Undines Rache
Sinclair Crew John Sinclair TB Nr. 149 von Jason Dark, erschienen am 31.08.1993, Titelbild: Julie M. Bel...
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Undines Rache
Sinclair Crew John Sinclair TB Nr. 149 von Jason Dark, erschienen am 31.08.1993, Titelbild: Julie M. Bell
Es gibt Legenden, Sagen, Märchen, und sogar eine Oper über sie. Zu Gesicht bekommen, hatten sie die wenigsten Menschen. Viele träumten von ihrer Schönheit und ihrem Reich unter Wasser. Der Name Undine war Sehnsucht und Liebeserklärung zugleich. Doch Menschen haben Fehler. Menschen sind gierig. Menschen wollen einfach alles. Auch Undine wollten sie, und die Jagd auf sie wurde eröffnet. Mein Freund Bill Conolly nahm die Spur der Jäger auf, die sich Freunde des Wassers nannten. In Irland stellten wir sie. Sie waren bereits eingedrungen in das Reich der Undine und hatten getötet. Drei Dinge standen dagegen: Die Magie der Natur, wir und Undines Rache...
»Runter mit dem Kopf!« schrie Bill Conolly, und er hatte mir die Warnung im allerletzten Augenblick gegeben. Ich duckte mich nicht nur, ich lag flach und spürte unter mir die harten Planken des Schlauchboots, das urplötzlich einen irrsinnigen Drive bekam und wie vom Katapult geschleudert dahinschoß. Ich lag mit dem Kopf zum Bug hin gerichtet. Der hob plötzlich ab, Wasser schoß als funkelnder Gischtstrom über die wulstige Bordwand hinweg, klatschte nicht nur in mein Gesicht, sondern lief in zitternden Bächen auch an der regendichten Kleidung entlang. Das Ducken selbst hatte mit dem Wasser nicht viel zu tun gehabt. Mehr mit den tiefhängenden Zweigen der Bäume, die wie böse, starre und auch starke Arme nach uns griffen. Fast hautnah jagte das Schlauchboot unter den Ästen hinweg, auf einem schäumenden, gurgelnden und schmatzenden Wasserlauf, der es mit seiner ungeheuren Kraft mitriß. Dagegen kämpften Menschen- und Motorkraft vergebens an, und so waren wir gezwungen, uns den Fluten zu ergeben. Für manche Menschen mochte so etwas ja toll ein, vor allen Dingen für gewisse Abenteurer-Urlauber, doch an diesem kalten Vorfrühlingstag hätte ich mich lieber in einem warmen Bett wiedergefunden, als durch diesen engen Wasserkanal zu rasen, tief im Herzen der Republik Irland. Nach einer gewissen Zeit – ich lag noch immer – drehte ich zum erstenmal den Kopf. Ich schaute dabei in die Höhe, ohne jedoch viel erkennen zu können. Die Zweige und Äste bildeten zusammen mit dem nicht eben blauen Himmel einen einzigen, vorbeihuschenden Mischmasch, nur ab und zu unterbrochen von einigen hellen Flecken, deren Bedeutung ich mir aussuchen konnte. Ich zog die Beine an. Dabei stießen meine Knie gegen das Gepäck, das gut vertäut mit uns auf die Reise gegangen war. Dann entdeckte ich meinen Freund Bill. Er hockte am Heck. Ebenfalls in nasser Kleidung, doch auf seinem Gesicht lag ein schon impertinentes Grinsen. Wahrscheinlich freute er sich über meinen Arger. Jetzt winkte er mir sogar zu und rief gegen das Tosen des Wassers an. »Macht doch Spaß, nicht?« »Soll ich lachen?« »Ich hatte dich gewarnt. Der Trip wird keine Spazierfahrt. Man hat mir genug davon berichtet.« »Wie schön. Manche Menschen lügen ja auch.« »Nicht meine Bekannte.« »Schöne Bekannte hast du«, beschwerte ich mich, wollte noch mehr sagen, aber das Boot sackte plötzlich nach unten weg wie ein schwerer Stein. Im nächsten Augenblick bekam ich es knüppeldick. Eine Woge schwappte über. Ich hatte meinen Kopf zufällig gedreht und glaubte, in
eine gebogene Glaswand zu schauen, bis mich die Gischt mit einem gewaltigen Schwall überflutete. Sie riß mir die nur locker aufgesetzte Kapuze vom Kopf. Im Nu waren die Haare klatschnaß. Das Boot hatte sich wieder gefangen, Bill ebenfalls, er lachte, nur ich war wütend. Im Hochsommer hätte ich mich über die Abkühlung gefreut, nicht aber zu dieser Jahreszeit, wo der Winter nicht wußte, ob er nun bleiben oder sich verabschieden sollte. Wieder wurde das Boot schnell, machte beinahe einen Satz nach vorn. Die Wassermassen umgurgelten und umschäumten uns. Es hörte sich an, als wären unzählige Dämonen dabei, ihr unseliges Leben durch letzte, rasselnde Atemzüge auszuhauchen. Wir kippten nicht mehr, wir blieben auf einer relativ glatten Fläche, das Wasser wirbelte auch nicht mehr so schnell. Es floß ruhiger, nur traute ich dem Frieden nicht. »Jetzt fehlt nur noch ein Wasserfall, und das Abenteuer ist perfekt.« »Den haben wir hinter uns«, lachte Bill. »Wieso?« »Wir kippten hinein. Wie auf einer Wildwasserbahn in einem Freizeitpark.« »Wie schön. Wo ist der Ausgang?« »Schau dich um, John. Du hast die freie Auswahl.« Ich warf Bill, als ich mich aufrichtete, einen meiner messerscharfen und tödlichen Blicke zu. In den folgenden Sekunden blickte ich mich um und mußte eingestehen, daß mein Freund recht behalten hatte. Welch eine Landschaft! Ich atmete tief durch, als ich auf die Flußmündung schaute. Dunkelgrün schimmerte das Wasser im Sonnenlicht. Ein See, nicht so groß, auch nicht zu klein. Ufer, die dicht bewachsen waren. Das war schon ein kleines Paradies am Wasser und schien von den Menschen noch nicht entdeckt worden zu sein. Der See breitete sich wie ein großes Auge aus. Im Hintergrund erhoben sich als dunkle, zackige Schatten die Berge, über denen ein rauchfarbener Himmel lag, von zarten Wolkenschleiern durchzogen. All dies machte das Bild des Paradieses nur um so perfekter. »Na, was sagst du?« Ich schaute zur Seite. Bill hatte es sich bequem gemacht. Noch brauchte er den Außenborder nicht anzustellen, die Strömung reichte aus, um uns auf den See zu schieben. »Toll, wie im Paradies.« »Das ist es auch.« »Ja.« Ich lachte, und das klang nicht gut. »Nur kann ich mir nicht vorstellen, daß du ausgerechnet mich in ein Paradies geführt hast, nicht du, mein Freund.«
»Stimmt auffallend. Du hast ja die Fotos gesehen.« »Sie können auch lügen.« »Glaube ich nicht.« Ich holte ein Tuch aus meiner Jeanstasche und wischte die Nässe aus dem Gesicht. Anschließend konnte ich das Tuch auswringen, so naß war es geworden. Wir glitten noch immer über das Wasser hinweg, das sich in eine ruhige Fläche verwandelt hatte. Dicht unter der Oberfläche schwammen Algen, vermischt mit Wassermoos und Laub. Aus südlicher Richtung blitzten einige Sonnenstrahlen auf und verfingen sich auf der Oberfläche. Wo sie das Wasser trafen, sah es aus wie mit Gold gepudert. »Wo liegt das Hotel?« fragte ich. »Du kannst es nicht sehen. Ziemlich tief im Wald. Aber wir werden noch unseren Spaß bekommen«, erklärte Bill. Das Lächeln war aus seinem Gesicht verschwunden. Seine Augen zeigten eine für ihn ungewöhnliche Härte, die Bilder hatten ihn geschockt. Wir wußten nicht viel. In dieser einsamen Gegend war etwas passiert, das es eigentlich nicht geben durfte, das einer Weltsensation gleichkam, vorausgesetzt, man wußte nichts von der Existenz des Landes Aibon. Aber wer war darüber schon informiert? Bill und ich gehörten dazu. Wenn alles stimmte, was wir uns ausmalten, dann konnten wir den Beweis dafür finden, daß Legenden und Märchen oftmals der Wahrheit entsprachen. Unser Boot glitt noch immer dahin. Nur wesentlich langsamer, höchstens im Schrittempo. Ich nickte Bill zu. »Wenn dieses Hotel im Wald und in der Nähe des Sees liegt, dann hätten wir auch mit dem Wagen hinfahren können.« »Hätten wir.« »Und warum haben wir es dann nicht getan?« »Sagte ich es dir nicht bereits?« »Kann sein.« »Noch mal, John. Es ist ausgebucht.« »Wie schön für den Besitzer. Ausgerechnet um diese nicht gerade warme Jahreszeit.« »Man will eben unter sich sein.« »Wer denn?« »Die Freunde des Wassers. So nennen sie sich schließlich. Die Vollkommenen möchten sie gerne werden. Eins sein mit der Natur, und dann nehmen sie gewisse Dinge in Kauf.« Genau das war der Punkt oder das Problem. Über die gewissen Dinge wollten wir mehr erfahren. Bisher hatten sich nur Gerüchte ausgebreitet, was die Ernährung dieser Naturfreunde anging, und diese Gerüchte hatten mich nicht eben froh werden lassen. Bill Conolly erging es nicht
anders. Auf die erste Begegnung mit den Freunden des Wassers war ich wirklich gespannt. Noch war alles so, wie man es sich vorstellt. Postkarten-Idylle, die wundersame Einsamkeit, wo die Seele des Menschen einfach durchhängen konnte und sich niemand daran störte. Auch ich hatte die hastige Fahrt des Stroms und den Wasserfall hinunter schon beinahe vergessen und gönnte meinen Augen den Genuß der wunderschönen Landschaft, die einfach unberührt aussah, so daß der Vergleich mit dem Paradies wirklich nicht abwegig war. Wenn Bill jetzt den Außenborder anwarf, würde das sehr stören, dachte ich. Bill tat es nicht. Statt dessen löste er zwei Paddel aus der Vertäuung, ein Piff durch die Zähne erregte meine Aufmerksamkeit, und als ich mich drehte, drückte er mir ein Paddel in die Hand. »Recht so, John?« »Sehr sogar.« »Dann leg mal den Riemen auf die Orgel. Wenn du ins Schwitzen gerätst, trocknest du schneller.« »Danke für den Rat. Ich fragte mich nur, wohin wir paddeln sollen.« Ich bewegte meinen Arm im Halbkreis. »Der See ist ziemlich groß. Wir können es uns aussuchen.« Bill Conolly deutete mit dem Daumen nach steuerbord. »Wir paddeln nach rechts, falls dir dieser Begriff geläufiger ist.« Ich verzog die Mundwinkel. »Der entgegengesetzte gefällt mir ehrlich gesagt besser.« »Das kannst du halten, wie du willst. Wir müssen jedenfalls in diese Richtung.« »Okay, du bist der Chef.« Bill seufzte. »Wenn das meine Frau doch auch mal sagen würde, wäre ich richtig happy.« »Ich kann es ihr mal vorschlagen.« »Leider wird sie auf dich nicht hören.« Unsere lockere Unterhaltung schlief ein, denn wir konzentrierten uns auf das Paddeln, und wir bewegten uns dabei wirklich nicht langsam, sondern zogen die Paddel immer kräftig durch. Da wir relativ schnell wurden, rückte das Ufer rasch näher. Hatte ich es beim ersten Hinsehen nur als grüngraue Wand eingestuft, so schälten sich jetzt Einzelheiten hervor. Die Bäume wuchsen dicht bis an das Wasser heran, umgeben von dichtem Gestrüpp, Schilf und auch Gras. Eine Chance, dort normal an Land zu gehen, entdeckte ich nicht. Und auch das seltsame Hotel, von dem Bill gesprochen hatte, war nicht zu sehen. Kein Dach schimmerte durch das Grün der Bäume. Durch meine Arbeit hatte ich im Laufe der Zeit einen Sinn für Gefahren entwickelt. Bei dieser Fahrt versuchte ich, diesen Sinn zu testen und mich zu konzenfrieren. Manchmal ist eine Gefahr zu ahnen, zu spüren.
Sie weht dann heran, kitzelt die Sinne. In diesem Fall blieb ich davon unberührt. Aber nur davon! Etwas anderes umgab mich. Zuerst wußte ich nicht, wie ich es beschreiben sollte. War es ein Zauber, ein Flair? Ich tauchte immer wieder mein Paddel ein, lauschte dem leisen Klatschen des Wassers. Tropfen wirbelten hoch. Sie funkelten im Sonnenlicht wie Glas. In der Ferne lag ein leichter Dunst über dem Wasser, als würde sich in ihm eine geheimnisvolle Insel verstecken. Ansonsten bildete das Sonnenlicht ein helles Dach, es blendete mich. An manchen Stellen schimmerte das Wasser des Sees sehr hell, an anderen wiederum war es tiefgrün und geheimnisvoll. Ein Gewässer, das durchaus Rätsel in seiner Tiefe hütete. Es paßte in diese märchenhaft und unberührt wirkende Landschaft, die einfach vergessen schien. Sie paßte auch zu dem, was wir vorhatten. Denn sollte sich unser Verdacht erhärten, gab es hier in dieser märchenhaften Gegend eine Verbindung zu einem ebenso märchenhaften Land – Aibon nämlich. Ich war gespannt, ob wir den Fangplatz erreichten und dort das Unwahrscheinliche sahen. Das Wasser kräuselte sich an der Oberfläche nur leicht. Es wehte kaum Wind. Deshalb auch die Stille. Die Luft spannte sich wie ein weicher Bogen, und es wurde wärmer. Hier kam der Frühling schon ziemlich früh, die Sonne meinte es gut, die Luft roch frisch, und unser Boot schien über dem Wasser zu schweben. Eine Fahrt ins Paradies. Ich lächelte, als ich daran dachte, und das Lächeln verging mir, als mir klar wurde, wie leicht so ein Paradies auch zur Hölle werden konnte. Im Bereich des Ufers nahm das Wasser eine dunklere Tönung an. Hier hatten sich Moos, Algen und Tang zu dunklen Schleiern vermischt, die an unserem Boot vorbeitrieben. Als ich auf die Fläche des Paddels schaute, hatte das Holz einen grünen Schimmer bekommen. Mächtige Bäume gerieten in mein Blickfeld. Sie waren alt, und auch hier galten die Gesetze des Stärkeren. Wer es von den Bäumen nicht geschafft hatte, sich auszubreiten, wurde unterdrückt, bekam nicht mehr genug Licht und starb irgendwann ab. Manchmal waren sie auch zusammengebrochen oder lagen quer. Wir tauchten die Blätter nur ab und zu ein, ansonsten kümmerten wir uns mehr um einen Anlegeplatz. Irgendwann mußte sich doch mal eine Lücke auftun. Ich schaute auf die treibenden Blätter, die kleinen Zweige und Äste, während ich Bill fragte: »Hattest du nicht etwas von einem Steg gesagt, mein Lieber?« »Das hatte ich.«
»Wo finden wir den?« »Kann ich dir nicht sagen.« »Dann müssen wir weiterpaddeln und suchen.« »Das kräftigt die Muskeln.« »Da hast du es doch nötiger als ich.« »Mach weiter, Sklave!« In dieser Umgebung, wo fast alles gleich aussah, war es natürlich schwer, sich eine Stelle zu merken. Der Steg brauchte auch nicht weit in den See hineinzuragen. Er konnte durchaus versteckt liegen. Die Typen, die hier etwas vorhatten, waren nicht darauf erpicht, sich unbedingt irgendwelchen Zeugen zu zeigen. Etwas wischte zitternd vor dem Bug entlang. Es sah aus wie ein Aal, ich sah es leider ziemlich spät, schaute noch einmal hin und glaubte, daß sich an der Vorderseite – es konnte auch die Rückseite gewesen sein – etwas auseinanderfächerte, um dann in der Tiefe zu verschwinden. Wie Haare, dachte ich. Haare? Aber Fische haben keine Haare. Wobei ich bei dem Begriff Fisch wieder ins Grübeln kam, aber nicht näher darüber nachdenken wollte, die Praxis sollte uns mehr bringen. Ich schaute dem Unterwassertier nach, entdeckte leider nicht mal mehr einen Schattenriß. Es war verschwunden. Rechts von uns bildete der Wald ein undurchdringliches Etwas. Und rechts vor mir ragte etwas ins Wasser hinein. Es sah aus wie das Ende einer verfaulten Kiste. Für einen Baumstamm war es zu eckig. Es mußte einfach der Steg sein. Ich drehte mich um, wollte etwas sagen, doch Bill Conolly kam mir zuvor. Er hatte bereits den Arm gehoben. »Schon gesehen. Wir können gleich anlegen.« Das brachten wir schnell hinter uns. Der auf Pfählen ruhende Steg war so hoch, daß wir das Schlauchboot darunterschieben konnten und es vertäuten. Wir kletterten aus dem Schlauchboot und ließen unsere Ausrüstung erst mal an Bord. Auf dem weichen Holz des Stegs standen wir uns gegenüber und schauten uns an. Bill grinste leicht. Dann sagte er: »Okay, wir sind hier.« »Willkommen in der Freiheit!« »Nicht im Paradies.« Mein Freund schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er und strich sein braunes Haar zurück. »Ich denke nicht. Das Paradies ist anders.« »Vermißt du die Äpfel?« »Nicht mal.« Bill drehte sich um. Er wurde plötzlich ernst. Er sah aus wie jemand, der fror. Ich ließ ihn in Ruhe, denn ich kannte den Reporter. Wenn etwas war, würde er schon mit der Sprache herausrücken, und ich
täuschte mich nicht. »Dir ist bei unserer Fahrt nichts aufgefallen, denke ich.« Ich hob die Schultern. »Was sollte mir aufgefallen sein, abgesehen von einem großen Fisch, den ich als einen solchen nicht akzeptieren möchte?« »Ja, schon gut. Ich denke da an etwas anderes.« »Sag schon.« Bill räusperte sich, verengte die Augen etwas und schaute auf den Waldrand. Er war doch kahler, als er aus der Entfernung ausgesehen hatte. Es lag daran, daß die Bäume kaum Blätter hatten, die würden sich erst in einigen Wochen entfalten, doch Knospen, gewisse Blüten und kleine Blätter in einem hellen, saftigen Grün hatten sich bereits entfaltet. »Ich werde einfach den Eindruck nicht los, John, daß man uns beobachtet hat.« »Wer und von wo?« »Aus dem Wald heraus.« »Menschen?« »Ja.« »Woran hast du sie erkannt?« »Eigentlich nicht direkt.« Bill lachte über sich selbst. »Ich weiß, es ist eine saudumme Antwort, aber ich sah hin und wieder etwas aufblitzen, als wäre der Strahl der Sonne auf einen hellen Gegenstand gefallen, auf ein Stück Glas, das durchaus die Optik eines Feldstechers hätte sein können.« »So ist das…« »Ja. Ich habe es nicht nur einmal festgestellt. In gewissen Rhythmen tauchte es immer wieder auf, und es hat mir wirklich nicht gefallen, glaub es mir.« »Man weiß also Bescheid.« Er nickte. »Wer?« Bill drehte sich zu mir um. »Das ist nicht schwer zu erraten. Ich denke an die Gäste des Hotels.« Er deutete auf den Wald. »Es muß hier in der Nähe sein.« »Wir werden es uns ansehen.« »Noch etwas«, sagte er, als er sah, daß ich mich in Bewegung setzen wollte. »Weißt du eigentlich, wo wir uns befinden?« »Erstens auf einem Steg«, erwiderte ich grinsend, »zweitens am Wasser, und drittens in Irland, und zwar relativ weit im Süden.« »Stimmt.« »Aber du bist nicht zufrieden, das sehe ich deinem Gesicht an.« »Bin ich auch nicht. Mein Informant, ein Natur-Reporter und Naturbursche, hatte für dieses Gebiet einen anderen Namen.« »Nämlich?«
»Undines Reich!« Bill hatte sehr langsam gesprochen, auch leise, als hätte er Angst davor, abgehört zu werden. »Undines«, murmelte ich, »sehr interessant.« »Sagt dir das was, John?« »Ist eine komischromantische Oper von Albert Lortzing.« »Und weiter?« »Undinen sind Wassergeister. Zusammen mit den Salamandern, Gnomen und Sylphen, wobei der erste für Feuer, der zweite für Erde und der dritte Begriff für Luft steht, bilden sie die Gruppe der vier Elementargeister.« Bill nickte anerkennend. »Du hast deine Hausaufgaben gemacht, Geisterjäger.« »Scheint so. Was hat das mit uns zu tun?« »Ich denke, wir sollten uns auf die Undinen konzentrieren. Möglicherweise sogar auf die Undine.« »Den Wassergeist.« »Sicher.« »In dieser Welt?« »Ich denke schon. Es gibt ja immer wieder Löcher, durch die sie schlüpfen können.« Bill hatte einen sehr profanen Begriff für Dimensionstore gewählt. Im Prinzip hatte er natürlich recht. Es gab Lücken oder Überlappungszonen, wo Aibon und die normale Welt sich trafen. Manchmal kriegten diese Zonen Risse, und so konnte es dann zu einem Aufeinandertreffen verschiedener Welten kommen. Ich nickte. »Natürlich. Wenn ich mich hier umschaue, dann erinnerte mich einiges an Aibon. Ich habe den Eindruck, als hätte man hier ein Stück vom Paradies der Druiden vergessen.« »Dafür muß es einen Grund geben.« Bill hatte den Satz mehr als Frage gestellt. »Ich kenne ihn nich.« »Jedenfalls brodelt es hier unter der Oberfläche«, sagte der Reporter. »Auch der Kollege hat dies gespürt. Und als er dieses sensationelle Foto schoß, war ihm klar, daß er mit mir reden mußte. Wir müssen die Stelle finden, und sie liegt nicht mal weit vom Anlegesteg entfernt. Da sind die Fallen aufgebaut worden.« »Dann los!« Der Steg führte auf der einen Seite in den See hinaus, seinen Beginn jedoch hatte er im dichten Uferwald. Sehr bald schon sahen wir, daß von Menschenhand eine Lücke hineingeschlagen worden war, um Platz zu schaffen. Platz für einen Weg, zum Beispiel, der sich in der Tiefe des Waldes verlor.
Wir konnten uns relativ gut bewegen, aber wir kamen auch vom See weg. Über uns lag das Dach aus Ästen und Zweigen wie ein dunkler Himmel, in den nur hin und wieder Lücken hineingerissen worden waren, um dem Licht der Sonne freie Bahn zu lassen. Um uns herum war es still. In dieser Zeit summten nicht mal Mücken, und es gab auch keine Vögel, die mit hellem Singen oder schrillem Geschrei das Dämmerlicht des Waldes erfüllten. Bill war stehengeblieben. Ich sah ihm an, daß er sich nicht wohl fühlte. »Wir kommen einfach zu weit vom Ufer weg«, sagte er, »und das gefällt mir nicht. Ich will die Falle sehen.« »Dann müssen wir am See bleiben.« Wir gingen wieder zurück. Es war schwer, die unmittelbare Nähe des Ufers abzusuchen. Zwar wuchs hier kein hoher Schilfgürtel, aber das Ufer zeigte keine Gleichmäßigkeit. Immer wieder fand das Wasser seinen Weg in schmalen Armen in den Wald hinein, und der Boden in der Nähe wurde feucht und sumpfig. Etwas fiel uns auf. Jemand hatte an einer gewissen Stelle den Bewuchs gekappt, um freie Bahn zu haben. Wir mußten uns trotzdem ducken. In unserer Nähe klatschten mit leisen Geräuschen die Wellen gegen das Land. Zum Glück war der Bewuchs nicht so dicht, so sahen wir plötzlich den Draht glitzern. Bill blieb stehen und richtete sich auf. Er umfaßte meinen Arm. »Verdammt, John, das ist es! Ja, das ist der Käfig.« Er dachte leise. »Wir haben es gefunden.« Mein Freund freute sich wie ein Kind zu Weihnachten. Ich blieb gelassener, weil ich mir denken konnte, daß die Schwierigkeiten erst jetzt begannen. Wir hatten bisher nur einen Teil dieser Falle gesehen. Vorsichtig schritten wir näher und stellten fest, daß ein regelrechter Korb in den Boden eingelassen worden war. Mit der Öffnung zeigt er zum Wasser hin, dessen auslaufende Wellen in den Korb hineinspülten und eine entsprechende Beute mitbringen konnten. Der Korb war diesmal geschlossen. Man hätte auch sagen können: Hier war die Falle zugeschnappt. Und in ihr lag die Beute. »Schau dir das an, John, schau dir das an!« flüsterte Bill, als er sich niederhockte und durch das Drahtgitter schaute. »Das… das gibt es nicht, das ist eine Sensation.« Der Reporter hatte nicht übertrieben. Wer immer die Falle aufgestellt hatte, er hatte Glück gehabt, denn in dem Korb lag ein Wesen zwischen Fisch und Frau… ***
Wir waren nicht geschockt, aber überrascht und betroffen. Gleichzeitig verspürten wir Mitleid mit dieser wunderschönen Gestalt, die sich nicht regte, und von der wir nicht wußten, ob sie noch lebte oder schon tot war, möglicherweise vertrocknet. Sie war klein, nicht größer als ein Kind, aber wesentlich schlanker. Da erinnerte sie schon an einen Fisch. Ein schmales Gesicht, lange, grünlich schimmernde Haare, winzige Brüste, ein schmaler Oberkörper, der ab der Hüfte abwärts in einen geschmeidigen Fischschwanz überging. Eine kleine Meerjungfrau, die es auch hier in einem irischen See gab, und die nun gefangen war. Bill schüttelte den Kopf. »Das ist kaum zu fassen, das muß ich fotografieren.« Ich schuf ihm Platz, während er die Kamera aus der Tasche holte und drei Bilder aus verschiedenen Perspektiven schoß. Ich konnte derweil meinen Blick nicht von dieser kleinen Gestalt lösen. Immer wieder schwappte Wasser in den Korb und spülte auch so weit vor, daß es den Körper der Nixe benetzte. Er wurde naß gehalten, und deshalb konnte es sein, daß sie noch lebte. Als Bill fotografierte, hatte ich mich aufgerichtet. Danach drückte ich mich neben der Falle nieder, um mir das Wesen genauer anzuschauen. Ich war davon überzeugt, daß es aus Aibon gekommen war oder daß sich hier in der Einsamkeit ein Stück Aibon gehalten hatte. So unmöglich war das nicht. In alten Zeiten hatte es stärkere und offenere Verbindungen zwischen der normalen Welt und auch Aibon gegeben. Nicht alles auf unserem Planeten war schon erforscht worden. So gab es auch heute in den dichten Regenwäldern Asiens und Südamerikas noch Orte, die nie vom Fuß eines Weißen betreten worden waren, und wo die Einheimischen noch lebten wie vor Tausenden von Jahren. Nur war es für uns schwer begreiflich, so etwas in Irland zu finden, einem sogenannten zivilisierten Land. Bill hatte sich ebenfalls gehockt. Er strich über seine Wangen. Selbst ich hörte das Kratzen der Stoppeln. »Was machen wir denn jetzt? Holen wir sie raus?« »Wäre am besten.« »Und dann geben wir sie wieder ihrem Element zurück und warten darauf, daß jemand erscheint, um die Beute abzuholen.« »Das habe ich mir auch so vorgestellt.« Bill lächelte schmal. »Wobei ich von dir noch gern gewußt hätte, was man mit einer Nixe wie dieser anfangen kann? Hast du da vielleicht eine Idee?« Ich hob die Schultern. »So gut wie nicht. Ich glaube kaum, daß sie in einem Zoo ausgestellt wird.« »Eben. Was dann?«
»Darüber zerbreche ich mir jetzt nicht den Kopf. Das ist Theorie, wir sollten schon bei der Praxis bleiben und die Falle öffnen.« »Zuerst möchte ich sie anfassen.« »Bitte.« Die Meerjungfrau lag relativ günstig. Ziemlich dicht an unserer Seite. Bill schob einen Finger durch ein bestimmtes Gitterloch und machte ihn so lang, daß er mit der Kuppe über die Hüfte der Gefangenen hinwegstreichen konnte. Er drückte leicht in das Fleisch hinein und flüsterte: »Es fühlt sich an wie Samt.« »Eine Undine.« »Aber nicht die Undine.« »Wie meinst du das?« Bill ließ seinen Finger noch tieferwandern, und zwar dorthin, wo die etwas schuppige Haut begann. »Ich glaube, daß die Undine, also die Führerin der Nixen, wenn ich das mal so sagen darf, einfach anders aussieht. Mächtiger, größer. Sie ist nur ein Winzling, ein Wassergeist vielleicht, ich weiß es nicht…« »Kann alles sein.« »Hier ist die Haut härter«, kommentierte Bill. »Das sind richtige kleine Schuppen.« Ich hielt das Gesicht des Wesens unter Kontrolle. »Achtung, Bill, sie öffnet die Augen.« Er blickte nach rechts. Tatsächlich erwachte das Wesen aus seiner Starre. Die kleinen Augenlider begannen zu flattern. Auch der schmale Mund klaffte etwas auf. Ich hörte keinen Atem und fragte mich auf einmal, wie sie ohne Kiemen im Wasser leben konnte, aber das war jetzt uninteressant, denn zwei Augen schauten uns an. Wunderschöne Augen. Sehr klein, mit ebenso kleinen Pupillen, die jedoch unwahrscheinlich klar waren, wenn sich in ihnen das dunkle Grün des Wassers spiegelte. Ich versuchte darin zu lesen. Zeigte dieses Wesen Gefühle? Stand es der Begegnung mit einem Menschen ängstlich gegenüber, oder siegte die Neugierde? Das hier waren neue Erfahrungen für mich. Trotz meiner internen AibonKenntnisse hatte ich mit den Wasserwesen nie so direkt zu tun gehabt. Es gibt etwas, das international ist. Dazu gehört ein Lächeln. Deshalb lächelte ich. Der kleine Mund zuckte. Lächelte sie zurück? Ich glaubte daran und machte mir Gedanken darüber, wie ich mit diesem Wesen in Kontakt treten konnte. Schließlich nicht durch unsere Sprache, aber Gesten konnten oft mehr aussagen. Vielleicht war es sogar die Kleine, die uns überholt hatte. Im Wasser war sie für mich ein Fisch gewesen.
