koch, hatte dem Jeep kaum einen Blick geschenkt. Für ihn war er nichts weiter als irgendein Monstrum von langweiliger Maschine. Sie interessierte ihn bei weitem nicht so sehr wie seine neue Angel. Er probierte den Senkköder aus, den er sich aus Steinen gemeißelt hatte. Und der Erfolg war da. Im Augenblick wühlte schon ein gewaltiger Meeraal in dem Sack herum, der zu seinen Füßen lag. Er hielt die starke Schnur locker in seinen großen Pranken. Als jetzt wieder angebissen wurde, riß es ihm die Schnur durch die Finger. Sie schnitt ihm tief ins Fleisch. Das mußte ein Meerungeheuer sein. »Igor«, schrie Boris. »Komm schnell!« Der junge Kosak sprang von Felsen zu Felsen an die Seite des Kochs. »Zieh«, rief Boris. Igor packte die Leine und legte sich eine Schlinge um das Handgelenk. Er wurde fast ins Wasser gezogen. »Wir müssen ihm Spielraum geben, du Trottel. Der zerreißt uns die Schnur.« Die beiden Männer ließen den Fisch zappeln. Er zog einige Meter Schnur ins Wasser, aber nach und nach holten sie sie wieder ein. Sie zogen ihn näher an die Oberfläche. »Nun komm schon«, redete ihm Boris gut zu. »Meine Harpune«, keuchte Igor. »Hol sie, schnell!« Das Monstrum von einem Fisch steckte jetzt nur noch ein paar Meter weit draußen im dichten Seetang. Igor rannte die Felsen hinauf. »Wir haben einen Hai!« schrie er. »Meine Harpune!« Sie wurde ihm vom Trawler heruntergeworfen. Mit ihm zusammen rannten die Fischer zu Boris zurück. Viele Hände übernahmen die Angelschnur von dem keuchenden Koch. Seine Handflächen waren blutig aufgerissen, wo die Schnur tiefe Striemen in sie hineingegraben
hatte. Die Fischer konnten nur einen Schatten ihrer Beute ausmachen, die in dem lederartigen Tang durch das Wasser peitschte. Igor holte mit dem Arm weit aus und schleuderte seine Harpune. Aber diese sprang klirrend von ihrem Ziel ins Wasser. Der Fisch erhob sich auf zwei Beine und griff die Russen an, Boris fiel rückwärts ins Wasser. Das schwarze Meerungeheuer packte Igor und warf ihn hinter seiner Harpune her. »Keeaiy...«, schrie es und fiel über die anderen, völlig verschreckten Russen her. Nach einem einzigen schnellen Hieb ging Sascha zu Boden. »Ein Froschmann!« rief Boris reichlich spät, als die Gestalt die Sauerstoffflaschen von den Schultern streifte und die Schwimmflossen von den Füßen schleuderte. »Haltet ihn!« Igor kam spritzend aus dem Wasser und warf sich auf den Kerl. Der aber trat einen Schritt zur Seite und beschleunigte Igor mit einem kräftigen Stoß. Er knallte gegen den Felsen, sackte in sich zusammen, stand wieder auf und griff von neuem an. Ein Fuß ließ ihn stolpern, und nach einem Hüftschwung landete er wieder im Wasser. Suki stand da und hatte auf dem Felsen einen sicheren Stand. In der Reihenfolge, wie sie angriffen, nahm er sich die Russen einen nach dem anderen vor. Er war ganz ruhig und genoß sein Können. Es war, als ob er wieder auf der Trainingsmatte stände und die Judomannschaft der Marine unterrichtete. Jedesmal rief er die Bezeichnungen der Würfe aus, wenn er sich eines Angreifers entledigte. »Aschi-guruma!« Und ein Russe schlug einen Purzelbaum rückwärts. »Kata-seoi!« Er packte einen Russen am Arm und zog ihn hoch über seine Schulter. »Tomoe-nage!« Er ließ sich zurückfallen, stemmte seine Füße Lew in den Magen und katapultierte ihn über seinen Kopf hinweg in das flache Wasser. Er hatte gerade einen spektakulären Utsui-goschi auf Wasili angesetzt und ließ ihn rücklings schwer auf die Felsen krachen, als Uschakow mit einer Maschinenpistole im Anschlag herantrat. Zögernd hob Suki die Arme. Der Russe winkte seinem Gefangenen mit dem Lauf. Das wurde schmerzhaft — für Uschakow. Denn Suki wandte eine der Verteidigungen an, die Samurai-Krieger für den unbewaffneten Widerstand entwickelt haben, Aikido. Sein linker Arm kam in einem weiten Bogen herunter, nagelte Uschakows linke Hand vorne auf den Schaft der Maschinenpistole, drängte die Mündung nach oben und trat darunter. Uschakow konnte die Technik dieses Vorgangs gerade noch begreifen, bevor er den Boden unter den Füßen ver-
lor. Es überraschte ihn, daß er sich lange genug in der Luft befand, um von oben zu sehen, wie lgor den Schaft der Harpune dem Froschmann über den Schädel schlug. Uschakow und Suki kamen zur gleichen Zeit wieder zu sich. Die angeschlagenen russischen Seeleute hatten sie beide auf das Deck des Trawlers geschleppt und dort hingelegt. Suki versuchte sich aufzusetzen und bohrte sich dabei beinahe die Spitze der Harpune in die Brust, die Igor ihm entgegenhielt. Die Augen des jungen Kosaken blickten wild und erregt auf ihn herunter, und Suki zog es vor, still liegenzubleiben. Der bärtige russische Offizier kam herüber, an seiner Seite eine junge, dunkelhaarige Frau, die Suki schon oft von der anderen Seite des Drahtzauns aus gesehen hatte. »Das ist Spionage«, sagte der Offizier. »Dafür können Sie erschossen werden. Sie sind in unser Hoheitsgebiet eingedrungen, und Sie haben meine Männer angegriffen. Zweimal an einem einzigen Tage habt ihr unsere Gesetze verletzt. Das ist eine ungeheure Provokation.« Suki schluckte. Er beschloß, daß es das vernünftigste wäre, den Russen die Wahrheit zu sagen. »Ich bin wegen der Truthähne gekommen.« Auch für ihn selbst klang diese Erklärung recht fadenscheinig. Worolokows finsterer Gesichtsausdruck änderte sich nicht. »Was ist das für eine blödsinnige Geschichte?« »Unsere Truthähne sind auf Ihrem Schiff gelandet, dort, am hinteren Funkmast.« Er zeigte in die Richtung. »Habt ihr Amerikaner nichts zu essen?« »Sicher haben wir was.« »Warum setzen Sie dann Ihr Leben aufs Spiel, um diese Vögel zu holen?« »Das ist das Essen für den Unabhängigkeitstag«, sagte er. »Unabhängigkeitstag?« »Ja.« Er dachte schnell nach. »Wie bei Ihnen der Erste Mai. Der Tag, an dem wir unsere Freiheit erhielten. Und der ist übermorgen.« »Übermorgen habe ich Geburtstag.« Der russische Offizier lächelte. »Sie sind ein närrischer Kerl. Aber sehr stark. Wegen sechs Viechern haben Sie meine ganze Besatzung aufs Kreuz gelegt. Sie müssen für Sie sehr wichtig sein.« Suki spürte, daß die Waage sich zu seinen Gunsten neigte, und verhielt sich ruhig. »Ich habe noch nie Truthähne gegessen«, grinste Worolokow. »Für zwei von diesen Vögeln gebe ich Ihnen Ihre Freiheit wieder. Aber unterlassen Sie in Zukunft diese Dummheiten.«
Suki nickte zustimmend. Er hatte es eilig, denn er befürchtete, daß die Russen es sich anders überlegen könnten. »Ich lasse euch Preiselbeersauce schicken«, sagte er. Seine Sauerstoffflaschen und die Tauchausrüstung lagen am Fuß der Strickleiter auf dem Felsen. Er schob sich die Sachen auf die eine Schulter, warf die vier Truthähne über die andere, grinste zu der Reihe von Köpfen hinauf, die ihm von der Reling herunter zusahen, und marschierte mit stolzgeschwellter Brust zum Drahtzaun. Der Posten sah ihn kommen und öffnete das Tor. Suki nickte ihm vergnügt zu. Dann zog er beschwingt in den amerikanischen Sektor ein und pfiff den Yankee-doodle. Dort umringten ihn sofort seine hurra brüllenden Kameraden. »Wir wollten gerade schon deine Siebensachen unter uns aufteilen.« »Wir dachten, du wärst übergelaufen.« »Was hast du gemacht?« »Wie hast du das gemacht?« Suki setzte seine Sauerstofflaschen auf den Boden, und dann drückte er die Truthähne Zeke in die Hände. »Boys, ihr schuldet mir achtzig Dollar«, sagte er. »Laßt uns Ball spielen«, rief Morelli. Er stieß den großen Badeball zu Victoria, die ihren Bikini trug. Sie fing ihn, drehte sich halb zu Albert herum und warf ihn weiter. Er flog fünf Meter an Albert vorbei und landete vor Rasputins Pfoten - jenseits des Drahtzauns. Ohne auf Morellis Rufe zu reagieren, versuchte der Hund hineinzubeißen. Nach kurzem Kampf hatte Lew ihn erbeutet und warf ihn zu dem Mädchen zurück. Corrigan zog eine Augenbraue hoch. Das war die erste, offene freundliche Geste, zu der einer der Russen sich aufgerafft hatte. Er stemmte sich von dem Felsen auf, wo er gelegen hatte, und bummelte zum Zaun hinüber. Aus seiner Brusttasche zog er ein Päckchen Lucky Strike und bot Lew eine an. Der russische Seemann zögerte, dann nahm er sie. Corrigan langte durch den Zaun und gab ihm Feuer. »Heiß«, sagte Corrigan. »Ja«, sagte Lew. »Corrigan«, sagte Corrigan und zeigte auf sich. »Russe«, sagte Lew. »Amerikaner«, sagte Corrigan und zeigte wieder auf sich. »Lew«, sagte der Russe. »Schäferhund«, sagte Corrigan und schwenkte mit seiner Hand in die Richtung auf Rasputin. »Russe«, sagte Lew. »Groß«, sagte Corrigan und hob seine Hand von den Knien bis an die Hüfte.
»Dick«, sagte der Russe und breitete seine Arme seitwärts aus. Corrigan steckte jetzt in der Falle dieses recht einsilbigen Gesprächs. Lew war freundlich, aber er beherrschte nur wenige englische Wörter. Der Major fürchtete aber, er werde den Russen beleidigen, wenn er das Gespräch gar zu schnell beendete. Er zeigte auf Lew. »Seemann?« fragte er. Lew schüttelte den Kopf. »Fischer.« Er zeigte auf Corrigan. »Soldat?« Diesmal schüttelte der Major den Kopf. »Marine.« Lews Augen leuchteten auf. »Ah, Seemann.« Corrigan krümmte sich innerlich ein wenig. »Nein«, sagte er. »Halb Seemann, halb Soldat.« »Ah«, sagte Lew wieder. Er lachte und suchte einen Augenblick nach dem richtigen Wort. »Wassernixe?« fragte er. Corrigan lachte. »So etwa.« Victoria rettete ihn. »Fangen!« rief sie. Diesmal warf sie den Ball absichtlich dem Russen zu, der ihn geschickt fing. Der Schulterriemen seines Gewehrs glitt ihm von der Schulter, so daß dieses in der Armbeuge hing. Er stellte die Waffe gegen einen Felsen ab. »Hepp!« Lew blickte über die Schulter. Kaum zwanzig Meter entfernt stand Igor und klatschte über dem Kopf in die Hände. Er fing Lews Zuspiel auf und schleuderte den Ball hoch über den Zaun. Morelli lief ein paar Schritte zurück, um ihn zu erwischen, und knallte ihn dann noch höher in den russischen Sektor zurück. Diesmal mußte Mischa springen, um ihn abzufangen. Der Badeball flog in den amerikanischen Sektor. Corrigan griff sich ihn und warf ihn in Richtung auf den Trawler. Die Mannschaften wurden größer. Bald waren alle Fischer und Marinesoldaten, die keinen Dienst hatten, an dem Spiel beteiligt. Die GIs hatten schnell die Vornamen der Russen herausbekommen und riefen sie ihnen zu, wenn sie den Ball warfen. Die Russen brüllten zurück — die Nachnamen der Amerikaner. Die Männer kamen ins Schwitzen. Während sie herumsprangen, warfen sie die Kleider ab. »Eee, Ennessee«, forderte Igor den farbigen Hauptfeldwebel heraus. Der Kosak warf eine große Plastikboje in die See hinaus und rannte hinterher. Die halbnackten Mannschaften von beiden Seiten des Zauns folgten ihm. Die Männer stürzten zu dem orangefarbenen runden Schwimmkörper, der auf den Wellen tanzte. Das lautstarke Ballspiel wurde jetzt im Wasser fortgesetzt. Es war eine Art Wasserpolo ohne alle Regeln, und es gab auch keine Parteien. Die Strömung trieb sie allmählich in die
Nähe des Trawlers, und dann spielten sie sich wieder in das flache Wasser vor dem amerikanischen Sektor zurück. Die im Wasser unsichtbare Demarkationslinie der Hoheitsgebiete war vergessen. Aber als sie endlich wieder ans Ufer stapften, verteilten sie sich instinktiv wieder auf die beiden Seiten des Zauns. Die Männer ruhten sich in schwatzenden Gruppen am felsigen Ufer aus, und nur der Drahtzaun trennte sie. Victoria saß mitten unter ihnen und tat so, als ob sie nicht wüßte, daß ihr nasser Bikini fast durchsichtig war. Suki plünderte den Coca-Cola-Automaten und kam mit einem Armvoll eisgekühlter Flaschen zurück. Er reichte sie herum. Die Verschlüsse knallten, und es zischte, als die Russen und Amerikaner sie öffneten. Die Front war zusammengebrochen. Seit Tagen hatten die sowjetischen Fischer Treibholz gesammelt, und jetzt stand es zu einem Stoß aufgeschichtet wenige Meter vor dem Bug des Trawlers. Die Amerikaner stellten darüber Spekulationen an. Jetzt beobachteten sie, wie geschrubbte Bänke und Tische vom Trawler heruntergelassen wurden und man sie hufeisenförmig um den Holzstoß aufstellte. »Was habt ihr vor, Igor?« fragte Hennessey. Igor schwang sich auf die Lehne eines Stuhls in den Handstand und antwortete unter dem Arm hervor: »Wir machen heute abend ein Fest. Der Kapitän hat Geburtstag.« »Grill?« »Ja, Hummer und Geflügel. Viel Wodka.« Hennessey sah Suki an. Der große Philippine leckte seine Lippen. »Viel Wodka?« »Sehr viel Wodka. Sehr viel singen.« »Wir haben heute abend auch ein Fest«, sagte Suki. »Sehr viel Coca Cola.« Igor sprang wieder auf die Füße und hielt den Stuhl über seinen Kopf. Er sah sie überrascht an. »Nichts zu trinken?« »Natürlich möchten wir. Aber wir kommen von einem trockenen Schiff.« Igor begriff nicht recht. Suki erklärte: »Nichts zu trinken.« Igor nickte mitleidsvoll. »Vielleicht singst du deswegen so schlecht.« Er zeigte auf Hennessey. Suki lachte. »Allmählich wirst du international berühmt.« Am frühen Abend wurde das russische Feuer angezündet. Die Amerikaner sahen zu, wie die Tische ge deckt wurden und der russische Koch seine Gehilfen hin und her kommandierte. Als die Flammen kleiner wurden und das Feuer zu glühender Holzkohle, trieben Gerüche von Braten und würziger Sauce in das amerikanische Lager.
»Auf geht`s«, rief Zeke. Die Amerikaner saßen in ihrer Messe und warteten auf den Truthahn. Corrigan hatte am Kopf des Tisches Platz genommen, die Briten in einer kleinen Gruppe am unteren Ende des Tisches. Der Koch trug sein Spezialessen a la Kentucky auf. Er hatte den ganzen Tag hart gearbeitet. Es war vollkommen. Victoria, der eine von Zekes riesigen Schürzen bis an die Knöchel hinunterhing, half ihm beim Servieren. Rhodes, der seine Perücke sauber gebürstet hatte, beobachtete die Amerikaner, die schweigend mit ihren Gabeln im Essen herumstocherten. Es herrschte eine nachdenkliche und düstere Stimmung und nicht die eines lebhaften Festes, das er erwartet hatte. Man konnte hören, wie die anderen drüben im sowjetischen Sektor immer lustiger wurden. »Die haben Wodka«, sagte Suki und knabberte an einem Truthahnschenkel. »Reich mir eine Coca.« Rhodes fühlte sich schuldig. Die Ginflasche mit ihrem restlichen Inhalt hatte er unter seinem Schlafsack versteckt. Er kämpfte mit sich selbst. Sein Gewissen siegte. Er entschuldigte sich, ging hinaus und kam mit einer Flasche zurück, die kein Etikett trug. Er blieb vor Corrigan stehen. »Das ist leider alles.« Aus dem russischen Lager drang wieder eine Weile Gelächter herüber. Die Amerikaner schwiegen alle. Ihre Kinnbacken bewegten sich nicht mehr. Ihre Augen wanderten von der Flasche zum Gesicht des Majors. »Mensch, sieh mal, Schnaps«, sagte Hennessey mit leiser Stimme. »Saki«, stöhnte Suki. »Grappa«, flüsterte Morelli. Corrigan starrte die Flasche an. Sie hatten eine lange Trockenperiode hinter sich. Er entkorkte sie und schnüffelte. »Gin«, sagte er. Er stellte fest, daß aller Augen ihn erwartungsvoll ansahen. »Okay, bringen wir ihn um die Ecke.« Er gab die Flasche an Ace weiter. Mit großer Feierlichkeit und peinlich genau maß der Leutnant jedem einen Teelöffel Gin in den Becher. Albert starrte auf die kümmerliche Pfütze Feuchtigkeit am Boden seiner Blechtasse. Dies und die gespannte Erwartung der Männer erinnerten ihn an Rettungsbootszenen im Film, wenn das letzte kostbare Wasser verteilt wurde. Corrigan erhob sich. »Auf uns alle.« »In manus tuas commendo spiritum meum«, intonierte Rhodes. Die Marinesoldaten sahen ihn verständnislos an. »In deine Hände lege ich meinen Geist«, übersetzte er.
Auf den Gesichtern der Soldaten zeigte sich keine Reaktion. »Ist das ein englischer Witz, Sir?« fragte Ace Ellsmore den Anwalt. »Hm, ja, ich glaube.« Ace blickte in die Runde und die immer noch begriffsstutzigen Gesichter seiner Männer. »Okay«, befahl er. »Seid dankbar. Lacht.« Sie lachten und tranken. Jetzt war der amerikanische Sektor der Insel wirklich ausgetrocknet. Die Russen feierten lautstark. Es war schon dunkel. Sie hatten wieder frisches Holz aufs Feuer gelegt, und die Flammen beleuchteten die Tische und die darumsitzenden Männer. Leere Wodkaflaschen standen schon wie eine Palisade auf den Felsen. Die Fischer und Wissenschaftler redeten durcheinander, tranken und lachten. Worolokow saß am Scheitel punkt des Hufeisens und war vergnügt wie die anderen. Er wedelte mit einer Wodkaflasche und versuchte sich schreiend mit Uschakow zu unterhalten. Überall auf den Tischen lagen die Überbleibsel des Essens herum. Worolokow benutzte eine Hummerschale, um seine Zigarette auszudrücken. Gläser klirrten gegeneinander. Rasputin lag vor dem Feuer, und sein Fell stank angesengt, aber er war zu voll und faul, um sich zu rühren. Glas klirrte, als Igor auf den Tisch sprang. Im flackernden Feuerschein stand er breitbeinig da und hielt in der rechten hocherhobenen Hand theatralisch ein Glas. Es war eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen er unbeanstandet seine Kosakenkleidung tragen durfte, die er so sehr liebte. Die anderen Besatzungsmitglieder zogen ihn damit auf, aber insgeheim hatten sie begriffen, daß diese, wenn auch nur behauptete Bindung an seine Ahnen für ihn als Waise wichtig war. »Auf unseren Kapitän!« rief er. Er trank, und in traditioneller russischer Weise schleuderte er das leere Glas ins Feuer. Ohne zu zögern folgten die anderen seinem Beispiel. »Igor!« bellte Boris. »Und?« fragte Igor. »Das waren unsere einzigen Gläser.« Uschakow stimmte das Gelächter an. Er griff hinauf und zog den jungen Kosaken an seiner Schärpe herunter. »Dann trinken wir eben aus der Flasche, was, Igor?« Tanya blickte in das schweigende amerikanische Lager hinüber. »Die trinken ohne jeden Lärm, wie Gentlemen. Nicht wie verrückte Kosaken«, sagte sie zu Igor. »Die trinken überhaupt nicht«, gab er zurück. »Die haben nichts.« Worolokow griff das auf. »Nichts zu trinken?«
»Sie haben mir heute erzählt, daß sie keinen Schnaps haben.« »Aber wie feiern sie dann ihre Freiheit?« fragte Sascha. »Mit Coca-Cola«, sagte Igor. Worolokow spuckte in das Feuer. »Feiern kann man nur, wenn man was zu trinken hat. Etwas wirklich Trinkbares.« Es kam ein allgemeines Murmeln der Zustimmung. »An meinem Geburtstag sollte jeder trinken.« Worolokow schlug sich an die Brust und ließ einen gewaltigen Schluckauf kommen. »Wir könnten ihnen etwas abgeben...« »Wir könnten sie fragen...«, unterbrach Tanya. »Ob sie rüberkommen wollen«, sagte Uschakow. »Ich geh«, rief Igor mitten in der Luft, als er sich über das Tor schwang. Und schon befand er sich auf halbem Wege zur amerikanischen Messe. Als er hinter den amerikanischen Zelten verschwand, hörten seine Kameraden ihn rufen: »Ennessee, Ennessee!« »Leb wohl, geliebter Igor«, murmelte Boris und bekreuzigte sich. »Ennessee, Ennessee.« Überrascht blickten die Amerikaner zum Eingang der Messe. Die Tür wurde aufgerissen. Morelli, der auf zwei Stuhlbeinen balanciert hatte, fiel hintenüber. Corrigan sprang auf die Füße, als in der offenen Tür die wilde Gestalt eines Kosaken erschien. Sie erhob ihre Hand. »Friede«, sagte Igor. Hinter ihm und ohne daß der Russe es bemerkt hätte, stand der amerikanische Wachtposten und hielt die Mündung seines Karabiners nur ein paar Zentimeter von Igors Kopf entfernt. Der Posten sah Corrigan fragend an. »Friede«, sagte Corrigan und hob auch seine rechte Hand. »Kapitän Worolokow bittet alle, seinen Geburtstag zu betrinken«, rief Igor. Schon war Rhodes aufgesprungen, aber Victoria zog ihn auf seinen Stuhl zurück, und seine Perücke rutschte ihm in die Stirn. Alle Augen richteten sich auf Corrigan. »Hmmm«, meinte der. »Hmmm, warum nicht?« »Wirklich, warum nicht?« rief Rhodes und richtete sein Haarteil. »Richten Sie dem Kapitän unseren Dank aus, und sagen Sie ihm, daß wir in fünf Minuten kommen«, sagte Corrigan. Es entstand ein allgemeines Begeisterungsgebrüll. »Nehmen Sie eine Coca?« Aber Igor war schon verschwunden. Corrigan bemühte sich, ein strenges Gesicht aufzusetzen. »Nun hört mal zu... Ich will keinen Ärger. Denkt
daran, daß wir Gäste sind. Und benehmt euch wie Marinesoldaten.« »Klar. Die saufen wir leer, bis sie auch auf dem Trokkenen sitzen.« Schon war außer Corrigan niemand mehr in der Messe. Als er durch das jetzt unbewachte Tor kam, hatten sich die durstigen Amerikaner bereits freundschaftlich unter ihre Gastgeber verteilt. Hennessey, Igor, Suki und Boris saßen lachend in einer Gruppe zusammen. Der Philippine hatte seinen Kopf weit zurückgebeugt. Boris bemühte sich, eine Literflasche Wodka in ihn hineinzuschütten, und Suki tat, was er konnte, um ihm dabei zu helfen. Seine Augen traten weit heraus, als er versuchte, mit dem Wodkastrom Schritt zu halten. Sein Mund lief über, und der Wodka tropfte seinen Hals hinunter. »Du mußt noch viel nachholen, bis du soviel hast wie ich«, lachte Boris. Igor riß mit seinen Zähnen den Korken aus einer Flasche und drückte Hennessey den Wodka in die Hand. »Trink, und du singst gut«, sagte er. In der Dunkelheit rollte das Weiße in Hennesseys Augen. Er küßte die Flasche. »In Flaschen wie dieser stekken jede Menge guter Songs.« Er hob sie an die Lippen, und es gluckerte. Uschakow erhob sich und ging dem amerikanischen Major entgegen, der im Schatten stand und die vom Feuer beleuchtete Szene beobachtete. »Bitte, kommen Sie zu uns.« Er führte Corrigan zu Worolokow. »Der Offizier ist gekommen«, sagte er. Worolokow stand auf. Er wußte nicht recht, ob er sich verbeugen sollte, oder die Hand ausstrecken. So tat er beides. »Danke für die Einladung«, sagte Corrigan. Worolokow wehrte mit der Hand ab. »Bitte trinken Sie mit uns. Heute ist mein Geburtstag.« »Herzlichen Glückwunsch«, sagte der Major und hob die Flasche, die Uschakow ihm in die Hand gedrückt hatte. Er überlegte noch kurz, ob diese Party vielleicht eine Falle wäre, in die die Amerikaner gelockt worden waren, aber die Freundlichkeit war offensichtlich echt. Er ließ den Gedanken fallen. »Wie geht's Ihnen beiden?« wandte sich Tanya an Victoria und Albert. »Darüber sind wir uns noch nicht im klaren«, meinte Albert und lächelte Victoria an. Die drei saßen vor dem Feuer auf einem Felsen und reichten einander die Flasche zu. »Sie haben jetzt viele Männer und schöne Turnspiele.« Tanya versuchte, die Konservation in Gang zu bringen.
»Zuviel vom einen und zuwenig vom anderen.« Victoria erwiderte Alberts Lächeln. Mischa begann die Balalaika zu spielen, und die Fischer sangen. Die Amerikaner summten. Zeke ging seine Handharmonika holen, und im Chor der Marinesoldaten ertönte »Shenandoah«. »Wunderbar«, schluchzte Boris, und seine Augen liefen über. Victoria schob ihre Hand in die Hintertasche von Alberts Jeans und drängte sich an ihn. Er nahm einen tiefen Zug aus der Wodkaflasche. Sie sangen eine Stunde lang, und bei jeder Pause und zwischen den Strophen schlürften sie den Wodka aus den Flaschen. Die Verbrüderung machte Fortschritte, und die singenden Stimmen wurden rauher. »Essen«, rief Boris und erschien mit einer großen Platte voll gegrillter, kleiner Vögel. Sie ging von Mann zu Mann, und es waren reichlich genug. »He, Zwerghühner«, meinte Suki und riß eines auseinander. »Was sind denn das für Vögel?« fragte Corrigan Worolokow. »Tauben«, antwortete der Russe. »Ich wußte gar nicht, daß Boris welche hatte. Köstlich, nicht wahr?« . »Sieh da, auf meiner steht ein Absender.« Corrigan blickte zu Morelli hinüber, dessen vom Wodka verschleierte Augen ihn zu fixieren versuchten. »Was meinen Sie damit?« fragte er. Morelli reichte ihm einen kleinen Metallring, den er vom Schenkel seiner Taube abgezogen hatte. Darauf stand: 4277 - US Air Base, Frankfurt. Corrigan schluckte diesen Beweis für Amerikas Nachrichtenwesen mit einem halbzerkauten Bissen. »Bessere gibt es auch bei uns nicht«, meinte er zu Worolokow. Die Teller wurden zusammengetragen und am Ende des Tisches neben die leeren Wodkaflaschen gestellt. Die Männer boten einander Zigaretten an und tranken wieder. Von neuem wurde Balalaika gespielt. Langsam und traurig begann sie und rief Bilder von der ungeheuren Einsamkeit der russischen Steppe hervor. Auch den Amerikanern gingen diese Töne unter die Haut. Sie waren mehr als Einbildung, sie erzählten von den Ebenen und den Bergen, den Winden und dem Regen. Sie entführten die Männer über die großen Seen, zu den riesigen Wäldern und den einfachen Dörfern. Sie schwollen an und steigerten sich zu einem Crescendo. Vom Bug des Trawlers unter dem Flutlicht ertönte ein durchdringender, ansteigender Pfiff. Erschreckt blickten sie hinauf.
Die Arme in die Seite gestemmt, stand Igor als dämonischer Anblick hoch auf dem Bug. Seine seidenen Ärmel flatterten in der warmen Brise. Mit einem grellen Schrei sprang er weit hinaus, und die ausgestreckten Hände berührten die Fußspitzen, bevor er sich streckte und gewandt auf dem Felsen landete. Wie ein Derwisch wirbelte er in den Feuerschein, die Augen weit offen, die entblößten Zähne spiegelten blendend die Flammen. Die Geschichte, von der die Balalaika erzählte, setzte er in Bewegung um. Die Musik trieb ihn an. Er sprang und drehte sich, überschlug sich in Rad und Salto. Die Russen klatschten zum Rhythmus des Instruments und ließen ihn noch schneller werden. Aber Igor hielt spielend mit. Die Amerikaner wurden von der Raserei des Tanzes angesteckt. Zusammen mit den Russen klatschten sie den Rhythmus und stießen Anfeuerungsrufe aus. Igors Haare flogen, der Schweiß lief ihm übers Gesicht, und er warf seine Kosakenstiefel immer höher. Mit einem Schlag brach die Musik ab. Igor sprang bei diesem Finale hoch in die Luft und auf das Tischende. Die Arme weit ausgebreitet, ließ er sich auf ein Knie herunter. Die aufgestapelten Teller am anderen Ende des Tisches wurden von seinem Gewicht in die Dunkelheit katapultiert. Der klirrende Krach vermengte sich mit ekstatischem Applaus. »Igor!« bellte Boris. »Und?« keuchte Igor. »Das war unser gesamtes Geschirr!« Der Wodka tat allmählich seine Wirkung. Boris hatte mit seiner Mission, eine ganze Flasche in Suki hineinzuschütten, Erfolg gehabt. Jetzt bekämpfte er eine zweite Flasche. Hennessey hielt mit. Ace Ellsmore hatte sich bereits entschuldigt und lag jetzt wie ein Haufen Elend gleich hinter der Grenze auf amerikanischem Sektor. Nur weil er seinem Vater versprechen hatte, sich niemals auf fremdem Boden zu betrinken, war er so weit gekommen. Die letzten zwei Meter hatte er kriechen müssen. Uschakow und Zeke waren ein kleines Stück vom Feuer entfernt übereinander gestolpert und kreuzweise übereinander liegengeblieben. Zeke umklammerte immer noch eine beinahe leere Flasche. Corrigan und Worolokow hatten einander die Arme um die Schultern gelegt und sangen in zwei verschiedenen Sprachen zwei verschiedene Lieder. Für sie klang das äußerst harmonisch, für Tanya und Victoria aber, die als einzige noch nüchtern waren, als ob zwei Leute in zweierlei Sprachen zwei verschiedene Lieder sangen, Rhodes vernichtete mit aller Entschlossenheit schon den Inhalt der dritten Flasche. Jetzt zeigte sich, was ein erfahrener Säufer zu leisten vermag. Er taumelte auf die
Füße, packte die Flasche am Hals und schlurfte zu dem orangefarbenen Zelt. Den restlichen Wodka wollte er im Bett in sich hineinlaufen lassen. Wenn im Morgengrauen ein Hubschrauber eine der beiden Hälften der Insel überflogen hätte, wäre es durchaus möglich gewesen, daß ein dritter Weltkrieg ausgebrochen wäre. Die beiden Lager sahen wie ein Schlachtfeld aus. Überall lagen Schnapsleichen herum, und das noch qualmende Feuer sah wie die Überreste eines Brandopfers aus. In jede Richtung schienen die Männer sich davongeschleppt zu haben und waren dann zusammengebrochen. Bis zum Tagesanbruch hatten sie getrunken. Zwischen ihnen lagen die leeren Flaschen. Ein paar Amerikaner hatten es beinahe bis zu ihren Zelten geschafft. Für die Russen war das Hindernis ihrer Strickleiter unüberwindlich gewesen, und so waren sie kreuz und quer davor liegengeblieben. Tanya rief Victoria vom Deck des Trawlers herunter an. »Kaffee. Kommen Sie herauf.« Die beiden Mädchen lehnten an der Reling der DMITRI KIROW und blickten auf das Durcheinander herunter. »Die da unten sind alle noch hinüber«, sagte Tanya. »Sollten wir nicht etwas tun?« »Nichts tun. So ist es immer. Russen trinken. Russen fallen um. Lassen wir sie. Möchten Sie meine Uniform anprobieren?« Victoria begriff, worauf Tanyamit diesem Vorschlaghinauswollte. Sie wollte gar zu gerne Victorias Kleider sehen. »Gehen wir zu unserem Zelt«, lud Victoria sie ein. »Sie können dann auch meine Sachen anprobieren.« Tanya liebte kurze Röcke und auffällige Farben. Als sie eines von Victorias hellen Sommerkleidern angezogen hatte, deutete sie fragend auf den Schminkkasfen. Die beiden Mädchen saßen im Zelt nebeneinander, und Victoria half Tanya beim Make-up. »So möchte ich mich gerne in meinem großen Spiegel sehen«, meinte Tanya. Sie gingen zum Trawler zurück. Nach und nach wurden die Schnapsleichen wieder lebendig. Worolokow war zu sich gekommen und zog sich an der Strickleiter auf die Beine. Er sah die beiden Mädchen herankommen, schüttelte sich und rieb mit dem Handrücken über die Augen. Die Mädchen hatten offensichtlich ihre Köpfe vertauscht. »Viel zuviel Wodka«, murmelte er. Auf Victorias Körper erkannte er Tanyas Kopf. Das war eine gute Kombination. Er suchte an ihrem Hals nach der Naht. Aber offensichtlich war alles fehlerlos aneinandergepaßt. Ungeschickterweise aber ließ er die Leiter los, um sie in die Arme zu nehmen, und so trudelte er wieder zu Boden.
Es wurde Abend, bis die letzte der menschlichen Jammergestalten in ihr Schlafquartier zurückgefunden hatte. Niemand sprach. Niemand aß. Man hörte nur die Wellen, gelegentlich einen Ruf der drei Seevögel und das leise Knarren des unbewachten Tors. Die todbringend aussehende amerikanische Raketenbasis war ein unangenehmes Überbleibsel aus früheren Kriegszeiten und möglicherweise eine Provokation. Für Major Corrigans ästhetisches Empfinden war sie vor dem Blick auf die Seelandschaft ebenso fehl am Platz wie ein verschrottetes Automobil auf einem Gainsborough. Er rief den Leutnant. »Meinen Sie, daß diese Spritze da das Schönste ist, was Sie je gesehen haben?« fragte er und nickte mit dem Kopf in Richtung auf die Raketen. »Stellen Sie sich vor, wie viele tausend Stunden damit verbracht wurden, dem Ding seine Form zu geben.« Ace sah den Major unsicher an. »Natürlich, Sir.« »Sehen Sie sich diese stählerne Harmonie an«, fuhr der Major fort. »Das verschlägt einem den Atem. Nur eine wirklich fortgeschrittene Nation, die den Finger am künstlerischen Puls der Zivilisation hat, kann ein solches Meisterwerk schaffen. Meinen Sie nicht auch?« Der Leutnant sah ihn noch unsicherer an. »Ja«, brachte er unsicher hervor. »Lassen Sie es zudecken«, befahl Corrigan. »Es verdirbt den Ausblick.« Zehn Minuten später verschwand die Raketenbasis unter einer olivgrünen Plane. Und da geschah etwas Überraschendes. Der russische Wissenschaftler erschien auf dem Bug des Trawlers. Uschakow sah auf die versteckte Raketenbasis hinunter und winkte dann dem Major grüßend zu. Noch während Corrigan hinüberblickte, versank das phallische russische Kanonenrohr mit seinem roten Mündungsschutz hinter der Brücke in der Tiefe und war nicht mehr zu sehen. Man hörte lautes metallisches Klirren, als sich die Deckklappen darüber schlössen. Corrigan lächelte nachdenklich vor sich hin. An diesem Abend saßen er und sein Leutnant am selben Messetisch wie Worolokow und der russische Wissenschaftler. »Das ist ein historischer Tag«, sagte Worolokow. »Ja«, erwiderte der Major und dachte an den Vorfall vom Nachmittag. »Wir stehen vor einer Tatsache, die es noch nie gegeben hat, solange ich mich erinnern kann.« Corrigan hatte allmählich das Gefühl, daß Worolokow die Sache doch ein wenig zu sehr dramatisierte. »Bei unserem Fest haben wir den gesamten Jahresvorrat an Wodka in einer Nacht ausgetrunken. Das ist der
Rest.« Er zeigte auf die schon ziemlich leere Flasche, die nicht mehr viel zu bieten hatte. »Von heute an haben wir nichts mehr zu trinken.« Am nächsten Morgen saßen die Amerikaner und die Russen in der Nähe der DMITRI KIROW auf den Felsen und angelten. Die meisten der Marinesoldaten betrieben diesen Sport zum erstenmal. Sie waren willige Schüler. Die Russen zeigten ihnen, wie man die Krebsreusen mit Ködern bestückte und wie man Fischstreifen auf die Haken steckte, so daß sie nicht wieder herunterrutschten. Und wo man am besten die Netze auslegte. Alle Boote der Insel wurden requiriert. Kaum war eines von ihnen an Land gekommen und die Besatzung hatte den Fang ausgeladen, dann füllte es sich schon wieder mit einer neuen Mannschaft begeisterter Anfänger, die darauf brannten, zu den jungfräulichen Fischgründen zu gelangen. Die Fänge waren überwältigend. Der Hummertank, den die Russen gebaut hatten, war jetzt übervoll und mußte vergrößert werden. Mit ihren Tauchgeräten grasten Suki und Hennessey den Meeresboden nach Langusten ab. Die Krebsreusen erwiesen sich als unwiderstehlich, und die Russen schworen, daß die Viecher Schlange ständen, um hineinzukommen. Saschas langes Schleppnetz brachte sie in Verlegenheit. Wenn man es nur für ein paar Minuten hinaushing, steckte ein ganzer Schwärm Makrelen darin. Die Türen von Boris' Gefrierkästen ließen sich kaum mehr schließen. Es schien nur vernünftig, daß die Köche sich die Fänge teilten und also auch die Küche und die Arbeit. Schließlich war es nicht viel schwieriger, alle Inselbewohner auf einmal zu versorgen, als auf beiden Sektoren getrennt zu bekochen. Wenn sie ein wenig planten, meinte Zeke, wäre es möglich, daß er und Boris sich von Tag zu Tag vom Dienst abwechselten. Boris stimmte zu. Für ihn bedeutete das die Möglichkeit, mit den anderen Fischern auf die See hinauszufahren. Allerdings galt seine größte Sorge im Augenblick seinem Geschirr, oder, genauer gesagt, der Tatsache, daß er keines mehr hatte. Sie beschlossen, daß montags, mittwochs, freitags Zeke die Inselbewohner in zwei Schichten beköstigen sollte, dienstags, donnerstags und samstags wäre dann Boris an der Reihe. Sonntags wollten sie sich die Arbeit teilen. Sie trugen diesen Vorschlag ihren Offizieren vor. »Von mir aus okay«, sagte Corrigan. »Reden Sie mit den Männern.« Aber die überschäumende Begeisterung, mit der die Marinesoldaten den Vorschlag begrüßten, gefiel Zeke nicht so recht.
»Na klar bin ich einverstanden«, sagte Suki. »Übrigens, wie heißen noch diese russischen Fischeier?« »Kaviar«, antwortete Zeke. »Kocht man die zwei oder vier Minuten?« fragte der Philippine. »Gibt es bei denen auch Ketchup zum Schaschlik?« wollte Morelli wissen, der einzige, der noch einige Zweifel hatte. Aber der Plan setzte sich durch. Der Einfallsreichtum der beiden Köche schien ebenso unerschöpflich wie der Fischvorrat. Sie überboten einander, die exotischsten Gerichte zu bereiten. Den sonnenbraunen, wohlgenährten Inselbewohnern ging es besser als je zuvor in ihrem Leben. Nur eines fehlte bei ihren fürstlichen Tafelfreuden — etwas zu trinken. Sogar der Vorrat an Coca-Cola schrumpfte zusammen. Rhodes hatte keinen Kater mehr. Er fehlte ihm, und deswegen fühlte er sich richtig krank. »Was ist denn mit dir los, Papa?« fragte Victoria. »Verspäteter Säuglingskummer«, antwortete er. »Ich wollte, ich wäre nie geboren.« Wie Hauptfeldwebel Hennessey war Rhodes ein Mann der Gewohnheiten — wenn auch der üblen. Er brauchte seinen Frühstücksgin, den geistigen Aufschwung um elf, den Mittagsschoppen, seinen Nachschub zur Teezeit, den Dämmerschoppen, die Flasche vom Abendessen blieb bis zum Nachtimbiß gleich stehen, und so ging es weiter bis zum Schlummertrunk. Jetzt war er auf das Essen allein angewiesen, eine ganz neue Erfahrung — die an seinen Nerven zehrte und seine Lebensgewohnheiten aus dem Gleichgewicht brachte. Und auszubaden hatten das seine Füße. Schlecht gelaunt und reizbar stapfte er auf der Insel herum. »Zeke«, beklagte er sich, »Ich weiß nicht, was mit Ihrem Essen los ist, aber ich habe davon Blasen bekommen. An den Füßen.« Zeke, der auch den Sanitäter spielte, untersuchte sie. »Das ist bestimmt nicht mein Essen, Mister. Diese Blasen kommen von den Schuhen, die zu eng sind.« Zeke durchwühlte den Vorrat an Medikamenten und fand eine Flasche medizinischen Alkohol. »Hier, reiben Sie die Füße dreimal täglich damit ein, dann trocknen sie aus.« Wann und wo Rhodes den medizinischen Alkohol zu trinken beschloß, konnte keiner auf der Insel herausbekommen. Nach langer Suche fanden sie ihn unter der Persenning der Raketenbasis. Sein Gesicht war blaurot angelaufen, und es ging ihm sehr schlecht. Die Flasche mit dem medizinischen Alkohol war leer. Zeke und Uschakow mußten zwei Stunden lang hart arbeiten, zu erst mit einer Magenpumpe und dann mit Unmengen schwarzem Kaffee, um ihn wieder auf die Beine zu brin-
gen. Rhodes' besorgte Freunde standen an dem Abend hinter dem Küchenzelt in einer Gruppe beieinander. »Dieser Mann braucht seinen Sprit«, sagte Boris. »Wenn er seinen Sprit hat, ist er nüchtern. Hat er keinen Sprit, ist er betrunken.« »Dieser Mann ist umgekehrt wie normale Menschen«, stimmte Igor ihm zu. Sie alle nickten, und Igor beeilte sich, seine psychoanalytische Deutung weiter auszubauen: »Sprit ist für seinen Körper wie Schmieröl für die Maschine. Ohne Schmieröl bleibt die Maschine stehen. Mit Schmieröl läuft die Maschine gut. Aber sie läuft nicht nur mit Schmieröl. Sie braucht Benzin zu fressen. Mister Rhodes hat Benzin. Aber er braucht auch Sprit, damit er seine Körpermaschine schmieren kann.« Igor blickte triumphierend in die Runde der Gesichter. »Ganz gewiß, Igor«, sagte der Leutnant, und die anderen sahen sie verständnislos an. Ace Ellsmore übersetzte. »Er meint, daß Rhodes Schnaps braucht, damit der Karren weiterläuft.« Igor lächelte. »He, Ace, Ihr Russisch ist aber gut«, sagte Morelli. »Also was tun wir?« fragte Ellsmore. »Ich könnte nach England fahren, um etwas zu besorgen«, bot Albert an. »Das ist nicht gut«, meinte Ellsmore. »Wir haben den klaren Befehl, nicht zu den anderen Inseln oder nach Großbritannien zu fahren. Außerdem können Sie sich darauf verlassen, daß jede Menge Tommies die Küste besetzt halten.« »Wie war's dann mit Frankreich?« fragte Victoria. »Ja«, sagte der Leutnant und schwieg einen Augenblick. »Ja«, sagte er noch einmal. »Tatsächlich hat niemand gesagt, daß wir dorthin nicht dürfen. Also können wir die Befehle umgehen. Aber woher das Geld nehmen?« »Die Franzosen essen bestimmt Fisch«, sagte Boris. »Wir haben viel Fisch. Vielleicht können wir Fisch gegen Trinkbares tauschen.« »Ja«, sagte Ace zum drittenmal. »Wir könnten das Motorboot von deinem Vater nehmen«, sagte Albert. »Es ist ziemlich weit. »Aber wenn wir eines der Boote in Schlepp nehmen, schaffen wir noch zwanzig Knoten. Ich schätze, wir brauchen ungefähr fünf Stunden.« »Ich kenne mich in deren Schnaps und Trinkbarem gut aus«, sagte Boris. »Ich habe auch schon einige Erfahrungen mit den Franzosen«, behauptete Igor. Albert sah den Leutnant an. »Sprechen Sie Französisch?« fragte er.