Mein Lächeln wurde erwidert, was mich wiederum froh machte. Ich war gespannt, ob sie nach mir faßte, wenn auch ich meine Hand durch die Lücke im Draht steckte. Als sich mein Finger ihrem Gesicht näherte, zuckte sie etwas zurück. Auch der Körper bewegte sich. Der Schwanz schabte über den feuchten Boden, wieder rollte eine Welle heran und näßte sie vom Kopf bis zum Schwanzende durch. Dabei bewegte sich ihr Mund schnappend, denn sie trank einen der Tropfen. Das Wasser glitt wieder zurück, nichts hatte sich verändert. Die Nixe winkelte ihren rechten Arm an, um ihn einen Moment später meinem Finger entgegenzustrecken. Plötzlich wurde er von einer kleinen Hand umfaßt, ich persönlich empfand die Berührung als wunderbar. Sie war so weich, zart und angenehm, einfach herrlich, denn so etwas hatte ich noch nie zuvor erlebt. »Und?« flüsterte Bill. »Phantastisch.« »Kann ich mir vorstellen.« Die Nixe benutzte meinen Finger als Halt. Wie eine Turnerin zog sie sich daran hoch. Sie verließ ihre liegende Stellung und geriet in eine Schräglage, wobei sie sich mit der freien Hand abstützte. Ich duckte mich noch tiefer und brachte auch mein Gesicht dicht an das Gitter. Wir schauten uns an. Ihre Augen waren klein, grün, sehr intensiv, womit ich nicht mal nur die Farbe meinte, sondern auch die Tiefe, in der ich mich verlieren konnte. Es war einfach wunderbar. Ich hatte das Gefühl, weit und auch tief nach Aibon hineinzuschauen, wobei sich dieses Land wie ein großer Teppich in den Augen ausbreitete. Ich konnte mich tatsächlich in den Augen dieses kleinen Wesens verlieren. Ich spürte eine Botschaft, die mich traf, aber sie war nicht so günstig. Irgend etwas störte wie ein plötzlicher Schmerz, und dann ließ mich das Wesen so hastig los, als wäre ich für es zu einem Fremdkörper geworden. Ich saß noch einen Moment unbeweglich, ohne an etwas zu denken. Meine Ahnungen und Gedanken schienen sich in einer nicht faß- und meßbaren Weite verloren zu haben. Erst als Bill mich anstieß, erwachte ich wieder aus diesem Traum und kehrte zurück in die Realität. Sein grinsendes Gesicht schaute mich an. »Die Kleine hat dich beeindruckt, wie?« »Ja, stark sogar.« »Und hast du etwas erfahren?« Ich hob die Schultern und atmete tief die frische Waldluft ein. »Nun, das ist schwer zu sagen. Ja und nein. Ich habe sie angeschaut. Ich konnte tatsächlich in ihre Augen sehen und hatte den Eindruck, so kitschig es
sich auch anhören mag, daß sich mir Welten eröffneten, die mir allerdings nicht unbekannt waren.« Bill hatte mitgedacht. »Aibon?« fragte er nur. »So ist es.« »Aber das ist nicht alles gewesen – oder?« »Woher weißt du das?« »Ich sehe es dir an.« »Stimmt, Bill, es ist nicht alles gewesen. Es spürte auch eine Warnung, es war wie ein seelischer Schmerz. Anders kann es es nicht ausdrücken. Hier ist nicht nur das Paradies, hier können wir auch leicht in die Hölle gelangen.« Der Reporter gab mir recht. »Dann sollten wir das Wesen so rasch wie möglich befreien. Ich könnte mir vorstellen, daß irgend jemand erscheint, um nach der Beute zu schauen.« »Das denke ich auch.« Bill richtete sich auf. »Okay, schauen wir uns den . Verschluß da vorn mal genauer an.« Ich hörte das Geräusch. Es paßte nicht her. Zwar war es nicht zu identifizieren, es hätte also auch harmlos sein können, das aber wollte ich nicht glauben. Und ich hatte recht. Etwas flog auf uns zu, das aussah wie ein flattriges Tuch mit vielen Löchern. Leider war es das nicht, sondern ein Netz. So weit gespannt und auch breit, daß es sich über unsere beiden Köpfe und auch Körper senkte. Unsere Bewegungen mußten lächerlich und grotesk wirken, als wir versuchten, uns zu befreien. Doch das Netz war stärker, und auch die Körper, die sich auf uns warfen und uns zu Boden drückten. Ich lag als erster auf dem Bauch. Bill versuchte sich noch zu wehren. Seine Faust schoß vor, aber sie traf kein Ziel mehr, sondern verfing sich in den Maschen. Er kassierte als Antwort einen Schlag in den Nacken. Jemand wirbelte ihn herum, und zugleich mit mir spürte er den kalten Druck einer Waffenmündung im Nacken. Wir hörten die Stimme. Sie klang leise, aber in ihr lauerte auch eine beinahe tödliche Schärfe. »Noch eine falsche Bewegung, und wir schießen euch das bißchen Gehirn aus dem Schädel…« Da gaben wir auf. *** Wir saßen nebeneinander auf dem Boden, dessen Feuchtigkeit allmählich durch die Kleidung in meinen Körper drang. Man hatte uns nicht nur gefesselt, sondern auch die Waffen abgenommen. Jedenfalls
spürte ich bei mir den vertrauten Druck der Beretta nicht mehr. Bill war es bestimmt ebenso ergangen. Die Männer standen vor uns. Ich zählte sechs insgesamt. Ein halbes Dutzend Typen, die irgendwo gleich aussahen, denn in ihrer Kleidung unterschieden sie sich nicht. Auf den ersten Blick sahen sie aus wie Waldläufer, bis ich herausfand, daß es perfekte Tarnanzüge waren, bestehend aus einem fleckigen, grünbraunen Stoff. Fünf Männer und ihr Anführer, der deshalb zu erkennen war, weil eine Kette um seinen Hals hing. An ihrem Ende baumelte vor der Brust ein bestimmter Gegenstand, der mich zunächst an einen blaßblauen Diamanten erinnerte. Beim genaueren Hinsehen jedoch kam er mir vor wie ein dicker Wassertropfen. Ich erinnerte mich daran, daß dieses in der Nähe liegende Hotel von den Freunden des Wassers ausgebucht worden war. Das also mußten sie sein. Man hatte uns nicht bewußtlos geschlagen, sondern die Hände auf dem Rücken gefesselt, während wir mit den Waffen bedroht wurden. Sie waren alle bewaffnet, Revolver und Pistolen reichten aus. Unsere Chance war gleich Null gewesen. Wir waren auch nicht weit weggeschafft worden. Noch immer konnte ich den Drahtkäfig sehen, in dem sich das zarte Nixenwesen befand. Das Wasser drang in den Käfig ein, es benetzte die Gestalt und sorgte dafür, daß sie auch weiterhin am Leben blieb. Der Anführer hatte meinen Blick bemerkt. Er kam näher und schaute auf mich herab. Wieder lächelte er. Mich widerte dieses Lächeln an. Es war zuckersüß, faunisch und gleichzeitig auch gefährlich. Eine Mischung aus all diesen drei Komponenten. Er hatte ein sehr schmales, schon asketisch anmutendes Gesicht, blonde Haare, das ziemlich lang gewachsen war, so daß er es hatte zurückkämmen können. Im Nacken hatte es sich dann aufgerollt. Blasse Augen, blasse Haut, ein beinahe schon weibisch anmutender blasser Mund, ein Kinn, das nach unten hin abfiel, kaum Brauen, aber eine hohe Stirn über den Augen. Ein widerlicher und bösartiger Typ. Ein Mensch, der über Leichen ging, wenn es ihm genehm war. »Was wollt ihr hier?« Flüsternd hatte er uns die Frage gestellt und mich dabei angeschaut. »Wir haben Urlaub gemacht.« Er nickte. »So, so – Urlaub.« Dann legte er seine Stirn in Falten. »Und dabei bewaffnet?« »Das sind Sie auch.« »Es hat seine Gründe.« Er blickte auf uns nieder, als wollte er ausspucken. »Ich glaube nicht, daß ich Ihnen diese Ausrede abnehme. Sie haben hier keinen Urlaub gemacht. Sie sind gekommen, um uns zu
stören, und so etwas mögen wir nicht. Wir brauchen die Ruhe und die Abgeschiedenheit, um vollkommen zu werden.« »Vollkommen?« höhnte Bill. »Das schafft niemand.« Beinahe traurig wurde Bill angeschaut. »Ja, Sie nicht. In Ihnen steckt der Schmutz der Zivilisation. Sie werden nie die Vollkommenheit erreichen, das Einswerden mit der Natur, so zu sein wie sie und alle Grenzen zu überwinden. Wieder dort zu leben oder mit dem zu leben, aus dem wir Menschen gekommen sind, aus dem Wasser. Wir sind dabei, es zu erreichen, wir haben uns hierher in die Einsamkeit zurückgezogen, und wir werden uns dabei nicht stören lassen. Ich weiß nicht, wer euch auf unsere Spur gebracht hat, doch wer immer es tat, er hat einen für euch folgenschweren Fehler begangen.« Bill lächelte breit. »Was Sie nicht sagen, Meister? Aber könnte es nicht sein, daß wir zu euch gestoßen sind, um auch vollkommen zu werden? Ja, so ist es gewesen, wir haben erkannt, daß es nichts bringt, wenn man sich mit den Problemen der Welt herumschlägt. Zurück zur Natur, das ist doch heute die Devise. Wenn ich an all die Katastrophen denke, die durch menschliches Versagen oder durch menschliche Unvollkommenheit über uns gekommen sind, dann könnte ich schreien. Nein, das Leben wollten wir nicht in diesem Sinne weiterführen, deshalb haben wir nach einem Platz gesucht, an den wir uns zurückziehen können. Und Irland hat ja zum Glück noch genügend unbewohnte Flecken.« Der Blasse hatte zugehört. Es war nicht festzustellen, ob er Bill glaubte oder nicht. Er starrte ihn nur kalt an, in seinen Augen zeichnete sich nicht das geringste Gefühl ab. Es war nicht zu erkennen, ob er Haß, Zorn und Wut verspürte oder das genaue Gegenteil davon. Es dauerte lange, bis er sich zu einer Antwort herabließ, die aber enttäuschte uns. »Wie kann man nur so anfängerhaft lügen«, erklärte er. »Das will mir nicht in den Sinn. An Lügen sind wir gewöhnt. Die Menschheit hat immer gelogen, sie hätte nicht in dieser Form entstehen sollen, und ihr seid zwei Exemplare der schlimmsten Sorte. Man sollte euch zerhacken und den Fischen im See zum Fraß vorwerfen. Das wäre auch nicht gut, wir lieben die Natur zu sehr, um sie mit eurem Fleisch zu vergiften, nur deshalb werde ich darauf verzichten, euch fachmännisch zu sezieren.« Ich hatte bisher zugehört und fragte mich, ob dieser Mann noch alle Tassen im Schrank hatte. Der war ja irre, der war verrückt, an dessen Verstand mußte einfach gezweifelt werden. So etwas zu sagen, das war einfach nicht nachvollziehbar. Nur hatte er die Worte in einem für uns erschreckenden Ernst gesprochen. Dieser Knabe und seine Freunde waren tatsächlich von ihrer Ideologie überzeugt. Seine Hände bewegten sich an seinem Körper hoch. Es sah so aus, als wollten sie ihn streicheln. Dann umfaßten die Finger den großen Tropfen an seiner Brust. »Das ist die wahre Reinheit«, flüsterte er uns zu. »In
diesem Stein vereinigt sich all das, wofür wir leben. Es ist ein wunderbares Geschenk der Natur, das nur die fast Reinen erhalten, denn noch sind wir nicht soweit. Aber es wird nicht mehr lange dauern, bis wir unser Glück gefunden haben, Mister Sinclair!« Daß er meinen Namen kannte, gefiel mir gar nicht. Dadurch hatte er zu erkennen gegeben, daß zumindest ich durchsucht worden war. Gemerkt hatte ich es nicht. Wahrscheinlich war es durch geschickte Hände bei der Fesselung geschehen. Ich blieb trotzdem gelassen, als ich sagte: »Wenn Sie meinen Namen schon kennen, dann hätte ich gerne auch Ihren gewußt, Mister.« Er lächelte. Dann breitete er die Arme aus wie ein Jünger oder ein Engel, der irgend etwas beschützen wollte. »Was sind Namen? Wir haben sie vergessen. Sie sind Schall und Rauch. Für uns zählt einzig und allein die Natur und damit die absolute Reinheit. Alles andere haben wir abgestreift wie eine zweite Haut.« »Sie fühlen sich also göttergleich – oder?« Bill hatte nicht an sich halten können und seine Frage in einem sehr scharfen Tonfall gestellt. Als ich ihn anschaute, da sah ich, daß sein Gesicht hochrot angelaufen war. Der Zorn kochte in ihm. »Nein, nein, Mister Conolly. Sie irren, wir möchten es werden. Wenn wir es geworden sind, dann ist es auch Zeit an die Öffentlichkeit zu treten und von unseren Erfolgen zu berichten. Aber nicht vorher, wie Sie es hatten tun wollen, Sie kleiner Reporter.« Er war gut informiert. Bill preßte für einen Moment die Lippen zusammen. Der Blasse genoß es, Herrscher zu spielen. Seine Leute standen in der Nähe, auch sie ließen uns nicht aus den Augen. Irgendwo ähnelten sie sich, sie waren ebenfalls ziemlich bleich, und über all die Gesichter schien ein leicht grüner Schimmer zu laufen. Das konnte auch eine Einbildung meinerseits sein, doch es war in diesem Moment nicht wichtig, weil ich den letzten Gesprächsfaden wiederaufnahm. »Göttergleich«, wiederholte ich. »Ist das nicht etwas vermessen?« »Nein«, sagte er, »nein. Nicht für uns. Wir arbeiten daran. In sehr, sehr alter Zeit waren wir Menschen noch Götter. Aber viele von ihnen haben die Entwicklung vorausgeahnt und deshalb diesen Planeten verlassen. Zurück blieb ein großer Rest, der sich angeblich entwickelt hatte, aber letztendlich nur degeneriert wurde. Das Ergebnis können Sie jeden Tag in den Zeitungen nachlesen, und wir haben einen Weg gefunden, um uns davon zu trennen.« »Das klingt zu phantastisch, um glaubhaft zu sein.« Er nickte. »Das glaube ich Ihnen sogar. Einfach deshalb, weil Ihr Gehirn leer ist. Einfach leer. Oder mit den Dingen gefüllt, die unsere Welt beherrschen. Und die sind so schlimm, daß es sich einfach nicht mehr
lohnt, so weiterzuleben. Da ist der Tod schon eine gerechte Lösung für Sie.« Ich wollte es nicht glauben, aber er hatte soeben ein Todesurteil über uns gesprochen. Neben mir knirschte Bill mit den Zähnen. Er versuchte, an seinen Fesseln zu zerren, aber diese dünnen Hanfstricke saßen einfach zu stramm, als daß wir sie hätten loswerden können. Allmählich wurde es uns mulmig. Aber ich wollte trotzdem mehr wissen. Bevor sich der Anführer abwenden konnte, sprach ich ihn an. »Wenn Sie diesen göttergleichen Zustand erreichen können, müssen Sie doch etwas tun, nehme ich an.« »Ja, das ist richtig.« »Was tun Sie? Gibt es da einen Zusammenhang zwischen ihrem großen Ziel und dem gefangenen Wesen dort?« Er nickte. »Sie haben es erkannt.« »Mehr weiß ich nicht. Würden Sie mich aufklären?« »Nein«, sagte er leise und warfeinen nachdenklichen Blick auf den Käfig. Dahinter schimmerte das Wasser, das für uns jetzt zu einem Stück Freiheit geworden war. »Warum nicht?« »Sie brauchen es nicht zu wissen. Ich kann Ihnen aber sagen, daß diese Undinen eine wichtige Rolle spielen. Wir haben lange nach diesem Platz gesucht und ihn endlich gefunden. Hier ist der Ort, wo wir unsere Vollkommenheit erreichen werden.« »Um auf dieser Welt zu bleiben?« »Wie meinen Sie das?« »Könnte es nicht sein, daß Sie dann versuchen, in eine andere Welt zu gehen?« Mit dieser Frage hatte ich ihn überrascht oder auch erwischt. Etwas konsterniert schaute er auf mich nieder. »Eine andere Welt?« wiederholte er murmelnd. »Ich denke, das sollten Sie mir erklären.« Ich gestattete mir ein Lächeln. »Klar, ich will es versuchen. Sie sind mit dieser Welt unzufrieden, wie Sie selbst zugaben. Sie haben sich damit beschäftigt, nach anderen Möglichkeiten zu suchen, und Sie haben sie auch gefunden. Fluchtwege vielleicht, was auch immer. Und Sie werden den Weg in eine andere Welt erkannt haben. In eine Welt der Natur, in ein Zwischenreich, wo all die zahlreichen Legenden entstanden sind und wo genau die leben, die Sie als Undinen bezeichnet haben. Soll ich Ihnen den Namen des Zwischenreichs auch noch nennen?« Er bewegte seinen Kopf von links nach rechts. »Nein, das ist nicht nötig. Sie meinen Aibon.« »Das Paradies der Druiden auf der einen und das Fegefeuer auf der anderen Seite. Können wir uns darauf einigen?« »Ja, das können wir.«
»Hervorragend.« »Für Sie weniger, Mister Sinclair.« »Das weiß ich eben nicht. Möglicherweise haben Sie meine Ausführungen überrascht, und ich will Ihnen nicht verschweigen, daß mein Freund und ich nicht die einzigen Personen sind, die, außer Ihnen vielleicht, über Aibon Bescheid wissen. Was Sie versuchen, das habe ich bereits hinter mir. Ich kenne Aibon, ich kenne seine beiden Hälften, und ich weiß auch von einem gewissen Guywano, der einen Teil des Landes voll beherrscht. Die Hälfte, die noch eben die Bezeichnung Paradies verdient, wie ich persönlich finde. In welche Hälfte wollen Sie denn?« »Halten Sie den Mund!« fuhr er mich an. »Sie beschmutzen diese Welt durch Ihre Worte. Ich glaube Ihnen einfach nicht, daß sich Aibon gerade Ihnen geöffnet hat.« »Das ist Ihr Problem. Nur sollten Sie mal darüber nachdenken, woher ich so viel darüber weiß.« »Es ist mir egal, ob Sie es glauben oder nicht. Wir lassen uns nicht ins Handwerk pfuschen. Wenn ich Ihnen sage, daß Sie schon jetzt so gut wie tot sind, müssen Sie mir das glauben, denn was das Ausschalten unserer Feinde angeht, darin sind wir Spezialisten.« »Nun ja, ich kann Sie nicht daran hindern. Ich wollte nur klarstellen, daß Sie und Ihre Männer nicht die einzigen Auserwählten sind. Wie nennen Sie sich? Jünger oder Freunde des Wassers?« »Ja, so bezeichnen wir uns. Wir werden wieder ins Wasser zurückkehren und damit Grenzen überwinden können.« »Dann steigen Sie mal in den See«, sagte Bill. Er konnte sich nicht mehr zurückhalten und erstickte beinahe an seiner Wut. Der Blasse deutete mit dem Zeigefinger auf den Reporter. »Das Schicksal bleibt Ihnen überlassen. Wir werden Ihre Leichen versenken, niemand wird sie hier in der Einsamkeit finden. Sollen die Fische Ihr schmutziges und verdorbenes Fleisch essen, uns würde es nur schaden. Wir halten uns an die Reinheit der Natur.« »Was essen Sie denn? Gräser, Moos, Mäuse, Käfer und…« Der Blasse regte sich auf. »Halten Sie endlich den Mund! Sie sind unrein.« »Finde ich nicht. Ich habe erst vor kurzem geduscht.« Der Anführer zischte Bill einen Fluch entgegen, dann drehte er sich abrupt um. »Holt unsere Beute!« Zwei seiner Männer setzten sich in Bewegung. Auf dem schrägen Boden rutschten sie dem Gefängnis entgegen und taten das, was wir vorgehabt hatten. Sie zerrten die Klappe vorn auf und griffen mit ihren starken Armen hinein. Die kleine Nixe wußte, welches Schicksal ihr bevorstand. Verzweifelt versuchte sie, sich zur Wehr zu setzen. Sie krümmte ihren Körper, schlug mit dem breiten Schwanz von einer Seite zur anderen. Sie wollte
nicht, daß sie festgehalten und vom Wasser weggezogen wurde, aber die beiden Männer ließen sich nicht beirren. Sie waren routiniert, packten hart und zielsicher zu, so daß sie auch die Arme des Wesens einklemmten. Wir erstickten beinahe an unserer Wut und auch an der Hilflosigkeit. Es war für uns eine Quälerei mit ansehen zu müssen, wie die Nixe hervorgeholt wurde. Einer stellte die Klappe wieder fest, so daß die Falle für ein neues Opfer bereit war. Der Anführer schaute interessiert zu. »Es ist übrigens nicht die einzige Falle, die wir aufgestellt haben. Das ist auch nötig gewesen, denn wir brauchen sie.« »Wofür?« »Um die letzte Strecke gehen zu können.« Was immer das bedeuten mochte, ich wußte es nicht, und der Mann vor mir traf auch keinerlei Anstalten, es uns genauer zu erklären. Statt dessen schaute er auf den Kerl, der das kleine Wesen festhielt. Er hatte es am Schwanzende gepackt und angehoben. Der Kopf baumelte in die Tiefe hinab. In diesem Augenblick wirkte die Nixe wie ein mutierter Fisch, aber sie hatte Arme, mit denen sie um sich schlug. Sie war nicht länger als mein Arm, und auf dem kleinen Gesicht paarten sich Verzweiflung und Todesangst. Bestimmt ahnte sie, was mit ihr geschah. Zuvor aber wurde sie in einen Sack gesteckt, den ein zweiter Mann offenhielt. Sie verschwand als zappelndes Etwas darin. Aus der Öffnung konnte sie nicht mehr entwischen, denn der Sack wurde zugeschnürt. Der Blasse nickte, bevor er sich drehte und uns abermals anschaute. »So, jetzt haben Sie es gesehen.« »Und sind noch immer nicht schlauer«, sagte ich. »Das stimmt.« »Darf ich noch fragen, wie Sie heißen?« »Warum?« »Er will dich verfluchen, du Bastard«, sagte Bill. »Und ich werde ihm dabei helfen.« Der Blasse lachte nur. Ich fragte mich, ob man ihn überhaupt provozieren konnte. »Ja, den Gefallen tue ich Ihnen. Mein Name ist Justus Fontain.« »Nie gehört.« »Ist auch nicht wichtig, Mister Conolly. Es kommt doch immer darauf an, was der Mensch leistet, da spielen Namen überhaupt keine Rolle, meine ich.« Er lächelte noch einmal, drehte sich dann, wobei das Lächeln auf seinem Gesicht blieb, und er winkte zwei seiner Männer zu sich heran. »Wir werden euch zurücklassen. Ihr könnt mit ihnen machen, was ihr wollt. Erhängen, ertränken oder erschießen. Wichtig ist, daß sie nicht mehr leben.«
Die beiden nickten. Ihre Gesichter behielten einen stoischen Ausdruck bei. Mit der gleichen Mimik hätten sie auch einen Fisch zerteilt. Ihnen bedeutete menschliches Leben nichts, falls es sich nicht in ihrem Rahmen bewegte. Es waren wohl die Killer der Gruppe, denn sie hatten sich auch unserer Waffen angenommen. Justus Fontain nickte uns noch einmal zu. »Schade für euch«, sagte er, »vielleicht hättet ihr irgendwann einmal den Weg zur Vollkommenheit gefunden.« Er hob die Schultern. »Daß dem nicht so ist, ich kann leider nichts dafür.« Vier Männer nahm er insgesamt mit. Einer trug den Sack, in dem noch immer die gefangene Nixe zappelte. Bill drehte den Kopf. »Mist, John, das glaube ich einfach nicht. Das kann es doch nicht geben!« »Doch, mein Freund, das gibt es.« Ich schaute während der Antwort auf die beiden Zurückgebliebenen, die mit lässigen Bewegungen ihre Beutewaffen zogen… *** Beide kamen näher. Beide gingen im Gleichschritt. Und beide erinnerten mich an Henker, die sich ihrer Sache sehr sicher waren und alles genau einstudiert hatten. Sie gehörten zu den Rechtshändern, und in diesen Händen hielten sie auch die Waffen. Die Mündungen wiesen schräg nach unten, und sie waren direkt auf unsere Stirnen gerichtet. Ich fragte mich, während Schweißtropfen meinen Rücken wie kalte Bäche herabrannen, wie lange es ein Delinquent wohl aushalten konnte, in die Mündungen zu schauen, ohne gleich die Nerven zu verlieren. Ich stand dicht davor, die Augen zu schließen. Mein Freund Bill neben mir reagierte wieder anders. Er fluchte, er schleuderte ihnen Worte entgegen. »Ihr verfluchten Hunde, wißt ihr überhaupt, was ihr da tut? Ihr ermordet zwei Menschen, davon ist einer Polizist. Man weiß, wo wir uns aufhalten, man wird Nachforschungen anstellen, und es ist durchaus möglich, daß hier bald die Armee erscheinen wird, um gründlich aufzuräumen.« Bill verstummte, weil sich der Mann mit der Waffe dicht vor ihm gebückt und ihm die Mündung gegen die Stirn gepreßt hatte. Ich hatte es besser. Mein Killer hatte sich vor mich hingekniet. Er sprach mich tonloser Stimme an. »Hinlegen!« »Wie?« Blitzschnell klopfte er mir den Lauf gegen die Stirn. »Du sollst dich auf den Bauch drehen.«
Ich biß die Zähne zusammen und ignorierte den Schmerz, der wie ein verzweigter Blitz durch meinen Kopf sprang. »Ist schon gut, ich werde es tun.« Ächzend drehte ich mich auf den Bauch. Durch die gefesselten Hände war es uns nicht möglich, auch nur den Hauch einer Chance zu bekommen. Wegen der Sitzhaltung hatten wir auch nicht unsere Füße einsetzen können. Wir waren den beiden Hundesöhnen völlig ausgeliefert. Das merkten wir dann besonders, als wir uns auf den Rücken gedreht hatten, und uns wenig später die Beine ebenfalls gefesselt wurden. Sie drehten die Hanfstricke hart und geschickt um unsere Fußknöchel, zurrten sie fest, daß der Schmerz in die Haut hineinbiß. Erst dann waren sie zufrieden. Ich lag mit dem Gesicht auf der feuchten Erde. Unter meinem Kinn spürte ich das weiche Moospolster. Wenn ich Bill sehen wollte, mußte ich den Kopf nach rechts drehen. Er hatte das gleiche getan, nur in die andere Richtung, und so schauten wir uns an. Bills Gesicht zeigte einen verbissenen Ausdruck, abgesehen von den kleinen Blättern und der grünen Schicht, die auf seiner Haut klebte. »Du kannst es mir glauben, John, aber das hier habe ich beim besten Willen nicht vorgehabt.« »Ich hätte es dir auch nicht zugetraut.« »O – danke.« »Stellt sich nur die Frage, wie sie uns erledigen wollen. Eine Kugel wäre das einfachste.« »Das denke ich auch.« »Und woran denkst du wirklich, alter Junge?« fragte ich. Bill Conolly bekam einen Schauer. Seine Wangen zuckten, die Stimme sackte ab. »Ich denke an mein Zuhause. Ich denke an meine Frau, meinen Sohn, und ich stelle mir vor, wie Sheila reagieren wird, wenn sie hört, was mit uns geschehen wird. Wie bringt sie es Johnny bei?« »Bill!« Ich funkelte ihn an. »Soweit sind wir noch lange nicht. Du mußt dich zusammenreißen.« »Muß ich das? Oder hast du keine Angst?« »Ja, verdammt, die habe ich.« »Es gibt keine Menschen, die nicht von einer irren Angst erfaßt werden, wenn sie dicht davorstehen…« »Wir leben noch, verdammt!« »Klar.« Er leckte über seine Lippen, und einige Erdkrümel fielen ab. »Ich warte nur darauf, bis mich die kalte Mündung berührt wie die Fingerspitze des Sensenmanns.« Bill irrte sich. Auch ich unterlag einem Irrtum. Zugleich wurden wir von kräftigen Händen wuchtig in die Höhe gerissen und auf die Beine gestellt. Allein und aus eigener Kraft konnten wir natürlich nicht
stehenbleiben, die beiden Henker stützten uns ab und erklärten uns, für welche Todesart sie sich entschieden hatten. »Wir sind die Freunde des Wassers. Und das Wasser, das heilen und den Weg in das Paradies führen kann, hat auch eine andere Eigenschaft. Es kann töten. Es tötet den, der es nicht beherrscht. Und ihr gehört zu denen, die das nicht können. Deshalb wird das Wasser zu eurem nassen Grab werden.« »Fahren wir auf den See?« keuchte Bill. »Ja.« Er fing mit einem kratzigen Lachen an. »Das habe ich mir schon immer gewünscht.« »Was? Zu ertrinken?« »Ja. Bei meinem Durst.« Er hatte seinen Galgenhumor wieder, aber darum kümmerten sich die Henker nicht. Sie schleiften uns zum Ufer. In dieser Schräglage rutschten wir dem Wasser entgegen. Mein Gesicht drückte auf die gefesselten Hände. Es war nicht angenehm, ließ sich aber aushalten. Hinter meiner Stirn tuckerte es. Ich hatte noch immer mit den Folgen des Pistolenschlags zu kämpfen, aber ich riß mich zusammen. Als ich mich auf die rechte Seite rollte, konnte ich einen Teil des Sees überblicken. Es war mittlerweile Zeit vergangen, und die Sonne hatte sich hinter einem Wald versteckt. Noch sickerte ihr Licht in das dunkle Grün hinein und zauberte all die hellen Flecken in den Wald, doch es würde sehr bald der Zeitpunkt eintreten, wo dies nicht mehr der Fall war. Dann sank die Finsternis der Nacht über dem Land zusammen, was wir höchstwahrscheinlich nicht mehr erleben würden. So sehr mir der See auch beim ersten Anblick gefallen hatte, das war vorbei. Er kam mir vor wie eine gewaltige Falle, die nur darauf wartete, uns verschlucken zu können. Der See war so tief, so unausgewogen, geheimnisvoll und gefährlich. Sicherlich war sein Grund nicht nur vom Schlamm bedeckt, sondern von einem großen Wald aus Pflanzen, der unsere Leichen mit seinen gewaltigen Armen umfangen würde. Meine Gedanken wurden durch dumpf klingende und rumpelnde Geräusche unterbrochen. Die beiden Killer waren unter den Steg gekrochen. Sie mußten unser Schlauchboot entdeckt haben, und würden es sehr bald als Leichenschiff zweckentfremden. Der Kloß in meinem Hals wuchs. Er wurde dichter. Wenn ich an meinen nahenden Tod dachte, dann rann dieser Gedanke wie dickes Blut durch meine Adern, das sich im Kopf festsetzte und sich dort einfach nicht mehr lösen wollte. Konnte man sich damit überhaupt abfinden?
Nein, ich wollte es nicht, und ich suchte noch immer nach einer Chance, dieser Hölle zu entfliehen. Es klappte nicht, denn die Fesseln hielten mich in ihren Klauen. Diese Hanfstricke, so dünn sie auch sein mochten, waren tief in die Haut hineingeschnitten und hatten Streifen hinterlassen. Durch die Fesseln war auch die Blutzirkulation beeinträchtigt, aber damit ließ sich leben. Nur eben nicht mit dem Gedanken, daß man uns in den See werfen würde, wo wir elendig ertranken. »Ich bin bereit.« Die Stimme des Mannes riß mich aus meinen Gedanken. Ich sah ihn auch. Er stand aufrecht im Schlauchboot, das vom Steg weg auf das Wasser hinausgefahren war, aber noch mit dem Balken vertäut blieb. Sein Kumpan kam zu uns. Er sprang auf den Steg, und wir merkten, wie sich das Holz unter seinem Gewicht bog, aber die Planken hielten. Zuerst packte er Bill. Er umfaßte wieder den Gürtel, diesmal am Rücken. Wie einen gefüllten Mehlsack hievte er ihn an, um ihn wegzuschleppen. Am Stegrand blieb er für einen Moment stehen, schaute auf seinen schon im Boot wartenden Kumpan und wartete auf dessen Zeichen. Erst als er es bekommen hatte, drückte er Bill nach vorn. Der konnte sich nicht bewegen. Er kippte von der Kante des Stegs herab nach unten, wäre ins Wasser und auch gegen das Boot gefallen, hätte ihn der andere nicht abgefangen. So rollte er Bill Conolly in das Schlauchboot hinein, das drei Leute bequem fassen konnte. Dann war ich an der Reihe. Auch mich zerrte man rücksichtslos in die Höhe. Ich hing wieder in der Kippe, mein Blick fiel auf die Planken, dann darüber hinweg, als ich nach vorn gedrückt wiyde, und der nachfolgende Stoß beförderte mich in das Boot hinein. Auch ich wurde abgefangen, bevor mich die Hände losließen und ich über Bill Conolly fiel. »Himmel, bist zu schwer«, beschwerte er sich. »Hör auf.« Ich rollte mich herum, blieb auf dem Rücken liegen, wogegen die Hundesöhne nichts einzuwenden hatten. Der zweite kletterte ebenfalls in unser Schlauchboot, taute es los und griff nach dem Anzugseil des Außenborders. Er ließ den Motor noch kalt und stellte statt dessen eine Frage. »Wo wollt ihr sterben?« »Überhaupt nicht!« keuchte Bill. Lachen, scharf, hämisch und widerlich. »Gut, da ihr euch nicht entscheiden könnt, überlaßt es uns. Wir fahren dorthin, wo der See am tiefsten und geheimnisvollsten ist. Wo das Wasser besser schmeckt als der süßeste Honig, wo uns der Nektar der Natur die neuen Kräfte gibt, ohne die wir bald nicht mehr leben können…« Er redete noch mehr von diesem für uns blühenden Unsinn, doch diese Worte gingen unter, als er den Motor mit laut knatternden Geräuschen startete.