»Nur ein wenig«, sagte Ellsmore. »Aber ich glaube, ich sollte nicht mitfahren.« »Nun, ich spreche überhaupt kein Französisch«, erklärte Albert. »Wir könnten so tun, als ob wir nur zum Fischen hinausführen. Dann vermißt uns niemand. Bevor es dunkel wird, könnten wir zurück sein.« »Gut, aber wenn der Major es je herausbekommt, bricht er uns das Genick. Denkt daran, daß ich das größte Risiko eingehe, und sprecht darüber nicht mit den anderen. Laßt euch von niemandem Dollars geben, sonst schöpfen sie Verdacht.« »Verlassen Sie sich auf mich. Aus mir bekommt niemand etwas heraus«, sagte Albert. »Wir haben jetzt viel Fisch«, sagte Boris. »Wir laden viel Fisch und viel Hummer in Kisten und stellen sie ins Boot. Bei Tagesanbruch warten wir hinter dem Trawler auf das Motorboot. Ich nehme viel Benzin mit für den Motor.« Es war noch dunkel, als Ace Ellsmore, Albert und Victoria über die Felsen zum Motorboot hinunterkrochen. Auf der Insel war kein Laut zu hören. Sie hockten an der Bordwand des Bootes nebeneinander. Der Leutnant leuchtete mit einer Taschenlampe vorsichtig in einen Koffer. »Ich glaube, ich habe alles, was ich brauche: Karte, Kompaß und etwas Geld. Haben Sie etwas zu essen mitgebracht?« »Ich habe gerade die Küche geplündert«, sagte Victoria. »Albert hat das alles in einer Plastiktasche. Seid vorsichtig. Bis heute abend. Viel Glück.« Sie küßte Albert. »Oooh, Madam«, meinte Ace. »Also gut, Sie auch.« »Einen Augenblick noch«, ließ sich da eine gewaltige Stimme vernehmen. Major Corrigan stand dicht hinter ihnen. »Ihr lauft uns davon, was?« »N-n-nein. Nein, Sir«, sagte der Leutnant. »Wir gehen nur fischen, Sir. Eh... fischen mit Albert.« »Was hoffen Sie denn so früh zu fangen, Leutnant?« »Eh, Fische, Sir... Sonenaufgangsfische.« »Sonnenaufgangsfische?« »Die Russen sagen, daß sie frühmorgens frischer sind, Sir«, stammelte Ace. »Und ich nehme an, daß sie auch kleiner sind, was?« »Ja, Sir. Das haben sie gesagt, Sir. Sie sind kleiner und frischer... eh... weil sie jünger sind.« Ace gab das Spiel verloren. »Dann wären sie gestern noch frischer gewesen, nicht wahr, Leutnant? Warum sind Sie dann nicht gestern auf Fischfang gegangen?« »Gestern hab' ich Krebse gefangen, Sir.«
»Aber die Krebse wären größer gewesen, wenn Sie bis heute gewartet hätten, nicht wahr, Leutnant?« Major Corrigan gab in der Dunkelheit schnaufende Geräusche von sich. Ace wünschte ihm eine Lungenentzündung. Victoria mischte sich ein. »Ihr beiden solltet euch jetzt lieber auf den Weg machen, sonst gibt's keine Sonnenaufgangsfische.« »Ja, machen Sie sich lieber auf den Weg«, sagte der Major. »Hier, lesen Sie das, wenn es hell genug ist.« Er übergab Ace einen kleinen Umschlag. »Ich bin schon gespannt auf die Sonnenaufgangsfische.« »Jawohl, Sir.« Und Ace baute dankbar Männchen vor ihm. Sie schoben das Motorboot mit dem Heck voran ins Wasser. Albert kletterte an Bord. Victoria warf ihnen die Leine zu, und Albert stemmte sich mit seinem Gewicht gegen das Ufer, bis der Bug in die See hinaus herumschwang. »Jetzt den Motor«, rief er leise. Ace drehte den Zündschlüssel herum. Die Maschine stotterte und gab Fehlzündungen von sich. Albert kletterte nach hinten, als der Leutnant den Gang einlegte und das Gas aufdrehte. Sie entfernten sich von der Insel. Ace steuerte das Boot in einem großen Bogen um sie herum, und dann hielten sie auf den Trawler zu. Er hoffte, der Major würde sie nicht mehr beobachten. Eine Taschenlampe blitzte auf. Ace stellte die Maschine ab, und unterhalb des russischen Schiffes liefen sie ans Ufer. Igor stand neben dem großen Boot im Wasser. Er war schwer beladen. Auch im halben Dämmerlicht sah Albert die sorgfältig gestapelten Kisten. »Festmachen«, sagte Albert. Igor und Boris befestigten die Leine ihres Bootes am Heck des Motorbootes. »Auf geht's«, sagte Boris. »Wir hinterher.« Albert blickte zurück, wie der dunkle Schatten der Insel allmählich verschwand. Innerhalb von zwanzig Minuten war er nicht mehr zu erkennen, und der Rand der Sonne kam vor ihnen feuerrot den Horizont herauf. »Übernehmen Sie das Ruder«, sagte Ace. »Ich will den Kurs festlegen.« Er zog seinen Kompaß heraus und verglich ihn mit dem kleinen Instrument, das in das Armaturenbrett des Motorbootes eingelassen war. »Ich dachte, daß Sie mit dem Major Ärger bekommen würden«, sagte Albert. Während der letzten paar Minuten hatte er genießerisch davon geträumt, ein großer Seeräuberkapitän zu sein. »Ich hatte Ärger mit dem Major. Gott sei Dank hat er mir geglaubt.« »Was war in dem Umschlag?«
Ace griff in seine Tasche und holte den zerknitterten Brief heraus. Er öffnete ihn. »Was ist das?« »Ein Zehndollarschein und eine Notiz.« »Was besagt sie?« »Da steht...« Ace schluckte. »Und bringt auch mir eine Flasche Brandy mit!« »Frankreich!« schrie Boris. Er war hinter Albert aufgestanden und stützte sich auf dessen Schultern. »Frankreich! Sehen Sie!« Weit voraus zeigte sich ein niedriger dunkler Streifen, der sich kaum über das Wasser erhob. Albert konnte die flache Küstenlinie gerade ausmachen. Ace lächelte. »Man braucht sich nur auf die Marine zu verlassen.« »Außer wenn's um Frauen geht«, antwortete Albert. Das Festland nahm Gestalt an, bis sie die Dünen und die hölzernen Buhnen erkennen konnten. Zwischen den Sandhügeln befanden sich Ansammlungen farbiger Zelte. Kleine schwarze Punkte wurden zu Leuten, die am Strand lagen, um in der Sonne zu braten. Weiter nach rechts sahen sie die Ziegeldächer einer kleinen Fischerstadt. Ace studierte seine Karte. »Das ist Ville de Röche in der Nähe von Argenton. Was sagen Sie zu meiner Navigation?« »Ich dachte, wir wollten nach Brest«, entgegnete Albert. Ace wurde rot. »Dies ist näher«, sagte er. »Halten Sie auf den Strand zu. In den Hafen dürfen wir nicht einlaufen, sonst erwischt uns der Zoll.« »Das sieht wie ein Ferienlager aus.« »Um so besser«, sagte Ace. »Dann glauben sie, daß wir Fischer sind.« Das Wasser wurde flacher, und sie gerieten unter Schwimmer. Ace schaltete die Maschine herunter und ließ das Boot langsam ans Ufer laufen. Es schob sich ein wenig auf den Strand. Dann aber kam das zweite Boot heran und rammte das Motorboot fest in den Sand. Soweit sie sehen konnten, schienen auf jeder Sanddüne sonnenbraune Mädchen in unterschiedlichen Stadien der Nacktheit kreuz und quer herumzuliegen. Igor stieß einen Pfiff aus und rief Boris etwas auf russisch zu. Boris verpaßte ihm einen Schlag auf den Mund. »Meine Navigation ist, glaube ich, noch besser, als ich dachte«, sagte Ace. »Das hier muß das Paradies sein.« Albert liefen die Augen über, so daß er nichts antworten konnte. So viele Mädchen auf einmal hatte er seit Eddie Cantors römischen Flimmerschinken in Mannys Kintopp vor drei Monaten nicht mehr gesehen.
»Ich geh hinüber und versuch's mit meinem Französisch«, sagte Ace und stieg aus dem Boot. Als er zu der attraktivsten Gruppe gelangte, hatten sich alle Mädchen am Strand aufgesetzt und sahen zu. Die nacktesten von ihnen streiften hastig die Oberteile ihrer Bikinis über. »Bonjour, Mademoiselle, comment ca va?« begann Ace. Die hübsche, dunkelhäutige Brünette blickte zu ihm auf und wandte sich dann an ihre Freundin. »Ist er nicht süß, Thelma?« sagte sie. Dann drehte sie sich wieder zu ihm herum. »Wir sprechen kein Französisch«, sagte sie laut und langsam. »Uff«, sagte Ace. Er ging zu Albert zurück. »Meine Navigation hätte nicht schlechter sein können«, erklärte er. »Das ist eine Texanerin, wahrscheinlich aus Dallas. Und mich hält sie für einen Franzosen. Was tun wir jetzt?« »Versuchen Sie die Gruppe da drüben«, meinte Albert. Hundertsechzig erwartungsvolle Augen beobachteten den verlegenen Leutnant, als er zu der Gruppe hinüberging, auf die Albert gezeigt hatte. Wieder sagte er sein Sprüchlein auf. »Sorry, Freund, aber ich verstehe Ihre Sprache...« Ace war noch verlegener und sein Gesicht noch stärker gerötet, als er wieder zum Boot zurückkam. »Diesmal aus Neuengland. Was machen wir nur? Wir dürfen sie nicht merken lassen, daß wir keine Franzosen sind, sonst könnten sie uns auffliegen lassen. Wir haben nicht einmal einen Paß.« Boris und Igor kamen herüber. Alle vier setzten sich in eine Ecke des Motorbootes und überlegten einen Feldzugsplan. »Es bleibt uns nur eins«, sagte Ace zu Boris. »Du und Igor, ihr müßt mit den Mädchen auf englisch sprechen. Sie werden euren Akzent für eine Art Französisch halten. Albert und ich tun so, als verstünden wir kein Englisch. Wir müssen herausbekommen, wo der Fischmarkt ist.« Die vier trollten sich zu der Gruppe aus Dallas hinüber und pflanzten sich vor ihnen auf. »Wir wollen Fisch verkaufen auf dem Markt«, begann Boris. »Können Sie sagen, wo der Markt ist, bitte?« »Sorry. Ich wußte nicht, daß es hier einen gibt. Wir campen hier nur.« Ace beugte sich hinüber und flüsterte Boris etwas ins Ohr. »Sind alle Leute hier Amerikaner?« fragte der Koch. »Gewiß. Wir alle. Wir sind Studenten im Ferienlager.« »Mädchen, Mädchen. Was macht ihr da?« Eine matronenhafte Stimme kam den Männern zur Hilfe. »Wir glauben, daß sie Fische zu verkaufen versuchen,
Miß Baedecker. Aber wir können nicht verstehen, was sie sagen«, erklärte Dallas. Miß Baedecker wandte sich an Boris: »Qu'est-ce que vous faites?« fragte sie in perfektem Französisch. Ace staunte über Boris' Reaktion. Der massige Koch beherrschte sein Gesicht in völliger Ausdruckslosigkeit und antwortete der Frau mit einem langen Satz auf russisch. »Oh, du lieber Himmel.« Miß Baedecker sah die Mädchen voller Verzweiflung an. »Sie scheinen irgendeinen Dialekt dieser Gegend zu sprechen. Vielleicht ist es Baskisch. Ich verstehe kein Wort.« Boris begriff, daß er diese Runde gewonnen hatte, nahm den Arm der Frau und sprach langsam und noch lauter — auf russisch. Miß Baedecker geriet in Panik. »Probieren Sie's englisch«, sagte Dallas. »Ich glaube, der Dicke versuchte es vorher zu sprechen.« Miß Baedecker sah erleichtert aus. Sie zog ihre schlotterige graue Hose hoch, die Albert an das Hinterteil eines Elefanten erinnerte, in dem Clowns steckten. »What can I do for you?« fragte sie. In seinem schwerfälligen Englisch erklärte Boris von neuem, daß sie den Fischmarkt suchten, um ihren Fang zu verkaufen. Während er sprach, übersetzte Miß Baedecker jedes von Boris' Worten ins Amerikanische. »Sagen Sie, Miß Baedecker, könnten wir ihnen ihre Fische nicht abkaufen? Allmählich hängen mir Schweinefleisch mit Bohnen und Eiskrem zum Hals heraus«, sagte das dickliche Mädchen, »Sie könnten sogar billiger sein, als wenn wir sie in der Stadt kaufen«, meinte die Matrone mit den breiten Hüften. Sie wandte sich an Boris. »Wieviel Dollar für Ihren Fisch?« fragte sie. »Dollar?« Ace zog ihn zur Seite. »Ein Dollar ist genau dasselbe wie ein Rubel.« »Ah«, machte Boris. Er richtete sich auf, ging zum Boot hinunter und schätzte sorgfältig die Fischmenge und ihren annähernden Wert auf einem russischen Markt. Schließlich kam er zurück. »Sechzig«, sagte er strahlend. Miß Baedecker setzte ihre Händlermiene auf. »Das ist viel zuviel.« Jetzt sah Boris sie voller Entsetzen an. Er warf die Arme hoch in die Luft und schlug dann mit den Handflächen auf den Kopf. »Sechzig Dollar, viel Fisch.« »Vierzig Dollar«, sagte Miß Baedecker entschlossen. Boris wandte sich an Igor und sprach Russisch. Igor stieß einen herzergreifenden Schrei aus und verbarg sein
Gesicht in der Beuge seines Ellenbogens. Boris drehte sich wieder zu Miß Baedecker herum. »Ich hab' ihm gesagt, daß Sie seine Kinder verhungern lassen«, sagte er. Der massige Koch wandte sich an Albert und sprach wieder Russich. Albert folgte Igors Beispiel, schlug sich auf die Brust und versuchte so bekümmert auszusehen wie nur möglich. Das war schwierig. »Was auf Erden...«, begann Miß Baedecker. »Der Mann ist traurig. Er weiß, daß seine Mutter bald in den Himmel geht. Nichts zu essen«, sagte Boris. »Sechzig Dollar?« »Was auf Erden...«, begann Miß Baedecker. Boris trat zu Ace. Er schlug ihm wie tröstend auf die Schulter, sah ihm hart in die Augen und sprach leise auf russisch. Ace war dem Platzen nahe. Um sein Gelächter zu unterdrücken, bedeckte auch er sein Gesicht und gab laut schluchzende Laute von sich. »Seine Frau ist krank. Kein Geld, kein Doktor. Die Frau ist vielleicht gestern gestorben.« Große Tränen liefen Boris über die Backen. Er hatte sich so sehr in diesen Handel hineingesteigert, daß er seine traurigen Geschichten beinahe schon selbst glaubte. Er fiel im Sand auf die Knie, zog den Saum seines dicken Pullovers hoch und tupfte damit seine Augen ab. »Sechzig Dollar?« Miß Baedecker war sichtlich erschüttert. Durch die Spalten seiner Finger sah Albert, wie sich in ihren Auen Tränen sammelten. Er schniefte. Erbarmungslos machte Boris weiter. Er sagte wieder etwas zu Igor. Schwerfällig humpelte der junge Kosak zum Boot und kam kurz darauf mit einem Korb voller Hummer wieder. Als er sich näherte, nickte Boris mit dem Kopf in seine Richtung. »Sehr schwerer Unfall. War Ballettänzer. Jetzt ein armer lahmer Fischer. Brach sich das Bein, als er auf Blumen ausrutschte. Keine Pension. Sechzig Dollar?« »Fünfzig Dollar«, ließ Miß Baedecker sich erweichen. Ihr zitterten die Lippen. »Jetzt können wir zu handeln anfangen«, sagte Boris. »Ich gehe mit dem Preis herunter, Sie gehen hinauf. Neunundfünfzigeinhalb Dollar?« Sie einigten sich bei achtundfünfzig Dollar. Die amerikanische Anstandsdame nestelte ihren Geldgürtel von der Hüfte und zählte die sauberen Scheine in Boris' schmierige Hand. »Bitte tragen Sie die Fische zu unserem Küchenzelt hinauf«, sagte sie. Igor vergaß zu humpeln, als er sich beeilte, die Kisten auszuladen. Albert und Ace halfen ihm, und gemeinsam trugen sie alles zum Lager in den Sanddünen. »Wo geht es in die Stadt?« wandte sich Boris an Dallas. Das Mädchen zeigte die Richtung.
Die vier Männer stapften durch den Sand in Richtung auf die Stadt. Die Sonne stand im Zenit über ihnen. Der heiße Sand drang in ihre Segeltuchschuhe. Nach einer halben Meile erreichten sie eine schmale Teerchaussee. Die Stadt war größer, als es von der See her den Anschein gehabt hatte. Zu beiden Seiten eines steil ausgemauerten Hafenbeckens erstreckten sich große, mit Fensterläden verschlossene Häuser bis weit ins Hinterland. Mit fachmännischem Interesse blickten Igor und Boris auf die Fischerboote hinunter, die am Kai festgemacht hatten. Ace zog sie dort weg. »Tut nichts, was Aufmerksamkeit erregen könnte«, warnte er sie. Wein zu kaufen, war nicht so einfach, wie sie es sich vorgestellt hatten. Die kleinen Lebensmittelläden schienen über keine großen Vorräte zu verfügen. »Hundert Flaschen? Tut uns leid, wir sind fast ausverkauft. Wir haben nur noch zwanzig, aber jede Menge Faßwein, wenn Sie Flaschen bringen.« »Wir müssen einen Treffpunkt ausmachen«, sagte Ace. »Wenn wir zusammenbleiben, brauchen wir den ganzen Tag, bis wir haben, was wir wollen. Boris, sag Igor, daß er an der Straßenkreuzung vor dem Stadteingang warten soll, um dort den Wein zu bewachen, den wir ihm bringen.« Sie teilten das Geld und eilten dann in verschiedenen Richtungen in die engen Straßen. »Phantastisch«, meinte Boris vergnügt, als alle vier Männer eine Stunde später dasaßen und die Flaschen zählten. »Haben Sie den Brandy?« wandte sich Albert an Ace. »Wie hätte ich den vergessen können? Die Flasche steckt in meiner Tasche. In Etappen schleppten sie die Kisten über den sandigen Weg zum Strand hinunter. Der Weg schien doppelt so weit, wie sie ihn in Erinnerung hatten. Aber die letzten zweihundert Meter wurden spielend bewältigt, denn die Mädchen lagen immer noch in der Sonne, und es schien ihnen Spaß zu machen, daß sie helfen durften. »Kommen Sie irgendwann wieder, und bleiben Sie länger«, riefen sie, als die Männer vom Strand abstießen. Bald verschwamm die Küstenlinie zum Strich des Festlands. Ace mußte seinen Kurs darauf einrichten, daß er nicht mit den langen Schleppnetzen in Kollision geriet. Der schwierigste Teil der Expedition lag hinter ihnen. Die Männer hatten einen Heidenspaß, als sie sich über die Ereignisse des Tages unterhielten. Albert lachte. »Ihre Eltern müssen Levantiner gewesen sein, Boris, der Handel war wirklich gekonnt. Ich werde Ihnen nie wieder etwas glauben.«
Boris stimmte in sein Gelächter ein. »Tut mir leid, daß ich alle unsere Familien krank gemacht habe.« Es war drei Uhr nachmittags. Die See war immer noch ruhig und die Sonne heiß. Ace berechnete die Tide und änderte den Kurs, so daß die Strömung, wenn sie später umschlug, sie auf der letzten Strecke nach Foul Rock unterstützen würde. Sie waren alle glücklich. Igor rief vom hinteren Boot herüber. Er winkte mit einer Weinflasche und warf sie dann Boris zu. Der Koch stieß den Korken mit einem Schraubenzieher hinein und nahm einen gewaltigen Schluck, bevor er die Flasche an Ace und Albert weiterreichte. Sie leerten die Flasche und öffneten dann die nächste. Albert warf Igor den Rest des Sandwiches hinüber. Sie befanden sich jetzt auf der Höhe der französischen Fischerboote. Boris winkte den Männern zu, die gerade ein Netz einholten. Sie winkten zurück. Der Außenbordmotor keuchte, spuckte und setzte aus. »Benzin«, sagte Ace. »Igor, reich uns die Reservekanister herüber. »Reservekanister?« wiederholte Igor und wand sich vor Verlegenheit. »Igor«, sagte Boris drohend und fügte etwas auf russisch hinzu. Der Kosak wurde rot und stotterte. »Benzin, ich, ja. Ich hab' die Kanister herausgenommen, um mehr Fisch einzuladen. Tut mir leid.« »Was soll das heißen?« brüllte Ace. »Dann hab' ich sie vergessen«, sagte Igor. Boris sprang auf die Füße und brachte dabei das Boot fast zum Kentern. An der Schleppleine zog er das hintere Boot heran und sprang hinüber, als es näher kam. Er brüllte und wurde zum Berserker. Mit beiden Händen packte er den unglücklichen Kosaken, hob ihn hoch und warf ihn rückwärts ins Wasser. Dann ergriff er einen Riemen, um ihn Igor auf den Kopf zu schmettern, sobald er wieder hochkäme. »Boris!« rief Albert. »Nicht!« Boris blickte zu Albert zurück und ließ den Riemen dann wieder auf den Boden des Bootes fallen. »Ja, gut«, knurrte er. »Viel besser, ihm den nicht über den Kopf zu hauen. Sie haben recht, lassen wir ihn lieber langsam absaufen.« Igor kam keuchend wieder an die Oberfläche. »Ziehen Sie ihn herein«, sagte Ace. »Wenn der wieder an Bord kommt, dann rudert er uns bis zur Insel«, erklärte Boris. »Ich rüder, ich rüder.« Igor spuckte Wasser. Albert griff hinunter, packte ihn an den Schultern seines Pullovers und zog ihn aufs Dollbord. Igor rollte ins Boot.
»Ich rüder gut«, versprach er. »Das hat keinen Zweck«, meinte Ace. »Wenn wir rudern, haben wir nach menschlichem Ermessen keine Chance, zur Insel zurückzukommen. Wir brauchen unbedingt Benzin. Vielleicht können uns die Fischer etwas geben.« »Ich geh sie fragen«, sagte Igor. »Nein!« riefen drei Stimmen gleichzeitig. »Diesmal mach ich es selbst«, entschied Ace. Er kletterte in das hintere Boot und warf die Schleppleine los. Vor Ace schob Boris die Kisten zu einem Sitz zurecht und steckte die Riemen in die Dollen. Sein breiter Rükken spannte sich, und sie zogen zum nächsten Fischerboot davon. Die französischen Fischer hatten vorhin, als sie ihnen zuwinkten, einen so freundlichen Eindruck gemacht. Sie waren weit weniger freundlich, als es darum ging, hundert Liter Treibstoff herzugeben. Über die Entfernung von hundert Metern konnte Albert die Stimmen hören. Das Boot war nicht zu sehen, es war hinter dem Fischerboot verschwunden. Nach einer halben Stunde kam es wieder zum Vorschein. »Was haben Sie erreicht?« rief Albert Ace entgegen. »Wir haben den verdammten Sprit. Aber wir mußten ihn gegen den Wein einhandeln.« »Gegen den ganzen Wein?« »Sozusagen.« »Heiliger Himmel!« Sie füllten den Tank wieder auf und pumpten das Benzin in den Vergaser. Der Motor sprang sofort an. Niemand sprach. Igor saß zusammengesunken hinten im Motorboot. Jetzt durfte er nicht einmal mehr das Schleppboot steuern. Boris hatte beschlossen, das lieber selbst zu tun. Ace berechnete seinen Kurs. Die Sonne ging gerade unter, als sie die Insel erreichten. Victoria, Corrigan, Morelli, Rhodes und Collins standen auf den Felsen. »Gute Reise gehabt? Habt ihr Sonnenaufgangsfische gefangen?« rief Morelli ihnen entgegen, als die Boote sich dem Landeplatz näherten. Zum erstenmal in seinem Leben fluchte Ace im Beisein einer Dame und seines Vorgesetzten. »Scheiße!« sagte er. Inzwischen summte in der Downing Street wieder das rote Telefon. Die Sekretärin des Premierministers nahm den Hörer auf. »Der Vatikan?« »Das muß falsch verbunden sein«, rief der Premier herüber. Die Sekretärin horchte auf eine salbungsvolle italienische Stimme und legte den Hörer dann wieder auf.
»Nein, es ging um Ihre Kakteen. Paris hat ihnen davon erzählt. Sie sagten, Sie sollten sie für drei Tage eingraben und sie dann mit geweihtem Wasser besprengen. Darauf fragten sie, wie es Ihrer Frau gehe, und hängten auf.« Der Premierminister malte seinen Namen mit dem Kugelschreiber sorgfältig auf einen toten Kaktus und begrub ihn dann mit einem Plastikteelöffel. »Bald werden wir es denen zeigen«, murmelte er. Acht Flaschen Wein und die Flasche Brandy für Corrigan, das war alles, was das Expeditionskorps mitbrachte, das unter Igors Unstern gestanden hatte. Die Inselbewohner brauchten genau siebenundzwanzig Minuten dafür. Ein Glas pro Mann vor dem Abendessen, ein großer Brandy für jeden der Offiziere — eine Coca für Igor.' Dann saß die Insel wieder auf dem Trockenen. »Sag mal, Kentucky«, rief Morelli quer über den Tisch Zeke an. »Ich wette, daß deinem alten Daddy der Stoff nicht ausgehen würde. Wenn du ein echter Hillbilly wärest, könnten wir in schwarz gebranntem Schnaps baden gehen.« Plötzlich schwiegen alle rund um den langen Tisch. »Was soll das heißen?« »Was hab' ich denn gesagt?« fragte Morelli. »Sag's noch einmal«, forderte Suki ihn auf. »Was hab' ich denn gesagt?« wiederholte Morelli. »Das, was zuerst kam, du Spaghettifresser.« »Das mit dem schwarzen Stoff?« »Ja, eine Destillerie«, sagte Suki. »Könntest du das, Zeke?« »Glaub schon«, sagte Zeke. Plötzlich sah er sehr viel interessierter aus. »Sicher könnte ich das. Klar, Kerl, natürlich! Eine Destillerie. Gebt mir ein Stück Papier. Ich zeichne sie auf. Ich zeig euch, was ich brauche. Wir können uns eine feine Sache bauen. Und weit und breit kein Zollheini in Sicht.« Zekes Zeichnung wurde recht kompliziert, und seine Liste der Einzelteile war lang, aber seine Gehilfen hatte die Begeisterung gepackt. »Ein solches Teil hab ich an dem Jeep gesehen«, meinte Clancy. »So etwas kann ich leicht machen«, sagte Morelli. »Wir brauchen nichts weiter als Schrott«, erklärte Suki. »Ich setze mich den ganzen Tag daneben und passe auf«, versprach Gin Jim Rhodes hoffnungsvoll. »Ich bin bestimmt zum Schnapsbrenner geboren.« Er schob seine Perücke wieder an ihren Platz. »Gut«, sagte Corrigan. »Ihr baut eine Destillerie. Aber sie muß versteckt sein, daß niemand darüber stolpert. Aber ich rationiere den Stoff — und zwar al-
len. Verstanden? Kein Schwarzmarkt und keine heimlichen Saufereien. Jeder muß mitmachen. Jeder bekommt täglich das gleiche Quantum. Und jeder hat seinen Teil gleich nach der Ausgabe zu trinken. Es wird nichts gehortet.« »Was werden Sie als Maische nehmen?« fragte Rhodes. »Das ist einfach«, antwortete Zeke. »Ich kann jedes Gemüse gebrauchen. Kartoffeln, Kartoffelschalen, Kohlstrünke, Dosengemüse, was auch immer. Das wird einfach alles zusammengeschüttet. Und Boris hat bestimmt auch allerlei Abfälle. Wenn wir zusätzlich Gemüse brauchen, dann lassen wir eben die Jungs von der Luftwaffe kommen und was abwerfen. Ich erzähle ihnen dann, daß viele von uns Vegetarier geworden sind.« Der Wachappell auf der Insel fand in der Regel um elf Uhr vormittags statt — vorausgesetzt, daß der Trompeter rechtzeitig aufwachte und nicht zum Fischen draußen war. Aber am nächsten Morgen machte Rhodes schon um halb zehn mit wilder Begeisterung die Runde durch die Zelte und scheuchte die Marinesoldaten auf. Er war in blendender Laune. »In zehn Minuten Appell beim Major!« rief er. Das war wahrscheinlich der seltsamste Haufen, den es in der amerikanischen Marinegeschichte je gegeben hatte. Karabiner waren nirgendwo zu sehen. Kein einziges Paar geputzter Stiefel. Tatsächlich war der Leutnant der einzige, der überhaupt Stiefel trug. Und unter seinen Bermuda-Shorts und der Pyjamajacke sahen sie reichlich unangebracht aus. Da dies der erste Appell seit mehr als zwei Wochen war, hatte er beschlossen, auch seine Offiziersmütze mit den Rangabzeichen aufzusetzen. Sonst trug niemand etwas, das aus der staatlichen Bekleidungskammer stammte. Zwar war noch keiner so weit gegangen, sich einen Bart stehen zu lassen, aber die meisten hatten es bei Badehosen und Segeltuchschuhen bewenden lassen. Hennessey hatte Igors schwarze Pelzkappe erbeutet, die großartig zu seinem krausen schwarzen Haar paßte. Sein Kopf war kantig geworden, und er sah ein ganzes Stück größer aus. Morelli trug Rhodes' Radfahrermütze und hatte sie verkehrt herum aufgesetzt. So glich sie am ehesten einer Baseballkappe. »Achtung!« rief Ace, als der Major aus seinem Zelt trat. Corrigan zog seinen roten, seidenen Morgenmantel fester um sich und schritt mit den Händen auf dem Rücken die Reihe seiner Krieger auf und ab. Schließlich blieb er vor Suki stehen. »Was kann man von Ihnen erwarten?« fragte er. Suki schob seine nackte Brust vor, zog das Kinn ein und starrte geradeaus.
»Sie sind ein Marinesoldat«, fuhr Corrigan fort. »Vergessen Sie das nicht. Wenn Sie die Ausrüstung des Marinekorps tragen, hat diese sauber zu sein.« »Ausrüstung, Sir?« fragte Suki und blickte auf sein einziges Kleidungsstück, die Badehose, hinunter. »Und was ist das da auf Ihrer Brust?« Corrigan bohrte seinen Finger in die Tätowierung des Philippinen. »Oh, das da, Sir?« »Jawohl«, sagte der Major. »Waschen Sie es. Da klebt Ei darauf.« Corrigan blickte über seine sonderbar bekleidete Mannschaft hinweg. Dann ging er zum Fahnenmast zurück, drehte sich um und hielt eine Ansprache. »Das US-Marinekorps hat eine lange Tradition als eines der wirkungsvollsten Werkzeuge, die es überhaupt in den Armeen der Welt gibt. Ich wünsche, daß diese Tradition aufrechterhalten wird. In letzter Zeit hat es eine Reihe von selbständig organisierten Unternehmungen gegeben, bei denen kaum mehr als ein erfolgloses Fiasko herausgekommen ist. Das wird nicht wieder vorkommen. Von jetzt an werde ich organisieren.. .« »Die erfolglosen Fiaskos?« fragte eine Stimme. »Vielen Dank, Gemeiner Morelli, daß Sie in der nächsten Woche freiwillig die Säuberung der Latrinen übernehmen«, fuhr der Major fort. »Wie schon gesagt, werde ich von nun an alles organisieren, was wir auf dieser Insel unternehmen. Wenn wir fischen gehen, wird das auf wirkungsvolle, organisierte Weise erfolgen. Wenn wir in der Sonne liegen, dann in disziplinierten, ordentlichen Reihen. Wenn wir Baseball spielen, werden wir uns an die Regeln halten. Und wenn wir diese Destillerie bauen, dann wird auf militärische Art vorgegangen. Nichts wird dem Zufall überlassen. Verstanden?« »Jawohl, Sir«, sagte der Leutnant. »Sergeant Hennessey hat Anweisungen, wie ich mir die Führung dieses Lagers vorstelle. Nach dem Appell wird er es Ihnen sagen. Inzwischen wünsche ich Freiwillige, die etwas von Maschinenbau und Tischlerei verstehen. Melden Sie sich bei mir in der Messe.« Der Großteil der russichen Fischer war herübergekommen, um zu sehen, was da vor sich ging. Am Rand des Kasernenhofs lungerten sie herum und sahen zu. Als Ace die Männer wegtreten ließ, kamen Boris und Uschakow zu ihm. »Was wollt ihr bauen?« fragte Uschakow. »Einen Apparat, um Alkohol zu machen.« »Alkohol?« »Allerdings, wir werden unseren Stoff selbst machen.«
»Das ist gefährlich, wenn man nicht wirklich weiß, wie das gemacht wird«, sagte der russische Wissenschaftler. »Ist einer unter Ihnen Chemiker?« »Nein, aber wir haben Zeke. Dort, wo er herkommt, machen sie jede Menge davon.« »Ich sollte mich wohl lieber mit Major Corrigan unterhalten«, sagte Uschakow. Er ging an der Schlange entlang, die vor der Messe immer größer wurde. Der Major sah ihn und bat ihn herein. »Hallo, Uscha, was kann ich für Sie tun?« »Ich möchte Ihnen bei Ihrem Alkohol helfen. Ich habe darüber auf der Universität einiges gelernt. Dabei kann viel passieren, wenn man nicht sorgfältig genug ist. Besonders kritisch wird es bei den Temperaturen. Sonst kriegt man Fusel, der einem umbringt oder blind macht.« »Sie haben recht«, sagte Corrigan. »Wir werden Sie zum Chef der Schnapsbrennerei machen. Dafür wird Gin Jim sicher Verständnis haben.« Uschakow sah nachdenklich aus. »Ich glaube«, sagte er langsam, »ich weiß, wo wir die Destillerie bauen sollten. Da ist diese Höhle, in der sich eine kleine natürliche Erdgasquelle befindet. Daher der schlechte Geruch. Wir können das Gas benutzen, um den Boiler zu heizen. Und an Bord der KIROW haben wir genügend Kupferrohre und Schweißgeräte.« »Großartig«, sagte Corrigan. »Wir bauen die Destillerie, und unter Ihrer Leitung.« Er sah den Wissenschaftler an, lächelte und fügte hinzu: »Sie wissen nicht viel von amerikanischen Marineeinheiten?« »Nein«, gestand Uschakow. »Das sind die bockigsten, zähesten Soldaten, die wir haben. Sie gehorchen nur ihren Offizieren.« Er blickte auf und winkte Hennessey heran. »Sergeant«, sagte er, »ich möchte, daß Sie allen Männern klarmachen, daß Professor Uschakow von nun an ehrenhalber Hauptmann im US-Marinekorps ist. Er wird sich darum kümmern, daß bei der Destillerie nichts schiefgeht. In allem, was diese Operation angeht, ist man ihm unbedingten Gehorsam schuldig.« Für die Zeit, während der die Destillerie gebaut wurde, übernahm Boris das Kochen. Zeke war als technischer Ratgeber für die Maschinenbauer restlos ausgelastet. Die DMITRI KIROW mußte einigen Vandalismus über sich ergehen lassen. Von den Maschinen verschwanden Thermometer, die Schweißapparate wurden von neuem vom Deck des Trawlers heruntergelassen, und Funken sprühten von glühendem Metall. Zeke war ein Vollkommenheitsfanatiker. Jede Nahtstelle an dem großen Kupferboiler wurde sorgfältig verlötet. Einer seiner Dampfkochtöpfe mußte dafür herhalten, einen luftdichten Deckel für den Hauptbehälter her-
zugeben. Schimmernde Kondensationsleitungen aus Kupfer wanden sich oben aus dem Boiler und wurden in einer großen Spirale durch einen mit Seewasser gefüllten Kühltank geführt. Von dort liefen sie zur Abzapfstelle des Alkohols hinunter, wo das kostbare Naß in Flaschen aufgefangen werden sollte. Der riesige, schimmernde Apparat stand auf verstellbaren Beinen über der Felsspalte, aus der das Gas sickerte. Durch die Höhe der Destillerie über dem Feuer konnte man die Temperatur regulieren. Eine kleine Handpumpe brachte frisches Seewasser in den Kühltank. Durch einen anderen Gummischlauch lief das verbrauchte Wasser ab. Vom Trawler herüber wurden Kabel verlegt, um in der Höhle elektrisches Licht zu haben. Und eine geniale Belüftungsanlage, die von dem reifenlosen Rad des aufgebockten Jeeps angetrieben wurde, blies Frischluft hinten in die Höhle. Das Ganze war ein Meisterwerk der Schwarzbrennerei. Zekes Familie wäre stolz gewesen, wenn es ihr gehört hätte. Und schließlich wurde der Zugang zur Höhle nach gutem alten Brauch der Schwarzbrenner mit Tarnnetzen der Marine, Felsen, Geröll und Seetang unkenntlich gemacht. Während die Destillerie vollendet wurde, bereitete Boris nach Zekes Anweisungen die Maische vor. Sie gärte in sterilisierten Behältern auf der Leeseite der Insel. Alle Gemüseabfälle wanderten dort hinein. Nach ein paar Tagen blubberten sie vulkanartig in der heißen Sonne. Schließlich war die Destillerie fertig. Das Innere der Höhle sah jetzt mehr nach einer Klinik aus als nach einer Grotte. Die geweißten Wände reflektierten das helle Licht der Neonröhren. Das polierte Kupfer schimmerte, und auf ihm war nicht einmal ein Fingerabdruck zu entdecken. Der Boden war geebnet worden, und sie hatten Kokosmatten ausgelegt. Mit leuchtenden Augen stand Uschakow neben der Destillerie und machte den Eindruck eines wahnsinnigen Wissenschaftlers, der ein gefügiges Monstrum erzeugt hat. »In Ordnung«, sagte er zu Zeke. »Ich glaube, wir können sie arbeiten lassen. Holen Sie die Maische.« Der erste Behälter wurde in die Höhle gerollt und sein Inhalt in den Boiler geschaufelt. Er stank noch übler als der frühere Gasgeruch. Uschakow prüfte den Höhenstand der Maische und verschraubte den Deckel. »Holt den Major«, sagte er. Aufgeregt kam Corrigan in die Höhle hinunter. »Alles bereit, um das Gas anzuzünden«, sagte Uschakow. »Und das bleibt Ihnen vorbehalten.«
Die Männer riefen das einander zu, und sie versammelten sich schweigend im Eingang der Höhle. Keiner der Inselbewohner fehlte. »Eine Rede«, sagte Gin Jim Rhodes. »Die sollten Sie halten«, meinte Corrigan. Rhodes räusperte sich und richtete seine Perücke. Er wandte sich an die Menge. »In der Geschichte eines jeden Landes«, begann er, »gibt es einen Augenblick, in dem die wahre Zivilisation beginnt...« »Feuer anzünden«, unterbrach eine Stimme aus der Menge. Rhodes überhörte sie. »Diese Insel sollte auf Elysium umgetauft werden. Sie ist das erste Land dieser Welt, das seine gesamte Schaffenskraft, alle seine Mittel und Anstrengungen der Produktion jenes Balsams gewidmet hat, der die menschliche Seele zu erheben vermag, dem Alkohol.« »Um Himmels willen, das Feuer anzünden«, wiederholte die Stimme. Rhodes griff in seine Tasche und zog ein Feuerzeug heraus. Er hielt es mit ausgestrecktem Arm und ließ es aufschnappen. Corrigan rollte Papier zu einem Fidibus zusammen und entzündete ihn an der schwachen Flamme. Die Männer hielten den Atem an. Der Major drehte sich herum, bückte sich und schob das brennende Papier unter die Destillerie. Mit einer kleinen Explosion entzündete sich das Gas. Die blaue Flamme schlug an den Seiten des kupfernen Boilers hinauf, und das glänzende Metall wurde stumpf. Die Menge applaudierte. Auf Uschakows Gesicht zeigte sich das selbstzufriedene Lächeln des Fachmanns. Keiner wollte sich weit von der Höhle entfernen. Vor dem Eingang saßen sie in der warmen Abendluft auf den Felsen. Sie wußten, daß es Stunden dauern würde, bis der erste Tropfen Alkohol aus der Kupferleitung in die Flasche fallen würde, aber sie wollten dabeisein, wenn das geschah. Sie saßen da und sangen leise zu Mischas Balalaika. Boris brachte Kaffee und dicke Schinkenbrote Der Motor des Jeeps lief. Die warme Luft, die jetzt aus der Höhle getrieben wurde, hatte viel von ihrem Gestank verloren. Sie roch nur noch nach kochendem Katzenfutter. Für Rhodes war das Parfüm. »Sie müssen die Temperatur ganz genau beobachten«, sagte Uschakow. »Wenn sie zu niedrig ist, bekommen wir gar nichts. Wenn sie zu hoch ist, geht alles kaputt.« Zeke saß da und wandte keinen Blick vom Thermometer. »Sie ist genau richtig«, sagte er. »Sie muß so gehalten werden«, schärfte Uschakow den Männern ein. Und als die Temperatur um einen Bruchstrich stieg, verlängerten sie die Beine ein wenig. Sie fiel wieder bis zur roten Linie, die der Wissenschaftler auf die Skala gemalt hatte. »Gut«, sagte er.
»Kommt doch!« rief Suki. »Seht mal!« Er zeigte auf das Ende der Kupferleitung, das in die Flasche führte. Vor dem Höhleneingang gab es ein Gedränge, als die Männer alle gleichzeitig hereinstürzten. »Seht«, sagte Suki voller Aufregung noch einmal. Sie starrten hinunter. Allmählich bildete sich ein kleiner Tropfen klarer Flüssigkeit, der langsam anschwoll. Er wuchs, bis er sich zögernd vom Ende der Leitung löste. Und schon begann sich ein zweiter zu bilden. Die Männer brüllten vor Begeisterung. »Sie spuckt!« rief Morelli. »Ah«, stöhnte Rhodes. »Nektar.« Das Tropfen wurde zum Tröpfeln. Der Boden der Flasche war bedeckt. Und es lief weiter. Gegen Morgen hatten sie drei Flaschen. »Haben Sie es schon untersucht?« fragte Rhodes, der sich kaum zwei, drei Stunden Schlaf gestattet hatte. Die Bedienungsmannschaft der Destillerie hatte die ganze Nacht durchgearbeitet. »Noch nicht«, sagte Uschakow. »Ich mach es gleich.« Corrigan und Rhodes trugen die drei Flaschen ins Tageslicht hinaus. Nach der feuchten Hitze in der Höhle schien es ihnen draußen kalt. Sie stellten die Flaschen auf einen flachen Felsen. »Das Zeug sieht sauber aus«, meinte Corrigan. »Aber es wird zu stark sein«, antwortete Uschakow. »Geben Sie mir bitte ein Glas.« Er füllte die klare Flüssigkeit in das Gefäß und zog dann ein kleines Aerometer aus der Brusttasche seines weißen Kittels, das er in das Glas sinken ließ. Wie ein Arzt, der die Temperatur abliest, stand er da und prüfte die Skala des Instruments. »Neunundneunzig Komma sechs Prozent Alkohol«, stellte er fest. »Sehr gut. Sehr sauber. Aber viel zu stark. Wir müssen ihn um die Hälfte verdünnen. So würde er die Fettgewebe in Kehle und Magen angreifen.« »Ich habe Grapefruitsaft und Ananassaft und Tomatensaft und kondensierte Milch und Coca-Cola«, sagte Zeke. »Wir können daraus viele Geschmacksrichtungen machen.« »Entscheiden wir uns für die Fruchtsäfte«, meinte Corrigan. Sie gössen den Alkohol in die Flasche zurück und gingen damit in die Messe hinüber. Eine Viertelstunde später hatten sie sechs Flaschen Schnaps, zwei von jedem der Fruchtsäfte. Die Geschmacksprobe wurde von der Mannschaft der Destillerie, Uschakow, Corrigan und Rhodes vorgenommen. Jeder von ihnen bekam ein kleines Glas voll. »Ich probiere«, sagte Uschakow. Er nippte an seinem Glas und kippte es dann in einem Schluck hinunter. »Immer noch stark«, sagte er, »aber gut.«
Auch die anderen tranken das ihre. Der Stoff hatte einen ein wenig muffigen Beigeschmack, aber er war trinkbar. Und er war stark. »Der muß stärker sein als Gin«, sagte Rhodes, und das Wasser stieg ihm in die Augen. »Stärker als Bourbon«, erklärte Corrigan. »Wie war's mit noch einem?« fragte Suki. »Was meinen Sie, wieviel von diesem Stoff Sie jeden Tag herausholen können?« fragte Corrigan. »Sechs bis acht«, sagte Uschakow. »Gut. Dann wollen wir uns auf zwei Glas täglich beschränke, bis wir einen Vorrat von ein paar Flaschen haben.« Nicht einmal Rhodes widersetzte sich diesem Vorschlag. In jener Nacht wurden die Wachen und Patrouillengänge auf Foul Rock wiederaufgenommen. Aber sie behüteten jetzt nicht mehr die Grenze, sondern ihre Höhle, in der Aladins Wunderlampe stand. Die Russen und die Amerikaner lösten einander ab. Und sie nahmen ihre Pflichten ebenso ernst wie damals, als sie den Drahtzaun bewachten. Von Uschakow und Corrigan abgesehen, durfte niemand ohne offiziellen Erlaubnisschein die Höhle betreten. Und wenn sie herauskamen, wurden die Arbeitsmannschaften sogar durchsucht. Die nächtlichen Wachstunden wurden sehr beliebt, weil die Wachen um Mitternacht ein zusätzliches Glas Schnaps bekamen. Der Rest der Inselbewohner erhielt eines zum Frühstückskaffee und eines als Schlummertrunk. Corrigans Plan wurde streng eingehalten. Es wurde nichts gehortet. Allmählich wuchs das Schnapslager in der Höhle, und die Rationen wurden vergrößert. Am Ende der ersten Woche verfügten sie über einen Keller von fast sechzig Flaschen Fruchtsaftbrandy. Für Corrigan begann die größte Schwierigkeit darin, zu entscheiden, wie der Schnaps verteilt werden sollte. Er wollte nicht, daß die Männer allzu leicht an ihn herankamen. Aber er konnte ihn nicht für Geld verkaufen, weil viele der Männer keines besaßen. Er diskutierte das Problem mit Worolokow, und der Russe löste es. Er schlug vor, daß jede Leistung und Hausarbeit auf der Insel mit Punkten bewertet würde und daß man für die Punkte ein Glas, eine halbe oder eine ganze Flasche Schnaps erstehen könnte. Wer einen Hummer fing, sollte fünf Punkte erhalten, und fünf Punkte entsprachen einem Glas. Drei Kilo Makrelen waren soviel wie ein Hummer. Die Latrinen zu entleeren wogen zwei Hummer auf. Und für zwei Nachtschichten in der Destillerie gab es eine halbe Flasche Schnaps. Alle die üblichen Tagesarbeiten im Lager wurden mit Punkten belohnt.
Durch die Destillerie wurde die Insel zu einem wahrhaft demokratischen Staat. Die Offiziere hatten das Gefühl, daß auch sie sich ihre Punkte verdienen sollten, aber sie wußten nicht recht, wie sie das machen sollten. Collins kam mit einem Vorschlag. »Es ist seit langem offensichtlich, daß wir einen Gemeinderat brauchen, der die Dinge regelt. Es wird noch viel zuviel zweispurig gearbeitet.« Worolokow und Corrigan sahen ihn an. Sie hatten gerade zu Abend gegessen, und jetzt stand ihr Schlummertrunk vor ihnen. »Was das Schiff und das Militärlager angeht, machen die Offiziere weiter wie bisher. Aber das Wohlergehen der Gemeinschaft als Ganzes ist wirklich Aufgabe eines Gemeinderats. Warum bestimmen wir nicht einen?« Niemand hatte irgendwelche Einwände dagegen, und so einigten sie sich auf eine Wahl. Collins reichte jedem ein unbeschriebenes Stückchen Papier, und jeder wurde aufgefordert, zwei Kandidaten zu nominieren. Dennoch war es sowohl für Corrigan wie für Worolokow eine gewisse Erleichterung, als sie beide gewählt wurden, dazu Hennessey und Uschakow. Der Viererrat hielt seine konstituierende Versammlung öffentlich ab. Sie saßen an einem langen Tisch auf dem Plateau und die Inselbewohner auf den Felsen rund um sie herum. Es ging dabei um Formfragen, und sie stellten fest, daß sie einen Vorsitzenden brauchten, der die entscheidende Stimme haben sollte. Sie wählten Albert. Als Protokollführer des Gemeinderats wurde Collins kooptiertes Mitglied. Sie erklärten den Inselbewohnern den Zweck des Gemeinderats. Abgesehen von den militärischen Pflichten würde dieser alles zu regeln haben, und das galt vor allem für alle Fragen der Destillerie. Der Gemeinderat würde sich mit jedem schlechten Benehmen, allen Klagen und Vorschlägen befassen. Er würde den Turnus der Arbeiten festlegen, für die man Punkte bekam, schon um zu verhindern, daß irgend jemand das Monopol von Aufgaben an sich riß, die am meisten einbrachten. Auf Vorschlag von Sascha stimmte der Rat zu, auch Punkte für Initiativen zu verteilen. Sie würden jedem zufallen, ob Mann oder Frau, der mit Plänen kam, um die Lebensbedingungen auf der Insel zu verbessern. Worolokow machte daraufhin einen freundschaftlichen Vorschlag und bot den Bewohnern der »freien Welt« die heißen Duschen seines Trawlers an. »Das gilt ebenso für unsere Messe und den freien Zugang auf unserem Schiff. Doch gibt es ein paar geheime Abteilungen, die ich nicht zu besuchen bitte. Ich werde sie kennzeichnen.« Corrigan bedankte sich bei dem russischen Kapitän. »Ich garantiere, daß Ihre Wünsche respektiert werden.