Wir bekamen Fahrt. Das wulstige Schlauchboot hob mit dem Bug leicht an und glitt auf den See hinaus, der für uns zum Friedhof werden sollte… *** Gefühle? Hatten wir sie noch? Sicherlich, aber wir sprachen nicht mehr darüber, denn das eine Gefühl war einfach nicht wegzudiskutieren. Die reine Angst! Auch Bill hatte sich gedreht. Ebenso wie ich lag er auf dem Rücken, hielt die Augen offen und schaute zum Himmel, der die herrliche Bläue des Tages verloren hatte und allmählich in einen rauchigen Zustand überging. Noch immer war er relativ hell, er hatte objektiv gesehen nichts Bedrohliches an sich, doch uns kam er anders vor. Wie ein Gebirge, das jeden Augenblick auf uns niederstürzen und uns dabei auch zermalmen konnte. Die beiden Killer sprachen nicht, wir behielten unsere Worte auch für uns und lauschten einzig und allein dem Außenborder und den klatschenden Geräuschen der Wellen, die immer dann entstanden, wenn sie die Bordwand trafen. Manchmal sprühte auch Gischt über, die sich auf unseren Gesichtern verteilte. Wenn ich den Kopf mit dem Kinn auf die Brust senkte, sah ich die Beine des am Heck hockenden Killers. Er hatte sich breitbeinig hingesetzt. Seine Beine wippten, als wäre er dabei, den Rhythmus einer nur für ihn hörbaren Musik mitzuschlagen. Ich konnte mir noch immer nicht vorstellen, daß Bill und ich auf dem Weg in den Tod waren. Daß für uns beide die letzten Minuten des Lebens angebrochen waren, denn zu lange würden wir nicht fahren, um die Seemitte zu erreichen. An einigen Stellen gerieten wir in Strömungen hinein, dann wurde es schwieriger, den Kurs zu halten, doch diese Hindernisse konnten schnell überwunden werden. Der zweite Killer hockte am Bug. Er hatte uns seinen Rücken zugedreht, weil er über das Wasser schauen wollte. Sicherlich fungierte er als Lotse, denn die bestimmte Stelle auf dem Wasser sollte auf keinen Fall verpaßt werden. Wir konnten ihn direkt nicht sehen, aber wir entdeckten den Schatten, der plötzlich über uns fiel. Er mußte deshalb entstanden sein, weil der Mann am Bug seinen Arm gehoben hatte. Dieses Zeichen galt dem Steuermann. Augenblicklich regelte er die Fahrt. Wir verloren zunächst an Tempo, der Motor tuckerte so vor sich hin, dann verstummte eu ganz, und wir trieben noch mit der letzten Kraft dieser Fahrt weiter auf das Ziel zu. Meiner Ansicht nach mußten wir die Mitte des Sees erreicht haben. Auf meinem Gesicht lag der Schweiß. Bill ging es sicherlich nicht anders. Ich spürte meinen Herzschlag überlaut und überdeutlich. Immer wieder
dröhnte es in meinem Körper und erreichte als Echo die Ohren. Hinter der Stirn lasteten Gewichte wie ein schwerer Druck. Ich war zudem nicht mehr in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Die allmählich wieder ansteigende Furcht sorgte für ein Zusammenziehen meines Magens. So ähnlich wie mir mußte es einem Kandidaten in der Todeszelle ergehen, der täglich mit seiner Hinrichtung rechnen mußte, wobei ihm der genaue Zeitpunkt zuvor nicht bekanntgegeben wurde. Irgendwann holten sie ihn dann ab… Uns hatte man schon geholt, und wir befanden uns nicht in der brutalen Nüchternheit eines Todestraktes, sondern inmitten einer paradiesischen Landschaft, wo die Natur noch in Ordnung war. Doch der Tod war allgegenwärtig, und das sollten wir zu spüren bekommen. Unser Schlauchboot schwang nur leicht hin und her. Es wiegte sich auf den flachen Wellen, und sehr bald hörte auch dies auf. Wir lagen fast still. Das dauerte so lange, bis sich der Killer am Heck erhob. Er stellte sich nicht hin, statt dessen kroch er auf uns zu und hievte zuerst mich in die Höhe. Er drehte mich dabei herum, so daß ich mit dem Rücken gegen den Innenwulst der Bordwand stieß. Dann kümmerte er sich um Bill Conolly. Auch er nahm die gleiche Haltung ein. Meine Augen brannten. Ich hatte Mühe, das Ufer zu erkennen, von dem wir gekommen waren. Neben mir flüsterte Bill etwas, das ich nicht verstand. Möglicherweise betete er, und dabei bezog er auch seine Familie mit ein. Ich hielt die Lippen fest zusammengepreßt. Wenn ich Luft holte, dann nur durch die Nase. Es war dunkler geworden. Die ersten Schatten legten sich über den See, aber sie waren nicht so düster wie das Gebiet, in dem wir dümpelten. Ich hatte das Gefühl, auf einem sehr grünen, geheimnisvollen Teppich zu schaukeln, der aus einem klaren Wasser bestand, dessen Klarheit sich allerdings in der Tiefe verlor und so düster wurde, daß sich selbst Ungeheuer darin verbergen konnten. Uns erwartete der Tod. Was kam davor? Die unbeschreibliche Qual, allmählich zu ersticken? »Packen wir es?« fragte der Killer vom Bug. Sein Kumpan schüttelte den Kopf. »Was ist denn los?« »Der See gefällt mir nicht.« »Wieso?« »Weiß ich auch nicht.« Er hob die Schultern und schaute auf die Oberfläche. »Ist er nicht düsterer als sonst? Ich habe versucht, hineinzuschauen, es ist mir nicht gelungen. Da ist irgend etwas, das sich dagegen sperrt.« »Wie meinst du das?«
»Ich kann es dir nicht sagen. Ich habe das Gefühl, unter dem Wasser Konturen gesehen zu haben. Sie sahen aus wie Berge mit Spitzen und auch Graten.« »Das bildest du dir ein.« »Wahrscheinlich.« »Deshalb sollten wir es jetzt packen und so rasch wie möglich wieder verschwinden.« Die beiden waren sich einig, und sie griffen auch zu. Plötzlich tauchten sie vor mir auf. Von verschiedenen Seiten erschienen ihre Gesichter in meinem Blickfeld. Ich sah die seltsam dünne Haut, die blassen Augen, die in tiefen Höhlen lagen, und ich fragte mich trotz allem, was mit diesen Menschen los war. Sie wirkten so, als würden sie jeden Augenblick zusammenbrechen, aber ihre Kraft war nicht zu unterschätzen. Ich unternahm einen letzten Versuch, sie umzustimmen. »Noch könnt ihr es euch überlegen«, sagte ich leise. Für einen Moment, er kam mir lang vor, starrten sie mich an. Ich schöpfte Hoffnung, dann aber schüttelten sie die Köpfe. »Du bist ein Verräter an unserer Sache. Die Vollkommenheit darf dir und deinem Freund nicht gestattet werden. Das Wasser wird euch weder heilen noch führen, sondern töten. Wie alles in der Welt vereinigt es Gut und Böse. Wir haben uns das Gute ausgesucht. Wir leben von ihm…« »Vom Wasser?« »Nicht nur.« Nach dieser für mich rätselhaften Antwort hoben sie mich gemeinsam an. Ich spürte den Wulst der Bordwand in meinem Rücken und sprach keuchend in ihre Gesichter hinein. »Ihr werdet den Weg nach Aibon nicht finden, ihr nicht. Ihr…« Sie gaben mir einen Stoß. Ich kippte nach hinten weg. Für einen winzigen Augenblick glaubte ich, von der Wasserfläche fortgetragen zu werden. Es war leider nur Einbildung, denn einen Moment später schlugen die Wellen über mir zusammen. Ich sank. Mich packte die Kälte des Sees. Ich würde von meinem eigenen Gewicht in die Tiefe gerissen werden, in den Schlamm tauchen, falls ich nicht zuvor erstickt war. Als ich mich noch in der Luft befand, hatte ich noch einmal Atem schöpfen können. Er würde für eine kleine Weile reichen, aber irgendwann mußte ich den Mund öffnen, der Zwang war dann einfach zu groß geworden. Statt dessen hielt ich die Augen offen. Ich schaute in das Wasser, aber auch in grünes Glas. Jedenfalls kam es mir so vor. Und in diesem Glas bewegte sich etwas. Schlierenhaft wirbelten Gestalten auf mich zu. Langgestreckt und wallend, wie Aale mit wehenden Haaren oder haarigen Flossen. Das
konnte es einfach nicht sein, so etwas gab es nicht, und ich wollte es nicht akzeptieren. Überkamen mich schon jetzt die Halluzinationen? Und warum sank ich nicht tiefer? Woher der Widerstand an meinem Rücken? Wer drückte mich in die Höhe, der Oberfläche entgegen, wo die grüne Düsternis des Wassers verschwand und es wieder heller wurde. Dicht über meinem Gesicht hinweg glitt etwas vorbei, aber dieses Etwas hatte den Kopf gedreht, und für einen Moment hatte ich ein feingeschnittenes Mädchengesicht sehen können, das einer Nixe. Auf einmal wußte ich Bescheid! Nein, das waren keine Aale gewesen, die da herangerauscht kamen. Es waren die kleinen, schmalen Nixen, meine Freundinnen. Sie gehörten zusammen, sie waren die Schwestern derjenigen, die wir zu retten versucht hatten. Gütiger Himmel, sollten sie es tatsächlich schaffen, mich zu retten? Ich durchbrach das Wasser. Automatisch öffnete ich den Mund. Ich saugte die Luft in meine Lungen, es war ein herrliches, unbeschreibliches Gefühl. Ich schwamm auf den Wellen. Sie rollten streichelnd über meinen Körper. Wasser idrang in meinen Mund, ich spie es wieder aus, und der Druck unter meinem Rücken blieb. Man hielt mich fest. Ich lag auf dem Wasser, war gefesselt und brauchte dennoch keine Furcht zu haben. Nicht weit entfernt tauchte hustend und keuchend eine zweite Gestalt auf. Es war mein Freund Bill Conolly. Er drehte zufällig den Kopf. Ich sah den unbegreiflichen, beinahe schon irren Ausdruck auf seinem Gesicht, denn auch er hatte noch nicht begriffen, daß wir gerettet waren. Vorerst zumindest, denn wenn ich recht darüber nachdachte, und das tat ich auch, lagen wir beide hier auf der Wasserfläche wie auf dem Präsentierteller, denn die Waffen besaßen unsere beiden >Freunde< im Schlauchboot. Sie brauchten nicht mal großartig zu zielen, um uns zu erschießen. Nur taten sie das nicht. Und es hatte einen Grund. Wir sahen ihn deshalb, weil wir von den kleinen Händen unter unseren Rücken gedreht wurden, damit wir in eine bestimmte Richtung schauen konnten, in die auch die beiden Killer blickten. Etwas hatte sich in der Zeit, in der wir uns unter Wasser befunden hatten, verändert. Etwas war erschienen und mußte sich aus der Tiefe des Sees an die Oberfläche gedrückt haben.
Eine nackte, wunderschöne Frau, die auf der Spitze eines Felsens saß, und mir schoß dabei ein Name durch den Kopf. Undine! *** In diesem erregenden Moment spürte ich eine tiefe Freude in mir wie seit langem nicht mehr. Ich hatte keinen Beweis, aber die Ahnung sagte mir, daß nun nichts mehr passieren konnte, denn diese Frau strahlte etwas aus, das ich als eine schützende Aura ansah. Sie gab mir und sicherlich auch Bill die entsprechende Sicherheit. Sie saß auf dem Felsen, und das letzte Licht der Sonne streifte ihren Körper. Im Hintergrund das flache Wasser des Sees. Jenseits davon die zackigen Grate der Berge. Dazu der dunkel gewordene Himmel, verziert mit einigen wenigen hellen Flecken, die so aussahen wie verwaschene Seide. Die Frau kniete in einer besonderen Haltung. Die nackten Oberschenkel waren zu sehen, nur nicht die Beine. Sie bildeten mit dem Felsen eine Einheit. Oder hatte sie keine? Es war mir egal, denn mein Blick wanderte höher. Undine saß dort wie eine Ballettänzerin, sehr steif, doch gleichzeitig wie aus einer flüssigen Bewegung heraus erstarrt. Mit durchgedrücktem Rücken, den Kopf leicht zurückgelegt, den linken Arm an ihrem Körper entlang nach unten gedrückt und die Hand zwischen den Schenkeln vergraben. Mit dem rechten Arm umarmte sie sich selbst. Sie hatte ihn schützend vor ihre Brüste gelegt, als sollte sie kein Fremder je zu sehen bekommen. Dabei stellte ich sie mir wunderschön vor. So wie das Gesicht. War sie kein lebendes Wesen, sondern aus Stein, dann hatte ein Bildhauer wirklich ein perfektes Meisterwerk geschaffen. Sehr ebenmäßig, sehr wunderbar mit einer hohen Stirn, einer schmalen Nase und einem lieblich geschwungenen Mund, der nicht geschlossen war, sondern offenstand. Dafür hatte sie ihre Augen gesenkt, so daß ich ihre Pupillen nicht erkennen konnte. Dafür jedoch das lange, sehr lange Haar, das durch die Rückenlage des Kopfes noch weiter hinabreichte und mit den auslaufenden Spitzen den nackten Po berührte. Eine Götterstatue, ein Märchen, das wahr geworden war. Wäre es mir möglich gewesen, mich zu kneifen, ich hätte es bestimmt getan, um sicherzugehen, daß ich hier keine Illusion erlebte. Leider ließen das meine gefesselten Hände nicht zu, aber es war kein Traum, denn ich hörte meinen Freund Bill Conolly sprechen, während zugleich kleine Hände an meinen Hand- und Fußfesseln zupften, um mich von den Stricken zu befreien. »John, das ist das Wunder, auf das ich immer gewartet habe. Genau das habe ich mir erträumt. Verdammt, ich fasse es nicht…« »Ich auch nicht.«
Aber da waren noch zwei auf dem Wasser. Unsere beiden Killer, die im Boot hockten und sich eigentlich zu drehen brauchten, um uns abzuschießen. Sie taten es nicht. Sie schauten statt dessen nur gegen die nackte Frau auf dem Felsen. Dieses Erscheinen mußte sie ebenso überrascht haben wie uns, so daß sie einfach zu keiner Handlung mehr fähig waren und sich ausschließlich ihrem Staunen hingaben. Bill und ich schaukelten noch immer auf dem Wasser, und wir fühlten uns dabei wohl. Es war sicher wie die Planken eines Bootes. Es würde weitergehen, davon waren wir beide überzeugt. Diese Frau war nicht nur erschienen, um sich zu zeigen, bestimmt wollte sie ihre Pläne ausspielen. »Das muß Undine sein«, sagte Bill. »Mein Gott, daß ich so etwas erleben würde…« Es schien, als hätte sie die Worte und vor allen Dingen ihren Namen ghört, denn sehr langsam bewegte sie ihren Kopf und drehte ihn in unsere Richtung. Spätestens jetzt merkten wir, daß sie aus Fleisch und Blut bestand, denn weder ein Knarren noch ein Knirschen war zu hören. Da brach kein Stein, da brach kein Holz, diese wunderbare Person lebte. Sie war eine Retterin aus Fleisch und Blut. Undine bewegte nur den Kopf. Man mußte einfach das Gefühl haben, als könnte sie ihn um die eigene Achse drehen, doch dazu kam es nicht. Sie wollte nur in eine bestimmte Richtung schauen, und plötzlich mußten sich die beiden Killer sehr mies fühlen, denn Undine öffnete die Augen und starrte sie an. Ich war fasziniert und ging davon aus, daß auch Bill Conolly das gleiche Gefühl erlebte. Hatte ich schon einmal derartige Augen erlebt? Nein, noch nie. Sie waren auch schwer zu beschreiben. Sie schienen aus Glas zu bestehen oder aus einem anderen Material, das diesem sehr ähnlich war. Vielleicht aus Wasser? Schwammen die farblosen und gleichzeitig farbigen Pupillen etwa darin? Verrückte Gedanken, die mir durch den Kopf schössen, es jedoch nicht schafften, mich von meiner Faszination zu lösen, denn diese Augen waren schlichtweg wunderbar. Zumindest für uns, nicht aber für die beiden Killer, denn plötzlich erlebten sie, was es heißt, Angst zu empfinden, die sich bei ihnen immer mehr steigerte. Kaum hatte sie der Blick dieser Frau getroffen, da duckten sie sich. Sie schrien nicht, aber wir hörten ihr Stöhnen, und sie drehten die Köpfe zur Seite, um dem bannenden Blick zu entgehen. Das schafften sie zwar rein formal, aber die Botschaft dieser Augen hatte ihr Innerstes getroffen,
und Undine spielte auch weiterhin eiskalt ihre Macht aus. Die beiden Männer wurden zu Wachs in ihren Händen, sie taten, was Undine wollte. Bill und ich erlebten beide noch den Schrecken, als die Kerle unsere Waffen zogen. Sie hielten sie in den Händen, jetzt brauchten sie sich nur zu drehen, um auf uns zu schießen. Sie drehten sich auch, aber sie hoben die Arme an. Dann öffneten sich die Hände. Zwei Waffen polterten auf die Planken des Schlauchboots. Sie hatten sie freiwillig-unfreiwillig fallenlassen, so immens stark waren die geistigen Befehle der Felsenfrau. Und das Märchen rollte weiter ab. Doch wie es Märchen so an sich haben, war die schöne Seite verschwunden, um der anderen, der bösen, Platz zu schaffen. Märchen enden oft grausam und blutig. Das mußten auch wir erleben, denn Undine kannte den beiden Mördern gegenüber kein Pardon. Wir erlebten, daß ihr Geist völlig außer Kontrolle geriet, denn sie fingen an, sich selbst zu verletzen. Zuerst mit den Fingern, die sie sich in Mund, Nase und auch Augen rammten. Sie fielen dabei hin, sie stöhnten, und als sie über der wulstigen Bordwand wieder auftauchten, da blitzten plötzlich Messer in ihren Händen. »Um Himmels willen!« keuchte Bill. Mir hatte es vor Schreck die Sprache verschlagen, und das Grauen steigerte sich, denn Undines Rache war furchtbar. Sie sorgte dafür, daß sich die beiden Männer gegenseitig umbrachten. Hart und gnadenlos attackierten sie sich mit den Messern. Sie stachen aufeinander ein, sie klammerten sich fest, stachen wieder zu, dann versuchte einer, über die Bordwand zu springen. Das gelang ihm erst beim zweiten Versuch, denn beim ersten wurde er von seinem Gegner zurückgerissen. Der Mann klatschte ins Wasser und versank. Der zweite sprang ihm nach. Er blutete aus zahlreichen Wunden, und als er sich nach vorn warf, hatte der im Wasser Schwimmende bereits auf ihn gewartet. Das Messer stand nach oben. Der andere fiel in die Klinge. Er schlug noch seine Hände wie Pantherkrallen in die Schultern seines ehemaligen Freundes, dann gingen beide unter und tauchten nicht mehr auf. Wir waren sprachlos, dümpelten auf dem Wasser und schauten zu Undine hoch, die ihren schönen Mund zu einem Lächeln verzog, und genau in dem Augenblick fielen auch die Reste meiner Fesseln. Ich konnte die Arme und Beine wieder bewegen. Leider schmerzten sie erbärmlich, denn nun hatte das Blut wieder freie Bahn, schoß durch die Adern und erwischte dabei auch die gestauten Stellen.
Auch wenn ich es gewollt hätte, ich hätte kaum schwimmen können, denn meine Gelenke fühlten sich an wie dicke Klumpen. Vielleicht wäre ich wie eine bleierne Ente durch das Wasser gepaddelt. Meinem Freund Bill mußte es ebenso ergehen. Für einen Moment tauchte er weg, erschien jedoch sehr schnell wieder an der Oberfläche, getragen von den Nixen, denn sie halfen uns auch jetzt weiter. Durch ihre Unterstützung gelangten wir bis an das Boot heran. Wir reckten unsere Arme aus dem Wasser und klammerten uns an der wulstigen Bordwand fest, nicht weit voneinander entfernt, erschöpft und glücklich. Bill schleuderte das Haar zurück, das naß in seiner Stirn gehangen hatte. »Den Rest schaffen wir auch noch.« »Dann los!« Wie zwei übermüdete Wassertiere kämpften wir uns höher, das Wasser trug uns dabei, vielleicht kriegten wir auch Unterstützung durch die Helferinnen, wir wußten es nicht genau. Wichtig war nur, daß wir beide in das Boot hineinrollten und mal wieder auf den Planken lagen, diesmal nicht gefesselt und wieder den gleichen Himmel über.uns sehend, der mir jedenfalls viel freundlicher erschien. Ich blieb zunächst liegen. Der Atem mußte zur Ruhe kommen. Dabei massierte ich meine Handgelenke, die es am schlimmsten erwischt hatte. Sie waren noch stark geschwollen, was sich aber legen würde. Durch meine Massage lief das Blut wieder normal, ich konnte sie ziemlich schnell wieder normal bewegen. Bill hatte die Waffen gefunden. Er reichte mir meine Beretta. »Ich denke, da haben wir Glück gehabt.« »Kannst du sagen.« Ich steckte die Pistole ein und richtete mich auf. Mein Blick fiel automatisch auf diejenige Person, die uns gerettet hatte. Undine saß noch immer auf dem Felsen, gegen den die Wellen klatschten und silbrige Schaumstreifen produzierten. In den neuen Lichtverhältnissen wirkte ihre Haut anders, nicht mehr so hell, sie hatte einen violetten Schimmer bekommen, der auch das Licht nicht ausließ. Obwohl sie keinen Fetzen am Leib trug, schien sie nicht zu frieren. Sie genoß es, auf dem Felsen zu hocken und sich den Wind um den Körper wehen zu lassen. War es wirklich Undine? Diese sagenhafte Gestalt aus dem Wasser. Die Königin der Seen? Ich mußte es akzeptieren, wie auch mein Freund Bill Conolly, der sich neben mir aufrichtete und ebenso fror wie ich. Das war sehr bald vergessen, denn die Person sprach uns an. Und wieder wurde uns märchenhaft zumute, als wir ihre glockenhelle Stimme hörten, die über das Wasser zu uns herüberklang. Sie redete sogar in unserer Sprache, und sie hieß uns tatsächlich in ihrem Reich willkommen. »Bist du tatsächlich Undine?« fragte ich. »So werde ich genannt.«
»Und du lebst in dieser Welt?« »Nein.« »Aber wir befinden uns doch in…« »Nicht nur. Wir stehen an der Grenze zwischen zwei Welten. Auf der einen Seite ist deine Welt, auf der anderen ist die der Druiden, das herrliche Paradies, die Märchenwelt, die man Aibon nennt.« Also doch. Ich schaute Bill an, der blickte in mein Gesicht, und beide nickten wir auf Kommando. Wir hatten eine der Zonen gefunden, wo Aibon sich unserer Wirklichkeit näherte. Aber es war nicht Aibon. Es hatten nur Lebewesen aus Aibon geschafft, die Grenze zu überschreiten, um sich hier richtig umzuschauen. Ein kleines Wunder, das ich allerdings gern akzeptierte. Nur war nichts vollkommen, auch hier nicht, denn das gleiche, das wir wußten, das kannten auch unsere Feinde, die sich Freunde des Wassers nannten und so freundlich nicht waren. »Du hast die beiden Männer getötet, nicht?« Auf ihrem Gesicht zeigte sich ein Lächeln. »Ich weiß nicht, ob ich sie getötet habe.« »Nicht direkt, stimmt. Sie brachten sich gegenseitig um. Ein Zeichen, daß du mächtig bist und durch die Kraft des Geistes Dinge in Bewegung setzt, die anderen verschlossen bleiben.« »Ja, ich verfüge über die Kraft, aber ich habe mich über ihren Tod nicht gefreut. Wir Wassernixen freuen uns nie, wenn Wesen sterben, nur gab es diesmal keinen anderen Weg. Sie hätten euch umgebracht, denn es sind Mörder, auch wenn sie es nicht zugeben. Sie sind gekommen, um die Geheimnisse zu ergründen. Sie bringen meine kleinen Freundinnen um, die ihnen soviel Vertrauen entgegengebracht haben. Sie haben Fallen aufgestellt, sie werden sich die Nixen holen, und ich kann nichts dagegen tun, so leid es mir tut.« »Warum kannst du das nicht?« wollte Bill wissen. Er kniete im Boot und schaute zu Undine hinüber. »Du bist mächtig, wir haben es mit eigenen Augen gesehen.« »Das mag sein, ich habe Macht, aber auch sie ist eingeengt und sehr begrenzt. Sie bezieht sich ausschließlich auf das Wasser, nicht auf das Land. Im Wasser herrsche ich, aber meine Feinde befinden sich nicht im nassen Element, sondern an Land.« »Und der Anführer heißt Justus Fontain, denke ich.« »Ich kenne seinen Namen nicht. Es ist auch nicht wichtig, ihn zu kennen, ich weiß nur, daß er leider diesen Weg gefunden hat und seine Gruppe versuchen wird, sich mit unserer Welt zu verbinden.« »Sie haben von einer absoluten Reinheit gesprochen. Selbst vom Ursprung des Lebens, das ja im Wasser entstanden ist und sich anschließend entwickelt hat. Ihrer Meinung nach ist aber alles falsch
gelaufen. Nichts war mehr so, wie es eigentlich hätte sein sollen. Es ging vieles auseinander, es entwickelte sich falsch. Die Menschen degenerierten, anstatt sich zu vervollkommnen. Fontain und seine Gruppe sind auf der Suche nach dieser Vollendung, und sie haben für sich den richtigen Weg gefunden, denn sie holen sich die Kraft aus dem Wasser, dem Ursprung allen Lebens. So und nicht anders sehen sie ihr Leben. Jeder, der sich ihnen in den Weg stellt, wird getötet.« »Ja, auch ihr habt sterben sollen, und ihr habt Glück gehabt. An Land hätte ich euch nicht helfen können.« »Danke«, sagte ich. Undine lächelte nur. »Ich will keinen Dank. Ich möchte nur, daß ihr das tut, was getan werden muß. Es ist nicht nur in meinem Sinne, nicht nur wegen Aibon, es ist auch wegen euch. Ihr werdet die Mörder wohl kaum ungeschoren davonkommen lassen wollen.« »Das stimmt!« sagte Bill. »Sollen wir sie denn töten?« fragte ich. »Haltet euch an die Gesetze der Welt.« »Die sind anders«, erklärte ich. »Wir können nicht hingehen und sie hinterrücks vernichten. Wir werden sie vor ein Gericht stellen müssen.« Sie lächelte, weil sie mir nicht glaubte. Dann fragte Undine: »Was wird dann geschehen?« Bisher waren mir die Antworten flott über die Lippen gekommen, nun aber stockte ich. Verdammt, sie hatte recht mit ihrer Frage. Was würde dann gesehenen? Ich wußte es nicht. Ich hätte ihr keine konkrete Antwort geben können. Ich schloß die Augen, um ein anderes Bild wirken zu lassen. Durch nichts wollte ich mich ablenken. Ich stellte mir vor, wie dieser Justus Fontain vor Gericht stand. Wie ich als Zeuge den Versammelten erklärte, daß er Nixen gefangen hatte, um sie dann…? Verdammt, was hatte er überhaupt mit ihnen vor? Wollte er sie töten? Hatte er sie nur gefangennehmen lassen? Jeder Verteidiger hätte mich ausgelacht. Mein Beweismaterial war im Prinzip keines, denn es stand auf tönernen Füßen. Ich kam überhaupt nicht damit zurecht, und vor Gericht hätte man mich wirklich nur ausgelacht, und ich wäre der Blamierte gewesen. Es gab keine Leichen, nicht einmal tote Nixen, und die wären von der restlichen Welt nicht akzeptiert worden, auch wenn es einen gewaltigen Schauprozeß gegeben hätte. Da lief mir schon jetzt einiges aus dem Ruder, ich hätte mich nur lächerlich gemacht. Als ich die Augen wieder öffnete, sah ich Bill. Er hatte sich gedreht und redete flüsternd auf mich ein. »Ich denke, du hast an das gleiche gedacht wie ich.« »Ja, das scheint mir auch so.« »Wir kommen damit nicht durch.«
Ich schwieg. Mein Mund bewegte sich, ohne daß ich etwas kaute. »Da sind die beiden Toten…« »Die liegen im See, Jphn.« »Wir können sie bergen lassen.« Bill hob seine Schultern. »Ich wäre dafür, wenn du darüber mal mit Undine redest.« Sie hatte, obwohl wir leise sprachen, unsere Unterhaltung mitbekommen. Wiederum erreichte uns ihre glockenklare Stimme. »Man wird von euren Mördern nichts mehr finden«, sagte sie uns. »Beide Körper werden zu einem Fraß der Fische geworden sein…« »Hier gibt es doch nicht…« Sie hob lässig einen Arm und brachte ihn in eine kreisende Bewegung. »Wißt ihr wirklich, was es hier gibt und was es hier nicht gibt, meine Freunde?« Bill schaute auf das dunkle Wasser. Es war beinahe schwarz geworden, hin und wieder glitzerte es auf, aber was in der Tiefe lauerte, wußte keiner von uns. Mein Freund kriegte eine Gänsehaut. »Es sind also nicht nur Nixen, die den See bevölkern, denke ich.« »So ist es.« »Was hat Aibon geschickt?« fragte ich. »Fische, die es auf dieser Welt nicht gibt. Das Land der Legende ist vielfältig, wie ihr wißt. Aber darüber wollen wir nicht reden. Wichtiger sind die Menschen, die unser Paradies gestört haben und auch weiterhin versuchen werden, uns zu vernichten, um das zu erlangen, was sie das Höchste nennen.« »Göttergleich!« rief Bill, »aber wie? Schau sie dir an. Sie sehen bleich aus, hungrig, schon unterernährt. Kann das denn der Sinn ihres Trachtens sein?« »Sie gehen den Weg.« »Mit den Nixen?« »Ja.« Ich hatte das Gefühl, daß Undine mehr wußte, aber nicht alles sagen wollte. Sie hatte uns in das Boot gesetzt und einen leichten Schub gegeben, den Rest der Strecke mußten wir paddeln. Ich schaute sie sehr genau an. Auch jetzt in der Dunkelheit sah sie wunderbar aus. Ihr Körper schimmerte, und meiner Ansicht nach schien er von innen zu fluoreszieren. Ein geheimnisvolles, grünes Leuchten, ohne daß ich eine Lichtquelle gesehen hätte. Etwas rauschte heran. Unser Boot fing an zu schaukeln. Eine mächtige Welle brandete gegen den Felsen. »Ihr werdet das Richtige tun«, rief uns Undine zum Abschied zu. »Und wir haben uns bestimmt nicht zum letztenmal gesehen. Diese Nacht hat
noch nicht mal angefangen, sie wird sehr lang werden, und voller Erlebnisse für uns alle sein…« Rätselhafte Worte, die bei Bill und mir Stirnrunzeln verursachten. Wieder schäumte eine Welle heran, sie brandete gegen die Felsen. Beim Aufprall verlor das Wasser seine düstere Farbe, es gischtete als heller Schaumkranz in die Höhe und sank wieder in sich zusammen. Sie hatte nicht nur Undine mitgerissen, sondern auch den Felsen. Wo sich beide noch vor kurzem gezeigt hatten, war nun nichts mehr zu sehen. Nur eben das Wasser. »O je«, sagte Bill Conolly, »das glaubt mir keiner, wenn ich es erzähle.« »Brauchst du ja nicht.« »Du hast gut reden.« Bill winkte ab. »Egal, was hier auch noch ablaufen wird, eines steht fest: Unser Leben ist gerettet, und dabei ist es mir völlig egal, ob dies auf eine wundersame und zauberhafte Art und Weise geschehen ist.« Bill nickte. »Recht hast du. Ich friere trotzdem.« »Wir können zurückpaddeln, das wärmt durch.« Er grinste. »Du wirst es kaum glauben, aber ich mache mit. Und wenn wir dampfend das Ufer erreichen, mir ist alles recht.« Und so paddelten wir zurück. Das Ufer war kaum zu sehen. Es hob sich als Schatten am Rand des Sees ab. Ich peilte hin und wieder gegen den Himmel, weil ich wußte, daß dort die Mondsichel erscheinen mußte. Da hatte ich Pech, die Wolkenschleier waren noch zu dicht, um einen Blick auf die Gestirne werfen zu können. Immer wenn ich über die Bordwand schaute, hatte ich das Gefühl, die kleinen Begleiterinnen zu sehen, die nicht aus unserer Nähe wichen. Hier im Wasser waren sie die Stärkeren, da würden sie uns beschützen. An Land konnten wir unsere Dankbarkeit beweisen. Und dort warteten die Freunde des Wassers auf uns, denen wir die Rechnung präsentieren würden. Wie sich dieser Fall auch immer würde entwickeln, eines stand fest: Die Karten waren neu gemischt worden! *** Die Männer kannten sich aus. Sie nahmen die verschlungenen Pfade und hatten ihre Unterkunft, das kleine Hotel, sehr schnell erreicht. Es lag versteckt auf einer flachen Anhöhe, nicht weit vom Ufer entfernt und mit Blick auf den See. Für das Gewässer hatte keiner der Männer einen Blick. Sie allein interessierte die Beute im Sack. Der Widerstand der Nixe war schwächer geworden. Nur mehr ein geringes Zappeln zeugte davon, daß sie überhaupt noch am Leben war.
Lange würde sie ohne Wasser nicht auskommen können. Sie hatte es gespeichert, und wenn es dunkel blieb, konnte sie noch einige Stunden leben, dann aber war es endgültig vorbei. Daran dachten Justus Fontain und seine Leute nicht, als sie vor dem Eingang stehenblieben. Bevor er sie wegschickte, ließ er sich den Sack geben, denn was nun passieren sollte, war einzig und allein seine Sache. Im blassen Licht der Eingangsleuchte wirkten ihre Gesichter wächsern. Ihre Geländewagen standen in der Nähe, die Scheiben der Lobby sahen düster aus, nur manchmal wischte ein Lichthauch über sie hinweg. An der Rezeption brannte eine einsame Lampe, ansonsten waren die Räume im unteren Teil des kleinen Hotels dunkel. Nur in der ersten Etage schimmerte hinter dem einen oder anderen Fenster Licht. Fontain nahm den Sack entgegen. Er nickte seinen Freunden zu und bedeutete ihnen, pünktlich zu sein. »Wir werden kommen.« Fontain lächelte. »Und wir werden unsere Kraft wieder stärken, bis wir stark genug sind, um an sie heranzukommen.« »Wann wird das sein?« fragte jemand. Seine Stimme hatte gespannt geklungen, denn ein jeder von ihnen kokettierte mit der Vollkommenheit. Deshalb waren sie ja hier. »Ihr seid selbständig genug, um dies begreifen zu können. Wir haben uns vorbereitet, wir haben gelernt, jetzt können wir nur mehr auf die Natur vertrauen. Unsere Kräfte sind stark gewachsen, und in dieser Nacht werden sie noch einmal zulegen. Macht euch keine Sorgen. Nach dem Mahl werden wir uns wohl auf den Weg machen können.« Selbst im schwachen Licht war zu sehen, wie die Männer lächelten. Sie hatten genug gehört, drehten sich um und betraten noch vor ihrem Anführer das Hotel. Sie gingen durch die kleine Halle. Von draußen sah es aus, als würden sich Gespenster über den Boden bewegen, um dann in ihren Verstecken zu verschwinden. Fontain hielt den Sack an seinem oberen Ende fest, wo er auch zugebunden war. Durch eine heftige Bewegung zuckte er wieder in seinem Griff, und Fontain lächelte erwartungsvoll. Er wußte ja, daß diese Person, nein, dieses Wesen, keine Chance hatte. Es war einzig und allein für die Freunde des Wassers gemacht. Sie waren eine ausgewählte Gruppe, denn sie allein hatten den Weg gefunden, der mit dem Erreichen des richtigen Paradieses enden würde. Seine Freunde hatten sich verteilt. Erst jetzt betrat auch Fontain das Hotel. Er betrat die Lobby wie ein King. Hochaufgerichtet, den Blick nicht von der Rezeption lassend, wo sich eine Frau bewegte und langsam aufstand. Fontain wußte nicht, ob es die Eigentümerin des Hotels war, jedenfalls hatte er für seine Gruppe bei ihr das kleine Hotel gemietet. Auch wenn
nicht alle Zimmer belegt waren, er bezahlte sie trotzdem, weil er keine anderen Gäste in seiner Nähe wissen wollte. Die Frau hatte sich erhoben und ihre Hände flach auf den Rezeptionstresen gelegt. In dieser Haltung konnte sie die Finger nicht lassen. Wie immer spürte sie ein gewisses Unbehagen, wenn sie diesem Mann gegenüberstand, und deshalb auch verkrampften sich ihre Hände zu Fäusten, was Justus Fontain mit einem leichten Lächeln quittierte, denn er fand es gut, wenn Fremde Respekt vor ihm zeigten. »Möchten Sie Ihren Schlüssel, Sir?« »Nein, Mrs. Gumm…« Die Frau nickte. Sie wurde nervös. Sie strich durch ihr kurzgeschnittenes, violett gefärbtes Haar und wünschte sich ihren Mann herbei, doch der hatte auf Anraten der Ärzte eine Kur machen müssen und würde erst in zwei Wochen zurückkehren. »Ich… ich habe für Sie eingedeckt, Sir.« »Das ist gut.« »Werden alle Gäste am Essen teilnehmen?« »Das denke ich schon.« »Haben Sie noch einen Wunsch? Ich könnte noch eine Beilage zubereiten…« Der Mann beugte sich vor. Den Sack hielt er so, daß Gunda Gumm ihn nicht sehen konnte. Sie wollte es auch nicht, denn diese Gäste waren ihr von Beginn an unheimlich gewesen, und das hatte sich auch nicht geändert. »Was hätten Sie denn anzubieten?« Sie hob die Schultern und strich dann über das Holz des Tresens hinweg. »Es wäre nicht viel.« »Lassen Sie hören.« »Fisch, sehr frisch und…« Er schüttelte den Kopf. »Nein.« Mrs. Gumm wurde noch verlegener. »Vielleicht kann ich Ihnen mit einem Salat dienen?« Interesse glomm in Fontains Augen auf. »Das wäre nicht einmal unübel. Ich bin dafür – vorausgesetzt, Mrs. Gumm, dieser von Ihnen angebotene Salat sagt uns zu.« »Er ist sehr frisch. Ich habe ihn heute geerntet. Er ist in meinem kleinen Treibhaus gewachsen, hat aber auch das erste Sonnenlicht abbekommen. Sie können ihn sich ansehen und entscheiden dann…« »Nicht nötig, ich vertraue Ihnen.« Fontain legte seine Hand auf die der Frau und spürte, wie diese zusammenzuckte, denn sie hatte das Gefühl, von einem kalten Fisch berührt zu werden. Fontain verstärkte den Druck etwas. Er schaute ihr in die großen Augen. Vergeblich versuchte die Frau, dem Blick auszuweichen. Er hatte etwas Faszinierendes und
gleichzeitig Beschwördendes. »Ihr Mann ist noch in Kur, wie ich weiß, Mrs. Gumm?« »Ja, das stimmt.« Es war ihr unangenehm, dies zugeben zu müssen, aber sie konnte nicht lügen. »Fühlen Sie sich nicht allein?« »Auf keinen Fall. Wir haben genug zu tun. Bald beginnt die Sommersaison. Zwar kommen nicht viele Gäste her, aber es ist schon zu tun. Zumeist nette Gäste, Wanderer, Naturliebhaber…« »Finden Sie uns nicht nett, Mrs. Gumm?« Sie hatte schon vorher gewußt, daß sie mit ihrer Antwort einen Fehler begangen hatte. Eine heiße Lohe durchzuckte ihren Körper und rötete das Gesicht. »Natürlich finde ich Sie und Ihre Freunde in Ordnung, Mister Fontain. Keine Frage…« »Dann bin ich beruhigt. Wir machen Ihnen kaum Arbeit. Wir benehmen uns anständig, wir gehen unseren eigenen Weg.« Er ließ ihre Hand endlich los und streckte den Arm aus. Mit der flachen Hand berührte er ihre Wange, und Gunda wäre gern zurückgezuckt, was sie allerdings nicht schaffte. Sie blieb in einer verkrampften Haltung stehen und hörte die Worte ihres Gastes. »Sie sind eine sehr schöne Frau, Mrs. Gumm. Und eine Frau wie Sie darf nicht allein bleiben.« »Mein Mann kommt bald…« Ihre Stimme versagte, und sie ärgerte sich darüber. »Vergessen Sie Ihren Mann. Ich werde Sie morgen früh noch einmal ansprechen, Mrs. Gumm…« »Dann muß ich weg.« Er lächelte breit und fügte mit seiner intensiven Flüsterstimme hinzu. »Aber Sie kehren zurück, denke ich.« »Ja«, sagte sie leise, den Kopf senkend. »Das muß ich wohl.« Fontain lachte. Es klang siegessicher. Dann ließ er sich doch seinen Zimmerschlüssel geben und steckte ihn ein. »Es ist möglich, daß wir in dieser Nacht noch einmal wegmüssen. Machen Sie sich unseretwegen keine Gedanken, Mrs. Gumm.« »Das werde ich auch nicht.« Fontain deutete eine Verbeugung an, drehte sich ab und ging nach links weg, als würde er eine Bühne verlassen. Gunda Gumm atmete tief durch. Sie schloß für einen Moment die Augen, lehnte sich zurück und spürte in ihrem Rücken das Holz des Schlüsselkastens. Als sie dem Mann wieder nachblickte, entdeckte sie auch den zugeschnürten Sack in seiner rechten Hand, und sie fragte sich zum wiederholten Male, was er wohl beinhalten würde. Nicht erst heute kehrten die Gäste mit einem Sack zurück. An manchen Tagen hatten sie zwei und drei mitgebracht, und einmal war es ihr gewesen, als hätte sie aus den Säcken wimmernde Laute gehört.