Als Gegenleistung biete ich Ihnen die Gastfreundschaft auf der anderen Hälfte der Insel an.« Für Rhodes war dies nur noch eine Formalität, denn in den letzten Wochen waren die Männer sowieso gegangen und gekommen, wie es ihnen gefiel. Das neue System ließ sich großartig an. Es blieb ihnen immer noch viel Zeit, um in der späten Julisonne herumzulümmeln, aber Zeke und Boris verfügten ständig über ein Überangebot an Küchengehilfen. Die Insel wurde zur guten Stube. Arbeitstrupps ließen das lockere Geröll vom Plateau verschwinden, schleppten Felsbrocken aus dem Wasser ihres Schwimmbads und säuberten das Ufer von dem unansehnlichen Seetang. Disziplinierte Fischermannschaften sorgten dafür, daß die Kühlschränke des Trawlers immer randvoll waren, und es wurde ein Anlegesteg gebaut. Der Sport wurde organisiert. Lew, der Schiffszimmermann des Trawlers, leimte für Ace Wasserski zusammen, und dieser gab täglich eine Unterrichtsstunde. Die Judostunden, die Igor sich jeden Tag von Suki geben ließ, waren am frühen Nachmittag immer ein Höhepunkt des Vergnügens. Der junge Kosak war ein gelehriger Schüler, aber keiner war sich ganz sicher, ob es bei diesen Stunden darum ging, Igor etwas beizubringen, oder nur Suki nicht aus der Übung kommen zu lassen. Zeke war der einzige, der sich darüber beklagen konnte. Als Sanitäter vom Dienst verbrauchte er einen Großteil seiner Vorräte, um den begeisterten Russen wieder zusammenzuflicken. Morelli leitete die Baseballkurse. Den Russen gefiel dieser Sport, und Rhodes war unter Morellis Schülern der unübertroffene Trottel. Wenn er im Spielfeld stand, hielt er seinen Schläger, als ob er mit Mitgliedern des Oberhauses Kricket spielte, und beklagte sich über das unsportliche Abschießen. Morelli hatte Geduld, aber es fiel ihm nicht leicht, Rhodes' Angewohnheit zu übersehen, wenn dieser zum ersten Standmal und wieder zurück rannte und behauptete, das sei ein Lauf gewesen. Die Schnapspunkte wurden zur internationalen Währung der Insel. Die Russen und Amerikaner benutzten sie auch als Geld und Einsatz bei ihren nächtlichen Kartenspielen. Die Russen stellten fest, daß sie mit den Punkten für eine halbe Flasche Fruchtbrandy eine Schachtel amerikanische Zigaretten kaufen konnten. Und die Amerikaner kamen darauf, daß sie mit dem Anspruch auf ein halbes Dutzend Flaschen eine Kamera oder ein sowjetisches Fernglas einhandeln konnten. Die Destillerie erfüllte ihr tägliches Soll an Schnaps. Zweimal mußten die Amerikaner über Funk Notrufe nach weiterem Fruchtsaft und Gemüse aussenden. Corrigan behauptete, es gehe darum, Skorbut zu verhüten. Das Flugzeug flog tief über die Insel und warf den Nach-
schub ab. Und wieder fiel er ausgerechnet in den sowjetischen Sektor. Nur machte das diesmal keinen Unterschied. Die Abende waren der beste Teil der sehr erfreulichen Tage. Durch ständige Experimente hatte Uschakow erreicht, daß das Getränk sehr viel besser geworden war, und durch die Beifügung von Gewürzen war der etwas muffige Geschmack verschwunden. Nach dem Essen versammelten sich die Männer in Gruppen auf dem Trawler, dem Plateau oder in der amerikanischen Messe. Sie unterhielten sich, sie scherzten, sie sangen, und sie tranken. Oft spielten sie auch. Bei Sonnenuntergang wurden auf ein Trompetensignal drei Fahnen eingeholt. Die Stars and Stripes am westlichen Ende der Insel, am östlichen die sowjetische Fahne vom Mast des Trawlers und von einem niedrigen Fahnenmast zwischen den beiden Victorias und Tanyas Beitrag zur neuen Regierung der Insel — ein weißes Füllhorn auf azurblauem Hintergrund. »Red doch, du kleines Mistvieh, red.« Hinter der Messe drangen die Geräusche eines Handgemenges hervor und dann ein lauter Schrei. »Du Mistvieh. Einen Ledernacken beißen, was? Nun sag: >Ich liebe dich<, oder ich schlag dich zu Brei.« Zekes wütende Stimme riß Morelli und Hennessey hoch, die sonnenbadend auf dem Kasernenhof Posten standen. »Heiliger Himmel«, sagte Morelli. »Was macht Zeke nur? Der bringt Vicky um!« »Dem werd ich's zeigen«, rief Hennessey, sprang auf und lief mit nackten Füßen um die Messe herum. Zeke umklammerte einen Finger, von dem Blut heruntertropfte. Er stand da und sah in eine alte Coca-Cola-Kiste hinunter. »Sag >lieber Junge<«, schmeichelte er, aber aus der Kiste kam kein Ton. »Red«, schrie Zeke. »Du blödes Vieh!« Hennessey trat neben den riesigen Mann aus Kentukky und blickte in die mit Stroh ausgelegte Kiste hinunter. »Ein Papagei«, sagte Hennessey. »Wo hast du den her?« »Er saß unten am Wasser«, sagte Zeke. »Ganz von Öl verklebt. Da hab' ich ihn gewaschen. Hübsch, nicht wahr? Aber er beißt.« Hennessey sah auf den Krummschnabel, der rot und orange schimmerte, und zog es vor, bei allem Interesse den nötigen Abstand zu wahren. »Ich wollte ihm das Reden beibringen und ihn dann Vicky schenken«, sagte Zeke. »Aber er gibt keinen Ton von sich.« »Vielleicht lernt er nicht so schnell.«
»Könnte auch ein Franzose sein, denn Amerikanisch versteht er offensichtlich nicht.« »Bonjour«, sagte Hennessey. Der Vogel sah ihn mit einem seiner Knopfaugen von der Seite an. Er scharrte mit den rötlichen Beinen. »Für einen Papagei hat der komische Füße«, stellte Hennessey fest. »Wieso?« fragte Zeke. »Der hat ja Schwimmhäute.« »Warum sollten nicht auch Papageien Schwimmhäute haben?« «Nur diejenigen, die schwimmen«, sagte Hennessey. »Und solche gibt es nicht.« »Vielleicht war sein Papa eine Ente. He, Herr Major«, rief er zu Corrigan hinüber, der gerade einen Rundgang durch das Lager machte. Corrigan kam zu ihnen. »Was haben Sie denn da, Korporal?« »Das wollte ich Sie fragen, Sir. Irgendeine Art Papagei.« Corrigan blickte in die Kiste hinunter. »Wo haben Sie den gefunden?« »Unten am Wasser. Ganz mit Öl verklebt. Ich will ihm das Sprechen beibringen.« »Dem bringen Sie lieber wieder das Schwimmen bei«, meinte der Major. »Das ist ein Seepapagei.« »Ein Seepapagei?« fragte Zeke. »Ja«, erklärte der Major. »So eine Art Möwe.« »Major...« Morelli kam um die Ecke der Messe gerannt. »Wir kriegen Besuch! Sehen Sie!« Er zeigte in die See hinaus. Mit großer Geschwindigkeit näherte sich ein kleines Boot. Corrigan rannte auf das Plateau. »Antreten!« brüllte er. Halb watete, halb rannte der Trompeter aus dem Wasser, in dem er geschwommen hatte. Mit einem Hechtsprung tauchte er in sein Zelt, um seine Trompete zu holen, krabbelte wieder heraus und blies schon zum Sammeln, während er noch auf den Knien zum Kasernenhof kroch. Die Männer ließen alles stehen und liegen. Russen und Amerikaner kamen herbeigerannt. Ganz außer Atem fragte Worolokow: »Was ist los?« »Besuch! Macht das Tor zu. Tut so, als ob wir beinahe im Krieg liegen. Schließlich erwarten sie das von uns.« Worolokow rannte zum Trawler zurück und rief im Laufen seine Männer zusammen. »Tor zumachen!« kommandierte Corrigan. »Raketen abdecken! Anziehen und Waffen holen! Sie«, er zeigte auf Morelli, »Posten stehen. Schnell!« Corrigan betete, daß niemand an Bord des herannahenden Bootes ein Fernglas benutzte. Einer nach dem anderen krochen die halbnackten Marinesoldaten in die
Zelte. Torkelnd kamen sie wieder zum Vorschein und fingerten an ihren Knöpfen und Schuhbändern herum. Innerhalb von Sekunden war die Persenning von der Raketenbasis verschwunden. »Richtet sie auf den Bug des Trawlers, so daß ihr die Brücke im Visier habt«, rief Ace. »Und jetzt laden.« Die Männer zogen die Kisten mit den Raketen hervor und schoben sie in die Rohre. »Jetzt so, als ob ihr im Einsatz wäret!« Die Männer hockten sich neben ihren Apparat. Ace rief zu Worolokow auf die Brücke hinauf. »Wie sieht's aus?« Der russische Kapitän zeigte ihm seinen aufgerichteten Daumen. »Prima!« rief er. »Aber drückt nicht auf den Abzug.« »Morelli«, fuhr Hennessey ihn an. »Hose zumachen. Versuch mal wie ein Marinesoldat auszusehen. Und nimm die Zigarette aus der Schnauze.« »Zeke, die Flaschen in der Messe verstecken«, forderte der Major den Koch auf. »Das hier ist ein Kriegsschauplatz. Das muß auch danach aussehen. Aber wirklich!« Auf der russischen Seite kam die rote Nase der Kanone aus dem Rumpf des Trawlers hervor und hing drohend zehn Meter über dem Deck. Worolokow brachte auf dem Bug des Trawlers ein Maschinengewehr in Stellung. Sascha kletterte auf den Wachtturm neben dem Drahtzaun, um die Wäsche der Marinesoldaten herunterzuholen, die dort trocknete. Er machte ein Bündel daraus und setzte sich mit der Maschinenpistole im Arm kurzerhand darauf. Der fette Rasputin wurde brutal von der Abfalltonne fortgezerrt, und Lew schleppte ihn auf seinem alten Patrouillengang an der Grenze hinter sich her. Mischa und Ace schufteten, um den Drahtzaun wieder in Ordnung zu bringen, und verketteten ihn an den Metallstäben, die im Felsen steckten. »Bis später, Misch«, lächelte Ace, als er sich von dem Russen jenseits des hohen Zauns verabschiedete. Am Heck des Bootes flatterten die Stars and Stripes. Es war jetzt nur noch fünfzig Meter von der Insel entfernt. »Wenn wir etwas vergessen haben«, sagte Corrigan in aller Ruhe zu Ace, »ist es jetzt zu spät. Wache«, rief er, »geht ans Ufer und helft dem Boot.« »Sir, Suki«, stieß Morelli erschrocken aus. Corrigan blickte in die Richtung, in die Morelli mit der Hand zeigte. Der große Philippine kletterte gerade die Strickleiter der DMITRI KIROW herunter. Er sah die plötzliehe Verwandlung der Insel und das herankommende amerikanische Boot — und stieg wieder hinauf. Corrigan wandte sich wieder dem Landungsplatz zu. Dabei entdeckte er eine Gestalt, die aus den Latrinen auftauchte. »Du heiliger Strohsack, Igor!« Der Major geriet
beinahe in Panik. »Hennessey!« schrie er. »Der Mann da, anständig anziehen.« Er winkte wie wild zu dem Kosaken herüber. »Namen feststellen. Zum Rapport melden.« Hennessey reagierte sehr schnell. Er packte den erschrockenen Igor und schleppte ihn im Würgegriff um den Hals in das Küchenzelt. »Steck ihn in eine Uniform, Zeke, und schaff ihn aus dem Weg.« Das Boot knirschte ans Ufer. Von bewaffneten amerikanischen Matrosen umgeben, saß darin eine weißhaarige, großväterliche Gestalt mit berufsmäßigem Lächeln. »Hallo«, hörte Corrigan ihn rufen, »Ich komm, um meine Jungs zu besuchen.« »O nein«, dachte der Major. »Nicht der Feuerball aus Alabama.« Aber laut begrüßte er den Besucher. »Ich freu mich, Sie wiederzusehen, Sir.« Senator Alvin Bernard Courtney Soupe, der im Senat nur das Alphabet genannt wurde, stützte sich auf den Arm eines jungen Matrosen und stieg über die Bordkante des Bootes. Mit ausgestreckter fetter Hand kam er über den Strand herauf. Nur wenige Schritte hinter ihm folgte ein Marineoffizier mit Kamera. Immer wieder klickte der. Verschluß, als dieser Besuch in vorderster Frontlinie für die offizielle Freigabe an die amerikanische Presse aufgezeichnet wurde. Senator Soupe umklammerte mit beiden Händen Corrigans Hand und legte dem Major seinen Arm um die Schulter. »Ich muß euch Jungs doch wissen lassen, was die Leute zu Hause über euch denken. Ihr haltet euch großartig. Eine Handvoll zäher amerikanischer Jungs, die die Bedrohung der freien Welt in Schach hält. Wir sind stolz auf euch. Führt mich herum. Ich möchte alles sehen, ich möchte mit jedem sprechen. Ihr seid kein vergessener Vorposten. Ich werde allen von euch berichten, wenn ich nach Hause komme.« »Wir freuen uns, daß Sie gekommen sind, Sir«, sagte Corrigan, der sich daran erinnerte, daß in diesem Jahr zu Hause die Wahlen fällig waren. »Ich hab' gehört, daß ihr Jungs eine verdammt Zeit hinter euch habt. Wie halten sich die Männer? »Immer leicht beschwingt«, antwortete Corrigan wahrheitsgemäß. »Und was machen die Roten?« »Die können nicht mehr viel machen und müssen sich mit uns abfinden.« »Großartig, großartig. Ist das hier die Grenze?« fragte der Senator überflüssigerweise und zeigte auf den Drahtzaun. »Und das da ein Russe?« Aufs Stichwort setzte Lew eine grimmige Miene Er versetzte dem fetten Rasputin einen Tritt in den Hintern , um ihn auf die Beine zu bringen. Der Hund ent-
deckte Zeke im Hintergrund und zog an der Leine. Rasputin bellte. »Mein Gott, wenn je einer scharf auf Menschen dann der«, sagte Soupe. »Ein wahrer Killer, Sir. Eines Nachts hat er den L nant in seinem Zelt angegriffen. Da haben wir's ihm gegeben. Am nächsten Morgen führte eine rote zum Zaun zurück, und seitdem hat er uns in Ruhe sen.« Corrigan zwinkerte Lew jenseits des Zauns zu. Das Klicken des Kameraverschlusses wurde monoton. Es hörte nur auf, wenn der Fotograf die Filmspulen wechselte. Morelli stand am Zaun und hielt den ner schußbereit im Arm. Er kaute langsam und mit eisernem Gesicht über die Grenze. »Schon lange auf Posten, Soldat?« fragte Soupe. »Die ganze Nacht, Sir. Irgend etwas braut sich da drüben zusammen.« »Großartig, großartig.« Soupe drehte sich zum Fotografen herum. »Nehmen Sie mich zusammen mit diesem Mann auf. Ich bin stolz, Sie kennenzulernen, mein Sohn«, erklärte er Morelli. Der Senator ergriff die Hand des Fotografen und posierte für den Fotografen. Er zog den Bauch ein und stülpte die Brust heraus, bis sie seinen blaßblauen Anzug ein wenig ausbeulte. Der Verschluß klickte. »Zeigen Sie mir mehr«, verlangte Soupe. Corrigan führte ihn zum Kasernenhof, wo Hennessey Exerzierübungen veranstaltete. »Links, rechts, links schwenkt Marsch. Links, rechts, links schwenkt Marsch. Links, rechts, links schwenkt Marsch«, brüllte er. Die Männer umrundeten den winzigen Kasernenhof mit neun Schritten. »Abteilung halt. Augen rechts.« Als Hennessey das hohe Tier eintreffen sah, rief er: »Präsentiert das Gewehr!« Und es gab ein prächtiges Knallgeräusch, als die Männer den Befehl ausführten. Soupe war beeindruckt. »Großartig, großartig. Nie besser gesehen.« »Vielen Dank, Sir«, sagte Corrigan. »Was ist das für ein Zelt?« fragte Soupe und zeigte auf das orangefarbene. »Briten, Sir«, sagte Corrigan kurz. »Aus Sicherheitsgründen. Sie dürfen nicht weg. Wir sehen nicht viel von ihnen. Den Großteil der Zeit halten sie sich in dem Zelt auf. Sie behaupten, eine Art Botschaft zu sein.« Er hoffte, daß es bei seiner Behauptung bliebe und Rhodes sich nicht sehen lassen würde, denn er wußte, daß der Anwalt und Collins zuviel Frühstück in sich hineingekippt hatten. Corrigan versuchte den Senator in die Messe abzudrängen, aber Soupe wollte alles sehen. Er begutachtete
die Raketenbasis, er inspizierte jede Latrine, er zog an allen Ketten der Wasserspülungen und kroch in die Einmannzelte. Die Kamera hörte nicht zu klicken auf. Er bewunderte das Vorratslager, wo Corrigan es gerade noch schaffte, ein russisches Fernglas hinter der Theke verschwinden zu lassen. Dann marschierte Soupe zielstrebig auf das Küchenzelt zu. Corrigan lief ein kalter Schauer über den Rücken, als er sich an Igor erinnerte. Von neuem versuchte er den Senator in die Messe zu führen, aber auch diesmal gelang es ihm nicht. »Ich möchte den Koch besuchen«, erklärte Soupe und nickte mit dem Kopf in Richtung der Küche. »Ich rufe ihn heraus«, bot der Major hoffnungsvoll an. »Bitte nein. Ich möchte den Mann nicht bei seiner Arbeit stören.« Soupe ging in das Zelt. Igor saß mit gebeugtem Kopf auf einem Hocker im hintersten Winkel. Er schälte sich durch einen wackeligen Kartoffelberg — und zwar mit einem Buschmesser. Er nahm eine Kartoffel, legte sie auf den Hackblock, und mit sechs kräftigen Schlägen schnitt er einen winzigen Würfel daraus. Die besonders dichte Schale wusch er sorgfältig und schichtete sie ordentlich in den Gärbehälter der Destillerie neben sich. Aus den viereckigen Kartoffelwürfeln, von denen er wußte, daß sie nur zum Essen bestimmt waren, baute er rund um sich herum eine kindliche Festung. Der Kosak trug einen der Kampfanzüge des Kochs aus Kentucky, der ihm viel zu weit war. Zekes Stahlhelm rutschte Igor beinahe bis auf die Schultern. Aus den Schuhen hätte er herausschlüpfen können, ohne die Schnürsenkel zu lösen. Zeke stellte sich vor diese seltsame Figur und versuchte sie zu verbergen. »Sie sind der Koch?« fragte Soupe. »Ja, Sir.« »Woher stammen Sie, mein Sohn?« »Aus Kentucky, Sir.« Er versetzte Zeke einen spielerischen Rippenstoß. »Na, brennen Sie hier auch schwarz?« scherzte er. Zeke schluckte. »Natürlich, nur, Sir.« »Das sind meine Jungs aus dem Süden. Die verstehen einen Spaß wie sonst keiner in den Staaten«, sagte er zu Corrigan. Der Major grinste ein bißchen verquer. »Wer ist das?« Soupe zeigte auf Igor, der sich hinter seine wachsende Festungsmauer duckte. »Der? Ach, er...« Corrigan dachte schnell nach und versuchte sich einen Namen einfallen zu lassen, aber es half nichts. »Das ist Corrigan«, sagte Corrigan. »Aber das ist Ihr Name«, erwiderte Soupe.
»Ja.« Corrigans Hirnwindungen waren restlos durcheinandergeraten. Im Einsatz hatte er noch nie die Ruhe verloren, aber hier, in einem Küchenzelt, passierte es. »Er, er ist... er ist meine Tante... eh... der Sohn meiner Tante... eh... mein Vetter, Sir.« Der Major sah ihn erleichtert an. »Aha, hier gibt es keinerlei Begünstigung«, stellte Soupe fest. »Bei Ihnen geht es wirklich demokratisch zu, Major. Kommen Sie mal her, Junge.« Er winkte Igor zu sich. »Was ist Ihr Vorname, mein Sohn?« »Igor«, sagte Igor. »Ist das nicht ein ungewöhnlicher Name?« Igor sah ihn mürrisch an. »Viele Leute in der Gegend von Mozdok heißen Igor.« »Mozdok?« »Ja, Sir«, unterbrach Corrigan. »Mozdok, New Jersey.« »Manche von euch Yankees haben einen merkwürdigen Akzent«, sagte Soupe. Corrigan packte den Senator am Ärmel und winkte mit dem Kopf zur Tür. Soupe folgte ihm nach draußen. »Es tut mir leid, Sir«, sagte er vertraulich. »Er ist unser einziger Verwundeter. Er leidet an Kriegsmüdigkeit. Immer hat er sich freiwillig gemeldet und sich so heruntergewirtschaftet. Allmählich aber findet er seine Sprache wieder. Er ist ein braver Junge.« »Er sieht sehr mager aus«, sagte Soupe besorgt. »Ja«, sagte Corrigan. »Wissen Sie, daß er die Uniform ausfüllte, als er zuerst zu uns kam? Er mag nichts essen. Wir glauben daher, daß es die beste Beschäftigungstherapie für ihn ist, wenn wir ihn in der Küche arbeiten lassen. Zeke kümmert sich um ihn.« »Ich werde ihm eine Auszeichnung verschaffen.« Soupes Augen leuchteten voller Patriotismus. »Nein, tun Sie das nicht«, sagte Corrigan schnell. »Das würde alles verderben. Ich meine, eine Auszeichnung wird ihn an die Ursache seines Nervenzustandes erinnern, und sie könnte zu einem Rückfall führen.« »Dann nehme ich den Mann mit mir«, erklärte Soupe. »Der Präsident wird ihn sehen wollen. Ich bringe ihn ins Fernsehen. Ich mache einen Nationalhelden aus ihm. Ich verschaffe ihm die beste ärztliche Behandlung, die es gibt. Ich werde stolz sein, einen Sohn wie ihn zu haben.« Corrigan war entsetzt. Ihm drängte sich das Unheil auf, das Igor in den Vereinigten Staaten verursachen würde. Er konnte sich vorstellen, wie Igor den Präsidenten traf, wie Igor im Fernsehen interviewt wurde, wie Igor vor den Vereinten Nationen eine Rede hielt, wie Igor auf Partys herumgereicht wurde. Und wie Igor tanzte - auf den Tischen. Die Gedanken ließen seinen Magen sich zusammenkrampfen.
Er versuchte, sich irgend etwas einfallen zu lassen, um die Begeisterung des Senators zu bremsen. Er fand keine Lösung. »Glauben Sie mir, Sir. Ich halte es für besser, wenn er hier bei seinen Freunden bleibt. Wir pflegen ihn, wir brauchen ihn. Er wird bald wieder voll einsatzfähig sein.« »Nein, ich bestehe darauf. Bedenken Sie nur, was die Opfer dieses Jungen für die Moral zu Hause bedeuten können.« Der Senator schluchzte fast vor innerer Bewegung. Corrigan wand sich. »Herr Senator, der Junge ist mein Neffe. Bitte, lassen Sie mich ihn behandeln, wie ich es für richtig halte.« Senator Soupe sah in Igor den Garant für seine Wiederwahl. Er widerlegte jedes Argument, das Corrigan vorbrachte. »Aber Major, sehen Sie denn nicht ein, was das auch für das Marinekorps bedeuten kann?« »Nur zu gut, Herr Senator.« »Warum lassen Sie mich dann den Jungen nicht fragen, ob er mit mir kommen will?« Bevor Corrigan antworten konnte, rief der Senator. »Igor! Igor Corrigan!« Igor schlurfte aus dem Zelt. »Kommen Sie her, mein Sohn«, sagte der Senator sanft, »würde es Ihnen Freude machen, mit mir in die Vereinigten Staaten zu kommen?« Igors Augen leuchteten vor Begeisterung auf. »Ja«, sagte er. »Sehr gern.« »Nun, haben Sie das gehört, Major?« Corrigan war von dieser Entwicklung wie vor den Kopf geschlagen. Er sah sich schon vor versammelter Mannschaft auf einem Kasernenhof stehen, wie ihm die Schulterstücke und Knöpfe abgerissen wurden und wie man in traditioneller Weise das Schwert über seinem Kopf brach. Das würde für seine militärische Familie die ewige Verdammnis bedeuten. Sein Vater, der Oberst, würde aus seinem Bridgeklub verbannt werden. Soupe platzte in Corrigans verzweifelte Gedanken. »Ich brauche unbedingt ein Foto von mir und diesem Jungen an der Grenze.« Er nahm Igors Arm und führte ihn langsam zum Drahtzaun hinüber. Mit offenem Mund sah Zeke vom Eingang des Küchenzelts her zu. Er begriff, daß die gesamte Einheit der Schande verfallen würde. Jetzt hieß es entweder Igor oder sie, dachte er. Soupe wandte sich an den Fotografen. »Versuchen Sie, diesen grausam aussehenden Russen im Hintergrund mit draufzubekommen«, sagte er und nickte mit dem Kopf in Richtung Suki, der einen blauen Overall angezogen hatte und jetzt neben Lew auf der russischen Seite
der Grenze stand. Abwesend sicherte und entsicherte eine russische Maschinenpistole, die er unter dem hielt. Wieder klickte der Kamera Verschluß. »Noch eins«, sagte der Fotograf. Igor strahlte. »Mein Gott«, sagte Soupe zu dem niedergeschlagnen Major. »Man sollte euch Jungs doppelt bezahlen, daß ihr den Anblick von solch üblen und häßlichen Affen dem da ertragen müßt.« Und er zeigte durch den auf den US-Marinesoldaten Suki, der ihre Blicke mit Einem Funkeln in den Augenwinkeln erwiderte. Major Corrigan starrte düster zu dem Philippinen hinüber. »Das ist ein geborener Unruhestifter«, sagte er laut. »Sehen Sie seine Augen. Die stehen zu nah beieinander. Wenn ich den auf dieser Seite hätte, würde ich ihm das Grinsen aus dem Gesicht prügeln.« Zeke rief Igor in das Küchenzelt. Es gab nur noch Chance, um sie alle zu retten, hatte er sich »Willst du diesem Mann da gefallen, Igor?« »Ja.« »Wenn er das nächste Mal mit dir spricht, dann sagst du einfach zu ihm: >Alle Johnny Rebs sind gottverdammte Hundesöhne. < Hast du's?« Igor wiederholte den Satz. »Gut«, sagte Zeke kreuzte seine Finger. Der Kosak ging wieder zu dem Senator und Corrigan zurück, die noch an der Grenze standen. Der Koch Kentucky blickte mit einem Augenaufschlag zur des Küchenzelts hinauf. »Großpapa Hatfield, bitte vergib mir, daß ich dein Andenken beschmutze«, flüsterterte Dann stand er da und horchte. Er brauchte nicht lange zu warten. Plötzlich hörte einen explosionsartigen Fluch des würdigen Besuch »Sergeant Hennessey«, brüllte der Major. Hennessey rannte zu Corrigan. »Nehmen Sie diesen Mann fest«, sagte Corrigan in heller Wut und zeigte auf den immer noch lächelnden Igor. »Schaffen Sie ihn weg. Hinter Schloß und Riegel. Aus dem Weg mit ihm. Für die nächsten dreißig Tage will ich ihn nicht mehr sehen.« Hennessey zerrte den erschrockenen Kosaken hinter das orangefarbene Zelt. »Sind Sie nicht ein wenig zu hart?« fragte Soupe. »Vielleicht ist das seine Kriegsmüdigkeit.« Aber Corrigan war nicht bereit, diesen Vorteil wieder zu verschenken. »So ist er immer«, sagte er. »Ich habe Sie zu warnen versucht. Er haßt die Südstaatler und beleidigt sie bei jeder Gelegenheit. Bei ihm kann man nie wissen, wie er reagiert. Als seine Mutter schwanger war,
hat Vom Winde verweht< sie erschreckt. Ich hab' ihn mir nicht als Neffen ausgesucht.« »Schade«, sagte Soupe. »Ich hätte eine Menge für ihn tun können« Und er dachte an seine wankelmütigen Wähler. Der Pflichtbesuch des Senators war vorüber. Das Mittagessen lehnte er ab. »Ich hab' keine Zeit. Ich muß zur Flotte zurück.« Plötzlich hatte er es sehr eilig. »Ich nehme nur ein Sandwich«, sagte er zu Zeke. »Ich werde versuchen, euch Jungs ein bißchen Unterhaltung zu schikken«, sagte er zu den Marinesoldaten, die sich am Strand versammelt hatten, um ihn zu verabschieden. Zeke brachte ihm das Sandwich. Der Senator nahm es und ging zu seinem Boot hinunter. Er kletterte an Bord. Als es abgestoßen wurde, winkte er mit seinem Sandwich in der Hand zu Corrigan hinüber. »Großartig, großartig«, rief er. »Ihr Jungs haltet euch prima!« Corrigan wandte sich an Zeke. »Vielen Dank für Ihre Hilfe in Sachen Igor, Zeke. Sie haben uns wirklich aus der Patsche geholfen. Nähen Sie sich noch einen Streifen an. Sie sind gerade Sergeant geworden.« Die Funkverbindung zwischen den Inselbewohnern und der Außenwelt war äußerst dürftig. Tage vergingen, während denen der Empfänger, ohne einen Ton von sich zu geben, in Clancy Paradises Einmannzelt lag. Aber im Augenblick summte er wie wild. »Post, Nachschub und eine Sonderzuteilung«, rief Corrigan den Männern zu. »Die geile Mary sagt, daß ein Landungsboot unterwegs ist.« Die Marinesoldaten applaudierten. Zum erstenmal seit ihrer Ankunft auf der Insel gab es Post, und Nachschub war immer willkommen. »Laufen Sie hinüber und warnen Sie Uscha, daß wir schon wieder Besuch bekommen«, sagte Corrigan zu Ace. »Diesmal hat man ihn wenigstens angekündigt. Und sagen Sie ihm, er soll Igor in Ketten legen, bis das Boot wieder weg ist.« Es war diesmal viel einfacher, die Insel auf den Besuch vorzubereiten. Es gab keine Hast, die Männer hatten aus der Panik der vergangenen Woche gelernt. Corrigan hielt einen Appell ab. Alle waren anwesend. »Gut«, sagte er. »Sie wissen, um was es geht. Sergeant Hennessey, durchsuchen Sie alle Zelte und jeden Winkel, um sicherzugehen, daß Igor sich nicht in unserer Hälfte befindet. Ein zweites Mal halte ich das nicht durch.« Bis das Landefahrzeug ans Ufer der Insel gelangte, hatten sie alles in einen ordentlichen und kaltem Krieg angemessenen Zustand versetzt. Das Boot war mit Gls ihrer eigenen Kompanie bemannt, die sich auf der Flotte befand.
»Wie steht es hier, Morelli?« rief einer der Männer. »Höchste Alarmstufe, Mann. Hier kann man nie wissen, wann's losgeht. Kein Mensch pumpt dir hier noch einen Pfennig.« »Guckt euch das Schiff an«, schaltete Suki sich in die lautstarke Unterhaltung ein und zeigte auf den Trawler. »Und diese dicke Emma da. Das ist eine süße kleine Atomspritze. Irgend so ein Roter drückt auf den Knopf, und das Ding marschiert seine zwanzig Meilen. Dann kommt's runter. Genau hier.« »Jesus«, sagte einer der ankommenden GIs und warf Suki einen Postsack zu. »Ich wette, daß ihr den ganzen Tag nichts zu tun habt und nur mit eurem fetten Hintern in der Sonne sitzt«, sagte einer der Marinesoldaten, der eine bläuliche Haut hatte. »Vierundzwanzig Stunden Wache, Waffenausbildung, dreimal täglich exerzieren, jeden Morgen Inspektion der Ausrüstung, Scheißverpflegung, Fisch, bis« er dir zum Hals heraushängt, nie mehr als fünfzig Meter von einem Offizier entfernt. Ich bin sofort bereit, mit dir zu tauschen, mein Freund«, antwortete Clancy. »Das ist ein Nervenkrieg«, fuhr Morelli fort. »Diese Roten geben keine Ruhe. Stell dir mal vor, daß immer ein Gewehrlauf hinter dir herzeigt, wohin du auch gehst. Das ist ziemlich ungemütlich.« »Darlings«, sagte eine Stimme aus dem Landungsboot. »Komisch«, sagte Suki zu Hennessey. »Irgend jemand wird da leichtsinnig.« »Darlings«, sagte die Stimme von neuem. »Darlings, helft mir mein Gepäck tragen.« »Hast du eben auch gehört, was ich gehört habe?« fragte Hennessey Suki. »In mein Zelt kommt der nicht«, sagte der Philippine. »Seid lieb«, rief die Stimme wieder. »Tragt mich an Land und ihr kriegt einen Kuß.« »Laß doch den Quatsch, Mann«, gab Hennessey ärgerlich zurück. »Das hier ist ein Kriegsschauplatz. Trag dein Gepäck selbst.« Er wandte sich an die Männer, die am Strand hinter ihm standen. »Ladet die Vorräte aus, und zwar schnell!« Unter seinen Koffern gebeugt, stakste ein Marinesoldat mit einer seltsamen Figur aus dem Landungsboot heraus. Corrigan starrte ihn an. Ein sonderbarer GI, dachte er, aber klassische Maße für eine Frau. Und es war eine Frau! Man hatte sie mit ihren Maßen von gut und gern 98-60-92 in einen Kampfanzug von 85-60-85 gesteckt — und das Weib war umwerfend! Sie platzte aus allen Nähten. Die Knöpfe ihrer Jacke hatte sie fast bis zur Hüfte offengelassen, und die anderen standen bis zum Zerreißen unter Spannung. Ihr Büstenhalter aus roter Spitze war seiner Aufgabe kaum gewachsen.
»Verflucht!« Sie ließ ihre Koffer fallen, torkelte, plumpste mit dem Hintern auf einen der Koffer und untersuchte einen abgebrochenen Fingernagel. »Ach-tung!« brüllte Corrigan, als die wilde Jagd auf sie losging. Seine Kommandostimme übertönte das Stampfen der Kampfstiefel auf dem Felsen. In einem Durcheinander von lächerlich übertriebenen Posen blieben die Männer stehen. Corrigan schob sich zwischen den Khakifiguren hindurch. Als er vor ihr stehenblieb, warf sie ihr langes kupferrotes Haar aus dem Gesicht und blickte auf. Ihre Augen waren grün wie eine Verkehrsampel. Die flatternden Augenlider gaben das Zeichen anzufahren. Sie lächelte. Vorsichtig schob sich der Major näher. »Ich bin Dreamy.« »Ge-wiß«, sagte Corrigan. »Dreamy Knights.« Die erstarrten Statuen gaben ein Stöhnen der Begeisterung von sich. »Ich bin Schauspielerin«, hauchte sie. »Natürlich«, sagte ein Dutzend Stimmen. »Weiter ausladen«, befahl der Major. »Wenn Sie Major Corrigan sind, habe ich einen Brief für Sie«, flötete sie mit samtweicher Stimme. Sie war so leise, daß sie ihn zu seinem Vergnügen zwang, sich nah zu ihr herüberzubeugen. »Ich habe ihn hier«, fuhr die Stimme fort. Mühsam zog Corrigan seinen Blick zurück. Sie über gab ihm einen Umschlag, in dem sich eine Notiz von Senator Soupe befand. Natürlich hatte dieser sie absichtlich auf die Rückseite einer Wahlpropaganda gekritzelt. »Ich habe ja versprochen, die Jungs nicht zu vergessen. Danke für die Gastfreundschaft. Für euch ist nichts zu gut. Ich habe gebeten, euch Bob Hope zu schicken.« Corrigan blickte auf. Er steckte in einer Wolke ihres Parfüms, in der er ertrank. »Tut mir leid«, sagte Dreamy. »Bob mußte auf Tournee in den Fernen Osten. Daher müssen Sie mich nehmen.« »Sie nehmen?« fragte Corrigan. »Ich meine, wir freuen uns, daß Sie gekommen sind.« Das Landefahrzeug legte wieder ab. Die Marinesoldaten riefen noch ein paar Grüße herüber. »Wir hoffen, Sie wiederzusehen« rief vom Bug her ein GI mit traurigem Gesicht. »Wenn ihr wiederkommt, könnt ihr uns jedesmal so etwas mitbringen«, antwortete Morelli. Corrigan führte das Mädchen zur Messe hinauf. Jetzt bot sich eine Unmenge von Gepäckträgern an. »Was macht sie denn?« fragte Hennessey. Dreamy drehte sich um und sah die Männer mit ihren grünen Augen an, Sie wackelte mit dem Hintern. »Ich singe und tanze, Sergeant.«
»Bravo!« riefen die Soldaten. »Bleiben Sie lange?« fragte Corrigan. »Solange Sie mich brauchen«, hauchte Dreamy. In gegenseitiger und unausgesprochener Übereinstimmung war beschlossen worden, daß es das sicherste wäre, im Augenblick dem Neuankömmling von der wahren Situation auf der Insel noch nichts zu erzählen. Die Posten wurden zwar aufgehoben, aber die Männer behielten ihre Uniformen an und verbrachten den Rest des Tages in ihren jeweiligen Sektoren. Es war gar nicht so einfach, den Gast gut unterzubringen. Schließlich brachte Victoria ein edelmütiges Opfer. Sie ließ Albert aus seiner Schlafkabine ausziehen, und er nahm das Angebot von Igor und Sascha an, zu ihnen in die DMITRI KIROW umzusiedeln. Morelli verbrachte einige Stunden damit, das Klavier in der Messe zu reinigen und zu polieren. Viele der höheren Töne waren tot, und von einigen Tasten hatte sich der Elfenbeinbelag gelöst, aber sonst schien es noch einigermaßen gestimmt zu sein. Der völlig unmusikalische Hennessey prüfte es. »Völlig in Ordnung«, verkündete er. Seit Wochen saßen die Amerikaner und Briten zum erstenmal allein beim Essen in der Messe. Zeke hatte sorgfältig darauf geachtet, daß nur zweiundzwanzig Stühle rund um die langen Tische standen. »Singen Sie für uns«, bat Clancy, als die letzten Teller in die Küche zurückgetragen worden waren. »Singen Sie uns Liebeslieder.« Dreamy begab sich an das Klavier, und Morelli löschte die Beleuchtung der Messe; nur eine Lampe, die direkt über dem Klavier hing, brannte noch. Sie hatten sie mit einer Stanniolhülle umgeben, so daß Dreamy wie von einem Punktstrahler beleuchtet wurde. Der Zigarettenrauch der Männer trieb durch die Lichtsäule. Dreamy sang. Die Männer hörten schweigend zu. Nach jeder Nummer schien der Applaus lauter zu werden. Eine Stunde später wandte sie sich an ihre Zuhörer. »Tut mir leid, Jungs, das war euer Teil für heute abend.« »Ach, weiter, Dreamy.« »Wenn ihr wollt, daß ich auch morgen noch bei Stimme bin, müßt ihr mich jetzt in Ruhe lassen.« Als Morelli das Licht einschaltete, stand der Rauch schichtweise im Raum. Dreamy erschrak. Als es in der Messe dunkel wurde, waren lediglich einundzwanzig Zuhörer dagewesen. Jetzt schienen sie sich verdoppelt zu haben.
Männer, die sie nicht kannte, klatschten Beifall, als sie aufstand. Fremde Männer, die dicke Pullover und schwarze Uniformen trugen, verbeugten sich vor ihr, als sie zu ihrem Tisch zurückging. Und an der Tür stand ein anderes Mädchen, das sie vorher nicht gesehen hatte, und lächelte ihr zu. »Wer sind die anderen?« fragte sie Victoria. »Das erzähle ich Ihnen später.« Corrigan sah, wie Dreamy in die Runde blickte, und lenkte ihre Aufmerksamkeit mit einer Frage ab. »Wo haben Sie bisher gearbeitet?« »Hier und dort«, antwortete Dreamy. »Beinahe überall. Im Varieté, Kabarett, in Nachtklubs. Am liebsten in Nachtklubs.« »Nachtklub«, meinte Ace. »Seit meinem letzten Heimaturlaub bin ich in keinem mehr gewesen. Das wäre schon eine Sache, wenn man jetzt in die >Orchidee< gehen könnte.« »Als Morelli das letzte Mal einen betrat, war er noch Sergeant«, sagte Suki. »Nun mach mal einen Punkt, Suki. In einem Nachtklub weiß ich mich genausogut wie jeder andere zu benehmen.« »Nicht wie jeder andere, den ich kenne.« »Ich bin seit fünfundzwanzig Jahren in keinem Nachtklub mehr gewesen«, sagte ein bärtiges Gesicht. »In Rußland haben wir nicht viele davon.« Dreamy starrte ihn an. Corrigan drängte sich rasch dazwischen. »Zapfenstreich ist lange vorbei«, erklärte er. »Kriechen wir lieber in die Federn.« Er nahm Dreamys Arm. »Ich bringe Sie und Vicky zum Zelt zurück.« »Wenn er nicht diesen Dienstgrad hätte...«, brummelte einer. Corrigan machte sich einige Sorgen darüber, daß er Dreamy die Situation zu erklären haben würde. Das wäre nicht nötig gewesen. Fast ohne ein Wort darüber zu verlieren, nahm sie die Lage hin. Für sie waren es nur mehr Zuhörer, und das bedeutete: mehr Männer. Als sie am Morgen nach ihrer Ankunft ihre Wäsche hinaushing, war das beinahe schon ein Nachtklubprogramm. Sie konnte alles das, was sie auf die Leine hängte, nicht getragen haben, und ebensowenig konnte das schmutzig geworden sein. Schwarze Spitzenslips. Blaue Minislips. Knallrote Rüschenhöschen. Der rote Büstenhalter, den sie alle gesehen hatten, und manche anderen Sachen, die die Männer wiederzusehen hofften — mit Inhalt. Zuerst bemühten sie sich alle, nicht zu der Wäscheleine zu gucken. Das war unmöglich. Sie blendete ihre Augen wie die Scheinwerfer eines in der Nacht entgegenkommenden Wagens.
Victorias Wäsche, die ihnen vorher interessant erschienen war, war jetzt langweilig, Tanyas im Vergleich dazu matronenhaft. Die drei Mädchen steckten in einem Zelt. Die Männer hatten Dreamy nur ein einziges Mal kurz zu sehen bekommen, als sie ihr Nachtprogramm hinaushängte. Albert blickte auf die Leine voll leuchtender Unterwäsche, die wie eine sinnliche Botschaft im warmen Wind flatterte. »Vor der Schlacht von Trafalgar hat Nelson eine ähnliche Signalleine hochgezogen«, sagte er. »Wieso?« »Ja. Sie besagte: England erwartet, daß an diesem Tag jeder seine Pflicht tut.« »Und was geschah dann?« »Er kam dabei um.« »Im Gedrängel?« fragte Morelli. »Ich finde nicht, daß man hübsche Mädchen schicken sollte, um die Truppe zu unterhalten«, meinte Clancy. »Sie sollten dazu alte Huren mit Krampfadern nehmen.« Der Rest der Männer sah ihn ungläubig an. »Aber sicher«, fuhr er fort. »Steile Zähne sind ein Aphrodisiakum. Und mein John Thomas glaubt, daß ich die Weihen genommen habe.« Er wandte sich an Suki. »Du verstehst doch was davon, wie man in Form bleibt. Was geschieht, wenn man einen Muskel nicht benutzt?« »Dann schrumpft er.« »Oh«, sagte Clancy unglücklich. »Und ich dachte, das käme vom kalten Wasser.« »Haben Sie für Frauen nichts übrig, Gin Jim?« wandte sich Clancy an Rhodes, der in einem Liegestuhl in der Sonne saß. »Ich habe ein paar gekannt, aber ein Mann ist zu höchstens drei Lastern fähig. Und bei mir sind das Gordon's Gin, Booth's Gin und Plymouth Gin.« Der Eingang des orangefarbenen Zelts wurde zurückgeschlagen und Dreamy kam heraus. »Wer ist Morelli?« rief sie. Die Soldaten blieben stehen und sahen sich um. »Könnten Sie bitte mal herkommen?« fragte sie. »Hosentür zumachen«, zischte Ace automatisch. »Ich hab' die Badehose an, Sir.« Morelli wurde rot und schob sich zwischen den Männern hindurch zum Zelt. Dreamy nahm seinen Arm und flüsterte ihm vertraulich etwas ins Ohr. Sie gingen hinein. »Sie beginnt bei den häßlichsten«, sagte Suki. Morellis Kopf kam wieder zum Vorschein. »Geht lieber ohne mich. Ich hab' zu tun.« »Wieso ist sie gerade auf dich verfallen, Makkaroni?« »Sie hat von mir gehört.« Sein Kopf verschwand. Die anderen gaben ein leises Stöhnen von sich.
Den ganzen Tag über bekamen sie von Morelli nicht viel zu sehen. Wann immer sie ihn entdeckten, war Boris oder eines der Mädchen bei ihm. Ohne auf ihre Fragen zu antworten, ging er schnell an ihnen vorbei. Er drückte sich vor allen Pflichten des Tages. Die Männer stellten fest, daß der Tag jetzt, da sie auf die abendliche Unterhaltung warteten, viel länger geworden war. Dreamy s Gegenwart ließ sie ein Gefühl der Frustration empfinden, das sie vorher nicht gekannt hatten. Im Gegensatz zu den beiden anderen Mädchen gehörte sie den GIs... nun ja, immerhin beinahe. Es war eine Erleichterung, als Zeke sie zum Abendessen rief. Die Amerikaner und die Russen reihten sich vor der Messe auf. »Zeke, wo sind denn alle die Stühle und Tische geblieben?« fragte Clancy Paradise. »Was für Stühle und Tische?« »Unsere Stühle und Tische, du Kentuckyochse.« Die Männer sahen sich um. Fast alles Mobiliar war aus der Messe verschwunden, sogar das Klavier. »Wie sollen wir nun essen?« fragte Clancy. »Eßt auf den Felsen«, sagte Zeke. »Heute abend, Leute, gibt's ein neues Gericht. Maryland-Huhn on the rocks.« Er lachte allein. »Ich dachte, daß wir zum Essen was geboten bekämen«, sagte Hennessey. »Macht Zekes Fraß dir denn keinen Spaß?« fragte Suki. »Hallo«, unterbrach ihn Albert. »Da kommt Victoria. Wie sieht die denn aus?« Victoria hangelte sich die Strickleiter vom Trawler herunter. Die letzten Sprossen ließ sie sich fallen und kam zu den Männern. Sie sah recht mitgenommen aus. Ihre Kleidung war völlig verstaubt, und über ihr Gesicht zogen sich Striemen von Schweiß und Schmutz. Ihr Haar steckte zurückgebunden unter einem Kopftuch. »Putzen Sie etwa mein Schiff?« fragte Worolokow. »Nein, wir haben Ihre Messe für Dreamy hergerichtet. Sie will heute abend eine Vorstellung geben.« »Großartig«, sagte Ace. »Wann?« »Nicht vor acht Uhr.« Und schon lief sie wieder zum Trawler zurück. »Was soll ich mit Ihrem Essen machen?« rief Zeke, aber er bekam keine Antwort. Victoria hatte acht Uhr gesagt, und weder die GIs noch die Russen wollten sich auch nur eine Minute des versprochenen Genusses entgehen lassen. Um Viertel vor Acht standen alle männlichen Inselbewohner erwartungsvoll auf dem Deck der MITRI KIROW. Morelli bewachte die Tür des Niedergangs, der zur Messe führte. »Dürfen wir nicht hinein und dort warten, Morelli?« fragte Ace.