Plötzlich konnte sie dieses Halbdunkel nicht mehr ertragen. Hastig drehte sich die Frau um und drückte mehrere Schalter für die Hallenbeleuchtung. Die Lampen waren in die Holzdecke eingelassen worden, und aus ihnen sickerte das Licht in breiten Kegeln, um auf dem Boden helle Kreise zu hinterlassen. Gunda Gumm fürchtete sich vor dem nächsten Morgen. Sie wußte, daß Männer wie dieser Fontain ihre >Versprechen < einlösten, und sie überlegte schon jetzt, wie sie ihn am besten loswerden konnte. Jedenfalls würde sie für ihn und seine Freunde den Salat anrichten und ihn genau nach ihrem Geschmack zubereiten, denn sie verlangten ein bestimmtes Dressing aus Natursäften. Mrs. Gumm verschwand in ihrer Küche, und Justus Fontain ging nicht zu seinem Zimmer, sondern in einen Raum, den er für sich und seine Freunde hergerichtet hatte. Es war ein besonderer Raum. Hier wurde alles vorbereitet, und kein Hotelangestellter, die Besitzerin eingeschlossen, durfte ihn betreten. Das hatten sie bei ihrer Ankunft so vereinbart, und Mrs. Gumm hatte sich auch daran gehalten. Der Raum lag am Ende eines Flurs, in dem kein Licht brannte. Justus brauchte es zudem nicht, er fand sich im Dunkel zurecht. Vor der entsprechenden Tür blieb er stehen. Den Schlüssel trug er bei sich und gab ihn nicht aus der Hand. Fontain stellte den Sack nicht ab. Griff in die linke Hosentasche und holte den Schlüssel hervor. Zielsicher fand er das Schloß auch im Dunkeln, seine Routine war eben groß genug geworden. Zweimal mußte er ihn drehen, dann war die Tür offen. Er stieß sie nach innen. Vor ihm öffnete sich ein Zimmer, das jedoch stockfinster war. Selbst die Fenster waren verhängt worden. Kein Licht sollte in den Raum fallen, denn das hatte seinen Grund. Justus Fontain summte ein irisches Volkslied, als er über die Schwelle trat. Mit einem Kick seiner Hacke gegen die Tür ließ er sie ins Schloß fallen. Dann lächelte er, was im Dunkeln niemand sehen konnte. Gleichzeitig bewegte er sich auf die Mitte des Zimmers zu. Diesmal hatte er den linken, freien Arm ausgestreckt und war zufrieden, als seine Hand den glatten Stein des Beckens umfaßte. Es war ziemlich groß, fast ein kleiner Whirlpool. Es stand inmitten des Raumes und wurde von einer runden Säule getragen. Im Dunkeln hob er den Sack an. Die Nixe spürte, das etwas mit ihr geschehen sollte. Durch einen Schlag ihres Schwanzes brachte sie den Sack wieder in Bewegung, und dann versuchte sie, an der Innenseite in die Höhe zu klettern, wobei sie sich mit ihren kleinen Händen
festklammerte. Der Mann ließ es geschehen, sie würde ihm nicht mehr entkommen und nur für ihn und seine Freunde da sein. Schwungvoll hievte er den Sack an und ließ ihn ebenso schwungvoll in das Becken fallen. Er hörte einen leisen Schrei, um den er sich nicht kümmerte. Er knurrte wie ein Tier, das seine Vorfreude ausdrücken will. Auf leisen Sohlen bewegte er sich zurück, bis er die Tür erreicht hatte. Neben ihr befand sich ein breiter Lichtschalter. Er drückte ihn mit der flachen Hand nach unten. Mehrere Lampen strahlten auf. Und dies im wahrsten Sinne des Wortes, denn es waren Strahlen, die ihre langen, grellen Arme in verschiedene Richtungen warfen, doch das war nicht alles. Es hätte nicht die Besonderheit des Raumes ausgemacht, denn die bestand aus ganz anderen Dingen. Überall an den zentralen Stellen befanden sich lange Spiegel. Sie fingen das Licht der Strahler nicht auf, sondern warfen es zurück, damit es sich an einem Punkt fangen konnte. Genau auf dem Becken, in dem der Sack lag. Justus Fontain stand wie ein König in seinem Reich. Er atmete tief durch. Auf seinem Gesicht wirkte der Triumph wie eingekerbt. Nichts konnte ihn jetzt noch stören. Das große Mahl würden sie gemeinsam einnehmen, und die Kraft eines anderen Reiches, verbunden mit dem wundersamen Element Wasser würde durch ihrer aller Adern strömen und sie beinahe unbesiegbar machen. Er zog die Nase hoch und knetete seine Hände durch. Gelassen schaute er sich um. Nichts hatte sich seit seinem letzten Besuch in dem Raum verändert. Noch immer sah er die glatten, weißen Wände, den ebenfalls hellen Fußboden und natürlich die Steinschale in der Mitte, in die er den Sack gelegt hatte. Er war zufrieden. Vier Spiegel hingen an den verschiedenen Wänden. Alle vier schleuderten die grellen Strahlen so perfekt zurück, daß keiner auch nur das Ziel um eine Idee verfehlte. Mit langsamen Schritten näherte er sich dem Ziel. Vor der hohen Schale blieb er stehen und legte seine Hände auf den Rand. Er fühlte sich gut, die neue Kraft würde dafür sorgen, daß er sich später sogar optimal fühlte. Aber noch war es nicht soweit. Da er keine Eile hatte, ließ er sich Zeit. Die Nixe bewegte sich nicht mehr. Da das Material zusammengefallen war, zeichneten sich ihre Umrisse ziemlich gut darunter ab. Sie lag auf der Seite, wahrscheinlich war sie schon fast tot, denn das grelle Licht schien auch durch die Lücken im Material. Es umgab den Mann ebenfalls mit seinem grellen Schein und ließ ihn ähnlich aussehen wie einen Arzt, der sich in den Operationsraum begeben hatte, um sich zunächst einmal gedanklich mit seinem Patienten zu beschäftigen.
Fontain rieb sich die Hände. Es wirkte wie eine Geste des großen Triumphs. Er freute sich darauf, endlich wieder in den Kreislauf der Natur eingreifen zu können, um ihn in seine Richtung zu lenken. Die Nixe zappelte wieder, als er den Sack drehte, um ihn aufschnüren zu können. Mit einem Ruck zerrte er das Band weg. Dabei lachte er kehlig, eine schon widerliche Art, sich über etwas zu freuen. Mit beiden Händen hielt er den Sack an verschiedenen Stellen fest. Er zupfte daran, drehte ihn – kippte ihn um, während er die folgenschweren Worte sprach. »Bald wirst du uns die Kraft geben, kleine Nixe. Die Kraft des Wassers, die Kraft des Reiches Aibon…« Ein letzter Ruck, und er hatte den Sack in die Höhe gezogen. Die Nixe rutschte heraus. Sie fiel in das Becken, schlug um sich, drehte sich dann auf den Rücken und sah über sich riesengroß das Gesicht des Mannes mit den fanatisch glänzenden Augen. Was dann geschah, war furchtbar und gleichzeitig unfaßbar. Für Fontain und seine Männer aber sollte es ein weiterer Schritt in die Vollkommenheit werden… *** Auf einmal verzerrte sich das schöne Gesicht der Nixe. Es bekam etwas Fischartiges, und das Wesen sah aus, als wollte es nach Luft schnappen, um sich noch ein paar Sekunden Leben zu gönnen. Das war nicht mehr möglich, denn das von den Spiegeln zielgenau reflektierte Licht prallte in die Augen der kleinen Nixe hinein und zerstörte den Körper mit elementarer Wucht. Es dauerte nur Sekunden, als die kleine Nixe buchstäblich zerplatzte, dabei aber in einen anderen Zustand überging. Fontain schaute gebannt zu, wie sie sich verwandelte. Sie löste sich auf. Aus dem festen Material wurde ein flüssiges. Vor seinen Augen verwandelte das Licht den Körper in Wasser. Füße, Beine, die Brust, die Arme, das alles verschwamm und löste sich auf. Die Flüssigkeit breitete sich als glänzende Lache auf dem Boden der breiten Schüssel aus, in der nur mehr das kleine Gesicht schwamm. Es war ein Bild des Schreckens, aber ein Widerling wie Fontain genoß den Ausdruck der Qual in den Augen, und er ließ sich nichts entgehen. Sein Lächeln vertiefte sich, als der Hals nicht mehr zu sehen war, dann kam der Mund an die Reihe, die Nase, die Augen wurden zu wäßrigen Kreisen, die Stirn folgte, und die Haare schwammen zitternd weg, wobei sie ebenfalls in den flüssigen Zustand übergingen.
Zurück blieb nichts mehr von der Nixe, nur eben das leicht schimmernde Wasser. Justus Fontain war zufrieden, sehr zufrieden sogar, was er durch sein Nicken bewies. Wieder einmal hatte er etwas geschafft, das von anderen Menschen kaum für möglich gehalten wurde, aber Fontain und seine Freunde hatten den Weg gefunden. »Aus dem Wasser sind wir gekommen«, flüsterte er. »Und es wird das Wasser sein, daß uns die Urkräfte und damit auch die Vollkommenheit zurückgibt…« Seine Augen glänzten wie im Fieber. Er war ein Fanatiker und zeigte dies auch. Das Lächeln blieb, die Mundwinkel zuckten, er schnaufte und blies in das Wasser hinein, das auf der Oberfläche leichte Kringel- und Kräuselbewegungen hinterließ. Wieder einmal hatte er es geschafft. Bevor er seinen rechten Zeigefinger in die Flüssigkeit tauchte, wischte er ihn an einem Taschentuch ab. Danach fuhr er mit der Spitze durch das Wasser, es fühlte sich so wunderbar warm an, war auch nicht so flüssig wie normales Wasser, sondern etwas dicker, aber nicht so dick wie das Blut eines Menschen. Sein Fließpunkt lag irgendwo dazwischen. Doch es war genau richtig. Justus Fontain war sehr zufrieden. Er hätte kaum gedacht, in dieser Nacht noch einen derartigen Fortschritt zu erreichen, denn die beiden Typen aus London waren sehr gefährlich gewesen. Er hatte sie nicht unterschätzen dürfen. »Kleine Nixe«, sprach er gegen die Lache. »Ist es nicht wunderbar, daß du uns dienen darfst und uns den Weg hinein in die Vollkommenheit zeigst?« Da er keine Antwort bekam, gab er sie sich selbst und auf seine Weise. Fontain nahm den Finger aus der Flüssigkeit und führte ihn an den Mund und leckte ihn ab. Sein Blick nahm den Ausdruck der Verzückung an, als er die Flüssigkeit kostete. Sie sah neutral aus, doch sie hatte Geschmack. Nach Wald, nach Freiheit, nach Kräutern und Wind. So hatte er es immer definiert, und auch seine Freunde waren damit einverstanden. Schwach entdeckte er sein eigenes Gesicht als Spiegelbild auf der Oberfläche. Er nickte sich noch einmal zu, um sich dann abzuwenden. Dieser Raum hatte zwei Türen. Durch eine war er gekommen, durch die andere verließ er ihn, um ein kleines Restaurant zu betreten, das auch als Konferenzzimmer diente. Es stand ein langer Tisch darin und an den Seiten mehrere Stühle. Genau sechs an jeder Seite. Sein Stuhl hatte den Platz am Kopfende des Tisches gefunden. Mit ihm waren sie dreizehn.
Eine magische Zahl, dessen Bedeutung er nur unterstützen konnte. In den Wald waren nicht alle mitgekommen, aber ein jeder wußte, wann die Zeit reif war, um das Mahl einzunehmen. Fontain schaute auf die Uhr. Noch eine halbe Stunde, dann trafen sie zusammen. Danach würde nichts mehr so sein wie zuvor, denn dann waren sie der Vollkommenheit zum Greifen nahe gekommen, und sie waren so stark, um das letzte Ziel in Angriff nehmen zu können. Er löschte das Licht und zog sich wieder zurück in den eigentlichen Raum. Die Flüssigkeit schwamm noch immer im Becken. Das würde sich erst ändern, wenn der Salat serviert war. Beide Türen schloß er ab. Die eine von innen, die andere von außen. Im Flur störte ihn plötzlich die Dunkelheit, deshalb machte er auch dort Licht und bewegte sich auf den Treppenaufgang zu, der zu den Zimmern hochführte. Unter der Decke wirkte das Gebälk wie ein Muster aus starren Armen. Bilder in rustikalen Rahmen hingen an den Wänden, auch die Treppen bestanden aus breiten Holzstufen, aber Fontain kam nicht mehr dazu, sie hochzugehen, denn vor der Treppe erwartete ihn einer seiner Freunde. Er hieß Jacob, war ein breitschultriger Mann mit rötlichen Haaren und einer blassen, sommersprossigen Gesichtsfarbe. »Hast du gewartet?« »Ja, Justus.« Fontain lächelte. »Es ist alles in Ordnung. Wir können das Mahl pünktlich einnehmen.« Er wollte noch etwas hinzufügen, aber Jacob schüttelte den Kopf. »Ist was?« fragte er statt dessen. »Leider.« »Was ist passiert?« »George und Graham sind noch nicht zurück!« Fontain schwieg. Er schaute zu Boden, als wären Jacobs Schuhe für ihn besonders interessant. Gedanken wirbelten durch seinen Kopf, auch negative, die er allerdings nicht wahrhaben wollte. Sehr langsam hob er den Kopf wieder an. »Das weißt du genau?« »Ja.« Jacob nickte. »Wir wollten uns versammeln und meditieren, so wie wir es immer tun, aber die beiden kamen nicht. Dabei hätten sie schon längst hier sein müssen.« »Das stimmt«, murmelte Fontain. Nachdenklich knetete er sein Kinn. Die Brauen zogen sich zusammen. Es sah aus, als würden zwei blasse Striche einen Versuch starten, um sich endlich berühren zu können. »Sie hätten hier sein müssen…« wiederholte er Jacobs Worte, um ihn dann zu fragen: »Wo können sie sein?«
Jacob hob Schultern und Arme. »Ich weiß es nicht.« »Die Männer waren gefesselt.« »Ja.« »Sie hätten ihnen nur eine Kugel zu geben brauchen.« Fontain verengte die Augen. »Haben sie das getan?« »Ich war nicht dabei.« »Aber wir kennen sie. Versetzen wir uns in ihre Lage. Sei du Graham und ich George. Wie hätten wir gehandelt, mein Freund?« Jakob kam sich in die Enge gedrängt vor. Er wußte und wollte auch keine Antwort geben, weil er sich davor fürchtete, die beiden in ein schlechtes Licht zu rücken. »Sag etwas!« Jacob hob die Schultern. »Ich weiß es nicht. Ich… ich kann mich nicht in sie hineinversetzen.« »Du willst es nicht!« »Nein, ich kann nur nicht…« Fontain lächelte kalt. »Soll ich es dir sagen?« Jacob war froh, dieser Klemme entkommen zu sein. Er hatte zwar seine Vorstellung gehabt, die aber hatte er Justus nicht unbedingt mitteilen wollen. Dennoch schien ihn der andere durchschaut zu haben, das sah Jacob an dessen Blick. Justus nickte. »Ich will es dir sagen, was die beiden getan haben. Sie wollten wahrscheinlich besonders gründlich sein und sind deshalb auf den See hinausgefahren. Ein Schlauchboot stand ihnen ja zur Verfügung. Sie hätten sich auch mit zwei Leichen an Land begnügen können. Statt dessen wollten sie es gründlich machen und haben die Toten versenkt. Das ist alles, mein Freund.« Jacob atmete auf. Er war froh, daß es Justus so sah und gab ihm durch ein Nicken recht. »Was uns jedoch angeht«, fuhr der Anführer fort, »ist alles in Ordnung.« Jacobs Augen blitzten. »Werden wir heute wieder aus der Kraftquelle trinken können?« »Ja.« »Dann ist es bald geschafft!« Fontain reckte sich. »Bald ist ein dehnbarer Begriff. Ich will ihn präzisieren. Wir werden noch in dieser Nacht die große Aufgabe in Angriff nehmen.« »Ja, Justus, das können wir. Unser Boot steht bereit…« *** Gunda Gumm hatte den Salat nach den Wünschen ihrer Gäste zubereitet. Kopfsalat und Fenchel hatte sie aus dem Treibhaus geholt, sorgfältig gereinigt und anschließend das Dressing zubereitet. Sie stand
in der Hotelküche und hatte alle Lampen eingeschaltet. Deren Schein spiegelte sich auf den blitzenden Töpfen, Pfannen, herumliegenden Bestecken und auch Ofen wider. Die Frau stand an der Arbeitsplatte. Gedankenverloren rührte sie mit einem Schneebesen das Dressing an, und trotz der herrschenden Helligkeit wollten ihre trüben Gedanken nicht weichen. Sie war zu dem Entschluß gekommen, sich mit diesen Gästen dicke Läuse in den Pelz gesetzt zu haben. Bei der Anmeldung war sie noch froh gewesen, denn um diese Jahreszeit verirrte sich kaum jemand in diese einsame Gegend. Auch Gunda kannte sich inzwischen aus, obwohl sie erst vier Jahre hier lebte und das Hotel zusammen mit ihrem Mann führte. Sie kannte die Geschichte, die sich die Einheimischen über den geheimnisvollen See erzählten, der in seiner Tiefe angeblich unendlich sein sollte und in ein nicht sichtbares Reich hineinführte. Sie kannte keinen, der einen Beweis dafür geboten hätte, doch ihre neuen Gäste interessierten sich sehr auffallend für das Gewässer. Sehr oft hatten sie es besucht, und sie waren dann mit einer Beute zurückgekehrt, die sie in einem Sack versteckten. Gunda hatte zumeist an einen Fisch gedacht, aber sie hatte nie etwas auf den Tellern gesehen. Die Männer ernährten sich sowieso ungewöhnlich. Sie aßen Suppe und ihren Salat. Zweimal hatten sie sich zu einem frischen Kohlgemüse überreden lassen, davon aber mehr als die Hälfte stehengelassen. Die Frau hatte sich natürlich Gedanken über die Gruppe gemacht, die im Haus kaum auffiel, weil sich jeder leise bewegte, als befände er sich im Zustand einer Meditation. Sie vermutete, daß sie einer Sekte angehörten. Ja, das konnte durchaus zutreffen und wäre für die heutige Zeit zudem nicht ungewöhnlich gewesen, denn über Sekten wurde ja viel in den Medien berichtet. Sie fühlte sich zwar unwohl in der Nähe ihrer Gäste, doch es gab nur einen, der ihr eine richtige Furcht einjagte. Das war eben dieser Anführer, den sie als Justus Fontain kannte. Sie fühlte sich unter seinen bohrenden Blicken wie nackt. Irgendwie hatte sie auch recht damit, denn sein letztes Angebot hatte an Deutlichkeit nichts zu wünschen übriggelassen, und Gunda sah deshalb nicht eben hoffnungsvoll in die Zukunft. Sie beschloß, sich am nächsten Tag so wenig wie möglich sehen zu lassen. Freiwillig würde sie diesem Fontain nicht über den Weg laufen, das stand fest. Der Salat war gewaschen, geschnitten und mußte nur mehr auf die dreizehn Teller verteilt werden. Die Frau hatte sie schon auf einem entsprechend großen Tablett bereitgestellt. An der Schürze trocknete sie
ihre Hände ab, schaute auf die Uhr und fand, daß es Zeit war, den Tisch zu decken. Rasch hatte sie es hinter sich gebracht. Dabei blickte sie immer wieder auf diezweite Tür des Raumes, hinter der ein Zimmer lag, das sie nicht betreten durfte. Es hatte eigentlich leer gestanden, aber die Männer waren daran gegangen, es einzurichten. Gunda konnte sich daran erinnern, daß sie große Spiegel und auch einen Trog herangeschleppt hatten. Den Sinn verstand sie nicht. Nachdem sie die Gedecke aufgelegt hatte, ging sie wieder zurück in die Küche. Die Männer wollten während des Essens auf keinen Fall gestört werden, so mußte sie die Beilage immer kurz vor dem Beginn des Essens servieren. Sie stellte die Salatteller hin, und die Gänsehaut auf ihrem Rücken wollte einfach nicht weichen. Daß sie sich in ihrem eigenen Hotel wie eine Fremde fühlte, war ihr auch noch nicht vorgekommen. Sie hielt es in den Räumen nicht mehr aus, und sie würde, wenn die Männer beim Essen saßen, das Hotel verlassen, nach draußen gehen, frische Luft schnappen und einen Spaziergang machen. Die Kühle des Märzabends würde sie bestimmt auf andere Gedanken bringen, dachte sie. Leise schloß sie die Tür hinter sich zu. Sie legte die Schürze ab, hängte sie an einen Haken und blieb neben dem Schlachterbrett stehen, auf dem einige sehr scharfe Messer lagen. Ihr Blick verweilte auf den glänzenden Klingen. Gunda überlegte, ob sie das eine oder andere Messer mit nach draußen nehmen sollte, was sie dann ließ, weil sie es doch ein wenig übertrieben fand, sich zu bewaffnen. Die Männer waren stets pünktlich. Es würde noch fünf Minuten dauern, bis sie eintrafen. In der Zeit konnte Gunda das Hotel verlassen. Sie löschte das Licht, lief mit hastigen Schritten zur Rezeption, wo ihre gefütterte Jacke hing, die sie überstreifte. Nur so ließ sich die kühle Nacht ertragen. Mit hastigen Schritten, beinahe schon wie ein Zechpreller, verließ sie das eigene Hotel. Als sie dann in den Abend hinaustrat, die herrliche Luft genoß, da hatte sie das Gefühl, alles hinter sich gelassen zu haben. Gunda Gumm tauchte in die Dunkelheit ein und konnte jetzt auch nicht mehr vom Hotelfenster aus gesehen werden. Ein schmaler Weg führte in den Wald hinein. Sie kannte ihn gut, fand sich auch im dunklen Wald zurecht und hatte auch vorgehabt, ihn zu gehen, als sie an der Einmündung stoppte. Aus dem linken Augenwinkel hatte sie einen Schatten gesehen, der sich blitzschnell bewegte. Sie schaute genauer hin. Der Schatten war weg.
Aber Gunda wußte, daß sie sich nicht geirrt hatte. Sie war nicht mehr allein. Und plötzlich fror sie trotz der dicken Jacke… *** Es war für uns gar nicht mal einfach gewesen, in der Dunkelheit den Wald zu durchqueren und den Weg zu finden, der uns auch zum Hotel führte. Wir waren wie die Indianer vorgegangen und hatten im Wald nach Spuren gesucht. Unsere hellen Lampen waren uns dabei sehr behilflich gewesen, und einen Erfolg gab es auch. Wir fanden die Spuren der Männer, wir konnten sie verfolgen und wußten, daß wir auf dem richtigen Weg waren. »Weißt du eigentlich, wer mir jetzt noch in diesem mystischmagischen Reigen fehlt?« sprach mich Bill an. »Nein, aber du wirst es mir sagen.« »Sehr richtig.« Bill ließ sich Zeit. Er wollte erst die kleine Anhöhe überwinden, die ich schon hinter mir hatte. Auf einem schmalen, beinahe zugewachsenen Waldweg, flankiert von nackt wirkenden Sträuchern, erwartete ich meinen Freund. »Was meinst du?« »Puh.« Er steckte die Taschenlampe wieder ein. »Ich denke da an deinen Freund Mandragore.« »Gratuliere.« »Weshalb?« »Ich habe ihn ebenfalls schon ins Kalkül gezogen, wobei ich bei genauerem Nachdenken davon abgekommen bin, weiterhin über ihn nachzudenken, denn ich glaube nicht, daß er mitmischt.« »Was ist der Grund?« Ich drehte mich um und deutete in Richtung des Wassers. »Der See?« Bill wunderte sich. »Genau der. Mandragoro ist zwar ein Naturdämon und deshalb auch vergleichbar mit der schönen Undine, aber seine Welt ist nicht das Wasser, sondern der Wald. Deshalb glaube ich, daß wir in diesem Fall nichts mit ihm zu tun bekommen.« Bill überlegte, nickte dann. »Du hast wohl recht.« Wir setzten unseren Weg fort. Dabei achteten wir immer auf einen Lichtschein, weil wir uns einfach nicht vorstellen konnten, daß dieses Hotel in der Dunkelheit begraben lag. Hin und wieder gestattete uns das Gelände einen freien Blick auf den See. Er schimmerte in der Ferne wie ein riesiges dunkles Auge, auf dessen Oberfläche hin und wieder starke Reflexe aufglühten, als wäre vom Himmel her eine Sternschnuppe nach unten gesegelt, um zischend im Wasser zu verschwinden.
Der schmale Weg drehte sich eng und kurvenreich wie das Gewinde eines Korkenziehers durch den dichten Wald, aber er führte nie weit vom See weg, was uns Hoffnung gab, denn das Hotel sollte ja in der Nähe des Wassers liegen. Da Bill Conolly die Führung übernommen hatte – angeblich wußte er durch seinen Bekannten besser Bescheid als ich – , blieb er auch als erster stehen. »Da ist es, John!« »Wo?« Nein, ich hätte nicht erst zu fragen brauchen, denn durch die Lücken im Wald schimmerte ein blasser heller Streifen. Sehr schwach nur, aber immerhin. »Genau dort ist unser Ziel!« Aus Bills Worten hatte der Optimismus herausgeklungen, auch ich fühlte mich besser, das letzte Sück liefen wir schneller. Mir kam der Wald hier besonders dunkel vor, auch geheimnisvoller. Es hätte mich nicht gewundert, wenn aus den Seiten plötzlich Fabelgestalten erschienen wären. Elfen, Gnome oder andere Wesen, die sich in der Tiefe sonst verborgen hielten. Wir hörten nur den Wind, unsere eigenen Schritte und auch die Atemgeräusche. Der Weg verbreiterte sich. Wir sahen besser und erkannten die schwachen Umrisse einer breiten Fassade, in deren Mitte eine Außenleuchte brannte. In der Lichtinsel entdeckten wir die Gestalt, die soeben das Hotel verlassen hatte und sich mit schnellen Schritten davon entfernte. Wir wußten nicht, ob es sich bei ihr um eine Frau oder um einen Mann handelte, aber wenn die Gestalt so weiterlief, würde sie uns bald erreicht haben. »Ich gehe lieber in Deckung«, sagte Bill. Schattenhaft schnell verschwand er im Gebüsch. Nicht schnell genug. Die Gestalt hatte etwas gesehen. Sie blieb stehen, machte auf mich einen gehetzten Eindruck. Ihr Kopf bewegte sich nach rechts und links. Noch wußte sie nicht, was geschehen war. Ich schlich näher an sie heran und erkannte, daß es sich um eine Frau handelte. Ich wollte sie nicht länger im Unklaren lassen und sprach sie deshalb an. »Guten Abend, Madam, Sie brauchen keine…« Ihr Schrei unterbrach meine Begrüßung. Im selben Augenblick verließ auch Bill seine Deckung, und die Frau mußte sich eingekesselt vorkommen. Sie duckte sich, ich mußte etwas sagen, aber Bill kam mir zuvor. »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, Madam, wir sind von der Polizei…« ***
Das waren genau die Worte, die Gunda Gumm nie erwartet hätte, die sie allerdings wahnsinnig froh machten, und sie sah die beiden Männer auf sich zukommen. »Sind Sie wirklich von der Polizei?« fragte sie und noch immer mißtrauisch. Ich lächelte sie an, während ich meinen Ausweis hervorholte. »Ich kann Ihnen mit der Lampe leuchten, damit Sie den Ausweis auch lesen können, Madam.« »Nein, nicht nötig. Wirklich nicht.« Sie schüttelte den Kopf. Wenig später wußten wir, wie sie hieß. Auch unsere Namen hatte sie erfahren, aber es lagen ihr noch zahlreiche Fragen auf der Zunge, die sie sich allerdings nicht zu stellen traute, bis auf die eine. »Sie kommen aus London?« Wir bestätigten es. »Aber nicht, um Urlaub zu machen – oder?« »Warum nicht?« fragte ich. »Oder denken Sie, daß ein Polizist keinen Urlaub braucht?« »So habe ich das nicht gemeint. Ich wollte Sie nicht direkt danach fragen, ob Sie einen Fall bearbeiten. Dazu noch in dieser einsamen Gegend hier.« »Gäbe es denn hier etwas für uns zu tun?« erkundigte ich mich vorsichtig. Gunda Gumm hob die Schultern. »Ich… ich weiß es nicht, bin mir nicht sicher.« »Sie denken an ihre Gäste, Mrs. Gumm.« Gunda drehte den Kopf und blickte Bill an. Sie wurde nervös, ihre Wimpern bewegten sich hektisch. »Wie… wie kommen Sie darauf?« »Liegt es nicht nahe?« Sie hob die Schultern. »Ich weiß es“ nicht. Über meine Gäste möchte ich nichts Schlechtes sagen.« »Das können wir verstehen. Aber wir würden gern etwas mehr von Ihnen über die Freunde des Wassers wissen.« Mrs. Gumm war überrascht. »Wie, bitte, nennen die sich?« »Freunde des Wassers«, wiederholte ich. »Das habe ich noch nie gehört.« »Stimmt aber.« »Tja«, sagte sie und senkte den Kopf. »Sie könnten sogar recht haben, wenn ich an ihr Benehmen denke.« »Was meinen Sie genau damit?« Sie winkte ab und schabte mit dem rechten Fuß über den Boden. »Ich habe mich falsch ausgedrückt. Ich meine nicht ihr Benehmen, sondern mehr ihre Eßgewohnheiten.« »Und was ist daran so ungewöhnlich?« »Hören Sie, Mister Sinclair, das sind ausgewachsene Männer, die sich tagsüber noch viel bewegen, im Gelände meine ich. Am späten
Nachmittag, am frühen Abend kommen sie dann zurück, mit einem Sack.« Sie sah nicht die Blicke, die Bill und ich uns zuwaren, und redete weiter. »Ich habe nie herausgefunden, was sich in diesem Sack befindet, doch eines ist sicher. Ein Fisch ist es nicht, den hätten sie dann ja verspeist.« »Was essen sie denn sonst? Fleisch?« »Nein, Mister Conolly, nein. Kein Fleisch, das auf keinen Fall. Die nehmen etwas anderes zu sich. Suppe!« »Bitte?« »Ja, Suppe.« »Begreifst du das, John?« Ich hatte die Stirn gerunzelt. »Nun ja, denk mal daran, wie sie sich nennen. Es sind die Freunde des Wassers. Vielleicht nehmen sie nur Wasser zu sich.« »Davon kann man nicht leben«, widersprach der Reporter. »Das meine ich auch«, sagte Mrs. Gumm. »Es ist nicht nur das Wasser. Hin und wieder serviere ich ihnen einen Salat. Heute abend haben sie sich ihn auch gewünscht.« »Und?« »Ich habe ihn zubereitet. Kopfsalat gemischt mit Fenchel und einem gewissen Dressing aus Kräutern und leichten Ölen. Ansonsten löffeln sie dazu ihre Suppe.« Ich stellte eine direkte Frage. »Und Sie sind sich sicher, daß es kein normales Wasser ist?« Gunda Gumm gab die Antwort nicht sofort. Sie ließ sich Zeit. Der Wind umwehte uns schleierhaft sanft. Er spielte auch mit den Spitzen der hochstehenden Buschzweige, bewegte sie auf und nieder, so daß es aussah, als würden sie uns zunicken. »Nein, das ist kein Wasser.« Sie schaute zu Boden und schüttelte den Kopf. »Was macht Sie denn so sicher?« »Eine gute Frage, Mister Sinclair. Soll ich sagen, daß es der Geruch gewesen ist?« »Der Geruch?« »Ja, Wasser riecht im allgemeinen nicht. Es sei denn, es ist abgestanden und fad. Aber diese Suppe riecht. Ich habe es wahrgenommen, als ich die bis auf den letzten Tropfen geleerten Teller abräumte. Sie haben gerochen.« Ich stieß die Luft aus. »Wonach denn? Haben Sie das herausgefunden, Mrs. Gumm?« »Tja, ich hätte es gern. Ich habe mir auch den Kopf darüber zerbrochen, aber es ist beim Versuch geblieben. Tut mir leid, daß ich Ihnen das sagen muß, aber einen sehr typischen Geruch strömten die Teller nicht aus. Eben anders.«
Das wollten wir nicht so hinnehmen. Während Bill das Haus beobachtete, stellte ich eine weitere Frage. »Haben Sie möglicherweise nach einem Vergleich gesucht?« »Auch.« »Und keinen gefunden?« Sie wollte mir schon zustimmen, geriet dann ins Grübeln. »Nicht direkt«, gab sie zu, »aber das, ich sage Wasser, roch anders. Nicht so wie das aus der Leitung. Wissen Sie, in ein paar Minuten haben Sie das Seeufer erreicht. Ich habe mich im Sommer des öfteren dort aufgehalten und habe auch im See gebadet. So ähnlich wie dieses Wasser haben auch die Teller gerochen, nur mit einem intensiveren Aroma nach irgend etwas, das ich nicht kenne.« »Moos, Algen?« fragte Bill. »Das kann sein.« Ich stellte die nächste Frage. »Wissen Sie denn, woher Ihre Gäste das Wasser geholt haben?« »Aus dem See, denke ich.« »Aber das hat doch anders geschmeckt, wie Sie uns eben verrieten, Mrs. Gumm.« »Ja, stimmt. Dann müssen Sie es eben aufbereitet haben.« »Und transportierten es in einem Sack«, sagte Bill, doch darüber konnte keiner lachen. Die Sache war einfach zu ernst. Mir war längst klar, daß dieses seltsame Wasser genau die Spur war, nach der wir gesucht hatten. »Darf ich Ihnen beiden einen Vorschlag machen, wenn Sie nichts dagegen haben?« »Wie könnten wir das?« fragte Bill. Mrs. Gumm schaute auf die Uhr. »Wenn alles so gelaufen ist wie bisher, dann sind sie jetzt dabei, ihre Plätze einzunehmen. Ja, sie haben sich zu ihrer abendlichen Mahlzeit zusammengefunden. Das könnten Sie sich ansehen.« »Nur wenn wir nicht mitessen müssen«, sagte Bill. »Nein, Mister Conolly, da brauchen Sie keine Furcht zu haben.« »Okay, Mrs. Gumm«, sagte ich, »auf geht’s.« Sie drehte sich um und ging vor uns her. Dabei hielt sie sich im Schatten auf, und als wir uns der Lichtinsel näherten, wurde Gunda Gumm noch vorsichtiger. Sie nutzte die Deckung der abgestellten Fahrzeuge aus, drehte sich dann nach links, und wir legten die wenigen Schritte bis zum Eingang zurück. Hier standen wir im toten Winkel, da störte das Licht auch nicht. Zum erstenmal sahen wir Mrs. Gumm genauer. Was wir als dunkles Haar gesehen hatten, stimmte nicht so ganz, denn durch ihre kurzgeschnittenen Strähnen wehte ein violetter Schimmer. Sie hatte ein schmales Gesicht, große dunkle Augen und eine kecke Nase. Eine sehr
schlanke Figur kam zum Vorschein, als sie den Reißverschluß ihrer gefütterten Jacke nach unten zog. Sie trug Jeans, feste Schuhe und einen dunklen Pullover. »Müssen wir in das Hotel hinein?« fragte ich. »Nein, nicht, wenn wir sie nur beobachten wollen. Das kleine Restaurant liegt auf dieser Seite. Das heißt, man kann durch die Fenster schauen.« »Das wäre zumindest ein Anfang«, sagte Bill. »Obwohl mich ja auch interessieren würde, was die Herrschaften sich während ihrer tollen Mahlzeit zu sagen haben.« »Mich auch.« »Das könnte man später noch hinbiegen«, schlug uns Mrs. Gumm vor. Sie warf wieder einen Blick auf ihre Uhr. »Wir sollten jetzt zumindest schauen, denke ich.« Damit waren wir natürlich einverstanden. Hinter Gunda Gumm schlichen wir her. Wir blieben dicht an der Hauswand. Über uns hing das Dach etwas vor, so daß wir einen zusätzlichen Schatten nutzen konnten. Der Boden neben dem Haus war mit Steinen belegt. Es war schwer, die Schritte zu dämpfen, doch man würde uns nicht hören, denn die Fenster waren geschlossen, wie uns Mrs. Gumm noch einmal versicherte. Im Raum hinter ihnen brannte das Licht. Der harte Schein fiel durch die drei Glasvierecke bis nach draußen, wo er auf dem Boden ziemlich intensiv leuchtete. Vor dem ersten Fenster blieben wir stehen. Ich hatte den Schluß gemacht. Bill stand vor mir, und ich konnte auf seinen gekrümmten Rücken schauen. Auch Gunda Gumm hatte sich geduckt. Sie drehte aber den Kopf und deutete mit dem Zeigefinger zuckend nach vorn. Weitergehen, hieß das. Nur nicht mehr normal. Da die Fenster relativ niedrig lagen, mußten wir uns tief ducken, um unter dem Niveau der Fensterbank zu bleiben. Bill bewies Humor, als er sagte: »Wußtest du eigentlich, das dies mein Lieblingsgang ist?« »Nein, seit wann?« »Seit meiner Heirat. Das bin ich gewohnt, immer einen auf den Deckel zu bekommen.« »Bin gespannt, was Sheila dazu sagt.« »Psst!« zischelte Mrs. Gumm, der es gar nicht gefiel, daß wir unsere Scherze trieben. Sie hatte angehalten, saß in der Hocke und deutete mit dem ausgestreckten Zeigefinger über sich. Wir nickten, dann drehten wiruns, damit wir uns mit der Frontseite zum Haus hin hochschieben konnten. »Achtung – jetzt!« wisperte ich. Zugleich drückten Bill und ich uns hoch. Wir überstürzten beide nichts, ließen uns Zeit und hofften, daß niemand ausgerechnet in diesem
Augenblick, wo wir in das Restaurant hineinblickten, in unsere Richtung schaute. Die Haare, die Stirn, dann die Augen erschienen in doppelter Ausführung im unteren Sichtbereich der Scheibe. Im ersten Augenblick wurde ich von dem hellen Licht im Raum geblendet. Bill erging es ebenso, und wir zwinkerten gemeinsam. Dann schauten wir hin. Und wir staunten. Es war alles so, wie es uns Mrs. Gumm erzählt hatte. Die Freunde des Wassers hockten sich an einem langen Tisch gegenüber. Nur einer hatte seinen Platz an der Stirnseite eingenommen, es war der Anführer Justus Fontain. Allerdings waren zwei Stühle leer geblieben. Für diese Männer war bereits gedeckt worden, so daß der Salat verwelken würde. >Suppe< war ihnen gar nicht erst serviert worden. Aber in den anderen Tellern schimmerte sie. Vielleicht etwas gelblich, das aber brauchte nicht zu sein, es konnte auch an den Lichtverhältnissen liegen. Was sollte ich dazu sagen? Auch wenn ich alle Register gezogen hätte und krumme Wege gegangen wäre, eine Straftat jedenfalls war diesen Menschen nicht nachzuweisen. Da hatten sich elf Männer zusammengefunden, um ein gemeinsames Mahl einzunehmen, allerdings hatten sie noch nicht mit dem Essen begonnen. Ein jeder saß in einer meditativ ruhigen Haltung vor seinem Teller und schaute auf ihn und das dreiteilige Besteck, das den Teller von drei Seiten umrahmte. Auch den Salat hatte noch niemand angerührt. Mir kam es vor, als warteten sie auf das Zeichen ihres Anführers. Justus Fontain redete. Wir konnten nichts verstehen, nur aufgrund seiner Mundbewegungen sahen wir, daß er sprach. Seine Haltung wirkte nicht so entspannt. Er hatte sich etwas nach vorn gebeugt, schaute einmal zu der rechten und abwechselnd zur linken Seite des Tisches hin, um seinen Worten durch Blicke mehr Bedeutung zu verleihen. Die Männer hörten ihm zu, sie aßen nicht, und für uns ergab sich hoffentlich die Chance, eine bessere Position einzunehmen. Als ich mich wieder nach unten bewegte, reagierte auch der Reporter. Dann knieten wir unter der Fensterbank und berieten flüsternd. »Viel haben wir nicht herausgefunden«, sagte ich. Dabei schaute ich Gunda Gumm an. »Sie haben gesagt, daß wir eventuell verstehen können, was sie sagen.« »Ja, das stimmt.« »Wo?« Sie deutete mit dem Zeigefinger in die Höhe. »Haben Sie sich vielleicht die Decke angeschaut?« »Nein«, sagte ich, auch Bill schüttelte den Kopf.