»Tut mir leid, Sir, ich habe meine Befehle.« »Laß uns doch rein, du Hammel«, sagte Suki. »Du kannst mich mal«, erklärte Morelli standhaft. Die Männer warteten ungeduldig. Sie lehnten an der Reling des Schiffes oder umringten Morelli, der sich gewaltig aufspielte. Sie murrten. Genau um acht Uhr hörten sie Tanyas Stimme. »Machen Sie jetzt auf«, sagte sie. Morelli wurde von der Sturzflut von Männern, die sich in den Niedergang ergoß, rückwärts hinuntergeschwemmt. Die Russen waren im Vorteil; sie wußten genau, wohin es ging. Einige der Marinesoldaten, die nicht regelmäßig auf dem Schiff gewesen waren, fanden sich plötzlich in Kabinen oder Abstellräumen für Feuerlöschgeräte wieder. Endlich aber hingen die Männer in einer dichtgedrängten Traube vor der Tür der Messe. Igor und die anderen russischen Seeleute versuchten ein großes weißes Schild zu entziffern, das auf die Holztäfelung der Tür genagelt worden war. »Dreamys Taucherbar«, stand darauf. »Nur für Mitglieder.« »Was soll das heißen?« fragte Igor. »Darauf steht, daß du Mitglied sein mußt«, erklärte Suki. »Was ist ein Mitglied?« »Man muß dazu eine Karte haben.« »Ich hab' eine Karte«, .sagte Igor stolz. »Du?« Igor zog seine Brieftasche heraus und öffnete sie. »Schau«, sagte er, »die Karte der Seemannsgewerkschaft.« »Versucht mal anzuklopfen«, rief Ace über die Köpfe der Männer hinweg. Suki klopfte, und die Männer warteten voller Spannung. Nach einem Augenblick öffnete sich die Tür um ein paar Zentimeter. »Wer ist da?« fragte Tanya höchst überflüssigerweise. »Batman und Robin. Lassen Sie uns herein.« »Was für ein Witz«, sagte Tanya. »Hereinkommen, aber langsam.« Sie öffnete die Tür, und die Männer gingen hinein. Es war so dunkel in dem Raum, daß sie eine Weile brauchten, bis sich ihre Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten. »Du heiliger Himmel«, sagte Corrigan. »Das kann doch nicht wahr sein.« Worolokow sah sich mit starrendem Blick um. Die Messe hatte mit der Kantine des Trawlers keine Ähnlichkeit mehr. Die Wände und die Decke waren mit Fischnetzen und Schwimmwesten drapiert. Zwei kleine Anker hingen als Mittelpunkt der Dekoration an der Seitenwand. An der Stirnwand hatte man nebeneinander
die amerikanische und sowjetische Fahne befestigt. Die Hauptbeleuchtung war eine tiefrote Laterne, für die eine der Markierungsbojen aus Plastik hatte herhalten müssen. Sie warf ein warmes Licht auf eine kleine Tanzfläche, um die herum die Tische standen, deren geschrubbte Flächen unter Signalflaggen verschwanden. Und auf die Flaggen hatte man Flaschen gestellt; in deren Hälsen gelbe Schiffskerzen steckten. Die kleinen Flammen flakkerten in der Zugluft, die von der Tür hereindrang. Die gemütliche, intime Atmosphäre der früher ärmlichen Messe war überraschend. Aber noch erstaunlicher war die Aufmachung von Tanya und Victoria. Sie waren beide gleich gekleidet und trugen schwarze Strumpfhosen aus Dreamys Beständen. Darüber hatten sie enganliegende weiße Seemannspullover gezogen, die aus der russischen Kleiderkammer stammten. Ein Gürtel um die Taille ließ sie wie die kürzesten Minikleider aussehen. Beide hatten ihr Haar hochgesteckt, und wenn sie sich bewegten, glitzerten kleine Krönchen aus Silberpapier. Mischa saß in einer Ecke neben dem Klavier und spielte leise auf seiner Balalaika, als die Männer hereinkamen. Als Victoria und Tanya sie zu ihren Tischen führten und ihre Schnapsbestellungen aufnahmen, waren sie so verblüfft, daß sie fast nicht den Mund aufbekamen. Es war wie in einem Traum. »Toll«, sagte Ace und sah sich um. »Einfach toll.« Er sah hinter Victoria her, die gerade vorüberkam und deren lange Beine durch die Strümpfe noch attraktiver wirkten. Die Männer begannen sich wohl zu fühlen, der Lärm schwoll an. Mischa steigerte Lautstärke und Rhythmus seiner Musik. Der Rauch der Zigaretten stieg in Schwaden auf. Sie tranken. Die Stimmung ließ nichts zu wünschen übrig. Als die meisten ihr zweites Glas Schnaps hinter sich hatten, fühlten sie sich so wohl, als ob sie schon einen ganzen Abend in dem Klub verbracht hätten. Mischa sang, und die Männer fielen ein. Dann brach die Musik ab. Im genau richtigen Augenblick hatte Dreamy ihren Auftritt. Die Männer klatschten Beifall. Sie schwebte in das Licht. Sie blendete sie. Tausende von Pailletten glitzerten auf ihrem knöchellangen Kleid. Das Kleid war bis weit unter die Taille rückenfrei, und auch vorn hatte man nicht viel mehr Stoff verbraucht. Zwischen den Brüsten klaffte es bis zum Nabel herunter weit offen. Sie verbeugte sich, dann sang sie. Dreamy beherrschte ihre Zuhörer geschickt und gekonnt. Zwischen den Liedern flirtete sie mit den Männern. Jeder Russe und jeder Amerikaner begehrte sie. Sie war wirklich eine Könnerin. Wenn sie die Männer aufforderte, mitzusingen, dann sangen sie. Wenn sie Schweigen gebot, atmeten sie kaum. Wenn sie zu singen auf-
hörte, klatschten sie. Öreamy ging zu Corrigan hinüber und zog ihn auf die kleine Tanzfläche. Wieder applaudierten die Männer. Sie zog Corrigan nah an sich heran und wiegte sich mit ihm zu Mischas Musik. In diesem Augenblick war der Major der am meisten beneidete Mann auf der Insel. »Komm«, sagte Victoria zu Albert, und Tanya und Worolokow schlössen sich ihnen an. Die Mädchen waren rücksichtslos fair. Kein Mann durfte mit ihnen länger als ein paar Minuten tanzen. Es gab keine Mauerblümchen. »Und jetzt«, rief Dreamy, als Mischas Musik schließlich abbrach, »bieten wir Ihnen das Vergnügen des Spielkasinos in unserem Klub. Der ehrbare Luigi Morelli, Chefcroupier von Dreamys Taucherbar, bittet Sie an den Roulettisch.« Mit ausladender Handbewegung zeigte sie in eine Ecke des Raumes. Morelli stand hinter einem langen Tisch, auf dem ein großer Bogen weißes Papier lag, das in numerierte Quadrate aufgeteilt worden war. In der Mitte des Tisches befand sich auf einem Dorn, der in einem Holzklotz steckte, eine Drehscheibe, und auf sie hatte man einen Zeiger gemalt. Wenn die Scheibe gedreht worden war, zeigte der Pfeil auf eine der Nummern, die darunter auf dem weißen Papier standen. »Bitte das Spiel zu machen, meine Herren«, rief Morelli. Die Männer kamen herüber. Bald stand eine dichte Menge rund um den Tisch. Gewiß war die Anlage ein wenig ungewöhnlich, aber man konnte daran spielen, und die Resultate waren eindeutig. Schnapspunkte wechselten ihren Besitzer. Dreamys Klub war ein Bombenerfolg. Sie tranken, sangen, spielten und tanzten. Die Männer erlaubten nicht, daß Tanya und Victoria sie an den Tischen bedienten. Sie wurden viel zu dringend als Tänzerinnen benötigt. Nur selten konnten sie sich für ein paar Sekunden hinsetzen, und sie hatten keine Möglichkeit, einen Tanz abzulehnen. Dreamy wechselte von einem Partner zum anderen, ganz gleich, ob er Russe oder Amerikaner war. Sie schmiegte sich an sie, kraulte ihnen das Haar und flüsterte ihnen in die Ohren. Sie grinsten, verdrehten die Aur gen und stritten sich gut gelaunt, wenn ein Tanz vorüber war. »Komm, tanz noch einmal mit mir«, sagte Tanya zu Worolokow. Sie griff nach unten und zog ihn auf die Füße. Er kippte den Drink hinunter, den er in der Hand hielt, und stellte die Tasse auf den Tisch; »Ich bin kein guter Tänzer.« »Komm tanzen«, bestand Tanya darauf. Sie ergriff seine Hände und schob sie um sich herum. Dann legte sie ihm ihre Arme um den Hals. »Gefällt dir unser Klub?« fragte sie.
»Du mußt heute sehr hart gearbeitet haben.« »Den ganzen Tag. Aber ich habe vor allem gearbeitet, damit es dir gefällt und weil du gesagt hast, daß du seit fünfundzwanzig Jahren nicht mehr in einem Nachtklub warst.« »Der war aber nicht so gut wie dieser«, sagte Worolokow. »Wie gefällt dir das, was ich angezogen habe?« Worolokow konnte auf Anhieb keine Antwort geben. Es fiel ihm schwer, das zu erklären. Er war eifersüchtig darauf, daß andere Männer genausoviel Vergnügen empfinden konnten, wenn sie dieses junge Mädchen ansahen. »Mir gefällt es«, sagte er schließlich. »Ich hatte Angst, daß du ärgerlich werden könntest«, sagte Tanya. »Mir ist es zu heiß hier. Laß uns für ein paar Minuten auf Deck gehen.« Sie schoben sich tanzend den kurzen Weg zur Tür, die Worolokow für sie öffnete. Dann stiegen sie den Niedergang hinauf und gingen nach vorn zum Bug. »Hier draußen ist es kühl«, sagte Tanya. »Aber angenehm.« Von unten hörten sie die lautstarken Gespräche, das Gelächter und die Musik. »Wie lange kennst du mich nun?« fragte Tanya. Sie blickte zum amerikanischen Lager hinüber und hinaus auf die glatte See. »Fast zwei Jahre.« »Und wie lange bin ich schon verlobt?« »Ich wußte nicht, daß du einen Verlobten hast.« »Hab ich auch nicht. Ich bin in der ganzen Zeit mit keinem Mann ausgegangen.« »Nein?« fragte Worolokow. Er fragte sich, worauf das hinauslief. »Du bist ein alter Trottel.« »Ich bin ein alter Trottel«, wiederholte Worolokow. »Muß ich denn fragen?« »Wieso fragen?« »Seit zwei Jahren bin ich mit keinem Mann ausgegangen, und du fragst dich nicht, warum. Hältst du mich für eine Lesbierin?« fragte sie. »Natürlich nicht. Ich dachte, daß deine Arbeit dich restlos ausfüllt.« »Worolokow«, sagte Tanya mit fester Stimme. »Kapitän Worolokow, ich habe einen Antrag zu machen.« »Tu das«, sagte Worolokow. »Ich mache dir einen Antrag, mich zu heiraten.« Worolokow verschlug es die Sprache. Tanya drehte sich herum, bis sie zu ihm aufblickte. »Ich möchte eine Antwort, Kapitän.« »Hast du auch daran gedacht, daß du sehr jung bist und ich sehr alt?« »Ich bin nicht sehr jung, und du bist nicht sehr alt.«
Er zog sie an sich und strich mit seiner rauhen Arbeitshand über ihre weiche Wange. »Bist du ganz sicher?« »Ja.« »Dann wird dein Antrag bewilligt.« »Da wäre noch ein Antrag, Kapitän.« »Um was geht es diesmal?« »Willst du mich nicht endlich küssen?« Als sie eine halbe Stunde später in den Nachtklub zurückkehrten, hatten sie den Eindruck, in ein Kellerlokal auf dem Montmartre zu kommen. Zekes Akkordeonund Mischas Klavierspiel hatten Pariser Schwung. Dreamy lehnte an einer Ecke des Klaviers, rauchte aus einer langen ebenholzschwarzen Zigarettenspitze und sang mit rauher Stimme eine alte Ballade. Sie blieben im Eingang stehen und hörten zu. Wie immer, wenn Dreamy sang, waren die Stimmen am Spieltisch verstummt. Morelli weigerte sich dann auch, Einsätze entgegenzunehmen. Tanya wartete, bis das Lied vorüber war und der Beifall der Männer versiegte. Dann klatschte sie in die Hände und ging mitten in den Raum. Zu spät begriff Worolokow, was jetzt bevorstand. »Kameraden«, sagte sie glücklich und errötete. »Ich habe etwas mitzuteilen. Kapitän Worolokow hat mich gebeten, seine Frau zu werden.« Die Amerikaner brachen in Beifall aus. Worolokow trat mit hochrotem Kopf an Tanyas Seite, legte den Arm um sie und verkündete mit fester Stimme: »Ich habe Tanya Suworowa heute abend gebeten, mich zu heiraten.« Und er wiederholte seinen Satz auf russisch. Diesmal klatschten beide Seiten Beifall. Victoria und Dreamy kamen herbeigerannt und küßten Tanya auf die Wangen. Und eine so günstige Gelegenheit wollten natürlich auch die Männer nicht verpassen. Sie drängten sich heran, küßten Tanya, küßten Dreamy, küßten Victoria. Die Russen küßten sogar Worolokow. Nicht so die Amerikaner — die schüttelten ihm nur die Hand. Worolokow war benommen. Er konnte noch nicht glauben, was geschehen war. »Wodka!« verlangte Uschakow. Dann erinnerte er sich. »Schnaps«, korrigierte er. »Wir trinken auf Ihr Glück!« »Ich sage den Trinkspruch«, rief Igor und schwenkte seinen Becher hoch in der Luft. »Bitte nein«, flehte Boris ihn an. »Das wird viel zu teuer. Wir haben nur noch diese Tassen.« Corrigan sprang auf und hielt seine Tasse hoch. »Auf den Kapitän und seinen Steuermann!« brüllte er. Sie alle tranken.
Victoria blickte zu ihrem Vater hinüber, der zusammen mit Albert und Collins in einer Ecke gesessen hatte. Auf dem Tisch standen drei leere Flaschen. Sie sah, wie in ihm eine Rede aufstieg. Er richtete seine Perükke und setzte eine bedeutsame Miene auf. Bevor er aber für die nächste Vorbereitung, das Räuspern, Zeit fand, hatte sie von Zekes Tisch eine Flasche ergriffen und das Glas ihres Vaters aufgefüllt. Die Gedanken seiner Rede wurden mit dem Schnaps die Kehle hinuntergespült. Vorher hatten die Männer getrunken, weil man das in einem Klub eben tut. Jetzt verbreitete sich das Gefühl, daß sie einen echten Grund zum Feiern hatten. Die Schnapspunkte wurden vergessen, und die Armee der Fruchtbrandyflaschen erlitt eine Niederlage. Für Rhodes war es ein angenehmer Gedanke, daß auch jetzt, während sie tranken, die Destillerie ihr tägliches Quantum leise in die Flaschen tröpfelte. »Tanzen Sie jetzt für uns, Dreamy«, rief Zeke. »Ja, ja. Dreamy, tanzen Sie für uns«, wiederholten die anderen. »Dreamy, tanzen, Dreamy, tanzen, Dreamy, tanzen.« Zu ihren Rufen klatschten sie in die Hände und stampften auf den Boden. »Okay, Jungs, okay.« Dreamy sprach mit Mischa, der zum Klavier hinüberging. Gemeinsam blätterten sie in Noten. »Ich bin in wenigen Minuten wieder da.« Die Männer setzten ihr Rufen und Stampfen fort, bis sie wieder erschien. Und plötzlich war es mucksmäuschenstill. Sie hatte ihr langes Paillettenkleid ausgezogen und trug nun ein fast durchsichtiges Spitzengewand. Dann wurde sie mit Pfiffen und Rufen willkommen geheißen. Auf ihr Zeichen hin schwiegen sie. Mischa begann zu spielen. Die Musik war einschmeichelnd und verführerisch. Dreamy tanzte. Die Männer sahen ihr zu. Aber erst als ihr langes Gewand zu Boden glitt, begriffen sie, was für ein Tanz das war. Sie wurde mit Zurufen ermutigt. Igor starrte mit offenem Mund. Rhodes richtete eilig wieder seine Perücke und nahm einen gewaltigen Schluck Schnaps, um sich zu beruhigen. Dreamy streckte den Arm langsam nach unten aus und tätschelte Hennessey die Wange. Sie setzte sich auf seinen Schoß und knibbelte sein Ohr. Dann hob sie eines ihrer schlanken Beine und rollte verführerisch den Strumpf herunter, den sie dann spielerisch um den Hals des farbigen Sergeanten wand. »Oh, Mann«, stöhnte der. Sie stand wieder auf, glitt zu Collins hinüber, stellte den Fuß auf sein Knie und schob den zweiten Strumpf am Bein herunter. Collins' Brille war plötzlich beschlagen. Er nahm sie ab und putzte sie wie ein Wilder am
Tischtuch. Als er sie wieder auf der Nase hatte, befand sie sich schon auf der anderen Seite des Raums und öffnete im Gehen hinten den Reißverschluß ihres schimmernden seidenen Mieders. Ganz langsam wand sie sich heraus. Sie trug jetzt nur noch Slip und Büstenhalter. »Weg damit«, sangen die Männer. »Weg damit!« Der Lärm war ohrenbetäubend. Und es war unmöglich, noch etwas von der Musik zu hören. Ihre Schultern bewegten sich schlangenhaft; sie öffnete den Verschluß. Mit einer geschmeidigen Bewegung schlüpfte sie aus dem Büstenhalter. Nur winzige Sterne bedeckten noch ihre Brüste. Der Lärm wurde noch lauter. Als auch die letzte Hülle gefallen war, setzte Morelli sein Leben aufs Spiel - und schaltete das Licht aus. Im Halbdunkel der verlöschenden Kerzen entkamen sie beide — Dreamy und Morelli. Dreamys Taucherbar war gewiß mit einem Galaabend eröffnet worden. Albert lag in seiner Koje und dachte an Viktoria. Seit der Nacht der russischen Party war er tatsächlich nicht mehr mit ihr allein gewesen. Und er hatte den schwarzen Verdacht, damals allerlei verdorben zu haben. Er war Millionär und nicht in der Lage, sein Geld auszugeben. Und er hatte eine durchaus willige Geliebte, an die er nicht herankam. Er fühlte sich auf dem Abstellgleis. Das Geld konnte warten, dachte er, aber sein Liebesleben nicht. Es mußte eine Lösung geben. Albert richtete sich auf und zündete eine Zigarette an. Er brauchte einen Plan. Er blickte zur anderen Seite der Kabine, wo Igor noch schlafend in seiner Koje lag. Unter ihm hörte er Sascha leise schnarchen. Es war unmöglich, Victoria hier hereinzuschmuggeln. Die gesamte Besatzung mußte durch diese Kabine, um zur Toilette zu gelangen. Im Zelt war auch nichts zu machen, weil Rhodes oder Collins sich dort ständig herumtrieben. Außerdem befand sich Dreamy jetzt in der benachbarten Schlafkabine. Die Höhle war der einzige Winkel auf der Insel gewesen, der eine gewisse Zuflucht geboten hatte. Aber seit sie zur Destillerie geworden war, wurde sie Tag und Nacht bewacht. Er hatte schon daran gedacht, mit ihr in einem Boot hinauszufahren, aber er wußte, daß die auf Sicherheit bedachten Marinesoldaten immer einen Posten mit Fernglas aufstellten, solange jemand zum Fischen draußen war. Er überlegte, sie zu entführen, entschied aber, daß es zu viele Hindernisse gab. Sie hatten keine Pässe und konnten also nicht ins Ausland gehen, und er konnte auch nicht ohne weiteres schnell sein Geld von der Züricher Bank abheben. Wahrscheinlich würde man ihnen nicht einmal erlauben, in Großbritannien an Land zu gehen, denn die Küstenwache wurde immer noch aufrecht-
erhalten. Und letzten Endes war er gar nicht so sicher, ob er heiraten wollte. Der Hummerauflauf des Mittagessens brachte ihn auf den rettenden Einfall. Ihm wurde schlecht davon, und er mußte sich übergeben. Er kniete auf dem steinigen Strand und spuckte in die See. Es wäre ihm lieber gewesen, wenn Victoria ihn allein gelassen hätte. Aber sie kam, setzte sich neben ihn und legte ihm den Arm um die Schulter. Sie war voller Mitgefühl. »Komm und leg dich eine Weile ins Zelt. Ich gehe Zeke holen.« Der riesige Koch aus Kentucky untersuchte ihn, als Albert schwitzend und unwohl auf Victorias Bett lag. »Du siehst wirklich krank aus«, sagte Zeke, »und flekkig. Wenn ich nicht wüßte, wer das Essen gekocht hat, würde ich meinen, daß du eine Nahrungsmittelvergiftung hast.« Die Idee war geboren. Albert erinnerte sich an eine Szene aus dem Film »Die Meuterei in Indien«, als eine ganze Garnison an der Cholera litt. »Nein«, log Albert. »Es liegt nicht an dem, was ich gegessen habe. »Ich hab' mich schon seit Tagen immer unwohler gefühlt. Ich war einmal Krankenpflegelehrling. Ich glaube, ich habe...« Er dachte schnell nach. Seine Idee wurde zu einem prächtigen Sprößling. »Ich glaube, ich habe die Jakobskrankheit. Das ist eine milde Form der Sommercholera. Sie ist nicht lebensgefährlich, und dauert nur ein paar Tage. Aber sie ist furchtbar ansteckend. Ich muß isoliert werden und ebenso jeder, der mit mir in engem Kontakt war.« Zeke trat einen Schritt zurück. »Ich auch?« fragte er. »Nein, der Kontakt war nicht eng genug.« »Wie behandelt man das?« »Nichts als Ruhe, Tag und Nacht kalte Kompressen auf die Stirn.« »Das mache ich gern«, sagte Zeke. »Nein, du könntest die Krankheit beim Kochen auf die anderen übertragen. Es ist besser, wenn es jemand macht, der bereits mit mir Kontakt hatte und sich nicht angesteckt hat. Der könnte immun sein.« Er machte eine Pause. »Vielleicht Victoria?« Er erinnerte sich an die Sterbeszene im »Heldenlied« und ließ seinen Kopf zur Seite rollen. Zugleich versuchte er die Augäpfel so zu verdrehen, daß viel Weißes zu sehen war. »Natürlich übernehme ich das«, hörte er Victoria sagen. »Ich werde zwischen Drahtzaun und Trawler ein Zelt aufstellen«, sagte Zeke. »Das ist die weiteste Entfernung von allen anderen, die es hier überhaupt gibt, dann frage ich die Flotte nach Verhaltensmaßregeln.«
Albert schreckte plötzlich wieder auf. »Nein«, sagte er. »Du brauchst keine Anweisungen. Ich weiß, wie ich behandelt werden muß. Wo ich zu Hause bin, ist die Krankheit gar nicht selten. Ich hatte sie schon früher — ein paarmal.« Zeke baute das Einmannzelt in einer kleinen Vertiefung zwischen den Felsen auf der russischen Seite des Zauns auf. Dann malte er ein Schild - Isolierstation — und heftete es an die Leinwand. Victoria richtete in dem Zelt ein Bett her, wickelte Albert dann vorsorglich in Schichten von Bettüchern und führte ihn hinüber. Im Zelt war es dunkel. Und sie waren allein. Albert lag auf dem Rücken und blickte zur knienden Victoria auf. Er war ein vorbildlicher Kranker. Er stöhnte. Sie preßte ein feuchtes Tuch auf seine Stirn. Er bedankte sich schwächlich. Er hielt ihre Hand und hustete schwindsüchtig. Er versuchte, Schaum auf die Lippen zu bringen, aber der war in der Dunkelheit nicht sichtbar genug. Sein Faseln im Delirium war viel überzeugender, dachte er. Er konnte Victorias Gesichtsausdruck nicht erkennen, aber er merkte an ihrer Stimme, daß sie besorgt war. Er fühlte sich schuldig und beschloß, seinen Zustand ein wenig besser werden zu lassen. Zeke brachte ihnen ihr Essen. Sandwiches für Victoria und eine Schüssel sorgsam zubereiteten Haferschleim für Albert, dessen Magen von dem Hummer noch leicht angeschlagen war. Als der Abend fortschritt, beschloß er, daß es jetzt an der Zeit wäre, Victoria die Wahrheit zu sagen, damit ihre erste gemeinsame Nacht beginnen konnte. »Mir geht es jetzt gut«, sagte Albert. »Ja, Liebling.« »Wirklich, ich bin völlig in Ordnung.« Er versuchte, sie zu sich herunterzuziehen. Sie sträubte sich, beugte sich aber zu ihm herüber und küßte ihn flüchtig. Das war alles. »Komm her«, sagte er. »Versuch nur zu schlafen, Liebling.« »Ich möchte nicht schlafen. Mir geht es gut«, wiederholte er. »Ich will dich.« Victoria griff nach einer feuchten Kompresse und hielt sie ihm auf die Stirn. »Sei ganz ruhig.« Albert schob den Lappen zur Seite. »Verdammt noch mal. Mir geht's wirklich gut. Wir sind endlich allein, warum können wir einander nicht haben?« »Du verschlimmerst deinen Zustand«, sagte Victoria. »Leg dich wieder hin und versuch auszuruhen. Du atmest zu schnell. Wenn ich dich allein lasse, wirst du dann brav sein? Ich will nur schnell meine Sachen für die Nacht holen und komme gleich wieder.«
Albert versprach es. Zumindest würde sie die Nacht mit ihm zusammen verbringen, und später gab es sicher noch genügend Gelegenheiten. Ein paar Minuten später kam sie in ihrem Bademantel zurück und brachte zwei Becher heißen Kakao mit. »Versuch dies zu trinken. Dann wirst du dich wohler fühlen.« Albert schluckte die Hälfte des Bechers hinunter. »Die Jakobskrankheit habe ich erfunden. Das ist der Bursche in der Bibel, der bis nach Ägypten mußte, um endlich zum Zuge zu kommen. Allmählich fühlte ich mich wie er.« Victoria lächelte. Albert spielte seine Trumpfkarte aus. »Ich liebe dich«, sagte er. Victoria küßte ihn. »Und ich liebe dich, mein Kleiner.« Er versuchte ihren Bademantel zu öffnen. »Nun sei ganz ruhig«, flüsterte sie. »Morgen wird es dir bestimmt wieder gutgehen. Zeke hat dir Schlaftabletten in den Becher getan.« »Nein! Oh, nein!« konnte er gerade noch stöhnen, bevor das Zelt sich zu drehen begann. Als Albert am nächsten Morgen erwachte, ging es ihm offensichtlich gut. Victoria lächelte glücklich, als er sich auf einen Ellbogen stützte, um den Tee zu trinken, den sie ihm gebracht hatte. Sein Plan war fehlgeschlagen, aber eigentlich konnte er ihr deswegen keinen Vorwurf machen. Und er konnte sich immerhin noch auf die nächste Nacht freuen. »Ich glaube, ich bin jetzt wieder ganz in Ordnung«, sagte Albert. »Du siehst sehr viel besser aus.« »Ich meinte, was ich gestern abend gesagt habe.« Er war von sich selbst überrascht. Er meinte es wirklich. »Ich liebe dich.« »Und ich meinte, was ich sagte.« Victoria küßte ihn. »Heute nacht werden wir allein sein«, sagte Albert. »Zum erstenmal wirklich allein.« Victoria küßte ihn von neuem. Die Männer waren schon früh zum Fischen hinausgefahren, und Hennesseys ungewöhnliche Beute erregte an diesem Morgen das Interesse. Er stand mitten in einer Menge, und sie blickten auf einen riesigen Engelhai, der wie ein Banjo aussah und den sie am Landungssteg auf die Felsen gezogen hatten. »Mein Gott, der muß mindestens hundert Pfund wiegen«, sagte Morelli, der an dem Ohrstöpsel seines Transistorradios lutschte. »Knöpf lieber die Hose zu, Makkaroni. Der lebt nämlich noch«, meinte Zeke, der die Zahnreihen begutachtete. »Was mach ich damit? Essen oder wegwerfen«, fragte Hennessey.