»Dort oben befindet sich ein schmaler Lüftungsschacht. Das Gitter davor hat den gleichen Anstrich wie die Decke, deshalb fällt es kaum auf, was auch Sinn der Sache ist. Ich denke, daß wir in dem Raum darüber eine Chance haben, etwas zu verstehen, vorausgesetzt, es wird laut genug gesprochen.« Ich schaute Bill an. »Was meinst du?« »Wenn es keine bessere Chance gibt, okay.« Gunda Gumm sagte: »Es sei denn, Sie trauen sich, die Tür ein wenig zu öffnen, dann können sie sehen und hören.« »Dafür wäre ich«, sagte Bill. »Und du befürchtest wirklich nicht, gesehen zu werden.« »Nein, wenn der Spalt schmal genug ist. Außerdem kann uns Mrs. Gumm dabei helfen.« »Wieso ich?« Bill gab keine Antwort. Er kroch aus den unmittelbaren Bereich des Fensters, stand auf und ging auf den Eingang zu. Wir folgten ihm. Erst in der kleinen Lobby rückte er mit seiner Ausrede heraus. »Wenn Sie etwas merken, ziehen wir uns rasch zurück und lassen Mrs. Gumm an der Tür. Sie können ja so tun, als hätten sie vorgehabt, den Gästen etwas zu bringen. Oder den Anführer ans Telefon zu holen.« »Na, Sie haben Nerven. Das habe ich noch nie getan. Wer soll ihn auch anrufen?« »Was weiß ich.« Bill hob die Schultern. »Es ist nur für den Notfall gedacht, es wird auch ein getürkter Anruf sein. Wenn er den Hörer nimmt, ist die Verbindung unterbrochen, und Sie können sich das alles nicht erklären.« »Sie wissen, was Sie da verlangen, Mister?« »Ja, aber wir garantieren Ihren Schutz, Mrs. Gumm.« »Sind elf Männer nicht etwas viel für Sie?« »Es kommt darauf an, in welcher Situation man sich befindet.« Ich bewunderte an meinem Freund immer, wie überzeugend er oft sein konnte. An ihm war ein Vertreter verlorengegangen, und auch Mrs. Gumm stimmte ihm zu. »Gut, versuchen wir es.« »Fein, dafür bekommen Sie auch einen Stern für Ihr Hotel.« »Darauf kann ich verzichten. Mein Mann und ich kommen auch so zurecht.« »Ohne Personal?« fragte ich. »Die Gäste wollen es nicht. Es reicht ihnen, wenn ich sie umsorge. Sie sind nicht anspruchsvoll. Das Personal fängt erst wieder an, wenn das Osterfest vorbei ist.« Damit war das auch geklärt.
Da Mrs. Gumm sich auskannte, übernahm sie auch die Führung. Wir blieben in dieser Ebene und betraten einen Seitenflur, der vor einer dunkel gestrichenen Tür endete. Der Flur war ziemlich düster. »Hinter dieser Tür sitzen sie!« flüsterte die Frau und blieb stehen. Selbst bei dieser relativ schlechten Beleuchtung sahen wir, daß sie sich auf keinen Fall wohl fühlte. Der Gesichtsausdruck war angespannt, das Lächeln wirkte aufgesetzt und gequält. Ich sah ihr an, daß sie eine Frage quälte und ermunterte sie durch mein Nicken, sie zu stellen. »Finden Sie es noch immer richtig, daß wir die Gruppe belauschen wollen?« »Ja.« »Es sind Gäste.« »Aber keine normalen«, sagte ich. »Ja, das stimmt.« Sie hob die Schultern. »Außerdem wundere ich mich, daß mir nie etwas aufgefallen ist. Diese Leute waren schon komisch. Sie haben sich ganz anders verhalten, als ich es gewohnt bin. Sie… sie… nun ja, es spielt keine Rolle mehr.« Während sie sprach, hatte sie sich gedreht und den Arm ausgestreckt. Sehr vorsichtig legte sie die Hand auf die Türklinke, als würde sie einen fremden Gegenstand anfassen. Wir drückten uns neben dem Türpfosten an die Wand und nickten ihr aufmunternd zu. Sie kannte sich in ihrem Haus besser aus und wußte, was sie riskieren konnte. Einige Male atmete sie tief durch, dann starrten Bill und ich auf ihre Hand, die sich zusammen mit der Klinke nach unten bewegte. Ein Geräusch hörten wir nicht, und Gunda Gumm hielt die Türklinke auch für einen Moment fest. Sie stand da, als wäre sie angefroren, dann der leichte Zug nach vorn, und die Tür öffnete sich einen winzigen Spalt. Wir konnten schauen! Ich schielte durch den Spalt. Viel war nicht zu sehen, aber wir hatten schon erkannt, daß die Freunde des Wassers ihren Salat gegessen hatten. Nun mußte die Suppe an die Reihe kommen. Ich hatte den Eindruck, daß sie sich damit noch Zeit lassen wollten. Der Anführer räusperte sich, und wenig später hörten wir Justus Fontain sprechen. Er stand mit dem Rücken zu uns. Die anderen zehn Männer schauten ihn an. Auch wenn sie dabei in unsere Richtung blickten, hoffte ich doch, daß sie den schmalen Türspalt nicht entdeckten. »Wir haben die erste Speise zu uns genommen, meine Brüder«, sagte er mit seiner typischen Stimme, die neutral klang. »Sie war frisch, sie hat uns gestärkt, aber sie hat uns nicht die Stärke gegeben, die wir eigentlich brauchen. Wir sind durch diese Speise unserem Ziel nicht näher gekommen. Wir werden noch etwas Zeit brauchen, aber jeder von euch ist ungeduldig, das weiß ich auch. Wir werden die Vollkommenheit des heiligen Wassers erleben.«
Bill und ich schauten uns an. Beide hoben wir die ,t; Schultern und schüttelten die Köpfe. Was da geredet I wurde, konnten wir schlecht nachvollziehen. Da mußte man wirklich Insider sein. Hatte der Sprecher mit dem heiligen Wasser etwa den See gemeint? Zuzutrauen war es ihm, nur wußte ich nicht, was daran heilig sein sollte. Meine Gedanken wanderten ab, weil Fontain wieder redete. »Auch wenn zwei unserer Brüder nicht zurückgekehrt sind, aus welchen Gründen auch immer, werden wir es nicht versäumen, die Mahlzeit zu uns zu nehmen. Wir haben uns darauf vorbereitet, wir werden jetzt die Kraft erhalten, um endlich die menschlichen Grenzen überwinden zu können. Die Kraft des Wassers, die Kraft der alten Zeit, uns wird sich die Urzeit öffnen, wir werden den Atem der Geschichte trinken, und wir werden wieder zu dem werden, was uns zusteht. Wir werden die Degeneration der Menschen rückgängig machen. Aus dem Wasser kam das Leben, im Wasser steckt die Kraft, und ihr, meine Brüder, bekommt es zu spüren. Mit jedem Tropfen, den ihr zu euch nehmt, wird sich euer Blut verändern. Es wird stärker durch eure Adern fließen, ihr werdet es genießen, ihr werdet jubeln können, ihr werdet keine Grenzen mehr vorfinden.« Worte, über die man eigentlich nur lachen konnte, was uns nicht gelingen wollte. Dazu waren sie zu ernst gesprochen, denn hinter ihnen steckte eine verteufelte Weltanschauung. Mir fuhren in diesen Augenblicken einige Gedanken durch den Kopf. Obwohl ich noch nicht viel wußte, suchte ich bereits nach den Hintergründen. Es war klar, daß Undine eine wichtige Rolle spielte. Und höchstwahrscheinlich auch das geheimnisvolle Land Aibon, denn es konnte sein, daß Justus Fontain diese Kraft gemeint hatte. Als Mensch sie zu bekommen, wäre für ihn wunderbar gewesen. Wahrscheinlich hätte er sich dann auf die alten Mächte der Druiden verlassen können. So richtig aber wollte mir dieser Gedanke nicht gefallen, denn Druiden und die Kraft des Wassers paßten irgendwie nicht zusammen. Wahrscheinlich blieb Aibon außen vor, so daß sie sich nur auf die Macht der Undine konzentrierten. Sie hatten wir erlebt. Sie war wunderbar, sie hatte uns bewiesen, daß sie das Wasser beherrschte, und Wasser wollten die Männer auch als Suppe zu sich nehmen. Aus dem See? Seltsam, aber ich mußte plötzlich an die kleine Nixe denken, die sie gefangen hatten. Es war nur eine Idee, die sich auch nicht verfestigte, denn zwischen sie und dieser auf dem Teller schwimmenden Suppe konnte ich keine Beziehung herstellen. Es blieb ein Rätsel… Bill stieß mich an. Ich hatte meine Haltung etwas verändert. Durch die Berührung machte er mich wieder auf die eigentliche Szene
aufmerksam. Ich lugte durch den Spalt und sah, daß die Freunde des Wassers ihre Sitzhaltungen verändert hatten. Jeder hatte sich nach vorn gebeugt und schaufelte die Suppe in sich hinein. Einige schlürften. Die entstehenden Geräusche ließen bei mir den Magen eng werden. Sie kauten die Suppe wie jemand, dereinen Wein probiert. Dabei schlürften sie, knurrten hin und wieder zufrieden, aber sie aßen nicht hastig. Sie gaben sich als Genießer. Da konnte so mancher schon beim Zusehen Hunger bekommen. Leider sahen wir das Gesicht des Anführers nicht. Er hatte als einziger seine Pose nicht verändert, saß sehr steif, hochaufgerichtet und mit durchgedrücktem Rücken. Er genoß es, die Suppe über die Lippen in den Mund fließen zu lassen, und seine linke Hand lag dabei direkt neben dem Teller. Gunda Gumm schob sich an mich heran, so dicht, daß ihre Haarsträhnen meine Nase kitzelten. Fragend blickte ich in ihr Gesicht. Bevor sie etwas sagte, huschte ein Lächeln über ihre Lippen. »Ich könnte zu ihnen gehen«, wisperte sie. »Was?« »Ja.« Sie sprach weiterhin leise. »Ich klopfe an, gehe hinein und frage, ob ich abräumen kann.« »Haben Sie das sonst auch getan?« »Nein.« »Ist gefährlich«, sagte Bill, der zugehört hatte. Wir brauchen keine Angst zu haben, daß die Freunde des Wassers unser Flüstern hörten, sie waren zu sehr mit ihrer Suppe beschäftigt, und an den schlürfenden Geräuschen hörten wir, daß es ihnen mundete. Mrs. Gumm schüttelte den Kopf. »Für mich nicht. Ich bin hier bekannt. Es wäre anders, wenn Sie es versuchen würden.« Da hatte sie recht. Ich schaute in ihr Gesicht und sah den entschlossenen Ausdruck in den Augen. Bill Conolly hob nur die Schultern, ihm war es egal. »Soll ich?« Ich hatte mich entschlossen. »Ja, Mrs. Gumm, versuchen Sie es bitte. Ich bin gespannt, was geschieht.« »Nichts wird geschehen.« »Und was wollen Sie herausfinden?« Da lächelte sie. »Ich könnte ja fragen, ob noch etwas Suppe für mich übrig ist.« Mit dieser Antwort hatten wir nicht gerechnet. Da konnten wir nur staunen. Ich fuhr mit der flachen Hand über mein Nackenhaar, hatte die Stirn in Falten gelegt, und bevor ich etwas sagen konnte, kam mir Gunda Gumm zuvor. »Sie werden mir wohl keinen Tropfen übriglassen, und die Suppe der beiden fehlenden Männer haben sie unter sich aufgeteilt, denke ich mal. Ich werde mich schon sehr harmlos zu benehmen wissen, da brauchen Sie keine Angst zu haben.«
»Dann tun Sie es!« sagte ich. »Haben Sie besondere Wünsche, was irgendwelche Fragen angeht? Soll ich mich nach bestimmten Dingen erkundigen, die für Sie wichtig sind?« »Nein, dann würden Sie Verdacht schöpfen und denken, daß Sie geschickt sind.« »Stimmt.« »Bleibt es noch immer dabei?« fragte Bill. Plötzlich funkelten ihre Augen. »Und ob.« Bevor wir noch etwas sagen konnten, hatte sie uns zur Seite gedrängt und klopfte zweimal gegen die Tür. Bill und ich huschten sofort in den toten Winkel. Auf keinen Fall sollte man uns beim Öffnen der Tür entdecken. Mrs. Gumm wartete die Reaktion aus dem Zimmer nicht ab, sie drückte die Klinke nieder und öffnete die Tür mit einem heftigen Ruck. Der nächste Schritt brachte sie in den Raum. Noch geschah nichts. Wir hatten uns gegen die Wand gepreßt und warteten mit angehaltenem Atem ab. Da nichts passierte, ging die mutige Frau weiter, bis ich plötzlich das Geräusch eines zur Seite rückenden Stuhls hörte und die erstaunte Stimme des Anführers aufklang. »Mrs. Gumm, Himmel, was wollen Sie denn hier?« Sie blieb stehen. »Ich wollte mich nur erkundigen, ob ich noch etwas für Sie tun kann.« »Nein, wie kommen Sie darauf?« »Es ist noch Salat da. Ich möchte ihn nicht wegwerfen, ich könnte nachreichen…« Meine Lippen verzogen sich zu einem Grinsen. Die Frau war gut, sie brachte die Freunde des Wassers aus dem Rhythmus, und selbst Fontain fiel so schnell keine Antwort ein. »Moment mal«, sagte er. »Sie wollen doch nicht sagen, daß… ich meine, Sie sind doch nicht gekommen, um uns hier zu bedienen.« »Heute hatte ich wirklich zuviel vorbereitet.« »Das ist uns egal. Wir haben unseren Salat gegessen, und er hat uns gemundet.« »Freut mich. Aber warum essen Sie diese Suppe und nicht eine vernünftige Mahlzeit? Sie hätten ruhig etwas bestellen können. Ich hätte gern für Sie gekocht.« »Nein, das ist nicht nötig. Außerdem ist diese Suppe mehr als nur das. Sie ist das Wasser des Lebens.« »Wie bitte?« »Gehen Sie jetzt, Mrs. Gumm. Wir möchten gern unter uns bleiben. Es gehört sich nicht, wenn jemand während eines so intensiven Mahls gestört wird.«
Gunda Gumm blieb hartnäckig. »Habe ich Sie richtig verstanden? Sagten Sie Wasser des Lebens?« »In der Tat.« Sie lachte. »Das finde ich übertrieben. Was immer Sie da auf dem Teller haben, erstens ist es kalt, und ich weiß nicht einmal, woher es stammt. Ich jedenfalls habe Ihnen diese Suppe nicht gekocht. Was haben Sie also davon, wenn Sie dieses Zeug da essen?« »Gehen Sie!« Fontain hatte mit drängender Stimme gesprochen. »Wir möchten nicht, daß Sie bleiben.« »Das verstehe ich.« Sie schnitt ein anderes Thema an. »Es fehlen zwei Ihrer Freunde, nicht wahr?« »Sehr richtig.« »Kommen Sie noch?« »Ich kann es Ihnen nicht sagen. Außerdem sollte es Sie nicht interessieren.« »Ist schon gut. Ich dachte nur, daß Sie von Ihrem Essen wirklich nicht satt werden, aber wenn Sie es als Wasser des Lebens ansehen, ist das Ihre Sache. Eine Frage noch. Wo finde ich dieses Wasser? Haben Sie es aus dem See geschöpft?« Justus Fontain wurde sauer. »Sie werden jetzt verschwinden!« sagte er mit scharfer Stimme. »Sie werden uns nicht länger mehr stören, sonst sehe ich mich leider gezwungen, meine Freundlichkeit zu verlieren.« Neben mir ballte Bill Conolly die Hände. Er dachte so wie ich, denn wir hatten Angst davor, daß es Mrs. Gumm auf die Spitze trieb. Mit diesen Männern war nicht zu scherzen. Um ihr Ziel zu erreichen, würden sie auch über Leichen gehen. Sie blieb und provozierte ihn weiter. »Wie sähe das denn aus, Mister Fontain?« »Provozieren Sie es nicht, Mrs. Gumm. Es könnte Ihnen nicht gut bekommen, glauben Sie mir.« »Ist gut, ich habe verstanden. Wie lange werden Sie noch essen? Ich möchte abräumen.« »Keine Sorge, es wird nicht mehr viel Zeit in Anspruch nehmen.« »Dann wünsche ich noch einen guten Appetit.« Wir hörten, daß sie wieder auf die Tür zukam, und sie stand wenig später neben uns. Rasch zogen wir uns zurück und trafen wieder in der Lobby zusammen. Hier blieb Mrs. Gumm stehen. Sie preßte ihre Hand gegen die Brust, atmete tief durch und schüttelte den Kopf. »Haben Sie schon eine derartige Unfreundlichkeit erlebt?« »Selten«, sagte Bill. »Aber Ihre Gäste wissen genau, was sie wollen.« Mrs. Gumm senkte den Kopf. »Ja, das wissen sie«, murmelte sie. »Da war noch etwas. Ich verspürte eine Beklemmung, wie sie praktisch einmalig ist. Ich kam nicht mehr damit zurecht. Dieser ansonsten
normale Raum schien von etwas Merkwürdigem erfüllt zu sein. Vielleicht lag es an der Luft oder an der Ausströmung dieser Menschen, ich weiß es nicht.« »Sie kriegten Angst!« stellte ich fest. »Ja, und nicht nur vor Fontain, sondern auch vor den anderen. Sie hätten mitbekommen müssen, mit welchen Blicken man mich angesehen hat. Die… die waren irgendwo geschliffen, gefährlich, als wollten sie mich durchbohren.« »Aufgrund der Blicke kann man keinen Menschen festnehmen. Und nur äußerst selten aufgrund ihrer Worte.« Sie nickte. »Ich weiß.« Dann bückte sie sich und holte aus einem Fach hinter der Rezeptionstheke eine Flasche Whisky hervor. Drei Gläser fanden auch ihren Platz auf der Theke. »Ich denke, daß wir jetzt einen Schluck vertragen können.« Wir waren einverstanden. Während Mrs. Gumm einschenkte, und das nicht zu knapp, fragte sie: »Wie denken Sie über die Gruppe? Was werden die Männer noch vorhaben? Können wir damit rechnen, daß wir in Gefahr geraten?« »Nein«, sagte ich. »Aber ich bin davon überzeugt, daß sie nicht länger hier im Hotel bleiben werden. Ich rechne damit, daß sie es nach ihrer Mahlzeit verlassen.« »Kann sein.« Sie reichte uns die Gläser. Ihr Lächeln wirkte etwas kantig. »Das ist für mich das Wasser des Lebens, zumindest im Moment. Cheers.« Sie hob das Glas an und leerte es zur Hälfte. Mrs. Gumm war eine selbstbewußte Frau, die Angst hatte sie einfach abgeschüttelt oder unterdrückt. Sie strich ihr violettes Haar zurück, ohne daß es nötig gewesen wäre. Dabei lachte sie. »Wissen Sie eigentlich, daß mir dieser Fontain einen Antrag gemacht hat?« »Wäre nicht ungewöhnlich«, sagte Bill. »Hören Sie auf, nein. Nicht mit ihm. Fr sprach mich auf meinen Mann an, der ja zur Kur weg ist. Er wollte dessen Stelle übernehmen. Ich habe ihn natürlich abblitzen lassen, was ihm überhaupt nicht gefiel. Wenn Sie nicht in meiner Nähe gewesen wären, hätte ich mich nicht getraut, das Zimmer zu betreten.« »Versteht sich«, meinte Bill und kam wieder auf die Anmache zu sprechen. »Hat er denn aufgegeben?« »Nein, das nicht. Ich gehe davon aus, daß er es noch einige Male versuchen wird.« »Kein schöner Zug von ihm.« Sie hob die Schultern. »In dieser Nacht wird es wohl nichts damit werden. Ich bin gespannt, was sie nach ihrem Mahl unternehmen werden. Zudem wundert es mich, daß noch zwei fehlen. Da muß für sie irgend etwas schiefgelaufen sein.« Ich winkte ab. »Die beiden werden auch nicht mehr kommen.«
»Ach.« Gunda trank einen Schluck und stemmte dann ihre Ellenbogen gegen den Tresen. »Sie wissen mehr?« »Die beiden Männer sind tot!« Gunda Gumm schwieg. Hatte sie sich sonst so couragiert gezeigt, so änderte sich ihr Verhalten. Sie schaute mich an und erbleichte. Verlegen strich sie wieder durch das Haar, suchte nach Worten und hatte sie endlich gefunden. »Könnte es sein, daß Sie nicht ganz unschuldig am Tod dieser beiden Männer sind?« »Das könnte sein, aber wir haben sie nicht getötet. Sie sind – sagen wir, ertrunken.« »Im… im See?« »So ist es.« »Konnten sie denn nicht schwimmen?« »Das schon, aber es gibt manchmal Situationen, wo es nicht ausreicht, Mrs. Gumm.« Diesmal atmete sie nicht, sondern schnaufte. Ihre linke Hand umklammerte das Whiskyglas. »Also ertrunken«, wiederholte sie und räusperte sich. »Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß Sie beide nachgeholfen haben.« »Das wäre Mord«, sagte Bill. »Eben!« »Es gab trotzdem jemand, der nachhalf«, sagte ich. »Das aber sollte im Moment nicht wichtig sein. Ich würde Sie gern etwas anderes fragen, Mrs. Gumm. Was wissen Sie über den See?« »Wollen Sie vom Tod des Mannes ablenken?« »Nein, auf keinen Fall. Ich möchte nur erfahren, was Sie über den See wissen. Sicherlich gibt es Geschichten, die man sich erzählt. Sie leben hier. Ich könnte mir vorstellen, daß Sie über gewisse Dinge schon informiert sind.« Ich sah den Blick ihrer großen Augen auf mich gerichtet. »Nein, Mister Sinclair, das will mir nicht in den Sinn. Ich frage mich, weshalb Sie sich für dieses Gewässer interessieren. Es ist ein kleiner See, der nicht einmal einen Namen hat. Offiziell zumindest.« »Und inoffiziell?« fragte Bill. Sie hob die Schultern. »Das sind alles nur Sprüche. Man nennt ihn den See der Geheimnisse oder der tiefen Ruhe.« »Wer sagt das?« »Die Gäste und die Einheimischen. Sie müssen wissen, daß wir Gäste haben, die öfter herkommen. Sie wohnen hier, sie gehen an den See und sitzen stundenlang dort.« »Angeln sie?« fragte Bill. »Seltsamerweise nicht. Sie sitzen einfach nur da und meditieren. Oft stundenlang.« »Haben das die Freunde des Wassers auch getan?«
»Ich denke schon. Wissen Sie, ich bin ihnen nie nachgegangen und habe sie nie kontrolliert. Nur könnte ich mir bei ihnen keinen anderen Grund vorstellen.« »Sind Sie auch öfter dort?« »Nur selten, Mister Conolly, dazu fehlt mir einfach die Zeit.« »Wir haben zwar einiges erfahren, doch meine Frage ist nicht beantwortet worden«, mischte ich mich ein. »Der See der Geheimnisse. Wenn er so genannt wird, muß das einen Grund haben.« Ich erhielt eine sehr diplomatische Antwort. »Wenn wir das wüßten, wären es doch keine Geheimnisse mehr.« »Da haben Sie recht. Andererseits denke ich, daß Sie so manches gehört und erfahren haben, Mrs. Gumm. Es wird doch Geschichten über das Gewässer geben.« »Das schon.« Sie schaute uns etwas verblüfft an. »Sie als Polizisten werden daran doch kaum interessiert sein.« »Irrtum«, sagte ich rasch. »Gerade so etwas ist für uns besonders wertvoll.« Sie hob die Schultern. »Ich weiß nicht so recht. Es gibt Leute, die behaupten, in dem Gewässer Fabelwesen entdeckt zu haben. Ungeheuer, große Schlangen, aber auch Nixen und andere Wassergeister wie Nocks und so. Das sind natürlich Geschichten, auch die von der Undine.« »Die interessiert uns aber«, sagte ich. Gunda Gumm hob die Schultern. »Nun ja, wenn Sie es wollen, werde ich darüber sprechen.« »Bitte.« Sie zierte sich noch etwas, schaute sich um, lauschte, ob von irgendwo etwas zu hören war, aber die Freunde des Wassers verhielten sich still. »Also das ist so«, sagte sie. »Es gibt tatsächlich Leute, die wollen eine wunderschöne Frau mit langen Haaren gesehen haben, die auf einem Felsen sitzt, der hin und wieder zusammen mit der nackten Frau aus dem Wasser steigt. Das ist eben die Undine, das Wasserwesen. Die Obernixe, eine Mischung aus Schönheit und Fisch. Aber diese Geschichte kennen Sie sicherlich.« Ich räusperte mich. »Haben Sie denn diese Undine schon mal zu Gesicht gekriegt?« Beinahe böse schaute sie mich an. Ihre Augen weiteten sich noch mehr. »Ich soll sie schon gesehen haben? Nein, nein. Das ist doch alles eine Legende. Ich habe nie etwas gesehen. Mir ist bisher keines dieser geheimnisvollen Wesen, die angeblich den See bevölkern, unter die Augen getreten. Da unterliegen Sie aber einem folgenschweren Irrtum, Mister Sinclair.« »Schade.« »Warum?«
»Nun, ich dachte, daß Sie uns vielleicht weiterhelfen könnten, Mrs. Gumm.« Beinahe hätte sie mit der Faust auf die Theke geschlagen. »Jetzt verstehe ich gar nichts mehr. Wie hätte ich Ihnen denn weiterhelfen können? Oder glauben Sie etwa an das, was ich Ihnen erzählt habe? Daß sich in diesem See Gestalten tummeln, die es sonst nur in Märchen gibt?« »Ein wenig schon. Und die Freunde des Wassers werden mit ihrer Religion ebenso denken.« »Ich bitte Sie, das sind Spinner!« »So würde ich sie nicht eben bezeichnen.« »Doch. Die sind komisch und harmlos.« Sie tippte gegen die Stirn. »Das sind für mich Verrückte. Mag sein, daß sie den See lieben und in der Nacht auch immer unterwegs sind…« »Auf dem See?« fragte Bill. »Ja, wo sonst.« »Wie stellen sie das an?« »Die haben ein Boot.« »Wo?« »Am Ufer. Kein Schlauchboot, fast schon eine richtige Yacht, die alle Männer aufnimmt. Und in der Nacht schippern sie damit über den See. Dabei sind sie schon beobachtet worden.« »Hier dürfen Motorboote fahren?« Gunda Gumm winkte ab. »Was heißt dürfen? Es gibt kein Verbotsschild. Und wo kein Kläger ist, da ist auch kein Richter.« »Was machen sie dort?« »Herumfahren, denke ich. Vielleicht meditieren sie auch oder trinken noch mal von dem Wasser.« »Damit haben Sie angedeutet, daß dieses Wasser in den Tellern aus dem See stammt.« »Davon gehe ich sogar aus.« »Ich nicht«, sagte Bill. »Wenn es so wäre, hätten sie sich nicht erst die Mühe zu machen brauchen, um das Wasser von den Tellern zu schlürfen. Meiner Ansicht nach steckt da etwas anderes dahinter. Ich weiß nur noch nicht, was es ist.« »Mich dürfen Sie nicht fragen«, sagte Mrs. Gumm. »Ich habe sie noch nie auf dem See herumschippern sehen.« Meine Gedanken bewegten sich bereits in eine ganz andere Richtung. »Haben Sie nicht eben gesagt, daß die Männer in jeder Nacht über den See schippern?« »Habe ich.« »Auch heute wird es so sein.« »Ja, das Wetter ist ideal. Es ist ruhig, es herrscht kaum Wind, einfach gut.«
»Wo steht das Bootshaus?« Nach dieser Frage zuckte Bill Conolly zusammen. »John, du willst doch nicht etwa…?« »Wo finde ich das Boot?« »Am Ufer. Es gibt einen Pfad dorthin. Sie können auch in den Schuppen. Soviel ich weiß, ist er nicht abgeschlossen.« »Beschreiben Sie mir den Weg?« Das tat sie, auch wenn ihre Stimme noch immer etwas überrascht klang. Bill gefiel das gar nicht. Er schaute mich böse an. »John, willst du an Bord gehen?« »Du hast es erfaßt.« »Wie schön für dich. Und ich?« »Kommst nicht mit an Bord. Du nimmst unser Schlauchboot und schipperst ebenfalls über den See. Ich bin gespannt, was uns erwartet.« Der Reporter preßte die Lippen zusammen. Seine Blicke sprachen Bände. Sie schienen mich verfluchen zu wollen, da konnte ihn auch mein aufgesetztes Lächeln nicht beruhigen. »Warum wollen Sie das denn tun?« fragte mich Mrs. Gumm. »Es hat seine Gründe, glauben Sie mir. Aber Sie werden so tun, als wüßten Sie von nichts. Sie sind gar nicht da, und wir sind für Sie nicht da gewesen.« Ich lächelte ihr zu. »Alles klar?« Die Frau wußte nicht, ob sie nicken oder den Kopf schütteln sollte. Sie gab keine Antwort, denn aus dem Hintergrund hörten wir Geräusche. Stimmen und auch Schritte. Noch hatten wir Zeit. Ohne uns bei Mrs. Gumm zu verabschieden, huschten wir auf die Außentür zu und verließen das Hotel. Sofort suchten wir uns einen sicheren Platz, wo Bill mir gegenüberstand und einige Male mit dem Finger gegen seine Stirn tippte. »Hör mal, du bist doch nicht bei Trost, mein Lieber. Wirst du dich wirklich auf das komische Boot schleichen und mitfahren?« »Und ob.« »Und ich nehme das Schlauchboot.« »Du hast es gemietet. Es wird sich an dich als Kapitän gewöhnt haben.« Ich wurde schnell wieder ernst. »Eines sage ich dir, Bill, diese Nacht ist noch längst nicht vorbei.« »Ja, das befürchte ich auch…« Da Gunda Gumm mir den Weg gut beschrieben hatte, war es für mich nicht schwer, das Ziel zu finden. Das Bootshaus lag tatsächlich direkt am Seeufer, und es war ein alter Bau, dessen Geruch mir schon entgegenwehte, bevor ich das Gebäude noch erreicht hatte. Ein Gestank aus altem Wasser, Farbe und Rostschutzmitteln. Um Platz zu schaffen, war der Streifen am Ufer von seinem Bewuchs befreit worden. Menschenhände hatten die Natur vergewaltigt und für einen regelrechten Kahlschlag gesorgt.
Die gefällten Bäume lagen noch so, wie sie gefallen waren, und das Gestrüpp war weggesenst worden. Das Bootshaus selbst stand auf Pfählen. Ich näherte mich dem Haus von der Rückseite. Ich ging nicht davon aus, daß die Freunde des Wassers eine Wache aufgestellt hatten, und ich mich im Schein meiner Bleistiftleuchte gut umschauen konnte. Das kalte weiße Licht tanzte durch die Dunkelheit, ließ kahle Äste wie gepudert aussehen, fand seinen Weg auch durch Lücken und erreichte mit seinem Ende sogar das Wasser. Hier klatschten die Wellen sehr gemächlich und ruhig gegen das steil abfallende Ufer. Bis dorthin ging ich nicht, sondern schaute mir die Hintertür an. Die Freunde des Wassers fühlten sich vor Dieben und Eindringlingen sicher, denn sie hatten die hintere Tür nicht verschlossen. Nur ein Draht, durch zwei Ösen gezogen, verband sie mit der Rückseite des Schuppens. Ich wollte ihn nicht unbedingt entfernen, das wäre den Männern schon aufgefallen, deshalb suchte ich nach einem anderen Einstieg und fand ihn vorn am Wasser, denn dort befand sich die Öffnung in der gesamten Hausbreite. Leider wurden meine Füße etwas feucht, als ich durch den Schlick und Schlamm ging, hangelte mich dann auf die Plattform und drückte mich in das Bootshaus hinein, wo ich schon nach dem ersten Schritt gegen die Reling am Bug stieß. Es war so eng, daß das Boot gerade hineinpaßte. Gunda Gumm hatte mir zwar einiges erzählt, aber nicht erwähnt, daß ich es mit einem dunkel gestrichenen Boot zu tun hatte. Ob schwarz oder grün konnte ich nicht erkennen, jedenfalls hatte es einen dunklen Tarnanstrich, und dies bestimmt nicht grundlos. Wer immer damit über den See fuhr, er wollte nicht sofort entdeckt werden und vielleicht als Schatten über das Wasser hinweggleiten. Zwischen Boot und Wand befand sich ein nur schmaler Steg, auf dem ich mehr balancieren als gehen konnte. Deshalb entschied ich mich sehr schnell dafür, an Bord zu gehen. Ich enterte das Boot und spürte das leichte Vibrieren der einlaufenden Wellen. Nach dem ersten Rundblick stellte ich fest, daß sich an Deck außer mir kein Lebewesen aufhielt. Bevor ich unter Deck ging, ließ ich meinen Blick über den See schweifen. Er lag tatsächlich wie gemalt vor mir. Eine geheimnisvolle Wasserfläche, hinein in die Natur und Landschaft gesetzt wie ein schillerndes Auge, an dem ein Maler seine Kunst ausprobiert und sich dabei auf dunkle Farben verlassen hatte. Die Oberfläche schwand vor meinen Blicken dahin, sie war düster, aber es schimmerten an gewissen Stellen auch hellere Reflexe, als hätte das Wasser dort das Mondlicht eingefangen, um von seiner Kraft zu leben.
Dieser See war ein kleines Wunder, und in seiner Tiefe steckten ebenfalls Wunder. Es hatte für mich nichts zu sehen gegeben, keine Nixe, auch nicht die geheimnisvolle Undine, deshalb beschloß ich, mich unter Deck umzuschauen. Nichts war verschlossen. Ich ließ den Niedergang hinter mir und betrat die Kabinen. Es gab gleich mehrere davon. Sie waren ziemlich klein. Wer hier übernachtete, mußte sich mit den engsten Verhältnissen zufrieden geben. Deshalb wunderte ich mich, als ich in einer Kabine, in der es weder ein Fenster noch ein Bullauge gab, überhaupt keine Schlaf- und Sitzgelegenheit sah, dafür aber, und das war für mich wirklich kaum zu begreifen, nur Spiegel an den Wänden. Ich verließ mich nach wie vor auf meine kleine Leuchte, und die glänzenden Wände mit den hellen Reflexen irritierten mich. Diese Kabine mußte eine besondere Bedeutung haben, denn die Freunde des Wassers hatten die Wände bestimmt nicht mit Spiegeln verkleidet, um ihrer Eitelkeit zu frönen. Inmitten der Kabine war ein Hindernis aufgebaut worden. Als ich es sah, dachte ich zuerst an ein Taufbecken, denn so ähnlich sah es auch aus. Das Becken stand auf einem steinernen Bein und breitete sich als ein Achteck aus. Ich schaute hinein. Es war leer. Allerdings blitzten im Lampenschein an den Rändern einige Kristalle, als wäre hier Flüssigkeit mit einer relativ hohen Salzlösung verdampft worden. Dieser Raum mußte für diese Männer so etwas wie ein besonderes Heiligtum sein. Hatte er etwas mit ihrer Vollkommenheit zu tun, nach der sie trachteten? Ich hatte meine Zweifel, konnte es allerdings nicht ganz ausschließen. Es war zudem müßig, sich darüber Gedanken zu machen. Ich mußte so schnell wie möglich ein Versteck finden und hoffte, daß ich nicht zu viele Spuren hinterlassen hatte. Als ich wieder an Deck stand, atmete ich tief durch. Ich war beruhigt, daß ich die Männer nicht mal hörte, und ich suchte nach einem Platz, wo ich mich verstecken konnte. Es gab eigentlich nur einen Ort. Ich fand am Heck ein Beiboot, über das eine Plane gestreift war. Die Persenning saß relativ locker. Ich schob sie etwas höher und konnte in das Boot klettern, wo es zwar nicht sonderlich bequem war, es sich allerdings aushalten ließ. Gerade als ich die Plane wieder nach unten zog, hörte ich die Stimmen der Männer und auch, wie die Tür an der Rückseite aufgeschoben wurde. Mein Herzschlag beruhigte sich. Das war gerade noch einmal gutgegangen. Hoffentlich kamen die Freunde des Wassers nicht auf den Gedanken, im Beiboot nachzuschauen.
Zunächst betraten sie das Deck. Das Boot geriet in leichte Schaukelbewegungen. Die Männer verteilten sich, einer ging ins Ruderhaus, wie ich durch einen Spalt erkennen konnte. Die anderen blieben nicht weit von mir entfernt stehen. Unter anderem sah ich Justus Fontain, der mir sein Profil zuwandte und mit jemandem sprach, den er Jacob nannte. »Du solltest daran nicht mehr denken, Jacob.« »Ich kann nicht anders. Warum sind Graham und George nicht zu uns zurückgekehrt? Ausgerechnet die beiden, das frage ich dich. Ich will nicht daran glauben, daß sie sich abgesetzt haben.« »Die Gelegenheit ist günstig gewesen.« »Daran glaubst du doch wohl selbst nicht. Jetzt, wo wir es endlich geschafft haben.« »Noch ist es nicht soweit.« »Ich weiß, Justus, aber wir werden stark genug sein, um auch die Undine fangen zu können.« Bei diesem Satz spitzte ich besonders die Ohren. Sie hatten also vor, das Wesen einzufangen. Wer hätte das gedacht? Ich betete darum, daß sie weitersprachen, und diesen Gefallen taten sie mir auch. »Weißt du, daß es für mich nur zwei Möglichkeiten gibt, Justus?« »Ja, das sagtest du schon.« »Es sind die Fremden gewesen.« Jacob ließ sich nicht beirren. »Die haben unsere Freunde geschafft.« Fontain winkte mit beiden Händen ab. »Jetzt tust du mir aber leid. Wie sollten sie das denn geschafft haben?« »Das will ich dir sagen.« »Hör auf, sie waren gefesselt.« »Kann man ihnen nicht geholfen haben?« »Wer denn?« »Diejenigen, die im Wasser leben? Aibon, zum Beispiel. Sie kannten das Reich, das darfst du nicht vergessen. Nein, nein, ich habe ein ganz dummes Gefühl.« »Sie waren gefesselt, Jacob.« »Was besagt das schon?« »Sie konnten sich nicht wehren.« »Du gestattest, daß ich anderer Meinung bin.« Mehr sagte dieser Jacob nicht. Mit einer wütenden Bewegung drehte er sich um und ging mit polternden Schritten davon. Außerdem wollten die Männer starten, weil aus dem Ruderhaus gerufen wurde. Auch Fontain war damit einverstanden. Er stand nachdenklich am Heck und schaute auch wie versonnen gegen das Boot, in dem ich lag. Ich machte mich noch kleiner und hoffte, daß er nicht durch den Spalt schaute. Er wandte sich ab.
Ich atmete auf. Sekunden später wurde der Motor gestartet. Durch das Boot lief ein Zittern. Langsam glitt es aus dem Bootshaus heraus… Immer auf die Kleinen, dachte Bill. Und ausgerechnet immer auf mich. Er ärgerte sich über seinen Part des Falles, war aber auch Realist genug, um einzusehen, daß es vielleicht besser war, mit einem Schlauchboot über den See zu fahren, als sich auf einem Boot zu verstecken und zur Untätigkeit verdammt zu sein. Die Männer hatten das Hotel verlassen, und Bill Conolly tauchte aus seinem Versteck hinter der Rezeption wieder auf. Er hatte sich durch einen rückwärtigen Eingang wieder hineingeschlichen und selbst Gunda Gumm damit überrascht. »Himmel, wo kommen Sie denn her?« »Nicht vom Mond, auch nicht aus dem Wasser.« Bill schaute sich um. »Sind alle weg?« »Ja.« »Okay, dann kann ich mich auch auf den Weg machen.« »Moment noch, Mister Conolly, ich will mich eben umziehen.« Bill, der schon auf dem Weg zur Tür gewesen war, blieb mitten in seiner Vorwärtsbewegung stehen. Mit seinem ausgestreckten Bein und dem nach links gedrehten Kopf bot er ein Bild, das Mrs. Gumm zum Lachen reizte. Sie konnte es auch nicht unterdrücken und fragte: »Wissen Sie eigentlich, wie Sie aussehen, Mister Conolly?« »Ich kann es mir denken«, erwiderte Bill. »Aber wissen Sie, was Sie da gesagt haben?« »Klar.« »Und Sie bleiben dabei?« »Ich möchte mich umziehen, bevor es losgeht.« »Moment, moment.« Bill streckte seinen Arm aus. »Damit wir uns richtig verstehen, Mrs. Gumm, ich habe nicht zugestimmt, Sie mitzunehmen. Das wissen Sie.« »Doch, ich bin nicht taub. Nur wäre es unklug von Ihnen, meinem Vorschlag nicht zu folgen.« Bill ging auf sie zu, und Mrs. Gumm trat den Rückweg an, bis die Rezeptionstheke sie stoppte. »Das, meine Liebe, müssen Sie mir erklären.« »Kann ich, Mister Conolly, kann ich sehr gut.« »Dann los!« »Sie bewegen sich hier in einem für Sie fremden Gelände. Im Gegensatz zu mir kennen Sie sich hier nicht aus. Ich wohne hier schon länger, und ob Sie es glauben oder nicht, ich kenne auch den See.« »Was Sie nicht sagen.« »Ja, ich habe ihn befahren.« »Das ist mir neu.«
»Ich hatte auch noch keinen Grund, es Ihnen zu sagen«, erwiderte die Frau kokett, drehte sich um und ging auf eine schmale Tür zu. Dahinter lagen Privaträume. Bevor sie die Tür aufstieß, drehte sie sich um, hob einen Zeigefinger. »Daß Sie mir auch hier bleiben und auf mich warten, Mister Conolly.« »Keine Sorge, ich laufe Ihnen nicht weg.« »Habe ich Sie überzeugt?« »Nein.« »Schade.« »Sie brauchen mich nicht zu bedauern, Mrs. Gumm. Ich kenne das von meiner Frau. Der kann ich auch nicht widerstehen. Die ist immer so nett zu mir und so überzeugend.« »Das haben Frauen nun mal an sich.« Bill hob die Schultern. Mrs. Gumm verschwand, und der Reporter dachte daran, daß er jetzt einen Whisky vertragen könnte. Die Flasche und die Gläser hatte Missis Gumm zwar weggeräumt, als die Freunde des Wassers erschienen waren, aber Bill wußte sehr genau, wo er sie finden konnte. Er schenkte sich einen kleinen Doppelten ein, kippte ihn in zwei Zügen weg, atmete tief durch und stellte das Glas wieder zur Seite. Er murmelte etwas vor sich hin, was nur er verstand, schaute auf die Uhr und dachte daran, daß die Nacht noch immer nicht richtig begonnen hatte. Man konnte die Zeit als einen späten Abend betrachten. Sehr schnell war Gunda Gumm wieder da. Bill staunte. »Haben Sie gezaubert?« fragte er. »Nein, wieso?« »Daß Sie so schnell umgezogen sind.« Sie winkte ab. »So etwas bin ich gewohnt. Das geht bei mir blitzschnell. Wir auf dem Lande machen um gewisse Dinge nicht soviel Aufhebens. Außerdem gehen wir wohl kaum zu einem Empfang.« »Nein, das nicht.« Gunda hatte Bills Blick bemerkt. »Gefalle ich Ihnen so?« fragte sie und strich mit beiden Händen an ihrer Kleidung entlang. »Mir scheint, als hätten Sie nie etwas anderes getan, als in der Nacht über den See zu tuckern.« »Ha, da kennen Sie mich aber schlecht.« »Das glaube ich Ihnen gern.« Mrs. Gumm hatte sich mit Stiefeln, Jeans und Windjacke so gekleidet, daß ihr Wind und Wetter nichts anhaben konnten. »Wir können gehen, Mister Conolly.« »Gut.« Gunda Gumm schloß ab. Die Außenleuchte löschte sie nicht. Das Licht schien einem einsamen Wanderer den Weg zu weisen. »Wo haben Sie das Boot liegen?« »Am Steg.«
»Ach, das ist ja nicht weit.« Sehr bald bewies Gunda Gumm, wie gut sie sich auskannte. Sie führte den Reporter durch den Wald und über Wege hinweg, die Bill unbekannt waren. Sie erreichten den Steg in Rekordzeit. Als er in ihren Sichtbereich geriet, faßte Bill die Frau am Arm und hielt sie zurück. »Was ist denn?« Bill war stehengeblieben. »Ich muß mich zuerst umschauen«, flüsterte er. »Tun Sie das. Aber warum?« »Ich habe diesen Flecken nicht in bester Erinnerung. Es könnte sein, daß man uns auflauert.« »Okay.« Bill bewegte sich vorsichtig und in Deckung bleibend auf den Steg zu. Der Wald hier sah in der Dunkelheit anders aus als am Tage. Die Bäume hatten sich verwandelt. Aus ihnen waren düstere, starre Gespenster geworden, nur ab und zu durch einen Windstoß in zittrige Bewegungen versetzt. Der See lag als geheimnisvolle und an manchen Stellen schillernde Fläche vor ihm. Ein bedeckter Himmel lag über dieser kleinen Welt. Sterne funkelten, ein blasser Halbmond sah etwas traurig aus und hing wie eine hochkant gestellte Gondel am Himmel. In seiner Nähe schien die Luft mit feinem Puder durchweht zu sein. Bill fand nichts Verdächtiges. Am Steg blieb erstehen und schaute auch unter ihm nach. Das Schlauchboot war noch vorhanden. Er richtete sich wieder auf und winkte mit einer weit ausholenden Handbewegung zurück. Mrs. Gumm hatte sein Zeichen gesehen. Sie kam schnell heran. »Alles okay?« fragte sie. »Ja, wie es aussieht.« Sie hatte sich gebückt, sah das Boot und fragte, ob sie helfen könnte. »Sicher. Ich schiebe es ins Wasser. Gehen Sie schon hinein. Ich taue es los und komme nach.« »In Ordnung.« Gunda Gumm bewies in den folgenden Minuten, daß sie praktisch veranlagt war. Sie klagte nicht, sie arbeitete und tat genau das, was Bill gewünscht hatte. Er taute das Boot los, und nach einem großen Schritt hatte er es ebenfalls geentert. Gunda schaute sich um. Sie hatte ihre Hände auf die Gummiwülste des schwankenden Gefährts gelegt. »Es hat ja einen Motor«, stellte sie mit leiser Stimme fest. »Stimmt.« Bill lächelte. Er griff nach den Paddeln und drückte der Frau eins in die Hand. »Nur werden wir uns auf ihn nicht verlassen. Wir rudern.« »Sie wollen keinen stören, wie?« »Nicht unnötig«, erklärte er.
»Wie Sie meinen.« »Können Sie das?« Ihr Blick war beinahe wütend, den sie Bill zuwarf. »Fragen Sie einen Bäcker auch, ob er Brötchen backen kann?« »Nein, das nicht.« »Ich kenne mich hier aus.« Das glaubte er ihr aufs Wort. Gunda Gumm überraschte ihn immer mehr. Es war auch kein Wunder. Um hier bestehen zu können, mußte die Frau ihren Mann stehen. Da gehörte das Lenken von Booten ebenso dazu wie die Handhabung des Kochlöffels. »Haben Sie ein bestimmtes Ziel?« fragte Gunda, als sie den Uferstreifen verlassen hatten. »Nein, nicht direkt. Wie Sie wissen, werden wir nicht allein auf dem See sein. Ich möchte nur das Boot der Freunde des Wassers unter Kontrolle halten, denn daß sie etwas vorhaben, steht fest.« Bill verzog säuerlich das Gesicht. »Leider weiß ich nicht, was sie genau beabsichtigen.« »Es steht aber außerhalb der Gesetze, denke ich.« Bill wiegte den Kopf. »Das weiß ich nicht. Nageln Sie mich darauf bitte nicht fest.« »Weshalb sind Sie dann hier?« Bill holte tief Luft und räusperte sich. »Ich kann es Ihnen nicht genau sagen.« »Wollen Sie es nicht?« »Weiß ich nicht. Nur soviel. Ich bin hier, um sehen zu können, ob Märchen wahr werden.« »Aha.« »Das reichte Ihnen aber nicht?« »Nein.« »Würde mir auch nicht reichen. In diesem Fall allerdings müssen Sie umdenken.« Bill enthielt sich einer weiteren Erklärung und faßte wieder nach dem Paddel. Er und Gunda Gumm saßen auf der mittleren der drei Bänke. Die beiden anderen befanden sich am Heck und am Bug. Der See lag vor ihnen eingehüllt in eine traumhafte nächtliche Stille. Das Mondlicht verwandelte die Oberfläche an manchen Stellen in schimmerndes blasses Gold- oder Silberpuder. Sie ruderten, und Bill mußte anerkennen, daß er neben sich eine Fachfrau sitzen hatte. Sie handhabte das Paddel besser als er, beim Eintauchen des Blatts spritzte weniger Wasser hoch als bei ihm. Manchmal grinste sie still in sich hinein, und Bill fragte sich, welche Überraschungen er von dieser Person noch zu erwarten hatte. Sie ruderten in die Stille hinein, die so still gar nicht war. Immer wieder unterbrochen vom Klatschen des Wassers, und auch auf dem See selbst
war die Oberfläche bei genauerem Hinsehen nicht so ruhig, wie man hätte annehmen können. Hin und wieder klatschte es. Ab und zu sprang ein Fisch aus dem Wasser, um rasch wieder zu verschwinden. Ein geschmeidiger Fisch, aber Bill hielt nach etwas anderem Ausschau, denn er konnte einfach die kleinen Nixen nicht vergessen. Sie ruderten sehr langsam, was sie sich auch leisten konnten, denn das große Boot war noch nicht zu sehen. Beide hatten ihren Rhythmus gefunden, ohne sich großartig zu verausgaben, und Gunda Gumm sprach Bill direkt an. »Ich würde gern wissen, was in Ihrem Kopf vorgeht.« »Wie kommen Sie darauf?« »Es ist Ihr äußerer Eindruck. Sie sehen aus wie jemand, der sehr konzentriert ist, sagen wir wie einer, der nach bestimmten Dingen sucht, weil er sie hier vermutet. Stimmt das?« »Richtig.« »Wie toll für mich. Und wonach suchen Sie, wenn ich mal fragen darf?« »Nach Lebewesen.« »Das hörte sich an«, sagte sie nach mehrmaligem Eintauchen des Paddels, »als wären es keine Menschen.« »So ist es.« »Was sind es dann?« »Lassen Sie sich überraschen.« »Das möchte ich nicht, Mister Conolly. Sie und Ihr Kollege haben mich vorhin nach den Geheimnissen gefragt, die hier im See verborgen liegen. Das stimmt doch…« »Ja.« »Sie haben sich sehr interessiert gezeigt. Ich könnte mir durchaus vorstellen, daß Sie an diesen Geheimnissen interessiert sind. Daß Sie damit rechnen, hier Dinge zu sehen, die es einfach in der Realität nicht geben kann.« Bill Conolly ließ sich Zeit mit einer Antwort. Erst nach einer Weile und nach einem Räuspern sagte er: »Gratuliere, Mrs. Gumm, Sie haben gut beobachtet.« »Dann klären Sie mich noch genauer auf.« Bill holte sein Paddel ein, und Gunda Gumm machte es ihm nach. Sie legten sie zurück ins Boot und schauten zu, wie es über die Wellen tanzte. »Ich suche nach den kleinen Nixen.« Bill hatte ein Lachen erwartet oder auch, daß seine Begleiterin einen Kübel Spott über ihn ausleeren würde, das geschah nicht. Sehr nachdenklich und mit leicht gesenktem Kopf blieb sie neben ihm sitzen. »Warum sagen Sie nichts, Mrs. Gumm.« »Nennen Sie mich Gunda, bitte.« »Okay, ich heiße Bill.«
»Schön, Bill. Ich habe deshalb nichts gesagt, weil ich das, was ich von Ihnen hörte, nicht so weit fortwerfen möchte.« »Genauer bitte.« Sie nickte. »Ja, auch ich glaube daran, daß es Nixen gibt.« »Wunderbar, das ist doch schon etwas.« »Meinen Sie?« »Sicher – und weiter? Haben Sie diese Wesen schon einmal zu Gesicht bekommen, Gunda?« »Das ist ja das Problem.« »Sony, das verstehe ich nicht.« »Ja, Bill, Sie sind anders als mein Mann und Bekannte oder Nachbarn. Die haben mich kurzerhand für verrückt erklärt.« »Erzählen Sie, Gunda, die Zeit haben wir.« Die Frau zögerte noch. Dann legte sie den Kopf zurück, schaute zum Himmel, als wollte sie dort die Sterne zählen. Sie hielt das Paddel noch in den Händen und drehte es, wobei das Blatt über den Wulst schabte. »Es war eine Nacht, ähnlich wie diese«, erzählte sie, »auch etwas kühl und irgendwie geheimnisvoll. Der Winter hatte noch nicht begonnen, der Herbst lag in den letzten Zügen, ich fuhr auf den See hinaus, nur mit einem kleinen Ruderboot. Ich hielt mich dabei dicht am Ufer. Ich wollte auch für mich bleiben, meine Gedanken wandern lassen, über vieles nachdenken und – ebenso wie diese Männer – ein Stück der Natur zu werden. Ich wußte natürlich, daß der See seine Geheimnisse bergen sollte. Man hat immer wieder darüber gesprochen, daß wir hier in einem besonderen Gebiet leben. Hier sollte sich etwas Altes erhalten haben, was eigentlich nicht in diese Welt hineingehört, wobei ich inzwischen annehmen muß, daß die Freunde des Wassers dieses Geheimnis ergründet haben. Aber bleiben wir bei mir. Ich ruderte durch die Nacht, und es war alles so wunderbar. Ich hatte mich meinen Gedanken hingegeben, die Blicke auf die Oberfläche gerichtet, als ich die Bewegungen sah.« »Welche Bewegungen?« fragte Bill. »Im Wasser, dicht unter der Oberfläche.« »Aha.« »Zuerst hielt ich es für treibendes Holz, mußte mich aber geirrt haben, denn Holz treibt nicht so glatt dahin und auch längst nicht so geschmeidig. Außerdem herrschen an diesen Stellen keine Strömungen. Das mußte also etwas anderes sein. Es war etwas, das sich aus eigener Kraft bewegte.« »Die Nixen«, sagte Bill leise. Gunda nickte. »Ja, die Nixen.« Dann schwieg sie. Bill schaute sie an. Die Erinnerung wühlte noch in der Frau. Auch jetzt bewegte sie sich, schaute über die Wülste hinweg auf das Wasser, ob sich dort etwas abzeichnete, aber das war auch nicht der Fall. Der
Spiegel wurde nur vom Wind bewegt und warf ein leichtes Wellenmuster. »Was taten Sie?« fragte Bill. Die Frau hob die Schultern. »Tja, was tat ich? Zunächst einmal war ich völlig überrascht, was Sie bestimmt verstehen. Ich bekam meine Gedanken nicht mehr in die Reihe. Alles schien mir aus dem Ruder zu laufen. Für mich brach zwar keine Welt zusammen, aber ich merkte auch, daß diese wundersamen Wesen für mich keine Gefahr darstellten. Sie kletterten nicht in mein Boot, sie griffen mich nicht an, ich hatte eher den Eindruck, als hätten sie mich akzeptiert. Und ich mußte daran denken, daß die Erzählungen doch nicht an den Haaren herbeigezogen worden waren. Daß zumindest einige von ihnen der Wahrheit entsprechen.« »Angst verspürten Sie nicht?« »Auf keinen Fall. Ich fühlte mich sogar gut. Beinahe wie unter Freunden.« Bill gab sich mit diesen Antworten nicht zufrieden und wollte mehr wissen. »Haben Sie versucht, Kontakt zu den Nixen aufzunehmen?« »Wie meinen Sie das?« »Ganz dumm gesprochen: Haben Sie in das Wasser hineingegriffen und sie angefaßt?« »Nein, das habe ich nicht. Ich hätte mich so etwas auch nie getraut, Bill. Sie standen mir auch nicht feindlich gegenüber. Wenn sie aus dem Wasser schauten, da hatte ich den Eindruck, als würden sie mir zulächeln.« Auch sie lächelte jetzt. »Meine Güte, ich sah ihre Gesichter, die so herrlich waren, so anders. Lieb, möchte ich sagen. Ja, sie waren lieb, und sie schauten mich aus ihren glänzenden Augen an. Sie waren einfach nur wunderbar, und ich kam mir vor wie in ein Märchen hineingesetzt. Ich hätte jubeln können, ich hätte… ich weiß gar nicht, was ich alles hätte können, jedenfalls habe ich mich gefreut, und ich habe auch mit keinem Menschen darüber gesprochen, selbst mit meinem Mann nicht.« »War dieses Erlebnis einmalig?« »Ja.« »Sie haben diese Nixen nie wieder gesehen?« »So ist es, Bill. Wissen Sie, ich wollte es auch nicht. Das Erlebnis war so einmalig, daß ich Angst davor hatte, es könnte nur ein Traum gewesen sein und sich nicht wiederholen. Aus diesem Grunde bin ich nicht wieder auf den See hinausgefahren.« »Das kann ich verstehen.« »Doch jetzt bin ich wieder hier auf dem See. Es ist Nacht. Es herrscht eine ähnliche Stimmung wie damals, und wir müssen damit rechnen, daß es sich wiederholt.« Bill nickte. »Da haben Sie recht. Auch John und ich haben diese Nixen gesehen.«
»Das dachte ich mir.« Gunda war nicht einmal überrascht. Bill sprach weiter. »Doch auch Fontain und seine Leute kannten die Nixen. Sie sind ihretwegen gekommen. Aber nicht, um sie zu bewundern, sondern um sie zu fangen.« Mrs. Gumm fuhr mit einer derart heftigen Bewegung herum, daß das Boot anfing zu schaukeln. »Was sagen Sie da?« »Ja, sie haben eine Nixe gefangen. Sie stellten am Ufer Fallen auf, und die Wellen schwemmten die neugierigen Wesen hinein. Da sind sie dann zu einer leichten Beute geworden. Sie wurden geholt und in einen Sack gesteckt…« »Himmel, das habe ich gesehen.« »Was?« »Den Sack, Bill. Nur wußte ich nicht, was er beinhaltete. Ich… ich habe mir keine Gedanken darüber gemacht. Sie brachten ihn dann auch weg. In ihr Zimmer, das abgeschlossen war.« »Und Sie haben wirklich nie nachgeschaut, was dort passiert ist?« »Nein, Bill. Dieser Raum war extra von den Leuten angemietet worden. Ich habe mich daran gehalten. Vielleicht war es ein Fehler, aber ich konnte nicht über den eigenen Schatten springen.« »Jedenfalls haben sie dort etwas mit der Nixe angestellt. Sie wollten ja nicht, daß jemand von ihrem Geheimnis erfährt, sonst hätten sie nicht versucht, uns umzubringen. Nun ja, glücklicherweise ist es noch einmal gutgegangen.« »Dann sind es Verbrecher.« »Irgendwo schon.« »Keine Sektierer?« Bill lächelte. »Oftmals sind die Grenzen fließend, Gunda. Man weiß da nicht, was recht und was nicht recht ist. Wir jedenfalls müssen uns mit diesen Freunden des Wassers beschäftigen, die ja durch das Wasser ihre Erfüllung finden wollen.« »Wie kann man so etwas?« Der Reporter hob die Schultern. »Wie man das kann? Es wäre wohl eine zu lange Geschichte, wenn ich Ihnen das erzählen würde. Außerdem bin ich selbst so genau nicht informiert. Ich hoffe, daß sich noch alles aufklären wird.« Gunda hob die Schultern. »Ja, wir können es nur hoffen.« Sie bewegte sich auf ihrem Platz, weil sie einen Blick so weit wie möglich über den See werfen würde. Noch immer war das Boot der Freunde des Wassers nicht zu sehen. Über der Oberfläche schwamm die Dunkelheit, und sie schien sich am Wasser festzuhalten. Der Wald umstand das Ufer wie eine düstere Kulisse, irgendwo in der Nähe klatschte es, als wäre ein Fisch in die Höhe gesprungen und schnell wieder eingetaucht. Der See bot ein völlig normales und auch harmloses Bild, aber Bill Conolly traute dem Frieden nicht. Hier gärte es, hier kam etwas auf sie
zu, und er dachte wieder an Undine, in deren Reich sie sich bewegten. Sie hielt sich in der Tiefe des Sees verborgen, aber sie würde erscheinen, davon ging Bill aus. Für ihn war diese Nacht entscheidend. Wenn der Morgen graute, hatte es entweder einen Sieg oder eine Niederlage gegeben. »Sie sind sehr ernst, Bill.« »Das stimmt.« »Denken Sie an das Boot?« »Auch. Ich frage mich, warum es seinen Liegeplatz noch nicht verlassen hat.« »Irrtum, es ist da!« Bill zeigte sich überrascht. Er sah auch, wie die Frau den Arm hob, ihn langsam senkte, in eine bestimmte Richtung deutete. Und erst jetzt, als Bill hinschaute, erkannte er den Schatten, der sich aus dem unmittelbaren Bereich des Ufers hervorschob. Ein schmaler schlanker Bootkörper, der eine hellere Bugwelle vor sich herschob, sonst aber kaum zu hören war, da die Motoren mit der geringsten Leistung liefen. Die Freunde des Wassers hatten einen anderen Kurs eingeschlagen. Sie fuhren nicht in ihre Richtung, sondern schräg von ihnen weg, der Mitte des Sees entgegen. Gunda Gumm hatte bereits ihr Paddel ergriffen. »Sie wollen doch nicht hier auf der Stelle bleiben – oder?« »Nein, wir werden ihnen folgen. Dabei zwar nicht so schnell sein, aber ich möchte das Boot nicht aus den Augen lassen.« »Sie sprechen mir aus dem Herzen.« Die Frau tauchte das Paddel ein. Es hatte kaum das Wasser berührt, da merkte Gunda den Widerstand. Das Paddel blieb in der Haltung, Gunda selbst drehte den Kopf und schaute Bill an. »Da stimmt etwas nicht.« »Wieso?« »Ich spüre Widerstand im Wasser. Das Paddel ist darauf getroffen.« Sie holte es ein, beugte sich zur Seite und schaute über den dicken Wulst hinweg. Sollte es je einen lautlosen Schrei gegeben haben, so stieß ihn Gunda Gumm jetzt aus. Bill sah ihr Profil und mußte feststellen, daß sich der Gesichtsausdruck verändert hatte. Die Haut schien sich in Holz verwandelt zu haben, der Mund stand offen, aber kein Schrei drang aus ihm hervor. »Was ist denn?« Sie schüttelte nur den Kopf. Bill drängte Gunda zur Seite und starrte ebenfalls über die Bordwand. Er schrie nicht, aber er konnte sich auch nicht völlig unter Kontrolle halten. Ein tiefes Ächzen drang aus seinem Mund. »Mein Gott, das darf nicht wahr sein.« Es war eine Tatsache.