»Der ist nicht gut. Er schmeckt wie alte Lumpen«, erklärte Boris. »Den kann man nur wegwerfen oder vielleicht als Köder gebrauchen.« Ace erschlug den Fisch mit Igors Harpune. Die Männer schnitten ihn in Streifen und füllten ihre Ködereimer auf. Um die Mittagszeit war die Sonne zu heiß, sogar zum Fischen. Während der heißesten Stunden des Nachmittags lagen die Männer im Schatten der Raketenbasis oder wälzten sich wie schlanke Robben im Wasser am Rand des Felsens. Sie empfanden es als Erleichterung, als die Sonne tiefer sank. Die amerikanischen Marinesoldaten und die russischen Seeleute waren schon lange äußerlich nicht mehr zu unterscheiden. Sie waren gleich gekleidet, trugen meistens Badehosen oder irgendwelche bequemen Arbeitsanzüge und saßen in gemischten Gruppen herum. Sie lebten und schliefen, wo es ihnen gerade gefiel, die Russen im amerikanischen Lager, die Amerikaner im Schatten der DMITRI KIROW oder in den kühlen Kabinen unter Deck. Sie waren keine Russsen oder Amerikaner mehr - sie waren die Inselbewohner von Foul Rock. An diesem Abend entstand eine Krise. Irgend etwas war an der Destillerie nicht in Ordnung. Die Männer standen in der Höhle herum und hielten einen düsteren Lokaltermin ab. Während des Tages hatte die Destillerie noch getropft, zur Teezeit war es ein Tröpfeln geworden, und am frühen Abend kam gar nichts mehr aus dem Kupferrohr. »Die Temperatur ist zu niedrig«, erklärte Uschakow. »Irgend etwas ist mit der Gaszufuhr nicht in Ordnung.« Sie blickten unter dem beschlagenen Kupferkessel auf die Flamme. Sie schimmerte schwach blau und nur flach über dem Felsen. Uschakow hielt seine Hand hinein. »Nicht heiß genug, um die Maische zu kochen.« Die Hitze der Flamme schien in den letzten Wochen den Felsen rund um den Gasaustritt pulverisiert zu haben. Splitter waren in den Spalt hinuntergefallen. Ich glaube, daß die Gaszufuhr blockiert ist«, meinte Uschakow. »Vielleicht wird es schwierig, sie wieder zu reinigen.« »Könnten wir nicht einen Benzinkocher aufstellen?« fragte Hennessey. »Das müßte doch zu machen sein.« »Ja«, stimmte Worolokow zu. »Aber ich glaube, wir sollten erst versuchen, die Blockierung wieder freizubekommen. Wenn wir eine lange Stange hineinstekken, kann man den Stein vielleicht zur Seite schieben.« Sie montierten den schweren Boiler von seinem Gestell und schleppten ihn von der Gaszufuhr weg. Dann wur-
de die Flamme mit einem feuchten Sack zum Erlöschen gebracht. Es half aber nichts, mit langen Aluminiumrohren aus Rhodes' Zeltgerüst in das Loch hinunterzustoßen. Was immer die Zufuhr blockierte, steckte gut vier Meter tief fest an seinem Platz. Da sie auf diese Weise nicht hindurchstechen konnten, war im Augenblick nichts zu machen. »Wir brauchen wohl doch einen Benzinbrenner«, sagte Uschakow zu Hennessey. »Wie lange dauert es, bis Sie einen gebaut haben?« »Ich schätze, das läßt sich in ein paar Tagen schaffen«, sagte Hennessey. »Aber der Ärger ist, daß wir dann eine Masse Treibstoff brauchen, und allzu sicher ist die Sache auch nicht.« »Vielleicht sollten wir Treibholz benutzen.« meinte Corrigan. »Das ist ungefährlicher.« »Reicht aber nicht aus«, sagte Worolokow. »Wie auch immer, für heute ist es zu spät. Wir müssen es bis morgen auf sich beruhen lassen. Wenn uns im Nachtklub der Schnaps ausgeht, wird's schlecht.« »Heute abend werden wir wieder rationieren müssen«, sagte Corrigan. Mit traurigem Gesichtsausdruck stand Igor daneben und hörte zu. Plötzlich wurde seine Miene vergnügt. Er wußte, wie die Blockierung zu durchbrechen war. Er drehte sich um und eilte aus der Höhle. Für Albert wurde der Tag lang. »Sie haben Ärger mit der Destillerie«, erzählte ihm Victoria. »Die Gaszufuhr scheint unterbrochen zu sein. Sie wollen einen Benzinbrenner bauen. Heute abend werden wir wieder rationiert. Papa ist wütend. Er sagt, sie haben alles verschlampen lassen. Es wird ihm guttun, wenn er kurzgehalten wird.« »Ich hoffe, daß du nicht glaubst, daß es mir guttut, wenn ich kurzgehalten werde«, sagte Albert. »Ich dachte nicht, daß dir der Schnaps so viel bedeutet.« »Wer redet denn von Schnaps. Ich liebe dich. Komm ins Bett.« »Später, wenn alle drinnen sind.« Es dauerte nicht lange, bis das Hin und Her auf der Insel aufhörte, aber Albert schien es, als ob noch ein ganzer Tag dazwischenlag. Vom Schiff her konnten sie den Gesang im Nachtklub hören. Dreamy strippte nicht immer. »Nur bei besonderen Anlässen«, erklärte sie. Sie sang, und die Männer tranken. Sie rationierte sogar den Gesang, Boris und Zeke rationierten den Schnaps. Endlich hörten Albert und Victoria, wie die Männer die Strickleiter herunterkletterten und über die Felsen zu den Zelten stolperten. Nach einigen Gute-Nacht-Rufen und ein paar spöttischen Bemerkungen kehrte dann das Schweigen einer vom Wasser umgebenen Insel bei Nacht
ein - das leise Plätschern der Wellen und das Rascheln der Kiesel. Die Nacht war warm. Der Mond war nicht zu sehen, aber der Himmel war mit Sternen übersät. Albert öffnete den Eingang des Zelts über seinem Kopf und starrte hinauf. »Millionen um Millionen«, sagte er. »Denkst du an dein Geld?« »Nein, die Sterne meine ich. Komm und schau.« Victoria glitt neben ihn. Er zeigte hinauf. »Sieh, der Orion und das Siebengestirn.« »Und der Große Bär und der Polar...« Alberts Mund erstickte sie mitten im Satz. Er zog die Klappen des Zelts herunter. »Zieh dich aus«, flüsterte er. »Nein«, sagte Victoria. »Warum nicht?« »Weil ich will, daß du mich ausziehst.« Victoria zitterte. Albert strich ihr über die Wange. »Du weinst?« fragte er überrascht. »Ja, ein bißchen. Weil ich dich will.« Victorias Körper pochte. Sie spürte wie das Blut durch die Adern und Schläfen schoß. Ihr Körper fühlte sich ausgeliefert, obgleich sie noch immer angezogen war. »Zieh mich aus.« Eine schlanke, dunkle Gestalt stürzte vom Trawler herunter auf die unbewachte Schnapshöhle zu. Leichtfüßig lief sie über die Felsen und um die mit Seetang behangenen dunklen Tümpel herum. Einen Augenblick stand sie oberhalb der Höhle, sah sich um und verschwand dann von der Bildfläche. Igor zog den Vorhang am Eingang zur Seite. Wie er es gehofft hatte, war die Höhle unbewacht. Das Licht, das am Generator des Trawlers angeschlossen war, ließ seinen Umriß um so dunkler erscheinen, als er im Eingang stand. Er ging hinein. Er stand eine Weile da und blickte auf die blockierte Felsspalte hinunter. Dann zog er eine leere Coca-ColaDose aus der einen Tasche und aus der anderen eine Sprengpatrone und eine Rolle Angelschnur. Mit seinem Messer bohrte er ein Loch in den Boden der Dose, fädelte die Schnur hindurch und verknotete sie innen. Bald darauf schob er die Patrone mit großer Sorgfalt in die Dose, so daß die Seiten den Abzug berührten. Er zog die Sicherung heraus. Ganz langsam ließ er die scharfe Bombe durch den Felsspalt hinunter. Der Druck des mit einer Feder versehenen Abzugs gegen das Blech der Dose mußte die Patrone an ihrem Platz halten. Etwas rutschte ein wenig. Igor schloß die Augen. Aber sie hielt. Er wischte sich mit der Hand über die Stirn und ließ das Gewicht dann weiter herunter, bis er spürte, daß es auf das Hindernis traf.
»Mein Geliebter«, hauchte Victoria. Alberts Körper drängte sich brennend heiß gegen den ihren. Igor zog sich aus der Höhle zurück und ließ die Schnur im Gehen abrollen. Nur ein paar Meter seitlich vom Eingang entfernt, blieb er stehen. Dann zog er plötzlich an der Schnur und schlug die Hände über die Ohren. Nichts geschah. Er wartete einen" Augenblick. Dann riß er noch ruckartiger an der Schnur. Diesmal kam die Dose aus der Höhle gesprungen - leer. Sekundenlang blieb es still. Dann ging für Igor die Welt unter. »Jetzt, Liebling, jetzt.« Victorias Stimme drängte. Da sah sie einen hellen, orangeroten Lichtblitz. Der Boden bebte. »Albert«, stöhnte sie. Das Zelt verschwand. Sie sah die Sterne über ihnen. Und dann folgte eine berstende Explosion. Eine Kathedrale von Flammen sprang mit dem Gebrüll von tausend platzenden Kampflokomotiven in den Himmel. Albert fuhr plötzlich auf und sackte wieder zusammen. Etwas Warmes und Klebriges tropfte von seinem Kopf auf Victorias Gesicht. Es lief zu ihren Lippen herunter und war salzig. Sie spuckte. Es war Blut. Voller Panik schob sie Albert zur Seite. Er plumpste auf die Matratze. Die aufschießende Flamme erhellte die Insel wie eine Riesenfackel. Sie sah, daß das Blut aus einem langen Schnitt auf seiner einen Gesichtshälfte gepumpt wurde. »Papa!« schrie sie. Die Insel war erwacht. Sie schlang ein Bettlaken wie eine Toga um sich. Rhodes stand neben ihr. Er verlor keine Zeit. Nüchtern und sicher tastete er nach der Ader, um die Blutstöße zum Versiegen zu bringen. Dann riß er einen Streifen Bettuch ab und machte Albert einen Preßverband. »Holt Zeke«, befahl er. Victoria lief auf eine Gruppe Marinesoldaten zu, die zu den Flammen hinaufblickten. »Sammeln. Sammeln.« Auf die Rufe des Majors rannten die GIs zum Kasernenhof. »Namensappell!« brüllte der Major. »Sofort feststellen, ob alles da ist.« Hennessey gehorchte. »Bis auf Zeke sind alle anwesend, Sir. Er hat dort drüben einen Verwundeten zu verpflegen.« Hennessey zeigte dorthin, wo Alberts Einmannzelt gestanden hatte. Die Russen sammelten sich vor dem Schiffsrumpf des Trawlers. In der eigenartigen Beleuchtung sah er rotglühend aus. Worolokow kam herübergerannt. »Igor fehlt uns«, rief er Corrigan zu. »Ist er bei Ihnen?« »Nein. Hennessey, nehmen Sie Morelli mit und sehen Sie, ob Sie Igor finden.« »Jawohl, Sir.« Der farbige Hauptfeldwebel packte Morelli am Arm und verschwand mit ihm hinter den Zelten. »Was ist passiert?« fragte Worolokow.
»Keine Ahnung«, antwortete der Major. »Es sieht so aus, als ob wir einen Vulkan vor der Nase hätten. Können wir etwas dagegen tun?« »Das bezweifle ich. Wir kommen nicht nah genug heran, um etwas zu unternehmen.« Während sie noch sprachen, folgte eine weitere Explosion. Ein großes Stück der Insel löste sich ab und glitt in die See. Die Männer duckten sich, als kleinere Stücke auf die Felsen prasselten. Ein Windstoß brennend heißer Luft ließ Hennesseys schwarzes Kraushaar vorne schmoren, als er und Morelli um die Ecke der Messe kamen. Er bedeckte die Augen mit den Händen und zog sich schnell in den Schutz zurück. »Alles in Ordnung, Sergeant?« Morelli schrie, um sich in dem brüllenden Getöse verständlich zu machen. »Ja. Siehst du ihn irgendwo?« Hennessey rieb mit der Hand über die Stirn und die kurzen Borsten, wo er jetzt kahlgebrannt war. Vorsichtig blickte Morelli um die Ecke des Gebäudes. »Ich glaub, er ist da unten. Es sieht so aus, als ob jemand in dem Tümpel neben der Höhle liegt. Vielleicht ist er tot.« »Wir holen ihn.« »Wir müssen durch die Flammen. Die werden uns braten.« Ihre Trommelfelle dröhnten vom Grollen unterirdischer Erschütterungen. »Wir schwimmen herum«, rief Hennessey und zeigte zum Strand. Sie liefen zum Wasser hinunter und wateten hinaus, bis sie sich hinter die Wellen ducken konnten. Der Unterschied zwischen der irrsinnigen Hitze und dem kalten Wasser brachte sie zum Keuchen. Sie stolperten und schwammen durch das hüfttiefe Wasser und kamen bis auf wenige Meter an den Flammenherd und Igors regungslosen Körper heran. Er lag in einem kleinen Felstümpel, den Kopf auf einem Büschel Seetang. Seine Kleider schmorten. Hennessey rief wieder. Morelli sah, wie sich Igors Mund bewegte. Sie konnten ihn nicht hören. Der Sergeant stolperte aus dem Wasser und sprang auf Igor zu. Morelli folgte. Die Hitze versengte sie. Sie tauchten neben Igor in den Tümpel. Hennessey zeigte zur See zurück. Sie packten den jungen Kosaken an Armen und Beinen und schleppten ihn mit sich. Die Druckwelle einer weiteren Explosion warf sie die letzten paar Meter ins Wasser. Morelli torkelte. Seine Hände sanken. Er blickte auf sie herunter - die Haut war verschwunden. Mit weit « aufgerissenen Augen starrte er Hennessey an, als der bullige Sergeant den bewußtlosen Russen packte. Hennesseys Gesicht enthäutete sich sichtbar.
Er winkte mit dem Arm von den Flammen fort, und die beiden Soldaten tauchten ins Wasser und zogen Igor mit. »Sie haben Igor«, rief Suki. Zwei geschwärzte Gestalten taumelten über die dampfenden Felsen und zogen einen schlaffen Körper. »Sie sind verletzt.« Corrigan und seine Männer rannten auf sie zu. Dem Major verschlug es den Atem, als er die versengten GeMchter und Hände seiner beiden Männer sah. »Bringt sie auf die andere Seite der Insel«, rief er Suki zu. »Und holt Zeke, wenn er frei ist. Sie müssen dringend versorgt werden.« Und wieder ertönte eine Explosion. »Ace, werfen Sie diese Raketen ins Wasser«, rief Corrigan. »Und dann alles bereitmachen, um das Schiff zu verlassen!« Corrigan rannte zu Hennessey und Morelli. Er packte Igors Beine und hob ihn vom Boden. »Boote zu Wasser lassen«, brüllte er zu Ace hinüber. »Achten Sie darauf, daß keiner fehlt. Und vergessen Sie die Tommies nicht. Worolokow, bringen Sie Ihre Männer auch lieber aufs Wasser.« Der Major hob sich Igor auf die Schulter und rannte mit ihm, so schnell er konnte, über die Felsen zu den Booten. Aus dem dichten Rauch erschien Uschakow und hielt seinen Arm als Schutz vor den fallenden Steinen über den Kopf. »Corrigan, Corrigan.« Er klammerte sich an den Arm des Majors. »Haben Sie Funkverbindung mit der Flotte?« Der Major sah sich nach Clancy um, der sich über dem Apparat abmühte. »Tut mir leid. Nichts zu machen, Sir.« »Schnell, die Wellenlänge. Wir müssen's ihnen sagen. Kein Krieg.« Der Wissenschaftler war aufgeregt. »Was soll das heißen?« »Die sowjetische Flotte glaubte, daß Sie uns angreifen und die Insel sprengen. Wir haben ihr erklärt, daß es nur eine natürliche Explosion ist. Sie greift jetzt nicht an. Aber Ihre Leute müssen gewarnt werden.« »Lassen Sie mich an Ihr Funkgerät«, keuchte Corrigan. »Clancy, kommen Sie mit.« Die drei Männer rannten zu dem Trawler zurück. Minuten später, als die Insel grollte und zitterte, hasteten Corrigan und Clancy Paradise an den Strand. »Alles in den Booten, Sir«, meldete Hennessey. Er sprach mit zusammengebissenen Zähnen; seine Lippen waren geplatzt und bluteten. »Alle anwesend und in Ordnung. Auch zwei von den Russen. Boris und Igor. Igor ist noch nicht wieder zu sich gekommen. Verbrennungen, ein Arm und vielleicht ein paar Rippen gebrochen. Albert hat eine üble Kopfwunde, ist aber gut versorgt.«
»Ablegen!« rief Corrigan. Sein Befehl ging beinahe in einer neuen Explosion unter, die ein weiteres großes Stück von der Insel abbröckeln ließ. Foul Rock zitterte und wurde so geschüttelt, daß von der Insel kleine Flutwellen; ausgingen, die die Boote zum kentern zu bringen drohten. »Ablegen. Ins offene Wasser und zusammenbleiben.« Die Außenbordmotoren sprangen an. Bei dem Lärm der Flammen waren sie kaum zu hören. Die Boote fuhren hinaus. Über dem Wasser lag ein rötlicher Schimmer, und das Licht war hell genug, um erkennen zu können, daß auch die Russen sicher aus dem Regen von Felsstükken herauskamen. Albert spürte nichts von seiner Verletzung, obgleich er halb bei Bewußtsein war, als Zeke ihn bearbeitete. Er beobachtete die hinaufjagenden Flammen und spürte, wie Felsen als feiner Staub auf sein Gesicht und seine Schulter fiel. Er erinnerte sich an »Die letzten Tage von Pompeji«. Als schweigsamer, tapferer, römischer Soldat hielt er es bis zuletzt auf seinem Posten aus. Die Lava kroch näher. Ein Blizzard glühender Asche fegte durch die Säulenportale und häufte sie um seine Knöchel. Er würde lebendig begraben werden. Es verschaffte ihm einige Genugtuung, zu wissen, daß man ihn einst ausgraben würde, .. und er unsterblich würde — in einem Bild, einem fluch und in einem Film» Eine halbe Meile von der kleiner werdenden Insel entfernt, kamen die amerikanischen und die russichen Boote nah zueinander. »Erstaunlich«, rief Worolokow. »So etwas hab' ich noch nie gesehen. Was ist geschehen?« »Vielleicht ein Gasstau unter den Felsen. Und dann eine Art Vulkanausbruch, möchte ich annehmen.« »Sind Ihre Kameraden gesund?« »Vier Verletzte«, antwortete Corrigan. »Igor und Albort sind angeschlagen, aber nicht sehr ernst. Igor hat einen Arm und Rippen gebrochen, Albert hat eine Gehirnerschütterung. Hennessey und Morelli haben Verbrennungen. Die Flotte muß morgen hier sein. Dreamy versorgt Igor mit Erster Hilfe. Ist der Rest der Besatzung bei Ihnen in Ordnung?« »Alle Männer und der Hund gerettet.« Im Bug des zweiten Bootes flüsterten Zeke und Boris. »Ich denke an unsere Idee mit dem Restaurant. In einem Monat läuft meine Dienstzeit ab. Und um mich noch einmal zu verpflichten, bin ich zu alt. Ich bekomme eine ziemlich gute Pension. Was hältst du davon?« »Ehrlich?« fragte Boris. »Klar«, sagte Zeke kurz angebunden. »Ich schätze, wir können einen guten Laden aufziehen. Wir arbeiten auf Halbpart. Soll ich fragen?« »Was ist mit Igor? Er ist wie mein Sohn.«
»Igor auch.« »Ja, frag bitte.« »Herr Major«, rief Zeke. »Es ist wichtig, können wir längsseits kommen?« Sie steuerten das Boot heran, bis es Bord an Bord mit dem des Majors lag. »Boris und Igor möchten bei uns bleiben.« Er erklärte ihr Vorhaben. Corrigan rieb sein Kinn. »Haben Sie das gehört, Worolokow?« rief er zum russischen Boot hinüber. »Boris und Zeke wollen in Frankreich ein Restaurant eröffnen.« »Wir hören es.« »Was halten Sie davon? Sind Sie einverstanden?« »Einverstanden mit was?« fragte Worolokow. »Daß Boris und Igor bei Zeke bleiben?« »Wir trauern um Boris und Igor«, sagte Worokolow ernsthaft. Er blickte in die Runde seiner Besatzung. »Sie starben als Helden, als die Insel in die Luft flog. Das ist sehr traurig. Wenn sie aber davongekommen sind, wünschen wir ihnen viel Glück und Erfolg.« Worolokow stand da, hatte seinen Arm um Tanyas Schulter gelegt und lächelte zu den Amerikanern hinüber. Eine Reihe krachender Eruptionen hinter ihnen ließ sie zur Insel zurückblicken. Es war von ihr nur noch wenig übriggeblieben. Im Widerschein der Feuersäule schimmerte der Schiffsrumpf der DMITRI KIROW golden wie ein Totenschiff. Sie beobachteten, wie der Bug scharf nach oben gehoben wurde. Dann folgte noch eine Explosion. Wie bei einem Stapellauf glitt der Trawler ins Wasser. Für einen Augenblick sah er aus, als ob er schwimmen würde. Dann versank er mit dem Heck voran in den Wellen. In einer letzten Explosion flog der Rest der Insel in die Luft. Man hörte noch das laute Blubbern des Gases, dann war es still. Die Flammen erloschen. Es war eine dunkle Nacht. Für eine ganze Weile sprach keiner von ihnen. »Wie werden Sie nach Hause kommen?« rief Corrigan über den sich vergrößernden Abstand zum russischen Boot hinüber. »Wir sind Fischer«, kam die Antwort Uschakows. »Wir halten durch, bis das Versorgungsschiff uns findet.« Die Boote trieben weiter auseinander. Albert lehnte mit dem Rücken an der harten Ruderbank des Bootes, sein Kopf lag in Victorias Schoß. Ohne jede Bemerkung hatte er zugesehen, wie sein Königreich unterging. Jetzt setzte er sich auf und rief den Russen zu: »Viel Glück, Kapitän Worolokow. Und Dank.« Die Antwort des Russen ging in einem Streit zwischen Boris und Zeke unter. »Wir nennen es Old Kentucky.« »Njet. Das Moskauer Restaurant.« »Das Moskauer Kentucky«, schlug Zeke vor.
»Ja«, sagte Boris. »Das Moskauer Kentucky ist gut. Und wir werden einen großartigen Borschtsch mit Mais und Ketchup servieren.« »Und abends wird Igor eine Tanzeinlage für die Leute geben«, sagte eine schwache Stimme auf dem Boden des Boots. »Das bringt fast alle in Stimmung.« »Dann geht deine Pension für Geschirr drauf«, sagte Morelli, und die beiden Bootsbesatzungen lachten. »Von meiner Insel ist nicht mehr viel geblieben«, meinte Albert mit trauriger Stimme. »Nur drei Millionen Pfund«, erinnerte ihn Gin Jim Rhodes. »Und dieser hier«, sagte Victoria. »Der hat dich außer Gefecht gesetzt.« Sie reichte ihm ein scharfkantiges Stück Kalkstein das einzige Überbleibsel der Insel, die Onkel Alf beim Pokern Fatty Hagan abgenommen hatte.