Auf der Wasserfläche schaukelte ein Kopf. Und daneben ein Arm… *** Bill bemerkte nicht, daß Gunda leise weinte, er sah nur diese Scheußlichkeit und mußte sich eingestehen, daß ihm der Kopf nicht unbekannt war. Er kannte das Gesicht, denn es gehörte einem der Männer, die versucht hatten, ihn und John zu töten. Doch es war Undine erschienen, sie hatte für ihre wundersame Rettung und auch für den Tod der beiden gesorgt. Ihre Leichenteile schwammen im See, sie mußten den Elementen zum Opfer gefallen sein, die sie hatten bekämpfen wollen. Vielleicht auch Aibons Kraft… Der Kopf blieb schaukelnd auf den Wellen. Hoch und nieder ging er und paßte sich dabei dem Rhythmus an. Manchmal schäumte Wasser über. Wenn das geschah, verzerrte sich das Gesicht, so daß es aussah, als würde es zu einer leimigen Fratze zerlaufen. Es war klar, daß eine derartige Entdeckung einem normalen Menschen einen tiefen Schock versetzen konnte. Da erging es Mrs. Gumm nicht anders. Sie saß vornübergebeugt und hatte ihr Gesicht in den Händen vergraben. Diesen Anblick würde sie in ihrem Leben nicht vergessen. Bill stach sein Paddel in das Wasser. Gunda merkte es kaum. Erst als sie eine Weile über das Wasser geglitten waren, da ließ sie die Arme sinken und erwachte wie aus einer tiefen Trance. Sie zitterte, schaute Bill an, der ein Lächeln versuchte, was ihm nicht so recht gelingen wollte. »Es war kein Traum, nicht?« »Leider nein.« »Haben Sie ihn auch erkannt, Bill?« Gunda faßte nach seiner Hand. »Ich kenne ihn. Es war einer von ihnen. Sie haben ja zwei ihrer Leute vermißt. Dann muß der andere auch tot sein, denke ich.« »So ist es.« »Haben Sie das gewußt?« »Ja, ich bin davon ausgegangen.« Bill wollte ihr nicht die ganze Wahrheit erzählen und ließ auch die geheimnisvolle Undine aus dem Spiel. Er hatte das Paddel eingeholt, sie trieben mit der Restkraft dahin und glitten immer mehr der Seemitte entgegen und eigentlich auch dem Punkt, wo sich Undine gezeigt hatte. Im Gegensatz zu Gunda Gumm hatte Bill wohl Augen für die Umgebung. Er schaute sich sehr genau um, immer auf der Suche nach einem Beweis oder einem Erscheinen der alles beherrschenden Undine, die aber ließ sich nicht blicken. Schwarz, grau, blau und grün schimmerte die Oberfläche. Düstere Farben vereinigten sich dort. War es ein schlechtes Omen?
Bill entdeckte auch das Boot. Es hatte sich immer mehr vom Ufer gelöst und behielt seinen Kurs bei. Es wollte ebenfalls die Mitte des Sees erreichen, und wahrscheinlich – so dachte Bill – drehte sich alles um eben diese Undine. Sie lebte hier, sie überlebte in diesem Wasser, das ihre Heimat war. Sie hatte die Grenzen einreißen können, und auch Aibon war für sie existent. Wenn es für normale Menschen einen Weg gab, nach Aibon zu gelangen, dann in diesem Fall über sie, und Bill ging davon aus, daß der Plan der Männer so aussah. »Wir rudern nicht mehr weiter?« fragte Gunda. »Nein, ich möchte hier warten. Wir haben einen günstigen Punkt gefunden. Von dieser Stelle aus haben wir auch das große Boot unter Kontrolle. Ich denke, daß sich dort bald etwas tut.« »Haben Sie eine Ahnung, was das sein könnte?« Der Reporter hob nur die Schultern. Das war nicht mal gelogen, er wußte tatsächlich nicht, was sich dort noch alles zusammenbrauen würde, aber es mußte einfach mit der Gestalt der Undine zu tun haben. Er spürte Gundas Berührung, und als er sie anschaute, sah er das etwas verlorene Lächeln auf ihrem Gesicht. »Ich möchte mich für mein Verhalten bei Ihnen entschuldigen, Bill, aber ich war so geschockt, als ich den Kopf und den Arm sah, da konnte ich einfach nicht anders.« »Ist schon okay, meine Liebe, Sie brauchen sich wirklich nicht zu entschuldigen. Im Gegenteil, Sie haben sich gut gehalten. Manch anderer hätte durchgedreht.« »Na ja«, sagte sie und hob die Schultern. »Mir hat das dunkle Wasser nie Angst eingeflößt. Aber in dieser Nacht ist es einfach anders. Da habe ich Angst, denn ich weiß nicht, was sich hier noch alles abspielen wird. Manchmal denke ich, daß wir beide auf einem Pulverfaß sitzen.« Bill ging nicht auf ihre Bemerkung ein. Er streckte den Arm aus und wies mit der Hand über Bord. »Da, schauen Sie, Gunda…« Es war wunderbar, ein Phänomen, denn vor ihnen glitten die kleinen Nixen durch das Wasser. Auch deshalb gut zu sehen, weil ihre Haut hell schimmerte und sich deshalb von der dunklen Umgebung abhob. Sie glitten dahin wie Fische, sie waren schnell, sie tauchten unter, sie schwammen nur mit ihren Flossen, sie huschten wie durch dunkles Glas und tauchten dann mit einer rollenden Bewegung weg. »Das ist wie im Märchen«, flüsterte Gunda. Sie war fasziniert und hatte den Schrecken glücklicherweise vergessen. Bill schwieg. Er konzentrierte sich auf seine Umgebung, weil er einfach damit rechnete, daß es hier zu einer Veränderung kommen würde. Es mochte auch am Licht liegen, das sich irgendwie verändert hatte. War es nicht heller geworden? Bill schaute zum Himmel hoch.
Dort hatte sich nichts verändert. Da verteilte sich nur das schwache Glimmen der Gestirne. Nein, daran konnte es nicht liegen. Im Wasser vielleicht? Ja, auf der Oberfläche malte sich ein Schein ab, der sich durch das Zucken der Wellen bewegte. Es war ein ungewöhnliches Glühen, das seinen Ursprung in der Tiefe hatte, und Gunda zeigte sich davon ebenfalls überrascht. »Was ist das?« »Ich weiß es noch nicht.« Beide schauten gespannt hin, denn die Veränderungen ließen ihre Worte ersticken. Die Helligkeit beschränkte sich auf ein bestimmtes Gebiet, das von den zahlreichen kleinen Nixen umschwommen wurde. Sie hatten es regelrecht eingekreist. Sie waren wie Wächter, die etwas Bestimmtes nicht aus den Augen lassen wollten. Was es genau war, sah Bill nicht. Noch waren nur Schatten zu sehen, die vom Boden her in die Höhe wuchsen. Felsen? Ja, das kam hin. Und auf einem Felsen saß sie. Eine nackte Frau mit langen Haaren, die jetzt ihren Kopf bewegte und die Haare der Strömung übergab, so daß diese mit ihnen spielte. Die Frau hatte die Arme ausgebreitet, und die Nixen hatten die Schwelle vom Dunklen zum Hellen überwunden. Sie glitten auf ihre Königin zu, umschwammen sie, ließen sich von den Händen streicheln und waren einfach glücklich. »Meine Güte, das glaubt uns keiner«, flüsterte Gunda. »Ich zumindest darf es keinem erzählen. Die würden glauben, ich sei übergeschnappt. Sagen Sie, Bill, diese Frau bilde ich mir doch nicht ein.« »Sicherlich nicht.« »Wer ist sie?« »Ich sage es Ihnen, Gunda, und Sie müssen es mir glauben. Es ist die sagenumwobene Undine…« Gunda Gumm schwieg. »Nein«, flüsterte sie nach einer Weile. »Das kann nicht sein.« »Es ist so, glauben Sie mir.« Sie nickte, ohne überzeugt zu sein. Dann wechselte ihr Blick. Sie schaute weit über das Gewässer hinweg und sah die Umrisse des Schiffes. Mit leiser Stimme gab sie ihren Kommentar. »Jetzt weiß ich, weshalb die Freunde des Wassers auf den See gefahren sind.« »Ja, sie werden Undine rauben wollen.« »Und?«
Bill schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, daß es ihnen gelingen wird. Sie ist stark, sehr stark, und sie wird sich für das rächen wollen, was man ihr angetan hat…« *** Ich hatte meinen Platz im Beiboot nicht verlassen und war froh, als wir ausliefen. Leider hatte ich meinen Platz nicht verändern können, zu viele dieser Freunde des Wassers hielten sich an Deck auf, und sie taten etwas, das mich wunderte, obwohl es auf dem Wasser eine normale Tätigkeit war. Sie warfen ihre Netze aus. Das Boot tuckerte gemächlich über den See. Ich war davon überzeugt, daß es irgendwann seine Fahrt einstellen würde, wenn bestimmte Fanggründe erreicht waren. Als mir dieser Ausdruck in den Sinn kam, verzog ich den Mund. Fanggründe für wen? Sicherlich nicht für irgendwelche Fische, denn ich ging davon aus, daß sie an etwas anderes Lebendiges heranwollten, eben an die Nixen. Sie bewegten sich sehr sparsam. Jede Geste war einstudiert. Sie arbeiteten auch nicht im vollen Licht, sondern weiterhin im Dunkeln. Bei ihnen saß jeder Griff, und ich wunderte mich darüber, daß die Scheinwerfer auf dem Bootdeck nicht eingeschaltet waren. Das mußte meiner Ansicht nach etwas zu bedeuten haben. Allerdings zerbrach ich mir darüber nicht den Kopf, sondern beobachtete nur die Männer und sorgte dafür, in Deckung zu bleiben. Sie arbeiteten ziemlich primitiv. Das heißt, sie mußten die feinmaschigen Schleppnetze zwar nicht selbst halten, doch es gab keine Winden oder Rollen, um sie einzuziehen. Sie konnten sie nur an der Reling festhaken. Das Boot zuckelte weiterhin der Mitte des Sees entgegen. Glücklicherweise waren die Freunde des Wassers derart beschäftigt, daß sie keinen Blick für ihre unmittelbare Umgebung hatten, deshalb konnte auch ich mich ziemlich sicher fühlen. Obwohl das Boot relativ groß war, kam ich mir eingeklemmt wie eine Sardine vor. Ich veränderte meine Lage etwas und versuchte auch, mich zu entspannen. Einen Krampf wollte ich nicht unbedingt bekommen. Es gelang mir, die Beine auszustrecken, legte mich auf die Seite und hob den Kopf ein wenig an. So war es besser, auch wenn ich am liebsten die Plane zur Seite geschleudert hätte, weil mir die stickige Luft überhaupt nicht schmeckte. Ich war mutiger geworden und hatte den Spalt um eine Idee erweitert. Der bessere Blickwinkel erlaubte mir auch, Justus Fontain zu erkennen. Der große Chef und Guru hielt sich im Hintergrund auf. Er hatte die Hände in den Taschen vergraben und beobachtete nur. Hinter ihm ragte
das Ruderhaus wie die breite Brust eines Monsters in die Höhe, das sich schützend zu ihm gesellt hatte. »Die Netze sind ausgeworfen!« meldete jemand. Fontain nickte nur. »Glaubst du denn, daß wir sie fangen?« »Mindestens fünf«, sagte Fontain. Er lachte leise. »Sie sind doch zu neugierig. Sie werden sehen wollen, wer oder was ihnen da entgegenkommt. Keine Sorge, in dieser Nacht werden wir bereit sein, auch Undine gegenüberzutreten.« Damit hatte er mir seinen Plan unbeabsichtigt verraten. Ich dachte dennoch nach, weil ich nicht wußte, was sie mit den kleinen Nixen vorhatten. Jedenfalls waren sie äußerst wichtig für sie, nur konnte ich mir nicht vorstellen, was bei ihnen so prägnant war. Man fing sie – und dann? Mir fiel nur das Schrecklichste ein, das Töten. Ich wußte nicht, wie ich mich verhalten würde, wenn es soweit war. Dafür hörte ich, daß der Motor nicht mehr lief. Wir dümpelten jetzt auf der Seemitte oder zumindest in der Nähe, und ich wäre gern aus meinem Versteck gestiegen, um Ausschau zu halten. Es konnte durchaus sein, daß auch Bill diesen Punkt erreicht hatte. Ein großes Boot war schließlich besser zu sehen als ein flaches Schlauchboot, das sich über das Wasser schob, in dem zusätzlich noch eine Person geduckt lag. Es war relativ still geworden. Eintönig klatschten die Wellen gegen die Bordwand. Die Freunde des Wassers standen zumeist an der Reling und schauten auf den See. Dabei kontrollierten sie auch ihre Netze; sie warteten darauf, daß sich die Beute in ihnen verfing. Selbst ich konnte sehen, daß es bald soweit sein mußte, denn zwei Netze bewegten sich in ihrer Aufhängung. Das bemerkten auch die Freunde des Wassers, und selbst der Anführer trat neugierig näher, als sich seine Leute bereitmachten, das Netz einzuholen. Auch jetzt arbeiteten sie schnell und geschickt, als hätten sie nichts anderes getan. Sie waren sehr konzentriert, und ihrer Umgebung schenkten sie keinen Blick mehr. So nutzte ich die Gelegenheit aus, um die Plane über meinem Kopf etwas höher zu schieben. Mein Sichtfeld erweiterte sich, und das war auch gut so. Das Netz wurde eingeholt. Es rutschte über die Bordwand hinweg auf die Planken. Wasser breitete sich aus, große Pfützen glänzten wie Augen. Keinen der Männer hatte es noch an seinem Platz gehalten. Sie alle waren nahe an das Netz herangetreten, auch Justus Fontain. Ihm schuf man sofort Platz. Er schaute sich das Netz an. Er bückte sich. Ich wunderte mich etwas über seine langsamen Bewegungen. Er sah aus wie jemand, der etwas Bestimmtes entdeckt hatte, es aber nicht glauben wollte.
Als sich einer seiner Leute bückte, scheuchte er ihn weg und bückte sich selbst. Leider verwehrte mir der Weggescheuchte das Blickfeld. So konnte ich den Mann nicht sehen. Erst als er sich aufrichtete, sah ich einen Teil seines Körpers. Wie nebenbei bekam ich mit, daß im Netz mindestens drei Nixen zappelten, aber das alles war nicht mehr wichtig, als ich sah, was Justus Fontain in seinen ausgestreckten Händen hielt. Es war etwas Weiches, vielleicht sogar Rundes, und mir stockte der Atem, als ich es erkannte. Justus Fontain hielt den Kopf eines Mannes zwischen seinen Handflächen! *** Nicht nur mit hatte es die Sprache verschlagen, den Jüngern des Wassers erging es ebenso. Sie starrten den Kopf von verschiedenen Seiten an und waren nicht in der Lage, einen Kommentar abzugeben. Ihnen hatte es, ebenso wie mir, buchstäblich die Sprache verschlagen, und auch ich spürte den eiskalten Hauch auf meinem Rücken, der sich so leicht auch nicht entfernen ließ. Es war der blanke Wahnsinn, denn der Kopf gehörte zu einem der Männer, die uns hatten töten wollen. »Das ist Graham!« sagte eine erstickt und trocken klingende Stimme. »Verdammt, das ist er!« Niemand antwortete ihm. Die Furcht stand in den Gesichtern der Männer geschrieben. Plötzlich lag eine kalte Schicht über dem Schiff. Sie mußten sich vorkommen wie Marine-Soldaten, die den sicheren Hafen verlassen hatten und jetzt in Feindesland waren. Nur war in diesem Fall der Feind nicht zu sehen. Er hielt sich in den Tiefen des Sees verborgen. Auch Fontain gab einen Laut von sich. Ein schweres, jaulend klingendes Schluchzen, als wäre für ihn eine Welt zusammengebrochen, und er zitterte wie ein Blatt im Wind. Selbst in der Dunkelheit war der Schweiß auf seinem Gesicht zu sehen. Seine Haut sah aus, als hätte man sie mit einem Ölfilm beschmiert. Kein Wort drang aus seinem Mund, als er die Arme langsam senkte, den Kopf aber noch festhielt. Dann bewegte er sich plötzlich zur Seite, die Arme schwangen mit, und der Schädel löste sich aus seinen Händen. Wie ein Ball flog er in die Luft, beschrieb einen Bogen, verschwand in der Dunkelheit über dem See und fiel mit einem klatschenden Geräusch in das Wasser. Es war vorbei. Sie hatten sich des Schädels entledigt, aber die Erinnerung steckte in ihnen wie ein böser Pfeil. Sie wußten jetzt, daß etwas passiert war, aber sie konnten nicht wissen, wie es geschah. Sie mußten davon ausgehen, daß die beiden Männer, die sie hatten töten wollen, schneller gewesen
waren, und dieses Wissen trieb sicherlich die Angst in sie hinein und machte sie unsicher. Sie holten tief Luft. Ich sah, wie sie durchatmeten und ihre Blicke über die Bordwände hinweg auf das Wasser gleiten ließen, wo sie aber nichts sahen. Nur die ruhige, dunkle, aus den Farben schwarz und grün zusammengesetzte Fläche. Ich konzentrierte mich wieder auf ihren Fang. Das Netz war eingeholt worden. Es hatte sich irgendwie zusammengefaltet und lag auch so auf den Planken. Die gefangenen Nixen bewegten sich hektisch, sie schlugen mit ihren Schwänzen ebenso um sich wie mit den Armen, trafen sich dabei gegenseitig, als wollten sie sich bewußt verletzen. Hin und wieder gelang mir ein Blick auf ihre kleinen, feingeschnittenen Gesichter, die nun in großer Angst verzerrt waren. Justus Fontain schüttelte den Kopf, als wollte er die Erinnerung an den Schrecken vertreiben. »Holt das zweite Netz ein!« befahl er. »Macht schon!« Seine Leute gehorchten ihm aufs Wort. Niemand sprach, Kommentare wurden nicht gegeben, ein jeder stand noch unter dem Schock des eben Erlebten. Sicherlich rechneten sie damit, daß sich auch im zweiten Netz eine makabre Beute wiederfand. Während sie das Netz einholten, hatte ich die Gelegenheit, mich wieder zu entspannen. Es war hart genug gewesen, aber die Freunde des Wassers wußten jetzt, daß nicht alles nach ihren Plänen abgelaufen war. Sie würden noch Ärger bekommen. Das zweite Netz wurde schneller eingeholt. Nicht alle Männer beteiligten sich daran. Zwei von ihnen kümmerten sich um die gefangenen Nixen. Mit sicheren Griffen schnappten sie zu, ihre Hände umklammerten die Schwanzflossen an ihren Enden. Sie hoben die Nixen hoch, ihre Köpfe zeigten nach unten, und so ließen sie die Wesen zappeln. Ich zuckte zusammen, als sie in einen Trog oder Bottich geworfen wurden, den jemand herbeigeschoben hatte. Auch die dritte Nixe fand dort ihren Platz, und ein Mann blieb am Trogrand stehen, um die Beute zu bewachen. Inzwischen war auch das zweite Netz eingeholt worden. Noch immer verzichteten die Freunde des Wassers auf jeglichen Lichtschein. Sie fanden sich in der Dunkelheit sehr gut zurecht und schienen alles perfekt geübt zu haben. »Nur eine, Justus!« Fontain trat näher. Er schaute auf die Maschen, in denen tatsächlich nur ein Wesen zappelte. »Ja, das ist gut.« »Wir hätten mehr gebraucht. Sollen wir das Netz wieder ins Wasser lassen?« »Nein, das will ich nicht. Wir nehmen die vier, und sie müssen ebenfalls reichen.«
Sein Wort war Gesetz. Widerspruch gab es nicht. Erst als auch die vierte Nixe im Trog lag, nickte er und trat zurück. Seine Leute räumten die leeren Netze zur Seite und stellten sich an bestimmten Positionen auf. Ich kam damit nicht zurecht und überlegte, was wohl jetzt passieren würde. Ich ging davon aus, daß es für die Freunde des Wassers sehr wichtig war, denn sie alle kamen mir irgendwie angespannt vor. Wie Menschen, die vor einer Prüfung standen und plötzlich hörten, daß sie gerade jetzt den Raum betreten mußten. In den folgenden Sekunden geschah nichts, was die Lage verändert hätte. Ich versuchte natürlich, einen Blick in den Trog zu werfen. Um dies zu können, mußte ich die Plane ein wenig bewegen, aber der Winkel blieb ungünstig, auch dann, als einer auf Geheiß des Anführers hin, den Trog noch mehr in die Mitte rückte. »Ja, so ist es gut!« Der Mann trat vom Trog zurück. Nun erst fiel mir auf, daß sich andere hinter den drei Standscheinwerfern verborgen hielten. Sie standen auf dreieckigen Gestellen, ihre Glasaugen glotzten in einem schrägen Winkel in die Tiefe, und wenn ich ihren Weg verfolgte, dann endete dieser genau am Trog. Mir war klar, daß sie die Nixen anleuchten wollten, aber ich sah keinen Sinn darin. Bisher war ihr Boot von der Dunkelheit geschützt worden, warum das Licht? Wenn sie dieses Risiko eingingen, mußte es wirklich von großer Bedeutung sein, und ich drückte die Plane über meinem Kopf noch höher. Ich kniete jetzt im Boot. Es war eine relativ günstige Haltung, denn mir gelang es tatsächlich, in den Trog hineinzuschauen, und dort sah ich die vier Nixen. Sie lebten noch, aber man hatte ihnen ihr Element – das Wasser – entzogen. Dementsprechend schwach gestalteten sich ihre Bewegungen. Alles kam mir mühsam vor, und bei einem flüchtigen Hinsehen hätte man sie tatsächlich für Fische halten können, die übereinander lagen, mit zuckenden Körpern, wobei jeder in bestimmten Abständen einen heftigen Stromstoß erhielt. Keiner bewegte sich bis auf Justus Fontain. Er kontrollierte noch einmal die Plätze seiner Leute. Er korrigierte den Strahlungswinkel eines Scheinwerfers. Erst dann war er zufrieden. »Können wir, Chef?« »Ja, einschalten!« Kaum hatte ich die Worte gehört, duckte ich mich und zog die Plane wieder über meinen Kopf. Nur einen sehr schmalen Spalt ließ ich frei, der natürlich nicht ausreichte, um alles zu überblicken. Einen Moment später explodierte die Umgebung im grellen Licht der Scheinwerfer.
Es war, als hätte man einen Teil des Schiffes einfach abgesägt. Die Umgebung blieb im Dunkeln, die hellen Arme der Scheinwerfer konzentrierten sich ausschließlich auf den Trog. Ich hatte mich noch weiter geduckt. Ich glaubte, geblendet zu sein, stellte aber sehr bald fest, daß das nicht der Fall war, denn kein Lichtstreifen erreichte das Boot. Die Strahlen waren so ausgerichtet, daß sie einzig und allein den Bottich mit den drei Nixen erwischten, das übrige Deck ließen sie im Dunkeln. Aus Sicherheitsgründen ließ ich trotzdem einige Zeit verstreichen, bevor ich es riskierte und die Plane wieder anhob. Ich hatte schon zuvor festgestellt, daß mir keiner der Männer einen Blick zuwarf, alle waren zu >beschäftigt<, das heißt, sie starrten schräg in die Tiefe und auf den Inhalt des Bottichs. Ich kniete wieder, konnte ebenfalls in den Trog hineinschauen und stellte mit Entsetzen fest, was da passierte. Das Licht vernichtete die Nixen! Als ich es sah, da fiel mir ein, irgendwo einmal darüber gelesen zu haben, daß grelles Licht der Tod dieser Wesen war, die ja im tiefen Wasser lebten und sich nur in der Nacht an der Oberfläche zeigten oder für kurze Zeit das nasse Element verließen. Jetzt aber fanden sie sich im Zentrum dieser für sie tödlichen Strahlen wieder, und sie hatten die gleiche Funktion übernommen wie auch das Licht der Sonne. Ich hätte am liebsten weggeschaut, ich hätte auch gern geschrien oder wäre aus meinem Boot geklettert, um die anderen zu attackieren. Statt dessen tat ich nichts. Ich blieb knien und wurde Zeuge eines schlimmen Todes. Die vier Nixen wehrten sich. Sie schnellten hoch, als wollten sie auf ihren Schwanzflossen tanzen. Dabei hielten sie die Hände vor ihr Gesicht gepreßt, nur nutzte es ihnen nichts. Das Licht war grausam, das Licht war stärker, und es war dabei, den alten Fluch zu erfüllen. Eine Nixe hatte es geschafft, sich am Rand des Trogs festzuhalten. Ich sah, wie sie ihren Kopf drehte, das geschah mit sehr schweren, langsamen Bewegungen. In ihnen steckte bereits eine gewisse Trägheit, und sie würde es nicht schaffen, denn plötzlich löste sich das Gesicht der Nixe auf. Zuerst sah es so aus, als wäre es mit Leim übergössen worden. Aber das traf nicht zu, denn dieses schleimige Zeug kam von innen. Es drang durch die Haut, zerriß dabei die Poren und löste das Gesicht auf. Die Höhlen verwandelten sich ebenfalls in die schleimige Masse, die immer dünner wurde und bald an dem restlichen Körper herabrann wie Wasser. Es fand sich auf dem Grund des Trogs wieder, wo es sich plätschernd mit der anderen Flüssigkeit vereinigte.
Das wiederum bewies mir, wie sehr sich auch die anderen drei Nixen verändert hatten. Sie waren in den gleichen Zustand geraten. Als ich einen Blick auf den Trog erhaschte, bekam ich mit, wie ihre Köpfe auf der Wasserfläche schwammen und dort tanzten wie kleine Korken. Ihre Augen waren noch vorhanden. Schrecklich weit standen sie offen, als hätten sie alles Leid der Welt gesehen. In meinem Hals war irgend etwas zugeschnürt. Auch wenn ich gewollt hätte, ich hätte keinen Ton hervorbekommen. Was man mir dort bot, war einfach zu schlimm. Auch die Nixe, die sich am Trogrand festgeklammert hatte, schaffte es nicht mehr. Ihre Fingerlösten sich auf, dann rutschte der Rest des Körpers zu den anderen hin, die sich beinahe völlig aufgelöst hatten. Nur mehr Fragmente waren zurückgeblieben. Ich sah einen Arm, mal ein Bein, auch ein schrecklich verzogenes Gesicht, das auf der Oberfläche tanzte. Das Grauen empfand ich als eine böse Klammer, die meinen Körper und auch mein Inneres umschloß. Kalt rann es mir den Rücken hinab, und in meinem Magen lag ein Klumpen aus Blei. Dann ging alles sehr schnell. Zu schnell für meinen Geschmack, denn auch die letzten Reste lösten sich auf. Zurück blieb – Wasser! Eine Flüssigkeit, die für mich bisher normal gewesen war, ihre Normalität jetzt allerdings verloren hatte, denn ich dachte an die Freunde des Wassers, und es fiel mir dabei nicht schwer, es mit diesem Wasser in Verbindung zu bringen. Eine andere Szene schob sich vor mein geistiges Auge. Ich sah mich wieder im Flur und in den Raum hineinschauen, in dem sich die Männer am Tisch versammelt hatten. Sie hatten dort gesessen und ihr frugales Mahl zu sich genommen. Wasser und Salat. Der Salat war okay, nicht das Wasser. Nein, mir wurde nicht übel, aber ich war nicht mehr weit davon entfernt, als ich daran dachte, was die Männer gegessen hatten. Noch jetzt klang das Plätschern und Schlürfen in meinen Ohren nach. Sie hatten die Nixen verspeist. Sie hatten das Wasser geschluckt, um so die Kraft zu bekommen, die sie brauchten, um Grenzen zu überwinden. Welche Grenzen? Beinahe hätte ich über meine eigene Frage gelacht. Natürlich die nach Aibon, in die geheimnisvolle Welt der Druiden, in das Paradies der Eichenkundigen, wo zahlreiche Märchen und Legenden ihre Ursprünge hatten, auch die um Undine. Ich stöhnte auf, als ich daran dachte, und ein gewisser Schwindel hielt mich umklammert. Das Boot unter mir schien zu schwanken, um dann
wegzufliegen, doch es war nur ein Gefühl. Ich blieb an der Stelle, und hinter meiner Stirn spürte ich das harte Tuckern. Ich war schweißgebadet, dieser Vorgang hatte mich tief getroffen, doch für die Freunde des Wassers war er das größte gewesen. Aus dem Hintergrund näherte sich Justus Fontain. Er hielt irgendetwas in den Händen, einen ziemlich hohen Gegenstand. Erst als er in den Lichtschein hineintrat, erkannte ich, daß es sich um Schalen handelte, die ineinander gestellt waren und deshalb diesen Turm gebildet hatten. Fontain ließ es sich nicht nehmen, die Schalen an seine Männer zu verteilen. Jeder erhielt eine, und die Männer nickten dankbar, als hätte man ihnen Goldbarren in die Hände gedrückt. Ich hatte schon viel erlebt, aber dies hier war auch mir neu. Ich hockte im Boot, wischte über mein Gesicht und verstand die Welt nicht mehr, mußte jedoch einsehen, daß es immer wieder Menschen gab, die auf eine bestimmte Art und Weise versuchten, Wege in andere Dimensionen zu finden, wo angeblich ihr Glück wartete. Das wollte ich nicht unterschreiben. Für mich stand längst nicht fest, daß Aibon sie auch annehmen würde, denn das Land stemmte sich gegen einen Besuch. Nicht grundlos lag es so versteckt. Ein klatschendes Geräusch erregte meine Aufmerksamkeit. Es war deshalb entstanden, weil einer der Männer eine Kelle in den Trog hineingedrückt hatte. Er hatte so etwas wie die Rolle des Kellners übernommen und war ausgesucht worden, seine Freunde zu bedienen. Sie hielten ihm ihre Schalen hin, und natürlich wurde Justus Fontain als erster bedient. Im Schein der starken Lampen war alles deutlich zu sehen. Als die Flüssigkeit in die Schale hineinklatschte, glitzerte sie auf wie ein aus der Höhe fallender Wasserstrom. Fontain bedankte sich mit einem Nicken. Der Mann sagte nichts. Er bediente weiter, und ein jeder seiner Freunde kriegte von dem Wasser. Sie würden es trinken, essen, genießen, was wußte ich, und sie würden die Kraft der Nixen in sich spüren, einen Teil des Landes Aibon, das hatte ich mittlerweile mitbekommen. Was sollte ich tun? Sollte ich mich ihnen zeigen? Sollte ich meine Deckung verlassen, über sie kommen und ihnen die verdammten Schalen aus den Händen schlagen? Nei n, nur nichts überstürzen. Ich stand allein, sie waren elf Männer, und sie waren zu allem entschlossen, wie ich schließlich vor einigen Stunden selbst erlebt hatte. Ich würde nicht eingreifen, sondern zunächst abwarten, wie sich die Dinge entwickeln. Im Restaurant hatten sie mit Löffeln gegessen. Darauf konnten sie jetzt verzichten. Es war wieder Fontain, der das Zeichen gab, und daraufhin
hoben sie die Schalen an und führten sie an ihre Münder. Sie kippten die Gefäße an. Die Flüssigkeit lief über ihre Lippen in den Mund, und sie schluckten. Ich konzentrierte mich auf einige der Gesichter, und darüber konnte ich nur den Kopf schütteln. Schon nach den ersten Schlucken, die nicht mehr als ein Probieren waren, leuchteten ihre Augen auf, als gerieten sie in ein wahnsinniges Entzücken. Es war alles wunderbar, sie fühlten sich so wohl und gekräftigt, sie genossen dieses Wasser, und sie setzten ihre Tassen nur ab, um Luft zu holen. Danach tranken sie wieder und leerten die Gefäße mit dem zweiten Schluck. Justus Fontain hatte gewartet, bis alle ihre Tassen geleert hatten. Er setzte seine noch einmal an. Ich konzentrierte mich einzig und allein auf ihn. Im grellen Licht der Scheinwerfer hatten seine Augen eine grüne Farbe angenommen, wie mir schien. Ich konnte mich aber auch täuschen. Jedenfalls trank er in kleinen Schlucken. Er genoß das >Wasser<, und sein Adamsapfel zuckte unter der dünnen Haut. Endlich hatte er seine Tasse leer. Er setzte sie ab, und aus seinem Mund löste sich ein breites Stöhnen. Fontain schaute sich um, er forschte in den Gesichtern seiner Freunde, nickte und sagte mit heiserer Flüsterstimme: »Das war gut. Es war ein Labsal, und es ist unser Start in ein neues Leben.« Sie setzten die Tassen ab, schauten in den Trog, der leer war. Ich hätte mir am liebsten mehrmals gegen den Kopf geschlagen, denn was ich da gesehen hatte, war unglaublich. Nie wäre ich zuvor auf die Idee gekommen, daß es so ablaufen würde. Es kostete mich Überwindung, ruhig zu bleiben und einfach nur abzuwarten. Die Freunde des Wassers waren fertig und hatten endlich ihre >Kraft< getankt. Sie machten einen satten und zufriedenen Eindruck, der bei mir ein widerliches Bild hinterließ. Ich mochte diese glatten Gesichter nicht, in denen sich der Triumph abmalte, und hätte am liebsten in sie hineingeschlagen. Die Freunde des Wassers waren zufrieden. Die Spitze bildete dabei ihr Anführer, der beide Arme hob, als wollte er dafür sorgen, daß auch letzte Gespräche verstummten. Seine zehn Freunde wagten kaum, Luft zu holen. Sie warteten auf die Worte ihres Anführers, der sie auch nicht enttäuschte. »Allen Widrigkeiten zum Trotz haben wir es geschafft und die Kraft des alten Reiches Aibon getankt. Wir sind zwar noch Menschen, aber wir spüren bereits das Blut dieser Welt in unseren Körpern. Es macht uns frei, es läßt uns abheben und Grenzen einreißen. Wir alle wissen, daß der vorletzte Schritt getan ist, den letzten, den allerwichtigsten werden wir jetzt leichter gehen können. Wir haben sie genossen, wir haben ihr gezeigt, daß wir stärker sind als ihre Dienerinnen, aber noch fehlt sie uns. Undine ist es, an die wir heranwollen. Wir werden sie uns holen. Mit
der Kraft des Druidenreiches werden wir an sie herankommen, und nichts kann uns mehr stoppen, das schwöre ich euch.« Die Blicke der Männer hingen an den Lippen ihres Anführers, der sich zu einem erlösenden Lächeln herabließ. »Wer von uns fühlt sich nicht leicht, nicht befreit? Unser Suchen ist vorbei, wir haben den Weg gefunden, was uns niemand zugetraut hätte. Die meisten Menschen wissen glücklicherweise nichts von ihr, aber wir haben den Weg gefunden. Das Tor zu Aibon ist spaltbreit geöffnet worden. Es liegt an uns, es weiter aufzustoßen, einzutreten, um dort die wahre Bestimmung zu finden. Wir, die Freunde des Wassers, wollen eins werden mit diesem wundervollen Land, das als Paradies bezeichnet wird. Eine wunderbare Märchenwelt, nicht für Kinder, sondern für uns, die Auserwählten. Wir werden über diesen Teil Aibon herrschen und Undine von ihrem Thron stürzen.« Die Worte hatten den Männern einen zusätzlichen Push gegeben, denn sie waren dafür. Sie ballten ihre Hände und stießen die Arme schräg in die Luft, um ihrem Anführer kundzutun, wie sehr sie mit seinen Worten einverstanden waren. Ich tat noch immer nichts, denn ich war in diesen Augenblicken mehr als froh, mich zurückgehalten zu haben, weil das Wichtigste noch vor mir lag. Es ging um Undine. Ich hatte sie gesehen, ich wußte auch, über welche Kräfte sie verfügte, und ich fragte mich, ob sie es tatsächlich zulassen würde, daß die Freunde des Wassers in ihr Reich hineindrangen, um es zu übernehmen. Auf der anderen Seite hätte ich nie gedacht, daß es noch einen anderen Weg gab, um nach Aibon zu gelangen. Es lag allein an diesem geheimnisvollen See, der als Aibon-Rest in dieser Welt zurückgeblieben war. Irgendwann in grauer Vorzeit mußte es einmal eine Verbindung vom Druiden-Paradies zur normalen Welt gegeben haben, und ich konnte mir auch vorstellen, daß dieser See damals ein Platz gewesen war, wo sich die mächtigen Eichenkundigen versammelten, um zu sterben. Undine herrschte über das Wasser, und sie schien mir eine ähnliche Funktion zu haben wie der rote Ryan oder Mandragora. Doch so genau wußte ich das nicht. Ich zwinkerte mit den Augen, weil sich das Licht plötzlich bewegte und über mein Gesicht hinweggehuscht war. Ein Zeichen, daß jemand die Scheinwerfer bewegt hatte. Ich zog mich wieder tiefer in mein Versteck zurück, ließ den Spalt aber so groß, um das Geschehen an Deck beobachten zu können. Die Freunde des Wassers bewegten sich zielstrebig. Sie wußten genau, wie sie die Scheinwerfer auszurichten hatten, und diesmal leuchteten sie in eine andere Richtung.
Auf dem Deck gab es nichts mehr, was für sie noch von Interesse gewesen wäre. Sie wollten jetzt alles, und sie waren auch gut informiert und vorbereitet, sonst hätten sie nicht so gehandelt. Sie kippten die Köpfe der Scheinwerfer so, daß die Strahlen über die Bordwand hinweg auf das Wasser fielen und die Oberfläche aussehen ließen wie dünnes Glas. Es gab keinen mehr, der zum Heck hinschaute. Auch das Ruderhaus war nicht besetzt, jeder schaute nach vorn. Entweder über den Bug hinweg oder an Back- oder Steuerbord auf das Wasser hinaus, über das jetzt die langen Bahnen der Scheinwerfer hinwegglitten, um ein Ziel zu erwischen, das sich bisher noch nicht gezeigt hatte. Durch die Situation angetrieben, war auch ich das volle Risiko eingegangen und hatte die Plane so weit über meinem Kopf angehoben, daß ich einen guten Blick außerhalb des Bootes bekam und ebenfalls einen Teil des Sees überblickte, auf dessen Oberfläche die drei Scheinwerferstrahlen wanderten und einen hellen Teppich hinterließen, in dem sich tanzende Wellen wie silberne Spitzen voranbewegten und irgendwo an den Uferstreifen ausliefen. Bisher sah alles normal aus. Das aber änderte sich, denn plötzlich erreichten die drei Lichtstrahlen ein Gebiet, das auf mich einen veränderten Eindruck machte. Dort war das Wasser seltsam klar. Der Anblick faszinierte mich so sehr, daß ich vorsichtig meine Deckung verließ und noch vorsichtiger vom Boot her auf das Deck kletterte. Ich berührte es zuerst mit dem rechten, danach mit dem linken Fuß, blieb für einen Moment stehen, atmete tief durch und versuchte, meine Nerven unter Kontrolle zu bringen, was mir auch gelang. Für mich hatte niemand einen Blick. Die elf Freunde des Wassers schauten nach vorn, ihre Augen waren einzig und allein auf die besondere Stelle inmitten dieses geheimnisvollen Gewässers gerichtet. Auch ich schaute hin und hatte mich dabei auf die Zehenspitzen gestellt. Noch bewegten sich die Strahlen. Von drei Seiten huschten sie lautlos auf einen bestimmten Punkt zu, sie folgten den Anweisungen des Anführers, und sie trafen genau an der Stelle des Sees zusammen, wo sich die Veränderung im Wasser zeigte. Klar, durchsichtig, freier Blick. Ich wolle es nicht glauben, als ich in die Tiefe schaute, denn dort malte sich eine Landschaft ab. Die dunkleren Schatten waren keine Schatten, sondern Felsen. Man hätte sie auch als kleine, dunkle Berge ansehen können mit ihren mal spitzen, mal weniger spitzen Graten, und aus ihrer schwarzen Farbe wurde ein schimmerndes Grün, als das Licht an ihnen entlangglitt. Es war wie im Märchen, und in fast jedem Märchen spielte eine Königin mit. So auch hier.
Auf dem höchsten Felsen saß eine nackte Frau, deren langes Haar wie eine Flut um ihren Kopf schwang. Ich kannte sie, die anderen sahen sie zum erstenmal, und sie überließen es ihrem Anführer, den Namen auszusprechen. »Undine…« *** Gunda Gumm und Bill Conolly hatten sich sehr lange nicht gerührt. Sie hockten zusammen in ihrem Schlauchboot, als wären sie ein Teil desselben. Der Anblick hatte ihnen die Sprache verschlagen, aber nicht nur er, weiter entfernt, wo der dunkle Schatten des großen Boots lag, hatten sie auch das grelle Licht gesehen. Sie hatten sogar die drei Lichtquellen ausmachen können. »Da ist doch ihr Kollege, nicht?« Bill nickte. »Ich sehe ihn nicht.« »Nein, ich auch nicht.« »Ist das schlimm?« Der Reporter hob die Schultern. »Ich denke nicht. John ist schlau genug, um sich zu verstecken.« »Hoffentlich«, flüsterte Gunda. Beide beobachteten weiter. Sie hätten sich gern ein Nachtglas gewünscht, doch herbeizaubern konnten sie es nicht, und so mußten sie sich schon auf ihre Augen verlassen. Das große Boot lag zwar relativ weit entfernt, aber nicht zu weit. Gunda und Bill bekamen mit, wie sich die Personen an Deck bewegten. Da sie sich meistens im Licht der Scheinwerfer aufhielten, sahen sie auch einiges von ihren Aktivitäten, nur eben nichts Genaues. »Was tun die?« fragte Gunda. »Das möchte ich auch gern wissen.« Pause. Warten. Beobachten. Hin und wieder einen Blick in die Tiefe werfen, wo sich die Gestalt der Undine auf einem Felsen abzeichnete, umgeben von einigen Nixen. »Jetzt trinken sie«, murmelte Gunda. Sie rutschte unruhig umher. »Jedenfalls sieht es so aus.« Bill war einverstanden. Er enthielt sich allerdings eines Kommentars und nickte nur. Wieder verstrich Zeit. Das Warten machte nervös. Bill wünschte sich an Bord des Bootes, doch er traute sich nicht, näher heranzupaddeln. Wie brutal die Freunde des Wassers gegen Fremde und Feinde vorgingen, hatte er am eigenen Leibe zu spüren bekommen.
Noch waren die Scheinwerfer stur auf das Deck des Bootes gerichtet, was sich sehr bald änderte, denn die Männer traten an sie heran und schwenkten sie. Die langen Strahlen fingen an zu wandern. Sie krochen über die Reling hinweg, sie erreichten das Wasser und huschten dort lautlos über die Oberfläche hinweg. Wieder näherten sie sich von drei Seiten einem bestimmten Ziel. Im Reflex griff der Reporter nach seinem Paddel, denn es sah so aus, als würden die Scheinwerfer in eine gefährliche Nähe kommen und sie aus der noch schützenden Dunkelheit reißen. »Das kann ins Auge gehen«, flüsterte auch Gunda. »Los, wir müssen weg!« Gunda verstand. Auch sie griff nach dem Paddel, aber weder sie noch Bill tauchten das Blatt ins Wasser, denn die Scheinwerfer stoppten plötzlich. Zum Glück noch so weit von ihnen entfernt, daß sie sich außerhalb der Zone befanden, aber sie wollten auf keinen Fall ein Risiko eingehen und machten sich so klein wie möglich. Sie legten sich bäuchlings auf die Planken und hoben nur die Köpfe ein wenig an, um über den dicken Gummiwulst hinwegschauen zu können. Das Licht hatte sein Ziel erreicht. Zu dritt strahlten die Scheinwerfer gegen das Wasser, durchbrachen es an dieser Stelle und erwischten mit ihren Ausläufern die Person, die als Königin des Wassers auf dem Felsen saß und durch die Helligkeit eine Konturenschärfe bekam, als wäre sie ein in Stein gehauenes Bildnis, das sich nur zufällig hier in das Wasser verirrt hatte. So deutlich hatten Gunda und Bill sie noch nie zu Gesicht bekommen. Undine schien sich auch nichts daraus zu machen, daß sie angeleuchtet wurde, denn sie griff mit beiden Händen in ihr Haar, spreizte dabei die Finger, und fächerte die lange Flut noch weiter auseinander. Gunda Gumm war noch faszinierter als Bill. Ihre Umgebung hatte sie vergessen. Wie in Trance starrte sie so gut wie möglich in die Tiefe, dabei schüttelte sie einige Male den Kopf und flüsterte immer wieder: »Ich kann es nicht fassen. Ich will es nicht glauben, was ich mit eigenen Augen sehe.« »Doch es ist wahr.« Bill, der neben ihr lag, grinste scharf. »Es ist weder ein Traum noch ein Märchen.« »Begreifen Sie das denn?« »Möglich.« »Wieso?« »Jetzt keine Erklärungen, bitte. Nehmen Sie es einfach hin, Gunda, und denken Sie daran, daß Märchen hin und wieder auch wahr werden können.« »Enden denn alle gut?« »Das hoffe ich.«
Die Frau schwieg. Etwas lag in der Luft, das spürten beide. Äußerlich hatte es keine Veränderungen gegeben, auch der Himmel zeigte nach wie vor dieselbe Farbe. Dunkel, aber auch klar, und die Gestirne grüßten aus einer unendlichen Ferne. Um sie herum bewegten sich die Wellen. Sie rollten gegen das Boot an. Gunda und Bill fühlten das sanfte Schaukeln und Wiegen, das ihnen allerdings keine Sicherheit gab, denn alles um sie herum kam ihnen trügerisch vor, wie von einem Glanz aus einer anderen Welt bedeckt. Hatte sich auch die Luft verändert? War sie noch klarer geworden? Und das Wasser? Bill zumindest kam es vor, als wäre es dicht unter der Oberfläche verglast worden. Alles war so klar und überdeutlich. Er sah auch die Nixen, die in das Licht hineinschwammen, als wären sie von einem Magneten angezogen worden. Dann schaute er wieder hoch – und hörte die lauten Rufe. Sie waren auf dem Boot erklungen. Bill Conolly hatte es nicht genau sehen können, doch er ahnte, daß man seinen Freund John Sinclair entdeckt hatte… *** Ruhe an Deck! Ich konnte es kaum fassen, daß es mir gelungen war, ungesehen das Boot zu verlassen und mich im Rücken der elf Freunde des Wassers aufzubauen. Das war eine Tatsache, über die ich mich freute, und ich drückte mir selbst die Daumen, daß sie noch lange anhielt. Die Freunde des Wassers waren von dem Anblick der Undine fasziniert. Sie hatten ihre Umgebung vergessen und einzig und allein nur Augen für dieses Phänomen. »Das ist der Sieg!« keuchte einer von ihnen. Es gefiel Justus Fontain nicht. Er hob den Arm. »Nicht so schnell, Garry. Noch haben wir das Ziel nicht erreicht, denn noch gilt es, einige Schwierigkeiten zu überwinden.« »Welche?« Justus ließ sich Zeit mit der Antwort. Ich stand hinter ihnen, außerhalb des Lichtscheins und hatte nichts zu befürchten. Verdammt, warum kriegte ich trotzdem eine Gänsehaut und schielte bereits hinüber zur Reling. Justus Fontain stand günstig. Fr senkte den Kopf. Noch immer war er eine Antwort schuldig, allerdings nicht mehr lange. Er sprach und handelte zugleich. »Diesen Mann hier!« rief er und fuhr blitzschnell herum.
Es blieb mir wirklich kaum Zeit. In der Sekundenspanne, in der sich Fontain bewegte, zuckten mir zahlreiche Gedanken durch den Kopf, und ich dachte daran, daß er die ganze Zeit über etwas gewußt haben mußte. Er hatte mich gesehen und trotzdem seine Schau durchgezogen. Damit hatte er Nervenstärke bewiesen. Seine Finger zeigten auf mich, und einen Moment später drehten sich auch die anderen. Meine Hand zuckte zur Beretta. Allerdings berührte sie die Waffe nur kurz, denn es hatte keinen Sinn, wenn ich sie zog und schoß. Ein Blutbad wollte ich nicht auf meine Kappe nehmen, zudem waren die Freunde des Wassers auch bewaffnet. Zum Glück hatte sie mein Erscheinen derart überrascht, daß sie zu spät handelten. Sie zogen ihre Waffen nicht und gaben mir die Gelegenheit, etwas zu tun. »Faßt ihn! Schießt ihn nieder!« Der Befehl erreichte mich, als ich bereits unterwegs war. Ich hatte zuvor die Distanz zur Reling genau abgecheckt. Ich brauchte drei Schritte, um den Punkt zu erreichen, wo ich mich abstoßen konnte. In diesem Moment erinnerte ich an einen Hochseilartisten, der sich von seinem sicheren Standplatz löste, um kopfüber dem Netz entgegenzuspringen. Nur war hier kein Netz gespannt, sondern kaltes Wasser, in das ich dann mit den Armen nach vorn gestreckt eintauchte und das Gefühl bekam, als wären all meine Körperteile, besonders die Lunge, blitzschnell eingeschlossen worden. Ich war weg und ebenfalls zu einem Wasserwesen geworden, das der Tiefe entgegenstieß. Dabei bewegte ich meine Beine, um mir noch mehr Schwung zu geben, denn ich mußte runter, wenn mich die Kugeln nicht erreichen sollten. Vor dem Eintauchen hatte ich tief durchgeatmet, so würde ich mich länger unter Wasser aufhalten können und die dunklen Stellen erreichen, zu denen das Licht der grellen Scheinwerfer nicht hinreichte. Ich tauchte ab. Weit hielt ich die Augen offen, doch es ist etwas anderes, ob man nur mit einer Badehose bekleidet schwimmt oder in voller Montur, so wie ich. Die Kleider hatten sich vollgesaugt, und sie hingen schwer wie Blei an meinem Körper. Sie behinderten mich bei meinen Bewegungen. Ich kam nur im Schneckentempo voran, rollte mich dann auf den Rücken und schaute in die Höhe. Über mir waberte der Schein, aber er veränderte sich nicht. Ein Zeichen, daß sie mich damit nicht verfolgen wollten. Ich schwamm, doch es fiel mir von Sekunde zu Sekunde schwerer. Allmählich wurde mir nicht nur die Luft knapp, auch die Kleidung
verwandelte sich in Eisen, sie zerrte an mir, so daß ich mich fragte, ob ich es noch schaffte, wieder an die Oberfläche zu gelangen. Schon einmal hatten mir die geheimnisvollen Nixen geholfen, und auch diesmal waren sie da. Sie konnten mir zwar keinen dringend benötigten Sauerstoff zuführen, dafür unterstützten sie mich auf eine andere Art und Weise, denn sie drängten ihre kleinen, aber durchaus kräftigen Arme unter meinen Rücken und halfen mir dabei, in Richtung Oberfläche zu gelangen. Sie trugen mich praktisch hoch. Ich geriet wieder in den helleren Schein und hoffte, daß ich nicht genau dort auftauchte. Die Hoffnung erwies sich als trügerisch. Ich kam genau dort hoch. Mein Kopf tanzte plötzlich auf der Wasserfläche. Durch meinen weit geöffneten Mund konnte ich die frische Luft einatmen. Sie schien mich vom Kopf bis zu den Füßen auszufüllen, es war einfach ein herrliches Gefühl, aber ich war mir auch der Gefahr bewußt. Die Nixen blieben bei mir. Ich spürte ihre unterstützenden Hände auch, als ich mich drehte und, geblendet durch das Licht, die Augen schließen mußte. Verdammt, ich lag wie auf dem Präsentierteller, aber niemand feuerte auf mich. Für mich war es ein Rätsel, das sich allerdings rasch auflöste, als ich den Kopf zur Seite drehte und hinüberschaute, wo sich das große Boot befand. Es lag an derselben Stelle und dümpelte schwerfällig auf den Wellen, doch es hatte sich etwas anderes getan. Vom großen Boot aus löste sich ein schmalerer Schatten, der über das Wasser hinwegglitt und Kurs auf den Lichtschein nahm. Ich nahm mir die Zeit und trat ans Wasser. Dabei brauchte ich nicht mehr in das grelle Licht zu schauen, so daß es mir gelang, den Schatten zu identifizieren. Beinahe hätte ich aufgelacht, denn es war das Beiboot, in dem ich mich so lange versteckt hatte. Die Freunde des Wassers hatten es in Rekordzeit auf den See geschafft und waren selbst eingestiegen. Sie saßen dicht gedrängt, elf Menschen fanden nur schwer darin Platz, und das Boot war tief eingesunken. Ein etwas höherer Wellengang hätte es rasch kentern lassen. Am Bug kniete eine Gestalt. Es war Justus Fontain. Mich erinnerte er in diesem Augenblick an einen Sklaventreiber auf einer der Galeeren. Nur schlug er keine Trommel, sondern bewegte seine Arme auf und ab wie Dreschflegel, ohne daß die Fäuste jedoch einen Gegenstand trafen. Er dirigierte trotzdem, er hatte auch einen Kurs angegeben, den die Ruderer unbedingt einhalten mußten. Ihr Ziel war Undine! Waren sie denn wahnsinnig geworden? Kannten sie die Kraft dieser Wasserkönigin nicht?
Wahrscheinlich doch, aber sie hatten ihre spezielle Nahrung zu sich genommen und spürten nur, wie sie von den Kräften der Welt Aibon durchtost wurden. Darauf verließen sie sich und dachten wahrscheinlich, göttergleich zu sein. Da ich ihr Ziel inzwischen kannte, beschloß ich, vor ihnen dort zu sein. Noch von den Nixen unterstützt, schwamm ich auf der Oberfläche, drehte mich, streckte meinen Körper und versuchte, mit schnellen und wilden Kraulbewegungen das neue Ziel so rasch wie möglich zu erreichen. Ich wollte vor ihnen bei Undine sein, obwohl sie jetzt schneller ruderten, angetrieben von Justus Fontain, dessen Schreie über das Wasser hallten und auch meine Ohren erreichten. Ich bewegte Arme und Beine wie ein Automat. Wasser umspritzte mich, verwandelte sich im Licht zu glitzernden Diamanten, die mich umwirbelten, und ich war froh, unter mir die stützenden Hände der kleinen Nixen zu spüren, die mir das Schwimmen doch sehr erleichterten. Manchmal tauchte ich auch unter, was nicht tragisch war, denn sofort danach schaffte man mich wieder an die Oberfläche, und die Wellen trugen mich weiter. Ich schluckte Wasser. Es schmeckte wunderbar frisch. Daß hier die Leichenteile zweier Männer herumschwammen, daran wollte ich nicht denken, zudem kriegte ich sie nicht zu Gesicht. Aber ich näherte mich dem Zentrum. Wenn ich den Kopf etwas anhob, blendete mich auch das Licht. Es spiegelte sich auf der Wasseroberfläche, ich konnte nicht mal sehen, wo ich mich befand, glaubte aber, die Stimme meines Freundes Bill zu hören, die sehr weit entfernt aufgeklungen war. Er hatte meinen Namen gerufen. Ich tauchte unter. Zuvor hatte ich noch einmal tief Luft geholt, dann glitt ich wie ein langer Fisch in das Glas hinein. Ja, es kam mir vor wie Glas. Das Wasser umgab mich wie ein starres Gefängnis, und bei jedem Schwimmstoß schien eine Glaswand vor mir zurückzuweichen, um einer anderen den nötigen Platz zu schaffen. Da war niemand, der mich aufhielt, ich konnte unangefochten in diese andere, sogar herrliche Welt hineingleiten. Die Augen hielt ich weit geöffnet. Ich war Undine zum erstenmal sehr, sehr nahe gekommen. So nahe, daß ich sie in all ihren Einzelheiten erkannte, und es gab zwischen meinen Augen und ihr nichts, was uns trennte. Ich schwamm auf ihren Körper zu. Das Gesicht schimmerte dicht vor mir, vergrößert durch die Brechung des Wassers. Ich bewegte mich innerhalb eines Lichtfilms, der von Undine selbst ausging.
Ein geheimnisvolles grünes Licht, dessen Quelle allein in ihren Augen lag. Für mich war es wie ein Willkommensgruß, und sie legte den Kopf noch weiter zurück, öffnete den Mund, als wollte sie mir ein Lachen entgegenschicken. Das Wasser trieb mich an sie heran. Zum erstenmal konnte ich sie berühren, und wahrscheinlich war ich der erste Mensch, der dies tat. Es fiel mit schwer, den Mund nicht zu öffnen, mein Körper schrie nach Luft, aber ich wollte diese geheimnisvolle Königin auch spüren, und meine Hände glitten über ihre Schultern. Es war ein Genuß, über die Haut zu streichen, die sich nicht einmal fischig oder kalt anfühlte, sondern eine gewisse menschliche Wärme ausstrahlte. Ich wurde umschwommen von meinen kleinen Freundinnen, den Nixen, und konnte in ihre lächelnden Gesichter schauen. Auch Undine lächelte mich an. Sie umfaßte meine Handgelenke und zog mich so nahe an sich heran, daß sich unsere Körper berührten. Der Kontakt war etwas Wunderbares. Ich hatte den Eindruck, als würden zwischen uns Funken knistern. Ich spürte ihre Lippen auf meiner Haut, sogar meinen geschlossenen Mund berührte sie, und dieser ungewöhnliche Kuß unter Wasser vertrieb meine letzten Ängste. Ich wußte, daß mir die Freunde des Wassers nichts anhaben konnten. Sie hatten den falschen Weg beschritten, sie würden für ihre Überheblichkeit bestraft werden. Undine ließ mich los und stieß mich zurück. Ich paddelte mit Händen und Armen und hatte das Gefühl, nicht nur mein Kopf, sondern der gesamte Körper würde platzen. Alles in mir schrie nach Luft. Wieder waren es die Nixen, die mir halfen, denn sie drückten mit ihren kleinen Händen gegen meine Füße und stießen mich schwungvoll in die Höhe. Kurz bevor ich die Oberfläche durchstieß, klopfte mein Herz schon schneller. Ich dachte an das kleine Boot, hielt die Augen weit offen, aber die flirrende Helligkeit der Scheinwerfer ließ kein genaues Ziel erkennen. Dann war ich durch. Wie sagte man so schön? Man jappst nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. So erging es mir in diesem Augenblick. Ich hatte den Mund weit aufgerissen, ich atmete stockend und tief ein, ich wollte mich wieder füllen, fühlte mich auch kraftlos, denn die Kleidung wollte mich wieder in die Tiefe zerren. Die helfenden Hände waren noch immer da. Wie Fische wischten die Nixen dicht unter mir durch das Wasser und stützten mich auch ab, so daß meine Angst vor dem Versinken verging.
Ich lag auf dem Rücken und konnte schräg in die Höhe schauen. Noch immer umgab mich der Schein, aber in ihn hinein drängte sich ein Schatten. Das Boot war da. Ich warf mich nach rechts, blieb auf der Seite liegen, die kleinen Hände trugen mich, und meine eigenen Schwimmbewegungen waren unbedeutend. Das Boot glitt heran. Noch immer hockte Justus Fontain im Bug. Er trieb seine Leute nicht mehr an, sie hatten die Ruder eingeholt. Der letzte Schwung trug sie auf das Ziel zu, das ich nur in sekundärer Hinsicht war, denn primär ging es ihnen um Undine. Das Gesicht des Justus Fontain war verzogen. Ein fast wahnsinniger Ausdruck stand in seinen Augen. Für mich hatte er keinen Blick mehr, er schaute in die Tiefe, denn in dieser gläsernen Welt zeichnete sich für ihn die Erfüllung aller Wünsche ab. Ich sah, daß er zitterte, er schwang auf uns nieder, als wollte er noch einmal Anlauf nehmen. Für einen winzigen Moment drehte er den Kopf. Ich sah in seine Augen, deren Blick schon meilenweit entrückt war. Er befand sich nicht mehr in dieser Welt, aber er hielt noch Kontakt zu ihr. Plötzlich schrie er: »Schieß ihn nieder, Jacob!« Mit Jacob war der Mann hinter ihm gemeint. Und der zog seine Waffe in dem Augenblick, als sich Justus Fontain abstieß und kopfüber in den See sprang. Schräg glitt er in die Tiefe, genau seinem Ziel entgegen, denn jetzt wollte er Undine. Ich aber schaute plötzlich in die Mündung eines Revolvers. Obwohl das Boot leicht schaukelte würde mich dieser Jacob, dessen verzerrt grinsendes Gesicht ich dicht oberhalb der Waffe sah, immer treffen. Ich kam nicht mehr weg. Alles war zu schnell gegangen, und die Nixen hatten nicht bemerkt, in welcher Gefahr ich schwebte. Da fiel der Schuß! *** Die Kraft der getöteten Nixen hatte Justus Fontain zu einem Wesen gemacht, das zwar lebte, sich aber fühlte, als würde es zwischen Himmel und Erde existieren oder eben zwischen zwei Welten, der realen und dem geheimnisvollen Paradies der Druiden, Aibon genannt. Er war in das Wasser gesprungen und glaubte fest daran, daß genau dieser See seine Welt war. Die neue Welt, die Erlösung, die ihm endgültig nur der Kontakt zu Undine bringen konnte.
Er hielt die Augen weit offen, er schaute auf die jetzt wieder unbewegliche Gestalt, die auf der Felsenspitze ihren Platz gefunden hatte, als wäre sie dort für alle Ewigkeiten verankert worden. Sie hatte die Arme erhoben und die Hände hinter ihrem Kopf wieder zusammengeführt. Ihr Mund war nicht geschlossen. Er stand nach wie vor halb offen, und Justus hatte den Eindruck, als würde er mit einem Lächeln begrüßt. Er schwamm näher an sein Ziel heran, achtete nicht auf die ihn umgebenden Nixen, deren Bewegungen nicht mehr so glatt wirkten, sondern mehr aufgeregt und aufgeputscht. Nur Undine war wichtig. Sie ließ ihn herankommen, sie war für ihn bereit, als hätte sie nur auf diese eine Begegnung gewartet. Er schwamm an sie heran. Vor dem Sprung ins Wasser hatte er tief Luft geholt, und er wußte auch, daß er die Luft sehr lange anhalten konnte, dafür hatte er speziell trainiert. Das würde ihm jetzt zugute kommen. Undine bewegte sich nicht. Sie ließ es zu, daß die Arme des Mannes sie umfaßten, und seine Hände glitten dabei über ihre Brüste hinweg, die sich ihm regelrecht entgegenstemmten. Dabei achtete er nicht auf ihre Hände, die sich allmählich vom Hinterkopf lösten. Beinahe gemächlich schwangen sie herum, dann aber wurden sie schneller, als wäre die Widerstandskraft des Wassers nicht mehr vorhanden. Plötzlich griffen sie zu! Justus Fontain spürte es erst, als sie seinen Hals umklammerten und nicht mehr losließen. Der Plan, auch sie aus dem Wasser zu holen, hinein ins Licht zu schaffen, um sie dort zerfließen zu lassen, platzte wie eine Seifenblase. Jetzt bekam er Undines Rache zu spüren. Die Hände waren wie Klammern. Sie bohrten sich mit ihren Nägeln in sein Fleisch. Kleine Blutwolken umwehten die Nähe seines Halses. Nicht nur Undine griff ein, sie hatte ihren Nixen ebenfalls einen entsprechenden Befehl erteilt. Sie schwammen heran. So harmlos sie auf dem Land waren, so gefährlich konnten sie im Wasser sein. Justus Fontain kam nicht einmal dazu, einen Schrei auszustoßen, als ihn die kleinen Hände traktierten. Sie waren wie Messer, denn sie rissen seine Haut auf, sie fügten ihm Wunden zu, und einige der Nixen hatten sich an seinen Beinen festgebissen wie kleine Wasservampire. Justus Fontain hatte nicht die Spur einer Chance und wollte es trotzdem nicht wahrhaben. Er versuchte sich zu befreien, er schlug um sich, aber seine Schläge waren durch den Gegendruck des Wassers kraftlos
geworden. Sie erwischten den Körper der Undine zwar, nur schafften sie es nicht, ihn zurückzuwuchten und sich so zu befreien. Sie war und blieb die stärkere Person. Und ihre Rache war fürchterlich. Sie nahm ihm das Leben, sie ließ ihn nicht los, sie kannte kein Pardon und ließ ihn zappeln wie einen Fisch. Er bekam all das zurück, was er diesen ansonsten friedlichen Wesen angetan hatte und noch antun wollte. Es dauerte nicht lange, da war der Körper des Mannes von einer dunklen Wolke aus Blut umschwebt. Seine Umrisse waren nur mehr schattenhaft zu sehen, und die Nixen hielten an ihm fest wie zappelnde Fische. Genau bis zu dem Augenblick, als sie den Befehl kriegten, ihn loszulassen. Auch Undine hielt ihn nicht mehr fest, und sein toter Körper sank wie taumelnd in die Tiefe des Sees, erreichte den Grund, aber da hatte er sich schon in der Finsternis verloren. Niemand sah, wie er in den Schlamm hineinglitt, der durch den plötzlichen Druck regelrecht aufkochte und ihn mit seinen unzähligen schwarzen Armen umfing wie eine Riesenkrake. In diesem Augenblick war der Mensch Justus Fontain nur mehr Vergangenheit… *** Der Schuß war aufgepeitscht, und ich hatte damit gerechnet, daß mir die Kugel das Gesicht zerschmettern würde, doch genau das geschah nicht. Statt dessen brüllte Jacob für einen Moment auf, bis aus seiner Kehle ein Blutstrom schoß, er nach vorn kippte, über Bord ging und wie ein Stein im See verschwand. Erst jetzt wurde mir richtig bewußt, daß ich noch lebte und ein anderer geschossen hatte. Ich hörte das Tuckern eines Außenborders, dann glitt ein Schlauchboot heran, in dem ein Mann und eine Frau saßen. Bill Conolly und Gunda Gumm. Ich konnte nicht sprechen, mir war Wasser in den Mund gedrungen, doch als ich hustete, da grinste Bill nur. Für ihn war alles klar. Aber auch für mich und die anderen Männer? In der unmittelbaren Nähe ihres Bootes schäumte die Oberfläche auf, denn aus der Tiefe stieg die Rachegöttin Undine. Sie kam mir riesig groß vor, ich hörte Gundas leisen Schrei, und dann umklammerte die geheimnisvolle Person das Boot mit den restlichen Männern. Ihr Vorhaben war klar. Sie wollte allesamt in ihr feuchtes Reich ziehen, wo es für sie keine Rückkehr mehr gab. Vier Tote waren mehr als genug. Schon vier zuviel, und ich schrie ihr deshalb entgegen. »Nein, Undine, nicht!« Sie zögerte.
»Bitte, laß sie leben. Sie waren nur Mitläufer. Sie haben sich schuldig gemacht, das weiß ich, aber sie sind auch in die Irre geführt worden.« Hörte ich eine Stimme, oder war es nur das Pfeifen des Windes, das wie eine Antwort klang. »Ich lasse sie leben, ich tue es deinetwegen und auch wegen deines Freundes und dieser Frau. Denn jetzt weiß ich, daß nicht alle Menschen schlecht sind, aber ich will darum bitten, daß dieses Geheimnis um Aibon und dem verwunschenen See gewahrt bleibt.« »Ich verspreche es!« Die neun Männer hatten zugehört. Sie waren vor Furcht erstarrt, aber sie konnten nicken und so ihre Zustimmung geben. Die Hände ließen los. Noch einmal schaukelte das Boot heftig. Ich hatte mich zur Seite gedreht und bekam mit, wie der Körper der Undine wieder auf den Felsen zuglitt. Sie hatte tatsächlich keine Beine, sondern einen langen schimmernden Fischschwanz. Und auch die Nixen verschwanden. Niemand unterstützte mich mehr. Ich sackte in die Tiefe, aber ich schwang auch wieder hoch, und dann waren andere Hände da, die mir halfen. Gunda Gumm und Bill Conolly unterstützten mich dabei, als ich in das Schlauchboot kletterte. Ich lag erschöpft neben ihnen auf den nassen Planken, überließ es Bill Conolly, das zu sagen, was nötig war. »Ihr habt die Warnung der Undine gehört!« redete er die Männer an. »Richtet euch danach. Vergeßt alles, was ihr hier erlebt habt, und kehrt nie mehr zurück!« Mehr wollte er nicht sagen, statt dessen gab er Gas. Umgeben von blasigem Schaum und Gischtwolken fuhren wir wieder dem Ufer entgegen. In uns die Gewißheit, daß Märchen doch nicht immer Märchen sind…
ENDE